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ee > en u nee )eiie/>.e.hel\eChefjoi) Ban pet laf 2/5

Berlag bon R. Oldenbourg in München und b Zeipnig.

Studien ũber die Entwickelung der Verwaltungslehre in Deutſchlano von der weiten bãlite des 17. bis Ende des 18. Jahrhunderts. .

Von Prof, Dr. Guſtav Aarchet. 80, vl und 438 Zeiten. Pꝛreis 9,4

Diefe Etudien zeigen für einen aus dem Leben des deutſchen Volkes herausgegriffenen Zeitabſchnitt wie man damals über Verwaltung dachte. Site beſchränken ſich dabei nid auf Deutſchland, ſondern verſuchen auch einigermaßen darzuſtellen, wie die Culturvölker Europas neben⸗, nach⸗ und miteinander arbeiteten und wie ſie in die große Fuge dee wijſen ſchaftüchen und civiliſatoriſchen Yorticrittes eingrifien. Die Studien find cin: wichtige Bauſtein in der Bintchafisgeſcicte des Volkes.

Verlag von R. Oldenbourg in Münthen und Leipig.

. Vorfräge und Aufl ihe

von A. Aluchhohn, weiland o. ö. Profeſſor an der Univerſität Göttingen. J

Herausgegeben von K. Th. Segel u und A. Wrede.

32 Bogen, 8°. Preis M. 6.50.

Vorliegende Schriften umfaſſen die geſammelten Vorträge und Aufſätze des betannten, vor Jahresfriſt verſtorbenen Göttinger Hiſtorikers A. v. Kluckhohn. Es ſei daraus beſonders hervorgehoben die vorzügliche Monographie ber Königin Louife, ſodann die Vorträge über die Helden der Freiheitskriege, wie Zlücher, Scharndorfl, Gneifenau, Freiherr von Stein u. ſ. w., Die dur ihre geiftvolle, feine Charakteriſtik ein ledenswarmes Biſd der großen Männer und ißrer Zeit geden.

Hiſtoriſche Zeitſchrift.

(Begründet von Seinrich v. Spbel.)

Unter Mitwirkung von

Jaul Beillen, J. Erhardt, Otte Hinke, Otte Krauske, Max Jen, Siegmund Riejler, Maris Ritter, Konrad Barrentrapp, Karl Feumer

herausgegeben von

Friedrich Meinede.

..,.un

Der ganzen Zeihe 79. Band. Neue Folge 43. Band.

Münden und Teipzig 1897. Drud und Verlag von R. Oldenbouro.

.

3nhalt.

Auffäge.

Seite Zur grieniicien Vorgeſchichte. Bon Julius Belod . 193 ar Ebel Sozialismus in Europa. Bon Robert Böhlmann. 385

Erfter . Bur danders des Großen. Von Benedictus Riefe 1 Deeimus Elodiug Albinus. Bon Otto Hirfchfeld . 452

Die wirthſchaftliche Kultur der Deutichen zur Zeit Cäſars. Von Werner Wittich. .. 45 Neuere Saraungen zu zur frantiſchen Rechisgeſchichte. U. Bon Richard 99 4

Die pfälzifche Politik und die e bobmiſche Rönigamaht 1619. Son Moriz Ritter . . 239

Miscellen.

Staat und Wirthſchaft der Germanen zur Zeit Cäſar's. Bon L. Erhardt 292 Ein italienifches Stadtrecht des Mittelalterd. Bon Karl v. Hegel . 284 Literaturberidt.

Seite , Geite

Allgemeines . . . . 68 ff. 299 ff. Oſterreich. 2... 11 Sei ‚Sehticte ... 75 ff. 808 f- Mähren -. .». » 2... 491 F. üfiged Leben 2 0 . Säweh > 2... UL. 4061. Mittelalter: England oo. 128 ff. Quellentunde.... 00 ff. alien oo. 134 ſ 501 ff. Kaifertfum . . . . . 312 ff. Spanien... .. 509 fi. Kirhe . . 0... Bl4 ff. Schweben . 20 512 19. Jahrfundert . . SCH. BIC Danemant. > > > >. 5 BISR, Deutiche Tandithaften: go; Rubland . . . . 381 f. Elfi urnberg " [u I- Unem . . .. 988 fi 523 fi. MB. —2 Tr 1 Boltsfeudgen . . . 525 ff. ganjeitädte . . . 1057. 487 f, Gedichte der Geographie. . 529 fi. zhleewig . . . »c Schule und Erziegumg . uf. Bommern . 105 Bergrecht 491 if Schlefien . . . .107 ff 493 7 f.. nr "

1392

IV

Inhalt.

Alphadetifhes Berzeihnis der beſprochenen Schriften.)

Achelis ſ. Bonwetid. Altmann⸗Bernheim, Aus ewählte Urkunden z. Ver⸗

——e— 2. Aufl. .

Anker, Uddrag af diploma- tiske Indberetninger om Unionens Forberedelse og Tilblivelse 1814 (Christia- nia 1894). . .

Uddrag af diploma- tiske Indberetninger om Unionens Forberedelse og Tilblivelse 1814. (Kjoben- havn 189%) . .

Marqu. d’ Aragon, Le prince Charles de Nassau - Siegen

Baar, Stud. über den geſchichtl. Unterricht an den böberen Lehranſtalten d. Auslandes. II.

Better, D. Ende Amy Rob⸗ fart’3 ꝛc. 1560 . .

de Benedetti, La diploma- zia pontificia e la prima spartizione della Polonia .

Berner, Jahresberichte der tem ſenſchaft. XVII

Bernheimſ. Altmann. Binz, Der rheiniiche Arzt Dr. oh. Weyer. 2. Aufl... . Bloch, Stiftamdinaend og Amtmaend i Kongeriget Danmark og Island 1660

—1848..

Bobe, Geheimrath Detlev v. Ahlefeldt'3 Diem. 1617—1659 Bodenheimer, Die Mainzer Eiubiften der Jahre 1792 u.

W. Bode, Kurze Geſchichte der Trintfilien umd Mäßigkeits⸗ beſtrebungen in Deutſchland

Böhtlingk, Wilhelm der Glor— reiche

Dr. Martin Luther u. _ Ionaz v. Loyola

Seite

Bonn, Spaniens Niedergang während der Preisrevolution des 16. Jahrh.

Bonwetſchu. Achelis, Die

riechiſchen chriſtlichen n Shrilt- teller der erften drei Jahr⸗ hunderte. I (Hippolyt’3 Werte)

Borel, Les foires de Gen&ve au quinzieme sitcle .

Brandrud, Klosterlasse

M. Braun, Bei. der Juden in Sclefien.

Breen, Pieter Cornelizsen Hooft als schryver d. Neder- landische Historien . .

Bröring, Das Saterland. I.

549 520

520

331

I—VIID. rn

Brüdner, Geih. Rußlands big zum Ende des 18. Jahr⸗ hunderts. I. .

Karl Brunner, Der pfälgtfche Wildfangitreit unter Kurfürft Karl Zudwig (1664—1667) .

Bruun, Om Ludwig Hol- bergs” trende Epistlen til en heifornem herre. .

346 Chambalu, Entwidlung der

holländiſch-oſtindiſchen Geſell⸗

ſchaft (1602 - 1798) . 181 | Champion, La France d’apres les cahiers de 1789

Christensen, Unionskon-

gerne og Hansestaederne

533 368

373

591 1439 —1466 Claar, Die Entwidlung der venetianifchen Verfaſſung von 516 ber Einfegun bi8 zur Scliebung ne 3 Öroßen Rathes (1172—12 176 Croce, Le ie storiche del Prof. Loria . . Curti, Carlo Emanuele I 179| secondo i più recenti studi Davidſohn, Geſchichte von 378 Floren;. Forſchungen zur älteſten 564 Geſchichte von Florenz

Brom, Bullarium Trajectense.

Seite

511

501

') Enthält auch die in den Auffägen ſowie in den Rotigen und Nachrichten beiprocheneu

jelbitändigen Schriften.

Dedouvres, Le ptre Joseph Polemiste . .

Deloche, Les indices de l'occupation par les Ligures de la region qui fut plus tard appelde la Gaule . .

Dierds, Geſch. Spaniens. II.

Tobeneder, Regesta diplo- matica necnon epistolaria histor. Thuringiae. 2. Hbbd.

Dvorak, Dva denniky dra MatiäSe Borbonia z Borben- heimu. .

ST eiter, Markgraf Bernhard I. und die Antänge des Terri- torialjtaate® . .

vehiarift des Kal. Friedrich⸗

Wilhelms⸗Gymnaſ. zu Berlin Feſt chrift des —— r Kärnten.

Fla de, Das Kirchipiel Frauen⸗ hain ꝛc..

Franke, Social Forces in German Literature

Fredericq, Onze histor. Volksliederen van voor de godsdienstige beroerten der 16e eeuw. .

Frederik den Sjettes, Udsoning med Napoleon. Udg. af Generalstaben

dride, Die Memoiren des Grafen Yorbin . .

Eiegmar Friedrid) (Graf Sieg. mar Dodna), D. Eriverbung des Herzogthums Preußen u. deren Ronjequenzen.

Fruin, Uittreksel uit Fran- cisci Dusseldorpii Annales 1566—1616 . en

Geschiedkundige opstellen aangeboden aan R. Fruin

Greenidge, Infamia

Mon. Germ. Hist. Ep. t. 1. p- U. ed. Hartmann . .

Hauſer, Geſchichte der Stadt, Herrſchaft und Gemeinde Elgg

Haußpleiter, Aus der Schule Weianchthon⸗ 8

Heber, Gutachten u. Reform: vorjhläge für das Bienner Generaltonzil 1311—1312 .

Inhalt.

Geite v. Heinemann, Zur Ent jtefung der Stadtverfafjung in Stalien . Heinrich, Wallenſtein als Her- z0g von Sagen. . Hellmann, 2. fog. Memoiren de Grandgamps u. . Hildebrand, Nedt u. Sitte auf den verichiedenen wirth- ihaftlihen Kulturſtufen. I. Hirſch, D. Winterfeldzug in Preußen 1678 -79 Höhlbaumu. Seuiien, Ins ventare hanſiſcher Archive des 16. Jahrhunders 1. Hutton, Philipp Augustus Hlligens, Geſch. der Lübecki⸗ ſchen Kirche von 1530—1896 Janſen u. Sammer, Schles⸗ wig-Holjteins Befreiung Jecht, Codex dipl. Lusatiae superioris. II, 1. . Jorga, Philipp de Mezitres, 1327—1405, et la croisade au XIVe sitcle Kampers, D. deutiche Kaiſer⸗ | idee in Prophetie u. Sage . 188 | Kautsty, Die Geſchichte des Sozialismus in Einzeldar- ftelungen. I, 1 (Bon Plato bis zu den Wiedertäufern) . Keuſſen f. Höhlbaum. 172 Kiem, Gel. d. Benediktiner⸗ abtei Muri-Gried. IT. . Knapp, D. alte Nürnberger Kriminalredit 184 König, D. päpftliche Kammer ı unter Clemens V. und So: i Hann XXII. 187 König Bilpelm auf feinem - Kriegszuge in Frankreich 1370 187° Kohler, Studien aus dem 308 Strafrecht. IV (Strafrecht der italienischen Statuten vom 12 bi3 16 Jahrhundert). ‚Kretichmer, Einleitung in 119 die Geich. d. grieh. Sprade. ‚Kringelbach, Den. civile

827

84

518

5583 | Centraladministration 1848 F til 93. rüner, Berlin ale itglie 3641” der deutihen Hanfa

312

VI

vanLangeraad, De Neder- landische Ambassade-kapel te Parys. L1I. . .

Langlois, Manuel de bi. bliographie historique. 1.

vd. Langsdorff, Johann Hus

de Lanzac de Laborie, Memorial de J. de N or- vins. 1 . .

Laßwitz, Th. Fechner

Laursen, Kancelliets Brev- beger verdrerende Dan- marks indre forhold i Ud- drag. 1561—1565 .

Le Blant, 750 inseriptions de pierres gravees inedites ou peu connue .

Le Breton, Rivarol .

Lenz, Luther 3. Aufl. . .

Lerſch, Geſch. der Volksſeuchen

Liebe, D. Kriegsweſen Erfurts

Lindström, Anteckninger om Gotlands Medeltid. I. II.

Lodge, Richelieu . .

v. Loͤher, Das Kanarierbud) .

Loewe, Die Weite der Ger: manen am Schwarzen Deere

Lorenz, Staatsmänner u. Ge- fhichtichreiber des 19. Jahr⸗ hunderte .

Loſerth, Sigmar und Bern⸗ hard von Kremsmünſter.

Lucas, Geſch. der Stadt Tyrus zur Zeit der Kreuzzüge

Lumbroso, Miscellanea Na- poleonica. Im...

Melper, I Nichte der Kar- tbager. II.

Albert de Montesquieu, Voyages de Montesquieu. I.

Mon. Germ. Hist. f. Hart- mann.

Neubaur, Aus der Geſchichte des Elbinger Gymnaſiums.

Nielsen, Aktstykker ved- kommende Stormagternes Mission til Kjebenhavn og Christiania i Aaret 1314. I.

Nohle, Geſchichte des deutichen Schulweſens im Umriß

Ortvay, Geſch. d. Stadt Preß—⸗ burg. I—-UlI.

Inhalt.

Seite Ottolenghi, Della dignità imperiale di Carlo Magno Overmann, Gräfin Mathilde von Zufcien .

188

72|Edm. Pictet, Biographie, 166 | travaux et correspondances diplomatiques de Ch Pictet

de Rochemont . 499 | Pira, Svensk-Danska Foör- 300 handlingar 1593—1600 . .

P. &. dv. Blanta, Pater Theo- dofius, ein menicenfreund- liher Prieiter .

Andrea? Rudolf von

514 Planta, ein republifanijcher Staatsmann . 154 Plattner, Ulrici Campelli 330 Historia Raetic.. I. I. .

366 Porſch, Die Beziehungen Frdr.

525 des Großen zur Türkei bi

182 | zum Beginn und während des Giebenjährigen Krieges

512 | Aus den Briefen des Grafen

325 Proteid v. Oſten (1849

142 —-1855) . .

Quellen zur Bei. d. Stadt 88 | ”: K onftadt in Siebenbürgen.

Na ei fa h i Die Irganijation 92, der Gejammtitaatsverwaltung | Schleſiens vor dem 30 jährigen 111) Kriege . | Rehme, D. Lübeder Ober⸗ 361 | Stadtbuch

|Reijer, Sagen, Gebräuche u. Sprichwörter des Allgäus. L 9 u. IL1..

Chr. Reuter, D. Kieler Erbebuch

Chriſt. Ritter, Nationalität und Humanität. 2. Aufl.

Rosznecki, Polakkerne i Danmark 1659 efter Jan Paseks Erindringer

381, Round, Geoffrey de Mande- ville .

Sach, D. Herzogthum Schleswig in ſeiner ethnographiſchen u.

177 73 128 |

519 | nationalen Entwidlung. 1. CGomte de Saint-Cha- 83 mans, Me&moires nor a a 1832) ..

338 ‚Saljeldj. Stein.

Seite 313 135

115

190

113

113

497

173

101

523

107 487

348

190 128

323

553

Sammlung von Briefen de? Brinzen Vilhelm an den Prinzen Karl 1813—1815

Sammer. Janjen.

D. Schäfer, Feſtrede 22. Mär; 1897 . .

KU Shmid u. ®. Schmid, Geſchichte der Erziehung. IV, 1

W. Schulpe, Deutſche Geich. von der Urzeit biß zu den Karolingern. U.

Schumann, Die Kultur Bom: mern? in vorgeſchichtlicher Zeit

P. Schwarg, D. Neumark im Srenglibrigen 5 Kriege bis 3

zum

v. Schwerin. Helgoland . 9. Seeliger, D. Bund d. Sechs⸗ ſtädte in Oberlauſitz während der Zeit von 1346 bis 1437

Sepp, Görres.— Spahn, Verfaſſungs⸗ u. Wirth⸗ ſcaftsgeſchichie des Herzog⸗

thums Pommern von 1478 bis 1625

Spangenber 8, Cangrande I. della Scala. II (1321— 1329)

Spencer, Einleitung in, das Studium der Soziologie. Über: fegung. 2. Aufl. 2 Bode.

Staufer, Bwölf Geftalten der Slanzzeit Athınd .

Stern u. Salfeld, Nürnberg im Mittelalter. U.. .

Syveton, Une cour et un aventurier au XVII. siècle

Tadra, Summa cancellariae (cancellaria Caroli IV). .

Zeutih, Hundert Jahre ſäch⸗ fiiher Kämpfe . .

Thirria, Napoleon II. avant l’Empire U. .

Schr. v. Thüna, Ein aus Eiſenach ftammendes preußis ſches SInfanterie-Regiment im Siebenjährigen Kriege .

Tocco, I fraticelli o poveri eremiti di Celestino secondo i nuovi documenti . .

Tönniet, dobbes Leben u. Lehre

Inhalt.

Seite Tomaſchet Edler v. Stra— dowa, D. alte Bergrecht von 180 Iglau.. . Frhr. v. Uslar-Gleichen, Geſch. d. Kloſters Reinhauſen b. Göttingen bis Mitte des | 16. Jahrb . Vidier, Repertoire method, du Moyen Age francais

878 80

224 Vierkandt, Naturvöller und Kulturvölter I57 De la Ville de Mirmont, Apollonios de Rhodes et - Virgile. . 565 | Charles Vulliemin, Louis 485 Vulliemin Bulpinus, Ritter Geieric

376 | Graf Bartensleben Ca- tom, Erinnerungen aus dem

Feidzuge von 1866 . Wartmann, Urkundenbuch d. 105: Abtei Sankt Gallen. IV, 1—3. _Wauwermans, Hist. de 1339| l’ecolecartographique Belge et Anversoise du X Vl.siecle.

LO ....2.20200.

1471 Woſſidlo, Mecllenburgiſche Voltsüberliefſerungen. J...

76 Wuttke, Studien über d. Ent: widlung des Bergregals in

182) Shlefien - 2... . Wylie, Hist. of England 371| ünder Henry the Fourth. I.

Zdekauer, Il constituto del

164: Comune di Siena dell’ anno | 1262 © 004: 524 I Frammento degli | ultimi due libri del piü 126 antico Constituto Senese

(1262—1270). . Zevort, Hist. de la troisiöme Republique. I. . 372] Bielinsti, Cicero im Wandel | der Jahrhunderte Zimmerli, D. deutfc-frangö-

164 ſiſche Sprachgrenze in der Schweiz. 1. 303 | Zürder, Jeanne Darc

VII

Seite

491

378

vmI Inhalt.

Rotizen und Regrigies

Allgemeines

Alte Geſchichte

Römifd-germaniid Beit und frühes Rittelalter Spätere Mittelalter .

Reformation und Gegenreformation .

Neuere Gefcicte feit 1789 Deutihe Landichaften ur Geſchichte der Niederlande und Belgiens ale Geſchich te...

Erflärung (von Dr. 3. Kaerft). . ..

SSSRREER $

Zur Würdigung Alerander’3 des Großen. Bon DWenedictns Qiefe.

Im Urtheil über Alexander den Großen fann man zwei verjchiedene Richtungen unterjcheiden. Die Vertreter der einen jehen in ihm zwar einen großen Kriegshelden, aber zugleich einen Tyrannen, der die hellenijche ‚Freiheit mit Füßen tritt, der mit den gewaltſamſten Mitteln jeinem Biel nachſtrebt, dejjen Lebensweg von Blut und Unrecht begleitet it. Die ſtaatsmänniſchen Fähig⸗ feiten de3 Königs werden geringer gejchäßt; jeine Abjicht war nicht die Ausbreitung der helleniichen Kultur, jondern fein un- gezügelter Ehrgeiz jegte jich ungemejjene Ziele. Durch jeine Erfolge berauſcht, maßte er ich göttliche Eigenichaften an und verlangte göttliche Ehren, und nicht weniger al3 die ganze da= mals befannte Erde wollte er unterwerfen, als ihn der Tod ab, rief. Dies iſt die ältere Auffafjung, die den Alerander mit den Augen eines Griechen oder befjer eines Atheners anjieht; ſie wird von Niebuhr und nach ihm beſonders von Grote!) vertreten, auh Arnold Schäfer und U. v. Gutſchmid ſchließen ſich ihr in einigen Stüden an.

Ein anderes Urtheil ijt, wie befannt, von I. G. Droyſen in jeiner Gejchichte Alexander's und des Hellenismus fräftig zum Ausdruck gebracht worden. In der Würdigung der friegerijchen

) Hist. of Greece 11,472. ch. 9; 12, 83 f. ch. 94 (Ausgabe von Zondon 1869).

Hikterifhe Beiticheift N. 5. Bd. XLIII. 1

2 B. Niefe,

Tähigfeiten des Helden jtimmt Droyfen mit jenen Gelehrten völlig überein, zugleich aber hebt er feine ſtaatsmänniſchen Eigen- ſchaften mehr hervor, jeine Verdienite um die Ausdehnung der belleniichen Bevölferung und Kultur, jeine großherzige und weit- ſichtige Gefinnung gegen die unterworfenen Barbaren. Troyfen verläßt den griechifchen oder beſſer athenifchen Standpunft und jucht dag zu würdigen, was Alerander für die Welt überhaupt und für ihre weitere Entwidlung geleijtet hat.

Bei diefem Wideritreite der Meinungen fommt auch die Schätzung der Duellen in Betradt. Man kann fagen, daß Droyſen's Urtheil im Ganzen von den älteren und befferen Autoren getragen wird, von Ptolemäos und Ariſtobul, die uns außer wenigen direkten Fragmenten bei Arrian und zum Theil bei Plutarch erhalten jind, während Niebuhr und Grote ſich zu- meiſt auf die ſpäteren Schriftiteller ftügen, vornehmlich auf Klitarch, einen Schriftfteller, der unter Ptolemäog II. (285 bis 247) jchrieb?), nicht mehr zu Alerander’3 Zeitgenoſſen gehört, aber die Arbeiten der Zeitgenofjen in ftarf rhetorifcher Bearbeitung umgejtaltet hat. Diodor, Juftin und Plutarch haben ihn benusgt, aber am ausführlichiten liegt ung fein Werf bei Eurtius Rufus vor, der, ſelbſt Ahetor, nicht unterlaffen hat, die Rhetorik jeiner Vorgänger durch feine eigene zu verdoppeln. Dieje Elitarchiiche Überlieferung ift von allen Üübeln der rhetorischen Gefchicht: ichreibung, Dellamation, Übertreibung und Erfindung heim— gejucht worden. Und wie follte e8 auch anders jein? Denn an niemanden hat ſich die Mythenbildung jo frühzeitig und eifrig

1) Klitarch gab für den Beinamen des Ptolemäos Lagi, Soter, die be- tannte Erklärung (fr. 11; Gurtius Rufus 9, 5, 21; Arrian 6,11,9. Nun ift aber jegt als feftgeitellt anzujehen, daß dem Ptolemäos erjt nach feinem Tode die Apotheoſe und der Beiname Soter zuerfannt worden ift; diejer läßt fich erft im 25. Fahre des Ptolemäos' II. zuerjt nachweiſen, d. h. 261 v. Chr. (Poole, Catalogue of greek coins, Ptolemies p. XXV). inter: efiant ift, dab in dem Steuerpapyros aus dem 27. Jahre des Ptolemäog’ II. (259/8 v. Chr.) der Beiname Zorrgos erſt durch Korrektur nachträglich ein- gefügt ilt (Grenfell, Revenue laws of Ptolemy Phil. p. 75). Alſo wird Klitarch nicht vor 260 v. Chr. geichrieben haben, womit jtimmt, daß er ohne Zweifel den Ariftobul ausgiebig benupt hat.

Zur Würdigung Alexander's des Großen. 3

gemacht, wie an Alerander; diejer lebte ja in einer literariich fo fruchtbaren Zeit, wo überdies alle® von der Rhetorik beherrjcht war, und wohl jelten haben die Federn phantaftifcher, oft nur oberflächlich unterrichteter Schriftjteller ein jo dankbares Feld für wirkſame Daritellung gehabt, wie in feinec Gedichte. Schon die Reite der zeitgenöffiichen Schriftiteller lajjen den Ein» fluß der rhetorischen Dichtung erfennen, und noch mehr die Ipäteren, bei denen man ſtets, was auch der Gegenjtand der Erzählung fei, auf der Hut jein muß!). Diefer Sachverhalt ift für die Niebuhr-Grote'ſche Auffafiung wenig günftig; denn dieje gründet ſich nicht nur auf das von den geringwerthigeren Schrift- ftellern gelieferte Material, ſondern auch auf die daran gefnüpften Betrachtungen und Urtheile der rhetorischen Hiftorifer. Wenn man alſo nicht etwa glaubt, daß man fich in dieſen Dingen an die Forderungen der genaueren bijtoriichen Forſchung nicht zu binden brauche, muß man jagen, daß die Droyjen’iche Auf- fafjung beſſer begründet ift, als die andere, und ich habe daher in meiner Geſchichte Alerander’3?) fein Bedenken getragen, mid) ihr anzufchliegen.

In neuerer Zeit iſt jedod) wiederum dem entgegengejeßten rote'ſchen Urtheil in Julius Kaerſt ein eifriger Verfechter entitanden. Seine Ausführungen, die er in drei verjchiedenen Abhandlungen niedergelegt hat?), lafien jih in Kürze jo zus jammenfaffen, daß Alerander nach der Schlacht bei Iſſos (333)

ı) Um nicht mißverſtanden zu werden, bemerfe id), daß damit nicht die Werthloſigkeit der geringeren Überlieferung, die ſich bei Diodor, Plutarch, Jujtin und Eurtius findet, behauptet werden fol; vielmehr ift auch bei ihnen aus der zeitgenöſſiſchen Überlieferung viel erhalten, ıwa8 Arrian übergangen bat. Es ift ftet3 zu erwägen, dab Ptolemäos und Arijtobul ung nicht felbit erhalten jind, jondern nur ihre Bearbeitung durch Arrian, der viel übergeht, zuweilen auch von der fchlechteren Überlieferung beeinflußt worden iſt und überhaupt feine Eigenart ſtark empfinden läßt.

3) Geſchichte der griediichen und makedoniſchen Staaten jeit der Schladht bei Ehaeroneia. Bd. 1.

s, Forſchungen zur Geſchichte Alerander’3 des Broken, Stuttgart 1887. Sybel's Hiſtoriſche Zeitichrift 74 (1895), 1f. 1935. Rhein. Muf. f. Philol. N. F. 52 (1896), 425.

1*

4 B. Niefe,

und noch mehr nach dem Siege bei Gaugamela (331) jein Ver: halten den Makedoniern und Hellenen gegenüber völlig geändert habe. Während er früher in den Bahnen feines Vaters Philipp wandelte und im Dienfte der panhelleniichen Idee gleichham die Beichlüffe des helleniihen Bundes vollitredte, fchwebt ihm von jet an die Eroberung der ganzen Erde, im Often und im Weiten, als Ziel vor. Und zwar begründet er die Forderung der Welt: herrſchaft auf die Idee feiner Göttlichkeit; jene it die Verwirk— lihung diejer: von der ganzen Welt fordert er göttliche Ver- ehrung. Durch dieje maßlojen Pläne hat aber Alexander!) das von Philipp in weiſer Beichränfung Gewollte verdorben, und Alerander’s Werf gereichte dem Griechenthume nicht zum Heile, jondern zum Unjegen.

Diefe Ausführungen ruhen zum guten “Theile auf Ber: muthung *) oder auf perjönlichen Gefühlen, die ja bei ver Beurtheilung großer Männer der Vergangenheit jtet3 eine Rolle Ipielen, und joweit nur das Gefühl in Betracht fommt, wird es faum väthlich jein, über Alexander's Beurtheilung in eine Er» Örterung zu treten. Anders jteht es Dagegen mit den Thatiachen, die von Kaerſt "und ſeinen Vorgängern zur Beltätigung ihres Urtheils herangezogen werden. Dieje laffen ji nad) Maßgabe

1) Hierin folgt Kaerjt dem verftorbenen U. v. Gutſchmid.

2) 3.2. die Behauptung (Kaerft, Forſchungen ©. 14 und Hiſt. Ztſchr 74, 17), Alexander fei anfangs in den Bahnen der panhelleniſchen Politik jeine® Vaters Philipp gewandelt; denn von diejer Bolitit Philipp’ wiſſen wir nicht, umſoweniger, ald fie ja ’gar nicht zur Ausführung gelangt iſt. Ferner beißt es ebendajelbit, Alerander ſei durch ſeine neue Politik mit Heer und Bolt im ;heftige Konflikte Sgefommen. Wo find 'nun ‚diefe Konflikte? Gemeint ift der Prozeß des Philotas, der vom Heere jelbjt verurtheilt wird, die Hinrichtung Parmenion’s, der Tod "des Kleitos und die Verſchwörung des Hermolaog, die befannten Vorfälle, in denen ſich aud die alten Rhetoren jo gern ergangen haben. Hiebei ift von einem Sonflilt des Königs mit feinem Heere oder gar mit dem WVolke, das überhaupt nicht betheiligt ift, nie die Rede. Auch ift nirgends ausreichend bezeugt, daß dieje und andere Vorfälle mit der angeblichen Änderung in Alexander's PBolitif in Verbindung jtehen. Alles ift Vermuthung, reine Bermuthung. Lehrreich ift für diefe Dinge die forgfältige Unterjuhung Fr. Cauer's im 20. Supplementband der Jahrbücher f. Philologie Fleckeiſen's (S. 1 f.).

Zur Würdigung Alerander’8 des Großen. 6

unſerer Kenntniſſe prüfen und feſtſtellen, was bisher, ſoviel ich ſehe, unterlaſſen worden iſt!). Kaerſt bat zwar bemerkt, daß die Beglaubigung der von ihm angezogenen Nachrichten allerlei zu wünſchen übrig lafje?), hat aber auf eine nähere Unterjuchung verzichtet, und jo ſei es mir verftattet, daS Ber: ſäumte nachzuholen, um zu ermitteln, wie es fich 'mit der Selbſi— vergötterung Alexander's und den daraus hervorgegangenen Welteroberungsplänen verhält. Dadurch erhalte ich zugleich willfommene Gelegenheit, meine eigene Anfchauung, die ich im I. Bande meiner Geichichte der griechiſchen und mafedonischen Staaten niedergelegt habe, näher zu begründen und zu vertiefen. Kaerit hat es abgelehnt?), auf diefe Anſchauung näher ein- zugehen, für die er, wie er jagt, eine Begründung nicht gefunden babe*), und es wird daher, wie ich hoffe, auch ihm erwünscht jein, die Grundlagen meined abweichenden Urtheild etwas näher fennen zu lernen,

Ehe ich zum erften Punkte übergehe, bemerfe ich noch jolgendes: Bekanntlich war unter den orientalifchen Sitten und Eins rihtungen, die Alerander nach des Darius Tode übernahm, auch die Proskyneſe, wonach wer vor dem Könige erichien, jich vor ihm niederwerfen mußte. Diefe Brosfynefe fällt aber nicht unter den Begriff der PVergötterung und iſt daher mit Recht auch von Kaerit’), wenn ich ihm recht verftanden habe, davon ausgeſchloſſen worden. Es iſt eine Vorſchrift der Hofetiquette, die nach der Anichauung der Perſer den König nicht etwa zum Gott machte;

1) Mit einer gleich zu erwähnenden Ausnahme.

2) Hiſt. Ztichr. 74, 30.

2) Hift. Ztichr. 74, 27 Anm. 1.

% Die vermißte Begründung liegt im wejentlichen, wie ſchon angedeutet, in der Buellenfritit und in der dadurch gegebenen Auswahl der Nachrichten. Es iſt z. B. ein großer Unterjchied, ob man Cicero nach den fpäteren Bes rihten und Ausſprüchen beurtheilt oder nad) den zeitgenöffiichen ‚Quellen. Richt weniger macht es aus, ob man bei der Würdigung Karl's des Großen die gleichzeitigen Quellen und Scrijtiteller beranzieht vder die jpäteren Erzählungen. So ift es auch bei Alerander: auch bei ihm jragt es fidh, ob man bei feiner Beurtheilung den Zeitgenofjen trauen foll oder der Legende.

5) Hift. Zeitichr. 74, 29. 196.

6 B. Niefe,

denn fie waren weit davon entfernt, ihre Könige ald Götter anzujehen, und ebenjo hat Alexander, als er dieſe Sitte ein führte, nicht beabfichtigt, jich damit zum Gott zu erklären. Für den Griechen freilich, der jih nur vor den Göttern zur Erde niederwarf?), hatte dieſe Ehrenbezeugung etwas Übermenfchliches, und der freie, feiner Überlegenheit bewußte Hellene hielt es für unwürdig, fih ihr zu fügen. Darum bat auch Alexander von den Meafedoniern und SHellenen jeines Hofes die Proskyneſe niemals verlangt, hat aber zugleich, was jehr begreiflich iſt, mit der ihm eigenen Strenge darauf gehalten, daß nicht etwa Die Barbaren von Seiten der anderen deswegen verlacht oder ver- jpottet würden. Eine Bergötterung war, wie gejagt, mit der Proskyneſe nicht verbunden, und von den folgenden Erörterungen joll daher diefe als unweſentlich ausgeſchloſſen werden ?).

Als erjten und wichtigſten Beweis dafür, daB Alexander dem Wahn der Selbitvergötterung verfallen jei?), betrachtet man den berühmten Zug zum Heiligthum des Ammon, den Alerander unter allerlei Beichwerden nach der Gründung Alerandrias mit

1) Herodot 7, 136.

2) Wobei ich zugleich auch auf die jhon oben S. 2 Anm. 4 angeführte Abhandlung Cauer's verweilen fann, wo die mit der Proskyneſe eng ver⸗ bundene Geſchichte des Kalliſthenes in einem der nachfolgenden Erörterung verwandten Sinne unterfudht worden ift.

>) Die Bergötterung Alerander’3 ift, abgeſehen von den Hiftorifern und der älteren Kiteratur (St. Croir, Examen critique des historiens d’Alexandre-Le-Grand ©. 365 f.), bejonder& behandelt von D. ©. Hogarth (the English historical review 2 [1887], 317 f.), der volltommen zus treffend und überzeugend geurtheilt Hat. Ich hätte mir aljo meine Aus— führungen wenigſtens zum guten Theil fparen können, wenn nicht Kaerſt's Beifpiel gezeigt hätte, daB Hogarth's Ausführungen bei uns feinen Eindrud gemacht Haben. Eine Zufammenjtellung der Nachrichten im Sinne Grote's findet fih in der Theje von Emile Beurlier, De divinis honoribus quos acceperunt Alexander et successores eius. Paris 1890. Neuerdings hat auch G. Radet, Revue des universit6es du midi 1 (1895), 129 f. diefen Gegenitand in jehr anziehender Weiſe behandelt. Er geht noch weiter alt Kaerit und ſucht auszuführen, dab Alerander den orientaliihen Begriff des Gott-Königs angenommen und feine Anertennung überall erzmungen habe. Keiner diejer Verſuche hat Übrigen? da8 Material erſchöpfend vorgelegt.

Zur Würdigung Alexander's de8 Großen. 7

einem Theile des Heeres unternahm. Dies ift, wie Kaerſt meint, ein wichtiger Einjchnitt, ein deutliches Zeichen der veränderten Bolitif; von bier an geht die Bahn Alerander’s himmelwärts. Sehen wir daher, was über dies Ereignis befannt iſt. Nach Arrian?), der bier, wie öfter, jeinen Duellen allerlei eigene Zu— jäge beigemengt hat, hat Alexander einen religiöjen Grund; er will, wie feine Vorfahren Perjeus und Herakles, das Drafel befragen, auch jchreibt er dem Ammon einen gewillen Antheil an jeiner Geburt zu*). Er fommt auf der Daje an, beichaut fie, befragt den Gott, erhält erwünjchte Antwort und zieht wieder ab. Welche Tragen er an das Orakel gerichtet habe, ſagt Arrian nicht; wahrſcheinlich aljo haben feine befjeren Quellen, Ptolemäos und Arijtobul, nichts darüber enthalten, und nicht ohne Grund; denn es fcheint, daB nichtd davon befannt war. Alexander jelbit nämlich jchrieb in einem Brief an feine Mutter, daß er einige geheime Orakel erhalten habe, die er ihr Ipäter mündlich mittheilen wolle’), und dazu Itimmt, was der ältefte Berichterjtatter, Kalliithenes, erzählt, daß nämlich Alerander allein und ohne Zeugen die Drafel empfing. Er weiß in feinem, übrigend mit allerlei Schmeichelet getränften Berichte nur zu jagen, daß der Prieſter den König ausdrüdlih ald Sohn des Zeus (Ammon) angeredvet habe*), und dies ift ohne Zweifel ge= ihehen. Erſt die auf Klitarch zurücgehenden Autoren, Diodor, Curtins Rufus und Plutarch, wilfen mehr’). Alerander fragt, ob er den Tod ſeines Vaters völlig gerädht habe; aber der Prophet bittet ihn, nicht zu läftern; denn er habe feinen jterb- lichen Vater. Die zweite Frage iſt, ob ihm die Herrichaft über

1) 3, 3, wo vermuthlih durch PBermittelung Ariſtobul's Kalliſthenes benugt ijt. Vgl. Kallifthenes, fr. 36 bei Strabo 17, 818.

3) Dies iſt nicht ganz klar. Es fcheint, daß Arrian hier, von den ipäteren Quellen beeinflußt, dem Alerander ſchon vor dem Beſuch des Orakels eine Ahnung von feiner güttlihen Abſtammung beilegt.

) Plutarch, Aler. 27.

*%) Strabo 17, 813 j.

8) Beurlier, a. a. O. S. 22 irrt, wenn er behauptet, daß dieſe Quellen wit den älteren, Kallifthenes, Arijtobul und Ptolemäos, übereinjtimmen.

8 B. Niefe,

alle Dienjchen vergönnt ſei, und fie wird bejaht!). Dieje im wejentlichen übereinjtimmenden Erzählungen?) können nad) Allem, was wir aus den älteren und beſſeren Quellen willen, auf Glaubwürdigkeit feinen Anſpruch erheben, fondern find ohne Zweifel erfunden?). Gut und ausreichend bezeugt ift nur, daß Alexander vom Prieiter Ammon’s ald Eohn des Gottes an- geredet ward, und darin liegt durchaus nicht, daß er zum Gott erklärt wurde oder daß er von Stund an göttlicher Verehrung theilhaft werden wollte. Bei den Ügyptern gehört, wie fchon oft gejagt ift, der Beiname „Eohn des NE“ oder „Sohn Ammon's“ zu den regelmäßigen Titeln der Königet), und es iſt aljo nicht zu verwundern, daß der Priefter den neuen König, der feinem Heiligthume jolche Ehre erwies, als Eohn des Gottes anredete,; es wäre eher zu verwundern, wenn er es nicht gethan hätte. Und inicht anders liegt die Eache, wenn man fie mit den Augen eines Griechen anfieht. Eine derartige Benennung, wie fie der Ammons-Prieſter dem Könige zurief, ift dem religidjen Gefühl der Griechen, und aljo auch Alerander’s, durchaus nicht entgegen. Denn, wie ebenfallö jchon oft bemerkt worden tft), jind nach hellentichen Begriffen die Grenzen zwiſchen Gott und Menſchen viel weniger ftreng gezogen al& nad) unferer Religion. Gewaltige, mächtige, durch ungewöhnliche Fähigkeiten ausgezeichnete Männer hatten nach grichiicher Vorſtellung etwas Göttliche. Dem Spartaner Lykurg jagt die Pythia nach Herodot’8°) bekannter Erzählung: „Sc, weiß nicht, foll ich dich einen Gott oder

1) Diodor 17,51. Curtius Auf. 4, 7,26. Juſtin 11, 11, 10. Plutarch, Aler. 27.

3) Juſtin allein behauptet, daß Alles ein abgelartetes Epiel gewejen jei, dat Alexander das Oratel ſchon vorber "habe wiſſen laſſen, welchen Beſcheid er wünſche.

5) Noch weniger begründet iſt, was Kaerſt aus der klitarchiſchen Geſchichte gemacht hat, daß nämlich Alexander ſich zum Sohn Ammon's habe profla= miren laſſen (Forſchungen S. 10). Das hat ſelbſt Klitarch nicht geſagt.

4) Siehe z. B. Erman, Ägypten ©. 88 f.

5, Bol. 3.8. Troyjen, Hellenismus 1, 2,271. Wilamowiß, Ariftoteles und Athen 1, 337.

° 1, 66.

Zur Würdigung Alerander’3 des Großen. 9

Menichen nennen,“ und jelbit dem Lyſander wurde vielfältig geopfert und andere göttliche Ehren erwieſen)). So weit ging e3 nun bei Alerander noch nicht; er wurde nicht als Gott, aber als eined Gottes Sohn begrüßt, was nicht dagjelbe iſt. Götter: jöhne waren aud) die Helden der epiichen Poeſie, die Stammes väter der edlen Gejchlechter, die man nad ihrem Tode als Heroen verehrte. Died wandte man auf die großen, verehrungs- würdigen Männer der eigenen Zeiten an, man dachte fich wohl ihre Geburt von Zeichen göttlicher Theilnahme begleitet?), und wenn man Alexander als Götterfohn bezeichnet, jo bezeichnet man ihn damit als gottähnlicy, als Liebling der Götter. Eine Bergötterung liegt in dieſem Attribut nicht, jo überſchwänglich es auch iſt. So wundern wir und auch nicht, daß um diejelbe Zeit von helleniichen Orakeln ähnliche Stimmen ausgingen, wie vom ägyptilchen. In dem jüngft von Alexander befreiten Sonien that das jeit langem verjtummte Orakel der Branchiden bei Milet, wie Kallifthenes erzählte?), feinen Mund wieder auf; die Sprüche wurden dem Könige nach Memphis überjandt, darunter ciner, daB er Sohn des Zeus ſei, und ähnlich hatte auch die Erythräiſche Seherin Athenais verfündet. Dies erzählt, und zwar zu Alexander's Berherrlichung, derjelbe Schriftiteller*), der ih fpäter angeblid; der Proskyneſe als unwürdig widerſetzt haben jol. Nad) feiner Meinung ward alſo Alexander, wenn er vonaden Orakeln ald Sohn des Zeus begrüßt ward, darum no nicht zum Gotte, und ähnlich muß Alerander ſelbſt gedacht haben; denn er hat nad) dem Beluch in Ammonium nidyt etwa göttliche Ehren für fich verlangt, Yondern Alles blieb beim Alten. Für ihn war der Beſuch des Ammon-Orakels eine religiöje Handlung; er wünſchte dem Gott, der auch in der helleniichen

1) Plutarch, Lyſ. 18.

2) Sch erinnere an Perikles (Herodot 6, 131), für ſpätere Zeiten an Scipio Afrikanus, bei dem allerdings die Nahahmung Alexander's in Be- trat zu ziehen ift. Bolyb. 10, 2, 5 f. Gellius 6, 1.

3) Strabo 17, 814.

) Kalliſthenes läßt auch fr. 37 (bei Rlutarch, Alex. 33) den Alerander in einem Gebet in der Schlacht bei Arbela ſich ala Cohn des Zeus bezeichnen.

10 B. Niefe,

Welt großes Anſehen genoß und viel bejucht ward, jeine Ber: ehrung zu bezeigen und etiwa über den Verlauf des Krieges oder was er ſonſt auf dem Herzen hatte zu befragen.

Daneben hatte er aber vielleicht auch eine politische Abficht, um fich als Verehrer der ägyptiichen Gottheiten zu zeigen, ich jeinen neuen Unterthanen zu nähern und die den ägyptiſchen Königen von jeher gewährte religiöje Weihe zu erlangen. Denn Alerander hatte damals vielen Anlaß, auf die Anhänglichfeit und Sympathien der Ägypter Werth zu legen. Man geftatte mir furz hiebei zu verweilen. Er fam nad) Agypten, nachdem er den Darius bei Iſſos gejchlagen Hatte. Wie befannt, hat er den befiegten Feind nicht verfolgt, fondern ihm Zeit gelaflen, in aller Nuhe ein neues großed Heer zu bilden; zunächſt machte er fid) an die Eroberung Eyriens, Phöniziend und Ägyptens; denn mit Recht hielt er es, um das Erreichte zu fichern und den gejährlichiten Theil der perfiichen Kriegsmacht, die Flotte, zu zeritören, für nothwendig, erſt fich diefer Küftenlandichaften zu verjichern. Als er in Ägypten war, hatte er aljo noch nicht endgültig gefiegt; das Perſerreich war mit nichten zu Ende?), jondern e& jtand dem Alexander noch ein ſchwerer Kampf bevor, und das Schlachtenglück fonnte ſich auch gegen ihn menden. Syrien und Borderafien waren alsdann faum zu halten, jedod) Ügypten zu behaupten, fonnte er auch im Falle einer Niederlage hoffen. Dies Land, ebenjo reich an Hülfgmitteln wie ſchwer anzugreifen, war erjt vor furzem nac) langer Unabhängigfeit von den Perſern unterworfen uud hatte jchwer von ihnen gelitten. Es hatte ihn ohne Widerftreben aufgenommen, ja, er jcheint fait al? Befreier begrüßt zu fein. Hier richtete er fich daher zuerit dauernd ein, hier gründete er feine erite Stadt, Alerandria, durch die er jeine Verbindung zur See mit Makedonien und Hellas ficherte?).

1) Das zeigt 3. B. der lange Widerjtand von Tyros.

2) Man darf dem Alexander nicht zu weit gehende Abfichten bei der Gründung Alerandrias zujchreiben, als wenn er die fünftige Bedeutung der Stadt {don geahnt ‚hätte. Diefe beruht auf den Ptolemäern und der jelbjtändigen

Entwidlung Ägyptens, Es ift jehr die Frage, ob fie die gleiche Bedeutung erlangt hätte wenn Agypten ein Theil des Reiches geblieben wäre.

Zur Würdigung Ulerander’3 des Großen. 11

Nun war er auch bemüht, die religiöje Weihe eines ägyptijchen Königs zu empfangen; in Memphis opferte er den Göttern und dem Apis!) und machte fih dann auf zum Orakel Ammon's, wo er als Sohn, als Geliebter des Gottes begrüßt ward. Wie er überhaupt jehr fromm war und den ganzen Glauben und Mberglauben feiner Zeit bejaß, jo Hat er fortan auch dem Ammon eine hohe Autorität eingeräumt und in feinem Kultus eine bevorzugte Stätte gewährt, und Prieſter dieſes Gottes Iheinen ihn auf feinem Heereszuge begleitet zu haben?). Daß Mlerander den Ammon wirklich für jeinen Erzeuger angejehen und feinen Vater Philipp verleugnet, oder daB Olympias diejem Gedanken Nahrung gegeben habe, dafür gibt es feine irgendwie beglaubigte Spur. Im Gegentheil hat der König dem Andenken Bhilipp’3 jtet3 die gebührenden Ehren erwiejen. Und wenn er den Herakles als jeinen Urahnen verehrt, wie fann cr dann den Ammon als jeinen Bater anjehen??) Was über die Vater: haft Ammon’3 gejagt wird, beruht auf den Wusjagen der ipäteren rhetoriſchen Schriftiteller, denen dies ein willkommenes Thema wart). Ebenjo wenig beweilt e8 etwas, wenn (324) in Opis

ı) Yrrian 3, 1,4.

N Arrian 7, 14,7. 23,6. 3. B. am Occan bei der Andosmündung wurden nad Vorſchrift Ammon's Opfer dargebradt. Arrian 6, 19,4. Bon Interefle ift Arrian 6, 3,2: di de ‘Hoaxkei Te To noonaTogı oneioas xai Auuomı ni akkoıs Feois, wo man hätte erwarten können, daß Ammon al? fin Bater bezeichnet wäre, wenn Alerander jich ihn als folhen gedacht hätte.

2) Hogarth, a.a. DO. ©. 326.

% Bei Arrian 4, 9,9. 10,2 ift es ein Gerede (Adyos) der geringeren Quellen, vgl. Curtius Ruf. 8, 5, 5. 7, 13; Plutarh, Aler. 2, und aus diefen vulgären Darftellungen ftammt Alles, was ſonſt darüber oft ganz widerijpreend behauptet wird, z. B. Strabo 14, 640 (nad) „Artemidor), Galius 13, 4, Lucian, Todtengeiprähe 12,2. 13,1. 14,1. Erdichtet ift auch die Inſchrift auf den Altären am Hyphaſis ‚bei Philoftratos, vit. Apollon. 2, 43, wonach Alerander dieje jeinem Bater Ammon, jeinem Bruder derafled und anderen Göttern weihte. Die Nachricht des Ephippos (fr. 3 Scriptores rer. Alex. M. 116, Athen. 12, 537 E.), daß der König zuweilen ſich mit göttlichen Attributen gejhmüdt habe und als gehörnter Ammon, ald Hermes oder Herakles aufgetreten jei, ift offenbar erfunden; denn davon it fonft nie die Nede, ebenfo wie es falſch ift, daß ſich Alerander mit

12 B. Niefe,

die meuteriichen Soldaten höhnend ihn an feinen Vater Ammon wiejen!). Diefer Spott zeigt nur das, was überhaupt jeititeht, daß nämlich die Prieiter ihn ald Sohn Ammon's begrüßten, und daß Alexander dieje Ehre entgegennahm. Damit war der Kern des Mytho8 gegeben; Alexander's Verehrer wie jeine Gegner haben ihn in ihrem Sinne erörtert und gebraudit, und die Hiftorifer haben nicht verfehlt, ihn in novelliftiicher Art weiter auszubilden.

Kaerit hat auch darin, daß Alerander die in Ägypten neu gegründete Stadt nach feinem eigenen Namen Alerandreia nannte, einen Beweis jehen wollen, daß er ſich göttliche Ehren beilegte. Er hat nicht erwähnt, daß auch Philipp, Alerander’3 Vater, als er feine erjte Stadt gründete, fie Philippoi nannte. Überhaupt it e8 nicht ohne Intereſſe, bei diefer Gelegenheit jich der Ehren zu erinnern, die Philipp empfing. Er wurde bei den Zeiten in Acgä, die mit feiner Ermordung einen jo jähen Abſchluß finden jollten, von den Hellenen mit den höchſten Ehren überjchüttet, ja in dem feftlichden Aufzuge erjchien nad) den Bildern der zwölf Götter ala dreizehntes das ſtolz geſchmückte Bild des Königs?). Das find göttliche Ehren, jo hoc), wie fie Alerander auch bei jeinem Bejuch des Trafeld nicht erhielt. Gleichwohl hat noch niemand behauptet, daß fi Philipp als Gott angejehen habe; im Gegentheil it ja Kaerit der Meinung, daß er im Gegenjaß zu jeinem Sohne mehr nüchternen Einnes und chimäriſchen Plänen abhold war; Kaerjt wird ihm alſo auch eine jolche Über: bebung nicht zutrauen und ‚fann daraus erjehen, dab göttliche Ehren, die einen Fürſten erwieſen werden, eine wirkliche Ver- götterung, emen Anſpruch auf Göttlicyfeit in feiner Weiſe bedeuten.

Ammons-Hörnern habe abbilden laſſen, wie Clemen®, Alex. protr. 10, 96 (p. 77 Bott.) angibt; denn die göttlichen Attribute erjcheinen auf den Münzen erit nad) feinen Tode. Bon ſolchen Quellen darf ſich fein Hiftoriter leiten lafien. Ich erinnere zum Schluß an die analoge Fabel des NWlerander- Romans, in dem der legte ägyptiiche König Nettanebos Alexander's Erzeuger ift. 1) Arrian 7, 8,3. 2) Diodor 16, 92,

Zur Würdigung Alerander’3 des Großen. 13

Wie jehr der Mythos auf dielem Gebiete mwucherte, lehrt eine jet zu erwähnende jeltiame Notiz Ariftobul’3, der zu den älteften und beiten Autoren zu rechnen ift!. Danad) hat Alerander die Araber angreifen wollen, vorgeblich weil fie allein ihm nicht gehuldigt hätten, in Wahrheit aus unerjättlicher Länder gier, und weil er gehört habe, daß fie nur zwei Götter ver- ehrten, den Zeus und Dionyjos?), nnd er gehofft habe, daß fie ihn als Dritten daneben verehrten würden. Hier ift deutlich gejagt, daB dies nur eine Vermuthung ilt; Alerander jelbit hat aljo nie den Wunjch fundgegeben, als dritter im Bunde unter den arabiichen Göttern aufgenommen zu werden. Ariſtobul's Worte zeigen nur, daß man über Alerander’3 arabiiche Pläne ganz im Ungemwijjen war und in Srmangelung bejtimmter Nad): rihten zu den abenteuerlichiten Einfällen griff.

Nun jagt man uns aber, daß doch furz vor jeinem Tode Alexander von den Hellenen göttliche Ehren ausdrücklich verlangt babe?), und wäre dies richtig, jo würde unzweifelhaft erwiejen jein, daß er wirklich an jeine Vergötterung geglaubt oder fie doch eritrebt habe. Aber eine nähere Prüfung der Nachrichten zeigt, daß die Sachlage anders ijt*). Bei Alian, einem jpäten Sammler, der nicht im Rufe bejonderer Genauigfeit und Zu— verläjjigfeit iteht und jeine Nachrichten aus dritter oder vierter Hand zu übernehmen pflegt, findet ſich folgende Anekdote: Aerander jendet nad) dein Tode des Darius und der Eroberung des Perſerreiches den Hellenen die Botichaft, ihn als Gott an: zuſehen. Während die verichiedenen Gemeinden den Befehl jede

Strabo 16, 741. Arrian, anab. 7,195. Strabo gibt in manden Stüden, wie es jcheint, feinen Autor bejjer wieder. Arijtobul ſchrieb erit nach der Schlacht bei Ipſos (301 v. Chr.).

2) Arrian nennt nicht Zeus, jondern Uranos. Bielleicht ſchwebte ihm Herodot 3, 8 vor, der die Urania (Aphrodite) und den Dionyſos als arabiſche Gottheiten nennt.

5) Bgl. Droyjen, Helleniamus 1, 2, 273 i. Schäfer, Temoithenes 3, 312. Schäfer drüdt jih übrigens mit gutem (rund vorlihtig aus. (Brote über: geht es ganz, vielleiht aus kritiſchen Gründen.

Schon Hogarth in der oben S. 6 angerührten Abhandlung S. 322 i. bat das Richtige bemerft.

14 B. Niefe,

nach ihrer Weile ausführen, beichlichen die Lakedämonier: „Da AUlerander ein Gott fein will, jo fei er ein Gott.” In der ans geblid Plutarchifchen Apophthegmenfammlung wird diefer Bes jheid dem Spartaner Damis in den Mund gelegt‘). Dieſe Anekdote ift aber die einzige Stelle, wo der Wunſch Alerander’s, von den Hellenen göttlihe Verehrung zu empfaugen, erwähnt wird. Gut bezeugt iſt Dagegen etwas anderes, nämlich daß um die Zeit, wo Alerander von Indien zurüdgefehrt war, aljo etwa 324, in Athen der Antrag auf göttliche Verehrung Alexander's geitellt ward. Es wird berichtet, daB einige Redner, wie Lykurgos und Pytheas dagegen jprachen, während Demoſthenes von jeinen Gegnern bezicjtigt wird, dem Antrage nur ſchwach widerjprochen oder ihn gar begünjtigt zu haben. Daß alfo diejer Antrag geftellt wurde, jteht aus guten Zeugniſſen unzweifelhaft feit?). Es fcheint auch, daB er angenommen wurde; wenigjten® haben die Athener nach einer Nachricht beichlofien, den Alerander als Dionyjos zu verehren?).. Aber von wem iſt der Antrag angeregt worden ? Keiner der Zeugen jpricht von einem Wunſche oder Erlaß Alexander's, und unter den Aufträgen, die Nifanor zu den Olympien 324 vom Könige mitbrachte, wird Dieje Sache nicht erwähnt*). Biel wahrjcheinlicher ijt daher, daß die göttliche Verehrung Alexander’? durch einen Beichluß des helleniichen Synedrions?), der Vertreter des Bundes, veranlaßt worden iſt. Denn wie diefeg Synedrion auch früher mit Ehren. defreten und Glückwünſchen nicht geipart hatte, jo willen wir,

1) Yelian, Var. hist. 2,19. Plutarch, Apophthegm. Lacon. 219 E. (1, 269 Dibot).

2) Timäus bei Polyb. 12, 12b 8 3 vita 10 orat. 7, 22, 842D (2, 1026, 42 Didot). Plutarch, praecept. reip. gerend. 8, 6, 804 B (2, 982 Did.) Dinarh in Demojth. 1, 94. Hyperides ©. 14 Blaß. Ein Ausſpruch de8 Demades bei Baler. Marim. 7,2 ext. 13 ift, wenn er edit fein jollte, vielleicht erft nach Alerander'8 Tode gefallen.

s) Diogen. La. 6, 63.

4 Diodor 17,109. Hyperides ©. 7 Blaß.

6) Etwas derartiges fcheint Cyrill zu bezeugen in Jul. VI (vol. VI 205 A), wonach Alexander von feinen Zeitgenofien zum 13. Gott erklärt ward. Vgl. dazu Koh. Ehryjoft. vol. X, 624 A und St. Croir, exam. crit. ©. 368 9. 5.

Zur Würdigung Alexander's des Großen. 15

daß gerade damals die Hellenen dem Könige göttliche Ehren erwiefen. Kurz vor feinem Tode (323) famen Geſandte aus Helad nach Babylon, nit gewöhnliher Art, jondern als Zbeoren, d. h. wie man fie an einen Gott jchidkte; fie über- brachten ihm dic beichloffenen Ehren mit Kränzen auf dem Haupte, jo wie man vor die Götter zu treten pflegte. Wahr- Iheinlich hatte aljo das Synedrion der Hellenen beſchloſſen, dem Könige göttliche Ehren zu erweiſen, und während die Feſtgeſandten nad Babylon gingen, um die Defrete zu überreichen, wurden in den cinzelnen Städten, namentlih in Athen, zur Aus— führung des, Bundesbeichluffes die nöthigen Anträge geitellt, die übrigens jonderliche Aufregung nicht erzeugt zu haben jcheinen. Alerander nahm die ihm gebotenen Ehren ohne Zweifel an, wie er es auch nicht anders Fonnte; niemand würde eine Ablehnung, die beleidigend geiwejen wäre, erwartet haben, und fein gerechter Richter wird ihm die Annahme zum Vorwurf machen fönnen. Höchſt mangelhaft ijt aljo bezeugt, dazu nicht einmal wahr: ſcheinlich, daß Alexander jelbft jeine Vergötterung veranlaßt habe. Erſt ganz ſpät, in einer möglichſt unzuverläſſigen Form, in der Einkleidung einer treffenden Antwort, kommt dieſe Nach— richt vor. Endlich das Zeugnis der Münzen, das von Kaerſt herangezogen wird, entſcheidet ſich vollends gegen ſeine Meinung. Kaerſt geht von dem Gedanken aus, daß, wer ſein Bild auf die Münze ſchlagen läßt, damit etwas in Anſpruch nimmt, was eigentlich den Göttern gebührt, wie denn in der That auf den Münzen der griechiſchen Blütezeit das Porträt feinen Platz hut. Nach diefem Sat, gegen den übrigens mancherlei einzumenden it, Hat Alerander fich göttliches Recht nicht angemapt; denn er bat, ebenjo wie jein Bater Philipp, nie mit jeinem Bilde gemünzt, jondern ganz nad) griehiichem Brauche mit anderen Typen, jeine Eilbermünzen durchweg mit Zeus und Herafles, die Goldmünzen mit Athene und Nike, geichlagen. Nur auf einigen Stüden glauben einige Numismatifer im Wünzbilde eine gemifje Ähnlich— feit mit Alexander's Zügen zu finden; aber dies ijt nur eine unfichere und jtreitige Vermuthung. Diejenigen Münzen, auf denen der Herakles⸗Kopf mit göttlichen Attributen, bejonder® den

16 B. Nieje,

Hörnern Ammon’3 cerjcheint, diejenigen ferner, die Alexander's eigenes Bild zeigen, find nad) dem Urtheil der Kenner erſt nad) dem Tode des Königs vornehmlich von Ptolemäos und Lyſimachos geichlagen worden; denn die Münze Alerander’3 wird noch eine Reihe von Jahren nad) feinem Tade weiter geprägt. Kaerſt jucht diejen Thatbeſtand, den er jelbjt im wejentlichen richtig darlegt, für jeine Meinung umzudeuten. Man müſſe, jagt er!), „dieſe Frage nicht nur vom rein numismatijchen, jondern aud) vom hiſtoriſchen Gejichtspunfte beleuchten“, und er führt aus, daß doch nach Alexander's Tode die göttlichen Injignien auf dem Münzbild erjchienen, und daß die Diadochen mit ihrem eigenen Bilde Hätten prägen lafien, was übrigens verhältnig- mäßig jpät und jelten geihah. Dies jet nicht zu erflären, wein nicht in Alexander's Politik die Grundlagen dazu vorhanden geweſen ſeien. Aljo auch für das, was nach jeinem Tode geſchah, wird Alexander verantwortlih gemadt. Aus dieſer Beweis— führung erfennt man nur, dag Kacrit die aus den Münzen abzuleitenden Schlüffe ablehnen und in ihr Gegentheil verwan- deln möchte, weil jie jeiner vorgefaßten Meinung wideriprechen. Umjo beifer ftimmen fie zu den oben angeführten Thatfachen. Auch aus ihnen ergibt ich fein Anzeichen, daß Alerander auf die Bergötterung bedeutenden Werth gelegt oder fie gar zum Princip jeiner Herrichaft gemacht habe. Alexander hatte ein hohes Bewußtſein jeiner Majeität, 1tets bat er ſich als König gefühlt, aber zugleich aud) als Menſch, der Freud und Leid mit ven Menjchen theilen mußte?). Aus jeinen legten Tagen fennen wir durch die Ephemeriden jein tägliches Leben; er erledigt jeine zahlloſen Gejchäfte und verfehrt zwanglos mit jeinen Freunden; von einer Bergötterung tit feine Spur. Er jelbjt opfert den Göttern fleißig; aber niemand opfert ihm. Er verhandelt über die Bergötterung ſeines veritorbenen Freundes Hephältion; daß

1) Hijt. Zeitſchr. 74, 32.

2) Hier fünnte ich die Anekdoten anführen, worin Alerander jich über die, welche ihn vergötterten, luſtig madt, 3. B. Satyros bei Athen. 6, 250 F, Plutarch, ler. 28. de adulat. 25.

Zur Würdigung Ulerander’3 des Großen. 17

er jelbft göttliche Ehren erhalte, wird dabei nicht erwähnt‘). Während ſeines ganzen Zuges war er von Schmeichlern um- geben, die ihn mit den Göttern verglichen, mit Herakles oder Dionyjos, ja ihn noch über fie ftellten?). Ägyptiſche Prieſter erflärten ihn für einen Sohn Ammon’s, griechiſche Orakel für einen Sohn des Zeus, und die Hellenen beichlojjen, ihn für einen Gott anzujehen. Dies ijt cin Zeichen überfchwänglicher Macht und cbenjolcher Verehrung; es find Erjcheinungen, die feine gewaltigen Erfolge mit Nothwendigfeit begleiten; ein von dem Könige ſelbſt ausgehendes NRegierungsprincip kann man nidht darin jehen.

Auh die nächſten Nachfolger Alerander’3 haben es nicht anders gehalten. Da iſt feiner, von dem man behaupten fünnte, daß er fein Königthum auf dem Princip der Göttlichfeit des Herricher® aufgebaut habe. Antigonos und Demetrio8 wurden für Götter erklärt, aber dazu gaben nicht jie die Anregung, iondern die übermäßige Dankbarkeit der Athener?). Von den übrigen iſt feiner bei jeinen Lebzeiten vergöttert worden; man gab ihnen wohl einen göttlichen Urjprung, Seleufos und jeine Nachkommen follten von Apollo abitammen*), die Ptolemäer von Zeus und Herakles, aber der eigentlichen Apotheofe, der gött- lichen Ehre und des damit verbundenen Kultus find wenigſtens Seleufos I. und Antiochos I., ferner Ptolemäos I. erft nad ihrem Tode theilhaftig geworden. Erſt Antiochos II und Ptolemäos U. find wohl ſchon mährend ihrer Lebzeiten als Götter angejehen worden. Ein Ausdrud diefer göttlichen Vers ehrung jind in gewiſſem Sinne die Beinamen, die dieje Fürſten

1) Arrian 7, 14,7. 23,3.

2) Die von Wlerander eroberte indiihe Feſtung Aornos foll von Herakles vergeblidh angegriffen worden fein. Strabo 15, 688. Arrian, Anab. 4,38,1. Indica 5, 10.

s, Welchen Werth diefe Ehrenbezeugung hat, fieht man daraus, daß auch die begünſtigte Konkubine des Demetrivs, die Lamia, als Aphrodite Lamia geehrt wurde. Athen. 6, 253 A.

% Zuftin 15, 4,2. Dittenberger, syli. Nr. 156. Deine Gefchichte der griech u. maled. Stuaten 1, 390.

Hifteriiche Beitichrift R. 3. Sb. XLIII. 2

18 B. Nieſe,

empfingen, und auch dieſe find den erſten Königen, Ptole— mäern wie Seleuciden!), erſt nach dem Tode, nicht zu ihren Lebzeiten beigelegt worden.

Es kann alſo nicht davon die Rede ſein, daß Alexander ſeinen Nachfolgern die Vergöttlichung wie ein traditionelles Regierungsprincip hinterlaſſen habe. Zum gleichen Ergebnis führt auch das, was wir über die wirkliche göttliche Verehrung Alexander's wiſſen. Es iſt zwar nur wenig?), aber es zeigt doch, daß, abgeſehen von den ſchon erwähnten Beſchlüſſen der Hellenen, eine ſichere Spur eines zu ſeinen Lebzeiten eingerichteten Kultus bisher nicht gefunden iſt. Erſt nach ſeinem Tode läßt ſich derartiges nachweiſen, zunächſt in wenig beſtimmter, mehr willkürlicher Form, erſt ſpäter als amtlicher Gottesdienſt. Die Jonier feierten bei Teos ihm zu Ehren an heiliger Stätte ein Feſt, die Alerandrien?), deren erſte Erwähnung aus der Zeit Antiochos' II. ſtammt“). In Megalopolis gab es ein Alerander: HeiligtHum mit einer Herme Ammon’3 vor der Thür). Wahr: ſcheinlich wurden diefe Gottesdienste erft nad) Alerander’3 Tode eingerichtet. Aber ſelbſt wenn fie älter fein follten, jo gibt es doch feine Andeutung, daß der König felbit fie gewollt habe. Im Gegentheil iſt es wahrfcheinlicher, daß fie aus dem cigenen Antriebe feiner Verehrer hervorgegangen find; denn beide, Jonier wie Megalopoliten, hatten bejondere Urſache, ihm dankbar zu ſein. Den erjteren gab er jchon 334 v. Chr. Demokratie und Freiheit zurüd®), und die Megalopoliten waren jeit Philipp mit Mafedonien eng verbunden und dem Alerander für feinen Beiltand gegen die verhaßten Spartaner zu Danf verpflichtet. Aber auch fie haben wohl erft nach des Königs Tode den Kultus eingerichtet.

1) Über Ptolemäus I. |. oben ©. 4 Anm. Über die Seleuciden Babelon, Les rois de Syrie ©. IX. LI.

2) Die Vollftändigleit ded mir zu Gebote ftehenden Material® kann ic) nicht verbürgen; es wird wohl noch manches nadjzutragen jein.

3) Strabo 14, 644.

*%) Bull. de corr. hellen. 1885 ©. 389.

5) Pauſan. 8, 32,1.

6) Arrian 1, 17,10. 18, 2.

Zur Würdigung Wlerander’3 des Großen. 19

Ob Ulerander nach feinem Tode feierlich unter den in jolchem Falle zu beobachtenden Riten zum Gott erklärt worden ift, iſt nicht überliefert. Uber er empfing heroiſche Ehren. Er ſchwebte gleihfam umfichtbar über dem Ganzen, und als die einzelnen Großen fich jelbftändig machten, leiteten fie ihre Rechte von ihm ab. Iegt erjcheinen auf den Münzbildern die göttlichen Attribute: der Herakles-Kopf oder, wie es bei Lyſimachos gejchieht, Alexander's eigenes Bild erhält die Ammons-Hörner!), Alle feine Nachfolger haben ihm ohne Zweifel diefe Verehrung zu Theil werden lofien?). Näher befannt ift, wie e8 von Eumenes gejchah, den angeblih der verewigte König felbit im Zraumgeficht dazu an- gewiefen hatte (318—317 v. Chr.). In einem prächtigen Belt Itand Alexander's Thronſeſſel mit den Infignien und Waffen, daneben Altar und Weihrauchfaß, aus dem Eumenes und Die anderen Führer täglich ein NRäucheropfer darbrachten; denn in dem Zelt verfanmelten fie fi) und faßten ihre Beichlüffe; es war der Sit des Oberbefehls und des Eöniglichen Amtes. Diefe Verehrung ift alfo den bejonderen Bedürfnijjen des Eumene® und der damaligen Reichsgewalt angepakt?). Auch bei dem in Perſepolis damals gefeierten großen Opferfeite fehlt Alexander's Verehrung nicht. In der Mitte des Feſtplatzes Itanden die Altäre der Götter, ferner Philipp’3 und Alerander’s, es folgten die Zelte der vornehmjten Führer, dann die übrigen. Wlerander, mit Philipp verbunden, fteht gleichſam in der Mitte zwilchen Göttern und Menjchen; er wird den Göttern nicht eigentlich zugerechnet, hat aber neben ihnen feinen Altar).

Der Hauptfig jeiner Verehrung iſt jpäter Alexandria in Ägypten. Der erjte Beweis dafür ftammt aus der Zeit des Ptolemäos U. Bei dem Feſtzuge, der in deffen erften Jahren

ı) L. Müller, Numismatique d'Alexandre le Grand ©. 29— 31. Die Münzen bes thrafiihen Königs Lyſimachos ©. 8 f.

2) Guidad 8. Avrinargos berichtet, allein Wntipater habe ſich davon ausgeichlofien.

9 Plutarch, Eum. 13. Diodor 18, 60,5. Bolyän. 4, 8,2. Nepos, Eumenes 7. Meine Gefchichte d. grieh. u. maled. Staaten 1, 240.

% Diodor 19, 21. Meine Geidhichte 1, 263.

20 B. Niefe,

veranftaltet ward!), erjcheint zweimal ein Bild Alerander’s, ein- mal zuſammen mit Ptolemäos I. im Gefolge de Dionyjos, os dann als letztes in der Reihe der Götter, die mit Zeus an- bebt; ihm zur Seite Stehen Athena und Nife?). Und aus dem jpäter gejchriebenen Hymnus Theokrit's auf Ptolemäos II. er. fahren wir, daß fein Thronſeſſel neben dem des Ptolemäos 1. und Herakles im Zempel des Zeus Itand?). Hier wird aljo Ulerander zufammen mit anderen Göttern, gleihjam als ihr Be gleiter, verehrt. Exit jpäter erhielt er feinen eigenen Kultus, als nämlich jeine irdischen Reſte nach Alerandrien überführt wurden ; denn anfangs befand fich Alerander’3 Leichnam nicht in Alerandria, jondern Ptolemäos Lagi hatte fie, wie PBaufanias?) bezeugt, 321 v. Chr. nad) Memphis gebracht, wahrjcheinlich zu dauernder Nuheftätte, denn damald war in der That Memphis noch die Hauptitadt Ägyptens; hingegen Alerandria wurde erft fpäter von Ptolemäos I. ausgebaut?) und zur Haupt und Refidenzitadt gemacht, nachdem er ſich von der Reichsgewalt losgelöſt hatte, und bot damals, d. i. 321 v. Chr., noch feinen würdigen Play für den Sarg Alexander's. Erſt Ptolemäos II. hat diejem in Alexandrien Grabmal und Heiligthum errichtet und die Leiche dorthin gebradht®). Hiemit fteht in volllommenem Einflange, daß die Papyrusurfunden uns erjt in der zweiten Hälfte der Regierung des zweiten Ptolemäos von jeinem Kultus Nachricht geben. Seit diefer Zeit wird er zufammen mit den vergötterten Ptolemäern verehrt und hat mit ihnen einen jähr- lichen PBriefter, der die Ehre der Eponymie genießt. Dieje Tbat-

1) Beichrieben nad) Kallixenos von Athenäus 5, 201 f. Das Felt fcheint vor der Ehe des Ptolemäos II. mit feiner Schweiter Arfinoe (um 274 v. Chr.) gefeiert zu fein; denn diejer gejcieht feine Erwähnung.

») Athen. 5, 2010. 202A. Athena und Nike find die gewöhnlichen Typen der Goldmünzen Alexander's.

5) Theofrit 17, 14. Zeus und Herakles find die Typen der aleran= driihen Silbermünzen.

% Baujan. 1, 6, 3.

6) Tacitus, histor. 4, 81.

6% Baufan. 1, 7,1.

22 B. Nieſe,

mals auf, und Alexander Severus, der nach ihm genannt war, bat ihn in jein Pantheon aufgenommen!). Dies it die Zeit, wo auch der Alerander-Roman entitanden zu fein jcheint, ein redendes Zeugnis dafür, wie unverlöjchlich, wie lebendig das Andenfen des großen Mafedonier3 im Wolfe weiter lebte. Hier fann ich dieſe frage nicht weiter verfolgen, die ohnehin nur auf breiter Grundlage erjchöpfend behandelt werden kann. Für den vorliegenden Zwed wird es genug jein.

Aus der Idee der Göttlichkeit hat Alexander nach Kaerſt, wie ſchon Grote ausgeſprochen hatte, die Idee der Weltherrſchaft abgeleitet, die er zu erringen hoffte, und die ihm in dem an— geblichen Orakel des Ammon verheißen wurde. Nicht gering wahr: ih find die Pläne, die ihm zugeichrieben werden?).. Er wollte ganz Afien bis zu feinen äußerften Grenzen unterwerfen, dazu Arabien und Afrifa und den ganzen Weiten Europas, al® der Tod ihn aus diefer Welt abrief.” Zweimal fpricht Hiervon Arrian, unfer befter Autor; zuerjt wird in einer Nede, die er den Alerander am Hyphaſis an die Soldaten Halten läßt, da, wo er fie ver- gebens zu weiterem VBordringen anzufeuern jucht, diefer Plan entwidelt?). An Der zweiten, jpäteren Stelle‘) beißt «8, Alerander habe vorgehabt, Arabien, da8 Land der Athivpen, Kibyen und das Land der Numider jenfeit3 des Atlad zu um— fahren bis in die Straße von Gibraltar Hinein, Afrika "und Karthago zu erobern und jo in Wahrheit ganz Aſien zu be- berrichen; denn nad) einer alten Vorftellung, die wir 3.3. bei Herodot finden, wird Afrika als ein Anhängjel Aſiens betrachtet. Bon da wollte er dann nad) Einigen in das Schwarze Meer und die Mäotid gegen die Sfythen ziehen, nach Anderen gegen

1) Ramprid., Alex. Sev. 31,5. Ebendajelbit c. 5 wird ein Tempel und Feſt Alexander's in Arce im Libanon erwähnt.

2) Kaerit, Hift. Ztichr. 74, 24 |. 200 f. und etwas jhüchterner „Forichungen zur Geſch. Alexander's“ S. 20f. Ähnlich Radet in der oben citirten Abhandlung.

5) Arrian 5, 26.

% Arrian 7,1.

Zur Würdigung Alexander's des Broken. 23

Sicilien und Italien; denn die Kunde von der Macht der Römer babe ihn jchon gereizt. Aber dies alles bezeichnet Arrian als Gerede!) und deutet damit nach jeinem in der Einleitung aus— gejprodyenen Princip an, daß er e3 nicht in feinen Hauptquellen, Ptolemäos und Ariftobul, ſondern bei jpäteren, minderwerthigen Schriftftellern fand, die Beglaubigung alſo nicht gut ijt. Demgemäß finden wir diefe und andere Pläne auch bei den Schriftitellern, die von den mindermwerthigen Qucllen abhängig find. Plutarch?) redet an derjelben Stelle wie Arrian von der Umſchiffung Afrikas, und Diodor?) ſpricht von den Eroberungsplänen, die man im den Aufzeichnungen des verjtorbenen Königs gefunden habe. Es jollten 1000 Sriegsichiffe größter Art*) erbaut werden zu einen Feldzuge gegen die Karthager und die übrigen Küftenlandjchaften des weitlichen Mittelmeeres bis nah Sicilien hin, cin Landweg jolte an der Küſte Afrikas bis zu den Säulen des Herakles gebahnt werden; Landheer aljo und Flotte jollten zujammen wirfen®). Diefer Plan ift von den anderen gründlich verichieden ; von einer Umſchiffung Afrikas ift Hier feine Rede mehr, jondern Alexander begnügt ſich mit den Küſten des mittelländijchen Meeres. Der Glaubhaftigfeit der Nachrichten find dieſe Ab: weihungen gewiß nicht günſtig. Auch verjteht man nicht, wie Werander dazu gefommen fein joll, ſolche Entwürfe aufgezeichnet zu binterlafjen®), wenn man fie nicht als eine Art Vermächtnis anjehen will, wodurch er wenigſtens eine Erinnerung daran der Nachwelt übergeben wollte. Aber er ftarb unerwartet; jäh überfiel ihn die tödtliche Krankheit, und zu cinem Vermächtnis bat er, wic die föniglichen Tagebücher zeigen, feine Zeit mehr

1) oi ÖS xai Tade areyoawar Aeyovaıv.

») Aler. 68.

s) 18, 4,4.

4) usizovs roimgwr, d. h. Bierruderer, Fünfruderer u. f. w.

6) Der Weg konnte natürlich erſt nach Unterwerfung Karthagos ges baut werden.

6, Nach Diodor muß man annehmen, daß Krateros diefe Pläne bei fich hatte. Aber fie gehen ganz über die dem Krateros zugedadıte Stellung hinaus; denn diefem war nur Maledonien und Griedyenland anvertraut; jene Flotte jollte aber hauptfählid in Aſien gebaut werden.

24 B. Niefe,

gefunden. Dies alles läßt vermuthen, daß wir es mit Er- findungen zu thun haben, die auf diefem Gebiete ja ebenfo leicht wie wohlfeil waren. Demgemäß babe ich in meiner Gejchichte Alexander's!) von diejen Dingen abgejehen.

Frühere Hiftorifer jedoch und neuerdingg auch Kacrit haben, wie gejagt, den Nachrichten Höheren Werth beigemefjen. Man traut dem Wlerander ſolche Welteroberungspläne zu; gerade auf ihnen beruht es, wenn man ſich ihn jchon im Alterthume als von unerjättlider Eroberungsluft und nicht geringem Größenwahne behaftet dachte. Eine wichtige Stüße für jeine Meinung will Kaerſt im indischen Feldzug finden, der außerhalb der bisher bejchrittenen Bahn läge und ſchon an ſich auf derartige Eroberungspläne hindeute. Beſonders iſt für ihn die jchon erwähnte Rede des Königs am Hyphajis beftinmend. In der That gibt Arrian dieſe Rede ohne Vorbehalt und ohne anzudeuten, daß jie etiva einem weniger guten Autor entitamme, und wir müßten fie danad) den befieren Quellen, dem Ptole— mäos oder Ariftobul zujchreiben.e Und fo jcheint Kaerſt zu denken. Aber jchon Droyjen?) hat vermuthet, daß ſie nicht den Onellen entnommen, jondern Arrian's eigenes Werk fei, und biefür Sprechen gewichtige Gründe; denn nachdem der Autor an der zweiten Stelle von dem ®erede über Alerander's Pläne referirt bat, jpricht er zum Schluß gravitätiich und mit fichtlicher Anlehnung an Herodot's Redeweiſe feine eigene Meinung aus?) Er fünne, jagt er, Alexander's Gedanken nicht errathen und wolle nicht? vermuthen (womit er auch die vorher angeführten Nachrichten als Vermuthungen zu bezeichnen fcheint), aber das wolle er behaupten, man dürfe Alerandern nichts geringes zutrauen. Wuch wenn er zu ganz Mien noch Europa binzu= erobert, ja jogar die brittiichen Injeln erworben hätte, jo würde er doch nicht geruht haben, und immer würde er etwas neues, unbefanntes erjtrebt haben. Er ſchließt fich den Gerüchten über

1) a. a. O. ©. 186. 2) Hellenism. 1, 2, 156 Arm. 2) Arrian 7, 1,4.

Zur Würdigung Nlerander’8 des Großen. 2b

Alexander's Abjichten nicht nur an, fondern erieitert fie noch). Bon dieſen Gedanfen ift nun auch die Nede am Hyphalis erfüllt, auch in Einzelheiten finden fich nahe Berührungen zwijchen Alerander’3 Worten und Arrian’s Betrachtungen!). Dagegen ift ichwer denkbar, daß Ptolemäos und Ariftobul, Arrian's Haupt: quellen, von dieſen Welteroberungsplänen nicht? berichtet und ie dennoch in jener Rede dem Könige jelbit in den Mund gelegt haben ſollten. Bedenkt man endlich, daB wir es mit einer Rede zu thun haben, und daß die Alten fich in den Reden die größte Tzreiheit nahmen, und daß bejonders Arrian, ohne es an: zudeuten, auch jeinen beiden Hauptquellen viel Eigenes hin: zugethan hat, jo wird man aus allen dieſen Gründen Die Meinung Droyſen's als jehr wahrfcheinlich anjehen müſſen. Hiezu kommen noch andere Erwägungen von enticheidender Bedeutung, aus denen unzweifelhaft hervorgeht, daß wir es in ver Rede am Hyphaſis nicht mit Gedanken Alerander’8 oder einer befjeren Hiftorifer, jondern Arrian’S zu thun haben. Da- zu muß id nun etwas ausholen, und da es jich hiebei nicht blog um die Würdigung Arrian's handelt, fondern auch Alexan⸗ der's und feines indischen Feldzuges, jo hoffe ih, daß mid) meine Leſer auch auf diefem Abwege freundlich begleiten werden. Der indische Feldzug Alexander's jchließt ſich unmittel- bar an den baftrifchen an und wurde, wie jelbitverjtändfich, ihon in Baltrien vorbereitet. Alerander war, fo weit nöthig, über Land und Leute unterrichtet; ſchon in Sogdiana war von jenjeitS des Indus der Fürſt Tariled zu ihm gefommen, um jeine Hülfe anzurufen?), und andere Einheimiiche begleiteten ihn auf dem TFeldzuge?). Im Sommer 327 ging cr über den Paropamiſos (Hindufujch) zu den Paropamifaden, brachte hier den Reit des Sommers zu, ging dann in's Thal der Kophen (Kabul) Hinüber, deſſen Landichaft cr im Winter (327,6) unter:

1) An beiden Stellen wird Afrifa zu Afien gerehnet. 6, 26: 7, 1,2. Vgl. oben S. 22.

2) Diodor 17, 8,4.

3) 3.8. der Inder Siſikottos. Arrian 4, 30, 1.

26 B. Niefe,

warf, überjchritt im nächiten Frühling (326) den Indus und dann den Hydaſpes, wo er den Poros bejiegte (etwa im Juni). Es folgte der Übergang über die nächſten Ströme Afejines und Hyarotis. Am Hyphafis mußte er inne halten; das Heer, er- jhöpft durch die Anjtrengungen, injonderheit durch den beftän- digen Regen, wollte nicht weiter und drängte auf NRüdfehr. Alerander mußte einwilligen und fehrte an den Hydaſpes zurüd, wo er etwa Anjang September eintraf. Hier vollendete er den Bau jeiner Flotte und fuhr nunmehr den Indus hinab, um nach Unterwerfung der Anmohner des Flußthals (325) durch Gedrofien nach Perjien und Sufa zurüdzufehren. Er hat alfo nicht erreicht, was er wollte; er mußte auf den Wunich des Heeres am Hyphajis umkehren. Wie weit wollte er nun? das ift die Frage, eine Trage, wohl geeignet die Phantafie der Hiftorifer anzuregen.

Wir hören nun, dag Alerunder ſchon am Hydaſpes, gleich nach der Befiegung des Boros, ehe er weiter oſtwärts zog, den Schiffsbau beginnen und Die Vorbereitungen zur Indusfahrt treffen ließ!). Alſo Hatte er Schon damals die Abficht, den Strom binabzufahren, und daraus hat Droyſen gejchloffen, daß Aleran- der, ald er am Hyphaſis umkehrte, jein Ziel zwar nicht ganz erreicht babe, aber dod) nahezu, und daß feine Abfichten über das Fünfitromland nicht hinausgingen. Ganz anders jedod) lauten die Pläne, die ihn Arrian in der Ichon öfters erwähnten Rede am Hyphaſis entwideln läßt). Der König fagt bier feinen Soldaten, es jei nicht mehr weit bis an den Ganges und den Öftlihen Ocean; er wolle ihnen dann zeigen, daß das kaſpiſche Meer mit dem indischen Golf zujammenhänge, wie auch das Verfiiche Meer; vom Perfiichen Meer aus wolle er dann weiter Afrifa umfahren big zu den Säulen des Herafles; dann werde auch Afrika ihnen gehören und Aſien in jeinem ganzen Unifange?)

) Strabo 15, 698. Divdor 17, 89, 4. Curtius 9, 1,4. Meine Geſchichte 1, 135.

2), Arrian, Anab. 5, 26.

») Wie ſchon oben bemerft, rechnet Arrian Hier wie 7, 1 nach Herodot's Vorgang Mirifa mit zu Aſien.

Zur Würdigung Alexander's des Großen. 27

unterthan fein. Er jucht fie zu überzeugen, daß zur Sicherung des Croberten die Unterwerfung auch des nordöftlichen Afieng nöthig jei, verweilt auf das Vorbild jeines Ahnherrn Herakles und feuert fein Heer an, weiter vorzudringen und nicht müde zu werden. Zunächſt will er aljo Ganges und Ocean erreichen und von bier aus den Nordoften Aſiens überziehen und unters werfen, jpäter das übrige. Dies it offenbar der Sinn der Rede; in der That wird hier die Eroberung der Welt proflamirt.

Kann nun Wlerander fo oder ähnlich gejprochen haben? Ich glaube nicht; weder damald noch jpäter hat er je ſolche Gedanken gehabt, wie fie ihm Arrian in den Mund legt. Ge jegt, er hätte vorgehabt, das ganze nördliche Afien zu erobern, jo würden wir ohne Zweifel wenigftens beim Feldzuge in Sogdiana, an der Grenze des Neiches, am SJarartes, davon ge: hört haben. Im Gegentheil jehen wir hier, daß Alerander fich damit begnügt, das zu unterwerfen, was die Perſer beſeſſen Yutten. Den Jaxartes Hat er, ähnlich wie früher die Donau, nur über: Ichritten, um die dortigen Stämme zu jchreden, und fchrte dann Jofort wieder um; die Unternehmung gegen die Maffageten gibt er auf, jobald fie dem Spitamenes nicht länger Schuß gewähren, aljo der Anlaß zu einem Kriegszuge fortjällt. Strabo, der hie- von erzählt, }pricht viel von den unbekannten Gegenden jenfeits des Sararte® und der Sogdiana, ferner von der Möglichkeit einer Seeverbindung Indien? mit dem Stajpiichen Meere, aber von weiteren Plänen weiß er nichts, obwohl er gerade die beſten Hiſtoriker Alerander’3 reichlich benußt hat und Sich ſtets auf die Geſchichte jeiner Feldzüge bezieht!). Auch jpäter hat Alerander durch feine Handlung oder beglaubigte Äußerung angedeutet, daß er folche Unternehmungen plane Er war furz vor jeinem Tode mit der Erpedition an den perfilchen Meerbufen beichäftigt, die das Ziel verfolgte, dad der Euphratmündung benachbarte Gebiet zu erfunden und zu unterwerfen. Er beauftragte ferner cinen jeiner Offiziere, den Herakleides, auf dem Slafpiichen Meere

') 11,518. Nach Curtius Ruf. VII, 7 f. bat Alerander freilich daran gedacht, die Stythen jenſeits des Jaxartes zu unterwerfen. Vgl. unten ©. 33.

28 B. Niere,

eine Flotte zu bauen und die Küften zu unterjuchen. Von größeren friegerifchen Unternehmungen ift feine Rede.

Aber an den Ganges hat Alerander doc, ziehen wollen; dafür haben wir bei verjchiedenen Schriftitelleen Nachrichten. Wie man jagte, hörte er von einem großen Heere, das fich aus den Bölfern am Ganges bilde, um ihn zu erwarten, und wünjchte ſehnlichſt, zu ihnen vorzudringen. Freilich Arrian fchweigt da- von, und wir müſſen aljo annehmen, daß die guten Autoren nichts davon wußten!); nur in den geringeren, mit vielerlei Mythen durchwirkten Erzählungen ift davon die Rede?). Den- noch hat Droyfen, der fich gegen die allzu phantaftiichen Pläne ablehnend verhält, das Zugeſtändnis gemacht, daß Alexander ohne Zweifel an den Ganges habe ziehen wollen. Mit Rüdficht auf die jchon begonnene Vorbereitung zur Indusfahrt nimmt er an, daß er dabei nur einen furzen Streifzug, eine Stavalfade beabfichtigt Habe?). Ich habe jchon in meiner Geſchichte Alexan⸗ der’8 darauf bingewielen, daß diefe Nachrichten ſehr verdächtig und wahrjcheinlic) durch die ſpäteren Zuſtände, wic jie durch Sandrofotto8 und feine Nachfolger hergeitellt und den Hellenen befannt wurden, beeinflußt morden jeien*). Eine erncute Er: wägung bat mic zum Ergebnis geführt, daß fie ganz werthlos jind und daß NAlerander an einen Feldzug zum Ganges wahr: jcheinlich niemals gedacht hat. Hiezu ift es nöthig, fich kurz darüber zu orientiren, was Alerander und feine Beitgenofjen von Indien wußten; denn davon hing der Feldzugsplan ab. Dabei müffen wir ung von den Vorftellungen, die das fpätere

1) Arrian wird aus den anderen Quellen wohl davon gehört Haben, bat es aber abſichtlich, weil feine befferen Autoren nicht® davon mußten, übergangen.

2) Plutarch, Alex. 62. Diodor 2, 37,3. 17, 93,2. Curtius Rufus 9, 2,2. Juſtin. 12, 8, 10. Die weitere Ronjequenz diefer Nachrichten bat der Ulerander-Roman gezogen, der den König an den Ganges gelangen läßt, wie denn überhaupt diefer Roman die angeblihen Pläne Alerander’3 ver- wirklicht.

2) Hellenismus 1, 2, 161. Wie Droyſen ſich eine bloße Kavalkade als möglich denkt, iſt nicht erſichtlich.

*) Geſchichte der griechiſchen und makedoniſchen Staaten 1, 138 Anm. 5.

30 B. Nieje,

Melt. Aber immer ijt die Indien die Landichaft des Indus; vom Gange? wußte man nichts; diejer wird in der Literatur des 5. und 4. Jahrhunderts nie genannt!), und nicht zufällig, denn man fannte ihn nicht. Es gibt eine lehrreiche Stelle der Meteoro- logie des Ariftoteles?), die zur Zeit der Feldzüge Alerander’d verfaßt if. Er jpriht von jenem Hochgebirge Wiens, das er Parnafo nennt’), von dem die meilten der großen Ströme Afiens herabfoınmen, der Baktros (d. h. der Oxos), der Choaſpes (bei Sufa), der Arares (d. i. der Jaxartes) und endlich der größte von allen, der Indus. Der Ganges exiſtirt im Erdbilde des Ariſtoteles noch nicht, ſonſt Hätte er ihn bier nennen müfjen; denn das Gebirge liegt zugleih nahe am Ende Aſiens, und gleich dahinter fommt das große Weltmeer.

Diefe Vorjtellungen nun, wonach mit der Induslandichaft die Welt ein Ende hat und zugleich der Begriff Alien fich mit dem Perſerreich jo ziemlich dedt*), haben auch Alexander und jeine Begleiter gehabt, die noch ganz in den damals herrſchenden unbejtimmten, zum Theil ganz mythiſchen Borjtellungen von Indien lebten). Folglich hat er, als er den Feldzug dorthin unternahm, unter Indien das verftanden, was damals alle Welt veritand, nämlich die Induslandichaft, den legten Theil der perfiichen Monarchie. Den Namen Ganges hatte er wahrjchein- ih) überhaupt noch nicht gehört, und kann aljo auch nicht die Abficht gehabt haben, ihn zu erreichen. Halten wir dazu, daß Alerander ſchon am Hydaſpes die Rüdfahrt auf dem Indus vorbereitete, daß ferner alles, was wir über die unerfüllten Eroberungspläne des Königs hören, nicht von Zeitgenoffen her: rührt, fondern von jpäteren Schriftitellern, die eine ſehr er— weiterte und verbefjerte Kenntnis von Indien hatten, jo ergibt

) Die Erwähnung des Ganges in einem nod dazu verdädtigen Fragmente des Kteſias (fr. 57 p. 87a Müller) berubt auf Konjeltur.

») 1, 13 ©. 350a 18.

Was eine Verkürzung und Entjtellung des Namens Paropaniſos ift.

%) Herodot 1,4: nv yap Acınvy xal a dromsorra EIvea Bapßapa oixeıevvraı ol Ilegoaı, ınv de Erownnv xai To 'Elknvıxov jynvros neywelodaı.

5) Strabo 16, 686.

Zur Würdigung Alexander's des Großen. 81

ih) vollends, auf wie jchwachen Füßen die Annahme fteht, daß Alerander den Ganges habe erreichen wollen. Der Feldzug nad) Indien it nicht, wie Kaerſt meint, der Anfang eined neuen Unternehmens, fondern nur die Fortſetzung und Vollendung des begonnenen, der Eroberung des Perſerreiches. | Aber Alerander könnte, jo wird man einwerfen, am Indus und im Pendſchab vom Ganges gehört haben. Er fünnte es wohl, aber es gibt feine Spur davon, und der mühfelige, rafche Feldzug mit feinen unabläjligen Kämpfen und Beichwerden gab ihm nicht viel Muße!). Und milfen wir denn, ob die Inder jelbft viel vom Ganges mußten? Zwiſchen dem Indus und Sangesgebiet liegt eine jehr folide Grenze, eine breite Wüjte, und nur ein fchmaler Saum verbindet am Gebirge die beiden Länder. Entjcheidend ift, daß fich bei feinem der Zeitgenofjen Werander’3 auch nur eine Andeutung von der Erijtenz des Ganges findet, weder bei Ptolemäos oder bei Artjtobul, noch bei Onefifrito® und Near. Dieje Schriftiteller, die doch zum Theil erit geraume Zeit nad) Alerander’3 Tode jchrieben, ftehen no ganz auf dem Standpunfte der älteren Zeit. Für Onefi- fritos, vielleicht den älteiten, ift das Land des Mufifanos am unteren Indus der füdlichite Theil Indiens?); den Indus denkt er fich offenbar fo fließend, wie ihn die alten Karten malten?), nämlich nah Südoſten“). Er erwähnte die Inſel Zaprobane, die nach ihm weit im Ocean, 20 Tagesfahrten vom Feſtlande entfernt liegt’); vermuthlich hat er an der Küſte, die man an der Indusmündung berührte, von ihr gehört‘). Vom Ganges weiß er nichts, und ebenjo wenig Nearch und Die andern

1) al a eldov de, dv nagudp argatıwrixi; xal Ögougp xateuadov Strabo 15, 686.

2) Strabo 15, 694.

s) Strabo 2, 87.

% Denn er fagt. dab der Indus anders als der Nil, der von Süden nad) Norden fließe, auf lange Streden ſich in dem gleihen Klima, d. 5. der gleihen Breite, halte. Strabo 15, 695.

2) Strabo 15, 691.

6) 20 Tage iſt etwa die Zeit, die ein Schiff von der Indusmündung nad Zaprobane (Ceylon) braudıte.

32 B. Niefe,

Zeitgenoffen. Man lernte ihn erft kennen, als Sandrafotto® vom Indus aus erobernd an den Ganges vordrang, als Megajthenes als Gejandter zu ihm ging und nun in feiner Beichreibung Indiens zum erjten Mal der helleniichen Welt die Gangesland— Ihaft erſchloß)). Damals wurde auch diefe dem Begriff Indien einverleibt, der fich ähnlich erweitert hat wie der Name Stalien, der urjprünglid auch nur den jüdlichjten Theil des Tpäteren Staliend bedeutet und fich erit jpäter infolge der politischen Neugeltaltung auf die ganze Halbinjel ausdehnt.

Was aljo in der Rede Alerander’3 bei Arrian von einen Feldzug an den Ganges gejagt wird, fann weder von dem Könige jelbft geiprochen noch von feinen älteren und beſſeren Hiltorifern gejchrieben jein. Nicht anders jteht es nun ferner mit dem, was weiter folgt, wo Alerander die Abficht äußert, vom Ganges und dem öjtlichen Ocean das Kafpiiche Meer zu erreihen und zu zeigen, daß dieſes mit dem indijchen Ocean in Verbindung ftehe. Denn wenn er wirklich jo geiprochen hätte, fo würde er die Überzeugung gehabt haben, das Kaſpiſche Meer münde in das Weltmeer. Woher wußte er das? erſt kurz vor jeinent Tode entjandte er den Herakleides zur Erfundigung auf dad Kaſpiſche Meer, um, wie Arrian jagt?), feitzuitellen, ob es mit dem Schwarzen Meere oder mit dem Ocean zujammen= hänge; aber dieſe Expedition fam nicht zur Vollendung. Arrian hätte aljo den Alexander mindeftens eine verfrühte Keuntnis zu— geichrieben. Aber nicht nur dies; es kann mit großer Gemwißheit nachgewieſen werden, daß die Beitgenojjen Alerander’S von einer Mündung des Kaſpiſchen Meeres in den Ocean nichts mußten, gar nicht daran dachten und ſo feſt wie nur möglich vom Gegentheil überzeugt waren.

Denn nad) der alten, ganz richtigen Anficht, die jchon Herodot?) vertritt, war das Kaſpiſche Meer cin Binnenjee ohne

1) Megajtgenes fcheint erſt nach Beroſus gefchrieben zu haben; fein Bud kann aljo jrüheftend unter Antiochos I. (280—264 v. Chr.) abgejaßt fein.

2) Anab. 7, 16,1.

2) 1, 203.

Zur Würdigung Alexander's des Großen. 33

Abfluß, ringsum bewohnt. So jagt aud) noch Xriftoteles?), und ebenſo glaubten Alexander’ 8 Soldaten. Dies zeigte ich, als die Mafedonier an den Iarartes, den Syr Darja gelangten; denn diefen hielten jie für den Tanais, den Don, und benannten ihn jo?).. Dan glaubte, der Jarartes flöjje in die Mäotis, und da ferner der Tanais nad) der herrichenden Anficht die Grenze zwilchen Afien und Europa bildete, jo hielt man folgerichtig das jenfeitige Ufer des Jaxartes für Europa, führte aus dem Charafter der Vegetation Beweije dafür an und glaubte, die jenjeitigen Völker feien europäiſche Skythen?). Mit diefer Anficht verband man zugleich eine andere, anicheinend wohl verbürgte Thatjache, wonach der Jaxartes jeine Mündung im Kajpiichen Meere hatte. Der Tanaid galt nämlich, wie Ariftoteled bezeugt, für eine Abzweigung des Araxes, d. h. des Jaxartes“), und jo vereinigte fich Alles auf das beite; noch jpäter, eine Generation nad) Alexander, ſprach der Hiftorifer Hefatäos diejelbe Meinung aus?). Andere vermutheten aber auch, daß eine fanalartige Verbindung zwijchen dem hyrkaniſchen Meer und der Mäotis

1) Meteor. 2, 1, 354a 3 und 1, 12, 351a 8, wo bad Meer 7, io row Karvnacov kiusn genannt wird.

2) Dies ift ganz allgemein; vgl. die folgende Anmerkung und dazu die befannte Erzählung des Chares von Mytilene (fr. 17 p. 119, Müller bei Athen. 13, 575); noch bei Polybios 10, 48, 1 und felbft bei Lucian, Todten⸗ geipr. 12, 5 iſt es nicht anderd. Ariftobul gab daneben auch den einheimijchen Namen Sararted. Strabo 11, 505. Arrian 3, 30,7.

3) Arrian 3, 30, 7; 4, 1, 1. 4,2. Curtius Ruf. 7, 7,2. Plutarch, Aler. 45 f. Meine Geſchichte 1, 115 Anm. 5. Alexander felbjt nannte nad einem bei Plutarch angeführten Briefe die jenfeitigen Völter Stythen. Für Arrian charakteriſtiſch iſt, daß er (3, 30, 7) meint, es fei ein anderer Tanais, nit der ffythifche, gemeint. Ihm war diefe alte Meinung nidt mebr verftändlich; fo weit reichte weder fein Wiffen noch fein Denten.

*) Meteorol. 1, 18, 350a 24: rovrov d’6 Tavais anooyizeras uspos av eis ıny Mawrw Aiuvnv. Schon Herodot 1, 202 wirft den Arared und Jaxartes zujammen. Bol. Strabo 11, 531 und Ideler's Anmerkungen zu Ariftoteles’ Meteorologie.

s, Stymnos V. 868. Ob der Eretrier oder der Teier (Abderite) hier gemeint iſt, macht für die Zeit faum Unterſchied.

Hiſtoriſche Zeitjchrift N. 5. Bp. XLII. 8

34 B. Niefe,

bejtünde!). Nach den geographiichen Anjchauungen der Beit Alerander’3 rüdten eben Tanais und Sazartes, das Kaſpiſche Meer und die Mäotid viel enger zulammen, als e8 in Wirklich feit war. Dan wird diefen Irrthum leichter verftehen, wenn man ſich erinnert, wie die damaligen Erdbilder beichaffen waren; denn von diejen waren doch die Voritellungen der Gebildeten abhängig. Dem Einſpruch Kundiger zum Troy malte man da- mals wie in alter Zeit die bewohnte Erde freisrund?). Dabei fam der Orient gewaltig zu kurz, und was nach Oſten hin gehörte, mußte ſich nach Norden hin zufammendrängen laffen. Noch ſpäter ließ Klitarch zwiſchen Pontus und dem Kaſpiſchen Meere nur einen jchmalen Iſthmus beftehen?), und es erklärt fich nunmehr aus diejer ganzen Anjchauung leicht, wie Oneſikritos und nah ihm Klitarch und viele Andere*) dazu famen, am Kaſpiſchen Meere die Amazonen mit Alerander zufammenzubringen, deren Reſte man fiy am Südufer des Pontus, am Thermodon, oder, nach Herodot's befannter Erzählung’), am Oftufer des Zanaid dachte. Man glaubte am Kaſpiſchen Meer wie in Baftrien nicyt mehr jo weit vom Pontus entfernt zu jein. Der Fürſt der Choradmier (im heutigen Chorafan) behauptete nach

ı) Strabo 11,509 f., wo Polykleitos von Larija ald Autor genannt wird, ein Dann, der vielleiht noch zu Alerander’3 Zeitgenoflen gehört, jeden- falls aber in der Generation nad ihm lebte. Vgl. Plutarch, Aler. 64.

2) Ariftoteles, Meteorvl. 2, 5, 263b 13: dio xai yeloiws yonyovoı vor Tag 1egsodovs 775 yis’ yoayovaı yap xvxAntepn rw oixovuernv. Schon Herodot äußert fi ähnlid 4, 36: yelo ds öpwe yrs megiodovs yoayavyras nolkovs ndn —, 08 'Axeavov Ts heovra ygayovoı negıE Ti yıv dovaav xuxkoteoda or: ano Topvov. Dan fieht, der konjerbative Sinn der Zeichner und Maler be- bielt über die Forderungen der Wiflenichaft die Oberhand.

3) Strabo 11, 491. Nah einer Notiz des Plinius h. n. 6, 31 Bat Seleukos I. daran gedadıt, diefen Iſthmus zu durchſtechen. Schwerlicd darf man aber mit Neumann (Hermes 19, 184 f.) diefes Projekt ernit nehmen; es ift ein Projekt der Studirftube, ganz ähnlich wie die ebenfall® bei Plinius (3, 101) dem Pyrrhos angedicdhtete Abficht, eine Brüde über das adriatifche Meer zu ichlagen.

9 Strabo 11, 505. Plutarch, Aler. 46. Eurtius Ruf. 6, 5, 24 f. Suftin. 12, 8,5. Diodor 17, 77.

5) Herodot 4, 110.

Zur Würdigung Alexander's dc8 Großen. 35

Arrian?), Nachbar der Kolcher und Amazonen zu jein, und erbot Tih, dem Alerander zur Unterwerfung diejer und anderer Pontus— völfer den Weg zu zeigen.

Alles dies, auch die Mythen, ruhen auf der Vorausſctzung, daß das kaſpiſche Meer ein Binnenfee fei oder wenigſtens mit dem Ocean nicht in Verbindung jtehe; denn nur jo fonnte der Glaube eniftehen, daß Tanais und Jaxartes derjelbe Fluß feien. Die andere Meinung, nad) welcher das hyrkaniſche Meer einen Buſen des Oceans bildet, ift erft jpäter dDurchgedrungen. Zwar behauptet Plutarcy?), daß ſchon die alten Phyſiker lange vor Alerander davon gewußt hätten, aber das ijt ſehr zweifelhaft. Es müßte Schon einer der ionijchen Philofophen gemeint fein?), doc) davon ift und nichts bekannt; denn daß Hekatäos von Milet diejer Meinung geweſen jei, ilt ganz unerweislich. Wuhrfcheinlich liegt an dicjer Stelle, die überhaupt nicht genau ift, ein Irrthum Blutardy’3 vor*). Aber fei dem wie ihm wolle, jedenfalls dem Aerander und jeinen Genoſſen, injonderheit feinen älteiten Hiltorifern, lag dieſer Gedanfe ganz ferne. Zuerſt ausgeiprochen bat ihn PBatroflos, der unter Seleufos und Antiochos I. ein großes Stüd dee kaſpiſchen Meeres befuhr und, da er fein Ende fand, zur Meinung kam, daß es ein Buſen des Oceans fei?). Dieje ı) 4, 15,4; die Erwähnung der Amazonen zeigt, daß died weder aus Btolemäod nod) aus Mriftobul jtammt, obwohl es nicht als aus andern Quellen entlehnt kenntlich gemadt iſt.

») Alex. 64.

>) 9. Berger, Geichichte der wiſſenſch. Erdfunde 1, 31.

+ Die Meinung, die der viel genauere Strabo 11, 509 dem Polykleitos zufchreibt, wird von Plutar dem Alerander beigelegt. Hätte einer der älteren Geographen oder Philofophen fie geäußert, jo würden wir wohl in den Erörterungen des Eratofihenes, die wir aus Strabo recht gut fernen, etwas davon hören.

s, Etrabo 11, 518. Neumann (Hermes 19, 165 f.) jept die Fahrt zwiſchen 285 und 282 v.Chr. auf Grund einer jehr unficheren Kombination, wie er auch darin irrt (S. 185 f.), daß er nah Schöne's Vorgang den Ariftobul von ihm abhängig fein läßt. Wir willen nur, daß Patroklos unter Seleukos I. und Antiochos I. lebte und wirkte; es ift alfo wahrſcheinlich, daß er jene Fahrt noch unter Seleukos, etwa zwiſchen 300 und 282 v. Chr., audführte.

3*

36 B. Niefe.

Anficht erlangte dadurch, daB Eratojthenes fie aufnahm und in jeinem neuen Erdbilde das fajpifche Meer in den nördlichen Ocean münden ließ, allgemeine Geltung und beherrjchte die Vor— jtellung big auf Claudius Ptolemäus. Auch Arrian folgt dem Eratoſthenes, den er als hochangejchene Autorität jchägt und wiederholt anführt!). Dieſe Eratojthenifche Geographie hat er nun auch dem Alerander in den Mund gelegt, darin wird nad) meinen Ausführungen nicht mehr zu zweifeln jein; aus ihr ſtammt der Ganges und der öſtliche Ocean, aus ihr auch die Verbindung des fajpiichen Meere8 mit dem Weltmeer. Für die Pläne Alerander’3 wird man die Rede alſo nicht ald Zeugnis ver wenden dürfen.

Sch bin aber noch nicht am Ende. Noch ein neuer Ent- wurf erfcheint hier, freilich Telbjt für gläubige LZejer etwas uns pafjend in Alerander’3 Rede eingefügt, die Umſchiffung Arabiens und Wfrifas, und felbft diefer fcheint Kaerjt unter den Ent— würjen Alerander’3 einen Pla zu gönnen. Aber wiederum zeigen die geographiichen Anjchauungen der Zeit, daß Alexander Ihwerlich einen jolchen Gedanfen gejabt hat. Daß zwilchen dem perfiichen Golf und Ägypten eine Seeverbindung bejtünde, wußte man wohl; aber mit der Umjchiffbarfeit Afrikas war ed cine andere Sache. Nach Herodot's befannter Erzählung?) ließ Pharao Necho durch Phöniziſche Schiffer Afrifa umfahren. Die Reife duuerte 30 Monate, zweimal ward unterwegs gejäet und gecrntet und dann die Fahrt fortgefegt. Die Sonne fam ihnen unterwegs zur rechten Hand. Aber mit diejer Erzählung, deren Glaub— würdigfeit ja verichieden beurtheilt wird, war der Zuſammenhang

1) Anab. 5, 3,1. 5,1. Indic. 3,1. Wobei in Erinnerung zu bringen ift, daß gerade zu Arrian's Zeit durch die Forſchungen de Marinus, die Ptolemäus verarbeitete, die alte richtige Meinung über die Natur des Kaſpiſchen Meeres wieder aufkam. Arrian fcheint davon keine Notiz genommen zu haben, und doc follte man von ihm erwarten, daß er hier genauer unter« richtet wäre; denn er war befanntlid) Legat von Kappadokien und bat einmal eine Fahrt auf dem Pontus bi nad) Diosfuriad unternommen. Jedenfalls bätte er, wenn er ein wifjenjchaftliche8 geographiſches Intereſſe gehabt hätte, leicht erfahren können, was andere feiner Beitgenofien jchon mußten.

2) 4, 42.

Zur Würdigung Alerander’3 ded Großen. 37

des atlantiichen und erythräiichen Meeres mit nichten bewieſen. Nah dem Periplus des Stylax, der nicht lange vor Alerander abgefaßt wurde, iſt an der atlantijchen Küſte Afrikas das Meer wegen Untiefen und Seepflanzen bald nicht mehr jchiffbar, und ähnlich war die Meinung des Ariltoteled; daß eine Verbindung mit dem Rothen Meer beitche, wird nur als eine Meinung an: geführt!). Ariftoteles rechnet da® Erythräiſche Meer zu den ge ichlofjenen Binnenmeeren; doch Iteht es nach ihm auf eine Heine Strede mit dem atlantiichen Ocean in Berbindung?); nach ihm erſtreckt jich aljo das Feſtland bis in den Süden des indijchen Oceans. Alles war aljo ganz unbejtimmt, man war nur auf Bermuthungen und Sclüffe angewiejen, und auch Nlerander befand fich in feiner befjeren Lage. Anfangs, aljo etwa zu der Zeit, wo er angeblich jene Nede hielt, glaubte er, wie Nearch be- richtet, der Indus jei derjelbe Fluß wie der Nil, und wähnte am Indus die Nilquellen entdedt zu haben, bis ihn die Fahrt den Fluß hinab eines beiferen belehrte). Darnach muß cr fid) von Indien bis nach Ägypten ein einziges Feſtland und das Rothe Meer ald rings von Land umſchloſſen gedacht haben. Bei diefer Sacdjlage glaube ich nicht, daß der König wirklich ie daran gedacht hat, mit einer erobernden Flotte Afrifa zu um ziehen. Während man ji) Damals aljo ganz im Ungewilfen befand, hat wiederum Eratoſthenes, durch die Entdeckungen der Ptolemäer an der Oſtküſte Afrikas veranlaßt, die Lehre von der Umſchiffbarkeit Afrikas auf's neue verfündet und zur Herrſchaft gebracht. Treili fand auch er Widerſpruch, und Hipparch wie Polybios leugnen, daß man etwas wilje, und lafjen die Möglich: feit offen, daß fich das feite Land endlos nach Süden fortieget), und in der Btolemäiichen Karte ijt die Südſee befanntlich wieder ein geſchloſſenes Beden; aber die eratofthenische Meinung 'ift trogdem durchgedrungen und hat dadurch auch in der Mrrianijchen

1) Stylar $53. S.93. 95 Müller. Ariftot., Meteorof. 2, 1, 354a 9.

2) xarıa uıxoov xoıwonoica. Ariſtot. Meteorol. 2, 1, 353b. 35 j.

3, Etrabo 15, 696. Arrian, Anab. 6, 1, 2. Berger, Wiſſenſch. Erd» tunde d. Griechen 1, 50.

* Rolyb. 3, 38. Berger, Die geogr. Fragmente des Hippard) S. 80 j.

38 B. Nieie,

Rede Ausdruck gejunden. E& darf aljo nochmal hervorgehoben werden, daß dieſe Rede für die Kenntiifje der Abfichten Alexander's gar feinen Werth bat, jondern daß Arrian hier feinen eigenen Ansichten über Alexander's Pläne Ausdrud verliehen hat. Damit iſt es wahrjcheinlich, daß wie die ganze Nede Alexander’s, ſo auch die Antwort des Koinos Arrian's eigene Arbeit ij. Es fällt jehr in's Gewicht, daß wir auch in dem Vertreter der rhetorijchen Überlieferung, bei Curtius Rufus!), bei dieſer Gelegenheit eine Nede Alexander's und eine Antwort des Koinos jehen, und wer dieſe mit dem Urrianifchen vergleicht, wird finden, daß zwilchen beiden viele Anflänge beftehen, daß aber die thatjäd)- lihen ®erhältniffe bei Curtius viel beffer zum Ausdruck ge fommen find als bei Arrian?). Ich Ipreche die Vermuthung aus, daß der Anlaß der Rede von Arrian nicht dem Ptole— mäo8 oder Ariftobul, jondern der vulgären rhetorijchen Über: lieferung entnommen ift, daß aljo die älteren Schriftiteller bier gar feine Reden brachten. Arrian hat dieie Gelegenheit benußt, um die Abfichten Alexander's, wie er fie fpäter nochmals ent= widelt hat, diefem jelbit in den Mund zu legen.

Über diefe maßlojen Welteroberungspläne dürfte genug gefagt jein. Es bleibt noch übrig, furz zu berichten, was wir jonft von Alerander’3 Entwürfen hören. Nicht lange vor jeinem Einzuge in Babylon fandte er den Herakleides an das fajpijche Meer mit dein Auftrage, eine Slotte zu bauen. Arrian?) fügt in längerer Darlegung Hinzu, er babe das kaſpiſche Meer und feinen Zus jammenhang mit dem Pontus oder dem Ocean erforjchen wollen. Seine Bemerfungen bewegen ſich dabei jo ſehr in feinen eigenen joeben beſprochenen geographiichen Vorſtellungen, find überhaupt fo individuell gefärbt, daß fie für Alexander's Abfichten nur mit Vorficht zu benugen find. Die Flotte hatte ficherlich nicht nur geograpbifche Zwecke, fondern jollte vornehmlich dazu dienen,

9 2 und 3.

2) Auch die Inſzenirung iſt bei Curtius viel befier als bei Arrian. Wie anſchaulich erzählt ber Rhetor, wie Koinos bervortritt, den Helm vom Haupte nimmt, denn fo will es der Brauch, und nun den König anredet!

sy 7, 16.

Zur Würdigung Alerander’3 bes Großen. 89

die Unterwerfung der Gebirgsvölfer am Südrande des kaſpiſchen Meeres und ihrer nördlichen Nachbarn zu erleichtern. Daß eine größere Expedition geplant jei, an der etwa der König jelbit hätte theilnehmen wollen, wird nicht gejagt. Truppen wurden dem Herakleides nicht mitgegeben ; wahrjcheinlich war er auf die vorhandenen Bejagungen angewiejen.

Etwas mehr hören wir über den arabiichen Feldzug, der den König in feinen legten Tagen bejchäftigtee Es war eine Fortſetzung der Nearchiſchen Seefahrt; die Expedition beitand aus der Flotte Nearch's, die durch einige in Babylonien erbaute Schiffe veritärft ward; es waren alles fleinere Fahrzeuge. Aus Cypern und Phönizien ferner wurden einige Kriegsſchiffe über Land in den Euphrat binübergefchafft, 17 größere und 30 Kleinere, wozu Mannſchaften ebenfall® in Phönizien und Umgegend beichafft werden jollten. Dazu famen Landtruppen, die von Babylon aus vorangehen fjollten; der König ſelbſt wollte zu Schiffe folgen; Nearch befehligte wiederum die Flotte!). Ziel der Erpedition war die Beſiedelung der Ufer und Inſeln des perfifchen Meerbujens?), und daß fie fich darauf beichränfen jollte, dafür ipricht der mäßige Umstand der Rüftungen, wie denn auch nichts darauf hindeutet, daß eine längere Abweſenheit des Königs in Ausficht genommen wurde. Später glaubte man?), wie jchon oben erwähnt ift, er habe ganz Arabien unterwerfen wollen, angeblich weil die Araber allein ihm feine Sejandte gejchidt hätten, in Wahrheit aber, um fich von ihnen als dritten Gott verehren zu laſſen; dafür habe er ihnen dann ihre Freiheit belafjen wollen. Über den Werth diefer Vermuthungen habe ich ebenfalls ſchon geiprochen.e Daß es fi) um ein jehr weit- ausfehendes , langwieriges Unternehmen gehandelt habe, daß Alegander Arabien bis nach Ägypten habe umjahren wollen, ift

ı) Strabo 16, 741. Arrian 7, 19. 25,2 u. 4.

3) Arrian 7,19, 5: Tr» Te yao nagakiav nv ngos to xuAnıp to Ilsooı- so wwrosibew Enevösı xal Tas vnoors Tas &v tavrı. Vgl. Strabo 16, 741, wo von der. Eroberung des an Babylonien grenzenden Arabien die Rede ift.

5) So ſchon Ariftobul, der, wie id) bier erinnere, erjt nad) 301 v. Chr., alio 20 bis 30 Fahre fpäter jchrieb.

40 B. Nieſe,

nad dem Stande der Vorbereitungen nicht wahrfcheinlich; dazu wären ganz andere Anjtalten nöthig gemejen!), und auch von Ägypten aus hätte eine ſolche Expedition in's Werk geſetzt werden müljen; denn Alexander war nicht der Wann, ohne genügende Vorbereitung etwas in die Hand zu nehmen. Daß er vielleicht jpäter, nad) ausreichender Erfundung und Vorbereitung da® Unternehmen ausgeführt hätte, iſt möglid. Daß er es damals gewollt habe, iſt weder gut bezeugt noch wahrjcheinlid).

Alles übrige it womöglich noch weniger beglaubigt. Da iſt zuerit der fchon oben (S. 23) erwähnte Zug zur Eroberung der weitlihen Mittelmeerländer, der fich angeblich unter den binterlaffenen Entwürfen des Königs befand? Von Vorbereitungen dazu gibt es feine Spur; das legte, womit Alerander fich beichäftigte, war eben die arabiiche Expedition. Bei dem Zuge in den Weften wird bejonderd die Unter- werfung Karthagos hervorgehoben. Leider wiſſen wir nun von den Bezichungen Alexander's zu dieſer Macht jo gut wie nichts. In einer jehr anckdotiich gefärbten Geſchichte bei Juſtinus?) iſt von Bejorgnifjen der Karthager vor einem Angriff Alerander’3 die Rede. Belannt ift ferner, daß nad) den geringeren Quellen auc) die SKarthager im Jahre 323 cine Gejandtichaft nad Babylon geichidt haben ſollen). Wenn dies nicht erfunden fein jollte, jo würde man daraus eher auf Freundſchaft als auf Feindſchaft jchließen dürfen. Jedenfalls gibt es von feindlichen Abfichten Alerander’s gegen fie feine Spur?).

) Denn wa? Nırian 7, 20, 3 über allerfei Erkundigungsfahrten einzelner Schiffer jagt, fann nicht als Vorbereitung gelten.

2, Diodor 18, 4,4. Auch Arrian jcheint davon zu mwiflen, wie man aus der Nede des Koinos 5, 27,7 f. jchließen darf.

s) 21,6.

4% Arrian 7, 15,4. Diodor 17, 113. Auftin. 12, 13. Bei Diodor fommt eine Gejandtichaft der Karthager und der Libyphöniker; aber dieſe legteren waren als Iinterthanen der Starthager gar nicht in der Lage, eine Geſandtſchaft zu fchiden.

5, Die karthagiſche KFeitgejandtichait, die in Tyros 332 gefangen wurde, wurde, was fid) von jelbft verjteht, begnadigt und ohne Zweifel heimgejandt. Arrian 2, 24,5.

Zur Würdigung Alexander's ded Großen. 41

Anderewo iſt von einem Zuge nah Sicilien und Italien die Rede, wobei Alexander das mihglüdte Unternehmen feines moloſſiſchen Vetter Alerander zu vollenden vorgehabt und es bejonder® auf Rom abgefehen habe, und es ijt befannt, daß jpäter von den Nhetoren die Frage eifrig erörtert wurde, ob Die Römer wohl dem Alexander hätten widerftchen können!). Nach anderen ebenfall® |päteren Berichten fam eine Gejandtichaft der Römer zum König nad) Babylon, und Alexander joll nach dem, wad er von ihnen jah und hörte, die zukünftige Größe Roms geweisjagt haben?). Dies Klingt durchaus nicht feindjelig oder friegeriih; und man fieht, daß dieje ſpäteren Erfindungen ſich gegenjeitig aufheben. Gut bezeugt ift nur, daß die Lukaner und Bretier, von denen der Molofjer Alexander vernichtet war, Boten nah Babylon ſchickten?). Welche Aufträge fie hatten, willen wir nicht; daß die Gefandtichaft mit dem Ilntergange des Mo: loſſers zujammenhing, iſt wahrjcheinlich ; auf friegeriiche Absichten Alerander’3 läßt fie nicht ſchließen?).

Zum Schluß jei noch der angebliche Zug gegen die Skuthen erwähnt, der in der Form, wie er und überliefert wird°), ebenjo ein Traumbild der fpäteren Hiftorifer ift, wie die übrigen Welt- eroberungspläne. Wenn man ihn dagegen in der Faſſung nimmt, wie er einmal bei Arrian®) ericheint, als ein Verſuch, die Pontus⸗- ufer zu unterwerfen, fo ift dies ein Unternehmen, das für Ale: zander recht nahe lag, zumal wenn man bedenkt, daß ſchon vorher fein Feldherr Zopyrion einen freilid) mißglückten Anfang dazu gemacht hatte‘), Ob Alexander aber zur Zeit eines

1) Arrian 7, 1, 3. Plutarch, de Alex. virt. 13, S. 300 ed. Tidot, Livius 9, 17.

s) Ariſtos und Aſklepiades bei Arrian 7, 15,5. Klitarch fr. 23. Vgl. meine Geichichte 1, 182,

5) Arrian 7, 15, 4.

% Man kann vermutben, daß es ſich etiva um die lukaniſchen Geiſeln banbdelte, die dem Moloſſer Alexander zur Zeit jeiner eriten Erivfge gegeben waren und die fih vielleiht nody in Epirus beianden. Livius 8, 24, 4.

8) Arrian 7, 1,3.

6, 4, 15, 6.

) Meine Geſchichte 1, 171.

42 B. Nieie,

Todes wirklid daran gedacht hat, ob er es ſelbſt oder durd) Andere ausführen wollte, davon jehlt uns wieder jegliche Kenntnis.

Alerander trug ſich, als er ftarb, gewiß mit vielerlei Ent: mwürfen ; aber die ihm von der fpäteren, rhetorifchen Überlieferung beigelegten Eroberungspläne jind Erfindungen. Und wie leicht fonnten fie entitehen; feine Thaten und der Seitpunft feines Todes forderten zu ſolchen Phantafien geradezu heraus. Alle rander Hatte in verhältnismäßig furzer Zeit, in zehn Jahren, das perfiiche Neich erobert und von einem Ende zum andern durchzogen. Gerade ala er damit zu Ende war, ftarb er in jungen Sahren, noch nicht 33 Jahre alt. Man hatte ihn, fo lange er regierte, nur als Kriegshelden und Eroberer von un- gejtümer Kraft gejehen, der von einem Ziel zum andern raftlos vordrang. Iſt e8 zu verwundern, daß ınan fich vorftellte, er würde, wenn er länger gelebt hätte, auch jo fortgefahren fein? Gerade darin liegt der poetifche Reiz jeiner Perjon, daß man fich ihn inmitten ungeheurer Entwürfe dahingerafft dachte. Die Hiltorifer haben diefen Gedanfen verjchiedenartig, jeder nach jeiner Weiſe, ausgearbeitet; fie haben die anziehende Frage zu beantworten ge- jucht, wie er fi zu den fpäter zur Macht gelangten Bölfern, den Karthagern und vor allem den Römern, verhalten haben würde. In gewiſſem Sinne zur Nollendung gebracht hat dies alles der Alerander-Roman, wo der König diefe Entwürfe jeiner Hiftorifer wenigjtend zum Theil zur Ausführung bringt.

In Wahrheit hat Alexander das Ziel, das er fich gejegt hatte, auch volllommen erreiht. Er zog aus gegen die Perfer, wozu ſchon jein Vater Philipp den Anfang gemacht hatte!). Seine Abficht war, das Perferreich zu erobern und ſich an Stelle des Darius zu jegen; darauf zielen von Anfang an alle feine Handlungen und Einrichtungen, und er hat es vollfommen aug-

1) über Philipp's Abſichten, ob ſchon er das ganze Reich erobern, oder ſich mit einen Theile begnügen wollte, iſt gar nichts bekannt. Was Kaerit darüber vermuthet, der Gegenjag, in den er Philipp's Politik zu der feines Sohnes bringt, ift, wie jchon erwähnt, ohne jede Gewähr.

Zur Würdigung Alerander’8 des Broken. 43

geführt, nicht mehr und nicht weniger; die Grenzen des perſiſchen Reiches waren auch die feinigen; von einer grundjäglichen Ande- rung jeiner Politik im Verlaufe des Krieges kann dabei feine Rede jein.

Nach jeiner Rückkehr aus dem Oſten (324 v. Chr.) finden wir ihn bejchäftigt, feine neue Herrichaft zu befejtigen und ums zugeitalten. Eine unermeßliche Fülle von Gejichäften lag auf ihm; jebt begann erſt die Arbeit. Er fiedelt Hellenen und Mafe- donier im Orient an, Phönizier will er an das perjiiche Meer verpflanzen ; die perfiichen Völfer zieht er zum Heer: und zum Neichsdienft heran, er will die Sieger und Befiegten zu einem Volke verjchmelzen; er läßt die Bergwerfe in Armenien unter: ſuchen und rüftet eine Expedition auf dem kaſpiſchen Meere. Er gebt nach Efbatana, bezwingt die Kofläer, dann geht er nad) Ba- bylon, das er, wie es fcheint, zur Hauptſtadt und zum Mlittel- punfte des Reiches erforen hat!). Bon hier aus will er an den perjiichen Golf gehen, als er ftirbt. Aber es gab noch viel mehr zu thun; die Unterwerfung und Befriedung des Reiches war noch fange nicht vollendet. In Indien, Baktrien und Karmanien waren Aufitände ausgebrochen und nur nothdürftig oder gar nicht unterdrüdt. In Kappadofien hatte jidy der Perſer Ariarathes unabhängig gehalten und anjehnliche Macht erworben; er wurde erſt jpäter von Perdiffas und Eumenes in einem Feldzuge mit anfehnlichen. Streitfräften überwunden. Die Iſaurer am Taurus hatten ſich empört, Ddesgleichen die Bithyner unter einem ein- heimischen Fürſten, dem Stammvater der jpäteren bithyniſchen Könige. Alles war noch unfertig, und es zu vollenden, erforderte fange Zeit und die ganze Kraft eine® Regenten. Und man joll glauben, daß Alerander an's andere Ende der Welt zu neuen grenzenlofen Unternehmungen geeilt wäre? Er hätte dann feine Entwürfe, die Neuordnung des Reiches, die Ktolonijationen, Die Berichmelzung der Hellenen und Barbaren im Stiche gelafjen und alles dem Berfall überantworte. Wir fünnen ficher jein, daß er ganz anders dachte, daß er in jeinem Reiche bleiben und

ı) Strabo 15, 731.

44 B. Nieje, Zur Würdigung Alexander's des Großen.

vollenden wollte, was er angefangen hatte. Das entjpricht feiner Natur und Sinnedart; denn er war feurig und voll des höchiten Schwunges, zugleich aber umfichtig, überlegt und jeiner Ziele wie feiner Deittel bewußt. Ob ihn eine fpätere Zeit nochmals über die Grenzen jeined Reiches hinaus zu weiteren Kriegzügen geführt haben würde, wer fann es willen? Dieſe Frage bleibe der Dichtung überlaffen ; die wilfenschaftliche Forſchung fann jich nicht damit beichäftigen.

Die wirthſchaftliche Kultur der Deutfchen zur Zeit Cuſar's. Bon Berner Wittid.

R. Hildebrand: Recht und Sitte auf den verichiedenen wirtbichaftlichen Kulturftufen. Erfter Theil. Jena, Fiſcher. 1896.

Recht und Sitte eines Volkes ftehen im engften Zufammen- bang mit der jeweils bei dieſem Volk herrichenden wirthichaftlichen Kultur. Eine beftimmte wirthichaftliche Kulturftufe bedingt ges wife rechtlihe und foziale Inſtitutionen. Völker !von gleicher wirtbichaftlicher Kultur haben daher jehr häufig gleiche Einrich— tungen und Sitten. Der Gedanke liegt nun nahe, die allgemeine Entwidlungsgeichichte des Recht und der Sitte im Zujammen- bang mit dem Forftſchritt der wirthichaftlichen Kultur zu be trachten, und zwar da8 jeweils herrichende Recht und die Sitte eines Volkes aus dem Stand feiner wirthichaftlichen Kultur zu erflären.

Dieje Aufgabe hat ſich Richard Hildebrand in ſeinem Werf „Recht und Sitte auf den verjchiedenen wirthichaftlichen Kultur: ftufen“ geitellt. Bis jegt liegt nur der erfte Theil dieſes Werkes vor, aber die Unterjuchung ift in ihm joweit vorgefchritten, daß’ ein Urtheil über die Methode und deren Anwendung möglic) ift. Es liegen diejer Methode verjchiedene Borausjegungen zu Grunde, die zunächſt Elar hervorgehoben werden müſſen.

Die erfte iſt die, daß Recht und Sitte thatlächlich jo jehr mit der wirthichaftlichen Kultur zujammenhängen, daß Jämmtliche

46 W. Wittich,

wichtigen Inſtitute des Rechtes und der Sitte durch wirthſchaft⸗ liche Urſachen weſentlich bedingt erjcheinen.

Die zweite Vorausſetzung, unter deren Annahme der Ber: fafler die wirthichaftliche Kultur zur Erfenntnisquelle gerade der Entwidlung von Recht und Sitte gewählt hat, beitcht darin, daß der Entwidlungsgang der wirthichaftlihen Kultur immer und überall derfelbe ift, weil er immer und überall durch die gleichen Urjachen bedingt wird.

Die dritte Vorausſetzung endlich, ebenfall® von großer Widy- tigfeit für die gejchichtliche Bedeutung der Methode, bejteht in der Annahme, daß die gleichen Wirthichaftszuftände inımer und überall in der gleichen Weife Recht und Sitte beeinflußt haben.

Unter diejen drei Borausjfegungen hat der Verfaſſer jeine Methode auf die fundamentalen Fragen in der Entwidlungs- gefchichte des Recht? und der Sitte angewendet. Er hat zunächit drei Kulturjtufen, die der Jäger und Fiſcher, ferner die der Hirten und jchließlich die des primitiven Aderbaues gebildet.

Dann hat er die wirthichaftlihen Eigenthümlichkeiten einer jeden diejer drei Kulturitufen mit großer Schärfe hervorgehoben und jchließlich gezeigt, wie die Beichaffenheit aller rechtlichen und ſozialen Inititute durch die wirthſchaftlichen Eigenthümlichfeiten bedingt war.

Getreu feiner Vorausfegung bat er die Thatjachen, die ihm jowohl zum Entwurf feines Bildes von der Wirthichaft auf der betreffenden SKulturjtufe wie auch zur Darftellung der auf der- jelben herrſchenden Einrichtungen dienten, allen Völkern und Zeiten entnommen. Nur auf derfelben wirthſchaftlichen Kultur ftufe müfjen ſie ftehen, dann find auch die Grundzüge ihrer Einrichtungen gleichartig, einerlet ob fie als Indianer in Amerifa oder als Bujchmänner in Afrifa leben.

Es liegt nicht im Plan diejer Studie, die Anfichten, Die Hildebrand auf Grund feiner Methode von den verjchiedenartigen Injtituten des Rechts und der Sitte gewonnen hat, im einzelnen au erörtern.

Es joll nur ein Gegenſtand, allerdings der interejjanteite und vom Berjafjer mit fichtlicher Vorliebe behandelte, heraus⸗

Die wirthichaftlihe Kultur der Deutichen zur Zeit Cäſar's. 47

gegriffen werden, nämlich feine Anjicht über Recht und Sitte der Germanen auf ihrer älteften geichichtlich befannten wirthichaft- lichen Kulturſtufe. Die ältefte, näher befannte Kulturftufe, auf der die Germanen zur Zeit Cäſar's ftanden, war dad Halb» nomadenthum.

Was ift nun Halbnomadenthum nad) Hildebrand? Um diefe Kulturſtufe völlig zu veritehen, müfjen wir zunächſt willen, was Nomadenthum ift, d. h. welche Sulturjtufe und welche darauf erwachjenen Inititutionen der Verfaffer unter diefer Be- zeichnung begreit.

Nomadenthum ijt Hirtenleben, d. h. diejenige Kulturitufe, auf der der Menſch hauptſächlich vom Ertrag der Viehzucht liebt. In dieſem Kulturftadium hält der Menſch Heerden. Es beiteht alio Vermögen. Das Vieh wird jedoch nur ausnahms— weije, in Fällen der Noth oder bei feitlichen Gelegenheiten, ges ſchlachtet. Regelmäßig lebt der Hirte nicht von Fleiſch, jondern von Milch und Käſe. Zur Erhaltung jeiner Heerde muß der Hirte fortwährend umbherziehen, mit dem SHirtenleben iſt das Nomadenthum unzertrennlich verbunden. Jedoch bejucht er mit einer gewifjen Regelmäßigfeit Jahr für Jahr diefelben Weidepläge. Aber die Erjchöpfung der Weide und der Wechfel der Jahreszeit halten ihn in jtändiger Bewegung.

Sind die Heerden groß, jo fann nur immer eine bejchränfte Zahl von Familien auf einem und demjelben Play ihr Vieh weiden. Daher ift nicht einmal ein ganzes Gejchlecht in einem Zeltlager oder Dorf vereinigt. In der Hegel vertheilt jich jedes Geſchlecht in mehrere Zeltlager.

Die Vermandtichaft beitimmt ſich nad) dem Vater. Die väterliche Gewalt dauert jo lange, bis der Sohn erwachjen iſt. Die Söhne erben zu gleichen Theilen, die Töchter gar nicht.

Die eigentliche Arbeitskraft der Familie bilden die rauen und die Knechte, der Mann befigt um das Vermögen. Snechte find nur zum Theil Unfreie, meiſtens durch die Not zum Dienen geziwungene Leute des eigenen Stammes.

Es befteht noch die volljte individuelle Freiheit und Unab— hängigkeit. Die Macht der Häuptlinge gründet ſich nicht auf

48 W. Wittich,

amtliche Befugnis oder ein angeborenes Herrichaftsrecht, jondern einzig und allein auf die Perfönlichkeit oder da8 Gewicht und Anjehen, welches unmittelbar aus der vornehmen Abkunft, dem höheren Alter, der überlegenen Einfiht und Thatkraft oder dem größeren Reichthum erwächſt. Daher fünnen die Häuptlinge auch nur rathen, nicht aber befehlen, die einzige wirkliche Gewalt ift die des Hausvaters.

Wie entiteht nun aus diefem Hirtendafein des Nomaden das Halbnomadenthum ?

Um dies zu begreifen, müſſen wir zunächit die Entjtehung des Pflanzenbaues betrachten. Der Pflanzenbau entwidelt ſich unabhängig von der Viehzuht aus der Pflanzenlefe. Ja, es gibt Völker, allerdings nicht in Aſien oder Europa, jondern in Afrifa und Amerika, die, ohne die Phaſe des Hirtenlebens durch laufen zu haben, direkt von Jagd und Fiſcherei zur Agrikultur übergegangen find. Wie und warum geht nun gerade der Nomade vom SHirtenleben zum Aderbau über? Nicht deshalb, weil er mit ihm befannt geworden ift, ihn entdedt oder erfunden hat und feine Vorzüge einfieht. Ja, es ift nicht einmal ſicher, ob er fi) darüber Klar geworden war, daß die ganze jpätere Kultur— entwidelung nur auf der Grundlage des Aderbaus vor fich gehen fünne. Ganz im Gegentheil fucht der Nomade, fo lange es ihm irgend möglich it, bei dem gewohnten und daher lieb gewordenen Hirtendalein zu verharren. Er fennt den Aderbau ſchon lange, aber er verachtet ihn. So lange jeine Heerden ihn und feine Familie ernähren, denkt er jo wenig daran, ein Ader- bauer zu werden, als heutzutage ein wohljtehender Ritterguts« beſitzer es fich einfallen läßt, feinen gut rentirenden Beſitz zu verfaufen und in der Stadt ein Gewerbe zu betreiben.

Aber wir wiſſen bereits, daß die Kulturftufe des Nomaden- lebens Unterfchiede von arm und reich fennt. Es gibt große Heerdenbefiger, es gibt fleine Leute, die von ihrem VBiehbefig nur gerade leben fünnen, die durch Unglücksfälle oder Vermbgens—⸗ theilungen in äußerfte Dürftigfeit verjegt werden. Anfangs treten fie wohl ala Sinechte in den Dienjt der reicheren Stammes genofjen und werden bei der Wartung der Heerden verwendet.

Die wirthichaitlihe Kultur der Deutſchen zur Zeit Cäſar's. 49

Aber dicje Verwendung hat ihre Grenze. Trotzdem fteigt ihre Zahl. Die bitterfte Noth droht ihnen, und dann erft find die Borbedingungen für den gewaltigften wirthichaftlichen Fortſchritt gegeben. Sie bequemen fich dazu, als Aderbauer den Boden zu bearbeiten. Aber fie werden damit noch lange nicht freie, jeßhafte Bauern. Zunächſt beſchränkt fich der Aderbau in jeinen erften Anfängen auf die Sommerjaat, er Hat den Charafter eines Nebenbetriebes, die wichtigjte Erwerbsquelle bleibt noch auf lange Zeit die Viehzucht. Daher muß der Aderbau ſich den Betriebs- bedingungen der Viehzucht unterordnen. In der Nähe der Sommerweiden liegen die Getreidefelder. Selten wird ein Stüd Land länger als ein Jahr bebaut. Bei den Überfluß an Land bildet die geringfte Erfchöpfung des Boden? den Anlaß, den Aderbau zu verlegen. Wechfeln fie nun gar die Lage der Sommer weide, jo muß natürlich der Aderbau auch folgen. So ijt der Standort des Aderbaues aus den beiden Gründen, einmal wegen der jehr ertenfiven Betriebsweife und dann wegen der Fortdauer der nomadiſchen Lebensweiſe, fein feiter.

Außerdem aber lebt der zum Ackerbauer herabgejunfene Nomade oder Hirte noch immer größtentheild von den Erzeug- nifjien der Viehzucht. Nun befigt er aber gar fein oder wenig» ftend nicht mehr genügend Vieh, um feine Lebensbedürfnifje zu befriedigen; denn fonjt wäre er ja nicht Aderbauer geworden. Das zum Leben nothwendige Vieh erhält er von dein reichen Heerdenbefiger, oder aber er wird von diefem mit den zum Leben nothwendigen Produkten der Viehzucht verjehen. In beiden Fällen aber muß er einen Theil der Ernte an den reichen Heerden- bejiger abgeben.

Auf Ddiejer Kulturjtufe gibt es nun noch fein Eigenthum am Grund und Boden. Wahrſcheinlich hatten zur Zeit des reinen Nomadenthums die Gentes oder deren Untertheilungen, die Zelt- genojjenfchaften, abgegrenzte Weidereviere, innerhalb deren fie den Weidegang der Heerden fremder, nicht zur Gens oder Ge nofjenichaft gehöriger Befiger nicht zuließen. Aber dies dauerte natürlich nur jo lange, als jie das Weiderevier jelbjt benugten. Suchten fie andere Weiden auf, fo hatten fie wohl weder die

Hikoriiche Beitihrift R. F. Bd. XLIII 4

50 W. Wittich,

Möglichkeit noch den Willen, andere Nomaden von den vers laſſenen Gebieten fern zu halten. Auch der primitive Aderbau, der unter Beibehaltung der nomadiſchen Lebensweiſe betrieben wurde, brachte hierin feine Veränderung hervor. Nur verhält- nismäßig höchſt geringfügige Beitandtheile der großen Beides reviere wurden zum Aderbau in Anjpruch genommen. So lange der Acerbau dauerte, war der Aderbauer im Beſitz diejer Grund- jtüde geſchützt. Auch die mächtigen Heerdenbefiger hinderten im eigenen Intereſſe jede Störung dieſes Beſitzes. Aber der häufige Wechſel im Standort des Aderbaues lich es ebenjomwenig wie zur Beit des reinen Nomadenthums zur Ausbildung eines dauernden Rechtes am Grund und Boden fommen.

So ift bei den Nomadenvölfern der Übergang vom reinen Dirtenleben zu den Anfängen des Ackerbaues mit der Begründung einer ſozialen und wirthichaftlihen Abhängigkeit der Aderbauer verbunden.

Der Grund diefer Erjcheinung beiteht darin, daß jchon auf der Rulturftufe des Hirtenlebens joziale Gegenjäge entitanden jind. Beim Anwachſen der Bevdlferung kann der ärmere Theil der- jelben jein Leben nur frijten, wenn er fi zunächit in den Dienſt der großen SHeerdenbejiger begibt. Dieſe verwenden die armen Bolfögenofjen zunächſt bei der Viehmirthichaft, dann aber auch bei einem allerdings noch jehr extenfiven und der Viehzucht völlig untergeordneten Aderbau. Sie verjehen dieje Aderbauer mit dem zum Leben nothwendigen Biel) und beanjpruchen dafür einen Antheil an der Ernte. So entiteht der primitive Aderbau, das Halbnomadenthum im Sinn Hildebrand’s. Aber die nomadijche Lebensweiſe bleibt bejtchen, und damit find dauernde Rechte am Grund und Boden nod) unmöglich; denn noch immer bildet die Hauptgrundlage der menjchlichen Exiſtenz die Viehzudt.

Dieje Kenntnis der nomadischen und halbnomadiichen Kultur und der auf dielen Kulturftufen eriwachjenen Inftitutionen ver: dankt Hildebrand Hauptjählich den Studium der mongolijchen und arabijchen Völferjchaften. Beſonders die aus guten rufjiichen Reifewerfen näher befannten SKirgijen haben ihm viel Stoff für die Darftelung halbnomadischer Kultur geliefert, und aus der

Die wirtbichaftliche Kultur der Deutichen zur Zeit Cäſar's. 51

jozialen Ordnung dieſes halbnomadiſchen Volkes jcheint er jeine Anficht über die Art und Weije, wie Hirtenvölfer zum Aderbau übergeben, geichöpft zu haben.

Nun zurüd zu der älteſten befannten Kultur der Germanen. Nach den übereinſtimmenden Berichten des Cäſar und des Strabo lebten fie hauptſächlich von Jagd und Viehzucht. Der lebtere erwähnt den Aderbau überhaupt nicht, der erjtere fchildert ihn ala höchſt unbedeutend; ficher ift aljo die halbnomadiſche Kultur unſeres Volkes in diefer Epoche. Wie war diefe im einzelnen beihaffen, welche Inſtitutionen erwuchlen darauf? Won glei): zeitigen Schriftitellern gibt nur Cäjar in einigen berühmt ge= wordenen Stellen feiner Kommentare zum galliichen Krieg darüber eine lüdenhajte Auskunft. Hildebrand interpretirt diefe Stellen fraft feiner Kenntnis der halbnomadiſchen Kultur und jucht die Züden der Überlieferung auf diejelbe Weife auszufüllen. Cäſar berichtet, daß um die Wohnfige der deutichen Stämme das Land weit und breit wült und unbebaut war. Nach feiner Anficht hielten die Stämme aus Ehrgeiz und aus Furcht vor feindlichen Überfällen dieſen Zustand künſtlich aufrecht. Hildebrand erklärt dieſe Erjcheinung aus wirtbichaftlihen Gründen. Da die Ger: manen hauptſächlich noch von Jagd und Viehzucht lebten, To hätten jie diefer unbebauten Ländereien als Jagd: und Weide: gründe bedurft. Daher gab es auch zu Cäſar's Zeiten noch fein Srundeigenthum, feine Seßhaftigfeit und feinen fejten Standort des Aderbaues bei den Germanen. Dielen Zuftand bejchreibt Cäfar im 22. Kapitel des jechiten Buches näher. Hildebrand deutet Diele Stelle folgendermaßen. Die magistratus ac prin- cipes wiejen den gentibus cognationibusque hominum qui una coierunt nur immer auf ein Jahr (in annos singulos) Land zur „Bebauung“ an, wo und in welcher Ausdehnung es ihnen paffend erjchien, und zwangen diejelben, das nächſte Jahr anderswohin zu überjiedeln (»anno post alio transire cogunt« »neque longius anno remanere uno in loco incolendi causa licet«e B. G. 4, 1). Das den einzelnen gentibus cognationibusque jeweil® angewiefene „Aderland” blieb un: getheilt.

62 | W. Wittich,

Gentes cognationesque hominum, qui una coierunt., find nad Hildebrand Geſchlechter oder Sippidhaften, Die fich ganz wie die Mongolen der Vichweide wegen in Zelt: und Weide genofjenschaften vertheilt haben. Nicht immer das ganze Gefchlecht, fondern nur ein Bruchtheil desjelben zieht, wohnt und meidet zulammen.

Hildebrand wendet jich nun gegen die herrichende Meinung, welche dieſe Sippichaften und deren Untertheilungen zu ſtreng organifirten Verbänden, aus denen dem Einzelnen Rechte und Pflihten erwachſen, madt. Er beitreitet ferner, daß bereite felte Uderfluren beitanden hätten, in deren Nutzung die einzelnen „Genoſſenſchaften“ einander alljährlih nur abgelöſt hätten. Auch will er aus der ausdrüdlichen Verneinung eine privaten Grundeigenthums nicht den Schluß gezogen willen, day zur Zeit Cäſar's ein Gefammteigenthum des Staated oder der Gemeinde an Grund und Boden beitanden habe, und daß die magistratus ac principes Organe der Geſammtheit geivejen jeien.

Gegen die genofjenichaftlihe Organijation macht er geltend, daß die Angehörigen eines Geſchlechts ſchon durch Abitammung von einem gemeinfamen Stammpvater mit einander verbinden jeien. Ein anderer, als der durch dieje natürlichen Bande ge— gebene Zuſammenſchluß der Individuen wird von Hildebrand al3 unerwiejen und überflüfjig in Abrede geftellt. Auch die Zelt: genofjenichaft, der zujammen mweidende Haufen, ijt eine rein that- fädhlidye Bereinigung ohne jede genoſſenſchaftliche Organifation.

Gegen fejte, längft eingerichtete Aderfluren ſpricht die halb- nomadilche Kultur der Germanen. Die Worte anno post alio transire heißt nicht Beſitzaustauſch vorhandener Aderfluren unter den „Genoſſenſchaften“, ſondern alljährlicher Wechiel des Stand- ortes des Ackerbaues. Jedes Jahr wird neues Aderland gerodet und dafür das im legten Jahr bewirthichaftete derelinquirt.

Gegen die Annahme eines Gejammteigenthums an Grund und Boden macht Hildebrand geltend, daß zur Zeit Cäſars dauernd noch überhaupt fein Gemeinweſen, feinerlei Gefammtheit im Einne des Rechts bei den Germanen beitanden haben. Nur in Kriegäzeiten wurden die Stämme unter gewählten Anführern

Die wirtbihaftlihe Kultur der Deutſchen zur Zeit Cäſar's. 53

zu geichlojfenen Organifationen zufammengefaßt. Im Frieden gab es Feine mit bejtimmter amtlicher Befugnid ausgeitattete Behörde oder Obrigfeit (magistratus), fondern nur faktiſche Machthaber oder Häuptlinge (principes), deren Einfluß ein rein perſonlicher war. Der rechtliche Zujammenhang zwiſchen den einzelnen Individuen war für gewöhnlich ein rein genealogijcher, d. 5. durch Gebiet und Abjtammung gegebener, aber noch fein aus Zwecken entiprungener, durch Befehl oder Übereinkommen künſtlich gejchaffener.

Auch dieſe Anfchauung von den älteften politijchen Verhält— niffen der Germanen iſt, wenn fie ſich auch auf den Bericht des - Cäjar ftüßt, in der Hauptſache aus den noch heute bei Beduinen und Tartaren beitehenden Zuständen gejchöpft.

Da es nun zur Zeit Cäſar's für gewöhnlich, d.h. in Friedens— zeiten, feine ftaatlihe Gefammtheit im Sinne des Rechts gab, jo jchwindet damit auch jede Möglichkeit jür ein Eigenthum des Staated oder der Gemeinde am Grund und Boden. Aber aud) das Recht Einzelner am Grund und Boden, das aus irgend einer der damals bejtehenden Benußungsarten entiprang, will Hilde brand nicht als Eigentyum gelten laſſen. Die halbnomadijche Kultur der Germanen zur Zeit Cäfar’3 fannte noch fein Grunde eigenthum.

Nachdem Hildebrand fo die herrichende Auffafjung des cäjariichen Bericht? abgelehnt hat, fommt er zu feiner eigenen Erklärung desjelben. Da er das Beltchen einer ftaatlichen Orgänifation der Germanen in diefer Epoche leugnet, jo fann er in den magistratus und principes Cäſar's feine Beamten oder Fürſten jchen. Er findet in den Worten Cäjar’3 einen Hinweis auf die allen halbnomadischen Stämmen gemeinjane joziale Sliederung. Er fieht in den magistratus und principes die reichen Heerdenbefiger, aus denen allerdings in Kriegszeiten die Anführer genommen wurden, und die in Friedenszeiten vermöge ihres Reichthums und ihrer perjönlichen Eigenjchaften jich eines großen thatjächlichen Einfluffes erfreuten. Die gentes ac cog- nationes hominum aber find nach feiner Anficht die ärmeren

ö4 W. Wittich,

Volfögenofjen, die der Unterftügung der Reichen bedurften und fi) bereitö dem Aderbau zugewendet hatten.

Die wirthichaftliche Abhängigkeit diefer ärmeren Volks— genofien von den reichen Heerdenbefigern (magistratus ac prin- cipes) bedingt es aud), daß fie fich den Wünſchen der Icgteren in Bezug auf den Ort und die Ausdehnung des Aderbaues fügen mußten. Daher beißt es von den magistratus und prin- cipes »attribuunt« und »cogunt«e, und für die gentes ac cog- nationes hominum »non licet«e. Die großen SHeerdenbefiger ftanden dem Ackerbau mißtrauiſch gegenüber, weil er die Tendenz hatte, der Weide und Jagd mehr oder weniger Terrain zu ent- ziehen. Die war nach Hildebrand’s Anficht das Motiv, welches zur Zeit Cäſar's magistratus ac principes beftimmte, den Ader- bau nur ftellenweife und in bejchränfter Ausdehnung zuzulaſſen (quantum et quo loco visum est agri) und nicht zu geftatten, daß man des Aderbaued wegen länger als ein Jahr an ein und demselben Orte verblieb.

Die den einzelnen gentes cognationesque hominum qui una coierunt jeweil® zum Aderbau überlaffenen Grund: jtücte blieben in deren ungetheiltem Beliy und wurden von ihnen gemeinjchaftlich bewirthichaftet. Hildebrand führt zur Erflärung diefer Erjcheinung an, daß es jchwer jei, Grundftüde und bes jonder8 die im vorliegenden Fall mwahrfcheinlich jehr Kleinen Grundjtüde zu theilen, und ferner, daß cine Theilung bei dem alljährlichen Wechfel des Standortes des Ackerbaues fid) nicht gelohnt hätte.

Wie man fieht, beruht auch diefe Erklärung Hildebrand's völlig auf jeinen erſten Vorausſetzungen. Die gleiche wirth: Ihaftliche Kulturjtufe bedingt zu jeder Zeit und überall gleiche Inftitutionen. Alſo kann man die Nachrichten Cäſar's über Recht und Sitte der halbnomadiichen Germanen aus der Kennt— nis der Inititutionen der halbnomadijchen Kirgijen heraus deuten und ergänzen.

Wir wollen in der Wiedergabe der Hildebrand’schen An— ihauungen hier Halt machen und ein Urtheil über die ganze

Die wirthichaftlihe Kultur der Deutihen zur Zeit Cäſar's. b5

Methode und deren Anwendung auf die ältejte germaniiche Kultur abgeben.

Zunädhit ericheinen die grundlegenden Vorausfegungen jehr anfechtbar.

Der Entwidlungsgang der wirthichaftlihen Kultur ift nicht einmal in feinen Hauptzügen immer und überall ein gleichartiger. Recht und Sitte hängen nicht jo jehr von der jeweils beitehenden wirthichaftlichen Kultur ab, daß alle ihre wichtigen Inſtitute auf diejer wirtbichaftlichen Kultur beruhen und nur aus diejer heraus erflärt werden fünnen.

Hildebrand meint, daß der Entwidlungdgang der wirth- Ichaftlichen Kultur deshalb immer und überall ein in der Haupt- ſache gleichartiger jein müffe, weil die Bevölkerung immer und überall wachſe, und weil die wirthichaftlichen Intereſſen die mächtigften Triebfedern menjchlicher Handlungen jeien.

Aber auch diche al8 Gründe angeführten Thatjachen find in diefer Ausdehnung nicht richtig. Es gab und gibt Epochen und Völker, in denen die Bevölkerung nicht wächſt oder gar abnimmt. Die wirtbichaftlichen Interefjen find namentlih in früheren Zeiten nicht die mächtigiten Triebfedern menjchlicher Handlungen gewejen. Die Sorge um die perjönliche Sicherheit trat in Zeiten unvollfommen entwidelter Staatögewult gleichberechtigt neben das wirthichaftliche Intereſſe.

Allein jelbjt wenn man die allgemeine Geltung diejer beiden Behauptungen in der Hauptjache wenigſtens zugibt, jo folgt daraus keineswegs die von Hildebrand behanptete Gleichartigfeit der Kulturentwidlung.

Denn der Entwidlungsgang der wirthichaftlichen Kultur wird noch von verjchiedenen anderen Faktoren beitimmend be- einflußt, die nicht immer und überall die gleichen find. Unter diefen müſſen vor allem die natürlichen Verhältniſſe hervor- gehoben werden. Allerdingd werden die natürlichen Verhältniffe in ihrer Bedeutung für die Kulturentwidlung häufig überſchätzt, aber jicher begeht man einen nod) größeren Fehler, wenn man wie Hildebrand, in diefen Fragen von den natürlichen Voraus— jegungen der Wirthichaft völlig abfieht.

56 W. Wittich,

Es iſt für die Kulturentwicklung eines Volkes nicht gleich— gültig, ob fein Daſein in einer inneraſiatiſchen Steppe, in einem afrifaniichen Urwald, an der fruchtbaren Küſte des mittelländifchen Meeres oder in den Ländern des Nord» und Oſtſeebeckens fich abſpielt. Schon dieje Berjchiedenheit der umgebenden Natur müßte eine Verjchiedenheit der Kulturentwidlung bedingen. So jehen wir auch in der That, daß der Gang der wirthfchaftlichen Kulturentwidlung feinesmegs ein gleichartiger war oder ilt. Hildebrand ſelbſt zeigt uns afrifanische und amerikaniſche Stämme, die, abweichend von den Aſiaten und Europäern, nicht alle die drei Kulturſtufen des Jäger⸗-, Hirten und Ackerbaulebens durch« liefen, jondern direft von der Jagd zum primitiven Aderbau übergingen, ohne je das Stadium der Viehzucht gefannt zu haben. Auch das Haupterfenntnismittel der Hildebrand’ichen Unterjucdhung, der Umjtand, daß viele Völker ſeit undenflichen Zeiten auf den verjchiedenartigen Stufen der priniitiven wirth- ihaftlichen Kultur ſtehen geblieben find und fo gut wie feine Spur der |pontanen ortentwidlung zeigen, beweilt, wie wenig gerechtfertigt die Annahme Hildebrand’3 von einer auch nur im Ganzen und Großen gleichartig verlaufenden wirthichaftlichen Kulturentwidlung ift.

Aber auch der von Hildebrand behauptete enge Zuſammen⸗ bang aller wichtigen Inftitute des Rechts und der Sitte mit der wirthichaftlichen Kultur ift nicht ohne weiters zuzugeben. Aller- dings find die meilten Inftitutionen in irgend einer Weile von der wirthichaftlichen Kultur abhängig oder werden wenigitens in ihrer beftehenden Form durch diefe bedingt. Aber es it Klar, daß eben doch nur Diejenigen Inſtitute in ihrem Wejen durch die wirthichaftliche Kultur bedingt fein können, die aus wirthichaft« lichen Zwecken entjprungen find. Alle andern mögen zivar viels fach durch dieſelbe beeinflußt fein, aber wejentlich bedingt find fie eben doch nur durch die Zwecke, denen fie ihr Dajein ver- danfen.

So find beitimmte, aus natürlichen Verhältniffen hervors gegangene Inſtitute, wie z. B. die Familie oder die Verwandts haft, ebenjowenig aus der wirthichaftlichen Kulturjtufe heraus

Die wirthichaftliche Kultur der Deutichen zur Zeit Cäſar's. 57

zu erklären, wie die geſammten religiöſen Vorſtellungen und die daraus abgeleiteten ethiſchen Anſchauungen. Auch die geſammten militäriſchen Inſtitute ſind in ihrem Weſen nur aus der militä— riſchen Technik heraus zu begreifen, ſo ſehr ſie auch im einzelnen mit der wirthſchaftlichen Kultur zuſammenhängen.

Die Entwicklung der Wehrverfaſſung geht ihren eigenen Gang. Sie beeinflußt die wirthſchaftliche Kultur und wird von dieſer beeinflußt, aber ſie folgt dieſer nicht dergeſtalt, daß ihre einzelnen Formen weſentlich durch beſtimmte wirthſchaftliche Kultur⸗ ſtufen bedingt würden.

Ein für die mittelalterliche Kultur von unberechenbarer Trag⸗ weite gewejened Inftitut ift das Lehnsweſen. Diejes ijt jeinem Weſen nad) eine militäriichen Zwecken dienende wirthichaftliche und rechtliche Einrichtung, die aber nicht von irgend einer wirth- ihaftlihen Kultur, fondern einfach durch das militärstechnijche Bedürfnis nach größeren wohlgeübten und mwohlgerüjteten Reiter: beeren hbervorgerufen wurde. In diefem Fall beitimmte Yogar das militärische Bedürfnis eine wirthichaftlihe Einrichtung, Die den größten Einfluß auf die gefammte Kulturentwicdlung auge üben follte.

Trogdem, daß jo die allgemeine Geltung der Hildebrand’jchen Methode deshalb entichieden bejtritten werden muß, weil Die beiden diejer allgemeinen Anwendbarkeit zu Grunde liegenden Vorausſetzungen nicht zutreffen, jo hat fie doch auf einem bes ichränfteren Gebiet eine große Bedeutung; denn Die Dritte Borausjegung findet ſich thatjächlich faft immer verwirklicht. Die gleichen Wirthichaftszuftände beeinfluffen immer und überall in gleicher oder ähnlicher Weife Recht und Sitte.

Hieraus aber ergibt fich die Möglichkeit, die durch die wirt: ſchaftliche Kultur bedingten Einrichtungen und Sitten eine Volkes aus den bejjer befannten gleichartigen Injtitutionen eines anderen zu erflären und zu ergänzen, vorausgejegt, daß beide Völker auf derjelben wirthichaftlichen Kulturſtufe jtehen.

Diefe Vorausjegungen treffen nun bei den Sirgifen und den Germanen in der Hauptjache wenigitend zu. Denn beide Bölfer jtehen auf derjelben wirthichaftlichen Kulturſtufe, der des

58 W. Wittich,

Halbnomadenthums, und bei beiden Völkern handelt es ſich um Inſtitute, die durch wirthſchaftliche Intereſſen weſentlich bedingt ſind. Allerdings ſind fraglos die natürlichen Vorausſetzungen bei Kirgiſen und Germanen durchaus verſchieden und von jeher verſchieden geweſen.

