. zy at . 8 ~~, * * * : * 9 * 8 bs — K — * r * ; —* 3 ne » = g d * > 4 N a : 8 =~ ‘ a — K 5 * 1 * 5 — U « - 4 . ns ; 4 2 - * — * y 7 = " 6 7 0 4 o ‘ 1 * : 0 . ; a 7 3 ; “eal - t : . * 2 . Ss 9 ¥ ‘ : a . * * ~ N — ay — — “ ~s — * 4 5 ‘ a 1 wees : a — ae ’ . 5 „* . — 0 " * id 7 : ' 1 65 “ 1 — — * ¥ — * 1 : 7 » + = . A a > — 2 — 0 D ; : — N . . i * 4 N 8 * , r= 3 . - aw te 2 7 2 i 1 a . 5 , a . — a * * ’ . »* . a P ’ — 4 - « a . 0 ‘ * — 5 * 2 P an — : 4 fi x 7 r 8 é = f * 5 — Fy 0 — . f „„ 5 : K 1 2 ra 2 ; * t 1 — BS . +i * 4 10 K 5 0 — on N- 5 — : * J $ ' ; 8 aan 1 = . N — : a * * 2 : * =} 8. e. % r su, yin 4 Perrys | Ti" Monalsſchriſt Für die geſamten Naturwiſſenſchaften 2 Herausgegeben von Dr. B. Krebs. Erſter Sahrgung. Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enhe. 1882. A, Stuttgart. Druck von Gebrüder Jubalts-Derzcidnis. Original-Aufſätze. Seite Prof. Dr. A. v. Laſaulx: Das Erdbeben von Caſamicciola auf Ischia. (Mit Abbildungen? .. 1 Oberlehrer Dr. Georg Krebs: Die künſtliche Eisbahn auf der e Patent⸗ und e Ausſtellung. (Mit Abbildungen) .. 5 Prof. Dr. E. Hallier: Spuren. der ſubalpinen und ſubarktiſchen Flora im Thüringer Wald. (Mit Abbildung) 7 Dr. Friedr. Knauer: Die Schutzfärbung der Tiere. (Mit n i Dr. Theodor Peterſen: Künſtlicher Indigg .. A So, SRA 0 Prof. Dr. H. Landois: Fremde Einſchlüſſe in Hühnereiern a e Ingenieur Th. Schwartze: Die Dampfmaſchinenſteuerungen. (Mit Abbildungen) She eee Dr. H. Reichenbach: Beobachtungen über die Phyſiologie des Nervenſyſtems vom Sagte 2 Prof. Dr. E. Reichardt: Alexander v. Humboldt. Ein Lebensbild. J.. 8 S Prof. Aug. Heller: Ziele und Wege der modernen phyſikaliſchen Forſchung. II. „ Prof. Dr. Auguſt Vogel: Vegetation und Technik .. N Priv.⸗Doz. Dr. Carl Chun: Die mikroſkopiſchen Waffen der Cölenteraten. (Mit . e 3 keel eee Prof. Dr. H. Fleck: Die Genußmittel. . a7 Dr. H. Reichenbach: Darwins neueſtes Werk über die Arbeit der Würmer. (Mit ateirbung) „E es Daeg) Dr. Fr. Höfler: Verſchwundene Meere. (Mit Abbildungen) .. 5 „ . SR be, Ingenieur Th. Schwartze: Das moderne Beleuchtungsweſen. I. (Mit Abbildungen) „ Mee tee ete 8 OM Prof. Dr. E. Reichardt: Alexander von Humboldt. Ein Lebensbild. (Schluß) fe ae l Dr. J. van Bebber: Der Sturm am 14. und 15. Oktober 1881. (Mit zwei Wetterkarten). e Eugen Freiherr von Tröltſch: Die Anfertigung von Feuerſteinwaffen. (Mit Abbildungen) .. 93 Oberlehrer Dr. Georg Krebs: Pendelapparate für die Zuſammenſetzung von Schwingungen. (mit aebifbungen) 96 Prof. Dr. Vitus Graber: Ueber das Gehör der Inſekten .. 99 Prof. Dr. F. Kohlrauſch: Ueber den angeblichen Einfluß des Sonnenlichts auf den Surtiu n in Kaminen. (Mit Abbildung)) N Prof. Aug. Heller: Ziele und Wege der modernen phyſikaliſchen Boxing. (Solu) JJV Dr. Theodor Peterſen: Leuchtende Farben . 