Die Germanen waren als wanderndes Volk von Oſten her in ihre zur Römerzeit innegehabten Sitze gekommen und hatten dort ein zwar wenig kultivirtes, aber nach Überwindung der erſten Rodungsſchwierigkeiten zum Ackerbau höchſt geeignetes Land gefunden. Auch war das Gebiet im Verhältnis zur Volkszahl nicht bedeutend und grenzte an ein hochkultivirtes, mächtiges Neih, das dem Vormwärtsdringen de Volkes einen nicht über: windbaren Widerſtand entgegenſetzte.

Die Kirgiſen dagegen ſchweifen ſeit Menſchengedenken in verhältnismäßig geringer Zahl auf unendlichen Steppen umher. die allerdings keineswegs zum Ackerbau gänzlich ungeeignet ſind, aber doc) wegen der Bodenbeſchaffenheit und der Temperatur— verhältnijje ein Volf, das auf intenjivere Bodennugung nicht angewiesen ift, zum Aderbau nur wenig verloden.

Aber dieje Verfchiedenheit der natürlichen Verhältniſſe, in denen beide Völfer Ichten und leben, ſpricht meines Erachtens nicht gegen die Annahme Hildebrand's, daß fie, als jie fi) auf gleicher Kulturftufe befanden, auch ähnliche Institutionen beſeſſen haben. Sobald die gleiche wirthichaftliche Kulturftufe erreicht it, find eben die durch wirthichaftliche Umstände weſentlich bedingten Inſtitutionen einander gleich, und ed kommt dann wenig darauf an, ob diefe wirthichaftliche Kulturftufe unter gleichen oder ver- Ihiedenartigen natürliden Vorausſetzungen erreicht worden: ift.

Die verjchiedenartigen natürlichen Vorausfegungen bedingen dann nur eine verichiedenartige Entwidlung der wirthichaftlichen Rultur.

So bildete die in Nede ftehende Kulturitufe, das Halb- nomadenthum, für das eine Volk, die Germanen, nur einen Durcdigangspunft der Entwidlung, während das andere, Die Kirgiſen, Jahrtauſende auf diefer Kulturſtufe verblieb.

Die wirtbihaitlihe Kultur der Deutichen zur Zeit Cäſar's. 59

Daher ıjt Hildebrand vollftändig im Recht, wenn er die auf der wirthichaftlichen Kulturjtufe des Halbnomadenthums er: wachjenden Spnititutionen bei cinem noch heute auf diefer Stufe itehenden Bolfe genau jtudirt und feititellt und dann mit den bier gervonnenen Borftellungen an die Unteriuchung der Inſtitu— tionen der ebenfalls halbnomadiſchen Germanen herantritt.

Bei der Lüdenhaftigfeit der Überlieferung jpielen in dem Wild, das man fich von den älteften Einrichtungen der Germanen macht, vorgefaßte Vorjtellungen immer eine bedeutende Nolle. Daher erſcheint e8 Doch weit beifer, wenn dieje Vorftellungen aus der Verfaſſung eine® auf gleicher Kulturftufe ftchenden Volfes entnommen werden, als wenn fie völlig unbewußt und unfontrollirt aus der Anjchanung der europäischen Kultur des 19. Jahrhunderts entipringen.

Sehen wir nun auf die Ergebniffe der Hildebrand’schen Unterjuchung altgermaniicher Imjtitutionen näher cin, jo find jeine Darlegungen, daß in Friedenszeiten noch feinerlei Itaatliche Urganijation des Volkes beitanden habe, und daß Eigenthum einzelner Individuen oder der Geſammtheit am Grund und Boden noch nicht vorhanden geweſen jei, durchaus über- zeugend.

Auch jein Hinweis darauf, daß demgemäß in den magistratus und principes Cäſar's feine Beamten und Fürſten, jondern einfady ſozial hochitehende, durch Reichtum und perjönliche Eigenjchaften ausgezeichnete, aber höchſtens im Krieg mit einer Amtögewalt außgeftattete Perſonen gemeint jeien, ijt völlig zutreffend. Dagegen jcheint mir entichieden anfechtbar, daß Die gentes und cognationes hominum verarmte Bolfögenojjen geweſen jeien, die ſich aus Not dein Aderbau gewidmet hätten. Ferner halte ich es für ausgeſchloſſen, daß die beichränfte Aus: Dehnung und der alljährliche Wechjel im Standort des der: baue3 von den magistratus und principes deshalb angeordnet worden jeien, weil fie bejorgten, der Aderbau möchte ſonſt der Sagd und Weide zu viel Terrain entziehen.

Die erite Behauptung ift meines Erachtens nicht beweisbar, gegen die zweite fprechen pofitive, schwerwiegende Bedenken.

60 WR. Wirtich,

Hildebrand it Hier feiner Grundanichauung, die Injtitutionen aus der herrichenden wirthſchaftlichen Kulturftufe heraus zu er- Hären, nicht durchweg treu geblieben. Wir wollen eine fon» jequentere Anwendung der Hildebrand’schen Methode verjucdhen.

Die Kulturftufe, auf der die Germanen zur Zeit Cäſar's itanden, war das Halbnomadenthum, ein wirthichaftlicher Zuftand, in dem der Hauptunterhalt des Lebens noch von der Viehzucht fam, der Aderbau aber nur nebenbei betrieben wurde Der Aderbau mußte fich daher den Betriebsbedingungen der Viehzucht, vor allem der wichtigften, der nomadijchen Lebensweiſe, unter- ordnen. Es fand nur auf den Sommerweiden ftatt, und mit dem Standort der Heerden wechielte auch der Standort des Aderbaue2.

Auch Cäſar jchildert ganz deutlid) diefen Kulturzuftand. Sm 22. Kapitel des fechiten Buches jeiner Kommentare zum galliichen Krieg jagt er ganz. allgemein: „Mit Aderbau beſchäftigen ih die Germanen nicht, der größte Theil ihrer Nahrung beſteht in Milch, Käſe und Fleiſch. Auch bejitt niemand ein beitimmtes Maß von Ländereien oder überhaupt Grundeigenthum (proprios fines), jondern magistratus ac principes weijen alljährlid), wo und in weldem Umfang es ihnen gutdünft, den zujammene baujenden Sippjchaften Land an und zwingen fie im Jahre darauf, andersmwohin zu gehen.” Im 1. Kapitel des 4. Buches jagt er dasjelbe von dem germaniſchen Volksſtamm der Sueben. „An den Ländereien befteht fein Privateigenthbum oder Sonder: nutzung. Auch dürfen fie nicht länger al8 ein Jahr an einem Orte wohnen. Auch leben fie nur zum kleinſten Theil von Ge treide, zum größten von den Erzeugnijfen der Viehzucht und dem Ertrag der Jagd.“

Allerdings nennt Cäſar diefen wirthichaftlihen Zuſtand agricultura. Aber es ift far, daß er darunter nicht Aderbau im engeren Sinn, jondern Lande und Forftwirthichaft im all» gemeinen verjteht. Welcher Art dieje Yandwirthichaft war, geht nicht aus der Bezeichnung agricultura, ſondern aus der jpeziellen Beichreibung hervor, und aus diejer ergibt es jich mit Sicherheit,

Die wirthichaftlihe Kultur der Deutichen zur Zeit Cäſar's. 61

dab der Wirthichaftsbetrieb feinen Schwerpunft in der Viehzucht, nicht aber im Aderbau Hatte.

Aus dieſer Thatfache folgt nun mit Sicherheit, daß das lateiniiche Wort ager in den beiden erwähnten Kapiteln nicht Aderland, d. h. den Bau der TFeldfrüchte gewidinetes Land, be- deutet. Hildebrand jelbft jagt (pag. 116), daß nur agri, aljo der Plural von ager, Ader im engeren Sinn bedeutet, daß Dagegen der Singular einfach Ländereien, häufig auch Territorium oder Gebiet, furz Land, als Grund und Boden bezeichnen kann. Es iſt nun auffallend, daß Cäſar in den beiden Kapiteln ager immer im Singular, niemals aber im Plural gebraudt. Eine gewiſſe Abſicht icheint bei diefem Feſthalten am Singular ob» zuwalten. Auch hiervon abgejehen, iſt es fpradjlich erlaubt, ſachlich dagegen geboten, das Wort ager nicht mit Aderland, jondern mit Grund und Boden oder Ländereien zu überjegen. Denn die ganze Daritellung Cäſar's ergibt klar, daß diejer ager in der Hauptjacdhe, d. h. zum weitaus größten Theil eben nicht aus Adern, jondern aus Weiden ınd Wald beftanden hat.

Hier beginnt nun der Fehler Hildebrand’d. Er überjegt nämlich ager einfach mit Aderland und hält auch weiterhin daran feit, daß die YZutheilung durd) magistratus und principes, der gemeiniame Beſitz und die gemeinjame Nugung und endlid) auch die Wiederaufgabe am Schluß de? Jahres eben nur auf das Aderland Bezug hätten. Nicht zulegt aus diefem Grund hält er die gentes et cognationes hominum für verarmte Volks— genoffen, denn fie waren ja Aderbauer. Dieſer Überfegungsfehler führt jchließlicdy) zu der nad) der Hildebrand’ihen Methode am meilten zu verabjcheuenden SKonfequenz, daß die wichtigften Injtitutionen der Germanen aus einem ganz untergeordneten Theil der wirthſchaftlichen Kultur diejes Volkes erwachſen jeien. Denn es iit fein Zweifel, daß Cäjar in diejen Einrichtungen die wichtigiten SInftitute der Germanen bejchrieben hat, und daß andrerjeit3 der Aderbau eine durchaus untergeordnete Stelle in der altgermaniichen Volkswirthſchaft einnahm.

Um zu einem richtigen Verſtändnis der von Cäſar gejdil: derten Einrichtungen zu gelangen, muß immer daran fejtgehalten

62 W. Wittich,

werden, daß alle dieſe Injtitutionen auf der wirthichaitlichen Kultur des Halbnomadenthums berubten. Ager iſt daher in der Hauptjache Weideland und nur zum allerfleiniten Theil Acker⸗ land. Die gentes et cognationes hominum beftehen nicht aus Aderbauern, jondern aus Viehzüchtern, von denen höchſtens ein Theil nebenbei auch etwas Aderban betreibt. Sie find daher auch nicht zurücgefommene, jozial niedrig jtehende Leute, ſondern in ihnen it das ganze Volk einbegriffen. Allerdings gibt e8 ſehr reihe und angejehene neben verarmten und zurüd: gefommenen Leuten darunter. Die Erjteren bezeichnet Cäſar als magistratus et principes, für die Bejtimmung der Letzteren jehlt uns vorläufig jeder Anhaltspunkt. Sicher aber find nicht nur ie, jondern das ganze Volf mit den gentes et cognationes hominum gemeint.

Die halbnomadiſche Kultur bedingt e8 auch, daß fie nicht länger al® ein Jahr an einem Ort wohnen können. Denn die zahlreichen Heerden erichöpfen im Verlauf eines Jahres die von dem Wohnort aus erreichbaren Weidepläge völlig. Dann müſſen eben andere Weidepläge aufgejucht werden, und der geringfügige Aderbau muß den Standort des Hauptbetriebes ebenjo folgen, wie auch die Wohnfige verlegt werden. Der Umftand, daß die Niederlaffung an einem Ort gerade ein Jahr dauerte, hängt wohl mit dem Aderbau zujammen. Aber ficher wurde der alljährliche Wechſel des Wohnortes durch die Ernährungsverhältniffe des Viehes veranlaßt. Cäſar, der mannigfaltige, jhon von Hilde: brand zurücdgewiefene Gründe für das ganze, ihm räthjelhaft erjcheinende Verfahren vorbringt, jagt, die magistratus ac prin- cipes hätten die Weidegebiete angewiejen und auch zum alljähr- lichen Wechjel den Befehl gegeben. Eicher haben die reichiten und angejehenften Sippegenofjen eines Stanımes, die ja auch die größten Interefjenten waren, einen bejtimmenden Einfluß auf die Dauer der Niederlaffung und die Zumeilung des Landes an die einzelnen Sippen gehabt und ſich unter einander über alle dabei auftauchenden Tragen verjtändigt.

Aber Cäſar betont den Zwang, den fie auf ihre Volks— genofjen ausübten, und das Planvolle in der ganzen Organi-

Die wirtbichaftlihe Kultur der Deutichen zur Zeit Cäſar's. 63

tation entichieden zu ftarf, und es ift Elar, weshalb er in dieſe Übertreibung verfällt. Er fann fich die ihm troß aller Gründe völlig widerjinnig vorfommende Ordnung nur als durch äußeren Zwang entitanden und durch äußeren Zwang aufrecht erhalten denfen. Hildebrand, der aus anderen Gründen derjelben Anficht it, leitet daraus wieder einen weiteren Grund für die joziale Unterordnung der gentes et cognationes unter dic magistratus et principes ab. Wie mir jcheint, entjpricht der Bericht des Säjar aus den angeführten Gründen gerade hier wicht ganz der Wirflichfeit, und damit fallen auch alle daran gefnüpften Folge: rungen. Ein viel mächtigerer Zwang, als ihn magistratus und principes je hätten ausüben fünnen, trieb die Germanen alljährlich dazu, ihre Wohnfige zu wechjeln, nämlich der Zwang der uralten Gewohnheit und der wirthſchaftlichen Nothivendigfeit.

Auch die Erklärung, die Hildebrand für den gemeinjamen Befit und die gemeinfame Bewirthichaftung des Landes durd) die gentes ac cognationes gibt, iſt wenig befriedigend. Er meint, daß fleine Grundſtücke fih nicht jo leicht wie Heerden theilen laffen, und daß man aus diefem Grunde und außerdem wegen der furzen Dauer der Nutzung auf die Theilung verzichtet hätte. Auch hier gebt er wieder vom Aderbau als der vorherrichenden Benutzungs⸗ art des rundes und Bodens aus und macht fich jo das Ber- ſtändnis der gemeinjamen Wirthichaft und des gemeinjamen Be ſitzes unmöglid).

Nimmt man dagegen die Viehzucht zur Vorausjegung, fo erflärt fich die Gemeinjamfeit von jelbit. Sehen wir zunädjit, was Cäfar darüber jagt. Sicher iſt, daß die einzigen Nechts- jubjefte in Bezug auf Grund und Boden die Sippen oder deren Untertbheilungen, die Zagergenofjenfchaften, waren!). Der Einzelne

1) Hildebrand leugnet diefe Eigenfchaft der Sippe, und zwar aus zwei Gründen. Erſtens glaubt er, daß die Germanen zur Zeit Cäſar's überhaupt noch feine iura in re am Grund und Boden gehabt hätten. Allein ich Halte es für undenkbar, daß ein herrenlojes Gebiet dauernd oder aud) nur vorüber = gehend genugt oder beberricht wird, ohne daß ſolche dingliche Rechte, wenn auh nur vorübergehend, entitehen. Allerdings braucden dieſe Rechte nidıt gerade Eigentdum zu fein. Auch das jtaatsbürgerliche Wohnredht, dem Hilde⸗

64 W. Wittich,

bat weder Grundeigentfum, noch einen thatſächlich abge grenzten Befig (.. . neque quisquam agri modum certum aut fines habet proprios ..., privati ac separati agri apud eos nihil est... ... Daraus folgt nun keineswegs eine gemeins ſame Wirthſchaft. Jeder Sippengenoffe fann für fein auf ber gemeinfamen Weide mweidendes Vieh einen eigenen Hirten halten. Es iſt aber auch denkbar, daß gewiſſe Anjtalten, wie 3. B. Die Hut, gemeinfam waren. Jedoch fommt e8 darauf wenig an. Sicher it, daß die Viehzucht jede Theilung oder innere Ab- grenzung des der Sippe zugemiejenen Weidegebieted verbot. Wie ſtand e8 nun mit dem Aderland? Zunächſt muß wieder betont werden, daß es wirthichaftlid) und räumlich gegenüber dem Weide: gebiet feine Bedeutung hatte. Es kam bei dem Aderbau nicht auf das Land, jondern auf die Arbeitskraft an. Wer von den Volksgenoſſen ſich der harten Arbeit des Aderbaues unterzog, hatte auch das Recht auf den Ertrag. Über die Wohlhabenden batten feine Beranlaffung dazu, dieje Arbeit auf fich zu nehmen, und die Ärmeren konnten nicht ohne fremde Beihülfe fich dem Landbau widmen. So fam c8, daß der Aderbau von Unfreien und Freien nur im Dienft und Auftrag der Reichen, der großen Heerdenbefiger, betrieben wurde. Das Maß de zum Aderbau in Anfpruch genommenen Landes ergab fich aus der Zahl der den großen Unternehmern zur Berfügung ftehenden Arbeitskräfte. Sicher fam es den der Weide gewidmeten Landflächen gegenüber

brand die Nugungsbefugnis der Germanen am Grund und Boden vergleicht, entfpringt aus einem dinglichen Recht, allerding® nicht der privaten, ſondern der Öffentlichen Rechtsſphäre, nämlich aus der Gebietshoheit.

Ein weiteres Argument Hildebrand’3 gegen dad Recht der Sippe auf da ihr zugemwiefene Gebiet bildet feine Annahme, dab es feine Geſammt⸗ heiten im Sinne des Rechts bei den Germanen gegeben habe. Damit wäre denn auc jedes Hecht einer Geſammtheit auf ein beftimmtes Gebiet aus⸗ geſchloſſen geweſen. Uber m. E. bildete gerade die Sippe eine jolche rechts lihe Gejammtheit. Denn Hildebrand ſelbſt gibt den rechtlihen Zufammens bang zwiihen den einzelnen Sippegenofien zu (S. 72). Es iſt nun nidt abzujehen, weshalb man den ausdrüdlihen Angaben Cäſar's, der die Sippen ala Rechtsſubjette des Grund und Bodens bezeidynet, feinen Glauben ſchenken follte.

66 W. Wittich,

wirthichaftlihen Fortſchrit, und als folder war er das Werk einzelner Unternehmer und der von ihnen abhängigen Arbeiter.

Faſſen wir unfer Urtheil über die Imititutionen der Ger- manen zur Zeit Cäſar's nod) einmal kurz zujammen. Sie bes ruhten auf der wirthichaftlichen Kultur des Halbnomadentyumsg, d. h. auf einer wirthichaftlicden Kulturſtufe, auf der die Vieh: zucht noch die Hauptnahrungsquelle des Volfes bildete, der Ader- bau dagegen erit auffam. Infolge diefer wirthichaftlihen Vor: ausſetzungen fand ein öfterer Wechjel der Anfiedlungen und Mohnpläge ftatt. Die zufammenwohnenden Gejchlechtögenojien bejaßen ihre Ländereien gemeinjchaftli” und ungetheilt. Sie benugten diejelben zum größten Theil ald Viehweide, nur ein verſchwindender Bruchtheil diente ihnen als Aderland. Eine ftaat- lihe Organifation des Volkes beftand, wenigitend im Frieden, noch nicht. Die Gejchlechtöverbände, die Sippen, waren die ein= zigen Organijationen der Völferjchaft, die nur in Kriegszeiten gemeinjame Organe hatte.

Die von Cäſar ald magistratus ac principes bezeichneten Perſonen waren gewöhnlich) feine mit einem imperium aus geitattete Beamte, jondern die angejehenften und reichiten Mit- glieder der einzelnen Sippen, die vermöge ihres Reichthums, ihrer fozialen Stellung und ihrer perjönlichen Eigenſchaften einen großen Einfluß ausübten und in allen wichtigen Angelegenheiten den Ausichlag gaben. Bon ihnen waren auch die verarmten Geſchlechtsgenoſſen jozial und wirthichaftlich abhängig, da gerade diefe neben Unfreien den Aderbau in ihrem Auftrag und mit ihrer Unterftügung betrieben. Der Betrieb des Aderbaues durch ver- armte Gejchlechtsgenofjen im Dienjt der reichen Heerdenbeſitzer wird von Cäſar nicht ausdrüdlich erwähnt. Jedoch ift man berechtigt, Diele bei anderen auf der Kulturftufe des Halbnomaden- thums ftehenden Völkern beobachtete Einrichtung auch bei den Germanen vorauszujegen; denn man fann fich ſchwer vorftellen, wie der Übergang von der Viehzucht zum Aderbau fi) in anderer Weile hätte vollziehen fünnen, und außerdem erklären ſich Die jpäteren Zuſtände, bejonders die zahlreichen Abhängigfeitsverhält-

Die wirtbichaftliche Kultur der Deutihen zur Zeit Cäſar's. 67

niffe, die wir bei den deutichen Stämmen finden, unter diefer Annahme am beiten.

Wir wollen den Unterjuchungen Hildebrand's nicht weiter im einzelnen nachgehen. So verlodend es auch ijt, jeine geift- reichen Interpretationen berühmter Stellen in der Germania und befannten Urkunden zu beiprechen, jo würde doch eine ein- gehende Auseinanderjegung mit jeinen Anfichten, und nur dieſe wäre wirklich) fruchtbar, den Rahmen diejer Betrachtungen über: jchreiten.

Trog mancher Widerſprüche in Einzelheiten können wir die Hauptrejultate feiner Unterjuchungen acceptiren. Als wichtigftes Ergebnis feiner Nachforſchungen ericheint die Zurüdweilung der herrichenden Anſicht, nach der die Hauptmafje des Wolfe bei den Germanen aus freien bäuerlichen Örundeigenthümern be- itanden haben ſoll (vgl. ©. 125 u. 142). Die Klaſſe der Bauern jegte fi) in der Hauptſache aus hörigen und freien Kolonen zujammen. ©rundeigenthümer dagegen waren nicht die Bauern, jondern die Grundherren, die von den Abgaben der abhängigen Bauern lebten.

Die Methode Hildebrand’3 Hat fich aljo für die Erfenntnig der Entwicklungsgeſchichte menjchlicher Einrichtungen jehr ergiebig gezeigt. Zwar leiftet fie nicht das, was Hildebrand von ihr erwartet. Die wirthichaftlichen Kulturftufen können nicht allein als Grundlage und Syſtem für eine allgemeine Entwidlungs- geichichte des Rechtes und der Sitte dienen, weil Recht und Sitte der verjchiedenen Völker nicht durch die wirthichaftliche Kultur allein wejentlich bedingt find. Aber für das große Gebiet der durch wirthichaftlihe Kultur bedingten Inititutionen iſt jie von der höchſten Wichtigkeit. Alle diejenigen, die fi) mit der Ent: widlungsgeichichte der menjchlichen Wirthichaft beichäftigen, werden Hildebrand für die Eröffnung neuer Gefichtspunfte lebhaften Dank willen.

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Kiteraturberidt.

Naturvölker und Kulturvölfer. Ein Beitrag zur Sozialpfycdhologie von Alfred Vierkandt. Leipzig, Dunder & Humblot. 1896. XI, 497 ©.

Bon den Gedankenkreiſen Wundt's und Ratzel's ausgehend, bietet das vorliegende Buch, das Werk eines jugendlich elaftifchen, edlen und feinen Geiſtes, eine ſtreng ſyſtematiſche Unterſuchung der pſychologiſchen Grundlagen der verſchiedenen Stufen der menſchlichen Kultur. Der Vf. iſt überzeugt von der Geſetzmäßigkeit alles hiſtoriſchen Geſchehens und er gliedert es durchweg ein in feſte, mit großer Schärfe der Diſtinktion durchgeführte Begriffe. Aber ſo weit geht ſein Kau— ſalitätsdrang einerſeits und fein esprit à systeme andrerſeits nicht, daß er, ſchnell fertig mit der Welt, die Thatſachen einſchnürte im einige wenige enge Formeln. Sie finden reihlid Pla in feinem Bau, und wo er ihnen zu nahe tritt, thut er es mehr aus Unkenntnis, denn aus doftrinärer Voreingenommenheit. Ziefere Studien auf dem Gebiete der eigentlich geſchichtlichen Welt werden ihm, der von philo- ſophiſchen Snterefjen und anthropo-geugraphifdden Studien ausgegangen ift, zweifello8 noch Vieles in ein anderes Licht rüden. Zwei Seelen wohnen, wie uns fcheint, in feiner Brujt. Er ift theoretiich Voſitiviſt, er kritifirt auf's jchärfite die in der Gejchichtichreibung, wie er meint, bisher vorherrichende „normative“ Betrachtungsweiſe, die, den höchſten idealen Werthen einfeitig zugewandt, die Thatfachen gleichſam in ihrem Schwunge mit fortreige und die fittliche Natur des Individuums wie der Gefellichaft mit einer faljchen Verklärung umgebe. Aber er ſieht doch fchlieglicy in diefen idealen Normen das eigentlihe Weſen der Vollfultur. Sind fie auch thatſächlich, wie er meint, nur „ein feiner Haud, der über den Dingen liegt“, jo geht es doch auch aus jeiner Unterſuchung überwältigend hervor, wie gewaltig fie und die

70 Literaturbericht.

entwickeln. Ihr volles Licht erhalten dieſe ſittlichen Grundlagen der Vollkultur erſt, wenn man ſie vergleicht mit der Denkweiſe der Halb- tultur, der Zwiſchenſtufe zwiſchen Natur: und Kulturvöllern, deren Übgrenzung und Bergliederung ein ganz beſonderes Verdienſt des Buches ift. Er rechnet zu ihr u. a. die femitifhen und mongoliſchen Kulturen und die der Inder und findet für fie charakteriftifch einer- feit3 den großartigen Dualidmus ihrer Religionen, der fie don den in und mit der Natur verwacjjenen Naturvölfern treunt, den Riß zwiichen der allmächtigen Gottheit und dem werthlojen und nichtigen Individuum (politifch entiprechend der Form der Despotie), andrer- jeit3 aber den Mangel innerer fittliher Werthe, der fie von der Bollkultur trennt, ihre Gottheiten find in eriter Linie dynamisch, exit in zweiter Linie ethiih. Das Judenthum that zwar den widh- tigen Schritt vorwärts, daß es den Menſchen nicht nur der Gottheit, fondern auch der Natur gegenüberftellte, aber es verjagte für eine innerlihere Bejtimmung des Verhältniſſes von Gott und Menſch. Jeſaias und Seremia blieben unverjtanden von ihrer Zeit, und erit das Chriſtenthum erjegte die Idee der Gottesknechtſchaft durch die der Gottestindfchaft. Kennzeichen der Vollkultur ijt ed, daß fich die jittliden Kräfte der Wirklichkeit und des Lebens bemächtigen, daß die Schwungkraft idealer Gejinnung, die Überzeugung von dem unbedingten Mehrwerth der geiitigen Elemente hinausführt über den todten Punkt, den der Fatalismus und die Baflivität der Halbfultur nit zu über- winden vermag. Der Menſch der Vollkultur nimmt, derart vorwärts getrieben, au den Kampf mit den jpröden Realitäten auf, in der Technik wie in der Wiffenjchaft, während das geiftige Leben der Halb- fultur (charafteriftiich 3. B. bei den Juden) vorwiegend die formalen Wiſſenſchaften pflegt. Die moderne Technik Schafft nun gleichjam eine zweite fünftlihe Natur, deren Übermacht das Denken fo niederdrüden fann, daß eine Art NRüdfall in die Halbkultur erfolgt, daß deren peſſimiſtiſche Anficht von der Werthloſigkeit des Individuums wieder auflebt. Ach finde, der Vf. hat ſich ſelbſt von diefer peflimiftischen Anſicht an einigen Stellen (3. B. ©. 447) nicht ganz freigehalten. Bolfultur in ihrem eigentlichen, jittlichen Kerne iſt überhaupt nicht8 Fertiged, fondern nur etivad Werdended und Ningendes, fort: während niedergezogen und dabei in ſich felbit vielfach gebrochen. Duantitativ überwiegen auch in der Bollfultur die unmwillfürlichen Bewußtjeinsvorgänge bei weiten die willfürlichen; ja, die Vollkultur fügt zu der primären Schicht des Unwillfürlien auch noch eine

Geſchichtsphiloſophie. 71

ſekundäre, entſtanden durch Mechaniſirung urſprünglich willkürlicher Bewußtſeinsvorgänge (mechaniſcher Betrieb des höheren Schulweſens, Bureaukratie u. ſ. w.). Sie ſchafft nicht nur, ſie zerſtört auch, eine gar zu ſtarke Reduktion des Unwillkürlichen wird ihr ſelbſt wieder gefährlich; bei einer zu weit getriebenen Rationaliſirung des Lebens verliſcht die Glut des Idealismus und vertrocknet die Zeugungskraft der Volksſeele. Eine geradezu pathologiſche Erſcheinung iſt das ſtädtiſche Proletariat, welches den mechaniſchen Apparat der Vollkultur übernommen hat, ohne deren tieferen ſittlichen Gehalt zu erfaſſen. „Bor einen Herzensrichter, der nur auf die innere Geſinnung ſieht, würde da8 Gebäude der Vollkultur alg aus Trug und Blendwerk erſchaffen ſcheinen“ (S. 448.) Aber jene Verbindung von Refignation und Thatfraft, die der Vf. für den Menfchen der Bollkultur gegen über der Heiterfeit der Naturvölfer jo charakteriſtiſch findet, durchweht jein Buch bis zulegt. „Die Stimmung, in der die Menjchheit als Ganzes den Aufgaben der Kultur gegenüberjteht, ift wohl theilmeife die des Sieges, theilweife aber auch die des Kampfes mit ungewiſſem Ausgang, eine kriegeriſche Stimmung, wie fie es einjt in der duali- ſtiſchen verjiihen Religion war.“

Der Bf. iſt der individualijtiichen Auffaſſungsweiſe abhold, aber es ift ein Zerrbild, wenn er jagt, daß fie von dem äußerſt fompli=- zirten Kauſalnexus immer nur die eine Seite, nämlid) das zmeite Stadium der Vorgänge, die Rückwirkung de3 Einzelnen auf die Ge- lammtheit in’3 Auge fafle (S. 359). Er feunt offenbar die wifjen- ihaftlichen Leiſtungen der individualijtiichen Richtung zu wenig, ex wird auch Ranke, theilweife verführt, wie e3 fcheint, von Lamprecht, nit geredt. Bon Ranke und den politifchen Hijtorifern hätte er auch lernen fünnen, was der Staat für die Kultur bedeutet. Die geringe Berüdjichtigung der inneren Staatlichen Entwicklungen in ihrer Wechſelwirkung mit den fozialpfychologiichen Grundlagen iſt wohl der Hauptfehler des Werkes. Nur durch ihn it es erflärlich, daß er die Römer zu den Völkern der Halbkultur rechnet wegen ihres Mangels an fittlihen Werthen (S. 327), als ob nicht die Staatdgejinnung der Römer eine jo echte Blüte der Vollfultur wäre, wie nur irgend ein anderer der fittlihen Werthe der übrigen ariſchen Kulturvölker.

Rühmenswerth ijt dafür wieder andrerjeits Die gegenüber den legten faufalen Fragen der Ntulturentwidiung beobachtete vorfichtige Zurückhaltung. Das Problem, warum fo wenig Bölfer dur) das Stadium der Halbkultur hindurd ſich zur Höhe der Vollkultur

12 Riteraturberidht.

erhoben haben, wird von ihm mit großer Zartheit behandelt. Er neigt dazu, eine höhere Rafjenbegabung der Arier und Semiten zufammen und der Arier wieder gegenüber den Semiten anzunehmen. Bei dem im hellen Lichte der Geſchichte vollzogenen Übergange von Halbkultur zur Volllultur an der Schwelle von Mittelalter und Neuzeit aber bejcheidet er fi, zu jagen, daß die wirthichaftlihe Ummwälzung nur ein Anreiz zur Auslöfung des inneren Umfchwunged geweien fein fönne, daß aber auch der religiöfe Vorgang „angelichts feiner drän⸗ genden Innerlichkeit wohl mehr die Bedeutung eined Symptond als die einer Uriadhe habe“ (S. 333). Keime zur VBollfultur, meint er, müflen jchon früher da geweſen fein und müſſen nad) dem Geſetz der Stetigfeit überhaupt auf allen tieferen Stufen voraudgefeßt werden. Nur daß fie eben auch fo verfümmern können, daß eine Weiter- entwidlung unmöglid) wird. Das jcheint und durchaus plaufibel. Wir haben ſchon oben angedeutet, daß wir diefe Keime zur Erklärung der Entitehung der Sitte fogar noch weiter zurüdverfolgen möchten, als es der Bf. thut.

Wir haben Hier nur eine Auswahl der widhtigiten Gedanfen des Buches geben fönnen. Pielleicht jieht man ſchon aus ihr, daß es ein in voller Kraft emporjtrebender Denker gejchrieben hat, noch nicht ganz in ſich ausgeglichen und widerſpruchslos, aber e3 find Wider- jprücdhe, über die man ſich freut, weil fie auf ein nad allen Seiten offened Auge deuten und eine jpätere harmoniſche Syntheſe beitimmt erhoffen lafjen. Fr. Meinecke.

Manuel de bibliographie historique I. Instruments biblio- graphiques. Par Ch. V. Langlois. Paris, Hachette. 1896. 198 ©. 3,75 fr.

Aus Vorlefungen entitanden, die der Vf. als Vertreter der hi⸗ ſtoriſchen Hilfswiffenichaften in Paris zu halten Hat, ift dieſes Hand» buch auch unſern jungen Hiftorifern und angehenden Bibliothefaren warm zu enipfehlen. ES ift ohne jede franzöjiiche Einjeitigkeit zu— jammengejtellt, im Gegentheil ftillfchiveigend liegt ihm der Gedanke des internationalen Charafterd aller Wiſſenſchaft zu Grunde Mit Genugthuung wird man die Anerkennung lejen, die gerade deutjchen, vielfah Mujter gebenden, bibliographiichen Arbeiten gejpendet wird. Und neben den Jüngern der Wiſſenſchaft werden auch Andere von der auögebreiteten und fritifch = fundamentirten Gelehrjamteit des Büchleins vielfältigen Nupen ziehen fünnen. Darüber hinaus gibt

74 Riteraturberidht.

Abgeſehen von den Gründen perfönlicher Art, deren die Vorrede Erwähnung thut, iſt daS Anſchwellen des Umfanges diejes Wertes und damit Die Verzögerung feiner Beendigung aud durch den Ums ftand bedingt, daß der Bf. im 1. Bande ſich im weſentlichen nur mit Moverd auseinanderzufepen hatte, während er in dem vor—⸗ liegenden, je näher er dem Zeitpunkt des Konflifte® mit Rom kam, defto eingehendere und umfafjendere Rüdjicht nicht nur auf die Da= itellungen der römischen Geſchichte, jondern auch auf die überaus zahlreihen und in ihren Ergebniffen jo grundverfchiedenen quellen: fritiichen Unterfudhungen zu nehmen Hatte, in Denen wiederum Polybios, Livius, Appian und Dio Caſſius die wichtigften Stellen einnehmen. Bon D.’S erfolgreicher Beihäftigung mit diefen Problemen hatten ſchon einige in der Zwiſchenzeit erjchienene Abhandlungen Zeugnis gegeben, und feine jeßige zufammenfafjende Darlegung be= zeichnet meined Erachtens einen großen Fortſchritt auf einem viel- behandelten Gebiete. Er murde erzielt durch da3 vorjichtige alljeitig erwägende Verfahren des Bi. und durd die richtige Vereinigung der inhaltlichen Kritik der erhaltenen Berichte mit der Unterjuchung ihrer gegenjeitigen Beziehungen und der benubten Vorlagen. So gelangt M. zu einer volllommen zutreffenden Verwerthung des bei Polybios Gebotenen, indem er zwiſchen dem ihm vorliegenden Material und demjenigen, was Polybios daraus gemadıt Hat, fcharf unter: ſcheidet. In dem Ergebnig, daß Livius bereit3 in der dritten Delade Polybios benüßt habe, jtimme id; dem Bf. auf Grund felbit an- geitellter Unterfuchungen vollftändig bei. Minder reich an gelicherten Ergebnifjen iſt, was M. in dem erften Theile auf Grund gleich jorg- ſamer Forſchung über die Staatdverfafjung von Karthago ermittelt hat; dies ift in der ebenfo trümmerhaften als ihrem Anhalt nad) vielfach räthfelhaften Überlieferung begründet. Der Wunſch, au dem geringen Material möglichft viel Thatfächliches zu ermitteln, hat hier den Bf. meines Erachtens zu nicht bewicjenen Aufitellungen geführt, zu denen id) 3.8. dag ©. 37 ff. über die Gefchlechter Bemerfte rechne.

Ein ähnliches Verhängnis, wie über der verfafjungsgeichichtlichen Tradition, waltet iiber der topographiſchen und inſchriftlichen Forichung auf dem Boden des alten Karthagv. Die unzureichenden Belagerungs:- ſchilderungen der antifen Schrijtiteller erfahren von dieſer Seite her nur geringe Veranſchaulichung, da das Terrain fi) unter dem Ein- fluß der Meeresbrandung und von Anfchwennmungen fehr weſentlich verändert hat, die älteren, an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen

Ulte Geſchichte. 75

über Funde von Mauerreſten u. dgl. find vielfad ganz unzuverläfjig, und endlih hat eine weitgehende Zeritörung der einjt vorhandenen Keite noch das ihre gethan, um die Löſung topographifcher Aufgaben zu erfchweren. Es ift zu bedauern, daß dem Verfaſſer dieſes höchſt werthvollen Überblides der bisher gemachten Funde nicht gegönnt war, die Nuinenitätte ſelbſt zu befuchen; feiner genauen Sachkenntnis und ruhigen allfeitigen Erwägung würde e8 vielleicht doch gelungen jein, nod) einen oder den andern dunklen PBunft aufzuhellen. Die Infchriften, die M. gleichfalls herangezogen hat, ergeben fo gut wie gar nichts, weder für die Topographie, noch für die Geſchichte. So bedauerlich dieſer Mangel einer einheimifchen monumentalen Über- lieferung ift, fo wenig kann er bei einem Bolfe überraſchen, deſſen wenige Geſchichtſchreiber durchweg Griechen geweſen jind.

Vieles in der Geſchichte Karthagos und in feiner Verfaſſung Innen wir nur durch Analogien und einigermaßen anfhaulic und verſtändlich machen, der Bf. nimmt daher in feiner Darſtellung mit Reht wiederholt auf engliihe und venetianiſche Verhältniſſe oder aud auf die deutichen Hanſeſtädte Bezug.

Die Kriegführung ſowohl der Römer al3 der Karthager auf

Sicilien wird von M. öfters getadelt, da jie jich vielfach als er- gebnislos erweiſt. Es ift mir zweifelhaft, ob wir zu ſolchen Anklagen berechtigt jind. Die Kampfweife jowohl Roms als Karthagos im eriten punifchen Kriege ijt die im Altertum mit wenig Ausnahmen allgemein übliche, auf die Ermattung des Gegners berechnete, worauf ad ©. 239 ganz richtig aufmerkſam gemacht wird. Wie die Griechen im peloponnefifhen Krieg, jo haben auch Römer und Starthager in dem Kampf um Sicilien die Kriegführung im großen Stile erjt lernen Müffen, und hier wie dort haben ſich die bisherigen, aus verhältnisg- mäßig Kleinen Verhältniffen abgeleiteten Grundſätze des Kampfes erſt AUmähli al3 unzureihend für die Löſung größerer Aufgaben er: Tiefen. Die einzelnen Führer oder die friegjührenden Staaten dürfen Darum, weil jie erjt allmählih den neuen Aufgaben gerecht wurden, Nicht getadelt werden, al3 ob es ſich um Verjtöße gegen abjolut jeit- Vtehende Grundſätze handeln würde.

Diefer Wandel in der Theorie der Kriegführung fpielt au in dem Gegenfaß der politiſchen Parteien eine Rolle, und da id) der Anfiht bin, daß die Barciden in Spanien den Nlrieg gegen Rom im großen Stile vorbereitet haben, und insbefondere Hannibal in der völligen Niederwerfung ded Gegners und der energijchiten Offenſive

76 Literaturbericht.

ſeine Aufgabe als Stratege erkannt hat, fann ich die Auffaſſung M.'s über ſein Vorgehen gegen Sagunt nicht theilen. Ich glaube, daß Hannibal den Krieg gegen Rom gewollt und abſichtlich herbei— geführt hat.

Die Vorzüge dieſes Werkes find jo mannigfah, daß man auch eine mit jeiner Gründlichfeit und der Allfeitigfeit der Erwägungen zufammenhängende Schwäche minder ſchwer empfindet: die Breite, in der fih der Bf. bisweilen gehen läßt, und die gelegentlich bi zur Spipfindigfeit getriebene Luſt, eine zweifelhafte Sache von allen Seiten in’8 Auge zu fafjen, wozu ich befonderd die meined Erachtens überfeinen und daher unbeweifenden Erwägungen rechne, die über den diplomatifchen Verkehr zwiſchen ©. Claudius und dem farthagifchen Befehlöhaber in Mefjana angeftellt werden. Sie erinnern falt an die Reden, die M. Dunder in den Bänden neuer Yolge feiner Ge- ihichte des Alterthums den Themiftofle u. U. halten läßt.

Die Anmerkungen mit den Stellen und Literaturnachweifen, fowie den überaus maßvollen polemifchen Auseinanderjegungen bat M., von dem darftellenden Texte getrennt, an den Schluß ded Bandes verwiefen, der al3 eine willfonmene Gabe um der reichen Belehrung willen, die er enthält, gewiß alljeit$ begrüßt wird.

Graz. Adolf Bauer.

Zwölf Geftalten der Glanzzeit Athens im Zuſammenhange der Kultur⸗ entwidlung. Bon Albredt Stauffer. Münden u. Leipzig, R. Oldenbourg. 1896. 5956 7 M.

Der Bf. vorliegenden Werkes will im allgemeinen, univerfal- hiftoriihen Zufammenhange die politifhe und fulturelle Entwidelung Athens in ihren marfanteften Vertretern zur Daritellung bringen. Abgeſehen von der Einleitung, in der eine allgemeine Überfiht über die griehiiche Entwidelung gegeben wird, zerfällt dad Buch in 3 Haupt abſchnitte: 1. daS Lebensalter des Sieged, repräfentirt durch Kimon, Polygnot und Äfchylus, 2. das Lebensalter der Höhe, vertreten durch Perikles, Pheidias, Sophofled und Herodot, 3. daS Lebendalter der Krife, das in Alfibiades, Ariftophanes, Euripides, Thukydides und Sufrates feine Nepräfentanten findet. Erfreulich ift das Beftreben des DVf., der meines Wiffens als Forſcher auf dem Gebiete der alten Geſchichte noch nicht aufgetreten ijt, einerjeit3 fich mit voller Hin- gebung und Wärme in die von ihm dargeitellte Zeit und die al Nepräfentanten für diefelbe aufgefaßten Perjönlichkeiten zu verfenken,

78 Literaturbericht.

erheben, wohl auch für die Auffaſſung ſelbſt förderlich und klärend geweſen ſein; die Beurtheilung der politiſchen Thätigkeit des Perikles, den Vf. einerſeits vielleicht in eine zu ideale Höhe rückt, von dem er aber andrerſeits (S. 126 f.) jagt, daß er auf dem Gebiete der Ver⸗ fafjung nicht zu dem vollen Maße des Erreidhbaren, d. h. vor allem der Einjeßung einer oberiten Inſtanz gegenüber den Enticheidungen der Geſchwornen und den Beſchlüſſen der Volldverfammlungen, vor: zudringen vermocht babe, würde ji) doch anders geitalten, wenn das Weſen der attiichen Demokratie, wie fie fih in der Perikleifchen Zeit entwidelte, Elarer und deutlicher zum Ausdrud gebracht worden wäre. Ganz bejonderd möchte ich dieſen Einwand gegenüber den Daritel- lungen des „Lebendalterd der Kriſe“ geltend machen. Sch glaube, die Erörterungen würden bier noch etwas an Klarheit und Präzifion gewonnen Haben, wenn Bf. die große geiltige Beiwegung und Um— wälzung, die gegen Ende des 5. Jahrhunderts eintrat, als deren Hauptvertreter wir die Sophiiten zu bezeichnen pflegen, etwag mehr im Zufammenhange jlizzirt hätte; er würde dadurch aud) den Wicder- bolungen bei den einzelnen Bildern, die er gibt, wohl mehr ent- gangen fein.

Am wenigiten bat mich nun in diefer Beziehung die Darjtellung der Wirkſamkeit des Sokrates befriedigt, fo jehr der Fleiß anzuerkennen it, mit dem der Bf. die einzelnen Züge aus der und befannten Litteratur zu einem Geſammtbilde zu vereinigen gejucht hat.

Einerſeits habe ich die kritiſche Grundlage für die Refonjtrultion de3 DOriginalbildes ded Sokrates vermißt, andrerfeitd ein genauered Eingehen darauf, worin nun eigentlih das Wefentliche und Neue jeiner philoſophiſchen Methode felbft beftanden habe; was aber be— jonders hervorgehoben werden muß, it, daß Bf. doch wohl der Größe des hiſtoriſchen Problems, das in der Verurtheilung des Sokrates enthalten ift, nicht völlig gerecht geworden iſt, was um fo mehr zu bedauern iſt, da Vf. in diefer Verurtheilung den kritifchen Wende⸗ punft der athenifchen und hellenifchen Entwidlung ſieht. Gewiß iſt Sofrate8 der Märtyrer einer tieferen geijtigen nnd fittlihen Auf⸗ fafjung geworden; aber da die Glaubens und Lehrfreiheit dem antiken Staate im PBrincip unbefannt, feinem Wejen fremd war, jo hätte doch tiefer auf die Frage, in welchen Verhältnid die neue Philofophie zur griechiſchen Volksreligion ſtand, eingegangen, der Gegenſatz, der in ge- willen Sinne unjtreitig zwischen dieſer Vhilofophie und den Örundlagen der attiſchen Deinofratie beitand, Ichärfer hervorgehoben werden müſſen.

Alte Geſchichte. 79

Wenn ih nur nod zum Scluffe einige Wenige Hinzufügen darf, jo ſcheint mir Bf. den Alkibiades nach feiner Rückkehr zu ſehr als einen aufrichtigen Befehrten, im Lichte einer reinen Vaterlands⸗ liebe darzuitellen, bei Arijtophanes, deſſen Behandlung im übrigen ſehr leſenswerth ijt, zu fehr eine zujammenhängende Anjchauung, ein Idealbild des „ungebrocdhenen attifchen Weſens“ und eine daraus bervorgebende jyftematifche Abficht der Reform vorauszuſetzen. Zu weiteren Bemerfungen würden wohl auch noch andere Abjchnitte, z. B. der über Thufydides, Anlaß geben, doch gebietet der Mangel an Raum, hier abzubrechen.

Gotha. J. Kaerst.

Apollonios de Rhodes et Virgile. La Mythologie et les Dieux . dans les Argonautiques et dans l’Eneide. Par H. de la Ville de Mirmont. Paris, Hachette & Cie. 1894. 778 ©.

H. de la Ville de Mirmont, der bereitd eine lÜberjegung der Argonautica des Apollonios von Rhodos veröffentlicht hat, ihentt und hier ein dicleibiged Bud (778 ©.!) über die „Mythologie und die Götter“ in Apolloniog’ Argonautica und in Virgil's Äneis. Für die Geſchichte der griediichen Religion (mann wird dag Wort Mythologie wenigitend aus gelehrten Unterſuchungen verſchwinden?) fommt bei den fleißigen Zufammenftellungen nicht daß mindeite heraus: jie fönnen nur als ein Beitrag zur Charafterijtif der beiden Dichter gelten, und es liegt aljo faum ein Grund vor, ſie in diefer Zeitjchrift zu beſprechen. Denn von hiftorifchen Gefichtspunften findet man feine Spur in dem ganzen Werke. Sofort dag erjte Kapitel, das Theogonie und Kosmologie behandelt, lehrt daS reihlid. Won den neueren Yorjchungen, don den Duellenunterfuhungen über Die Theogonieen hat der Bf. offenbar feine Kenntnis: er citirt Zeller's Geſchichte der Vhilofophie nach einer Überfegung aus dem Jahre 1877. Vie died eine Citat ſchon lehrt, hat das Bud, ein ſtark archaiſches Gepräge. Dean fann nur bedauern, daß foviel erniter Sammelfleiß, foviel warmes Intereſſe auf eine Arbeit verwandt iſt, die, in foldye Grenzen eingeengt und dabei jo weitichweifig angelegt, ergebnislos bleiben mußte. Weniger wäre ſehr viel mehr geweſen. Was nügen und die Zujammenjtellungen über die Götterthaten bei Apollonios und Birgit! Von einem innerlichen Verhältnis zu den Göttern, deren Eingreifen in die Geſchichte der Menſchen jie Ichildern, ift Apolloniod nody weiter entjernt als Birgil, deſſen Ddichterijche

80 Literaturbericht.

Geſtaltungskraft und deſſen Bedeutung der Vf. außerordentlich überſchätzt. Für den, welcher gelernt Hat, daß uns ſchon das ioniſche Epos eine Götterwelt en decadence darſtellt, und welcher weiß, wie dann der von den ionifhen Dichtern gefchaffene König der Götter, da8 Ideal eined Anakten der Heroenzeit, vielen echten Griechenherzen ferner fteht als die Gottheit manches Kleinen Kultus, die in einer dürftigen Kapelle, in einem einfamen Thal ein abgefchiedened, aber von ihren Frommen innig gepflegted Dajein friitet. der weiß aud), daß bei Apollonios und Virgil im weientlichen die Götter nur thun, was Jeder von ihnen feit der Blütezeit des ioniſchen Epos thun muß nad) dem Geſetz der ewigen Moira. Nicht weil Apollonios und Virgil Monotheiiten find, jpielt Zeus bei ihnen die große, vom Bf. auf fait 200 ©. bemefjene Rolle, jondern weil fie ihrem poetiſchen Vorbilde, dem Vater Homer folgen. Ich möchte alfo glauben, daß auch diejenigen, welche Apollonios und Virgil um ihrer felbit willen jtudiren und an ihnen Gefallen finden, aus diefem Buch nicht viel ded Neuen lernen werden Berlin. O. K.

Geſchichte der Erziehung. Bon K. A. Schmid, fortgeführt von G. Schmid. 4. Band, Abth. 1. Stuttgart, Cotta's Nachf. 1896. 18 M.

Die große, von dem unvergeßlichen K. A. Schmid begründete und von ſeinem Sohne G. Schmid in verdienſtlicher Mühewaltung fortgeführte Geſchichte der Erziehung ſchreitet langſam, aber ſtetig fort. Der vorliegende Band ſchildert die deutſche Bildungsarbeit während des Dreißigjährigen Krieges von Brügel, den norddeutſchen Pietismus von einem Ungenannten, den ſchwäbiſchen von G. Schmid und Gundert, den engliſchen Rationalismus von Schmid und Brügel und das franzöſiſche Bildungsweſen im 17. und 18. Jahrhundert von E. v. Sallwürk. Verfolgen wir die wichtigſten Erſcheinungen, ſo wird zuerſt die Schulreform Ernſt's von Gotha mit verdientem Nachs drud behandelt. Tie Gründlichfeit der Arbeit erhellt 3. B. aus der Anmerfung zu ©. 34 über den Methodus Reyher's und, was jehr zu Ihäßen, über die damaligen Schulbüder; exit die Neuzeit bat Die großen Berdienite dieſes Schulmannes anerfannt. Schon damals bes gegnen wir ©. 63 der Einrichtung einer Selefta über der Prima (vgl. über Halle S. 278), die fpäter durch Gleim's Stiftung auch dem Halberjtädter Gymnaſium gejchenft wurde, aber unter der Haft der Gegenwart und in ihrer Gier nad) raſchem Nuben gejchiwunden ift.

Geſchichte der Pädagogik. 81

An den frommen Herzog knüpft unmittelbar der große Seckendorff an, ein würdiges Bild des Einfluſſes, den ſo manche Staatsmänner Heiner Länder weit über deren Grenzen hinaus geübt haben. Das tragiihe Geſchick jeines Vaters ijt neuerdingd von R. Brode in den Jahrbb. der Erfurter Akademie 1896 Heft 22 ©. 113—155 muellen- mäßig geichildert. Es zeugt von der hohen Einſicht Seckendorff's, daB er auch die Erziehung des weiblichen Geſchlechts mit größerer Sorgfalt und doch in richtigen Grenzen fördern wollte; heute bildet man fich ein, dieſes Maß überjchreiten zu dürfen. Auch den Realien ſchenkte Sedendorff feine Theilnahme, nicht ohne Nachwirkung bei A. 9. Frande (S. 102). Die anonyme Darftellung des Halle'ſchen Pietismus zeigt großen Fleiß und meiſt richtiges Urtheil. Die Be— merfung S. 195: „Spener's Sohn ging übrigend von der Theologie zur Mathematik über, wurde 1710 Profeſſor in Halle, verfiel aber in tiefe Melancholie und fchied aus dem Amte 1718“ ſcheint auf einer Verwechſelung zu beruhen. Joh. Jak. Spener, der Sohn des großen Gottesgelehrten, war allerdings Mathematiker und als folher an der Halle'ſchen Nitterafademie tätig. von der er 1691 an die werdende Univerjität überging. Allein er ftarb ſchon in demfelben Jahre: vgl. dörjter, Überjiht der Geſch. d. Univ. zu Halle ©. 16; Editein, Ehronit der Friedrichs-Univ. S. 13; fo auch in den Alten. Sein Nach— ſolger auf dem mathematifchen Lehrituhl war Martin v. Oſtrowski, der aber 1692 nad Königsberg ging. Dann wurde das Zach neben er Durd den älteren Sperlette verjehen, bis es 1706 einen wür— digern Vertreter in Ehr. Wolff erhielt. Wie Spener, jo war aud Seckendorff, Flattich und die Schule von Port Royal gegen die Ver— wendung des Ehrgeizes bei der Erziehung; ebenſo ſpäter Böckh. Noch heut und immer gelten die Francke'ſchen Worte S. 216 von den drei hanptſachlichen Kindertugenden: Wahrhaftigkeit, Gehorſam und Fleiß. Die Verherrlichung der Fachklaſſen S. 249 wird heut wenig Zu— Hmmung finden; dieſe Einrichtung, welche noch im Anfang unſers Jahrhunderts an Berliner Gymnaſien beſtand, verträgt sich nicht mit dem Ziele einer harmonijchen Geijtesentwidlung, welche 3. A. Wolf und W. v. Humboldt ſchufen, nod auch mit der einheitlichen Ge— Kaltung des Lehrplans. Die Nachwirkung der Frande'ihen Pädu= gogik Hei Heder und ihre Umbildung durch H. U. Niemeyer wird hoffentlich fpäter gefchildert werden; der äſthetiſche und ſittliche ationalismus des Letztgenannten hat immerhin jeine Wurzel im ietismus. Sehr gelungen ift die Behandlung Bengel's durch dinoriſche geitſchrift R. 5. Bd. XLIII. 6

82 Riteraturberidht.

G. Sch., obſchon die Behauptung ©. 304, daß Bengel im Gegenjaß zu Francke geitanden, in diefer Kürze zu jchroff lautet. Den wiſſen⸗ ſchaftlichen, vielleicht aud, den ethifchen Mangel des Halle'ſchen Pie- tismus hat Bengel richtig beurtheilt; allein er befannte doc, erft in Halle eine febensvolle Glaubensgemeinde angefchaut zu haben, und umgefehrt mar srande dem Humanismus feineöweg3 fremd, wie enge auch manche feiner Unterrichtöregeln erfcheinen. Zreffend wird ©. 335 auf eine beſtimmte Ähnlichkeit Flattich's mit Herbart, ebenfo S. 339 auf den Unterfchied zwiſchen Beiden bingewiefen. Das ijt eben die von den Herbartianern nicht immer vermiedene Gefahr, daß die ftrenge Berwendung der Herbart’ichen Erfenntnigitufen zu einem Geiſteszwang ausartet, während jie nur ein Mittel neben dem individuellen Unters richte bilden ſollte. Lore, zu deilen Schilderung der Herausgeber eine lehrreiche Einleitung geliefert bat, jcheint mir ©. 367 an ſich überfhäßt zu fein; feine ftarfe Nachwirkung ift freilid) unleugbar. Er iſt klar wie alle Aufklärer, aber rein empirifch, nicht realiſtiſch, ohne Tiefe und Phantaſie, und treffend weiſt der Bf. ©. 397 Anm. auf jeinen und feiner Schule Grundirrthum Hin, der den Willen ſchlechthin von der BVerftandeserfenntni® abhängig madt. Petty's Bedeutung tritt erſt in der vorliegenden Darftellung ©. 343 ff. deut- lih hervor. Geiftvol und Har wird das franzöfiihe Bildungsweſen bis zur Revolution von Sallmürf ausgebreitet. Man fann jtreiten, ob Alles, was der verehrte Vf. beigebracht hat, für die nächſte Aufs gabe erforderlicd) war (die Aufzählung der verjchiedenen Liebeshändel der Frau dv. Waren3 hätten wir miflen können), aber in diefem Zus fanımenhange ijt daS Meifte werthvol. Gut wird ©.454 die Über: nahme des Öffentlichen Unterrichte in die Staatsverwaltung betont. Bu ©. 456 konnte erwähnt werden, daß PViger’3 Bud) de idiomatis Graecae dictionis dody nur durch Gottfr. Hermann’3 fcharffinnige Anmerfungen wiederbelebt, und daß Maimburg fpäter wegen feiner gallitanifhen Gefinnung zum Austritt aus der Geſellſchaft Jeſu ge- nöthigt wurde; vgl. Reuſch, Beiträge zur Geſchichte des Sefuiten- ordend ©. 73. Sehr zmedmäßig werden ©. 491 f. die Lehrpläne der Dratorianer, Jouvancy's und Rollin’8 tabellarifch zufammengeitellt und ©. 518 Anm. die Berwandtichaft Fenelon’3 mit den Rationalis⸗ mus aufgededt; feine Anfichten über Blut und Gehirn ald die Werk— itätten geiftiger Vorgänge würde man heute materialijtiih nennen. Wie gründlih und im Ganzen beifallswürdig auch Rouſſeau's Ent- widlung und Schriftitellerei dargeftellt wird, fo läßt jich doch am

Gefchichte der Pädagogik. 83

Schluß ein bündiged Urtheil über dad Bleibende und das Irrige in ihm vermifen. Zu abhängig von feinen Leidenfchaften, zu befangen in der Endlichkeit, zu baar der geichichtlichen Auffaffung, liebte er die Menfchheit weder fo lauter noch ſo hingebend, um Erziehungsregeln von reinem Werthe jchaffen zu können.

Darf ih mir zum Schluß eine befcheidene Warnung erlauben, jo jcheint mir, daß die zunehmende Ausführlichfeit des Geſammtwerks, welche ja bei der Vielheit der Mitarbeiter erklärlich ift, die Schärfe und Bündigkeit der Darftellung und fomit auch die Überfichtlichkeit beeinträchtigt. Died hat ſchon hin und wieder mehr zu jinnvollen Betrachtungen als zu abjchließenden Urtheilen geführt, die doch für die Leſerwelt unentbehrlich find. Die Gefahr liegt ja auf diejem Gebiete überhaupt nahe, daß aus einer Geſchichte der Erziehung eine Geſchichte der allgemeinen Geiftesbildung werde; ſchon der veremwigte Lor. Stein hat hierauf hingewiefen. Hier follte dies durch ſelbſt⸗ verleugnende Beſchränkung auf das eigentlih Pädagogiſche vermieden werden, wogegen den jeweiligen Schulzuftänden mehr nadjzugehen wäre. Die verjchiedenen Theorien nach Urjprung, Inhalt, Zuſammen⸗ bang bilden ja die Grundlage; dann gilt es aber, ihren Eınfluß auf die Schüler, deren Gedeihen noch von anderen Bedingungen abhängt, auf die Schulzucht, auf Beichaffenheit und Verbreitung der widtigiten Scdulbüder zu verfolgen. Des Pietiſten Joach. Lange medicina mentis wird ©. 301 gedacht; jeine vielaufgelegte lateinifhe Gram— matit finde ich nirgends erwähnt. Daß durch die Heranziehung des thatſächlichen Schullebend die Aufgabe erjchwert wird, ift unzmeifel- haft: die wichtigften Echulen find zu ſchildern, die anıtlihen Vor— Schriften und Urtheile zu durchforichen, auch der Stand des bürger: lihen und fittlihen Lebens in den einzelnen Zeiträumen mit Maß und Wahl zu vergleichen. Allein im Ganzen Halte ich dieſe Forderung für unerläßli, und in diefer Gegenitellung jcheint mir der vorliegende Band bei allem Reichthum feines Inhalts der Theorie zu viel und der Wirklichkeit zu wenig Raum verjtattet zu haben.

W. Schrader.

Geſchichte des deutihen Schulweſens im Umriß. Von €. Wohle. Sonderabdruck aus Rein's Handbuch der Pädagogik. Langenſalza 1896. 546 120M.

Die fleine Schrift bietet in fnapper Daritellung ein wefentlid treued Bild von der Entwidlung des deutichen Schulweſens; jie zeugt

6*®

= —— . - - - .. - .

84 Literaturbericht.

von Beleſenheit und unbefangener Auffaſſung, iſt alſo frei von de Einſeitigkeiten, zu denen der heutige Schulſtreit ſo leicht verleite Unbeſchadet der durch den Zweck des Geſammtwerkes gebotenen Kür; könnte ſie hie und da mehr bieten. So fehlen faſt durchweg d Angaben der gebräuchlichſten Lehrmittel: fir das ſpätere Mittelalt: durfte Alexander's Doctrinale und andrerſeits Murmellius nicht erwähnt bleiben, da ohne fie der damalige Unterrichtsſtand unverſtändli bleibt. Die Disputationen wurden an den Univerfitäten bi im 18. Jahrhundert hochgeſchätzt (gegen ©. 16b) und galten al® ei weſentliches Unterrichtsmittel, deſſen häufige Anwendung riedri Wilhelm I. jür Halle nahdrüdlid vorſchrieb. Daß dieſe Univerfiti gerade zur Vertretung der modernen Bildung gegründet fei (S. 29a ift zu viel gejagt; jo weit ging das Bewußtſein der regierende Kreife nicht. Die brandenburgifchen Nurfürjten wollten ihre Theologe und Juriſten don Rittenberg und Leipzig unabhängig machen un die neuerworbenen Landestheile auch geiltig ausrüjten; die Ne geltaltung der alademifchen Lehrweiſe ergab ji) dann aus der Eiger bewegung der Wiſſenſchaft. Die preußiiche Volksſchule im 18. Yahı hundert interfonfejjionell zu nennen (S. 36a), geht faum an und i eine aus dem heutigen Berwußtjein rückwärts gewandte Anfchauun: Sehr gut‘ iſt der allınähfiche Neuwuchs der Artiſtenfakultät entwideli überhaupt zeigen manche feinfinnige Bemerkungen (S. 16b über do Biel aller Bildung, S. 40b über den pädagogiihen Anhalt de wiedergeborenen Humanismus, über Art und Ziel des akademiſche Unterrits, über den Werth der Allgemeinbildung), daß der Herr V den geiltigen Kern der Thatſachen zu erfaflen veriteht.

Halle a. ©. W. Schrader.

Social Forces in German Literature. A Study in the Histor of Civilization by Kuno Franke, Ph. D. Assistant Professor of Germa Literature in Harvard University. New-York, Henry Holt & C 1896. XIU, 777 ©.

Diefe don einem Deutjchen für Amerikaner in feineöweg einförmigem Engliſch abgefaßte Geſchichte der deutſchen Literat wird im Heimatlande auch nicht bloß als „ein ſchwacher Ausdru unverbrüchlicher Treue und Anhänglichkeit an das Vaterland“ g würdigt werden, als den der Bf. fein Buch feinen in der Welt ve jtreuten Geſchwiſtern widmet. Sein Titel erjcheint zwar etwas fell ftändig gegenüber der hergebracht lehrmäßigen Form, wie darin m

86 Literaturbericht.

und zweitens die um ſie herum wirkenden politiſch-ſozialen Wandlungen zuſammenzufaſſen, treten in Francke's Buche mitunter nur allzudeutlich auseinander. Er kündigt den „neuen Idealismus in der geiſtlichen Literatur” ded 12. Jahrhunderts an, kommt aber nicht auf Clugny und Bernhard, nicht auf jene geiltlihe Dichtung in Deutichland, Die Kelle jeßt vollitändig in dieſem Zuſammenhang aufzufaflen gelehrt hat, fondern er abfolvirt nur das Penfun von Roland» und Ulerander- Lied. Er jtellt unter den Titel „Entſtehung der Mittelklaſſen“ welt- flüchtige Moyitiler, die im Verkehr der Seele mit Gott faum ihre joziale Stellung im Auge haben oder gar begründen helfen. Er be- richtet bei der „individualijtiihen Unterftrömung” gegen den Ab= ſolutismus in der Literatur des 17. Jahrhunderts nicht von den über- zeugten und erbitterten Gegnern der SHofliteratur, von Baltafar Schuppius bis Gabriel Wagner, nit von jelbjtändigem Pietismus und Realismus, fondern er muß die literarhiftoriihe Reihe von Fleming bis Gryphius und Weiſe vorführen.

Im einzelnen wird man dem Verfaſſer gern folgen und ihm oft die glückliche Überführung des alten heimiſchen Gedanken- und Em— pfindungsgutes in die neue fremde Welt danken. Die engliſche Sprache kommt hier auch gewöhnlich mehr entgegen, als die rein romaniſchen, beſonders die franzöſiſche. Storm and stress z. B. iſt wirklich der deutſche „Sturm und Drang“, orage et assaut faum. Ein private Berichtigung F.'s beweilt jedoch, wie leicht auch hier Die fremde Sprache von der heimischen Voritellung abbiegt in’8 Befondere, anderd Beitimmte Er nennt (auf ©. 511) Immermann's Merlin that mysterious son of Satan and the Holy Virgin und bat mit diefer Bezeichnung der hl. Jungfrau Candida, die der Seßerteufel nod in große Anfang3buchitaben fjeßte, ein horrendum im Sinne des Ffatholiihen Dogmas gejagt. Denn in der lingua anglica ift nur eine Jungfrau holy, die anderen müjjen ſich mit einem lateinischen saintly begnügen. In den Beurtheilungen werden einige gemwagte Analogien und ſeltſame Parallelen befremden. Die von einem ver= wandten alten Einliedler befehrte Buhlerin der Schuldramatikerin des Hochadelſtiftes Ganderdheim, Hrotswitha, hat dod; gar wenig mit der Ehebrecherin vor ihrem Gatten in einer Sardou’fihen grande scene gemein. Rüdiger, als „der Mar Riccolomini“, des Nibelungenliedeg, erwedt nach der Hauptjeite jeine® Charakters, der jchlichten, ftraffen Männlichkeit, eine unpaflende Vorſtellung. Wer wird fich bei dem opferfrohen Mädchen in „armen Heinrih“ gerade an Goethe's

88 Riteraturberidt.

Dem Bf. haftet eine heute leider nur allzu häufige Abhängigkeit von Schlagwörtern an, die dem Hiltorifer beſonders jchlecht anitehen, da jie jich zwifchen ihn und das Geweſene, Gewordene jchieben, das nicht mehr für ſich felbft jprechen fann. So hat es ihm auch be— ſonders dad Wort „individual“, „individualiftiih“ angethan, mit dem er offenbar fehr verichiedene Begriffe verbindet. Er fegt ihm mit Vorliebe (und leider auch mit der Autorität einflußreiher Spezial: biftorifer) das ſchöne Wort „Eollektiviftiich“ enigegen oder an die Seite, je nachdem die Beleuchtung für das eine oder andere oder beide günftig ausfällt. Ja, er ſpricht gleichmüthig von einer individual morality und einer collective morality. Da3 ift nun freilid ganz in der Art, mie gegenwärtig im Theater und Salon, in Romanen und Feuilletons mit den Wörtern egoiftifh und „altruiſtiſch“ ge— Hingelt wird, gleid) al3 wäre dag ganz gleihe Münze und lediglich Geſchmackſache, womit man zahlt. Früher nannte man un chat un chat et Rolet un fripon. Heute ijt er nur fein Altruift. Auch das Wort Pantheism hat für %. einen ſo ſchönen Klang, Daß er es jogar Sant in einer Reihe mit Herder (I), Fichte, Schelling nicht vor enthalten mag, Kant, dem gejchworenen Yeinde der metaphylifchen Weltkonitrultionen und dem unermüdlichen Beleudhter und rückſichts⸗ loſen Ausleger des doppelfinnigen Spinoza. An dem Eiſenkopf Zuther rühmt er die moral greatness des courage of inconsistency und zeigt dabei jehr deutlih, wie einem das Haften an den äußer- lichen Prägungen der heutigen „Sozialwiffenfchaft” den Blid für das innere Maß des Charakterd und damit die Erfenntnid des hiſtoriſchen Charakters trüben fann.

Münden. Karl Borinski.

Die Hefte der Germanen am Schwarzen Meere. Cine ethnologifche Unterfuhung von Dr. Richard Loewe. Halle, DM. Niemeyer. 1896. XII, 270 ©.

irgend Haben germanifhe Stämme der Völferwanderung in der Fremde ihre Sprade und Nationalität nachweislich fo lange bewahrt wie die Heinen Völkerreſte am Schwarzen Meere. Was davon überliefert iſt, jtellt Löwe nach dein VBorgange von Tomaſchek, Braun u. U. in genauer Sammlung und Prüfung aller z. Th. weit zeritreuten Nachrichten zujanımen, Hiſtoriſches und Sprachliches gleich ausführlich behandelnd. Es gelingt ihm auch, eine ergiebige Nach- lefe hijtorifcher Zeugniffe zu erbringen, und jeine außerordentlic)

% Riteraturberidht.

einander gefchieden und biß zu ihren lebten unjicheren Spuren ver- folgt werden. Wenn der Bf. die Nationalitätöfrage auch für fie in ganz nener Weife Löft, fo kann er fich dabei nicht auf die Über- lieferung, weder die bygantinifche noch die ruſſiſche, ftüßen, die hier immer nur Gothen nennt. Nur Ablavius (bei Sordan.) weiß noch von Herulern in den Sumpfniederungen der Mäotis. Die legte Ent- fheidung muß ſchließlich die Spradhe erbringen. Das Volabularium des Busbeck iſt bisher troß mandyen Sonderlichkeiten immer für gothiſch gehalten, wie ih glaube, mit Recht. Die furzen e, o, an denen 2. Anftoß nimmt, fommen auch im gothiſchen Runenalphabet und bei den Hiftoritern vor (vgl. Geberich, Euermud ’Eßor- uovF bei Kordan. Procop ꝛc.). Underes wird noch zu verfolgen jein. Aber wenn die Umwandlung von &, 5 zu i, ü, jo finguläre goth. Formen wie ada u. a. nur aus dem Gothifhen entlehnt fein follen, jo fragt man fi) doch: wenn hier lauter Heruler wohnten, wo denn die Gothen geblieben jind, die auf die Sprade der Heruler einen jo umgeitaltenden Einfluß augübten. Die entlegene furze Zeit ihrer benachbarten Siedelung reiht dazu unmöglich aus. Straßburg. R. Henning.

Monumenta Germaniae historica. Epistolarum tomi II pars II. Gregorii I Papae Registrum epistolarum, libri X—XIV, cum Appen- dicibus. Post Pauli Ewaldi obitum edidit Ludovicus M. Hartmann. Berolini apud Weidmannos. 1895. p. 233 —464. 8 M.

Der neue Band der Epistolae-Reihe führt dad Registrum Gre- gorü zu Ende; er enthält Buch 10—14, die Briefe vom September 599 bi8 zum März 604. Appendix I bringt dag Schreiben, durch welches der Diakon Gregorind am 28. Dezember 587 einem Kloſter jeine Schenkung madt, App. II das Schreiben Belagiuß’ II. an den Diakon Gregorius vom 4. Oftober 584 affe 1052, App. III die drei Briefe Pelagius' U. an die Biihöfe Iſtriens 585—586, Kaffe 1054—56, deren dritter vielleicht von Gregor fonzipirt ilt.

Bon dem neuen Bande gilt im allgemeinen, was vom Ref. über Pars I de8 2. Bandes gejagt worden ift (9. 3. 76, 110-111); insbefondere iſt die raſche Erledigung, die faubere jorgfältige Arbeit, die fenntnisreihe Kommentirung in vollem Maße anzuerkennen.

Aus den fleineren Ausjtellungen, die ji Net. notirt hat, mögen hier folgende herausgegriffen werden. Zu Ep. 11, 56a cap. 9, ©. 342 Note 24 behauptet der Herausgeber, Gregor’s Ausführungen werden

Mittelalter. 91

von Ecbertus Eboracensis (731—767) in Paenitent. III, 14 (Manſi XII c. 451) citirt. Das Citat gehört nicht Egbert an, jondern einem angelſächſiſchen Pſeudo-Egbert, der nad der Mitte des 9. Jahrhunderts fchreibt und, wie den größten Theil feines Buß- buches, jo auch das Kap. 3, 14 dem MWBönitential Halitgar’s (5, 17) entnimmt; welde unmittelbare Duelle Halitgar feinerjeits für das Stüd benupt bat, ift nicht nachzumweifen; vgl. Waflerfch- leben, Die Bußordnungen der abendländiichen Kirche (1851) ©. 43, 81, 331. Wie bier, fo gelangt der Herausgeber noch ein zweites Mal an der Hand einer unkritiichen Ausgabe zu irrthümlicher Auf: ftellung. Zu Ep. 13, 50, ©. 414, Note 1 heißt ed, die Inſkription der Nov. 123 (134) laute: ... Petro gloriosissimo magistro sacro- rum nostrorum officiorum. Dieje Aufſchrift findet jich nur in den interpolirten WUusgaben des Authenticum, abweichend von allen Handichriften und den älteren Ausgaben; in den fritifchen Editionen (Heimbach S. 1080, 1221, Schoell S. 593) fteht die Adreffe: Petro gloriosissimo praefecto praetorio, aljo genau Ddiefelbe, die Gregor S. 414, 19. 20) vor fi) gehabt hat. Zu dem Briefe 13, 50 ift ferner zu bemerfen: S. 414, 18. 19. hätte im Drud oder in einer Vote angedeutet werden follen, daß die Worte de sanctissimis .. znonachis ſich ebenfall3 mit den Authenticum (Rubrif der Nov. 123) decken; S. 414 Note 1 a. E.: wenn der Heraudgeber unter Be- xujung auf Savigny ſich der Annahme zuneigt, Gregor Habe die Nov. 123 aus dem Authenticum gejhöpit, jo iſt dem gegenüber, unter Hinweis 3.3. auf Krüger, Geſchichte der Quellen und Lit. des Röm. Rechts (1888) ©. 356 fg., zu betonen, daß nad) dem jebigen Stande unferes Wiſſens über das Alter des Authenticum gar nichts feititebt, al3 daß es zwifchen 556 und ca. 1100 verfaßt ijt: fein Autor kann ſehr wohl alte Überjegungen einzelner Novellen über: nommen haben; „gerade der Brief Gregor's d. Gr. jpricht entjchieden dafür, daß jeiner Zeit dad Authenticum noch nicht vorhanden war, \onft Hätte er, nicht für eine andere Novelle (Nov. 90 c. 9) eine von dem Authenticum verjchiedene liberjegung geben fönnen“ (Krüger a. a. D.); ©. 416, 18 item post pauca: fo lieſt die Handſchriftenklaſſe R, o dagegen item post multa; o verdient ent- Idieden den Vorzug, da zwiihen Nov. 123 c. 3 und c. 22 etwa vier volle Spalten der enggedrudten Shöll’fhen Ausgabe liegen; S. 417, 11. 12 Modestinius: jo werden wohl alle Handjcriften des Herausgebers den Namen des Pandektenjuriſten Modeſtinus

92 Riteraturbericht.

Ihreiben; die Lesart hätte aber gegen den Verdacht eined Drud: tehler8!) durch eine Note im Apparat gefichert werden follen; ob nicht Gregor felbjt die richtige Namendform gefegt habe, fann man allerding® dahingeitellt jein laſſen; S. 417 Note 3: Nov. 90 c.9 = Juliani Epit. 83 c. 7 hat bei Gregor die Kapitelzahl XVI; da nun in einer Handichrift der Epitome Julian's unfer Stüd ala c. VI erfdeint, fo meint der Herausgeber, Gregor's Ziffer XVI jtimme mit diefer Handichrift überein (cum hoc codice concordat), was eine jehr kühne Behauptung it; ©. 418, 4. 5: quod contra leges actum est, firmitatem non habeat, vgl. E. Juſt. 1,14, 5,1 oder 1, 2,14,4 i. f. Zu Ep. 10, 1 i. f, 12, 14 imit.; 11, 58 i. £. wären die von Conrat herangezogenen Stellen des Corpus iuris (Nov. 131 c. 13; ©. Juſt. 3, 1, 16) zu notiren geweſen. Die Sprade Gregor’ ift von Neminiscenzen wie aus der Bibel, fo aus dem Suftinianiihen Rechtsbuche mannigfach durchſetzt, vgl. z. B. Ep. 11, 53 ©. 328, 6: ut unius poena multorum possit esse correctio mit &. Juſt. 9, 27, 1: ut unius poena metus possit esse multorum. Ctörender Drudiehler ©. 367, 15 : 603 ftatt 602. Berlin. E. Seckel.

Staatsmänner und Seichichtichreiber des 19. Jahrhunderts. Ausgewählte Bilder. Bon Ottofar Lorenz. Berlin, W. Hertz. 1896. 360 ©.

Lorenz hat hier ältere und neuere Aufzeichnungen zur Geſchichte des 19. Jahrhunderts zu einem Buche vereinigt, deifen größter Beſtand— theil vorzugsweiſe, wenn nicht ausfchliegli nur jür Lejer geeignet ift, die mitten innejtehen in der Bejchäftigung mit den nıannigfaltigen Publikationen von Briefen, Reden, Erinnerungen der politifchen und politifirenden Männer diejes Jahrhunderte. So mander Cap läßt un? aufitehen, den einen und anderen Band aus den Repoiitorien

) Die Vermuthung eines Verſehens liegt nahe für Jeden, dem feines der Manujfripte zur Hand ijt (Ref. hat Cod. Berolin. theol. 322 saec. X, o*2 der Ausgabe, verglihen); der Verdacht drängt fit) umjomehr auf, als Mommſen zu Tig. 48, 4, 7 auf Grund von drei Handſchriften saec. IX, X und Bawdi Vesme in den Atti della R. Accademia delle Scienze di Torino 5 (1869/70), 249. 252. 256 auf Grund von 14 Handicriften Modestinus druden; alfo ift entweder die Überlieferung nicht fo einftimmig, wie es nad) dem Apparate des Registrum ſcheinen fünnte, oder aber haben Mommfen (bezw. fein Gewährsmann Krüger) und Baudi fich verlefen bezm. die handichriitliche Lesart ſtillſchweigend geändert.

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nehmen und nun nadjlejen, worauf 2. anjpielt, oder worüber er jeine bisweilen überraſchenden Bemerkungen madt. Da wird e3 nicht jelten vorfommen, daß man weiter lieft und zunächſt von dem Buche jelbit ganz abfonımt. So iſt ed mir bei mehreren Artikeln ergangen. L. regt bier an, aber er hält und nicht feit. Er jpricht über die Dinge und Perſonen, über das, was fie gethan und gejchrieben haben und mas über fie von Publiziften und Gejchichtichreibern geurtheilt worden iſt; er fpricht al3 ein in jeltenen Maße Kundiger und ermwedt die Vorjtellung, daß ihm nicht bloß vertraut it, was durd) den Druck zugänglich gemacht ift, fondern noch weit mehr durch Studium un: edirter Ucten und Mittheilungen hervorragender Staatdmänner. Er ipricht dabei in der Form ruhiger hiſtoriſcher Erwägung und in geilt- reiher Weile aber troß alledem befriedigt er nicht, wenigſtens nicht in den Artikeln der vier eriten großen Abjchnitte: Metternid), Friedrich Wilhelm IV., Aus der öjterreihiichen Revolutionszeit, Sächſiſche Erinnerungen, welche die S. 1—241 füllen, und auch nidht in mandyen Artifeln oder Teilen der beiden letzten Abſchnitte Julius Fräöbel (5) und Charafterjfizzen (6).

Er gibt, meilt im Anſchluß an andere Bücher Betrachtungen, die jih in Stil des Recenjenten oder Referenten bervegen und den Leſer nöthigen, fi) das Bild der Zeit, dad den Hintergrund bildet und erit das rechte Verſtändnis ermöglicht, immer wieder ſelbſt zu ſchaffen und Binzuzudenfen. Das ermüdet, mehr aber nod) jtört, daß X. ich nicht jelten in Urtheilen gefällt, die wohl auffallen, aber nicht überzeugen.

Dahin rechne ich vor allem die wiederholten abichägigen, ja geradezu verädtlihen Benterfungen über Sybel’3 Begründung des deutichen Reiche. Er benuße jede Gelegenheit, jagt L. S. 135 Ylnnı.; um gegen dies Werf zu polemijiren, aber eine Begründung des Tadels findet fich nicht, wenigitens feine Begründung, Die über eine furze Bemerkung hinausginge.

S. 118 wird Sybel getadelt, daß cr die irrige Voritellung, zur Zeit von Olmütz jei die öſterreichiſche Armee der preußiichen über: legen gewejen, gedantento8 wiederholt und „es nicht für nothwendig erachtet habe, die leiſeſte Kenntnis der wirklichen Zuftände Literreichs in damaliger Zeit fi) zu erwerben.“ TDTamit gibt er, gelinde gejagt, ein falſches Bild von Sybel’3 Taritellung. „Man hat oft Die Frage verhandelt”, jchreibt Sybel an der entiprehenden Stelle 2, 677, „ob Stodhaujen Recht gehabt in der Behauptung, daß Preußen dem Kampie gegen feine zahlreihen Gegner nicht gewachſen geweſen wäre. “Bei der

94 Riteraturberidt.

Begeifterung der preußifchen Truppen und der meuteriihen Gefinnung der Honveds, welche einen großen Theil des Biterreihifchen Heeres bildeten, ließe fich denken, Preußen hätte im erften Anfturm den Gegner geworfen. Aber auch dies einmal angenommen, bleibt immer die Frage beitehen, ob denn der Sieg jo zermalmend ausgefallen und die militärifche und diplomatifche Führung jo energifch und aus— giebig aufgetreten wäre, um nach wenigen Wochen den Frieden zu diftiren.“ Er erinnert dann an König Friedrich Wilhelm's IV. eigen artige Stellung zu diefem Konflikt, die eine Friegerifche Aktion gegen Dfterreih von vornherein lähmen mußte. „Sehr bald nah Olmütz fagte er zu dem engliihen Geſandten Grafen Weitmoreland ... das größte Glück bei der Übereinkunft fei, daß dadurd) ein Sieg Preußens über Diterreich verhindert worden, welcher bei der inneren Zerriffenheit Oſterreichs unvermeidlih gewefen.“ Mag man im übrigen Sybel's Darftellung loben oder tadeln, unbegreiflich erjcheint e8 doch, daß 2. diefem Sabe gegenüber jagen kann, Sybel habe die Macht Öfterreich8 überfchäßt, fi) von den Rodomontaden der Schtvar- zenberg und Genoſſen imponiren laufen. Unbegreiflid) wäre ed, wenn man fich nicht erinnerte, daB die berüchtigte rabies theologorum zur Beit ſich der Hiltorifer bemächtigt Hat, und daß Kraft und Kunſt mißbraudt wird, um die Mängel, die nothwendig jeder größeren Darftellung anhaften, fo einfeitig zu betonen, daß darüber ganz ver- gefjen wird, mas geleiltet iſt.

Solch ein grundlofer Angriff liegt auch in der Behauptung, Sybel's Methode beftehe darin, nur die Alten ald Duelle gelten zu laflen und Memoiren, Privatbriefe und andere fonfidentielle Auße⸗ rungen zu verwerfen. Auch Fürſt Bismarck wird S. 255 herbeigeholt, um den Werth der konfidentiellen Papiere zu verſichern, damit der Schatten des großen Staatsmannes die Methode Sybel's recht in Naht und Dunkel drüde. Bedarf es wirklich ſolchen Zeugniſſes, um eine jo felbjtverftändlihde Sache zu ermweifen? oder hat Sybel an irgend einer Stelle das Gegentheil behauptet? In Sybel überwog der Huge Mann vielleicht noch den Gelehrten, und im bejonderen hatte er auf dem Gebiete der Alten und Protofolle jo reihe Erfah- rung wie Wenige; er hatte an fo mannigfaltigen und jo großen ®e- ſchäften Antheil gehabt, jo oft erfahren, daß in die Akten das Befte nicht hineingefchrieben wird, jondern nur, was für die Ausführung bzw. für die Bekanntgabe von Bedeutung oder nothwendig erſcheint: zu So thörichten Gedanken und Methoden, wie tie ihm bier

19. Jahrhundert. 95

zugeichoben werden, funnte er ſich gar nicht verirren, und einen derartigen Belehrung hätte er am menigiten bedurft. Wenn er in den Vorwort des 1. Bandes als Quellen nur die Alten nennt, die er benuben durfte, und erſt in dem Vorwort des 6. Bandes, tür den die Alten verjagt wurden, die Erinnerungen, Storreipondenzen, gedrudte und nicht ge- drudte Selbitbiographien der Handelnden, fo iit das fein Beweis für eine Geringihägung fonfidentieller Nachrichten. Es gejchieht, weil die Alten natürlich die erſten und wichtigiten Quellen bilden, aus denen dad Gerüft des hiſtoriſchen Gebäudes aufgejührt wird, zugleid) die erite Hülfe zur Kritik der in den ftreitenden Memoiren und Briefen vertretenen Auffafjungen. Bor allen aber: diefe Memoirenliteratur war großentheils allgemein zugänglich, die Alten zu benugen, war Sybel durch befondere Gunft der Verhältnifje zum erften Male und vermuthlich für lange Zeit allein erlaubt.

Auch die Darſtellung Sybel's jelbit liefert fein Zeugnis für dieje irrige methodijche Unficht, und überdies hat und V. v. Unruh erzählt, daß e3 Sybel war, der ihn zur Ausarbeitung feiner Erinnerungen ermunterte.

Ehe 2. ein ſolches Urtheil ausſprach, hätte er für wichtige Punkte nachweifen müfjen, daß Sybel zu Unrecht den Akten folgte und die Belehrung verihmähte, die aus der anderen Gruppe von Quellen zu gewinnen war. Das Hat er nicht gethan, und fo hat fein Tadel jetzt kaum einen anderen Werth, al® daß wir die Überzeugung ges mwinnen, daß 2. in dem Bude Sybel’3 vieles vermißt, was er nod) in der Erinnerung bewahrt oder wovon in den Memoiren und Briefen Anderer Nachrichten erhalten find. Das kann id ihm nachfühlen, und ©. 317 berührt er einen entjchiedenen Mangel des Sybel’jchen Werfed. Er erinnert daran, daß es in den Sahren 1860—66 viele Leute gegeben hat, „welche gemeint haben, daß die deutjche Frage nur durch eine nochmalige revolutionäre Erhebung gelöft werden würde und fönne, und die wahre Gejhichtichreibung wird die Verdienſte des Fürſten Bismarck vielmehr darin erbliden müſſen, daß er Deutfch- land vor diejer Revolution bewahrte. Jedenfalls ijt in den erjten ſechziger Jahren der Glaube an cine deutiche Revolution viel ver- breiteter geweſen und erjtredte jich in viel höhere Regionen, al& eine lahme Geſchichtsklitterung heute zugeitehen möchte.“ Unter dieſer Rubrik der Lahmen iſt natürlich zunächit wieder Sybel veritanden aber wo bemüht ſich denn Eybel, jenen Glauben zu befämpfen ?

Richtig iſt allerdings, daß von der Erregung des deutjchen Volkes, von der Bedeutung, die jie für die Entwidlung der Tinge hatte, bei

96 Literaturbericht.

Sybel zu wenig zu finden iſt. Ich habe nur nöthig, meine perſönlichen Erinnerungen wachzurufen, um das zu begründen. Ich habe den Winter 1863/64, da die ſchleswig-holſtein'ſche Frage von neuem in Fluß kam, in Göttingen erlebt und erinnere mich lebhaft der Bürger- und Studentenverfammlungen, der Stimmung und der Vorbereitung für den Strieg, von dem man hoffte, daß er auch die Bundestags«- mifere beenden werde. Lange babe ich eine Anfrage bewahrt, Die ein Hamburger Komitee verjandte, auf wieviel Mann Zuzug es für den Fall des Losbruchd rechnen fünne. Bejonderd trat hervor, wie die Erinnerungen von 1848 bis 51 nachwirften. Man ererzirte und übte ſich im Schießen, aber ed war ausgeiprocdhen, daß man fein Freicorps bilden wolle. Das Schidjal der Turner: und Studenten- {har in dem Gefecht von Bau, die Tradition, daß fie von den regu- lären Truppen abjichtlic) preißgegeben jei, warnte davor. Man hoffte, daß einer der Mitteljtaaten die deutihe Frage zugleih mit der Rettung Schleswig-Holſteins auf die Fahne jchreiben werde, und wollte in die unter folcher Führung gebildete deutiche Armee cingereiht werden.

Eine große Studentenverjamnmlung, deren Verlauf durch einen fomifhen Zwiſchenfall jedem Theilnehmer unvergeßlid wurde, lehnte es auch ab, eine Adrefje an den Herzog von Auguſtenburg zu erlajien, weil nıan ihn zu wenig fenne und nicht wifle, ob man ſich fchledht- bin an feine Bolitif binden dürfe. Diefe Erwägung ift befonders harakteriftifch Fir die Nüchternheit, die troß aller Begeijterung auch in der alademiihen Jugend und den verwandten Rreife herrichte, und Ddieje Ruhe ijt wie dag Urtheil über Freiſcharen als der Ertrag der politifchen Nothjahre anzujehen, ald der Niederjchlag des Schmerzes, den diefe Jugend mit ihren Eltern erlebt hatte. Denn die Bewegung war an Sich fehr itarf, fo ſehr, daß auch die mit dem dänifchgejinnten Hofe in Hannover Tiebäugelnde Gruppe der Studenten dem Strome zunächſt folgen mußte. In der Landesverfanmlung, welde dann Ende 1863 oder Anfang 1864 in Hannover gehalten wurde, hätte der Hiftorifer Georg Waiß beinahe gegen jeinen Willen den Anlaß zu einer Demonftration gegeben, deren Folgen nicht abzujehen waren. Er begann einen Saß mit den Worten: Wie gerne zögen wir vor's Schloß... und wurde alsbald dur die ftürmifchen Rufe unters broden: Vor's Schloß! Bord Schloß! Er blieb aber ruhig und bändigte mit feiner Autorität die Verfammlung, jo daß er fortfahren fonnte, um dem Könige zu danken, mwenn feine Politik die Sache Schleswig-Holſteins unterjtügte. Man braucht nur irgend eine Zeitung

98 Literaturbericht.

In dem Abſchnitt über Metternich gibt L. eine Charakteriftik der nachgelaſſenen Papiere, wie fie ähnlich etwa Heigel gegeben bat (Eſſays 1892); auch da3 Gejammturtheil über Metternich weicht von den neucren Daritellern nicht jo weit ab, ald man nad) mandıen polemifchen Bemerkungen glauben möchte. Darum find diefe Abſchnitte aber doch recht nüblid zu leſen, denn fie ruhen auf felbftändiger Forſchung. Eben deshalb aber wende ich mid) gegen einige Be— merkungen, die mir unrichtig fcheinen. Nah S. 16 hätte Gerpinus Metternich wie einen ſchwachen Kopf behandelt. Ob der Ausdruck in der Geſchichte des 19. Jahrhunderts wirklich irgendwo begegnet, ohne daß er au8drüdlich auf gewiſſe Seiten oder Vorgänge beſchränkt wird, weiß ih nicht, aber es fehlt bei Gervinus nicht an Stellen, die da verbieten, ihm jo allgemein dieſe Charafteriftif zuzufchreiben. Sie paßt nicht einmal auf die bejonderd harte Stelle 1, 178, wo Gervinus neben der überſchwänglichen Schäßung der Einen die fühle Beurtheilung Anderer erwähnt, die da vorausfagten, „cd würden durch jeine (Metternichs) Winfelzüge und Kniffe, wie durch feine Mittelmäßigfeit und feinen Leichtjinn die erwarteten guten Früchte des (Wiener) Kon⸗ greſſes verjcherzt werden“. Einmal madır ſich Gervinus dies Urtheil doch nicht fchlechtiveg zu eigen, und dann läßt dies Urtheil ſelbſt durch⸗ aus noch die Möglichkeit offen, Mettenih als den Pirtuofen der Politit der Heinen Mittel zu fafjen, der er war. Nun nehme man aber etiwa die Nußerung von Gervinus 1, 299 Hinzu, wo er Metternich mit den auf den vorhergehenden Seiten charafterifirten Vertretern Preußens, Hardenberg und Humboldt vergleiht: „Ganz anders umfichtig und nach einem wohlerwogenen Intereſſe handelte Metternich für Djter: reich.“ Hält da Gervinus Metternich für einen Schwachen Stopf? Für was müßte er dann Hardenberg und Humbold gehalten haben ? Nicht richtiger il, wa8 L. hier von Treitſchke's Charafteriftif fagt; denn der ift Doch vor allen Anderen gemeint, wenn 2. tadelt, daß „jüngit ein defla= matoriiher Ton angeschlagen wurde, um Metternich als das verkörperte Princip aller nationalen Schmach zu bezeichnen. Es ift eine wenig em= pfehlengwerthe Methode, die Gejchichte jo zu behandeln, wie Marquis Poſa Theater ſpielt.“ So hat Treitichfe Metternich nicht beyandelt, auch nit auf jenen Geiten 2, 486—490, auf denen er Metternid’3 Haltung gegenüber dem preußifchen Zollgejeg und dem Verfaffungd= plan Hardenberg's jhildert und verfpottet. Daß Metternich öſterreichiſche Intereſſen zu vertreten hatte, daS hat Treitichfe nicht überfehen. Sreilih betont cr, daB Metternich nichts ahnte von den fittlichen

100 Literauurbericht.

gelegentliche Bemerkungen, für deren beſſeres Verſtändnis der Vf. leicht hätte beſſer ſorgen können, aber ſie enthalten doch wichtige Beiträge zu der Memoirenliteratur. Am höchſten ſchätze ich die beiden letzten, über Herzog Ernſt und Guſtav Freytag. Staunen und Zweifel wird es erregen, daß L. S. 308 nachdrücklich betont, Herzog Ernſt habe ſeine Denkwürdigkeiten durchaus ſelbſt ausgearbeitet, und S. 142 Anm. ſagt: „Ich nehme davon Gelegenheit, meine gänzliche Abweichung von den Anſichten und Urtheilen dieſes Werkes (des Herzogs: Aus meinem Leben und meiner Zeit) ausdrücklich hervorzuheben.“ Genauer ſollte es wohl heißen, von manchen Anſichten und Urtheilen; denn im ganzen iſt L. ein entſchiedener Anhänger der Richtung des Kreiſes, deſſen fürſtlicher Patron Herzog Ernſt war. Mit vollem Recht betont er S. 313 ff. die politiſche Bedeutung der Militärkonvention, welche der Herzog 1861 mit Preußen abſchloß am 30. Juli 1861 nahm ſie der vereinigte Landtag von Koburg-Gotha an und tadelt (S. 326) Sybel, daß er ſie nicht einmal erwähne. Der Artilel über Freytag iſt reich an glücklichen Schilderungen und wichtigen Beobachtungen. Sie erwecken das Verlangen, daß doch L. nicht verſäumen möge, über manche Geſchäſfte und Vorgänge, an denen er theil Hatte oder über die er aus privaten Mittheilungen Kunde bes figt, Aufzeichnungen zu machen, wie jie etwa in Unruh's Eriune⸗ rungen vorliegen. Ich richte ſolche Aufforderungen an viele Berjonen tie ich mich jelbjt dazu ermuntere; denn den Gedanken, den 2. wieder: holt betont, er fenne ich außvielfältiger Erfahrung als durchaus richtig an, daß die Akten eine Ergänzung durch private Aufzeichnung fordern. Tas große Jahrhundert unjeres Volkes neigt fich zu Ende. Die Generation jtirbt dahin, die es bald jubelnd, bald trauernd durd)- lebte: jorgen wir für Beiträge zu einer wahren Erkenutnis jeiner Geſchichte. Tazu fünnen aber nicht nur die beitragen, die Bezieh- ungen zu Diplomaten und hohen Beninten hatten oder felbit eine politiide Rolle jpielten: jeder Geſchäftsmann, jeder Schulmanı, jeder Forſtmann, jeder Richter u. |. w. kann dur nücdhterne Aufzeich— nung von einzelnen darafteriftiifhen Vorgängen in feiner Thätigfeit wichtige Beiträge zur Geſchichte der Gefellichaft und in befonderen der Umbildung unferer Verwaltung, der Veränderung ihres Geiſtes wefentlich beitragen. Die Geſchichte der Schulverfafjung in Preußen 3. B., oder die der Verwaltung der Reichslande, die Wirkſamkeit unferer militäriihen Einrichtungen u. ſ. w. ift aus den Aften allein gewiß nicht zu jchreiben. Breslau. G. Kaufmann.

19. Jahrhundert. , 101

Aus den Briefen des Grafen Prokeſch v. Oſten (1849—1855). Wien, (Seroſd's Sohn. 189%. VIL, 472 ©

Bon dem gelchrten, liebenswürdigen und chreufeften Grafen Pro: keſch v. Djten, der Literreihh vom März 1849 bis Ende 1852 in Verlin vertrat und dann bis gegen Ende 1855 ald Ofterreich® Geſandter Die Verhandlungen de3 Bundestags leitete, erhalten wir hier einen ſtattl ĩ chen Band Briefe und Berichte aus diefer ſchweren Zeit. Die meiten find an den Minifterialpräfidenten Fürſten Felix Schwarzen: berg amd an deſſen Nachfolger, den Grafen Buol-:Schauenftein, ges richtet; dazu kommen Briefe an andere in den Geſchäften ſtehende Perſ Snlickeiten und an feine Fran. Prokeſch hat in Berlin eine be— denterzde Rolle gefpielt, als cin geſchicktes Organ der Politik des Für ſt en Schwarzenberg, und auch für die Charakteriftit des Königs und ſeiner Miniſter und anderer einflußreicher Perſonen finden ſich will kommene Beiträge. So in dem Briefe vom 28. November 1849 E. 104, der da beginnt: „Bier gibt es feinen König und fein Minis ſſerium; es gibt nur Radowitz, Camphauſen und Beckerath.“ Auch über andere Verhältniſſe hören wir, fo in dem Briefe vom 5. Sep— tember 1849, in dem er den Fürſten Schwarzenberg über ein Ge— ſpräch mit Perfigny berichtet, der die Berliner Regierung fondiren jollte über die Aufnahme, die dort der Übergang der Republif zum Laiſerthum finden werde (S. 89).

Ein ganz beſonderes Sntereffe erregen dunn die Berichte aus der Fraukfurter Zeit, weil fie ung die in Bismarck's Berichten ge: ihildenten BZujtände und Kämpfe nun von dem entgegengeſeßten Standpunkte aus betrachten laſſen. Darum trägt dad Bud) auch das Motto: Audiatur et altera pars.

Un Neichthun des Inhalts, Klarheit und Schärfe ftehen Diele Berichte hinter Bismarck's Berichten erheblid) zurüd; aber das ſchließt noch feinen Tadel ein; fie zeigen den Bf. doch als einen hochgebildeten, seihäftsfundigen und eifrigen Mann. Die Nichtigkeit des gejellichait: lihen Treiben in den bundestäglichen Kreifen beklagt er mehrfach ähnlid wie Bigmard, und auch für die Haltung der Mittelitaaten hat er öfter ähnlichen Spott. Co fagt cr ©. 381 (1854), fie hätten ſich wie Rheinbündler benommen, und kurz vorber (15. Juni 1854) ichreibt er ©. 376 f.: „Die Bamberger Gefandten fcheinen über das Berk ihrer Regierungen verlegen. Hannover, beide Hejjen und Baden ftagen über Bayern und Sachſen und find beeifert, die Schuld von jich abzuwälzen.“

102 .Literaturbericht.

Sein politiſcher Standpunkt war die Politik Metternich's und Schwarzenberg's. Daß eine neue Zeit angebrochen war, daß man mit Schelten über Revolution und über Demagogen die Forderungen einer Nation nicht beſeitigen konnte, das ſah er nicht ein. Man merkt denn auch, daß ihn mehr und mehr das Gefühl beſchlich, einen ver: lorenen Poſten zu vertbeidigen.

Über fein Verhältnis zu Bismard äußert er ſich wechjelnd. Mehrfady betont er, daß Bismarck gute Formen und gute Bezieh- ungen pflege. Über die preußifche Politik urtheilt er aber gleichzeitig auf eine fo fchroffe Weife, daß dadurch die Charakteriſtik feines Auf- tretend in Bismard’d Berichten eine erhebliche Beltätigung gewinnt.

„Daß die Angriffe Preußens auf die Stellung Ofterreih8 am Bunde fein Ende nehmen werden, bis die Parität im Umfange der zu Dresden geitellten Verlangen erreicht oder alle Hoffnung darauf ver- loren ift, darüber ift wohl fein Zweifel. Die täglichen Pladereien fönnen daher nicht überrafdyen. Sie könnten zwar weniger gemeiner Natur fein, doch das iſt Geſchmacksſache“ (S. 311). Das ijt ein böjes Wort, da8 auf das Urtheil ded vornehmen Herrn ein bedenkliches Licht wirft. Diefe „gemeinen Pladereien“ waren nicht® anderes als Forderungen, eine gewiſſe Ordnung in den Geſchäften einzuführen und gewilje zur Gewohnheit gewordene Mißbräuche abzujtellen, jodann die Uln:Raftatter Feftungsbaufache u. a., worauf eine ſolche Charakteritif des Übermuths wahrlid) nicht vaßt. (Vgl. Poſchinger, Preußen im Bundestage 1, 214 fj. 287 und fonft. Über die Preußiſche Politik ſchreibt Prokeſch ähnlich am 12. Juli 1853: „außer Neid gegen Öſterreich iſt dort (in Berlin) nichts thätig“ (S. 323), und am 10. Oftober 1854 (S. 397): „Wie weit der Dünkel, die Verblendung, der Hab und Neid und das Schlechte Gewiflen führen können, ift . . . fchwer zu beſtimmen.“ Und nod härtere Stellen finden ſich über das Preußen unter König Friedrich Wilhelm IV., der jich von den Feſſeln der Pietät nicht be- freien konnte, durch die er ſich an ſterreich gebunden fühlte und durh dieſe Rückſichten von der Verfolgung einer rein preußiſchen Intereffenpolitif zurüdhalten lieg. Bolle Anerkennung findet unter den preußifchen Miniftern nur Herr dv. Weitphalen (S. 323). Recht beachtenswerth ijt aud) die Unterftügung, die Prokeſch den nltramon— tanen Beftrebungen gewährte. (Vgl. ©. 323 u. 345 ff.)

Im ganzen bat man aud hier dag Gefühl, daß in Profefch der Gelehrte und der Kavalier bedeutender waren ald der StaatSmann.

G. Kaufmann.

Köln. 108

Inventare hanfifcher Archive des 16. Jahrhunderts, herausgegeben vom Verein für hanſiſche Geſchichte Bd. 1: Kölner Inventar. Bd. 1: 1531 bis 1571. Bearbeitet von R. Höhlbaum unter Mitwirtung von H. Keuſſen. Hit einem Attenanhang. Leipzig, Dunder & Humblot. 1896. XVII, WS. 22M.

Mit dem hier vorliegenden Bande veröffentlicht der Hanf. Geſch.⸗

Verein eine neue Reihe feiner Publikationen ; jie fließt ſich an die von D. Schäfer bearbeitete 3. Ubtheilung der Hanferecefje an und fol einen Überblid geben über die für die hanſiſche Geſchichtsforſchung des 16. Jahrhunderts vorzüglich in Betracht kommenden Beftände deut ſcher Archive. Der Anfang ijt hier mit Köln gemacht, auf einen 2. ST ölner Band fol Braunfchweig folgen; für Danzig ift ein In⸗ ven tar in Borbereitung, für Lübed eined in Ausfiht genommen. Üe äußere Form der Berdffentlihung ift die der Regeſten; der vors egende Band enthält deren nicht weniger als 3770. Zugleich aber ſin D eine anſehnliche Reihe von Aktenſtücken, die 300 Seiten des Daradez füllen, ganz oder in ausführlicher Inhaltsangabe abgedruckt. derner jind, was fi) bei den meiſten ähnlichen ausländifchen Pu— blikationen nicht findet, eine Anzahl von Anmerkungen hinzugefügt, die neben fritifchen Bemerkungen zahlreiche dankenswerthe Literatur: nachweiſe enthalten. Die ganze Publifation macht den Eindrud einer Äußerjt gewiljenhaften archivaliſchen Arbeit, für die, wie dem Verein, jo namentlich den Bearbeitern hohe Anerkennung gebührt. Im Ganzen tellt dad Werk eine der wichtigſten Altenpublifationen des 16. Jahr⸗ bundert3 dar.

inhaltlich bietet diefer Band eine ſolche Fülle von Stoff, von

Bereicherung unjerer Kenntnijje, daß ed unmöglich ijt, in einer furzen Anzeige Alles nach Gebühr zu würdigen. Die 40 Jahre, die diejer Band umfaßt, zeigen ung die Hanfe in einem fteten Kampf, nicht mit Wehr und Waffen, jondern mit Papier und Privilegien, mit Öe- fandtichaften in’3 In- und Ausland, mit Verhandlungen und Ber: trägen. Es war eine ſchwere Zeit für die Hanje. Der Anfang des Inventars reicht noch hinein in die Wullenweber’fhen Wirren, den lübifch-dänifchen Krieg, die letzte friegeriihe Erhebung der Hanſe „gegen die jelbjtändig ji) emiporhebenden Reiche ded Nordens“. Bon allen Seiten dringt e3 feitdem auf die Hanje ein; neue wirth- Schaftliche Unfchauungen, von jungaufitrebenden Staaten getragen, im Verein mit politiiden Neubildungen an den Grenzen des Reichs er- ihüttern den alten Bund bis auf's innerjite Marl. Die ruſſiſche und

104 Literaturbericht.

ſchwediſche Gefahr, namentlich aber die livländiſche Frage iſt ein ſtehender Artikel der Hanſetage. England emanzipirt ſich entſchieden und ſich ſeines Zieles mehr und mehr bewußt werdend von der Hanſe; auch im Weſten bedroht ſie der heraufziehende ſpaniſch-nieder⸗ ländiſche Konflikt, wenn er auch zunächſt in ſeiner vollen Bedeutung noch nicht erkannt wurde. Und im Innern der Hanſe, den Städten, ein unruhiges Getriebe von miteinander ſtreitenden Intereſſen poli— tiſchen, konfeſſionellen, wirthſchaftlichen Charakters. Fragen der Elb⸗ zollprivilegien und Weſerfahrt, des Hamburger Bierſtreits und bre⸗ miſcher Rathsfehden, der Glaubenswirren und Kanzelzänkereien u. a. m. jind zwiſchen die die eigentlihen Kernfragen hanſiſcher Politik be- handelnden Receſſe u. f. w. gejtreut. Aber auch in den jpezifiich hanfiihen Dingen ftoßen wir auf eine Yülle von Kleinkram jtets wieder auftauchender Bejchwerden, meiſt alter guter Bekannter aus der Blütezeit ded Bundes; die Klagen über die Benußung „une gewohnter Seewege“, über die „butenhanfiihe Schifffahrt”, über die Fahrt nördlich von Bergen, über die butenhanfifchen Faktoren u. a. m. gehören hierher, Alles Fragen, im Einzelnen geringfügig jcheinend, im Zufammenbang nit dem Ganzen aber dod) wichtig und zu be= tradhten als Baufteine, hier und da abbrödelnd von dem jtolzen, dem Untergang geweihten Bau.

Es ift im allgemeinen fein erfreuliches Bild, dad ung das Stu- dium dieſes Bandes bietet. Wohl mahnte der Kaifer, mahnten ein- ſichtige Städte und Genoſſen wiederholt zur Einigfeit, wohl iſt er- freulid) die Rührigkeit eines Mannes wie Sudermann, defjen un ermüdliche Thätigkeit für die Sache der Hanfe beinahe auf jeder Seite de3 Bandes bervortritt. Aber die Nuglofigleit jener Mahnungen, diefer Thätigkeit tritt doch offen zu Tage.

Wohl am meiſten Aufklärung erhalten wir durd) dies Inventar über die Beziehungen der Hanfe zu England; was ji bier findet über da8 Londoner Kontor, den Kampf der Hanſe mit Eduard VL, der 1552 die hanſ. Privilegien aufhob, und feinem Nachfolger, ift fehr reichhaltig. Durch dies umfangreihe Material treten diefe Ver- hältnifje in eine Beleuchtung, die jich allerdingd von derjenigen, in die jie Ehrenberg zu ſetzen verſucht hat, himmelmweit unterfcheidet (vgl. Höhlbaum in Hanf. Geſch. Bl. Jahrg. 1895); gerade die wich— tigften Altenftüde, wie der Bericht Sudermann's über die Gefandt- ſchaft 1556, die Artikel ded Hanfetag gegen den Handel ınit England (1557), Sudermann’d Proteft gegen die hamburgijch = englifchen

Köln: Bommern. 105

Abmachungen (1567), die lagen der Londoner Kaufleute über die Ojter- linge (1555) und viele8 Andere mehr find Ehrenberg entweder un- befannt geblieben oder gar nicht oder nur oberflächlich von ihm benußt. Mit den Herausgebern ftimmt Ref. ganz überein in der Anjicht, daß eine befondere Bearbeitung und Herausgabe aller Ordnungen und Statuten für das Londoner und die übrigen hanf. Kontore fehr münfchenswerth ijt. Nächſt den englifchen ftehen die niederländifchen Verhältnifje im Vordergrunde des Intereſſes. Brügge war „in Ab- gang gekommen“, das Kontor nach Antwerpen verlegt. Hier find nomentli hervorzuheben die Verhandlungen über die Reliden; der Ration in Antwerpen (1561 ff.), gegen die befonder8 Danzig ent— ſchiedene Oppojition madte, inden es dieſe Nicderlafiung als ein „Bagnid“ bezeichnete; die Vorzüge Middelburg’3 wurden ſchon damals berauggeftrichen. In Verbindung mit diefen Plänen ftehen die Pro= jefte über ein Bufamniengehen der Hanje mit den Niederlanden, mit Spanien gegen England, Projekte, in die auch Wilhelm von Oranien verrwidelt war. Aus den Beziehungen zu SFranfreid) möge das its tereſſante Material genannt werden, das über das Angebot des Königs, ein hanſiſches Kontor in feinem Lande zulaſſen zu wollen, handelt; be—⸗ dertenswerth iſt insbeſondere der Entwurf zu einem Handelsvertrag der Hanſeſtädte mit Frankreich vom Jahre 1568. Höhlbaum jtellt eine geſonderte Bearbeitung dieſer ſehr verwickelten Verhältniſſe in Ausſicht. Uberhaupt wird man erſt auf Grund dieſes und der andern in Ausſicht genommenen Inventare daran gehen können, hanſiſche Geſchichte im 16. Jahrhundert zu fchreiben. Ältere und neuere Spezialbearbeitungen Werden durch diefe Veröffentlihungen antiquirt. Gerade in Ddiejer Erwägung aber ijt e8 zu hoffen, daß die Inventare ohne Unter— brechung möglichit ſchnell herausgegeben werden. Hamburg. E. Baasch.

Verfaſſungs⸗ und Wirthichaftsgejchichte des Herzogtums Pommern von 1478 bis 1625. Bon M. Spahn. (Staats: und jozialwiijenichaftliche Sorihungen. Herausgegeben von G. Schmoller. 14. Band, 1. Heft.) Leipzig, Dunder & Humblot. 1896. 202 ©.

Die Verfaſſungs- und Wirthſchaftsgeſchichte einer großen Land— Ihajt in dem quellenreichen Zeitraum von 1478 bis 1625 alljeitig und zwar fo, dab nicht bloß ein Grundriß gegeben wird, auf 202 Sciten darzujtellen, ijt ganz unmöglid. Der Bf. der vorliegenden Eritlingsfchrift hebt denn auch felbit bereit hervor, daß dad Buch

Riteraturbericht.

„et ganz das enthalte, was der Titel anlündigt. Verhältnismäßig

gehend jind nämlih nur die landjtändiihe Verfafjung und bie

nterorganifation behandelt. Allein auch diefe jind noch zu fnapp eggefommen. Eine Erſtlingsſchrift ſoll ihre Eriitenzberechtigung adurch darthun, daß fie etwas beweilt, unterjucht. Indeſſen gerade yavon finden wir bier jo gut wie nichts. Der Bf. erzählt und im Dozententon, und dazu noch vft in einer fehr abitraften Urt, jo und fo ſei es gewejen. Aber wir erjahren nicht, wie er zu diefen Ans jihten gelangt. Ein anderer Recenſent (Qohmeyer im Liter. Central⸗ blatt 1896, 31. Dftober) bat ſchon auf den Mangel hingewieſen, dag Spahn feine Belegitellen anführt. Die Frage, wie weit man im Citiren ardhivaliiher Quellen des 16. Jahrhunderts gehen ſoll, ijt gewiß nicht ganz einfady zu löfen. Wenn uns jedoch ſchlechter⸗ dings gar fein Beweismaterial geboten wird, fo iſt daS jedenjalld nit zu billigen. Die Tarjtelung macht dadurd) einen weniger glaubwürdigen Eindrud, während ihr thatjählid vielleicht GOlaub⸗ würdigfeit durchaus zufommt. Die Schilderung der Entiwidlung des Rathes 3. B., die Ep. gibt, ift mir recht wenig wahrjcheinlid. Hätte er jie mit einigem Beweißmaterial verjehen, fo würden wir wenigftens willen, woran wir ſind, während wir jegt hier und aud) an anderen Punkten und darauf bejchränfen müſſen, Fragezeihen zu machen. Aber aud) abgejehen von der unterlafjienen Beweisführung iſt Sp. Daritellung zu furz und zu dürftig gerathen. Er deutet zu oft nur fur, an oder referirt mit ein paar Worten über den Inhalt eines Aftenjtüdd, wo wir eine tief grabende Entwidlung der Dinge vers langen. ©. 11 jagt er z. B.: „Qangjamer, aber no zu Bogislav's Zeiten bildete jih der Grundſatz aus, daß aud die Reichsſteuern nit aus dem .füritlichen Einfonmen, jondern durch das Land auf: zubringen feien.“ Wie kann man dies wichtige Problem fo leichthin abmaden? Warum treibt man heute jo viel Verfaſſungsgeſchichte, wenn man gerade an jolchen Problemen jo jchnell vorbeigeht? Man jpricht heute jo viel über die Nothiwendigkeit verfaſſungs- und wirthe Ihaitsgefhichtliher Studien und richtet ſchwere Vorwürfe gegen die „politiſchen“ Hiltorifer. Aber wie vicle Arbeiten aus jenem Gebiet gibt es, die dem wiſſenſchaftlichen Bedürfniß wirklich genügen? „Gebt und glückliche Vorbilder!” rufen wir mit Knapp (9. 3.78, 42; vgl. 75, 405 Anm. 1). ©. 42 wird die Frage des freien Verſamm⸗ lungsrechtes der Stände auc wieder bei weitem nicht gründlid) genug erörtert, ©. 172 ebenjowenig die Frage der Stellung der Fremden.

Ponnern; Schleſien. 107

Überall wären reichlichere Mittheilungen und eine gründlichere Berüd- ſichtigung des gefchichtlihen Zufammenhangs nothwendig geweſen. Ich Habe mich über diefe Mängel der Arbeit bier ausführlich) geäußert, weil fie leider bei ErftlingSarbeiten nicht ganz jelten find. Man kann keineswegs behaupten, daß ed dem Bf. an Gründlichkeit jehlt. Allein indem cr sich ein Ziel jtedte, das er nicht vollitändig erreiden konnte, jind viele Partien des Buches ungründlid) aus— gefallen -— ganz gewiß wider feinen Willen. Es wäre beijer gemejen, er hätte jich auf ein enger begrenzted Gebiet, etwa die Behörden- organijation, bejchränft!), dieſes dann aber gründlich behandelt. Daß er die Landtagdgeichichte mitbehandelt hat, können wir ſchon aus dem Grunde nicht billigen, weil diefe nie dargeftellt werden follte, bevor ei me wiſſenſchaftlichen Anſprüchen vollfommen genügende Edition der L Amdtagsakten (zum mindelten für da3 16. Sahrhundert) vorliegt. IL Brigens wollen wir, indem wir diefe Ausstellungen machen, nicht Mwuterlafien zu betonen, daß auch in der jegigen Form Sp.'s Bud) Del Lehrreiches bietet. Er hat zweifellos treuen Fleiß auf feine Uxheit verwandt und zeigt auch für einen Anfänger viel Sachkenntnis. mſomehr müfjen wir bedauern, daß er in der Wahl de3 Themas "U ücht glüdlicher geweſen ift. Leider verfügt er nicht über eine gefchidte MU usprudsmeife; die Lektüre ijt wenig angenehm. G. v. Below.

Die Organifation der Gejammtitaatsverwaltung Schleſiens vor dem Dreißigjährigen Kriege. Bon Zelir Nahfahl. (Staatd- und ſozialwiſſen⸗ Ichaftliche Forichungen. Herausgegeben von G. Schmofler. Heft 55.) Leipzig, Dunder & Humblot. 1894. XL, 482 ©.

Der Beridteritatter ijt in der angenehmen Lage, heute ein Wert beiprechen zu können, bei dem die an einen fchwierigen Stoff ge- wandte Mühe und Sorgfalt mit den Ergebnijjen des Bf. in günftigem Verhältnis fteht. Schlefien, dag Rachfahl zum Gegenjtand feiner Unterſuchungen gewählt hat, war von Haufe aus jlamwifcher Boden. Es bildete zuerjt einen Theil de3 polnischen Reiches, von dem es jich thatſächlich im Jahre 1163 und formell zu Beginn des 14. Jahrh. trennte. Deutſch wurde das Land erſt ſehr allmählich durch die Ein— wanderung deutſcher Anſiedler, die vor dem Jahre 1175 begann und

1)J Eine ſolche zweckmäßige Beſchränkung findet ſich in der inzwiſchen erſchienenen Arbeit von Schottmüller über die Organiſation der Gentrals verwaltung in Cleve⸗Mark (Schmoller’3 Forſchungen 14, 4).

108 Literaturbericht.

bis zum 14. Jahrh. währte. Der Vf. beginnt daher das 1. Kapite über die Grundzüge der öffentlichen Verwaltung Schleſiens im Mittel alter durch einen Abſchnitt über die inneren Verhältniſſe des alt polniſchen Reiches und unterſucht erſt dann die Veränderungen, welch Schleſien unter dem Einfluß der Koloniſation und Germanifatioı erfahren hat. Das 2. Kapitel ift den Einungdbeftrebungen der ſchle ſiſchen Fürſten und Stände im 15. Sahrhundert, fowie der Regierumn, des Mathias Corvinus in Schleſien gewidmet. Mit einem furzeı Rüdblid (S. 127 ff.) ſchließt das 1. Bud. Hierauf wird im 2. uni 3. Bud) die Gefammtjtaat3verwaltung Schleſiens im 16. Jahrh. ü je drei Kapiteln und einer Einleitung abgehandelt, und zwar merdeı im 2. Bud) (S. 133— 258) das Oberamt, das Ober: und Fürſtenrech und die Appellationsfanımer zu Prag al& allgemeine Landes- uni Gerichtsbehörden beiprohen. Das 3. und legte Buch (SG. 261—397 betrifft die Finanzbehörden in Schlefien. Die Beſchlüſſe des Prage Generallandtaged vom Sahre 1552, welche dem Könige allen Einflul auf die Erhebung und Sammlung der Schaßungdfteuer entzogen jpalteten den gelammten Finanzdienſt für Schleſien bis auf Di unterften Organe „in zwei ſcharf von einander gejonderte Komplexe“ von denen der cine vom Slönige, der zweite von den Ständen ab hängig war. Der Bf. benugt darum für das 1. Kapitel das Jah 1552 als zeitlichen Abſchnitt und befpricht dann in Kap. 2 die könig lihen, im dritten die Zandesfinanzbehörden jeit 1552. Auf ©. 39 bis 405 werden die wichtigiten Ergebnifje der Unterſuchung in ge drängter Kürze wiederholt, und von S. 409 ab nod) Erfurfe und ei Urkundenanhang geboten.

Am wenigiten gejichert ericheinen dem Berichterjtatter der Abfchnit über die altpolnifhen Einrichtungen, S. 1—37, und die Exkurſe L, I „Anfichten über die Entitehung der altpolniſchen Geſellſchaft“ un „Zur Geſchichte der ſlawiſchen Befigverhältniffe”. Wohl hat der DI auch bier fo ziemlich Alles geboten, mad man nad) den: heutige: Stand der Vorarbeiten erwarten durfte, namentlich aud die ein ihlägige polnische Literatur mit Hülfe des Herru San v. Kochanomwäl aus Krakau eingehend berüdfichtigt. Leider ift jedod) der Quellenſtof für die ältefte polnische Zeit dürftig und unbeftimmt, daher ver Ihiedener Deutung unterworfen. So lange man nidht einmal von einer communis opinio der polnischen Gelehrten in diejen Frage jprechen Tann, weiß der fremde Forſcher umjoweniger, wo er au jihern Grund zu bauen vermag. Findet beijpieldweije die feit den

110 Literaturbericht.

kraft landes- und lehensherrlicher Gewalt zu einer vom Willen de Stände unabhängigen Vereinigung der Fürſten, Ständeherren un Städte entwickelte. Mit eiſerner Hand eingreifend, war er bemüh ſtaatliche Autorität und Ordnung in dem arg zerrütteten Lande wied herzuſtellen. Die Ohnmacht feiner beiden nächſten Nachfolger Wladis (au8 und des unglüdlihen Ludwig, von welden: die böhmiſche Barone fpottend fagten, er fei ihr König und fie feien feine Herrei unterbrach jedoh die Entwidlung, die fo Hofinung3voll begonne hatte. Ein Glück, daß die fchlefifhen Stände ihre Macht und d Schwäche des Königthums unter den Jagellonen nicht benußten, u den neu errichteten Einheit3bau zu zeritören, jondern daß jie ft damit begnügten, ihren Antheil an der Gentralgewalt durch ausdrüc liche Genehmigung der Krone theil3 ficher zu jtellen, theil® zu erweitern

Die Wiederaufnahme und Vollendung des von dem großen Corp begonnenen Werkes blieb den Habsburgern vorbehalten, welche m König Ferdinand I. im Sabre 1526 die Herrihaft in Schlefien traten. Epochemachend für die Gefchichte der öffentlichen Entwidlun des Landes durch ſtärkeres BZufanımenfafjen der Sträfte, un den Yu gaben zu genügen, weldye nun die Zeit an den Herrſcher jtellte, vor allem die Regierung des eriten Ermwerberd. „Alles, was für d Sentralifation de3 inneren Staat3lebens in Schlejien vor dem Dreißi jährigen Kriege feitend der Krone geleiftet wurde, tft in der Haup ſache dad Werf Ferdinand’3 I.; er fchuf die Grundlagen, auf den feine Nachfolger nur weiter zu bauen brauchten. Unter ihm bilde jih die föniglihe Gewalt, dieſes Konglomerat von lehens- und lande berrlihen Rechten und deren Trümmern, um zu einer wahren, gaı Schleſien und die vielfältigiten Gebiete des öffentlichen Leben? un faſſenden Obrigkeit, zu einer wirklichen Staatögewalt.“ (©. 140.)

Auf Einzelheiten einzugehen, verbietet der Inapp bemeſſene Rau diefer Anzeige. Es genügt, hervorzuheben, daß R.'s Unterfuchung: auf dem Gebiet der Verwaltungsgeſchichte Schlefiend grundlegend fin Mit gewiſſenhafter Objektivität twiegt der Verfajjer die entgegengejeßt: Beitrebungen der Herriher, wie der fhlefifchen Stände und gelan jo zum Scluffe, daß die Löfung jener Aufgaben, die den Ständı unmöglid) gewejen war, mit Nothiwendigfeit auf das Königthu übergegangen fei, Das fich feit Ferdinand I. feinen neuen Pflicht: gewachſen zeigte, eine wahre Staatögewalt ſchuf und den abſtrakt Staatsgedanken aufnahm (S. 402).

Graz. Luschin v. Ebengreuth.

Oſterreich. 111

Sigmar und Bernhard von Kremsmünſter. Kritiſche Studien zu den Geſchichtsquellen von Kremsmünſter im 13. und 14. Jahrhundert. Bon I Loſerth. (Aus dem Archiv f. öfterr. Gedichte. Bd. 81, 2.) Mit 2 Tafeln. Wien, Tempsty. 1894. 100 ©.

2. nimmt damit feine vor 22 Jahren veröffentlichten kritiſchen Unter- fuhungen über die kremsmünſterer Gefchichtöquellen wieder auf und gelangt im Widerfpruh zu G. Waiß durch Vergleihung der Hand- ſchrift Nr. 610 der k. u. k. Hofbibliothef in Wien, welche die Krems—

münfterer Abtslijten enthält, mit der Kremsmünſterer Handichrift Nr. 401, weiche die narratio de ecclesia Chremsmunstrensi in jich birgt und bithex als das Autograph des Bernhardus Noricus galt, zu dem Ergebnis, dag wir in beiden Handichriften ed mit Arbeiten des Kremsmünſterer Gro ß kellers Sigmar zu thun haben, die ſich zu einander verhalten wie Der Entwurf zur verbefferten Reinſchrift; als ſolche ftellt ſich die Wiener Handfhrift dar. 2. hat Sigmar's literarifhe Thätigfeit auf Grund der vorhandenen Handjchrijten und mit Hülfe paläogra= phiſ cher Unterfuhungen deren Ergebniffe troß der beigegebenen Shrüfttafeln für ſich allein allerdings nicht ganz überzeugen fünnten dis in's Einzelne verfolgt, feine Lebensumſtände aufgehellt (Mobei u. a. gegen Waitz eriviefen wird, daß Siginar nicht ſchon vor 1298 gejtorben it, fondern wahrfcheinlich bi 1326 gelebt hat) und vor allenı dargethan, daB in der Gefchichte von Kremsmünſter für den Namen Bernardus Roricus fein Platz fei. Es ijt diefer Name in die Geſchichtsliteratur vermuthlih durch ein Mißverſtändnis Aventin's gekommen, der den Bernardus Noricus, ohne einen Gewährdmann zu nennen, als Mönd von Kremsmünſter und Verfaffer einer Gefchichte von Baiern bezeichnet. Die Münchner Handichrift Nr. 1273, die denjelben Ber- nardus Noricus als Verfaſſer der in ihr enthaltenen Stüde hiltorischen Inhalts nennt, gehört dem Ende des 16. Jahrh. an; die erwähnten Stüde jelbjt find, wie Niezler erfannt hat, einige Kapitel der Grün- dungsgeſchichte von Tegernſee.

2.3 Unterſuchung jind zwei Exkurſe über den liber vitae von

Kremdmünjter und über die vita Agapiti beigegeben. A. Chr.

Urtundenbuh der Abtei Sankt Gallen. Herausgegeben vom Hiſtoriſchen Berein des Kantond St. Gallen. Bearbeitet von Hermann Wartmann. Theil 4, Lieferung 1—3. St. Gallen, Huber & Co. (E. Fehr). 1892— 94. IV, 656 ©.

Seitdem 9. 3. 36, 619 u. 620 da3 1. Heft von Band 3 des Urkundenbuchs der Abtei St. Gallen angezeigt wurde, ijt 1882 mit

112 Riteraturberidht.

dem Jahr 1360 jener Band abgeſchloſſen, aber au mit 1892 Band 4 begonnen worden, von dem zur Stunde drei Lieferungen, 699 Stüde enthaltend, vorliegen. Der unermüdlicdde Präftdent des biftoriichen Vereins von St. Gallen fand wieder die Muße, fein Werl neu aufzunehmen, von 1360 bis 1402 das Urkundenbucdh fortzufegen, ganz bejonderd da ein zuverläfjiger Gehülfe, der Kuftod der Samm⸗ lungen, Emil Hahn, ihm die Laſt der früher ſelbſt beforgten Urkunden⸗ fopiaturen abnahm. Neben dem Etift3ardiv ift jeßt das ftädtifche Archiv von St. Gallen, mit Inbegriff des Spitalardivs, ald Material liefernd eingetreten, jo daß der Titel des Urkundenbuchs nur nod zum Theil dem Inhalte entfpridt. Ein Vorwort bringt die Rechen: ihaft über die Editiondgrundfäge.

In ausgedehnteftem Umfange treten jeßt die Urkunden in deuticher Sprache in den Vordergrund. Ebenfo find die allermeijter Stücke des Bandes ganz neu mitgetheilt, auch die ziemlich zahlreicher föniglihen Urkunden, etwa ein Biertelhundert, ziemlich gleich viel: von Karl IV. und Wenzel, zwei von König Ruprecht, zumeijt biäheı nur im Regeſt oder noch gar nicht befannt. Sehr treten die Papft urfunden zurüd. Eine Abtregierung, die de? Georg v. Wildenjtein (bi8 1379), ift ganz hier repräfentirt; von dem Nachfolger, Kun: v. Stoffeln, fehlen noch die neun legten Jahre. Selbitverjtändlid fällt auch hier wieder die große Menge der Urkunden auf die Un gelegenheiten des Kloſterbeſitzes, Gefchäfte der verſchiedenſten Art einmal, als Nr. 2200, jteht auch ein Einfünfterodel, der Kirche 3; Niederſtammheim. Die benahbarten Dynaftenhäufer, Toggenburg die verfchiedenen Linien von Montfort, aber ganz bejonders Di ritterlihen Minifterialen, von denen mande gegenüber dem Gottes haufe zu anſehnlicher materieller Stellung emporwudjfen, voran di Ramſchwag, die Landenberg, die v. Rorſchach, v. Roſenberg und viele andere Namen, treten hervor. Auch für einzelne Beziehungen von Dpnaften zu ihren Unterthanen find die Urkunden, weil fie jeß zum Kanton St. Gallen zählende Orte betreffen, herangezogen, ſi für die Stadt Lichtenfteig des Toggenburgerd? Donat die Dre Stadtrehtöbriefe von 1400 Nr. 2204 und 2205, 2207 au dent dortigen Stadtarchiv. Dagegen beginnt anderntheils auch da Haus Diterreih in diefe Territorien des heutigen Kantons durc Güterkauf einzugreifen.

Sndefjen treten jetzt auch neue Faktoren zur Seite des Gottes baufes immer deutlicher hervor. Neben der Stadt St. Gallen, di

Öfterreih ; Schweiz. 113

an den häufig bier bezeugten Städtebündniffen fi) betheiligt, ihre Angelegenheiten immer felbitbewußter ordnet, erfcheinen die Appen- jellex, in ihren UAnlehnungsverfuhen an St. Ballen, an die Städte um Den Bodenjee (allerdings find gerade diefe Urkunden zumeift nicht neu, ſondern ſchon von Zellmeger mitgetheilt worden). In Abt Kuno's Zeit erwachſen ſchon fehr bald neuerdings, von 1380 an, die Bwiftig- feitern mit der Stadt. Der Abt Hingegen fchließt am 23. Januar 1392 auf Lebenszeit mit Herzog Leopold IV. von öſterreich das bier als Nr. 2028 aus dem Luzerner Staatsarchiv mitgetheilte Vvün Dnis, und am 13. März 1400 verpflichtet jih Hug v. Rofen- egg Propſt zu Friſen, dem Herzog, der ihn, ſobald die Abtei St. Gallen ledig werde, zum Abt daſelbſt befördern will (Nr. 2192, auchh aus dem Luzerner Archive). Neue Verwicklungen kündigen ſich damit an. Da8 15. Jahrhundert ift das achte Jahrhundert, in das der Ver üüger des Urfundenbuches an Hermann Wartmann’3 zuverläffig N Tender Hand hier eintritt. Möge ed ihm vergönnt fein, die ihm zu Yo hohem Dante verpflichtete Hiftorifche Forſchung noch recht weit in Ddieſe lebte Zeit des Mittelalter hineinzuführen. M.v.K.

Bater Theodoſius, ein "menfchenfreundficher Prieiter. Bon Dr. P. G. . Mlauta. Bern, 8. 3. Wyß. 1893. 111 ©.

Andrea? Rudolf v. Planta, ein republifanifher StaatSmann. Bon Dr. 8. €. v. Plauta. Zürich, Art. Inftitut Orell Füßli. 1893. 170 ©.

Zwei ſehr verjchiedenartige, aber gleich beacdhtendwerthe Perjön- lich keiten des an bedeutenden Individualitäten ſo reichen Landes Graubünden bat Hier der gleihe Biograph zur Daritellung gebradt: dert katholiſchen Ordensmann, Kapuziner, P. Theodoſius Florentini MS dem Dorfe Münſter an der Tiroler Grenze, geboren 1808, ge Frorben 1865, und den reformirten Bolitifer und Volfswirthichafter ARD dem Engadin, angefehenen Urjprungs, Andreas Rudolf v. Blanta, ge Boren 1819, geftorben 1889.

P. Theodofiu8 war nicht nur innerhalb ſeines Ordens zu hohen Stellungen emporgelangt, fondern aud) 1859 Generalvifar des Biſchofs don ur geworden; aber feine eigentliche Bedeutung, mochte er auch AUS Prediger und religidier Schriftjteller einen angefehenen Namen D ben, lag auf dem Gebiete der mit größter Aufopferung und

illenskraft betriebenen Organiſation freier Bethätigung für Erziehung,

Oiſtorijche Zeitſchriſt N. J. Bo. XLIII. 8

114 Niteraturbericht.

Krantenpflege, für Hereinziehung der Induſtrie in die Verbindung mit chriſtlichen ©efichtäpunften, und hierin zeigte er überall eine geradezu großartige jchöpferiihe Energie, wenn auch einzelne zu fühne Gründungen, Verſuche, Fabrifationdgewinn für die Hebung der arbeitenden Bevölkerung ſelbſt zu verwerthen, fcheiterten. Auf⸗ gerieben durch die enormen Anftrengungen, jtarb der merkwürdige Mann plöglid am Schlagfluffe.

Planta wurde in einer Charafteriftif, die ein gefchidter Beurtheiler der jchweizerifchen Bundesverjammlung, ald Planta Prälident des Nationalrathes war, 1865, von ihm entwarf, „zunächſt Rhätier an Leib und Seele und nicht minder ein vortrefflicher Eidgenofje” ge- nannt. Föderaliſt in der Vertheidigung der forderungen feines eigenartigen Heimatkantons, war er doch in dieſen reifen der Bundesverfamnilung, wo er glei anfangs 1848 big 1869, ebenfo wieder feit 1876 bis 1881 dem Nationalrathe angehörte, eine jehr angefehene Perjönlichfeit. Als gemeinnüßiger Förderer volkswirth— ichaftlicher Interefien diente er voran Graubünden als ein Haupt urheber des Ausbaues des Netzes der Gebirgsitraßen, der Poſt—⸗ verbindungen, wobei er feinen Einfluß, jo binfichtlid der Neu— eröffnung der Fahrten über die dem Verfall anheimgegebene Stelvios itraße jeit 1869, auch über die Schweizergrenzen hinaus ausdehnte; ferner aber gab er als einfihtiger Sachverjtändiger auf dem Gebiete der Land» und Forſtwirthſchaft, der Viehzucht und Alpenwirthſchaft weiter wirkende trefilihe Anregungen. Allerdings, in einer eifrig verfolgten ‘rage, der ded Ausbaues der Eifenbahnverbindung von Cur nah Mailand über den Lukmanier, unterlag er der centraleren Linie über den St. Gotthard. Als „Anhang“ ijt eine intereffante Berichtigung Planta's zu der Nede des Fürſten Bißmard im deutfchen Reichstag vom 6. Februar 1838 wieder abgedrudt; gegenüber der Ausführung, daß die Schweiz die glüdlihe Löfung der 1856 aufs getauchten Neuenburger Frage einzig ſterreich zu verdanfen gehabt babe, Napoleon III. dagegen feindjelig gegen diefelbe verfahren fei, betonte nämlich Planta, der als Mitglied der nationalräthlichen Speziallommijjion damald genaue Einfiht in den Gang der Dinge hatte gewinnen fönnen, den Verlauf, wie der franzöfische Kaifer zuerft durch den nad) Paris berufenen General Dufour, dann durch den nachherigen ſchweizeriſchen Minifter Dr. Kern dem Bundesrathe die jörderlihen Rathſchläge zur Löſung der verwidelten Angelegenheit babe zukommen laſſen. M. v. K.

Schweiz. 115

Biographie, travaux et correspondances diplomatiques de Ch. Pictet de Rochemont, depute de Gene&ve aupres du congr&s de Vienne, 1814, envoy& extraordinaire et ministre plenipotentiaire de la Suisse à Paris et à Turin, 1815 et 1816 1755 a 1824. Par Edmond Pictet. Geneve, H. Georg. 1892. X, 444 ©. (Mit Rorträt und arte.)

Charles Pictet de Rochemont ift eine der außgeprägieiten Perſön— fichleiten des ſchweizeriſchen politiſchen Lebens in den erjten Jahr—⸗ zehnten unſeres Jahrhunderts. Ein Altgenfer, der ſich nach der zwangsweiſen Einverleibung ſeiner Vaterſtadt in das franzöſiſche Territorium über den Verluſt einer Bethätigung im öffentlichen Leben dadurch tröſtet, daß er einen angekauften Landbeſitz in eine Muſterwirthſchaft umwandelt und daneben in der Ausgabe ſeiner zugleich mit dem Bruder, dem gelehrten Phyſiker Marc Auguſte Pictet, beſorgten Zeitſchrift Bibliothèque britannique ſeit 1814 Bibliothèque universelle einen literariſchen Sprechfaal von höchſter Bedeutung begründet, tritt Pictet als einer der ohne Er— wägung der großen Gefahr, unter Entfaltung der verbotenen Genfer Farben, ſich voranitellenden Snitianten bei der Befreiung Genfs vom franzöſiſchen Joche, Ende 1813, wieder in die politische Laufbahn ein, gerufen durch den früheren eriten Syndif der alten Republik, Ami Lullin. Gleich ſchon bei der Sendung an die in Bafel an wejenden alliürten Monarchen in den eriten Tagen von 1814, zum Behufe der Erreihung des Anſchluſſes des in feinen Gebiete er: weiterten genferifchen Staat? an die Schweiz, ift Pictet in hervor: ragender Reife betheiligt, und der Eindrud des ausgezeichneten Genfers, den diefer auf Stein hervorruft, ift ein jo nachwirfender, daß diefer ihn auffordert, ihn als Gcneralfefretär für die Aufgabe der Einrihtung der neu zu befependen franzöjifchen Gebiete in den Feldzug zu begleiten. Allein nähere Verpflichtungen führen Pictet Ende Februar nad) Genf zurüd, als ein franzöjifcher Angriff die Stadt bedroht. Mit Napoleon's Sturz folgen ſich dann nacheinander die widhtigften Sendungen Pictet's, nad) Paris, an den Kongreß von Bien, nad den Hundert Tagen nodymal3 nad) Paris, endlich nad Zurin, und zwar vertritt hier überall Pictet al3 gewandter ımd zus gleich charakterfeiter, von den maßgebenden europäifchen Kolitifern geachteter und gern angehörter Diplomat nicht nur die Eidgenofjens fchaft, jondern fpeziell auch die Intereffen feiner engeren Heimat. Die Bujammenfügung der Genfer Gebietjtüde zu einen: Ganzen durd

8*®

116 Riteraturbericht.

Hereinziehung franzöfiiher und fardinifcher Wbtretungen und Here itellung eines territorialen Zujammenhang® mit dem Waadtland und dadurch mit der Schweiz war Pictet’3 Bemühungen zu verdanfen. Daß es nicht gelang, die feiner Einficht in militäriihe Dinge ents ſprechenden jtrategifchen Grenzlinien bonnes frontieres für die Schweiz zu erlangen, war nicht feine Schuld. Nochmals trat er in feinen legten Tagen hervor, 1823 mit einer Antwort auf Sebaſtiani's Drohungen in der franzöfifchen Kammer: La neutralite de la Suisse dans l’inter&t de l’Europe, wieder 1824, als er in maßvollen Erwägungen von Erweiterungen der Genfer Fortifilationen abrieth, unbefümmert darum, daß alte Freunde und Geſinnungs⸗ genofjen deswegen an ihm irre werden wollten.

Dieſes bejonderd in den Jahren 1813— 1816 Außerft reiche Leben eines als Menſch und als Bolitifer ganz hervorragenden Mannes ift in dem Buche unter Ausnutzung der großen privaten und öÖffentlidien Korrejpondenz vorgeführt. Die drei Viertel des Bandes, melde in Kapitel 3—6 die diplomatifhen Sendungen Pictet's behandeln, fchließen zahlreihe wörtlihe Auszüge dieſer Scıriftjtüde in ſich, welche jelbftverjtändlidy, befonderd aus der zu Wien vom 5. Oftober 1814 bis 31. März 1815 zugebradhten Zeit, neben den auf die Schweiz und Genf bezüglichen Fragen, eine Fülle weiterer wichtiger Beobachtungen enthalten. Die in diejen gleichen Monaten im Januar zuerjt in Pictet's Berichten auftauchende Angelegenheit der Neutralifation der nördlichen Theile von Savoyen findet danach in den Pariſer und bejonders in den Zuriner Berichten ihre Fortſetzung; überhaupt zeigte Pictet bei diefer legten Miſſion an den jardiniihen Hof nochmal feine vollendete diplomatifche Befähigung. Die dem Buche angehängte Karte illuftrirt Pictet’3 Erfolg. Sie führt in verfchiedenen Farben daS alte Genfer Gebiet vor 1798, die 1815 und 1816 angejcjlofjenen Erweiterungen des Kantons, den Umfang der freien Bollzone, endlid die Ausdehnung de3 neutralijirten Savoyen vor. M. v. K.

Les foires de Gen&ve au quinzieme siecle. Par Frederic Borel. Genève, H. Georg. 1892. VII, 286 5. —SPiöces justificatives. 25656.

Durd) ‚ihre Lage, am Ausfluß ‚der Rhone kaus dem großen lemanifchen Seebeden, auf der Straße von den deutſchen nordöitlichen Grenzlandichaften her ftromabwärtd nad) Lyon und zum Mittelmeer,

Schweiz. 117

an derjenigen von ben nordweſtlichen burgundiichen Gebieten über bie Alpenpäſſe, voran den Großen St. Bernhard, nad Stalien, war die ſeit dem Anfang de3 14. Jahrhunderts politifch ſich immer freier ber egende Stadt Genf zu einem Verkehrsplatze ausgezeichnet geſchaffen. eine Frucht der neuerworbenen jtädtifhen Hoheit werden die RR efien von Genf durch daS 14. Jahrhundert hin zu einem wichtigen Gr Etor tbeil3 der ftädtifchen Entwidlung, theil® der Intereſſen näher Un D ferner liegender Landſchaften. Sieben bis acht Male alljährlich ab Dehalten, erblühen ſie immer kräftiger, bis die Konkurrenz der von der franzöfifhen Königthum begünftigten Meſſen von Lyon jie erft wmölert, dann ganz in ihrer Bedeutung berabbringt. Seit Qubd- Dig XI. 1462 den Franzofen den Beſuch der Genfer Meſſen verbot, Dexrmocdten diefe, wenn auch noch einzelne Erleichterungen, jo im "afang der Regierung Karl's VIII, eintraten, troß der zeitmweije Seschehenden hülfreichen Verſuche von favoyifcher, von eidgenöffticher Seite, fi nicht mehr zu behaupten, fo daß jie anı Ende des Mittel- Alters ganz von der früheren Höhe janfen.

Diefes intereffante Kapitel ſtädtiſcher und kommerzieller Geſchichte Wird durd den Autor unter Zugrundelegung einer Sammlung von fünfzig zumeift dem Genfer Archive, daneben befonder8 aus Zurin, entnommenen Stüden, von 1400 bis 1503, bis in alle Einzelnheiten beleuchtet. Die Anftalten der bifchöflichen und ftädtifhen Behörden für die Meſſen und deren Beſucher Polizei, Bauten von Hallen, Anlagen am Eeeufer zur Erleichterung der Landung, Sorge für die Beherbergung —, ferner die finanziellen Anordnungen und die daraus für die Stadt erwachſenden Einnahmen, die eigenthümlichen für den Berlauf getroffenen bauliden Einrichtungen in den ſtädtiſchen Straßen die fog. hauts = bancs (logiae) mit ihren Holzſtützen und Vordächern vor den Häuferfronten werden aus den Quellen eingehend geichildert. Die Bejuher der Meſſen Franzofen, Burgunder, Savoyarden, Staliener, Deutfche, Schweizer Eidgenojien, Niederländer werden gemuftert, ihre Waaren, das mit den Meſſen ſich kräftigende Genfer Gewerbe, die Handelsitraßen mit ihren Zoll- jtätten charalterifirt. Immerhin dürfte der Autor, wo ihm fpezifijche Genfer Angaben fehlten, da und dort etwas zu viel generalijirt, anderes Material zu ſehr zur Ausfüllung ſolcher Lücken herangezogen haben. Sehr anzuerkennen iſt die Ausarbeitung des einläßlichen alphabetiichen Regiſters. M. v.K.

118 Literaturberidt.

Louis Vulliemin d’apres sa correspondance et ses écrits. Essai biographique par Charles Vulllemin. Lausanne, Georges Bridel & Cie. 1892. 452 & (Mit Porträt.)

Ein geiftig hervorragender, bis in ein hohes Alter thätiger, perjönlich ebenfo liebendwürdiger, al3 allgemein verehrter Repräfentant der welſchen Schweiz, der aber durch individuelle Beziehungen und wiſſenſchaftliche Arbeit zugleich mit deutſch-ſchweizeriſchen Verhältniſſen in enger Verbindung ſich hielt, war der 1879 im Alter von faft 82 Jahren verftorbene Waadtländer 2. Vulliemin. Urfprünglid) Geiftlicher, biß ihn Geſundheitsrückſichten ſchon 1826 zivangen, das Predigtamt aufzugeben, widmete fich Vulliemin hiſtoriſchen Studien und jchrieb insbeſondere ald Fortjeter Johannes Müller'3 die Ge- Ihichte der Schweiz aus dem 16. bis an den Anfang des 18. SYahr- hundert. Als langjähriger Leiter der Societe d’histoire de la Suisse romande bot er förderlide Anregung für die Pflege der Geſchichte feiner Heimat.

Schon bei feinem Leben bot Qulliemin in dem äußert ane muthigen Buche: Souvenirs racontes & ses petits enfants 1871 einen Beitrag zu feiner Biographie. Das hier von einem Verwandten gegebene Lebensbild ijt Fürzer, jo weit die „Erinnerungen“ reichen bis zur Vollendung der Müllerfchen Fortſetzung 1842 —, eingehender befonder® von 1849 an. Während bis 1863 und bis 1866 der Briefmechjel mit dem Neuenburger Bolitifer und Publiziſten H. Fl. Galame und derjenige mit dem Waadtländer antiquariihen Forſcher Fr. Troyon voranftehen, wurde jeit der Mitte ded Jahrhunderts Georg v. Wyß in Zürich hauptſächlich der vertraute, in biftorifchen Fragen vielberathene, aber ald Freund ebenfo hochgeſchätzte Korre— ſpondent, und jo legte der Vf. bejonders für die legten Jahrzehnte ganz vorzüglid die Briefe an den Präjidenten der fchweizerifchen geſchichtforſchenden Geſellſchaft zu Grunde. Einen ſehr breiten Raum nimmt von 1873 an die lebhafte Unterhaltung, mit ihren zahlreichen Erkundigungen, über die Arbeit ein, die der greiſe Hiſtoriker an die Hand genommen und 1875 und 1876, dann noch in einer zweiten Ausgabe, zu Tage brachte, die H. 3. 38, 500 u. 501 beſprochene furze Histoire de la Confederation suisse.

Das vorangeitellte, technifch zwar nicht gerade gelungene Bild zeigt doch völlig die milden, gewinnenden Geſichtszüge des Patriarchen von Mornex, wie Qulliemin wohl nad feinem jtillen Wohnſitze bei Lauſanne benannt wurde. M. v. K.

120 Literaturbericht.

älteren Beringer von Landenberg eine Kundſchaft über ihre Frei— beiten die Örundlage zum jpäteren Herrſchaftsrecht und die erfte Auskunft über die Befugniffe des ftädtiihen Rathes ſich geben ließen, das Elgger Archiv ein ſtets reicheres Material.

Seit der Reformation gehen die Verhältniſſe der Gerichtsherr⸗ Ihaft, die nach vielem Wechſel 1712 in den Befiß der Büricher Familie Werdmüller überging noch jept ift dad Schloß Fidei⸗ commiß derjeiben —, und des Marftfledend neben einander ber. Erft die Ummälzung von 1798 fegte nun auch diefen feudalen Rechtszuſtäinden ein Ende, deren Schilderung der eigeuthümlich und durch einander liegenden Berechtigungen, Nugungen und ad» minijtrativen Ordnungen einen ganz bejonderen Werth des Buches ausmacht. Es verftand ſich von jelbit, daß bi8 an das Ende ded 18. Jahrhunderts unaufhörliche Kompetenzftreitigfeiten fich fortipannen, in die der ald Wegierung übergeordnete zürcheriſche Landvogt auf Kiburg nur ſehr ungern eingriff. Man überblidt diefen Mikrokosmos in äußert injtruftiver Weiſe; denn ein recht weitjchichtigeg Material it da mit größtem Fleiße überfichtlich geordnet und wirthſchafts⸗ geſchichtlich ſowie fulturhijtorifch ausgebeutet.

Der dritte Theil Neueite Zeit —, der übrigens der fürzefte Abſchnitt des Buches ift, reicht, entiprechend der volksthümlichen Beitimmung des Werkes, bis in die Gegenwart hinein.

M. v.K.

Philipp Augustus. By William Holden Hutton. London, Mac- millan & Co. 1896. 2306. 2 sh. 6 d.

Der Verlag Macmillan & Eo. in London beabfidhtigt, im Un- ſchluß an die unter dem Namen Twelve English Statesmen befannte Sammlung eine weitere, Nichtengländern gewidmete Reihe von Lebens— bejchreibungen ericheinen zu laffen. Profeſſor Bury am Trinity College in Dublin gibt diefe neuen Foreign Statesmen heraus. Es fol nicht jeder Staatdmann Aufnahme finden, der in der Gedichte jeine8 eigenen Landes Hervorragende3 geleiftet, fondern nur derjenige, der auf den Gang der europäischen Geſchichte maßgebenden Einfluß geübt bat. In einem der eriten erjchienenen Bändchen behandelt Hutton Philipp II. Auguſt von Frankreich (1180 bis 1223), dem merhvürdigerweife in Sranfrei noch feine irgendiwie brauchbare Biographie zu Theil geworden, und defjen Geſchichte in den letzten Sahren von Nichtfranzoſen am eifrigiten erforjcht worden ift. Die

Frankreich. 121

jo gewonnenen Ergebniſſe find aber in Deutſchland bisher nur wenig in diejenige geſchichtliche Literatur durchgedrungen, die auch weiteren Kreiſen zugänglich iſt. Und doch iſt die Kenntnis der langen und ungewöhnlich erfolgreichen Regierung Philipp's für ein richtiges Ver: ftändnis des Zerfalls der alten deutſchen Kaiferherrlichkeit ganz un⸗ erläßlich. Wenn Bhilipp nad) der Schlacht bei Bouvines den er- beuteten Reichsadler dem jungen Hohenftaufen. Friedrich zufenden fonnte, jo wird dadurd) die jahrhundertelange Einmiſchung Franfreichs in Deutſchlands innere Angelegenheiten ſymboliſch ausgedrückt.

H. gibt im 1. Kapitel einen Überblid über die franzöfifche Monardie im 12. Jahrhundert. Im 2. jchildert er Philipp's An⸗ länge, im 3. den Fall des Haufes Anjou, im 4. die Schlacht bei Bouvines, im 5. die Fortjchritte des Königthums, im 6. die Be- ziehungen zwiſchen König und Papſtthum, in 7. die letzten Regierungs— jahre. Wie dieſe Zufammenjtellung zeigt, hat H. ed gar nicht ver- ludt, den gewaltigen Stoff planmäßig zu gliedern, fondern ſich damit begnügt, ihm nach den dankbarften und naheliegenditen Geſichtspunkten zu gruppiren. Er wurde dazu zum Theil durch den Stand Der Forſchung veranlaft. Über feine Stellung zu den Vorarbeiten ſpricht er ſich am Schluffe in einer kurzen Bemerkung aus: die Ergebniffe ſeiner eigenen Quellenforſchung hätten ihm oft franzöſiſche und deutſche Hiſtoriker vorweg genommen, ſo daß er, nur in ihre Fußſtapfen tretend ſein Ziel habe erreichen können. Er nennt die Namen einiger ſeiner Vorgänger, aber ohne genaue Titelangabe ihrer Schriften. Wir dürfen demnach von dem hübſch ausgeſtatteten Bändchen feine Bereicherung unſeres Wiſſens im Sinne der Fach— wiſſenſchaft erwarten. H.'s Verdienſt beiteht in der forgfältigen Zu: ſammenfaſſung des in Einzelſchriften zerſtreuten und ſomit ſchwer ugänglihen Stoffes, den er ſich auf Grund ſelbſtändiger Quellen— lektũre gut angeeignet und in anſprechender Erzählung wiedergegeben hat. Die Schickſale ſeines Helden, der den Menſchenkenner vor ſo manches ſchwer zu löſende Räthſel ſtellt, verfolgt er mit lebendigem Antheil, hält ſich aber von jeder unangenehmen Überfhäßung frei. die und da läßt er fi freilich verleiten, den Lobpreiſungen der höfi ſchen Biographen allzuviel Bedeutung beizumeſſen. Er hätte auf jeden Fall dem Leſer deutlich machen müſſen, daß rhetoriſch aus— geſchmückte Urtheile aus der nahen Umgebung des Königs als timmungsbilder recht werthvoll ſind, daß aber der zurückſchauende iſtoriter ſie von ſeinem höheren Standpunkt aus nicht ohne kritiſche

122 Riteraturberidht.

Prüfung ald feine eigene Meinung ausgeben darf. Etwas mehr Zurüdhaltung den Duellen gegenüber hätte der Verfaſſer wohl üben fönnen. Beim Tode des Königs, wo wir eine pfychologifche, ein- dringende Charafterijtif erwarten, wird und der Nadıruf eines höfiſchen Klofterchroniiten geboten. Auch fonft vermiſſen wir bie und da bei aller Übereinftimmung in der Gefammtwürdigung größere Tiefe und Schärfe der Auffaffung, jtraffere Unterordnung der Einzelheiten unter allgemeine politiſche Geſichtspunkte. Denn die Politik war doch der Lebensnerv dieſes Königs, der und zunächſt als ein Eroberer erjcheint. Der Krieg war ihm Mittel, nit Selbitzwed. Bejonnenheit und Energie rühmt Ranke vor allen an ihm. Die Zeitgenofjen natürlich haben jein Bild nad) der Schablone des frommen Ritterd audgemalt.

Die Anerkennung, die wir H.'s nützlicher Leiftung willig zollen, wird Durch den Nachweis einiger ihm untergelaufenen Verſehen nicht gefchmälert werden.

Ein böfer Drudfehler auf ©. 15 läßt Philipp am 19. ftatt am 21. Auguſt 1165 geboren werden. Der Tod Ludwig's VII. wird ©. 22 auf den 18, ©. 32 auf den 19. September gelegt. Nach neueren Forſchungen iſt der 19. richtig.

Bei der Schilderung der Jugend fehlt ein Hinweis auf die nicht unwichtigen Verhandlungen über die Verheiratung des Prinzen zwifchen Raifer Friedrich I. und Ludwig VII. Es fpiegelt ſich darin immer der Widerfchein des großen Kampfes zwiſchen Kaifer und Papft. Philipp wuchs in diefen Gegenjäßen heran. ©. 25 wird irrthümlid) behauptet, der flandrifche Einfluß fei biß zum Tode des alten Königs vorherrichend gewefen, er hörte aber infolge des Eingreifeng Englands in die Verhandlungen von Giſors fhon am 28. Yuni 1180 auf.

Die Gräfin Elifabeth oder Sjabella von Bermandois, Gemahlin Graf Philipp's, ftarb nit 1183, fondern 1182 (©. 34). Die Forſchungen Hermann Bloch's über Heinrich VI. find zum Schaden der einfchlägigen Ausführungen nicht benutzt. Die Belagerung von Ehäteau-Gaillard und die Schlacht bei Bouvines jind recht aus führlich behandelt, wenn man damit 3. B. die Albigenferkriege und die franzöſiſch-flandriſchen Beziehungen vergleiht. Die friegerifchen Schilderungen lehnen fich vielleicht etwas zu eng an die anekdoten⸗ bajten Duellenberichte an. Die Aufzählung der Orte, die das Heiratd« gut der eriten Frau Philipp's ausmachten, iſt ungenau. 9. hätte S. 93 Lillerd nicht mit dem bedeutenden Lille verwechſeln dürfen. wo das Richtige doch ſchon bekannt war. Ebenda wird der Ton

124 Riteraturbericht.

gar feine eigenen Mittheilungen Montesquieu's über feinen A enthalt bei den Briten haben; ed wäre wenigften® mehr denn würdig, wenn er gerade über da8 Land, das ihm in jeder Xi den tiefiten Eindrud hinterlafien hat, nur die wenigen, ſchon 1818 befannten Notizen hinterlaſſen hätte.

Im ganzen laffen ſich die Papiere, die und jept jeine Ne fommen befannt geben, in zwei große Gruppen jcheiden: in We eindrüde und in Papiere zur Entwidlung feiner Ideen.

Und wenn der Eindrud der bisher belannt gewordenen Th nicht zu viel verfpricht, jo werden wir aus allen Papieren insgeſam ein jehr lebhafte und jehr interefjante® Bild von Montedquie Werdegang gewinnen, ein Bild, das vermuthlich wenig zu dem Urtf Sorel’3 ftimmen wird, Montedquieu fei mit dreißig Sahren jd fertig gewejen und biete in feinem Privatleben nichts Intereſſant weil es in feiner Weiſe feine Werke erläutere.

Wir Haben es hier im bejonderen mit dem 1. Bande Voyages de Montesquieu zu thun. Er ift vom Baron Alf de Montedquieu mit Hülfe einiger Gelehrter von der Societe « bibliophiles de Guyenne veröffentliht und darf in jeder Beziehn al? eine Mujteraußgabe gelten. Eine kurze Vorrede des Barı fnüpft den Band an die beiden früheren Bublifationen an und richtet über feine Anlage wie den Antheil der verjchiedenen W arbeiter. Daran jchließt ſich eine ausführlide Einleitung von He Barckhauſen, die in vortreffliher Weife über Anlaß und Gr von Montesquieu's Neifen, die damalige (1730) uniichere politi Lage Europas, den äußeren Verlauf der Reifen und ihre weft lihen Eindrücke auf Montedquieu alle wünſchenswerthe Ausfı giebt. Darauf folgt eine genaue Beichreibung der in dem Ba veröffentlichten, von Raymond Celeſte entzifferten Manujfripte. D find Dieje ſelbſt abgedrudt, führen aber in dent vorliegenden Ba nur durch ſterreich und Stalien bi® zur Abfahrt Montesquieu's r Neapel. Der Reſt der Berichte über Stalien, die Notizen von fei deutfchen und Holländiichen Reife follen in einem 2. Bande folk Den Reijenotizen it zum Schluß noch ein reicher Anhang von | merkungen beigegeben ; die Herauögeber, zu denen hier noch Reinh Dezeimerid tritt, unterrichten in diefer ganz beſonders verdienſtvol Arbeit über alle von Montesquieu erwähnten PBerjönlichfeiten, Di und Berhältnifje mit einer höchſt anerfennenswerthen Sorgfalt ı

Frankreich. 125

Genauigkeit. Wenn alle Bände der Publikation ebenſo vorzüglich wie der vorliegende ausfallen, ſo darf ſich dieſe Nachleſe von Montesquieu's Werken den beſten Ausgaben moderner franzöſiſcher Schriftſteller an die Seite ſtellen. Es wäre nur zu wünſchen, daß die Veröffentlichung fchneller vorwärts rüdte! Nach den Inhalt des bisher Erfchienenen ift man auf das Weitere jehr gejpannt.

Die bekannten Eigenfchaften des großen Denfers, bejonders feine iharfe Beobachtung, fein maßvolles aber beitimmtes Urtheil umd die außerordentliche Bieljeitigfeit feiner geijtigen Intereſſen prägen ſich aud in feinen Reiſeberichten überall aus. Da ijt fajt fein Gebiet frembländifchen Lebens, von dem er nicht mit regem Intereſſe Notiz nähme und ein werthvolles, wenn auch nicht immer richtiged Bild gewänne. So begegnen in dem bunten Durcheinander feiner Be obachtungen Urtheile über die’ erjten Männer jener Tage, mit denen er in perfönliche Berührung fam, Meine und bezeichnende Anekdoten zur Geichichte jeiner Zeit oder der jüngiten Vergangenheit, mehr oder minder kurze Anfpielungen auf gerade ſchwebende politiiche Händel, die er immer aus erjter Duelle beurtheilen konnte, eingehende Studien über Berfaffung und Leben der von ihm bereiften Länder, vor allem Venedigd, Sardiniend, Genuas und des Kirchenjtantd. Überall ver- täth ji) dabei der fünftige Verfaffer der Considerations und des Kaprit des Lois. Insbeſondere überraicht noch das Jaußerordentlich feine Kunſtverſtändnis, das er den Schätzen antiker und moderner Kunſt entgegenbringt. Da wird der fühle, fuftematifirende Denker zum ſchwärmenden Bewunderer echter Kunſt und leiht feiner Be— geifterung oft Worte, die gerade aus dem Munde dieſes jo ruhig abwägenden Mannes als eine fchöne Apotheofe italienischer Meijter: werte gelten dürfen. Und doch padt ihn zugleich inmitten der Trümmer Roms die Trauer über den Untergang des gewaltigen romiſchen Weltreiches und läßt ihm nicht eher los, als bis ihn Die Einficht in die Gründe der Vergänglichkeit dieſes wie jeden Menſchen— werkes zur Refignation zwingt.

Erſt die PVeröffentlihung aller noch unbefannten Schriften Montesquieu's wird zeigen, wie weit ſich unſer heutiges Bild von

ſeiner Perſönlichkeit und ſeiner Bedeutung zu wandeln hat. Aber die Nothwendigkeit einer neuen Biographie läßt ſich ſchon jetzt voraus⸗ Ieden. Sie hätte die verjchiedenen Eindrüde von Montedquieu’3 Reifen nd Studien zu ordnen, in ihrer Einwirkung auf feine Schriften zu olgen und fchließlich zu zeigen, daß lich hinter dem dürren, falten

126 Literaturbericht.

und ſchier unheimlichen Beobachter des „Geiſtes der Geſetzer ein le

bendig empfindender, ja gefühlvoller Menſch verbirgt. Berlin. Theodor Kükelhaus.

Napoleon III avant l’Empire. Par H. Thirria.. Tome seconCAk.. Paris, Plon, Nourrit & Co. 1896. 591 ©.

Der 2. Band de3 Thirria’ihen Werles (vgl. H. 3. 76, 501) iſt dem erften raſch gefolgt und übertrifft ihn an Umfang, nit abemer an Güte. Die bereit früher erwähnten Fehler desfelben finden ji «ach hier in erhöhtem Maße wieder: eine jehr weitgehende Milde ind er Beurtheilung der politifchen Handlungsweiſe ded Helden, eine & -ır- hebliche Überſchätzung feiner Geiſtesgaben, ein empfindlicher Many el an fornellem Geſchick in der Daritellung der Ereignifie; dieleL Be reiht vom 20. Dezember 1848 bi$ zum 2. Dezember 1851, vonı>er Bejignahme des Präfidentenftuhles bis zum Staatdftreich, ohne jeder ch denfelben und feine Folgen näher zu .berühren, was allerding im den Rahmen des ftimmungsvollen Bildes, daS und der Pf. von de m wie ein Naturereignis ſich vollziehenden Übergang des gefammter: Frankreichs in das napoleonische Lager gibt, wenig gepaßt Haben würDe- Wenn er auch den Eidbrudy ded Prinzen Louis Bonaparte nit garız zu beichönigen vermag, jo meint er doh zum Schluß: L’histeire dans son jugement definitif sera indulgente au president et condamnera surtout la France, sa complice, son impatiente &t imptrieuse complice (©. 578). Wenn diefe Liebe jo heiß und diete Begeijterung jo allgemein gewefen, wozu hat es denn all der Opfer ded 4. Dezember auf den Boulevard von Paris, all der PBroftrig>= tionglijten für Cayenne und Lambeſſa bedurit, all der Schreden>= jenen in den Provinzen, die und heute urkundlich befannt jind um D gegen die der 18. Brumaire des erften Bonaparte ein unſchuldige 8 Scäferjpiel geweſen ijt?

Doch auch davon ganz abgejehen, iſt da8 Buch äußerft ſchwe fällig gefchrieben, au maffenhaft aneinandergereihten Beitungsercerpte und parlamentarifchen Berichten zufammengeitoppelt, bei denen fer? häufig jeder Hinweis jehlt, der über den hiſtoriſchen Wert De? Zeugniſſes aufklären fünnte oder deſſen Unwerth, wie z. B. Dei den Auszügen au3 der damaligen bonapartiftiichen Preffe, wie Pte überall von der Gefellihaft des 10. Dezember vder vom Eiyfet feldjt in’3 Leben gerufen wurde, ergeben würde. Indes, ſell it aus Th.'s Erzählung ergibt ji) unmiderlegbar, daß Napoleon III.

Frankreich. 127

nicht ſowohl durch eigenes Verdienſt ſeinen Herrſcherthron ſich erobert, als durch die unverſöhnliche Feindſchaft der anderen politiſchen Parteien im Lande untereinander; indem er die Nationalverſammlung in ihrer monarchiſchen Mehrheit mit dem rothen Geſpenſt der Demagogie erſchreckte, während er die breiten Volksſchichten gegen die Legitimität und den Kapitalismus der Orleaniſten in den Harniſch brachte und zugleich die Kirche zum Bundesgenoffen gewann, lähmte er jede Möglichkeit eines gemeinfchaftlichen Vorgehens, eine Politik, die ein bedeutended Genie, nur ein jehr weites Gewiffen und zu Alem entichlofjene Helfershelfer erforderte. Die allgemeine Strömung der Zeit, die Unfähigkeit der Gegner, vor allen auch fein Name baben feinen nicht fein, ſondern fehr grob gejponnenen Plänen zum Eiege verholfen. Einen Haren Einblid in die innere Geſchichte der Präfidentichaft Louis Napoleon’8 wird man jedenfalls aus dem Berke Th.'s nicht erlangen; denn der Vf. weiß darüber jelbft nicht mehr oder will es doch nicht fagen als die damaligen Zeitungs- blätter oder bereitö veröffentlichte Memoiren, wie die von Odilon— varrot, Maupas oder Granier de Caſſagnac berichten. Die perſön— liche Geſchichte des Prätendenten wird dabei ſehr wenig berührt, und doch läßt ſich aus ihr heraus, aus ſeiner, durch eigene Schuld bedrängten materiellen Lage heraus die Entwicklung der endlichen Dezemberkataſtrophe noch am leichteſten erklären; freilich auch kein erhebendes Leitmotiv für eine „völkerrettende“ That! Im Ganzen dürfte jedenfall3 dieſe verichämte Apologie des Staatsſtreiches und ſeiner pſychologiſchen Nothwendigkeit im heutigen Frankreich wenig nflang finden.!) R.

Histoire de la troisitme Republique. Tome I: La presidence de M. Thiers. Par Edgar Zevort, recteur de l’Academie de Caen. Paris, Felix Alcan. 1896. XII, 411 €.

Am obigen Bande, dem erjten eines auf drei Bände berechneten Wertes, daB bie zeitgenöſſiſche Geſchichte Frankreichs vom Sturze de3 Zweiten Kaiſerreiches bis zur Ermordung Carnot's in gedrängten Zügen dem größeren Publikum vorführen ſoll, erzählt der Vf. nad) kurzer Einleitung, die Thatfahen vom 4. September 1870 bis zum

1) S. 97 ftatt Anftlett iit zu lefen Anſtett; S. 180 Defermon ftatt Dufermon; S. 310 Lahitte ftatt Kafitte; S. 249 ijt Combarel de Leyval der Name eines, nicht ziveier Abgeordneten u. |. w.

128 Kiteraturbericht.

Sturze des Präfidenten Thiers durd) die vereinigten monarchiſche und Herifalen Elemente der Derfailler Nationalverfammlung ar 24. Mai 1873. In den jeh3 Kapiteln des Buches ift ſomit ein ge waltiger Stoff zuſammengedrängt und in entiprechender, oft feh ſummariſcher Skizzirung dem Lefer vor Augen gejtellt, da die ganz erite Hälfte des Krieges bi3 Sedan kaum ein Dutzend Seiten umfaß die Pariſer Belagerung und die Thätigfeit der Delegation von Tour und Bordeaur auf ungefähr 120 Seiten erzählt wird, eine weiter Bahl von 100 Seiten bi8 zum Sturze der Kommune führen und Di beiden legten Kapitel, in ungefähr gleihem Umfang, die Gefchid der Regierung Thierd’ vom 29. Mai 1871 bis zu feinem Abtrete ſchildern. Es kann ſomit felbitverjtändlich weder von einer eingeher deren Schilderung der Ereigniſſe, noch von einer Detaildyarafterift der handelnden Perſonen die Rede fein, wie fie und etwa in de lebendigen Erinnerungen Jules Simon’d entgegentreten. Aber dei jenige, dem ed nur um eine fnappe, möglichit unparteiifche Drienti rung auf dem betreffenden Gebiete zu thun ijt, wird in den Bud) von 3. einen recht brauchbaren Leitfaden finden, der die wid tigiten Daten und Thatſachen in anjprechender, warmer Schilde rung gruppirt, dabei aber mit möglichiter Unparteilichkeit, nach alleı Seiten, jelbft gegen die Männer der Kommune, gerecht zu jein bejtreb war. Und wenn aud) diefer erite Band bei der häufigen Behandlun des Gegenſtandes nur meist Belanntes darbietet, jo darf einer ü gleichem Geiſte politifher Mäßigung gejchriebenen Darſtellung de Präſidentſchaften Grevy’3 und Carnot's, die noch faum anders als ii der Tagespreſſe gejchildert wurden, mit Danf entgegengejehen werden.!

Geoffrev de Maudeville..e A study of the anarchy by J. H Round. London, Longmans, Green & Co. 1893. XI, 461 ©. mi 1 Facſimile.

Borliegende® Bud beurfundet auf's treffendite den fritifche: Scharfſinn des durch feine meilterhaften hiſtoriſchen Auffäße befannte: Verfaſſers. Auch in Ddiefer Arbeit fällt das Hauptgewicht auf dei

1) ©. 18 lied Chaudordy jtatt Chudordy; S. 169 Grosjean war Al geordneter des oberrheiniichen, nicht de8 Moſeldepartements; S. 174, da fein jranzöfiihes Parlament mehr obiture Unbekannte umfaßt Habe, als bi Verfammlung von 1871 6i8 1875, iſt entichieden falſch. Kaum eine andere ba jo viele Berühmtheiten aller Art gezählt ald die Nationalverjammlung.

180 Literaturbericht.

®

ein, es fol bier nur auf die Gefährlichkeit jener zweiſchneidi Methode hingemwielen werden. R. will (S. 10) ofienbar zum er Mal einen Auszug aus einer Urkunde druden. Sie wurde Ihon im vorigen Sahrhundert gedrudt!). Noch merkmürdiger dab Pf. überhaupt feinen Quellennachweis für feine Urkunde g Bei der Genauigkeit des Bf. würde man einen fo unbedeuten Lapſus fofort einem Verſehen zufchreiben, wenn derjelbe nicht

der nächſten Seite wiederfehrte ?). Jedoch zu einem fachlichen S tum: die S 144—145 aufgeftellte Hypotheſe ſcheint mir unhalt zu fein. R. meint, daß der Titel comes eigentlid) nur neben i Vornamen ftehe, und daß der Name der Familie des Betreffen oder feiner Graffchaft oder auch feine® Hauptſitzes nur angehä werde, um ihn von einem gleichzeitigen und gleichnamigen Gre zu unterjcheiden. " So behauptet R., daß mit Rückſicht auf

Grafen Gottfried von Anjou Gaufridus de Magnavilla, nacht er die Grafenwürde erhalten, immer mit dem Titel Comes Essexa unterjchrieben habe. Aber wozu hätte man erftend ei einheimifchen Grafen von einem ausländifchen, der niemal3 das betrat, fo genau unterfcheiden follen? Und es läßt fich zweitens anderer Fall anführen, welcher des Bf. Auffafiung fchlagend mit jpridt. Der Graf von SHereford, Milo Glocestriae, unterzeid zweimal (S. 182, 314) Milo Comes Hereford, obgleid er 9 Theorie gemäß nur die Unterfchrift Milo Comes führen müßte, es damals feinen gleichnamigen Grafen gab.

Die zweite Hälfte unſeres Buches beiteht aus einer gro' Anzahl verjchiedenartiger Beilagen. Vielleicht die werthvollite handelt die Anfänge der Verwaltung London® (App. P.). Appellation der „Kaiferin” an Rom wird App. B. beiproden. jeßt daS Datum auf 1136 fejt und flärt die Erzählung des 7 gange8® auf. App. D. behandelt die fog. fiskaliſchen Grafen. führt aus, daß das Studium der Frage dadurch erjchwert wird, : wir nur eine Urfunde, durd; welche Stephan einen Grafen ernan befigen. Die bejchenkten Grafen hätten alle zu dem größten ı reihiten Adel des damaligen England gehört und hätten jomit von Stubb8 angenommenen Zuſchüſſe aus der Schaglammer n

1) Bei Mador: Firma Burgi Lond. 1726, ©. 28. ») Die S. 112 gedrudte Urkunde fteht jchon in den Hist. Dune SS. Tres, app. p. L, Lond. 1839, Surtees Society.

182 Literaturbericht.

kenntlich zwiſchen den in den Quellen als Councils bezeichneten Ver ſammlungen in den Grafſchaften und dem Parlamente, das wol demjenigen von Weſtminſter nachgebildet war. Nur daß unter Heir ri IV. diefe irifhen Parlamente (Great Councils) infolge de ſchlechten Zuſtandes und der Unficherheit der Straßen auch wie jer Councils faft nur aus einem engeren Bezirke befucht zu fein pflegte und daher thatfächlih von den Graffchaft3verfammlungen nicht fo ſel verjchieden waren.

Bon allgemeinerem Intereſſe it auch (Rap. 75) die anfchaulid Schilderung des ftädtifhen Leben? in England unter Heinrich IV insbefondere der Gilden, deren Bedeutung gebührend hervortrit In Bezug auf das urjprünglide Verhältnis der Gilden zu de jtädtifchen Verfafjungen bat W. die richtige Anſchauung, wenn er (üı Anſchluſſe an das trefflihe Buch von Groß) jagt: „Obwohl unzmeife haft Stadtverwaltung und Gilde urjprünglich zweierlei waren, j zeigt ſich doch bald ein allgemeiner Zug zur Verjchmelzung beide mit einander* (3, 184). Unter der in dieſem Abfchnitte benußte Literatur vermiffen wir, beiläufig bemerkt, die Arbeiten von Hege

Nicht ohne Scharffinn weiß der Bf. fi gelegentlih auch i kritiſchen Auseinanderjegungen zu bewegen. Manchmal ergeben ſic dabei Berichtigungen früherer Darjtellungen, jo auch derjenigen vo! Pauli. In der Erörterung 2, 212—17 find wir mit dem Bf. be Meinung, daß die in der Gallia sacra 2, 362 ff. gedrudten Artike nit wohl diejelben fein fönnen, welche der rebelliihe Erzbifche Scrope an das Thor der Kathedrale von York beiten ließ. Di Yorker Artikel find, wenn wir W. recht veritehen, auch dem Führe der Königliden, Graf Weitmoreland zu Shipton Moor, vorgeleg worden, welcher erklärte, jeder verftändige Mann müſſe für fie ein treten. Das hätte Weſtmoreland deſſen heuchleriiches Verhalte wir gleihwohl nicht vergeffen von den in der Gallia sacra ge drudten doch fchlehterdings nicht jagen können, da in diefen Köni Heinrih der fchweriten Verbrechen beihuldigt wird. Ebenſo weni wie der Erzbifhof nad) der Proflamirung diefer Artifel noch hätt behaupten Fönnen, er wirke für den allgemeinen Frieden, nicht den Krieg.

Die Erhebung und der Fall Scrope's bildet übrigens die inter eſſanteſte Epifode aus der Geſchichte der inneren Kämpfe feit der Tode von Percy Heißfporn. Der Bf. ftellt jie in allen Einzelheite dar. Was die hinterliftige Gefangennahme der Yührer ded Auf

England. 183

ſtandes betrifft, fo finde ih, daß auch nah W.'s Ausführungen etwas Rätbjelhaftes dem VBorgange immer noch anhaftet. Ausführlich und anfprechend ift die Erzählung von Scerope’3 Hinrichtung und Beiſetzung; werthvoll auch die Befchreibung, wie im Volfe der Glaube an Yeine Heiligkeit und Wunderfraft entjtand, im Bejonderen, wie die Rolle, weldhe der Erzbifchof einjt bei der Entthronung Richard's LI. gerpielt hatte, vergeffen ward, und wie fpäterhin fein Martyriun geradezu für die Anſprüche der Yorks gegen das Haus Lancafter zeugen follte. Dem Fachmanne ift aud die diefem Abjchnitte an- gehängte Überficht über die Duellen der Legende recht willfomnen, wenn aud) der gemöhnliche Lejer wohl finden wird, daß die Cinheit- lichkeit der Erzählung darunter leidet.

Das Lebtere ift, wie wir ſchon bemerft haben, leider allzu oft der Fall. Die beiläufigen Erörterungen, wenn fie felbjt manches Be— lehrende enthalten (wie z. B. 2, 388—90 iiber die allmähliche Ver— drängung der franzöfifhen Sprache aus England), find gewöhnlich viel zu weit ausgefponnen. Der Bf. hat von Verhandlungen mit den Städten des Hanjebundes zu berichten und fann es ſich nicht verfagen, die Art und den Umfang des zwifchen England und der Hanſa betriebenen Handel3 mit vielen, theilweije einer andern Zeit angehörenden Einzelheiten ausführlih zu fehildern. Oder er gibt, wo er von der Erkrankung des Königs im Jahre 1405 zu fprechen hat, eine umftändliche Bejchreibung der in England damals grajliren= den Krankheit. Die Erzählung des Kampfes um ein paar Burgen veranlaßt ihn zu einer weitläufigen Erörterung über die Entwicklung und den Gebraud der Feuerwaffen bei Belagerungen. In ganzen Kapiteln wird die frühere oder aud die fpätere (3. B. Kap. 63) Lebensgeſchichte neu auftretender Perſönlichkeiten von Bedeutung er—⸗ sählt. Am weiteften entfernt fich der Bf. von jeinem Gegenitande, ‚wo er gewifje auswärtige Verhältnifje behandelt. Im 3. Bande find liche Kapitel der Geſchichte des Schismas der Kirche, des Konzils Ju Wiſa und. der ſich daraus ergebenden kirchlichen Verhältnifje ge— Mid met, in denen die Haltung England doc) wohl niemal$ von ENT cheidender Bedeutung gewefen ijt. Mehr anı Blake iſt es, wenn

3; Anfänge der huſitiſchen Bewegung in Böhmen genau geſchildert

Serden, da ja die Lehren Wiclif's das vornehmſte Rüſtzeug für

IoHan Hus abgegeben haben.

E Der 4. Band ſoll binnen kurzem erſcheinen und das Werk zu MDe führen. Hoffentlich vermag uns der Bf. zum Schluſſe noch

134 Literaturbericht.

einen freieren Überblid über die Zeit Heinrich's IV. zu verſchaffen, als er bisher aus dem fo fleißig angehäuften, aber doch nicht recht gejichteten Stoffe zu gewinnen war. W. Michael.

Zur Entjtehung der Stadtverfaffung in Stalien. Eine hiſtoriſche Unte— juhung von Lothar v. Heinemann. Leipzig, Pfeffer. 1896. 75 ©.

Die kleine Schrift, ein Nebenproduft der Studien des Vf.“s. über die Gejhhichte der Normannen in Unteritalien und demgemäß au dieſes Gebiet befchränkt, beruht vor allem auf einer ſorgfältiger- Durchforſchung der einfchlägigen Urfundenbücher, au) der erit i mE neueiter Zeit erfchienenen; von ungedrudtem Material ift daß Chart _ mm larium der Inſel Tremiti in der Biblioteca Nazionale von Neape herangezogen; fünf Urkunden daraus werden im Anhange mitgetheil Am

Ohne auf Einzelheiten!) einzugehen, halte id den Gedanfe-— einmal im Zuſammenhange zu unterfudyen, inwieweit die unteritalif Gm Gemeinwejen an der zu jtädtiicher tyreiheit emporftrebenden Cr widlung in Sstalien theilgehabt haben, für einen durdaus richtis und anerfennenswerthen, und der Vf. Hat hiefür nicht wenig neu = und werthvolles Material beigebracht, wenn er jih aud m. E. ni genug von Konjtruftion freigehalten hat und zuweilen als Entwidlu rm, daritellt, wa8 als ein Nebeneinander aufzufajien iſt. Entſchiedem = Widerjprud aber meine id) dagegen erheben zu müfjen, daß der SE. das Ergebniß feiner an fich verdienitvollen Unterfuhung in dr Bez ſe überfhäßt, daß er nunmehr die erften Anfänge des ftädtifhen KO u: julat3 für Unteritalien in Anjprudy nimmt (S. 2) und die Behauptur = wg aufitellt, daß er ſchon für das 10. und 11. Kahrhundert für mehre ut Städte Unteritaliend eine Stadtvertretung nachgewiefen habe, die JE Eh nur dem Namen, nicht dem Inhalt ihrer Gewalt nah von denfome!- fuln, wie jie erjt Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunde As in Oberitalien auftreten, unterfcheide (S. 29). In Wahrheit iſt > =

) Dod) muß id) bemerken, daß die Zahl der Drud- und Flüchtigleiĩ 8 fehler ziemlich groß ift; 3. B. Heydt ftatt Heyd (E. 6), verlautbar wer en (E. 10), im Einfluß jtatt einen (S. 34), die Entwidlung erſcheint typiſch U jein (S. 37), „überflügelt” mit nachfolgendem Hilfszeitwort „ind“ (©. 42) „je größere Bedeutung da Partikularredit ... gewann und ſchließlich u Fr Ausbildung eined bejonderen Stadtrechts führte“ (5. 46), gezogene Seihär® Ss zeugen (©. 49), Welten jtatt Titen (©. 59) und durch die ganze Schrift HF 7" durd Bibliotheca Nazionale.

186 Literaturbericht.

zu thun, welche auf Grund fleißiger Forſchungen manche Dinge ü helleres Licht rückt und da, wo fie nur eine Zuſammenſtellung vor bereits Bekanntem bieten konnte, mit treffendem Urtheil die Ergebniflı anderer Forſcher verwerthet. Ich muß es mir im allgemeinen ver jagen, auf Einzelheiten näher einzugehen; nur eine Frage, welche für die Beurteilung der Gräfin Mathilde von befonderer Bedeutung ift glaube ich umfomehr hier erörtern zu follen, als der Bf. eine Ge Ihichte der Gräfin in Ausficht Stellt. Hat die Gräfin Mathilde eineı wejentlichen Antheil an dem Zriburer Beſchluß gehubt, daß ein Konzi auf deutichem Boden unter päpitlihem Schuß den Streit zwijdeı Gregor VII. und Heinrich IV. beilegen fole? Gewiß bat der Bi darin Recht, daß die Angabe Arnulf's von Mailand (M. G. Ser. 8, 30) auf den Rath des Abtes von Cluny, der Kaiferin Agnes und de Gräfin Mathilde fei-ein generale colloquium zwiſchen König un! Papſt bejchlofjen worcen, dem Zufammenhang nad nur auf die Ber handlungen zu Tribur bezogen werden fann; aber es fragt ſich eben ob jene Nachricht Glauben verdient. Overmann (S. 200 ft.) bejah diefe Frage in Übereinftimmung mit Giefebrecht und im Widerjprud gegen Meyer von Knonau und Vogeler, weil nachweislich Mathild: Gregor VII. zugeredet hat, die Reife nad) Deutichland zu unter nehmen. Aus diefer Thatſache fann man jedoch meine? Erachten nur fchließen, daß die Gräfin bei den Triburer Verhandlungen mit gewirkt haben fann, aber keineswegs, daß ſie dabei mitgewirkt Hat Meine Überzeugung, daß die Nachricht Arnulf’3 zu verwerfen ift Jeruht wefentlid; darauf, daß der Abt von Cluny in einem Athem zuge mit der Gräfin und der Kaiſerin Agnes als Urheber des Tribure Beichluffes genannt wird. Hugo dv. Cluny ijt aber Zeitlebens eiı väterlider Freund Heinrich's IV. und niemals ein bloßes Werkzeu päpjtlicher Politif geweſen; und er ſollte einen Beſchluß veranlaf haben, der dem Intereſſe des Königd jo ſchnurſtracks widerſprach daß diefer Alles daranjebte, um das Zuſammenwirken ded Papfte: mit den deutjchen Fürſten zu vereiteln?! Was der Bi. (S.1IIN. 2 für die Anmejenheit Hugo’3 v. Cluny in Zribur anführt, hat nad meiner Anſicht Feine Beweiskraft, und aud für die Behauptun: (©. 199), daß der Abt in diefer Zeit der VBertrauendmann der Gräftı Mathilde war, wird D. den Beweis wohl jhuldig bleiben.

K. Panzer.

Stalien. 137

Die Entwidiung der venetianijchen Verfaſſung von der Einfegung bis zur Schließung des Großen Rathes (1172—1297). Bon Rarimilian Elaar. (Hiftoriihe Abhandlungen, herausgegeben von Heigel und Brauert. Heft 9.) Münden, Lüneburg. 1895. 147 ©.

Die vorliegende Arbeit, deren erjter Theil als Inauguraldiſſer⸗ tation der hiejigen Univerjität erichien, ift auf meine Anregung Hin entitanden, aber zu etwas Anderem geworden, ald id) gedadjt. Es Ihien mir wünfchenswerth, daß im Anschluß an die recht wadere Arbeit von U. Hain, Der Doge von Venedig ꝛc. 1032—1172 (1883) auch für die jolgende Zeit bi8 zum Ende des 13. Jahrhunderts die venetianiſche Verfaſſungsgeſchichte eine genauc Unterfucjung erfahre. Und zwar handelte es ſich meiner Meinung nad) darum, unter Heran- ziehung alles erreichbaren gedructen und ungedrudten Materiald Die Anfihten älterer und neuerer, deutfcher und venetianifcher Gefchidht- Ichreiber, wie Raumer, Leo, Romanin, auf das Sorgfältigite Eritijch zu prüfen, um zu möglichft jicheren Refultaten zu gelangen. Nament— lich ſchien mir dies geboten gegenüber Romanin, unftreitig dem bes deutenditen unter den Genannten, der feine Darjtellung vielfach auf Nachrichten ſpäterer Chroniſten aufgebaut hat. Der Bf. hat nun allerdings in Venedig im Staatdarhiv und auf der Marfus-Bibliothef emjig gearbeitet und die Hauptquellen, welche für das Thema in Vetracht kamen, die handſchriftlichen Protokollbücher des Großen Rathes, die Promiſſionen der Dogen ꝛc. im Archiv eifrig durch— gegangen und in weitem Umfang verwerthet; in vielen ſtrittigen Punkten iſt er aber über Romanin nicht hinausgekommen, da er ſich hier auf die gleichen Gewährsmänner, d. h. die dem 16. und 18. Jahr⸗ Hundert angehörigen Chronijten Caroldo, Marco Barbaro, Savina und befonderd Miuazzo (7 1702) jtügt. „Die Urkunden,“ bemerft er darüber felbjt (S. 117), „welche die wichtigfte Duelle für die frühere

eit bilden, treten in der unferigen jehr zurüd und verichwinden für die Angelegenheiten innerer Verwaltung eigentlih) ganz... Sie tönnen nur zur Sllujtration der Rathsbeſchlüſſe dienen, deren Ori— ginale wir zumeiit bejißen. Selbſtändiges Material liefern ſie fehr wenig.“ Nach diefer Seite hin wird die Schrift Manchem, gleid) mir, eine Enttäufchung bereiten.

Überhaupt wird man unfchwer erfennen, wo der Echwerpunft der Arbeit liegt: in der, jozufagen, politifhen Erfaſſung des Gegen— ſtandes, die mit der Individualität des jungen Vf.'s. auf das innigſte zuſammenhängt und bei Beurtheilung der Arbeit nicht außer Acht

138 Riteraturbericht.

gelafjen werden darf. Es fehlt weder an politifhen Seitenbliden auf die Gegenwart, noch an Hypotheſen und Vermuthungen, für welche oftmal3 die Belege mangeln. E83 herrſcht vielfach da8 Bes itreben vor, zuviel Fonftruiren, zuviel auß dem Vergangenen hervor⸗ gehen lafjen zu wollen, wo die Entwidlung vielmehr eine fprung- weiſe gewejen fein dürfte. Auch werden innerhalb der behandelten Periode die einzelnen Zeiträume nicht genug geſchieden, die Phajen der Entwidlung nit jo detaillirt dargelegt, wie man es wohl er warten möchte. Auch die Genauigkeit in der Gitirung und BDrud: legung läßt bißweilen zu wünſchen übrig’).

Sonſt iſt der Stoff überfihtlid und klar in folgende 7 Kapitel eingetheilt: die Dogenmwahlen, der Große Rath, Senat, die Quarantia, die Signoria, der Doge, die Serrata del Maggior Configlio, worauf nod) ein Anhang über „Quellen und Literatur” folgt. Mit fihtlichem politiichen Berjtändnid hat der Bf. die großen Hauptfaftoren der venetianifchen Berfaflung und Regierung in dem angegebenen Zeit: raum jcharf neben= und gegeneinander hingeftellt und auf Grund ſeines Materiald ein umfaſſendes, anſchauliches, mit vielen neuen Detaild ausgejtatteted Bild von ihrer Thätigfeit entworfen. Den Mittelpunkt des venetianifschen Staatölebend bildet auch nad ihm in dieſem Zeitraum, d. h. im 13. Jahrhundert, der „Große Rath“, den Claar au der früheren Volksverſammlung, der concio, injofern her⸗ vorgehen läßt, als „die Nobiles, die in der Concio das Wort für die Gefammtheit führten, als die Vorläufer der Mitglieder des Großen Rathes anzufehen jind“. Und zwar bat der Große Rath eritend die gejammte Gejeßgebung über innere VBerwaltungd- und Regierungsangelegenheiten, zweitens jteht ihm die Oberleitung und Geſetzgebung in den geſammten Handels- und Hollangelegenheiten zu, drittend hat er damals aud) die Entjcheidung über Krieg und Frieden und die Handhabung der auswärtigen Politik. Trotz mehrfacher Kompetenzkonflifte hat Doge, Signoria und Duarantia in diefer Zeit auf den Großen Rath feinen entjcheidenden, der Senat feinen Ddaus eruden Einfluß gewinnen fünnen. Wie Muazzo ed außdrüdt: Der Doge und die Signoria d. h. der Doge mit feinen ſechs Räthen (Consiglieri) und den drei Häuptern der Duarantia Haben in- diefer Periode dad Vorjchlagsredt, Senat und Uuarantia das Be rathungsredht, der Große Rath das Enticheidungsredt. Die Stellung

1) Bei vielen der angeführten Verordnungen und Beſchlüſſe wird man die Jahreszahl ungern vermiffen.

140 Riteraturberidht.

iſt gewiß in erfter Linie den großen Erfolgen Cangrande's, der i den Jahren 1321—29 nach einander Feltre, Belluno, Padua un Trevijo gewann, der während des Römerzugs Ludwig’3 des Baier eine bedeutfame Rolle fpielte und fjogar die Erwerbung Mailand in's Auge faßte, zu verdanfen, aber ganz entichieden muß auch ar erfannt werden, daß der Bf. in lebendiger Erfafjung feines Stoff! in Öruppirung und Darjiellung fehr erhebliche Fortichritte gemad bat. Man wird gern dad Kapitel über die innere Politik Cangrande' lefen und nur vielleicht wünſchen, daß für die auf Grund der Statute gegebene Stadtverfafjung Verona3 die Verhältniffe anderer Signorie zur Vergleihung herangezogen wären. Im Anhang find aus Venedi und Verona ungedrudte Urkunden mitgetheilt. Ein Exkurs hande über die hiſtoriſche Glaubwürdigkeit Wibertino Muffato’8 im 12. Buı der gesta Italicorum. Dafür, wie aud) fonit, hätte die Publikatio von (L. Padrin) il principato di Giacomo da Carrara, narrazion scelta dalle storie inedite di Albertino Mussato (cod. Vatic. 296 Padova 1891 herangezogen werden müſſen. Ein anderer Exkur handelt über die vielbeftrittene Frage, wer der gran Lombard Dante’3 (Parad. XVII, 71) fei, und entjcheidet ſich für Cangrande' Bruder Bartolomeo della Scala, während eine gleichzeitig erjchienen Abhandlung von G. Sommerfeldt, Über das Geburtsjahr des Can grande I. della Scala (Mitth. des Snitit. f. ölterr. Geſch. 16, 425—5i für Alberto, Cangrande's Vater, plaidirt, namentlid aber im Gegen fat zu Spangenberg 1, 200 ff. das Geburtsjahr Cangrande's vo 1291 auf 1281 zurüdjchiebt!). K. Wenck.

Carlo Emanuele I secondo i piü recenti studi. Di 6iovanı Curti. Milano, Bernardoni. 1894. IX, 250 ©.

Über Herzog Carlo Emanuele ift bis in die neuefte Zeit Hinei viel gearbeitet und veröffentlicht worden. Berge von unbelannte Dokumenten über ihn und jeine Zeit ruhen aber noch ungehoben i vielen Archiven und Bibliothefen Europas verjtreut. Ref. fand felb ber feinem mehrjährigen Aufenthalt in Stalien, mit Studien über di Geſchichte des Dreißigjährigen Krieges beichäftigt, befonders in dei

1) Inzwiichen hat Spangenberg in einem Aujfag des Hiftorifhen Jah: buchs der ©. G. 17, 747—64 die auf dad Alter Cangrande's bezügliche Quellenangaben nod einmal erörtert und m. E. 1291 als Geburtsjaf jichergeftellt.

Stalien. 141

vatilaniſchen Geheimarchive, nicht allein in der für jene Zeit faft lüdenlos erhaltenen Nunziatura di Savoia das mwidtigite Material, jondern auch in anderen Sammelbänden eine reichhaltige Korreſpon⸗ denz des Herzogs mit verjchiedenen Hochgeitellten Perfönlichkeiten. der Bf. des vorliegenden Werts hat ſelbſt vorjichtig eingeräumt, dab noch nicht das lebte Wort über Carlo Emanuele gefprochen jei, job aber volljtändig davon ab, weiteres Duellenmaterial für feine Darftellung heranzuziehen. Umfomehr hätte man erwarten können, daß er nach feinem Plan, nad) den neueften Studien zu arbeiten, wenigftend die bisher vorhandene Literatur eingehend durchgearbeitet hätte. Auch das ift nicht einmal gejchehen. So wären Eurti zweifel⸗ [08 die Unterſuchungen Bhilippfon’3 über Heinrich IV. und Philipp ILL befonder8 für Die Anſprüche des Herzogs auf das Marcheſat Saluzzo und Genf von dem größten Nuben gewejen. Für die Politik Rihelieu’3 folgt er überwiegend italienischen Quellen; nicht einmal eine Memoiren fcheint er zu fennen, gefchweige denn die neueren Unterfuhungen von Fagniez u. 4. Taß in den Documentos in- editos LIV und LV eine wichtige Korrefpondenz des Herzogs mit dem Gouverneur von Mailand, Gonzales de Cordova, abgedrudt ift, iheint dem Bf. gleichfalls entgangen zu fein. Aber auch die Aus- wohl der italienischen Literatur ift ſehr ungleichmäßig behandelt. So fuht man vergebend die Verwerthung einiger gleichzeitigen Geſchichtswerke, wie die von Capriata und die von d'Arco heraus- gegebenen älteren Chroniken von Mantua, die für den Mantuanijchen Erbfolgefrieg von 1628 von Wichtigkeit find, dagegen ift das fom- pendiöfe Nachichlagewerf von Botta: Storia d’Italia eine reichlid) fließende Duelle.

Auch von der Darftellung felbft ift wenig Gutes zu jagen. derzog Carlo Emanuele iſt unſtreitig für ſeine Zeit neben Männern wie Heinrich IV., Richelien, Olivarez u. A., mit denen er politiſch auf das Mannigfaltigfte in Berührung kam, eine bochbedeutfame Perjönlichkeit. Mit einer erjtaunlic) hartnädigen Energie veritand er 8, nachdem er bald nach feiner Thronbefteigung die alten Miniiter ſeines Vaters bei Geite gefhoben und die Zügel der Regierung in ſeine kräftigen Hände genommen hatte, eine anerkannte Rolle in uropa zu ſpielen, und man darf wohl ſagen, daß zu ſeiner Zeit kein größeres politijches Ereignis fich abjpielte, an dem er nit in gend einer Weife beteiligt war. Er ift e8 dann auch gemefen,

in dem favoyifchen Haufe den Grundfag einführte und verfocht,

142 Literaturbericht.

ſich in jeder Lebenslage ohne Rückſicht auf Moral der Mach— zuſchließen, die gerade die vorherrſchende war und durch deren T ftüßung er am bequemjten und gefahrlofeiten gewinnen konnte Politik, die allerdingd für feine Verbündeten oft recht gefä wurde, da fie e8 auch fertig befam, ſelbſt auf dem Schladhtfelt Partei zu wechſeln und dem Gegner fich beizugejellen, falls PVofitionen die günftigeren waren. In dem Lebenslauf eines ſi Fürſten gibt es viel zu erklären, C. aber bat ihn felten verſt und iſt ihm nirgends gerecht geworden. Er begnügt fi d oberflächlich längſt Belanntes wiederzugeben, unterſchiedslos eiı wichtigere Fragen, wie 3. B. die Kandidatur des Herzogs für deutfhen Kaifertbron im Sabre 1619 nad) der Unterjuchung Erdmannsdörffer nebenbei in einer Anmerkung abzufertigen, Ganze aber mit etwas Poeſie und einigen efjeftvollen Apercu: die moderne hiſtoriſche Wiſſenſchaft ſchmackhaft zu machen.

Das Werk iſt dem Minifter Baccelli gewidmet worden un fogar nah dem vorgedrudten Dankſchreiben des Königs Um Aufnahme in der Eöniglichen Privatbibliothet gefunden. Wenn der Bf. zum Schluß feiner Arbeit die Abficht ausfpricht, einige ne Werke, die nad dem Erſcheinen des feinigen veröffentlicht fin einer zweiten Auflage zu verwerthen, jo darf man nur wün daß dann auch feine eigenen Unterjudjungen eine verjtändnisv und inhaltreichere Bearbeitung erfahren möchten. Kiewnin;

Das Kanarierbuch. Geichichte und Gefittung der Germanen au kanariſchen Inſeln. Bon Franz dv. Löher. München, J. Schweitzer's lag (Joſ. Eichbichler) 1895. 603 ©.

Die Hypothefe, daß die Urbevölferung der kanariſchen J germanijchen Urſprungs geweſen fei, hat v. 2. ſchon in einer frü Beröffentlihung aufgeſtellt. Die Wiljenfchaft hat fich fchon de unbedingt ablehnend dagegen verhalten, doch hat ſich der Vf. da nit abjchreden laſſen, den Gegenſtand nod einmal eingehend behandeln. Dad Urtheil wird aber auch dadurch nicht geä werden. Die Möglichkeit, daB nach dem Zujammenbruch der niſchen Königreiche in Nordafrifa und auf der iberiihen Halbinfı Theil der Bevölkerung fih auf die nicht allzu fern von der a niſchen Küjte gelegenen Kanarien geflüchtet haben könnte, ift nic beftreiten; wunderbar wäre ed aber ſchon, daß nicht eine Kund« einem ſolchen Ereigniffe den Weg zur alten Heimat diefer Stt

Afrika. 143

jurüdgefunden haben follte, wunderbarer noch, daß in der Abgeſchieden⸗ heit und bei dem Mangel aller fremden Einflüffe bei dem Volke ſelbſt nicht die mindeite Spur einer Tradition davon ſich erhalten haben jollte. Was aber die L.'ſche Hypotheſe wiſſenſchaftlich abſolut unmög- lich macht, iſt die ethnographiſche Seite der Sache. Ein Volk, das, wie die Vandalen oder die Gothen, ein oder mehrere Jahrhunderte lang mit einer ſo hochentwickelten Kultur, wie die des Römerreiches, in mehr oder minder enger Fühlung gelebt hatte, konnte auch unter dem Einfluffe einer taufendjährigen Abgefchiedenheit nun und nimmer: mehr auf einen Kulturzuftand zurücfinfen, wie ihn fonft nur die Böller der Steinzeit zeigen. Die vollkommen unhaltbare und eigent= lich unwiſſenſchaftliche Hypothefe zieht fi) nun allerdings durd das ganze Buch hindurch; allein wenn man von ihr abjieht, fo bleibt doch noch immer ein Reſt von höherem Werthe übrig. Der Bf. hat wirklich aus den Quellen geſchöpft und ſchildert uns die langwierigen Kämpfe, welche der endlichen Unterwerfung vorangingen, nicht nur gewiffenhaft und eingehend, fondern mit einer Wärme, die einen Theil des Intereſſes, welches der Bf. an feinem Stoff genommen, unwill- kürlich auch auf den Lefer überträgt, den die fchiefe Grundlage des Ganzen zuerjt vielleicht mit gemifchten Gefühlen an die Leftüre gehen ließ. Können wir dem Buche aud nicht eigentlich einen wiflenfchaft« lichen Werth beimefien, fo dürfen wir e8 doc anerfennen als eine reizuo Ile Populariſirung eines geſchichtlichen Abſchnittes, der zu weit abſeits gelegen war, um unter anderen Verhältniſſen einen fo be- geiltexrten Schilderer zu finden. K. Haebler.

Notizen und Nachrichten,

Die Herren Derfafler erjuchen wir, Sonderabzüge ihrer =. Seitfchriften erfchienenen Auffäge, welche fie an diefer Ste berücfichtigt wünfchen, uns freundlichft einzujenden.

Die Redaktion.

Allgemeines.

Im Berlage von Biejede & Tevprient, Berlin, ſoll demnädjft eine neue Zeitſchrift erfcheinen: Das HohenzollerneJahrbud, Herausgegebue— von Paul Seidel. Es foll einen Mittelpunkt für die Forſchungen zu Geſchichte der Hohenzollern und ihrer Thätigfeit für den Staat bilden, uw ! neben der literarifcyen Seite des Unternehmens, für die namentlich Berne &*" und Koſer ihre Mitwirkung zugejagt haben, jofl befonderer Wert au > # « bildlihen Darſtellungen nach zeitgenöffifhen Quellen gelegt werden, j=& = deren Heranziehung der Herausgeber durch feine amtliche Stellung m L= Dirigent der Kunjtfammlungen in den gl. Schlöffern und Tiretor be Hohenzollern: Mufeums in der glüdlichjten Yage ift. Namentlih die Abſich t- u. a. eine Porträtgalerie nicht nur der Hohenzollern, fondern and Der hervorragenditen brandenburgiich preußiſchen Etaatädiener :c. zu veranjtalte TT, eriheint uns in der That fehr dankenswerth.

Die Redaktion der Forſchungen zur brandenburgifden us D preußgiihen Geſchichte Hat an Stelle des verjtorbenen Brofeior? A. Naude jept Otto Hinge übernommen. Ba das letzte Michgelisheft erit im Februar dieſes Jahres erichienen iſt, ſoll das Oſterheft diesmal ganz ausfallen und das nächte Heft erjt zum Herbſt erfcheinen. Die Zeit“ ihrift hat ihre Aufgabe als Gentralorgan der brandenburgifchspreußifchert Geſchichtsforſchung bisher in fo ausgezeichneter Weije erfüllt, daß man nur wünſchen kann, daß es zur Ehre der Wiſſenſchaft und des preußiſchen Staates, der allen Grund bat, fid) dieſes Iandesgefchichtlihen Orgen® 34 rühmen, weiter gedeihen und aufbliiben möge.

146 Notizen und Nachrichten.

und joll von jept ab in PVierteljahrsheften ericheinen mit vergrößertem Programm (Tahresabonnement 10 M.).

Die Adminiftration des Böhmer'ſchen Nachlaſſes in Frankfurt bat beichlofien, die „NRegeiten der Erzbijhöfe von Mainz” bearbeiten zu lafien. Es foll zunächſt dag Will'ſche Regeſtenwerk iiber 1288 Hinaus bi8 zum Beginn de3 16. Jahrhundert? ergänzt und zugleid Nachträge zu dem Will’ihen Werke geiammelt werden, und zivar joll das Material nicht aus der Kiteratur geſchöpft, Sondern direft aus den Archiven ntöglichft vollftändig zufammengetragen und fritiich bearbeitet werden. Die Leitung des Unternehmens bat Prof. Höhlbaum, die Bearbeitung Dr. Dieterid übernommen.

Der Dıkokoyızöos Zuihkoyo: TMapvaocaös in Athen bat den 1. Sahresband einer eigenen Publikation erfcheinen laſſen: "Erernoi, Eros a’, Athen 1897, 228 ©. (Dazu ein zweiter Theil, Anyodocta, Sitzungs⸗ berichte zc. on’ ©.) Bon den in dem Bande abgedrudten Abhandlungen, die jich ebenjo auf naturwiſſenſchaftliches wie auf philologiſch-hiſtoriſches Gebiet erjtreden, notiren wir hier: Jleoi z7s &v Norim 'halia "Elirvooa- hertiwis anoıxias von B. D. Palumpos. 'Oirunıaza avakeıra. Ilaoa- Tronoss Eis Toia Yuwoia Tov Jlavoaviov von N. G. Polites (mit Nad: trag). Ta ’Eheraivia Mvorioea von D. Philios und 'H Oronarodoyiu ans Attınijs xal N eis TV yopav £noinoıws tov Alßavaor von Sp. P. Lampros.

Das Märzheft der Preußiſchen Jahrbücher enthält einen bemerkens— werthen Aufſatz von E. Troeltſch: Chriſtenthum und Religionsgeſchichte. Verfaſſer zeigt, wie die Ausbildung der vergleichenden Religionsgeſchichte und die Einwirkung de8 geihichtlihen Sinne auf die Anſchauungen vor der Entwidlung des Chriſtenthums für die Stellung des letzteren in de Gegenwart von größter Bedeutung geweſen find, größer als der Einfluf der Naturwiſſenſchaften. Auch dag Chrijtenthum hat ji) der Anwendung de Entwicklungsgedankens und Hiltorifh-analytiiher Betrachtung nich entziehen können. Aber gerade auch bei diefer Betrahtungsweije behäl e3 jeine einzigartige Bedeutung als die Religion unter den Religionen

Die Political Science Quarterly 12,1 enthält die Fortſetzung dei Aufjage® von Smith: Four german Jurists (Bruns, Windjcheid Shering, Gneiſt).

Im Nineteenth Century 241 (März 1897) publizirt Ch. Whible: einen Meinen Aufſatz: The limits of biography, in dem er gegen da Hervorzerren und Breittreten von vertraulichen Beziehungen großer Perſön lichkeiten, vollends von Klatih und Schmug proteftirt. Aus der Iften reihiih:Ungariihen Revue 21, 2 notiren wir einen Artikel von R. v. Len denfeld: Gedanken über die natürlide Grundlage unjerer Staatsforn

Allgemeines. 147

Verfaſſer jucht gegenüber fozialiftiihen Tendenzen auf Grund breit aus⸗

geiponnener naturwiffenfchaftliher Unalogien nadzumeifen, daß unfere

Staatöform in der That durchaus auf natürlicher Grundlage ruhe; er operirt dabei aber ein wenig gar zu viel mit Begriffen wie Steimzellen u. ſ. w. Im Hiftoriihen Jahrbuch 18,1 veröffentiht &. Schnürer einen Artikel: Lamprecht's deutiche Gefchichte, in dem er noch einmal die ganze Lamprecht-Polemik (Below, Rachfahl, Lenz, inte 2c.) Revue paffiren läßt. Uns fcheint die Fortſetzung diefer Erörterungen, foweit ihre Verfaſſer nicht jelbft bemerlfenswerthe neue Gejichtöpunkte in die Diskuffion zu werfen haben, ziemlich fruchtlos.

Sn der Ztichr. f. Philoſophie u. philoſoph. Kritit 109, 2 veröffentlicht ST. Erhardt eine bemerfenswerthe Studie über: Kaufalität und Natur- geieglidgleit. Er erörtert den Unterfchied diefer beiden Begriffe und zeigt, daB in der Geſchichte nur von erfterer, nicht von Gejeglichkeit im Sinne der Waturgejepe die Rede fein kann. Die Ztihr. fir Volkswirthſchaft, Sozialpolitit und Verwaltung 6, 1 enthält den Schluß der Abhandlung von ©. Sulzer: Begriff und Aufgaben der Geſellſchaftswiſſenſchaft (vgl. 18, 523). In der Ziſchr. für vergleichende Rechtswiſſenſchaft 12, 2;3 veröffentlidt 3. Kohler eine fehr lange Außeinanderjegung: Zur lir- geichichte der Ehe. Totemismus, Gruppenehe, Mutterredht. Er weiß mit größter Sicherheit aus allerlei ethnographiſchem Material die Gruppenehe als urjprüngliden Ausgangspunft der Eheformen zu konjtatiren, wird aber jhwerlich irgend einen Ungläubigen überzeugen.

Bon Herbert Spencer’s Einleitung in das Studium der Sozios logie Deutſche überſetzung, herausgeg. von H. v. Marquardſen) iſt jetzt eine zweite, durch ein Nachwort Spencer's vermehrte Auflage erſchienen ELeipzig, Brochaus. 2 Bde. 6 M.). Auch wenn man in der ftrift durch— geführten Analogie biologifher und fozialer Entwidlung noch nicht das Geheimnis der Geſchichte offenbart glaubt und von der gar zu nüchternen und grämlichen Geſchichtsauffaſſung des berühmten Philofophen nicht bes frie digt wird, ſo wird man doch viel aus dem Buche lernen können. Die inleitung iſt bekanntlich vorwiegend methodologiſchen Inhalts und ent: wickelt die ſubjektiven und objektiven Schwierigkeiten, die Vorurtheile des atriotismus, des Standes ꝛc., die eine unbefangene und genaue Erkennt—⸗ nis der ſozialen Vorgänge erſchweren. Zum Kapitel vom politiſchen Vor—

„beit liefert, ohne e8 zu merfen, Spencer jelbjt einen lehrreichen Bei- 9 fein Urtheil über die felundäre Bedeutung des Staated gegenüber ans Sräften der Geſellſchaft iſt fehr ſtark beeinflußt durch engliſche Partei- * ſicht. Das Nachwort Spencer's wendet ſich gegen einige franzöſiſche ritiker des Buches. In der Beilage der Münchener Allgemeinen Zeitung vom 17. und Februar findet ſich eine eingehende, feine Bedeutung würdigende und 10*

18.

148 Notizen und Nachrichten.

warm anerfennende Beiprehung des Buches von Riezler von %. Stieve: Der Herenwahn. Aus der Wochenſchrift „Zukunft“ 5, 27 notiren wir bier einen Aufſatz von F. Mar Müller: Das Alter der orientalifchen Literatur. Verfaſſer führt anfprehend aus, daß Alter ein relativer Begriff und an jih ohne beionderen Werth ilt; außerdem überall zwiſchen kon⸗ ftruftiven (d. h. nur erichloffenen) und authentijchen (d. 5. von gleichzeitigen Zeugnifien gejtügten) Zeitbeitimmungen zu unterfheiden jei. Wirklichen Werth gewinnt auch da8 Studium ber ältejten Zeiten nur, injofern es zu unferer allgemeinen Erfenntni® beizutragen vermag. Eine andere theoretiſche Frage aus dem Gebiet der alten Geſchichte behandelt O. Seed in den Kahrbüchern für Nationalölonomie und Gtatiftit 58, 2: Die Statiftif in der alten Geſchichte. Er wendet ſich namentlid gegen Beloch's Kon— jefturalftatiftit und gegen das Bedenkliche der Schematifirungen auf diejem Gebiet.

Neue Büder: Lord Acton, Über das Studium der Geſchichte. Überſ. (Berlin, Gaertner. 1 M.). Lie, Den europaeiske Litteratur i kulturhistoriske Billeder. (Kopenhagen, Gyldendal. 7 kr) Chantepie de la Sauſſaye, Lehrbuch der Religionsgeihichte. Zweite Aufl. 8. 1-6. (Freiburg i. B, Mohr. 6 M.) Ehſes, Feitichrift zum elfhundertjährigen Jubiläum des deutichen Campo Santo in Rom. (Freiburg, Herder. 12 M.)

Alte Geſchichte.

Die Zeitichrift f. Afiyriologie 11, 2/3 enthält einen Meinen Artikel vorm Th. Nöldede: Harran, der fi gegen die Annahme Winfler'8 und Hil = precht's wendet, daß diefe Stadt in der babyloniichen Vorzeit große poli = tiiche Bedeutung bejefien habe. Ebendort behandelt C. 3. Lehmann - Die Mondfiniternig vom 15. Sabatu unter Samafjumulin (eine Prob aus dem von ihm beigefteuerten Theil zu dem Werke des Aitronomes Ginzel: Spezieller Kanon der Sonnen: und Mondfinfternifie von 900 v. Chr - bis 600 n. Ehr.; vgl. dazu Bemerkungen von Cppert im Sprechſaal de Heftes: Les eclipses mentionndes dans les textes cundiformes). Da Heft enthält noch zwei Feine Artikel von Lehmann über: Sar kissa®- Polemik gegen Mefjerihmidt über Bedeutung diejes Titel) und über Iriba tukte (in der Sceil’ihen Nabonid-Inſchrift) und eine Abhandlun von ©. Hoffmann: Aramäiſche Inſchriften aus Nerab bei Alepp Neue und alte Götter.

In der Scottish Review 57 veröffentliht C. R. Conder einen Au F jag: Egyptian chronology, in dem er namentlih an Petrie's chron I logifhen Anſätzen nicht unberedtigte Kritik übt. Aus den Beriht &: der ſächſ. Geſellſch. der Wiſſenſchaften zu Leipzig 1896, 23 notiren m> ũñ

150 Notizen und Nachrichten.

Tyrtäus-Hypotheſe Berrall’3 zurüd: A note on the date of Tyrtaeus and the Messenian War (vgl. unfere Noiiz 78, 155). Dasſelbe Heft enthält nod eine Augeinanderjegung zwilhen %. Granger ud W. W. Fowler über: Roman Burial und eine lange Entgegnung von C. Torr auf eine Kritil feines Buche® Memphis and Mycenae von Myres, auf die eine Meplif von Myres in Nr. 2 folgt (wir verweilen beiläufig auf eine völlig abweiſende Kritik des Buches von Torr von Ed. Meyer im Liter. Central» blatt 1896 Nr. 49). Endlich notiren wir aus dem Heft noch eine jehr eingehende Beiprehung von ®. Wyfe des Buches von B. P. Grenfell: Revenue Laws of Ptolemy Philadelphus, edited from a Greek Pa- pyrus in the Bodleian library (mit Einleitung von Mahaffy, Oxford 18%).

Das Journal of Hellenic studies 16, 2 enthält die Yortjegung des Artikels von Paton und Myres: Karian sites and inscriptions (nebft zwei Karten; die Verfaſſer fuchen zugleich auß den Monumenten ein Bild der hiſtoriſchen Entwidlung Kariens zu geben). V. W. Horte berichtet über: Excavations at Aleae and Hyampolis in Phocis, die don der britiihen Schule in Athen 1894 unternommen wurden (dazu 10 Nummern

U u

Inſchriften und Infchriftenfragmente), und J. U. R. Munro publizirt: Fpigraphical notes from eastern Macedonia and Thracia (26 Nummern . Ausbeute einer Reife v. J. 189%). Endlich EC. Smith gibt eine gute—

Überfiht: Archaeology in Greece 1895/96.

Über die aufgefundenen Fragmente der Gedichte des Bacchylides mch F. 8. Kenyon, der eine Ausgabe vorbereitet, vorläufige Mittheilunge in den Rendiconti della R. Accad. dei Lincei 5, 6, 1. Bgl. ebndor

einen Heinen Irtifel von R. Qanciani: I busti di Bacchilide e Pin daro nelle ville antiche.

Die Revue de philologie 21, 1, aus der wir ſchon die Papyruspubli fation von Kenyon erwähnten, zu der B. Hauffoullier noch eine Note sur le Papyrus CLXXXVII du British Museum BHinzufüg enthält außerdem noch einen Artikel von Hauffoullier: Dömes e = Tribus, Patries et Phratries de Milet (Zujammenjtellung des inſchrift

lihen Materials dafür) und einen intereflanten Auffag von Ph. Fabia

Les theätres de Rome au temps de Plaute et de Terence (er ſucht zu beweijen, daß das Theater mit Eitreihen beträchtlich älter war, als Ritſcky K

annahm und dab die betreffenden Plautus-Stellen echt jind).

Sn der Revue des Etudes grecques 35/36 erörtert WM. Hollean == eingehend: Un decret du Koinon des villes de Troade (jpätzeitli, gem funden 1891 von Legrand). Es folgt eine Abhandlung von &. Millau> La geome6trie grecque considerde comme oeuvre personelle du göens > grec (die Griechen haben die Geometrie als Wiſſenſchaft geſchaffen) W. R. Paton publizirt: Inscriptions de Cos, Cnide et Myndos (g = funden von Stalesperis, 13 Nummern, darunter bemerkenswerthe Derek & )

Alte Geſchichte. 151

md P. Jouguet: Epitaphe d’un Grec d’Egypte. Th. Barnaud fudt in einer Note sur une inscription de Pergame gegen fraentel nad: aumweifen, daß fie auf die erjte Gejandtichaft des Andronifos für Attalos II. nad Rom zu beziehen ift.

Die Berichte Über die Verhandlungen der ſächſ. Geſellſch. der Wiſſenſch.

du Leipzig 1896 H. 2/3 enthalten zwei Artikel von Meiſter: Ein alt»

thefialiihes Ehrendefret für den Korinther Eotairos (aus dem 5. Jahrh.

* Chr.; Erörterung der von Chatziſojidis publizirten Inſchrift) und: Die

SDepo ſitionsurkunde des Xuthiad (neue Publifation und Erörterung); dazu

eine Abhandlung von Hirzel: Die Homonymie der griehiihen Götter nach der Lehre antiker Theologen.

. Ein Heiner Aufia von P. Knapp im Neuen Korreipondenzblatt für die Gelehrten und Realſchulen Württembergd 1897, 1: Zur Frage der

METzehungszeit des herobdotiihen Geſchichtswerks, madt auf Stellen auf- MerZiam, die durch Anspielung auf jpätere Zeitereignifje für eine Abfaſſung Nach 423 v. Chr. zu Sprechen feinen, läßt e8 aber dahin geftellt, ob viel« eich Herodot jelbft nachträgliche Zufäge zu feinem Werte machte.

In der Ztichr. f. Philofophie u. philof. Kritit 109, 2 gibt Th. Go m- ne 3 eine lobende Kritit der Campbell'ſchen PBlato-Studien: Die Jowett⸗ a. wmpbell’iche Ausgabe des Staates und die platonifche Chronologie. Vgl.

MR demjelben Heft einen Nufjag von A. Töring: Thaled (er war nicht Xaterialiſt, fondern Hylogoiſt). Zu Plato notiren wir nod) zwei Artikel m Journal of Philology 49: Platos later theory of ideas von J. L. Da⸗

Diez (gegen Jadjon) und von 9. Jackſon (gegen Zeller).

Der Hermes 32, 1 enthält zunächſt den Schluß der Abhandlung von . Dittenberger: Antiphon's Tetralogien und das attijhe Kriminals Techt, die fi zu einer intereflanten rechtshiſtoriſchen Studie über Grund- Tragen des attiſchen Rechts gejtaltet und des Verfaſſers Anficht näher bes Jründet, daß die Tetralogien nicht von einem wirklich rehtsfundigen Manne Indie Antiphon ftammen können, fondern vielmehr von einem ionijchredenden Sophiſten, ber fie gegen Ende der perikleilhen Epoche oder bald danach Im Athen verfaßte. Wir notiren aus dem Hefte noch eine Reihe von Hanpdidriftlichen, bezw. tertkritiichen Studien: Zur Tertgeidjichte der Gerniania Don R. Wünſch: zu Dionyfios von Halikarnaß Über die alten Redner Don E. Thomas; und Kritifch-eregetiidye Beiträge zu Philo von 2. Cohn; ndlidy zwei Heine Artikel von W. Helbig: Eijerne Gegenjtände an drei Stellen des homeriſchen Epos (erweijen fich alle drei al8 nachträgliche Ein- Didtungen) und 9. v. Wilamowitz-Moellendorff: Die xenophon— Tifhe Apologie (gegen neuere Üüberſchätzung der Schrift

In den Fledeijen’ihen Jahrbüchern 1896, H. 11 veröffentlicht G. Fried— wid einen Artilel: Zur griehiichen Geſchichte 411—404 v. Chr. chrono-

152 Kotizen und Nachrichten.

fogiihe Fragen; Geichichte der 30 Tyrannen). Dasjelbe Heft enthält die Fortſetzung von K. Lincke's Aufjaß: Sokrates und Xenophon (Beſprechung der drei erſten Bücher der Memorabilien) und den Schluß von H. Pom⸗ tomw'2 Unterfuhungen: Die dreijeitige Bafis der Mefjenier und Raupal: tier zu Delphi (6. da8 mejjeniihe Hilfscorp8 in Delphi, da® nad Nieſe's Mittheilungen das belphifhe Heiligthum 207 und 206 v. Chr. gegen Philipp V. von Macedonien beſchützte). Es folgt ein Artifel von 5. Enote: Noch einmal zu Tacitus Ab Exc. 1, 64 (Bertheidigung der Lesart inter undas; Auscinanderjepiung mit Wilms über die Moorbrüden), und end- lid, in Fortſetzung zu einem früheren Urtifel: Studien zu Antigonos von Koryjtod von R. Nebert (der Perieget, Raradorograph und Kunjtichrift: jteller Antigonos ijt mit dem Hiftorifer Antigonos identifh, der um 290 vd. Ehr. geboren wurde. Nähere Beitimmungen zu jeiner Biographie.)

Im Philologus 55, 3 veröffentliht H. Heifterbergf eine ftaat#- rechtlihe Unterfuhung über den Begriff: Municeps. Er nimmt an, daß das Wort urfprünglich zwei ganz verſchiedene Bedeutungen hatte, nämlich einmal diejenigen Perjonen bezeichnete, welche in den lateinifchen Kolonien und verbündeten Städten öffentliche ümter beffeidet hatten und deshalb zu römischen Bürgern geworden waren, und andrerjeit8® die nad Rom zugewanderten Beregrinen, die zwar an anderen römifchen munera Theil nahmen, aber gerade von der Belleidung öffentlicher Amter und dem Stimmrecht ausgefhloffen waren. Diele Doppelbildung desjelben Wortes bat aber doc etwas fehr Auffallendes. Wir notiren aus dem Heft nod) Artilel von H. Düntzer: Eine Heifefatire und eine Neijeepiftel des Horatius (Sat. 1,5 und Ep. 1,15) und von K. Weymann: Beiträge zur Geſchichte der altchriftlihen Xiteratur (zu Gregorios Thaumaturgos, Sul: piciuß Severus ꝛc. ꝛ⁊c.). Endlich Ph. Bannad publizirt und erürtert: Neue Bruchſtücke gortyniſcher Gejege, die vor zwei Jahren gefunden find-

Aus der Beilage der Münchner Allg. Ztg. notiren wir Artikel vor O. Erufius: Die neueſten Papyrusfunde (5. März, Beiprehung des neuen Bandes von Grenfell und Hunt, Orford 1897); von Wecklein: Das griechiſche Theater (9. März, Beiprehung des Buches von Dörpfeld und Reiſch, Leipzig, 1896) und von Ad. Shulten: Aus dem römiſchen Afrila (24. März, Beiprehung von 3. Toutain: Les cites romaines de la Tunisie, Bari? 1896).

In Schäffle's Btichr. für die gefammte Staatswifjenihaft gibt H— Michaelis eine: Kritifche Würdigung der Preiſe des Edictum Diocletiani dom nationalökonomiſchen Standpunkt aus, unter Vergleihung moderner Preis- und Lohnverhältniſſe.

In der Ztſchr.f. Numismatik 20, 3/4 iſt ein Vortrag von E. Bernice abgedrudt: Über den Werth der monumentalen und literariihen Quellen antiker Metrologie.

154 Notizen und Nachrichten.

Epigrafi latine di Baja, auf deren einer ein curator augustalium Cumanorum perpetuus und curator perpetuus embaenitariorum trierum pisciniensium vorlonmt.

Die Rivista di storia antica 2,2 enthält Artikel von E. Lattes I documenti epigrafici della signoria etrusca in Campania e i nom delle maschere atellane (hält gegenüber Duhn die Beweije für die einftige= Ausdehnung der etrusfiihen Herrihaft über Qampanien für ganz aus reihend); G. Borzio: Saggio di psicologia degli schiavi (in Griechen land; Stellung der Stlaven und Rüdwirkung auf ihre Gefinnung); ©. Rojfi: Il concetto morale nel mito di Sisyphos; ®. Jadin : Jefte (Bergleihung der Überlieferung vom Opfer Jephta's mit anderem ähnlihen Sagen); 8. Holzapfel: Il numero dei senatori roman, durante il periodo dei re (urjprüngli 100; von Tarquinius Priefax 3 verdoppelt; feit Beginn der Republit 300); CE. Pascal: Ancora su Livio e i processi degli Scipioni (Augeinanderjegung mit Kimer); S. Rocco: Sull’ origine del mito di Caronte (ftammt aus Agyptemw); G. Tropea: Ecateo da Mileto ed i frammenti della Alsgınyr si: (Fortfegung) und unter Varietä scientifiche: Il pedagogo (in Griden: land und Rom).

Unter den Abhandlungen der Barifer Academie des Inscriptions iſt ala Bd. 36, 1 eine Publikation von Edm. Le Blant erjdienen: 750 iAn- scriptions de pierres gravées inedites ou peu connues (Imprimerie Nationale 1896; 8,75 Fr.). Es ift eine jehr dankenswerthe Sammlumg und ſyſtematiſche Verarbeitung der kurzen griehiihen und lateiniichen Inſchriften von den Steinen der uns erhaltenen antiten Ringe, zumeiſt aus den erften vier Jahrhunderten unjerer Zeitrehnung. Die Injchrirten jelbjt find nad) Sachrubriken geordnet: 1. Salutations, souhaits, mentions® d’un present. 2. Devises affectueuses ou galantes. 3. Anneaux de tiances ou d’&poux. 4. Formules d’adoration et amulettes. 5. In- scriptions diverses. 6. Inscriptions chretiennes. 7. Noms propre8 (griechiſche und lateiniſche oder in griedifchen und lateinischen Lettern)- Es iſt zugleih ein interefjantes Kapitel antiker Kulturgeichichte, da8 ist diejer Sammlung an uns vorüberzicht. Bon demijelben Verfafjer ent” bält die Revue archeologique 30, 1 die Fortſetzung der: Paléographãe des inscriptions latines du DOIe siecle a la fin du VHe.

Sn der Revue Historique 63, 2 gibt C. Jullian wieder eine über- fiht über franzöfifche Urbeiten zur römiſchen Geſchichte Ein Arte} von ©. Reinad in ber Revue Celtique 18, 1: Les vierges de Sen» leugnet, dab aus der Stelle bei Pomponius Mela die Eriftenz vo 5* Drutdinnen zu folgern if. In der Revue des universites du mid 3 1897, 1 fegt G. Radet feine Recherches sur la geographie ancienn ® de l’Asie mineure fort (5. La campagne de Valens contre Proop® en 365; Lage von Mygdus).

Alte Gefchichte. 155

Ein Artifel von H. M. Gwatkin in der Contemporary Review 374: Irenaeus on the Fourth Gospel, wendet ſich namentlich gegen die Anjicht darnad’8, daß der Apojtel Kohannes gar nicht der Lehrer Polycarp's ge= weien und alſo das Zeugnis des Irenäus über ihn ohne Bedeutung jet. In der Dublin Review 120 findet fih ein Xrtifel von Chapman: The Holy See and Pelagianism I. Gegen Merkle (vergl. 78, 533) wendet ih in der Priscillian⸗-⸗Frage no einmal Ed. Herzog inder Revue internationale de Theologie 18: Priscillian.e Aus demijelben Heft notiren wir den Anfang eines Auffabes von 3. Langen: Zur drifts lichen Kulturgefchichte (über die erjten Jahrhunderte), Die Sipungs: berichte der Berliner Alademie der Wiſſenſch. H. 13 enthalten eine von darnad vorgelegte Abhandlung von Schürer: Über die Juden im bos— poraniihen Reihe und die Genoflenichaften der vedourvo: Feor oyıorov ebendajelbjt (leßtere find eine vom Judenthum ſtark beeinfluhte Mifch- religion, die Verfaſſer bis ins 4. Jahrh. verfolgt).

In der Römischen Quartalfchrift 10, 4 veröffentliht H. Griſar einen Artitel über den Sartophag des Junius Bafjus (mit einer ihönen Lichts drudtafel; Erläuterungen der Tarftellungen auf derjelben‘. Ebendort be— bandelt A. de Waal: Die Taufe Chrifti auf vorkonjtantiniichen Gemälden der Katatomben und Th. M. Wehofer: Eine neue Aberkios-Hypotheſe, indem er fich gegen die im vorigen Heft von und beiprocdene Schrift von Dietrich wendet. Die Hauptiahe wird doc fein, ob es gelingt, das jeitliche Verhältnis der Aberkios-Inſchrift zur Alexander-Inſchrift fiher zu beitimmen, da davon ber ganze Beweis Dietrich's abhängt. Über dasielbe Thema it noch ein Auffag von C. M. Kaufmann im Märzheit 1897 des „Katholit“ zu erwähnen: Die Legende der Aberliod:Stele im Lichte ur: driſtlicher Eschatologie. Verfaſſer will das „Königreich“ ꝛc. auf das Jen= 8 beziehen, eine Erklärung, bie uns bei dem ganzen Zuſammenhang der

Stelle geradezu ausgeſchloſſen zu jein fcheint; auch ſonſt jind die Er: Tungen des Verfaſſers gezwungen und unwahrſcheinlich. Vgl. auch die Analecta Bollandiana 16,1: L’inscription d’Abercius (Rejume:.

‚Im der alten Moabiterjtadt Mabedan ift ein Fußbodenmoſaik gefunden ME einer Karte von Baläftina, Syrien und Ägypten aus den 5. Jahr: hum dert n. Chr. In der Revue archéologique 30, 1 behandelt

Blochet: Inscriptions de Samarkand (sc. der Fürſtengräber)

In der Realencyllopädie für Theologie und Kirche 3. A. 2, 63—92 tar 9. Belzer den Artikel Armenien, der uriprüngli von dem ver— ſio T benen Petermann herrührte, einer gründlichen Neubearbeitung unter— Gen. Gelzer beſitzt nicht bloß eine gediegene Kenntnis des Armeniſchen T unter den deutſchen Geſchichtsforſchern iſt er wohl der einzige gründ— che Kenner besielben —, fondern aud der armeniſchen Gejchichte, der po Litijchen wie der fırchlichen, welch letzterer er erit neuerdings einen bervor-

156 Notizen und Nachrichten.

ragenden Beitrag gewidmet hat (vom Unterzeichneten in dieſem Blat angezeigt). In dem Artikel find die Ergebnifje der neueren Forſchungen die jept für dieſes Feld etwas reidhlicher zu fließen fcheinen, mit Eritifche Auge und vollftändig vermwerthet. S. 63—67 enthält einen Abriß di pofitifihen Geſchichte, S. 67—74 eine Überfiht und Würdigung bi wichtigiten tbeologifhen und hiſtoriſchen Schriftiteller bi® zum 18. Jahı hundert, S. 74—92 eine Geſchichte der armeniſchen Nationallirde bis die neuefte Zeit und ſehr werthvolle ftatiftiihe mie hiſtoriſche Angabe über die Organijation berjelben in der neueren Zeit, fowie über die Aut breitung anderer Glaubensbekenntniſſe und die Bevölkerungszahl in Armenie und der Armenier außerhalb desjelben. Wer fi) raſch und doch genüger über die Geſchichte und LKiteratur Armeniend belehren will, dem farı der Artikel warm empfohlen werden. William Fischer.

Rene Ziüder: Monuments Egyptiens du musde d’antigquit des Pays-Bavs a Leide. P. p. Pleyte. Ill. (Leiden). Set Unterfuhungen zur Gefdichte und Altertpumstunde Ägyptens. 9. 1 u- (Leipzig, Hinrichs. 24 M.) Gilbert, Beitr. 3. Entwicklungsgeſchick d. griech. Gerichtöverfahren® u. d. griech. Rechtes. (Leipzig, Teubner.) Wachsmuth, Neue Beiträge zur Topographie von Athen. (Xeipz, Hirzel. 3 M.) Tiele, Gejhichte der Religion im Alterthum bis a Alerander d. Großen. Über. 1,2. (Gotha, Perthes. AM.) Revill Jesus de Nazareth. 2 Vols. (Barig, Filhbader.) Rauſchen, Jal bücher der criftl. Kirche unter dem Kailer Theodoſius d. Gr. (Freibu t.B, Herder) Schneidemwin, Die antite Humanität. (Berlin, Wei mann. 12 M.) Prosopographia imperii romani saec. I. I. II P. I ed. Klebs. P. II ed. Dessau. (Berlin, Reimer. I: 4 M IL: 20 M.)

Ztömifd-germanifhe Zeit und frühes Mittelalter Bis 1250.

In der Weftdeutihen Ztſchr. 16, 1 fett W. Sidel jeine Unter juhungen über: Die Privatherrichajten im fräntifhen Reiche, fort (2. Ka pitel: Die berrichaftliden Leute. Ausdehnung der Herrihaftsredhte, Lag der Leute). Ebendort veröffentliht &. Wolff einen Aufſatz: Römiſch Straßen in der Wetterau (Literatur, Hülfgmittel, Ergebnifje; dazu drei Zaf.,

Im Korrefpondenzblatt de3 Geſammtvereins 2c. 45, 3/4 veröffentlid Generalmajor Wolf einen Auffag: Die römifhen Mauern der Stab Köln, im Anſchluß an die Publilation von Schulge und Steuernagel; un. ebendort in Rr.5 5. Haug einen Artikel: Vom römiſchen Grenzwall, zun Theil im Anſchluß an den im Folgenden erwähnten Bericht Yon Hettne

Am Zahrbud des kaiſerl. deutihen archäolog. Inſtituts 11, 4 it de Bericht Hettner's über die Thätigleit der Reichslimeskommiſſion ven Öffentliht. In den Mittheilungen des hiftoriihen Bereines für GSteien

158 Notizen und Nachrichten.

19. Februar notiren wir einen Artifel von %. von der Leyen: Der beilige Chriftophorus (Entwidlung der Legende; Anzeige des Buches von K. Richter: Der beutihe S. Chriſtoph, Berlin 1896, Acta Germanica 5, 1).

In den Berichten der ſächſiſchen Geſellſch. der Wiſſenſch. zu Leipzig 1896, 2/3 veröffentlicht Sohm einen Heinen Artikel: Terra salica (sc. das Volkland der jaliiden Franken, das nicht freie Eigenthum bes Ein— zelnen war).

In den Analecta Bollandiaca 16, 1 publizirt Sr. Cumont: les Actes deS. Dasius (nad) dem Parisinus Grec 1539). Dasſelbe Heft bring + die Fortſetzungen der Narratio Sergiae de translatione S. Olympiadis und des Bulletin des publications hagiographiques; endlich Artikel übex=: Les saintse du cimitiere de Commodille (an der Straße von Dftiex: Felix, Adauctuß und Emerita) und über: La Notitia fundorum du titare des SS. Jean et Paul a Rome (in der Inſchrift ijt servus sanctoramm zu lejen, nicht servus servorum). L'Universite catholique 1897, 3 est: hält einen Artikel von Ch. %. Bellet: L’ancienne vie de Saint Martial et la prose rythmee (mit Abdrud der Vita; Berfafier ſpricht fih gegen Duchesne aus und für Urbellot, daß die Vita aus dem Unfang des 6. Ja hr⸗ hundert3 ftammt). Die Studi storici 5, 4 bringen bie Fortſetzung Des Artikels von A. Erivellucci: Le chiese cattoliche e i Langobardi Ariani in Italia, und den Anfang eines Aufjate® von A. Mancini: La storia ecclesiastica di Eusebio e il de mortibus persecutorum (Art und Weile der Benützung lepteren Werkes dur Eufebiuß).

Pio Rajna nimmt in der Romania 101 feine ‚Studien über das mittelalterlide Epo8 wieder auf: Contributi alla storia dell’ epopea e del romanzo medievale (Altre orme antiche dell’ epopea carolingia in Italia).

Im Hiftorifhen Jahrbuch der Görres-Geſellſchaft behandelt %. Die: kamp eingehend: Das Zeitalter de3 Erzbiſchofs Andreas von Cäſarea- Er glaubt feine Blüte auf die Beit von 515 bis 535, die Abfaffung de Kommentars zur Apolalypje auf die Zeit bald nach 515 beftimmen zu fönnen. In demijelben Heft madt R. v. Noftip-Riened dankens werthe nähere Mittheilungen über: Die Briefe Bapit Leo’ I. im Code Monacensis 14540 (nebjt einem Berzeihnis der 72 Briefe der Hand⸗ fhrift vom 13. Februar 449 bis 1. September 458, mit Unführung der Adrefiaten, Briefanfänge und Datirung).

Im Archiv f. kathol. Kirchenrecht 77, 1 veröffentliht M. N. Stieglee einen Aufjag (Anfang): Dispenfation und Dispenſationsweſen in ihre geihichtlihen Entwidlung bis zum 9. Jahrhundert. Es ift eine forgfältige® Unterfuhung über Wefen, Vorgeſchichte und Entwidlung der Dispenfatior® im Kirchenrecht, die danach urfprünglih jede Ausnahme vom ftrenger®

Frühes Mittelalter. 159

Recht, alfo auch jede gefekliche Derogation und Privilegien umfaßt. Es tolgt ebendort eine Abhandlung von Ad. Roeſch: Die Bination (Wieder- holung der Meſſe) in älterer Zeit und nach dem jeßt geltenden Recht. In der Theologischen Quartalichrift 79, 1 behandelt Schanz vom Stand: punkt des katholiſchen Kirchenrechts: Die Abjolutionsgewalt in der alten Kirche.

In den Forſchungen zur brandenburgiichen und preußiichen Geſch. 9, 2 findet ih eine jehr umfangreiche, über fieben Bogen ftarke Abhandlung von B. Guttmann: Die Gernuanijirung der Slawen in der Mart (Theile davon auch ala Berliner Difiertation gedruckt). Es iſt eine fleißige und füdtige Arbeit; aber das eigentliche Problem, wie es möglich war, daß ich die Germanifirung fo ausgedehnter Gebiete fo fchnell und durchgreifend vollziehen tonnte, tritt in der Darjtellung ganz zurüd und erfährt in feiner Weiſe eine neue Beleuchtung. Hundertundfünizig Jahre nach der aslaniſchen Offupation war Brandenburg jo gut wie völlig germanifirt, und derfelbe Prozeß vollzieht jich ganz analog in Ponimern und Medlens burg, obwohl ſich dort die alten jlawiihen Fürſtengeſchlechter erhalten. dier liegt aljo ein gemeinjames Problem vor, das aud) einer gemeinſchaft— lihen Löſung bedarf. Die fogen. Urgermanentheorie, d. h. die Annahme, dab die oftelbifhen Gebiete nie ganz von den Germanen geräumt waren und die zurüdgebliebene ſchwache germaniihe Bevölkerung nur unter lawiſche Herrſchaft gerieth, dieſe Annahme, die die Rückgermaniſirung am leichteſten zu erklären geeignet wäre und auch die ſchnelle Chriſtianiſirung nach Annahme des Chriſtenthums ſeitens der ſtammverwandten Sachſen wird vom Verfaſſer nur in einer Anmerkung nebenher erwähnt. Ebenſo ſehlt es an ftatiftifchen Zufammenftellungen an der Hand der Quellen über ie Ausbreitung der Kirchen und Klöfter, desgleihen über die Orts- und erſo nennamen. Was dagegen im allgemeinen über Recht, Berfafiung und ltur der Wenden in der Marl feftzuftellen it, wird vom Verfaſſer ein:

scher und mit gutem Urtheil erörtert. Seine Arbeit behandelt aljo mehr die Slawen in der Mart, als die Germanijirung der Slawen, und ver: dient in diefer Begrenzung Anerfennung. Dasjelbe Heft der Forſchungen ME Gt eine Rezenjion des Sommerfeld’fchen Buches über die Bermanifirung MR Pommern von F. Rachfahl.

Im Neuen Archiv 22, 2 veröffentliht 8. Hampe die Fortſetzung es Berichts: Reife nadı England vom Juli 1895 bis Februar 1896, Den er weitere „Mittheilungen aus einzelnen engliiden Handſchriften“ act. (8. Aus einem Regiſter des Kardinald Ottobonus von €. Adrian, aa 1259-1267; mit Abdrud von neun Stüden, einem Mandat Papit Nexander's IV. an die Bewohner der Mark Treviio und adht Echreiben 8 Ottobonus, an ben König Ludwig IX. von Frankreich ꝛc. 9. Zur

Tchichte des Bisthums Lüttich) im 11. und 12. Zahrh., ungedrudte Stüde

160 Notizen und Nadridten.

aus englifhen Handicriften, darunter ein Schreiben Biſchof Godeba von Utrecht an den Erzbifhof von Köln v. J. 1119. 10. Papftbriefe 12. und 13. Jahrh. in engliihen Handidriften, mit Abdrud mehr Stüde; 11. Zur Gejhidhte von S. Marimin bei Trier). Es folgt Heiner Auflag von G. Caro: Ein untergejhobener Schiedsſpruch 1231, den Verfaſſer zugleich als einen Beitrag zur Kritit der Ann: Januenses bezeichnet; denn es ergibt fih, daß der Berfafier des treffenden Theil® der genuefiihen Stadtannalen, Magifter Bartholom den wahren Sachverhalt über den untergeihobenen Schiedſpruch fhwiegen bat, obwohl er ihn fehr wohl kannte. Sodann dibt ®. Er eine jorgfältige Zergliederung und Quellenanalyſe der Mattfeer Anna Die Annalentomplifation de8 Dechants Chrijtian Bold von Meattfee. lich macht O. Holder: Egger Mittheilungen aus Handichriften des furter St. Peterskloſters (1. Nekrologiihe Notizen in Rudolf Kalent 2. Aus der Helwig-Handichrift; 3. Bemerkungen über die Nefrologien ı anderen Arbeiten von Joh. Kircher, Columban Fugger und Gallus Stafl 4. Grabſchriften und andere Inſchriften; 5. Ein Brief der Weiſſenbur Mönde an die vom Erfurter St. Peteröberge). In den Miscellen Heftes Handelt Th. Mommſen über: Das Nonnenalter (dag 40. Ja andere Überlieferungen beruhen auf Snterpolationen) und: Zur Weltdre vd. %. 741 (Mittheilung aus einer neuen Handſchrift derjelben); deögleit P. dv. Winterfeld: Zur Beurtheilung der Handfchriften des Walthari B. Sepp theilt: Ein unedirte8 Carmen de translatione S. Bartholom mit, und B.M. Baumgarten einen: Brief des Gegenpapftes Anacle vom 25. Februar 1131 (?).

In den Mittheilungen des Inſtituts für öfterr. Geſchichtsforſchung 1 veröffentliht Edw. Schröder, der der Geſchichte ſchon manchen Di erwiejen hat, bemerkenswerthe Unterjuhungen unter dem Titel: Urkuni tudien eines Germanijten. Er zeigt an einer Reihe von Fällen, ſprachliche Unterſuchungen dem mittelalterlihen Hiftorifer wejentliche Die zu leiften vermögen und zu jiheren Ergebnijjen über Zeit und Herk einer Urkunde führen. So gelingt es ihm zunädjt, dag Hersfelder Zehn Verzeihnig, das er nah dem Marburger Original neu abdrudt, Sicherheit in's 9. Jahrhundert zu datiren (in feinem Haupttheil zwil 830 und 850); er zeigt dann in einem zweiten Abjchnitt: Herzfeldil in Urkunden der Ottonen, wie aud in Kaiſerurkunden Dialektifches OrtSbeziehungen hervortreten; im dritten Abjchnitt: Eine undatirte Sul Zraditiongurtunde, wird die Urkunde Dronke Nr. 577 ſicher in die vor 825 datirt; endlih im vierten Abjchnitt gibt er eine ſehr jorgfä und eingehende Unterfuhung der „Korneyer Traditionen“, die zu Beitimmungen über die beiden Regiſter I und I, ihre Grundlagen ihr Verhältnig zu einander führt. In demjelben Heft behandelt Zangl: Die Urkunden Karl's d. Gr. für Bremen und Verden (die Fälſch

Frühes Mittelalter. 161

der Urkunde für Bremen ift die ältere, in der Verdener Urkunde benußte; für leßtere diente noch ein Bapitprivileg v. J. 1153 als Vorlage, während die zälfhung der Bremer Urkunde ſchon dem 10. Zahrh. angehört).

In den Sißungsberichten der Berliner Akademie der Wiſſenſch. 1897, 9. 9 handelt E. Diimmler: Über den furor Teutonicus (Aufkommen diefeg Augdruds im Mittelalter jeit dem 11. Jahrh.).

Die Römiſche Duartalfchrift 10, 4 enthält außer dem Schluß der Bulhbel’ihen Abhandlung, die inzwiichen ſchon volljtändig als Dijjertation erihienen ift, noch einen Auffaß von W. Sievert: Das Vorleben des Bapites Urban IV. (1. Die Jugend Urban’3 und fein Leben bis zu feiner Ernennung zum Archidiakon von Lüttih; 2. Jakob, Ardidiafon von „ti, Erſte Gejandtihaft nad Preußen, Pommern und den Nachbar: ändern).

In der Btfchr. des Bergiihen Geſchichtsvereins, Jahrgang 1896, theilt ®. Harleß: Ungedrudte Clevijche Urkunden mit (fünf Nummern, 1242 bis 1366, nach Abfchriften des Cleviſchen Regiftratord Turd in Vorarbeit zu jeiner Chronik).

Ein Artilel von F. Thudihum in der Beilage der Münchener Allg. ötg. vum 3. und 4. März: Zur Geſchichte des Bergbaued und der Stadt: verfaffung in Sachſen-Meiſſen, gibt eine Überficht über die hiſtoriſche Aus—

ute aus den von Ermiich publizirten drei Bänden de Urkundenbuches der Stadt Freiberg. Ebendort in der Beilage vom 31. März behandelt db. Krones: Ein neued Buch über Ezzelino da Romano (sc. von S. Mitis, Maddaloni 1896).

. Im Archivio storico Lombardo 3/12 handelt P. Fontana: Sull’ origine dell’ arte Longobarda (erörtert die Frage, inwiefern eigene germaniice Kunſtanfänge oder Defadenz der römiſchen Kunft vorliege; nticheidet iih mehr für letzteres). Ebendort folgt eine Abhandlung von

M. Magiftretti: 8. Pietro al Monte di Civate. Il corpo di S. Calocero (der Bau des Kloſters ift wahrſcheinlich ſchon auf den letzten Lang obardenkonig Deſiderius zurückzuführen und zwar urſprünglich auf

Wietro al Monte; ſpäter wurde es dann nach Civate verlegt, zugleich mit den Gebeinen des Heiligen,. Die Atti e memorie della societä

iana 12, 1,2 enthalten Fortjegungen der Urkundenpublifation: Perga- Dene dell’ Archivio di Classe in Ravenna, riguardanti il monastero

S. Maria (del Canneto) e di S. Andrea apoustolo, nell’ Isola di Serra, in Pola (7 Nummern von 1182 bis 1267) und der Iſtriſchen Geſſchichtsblatter von Benuſſi D. Bernardo: Nel medio evo.

In den Atti della R. Accad. delle scienze di Torino 32, 1 ver» ðffentiicht F. Patetta einen Artikel über: Vacella, giureconsulto manto- vano del secolo XII (Berjajier einer Schrift, die von Liebermann nach

Dißsriiche Zeitichrift R. 3. Bd. XLIII. 11

162 Notizen und Nachrichten.

Vorgang von anderen fälfchlich dem Vacarius zugeichrieben war). Ebeı dort, in Nr. 2, findet fih ein Artikel von G. Boffito: Albigesi Genova nel secolo XIII (mit Abdrud zweier Urkunden, die ihr Bo fommen beweifen, vom 12. Oftober 1221 und vom 10. Januar 1278).

Eine umfangreihe Urktundenjtudie veröffentlidt C. Cipolla i Bollettino dell’ Istituto sıorico italiano 18 über: Le piü anticle car diplomatiche del monastero di S. Giusto di Susa (1029—1212). 6 behandelt in eingehender Unterjuhung die Überlieferung der einzeln Urkunden von der Gründungsurtunde vom 9. Juli 1029 bis zur DOrigine urtunde des Grafen Thomas L von Savoyen vom db. März 1212 bringt dann die Urkunden jelbft in Fritifher Ausgabe zum Abdrud.

Aus einer Handichrift des Brittiihen Muſeums gibt heraus ur erläutert in den Rendiconti della R. Accad. dei Lincei 5, 5, 11/1 M. Balzani: Una profezia del dodicesimo secolo (vun einen bänger der antipäpftlihen Partei gegen Papſt Alexander III. gerichte Versus angelici finem scismatis venturum declarantes und dazu eim Descriptio ordinis versuum precedentium et expositio desupe cujusdam).

Im Archivio stor. italiano 18,2 gibt €. v. Ottenthal eine Üben fiht über: Pubblicazioni degli anni 1894 e 95 sulla storia medievall italiane.

In der Revue historique 63, 2 gibt Ch. V. Langlois einen Üben blid über: Les travaux sur l’histoire de la sociètôé francaise au moyer äge d'après les sources litteraires (Kulturgeidhidte im engern Sinne nit einer Lifte der in Betradyt fommenden Schriften und ihrer Stichwort im Unbang).

Die Bibliotheque de l’&cole ues chartes 57 enthält den Unfang jeh jorgfältiger Unterfuhungen von P. Fournier über: Les collection canoniques attribuees A Yves de Chartres. Verfaſſer unternimmt ei die drei dem Iwo beigelegten Sammlungen erjt jede einzeln (im von liegenden Artikel die Tripartita) kritiſch zu unterfudhen, dann ihren Bei jaffer zu beſtimmen und endlid ihren Einfluß auf die kanoniſchen Samm lungen des 12. Jahrhunderts zu unterfuchen.

Sn den Seances et travaux der Academie des sciences morale politique 1897 veröffentliht U. Luchaire ein Stüd aus einer Histoir de France, die er im nädjıen Jahre zuſammen mit Lapiffe zu publizire gedentt: Le roi Louis VL et le pape Alexandre IIl. In der Revu des sciences ecclesiastiques 438/40 behandelt &. Hautcoeur: L’orges nisation d’un grand chapitre au moyen-äge (Sankt Pierre de Kill gegründet 1055; ein Stück aus einer demnädjt zu veröffentlidende Histoire de St. Pierre de Lille).

Spütered Mittelalter. 163

Eine Zuiammenftellung über die ländlichen Dienfte und Abgaben aus den erften drei Bänden des Cartularium Monasterii de Rameseia yibt N. Reilfon in der American Historical Review 2,2: Boon Services on the estates of Ramsay-Abbey. Blackwoods Magazine 977 ent- bält einen Auffag von C. R. Conder: Saladin and king Richard. The eastern question in the twelfth century. In der Westiuinster Review, März 1897 behandelt 8. Bukhſh: The eve of the crusades (die tieferen Urſachen der Sreuzzilge).

Bee Büder: Schlumberger, L'épopée byzantine & la fin du

Xe siöcle. (Paris, Hachette & Co. 30 fr.) Miller, Konradin von Hohenſtaufen. (Berlin, Ebering. 3 M.) Bund, The celtic church in Wales. (London, Nutt. 12 sh. 6 d.) Maitland, Domesday book and beyond. Three essays in the early history of England. (Cambridge, University Press. 15 sh.) Plehn, Der politiiche Charakter von Matheus Parifienjis. (Staatd- und ſozialwiſſenſchaftliche Forſch. 14, 3.) (Leipzig, Dunder & Humblot. 3,60 M.)

Späteres Mittelalter (12501500).

In Band 4 der Revue de l’orient latin beginnt N. Jorga eine größere Veröffentlihung, die zunächſt die Rechnungsbücher der genuefifchen Kolonien in Caffa, Bera und Famaguſta vorlegt.

In der Revue d’histoire diplomatique 11, 76 beginnt $und- Örentano mit der Beröffentlihung von Dokumenten zur Gefchichte des diplomatijhen Verkehrs im 13. und 14. Jahrhundert und publizirt zunächſt Mm Meitläufiges Notariatdinitrument über die Ausführung der Exrfommuni« tion des Grafen Buido von Zlandern vom Mai 1297.

Im Archivio storico Lombardo Anno XXIII fasc. XI (1896) unter dem Titel: Un documento Cremonese relativo all’ universitas schola- num veröffentliht &. Romano eine Urkunde vom 8. Juni 1292, mittelft deren das consilium generale der Rechtsſcholaren von Cremona den

oktor der Rechte Nicolo Matarelli (einen vorher und nachher befannten Gelehrten) für das nädite Jahr zu römiſch⸗rechtlichen Borlefungen in Cremona erwählt. Romano ſchließt gegen Denifle, Die Univerſitäten des

ittelalters 1, 732° Anm. 2, aus dieſer Urkunde den frühen Beſtand einer allerdings nie zum Generalſtudium entwickelten Univerſität (nicht einer ein- eben Rechtsſchule), deren ehemalige Eriftenz bisher nur durch die jtädtifchen

tatuten von 1387 bezeugt war. K. Wenck.

Sehr intereflant ift eine Abhandlung von 9. B. Sauerland über —— Taxen und Trinkgelder an der päpſtlichen Kurie während des ütere Mittelalter in der Weſtdeutſchen Zeitichrift 16, 78 f. Beſonders

Serrepümlich find die Bemühungen der Päpfte Clemens VI. und 11°

164 Notizen und Nachrichten.

Innocenz VI. um den zu erwartenden reihen Nachlaß des Erzbiſchofs Balduin (f 1354) und die Manipulationen des Domtlapitels, diefe Summen der Zrierer Kirche zu erhalten. Beigegeben find eine Koitenrehnung für päpjtlihe Beftätigung der Wahl des Jahres 1503 und eine Bittihrift um Ermäßigung de3 Servitium commune von 1511.

Das Hijtor. Jahrbuch Bd. 18 enthält S. 37 eine genaue Unterjugung von Sägmüller über die Größe des von Papſt Johann XXII. bei feinem Tode Hinterlajienen Schapes, über den die Angaben ſehr au_- einandergehen. Er wird vermuthlid nad) unierm Gelde, je nachdem man die Kauffraft aniegt, 12 oder 32 Millionen Mark betragen haben. S. 58 bietet 9. Grauert eine Überfiht der neueren Dante-Forfhuug, ſtizz ärt Allgemeineres, ſowie auch die Refultate in einigen Einzelfragen. ©. 133 endlih polemifirt F. Joſtes gegen W. Walther's Aufftelungen (N. ccdHI. Ztſchr. 7) über die Bibelüberiegung des Johannes Rellah von ca. 1450, an deren Eriftenz der erjtere durchaus jefthält.

Summa cancellariae (cancellaria Caroli IV.) Formulär kral. kan- celäfe éeské XIV stoleti. (Ein Formular der fgl. böhm. Kanzlei des 14. Jahrhunderts.) Z rüznych rukopısüv k vydäni upravil Ferdinan d Tadra, v Praze 1895. Daß bieje ebendajelbjt erjchienene Ausgabe eine völlig ungenügende ift, weil der Herausgeber drei Handfchriften unbenütz ® ließ, über die entweder wie über die Grazer ſchon gute Berichte vorlag F oder wie über die in Melt und Schlägl leicht erlangt werden fonnten, au der fritiihde Apparat nicht ausreichend und ebenio der Kommentar unzu länglich ift, Habe ih ausführlich in der Zeitichrift für die öfter. Gym naſien 1896 Heft 12 ©. 1103 —1106 erwieien. J. L.

8. Wend bringt in Mittheil. des djterr. Inſtituts 18, 69 vo neuem eine eingehende Unterjuhung über die rätbjelvolien und jehr eigen artigen Schidjale der Lucia, Tochter von Bernabo Bizconti (f. ſchon 9. Z. 77, 546). Manches neue Material ift herangezogen, namentlich für den Verlauf ihrer engliſchen Heirat. Die elegante Darjtellung bringt uns dieje merkwürdige Frau vielfach menſchlich näher. Ein Exkurs ift der Mutter Regina della Scala gewidmet.

Felice Tocco, der die Forſchung über die religidien Kämpfe tnner= halb des Franziskanerordens bereit durd eine Reihe der werthvolliten Arbeiten gefördert bat, widmet der bedeutenditen Gruppe innerbalb der Oppofition der Jranzislaner-Spiritualen, der Partei der Anhänger Angelo’s da Glareno (Pietro da Foſſombrone), eine jehr beachtenswerthe Studie (I fraticelli o poveri eremiti di Celestino secondo i nuovi documenti- Estratto dal Bolletino della Societa storica Abruzzese, Anno VI Puntata XIV. Aquila, Santini Simeone. 189%. S. 117—159.) Zunächſt auf Grundlage ber von Ehrle befannt gemachten Altenftüde, aber au mie Benugung neuer von Tocco an’d Licht gezogener Quellen werden bie

Späteres Mittelalter. 165

Schidſale und innere Entwidlung der poveri eremiti di Celestino, die bald ebenjo wie andere Difjidenten des Franziöfanerorden® im Volks— munde den Namen „eSraticellen” erhielten, in der Zeit von 1294 bis 1337 in forgfamer, die Darftellung Ehrle's mannigfach ergänzender und berid- tigender Weiſe gejchildert. Im Anhang werden u. a. zwei Briefe Angelo’3 und Fragmente feines „Breviloguium” erſtmals bekannt gemacht. H. Haupt. In dem ſechſten der von der badiſchen hiſtoriſchen Kommiſſion heraus⸗ gegebenen Neujahrsblätter: Markgraf Bernbard I und die Ans länge des Territorialftaates (Karldruhe, Braun, 1896, 138 ©.) faßt Richard Feſter die Ergebnifje des von ihm in mujtergültiger Weiſe bearbeiteten Regeſtenwerkes der Markgrafen von Baden zu einen vortreff- lien, farbenreihen Zeitbilde zulammen. Nach einem llberblide über die früheren Schickſale der Marfgrafihaft ſchildert er ihre innere Verfaſſung und Entwidlung unter Bernhard I., von deſſen organijatoriicher Befähigung die neugeſchaffenen Berhältnijie beredtes Zeugnis ablegen. Weitaus den Töten Raum beanjprucht die Darjtellung der äußeren Rolitif (S. 32-—123). Rit jiherem Blid und feinem Geichid verfteht Feſter eg, aus dem ver- Dirrenden Chaos der Greignifie, aus dem oft jcheinbar zuiammenhangs- loſen Wechſel von Fehden, Bündniſſen und Verträgen die leitenden, für die Beurtheilung der Bernhardiniihen Politit maßgebenden Ideen los— zuſchälen und Barzulegen. Mit Huger Berehnung und Benugung der Umſtände, mit Liſt und Gewalt hat der Zähringer im Krieg und Frieden ſtets unbeirrt ſein Ziel verfolgt und feine Hausmacht zu mehren, den Be— ſtand ſeines Fürſtenthums zu ſichern geſucht. Während in den erſten Vahren die oberſchwäbiſchen Intereſſen im Vordergrunde ſtehen und ihn in Konflikt mit Habsburg bringen, wird die ſpätere Zeit beherrſcht von dem reichsgeſchichtliche Bedeutung gewinnenden Gegenſatze zu Kurpfalz, in welchem ſeine Territorialpolitik ſich auf's innigſte berührt mit der Reichs— politit König Sigismund's. Im Verlaufe einer nahezu 60jährigen Regie— ung hat der Markgraf nit all’ feinen Nachbarn, Fürſten, Städten und Rittern, der Neihe nad) die Waffen gefreuzt: aber audy in dem letzten ent= chei denden Waffengange, den er in faſt völliger Vereinſamung gegen Kur— Pfalz und befien Helier zu vejtehen hatte, hat er, wenngleich unter ſchweren Pfern feine Selbirftändigfeit behauptet und die Fortexiſtenz des jung Aufftrebenden Territorialftaate® gefihert, der ihm jein Dajein verdantte. eues Licht wirft die Vorftelung auf den Marbacher Bund, vor allem aber auf die Geſtalt König Sigismund's, dejien geiſtvolle Würdigung in aus geſprochenem Gegeniage zu der berrihenden Auffaſſung iteht. Alles ın Allem, ein höchſt willkommener Beitrag zur fjpätmittelalterliden Terri: torial: und Reichsgeſchichte, der weit über den gewöhnlichen Yeierfreis der Kujahrshlätter hinaus lebhaftes Intereſſe beanipruchen dari und erwecken wird, K. O.

166 Notizen und Nachrichten.

Sodann Hus. Ausgewählte Predigten. Mit einer einleitenden Mono: graphie von ®. v. Langsdorff. U. u. d. T.: Die Predigt der Kirche. Bd. 27. Leipzig, Zr. Richter. 18%. XXX, 149 ©. Die von ®. vd. Langs⸗ dorff überjegten 13 Predigten und Predigtbruchitüde werden durch eine an weitere Kreiſe ſich wendende Biographie von Koh. Hus eingeleitet; dieſelbe läßt die nöthige Objeftivität bei der Beurtheilung des gefeierten Reforma— tor8 mannigfach vermiſſen. Hermann Haupt.

A. Werming hoff ſchildert in einem intereſſanten Aufſatz der Bir. f. d. Geſch. d. Oberrheins 12, S. 1 f. die ſchriftſtelleriſche Thätigleir Otto's III. von Konſtanz (1411—1434 Biſchof, F 1451). Für und am wichtigiten jind feine Schriften gegen da8 Basler Konzil. ©. 5f. ift eine Überficht der VBibliothet des Mannes gegeben und im Anhang werden 7 Beilagen, Briefe, Urkunden u. a. für die Jahre 1444—1452 publiziert. In derjelben Zeitichrift S. 108 f. behandelt 3. Beder des Weiteren Die Verleihung und Verpfändung der Reichslandvogtei Elſaß von 1408 bid 16354, vielfah auf Grund ungedrudten Materials.

A. Bömer beſpricht in der Ziſchr. f. Kulturgeid. 4 © 4 Die deutihen Humaniften in ihrem Verhältnis zum weiblichen Gejchledt.

D. Redlich veröffentliht in der Ztichr. des Bergiihen Geſchicht 3- vereind Bd. 32 eine Aufzeihnung über Verhandlungen des Geſandt DMearimilian’s, Cornelius v. Zevenbergen, mit Herzog Wilhelm von Julic? 9⸗ Berg (Febr. 1492); cin intereſſantes Zeugnis für franzöſiſche Rheingelũ NV te vor 400 Jahren.

Sn feinen Studien aus dem Strafreht 4 beginnt Sr 1- J. Kohler die Behandlung des befonderen Theild des Strafrechts d er (talieniihen Statuten vom 12. bis 16. Jahrh. Es werden befprodes# Die Tötungsdelikte, die Körperverlegung, die Freiheits- und Ehrendeli iintereſſante Beſchimpfungen!), die Briefbrechung, ſodann die Vergehung gegen das Eigenthum, gegen fremde Okkupationsrechte, der Vertragsbtu 9 die Benachtheiligung der Gläubiger, der Betrug (intereſſante Waarenbetrug fälle), älle bei. Untreue und die Erprefiung. Das Ganze ijt eine face 18 regijtermäßige BZujammenitellung werthvoller Lejefrüdhte, die von der aut üppigen Fortleben des germaniiden Rechts in Italien beredtes Beuget# ablegt. Die Interpretation des Ediktes iſt oft falſch, was fi wohl am= einer Vernachläſſigung der Literatur erklärt. Unangenehm berüßren pie trodenen, überdies unter dem Strich nochmals wiederholten Aufählunge#* der Belegitellen, 3. B. S. 323}. 327 5. 344352 ff. u. ſ. f.

Hans Schreuer-

Neue Büder: Michael, Geihichte des deutſchen Volkes ſeit Deztt 13. Jahrhundert bis zum Ausgang des Mittelalterd. I. (Freiburg, Srbet- 5 M) Haller, Concilium Basiliense. II 1431—143. (Bafek Detloff.) Altmann, Ausgewählte Urkunden zur brandenburg ĩ c

Reformation. 167

pteußiſchen Verfaſſungs⸗ und Verwaltungsgeſchichte. I. II. (Berlin, Gärtner. IM) Politiſche Korrefpondenz des Kurfürſten Albrecht Achilles. IT. 1475—1480. Herausg. v. Priebatſch. (Leipzig, Hirzel. 25 M.) Rigault, Le progres de Guichard, &vöque de Troyes (1308—1313). (Paris, Picard et F.) I capitolari delle arti Veneziane a cura di Giovanni Monticolo. IL (Roma, Forzani.) Lungo, Florentia: uomini e cose del quattrocento. (Firenze, Barbera.4L.) Shwahn, Lorenzo Valla. (Berlin, Mayer & Müller. 1.20 M.)

Beformation und Gegenreformation (1500 —1648).

Im Sommer 1499 jandte Ludovico Sforza den Conradolo Stanga nah Neapel, um mit König Friedrich über die Anzahl der von Neapel in dem Bündnis mit Mailand zu ftellenden Hülfstruppen zu verhandeln. 3wölf Berichte dieſes Geſandten veröffentlicht Peliſſier aus dem Mai— länder Staatsarchiv in der Revue d’histoire diplomatique 10, 4.

In derjelben Zeitihrift 11, 1 gibt 8. Paſſy eine Überfegung des Reiſe berichtes von Francesco Vettori über ſeine Geſandtſchaft als Beauf⸗ tragter der Republik Florenz zu Kaiſer Maximilian (Juni 1505 bis März 1508), leider ohne Bemerkung über die Herkunft des Berichts.

Vorwiegend auf Grund Düfjeldorfer Alten jchildert D. Redlich in den Beiträgen z. Geſch. des Wiederrheins Bd. 11 die franzöfiiche Vers mittLungspofitit am Niederrhein im Unfang des 16. Jahrhunderts. Er behandelt die franzöfiihen Vermittlungsverjuche zwiichen Kleve und Geldern (1500-1503), den Kampf Cleves gegen Geldern (1503—1509), die Jülich'ſche Bolitit 1500-1511, den Widerftreit franzöftiicher und burgundiicher Eins flüfſe (1511—1518) und den Sieg des burgundiſchen Einfluſſes in Jülich und Cleve (1519). Eine Reihe interefjanter Aktenftüde werden im Anhang abgedruckt.

Im Archivio della Societa Romana di Storia patria 19, 3. 4 ver⸗ difentlicht und beſpricht Ferrajoli ein ungedrucktes Breve des Papſtes Julius II. vom 20. März 1512, wodurd er Heinrich VIII. von England mit Frankreich belehnt.

Die Reformation des badiihen Dorfes Kürnbach bei Eppingen be— ban delt W. Boſſert in der Zeitichrift f. Geſch. d. Oberrhein® 12, 1 auf

Tund der Alten, die hierfür ungewöhnlich reichhaltig find und nod) völlig un betannt waren. Der Ort gehörte dem Deutſchorden, und die eigen— artigen Verhältniſſe machen die Reformationsgeſchichte beſonders intereſſant.

rei Die Feier des 400 jährigen Geburtätagg Melanchthon's hat zahl- nie Schriften und Borträge hervorgerufen: In jeiner Gedächtnisrede im 189298 Bunde zu Berlin (gedrudt in den Preußiihen Jahrbüchern

7,3) zeigt M. Lenz, wie Melanchthon auch ale Theologe Humanift

168 Notizen und Nachrichten.

geblieben ift; wie es jtet3 das Ziel jeiner Bemühungen war, die humanifti fen Studien und die evang. Theologie gemeinjam zur Geltung zu bringen Lenz betont, dab man von einem ausgejprochenen Gegenjage zwiſchen ber älteren, torrelt firhliden und dem jüngeren Humanismus nicht rede: tönne; die deutihen Humaniften waren von Anfang an Pädagogen, un wenn irgend einer, fo ift Melanchthon allein unter diefem Geſichtspunkt zu verftehen. Die Berdienfte Melanchthon's um die deutjche Reformatio würdigt W. Beyſchlag in einer Rede im evang. Bunde zu Halle (Deutid evang. Blätter, 1897, 3), die Eigenart feiner Theologie, das Berdienft feine Formulirungsarbeit ſtizzirt Harnack's Berliner liniverfitätsrede (Berlir Drud von Bürenftein). Melanchthon als Mitarbeiter Quther’3 feieı F. Kuhn im Bulletin du protest. france. (1897, 3). In den Monatshefte der Comenius-Geſellſchaft (6, 1. 2) gibt ©. Ellinger ein Stüd feiner den nächſt ericheinenden Biographie Melanchthon's; er Ichildert „Die Frühzeit Melanchthon's, die Zeit, in der er nur Humaniſt und noch nit Theolo war. Melanchthon's Beziehungen zu Lfterreih-Ungarn behandelt G Loeſche in einer alademifhen Feſtrede (Jahrb. d. Gej. für d. Geſch. de Broteftantismug in Ofterreih j18, 1.2). Auch der Verein für‘ Refor mationdgeihichte hat zu dem Jubiläum zwei Schriften (Nr. 55 u. 56) jcheinen lajjen: Fr. Cohrs jchildert, wejentli auf Grundlage von Bar felder, Melanchthon den Humaniſten, Profeſſor und Schulmann, als Lehre Deutſchlands; K. Sell behandelt Melanchthon und die deutſche Refor mation bis 1531.

In den Jahren 1541 und 1542 beabſichtigte Erzbiſchof Albrecht vo Mainz dem Kurfürſten von Sachſen das Burggrafenamt von Halle abzr kaufen, um dadurch jeden Einfluß des Kurfürſten auf die dortigen Bei hältnijje unmöglih zu maden. Die Verhandlungen darüber, ihr Scheiter durch die Einwirkung Luther's und die Bedeutung der ganzen Sadıe die allgemeine Geihichte bringt E. Brandenburg in einem treffliche Aufſatze in der Deutſchen Zeitſchrift für Geichichtswiflenihaft zur Daı jtelung; im Anhang veröffentlicht er au8 dem Dresdener Archiv ſechs ur gedrudte Briefe Luther's in diefer Angelegenbeit.

V. Bibl veröffentlidt in d. Jahrb. f. Geich. des Proteſtantismus in Diter reich (18, 1. 2) elf Briefe des Taijerlihen Nathes Caspar von Nidbrud a Melanchthon aus der Zeit vom November 1952 bis Juni 1556.

Die religiöjfen Sdeen der Königin Margaretfa von Navarra jilde auf Grund ihrer poetifhen Werke A. Lefranc in mehreren Aufſätz« de3 Bulletin hist. et litt. du protest. france. (1897, 5. 1-3.

Ebendort (H. 2) beipridt F. Kuhn zujammenfafiend die vor mehrer ı Jahren in Deutſchland durd die Schrift Majunke's bervorgerufene Polens iiber den Tod Luther's.

Rejorination. 169

In der Revue des questions bistoriques 1897, 1 unterſucht J. M. Befje die Frage, ob Loyola bei der Redaftion jeiner Exercitia spiritualia dad Excitatorium spiritale und das Directorium horarum canoni- carım von Garcias de Cisneros, Prior des Klofterd Mont Serrat (F 1510), gelannt und benupt habe. Er glaubt die bejahen zu müfjen, ivenn aud) feine wörtlihe Abhängigkeit nachweisbar iſt.

Eine fritifhe Unterfuhung der hiltoriihen Zeugniffe über da8 Leben Faufts („der hiſtoriſche Fauſt) gibt G. Witkowski in der Teutfchen Beitihrift für Geſchichtswiſſenſchaft (N. F. 1,4): im Anhang ftellt er bie Zeugniſſe überfichtlich chronologiſch zuſammen.

In den Mittheilungen d. hiſt. Ber. f. Steiermark (Heft 44, 1896) Ihildert Loſ erth die Reife des Erzherzog Karl II. nad) Spanien in den Jahren 1568—69. Der Erzherzog Hatte den Auftrag, perjönfid Infor: mationen über dag Echidjal des Don Carlos einzuziehen und im Namen des Kaiſers Borftellungen bei Philipp II. wegen jeines beziv. Alba's Ver: balten in den Niederlanden zu mahen. In diefer Hinficht richtete er jedoch nichts aus. Loſerth gibt als Einleitung eine kurze, hübſche Zuſammen— ſtellung der bisherigen Forſchungsergebniſſe in der Ton Carlos-Frage.

Die Zeitſchrift für die Geſchichte des Oberrheins bringt in N. F. 12,1 den Schluß der Abhandlung A. Overmann's über die Reichsritterſchaft m Untereljaß. Der Berfajier entwirft bier ein ebenjo klares wie der Sache nad unerquidliches Bild von der Haltung der faft ganz proteitan: tiſchen Ritterſchaft in den religiöſen Streitigkeiten zu Ende des 16. und

eginn des 17. Jahrhunderts. Die klägliche Scheu vor energiſcher Aktion ſelbſt bei unerwartet günjtigen Konjunkturen, wie in den beiden Inter— regnen von 1612 und 1618, das haltlofe Schwanfen in der Stellungnahme der Union gegenüber, der naive Glaube, in einer Zeit jo hodhgeipannter kirchlich politiſcher Gegenſätze mit einer halb neutralen Haltung am ſicherſten zu fahren, das alles hat nothwendig dahin geführt, daß die „Neutraliſten, wie es ihnen Georg Friedrich von Baden vorherſagte, mit allen Vieren in den Koth fielen“. Im Mittelpunkt der Streitigkeiten ſteht das Refor— Mationdreht der Ritterſchaft, eine Frage, die in dem Territorium der Derren von Andlau akut wurde, als in dem gleihbenannten Stift die reitbare Abtiffin Maria Magdalena Rebſtock den Kampf gegen den Prote- ſtantismus begann und ſchon 1600 gewanı. Ter Erfolg der Gegenrefor: Mation ift der Nitterjchaft gegenüber ein vollftändiger geweſen.

Dva denniky dra Matiääe Borbonia z Borbenheimn (zwei Tage: bücher des Dr. M. Borbonius von Borbenheim' vydal Max Dvoräk, v 189. Durch dieje im hiſtoriſchen Archiv der tſchechiſchen Akademie

der Wiſſenſchaften publizirte Arbeit hat ſich der Herausgeber in vortheil— after Weiſe bekannt gemacht. Borbonius war cin in den beiden eriten ahrze hnten des 17. Jahrhunderts bekannter Dichter und geſuchter Arzt.

170 Notizen und Nachrichten.

In jüngeren Zahren Erzieher im Hauje eines böhmischen Großen, fam viel in der Welt herum und begleitete namentlich feine Zöglinge na Bajel, wo er ſelbſt feine medizinischen Studien beendete. Er führte e genaued Tagebuch, von dem die Jahre 1596 (Iter Helveticum) bis 16! und dann ein Tagebud) aud dem Jahre 1622 vorliegen. Iſt das erfte von hohem Snterefje wegen der vielen Gelehrten, mit denen der Aut verfehrte, jo ift da zweite noch wichtiger wegen der Beziehungen d Schreiber zum böhmijchen Aufitand. In der Einleitung gibt der Herau geber eine ausreichende Skizze bes Leben? und Wirkens des Vorboniu der das harte Brot der Verbannung einem Übertritt in’3 jefuitiiche Lag vorzog. J. L.

In einem ſehr leſenswerthen, in franzöſiſcher Sprache abgefaßt Aufſatz in den Berichten der Kopenhagener Akademie der Wiſſenſchaft von 1896 entwirft J. A. Fridericia ein feſſelndes Bild von den ſozial und nationalökonomiſchen Anjichten und Beitrebungen Chriſtian's IV. Dänemarf. Er führt und den König als ebenjo aufgellärten wie energ ihen Neformer vor, deffen Anregungen freilich bei der Bevölkerung niı immer Berjtändnig und Befolgung fanden, jo daß die erzielten Refulta dem Aufwand an WillenSkraft nicht ganz entipradyen.

Wallenftein als Herzog von Sagan. Bon Arthur Heinrie Breslau 1896. 96 S. Die Schrift beruht auf genauefter Benügung der de Verfaſſer zugängliden Alten über alle Zweige der Thätigkeit Wallenftein bezüglich Sagand. Das Material felbft ift aber beſchränkt. Die gedruc Literatur ijt nicht in vollem Umfange herangezogen worden. Als Ergebr feiner Studie fieht Heinrid ein gewaltjames, nur auf den eigenen Vorth bedachtes, das Wohl de3 Landes und namentlid) aud) der Hauptite Ihädigendes Regiment. Mkgf.

Einen erfreuliden Fund zur Gefchichte des großen Kurfüriten I U. Mörath, der Direktor des fürftl. Schwarzenbergiihen Centralarchi in Krummau, gemadt: Eine Reihe eigenhändiger Briefen des jungen Pu prinzen aus den Jahren 1634—1640 an Schwarzenberg, aus denen berei jein Mißtrauen gegen Schwarzenberg hervorgeht. Veröffentlicht find | nebjt einigen anderen einschlägigen Schriftitüden in der Zeitfchr. d. Ber, Geſchichtsvereins Bd. 32, 1896.

Einen zeitgendffiihen Bericht über die Kriegsereignijie bei Saaffel im Sahre 1640, wo ſich Baner und die Kaijerlihen mehrere Wochen lan „Iharmußirend“ gegenüberlagen, veröffentliht Trint3 im 23. Heft I Schriften d. Ver. f. Sahfen-Meiningiihe Geſch. u. Landeskde (1896).

Neue Bäder: Ernſt Schäfer, Yuther als Kirchenhiitorifer. (Güter! loh, Bertelamann. EM) Häbler, Die Geidichte der Fugger'ſche Handlung in Spanien. (Weimar, Felber. WM.) Hanotaux, Histoir

. 1648 1789. 171 da cardinal de Richelieu. II, 1 (1614—1617). (Paris, Firmin-Didot.) Charlotte Koren, Henrik den ottende og Anna Boleyn. (&hriftiania, Matting. 480 M) Storm, Maria Stuart, überi. von P. Witt: marın. (Münden, Schweiger. 2,50 M.) Leach, English schools at the reformation 1546—48. (Weftminjter, Conjtable. 12 sh.) Seder, Corpus constitutionum Daniae 1558—1660. IV,4. (Kopenhagen, Gad.) ÖOxenstiernas skrifter och brefvexling. I, 2 (1606—1624); II, 8. (Stod: bolm, Rorftedt. 11 u.10O kr). Bergh, Svenska riksrädets protokoll. VIII, 1 (1640—1641). (Stodholm, Norftedt. 5 kr. 50 öre.)

1648 —1789.

Dr. Karl Brunner: Der pfälziihe Wildfangitreit unter Kurfürit Karl Ludwig (1664—1667). Innsbruck, Wagner, 1896. 68. S. Eine tüch⸗ tige Arbeit, die einen dankenswerthen Beitrag zu dem vielbeitrittenen und verworrenen Problem des pfälziſchen Wildfangftreites liefert. Der Ber: iaffer jucht in ihr vor Allem die Fragen zu beantivorten: „In welden: Zuſammenhang fteht der Biftoriiche Verlauf des Wildfangftreites mit der politiihen Bewegung der Zeit, und worin liegt die wirthichaftlihe und hnanzielle Bedeutung der Wildfangsfrage?“ Im der Betonung diefes zu— legt genannten Geſichtspunktes liegt meines Erachtens das Hauptverdienit der Abhandlung. Behauptet doc Brunner geradezu: „Die Wildfangfrage üt in erſter Linie eine wirthichaftlih= finanzielle, ..... die legte und bau ptjächlichite Stage dabei war jtet3 die praftiiche Geldfrage.“ Und dieje Vebauptung wird durch den aftenmähigen Nachweis geftüßt, daß die wirk— lich eingegangenen Beträge des Wildfangrechts (53 737 fl.) nicht weniger als 12 Proz. der geſammten pfälziſchen Staatseinnahmen ausmachten. Hierin liegt in der That der beſte Schlüſſel zum Verſtändnis für das hart- näcfige Yeithalten Karl Ludwig's an ſeinem ſo feltiamen Necdte. Der urfürſt hat deswegen jowohl zu jeinen Lebzeiten, wie in der hiitoriichen Veurtheifung bis auf den heutigen Tag viele Vorwürfe zu hören be: ommen. Brunner nimmt ihn gegen die meiſten derſelben und zwar, wie mir ſcheint, mit Recht in Schutz. Er faßt die Wildfangfrage nur als einen Theil der geſammten Reformthätigkeit Karl Ludwig's auf, wodurch ſie erſt das Tichtige Relief erhält. Seine Erzählung vom Verlauf des Wildfang— HTeitez iſt anihaulih und angemejlen. Nur die in der Einleitung gege— bene tehtlihe Begründung und verfaſſungsgeſchichtliche Entiwidlung der

Hanzcn Inftitution iſt etwas dürftig ausgefallen. Dafür vertröjtet er und ET auf eine genauere Unterjuhung darüber an anderer Stelle, der wir ME Wergnügen entgegeniehen. C. Sp. . As Karl II. von England in Herbit 1654 als Flüchtling in Köln ‘Deilte, geriet er bei einem Beiuche in Düſſeldori mit dem projeftenreichen TAlzgraien Philipp Wilhelm von Neuburg zuſammen auf den Plan, feine

172 Notizen und Nahrichten.

Neftitution in England mit Hülfe eines großen fatholifchen Bundes unter der Ügide des Papftes durchzufegen. Mit diefem Iuftigen politiſchen Phantafiegebilde madt uns ein WUufjag von Haffenfamp im 3. Biertel= jahr&heft der beutih. Ztſchr. f. Geſchichtswiſſenſch. (N. %. Bd. 1) näher befannt.

Unter Heranziehung von noch unbenupten Alten aus dem Düfiel = dorfer Staatdarhiv unternimmt derjelbe Verfafier in der Ztſchr. d. bite _ Geſellſch. f. d. Prov. Poſen (11. Jahrg. 1896), die Bewerbung des Pfalz, = grafen Philipp Wilhelm von Neuburg um die polnische Krone in den Wer und 60er Jahren des 17. Jahrh. zu jchildern, welche trog aller dafür au F— gewandten Mittel und troß der Unterftüßung dur den großen Kurfürſte m 1668 mit einem völligen Fiasko endigte.

In den Forſch. zur brand. u. preuß. Geſch. 9, 2 theilt Hir ſch einen Brief der Kammerfrau der Kurfürftin Luiſe Henriette von Brandenbaxra mit, der jehr ausführlide Angaben über die legten Tage und Etunden der Fürſtin enthält.

Die Deutich-evang. Blätter 3 bringen ein Charalterbild der Eliſab eth Charlotte von Najemann, das nicht? wejentlid neues enthält.

Suftad Fricke unterfuht die Memoiren des Grafen Forbin, Dez tapjeren Admiral Ludwig's XIV., und fommt zu den Ergebnis, daß Der Zweifel Ranke's an der Echtheit derfelben unbegründet ift, fein Urteil über den geringen Qucllenwerth aber zutrifft (Feſtſchriſt des kgl. Friedr ich⸗ Wilhelms-Gymnaſiums zu Berlin‘.

Der Schluß der Zechlin'ſchen Arbeit über die Schlacht bei Fraujtadt GZtſchr. d. hiſtor. Geſellſch. f. Poſen 3/4 1806 vgl. 78, 179) bringt cine Darjtellung der Thätigleit der infolge der Niederlage cingejepten Unter- juhungsfommijfion, der Folgen der Schlacht und der zerfahrenen, disziplirs > ofen Zuftände im ſächſiſchen Etaat und Heer, die der eigentlihe inner e Grund für die Niederlage find. Angehängt find einige Altenftüde.

Mehrere fürzlich erjchienene Aufſätze behandeln die politiihen Berhält- nijje Spaniens im Anfange de3 vorigen Jahrhunderte. Sn der Rer- d’hist. diplom. 11, 1 teilt Schefer die ausführliche Inftruftion mit, die der Marquis v. Bonnac, der 1712 als auferorbentliher Geſandter nady Epanien ging, von Ludwig XIV. erhielt und die für die bedrängte Lage de8 Staates charakteriftiih if. Die Bemühungen eine8 andern franzö⸗— ſiſchen Sefandten, des Marſchalls Tejie, der lebhaft von der Königin Elie jabeth unterftügt wird, im Jahre 1724 während der kurzen Regierung. Ludwigs I. und, als dejjen Vater dann wieder durch fein Zureden bewogen die Krone übernahnı, unter diejem die alte jpaniiche Partei am Hofe zu verdrängen und die franzöfiihe zu ſtützen, idhildert Baudrillart (Rev- des quest. hist. 60, 4.) Cine Würdigung der Politik Alberoni's verſucht

1648 - 1789. 173

iſtrong in der Scottish Review San. 1897 zu geben. Der Angel: t diefer Politik ijt nad ihm das Beitreben Alberoni’3, jein Vaterland in von der deutſchen Herrſchaft zu befreien.

In den Mittheil. des AInftit. f. öſterr. Geich. 18,1 macht F. M. Mayer eſſante Mittheilungen aus dem Bericht eines NRegierungsbeauftragten, .J. 1728 eine. Reije unternahm, um die Induſtrie- und Handels- ilmiſſe in den öfterreihiichen Alpenländern fennen zu lernen und zu heilen, ob der Handel in den Seehäfen Triejt und Fiume nicht dadurd en werden könne, daß man bdiefe Häfen mit den indujftriereihen böh- en Ländern in Verbindung brädte. Der Reiſende verneint Diele e. Der Handel in den Seeftädten könnte nad jeiner Meinung nur en werden durch möglichſte Freiheit.

In der Nouv. Revue retrosp. (Sanuar-Heft) beginnt B. d'Eſtrée eröffentlihung von Polizeiberihten über Parijer Tagesereignifie aus Jahre 1744, die fih nad Inhalt und Beitfolge als Fortſetzung der fation in dem Journal Barbier’3 herausſtellen. Die Berichte find dem General: Bolizeilieutenant Feydeau de Marville für Maurepas eitet und enthalten u. a. mandjerlei Angaben über Voltaire.

Fine jehr bedeutjame Entdedung veröffentliht Arnheim in den J. 3. bramd.=preuß. Geſch. 9, 2. Er bat ein Bruchftüd der eriten tion der Histoire de mon temps Friedrich's des Großen gefunden, en Wortlaut ſich mande intereffante Bemerkungen anfnüpfen laffen.

R. Porſch jtellt in einer Schrift die Beziehungen Friedrich's des en zur Türkei bis zun Beginn und während des Siebenjährigen ed dar (Marburger Dijjertation 1897), Er jdildert auf Grund des die Polit. Korreip. zugänglich gemachten Materials, wie die Aufmerf: it de3 Königs ſich allmählich der Pforte zuzumenden begann, wie er furz lusbruch des Krieges und namentlicd) während desjelben immer jehnlicher zündnis mit ihr wünſchte und zu erreichen ftrebte, und wie die Hoff: ‚ihn immer wieder täuſchte. Für die Erkenntnis der engen Wecjel- hungen, in denen Strategie und Politik Friedrich's ftehen, finden fich fa hübſche Hinweiſe. Am Schluß faßt der Verfaſſer die Ergebnifie t jorgfältigen Arbeit furz zuſammen; man fann bier vielleicht die übrungen über die Durchführbarfeit und die Bedeutung der orienta: n Bolitit des großen Königs ald etwas zu optimijtiih beanftanden.

Künpel zeigt in den Forſch. z. brandenburg.preuß. Geſch. 9, 2, die Darftellung, welche Ludwaldt von der Entitehungsgefhichte und atung der Wejtminjterfonvention gegeben Hat, nicht auf zwingende eile gegründet if. Doc auch die Beweisführung Küntzel's für jeine €, daß der Zwed der Politik des preußifchen Königs i. 3. 1755 nur die tung des Friedens geweien fei, jcheint dem Referenten nicht zwingend.

174 Notizen und Radridten.

Die Entſcheidung der Streitfrage über den Urſprung bes Siebenjährige Krieged wird aud die Beurtheilung der Weftminiterfonvention bedingen nicht, wie der Verfaſſer meint, umgelehrt. L. M.

über den zweiten Zheil der Naude'ihen Unterjuhungen zur En ftehung des Siebenjährigen Krieges gibt Immich ein Neferat in du Jahrb. f. d. deutſche Armee 2c. April 1897.

Eine für praftiihe Zwede beitimmte, die wiſſenſchaftliche Seite d Stage nur jtreifende Zujammenftellung de8 Standes der Kartenaufnahn wie er fih für das Jahr 1756 in den einzelnen am Kriege betheiligt Ländern feftjtellen läßt, gibt Oberft Burhardi auf Grund des in t tgl. Bibliothef und beim Gr. Generalftabe aufbewahrten Materiald. B beft 2 zum Mil.-Wochenblatt 1897.

In der Deutihen SHeereszeitung 11—14 erörtert v. d. Weng« wieder emmal die Schlacht bei Prag mit ausführlicher Kritif der öfte reichifchen Strategie vor der Schlacht. Die Entjendung des Keith'ſche Corps beurtheilt er wie Delbrüd und bekämpft aud ſonſt Bernhardi Aufſtellungen (vgl. 76, 374).

Rouſſet gibt in der Rev. de Paris 1. März eine Tarjtellung un Beurtheilung der Strategie und Taktik Friedrich's des Großen, die indefle nit eindringend und Mar genug iſt, um dem deutſchen Leſer etiwad Neue über den Gegenjiand zu bieten.

In den Preuß. Jahrb. März 1897 wird die mwecjelvolle Laufbah eines preußiichen Beamten im vorigen Jahrhundert geſchildert. Die Hein Skizze würde fulturgejchichtlic noc, größeren Werth haben, wenn fie fi nicht ausichließlid auf die von dem Betreffenden ſelbſt niedergejchriebene Erinnerungen ftügte.

U. Hallays gibt eine trefflihe Eharakteriftit von Beaumardaiß worin er den Widerjprüchen im Wejen dieſes Abenteurers und Induftrie ritters, der zugleich ein ausgezeichneter Hausvater und Freund war, ur befangen geredht wird. (Revue de Paris, 15. Mär; 1897.)

Qeue Büder: Antonio Matscheg, Storia politica di Europ dal cominciare del regno di Maria Teresa allo sciogliersi della cos venzione di Kleinschnellendorf. (Belluno, Tip. Deliberali.) Parise‘ L’Etat et les Eglises en Prusse sous Frederic-Guillaume I (1713- 1740). (Paris, Colin et Cie. 12 fr) Heußel, Friedrich's d. & Unnäherung an England im Sabre 1755 u. d. Sendung des Herzog va Nivernaiß nah Berlin. (Gießen, Nider. 1,20 M.) Briefe Samu« Pufendorf'3 an Chriftian Thomaſius (1687—1693). Her. v. Giga Münden, Oldenbourg. 2M.). de Maulde La Claviere, Les mik et une nuits d'une ambassatrice de Louis XIV. (Paris, Hachette.) -

176 Notizen und Nachrichten.

durchaus unabhängig ilt. Dasjelbe gilt auch bezüglich der Unterjud Aulard’3 (Reövol. franc., Februar 1897), der durch Prüfung der gaben über Sieyes ebenfalls zur Überzeugung von der völligen Ungl würdigfeit der Bulletins gelangt. H. Glaga

Die Mainzer Klubiften der Jahre 1792 und 179. Bon 8 Bodenheimer. (Mainz, Kupferberge. 1896. VI, 312 ©.) Der t andere Schriften aus demfelben Stoffkreis bekannte Berfafler jucht in d neuejten Arbeit die aus kritifher Abwägung zeitgenöffifher Stimmen wonnene Anſchauung urfundlid zu bekräftigen, daß der Kern und Maſſe der Mainzer Bürgerjhaft der revolutionären Phraſe kälter vernünftiger gegenübergeitanden habe, ald mandmal angenommen ı Aus den Alten des Stadtarchivs weilt er in der That nad, wie (ähnlichen Erfahrungen anderwärts entiprechend) die Zahl der Bürger Zandleute war, die zur Annahme der franzöjiihen Berfajjung und Anſt an die fränkiſche Republik entihloflen waren (S. 138. 206. 328 ff.). | darf fi diefes gejunden Partikularismus freuen, ohne zu emphatiſch dem Berfaffer (S. 181) darin eine Äußerung de3 „nationalen Ben ſeins“ erkennen zu wollen. Außerdem bietet die Schrift eine An brauchbarer Berfonalnotizen. H. Ulman

Aus der American hist. Review (2, 2) notiren wir eine kleine Handlung von Lincoln, der aus den Gahiers von 1789 die auf Möglichkeit eines friedlihen Ausgangs der revolutionären Bewegung weifenden Momente hbervorhebt, und einige an Walhington gerid Schreiben John Marſhall's, 1797—98 Mitglied der amerifanif Gejandtihaft in Paris, der die Lage Hollands, den Staatsſtreich 18. Fruktidor, den Zuſtand der franzöjiihen Landwirthſchaft u. j. w. ſtändig erörtert.

Bon Arbeiten über die Revolutionskriege notiren wir den Be— einer längeren Studie Über die Feldzüge von 1796 in Deutichland Italien. Jahrbücher für die deutſche Armee und Marine, Januar April 1897.) Der Aufſatz enthält jtrategiiche Betrachtungen und rey jeinen Urtheilen über Bonaparte nicht jelten zum Widerjprud. Sot den Aufſatz des Hauptmanns Lrifte: „Suwarow's Zug durd Schweiz“, der u. a. auch öjterreihiihe Archivalien benugt (Organ milit.wifjenjch. Vereine Bd. 52, 1896).

In ber Edinburgh Review, Januar 1897, wird die Befchichte politifhen Meinung in Ulfter während der Revolutiondzeit dargel die zwar nad) wie vor im ſcharfen Segenjag zu den Katholiken jtand, damals für die iriſche Selbftändigfeit eintrat, und es merden Die ihiedenen zufammenmwirtenden Urſachen entwidelt, aus denen das ſch liche Feithalten der proteftantiihen Provinz an der Union mit Eng hervorging.

Neuere Geſchichte jeit 1789. 177

Tie Studie von Baifjiere über „Charles Nodier al3 Ver— ihwörer“ widerlegt aftenmäßig die Flunkereien über deſſen angebliche Verſchwörung gegen Napoleon, die fih in feinen zumeilen als Quelle benugten Souvenirs de la Revolution et de l’Empire finden. (Corre- epondant, 25. Oft. 1896.)

Das 2. Heft der von A. Lumbroſo herausgegebenen Miscella- nea Napoleonica (Rom, Paris u. Bonn, 1896. LXVI, 177 ©., über d. 2 vgl. 9. 3. 76,184) hat folgenden Inhalt: 1. La Napoleoneide sis la Francia salvata, Proben eines Gedichte zur VBerherrlihung Nap oleon's von dem Pabuaner G. Polcaftro, der einer nad) dem Prä— liminardertrage von Leoben in das franzöfiihe Hauptquartier geichidten Sefandtihaft angehörte. 2. Briefe Johann's und Franz’ vd. Buol an do ſeph v. Buol, Mitglied der öfterreihiihen Direftorialgefandtichaft in Regensburg, über Tiroler Kriegsereignifie in den Jahren 1799— 1801 arte Manneszudt der Rufen; Beſtechlichkeit Macdonald's). 3. Briefe des Staatsraths Mejan, Bertrauten des Vicekönigs Eugen, an den ita eniſchen Staatsrath Graf Paradifi, während des ruffiihen Feldzugs l. Juni 1812 bis 20. Januar 1813 (offiziöfe Schönfärberei). 4. Echreiben eines Oberſten Chauvigny de Blot an den Grafen Artois, Toulon, 12. Juni 1814 (Blan einer Beleitigung Napoleon's durch corfiihe Offiziere). 5. Schreiben Proudhon's über Napoleon, vom 17. September 1858, analog feinen hier mehrfach erwähnten Aufzeihnungen. Die Beröffent- lich ung zeigt in den erläuternden Vorworten und Anmerkungen die außer— or dentliche bibliographiſche Gelehrſamkeit des Herausgebers.

Unter dem Titel „Eine Ehrenrettung“ erläutert Graf Du Moulin— ckart, mit Benugung von Wiener und Berliner Archivalien, das viel- ad angefochtene Verhalten des Geh. Staatsreferendariug, fpäteren Bürger- meiſters von Münden, Joſef Utzſchneider, gegenüber dem Illuminaten— orden, ſowie die Urſache ſeines Sturzes im Jahre 1801. Er fiel, nicht infolge der Denunziation wegen Anſtiftung einer republikaniſchen Ver— Mörung, ſondern als Opfer der Berftändigung des Grafen Montgelas Pa der ihm feindjeligen Landidaft, die man für eine Anleihe nothwendig Fauchte. (Forſchungen zur Kultur- und Literaturgeſchichte Baierns von ein hardſtöttner, Bd. 5.)

th G. Eavaignac behandelt, unter fleißiger, aber nicht immer irr— A. atäfreier Benugung deutſcher Quellen, die agrariihe und Verwaltungs: form Hardenberg’3. In dem Edilt vom 14. September 1811, das Segen den urfprüngliden Entwurf durch den Widerftand des Adeld in N; Rotabelnverfammlung freilich vielfach abgeſchwächt wurde, findet er och den Ausgangspunkt einer bedeutſamen ſozialen Wandlung. Bei dem STR @hormerieebift betont er den franzöfiihen Einfluß, auf den ſchon der Arzre Hinweie. Charakteriftiich für den radikalen Politiker Cavaignac ift

ViReriiche Heitihrift R. J. Bd. XLIU. 12

178 Notizen und Nachrichten.

jein verkflaujulirtes Urtbeil über Hardenberg, für den er eine unverfenn: bare Vorliebe hat: er hält ihn im Grunde für wenig liberal gefinnt, ſpricht ihm aber die supériorité logique zu, die freilich im Reiche der Thatſachen nicht immer ein Vortheil jei; bei Stein erkennt er mehr als früher ben befonnenen bijtoriihen Zinn an. (Rev. des deux mondes, 1. April 1897.\

Ein populärer Bortrag O. Weber's über die Shlaht bei Nollen- dorf, der nichts Neues bringt und in der Beurtheilung der allgemeiinem Rage zum Theil anfechtbar it, wird in den Mitth. d. Ber. f. Geih.d _ Deutihen in Böhmen 35, 3 abgedrudt.

Das Aprilbeit der Jahrb. f. d. deutihe Armee u. Marine bringt ein e eifrige Vertheidigung Radetzky's gegen den angeblich gegen ihn erhobenen. Vorwurf, daß er im „Jahre 1813 die „Ermattungzftrategie” befolgt Habmmme- und eine interefiante militäriihe Beurtheilung und Kritik der franzöfide ze Stellung bei Wörth.

Bittard des Portes erzäblt nah Rarijer Akten einen Kon c V zwijhen König Ludwig XVII. und Ferdinand VII. von Spanien, d a! dur die im Uftober 1814 von einem jpaniihen Diplomaten in Par mi veranlaite Verhaftung jpanijcher Flüchtlinge entitand und erſt bei wei Nachricht von der Rückkehr Napoleon’? beigelegt wurde. (Revue d =! quest. hist. 1897, 1.)

Nachträglich machen wir auf die Arbeit Ed. Fehre's: „Leben u 1 Schriften des Kurländers ‚sr. X. Lindner mit bejonderer Berüdfihtigu me14 des ‚Manuffripts aus Süddentihland‘“ Baltiſche Monatsichrift Br. Ak 2 aufmerkſam, die zwar fein lebendiges Sejammtbild feines Treibens ger Et, aber jehr fleißig alles Über ihn Erreichbare fammelt und kritiſch ſih EI. Der politiihe Charakter und die geiftige Bedeutung Lindner's eride T it auch biernah in feiner günftigeren Beleuchtung als bisher. Endgül 5 nachgewiejen wird die Urheberichaft Lindner's für die Schrift „Über ie gegenwärtige Lage von Europa” 1821.

Bardour veröffentlicht den Briefwechſel Chateaubriand's zu: it der Gräfin Duras während des Kongrejied von Verona. Unerheblich ra die Kenntnis des Ganges der diplomatijhen Verhandlungen, zeigen Di Briefe die zweidentige Haltung Chateaubriand's, der fih den Weg „ar Minifterium zu bahnen fuchte, das ihm bald darauf übertragen wurD «€. (Acad. des sciences mor. et pol., März 1897.)

Unter dem Zitel: Aprös Navarin veröffentliht die Revue de Par3s (15. März 1897) die Anfzeihnung eines jungen franzöſiſchen Diplomate 3%, Brenier de Renaudiere, der mit Veliffier, dem fpäteren Herzog von Mala” tow, im Sonmer 1828 an den franzäfifhen Admiral Rigny gefanDt wurde, um die bevorjtehende Erpedition nad; Morea anzulündigen, ur?

Neuere Geſchichte jeit 1789. 179

ipätex an den Verhandlungen mit Capo d'Iſtria in Agina und in Poros theilamahm. Als Motiv der franzöſiſchen Politik erfcheint die Abficht, aus Mifztrauen gegen Rußlands Bläne in Griechenland möglidft raſch ein Ende zu maden.

Eine „Kurze Geſchichte der Trinffitten und Mäßigkeitsbeſtrebungen mn Deutſchland“ Tiefert Dr. Wilhelm Bode (Münden, J. 3. Lehmann. 1896) Es ift dies ein zum Nachdenken anregendes Buch, defien guter JOed unter dem bie und da ſich etwas hervordrängenden Traftätchenton hoffentlich nit leiden wird. Bon geſchichtlichem Intereſſe ift befonders die Schilderung der Mäßigkeitsbewegung in der eriten Hälfte dieſes Jahr: huxa derts und des Einflufjes, den dag Jahr 1848 darauf ausgeübt zu ha Ben jdeint. J. H.

Mittheilungen aus dem Briefwechſel von Viktor Hehn und Georg ve Vtkholz veröffentlicht H. Diederih3 in der Baltiſchen Monatsſchrift, sAarruar- März 1897; es find viele intereſſante Urtheile über politische,

ee xarifcge und wiſſenſchaftliche Perfönlichkeiten und Ereigniffe der Jahre 3SES0_63 darunter.

Den willenihaftlihen Ertrag der Tentenarfeier Kaiſer Wilhelm's J. An buchen, wird Aufgabe der nächſten Hefte fein. Im Ganzen jcheint es, 12 jeien, abgejehen von der hocherfreulichen Veröffentlichung der mili- Diſchen Schriften, wejentlihe Fortichritte in der Vertiefung unferer Kennt— US feiner großen Regierungszeit nicht gemacht worden, als jei der Schatz, On dem Heinrich v. Sybel in guter Stunde fo koftbare Theile hat heben Aırfen, wieder in die Tiefe gefunfen, bewacht von fargen und mißtrauiichen D tern. Einige Ihöne Perlen daraus geben der Onden’schen Feitichrift a oh ihren Werth. Daß doch wohl noch befiere und mwürdigere Kräfte da Düren, das werthvolle Material zu formen, zeigt eine Reihe gehaltvoller eVTeſtreden, von denen wir bier die durch fünftleriiche Abrundung ſich auz Seichnende von B. Erdmannsdörffer Heidelberg, Hörning), die Werliner Univerfitätsrede don 9. Brunner (Berlin, 3. Beder), die an Unıterefianten, allerding® zum Theil vielleiht anfechtbaren Urtheilen reiche Berliner Alademierede von M. Lenz Sitzungsberichte 1897, Bd. 17) und Den ſehr gelungenen, triihen Vortrag von H. Delbrüd (SKaijer Wilhelm I. in feiner Bedeutung für Handel und Induſtrie, Preuß. Jahrb., Wpril 1897), der das Thema vom Verhältnis der Politif zum Wirthichafte- Leben behandelt, nennen wollen.

Bon Heineren Beiträgen zur Biographie Kaiſer Wilhelm's erwähnen wir nocd die jorgtältige Arbeit über „Tas Treiten bei Barsiur-Aube“, in welher Major Dechend hauptiädlich Die Haltung des damaligen Prinzen

ilhelm erörtert. Beſonders intereflant find die zahlreihen Auszüge aus dem Tagebuche des Prinzen während ber Frelheitskriege, von deſſen 12*

180 Notizen und Nachrichten.

Exiſtenz, und zwar in einer kürzeren und einer ausführlicheren Faſſung, man bier zum erjten Mal erfährt. (Militär-Wocenblatt 1897, Beiheft 3.7

Ein nit minder wichtiger Beitrag zur Biographie des Prinzem Wilhelm in den Freiheitskriegen ift eine (vom Befiger U. Meyer= Cohn in Berlin als Manuſkript veröffentlichte Sammlung von Bricferm des Prinzen an jeinen in Berlin zurüdgebliebenen Bruder Karl. Die Briefe jallen in die Zeit vom 9. November 1813 bis zum 2. Auguſt 181 und enthalten interejlante Mittheilungen namentlid; über den Feldzug vom 1814, die Kämpfe von Bar-ſur-Aube und La Fere⸗Champenoiſe, deu Mari auf Paris, den Aufenthalt in diejer Stadt und in England.

Im Militär-Wochenblatt Nr. 24 werden auch noch zwei Schreibe er Kaiſer Wilhelm’3 veröffentlicht, da3 eine vom 30. November 1826, an dem x Prinzen Auguft gerichtet, betont die Nothwendigkeit öfterer und länger Yeldmandver, das andere vom 21. April 1848, an General v. Prittwi z, bezeigt Genugthuung über die Haltung der Truppen in dem Kanıpfe u mx 18. und 19. März.

Rouije v. Kobell gibt zu ihren Aufzeihnungen „Unter den vier erik- n Königen Baierns“ (Bd. 2) einige Ergänzungen, worin fie der Klarheit ı_ erw) Folgerichtigkeit Kaiſer Wilhelm’3 I. das widerſpruchsvolle Verhalten Köm—m ig Ludwig's II. entgegenftellt, der für die Kaijerwürde den Wedel zwijdkse en Hohenzollern und Witteldbahern und bei der Annerion von Eli «m # Kothringen die Erwerbung der badiihen Pfalz und eine Bergrößere zrıy der baieriihen Pfalz verlangte. (Deutiche Revue, April 1897.)

Das Februarheft 1897 der Neuen militärifchen Blätter verheißt une Mer dem Titel „Weißenburg“ von „J.“ eine Darftellung der Ereigre E fie vom 2. bis 4. Auguſt 1870 auf franzöfifher Seite. Der Verſuch ee zz jtrategifhen Slarlegung der franzöfiihen Maßnahmen dieſer Tem ge mußte erfolglo3 bleiben, da hiezu die Quellen nicht außreihen, u we aın ite vollftändiger herangezogen werden, als es ber Berfafier nad ſeit = angeblih „volftändigen” Quellenverzeichniffe getan hat wozu iE>m „Weißenburg“ im Märzhefte 1896 der „Jahrbücher für Deutihe Arır und Marine“ hätte verhelfen fünnen. Er bleibt daher in einem Syſter me von Vermuthungen und an ji ganz verftändigen Erwägungen fteder 21. In Einzelheiten ift „I.“ ungenügend unterrichtet. Gr.

Neue Zücher: SKaifer Paul's I. Ende. Bon R. R. (Stuttgazet, Cotta. 4 M.) Gabler, Ludwig XVU. (Prag, Rivnac.) We B- schinger, Le roi de Rome (1811-1832). (Paris, Plon.) Ben detti, Essais diplomatiques (nouvelle serie) precedes d’une intr@>- duction sur la question d’Orient. (Paris, Plon, Nourrit et Cie) ®. Onden, Unjer Heldentaifer. ?yeitihrift zum bundertjähr. Geburt3- tage Kaijer Wilhelm’3 des Großen. (Berlin, Schal & Grund. 4,60 M.)

Deutſche Landſchaften. 181

dv. Petersdorff, Der erſte Hohenzollernkaiſer. (Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1,50 M.) Briefwechſel des Miniſters Th. v. Schön mit Pertz und Droyſen. Herausgeg. von Rühl. (Leipzig, Duncker & Humblot. 5,60 9.) Friedjung, Der Kampf um die Vorherrſchaft in Deutſch— land 1859—1866. Bd. 1. (Stuttgart, Cotta. 10 M.) Th. v. Bern— bardi, Aus den legten Tagen des deutihen Bundes. (Leipzig, Hirzel. T mM) Lütken, Sekrigsbegivenhederne i 1864. (Kopenhagen, Gyldendal. 5 Kr.) Kriegsgeihichtlihe Einzelichriften. Heft 19: König Vilhelm auf feinem Kriegszuge in Frankreich 1870. (Berlin, Mittler. 1,75 M.) Bippermann, Deutiher Geſchichtskalender 1896. BD. 1. Leipzig, Grunom. 6 M.) Crowe, Lebenserinnerungen eines Jour- naliſten, Staatsmannes und Kunſtforſchers. 1825—1860. Überf. (Berlin, Mittler. 7,60 M.) Militäriſche Schriften weiland Kaifer Wilhelm's des Großen Majeſtät. Herausgeg. von: gl. preuß. Kriegsminiſterium. 2 Bde. "Berlin, Mittler. 14,40 M.) Lumbroso, Napoleone I e l'Inghilterra. (Roma, Modes & Mendel.) Fövre, Hist. crit. du catholicisme liberal en France jusqu’au pontificat de Leon XIII. (Saint-Dizier, Thevenot. 5 fr.) Memorial de J. de Norvins. P. p. L. de Lanzac de Laborie. III(1802—1811). (Paris, Plon.) Bildt, Anteckningar frän Italien af en svensk diplomat. (Stockholm, Norstedt & 8. 6 fir.) Siw off, Michel Katkoff et son Epoque. (Paris, Plon, Nourrit & Co. DO fr) Deshamps, Das heutige Griechenland. überſ. (Großen: dbain, Starte. 4 M)

Deutſche Sandfhaften. Ein anſprechender Vortrag von R. Graf Dumoulin-Edart über *Treitſchtke und das Elſaß“ findet ſich in den Neuen Heidelberger Jahr— üchern 16, 1.

Proben aus den Rechnungen des im Jülich'ſchen belegenen Eijterzienjer-

Ru oiters Mariawald aus den Sahren 1488 und 1489 veröffentlicht

. Jriedlaender in der Btihr. d. Bergiihen Geſchichtsvereines. Dh). 32 (1896),

Das Buch von Geh. Rath Prof. Binz in Bonn über den rheinijchen Arzt Dr. Johann Weyer, welches 1885 erſchien und in der Hilt. Btichr. S7, 475 anertennend beſprochen worden, liegt jegt in zweiter, vielfach ums gearbeiteter und erweiterter Auflage (Berlin 1896. VII, 189 ©.) vor. Der Berfajler, offenbar bejtrebt, Ouellenniaterial und Literatur möglichſt vol- jtändiqg auszunugen, hat nunmehr mittel® zahlreiher Abänderungen und Zufäge den Werth feiner fleigigen kulturgeihichtlihen Arbeit erhöht. Die Zujäge betreffen inSbejondere den Inhalt der Hauptichrift Weyer's über

die Blendwerfe der Tämonen, die Abjchnitte über Ddejjen Gegner und Nachfolger, über den Exorcismus am Jülicher Hofe, die jehr vermehrten

182 Notizen und Nachrichten.

Taten über Weyer’d Familie und das über die politiihe Thätigfeit und

die religiöje Überzeugung des Mannes Gejagte. Und ſo erſcheint' das Kebensbild des erſten Borkämpferd gegen Aberglauben und Hexenwahn wejentlich Ichärfer und vollftändiger. Aus dem S. 161—168 Witgetheilten erhellt namentlic der allmähliche Übergang Weyer's zum veformirten Bes tenntnis, ähnlich wie bei Heresbach. Ganz neue Beigaben find auch das Kapitel über Weyer's Schriften und das Namenverzeihnid? am Schlulle- S. 183—189;. Durch die Zujäpe S. 38—41 und S. 127 läßt der Ver— faſſer intereſſante Streiflicter auf das Fortwuchern des Herenaberglaubenun in der Gegenwart und auf die Haltung von Irganen des Jeſuitenordenæ diefem gegenüber fallen. H.

In Fortſetzung früherer Unterfuhungen vgl. Hiſt. Ztſcht. 74, Vie 7) veröffentlicht Moriß Stern unter Mitwirfung von Siegmund Sal - feld weitere Quellen zur Geſchichte der mittelalterlihen Judengemeinde auf deutſchem Boden unter dem Spezialtitel Nürnberg im Mitte wi" - alter, 2. Abtheilung (Kiel, 3. Fiende. 1896. Den Inhalt bilden Netr— logien und Liſten frommer Stiftungen aus dem 13. und 14. Jahrhunde t ein Berzeichnis der 1298 und 1349 getöteten Angehörigen der Nürnberg —r Judenſchaft, eine Zufanmenjtellung der Judenbürgeraufnahmen von 13 —“ bis 1330, Judenordnungen des 13. und 14. Jahrhunderts, welche namer t⸗ lid über das Geldausleihen mannigfaltige Bejtimmungen treffen, jo ic Auszüge aus dem Nürnberger Einnahmebuch von 1380—1396, 1418—14:-— 0), 1431— 1442, in denen nicht nur die Abgaben und Strafgelder der J—u n, jondern aud die von ihnen dem Rathe gewährten Darlehen vezeihme et iind. Den Beihluß machen Notizen aus Raths- und Gerihtsbüdern ee *6 14. und 15. Jahrhunderts, jowie ein Namenregiſter. Tas mitgetfemr AEte Material ijt theil$ noch ungedrudt, theils in älteren Druden zerjtreut we —id bildet in jeiner Geſammtheit einen interejjanten Beitrag zur inneren ne ihihte Nürnbergd und der deutihen Stadtgejchichte überhaupt. Cie EI dritten Abtheilung werden die eigentlichen Urkunden vorbehalten. JH

Tas 17. Heft der „Beiträge zur Geſchichte von Stadt und Stift Ejie= m" (Eſſen 1896); legt wiederum Zeugnis ab von dem erfreulihen Streben => es Eſſener Hiſtoriſchen Vereins, ſeinen Veröffentlichungen einen wiflenide= —Aif⸗ lichen Charakter zu wahren. Die Artikel fußen durchſchnittlich auf primä = en Quellen und bringen daber jehr viel Neues. Da fie fi aber alle in engem lokalgeſchichtlichem Rahmen halten, fo ſei daraus hier nur Et" wähnt: Aug dem mittelalterlihen Efien von F. Schröder, eine ode A ch verarbeitete Sammlung von Notizen zur Kultur-, Wirthſchafts- und BF faſſungsgeſchichte der Stadt.

Die Entwidlung der militärifshen Einrichtungen einer deutſchen Stax- ni vom Anbeginn bis in die neuejte Zeit ijt bisher noch nicht dargefte At worden. Aus dem fleinen Buche, das George Liebe über das Krieg =

Deutſche Landſchaften. 183

wien Erfurts geſchrieben hat (Weimar, selber. 1896), erkennt man wieder, daß die Bedeutung der Lokalgewalten auf politiihem und militäri- ſchem Gebiet ſich nicht iiber das Mittelalter hinaus eritredt hat. Die Territorien waren e3 vielmehr, die ihre VBejagungen den Städten aufs zwangen und die Bürgermilizen zu einem ganz bedeutungsloien Dajein binabodrüdten.

Einen Beitrag zu demjelben Thema gibt Otto, inden er in der Stich. f. Kulturgeih. + 54 die Wehrverfaffung der Stadt Butzbach im Ipäteren Mittelalter fait ausichließlih auf Grund ungedrudten Materials erläutert.

Vie Oberlaufigifche Gejellihaft der Willenichaften begann zum ISO. Gedenktage des Oberlaufiger Städtebündnijje® die Veröffentlichung eincs von R. Jecht bearbeiteten zweiten Bandes Codex diplomaticus Lusatiae superioris, welher „Urkunden des berlaujiger Huſitenkriegs wurıd der gleichzeitigen die Sechslande angehenden Fehden“ enthalten fol. Das vorliegende, bis 1423 reichende erite Heft (Görlitz 1896. 178 ©.) Deginnt mit einer ſehr verdienftlichen Überficht über die Börliger und Tberlaufißer Geihichtsquellen. Bon den darauffolgenden Urkunden und 8 OTrefpondenzen ift allerdings der größere Theil bei Balady und Grünhagen Idon gedrudt. Ganz Neues bringen dagegen die zahlreihen Auszüge aus den Sörliger Rathsrechnungen, welche namentlid für die wirthichaftliche Seite der damaligen Kriegsgeihichte von Werth jind. Die Edition ijt Muftergiltig. H. W.

Die Schrift von Hermann Seeliger: Der Bund der Sechsjtädte in Oberfaufig während der Zeit von 1346 bis 1437 (Görlitz 1896) iſt für ſich © Marburger Difjertation erjchienen, zugleich aber als Aufjag des Neuen Lau ſi ger Magazins 72, Heft 1, das als zweiter Theil der „Feſtſchrift zum

- Gedenttage des Oberlauſitzer Sechsſtädtebündniſſes am 21. Auguſt 1896“ PET aaggegeben wurde. Sie gibt fleißige Forſchungen über die Gründung es Bundes der feh3 Städte Bautzen, Görlitz, Zittau, Löbau, Lauban und Taxezen;, über die inneren Lebensverhältniiie, VBehnigericht, Städte: und N tec Idelage, Steuern, Verhältnis der Städte zu einander, zum Landadel, ge doogt, Böhmenkönig und zu den Nachbarländern. Durch jorgfältige d EXT arbeitung der Kiteratur, jowie Zuziehung ungedrudten Materiald® aus wit jo widtigen Börliger Rathsrechungen bietet die Arbeit eine beachtens— SV the Bereicherung der Kenntnis von der mittelalterlichen Geſchichte und EEjaſſung der Oberlauſitz. Ein zweiter Theil ſoll die Geſchichte des Sechs— NG Diebundes während der Huſitenkriege behandeln. L.

i Geihihte der Zuden in Schlejien. I: Bon den älteiten Zeiten big 1335. Bon Dr. M. Braun. Im Jahresbericht des jüdiſch theologi— chen Seminars in Breslau.) 1896, 40 u. 13 ©. Beilagen. Behandelt

te Zeit unter der Herrſchaft der piaſtiſchen Herzöge, zuerjt die Privilegien,

184 Notizen und Nachrichten.

dann die Anfiedlungsorte, endlih die Synagogen und Kichhöfe. Kit einem Exkurs über die Privilegien und einem Verzeichnis der hebrätfchen Grabſchriften aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Braun liefert eine forg- fältige, auf genauer Kenntnis des Materials ruhende, die Nachrichten kritiid abwägende Arbett. Mkgf.

Amtsrichter Georg Conrad drudt in der altpreugiihen Monatsſchrift Bd. 33 Heft 7/8 drei Handfejten ab: 1. eine inhaltlich fchon bekannte Ber: ihreibung über 1440 Hufen im Lande Sadjen vom 15. Auguſt 1321, 2. eine erneuerte Handfelte von Gilgenau im Kreis Ofterburg von 1471, 3. die 1663 wiederholte Konfirmation einer dem Jahr 1534 entitammenden Beichreibung des Grundbefiges der Stadt Bilgenburg. Neue wifjenjchaft: lie Resultate wird man der Publikation ſchwerlich entnehmen.

Das Doppelheft 7,8 des 33. Bandes der Altpreußiſchen Monatsichrift enthält aus dem Nachlaß M. Toeppen's eine Edjilderung der preußiichen Landtage während der Regentſchaft des brandenburgiihen Kurfüriten Johann Sigismund (1609—1619). Sie jchließt fih) an die Arbeiten Toep- pen’3 über die Qandtage von 1603 bis 1609 an und ijt wie diefe in der befannten, tüchtigen Art des Verfaſſers auf Grund der Landtagsakten her- gejtellt. Das Manuſlript lag faft ganz drudfertig vor, jo daß der Heraus geber, R. Toeppen, nur die Seflion von 1617 nad den Auszügen feines Baters jelbftändig bearbeitet hat.