2 ! Prof. Fr. M. Dränert: Eine Zuckerrohrkrankheit. (Mit Abbildungen) 3 e Dr. Ferdinand von Hochſtetter: Die Kreuzberghöhle bei Laas in Krain und der Höhlenbär e e eee Dr. Hugo Magnus: Der Einfluß der Arbeit auf das menſchliche Auge .. N Prof. Dr. Ernſt Hallier: Die Auxoſporenbildung bei Cymbella gastroides Kiite: (Mit Abbildungen) n Herm. Jordan: Eßbare Schnecken und Muſcheln. (Mit . CCC . a He Od Dr. J. van Bebber: Telemeteorographie .. : o a. WRN ter een Sema Dr. H. Reichenbach: Theodor Schwann. (Mit Abbildung) 1 144 Prof. Dr. F. Sandberger: Der Eiſenkies, ſeine Bildung und Zerſetzung. Ein Kapitel aus der Chem. Geos 159 Dr. Karl Ruß: Die Vogelſchutzfrage .. Ba tae : 165 Regierungsbaumeiſter H. Keller: Die Bewäſſerungskanäle Südfrankreichs. (Nit Abbildungen) e Dr. Friedrich? Kinkelin: Ueber Orthopantographen. (Mit Abbildungen) . e eee Oberlehrer Dr. Georg Krebs: Die älteren magnetelektriſchen Maſchinen. (Mit Abbildungen) 5 5 8 Prof. Dr. E. Ebermayer: Das Nährſtoffbedürfnis der Waldbäume im Vergleich zu dem der Ackergewächſe 1 Prof. E. Reichert: Ueber geſundheitsgefährliche Anwendung giftiger Farben .. 2 Oberlehrer Dr. Georg Krebs: Der Ring von Pacinotti und die Grammeſche Maſchine. (Mit Abbildungen) 207 Hofgarten Inſpektor Jäger: Die abweichende Geſtaltung der Gärten unter verſchiedenen Himmelsſtrichen. .. 210 Prof. Dr. J. G. Wallentin: Ueber die Methoden zur Beſtimmung der mittleren Dichte der Erde und eine neue diesbezügliche Anwendung der Wage. e Dr. Friedrich Knauer: Die Leopardennatter (Callopeltis quadrilineatus Pallas). (Nit Abbildung). . 217 Ingenieur Th. Schwartze: Das moderne Beleuchtungsweſen. (Schluß.) 8. Abbildungen) z 24219 Dr. Hans Vogel: Ueber Rübenmüdigkeit. (Mit Abbildungen) .. e Dr. Friedrich Heincke: Blicke in das Leben der nordiſchen Meere. TTTTLILILIIIl . 239 Dr. Theodor Stein: Die neueſten Fortſchritte der Telephonie. (Mit Abbildungen. 243 Prof. Dr. Samuel: Die Peſt im Gouvernement Aſtrachan im Winter 1878 —-7hc⸗hw .. 247 Prof. Dr. Auguſt Vogel: Reizwirkungen im Tier- und PflanzenreichnleM9u . 250 Oberlehrer F. Henrich: Korallenbauten. (Mit Abbildungenndʒdddd . 2251 Dr. Guſtav Schultz: Das Naphthalin. J . aes Sea Ingenieur Th. Schwartze: Dr. Bjerknes hydrodynamiſche Ver ſuche. (Mit Abbildungen 2463 Julius Römer: Intereſſante Kinder der ſiebenbürgiſchen Flora. J. (Mit Abbildungen). 266 Dr, Carl Chun; Charles Darwin. (Mit Abbildunggß )))) 362279 IV Inhalts⸗Verzeichnis. Prof. Dr. C. B. Klunzinger: Ueber Brutpflege bei Reptilien und Lurchen Dr. Philipp Biedert: Die Diskuſſion über Kinderernährung auf der Salzburger aturfoeerverfanntung : Oberlehrer Dr. Georg Krebs: Die dynamo⸗elektriſchen Maſchinen. (Mit Abbildungen) Dr. Wilhelm Schauf: Die geologiſche Landesunterſuchung in Preußen. 