„Die Erwerbung des Herzogthums Preußen und deren Konjequenzen“ benennt Siegmar Friedrich ein im Verlage von A. Dunder erichienenes, opulent ausgeſtattetes Buch. (Berlin 1896, 92 ©.) Hinter dem Pſeudonym verbirgt fid) Graf Siegmar Dohna, der Verfaſſer der belannten Familien⸗ geihichte der Dohnas; man erfennt das leicht, wenn man den eigenartigen Stil der beiden Bücher vergleicht. Den Anſpruch auf wiljenfchaftliden Werth, der jener Familiengeſchichte wegen des in ihr niedergelegten arhivaliihen WMateriales zukommt, erhebt die neue Arbeit nicht, fie iſt eine jhlihte Erzählung, deren Grundjtimmung, treue Liebe und Anhäng: lichkeit an Heimat und Dynaſtie, ſympathiſch berührt. Den Erwartungen, die man an den Titel fnüpjen möchte, entjpricht der Inhalt freilich nicht: der Berfafier behandelt zuerjt die Erwerbung Preußen? und der nieder: theiniichen Gebiete, fchildert dann die Kämpfe des Großen Kurfürſten bis zum Frieden von Dliva und den Stonflift mit den preußijchen Ständen, erzählt hierauf von der Erwerbung der Königskrone und jchließt mit der Schilderung des Retablifjements Oſtpreußens unter Friedrich Wilhelm L Daß der Verfaſſer namentlih im lebten Abjchnitt die Wirkſamkeit der Dohnas überjhägt, wird man ihm als einem Mitgliede der Familie nicht allzujehr verübehn.

Zur Ergänzung des von ung erwähnten Aufjaßes von Tegner (vgl. 78, 561) fei darauf hingewiejen, daß derjelbe in der altpreuß. Monats—

Deutihe Landſchaften. 186

Ihrift 1896, 1—4 Auszüge aus ben Taufregiftern und Kirchenbauaften des Donalitius gibt.

In 9. 3. 75,549 und 77, 382 iſt über das werthvolle Material zur Gewerbe- und Kunſtgeſchichte berichtet worden, das Uhlirz in feinen „Ur: finden und Regeſten aus dem Archive der Reichshaupt- und Refidenzitadt Bien“ veröffentlicht hat. Jetzt ift von diefer Publikation der dritte (Schluß), genauer: der zweite Theil der zweiten Abtheilung, die Jahre 1520—1619 umfafjend, nebſt Nachträgen zur älteren Zeit, erichienen (Separatabdrud aus Bd. 18 des Jahrbuchs der kunithiftoriihen Samm- lungen des allerhödjiten Kaiſerhauſes. Wien 1897. 247 S.). Es find wiederum theild Gemwerbeordnungen (3. B. ©. 9), theil® und namentlich Rachrihten über einzelne Gewerbetreibende und Kunftgegenftände mit-

getbeilt worden. Das Regiſter ift zunächſt Perjonenregifter. Die Auf: 3ählung der Gewerbe bei dem Stihwort Wien kann aber zugleich aud als Sachregifter dienen. Erwähnt mag noch werden, daß S. 14 fi. Stücke auB der zur niederöfterreihiihen Handwerkerordnung Ferdinand's 1. 1527) erlafienen Ordnung der Handwerker in Wien abgedrudt jind.

G. v. B.

Unter den üfterreihiihen Landesgeſchichtsvereinen nimmt der bes

Der zogtHums Kärnten nad Alter und Leiſtung einen der eriten Pläße ein. Urjprünglich ein Beitandtheit des unter dem Schuße des Erzherzogs Johann in’3 Leben gerufenen innerdjterreihiichen Geſchichtsvereines für Steiermart, Kärnten und Krain, trat er bald jelbitändig auf und entfaltete unter der Führung feines Direktor dv. Ankershofen eine jehr eriprieß- liche Thätigkeit, die namentlih in den legten 15 Jahren unter der ziel- ewußten führung des Barons Karl Haufer erneuten Auffchwung ge— Nommen hat und durd) eine zweckmäßige Umgeftaltung des Vereines, jowie der nunmehr von Simon Laſchitzer redigirten Zeitichrift „Carinthia“ in feſte Richtung gebracht worden iſt. Man wird dem Vereine nahrühmen dürfen, dab bei ihm da3 Wort Wiſſenſchaft nit ein Mäntelchen für unflare dilettantifche Strebungen ift, jondern daß feine Arbeiten durhaus nach pen Srundjägen und Forderungen moderner zorihung eingerichtet und ausgeführt werden. Daher konnte der Erfolg auch trotz mander Pemmung nicht ausbleiben und fand ſchönen Ausdrud und alljeitige An: ertenrnung bei der Feier des 50 jährigen Beitandes, welche der Berein am 12. Spober 1895 in pjetätvoller Verbindung mit der Erinnerung an Ankersnoien’s 100. Geburtstag beging. Die aus diefem Anlafie heraus: gegebene Zeftihrift („Feſtſchrift des Geſchichtsvereins fir Kärnten.” lagenfurt, Ferd v. Kleinmayr. 1896. 172 S. enthält neben einem eTichte über die Feier eine Darſtellung der Vereinsgeſchichte aus der ber des bewährten Archivar® und Herausgebers der Monumenta historiea ducatus Carinthiae, Auguſt v. Jakſch, welche durcd mehrere Beilagen erläutert wird, und die von Dr. Franz Guſtav Hann gehaltene

186 Notizen und Nachrichten.

Teftrede über Ankershofen und die Aufgaben des Geſchichtsvereines. Beide Beiträge verdienen Beachtung für die Geichichte der landeskundlichen Forſchung in Äſterreich. K. Uhlirz.

Aus der Feder U. Mell's bringen die Mittheilungen des bift. Ver. f. Steiermark (Heft 44, 1896) eine ausführliche, altenmäßige Darſtellung des windiichen Bauernaufftandes im Cillier Viertel Steiermarfd vom Zahre 1635, dem fih furze Schilderungen der fpäteren dortigen Bauern: unruhen bis zum Jahre 1675 anſchließen.

Qeue Bäder: Daun, Adam Krafft u. d. Künſtler ſeiner Zeit. Ein Beitrag 3. Kunftgefhichte Nürnbergs. (Berlin, Herg.) Scott: müller, Die Organifation der Eentralverwaltung in Kleve-Mark vor der brandenburgiihen Befigergreifung im Jahre 1609. ‘Leipzig, Duncker & Humblot. 3 M) (Staats- u. ſozialwiſſ. Forſch. XIV, 4) Reuter, Das Kieler Erbebuch (1411—1604). (Kiel, Edardt. 8 M.) Murko, Deutihe Einflüffe auf die Anfänge der Böhmiihen Romantik. (Graz, Styria. 3 fl.) Mettig, Geſchichte der Stadt Riga. 7./8. Lief. (Riga, Kond & Poliewsky.)

Sur Geſchichte der Aiederlaude und Belgiens.

Die Eröffnung der vatikaniſchen Archive hat bereits aud für Holland Früchte getragen. Einen gelehrten Geiſtlichen, Herrn Dr. theol. Gisbert Brom, der längere Zeit in Rom weilte, hat fie veranlaßt, die ſämmtlichen päpftlihen Bullen und fonftigen von der päpitlihen Kanzlei herrührenden Schreiben, welche fid auf die Utrechter Diöceje beziehen, bis zur Zeit des großen Schismas zu ſammeln und zu bearbeiten. Die Beröffentlichung diejer ſehr umfangreichen Arbeit bat die Hiftoriiche Geſellſchaft in Utrecht ermöglicht, und fo ift 1891 dag erfte Heft de8 Bullarium Trajectense in Martinus Nyhoff's Verlag erjchienen, dem ziemlich regelmäßig die fieberm folgenden in den beiden nächſten Jahren gefolgt find. Der Verfaſſer Hat jid- nicht begnügt, die in den vatikaniſchen Regijtern erhaltenen Diplomata heraud= zugeben, jondern alle die Utrecdhter Diöceſe betreffenden, welche er irgendwe vorjand, namentlich in niederländifhen und belgischen Archiven und ir einigen dortigen Bibliothelen, in der belgiſchen königlidden Bibliothek unk in der Nationalbibliothet in Paris. Natürlich Hat er neben dem vatifanifchem Archiv auch die vatikaniſchen und Barberinijchen Bibliotheken benupt. Anck die ſchon gedruckten päpſtlichen Briefe ſind aufgenommen, jedoch nur mE Angabe der Anfänge und, wo es wünſchenswerth ſchien, eines Brudftüd« des Inhalts, Über den außerdem überall kurze Regeſten orientirer“ Die Arbeit, welche jegt vollitändig vorliegt, wird gewiß den Forſchern de niederländiihen Geſchichte, in erfter Reihe der Kirchengejchichte von großes Nupen fein. Die Sorgfalt der Herausgabe, namentlich aucd) in der Angalb der Daten, verdient rühmende Erwähnung, wenn aud natürlich bei ein«

Zur Geſchichte der Niederlande und Belgien?. 187

jolhen Arbeit Vieles aufgenummen wird, dejien Intereſſe einigermaßen fraglich erſcheinen wird. P. L. M.

Im 28. Heft der Halle'ſchen Abhandlungen zur neueren Geſchichte (Halle, NRiemeyer) hat Dr. Emil Teubner unter dem Titel: „Der Feldzug Vilheln's don Oranien gegen den Herzog von Alba im Herbſt des Jahres 1568° eine fehr Mare und forgfältige Darjtellung des erſten Unternehmens des Tranierd zur Befreiung der Niederlande gegeben. Nur fcheint es bedauerlih, daß er nicht auch die handſchriftlichen Quellen, namentlich im Brüſſeler Reichsarchiv, benutzt hat. Seitdem die Literatur tiber die niederländifche Revolution des 15. Jahrhunderts fo maſſenhaft angewadien, und namentlich fo viel Material gedrudt ijt, gibt e8 gar feine Möglichkeit mehr, ohne Verwertung der leßteren etwas wirklich Intereſſantes darüber 31 jagen, was auch den Werth, der Neuheit hat. Die kritiihen Anmerkungen über das Verhältnis der niederländijchen Hijtorifer verdienen Anerkennung. Wantentlid) bat Teubner richtig eingejehen, day Hooft für diejen Zeitraum nie verdiene, zu den Quellen gezählt zu werden. Wenn der Verfajier id aveiter mit diefem Thema einlafien follte, müchte ihm die Doltor« diiiertation des Herrn Joh. Breen, Pieter Cornelizsen Hooft als schryver der Nederlandische Historien (Amjterdam, Wormjer. 1894) empfohlen fein, eine Arbeit, die allgenteine Anerkennung findet. P.L. M

Sn einem ftattlihen Bande, dem erjten der neuen Reihe ber Werfe der

Sir Oriſchen Geſellſchaft in Utrecht, hat R. Fruſin unter dem Titel: Uittreksel uit Francisci Dusseldorpii Annales 1566 —1616 (Haag, Nyhofi. 1894) das Tichtige und Wiſſenswerthe veröffentlicht, was in den bis jest, bi auf wenige Bruchſtücke, ungedruckten Annalen oder Kommentarien eines fanatiſchen holU cãndiſchen Katholiken des 16. und 17. Jahrhunderts zu finden iſt. In der die Gefchichte der katholiſchen Kirche in der niederländiihen Republik man nigfach neu beleudhtenden Einleitung hat der Herausgeber fein Verfahren, NUT cinen Yuszug zu geben, ertlärt. Wie wichtig aber bie jept heraus gegebenen Fragmente jind, hat Fruin nicht allein in diefer Einleitung dargethan, fondern aud in einem in den beiden erjten Nummern des dorjährigen Jahrgangs 1895 ber Beitichrift De Gids erfhienenen Aufjag De wederopluiking iPa3 Wiederaufblühen van het katho- licisme in Noord-Nederland omstreeks den aanvang der XVUe eeuw. Seiner Gewohnheit nad) hat der Berfajjer hier die Summe der Studien gezogen, welde ihn in den fepten Jahren am Reiften beichäftigt haben. Bei feinem 1894 nad vollendetem 70. Lebens laßre erfolgten Austritt aus feiner Profejjur an der Leidener Univerſität hat Dann eine Anzahl niederländifcher Hiſtoriker den Meijter der nieders

ländijchen Geſchichtsforſchung eine Feſtſchrift gewidmet unter dem Titel Ge-

hiedkundige opstellen aangeboden aan R. Fruin Haag, Nyhoff. 1894).

ME ausſchließlich beſchäftigen ſich dieſe Aufſätze mit der niederländiſchen

188 Notizen und Nachrichten.

Geſchichte. Auf diejem Bebiet find aber faft ſämmtliche Theile der Geſchich wiſſenſchaft vertreten: politifche, joziale und wirthichaftliche, Kirchen» u Rechtsgeſchichte und Hiftorifche Kritil. Mitarbeiter waren die Profefion P. L. Muller, Blok, Rogge, Brill, Ucquog, Yodema Andreae und Bo der Archivar in Utredt S. Müller, der Archivar des Allgemeinen Neid arhivg van Riemsdyk und Herr de Beaufort. Berichiedene Umitär verhinderten die Mitwirkung anderer Gelehrten. Prof. Fredericq in G bat feinen Beitrag: Onze historische Volksliederen van voor godsdienstige beroerten der lve eeuw (Gent, Vuylitele; Haag, Ayhı 1894; abgejondert herausgegeben. P.L.M

Eine jehr umfangreidye, von der Utrechter provinziellen Geſellſch (einem mit jämmtlihen Wiſſenſchaften ſich befajienden Verein, der ni mit der Hiltoriihen Gejellihaft in Utrecht verwechjelt werden foll) ı Preisichrift gefrönte Arbeit Hat der durch jeine Tifiertation über t falviniftiihen Prediger und Märtyrer Guy de Brès befannte Dr. Langeraad in den Jahren 1893/94 in zwei Bänden herausdgegeb: unter dem Titel De Nederlandsche Ambassade-kapel Parys. Das Bud, auf weldes ein ebenfo jorgfältiges, als fleikig Studium, namentlid) des archivaliſchen Materials, verwandt ift, verdit darum Beachtung, weil jene Geſandtſchaftskapelle die einzige reformi Kirche in Faris, nah der Aufhebung der Edikts von Nantes, in ga Frankreich war, weldher die Regierung nichts anhaben fonnte, wenn auch verjucdte, deren Beſuch dur Franzoſen zu hindern. Als religid Mittelpunkt der Hugenotten hat fie aljo eine gewilje geihichtliche Bedeutur Ob dieje Bedeutung jedoch groß genug geweſen ijt, um den Aufwand gewaltiger Arbeit zu rechtfertigen, möchte bezweifelt werden. Die Leben ſchickſale jämmtliher an der Kapelle angeftellten Prediger werden in t Länge und Breite mitgetheilt, und den Lejern wird auch nicht die gering Kleinigkeit über Organifation der Gemeinde, Einrichtung von Kirche u Gottesdienſt u. ſ. w. geichentt. P. L.M.

Die Bydragen en Mededeelingen der Hiſtoriſchen Bejellichaft in Utre (1894) enthalten u. U. da3 Tagebuch des niederländifhen Dichters Kor Huygens über feine Gejandtichaftsreiie nad) Venedig (1620); weiter ı von franzöfiicher Seite aufgejtelltes Sommaire de la forme du régi des Provinces-Unies des Pays-Bas (1647), das nicht ohne Intereſſe endlidy die merfwiürdigen Memoiren des legten holländiihen Gouvernes im Kaplande über die Ereigniſſe dajelbjt 1780—1806. Der Jahrgo 1895 (16) bietet einen jchönen Xrtifel von Fruin über die dafelbit x ibm herausgegebenen Aufzeihnungen des fatholiihen Pfarrer Buyd Amjterdam über die Stimmung des Volks in diejer Etadt bei dem üt gang zur Prinzenpartei 1578 und zwei merkwürdige Memoires über eigenthümliche Einrichtung der Regierung von Amſterdam im 17. Ja

Zur däniſchen Geſchichte. 189

hundert, welche die Machtſtellung dieſer Stadt in Holland lebhaft und klar beſchteiben. Im 17. Theile (1896) finden wir dieſes Mal nicht Vieles vom allgemeinem Intereffe. Erwähnt fei ein Auszug der Dentichrift des Amiter- damerd Reael über den Anfang der Reformation in Amfterdam un die Mitte des 16. Jahrhunderts, mit einer verwandten Schrift eines katholiſch gelinnten @eijtlichen verbunden und herausgegeben von Herrn Dr. Breen; terner etliche Briefe ded Prinzen von Oranien an Bernard von Merode aus 1570 und 1571, nicht ohne Werth; eine Denkſchrift iiber die Magiſtrats— Änderung in Utrecht (1618) und endlich eine lange Streitichrift des remon⸗ ftantiihen Prediger Erynfie zu Brielle von 1617. P. J. B.

De Vos erzählt in den Bijdragen voor vaderlandsche geschiedenis 34 auf Grund der Brotofolle und Akten ausführlich die Geichichte und den Berlauf der großen Verjammlung von Deputirten der Provinzen in den Jahren 1716-1717, die für die damaligen zerfahrenen Zujtände in der Union bezeichnend jind.

Die Überfiht, die A. Chambalu (4%, 0.2. u J) über die Entwid: lung der holländiſch-oſtindiſchen Geſellſchaft (1602—1798) gibt, kidet an einer erheblichen Einjeitigfeit der Auffaſſung. Der Berfafier derweilt faft ausſchließlich bei den Mängeln und Scattenjeiten der Bejell- daft. Eine Hiftoriihe Würdigung ihrer großen Erfolge und ihrer lang- lährigen beherrihenden Stellung in dem ausgedehnten Gebiet des indifchen Cceans läßt er ganz vermiffen. Der Zujag zum Titel „fein Vorbild für unjere Kolonifationsgejellfchaften“ läßt freilich vermuthen, daf es dem Lerfafier weniger auf eine objektive, bijtoriiche Würdigung, als vielmehr auf ein warnendes Beifpiel für die Gegenwart ankam. Ob es dafür gut gewählt ift, möchte Referent allerdings bezweifeln, denn der jo völlig ver- änderte Standpunft der Weltlage, des Welthandel und der Kolonijations- bedingungen läßt jeden Vergleih mit dem 17. und 18. Jahrhundert ſtark binnen.

In den Annales de l’academie d’archeologie de Belgique (4 S.XIJ) beginnen die Herren Bamps und Geraets eine längere Abhandlung über die alten Bilden der Stadt Hajjelt. Es find das Vereinigungen Mit urjprünglicd rein militäriihen Zweden geweſen, die fidh bildeten, jeit

Stadt 1330 die felbftändige Sorge für ihre Bertheidigung übertragen Dorden war. Bemertenswerth an diejen Verbindungen ift, daß jie einmal \ofort auch einen gejelligen und kirchlichen Charakter annehmen, und jo- dann auh dann noch ihre alte Organijation und Statuten beibehalten, als fie fih aus militärischen Verbänden zu Vergnügungsgejellidaften um» gewandelt hatten.

Sur dänifhen Geſchichte.

0 In einem Aufſatz: Saxo Grammaticus og den danske og svenske Idtidshistorie im Arkiv for nordisk filologie XIII, n. F. IX, tritt

1% Notizen und Nahridten.

Johannes Steenjtrup den Ausführungen Arel Olrik's in jeinem Bu Kilderne til Sakses Oldhistorie entgegen, daß Sarp viele jeiner ( zäblungen isländiihen und norwegischen Quellen entnommen babe u daß Diele in die däniſche bezw. fchwediihe Geſchichte gar nicht hinei gehörten. Er hebt hervor, dad es falich jet, den Dänen mythiſche Sag abzufprehen; wohl babe Saro die Jsländer benüßt, aber bei ihnen fänd fih auch mande Erzählungen, deren Grundlagen nad Dänemark gehörte Die einzelnen Ausführungen Steenjtrup’3 jind für die Kritit Saxo's größter Bedeutung.

In Oversigt af det Kgl. Danske Videnskabernes Selskabs handlinger 1896 veröffentlicht dericlbe Autor einen höchſt inſtruktiv Aufjag über Dänemarks ältefte Eintheilung iNogle Underssgelser ov Danmarks »ldste Inddeling), dem eine Karte beigegeben it.

Tie Abhandlung von Karl Bira, Svensk-Danska Förhandling 1593— 1600 (Upjala - Tifjertation, Stocdholm, Ralmquijt, 1895) befpri mit völliger Ausnugung des gedrudten Material® und unter Heranziehu der Alten des Stodholmer Reichsarchivs die in den genannten Jahr beſonders über die Lappenfrage und die Streitigkeiten Herzog Karl'’® ı König Sigismund zwiihen Dänemark und Schweden geführten Berhar lungen bis zur Berabredung des Grenztages dom Februar 1601. 9 trog der Entlegenheit in ihren Einzelheiten doch intereſſanten Verhältni Lapp- und Finmarkens, die gerade in jenen Jahren anfingen, ſich dauernder Ordnung zu gejtalten, erfahren bier zum eriten Male eine !lı und eingehende Bejprehung. Eine Kartenjlizze hätte das Verſtändi jehr erleichtert.

In einem Scriftchen, betitelt: Polakkerne i Danmark 1659 ef Jan Paseks Erindringer Kopenhagen, Gyldendal. IV, 214 ©. 8°% rt öffentliht Stanislam Rosznedi die Erinnerungen de3 polniſchen Ei manns Tan Paſek, der 1659 in Czarniecki's Hilfscorpg den Feldzug Dänemark mitmadhte. Der däniihen Bearbeitung" der Aufzeihnungen Autors ijt eine Überjicht des ganzen Krieges mit bejonderer Berüdjichtigs der polniichen Reiter hinzugefügt, außerdem Mittheilungen über Bat Leben und einige noch fortlebende Erzählungen, die an den Aufent! der Polen erinnern. Paſel's eigene Aufzeichnungen zeigen große rt und geftatten Mare Blide in manche Züge des damaligen Volkslebens der cimbriihen Halbinjel. Auch Über den großen Kurfürſten, den Fül des Kriegszugs, und die von ihm befehligten Brandenburger und Kai lihen wird mandjerlei mitgetbeilt.

Bermiſchtes.

Zum Jahre 1898 ſoll ein öſterreichiſches archäologiſd Inſtitut in's Leben treten, das neben Veranſtaltungen von Erpebitio

Vermiſchtes. 191

und Ausgrabungen, zunächſt namentlich in Griechenland und im Orient, auch eigene Publikationen herauszugeben in den Stand geſetzt werden ſoll.

In einem hübſch ausgeſtatteten Heft find jetzt die „Protokolle der Beneralverfammlung de8 Geſammtvereins der deutihen Ge. ſchichts und Altertbumspdereine zu Blankenburg a. 9. 1896” ale Sonderabdrud aus dem Sorrejpondenzblatt im Buchhandel erichienen (Berlin, Mittler & Sohn. 1897. 144 S.).

Der Oberheſſiſche Geſchichtsverein hat fih unter dem Vorſitz von Prof. 8. Höhlbaum rekonſtruirt und beabfichtigt ſich jetzt namentlich der Erforſchung der hejjiichen Volkskunde, der Inventarijirung der Ardive und der Univerjitätsgeihichte im Zujanmmenbang mit dem allgemeinen geiftigen Leben des 17. Zahrhunderts in Mitteldeutfchland zu widmen.

In Wiesbaden hat jih am 18. März d. J. als Sektion des Vereins für Naffauifche Alterthumskunde und Geichichtsforfchung eine „Hiſto— riſche Kommiſſion für Naſſau“ gebildet, deren Zwed die Heraus: gabe von Quellen und Darjtellungen der naſſauiſchen Gejchichte im weitejten Umfange in einer den forderungen der Wiſſenſchaft entiprehenden Weiſe it. Die der Kommiſſion gegebenen Sapungen, fowie eine die Ziele und Aufgaben derjelben darlegende Denkichriit jind im Drud erichienen. Interefienten erhalten diejelben gratis und franko durch den Schriftführer der Kommifjion (Wiesbaden, Friedrichſtr. 1).

Für die Zeit bis zum 31. Dezember 1898 ift der Preis Breſſa in Turin, beſtimmt für die bedeutendſte Erfindung oder das hervorragendſte wiſen ſchaftliche Werk aus dem Zeitraum von 1895 bis 1898, wieder dem internationalen Wettbewerb eröffnet, alſo auch deutſchen Werten zugänglich (Brei 9600 Frs.). Einjendungen von Drudidriften an die kgl. Alademie der Wiſſenſchaften zu Turin.

Ter Einfluß Gerlach Adolf's v. Münchhauſen auf die Hebung des geiftigen Lebens in Hannover. (Preis 340 M. 2. Prei® 680 M.)

Vreisauf gaben der Academie des sciences morales et politiques

nit 1898 (verlängert): Histoire des idees politiques de Louis XIV;

Mr 1899: 1. Etudier le regime des manufactures royales en France

Bunt 1789. 2. Histoire de la liberte de conscience et de culte en

de ne depuis l’avenement de Flenry IV jusqu’en 1830. 3. Rapports

dep a politique coloniale et de la politique europeenne de la France ulis je trait6 d’Utrecht jusqu’en 1789.

RB reisaufgabe der Fürjtl. Jablonowski'ſchen Geſellſchaft für

d as Johr 1900 (die Aufgaben für die vorhergehenden Jahre vgl. 9. 3.

192 Notizen und Nachrichten.

77, 383): Cine die infchristlichen ebenfo wie die literariihen Duell werthende Taritelung der jozialen und redhtlihen Stellung der Han und der wirthſchaftlichen Organiſation des (Wewerbebetriebe8 im gris Alterthum. Preis 1000 M. Einiendungstermin 30. November - Setretär der Geſellſchaft in Leipzig.

In Karlsruhe jtarb am 25. Februar der audgezeichnete Literarh Michael Bernays im Alter von 62 Jahren ıgeb. in Hambı 17. Nov. 1834), ein jüngerer Bruder des befannten Philologen Bernays. In Brugg in der Zchweiz ftarb am 23. Februar nad jährigen Siehthum der früher als Profeſſor der Geſchichte in F i. Br. tbätig gewejene ältefte Sohn des Komponiſten Felix Mende Bartholdy, Karl Mendelsjohn:Bartholdy (geb. 7. yebruc in Leipzig). Er hatte u. a. eine neuere Geihichte Griechenlan jchrieben. In Zurin jtarb im Februar der italieniiche Archäologe Shiaparelli; in Anzio Anfang März der ungariſche Archäolo Numigmatiter Karl v. Torma In Glasgow ftarb am 10 Henry Drummond, Verfaſſer des befannten Werkes: Das Rat in der geiltigen Welt (geb. zu Stirling in Schottland 1851\. Zu ſtarb Anfang März der anf dem Gebiet der indogermaniihen Rel geihichte thätige Profeſſor Peter vd. Bradke im Ulter von 44% (Nerolog von H. Hirt in der Beilage der Münchener Allg. Zt— 0. März.)

Zur griechiſchen Vorgeſchichte. Von Julius Beloch.

J. Ethnologiſches.

Wir brauchen dringend eine „Geſchichte der griechiſchen Sprache“. Aber die Erfüllung dieſes Wunſches ſteht leider wohl noch im weiten Felde; beſitzen wir doch bisher mod) nicht eins mal eine dem heutigen Stande unſeres Wiſſens entjprechende Gefammtdaritellung der griechiichen Dialekte, wenn auch cine ſolche Darjtellung jegt von zwei Seiten her mit rültiger Hand in Angriff genommen ift. Inzwiſchen jind wir auch für die Abſchlagszahlung dankbar, die uns Paul Stretihmer in jeiner „Einleitung in die Geſchichte der griechiichen Sprache” gegeben bat!); möchte jic der Verfaffer entichließen, der Einleitung das Werk jelbft folgen zu lajjen.

Die indogermanijche Urſprache und das indogermanitche Urvolf, deſſen Wohnjige und Kultur, Die Stellung des Griehjiihen im Kreiſe der verwandten Sprachen, endlich die ethnologiſche Stellung der den Griechen benachbarten Völker und der vorgriechiichen Urbevölferung von Dellas; das find die Gegenjtände, die wir in ciner Einleitung in die Geichichte der griechischen Sprache behandelt zu finden erwarten, und die denn

1) Einleitung in die Geſchichte Der griechifchen Sprache. Von Dr. Paul Aretichmer. Göttingen, Vandenhoech & Ruprecht. 1896. IV, 428 2.

iftoriiche Beitichriit N. 3. Br. XLIII. 13

194 J. Beloch,

auch von Kretſchmer behandelt werden. Es kann natürlich nid meine Abficht fein, dem Verfaſſer in feinen ſprachwiſſenſchaftliche Unterjuchungen zu folgen; überhaupt will ich feine Bejprechur des Buches geben, das doch jeder jelbit zur Hand nehmen mu‘ der ſich mit griechifcher Vorgeſchichte beſchäftigt. Wohl ab möchte ich auf einige der hiltorijchen Fragen eingehen, ber Löſung Kretichmer in Angriff genommen bat.

Vielleicht das beite unter dem vielen Guten, was Kretſchmer Buch bietet, jind die Abfchnitte über die Völker Kleinafien Mit vollem Recht tritt der Verfafjer dafür ein, daß die Lykie und aljo auch die ihnen engverwandten Karer feine Ind germanen geweſen find. Aber die Hauptichwierigfeit, die fi diefer Annahme entgegenftellt, Hut er doch nicht befriedigend ; (öjen vermocht. Herodot (1, 171) berichtet befanntlid), daß d Lyder und Myſer an dem Kult des kariſchen Zeus in Myla als „Brüder“ der Karer Antheil Hatten; da nun die Diyi wahrjcheinlich ein thrafischer Stamm, jedenfall® aber Miyjer ur Luder den Phrygern nahe verwandt geweſen find (Xanthos b Strabon 12, 572), jo müßten e8 auch die Karer gewejen jet und weiter die Lykier. Und Herodot, der ſelbſt an der kariſche Küſte zu Haufe war, ift in dieſem Punfte doch gewiß e flajfiicher Zeuge. So hat man denn auf Grund diefer Stel eine ethnologiihe Einheit der weitfleinafiatiichen Völker ftatut obgleich doch Phrygiſch und Lykiich nach Ausweis der Inichrift ganz verjchiedene Sprachen gewejen find, die wahricheinlih g nichts mit einander gemein hatten.

Hat denn aber Herodot wirklich jagen wollen, was man jeine Worte Hineinlegt? Wir find im allgemeinen viel zu je geneigt, andere nad) uns felbft zu beurteilen, und vergefl darüber oft, daß die Griechen das, was wir Geſchichtswiſſenſch« und Sprachwiſſenſchaft nennen, überhaupt faum gekannt habe oder doch nur in den eriten Anfängen. So find fie ſtets ber geweien, auf die nidhtsjagenditen Indizien bin barbariſch Städten und Völkern griechiichen Urfprung zuzuerfennen, u umgefehrt grichiihe Stämme zu Barbaren zu ftempeln, o1 ihnen wenigstens barbarijche Abfunft zuzuichreiben. Weil Kadını

196 J. Beloch,

folgt daraus allein noch keineswegs, daß es wirklich ſo geweſen iſt. Aber eutweder, oder. Wir dürfen nicht beide Möglichkeiten kombiniren durch die Annahme, als hätten in Lydien zwei Völkerſchaften neben einander gelebt, eine Urbevölkerung flein- aliatiichen Stammes, und die indogermanifchen Einwanderer. Dus jcheint mir eine ganz unzuläjjige Übertragung von Analogien hiſtoriſcher Zeit auf vorhiſtoriſche Zuſtände. Wir jchen ja, wie es bei der Eroberung feindlicher Städte noch in homeriſcher Jeit zuging (31. 9, 598 f.): avdpas usw xreivovas, nolır ds Te NnVp auafüveı, rexva ds ı' alkoı ayoras Bayızwrors Te yıvalsas,

So muß es bei der Ausbreitung der Indogermanen überalk gegangen fein, wo nicht, wie im Gangeslande, eine dichte und ſchon einigermaßen fultivirte Benölferung die Ausrottung um : möglih machte. ber auch im Gangeslande Haben doch di« Beliegten die Sprache der Sieger angenommen; und eine ſolch Ausgleihung der Sprade muß im Laufe der Sahrhunderk- überall eintreten, wo ein Volk ein fremdiprachiges Volk unten wirft: entweder die Sieger afjimiliren ſich den Befiegten, ode= umgefehrt. Ich glaube aljo, daß wir in der Annahme zwe= ſprachiger Länder in der antifen Ethnologie ſehr vorfichtig jemr jollten; von ©renzbezirfen und Ucbergangszeiten natürlich a % gejehen. Jedenfalls fehlt ung, was Lydien angeht, ein genügend = Anhalt für eine ſolche Annahme. Allerdings heißen die W wohner des Landes bei Homer Meoner, und diejer Name = dann Später durch den der Lyder verdrängt worden. Abw« das darf feineäwegs jo erklärt werden, als ob die Xyder & fleinafiatiiche Urbevölferung des Landes gebildet hätten, die jet « im 7. Sahrhundert gegen ihre indogermanifchen Herren, D Meoner, ſiegreich aufgelehnt hätte. Denn unterworfene VE pflegen den Namen ihrer VBeherricher anzunehmen, und die?‘ Nume bleibt dann in Geltung. Das Auffommen des Lyde! Namens hat alfo mit ethnographifchen Verhältnijjen überhas $ nichts zu thun, und hängt wabhrjcheinlich zujammen mit De Einigung des Landes durch die Dynaftie der Mermnaden (Grieck Geſch. 1, 2402).

198 J. Beloch,

griechiſche Halbinſel bereits ganz, oder doc) jo gut wie ganz, vor einer helleniichen Bevölferung eingenommen war.

Wichtiger ald die Trage nach der Nationalität der vor bellenifchen Bevölkerung Griechenlands, die ſich mit unjera Mitteln doch nicht zur Enticheidung bringen läßt, ift die Frag nad) der Nationalität der Stämme, die auf der Grenze zwijchen der Hellenen einerjeits, den Thrafern und Illyriern andrerjeits ſaßen der Mafedonen und Epeiroten; hängt doch an der Beantwortun diefer Trage zum guten Theil unjere Beurtheilung der ganzeı griechiſchen Gefchichte jeit Bhilipp, und damit unjere Auffaffun der alten Gejchichte überhaupt. Die Art, wie ein Forſcher zi diefem Problem Stellung nimmt, und ob er überhaupt dazı Stellung nimmt, ift bezeichnend für jeine ganze wiſſenſchaftlich Richtung. Wer bei äußeren Zeugniffen fich beruhigt, wird bie mit feinem Urtheil fchnell fertig fein. Alexander I. von Mafe donien mußte nach Herodot feine helleniſche Abkunft nachweiſen ehe er zu den olympiichen Spielen zugelafjen wurde: Thufydide bezeichnet die Mafedonen und Epeiroten ausdrüdlich als Barbaren Iſokrates jagt, das hellenifche Königshaus von Makedonien herrſch über ein ftammfremdes Volk (aAlöprAov yevos), Ephoros läſ Hellas mit Akarnanien anfangen, jchließt aljo Epeirod davo aus (bei Strabon 8, 334) u. |. w. Noch die Vertreibung d- mafedoniichen Bejagung aus Korinth durch Aratos wird a Befreiung von der „Fremdherrſchaft“ (Erearrog agyı xai all« pvlos, Plut., Arat. 16) gefeiert; und befanntlich haben Gi Römer und Ätoler an Philipp die Forderung geſtellt, -- Eiiadog arcaong Erxwoeiv (Volyb. 18, 1,13 ff.), „ganz Helle zu räumen“.

Gleich Hier aber jehen wir, wie wenig ethnologischen Wer tolhe Angaben haben. Denn Philipp fonnte erwidern: Ve welchem Hellas redet ihr denn Hier? Der größte Theil v= Ätolien ſelbſt gehört ja gar nicht zu Hellas (Polyb. 15,5. 7 Natürlich dachte er nicht daran, den Ütolern die hellenife Nationalität abzujprechen; denn fie vedeten ja griechiih. Abe jo meint er, was den Ütolern recht ift, ift den Makedonen do billig, die ebenjo griechifch Iprechen. Er will nur diejenigen =

200 J. Belodh,

den Griechen, doch jedenfall3 in der Verwaltung ihrer eig Staaten und Städte, und im Verkehr mit den unteriworf Barbaren. Da fie das nun nicht gethan haben, fondern in die griechiiche Sprache verwenden, müſſen fie eben jelbit griec geiprochen haben.

Das wird beftätigt durch den Bericht des Eurtius (6, 9. über den Prozeß gegen Philotas; ein Zeugnis, das allerd in der Regel zum Beweife des Gegentheil® angeführt zu we pflegt; mit welchem Rechte, werden wir gleich jehen. Die lautet: Tum Philotas: praeter Macedonas inquit, pleri adsunt, quos facilius quae dicam percepturos arbitroı eadem lingua (Griechiſchj fuero usus, qua tu (Mlexar egisti, non ob aliud, credo, quam ut oratio tua inte posset a pluribus. Tum rex: F'cequid videtis, etiam monis patrii (de8 Mafedonijchen) Philotam taedere? Da ergibt ſich Doch eritens, daß alle mafedoniichen Soldaten ı griechiichen Rede zu folgen vermochten (denn die Verband, fand in der mafedonijchen Heeresverfammlung ftatt), zweit daß die anmwejenden „Griechen“ (Nicht-Mafedonen) wohl a falls eine mafedoniiche Rede verjtehen konnten, aber daß natürlich eine „griechiich“, d. h. attiſch gehaltene Rede lei (facilius) verftanden. Mit anderen Worten, e3 würde ſich j aus diefer Stelle ergeben, wenn wir es nicht ſonſt wühßten, das Makedoniſche nichts anderes war, als ein griechiicher Dio Wir hören denn auch niemals, daß die „Griechen“, um fid) den Makedonen zu verjtändigen, eines Dolmetſchers bet hätten, während im Berfehr mit Thrafern und Illyriern Dolmetſcher für fie unumgänglich war!).

Aber ſchon lange vor Alexander müſſen die Mafedı griechiich geiprochen haben. Denn wenn ein Volk die Spı wechjelt, jo bleiben doch die aus der alten Sprache jtammeı

1) XKen., Anab. 7, 3,25, Polyb. 28, 8,9. Kretichmer (S. 285) diefe Stellen mit der angeführten Stelle des Curtius nidht auf g Kinie fegen follen. Ein Mafedone verftand den JUyrier nur, wenn er d Spradye gelernt hatte (dıa To nv» duadextov eidermı Trr Ikhroida, Polybios jagt); den „Griechen“ verftand er ohne weiters, und diefer ihn

202 I. Beloch,

Hefiod betrachtet die Eponymen der theſſaliſchen Magneten ur der Mafedonen ald Brüder (fr. 23 Kinfel); Angaben die freilic wie oben ausgeführt worden ift, nur einen fehr relativen Wer haben.

Leider haben wir bis jegt feine makedoniſche Inſchrift der Zeit vor dem Ende des 4. Sahrhunderte. Damals ab hatte das Land bereits den attischen Dialekt ald Amtsſprache a genommen; und demgemäß find alle uns erhaltenen makedoniſch Urfunden in diefem Dialekt abgefaßt, oder befjer gejagt, in d ſog. attifchen “own, mit Ausnahme natürlich der lateiniſchen I ichriften der fpäter von den Römern in Makedonien gegründet Kolonien. So verjagt uns hier die ficherfte Quelle unferer fenntnis, die ſonſt jeder Diskuſſion über die ethnologiiche St lung der Mafedonen fofort ein Ende gemacht haben würt Es ift uns nun zwar durch die antifen Grammatiker eine ziemlic Zahl makedoniſcher Gloſſen erhalten. Aber es ift mit dieſ Gloſſen ein eigenes Ding; jeder lieſt heraus, was ſeiner ve gefaßten Meinung entipricht. Wer die Mafedonen für Barbarı hält, erflärt alle Gloſſen, die fi aus dem Griechiichen deut laffen, für griechiiche Lehnwörter; wer der entgegengejegten A jicht ift, weilt darauf Hin, daß in den Dialekt eines Grenzvolke wie e3 die Mafedonen waren, natürlich mancje® Wort aus d Sprache der benachbarten Barbaren eindringen mußte, um mehr, al8 ja ganz Niedermafedonien urjprünglid” von Barbar bewohnt war, und daß gerade ſolche, den Griechen unveritän liche, Wörter die Aufmerkſamkeit der Grammatifer in erfter Lir auf ſich ziehen mußten. Immerhin gibt es einige makedoniſt Wörter, bei denen eine Entlehnung aus dem Griechiichen mi deitens ſehr unwahricheinfich if. So namentlich die Bezeichnu der Nitterfchaft als „Kampfgenoffen“ (Ereiovı) des Sönigs, | ſich ganz ebenfo bei Homer findet, in Hijtoriicher Zeit aber n in Mafedonien fich erhalten hat.

Die beitbezeugte, und zugleich hervorjtechendite phonetiſt Eigenthümlichfeit des mafedoniichen Dialekts ift die Vertretu der indogermanijchen Mediae aspiratae bh dh gh burd I entiprechenden Mediae, während jie befanntlich in allen übria

204 J. Belodh,

donische im Laufe der geichichtlichen Entwidlung dem Griechiich immer mehr angenähert hat. In der Zeit, als die Makedon bejtimmend in die Geſchicke der Welt einzugreifen begannen, w Makedonien ein griechifches, oder Doch im wefentlichen gr chifches Land, Attiſch die Schriftipracdhe, und die Sprache b Gebildeten überhaupt, bis dann jchließlich, Hier wie überall der griechiichen Welt, auch die Volksſprache in der attiſchen xoc aufgegangen: ift.

Ganz ähnlich liegt die Frage nach der Nationalität d Epeiroten. Auch fie werden von griehiichen Schriftitellern d 5. bis 4. Jahrhundert? als „Barbaren“ bezeichnet, und ihr Laı wird ebenjowenig wie Mafedonien zu Hellas im geographiich Sinne gerechnet. Auch hier fehlen Sprachdenfmäler im ei heimifchen Dialekt; wohl aber zeigen uns zahlreiche in Dodo: gefundene Öffentliche Urkunden der Molofjer und des epeirotiſch Bundes, daß das Land mindeſtens feit dem Ende des 4. Satı hunderts Griechifch aeiprochen hat. Und zwar ift bier der fori thifche Dialeft als Schriitiprache angenommen worden, der dem 4. Sahrhundert im Peloponne® und im ganzen griechiſch Weiten ebenjo zur Verkehrsſprache und überhaupt zur Spra« der Gebildeten wurde, wie der attiiche Dialekt am ägäiſch Meere und im ganzen griedhiichen Oſten. Wie in Mafedoni find auch in Epeiros die Orts- und Perjonennamen ganz übe wiegend helleniſch. Daß bereits im 5. Jahrhundert in Dodo: Griechiſch gejprochen wurde, bezeugt Herodot (2, 56); es eine willfürliche und bei einer Binnenftadt höchſt unmwahrichei lihe Annahme, daß Dodona eine helleniihe Spradinjel barbarifchem Gebiete gebildet hätte, vielmehr müſſen wir a nehmen, daß die Molofjer, zu deren Gebiet Dodona gehörte, griechifcher Stamm geweſen find (vgl. Herodot 6, 126 f.). U die Molofjer um den Anfang des 4. Jahrhundert® mit d Chaonern und Thesprotern jich zu einem Bundesftaate zuſamme ichlofjen, bezeichneten dieje drei Völker ſich mit griechiichem Nam als oruuaxoı vor Areıpwrär „die Verbündeten unter den B wohnern des Feſtlandes“. Überhaupt ift eine ethnographiſc Grenze zwiichen Makedonen und Epeiroten gar nicht zu ziehen

206 J. Beloch,

mehr als unverſtändlich kann eine Sprache nicht ſein. Die Scholien interpretiren denn auch ganz richtig: orx &xovres ri⸗ dıahertov eraoAov yvwogTvaı „fie redeten einen nicht leicht ver- jtändfichen Dialekt.“ Alſo verjtehen konnte man fie immer nod), und folglich waren fie Griechen. Mindeſtens wird man zugeben, daß die Stelle diefen Sinn haben fann. Daß fie ihn haben muß, folgt aus fachlichen Gründen. Denn die Eurytanen bil- deten ja den Hauptitamm des ätoliichen Volkes (nEyıozov ufpos tovy Attwiow); und es ift im ganzen Altertum nie jemanden in den Sinn gefommen, den Ätolern das Griechenthum abzufprechen. Die oben angeführten Worte Philipp's bedeuten, wie wir gejehen haben, etwa® ganz andered. Wuch haben wir ja Inſchriften, Orts⸗ und PBerjonennamen genug, die alle die griechifche Natio- nalität der Ätoler umwiderleglich bezeugen. Und jpeziell die Eurytanen haben einen gut helleniichen Namen; ift doch Eurytos ein altberühmter griechiſcher Sagenheld.

Im Borbeigehen will ich noch bemerfen, daß die herrſchende Borftellung über die MWohnfige der Eurytanen unbaltbar it. Unjere Karten ſetzen das Volt an den Nordabhang des Panä— toliton, in das Thal des Kampylos, und zwar nur aus dem Grunde, weil neuere Archäologen das bei Strabon (10, 448% ohne nähere Angabe Füber die Lage als eurytaniſche Ortichafe erwähnte Ochalia ganz willfürfich am Südfuße des Tymphreſtos angejegt haben. Nun iſt es ja evident, daß der Hauptſtamm der Ätoler nicht in diefer wilden Gebirgsgegend gejeffen habeım fann; vielmehr bildete das Thal des Kampylod im Alterthum die Landſchaft Aperantia. Über die Sie der Eurytanen haberm wir überhaupt fein direktes Zeugnis. Wohl aber willen wir au Thufydides (3, 94, 5; 100, 1), daß die Itoler in drei Stämme getheilt waren: Apodoter, Ophioneer und Eurytanen; die Apo- doter faßen im Thal des Daphnus an der lofriichen Grenze die Ophioneer nördlih und nordweitlid von ihnen an der Quellen des Daphnus und im Thal des Euenos; für die Eury - tanen bleibt demnach der Welten des Landes, dad Gebiet um de See Trichonis: das ift der fruchtbarjte Theil Atoliens, wo ſtets das Centrum des Bundes gelegen hat; und fo fonnte Thukt

208 J. Beloch,

dieſen Umſtänden würde es das Richtige ſein, uns überhaupt dieſem Gebiet für jetzt aller Vermuthungen zu enthalten, ı uns bei einem non liquet zu beruhigen. Da indes dieje Zur haltung von anderer Seite nicht geübt wird, jo möge es a mir geftattet fein, einmal den Weg der Hypotheſe zu bejchrei Das eine oder andere wird fich Dabei immerhin für die hiftori Erkenntnis ergeben, felbjt wenn die Rejultate mehr auf der tiven als auf der pofitiven Seite liegen Jollten.

Selbjtverjtändfich werde ich dabei von allem abjehen, ı die Sage von den Wanderungen griechiicher Stämme aus ı Hiftoriicher Zeit zu berichten weiß. Denn dieje jog. Sage zum allergrößten Theile nicht weiter, als jpäte Kombinat entftanden in der Zeit, ald die griechiichen Stämme anfin ji mit der Frage nad) ihrer eigenen Herkunft zu beichäftig im 7. und zum Theil wohl auch Schon im 8. Jahrhund Es ift ganz unmöglich, aus inneren Gründen von diefen K binationen die Elemente zu fcheiden, die auf wirkliche Überliefer: zurüdgehen. Und aucd wenn das möglich wäre, jo gäbe t eine durch Sahrhunderte blos mündlich fortgepflanzte Überl! rung noch lange feine Gewähr für biftoriiche Richtigkeit; esn im Gegentheil höchſt wunderbar, wenn fich die Kunde Hiftorif Ereigniffe auf diefem Wege unverfälicht bewahrt haben To Wem es Vergnügen macht, auf foldem Grunde zu bauen, mag das ja thun; er kann dabei jehr viel Scharfjinn und lehrſamkeit zeigen, aber was er baut, find Kartenhäufer, die erite Lufthauch zujammenblätt.

Beginnen wir unfere Betrachtung mit dem Pelopon: Wir finden hier befanntlich in Hijtorifcher Zeit drei Hauptodiale die doriſche Mundart, die in verjchiedenen Abitufungen in Zafoı und Mefjenien, in der Argolis, und höchſt wahrjcheinlich « in Achaia geiprochen wurde, den eleiiichen und den arkadiſ Dialekt. Dieje Dialekte haben ſich, wie natürlich, untereinar vielfach beeinflußt; auch wäre es an ſich möglich, daß fie erft von einander differenzirt hätten in einer Zeit, als der P ponnes bereit3 jeine jpätere Bevölferung beſaß. Wahricheinti aber ift doch, daß die Differenzirung ſchon eingetreten: ift,

210 J. Beloch,

Machen wir uns zunächſt die Konſequenzen der letztere Annahme klar. Die Argolis und Lakonien hatten in der myf näiſchen Periode bereits eine ziemlich bedeutende Höhe der. Kultı erreicht, die eine verhältnismäßig ftarfe Bevölkerung zur Borau jegung hat. Die Bewohner diefer Landichaften mußten al! etwaigen Eindringlingen aus den Bergdiſtrikten Mittelgrieche: lands an Zahl wie an Gefittung weit überlegen jein. Au waren fie viel bejjer bewaffnet; zeigt und doch noch die Ilic die Lokrer nur leicht gerüftet, und zum Nahefampf gegen m Helm und Schild gerüftete Krieger untauglich (13, 712 ff.):

0V yap opiv oradin vonivn uiuvs yilor xig" ov yap &yov xöpudas yolxigeas innodaseias, 010’ #xov aonıidas evmslovs xai uelliva born.

Und was von den Lofrern noch im 8. Sahrhundert gil muß doch ebenio von ihren Nachbarn und Stammverwandter den Phokiern, Doriern und phthiotiſchen Achäern gelten, un nun gar noch einige Jahrhunderte früher.

Unter diejen Umständen ift es jehr ſchwer zu begreifen, wi eine Eroberung der Argoli8 durch mittelgriechiiche Stämme mals möglich gemejen fein follte. Noch viel jchwerer zu begreife aber wäre e3, wie eine folche Eroberung einen Wechjel im Diale der Küftenlandfchaften des Peloponnes hätte herbeiführen fönnen Bielmehr würden die Eroberer fich den Eroberten ſprachlich aſſ milirt haben, wie das in ähnlichen Fällen immer geichehen Es fei denn, man wollte annehmen, die Eroberer hätten die U völferung des eroberten Landes vernichtet; in diefem Falle wür” aber auch die Kultur mit vernichtet worden fein, und das iſt E Peloponnes am Ende der myfkenäiſchen Periode keineswegs g ſchehen!).

1) Es wird denn auch allgemein angenommen, daß in Theſſalien w der Einwanderung der Theſſaler der alte Dialekt fidh erhalten hat; wenn ra alfo konſequent fein wollen, müjjen wir dasfelbe auh dom Peloponnes ca nehmen. Man bat auf England Hingewiejen, dad durd) die Bölferwanderu germanijirt worden ijt, während Gallien feine römijche Nationalität bewa 1 bat. Aber Gallien war ein viel civilifirteres, und infolgedefien auch didp

bevöffertes Gebiet als Britannien, während die myfenäiiche Kultur ger im Peloponnes ihren Mittelpunkt Hatte.

212 J. Beloch,

jedenfalls ſpäter beſiedelt worden iſt, als die Inſeln des ägäiſce Meeres und die kleinaſiatiſche Weſtküſte, ſo müſſe der „doriſch Koloniſation auf Kreta, den ſüdlichen Kykladen und in der fartfc Doris eine vordortihe Kolonifation vorausgegangen jein. $ hätten aljo in diefem Gebiete eine ziweimalige griechiiche Kolı jation anzunehmen.

Wie mißlich eine folche Hypotheje iſt, leuchtet auf den er‘ Blid ein. Wo gibt es denn in der ganzen Geſchichte der q chiſchen Kolonifation eine Analogie für einen jolhen Borgaı Gewiß, jo lange es ſich um einzelne Städte handelt, laſſen Analogien die Menge beibringen. Aber für ein Gebiet, jo g wie der halbe Peloponnes? Wenn Hier einmal eine vordori Bevölkerung ſeßhaft geweien wäre, würde doch irgendwo ein 9 diefer Bevölkerung jich big in die hiſtoriſche Zeit erhalten hab haben ſich doch jogar Reſte der vorgricchifchen Bevölferung Kreta und Karpathos zu behaupten vernodt. Man hat daı bingewiefen, daß die Odyſſee (19, 177) neben Doriern auch Ad auf Kreta erwähnt. Aber dag beweilt gar nichts; der Gr: ift einfach, daß die Kreter Sdomeneus und Merioned unter achäischen Helden vor Troia auftreten. Da übrigens die Ad) joviel wir willen, doriſch gefprochen haben, jo würde fidh ı diejem Zeugnis für unjere Frage unter feinen Umjtänden etr ergebei.

Wir können aber jehr wohl ohne dieſe Hypotheſe a fommen. Denn um die enge VBerwandtichaft der Dialekte ' Kypro3 und Arkadien zu erklären, it die Annahme durd) nicht erforderlich, daß zur Zeit der Kolonijation jener Inſel ganze Peloponnes noch arkadiſch geiprochen habe; es genügt v Itändig, wenn ein dem Arfadiichen verwandter Dialekt irgen! an den Küſten des Peloponnes gejprochen wurde. Wir dei bier zunächſt an Meſſenien. In diefer Zandichaft herrſchte hiltorijcher Zeit der lakoniſche Dialekt; aber das ift eine der ſpartaniſchen Erorberung um die Wende vom 8. zum Sahrhundert. Sonjt müßten wir annehmen, daß Mefjenien fc einmal, in vorhiltorifcher Zeit, von Lakonien aus erorbert wor it, was ja die Sage allerdings berichtet; aber es ift a

Zur griechiſchen Vorgeſchichte. 213

Analogie nach ſehr wahrſcheinlich, daß dieſe Sage nichts weiter iſt, als ein Reflex der in der hiſtoriſchen Zeit erfolgten Eroberung. ‚it Das richtig, ſo muß in Meſſenien bis zum 8. Jahrhundert ein vordoriicher Dialekt, d. 5. doch aller Wahrjcheinlichkeit nach Arkadiſch geiprochen worden fein. Auch ſonſt ſpricht Manches für das einftige Vorhandenjein näherer Beziehungen zwiſchen Meffe: nien und Arkadien, jo namentlich die Ableitung des mefjenijchen Königshaujes von dem arfadifchen Heros Acpytos!); doch bin ih natürlich weit entfernt, auf dieſes Argument bejonderes Ge: wicht zu legen. Weiter aber dürfen wir auch an Lafonien denfen. Es iſt die ſüdlichſte Landichaft des Peloponnes, im Often und im Weſten von hohen Gebirgen umfchlofjen, und gegen feindlichen Einfall gefchügt. Ohne Zweifel haben aljo die „Dorier“ dieſe Sandfchaft erſt befegt, nachdem fie jchon lange in der Argolis anäffig waren; es können Sahrhunderte dazwischen hingegangen jein. Und wie noch heute in Lafonien, und nur hier in ganz Griechenland ein Reſt des alten Dialekts fich erhalten hat, jo wird auch im Altertfum in den Gebirgen Lakoniens, und nament« lih auf den beiden Halbinjeln, die in den Kaps von Malen und Zänaron enden, der vordorijche Dialekt noch lange lebendig ge: blieben fein, nachdem die Centralebene von Sparta fchon von den „Doriern“ bejegt war. Daß die Bewohner der lakoniſchen Oſt— fülte, des jegigen Tzafonien, der alten Kynuria urſprünglich feine „Dorier“, aljo den Bewohnern von Argos und Sparta Itamm- ſtemd waren, jagt befanntlih auch Herodot (8, 73); daß er meint, „lie Schienen Soner zu fein“, Hat nicht viel auf fich, da die Kynuria, wie Herodot ausdrüclich angibt, zu feiner Zeit bereits dorifirt war, und wir doch nicht annehmen dürfen, daß Herodot PMachgefchichtliche Studien angeftellt hat. Wohl aber fehrt der ame Kynuria al® Name eines Gaues in Arkadien wieder; und da es fich hier um benachbarte Gebiete handelt, jo ift dieſe Yononymie doch vielleicht fein bloßer Zufall, wenigſtens wird Ne Der nicht dafür halten Dürfen, der die opuntijchen und 2) Eduard Meyer, Geſch. des Alterthums 2, 262 5. 271.

214 J. Beloch,

ozoliſchen Lokrer für Zweige desſelben Stammes anſieht!)y. Es kann mit dieſen Verhältniſſen zuſammenhängen, wenn die Spar: taner den Gott, der bei den Jonern Poſeidon, in der Argolis Poteidan heißt, mit arkadiſchem Namen Pohoidan (lakoniſche Form für Poſoidan) nennen; freilich iſt es ebenſo möglich, daß der Kultus des Gottes, der ja in Arkadien einen ſeiner Hauptſitze hatte, von dort nach Lakonien gewandert iſt, und mit dem Kultus der Name.

Daß Kypros ſeine helleniſche Bevölkerung von der pelopo— neſiſchen Südküſte aus empfangen hat, iſt auch ſonſt ſehr wahr: ſcheinlich; namentlich der Kult des Apollon Amykläos weiſt nach Lakonien?). Nun war die Argolig; in der mykenäiſchen Periode die in der Kultur fortgefchrittenite Landichaft des Pelo- ponnes; ijt aljo natürlich, daß die Kolonifationsbewegung von bier ihren Ausgang nahm. Als dann auch die Bewohner der lafonischen Küfte an der Kolonifation Theil zu nehmen begannen, fanden fie Rhodos und einen Theil von Kreta bereit® von der Argolis aus bejegt. Auf Kreta mögen ji) Anfiedler „arfu diſchen“ Stammed (um der Kürze wegen diejen Namen für die „vordoriſche“ Bevdlferung des Peloponnes zu brauchen) vorm der lafonifchen Küfte neben den „dorischen“ Anfiedlern aus de Argolis fejtgejegt haben; man fann, wenn man will, dew- Namen der fretifchen -/exader und des Fretifchen Gortyn ad Beweis anführen; auch daß neben den drei doriihen Phyler— andere Phylen in den fretiichen Gemeinden vorfonnıen, mag zum Theil jo erflärt werden. Sedenfalld aber blieb auf Kreta, wer - der Dialekt zeigt, das „dorifche” Element durchaus überwiegende

) Wenn zwei benadjbarte, oder doc nur durch geringen Zwiſchenraur getrennte Volktsſtämme denfelben Namen führen, fo ift das ein ftarfes Argus ment dafür, dab fie gleihen Stammes waren, vgl. 3. B. Sicsuli und Sican findet ji die Homonymie aber bei räumlich weit voneinander getrennt Stämmen, fo ift eine Stammperwandtihaft zwar an fich möglich, aber m nothwendig noch auch nur wahrjdeinlid. Es Hat viel Unheil in der alte Geſchichte angerichtet, daß man dieje beiden Fälle beftändig zufammemmme- geworfen bat.

2) (£3 gab in Kypros eine Stadt Aaxedaiuuw (Steph. Byz.), und Dez fyprifche Marion ijt bid auf die Endung homonym mit dem lafoniihen Marie

216 J. Belodh,

Kenntnis fortichreitet, deſto deutlicher erfennen wir, daB ftat großer plöglicher Umwälzungen vielmehr ein allmählicher Über gang von Periode zu Periode ftattfindet. Daß e8 mit der mt fenäifchen Periode im Verhältnis zur homerifchen Stultur, ode archäologifch ausgedrüdt, der Periode des „geometriichen Stile nicht anders geweſen ift, wird ung von Tag zu Tag flareı je meiter die archäologiſche Durchforſchung Griechenlands for Ichreitet.

So bleibt nur ein einziger Grund übrig für den, der Di Einwanderung der „Dorier“ an das Ende der mykenäiſchen Periot jegen will: Der überlieferte Anja der Rückkehr der Heraflide auf das 12. bis 11. Jahrhundert. Doch wir wifjen ja längſt, da diefer Anja von den Genealogen errechnet ijt, die fich im 6. un 5. Iahrhundert ein Geichäft daraus machten, die Sagenmafi auf Grund von Generationgreihen in ein chronologiſches Schem zu bringen. Alle echte Sage aber ijt zeitlos. Und jchon Thı fydides hat erfannt, (1, 2), was heute vergejjen zu jein jchein daß die Wanderungen der griehijchen Stämme innerhalb griechiichen Halbinjel in eine Zeit gehören müſſen, in der die Natio noch nicht zur vollen Schhaftigfeit gelangt war. Archäologiji ausgedrüdt: Die Wanderungen gehören in die vormykenäiſch Periode; in die erfte, nicht in die zweite Hälfte des 2. Jah tauſends vor unjerer Zeitrechnung.

Schen wir jegt, was fich über die Richtung diefer Wand: rungen ermitteln läßt. Das natürliche Einfallethor in den Belı ponnes bildet feincäwegs der Iſthmos, der durch Die unmer jame Bergfette der Geraneia gejperrt tt, und dem außerdem d Kerata und der Kithäron als Außenmwerfe vorlagern, jondern da Einfallätgor ift die Meerenge von Rhion am Eingange de korinthiſchen Buſens, wo die peloponnefiihe und die mitte griechiſche Küſte bis auf wenige Kilometer ji nähern. Dahe haben ſchon die griechiichen Genealogen und Zogographen, als ſi die Geſchichte der Rückkehr der Herafliden in den Peloponne fonftruirten, die Einwanderung auf dieſem Wege erfolgen laſſer Daß fie damit Recht hatten, zeigt die Schichtung der Dialefte während in Phokis, Lokris, Achaia, der Argolis engverwandi

218 J. Beloch,

doch die ganze Geſchichte nichts weiter als ein großer Prozet der Differenzirung, und dann wieder der Integrirung:

xai ravz' allacoovra dıaunspes nvudaua Änyeı,

allore ev yılörntı ovvepyouev' eis iv anarıa,

aklors dar dig’ Ixacta Yopsuusva vsixsos Eyder.

Als die Hellenen, damals noch ein wenig zahlreicher Stamm von den übrigen Indogermanen fich fchieden, müſſen jie alle die jelbe oder doch jo ziemlich diejelbe Sprache geredet haben, da: „Urgriechiſch“ unſerer Linguiſten; diefe Sprache bat fich dann als die Nation an Zahl wuchs und fich über ein weitered Ge biet verbreitete, in eine ganze Weihe Dialekte zeripalten, un endlich haben unter dem Einfluffe der Kultur und des Verfehr diefe Differenzen fich abgefchliffen, jo daß heute von den alte Dialekten faum eine Spur mehr übrig ijt. Ebenſo müſſen jen Urgriechen, als fie in ihre fpäteren Sige einwanderten, doch auc einen gemeinfamen Stammnamen gehabt haben, der ſie von de Nahbarjtämmen unterjchied. Diejer Name ift dann entweder ta Laufe der Zeit verloren gegangen, oder cr iſt ald Stammnan an einem Theil der Nation haften geblieben, während die übrige Stämme ſich mit befonderen Namen bezeichneten, bis daun endlid im 8. Jahrhundert das Bemwußtjein der gemeinfamen Nationaliti wieder zum Durchbruch fan, und injolgedeifen auch wieder ei gemeinjamer Name für das ganze Volk zur Geltung gelangt

Vielleiht Tiegt hier die LRöfung der Pelasgerfrage. 3 habe früher ganz unabhängig von der hier entiwicelten Gedante: reihe darauf hingewieſen, daß es aller Wahrfcheinlichfeit nach D theſſaliſche Ebene geweſen iſt, wo die Hellenen fich zuerjt dauerr niedergelafjen und ihre nationale Individualität ausgebildet hab« (Sr. Geſch. 1, 35); aljo das Gebiet (die Pelasgiotis), an de der Pelaögername bis in die fpäteften Zeiten gehaftet hat. Wer irgendivo, mußte hier der uriprüngliche Name des Volkes erhalt: bleiben, ähnlich wie der Name der Sachſen in England ſich heu in den Srafichaften erhalten Hat, die zuerjt von den germanijdy: Einwanderern in Befiß genommen murden (Effer, Middleſe Sufjer), oder wie der Name der Angeln an den Bewohnern ı England haftet, aber nicht mehr an den Bewohnern der engliſch

220 J. Beloch,

mit dem Doriernamen geſchehen, der zuerſt nach Kreta, dan nach Lakonien und der Argolis übertragen worden iſt.

Daß es ſich Hier wirklich um Übertragung handelt und da nicht etwa ſchon die Einwanderer aus Mittelgriechenland in de Peloponnes den Doriernamen geführt haben, zeigt zunächſt di Analogie der Joner und Üoler; wir dürfen nicht zweierlei Ma und Gewicht brauchen, in der Prähiſtorie noch weniger, als jonf Es folgt ferner daraus, daß der Doriername an den Bewohner feiner Zandichaft des Peloponnes ald Stammname haftet, un daß Homer ihn in Bezug auf den Peloponnes noch nicht fennt! Es folgt endlid) aus der Thatſache, daß gerade die Bewohn der Landichaft, die zuerjt von den mittelgriechiichen Einwanderer im Peloponnes in Bejig genommen wurde, daß gerade d Achäer niemals unter dem Namen der Dorier mitbegriffen werden? Wir fönnten uns diejem legteren Argument nur entziehen dur die Annahme, daß der „doriſchen Wanderung“ eine achäijd Wanderung gefolgt wäre, und alfo die „Dorier“ durch die Achä aus Achaia verdrängt worden wären. Aber hat es denn d geringste Wahrfcheinlichfeit, daß furz nacheinander aus dem biet an den Hüften des malifchen Golfes zwei Wanderung: ganz in der gleichen Richtung erfolgt wären, die beide Mc Phokis und Lofrig überfprungen hätten, um in bderjelben pel

2) Das beruht keineswegs, wie wohl gejagt worden ift, auf abſichtlid Ignorirung der „doriihen Wanderung“. So gelehrt waren die Aöden di nicht. Cie erwähnen ja ohne allen Anftoß Dorier auf Kreta; fie laf Herakles' Sohn Tlepolemos ſchon vor dem troiihen Kriege au Argosen Rhodos einwandern. Alſo Haben jie von der „doriihen Wanderung“ üb haupt nichts gewußt.

2) Der Grund dafür iſt offenbar, dab die Bevölkerung des pelopon! ſiſchen Achaia nicht wie die Bevölkerung der Argoli® und der von ihr gegangenen Kolonien in die drei „doriſchen“ Phylen der Hylleer, Dymar und Pamphyler zerfiel. Erſt der Theil der Achäer, der nad) der Argo auswanderte, bat diefe Gliederung angeommen. Die Dymanen ſtamm wie ihr Name jagt, aus dem achäiſchen (?) Dyme; die Hylleer aus irge einem verjhollenen Gau; die Pamphyler find, wie wieder der Name fo Leute aus verjdiedenen Bauen, die fih zu dem Buge zufammengeihlof haben.

222 J. Belodh,

Mittelgriechenlands, Böotien und Attifa, haben ihr altes Bol thum behauptet. Von Attila haben die „Dorier“ nur die Me ris abzureißen vermocht. Der böotiſche Dialekt iſt allerdings ı doriſchen Elementen ſtark beeinflußt worden, aber das fann e Folge der Nachbarichaft fein und zwingt noch feinegwegs zu Annahme, daß „doriiche* Bevdlferungselemente in dieſe Laı Schaft eingedrungen find. Theſſalien jol, der Sage nad), ei von epeirotifchen Stämmen erobert worden fein; es fehlt u aber bei unjerer Unfenntnis des Dialefts, der in älterer Zeit Epeiros gejprochen wurde, jedes Mittel, um zu beurtheilen, n weit diejer Sage etwas Gejchichtliches zu Grunde liegt. Wa iheinlih Handelt es Sich bloß um einen Verſuch, zu erflär warum die Zandichaft, die bei Homer „pelasgijches Argos“ hei in biftorifcher Zeit den Namen Thejjalien führt.

Das etwa ergibt fich, wenn wir den Verfuch wagen, ı Grund unjerer gegenwärtigen Kenntnis der griechifchen Diale den Echleier zu lüften, der die Anfänge der griechiichen Geſchic verhüllt. Ich möchte aber hier noch einmal betonen, wie unfid diefe Ergebnifje nothwendig fein müſſen; wahrjcheinlich iſt Prozeß der Schichtung der griehiichen Stämme, und damit Dialektbildung viel fomplizirter geiwejen, als wir mit unſe Mitteln zu erfennen im Stande find. Ein Blick auf die ( Ihichte der Wanderungen der germanischen Stämme mahnt ı zur Vorficht; freilich liegen die Probleme auf griechiichem Gebi infofern einfacher, al® bier durch die Natur des Landes i Wanderungen zum großen Theil ihre Richtung vorgezeichnet w Vielleicht aljo, daß wir jpäter einmal weiter fommen, wenn Funde von Dialektinschriften fic) mehren und eine ©enerat berangewachlen jein wird, die ſich frei gemadt bat von T Slauben, aus den Mythen den „hiftoriichen Kern“ herausſchä zu können.

Schon jegt beginnt diefer Glaube zu wanfen. Dan gla zwar noch an die Sagen, aber es ift nicht mehr der naive Gla wie einst, vielmehr ift man bemüht, das uns von den Genealo: und Logographen überlieferte Bild der griechifchen Urgeſchi durch Beweife zu ftügen. Man gibt dabei wohl auch die Aut

Zur griehiihen Vorgeſchichte. 223

werfe der Stellung auf, um nur den Kern zu vertheidigen. Dieſer Kern aber ift die Sage von der Rüdfehr der Herakliden, wie die Alten jagten, von der „doriichen Wanderung”, wie es heute heißt. Und auch der Sag, daß ein Mythos, dem man das Mythiſche abftreift, deswegen noch lange nicht zur Gedichte wird, wird in der Theorie von nicmand beftritten. Aber Theorie und Praxis find ja befanntlich zwei ganz verjchtedene Dinge. Und fo läßt man denn die Herafliden fallen, aber ihre Dorier it man noch immer nach dem Peloponnes ziehen, jo und jo viele Generationen nach dem troijchen Sriege, und die Dialekte iollen dann den Beweis für die Sache geben. Denn daß alle anderen Beweiſe nichts helfen, beginnt man denn doc) nachgerade zu begreifen!). Dabei aber wird eines überjehen, eben die Haupt- tache: daß die Tialefte wohl den Beweis geben können, dat anmal eine Einwanderung mittelgriechiicher Stämme in den Beloponnes ftattgefunden hat, nicht aber, wann fie erfolgt üt. Und gerade das iſt der Punkt, auf den e3 allein anfommt. Daß in der halbnomadischen Vorzeit zahlloſe Stammverjchiebungen in Griechenland vorgegangen jein müffen, ift ja von vornherein far, und es liegt jehr wenig daran, diefe Bewegungen im ein- zelnen zu verfolgen; hiſtoriſch wichtig ift allein die Frage: ift Griechenland noch am Ende der myfenäifchen Periode von einer „Bölferwanderung“ erfchüttert worden? Zur Beantwortung dieſer Stage einen Beitrag zu geben, war der Hauptzweck der vor: tehenden Bemerkungen.

——

1) Näheres darüber in meinem Aujjag über die doriſche Wanderung, Rein. Muf. 45 (1890), 555 ff. Die feitdem in Mykenä und Ügypten gemachten Funde machen es wahrſcheinlich, daß die Blütezeit der mylenäijchen Lultur in Griechenland einige Jahrhunderte höher Hinaufzurüden ift, als ich damals angenommen Habe; e8 kommt darauf wenig an, denn in der Prä—⸗ hiſtorie ſind die Jahrhunderte billig.

Neuere Forſchuugen zur fränkischen Nechtögeichichte')- Bon Richard Schröder.

Il.

Die Literatur über die fränfische Zeit hat inzwiſchen dur« Walther Schulte eine erfreuliche Bereicherung erfahren Je weniger wir und mit dem eriten, von dem Berfafler 1 Gemeinſchaft mit Oscar Gutſche herausgegebenen Bande B freunden fonnten, der in unerlaubter Hüyperfritift alle ve Tacitus kommenden Nachrichten mit Mibtrauen behandelt um das ficherite Fundament unferes Wiſſens bei Ceite ſchieben jih mit Vorliebe auf die zum Theil ſehr wenig beglaubigt« Ergebniffe der vergleichenden Rechts- und Sprachwiſſenſcho jtügt, um jo rüdhaltlofer fünnen wir dem das merowingije Frankenreich behandelnden 2. Bande unjere Anerkennung ars jprehen. Die Darjtellung geht von großen Gefichtspunft« aus und iſt durchweg Kar, anichaulid und lebhaft. D: Principien der „Bibliothek deutſcher Geſchichte“ entfprechend ſin den einzelnen Ausführungen feine wiſſenſchaftlichen Begründung, beigefügt, man erfennt aber auf Schritt und Tritt die gewiſſe bafte Benugung der einschlägigen Literatur und die felbftändt

1) Bgl. Hift. Ztfchr. 78, 193 fi.

2) Deutſche Geichichte von der Urzeit biß zu den Karolingern. BD- Das merowingiſche Frankenreich. Bon Walther Schule. Stuttgart, 3- Cotta. 1896.

226 N. Schröder,

Eine der wichtigiten Streitfragen aus dem Gebiete des fränkiſchen Staatsrechts betrifft das Verhältnis der Reichsgeſetz gebung zu den Volksrechten. Die herrichende, von Boretius und Sohm begründete Anficht, der ſich, wenn auch im Einzelnen nicht jo weit gehend, auch Brunner angejchlofien hat!), unter— Icheidet befanntlich innerhalb der Neichdgejete, abgejehen von der als reine Beamteninftruftionen verjtandenen capitula missorum. die der Zuftimmung der Stammesbevölferung bedürftigen cap tula legibus addenda und die ausſchließlich auf königlicher Mach - vollfommenheit beruhenden capitula per se scribenda. Nu r die erjteren waren auch für die mit Urtheilern aug dem Vol Ee bejegten Gerichte maßgebende Rechtsnormen; ihr Inhalt war Volksrecht, alſo Etammesrecht, und ſtand unter dem Brincip Der perjönlichen Rechte. Dagegen hatten die capitula per se scri- benda territoriale Geltung, im Zweifel für da8 ganze Reich 3= gebiet, aber ihre Durchrührung beruhte einzig auf der AmtS= gewalt des Königs und jeiner Beamten, jet es im Wege der Ber- waltung oder im Wege der Rechtiprehung des Königsgeridts. des miffatiischen Gerichts, oder wo, wie in Italien, cin fünig= licher Beamter als jelbiturtheilender Richter da8 Recht zu finder hatte. Dem Volksrecht jtand das Amtsrecht als reined KönigS= recht gegenüber.

Diefe Unterjcheidung will Dahn, dem Schulge (S. 394) ſich anjchließt, nicht gelten laffen. Den Gegenjaß zwijchen den capı- tula legibus addenda des Stammesrecht3 und den capitula per se scribenda des territorialen Reichsrechts findet er viel- mehr weſentlich auf dem Gebiete des formellen Geſetzesbegriffs. Stammedrecht zu jchaffen oder zu brechen vermochte der König nur im Wege ordnungsmäßiger Gejeggebung, d. h. unter Zu ſtimmung des Neichdtages oder einer Stammesverjammiung, während er im Übrigen ein freies Verordnungsrecht beſaß, dad

Stammes in Frage gefommen jeien, halte auch er das Brincip ber perjſön⸗ lichen Rechte für uralt.

1) Bol. audı W. Sidel, Gött. gel. Anz. 1890 S. 234 ff.; Weitdeutick Beitihr. 15, 132. Hübner, Gött. gel. Anz. 1894 Nr. 10. Mühlbacher. Deutſche Geichichte unter den Karolingern ©. 263,

Neuere Forſchungen zur fränkiſchen Rechtsgeſchichte. 227

er nach Belieben mit oder ohne Mitwirkung ſeiner Großen aus- üben mocdhte'). Aber bindende Rechtönormen für jämmtliche Ge- richte, gleichviel ob Beamte oder Männer aus dem Bolfe das Urtheil fanden, waren die füniglichen Verordnungen ebenjo gut wie die volfsrechtlichen Gejege; beide enthielten Stönigsrecht, ein Gegenſatz zwiſchen Volksrecht und Amtsrecht war nicht vor handen?) Auch daB das Königsgericht ein Billigfeitägerichtshof geweſen jei, wird von Dahn in Abrede gejtellt?).

Bekämpft hat die erwähnte Eintheilung der fränkiſchen Heicögeiege bejonderd Seeliger (SKapitularien der Sarolinger, 1393). Buzugeben iſt demjelben, daß die Scheidung der ge maannten Stategorien auch unter den SKarolingern, unter denen nad Seeliger überhaupt erit eine Neigung in diefer Richtung Hexvortreten joll, nie konſequent durchgeführt worden ift. Viel— Tach find die königlichen Erlaffe gemischter Natur, enthalten Meihöreht und Volksrecht neben einander, und namentlic) in den CS zapitula missorum finden fi häufig neben bloßen amtlichen U nweifungen die verjchiedenartigften füniglichen Sagungen, deren BB utlifation und, wo es Noth that, auch die Überwachung ihrer Durchführung zu den Obliegenheiten der Königsboten gehörte. Seeliger gibt zu, daß man fich in der Slarolingerzeit eines ge: Wiſſen Gegenfages zwijchen lex und capitulare bewußt geweien

Si und denfelben auch hie und da in der Anordnung der Geſetze Arıd der Art ihrer Publikation zum Ausdrude gebracht habe, aber Die Zuziehung von legislatores ans dem Stamme, defien Volks— Techt geregelt werden jollte, habe nur praftiiche und keineswegs vVerfafjungsmäßige Gründe gehabt. Von einer Zuftimmung des Volkes, jei es in befonderen Stammesverjammlungen, oder an den einzelnen Dingjtätten, fei nie die MNede gewejen; was man in diefer Richtung gedeutet habe, ſei theils auf die Fürſorge für

ı) Könige der Germanen 7, 2,31 fi. 41}. 3, 417. 529. 579. Deutjche Geſchichte 1, 2, 648 f. Ähnlich Befeler, Über die Rechtskraft der Kapitularien (Feſtgaben für Homeyer, 1871).

2) Könige 7, 2, 37 fi. 43. 87. Deutſche Geſchichte 1, 2, 561 fi. 642 ji. So aud, aber in etwas unflarer Weije, Schulpe ©. 395 ff.

>) Könige 7, 3,531.

228 R. Schröder,

gehörige Publikation der Gejege, deren Befolgung man zuweilen noch durch bejondere Anerfennungzafte von Seiten der Bevöl⸗ ferung zu fichern fuchte, theils auf die bloße Zuftimmung der- Großen zu beziehen. Denn diefe Zuftimmung war nad See— liger auf dem Gelammtgebiete der Geieggebung, ohne daß mare zwiichen Reichsrecht und Volksrecht unterjchieden Hätte, verfaſſungs mäßig nothwendig. Ter fränfiiche Reichstag war als Rechts nachfolger der früheren Stammesverjanmlung zu einem ven-=- fafjungsmäßigen Faktor der Gejeggebung geworden.

Diejer Auffaſſung des Reichstages ale eincd Organs de Staates oder des Volkes tritt v. Amira, wenigitens ſoweit 8 ſich um die Zeit vor Ludwig I. handelt, mit Entidhiedert- heit entgegen. Höchitens laſſe fich jeit den SKarolingern einze gewilfe Tendenz, das Volk mehr an der Gejeggebung zu Be— theiligen, erfennen, aber der Reichstag jei nur ein Organ Des fränkiſchen Königs gewejen, dein von Anfang an das alleinige Recht der Gefeggebung zugeitanden habe!). In diejer Beziehung babe auch zwilchen reichs- und volfsrechtlichen Satzungen fein Unterfchied bejtanden, den Ausführungen Seeliger's in dieſer Richtung jei durchaus beizuftimmen, ja man habe die volfärecht- lihen Saßungen, weit entfernt fie über die reichSrechtlichen zu jtellen, jogar als die minderwerthigen betrachtet ?).

1) Ebenſo v. Sybel, Entftehung des deutihen Königthums ©. 361 fl. und für die merowingiſche Zeit W. Sidel, Die merowingifche Volksverſamm⸗ lung ©. 27 fi.

») Die befannte Beſtimmung des Diedenhofer Kapitulars vom Oftober 821 (nad Eeeliger, a.a. O. ©. 55) über die Capitula legis Salicae von 820 (Boretiuß 1, 295 c. 5): ut capitula, que praeterito anno legi Salicae per omnium consensum addenda esse censuimus, iam non ulterius capitula, sed tantum lex dicantur, immo pro lege teneantur, ſoll nad) Bejeler, a. a. D. ©. 12, dem Amira beiftimmt, in einfchräntendem Sinne verjtanden werden, was aber wegen des in immo liegenden Gedantend der Steigerung fpradjlih unmöglich if. Ohne den Worten Zwang anzuthun, kann man fie nur dahin erklären, daß die genannten capitula fernerhin nit mehr als Kapitulare, jondern nur al® ‚lex‘ bezeichnet, ja felbft unmittelbar al8 lex (d. h. als integrirender Theil der Lex Salica) beobachtet werden jollten.

230 N. Schröder,

zu Stande gefommen, von denen das fünfte (Köln c. Sn in das Jahr 595, aljo das Ickte NRegierungsjahr ChHildebert' zu ſetzen ijt?), demnach das erjte (Andernady, c. 1) wohl in do Jahr 591, dag zweite, unbenannte (in sequenti, c. 2) in 592, da dritte (Maestricht, c. 3) in 593, das vierte, unbenannte (c. 4) in 594. Als zuftimmend werden bier nur die Großen genanrzt (una cum nostris optimatibus pertractavimus, conven xt una cum leodos nostros); daß aber damit keineswegs gejagt if t, das auf dem Märzfelde mitanmwejende Volf habe an der ganzen Berhandlung überhaupt nicht Theil genommen, ergibt fi aux einem Vergleiche mit dem Edift Liutprand’8, bei welchem in Den Protofollen zu den meilten Märzfeldfagungen ebenfall® nur Der Großen gedacht, in dem Protofoll der Sagung von 713 aber ausdrüdlich hervorgehoben wird: pridiae Kalendarum Maar- tiarum una cum omnibus iudieibus vel cun reliquis fedelibus meis Langobardis, et cuncto populo adsis- tente, und ähnlich 720: diae Kalendarum Martiarum una cum inlustribus veris obtimatibus meis vel universis n0- bilibus Langobardis, —asistente omni populo. Die Stel: lung des Volfes gegenüber den Großen wird bei der Märzield- geſetzgebung Liutprand’s und Childebert’3 II. diejelbe wie bei dem Edikt Chilperich’3 gemejen fein, d. h. feine aktive Theil nahme an den Berathungen, jondern eine mehr oder weniger paſſive, aber darum keineswegs überflüffige Aſſiſtenz, eine Ent: gegennahme der gefaßten Beichlüffe unter ſtillſchweigender Erthei- lung der Vollbort. Sollte ed denn in den Landesverſammlungen der germanijchen Urzeit viel anders geweſen fein? Der Unter ichied dürfte docdy nur darin gefiinden werden, daß in alter Zeit die VBollbort durch das Zuſammenſchlagen der Waffen (väpnatak, gairthing) zu lebendigem Ausdrucke gebracht werben mußte, was man noch bei dem Edift des Nothari von 643 glaubte bejonder?

1) Die jaljhe Datirung bei Boretius rührt von dem handidriftlid arg entſtellten Schlußfaße ber, der nur in dem Leidener Cod. Voss. (10) ridtig dahin überliefert ift:. Data sub die kal. Marcias anno XX. regni domni nostri, Colonia feliciter. gl. Kruſch, Mon. Germ. Seript- rer. Merov. 2, 577.

Neuere Forſchungen zur fränfiihen Rechtsgeſchichte. 231

betonen zu müffen: addentes quin etiam et per gairethinx secundum ritus gentis nostrae confirmantes, ut sit haec lex firma et stabelis?).

Ander® mag es bei dem Pactus pro tenore pacis vou

SE Hildebert I. und Chlothar I. (Boretius, a.a.D. 1, 3) geweien dein. Auch Hier deutet die Ausdrucksweiſe (deeretum est ftatt Qecrevimus) auf eine Verftändigung mit den Großen hin, c. 14 zuummt auf eine joldhe mit den Bilchöfen Bezug und der Text Des Leidener Codex Voss. enthält (c. 1) die Worte: decretum est apud nos maioresque natus Francorum palacii proce- rum?), aber das Ganze trägt nicht den Charakter einer volfe- rechtlihen Sagung und der Schlußſatz, welcher die das Geſetz nicht befolgenden Richter mit der Todezitrafe bedroht, erweckt, zumal wenn man den überwiegend romanijchen Charakter des von beiden Königen beberrichten Gebietes in Betracht zieht, eher ven Eindrud einer nur kraft Föniglicher Machtvollfommenheit ein- geführten und durchgeführten Nechtsänderung?).

Dat die Könige des 6. Jahrhunderts oft genug ihr ein- jeitiged Verordnungsrecht in willfürlicher Weile ausgeübt haben müſſen, ergibt ſich aus den verfafjungsmäßigen Schranfen, welche demjelben durch das Edift Chlothar’3 II. von 614 (Boretius 1, 20) und die wohl etwas früher erlafjene Praeceptio desjelben Königs (ebenda 1, 18) gejegt wurden‘).

2) Bol. meine Ausführungen in der Zeitſchr. f. Rechtsgeſch. 20, 53 ff. (germanift. Abteilung).

2) Vgl. Amira, Gött. gel. Anz. 1888 ©. 58. Dahn, a. a. X. 7,2, 33.

») Die entiheidenden Gründe für die Urheberſchaft Childebert’8 I. und Chlothar's I. an diejer Gejeggebung habe ich bereit? in der Monatsſchrift f. d. Geichichte Weſtdeutſchlands 6, 479 f. hervorgehoben. Sie werden al® neu wiederholt von Dahn, a.a.C. 7,2, 36, dem meine Ausführung entgangen iſt.

) Das Edikt c. 13 beitimmt: Praeceptionis nostrae per omnia impleantur et quod per easdem fuerit ordinatum, per subsequentia praecepti nullatenus annullatur nec de palatio nostro tales prae- ceptionis requirantur. Wenn die in der Handichriit fchwer lecbare Stelle von Boretius richtig entziffert ift, können die Worte praeceptionis nostrae nit auf alle füniglihen Verordnungen, fondern nur auf die Praeceptio Chlothar's II. bezogen werden. Dieſe, die ſich felbit als generalis auctoritas

232 NR. Schröder,

Königliche Verordnungen, auch die fchon früher ergangenen Erlaſſe Chlothar’3 Il. und feiner Vorgänger im Reiche, follten, jo« weit fie per iustitia oder cum iustitia et lege competente zu Stande gefommen waren, und nur unter diefer Vorausſetzung, Geltung haben und durch feine ungejeglichen neueren Werord- nungen (subsequentibus auctoritatibus contra legem elecitis> wieder aufgehoben werden dürfen (Ed. c. 16, Präc. c. 9). Gegen das Geſetz (contra legem) erjchlichene Verordnungen wurden für- fraftlos erklärt (Präc. c. 5). Die Richter follten nur nad) der antiqui iuris norma entjcheiden, alle gegen Gejeg und Billig= feit ergangenen Urtheile (quae modum leges adque acquitatis- excedit) nichtig fein (Präc. c. 1). Das Erbrecht jollte nu juxta legem geregelt werden, dem föniglichen Verordnungsrechte alio dauernd entzogen bleiben (Ed. c. 6, Präc. c. 2).

E3 würde unrichtig tein, wenn man unter den leges de Edikts und der Praeceptio ausſchließlich die volksrechtlichen Sejege verjtehen wollte, denn nicht nur das ungefchriebene Volks⸗ recht fiel mit unter diejen Begriff!), auch das Edikt, das als Reichsgrundgeſetz (edietum perpetuis temporibus valeturum) erlaffen wurde, war damit jeder einjeitigen Abänderung durch den König entzogen und dasjelbe muß, wenn wir c. 13 des Ediftd richtig ausgelegt haben, von der Bräceptio angenommen werden. Auf diefen Gebieten konnte eine Neuregelung nur im Wege der verfaffungsmäßigen Geſetzgebung erfolgen, und wenn auch die dem föniglichen Verordnungsrechte gezogenen Schranfen oft genug unbeachtet geblieben fein mögen?), prinzipiell ijt der Standpunkt auch unter den Sarolingern derjelbe geblieben.

bezeichnet hatte, wurde nunmehr für einen integrivnden Beltandtheil des Edikts von 614 erklärt, jo daß ihr weder durd die Beftinnmungen des lepteren, noch aud) durch jpätere königliche Verordnungen derogirt werden jollte.

1) Dahn, a. a. O. 7, 2,33 wirft Sohm und mir vor, quellenwidrig zwijchen pactus (al® ius scriptum) und lex (al® ius non scriptum) zu unterjcheiden. Das beruht auf einem Mißverſtändniſſe: nur wo die Quellen jelbft einen Unterfchied machen, wie in dem Würzburger Sendrecht, iſt dieler Segenjag von ung, und zwar mit vollem Rechte, angenommen worden.

2) Der wahricheinlid unter Dagobert I. entitandene Theil der Lex Ribuaria ſetzt (Tit. 65 8 1), in Übereinftimmung mit dem Edit don 614,

234 R. Schröder,

auf cine ihm ausgeſprochene Bitte erlaſſen habe)). Höchſtwahr— icheinfich war dieſe Bitte von dem ribuarischen Volle ausgegangen aber wir erfahren nicht, durch welches Organ das Volk feiner Wunſch geäußert hatte. Nicht anders fteht eg mit den Capitul= legis Salicae von 820°), deren Beitimmungen ſich ſämmtlich al Weisthum zu erkennen geben, meijten® mit der Bemerfung,

iudicaverunt omnes, oder: iudicatum est ab omnibus. Au einem Reichstage kann die Verhandlung nicht ftattgefunden habenn denn bei c. 7 wird ausdrüdlic eine Verhandlung mit dem Haile vorbehalten: ad interrogationem domni imperatoris reservarre voluerunt. Offenbar hat man c3 mit den Beichlüffen eimeı größeren Verfammlung zu thun, vielleicht eines miſſatiſchen Landtags; auch an übereinftimmende Bejchlüffe der einzelnen Zandgerichte oder bejonderer, auf denuntiatio regis berufenen Graffchaftsverfammlungen ließe ich denfen, nur die Annahme einer faliihen Stammesverfammlung erjcheint undenkbar. Das

Weisthum hatte dann auf einem uns unbefannten Reichstage

des Jahres 820 die reichdgejegliche Genehmigung erhalten und

wurde auf dem Diedenhofer Neichdtage vom Oktober 821 für

einen integrirenden Bejtandtheil der Lex Salica erflärt?).

Dieje Erhebung eines Volksweisſsthums zu einem Stapitulare und des Sapitulare® zur Lex muß doch, wie überhaupt die Unterjcheidung der capitula legibus addenda von den capitula per se scribenda, eine innere Bedeutung gehabt haben, die ebenſowohl in der Verjchiedenartigkeit ihrer Rechtswirkung, wie in der verjchiedenen Art ihres Zuſtandekommens gefucht werden muß. Nur bei der volfsrechtlichen Geſetzgebung auf den Reid: tagen wird neben den Großen des Reiches wiederholt auch der Anwejenheit des Volkes ausdrüdlich gedadt. So in den Ein gangsworten de8 Lex Baiuwariorum: Hoc decretum apud regem et principibus eius et apud cuncto populo christiano qui infra regnum Mervungorum consistunt, in dem berühmten

1) Boretius 1, 118, Note 9: Sicut petierunt, ita domnus imperator vonsensit. . 2) Boretiug 1, 292. Vgl. oben S. 228 Anm. 2. 2) Bol. S 228 Anm. 2.

Neuere Forſchungen zur fräntiihen Rechtsgeſchichte. 285

Berichte der Lorſcher Annalen über den Aachener Reichstag von 802 2) und in der Vorrede zu den Capitula legibus addenda von 819°), Beſonders beachtenswerth aber ift das Protofoll des Capitulare Saxonicum von 797 (Boretius 1, 71): con- venientibus in unum Aquis palatii in eius [sc. Caroli regis] obsequio venerabilibus episcopis et abbatibus seu inlustris viris comitibus —, simulque congregatis Saxonibus de diversis pagis, tam de Westfalahis et Angariis quam et de Öostfalahis, omnes unianimiter consenserunt et apti- ficaverunt, ut etc. Weiter heißt e8 bei den einzelnen Kapiteln: ‚Omnes statuerunt et aptificaverunt‘, ‚placuit omnibus Saxo- Wibus‘, ‚statuerunt‘, ‚convenit‘, ‚placuit‘, ‚placuit omnibus‘. Es ergibt fich, daß ein nur von den Großen bejuchter Reichstag für die volfsrechtlihe Gefeßgebung feine Zuftändigfeit bejaß, Tondern daß dazu die Anwejenheit des Volkes, d. h. Die den alten Märzfeldern eigenthümliche Verbindung des Reichstages mit einer Heceresverfammlung, erforderlich) war, wobei die von den einzelnen Stämmen gejtellten Aufgebote, mochten fie vollzählig jein oder nicht, al3 das verfammelte Volk des Stammes angejehen wurden’). Die Betheiligung diefer Aufgebote bei der Geſetzgebung fann nur in derjelben Form wie auf den alten Märzfeldern ge: dacht werden (vgl. ©. 230).

1) Boretius 1, 105: congregavit duces, comites et reliquo christiano populo cum legislatoribus, et fecit omnes leges in regno suo legi, et tradi unicuique homini legem suam, et emendare ubicumque necesse fuit, et emendatam legem scribere.

2) Ebenda 1, 250: cum venerabilibus episcopis et abbatibus atque comitibus vel cum reliquo populo.

2) Bol. auh Brunner 1, 126. 382. Der befannte Ausiprud des Edictum Pistense von 864, c. 6 (Boretiusg Krauſe, Capitularia 2, 313): Lex consensu populi et constitutione regis fit hat wohl nur nod die Mitwirtung des Reichdtages, ohne eine Berheiligung des Volkes, im Auge, obwohl es fih um eine Fortbildung de3 volksrechtlichen Gerichtsverfahrens handelt. Übrigens enthält der Ausſpruch, wie neuerdings Havet nachgemiejen bat (Melanges Havet 1395 S. 662. 673), eine aus Iſidor's Etymologien entlehnte Phraſe (vgl. Sidel, Bött. gel. Anz. 1896 S. 281. Dahn, a. a. O. 7,2 41 Anm. 1).

236 R. Schröder,

Daß der König nur auf diefem Wege das VBolksrecht zıx ändern vermochte, zeigt fich deutlich an der Behandlung der Bannbupe?). Die befannten acht Bannfälle mit der hergebrachtern Bannbuße von 60 Solidi wurden durd) cap. 1 des beſprochenern Kapitulares von 797 in das ſächſiſche Volfsrecht aufgenommerz _ Offenbar hatte der König, und zwar nicht bloß von den af dem Reichstage anwejenden Sachſen, jondern auch von den Frankern, die Ermächtigung verlangt, in beſonders jchiweren Fällen eine Erhöhung der Buße eintreten zu lajjen (bannum fortioremm statuere); er war aber damit nicht durchgedrungen, jondern mußte ſich zur Zeit mit der nichtsjagenden Bejtimmung begnügen, daß eine derartige Erhöhung einer ſpäteren volksrechtlichen Ge- jeggebung (una cum consensu Francorum et fidelium Saxo- num) vorbehalten bleibe (c. 9). Erreicht wurde das Biel theil- weife unter Ludwig I. durch die Capitula legibus addenda von 819 (Boretius 1, 281), welche dem Könige für bejtimmte Fälle eine Verdreifachung der Bannbuße (c. 4, 5), bei Mikachtung eines fchriftlichen königlichen Befehls aber das Necht arbiträrer Beitrafung (c. 16) gewährten.

Ähnlich wie mit der Bannbuße jtand es mit dem Fehderecht, das von den Sarolingern im Wege der NReichögefeggebung auf das entichiedenjte befämpft wurde, aber nicht auszurotten war, weil das Volksrecht es fefthieht und die Zuſtimmung des Volkes zu völligem Verbote der Fehde offenbar nicht erreicht werden fonnte?). Nur einzelne Auswüchje der Fehde, wie Heimjuchung und Brandftiftung, wurden aud) volfsrechtlich unter Strafe ge jtellt, der Kreis der von der Fehde ergriffenen Verwandten wurde eingefchränft, der Umfang der die Fehde ausjchließenden Ungefähr: werfe einigermaßen erweitert; im übrigen ſahen ſich die Könige bei allen zur Erzwingung eines Sühnevertrage® unter den geg- neriichen Parteien ergriffenen gejeggeberiihen Maßregeln ou adminijtrative Zwangsmittel beichränft?).

1) Bol. Brunner 2, 36.

2) Bol. Brunner 1, 221. 2,527 fi. Sohm, Reiche u. Ger.⸗Verf. 514 T-

3) Vgl. Boretius 1,51 c. 22. 97 c.32. 123 c. 5. 284 c. 13; 2, u > c. 7. 20 c.8. 86 c.3.

238 R. Schröder, Neuere Forihungen zur fränfifhen Rechtsgeſchichte

im übrigen berubte ihre Durchführung, obwohl die Fronung für eine Reihe von Fällen durch Königliche Verordnung vor— geichrieben war!) und namentlich in Fällen der Snfidelität An—. wendung fand?), ausjchlieglich auf der Amtsgeiwalt der Organe des Königs. Erſt durch die Aufnahme in die Capitula legibuss addenda von 816 und 819 wurde die Fronung auch für di Bollögerichte zu einem gejeglichen Zwangsmittel erhoben?)

1) Ebenda 1,97 c. 32. 98 c. 36—38.

?) Vgl. Brunner 2, 64. 460.

5, Boretius 1,268 c. 4 f. 288 c. 11f. Brunner 2, 458. Über &>ie erite praftiihe Anmendung in einer alamannifhen Urkunde vgl. Hübner, Der Immobiliarprozeß der fräntiichen Zeit S. 235.

lziſche Politik und die böhmiſche Königswahl 1619. Bon Mori; Witter.

vorliegende Abhandlung wird feine bejonders reichen ıngen aus ungedrudten Schriftjtüden bringen. Vorzugs⸗ if gedrudtem Material fußend, jol fie durch jchärfere desfelben feſtſtellen, was wir zur Zeit willen können, ) welchen Richtungen die Forſchung weitere Ergebniſſe ı bat. Ihr Gegenstand iſt der Verlauf der Verhandlungen, ur Berufung des Kurfürften von der Pfalz auf den en Thron führten. Ohne in den tiefer liegenden Zu—⸗ ang einzudringen, will ich die unmittelbar gegebenen That: 3 welchen jener Verlauf fich zujammenfeßt, genauer dar- tuchen. Beginnen werde ich demgemäß mit der Trage: ıd mie ijt in den Beziehungen zwiſchen den pfälziichen ännern und den aufftändiichen Böhmen die Abficht, die it des Hauſes Ofterreich zugunften des Kurfürften Fried— . abzuwerfen, zuerjt zum Augdrud gelangt?

von dem Beginn des böhmijchen Aufſtandes (23. Mai 1618) Tode des Kaiſers Matthias (20. März 1619) die böhmi— ände und Directoren in ihren Öffentlichen Erklärungen die Bertheidigung des Majeftätsbriefs und der Landes: [8 Zweck des Aufſtandes angaben, jo liegt es in der er Sadje und wird durch die Thatjachen bejtätigt, daß ter gehenden Abjichten zunächjt nur don dem verwegnern

240 M. Ritter,

Führern der Bewegung gefaßt und nur im geheimen geäußert wurden. Gelegenheit zu dem geheimen Austaufch derartiger Pläne mit den Prälzern bot fich im Juni des Jahres 1618, deu, als Bertrauensmann eines Teiles!) der Directoren, Balthaſar von Schlammersdorf am pfälziichen Hof ericjien, im Juli des jelben Jahres, da, al3 Gefandter der pfälziichen Regierung, Der Großhofmeiſter Graf Albredt von Solms in Prag eintraf, im November, da, als Abgeordneter des Fürſten von Anhalt, Der jelber nach Aufträgen des pfälziichen Kurfürften verfuhr, Achatius von Dohna in Prag erjchien?), und endlih im Januar des Sahres 1619, da derjelbe von Dohna fich, mit einer Inftruction Friedrich's V. verjehen, zum zweitenmal dort einfand. Sucht man nun im Hinblid auf diefe Beziehungen und an der Hand der zur Zeit maßgebenden Darftellung Gindely's nach beitunmten die Abficht des Thronwechfels verrathenden Äußerungen, fo findet man einen erften Belcg, in Gejtalt eines von böhmifcher Eeite kommenden Angebotes, im November 1618, cinen zweiten in Geftalt der pfälzifchen Entgegnung auf dieſes Angebot, im Dezember desjelben Jahres’). Daß aber in Wirklichkeit die An- regungen weiter zurückgehen, lehrt eine längft gebrudte, aber nicht genügend verwerthete Notiz.

ı) Sindely, Geſchichte ded Dreibigjährigen Krieges 1, 353.

2) Nach Dohna's Relation vom 27. November (Münchener Staat bibliothel. Collectio Cameraria t. 47. Bgl. Kurpfalz an Anhalt, 1618 Oktober 20. Anhalt’ Inſtruktion für Dohna, Oktober 28.) traf er am 2. November in Prag ein. Krebs (Chriſtian von Anhalt und die kurpfälziſche Volitit 5.65 Anm. 2) führt Briefe Dohna’s aus Prag vom 25. September (a. St.?) und folg. an. Sie müflen von einer diefer erſten @ejandtidalt vorauögehenden Reiſe herrühren.

>) 1, 445. 447. Nur als jubjeftive Meinung erjheint es, wenn Gindely den Kurfürften riedrih von Anfang an den „feurigiten Wunid“ nad) der böhmischen Krone hegen läht (S. 354). Nur in einer ſehr weit zurüdgreifenden Entwidiung könnte e8 aud) berüdjichtigt werden, daß bei der Vermählung Friedrich's V. mit Elifabetd von England (1613) von Schönberg und vielleicht nocd anderen Pfälzern damit geprahlt wurbe, daß ihrem Fürſten noch einmal eine Königskrone, fei es die von Böhmen, fei es die von Polen, zufallen dürfte (Chamberlain, 1613 Januar 19, bei Bin wood 3, 421. Gutachten des Spanischen Staatsraths, 1618 April 24., bei Gindely 1, 186 Anm. 2.).

242 M. Ritter,

verdanfen wir lediglich einer vom Verfafjer für fich jelber nadh- getragenen Notiz. Der Grund des Schweigens hier wie dort liegt in der ngftlichfeit der pfälziichen Regierung, welche nichts von diefen Dingen der Feder vertraut wifjen wollte.

Diefelbe Angftlichfeit offenbarte fidy noch in einer andern Seite der Verhandlung. Wie man nah dem weitern Verlauf derjelben annehmen muß, hatte Solms feine auf den Sturz der Öfterreichifchen Herrfchaft abzielenden Vorſchläge nicht als Auf: träge feines Kurfürjten, ſondern al3 private Meinungsäußerungen vorgebracht. Dies ermöglichte e8 der pfälzischen Regierung, die Wirkung folder Anregungen in tiefem Schweigen abzumarten; ja als nad) vier Monaten die Wirkung in Geftalt jenes Angebots der böhmischen Krone hervortrat, wartete der Kurfürft nochmald einige Wochen, bi8 er am 18. Dezember in einer für U. v. Dohna zu jeiner zweiten Gejandtichaft nach Prag ausgeftellten Inſtruc⸗ tion!) fich über jeine Stellung zu der Sache ausſprach. Offenbar fam es dem pfälziichen Kurfürjten darauf an, feine Initiative zu verwijchen und als der Ummorbene zu ericheinen.

Betrachtet man nun von diefem Geſichtspunkte aus die Inftruc- tion, welche Dohna im Dezember 1618 erhielt, jo wird man von vornherein zweierlei fich gegenwärtig halten müffen: einmal, daß der Auftrag nicht an die böhmijchen Directoren indgefammt, jondern an Ruppa und „etwa auch andere vertrautefte* aus den böhmijchen Ständen gerichtet ift, d. h. an diejenigen, welche von dem Project einer pfälzischen Königswahl wußten, unter denen Ipäter neben Ruppa die Generale Thurn und Hohenlohe hervor: gehoben werden, jodann, daß es fic) keineswegs um die jo fortige Aufwerfung eines Gegenkönigs handelte, fondern um eine Wahl, die erft nach dem Tode des Kaiferd Matthias, unter Be jeitigung der von Ferdinand durch Feſtſetzung feiner Nachfolge (1617) erworbenen Rechte, vorzunehmen war?). Indem nun der

1) Abſchrift in der Coll. Cam.; mit der Bemerkung, daß fie von Gamerariug „auf gg. Bevehl concipirt” fei. In Prag anmefend erjcheint Dohna am 16. Januar (a. St.?) 1619 u. fg. (Kreb3 im Programm des ſtädtiſchen Gymnaſiums zu Ohlau, 1875 ©. 12 Anm. 4).

2) Diejer wejentliche Umjtand tritt in Gindely's Darjtellung nicht hervor.

244 M. Ritter,

ſich abzufchieben und die Mittel zur Durchführung derjelben von andern zu erwarten. Sie erfcheint radikal in ihren Zielen und Ihlaff im Handeln.

Gewiß liegt num diefe Schlaffheit zum Theil an den perfönlichen Eigenichaften des Kurfürften und feiner Staatdinänner, aber zum größeren Theil war fie durch ihre Mittellofigfeit und ihre Ab: hängigfeit von fremder Hülfe bedingt. Unter denjenigen Mächten, die fich durch die Überlieferungen ihrer Politif in erfter Linie zur Unterftügung einer Erhebung gegen das Haus Difterreid) aufgefordert jahen, hielten fich außerhalb des Reiches Frankreich, England, die Generalftaaten, jolange Matthias lebte, vorjichtig zurüd, innerhalb des Reiches faßte die Union bei ihrer im Oe— tober 1618 zu Rotenburg gehaltenen Tagjagung allerdings den Beihluß, daß die Verlegungen de Majeitätsbrief® in Böhmen eine gemeine, die evangeliiche Religion und Libertät angehende Sache jei; aber fie bewährte diefe Gemeinjamfeit zunächit nur durch den lahmen Beſchluß, Durchzüge und Werbungen, die gegen die böhmischen Stände bejtimmt feien, in ihren Gebieten zu ver: bindern!). Durch diefe Zurüdhaltung ihrer Geſinnungsgenoſſen war den Pfälzern ein unmittelbares fräftiges Eingreifen in die böhmischen Wirren verboten, und auch für die Zukunft würde ih eine beſtimmte Ausficht, den in Böhmen begonnenen Umiturz, zu vollenden und zu erweitern, ihnen nicht eröffnet haben, wenn nicht ohne ihr Zuthun eine Handbietung von einer Macht zweiter Ranges gefommen wäre, nämlich vom Herzog Karl Emanuel von Savoyen.

Da ich feine gefchichtlihe Darftelung geben, fondern nur einen Kreis von Thatſachen genauer fejtjtellen will, jo gehe ic

1) Notenburger Abſchied und Nebenabihied, 1618 Oftober 183. (Berliner Staatsardhiv. Unionsakten Bd. 35). Außerdem beichlofien die Yürften, mit Ausnahme der nit dazu bevollmädtigten Geſandten von Kulmbad, Heilen und Öttingen, dem Kurfürften von der Pfalz zehn Monate zu einem Dar lehen jür die Böhmen zu erlegen. Aber in der oben erwähnten Inſtruktion des Kurfürjten von der Pfalz für U. v. Dohna vom 18. Dezember wird bemerkt, daß da3 von den Böhmen gewünſchte Darlehen der Union nicht zu erlangen jei, da fie ihre Mittel für ihren eignen Schug zufammenbalten mühe.

246 M. Ritter,

Kurfüriten Verfügung zu ftelen. Nicht unmittelbar eröffneze der Herzog diejed Anerbieten dem Kurfürſten, es wurde vielmekyr übermittelt durch ein an Kurpfalz gerichtete Schreiben des eng. liſchen Geſandten Wake in Zurin und dur ein an Mansfeld gerichtetes Schreiben des Herzogs ſelber. Das Padet, das beide Briefe enthielt, traf am 10. Auguft oder am Tag vorher im Ansbach, wo Mangfeld ſich damals aufhielt, ein).

Daß Karl Emanuel ſich mit feinem eigenen Schreiben nur an Mansfeld wandte, lag in erfter Linie natürlich daran, daß der Graf die betreffenden Truppen zu befehligen hatte; aber es hatte auch noch einen anderen Grund: Mansfeld war damals bereit3 politischer Agent des Herzogs, und als ſolcher hatte er vor diefem Auftrag bereit8 einen andern erhalten.

Sn dem auf Geheiß der baierifchen Regierung veröffentlichten Archivium Unito-Protestantium findet fich ein Gutachten über die bei dem Verfall des Kaiſers Matthias in nahe Ausficht rüdende und unter den Einflüffen der böhmiſchen Wirren vor: zunehmende Naijerwahl. Es räth, dem Haufe Oſterreich die Kaiſerwürde zu entzichen, und empfiehlt al3 den geeignetiten, den fatholijchen wie protejtantifchen Parteien und Mächten, die der Beherrihung des Neiches durch Spanien widerjtreben, gleich ge- nehmen Kandidaten, den Herzog von Savoyen. Daß diefed Gut- achten in die Anfänge der durch die böhmischen Unruhen ver: anlaßten ſavoiſchen Unterhandlungen mit Pfalz gehört, hatte der baierijche Herausgeber richtig gejehen; jeine weitere Meinung aber, daß es von den Fürſten von Anhalt und Ansbach verfaßt jei?), wird durch eine von Erdmannsdörffer benugte Abfchrift im Turiuer Archiv widerlegt, nach welcher die Denfichrift Durch den Herzog von Savoyen dem Grafen von Mansfeld zugeftellt war,

ı) Ansbad) an Kurpfalz, 1618 Yuguft 10. (Archivium U. P., app. S. 264). Wale an Jatob I, 1618 Juli 23. (Gardiner, Letters ©. 4). Bol. Billermont, Mansfeld 1, 85/86.

2) In der Appendix ©. 297 wird nur gejagt, daß Stüd fei manu secretariorum beider Fürſten geichrieben; in der vorausgehenden Abhand⸗ lung ©. 261 wird aud) die Autorſchaft beiden Fürſten zugejchrieben.

248 M. Hitter,

eine dürftige Antwort auf dieſe Frage geben. In einer Flug: jchrift, die im Jahre 1623 im Auftrag der pfälziichen Regierung und mit der Kenntnis der geheimjten Actenjtüde der pfälzijchen Politik erfchien!), wird erzählt, daß Karl Emanuel ſchon „viele Sahre vor Aufrihtung der Union“ dem Gejandten eines prote Itantiichen Fürlten den Wunſch ausgeiprochen habe, unter den Kandidaten für die Kaiſerwahl auch jeinen Namen genannt zu ſehen. ALS dann auf die Nachrichten vom böhmischen Aufitand der Herzog gegen Ende des Monats Juni jeine Eindrüde und Wünſche dem venetianiichen Gelandten eröffnete, jtellte er unter den in Deutichland zu erwartenden Folgen dic Trage der Nady folge im Kaijertum in den Vordergrund: ‘Ferdinand könne jegt vielleiht um die Nachfolge gebracht werden; Spanien jelbit fönnte, um nur ein anderes Mitglied de Hauſes ſterreich durchzubringen, jeine Kandidatur fallen laſſen?). Offenbar haben wir hier die allgemeinen Borausjegungen, aus denen die ‘Denk: Schrift und die Aufträge für Mansfeld hervorgegangen find. Haben daneben aber auch befondere und perjönliche Einflüffe auf dem

1) „Bericht auf die Anhaltifche Kanzlei.” Man vgl. die Mittheilungen über die doppelte Relation Zollern’8 (1, 1. Londorp 3, 97) mit meinen „Briefen und Alten“ Bd. 3, Nr. 192 Anm., über die Sendung Molzer’s (1,3, Xondorp 3, 103b) mit „Briefe und Alten“ Bd. 1 Nr. 214. 298. Gamerarius, der die Schrift entweder felbjt verfaßt hat oder, da er die Autorfchaft ablehnt, fie doch nady feinen Anweijungen hat anfertigen lafien, wünſchte, daB die einzelnen pfälziichen Räthe über ihren Antheil an ben betreffenden Vorgängen Berichte, al® Material für die Schrift, verfaßten (Kofer, Kanzleienitreit S. 43). In der That waren die Ausführungen über Pleſſen's Schreiben und Wirfen (1,2. 4. 7), über Dohna's Betbeiligung an der böhmiſchen Königswahl (2, 4), Über Jocher's Korreſpondenz mit Came⸗ rariud (1, 9) nur unter Beihülfe der Betheiligten möglid. Man könnte jogar vermutben, daß die oben S. 241 von mir erwähnte und viellad- benugte Sammlung de3 A. v. Dohna, welche zwifchen die in Abſchriften aufs genommenen Wltenftüde kurze referivende Bemerkungen einjdiebt und ſo— weit die betreffenden Schriftftüde in der Anhalt'ſchen Kanzlei mitgetheilt find, die8 am Rand notirt, zu Zwecken, wie fie Camerariuß andeutet, angelegt und fo in des Camerarius Befit gelommen iſt. Die im Tert angeführte Stelle des „Berichtes“ findet fih 1,1. Londorp 8, 99.

2) Bericht Zenos, 1618 Juni 25. (Momanin, Storia di Venezia 7, 242.)

250 M. Ritter,

weiter. Gleich am 10. Auguft Hatte der Markgraf von Ansbach an Anhalt gejchrieben!): die Nachrichten Mansfeld's über die Vorgänge in Böhmen würden hoffentlic) eine noch beſſere Entichließung des Herzogs bewirken. In der That langte einige Zeit nach dem 10. und fur, vor dem 23. Augujt wieder im Einvernehmen mit Wafe eine neue Botichaft, alſo die dritte, des Herzogs ein: aus Beifteuern der Republik Venedig, die frei: lich keineswegs bewilligt waren, aber deſto freigiebiger von ihm auf 3 Millionen Ducatons?) jährlich veranschlagt wurden, follte dem Kurfürft von der Pfalz eine Armee von 16000 Mann zur Verfügung geftellt werden, mit welcher er dann nach den gemein- jamen Intereſſen Savoyens und der Unirten in die deutjchen und böhmischen Wirren eingreifen mochte.

Für die Stellung, die nun die pfälziiche Politik dieſen drei Botichaften gegenüber einnahm, war ein Gutachten entjcheidend, welches aın 23. Auguft der Fürit Chriftian von Anhalt und der Markgraf Joachim Ernjt von Ansbach dem SKurfürften Fried: rih V. abftatteten?). Worangeitellt jehen wir in diefem Bedenken die zwei den ganzen weiteren Lauf der pfälziichen Politik bes zeichnenden Gedanken, daß „resolutio status Germaniae auf Armirung und Krieg“ beruhe, daß hierbei aber mit der Union allein „der großen Kaltjinnigfeit halber übel fortzufommen“ jei. Es war der verhängnisvolle Gedanke, eine friegeriiche Politik hinter dem Rüden der Union zu betreiben, in der Hoffnung, fie hinterher nachzuziehen, mit dem fpäteren Erfolg aber, daß Pfalz von der Union im Stiche gelafjen wurde. Indem fich die Fürften dann zu den militärischen Anerbietungen des Herzogs wandten, meinten fie darauf fußen zu dürfen, daß diejelben einfach, ohne Vorbehalt bejtimmter Gegenverpflichtungen, gemadht waren. Wie

!) Archivium ©. 263.

2) Ein für allemal bemerke ich, daß in diejen Anſätzen nicht, wie es gewöhnlich verjtanden wird, die Goldmünze des Dulaten, jondern die Silber- münze des Dukaton (Eilberfrone) gemeint ijt.

®) Archivium ©. 265. Dazu die weiteren Crinnerungen S. 281; ferner die Entwürfe der Haupt: und Nebeninjtruftion für Mansfeld und Dohna an Savoyen ©. 273. 277.

252 M. Ritter,

wurden, brachte ınan der Bewerbung Savoyens um die Kaiſer— frone nur mäßiges Wohlmollen entgegen. Gleich bei der erften Anregung der Sache durch Mansfeld hatte Friedrich V. ftrenge Surüdhaltung gewahrt!); jegt wurde der and) im weitern Ber lauf der favoischen Verhandlungen feitgehaltene Grundjag auf- geitellt, daß der in der Goldenen Bulle vorgejchriebene Wahleid dem Kurfürjten eine vorherige Zufage jeiner Wahlſtimme verbiete; : andererjeit® jedoch, um den Herzog nicht „allerdings deſperat zu machen“, jollte ihm jeine Wahl als die ‘Folge der Aufftellung und fräftigen Bethätigung des größeren Heeres in Ausficht ge jtelit werden: Friedrich V. werde alddann die pfälzische und böhmische Kurjtimme für ihn abgeben und dazu wohl noch die von Brandenburg und Trier?) gewinnen fünnen. Der wahre Grund diefer Zurüdbaltung lag, wie in dem Gutachten ber Fürſten angedeutet und durch die weitere Führung der pfälzischen Politik beftätigt wird, darin, daß die Pfälzer feit einem Sahr einen andern Standidaten auf den failerlichen Thron zu führen gedachten, nämlich) den Herzog Marimiltian von Baiern, daß fie an diejen Beitrebungen trog aller baicriichen Abweifungen hdarr nädig jeithielten®) und Ddiejelben nicht Durch voreilige Verpflich - tungen gegen Savoyen durcjfreuzen wollten.

Das alſo von Ansbach und Anhalt ausgeftellte Gutachten er ı and in allem Wejentlichen die Zuftimmung der pfälziichen Re—— gierung. Ihm entjprechend führte Mansfeld, den die böhmiſcher ——

| We

!) fort retenu: Archivium S. 274.

2) In den weiteren Verhandlungen weit man auf den Einfluß hin —, den Frankreich beim Erzbisthun Trier befige. Dies fcheint mit franzöfiiher Penjionen zufammengehangen zu haben. Vgl. Billermont, Mansfeld 1, 173 =.

3) Zum Theil dürfte ſich diefe Hartnädigteit daraus erffären, daß dem T Herzog Marimilian in feinen Gegenjag gegen die angeblichen Beitrebungemmmmt des Hauſes Diterreich, das Kaiſerthum erblic zu maden, feine Macht z— verjiärfen und die Fürſten auf den Rang von den Randftänden berabzubrüde—m (WoljsBreyer 4, 192 Anm. 4), mit Kurpfalz doc) aud einen Berührung B-- puntt fand. (Vgl. u. a. kurpfälziſche Inftruttion für Schönberg, 1619 April &. Archivium S. 360. Baiern an Kurpfalz, 1619 Mai 10. Gründlide Irz= zeig ©. 105.)

254 M. Ritter,

führlicher behandle, al® fie es verdienen, jo gejchieht es daru weil die Einzelheiten und ihr Zujammenhang vielfach nur genauer Betradhtung richtig zu erfaſſen find.

Durch drei Gejandtichaften find die pfälzifch-javoiichen X handlungen geführt: zuerit fam Chriftoph von Dohna n Turin, im October 1618"), dann weilte Mansfeld dajelbit, v Sanuar bi8 März 16192), endlich erjchien Chriſtian von Anh im Mai 1619°). Wie der Herzog Karl Emanuel feine Anerl tungen nicht unmittelbar an Kurpfalz gerichtet Hatte, jo gin« auch die beiden erſten Gefandten zwar mit Aufträgen, die Fri rich V. genehmigt hatte, aber äußerlich als Bevollmächtigte Fürften von Anhalt und Ansbach ab, welche der Herzog fi älterer Beziehungen von vornherein durch Manzfeld in's VBertran hatte ziehen laſſen; erjt Anhalt erfchien als der Abgejandte | pfälziichen Kurfürjten. Ein jeden Abjchnitt diefer Verhandlung bezeichnender Zug war das fortwährende Wbipringen von de was man furz vorher vereinbart zu haben jchien. Der Her; jcheint von dem Gefühl verfolgt zu werden, daß er fich zu n vorgewagt habe; die Pfälzer dagegen werden ſichtlich von d Gedanken geleitet, daß fie den einzigen wageluftigen Verbündet der fich ihnen genähert hat, nicht fo leicht wieder fahren laſ dürfen.

Charafteriftiich für die Art Karl Emanuel war gleich je Haltung gegen Chriſtoph von Dohna“). Als diefer ihm t

y Nach dem 3. Oktober (vgl. fein Schreiben im Archivium ©. 2 reift er von Heidelberg ab; am 12. November, dem Tag feiner Rüdfehr n Heidelberg (Camerarius an Anhalt, November 13. Epist. selectae (16 lit. c), jtattet er feine Schlußrelation ab (Gindely 1, 443 Anm.).

2) Er traf in Zurin am 28. Januar ein (Neu an Ansbach, Februa' Archivium ©. 308). Über feine Abreife: Neu an Ansbach, März 28. (©. %

s, Erfte Konferenz Anhalt's mit Karl Emanuel in Chivaſſo, Mai (Archivium ©. 380), Vertrag zu Rivoli, Mai 28.

%) Leider iſt Dohna's Relation vom 12. November nur durd | genügende Angaben der Anhalt'ſchen Kanzlei (S. 23 nad der Uusgabe ı 1625), Gindely’3 (S. 443, dazu das Schreiben von Solms, November ©. 445) und Billermont’3 (Manzfeld 1, 97 f.) befannt.

256 M. Ritter,

die wirklichen Ziele, die verfolgt wurden, zu enthüllen wagte. Unter Betheurung des gejeglichen Sinnes der böhmijchen Stände, die nur Unrecht abwehren wollten, und der Perfidie des faiferlichen Hofs, der die Stände erft hinhalten, dann unterdrüden wollte, Ihloß man mit der Bitte um ein den Böhmen zu gemwährendes Darlehen, damit fie den Winter über ihre Truppen unterhalten fönnten, und mit der weiteren Bitte, der Union die Bundeshülfe jofort zu gewähren, wenn fie, auch ohne jchon angegriffen zu jein, zu ihrem Schuß Truppen in’s Feld ſtelle. Daneben follte dann der Gejandte fraft geheimen und mündlichen Auftrags?) das verfängliche Geſuch ftelen um des Königs Rath, was in dem Fall, daß die Böhmen nach des Kaiſers Ted den pfälziichen Kurfürften zu ihrem Könige wählten, von diefem zu thun jei. Als Dohna diefe Inftruction empfing, wußte man, dab. Wale ſchon kurz vorher nach England gereilt ſei. Im Hinblick auf feine Aufträge joll nun Dohna beim König dahin wirken. daß „bei diefem böhmischen Wejen und was deinjelben anhängt.— gleiche Konfilia zwiichen ihr (jeiner fgl. Würde), und Unirtere und den Herrn Generaljtaaten gehalten . . werden möchten" Worin Wake's Aufträge im einzelnen beitanden, wird nicht gefagt Aus feinen eigenen Außerungen ift aber zu entnehmen, daß emr einmal, wie oben erwähnt, für die Sendung des Mansfeld'ihem Hülfscorps die Dedung des föniglichen Namens gewinnen jollte , womit ſich nad) dem damaligen Stand der Dinge wohl aucHK) das Gejuh um Geldzufchüffe verband, ferner daß er für dr « fünftige Wahl des Savoyers zum römischen Kaifer eine Empfehlum 9 des Königs an den Kurfürften von der Pfalz?) auszuwirken hatt =.

1) Nur aus dem Tagebuch zu erjehen.

2) Demgemäß die proposition in behalfe of the duke of Sav>y von Wale bei feiner Rüdreife dem Kurfürften von der Pfalz vorgetrag ern (Doncafter an Naunton, 1619 Juni 29. Gardiner, Letters ©. 129) Nee ber trug Wale dem König auch ded Herzogs Nipirationen zur böhmildgen Krone vor {vgl. Wale an Budingham, 1619 Zuni 15. A. a. O. 6.107) Aber das kann erft nad) den Ergebnifien der gleich zu behandelnden GefandT- ſchaft Mansfeld's geichehen jein. Vgl. aud über diefe Punkte den Aues⸗ zug aus einem Bericht des ſavoiſchen Gejandten in London im Archiviam ©. 397).

258 M. Ritter,

machten fie den neuen Borjchlag: für die Jahresfoften des größeren Heeres folle der Herzog aus den Schäßen der Republik Venedig nur die Hälfte, aljo 14. Millionen Dufatons liefern, während Kurpfalz fi anheifchig machte, die andere Hälfte in Deutfchland aufzutreiben, ein Angebot, bei dem freilich das Wie eine dunfle Frage der Zukunft blieb!).

In der That ließ Sich der Herzog auf den jo gemachten Verſuch des Feilſchens ein, nur daß er auf die Herabjegung der an ihn geitellten Anjprüche mit einer Erhöhung der von ihm ge stellten Forderungen antwortete. Indem er jich einerjeit3 bereit erklärte, von dem der Republik Vencdig zugedachten Geldzuſchuß die Hälfte, aljo ein Viertel de Gejammtbetrages, aus eigenen-__ Mitteln zu erlegen, verlangte er andererfeit3 für jeinen Antheiiik_ itatt einer vielmehr zwei Kronen, nämlich zur Saiferfrone not die böhmijche Königsfrone; dafür jollte der Kurfürft von de— Pfalz wieder entjchädigt werden, indem für ihn bei dem herbei zuführenden allgemeinen Zuſammenbruch der öfterreichiichen Modzmmmt der Eljaß, ein Theil des Erzherzogthums Djterreich, ja das Nöniummg- reid) Ungarn, gewonnen würden. Nach den Berichten des Sehe: tär Neu entiprang bei der Ausbildung dieſes ungeheuerliche- n Planes der Gedanke, die böhmijche Krone zu gewinnen, aus desmmen Kopf des Herzog3?), mährend das pfälziiche Entihädigung =:

1) Entwurf der Inftruftion für Mansfeld, von Anhalt und Ansbah, “Un Schwabach jeftgejtelt am 22. Dezember 1618 (Archivium ©. 270; vgl. meine Bemerkung oben ©. 247 Anm. 3). Tazu eine Nebeninftruftion S.2 "9 und das Schreiben Ansbad)’3 und Anhalt’ S. 295. Die mit Mansfel > Inſtruktion beginnende Methode des Herabdingend, die fortan die Verhazt- (ungen tennzeichnet, ift bisher nicht beachtet. Vgl. Erdmannsdörffer S. 109 j. Bindely (1, 446) läßt gar dem Mangfeld „jo ziemlich diejelben Aufträge‘ erteilt werden wie Dohna. Die in diefen Verhandlungen erwähnten Rad forſchungen nad) einem italienifhen Vikariat Savoyen's find wohl ebenjo nebenfädjlicher Natur wie die gelegentliche Nüdficht auf Savoyen's Bewerbung um den Königstitel. Die Deutung, welde Erdmannsdörffer (S. 111) ben Worten d’en (nämlid von dem im pfälzifchen Arhiv etwa zu Findenden) ajouter quelque chose gibt: man jolle die Papiere in geeigneter Weile zurecht machen, ijt m. E. nicht Baltbar.

2) Aniprechend, aber 3. 3. nicht näher zu belegen ift die Bermuthung Erdmannsdörffer's (S. 112 f.), daß dem Herzog der Plan vielmehr vn

Die pfälzifche Politit und die böhmifche Königswahl von 1619. 2569

Project unter Mitwirfung von Neu zuftande fam. Gewiß ift, da Mansfeld den neuen Vorjchlägen gegenüber vor allem den einen Gedanken verfolgte, den unfteten Herzog raſch beim Wort 3 nehmen und zu halten!). So beeilte er ſich denn, die An- ecbietungen deöfelben fchriftlich aufzufegen?) und ihn zur Unter 3etchnung aufzufordern. Da die Schrift dem Herzog nicht ge- nehm war, jo fertigte er jelber eine andere Aufzeichnung, deren D>m ihm unterjchriebenes Original aber erft gegen eine ent- IX wechende Verpflichtung des Kurfürften von der Pfalz ausge: to uſcht werden jollte?).. Daneben übergab er dem Mansfeld eine Weitere von ihm unterzeichnete Eutfchließung bezüglich des unter De3 Grafen Befehl unterhaltenen Truppencorpst).

Was ift nun nad) Ausweis der beiden legten, vom Herzog Qnıerfannten Schriften®) das Ergebnis der Verhandlung? Starl Emanuel verlangt, daß feine Wahl zum böhmischen Könige voll- Augen werde‘), und daß ihm für die Kaijerwahl die Stimmen Der Kurfürften von Pfalz und Brandenburg und noch eine? Dritten Wähler?) zugefichert werden. Sind diefe Bedingungen

Manzfeld beigebracht jei, der ja zugleich Agent der Pfälzer und Savoyens war und die Ausfihten des böhmischen NAufitandes gewiß im günfjtigiten Nichte zeigte.

1) Über das Folgende der Bericht Nen’3 vom 17. $ebruar (Archivium S. 318).

2) Es iſt das in Neu's Bericht mit lit. A. bezeichnete Stüd, Archivium ©. 310: sur la proposition.

2) Es ift die nad Neu mit lit. B. bezeichnete Schrift ©. 310: il est vray (Savoyen's Autorfhaft u. a. an den Beicheidenheitsphrafen im Eingang zu erfennen).

% Nah Neu mit lit. ©. bezeichnet. Es ift das Stüd ©. 312: pre- mierement le duc promet.

s, Da man die verichiedenen Scriftjtüde nicht unterichieden bat, fo tonnten aud die Angaben über die Ergebnifje der Verhandlung nicht genau ausfallen. Eine Polemit über Einzelheiten, die leicht kleinlich ausfallen fönnte, darf ih mir erlafien.

6) Moyennant ceste election effective iS. 311), Dazu Neu, Februar 17: dab Pfalz ihm die Krone „effective“ verjchaffe (S. 324).

7) Der dritte wurde nachträglich eingefeßt (Neu, März 28. ©. 333). Er fehlt in dem einer Abſchrift entftammenden Abdrud der Schrift im

Arnhtırinm

260 M. Ritter,

erfüllt, jo wird er für die in Deutichland aufzuftellende Armee das beiagte Viertel der Koſten zahlen und dag andere Viertel in DBenedig zu erwirfen fuchen. Er wird außerdem durch feinen „Kredit, feine Waffen und Mittel*!) dem Kurfürften von der Pfalz Ungarn, Elſaß und einen Theil von Ofterreich zu ver- ſchaffen juchen. Neben diefen Leitungen wird dann nod be jonders die Unterhaltung des Manzfeld’ichen Corps geregelt?). Zwei verjchiedene Fälle werden dabei vorausgejegt: entweder wird der Herzog zum König von Böhmen gewählt, oder er er hält eine klare Entfchließung über die Verwerfung feiner An- ſprüche, welche, wie er bemerkt, füglich in zwei Monaten nad Mangfeld’3 Abreife aus Zurin erfolgen kann. Im Fall der Zurückweiſung feiner Bewerbung wird er noch bis zu dem Beit- punkt der verlangten Entichliegung die Koften der 2000 Mann erlegen ; wird er Dagegen gewählt, jo erhöht er durch Nachzahlungen die vom Tag der Überweilung der Truppen?) bi8 zur Abreije Mansfeld's von Turin fälligen Zahlungen auf den Betrag des Soldes für 3000 Mann zu Fuß und 400 Reiter, ferner für die darauffolgende Zeit auf den Sa von 4000 Manı zu Fuß une 600 Reitern. Scheinbar fügte hiermit der Herzog zu feiner erfte —amm Leiltung eine zweite recht bedeutende Hinzu. Aber e8 war nu ı Schein. Denn hinfichtlich der erhöhten Ziffer von 4600 Mann hatte er an einer Stelle jeiner Erklärungen‘) die Worte einmmmmr- fließen lafien: „unterhalten von demjelben Gelde“, d. H. von der —n

) Daß e8 ein Hülfscorps von 6— 7000 Mann fein follte, wurde nusiır in den Konferenzen erwähnt (Neu an Ansbach, 1619 Februar 11, m. ©. 310. 315).

3) ber diefen Puntt finden fih in der Schrift lit. B. fummariie—te Angaben, dann die genaueren Beltimmungen in lit. C.

2) Als Anfangdtermin wird der 24. uni (1618) angegeben. Da Xer Übergang Manzfeld’3 aus dem Dienfte Savoyen’3 nad) ©. 245 Anm. 1 m 24. Zuli (a. St.) erfolgte, ſo liegt bier ein Verſchreiben oder eine Juri w.d- datirung dor.

*% In der Schrift B., am Ende. Daß die Worte den von mir cz gegebenen Sinn haben, wird durch des Herzogs Verhalten beim Vertwag von Rivoli beftätigt. Nicht richtig faht Erdmannsdörffer die Sache, S. 124 3.12 v. u.

262 M. Ritter,

drängte fich denn abermals der Gedanke auf, daß man die Ge legenheit, die fich bot, nicht au8 der Hand lafjen dürfe.

In Crailsheim, wo fich in den legten Tagen des März ber Kurfürſt Friedrich, der Markgraf von Ansbach und der Fäürſt von Anhalt zufammenfanden, wurde aljo beichlofien, die Ber: handlung nad) zwei Richtungen!) fortzuführen. Zunächſt nad Böhmen hin. Karl Emanuel hatte al® Bedingung jeiner Leis ſtungen aufgeftellt, daß er erit zum König von Böhmen gewählt jein müffe. Damit ging es nun freilich nicht jo gejchwind. Aber ald Ergebnis jener vorfichtigen Verhandlungen, die Kurfürft Friedrich über jeine eigene Wahl zum böhmifchen König hatte führen laffen, war ein vertrautes Werhältni® der pfälzifchen Agenten zu Ruppa und den Generalen Thurn und Hohenlohe - entitanden. Diefen PVertrauten nun beichloß man, den Verlauf | und Stand der javoifchen Verhandlungen, nicht ohne Übertrei bung der vom Herzog gemachten Zulagen?), zu eröffnen un daran den Rath zu fnüpfen, daß die Generale und „Vornehmſte aus dem Directorium“ dem Herzog feine Wahl zum Könige c zwar nicht ald Vorausſetzung, aber doch als die erhoffte Kol « der Erfüllung feiner Anerbietungen in Ausſicht ftellen möchten —.

In der That ertbeilte der Fürſt von Anhalt am 7. April dem Achaz von Dohna eine diefen Beichlüffen enumi: jprechende Inftruction?). Es war ein Schritt, der im Zujammermmmm: bang der pfälziichen Bewerbung fich als ein leuchtendes Beilpi! der Uneigennübigfeit des pjälziichen Surfürften verwerthen Tief. ; aber anderſeits zeigte fich in der Art, wie Anhalt die ſavoiſckye Kandidatur empfahl, doch Schon eine Kühle, die fich in ber Folge noch fteigern ſollte. Von vornherein, meinte er, fönnten Due Böhmen die Bedingungen, welche fie ihrem Erwählten vorjchreibe

den Anfangdtermin: NRejolution der Staaten an Friedrich's V. Gefandten, 1620 Februar 4/14. Khevenhüller 9, 1202).

1) Vgl. die beiden Denkichriften vom 29. und 30. März im Archiviummn ©. 335. 340.

2) Es wurden 3. B. die Zahlungen für dag Mansfeld’iche Corps m zu? für die größere Armee als getrennte Bewilligungen dargeftellt.

>) Eie findet fi in Coll. Cam. 47.

264 M. Ritter,

von Baiern zur Aufitellung jeiner Kandidatur zu beitimmen, er neuerte!). Was dann Savoyens Wahl zum böhmiſchen König anging, jo follte die Verwendung des Kurfüriten von der Pialz bei den Böhmen zugejagt, und ein guter Erfolg in jichere Aus ſicht geftellt werden, aber wohlgemerft nur für den all, dab vorher des Herzogs Anerbietungen „ihren wirklichen Effect” erreicht hätten, womit die von Karl Emanuel aufgeitellte Reihenfolge: erſt Wahl, dann Erfüllung der Angebote, geradeweg® umgekehrt wurde. Endlich die Anerbietungen, die der Herzog gemadit, wurden umgewandelt in drei größere Forderungen: 1. für das in Deutichland aufzujtellende Heer verlangte man jtatt 750000 drei oder doch zwei Millionen Ducatong für drei, mindejten® zwei Jahre, wobei noch immer die Gewinnung Venedigs zur Über: nahme jeines Antheil3 vorausgejegt ward. 2. Nicht eingejchlojjen in diefe Beifteuer, fondern neben derjelben, forderte man die Unterhaltung der 4600 Mann unter Mansjeld. 3. Ebenfalls zu diefen Verpflichtungen hinzutretend, jollte zum Zweck des dem Kurjüriten von der Pfalz zugedachten Ländergewinnd eine bes jondere Vereinbarung über einen gegen den Eljaß zu unter- nehmenden Angriff getroffen werden.

Mit diefen Aufträgen reijte, einem von Karl Emanuel aus— geiprochenem Wunfche gemäß, fein geringerer, als der Fürſt von Anhalt nad Italien ab. Entſprach, jo müſſen wir bier aber wieder fragen, dem gejteigerten Anſehen, welches jo die Verhand⸗ [ung gewann, auch eine erhöhte Zuverficht der fürftlichen Unter händler?

Einen Schluß auf die Stimmung, in der ſich Karl Emanue L befinden mußte, eröffnet ein Bli auf andere Verhandlungen, ire denen er fich damals bewegte. Wie oben bemerkt, hatte er beim Entwurf jeiner Projekte vor Allem auf die Mitwirfung Eng = lands und Venedigs gerechnet. Daß aber von Jakob einjtweilem® fein Zujhuß zu erlangen fei, mußte er inzwijchen ebenjogut wer < der Kurfürjt Friedrich erfahren haben. Um dafür wenigjtens dr « Burüdhaltung Venedigd zu überwinden, war bei der Geſand WE

1) Wolf-Breyer 4, 203 Unm. 20.

266 M. Ritter,

erjtrebten Bündnifjes lautete: Verteidigung der Freiheit Italiens

gegen die Übergriffe des Haujes ſterreich; aber wie die Zeit es

mit fich brachte, richtete man die Beſtimmung desjelben Doch zu-

gleich auf Deutjchland: Verdrängung des Hauſes Dfterreich vom

der Kaiſerwürde, Buziehung der protejtantiichen Fürſten, wie auch der Öeneralftaaten zu dem Bündnis wurden von vornhereir; in Ausficht genommen!)., Es follte eben Ludwig XII. an ex Spite des neuen Bundes die gleichmäßig auf Italien und af Deutichland gerichtete Politik feines Vaters, die im Jahr 1610 durchkreuzt war, wieder aufnehmen.

Aber zu einer jo aggrefliven Bolitif fehlte den Männeraz, welche damald die franzöjiihe Regierung leiteten, jowohl Die Kraft wie die Neigung. Was bejonders die deutjchen Dinge an- geht, To faßte der Staatsjefretär Puijicur bereit? am 22. Des zember 1618 dem franzdfiichen Gejandten am faijerlichen Hof?) die Aufgabe Frankreichs dahin zujammen, daß es den Fortſchritten der Macht fowohl der Protejtanten wie des Hauſes Oſterreich- Spanien mit Behutfamfeit entgegenzutreten habe. Als Mittel für dieſen Zweck entdedte man fein andere® al® dasjenige des Königs Jakob, nämlich) die Vermittlung zwiichen dem Kailer und feinen Rebellen, für mweldye denn auch Ludwig dem Sailer feine Dienfte bereit3 hatte anbieten laffen. In diefem felben Sinne fonnte denn auch Buifieug bereit? am 3. April melden‘), daB der Antrag bezüglich der italienijchen Liga abgelehnt jet.

So wußte der Herzog in den Tagen, da Fürft Chriſtian mit ihm verhandelte, daß für die ungeheuren Projekte, die man erivog,. weder von England, noch von Venedig, noch von Franb

1) gl. den angeführten Bericht Gondi's vom 23. April.

2) Baugy an Puiſieux, 1619 Januar 16. (Paris, Bibl. nationale, Me. fr. 15929). In der Rekapitulation von Puiſieur's Schreiben heißt &: que nous avong a nous garder de ceux de la nouvelle religion, en quelque lieu qu'ils soient, aussi bien que des Espagnols, soubs le nom desquels passe toute la maison d’Autriche, et que, l’accroisse- ment des uns nous devant estre aussy suspect que celuy des aultres, il faut apporter du temperament et de la prudence pour l’empescher esgaleıment en ces presentes occurrences.

>) In dem oben angeführten Schreiben an Brulart.

268 M. Nitter,

lehrt ein unmittelbar vor feiner Rückkehr abgeftatteted Gutachten, auf dag ich noch zurüdfomme.

Wenn nun trogdem nach Anhalts Eintreffen die Verband» lung zwiſchen ihm und dem Herzog mit unverfennbarem Eifer angegriffen wurde, jo wird der Grund nit darin liegen, dag man mittelft derjelben die großen Pläne, die aufgeftellt waren, alsbald zu verwirklichen hHoffte, jondern darin, daß man feit- jtellen wollte, wie weit man beiderjeit8 im Hinblid auf jene Pläne übereinzufommen vermochte!). So legte Anhalt den Ent- wurf einer Übereinkunft fchon am 5. Mai, drei Tage nad) Be- ginn der Beiprehungen, vor; aus Einwendungen des Herzogs ging ein zweiter Entwurf hervor, in den Karl Emanuel am 8. Mai nochmals Verbejlerungen einfügte, worauf er am 9. Mai unterzeichnet werden follte. Ein Fieber, das den Fürſten befiel, hatte dann aber eine längere Verfchiebung des Abſchluſſes zur Folge; erit am 28. Mai wurde der Vertrag zu Rivoli unter zeichnet: einerjeitd vom Herzog von Savoyen, andrerjeit® von Fürſt Chriftian, der zugleih als Beauftragter des pfälziſchen Kurfürften und des Ansbacher Markgrafen handelte und die Ge nehmigung diejer Auftraggeber, zumal da der Vertrag von ben in Crailsheim gefaßten Beſchlüſſen recht weit abwich, nachdrücklich vorbehielt.

Tritt man an den Vertrag von Rivoli?) mit der Frage heran, was einerjeit® der Herzog von Savoyen ich ausbedang, und was er andrerjeitö zu leilten hatte, jo lautet Hinfichtlich des

1) Ähnlich Erdmannsdörffer ©. 132 3. 7 v. u., nur daß er die refignirte Auffafjung erjt während der Verhandlungen Anhalt’8 mit dem Herzog ent jtehen läßt, während bei den Craildheimer Konferenzen „die Augen der Fürjten ... mit der vollften Hofinung nad) Savoyen hin gewandt waren” (S. 125).

2) Gedrudt bei Erdmannsdörfter S. 152. Nicotti (Storia dellc⸗ monarchia Piemontese 4, 142) gibt mit Berufung auf eine ardivelii Vorlage einen Auszug mit Zufäßen, die unmöglic in dem Vertrag gellande haben können. Wichtig für die Geſchichte des Vertrags könnte das „Core cept“ jein, das in der Anhalt’schen Kanzlei S. 64 analyfirt wird und L— (ſtatt 12) Artitel enthalten fol. Nach ©. 56 wäre e8 der Entwurf Anhalt -- - vom 5. Mai.

270 M. Ritter,

Ichlagen, folgt er denfelben mit einer Armee von 6000 Manz 3. F. und 1500 Reitern, um einen Angriff gegen den Elſaß zum unternehmen.

Auch Hier fällt zunächſt wieder die Herabminderung dew pfälziichen Forderungen auf: aus 2 Millionen waren 120000 geworden, und der Angriff gegen den Elſaß war an eine gam; neue Bedingung gefnüpft!., Andrerſeits waren freilid dix« Angebote des Herzogs, welche früher Mansfeld mitgebradip: hatte, bedeutend erhöht, und vor Allem, die Einrehnumg der Koſten des Mansfeld’schen Corps in die vom Herzog zu: geſagte Hauptjumme war weggefallen; der Herzog jchien jegt bereit, die in Böhmen und die im Reich zu treffenden Kriegs— anftalten al8 zwei gleichberechtigte Unternehmungen zu behandeln und jede bejonderd zu unterftügen. Indes gerade dieſes war bloßer Schein. Kaum war der Hauptvertrag fertig, jo fügte der Herzog einen eigenhändigen Nachtrag Hinzu?), des Inhalts, daß die Unterhaltung der Mansfeld’Ichen Truppen aus den 1200000 Dukatons zu bejtreiten jei?), d. h. es jollten nad) einer vom Herzog ſelbſt gemachten Berechnung‘) etwa 500000 Duh: ton? für Mansfeld abgezogen werden, und folglich für bie im Reich anzuftellenden Kriegsrüſtungen ein Beitrag übrig bleiben, der im beiten Fall nicht ganz ein Viertel der für diejelben ur jprünglich veranfchlagten Koſten erreicht hätte. Mit einem Schlag wurde damit das wichtigite Ergebnis der Verhandlungen beinahe um bie Hälfte ſeines Werthe& vermindert. Und nicht3 wollte e8 dagegen bejagen, wenn man in dem Vertrag die Abficht, die

1) Bemertt in der Notiz Anhalt's ©. 411 no. 4.

»), Da der Inhalt desfelben dem Art. 1 des Hauptvertragd widerfpridt, und das Ganze vom Herzog eigenhändig geichrieben ift, jo muß man am nehmen, daß er bei Gelegenheit feiner Unterzeihnung den Zuſatz machte.

2) Auf dies neue Verhältnis weiſt die in fichtliher Berunitaltung widergegebene Notiz Anhalt’3 ©. 411: encores que les declarations ete.

% Am 4. Mai gab der Herzog die monatlichen Koften des Mangel‘: ihen Corps auf 70000 Dufatons an (©. 381). In einer Randbemerkung weift darauf Dohna auf die am 6. Mai jolgende Berechnung desjelben Herzogs (S. 382; ftatt „1000 chevaux“ wird dort „600 chevaux“ zu lefen jein), die auf 42000 Dukatons fommt.

272 M. Ritter,

Punft aM’ die Einjchränkungen, welche jeine Forderungen und Hoffnungen durch diefe Beitimmungen erfahren hatten. Dan fertigte er noch ein Gutachten, in dem er feine Erfahrungen über die Perjönlichkeit des ttalienifchen Bundesgenoffen niederlegte. ES handelte über die Frage, ob der Herzog den Böhmen zur Könige wahl zu empfehlen jei’). Auf ſechzehn Gründe, die dafüx- fprachen, ließ er vierunddreikig folgen, die Dagegen waren, unk> was dieſen letttern ihr beſonderes Gewicht gab, war der Umftans _ daß die vorzugsmeile zu gunjten des Herzogs jprechenden Aru- gaben bier in ihr Gegentheil gewandelt wurden. Der Herzog, fo hieß es im erjten Theil, hat die größten Mittel, den Böhmen zu helfen: des Herzogs Schag, jo hieß es im zweiten TheiL, ift erjchöpft, fein Land ift verberbt, er hat fein Geld, for- dern nur Schulden. Ber Herzog, Heißt es zuerit, Hat den Ruf eines gewaltigen Kriegsmannes: aber, jo lieit man im andern Theil, er iſt „jo groß Werk nicht, als man e8 macht” ; mit feinen Kriegen hat er nicht3 ausgerichtet. Er wird, jo lautet ein anderer Sag, den Böhmen ihre Rechte beitätigen: aber, jo wird er widert, er hält feine Abjchiede, geht bald mit der einen, bald mit der andern Partei, wirft ſich rajch in große Unternehmungen, um fie hinterher im Stich zu laffen. Dann wurde fein Eigen- wille, feine Ausſchweifungen, feine völlige Unkenntnis böhmiſcher Art Hervorgehoben, kurz der Schluß, den man aus dem Gut» achten ziehen mußte, war, daß die Wahl des Herzogs ders Böhmen zum Unheil gereichen werde.

Man könnte verjudht fein, noch einen Schritt weiter zu gehen und zu fagen: Anhalt 309g aus der Gefammtheit ſeiner Verhandlungen den Schluß, daB die Vereinbarungen mit Savoyer® überhaupt werthlo3 waren. Aber damit würde man doch zu weit gehen. Der Gedanke, der von Anfang an die pfälziiee Politik geleitet hatte, daß man nämlidy auf die Borjchläge > Herzog® geduldig eingehen müfje, jolange man hoffen däde irgend einen Vortheil daraus zu ziehen, blieb auch jetzt

1) Der Berfafier des Archivium (Tert 3. 294) jagt ausdrücklich, Fürſt habe es adhuc in Sabaudia commoratus verfaßt.

274 M. Ritter,

Pfalz und feine Räthe jede Werbung zu gunften Savopeı unterliegen, als ihren Hauptfandidaten für den Fall einer Wa den Herzog von Bayern nach wie vor bezeichneten und d Savoyer nur in zweiter Linie neben anderen, wie Däneme und Sachſen, vorichlagen wollten!)y. Eine weitere Bemerku Anhalts, welche zu denken gab, war jene Vorausjage, daß, wei Karl Emanuel zum böhmischen König gewählt werden jollte, f alsdann der im Vertrag zu Rivoli durchgeführte Unterſchi zwijchen demjenigen, mwa8 Savoyen für den böhmijchen Krir und dem, was er für die Sriegsanftalten im Neich zu leift babe, als nichtig herausstellen, und nur die Leiftungen zur 8 theidigung Böhmen® und daneben der Erblande ded Herzo übrig bleiben würden?). Auch für dieſe Anficht konnte ſich Anh« auf die Natur der Sache berufen. ber daß er fie gerade je und jo nachdrüdlich aufitellte, lag au einer bejonderen inzwijch eingetretenen Veränderung.

Faſt unmittelbar von feinen Verhandlungen in Italien Anhalt nach Heilbronn zu den Berathungen des dort zufammeı tretenden Unionstage3 geeilt. Hier wurde unter den Schmaı fungen des Interregnums und den aufregenden Eindrüden de fortjchreitenden böhmischen Aufſtandes der Beſchluß gefaßt, ei Heer in's Feld zu ftellen, das fich bei Ausführung des Beſchluſſe auf etwa 8000 Mann zu Fuß und 3000 Mann zu Pferd ftellte?

1) Pfälziſche Rathsſitzungen vom 15. und 16. Zuli (Archivium ©. 4 484). Chriſtoph v. Dohna, Werbung beim Kurfürjten von Sachſen, 161 Auguft 13. (Tadra in den Sitzungsberichten der Wiener Atademie 88, 602). - Laue Antwort des pfälziihen Kurfürften auf die engliihe Werbung fi Savoyen: Doncajter, 1619 uni 29. (Gardiner 1, 129).

2) In feinem eigenhändigen Zuſatz zum Vertrag von Rivoli behält fi Karl Emanuel auch ausdrücklich vor, daß feine Subfidienpflicht ruht, wer Spanien ihn in jeinen Landen angreift oder angreifen läßt.

2) Heilbronner Abjchied, 1619 Juli 6. (Berliner Staatsardhiv, Union alten Bd. 35). Für die Stärke der aufzuitellenden Armee wird hier «a Beilagen verwiefen, die mir fehlen. In einer Beilage zum Rotenburg Uniongabfhied vom 20. September 1619 (a. a. D.) werden die vornehmft Zruppentheile im Betrag von 7000 Mann zu Fuß und 2400 zu Pfer aufgezählt und auf einige andere ohne fpezielle Angabe verwiejen. D Angabe von 10—12000 M. 3. 3. und 3000 3. Pi. in dem Schreiben d

276 M. Ritter,

Aber auch die Trage, wie Anhalt die favoische Verbindung für die Förderung des böhmijchen Aufſtandes verwerthen wollte, ift nicht einfach zu beantworten. Er fand Sich ja vor dem Widerjpruch, daß der Vertrag von Rivoli die Wahl Karl Emanuel’a zum böhmijchen König erforderte, er jelber aber im Stillen zur Berwerfung diefer Wahl fortgefchritten war. Hier jehen wir nun den Fürſten zunächit ſich durch die Schwierigkeiten hindurdh.- winden, indem er feine Verpflichtungen buchitäblich, aber auch nur nach dem Buchſtaben erfüllt. Während Karl Emanuel feine Bewerbung jo ernft nahm, daß im Juli in feinem eigenen Namen ein Herr de Bauffe und der jegt wieder rein als ſavoiſcher Agent auftretende Mansfeld nad) Prag zu den Direktoren und Ständen abgingen, erjchien, als Abgeordneter des Fürſten Chriſtian, am 2. August wieder Achaz von Dohna in Prag’, Er mer an Ruppa gewielen, um im Anſchluß an die Beiprechungen vom April und in gleihem Geheimnis ihm über den Inhalt des Vertrags von Rivoli Mittheilung zu machen und dann über die durch Ddiefen Vertrag den böhmifchen Ständen und ihren Ver bündeten zugeicyobene ſchwere Entichließung, ob fie nämlich den Herzog von Savoyen zu ihrem Könige wählen wollten, Kath zu ertheilen. Der Rath des Fürſten lief auf eine knappe und fühle Angabe der Gründe für und wider hinaus: für dem Herzog ſpreche, daß er bisher am meiften für die böhmiſche Sache gethan

1) Eine erfte Inftruftion für A. v. Dohna ift zu Amberg am 14. Juli ausgeſtellt, mit der Notiz, daB fie erſt gelte nad) Eintreffen der „Approbation de Heidelberg et de Anspach“. Dann folgt da® „ferner Memoriol eigentlich uf die igige Reiſe gerichtet“. Das Datum fehlt, wird aber dadurch beitimmt, daß Dohna am 2. Auguft in Prag eintraf (Gindely 2, 211). In dieſer zweiten Inſtruktion wird zugleich ein, wie man nad dem Sinne annehmen muß (vgl. aud) Anhalt an Savoyen, 1619 Juli 15. Archivium ©. 479), von Anhalt entworfene® Memorial für Mansfeld und Bauf, ebenfall8 über Savoyens Wahl, erwähnt, gegen defien Inhalt der Kurfürf von der Pfalz, obgleich er es im ganzen fich. „nicht mißfallen laflen“, einige Bedenken erhoben hat, bejonders daß er „nit zu fehr, noch öffentlich einvermijdt werden möchte”. Damals aljo dirigirte Anhalt ala Vertrauensmann Korl Emanuel’3 auch nod die ſavoiſchen Agenten. (Die erwähnten Attenftüde in Coll. Canı. 47.)

278 M. Nitter,

auch der politifche Einfluß des Herzogs nicht zu verfchmähen. Er fuhr fort, am franzöfischen Hofe gegen Ferdinand's Nachfolge im Kaiſerthum VBorjtellungen zu machen‘), und mittel® jeiner Fürſprache bei Venedig hoffte der Heilbronner Unionstag einen Zuſchuß von Truppen und Geld zu erlangen). In der Hoff: nung auf ſolche Vortheile wurden die Verhandlungen über die Ausführung des Vertrags von Rivoli im Gang, und Die Trage der ſavoiſchen Königswahl in der Schwebe gehalten.

Während nun aber fo die pfälziiche Politik in der Frage der Wahl eines böhmischen Königs eine hinhaltende war, indem fie einen Kandidaten vorjchob, der ihr felber nicht genehm war, wurde plöglich von anderer Seite auf eine endliche Entſcheidung gedrängt. Am 8. Juli trat in Prag der Generallandtag zu: jammen, an dem fich neben den proteitantifchen Ständen der böhmischen Kronlande auch diejenigen von Ober: und Unter Öfterreich betheiligten. Sein erſtes Werf war die am 31. Juli zwiichen den Ständen der böhmiſchen Lande geichloffene und am 16. Auguft durch den Beitritt der proteftantijchen Lfterreicher erweiterte Sonföderation, die zugleich eine Verfaffungsurfunde des neuen Staatenbundes nach den Wünfchen der proteftantijchen Stände war. Die unvermeidliche Folge diejer erjten That war, am 19.—22. Yuguft, die Abjegung Ferdinand’s, worauf jid, als nunmehr unaufihiebbare Aufgabe, die Wahl eines neuen Königs herausitellte.

Zwei Kandidaten waren feit dem Frühjahr 1619 für dieſe Wahl präfentirt. Der eine, von pfälziicher Seite empfohlen, war der Herzog Karl Emanuel, deſſen Empfehlung indes in jo engem Kreife und fo lau gegeben und fichtlich auch jo lau auf genommen war, daß in den Tagen der Enticheidung gar keine Stimmung in weiteren Kreiſen für ihn gemacht war. Der andere, für den fich feit den erften Tagen?) nach des Kaifers Tod,

1) Puyſieux, 1619 Juni 12. GSiri 4, 33. Derjelbe ©. 46 nad einem Bericht Bentivoglio’3 oder Gondi’8 vom Auguft).

2) Friedrih V. an Wale, 1619 Juni 30. Wale an Naunton, Juli 28. (8. 139. 167).

*) Berichte Lebzelter'8 vom 25. März, 27. und 29. April, 3. Rai, Juni, 10., 13., 29. Juli u. f. w. (Müller 3, 207. 210. 212 f.).

280 M. Ritter,

jeiner Bereitwilligfeit zur Annahme mit joviel Vorbehalten und Fragen verjehen, daß er fie zur Noth jelbjt gegen Ferdinand hätte verantworten fönnen. In den folgenden Monaten jodanız hatte er gar, ftatt für jich, für den Herzog von Savoyen ge= worben, und noch am 2. Auguſt brachte Dohna nur jene Em- pfehlungen für Karl Emanuel mit!). Aber eben wie Dohna er— Ihien, in jenen Xagen, da die Stonföderation gerade erledigt, und die Alte der Abjegung und Neuwahl nunnehr unabwenddba x waren, mußten die Zweideutigfeiten aufhören. Ruppa, und wer etwa fonft noch in’8 Vertrauen gezogen wurde, wiejen jegt, am Vorabend der Enticheidung, das Spiel mit der ſavoiſchen Kam— didatur zurüd; feſtſtehend auf den erjten Anfnüpfungen, forderten fie um fo dringender Erklärungen de3 pfälziſchen Kurfürſten, auf deren Grundlage deffen Wahl ſich betreiben liche.

Dohna konnte weiter nichts thun, als daß er zum Kur» fürften, der fich damals zufammen mit dem Fürſten von Anhalt in Neumarkt befand, zurüdeilte?); und da nun erhielt er endlich einen auf Friedrich's V. Wahl bezüglichen Auftrag, aber au jetzt noch in vorfichtiger und bedingter Faſſung. Nicht jchriftlih, jondern mündlich wurde er gegeben), und wie er lautete, ent⸗ hielt er feine „völlige und endliche Reſolution““). Was Fried» rich V. damals noch vor allem zurüdhielt, war die Einficht, die

1) Nah den 3. Z. befannten Quellen erjheint Gindely’3 Behauptung (2, 211), daß Dohna beauftragt gemwefen fei, „offen um die Übertragung vr Krone an den Pfalzgrafen zu erfuchen“, durchaus unbegründet. Das Schreiben Dohna's vom 21. Auguft, das er anführt, bezieht fich auf die für bie gleid® zu erwähnende zweite Mijjion ihm ertheilten Aufträge.

2) Mit diefen Verhandlungen verflecyten fich diejenigen über die Er= nennung Anhalt's zum oberſten Kriegsführer. Dohna notirt nun, dab e mit Schreiben über die leßtere Angelegenheit zum Kurfürften von der Pils und Antalt zurüdgefandt fei. „Das geſchahe den 6. und 7. Augusti st. n.”” Die Reife war nicht abzufchlagen, „auch vornehmlich wegen ber vertrauliien® Nachricht, Pfalz) zu geben, und hinwider zu vernehmen, wie fih der am trobenden Election halben zu halten“ (Coll. Cam. 47.)

3) Friedrich V. an Dohna, 1619 Nuguft 26. (Anhalt'ſche Kanzlei S. I00)-

%) Dohna an Anhalt, 1619 Augujt 21. (nach der Überjegung der Ant= halt'ſchen Kanzlei, S. 92. Im Original in der Coll. Cam. 47 eilt e®: declaration finale et entiere).

282 M. Ritter,

wieder anlangte, eröffnete des Kurfürjten Erklärung einem kleinen Kreis von pfälzischen Vertrauensmännern, der fih um Nuppam geichaart Hutte. So fehr diefe nun nach einer unbedingten Ent- icheidung verlangten, nahmen fie doch auch das, was geboten wurde, an, um fortan entjchieden für die Wahl des pfälziichen Kurfürften zu werben‘). Dohna jelber, indem er feine Thätigg: keit auf das gleiche Ziel richtete, ſah fich feinerfeit? noch zw einem andern enticheidenden Schritte gedrängt: er zerriß Di« Verbindung von Pfalz und Savopyen, die zur Heuchelei geworden war. Da nämlich, wie erwähnt, Mansfeld und de Bauſſe auz dem Stampfplage erjchienen waren, und bejonders der erftere jet: nahdrüdfih für die Wahl Karl Emanuel’3 eintrat?), jo bliet Dohna nichts übrig, als die Kandidatur ſeines Kurfüriten im förmlichen Widerfpruch gegen die fanoifche Bewerbung zu ver- fechten. Er that es nicht ohne Bedenfen; denn, meinte er, es jt nicht zmedmäßig, daß ich mich den Vorjtellungen Mansfeld's allein zu ſtark widerjege?). Gerne hätte er in dieſer und allen

andern Berlegenheiten jeine Verantwortung durch das perlönliche

Eingreifen Anhalt’3 erleichtert geliehen.

Aber ftatt daß Anhalt fam, oder der Kurfürjt Friedrich eine bejtimmtere Erklärung jandte, ging am 28. Auguſt noch einmal eine Warnung des Fürften Chriftian*) ab vor übereilter Wahl. Als fie niedergefchrieben wurde, war die Wahl, am 26. und 27. Auguft, bereit? vollzogen. Abgeiehen von etiva einem halben Dugend böhmijcher AWdeliger) ftimmten ſämmtliche Wähler der böhmischen Kronlande für Friedrich V.

1) Über die Wirkungen der pfälzifhen Erklärung vgl. Dohna's Bericht vom 22. Auguft (Anbalt’ihe Kanzlei ©. 95).

2) Er jagte: que dans six mois il a moyen de delivrer six tonneu golts, pourveu qu’on l’accepte aux conditions convenables (Dohns, p. 8. zu dem Bericht vom 21. Augujt Coll. Cam).

8) a quoy (propositions de Mansfeld) n'est pas a propos que moy seul je m’oppose par trop.

4% An Dohna. Coll. Cam. 47.

6) Die Ziffern weichen in den verjdiedenen Angaben (Gindely in den Sigungsberihten der Wiener Akademie 31, 61. 62; Dohna, Augult 21. Anhalt'ſche Kanzlei S. 101; Lebzelter, Augujt 26. Müller 3, 220) ein wenig ab.

Iitiscellen.

Ein italienifhes Stadtrecht des Mittelalters. Bon Karl v. Hegel.

Lodovico Zdekauer: Il Constituto del Comune di Siena del. anno 1262. Milano, Hoepli. 1897. CXV, 519 ©.

Derfelbe: Il Frammento degli ultimi due libri del piü antico Cor- stituto Senese (1262—1270). Siena. Estratto dal Bullettino Senese di Storia Patria.. 1896. 96 ©.

Eine rege Thätigfeit gibt fih in Stalien in Erforſchung der Nechtöquellen des Mittelalterd fund. Es liegt auf Diefem Gebiet ein unermeßlich reicher Stoff vor, der faum zu überfehen und nod ſchwerer zu bewältigen it. Da verhältnismäßig nur wenig davon befannt ift, Hat man umfomehr dankbar zu fein für das, was und durch Veröffentliyung geboten wird. Im vorvergangenen Jahre 1895 erichien in Florenz ein ftarfer Quartband unter dem Titel: Documenti dell’ antica costituzione del Comune di Firenze, herausgegeben von P. Santini, Bd. 10 der Documenti di Storia Italiana & enthält in der Einleitung ein Verzeichnis der Beamten der Aepublif Slorenz bi8 zum Sabre 1250 und im Tert Urkunden des Staates bis zu demjelben Jahr.

Anderer Art iit das oben genannte Wert, das eine Statuten fanıınlung von Siena aus dem 12. und 13. Jahrhundert bringt. Der Herausgeber 2. Bdefauer, zur Zeit Brofefjor an der Univerfität Siena, hat ſich bereit3 verdient gemacht durch Veröffentlihung der Statuten fanımlungen von Piftoja aus den Jahren 1284 und 1296, die in zwei Duartbänden 1888 und 1891 bei Höpli in Mailand erjchienen find. Seine neue Arbeit, die ich hier anzeige, hat auf dem Titel das

286 8. vd. Hegel,

tractui adjicientes, ut nulla legis occasione .. . praelibata donati infirmari vel revocari valeat. Der Brundjtod und Stern des geltende Rechts war vielmehr das germaniſch-langobardiſche.

In der rechtsgeſchichtlichen Abhandlung iſt der Herausgeb hauptſächlich bemüht, die Herkunft einer Reihe von Statuten au Verordnungen und Nathöbefchlüffen der früheren Zeit nachzuweiſe Zum Theil find diefe felbit mit Jahreszahlen datirt, das frühel von 1186, au8 dem Jahre, in welchem Kaiſer Heinrih VI. die Fre beiten der Republik Siena am 25. Oftober beitätigte (Stumpf 459% Aus dem ihm vorliegenden reichen archivaliſchen Material ermäß 3. Ämterbücher und Aufzeichnungen verfchiedener Behörden, wie z. ! Libri d’Entrata della Biccherna, Libri dei Pretori u.a. M vermißt eine vorgängige Überficht von diefen Ardjivalien, wie er ei foldhe in feiner Ausgabe der Statuten von Piſtoja (Bd. 1 Praefat ©. LXVII) vorausgeſchickt hat.

Im Zuſammenhang mit dem Quellennachweis handelt Zdelau auch von dem Urſprung und der Bedeutung einzelner Staatdämter, 1 bierbei bejonderd in Betracht foınmen. Es war nicht feine Abitd die Verfafiungsgeihichte von Siena, wenn auch nur in einer furze Skizze, darzuftellen, wie man jie gern hier finden möchte. Dod er jiedt man aus dem, was über die wichtigſten Staatdämter mitgetheil ift, wenigſtens fo viel, daß die Verfaſſungsgeſchichte von Siena in ganzen diefelben Entwidlungsphafen durchlaufen hat, wie die italie nifhen Stadtrepublifen überhaupt. Vgl. meine Gefchichte der italie nischen Städteverfaffung 2, 205 ff. und 245 ff.

Das oberite und wichtigſte Staatdamt war der zuerft von Kaiſe öriedrich I. in den Städten Staliend eingeführte Poteſtas (Podestà Diefer wurde nachher das gewählte Oberhaupt der Stadtrepubli des fogenannten Comune. Er wurde nit aus den Bürgern de Stadt gewählt, ſondern von auswärts berufen, um nicht durdy Be wandtichaft und Familienrückſichten gebunden zu fein, und feine Amti zeit dauerte nur ein Jahr, worauf er Rechenſchaft über feine Amt: führung ablegen mußte. In Florenz wird der erjte Podeſta 12( genannt (Villami L. V c. 32), in Siena fommen zuerjt zwei Podef 1229 bis 1230 vor (Prefaz. S. XXIV) Auf den Podeſta, de der Rath des Comune zur Seite ftand, wird die Geſetzgebung fein: Amtszeit zurüdgeführt; daher ſpricht diefer in den Statuten in erftı Perſon, als der, der fie fundgibt und ausführt. In der Statute fanmlung von Siena bezeichnet der Herausgeber S. XXIX d

288 8. v. Hegel,

Einfegung des Ausfchuffes der Vierundzwanzig, zur Hälfte Popo— lanen, im Sahre 1240, die im Rathe della Campana faßert. Mit diefen Vierundzwanzig find in Florenz die zwölf Älteten (Anziani) zu vergleihen, die im Jahre 1250 mit dem Volls- capitan eingefeßt wurden (Villani VI c. 39), nit aber mit ber florentinifchen Signoria dei Priori delle Arti, die bei der zweiten Erhebung des Volks (si fece il secondo popolo) im Jahre 1282 in's Leben trat, womit die nberen zwölf BZünfte zur Regierung ge- langten. In Siena nahmen allein die Zünfte der Kaufleute und der Richter und Notare durch ihre Vertretung im Rathe an der Staats- regierung Theil (©. LIf.).

Bon anderen Ämtern erwähnt der Herausgeber die 13 Emendatori del Constituto, die zuerjt 1226 vorkommen, eine ftändige Behörde, jährlih aus den drei Stadtquartieren (Terzi) im großen Rathe ge= wählt, welche die Aufgabe Hatte, die Beichlüffe der Räthe abzufaſſen und felbjit Anträge zum Nutzen und zur Ehre der Stadt zu ſtellen (S. XVII. Sodann die vier Provveditori di Biccherna, denen nebft ihren Unterbeamten die Finanzverwaltung oblag; zu diejen ge⸗ hörten drei Pretori, die die Zehnten und GStrafgelder erhoben und aud die Straßen und Mauern überwadten (S. XXVII), ſowie der Bulgano, der das Münzamt verwaltete. Nur obenhin berührt 8. die Gerichtöverfaflung, über die mehr zu jagen war, als daß die Consoli del placito die Vormundsſachen und die freiwillige Ge richtöbarkeit beforgten (S. IX). Aus dem Statut Dift. I Rubrik 228 De judice foretano eligendo ergibt fi, daß dem Poteſtas ein Judex zur Seite ftand, der gleidyfal8 wie jener von auswärts be rufen wurde und ein Sahr im Amte war. Er unterftühte den Poteſtas bei den Rathsverhandlungen und überwachte alle Staatd- behörden mit Ausnahme der Richterämter, wobei er darauf zu fehen hatte, daß fie ihre Funktionen den Gefeken gemäß audübten. Cr war aljo nicht ſelbſt Richter, fondern nur fontrollirende Staat behörde. Als Richterämter, die feiner Kontrolle nicht unterftanden, jind genannt die Richter de3 Comune, die Malefizherren (domini maleficiorum), der Kämmerer und die vier Proviſoren de Comune, die consules plaeciti, die Konfulen der vornehmen Frauen (consules dominarum) eine merkwürdige Vertretung des weiblichen Ge— ſchlechts!

Anders und beſſer organiſirt zeigt ſich die Gerichtsverfaſſung von Florenz in der Statutenſammlung von 1321. Die Amtsdauer

90 K. v. Hegel,

beſtimmt: Wer einen Friedensvertrag durch Zotichlag oder Bermundum bricht, der und feine Erben follen auf immer aus der Stadt verbanzıt fein und ihr Vermögen für die Kommune eingezogen werden. (R.23_) Vorbeugend verordnet ein anderes: Wenn Feindfchaft entiteht, ſo U der Poteſtas beide Parteien verbannen (68). Wllgemein fagt R. 29 : Wenn jemand einen Andern beleidigt (quicumque fecerit aliquam of- fensionem alicui), defjen Vermögen foll der Kommune haften. Diete unbeftimmte Faſſung des Ausdrudes gab der herrichenden Partei eine ſchneidige Waffe in die Hand. Man weiß, melden maßlofen Ge— brauch die Guelfen in Florenz von ihrer Gewalt machten: wer wegen ghibellinifcher Gefinnung verdächtig erfchien, wurde von allen Ämtern ausgeichloffen (Madjiavelli Istorie Fiorentine im 3. Bud).

Berbannung von Bürgern findet nur ftatt wegen Totſchlags oder Verwundung (67), aber auch zeitweije für Miffethat, wenn jemand Die Geldſtrafe nicht bezahlt (91). Straflos ift Miſſethat gegen Verbannte (92), und geitattet ift Rache für Mifjethat (238).

Enthauptung trifft den, der an einem Bürger oder Landbewohner (de civitate vel comitatu) Totſchlag oder Verwundung, auf die der Tod erfolgt, verübt (187. 188). Wer ihn außliefert, erhält 100 lib. Belohnung; 500 ift jchuldig, der ihn verbirgt (189).

Körperverlegung oder Mißhandlung wird mit Gelditrafe gebiißt (179), felbft im Fall, wenn einer Hand oder Fuß, Nafe oder Jung © abfchneidet, nur mit 4 lib. für die Kommune (186). Auf Pieh>’ stahl fteht Erfah des Werthed und höhere Geldftrafe; wenn abe‘ jemand fie nicht bezahlt, muß er einen Tag in Stetten auf dem Mart ÆEt ftehen und wird nachher ausgepeiticht und verbannt (209).

Berhältnismäßig Hart ift in diefen wie in anderen Fällen ee“ Beitrafung des Unvermögenden, der die Geldbuße nicht erſchwinge— = kann. Wer Raub an Sohn oder Tochter oder einem andern Fa 5 milienglied begeht, joll 500 den. bezahlen oder er wird anı Galge gehängt (201). Wer Frevel am Haufe, Thür oder Dad, durd Stein werfen verübt, bat 100 lib. zu bezahlen, oder es wird ihm di 8 \ Hand abgehauen (203. 204). Wer einer Frau ein Kraut gibt, um Fehl. E j geburt zu bewirken, oder einen Liebestranf oder totbringenden Tran bereitet, iſt 200 lib. ſchuldig, oder er wird wie ein Totjchläger vr— urteilt (198.) Auf Brandftiftung jteht Verbannung des Thäters (222.

Das gerichtlihe Verfahren findet ftatt zuerſt dur Inquiſitio des Poteſtas und der Ortsbehörden. Dabei foll aber die Torte ! gegen Bürger nicht angewendet werden, außer wenn einer ein Die

d

292 L. Erhardt,

Straßen gewährt werden (169). Eine öffentliche religidfe Zeremonk « ift angeordnet: Alle Bürger in Stadt und Land im Alter von 1 X bi8 60 Zahren follen zu Anfang des Auguft in der Stadt erſcheine und nebit ihren Leuten Kerzen bis zur bifchöflihen Wohnung tragemm ausgenommen Kranke und Verbannte (37).

Der Herausgeber hat ſich viel Arbeit mit nicht weniger als zeig Regiſtern gemadt. Man fann darin aud zu viel thun und Demd Auffinden erjchweren. Wejentlih nöthig find nur Namensverzeic niffe von Perjonen und Orten und ein Glofjar mit Worterflärungemm legtere werden hier ſchmerzlich vermißt, weshalb mandeg wexr ftändlich bleibt. Für die Spradforihung wären dieſe Statuten aux. dem 13. Jahrhundert außerordentlich ergiebig.

Erlangen, im Sanuar 1897.

Staat und Wirthihaft der Germanen zur Zeit Eafar’S. Bon 4. Erhardt.

Der im vorigen Hefte diefer Zeitjchrift veröffentlichte Aufjag von Wittih über die wirthichaftlihe Kultur der Deutfchen zur Zeit Cäſar's und das Buch von Hildebrand, an das er jich anlehnt, erweden ſowohl methodisch wie fachlich fo ftarfe Bedenken, daß e8 mir erwünidt jheint, fie nicht ohne Entgegnung zu lafjen. Hildebrand wiederholt den ſchon oft gemachten Verſuch, die ältefte Kultur der Germanen durch Ber: gleiche mit Völkerſchaften, die noch heute auf primitiver Kulturſtufe ftehen, zu erflären. Es find aljo wefentlih ethnologifche Geſichtspunkte und ethnologiſche Beweismittel, deren ſich der Verfaſſer bedient. Die Beugniffe der Alten vernadläffigt er zwar nicht, und ich will ihm durchaus nicht den Vorwurf machen, daß er nicht, namentlich für die jpäteren Zeiten, auch ernithafte hiftorifche Studien gemadht habe. Aber er befchränkt fich überall auf die allgemeinen wirthichaftlichen Beugniffe, zu deren Erflärung er dann eben in feinen etbnologifdh- nationalöfonomishen Studien den Schlüffel zu befigen meint.

Gerade einem ſolchen Buche gegenüber hätte nun ein Hiftoriker, wie mir jcheint, allen Anlaß gehabt, feinerjeitd defto energifcher den biftorifhen Standpunkt wahrzunehmen und vor allem die Frage aufs zumerfen, ob denn die Ergebniſſe des VBerfaflerd zu dem Geſammtbilde, das wir fonit von Leben und Urt der Germanen gewinnen, paſſen. Wittih bat ji aber von den Fugen und ficheren Ausführungen

2885 2 Ir.

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2% L. Erhardt,

von magistratus ac principees fpricht, alfo einen gar nicht zuverftehenden Ausdrud gebraudt, fo kann ich ihre Aufſtellung eb nur als gänzlich willfürlich bezeichen.

Die Beugniffe Cäſars über den Aderbau der Germanen ha ich felbft früher als ficher auf Feldgemeinfchaft deutend erklärt (Göttin Gel. Anzeigen 1882, Stüd 39/40). Da mir aber alle fpäter Beugniffe von Tacitus ab vielmehr auf Eondereigen neben ungetbeilte Gemeindebefig zu deuten fchienen, jo glaubte ih damals, daß w in diefer Beziehung einen ausgeſprochenen Widerfpruch zwiſche Cäfar und Tacitus anzuerfennen hätten, und daß die Zeugnifi Cäſars, wie dies bei den Sueven ja auch deutlich hervortritt, nu auf einen friegerifhen Ausnahmezuftund zu deuten wären. JInzwiſchen ift e8 mir aber, namentlich durch das Studium des trefflichen Seebohm ichen Buches über die englifhen Torfgemieinden, zweifelhaft geworden ob wir nit auch die Cäſariſchen Nachrichten auf eine befonder Art einer mit dem Eondereigen verträglihen Gejammtbeftellm beziehen und fo aucd eine gemwifje Übereinflimmung der Cäfarijge und Taciteifchen Berichte gewinnen fönnten. Da auch Hildebran. und Wittich (dgl. Wittih’8 Exkurs: Über den Urfprung der Groß grundherrfchaft, in feinem Buche: die Grumdherrfchaft in Nordmeit deutichland) durch ihre Unterfuchungen dazu geführt worden jind, di Seldgemeinfchaft für die Germanen zu leugnen, fo würde id alj wenigftend in dieſer Beziehung zu theilmeife übereinjliimmende Refultaten mit beiden gelangen.

Seebohm hat in feinem Buche nachgewiejen, daß die Wirtl ſchaftsform der fog. Gemenglage in England fi durch's gan; Mittelalter hindurch bis in die ſächſiſche Zeit zurüdverfolgen läß An Deutfchland treten ihre Überrefte fo typifch hervor, daß Meitze fie als die eigentlich germanifche Form, im Unterfchied zur keltiſche Hoffiedelung, in Anſpruch genonmen hat. Bei diefer Wirthichaftsfor ift eine gewifje Gefammtdigpofition für Beſtellung und Ernte, d fog. Flurzwang, unerläßlid. Etellen wir und nun einmal e ſolches Gewann bein Gemenglage-Syjtem vor mit feinen gleid Streifen Uderlandes, die von den Einzelnen in feiter Ordnung m einander bewirthichaftet werden müflen, gewinnen wir Da nicht e Bild, das fowohl zu den Zeugnis des Cäſar wie des Tacitus b zu einem gewifjen Grade merkwürdig ftimmt? Nun it ed allerding richtig, daß, wo wir diefe Wirthichaftsforn im Mittelalter treffe jie an Hörigendörfer gebunden erjcheint. Aber ift in der Sad

298 L. Erdardt, Staat und Wirthſchaft der Germanen zur Zeit Gäfar'S_

an’3 Land gingen, um den Boden zu beftellen und Getreide ein- zuerndten. Die Germanen find jpäter ein Aderbauvolf par excellence geworden, und fie haben dabei an den überlieferten Formen auf's Zäheſte feitgehalten. Ich will damit nicht fagen, daß fie fi nach

fefterer Niederlafjung nicht auch den Berhältniffen des Bodens und

anderen neuen Bedingungen angepaßt haben. Im Gegentheil, ich

ftimme auch darin Knapp bei, daß auch die Siedelung in Einzelhöfer,

wo Berhältniffe und Boden fie empfahlen, jchon in der Urzeit neben

ber Gemenglage bei den Germanen in Anwendung kam, ohne daB

diefe Form nothwendig erit von den Kelten übernommen werden mußte

Uber wo feine ganz bejondere Veranlafjung zu Neuerungen vorlag, da hielten fie allerdings zäh an den altüberlieferten Formen jeht, und fo haben ſich bi8 auf den heutigen Tag, trog wirthſchaftlichert Unzuträglichfeiten, die Überrefte einer Wirthichaftsform erhalten, dũe nit nur bis auf Tacitus und Cäſar zurüdreiht, ſondern dereı Anfänge vielleicht noch ein Jahrtauſend vor diefen Schriftitellemen zurüdliegen.

800 Kiteraturbericht.

dem der Geſellſchaft Ernft ift. Nur eine gewiſſe Belefenheit nd e ñ n gewiffer Sammelfleiß werden ihm zugeftanden. (Engeld nennt iEn „einen literarifchen Abenteurer, der im runde feined Herzens a urf die ganze Dfonomie pfeift“).

Leipzig. P. Barth.

TH. Fechner. Bon Kurd Laßwitz. (Frommann's Klaffiter der Phi Io⸗ fophie, Herausgegeben von Falckenberg. Bd. 1.) Stuttgart, Fr. Jrommazrn (E. Hauff). 1896. VII, 207 ©. 175 M.

Für die jtarfe Zunahme des biographiichen Interefjes in Deutſch- land bot die nach dem Vorbild Morley’8 (English Men of Letters) entivorfene Unternehmung Bettelheim’8 (Führende Geifter) ein erfreu- liches Leihen. Sept iſt auch der ausſchließlich philoſophiſchen Autoren gemweihten anderen englijhen Eerie: Blackwoods philo- sophical Classics ein deutſcher Nachfolger erftanden, ber nad dem bisher erjchienenen Bänden durchaus ebenbürtig ſich neben die er- wähnten Unternehmungen ftellt und dem ein gleiche Gedeihen nit ausbleiben möge. Eine hiſtoriſche Zeitjchrift hat aber allen Grund diefen Erjheinungen mit Intereſſe zu folgen, ift doch dies Beſtreben in das Leben und in die Geſchichte des Werdend der großen Deuter jih zu verſenken nur ein Spezialfall des kräftig jich regenden hiſtoriſchen Intereſſes überhaupt.

Wenn unter dieſen Geſichtspunkten die und vorliegende vorzüg⸗ liche Arbeit betrachtet wird, fo gilt unfer Lob zunächſt der glänzend gelungenen Darftellung Fechner's als Hiftorifcher Perjönlichkeit. Wie er die von der Vergangenheit ihm überlommenen Anregungen gan; in fid) aufgenommen, wie er fie zu eignen felbitändigen ®edanten umgeprägt und fie in diefer Form der Nachwelt weiter gegeben hat, diefe größte Aufgabe der Biographie iſt auf engem Raunte beinahe mujtergültig gelöjt gelüjt von einem Mann, der ſich feinerfeitd zu denen zählen darf, deren eigne Arbeit ihren geficherten Boden in 3.8 Lebenswerk findet. Nur an einer Stelle mödte ich das ſonſt ehr jeine hiſtoriſche Verſtändnis des Autors vermiffen. Es ijt heute zur Binjenwvahrheit geworden, daß die fogenannte deutſche Naturphilos jophie unſägliches Leid über Deutichland im allgemeinen und die deutſche Naturwiſſenſchaft im Bejondern gebracht Habe. Dies ift fo allgemein anerfannt, daß es, wie alle allgemein anerlannten Säße nit mehr wahr iſt. Daß F. durd) die Naturphilojophen, namentlich durch Ofen jtarf beeinflußt worden, würde man aud) ohne fein aus

302 Literaturbericht.

bed ſubjektiven Gedankenſpiels und des objektiven Beweiſes gewatg ar bat. Er verfäumt es nie ausdrücklich darauf hinzumeifen, wo D>ie Analogie an die Stelle des Beweiſes tritt und noch mehr; ihm dern durch und durch religiös denkenden Manne ift es nie eingefallen Die Überzeugungen, die ihm dad Gewifjeite waren, an denen ihm alles andere Wiſſen hing, nun aud für Undere als verpflichtend nachweiſen oder fordern zu wollen.

Der Ausſpruch Fichtes: „Was einer für eine Philoſophie Hat, das kommt darauf an was für ein Menſch er ift“, ift!wie für F. geichrieben. So gewiß ihm die Beſeeltheit ded Kosmos war, fo feit ed ihm jtand, daß über wie unter der Schwelle deſſen, was und die Welt des Bemwußtjeind bildet, noch pſychiſche Weſen höherer wie nie= derer Art vorhanden find, die ihr Leben wie wir das unſere zuleß T al8 Momente im Bemwußtjein Gotted zu führen haben, je heller = diefe „Zaganfiht” gegenüber der „Nachtanſicht“ des Materialgm> oder des Dualismus zwifchen Körper und Seele hervorhob, jo w e3 ihm ferne, die, welche in der „Nachtanſicht“ ihr Genüge finden zu einer anderen Weltanfhauung zwingen zu wollen. Nur def wollte er Zeugnis ablegen, daß er bei diejer fröftelnden toten An jiht von Welt und Leben nicht verharren fünne, und Andern, diem dasfelbe Gefühl hatten, wollte er zeigen, daß dieje herrſchende Nacht = anficht fi mit Unrecht ald die „allein wiſſenſchaftliche“ bezeichne.

Denn hilfreich liebevoll war fein ganzes Weien. Wir brauche nur feine „Nanna oder über das Eeelenleben der Pflanze” zur Hancc zu nehmen, um zu empfinden, wie es ihn kränkte, daß ſeinen farbige augentröjtenden Lieblingen die Seele abgeſprochen wurde, mit welh⸗i— feinen innigen Blid er ihre Bewegungen verfolgte, um zu zeigen daß es wirkliche Xebensäußerungen find, anderer Art als unſer Lebe fie zeitigt, aber dem Weſen nad nicht verſchieden. Und dieſe Lib zum Schönen jtrahlt und aus allen feinen Schriften, namentlid) ade aus der Vorſchule der Afthetif entgegen. Es ijt erftaunlich, wie wenig bedeutende Meiſterwerke er gejehben und wie er aus dem Wenigen doc ebenfo eine großartige Anjiht vom Schönen zu gewinnen ver mochte, wie aus den wenigen unvolllommenen pſychophyſiſchen Eı- perimenten, die er mit befchränfteften Hilfömitteln machen mußte, eine in ihren wejentlihen Zügen noch heute geltende Theorie des geiftigen Lebens entjtand.

Möge uns dies in den Mauern Leipzigd eingefchloffene und doc weltumſaſſende Leben 5.8, wieder einmal daran erinnern, dab wir

304 Literaturbericht.

Abneigung gegen einen ausgeſprochenen Mechanismus wurde die Nadt: heit dieſer Konſequenzen mehr verjchleiert; vorhanden war die Grund⸗ anſchauung bei ihm ſowohl wie bei Hobbes; da8 hat T. m. E. un⸗ widerleglich dargetjan. Die ſchroffe Konfequenz und Geſchloſſenheit ſeines Syſtems verdankt Hobbed dem Umſtand, daß er in hewor⸗ ragendem Maße, wenn auch nicht zu den Owruadeis, fo doch zu den Philoſophen gehört, die erſt nad volljtändiger langjähriger Ans= veifung ihrer Gebanten in die Offentlichkeit fih wagen. Bis auf ganz geringfügige Ausnahmen hatte er an dem einmal Durchdachtent nicht8 mehr zu ändern. Wenn ihm häufig Ankonfequenz darin nach⸗ gejagt wird, daß er, der Vertheidiger des Königthums, fpäter mit dest Protektor feinen Frieden machte, um nad) der Reftauration des König = thums fich wiederum dieſem anzufchließen, fo braucht man zur Ver⸗ theidigung Hobbes' gar nicht einmal zu dem gewiß richtigen Sap zut greifen, daß kein Menſch gezwungen ift, praltifch der Märtyrer fenex theoretiichen Anfihten zu werden. Die Wahrheit ift nämlich, 33 Hobbes überhaupt fein Mann der Partei oder einer Partei wur, fondern lediglidy ein Mann der Ordnung, der eine Auflehnung gegen“ irgend welche irgend erträgliche Regierung fat für eine Sünde anjag- Diefe Sünde begingen in feinen Mugen die Barlamentarier als fie ſick) gegen das Königthum wandten, die Noyaliiten als fie gegen Grom= well fonfpirirten, die Nonkonformirten als fie gegen Karl II. agitirter in gleihem Maße. Es war diefe Stellung durchaus im Sinn fein Leviathan, fie war ganz feinem auf wiſſenſchaftliche Problem gerichteten Geiſt angemefjen, für den jede politiihe Ummwälzung en Störung ſchlimmſter Art bedentete. Aber wenn wir ihn dafür tadels® wollten, jo müfjen wir fein Verhalten mit dem Descartes’ vergleichen⸗ der dies Bedürfnidg der Ruhe auch auf feine Wiſſenſchaft in deut Grade übertrug, daß er es nicht wagte, fih zu den Anfihten® Galiläi's, die er privatim für richtig hielt, fi auch öffentlih zu= befennen. _ Eine folde NRüdjiht auf das eigne Wohl war Hobbes am J wiffenfchaftlihem Gebiet fchlechthin unmöglid. Seine Leugnung de Seele, feine Verwerfung des freien Willens, feine Anfidt von der Kirche als einer menſchlichen Snititution konnten ſehr wohl due ernfteften Folgen für ihn nach ſich ziehen, und doch Hat er nienod2> verfäumt für feine wifjenfchaftlichen Überzeugungen in die Arena „=! fteigen. Die Controverſe mit Bischof Bramhall, die T. in ſehr danken S⸗ werther Weife ausführlih Ddargeftelt Hat, gibt gegeniiber dest

806 Literaturbericht.

weitere Bände ſollen den Sozialismus in England, Frankreich und den übrigen Ländern während des 19. Jahrhunderts ſchildern.

Man braucht von den jeitend des Bf. ‚für jeden „bürgerliden Gelehrten“ vorausgefehten Vorurtheilen in feiner Weile beeinflußt zu fein und wird gleihwohl gejtehen müfjen, daß das geplante Ustr= nehmen durch den vorliegenden Band in der unglüdlicäften Vie inaugurirt wird. Lag gerade für die Geſchichte der ſozialiſtiſchern und kommuniſtiſchen Ideen im Alterthum und Mittelalter eine Nie der trefflichiten Vorarbeiten vor, fo berührt e8 Doppelt peinlich, deiEs- uns in K.'s Werk eine mit fo außerordentlich geringer Sadhlenntni&$- bearbeitete, zum guten Theile auf längft antiquirte Arbeiten ſick) ftügende und durchaus unauögereifte Darftellung geboten wird Überaus ärmlih und irreführend ift namentlich die Schilderung de Erſcheinungsformen des Sozialismus im Altertfum, die jih auf einen ganz flüchtigen, von jeder eingehenderen Kritik abfehenden Ab riß des Platonifchen Idealſtaats beſchränkt. Wie der Bf der Vor= gänger Plato's auf dem Gebiete der Sozialpolitit überhaupt nidyt gedenkt, jo wird die vielgeitaltige Entwidlung des antiken Sozialismus feit Plato mit ein paar Sägen voller Mißverftändniffe abgethan. In diefer Zeit iſt e8 angeblich „nicht mehr das Gemeinwejen, was die Philoſophen beſchäftigt, jondern das liebe Ih“ (S. 15). Bon den Gedanken der Ariſtoteliſchen Politikt, von den fozialpolitiiden Idealen der Stoa und deren Nachwirken in den mittelalterliden Anſchauungen vom Naturrecht fein Wort! Leider muß das Urtheil über K.'s Darftelung der Geſchichte des Sozialismus und Kom munismus im Mittelalter noch ungünjtiger lauten. Sind aud hie des Bf. Vorftudien recht ungenügende gemwefen, fo ift doch vor allem der Doktrinarismus feiner grob materialijtifchen Geſchichtsauffafſung für Diefen Abſchnitt befonders verhängnisvoll geworden. Wer wie 8. die religiöfen und kirchlichen Kräfte des Mittelalterd einfach ignoritt und die gejammte Eutwidlung der mittleren Beit auf foziale und wirthichaftlihe Beweggründe zurüdführt, muß eben nothwendig ein Zerrbild der thatfächlihen Zuftände zeichnen. So liegt für K. die eigentliche Bedeutung des Urchriſtenthums in defjen angeblichem zie- bewußten Kommunismus; „fein praftifches Wirken, nicht feine frommen Schwärmereien haben dem Chriſtenthum zum Siege verholfen“ (S. 23); in den Evangelien zeigen ſich deutlihe Spuren des unverhüllten Klaſſenhaſſes der im Urchriſtenthum ſich organifirenden „Lumpen proletarier* (S. 136). Das urcrijtlide deal de Kommunismus

308 Literaturbericht.

vorliegenden Berichte fei ein „urjprünglidh ſtilles, friedliebendes Vollkche zu einer Bande blutdürftiger, geiler Schurken gejtempelt worden“ u. |. m Zu einer eingehenderen Yuseinanderjegung mit 8.8 Auffaflungerz die, um es mit einem Worte zu fagen, die eines Fanatikers find, iFi hier nicht der Ort; fürchten wir doc, bei der Beiprechung des für die hiſtoriſche Forſchung werthlojen Buches ohnehin ſchon zu lange verweilt zu fein. Geſpannt darauf darf man aber fein, ob die Kreife, an die fi das Bud) wendet, eine derartige dilettaytenhafte und irre führende gejchichtichreiberifche Leiftung fich werden gefallen laſſen. Herman Haupt.

Infamia. Its place in Roman public and private law. Br A. H. J. Greenidge, M.A. Oxford, Clarendon Press. 1894. XII, 2196.

Das vorliegende Werk behandelt unter einem Titel, der, wie der Vf. ſelbſt empfunden hat’), nicht ganz zutreffend ift, die bürgerliche Beicholtenheit bei den Römern als Rechtsbegriff und die aus ihr ent Ipringenden Rechtsnachtheile auf den Gebieten bes öffentlichen und privaten Rechtes. Diefer Gegenftand kann, abgefehen von dem juriſtiſchen, ein allgemein gejchichtliche8 Intereſſe beanſpruchen. Denn einmal ijt mit ihm auf's engite verfnüpft die Bedeutung der Cenſur, fiher einer der eigenartigiten Bildungen des römischen Staatöwejend, die nimmer wieder ihres Gleichen gefunden bat; fodann tritt auf diefem Gebiet im Gegenſatz zur modernen Behandlung der Ehren minderung im öffentlichen Recht (3. B. im deutſchen Strafgeſetzbuch) die bereditigte Scheu der Römer vor medaniihem Generalifiren in politifchejurijtiihen Dingen befonder8 klar, man darf wohl auf) jagen, beſonders rühmlich hervor.

Savigny (Syſtem 2, 170 ff.) hatte freilih die Lehre aufgeftellt, e8 babe bei den Römern von Alterd ber einen rechtlid fcharf au& geprägten Begriff der Ehrloſigkeit (infamia) gegeben; ehrlos (infamis) jei derjenige Römer geweſen, welcher infolge einer allgemeinen Regel (nicht der cenforifhen Willkür) bei fortdauernder Civität ihre politi ſchen Rechte verloren habe und gleichzeitig privatrechtlicd in der pro zejjualiichen Stellvertretung bejchränft worden fei. Indes Hat die

ı) Denn Infamia ift erft in fpäter faiferlicher Zeit zum allgemeinen techniſchen Ausdrud für den rechtlichen Ehrverluft geworden; in der Republil mangelt es überhaupt an einer Bezeichnung dafür. Auch daß infamia und infaınes in republilfanifher Beit wenigſtens „quafisjuriftifche" Ausdrücke gewejen feinen, ıwie der Bf. ©. 19 behauptet, ift durchaus unerweislich.

810 Literaturbericht.

Hiſtoriker, eine geſchichtliche Duelle erſten Ranges für die Darſtellung römiſcher Sitte geweſen. Daß aber unſere gefanmte Überlieferung davon gar nichts weiß, iſt gewiß nicht gering anzuſchlagen. Und wenn der Vf. von dieſem vermeintlichen cenſoriſchen Edikt ein Bild nad Analogie des prätorifchen entwirft, jo hat er dabei Eines nit gewürdigt: das Edift der Prätoren bat freilich zu einer Neubiliung des bürgerlichen Rechtes geführt, aber e8 enthielt jelber nicht materielle Rechtsſatzungen, ſondern es war bekanntlich nichts anderes ad me Prozeßordnung.

Was aber die Beitimmungen des prätorifchen Edikts de postız- lando über die infames anlangt, jo entbehren die Verfuche des IT- (S. 114 ff.), fie au8 dem angeblichen cenforifchen herzuleiten, m. E- jeder Beweiskraft. Wenn Ulpian (Dig. 3, 1, 1 pr.), dem ber ÖF- folgt, die Beſchränkung befcholtener Berfonen aus dem Beſtreben de# Prätors herleitet, feine Würde zu wahren, fo werden wir vielmeh in feinem Verfahren den gleichen Grundgedanken erkennen, welder der cenforifchen ignominia zu Grunde liegt: volle NHechtsfähigfent fett volle Rechtswürdigkeit voraus, Mängel in diefer ziehen Be— ichränfungen jener nad) ſich; ein Brundfag, den der Prätor auch außer der Stellvertretung in Prozeß zur Geltung gebradjt hat!)- Es ift bei diefer Auffaſſung, ganz abgefehen von einzelnen unmittels baren Beugnifien, wie 5.8. über die turpi iudicio damnati, felbit- verfländlich, daß manche Kategorien von Befcholtenen gleihmäßig vom Cenjor wie vom Prätor zurüdgefegt wurden. Aber wenn man bie ganz verjchiedenen Aufgaben und Wirkungskreiſe beider Magiftraturen in's Auge faßt, wenn man fih in die römische Auffaſſungsweiſe recht lebendig hineindenkt, die nicht nur fein Bedürfnis, ſondern eine Ab- neigung dagegen bat, allgemeine Prinzipien in eine wohlgeordnete Neihe von Paragraphen zu zerlegen, dann wird man don vorneherein nicht vollfommene Übereinftimmung, fondern vielmehr Abweichungen in der cenforifshen und prätoriihen Behandlung der Beicholtenen

) Dafür ijt ſehr lehrreich folgende Erzählung ded Valerius Maximus 7, 7,7, die bißher unbeachtet geblieben zu fein fcheint (auch der Vf. erwähnt fie nicht): der ftädtiihe Prätor Q. Metellus verweigert einem Bordellwirth die Einweiſung in die Güter eines gewifien Bibienus, die dieſer jenem teſtamentariſch vermacht hatte (bonorum Vibieni possessionem secundum tabulas testamenti petenti); als Grund wird angeführt, der Prätor habe nit gewollt huie tamquam integro civi iura reddere, qui se ab omni honesto vitae genere abruperat.

812 Riteraturberidt.

Cenſur wiederhberzuftellen (S. 102), beruht nur auf gefälfchten Alten ftüden der Scriptores historiae Augustae und ift darum zu ver» werfen; gleiche8 gilt von dem angeblichen Schreiben des Kaiſers Mark Aurel (S. 20).

Indes anftatt länger bei Einzelheiten zu verweilen, deren ſich bei einem fo weitichichtigen Stoff unſchwer noch manche vorbringen ließen, widme ich lieber zum Schluß nod einige Worte der Dar⸗ ftellung des Vf. Sie ift einfach und Mar; die Fülle zweifelhafter ragen auf diefem Gebiet, die bei unbefangenem Urtheil niemals ſchlechthin entfcheidbar find, bringt e8 mit ſich, daß ber Bf. ſich diel- fach mit den verfchiedenen Anſichten anderer Gelehrter auseinander zufeßen hat. Hr. ©. führt dies mit fchlichter Sachlichkeit aus mb bält fich von wiſſenſchaftlicher Gößenverehrung, die und auf römijden® Gebiet heute nicht felten anmwidert, ebenfo fern, wie von gehäffigen® Gelehrtengezänt. Das follte ja wohl inımer jo fein. Gewiß! Aue iſt bekanntlich, was da fein follte, in der angeblich idealen Welt des realen Betriebes der Wiffenfchaft genau fo rar als anderdwo ‘dns ce meilleur des mondes possibles'.

Berlin. Elimar Klebe.

Die deutiche Kaiferidee in Brophetie und Sage. Bon F. Kamperß— (Zugleich al8 zweite bis zur Gegenwart fortgeführte Auflage der „Kailer- prophetieen und SKaiferfagen im Mittelalter.) Münden, Berlag von Dr-

H. Lüneburg. 1896. 231 ©.

Eine vortrefflihde Schrift! Vf. geht auf die älteften Wurzeln der Kaiferfage, die antifen Sibyllenprophezeiungen und die meſſi— anifhen Prophezeiungen des Judenthums zurüd und zeigt, wie in jtetigem Prozeß des Zuwachſens, der Angleihung und Umdidtung Sagen und Prophezeiungen aus Oft und WVeft die Gejtalt und Auf— gabe de3 erhofften oder gefürchteten Zufunftsfaiferd bilden und wan— deln. Eine umfafjende Literaturfenntni2, die fi) mit eindringender? Kritif und Snterpretation verbindet, ermöglicht e8 dem Bf., den un unterbrochenen Zufammenhang diefer Sagenbildung von Auguſtue und Nero bis zur Neuzeit darzuftellen und damit zugleich den vol tändigen Beweis folhen BZufammenhanges zu erbringen. Indem eu dabei veranschaulicht, wie die verichiedenen Formen der Sage fi deu —— Beitverhältniffen und Stimmungen der Völker anpafien oder ſi e gleihfam in phantaftifher Spiegelung wiedergeben, liefert er eur E- Stüd europäifcher Völferpfychologie, daS weit über das literarhiftm =" rifhe Intereſſe hinaus anziehend und lehrreid it. Wir fehen bs

814 Literaturbericht.

Vapſt Stephan habe im Auftrage des byzantiniſchen Kaiſers und zu gunften des Imperiums die Reſtitution des Exarchats und der dazu gehörigen Gebiete von Pippin erbeten. Neue Geſichtspunkte bietet die Schrift weder im allgemeinen nody im Einzelnen. B.

Die päpftlide Kanımer unter Clemens V. und Johann XXI ist Beitrag zur Geſchichte des päpftlihen Finanzweſens von Avignon. Boss Leo König, S. I. Wien, Mayer & Co. 189. 87 © 220M.

Eine Geſchichte des päpftlidhen Finanzweſens im ausgehendenz Mittelalter ift eine Aufgabe, deren gediegene Erledigung bei der un- endlichen Fülle des Stoffs leider noch nicht jo bald zu erwarten ift- Neihe Materialien zur päpſtlichen Finanzgeſchichte unter dem ertewe Avignoneſer Papit find vor fünf Jahren von den Serausgeberst de8 Regestum Clementis V. in einem bejonderen Bande (Appern- dices t. 1) veröffentlicht worden. Ihre Verarbeitung mußte um Jo erwünjchter erjcheinen, wenn es gelingen konnte dabei die Frage zu löfen: welche Einrichtungen find erft in Avignon unter der weſentlich veränderten Lage der Kurie entftanden, und welche haben fchon unter den Vorgängern Clemens V. ihre Ausbildung erfahren? König will mit feinem Buche die Erkenntnis fördern, „daß mit Johann XXIL nicht in einen jo umfafjenden Sinne, wie man gewöhnlich annimmt, eine neue Epoche des päpftlichen Finanzweſens begonnen, jonderm daß jchon unter Klemens? V., ja zum großen Theil unter Bonife zius VIII. das Kammerſyſtem der folgenden avignonifchen Päpite de ftanden bat.“ Wenn nur unfere Duellenpublitationen für die Zeit vor und nach Clemens V. irgend ausreichen könnten, um bie erfor derliche Vergleichung allfeitig durchzuführen! Sicher aber war do da8 erfte Erforderniß für jemand, der jenen Nachweis unternahm, daß er daß gedrudte Duellenmaterial mindeitend für einige Jahr⸗ zehnte einigermaßen beherrichte. Aber fo ausgedehnte Duellenftudien bat K. keineswegs gemadt. Auch für die Zeit Clemens V. reicht feine Kenntnis der Quellen nicht fehr viel über die Publikation der Bene diktiner hinaus. Was er zur Ergänzung und für die Zeiten vor ber und nachher (Johann XXII. jteht doch auch auf dem Titelblatt!) beibringt, ift von ihm aus einer eng begrenzten keineswegs immer gut gewählten Literatur gejchöpft worden, und dabei ift ihm noch allerlei Menſchliches paſſiert !).

98 83 it unter Berufung auf die zweite Auflage von Hefeles Konziliengefchichte (6, 517) ein alter Irrthum wieder aufgenommen, der dort

316 Literaturberidt.

Johann's XXII. nit bezeugt findet. Aus Ehrle's Historia biblio- thecae Romanor. pontif. tum Bonifat. tum Aven. (1, 186 und 246), die er benutzt, hätte er fi belehren können, daß dieſes Recht, das für die Vermehrung der päpitlichen Bibliothek jo weientlich in’3 Gewicht gefallen iſt, nachweisbar in Übung war in der Beit Johann's XXIL., aber wahrjdeinlid fon feit dem 13. Sahrhundert beftand.

Läßt die Urbeit gar manche Wünſche unerfüllt, fo fol doch nicht unbemerft bleiben, daß K. feine reiche Hauptquelle mit dankenswerthem Fleiße benupt hat und und eine, freilich mit Vorſicht zu gebraudende und keineswegs vollftändige Überfidht über Einnahme und Ausgabe der päpftlichen Kurie zu Anfang des 14. Jahrhunderts gegeben hıt- Die Aufzählung der vier Hauptabjchnitte „Einnahmen“, „Ausgaben“ . „Vergleih der Einnahmen und Ausgaben“, „die päpftlicdden Kammer⸗ behörden“ gibt nur eine ſehr ungenügende Borftellung von derat mannigfachen Intereſſe, das der weitverzweigte Gegenstand, z. B. auch) für die Geſchichte der Liebesthätigfeit, der Mifjion, von Kunſt mD Wiflenfchaft, des Geldiwejend und der Behördenorganifation bietet- Daß die Würdigung oft des Beweiſes entbehrt, hängt mit der ein feitigen Auffafjung des Bf. zufammen.

Marburg. K. Wenck.

Schleswig-Holfteind Befreiung. Bon Karl Janfen und Karl Samwr- Mit einem Bilde des Herzogs Friedrih von EcjledwigsHolftein und zahl reihen Urkunden. Wiedbaden, Bergmann. 1897. XV, 799 ©.

Sammer bat die8 Werk aus dem Nadjlafje Janſen's heraus gegeben und dabei einige fehlende Abfchnitte und fonft mandje Mit— theilungen aus dem Briefmechjel feined Vaters und anderen Altes hinzugefügt. Die Abſicht des Buches ift nicht, Hoffnungen oder Be ftrebungen auf Heritellung eined Kleinſtaats Schledwig-Holitein zu erneuen, aber e3 will die Politik des Herzog Friedrid und de Scleswig-Holfteiner rechtfertigen, die „auf dem Boden des Recht S ein felbjtändiges Schledwig-Holitein in engen Anſchluß an Preufe = und Deutſchland erjtrebt Haben.” Al Motto kann man die Work des Herzogs anjehen: „Daß ohne mein Auftreten die Herzogtfüme nicht von Dänemark getrennt worden wären, das weiß id, und &* wird nicht gelingen, diefes Blatt der Geſchichte, das mir gehört, au: zureißen“ (S. VID. Man wird das zugeben können und dod EC theilen, daß die Bolitit des Herzogs nicht mit der den Verhältnifg angemeſſenen Klugheit und Kühnheit geleitet wurde. Aber kann

318 Literaturberidht.

Über ich Habe den Eindrud, daß man dad durch eine andere Art der Darjtellung wirkſamer hätte zur Geltung bringen können. Das Verf gibt nach den erften hundert Seiten, welche die Zeit der Knechtſchaft 1851—63 behandeln, in dem zweiten und dritten Bude S. 10102 eine Erzählung von der Erhebung und von dem Krieg der Jahre 1863/1864, handelt in dem vierten Buche von den Anneriondhbeftre- bungen und endlich im fünften und ſechſten Buche von der Vollendung der Dinge durch die Seriege von 1866 und 1870 und die Gründung. des deutfchen Reichs. Daran ſchließen fih S. 683—799 67 Beilagen. meilt Briefe des Herzogs, des König Wilhelm’ I, des Kronprinzere Samwer’3 u. a., dann Proflamationen, Aufzeichnungen über Geſprauͤch e und andere Alten. Darunter find höchſt werthvolle Mittheilunge wu und wenn man aud bei manchen Stüden gern die Angabe hätte, o und mo fie bereit3 gedrudt find und andere Erläuterungen, jo bietews fie doch eine werthuolle Bereicherung unferer Kenntnis und erwedert zum Theil auch noch darüber hinaus perſönliches und menſchliches Intereſſe.

Auch der Darſtellung fol ihr Werth nicht abgeſprochen werden; ed fehlt ihr abe an Kraft und an der freiheit, weldde man gewinnt, wenn man von Biel aus zurüdblidt und nur erzählen will, wie es fo gekommen ift. In langen Ubſchnitten gibt der Bf. eine Art ur- tundlicher Berichterftattung über Verhandlungen, die man doch wohl zu den Akten rechnen muß, die nicht wieder belebt zu werden brauchen, die erhalten find von den Fleinen Irrgängen der Geſchäfte, auf denen beute niemand mit voller Aufmerkſamkeit wandeln kann als der Biograph oder der Advokat. Die Verfaſſer hätten die Maſſe der untergeordneten Vorgänge zujammenfaffen und die Hauptpunkte zu lebendigerer Anſchauung bringen müffen. Schien es nothwendig, Material mitzutheilen oder Vorgänge ausführlich zu ſchildern, die in diefen Rahmen nicht hineinpaßten, fo mußte das in den Anhang ver: wiefen werden. Mochte er doppelt fo ftark werden als die Dar ftelung, die Wirkung des Buches würde gewachjen fein, je mehr ed gelang, den Tert von Einzelheiten zu befreien, von denen der Lejer doch feine volle Anſchauung zu gewinnen vermag.

Stürender aber als dieje Breite wirft noch der Umftand, daß die Berfafjer ihr Ziel zu weit faffen. Hätten fie fi) darauf befchränft, zu zeigen, daß die Politif des Herzogd und feiner Näthe unter den gegebenen Verhältniffen erflärlich gewejen fei, daß man Unrecht thue, ihnen Mangel an Verſtändnis für Deutichlands Noth und kleinliche

320 Literaturbericht.

zu müſſen. Wer ſich in die Stimmungen und Konflikte des Jahres 186 zurüdzuderjegen vermag, der wird über den Herzog nicht den Stack brechen, weil er im Wirbel diefer Stürme des Hafje® und der Bex- achtung gegen Bismarck, die Damals die reife erfüllte, in denen de? Herzog die eifrigiten Freunde hatte, nicht die fühle Einficht gewans®, daß doch in Bismarck's Politik ein großer Zug liege, dem er ver trauen dürfe: aber e8 war jein Verhängnis.

Der Herzog hat dad Land verloren und der Streit um Schleswig⸗ Holſtein brachte dann den Konflikt zwiſchen Öſterreich und Preufes® zur vafcheren Entiheidung. Damit und mit dem Kriege und Eige von 1870 kamen wir Deutſche auch aus den Konflikten heraus, ie ih) aus den Anſprüchen des Yuguftenburgerd und den Anfprüdes® Preußens erhoben Hatten. Es iſt der Ruhm des Herzogs, daß e dem zu folgen vermodte.. Guftav Freytag erzählt in ſeinent Buche von dem Sronprinzen und der deutjchen Kaiferfrone (S. 49), wie der Herzog bei Sedan am Rande des Höhenvorjprungs bet Donderyg in die Worte ausbrad: „Eine ſolche Stunde ändert die Gedanken des Menihen und legt neue Pflihten auf.” Mit ders Hinweis auf diefe Denkart fei e8 damals angeregt, dem Herzog noch jeßt in irgend einer Form eine fürſtliche Stellung zu verfchaffen, aber Bismard war dagegen, und wie er in der ganzen Frage den Aub— ſchlag gegeben Hatte, während der König und der Kronprinz gern bereit gewejen waren, den Herzog zuzulafen, jo jiegte er auch bier- Wir aber werden Freytag zuftimmen, wenn er fortfährt: „dem redlichen Herrn aber, welcher von feinem guten Recht gegenüber Preußen feſt überzeugt war und fi als Opfer einer felbftjüchtigen Politit bes trachtete, fol bier zum Angedenfen nachgeſagt fein, daß es nicht be= rechnende Klugheit war, welche ihm den Verziht auf das eingab, was er für fein hödhftes, von den Ahnen empfangened Recht hielt, jondern die Begeilterung eines treuen Deutjchen über den Sieg ſeine Landsleute und der Gedanke, daß an diefem großen Tage au ex für Deutjchland fein Liebites zum Opfer bringen müſſe.“

Diefe Erzählung, die idy nicht für eine Erfindung halten fans. und diefe kurzen Worte rechtfertigen jcheint und den Herzog beſſe - als der etwas fchwerfällige und die Hauptjadhe nicht mit genügend eX Klarheit aus der Maſſe des Materials emporhebende Verſuch vor Sanfen und Sanımer.

Breslau. G. Kaufmann.

322 Literaturbericht.

und Bedeutung zu beſitzen, wenngleich es nicht an Anſätzen zur Leiſtung dieſer letzteren Aufgabe fehlt. Das Ganze zerfällt in einen

allgemeinen und einen beſonderen Theil; der erſtere behandelt

ſyſtematiſch Verbrechen und Strafe, ſowie die Umſtände, die bei Beurtheilung jenes und Abmeſſung dieſer in Betracht kament, während der letztere für das Verfahren gegenüber den verſchiedene Delikten eine größere oder geringere Anzahl von Beifpielen zufammers= ftellt. Ein detaillirtes Inhaltsverzeichnis und Sachregiſter erleigtarn die Benutzung in zweckmäßiger Weiſe.

Bensberg. J. Hartung.

Regesta diplomatica necnon epistolaria historise Thuringia®- 2. Halbband (1120—1152). Namens des Vereins fir thüringiſche Gelhihte und Alterthumskunde bearbeitet und herausgegeben von Otte Debeneder- Sena, Fifcher. 1896. XXIV, 241446. 15 M.

Wenn mein Vater bei der Beiprehung des erften Halbbandes der thüringifchen Negeiten der lebten in feinem Leben in die Beitichrift (77, 131 ff.) die Hoffnung ausſprach, die Fortjekungert diefes fo hervorragend erſchöpfenden und forgfältigen Regeſtenwerkſ möchten nicht allzulange auf ji warten lafien, fo Hat fidh dies ex⸗ fült. Und es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn idy dem dort außgeiprochenen anerfennenden Urtheile noch etwas hinzufügen wollte, da id mid ihm voll und ganz anſchließe. Sa, noch mehr! Wenn nein Vater noch wünſchte, daß der Bearbeiter hätte andeuten follest, was er unter Thüringen verftanden wiflen will, fo ift dem in det Einleitung, die dem 2. Halbbande beigegeben ift, vollauf Rechnung getragen. Hier werden auch die Grundfäße, die bei der Auswahl und Anfertigung der Negeften von dem Bf. befolgt wurden, eingehen D erörtert. Unordnung und äußere Ausjtattung der Negeften ift felbft- verftändlich in diefem Bande die gleihe wie in dem erften und wird wohl aud für die Hoffentlich raſch folgenden Bände die gleiche bleiben müfjen, trogdem an fi der Vorwurf der Unüberfictlichleit und Un⸗ rubigfeit de3 Drudd wohl berechtigt ift. In einem Punlte jedoch fönnte ſich D. für fpäter die Aufgabe leichter machen und Raum er⸗ Iparen, wenn er ſich, anftatt bei manchem Ortsnamen immer wieder den zugehörigen Amtsgerichtsbezirk anzugeben, mit einem folchen Hin» weiß im Negifter begnügte, wo er fi ja auch jetzt fchon findet: Hierbei ergreife ich die Gelegenheit, um aud) dem Negifter, dad nad) dem allgemein als niufterhaft befannten des württembergiſchen

824 Literaturbericht.

Philippe de Mézières, 1327—1406, et la croisade au XIVe side. Par N. Jorge. (%. u. d. T.: Bibliotheque de l’Ecole des Hsutes Etudes, publide sous les auspices du ministöre de l'instructiom publique. Sciences philologiques et historiques. Fasc. 110.) Paris, Librairie Emile Bouillon. 1896. XXXVI, 558 ©.

Dad Bild des allmählichen Verlöſchens eines großen weltgeidiht-= lihen Gedankens, wie es die Geichichte der Kreuzzugsbewegungen ises 14. Jahrhundert bietet, ift an fich ein wenig anziehendes. Welche Fülle von weitausfchauenden Plänen, die Pläne bleiben, von unt= fafjenden Vorbereitungen, die zu nicht3 führen, von ſchwächlichen un D durhbrochenen Maßregeln, von denen nur felten, dem Auffladerri der Flamme vergleichbar, eine wirkliche That fi) abhebt, noch fellner ein Erfolg, und dann immer aud nur ein vorübergehender. Der einſt fo machtvolle Kreuzzugsgedanke reift die Maſſen nicht mehr mit fi fort, er erhigt allein noch die Köpfe der Idealiſten, der Projekten⸗ macher und, gelegentli, der Abenteurer. Eine der fejlelndften Ge⸗ ftalten unter den Idealiſten diefer Zeit Hat fi) der Bf. zum Helden feined Werkes erwählt, den Kanzler des vor allem durch feinen Überfall Alerandriend bekannten Königs von Eypern, Peter's L, der wie Peter von Amiend aus der Pilardie jtammenden Philipp von Meziered, der von feiner Jugend an, wo er fih vor Smyma die Sporen verdient, als Krieger, jpäter als Staatdmann, enbdlid am Hofe Karl’3 V. von Frankreich, und nach defien Tode in der Zurüd- gezogenheit bei den Cöleſtinern in Paris als fruchtbarer, wenn auf phantaftifher Schriftiteller unermüdlich für den ihn beherrſchenden Gedanken eingetreten it.

Die Biographie ift breit, nach meinem Urtheil allzubreit, angelegt und hält fi) auch von Überfhägung ihres Helden nit frei (©. 7: l’homme qui a donne la direction & son siecle dans tant de graves circonstances); aber der Bf. hat feine Mühe gejcheut, um jeinen Stoff möglichſt volljtändig zufammenzubringen, bat, außer in den Barifer Anjtalten, in zahlreichen Archiven und Bibliotheken Staliens, ſelbſt Deutſchlands und Englands, Forſchungen angeftellt und die neuere Literatur, auch die deutfche, vollitändig herangezogen. Gleich⸗ zeitig erhalten wir eine Gejhichte der Kreuzzugsbewegungen im 14. Jahrhundert, wobei es denn unvermeidlich war, daß beide Stofte mehrfach mehr äußerlich neben einander hergeben, als daß ihre innere Verknüpfung möglid) geweſen wäre; nahezu erſchöpfend ift diefe Ger Ihichte im Beitalter Peter’3 I. von Cypern, von deſſen Leben und

826 Literaturbericht.

Eine kurze Einleitung über die Hauptmomente der Geſchichte Frankreichs macht mit den Verhältniffen nad) Heinrich's IV. Te befannt. Darauf folgt in drei Kapiteln die Gefchichte der Jugen Nichelieu’3, feines kurzen Minifteriumd von 1616 auf 1617, nz» feiner Stillen, aber höchſt emſigen politifchen Arbeit bis zu feiner de rufung 1624. Die Darftellung der von da ab entfcheidenden Thätig feit des Kardinals gruppiert fi) in vier weiteren Kapiteln um jene Thätigkeit in der Veltliner Frage und vor Rochelle, im Mantuanifdex Streit und im Kampf mit feinen einheimiihen Gegnern, in den po litifhen Wirren Europaß bis 1635 und endlid in dem offenen, erY1 allmählich glücklichen Kriege Frankreich gegen Habeburg. Der Beur= waltung Richelieu's, feiner Stellung zur Kirche und den entjcheider« = den Erfolgen feiner legten Lebensjahre find die drei Schlußlaptel gewidmet.

Derart gewinnt man aus 2.3. Buch von allen weſentlichen Momenten in dem ftaatSmännifchen Wirken des Kardinald ein deut⸗ liches, vollftändiges und in der Hauptſache auch richtiges Bild. Be- ſonders gefchict verjteht es der Vf., Die eigentlich entfcheidenden Punkte berauszuheben ; auch da8 Ineinandergreifen der franzöſiſchen politiſchen Verhältniffe und der großen europäifhen Kombinationen in Richelieu's Wirkſamkeit hat er trefflich dargelegt. Nur eine gute, aus der reiden Litteratur forgfam erworbene Kenntnis und ihre gewifjenhafte Ber: wertung konnte 2. zu einer folchen Arbeit befähigen. Eigentliche Fehler giebt e8 nur wenig. Hie und da iſt er etivad einfeitig vor gegangen, fo wenn er jich zu eng an gewiſſe Vorlagen, wie die Me moiren Nichelieu’3, anfchließt und darüber andere, befonderd die neuejten Darftellungen überfieht. Beſonders bedauerlich ift es, daß er da8 große, von der franzöfifchen Akademie gefrönte Werk von Fagniez »Le Per& Joseph et Richelieu«e (2 Bde., Paris 1894) nid fennt; mindeftend hätte er die wefentlichen Ergebniffe Fagniez' ſchou aus feinen früheren Aufſätzen in der Revue historique fennen folen. Er würde daraus vor allem eine fehr viel Höhere Idee von der ge waltigen Bedeutung der „Grauen Eminenz“ und wohl auch ein etwa? anderes Bild von Richelieu's Perſönlichkeit vor 1630 gemonnen haben. Nichelieu ift, wie man jeßt beſtimmt verfichern kann, keineswegs von vornherein der fertige Staatsmann gewefen, ald den man ihn jo gerne hinftelt. So erſchien er biöher nur, weil man flet3 nur feine grandiofe Thätigkeit in den dreißiger Jahren vor Augen hatte. Bis auf feine ganz allgemeinen Ziele ijt feine Politik ſtets eine Politik von

828 Literaturbericht.

bis 1626 als den Anfang von Pater Joſeph's politiſcher Schrift⸗ ſtellerei beſchränkt, aber es auch ſo noch zu einem ſtattlichen Bande gebracht. Der Gang ſeiner Arbeit iſt kurz der:

In einer längeren Vorrede führt er aus, in welchem Sinne er Fagniez' Werk fortführen wolle, wie er ſich durch ein zweijähriges Studium der authentiſchen geiſtlichen Schriften des Paters eine genane Kenntnis feiner Stile und Geiſtesart angeeignet und damit einen zu⸗ verläffigen Maßſtab für die Ermittelung feiner politiicden Arbeiten. gelihert habe. Auch glaubt D., aus der QTurciade, einem von ihm entdedten Gedichte des Paterd, die ganze Seele des StaatSmanne> und zugleid die Tendenz feiner politiihen Polemik berauszulejen—

Für die Thatfählichkeit von Joſeph's publiziftifchem Wirken kaurm er ſich auf die Zeugnifje ſeines Sefretärd und erften Biographerz Lepre-Balain berufen.

Bon diefer Grundlage aus fucht er dann in zwei Büchern die Schriften ſelbſt feitzufiellen; im erſten bejpricht er eine Reihe vom Alugjchriften unter dem Namen von Pater Joſeph's „allgemeiner Polemik gegen da8 Haus Hab3burg“, im zweiten behandelt er die Ürbeiten, die jener zur Vertheidigung von Richelieu’3 Politik gegen die Hauptangriffe der ſpaniſch-katholiſchen Preſſe verfaßt haben fol.

Ein umfangreicher Anhang fucht endlich für viele der von’ ihm erörterten Schriften die Autorjchaft des Kapuzinerd noch mit neuen ſprachlichen Beobachtungen zu erhärten.

D. kommt zu dem Ergebnis: Zwanzig Flugichriften, die Bände 10 biß 21 des Mercure frangais, im erzählenden Theile wie in den eingerüdten Pamphleten, joweit dieſe nicht ſchon unter jenen zwanzig begriffen jind, und endlich der größte Theil der Gazette de France find das fchriftitellerifche Eigenthum der Grauen Eminenz. D., der aus den fpäteren Jahren ſchon jet noch „über hundert andere poli« tiſche Schriften“ aus der Feder feines Helden fennt, fchließt mit der Erklärung: „Pater Joſeph ift der erite ſtaatsmänniſche Publizift Frankreichs und der eigentliche Begründer der franzdjiichen Zeitung.“ Bisher galt Theophrafte Renaudot dafür. In einer fpäteren Arbeit will der Bf. den Pater zugleich als Vorgänger Pascal's und Boſſuet's in die Geſchichte der franzöſiſchen Literatur einreihen.

Man jieht, dad neue Werk über den Pater Joſeph beanfprudt eine außerordentliche Bedeutung wenn feine Refultate richtig find.

Dieſes Prädikat müſſen wir ihnen aber zu unjerem Bedauern vorerſt verjagen.

380 Literaturbericht.

einſtimmungen dieſer Pamphlete mit jenen dreizehn andern gründen— Wohl möglich, daß dieſe oder jene Schrift, die D. dem Pater zu— ſchreibt, wirklich von dieſem herrührt. Aber das muß erſt bewielerw. werden.

So lange D. alſo nicht neue und zwar rechte Gründe für jene Theje bringt, darf er auf feine Anerkennung feiner Ergebniffe hoffem Was er jüngit al3 Replik auf Fagniez's Kritik vorgebradt hat!), ha = faſt gar feinen Werth, da es nur aus Wortklauberei und unböflidemmu von Eitelkeit ftrogenden Bemerkungen gegen feinen ®egner befteht.

Das einzige Richtige, das wir big jetzt feiner Arbeit nachrühme fönnen, ijt feine Erfenntnis, daß die drei Ylugfchriften La reponse auz libelle intitule, Advertissement au Roy tres Chrestien’ (1625), Discours salutaire sur l’estat present des affaires d’Allemagne (1621) und Discours sur les affaires de la Valteline et des Grisons (1625) nicht von Fancan ftammen, den Geley fie irrthümlich zugeſprochen hatte. Die legtgenannte Schrift ift überhaupt von feinem Franzoſen, jondern von einen Italiener, wie es die Vorrede richtig angibt. Ob dad Pamphlet La cabale Espagnole entierement descouverte von 1624 gleihfall8 nicht von Fancan fei, wollen wir noch unentjchieden laſſen. Jedenfalls wird ung D. fein Verfprechen, für mindejtend zehn von den 17 Flugſchriften, die Geley für Fancan angeſprochen hat, einen andern Urjprung nachzumeifen, ſchuldig bleiben.

Sein ganzes Werf hat wieder einmal gezeigt, wie dringend nöthig eine gründliche Arbeit über die Publizijtit unter Richelieu ift. Der erwähnte Aufſatz von Fagniez darf ald ein guter Anfang dazu be grüßt werden. Th. Kükelhaus.

Rivarol, sa vie, ses idees, son talent, d’apres des documents nouveaux par Andr6 le Breton. Paris, Librairie Hachette et Co. 18%.

Bon Nivarol, dem geijtreichen: Vertheidiger des Königthums, Jind miehrere Lebenöbefchreibungen vorhanden. Auch feine Schriften jind wiederholt gefammelt worden, wenn cd audy nicht eine voll jtändige Sammlung derfelben gibt, die fchon deshalb kaum herzuftellen ift, weil feine Schriftftellerei eine überaus zerfplitterte geweſen ift, feine lugblätter zum Theil anonoym erfchienen oder nur in einer fleinen Anzahl von Eremplaren verbreitet wurden, die, wie er jelbit einmal fagte, der Wind verwehte. Der Vf. der neueften Schrift über

!) Rev. des quest. hist., Januar 1897.

332 Literaturbericht.

Mannes, ſondern an der Hand der reichhaltigen Korreſpondenz, bi er mit feiner Gemahlin, einer Fürſtin Sanguszko, führte, fo vie Belehrung, daß man dem Bf. zu Iebhaftem Dank verpflichtet ijt. die Jahre 1784—89 wird und hier eine Duelle erjten Ranges fk die polnifch=ruffiihe Geſchichte erjchloffen, und wenn fie auch ganz beitimmte Gebiete in neues Licht ſetzt, treten eben dieſe Gebiet doch umfo plaftifcher hervor.

Der Prinz Karl von Nafjau- Siegen gehörte dem katholiſche Hweige der Nafjauer an. Es ift nicht die heutige Luxemburge Linie, ſondern ein Seitenzweig der Oranier, der ebenjo wie di Naffaus Hadamar im 17. Zahrhundert zum Katholizismus übertra! Erſt in fpanifhen, dann in franzöſiſchen Dienften ſtehend, franzd firten fi diefe Nafjauer fo völlig, daß außer dem Namen nicht a ihnen deutſch blieb, und das bat wefentlih dazu beigetragen, daf al8 im Jahre 1793 die regierende Linie des Hauſes Nafjau-Siege ausſtarb, da8 Erbe nicht ihnen, fondern dem Prinzen von Oranie zufiel. Es ift darüber ein langwieriger Prozeß geführt worden, di Ihließlid in eine Abfindung der Franzojen ausmündete, im Lebe des Prinzen Charles aber eine nicht unweſentliche Rolle jpielt. D Prinz, am 9. Sanuar 1745 in der Picardie geboren, verlor früh de Vater und wurde von feiner Mutter, einer Marquife de Mouch durchaus franzöfiich erzogen. Als Bünfzehnjähriger hat er unter I Caſtries am Siebenjährigen Kriege theilgenommen, dann im Dezemb 1766 mit Bougainville die berühmte Reife um die Welt unternomme welche zur Entdedung der Scifferinjeln und der neuen Hebrid führte. In Paris erregte der Prinz jebt allgemeined Aufſehe Segur nennt ihn un vrai phenomene dans un milieu l'ur formit& resultait d’une longue civilisation, und allerdings w diefer junge Mann, der ausjah wie „ein Sräulein, das eben di Klojter verlaffen hat“, durch die Kühnheit feines Auftretens, ſichere Selbjtbewußtfein und die Fruchtbarkeit feiner abenteuernd: Phantaſie eine Erfcheinung, die am Hofe Ludivig’8 XV. und XV ihres Gleihen nicht hatte. Seine Quelle mit dem Grafen Eiterha, und nit Segur machten ihn zum Helden des Tages, fein glänzend Name, die Gunſt des Grafen von Provence ließen feinem Ehrge jeded® Biel erreichbar fcheinen. Er wird Obriſt des Negimen Royal Allemand, und bald danach jehen wir ihn ein Unternehm ergreifen, dag erjt in unferen Tagen zur Wirklichfeit geworden i Mit Genehmigung des Königs wirbt er eine lögion de Nassa.

334 Literaturbericht.

Anſprüche in Deutſchland durchzuſetzen, dann aber wollte er jebt im Polen feine wirthichaftliden Ideen angreifen; nicht nur Frankteichs ſondern aud Spaniens glaubt er als Fünftigen Abſatzgebietes fihemr zu fein. Den König von Polen und feinen Minifter, den Schatz meifter von Littauen, Unton Ziejenhaufen, hatte er bereits für jew Gedanken gewonnen.

Hier ſetzen nun mit dem 19. April 1784 die Briefe des Prem an feine Gemahlin ein. Sie find überall fehr gefchicdt in die Cuc= zählung verflodhten, und die erite Serie, meilt aus Wien, reiht br zum März 1786. Hier ift, abgejehen von einzelnen Kleinen Zügem«, welche Joſeph II., Kaunig, den alten Laudon und die Wiener GeſelI⸗ Ichaft jener Tage betreffen, das allgemeine Intereſſe verhältnismißüg gering. Der Prinz hatte den Kaifer für die Förderung feiner Plärze gewonnen, der Prozeß gegen den Statthalter wurde im Hofgericht zu feinen gunjten entjchieden, und aud) dem Unternehmen der Dnieftr- Ichiffahrt zeigte der Kaiſer ſich günſtig. Im Ganzen aber trägt diefer Abfchnitt mehr für die Biographie des Prinzen als für die großen Beitverhältniffe aud. Umſo interefianter ift der folgende Abſchnitt, der und den Prinzen in feinen Bemühungen zeigt, die Stellung de Königd Stanislaud gegen die Verſchwörung zu behaupten, die ſich in Anlaß der angeblicdyen Vergiftungsverjudhe, die er gegen Radziwil gerichtet haben jollte, über feinem Haupte zufammenzogen. Beſonders merkwürdig ift die Wiedergabe der Geſpräche des Prinzen mit Kaiſer Joſeph II. über die polnifchen Dinge. Sie kamen auf die erfe Theilung zu reden, und der Kaiſer fagte: „Unter den Konföderirten waren geicheute Leute, jo Pac, der ſehr Hug ift und am eifrigiten für da8 Gelingen feines Planes cintrat. Dieſe Leute hatten ſich in den Kopf geſetzt, daß fie den König entthronen könnten. Es waren Bac, der Bifhof von Kamieniec, die Lubomirski, Potodi, Zewronsli, Nadziwil und Andere, die zu mir geflüchtet waren. Ich ſprach mit ihnen, ſtellte ihnen die Nichtigkeit ihrer Mittel vor und daß der König von ganz Europa anerkannt ſei. Uber es Half nichts, fie waren völlig verdreht und boten überall die Krone aus. Sie boten fie dem Landgrafen von Helfen und allen Füriten an und unter ſchrieben fchlieglih das Interregnum. Ihre Ertravaganz ging jedoch nicht jo weit, daß tie ſich perfünlich bloßgeitellt Hätten; fie hatten Truppen, melde ftahlen und plünderten, befchräntten ſich aber felbft darauf, von Zeit zu Zeit in der Nacht einen Proteft an der Grenze anzujchlagen, und fuchten dann dag Weite, als hätten fie eine Helden-

836 Riteraturbericht.

WVeidenpflanzungen, hier Weinberge und wieder an anderer Stell Meiereien angelegt. Aus der Moldau läßt er einige Hundert Familie: eilig heranholen, und da all Died Treiben ftet8 an der großen Heer ftraße ftattfindet, welche die Kaiferin fahren wird, trägt er ſo a jeinem Theil dazu bei, einen Schimmer von Wirklichkeit in die groß Illuſion zu bringen. Da die Briefe aus dieſer Zeit ftetd daraı berechnet waren, von Potemkin perlujtrirt zu werden, können wi leider nicht willen, wie weit er felbft durch all das Blendwer getäufcht wurde, da ſich hier vorbereitete. Ein Stüd Beredhnmy aber auch Selbittäufchung fpielt ohne Zweifel mit; denn es entſpra durchaus feiner Natur, in Gedanken fommende Entwidlungsftadie vormwegzunehmen.. Dem Fürſten Potemfin aber fonnte nid erwünfchter fein, als dieſe enthufiaftifche, ftet3 zu ſofortigem Handel bereite, über alle Geldfragen mit höchfter Nonchalance hinmwegjehen! Natur. Sie begegneten fi) darin, und der Fürft ift denn auch mel als einmal bereit gewefen, die Koften jener Sllufionen auf fid ; nehmen. Nachdem fo Sübrußland und die Krim im Fluge durdhei waren, fehrten Potemkin und Naſſau nah Kiew zurüd, um d Kaiſerin und ihre Gäfle zu erwarten. Der Prinz Hatte feinen Ei Muß auf Potemkin dazu genutzt, ihn ganz gegen die polnifche Opp fition, zu der auch Branidi, der Neffe des Tauriers gehörte, ei zunehmen, fo daß all die Pläne, Stanislaud Auguſt zu Fall bringen, kläglich fcheiterten. Man wird jedod, um Nafjaus Verdien dabei nicht zu überfchägen, in Betracht ziehen, daß es dem ruſſiſch Intereſſe durchaus entſprach, vorläufig Ruhe zu halten, da weit Unternehmungen gegen die Türken bereit in Plan lagen und I Fürſt dem Prinzen Karl von Nafjau bereit3 eine leitende Stellu im künftigen Kriege zugefichert hatte. Troßdem war die polnilt DOppofition, die fich ihres Erfolges ſicher gewähnt hatte, in hohe Grade enttäufcht. Auch die Kaiferin, die inzwifchen in Kiew ei getroffen war, wies jedes Vorgehen gegen den König zurüd. 6 folgte nun ein im Grunde recht Tangmweiliger Aufenthalt von üb zwei Monaten in Kiew. Das Eis des Dnieftr wollte nicht aufgehe und gegen die Unbeugſamkeit der Natur wollten feine Höflingskünf verfchlagen. Auch Katharina mußte fich befcheiden und warten. Si hatte ihren Mamonow mitgenommen und vertrieb ſich die Zeit, | gut es eben gehen wollte. Man fpielte Whift 200 Rubel de Rober, was ſelbſt Naffau etwas theuer findet —, foupirte, dinirt und amufirte fi; endlih am 2. Mai 1787 war es fo wei

888 Literaturberidht.

welche jene ſchon einmal gejcheiterte Duadrupel- Wllianz zum Bu batte, deren Spite fi doch hauptjädhliher gegen England un Preußen richtete. d’Uragon meint irrthümlich, daß ein Gelingen Plane aud die Zukunft Polend als eines felbftändigen Staates | den Grenzen der erjten Theilung gefichert hätte. Davon Tann wol feine Rede jein. Katharina wollte nur die Beute für einen günftiger Augenblid fihern, um fie ji ganz zu eigen zu machen. Dod w dem auch fei, die Ablehnung der gebotenen Allianz durch Montmor bat das Projekt für immer befeitigt. Auch die Nolle, welde d Prinz im ruſſiſch⸗ſchwediſchen Kriege 1789 und 1790 fpielte, ift mic glüdlih gewejen. Seine Korrejpondenz Hagt bitter über die Mi gunft und das Übelmollen der ruffifhen Offiziere, mit denen ex, d als Vizeadmiral die ruſſiſche ARuderflottille tommandirte, zu kämpf hatte. Schließlich erlitt er zu ungeheurer Schadenfreude aller Rufj eine enticheidende Niederlage bei Sweskſund, und damit ift im Orum feine Yaufbahn abgejchlofjen. Der Friede von Werelä nahm ihm je Ausſicht, fi militärifch zu rehabilitiren, und die 18 Sahre, die noch zu leben hatte, find in einer unfruchtbaren Thätigkeit Hingegange die fi nur wenig von jener der übrigen franzöfiihen Emigrantı unterfcheidet. Nur daß er dabei zugleich als rufjifcher Agent figurir Naſſau ift dann noch einmal in aktiven Dienft der Kaiferin treten, al8 die Erhebung Polens unter Kosciuzko jtattfand, und feine übel angebrachten Überredungsfünften gelang es bekanntlich, Friedri Wilhelm II. von der Einnahme Warſchaus abzuhalten. Zwiſche diefem Creignid und der Eritürmung Pragad durch Sumorow lie die Entlafjung des Prinzen aus ruſſiſchen Dieniten. Er hatte Kathe rina darum gebeten, und jie hatte die Bitte gern erfüllt. Cie m ihm die fchwedische Niederlage nad), mit welcher feine Laufbahn al ſchloß. „Bei und fchreibt jie an Grimm liebt man die © ichlagenen nicht; um angefehen zu werden, muß man ſiegen.“ Der Re feine Lebens verklingt ruhmlos, fat ohne Erlebnifje, trog der große Beit, in die es fiel. Am 19. April 1808 ijt er, völlig vergeflen, feinem polniſchen Gute Tyma gejtorben. Th. Schiemann.

Geſchichte der Stadt Preßburg. Bon Dr. Theodor Ortuey, ordent Profefior an der f. ung. Rechtsakademie zu Preßburg und Mitglied der um Akademie der Wiſſenſchaften. Herausgegeben durch die Preßburger Exil Sparkaſſe. Deutihe Ausgabe. 3 Bände. Preßburg 1892—%.

Aus Anlaß ihres fünfzigjährigen Beitandes hatte die Preßburge Sparkaſſe befchlofjen, eine Monographie über die Gefchichte der Stai

340 Riteraturberidt.

Komitat (S. 96), in der Erzählung vom Mongolenfturm und in de Tarftellung der Kriege DOttofar'3 von Böhmen, aber dem aufmerk famen Leſer bleiben auch mande Mängel nicht verborgen. Daß dee Landesgeſchichte allzuviel Raum gegönnt ift, macht fi) namentlid immc« Anfange bemerkbar; das ift übrigens ein Fehler, den O.'s Bud nur = andern Stadtgeichichten theilt. Störender ift die ſeltſame Art, wc fritiicde Fragen in oft weitſchweifiger Darjtellung behandelt werder Den Namen Preßburg leitet D. aus dem Slawiſchen ab (©. 97 doch nimmt er den Ausgang nicht von den, fo viel ich fehe, erftvem- bürgten Formen Brezeöburg (Bern. Aug.) und Preslawaspurch (Anm Altah.), fondern von dem in ältern Ausgaben Aventin's vorlommendemz Wratislavia!). Aus Preßburg fol dann Poszony entitanden jcwz D. gibt alfo im Gegenſatz gegen Hunfalvy ?) den zeitlihen Vorrurug des ſlawiſch-deutſchen Namens zu, und darin darf man ihn zuftimmerz. aud) wenn man feiner Ableitung den Beifall verfagen muß. Nach meinem Dafürhalten ift aud) hier der Ausgangspunkt verfehlt; man jollte nit an PBofonium, jondern an die älteiten Formen Poſſen (Cosmas Prag.) und Bofan (Otto Frifing.) anfnüpfen®), und diefe führen und immer wieder auf den Perſonennamen Bofan, den man auch in Böſing erfennt und vielleiht aud in der Pötſcheninſel eher al die don O. vorgezogenen Petjchenegen vermuthen darf. Die Devorzugung Aventin's hat den Bf. aud bei der Schladht vom Sabre 907 in die Irre geführt. Die gleichzeitigen deutſchen Duell bringen über den unglüdlichen Kampf der Baiern nur Höchft Dürftige Angaben, dagegen erfreut und Qurmair mit einer ausführlichen Er zählung, die allerdings feit jeher lebhafte Bedenken erregt hat (Dümmler, Oſtfränk. Reich 3, 548 Anm. 1; Riezler, Geſch. Baiernd 1, 257; Huber, Lit. Geſch. 1, 124) und daher von manchen deutſchen

1) O. bat leider nicht die neue von Riezler bejorgte Ausgabe ber Annales Boiorum benußt, in diefer finden fich die fyormen Vratizolaum, Vratissolaoburgium, \Vratizolaburgium (1, 463. 654. 658; 2, 33. 49), man darf in ihnen eine gelehrte Nüdbildung aus Preßburg nad) Analogie von Breslau erbliden. Vgl. auch Riezler's Bemerkung (2, 607) über Aventin’s ſprachliche Marotten.

2) Ung. Revue 1883, ©. 413.

s) Ofterley, Hift.egeogr. Wörterbud) ©. 535, dem Umfauft (fterr.-Ung. Namenbuch) und Egli folgen, führt unter Preßburg zum Jahre 784 die Form Pozanum an; bie betrefienden Stellen beziehen ſich aber auf Bozen, vgl. Riezler, Geihichte Baierns 1, 164.

342 Riteraturberidt.

getragen iſt. Darüber hätte fi DO. in Steindorff's Kahrbüchern, di > ihm entgangen find, gut unterrichten fünnen. Die beiden an de Grenze gelegenen Burgen, die im Sahre 1042 nad) den Altaihe ur Jahrbüchern ſchon vor Ankunft der Deutfchen in Feuer aufgingermmr hält er mit Giefebrecht für Preßburg und Hainburg, während {do ex Steindorff a. a. DO. 1, 160, Anm. 5 hervorgehoben bat, dab dieje Arz = nahme einen Widerſpruch mit Hermann von Reichenau hervorru Durch nichts gerechtfertigt ift e8 aber, wenn DO. weiter ausführt, dam diefe Burgen deutjche Beſatzung gehabt haben, welche den Brand g —— legt habe (S. 217). Den ungariihen Prinzen, dem Heinrih IL X_ das eroberte Gebiet nach dem Rathe des Böhmenherzogs überga >, mödte DO. für einen gewiſſen Domoßlo halten, den er zum Shure Wazul's macht, aber die von ihm aufgeftellte genealogiihe Tafel (©. 221) beruht ausfchließlih auf den ungarifhen Schriftſtellern, gegen deren Glaubwürdigkeit Huber, Oft. Geſch. 1,184, Anm. 1, ſchwer- wiegende Bedenken begründet hat. Als ein ſehr wirkſames Beilpief des fritiichen Verfahrens, dem DO. Huldigt, könnte man aud) die Aus⸗ führung über Vetvar anführen (S. 144). Er erklärt dieß als ein avariſches Wort, das nach feiner Anficht Waflerburg bedeuten fol,

uud Hält es „nicht für unwahrſcheinlich“, daß die Avaren dieſen Namen in Erinnerung an Aachen wählten, wo ſich ihre Geſandt⸗ fchaften bei Karl dent Großen eingefunden hatten. In weiterer Be weisführung, in der er die romanischen Karner Niederdjterreichd für Überrefte diefer avariſch-karolingiſchen Zeiten erflärt, kommt er zu dem Ergebnifje, dies hunniſche Aachen fei das heutige Deutjch-Alten- burg. Nach folder Vorkoſt nehmen wir e8 ohne llberrafchung hin,

auf ©. 303 Anm. 3 wieder einmal dem Hanthaler'ſchen Pernold zu begegnen und auf S. 270 zu erfahren, nicht allein, daß Klingjor ein Siebenbürger, fondern aud, daß er es war, der die „Alliance ber Häufer von Ungarn und Thüringen“ erdacht und die Vermählung

der ungarischen Königstochter Elifabeth mit Ludwig, dem Sohne ded Zandgrafen Hermann, veranlaßt bat.

Dieje Beifpiele mögen genügen. Mean jieht, daß DO. troß feine unverfennbaren Strebend, die deutihe Geſchichtsliteratur Tennen zu lernen, doch nicht allzu tief in Die Methode der neuern Forſchung eingedrungen ift. Das zeigt ſich aud darin, daß er ganz werthlofe und veraltete deutſche Geſchichtsbücher heranzieht, während ihm wichtige, grundlegende Werke entgangen find. Hier wird der Bi. für den Fall der Fortführung feiner Arbeit, die ja leider gerade

Ungarn. 343

dort abbricht, wo das bejondere Intereſſe beginnen würde, manche Züde auszufüllen haben; er wird dann auch vielleicht zu größerer Strenge gegen ſich felbft und zu der im weitern Verlaufe noch viel nothwendigeren Unbefangenbeit gelangen, fowie zu der Überzeugung durchdringen, daß es ſich auch auf diefem Forſchungsgebiete nicht um dern Gegenfaß zwifchen Deutfchen und Ungarn, fondern um bie höheren Aufgaben unferer Wiſſenſchaft handelt, die unabhängig find von Grenzpfählen und Nationalfarben, wenn fie auch nur gelöft werden fönnen und follen in warmer Liebe zu dem Boden, auf dem jeder von und fteht, und zu dem Volke, dem jeder angehört.

Der Trud ded Buches und die Ausjtattung mit Facſimiles und Plänen find zu loben, weniger dürfte geläutertem Geſchmack die Velbftändige fünftlerifche Zuthat behagen. Karl Uhlirz.

Notizen und Nachrichten.

Die Berren Derfaffer erfuchen wir, Sonderabzüge ihrer = Zeitfchriften erfchienenen Auffäge, welche fie an diefer Stel berüdfichtigt wünfchen, uns freundlichfi einzufenden.

Die Redattion.

Allgemeines.

Nach einer Mittheilung in der Rivista stor. ital. 14, N. $. 2. beabfichtigt PBrofefior Mazzatini eine Publikation, die alle auf DE Geſchichte Italiens bezügliche, in den Archiven befindlide Material Der: zeichnen joll, unter dem Titel: Gli Archivi della storia d'Italia- Jährlich jollen 6—8 Hefte zu je 80 Seiten eridheinen, zum Preije von 1,25 8. (für's Ausland 1,60 2.) jedes.

Eine neue philologifche Zeitfchrift hat in Belgien zu erjcheinen begonnen unter dem Titel: Le Musée Belge. Revue de philologie classique, publ. sous la direction de P. Willems et J. P. Waltzing. R.12 enthalten Xrtilel von de Groutars: Les Italo-Grecs, leur langue et leur origine. 8. Halkin: Restitution d’une inscription votive de Fl6malle. 9%. Birfon: Le thesaurus linguse latinae et lArchiv für lateinifche Lerifographie und Grammatik. A. Roer ſch: Etude sur Pbilochore. ®. Gér ard: La langue vulgaire et le langage familier dans les satires de Perse. A. Roegiers: La famille de Socrate et sa pretendue bigamie. 9. Temoulin: Les collegia juvenum dans l’empire romain. J. P. ®alging: Notes sur 1’Octavius de Minucius Felix. Als Unner zu der Zeitfchrift ericheint ein Bulletin bibliographique et pédagogique.

Die franzöfiihe Geſchichtszeitſchrift Le moyen Age (Herausgeber Marignan, Prou und Willmotte;, Sekretär U. Bidier; Verlag von E. Bouillon, Paris) hat mit ihrem neuen Jahrgang eine neue Folge in erweiterter &eftalt begonnen. Der Umfang der Zeitjchrift iſt vermehrt,

Allgemeines. 345

und jie bringt jept in jedem Heft, neben dem kritiſchen Theil, einen Auf- ag. Das 1. Heft ber zweiten Serie enthält einen Artikel von Ch. Petit- Dutaillis und P. Collier: La diplomatie francaise et le trait6 de Bretiguy. Als Ertraft aus dem vorigen Jahrgang des Moyen Age ft ein jehr reichhaltige® Repertoire meöthodique du Moyen Age francais (histoire, literature, beaux-arts) von N. Bidier erjhienen (Paris, Bouillon. 1896. 190 ©.). Es ift der zweite Jahrgang dieſes Repertoriumd über die gejammte Literatur zum franzöfiichen Mittelalter im weiteften Sinne für da8 Jahr 1895, und diefe Repertorien jollen auch hinfort regel- mäßig jedes Jahr erjcheinen.

>18 Supplement zum Armorial general von Rietſtap beabſichtigt D. Gv. Epen im Haag (Archives héraldiques et généalogiques) ein Grand Armorial herauszugeben, das in ungefähr 50000 Wappen Rachh träge und Ergänzungen zu dem Rietſtap'ſchen Werk geben ſoll, indem es Vüch vor allem nicht, wie dieſes, auf die gedrudte Literatur befchräntt. Es ol in ca. zehn Lieferungen ä 4 M. ericheinen.

. Im Berlage der Hinrich'ſchen Buchhandlung in Leipzig ift der 1. Band Anex lang vorbereiteten großen Publikation der Preußiſchen Afademie der Diijenihaften erfhienen: Die griehiihen driftliden Scrift- h e lter der eriten drei Jahrhunderte, herausgegeben von der Vechenväter - Kommijjion der kgl. preuß. Alad. der Wiſſenſch. 1. Bd.: Dippolyt’3 Werte, Bd. 1, herausgegeben von Bonwetidy und Achelid. Es \Dlien jest möglichſt jährlich drei Bände erjcheinen (1897 nod) zwei Bände Tigines), im Ganzen ca. 50 Bände zu je 30—40 Bogen, in denen nicht Nur die Kirchenväter, jondern auch alle jonjtigen griechifchen Urkunden des Ülteften Chriſtenthums (einſchließlich der Märtyreraften :c.) in fritifchen Aus— Qaben publizirt werden jollen.

Gleichzeitig hat eine neue Folge der von Gebhardt und Harnad heraus- gegebenen „Zerte und Unterfuchungen zur Geſchichte der altchrijtlichen Literatur“ unter dem Titel: Archiv für die älteren drijitliden Schriftfteller in der Audgabe der Kirchenpäter- Kommiliion der gl. preuß. Alad. d. Wiljenich., zu ericheinen begonnen (I. 1: 8. Holl: Die Sacra Parallela des Johannes Damadcenud. I 2: G. NR. Bonwetid: Studien zu den Kommentaren Hippolyt’3 zum Buche Daniel und zum Hohen Lied).

Die Ruſſiſche Akademie der Wiſſenſchaften beabfihtigt Biographien ruſſiſcher Schriftſteller zu veröffentlichen, bearbeitet von Benguerop.

Das Kol. Preußiſche Hiſtoriſche Inſtitut in Rom beabfichtigt, vom Juni biefe® Jahres ab in Ergänzung zu den „Runtiaturberichten

aus Deutichland“ und dem „Repertorium germanicum“ al® Sammelitelle für fMleinere Arbeiten und Mittheilungen eine periodiſche Publikation

846 Notizen und Nachrichten.

herauszugeben: „Quellen und Forſchungen aus italieniihere Archiven und Bibliotheken“ (jährlich zwei Hefte von zufammen 20 Vogerx Umfang zum Preiſe von 10 M.; Berlag von E. Loeſcher & Eo. in Rım>_ Tas 1. Heft bringt Artilel von 3. Haller: Aufzeihnungen über deux päpftlihden Haushalt aus avignonejiiher Zeit; 8. Schellhaß: Alten übe wc die Nefornıthätigfeit Felician Ninguarda's in Baiern und ÜfterricEy 1572—1576; G. Rupke: Der preußiiche Hof vor 100 Jahren, Bridre eines fpantjhen Diplomaten aus Berlin vom Jahre 1797.

Unter dem Titel: „Monographien zur Weltgeſchichte herausgegeben von Ed. Hend, beabfihtigt die Berlagsbudhhandlung vc® mE Belhagen & Klaſing in Bielefeld eine Sammlung von populär gehaltene u . reich tlluftrirten Schriften zur Geſchichte nach Mufter der im felben Berl gg eriheinenden Künjtlermonographien zu veröffentlichen, jeden elegant ar > - geftatteten Band zum Preife von 3 M. Als 1. Band iſt erfchienen: Tr « Mediceer, vom Herausgeber (mit vier Aunftbeilagen und 148 Abb.). Sn demjelben Verlage ericheint feit Kurzem auch eine „Zeitfäriftjie 7 Bücherfjreunde”, beraudgegeben von F. dv. Zobeltig, in der fer « Drude und Schriften, Nupferftihe und Holzſchnitte, Autographen zw D Ex libris und andere zum Bud und Schriftweien gehörige Diaz behandelt werden.

Bon einer neuen „Zeitſchrift für den gefhidhtliden Unter = richt”, herausgegeben von A. Hettler, iſt das 1. Heft erfchienen (Apri/ 1397, Oſterburg i. A., R. Danehl's Verlag. Sie will hauptjählih den Zweden der Schule, und zwar nicht nur der höheren, fondern aller, auch der Volksſchulen, dienen, und legt daher auf Wrtifel von allgemeinerem Snterefie aus den: Gebiet der griechiſch-römiſchen und der deutſchen Geſchichte und daneben auf Fragen der Methodik des Geſchichtsunterrichts bejonderen Werth. Jährlich jollen zwölf Hefte ericheinen zum Abonne mentspreis von 12 M. Ter Inhalt des 1. Heftes iſt: Zwede und Ziele der Zeitjchrift, vom Herausgeber. Der Einfluß der griechiſchen Literatur auf die römijche Gejchichtichreibung, von W. Soltau (Anfang). Die firhliche Gejepgebung Karl's des Großen von F. Plap (Anfang; Sitte und Leben des Klerus, Beſitz und Rechte der Kirche). Zur Kritik von Wilhelm Herbſt's „Enchklopädie der Neueren Geſchichte“ von M. Thamm (eine etwas komiſch wirkende Zujammenjtellung von Drud: und anderen Fehlern, Tie Germanen nad der Völlerwanderung. Eine kultur geichichtliche Yehrprobe aus dem Unterricht in Prima von F. Neubauer. Die deutiche politiich-patriotiihe Dichtung als Begleiterin des Geidiht* unterrihts von 3. Zie hen. Tie folgenden Hefte follen aud eine Beitihriitenihau und Bücherbejprehungen bringen.

Bon den Zahresberihten der Geſchichtswiſſenſchaft it der 18. Sahraang, 1895, erfchienen (Berlin, Gaertner. 1897). Es ift der

Allgemeines. 347

erite don Berner herausgegebene Band, der erfreulicherweije mit derjelben

Promptpeit wie feine Vorgänger erfhienen ift und aud ſonſt in ber

äußeren Einrichtung ſich ganz an deren bewährtes Vorbild anſchließt.

Bon widtigeren Berichten, die diesmal ausgefallen find, erwähnen wir die Über Ägypten, Germanifche Vorzeit, 15. Jahrhundert, Dreikigjährigen Krieg, Brandenburg, Kreuzzüge, Philofophie und Methodologie, dazu die auch ſchon im vorigen Jahrgang mangelnden über Berfafjung und Seſamimigeſchichte, England bis 1486, Dänemark ſeit 1523, Rußland und Böhmen, Rumänien, Diplomatik ꝛc. Dagegen find die Lücken des vorigen Jahrgangs für die Römer, das Jahrhundert nad dem Weſtfäliſchen Frieden, Schleſien und Polen diesmal erfreulicherweiſe ausgefüllt. Wir dweiũ feln nicht, daß die Jahresberichte auch fernerhin ihren Zweck beſtens erfüllen werden.

_ 8 Breyfig verfudht in der „Zulunft“ Bd. 5, Nr. 33 u. 34 („Die Diie Driler der Aufllärung”) nadhzumeijen, dat erſt durch Bico, Boltatre, ET Der, Wintelmann ıc. eine univerjelle und „entwidlungsgeichichtliche“ Auffafiung in die bisher nur „deicriptive* und „politifhe Geſchicht⸗ Hr ipung gefommen jei. Daß und wie unfere heutige hiſtoriſch-genetiſche Affafjungsmeife mit der Aufflärung des 18. Jahrhunderts zujammen= Not, iſt längit belannt. Breyfig will aber mehr, er will jene Hiftorifer 83 18. Jahrhunderts al8 Zeugen für das „entwidlungsgeichichtliche“ Yincip der neuen Richtung gegen die Armieligfeit der „Fragment: und ndividualhiſtoriker“ aufrufen. Er thut bier, wie anderwärts, jo, als habe

ET gegen eine ganze Welt von Berkehrtheit mit feinen Tffenbarungen ans Aulämpfen. Echte Gefchichtihreibung ftrebt immer danach, zu „entwideln“, Qud wenn fie nicht an jedem Punkte die „Aufjuchung längjter Entwidlungs: reihen“ (man malt fih das mit Schaudern aus!) für ihre Aufgabe hält.

Gegen die Lamprecht'ſche Geſchichtstheorie iſt jet noch einmal FJ. Rachfahl aufgetreten in den Sahrbüdern j. Nationalölonomie u. ſ. w. 68, 659 ff. („Über die Theorie einer ‚tollektivijtiichen‘ Gefchichtswiflenichaft“;. Wir können und nad) dem, was an dieler Stelle wiederholt ausgeführt worden ift, nur einveritanden erflären mit der jcharfen Kritik einer Lehre, welche e3 als ihr Eigenftes rühmt, in den Grenzen der Erfahrung zu bleiben und doch mit der überjpannten Anwendung des naturmwiljenichaft- lihen Kaufalbegriffes auf die Geſchichte „das ſchwanke Seil metaphyſiſcher Epelulation beiteigt“. „Die Determination,” meint Rachfahl dagegen, „die der Hiſtoriker für die menjchlichen Entihliegungen fejtzuitellen vermag, bat für ihn immer nur die Bedeutung einer thatſächlichen, nicht aber einer notbhwendigen Verknüpfung zwiihen Motiv und Handlung.” Mit diejem Berjuche, eine bejondere hijtoriihe Kaujalität, die dad Merkmal der Noth— wenpdigfeit nicht in Sich ſchließe, zu ſtatuiren, geht nun Rachfahl freilich zu weit. Läßt ſich doch, wie er jelbjt wohl weiß und zugibt, andrerieits

348 Notizen und Nachrichten.

ja nidt beweilen, daß der Charalter der NRothwendigleit bei den geihichtliden Ereignifien abjolut ausgefchlofien ſei. Fruchtbarer wäre e8 vielleicht gemwefen, im Anſchluß an die tiefgreifenden Unterfuhungen Dilthey“ & über Urfprung und inneren Kern des Kaufalgefepes überhaupt gegen Die Mechaniſirung desjelben vorzugeben.

Auch die Revue historique (Mai-Juni 1897) widmet der Lampregt- Kontroverfe zwei Artifel. Der erfte von Pirenne (Une polemiguame historique en Allemagne) ijt ein ziemlich allgemein und obenhin gehaltene Hymnus auf den neuen Pfadfinder; die Necenjion der Deutihen Geiidyt von Blondel dagegen verbindet mit freundlicher Anerkennung feine- Talente und feiner anregenden Betradhtungsweije auch jehr deutliche Kriti der jchweren Mängel diejes Werled. Jede in den Inhalt desjelben wirllte eindringende Analyfe hat bisher Moriches in Fülle darin gefunden. Ebe: veröffentliht noh HB. Onden in den Breußiihen Sahrbüdern, Zulideyı eine Studie über die „Abſchreibetechnik“ Lamprecht's („Zur Quellenanal y modernjter deuticher Geihichtichreibung”), eine unerquickliche Arbeit an ſich aber leider nothwendig und zu Ergebnifjen führend, die für Lamprech überaus beihämend jind.

Aus der Ztſchr. f. d. öfterr. Gymnaſien 48, 4 notiren wir nod einen Artilel von Em. Hannad: Lamprecht's deutiche Geſchichte und die neue Richtung in der Geſchichtswiſſenſchaſt, in dem fich der Berfafler zu diefer „neuen Richtung“ bekennt. Ein Aufiaß von F. Neubauer in der Ztſchr. f. d. Gymnaſialweſen 51, 5: Die Nulturgefhichte auf höheren Lehr⸗ anitalten, erörtert das Verhältnis von politiiher und Kulturgejchichte im Geſchichtsunterricht im allgemeinen verjtändig.

Sn der English Historical Review 46 behandelt Edw. Jenks: Fustel de Coulanges as an historian. Die Schmähſchrift von d'Arbois erwähnt er nur nebenher. Er jelbjt erbebt erſt Ausftellungen über Ausjtellungen gegen Fuſtel de Coulanges, um jchließlich in einen großen Lobhymnus zu enden, eine feltfame Art von Würdigung. Aus der Edinburgh Review notiren wir noch einen Eſſai über Gibbon: A great Historian.

Über „Nationalität und Humanität“ handelt eine gefchichtöphiloie- phiſche Studie” von Chriſtian Ritter (Defjau u. Leipzig, o. 3. Zweite Aufl.) Die in der Hauptſache im ibdealijtiihen Sinne gehaltene Unter ſuchung kommt zu dem Schluß, „dab die Nationalitäten bis heute nur mehr oder minder volllonmene Induktionen (?) der Menjchheit ſinden

In den Monatsblättern der Deutſchen Ztihr. f. Geſchichtswiſſenſch. N. F. 1, 11/12 veröffentlicht H. Geffcken einen Aufſatz: Der germaniſche Ehrbegriff, der hauptſächlich gegen die Below'ſchen Duellſchriften gerichtet iſt. Indem Verfaſſer nachzuweiſen ſucht, daß der dem Duell zu Grunde

Alte Geſchichte. 349

liegende EHrbegriff durchaus auf germanifhe Anſchauung zurüdführt, fflgert er, daß auch das Duell keineswegs mit Below als ein Produkt leltiſch⸗romaniſcher Zügellofigkeit zu betrachten fei, das erſt aus dem Aug- lande in Deutichland eindrang.

Ein Artikel in der Beilage zur Münchner Allg. Ztg. vom 26. Mai, jezeichnet Skz.: Vergleichende Rechts- und GSittengeichichte, erörtert die 3ereicherung der Wiffenihaft durch vergleihende Behandlung, unter ʒeſprechung von Schriften von R. Hildebrand und Th. Stieglitz. Aus ettner's Geographiſcher Ztſchr. 3, 5/6 notiren wir Artikel von A. Vier— ın dt: Die Kulturformen und ihre geographiſche Verbreitung (ſyſtematiſche berſicht im Anihluß an fein im vorigen Heft diejer Zeitichrift befprochenes ed), und von 3. Ratzel: Die geographiihe Methode in der Ethno⸗ aphie (über TH. Achelis: Moderne Völkerkunde, Stuttgart 1896). Trrer aus den Deutjchen geographiichen Blättern 20, 1/2 von 9. Schurg: eiträge zur Entftehungsgeichichte des Geldes (ethnologijche überſicht über everſchiedenen Geldformen); aus der Kirchlichen Monatsichrift 16, 6/7 nen Auffag von 9. Köhler: Geſchichtsmaterialismus und Religion; RD aus dem Nineteenth Century 241 und 242 vom Duke of Argyll: Pencer and Lord Salisbury on evolution.

JRKene Bäder: Bildemeifter, Eſſays. II. (Berlin, Her. 6 M.) "&abreguettes, Socidts, Etat, patrie. I. (Paris, Chevalier-Mareng. 3 fr.) dv. Treitſchke, Hiftor. u. polit. Aufjäge. IV. (Leipzig, Hirzel. 3 M.) NR M. Meyer, Deutiche Charaktere. (Berlin, E. Hofmann.) Rlok, Geschiedenis van het Nederlandsche Volk. II. (Groningen, Wolters. 6,25 Fl.) Wittmann, Abriß der ſchwediſchen Geſchichte. (Breslau, KKoebner. 2 M.) Bertolini, Storia generale d’Italia i il rinascimento e le signorie italiane. (Milano, Treves. 36 L) Labriola, Essais sur la conception mat£rialiste de l'histoire. (Paris, Giard et Briere. 3,50 fr.) Groſſe, Die Formen der Familie und bie Formen der Wirthſchaft. (Freiburg i. 8. 750 M.) Nnapp, Srundherridaft und Rittergut. (Leipzig, Dunder & Humblot. 3,20 M.; —- RK. Fiſcher, Geihichte der neueren Philojophie. Jubil.:Ausg. 1. Bd. ‚Heidelberg, Winter. 3M.) Baumgartner, Geſch. der Weltliteratur. [,1. (freiburg 1. B., Herder. 120 M.) Ed. Engel, Geld. d. engl. Literatur. Bierte Aufl. 1. (Leipzig, Bädeler. 1 M.)

Alte Geſchichte.

Bei Negadah in Oberägypten ift von Morgan ein Königsgrab aus fehr alter Zeit, wahrſcheinlich aus einer der eriten Dynaftien, aufgededt, daß, wenn aud nicht unberührt, doch noch viele fchöne Fundſtücke, eine Menge irdened Geräth, Waffen, Schmuckſachen, aud Stüde aus Bold und Elfenbein, und fehr alterthümliche Inichriften ergeben hat. Wir notiren

350 Notizen und Nachrichten.

beiläufig einen Artikel von ®. Steindorff in der VBellage ber Münchener

Allg. Big. vom 20. Mai: Die Verwaltung ber Alterthümer in Agypten

der fi) aus Anlaß des Rüdtritts Morgan’8 von der Stelle eineß General =

direftord mit den neuen Aufgaben beihäftigt, die feines Nachfolger warten. Ebendort in ber Beilage vom 5. Mat findet fi ein Berich von Moftert über einen von G. Schweinfurth in Katro gebaltenemm Vortrag: Sur l’origine des Egyptiens et quelques usages remontam % à l’äge de la pierre.

"An Maſpero's Recueil 19, 1/2 publizirt U. Bouriant nad einemmx ägyptiihen Manuftript nicht unerheblihe: Fragments des petite pre >— phetes en dialecte de Panopolis (namentli von Joel, Amos, Mickp au und Zadaria). Das Heft enthält ferner Artikel von E. Chaffinat: Lee vexves de Manethon et la troisitme ennéade heliopolitaine ((dge= == Amelineau, der die dem Menes vorangehende prähiſtoriſche Heroendynaſt e nach neueren Funden zu hiftorifiren verfucht hat); von M. Barthelem > = Relation sommaire d’une excursion de quinze jours au nord d’Ale&x> dans la Syrie septentrionale, en septembre 1894 (Funde von nidrfteme und AltertHümern); von V. Scheil: Correspondance de Hammuri>ä„ roi de Babylone, avec Sinidinnam, roi de Larsa, il est queeioxm de Codorlahomor (Bublilation, Überjegung und Erörterung von dret Stüden) und von demjelben weitere Notes d’epigraphie et d’arch&lorie assyriennes; von ©. Maſpéro: Notes sur la g6ographie dgyptienn de la Syrie. Ferner die Fortſetzung der Recherches sur quelques bois pharaoniques von G. Beauviſage und den Anfang von Unterfuhungerz von 9. Moret: La condition des feaux dans la famille, dans la societe, dans la vie d’outre-tombe (Wuffafiung von amakhou); endlich Tublifationen von neuen Inſchriften 2c. von Dareffy, Spiegelberg, Pinches ıc.

In der Bibliotheca Sacra S. 214 f. erörtert J. M. P. Metcali: The Tell-el-Amarna letters. Aus der Weftminfter Review, April 1897, notiren wir einen Auflaß von U. Holmes: Wellhausen’s latest critic, in dem Berfafier das gegen Wellhaufen gerichtete Buch von Barter beipridt und entichieden für Wellhaufen Partei ergreift.

Die Wiener Zeitichrift für die Kunde des Morgenlandes 11, 1 enthält einen Artifel von 3. Karabacek: Ägnptifche Urkunden aus den Bl. Mujeen zu Berlin. Verfaffer beipriht das 1. Heft der arabiſchen Ur: funden und ftellt für die Fortſetzung eine Reihe von dringenden Defiderata, Hinzufügung von Überfepungen und Erläuterungen, Buthaten, die bie Publikation erſt wirflih hiſtoriſch nutzbar madıen.

Sn den Preußiſchen Jahrbüchern, April und Maibeft, veröffentlicht F. Zufti eine größere Abhandlung: Die ältejte iranifche Religion und

Alte Geſchichte 851

br Stifter Zarathuftre. Er gibt einen allgemeinen Überblid über Ent⸗ tehung und Eintheilung des Aveſta und führt dann, zum Theil unter örtlicher Mittheilung einzelner Lieder, die altperfifche Religion in ihren wundzügen dem Leſer vor. Zum Schluß wird die Tradition über Zara⸗ 'ftra zufammengeftellt und erörtert.

In der Imperial and asiatic Quarterly Review, April 1897, gibt 9. Barler: A plain account of the life, labours and doctrines of ’nfucius.

In der Weitminfter Review, Mai 1897, behandelt 3. F. Hemitt: story as told in the cave deposits of the Ardennes. The travels the cave men of the stone age and their legends. 1. Theo hairy na of the mammoth age Ein Xrtifel von 3. Legge in der »ttish Review 58: Primitive religion and primitive magic, vertritt Beſeelungstheorie.

Aus dem Globus 71, 14,15 notiren wir Mittheilungen über: Neue ſchungen in den Ruinen von Urmal (Yulatan).

In den Mittheilungen der anthropologifhen Gejellihaft in Wien 17,1 Sffentliht 8. Penka eine größere Abhandlung: Zur Paläethnologie ttel- und Südeuropas. 1. Kelten und Gallier (ihr Einbrud) in Spanien >Igte gleichzeitig mit dem Vordringen der Germanen auf feltifches Ge— &). 2. Illyrier und Staliter (die ältefte ariſche Schicht in Stalien waren

Illyrier. Der Einbrud der Staliter erfolgte im 11. Jahrhundert Er). 3. Thraker und Hellenen (da8 Verhältniß zwiſchen ihnen war nlih wie zwijchen Jlyriern und Jtaliern; die Thrafer waren die -Üger der mykeniſchen Kultur, und die griehifche Wanderung löfte diefe x 13. Jahrhundert ab). Die Rejultate des Verfaſſers müſſen natürlich als Br problematifch betrachtet werden.

Aus der Zeitichrift für Ethnologie 29, 1 notiren wir einen Artikel von 3. Schoetenjad über eine Studienreife: Bor: und Frühgeſchichtliches tus dem italienischen Süden (Sicilien, Sardinien) und aus Tunis.

Ein interejlanter Aufiag von ®. Helbig in den Sitzungsberichten der Aladenie der Wiflenichaften zu Miüncen 1896, 4: Ein ägyptiiches Brabgemälde und die mykeniſche «stage, behandelt ein in der Revue arch&ol. von Dareſſy veröffentlichte® Wandgemälde aus dem Grabe eine igpptifhen Bolizeihefd, auf dem fremde Handelsſchiffe in einem ägnp- iſchen Hafen dargeitellt werden. Es ſind offenbar Schiffe von Phöniciern, ınd die hier dargejtellte phönicifche Kultur ijt ganz analog der ſog. myke— niſchen.

Aus der Civilta cattolica 1124 u. 1126 notiren wir die Fortſetzung er Artikel: Gli Hethei-Pelasgi (Micene und Conclusioni storico- ritiche). Im Globus 71, 4 behandelt A. Götze: Die trojaniihen

852 Notizen und Nadridıten.

Eilberbarren der Schliemann’ihen Sammlung. Ein Beitrag zur Urgeſchichte des Geldes. Er jieht die Kupfer- und Bronzecelte ald urſprüngliche Tauſch⸗ mittel an.

In den Zahrbüchern für Nationaldtonomie und Statiftif 68, 3 ant⸗ wortet 3. Belod auf den Angriff von Eeed: Zur Bevölkerungsgeſchichte de3 Alterthums (vgl. die Notiz S. 148).

Im Bulletin de correspondance hellenique 20, 11 veröffentlicH! Th. Reinach: Observation sur le systeme mone6taire delphique x IV. siecle (im Anſchluß an die von Bourguet veröffentlichte Inidrift. Ber fafjer glaubt danad in Delphi ein gemiichtes Syſtem konjtatiren zu fünnez« vgl. aber ein Nachwort zu dem Artikel unter Nouvelles et correspondancee= Es folgen in dem Heft Artikel von 3. Ebamonard: Theätre de Dil (ſehr eingehende Tarftellung der Ergebnifje der neuen franzöjiihen Aun S grabungen); von U. de Ridder und U. Choiſy: Devis de Livedi2 (neue Publifation und Erörterung der 1891 gefundenen Inſchrift, ne Tafel); P. PBerdrizet: Notes sur Chypre. Inscriptions greegue (Ausbeute einer Reiſe von 1896; darunter eine griechiſche Verſion De- 14. Pſalms); P. Hartwig: Une gigantomachie sur un canthare die l’acropole d’Athönes (vom Berfafier zum Bergleid mit dem Friefe por Schatzhaus der Ziphnier herangezogen) und von B. Dobronsty: Im- scription de Pizos (mit thraciihen Ranıen‘.

In ber Classical Review 11, 3 fommt G. B. Grundy nod einmal auf teine Polemik mit Burrows zurüd: The Pylos and Sphacteria question. Ebendort 11, 4 fuht U. W. Verrall: The date of Tyrtaeus, den An: griffen von Macan zu begegnen, und ebenfo ſucht fih C. Torr nod ein: mal zu vertheidigen: Memphis and Mycenae.

In den Neuen Jahrbüchern für Philologie 1896, 12 veröffentlidt 8. Krauth die Fortſetzung jeiner Unterfuhungen über: Berjchollene Länder des Alterthums (6. Tie öftlihen Zteuerbezirfe Perſiens nach Herodotos und den Dareios-Inſchriften). Ebendort im erften Heft des Jahrgang? 1897 finden fih Artitel von 5. Hultſch: Eine Näherungsrechnung der alten Poliorketiker Polyb. 19, 12 ff, Berehnung der Länge der Sturm leitern für die Mauern einer belagerten Stadt) und von Em. Hoffmann: Die Arpalbrüder (Zurücdweifung eines Angriffs von Wiſſowa). Aus dem 3. Heft notiren wir hier nur einen Artilel (Anfang) von G. Friedrich: Die Entitehung des Thukydideiſchen Geſchichtswerkes (ſucceſſive Entitehung und Erweiterung desjelben).

In der Märziikung der Berliner archäologiſchen Geſellſchaft trug Hiller v. Gaertringen einen Beriht Dragendorff’3 über die legten Ausgrabungen auf Thera vor, und F. Noad ſprach über Stadt: und Burgruinen in Lofris, Ätolien und Alarnanien. Vgl. die ausführ: lihen Berichte in der Wochenſchrift für Haffifhe Philologie Nr. 18 und 19.

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Ulte Geſchichte. 363

In den Mittheilungen des Kaiſerl. deutihen arhäolog. Inſtituts, Athen. Abth. 21, 3 mahen H. Schrader und A. Körte weitere Mit- theilungen über: Die Ausgrabungen am Wejtabhange der Afropolis (Skulpturen und Inſchriftenfunde). Schrader berichtet Über Funde im Gebiete des Dionyſion und Körte über das HeiligtHum des Amynos, ins dem er zugleih im Allgemeinen über den Heros Amynos und deſſen Lrgeonen handelt. In demfelben Heft ijt eine ältere, topographijche Arbeit von Volling über den Hügel „Sitelin bei Athen“ abgedrudt; endlich

folgen noch Arbeiten von 9. v. Friße: Bu den griehifhen Todtenmaßl- reliefs (Verfaſſer enticheidet fich für die Deutung, daß dabei der Todte felbft als Heros bei den Greuden des Mahls im Jenſeits gedacht iſt; vgl. dazu noch einen Efjat in der Edinburgh Review 380: The sculptured tombs of ellas, im Anſchluß an das gleihnamige Werk von P. Gardner, wo der Aufjay von Fritze Schon berüdfichtigt wird), und von PB. Wolter’: Ein griechiiſcher Beitattungsbraud (sc. ein dem Todten umgelegtes Kinnband). Sn den Mittheilungen 21, 4 gibt Sam Wide einen Bericht über von m zufammen mit Kjellberg unternommene Ausgrabungen prähiftorijcher Häber: Aphidna in Nordattila. P. Kretſchmer behandelt: Die ſekun— ATen (zujammengefegten) Zeichen des griehiihen Alphabet. Es folgen Trike von A. Wilhelm: Infchriften aus Attita (Ehrendekret; Namens» Verzeihniß der Mitglieder eines Eranos 2); D. Fränkel: Epigra- PBijcpe Miscellen; A. Körte: Attifhe yrgos (bei den Außdgrabungen am eitabhang der Akropolis gefunden) und Berichte über neue Funde. as Jahrbuch des Arhäologiihen Injtitut3 12, 1 enthält eine Zuſammen— ellung von arhäologifhen Mittheilungen aus Südrußland von 9. Dragen- orff.

In den Mittdeilungen des Staiferl. deutihen archäolog. Inſtituts, Wöm. Abth. 11, 3 publigirt CH. Hülfen die Fortfegungen feiner: Unter- Tuhungen zur Zopographie ded Palatins 5. Ter Tempel des Apollo Palatinus; lag auf der Tftede des Hügels) und der: Miscellanea epigra- fica (Tessere lusorie und Inſchriften von Cajalbordino und Tarent); dazu derfelbe noch einen dritten Artilel: Di una pittura antica ritrovata sull' Esquilino nel 1668 (nad Bartoli). Ebendort in Heft 11, 4 gibt U. Mau Relonftruftionen vom: Tempel der Fortunaga Augujta in Bompeji und vom: Städtiſchen Larentempel in Pompeji (dem fog. Senaculum). €. Peterſen wendet fi; gegen die Hypotheje Furtwängler's: Sul monu- mento di Adamklissi (vgl. dazu den unten erwähnten Artikel von Benn= dorf in den Lfterr. Ungar. Mittheilungen) und M. Roſtowzew behandelt die Bedeutung von: Anabolicum (Zoll auf Waaren in Agypten, die dann mit einer Steuerplombe, wie und deren erhalten jind, verjehen wurden).

In den Archäolog. epigraphiihen Mittheilungen aus fterr.-Ungarn 19, 2 publizirt und erörtert M. Roſtowzew eingehend: Eine neue Ins Ihrift au8 Halicarnaß (von Szanto gefunden, betr. den Bau eines Zolls

Hiſtoriſche Heitichrift N. J Bd. XLIII. 23

854 Notizen und Nachrichten.

gebäudes in Halicarnaß). Es folgt ein Artikel von E. Groag: Patrizie und IlIviri monetales (Belleidung leßteren Poſtens durch Patrizier vor= Vespaſian bid Alexander). U. Stein publizirt: Zwei lykiſche Infchriiten« und veröffentlicht einen Aufſatz: Agypten und der Aufftand des Avidin Caſſius (der daran theilnehmende Mäcianus war nicht ber befannte Jarig des Namene). H. Gomperz erörtert die Frage: Hat es jemals in Edeſſ chriſtliche Könige gegeben? (die liberlieferung über das Chriſtenthuc Abgar's IX. iſt legendariſchj und TH. Gomperz publizirt: Ein Grake epigramm aus Mylaſa in Karien. P. Sticotti berichtet Über Ergebnif einer Reije: Aus Liburnien und Sitrien, und den Schluß des Heftes bild, SInichriftenartitel von Majonica: Aus Aquileja (Weihinfchriften), vers Sr. G. Tocilefeu: Neue Infchriften aus Rumänien (Fortfebung, Ar. "T« bis 95; meift Grabſchriften, zum Theil in Berjen) und von der Rebaltiwnz mitgetheilte Injchriften aus Bhilippopel (6 Nummern) und Altbulgarit cp. Inſchriften (11 Stücke). Endlih enthält da8 Heft noch den {don er. wähnten, fehr bemerlenswerthen Auflag von DO. Benndorf: Adanllifjr, in dem er fi auch ſchon mit dem Aufſatz von Peterſen außeinanderjegr.

Über die von ihm feit dem Jahre 1895 auf der Stätte bed altem Epheſus unternommenen Ausgrabungen bat jegt Prof. Benndorf der Wiener Alademie der Wiſſenſchaften Bericht erftattet. Danach ift nament fi ein großer, ſchöner Saalbau aufgededt, und bemerkenswerthe Skulpturen und Arditelturreite, daneben etwa 300 AInjchriftenrefte, find bis jetzt ger borgen. Größere Ergebnifie find wohl noch nad) weiteren Ausgrabungen zu erhoffen.

Sn der Nähe von Teſtur in Tunis iſt eine große agrarifdhe In: ſchrift gefunden, ein Reglement für die Villa magna Valeriani mit Angaben über den Anbau des Landes und die Kohnverhältnifie der Ar⸗ beiter, ein Seitenftüd zu der berühmten Inſchrift vom Saltus Burunitanus. Beim Cap WMatifon, öſtlich von Ulgier, ift eine Nekropole aus dem zweiten Sahrhundert n. Chr. entdedt.

Sn der Revue catholique d’Alsace 16, 1 behandelt @loedler: La campagne de Cesar contre Arioviste en Alsace (fegt die Schlacht bei Stogheim im Unterelfaß an). Aus der Nouvelle Revue Historique de droit francais et &tranger 21, 2 notiren wir: Fragments de la lex municipii Terentini (Reprodultion des Terte® nach Scialoja) und bie Fortfekung der Abhandlung von Meynal: Le mariage aprös les invasions.

Da3 Bullettino della commissione archeol. comun. di Roma %, 1 enthält eine intereflante Etudie von E. Serafini: L'arte nei ritretü della moneta romana repubblicana. Ebendort berichtet Or. Marucdi: Di un frammento di sarcofago cristiano con nuove rappresentanze eimboliche (im Februar in Rom gefunden, mit Abbildung) und Gatti tbeilt: Notizie di ricenti trovamenti di antichita (au8 Rom) mit.

356 Notizen und Nachrichten.

L’inscription d’Abercius et son dernier exegete, in dem der Verſaſſer be merkenswerthe Einwände gegen TDieterich erhebt und wieder für ben driyx lien Charakter der Injchrift eintritt. Vgl. dazu nod einen Artikel oz 8. de G. in den Etudes religieuses 71 (deren officieller Titel übrigemw- jest: Etudes publiées par les Peres de la Compagnie de Jesus lautet‘ Un monument de la foi du second sitcle (l’Epitaphe d’Abercius). In der Revue Benedictine 1897, 5 publizirt D. G. Morin: L'epistuml ad virginem lapsam, de la collection de Corbie, opuscule inedit vJ ıa fin du IV. siecle (vielleiht von Nicetas).

In den Sigungsberichten der bayer. Akademie der Wifjenich. zu Münden 1897, 1 behandelt H. Chriftenjen: Die Vorlagen des byzantiniicher Alerandergedichtes, jomwie die ‚srage nach dem Berfafler. Ebenbort, ir Jahrgang 1896, H. 4 publizirt und erörtert 8. Krumbader einen: Dithyrambus auf den Chroniſten Theophanes (ein Proſaſtück aus einer Mündener Handſchrift nebft zwei Hyninen). In den Melanges d’archdo- logie et d’histoire 17, 1 publizirt 9. Delehaye nad einem Manuferip? der Barberini'ihen Bibliothef: La vie d’Athanase patriarche de Con- stantinople (1289-93 und 1304—10).

Nene Büder: Marquart, Fundamente ißraelitifher und jüdiider Geſchichte. (Göttingen, Dieterich. IM. Friedländer, Das Juden thum in der vordriftl. grieh. Welt. (Wien, Breitenftein) Darem- berg et Saglio, Dictionnaire des antiquites grecques et romainee. 35. fasc. (Paris, Hachette. 5 fr) Revillout, Notice des papyrus demotiques arclıaiques et autres textes juridiques ou historiquee. (Paris, Maisonneuve.) Buſolt, Griechiſche Geſchichte bis zur Schlach bei Chäroneia. III, 1. (Gotha, Perthes. 10 M.) Strack, Die Dynaflie der Ptolemäer. (Berlin, Hertz. 7 M.) Philonis Alexandrini opers IL ed. P. Wendland. (Berlin, Reimer. 9 M.) Murray, A History of ancient Greek Literature. (London, Heinemann.) Sielinili, Cicero im Wandel der Jahrhunderte. (Veipzig, Teubner.) Le Bour- geois, Les martyrs de Rome. I. (Paris, Lamulle et Poisson.) Borsari, Topografia di Roma antica. (Mailand, Hoepli. 4,50 M) Cichorius, Tie Relief der Trajansſäule. I. (Berlin, Reimer.) Yung, Orundriß der Geographie von Jtalien. 2. Aufl. (Münden, Bed. 3,50 M.:

DBömifh-germanifhe Zeit und frühes Mittelalter Bis 1250.

In den Neuen Jahrbüchern für Philologie 1897, 1—3 handelt A Wilms über: Das Schlachtfeld im Teutoburger Walde. Er gibt zur nädjt eine ablehnende Kritik der Knoke'ſchen Habichtswaldhypotheſe, wobei aud die Knoke'ſche Schrift über die Pontes longi noch einmal beiproden wird, und er ſucht dann feine eigene Auffafjung von der Varianiſchen

Frühes Mittelalter. 357

ꝛclage näher zu begründen. Der letzte Kampf hat nad ihm im Lippi- Walde ftattgefunden, und das Sommerlager des Varus war in Det- Bir notiren nod eine Recenfion der Knoke'ſchen Schrift von 8 olff in Nr. 15 der Berliner Philologiihen Wochenschrift und einen aB vom Generalmajor Wolf (gleihfalld abweijend) im Korreipondenz=- des Geſammtvereins ꝛc. 45, 7: Das Varuslager im HabichtSwalde. der Stelle im Habichtöwalde foll übrigens jegt noch eine Heine Stein- mit Aſchenreſten und einem Schwert gejunden jein, und die darüber Teitete Notiz Mingt beinahe, als hätte man hier gar die Überrefte des 23 jelbit gefunden! |

Der Kontroverje über die Schlaht im Teutoburgerwalde und über bie tes longi ijt auch der größere Theil des 21. Bandes der Mitteilungen Bereind für Gedichte und Landeskunde von DOsnabrüd (Osnabrück, 3. Kisling. 1897) gewidmet. In einer größeren Abhandlung behandelt Brejama: Die Ergebnifje der Bohlmwegdunterfuhungen in dem Grenz- Ir zwiſchen Oldenburg und Preußen und in Mellinghaufen im Kreiſe lingen. Er gibt vor allem eine genaue, durch viele Zeichnungen, Karten ) Pläne erläuterte Beichreibung und techniihe Erörterung der auf» edten Bohlenmwege, die er in römiſche {die pontes longi des Tacitus), römiſche und mittelalterlihde unterfcheidet. Vielleicht ließen fi noch logiihe Indizien und eine Bergleihung mit in andern Theilen Deutid- ds gefundenen Moorbrüden zu genauerer Altersbeſtimmung verweıthen. Ichließt fi daran ein Artikel von H. Plathner: Eingetretene Ver— :bungen an dem Bohlmwege im Dievenmoore zwiſchen Damme und ıteberg, der gleichfalls technijche Erläuterungen gibt. Endlich der legte itel des Heftes: Zu den neuejten Römerforſchungen, enthält einmal i ablehnende Beiprehungen der Knoke'ſchen Hypotheſe von Schuchardt ı Hamm (jener hält die Umwallung für wahrſcheinlich forjtwirtbichaft- n Urſprungs; dieier leugnet nad) hemijcher Analyje, daß es fih um 'n Leihenhügel handelt) und beiden antwortet Knoke in längeren gegnungen.

In der Deutichen Zeitichrift für Geſchichtswiſſenſchaft, N. F. 2, Viertel: rsöheft 1 veröffentliht W. Schule einen Artikel: Principat, Comitat, Hilität im 13. Kapitel der Germania des Tacitus. Er wendet ſich gegen »ßner's interpretation vgl. die Notiz 77, 358) und ehrt jelbjt mit bt zu der Erklärung von dignatio im pajjiven Einne zurüd. Im igen aber kann ich jeiner Erflärung fo wenig wie der Wießner's zu= ımen, halte vielmehr die Leſung ceteri für ceteris für uncrläßlid, um einem richtigen Zuſammenhang der ganzen Stelle zu gelangen. FE.

m Thiel’? Landwirthſchaftlichen Jahrbüchern 26, 1 ift eine Abhand- g von Braungart veröffentlidt über den: „Uralten Aderbau im enlande und jeine urgeichichtlihen=ethnographiihen und anthropolo⸗ ben Beziehungen“, auf die in der Beilage der Münchener Allg. Ztg.

358 Notizen und Nachrichten.

vom 3. Mai in einem Artikel: AUderbaugeräthe und Ethnographie uf merkſam gemadt wird. Namentlid) dag Verdienſt der Germanen um die Ausbildung der beiten Aderbaugeräthe wird von Braungart betont.

Eine injtruftive Etudie veröffentliht Ed. Kraufe im Globus 71, LT und 18 über: Vorgeſchichtliche Flichereigeräthe und neuere Vergleichsſtück e

An ben Schriften des Vereins für die Neumart, 5, behandelt U. Gi e Die Borgejhichte der Neumark, nad den Funden bargeftellt (von Unfezug bis in die flawifhe Zeit). In den Württemberg. Bierteljabröheftenz, N. F. 5, 34 maht W. Neftle: Bemerkungen zu einigen Eigennamen auf römiſchen Inſchriften in Württemberg, die auf gallo-römiſche Miich- bevölkerung jchließen lajjen.

Das Korreipondenzblatt der Weitdeutichen Ztichr. 16, 1 enthält Berichte über neue Funde von ©. Sirt: Fragment einer Uconftatue, gefunden bei Wahlheim, jept im Stuttgarter Yapidarium; von 8. Wolff, über das nıeu aufgegrabene Kaftell Heddernheim; von Ballat, über römiſche Funde im Wiesbaden, bei Straßenbauten und Fundamentirungen gemadt, zum Theil wahricheinlih aus den alten, 69 n. Chr. zeritörten Aquae Mattiacorum und von Waltzing über eine in Arlon gefundene Grabſchrift. Das beis gegebene Limesblatt Nr. 21 enthält Berichte der Streckenkommiſſare Nitterling (Kaftell bei Bendorf in der Rheinprovinz), Ballat (Ber fauf des Limes von Kaſtell Alteburg bis Kemel), Wolff (Erdfaftele Heidenbergen, Höchft und Hofheim‘, Conrady (die „Schanze“ bei Gericht ftetten, eine vorrömifche Befeftigung), Steimle {rhätifcher Limes in Bürt teınberg, Fortjegung in Nr. 22), Preſcher (Kaftell in Heidenheim an der Brenz) und W. Kohl Kaſtell Hammerſchmiede-Dambach und Limes-Pfahl⸗ roft in Kreutweiher). Das Limesblatt Nr. 22 enthält außer der Fortſetzung des Steimle'ſchen Berichts noch Berichte von Wolff Über Straßenforjhung aus dem Bezirk Frankfurt a. M., von Schumacher über Gradlinigfeit des Grenzgräbchens auf der badischen Strede Rinſchheim⸗Tolnaishof, und von Kohl über ein Kuaftell bei Weihenburg a. S. in Mittelfranfen. Im Korrefpondenzblatt 16, 2/3 berichtet Körber Über neu gefundene römiſche Inſchriften aus Mainz, und A. Kiza über eine Unterjuchung der fog. Poller-Köpfe (Kheindämme aus dem Mittelalter). In demielben Heit theilt noch Ritterling unter Miecellanea eine in Lykien gefundene In⸗ Ächrift mit, die fich auf den an Tomitian’3 Chattenkrieg im Jahre 83 be tbeiligten P. Baebiug Jtalicus, ſpäter Statthalter in Lykien, bezieht. Aus Jr. 4 des Korreſpondenzblattes ift hier nur eine Miscelle von Kenne, eine Zujammenftelung über den mit Merkur identifizirten keltiſchen Gott Vijucius, zu erwähnen.

Ein Heiner Aufſatz von G. Wolfram in ber Beilage der Mündner Allg. Ztg. vom 26. Mai: Der Landkreis Me, ein Territorium aus römiſcher Zeit, folgert aus den Ergebnijlen der Namenforihung, daB die alte civitas

Srühes Mittelalter. | 359

Mediomatricorum dem Andringen der germaniihen Stämme am längften widerftanden und dann immer eine jelbftändigere Stellung bewahrt habe.

Das Archiv für kathol. Kirchenrecht 77, 2 enthält die Fortfegung der Abhandlung von Stiegler: Dispenſation und Dispenſationsweſen in ihrer geihichtlihen Entwidlung bis zum 9. Jahrhundert. Verfaſſer weiſt die Anſicht zurück, daß vor dem 11. Jahrhundert Dispenſationen für beab- ſihti gte Handlungen (in faciendis) nicht gewährt wurden. Dagegen waren die Dispenfationen bis zum 11. Jahrhundert ftet? allgemeiner Natur und

Nrıten noch nicht Aufhebung der Wirffamfeit eines Geſetzes in Einzel: ällen. Dasfelbe Heft enthält einen Artikel von %. Ehrmann: Der kano⸗ niſche Proceß nach der Collectio Dacheriana Quellenanalyſe der zwiſchen

& und 831 verfaßten Collectio und ſyſtematiſche Behandlung der auf den kamoniſchen Prozeß bezüglihen Theile).

Die Studien und Mittheilungen aus dem Benediltiners und Cijter- Cienfer-Orden 18,1 enthalten, außer der Sortjegung der Wrbeit von Beith: Die Martyrologien der Griechen, einen Artikel von B. Ponſchab: Das Pontificalbuch Gundekars II. und der jelige Ultto von Metten (das Pontifikalbuch zeigt, daß Utto in Eihftädt von Biſchof Gundelar zum Tidcefanpatron erhoben war). In der Ztichr. für Kirchengejchichte 18, 1 veröffentliht 4. Freyſtedt: Studien zu Gottſchalk's Leben und Lehre

{1. Gottihalt’3 Berurtheilung und Ende, ichildert fein tragifches Schichſal im Kampf um die Prädeſtinationslehre). In den Analekten des Heftes handelt O. Seebaß: Über die jog. Regula coenobialis Columbani und die mit dem Bönitential Columbas verbundenen kleineren Zuſätze (das Poenit. Columbani enthält zwei jelbftändige Pönitentialien, die aber wahrſcheinlich beide, der Haupttheil des zweiten fider, von Golumba her- rühren. Daran fchließt fi) noch eine Erwiderung an 9. J. Schmip).

In den Mittheilungen des Inſtituts für öſterreichiſche Geſchichts⸗ forfhung 18,2 veröffentliht U. Manitius einen Meinen Artikel: Bu Dynamius von Maſſilia (über die Perfönlichleit des in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts lebenden Dichter® und Beiträge zur Textkritik des Gedichts De TLerine insula). Ebendort unter „Kleine Mittheilungen“ behandelt Br. Kruſch: Die Zujäpe zu den Chroniken Iſidor's in Mommſen's Ausgabe der Meinen Chroniten, die neues Material zur fränkiſchen Geihidhte enthalten, und R. Sternfeld weilt hin auf: Ein unbelanntes Diplom Konrad's III. ‚vom 14. Eept. 1151, abichriftlih im Tepartemental:Arhiv der Iſere).

Unter dem Titel Analecta veröffentliht EC. Weyman im Hiltoriichen Jahrbuch 18, 2 kritiiche Bemerkungen: Zu den (von Sauerland: neuedirten Zerten über Clemens von Meg. Ebendort publizirt B. M. Reichert: Acht ungedrudte Dominilanerbriefe aus dem 13. Jahrhundert (an die Dominilanerinnen des Klofterd St. Agnes in Bologna, nad) einer Würz- burger Handidrift).

860 Notizen und Nachrichten.

Die Studi storici 6, 1 enthalten die Fortfegung, bzw. den Schiuß der Artikel von WU. Erivellucci: Le chiese cattoliche e i Langobardii ariani in Italia, und von U. Mancini: La storia ecclesiastica di Eusebio e il De mortibus persecutorum. Ebendort beginnt %. Muct = accia mit der Veröffentlihung einer urkundlichen Geſchichte des Orderr S ver: Cavalieri dell’ Altopascio, von jeiner Gründung im 11. Jahrfundert ab (mit Abdrud von 22 Urkunden aus dem 12.—14. Jahrh. aus dewm Staatsarchiv von Lucca). Tas Archivio storico siciliano 21, 3/4 Bringt eine fulturbiftoriiche Studie von C. A. Sarufi: Ricerche sugli usi mnu- ziali nel medio evo in Sicilia (über Herkunft der Gebräude, ihre Ber: änderungen ꝛc.; mit Abdrud von 7 Nummern Urhinden und Altenftücke aus dem 13. und 14. Jahrhundert). Im Giornale storico della litte- ratura italiana 86/87 handelt 3. della Giovanna: Ancora diSan Francisco d’Assisi e delle Laudes Creaturarum (gegen Dariano).

In den Atti e memorie della R. Deput. di Storia patria per le provincie di Romagna 3, 14, 4/6 publizirt B. Uccame: Notizie e docu- menti per servire alla storia delle relazioni di Genova con Bologna (politiijhe und kommerzielle Beziehungen; mit Abdrud von 31 Nummern Urkunden und Attenjtüde von 1225 —1448ı. In den Rendiconti della R. Accad. dei Lincei 6, 6, 1, veröffentliht E. A. Garufi als Vorarbeit für eine größere Schrift eine Abhandlung: Di una monetazione imp® riale di Federico II. transitoria fra Tari e gli Augustali (vgl. bie Notizen 74, 169 und 76, 357), und ebendort veröffentliht C. Cipolla: Nuove notizie intorno a Parisio di Cerea cronista veronese del Sec. XIII iin Ergänzung zu den Mittheilungen Hampes im Neuen Ardiv 22).

Sin den Melanges d’archeologie et d’histoire 17, 1 nimmt 8. Du⸗ heöne feine Notes sur la topographie de Rome au moyen Age wieder auf (8. S. Maria Antiqua, lag an der Stelle von S. Maria Nova). In ber Revue de l'Ouest 13, 3 behandelt Dom Fran(ois Plaine: Odon de Gilanefuil et l’autbenticit& de la mission de St. Maur (ver theidigt die Authenticität; Odon hat die Biographie des Yauftus mut überarbeitet). Ein feiner Auffag von Ch. Huygens in der Revue de l’instruction publique en Belgique 40, 2: Zandelm, ſucht aus dem von Fredericq Ppublizirten Corpus documentorum inquisitionis, das Waumwermang nicht benutzt hat, neues Material zur Biographie Tanchelm's zu gewinnen und die Rolle, die er in jozialer und religiöſer Beziehung gefpielt hat, näher zu beftinment.

Die Bibliotheque de l'éMole des chartes 58 enthält die Fortjegung der Unterfuhungen von P. Yournier: Les collections canoniques attribuees a Yves de Chartres (Bujammenjegung und Entftehung bed Liber Decretorum). ÜEbendort publicirtt 9. Umont aus einem neu

Frühes Mittelalter. 861

worbenen Manujfript der Barijer Nationalbibliothel: Un nouveau calen- rier romain tir&E des Fastes d’Ovide, der von den bisher belannten iehrfache Abweichungen bietet (San. bis Juni). In den Questions Ästoriques 122 veröffentliht © Bacandard unter Melanges einen leinen Yuffag: La scola du palais merovingien, in dem er in forgfäl- ger Erörterung nadweift, daß eine literarifche Schule am merovingijchen of nicht ereftirte.

In der Bibliothöque de la Faculte des lettres de Paris 3 veröfient= ht A. Luchaire eine Abhandlung: Hugues de Clers et le „De senes- ıÜlcia Franciae“. Letzteres ijt danach wahricheinlid eine Fälſchung aus n Dahre 1158, bei Gelegenheit der Verleihung des Titel3 senescalcus Ameise an Heinrich II.

Aus dem Dijoner Ardiv veröffentliht CH. Pfiſter in den Annales Y’Est 11, 1 fünfundjechzig auf den von Moleme abhängigen Priorat von Ure-Dame de Nancy bezügliche Urkunden: Documents sur le prieuré tre-Dame de Nancy recueillis aux archives departementales de la te d’Or (von der eriten Hälfte des 12. Jahrhunderts ab). Ebendort ht der Schluß der Notes sur les seigneurs, les paysans et la pro- iete rurale en Alsace au moyen äge.

Sm Moyen Age 2,1, 2 publizitt M. Qecomte: Bulle d’Alexandre III. Our l’abbage de Faremontiers (9. Mai 1167).

Die „Beihichte der Stadt Tyrus zur Zeit der Kreuzzüge“ von Dr. eopold Lucas (Berlin, Mayer & Müller. 1896. 92 S. 2,40 M.) kann igentlich feine Geichichte der Stadt genannt werden, vielmehr jcheint fich er Berjajjer nur zur Aufgabe gemadt zu haben, da8 Material zu einer Jeihichte zufammenzuftellen und nur da ausführlier zu werden, wo er er bisherigen Anjicht nicht beipflichten fann. Er jeßt dabei die Kenntnis er älteren Literatur voraus, allerdings aber eine jo genaue Detailfenntnig, feine TDarjtellung jtellenweije nur für den verjtändfich jein wird, dem ie Einzelheiten in jedem Falle jo bekannt find, wie dem Berfajier. Das ejen wird dadurch jehr erjchwert, daß der Berfajier (auper im Anhange) ie Bemerkungen in den Text jegt und oft nur dur ein Jnterpunftiong- ichen von der Darſtellung trennt. Sonjt aber wird man der Wrbeit die nerlennung nicht verjagen fünnen. Hoogeweg.

Ein Aufiaß von ®. Larminie: Joannes Scotus Erigena (Comtems orary Review 376 hebt die Größe der wiſſenſchaftlichen Anſchauung des Rannes für da8 9. Jahrhundert hervor. In der Law Quarterly Re- iew 13, 50f. veröffentlicht 5 ®. Maitland: Magistri Vacarii summa e matrimonio (neue Ausgabe nah dem Manuicript der Univerſitäts⸗ ibliothef zu QGambridge, verbunden mit dem Tractatus de assumpto omine, und Einleitung und Erläuterungen dazu. Aus der Historical

362 Notizen und Nachrichten.

Review 46 notiren wir Midcellen von %. Baring; Domesday and som « tbirteenth century-surveys (zur Seftitellung des Pfluglandes im Domeßdary von J. P. Gil ſon: Two letters addressed to William Rufus (v2 Hugo von Lyons und Hildebert von Le Mans), und von J. H. Roun D The earliest fines (20. Juli 1175 bis 9. Dezbr. 1180). Die Arche logia Cambrensis 54 enthält den Anfang eine® Artifeld von J. Roger & Rees: Slebeth commandery and the knights of St. John (mit TB- drud eine® Stüdes: Notationes evidenciaıum seu munimentorum per- tinentium ad preceptoriam de Slebech. Confirmatio Domini Anselmi episcopi vom „Jahre 1230).

Das Neue Archiv 22, 3 enthält den Schluß ded Beriht3 von AR. Hampe über feine Reife nad) England vom Juli 1895 bis Februar 18% (Beilagen, erfter Theil: 12. Formelbücher und Brieffteller in englischen Handfdriften. 13. Eine ungedrudte Bifion aus farolingifcher Zeit. Zweiter Theil: Handichriftenbeijhreibungen und Abdrüde fürzerer Etüde. Brit tiſches Muſeum; Lambeth Palace und Public Record Office in London; Cammlungen von Irford und Sambridge; Heinere Bibliotheten von Durham, Wincheſter, Lincoln, Ereter, Ealisbury, Dublin, Uberdeen, Aihburnbam: Place und Wigan‘. Das Heft enthält außerdem nur noch eine Abhandlung von H. Röhmer: Der fog. Serlo von Bayeur und die ihm zuge fchriebenen Gedichte (ihre Zeitfolge ꝛc. 2c., Lebensſchickſale und Weltanſchau⸗ ung ded Ende ded 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts Tebenden Dichters). In den Miscellen des Heftes macht B. v. Simfon Bemer tungen: Zu Jordanis (conversio Eintritt in den geiſtlichen Stand, Heimat in Weſtafrika 2); 9. Hampe desgleihen: Zur Erklärung eine Briefes Bapft Hadrians I. an den Abt von S. Denid (J. 2491), und O. Holder: Egger: Zu den Annales Moguntini; M. Manitius macht Mittheilungen über: Handſchriftliches (Kalender ꝛc. 2c. in Berliner Handidriften).

An der Deutſchen Ztichr. f. Geſchichtswiſſenſch. N. F. 2. Monatsblätter 1/2 veröffentliht G. Seeliger einen Nufjag: Forfhungen über die Ent- ftehung des Kurkollegs. Er gibt zunächſt einen Überblid über die Entwid: Iung der Anfichten im letzten Nahrhundert jeit Gemeiner und feht ſich dann mit Lindner auseinander, deſſen Aufſtellungen er noch einmal fcharf zurüd- weift. Er jelbit hält daran feft, daß ſich das Kurrecht aus einem Vorſtimm⸗ recht entwidelte, und ift geneigt, das Vorſtimmrecht aus dem Erzamt zu ertlären, aljo anzunehmen, da dag ältere Vorrecht bei der Krönungsfeier zu einem Vorrecht auch bei der Wahl geführt habe.

An der Ztichr. für Handelsrecht 46, 1 veröffentliht Ad. Schaube eine Abhandlung: Zur Entjtchungsgeihichte des pilaniihen Constitutum urus .eine neue Unterfuchung des Codex Vaticanus 6385 und Relonftrul- tion des Constitutum und jeiner Geichichte danach).

Frühes Mittelalter. 363

„Die Anfänge der Geldwirthichaft” (sc. im fpäteren Mittelalter, feit isgang des 12. Jahrhunderts) behandelt G. Grupp in der Ztichr. für ilturgeſch. 4, 4/5 (Anfang). Aus dem Korreipondenzblatt des Ge- Mmtvereins 2c. 2c. 45, 5 notiren wir noch einen Artikel von F. Thu- Hum: Die beiden älteiten Stadtrechte von Freiburg i / B. (dad zweite, Ößere Stadtrecht it eine Fälſchung des Raths der Stadt aus der Mitte 8 13. Jahrhunderts), In den Württemb. Bierteljahrsheften N. F. 34 gibt Mehring eine: Urkundenlefe aus den päpftlihen Regiftern, T wmwürttembergifhe Orts- und Familiengeſchichte (von 1211 1306, | Regeften).

In der Btichr. für die Gefhichte des Oberrheins N. F. 12, 2 veröffent⸗ HH. Witte eine größere Abhandlung: Der heilige Forft (am Wasgen⸗ ald) und feine ältejten Befiger, in der er die wechjelnden Schidfale dieſes Jaldes bis zu dem Übergang in den Alleinbefig der Staufen behandelt, id auch namentlich werthuolle genealogiſche Studitn daran knüpft (dazu ne Geſchlechtstafel des Hauſes Mümpelgart). Der noch ausſtehende chluß ſoll die ſtaufiſche Ziit und daneben den Urſprung von Hagenau id das Haus Mümpelgart behandeln.

In einigen Monaten wird im Verlag von Regensberg in Münſter ne Neubearbeitung der Gams'ſchen „Series episcoporum“, bearbeitet von m gelehrten Ditglied des Minoriten-Ordens, derzeitigen päpftlichen Initenziar in Rom, P. Conrad Eubel, unter dem Titel „Hierarchia ıtholica medii aevi“ erjheinen. Im Gegenfat zu Gams, der ir auf gedrudte Suellen zurüdging, wird P. Eubel in erfter Linie das kunden: Material des Batilanifhen Arhivs zu Grunde legen. Auch alle tular:Biihöfe und alle Kardinäle (die Kardinal-Priejter und Kardinals iafone) follen in der „Hierarchia“ Aufnahme finden. Das Werk wird it dem PBontififat Innocenz III. einjegen und die Bijchofsreihen bis etwa m Sabre 1550 herabführen ; für die Zeit vor Innocenz III., für welche e Beſtände der Batilaniihen Archive verjagen, und für die Zeit von der ‚itte ded 16. Jahrhundert3 ab würde jomit Sams’ „Series“ in Geltung eiben. Der erite Band der „Hierarchia“ wird mit dem Wontifilat Yartin’3 V. abſchließen. Gleichfalls unter Redaktion von P. Eubel fol

einigen Monaten der lang erichnte 5. Band des „Bullarium ranciscanum“, weldes die Jahre 1304-1334 umfajjen foll, unter n Auſpicien de3 Minoriten-Ordens ausgegeben werden. H. Haupt.

RNene Büder: E. O. Schulze, Tie Kolonijirung und Germani- ung der Gebiete zwiihen Saale und Elbe. ‚Leipzig, Dirzel. 20 M.) Hirſch-Greuth. Studien zur Geichichte der Kreuzzugsidee nach den reuzzügen. (Hiftoriihe Abhandlungen. Herausgegeben von Heigel und trauert, XL, (Müncen, Lüneburg. Fr. Yudmwig, Unterjuchungen er die Reiſe- und Marichgeihwindigfeit im 12. und 13. Jahrh. (Berlin,

364 Notizen und Nachrichten.

Mittler.) Brand, Trois siecles de l'histoire de Languedoc. (Tor louse, Marque®s. 1 Fr.) Chevalier, Oeuvres historiques. I. (Annale==. de la ville de Romans). (Paris, Picard.) Ademar de Chabanne=s Chronique p. p. Chavanon., (Paris, Picard) Battistella, L_a republica di Venezia dalle sue origini alla sua caduta. (Bologn za. Zanichelli di Cesare e G. Zanichelli. 4 L.) Grimme, Geldigte der Minnefänger. I. Paderborn, Schöningd. 6 M.)

Späteres Mittelalter (12501500).

In den Mitth. des Tfterreih. Inftituts 18, 231—340 ſetzt A. Dopid die 1893 begonnenen Beiträge zur Gejchichte der Finanzverwaltung Liter- reich8 im 13. Jahrhundert fort und erörtert weitläufig die Urganijation der landesfürftlihden Finanzverwaltung, insbeſondere das Landſchreiber⸗ und Hubmeifteramt.

Mar Heber gibt in feiner Leipziger Difiertation „Gutachten und Reformvorſchläge für das Bienner Generaltonzil 1311—1312* (Leipzig 1896. 74 ©.) eine ausführlihe Darlegung der ragen, die das Komil beijhäftigten, der TZemplerfrage, Kreuzzugsfrage und der Frage der inneren Reform der Kirhe. Er weiſt aus den zahlreihen Gutachten der PBubliziften jener Jahre nach, wie im Mittelpunft des Intereſſes wirklich die Reform: frage Stand, jo daß man das Konzil jehr wohl als Reformtonzil bezeichnen fann. Leider erwies fich der Einfluß der weltlihen Mächte, vor allem der des Königs von Frankreich, al hemmend; weder in Bezug auf Reform der Kirche, no für den Kreuzzug wurde etwas Mefentliches erreicht. Ter einzige beträdtlihe Erfolg war die Aufhebung des Templerordens, die lediglih Philipp dem Schönen zu gute fam. Ein Erturd behandelt Leben und Bedeutung des Petrus Durand.

Das 2. Heft des Hijtorifhen Jahrbuchs bietet mannigfaltigen Inhalt. KR. A Kopp bringt S. 273 den erjten Theil einer Biographie von Petrus Paulus Vergerius d. ä. als Beitrag zur Gejchichte des beginnenden Hume- nismus und bietet zunächſt eine jorgfältige Lebensſkizze des interefianten Mannes (geb. 1370). ©. 363 drudt P. B. M. Reihert acht Domini fanerbriefe aus dem 13. Jahrhundert ab, die an die Dominilanerinnen zu St. Agnes in Bologna gerichtet und uns in einer Würzburger Hand: ichrift erhalten find. S. 375 befchreibt P. 8. Eubel eingehend die mit dem fog. Nicolaus Minorita zufammenhängenden Handſchriften der Bati- cana, unterjucht namentlih Inhalt und Verhältniß des Cod. 4009 und weilt auf einen andern God. 7316 al8 Vorlage der Ausgabe von Baluzes Manſi nochmals genauer Hin.

Im Neuen Archiv 22, 771 weift 2. Schmig aus Urkunden nad, daß ber iog. Werner v. Lüttich, der Verfajler von Papitleben des 14. Jahrhunderts, identijch ijt mit dem Bonner Kanoniker Werner von Hafelbede aus Efien.

Späteres Mittelalter. 365

Einen werthvollen Bericht über Tod und Begräbniß Philipp's des drren von Frankreich veröffentlicht nad) einem Gefandichaftsbericht an den

zu Majorta Baudon de Mony in Biblioth. de l’Ecole des rtes 58,1. Ebenda S. 78 bringt ©. de Mas Latrie fieben venetia= Be Dokumente über Beziehungen zum Orient und ©. 155 I. Viard enjtüde von 1362 über die Auslieferung von Dokumenten an England DIge des Friedensvertrags von Bretigny.

In Revue historique 64,1 erörtert 3. Sufferand die Frage der itorſchaft des ‚Kingis Quair‘, eines Jakob I. von Schottland zugejchries nen Gedichts, im bejahenden Sinne.

Sn der Revue d’histoire diplomatique 11, 161 fteht der Anfang ner Unterfuhung von G. Salles über die Einrichtung franzöfiiher und alienifcher Konfulate des Mittelalterd. ALS Fortjegung (j. oben S. 163) ingt Funck-Brentano ©. 234 f. ein ebenfall® jehr weitläufiges otariatsinftrument über die Beſchwörung bes Friedens-Vertrags zwiſchen tanfreih und Flandern von 1305 durch die dortigen Städte.

In Notices et extraits 35, 2, 551 behandelt 8. Deligle eine Hand: rift der Sept psaumes all&ögorises der Pariſer Nationalbibliothet und ihließt aus den hiſtoriſchen Anſpielungen der beigefügten ®ebete in geijt- iher Weiſe als VBerfafferin eine Dame vom Hofe Karl's V., Chriftine

Pijan, und als Zeit der Abfaſſung das Jahr 1409. Tas Pſalmbuch urde von ihr auch als Neujahr&gejchent an den Herzog Johann v. Berri yerreidht.

In einer Züricher mediziniihen Difjertation „Joſ. Zürcher (med, act. in ‚lorenz), Jeanne Darc. Bom piychologiiden und pſycho— thologiihen Etandpuntt aus. Kine Studie. Leipzig 1895, gedr. bei wald Mutze, 147 ©.” macht ein Piydiater, ein Schüler Forels, den ıbedingt dantenswerthen Verſuch, die neuen Ergebnijie, welche die medi- niſche und pſychologiſche Forſchung über die Entitehung von Hallucina— onen bei Befunden gewonnen bat, für das hiſtoriſche Verſtändniß der ungfrau von Irleand fruchtbar zu machen. Leider gewährt er nur An— gungen, da der Mediziner und der Hiftorifer jih in ihm nicht durch⸗ ‚ungen haben. So jtcht die unjelbjtändige und keineswegs fehlerfreie Beichichte Jeanne Darc's (im Auszug“ als 1. Kapitel neben dem

Kapitel „Jeanne Darec's Hallucinationen und Autoſuggeſtionen“, in elhem 3. allgemeineren von Forel entlehnten Nuslaffungen über das zeſen der Hallucinationen und der Autojuggeition feſſelnde Erörterungen der zügliden Erjcheinungen bei Johanna anſchließt, aber doch nur einige fällig herausgegriffene Fragen, die auf dieſe Weije ihre Löfung finden inien, in Angriff nimmt. Wäre 3.3 Kenntniß der neueren hiſtoriſchen iteratur über Johanna eine breitere und tiefere (das oberflächliche Bud on Mahrenholg bat er viel zu fehr benugt und von ihm aud die faljche

866 Notizen und Nachrichten.

Namendform Dare Statt d'Are entlehnt), wären ihm namentlich die vorzügcg lihe Abhandlung von Th. Sidel „Jeanne d'Are“ H. 3. 4, 27350 ur die dad Milieu 3.8 beleuchtenden Forſchungen von Simon Luce (Jeanrm« d’Arc a Domremy, Paris 1886), ferner bie jeiner Abhandlung ſehr ve— wandten Wufläge von Thomafjin, „Seanne d'Arc's jeeliiche® Leben. Kerze. pſycholog⸗hiſtoriſche Forihungen” in „Nord und Süd“ Nov. und Daı 1893 und endlich einige Abhandlungen bes unermüdliden Hermann Semm mig belannt, fo würde er bie Unterſuchung tiefer und umfaflender gefüßır: haben und nicht glauben, die Brozekakten zum eriten Mal von biefem Ge: ſichtspunkt auß zu durchforſchen, in der That hat Th. Sidel in Am— lehnung an Hecker's Abhandlung über Bifionen von 1849 fon 1860 im Weſentlichen diefelbe Erflärung von 3.8 „Stimmen“ und Wundern gegeben, wie fie 3. jegt mit moderner Nomenklatur und mander Einfeitiglett der Nancyer Schule bietet. K. Wenck.

In den Württembergifhen Bierteljahrsheften für Landesgeſchichte N. F. Bd. 5 behandelt P. Joachimſohn unter dem Titel „rühbume- nismus in Schwaben” den Kreis der fleineren Gelehrten und Dichter um Wyle und Steinhöwel, die weniger berbortraten, deren Bufammenbänge untereinander ihr in Münchener Handichriften erhaltener Briefwechfel zeigt. Als Beilage erhalten wir 36 Briefe von 14491463 mit einem Negifte.

Neue Bäder: Feret, La facult6 de thöologie de Paris et ses docteurs les plus celöbres.. Moyen Age. IV. (Paris, Picard.) Lehugeur, Histoire de Philippe le Long (1316—1822). I. (Paris, Hachette.) Loſerth, Studien zur Kirchenpolitik Englands im 14. Jahr⸗ hundert. I. (Sib.:Ber. der Wiener Akad.). (Wien, Gerold.)

Meformation und Gegenreformation (15001648).

Die Gefangennahme des Kardinals Ascanio Sforza durch die Bene tianer nad) der Niederlage bei Rovara (April 1500) und feine Auslieferung an die Franzoſen behandelt 2. &. BElijfier in der Rev. histor. (63, 2)

In der Revue d’hist. diplom. (1897, 2) führt Baffy die in dieler Zeitſchrift (79, 1675 notirte Beröffentlihung des Geſandtſchaftsberichtt Vettori's weiter.

Die von uns (78, 546) auch bereits erwähnte Veröffentlihung Witte mann's über Joh. Nibling, Prior von Ebrach, wird in den Studien und Mittheilungen aus dem Benediftinerorden (18, 1) fortgejegt.

In der English historical review (1897, April) feßt 3. Gairdner feinen in diefer Zeitichrift (78, 547) erwähnten Aufjag über die Eheſcheidung Heinrich's VIII. fort.

Die dritte Auflage der befannten ausgezeichneten Lutherbiographie von Mar Lenz, die kürzlich erichienen ift (Berlin, Gaertner. 24 €.) hat eine Reihe Meiner Änderungen und Zufäße.

Reformation. 867

er Ztſchr. f. Kirchengeſch. (18, 1) behandelt &. Bauch: Andreas als Scholaftiter, feine Entwidlung etwa bis zum Sabre 1614.

ort gibt derfelbe mehrere kurze Melandthoniana, u. a. den An⸗ e. die Verbrennung der päpftlihen Defretalen (10. Dez. 1520), f Melanchthon's an Peter Burdhard (1518 Dez.) u. a.

Katholik“ (1897, Mai) will N. Paulus in einem Aufſatze über on und die Gewiflensfreiheit zeigen, dag Melanchthon jehr ſowohl gegen die Katholiten, als gegen bie Wiedertäufer und ftirer war.

ſchackert veröffentliht in der Ziſchr. f. Kirchengeih. (18, 1)- unbelannten Stüde des Briefwechſels Melanchthon's mit der tingen (au8 dem Göttinger Stadtardiv), nebit einigen anderen gen Altenftüden. Der Briefwechjel wurde geführt in den Jahren 4 und 1561.

Außerung Melanchthon's über den Begriff der Kirche (von 1561) ht ebendort P. Jürges.