8 see Dr. Friedrich Heincke: Blicke in das Leben der nordiſchen Meere. II. (Mit Abbildungen) é Dr. H. Reichenbach: Die Entdeckung der Tuberkuloſebacillen durch Dr. Robert Koch Dr. Hans Vogel: Das Bier. Eine kulturhiſtoriſche Studie ä Prof. Dr. G. H. Th. Eimer: Bruchſtücke aus Eidechſenſtudien. I. (Mit Abbildungen) Prof. Dr. S. Günther: Die ſichtbaren und fühlbaren Wirkungen der Erdrotation. I. Prof. Dr. Oscar Fraas: Der Lindwurm in Sage und Wahrheit ie Dr. Theodor Peterſen: Zur Metallurgie des Nickels und Kobalts Prof. Dr. S. Günther: Die ſichtbaren und fühlbaren Wirkungen der ddl II. (Mit Abbildungen) Oberlehrer Dr. Georg Krebs: Die 1 elektriſchen eae von e N und von e (Mit Abbildungen) 5 Dr. Kobelt: Die älteſten Landſchnecken. (Mit Abbildungen) , serie cea OBS Tn a AN Nt Dr. Friedrich Heine: Blicke in das Leben der nordiſchen Meere. (Schluß.) (Mit Abbildungen). Julius Römer: Intereſſante Kinder der ſiebenbürgiſchen Flora. II. (Mit Abbildungen). Prof. Dr. Robert Hartig: Die Pilze als Feinde des Waldsee Prof. Dr. G. H. Th. Eimer: Bruchſtücke aus Eidechſenſtudien. (Schluß.) (Mit Abbildung) Hermann Jordan: Beſtändigkeit oder Unbeſtändigkeit der Kontinente. (Mit einer Karte) Julius Lippert: Die Spuren der „Zuchtwahl“ auf dem Schmetterlingsflügel. (Mit Abbildungen) Dr. J. van Bebber: Die Wetterprognoſe und ihre Nutzbarmachung Dr. Philipp Biedert: Die Diskuſſion über Kinderernährung auf der Salzburger Aran ſchewerſemntang Sola Privatdozent Dr. Hugo Magnus: Ein Blick in die Sinnenwelt der Tiere. Regierungsbaumeiſter H. Keller: Regenmenge und ee Prof. Dr. Aug. Vogel: Pflanzenfarbſtoffe . side Dr. Fr. Knauer: Die Katzenſchlange (Tachymenis viv as) 5 Dr. O. Emmerling: Die Atomentheorie. Nach A. Wurtz's théorie des atomes F. K. Ginzel: Der Venusdurchgang am 6. Dezember 1882 r Ingenieur Th. Schwartze: Ediſons Beleuchtungsſyſtem FJortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. Phyfit Ueber elektriſche Ringfiguren : Ueber das Eindringen der Elektrizität in die Maffe bei Ladung iolierender lation Die Erwärmung des Eiſes über 0 Grad . Einwirkung der Temperatur auf den Magnetismus 8 Ueber den heutigen Zuſtand der Galvanoplaſtik Neue Unterſuchungen über die Newtonſchen Ringe Ueber den Einfluß des Druckes auf die d Oberflächenſpannung an der gemeinſchaftlichen? Trennungsfläche von Flüſſig⸗ keiten und Gaſen und über die coven piles ae a ree dela ara e der Flüſſigkeiten (A. Kundt) . Binaurikulares Hören. (Mit Abbildung) Das elektriſche Licht auf den Leuchttürmen Ueber elektriſche Entladung im abſoluten Vakuum. (Mit Abbildungen) Die elektriſche Eiſenbahn als nt ke Abbildungen) Pneumatiſche Eiſenbahn für London e Ein magnetiſches Thermoſkop é Neuberechnung der Atomgewichte