ſteuen Archiv f. ſächſ. Geſch. u. Alterthumsk. (18, 1. 2) ſchildert n einem intereſſanten Aufſatze auf Grund der Dresdener Archi⸗ Anfänge der Reformation in Schneeberg. Schneeberg war er Beliß der Ernejtiner und NAfbertiner, zeitweilig wechſelte die

jährlih, dann wurde fie gemeinjam geführt. Das gab Anlaß ößten Verwidlungen, die erft 1531 ihr Ende fanden, ald Schnee: n alleinigen Beſitz der Erneitiner gelangte.

er Ztſchr. f. Kirchengeſchichte (18, 1) fjegt W. Friedensburg räge zum Briefmechjel der fatholifhen Gelehrten Deutſchlands tationszeitalter (j. H. 3. 76, 549 f.) fort und veröffentlicht Hier fünf n Cochlaeus an Aleander vom 25. März bis 27. Oktober 1521, Bapft Leo X., drei Schreiben Aleander’3 an Cochlaeus und einen pion’® an Aleander, ſämmtlich ebenfalld von 1521. Die Briefe eſſant und werthvoll für die Biographie des Cochlaeus, bieten ie allgemeine Geichichte verhältnismäßig wenig Neues.

Bericht über die 1527 unternommene Jeruſalemsfahrt zweier 1er aus Friedau in Steiermark veröffentliht F. Khull aus: in den Mittheilungen des Hiftoriihen Vereins für Steiermart

Jeränderungen im Reichsmatrikelweſen um die Mitte des 16. Jahr nanıentli die Verhandlungen Über eine Revifion der Matrikel teihstage zu Worms 1545, behandelt J. Müller unter Beigabe ıbefannter Alten in einem werthvollen Aufſatze der Ztiſchr. d. ns f. Schwaben und Neuburg (231. Wünſchenswerth wäre wohl genaueres Eingehen auf die früheren Matrikeln, namentlich die

868 Notizen und Nachrichten.

von 1521 gewejen; mande der angeführten Berzeichnilie über die unjihern Zahlen u. dal. gehen in ihrem Kern auf den Augsburger Reihätag von 1518 zurüd.

In der Ztſchr. f. Kulturgefch. (1897, 3, 4) fchildert 8. v. Roͤrycki den Humanismus in Polen, defjen Blütezeit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts fällt; die Hauptvertreter desjelben werden kurz charalterifirt.

E. Better, „Das Ende Amy Robfart’8 nad) dem Bericht des ſpaniſchen Sefandten Alvaro de la Duadra vom 11. September 1560“, im Jahres: bericht der Bictoriafchule Darmftadt 18957, urtheilt, daß die erfte grau Leiceſter's, des Sünftling’8 der Königin Eliiabeth, ermordet morden fd, und daß dieje legtere fi zum mindeften ein Geſchehenlaſſen zu Schulden tommen ließ. F. L

Zwei bisher unbelannte Briefe Margarethe's von Parma vom Auguft 1566, der eine an Philipp IL, der andere an Gilbert d'Ongnyes, Bildol von Tournai gerichtet, finden fi in den Annales de la socidts .... de l’hist. de la Flandre 46, 2/3 abgedrudt.

An der Hand eines vortrefflihen Quellenmaterial® begleitet Vegre⸗ nault de Pucheſſe Katharina von Medicis auf ihrer Reiſe nad dem Süden Frantreihs in den Jahren 1578/79, wo jie den Zweck verfolgte, die jüdlihen Provinzen, zunächſt Guyenne und Languedoc, zu pazifiziten, fie enger an die Monardie anzugliedern, der jie bis dahin ziemlich ſelb⸗ ftändig gegenüberjtanden, und die beiden Konfeilionen in ihnen mit ein ander zu verjöhnen. Diefem leßteren Zwecke dienten die Beiprechungen zu Nerac zwiichen den Vertretern der Natholiten und der Öugenotten im Februar 1579, bei denen der Verfaſſer befonders ausführlich vermeilt. (Revue des questions hist., April 1897.)

Zu den zahlreihen jchon veröffentlichten Briefen der Gemahlin Hein rich's IV., Margarethe von Balois, find 24 neue getreten, welhe TZamizey de Yarroque in den Annales du midi vom April 1897 publizirt bat. Sie find während des zweimaligen Aufenthaltes der Königin in der Gas⸗ cogne 1579—82 und 15835—-85 gejichrieben, an den ipäteren Kanzler Pom⸗ ponne de Bellievre gerichtet und werfen neues Licht auf Perjonen und Berhältnifje in der Umgebung Heinrich's IV. jomwie auf diefen jelbit.

Ten von Jeſuiten Gerard unternommenen Berfuh, die Katholiten von der Anftiftung der Pulververſchwörung von 1605 möglichſt rein zu waschen, juht B. Camm in einem Wrtifel in der Dublin Review vom April 1897 weiteren ultramontanen Kreiſen zugänglih und plaufibel zu machen.

Anı Weuen Archiv f. ſächſ. Geſch. (18, 1. 2, 1897) unterfuht Wahl die Stellung Kurſachſens zu der Frage der Kompofition und Succeſſion 1614—15 und führt das Schwanten der ſächſiſchen Politik darauf zurüd,

*

1648— 1789. 369

daß der Kurfürſt Johann Georg ſtets die Wahrung ſeiner Anſprüche auf die Füklichechevefche Erbſchaft dabei im Auge hatte.

Einen derb fatiriich gehaltenen Dialog, der das Schalten und Walten de Öfterreihifchen Statthalter Grafen von Sultz 1638 in Stuttgart, fein Kombfyftem und fpeciel die Plünderung des Reſidenzſchloſſes geißelt, druckt Joſenhans in den Württemb. Vierteljahrsheften f. Landesgeſch. ab. 9.5.5, 3/4 (1896).

Eine kulturhiſtoriſch intereffante, anziehende Schilderung widmet

IEment-Simon dem Leben und Treiben des franzdjiihen Adels in der Provinz unter der Regierung Ludwig's XIIL, indem er ein lebens dolle Bild von den Beſitzern des Schloſſes Bompadour in der erften Dälfte des 17. Jahrhunderts zeichnet (Revue des quest. hist., April 1897).

Im Archivio storico per le province Napoletane 22, 1 (1897) Handelt Capaſſo ausführlih und mit Reproduttionen verfchiedener alter Stihe über die gleichzeitigen bildlihen PDarftellungen Maſaniello's, des Helden der NReapolitaniichen Revolution von 1647—48 und einiger feiner Hamilienangebörigen.

Dene Bäder: Thudihum, Promacdiavel. (Stuttgart, Cotta. 2M.) Bronsveld, Het buitengewone gezantschap van den heer van Sommelsdijk bij den koning van Frankrijk in de jaren 1625 en 1626. (Haarlem, De Erven Loosjes. 1,50 Fl.) Mankell, Ofversigt af svenska Krigens och Krigsinrättningarnes historia. (4 Hefte bis 1611.) (Stockholm, Militärliteraturföreningens förlag. Zuſ. 18 tr.)

Schmertoſch beridhtet im Neuen Archiv f. fähl. Geſch. (18, 1. 2) über die Bemühungen Nurbrandenburgs und Kurſachſens in den leßten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, ſich der unterdrüdten Proteftanten in Ungarn anzunehmen. Obwohl er, auf Dresdener Alten geftüßt, haupt jählih die Schritte des Kurfürjten Johann Georg III. beleuchtet, gebt doch auch aus jeiner Darftelung hervor, daß die Führung des deutfchen Brotejtantigmug in diejer Frage nit Sachſen, ſondern dem Großen Kur: fürjten von Brandenburg zufiel.

Andre le Glay fdildert in der Revue d’hist. diplom. (1897, 2) die Erpedition der franzöjiihen Hilfstruppen unter dem Befehl Navailles’ nad Kreta 1668—69 zur Unterftügung der in Kandia belagerten Bene tianer, wo der Herzog von Bcaufort bei einem Ausfall im Zuni 1669 fiel. Die Leiftungen der Franzoſen werden in ein helles Licht gerüdt und die Benetianer für den Berlujt der Iniel allein verantwortlich gemacht.

Ferdinand Hirich: Der Winterfeldzug in Preußen 1678—79. Berlin, Saertner, 1897. IX, 113 S. Ter um die Geſchichte des Großen Kurfürften

Hiſtoriſche Beitihrift R. F. Or. XLIII. 24

370 Notizen und Nachrichten.

hochverdiente Verfaſſer hat mit diefer nicht umfangreichen Schrift die Forſch⸗ ung über den preußifchen Feldzug wohl zum Abſchluß gebradht. In der aus⸗ führlichen Vorrede wird über die Quellen, die theilmeije gedrudt vorlagen, ein Marer Bericht erjtattet; für die Vorgeſchichte des Feldzugs vornehmlich bat der Verfaſſer das Berliner und Königsberger Arhiv ausgiebig benupt

Während nämlid der Feldzug jelbit, einen fo durchſchlagenden Erfolg er

auch aufzumweifen hatte, arm ijt an friegerifchen Ereignifien, geben uns die

Berhandlungen des Kurfürften und feiner Königsberger Regierung mit

den preubiihen Ständen einen Einblid in die außerordentlichen Schwierig:

feiten, mit denen der Kurfürft zu kämpfen hatte. Der erfte Abſchnitt

©. 1-37 „Angriffspläne gegen Preußen und Anftalten zur Vertheidi⸗

gung de8 Landes 1675—78* ſchildert eingehend und anfchaulid bie

partitularijtiiche Selbftfucht, mit der die Stände fih allen Opfern für dad

Staatöganze zu entziehen ſuchen, und die Beharrlichkeit, mit der der Kurs

fürft auf feinem Willen befteht; noch waren ja nit 20 Jahre vergangen

jeit dem heftigen Kampfe zwifhen dem Kurfürften und den Ständen um

die Anerlennung der preußiihen Souveränetät. Der Kurfürft behielt

Recht: die preußische Landmiliz erwies ſich gegen die matt und ungeididt

geleitete ſchwediſche Invaſion al® gänzlich unbraudbar, und das Land

wurde nur durch die vom Kurfüriten felbft herangeführten Truppen bes

freit. Aber der Haß und die Erbitterung in der preußifchen Bevölkerung

waren fo groß, daß man dem Kurfürften für jein Eingreifen nicht einmal

Dank wußte. H. P.

Im Archiv d. Ver. f. fiebenbürg. Landeskde. (N. %. 27, 2) beichäftigt ih Duldner mit der Geſchichte des Übergangs Siebenbürgens unter die Herrichaft des Haufe Habsburg. Der erfte vorliegende Artikel fehildert ausführlich die Politik des willensſchwachen Fürſten Apafı I., der zwiſchen Dijterreichern, Ungarn und Türken eingeklemmt 1686 fortwährend zu laviren fuchte, ehe die Waffenenticheidung zwijhen dem Kreuz und dem Halbmond fiel, mit allen diplomatiihen Künften aber die Bejegung jeines Landes durch ein kaiſerliches Armeecorps nit zu hindern vermochte.

In einer eingehenden Unterfuhung weift A. Parnell (Engl. hist. rev., April! nad, dab die Nairne Papers, welche Macpherjon Ende des vorigen Jahrhunderts publizirt hat, und bie die Berather Wilhelm’s TIL, vor allem Malborough, in den Verdacht des verrätheriihen Verkehrs mit dem vertriebenen König bradten, feine Originale, ſondern Fäſchungen find, die vielleicht fchon von den damaligen Jakobiten, vielleiht aber auch erit von Macpherion jelbft begangen find.

Sm Nuovo archivio Veneto theilt Tegani den Briefwechſel Rus ratorig mit Giuſeppe Bini mit und gibt eine Lebensfkizze dieſes wenig befannten, eifrigen Sammlers und Forichers auf dem Gebiet der Geſchichte Friaul's.

1648 —1789. 371

In der Rev. hist. 64, 1 gibt Syveton einen kurzen Gejammtüber- lid über die Politik Karl’8 XII, in dem er fi bemüht, die Handlungs- elle des Königs aus feiner jeweiligen Lage und dem wohlverftandenen Mierefie der Länder, in denen er fi} aufbielt und die er beherrfchte, zu Tlären.

Desſelben Berfaffer interefjante und glänzend geichriebene Schrift Une ur et un aventurier au XVIII. siecle (Paris, E. Leroux. 1896. 309 ©.) Sonderabdrud aus der Revue d’hist. dipl. VIII) ift eine von uns 74, 180 yon erwähnte Studie über die Thätigkeit des abenteuerlihen Barons ipperba in Wien und Madrid. Sie fchildert, wie R. mit weitaus mehr als Gewandtheit die jpanifch-öfterreihiihen Verträge vom 30. April ıd 5. November 1725 flieht, wie er dann feinen Vortheil keck aus— ltzend fih zum leitenden Minifter Spaniens aufwirft, bier aber infolge ner eigenen diplomatifhen Unfähigkeit bald Sciffbrud leidet, in letzter nie auch durd den öfterreihiichen Geſandten in Madrid felbit, Königs g wenn wir defjen Berichten oder vielmehr den ihm gegebenen Ver⸗ berungen der jpanifchen Majeftäten Glauben fchenten dürfen. Syveton hrt, nachdem er die Endſchickſale Ripperda's etwas ihrer bisherigen Romantik itkleidet hat, mit großer Klarheit die jehr verwidelten diplomatijchen Ver— iltniſſe Ofterreichs zu Wefteuropa bis zum Sabre 1731 weiter. Zum chluſſe gibt Verfafler ung den geheimen Vertrag vom 5. November 1725, tr vollſtändig noch nie abgedrudt worden ift, mit defien Inhalt ung aber reit3 Armitrong (Elifabeth Farnefe. London 1892. ©. 186/7) bekannt macht bat. Dasfelbe gilt von den gleichfall® angeführten ganz geheimen vei Artileln des Vertrages von 1731, die wir aus Arneth (Prinz Eugen 291) fennen. O. Weber.

Als 10. Heft der Hiftoriihen Abhandlungen, herausgegeben von Heigel nd Grauert (Münden, Lüneburg) ijt ein Aufſatz von Dr. Sieg=- und Hellmann erjdienen mit dem nothwendigerweile etwa lang= tämigen Zitel: die jogen. Memoiren de Grandchamps und ihre Fort⸗ gungen und die fog. Memoiren ded Marquis de Saffenage Es ift dem Jerfajfer gelungen, mit einem großen Aufwande Hiftoriiher und philolo- tfcher Unterjuhungen nachzuweiſen, da weder ein Comte D. noch ein Rarquis D. die Berfafier der Guerre d’Italie und der Guerre d’Espagne nd, daß beides Phantajiewerfe ihrer Autoren find, daß der Verfafler der ruerre d’Espagne identiijh mit dem Fortſetzer der Guerre d’Italie in muß, dab eine feiner hauptjächlichiten Quellen die Lettres historiques ewejen find, daß das Ganze wohl als ein eriter Berfuch einer antifranzö⸗ ſchen Darſtellung de3 ſpaniſchen Erbfolgekriegs aufzufalfen if. Wer die (utoren waren, konnte Verfaſſer nicht feitjtellen, er läßt die Frage bezüg— ich Grandchamps offen, verneint fie und wie es jcheint mit Recht bezüg- ih Safjenage oder auch betreffs Sandras de Courtilz. Hellmann läßt ſich ianchmal allzufehr vom kritiihen Spüreifer binreißen, jo werden bei dem

24°

872 Notizen und Nachrichten.

Nachweiſe der obenerwähnten Identität ber Berfafler ala Beweis beiden Werfen gemeinjame häufiger gebrauchte Wörter angeführt, wie moure ınent, poste, secours, succes (©. Bl) die aber doch in Büchern militis riihen Inhalts durchaus feine Stileigenthüimlichkeit bilden können. jeft iheint auch zuweilen die angewandte Mühe nicht im richtigen Nerbältnifie zum Gegenſtande derjelben zu jtehen, aber jedenfall bat Hellmann gezeigt, daß er mit großer Genauigfeit und Sachkenntnis zu forfchen verfteht, und man darf von jeinem Scharfjinne noch erfreulide Arbeiten erwarten. Ottocar Weber.

A. Pribram beabjichtigt, feine ausgedehnten archivaliſchen For ihungen zur Geſchichte des böhmischen Handel® und der böhmiſchen Jr dujtrie im 17. und 18. Jahrhundert zu einer Reihe von Auflägen zu ver werthen, deren erjter nunmehr in den Mitth. d. Ver. f. d. Geſchichte der Deutſchen in Böhmen (35, 4) erjchienen if. Er behandelt die Gründung des böhmiſchen Kommerztollegiums, die nach mehreren vergebliden An- läufen erit 1724 zu ftande fam. Bon allgemeinen Intereſſe find die eins leitenden Bemerkungen, in denen der Zufammenbang zwiſchen den droni- {hen Yinanzfalamitäten Oſterreichs und feiner Geſammtpolitik, beſonders auch der auswärtigen, klar und überzeugend nachgewieſen wird.

Michaud gibt in der Revue internationale de théologie 5, 17. 18. Auszüge aus der Korrefpondenz zwifhen der franzöfiihen Regierung und ihren Gejandten und Bevollmädtigten in Rom aus dem Unfang des Jahres 1721, die fit auf die neue Papftwahl, die Bulle Unigenitus und das Kardinalat von Dubois bezichen, ohne eigene Zuthaten.

In der Rev. d’hist. dipl. 11, 2 beginnt Boutry mit ber Darftellung der Geſchichte des Konklaves, in welchem Benedict XIV. gewählt wurde, und der Rolle, die Kardinal Tencin dabei geſpielt Bat.

Desdeviſes au Tezert entwirft in der Rev. des Pyr&ndes 9,1 ein Bild von dem Zuftande der Bauart, der Polizei der Stadt Madrid, der Kleidung, den gejellihaftlichen Vergnügungen ihrer Bewohner u. a. während des vorigen Jahrhunderts.

Als „zweiten Beitrag zur Geſchichte des Siebenjährigen Krieges“ hat L. Frhr. v. Thüna ein Buch erſcheinen laſſen, „Ein aus Eiſenach ſtammen⸗ des preußiſches Infanterie-Regiment im Siebenjährigen Kriege“ (Eijenad, W. Wildens. 1897. 146 S. 3,20 M.) Mit großem Fleiß find darin aus den Archiven, aus der älteren und aus der neueren Literatur die Nachrichten über dad vom Herzog von Sadjen-Eijenah 1740 an Preußen überlafiene, jpäter jog. Regiment von Kreugen zujammengetragen und zu einer zur jammenhängenden Darjtellung verwendet. Die Erzählung muß fidy aller: dings dem Stoff entiprehend im wejentlihen auf Einzelheiten bejchränten, wird aber dem künftigen Hiftorifer des Kriege eine brauchbare Bor- arbeit jein.

1648 1789. 313

Das 4. Beiheft zum Militärwochenblatt bringt drei Vorträge: Einen bon v. Duiftorp zur Beurtheilung kriegsgeſchichtlicher Darftellung, der durch zahlreiche Beijpiele aus der neueren Kriegsgeſchichte die pſychologiſche Wirkung des Kampfes auf die Truppen beleuchtet und zur nüchternen Auf⸗ fafjung den Berichten von Augenzeugen gegenüber mahnt; eine kurze, Hare und überjihtlide Schilderung der Schlacht bei Torgau mit Kartenfkizzen und Blan von Frhrn. v. Freytag-L2oringhoven, die allerdings nichts wefentlih Neues enthält und auf Probleme nit genauer eingeht: ; und eine für den Hiltorifer unergiebige Darjtellung der Operationen, weldıe der Schlacht von Liegnitz vorausgingen, und deren Folgen von v. Webern.

Wir notiren aus den SZahrbüdern für Armee und Marine (Maiheit) die Überfegung einer Arbeit Hennebertg über die Leiftungen des In— genieurd Gribeauval während des GSiebenjährigen Krieges, welcher der Überjeger, Stavenhagen, einige Bemerkungen über den Feftungsfrieg und den Gegner Gribeauval's, Lefebvre, angehängt hat.

F. vd. Weed verzeichnet in der Ziſchr. f. Geſch. d. Ober-Rheins N. F. 12, 2 die für die dentſche Geſchichte werthvollen Stücke aus dem Nachlaß de3 Kardinals Garampi (F 1792).

Auf eingehende Studien im Vatikaniſchen Archiv gejtügt, behandelt Augufto de Benedetti in einer Meinen beachtenswerthen Schrift (La diplomazia pontificia e la prima spartizione della Polonia. Pistoia 1896. 2 fr.) die Beziehungen der Kurie zu Rolen vor der eriten Theilung. Das Ergebnis feiner Forſchungen ift eine Scharfe Verurtheilung der päpit- fihen Politil. Die Kurie hätte nach ber Anfiht des Berfajjerd vielleicht das Scidjal Polend verhindern können (7). Cie hat audh den feiten Willen gehabt, dem „Spanien des Nordens“ aus ber Not zu helfen, aber in völliger Verfennung de3 engen Zufammenhanges der politifhen und religiöfen ragen hat fie durch ausſchließliche Berüdfichtigung der katho— lichen Intereſſen, durch ihren unffugen Widerftand gegen alle Reformen, gegen jede Konzeflion an die Tifjidenten jelbjt da8 Meifte zu dem Unter: gang des polnijchen Reiches beigetragen. M.J.

Einige lebendige Aufzeihnungen Lavaters über fein erites Zujammens treffen mit Karl Friedrih von Baden und feinen Aufenthalt in Karlöruhe im Sabre 1774 theilt Hund aus feinem Tagebuche mit. (Itſchr. für die Geh. d. Ober-Rheins N. F. 12, 2).

Eine poetijche Epijtel eines hugenottifhen Emigranten an einen ihm befreundeten fatholiihen Beiftlihen, die Maillard im bull. du protest. franc. 15. Mai veröffentlicht, gibt Zeugni® von den freundicaftliden Beziehungen, die bei aller Verfolgung zwiſchen den Anhängern der ver- ſchiedenen Konfeflionen im 18. Nahrhundert bejtanden, und enthält einige fulturgejchichtlich intereflante Notizen Über das Leben und den Unterhalt des Ausgewanderten in London.

374 Notizen und Nachrichten.

Menue Bäder: Maronier, Geschiedenis van het Protestantume van den Munsterschen Vrede tot de Fransche Revolutie 16481789. I. U. (Leiden, Brille.) 9. G. Schmibt, Fabian v. Dohna. (Hafle, Niemeyer. 5 M) Bright, Maria Therefia. (London, Mac— millan & Co. 2 sh. 6 d.) Bright, Joſeph U. (London, Mac— millan & Co. 28h. 6d.) Waniek, Gottſched und die beutjche Literatur feiner Zeit. (Leipzig, Breitlopf & Härte.) Colenbrander, De Patriotentijd. I. (1776—1784). (Haag, Nijhoff.) Ingold, Bossuet et le jansenisme. (Paris, Hachette. 5 fr.) Montesquieu, Voyages de Montesquieu. II. (Paris, Picard.) Le Sueur, Maupertuis et ses correspondents. (Paris, Picard.) Crousaz-Oretet, Le Duc de Richelieu en Russie et en France. (1766 1822). (Paris, Firmis- Didot.) Desdevises au Dezert, L'’Espagne de l’ancien regine. La societe. (Paris, Lecene.)

Qienere Geſchichte feit 1789.

Bon 9. dv. Sybel's Geſchichte der Revolutionszeit erfcheint jept im Cotta'ſchen Verlage eine wohlfeile Ausgabe in 60 Lieferungen (Preis 40 Pf...

In der Revol. francaise (März und April) zeigt der ruffifche Gelehrte U. Onou in einer ausführlihden Abhandlung, dab die Betheiligung der Urwahlbezirte bei den Wahlen von 1789 eine weit allgemeinere war, ald bisher vielfahh angenommen wurde. Sn denjelben Heften veröffentlidt Perroud eine vortrefflihe Unterjuhung über die Memoiren, Aufjäge, Briefe u. |. w. Manon Roland’3, deren Abfaffungszeit, Handjchriften und Ausgaben. Mijjol berichtet die legten Schidjale der 1617 gejchaffenen Bürgermiliz von Billefrandye, insbeſondere ihre Rolle in den Unruhen zu Ende Juli 1789. Hamel veröffentlidt ein weiteres Kapitel aus der neuen Auflage feiner Biographie von St. Juſt, eine eifrige Mpologie feines Helden gegen die Anklagen Fleury's (Saint-Juste et la terreur) wegen Entführung einer verheirateten Frau. Kleinere Mittheilungen betreffen ein Schreiben des Präfidenten der Jakobiner am 21. Januar 1793, Moneitier, iiber die Hinrichtung Ludwig's XVL, den Selbftmord dei Birondiften Rebecquy und die Vorbereitungen zur Krönung Napoleon’s 1.

Aulard erörtert die Entwidlung des religiöfen und kirchlichen Lebens in Frankreich vom 18. September 1794 bis zum 28. April 1802, in dem Zeitraum alſo der durchgeführten Trennung der Kirche vom Staate, und kommt nach einer jehr anerfennenden Charakterifirung der Freidenker, der Theopbilanthropen u.. w. zu dem Ergebnis, daß bei ber gegenjeitigen Tuldung der Religionsparteien, der ftrengen Niederhaltung ber über mädtigen Katholifen durch den Staat, Alles in bejter Ordnung und das Konkordat, defjen Napoleon nur zur Begründung jeiner Herrichaft bedurfte, firchenpolitiich überjlülfig war. (Revue de Paris, 1. Mai.)

Neuere Geſchichte jeit 1789. | 375

Paſſy's Gefhichte der Wetreideverjorgung don Paris unter dem tonfulat und dem Kaiſerreich ift ein wichtiger Beitrag zur Kenntnis der apoleonifhen Verwaltung. Anfangd von glänzendem Erfolge, verjagt as Don Rapoleon (wie von Friedrich dem Großen) bevorzugte Magazin: Nem in den Krifen der Jahre 1811 und 1812, ſodaß der Kaifer ſchließlich f Die Zwangsmaßregeln der Schredenszeit zurüdgreift. (Seances et AV. die l’Acad. des sciences mor. et polit., April und Mai 1897.)

Seneral Chlapowski, ein Schüler der Berliner Militärakademie ter Scharnhorſt, jpäter Ordonnanzoffizier Napoleon's, bat Memoiren tterlafien, aus denen einige Abjchnitte über Kosciuszto, eine Miſſion

Spanien 1808, die Schladten von Aspern und Ehling, Lützen und Atzen veröfientliht werden. Bei Lügen beftätigt er für den Anfang ⸗Schlacht die völlige Niederlage Ney’s, defien junge Truppen ihre Affen mwegwarfen, und tadelt (wie Andere) die Unthätigfeit der über: Aenen verbündeten Kavallerie und die unterlaffene Umfaſſung der rechten lante der Franzoſen. Der nächtliche Reiterangrifi Blücher's ſoll durd) Nen Gefangenen verrathen worden fein. (Revue nouv., 15. April und . Mai.)

Die Bertheidigung Antwerpens durch Carnot (1814) ſchildert Key⸗ Weulen. (Revue nouvelle, 15. Mai.)

In den Jahrbüdern für die deutihe Armee u. Marine (Juniheft) veröffentlicht Jagwitz einige Aktenſtücke, welche bejtätigen, daß ber Ihwedifhe Kronprinz im Winter von 1813 auf 1814 die Abſicht hatte, das Lützow'ſche Corps in ſchwediſche Dienste zu übernehmen.

Bu den bereit befannten Berichten der preußiichen, engliihen und öfterreihijhen Bevollmächtigten über die Reiſe Napoleon’3 von Fontaine- bleau nah Frejus treten nun auch die Berichte des rujfiihen Bevoll⸗ mädtigten Shumwalow, der namentlich, die Bedrohung Napoleon's durch bie empörte Bevölkerung der Provence anjdhaulich ſchildert. In einer djterreichiichen Uniform, mit einem ruſſiſchen Mantel und einer preußiichen Militärmüge nebft preußifcher Kokarde entzog ſich Napoleon den Rajenden, die ihn im Bilde henkten und ohne den Schuß der Kommiſſare, wie Schuwalow auf Ehrenwort verjidert, in Wirklichkeit gehenkt hätten. (Revue de Paris, 15. April.)

Gleichzeitig beginnt die Revue bleue (8. Mai u. f.) die Veröffent— lichung der Berichte des rujjiihen Bevollmächtigten in St. Helena, Ramfay de Balmain (1316—1820), die bereit 1868 in einer rufjischen Zeitfchrift abgedrudt, aber unbeadhtet geblieben waren. Nach den bisher mitgetheilten Proben zu fchliegen, ſind diele Berichte werthvoller als die kürzlich befannt gewordenen öjterreihijchen und franzöſiſchen Urſprungs.

Müng beginnt eine Beröffentlihung über die Rüdgabe der von den Franzoſen geraubten Kunſtſchätze. In dem eriten Artikel, der bie

876 Notizen und Nachrichten.

Verhandlungen von 1814 aftenmähig darftellt, wird anerkannt, daß Kört üñ Ludwig XVII. bereit3 damald den Preußen die Rüdgabe des Rube mündlich verfprodyen habe. (Revue nouv., 15. April.)

Mar Lchmann jchildert in feiten und fcharfen Zügen Gneijenaız „den Liebling der Frauen”, „den Vertheidiger Kolbergd, den Schöpfer des preußiichen Heeres der Sreiheitäfriege, den Sieger von Belle-Alliance“. (Velhagen & Klaſing's Monatshefte, Juni.)

Im Militärwochenblatt Nr. 50 u. 51 veröffentlit er ferner die um die Wende 1819/20 geichriebene Tenkichrift de Prinzen Auguſt von Preußen über die Landmwehrorganijation, welde eine Art Rüdtehr zum früheren Beurlaubteniyitem, aber mit Beibehaltung der allgemeinen Wehr: pflicht empfiehlt. (Es ilt eine der bemerfenswertheiten zeitgenöfitichen Kritilen des Boyen'ſchen Landwehrſyſtems, interefjant auch durch die Parallelen zur jpäteren Reorgantjation.

Die von Ciſternes veröffentlichten Berichte Richelieu's aus Aachen (1818) enthalten über den Gang der Kongrekverhandlungen nichts, was nit jhon bei Stern, Geſchichte Europas, zu finden wäre; dagegen ift ein im Anhang mitgetheilter Briefwechſel zwiſchen Richelieu und Decazes höchſt charakteriitiich für die zweideutige Haltung des Letzteren. (Cosmo- polis, März und April.)

Im 23. Bande der „Beijteshelden“ (Berlin, E. Hofmann. 18%) bietet Sepp eine ſchwungvoll gejchriebene Biographie jeines Lehrers Görres, die troß aller Begeijterung für den „alten Löwen“ dem Charakter des Mannes und jeiner Zeit in gleihem Maße geredt zu werden ſucht. Görres' „Mandlungen im Zeitenſtrome“ fommen flar und zum Theil wohlmotivirt zum Ausdrud. Aber wenn aud der Verjaſſet zugibt, daß die drei Epochen der Revolution, Reitauration und der „rd: lichen Umkleidung“ drei große Täujhungen für Görres bedeuten, der old Füngling Sranzoje, als Mann Deutſcher, als Greis Staliener gemweien ſei, jo ſucht er ihm doch für das ganze Leben den Geift der nationalen Gejinnung zu retten. Ja er fteht nicht an zu behaupten, daß jenen das Barlamentsjahr neben Arndt und Jahn in der Paulskirche gefunden hätte, wäre er nicht furz vorher aus dem Leben gejichieden. Das wäre aljo die vierte Epoche in dem Leben des leidenjchaftlichen Mannes geweſen. Tie dritte und bedenklichjte träte dadurch freilih in ein anderes Fidt. In der That ijt Sepp bemüht, auch diefe Wandlung zu rechtfertigen. Aus diefem Grunde will er Görres als eine durchaus mittelalterliche Geſtalt aufgefaßt willen, als einen zweiten Abt Trithemius, mit dem er denn aucd manches gemein hat. An der Thatjache freilich, daß Görres der Bater der modernen ultramontanen Geſchichtſchreibung ift, läßt fih nun einmal nicht rütteln, und jo iſt der Berfafier ehrlich genug, zuzugeſtehen, dat die Religion dem politiihen Zorn des enttäufchten „Helden“ als

Neuere Geſchichte feit 1789. 377

Fe gedient hat. Doch fieht Sepp in jeinem Lehrer trog alledem einen Läufer Döllinger's, der ſchon im voraus zum Unfehlbarkeit3dogma ent⸗ Den Stellung genommen babe, und legt ſchließlich zu defjen Gunſten © eigenen Berdienite in die Wagfichale, indem er erflärt, daß Görres' me bei der enticheidenden Abſtimmung in der baieriihen Kammer für t Krieg gegen Frankreich ſchwer in’3 Gewicht gefallen fei. R.D.

M. Philippfon dharakterifirt Thiers als Hiftorifer aus Anlaß t 100. Wiederkehr jeined Geburtstages. (Cosmopolis, Mai.)

In der Btihr. f. Kulturgeih. 4, 4 u. 5 jept Karl Adam feine tulturgeichichtlichen Streifzüge durch das Jahr 1848,49“ fort, eine Samm- ng von Lefefrüchten in nicht fehr anziehender Form.

Der griediih-türfiihe Krieg Hat eine Neihe von Veröffentlichungen geregt, unter denen wir die folgenden erwähnen. Briefe Eugen Ca⸗ 'ignac’s von der Erpedition in Morea (1828—29), an der er al? 'genieuroffizier theilnahm, wenig günftig für die Griechen, mehrfad) rafteriftiih für das damalige franzöfiihe Heer (Revue des deux ındes, 1. Mai); Briefmwechiel zwiſchen Erzherzog Johann von Oſter— ich und Prokeſch-Oſten über Griechenland aus den Jahren 1837 1847, die Briefe des Erzherzogs, ſehr bemerkenswerth durch das Vor—⸗ üb! der nahenden Revolution, die Briefe von Prokeſch, ähnlichen Inhalts e die bereit befannten Briefe an Metternich (Deutiche Revue, Juni-Juli); youpdenel, Frankreich und die Donaufürftenthümer nah dem Pariſer ngreß 1856, eine Berherrlihung der franzöfiihen Politik (ebenda, ai⸗Juni).

Eine begeiſterte Schilderung der Perſönlichkeit Mazzini's gibt deſſen ndoner Freund Felix Moſcheles. (Cosniopolis, Juni.)

Die Abtheilung für Kriegsgeſchichte des Großen Generalſtabes hat ° Hundertjahrfeier in ihrem 19. Hefte der Kriegsgeſchichtlichen Einzel⸗ riften „König Wilhelm auf jeinem Kriegszuge in Frankreich 1870” ittler 1897. 1,75 M.), die perjönlichen Erlebnifje des Königs während der Ben Wochen „Von Mainz bis Sedan“ in jchlichter, durchaus würdiger ırjtellung geboten. Namentlich die Berhätigung des Königs auf dem hladhtfelde jelbjit, am 15. und 17. Auguſt fowohl wie am 18. Auguft d am 1. Eeptember wird durch zwei Karten erläutert jchärfer izifirt, ald e8 bisher geichehen, und das Bild jeines ganzen Feldlebens ährt durch die zufammengefaßten Mittheilungen aller erreihbären Augen= ıgen mancdherlei Bereiherung. ie der 74 jährige Heerkönig nicht nur perlich Staunenswerthes leiftete, jondern wie er auch bei allen Kriegs— chlüſſen mit volliter Klarheit die Verantwortung auf ji nahm, das ſellt auch Hier wieder unwiderleglich, und es zeigt fich gleichjam urkundlich, B er und niemand neben ihm der „Oberfeldherr”“ der deutihen Armeen r. Gr.

378 Notizen und Nachrichten.

Die im vorigen Hefte S. 179 erwähnte Feſtrede Brunner's zur Gentenarfeier Kaiſer Wilhelm’3 I. iſt jept auch in der Deutſchen Ztidr. |. Beihichtswiflenih. N. F. Bd.2 H.1 erjchienen. Wortrefflih in der Ber: fnüpfung ftaatliher und perfönliher Entwidlung ijt ferner die Feſtrede Dietrihd Schäfer’s (Heidelberg, Hörning), und mit Vergnügen lauſcht man, wenn Ottokar Lorenz in feinen mwarmherzigen Betrachtungen über Kaijer Wilhelm (Deutſche Rundſchau, März) die Töne Garlyle’ider Heldenverehrung anjhlägt. Mehr eine gewandte rhetoriſche Leijtung ift die und noch zugegangene Rede A. Böhtlingk's „Wilhelm der Glor⸗ reiche” (Heidelberg, Hörning).

Der kürzlich verjtorbene langjährige Botſchafter Frankreichs in Rom Graf Lefebvre de Behaine behandelt die Beziehungen Bismarcks zu Papſt Xeo XIII, befonders die Nuntiaturen Aloyfi'3 und Jacobini's, und die Million Schlözer's. (Revue des deux mondes, 15. April u. 1. Juni)

Qeue Bäder: Seignobos, Histoire pulitiyque de l’Europe con- temporaine (1814—189). I. (Paris, Colin. 1 fr.) Crüwell, Tie Beziehungen König Guſtaf's III. von Schweden zur Königin Marie Antoinette von Frankreich. (Berlin, Dunder. 3 M.) Begis, Curio sites revolutionnaires. Louis XVII. (Paris, Champion.) Muguet, Recherches historiques sur la persecution religieuse dans le departe ment de Saöne -et-Loire (1789—1803). Il. (Chalons-sur-Saöne, Mar ceau.) Stenzel, © 4. H. Stenzel’® Leben. (Gotha, Perthes.) Poſchinger, Fürſt Bismard und der Bundesrat. II. (Stuttgart, Teutide Verlagsanftalt.) Dentwürdigteiten aus dem Leben des Gen: Feldm. Kriegsminiiterd Grafen v. Roon. Herausg. von Waldemar Graf Roon. Bierte verm. Aufl. I. II. (Breslau, Trewendt. 720 M.) (Trochu), Oeuvres posthumes du general Trochu. I. U. (Tours, Mame et fils. 15 fr.) Zevort, Histoire de la troisieme r&publique. La presidence du marechal. (Paris, Alcan. 7 fr) Palat, Biblio- graphie generale de la guerre de 1870:71. (Paris, Berger-Levrault.) Gori, Storia della revoluzione italiana durante 1846—14 marzo 1848. (Firenze, Barbera.) Comba, I nostri protestanti. II. (Firenze, tip. Claudiana. 5 L) ®ilh. Müller u. Wippermann, Polit. eich. der Gegenwart. Bd. 30 (Das Jahr 1896). (Berlin, Springer. 4,660 M.) Schultheß' Europäifcher Geſchichtskalender. N. %. 12. Jahrg. 1896. Der. v. Nolofj. (Münden, Bed.)

Deutfe Landſchaften.

3. Zimmerli jept feine Unterjuhung über „Die deutſch-franzöſiſche Sprachgrenze in der Schweiz”, deren eriter Theil Baſel und Genf, H. Georg. 1891. VIII, 154 ©.) ihren Verlauf im Jura behandelte, in einem zweiten Theil 1895) für das Mittelland, die Freiburger:, Wandtländers und Berner:

Deutſche Landichaften. 879

Alpen fort; ein dritter und leßter Theil wird die Sprachverhältniſſe im Ballis unterfuhhen und die Gefammtrefultate zufammenfaflen. Der heutige Berlauf der Grenze wie ihre Geſchichte kommen in gleicher Weife zu ihrem Rechte. Ein kürzeres Kapitel behandelt die deutſchen Mundarten, ein längere3 die romanischen Patois des Gebietes, und an lebteres jchliehen ſich 14 werthvolle Zauttabellen. Zwei getrennte Karten machen den Schluß.

Auf Zimmerli fußt U. Büchi, der in den Freiburger Geſchichtsblättern 3 (1896), 33 ff. über „Die hiſtoriſche Sprachgrenze im Kanton Freiburg” ausführt, daß fie zu ungefähr dreiviertel die gleiche jei wie vor 600 Jahren, daß die dauernden Verichiebungen zu gunjten des Deutſchen erfolgt ſeien, daß das Franzöſiſche feit dem lesten Jahrhundert zwar eine Anzahl Pofi- tionen gewonnen, aber feine neuen, jondern nur ehemals romanijches Sprachgebiet zurüderobert habe. F. W.

Ritter Sriedrih Kappler. Ein Elſäſſiſcher Feldhauptmann aus dem 15. Jahrhundert, von Theodor Bulpinus (Beiträge zur Landes- und Volkeskunde von Elfah-Lothringen, 21. Heft. Straßburg, Heit & Mündel. 18%. 111 S.). Friedrich Kappler war der erjte elſäſſiſche Feldhauptmann Maximilian's I. und befiegte im Dienfte des Herzogs Sigmund von Ofterreich- Tyrol die Benetianer bei Calliano im Welſchtyrol, in Marimilian’8 Dienſt die Franzoſen bei Dournon in der Franche⸗Comté. Gerade im Eljaß ift es recht eripriehlich, mit dem Andenken an die Landsleute in ded Reiches und deutſcher Fürften Dienfte auch das Andenfen an die deutſche Ver—⸗ gangenbeit zu weden und zu heben. Tas hat Berfafler auf Grund der vorliegenden Literatur in jchlichter, einfacher Weije gethan, und dafür find wir ibm Dank ſchuldig. —&.

Nadträglih jei darauf hingewieſen, daß auch M. Balker in der Btihr. des Vereins für Thüring. Geſchichte N. %. 10, 1 umfangreiche Studien zur Kunde thüringifcher Geſchichtsquellen des 14. und 15. Jahr⸗ hunderts, bejonders ihrer handichriftlichen Überlieferung, gebracht hat.

In den Mitteilungen des Vereins f. Geich. und Landeskunde von Osnabrück, 21. Bd., veröffentliht U. v. Türing unter Benußung einer nachgelaffenen Arbeit von Neinede ein „Ortſchaftsverzeichnis des ehe— maligen Hodftift? Osnabrück“, unter Hinzuziehung des Kirchipiels jedes Ortes, und weiterer Tabellen, die den Umfang der Stirchipiele und die wech« felnde administrative Eintheilung des Hochſtifts veranjichaulichen.

Bon R. Woſſidlo ift der erite Band eines groß angelegten Werkes: Medlenburgiihe Bollsiiberlieferungen, erſchienen, in dem zunächſt die Räthſel gefammelt find. (Wismar 1897.) Eine Orientirung darüber gibt ein Artilfel von W. Golther in der Beilage der Münchener Allg. Ztg. vom 22. April: Medlenburgiihe Volkskunde.

Die Beiträge zur Geſch. der Stadt Roftod bringen im zweiten Heft des zweiten Bandes eine Berdifentlihung E. Dragendorff's aus dem

380 Notizen und Nachrichten.

Roſtocker Rathsarchiv: Die älteften Stadtbuch-sragmente Roftode (158 bis 62), von denen bieber nur ein Heiner Theil im Medlenb. Urk.Vuch (Bd. 2) edirt worden ijt. E83 find im ganzen 220 meift kurze Aufzeich⸗ nungen, welde größtentheilg Abmachungen civilrehtlicher Art zwiichen eins zelnen Bürgern der Stadt betreffen und über Herkunft und Vermögens⸗ verhältnifje der älteften Nojtoder Familien, über Zahl und Arten der damals in der Stadt vertretenen Gewerbe, jomwie über masıche andere kultur: hiſtoriſche Fragen interejiante Aufichlüjie gewähren. Ein fehr ausführ⸗ lihes Namen: und Sachregiſter erleichtert die Benupung der dankens⸗ wertben Publikation. v. B.

Im Auftrage der Geſellſchaft für Kieler Stadtgeſchichte hat Chr. Reuter das Kieler Erbebuch bearbeitet und herausgegeben (Kiel, 9. Edardt. 1897. 8 M. LXII, 371 S.). Dasſelbe reiht von 1411 bis 1604 und entbält die von dem Rathe erfolgten Überlafjungen von bebauten Grundjtüden aus einer Hand in die andere, und zwar bis 1471 in lateis nifcher, von da an in niederdeuticher Faſſung. Tie Duclle würde von großer Wichtigkeit bejonders für wirthichaftliche Unterjuchungen fein, wenn fie zugleich die Preife enthielte, welche bei Veränderungen durch Kauf ge zahlt worden jind. Dies ijt aber leider meljt nicht der Fall, vielmehr be fhränten jih die Eintragungen in der Regel auf die Angaben des alten und neuen Gigenthümers, der Zeugen und der Lage bed Grundftüde; hierzu kommen bisweilen noch Notizen Über Nenten, die darauf lajten, und deren Ablöfung. Was jich fonjt über die Form der in Betracht fommenden Rechtsaeichäfte, die Bewegung des jtüdtiichen Grundbeſitzes, den Antheil der Ritter, geiltlihen Körperichaften und auswärtiger Beſitzer, ſowie die Orts- und Baugeihichte Kiels daraus ermitteln läßt, hat der Herausgeber in der umfangreichen Einleitung jahgemäß erörtert. Die Ausgabe jelbit ift mit peinliher Sorgjalt bergeftellt, ihre Benupung wird durd ein Ber: zeihnis der Perjonen: und Ortsnamen, ein topographifches und ein Bort- und Sachregiſter erleichtert. J. H.

Als willenichaftlihe Beilage zum Jahresbericht des Falk-Realaymne: ſiums zu Berlin, 1897, veröffentlicht Friedrich Krüner einen Auffag über Berlin als Mitglied der deutihen Hanſa, in den auf Grund der vorliegenden gedrudten Quellen, beſonders des hanfiihen Urkundenbuches, die Beziehungen Berlins und der übrigen märfijhen Städte zur Hanla erörtert werden. Ten Abſchluß diejer Beziehung bildete der vom Landes⸗ berrn erzwungene Austritt im Jahre 1442.

Paul Flade, Das Kirchſpiel Frauenhain nebft den eingepfarrien Rittergütern und Dörfern von der älteften Zeit bis zum Jahre 18%, ein Beitrag zur Beihichte des Nöder-Elfterlandes, (Großenhain, Herm. Starke (CE. Plasnit. 1897. VII, 162 ©.) gibt eine auf fleißigen archivaliſchen Forſchungen berubende Daritellung der Geſchichte von Frauenhain (zwiſchen

Bermifchtes. 881

roßenhain und Elfterwerda) und der dahin eingepjarrten Dörfer. Aus— bend von den firdlichen Berhältnifien bringt er auch für die Geſchichte r Nittergüter und über Bejiger (v. Köderig, Pflug, v. Millau u. ſ. mw.) ıd die Geſchichte der Gemeinden mances Beachtenswertbe. E.

„Aus der Geihichte de8 Elbinger Gymnaſiums“ behandelt Bro. r. 2. Neubaur in Ergänzung der jhon vorhandenen Daritellungen nige Kapitel. (Programm des Elbinger Realgymnaſiums 1897. 75 S.) Er It darin zunächſt die Namen der Rektoren des 16. Jahrhunderts feit und bt von jedem, joweit e8 möglich war, eine furze Lebensſtizze. In einen yeiten Theile beichäftigt fich die eingehende, ſorgſame Arbeit hauptſächlich it den Unterrichtögegenftänden, den Schulfeſten und Aufführungen, der Htlihen Stellung von Lehrern und Schülern und den Gehaltäverhält- fen der Lehrer bi8 zum Ende des 18. Jahrhunderts.

Neue Büder: Annalen und Chronit von Kolmar. überfegt von abft. 2. Aufl. (Leipzig, Dyk. 3,20 M.) Baer, Die Hirfauer Bau— zule. (Freiburg i. B, Mohr. SM.) Lieſegang, Niederrheinifches tädtewejen vornehmlih im Mittelalter. (Breslau, Köbner. 20 M.) ungers, Beiträge zur mittelalterlihden Topographie, Rechtsgeſchichte und ozialjtatijtil der Stadt Köln. (Leipzig, Dunder & Humblot. 3,40 M.) nipping, Die Kölner Stadtrehnungen des Mittelalters. I. (Bonn, ehrendt. IHM.) Jacobs, Werdener Annalen. (Düfjeldorf, Chwann. M.) Brandig, Diarium, Hildesheimiiche Geſchichten 1471—1528. Her. Hänielmann. (Hildesheim, Gerftenberg. 13,60 M.) Beſchorner, as ſächſiſche Amt Freiberg und ſeine Verwaltung um die Mitte des 15. Jahr⸗ inderts. (Leipzig, Duncker & Humblot. 3,20 M.) Bartuſch, Die nnaberger Lateinſchule im 16. Jahrhundert. (Annaberg, Lieſche.) iermann, Geſchichte des Proteſtantismus in Äſterreichiſch-Schleſien. zrag, Calve) -- v. Krones, Verfaſſung und Verwaltung der Mark nd des Herzogthums Steier von ihren Anfängen bis zur Herrſchaft der absburger. (Graz, Styria) dv. Wretſchko, Tas öjterreihiiche Mar: yalamt im Mittelalter. (Wien, Manz. 5M.) Jlwof, Die Grafen von ttemd. (Forſch. zur Verfaſſungs- und Berwaltungsgeihichte der Steier: art. II, 1. Graz, Styria. 3,40 M.)

Bermifdtes.

Die 23. Plenarveriammlung der Gentraldireltion der Monumenta ermaniae historica wurde in diejem Jahre vom 5. bis 7. April ı Berlin abgehalten. Zu neuen Mitgliedern der Gentraldireltion wurden e Herren Frofejjor Dr. Beumer in Berlin und Privatdozent Dr. Traube ı Miinden gewählt. Nach dem von Dümmler verfakten Jahresbericht find n Laufe des Jahres 1896.97 eridienen: in der Abtheilung Auctores ntiquissimi: 1. Chronica minora saec. IV. V. VI. ed. Th. Mommsen

882 Notizen.und Nachrichten.

DI, 3 A. a. XIII, 3).; in der NAbtheilung Scriptores: 2. Scriptores XXX, 1, Folioausgabe. 3. Scriptores rerum Merovingicarum ed. Krusch ID.; in der Abtheilung Leges: 4. Constitutiones et acta publica imperatorum et regum ed. Schwalm II.; in ber Abtheilung Antiqui- tates: 5. Poetae latini aevi Carolini III, 2, 2 (Schluß des 3. Bandes) ed. Traube. In der Sammlung der Auctores antiquissimi find bie fleineren Chroniken mit der legten Lieferung bed 3. Bandes zum Abſchluß gelangt. Das von Herrn Dr. Lucas entworfene ausführliche Regiſter über alle drei Bände wird im nächſten Sommer der Prefle übergeben werden. Der von Herrn Mommijen bearbeitete älteſte Theil des liber pontificalis bis 715 ift im Drude ſchon jo weit vorgerüdt, daß man etwa mit dem Ende des Jahres jeiner Bollendung entgegenfehen darf. Es ſoll ben Ans fang einer bejonderen Unterabtheilung von Quellen zur Bapftgeigihte bilden, für welche der allgemeinere Titel (Gresta pontificum Romanorum gewählt worden ijt. Für alle8 Weitere müſſen wir auf den in dent Eipungsberichten der Berliner Akademie der Wiffenfchajten 1897 9. 20: abgedrudten Bericht jelbit vermeiien.

Die Geſellſchaft für Rheiniſche Geſchichtskunde hat ihten 16. Jahresbericht über das Jahr 1896 verſandt (Bonn, Georgi 197, zufammen mit dem Tille'ſchen Archivverzeihnis 128 ©.) Erjcienen fin D feit dem vorigen Jahr: Rheinifhe Akten zur Geſchichte des Zefuitenoderr® 1542 1582, bearbeitet von 3. Hanfen, die dritte Lieferung der vo #1 Scheibler und Aldenhoven herausgegebenen Geſchichte der Köln e Malerichule (eine vierte Lieferung joll noch folgen‘, und der 1. BnddeT Kölner Stadtrechnungen des Mittelalters mit einer Daritellung der Finan 75” verwaltung, bearbeitet von R. Knipping (Einnahmen und Entwidurs- & der Staatsſchuld. Faſt drudiertig liegt die jeit Jahren von dem leid =T nun dor dem Erſcheinen jeiner mühevollen Arbeit verjtorbenen Profis * Menzel vorbereitete Ausgabe der älteren rheiniihen Urkunden bis zu _ Jahre WW vor. Aud) die beiden eriten Abtheilungen der erzbtjhöfti Er kölniſchen egejten, bearbeitet von Menzel und Anipping, find der Bo _ endung nahe geführt. Vom neihichtlichen Atlas der Rheinprovinz wird be u Überjichtsfarte von 1789 nebſt Erläuterungsband in den nächſten Monte —— erſcheinen. Wir erwähnen endlich, daß der Vorstand der Geſellſchaft beſchloſ " Bat, auch den Schluß des Buches Weinsberg in gefürzter Bearbeitung be auszugeben. Das Manujkript, bearbeitet von Dr. Zau, liegt bereitö zwei Bänden drudiertig vor, und der Drud bat begonnen. Angeſchloſe = itt der Bericht der Kommiffion für die Dentmälerftatiftit der Rheinprovir®- = die in der Bearbeitung des Provinzialfonfervatord Clemen raſch vom _ geichritten ift. Dit dem GEricheinen des 4. und 5. Heftes bes 3. Band = * iit die VBeichreibung der Kunitdentmäler des Regierungsbezirtes Düffeldc® =7T zum Abſchluß gebracht worden, und es beginnt nunmehr die Beichreibuse £7 de3 Regierungsbezirkes Köln. Den zweiten größeren Theil des Here”

2a

Bermifchtes. 388

nt wieder die von W. Tille bearbeitete, jehr dankenswerthe Überficht den Inhalt der Fleineren Archive der Rheinprovinz ein, und zwar en diegmal die Archive der Kreife München-Gladbach Stadt und Land, venbroich, Bergheim und Düfleldorf Stadt und Land verzeichnet. Im ‚en find fo bereit3 nicht weniger als 382 Ardive von Pfarrämtern, germeilter- und Gemeindeämtern und von Privaten verzeichnet.

Benuger der Archives nationales in Paris werden mit Intereſſe dem lehrreichen Aufſatz Kenntnis nehmen, in bem Delaborde die entarilirung und NRepertorifirung des fog. Supplöment du Tresor des rtes duch Dupuy im Anfang des 17. Jahrhundert? und die weiteren Alale diefer Sammlung bis auf unfere Tage erörtert. (Bibliothèque "ecole des chartes Janv.—Avril 1897, Bd. 58, 1, 2.)

Am 8. und 9. Juni fand in Soeſt die Beriammlung des hanſiſchen chichtsvereins und des Vereins für niederdeutiche Sprachforſchung

Borträge hielten Profeſſor Ed. Schröder über bie Namen des ‚hen Handwerks (mit intereffanten Berfpeftiven auf die Wirthſchafts— ichte und die Beichichte der deutſchen Zamiliennamen), Ardivar Ilgen Soeft im Mittelalter und Dr. Mad über Stefan Paris und die han- ranzöſiſchen und niederländiihen Beziehungen gegen Ausgang des dahrhunderts.

In Düſſeldorf tagte Anfang Juni die Verſammlung des hiſtoriſchen ins für den Niederrhein, bei der Vorträge von Schaarſchmidt, Fer und Tille gehalten wurden.

Muh für die thüringiichen Staaten hat fih jegt unter Führung bes ins für thüringiihe Geihichte eine Thüringiſche Hiftoriiche wmijjion gebildet. die namentlid die Inventariſirung der örtlichen ve, Publikationen von Alten und Sammlung aller Art vollsthlim- u Materials beabiidtigt.

Vom 21.—23. April hat in Jena der 22. deutſche Geographen— getagt. Wir erwähnen hier die Vorträge von beinr. Jimmerer 8. Chberhummer über frühere dentiche Forſchungen in Kleinaſien über ihre eigene aemeinfchaftlihe Forſchungsreiſe im Jahre 1896, die entlich dem Stromgebiet des Halys galt.

Jüdiſche Freisaurgaben: 1. Geihichte der Juden in Yabylonien. is 200 M. 2. Tie Lehre des Rudenthbuns von der Verjöhnung und n Bedingungen. Preis IM M. Mblieferung bis 1. Juli 1809 an Kuratorium der Jun Stiftung in Berlin.

Ter Termin für die Freisaufgabe der Mevilien- Stiftung: Nachweis im Anfang des 16. Jahrhunderts in Köln vorhandenen Ztraßen und Be, it bie zum 31. Januar 1899 verlängert worden. Preis 4000 W.) neuen PFreisanigaben der Stiftung vgl. 78, 563 r.

334 Notizen und Nachrichten.

sn Wiesbaden itarb am . April in Alter von 95 Nahren Friedrich Weorad Bunge, aeb. in Niew und fange in den ruſſiſchen Üjrfeepro- vinzen thätig, zu deren Rechts und Nulturgeichichte er Zahlreiche Arbeiten veröffentlidt bat. -— In Wien jtarb Witte April der befannte Sun biitorifer Narl v. Yüßom, geb. 25. Tezember 1832 zu Wöttingen, Be gründer und Derausgeber der „Zeitichrift für bildende Kunſt“ -nebji Kunſt⸗ gewerbeblatt und Kunſtchronik, Sowie Neriaffer mebrerer größerer kunſthiſto— riſcher Werle. In feiner Billa in Zucco anf Sicilien ftarb am T. Mai dev 1822 geborene Derzog von Aumtale, der audh als franzdiiicher Weichichtichreiber (klistoire des Princes de Conde) jih audzeichnete. In Bonn it am 10. Mai im Alter von 62 Jahren Karl Menzel geitorben aeboren in Zpeier. Außer Schriften zur Gejchichte des deutſchen Mittelalters und der hiſtoriſchen Silrswijjenichaiten, die er an der Unts derjität vertrat, ilt von ibm namentlich die Fortführung von Schliephake's Geichichte von Naſſan zu erwähnen. Miürzere Beit, vom Frühjahr 1874 bis zum Herbſt 1875, redigirte er unſere Zeitjchrift. gl. über ihn auch die Notiz über den Jahresbericht der Geſellſchaft für Rheiniſche Geſchichtb⸗ funde oben S. 82,

Über Leben und Schriften von Alexander Brüdner ijt eine eigene Meine Schriſt von Eh. de Yarivpiere erfchienen: Un historien russe. Alexandre Brückner Bari, Ye Soudier. 1897. 50 S.) Die Zus ſammenſtellung der Schriften ift aber nicht vollitändig; wenigitens vers miſſen wir zum Theil die in unserer eitichrift erichienenen Arbeiten Brückner's.

Erklärung.

In Dem letzten Heite der „Hiſtoriſchen Feitichriit“, Bd. 79 H. 1, findet ſich eine Abhandlung von B. Miele, „Zur Würdigung Alexander's des Großen“, Die ganz, beſonders gegen meinen in dieſer Jeitſchriit (74, IR. 193 m.) veröffentlichten Aufſatz: „Alexander der Srofe und der Hellenismus“ gerichtet it. Ich glaube, aucd den Erörtermmgen Nieſe's geneniüber, eine Aufiaſſung und Daritellung in allen wejentlichen Runtten aufrecht erhalten zu fonnmen, und eracbte es in Hinblick auf die große, univerjalbijtorijche Bedeutung Des Wegenitandes, ſowie das merbodologiiche Intereſſe, das ſich an den Reſtand umierer hiſtoriſchen Überlieferung über Alexander knüpft, auch ſachlich Mir wünſchenzwerth, zu den Einwänden Wieje's Stellung zu nebnnen. Ta dies aber in erfolgreicher Weiſe nur in einer etwas eim: qelenderen Begrundung meiner Anfigſiung möglich iſt, fo muß ich Diele rinem Lelonderen Auiſaße oder beionderen Erörterungen innerhalb einer umißsſſenderen, den mir geplanten Tarſtellung vorbehalten. J. Kaerst.

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[Die Anfänge des Sozialismus in Europa. Yorz

Robert Pohlmann.

‚Eriter Theil.

Wer den Urſprung der jozialijtiichen Ideen des Gricchen- thums nur im Schatten der Schule, in den Spekulationen „welt: fremder“ Denfer jucht, wer da glaubt, daß dergleichen Ideen in den Hörjälen verhallten, der verfennt, daß gerade die lebendige Wirklichkeit, jo zu jagen die ſoziale Atmojphäre, die den Griechen umgab, manttigjache Steine zur Entjtehung einer derartigen Ges danfenrichtung enthielt.

Der Boden, in welchem die wirthſchaftliche, joziale und poli— tiſche Erijtenz des Griechen wurzelt, iſt der Stadtijtaat, die Polis. Nach) aufen hin jchließt fich dieſe „autonome“ ſtädtiſche Gemeinde eifertüchtig ab; ihre Politik iit vom Individualprincip faft bis zur Karrifatur beherricht. Aber eben durch dieſe Ntoli- rung fommt auf der anderen Zeite das entgegengejegte Princip zur Geltung. Cie führt dazu, daß nun die Gemeinde ſich um jo enger in ſich ſelbſt zuſammenſchließt. Das Storrelat des engherzigiten Stadtegoidmug iſt der fräftigfte Stadtpatriotismus, die in allen einzelnen Gemeindegenofjen Lebendige Vorſtellung von lofalen Sejammtinterejten. Und wie auf dem politiichen, jo iſt e8 auf wirthichaftlichem Gebiete. Der abgeſchloſſene ſtaat— liche Mikrokosmos der autonomen Gemeinde fann ſich in dieſer Selbitändigfeit nur behaupten, wenn er auch in der Beftaltung

Hißoriicke Zeitſchriit RR Ab. XLIM.

386 R. PBöhlmann,

der materiellen Grundlagen jeiner Exiſtenz nad) außen bin mög: lichjt unabhängig daſteht. Er muß alle Zeit in der Lage jein, im Notfall „fich jelbft zu genügen“. Sein hödjites Ideal üit naturgemäß auch wirthichaftlich die „Autarkie“!). Er kann daher nicht in Dem Grade, wie die moderne Stadt, in einer National: oder Volfswirthichaft aufgehen, wo jeder einzelne Produftions: und SKonfumtionsort ein völlig unjelbftändige® Glied in dem Organismus der Gejammtheit aller Einzelwirthichaften ift, und im Großen und Ganzen überall die Verhältniſſe der lofalen Produktion und Konjumtion durch diejenigen der Geſammtheit beitimmt werden. Wenn auch die lebhafte Entwidlung des Ver: fehrs, des Handels und der Induitrie, die werbende Kraft dei Kapitales die Schranken zwiichen den einzelnen Produftionz gebieten allenthalben durchbrach, und die territoriale Arbeit theilung jehr bedeutjame Fortichritte machte, jo ſuchte jich doch jede helleniſche Stadt auch wirthſchaftlich als ein möglichit jelbit- jtändiges Ganze zu behaupten, das von jich aus nach feinen be jonderen Bedürfniffen Produftion, Vertheilung und Konfumtton der Güter, Preisbildung und Abjagverhältniffe regelte. Man denfe an die Eingriffe in die wirthichaftliche Freiheit zum Schupe der Landeskultur, an die Stornhandel- und Thenerungspolitif mit ihren Zaren und strengen Verboten gegen Auffäuferet und Lebensmittelwucher, an die Ausfuhrverbote in Bezug auf Boden: produfte und Rohſtoffe der Induſtrie, an die Begünſtigung des (ofalen Marttes durch Handelsiperren, Straßenziwang und Stapel: rechte, durch Eingriffe in den Geld: und Kreditverfehr, an das Vorkaufsrecht des Staates in Bezug auf gewiſſe für jeine Zwede nothwendigen Güter, an die offenbar vielfach vorkommenden jtaatlichen Monopole u. dgl. m. Selbjt die Demofratie hielt eine

1) Kai trr nos rühmt Perikles in der Leichenrede von Athen Tols taaı TapEOXEı HOaEvr xai Es TOMEUOV Xu Es EIOTETE AUTAOKEITATT. Thut 2,36. 2. Bol. Ariftoteles Kol. 1,1,8. 125: 5 Ö’ex adsoreur noncr xoirwwrin TehAsio: TOAE %ÖT, TU0ns EXorca EOS TTS attapxein; &s E10; eireiv. In diefer Beziehung trifft auch auf die helleniiche Polis dag zu, mas Schönberg, Jahrbb. j. Nationalökonomie u. Statijtit 1867 S. 1 fi. zur Charakteriſtik des mittelalterlihen Stadtſtaates bemerkt Hat.

Die Anfänge des Sozialidmus in Europa. 887

erartige energijche Staatsintervention in wirthichaftlichen Dingen icht für unvereinbar mit ihrem Princip der individuellen Freiheit, ut der wenigſtens in Staaten, wie Athen fo hoch entwidelten rreiheit des Eigenthums und Verfehres. Gerade in den Eentren es wirtbichaftlichen Fortſchrittes, wo die Eriltenz einer zahl« eichen Bolfsmenge auf Handel und Gewerbe beruhte, und die eimijche Landwirthſchaft den Bedarf nicht dedte, mußte es fich eſonders häufig fühlbar machen, auf welch jchmaler und ſchwan⸗ ender Grundlage das ſtädtiſche Wirthichaftsleben fich aufbaute, velche Gefahren Hier jede mirthichaftliche Kriſis, jede Unter: rechung der Kommunifation, jede Störung der Güterverſorgung wurd gewinnjüchtige Spefulationen Einzelner über die Bevölke— ung beraujbeichwören fonnte. Eine Situation, die e8 nicht bloß 13 ein Recht, jondern geradezu als eine Pflicht der ſtädtiſchen Ibrigfeit erfcheinen ließ, die Produktion, Vertheilung und Kon—⸗ umtion der Güter zu überwachen!) und in diejelbe nöthigenfalle yeitimmend einzugreifen.

Ein jolches Recht und eine folche Pflicht ergab fich ſchon ius der ebenfalld in der Natur des Stadtjtaates begründeten rationalen Anfchauungsweile über das Verhältnis der Gejammt- yeit zu ihren einzelnen Gliedern. Durd ihre Selbjtändigfeit ınd Abgeſchloſſenheit erhielt die ftädtiiche Gemeinde das Gepräge iner wenigſtens nach außen enge verbundenen Gemeinichaft?), yeren Mitglieder fich wohl bewußt waren, wie jehr hier die Rohljahrt, ja die Exiſtenz des Einzelnen von der des Ganzen and umgefehrt die Wohlfahrt und Leiftungsfäbhigfeit des Ganzen yon der der Einzelnen abhing.e Und je augenfälliger diefe Ab- hängigfeit jelbft für den kurzſichtigſten Egoismus zu Tage trat, umjomehr war man gewohnt, an der jtaatlihen Gemeinſchaft das zu jchägen, was jie für die allgemeine Kultur: und Wohl⸗

) So ijt 3.8. der Stand der Vetreidevorräthe ein ebenjo regelmäßig wiederfehrender Berathungsgegenitand der atheniſchen Etkleſie, wie die „Sicher⸗ beit des Landes”. Ziehe Arijtoteled AInv. od. 43.

2) Beſſer ald in unferem „Stadtſtaat“ fommt diefe Eigenart der Polis zum Ausdrud in den engliichen Bezeichnungen city community (®rote) oder city commıonwealth.

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388 NR. Pöhlmann,

fahrtspflege zu leilten vermochte?). Im den Zebensbedingungen des Stadtſtaates und nit in einer Naturanlage be Hellenenvolfes?) oder der angeblichen „antiken Staatsidee wurzelte die energiiche Betonung des Wohlfahrtszweckes im helle niſchen Staatsleben, die auch durch den jchnödejten Klaffenegoit: mus nic ganz verdunfelte Überzeugung, daß die Gemeinicaft verpflichtet ijt, für das materielle und jittliche Wohl ihrer Mit- glieder zu forgen, und daB an diejer Pflicht der Gemeinſchaft die ‚Sreiheitsfphäre des Individunms ihre naturgemäße Schrante findet). Wo man 10 lebhaft von dem Gedanken erfüllt war, daß der Menſch und das menschliche Leben erſt Werth erhält durch den Staat, da mußte man auch den Anjprüchen der Staat: lihen Gemeinſchaft an ihre Mitglieder einen weiten Spielraum gewähren. Wie bezcichnend ift es, daB der Begriff der Polizei als der jtaatlihen Ordnung der gefammten Volkswohlfahrt auf den Begriff der Polis zurüdjührt! |

Wie weit derartige Eingriffe der Obrigkeit in die indivt- duelle Freiheitsſphäre einerjeitS und jene ftaatliche Fürſorge für das Wohl der Bürger andrerjeit8 gingen, das zeigen neben der ſchon erwähnten Wirthichaftspolitit des Stadtſtaates zahlreiche jozialpolitijche Maßregeln, wie z. B. gewiſſe Beichränfungen m Verfehr mit Grund und Boden (daS folonijche Grundbefismagi-

i) Ariſtoteles Pol. 1,1. 8. 1252b... yıvousen ner or» Tor Sie sem, oraoa de Tor er Sir (sc. 7 od),

2, Wie z. B. Bödh, Staatshaushaltung 1°, 66 annimmt.

s, Wie wenig fpezififch ‚anti! diefe Staatsidee ijt, geht ſchon daran? bervor, daß fie auf Grund derfelben mafjenpfychologifchen Urſachenkomplexe genau fo im mittelalterlihen Stadtjtaat und in der Gegenwart wiederfeht. Dal. Schönberg, a.a. C. S. 15 ji. „Die Zeit” jagt Bücher (Entitehung der Volkswirthſchaft ©. 49) vom Mittelalter „gab dem Namen ‚Bürger‘ einen rechtlichen und fittlihen Snhalt, in welchem die Staat8idee der alten Hellenen wieder lebendig geworden zu fein ſcheint.“ Und von der Gegenwart fagt Adolph Wagner (Die akademiſche Nationalötonomie und der Sozialik mu3): „EI ift im Grunde uralter, wahrhaft klaſſiſcher Boden, auf den jept nur die deutſche ökonomiſche und foziale Theorie und Praxis fich bewußt wieder jtellen, der Boden, wo das Wort des großen Stagiriten freilid in moderner Auslegung und mit modernen Hülfsmitteln feiner Erfüllung entgegengeführt werden foll.

3% N. Pöhlmann,

eigenthum enthaltenen Nechte zu bejtimmen, damit das (Eigen thum oder gewijje Arten desjelben in dem Prozeß der Erzeugung oder der Bertheilung der Güter günitig fungire, eine etwaige Ihädliche Benügung des Eigenthums verhütet werde?

War man aber einmal gewohnt, wenigftend im einzelnen Zweigen der Volkswirthſchaft das Herrichaftägebiet des Privat, eigenthums Durch Gejeggebung und Verwaltung nach Gründen öfonomifcher und gejellichaftlicher Zweckmäßigkeit regulirt zu jehen, jo war es nur eine Frage der jeweiligen Anſchauungsweiſe über dad, was geſellſchaftlich nüßlich, gerecht, oder ausführbar je, wie weit Theorie oder Praxis in der Beichränfung des privat: wirtbichaftlichen Gebietes gehen würden. Denn eine allgemein anerkannte principielle Grenze für die Ausdehnung der ftaatlichen Machtſphäre gab es ja nicht.

Nun fanden allerdings die in der Natur der Stadtitaat: wirthichaft liegenden centralijtiichen Tendenzen ein ſtarkes Gegen gewicht in dem lebhaften Interefje an der möglichit freien Be wegung des Privateigenthums und des privatwirthichaftlichen Berfehres, wie es durch die fapitaliftiiche Entwidlung des Wirth ſchaftslebens, durch Handel, Induftrie und Geldwirthichaft her- vorgerufen war. Allein gerade jolche Konzeſſionen an die dem fapitalijtiichen Bedürfnis entiprechende Politik des Gehenlaſſens mußten ihrerjeit3 wieder dazu beitragen, im Volksbewußtſein dei Glauben an den Beruf des Staates zum regelnden und jchügenden Eingreifen wach zu halten. Der von der Freiheit ja allezeit unzertrennliche ſelbſtſüchtige Mißbrauch des Privateigenthums, durch welche dasfelbe zum Ausbeutungsmittel gegenüber Anderen wird, die auch ohne ſolchen Mißbrauch durch die bloße Über macht des Befiges gejchaffenen Gegenjäge mußten in der ſozialen Atmofphäre eines helleniichen Gemeinwejend nothwendig immer wieder eine Reaktion in diefen Sinne herbeiführen.

Die Bürger eines jolchen Gemeinweſens konnten es unmög: lich auf die Dauer in dumpfer Refignation wie ein Naturereignid hinnehmen, wenn fie fic durch die beitehende EigentHumsordnung die Bedingungen zu einer gedeihlichen Entwidlung ihres Dajeins unterbunden oder gar ihre ganze Eriftenz gelähmt und unter

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 891

graben fahen. Ihnen war ja jtet3 die Macht allgegenmwärtig, welche bier ſchützend und helfend eintreten fonnte. Der Staat war für fie nicht ein abitraftes, myjteridfes Wejen, dem der Ein- zelne innerlich fremd gegenüberitand. Ihre Polis mit der allen Bürgern gemeinjamen Centrale, die nad) einem fchönen Wort von Curtius „darauf berechnet war, daß fie ein überfichtliches Ganze jei, daß in Theatern, auf dem Marfte, im Volksverſamm⸗ lungsraume die ganze Bürgerjchaft vereinigt fei, und des Herolds Ruf, jowie des Redners Stimme jeden Bürger erreiche!) dieje Polis war für fie etwas jehr Konkretes, Leibhaftiges, gleich: jam ein großes Individuum, auf deſſen Willen einzumirfen aud) der Niedere hoffen durfte. Sie jahen es täglich vor Augen, wie mannigfaltig die Möglichkeiten zur Bethätigung dieſes Willens waren, wie gewaltig die Macht ihres Gemeinweſens gerade auf wirtbichaftlidem Gebiete war. Wie hätte da nicht auch der Arme, der Nothleidende, der im Kampf um's Daſein Erliegende jeine Frage an den Staat haben jollen, zumal wenn er erwog, was alles jchon mit Hülfe diefer Macht die Starfen der Gejell- ihaft für fich und ihr Intereffe zu erreichen vermocht hatten? Barum jollte jih mit einem jo gewaltigen Werkzeug fozialer Hülfe und jozialen Schuges nicht auch für" die Schwachen Großes ausrichten lafien ?

In der That tritt ung, wenn wir dieſe Verbindungsfäden zwifchen dem eigenthümlichen gejchichtlichen Charakter des Stadt: ftaates und dem Scelenleben des Volkes aufmerfjam verfolgen, jofort al3 eine überaus bezeichnende ſozialpſychologiſche Thatfache der naive Ölaube an die Allmacht des Geſetzes entgegen: die Anjchauung, daß alles Gemwordene nur die Wirfung zweck⸗ bewußter menjchlicher Thätigkeit if. Was in Recht, Staat und Gejellichaft beiteht, wird auf den Willen eines „Gründers“ oder Geſetzgebers zurüdgeführt. Wer die Stlinfe der Gejebgebung in die Hand befommt und es nur an der nöthigen Entſchloſſenheit und

1) Die Polis bat für den Griehen den Vorzug, dab die Bürgerzahl eine „mwohlüberjehbare” iſt (evavrontos Ariftoteled, Pol. 4, 4, 8. 1326b), daß die Bürger einander fennen (yrwoıseır arirkors roioi rıyer eicı ebenda 8 7).

392 N. Pöhlmann,

Konjequenz nicht fehlen läßt, der kann nach diejer Anficht wahre Wunder wirkten. Es iſt echt nationale Anjchauungsweije und nicht ihr jpezifiich eigenthümlid,, wenn die helleniſche Sozial: theorie die Fähigkeit des Staates zur Leitung der im jozialen Leben wirkſamen Kräfte jo überaus hoch anjchlägt, wenn fie durch einfache Gebote und Verbote der Staatsgewalt die mad volliten gejchichtlichen Entwidlungen aus der Welt jchaffen, dns ganze Volksleben in neue Bahnen zwingen zu können glaubte. Auch außerhalb der Lehrfäle der „Philoſophen“ begegnen wir genau demjelben Optimismus.

Was hat man nicht alles bei den Männern für möglid gehalten, die als die Erften die ſyſtematiſche Hebung unterdrüdter und ausgebeuteter Volksklaſſen, in gewiffem Sinne „den Kampf gegen Armuth und Reichthum“ von Staatöwegen in die Hand genommen haben! Damit alle Bürger jelbft arbeiten müſſen oder zu arbeiten haben, erjolgt durch Periander ein rabifales Verbot der unfreien Arbeit’. Und das in einer Stadt, wie Korinth, deren glänzende industrielle und kommerzielle Blüte auf einer ausgedehnten Sflavenwirthichaft beruhte, und während alle Welt ringsum an der beftehenden Arbeitsverfaffung fefthielt, ja dieſelbe immer weiter entwidelte! Der Üppigfeit geht er zu Leibe, indem er alle Dirnen in der Stadt der Aphrodite! erjäufen läßt und eine joziale Kontrollbehörde einfegt, die ſorg⸗ fältig darüber wacht, daß Niemand mehr audgäbe, ald er ein nahm?)! Der „Bhilantrop“ auf dem atheniichen Fürſtenthron, PBiliftratos, fol dem gemeinen Manne eine jo ideale YFürjorge gewidmet haben, daß man noch in jpäter Beit von ihm rühmte, das atheniſche Volk habe ed unter ihm faft fo gut gehabt, wie im Kronosreich!“) Und vollends die großen Gejeßgeber! Aus

ı) Ric. Dam. 58 nad) Ephoros.

2) Bovinv En’ doyarwv xareoınaer, or or“ Eyiecav danasan nAduv 7 xara tas r000000v:. Ps. Heracl. db. Müller, F.H.G. 2,2k. Etwas Ähnliches, aber doch kaum in dem bier angenommenen Umfang, beitand je allerding® in Korinth no fpäter, nad Diphilos b. Athenäos 6, 227.

3) Ariſtoteles AInv. no). 16 von Bififtratos. Gleiches wurde behauptet von der Zeit Hippardh’8; ſ. den pfeudoplatonifchen Dialog Hipparch 229b.

394 R. Böhlmann,

zulegt feinen Ausdrud fand in der Forderung gleichen Rechtes der Genofjen in der Gemeinichaft. Der Stadtijtaat wird die de: burtsftätte der Demofratic! Gleiches Recht im Staat iſt aber auch gleiches Recht am Staat. Die Wohlfahrtspflege des Staates, die Fürſorge für den „gemeinen Nug und Frommen“, zu der, wie wir fahen, recht eigentlich die Polis berufen war, foll Allen ohne Unterjchied in gleicher Weile zu gute kommen!). Auch m Niedrigften wird die Überzeugung lebendig, daß, wenn Gelbik hülfe und Privathülfe verfagt, die Gefammtheit für ihn eintreten müffe. Nur injofern ift der Staat für ihn eine Organijation des allgemeinen Beſten, als er eben in demjelben fein eigenes Wohl inbegriffen weiß. Wie für die mittelalterliche Stadtobrig feit Förderung des „gemeinen Beiten“ und „Wohljahrt der Ar muth“?) zujammengehörige Begriffe find, jo Hat fich fchon der antife Stadtftaat diefer aus jeinem ureigeniten Weſen entjprin genden Konjequenz nicht entziehen fönnen?.. Welche Dienite leiltete er gerade dem Armen durch den gejeglichen Schuß gegen Vertheuerung des Brotes, durch die ftaatliche Invalidenverjorgung u.dgl.m. Und warum hätte er ihm nicht noch mehr leiiten jollen, als dieſes?

Wenn die ſtaatliche Gemeinſchaft ein Mittel zur Befriedigung der Intereſſen Aller war, und wenn ein demokratiſcher Radilo lismus den Anjpruch erhob, daß Jeder gleiches Recht im Staatr babe, jo ergab fich auf diefem Standpunkt ganz von jelbit die weitere Forderung, daß der Staat ein für Alle gleich nüglicde Werkzeug jei. Konnte er aber dieje Funktion völlig frei bethä tigen unter Berhältniffen, wie ſie fih auf dem Boden de ı) Der Sap des Ariſtoteles (Politit 3,1,5b): 7 yap 0v moAstas ga- Teor elvas Tovs uereyortas 7 dei xoıwwrein Tot Orugepovros iſt recht eigent- lich Auzdrud der allgemeinen Volksüberzeugung.

2) Nah einer Erklärung des Lübeder Rathes. Siehe Neumann, a. a. O. ©. 16.

) Wie bezeichnend iſt allein die jo ganz auf dem Boden des Stadt ſtaates erwachſene Anſchauung, daß das politifhe Band eine Art Freundidaft jei und daher unter den Bürgern auch Gemeinfchaft, wie unter Freunden, beitehen ſollte! Siehe Eudemiſche Ethif 10. 1242: ou uorov yıla alla wa sg yihar xoıwoworsw. Vgl. ebenda: 7 de xat' ion yılia doriv 1; nohur,

396 R. Pöhlmann,

des geſchilderten Syſtems ſtaatlicher Regulative darſtellt und andrerſeits nur für Verhältniſſe Geltung beanſprucht, unter denen die Möglichkeit einer einheitlichen und planmäßigen Rege lung des Güterlebens nicht von vornherein in Abrede geſtellt werden kann. In dem engen Rahmen des Stadtſtaates, wo nicht das Schwergewicht großer Flächen und großer politiſcher Dimen⸗ jionen hemmend im Wege ftand, wo fich eine wirkſame Beherr ihung des ganzen Volkslebens von einer einheitlichen Spike aus leicht durchführen ließ!), da konnte man in der That an den Erfolg fuzialiftifcher Experimente glauben, und an Projekten und Erperimenten der Art hat es ja in der That nicht gefehlt.

Es iſt ung leider nicht vergönnt, in den intimen Außerungen des Volkslebens jelbjit die angedeuteten Gedankengänge zu ver folgen. Was man in den PBroletarierhütten über den „Kampf gegen Reichthum und Armuth“ gedacht hat, der doch in den Lehr jälen und in der Literatur mit einem fo gewaltigen Aufwand von geijtiger Energie geführt ward, darauf läßt die beflagendwert) trümmerhafte Überlieferung nur ganz vereinzelte Streiflichter fallen. Wenn irgendwo, fo empfindet man hier die ſchmerzliche Bedeutung des Grote'ſchen Wortes, daß mir von der antiken Literatur eben nur das befigen, was von dem Wrad eines ge Itrandeten Fahrzeuges ar das Ufer getrieben iſt. Hat man van den Ideen eines agrariichen Sozialismus, die im 6. Jahrhundert unter dem bäuerlichen PBroletariat Attikas auftauchten, noch vor wenigen Jahren vor der Wiederauffindung der ariftotelijchen Berfaffungsgeichichte Athens eine einigermaßen genügende Vorſtellung gehabt? Und mas will jelbft unſere jegige Kunde bejagen ?

Um jo jorgfältiger wird man ſolchen direkten Spuren nad; gehen müſſen, und wo fie ung verlafjen, werden wir wenigſtens mittelbar einigen Erjaß zu gewinnen juchen durch eine Analyie der ozialöfonomifchen und politiihen Zuſtände. Wenn biele

1) Mie ſehr man die Bedeutung diejer Kleinheit des Staates für die Verwirklichung des Wohlfahrtszwecks zu würdigen wußte, zeigt die charalter⸗ iftifche Erörterung bei Arijtoteles 4, 4,5 ff. 1326a u. b.

398 R. Pöhlmann,

bat auch zu einer engen ökonomiſchen Gemeinſchaft der Bürger geführt. Die „Sozialifirung des Verzehrs“, die theilweife Gleich: beit des Konſums iſt durch eine Art von gemeinjchaftlicen Haushalt in weitem Umfang verwirklicht‘). Das wichtigſte Bro duftionsmittel des bejtchenden Wirthſchaftsſyſtems, die Arbeits⸗ fraft der hörigen Zandarbeiter, der Heloten, ift Kollektivbeſit der Gejammtheit. Someit Privateigenthum befteht, unterliegt es wenigiten® einer gewiljen ſozialen Regelung, jei es durch rechtliche Beichränfung der Herrichaftsbefugniffe des Grundeigen thümers, jet e8 durch die Sitte, welche Gegenftände des Bedarjes durch den Nießbrauch in gewiſſem Sinne zum Gemeingut madıte?). Nicht bloß nach außen, fondern aud in den Beziehungen unter einander fonnten fich hier die Einzelnen al® Glieder einer eng verbundenen Genofjenschaft fühlen.

Daher fam in Sparta auch das Korrelat des Gemeinjchaft# principes, die Idee der Gleichheit, in beſonders prägnanter Weile zum YAusdrud. Die alte Wehrgemeinde der Freien und Gleichen bat ſich Hier lange in ungebrochener Kraft erhalten; und wenn gleich die fozialiftiiche Färbung des Gemeinweſens die fortichrei tende wirthichaftliche Differenzirung der Bürgerjchaft nicht hat verhindern können, jo bat doch auch der größere Befig vor der herrichenden Tendenz der Gleichheit fich beugen müffen. So ilt 3. B. die demofratiiche Umgeftaltung der bürgerlichen Tracht von Sparta auögegangen. Die Spartaner haben ſich wie Thu kydides berichtet gegenüber dem Kleiderluxus der alten Zeit zuerjt des ſpäter allgemein üblich gewordenen jchlichten Bürger Eleideö bedient, und auch im übrigen haben hier die Vermögenden ihre Lebensführung derjenigen der Maffe gleichartig gejtaltet?). Die Rüdfiht auf die Gleichheit hielt fie ab, die im Reichthum

1) Ariſtoteles, Politit 2, 2, 10. 12636: a nspl ras wınasıs dv Aaw- daluors xai Koity Tois ovooıriors vouodsrns Exolvocer.

2) Vgl. Bd. 1,55. 62 ff. meiner Gefchichte des antiten Kommunismus und Sozialismus.

s) 1,6: ueroian d’av dad xai ds Toy viv roonov noaros Aaxedaı- nurıoı Lyoioavıo wai bs ra alla rgus Tors noilors or ra uam xexınusror isodimurtoı uakıora xaTeoTroav.

Die Unfänge des Sozialismus in Europa. 399

liegende Macht zur Steigerung de3 materiellen Glüdes ent- ſprechend auszunügen!?).

Enthielt nun aber die zunehmende Ungleichheit des Beſitzes nicht an fich ſchon einen Widerſpruch zu den Principien, auf denen jich dad ganze Gemeinweſen aujbaute? Wenn die bes ſtehende Wirthichaftsverfaffung nicht zu verhindern vermochte, daß den Befigern größeren Landeigenthums folche gegenüberitanden, deren Antheil für die volle Behauptung ihrer bürgerlichen Exiſtenz nicht binreichte, oder die überhaupt feine Scholle mehr ihr Eigen nennen fonnten, was hatten denn dann für dieje Enterbten die genannten Principien noch zu bedeuten? Und in der That fügte fih auch das jpartanifche Staatsrecht in den Zwang, der ji aus der thatjächlichen Geſtaltung des Privateigentbums ergab. Es ſchloß alle, welche die Beiträge für die gemeine Bürgerjpeifung nicht aufbringen konnten, vom Vollbürgerrecht der „©leichen“ (ouoroı) aus.

Kein Wunder, daß fich Dagegen das Gleichheits- und Gemein- ichaftsgefühl, da8 in den Herzen lebte, mächtig auflehnte, daß man gegen die Konfequenzen der öfonomijchen Entwidlung die Srundprincipien des Gemeinweſens in's Feld rief?),. Wir haben noch einige Kenntnis von der gefährlichen Gährung, welche im Anfang des 4. Sahrhunderts unter den vom Kreiſe der „Gleichen“ . Ausgeichloffenen herrſchte. Bon dem Führer der Bewegung, Stinadon, heikt es, er habe im Verhör auf die Trage nad) dem Motiv der Verſchwörung die Erklärung abgegeben, daß er nicht etwa® ©eringeres jein wolle, ald Andere in Yacedämon?). Eine Antwort, die übrigens von den Bertheidigern des Beitchenden wahrjcheinlich entitellt ift und in Wirklichkeit ganz allgemein ges lautet haben wird: „Damit Kleiner in Sparta geringer ſei, ala

ı) Bgl. die allerdings übertreibende Bemerkung Theophraſt's bei Plutarch, Lykurg c. 10.

2) Treffend hat den Widerſpruch zu dem grundlegenden demokratiſchen Princip auch Ariftoteles hervorgehoben Pol. 2, 6, 21. 1271a.

3) Zenophon, Hell. 3, 3, 11 reios avrov noowto Ti xai Bovkousros ravra nearroı. OÖ’ anexpivaro undevos irrwv elvaı Ev Aaxsdaiuor:.

400 N. Pöhlmann,

der Andere.“ Jedenfalls war die für alle jeine Schidjald genofjen längft vor ihm die gegebene Parole.

Ebenfo war ed nad) Lage der Dinge unausbleiblich, daß von dem Moment an, wo fich das Gleichheitsbewußtfein kritiſch gegen das Beſtehende wendete, die leichheitsforderungen eine Ööfonomische Färbung erhielten, daß auf dem Boden der politi- chen eine joziale Demofratie erwuchs. Wenn es die ungleid- mäßige Beſitzes- und Einfommensvertheilung war, welche die bürgerliche Gleichheit vernichtete, jo war es in einem Staat, der mit jeiner Zwangsgewalt jo tief in das wirthichaftliche Leben eingriff, ein naheliegender Gedanke, daß die Staatsgewalt be rufen ſei, diefe VBertheilung durch eine zwangsmäßige Megulirung jo zu geitalten, daß die von hier aus der Gleichheit drohende Gefahr für immer als bejeitigt gelten fonnte. Ind die einfachite Formel, die fich für die Löſung der Aufgabe darbot, war die: „Thatſächliche Durchführung der Gleichheit Aller aud in materieller Hinficht“ oder konkret ausgedrüdt „Gleiches Recht für Alle an dem Boden“, der das materielle Subitrat ihrer ganzen bürgerlichen Erijtenz bildete. Für dieſe in ihrer Tendenz auf Gleichheit der Lebensbedingungen unverfennbar fommuniftische Unterftrömung innerhalb der Bürgerfchaft und nicht für die thatſächlich anerkannte Rechtsordnung Sparta? treffen die Außerungen über die grundjägliche Gütergleichheit der Spartaner zu, die uns in der Literatur entgegentreten?).

Allerdings lag diefer agrarijche Sozialismus in gewifjem Sinne ganz in der Richtungslinie, welche ſchon bie biäherige geichichtliche Entwidlung genommen. Wenn ein Hauptfaftor ber Produftion, die Arbeitsfraft der Heloten, gejellfchaftliches Eigen thum war, wenn ein großer Theil des Bodenertrages ebenfalls regelmäßig der Hinüberführung in gejellichaftliches Eigenthum unterlag, jo that man nur noch einen weiteren Schritt auf der

1) Iſokrates, Paneg. 179: ... rs yogas Ts noooines icorv dyew Inaotov. Polyb. 6, 45: ... Tas dyyalovs wriccıs ar ovderi mereorı nicor

alla narras Tovs nohitag ioow &yew dei 175 nolırwng yoleas. Giehe meine Geſchichte 1, 104. 126.

Tie Anfänge des Sozialismus in Europa. 401

ngit betretenen Bahn, wenn ınan den Prozeß der Bergejells haftung auf den Grund und Boden jelbjt ausdehnte. Auch brte man damit ja nur zu dem Ausgangspunfte zurüd, in elhem die ganze beitehende Vertheilung des Bodens im legten runde wurzeltee Alles bürgerlihe Grundeigenthum war in ;parta urjprünglic) durch Zutheilung von Seite der Gemein» haft entitanden und der Name „Los“ (xArogos) für den einzelnen ;odenantheil fowie für die jpäteren Landanweiſungen auf er» jertem Gebiet haben die Erinnerung an dieſen Urjprung des rivaten Grundeigenthums ſtets wach erhalten. Ungleich mehr och, als bei anderen Bölfern muß hier im Volfsbewußtjein die nſchauung lebendig geblieben fein, daß die Erde trog aller Boden» uftheilung niemals völlig aufgehört habe, Gemeingut zu fein, daß aher alles Sondereigenthum ar Grund und Boden nur innerhalb er Schranken bejtehen fünne, die eben das vorbehaltene Recht der Ugemeinheit dem Willen des Einzelnen jegt. Das Recht der All⸗ emeinheit aber hatte zur Zeit der erften Yandtheilung darin jeinen usdrud gefunden, daß jedem wehrhaften Glied der Gemeinde n Grundftüc zugewieſen ward, das ihn in den Stand jegte, ſich nd jeine Familie zu erhalten und feine Pflichten gegen Die jemeinde zu erfüllen. Es bedeutete alfo nur die Rückkehr zu em in einer bejtimmten Entwidlungsphafe der Staat» und jejellichaftsordnung thatjächlich beitehenden Rechtözuftand, wenn tie Partei der ſpartaniſchen Bodenreformer dieſes Princip durch ne Neuauftheilung des gejammten Grund und Bodens, durch en „yñg aradanuic“ zu verwirklichen gedachte.

Auch war dieje Forderung keineswegs jo utopiich, als es ns auf den eriten Blick erfcheint. Sie will ja nicht einen zruch mit der geiammten bisherigen Rechtsordnung. Das Biel ar ein ähnliches, wie e8 Proudhon einmal als das jeinige pro: amirt hat: Das Injtitut des Privateigenthums, auf dem die eihichtliche Rechtsordnung beruhte, jollte nicht abgeichafft, ondern nur verallgemeinert werden; es jollten die Schranfen ıllen, die es einem Theile der Bürger unmöglich machten, Eigen» hümer zu werden. Taher wird auch an dem Princip der privats irthichaftlichen Irganijation der Bodenwirtgichaft durch den

Oiſtorijche Zeitihrift ®. F. Bd. XLIII. 26

402 R. Pöhlmann,

yis aradaouug nichts geändert. Eine Umwandlung derſelben in Sozialistische, für und durch die Gefellichaft betriebene Pros duftion war nicht beabfichtigt: Nur der Bezug und die Ber theilung des agrariichen Einfommens, der Grundrente, würde eine andere geivorden jein.

Sozialiftiich, bzw. kommuniſtiſch ift allerdings an dem Refom- progamm die Überführung des Bodens in das Kollektiveigenthum, ohne welche eine radifale Neuregulirung der Befigverhältnijie nicht möglich war, jowie das Princip des gleichen Anteiles Aller. Diefes Princip hätte ja auf die Dauer gar nicht verwirflidt werden fünnen, wenn man nicht das Herrichaftsgebiet des Privat: eigentHums in der neuen Ordnung in einer Weile eingejchränft hätte, daB von einem wahren Eigenthum faum mehr die Rede gewejen wäre. Es hätte in feinen Konſequenzen ein fortwährendes regulirende8 Eingreifen in die Bertheilung und Einkommens bildung nöthig gemacht, immer wieder zu einem „jozialiftischen“ Bertheilungsiyitem geführt.

Es wäre von höchſtem Interefje, zu erfahren, wie alt die Bodenreformbewegung in Sparta war, wie fie fich im weiteren Verlauf geftaltete und wie fid) die bejtehenden jtaatlichen und gejellichaftlichen Gewalten mit ihr auseinandergefegt haben. Leider läßt und aber die Tradition darüber faft völlig im Dunkeln. Die Lykurglegende, welche, da8 Programm der Bodenreformer in die graue Vergangenheit zurüdprojizirt und den erften radikalen Xer- ſuch zu feiner Verwirklichung jchon der Frühzeit der ſpartaniſchen Geſchichte zufchreibt, ijt eben nur eine Zegende. In der beglaubigten Geſchichte tritt uns das Verlangen nach einer Neuauftheilung de Grund und Bodens erjt im Laufe des 7. Jahrhunderts v. Chr. ent gegen. Aber auch da erfahren wir weiter nichts, als die unmittel: bare Urjache der Bewegung: Die wirthichaftliche Nothlage eines Theiles der Bürgerjchajt infolge der jchlimmen Kriegszeiten, die den Gegenjag von Arm und Reich jo verjchärft hätten, daß die unzufriedenen Elemente eben an jenes radikale Heilmittel appel lirten). Wie man dieſer revolutionären Bewegung Herr wurde,

N Ariftoteles, Pol. 8,5, 12. 1307a: FArBousvor yag zıves dia Tor

nohsuovr nEiorr avadacror noir tiv xogar. Dazu Pauſanias 4, 18, 1 und 1, 101. meiner Gejchichte.

404 NR. Pohlmann,

ung zum erjten Mal eine ſoziale Klafje entgegen, die, wie fie dag Produkt des Fapitaliftiichen Wirthſchaftsſyſtemes tft, jo aud als Trägerin einer jozialiftiichen Negation desfelben auftritt. Wenn aber die Entitehungsgeichichte des Sozialismus mit der Beichichte des Kapitalismus zujammenfällt, jo ergibt ſich für ung vor allem die Frage: Wie alt ijt denn eigentlich) das, was wir als fapitaliftiiches Wirthſchaftsſyſtem bezeichnen? Man könnte geneigt jein, ziemlich weit in die Vergangenheit zurückzugeben. Denn cine vor allem in die Augen fallende Seite der fapite- liftiichen Wirthichaft, der Großbetrieb, tritt ung bereit3 in der Welt des Epos vollentwidelt entgegen. Die homerifchen Edel⸗ höfe mit ihren Maſſen von Arbeitäfräften, mit ihren großen Herden und ausgedehnten Ländereien laflen uns deutlich er: fennen, in welchem Umfang bier neben und über dem bäuerlichen Betrieb die große Güterwirthichaft emporgewachſen, wie tief die Kluft zwiichen Edelmann und Bauer auch in wirthichaftlicher Beziehung bereit3 geworden war!) Allein diefem Gutsbetrieb war feineswegs von Anfang an das eigenthümlich, was das Ipezifiiche Kennzeichen der fapitaliftiichen Wirthichaft bildet. Er war lange Zeit ein rein naturalwirtbhfchaftlicher. Was der Guts herr an Korn und Wein bauen, an Vieh züchten ließ, wanderte nicht auf den Markt zum Verkauf, jondern in den Haushalt des Herrenhofes zum Verbrauch. Es iſt Produktion zum Zwede des Konſums, nicht des Erwerbes. Der kapitaliſtiſchen Wirth ſchaft nähert jich der Gutsbetrieb erft ſeit der Zeit, in der er für den Verlauf auf dem Markte zu produziren begann. Und diefe Wandlung erfolgt eben im Laufe des 8. und 7. Jahr: hunderts, in dem Hand in Hand mit einer gewaltigen Zunahme der Bevölferung Städtewefen und gewerbliche Betriebjamfeit, Handelg- und Stolonialverfehr mächtig emporblühten und von den zahllojen raſch wachjenden jtädtiichen Mittelpunften aus die Geldwirthichaft ſich weithin über das Land verbreitete?).

1) Eiehe mein Bud: Aus Alterthum und Gegenwart ©. 180 f. umd 9. 3. Bd. 75 (Aus dem helleniihen Mittelalter). j 2, Tie Epoche der wachſenden Macht des Kapitals, die Thutydides mit den Worten andeutet: JSerarwrepas Ö& yıyvousns is "Eidudos nai Tow

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 405

Set wird das Ziel der Wirthichaft die Herjtellung einer (den Menge von Erzeugniffer, daß aus dem Berfauf eine jglichjt große Einnahme entſtand. Es vollzieht ſich der von iſtoteles in der Politif gejchilderte Umjchlag des „Hausver: zgens“ in jpefulatives Kapital, der Güterbeihaffung für den ıterhaltsbedarf in die Spekulation auf den Geldprofit, der fich 3 Überjhuß über die Herſtellungskoſten ergibt‘). An Stelle c „Ofonomif“ tritt mehr und mehr die „Chrematijtif”, das jentliche Kennzeichen der Fapitalittiichen Wirthichaft. Und damit ebindet fich noch ein anderes. Das Einfommen aus dem Gewinn r Wirthſchaft foll möglichjt weit über den Bedarf des Lebens ıaus geiteigert werden. Es ſoll zur Bildung eines großen rmögens dienen, „Reichthum“ jchaffen, von dem ſchon Solon jagt hat, er fenne fein Biel, das erfennbar den Menſchen ſteckt iſt?).

Die erſten Spuren dieſer Entwicklung reichen bis in die iten des epiſchen Geſanges zurück. Die Herren, vor denen re joniiche Aöde ſingt, und aus deren Leben er die Züge für ne Schilderungen entnimmt, find nicht mehr bloß Männer des affenwerfes. Sie haben ein ausgeprägt ökonomiſches Intereffe. ıd die jchon im Epos erfennbaren zahlreichen Fortſchritte in re Organijation der Arbeit, der Intenfität der Bodenkultur, der

juatov ınv xtiow Erı ualdlov 7 NPUTEEOv Nosovusvns ra nokia Tupar- es Er Tois toiscı xafiotarıo TÜV n00000wv yueLörw» yıyyousvov .. . zıxa Te £önorvero 1, Elias sai zı5 Yahacans ualkov arteigorto (1, 13). zu die Schilderung bei E. Meyer, Die wirthſchaftliche Entwidlung des ertbums S.18 5. F. Cauer, Parteien und Rolitifer in Megara und yen S. 17, hebt hervor, daß damals gleichzeitig die Ausbeute der Iydifchen, riihen und fpaniihen Bergmwerfe auf den griehiihen Markt gebracht rden fei; und er fchreibt diefer Erſchließung neuer Gold» und Silber: len eine ähnlihe Wirkung zu, wie der Entdedung Amerikas. Welch tere Anſicht Hier dabingejtellt bleibe! 1) Siehe 1, 229 ff. meiner Geſchichte. 2) Fr. 13 v. 72: horror 8’ ordsr Teoua negaousvov avögaoı xeiraı. (. die Sammlung der Theognidea v. 227 fi.: oi yag vor Tumn tsElotov EXovas Biov dıniacıov arerdoraı‘ Tis av x00EEIEN artarıas.

406 N. Pöhlmann,

allgemeinen Betriebsweile der Landwirthichaft überhaupt zeugen von ihrem erfolgreichen Bejtreben, fich den Anforderungen ge wachlen zu zeigen, welche die Leitung eines landwirtbjchaftlichen Großbetriebes an den Gutsherrn ftellte!), Wie ein moderner Landwirt wird in dem Erntebild des Achilleusichildes der Gute herr dargeftellt. Er fteht mitten unter feinen ?Seldarbeitern „die Freude im Herzen“ (yıFooıvog “re). Und dieſe Freude an Belig und Erwerb fommt überall im Epo8 zum Tlebhafteiten Ausdrud. Daß Adel mit Reichtyum verbunden jei, iſt eine jo jelbjtverftändliche Vorjtellung für das Epos, daß bei der Eharaf- teriftif adeliger Männer die Begriffe „reich und edel“ ganz formelhaft gebraucht werden. Und wie der Dichter im Lobe der Helden, befonders der Gefallenen mit Vorliebe auf diefen Vorzug hinzuweiſen pflegt, jo lieben e3 die im Epos auftretenden Edlen, jei es bei erjtmaligen Begegnungen oder, wo es darauf anfam, ſich perjönli Geltung zu verjchaffen, nicht bloß durch die Be rufung auf den Adel, jondern ganz befonders auf ihren Reid; thum ſich zu legitimiren, wobei mitunter in naivſter Weije die einzelnen Beitandtheile des Reichthums aufgeführt werden: die großen Schafheerden, die Menge von Saatfeldern, Baumpflar: zungen u. j. w.?)! Selbſt dasjenige Moment, welches recht eigent: lic) den Ehrenvorzug des Adels bildet, Wehrhaftigkeit und kriege: riſcher Ruhm muß es fich bei jolchen Gelegenheiten gefallen laſſen, erft nach dem Befig erwähnt zu werden! Schon fündigt fid die Zeit an, wo der Reichthum allen anderen Vorzügen mit Erfolg den Rang in der Gejellichaft jtreitig macht.

Ein Odyſſeus will lieber noch länger in der Welt umber: ftreifen, wenn er dann nur mehr Hab und Gut nad Haule brächte! Kein Wunder, daß der Adel auch die neuen Erwerb‘ arten jeinem Intereffe dienftbar machte, welche der Aufſchwung des Verkehrslebens der wirthichaftlichen Spekulation eröffnete. Er mußte eg, wenn er nicht hinter dem mächtig emporftrebenden jtädtifchen Bürgertum zurüdbleiben wollte. Frühzeitig erjcheint

i) Bol. mein Buch, Aus Altertfum und Gegenwart ©. 193. ($- 3. 8b. 75.) 2) Die Belegitellen ſ. a.a. C. ©. 176. (9. 3. Bd. 75.)

4u8 N. Pöhlmann.

das edle Weib verjchmäht es nicht, die Gattin des reichen Mannes zu werden; fie will den Reichthum ftatt des Abele. Das Geld ehren fie, darum freit der Edle die Tochter dei Reichen und den Reichen die Tochter des Edlen. Das Beld vermijht die Stände)“ „Nicht umſonſt verehren did die Menichen am meilten, o Plutos; denn du erträgft auch den gemeinen Sinn, mit dir du begehrtefter aller Götter wird aud) der Gemeine ein edler Mann?).“

In einer Zeit, der es in diefer Weije zum Bewußtſein ge fommen war, daß „Reichthum Macht“ ift?), fonnte es auf die Dauer unmöglich ausbleiben, daß auch die bürgerliche Thätigfeit, wenn fie mit materiellem Erfolg gekrönt war, vielfach zum Auf jteigen in die höhere Klaſſe führte Mehr und mehr nimmt diejelbe ein plutofratiiches Gepräge an. Iſt doch fchon um die Wende des 8. und 7. Jahrhunderts das Wort geiprochen: „Dem Reichthum folgt die Chret).” „Hab und Gut ift die Seele der armen Sterblichen?).” Und das folgende Jahrhundert hat den Gedanken noch jchroffer formulirt in dem berüchtigten Motto einer zahlungsfähigen Moral, daß „das Geld den Dann madtt, und fein Armer eine Ehre hat“®. In der volksthümlicen Polemik Solons gegen die herrſchende Klaſſe des damaligen

1i) v. 183 fl. 2) v. 523 .: Ilhoite, Peamw xahlıore xai iusp0EOTaTE Narım. Wer denkt Hier nicht an den Fluch über das Gold in Shakeſpeare's Timon 4, 3)? 9 Bold? Kojtbar, flammend rothes Bold? So viel hiervon macht ſchwarz weiß, häßlich fchön, Schlecht gut, alt jung, feig tapfer, niedrig edel. ... ehrt den Dieb Und gibt ihm Rang, gebeugtes Knie und Einfluß Im Rath der Senatoren. 3) @s nÄotros NAsicınv nace Lyss Övranır. Ebenda 520. *, Hefiod, Werke und Tage 373: tiovzp Ö' apstı, ani xVdos unı.dEı. 5, Ebenda 685. 6) yoruar’ arg teviygos Ö' ovdeis eher! LoFAos ovre rinos. Allüod Fr. 49. ®Bergt, Poet. Lyr. Gr. 3%, 168. Vgl. Pindar, Isthm. 2, 11.

Die Anfänge des Sozialiämus in Europa. 409

hens tritt das Moment der Geburt völlig zurüd Hinter der arfen Betonung der Thatſache, dag diefe „Mächtigen“ eben zleich diejenigen find, welche „im Reichtum prunken“!), welche Michtslos das Geldintereffe vertreten?). Und ganz ähnlich iſt 3.2. in Milet, wo im 6. Jahrhundert die ariftofratijche ırtei auch als die der Reichen xar’ ESoyrv ericheint?), und derwärts, mo die Ariſtokraten ald die „Fetten“ oder bie schweren“ (04 rayeis) bezeichnet werden, al3 die, welche „Das rmögen“, das Geld hHabent). Neben dem Gegenjag von nehm und Gering kommt jegt mehr und mehr der von Reich d Arn als Merfmal der Klaffenjcheidung in Betradht?).

Das Eindringen fapitaliftiiher Gefichtspunfte in die Oko⸗ mie des großen Grundbeſitzes, die Umbildung der alten Ariſto— tie in plutofratiichem Sinne fonnte ſich nun aber nicht voll- ben, ohne daB auch die Geſittung und Lebensanjchauung der richenden Klaſſe in mancher Beziehung eine andere wurde. mdel und Gewerbefleiß eröffneten ganz neue Möglichkeiten 3 Lebensgenuſſes. An Stelle des mehr auf die Maffenhaftig- t des Konſums gerichteten Luxus der älteren Seit, bei dem

Genußfähigfeit des Einzelnen immerhin eine bejchränfte war, d der daher auch nicht jeine ganze Lebensführung bejtimmen ınte, treten jebt die zahlreichen feineren Bedürfnijje der ent- delten Kultur hervor: Pracht und Glanz der Wohnung, der eidung u. f. w., jteigender Begehr nad) den Waren der Fremde. ijt ein Zuzug, der mehr das ganze Leben durdhdringt, und : damit recht eigentlid wie ſchon Ariſtoteles bemerkt hat‘)

1) Fr.5 bei Bergt, P.L. Gr. 2, 38. Siehe Ariftoteled 43. oA. 12,1: ö’ eiyor Or: van xai Xorpasır 10av ayıtoi.

2) Fr. 4: yoruaos neıdoueron.

8) ; niovris (vgl. bie „Richerzeche“ Alttöins)), die das ariftofratifche terefje vertritt gegen die „Partei der Fäuſte“ (7 yeswonaya). Plutarch. aest. Gr. 32, 298c.

©) E17rop0L, Oi Tag ovGias, Ta yoruara Eyovtss.

6) Schon bei Sulon Fr. 4 nÄAorroror ,.. raw ÖE nerıyoanm.

°, Die rovyr, verbindet fi) ihm naturgemäß mit der o4syaoyia. Vol. 3,7. 131la. gl. $ 21 über die Söhne und 6, 12, 9 über die frauen der oligardifchen Gejellichaft.

410 R. Pohlmann,

den Bedürfnis einer Gejellichaftsflaffe entgegenfam, in der der joziale Werth; des Einzelnen überwiegend nad) einem materiellen Maßſtab geſchätzt wurde.

Wer kennt nicht die Schilderungen und bildlichen Darſtel ungen aus dem Leben der joniſchen und attiſchen Ariſtokraten: den Glanz des äußeren Auftretens, den Prunk der Beſtattungen u. ſ. w.!). Sie ſchreiten einher auf hohen Schuhen, in Purpur gewändern und den Duft ausgejuchter Salben um fich verbrer- tend, mit goldenen Armfpangen und goldenem Stirnjchmud ar gethan und jelbft das Haar in „goldenen Feſſeln“. Letzteres bejonders bezeichnend! Die vornehmen Herren wollen nicht bloß die „Anftändigen“ fein, fondern auch die „Zierlichen“. “Witten in das NRococco und in die Zeiten des ancien regime verjeßen uns die Lodenfrijuren und die kunſtreich geflochtenen Zöopfe, durch welche die Angehörigen der feinen Geſellſchaft den weiten Ab ftand, der den reichen Mann vom Armen trennte, auch im Außern recht finnenfällig zum Ausdrud brachten. Eben deshalb fteigert ji) die Zierlichfeit bi8 zur Geziertheit, wird überhaupt der Geilt der Etiquette und des Konventionalismus in dieſer Gefellichaft immer mächtiger”). Weil die gejellichuftlicden Abzeichen der Aus drud der jozial begünftigten Poſition find, und weil der Reid. tum ihre Hauptgrundlage ift, wird auf ihre Schauftellung der größte Werth gelegt.

Der äußerliche materielle Zug in dem Dajein der herriden- den Gejelichaftsjchicht konnte natürlich nur dazu beitragen, daß die wirthichaftlichen Beitrebungen in ihrem Sinnen und Trachten noch mehr in den Vordergrund traten. Diejer Art des Luzus und des Lebensgenuffes iſt ja, wie Ariſtoteles in feiner piyhe logiſchen Motivirung der Chrematiftif treffend ausgeführt hat, gleich diejer jelbft eine gemwijje Richtung in's Endloſe eigen’) Sedenjall® ermöglichte die neue Geldwirthichaft die Steigerung

1) Mit Recht weilt Eduard Meyer, Geich. d. Alterth. 2, 366 aud auf die Schilderung der Phäakenſtadt Hin, die nur ein Gegenbild der realen Ber hältnifje, z. B. Milet® fein könne!

2) Vgl. Sittl, Die Patrizierzeit der griehifhen Kunft 1891.

5) Bol. 1,13, 19. 1258a.

Die Anfänge des Sozialiamus in Europa. 411

8 Luxus bis zu einem Mae der Verjchwendung, wie fie mal, was die vermögenzerrüttende Wirkung betrifft unter n alten naturalwirthichaftlichen $ormen des Dajeins in diejer jeife nicht möglich war?).

Kein Wunder, daB die bereits angedeutete innerlich durchaus wandte Tendenz der fapitalijtiichen Wirthichaft, die Unbegrenzt- it ihres Streben® immer allgemeiner zum Durchbruch fam. ıh der Ariftofrat, der für den Markt produzirte und jeine Hhiffe auf den Meeren jchwimmen hatte, unterlag dem Geſetz 8 größtmöglichen Gewinnes, welches das Lebenzprincip der uen Gelellichaft geworden war. Und oft genug mag auch bei m diefer neue Erwerbötrieb zur Habjucht entartet fein. Auch wurde ergriffen von jenem Durjt nach) Reihthum, der überall t der merfantilen Spekulation fich einftellt. Das Wort, daß ın niemals jein Herz am Reichthum überjättigen fann, ſtammt n einem Edelmanne diejer Zeit?). Allerdings iſt der Tadel präcdiger als das Lob; und man muß ich gerade hier vor ſchen Verallgemeinerungen hüten. Aber es gibt doch zu denken, B in der Literatur, in welcher die Zeitſtimmung am unmittel- cſten und Iebhaftelten zum Ausdrud kommt, in der Lyrik, das nmer ruhende Halten und Jagen nach Gewinn und Genuß ht eigentlich ala die Krankheit der Zeit erjcheint.

Aber auch die vom Mdel, die ihre Seele noch nicht der ıen Zeit verjchrieben hatten, konnten fich dem jpefulativen ige derjelben unmöglich ganz entziehen. Wenn der arijtofra= he Grundbeſitz auch unter den neuen durch die Geldwirthichaft

ı) Bei Theognid wird geradezu der Gedanke ausgeſprochen, daB der flug chen mehr Menſchen zu Grunde gerichtet habe, als der Hunger. b05 f. Und wir können au2 jeinen Äußerungen in der That auf einen tverbreiteten und verderblihen Luxus fchliegen. Er jelbft fordert einmal Wohlleben und Verſchwendung geradezu auf. v. 1007 fi. Und wenn er

anderes Mal wieder davor warnt, jo ſieht man doch aus der Art der jründung deutlich, daB der Dichter in jeinem Innerſten gerade dahin neigt, on er abräth. v. 903 fi.

) Theognis v. 1157 f.:

Hkovtos xai cogir Ir, tois auayerraroy aiei Oite yao av nAovrov Pruor rrEgXOEEOALK.

412 R. Pöhlmann,

geichaffenen Verhältniſſen jeine ſoziale Poſition behaupten wollte, jo brauchte er Geld und immer wieder Geld. Denn je met die Geldwirthichaft durchdrang, umjomehr wurde für jeden Ein zelnen die Macht des Geldes fühlbar als der Ware, die für alle unentbehrlich und für die alles fäuflich war, bejonders die zahlreichen neuen Befriedigungsmittel einer gejteigerten Lebens: haltung, die man in der eigenen Wirthichaft nicht produziren und doc auch nicht mehr entbehren konnte?). Die Verhältniſſe jelbjt drängten den Landwirth dazu, aus jeinem Grundbefig eine möglichjt ergiebige Geldquelle zu machen.

AU dies muß man ſich vergegenwärtigen, wenn man den Zandhunger verjtehen will, der ſich in diefer Zeit der Grund ariitofratie bemächtigte. Sollte das Geldeinfommen fich mehren, jo mußte die Bodenrente jteigen, der Umfang des Gutsbetriebes oder wenigitens des Gutsbejiges eine möglichite Ausdchnung er fahren. Auf den „fetten Ader“ weiſt ein Dichter des 6. Jahr: bundert8 den Hin, deſſen Herz nad) Reichthum verlangt; denn der Ader „ift das Horn der Amalthea“?.. Mehr Land und größerer Ertrag wird dag Loſungswort der Herren, und jede Gelegenheit benüßt, es zu verwirklichen.

Solche Gelegenheit mochten ihon die alten Klientel- Pacht oder Hörigfeitsverhältnifje darbieten, die einen Zeil der Ländlichen Bevölkerung jeit alter Zeit in Abhängigkeit vom Adel erhielten, Verhältniſſe, die e8 demjelben gewiß vielfach ermöglichten, Bauern- land zum Rittergut zu jchlagen oder den Antheil des Grundhermn am Bodenertrag auf Stojten feiner abhängigen Leute zu fteigern. Der fapitaliftiiche Individualismus beraubte dieſe Verhältmiſſe ihres patriarchaliichen Charafterd und machte fie zu einem Mittel der Ausbeutung des Nebenmenjchen. Die Bedingungen, unter

1) Welche Bedeutung das Geld bereit® gewonnen, zeigt die Definition des Reichthums bei Theogni® v. 1185 ff.: Isor tor aAortoiow, 00015 noArs aoyvoöc Eat xai GVGGS xal yIhs ArYogFoVgor Tedin iarer Ö’ 1,movoi Te ra. 2) zonikor horror ueherrv ige Nioros Aaygot' ayoıw yao ıs hryoraw Auaiteirz zeoas elvaı.

Phoktylides Fr. 7.

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 413

denen die Hinterjajien oder auch die Pächter des Gutsherrn Wirthichafteten, wurden möglichſt zu guniten des legteren ver- ändert; und wenn fie den gefteigerten Verpflichtungen nicht nache kommen fonnten!), ſo machte er immer rüdfjichtslofer von den Zwangsbefugniſſen Gebrauch, die ihm ein hartes Schuldrecht jegenüber dem Säumigen einräumt. Sie wurden mit Weib und Kind feine leibeigenen Knechte, die er wie jeine Sklaven als inbedingt abhängige, auf das Exiſtenzminimum gejtellte Arbeiter einem Gutsbetrieb dienftbar machte oder durch Verkauf über Die Srenze unmittelbar zur Mehrung ſeines Geldeinfommens ver: endete.

Ein anderer Weg, dad gewünjchte Biel zu erreichen, war as Ausfaujen von Bauernhöfen, ein Beitreben, das durch die zeitumſtände in hohem Grade begünftigt ward. Gerade damals var ja die Widerjtandsfähigfeit des mittleren und Eleinen Bauern, tandes gegen die Auffaugungsgelüfte des großen Befites vielfach eſchwächt. In joldden Epochen großer ökonomiſcher Umwälzun- en fommen die wirthichaftlich Schwachen gegenüber den Stär- eren immer in Nachtheil. Der Bauer befaß nicht die Elaitizität, ım jich den veränderten Verhältniffen fo raſch anzupafien. Die ald auch auf den Kleinverfehr ausgedehnte Geldwirthichaft ftellte en Bauern in fteigendem Maße in die allgemeine VBerfehrswirth- Haft und dumit in Verhältniſſe hinein, denen er mit feiner eſchäftlichen Unkenntnis, mit jeiner geringeren Kapitalfraft und

1) Welch namenlojes Elend der Theilbau durch Vorſchußwirthſchaft der Ausbeutung der Nothlage von Seite der Herren fir den armen Pächter ur Yolge haben fann, zeigt der Bericht eine® Nugenzeugen über die Ber: ältnifje des heutigen Siciliens. Er fcildert die Abmejjung des Getreides ı einer Scheune „Als die Meſſung beendigt war, blieb dem Bauern nur m Häufchen Getreide, alle übrige gehörte dem Padrone. Der Bauer ſtützte ie Hand und das Kinn auf den Stil einer Schaufel und betradjtete ſtarr ald diefen feinen einzigen Haufen, bald jeine Frau und Kinder. Und ba ce nun wohl daran dachte, das ihm nah einem Jahre voll Mühen und Shweib nichts übrig bleibe, um jeine Familie zu erhalten, als dieſes yäufchen Getreide, erftarrte er fürmlid; und eine Thräne Stahl ſich aus feinem luge. Es ift befannt, daß nad) der Theilung manden Bauern nicht nur ar fein Getreide zufällt, jondern day fie auch nody fchuldig waren.“

414 R. Pöhlmann,

Kreditfähigkeit ungleich weniger gewachien war, als der geichäfte fundige, fapitalfräftige und in dem forporativen Zuſammenhalt jeiner Klaſſe zugleich einen mächtigen Rückhalt befitende Gute herr. Unter dieſen neuen Verhältniffen und gegenüber einem jolchen Wettbewerb mochte e8 dem Bauern oft jehr ſchwer werden, ih auf jeiner Hufe gegenüber dem Bergrößerungsbedürfnis adeliger Gutsnachharn zu behaupten. Schon die Schwierigkeit, das Geld aufzubringen, deſſen aud) er jet in jteigendem Maße bedurfte, mußte ihn Häufig in eine Nothlage bringen. Sie wird eine der wejentlichiten Urjachen der allgemeinen und großen Ber: ſchuldung geweien jein, die und in Landjchaften, wie Attifa umd Megara als einer der Ichwerften wirthichaftlichen und jozialen Schäden der Zeit entgegentritt, wenn auch natürlich) hier und anderwärts noch eine Meihe anderer Momente mitgemwirft bat, wie Kriegsnoth, wirthichaftliche Kriien, allzu großes Wachsthum der Bevölferung u. dgl. m.

War aber einmal in Form von Korderungsrechten in das freie bäuerliche Eigentdum Brejche gelegt, war einmal der Hype thefenftein auf Bauernland errichtet, zum Zeichen der Berpfän: dung!), jo ging der Prozeß der Enteignung des Bauern unauf haltſam weiter. Die an fich enorme Höhe des Zinsfußes in diefer Zeit und die mwucheriiche Ausbeutung der Noth ſorgten dafür, daß die Verſchuldung nur zu oft mit der völligen Inſol⸗ venz endigte. Dann durfte fich derjenige, den der Gläubiger ald fümmerlichen Theilpächter auf der Scholle jeiner Väter fißen lich, noch glücklich preijen im Vergleich mit dem, deſſen Land ein gezogen und zum Rittergut geichlagen wurde, der zum proleta- riichen Gutsarbeiter oder gar zum unfreien Sinecht, zu einem Mittelding zwiſchen Arbeitsthier und Menſch herabgedrüdt wart.

So machte die fapitaliftiiche Ausgeftaltung der Agrarwirth⸗ Schaft immer größere Fortſchritte. Immer fühlbarer tritt die Tendenz hervor, die agrarijche Gejellichaft in zwei jozial ge jonderte Klaſſen zu jpalten, von denen die eine die Produktion

1) der „Knechtſchaft“, wie Solon ſich außdrüdt. Fr. 36, 4. Wriftoteles 49er. oA. 12, 4. Er fpriht von den 000: oAlayn nennyöoras. in Beweis für die Ausdehnung der Verfhuldung!

416 N. Pöhlmann,

die der bäuerlide Sänger aus dem armen Dorfe am Helifon an die Herrjchenden richtet, „die Flug fich’8 deuten mögen“.

„So zur Nachtigall, der melodifhen, fagte der Habicht,

Da er gar hoch in den Wollen fie trug mit den padenden Krallen

Dieſe jedoch wehllagte, zerfleiiht von den Krallen, ben frummen,

Jämmerlich jener nun fprach zu ihr, bewußt ſich der Stärke:

Thörin, wozu das Geihrei? Tin Stärlerer hält dich gefangen.

Und jo fhön du auch fingft, wie ich dich führe, fo gebft du.

Ye nad) Belieben erwähl’ id) zum Schmauß did oder entlaß did.“')

Bor den Herren fühlt ſich der Schwache recht los, weil er machtlos ift. Er hat die Empfindung, daß man ihm gegenüber einfach jenes brutale Recht ded Stärferen walten läßt, das die unvernünftige Natur beberriht, wo „Fiſche und Thiere dei Waldes und schnell befiederte Vögel einander verzehren um fundig des Rechts?),“ das in einer höheren, fittlichen Welt herrſcht. Ein Gefühl, aus dem heraus ein unbefannter Dichter an jene Thierfabel die peſſimiſtiſche Moral geknüpft hat:

„Thor ijt, wer jich erfühnt, mit den Stärkeren je fich zu meſſen,

Nie fann Sieg er gewinnen und trägt zur Schande noch Unglüd.“®)

Die hehre Göttin des Nechtes: Dife durchrvandelt Elagend die Stadt und die Sie der Menjchen, verdrängt durd) die Käußſ lichfeit der Herrichenden, der Gejchenfe verzehrenden, die frevien Sinnes beugen das Recht, mit jchiefem Spruche entjcheidend, Unheil fchmiedend den Anderen‘). Auf fie ift gewiß auch mit gemünzt der Weheruf des Dichters über die „Göttern und Men Ihen verhaßten“ faulen Drohnen, welche die Arbeit fleikiger Bienen verzehren?).

1) Hefiod, VW. u. T. v. 202 fi. Die ältefte europäifche Fabel, die und befannt ift.

2) Hefiod, ebenda v. 247 ff. Vgl auch das altdeutiche Sprichwort (Simrod S. 356):

„Wer mächtig ijt, wird auch vermeijen, Große Fiſche die kleinen freſſen.“

s) Bei Heliod, a. a. O. v. 209 f.

*) Ebenda v. 219 fi. 260 ff.

5) v. 300 ff.

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 417

Man darf diefe Äußerungen eines durch trübe perjönliche Erfahrungen erbitterten Mannes nicht ohne weiterd verallge- meinern. Wie verbreitet aber am Ende diefer Periode die Übel⸗ ftände waren, die Hefiod in jeiner Heimat beflagt, zeigt Das vernichtende Urtheil, welches ein jo unbefangener Zeuge, wie Solon über jeine Standesgenofjen gefällt hat. In feinem Mahn» wort gegen die „Plevnerie der Reichen“, wie es Wriftotele® bes zeichnet!), nennt Solon die ſchnöde Habgier und den Übermuth?) derfelben die Quelle aller jozialen Kämpfe feiner Zeit. Er ſpricht von der Überhebung und der Maßlofigfeit der Wünſche diefer Reichen, die obwohl im Schoße des Glüdes des Guten in Fülle genießend den begehrlihen Sinn nicht zähmen wollen und durch Überjättigung willenlo8 der Sünde verfallen’), „Die am mceiften unter ung haben, klagt er in dem jchönen fozialen Gemälde, in dem er von dem Gewinnſtreben der verjchiedenen Berufe ſpricht —, fie mühen fih noch einmal fo ſehr. Wer fönnte fie alle befriedigen?*) Und in einem anderen ©edichte beißt ed: „Durch ihren Unverftand arbeiten fie ſelbſt am Vers derben des Stanted, von Habſucht verleitet. Die Führer des Volkes find von ungerehtem Sinn, fie werden bald ihrer ſchweren Frevel harte Strafe büßen müſſen. Sie willen ihren Durſt nach Geld und Gut nit im Baum zu halten®), es genügt ihnen nicht, fi in Ruhe ihres wohlhäbigen Befiges zu freuen. Durd) Unrecht und Gewaltthat mehren fie ihren Reichthum, ohne Scheu vor dem Gute der Tempel und des Staates jtehlen und rauben fie, der eine Hier, der andere dort. Sie achten nicht die heiligen Saßungen der Dife, welche jchmweigend gewahrt, was geichehen iit und noch gejchieht. Aber fie wird mit der Zeit fommen,

1) Adv. nok. 6, 3: ragaırwv Tois aAovolos un nAsovexteir.

3) zrv Te yılapyıgiar Tıy Te vrregngariav. Ua. 0.

s) tieteı yao x0g05 vBoı, oray nokus 0Aßos Enrrau

ardoumoısıv 60015 u; vors aptıws }.

Ariſtoteles Adnr. 704. 12, 2.

*) Fr. 18 v. 73 ff.: 08 yag viv nusww nisiorov kyovaı Blow, Öinkacios onerdoroı" Tis av x0pEoeıer Anastas.

5) Fr. 4: ov yag Eniorartaı xareyer x000r.

Hhiſtoriſche Beitfhrift N. 5. Bd. XLITL. 27

418 R. Böhlmann,

Vergeltung zu üben. Unheilbare Wunden find der Stadt ſchon geihlagen, mit rafchen Schritten geht fie ſchnöder Sklaverei ent gegen, oder die Empörung bricht aus, und der fchlafende Bürger frieg wird aufgewedt, der die fröhliche Jugend Vieler dabinrafft.” „Solches Unheil bereitet fich im Volke vor, von den Armen find viele verkauft, mit fchmählichen Feſſeln gebunden in fremdes Land geichafft, und fie müſſen der Gewalt gehorchend der Knechtſchaft fummervolles Elend tragen.“ Nicht bloß das Harte Recht, jondern die Willkür ift es, die fo Manchen in fremden Knechtesdienſt geſchickt hat, die e3 mit verfchuldete, dab jo Mancher „unmuthvoll entfloh dem Schuldzwang, irrte fern von Land zu Land, der eigenen Sprache Laut vergejjend, heimatlos.“ Und was die in der Heimat Gefnechteten betrifft, jo it es nicht der Schimpf der Unfreiheit allein, der auf ihnen laftet, jie müflen aud noch zittern vor dem harten Sinn der Herren! !)

Hat dod) einer von diejen, der nicht zu den Schlechteiten gehörte, der Herrenmoral in einer Reife Ausdruck verlichen, welde die jcheue Furcht der Unterdrädten nur zu begreiflich erjcheinen läßt. Allerdings ift der „Ritterjpiegel adeliger Sitte“, wie man die Dichtungen des Theognie von Megara genannt bat, and einer Stimmung heraus gefchrieben, die durch den bereits heftig entbrannten Stlafjenfampf maßlos verbittert war. Man wird Daher nicht ohne weiters die herrichende Klaſſe als ſolche für die brutale Forderung verantwortlich machen, welche er an bie Standesgenoſſen richtet: „Tritt das thörichte Volt mit der Serie nieder, ſchlage e3 mit jcharfem Stachel und lege ihm das Jod

1) 507 deonorem Tgousvusrors, Fr. 86, 12. Ariſtoteles Ans. moi 12,4. Daß ijt ja recht eigentlih der Fluch diefer Unfreiheit, daß fie die durch die fapitaliftifche Entwidiung geförderte Tendenz zu umfittlicher Au beutung noch wejentlich verftärttee So lange man für ben Selbitgebraud producirte, hatte die Ausbeutung wenigſtens eine gewiſſe Grenze gehabt an dem Bedürfnis der zu VBerforgenden. Seitdem aber mit der Zwangsarbeit auch die Produktion für den Markt fi) verband, mußten ſich gerade für den unfreien Arbeiter die Folgen des entfeflelten Gewinnſtrebens bejonderd fühlbar maden, dem er jchuplos preißgegeben war. Inſofern iſt es nidt unberechtigt, wenn die moderne jozialiftifche Kritit der Gefellichaft die Waaren⸗ produftion mit Zwangsarbeit die ſchlimmſte Form ber Ausbeutung nennt.

420 R. Pöhlmann,

und Diftanz bei dem Junfer von Megara jo draftiich zum Aus drud fommt!!) Das ijt in der That die letzte Konſequenz dieſer Herrenmoral: Was zur Mafje gehört, ericheint als ein nügliche Herdenthier, deifen Dajeindzwed -im Grunde nur der ift, dem Intereſſe der bevorzugten Klaſſe dienitbar zu fein. Der Gedanke an die Verpflichtungen, welche die höhere Stellung dem herr Ihenden Stande auferlegte, der Gedanke an die gejellichaftlicen Reijtungen, auf denen allein die fittliche Berechtigung der Herr ichaft beruhte, erjcheint mehr und mehr zurüdgedrängt durch eine Lebensanficht, für welche der Befit der Macht lediglich ein Mittel zur Befriedigung des Klaſſenegoismus war.

Es iſt ein klaffender Widerjpruh, der jo im Leben der Gejellichaft ſich aufthat. An Stelle des patriarchaliſchen Schutz und Vertrauensverhältniſſes, das nach den guten Traditionen der Ariſtokratie Edelmann und Volk verbinden ſollte, war überall da, wo die geſchilderten Tendenzen wirkſam geworden, ein weſent lich anderes getreten. Der Niedere fah fich jegt von dem Höheren, der ihm „Burg und Thurm“ fein follte*), nach den Erwägungen eines rein wirthichaftlichen Kalküls behandelt, für den der Grundiaf des noblesse oblige, die höheren fittliden Rückſichten ganz in den Hintergrund getreten waren. Bon derielben Macht, die zu jeinem Schutze berufen war, mußte er jegt feine Öfonomijche und foziale Eriftenz bedroht, ja vielfach geradezu vernichtet jehen. Sogar bie Staatögewalt, bei der jeder jein Recht finden zu müfjen glaubte, jah er in den Dienjt eines Klaſſenintereſſes gezwungen, das fi immer augenjcheinlicher als ein ihm feindliches erwies.

Es hätte nicht dag heiße Blut des Südens in dem Adern dieſes Volkes rollen müfjen, wenn fich nicht der Gemüther der Gedrücten und Ausgebeuteten eine tiefe Verbitterung bemächtigt hätte, eine Verbitterung, mit der fich bei einem geiltig jo rege ſamen Volke naturgemäß fehr bald die Neflerion verband, ob

ı) Der Vergleich entipriht auch ganz dem, was Theognis (v. 1255) als Lebensideal proflamirt:

"Dot: un naidas Te Yıhei xai umevyas ITToVS xai xıaag, ovsore ol Fuuos Er EUgg00UTT.

2) Axgonodıs xcè stioyos, wie Theognis v. 234 ji ausdrüdt.

Die Anfänge ded Sozialismus in Europa. 421

denn eine Rechtsordnung, die für jo Viele das Verjinfen in hoffnungsloſes Elend bedeutete, eine innere Daſeinsberechtigung babe. Aus dem Gefühl, dad Opfer eines fozialen Unrechtes zu fein, erwächſt die Kritik und aus der Kritif die Negation des Beitehenden.

Das erfte Symptom dieſes Erwachens der Maſſe iſt für uns die Dichtung Hefiod’3. Die Scharfe und freimüthige Kritik, die er an der Klajjenherrichaft des Adels übt, iit überaus bedeutungs- voll, obgleich er der arijtofratiichen Gejellichaftsordnung als jofcher noch nicht entgegentritt. Die herrichenden Gemalten und die Rechtsordnung, auf der ihre Macht ruhte, wurzelten in der ganzen Vorftellung, die er von den Dingen hatte, viel zu feit, als daß ihm der Gedanke an eine joziale Umwälzung gekommen wäre. Auch find das Enticheidende für ihn überhaupt nicht äußere Deomente, fondern fittlich-religiöfe Gejichtspunfte. Nicht die Inftitutionen, fondern die Öefinnungen der Menichen find ihm die Quelle alles jozialen Glüdes, wie Unglüds. Sein Lied von der Arbeit erinnert in diejer Hinficht lebhaft an jene joziale Neformliteratur eines chriftlichen und ethiſchen Idealismus, mit der ja auch die Geſchichte des modernen Sozialismus beginnt!). Noch erfennt man auf diefem Standpunkt die Grundlagen der beitehenden gejellichaftlichen Ordnung an. Man möchte aber die Menſchen in ihrem Denken und Fühlen geändert jehen. Ge— jinnungswechjel ift die Lojung, deren Verwirklichung allein Die Schäden der Zeit heilen kann.”

Ebenfo erwartet Heliod von dem, was wir modern den neuen jozialen Geiſt bezeichnen fünnten, wahre Wunder geiell- Ihaftlicher Wiedergeburt. In der Seele des gottbegeilterten Sängers lebt jene kindliche Glaubenszuverjicht, wie wir fie bei Dem Pſalmiſten und den Propheten, ſowie im chrijtlihen Sozialismus wiederfinden, der Glaube, daß es nur einer fittlichereligidjen Er: neuerung der Gejellichaft bedürfe, um die Welt von allem jozialen und Öfonomijchen Übel zu befreien.

%) Vgl Sombart, Sozialismus und joziale Bewegung im 19. Jahrs hundert (1896) S. 15 f.

422 NR. Pöhlmann,

Wo man Jedem Einheimifhem wie Fremdem jem Recht gönnt (suum cuiquel) und nie vom Pjade der Gerechtig feit weicht, da meint Hefiod muß die Stadt gebeiben, und es blühen darin die Bewohner. Ewiger Friede waltet im Lande. Sie treiben nur Werfe des Frohſinns und niemals naht ihnen der Hunger ). Denn reichliche Frucht trägt ihmen die Erde, und das wollige Schaf erliegt faſt unter der Schwere der Bürde. Weiber gebären dajelbit nur Kinder, die den Vätern gleichen. Kurz, Alle erfreuen fich jtändigen Glüdes. Nie brauchen fie zu Schiffe zu fteigen: Ihnen genügt die Frucht der Nahrung ipendenden Erde. So würde aus Qugend und Gerechtigkeit ein irdiiches Paradies erblühen, fast jenem jeligen Wunfchland vergleichbar, das dereinſt ja Wirklichkeit geweſen.

Iſt aber die fittliche Erneuerung der Gefellichaft, ohne welde dem Dichter dieſes Glück nicht erreichbar, ja überhaupt kein ort Ihritt denkbar erjcheint, jemals zu erhoffen? Die Erfahrungen der harten Wirklichkeit, die Hefiod umgab, und die Stimmungen, die fie in feiner eigenen Seele wachriefen, waren zu trübe, al daß er diefe Frage hätte bejahen fünnen; und jo fieht er nirgends einen Weg ber Rettung. Die Kehrfeite feines ethiſchen Ideali— mus darin unterjcheidet er fich von dem oben erwähnten reformatoriichen Utopismus der neueren Zeit ift ein grenzen [ojer Peſſimismus gegenüber dem Beſtehenden. Er ift überzeugt, daß die Gejellichaft durch das finnloje Walten roher Kräfte zu einer unaufhaltfam fortſchreitenden Verjchlechterung aller Verhält: nifje verurtheilt fei. Das Ende werde die foziale Auflöfung fein, der Kampf Aller gegen Alle!

„Nimmer eint mit dem Sohn fi der Bater, nidyt jener mit diejem, Nicht mit dem Wirthe der Saft, der Genojje nicht mit dem Genoſſen. Nicht wird der Bruder dem Bruder mehr lieb fein, wie e8 zuvor war.”

Sauftrecht wird walten?). Nichts wird gelten der Gerechte

und der Wacdere, Alles der Unbeilftifter und Frevler. Scham

) v. 225. Orde nor’ iFediercı ner! ardonaı Aıuos Onndei ord' arr, Yahins ÖE ueunkora Eoya venortas. 32) v. 182. 3) yssoodıxas! v. 185.

424 R. Pöhlmann,

Der Kampf, den bier ein Einzelner aufnahm, mußte jih ja jehr bald mit innerer Nothwendigfeit zum Klaſſenkampf ent wideln. In dem individuellen Unrecht, das der Einzelne erfuhr, fam ja nur in beſonders draftiicher Weije das joziale Unredt zum Ausdruck, unter dem die Gefammtheit der niederen Alaſſe litt. Das Beitreben der Herrichenden, die zum jozialen Unrecht gewordene Klaſſenherrſchaft zu ſichern und den Genuß ihrer Bor- theile möglichſt zu fteigern, machte ſich nicht bloß zu Ungunften Einzelner, jondern der ganzen niederen Klaſſe fühlbar. Je rüd- fihtslofer man auf Koften des Beſitzes, der Arbeit, ja ſogar der Freiheit der niederen die Herrichaft der höheren Klaſſe um fi greifen ſah, je einjeitiger man den durch den allgemeinen wirt’ ſchaftlichen Aufſchwung gefteigerten Ertrag der Arbeit des Niederen dem Höheren zufallen ſah, um jo deutlicher drängte jich die Er fenntnis auf, daß bier nicht bloß Einzelne, jondern die Mafie als ſolche in ihrer Entwidlung geſchädigt und niedergehalten wurde, daß der Feind diefer Entwidlung nicht das einzelne In dividuum der herrfchenden Klaſſe, jondern die Klaſſe als folche jet.

Die Empfindungen, die der Drud der Klaſſenherrſchaft in den Gemütbhern der Einzelnen wachrief, verdichteten fich zu einem einheitlichen Maffenbemußtfein. Auch die Mafje erwachte zur Erfenntnis eines eigenen Klafjenintereffed. Sie begann fid) ald eine jelbjtändige Gruppe ökonomiſch und fozial gleich Intereffirter zu fühlen. Und dies Gefühl wandte fich alsbald um jo feind jeliger gegen die herrfchende Klaſſe, je mehr eben dieſe ala bie eigentliche Urheberin des Elends der Maſſe erſchien, und je jchmerzlicher der Kontraft zwiſchen dieſem Elend und dem Glanz empfunden ward, den die vornchme Geſellſchaft jo gefliffentlih zur Schau trug. Ganz bejonders diejer Kontraft in der Lage, nicht bloß das Elend an fich, erzeugte in den Mafjen jenen Haß!), der jo unverföhnlich ift, weil er fich mit dem Gefühl des Neides verbindet. Wenn man die Intenfität des modernen

1) Der Hab gegen die Reichen (aneyFeın 7 noos Tovs nAovaiors) war nad) Ariftotele® die Haupturfahe davon, daß in diejer Zeit die Führer und Vertrauendmänner des Volkes fo oft zu einer monardiichen Gewalt gelangten. Politit 8, 4, 5. 130ba.

426 N. Pöhlmann,

empfunden ward. Die Partei der „Fäuſte“, die wir in dem Milet des 6. Jahrhundert? im Kampfe gegen die Partei der „Reihen“ fanden !), dürfte überwiegend in Ddiejer ſtädtiſchen Mafje zu juchen fein. Noch wichtiger ift es, daB von Anfang an auch der bejitende Mittelitand und die in ihm vertretene Intelligenz an der Bewegung betheiligt ericheint. Auch der Mittelftand ſah ſich ja durch die herrichende Klaſſe theilweiſe wenigſtens in jeiner ökonomiſchen und jozialen Selbftändigfeit gefährdet. Es gab gewiß zahlreiche größere Hofbefiger, denen über furz oder lang dasſelbe Schidjal der Enteignung drohte, wie dem weniger widerjtandsfähigen Kleinbauern. Und was bie böchititehende, in raſchem wirtbichaftlihen Aufiteigen begriffene Schicht des Mittelftandes, bejonderd in den Städten, betrifft, jo war gerade fie recht eigentlich die Führerin der Oppoſition gegen die Herrichende Klaſſe, weil jie fich derſelben jozial und wirtbichaftlich immer näher gerüdt jah und den Ausschluß von ihren Ehren und Rechten immer lebhafter als unerträgliches Un recht empfand.

So ging eine große revolutionäre Bewegung durd) die ganze außerhalb der privilegirten Klaſſe ſtehende Gejellichaft. Mit ben politiichen Forderungen der bejitenden und gebildeten Elemente des Demos vereinigt fich das Drängen der nothleidenden Klafjen nad einer Beljerung ihrer öfonomifchen und gejellichaftlicen Lage. Jene verftärfen fih im Kampf um die Nechtögleichheit durch das Gewicht der großen Zahl, welches die Maffe in die Wagſchale warf, und andrerjeits fommt die Mafje eben dadurd erst recht zum Bewußtjein ihrer Kraft. Sie ſah fich in ihren jozialöfonomifchen Forderungen gewaltig ermuthigt, zumal die herrfchende Klaſſe, die nun ihren Rüdhalt im Mittelitande ver Ioren hatte, der Bewegung meift tjolirt gegenüberjtand. Durch dies Zujammenmirfen politischer Parteiwuth und fozialen Haſſes erhält der innere Zmift, der jchon das 7. und noch mehr dad 6. Sahrhundert erfüllt, völlig das Gepräge des Klaſſenkampfes. Er entjeffelt alle die furchtbaren Leidenjchaften und verbrecheriſchen

1) Siehe oben ©. 409.

428 R. Pöhlmann,

Die Packknechte gebieten, das Geſindel (oĩ “axor) iſt den Guten überlegen. So wird fürchte ich die Woge das Schiff verſchlingen.“

„Ich fürchte“ ruft der adeliche Sänger von Megara dem Freunde zu —, „daß die Überhebung, welche einſt die wilden Kentauren in's Verderben führte, auch unſere Stadt zu Grunde richten wird. Der Übermuth und die Thaten, welche einſt zu Magneſia geſchehen, erfüllen auch unſere heilige Stadt. Hoffe nicht, daß die Stadt ruhig bleiben wird; jchon ift fie ſchwanger, und ich bejorge, daß fie den frevlen Führer des Aufruhrs, den Rächer unjeres fchlimmen Übermuthes gebären wird!).“" Und nach der Kataftrophe: „Die Stadt ift zwar noch die Stadt, aber das Volk ift ein anderes. Die, welche vordem Gejeg und Recht nicht fannten, welche die Schultern mit dem Ziegenfell um hüllt draußen vor den Thoren wie Hirjche meideten, die jind nun die Edlen. Die Gemeinen haben Amt und Würden erlangt, das, was dem Adel gehört, ift an die Gemeinen gekommen’). Die vorher Edle waren, find nun Gemeine. Wer vermag tolcen Anblid zu ertragen? Nun betrügen fie ſich lujtig unter einander und willen weder, was gut noch was ſchlecht ijt?). Unerträglide Geſetze haben fie aufgerichtet. Die Scham iſt untergegangen, Schamloſigkeit und Übermuth haben gefiegt und das ganze Land eingenommen®). Das gehört nun den Naben und dem Verderben. Aber feiner der feligen Götter hat uns dies verjchuldet, Jondern der Menfchen Gewalt und jchnöde Habgier und Übermuth hat ung aus vielem Glück in's Unglück gebradt. In furchtbare - Unheil find wir gerathen; raffte uns doch gleich das Geſchick des Todes hinweg! ?)

fann, fondern nur auf eine Vertheilung der gemeinen Einfünjte. „Die hab gierigen Männer an der Spige des Staates jteden die Einfünfte in die eigene Taſche, ftatt fie gleihmäßig an Alle zu vertheilen.“

1) Theognis v. 542. 603 |. 47. 39 f.

2) v. 233. 53 fi.

2) v. 409 ff.

% v. 289 ff.

2) v. 833 ff. 819.

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 429

Dan muß diefe Stimmungsbilder fennen, um fich darüber flar zu werden, wie bier alles Beſtehende in feinen Grundveften erſchüttert war, wie ſich inmitten diejes gewaltiamen Zuſammen— bruches des Alten in leidenjchaftlichen, rückſichtslos die letzten Konſequenzen ziehenden Köpfen ein wilder Radikalismus, Die ausjchweifenditen Hoffnungen nicht bloß politischer, jondern aud) fozialer Neugeftaltung erzeugen fonnten. Welche Erichütterung und Verwirrung muß in Ddiejer rajchen Aufeinanderfolge von Revolutionen und Gegenrevolutionen das öffentliche Nechtsbemwußt- jein erlitten haben, zumal bei der rohen Maſſe, die ſich immer mehr bewußt wurde, daß ihre Fäuſte bei den meijten Umwälzungen den Ausfchlag gaben! Wenn die bürgerlichen Parteien ſelbſt um die Gunst des Pöbels buhlten, deſſen Mitwirkung fie nicht ent- behren konnten, wenn fie jeinen Inſtinkten nothgedrungen oft genug die Zügel fchießen lichen, jo mußten dadurch Anjprüche erwedt werden, die weit über die gemäßigt-bürgerlichen Reform: ideen hinausgingen. Auch ift es ja eine befannte piychologifche Thatſache, daB in Zeiten ftarfer Erregung gerade die ertremiten Richtungen eine Bedeutung zu gewinnen pflegen, die weit über ihre numerijche Stärfe hinausgeht.

Neben diefen bejonderen Entſtehungsurſachen fommuniftijch- fozialiftiicher Ideen fommt nun aber noch eine Reihe von all- gemeinen Momenten in Betracht: Die ganze geijtige Atmoſphäre der Zeit, deren Eigenart man ſich vergegenwärtigen muß, wenn man Die ſoziale Bewegung wirklich verjtehen, d. h. in ihrer hiftoriichen Bedingtheit und ihrer faufalen PBerfnüpfung be— greifen will.

Sollen wir die Zeit im allgemeinen charafterijiren, ſo werden wir als Hauptmerfmal eine außergewöhnliche Lebendigfeit und Beweglichfeit bezeichnen dürfen, wie fie in dieſer Weije den älteren Epochen unbefannt war. Durch die Expanſion des griechiichen Volkes über die ganze Mittelmcerwelt, durch die Ent: jefjelung des Verkehres, die Geldmwirthichaft, die fortichreitende politiiche und joziale Emanzipation find alle Schichten des Volfes in Fluß gekommen; es ift eine Bewegungsfreiheit der Individuen, eine Rajchheit des Kontaftes zwiſchen den einzelnen Elementen

430 R. Pöhlmann,

der Geſellſchaft möglich geworden, wir nie zuvor. Wir find in ein Beitalter der Maffenbewegungen und Maffenaktionen einge treten. Was ſich durch Gleichartigkeit des Berufes, der Arbeit, des Interejjes nahefteht, organifirt fich in größeren gejchloflenen Maſſen. Und dieje durch gemeinjame Vorſtellungen, Gefühle, Willensimpulje enge verbundenen jozialen Gruppen greifen mächtig in die Kämpfe der Zeit ein, fei e3 auf der Agora, fei es m Kampfe der Fäuſte. Der organifirte Zuſammenſchluß wird zu einer Hauptwaffe im Kampfe der Parteien, zu einem Hauptwerfzeug der politiichen und fozialen Emanzipation. Selbſt das ftabilite - Element der Gejellichaft, der Bauer, bleibt in diefer Beziehung nicht hinter den beweglicheren jtädtichen Klaſſen zurüd. Er tritt 3.28. in Attila genoſſenſchaftlich organijirt al3 eigene ge ichloffene Partei der der Demiurgen zur Eeite!). Die älteiten gejchichtlich befannten Drganifationen der Arbeit auf euros päiſchem Boden !

Und mit diefer größeren Beweglichkeit des Lebens verbindet fi) eine gejfteigerte Lebendigkeit des Dentend und Empfinden. Der wirtbichaftliche Wettbewerb, das Jagen nach Gewinn und Genuß, das wechjelvolle Ringen um gejellichaftliche und politiſche Macht Hat in das Dafein de Einzelnen und ganzer Klaſſen einen Zug der Unruhe, des Haſtens, der Unficherheit hinein gebracht, der fih in dem Gefühlsleben der Zeit jehr intenfiv ausprägt. Die Fülle der inneren und äußeren Erlebniffe, die in folcher Zeit auf den Einzelnen einftürmten, rang nach leiden- ſchaftlicher Entäußerung. Was dem freier gewordenen Blid ſich offenbart, will jofort fich mittheilen, auf Andere wirfen. Und dies Drängen und Treiben, dieje tiefe Erregung des ganzen Empfindungslebens erzeugt alsbald völlig neue Formen des Auf: druds. Wir befinden ung im Zeitalter der Lyril. Große Staate- männer und Gejeßgeber fprechen in gebundener Rede zu allem Bolfe; und neben ihnen, neben Tyrannen und Demagogen erheben Sänger und Dichter ihre Stimme und jchleudern ihre geflügelten Berje in die leidenjchaftlich bewegten Maffen. Dan kämpft mit

1) Ariſtoteles, AInv. no. B. 13.

432 N. Pöhlmann,

der Glaube der Epoche an dus, was eine überlegene geijtige Kraft in der Bewältigung großer reformatorischer Aufgaben zu leiften vermag! Häufig ift e8 ein inzelner, der al Bertrauensmann der Allgemeinheit mit abjoluter Machtbefugni nach eigenem beiten Ermejjen die neue Ordnung der Dinge feſtſetzt.

Dazu welche Revolutionirung der Sitten und Lebensanſchan ungen! Der neue demofratiiche Geiſt beginnt fich allmäblid dagegen aufzulehnen, daß die vornehme Welt den Abftand, der jie vom Volke trennte, noch länger in der bisher üblichen Weile zum Ausdruck brachte. ES beginnt die Zeit rigorofer Luru% gejeßgebungen, einer einfacheren bürgerlichen Geſtaltung de äußeren Lebens, die den verlegenden Prunf der alten Zeit mehr und mehr verdrängt hat. Soweit die gejchilderte Bewegung reicht!), ift die Ehrfurcht vor den Idealen der alten Zeit m Schwinden begriffen. Die Geftalten der Dichtung, die zu den ſtolzeſten Erinnerungen des herrichenden Standes gehörten, werden durch Umfegung in's Burleske auf das Niveau der Maſſe herab gedrüdt. Zu dem Pathos des homerijchen Heldengejanges tritt die parodiiche Dichtung in einen charafteriftiichen ©egenlaf- Selbſt die Religion wird in den allgemeinen Gährungsprozeß bineingezogen. Das erwachte fritiiche Bewußtſein bethätigt ſich gegenüber den Göttern des Olymps ebenjo, wie gegenüber den Herren diefer Erde. Man beginnt auch) an das Thun der Götter und bejonders an ihr Verhältnis zu den Menfchen einen fittlichen Maßſtab anzulegen. Das leichtherzige Epiel mit dem Menſchen⸗ ſchickſal, wie es die homerischen Götter treiben, tft der fort gejchrittenen ethiichen und jozialen Anjchauungsweije der Zeit ebenjo unerträglid) geworden, wie der Übermuth der Ariftofraten- herrſchaft. Wie das irdiihe Recht den Charakter der Willfür abftreiit, jo jollen auch die Götter nicht mehr lediglich ihren Launen folgen. Auch von ihnen fordert man Gerechtigfeit. Ia am Ende der Epoche iſt die Emanzipation des Gedankens auf

1) d. h. in den fortgeichritteniten See- und Handeldftaaten am ägäifchen Vieere.

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 438

nem Punkte angelangt, wo die mythiſch begründeten Vorſtel⸗ ungen überhaupt nicht mehr genügten. Auf die alten Fragen ah Sinn und Bedeutung der Welt jucht man jet noch ganz indere Antworten, ald e3 die geweſen, welche der religiöfe Glaube rtheilt hatte. Auch bier jegt fich der freie Gedanke gegen die Kutorität der Tradition fiegreih durh. Er jprengt die legten Feſſeln, die dem Flug nach den höchſten Zielen noch entgegen« tanden. Unbefümmert um jede fremde Autorität jucht er ein Bild der Welt zu geftalten frei aus jich heraus, aus eigener Sraft! Die alte geiftige Seßhaftigkeit, die Selbitverjtändlichkeit altge— vohnter Anſchauungen iſt unmiederbringlich dahin?).

Wo die wichtigsten Sdeenkreife und Daſeinsformen in diefer Beile im Fluß begriffen erichienen, war es nicht zu verwundern, ſich zulegt die Meinung einftellte, als gäbe es überhaupt nichts Feſtes mehr. Wenn fid) jo Vieles als vergängliche Ent— vidlungsphaje erwiejen, wie fonnte man fich da bei irgend einer Sejtaltung der Dinge, die den Widerjpruch herausforderte, als 'iner endgültigen beruhigen? „Wie fonnte da die Geneigtheit Jauern, dor einem vereinzelten Erzeugnis des unaufhörlichen Wandelprozeſſes als vor etwas Ewigem und Unantaſtbarem in ven Staub zu finten?)?" Das „IIavra dei“ Heraflit’s zieht ıur Das Fazit der ganzen Epocdye. Und wenn Lafjalle von jiefem, ihm in mander Hinficyt jo nahe verwandten Denfer yemerft, „er babe alle Ruhe und allen Stillitand aus der Welt yerbannt, die ihm nur abjolute Bewegung gewejen”, „es war Sturm in diejer Natur“?), jo ift damit in gewiflem Sinne ie Zeit überhaupt gefennzeichnet, in welcher Die geiftige Eigen: ırt Heraklit's im legten Grunde wurzelt. Jene Feuerſeelen der jeraflitiichen Weltweisheit, in denen ſich Zafjalle ſelbſt geſchildert yat, fie find recht eigentlich das Produft der gewaltigen Gährungs- poche, weldye die joziale, politiiche und geiltige Phyſiognomie ed HellenenthHums von Grund aus umgewandelt hat.

i) Vgl. die ſchöne Schilderung dieſes Kulturprogefies bei E. Meyer, Weih. d. Alterth. Bd. 2. 2) Gomperz, Griehiiche Denker 1, 65. 2) Die Philoſophie Heralleito® des Dunklen 1, 51. 2, 448. Hiftoriiche Zeitſchrift R. F. Bd. XLIIT. 28

434 N. Pöhlmann,

So war die Beit beichaffen ich möchte jagen, jo mußte jte bejchaffen fein —, in welcher der Sozialismus feinen Einzug in Europa hielt. Aus der Zeitatmoiphäre erflärt es fich, wie jegt einerfeit3 jene zerjegende Sritif möglich wurde, welche felbit vor einer grundjäglichen Verneinung des Beitehenden nicht mehr zurüdichredte, und andrerjeits ein fanatifcher Glaube an die Er reichbarfeit ciner zukünftigen Ordnung fozialen Lebens, die fid eben auf einer von dem Beſtehenden principiell verſchiedenen Grundlage aufbauen ſollte. Wenn jo Bieles im Wandel der Zeit ander® geworden, wenn ſich wie Solon einmal betont hat!) Dinge verwirklichten, an die man vorher faum im Traum gedadt, warum nicht noch mehr? Warum nicht Ale, was erwünjcht und möglich erfchien? „Co wird die revolutionäre Gegenwart zum Nährboden für die joziale Utopie der Zufunft?).“

Und dieſer Ölaube an die Durchführbarfeit eines gejellichaft- lichen Ideales erhielt zu alledem noch cine mächtige Förderung dadurch), daß gerade damals derjenige Machtfaftor, auf melden e3 Dabei in erfter Linie anfam, daß der Staat eine neue erhöhte Bedeutung für das Gejammtleben des Volkes gewann. Aus den Widerſtreit gegen die ausbeutende Klafjenherrichaft, aus der Anarchie des Klaffenfampfes erwächſt damals der Gedanfe, durch die Gentralifirung der ftaatlihen Machtmittel in Einer Hand die Zöfung der Aufgaben zu ermöglichen, zu deren Übernahme fid der alte Staat unfähig erwiejen. Diefer Tendenz und der Sehn- ſucht nad) einer wahren Staatögewalt verdanft nicht nur die ſoziale Monarchie eines Periander und die Diktatur anderer Stuatenordner ihren Urjprung, jondern vielfach aud) die Tyrannis. die in dieſer Zeit jo überaus häufig das legte Ergebnis des revolutionären Zerſetzungsprozeſſes war und oft gerade an ber Spige der radikaljten Elemente des Volkes emporfam. Es it die Epoche der großen Staatöfünftler, in deren Hand der Staat als Kunstwerk, ala bewußte, von der Neflerion und genauer

) Siehe Arijtoteles, SFrr. 04. 12,5. 2) Eombart, a.a. O. ©. 12, mit Bezug auf die Gefchichte des modernen Sozialismus.

436 N. Pöhlmann,

Läßt uns doch die Überlieferung fait durchweg jchon über die grundlegende Frage im Unflaren, weldye von den verichieden: artigen revolutionären Bewegungen, von denen die Zeit erfüllt war, im einzelnen alle in Betracht fommen. Auch fteht für fie begreiflichermweife diejenige Bewegung im Vordergrund, die im allgemeinen die fiegende war: die rein bürgerliche, der Kampf der befigenden Bürger: und Bauernfchaften um die Beſeitigung der Privilegien des berrichenden Standes und um die Anerfennung der Öleichheit vor dem Geſetz. Weniger deutlich erfennbar it dagegen die vom Kleinbürger: und Kleinbauernthum vertretene demokratische Unterjtrömung, welche die Freiheits- und Gleichheit: forderung wefentlih radifaler auffaßte, als die oberen an der Bevorzugung des Beſitzes feithaltenden Schichten de Bürgerthums, aber allgemeinere Erfolge erft in der nächſten Epoche errang. Und die geringiten Spuren vollends hat natür- li die noch radifalere Bewegung hinterlaffen, welche der poli— tiichen Befreiung ohne weiters die joziale folgen laſſen wollte, aber mit dieſem ihrem Utopismus noch weniger durchzudringen vermochte, als der politische Radikalismus.

Dazu kommt, daß in den Anfängen die proletarijche Be wegung mehr von dunklen Suftinften geleitet wurde, ein klares Biel, ein bejtimmt formulirtesg Programm für und nur ganz ansnahmsweije noch erfennbar iſt. Auch bier trifft die Bemer- fung Carlyle's zu, daß die erjten Regungen jener unglüdliden tief vergrabenen Maſſe wie die Bewegungen des Enceladus find, der, wenn er über jeine Schmerzen Hagen will, Erdbeben hervor: rufen muß. „ES find Bewegungen vollftändig inftinktiver Art, die ji) an dasjenige halten, was zunächſt liegt, und gegen das anftürmen, was ihnen handgreiflich im Wege zu ftehen jcheint. Es find Thaten, die uriprünglicdy zum großen Theile die Formen des Naubes und der Plünderung annehmen!).” Der unmitte bare Zweck ift, den Feind irgendwo in feinem Beſitzthum zu vernichten, wie e8 3. B. (um 640) die aufrühreriichen Maſſen in

1) Nah der Bemertung Sombart’8 (S. 33) über die Anfänge der modernen proletarifchen Bewegung, die genau jo auch auf unjere Epoche zutrifft.

Die Anfänge ded Sozialidmus in Europa. 437

Megara thaten, die ihren „Haß gegen die Reichen“ dadurch ättigten, daß fie über die Herden der großen Grundbejiter her⸗ nelen und fie abjchlachteten?!).

Diejes Ereignis, welches für uns die Geſchichte der prole- tarifchen Bewegung in der hellenischen Welt einleitet, iſt geradezu typisch für die erften Formen proletarischer Bewegungen über: haupt. Es ift ein Kampf gegen die äußerlich wahrnehmbaren Dinge, in denen jich der Gegner gleichjam verkörpert: Wie der industrielle Broletarier der neueren Leit die Fabriken und Mafchinen zertriimmerte, weil er bei ihrem Aufkommen jah, daß fie den Handarbeitern Konfurren, machten, wie er ſich gegen die Wohnungen der Unternehmer wandte, die al® die Zwing— burgen der neuen ©ewalthaber erjchienen?), jo richtete ſich Die Ruth jener ländlichen Proletarier des alten Megara gegen die Schafzucht der reichen Grundbefiger, die gewiß ſchon damals sur Proletarifirung des Bauernitandes, zum „Legen“ von Bauern: böfen und zur Verwandlung des Aders in Weideland ebenjo beigetragen hat, wie in den Zagen des Thomas Morus, der die Schafe reißende Beftien nennt, welche Menjchen frejfen und das Land verwälten?).

Ähnliche Erfcheinungen, wie in Megara, hat die joziale Revolution ohne Zweifel auch andermwärt® gezeitigt, wo die Ver: hältniffe ähnlich lagen. In ſolchen Epochen hochgehender innerer Gährung erhalten ja die verbrecherijchen Inſtinkte ohnehin freien Spielraum dadurch, daß hier die Hefe vom Volksboden empor: fommt, und daß dieje auf dem tiefiten Niveau ftehenden Elemente, die irgendwo Anjchluß juchen müſſen, ſich naturgemäß derjenigen Bartei oder Gruppe angliedern, die zur beitehenden Ordnung im jchroffften Gegenjage ſteht. Su jehen wir, wie in demjelben

1) Arijtoteled, Pol. 8, 4, 5. 130da.

2) Sombart ©. 34.

2) Welche Bedeutung die Schafzudt in Megara gewann (ebenio, mie für Attika!), zeigt Theognis v. 183, ber Tempel der Schafe fpendenden Demeter (Paufanias 1, 44, 4) und die großartige Entwidlung der Tuch— manufafturen Megaras, die gewiß meit älter find, als der Bericht, den kenophon, Mem. 2, 7,6, davon gibt.

438 Rt. Röhlmenn,

Megara nicht jehr lange nach der erwähnten revolutionären Bewegung die kommuniſtiſche Begehrlichkeit des Pöbels die Ihlimmften Orgien feiert. Die Armen drangen in die Häuler der Befigenden ein, verlangten, daß man ihnen gute Mahlzeiten auftiiche, und wo man ihnen nicht willfahrte, brauchten fic mit der größten Frechheit Gewalt?!)!

Die Ironie der Geichichte ahndet Hier an den Beſitzenden gerade das, worin ihr fittliches Verſchulden lag: die Überfchägung des irdiichen Gutes, das Übermaß des Strebens nach Verbeſſe— rung des materiellen Dajeind. Die Menge handelte ja im Grunde nur nad) der Moral, die ein Dichter der Zeit in die charafte riftiichen Worte gekleidet hat: „Exit ſuche dir Lebensunterhalt, die Tugend, wenn du bereit zu leben hajt?).“ Auch der Neid findet hier jeine Befriedigung, für den ein materialiftiicher Luxus der denfbar bejte Nährboden it. Denn da diefe Empfindung fi) gutentheil® nach dem Maße des Berftändnifjes richtet, das man von dem Genufje Anderer hat, jo find es eben die von der ungebildeten Mafje naturgemäß am beften veritandenen und gewürdigten grobfinnlichen Genüfje, an denen Neid und Slafjen haß ſich am heftigiten entzündet. Und in ihrer Aneignung, m Kommunismus des Genießens wird dann auch vor allem ber Triumph des Sieges gejudt.

Natürlih prägt ſich dann in jenen Ausjchreitungen einer verwilderten Mafje neben dem Wunjch, ſich die Genüffe an ber Zebenstafel nicht länger verfümmern zu laffen, auch der inſtinktive Trieb zum Theilen und Gleichmachen aus. Aber ob die hier

1) Plutarch, Moral. 295 cd.: Meyageis..., nollıv xara Ilhatuna xai iengaror avrois Ehe Fegiar TWr Önuazıryaw olvoyoortıtav, baydagsrte zavyzınacı ta Talha Tois Äovsioıs A0Eh,@s NI00EFELOVTO xai TapırE; Eis Tas oixias avıav oil Neri;tes 1,5louv Eotiaodaı xai Ösınveiv nokvreios' Ei ÖE ui, Tiygaroıer noos Biar xal us vAgews EXoanto acer. Denn E. Meyer, a. a. O., dieje Vorgänge dahin verfteht, al® habe der Demos Zu lafiung zu den Gaſtmählern der Udelichen, d. h. zu den gemeinfamen Mahl⸗ zeiten der regierenden Bürger, verlangt, jo fehlt für eine ſolche Erklärung jeder Anhaltspuntt. Auch verfennt jie den im Text entwidelten Charalier der Bewegung.

2) Photylides fr. 10: JızaFaı Bıoriv, agsımr 8, dtar 7, Bios 1b.

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 439

zweifelhaft vorhandenen fommunijtiichen Anſätze zu voller Ent- lung gekommen find, ob und inwieweit man hier |chon dazu tgeichritten ift, an Stelle der unmittelbar fichtbaren Dinge dahinter liegenden Rechts ordnungen zu befämpfen, auf denen beſtehende Gütervertheilung beruhte, das erfahren wir nicht.

Uno bedeutjamer iſt es, daß uns ein ſolches pojitives :ogramım gejellichaftlicher Umgeitaltung fait gleichzeitig in der rarstevolutionären Bewegung des benachbarten Attifa begegnet. er traten damals unter den Arbeitern des Grund und Bodens, ter den überjchuldeten Barzellenbejigern und Pächtern, Theil. uern, Tagelöhnern, Knechten u. |. w. Gedanken des Umſturzes Tage, die jelbit einem jo radikalen Suzialreformer, wie Solon, 3 überjchwenglid) und thöricht, als Ausfluß räuberiicher Gier chienen)). Dieje Gedrüdten und Beladenen der Gelellichaft ‚ten nicht bloß die Schlachten der Bourgeoifie und der klein⸗ rgerlichen Demokratie jchlagen. Denn die Gleichheit und die eiheit, die dieje meinten, konnte ihre materielle Noth nicht bes tigen. Auch jie haben bereits gewußt, was Wähler von 89 in den doleances der cahiers ihren Bertrauengmännern Sipradhen:: daB die Stimme der Freiheit dem Herzen eines enden, der vor Hunger jtirbt, nichts verfündet. Sie wollten, B mit den neuen Ideen jtaatöbürgerlicher Freiheit und Gleich. t auch auf dem Gebiete des Güterlebens ernſt gemacht werde, B die formale Freiheit und die Gleichheit vor dem Geſetz ge igert werde zur materiellen Gleichheit und fozialen Unabhängig- t. Und jo verlangten fie wie Solon uns mittheilt die eiche Betheiliaung Aller am Grund und Boden des ıterlandes?). „Das Land der Maſſe“ dieje Forderung tritt 5 bier zum erften Mal als die Parole der Enterbten entgegen.

Ein Princip von ungeheurer Tragweite! Es bedeutete eine ige Ummälzung des Verhältniſſes zwiſchen Arbeit und Kapital joweit dies Kapital mit dem Grund und Boden verbunden r zu gunften der Arbeit! Wenn Alle denfelben Antheil an

1) Siehe Ariſtoteles Adv. rroA. 12, 3. V Eiehe ebenda: ... ueigas YIovos Rargidos xaxoicıv sodkous iTo- oiav Eye.

440) NR. Pöhlmann,

dem wichtigſten Produftiongmittel erhalten, wird der Antheil an dem Gejammtertrag der Volfswirthichaft, der auf die Arbeit fällt, und der unter den bisherigen Verhältniffen immer fleiner zu werden drohte, mit einem Schlage gewaltig vermehrt. Hatte die hie herige Entwidlung vielfach zum Untergang der ökonomiſchen Selbitändigfeit der landbauenden Klaſſe geführt, indem fie den Bauern von feinen Produftiongmitteln trennte und in einen be jiglofen Proletarier verwandelte, fo jollten jegt die Produftion« mittel, joweit fie zum Monopol von Grokgrundbefigern und Kapitaliften geworden waren, wieder in das Eigenthum des arbeitenden Volkes zurückkehren. Die Arbeit jollte das Joch des Kapitaliamus abſchütteln, und das Grundeigenthum aufhören, als Mittel fozialer Übermacht und ökonomiſcher Ausbeutung zu dienen. Was der adeliche Poet als eine Thorheit verabjcheut?), davon will auch der revolutionäre TFeldarbeiter nicht3 mehr wiſſen: Er will nicht mehr auf fremdem Grund und Boden für Andere fih mühen. Dem freien, auf eigener Scholle gejeflenen Mann ſollen die Früchte feiner Arbeit ungejchmälert zufallen. Ja, man kann jagen: Die perjönliche Arbeit wird geradezu zum enticheidenden Faktor der Produktion und der PVertheilung des Produktions: ertrages, jowie zur VBorbedingung der Theilnahme am Verzehr gemacht. Denn da der Bodenantheil, der bei der Auftheilung an den Einzelnen gefallen wäre, naturgemäß ein bejchränfter war und das Maß einer bäuerlichen Wirthſchaft nicht Üüberjchritt, fo hätte ſich der Forderung, die ſchon Hefiod an den Bruder richtete: „Arbeite, thörichter Perjes“ (Foyuleo vr, zrıe Ilego,) Niemand mehr ent- ziehen fünnen. Die Klaffenunterjchiede verſchwinden. Auch der Edelmann muß ein Bauer werden und felbit zum Pfluge greifen?).

N Bol. Theognis v. 581 f.: exFelom ÖE yıralza neoidgouov ardga TE udoyor, Os tv ahkoroirv Borker' ayaıgar agotr,

2) Sehr richtig haben daher den Sinn der Forderungen diejed agrariichen Sozialismus Kaibel und Kießling gefennzeichnet, wenn ſie in ihrer Ber: deutfjhung der Adv. mod. die Erklärung Solon's über feine erfolgreiche Bekämpfung diejer Forderungen mit den Worten wiedergeben: „Bu gleihen Theilen nicht darf der Edle, der Gemeine pflügen unjer fettes Land.”

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 441

o wird modern gejprochen der Reichthum einzelner und » Wohlhabenheit Weniger ſich in das Genughaben Aller ver- indeln.

Welch ein Umjchwung jeit der Zeit, wo die Wöden von m Edelmann fangen, daß er „gleich einem Gotte im Volke ge rt ward“)! Es find Forderungen, die an die radifaliten edanfen der Bauernkriege oder vielmehr der modernen agrars staliftiichen Bewegungen erinnern ?). Die Schlagwörter, wie 3. 3. in der Bewegung der Fasci unter den unglüdlichen yeilbauern Siciliend hHervorgetreten jind: „Wir wollen, daß, e wir arbeiten, Alle arbeiten, daB es feine Reichen und feine ‚men geben joll, daß Alle Brot für ſich und ihre Kinder haben. ir müfjen Alle gleich jein“, das iſt alles ganz ebenſo bereits n den armen Xheilpächtern und Zandarbeitern des 6. vorchriſt— hen Sahrhundert3 empfunden und ausgeiprochen worden. Aud) wollten, daß „Alle in Allem gleich“ jeien?),. Und wenn r jozialdemofratiiche Parteitag des Jahres 1894 den Sag auf— Üte: „Die Agrarfrage als nothwendiger Beitandtheil der jozialen ‘age wird endgültig nur dann geldjt werden, wenn der Grund ıd Boden mit den Arbeitsmittel den Produzenten wiedergegeben , die heute als Lohnarbeiter oder Kleinbauern im Dienſte des ıpitald dag Land beitellen“, jo ift das nicht? anderes, ald was > ung dur Solon’3 Elegie aufbewahrte ſozialiſtiſche ormel ebenfalls in Ausſicht jtellt®).

1) Peos @s Tiero Inu@, wie die jtereotype Formel bei Homer lautet.

2) Vgl. z. B. die Drohung der Gejandten des fränkiſchen Haufens in imberg, dab im ganzen Yande kein Haus mehr bleiben folle, das bejjer al8 ein Bauernhaus u. dgl. m.

3) navranacıv ouakors Tois Bios ni toors. Plutarch, Solon c. 16.

*%) Buſolt, Griech. Geſch. 2*, 255 verfennt die Tragweite der Bewegung, nn er meint, dad Verlangen der Landauftheilung habe weſentlich die Auf⸗ lung der Ertiuogros yn der großen Grundherrn an die extruogoı betroffen, Ihe diejelbe auf Theilbau bemwirthichafteten. Das ift in der Forderung tenthalten, erihöpft fie aber noch lange nicht. Das Richtige hat ſchon iftotele3 gejehen In». nod. 11,2: 0 uer yag ÖTuos wero navı’ avadacra oev avıov (sc. Tor Sosemwa) und Plutarch, Solon 13: rır yir ava- caodaı ai dAms yeraoınoas ınv» noinsiov. Bol. aud die obige

442 NR. Pöhlmann,

Nun ift ja allerdings das ökonomiſche Endziel der ganzen Bewegung nicht eigentlich) ein ſozialiſtiſches. Sie will ja nid an die Stelle der fapitaliftiichen eine jogialiftiiche Organiſation, eine Öemeinwirthichaft fegen. Vielmehr jollen die großen Wirth: \haftöformen, joweit fich jolche bereit3 herausgebildet hatten, der fapitaliftiiche Eigenbetrieb einerſeits und die gleichfalls kapitaliſtiſche Wirthſchaft mit den von Einem Wirthichaftscentrum abhängigen Theilbauern andrerjeit3 eine Rüdbildung in Fleinbürgerlicem oder vielmehr Fleinbäuerlichem Sinn erfahren. Die großen Güter jollen zu Bauernjtellen zerſchlagen und die Theilpächter unab- hängige Eigenthümer werden. Das Ziel ift aljo ein ähnliches, wie ed einem Babeuf und St. Juft!) vorjchwebte: eine Wirth— ihaftdordnung, die zwar auf dem Princip der ökonomiſchen Gleich heit, aber nicht auf dem &emeineigenthum an den Produftiond mitteln, am Grund und Boden beruht, die infofern aljo feine jozialiftifche, jondern eine fleinbürgerliche oder -bäuerliche und individualiftiiche it. Als das Ideal der ganzen Bewegung cr icheint die wirthichaftliche Gleichheit auf dem Boden des Privat: eigenthums.

Die ökonomiſche Situation der Iandbauenden Stlafje war eben keineswegs eine ſolche, daß fid) daraus mit Nothwendigkeit eine fozialijtiiche Zielfegung, dag auf dem Großbetrieb be ruhende Gemeinjchaftsideal hätte ergeben müfjen. Im Gegen theil! wenn man von der durch die aufblühende Gewebe induftrie begiinitigten Schafzucht abfieht, beitand in der agrar- iichen Entwidlung an und für fich durchaus feine ftärfere Ten: denz zum großen Betrieb als zum fleinen. Der fchon damals

Sußerung in c. 16. Wilamowig (Arijtoteled und Athen 2, 47), der von der richtigen Auffafiung ausgeht, meint, unter den Demofraten, die von Solon eine neue Landvertheilung forderten, habe das Bewußtſein geherridt, daß der Privatbejig an Grund und Boden durh Okkupation von ager publicus entjtanden ijt. Sie hätten alfo ein wahres Privateigenthum am Boden von vornherein nicht anerfannt. Ich lafie diefe Annahme dahir geitellt. Die Üiverlieferung gibt für fie feinen Anhaltspunkt.

1) Bei St. Juſt übrigens nicht einmal die „ganze“ Gleichheit, jondern nur eine relative.

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 448

‚och entwicelte gartenmäßige Anbau und die Spatenfultur, über: yaupt die Vorherrſchaft der „individuellen“ Kulturen, bei denen rer Ertrag nah Qualität und Menge jo weſentlich von der $üte der geleilteten Arbeit abhängt und daher die menjchliche Arbeitskraft die Hauptrolle fpielt, war dem Slleinbetrieb überaus jünftig. Sind doch ſelbſt die großen Beſitzungen, joweit es ſich im dieſe Kulturen handelte, offenbar ſehr häufig in eine Reihe leinerer Betriebseinheiten zerlegt geblieben und in der Form des Theilbaues von Kleinen Wirthen bejtellt worden'. Wenn aber te Vergeſellſchaftung der Produktion nicht nothwendig zu einem ‚öheren, d. h. leiſtungsfähigeren Wirthſchaftsſyſtem führte, viel- ehr die fleinbetriebliche Korm unter Umſtänden eine höhere Bes entung hatte, leiltungsfähiger war, als die großbetriebliche, wenn oir felbjt heutzutage noch nicht mit Beitimmtheit jagen fönnen, velches die Entwicklungstendenz im Agrarweſen it, noch aud) velhe Betrichsform und ob überhaupt eine bejtimmte in der grariichen Produktion die überlegene ift?), was hätte da den hnehin von Natur „antifollektiviftiichen“ Bauer veranlafien ollen, von der jeinen inneriten Neigungen allein entjprechenden ndividualiftiichen Betriebsweiſe abzugeben ?

Fit doch jelbit die modernite jozialdemofratiiche Bewegung n diejer Hinficht nicht Über ihre Vorgänger im 6. Jahrhundert . Chr. Hinausgefommen! Noch im Jahre 1893 begegnen wir im ‚VBorwärts” der Erflärung, daß die Vortheile des Großbetriebes n der Landwirthſchaft problematijc) ſeien, daß die Kooperation 1er Arbeiter das Arbeitsproduft des Einzelnen nicht erhöhe und jaher der gemeinichaftlicye Betrieb nicht im Wejen der Land» virthjchaft begründet jei. Demgemäß ericheint es auch dem Vor— värts jelbitverftändlich, daß der ZYandarbeiter feinen Drang nad) ozialiftiicher Produftionsweije verjpürt, jondern ein Stück Land u individueller Broduftion haben will. „Dem Sozialismus des ndujtriellen entjpricht der Landhunger des ländlichen Arbeiterg,

1) Siehe Pollux 7, 151: zrtinooros BE yr naga Zokamı 1, Eni ueges EVEYOVUET, Xal HUETI, To UE00S TO ano Taw yewpyov. Ter Stand der ttifhen äxeruoooı muß offenbar fehr zahlreich geweſen jein.

2) Wie Sombart ©. 112 mit Redt bemerft.

441 N. Pöhlmenn,

und wenn er die Macht hätte, jo würde er nicht eine ſozialiſtiſche Produftionsmweije einführen, fondern die Güter der großen Grund befiger theilen;“") genau fo, wie es jchon das ländlice Proletariat des alten Hellas erjtrebt hat.

Wenn nun aber felbjt in der modernen Sozialdemokratie eine „Lleinbürgerliche Strömung“ ?) vorhanden ijt, die troß ihres Sozialismus nicht für die Vergejellichaftung der Tandwirthicaft: lihen PBroduftion eintritt, und wenn es ſelbſt nach dem Auge jtändnis von Engels und anderen Vertretern derjelben Richtung noc) keineswegs ficher ift, ob „die moderne Arbeiterflafje willen fein wird, mit den „Eleinbürgerlich ſozialiſtiſchen“ Anfchauungen diejer „Bauernverewiger“ aufzuräumen, warum jollten wir da der Bewegung der attiichen Feldarbeiter wegen ihrer Eleinbürger- lichen Ziele alle fommunijtifche und fozialiftifche Tendenz ab- \prechen ?

Gibt ihr nicht ſchon das Berlangen nach Gleichheit der Lebensbedingungen, die Idee der Gleichwerthigfeit Aller und der duraus geichöpfte Anjprud) auf ein bonheur commun in ge wiljem Sinne eine fommuniftiihe Färbung? Und gleicht nicht auch dieſer attiihe Zufunftsjtaat, in welchem Sedermann eine Heimftätte und das wichtigjte Produftiongmittel für den notb- wendigen Lebensbedarf zu Theil werden fol, einen großen Galı- baus, in dem für jeden ein augreichendes Gedeck bereititeht? Iſt endlich nicht der Weg, der zum Ziele führen jollte: die Über: führung des Grund und Bodens in das gejellichaftliche Eigen:

1) Wie bezeichnend iſt die Zweideutigkeit in dem Progranım der fozialiftiihen Theilbauern und Feldarbeiter de8 modernen Staliens, welches an Stelle des „Eigenthums der Padroni und Reichen” das „aller Arbeiter“ proffamirt! La propriet& lad ih im Frühjahr 1897 auf einem jozia- liftiihen Maneranihlag an dem ehrwürdigen Broletto in Brescia la proprieta dei mezzi di lavoro, la terra etc. deve essere tolta alla piccola classe dei padroni e dei ricchi e divenire proprieta della nuzione e cioe proprietä di tutti i lavoratori.

2) Nach der Äußerung eines fozialdemokratiihen Autor, Calwer (Ein- führung in den Sozialismus VII), der aljo aud in diefer Richtung ein jozialijtiicheg Element anerkennt.

Die Anfänge des Sozialismus in Europa. 445

thum ausgejprochen fozialiftiich, wenn dies auch nur als eins maliger Aft gedacht war, und der Mafje das klare Bewußtjein ichlte, daß man, um die Gleichheit aufrecht zu erhalten, immer wieder von neuem zu einer gejellichaftlichen Regelung der Beſitz⸗ und Einfommensverhältniffc gedrängt worden wäre?

Wenn wir aus eben Ddiefen Gründen ſchon das Programm der jpartaniihen Bodenreformer als ein ſozialiſtiſches bezeichnen mußten, wieviel mehr noch iſt dies der Fall bei dem der attiichen LZandarbeiter! In Sparta jollte das fapitaliftilche Wirthichaftsigftem, ſoweit es fi) um das Berhältnis zwiſchen Kapital und Arbeit handelte, überhaupt nicht angetaftet werden. Die wirthichaftlihe Exiſtenz der herrichenden Klaſſe ſollte nach wie vor auf dem arbeitslojen Renteneintommen beruhen, das fie von der arbeitenden Klaſſe bezog. Nur diejes Renteneinkommen wollten die ſpartaniſchen Reformer gejellichajtlich regulirt willen. In Attila dagegen Handelt es fich gerade recht cigentli um einen Kampf gegen da3 fapitaliftiiche Syſtem als ſolches und gegen den müßigen NRentengenuß, um eine gerechtere Vertheilung des Arbeitsertrages, um Die Begründung eine® auch das arbeitende Volk!) mitumfafjenden Reiches der Freiheit, Gleich. heit und Brüderlichkeit?). Und jollte der Glaube an die Mögs lichfeit einer jo radifalen Ausgleichung der fozialen Gegenjäge nicht allein jchon genügen, um dei attijchen Revolutionär diejer Zeit als Sozialiften zu bezeichnen ?

Wie ernſtlich durch Diele agrarrevolutionäre Bewegung der ganze Beitand der Gejellichaft bedroht war?), zeigt die Über. tragung der Diktatur auf den Dann, der den Beruf in fi fühlte, „Gewalt und Recht verbindend“*) die ſoziale Krifis zu Löjen, jowie die enormen Opfer, welche Solon's Reformwerk,

) Natürlid nur mit Beſchränkung auf die Staatdangehörigen, aljo unter Ausſchluß von Beifafien und Sklaven.

2) Das überfieht Plutarch, wenn er (Solon c. 16) die attifche Forderung des yis aradacuos mit der „Iyfurgiihen“ Landaujtheilung vergleidt.

®), Das beweilt auch die Äußerung Solon’8: 500: ds usizovs xai Bior ausivoves aivroiev av ue xai Yikov noswiaro. Ariitoteles, AObnV. od. 12,5.

9) öuov Binv Te xai Öl ovrapuoaas. Fr. 86.

446 R. Pöhlmann,

die ſog. „Abwälzung der Laſten“, der bejigenden Klaſſe au’ erlegte: die Aufhebung aller LXeibeigenjchaft, ver Rüdkauf der in die Fremde verfauften Schuldner aus öffentlichen Mitteln, die radifale Kaſſirung aller Hypothefariichen und auf Verpfändung der Perſon beruhenden Scyulden?); eine Reform, die nach ber Anficht des Arijtoteles vielfach geradezu die Verarmung der Gläubiger zur Folge hatte?), und die man nicht mit Unredt in gewilfen Sinne eine Neuvertheilung des Eigenthums ge nannt hat?).

Und damit ift nicht einmal alles erfchöpft, was Solon für die unteren Klaſſen gethan hat! Wir willen z. B., daß fein Gejeßgebung ſich auch mit der Lage der armen XTheilbauern beichäftigte*); und es kann nicht zweifelhaft fein, daß ihnen die ſoloniſche Sozialreform mancherlei befondere Erleichterungen ge bracht hat’). Von welcher Tragweite ift endlich das principielle Zugeltändnis, welches der Geſetzgeber der antifapitalijtiichen Zeitſtrömung machte: die Aufſtellung eines Marimums für den Erwerb von Grund und Boden !*®)

) Alſo eine weit radifalere Maßregel, als die kurz vorher in Megara duichgefegte, mo die Släubiger nur die von den Sculönern empfangenen Binjen wieder zurüdzahlen mußten. (madırroxia) Plutarch, Moral. p. 2% c.

2) Adnv. ol. 18, 8.

») Siehe 1, 422 der G. d. a. K. u. ©.

9 Bgl. Pollux 7, 151.

5, Auch F. Cauer, a. a. O. ©. 69, und Buſolt, Griech. Geſch. 22, 22 halten dies für wahrſcheinlich.

e) Ariſtoteles, Bol. 2,4,4. 1266b: duorı ur ovv ν Öirauw. sis ınv nokırımv xowoviav 7) rijs ovolas önalorns al tar nalaı tivi; galvoyras Öıeysumures olov al Zohow bvouodernosev‘ xal nap' akloıs doti vouos, 05 xwArzsı xraodas yiv Donv av Bovimai rıs. Es iſt bezeidı: nend für die Geſchichtsauffaſſung des atomiftiihen und einjeitig fapitaliftifchen Liberalismus, daß Grote (2, 106 D. U.) ſich nicht entichließen konnte, zu. zugeitehen, daß dieſe Stelle den fonjt allgemein angenommenen Sinn bat, obwohl er ſelbſt eine andere Deutung nicht geben fann. Sein Wunder, daß Grote vollends die Forderung des yis aradaouos al® „ganz und gar uns glaublich“ erklärt, für die ihm allerdingd nur Plutarch (c. 16) al8 Zeuge zu Gebote jtand, während wir jept Dank der An». moi. die von Grote vermißte Betätigung aus Solon’d eigenem Munde befigen. Hier tritt uns der

448 R. Vöhlmenn,

über die Maßregel an fich und ihren Erfolg noch jo verichiedener Meinung ſein!).

Nichts könnte auf die Mächtigkeit und Gefährlichkeit der damaligen ſozialrevolutionären Bewegung ein helleres Lit werfen, al3 die Energie, mit der bier die Staatögewalt im Intereffe des jozialen Friedens an das Vertheilungsproblem berantrat und den Kampf gegen das Joch eines ftaat3feindlichen Kapitalismus ihrerjeits aufnahm. Zugleich ift es ein Beweis für die Ausdehnung jener Bewegung, daß man fich nicht blop in Attifa, jondern, wie unjer Gewährsmann hinzufügt?), aud in anderen Staaten zu ähnlichen ftaatsfozialiftiihen Maßregeln gedrängt ſah und die VBermögensanhäufung ebenfalls durd gejegliche Verbote zu bejchränfen juchte?).

Wie bedeutſam iſt e8 endlich, daß ſelbſt dieje tiefeingreifenden Reformen der jozialen Gährung nicht völlig Herr zu werden vermochten. Wenn troß der folonischen Laftenabjchüttlung ein Theil der attifchen Bevölferung in proletarıfche Zuftände ver Junfen blieb‘) und nur noch von dem gewaltjamen Umſturz,

1) In diefer Frage empfinden wir die unglaublihe Dürftigkeit der Überlieferung bejonder8 ſchmerzlich. Wir wifjen weder, welches die zulälfige Größe des Grundeigentfumsd war, noch aud, wie das Marimum gegenüber den bejtehenden Eigenthumsverhältniſſen zur Geltung gebracht wurde, ob 3. B. alles, was der Einzelne mehr beſaß, expropriirt wurde oder verkauft werden mußte, und was dal. Fragen mehr find.

3) Siche Ariftoteled, a. a. O.

3) Für die Idee, die diefen Beichränfungen zu Grunde lag, iit auch Die Äußerung harakteriftifch, welche Thales in den Mund gelegt wird, daß die Demokratie die befte jei, welche weder zu reiche, nod) zu arme Bürger habe.

+) Dies mag nur Scylußfolgerung des Ariſtoteles und nicht direlt überliefert fein. Aber es entipricht jedenfall der geſchichtlichen Wahrheit mehr, als die Anjiht E. Meyer's (Gefch. d. Alterth. 2, 663), daß Solon „die foziale Noth definitiv gehoben“ habe. Eine Anſicht, mit der übrigens dad, was Meyer über die Sozialpolitit des Piſiſtratos (S. 773) bemertt, feines wegs übereinftimmt. Nah Ariftoteles AInv. od. 13, 5 ſchließen fid) on Piſiſtratos an 08 Te agrorueros Ta yoca dıa Tı,v anopiav. Vgl. dazu Solon's eigene Uußerungen über die Unzufriedenheit der Raditalen mit feinem Neformwert und ihre Neigung zum gewaltfamen Unijturz. Ehbenda c. 12 Befonderd unter der armen Bergbevölterung der Dialrie, auf die fid

450 R. Föhlmann,

die neue Monardyie kaum denfen. Mit ihrer auf die Befriedigung der großen Mehrheit des Volkes berechneten Politif hätte es jid jchleht vertragen, wenn jie ſich zum Urgan einjeitig Eleinbäuer- liher und proletarischer Ideale gemacht hätte. Und noch weniger wäre ein folcher bäuerlicher Radikalismus vereinbar geweſen mit den materiellen und ideellen Sulturbeitrebungen der Tyrannis, mit ihrer umjaljenden Fürſorge für die induftrielle und fommer: zielle Entwidlung, mit ihrer großartigen Pflege der Sunit, beionders der Baufunft, alles Dinge, für welche in dem Zufunfte: jtaat der ertrem agrarischen Volfepartei ſchwerlich ein Platz mar. Aber die Tyrannis hatte doch vielfach die Mittel, wenigitend einen Theil des radifalen Programms zu verwirklichen. Man mag die Fähigkeit des Staates zur Leitung der im jozialen Leben wirkſamen Kräfte noch jo niedrig veranjchlagen, jo vie iteht feit, daß die Macht des Staated gerade auf agrariſchem Gebiete eine große ift. Und dieſe Macht war ja eben damals durch das Emporfommen der neuen Monarchie weientlich gejteigert. Bon ihren Gegnern den Vertretern des ariitofratijchen Grund— bejige8 waren die einen im Kampfe gefallen, andere hatten fi) aus dem Lande geflüchtet oder waren in's Exil getrieben worden. Umfangreiche, der Konfisfation verjallene Ländereien Itanden der Staatsgewalt zur Verfügung. Sie hatte die Mög: lichkeit, zahlreiche Theilpächter zu freien Eigenthümern zu madyen oder durch Aujtheilung großer Güter neue Bauernſtellen zu ihaffen. Es iſt undenkbar, daß die Tyrannis, die doc jonit als eine eifrige Förderin des Bauernſtandes befannt ift, dieie Möglichkeit nicht ausgenügt haben follte, dem Lande den jozialen Frieden zu geben!), zumal eine joldhe Anderung in der Güter vertheilung zugleich die Grundlagen der gejelfchaftlichen Macht 1) Auch F. Cauer, a. a. O. S.95, und Bufolt, Griech. eich. 2, 32 find diefer Anſicht. E. Meyer, Geſch. d. Alterth. 2, 773 nimmt als jicer wenigiten® an, daß Piſiſtratos der ärmeren Bevölkerung bradjliegende Grund ftüde überwies und ihnen die nöthigen Gelder für die erite Einrichtung gab. Fa Hinjichtlid) Korinths hält auch er es für wahrjcheinlich, daß der Tyrann Kypſelos die Güter der Bacdjiaden zu Landanweiſungen für die ärmele Bevölkerung und die aus der Hörigkeit befreite Bauernſchaft benützt habe.

Decimns Clodins Albiuus. Bon Otto Hirſchfeſd.

Der Mann, dem dieje Unterſuchung gewidmet ijt, fann als biftoriiche Perfönlichkeit nur eine geringe Bedeutung in Anſpruch nehmen. D. Clodius Albinus ift einer von den im 3. Jahr hundert zahlreichen Generalen, die, von ihren Xruppen ala Kaiſer proflamirt, nur in einem verhältnismäßig Eleinen Theile bes römiſchen Neiches anerfannt und durch die überfegene Macht des vom Senat beftätigten Herrſchers binnen furzem befiegt und beieitigt worden find. Xrogdem jcheint mir dieſe Epijode der MWeltgeichichte einer erneuten Betrachtung nicht unmerth, da fie das Vorſpiel zu den gleichfalls auf dem Boden Galliens fid abjpielenden Prätendentenfämpfen bildet und auch in den neueften Darftellungen jener Zeit eine weder einwandsfreie, nod er ſchöpfende Darftellung erfahren Hat.

Die Lage des römiichen Weltreiches bot nad) dem Tode des Commodus fast dasselbe Bild, als nach dem über ein Jahr hundert früher erfolgten Sturze Nero’. Die Vergebung de Thrones, der durch das Aussterben einer durch Generationen künſtlich fortgepflanzten Dynaſtie erledigt war, ftand nicht bei dem machtlofen Senat, jondern bei den Soldaten: wie in dei Sahren 68 und 69 die Truppen in Spanien im Verein mit dem gallifchen Landfturm, dann die Prätorianer in Rom, darauf bie ‘germanischen und ſchließlich die orientalifchen Legionen ihren

O. Hirſchfeld, Decimus Clodius Albinus. 458

tandidaten die Krone auf das Haupt gedrüdt haben, jo haben ah der Ermordung des Commodus, nur in etwas anderer solge und Gruppirung, zuerjt die Prätorianer, dann gleichzeitig as illyrifchegermanische, das britanniiche und das fyrifche Heer re Generale auf den Schild erhoben. Nur infofern Hatten fich ie Anichauungen geändert, als die italifche Abkunft nicht mehr othwendig erjchien, um die Herrichaft über Rom und die Welt u erlangen: nachdem Spanien bereit® zwei Kaifer und gerade ie bedeutenditen hervorgebracht hatte, konnte auch das faſt nicht iinder romanifirte Afrika den gleichen Anspruch erheben. So— ‚ohl Septimius Severus als Clodius Albinus waren Afrikaner, yährend Pescennius Niger einer bejcheidenen italifchen Familie er Seburtsftadt Juvenal's, Aquinum, entſtammte. Daß die Biege des Severus in dem afrifaniichen Leptis gejtanden hat, t fiher; an der allerding® nur durch die Biographie des ({binus, die unter dem Namen des Julius Capitolinus gebt, erbürgten Nachricht, Albinus jei in Hadrumetum geboren, hat ıan Dagegen neuerdings Zweifel erhoben. Es iſt eingewandt yorden, daß Div dann nicht unterlaffen haben würde, die Lands⸗ annichaft de Severus und Albinus zu betonen, jerner, daß erodian die vornehme fenatorische Abkunft des Albinus im jegenjag zu Der niederen des Severus wiederholt hervorhebe nd jchließlih, daß die in die Biographie des Niger eingelegten yelphiichen Orakelſprüche Severus, und zwar ausdrücklich im jegenfag zu den beiden anderen Mitlaifern, als Afer und vena urbe profectus bezeichnen)). Die Berechtigung dieſer inwände würde man, jo gering auch die Autorität Herodian’s nd noch mehr der ſpät und jchlecht erfundenen Orakelſprüche t, zugeben müſſen, wenn ung Dio im Original und nit nur ı dem furzen Auszuge des Ziphilinus erhalten und wenn für ie afrikanische Herkunft des Albinus feine Biographie der einzige euge wäre. Aber einerjeit3 enthält auch die, abgejehen von nigen }päten Zuſätzen, zuverläjjige und faft ganz auf Marius Rarimus zurücdgehende Biographie des Severus die m. WE.

ı) Deiiau im Hermes 24, 353 fi.

454 <. Htrichfeld,

unverdächtige!) Angabe, daß Clodius Celſinus, ein Verwandter des Albinus, aus Hadrumetum war, andrerjeit3 fällt ent icheidend in’ Gewicht eine von Albinus al® Cäſar geprägte Goldmünze und ein Medaillon mit der Aufſchrift Saeculo frugifero und der Darftellung eines zwijchen zwei Sphinxen auf einem Throne figenden bärtigen Gottes in orientaliſcher Kleidung, mit der Tiara auf dem Haupte, die Rechte erhoben, in der linfen zwei Ühren baltend. Denn diejelbe Gottheit findet fich, wie Froehner erfannt hat, in gleicher Haltung und mit denjelben Attributen auf einer Bronzemünze von Hadrumetum, eine Dar: jtellung, die TSroehner gewiß mit Recht für den in Afrika nad Ausweis der Inſchriften als deus frugum und deus sanctus frugifer verehrten Saturnus erklärt, der natürlich in der ihres Getreidereihthums wegen mit dem Beinamen frugifera belegten Kolonie Hadrumetum bejondere Verchrung genoß?).

Wenn demnad) diefe Angabe der Biographie des Albinue ji) ausnahmsmeife als aus guter Quelle gefloffen ermweiit, ſo wird man die in derjelben befindliche Nachricht (c. 4): originen trazd a Bomanıs familis Postumiorum et Albinorum el Ceioniorum mit umjo größerem Mißtrauen anjehen, obſchon der Biograph fogar als Namen des Vaters des Albinus: Ceionius Poſtumus (ald Mutter nennt er Aurelia Mefjalina, war vielleicht auf guter Überlieferung beruhen mag) und einen nicht minder als diejen unbefannten Ceionius Poftumianus als Ver wandten desfelben bezeichnet. Schon die verblüffende Unfenntni des Verfaſſers betreffs des Unterſchiedes zwiſchen Cognomina

ı) Anders urtheilt Mommſen im Hermes 25, 275; übrigens find Senatoren dieſes Namens auch ſchon in vordiocletianifcher Zeit bezeugt, vol. Prosopographia imperii Romani 1, 415.

») Froehner, Les medaillons de l’empire Romain (Paris 1878) S. 150 ff., dem v. Sallet in der Zeitichrift für Numismatit 10 (1883), 167 beiftimmt; die Münze von Hadrumetum iſt abgebildet bei Müller, Numi- matique de l’ancienne Afrique 2, 52 n. 29. Bereits XLenormant, Bevw numismatique 1842 ©. W fi. hatte die Münze des Albinug auf den phöni: fiihen Baal bezogen, aber nicht die Darjtellung auf der Münze von Hadru⸗ metum herangezogen.

456 O. Hirfchield,

Anichein nach das Kompliment nit an den Konjul und Stadt präjeften im Jahre 335 Leionius Rufius Albinus, fondern an den Präfeften von Rom in den Jahren 365 und 373 ©. Ceio nius Rufius Albinus Bolufianus, und die Anknüpfung de Albinus an die Familie der Ceionii Albini wird daher erft der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts ihre Entſtehung verdanten'). Mag aljo Albinus auch, wie Dio verfichert, einer vornehmeren Familie als fein Nebenbuhler Severus angehört haben, }o ver dient Doch weder dieje Angabe, noch die wohl nur aus dem Cognomen de3 Vaters, Poftumus, herausgejponnene angebliche Verwandtichaft mit den Poftumit irgend welchen Glauben, da auch jie ſich allein auf das Zeugnis jeiner Biographie jtükt. Dieje ift aber, obichon fie von Tillemont bi8 auf Ranke als glaubwürdige Duelle Verwertung gefunden hat, faſt durchweg, wie jegt alle Kundigen willen, aus Zügen zufammengeitoppelt, die zum größten Theile wohl auf den elendejten aller Kaiſer biographen, auf Junius oder Aelius Cordus?) zurüdgehen. Denn Marius Marimus, aus dem die beiten der älteren Biographien, insbefondere auch der größte Theil der Severus- Biographie gefchöpft ift, Hat e8 verjchmäht, den Prätendenten eigene Dar: jtellungen zu widmen, jondern, wie den Avidius Caſſius in der Biographie des Marcus, jo Albinus und Niger in der des Severus abgehandelt?). Aus diejer find dann die Angaben über die beiden Prätendenten in jo lüderlicher Weiſe ausgezogen worden, daß Nachrichten, die ſich auf einen derjelben bezogen, entweder auf Beide übertragen oder der faljchen Perjon zugetheilt

ı) Gar fein Gewicht befitt natürlich der gefälihte Brief des Marcus (vita Albini 10, 6): Albino er familia Ceioniorum, Afro homina, aber ebenjowenig der nicht minder gefälfchte de Ceverus (vita Albini 12,7): fingentem, quod de Ceioniorum stemmate sanguinem duceret.

Als Quelle wird Cordus in der Biographie ded Albinus an drei Stellen citirt (5, 10: quae qui volet nosse, Helium Cordum legat, qui frivola super huiusmodi ominibus cuncta persequitur; 7, 2; 11, 2). An der Eriftenz diejes Schriftiteller® zu zweifeln, wie Mommfen im Hermes 25, 2711. tyut, liegt m. E. fein Grund vor.

°®) Vita Firmi 1,1: Marius Maximus Avidium Marci temporibus, Albinum et Nigrum Severi nun suis proprüs, sed alienis libris innezuil.

Decimus Clodius Albinus. 457

worden find!), Denn wie foll man e8 anders erflären, daß ein Pescennius Princus (wohl Primus oder Priscus zu leſen) als Sohn des Clodius Albinus genannt wird, und ebendahin gehört die Doppelbeziehung der dem Severus nur betreffs des Albinus ertheilten Vorausſagung der pannonilchen Beichendeuter: se victorem fulurum, adversarium vero nec in potestatem ventu- rum neque evasurum, sed iuxta aquam esse periturum?). Ja auch die Angabe, daß das Haupt des Albinus nah Rom gejandt worden fei, ift irrig von dem Biographen des Niger auf dieſen übertragen worden, während es nad) Dio's Zeugnis von Severus vor Byzanz, um die Belagerten von längerem Widerjtand ab- zuichreden, aufgepfählt worden ift?).

Über die Verjönlichfeit des Albinus lauten die Urtheile im ganzen ungünjtig. Sein Gegner Severus hat in jeiner Auto— biographie natürlich ein nichts weniger als jchmeichelhaftes Bild von ihm entworfen und ihm alle erdenklichen Charafterfehler an geheftett); Cordus, der zwar die ihm von Severus vorgeworfene

1) Die Biographien des Niger und Albinus werden zwar in der Hand⸗ ſchrift die erjtere dem Spartianus, die zweite dem Capitolinus beigelegt, find aber in der Made fo ähnlich, daß fie wohl demfelben Verfaſſer zuzujchreiben find. Darauf weiſen aud die Worte in der vita Nigri 9, 3 hin: sequitur nunc, ut de Clodiv Albino dicam, qui quasi socius huius habetur.... de quo ipso neque satis clara extant, qua eadem fortuna illius ſuit quae Pescennü und vita Albini 1, 4: sortem sllam, qua Severum laudatum in Pescennü vita dirimus (vgl. vita Nigri 8,1). Jedoch iſt in beiden der Schluß anfcheinend aus den Biographieen eined anderen Verfſaſſers angeflidt.

2) Marius Marimus hatte die Prophezeiung nur auf Albinus bezogen, vgl. vita Albini 9,2: ut dicit Marius Maximus und unzweifelhaft aus ihm fchöpfte diejelbe der Verfafler der Biographie des Severus 10, 7, wo fie ausdrüdlih den von Severus auf dem Mari gegen Albinus bejragten pannoniihen Auguren zugeichrieben wird; dem entſpricht der Bericht über feinen Tod: vita Severi 11,6; vita Albini 9,3. Fälſchlich wird fie auf Niger bezogen in feiner Biographie 9, 5 (vgl. 5,8: apud Cyzicum circa paludem fugiens sauciatus et sic ad Serverum adductus atque statım mortuus); das Richtige über den Tod des Niger berichten Dio 74,8 und Hervdian 3, 4, 6 (daraus wohl Ammianus 26, 8, 15).

”) Dio 74,8; vita Albini 6, 1.

) Vita Albini c. 10: Severus...eum dicıt turpem, malitiosum, improbum, inhonestum, lururiosum; sed huec belli tempore vel post bellum, quando ei sam velut de hoste credi non poterat.

458 I. Hirſchfeld,

Trunkſucht in Abrede jtellt, führt dagegen draſtiſche Beiſpiele feiner Völlerei an ). SHerodian ftellt jeinem Charafter ein günftige® Leumundszeugnis aus?); ſtrenge militäriiche Haltung, die freilich zur Grauſamkeit ausgeartet fei, fchreibt ihm jein Bio graph zu, der gleichfalls jeine Unmäpßigfeit im Efjen und ge ſchlechtlicher Ausſchweifung ihm vorhält?); jeine Wünzbilder zeigen, befonder8 im Vergleich mit den ausdrudsvollen und ftrengen Severus: Typen, einen jchlaffen und gutmütigen Gefichtsaus drud*). Gefäljcht find die in die Biographie eingelegten Briefe de Kaijerd Marcus, die Albinus als vorzüglichen Offizier preijen?), ihm einen hervorragenden Antheil an der Unterdrädung des Auf itandes des Avidius Caſſius zufchrieben und als Belohnung das Conjulat durch den Kaiſer in Ausjicht ftellen laffen ). Hat Albinus in der That, wie auch fein Biograph behauptet, zu jener Zeit (im Jahre 175) in Bithynien geftanden?), jo fann er ſchwerlich mehr als Militärtribun geweſen jein, da er erft unter Commodus die Prätur bekleidet Hat?) und nad) dem unver

ı) Vita Albini c. 11; jedody wird hinzugefügt: (Cordus) rin sam parcum fuisse dicit; quod Severus neyat, qui eum udserit ebrium etium ın bellu fuisse.

2) Herodian 83, 5,2: yonatov zo nos elvas Aeyousror.

5) Vita Albini c. 11.

*) Ch der dem Clodius Albinud zugejchriebene Kopf im Vatikan (Ber noulli 2, 3 Taf. 8) ihm zugehöre, hält Bernoulli mit Recht für zweijeldeft, wenn aud daß frauje Haar ber Beichreibung feines Bivgraphen (c. 13: fur statura procerus, cupillo renodi et crispo, fronte luta, candore mirabili entfprede. Die fonftigen auf Albinus bezogenen Bildwerfe gehören ihm jiher nicht an, vgl. Bernoulli 2,3, ©. 19 ff.

5) Auch der Biograph des Albinus c. 13 nennt ihn armorum sciens prorsus, jreilih mit dem wunderlichen Bufag: ut non male sui tempori Cutilina diceretur, wozu man vgl. vita Avidii Cassii 30, 4: nec defuerunl qui Ulum Catilinam vocarent.

8, Vita Albini c. 10.

7) Vita Albini 6,2.

s Vita Albini 6, 7: dein praeturam egit sub Commodo famosisa- mam; nam eiusdem ludis Commodus et ın foro et in theatro pugna echibussse perhibetur. Die chronologiſche Anjepung der Prätur wird richtig jein, da ſie mit der jpäteren Karriere des ſchwerlich vor 150 n. Chr. geborenen Albinus übereinftimnt; die Angaben der Biographie über feine frühere Lauf-

460 O. Hirſchfeld,

Sproß ſeines zur Kaiſerwürde gelangten Großvaters und Vaters in dieſe Stellung berufen wurde. Von einer Adoption des Albinus wird zwar nichts berichtet; doch hat bereits Tillemont aus den von ihm auf Münzen und Inſchriften geführten Namen Septimius geſchloſſen, daß eine ſolche ſtattgefunden habe. Der von Edel!) dagegen erhobene Einwand, daß, wenn Albinus jenen Namen als Udoptivjohn des Severus erhalten hätte, er ihn ſicher⸗ lih nad) dem offenen Bruch mit demjelben abgelegt haben würde, ift m. E. nicht enticheidend, da Albinus wohl jeine Gründe haben fonnte, den Namen, der ihm als Cäfar verliehen war und in dem fich gewiſſermaßen die ihm auf die Thronfolge gewordene Zujage ausdrüdte, auch ald Augustus beizubehalten. Übrigens verdient hervorgehoben zu werden, daß der Name Septimius nicht nur auf einigen von ihm ala Cäſar gejchlagenen Münzen fehlt?), fondern auch auf folchen, die er als Auguſtus nad) dem Bruche mit Severus geprägt hat?), was auf die Ab werfung des ihm verhaßt geiwordenen Namens kurz vor der Kate: jtrophe gedeutet werden fünnte. Jedenfalls wäre es doc ein gar zu eigenthümlicher Zufall, wenn einerjeit3 Albinus den Ge ſchlechtsnamen des Severug als ererbten geführt haben und andrer: ſeits den Schriftftellern, die ihn nie mit demjelben nennen, von diejem Zuſammentreffen nichts befannt geworden jein follte. Die Cäjar-Würde, die der Kaiſer verleiht und dem Senat, wie e3 jcheint, nur zur Anzeige bringt‘), hat mit der Ernennung des 2. Nelius durch Hadrianus ihre feite Regelung für die |pätere Kailerzeit erhalten und auch die Stellung der Cäſaren im der

1) Ebel, Doctr. numm. 7,166; aud) Klebs, a. a. DO. Hat jich bieler Anſicht angeſchloſſen.

2) Cohen, Med. impér. Bd. 3, Albinus n. 56—59, doch findet ſich der Name Septimius bereits auf einer vor ſeinem zweiten Konſulat geſchlagenen Münze (Cohen n. 55).

3) Cohen, a.a. O. n. 13. 40. 46. 51; auch auf dem ©. 465 Anm. 2 erwähnten Goldftüd fehlt der Name Septimius.

*% Herodian 2, 15, 5: 6 Seßüigos xai no0s nv aryaintov Ta avta avsveyswr ws av uahhor arTov Es Niortw inayayoıro. Der Berleiher der Würde iſt aber Severus: Tio 73, 15; Herodian %, 15,3; vgl. Mommſen, Staat3redht 2, 1140 Anm. 6.

Decimus Clodius Albinus. 461

Diocletianiſchen und der ſpäteren Zeit iſt nur eine Fortbildung derjelben!),. Sit auch, wie Mommſen ausgeführt hat“), mit dem Namen Cäſar feine magiftratische Befugniß verfnüpft und der Cäjar als jolder nur der dejignirte Nachfolger, nicht der Mit- regent, jo bat doch 2. Aelius die Statthalterfchaft in Pannonien als Cäſar mit außerordentlicher Gewalt geführt und ſowohl die tribunicifche ald® auch eine, allerdings dem Kaiſer fubordinirte profonjularifche Gewalt erhalten’). In ähnlicher Weiſe iſt allem Anjıheine nad) das Commando des Albinus in Britannien ge italtet und, wie ih aus der Partheinahme der Provinzen bei feinem Abfall von Severus fchliegen möchte, ihm ein Oberauf- jihtzrecht über Gallien und Spanien gegeben worden, während die Illyriſch-Pannoniſchen und die Germanifchen Truppen ohne Zweifel jeinem Commando nicht unterftelt worden find. Die tribunicijhe Gewalt dagegen hat Albinus ficherlich nicht erhalten; denn während dieje dem L. Aelius auf den Münzen ſtets beige« legt wird, erfcheint fie auf den Münzen, die Albinus als Cäſar, wie auch als Augustus geprägt hat, niemals, mit einziger Aus— nahme einiger ficher gejälichten Münzen*), von denen eine im Britiſh Mufeum befindliche (Cohen n. 19) den Revers Fellici- tatı P(opuli) R(omani) p(ontifer) m(aximus) tr(ibunicia) p(otestate) co(n)s(ul) III zeigt. Da aber Albinus fogar als Auguftus nicht den Titel pontifex mazimus geführt, auch nie mals ein drittes Konſulat befleidet hat, jo würde man Diele Münze dem Albinus abiprechen müffen, auch wenn man nicht, wie es hier der Fall ift, nachweiſen fönnte, daß dieſer Revers einer Hadrians-Münze (Cohen Bd. 2: Hadrien n. 600) ent⸗ nommen und fäljchlich auf Albinus übertragen worden ift.

ALS die dem Albinus mit der Cäjar-Würde verliehenen Rechte nennt Herodian (2, 15, 5) das Recht der Münzprägung und der Statuenjegung, ſowie die ‚jonftigen Ehren. Was unter den

1) Mommien, Staatdredht 2, 1139 Anm. 2.

») Mommijen, Staatöredht 2, 1141.

3) Mommfen, Staatsreht 2, 11653 Anm. 1 und 11569 Anm. 1.

% Zwei jührt Edel 7, 164 mit Zweifel an ihrer Echtheit unter ben nummi Albini insolentiores an.

462 O. Hirſchfeld,

letzteren zu verſtehen iſt, willen wir nicht; wahrſcheinlich be ziehen ſie ſich u. a.?) auf die Cäſaren-Tracht, obſchon auf die Angabe des Biographen (c. 2), daß Commodus ihm bei An- tragung der Cäſar-Würde das Recht, ein Scharlachgewand (cocci- num pallium) zu tragen verliehen und das Purpurgemwand, aber ohne Soldftiderei, in Ausficht geftellt Habe, felbjtverftändlich nicht das Geringſte zu geben iſt und dieje Stelle höchitens als Zeugnis für die Cäſaren-Tracht des 4. Jahrhunderts verwerthet werden fann ?).

Errihtung von Statuen iſt allgemein nidyt nur für die Cäſaren, fondern auch für die übrigen Mitglieder des Sailer: hauſes geitattet worden’); auch Widmungen und Opfer werden für den Kaiſer gemeinfam mit dem Cäjar vollzogen, von denen noch” vier Injchriften aus Oftia, Lugdunun und Afrika Zeugnis ablegen, auf denen überall der Name des Albinus getilgt worden ift‘). Das Bedeutungsvollite aber unter den Ehrenrechten der Cäſaren ift das Münzrecht, von dem Albinus, gleichwie auch 2. Aelius, einen fehr ausgedehnten Gebrauch; gemacht Hat: von jeinen zahl reichen Münzen gehört der weitaus größere Theil jeiner Cäſarenzeit an. Daß dieje, wie angenommen worden ift, in Britannien geprägt worden jeien, halte ich für ausgejchlofjen, da von einer Britan nifhen Münzftätte in jener Zeit nichts befannt ift. Zweifelhaft

iy Auch an die Belleidung des Koniulat8 an dem auf die Adoption folgenden 1. Januar al® Kollege des Kaiſers (ebenfo erhielt 2. Aelius nad feiner Adoption am 1. Januar 137 da8 SKonfulat, aber nicht mit Hadrian, vgl Mommſen, Staatercht 2, 1142) fann erinnert werden. Bon der Kooptation zu den hoben Priefterämtern, die meiſt den Thronfolgern zu Theil geworden ift, hat man ſowohl bei X. Aelius, als bei Albinus Abftand genommen, vgl. Borgheſi, Oeurres 3, 432.

2) Mommien, Staatsrecht 2, 1142 Anm. 1.

3) Mommijen, Staatsrecht 1, 452 und 2, 829.

%) Boilfieu, Inser. de Lyon €. 23 (a. 194); C.J.L. XIV n. 6; C. J. L. VIII n. 1549 und n. 17726 (unmittelbar nad) Niger’3 Beſiegung gejegt). Inſchriften von Albinus als Kaifer gibt es nicht, mit Ausnahme der angeblid, in Albigny gefundenen faljhen Inſchrift Orelli n. 900 = Boiſſieu S. 4, die fid in Paris in der Bibliothdque Nationale befindet; fie ijt, wie allgemein anerkannt wird und ich nad) Autopfie beftätigen fann, eine ganz ungeſchickte Fälſchung des 16. oder 17. Jahrhunderte.

464 O. Hirichield,

Fälſchung oder fäljchliche Übertragung der dieje Auffchrift tragen: den Münzen des Caligula und Claudius. Im Übrigen kehren die von Albinus verwandten Münztypen zum größten Theil auf den Münzen des Severus wieder; auc von ihm, wie von Severus, und zwar zuerft von diejen Kaifern, wird die Fides legionum!) auf den Münzen gefeiert, wofür bei Niger ſich die Auffchrift Fidei erercitus findet. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß in der ganzen Juliſch-Claudiſchen Dynaſtie die Treue (fides) oder Eintracht (concordia) des Heeres überhaupt noch feine Vers berrlihung gefunden hat, dagegen jofort nach dem BZujammen bruch derjelben mit Galba und Bitellius die Fides militum und praetorianorum, die befanntlich fich nichts weniger als zuver läffig erwies, auf den Münzen erfcheint. Die folgenden künftigen Kaiſer haben diejer Aufichrift fich nicht bedient, fondern die Fides publica an die Stelle der Heerestreue gejeßt?); erſt unter Marcus, und zwar gerade in der Bedrängnis des Mlarcomaner Krieges wird die Auffchrift: Fides exercituum auf den vom Senat geprägten‘ Broncemünzen häufig, zu der dann unter Com modus noch jpeciell die Fides cohortium auf den faijerlichen Silbermünzen, fchließlich unter Gallienus und Poſtumus aud g'était empresse de faire frapper une medaille d’argent au nom du nourel Auguste, wozu er freilich felbft bemerkt: ‘le senat ne pourait frapper que de la monndie de cuivre‘.

1) Herr Diffjard fchreibt mir: “on «a troure, au portes de Lyon, plusieurs kilogrammes de deniers a [leur de coin au rerers FIDES LEGION - COS : IT.

2) Im Anfang der Regierung Veſpaſian's findet fi) noch die Fides erereituum auf den vom Senat geprägten Aupfermünzen (Cohen, Bd.! Vespas. n. 159—161, a. 71); die mit der gleichen Auffchrift verjehene Münze Domitian’® (Cohen, Bd. 1 Domit. n. 117) ijt wohl eine Fälſchung Baillantd. Unter Zrajan ijt zwar eine große Broncemünze mit diefer Aufſchrift geprägt worden (Cohen Ad 2 Trajan. n. 147), doch ift diefe ein Unicum und gemiß aus bejonderem Anlaß, vielleicht bei Beendigung des Dakerkrieges geſchlagen. Die Concordia ecercituum erjcheint feit Veſpaſian, außer unter Trajan, regelmäßig auf den Münzen, Concordia militum feit Commodus, Concordia legionum feit Balerianus, Concordia equitum unter Gallienus und feinen Gegenfaifern; dagegen die Aufſchrift Concordia praetorianorum bereits, aber auch auzjdlieglid, unter Galba und Bitelliuß.

Decimus Clodius Albinus. 465

die Fides equitum ſich geſellt: ein deutliches Symbol des angſt⸗ vollen Werbens um die wankende Treue des Heeres in dem zer« fallenden Römerreid).

Eigenthümlich ijt den Münzen des Albinus, abgejehen von der Minerva Pacifera im Gegenſatz zu dem Mars Pacifer der Severu&Münzen?), die |päter von Geta aufgenommen ijt, die Aufichrift und Darftelung de8 Genius Lugduni auf feinen in Lyon als Auguſtus geprägten Goldmünzen und Denaren?), die unter jämmtlichen römijchen Staifermünzen feine Analogie findet?) und höchſtens etwa mit dem Genius Ilyriei auf den Münzen des Decius und Aurelianus zujammengeftellt werden fann. Offenbar bat Albinus den Genius Lugduni gegen» übergejtellt dem Genius populi Romani, der feit Beipafian auf den Kaifermünzen erjcheint, und damit Lugdunum als die Hauptitadt jeines Reiches verherrlichen wollen. Daß er in der That daran gedacht habe, ein Galliſches Reich zu gründen, wie es jpäter die Gallier Poſtumus und Tetricus verwirklicht haben, ijt freilich bei diefem aus Afrifa ſtammenden und dem römischen Senat ergebenen Staijer nicht anzunehmen; aber da zunächſt jeine Hoffnung ausſchließlich auf den Nordweiten des Reiches gejtellt war, hat er es für angezeigt gehalten, nicht mehr, wie als Cäſar, die in den Händen Sever’3 befindlife Roma aeterna auf feine Münzen zu jeßen, fondern die Galliiche Metropole. Der Genius von Lugdunum unterjcheidet ſich nicht wejentlich von der bergebrachten Darjtellung des Genius populi Romani:

1) Dagegen bat Albinus den Mars Ultor, wohl nad) feinem eriten Eieg über die Severianer, auf eine feiner Münzen gelegt (Cohen n. 46), der bei Severus fidy nicht findet.

») Soben 3, 419 n. 40 verzeichnet nur die Silbermünze: doch iſt neuer= ding? auch ein aureus mit derfelben Parjtellung und Aufichrift zwijchen Lyon und Trevour gefunden worden; vgl. A. de Barthelemy in dem „Annuaire de la Soc. Frunçg. de numismatique 1883 S. 354 und de Beliort ebenda 1885 ©. 353 n. 21; dies .pradytvolle Boldftücd‘ befindet ſich nad) Mittheilung des Herrn Blandet im Cabinet de medailles in Rarid.

) Auf einer, allerdings nur von Wiczay bezeugten und daher vielleidıt nit richtig gelejenen, feinen Broncemünze des Tetricuß (Cohen, Bd. 6 Tetricus n. 47) erjeint die Aufſchrift Genius L/ug.] wieder.

Hiſtoriſche Beitichrift N. F. Bd. XLIM. 30

466 TI. Hirſchfeld,

er erjcheint als nadter Jüngling, in der Linfen ein Füllhorn, in der Mechten ein Szepter haltend. Erſteres Attribut trägt aud der Genius des römiichen Volkes, es braucht daher nicht auf den Beinamen von Lugdunum: Copia bezogen zu werden; das Szepter ift dagegen nur den älteren Genius-Darftellungen eigen, während derjelbe feit den Flaviern regelmäßig ſtatt deſſen eine Schale hält, aus der er auf einen vor ihm jtehenden Altar libirt!). Ferner unterjcheidet fi) der Genius von Lyon durd die ihm ald Stadtgenius zufommende Mauerfrone und vor allem durch den am Boden mit ausgebreiteten Flügeln figenden Vogel, den Eckhel und Cohen für einen Adler?), dagegen Dijjard?) gewiß mit Recht, mit Rüdficht auf die von Pjeudo-Plutarch aus den xtioeıs des Rhodiers Elitophon berichteten Gründungsjage von Zugdunum, für einen Naben erflärt*), der unzmweideutig auf mehreren in Lyon und an anderen nicht fern Davon gelegenen Erten gefundenen Thonmedaillons erjcheint?), die eine auffallende

1) Froehner, Medaillons Homains €. 36.

2) Nach Angabe des Herrn Dr. Gaebler in Berlin, dem ic, glei wie den Herren Adrien Blandet in Paris und Paul Diffard in Lyon, für freundliche Nachweiſe zu Dank verpflichtet bin, findet ſich der Adler mit dem Genius verbunden erjt feit dem 4. Jahrhundert.

3) Allmer- Tifjard, Musee de Lyon 2, 150 Unm. Sn dem Felſen will de Witte in der gleich anzuführenden Publikation einen lion aceroupi erfennen, den er auf das Wappenthier des M. Antonius bezieht, was fider verjehlt iſt.

4) Der NRabentopf findet fich bereit® auf den vor dem Sahre 727 geprägten Münzen von yon mit der Aufichrift Imp. Divs f. bei Wuret: Chabouillet, Catalogue des monnaies Gauloises de la bibliotheque nationale n. 46604664; mit NRedt nennt Holder, Altcelt. Spradihap Bd. 28. v. Qugudunon diefe Gründungsfegende eine ‚etymologiſche Wappenjage‘.

5) Das erjte ijt in Orange gefunden und von Froehner, Les Ausces de France S.39 ff. Taf. 15, 2 und von de Witte in der Gazette archeulgg. 9 (1884), 257 ff. Taf. 34, 1 mit Kommentar veröffentlicht worden; die Über: einitimmung mit den Albinu&- Münzen bat bereit3 Froehner gebührend hervor: gehoben. Kin zweites identifches, aber veritümmelte® Medaillon ijt in Ste Colombe bei Vienne gefunden und befindet ji in der Sammlung Recamier in Lyon (vgl. de Witte, a. a. C. 5.260 und Allmer, Bull. Epigr. de la Gaule 2, 154 Taf. 15; C. J. L XII n. 5687), Gin drittes, jept wohl verlorened, hat Artaud in feinem in Lyon befindlidien Manuſkript über die

Decimus Clodius Albinus. 467

Ähnlichkeit mit jenen Albinuss Münzen zeigen. Auf ihnen fit der Genius auf einem Felſen, zu feinen Füßen ein Rabe, vor ihm iteht ein älterer unbärtiger, fajt fahlföpfiger, mit einer Toga befleideter Mann, der in der linken Hand eine Rolle, die auf dem Lyoner Exemplar mit einem Henkel verjehen ift, aljo wohl einen codex ansatus!) hält, mit der Rechten bringt er eine Schale mit zwei Ähren (auf dem Lyoner Exemplar anjcheinend Mohnblüten) dem Genius dar; hinter ihm liegt eine (nur in dem von Artaud überlieferten Eremplar vollitändig erhaltene) Hade. Auf einem der Medaillons fteht die mit Sicherheit zu ergänzende Inſchrift: /Genio] amantissimo co[loniae]: haheus propitium Caesare(m)‘ auf zwei anderen jteht über den Figuren feliceiter, auf dem von Artaud beichriebenen die Zeilenanfänge der Inſchrift: OPTI und AVI, die ich im Gegenſatz zu den von früheren Herausgebern vorgeichlagenen Ergänzungen etiva zu opti[fme eveniat] Au/g(usto) n(ostro)] mit der hergebrachten Acclamation feliciter ergänzen möchte.

Wer ift nun unter dem Manne, der dem Genius Rolle und Schale darreicht, zu veritehen? De Witte und Allmer denten mit Nüdfiht auf die Hade an den Gründer der Kolonie Munatius Plancus und erkennen wohl richtig in der Rolle das Gründungsftatut, die lex coloniae. Allerdings hebt de Witte jelbit hervor, daß Blancus bei der Gründung von Lugdunum höchftend 45 Jahre zählte, während hier offenbar ein älterer Mann dargeftellt fei; doch kommt er über dieſes Bedenken mit der Annahme hinweg, daB es ein Porträt aus jeiner jpäteren Beit jein fünne. Aber die Anrufung: habeas propitium Caesarem, die unzmweideutig auf die Staiferzeit hinweiſt, it für Blancus, der Lugdunum im Jahre 43 v. Chr. gegründet hat, undenkbar, und die geäußerte Annahme einer zweiten Gründung oder Verſtärkung der Kolonie nah der Schladt von Actium

antike QTöpferei bejchrieben und abgebildet (daraus de Witte, a. a. ©. S. 260 Taf. 34,2). Das vierte endlih ift im Jahre 1887 in Lyon gefunden und von Allmer-Diffard, Musee de Lyon 2, 172 publicirt. 1) Vgl. über diefe Mommjen im Hermes 2, 117 und Jordan, Röm. Topographie 2, 221 Anm. 58. 30°

468 O. Hirſchfeld,

wird ſchwerlich Anhänger finden. Auch das angeführte Argu- ment, das Denkmal der Zeit vor Hadrian zuzuweiſen, weil der Mann unbärtig dargeſtellt ſei, kann ich nicht gelten laſſen, da e3 ſich hier um ein Porträt handelt und es unbärtige Männer wie zu allen Beiten, jo auch nad) Hadrian in römijchen Neid) gegeben Hat. Demnach wird man m. E. in der dargeitellten Perſon, die einen durchaus bürgerlichen, fait jpießbürgerlichen Eindrud madjt, vielmehr mit Froehner!) einen NRepräjentanten von Lugdunum, aljo wohl einen der (allerdings erjt jeit der zweiten Hälfte des 2. Sahrhundert® n. Chr. dort bezeugten) Duoviri zu erfennen haben, der dem Genius der Stadt durd) Überreichung der lex coloniae?) und der Schale mit den Ihren jeine Devotion bezeigt.

Daß diefe Medaillons ſämmtlich ein und Dderjelben Zeit angehören, ift mir, wenn auch das in Lyon gefundene feineres - Material und eine, bejonder3 in den Proportionen der Figuren, feinere Technik zeigt, in hohem Grade wahrjcheinlich und die auffallende hnlichfeit mit der Albinus- Münze führt faft nothiwendig zu der VBermuthung, fie jeien aus Anlaß des An- Ihlufjes von Lugdunum?) an den dort refidirenden Gegenkaiſer angefertigt worden. Vor allem jcheint mir aber dafür zu jprechen, daß der Genius, durchaus im Gegenjag zu den jonjtigen Dar: jtellungen der Stadtgenien*), bier mit einem Schwert, das an einem über die Bruft gehenden Wehrgehäng befeitigt ift?),

1) Froehner, a. a. D.; vgl. jeine Medaillons Romains ©. 37, wo er an einen Decurio von Lugdunum denkt.

») Die Hacke will de Witte, a. a. O. ©. 260, auf die Gründung der Kolonie beziehen.

») Daß zwei diejer Medaillon in der Narbonenſis gefunden find, beweilt natürlich nicht, daß diefe Provinz, wie es allerding® wohl möglidy ift, jich am Albinus angejcylofien habe.

% Auch Froehner führt als einziges Analogon den bewaffneten Genius von Stalien (wenn die Figur fo zu benennen ift) auf den oStifhen Münzen des Bundesgenojienfrieges (Friedländer, Oskiſche Münzen Taf. 9, 1—5) an; doc) ijt einerjeits die Analogie nicht ganz zutreffend, andrerfeits ſpricht gerade diejes Beilpiel für die oben gegebene Erklärung.

5) Das Schwert mit dem Wehrgehent ift auf dem Medaillon von range erhalten; abgebroden ijt das Schwert, jedoch dag kettenjürmige Wehr

470 C. Hirſchfeld,

ſeinen Fahnen folgten; man vermißt unter ihnen allein die zehnte Legion, die, obſchon in Wien, alſo in der von Severus bei ſeiner Erhebung verwalteten Provinz jtationirt, ſich Doch merk: twürdigermweife bei derjelben nicht betheiligt zu haben fcheint. Dagegen fehlen auf dieſen Münzen jämmtliche Legionen de} Orients, die Spanischen und die britannifchen, von denen die eriteren für Niger, die Iebteren für Albinus eingetreten find. Es fehlt ſchließlich die legio III Augusta in Numibdien, bie an der Thronerhebung thätigen Antheil zu nehmen ficher nidt in der Lage war; daß fie aber fich nicht gegen Severus er Härt, vielmehr in dem Kriege gegen Niger ſich aktiv für den Sailer bethätigt hat, beweifen die ihr unmittelbar nadr her beigelegten Ehrennamen pia rinder!)., Wohl alle auf den Münzen genannten Legionen, joweit jie in Europa jtanden, oder doch Detachements derjelben werden auch in dem Kampfe gegen Albinus Verwendung gefunden haben?); außer ihnen ein Theil der Prätorianer, deren Theilnahme an der legten Schlacht bezeugt it?) und die den Kaiſer auf jeinem Marie durch Pannonien begleitet zu haben jcheinen. Denn wohl mit Recht it eine in Pettau gefundene Dedifation, die ein Tribun der zehnten Kohorte

1) Bol. Mommſen im C.J.L. VIIIS. XIX nebjt der dort angeführten Gtelle der vita Severi c. 8 8 7: ad Africam legiones misit, ne per Jabyum altque Aeyuptum Niger Africam occuparet ac p. R. penuria ra frumentariue perurgueret. Die Beinamen pia vindex finden ſich bereits aut einer unmittelbar nad Niger’3 Befiegung gejepten Inſchrift (C. J. L. VIO S. n. 17726); die Namen der Legion jind zwar getilgt, dody wird die Leſung von fell (Melanges de l’ecule de Rome 13, 511 Anm. 2) bejtätigt.

*:) Die Theilnahme de3 illyrijchen und moefifchen Heeres bezeugen die ©. 473 Anm. 3 u. 4 angeführten Inſchriften des Candidus und Marimus; über die legio XXII vgl. 5.472 Anm. 3; die Theilnahme der in Uintergermanien jtationirten legio I Minervia an der Schlacht von Lyon wird wahrjcheinlid durch die von ihren Tribunen Ti. Claudius Pompeianus für das Heil des Kaiſers Ddajelbit an die Aufaniae Matronae et Matres Pannoniorum et Delmatarum wohl unmittelbar nach der Niederlage des Albinus vollzogenen Dedifation de Boijjieu 6.59 = C. J. L. XIII n. 1766); die von Renier, Melangex d’myraphie S. 147 ff., gegen dieje Anſetzung geäußerten Bedenten halte id) nidyt für geredjifertigt.

2) Div 75,6: 4 Seßnoos... uera Tow Öopvgooov.

Decimus Clodius Albinu?. 471

der Prätorianer: proficiscens ad opprimendum factionem Gal- licanam auf Befehl des Kaiſers dem Jupiter praestes darbringt, auf diejen Kampf bezogen worden, jo zweifelhaft es auch ift, ob wir, wie neuerdingd vermuthet worden ift, in dem Dedifanten, deſſen Name getilgt ift, den jpäter allmächtigen Prätorianerpräfekten des Severus: C. Fulvius Plautianus zu erkennen berechtigt find?).

Auch die Streitkräfte des Albinus mögen der Zahl nad) nicht viel geringer geweien jein: nad) Dio kämpften in der Ent- Iheidungsschladht auf beiden Seiten zujammen etwa 150000 Dann?) Aber unter jeinen Truppen können nur vier Xegionen gemwejen fein: die drei britanniichen?) und die in Spanien ftehende jiebente Legion“), aljo mit den Auxiliartruppen wohl nicht mehr ala 40000 reguläre Truppen, während der Reit, abgejehen von

1) Vgl. v. Premerjtein, Ard.sepigr. Mittheil. aus Ofterreih ©. 181 ff., der in der eradirten zweiten Beile den Namen C. Fulvius Plautianus zum großen Theil nod) erfennen will. Mir fchien bei genauer Unterfuhung nur der zweite Bucdjtabe F jicher zu fein (vgl. C. J. L. III S. n. 10868); dab Plautianug, der bereit3 im Juni 197 Prütorianerpräfelt war, damals noch Tribun geweſen jei, bezeichnet Deſſau (Prosopographia 2, 97) mit Recht ald wenig wahrſcheinlich.

2) Dio 75, 6: nerrexaidern uev uvoiades OTgatıwıwv Ovv AupoTspos izroyor, was Tillemont und Gibbon im Gegenſatz zu neueren Darjtellern ridhtig, wie die Worte or» augoreooıs zeigen, als Geſammtzahl faflen. Tem- nad) müfjen die Legionen des Severus, da er doch auch zahlreihe Auxiliar⸗ truppen mit fich geführt haben wird, weit unter der Effektivftärte in Gallien geweſen jein.

3) Früher jtanden dort vier Xegionen nebft etiwa 45 Cohorten und zwölf Neiterfchwadronen, die Huebner (Hermes 16, 526, vgl. S. 580 ff.) auf etwa 6OWO Mann veranidlagt; doc) ijt da8 Occupationsheer jpäter weſentlich verringert worden (Huebner, a. a. O. S. 583). Die Stärfe und Schlagfertig- feit des britannifchen Heeres zu jener Zeit rühmt Herodian 2, 15,1.

% Den Anſchluß Spaniens erweiit die S. 473 A. 3 citirte Inſchrift des Sandidus und vita Severi c. 12: interfectis innumeris Albint partium virts ... tum et Hispanorum et Gallorum proceres multi vcciss sunt. Auch die Angabe Herodian’s 3, 7,1, dag Albinus es zaurra ra yarrıawra &drr, ge: ichidt habe, um fie zu gewinnen und daß diejenigen von ihnen, die fi ihm angeſchloſſen hätten, ſchwer dafür jpäter büßen mußten, wird in erjter Linie auf Spanien zu beziehen fein. Daß Albinus aud im Lrient nad) dem Tode des Niger Sympathbien Hatte, ijt natürlich und wird durd) den Anſchluß der in Mrabien ftehenden legio III Cyrenaica bejtätigt (vita Severi c. 12).

412 O. Hirſchfeld,

der 1200 Mann ſtarken ſtädtiſchen Kohorte in Lugdunum'), bauptfächlih aus dem galliichen Landiturm ?) beitanden Haben wird. Übrigens ijt e8 fraglich, ob ſich ganz Gallien gemäß dem Beiſpiel der Hauptitadt an Albinus angejchloffen hat und in% befondere die Germanien benachbarten Gebiete nicht vielmehr, wie dies von den dort jtationirten Legionen nicht bezweifelt werden fann, für Severus Partei ergriffen haben. Eine vor etwa zehn Jahren in Mainz gefundene Injchrift, die wohl un mittelbar nach Beendigung des Krieges gegen Albinus geſetzt ijt?), bezeugt, dab die dort ftationirte 22. Zegion Trier bei einer Belagerung mit Erfolg vertheidigt habe; denn ich möchte nidt, wie vermuthet worden ift, diefelbe auf einen Einfall der Ger manen, die wahrjcheinli dann ald Barbaren ausdrüdlid genannt fein würden, beziehen, jondern auf einen Verſuch der Albinianer, die von den Severianern bejegte Stadt einzunehmen; daß die Albinianer in diefem Bürgerfriege (jo wird der Strieg gegen Albinus genannt‘) nicht als die Belagerer genannt werden,

) Daß “die cohors XIII urbana an Severus fejtgehalten’ habe, wie Schiller, Röm. Kaiſergeſch. 1, 716 annimmt, ift nicht bezeugt.

7) Über die außerordentliche Stärke desjelben bei der Erhebung deö Binder vgl. Plutarch, Galba c. 4 und Mommſen im Hermes 13, 9.

2) Keller im Weſtdeutſch. Korreipondenzblatt 1886 ©. 140 (vgl. dazu Mommien ebenda ©. 185) Defjau inscer. lat. sel. n. 419: in Alonoren) L. Septimi Severi pi Pertinacis Aug. invicti imp(eratoris) et M. Aureli Antonini Caes., legioni XXII pr(imiygentae) piiae) f(idel:) hunoris virtu- tisg(ue) causa, civitas Treverorum in obsidione ab ea Jdefensa; da Saracalla nur Cäfar, nicht einmal imperator destinatus genannt wird, ift die Inſchrift ficherlich, wie auch Mommſen annimmt, unmittelbar nad) Befiegung des Albinus gejegt; darauf weilt auch die Bezeihnung Sever’3 als invictus imperator bin, während er auf den Münzen erit nad dem Parthiſchen Sirieg dieſen Beinamen führt (Edhel 7, 192). ch beziehe die Anjchrift mit Keller auf eine Belagerung Trierd durd) die Albinianer, während Mommſen an einen Übers fall der Germanen denkt; die 22. Legion hat ficher, wie die in Germanien itehenden Legionen überhaupt, auf der Ceite des Severus geftanden. Auf die Angabe in der vita Albini c. 1, daß die Gall aut Germuniciani ecercitus den Albinus zum Kaijer haben wollten, ift nicht® zu geben.

4% Dio 75, 4, 1: noiseuos Euprhıos nos Tor Akßivov. Vita Severi 10 8 1: bellum cirile Clodi Albin. Ebenſo der Krieg gegen Niger: Ulpian. in Digg. 50, 15,1 8 2—38.

474 C. Hirichield,

Severus bewährt hatte und Später durch die Statthalterichait von Obergermanien ausgezeichnet wurde!), demnach vielleicht aud) an dem Kampf gegen Albinus aktiv theilgenommen hat. Statt halter von Obermöſien im Jahre 196 ſcheint 2. Fabius Eilo geweſen zu fein, der gegen die Anhänger des Niger in Perinth fommandirt hatte, dann Etatthalter von Pontus und Bithynien gewejen und ein außerordentliche Kommando über die verill(a- tiones) per Italiam exercitus imperatoris Severi geführt hat’), die wohl dazu beftimmt waren, die Alpenpäfje gegen einen Ein fall des Albinus in Italien zu deden?); er hat dann nad) dem Kriege die Statthalterichuft von Oberpannonien, möglicherweile bereit3 im Jahre 198 angetreten‘). Der von Albinus in Gallien bejiegte Feldherr des. Severus, Lupus, ijt vielleicht mit dem Statthalter Britanniens im Jahre 197 Birius Yupus identüd’). Ein jehr bedeutendes Kommando, vielleicht über die germanijchen Legionen, muß ſchließlich Lätus gehabt haben, der die Schladt von Lyon entjcheidet. Wir willen nur, daB er feiner dabei be wiejenen ziweideutigen Haltung wegen jpäter von Severud ge tödtet worden ift®); ob er mit Julius Lätus, auf deſſen Rath Severus den Prätorianerpräfeften Julianus umgebracht hat‘), identijch iſt, läßt fich nicht enticheiden.

Wer die Prätorianer fommandirte, wilfen wir nicht; dab es Plautianus gewefen jei, wird man aber aus dem ihm jpäter

1) Deſſau, Inser. Lat. sel. n. 1144 mit Anmerlung.

2) Die zahlreichen ihn betreffenden Zeugnijje bei Tejjau in der Proso- pograph. 8.2 F n. 20.

s, Herodian 3, 6, 10: (Severus) Zrsuure de xai orgarow Örvancrs (die "ort tilgen Belter und WMendelsjohn, arerıryor nera ÖIvraneos ſchlug Meiste vor) 16 ra orera Tor Alneor xarakı yousvor xal FEOTErEONTe 1772 Irabias Tür eioBodas.

% Sicher war er dort noch im Jahre 201, vgl. Defjau, a. a. O.

5) C.J.L. VII n. 210 (mit Huebner’® Anmerkung) und n. 273.

6) Vita Severi 15 6; Herodian 3, 7, 4—5.

n Vita Juliani 8,1; der Bertheidiger von Nifibie im Jahre 199, der ritterlihen Standes war (Div 75, 3), iſt fiher von ihm verfchieden und vielleicht mit Maecius Laetus, dem Kollegen Papinian's in der Prätorianer: präfettur identiſch; vgl. Höfner zur Geſchichte des Staifers 2. Septimius Severus S. 297 ff. und Prusopogr Bd.2 Mn 43.

Decimus Clodius Albinus. 475

beigelegten Titel comes Augustorum per omnes expeditiones Auyustorum!) nicht Schließen dürfen. Vielleicht ift auch ein Theil der Ravennatifchen Flotte, deren Befehlshaber in einer Inschrift von Lyon aus unbeitimmter Zeit erjcheint?), bei dem Stampfe betbeiligt geweſen.

Bon den zzeldherren des Albinus wird fein Einziger ge nannt; doch dürfte der Statthalter der Tarraconenjis 2. Novius Rufus, der jpäter von Severus getödtet worden iſt?), perjönlich an dem Galliihen Kriege theilgenommen haben.

Den Marſch des Severus aus dem Orient nad) Rom in jeinen Hauptetappen zu verfolgen, find wir gleichfall8 durch literarische und epigraphiiche Zeugnifje in Stand gejegt. Die Nachricht von der Einnahme von Byzanz erhält Severus noch in Meſopotamien (Dio 74, 14); die Belagerung der Stadt hatte nach dem Zeugnis desselben Schriftjtellers®) drei volle Jahre gedauert; fie fann aber vor Ende ded Sommer? 193 nicht begonnen haben, demnach vor dem Sommer 196 nicht beendet worden fein’). Severus it alſo nicht vor dem Spätherbit dieles Jahres nach Europa gefommen und hat erjt gegen Ende des Jahres den Kampf gegen Albinus persönlich aufgenommen). Auf dieſe Zeit weilt auch die befannte Erzählung Dio's hin, day das Bolf in Rom an dem legten Renntage vor den Saturnalien (wohl am 15. Dez.) über die Fortſetzung des Krieges nach Beliegung des Niger in

1) C.J.L. VI nn. 1074 (nidt vor dem Jahre 202).

2) Boijjien, Inser. de Lyon ©. 16 = C. J. L. XUI n. 17%: Widmung an Minerva. Die gleihjald in Lyon geiundene Inſchrift eines jrraefectus viglum Boiſſieu ©. 3) gehört dagegen der ſchönen Buchſtabenform nad einer älteren Zeit an.

2) Vita Severi 13, 7; als Ctatthalter der Tarraconenſis im Jahre 193: C.J. L. I n. 4125.

*, Dio 74,12: ini 6Ao» To1ETT, Xoovor NOAOGKOTnErON.

8) Nirth, (Juaestiones Severianae S. 28 f. ſetzt die Eroberung in den Juli, weil fie nad Tio «5, 13 zur Ermtezeit erfolgt zu jein jcheint.

Wirth, aa. ©. S.10 und 29 nimmt etwa Tftober-November an, mit Hinweis auf Herodian 3, 6, 10: Severus) 77» odomogiav noiwruevos ıno vigetois xui Xiocır.

416 O. Hirſchfeld,

laute Klagen ausgebrochen fei!); demnach iſt die Stunde davon wahricheinlich erft kurz vorher nach Rom gedrungen.

Nicht lange vorher wird Albinus Britannien verlafjfen und jeine Rejidenz in Lugdunum aufgeichlagen haben. Denn wenn aud) das Verhältnis zwiichen Severus und Albinus gewiß bereits nad) Niederwerfung des Niger fich verjchlechtert hat und einerjeits Eeverus dem Albinus die ihm als Cäfar zulommenden Ehren gejchmälert, ja ihm jogar nad) dem Leben getracdhtet Haben joll?), andrerjeit3 Albinus auf die Stellung eines Mitregenten chen während des Kampfes im Orient Anfprnd) gemacht haben wird?) jo hat er doch erft auf die Nachricht von dem Anmariche de Severus den Auguftus-Titel angenommen und it erft dann nad) Gallien übergejegt, um Lugdunun als jeine Reſidenz zu be jeßent).

In Viminacium, dem Lager der fiebenten Legion in ber: möjien, vollzog Severus die Proflamation jeines, wohl von Fabius Cilo?) dorthin gebrachten, damals etwa zehnjährigen Sohnes zum Cäfar: ficher vor dem 10. Dezember 196, da bereit3 vor Ablauf der vierten tribunicijchen Gewalt des Severus dem jungen Cäjar Antoninus, ohne Zweifel aus Anlaß der Verleihung diefer Würde und dieſes Namens, von den lottenoffizieren in Miſenum eine Dedifation dargebradht wird‘). Wenn Tillemont und die meilten

1) Dio 75,4.

2) Wenn die wohl derjelben Duelle entjtammende Angabe der vita Albini ce. 8 und bei Herodian 3, 5 auf Wahrheit beruht.

2) Dio 75,4: de xai 17» Tor artoxgaTogos Esr;tes UNEXoXTr. Wil. Herodian 3, 5, 2, der von NAufforderungen vornehmer Senatoren an Albinus, während der Abweſenheit des Ceverus nach Rom zu kommen, um die Herr: ihaft zu ergreifen, zu beridten weiß. Die Sendung des Heraclitus nah Britannien (vgl. Prosopogr. 2H n. 61 und Bilden im Hermes 20, 469) gehört wohl einer etwas früheren Zeit an.

*) Herodian 3, 7,1: as de anınyyein to Alßirg un uellwv 6 Zeßrgo: ah nön naosasuevos...neoaweis ano ns Bosrravias ds ııw arıı- xeuucınv Takkiav Eotgaranedevoerv.

5, Tio 77, 4 nennt ihn den roogsts und evepyeıns ded Caracalla.

», C.J.L. X. n. 3341; die Entfernung von Biminacium bis Mijenum beträgt auf der Straße über Aquileja, Ariminum, Rom etwa 1000 römiſche Meilen, für deren Zurüdlegung ein Courier mindeften® acht Tage und Nächte

Decimus Clodius Albinu?. 477

neueren Darſteller die Erhebung Caracalla's zum Cäſar bereits vor den 30. Juni ſetzen, ſo beruht dies nur darauf, daß von dieſem Tage im Codex Justinianus ein gemeinſamer Erlaß der Impp. Severus et Antoninus Augg. datirt iſt; aber dieſe Dati— rungen bieten nicht die geringſte Gewähr, ſondern ſind zum Theil nachweislich erſt ſpäter auf den Namen beider Kaiſer geſtellt worden: werden doch bereits am 28. Juni 193, alſo kurz nach Severus' Erhebung (Cod. J. III, 28 1), ſodann am 11. März 195 (Cod. J. IX, 1, 1) und am 1. Januar 196 (Cod. J. IX, 41, 1) beide Sailer genannt, während der leßtgenannte Erlaß von Ulpian (Digg. 48, 18, 1 $ 16) richtig dem Severus allein zu= geichrieben wird!).

Sämmtliche Darſteller jener Yeit laffen Severus auf dem Mari gegen Albinus noch einen Abjtecher nah Rom machen, um fich des Senats und Volks zu verfichern und Albinus zum Staat3feind erklären zu lafjen: die Meeiften nach der Erklärung jeined® Sohnes zum Cäſar, da er offenbar direft vom Orient über Byzanz durh Thracien nah Viminacium gekommen ift. Aber es ift faum denkbar, daß der Kaiſer die fojtbare Zeit mit einer ſolchen Reife ohne erfichtlichen Zwed verloren haben follte; denn zu ciner Üchtung des Albinus durch den Senat bedurite

gebraudt Haben wird (vgl. Triedländer, Sittengefhichte 2°, 23 f.); möglich it allerdingd, daß Severus den Senat und die in Stalien ftationirten Truppen ſchon vorher von feiner Abficht verftändigt hat. Nach einem Papyrus ift nad) Wilden’3 Ergänzung (Hermes 20, 455) der Feſttag im Tempel des Jupiter Capitolinus von Arfinoe: [vmsg rot avı;yogeva]Faı tor xuoov [uw Kaicaga Magxor Avorkııov) Ayrwrivov im Monat Xorax (27. November bi® 26. Dezember) gefeiert worden.

1) Vgl. Krüger, append. p. zu feiner Ausgabe des Cod. Justi- nianus: ‘Imp. Severus A. 11, 47,1; IV, 14, 1 (a. 196), item 11, 3, 1, quae potius ad a. 194 quum ad a. 20V pertinet: reliquae omnes: Impp. Severus et Antuninus AA; diefelbe Aufichrift iteht jogar noch über mehreren Erlajien längſt nadı Sever's Tode in den Jahren 213 und 214, vgl. Krüger, a. a. O. p. 3* Anm. 8. Vgl. dazu Mommſen: Die Kaiferbezeichnung bei den römijchen Juriſten in der Zeitichrift für Rechtsgeſchichte 9 (1870), 101 f. und betreffs der Datirung der Edikte des Diocletianus und feiner Mitregenten in den Codices: Mommſen in den Abhandlungen der Berliner Alademie 1860 ©. 349 fi.

478 C. Hirſchfeld,

es nur eines Befehles, nicht der perſönlichen Anweſenheit des Kaiſers!), und weder die Angabe ſeines Biographen, daß er auf dem Rückweg nach Rom die Erhebung des Albinus erfahren babe?), noch die im Jahre 196 aus Anlaß der beabſichtigten Rüd- fehr mit der Aufſchrift profectio Augusti und adventui Augusli Felicissimo?) gejchlagenen Münzen können al® Beweis dafür gelten, daß er dieje Abjicht wirklich ausgeführt hat. Gewiß ilt daher Herodian im Recht, wenn er Severus vom Orient um mittelbar gegen Albinus nad) Gallien ziehen läßt.

Von Biminacium ift der Kaiſer mit jeinen Truppen nad) Pannonien marſchirt auf der über Sirmium führenden Heer Itraße, wo in Pettau der Tribun der zehnten Prätorianercohorte, wie bereit erwähnt worden ift, auf Befehl des Kaijers einen Altar dem Jupiter praestes geweiht hat*); hier dürfte er auch die Panne nischen Auguren fonjultirt haben, die ihm den Steg über jeinen Nebenbuhler prophezeiten?), und bier den jungen Cäjar zurüd- gelaffen haben, während er felbjt mit den noch zurücgebliebenen Truppen durch Noricum und Rätien nach Gallien eilte. Wahr Icheinlich im Helvetier- oder SequanersLand, das damals zu Ober— Germanien gehört Haben dürfte, wird er die Geſandtſchaft dee Senates empfangen haben, die, wie eine afrikanische Inſchrift bezeugt, an ihn nad) Germanien und an jeinen Sohn nad) Par nonien gejchidt war, ohne Zweifel, um die Glückwünſche de Senats zu der Proflamirung des Caracalla zum Cäſar zu über:

1) So ift aud) die oratio imperatoris Severi in senatu recitata Ter- tullo et Clemente consulibus (a. 195) tdıbus Juniis (Digg. 27,9, 181 in Abweſenheit des Kaiſers verlefen worden.

2) Vita Severi 10, 1: redeunti sane Roman. .bellum civile Clait IAlbini nuntiatum est...

2) Eckhel 7, 175; Cohen: Severus n. 5—9 und n. 578. 581.

) Bgl. oben ©. 471.

6) Vita Severi c. 10; die oben ©. 470 Anm. 2 erwähnte Dedilation an die Matres Pannoniorum bezieht ſich übrigens fiher nicht auf diele Weiſſagung. Als Nultjtätte der mit den Matres verwandten Nutrices Au- gustae ijt Bötovio durch fürzlid) gemachte injchriftliche yunde erwiejen worden vgl. Burlitt Archäol.-epigr. Mittheilungen aus Lfterreih 19, 1 ff.

Decimus Elodius Nlbinus. 479

bringen’); auch dieſe Gefandtichaft ift ein Beweis dafür, dag Severus nicht felbft in diefer Zeit in Rom gewejen iſt. Erit im Beginn des neuen Jahres jcheint er in Gallien auf dem Kriegsſchauplatz eingetroffen zu jein.

In Gallien ift es nach dem Zeugnis des Div mindejteng zu zwei Schlachten gekommen, in deren erjterer der Feldherr des Severus, Lupus, eine Niederlage erlitt). Die Enticheidungs» ſchlacht fand nad) Dio und Herodian nicht weit von Lyon, nad) dem Biographen des Severus bei Zinurtium, dem heutigen Tournus?) ſtatt. Zwiſchen diejen Angaben in der Weile ver— mitteln zu wollen, daß man an Stelle diejeg zu weit von Lyon entfernten Ortes Trivurtium (— Trévoux) einjegt, wie es nad) dem Borgange Tillemont’3*) auch neuere Darjteller gethan haben, ift ficher verfehlt; vielmehr handelt es jich hier offenbar um zwei verichiedene Schlachten, und die Worte des Biographen: primo apud Tinurtium contra Albinum felicissime pugnarit Severus weiſen deutlich darauf Hin, daß in feiner Quelle noch cine zweite Schlacht genannt war, die der Excerptor allerdings in jeiner

1) C.J. L. VIII n. 7062 (Cirta): legatus ab amplissimo s[enotu] u: (Severum) [ilmp(erntorem) in Germaniam et [ad] Antoninum Caes(arem) [im]p. destinatum in Pannonilam] missus; die Inſchrift ift im Jahre 197 oder Anfang 198, bevor Caracalla den Titel Auguſtus erhielt, abgefabt und gibt daher den dem Laracalla damals zutommenden Titel, die Gejandticait braucht aber darum nicht mit Schiller, Röm. Kaiſergeſch. 1, 715 Anm., und Anderen in die Zeit nad) der Befiegung des Albinus gefeht zu werden, in der Severus ſchwerlich noch einen Abjtecher nach Germanien gemacht bat; auf eine Glückwunſchdeputation des Senatd aus Anlaß der Ernennung des Cara⸗ calla zum Gäfar bezieht die Inſchrift mir Recht Henzen im Bull. dell’ institutu archeul.. 1856 ©. 90.

2) Dio 75, 6: ovwsßn de Tov Alßivor noorega yayn vıx,cas Tor ‚loönov tov roũ Zeßr,gor orparıyor ovra xai nollors Tor ow arıp Ödia- gIeipas orgarıwrav ' 6 ds ture ayaw (die Schladht bei Kyon) roAlas Bayer idsas Te nal roonas. Herodian 3, 7,2 fpricht nur von einigen Scharmügeln (axgoßokıouos) in Gallien vor der Entſcheidungsſchlacht.

s) Tinurtium beißt der Urt in dem allein in Betradt kommenden Palatinus; der aus ihm abgejchriebene Bambergensis bietet Dinurtium.

*) Tillemont Severe not. 18, der für diefe Anficht bereit? Chifflet in feiner Geihichte von Tournus citirt.

480 I. Hirichfeld,

flüchtigen Weile zu nennen unterlafien bat!).. Die Lage von Tournus, zwiſchen Chälon und Mäcon auf der großen Straße von Autun nad yon, entipricht durchaus der Marjchroute des Ceverianischen Heeres, das von Bannonien durch Noricum, Nätien und das Seguanerland ziehend, gerade hier das eigent- lihe Gallien betreten und die Albinianer zum Rüdzug ſüdwärts gegen Lyon gezwungen haben wird. Die legte Schlacht jcheint ji in dem Winfel abgeſpielt zu haben, der nordöjtlich von Lyon von der Nhöne und Saöne gebildet wird, wenn man Dio's Angabe, daB das Blut der Verwundeten ſich in die Flüſſe er goß, wörtlich nehmen joll; daB Albinus nach der Niederlage in ein an der Rhoͤne gelegenes Haus flüchtet), ijt nicht bemeijend, da er nach Herodian (3, 47,2) an der Schlacht perjönlich nicht theilnahm, jondern während berjelben in Lyon verblieb. Eine genane Lofalifirung iſt bei der Beichaffenheit der Tradition nicht möglich?).

Das Datum der Schladt, den 1Y. Februar, bietet die Bio: graphie des Severus*); außführlide und in der Hauptjade

Y, Vielleicht liegt übrigens der Irrthum des Biographen darin, daß er den Ort der Niederlage des Lupus mit dem der Entſcheidungsſchlacht vers wecjelt bat; wenigſtens jcheint Dio (vgl. S. 479 Anm. 2) nur von diejen zwei Schlachten in Gallien zu wiſſen. Die von NAllmer- Difjard, Muse de Lyon 3, 23 (vgl. 5, 61) geäußerten Bedenten erledigen fi bei diefer An nahme. Über die verſchiedenen Anfegungen der Schlacht vgl. U. de Ceuleneer, Essai sur Septime Severe ©. 101 Anm. 2; eine ‘premiere action apud Tinurtium’ nimmt aud) dD’Anville: Notice de la Gaule ©. 647 an.

2) Div 75, 7: To alua nodv Eppin, uote xai eis Tovs noranors eionegeir. Tertullian, der als gleichzeitiger Zeuge in’8 Gewicht fällt, fept die Schlacht offenbar an die Rhöne, vgl. adr. nation. 1,17: adhuc Syriuse cadarerum odoribus spirant, adhuc Gulliae Rhodano suo non lavanl.

>; Seuleneer a. a. O. hält die Gegend zwiſchen Rodetaillee und Neyron für bejonder8 geeignet. Die angeblid zwiſchen Sathonay und Rilliew gefundenen Schleuderbleie, die auf ein antikes Schladyifeld hinweiſen würden, find moderne Fälſchungen, vgl. Zangemeijter im C.J.L. IX n. 143* = Eph. epigr. 6, 122 n. 80°; zwei angeblid) ebendajelbji gefundene Bleie ohne Inichrift, die wohl aus derjelben Fabrik ftammen, ſah ih im Jahre 1878 in Zrevour bei Herrn Balentin Smith.

) Vita Severi c. 11,7.

Decimus Clodius Albinus. 451

übereinjtimmende Berichte über den Verlauf derjelben geben Dio und Herodian. Nach beiden Echriftitellern wird der Flügel, den Severus fommandirt, von den Albinianern gejchlagen und Die Schlacht durd einen Flanfenangriff des Laetus, der in der Hoff. nung, daB beide Heere ſich aufreiben und ihm dann der erledigte Kaiſerthron zufallen würde, feine Truppen zurüdgehalten hatte, zu Gunſten des Severus entjchieden. Aber in Betreff der Rolle, die Eeverus in diejem Kampfe ſpielt, weichen die Berichte weient- li) von einander ab. Ber Dio fämpft Severus mit Heldenmutb: ein großer Theil feiner von ihm perjönlich zum Angriff geführten Garde wird getödtet, jein Schladhtroß geht ihm verloren, aber er wirft ſich mit gezüdtem Schwert, jein Feldherrngewand zer- reißend, jeinen in voller Flucht begriffenen Truppen entgegen, die bei dem Anblick ihres Kaiſers fehrt machen und die Albinianer in die Flucht jchlagen. Als Laetus eingreift, hatte fich nad) Dio der Sieg bereit3 dem Severus zugeneigt. Nach Herodian ftürzt dagegen Severus auf der Flucht vom Pferde und wirft den Kaiſermantel von jih, um nicht erfannt zu werden. Die Albinianer ftimmen bereits GSiegesgelänge an, da erjcheint Laetus, dem der Tod des Severus gemeldet war, und entjcheidet mit jeinen friichen Truppen die Schladt.

Welcher diejer beiden Berichte iſt nun wohl der glaubs würdigere und auf wen gehen jie zurüd? Im allgemeinen ijt ja Dio, der dieje Zeit bereit3 im prätoriicher Rangftellung mit erlebt und die Ereigniffe jicherlich aufmerfjam verfolgt hat, uns zweifelhaft der befiere Zeuge; auch kann man ihn nicht einer Vorliebe für Severus, unter dejjen langer Regierung er nicht einmal zum Sonjulat gelangt it, insbejondere nicht in der Schilderung der Kataftrophe des Albinus bezichtigen!). Andrers jeitd ift Herodian, jo jcharf er auch über die Sraujamfeit und Geldgier des Severus urtheilt, doch ſeines Lobes als Feldherr voll und kennt kein Maaß in ſeiner Bewunderung gerade

1) Vgl. beſonders Dio 75, 7: Ey’ ols Önkos yevonevos ws order em avroxpatopos ayador, Fri nahkor 1uas Ts xal Tor Öruor, vis Ensorsıher, Sepoßnoer.

Hiftorifche Zeitſchriſt N. F. Bd. XLIII. 31

482 ©. Hirſchfeld,

betreff3 der Bejiegung de8 Niger und Albinus!). Aber hier wendet er jich bemußt gegen die Entjtellung der Thatjachen in gleich zeitigen Werfen und beruft ſich demgegenüber auf die unparter iſchen und wahrhaften Schriftfteller jener Zeit”). Wahrſcheinlich wird man dabei an Marius Marimus zu denken haben, da der gewiß aus ihm gefloffene furze Bericht in der Biographie des Severus injoweit mit Herodian übereinjtimmt, daß Severus für todt ge halten und beinahe ein anderer Kaiſer (d. 5. Laetus) an jeiner Stelle ausgerufen worden wäre): ein Seugnid, das umio ihwerer in's Gewicht fallen würde, wenn Marimus in der That, wie meijtentheils, freilid) ohne Beweis, angenommen wird, mit dem gleichnamigen bei Lyon fommandirenden General des Severus tdentiich wäre. Offenbar ift Dio's Darftellung die offizielle, deren Tendenz vorzüglich in der gefliffentlichen Betonung, daß der Sieg bereit3 durch den Heldenmuth des Kaijerd bei dem Eingreifen bes Laetus jo gut wie entfchieden gewejen jei, deutlich zu Tage tritt und die ohne Zweifel entiveder der Autobiographie des Severus oder wahricheinlicher dem Siegesbericht, den er nad) der Schlacht an den Senat jandte*), entitammt. Ja Dio geiteht indirekt jelbit zu, daß des Kaiſers Darftellung für den Schladhtbericht feine Quelle gewejen jei, wenn er unmittelbar darauf die Schilderung des jchmählichen Benehmens des Severus gegenüber der Leiche des Albinusd) mit den Worten beginnt: Acyw yag or 00a 6

1) Herodian 3, 7,8 jtellt ihn diejer Thaten wegen über die größten Feldherrn der Römer; aud) bei feinem Tode rühmt er von ihm 3, 16,2: evdoforara Bıwoas, 6009 noos ra noksnıxa, Tav nwnorse Bacıldan.

2) Herodian 3, 7,3; ws de Tıres TOv TÜTE ioTopToav, ol nos yapır alla nous aAnFeay Asyovres.

>) Vita Severi c. 11, 2.

*) Vita Severi c. 11, 4: ad senutum scripsit addita vratione victoriae.

5, Über die verſchiedenen Angaben betreffs des Todes des Albinus vgl. Hoefner, Unterjud. 3. Geſch. d. Kaiſers Severus ©. 199 fi. Montfaucon, Antiqu. expliquee, supplem. Bd. 4 Taf. 19 glaubt die Scene, wie der balb- todte Albinus von Soldaten vor den auf einem adlerfürmigen Seſſel figenden Severus geſchleppt wird, auf einer Gemme zu erkennen und erklärt die darauf befindlichen Buchjtaben S- T- G (oder C) - M durch Stevere), t(enes) c(om- petitorem) m(urtuum). Einer Widerlegung bedarf diefe Ergänzung nicht; übrigens iſt wahrjcheinlidy die ganze Darjtellung gefäljcht.

484 O. Hirſchfeld, Decimus Clodius Albinus.

war es für Rom doch ein Glück, daß nicht dieſer unbedeutende und leicht zu bethörende Mann, ſondern ſein rüchkſichtsloſer und graufamer Gegner den Eieg davon getragen hat. Neues Leben hat freilic) aud) Severus dem morjchen Organismus nicht ein flößen können, aber wenigitend um ein Menſchenalter bat jeine zielbewwußte Energie den unabwendbaren Zuſammenbruch de Römerreiches hinausgejchoben.

oderant senatores; denique victo eo plurimi senatores a Severo interfech sunt, qui eius partium vel vere fuerant vel esse videbantur; ähnlich vita Severi c. 12 (‘multi principes civitatis, multae feminae inlustres’') und c.13; Herodian 8, 5, 2 und 3, 8.

Literaturbericht.

H. H. v. Schwerin: Helgoland. Historisk - geografisk Under- sökning. Met 2 Kartblad och 1 Tafla.e Lund, Universitätsbuchhand- lung. 1896. 274, XXXIV ©.

Die in den lebten Jahren raſch angeſchwollene Helgoland-Kitteratur erhält mit diefem Werke vom Auslande her einen Beitrag, der alles, wa3 feit dem vor 50 Sahren erfchienenen Wiebel’fhen Bude in die Deffentlichleit fam, weit überragt. Des Verfaflerd Nanıe hat auf dem Gebiete hiſtoriſch-geographiſcher Forſchung einen guten Klang, der gleid) durch feine erjte Arbeit über Herodot3 Darftellung der Geo⸗ graphie Europas begründet und durd feine Schriften über Sklaverei und Sktlavenhandel und den Muhamedanismus in Afrika befeitigt wurde. Das vorliegende Bud) ift ein wahres Mujterjtüd eingehender und felbjtändiger Forſchung. Der Bf. beginnt mit den älteften Nachrichten, die auf Helgoland bezogen worden find oder bezogen werden fünnen. Mit bejonderer Sorgfalt unterfucht er die bekannte Stelle Adam’3 von Bremen (IV, 3), die bejonderd Anlaß gegeben bat zu den übertricbenen, ja maßlofen Vorjtellungen von der ebe- maligen Größe Helgolands. Wenn fi) auch in Einzelnem Bedenken erheben, fo verdient doch die Umficht und Kühnheit der Kritik warme Anerfennung und bejonders die reihen geographiichen Nenntnifje und die umfaflende Belejenheit des Vf.'s auf den Örenzgebieten von Ge— Ihichte und Geographie. Das Märchen von einem ehemaligen nad) Duadratmeilen mefjenden, ja ſogar bis zum Feſtland hin ſich eritreden- den Helgoland zerjtört v. Schwerin für jeden Urtheilsjähigen volls jtändig und endgültig. Die Gleichjegung von Yarria mit Helgoland in der interpolierten Adamsitelle erflärt der Bf. höchſt anfprechend durch die Aufnahme einer auf Lindisfarne (Farn-Island) und feine

486 Literaturbericht.

Nachbarinſel Holy-Island (am äußerſten Nordende der Oſtküſte Enge lands) ſich beziehenden Nachricht. Den Namen der Inſel deutet er nicht, wie es ſeit jener Interpolation die Regel geworden iſt, al heilige Yand, fondern als Helland, Halland (Hellund, Hallund) = hohes Land, entiprechend dem Anblick, den die Inſel bat, und belegt das nicht nur durch Analogieen gleich benannter Inſeln, jondern auf durch die unter den Bewohnern Helgolands bis faſt zur Gegenwart gebräudliche Benennung und Auffajjung. In dem episcopus Far riensis einiger Urfunden und des Adam erfennt er unter Beibringung triftiger Gründe einen Biſchof der Faröer. Foſites-, Foſetisland, das Alkuins vita Willibrordi als eine an den Grenzen der Frieſen und Dänen belegene Inſel bezeichnet, und dad Adam mit SHelgoland- Farria identificirt, erklärt Schw. als Land Wurften. Die Nords friefen läßt er erit nad) Adams Zeit in die von ihnen beſetzten Se biete einmandern. Er hält dafür, daß Helgoland von jeher eine Doppelinſel war. Ihre beiden Theile, das gegenwärtige Helgoland und die öftlic) vorliegende Düne, waren bi$ zur Neujahrsnacht 1720/21 durch einen fchmalen Streifen Landes verbunden, der nach Norden höher und fteinig, nad) Süden niedriger und jandig war und nur bon bejonders hohen Fluthen an feiner niedrigiten Stelle überjpült wurde. In der genannten Neujahrsnacht wurde er durchbroden, nachdem eine Reihe bejonderd gewaltſamer Fluthen in den Fahren 1707— 1720 ſchon bedenklich an feinen Bejtande genagt hatten. Am 1. Nov. 1711 war von einer diefer Fluthen auch der legte Reſt der „weigen Klippe“ himveggenommen worden, die am äußerjten Ende der DOftinfel (Düne) gelegen, diefe bis dahin gegen Die gefährlichen Nordiveititürme gededt hatte. Der in jener Neujahrdnacht entitandene Riß in der Verbindung der beiden Inſeln hat niemald ausgebeflert werden fönnen, fi) im Gegentheil bald erweitert und vertieft, jo daß ziemlich jeit einem Jahrhundert der gegenwärtige Zuftand beiteht, der bei mittlerem Wajjerjtande Schiffen von 5—6 m Tiefgang die Durchfahrt geftattet. v. Schw. ftelt in Abrede, daß die Inſel in hijtoriihen Zeiten jemals einen weſentlich größeren Umfang gehabt habe, als die dem Werke beigegebene Starte von 1697 zeigt. Mit größter, wohl zu großer Schärfe wendet jich der Bf. gegen Meyer's Starte und ihre willfürlien und abenteuerlihen Angaben. Einen Verſuch, die ungeführe Dauer der Inſel vorausfagen zu können. macht ex nicht, weil er mit echt beitreitet, daß Sichere Abbrödelung?- ziffern bis jegt ermittelt worden jeien; Die angeltellten Berechnungen

Deutſche Landſchaften. 487

weiſt er als völlig werthlos zurück. Er iſt aber ganz erfüllt von der Überzeugung, daß der Beſitz der Inſel für Deutſchland im höchſten Grade werthvoll ſei, und ſchließt ſeine anziehende und inhaltreiche Unterſuchung mit der Bemerkung: „Binnen Kurzem wird die vom Untergang gerettete, vormals ſo brockfällige Klippe, des 20. Jahr⸗ hunderts panzerbekleidetes Helgoland, zu ſeinem Wahlſpruch nehmen können das trotzig-patriotiſche: Feſt ſteht und treu.“ Heidelberg. Dietrich Schäfer.

Das Lübeder Ober-Stadtbuch. Ein Beitrag zur Geſchichte der Rechts⸗ quellen und des Liegenſchaftsrechtes. Mit einem Urkundenbuche. Bon Dr. Paul Rehme, Privatdozent an der Univerfität Kiel. Hannover, Helwing'ſche Verlagsbuchhandlung. 1895. 413 ©.

Es ift ein glüdliher Gedanke de3 Vf., durch die rechtsgeſchicht— lihe Darjtellung eines umfafjenden Stadtbuches das Fundament für eindringendere Unterjuchungen der Geſchichte unjerer deutfchen Grunde bücher zu ſchaffen. Schwerlich hätte ſich für die Aufgaben, die ſich Rehme gejtellt hat, ein beſſeres Beifpiel der ftädtifchen Grundbücher finden lafjen, ald gerade das Lübecker Ober-Stadtbud. Denn ſchwer⸗ li wird ihm ein anderes Grundbuch an die Seite geitellt werden fönnen, welches in jolhem Umfange und jolcher Regelmäßigfeit der Einjchreibungen erhalten iſt. Eine gejchlofjene Kette von Eintragungen aus einem Zeitraume von über 500 Jahren liegt in 74 Bänden vor. Cie beginnen mit den Jahre 1284 und enden im Jahre 1818. Cine Unterbrecyung findet ji nur in den Jahren 1811 bis 1814 während der franzöfifchen Oceupation; während dieſer Zeit find nur einmal im Sahre 1813 Einträge vorgenonımen worden. Der Endtermin des Sahres 1818 ward herbeigeführt durd die Wandlung, die ſich auf Grund der Lübeder Stadtbuchdordnung vom 6. Juni 1818 vollzog. Seitdem wechjelt das Syitem. Realfolien treten an die Stelle des bisherigen Modus der Eintragungen in rein dhronologiiher Reihen folge. Es iſt nah R.'s Anjicht ein äußerliches Moment, das dem Lübecker Oher-Stadtbud) feinen Namen gab: feine Aufbewahrung in den oberen Räumen ded Lübeder Rathhauſes. Schon feit dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts ſpricht man in Lübeck von einem Liber superior, der stat oversten bok, vorher von einem liber hereditatum für das gleihe Bud. Bekannt iit, daß dem Stadtbuche von 1284 ein älteres aus dem Jahre 1227 vorausging. Es wird jeit längerer Zeit vermißt und fcheint endgültig verloren zu fein.

458 Literaturbericht.

R. geht bei ſeiner Arbeit überlegt und ſorgfältig zu Werke. Er ſchickt eine allgemeine Einleitung über die lübiſchen Stadtbuchsver⸗ hältniſſe voraus (8 1), orientirt über Namen, Geſtalt und Einrichtung des Ober-Stadtbuchs (5 2 und 3) und fchließt hieran eine ums faffendere Unterjuchung über feinen Inhalt und über die Form’ der Einträge ($ 4-24). Bei Behandlung der beiden leßtgenannten Punkte wird der Nachweis erbracht, wie der Anhalt des Dber-Stadt: buches wechſelt, wie manches von der Eintragung ausfcheidet, mandes neu hinzukommt, welche Formeln zum Zwecke der Berlautbarung der Nechtögejchäfte verwendet, in welcher Form beijpieläweife Erbleibe, Kauf, Vergabung unter Lebenden und von Todes wegen, Servituten⸗ beitellung, Berpfändungen zur Einjchreibung gelangten. Aud auf ſcheinbare Nebenpunkte, die in Wirklichkeit für die praftifche Per. werthung des Grundbuchweſens von weitgehenditer Bedeutung waren, bat Bf. ein aufmerkſames Auge gehabt, (vgl. 3. B. die Ausführungen über die „Zuſätze“ der Einträge ©. 88 ff.). - Intereffant ift die Seit jtellung, wem diefe Entwidlung des lübiſchen Ober-Stadtbuchweſens zu verdanfen, wer Träger diejer Entwidlung geweien ift. Nach #3 überzeugender Darlegung gebührt dieſes Verdienit den Buchrührern, d. h. den rechtöfundigen Stadtichreiben. „Fat jede Neuerung fällt mit einem Wechjel der Hand zufammen und taudt dann nicht plöplid auf, fondern bildet ſich allmählid zur Regel. Das gilt von den nebenfählihen wie von den weſentlichen Änderungen, es gilt ind bejondere von der Beurkundung der Auflajjung, von der Einführung des Supra= und des Infra-Zuſatzes, ja ſelbſt von der Theilung des Buches nad) den Kirchipielen, deren Beibehaltung nur von dem Rathe vorgeschrieben wurde“ ($ 24 a. E.).

Belondered Gewicht möchte Ref. auf den weiteren Theil der Unter: fuhung „Auflaſſung“ (8 25—29) und „Eintragung“ (8 30—40) legen. Gerade jie bieten neue Geſichtspunkte und berichtigen cine Reihe von Fehlern früherer Arbeiten. Gleichzeitig beftätigen fie in beionderen Maße die von germanijtifcher Seite gehegten Erwartungen, daß gerade für die Geſchichte der Auflafjung im jtädtifchen Nechte durch Detailforihungen noch viel zu gewinnen fein würde. Eine Aufzählung von Cinzelheiten nad diefer Seite würde die Lejer diejer Zeitfchrift allzuſehr in juriftifche Detaild führen. Es ſei nur auf die Ergebnijje für die Nothiwendigfeit bzw. ntbehrlichkeit der Auflaſſung (S. 116 und 122), auf die Ausführungen über die Mit- wirfung der Erben bei VBeräußerungen (S. 132, 142 ff.), über die

Deutihe Landſchaften. 489

Vorausſetzungen (S. 185 ff.) und rechtliche Bedeutung der Eintragung S. 251 ff.) verwiefen. Zum Belege der fyitematifchen Daritellung ind in einen „Urkundenbudhe* (S. 273—408) ausgewählte Ein- ragungen des Ober-Stadtbuchs angefügt. Das im Wortlaute ab- zedrudte Material indgejammt find es 436 Eintragungen aus den Xahren 1288 biß 1817 bietet hierbei einen gedrängten Überblid über den geſammten vom Bf. behandelten Zeitraum des Ober-Stadtbuchs. Faſſen wir unfer Urtheil zufammen, jo fann es nur ein voll an= erfennendes jein. R.'s mühevolle Arbeit hat viel Fleiß und Geduld ges fordert. Sie darf aber auch den Anſpruch erheben, unjere Kenntniſſe über das deutjche Grundbuchweſen in reihen: Maße gefürdert zu haben. Gießen. Arthur B. Schmidt.

Geſchichte der Lübeckiſchen Kirche von 1530 bis 1896, das ift Geſchichte des ehemaligen katholiſchen Bisthums und der nunmehrigen latholiſchen Gemeinde, jowie der fatholiichen Biſchöſe, Domherren und Ceelforger zu Kübel von 1580 bi8 1896. Bon E. Jlligend. Paderborn, Schöningh. 1896. VII, 239 ©.

Während der Haupttitel mit feiner tendenziöjen Einitlbigleit eine irreführende Anjicht von dem Inhalt und Zweck des Buches geben dürfte, wird man durch die breite Erläuterung des Nebentiteld darüber zur Genüge belehrt. Der Bf. iſt Paſtor der katholiſchen Ge- meinde in Lübeck und fchreibt in eriter Linie für feine Gemeinde— mitglieder; er wendet ſich darüber hinaus noch an einen größeren Leſerkreis, an alle Lübecker, die an lokalgeſchichtlicher Forſchung An— theil nehmen, und weiterhin an alle Katholiken Deutſchlands, um deren Wohlwollen zu direkter Uinterftügung jeiner Kirche anzurufen. Die praftiihen Zwecke eines ſolchen Appells haben an diefer Stelle feine Beurtheilung zu erfahren; und was die fpezifiich gemeinde— erbaulihen Abjichten des Buches angeht, jo läßt ſich nicht leugnen, dat jeine Nachrichten ein derartiges Intereſſe wohl zu befriedigen geeignet jind, zum Theil allerding3 einzig und allein auf dieſes In— terejje eines Heinjten Kreiſes berechnet fein können. Zumal wegen dieſes Leſerkreiſes iſt es anzuerfennen, daß der Bf. ſich von kon— feſſionellen Gehäſſigleiten durchaus und abſichtlich freihält. Auch die nicht katholiſchen Freunde der lübeck'ſchen Kirchengeſchichte werden ihm für die Mittheilung manches Details dankbar ſein.

Aber das Buch erhebt auch auf eine wiſſenſchaftliche Beachtung einigen Anſpruch und erfordert aus dieſem Grunde hier eine Anzeige.

490 Literaturbericht.

Es will, wie der Titel beſagt, eine Geſchichte des „ehemaligen katho⸗ liihen Bisthums Lübeck“ feit 1530 liefern und glaubt durch ſeine Benupung der Literatur und mehrerer ungedrudter Archivalien zu ſolchen Ergebniffen gelangt zu fein, daß es ſich fpäterhin bei diejem Gegenitande „nur noch um minder wichtige Ergänzungen handeln kann.“ Dieſem Anſpruch fann das wiſſenſchaftliche Urtheil nur mit einer gänzlichen Ablehnung gegenübertreten. Der Bf. benutzt an m gedrucdten Tuellen außer feinen Pfarrarchive verfchiedene Aktenſtüde aus dem vatikaniſchen Archiv und aus dem Archiv der Propaganda: Kongregation in Rom, deren Mittheilung an ſich ganz wünſchenswerth iſt. Uber wie in aller Welt fann man die Gejchichte eines Bisthuus zu jchreiben unternehmen, ohne ſich im Öeringjten um die vornehmite Zuelle dafür, dad Archiv eben diefed Bisſthums und feine3 Tom: Eapitel3 jelbjt, zu fümmern, ohne ſich auch nur die Frage vorzulegen, ob und wo und in weldem Umfange diejes Archiv erhalten it? Schon aus dem Urkundenbuche des Bisthums Lübeck von Leverfus und danach aus Waitzens Wullenmwever hätte dem Bf. die Kunde fommen follen, daß die Beitände des Archives, Urkunden, Alten, Regiiter, Brief, Protofollbücher, in ihrem wejentlihen Umfange erhalten find und zum größten und werthvolliten Theile im großherzoglichen Haus und Gentralarchive zu Oldenburg beruhen, während der Reit id noch im Negierungsgebäude zu Eutin befindet. Da hätte ſich doch zum Mindeften ein Einblick verlohut; vielleicht würde der Vf. es ſelbſt als feine erjte Pflicht erkannt haben, zunächſt dieſes reiche und urfprüngliche Quellenmaterial zu durchforſchen, jtatt jich für feine vere meintlich abjchließende Darjtellung vereinzelte Aftenjtüde aus Rom zu holen, die bier doch nur ein gelehrtes Ornament darftellen.

Tas Bud von Waig, das für die Reformation in Lübed dem Oldenburger Archiv eine Reihe von Notizen entnommen hat, iſt dem Bf. unglücklicherweiſe erjt nach der Vollendung jeiner eigenen Arbeit zu Gejichte gekommen; er Steht nicht an, in einen Nachtrage, der fait ein Neuntel des ganzen Buches ausmadıt, feitenlange wörtliche Auszüge aus Waitz und einigen anderen Werfen binterherzujchiden. Die ganze Tarjtellung zeigt überhaupt, daß der Stoff in jehr unvollfonmener MWeife verarbeitet it. Der Text beiteht theilmweife nur aus einer An- einanderreifung von Wltenauszügen; während der Anhang eine Anzahl ungedrudter Aftenjtücde zufammenjtellt, werden im Texte die: jelben Aftenjtüde in einer ſich über viele Seiten binziehenden Über: jegung mitgetheilt; an anderer Steile werden lange fateiniiche Alten

Deutiche Landſchaften. 491

in den Text eingejchoben, bei denen man jich vergeblich fragt, weshalb fie nicht mit ähnlichen Stüden in den Anhang verwielen jind. Auch trägt der Zwieſpalt, der fih in dem Thema des Buches befindet, nicht dazu bei, den Bufammenhang und die Überfichtlichleit der Dar- ftelung zu erhöhen; auch während ded 17. und 18. Jahrhunderts läßt ſich die Geſchichte der katholiſchen Minorität des Domkapitels nicht völlig von der Gedichte des lutheriſchen Bisthums und der lutheriſchen Majorität des Domkapitels loslöſen und jtatt deſſen allein in Verbindung mit der neufatholifhen Propaganda und den Une fängen der heutigen katholiſchen Gemeinde darjtellen. Berlin. Hernıann Oncken.

Tag alte Bergreht von Iglau und jeine bergrechtlichen Schöffenfprüche. Herausgegeben von Dr. 3. A. Tomaſchek Edlen von Stradowa. Mit Unterjtügung der faif. Akademie der Wifjenjchaften zu Wien. Innsbruck, Ragner. 1897. XVI, 213 ©.

Der Vf. deffen „Deutfches Recht in Ofterreich“ (1859) und „Ober: bof Iglau“ (1868) von grundlegender Bedeutung geworden find, hat vor beinahe 40 Jahren eine Bearbeitung des Iglauer Bergrechts in Ausiicht gejtellt. ES iſt ihm nicht entgangen, eine wie umfaſſende Aufgabe das war. Das Iglauer Bergrecht oder, wenn man noch weiter zurüdgehen will, feine Hauptquelle, da3 zuerjt in Freiberg i/S. zur Fixirung gelangte Berggewohnheitsredht hat eine wahre Welt- wanderung durchgemacht; wo überhaupt Bergbau betrieben und damit Feſtſetzung bergrechtlicher Norınen nothivendig wurde, da finden mir Spuren jener alten meißnifchemährifchen Rechte. So läßt fid) eine er— Ihöpfende Bearbeitung des Iglauer Bergrechts fauın lofalifiren; fie deckt jich nahezu mit der Geſchichte des allgemeinen Bergredht3 und dieje ıwieder hängt auf'3 innigſte zuſammen mit der allgemeinen Ges Ihichte des Bergbaus, einem bisher noch wenig behandelten Gebiet, defien Bearbeitung nicht bloß rechtswiſſenſchaftliche und volfswirth- Ichaftlicye, fondern auch bergtechniſche Kenntniſſe vorausſetzt. Der Bf. hat denn aud) jrüher beabjichtigt, die Darjtellung des Iglauer Berg: recht3 zu einer Geſchichte des Bergbaus in Deutjchland auszugeitalten es ijt ihm aber fo gegangen, wie dem Ref., deiten Arbeiten über das Freiberger Bergrecht zunächſt viel weiter angelegt waren und ſchließlich doch wenig über eine Fritiide Materialſammlung hinaus gefommen find. Aber jo jehr man auch bedauern mag, daß T. nicht wenigftend eine ſyſtematiſche Daritellung des Rechtsſtoffs beigefügt

492 Biteraturberidht.

bat, jo müflen wir doch für das, was er bietet, aufrichtig dankbar fein und fein Werk als einen weſentlichen Fortſchritt auf dem Wege zu einer Gejchichte des Bergrechts bezeichnen.

Es enthält zunächſt einige zufammenhängende Iglauer Bergredti quellen: die bergrechtlihen Abjchnitte der Stadtrechtdurfunde von 1249 (1349 auf ©. 1 ift ein jtörender Drudjehler) nebft der Überſetzung des Stadtjchreiberd Joh. v. Gelnhauſen und die Varianten der jpäteren Redaction diefer Urkunde beided war ſchon gedrudt (und zwar mit weniger Drudfehlern) in T.'s Deutihem Recht in Xifterreid E. 303 ff. und dad „Deutſche Iglauer Bergrecht“, von dem bisher nur ein lüdenhafter Abdrud (in 3. U. Schmid's Ardiv für Bergwerksgeſchichte 2, 191) vorlag, eine ſehr wichtige Aufzeichnung, da fie vorzugsweiſe für Rechtömittheilungen nah auswärts benupt wurde, die doch häufiger vorfamen, als man nad) der Cinleitung 5. XV annehmen jollte (vgl. mein Sächſ. Bergrecht des Dkittelalterd S. LXIX). So zeigt auch die Rechtsmittheilung, die T310—1327 an den Nat zu Freiberg erging (gedrudt a.a.D. ©. 20ff.), eine nahe VBerwandtichaft mit jener im Iglauer Archiv vorhandenen Auf: zeichnung, die ich Danf der Gefälligfeit der Iglauer Stadtbehörde i. 3. für die Edition der nur in einer mangelhajten und unvol- jtändigen Abſchrift erhaltenen Freiberger Rechtsweiſung benupen konnte. Dann folgen, abgefehen von einer Heinen Notiz über die Constitutiones metallicae regis Wenceslai IL (nicht ILL.) und einer Wiederholung eines ſchon mehrfach gedrudten Weisthums für Klofter Leubus in Sclefien von etwa 1268 (de3 einzigen Iglauer Schöffen⸗ ſpruchs aus den 13. Jahrhundert), 152 Weidthümer und Urtel dei Sglauer Bergſchöffenſtuhls aus verjchiedenen Handſchriften, deren nähere Bejchreibung T. ſchon in feinem Werke über den Oberhof Iglau gegeben hatte. Sie umfajjen die Zeit von der Dlitte dei 14. bi8 in die erjten Sahrzehnte des 16. Jahrhunderts und bieten ein überaus reiches Material für die Kenntnis des Iglauer Berg: rechts und der Praxis des dortigen Schöffenſtuhls; zu bedauern üt nur, daß der ſpröde Stoff nicht durd ein Sachregifter und Anmerkungen oder wenigitend Hinweiſe auf die einjchlagenden Paragraphen der Bergrechte leichter benußbar gemadt worden iſt. Der ältejte berg: rechtlide Eoder des Sglauer Stadtardjivs verdient bejonders wegen jeiner erjten 43 Einträge Beadjtung, die eine erweiterte Nedaction des Deutſchen Iglauer Bergrechts daritellen; von den Zufägen zu demfelben haben vier (no. 33—36) ficher auch in der Aglauer Rechts⸗

Deutſche Landſchaften. 493

weiſung nach Freiberg geſtanden, da ſie ſich inhaltlich und theilweiſe wörtlich im Freiberger Bergrecht B (8 42, 38, 41, 37 meiner Aus— gabe) finden.

Das Gebiet, innerhalb deſſen Iglau als Oberhof in Bergrecdht2« lachen galt, bejchränfte fid, nad) unferen Urkunden auf Böhmen, Mähren und Sclefien; wenn T. (S. V ff.) auch Meißen dazu rechnen will, fo fann man ihm ſchwerlich recht geben: erbat ſich aud Freiberg einjt eine Nechtömittheilung aus Iglau und wurden aud) ſpäter ger legentlidy) Anfragen von Meißen aus an die erfahrenen Schöffen in Iglau gerichtet, jo hat doc) ein regelmäßiger Rechtszug nad) Iglau weder von Freiberg noch von jonjtigen ſächſiſchen Bergjtädten aus jtattgefunden, ja der Iglauer Rath weiſt oft Anfragen aus Meißen zurüd (vgl. S. 171. 173. 177 u.6.)., Dabei mag darauf Bin» gewiejen ıwerden, daß die Jahrzahl 1450 in einem Scöffeniprud) nad) Schneeberg (no. 130, S. 149) unmöglich richtig iſt; 1450 war der Schneeberg noch gar nicht fündig, vor 1470 hat es ſchwerlich hier ein Berggericht gegeben, und die drei dort genannten Gruben fommen erit in den Jahren 1476— 1500 vor. Auch gehört der Sprud) No. 149 (S. 177) nit in’8 15. Jahrhundert (S. 208), ſondern in's 16.; Annaberg erhielt diefen Ramen erjt durch faiferl. Urkunde von 22. März 1501.

ALS Anhang jind dad Bergredht der mähriſchen Stadt Jamuitz (1537), eine Aufzeichnung über das Bergredht ungarifcher Bergſtädte (1498— 1500) und ein Nuttenberger, von Iglau aus approbirter Schöffenſpruch (1514) beigefügt. Die Verzeichniffe der Ortichaften, die mit Iglau in bergrectlichen Beziehungen ftanden, und hervorragender Berjonen, die in den Schöffeniprüdhen erwähnt werden, hätten ſich durch Beifügung der Geitenzahlen leicht in ein Orts- und Berjonen« regijter ummandeln laflen, das der Benutzer ſchmerzlich vermißt.

Dreöden. H. Ermisch.

Studien über die Entwidiung des Bergregals in Sclefien. Bon Dr. Konrad Wutle. Berlin, J. U. Stargardt. 1897. V, 211 S.

Seit dem epochemiachenden Bud von Ad. Arndt: „Zur Geſchichte und Theorie de Bergregald und der Bergbaujreiheit” (Halle 1879), in dem der Nachweis geführt iſt, daß im 12. und 13. Jahrhundert dad Bergregal in Deutichland überall gegolten hat und die Bergbau— freiheit lediglicd) ald abgeleitet vom Bergregal anzufehen iſt und daß auch die fpätere Entwidlung ſich durchaus auf dieſer Grundlage

494 Literaturbericht.

vollzog, iſt keine größere Arbeit über dieſe Fundamentalfragen de Bergrechts erſchienen. Auch die vorliegende fleißige und ſcharjſinnige Arbeit geht auf die Entſtehung und älteſte Entwicklung des Berg regald nicht näher ein; ihr Schwerpunkt liegt in der Beantwortung der trage, wie jich daS Bergregal in Schleſien entwidelt hat, nachdem die ſchleſiſchen Fürſten durch die Unterwerfung unter die Lehnshoheit Böhmens im 14. Jahrhundert ihre Souveränität verloren hatten. Sie wendet ſich dabei mit aller Entſchiedenheit gegen die Auffaſſung, die Emil Steinbeck in ſeiner Geſchichte des ſchleſiſchen Bergbaus (Breslau 1857) vertritt, und die im Weſentlichen darauf hinausläuft, daß das jus ducale, das aud) nad) der Unterwerfung unter Böhmen den ſchleſiſchen Fürſten verblieb, jih mit dem jus regale völlig deckte. Die Belege, die Steinbed dafür anzieht, find theils, wie die Urkunden für Qeubus von 1178, für Grüßau von 1352, ala Fälfchungen nachgewiejen. theils befagen fie nicht dad, was Eteinbed aus ihnen herauslas; Wutke beweilt vielmehr, daß das jus ducale menn auch feine urjprünglide Bedeutung eine weitere war jeit dem 14. Zahrhundert fi) hauptſächlich nur auf die oberfte Gerichtöbareit bezog. Steinbeck's Grundanſchauung, daB auch fpäter die ſchleſiſchen Fürſten Theile ihrer Territorien mit der vollen Regalität, alſo auch dem Bergregal, veräußern konnten, iſt falſch; nur der neue Ober lehnöherr, der König von Böhmen, war Inhaber der Regalıen. Durch die goldene Bulle, die den Kurfürjten den Befit der Negalien zuerfannte, wurde dies lediglich beftätigt; und die jpäteren Könige Böhmens, die ihre Oberherrlichkeit über die Fürſten Schleſiens immer weiter ausbauten und fie mehr und mehr auf die Stufe böhmifcher Großgrundbeliger herabzudrüden juchten, haben an ihren Regalrechten durchweg feitgehalten. Dies jpiegelt jich wieder in der ſtaatsrechtlichen Entwidlung der ſog. Standesherrfchaften, mit denen jih der größere Theil des Werkes beſchäftigt. Auf Grund eines reihen Meateriald führt der Bf. den Nachweis, dab eine redt- verbindliche Übertragung der fgl. Regalrechte und insbefondere des Bergregald an die Beliter diefer Standesherrfchaften niemals jtatt- gefunden hat, fondern daß es jich bei allen Privilegien, die ſich auf den Bergbau beziehen, lediglich um beſtimmte einzelne Bergwerke oder um zeitlich bejchränfte Befreiungen handelt. Beſonders eu gehend ift dies für die Standesherrjchait Pleß nachgewieſen; gleiche Verhältnifje fehren wieder in den Standesherrichaften Wartenberg, Trahenberg und Militfch, Sägerndorf, Leobihüg, Loslau, Freuden

496 Literaturbericht.

geſchichtlichen Beziehungen zum Hauſe Habsburg; aber zwiſchen dem hierin rivaliſirenden, wenn auch in ſeinen Anſprüchen weniger berechtigten St. Blaſien und feiner Gelehrtenakademie und den Ge lehrten von Wuri erhebt ſich ein äußerit leidenfchaftlicher Streit, dem ſchließlich nad) 1760 durch Gebote aud Rom und aus Wien Stillihweigen auferlegt wurde. Mit einem P. Herrgott konnte ſich Muri freilich nicht meſſen; aber der gelehrte Hiftorifer Fridolin Kopp, der 1751 —1757 Abt war, und P. Joh. Baptift Wieland, der gegen den Sanblafianer P. Heer die Vindiciae Vindiciarum Koppianarım ſchrieb, waren doch jehr nennenswerthe Vertreter benediktinifcer Wiſſenſchaft. Nah dem Sturm der belvetiichen Revolution 1798, der den damaligen Fürſtabt zur Emigration zwang, den im Kloſter zuriicgebliebenen Kapitularen die größten Heimfuchungen auferlegte ebenjo gingen durch die Umwälzung im Deutichen Reiche die dortigen Herrihaften an den Fürften von Hohenzollern - Sigmaringen ver: loren —, kam e8 zur nachmaligen Wiederaufrichtung des Stiftes. Aber dasjelbe war durch die Neueinrichtung der Eidgenofjenichaft jet einer fantonalen Pegierung unterworfen. Der durch die Mediations⸗ verfafjung begründete Kanton Aargau war ein konfeſſionell part tätijche3 Gebilde; die feit dem Jahre 1830 neu erwachſende Reibung zwifhen den politifhen Parteien mußte nothwendig im dieſen gemifchten Territorien fi) auf den Boden der religiöjen Gegenjäht übertragen; feit 1835 war außerdem die jtaatlidie Verwaltung det Güter der im Kantonsgebiet eriftirenden Klöſter eingerichtet worden, und als 1838 eine Neuwahl für den durch Tod erledigten Stuhl dei Abtes eintrat, machte die Regierung ihre Rechte in einfchneidender Weife geltend. So wurde Muri der ſich von felbft ergebende Mittel punft, als die fatholifhe Bevölkerung des öftlihen SKantontheil 1841 gegen eine neue, in der Ahbftimmung mit geringer Majorität angenommene Santonalverfaffung fi) erhob, und ebenſo lag ed für Die ſiegende radikale Partei nahe genug, die ganze Schuld jept den Klöſtern aufzubürden und zu deren Aufhebung zu fchreiten. Eine Hauptanklage gegen Muri war die von aller Welt geglaubte, aud jetzt noch vielfach durch die landläufige Gejchichtserzählung verbreitete Anſchuldigung, daß am 11. Januar, dem kritiihen Tage, mit den Ktlojtergloden Sturm geläutet worden fei; aber in einer für die Auf löjung hiſtoriſcher Parteimärchen geradezu typiſchen Weife iſt 18%, nachden: eine in Aarau gehaltene öffentliche Rede die Sache neuer dings un das Tageslicht gezerrt hatte, dur) Abhörung von zwanzig

498 Literaturbericht.

wirklich bedeutenden Abtheilungen des Campell'ſchen Buches hervor⸗ gezogen hatte.

Der Leiter der Sammlung der „Quellen zur Schweizer Ge— fhidhte*, Dr. H. Wartmann in St. Gallen, der ſich überhaupt um die ganze Edition die größten Verdienite erivarb, ſtellt in feiner umfangreichen Einleitung zu Bd. 9 den thatſächlichen Werth diejer rätiſchen Geſchichte in das rechte Licht.

Tie von den Urjprüngen des rätifchen Volles bis auf Campells eigene Zeit der Autor ſtarb 1582 als Pfarrer zu Schleins im Unterengadin reichende Geſchichte ijt im weſentlichen ein jehr fhmwerfällige8 Werl. Campell itand, da er für den großen Werth urfundlider Schäße entweder fein Verſtändnis hatte, oder da er ſolche nit für ſich aufzufchließen vermodte, vor äußerit dürftigem älterem hiftorifhem Material, jo daß er inäbefondere auf die 1548 in Zürich erfchienene eidgenöfiifche Chronif von Stumpff, auf Kaspar Bruſch's Verzeihnid der Eurer Biſchöfe griff und in dem ganzen Abjchnitte über das Mittelalter in der Hauptſache bloß Stumpff aus zog und überfegte, in den lang gedehnten Kapiteln: Raetia servit, oder: Raetia usque adhuc servit, oder: Raetia spem libertatis fovet, oder: Raetia libertati recuperandae vicina und ähnlid, bis endli mit 1437 die Raetia foederata et libera erreicht iſt. Denn Campell ift als romaniſcher Engadiner von der Anficht erfüllt, die Hereinziehung feines Landes in das mittelalterliche römijch = deutihe Reich fei eine Zeit der Knechtſchaft geweſen, die erft durd die Ent- itehung der drei Bünde von einer neuen Freiheit abgelöjt worden jei. Werthvoller wird die Gefchichtserzählung vom Schwabenkriege an, wo ſchon perjönliche Überlieferung dad vorgefundene Material ergänzt, durch das 16. Sahrhundert hin. Denn mündliche Mit theilungen des Vaters, ferner jeined Lehrers, des Reformators Bhilipp Gallitius, offizielle Alten ftanden ihm Bier zu Gebote; von der Mitte des Sahrhundert3 an nahm Campell felbjt im Engadin und in Eur als reformirter Prediger an den Dingen lebhaften Ans theil, und zivar als heftiger Parteimann, jo als Gegner des in politiiche Prozeſſe zum Tode gebrachten fatholiihen Staatsmanne Dr. Sohann v. Planta (9. 3. 67, 162—164). Eine ermüdende Weitjchweifigfeit fehlt zwar aud) in diefen Partieen der zeitgenöſſiſchen Geſchichte nicht, jo daß da manche allzumweit ausgefponnene morali— jirende vder dogmatiſche Betrachtungen in der Wusgabe verkürzt wurden. Ein ausdrüdliched Gepräge empfängt dad Werf auch durch

500 Xiteraturberidtt.

Strohſitz herab daß: „Heute wir, morgen ihr“ der aufgeregten Menge drohend in’3 Geſicht wirft. Der Abgang in die Schweiz nad) dem nißlungenen Feldzug von 1792 mit der Hoffnung, unter piemonteſiſch- ſchweizeriſcher Fahne für das Königthum zu Fechten, beendigt den Band.

Glücklicherweiſe jpricht bei alledem der Bf. mehr von dem, was er fieht und erlebt, ald von feinem individuellen Thun. Er befigt in hohem Grade die Babe, ſcharf aufzufajlen und pifant zu ſchildern, manchmal allerding3 mit etwas zu breiter Behaglichkeit; nicht immer lieft er ſich leicht. Erſt im 69. Lebensjahr (1838) hat er, allen ehr- geizigen Illuſionen definitiv entfagend, die Hand an die Darftellung jeines Lebens gelegt. Selten, 3.8. bei Berührung einer mythologiſchen Frage, die ihm im Harz aufitößt, ſucht er außer ſich Belehrung. Auh für die 40-50 Jahre ferne Vergangenheit ift fein eritaunlid friſches Gedächtnis ihm der Führer. Und, um es gleidy zu fagen, man Hat den Eindrud, daß ein wahrhaftiger Mann redet. ber freifih fann das ja nicht ohne weiterd bemweifend fein für die Treue des Gedächtnifjes zurüd in fo ferne Zeit und für bie Nichtigkeit zahl reicher interefjanter Erlebnijje, die felbit der gelehrte Herausgeber theild nur mit einem „fann wahr fein” (Verhalten im Prozeß Favras), theild gar nicht beitimmen fann. Zuweilen lajjen jich Zweifel nidt abweifen. So wenn Norvind nah Schilderung der Ichredendvollen Eindrüde am 5. und 6. Oftober 1789 jeiner Zulaffung bei emem Abendempjang des unglüdlichen Königspaares in den Tuilerien mit den Worten fchließlich gedenkt: „Und wenn ich hundert Jahre alt würde, fo würde ich in meiner legten Stunde mich noch des Eindruds erinnern, den ich empfing, al3 ich die Königin grüßte, ohne fie zu erfennen. Alle ihre Haare waren grau geworden.“ (S. 228). Wenn ein Irrthum über diefen fo in's Centrum feiner damaligen Gefühld welt dringenden „Eindrud“ dem Bf. pafjirt fein könnte, der die Treue feines Gedächtniſſes fo rühmt (avis au lecteur) und obendrein verjichert, daß feine Eindrücke noch treuer jeien, als feine Erinnerung (S. 236), jo müßte nach meinem Gefühl die objektive Zuverläſſigkeit Korvins als recht fraglich erjcheinen.

Ohne endgültig zu urtheilen, will ich erwähnen, daß andere Beſucher der Königin aus jenen Tagen, Bailly, Pasquier u. a., ſo ſehr ſie die hohe Frau verändert fanden, jene pathologiſche Erſcheinung nicht erwähnen. Sicher ſind die Memoiren der Frau v. Campan flüchtig und unzuverläſſig, aber man wird ſich doch nicht leicht ent⸗

502 Literaturbericht.

drucke W. Gieſebrecht's ſeine Grundauffaſſung des weltgeſchichtlichen Vorgangs, daß er nicht die Folge einer von langer Hand geplanten Verſchwörung Einzelner, jondern ein ſpontaner Aft des empörten Boll willens der Polermitaner geweſen ſei, „mehr behauptet als bewieſen“ babe, verſuchte ich dieſen Beweis nachträglich in einer Abhandlung zu führen, die 1871 in dieſer Beitfchrift veröffentlidt worden iſt Tazu mußte ich mich vor allem mit der mir bis dahin fremd geblie benen Chronik ©. Villani's bejchäftigen. Denn darum handelte e& jid bei diejer Streitfrage ganz bejonders, ob die in ſicilianiſchem Dialekte gejchriebene Legenda di Giovanni da Procida die Grundlage der ausführlichen Erzählung Villani's jei, oder ob jene Legende Villani oder einer Quelle desfelben entnommen fei. Die Unterfuchung hier: von führte mich auf die Duellen der Chronif Villani’3, bzw. zu denen der Stadtgefhichte von Florenz überhaupt. Sch fand hier zu meinem größten Erftaunen, daß für fie jo gut wie alle noch zu thun jei. Die Ausgaben der Chronif Villani's gaben feine Ausfunft hierüber und die bis dahin erfchienenen Geſchichten von Florenz ebenjomwenig. Die befannte Schrift von Gervinus über die florentinifche Hiftorio- graphie hatte jich ja ganz andere Ziele gejtedt, und die Schrift K. Hille: brand’3 über Dino Compagni faßte nur eine relativ junge Periode der Stadt, die Zeit Dunte’s, in's Auge. Da nun ungefähr gleid- zeitig mit diefer meiner Unterſuchung die ausgezeichnete Abhandlung von Scheffer-Boichorſt erfchien, in der unwiderleglich bewieſen wurde, daß die Chronik der ſog. Malefpini, die man bisher al& eine Haupt: quelle ©. Villani's angefehen hatte, eine Fälſchung fei, jo beſchloß ih, nich auf diefem Forſchungsgebiet näher umzuſehen. Ich that das, weil mir die herrliche Stadt Florenz, die italienijchite aller italieniichen Städte, befonderd an's Herz gewachſen war, und id hoffen durfte, doch noch etwas Neues zur Aufflärung ihrer Geſchichte beitragen zu fönnen. Denn wenn ich auch feine Darjtellung ihrer Anfänge und älteften Geſchichte bei dem ſtets leidenden Zuſtande meiner Augen fchreiben fonnte, jo glaubte id doch in einzelnen Ab- handlungen und Forſchungen, die ich beliebig abbrechen durfte, eine jihere Grundlage für einen fpäteren glüdlicheren Gejchichtjchreiber heritellen zu fönnen. Ich hoffe, diefe meine Abficht zum guten Theil erreicht zu haben; denn, ich habe eine Anzahl Chroniken und rag mente von jolhen, die bisher zum guten Theil ganz unbelannt oder nicht genügend veröffentlicht waren, mit ausführliden Kinleitungen und hiſtoriſchen Kommentaren herausgeben können. Auf wiederholten

Stalien. 503

Heilen nad) Florenz und durch das freundliche Entgegentommen der Vorjtände aller Archive und Bibliothefen, auf denen ich nachzuſehen hatte, iſt dies Refultat zu erreihen gelungen. Wenn ein nicht gerade als wohlwollend befannter Recenſent in diefer Zeitfchrift an dem 1. Hefte meiner „Quellen und Forſchungen“ Einiges vermißt bat, was er nachzuholen ji) dann ſofort anjchidte, jo konnte das nur gejchehen, weil der Kritifer nicht wußte, was ich im weiteren Verlaufe der Unterfuhungen zu bringen beabjichtigte.

Daß meine Nachforſchungen nad unbekannten Chronifen der Arno= jtadt nicht ganz oberflächlicdy gewejen iind, bezeugt indireft auch das große und gründliche Werk, mit dem wir uns hier näher zu bejchäftigen haben. Denn feinem Autor ijt es, abgejehen von einem handjchriftlichen Funde, der mit der Geſchichte der Stadt nur indirekt zufammenhängt, nicht gelungen, auch nur eine Chronik zur Stadtgeſchichte neu auf: zufinden. Dagegen hat cr den Namen des Mannes entdedt, der die erjten Aufzeichnungen in italienischer Sprade zur Stadtgefchichte in die Form gebracht hat, in der fie bis zur Zeit ©. Villani's beliebt waren und in deflen Chronik zum Theil wörtlich eingerüdt worden find. Piero Bonfante, raccontatore delle storie, wie er ſich felbit nennt, feinen Beruf nad) ein judex zu Zlorenz, ift es nämlich ges iwejen, der zuerit den Martinus Polonus in's Stalienifche auszugsweiſe überjegt und in dieſe Arbeit dürftige Notizen über Vorgänge in Florenz eingejhoben Hat, die dann zu den jog. Gesta Florentinorum aus: gewachien und in dem von mir herausgegebenen Codex Neapolitanus am Beiten erhalten find. (S. Davidfohn, Forſchungen ©. 165 u. f.)

Zu den Gründen, die mich beſtimmen mußten, auf eine zufanınen= bängende Darſtellung der älteren Geſchichte von Florenz zu verzichten, gehörte nicht in leßter Linie der, daß ich nicht im Stande war, alle die zahlreichen Urkunden zu ftudiren, die aus den Archiven Toskanas für die Gefchichte des Landes fchon herausgegeben waren. Noch weit weniger fonnte ich ed meinen Augen zumutbhen, das nuch weit grüßere Altenmaterial zu durchjorjchen, das in dieſen noch unpublizirt lag. Sch hätte das freilih billig haben fönnen, wenn ich es fo gemacht hätte, wie Herr Perrens, der nad) den Citaten jeiner bändereichen Geſchichte von Florenz großartige ardivalifhe Studien gemadt zu buben jcheint, in der That aber faſt nur die zahlreichen Regiſterbände de3 Florentmer Staatsarchivs angejehen hat. Das konnte mir nicht genügen. Tu ich aber doch zu meinen hijtoriihen Kommentaren der Annalen der Urkunden nicht ganz entbehren konnte, jo habe ich die

504 Literaturbericht.

wichtigſten im Archive von Florenz eingeſehen und die zum Theil ſehr werthvollen Ergänzungen zu ihnen aus dem Sieneſer Ardiv nah den Excerpten meined veritorbenen Freundes Th. Wüſtenſeld benutzt, foweit ich deſſen Handjchrift entziffern konnte.

Das, man darf wohl jagen, ungeheuere Urklundenmaterial, ge drucktes wie ungedrudted, jorgfältig durchforſcht zu haben, ift das erite Verdienft des Herrn D. Es gibt fein großes Öffentliches Ardiv Toskanas, in dem er etwas für feine Zwecke zu finden hoffte, das er nicht dDurchmuftert und excerpirt hätte. Auch Kirchen und Privat- ardive einzelner alter Familien hat er fleißig ftudirt. Mehr als jieben Jahre lang hat er, in Florenz lebend, feiue ganze Arbeitökraft darauf verwendet, alte erreichbare Quellen für vie Gefchichte der Arnoſtadt zu fammeln, zu fichten, durchzuarbeiten und in einer ge: ihmadvollen, durchaus gut gejchriebenen und gedanfenreihen Erzäh: lung zu verwerthen. Tas werden alle unbejangenen Leſer dieler ausführlichen Gefhichte der Anfänge von Florenz behaupten müflen, foviel Einfprudy im einzelnen fie auch gegen neue Aufitellungen ihres Autord erheben und Zweifel darüber ausfprechen mögen, ob er nidt in fein Werk die Gejammtgefchichte Staliend und der Toskanas ind- bejondere zu ausführlich Hineingezogen habe.

Für eine jede geſchichtliche Monographie iſt es fchwierig, das rechte Verhältnis zu finden, in dem die Erzählung des Allgemeinen zu der des Beſonderen ſtehen ſoll. Und das umſo ſchwieriger, wenn und aus den Anfängen einer geſchichtlichen Bildung nur ganz ver einzelte, abgerifjene Notizen vorliegen, und man nit nur das Bes dürjnid empfindet, ihre Bedeutung und ihren Zuſammenhang mit den gleichzeitigen allgemeinen Vorgängen flarzulegen, ſondern auch aus reinen fchriftjtelleriichen Stilgefühl heraus die einzelnen Theile der Erzählung in ein nicht allzugroßes Mißverhältnis gerathen zu laflen. Se nahdem nun der Lejer einer Monographie diefe8 Stilgefühl gelten laſſen wird und über die Beitverhältniffe unterrichtet ift, in der der Veriaſſer einer Monographie jeine Einzelheiten einzutragen hat, ehe ji die Erzählung im breiten vollen Fluſſe der Darjtellung, ohne von allzuvielen Untiefen und Katarakten unterbrochen zu werden, dahin bewegen fann, wird fein Urtheil über die Nidhtigfeit des in dDiejer Beziehung dom Autor innegehaltenen Maßes fchwanfen. Im großen und ganzen möchte ich für meine Perſon die vorliegende Arbeit, die fih, wie jchon die Trennung von Darftellung und For⸗ ihung beweijt, an einen größeren Leſerkreis wendet, wenn fie aud

506 Literaturberidt.

Nicht im äußeren Anſchluß an dieje Kapiteleintheilung find die „Forſchungen“ gehalten, die Davidſohn feinen Texte, der übrigen: auh mit zahlreihen Anmerkungen, welche Bemeidjtellen und hie und da aucd Heine Ausführungen enthalten, in einem bejonderen Bändchen beigegeben hat. Es jind 54 Ffleine Monographien ver: Ichiedeniten Inhalts, theils Fritsche Erörterungen, tbeil®, und zwar zum geringeren Theile, Terte und Regeſten, ſprachliche Zuſammen⸗ jtellungen u. j. w. Für den wiſſenſchaftlichen Gebrauch des Tert- bandes jind diefe Forſchungen felbjtveritändlich unentbehrlich. Werden fih doch an ihn die meiſten Kontroverſen anjchließen, welde das Buch aller Vorausfiht nad) doch nad) ſich ziehen mird. Denn bei der Menge der neuen Aufitellungen im einzelnen, die zum Theil nur ala Hypothefen behandelt werden konnten, werden abweichende An: jihten nicht ausbleiben und andenveitige Auſchauungen ſich geltend machen. Wenn ich bier auf dieſe Einzelheiten nicht fonderlich en gehe und dus Buch mehr als Ganzes beipreche, jo liegt der Grund biervon theil® an den oben angedeuteten perſönlichen Verhältmiſſen, theilg in dem Umſtande, daß mir bier in Florenz, wo ich mid) vor: üibergehend aufhalte, die nöthige Literatur doch nur mit äußeren Schwierigfeiten verbunden zur Band ilt.

Zum 1. Kapitel bemerfe id), daB die Yage des etruskiſchen Florenz, dag 82 v. Chr. zeritört wurde, nachdem ed nicht mehr al& ungefähr 125 Jahre beitanden hatte, auf einer jtromaufiwärt® von dem heutigen ölorenz gelegenen Arnoinſel, doch nicht jo jicher eriviejen zu jein jcheint, als D. annimmt. Ich weiß mid) volllommen von Anhäng— lihfeit an lofale Traditionen frei, muß aber doch jagen, daß der Beweis, den D. für feine Annahme beibringt, nicht ftringent zu fein jcheint. Die Thatſache, daß in der Nähe von ©. Salvi große antife Mauerreſte geitanden haben, die namentlih im 11. bis 12. Jahr—⸗ bundert als Steinbruch dienten, faun doc nicht erhärten, daß diele Baureſte etruskiſchen Urſprungs waren. Wer weiß, mer jie errichtet hat? Die jog. etrusfiihe Florentia war meiner unmaßgebliden Anſicht nach aud) feinediwegs rein etrusfiichen Urſprungs.

Anſprechender als dieſe Hypotheſe jcheint mir die im 2. Kapitel vorgetragene Anjicht von dem griedhijchen Urſprunge der älteften, oder doch eines bedeutenden Bruchtheiles der älteften Chriitengemeinde zu Florenz zu fen. Iſt doch der einzige Florentiner Märtyrer, der bl. Minias, jeinem Namen nad ein Grieche, und Die hi. Reparata, der Die Hauptkirche der Ztadt geweiht war, iſt bDefanntlich eine

Stalien. 507

Märtyrerin aus Cäſarea in PBaläftina, welcher außer diejer mehrere Ktirhen in Städten am Mittelmeer und Tuskien geweiht waren. Auf zahlreichen alten chriftliden Grabſteinen, die in Florenz gefunden find, ſtoßen wir vielfad, auf griedifche Eigennamen. Die Ausführungen D.'s S. 38 u. f. jind in dieſer Beziehung jehr intereſſant.

In dem 3. Kapitel hebt ®. u. a. mit Recht hervor, wie bedeu⸗ tend und lange nachwirkend der Einfluß der Langobarden, ihres Rechtes, ihrer Kultur und ihrer politiihen Gründungen, auf die jpatere Entwidlung, ja auf die Bildung der neuen italienifhen Natio- nalität überhaupt gewejen fei. Eine gegen mich gerichtete Bemer: fung D.’3 möchte ich doch richtig ftellen. ©. 76 fagt er: „Die Nach— ridyten über die Stadt jind aus diejer Periode jo dürftig, daß nod) Hiltorifer unjerer Tage annehmen konnten, ed läge über ihrem Dajein ein jahrhundertelange® Schweigen gebreitet.” Dazu werde ich citirt I S.82 und „ähnlih, wenn weniger ausdrüdiih Billari*. Was babe ih nun gejagt? „Mit dieler Erwähnung der Stadt dur Agathiad verſtummen dann wieder, nun aber nicht für ein, jondern jür mehrere Sahrhunderte alle Hiftorifer iiber fie.” Daran halte ich auch heute noch jeit. Denn D. bat feine „ärmlicde Kunde” auch nicht aus Hiltorifern, jondern aus Konzilienbeichlüffen u. |. w. gewonnen. Vielleicht ließen fih noch andere Differenzpunfte zwifchen mir und D., der übrigeng nur durchaus anftändige Polemik übt, auf ähnliche Weiſe heben. Um nur auf einen Punkt noch aufmerkjam zu machen, wo er dem Grafen Paſſerini mala fides zujchreibt und mid) als von ihm in die Irre geführt Hinjtellt, S. 368 und Forjchungen ©. 84, bemerfe ich, daß der Graf mir gegenüber einmal verjicherte, es jei ihm nahegelegt worden, feinen Stanındbaum der Fanıilie Bonaparte dem Staifer Napoleon III. einzujenden, er babe da8 aber abgelehnt. (£3 gibt nody immer Leute, die, um eine von ihnen anfgeitellte außer: ordentliche Theje zu vertheidigen, zu gewagten Mitteln greifen, ohne daß man bei ihnen die Erlangung äußerer Vortheile u. j. w. als Motiv vorauszujegen nöthig hat.

Doch ih darf wohl nicht in diefer Weile fortfahren, das ganze Werft D.'s mit ſolchen Bemerkungen zu begleiten! Ih will nur noch einige Hauptrejultate des Werkes hervorheben.

Bor allen ſcheint mir die große kirchliche Bewegung Stalieng, welche im 11. Jahrhundert von Tuscien ausging und den Anfang der gregorianijchen Ktirchenreform bildete, jehr gerecht und richtig ge— ihildert zu jein. Daß D. dazu die älteite Vita des Stifter von

VB Literaturbericht.

Vallombroſa, des hl. Giovanni Gualberti, in einer Handſchrift der Biblioteca Nazionale zu Florenz aus dem Anfang des 12. Jahr⸗ hunderts vorfand, welche uns das Leben des Heiligen noch einfach und ohne die ſpäteren Fabeleien erzählt, muß noch beſonders hervor gehoben werden. Da man an der guten Latinität diefer Vita Anſtoß genommen bat, bemerfe ic), daß nach dem Urtheil fompetenter Balüo- graphen die Handichrift, welche jie enthält, wirflidy der Zeit angehört, der jie D. zufchreibt (Forſchungen ©. 63).

Für die Energie, mit der D. allen fragen, die ihm wichtig zu fein fcheinen, nachgeht, ijt durchaus bezeichnend, was er zu der be rühmten Feuerprobe des Petrus Ignetus zu Settimo (S. 240) bei- bringt. Er hat einen Berliner Branddireftor darüber Lonfultin! Richtig fcheint mir auch die große Bedeutung, weldye das Außiterben des fadolingiichen Grafenhauſes 1113, das alſo faft gleichzeitig mit dem Tode der Großgräfin Mathilde (1115) erfolgte, für die Geſchicke Tusciend und namentlich für die der nächſten Umgebung der Stadt Florenz und dieſe felbft gehabt hat, hervorgehoben zu fein (Forfhungen ©. 83 u. f., Tert ©. 368). Über Einzelheiten wird bei der Dürftigkeit und Undeutlichfeit der älteften Annalen der Stadt hierbei ftetd einiger Zweifel übrig bleiben. Eine Menge von einzelnen Aufflärungen, welde ©. urkundlichem Aktenmaterial entnommen hat, und die den großen Fleiß verrathen, mit der alle8 in Betradt- fommende auf Genealogie und anderweitige Zufammenhänge durd) gejehen ijt, laffen ſich kaum, troß der Citate in den Noten fontrolliren. So groß ijt die Menge ded Neuen in Einzelheiten. Aber auch da, wo ©. zufanımenfaßt und bedeutendere Perjönlichfeiten und nahe zu bringen ſucht, 3. B. die Großgräfin Mathilde, können wir ihm nur beijtimmen. Ich halte feine Zeichnung der „mertwürdigen Frau“ für die bejte, die wir in unjerer Literatur bejigen (©. 253 u. }.). Nicht minder erfcheint mir die Auffafjung der für die Geſchichte Tusciens fo hochwichtigen deutjchen Reichskanzler unter Kaiſer Fried⸗ rih J. Rainald's von Dafjel und Chriſtian's von Mainz, durchaus zutreffend. Unzweifelhaft bat der Leptere hierdurch fein haftiges, intonfequentes, nur auf Herbeiſchaffung von Geldmitteln gerichtete Auftreten und durch fein grobes Ausſpielen der einen Kommune gegen die andere das Anjehen des Reichs in Stalien dauernd gejchädigt. Beiläufig bemerft, hätte D. jich bei Beſprechung des für die Geſchichte von Florenz und der Reichspolitik in Tuscien jo wichtig gewordenen Geheimvertrages zwiſchen Florenz und S. Miniato vom 5. Mai 1172

510 Literaturbericht.

Behandlung ſeines Stoffes gelungen. Selbſt vom 2. Bande ſind noch ca. 200 Seiten dem Mittelalter gewidmet, und die Geſchichte des Landes ſeit dem Tode Ferdinand's des Katholiſchen wird aui ca. 450 Seiten zuſammengedrängt. Eine theilweiſe Erklärung für dieje auffallende Eintheilung liefert der Abſchnitt über die mauriſche Kultur, denn hier wiederholt der Bf. den im allgemeinen glüdlid übermundenen Gedanken, daß der Sieg der Ehriften über die Mauren ein Sieg der Barbarei über die Kultur gewefen. Daß diefe Kultur längit im Verfall begriffen, zum größten Theile ſchon wieder ab- geitorben war, wird nur verjtedt in einem einzigen Satze angedeutet. Durdgängig fteht der zweite Band an innerem Werthe Hinter dem eriten erheblich zurüd. Wenn es dem Bf. möglich geweſen mar, die verhältnismäßig wenig umfängliche Literatur über die Gejchichte des ſpaniſchen Mittelalterd mit leidlicher VBollitändigfeit zu benugen, fo hat er für die neuere Zeit jich offenbar faum ernitlic) bemüht, ein Gleiches zu thun. Seine Darjtellung hält ſich im Ganzen durdaud in den berfömmlichen Auffafjungen, aud) wo diejelben durch neuere Forſchungen al3 thatfähhlich unhaltbar erwiejen find, wie 3. B. in der Geſchichte der aragonejiihen Freiheiten, de Don Carlos u. ſ. w. Bei der außerordentlich flüchtigen Sfizzenhaftigkeit fehlt es natürlid auch nicht an ſachlichen Irrthümern. So ijt es feinedivegd richtig, daß Barbarojja in Jahre 1540 Gibraltar weggenommen babe (©. 283), fondern ed handelte ji nur um einen jener räuberifchen Überfälle, wie jie die fpanifchen Küftenftädte zu Zeiten zu erdulden hatten. Ebenjo unridhtig ift die Behauptung, die Sufpenfion der Anmeifungen auf die Kroneinfünfte fei nur ein einziges Mal, 1575, erfolgt (S. 408); Bhilipp II. allein hat nicht weniger als drei Mal von diefer Maß— regel Gebrauch gemacht, 1557, 1575 und 1597, und Philipp IL. und Philipp IV. jind 1607 und 1654 feinem Beiſpiele gefolgt. Daß dad erite Buch in Spanien 1471 in Barcelona gedrudt worden fei (S. 180), it ebenfall3 eine neue Entdedung des Vf.; man kennt wohl einen Barcelonejer Drud von 1467, bei dem aber nachweislich ein Drud: fehler in der Jahreszahl untergelaufen ift, da3 erjte Buch ijt aber erit 1474 oder 1475 in Valencia, und zivar, wie mir kürzlich gelungen ijt jeitzuftellen, von dem Deutichen Lambert Balmart gedrudt. Das Regiſter folder Srrthümer würde ſich ohne Mühe bedeutend ver- längern lafjen, ich habe nur die mir zunächſt liegenden heraußgegriffen. Jedenfalls hat fic der Vf. troß feiner fchriftjtellerifchen Gewandtheit jeiner Ylufgabe nur wenig gewachſen gezeigt, und die Behauptung von

Spanien. 511

jeinen langjährigen Duellenftudien erhält durch die Unzuverläſſigkeit feiner Darftellung eine jehr eigenthümliche Beleuchtung.

Dresden. K. Haebler.

Spaniens Niedergang während der Preisrevolution des 16. Jahrhunderts. Ein induttiver Verſuch zur Geſchichte der Quantitätstheorie von Dr. Roritz Julins Bonn. Stuttgart, J. ©. Cotta Nachf. 1896. VIII, 199 S. 4 M. (A. u. d. T.: Münchener Volkswirthſchaftliche Studien. 12. Stüd.)

Der Vf. ſucht in der vorliegenden Abhandlung den Beweis dafür zu erbringen, daß die Preisſteigerung, wie fie in den ſpaniſchen Ber- bältnifjen des 16. Jahrhunderts und entgegentritt, bei weitem nicht ausfhlieglih die Folge einer Entwerthung der Edelmetalle durch den reihen Zufluß aus der neuen Welt geweſen, jondern mehr noch in einem außerordentlihden Mangel an Waaren feine Erklärung finde, der die Folge mar von der Unfähigfeit der jpanifchen Induſtrie, den weiten Markt zu verjorgen, der ſich ihr in der neuen Welt er- ſchloß. Es ift jedenfall mit großer Freude zu begrüßen, daß ein Thema von jolder Wichtigfeit jür die Wirthſchaftsgeſchichte des ge⸗ janımten Europa trog der jehr erhebliden Schwierigkeiten, welche fid) dem Forſcher hier entgegenitellen, auch einmal von einem Nationals öfonomen von Fach gründlich erörtert wird, und die Nejultate, zu denen der Bf. gelangt, jind in hohem Grade beachtenswerth, wenn ji) auch nicht verfennen läßt, daß die Kenntnifie des Vf. auf dem Gebiete der ſpaniſchen Geſchichte im allgemeinen nicht immer ganz zu einer richtigen Beurtheilung der regijtrirten wirthichaftlicden That⸗ jahen -ausreihen. So muß er 3. B. natürlidy eine fehr jalfche An— jiht von der Ausdehnung des ſpaniſchen Erporthandel3 gewinnen, wenn er in der Begründung des Konſulats von Burgos i. J. 1494 etwas Neues fieht, während die Seejtädte der Nordküſte ſchon feit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts eine unferer Hanja in vielen Dingen vergleichbare Bundes-Organilation bejaßen, die in Rodelle ihon jrühe, in Nantes jeit 1430, in Brügge jedenfalld auch ſchon vor dieſem Datum Konfulate unterhielt. Wenn ſonach auch mandıe Einzelheiten in dem vom Bf. entworfenen Bilde einer berichtigenden Anderung bedürfen, fo glaube ich doch, daß dasjelbe in jeiner Ge— fanımtheit ziemlich zutreffend iſt. Daß Elemente wirthichaftlichen Hortichritte® unter den Negierungen Iſabella's, Ferdinand's und Karl's V. eine wohlwollende Förderung empfingen, unter dem Über: wiegen fiskaliſcher Intereſſen aber unter Bhilipp II. und jeinen Nadı-

512 Riteraturberidt.-

folgern erftarben, ilt unzweifelhaft. Den Schaden der fremden Kon: furrenz bat der Bf. wohl, von den ſpaniſchen Schriftftellern des 17. und 18. Jahrhunderts verführt, überſchätzt. Diefe begann feine wegs erjt 1552 ſich des indischen Marktes zu bemächtigen, dem Teutijhland, die Niederlande und Genua genofjen als Unterthanen Karl's V. ſchon feit 1526 nicht nur Bollerleichterımgen, wie fie die Verordnung von 1552 gewährt, fondern Gleichberedhtigung mit den Epaniern, foweit der Indienhandel in Frage kommt. Daß der Bf. in diefen Verordnungen den Wendepunkt der fpanifchen Wirthfchaitk geihichte erblicdt, ift der einzige weſentlichere Punkt, in welchem id mich feinen Ausführungen nicht anzufchließen vermag. Dredden. K. Haebler.

6. Lindströms Anteckninger om Gotlands Medeltid. 1. IL Stockholm, Norstedt. 1892. 189. 112 u. 531 ©.

Gotland und Wisby jtehen beifpiellos in der neueren Geſchichte da. Sie erreichten den Höhepunkt ihrer Bedeutung erſt zu einer Zeit, wo das Mittelalter fchon feinem Ende entgegenreifte, und doch find wir für die Kenntnis ihrer Geſchicke weit mehr auf ihre baulichen Über reite als auf Schriftliche Denkmäler angewiefen. Ständen und allein die legteren zur Verfügung, fo würde und gar nicht der Gedanke fommen, daß Wisby fo bedeutend geweſen fein fönnte, wie feine Ruinen e8 belegen. Diefe Sachlage regt aber befonderd an, nun alles, was fchriftlic erhalten ift, zu fammeln, um die allgemeinen Boritellungen, die durch die antiquariihen Schäge feitgelegt find, möglihjt im Einzelnen auögeftalten zu können. Lindſtröm's Arbeit it der erite, auf genügend breiter Grundlage unternommene Verſuch in diefer Rihtung. Er bemüht ſich zunächſt, ausführlich) Rechenſchaft zu geben über den Verbleib der jchriftlihen Überlieferung, geht dabei auf's Sorgfältigite auch auf alle früheren Notizen ein und forjcht dem Schidfal der nachweisbaren aber verloren gegangenen Auizeid: nungen nad. Er behandelt dann die mittelalterlihe Geographie des Landes und liefert in diefem Kapitel ein werthvolles Verzeichnis aller nachweisbaren Ortichaften, wobei er mit Recht hervorhebt, daß man ſich nicht zu mundern habe über das PVerfehwinden mancher, ſondern darüber, daß noch ſo viele erhalten jeien. Weiterhin giebt er eine furze mittelalterliche Baugeſchichte Wisbys. Der zweite Band bringt die erhaltenen oder befannt gervordenen Znichriften von Siegeln, Bräbern 2c., dann eingehende Tarjtellungen der Geſchichte der Klöſter,

514 Literaturbericht.

faſſende Darſtellung der hanſiſch-nordiſchen Angelegenheiten im 15. Jahrhundert zu geben.

In einer Einleitung wird die Stellung der einzelnen Gruppen der Hanſeſtädte zu Skandinavien geſchildert, in 10 Abſchnitten dann rein chronologiſch, oft etwas zu chronologiſch, die Zeit von 1439 bie 1466 behandelt. Der Abjhluß wird etwas gewaltfam in der Er nennung Gerhard's, des Bruders Chriftian L, zum Negenten von Schleswig Holftein gefunden. Die weiteren 15 Jahre der Negierung Chriſtian I. lagen außerhalb der Aufgabe des Bf.

Die gedrudte Literatur, namentlic) die 2. Abtheilung der Hanſe⸗ rezeffe, iſt fleißig benußt; auch ungedrudte Kopenhagener, Lübeder, Stettiner, Danziger Ardivalien find herangezogen. In mehreren Punkten verſucht der Bf. von der Ropp zu berichtigen; doc) ift ihm da3 nicht immer gelungen.

Chriſtenſen fommt im allgemeinen übrigens nicht zu anderen Urtheilen, al3 fie Schon bisher beftanden; daß Ehriftoph’3 von Baiern Bolitit gegen die Hanja ihm nicht viel Lorbeeren eingebracht, war befannt; und mit Recht citirt der Pf. S. 412 zujtimmend da? all gemeine Urtbeil, das ſchon vor langen Zahren Georg Waitz über Chrijtian I. Politit gefällt. Im Einzelnen und Kleinen find aber manche mehr oder weniger wichtige Aufflärungen zu finden; id) er: wähne den mitten in den Text eingefügten Exkurs über Chriftion van den Öhere ©. 262 ff., zu dem u. U. das Lübeder Bergenfahrer- Archiv benutzt worden ift. E. Baasch.

Kancelliets Brevbeger vedrerende Danmarks indre forhold i Uddrag udgivne ved L. Laursen af Rigsarkivet. 1561—1565. Koeben- havn, Reitzel. 1893—9. V, 787 ©.

Der vorliegende Band ijt die Fortſetzung der Publikation Brida’s (8. 3. 63, 507). Bricka's erfter Band (1551—55) umfahte 482 ©. jein zweiter (1556—60) 558, der vorliegende von Laurſen für bie nädhjften fünf Jahre 787. Die fortgejegte Sammlung der Konzepte im Reichsarchiv und die Einrichtung der Provinzialarddive hat dem Werke neben den „Briefbüchern“ neue Quellen zugeführt, aber haupt- fählich beruht die Häufung des Stoffd doch auf dem natürlichen Une wachen de Materiald. Die Entlajtung, die durch das gleichzeitige bzw. voraufgehende Erjcheinen der „Forordninger“ (9. 3. 76, 146) und der „Kronens Skoder“ erreicht wurde, hat das Anfchwellen de Bandes fo wenig verhindern können, wie da8 Streben, die Inhalte⸗

Skandinavien. 515

angaben knapper zu geitalten. Es muß zweifelhaft ericheinen, ob der urfprünglide Plan der Eintheilung nach Luſtren ſich aufrecht erhalten laſſen wird. Allerdings hat für den vorliegenden Band der begin- nende Siebenjährige Krieg das Seine gethau, die Regierungsthätigfeit zu jteigern. Jedes der Jahre 1563 bis 1565 erfordert jajt ſo viel Raum wie 1561 und 1562 zujammen. Der Inhalt iſt entſprechend mannigfaltig und interejjant. Obgleich man für den Siebenjährigen Krieg nit über Mangel an Quellen Elagen fann, erhalten viele militärifhe und finanzielle Maßnahmen durdy die Brevboger erit ihre volle Beleudtung und mehr als ein Punkt wird richtig geitellt. Die Art der Bearbeitung fteht völlig auf der Höhe der früheren Bände; der Herausgeber hat fi) wie in „Kronens Skoder“ feiner Aufgabe durchaus gewachſen gezeigt und eine Edition geliefert, die ſich den vorzüglichen dänischen Leiſtungen der legten Nahrzehnte gleihwerthig anreibt. D. Sch.

Andr. Brandrud: Klosterlasse. Et Bidrag til den jesuitiske Propagandas Historie i Norden. Kristiania, Steen. 1898.

Den Namen „Klofterlaffe” führte im Volksmunde der Zefuit Laurig Nilsfön (rende), der in den Sahren 1576 bis 1580 in Stodhulm eine von ihm gegründete Schule leitete, die beftimmt war, fatholifhe Sefinnung zu begründen und zu verbreiten; er fand fein Domizil damald in dem früheren Franziskaner-Kloſter, woher der Name. Laurig Nilsfön, war 1538 oder 1539 zu Oslo (Chriſtiania) geboren, trat 1563 in Löwen zur fatholifchen Religion über und im nächſten Jahre ebendajelbit in den Sefuitenorden. Für den Plan der Rekatholiſirung Sfandinaviend, wie er von dem Sejuiten Poſſevin gefaßt und durch die Begründung des Hoſianum in Braundberg ge- ftügt wurde, erjchien der eifrige und landesfundige Norweger als ein bejonderd braudbares Werkzeug. Die fatholiihe Konfeſſion der ®enahlin Johann's III, der polniſchen Katharina, und die Aus gleihsanwandlungen des Königs jelbit ließen Schweden ala den geeignetften Ausgangspunkt des Verſuchs ericheinen. Nach vier= jähriger Thätigleit wurde Laurig Nilsjön aber gezwungen, das Land zu verlaffen, ohne doch mehr erreicht zu haben, als daß er Keime inneren Zwieſpaltes zurüdließ, die ſich bald zu fcharfen, nur dur Gewalt audzugleihenden Gegenfägen entividelten. Nach 22 jährigem Aufenthalte in oſt⸗- und jüdojtdeutichen Gebieten machte Klofterlaffe in Dänemart- Norwegen einen nenen Nerjuh, der im

33 *

516 Literaturbericht.

einzelnen aber ſo keck und plump ausgeführt wurde, daß er ſchon im Beginn ſcheitern mußte. Als Lauritz im Jahre 1606 ſelbſt in Däne- mark erſchien, wurde er auf Anordnung des Königs alsbald wieder nah Deutſchland befördert. Er iſt 1622, mehr als 80jährig, in Wilna geſtorben, nachdem er bei der Eroberung Rigas im Jahre zuvor Guſtav Adolf in die Hände gefallen, von dieſem aber un beläjtigt entlajjen worden war. Sein dänijcher Verſuch gab nur An laß zu verichärjter Aufſicht. Der Beſuch jefuitiicher Kollegien in Deutjchland und jelbjt des collegium Gerinanicum in Rom von Dänemark und bejonders von Norwegen aus war im Bunehmen be griffen geiwejen; 1604 ward verboten, Leute anzuitellen, die dort ihre Erziehung genojjen hatten, jpäter (1624) allen Geiſtlichen katholiſcher Konfejfion der Aufenthalt im Reiche ſtrengſtens unterjagt. Vereinzelte GSeiitlihe in Norwegen und Dänemarl, die katholiſcher Gefinnung überführt wurden, jtrafte man mit Amtsentſetzung, Güterentziehung und Landesverweifung, nahm fie allerdings fpäter zum Theil wieder in’8 Land und in Stellung. Ber Bf. jchildert diefe Hergänge ein gehend und lebendig auf Grund der beiten Quellen, gibt aud ol Einleitung eine umfajlendere Darftellung der Begründung des Jeſuiten⸗ ordens, jeiner Organijation, Tendenz und Arbeitsweiſe. D. Sch.

Geheimrath Detlev v. Ahlefeldt's Memoiren aud den Jahren 1617 bi3 1659. Nach der Triginalbandichriit im Hafeldorfer Archiv herausgegeben von Louis Bobt. Kopenhagen, Höft. 1896.

Mit einer Zamiliengefhichte der Ahlefeldt beauftragt, fand der Herausgeber bei der Ordnung des Archives des Gutes Hafeldorf, dus bi3 1731 den Ahlefeldt gehörte, dus Manuffript einer Selbjtbio: graphie Detlev von Ahlefeldt (geb. 1617, geit. 1686), der unter Chriltian IV., Friedrich Ill. und Chriſtian V. in militärischer und diplomatifcher Thätigfeit Namhaftes leiſtete. Detlev, von dem audı andere literariſche Erzeugniſſe erhalten find, erweiſt jich in feiner Eelbitbiographie ald ein Mann von vieljeitigen Kenntniffen, reichen Erfahrungen, gereiftem Urtheil und lebhaftem Geilte. Was er nieder: jchrieb, gehört mit zu dem Beiten, was dad 17. Jahrhundert in Teutihland an Mlemoirenliteratur hervorgebracht hat, und verbient nicht nur die Veröffentlichung, jondern muß in mehr als einer Rid- tung als ein interefjanter Beitrag zur Geſchichte des Jahrhunderts bezeichnet werden. Der Autor, der von jich felbit jagt, daß „die Ambition und der Ehrgeiz mein faible und dic passio praedominans

518 Riteraturbericht.

eine Hypotheſe, die, jeder Grundlage entbehrend, durchaus willkürlich it und mit den unverjtändigiten und leichtfertigiten Behauptungen von ihrem Urheber zu ftüßen verjucht wird. B. weift nach, daß von Iharfen Gegenjägen gegen Holberg und von einer ihm feindlichen Verbindung einflußreicher Zeitgenojjen gar nicht die Rede fein fann. Den vir perillustris hält er mit Elberling für eine Fiktion, eine Auffaſſung, die dem Inhalt der Briefe weitaus am meijten entipridt. B. nimmt auch Gelegenheit, gegen Brandes eine Lanze zu brechen, der in feiner pointirten, tendenziöfen Weile „den Stumpfiinn deö Volles und die dumme Geringſchätzung der berrichenden Klaſſen“ verantwortlic” macht für das Aufhören der dramatischen Produktion Holberg's in den legten anderthalb Jahrzehnten feines Lebens. Den Zweck der Briefe jieht Pf. im Einverftändnis mit ihrer Vorrede allein in dem Wunjche, über die bisherige dichteriiche Thätigfeit im Zuſammenhange Rechenſchaft zu geben, nicht mit Rückſicht auf bejon- dere perjönliche Gegner, jondern in Hinblid auf Bedenken und ab- fällige Urtheile, die gegenüber Holberg wie in allen ähnlichen Fällen laut geivorden waren. D. Sch.

Frederik den Sjettes Udsoning med Napoleon. Breve fra Kan- cellipräsident Kaas under hans Sendelse til det Franske Hoved- qvarter i Maj og Juni 1813. Udgivet af Generalstaben. Kjoben- havn, Reitzel. 1894. 56 ©.

Für die neueren Geſchicke Dänemarks jind feine Enticheidungen und Entſchlüſſe jo bedeutungd- und verhängnisvoll geworden wie die zum Bündnis mit Franfreih nad dem Angriff der Engländer auf Stopenhagen 1807 und wieder im Mai 1813, ald Verbündete und Franzoſen um Hamburg und die untere Elbe jtritten. Sie jind beide Male zum Unheil des Landes ausgefallen, wofür die Verantwortung doc gemildert wird durch die ungemeine Schwierigfeit der Lage, in die ji) die Monardjie in beiden fritiihen Zeitpunkten verſetzt ſah. Die hier mitgetheilten Briefe, zumeijt jchon in den Mleddelelser fra Krigsarkiverne gedrudt, werden eingeleitet durch eine Darlegung der politifhen Stellung Dänemarks und der militärischen Vorgänge in und um Hamburg im Frühling 1813 und mit einem kurzen Nach— wort geichlojjen. Kaas wurde zu Napoleon geſchickt, um die Hals tung der dänischen Befehlshaber in Altona, weiche verfuchten, Ham: burg gegen die Franzoſen zu deden, zu entichuldigen. Seine Berichte liefern verjchiedene interefjante Heine Züge zur Geſchichte des Feld—

Skandinavien. 519

zugs in Sachſen und zur Kennzeichnung der dortigen Stimmung. Napoleon entwidelte den Dänen gegenüber die gewinnende Lieben würdigfeit, die ihm, wenn die Lage es erforderte, jo mühelos zu Gebote ftand, ließ allerding3 auch feinem Haß gegen Bernadotte voll- jtändig die Zügel fchießen und erging fich in den maßlofeften Übers treibungen und Prahlereien: er habe 1200000 Wann auf den Beinen, und nicht eine Kartoffel werde man dem Könige von Dänemark weg- nchmen! Es war doch des Königs eigenjter Wille, der zum Abſchluß des Offenſiv- und Devenfivbündnifjes mit Napoleon führte, das Däne- mark in fo fchweren Nachtheil bringen follte. D. Sch.

Aktstykker vedkommende Stormagternes Mission til Kjebenhavn og Christiania i Aaret 1814. Udgivne ved Dr. Yngvar Nielsen. Forste Raekke: Danske og engelske Aktstykker. Christiania, Dyb- wad. 1896.

Bur Frage der Entitehung der ſchwediſch-norwegiſchen Union hat niemand jo unermüdlich und erfolgreich neue? Material zu Tage ges fördert wie Yngvar Nieljen. Er war der erite, der eingehender zu unterfuchen begann, welde Haltung die Großmächte gegenüber dem norwegischen Widerjtande einnahmen, eine Frage, deren Beantwortung in der That für die Beurtheilung der Hergänge von größter Bedeu- deutung geworden iſt. In der oben genannten Sammlung beginnt N. mit der Publikation der Aktenſtücke und Korrefpondenzen, die und zu diefer Frage erhalten jind. Er hält ſich aber nicht buchſtäblich an den Titel feiner Aufgabe. Die erjte und die legte der vier hier vorgelegten Sammlungen bringen däniſches Material, jene 29 Stüde über des Admirald Bille und des Oberſten Lonborg Sendung nad Norwegen im April 1814, diefe 71 Briefe einer zwifchen Friedrich VI. und feinem Staat3minifter Nield Rojenkranz in den Monaten Mai bis Auguft geführten Korrefpondenz. Zwiſchen beide find 26 Stüde eingeichlofjen, weldye die Sendung des englifhen Unterſtaatsſekretärs Sohn Philipp Morier nach Ehriftiania, und 58, welche die de3 neuen engliihen Gefandten in Kopenhagen, Auguſtus John Foiter, angehen. Während die drei Monarchen durch Schreiben an den dänischen König, die N. unter feiner erjten Sammlung abdrudt, für die Durchführung des Kieler Friedens zu wirken juchen und dem Wunſche Schwedend entiprehend Bevollmädhtigte fchiden, die erft in Kopenhagen und dann in Ehrijtiania auftreten follen, fucht die engliſche Regierung ſich durch eine direkte Sendung über den Stand der Dinge in Norwegen

520 Literaturbericht.

zu unterrichten und hebt in Morier's Inſtruktion nicht nur hervor, daß ſie ihren Verpflichtungen gegen Schweden nachkommen werde, ſondern auch, daß Großbritanien geneigt ſei, zu gunſten der Nor: weger zu vermitteln, um ihnen eine angemeſſene Sicherheit zu ver: Ihaffen für konſtitutionelle Privilegien, die fie etwa zu genießen wünſchten. Man darf von der Fortführung der Publikation, die zu den Schriften der norwegischen Geſellſchaft der Wiffenichaften gehört, hoffen, daß jie die meilten der noch beftehenden Zweifel in der viel und hart umkämpften Unionsfrage befeitigt und dieſe wifjenjchaftlid endlich zur vollen Erledigung bringt. D. Sch.

C. J. Anker: Uddrag af diplomatiske Indberetninger om Unionens Forberedelse og Tilblivelse 1814. Christiania, Dybwad. 1894. X, 100 ©.

C. J. Anker: Uddrag af diplomatiske Indberetninger om Unio- nens Forberedelse og Tilblivelse 1814. Kjebenhavn, Kjaer (Decker & Kjaer), 1895. IX, 217 ©.

Die beiden gleichnamigen Schriftchen enthalten die eine Die Be: richte des dänischen Gejandten in Stodholm, Krabbe⸗-Cariſius, der, ald Eriter nad) dem Kieler Frieden, feit Juni 1814 Dänemark bei der ſchwediſchen Regierung vertrat, die andere die Ktorrejpondenzen, Berichte und Noten des ſchwediſchen Generals Tawaſt, der, jeit dem Ausgange des Jahres 1813 in Dänemark bevollmädtigt, zunächſt den Frieden vorbereitete, dann jein Heimatland dort dauernd vertrat. Die Quellen find nit im Wortlaut wiedergegeben, fondern der ur: jprünglich franzöfiihe Text iſt zunächſt vom Herausgeber ausgezogen, und dieſe Auszüge find dann, wenn ih die Vorbemerkungen recht verjtehe, in’8 Dänifche überfeßt, die Überfegung ift aber von „ſprach— fundigen Leuten“ auf ihre Richtigkeit hin durchgefehen worden. Diem Forſcher wäre die urfprüngliche Faſſung Thon lieber gewefen. Die Auszüge jind in der zweiten Schrift, die zwiſchen 6=- und 700 Stüde bearbeitet, vielfach fehr kurz. Trotzdem darf gejagt werden, daß beide Arbeiten eine dankenswerthe Überficht geben über die Thätigfeit der beiden Gefandten und daß jich der Herausgeber deshalb ein Verdienit erwarb, als er auf Grund von Äußerungen Nielfen’3 und Aubert’3 jein Unternehmen begann und durchführte. Er jtellt noch eine weitere ähnliche Arbeit unter dem Titel „Nampen for Norge ſom faerftildt og ſelvſtaendig Stat, fort i London 1814“ in Ausficht, melde die Korrejpondenz zwiſchen Chriſtian Friedrich und feinem Beauftragten in London, Carſten Unter, enthalten foll. D. Sch.

622 Literaturbericht.

Geſchichte“, wobei nur zwei Begriffe zu kurz kamen, der der Philos ſophie und der der Gefchichte. Wie alle die Adepten der geräufchvollen Nenaifjfance des maleriihen Wirrwarrs macht aud der Bf. jeinen Rniz vor den „Zhatiadhen“, glaubt aber im übrigen mit dem Hinweis auf ihre bloße Bedeutung der Exemplifilation fie über der Schulter anfehen zu fünnen. Noch jchlinnmer geht ed natürlich den „Indivi⸗ duen“, die ſich nun gar gefallen laffen müſſen, vor der „Macht der Ideen“ in den finjteren Winfel gejtedt zu iwerden. Zum Glück aber macht doch Brüdner aus feinem Verfahren fein gemeingültiges Princip, er fühlt ji dazu nur aus einen bejonderen Anlaß bewogen. Er meint in den Büchern von Strahl, Hermann und Bernhardi ſei dem Bedürfnis nad Kenntnis der Thatſachen in ihrer zeitlichen Aufein⸗ anderfolge ausreichend genügt, er wolle vielmehr den Nachweis führen, daß der abjprechende Zweifel an der dereinftigen vollitändigen Europäie firung Rußlands unbegründet jei, und an der Hand der fortichreis tenden Entwicdlung desjelben von einem notoriſch aſiatiſchen Volls— aggregat zu einen dem europäiichen Sulturleben nahe gebradjten Staatöwefen zeigen, daß die Borausjicht einer vollftändigen Aſſimi— lirung und Zivilifation alle Wahrfcheinlichkeit für fi habe. Diejem Geſichtspunkte follte aber auch ſchon ein früheres Buch desjelben Autor gerecht werden, und obgleich auch dort die gewählte Methode der Thatfachenreihen faſt mit denfelben Worten und mit Ddentelben ungegründeten Vorausſetzungen und Anklagen der „üblichen“ Tar- jtellung gepriefen wird, fo wird man doch fagen müſſen, daß das ältere Werf, „die Europätlirung Rußlands“ (1888), durch Flarere und planmäßigere Anordnung, durd) jyitematifdyere und logifchere Son⸗ derung der Faktoren und namentlich durch den Verzicht auf eine „zeit liche Vogelperjpeftive* über mehr als ein Kahrtaufend, bei welder man naturgemäß nur einen verſchwommenen dharafteriojen Eindrud empfangen fann, vor dem gegemvärtigen ſich weſentlich auszeichnet. Tas VBorliegende ftellt ji) doch im wefentlichen nur als eine Wieder: holung dar, wenn auch die eremplifizirenden Thatſachen aus anderen Schubfähern gezogen und etwad mehr für die Unterfcheidung des urſprünglichen Rußlands von dem durch die weſtliche Kultur au? jeiner Eigenart gehobenen, verbildeten gethan ift. Uber hier wie dort ruhen Plan und Auswahl auf der Willfür und auf den fub- jeftiven Neigungen des Vf., und es darf nicht Wunder nehmen, daß, joviel da aud) immer von der Macht der Ideen gefprochen wird, gerade ſolche Ideen, welche den größten Einfluß ausgeübt haben,

Rußland; Siebenbürgen. 523

nicht den beiläufigften Ausdrud fanden. Ich für mein Theil um ein Beijpiel anzuführen kann mir fein Motiv denfen, dag tiefer auf die Geſchicke und auf die joziale und politifhe Konfiguration Rußlands eingemwirkt Hat, als die jchredhaft ungleiche Vertheilung des Beſitzes, die durd feine Spur einer Nachahmung der Feudalität ges nildert wird und die mit ihrer Konſequenz der geringen, mangelhaften Geſellſchaftsgliederung das Uneuropäifchite an Rußland war und ges blieben ift. Ich lafje dahingejtellt, ob man die Erſcheinung unter dic Rubrik der Ideen oder unter die der Thatfachen jtellen will, aber daß bei den für den Bf. maßgebenden GefichtSpunften überhaupt da= von nicht geſprochen werden fol, kann ich doch nicht als gerechtfertigt anjehen. Ter Pf. war ein fchwer gelchrter Mann, geiltreid), belefen in der ruſſiſchen Geſchichtsliteratur wie Wenige, verdient um ihre Fortbildung und Vertiefung durch einige namhajte Werke, aber id) meine doch, wenn er zuvor eine Geſchichte Rußlands von den Anjängen bis zur Neuzeit, gleichviel, ob nad) Regierungsepochen oder ſonſtwie eingetheilt, in der Art Hermann’3 oder aud) Bernhardi’s, jedenfal3 aber mit fcharflantiger, fritiicher Feſtſtellung des befannt- lid) immer don den Modernen al& „jelbitverjtändlih” vorausgejehten „Details“ abzufaſſen genöthigt geweſen wäre, ich meine doc, daß ihm die Luſt vergangen wäre zu einem ſolchen Luftbau von Ber- allgemeinerung und Erenplififation, wie der vorliegende, in welchem die Verallgemeinerung lediglich zu einer Privatbeichte des Pf. und die Eremplififation zu unterhaltenden Anekdoten herabfinkt, der aber auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft eine fragmürdige Figur madt. Breslau. J. Caro.

Quellen zur Geichichte der Stadt Kronſtadt in Siebenbürgen. Heraus⸗ gegeben auf Kojten der Stadt Kronjtadt von dem mit der Herausgabe bes trauten Ausſchuß. III. Kronitadt, Heinrid) Zeidner. 1896. 1123 ©.

Sieben Jahre jind vergangen, feitdem der 2. Band der vor— liegenden Sammlung erihien. Der lange Zwiſchenraum zwiſchen dem 2. und 3. Band erflärt ſich einerjeit$ durch die Beſchränktheit der dem Ausſchuß zur Verfügung Itehenden Geldmittel, andrerfeits durh den größeren Umfang dieſes Bandes (1123 Ceiten). Der 3 Band enthält die Nronjtädter Stadtrehnungen aus den Jahren 1541 1550. Auf ihren hiftorischen Wert) wurde ſchon früher in diejen Blättern aufmerkffam gemadt (H. 3. 67, 5441. Wir finden hier Kronjtädter Zmwanzigitreynungen aus den Jahren 1500, 1541

924 Literaturbericht.

bis 1550 (12 Stück), Söldnerverzeichniſſe (2), Steuerzahlungen (5), Kaſtellansrechnungen (2), Stadthannenrechnungen (9), Schaffner⸗(10), Kirchen-(4), Weingeld- (1), Thorhut- und Aſperzins- (1), Kajten: (1), Apotheferrechnungen (2) u. a. Un der Redaftion betheiligten ji vornehmlid Gymnaſialdirektor Groß und Prof. Seraphin. Auch die mal iſt in der Anlage manche Berbefferung zu verzeichnen. Wurden Ihon im 2. Bande nicht alle Redynungen im vollen Wortlaut der Originalien verzeichnet, fo find jeßt nur noch die Stadthannenred- nungen unverfürzt, Die übrigen dagegen nur auszugsweiſe wieder gegeben worden. Schr danfenswerth find außer dem ausführlichen Berzeihnid der Ortd- und Perfonennamen die beiden Gloſſare (ein lateiniiche8 und ein deutſches), in denen nicht nur ſolche Wörter Auf: nahme fanden, die einer Erklärung und Überjegung unbedingt be durften, jondern auch foldhe, die in Texte in ungewöhnlicher Form und eigenthümlicher Verwendung vorfommen. Im Unhange finden jih jech! Tafeln mit Abbildungen von 82 verjchiedenen Wafjerzeichen. Auch diejer Band legt von dem wiſſenſchaftlichen Streben der Burzen- länder und Ktronländer rühmlich Zeugnis ab. J. Loserth.

Hundert Jahre jähfiiher Kämpfe. Zehn Vorträge aus der Geſchichte ‚der Siebenbürger Sadjen im legten Jahrhundert. Hermannijtadt, W Krafft. 18%. 3445 3M.

Das klaſſiſche Werk von ©. D. Zeutich über die Gejchichte der Siebenbürger Sadjen reicht bi8 zum Schluß ded 17. Jahrhunderts und hat feine Fortjegung erhalten. Das 18. Sahrhundert ift noch nicht zujammenfafjend behandelt. Als befonders nothiwendig aber erichien e3 für das Verſtändnis der Gegenwart, das jchon verblafjende Bild des jetzt ablaufenden Jahrhunderts mit feinen ſtets in neuer Kombination ſich wiederholenden Kämpfen in feinen Umriſſen feitzu: halten, jo fange noch theil3 die lebendige Zradition, theils auch Er: innerungen der Mitlebenden es geitatten. Deshalb hat ſich im Winter 1895/96 ein Kreis eimiichtiger Vaterlandsfreunde zu Vorträgen in Herinannjtadt vereinigt, welche lebhaften Anklang fanden, und aus diefen iſt das Buch hervorgegangen, weldes Fr. Teutſch, der Sohn de3 unvergeßlihen Biſchofs, zufammengefaßt und mit einem ſchönen Schlußwort verjehen hat. Es iſt ganz überwiegend eine Leidensgejchichte, Doch tritt nicht die Klage in den Bordergrund, fondern die Taritellung der aufgewandten Thätigfeit, vorzüglich auch der litterariichen. Nur wenig davon iſt in Deutſchland befannt

Siebenbürgen; Boltsjeucen. 525

geworden, obgleich manche Werke, namentlid von M. Albert, e& vollauf verdienen, abgejehen von der wifjenfchaftlichen Arbeit, welche den Fachgenoſſen wohlbekannt ijt. Was vom ganzen Volk für Kirche und Schule, was von Einzelnen an geiltiger Arbeit geleijtet it, tritt ung hier in wahrhaft erjtaunlicher Fülle entgegen und Derechtigt durchaus zu der am Schluß ausgeiprochenen Zuverliht, daß ein jo reiches geiſtiges Leben die dauernde Widerjtandäfraft der deutichen Natio- nalität auch unter den jebigen Verhältnifien nad dem Zerichlagen der alten Schutzwehren verbürge. Die politiichen Kämpfe, wenn oud) erfolglo8, haben doch den im 18. Jahrhundert langfanı, aber ficher eingeichnürten Geiſt zu neuer Thätigkeit angeipornt, und mit der tief beflagten alten Selbftändigfeit find aud) viele hemmende Schranten gefallen. Wehmüthig berührt es, wie naturgemäß dieſe treuen Deutfchen ſich immer wieder an das Ddeutiche Kaiſerhaus anflam- merten, um immer wieder verlafjen und verrathen zu werden; nie= mals wußte man in Wien ihren Werth zu Ihäpen und jah im Grunde nur Ketzer in ihnen, die befehrt werden müßten. Sept jind fie defi- nitiv ein Theil des ungarifchen Staates, und, wie ©. 335 fehr richtig gefagt iſt, fie müffen, fo jchwer es ihnen fällt, begreifen, daß es nothwendig fei, ſich nicht nur äußerlich, ſondern auch innerlidy mit dem DualiSmus abzufinden und auf dem neuen Boden fich heimiſch einzurichten. Für Jeden aber, der ein Herz hat für diefen fernen Vorpoſten unferer Nation, wird dieſes Buch ein willkommenes Hülfs- mittel fein, um ein eingehendes Verſtändnis der Sachlage zu ge— winnen; mancher wird wohl eritaunt fein über dieſes reiche geiltige Leben am Fuße der Karpathen. Berlin. W. Wattenbach.

Geſchichte der Volksſeuchen nach und mit den Berichten der Zeitgenvjjen, mit Berüdfihtigung der Thierfeuhen. Bon Dr. 8. M. Lerid. Berlin, S. Karger. 1896. IV, 455 ©.

Der Vf. des Buches ift Arzt und wendet ji aud) im Vorwort an ärztlidhe Leſer, jeine Arbeit ijt aber wefentlich hijtorijch und hat jomit ein Recht auf einen Pla in diejer Zeitichrift; dafür muß ſie es jich gefallen lafjen, nad) denjelben Grundſätzen wie andere hiſtoriſche Arbeiten geprüft und beurtheilt zu werden. Der Vf. verzichtet auj die Zujammenfafjung gleichartiger Erjcheinungen in gewiſſen Zeit: abjchnitten, überhaupt auf jede jadhlihe Gruppirung; er berichter in jtreng annaliftiiher Ordnung Alles, was er über die Erjcheinungen,

526 Literaturbericht.

die Zeit und Umſtände, die Dauer und die Opfer der Volksſeuchen jeder Art in allen Zeiten und in allen Ländern zuſammengetragen hat, ohne beſondere Kunſt der Darſtellung, meiſt in einfach referirender Weile, in den letzten Zeiten überhaupt nur in Form von Notizen, unter Aufhebung des Zufammenhangd der Rede. Er berüdiichtigt and die Thierfeuhen in größeren: Umfange ald frühere Bearbeiter des Themaß.

Es ift zwar ein unlogiſcher Ausdrud, wenn er ſich rühmt, dos bisher unbenügte Duellenmaterial bedeutend erweitert zu haben; that jählidy liegt aber der Schwerpunft und demnady auch der Werth des Buches, zu dem jahrelange Arbeit nothwendig geweſen ijt, wejent- lid in dem Zujammentragen einer auf den Lejer unheimlich wirkenden Hülle von Nachrichten über die Plagen der Menfchheit. Ob die wiflenjchaftliche Erfenntnis des Weſens der Volksſeuchen eine För—⸗ derung dur daS Buch erfahren habe, bleibe den Medizinern zu entjcheiden, unfer Wiſſen von der Häufigkeit ihre Auftretens und ihrer geographifchen Verbreitung hat jedenfalld reihen Zuwachs ge: mwonnen. Leider muß davor gewarnt werden, alle Angaben de3 Bi. al3 ficher beglaubigte anzunehmen ; die Energie feiner Kritik ſteht weit unter der ſeines Sammelfleißeds. Er ift ji ſchon nicht einmal des Unterſchiedes zwiichen unmittelbaren und abgeleiteten Quellen bewußt. Sigonius und Clüver werden unbefangen für Peſterſchei⸗ nungen des 14. Sahrhunderts zitirt. Daß 423 und 419 die Peſt in Rom und 417 v. Chr. in Griechenland geweſen fei, verbürgt ihm Kirchner. Zu einer Viehteuche bei den Hunnen im Jahre 80 v. Chr. muß Joh. v. Müller 1, 509 herhalten. Eine Nachricht Königshofend über Straßburg 1387 wird durch Kleinlauel’8 Reimchronik betätigt! Die Angabe über die Zahl der Opfer einer Augsburger Veit von 1467 wird aus Saur's Städtebud) entnommen, u. |. w.

Biel zu jelten vafft jich der Bf. zu Zweifeln an den Nachrichten feiner Gewährsmänner auf; er fehreibt den mittelalterlichen Quellen und viel zu häufig auch jpäteren Schriftitellern Zahlenangaben über die Opfer der Seuchen nad), die einfach unmöglich oder unfinnig find. ©. 52 heißt es zum Jahre 645: Güthe (Poliographia Meiningensis, 1676) jagt, daß damals (?) Meiningen außgejtorben und Graf Poppo von Henneberg mit Gemahlin und zwei Söhnen „Drauff gegangen fein ſollen“. Dieſer Güthe hat ihm auch fonft viel Ausbeute geliefert, von der ein gut Theil nicht zuverläffiger ift, als das vorjtehente. 134€ berichter der B.: In Mühldorf an der (!) Inn waren vom

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Geſchichte der Geographie. 629

der Vf. zu der Bezeichnung der Peſt in Hof 1408: „Der große ſtaub“ hinzu (ſterb?). Iſt ihm Staupe nicht bekannt? Mkgf.

Histoire de l’&cole cartographique Belge et Anversoise du XVlieme siecle par le lieutenant-general Wauwermans, president de la soci6te royale de geographie d’Anvers. Bruxelles, Institut national de geographie. 189%. Bd. 1: 402 S., Bd. 2: 470 ©. (mit Titelbildern der Denfmäler von Mercator und Ortelius und 15 Tafeln).

Die hohen Erwartungen, mit denen der anfehnliche Umfang des jtattlichen Werfeg und die hohe Stellung feines Verfaſſers den bes gierig danach greifenden Lefer erfüllen, weichen, jowie man den 1. Bund auffchlägt, jofort dem tiefen Bedauern, daß ein in feinem Wirkungskreis vielleicht bedeutender Mann viel Zeit und Arbeit aufs gewendet hat für eine Aufgabe, für die er ganz unzulänglich vor- bereitet it. Der 1. Band tritt gar nicht an die Sache felbit heran, jondern behandelt (S. 17—188) die Geographie des Alterthums und des Mittelalter, naher (S. 189 398) Untwervend Entwidlung, jeine inneren Zuftände und feine Welthandelsitellung im 16. Jahre hundert. Es ift fchwer zu begreifen, wie ein General, der weder griechisch noch lateinijch verjteht und von der neueren Entwicklung der Studien über die Geographie des Alterthums nicht die leifefte Ahnung bat, auf den Gedanken fommen fonnte, für feine Studien über die Kartographie ded 16. Jahrhunderts das Altertum als Hintergrund audzumalen. Er hätte wirklich bejjer gethan, jid um die terrible comedie d’Aristophane (un 220 av. J. C.), um den Globus de Crates de Thebes (an 326 av. J. C.), um Erato- sthene de Syene und das dicäarchiſche Diaphragme (je ferme), um Die itineraires ecrits (itinera scripta) des Pompéius Mela niemal3 zu fümmern und feine Weisheit über den Urjprung des Namend Karte niemandem zu verrathen. Carte vient de l’arabe Karthi ou Khartos qui signifie carte marine, d’oü est venu £gale- ment le mot latin Charta, papier. Mappe-monde en arabe se dit Bab-mandou ou Maba-mondi, c'est A dire Livre de geo- graphie. Von den geradezu niederjchinetternden Eindrüden diejes eriten Abſchnittes erholt man ſich etwas in der behaglich breiten Schilderung der Bedeutung Antwerpens, die durch die Vereinigung umfänglider Auszüge und Citate aus guten Büchern ſich zum an« genehmiten Theile des ganzen Werkes auswächſt. Aber das Ber: trauen, von dem Bf. eine Vertiefung der Senntnifje über die

Oiſtoriſche Zeitihrift R. F. Bd. XLITL. 34

530 Riteraturbericdht.

Kartographie des 16. Jahrhundert? zu empfangen, ift doch fchon ver: foren, ehe man den 2. Band Öffnet. Won einer &cole d’Anvers in der Kartographie zu fprechen ijt, wie der Bf. (1, 13) jelbit meint, ein euphemisme ; Breufing hätte dafiir ficher ein fräftigered Wort gefunden. Indes darüber würde man binwegjehen, wenn für die thatfächlihe Kenntnis oder die Würdigung der Leiftungen der Männer, welche unter diefem Namen zujammengefaßt werden, wirt lich etwas Förderliche8 vorgebradt wäre. Das aber iſt kaum mög⸗ lich für einen Autor, der weder eigene archivaliſche Studien gemacht bat, noch den Stand der Forſchung auf dem Gebiete, daß er be: handelt, beherrichend überjieht. Beide Vorbedingungen fruchtbarer Arbeit gehen dem Vf. völlig ab, die letztere ſchon deshalb, weil der Kreis feiner Lektüre ich thatſächlich auf franzöſiſch gefchriebene Ar: beiten befchränft, und unter diefen wieder bejonderd werthvolle, wie die Werfe von Gallois, ihm ganz unbefannt geblieben jind.

Bon der deutichen Wiſſenſchaft haben auf ihn direkt eingemirft nur franzöfifche Überfepungen von Huniboldt's Werfen und von K. Ritter's Einleitung zur allgemeinen vergleihenden Geographie. Breujing’3 einjchneidende Urbeiten über Mercator, die don Heyer veröffentlichte und eingehender vermwerthete Entdedung verjchollener Mercator:Karten auf der Breslauer Stadtbibliothef dur) Markgraf fennt er nur durch die Brille eines franzöfifchen Referate. Die zu nächſt liegende Erwartung, daß ein Hauptwerth des vorliegenden Werkes in vollitändigerer Ausbeutung dieſer neuen Entdedung liegen fünne, wird niedergejchlagen mit der trodenen Bemerkung: On 3 fait de vains efforts pour retrouver les sources, auxquelles Mer- cator emprunta les principales donnees de sa carte... ce sont la des recherches d’assez mince portee.e Nul n’ignore quil y eut des cartes de differentes parties de l’Europe avant Mer- cator et le veritable talent de Mercator fut l’habilite et l’esprit critigque avec lesquels il en fut usage. C’est cela que reside toute l’importance de sa carte d’Europe. Dieſes jchnellfertige Ablehnen der Unterfuhung, die in der That noch weiter zu führen ijt, fennzeichnet diefen merfwürdigen Geſchichtſchreiber der Wiſſenſchaft genügend. Daß auch Günther's und H. Wagner’3 Arbeiten, Norden: ſtjöld's reicher Facſimile-Atlas und überhaupt alled, was von neueren literariichen Erjcheinungen für die Kartographie des 16. Jahrhunderts ernjtlih in Betracht fommt, außerhalb des Geſichtskreiſes des Bi. geblieben ift, braucht faum ausdrüdlich hervorgehoben zu werden. So

Geſchichte der Geographie. 631

wird fchwerlich jemand in die Lage fommen, von den Abfchnitten des Werles über Gemma Friſius, Gerhard und Rumold Mercator, Ortelius (2, 1— 209) irgend welden Nutzen zu ziehen. In dem Sclußtheil la Decadence (2, 211 —441) ſteht über die fpäteren Antwerpener Kartenfabrilanten manches, was man fonit nicht fo handlich beifammen findet, und für diefe Periode mag dad Bud) als Hülfsmittel für die erfte Orientirung braudbar fein; aber auch hier bietet e8 durchaus zweithändige Arbeit, nichts von originellem Werth.

Breslau Partsch.

34°

Notizen und Nachrichten.

Die Berren Derfafler erfuchen wir, Sonderabzüge ihrer in Heitfchriften erfchienenen Auffäge, welche fie an diefer Stelle berüdfichtigt wünfchen, uns freundlichft einzufenden.

Die Redaftien.

Allgemeines.

Im Verlage von Mittler & Sohn fol demnädft eine neue Zeit: Ihrift für die gejammte Militärrechtswiſſenſchaft erſcheinen, herausgegeben von Dr. v. Mard (jährlih zmölf Hefte a 21: Bogen, Abonnementspreig 12 M.).

Bom 1. Juli d. 3. ab erfcheint in Rom eine neue Rivista Ita- liana di Sociologia, herausgegeben von Salvatore Cognetti de Martits. Auch von einer neuen Rassegna di scienze, lettere ed arti unter dem Titel L’Italia ift das erite Heft erichienen, das u. a. einen Artifel von ©. Barzellotti enthält: La filosofia nella storia della cultura (die Zeitſchrift erfcheint in Rom; Herausgeber D. Gnoli: jährlich 18 Hefte zum Jahresabonnement von 36 8. für's Ausland).

Sn Sulmona ift da8 erjte Heft einer neuen Rassegna abruzze- se di storia ed arte unter Redaktion von Banja und Piccirelli erichienen (jährlich drei Hefte, Preis 3 Lire, für's Ausland 4,50 R.).

In London bei Elliot Stod erfcheint feit Mai ein neue Genes- logical Magazine (monatlih ein Heft zum Preiſe von 1 eh. Sahresabonnement 12 sh.).

Aus Frankreich wird das Ericheinen einer neuen Gazette numis- matique franglise angefündigt, herausgegeben von F. Mazerolle und R. Serrure. Deögleihen eine neue Zeitſchrift für Kunft und Kunitgejdhichte unter dem Titel: Revue de l'Art ancien et moderne, herausgegeben von %. Comte.

Allgemeines. 533

Im Schmoller'ſchen Jahrbuch 21, 3 veröffentiiht I. Hintze eine größere Abhandlung über: Roſcher's politiihe Entwidlungstheorie. Er fritifirt die von Roſcher in feiner „Politik“ vorgetragene Anficht, daß im großen und ganzen alle Völker und Staaten einen gleichartigen politiihen Entwidlungdgang durchmachen, der bezeichnet ijt durch die Stufen des patriarchaliich = volf3freien Königthums, der prieiterlich =ritterlichen Arifto- fratie, der abjoluten Monardie, deniofratiicher Berfaflungsformen und einer Spaltung in Blutofratie und Proletariat und fchliehlich des Cäſaris— mus. Er weift namentlich auf die Störungen hin, die diele im wejent- lihen partifulare, nationalgeſchichtliche Entwidlungstendenz durch die uni verjalen weltgefhichtlihen Jujammenhänge erleidet, und zwar ebenſowohl durch die Thatjahen der äußeren Staatenbildung wie dur die Sozialen Einflüſſe größerer Kulturgemeinfchaften. An Stelle der KHlaffififation nad dem ariftotellihden Schema muß vielmehr eine hiftoriiche Betradhtung der verfchiedenen ftaatlihen Formen treten, wobei bejonderes Gewicht zu legen ijt auf die verichiedene Größe des Staat? und überhaupt auf die Art, wie der Staat mit feinem Boden verbunden iſt (als Gau, Stadt, Territorium, Gropftaat, Weltreih); denn mit dem äußeren Umfang ändert ſich auch die Berfafjung, wie an verichiedenen Beiſpielen nachgewieſen wird.

Auf den im vorigen Heft notirten Angriff von Rachfahl antwortet K. Lamprecht in den Kahrbüdern für Nationalötonomie und Statiftif in einem längeren Artikel: Individualität, Idee und ſozialpſychiſche Kraft in der Geſchichte (unter Eingehen namentlich auf die Humboldt » Ranfe’iche Ideenlehre). Rachiahl replizirt in einer furzen Entgegnung. Vgl. aud) noch eine Notiz don Lampredt in der Zeitichr. f. Geſchichtswiſſenſch., Monatsblätter 3/4: Neuere Literatur zu den bijtorijch = methodologtichen Erörterungen, und gegen den Angriff Onden’8 in den Preußiſchen Jahr: büchern ebendort im Auguſtheft eine Erklärung Lamprecht's nebit Ant- wort Oncken's. ,

Aus den Berichten des Freien deutſchen Hoditift zu Frankfurt a. M. 13, 2 notiren wir eine Beiprehung Junker's von dem Werte A. Odin’: Genese des granda hommes. Gens de lettres francais modernes (Barid-Laujanne, 1895, 2 Bde.).

%. Baar, der jhon früher in einem Programm den Gejchichtäunter- richt in Frankreich, Rußland und Nordamerika gejcildert hatte, veröffent⸗ licht jeßt in einem weiteren Programm (Progymnafium in Malmedy, Litern 1897, 21 ©. 4%) den zweiten Theil feiner: Studien über den geidjicht» lihen Unterridt an den höheren Lehranitalten des Auslandes, indem er nunmehr den Geichichtsunterriht in England, Spanien und Norwegen behandelt. Namentlih die ausführlide Taritellung über England bietet viel Intereſſantes.

634 Notizen und Nachrichten.

Die Revue des deux mondes vom 15. Juni enthält einen Auflak von Breal, einen Abichnitt aus einem Buch des Verfaſſers: Une science nouvelle. La s&emantique die Bedeutungslehre, d. h. die nad) dem Ver faſſer mit bewußter, intelleftueller Arbeit verbundene Ftrirung der Bedeu tung für die Worte).

Da8 Juniheit der Deutichen Rundichau enhält einen fehr allgemein gehaltenen Vortrag von O. Seed: Die Entftehung des Geldes (zum Theil im Anſchluß an das Buch von Ridgeman). In der Zeitſcht. f. Geſchichtswiſſenſch. 2, Monatsblätter 3/4, findet fih ein Aufſatz von F. Ratzel (mit einem Zuſatz von K. Lamprecht): Ethnographie und Geſchichtswiſſenſchaft in Amerika (weiſt namentlih auf eine Schrift von 2. ©. Brinton Hin: An Ethnologists view of History, Philadelphio 1896 ; der leitende Gedanke diefes Ethnologen über Geichichte iſt bemerkens iwertherweife: The conscious and deliberate pursuit of ideal aim» is the highest causality in human history). Aus der Zeitichr. f. Philo— fophie u. Pädagogif 4, 3 notiren wir den Anfang einer größeren Arbeit

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von O. Flügel: Jdealismus und Materialismus der Geichichte.

Neue Büder: Crozier, Hist. of the intellectual development on the lines of modern evolution. I. (London, Longmans. 14 sh.) Philolog.-hijtor. Beiträge, Curt Bahsmuth ıc. gew. (Leinzig, Teubner. EM. Uebermweg, Grundriß der Geſch. der Philoſophie. II, 2. Adte Aufl. Bearb. von Heinze. (Berlin, Mittler), 8. Stein, Die joziale Frage im Lichte der Mbilofophie. (Stuttgart, Ente) v. Reihenau, Einfluß der Kultur auf Krieg und Kriegsrüftung. (Berlin, Mittler. 1,75 M.). Tetz ner, Geſch. d. deutihen Bildung un? Augenderziehung ꝛe. (Gütersloh, Berteldmann.) Deutſch-bſterr. Kitera: turgeih. 1. Lief. Heraudg. m. a. von Nagl u. Zeidler (Bien, Fromme. 1 M.) Mandarini, I codiei manoscritti della biblio- theca Oratoriana di Napoli. iNapoli-Roma, Andrea. 35 L) Clowes etc., The Royal Navy. I. (London, Low. 25 sh.)

Alte Geſchichte.

„der den Urjprung der Ägypter“ hielt Brofefior Schweinjurth in der Junis und Juliiigung der Berliner Geiellihaft für Anthropologie einen Vortrag im Anſchluß an die in den legten Jahren in Agypten gemachten präbiltorifhen Funde: vgl. die Notiz S. 350. In den Sigungsberichten der Berliner Akademie der Wiflenih. 35 ift ein von Erman vorgelegter Aufiap von L. Borchardt veröffentlicht: Über das Alter des Sphinx bei Gizch (kann erit der Zeit des mittleren Reiches, um 2000 v. Chr. entitammen‘.

In der Academie des Inser. März April gibt X. Cppert einen Beitrag zur Metrologie: Le boisseau septimal ou métrétès chaldeen,

Alte Geſchichte. 685

und Thureau=sDangin gibt einen neuen Interpretationsverſuch ber: Inecription de la stöle des Vautours. Wir notiren von Oppert noch einen gegen Mahler gerichteten Artikel in der Zeiticht. der deutichen morgenländ. Gefellih.: Die Schaltmonate bei den Babyloniern und die ägyptiich-haldäiiche Ira des Nabonafjar (legtere iwar nach Oppert nicht ala ein Theil der alerandriniichen Sothiß= Periode, um 575 vage Jahre verjüngt,.. In ber Zeitſchr. f. Aſſyriologie 11, 4 veröffentliht G. Reißner: Notes on the Babylonian system of measures of area, und C. F. Leh⸗ mann im Sprechſaal Bemerkungen über das Schaltſyſtem: Nah Tag und Monat. Im Journal of the Royal Asiatic Society, Juli 1897, beipriht und überjest Th. G. Pinches: Some early babylonian con- tracts or legal documents,

Sn der Revue des Questions Historiques 123 veröftentliht A. 3. Telattre eine größere Abhandlung: Les dernitres decouvertes aux pays bibliques à propos d’un livre recent (sc. eines in Philadelphia unter Redaktion von Hilprecht erichienenen, mehr populären Buches: Recent research in Bible Lands, its progress and results, über defien Inhalt Verfaſſer, unter Anknüpfung fritiiher Bemerfungen, eine Überficht gibt, wos bei auch der Stand der ſumeriſchen und der Hittitiichen Frage diskutirt wird).

‘m Journal Asiatique 9, 9, 1 veröffentliht Karppe: Melanges assyriologiques et bibliques (Erflärung der Bibel mit Hilfe der Ajiyrio- logie), und ebendort in Nr. 2 Tumon: Notice sur la profession de nıedecin d’apres les textes assyro-babyloniens. Ausbreitung und Verwandtichaft der jemitiihen Völker behandelt J. Spiro in der Revue de Theologie et de Philosophie 13, 2: Les origines des langues semitiques.

In der Beilage der Münchener Allg. 3tg. vom 12. u. 13. Juli iſt eine Giekener Reltoratörede von B. Stade abgedrudt: Die Entitehung des Volkes Firael (e3 entiteht, indem die unter Moſe im Jahwe-Kult ge: einten Nomadenftämme aus den Steppen um Kadeſch in Baläjtina erobernd Dordringen und dort zum Aderbau übergehen. Aus den Etudes religieuses 11 notiren wir einen Mrtifel von R. M. de la Broiſe: Juifs et Romains. Commentaire historique d’un chapitre des Macchabedes (über da® erjte Juiammentrefien mit den Nömern im Jahre 161 v. Chr.). In der Revue des &etudes juives 68 behandelt 2. Golb d⸗ ihmid: Les impots et droits de douane en Iudde sous les Romains. In der Zeitihr. f. wijlenich. Theologie 40, 3 beantwortet 3. Böhmer die Frage: Wer ift Gog von Magog? dabin, daß Heſekiel Kap. 38,39 auf Babel zu bezichen tit.

Als Extrait des Memoires de l’Academie des inscriptions et belles-lettres 36, 1 ijt eine Meine Schritt von M. Deloche erſchienen:

536 Notizen und Nachrichten.

Les indices de l’occupation par les Ligures de la region qui fut plus tard appelee la Gaule (Paris, Imprimerie nationale. 18 ©. 4%. Gr glaubt, folche Anzeichen für die ehemalige Ausdehnung der Ligurer über das mittlere Franfreih in Urtönamen, die an Ligures anflingen, zu finden, ein doc redyt unficheres Argument.

Im Anschluß an die Artikel über die Hethei-Pelasgi in Griechenland folgt jegt in der Civilta cattolica 1128 ff. eine Mrtifelreife: Gli Hetbei- Pelasgi in Italia. In L'’Anthropologie 8,2. behandelt &. Patroni im Anflug an Orſi: La civilisation primitive dans la Sicile orientale.

In den Zigungsberiten der Berliner Akademie der Wiſſenſch. 29 veröffentlicht Al. Conze ben: Jahresbericht Über die Thätigkeit des Kaiſerl. deutihen archäolog. Inſtituts. Ebendort in Nr. 31 ift ein Artikel von E. Ziebarth abgedrudt: Neue attiihe Hypothekeninſchriften Mittbeilung und Erläuterung von 22 neuen Fragmenten).

Tie Leipziger Studien 18, 1 enthalten zwei tüchtige Abhandlungen: Quibus rebus singulorum Atticae pagorum incolae operam dederint von C. Scherling (1. Aderbau und Viehzucht, 2. Handwerk, 3. Handel und: De scribis reipublicae Atheniensium von %. Benndarf ibehan- delt die verichiedenen die Staatsichreiber betreffenden Fragen zunächſt für's 5. und 4. Jahrhundert und dann vom Ausgang des 4. Jahrhunderts ab, unter Hinzufügung einer nach den inichriftlihen Dekreten aufgeitellten Liſte).

Die Xuova Antologia vom 16. Juni ff. enthält Artikel von E. Ro⸗ magnoli: Soggetti e fantasie della commedia attica antica. Gegen Ariſtophanes als Politiker wendet ſich ein Aufſatz in der Contemporary Review 377: The obverse side of Aristophanes.

Sn der Classical Review 11, 5 erörtert 9. Richar ds: The minor works of Xenophon {die respublicae, meiſt kritiſch. B. W. Henderſon: The grant of immunitas to Brundisium, erörtert die Bedeutung von areheıe, die Sula nah Appian B. E. 1, 79 der Stadt verlieh. R. WM. Burrows: Aristides and the battle of Salamis erhebt Bedenken gegen die von ung 78, 5209 erwähnte Hypotheſe Bury's. In Heft 6 ver öffentliht J. B. Bur y einen Aufſatz: The European expedition of Darius, in dem er die Anficht vertritt, dag nur die beitimmte Funde von Gold in Seythien Darius zu der Erpedition veranlaßte.

Aus dem Hermes 32,2 notiren wir Artikel von ®. Tittenberger: Tie deiphiiche Amphictionie im Jahre 178 v. Chr. (hiſtoriſch-ſtaatsrechtliche Erörterung des zuerit von Foucart im Bulletin de corresp. Hellen. 1,6 veröffentlichten Ampbictionendefrets?: W. Tetlejjen: Zur Kenntnis der Alten von der Wordiee in Anknüpfiung an Müllenhoff's Alterthumskunde Bd. 1; B. Meyer: Zur Chronologie der Praefecti Aegypti im 2. Jahre

Alte Gefchichte. 537

Hundert (Zujammenjtellung nad neuen Inſchriften- und Papyrusfunden); C. Bardt: Zur Provenienz von Cicero’8 Briefen Ad Familiares (inter» efianter Ffleiner Auffag, der die theilweile Benügung von Cicero's Con» cepten für die Sammlung der Briefe nahmeift); W. Schulten: Ein römiſcher Kaufvertrag auf Papyrus aus dem Jahre 166 n. Chr. (Publi— fation und Erörterung des jet im britiihen Mujeum befindlichen Papyrus, nebft Yacfimiletafel); endlih eine Miscelle von 8. %. Neumann: Zu den Hiltorien des Salluft (1. Silius Italicus und Salluft. 2. Die Rede des Licinius Macer und der Brincipat).

Das Rheiniſche Mujeum 52, 2 enthält Artikel von A. Körte: Zu attiſchen Dionyſos-Feſten (lleine Beiträge zur Geſchichte des Theaters); H. vd. Brott: Buphonien (Kritif der Überlieferung; Vergleichung der attiihen mit den anderen Buphonien); 2. Jeep: Beiträge zur Quellen: funde des Orient? im Alterthum (Erörterung von PBhiloftorgios 3, 4—11,; PB. Krumbholz: Zu den Aſſyriaka des Ktefiad (zeigt wieder ihre Uns brauchbarkeit); endlich Miscellen von O. Hirichfeld: Der Brand von Lugdunum (nicht vor Ende 64; Senela erwähnt ihn nicht aus Rüdficht- nahme) und von Bücdeler, der von einem in Köln gefundenen Grabjftein ein kleines Carmen epigraphicum publizirt.

Im Philologas.56, 1 ift eine nacdhgelafjene Arbeit von 3. Dümmler veröffentliht: Sittengefchichtlihe Barallelen (über :Zodtenbräuce 2c. bei verjdiedenen Völkern). Ebendort veröffentliht R. Herzog eine inter- eſſante Zufammenftelung: Namensüberjegungen und Verwandtes (er unter- iheidet Accommodation, Überjegung oder Vertauſchung von Namen bei der Übernahme in die fremde Sprache). Wir erwähnen ferner Artifel von H. Lug: Zur Geſchichte Korkyras (Gründungsdatum; Verhältnis zu Kypſelos; Belagerung Korkyrag im Jahre 37473 und Abſetzung des Timotheus); W. Soltau: Der Annalift Rifo ial® Quelle für Livius); E. Schmweder: Über die Weltfarte und CHorographie des Kaiſers Auguftus (Fortſetzung. Berfafier behandelt Hier die römische Chorographie als Hauptquelle ber Geographien des Diela und des Rlinius. Die Chorographie jelbit bes trachtet er als in den legten Jahren des Auguſtus in engitem Anichluß an die Weltlarte von einem Lateiner abgefaßt und als das wichtigjte geo- graphiihe Wert über die ganze damals belannte Welt. Th. Baunad behandelt: Die Inſchrift des Soarchos von Lebena (gegen ZBingerle:; €. Wunderer den: Gtreit um dad Sprichtwort: Aoxgoi tas arvörxas (zu Polyb. 12, 12a, zugleich ein Beitrag zur Kritik des Timäus), und der: jelbe unter Miscellen: Die ältejte Eidesformel der Römer Polybius 3, 25, 6 kritiſch und jachlich erörtert).

Aus dem Philologus 56, 2 notiren wir die Auffäge von P. Meyer: Aus ägyptiihen Urkunden (1. xaroıxoı, Berhältnifie der angeiiedelten Sol— daten mit erblicher Verpflichtung des Militärdienſtes. 2. erixocw, in

538 Notizen und Nachrichten.

doppelter Bedeutung, Ausmujterung und Anmujterung); von R. Helm: Fulgentius de aetatibus mundi (eine Unterfuhung der Schrift in Stil und Anſchauungsweiſe und Bergleihung in beiden Sinjichten mit den Schriften des Mythographen Fulgentius führt dazu, die von Reiffer⸗ ſcheid angenommene Identität dieſer beiden Fulgentius zu beſtätigen: W. Liebenam: Curator rei publicae (eingehende Darſtellung jeiner Befugniſſe: die wechſelnde Bedeutung dieſer Behörde illuſtrirt den Ber: fal der fommunalen Selbjtverwaltung und die fteigende Bepormundung durh den Staat); X. Miller: it Byzanz eine megariſche Kolonie? (es gibt Feine ftihhaltigen Argumente dafür); und von J. Kaerit: Ptolemaiod und die Ephemeriden Nlerander’3 des Broken {jchräntt die Ergebnifje des Wilckenſchen Aufiages, vgl. die Notiz 73, 159, in einzelnen Punkten ein).

Die Neuen Jahrbücher 67, 4.5 enthalten den Schluß der Abhandlung von ©. Friedrich: Die Entftehung des Thukydideiſchen Geſchichtswerkes. Berfalier glaubt, daß Thukydides zuerft die Geichichte des archidamiſchen Krieges fchrieb und auch jelbitändig veröffentlichte, 418; ebenio begann Zhufndides dann jpäter die Parjtellung der ficiliihen Expedition als jelbftändigen Werkes; erft nachträglid wurde die PDarftellung von 421 bi3 415 eingejügt, Buch 8 hinzugefügt und endlih das Ganze zu einer Einheit, unter Zufügung von Einfhüben in Bud 2 und 5, überarbeitet. Dasjelbe Heft enthält Aufläße von DO. Melker: Zur Topographie be puniſchen Karthago {im Anſchluß an neue franzöjtihe Forſchungen, nament: li TDelattres, und in Ergänzung zu der vom Verfaſſer jelbft im 2. Bande feiner Geichichte Karthagos gegebenen Darjtellung) und von ®. Herageus: Zum Edicetum Diocletiani ‘Ergänzungen zu Blümner's Erklärung‘. In der zweiten Abtbeilung behandelt A. Meſſer eingehend: Quintilian al& Tidaktifer (Anfang).

Im Jahrbuch des Kaijerlid) deutihen archäologiſchen Inſtituts 12, 2 veröffentliht &. Körte einen Aufſatz: Ein Wandgemälde von Bulci al? Dokument zur römiſchen Königsgeſchichte. Er beichreibt und bejpridt die befannten Darjtellungen, die er in den Anfang des 4. Jahrhunderts v. Chr. datirt. Tas Gemälde jtellt nach ihm dar, wie Rom vom Maftarna=-Zervius Tullius zur Befreiung gefangener Etrusker erftürmt, und König Tarquinius dabei getüdtet wird. Die Herkunft der römilhen Zarquinier aus Etrurien leugnet er.

Auf dem Boden der alten Etruäferjtadt Vetnlonia ift in einem Grabe ein reicher goldener Frauenſchmuck, Armbänder, Ohrringe, Halsband, Daarnadeln, Fibeln, gefunden, der audı reichen figürliden Schmud, Vögel, Khimären, Flügellöwen ꝛc. trägt (wahrfcheinlih aus dem 6. Kahrhundert vd. Chr; Ben dem Marmor Parium iſt cin neues größeres Bruchjtüd über die Jahre 336—299 v. Chr. aufgefunden. Die Inſchrift

Alte Geſchichte. 539

iſt leider theilweife nicht mehr entzifferbar, aber die bejjer erhaltenen Fragmente bieten doch mehrere neue Datirungen und Notizen von Intereſſe.

Aus dem Märzheft der Notizie degli Scavi notiren wir einen Bericht von G. Patroni über: Avanzi dell’ antico recinto ed iscrizioni latine, die bei Atena-Lucana aufgegraben wurden, darunter bemerkenswerth namentlih ein terminus Gracchanus, einer der von den tresviri agris iudicandis adsignandis gejegter Stein, über den %. Barnabei dann noch ausführlier Handelt. Aus dem Bericht von A. Sogliano im Aprilheft über die Ausgrabungen in Bompeji im April diejes Jahres heben wir hervor, daß wieder zwei jchöne Gemälde gefunden wurden, die im Heft abgebildet find. In demfelben Heft berichtet noh ©. Batroni über verjchiedene: Nuove ricerche di antichita nella Lucania (ſchöne Bronze= gefäße, Schmudftüde und Urnen aus Sala Consilina, eine Reliefdarftellung des Herkules mit dem Stier aus Tramutola, Inichriften ꝛc.). Ein Artikel von ©. de Sanctiß in der Rivista di filologia 25, 2: Eschine e la guerra contro Anfissa, gibt eine Kritif der Darftellung des Krieges bei Aeſchines, den er mehr als einen von Bhilipp’8 Genie und Erfolgen ges blendeten Durchſchnittsmenſchen, nicht als gewifienlojen Verräther anfieht. In den Rendiconti des R. Istituto Lombardo 2, 30 handelt Et. Ciccotti: Del numero degli schiavi nell’ Attica, indem er ſich wie Seeck ſcharf gegen Beloch's ftatiftiihe Anjäge wendet. Ebendort, in Rr. 12/13 beginnt P. Raffı mit Unterfudungen: Della cosi detta Pata- vinita di Tito Livio. In den Atti della R. Accad. delle scienze di Torino 32, 11 jtelt E&. $errero nad Inichriften und Münzen zujammen: I titoli di vittoria di Costantino.

In der Revue des études grecques 37 beantwortet P. Perdrizet die Frage: Comment finit Chaleion (Stadt der ozoliſchen Lokrer; fie wurde nad einer Anfchrift vom Jahre 64 v. Chr. mit Deanthud vers Ihmolzen. Ebendort veröffentliht M. Holleaur: Quustions &pigra- phiques (1. Decret de Samos. 2. Inscription de Thespies, die große von Jamot zuerjt veröffentlichte Schenfungsurfunde eines Ptolemäus für die Stadt, bie Jamot dem Ptolemäus Philadelphus, Holleaur dagegen den Philopator zuzufcreiben geneigt ift; Publikation und Grläuterung ber Inſchrift. 3. Decret trouve a Tanagra; Ergänzungen und Kritik zur Publikation Dittenberger's). Endlih C. Brufton: De quelques textes difficiles de l’&vangile de Pierre, erörtert drei Stellen des Tertes. Aus den Annales de l’'univerite de Gsrenoble 9, 2 notiren wir eine ums fänglihe Abhandlung von C. Chappuis: Annibal dans les Alpes (über die von Hannibal eingeichlagene Route). Ein Artikel von P. Tannery in der Revue de Philologie 21, 2: Frontin et Vitruve befämpft die von Uifing erneuerten Zweifel an der Echtheit Vitruv's.

540 Notizen und Nachrichten.

Im Bulletin der Academie des Inser. Rärz, April theilt R. Cagnat die Inichrift von Hendir- Mettich für die Villa magna Valeriani (vgl. die Notiz ©. 354; unter Hinzufügung einer ÜÜberfegung mit. Ebendort publizirt und beipridt GC. Jullian: Tablette magique de Chagnon (Charette-Inferieure, eine Verhexungsformel aus einem gallijch-römijhen Grabe des 2. Jahrhundert? n. Chr...

Über die politiihen Gedichte de8 Horaz Handelt zujammenfafiend H. T. Karſten in der Mnemosyne 25, 3: De Horatii carminibus ad rempublicam et Caesarem pertinentibus (Anfang). Tie Nouvelle Revue Historique 21, 3 enthält einen Wrtifel von P. F. Girard: La date de la loi Aebutia (Überſetzung der 1883 in der Jeitichr. der Savigny: Stiftung erjhienenen Abhandlung‘. In der Revue des deux mondes vom 15. Juli orientirt E. Guillaume über die franzöſiſche Erpedition unter Bertone nah Palmyra: Les ruines de Palmyre et leur recent explorateur. In den Wiener Studien 19, 1 erörtert F. Marr: Tas Tobesjahr des Redners Mefjala i13. n. Chr.; Vertheidigung der Über: lieferung). Tas Ardhiv f. latein. LXerilographie 10, 3 enthält einen Heinen Aufſatz von Ed. Wölfflin: Firmicus DMaternus (Hinweis auf die Schrift von Glifford-Moore Über die Mathefis).

Aus der Beilage der Münchener Allg. 3tg. notiren wir Artifel von R. Kralik: Sokrates und jeine Philoſophie (5. und 6. Juli; Auszug aus einer größeren Arbeit iiber das Leben des Sokrates); von F. Marr: Die Beziehungen der klaſſiſchen Völker des Alterthums zu dem feltiich:germas nifhen Norden (23. und 24. Juli; gegenjeitige Kultureinflüjle‘, und Beilage vom 28. Juni: Ein Pamphlet aus der römiichen Kaiſerzeit (tritt für die Autorſchaft Seneca® bezgl. der befannten Schmähſchriſt auf Kaifer Clau- dius ein).

Aus dem Archaeological Journal 213 notiren wir einen hübichen Aufſatz von 9. P. Fitz-,Gerald Marriott: Family portraits at Pompei (mit Abbildungen‘. Ebendort jegt Bunnel Lewis jeine arhäologiichen Überjichten jort: The antiquities of Arles.

Unter den von Hunt und Grenfell gefundenen Papyri (vgl. die Notiz ©. 355) befindet jidh einer aus dem 2. oder 3. Jahrhundert, der Aoyıa ’Ir;oor, „Herrenworte“, enthält, und dem man für die Evangelienforihung große wie uns jcheint, übertriebene) Bedeutung beimißt. Seine Publi— kation ijt bereit3 erfolgt .Yondon, Yyromwde). Auch von A. Harnack wird darüber eine eigene Schrift veröffentlicht bei Mohr in Freiburg i. Br. Eine allgemeine, jehr brauchbare Zujammenitellung über: Griechiſche Papyri, nadı Echriftitellern geordnet, gibt C. Haeberlin im Centralblatt für Bibliotheld- wejen Bd. 14.

In jeiner Meinen Schrift: Kicero im Mandel der Jahrhunderte (Leipzia, Teubner 1807, 101 S.) bewährt ſich Th. Zie linski als geiſt- und fenntnifs

Alte Geſchichte. 541

reihen Führer, der nicht nur jeinen Licero felbjt gründlich fennt, jondern auch, mit rafchen Schritten die Jahrhunderte durchmefjend, und den Ein- fluß und die Bedeutung Cicero's für die aufeinander folgenden Kultur- epochen bi zur Gegenwart deutlih zum Bemußtjein zu bringen verjteht, insbejondere jeinen Einfluß auf die ältefte chriftliche Zeit, auf die Zeit der NRenaifjance und Humaniſten und endlich auf die Zeit der Aufllärung und Revolution. Freilich jcheint ung Zielinski die Bedeutung Cicero's an einigen Punkten zu überſchätzen. So ift e8 zwar gewiß richtig, daß Vicero’3 Briefe da8 Mufter für die Humanijtenbriefe geworden jind; aber mit der Annahme, al® wäre durch Cicero der perjönlidhe Brief überhaupt erjt wieder entdedt (S. 34 f.), ſchießt Berfafler doch über's Ziel. Ebenſo fann man mindeſtens zweifelhaft fein, ob die Drapirung der franzöfifchen Revolutiongmänner mit Römerthum und Liceronianigmus nicht vielmehr eine Schwäche ald ein Borzug war. In den dem Schriftchen beigegebenen Noten wird beſonders gegen Nerrlich derb polemifirt; da deſſen Buch thats fählih an allen maßgebenden Stellen klare, wenn auch ruhigere Zurüd- weilung erfahren hat, jo fann man aud wohl zweifeln, ob e3 nicht befier war, 3 jegt ruhen zu lafien, ala es durch derartige Polemik zu galvanifiren.

Tie Sigungsberichte der Münchener Ulademie der Wiſſenſchaften 1897, Heft 2, bringen die Fortjegung der Unterfuhungen von ©. %. Meyer: Zu Zojephus 4. Die Republik Ierufalem. 5. Das verlorene Geihidht?- wert, sc. eine Geichichte Syriend). In demielben Heft erörtert A. Furt: wängler nod einmal das Denkmal von Adamkliſſi, indem er an jeiner Deutung und PDatirung feitbhält. Vgl. dazu noch einen Artikel von 9. Bulle im Ardiv f. Anthropologie 24, 4: Die älteften Darjtellungen von Germanen. Mit jeiner Unzweiflung der Echtheit der Tiara des Saita- phernes jcheint Furtwängler übrigens Recht zu behalten nad) einer Mit: theilung von E. v. Stern in der Berliner Philolog. Wochenſchrift Nr. 24: Die Tiara des Saitaphernes und die Goldfälihungen in Südrußland. Die Fälſcher find danach wahricheinli die Gebrüder Hochmann aus Otſchakow, die da8 Gewerbe der Fälſchung von Alterthbiimern im großen betreiben.

Ein Auffag von C. U. Kneller in den Stimmen aus Maria-Laach 1897, 6 f.: Flavius Joſephus über Jeſus Chriſtus, tritt wieder für die Echtheit der belannten Stelle in den Antiquitates ein. Im Expositor 5 ftelt W. M. Ramſay: The census of Quirinus, die Zeit von Quirinud’ Negierung in Aſia auf 5-2 v. Chr. feft. Zn den Proceedings of the society of biblical Archaeology 19, 5 erörtert €. 3. Bildes: The date of the Siloam Inscription (ijt viel jünger, ald man gewöhnlich annimmt, wahrſcheinlich aus der Zeit Herodes des Großen).

In den Blättern des Vereins f. Landeskunde von Niederöfterr. N. F. 31, 5/6 führt Kubitſchek: Zur Frage der Ausbreitung des Chriſtenthums

542 Notizen und Nachrichten.

in Rannonien, aus, daB die Anfänge des Chriſtenthums vor dem Zus jammenbrucd der römischen Herrichaft dort gering waren.

In der Byzantiniihen Zeitichr. 6, 2 behandelt E. be Boor, in Ans ihluß und Kritik der Uinterfuhungen von F. Hirih in feinen „Byzanti⸗ niſchen Studien“: Die Chronik des Logotheten (die Nachrichten über den Logotheten in der Fortjegung des Georgios, die nicht daß Original it, aus dem die verwandten Chroniken ausgejchrieben find, jondern umgekehrt, find kritiich nicht verwerthbar;; vielmehr find Xebengzeit und Lebensumſtände de LTogotheten für uns vollftändig in Dunkel gehült. In einer Rad ihrift jest fi VBerfafler mit einer fürzlich erichienenen, zu abweichenden Refultaten gelangenden Arbeit von Vaſiljevskij auseinander und mad Mittheilungen aus Wiener Handſchriften). Ebendort veröffentlicht G. Wartenberg einen Artikel: Leon Diakonos und die Chroniften (ſe bieten für die Zeit von 359— 76 zwei don einander unabhängige und gleiher Weiſe zu berüdfichtigende Darftellungen); gegen einen früheren Artilel von Wartenberg polemifirtt dann 9. Laurent in einem Heinen Artifel: Skylitzes et Nicephore Phocas. E. Bapig iept feine ein dringenden Unterfuhungen fort: Über einige Quellen des Zonaras; U. Bapadopulo3-Kerameusd madt handidriftlihe Mittheilungen über: Adwvıxa xordaxapioy avıiyoaya, und endlih A. Semenom theilt nad Latyjevd mit und erörtert: Eine Snfchrift mit dem Namen Kaiſer Suftinian’® von der Halbinjel Taman (über Kirchenbau).

Ein Xrtitel von $. B. Bury in der Historical Review 47: The Turks in the sixth century, gibt zu der auf hinefiihen Quellen fußenden Darjtelung von Barker (vgl. die Notiz 77, 541) Ergänzungen und Be rihtigungen nad byzantiniihen Duellen. Sm Journal Asiatique 9, 9,1 behandelt Ed. Chavannes: Le Nestorianisme et l’inscription de Kara-val-gassoun (erhebt Bedenken gegen W. Schlegel, der mit Beſtimmt⸗ beit in der auf der Inſchrift erwähnten „neuen Religion“ den chriftlichen Neſtorianismus feititellen zu können glaubte), Über Inſchriften der Aflaifinen au dem 13. Rahrhundert, die von Foſſey und Duffaud in Syrien gefunden jind, berichtet v. Berchem im Bulletin der Academie des Inser. März: April. In den Nachrichten der Göttinger Geſellſch. d. Wiſſenſch. 1897, 9. 1 veröffentlicht N. BVonwetſch: Die apokryphen Fragen des Bartholomäus (deutjche Überjegung aus dem altflamwifchen und griehiicher Tert nach PBaffıliev). Im Journal of the Royal Asiatic Society, Juli 1897 publizirt Gaſter eine englifche Überfegung von: An old Ilebrew Romance of Alexander (12. Jahrhundert).

NRNene Büder: Petrie papyri: the hieratic papyri from Kahun and Gurob. Ed. by Griffith. (London, Quaritch. 52 sh. 6d.) Marti, Seid. der israel. Religion. Dritte Aufl. (Straßburg, Bull. 4 M) Sellin, Beiträge zur israel. u. jüd. Religionsgeſch. IL 1.

644 Notizen und Nachrichten.

K. Shumader: Neue vom Limeskaſtell Tfterburten (6. Zuli; beim Aufräumen gemadte Funde) und Beilage vom 17. Juli: Die bataviice Göttin Nehalennia (über fie betreffende Inſchriften und Altäre, die jeit dem 17. Jahrhundert zu Tage gelommen find).

Beim Limestajtell Alteburg ift nad Bericht des Stredenfommifiare Pallat eine Infchrift von hervorragender Bedeutung und Schönheit aus dem Jahre 213 n. Chr., auf den Alemannenfieg Caracalla’s bezüglich, gefunden. Eine ausgedehnte prähiftoriihe Wohnjtätte mit ſehr zabl- reihen Fundſtücken von der paläolithiihen bis in die römifche Zeit iſt in Baden b. Wien entdedt. Bei Bronczyn im Kreife Kaliich it ein großer Zund von Eilbermünzen, deutichen, dänifchen, böhmijchen und engliihen, au3 den Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts gemadht.

Ein Artitel von X. de Valbroger in der Nouvelle Revue Histor. 21, 3 beipriht im Anſchluß an das Buch von Gefftoy: Maurs et insti- tutions de l’ancienne Islande.

Aus den Mitth. des Vereins f. Anhaltiihe Geſch. 7, 4 notiren wir einen völferfundliden Auflaß von DO. Hartung: NAderbaulide Alter: thümer aus Anhalt. In der Baltifhden Monatsſchrift 39 (44), 6 be: handelt A. Bielenjtein: Art und Gejichichte lettiicher Stedelung. Gegen ihn nimmt dann V. v. Zranjehe dad Wort, indem er die Frage: Waren die ſog. Bauerburgen oder Burgberge Livlands ftändig bewohnt oder nit? entichieden verneinend beantwortet. Am Globus 71, 20 kritiſirt K. Rhamm: Über den Urfprung der Slawen, die gleichnamige tſchechiſche Schrift von X. Niederle; vgl. dazu dann Niederle in Pr. 24 und v. Hormuzali in 72,4. Ein Artikel ven Eug. Scepkin im Ardiv if. Slawiſche Philologie 19, 34: Zur Neſtor-Frage, unterfudt im Anſchluß an Strulj die Frage, ob, bezw. inwiefern der Mönch Neitor als Ber: faſſer der rujliihen Urchronik gelten könne.

In den Blättern des Bereind f. Landeskunde von Wiederdjterreid 31, 1-4 und 5/6 behandelt AU. Dachler ausführlid: Das Bauernhaus in Niederöfterreih und jeinlen) Urſprung. Im Ardiv f. öjterreichiiche Geſchichte 83, 2 veröftentliht of. Egger eine umfangreihe Abhandlung: Das Nribonenhaud. Als Stammvater ded Hauſes nimmt er den Mark⸗ grafen Aribo der Oſtmark um die Wende des 9 und 10. Jahrhundert? an, und der Stammſitz des Hauſes war nah ihm nicht im Chiemgau, jondern im Iſengau: er verfolgt dann genauer die weitere Ausdehnung und Verzweigung des Geſchlechtes.

Ein Artikel von G. Sarrazin in der Zeitichr. f. vergl. Literatur: geich. N. F. 11, 2.3: Der Urjprung der Giegiried-Cage, ſucht deren hiſto⸗ riihe Grundlage wieder in den Schickſalen König Sigibert’3 von Auftrafien und jeiner Gemahlin Brunbild.

Frühes Mittelalter. 545

In den als drittes Heft der Bibliotheque de la Facult& des Lettres der Universite de Paris herausgegebenen Melanges d’histoire du moyen äge publiées sous la direction de M. le Prof. Luchaire veröffentlicht Roupardin eine: Note sur Ebles, abbe& de Saint-Denis au temps du roi Eudes. Gegen Favre, der in dem Erzlanzler des Königs Eudes, Abt von St. Germain-des-Pres, St. Denis und Jumieges und dem 892 in einer Revolte gegen Eudes getüdteten Abt von Poitiers, beide Ebulus genannt, zwei verjchiedene Perjönlichleiten ertennen wollte, ſucht Boupardin die Identität beider nachzuweiſen.

Ein bemerkenswerther Wufjag von Nino TZamafjia in den Atti della R. Accad. delle scienze von Zurin 32,12: Fonti gotiche della Storia longobarda, judjt nachzuweiſen, daß die Anfänge der langobardiichen Geſchichte niht nur an eigene langobardiſche Vollsſage anknüpfen, jondern jih auch gothiihe Sagen und Überlieferungen angeeignet haben.

Die Eigungsberichte der Berliner Alademie der Wiſſenſch. Nr. 35 ent⸗ halten eine fehr bemerfenswerthe Unterfuhung von Ad. Harnad: Über die „Ordinationes“ im Papſibuch. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Eintragungen von Ordinationen für die Zeit von 468—536 und von Anfang des 7. Jahrhundert® ab im wejentlihen durchaus glaubwürdig find; weniger zuverläjfig, aber gleichfalls nicht ohme Grundlage find die Stüde von 336—468 und von 536 bis Anfang des 7. Jahrhunderts; die Lrdinationen können aljo als der werthvollite Beſtandtheil des Papſtbuchs bezeichnet werden. Das Archiv für katholiſches Kirchenrecht 77,3 ent⸗ hält die Fortſetzung der Unterſuchungen von M. U. Stiegler: Dispen- jation und Tispenjationswejen in ihrer geihichtlihen Entwidlung, vom Jahrhundert bi8 auf Gratian inkl. (Entwidlung der Theorie im Mittelalter).

Die Revue internationale de thöologie 19 f. enthält die Fortſetzung der Betrachtungen von J. Langen: Zur rijtlihen Kulturgeſchichte. Aus der Beitichr. f. deutiche Philologie 30, 1 notiren wir einen Aufſatz von dr. Kauffmann: Der Arianigmus des Wulfila (gegen Joſtes, nah dem Wulfila urjprünglich zur orthodoren Kirche gehört Hatte und erjt in feinem legten Lebensjahre Arianer geworden war). Sn den Analecta Bollandiana 16, 2 werden drei größere griechiſche Stüde publizirt: Eusebii Caesariensis De martyribus Palaestinae longioris libelli fragmenta (1. Passio sanctorum Appiani et Aedesiil. 2. Passio sanctae Theo- dosiae. 3. Passio sanctorum Pamphili et sociorum). Ebendort werden aus einer PBarijer Handichrift herausgegeben: S. Macarii monasterii Pelecetese hegumeni acta graeca, und ©. Kurth veröffentlicht einen tleinen gegen Kruich gerichteten Aufſatz: Le Pseudo- Aravatius (Berfajier hält daran feit, dab in Wirklichkeit S. Aravatius nicht? als eine Bers frümmelung von Servatius iſt). Die Zeitſchr. f. Kirchengeich. 18, 2

Hiftoriihe Zeitihrift N. F. Bd. XLIII. 35

546 Notizen und Nachrichten.

enthält die Fortſetzung von Freyſtedt's: Studien zu Gonſchalt's Leben und Lehre i2. Die Zeit der Propaganda, biß 8481. In den Analelten des Heites veröffentlicht E. Neitle eine liberfegung der: Statuten der Schule don Nitibis aus den Jahren 496 und 590 (nad) dem von J. Guidi heraus: gegebenen fyriihen Text).

Zwei Miscellen in der Historical Review 47 wenden ſich gegen Au: ftelungen Maitland's: Burh -geat-setl von ®. H. Stevenſon und: Military tenure before the conquest von J. H. Round. m de Engliihen Studien 24,1}. gibt 8. Horit: Beiträge zur Kenntnis ber altengliihen Annalen, indem er eine Klaijififation ihrer handſchriftlichen Überlieferung verſucht. Tie Archaeologia Cambrensis 55 bringt bie Hortiegung von X. R. Reed: Slebech commandery and the knights of St. John (Aufftellung einer Lijte ihrer Beiigungen im 13. Jahrhundert).

In der Revue Historique 64 veröffentliht 3. Guiraud einen Auf— jag über: Saint Dominique et la fondation du monastere de Prouille (Gründung des Nonnenflojter8 im Jahre 1205 durd) St. Dominicus, haupt jählih um die Frauen dem albigenfiichen Einfluß zu entziehen, und Ge— ihichte jeiner Anfänge und Eritartung). Im Bulletin der Academie des Inscr. für März, April werden Mittheilungen gemacht über eine Korreipondenz zwilhen Raginbold von Köln und Rudolf von Lüttid im Ms. L. 6401 der Rariier Nationalbibliothef: Une correspondance d'éco lätres du XI. siecle.

Tie Revue Histor de l’ouest 13, 1 und 2 enthält eine Bublifation von R. du Lys: Collection de chartes inedites des XII, XIL et XIV. siecles relatives a la famille de Vanloger iin der Normandie. In der Nouvelle Revue histor. de droit 21, 2 publizirt 3. Tarbif: Une collection canonique Poitevine (au8 dem Ende des 11. Jahrhunderts, nah einem Manuifript von Bordeaux). R. Merlet gibt in den Ques- tions Historiques 122 eine: Reponse & quelques objections à l’origine franque de Robert le Fort :gegen Favre, der den ſächſiſchen Uriprung Robert's vertritt).

Ein Meiner Artilel von Dom Fernand Cabrol in den Ques tions Historiques 123: L’abbaye Benedictine de Silos en Espagne it eine Beiprehung der bemerfensmwerthen Urkunden und Gejchichte dieſer Abtei von Tom Ferotin (Paris, Lerour. 1897). Ebendort ſetzt fid GE. Vacandard: La vie de Saint Bernari et ses critiques, mit der Kritik jeined Buches über Bernhard von Clairvaux auseinander. In der Revue de l’orient latin 4, 2/3 veröffentliht E. Rey ein: Resume clıro- nologique Je l’'bistorire des Princes d'Antioche (von der Eroberung 10% bi zum Aufhören der Selbitändigfeit nad der Zerftörung im Sabre 1268).

Tie Revue de droit international 29, 2 enthält einen Xrtifel vom Comte Miche langelo Sappello: Les consulats et les bailages de

Frühes Mittelalter. 547

la republique de Venize. Er nimmt romaniihen Urjprung des Handels⸗ fonjulats an und führt e8 ſpeziell auf Venedig zurüd; man vermißt die Benüpung der Arbeiten von Schaube

Sn den Atti della R. Accad delle scienze di Torino 32, 8 bes bandelt F. Batetta: Il manoscritto 1317 della Biblioteca di Troyes, dad die Summa codicis, die Questiones und die Summa legis Langob. (de8 Irnerius) enthält, und datirt die Handichrift aus paläographiichen Gründen jiher in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts (dazu eine Fac— fimiletafel). Eine Überjicht über die Irnerius-Kontroverſe, im ganzen gegen Fitting Partei nehmend, gibt Ed. Meynial in der Nouvelle Revue Histor. 21, 3: Encore Irnerius. Bon PBatetta notiren wir nod einen Artilel im Bullettino senese di storia patria 3, 4 über da3 Capi- tulare Dicta beati Karuli imperatoris, dem er nicht mit Boretius frän- tiichen, ſondern italieniihen Urjprung zuſchreibt und defien Echtheit er in Zweifel zieht. In den Atti Nr. 9 Handelt U. Spagnolo: Intorno all’ origine dei testi di diritto canonico contenuti in un codice della biblioteca Capitolare di Verona (unter Beichreibung der Handichriften) und in Nr. 10 gibt F. Gabotto einen Beitrag zur Geſchichte des mittel- alterlihen irchenrechts: Un conflitto giurisdizionale in Piemonte nel 1234 (ein Streit zwilden der Gemeinde von Moncalieri und dem Biſchof von Zurin, in dem jener an den Erzbiihof von Mailand und der Biſchof von Turin dann an den Papft appellirt. Abdrud von 6 intereflanten, im Stadtarchiv von Moncalieri neu aufgefundenen Dokumenten). Bon % Gabotto notiren wir beiläufig noch auß der Revue des langues ro- manes 4, 10, 6: Notes sur quelques sources italiques de l'épopée francaise (gegen Gautier gerichtet).

3m Archivio storico ital. 206 publizirt ®. Santini mit einer turzen Einleitung: Nuovi documenti dell’ antica costituzione del comune di Firenze (13 Nummern von 1192—1230). Die Rivista Italiana per le scienze giuridiche 23, 2 enthält noch eine Nota von E.4.Sarufiüber: La monetazione di Federico Il di Svevia, gli Augustali e la pubblicazione del codice di Melfi. —- 3m Archeografo Triestino 21,2 veröffentlicht B. Tomajin: Notizie storiche intorno all ordine dei frati Minori conventuali in S. Maria del Soccorso e nella Cella Vecchia di Trieste e in S. Maria di Grignano (unter Abdrud von zahlreichen lir- funden und Altenftüden), und ebendort veröffentliht 2. Morteani aus dem Stadtarhiv von Pirano eine gerichtlihe Beweißaufnahme vom Jahre 1220 circa: Sulla lite per la decima dell’ olio tra i vescovi di Capo- distria e il clero e popolo Piranese.

Sn der ZBeitichr. f. die Geſch. des Oberrheing 12, 3 veröffentlicht

H. Bloch eine bemerkenswerthe Unterfuhung über: Die Urkundenfälichungen

Grandidier's. Er weift die Unechtheit von 17 nur bei ®randidier 35

n48 Notizen und Nachrichten.

überlieierten Königs- und Kaiſerurkunden bi auf Heinrich V. nach {1. Kaiſer⸗ urfunden für Kloſter Schüttern. 2. Die Ottontihen Diplome für Kloſter Ebersheim. 3. Karolingiihe und Ottoniihe Diplome des Bisthums Straß burg), und er führt aus, dag nach der ganzen Lage der Dinge nur Gran: didier jelbjt der Fälſcher jein fann, der jich durch falſchen Ehrgeiz, feinen Vorgänger Chöpflin wo möglich zu übertreffen, dazu verleiten ließ. In demjelben Heft behandelt U. Klemm: Die Verwandtſchaft der Herren von Backnaug imit einer feine Reiultate illuftrirenden Stammtafel).

In den Nachrichten der Göttinger Geſellſch. der Wiffenfch. 1897 Heft 2 gibt P. Kehr einen NReijeberiht Über: Papſturkunden in Pifa, Yucca und Ravenna, wo er die Archive für dad aroße Göttinger Urkundenwerk durd: forfchte (dazu 18 Nummern Urkunden in meift volljtändigem Abdruch. Ebendort gibt Kehr ferner einen Bericht über: Papfturtunden in Reggio nell'’ Emilia nad) Berichten von Dr. Schiaparelli und publizirt und erörtert eine Urkunde Gregor’3 VII. vom 11. Februar 1077, die für Die Geihhichte der Zeit unmittelbar nad) Canoſſa von Bedeutung ift.

In der Zeitichr. f.Kirchengeich. 18,2 behandeltAldinger: Die Biichofs: wahlen in Verdun in den Jahren 1245—1256, die die Steigende Gewalt. des Papſtes veranihaulihen (zugleih in Ergänzung und Berichtigung zu Clouet's Histoire de Verdun). Ein Auffat in der Theologiſchen Luartal: ichrift 79, 2 von Gigalski: Die Etellung des Papſtes Urban's II. zu den Saframentshandlungen der Eimoniften, Schismatiker und Häretiker, wendet fi namentlich gegen Mirbt's Auffaffung, daß Urban II. nicht nur tHeoretiich, jondern auch praftiih durchaus die Ungiltigfeit ſolcher Hand: lungen vertreten habe. In den Neuen Mittheilungen dee Thüringiid- Sächſiſchen Vereins 19, 3 jchildert 8. Heine ein Nrchengefchichtlicheß Lebenk— bild aus dem 12. Jahrhundert: Wichmann von Geeburg, der 16. Erzbiſchof von Magdeburg.

Ein Aufiag von WU. Schulte in der Zeitichr. f. deutiches Alterthum 41, 3 behandelt: Eine neue Hypotheie über die Heimat Hartmans von Aue (nämlich die Hypotheſe von Schulte und Zeller-®erdmüller, daß Hartman ein zu Eglisau wohnender Dienftmann der Freiherrn von Tengen war). In der Beitichr. für romaniihe Philologie 21, 2 findet fich ein Artikel von 3. F. D. Blöte: Der biftorifhe Schwanenritter. Danach nahm die Cage ihren Ausgang von Roger von Toeni (F c. 1040), deſſen Erlebniſſe und Wappen den älteiten Zügen der Cage zu Grunde lagen. Er mar ber Großvater der Godehilde von Toeni, die fih mit Balduin, .dem Bruder Gottfried's von Bouillon, vermäßhlte, und jo wurden diefe zu Nachkommen de2 Schwanenritterts geftempelt.

Die Zeitichrift für Sozial- und Wirthſchaftsgeſchichte 5, 3 bringt die Fortiegung der Unteriuhungen von ©. vd. Below: Die Entftehung det Handwerks in Deutſchland (2. Die hiſtoriſche Stellung des Lohnwerks.

Frühes Mittelalter. 549

Nah dem Berfajier reicht dag jelbitändige Handwerk neben dem bloßen Lohnwerk viel weiter zurüd und war von viel größerer Bedeutung, als Bücher und Lamprecht annehnten).

Es ijt bisher verfäumt worden, hinzuweiſen auf die ziveite weientlich erweiterte und vermehrte Auflage der „Ausgemwählten Urkunden zur Ber: faſſungsgeſchicht“ von Altmann-Bernheim (X und 405 S. Berlin, R. Bärtner. 1895). Eine jehr umfichtige Vermehrung um rund 100 Num— mern hat ftattgefunden, unter denen fih auch ein Ineditum, das Juden⸗ privileg Sigmund’3, befindet. Sonſt ift nur bei wenigen Stüden auf ur- jprünglihe Vorlagen zurüdgegangen, wie etwa bei der Goldenen Bulle, für die an einzelnen Stellen das Böhmiſche Eremplar follationirt wurde. Im Übrigen hat man, wie bei der erjten Auflage, vorwiegend Drude benugt. Doch ift Hier mit Dank anzuerfennen, daß die Herausgeber fich bereit die erften 45 Bogen von Constitutiones U in den Mon. Gerin. bis etwa zum Jahre 1245 zugängli gemacht haben. Es iſt das ein wohlthuender Segen: jag zu einer gleichzeitig erichienenen ähnlichen Ausgabe von Quellen, die für jo wichtige <tüde, wie das Rapitwahldefret von 1059, die Promissio Canusina und dad Wormſer Konkordat, den alten Drud von Pertz wieder: holt, obwohl der 1. Band der Constitutiones jeit 1893 vorlag, jo daß man nun bei der Benußung mit veralteten Zerten zu lämpfen bat. Immerhin möchte ich weiteren Auflagen des Altmiann=Bernhein erneute Sorgfalt in der Reinigung der TZerte wünſchen. Es gebt z. B. unmöglih an, für ein Stüd wie den Kurverein von Renſe jih mit dem alten Scheidt (1758) zu be=- gnügen und danı zu Stilverbeilerungen wie auf S. 42 fih nöthigen zu lajien. Uns find jo viele Eremplare der Urkunde erhalten (allein in Münden lafjen ſich über 12 Lriginale der Einzelurfunde zujammenbringen‘, daß es ein leichtes ijt, eines derjelben zu follationiven oder abzudruden. Jene Stelle auf ©. 42 heißt eben nicht: ‚an... unseren rechten frei- heiten und gewonheiten, ale wir von alters han und an des reichs churfürsten herkhomen und bracht ist‘, jondern ‚al® von alter an und als dez richs kurfürjten herfomen und brabt it‘ (nach einen der Berliner Eremplare). Der Kurvereinstert des jogenannten Nicolaus Minorita .in 1. Aufl. S. 35) ift erfreulicherweije wieder verbannt. J. 8.

FRene Büder: Koegel, Geſchichte der deutſchen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. J, 2. (Straßburg, Trübner. 16 M.) Grimme, Geſchichte der Minneſinger. I. Paderborn, Schöningh. Rietſchel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis. (Leipzig, Veit & Co. 6 M.) —- Martin Saint-Leon, Hist des corporations de ındtiers etc. a 1791. (Parie, Guillaumin. 8 fr) Eberjtadt, Magisterium und Fraternitas. iXeipzig, Tunder & Sumblot. 5,40 M.) Turdhann, Tabellae chronogruficae ad solvenda Jdiplomatum data. (Innsbruck, Wagner 2 M.: Picaved, (ierbert. Un pape philosophe. Paris,

550 Notizen und Nachrichten.

Leroux., La storia de los quatro dotores de la santa eglesia. Nadı Bincenz vd. Beaupoid, herausgegeben vd. Lauchert. (Halle, Niemeyer 12 M. Lenel, Die Entitehung der Vorherrihaft Venedigs an ber Adria. (Straßburg, Trübner. 3,50 M.) Oddo, Sommario della storia di Messina. (Messina, Principato. 3 L.) Mancini, Cortona nel ınedio evo. (Firenze, Carnesecchi. 6L.) Stubbs, Registrum sacrum anglicanum. 2. el (Oxford, Clarendon press.)

Späteres Mittelalter (1250—1500).

Ad. Shaube ninmt in der „Zeitihr. für Sozial- und Wirthſchafts⸗ geihichte” Band 5 einen längſt gedrudten, aber in der Literatur unbeadhtet gebliebenen SKour&beriht von den Champagnermejien aus den Jahren 1223—1265 zur Grundlage werthvoller Erörterungen über die Organifation diefer Mefien und die auf ihnen verwendeten Gewichte und Münzen. Er wird hierbei mebrfah zu ſcharfem Widerjprud gegen Lamprechts Yus: führungen in deſſen 2. Bande des „Deutichen Wirthſchaftslebens“ geführt.

G. Cipolla veröffentliht in den Rendiconti della accademia dei Lincei Serie V, 5, 336—353 eine Reihe von Urkunden aus den Jahren 1273—1310 zur Geſchichte der Patarener und der Keger in Verona.

R. Holtzmann behandelt in der Deutſchen Zeitichr. für Geſchichts— wifienichaft Neue Folge 2, 16. Philipp den Schönen von Frankreich und die Bulle Ausculta fili, deren Veröffentlichung der König verboten hatte und an deren Stelle er eine durch jeinen Gropfiegelbewahrer gefäljchte Bulle Deum time unterjchieben ließ. Da das Lriginal von Ausculta fili nidt mehr vorhanden ift, ift Herausgeber der Anſicht, daß es in Wirklichkeit damals feierlich verbrannt wurde.

Als Ergänzung jeiner Dantejtudien veröffentliht H. Grauert in den Hiltoriichepolit. Blättern Bd. 120 zwei Artikel über Dante in Deutichland. Er führt u. a. den Nachweis, daß, wie jhon Johann v. Neumarkt, der Kanzler Karl’3 IV., die Göttliche Komödie beſaß und zu lefen veritand, aud für König Zigmund eine lateinijche Überjegung ſammt Kommentar 1417 von Giovanni da Serravalle angefertigt wurde.

Im Hiſtor. Jahrbuch 18, 533—571 beendet Kopp die Biographie dei älteren Bergerius (f. oben S. 364) mit einer Überfjicht feiner literarijchen Thätigkeit. Ebenda S. 6H08—631 gibt K. Eubel höchſt interefiante Nach⸗ weilungen über da3 Zaubereiunmeien und den Aberglauben am Anfang des 14. Jahrhunderts. Es handelt ſich um allerhand Verſuche, dur verzauberte Ztatuetten da® Leben Johann's XXII. zu gefährden. Abs gedrudt werden eine Reihe von Wltenitüden des Vatikaniſchen Archivs. S. 631 gibt noch 9 V. Sauerland Ürgänzungen zum Itinerar Johann's XXI.

Reformation. 551

» Srensdortf bringt in den Nachrichten der K. Geſellſch. der ich. zu Göttingen Philol.:hiltor. Kl. 1897 S. 43—86 eine werthvolle uhung „Zur Geſchichte der deutſchen Reichsinſignien“, vor allem Schidjale während der Aufbewahrung in Nürnberg. Doch aud lihe Belegitellen des früheren Mittelalterd find gejammelt und be- en, und e8 wird der Nachweis geführt, daß die Zurüdführung der ‚dien auf Kaiſer Karl erſt jeit Beginn des 14. Jahrhunderts bervortritt.

(I. Meiſter unteriucht in den Annalen des Hiftor. Vereins f. d. rhein 63, 1—21 die humanijtiihen Anfänge des Nikolaus v. Cues, [3 Nicolaus Treverensis in Briefen Poggio's und anderer Huma⸗ ieit 1427 vorkommt, in deren Kreiß er eine angefehene Stellung ein« t, und denen er die Kenntnis von in Deutichland befindlichen Hands :n der Klaſſiker übermittelt. Im Anſchluß an diefe Unterſuchung 9. Grauert in der Lit. Beilage der Köln. Vollszeitung Wr. 516 (4. Zuli im beionderen auf des Nikolaus Schrift De concordantia lica hin, die am deutlichiten feine Vorliebe für die klaſſiſche Literatur en läßt.

‚ber die Reformationsverjuche im Dominifanerllojter zu Weſel 1460 71 berichtet in ausführlicher Darjtellung im Jahrbud des Tiüfjel- Geichichtövereing 11, 82 ff. BP. M. de Loe, ©. Pr. auf Grund [ten des Düfjeldorfer Staatsarchivs. Vier Beilagen für die Jahre -1464 jind zum Abdrud gebradt. „ES ergibt fid), wie entjchieden mermüdlich von Seite der geiftlicden wie der weltlihen Gewalt bda=- earbeitet wurde, das firdjlidhe Xeben wieder in Blüthe zu bringen.”

. Duponts;serrier entwirft in den NMe6langes d’histoire du n äge publ. par A. Luchaire & 39-92 ein Bild der literarijchen iien des Johann von Orleans, Grafen v. Angoul&me (f 1467). umjängliche Katalog der Bibliothef des Fürſten aus dieſem Jahre : zum Abdruck und wird mit den iorgfältigiten literariihen und ıphiichen Noten verjchen.

Lene Zücher: Tie Rezejie der Hanijetage von 1256 bis 1430.

Leipzig, Dunder & Humblot. 28 M.) Hürbin, "Peter dlau. (Strapburg, Dei. 6 M.) Weiß, Aeneas Syivius Picco— i als Papſt Pius II (Graz, Moier. 6 M.) -- Ayroles, La Jeanne d’Arc. UI. (Paris, Gaume. 15 fr.) Hartwright, tory of the house of Lancaster. "London, Stock. 9 eh.)

Meformation und Gegenreformation (1500 —1648).

on hoben Werthe it Franz Eulenburg's umfangreicher Aufiap die ‚sreauenz der liniverjitäten in früherer Zeit“, in den „Jahr: ıı für Nationalölonomie und Statiftit 3. Folge, Bd. 13). Auf Grund

552 Notizen und Nachrichten.

eine3 weſentlich bejieren (Heidelberger) Ouellenmaterial® vermag Eulenburg die ausgezeichneten Ausführungen Paulien’8 (9. 3. 45, 289% zu betätigen, zu forrigiren und zu erweitern, ohne freilich die ſchon von Pauljen befolgte Methode verlajien zu können, zwecks allgemeiner Bered: nungen die für eine beftimmte Univerfität berechneten Berhältniiie als typiich anzunehmen. Eulenburg jept die von Paulſen anf 2%: Jahr be technete dDurchichnittliche Aufenthaltsdauer der Studenten an einer Unipverfität auf 1°/s Jahr herab. Das ungemeine Überwiegen der Artiſtenfakultät (0 %0), das bereits Paulfen bemerkte, vermag Eulenburg zahlenmäßig nachzuweiſen. Dreiviertel aller Studenten gelangten ihm zufolge nidt einmal zur unterjten atademiihen Würde, den Baccalaurcat. Nach Eulen burg’3 Berechnungen wird die von Baulien auf 6— 7000 angenommene ftudentifhe Gejammtfrequenz gegen da® Jahr 1500 auf die Hälfte reduzirt. Dabei wird mit Recht betont, daß felbft dieje verringerte Zahl noch eine hohe ift, da die „fozinle Nöthigung“ zum Studium mejentlich ſchwächer war als heute. Zelbjt in unjerer Zeit ijt, rein zahlenmäßig angejehen, der Trieb zur höheren Bildung fein ſtärkerer ald gegen Ausgang ded Mittelalterd. Ben tiefiten Stand erreiht die Gejammtfrequenz in den Jahren 1520 ff. und 1636 ff., wobei jedoch die langjame und auch nur partiell eintretende Wirkung des Dreikigjährigen Krieges bei weitem nicht dem gewaltigen Rüdichlag zu vergleichen ijt, der infolge der lutheriichen Kirchen: revolution eintrat. Die Frequenz fintt rapid auf "/s der 1515 erreichten Ziffer. Die tiefgreifende geiftige Erregung, die in dem Chaos der ſcheinbar zujammenftürzenden alten Kirchenverfaffung unſicher gewordene finanziele Verſorgung im geiftlihen Etande erflären diefe Thatſache. Übrigens wird dann bereit3 in den jahren 1546—1550 der Standpunkt wenigftens von 1501 bis 1505 wieder erreiht. In einem Anhang handelt Eulenburg u. a. noh über den Aufenthalt deutider Studenten an ben italientihen Univerjitäten. Er berechnet die jährlie Durdhichnittszahl aut etiva 500, was dem hohen Prozentjag von 12 %o der gefanımten Studenten: zahl entiprähe. Tie veränderte Stellung der deutichen Univerfitäten in der wiſſenſchaftlichen Welt in früherer und jebiger Zeit zeigt fich deutlich darin, dal dag mittelalterlihe Deutſchland mehr Studenten an fremde Univerjitäten abgab, als jeinerjeit3 Fremde anzuziehen vermodte.

In den Monat3heften der Comenius-Geſellſchaft, Bd. 6, Heft 5 und 6 (1897), 2. 131—176 handelt Ludwig Keller wieder über „Grund— fragen der Reformationdgejhichte” Der Verfaſſer hält darin zufammenfafjende Rüdichau auf seine jeit 1878 erichienenen religions- geichichtlihen Arbeiten und ſetzt fih mit einer Anzahl von literariichen Gegnern, namentlih mit Lüdemann, Karl Müller, G. Boffert und dem Referenten auseinander. Wir haben in diejer Zeitichrift (namentlich 55, 477 ff. und 65, 152 ff.) und zulegt in der Deutſchen Literaturzeitung 1897 Nr. 15 Sp. 576 ff. unſere Anjchauungen über Methode und Werth der

Reformation. 553

Keller'ſchen Arbeiten deutlich genug geäußert und finden durch keine Stelle des neuen Aufſatzes Veranlaſſung, unſer abfälliges Urtheil zu modifiziren. Jede Erwiderung auf Keller's perſönliche Angriffe müſſen wir unſrerſeits ein für allemal ablehnen. Herman Haupt.

In den Miscellanea storica della Valdelsa (5, 1) führt D. Marzi den überzeugenden Nachweis, daß Giovanni Lucido Samoteo, unter defjen Namen im Anfang des 16. Jahrhunderts verfhiedene Schriften über die Nothwendigkeit der Kalenderreform erichienen find, nur ein Pſeudonym ift für den als Mathematiter hervorragenden Dominikaner Giovanni Maria Tolofani.

In den WDeonatöheften der Comenius = Gejellihaft 1897 5/6 ſetzt Ellinger den in diefer Zeitichrift (79, 168) erwähnten Aufſatz über Melanchthon's Frühzeit fort.

Die Feſtſchrift der Univerſitäit Greifswald zu Melanchthon's 400s jährigem Geburtstag von J. Haußleiter („Aus der Schule Melanch— thon's“, Greifswald, Julius Abel, 1897) beſchäftigt ſich mit den theos logiſchen Disputationen und Promotionen zu Wittenberg in den Jahren 1546—1560. Haußleiter ſtützt ſich auf ein reiches bisher unbenutztes Material, das er theilweiſe veröffentlicht und auf Grund deſſen er den Verlauf der einzelnen Promotionen und Disputationen ſchildert. Die Arbeit iſt namentlich werthvoll für unſere Kenntnis der theologiſchen Stellung Melanchthon's in dieſen Jahren.

In der Zeitſchr. für Kirchengeſchichte (18,2) ſetzt W. Friedensburg die in dieſer Zeitſchrift (79, 367) erwähnte Veröffentlichung des Briefwechſels katholiſcher Gelehrter fort.

Dankenswerthe Ergänzungen zu dem von v. Soden und Knaate herausgegebenen „Briefbuch Chriſtoph Scheurl's“ veröffentlicht G. Bauch in den Neuen Mittheilungen a. d. Gebiete hiltor.-antiquar. Forſchung (19, 3).

Ebendort bringt G. Liebe eine Aufzeichnung des Zeugmeiſters Lauterer über Requifitionen von Kriegsmaterial aus dem Zeughauſe zu St. Morib- burg bei Halle v. 1547 zum Abdrud.

Den Humanismus und die Reformation in Frankreich in den Jahren 1512—1552 behandelt H. Haujer in einen leſenswerthen Aufſatze in der Revue historique 1897, Juli.

3m Bulletin du protestantisme francais (1897, Mai) behandelt derielbe die Stellung des Rathes von Nimes zur Reformation in den Jahren 1532—1537.

A. Lefranc ſetzt ebendort (Nuni) den in dieler Zeitichrift 79, 168 erwähnten Aufſatz über die religidien Ideen der Königin Margarete von Navarra fort.

5:4 Notizen und Nachrichten.

Ebendort veröftentliht N. Weib ein Aktenſtück über die 1535 auf Wunſch von Margarete vd. Navarra geplante Berufung Melanchthon's zu einer Disputation nad Paris.

Die Entjtehbung des Augsburger Interims (1548) fchildert auf Grund eines reichen Altenmateriald® G. Rolf in der Deutichen Zeitichr. für Ge ſchichtswiſſenſchaft N. 3. 2, 1. Entgegen der neueren Auffafiung tritt er am Schluß wieder für die Anficht Ranke's ein, daß der Kaiſer das Snterim urſprünglich als allgemeined Reichſsgeſetz, nit nur als Ausnahmegeſetz für die Proteitanten geplant habe.

In einem in Karlsruhe auf Wunſch des Proteſtantenvereins ge baltenen, jegt im Drud veröffentlichten Vortrage zieht U. Böhtlingk eine geſchichtliche Parallele zwiihen Luther und Loyola (Dr. Martin Luther und Ignaz v. Loyola, Heidelberg, 3. Hörning, 1897). Die geijtreichen Ausführungen leiden durch die jchroffe Herporfehrung des Parteiſtand⸗ punktes; mande GCharaktereigenjchaften Luther's werden übertrieben ber: vorgehoben, während die Perjönlichkeit Loyola's doch faum ſachlich genug gewürdigt wird.

Sm Bull. de la Societe d’hist. et d’archeol. de Gen®ve 1, 5 gibt R. Wipper, Profeſſor in Odeſſa, einen kurzen franzöfiihen Auszug feines (1894) ruſſiſch geichriebenen größeren Wertes über Kirche und Etaat in Genf im 16. Jahrhundert, im Zeitalter des Calvinismus.

In den Preußiihen Jahrbüchern 1897, 8 ſchildert P. Simſon dad Leben des eifrigen Vorkämpfers des Katholizismus in Polen, Stanislaus Hofius 1504— 1579), der feit 1550 Biſchof von Ermland war und ald Großpönitentiar in Nom jtarb.

Tie Antihten des PhHilojophen Thomas Campanella (1568—1639 über den Urjprung und die Urjadhen der Reformation jtellt dar und beur: theilt Felici in den Rendiconti della R. Accademia dei Lincei 6, 3. 4.

Als einen Beitrag zur italieniihen Wirthſchaftsgeſchichte veröffentlicht C. Cipolla in den Atti della R. Accademia delle scienze di Torino 32, 9 Urfunden aus den Jahren 1524—1578 über die Beitallung, Rechte und Pflichten von Feldhütern in dem veronejiihen Dorfe Tregnano.

In den Mitteilungen d. Inſt. f. öfterr. Geich. (Bd. 18) unterjucht Loſerth die fog. Bruder Pazififation von 1578, deren nad) mündlichen Erflärungen niedergeichriebener Tert in zwei verſchiedenen Faſſungen vor: liegt. Auf Grund eingehender kritiicher Crörterungen fommt er zu dem Ergebnis, daß nicht, wie bisher nah Hurter angenommen merben mußte, die ſtändiſche Faſſung, Tondern die fpäter von fatholifher Seite vorgebradte eine Fälſchung war, bie dem PBizefanzler Wolfgang Schranz zur Laſt zu legen ilt.

1648—1789. 556

In der Dublin Review vom Juli 1897 verſucht ein Benediltiner Norbert Birt den Nachweis zu führen, daß die Lage der englifchen (evangeliichen) Biſchöfe unter Elifabeth durchaus feine beneidenswerthe war. Bon oben ber mußten jie ſich alle8 gefallen lafien, meint er, und beim Volke Hatten fie keinen Reſpekt.

In den Unnalen db. hiſt. Ber. f. d. Niederrhein (Heft 63, 1897) bes richtet Pauls ganz interefiant über die verjchiedenen Verſuche, die Ge mütskrankheit des legten Herzogs Johann Wilhelm von Jülich und die Kinderlofigkeit feiner Ehe durch Erorzismus und allerlei Beihwörung3- fünfte zu beben.

Ein Artifel von Gaſton Boiffier in der Revue des deux mondes vom 15. Juni 1897 beichäftigt ſich mit den äußeren Schidjalen der aca- demie francaise im 17. Jahrhundert und jtreift u. a. auch die Geſchichte der Entitehung des dictionnaire de l'académie.

Que Büder: Willmann, Geld. d. Idealismus. UI (D. Idealismus der Neuzeit.) (Braunjchweig, Bieweg) Fauth, Dr. Martin Quther’3 Leben. (Leipzig, Freytag. 5 M.) Biermann, Geid. des Proteitantismus in Ofterreihiih-Sclefien. (Prag, Calve. 5M) Jacob, Die Erwerbung des Eljah durch Frankreich im Weſtfäliſchen Frieden. (Straßburg, Trübner. 850 M.) Knod, D. alten Matrifeln der Univerfität Straßburg 1621—1793. I, I. (Straßburg, Trübner. 36 M.) Waddington, La republique des provinces-unies, la France et les pays-bas espagnols de 1630 à 16560. IH. (Paris, Masson) Zanoni, La mente di Franc. Guicciardini nelle opere politiche e storiche. (Firenze, Barbera.. 4 L.) Hist. de la langue et de la litterature francaise des origines a 1900. III. (seizitme siecle) P. p. Petit de Julleville (Paris, Colin. 16 fr) Falgairolle, Jean Nicot, Ambassadeur de France au Portugal au XVle siöcle. (Paris, Challamel. 750 fr) Zeller, La minorite de Louis XIII. (Paris, Hachette. 7.50 fr) Hutton, The church of the sixth century. (London, Longmans. 6 sh.) Fuller, Life etc. of John Iavenant, 1572—1641, Lord Bishop of Salesbury. (London, Methuen. 10 sh. 6 d.) Gardiner, Cromwell's place in history. (London, Longmans. 3 sh. 6 d.)

1648 —1789.

Eine kurze biographiſche Skizze des englifhen Gejandten in Paris unter Cromwell und jpäteren Gouverneurs von Dünkirchen Sir William Lockhart (1620— 1675) bringt R. M.Lodhart im Augujtheit der West minster Review.

Die Erzählung von dem Prozeß gegen Balthajar de Fargues 1665, die fih in den Memoiren St. Simon's findet und trog ihrer Widerlegung

556 Notizen und Nachrichten.

durch Gaillard und Cheruel immer noch nacherzählt wird, ift von Bois— lisle auf's neue mit erſchöpfender Gründlichkeit kritiſch geprüft worden. Der erſte vorliegende Artikel unterſucht die Rolle, die Fargues bei der ſog. Rebellion in Hesdin 1658 geſpielt hat. (Revue des quest hist. vom 1. Juni 1897.)

In der Zeitichrift für Sozial: und Wirthſchaftsgeſchichte 5, 3 theilt Baaſch zwei Altenftüde mit, die die Bemühungen Hamburgs im Anfang des 18. Jahrhunderts betreffen, jeinen Handel nad DOftindien 'auszudehnen und Beziehungen zu der Dftender Kompagnie anzufnüpfen.

Williams unterjudht die Gründe, die den al8 Staatdömann und Polititer wenig bedeutenden Herzog von Nemwcaitle, der trogdem ein halbes Sahrhundert die höchſten Amter inne hatte, fo lange in feiner Stellung geitüßt haben. E3 find vornehmlich feine verwandtichaftlihe Verbindung mit den einjlußreichiten Perfonen, fein großer Reichthum und der gewaltige Einfluß, den er auf die Parlamentswahlen ausübte W. jchildert dann die Wahl von 1734, bei der dieler Einfluß am klarſten erfennbar bervor: tritt, in ausführlicher Weife, die mande interejlante Einzelheit über die damalige Art der Wahlmace bringt. (Engl. Hist. Rev., Juli.)

Der Schluß des Aufiapes von Boutry über die Papſtwahl von 1740 (vgl. 79, 372) jchildert nach den franzöfiihen Alten ohne weitere hiſtoriſche Ausblide die mannigfahen Schiebungen und Sntriguen, die das lange Konklave erfüllten.

Lloyd theilt in der Engl. Hist. Rev. (Xuli) die Berichte des Mar- hal von Sachſen und Eir John Ligornierd, von denen der erjte jchon einmal, aber ungenau, gedrudt ijt, über die Schladt bei Fontenay mit und gibt einige Erläuterungen dazu.

Um feine LZejer über den befannten Streit zu orientiren, beginnt Weiß im Hiſt. Jahrb. 18, 2 einen Aufſatz über den Urjprung des Sieben: jährigen Krieges und gibt zunächſt eine einfach referirende Inhaltsangabe der Lehmann'ſchen Schrift.

Arnsperger beſchäftigt ſich in den Heidelberger Jahrb. 7, 1 mit der Stellung Leſſing's zur Leibniziſchen Philoſophie. Nach ſeinen Aus— führungen gehen die zwar nicht ſyſtematiſchen, aber eindringenden Studien Leſſing's darauf zurück, daß er in dem Philoſophen den geiſtes⸗ verwandten Denker fand, deſſen Anfichten er in dem Kampfe um dad große Problem des Verhältnifjes von Glauben und Wiſſen für ſich verwertbete.

Eine Geſchichte der Kolonieen der ruiliihen Sekte der Lippowaner, welche hauptiächlih durd; die Bemühungen Joſeph's II. zur Anjiedlung in der Bulowina bewogen wurden, gibt R. F. Kaindl im Archiv f. ölterr.

Neuere Geſchichte feit 1789. 567

Geſchichte 83,2. Die Darftelung, der zahlreiche Urkunden aus den Jahren 1783—1865, zum Theil im Auszug, angehängt find, behandelt die Grüns dung und die Entwidlung der Kolonten und die befondere Stellung, die die Kolonijten in ihren Privilegien, ihrer Beihäftigung, ihren Religions— gebräuchen und Sitten einnehmen.

Ueue Bäder: Boutenmantel, De regeeringe van Amsterdam (1653— 1672). Uitgg. door Kernkamp. I. (Haag, Nijhoff. 5,50 Fl.) Le Glay, Les orgines historiques de l’alliance franco-russe. 1. (—1717.) (Paris, Champion )— Cian, Italia e Spagna nell secolo XVIII. (Torino, Lattes. 8L.) Waliszewski, Pierre le Grand. (Paris, Plon. 8 fr) Franklin, La vie privee d’autrefois. La vie de Paris sous la regence. (Paris, Plon. 3,50 fr.) Salmann, Bernard de Mandeville und die Bienenfabel-Kontroverje. (Freiburg i. B., Mohr. 7 M.) Altmann, Ausgewählte Urkunden zur außerdeutichen Ber: faflungsgeichichte feit 1776. (Berlin, Baertner.) Magnette, Joseph I. et la libert& de l’Escaut. (Brüssel, Lebegue.) Wallace, The hist. of Illinois and Louisiana under the french rule. (Cincinnati. 10 sh. 6d.)— Buckley, A Hist. of Methodism in tbe United States. I,II. (New-York. 25 sh.)

Neuere Geſchichte feit 1789.

La France d’apres les cahiers de 1789. Par E. Champion. (Baris, Colin. 1897.) Die Cahiers der Wahlen von 1789, die vielfadh gleih damals gedrudt wurden, find von jeher als eine Hauptquelle für die Kenntnis der Zuftände und Stimmungen in Frankreich zu Beginn der Nepolution verwerthet, aber erjt neuerdings wiſſenſchaftlich publizirt und ſyſtematiſch durdhforicht worden. So weit dad Material in den Archives parlementaires und in zablreihen Kinzelpublifationen vorliegt, bat E. Champion ed mit großem Fleiße und mit vielem Geihid zu einer Schilderung des vorrevolutionären Frankreich veriwerthet, die urjprünglic in der von Laviſſe und Rambaud herausgegebenen Histoire generale veröffentlicht, jegt in erweiterter Geſtalt und in Buchform erichienen, viel: leicht nicht immer die wirklichen Zujtände, aber deren Spiegelung im Lichte ber öffentlihden Meinung wiedergibt. Das Ergebnis diejer den, Cahiers meift im wörtlihen Auszug entnommenen Angaben über die Berjafjungs- frage, den Gedanken der nationalen Einheit, den Partikularismus der Provinzen, das Verhältniß der drei Stände zu einander und zum König» tbum, Steuern, Finanzen, Gutsherren, Bauern u. j. w. entipridt den befannten Anſchauungen Aulard's und Champion's. Frankreich, jo leſen wir auch hier, wünſcht eine beſonnene allmähliche Reform auf friedlichem Wege: der Widerſtand des Königthums, dem ſich der vorher liberale und oppoſitionelle Adel anſchloß, verurſachte die Revolution.

558 Notizen und Nachrichten.

Die Briefe eines italieniſchen Staatsmanns P. Greppi über den Wiener Hof (Auguft 1791 biß September 1792) zeigen, ohne tiefere Kenntni® der diplomatiihen Borgänge, do gute Beobachtung umd treffende Urtheile, 3. B. über Thugut, den er einen „harten und falten Arbeitskopf“ nennt, beſonders auch über die Ausſichtsloſigkeit des Krieges mit Frankreich, deſſen natürlide Hülfsquellen er ſehr bo anſchlug. (Deutſche Revue, Juliheft 1897.)

Die Revol. francaise hat im Maiheft folgenden Inhalt: Cahier des dritten Standes des Bezirk Verdun (jehr eingehendes Reformprogramm in 134 Baragraphen), nebjt dem ausführliden Protokolle über die dortige Wahlverhandlung. Ein Schreiben des Herzogs von Lianco urt vom 14. März 1789, der unter Hinweis auf jeine Pflichten .ald Deputirter dem König fein Hofamt al® grand-maitre de la garderobe zur Berfügung ftellt, und die beruhigende Antwort des Königs. Die Widerlegung einiger von Gregoire erhobenen Beihuldigungen gegen Chaumette wegen angeb- lihen Bandalismus (von Guillaume). Chaſſin erweilt aus Eingaben des am 18. Fructidor deportirten Generals Millot von 1814 deſſen geheime Berbindung mit den Bourbonen im Jahre 17%. Aulard veröffentlicht eine berichtigte Liſte des Vorſtands des Jakobinerklubs von 1789 bis zur Schließung des Klubs im Oktober 1794. Levy⸗Schneider erörtert die Entſtehung der Seeſchlacht von Oueſſant, 1. Juni 1794. Im Juniheft ſchildert Lihtenberger die Schickſale des Schotten John Oswald, eines begeiſterten Anhängers der Revolution, der mit zwei Söhnen im September 1793 in der Vendeée fill. Aulard gibt einen Neudruck der nur in einer Brojhüre erhaltenen namentlihen Abftimmung vom 13. und 14. April 1793 über die Erhebung der Anklage gegen Marat (Schluß im Juliheft). Debidour behandelt die Entwidlung der ultramontanen Bewegung im erjten Jahrzehnt der Julimonardie.

Albert Sorel jegt jeine ſchönen Studien über die auswärtige Bolitit Frankreichs in der Revolutionszeit fort und zeigt in einer Abhandlung über den „Raitatter Kongreß und die Abtretung des linken Rheinufers“ den Fortgang der franzöfiichen Eroberungspolitik auch nad dem Frieden von Campo Formio, jener echt franzöſiſchen Politik der Erpanjion und Suprematie, die dag Direktorium in verworrener, widerſpruchsvoller Weile betrieb, Napoleon planmäßig aufnahm und methodild durdhführte. (Revue des deux mondes, 15. Juli.)

Memoires du general comte de Saint-Chamans, ancien aide- de-camp du mar6chal Soult (1802—1832). (Paris, Plon. 1896. 542 ©.) Eines der jetzt jo zahlreich ericheinenden Memoirenwerfe aus der napole oniihen Zeit, da8 ohne großen Schaden für die Nachwelt hätte ungedrudt bleiben können. Der Berfafier, unter dem Kaiſerreich Oberſt, unter Zudwig XVIU. Befehlshaber einer Brigade der königlichen Garde und

Neuere Geſchichte ſeit 1789. 569

Kammerherr, ift nad der Julirevolution aus dem Dienſte gefhieden und 1848 geftorben. Seine Aufzeihnungen, in denen er eine ausgeprägt legitimiftifche Anjchauung bekundet, berichten wejentlich über die jpanifchen Feldzüge, die er von 1809 bis 1811 ala Adjutant Soult's mitgemacht hat, jodann über den rujfiihen Feldzug von 1812. Wa er über die inneren Berbältniffe der fatferlihen Armeen, über den Mangel an Disziplin bei den Zruppen, über die Neibereien zwiichen den Führern u. |. w. erzählt, zeugt von nüchterner Auffafjung der Dinge und bietet einiges interefiante, neue Detail, das Allermeifte ift aber doch ſchon längft und in ausführ- liherer Weije gejagt worden. Am ebejten find noch diejenigen Kapitel, welde die Armeeverbältniffe unter den Bourbonen und den ſpaniſchen Feldzug von 1823 behandeln, wegen der Schilderung der royaliftiichen Strömungen im Heere, ſowie dasjenige über die Julitage in Betradht zu ziehen. Daß der DBerfajier eine jo naid=Übertriebene hohe Meinung von feinen geiftigen und körperlichen Vorzügen zur Schau trägt (ſelbſt feine „ſchönen Schenkel” und „Meinen Hände” werden von ihm ge: rühmt), wird ihm bei den allermeiften Lejern nit zur Empfehlung gereichen. R.

Dragomirom vertheidigt dad Andenken Napoleon’3 gegen Proudhon's Angriffe, Hauptfählih von militärifhen Gefiht3punften aus. (Revue nouv., 1. u. 15. Juli 1897.)

Ganniers veröffentlicht die Briefe eines jugendlihen Militärarztes, S. Blanc, der im Februar 1812 Paris verließ, um zur „großen Armee” zu ſtoßen, und nad unjägliden Schwierigkeiten, oft zu Fuß marſchirend, im Juli Wilna erreichte, wo er verſchollen ift. Seine Schilderungen zeigen die Organtfation der franzöfiihen Armee und die Vorbereitungen zum ruffifhen Feldzug in wenig günftigem Lichte. (Revue des quest. hist., 1897, Juli.)

Unter dem Titel: „Bernadotte und die Bourbonen 1812 1814” erörtert Pingaud die Intriguen des Erſteren, um jeine Kandidatur für den franzöſiſchen Thron zu fördern, andrerſeits die Bemühungen der Bourbonen und auch Napoleons, den Kronprinzen für fih zu gewinnen. Neben Belanntem finden ſich dabei aud einige neue An— gaben aus ungedrudten Memoiren, u. a. Langeron’®, 3. B. über die Haltung Bernadotte's beim Sturze Napvleon’8 1814. (Revue de Paris, 15. Suni 1897.)

Eine Epifode aus den wenig befannten Kämpfen des nordmeitlichen Kriegsjhauplapes im Jahre 1813, den Sieg der deuticheenglijch-ruffifchen Truppen über eine Abtheilung Davout's bei Göhrde am 14. September 1813 befchreibt Premierlieutenant Schwertfeger im Beiheft z. Milit. Wochenbl. 1897, 5.16. Heft.

560 Notizen und Nachrichten.

Bleibtreu's Betradjtungen über den Feldzug von 1815, in denen man mit Erjtaunen auch Scerr’3 Blücher als Duelle angeführt findet, geben mehr eine Erörterung verfchiedener Möglichkeiten mit vielen Wenn und Aber, ald eine Flare Feſtſtellung der Thatſachen. (Deutiche Revue, Juliheft 1897.)

Der Schluß der Studie von Münp über die von den Franzoſen geraubten Sunitgegenftände (vgl. 79, 375) behandelt die Rüdgaben an die Niederlande und Stalien (Miſſion Canova's). Der Berfajter grollt bejon: ders den Engländern, die jich der Forderungen der Holländer annehmen, freut fi aber aller Fälſchungen und „frommen Lügen”, durch die die franzöjiihen Unterhändler die Beraubten um ihr Eigenthum betrogen. (Revue nouv., 15. Juli und 1. Auguft 1897.)

Bornhal's im übrigen dürftiger Aufſatz über die verwaltungdredt: lie Stellung des preußiihen Minifteriums der geiftlichen Angelegenheiten (Berwaltungsardiv Bd. 5) enthält einige interejjante neue Thatjachen über die Gründung des Minifteriumd im Jahre 1817 und Über die damaligen inneren Gegenjüge im preußiſchen Staatsminiſterium.

MWelvert behandelt in jehr jorgfältiger Unterfuhung die Schickſale der conventionnels regicides nad) der Revolution, bejonders ihre edit: lie Stellung während der Reftauration. (Revue histor., Juli 1897.)

Wertheimer veröffentlicht die Berichte des Senerald Hartmann von Klerjtein und Schreiben Marie-Louiſe's über die Krankheit und den Tod des Herzogs von Reichitadt, weldhe die Thatjache unheilbarer Schwindjudt lediglich bejtätigen. (Revue histor., Mai-Juni 1897.)

Briefe aus den Tagen der Juli-Revolution 1830 geben einige hübſche Stimmungsbilder und zeigen, wie die entfejlelte Nationalkraft Frankreichs ſich jogleicdh auf die Rheingrenze ftürzen möchte. (Nouv. Revue retrosp., Juliheft.)

Einen Einblid in die Arbeitsweiſe Jakob Grimm's geben und 17 feiner Briefe an den Sermanijten Prof. Fr. Mone, die Frhr. v. Wald: berg in den „Neuen Heidelberger Jahrbüchern“ 8, 1 publizirt. Die Briefe ſtammen aus den Jahren 1817—1841.

Die allmählidye Abwendung des katholiſchen Theologen und Schriit— ſtellers Joh. Adam Möhler von Rationalismus zur Orthodoxie und zur Anerkennung der Unfehlbarkeit ſchildert Schmid im Hiſtor. Jahrbuch 18, 2 u. 3.

Die Deutſche Revue beginnt eine Veröffentlichung aus dem Bunſen— ſchen Familienarchiv, über deren polemiſchen Charakter man ver— ſchieden urtheilen kann, die aber jedenfalls Dokumente von hohem Intereſſe

Neuere Geſchichte feit 1789. 561

in Ausſicht ſtellt. Das erſte Kapitel (Yuliheft) betrifft die Neije des Brinzen von Preußen nad) England im Jahre 1844, bei der der Prinz zum fonftitutionellen Syitem belehrt werden jollte, und bringt einen werthvollen Beriht Bunſen's vom 9. September 1844 über jeine linter- redungen mit dem Prinzen, der namentlid Eichhorn's Kirchenpolitit be— fümpfte und in den Berfafjungsfragen die erzwungene Bewilligung einzelner Zugeftändnifte verwarf, während er einer Reform im ganzen und großen nicht abgeneigt gemweien wäre. Das zweite Kapitel (Auguſtheft) wendet jih gegen Treitſchke's Darjtellung der Bundesreformpläne von 1847 (D. ©. 5, 691 f.), die fie durch wortgetreue Veröffentlihung der dort erwähnten Denkſchriften des Prinzgemahls Wlbert und des Fürſten von Leiningen zu widerlegen judt. Man wird zugeben künnen, daß leßtere Denkſchrift, namentlich durch die energiihe Forderung der Ausſchließung Lfterreich® aus Deutihland, im Original einen friicheren und Mareren Eindrud madt, als in Treitichte'3 Auszug, während die Dentichrift des Prinzen Albert, welde die deutihe Reform nur unter Mitwirkung Üfterreih8 an- jtrebt, au im vollen Wortlaut unklar und verfhwomnten bleibt.

Ein glänzendes Zeugnis für die „Standhaftigfeit, Manneszucht und Menſchlichkeit“ der Soldaten in dem Barrifadenlampf vom 18. März 1848 gibt der franzöſiſche Geſandte Graf Circourt, der mit U. v. Humboldt Zeuge des Ausbruchs der Revolution war. Der Verfaſſer, deſſen ſtark royalijtifch gefärbte Darftellung in vielfadher Hinjicht recht interefjant ift, tadelt ſcharf den freimilligen Abzug der Truppen und die würdeloſe Haltung des Königs, überjhägt aber in groteöfer Weiſe die Bedeutung jeiner eigenen antirevolutionären Haltung für dad Mißlingen der Er- bebung. (Revue de Paris, 15. Juni 1897. Bgl. H. 3. 78, 370.)

In der Revue de Paris (1. Aug. 1897) publizirt Eugene d'Eichthal liberfegungen von Bruditüden der Memoiren des engliſchen Schriftiteller8 Nafjau:-®. Senior. Es jind Unterhaltungen Najjau’8 mit Madame Cornu, einer Jugendfreundin Napoleon’® III. und enthalten vorwiegend Notizen über dag private Leben des Kaijers, nur weniges über Dinge öffentlichen Intereſſes. Der Kaifer wird charalterifirt ald etwas indolent, zur Melancholie neigend, dabei hartnädig und von großem Selbitver- trauen bejeelt.

An der Deutihen Heereszeitung ‘Juni, Juli) jchildert Herman Granier auf Grund der neueiten Literatur den Feldzug von 1864 big zum Übergang nad) Alien. Seine Unterfuhungen beitätigen die Anſchauung, daß die Thätigfeit de3 Mrmeelommandos nicht felten dur Anordnungen von Berlin aus behindert wurde.

Am Militär-Wochenblatt 1897 Nr. 10—12 find die im Winter 1866 67 geichriebenen Erinnerungen de8 Generals der Kavallerie Grafen Warten 8⸗ Hiftoriiche Beitichrift N. F. Bd. XLIII. 36

562 Rotizen und Nachrichten.

leben:Carom au& dem Feldzuge von 18665 im Auszuge berirzmi:äl dann vollittändig ale Broihüre bei Minler & Sobn eidbiern Fr Rartendleben war damals Major im Großen Seneralitabe und ala Efzie:r- ſohn des Generalauartiermeiiters Generald von Rodbieläfi mir dieiem der unmittelbaren Umgebung Moltke's. In anipruch2loier yorm erweitern diefe Auizeihnungen uniere Kenntnis in ſehr wichtigen Runtım Ze Entihlup und die Beiehlsertheilung für die Schlaht von Königgräß deren Klarlegung noch Heinrih von Sybel Schwierigfeiten machte bie ganze Stellung Moltke's ala Generalſtabschei gegenüber dem Grogen Ixur!: auartiere und ben führenden Generalen, die Einwirfung Moltfe'< aut en Mainieldzug, die rüdwärtigen Berbältniite der Armee, Alles eribeim := zum Theil neuer, itet3 durchaus zuverläliger Beleuchung. Wan nett cus hieraus wieder, wie viel wir noch von ſolchen perjönlihen Mirtbeitunzen für die Gefchichte unierer großen Zeit zu erwarten haben. Gr.

In der Nouvelle Revue 1. Aug. 1897 behandelt ein Diplomaticcs unterzeichneter Aufjat die Berhandlungen zwiihen Bismard und Benedeni über die von Napoleon III. erftrebte Vergrößerung Frankreichs im Jadre 1866. Der Berfafier führt aus, daß Bismard das Projekt, Belgien zu annektiren, der franzöfifhen Regierung juggerirt, aber iie nachher in ihren Erwartungen getäuſcht habe.

In der Revue des questions hist. (1897, Juli‘ jchildert Artbur de Ganniers in Anlehnung an die kürzlich erihienenen Memoiren von Trochu die militäriihe Laufbahn des Generald. Tem Staat2jtreiche ab- geneigt, als Bretone orleaniftiiher Sympathien verdädtig und jchon bed halb bei Hofe nicht beliebt, entfremdete er fi) dem Kaiſer noch mebr durd) freimüthige Kritit der AZuftände im Heere und erhielt daher zu Be ginn des Krieges von 1870 fein Kommando. Im Auguft zum Gouverneur von Paris ernannt, habe er, wie Berfafier behauptet, vergeblich den un⸗ heilvollen Einjluß der Kailerin auf die Cperationen betämpft.

Einen anderen Beitrag zur Geſchichte des Jahres 1870 bringt Haupt: mann Schulz mit einer Studie über den Rüdzug Mac Mahon's nad) der Echladyt bei Wörth. Hiernach iſt ein einheitliher Rüdzugsbefehl nicht gegeben worden, jondern die Truppen haben ihn einzeln und zu ganz vers fhiedenen Zeiten erhalten. (Beiheft z. Milit.-Rocenbl. 1897. 5/6.)

Die Studie von Lefebvre de Behaine über Leo XII. und Fürft Bismard (vgl. 9.83. 79, 378) ſchließt mit der Darftellung der Bermittlung des Papftes in dem Harolinenftreit und feiner Haltung während der Kriſis von 1887, worüber einige diplomatifche Einzelheiten mitgetheilt werben. (Revue des deux Mondes, 1. Juli.)

Höchſt werthvoll für die intimere Kenntniß des ruſſiſch-türkiſchen Krieges find die vom 19. Januar 1877 bis zum 18. April 1878 reichenden

Neuere Geſchichte jeit 1789. 563

Auszüge aus dem Tagebuch eines Ungenannten, anjcheinend eine® Adjus tanten de8 Obertommandirenden Großfürſt Nikolaus, die in der Revue de Paris vom 15. Juli veröffentlicht werden. Sie geben ein treues Bild der wecjelnden Stimmungen im Lager, der Unzufriedenheit der Offiziere mit den Diplomaten, namentlid mit Gortſchakow und Schuwalow, der Schwankungen in der Frage der Bejegung Konftantinopels, die urjprüngs lit als Ziel des Krieges in's Auge gefaßt, dann wieder aufgegeben, von Kaijer Alerander jchliehlih zwar gewünſcht, aber nicht angeordnet wurde, während der Großfürſt aus militäriihen Gründen und in Ermangelung eines beftimmten Befehls fie unterläßt. Dazu eine Fülle Hödjit interefjanter Einzelheiten: Die zeitweilige abjichtliche Zerjtörung der telegraphiichen Ver⸗ bindung des Hauptquartiers mit PeterSburg, die amtlichen Flunkereien über das vorzüglihe Ausfehen der im elendejten Zuftand in Wdrianopel einziehenden Truppen, wodurch der Kaiſer in jehr gefährlicher Weije ge= täuſcht wurde u. f. w.

Die Revue Je Paris vom 1. Juli publizirt einen jehr interejjanten nachgelaſſenen Ejlai Jule Ferry's über die dritte Republik aus dem Jahre 1890. Ferry jest darin auseinander, daß die Zerfahrenheit der Monardiiten und die Energie, mit der die republifaniiche Regierung den nationalen Aufgaben gerecht wird, die jicherite Bürgſchaft für den Beſtand der Republik jei. Von dem übrigen Inhalte ift noch hervorzuheben dag vernichtende Urtheil über Boulanger, den er als Hohlkopf ohne politiiche und militäriſche Qualitäten charakteriſirt. Daß er dennod eine große Rolle ipielen konnte, erklärt fih aus dem leicht entzündbaren Charafter der Rarijer, die leichtgläubig jeien wie die Pilger von Lourdes.

Nene Büder: Lavisse et Rambaud, Histoire generale. IX. Napoleon. (Paris, Colin & Cie) Masson, Napoleon et sa famille. 1. (1769—1802). (Paris, Ollendorff. 7,50 fr.) De Gain-Montaignac, Fpreuves d’un ev&que francais pendant la revolution. Publ. p. Duffau. (Paris, Poussielgue) Maleissye, Mem. d’un officier aux gardes francaises (1789—1793). P. p. Roberti. (Paris, Plon. 1,0 fr) vd. Lanna, Metternih n. jeine Politik bis zum Zturze Mapoleond. Trieſt, Schimpff. 1,50 M.; Murat, lieutenant de l’em- pereur en Espagne (1808). P. p. le comte Murat. (Paris, Plon. 7,50 fr.) Frhr. dv. Freytag-Loringhoven, Die Heerführung Napoleon's und Moltke's. (Berlin, Mittler. 120 M.) Grünhagen, Zerboni und Held in ihren Konflikten mit der Staatsgewalt. 1796—1802. 11. (Berlin, Bahlen. 6 M.) Kriegsgeihihtlihe Einzelfchriften. Heft 20 und 21: Tie Tperationen gegen Binoy im September 1870, (Berlin, Mittler. 3,75 M.) Barnhagen, erder gegen Bourbadi. (Berlin, Shall. L5EOM., Vaimbois, Campaegne de 1870'’71. Le XIIIe corps etc. (Paris, Charles-Lavanzelle. 3,50 fr.) Doniol, M. Thierse, le Comte de

36*

664 Notizen und Nachrichten.

St.-Vallier, le general de Manteuffel. (Paris, Colin.) Baumgarten u. 8. Jolly, Staatdminifter Jolly. (Tübingen, Laupp. 45 M) Andler, Les origines du socialisme d’&tat en Allemagne. ‚Paris, Alcan.) Seilliere, Etudes sur Ferdinand Lassalle. ‘Paris, Plon. 7,50 fr) Mahan, The life of Nelson. I, II. (London, Low. 36 sh.) Douglas, I. St. Mil. Überj. (Freiburg i. B. Mohr. 3,60 M. P. Andreae, Geheime Konferensraad C.G. Andreae. I. (Kopenhagen, Gyldendal. 6Kr) Pierling, La Russie et le Saint-Siege. 1. (Paris, Plon. 7,50 fr.) Theal, Geschiedenis van Zuid-Afrika. Haag, Nijhoff. 7,50 Fl) Campbell, British South Afrika etc. (17% 1819). (London, Haddon. 7 sh. 6d.) Pellenc, Les Italiens en Afrique (1880—1896; (Paris, Baudoin.) (Lentonnet), Expedition de Madagascar. (Paris, Plon. 3,50 fr.; Levi von Halle, Baum: wollproduftion und Pflanzungsmirtbichaft in den nordamerifaniichen Süd— ftaaten. I (Die Sflavenzeit‘. (Leipzig, Dunder. IM.)

Deutſche Sandfhaften.

G Zumbült bebandelt in einem kleineren Wuflag der „Weit: deutſchen Zeitichrift für Geichichte und Kunſt“ (189%, die Verfaſſungs⸗ geihihte der Stadt Bräunlingen in Baden. Inter mehrfader, im einzelnen berechtigter Polemif gegen die Darftelung Gothein's in defien Wirthſchaftsgeſchichte des Schwarzwaldes fucht er die Unbaltbarfeit der Marktrechtstheorie darzutbun und nadzumeiien, daß viel mehr „die Anfänge der Stadt auf die Burg zurüdgeben“. Doch ſcheint uns dad Bräunlinger Material zu einer Entiheidung diefer und äbnlicer prinzipieller ragen nicht reichhaltig genug zu fein. So lafien die Quellen ung z. B. vollitändig für die wichtige Frage im Stich, aus melden Ur: fahen heraus denn die Nothwendigteit oder das Bedürfnis nad einem eigenen Gerichtsbezirke für Bräunlingen entftanden iſt. Im allgemeinen fann auch dieje im einzelnen genau gearbeitete Unterſuchung nur die dringende Nothwendigkeit beftätigen, daß von berufencer Seite von neuem die Entftehung des Begriffs der Gemeinde und eines befonderen Gemeinde: rechts unterfucht werde. Hier harrt eine der wichtigjten ragen der deutichen Rechts- und PVerfafiungsgeihichte der Löſung.

Da der Stoff für die von uns 78, 185 erwähnten „Sagen, Gebräude und Sprihwörter des Allgäus aus dem Munde des Volkes“, geiammelt von K. Reifer (Kempten, Köjen, dem Berfafjer über den anfangs in Aus fiht genommenen Umfang hinausgewadjen ijt, fo hat er das Werk jetzt in zwei Bände getbeilt. Mit den neunten Heft ift der erite, die Sagen des Allgäus behandelnde Theil und damit zugleich der erite Band, den bejondere Regifter und Inhaltsverzeichnis beigefügt find, abgeſchloſſen.

Deutſche Landſchaften. 565

Das erſte Heft des zweiten Bandes beginnt dann mit dem zweiten Theil, den Sitten und Gebräuchen des Allgäus, die hier zunächſt im Anſchluß an die Kalenderfeſte, vom Nikolaustage an beginnend, dar geitellt werden.

In den Unnalen des Hiſt. Ver. f. d. Niederrhein H. 63 gibt Tille einen orientirenden Überblid über die Fundorte, die Entſtehungsgeſchichte, den Umfang und die Bedeutung der Tauf-, Trau= und Sterberegiiter am Niederrhein.

Eine Reihe von Aufjägen, die der verjtorbene Stadtſchulrath Keuſſen in der Krefelder Zeitung veröffentlicht hatte, bringt deijen Sohn jet in den Annalen d. hiſt. Ver. f. d. Niederrhein (Heft 63, 1897) gejammelt zum Abdrud. Inter populärer Form bergen jie die Ergebnijie langjähriger, eindringender Quellenftudien, und enthalten Beiträge meijt fultur- hiſtoriſchen Inhalts zur Geſchichte von Krefeld und Mörs im 17. und 18. Jahrhundert.

Nachdem vor Jahresfriſt Archivrath Sello in Oldenburg unter Ber: wertbung bislang unbeadtet gebliebenen archivaliſchen Materiald „Caters lands ältere Geſchichte und Verfafjung“ zum Gegenjtande einer neuen Unter- ſuchung gemadt hat, legt nunmehr Dr. Julius Bröring im 15. Bande der „Schriften des Oldenburger Landesvereins für Alterthumskunde und Landesgeſchichte“ den eriten Theil einer gründlichen Arbeit über die Kulturzuftände des Saterlandes vor (Das Saterland. Eine Dar: jtellung von Land, Leben, Leuten in Wort und Bild. 1. Theil. Mit Titel: bild und 12 Abbildungen. Oldenburg, ©. Stalling, 1897.) Wir jind dem Berfafjer, der überall auf Grund eigener langjähriger Beobachtungen be= richtet, für jeine Mittheilungen über das fleine in unzugänglicen Mooren des weitlichen Oldenburg3 gelegene Ländchen um jo danfbarer, weil bie alten eigenartigen Sitten und Gebräude der Einwohner immer mehr im Strome des modernen Verkehres unterzugehen in Gefahr find. PB.

Edmund Frhr. v. Uslar-Gleichen veröffentlicht eine Geichichte des Klofterd Reinhauſen bei Göttingen nad) der Reihenfolge der Äbte bis zur Witte des 16. Jahrhunderts (Dannover, Carl Meyer. 38 S.) Der gelehrte Verfafjer erörtert namentlid die genealogiſchen Zuſammenhänge der älteren Äbte und gibt die jpäteren Schiefale des Klojterd durchweg nah ardivaliihen Quellen.

In den Neuen Mittheilungen a. d. Gebiete hijtor.zantiquar. Forſchungen 19, 3 bringt K. Schöppe werthvolle Nachrichten zur Geidihte Naum- burg3 während des Bauernfrieges auf Grund des Raths-Kopialbuches.

Ter befannte tüchtige Durchforſcher der Beichichte der Neumark P. Schwartz hat die Ereignifje des Dreikigjährigen Krieges in der Neumart bis zum Juli des Jahres 1627 zum Segenftand einer jorgfältigen Studie

568 Notizen und Nachrichten.

In Bonn jtarb am 22. Inni der befannte Philoſoph Jürgen Bona Diener :geb. 1829 in Hamburg). Auch den geihichtstbeoretiihen „ragen wandte cr jeine Aufmerkinmkeit zu, und unfere Zeitichriit hat von ihm einen trefilich geichriebenen Aufiag gebracht :Neue Verſuche einer Philo- jopbie der Geſchichte, in Bd. 251. In Münden jtarb in der zweiten Hälfte des Juni der baierifhe Stantsardhivar Yudwig v. Trojt im Alter von 60 Jahren, den namentlich die neuere baierifhe Geſchichte zahlreiche Schriften und Publikationen verdankt. Am 8. Auguſt ftarb in Bredlau der um die jchlefiihe Geſchichtsforſchung verdiente Archivrath Dr. B. Pfoten⸗ bauer. In Wiesbaden jtarb am 13. Auguft der Überbibliotbelar Dr. van der Yinde, befannt vor allem durch teine Butenbergioriyungen igeb 1833).

Am 8 Auguſt jtarb in Baiel der Kunjtbiftoriter JZafob Burdhardt im Alter von 79 Nahren, ein Mann, zu dem wohl jeder Biftorifer, der nadı Weſen und Uriprung des geijtigen Lebens der neueren Jahrhunderte gefragt hat, dankbar und bewundernd hinaufſchaute. Er bat in feinem Hajjiichen Werte „Kultur der Nenaijjance in Italien“ gezeigt, daß aud eine vorwiegend äftbetiiche Bildung im Stande iſt, zu den tiefiten geichicht- lihen Problemen vorzudringen und die äußeren Formen, deren Schönheit er mit umveruleichlichem Feingefühl zergliederte, aus den inneren bes wegenden Mäcten abzuleiten. Allerdings lag der Stofi günjtig dafür, aber jedenfall$ bat die Methode feiner Werte bahnbredend für die frucht— baren ISechjelwirfungen zwiſchen den hiſtoriſchen Spezialdigziplinen und der allgemeinen Geſchichte gewirkt.

Einen anderen Vertreter des jo regen mifjenichaftlidy » literarischen Lebens in der Schweiz betrauern wir in Jakob Bächtold (geftorben in Züri am N. Auguſt, im Alter von 40 Jahren), dem Verfajier der „Beichichte der deutſchen Aiteratur in der Schweiz“ und der Biographie Gottfried Keller's.

An l’Orient latin findet ſich cin größerer Nektrolog über L. de Mas— Latrie. Mus den Juni und Juli-Heft der deutſchen Revue notiren wir bier einen bioaraphiihen Auflag von H. Belzer: Wanderungen und Seipräce nit Ernſt Curtius.

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