Beziehungen zwiſchen den Atomgewichten der Elemente Die Größe des Waſſermolekuls . Der Wetterkompaß. (Mit Abbildungen) 8 Der Betrieb von Gasmaſchinen mit e Ein elektriſches Feuerzeug : Die Dichtigkeit der Erde o An wesc ts Eine neue Erklärungsweiſe der elektriſchen und magnetiſchen Kraftwirkungen. (Mit e e : Der größte Elektromagnet . „ Ueber den Durchgang von Luft durch poröſe Körper bei minimalen Bruckmerſcicden ee Abbildung) Die Dampfſpannung der Flüſſigkeitsgemiſche e Ueber die Lichtenbergiſchen Figuren lelektriſche Staubfiguren). (Mit Abbildungen) 8 Die verſchiedenen Formen des Elementes von Leclandhé. (Mit Abbildungen) Muchalls kaloriſche Gaslampe. (Mit Abbildung) : 5 Die neueſten Verſuche mit der Faure ſchen Sekundär⸗ oder Akkumulationsbatterie Ueber die vibratoriſchen Wirkungen von Flüſſigkeitsſtrahlen Ueber die Leitungsfähigkeit des Vakuums für Elektrizität Zur klimatiſchen Frage ihe Verbeſſerte Sprengelſche Queckſilber⸗ Luftpumpe. (Mit Abbildung) . 5 Ueber das Weſen der elektriſchen Erſcheinungen und das Maß der elettriſchen Kräfte e at f Inhalts⸗Verzeichnis. Neue Theorie des Nordlichtes . Ein erdmagnetiſches Obſervatorium Härten von Metallen durch Druck Verflüchtigung von Metallen im Vakuum Vereinfachter Injektor. (Patent Strube) . Die elektriſche Eiſenbahn der Profeſſoren Ayrton und Parry E hemie. Chemiſcher Unterſchied zwiſchen lebendem und totem Protoplasma Dampfdichten von Metalloiden in höherer Temperatur. Neue Metalle Reinigung des Queckſilbers . 8 . Feuerbeſtändige Papiere, Farben und Druckſachen Gaslampe für hohe Temperaturen. (Mit Abbildung). Die Herſtellung von Anilinfarben durch Elektrolyſe . Neue indigoähnliche Farben Die Herſtellung von Farbſtoffen der Roſanilingruppe durch Einwirkung von itrobengolclori auf Sale primiver aromatiſcher Amine bei Gegenwart von Orydationsmitteln . Blaue und rote Farbſtoffe .. ä Neue Indikatoren für die Alkalimetrie . Iſolierung des Cäſiums . Organiſche Baſen, Alkaloide Neutralität der natürlichen Fette . Formel des Indigblaus : Darſtellung von jelbjtentsiindlidjemt Bhosphormajerfoff Ein Bleichprozeß mittels Elektrolyſe .. : Neue Darſtellungsweiſe von künſtlichem Vanillin Pollets Bürette. (Mit Abbildungen) 5 Ueber die Wirkſamkeit der en Desinfettionsmittel Ein neues Kohlehydrat 5 S Neue Naphtolfarben 2 Bildung von Salpeterſäure und ſalpetriger Sdure, von Ozon und Waſſerſtoffſuperoryd A ſtronomie. Eine neue Hypotheſe über Sonnenflecken Mineralogie, Geologie, Geognoſie, Pal&ontologie. Künſtliche Darſtellung von Mineralien und Geſteinen auf feuerflüſſigem 755 ; Der geologiſche Bau der libyſchen Wüſte P 8 Ueber Spuren von wirbelloſen Tieren und ihre paliontotogiije Bedeutung Entſtehung der Korallenriffe und Inſeln 2 Die Eocänformation im Staate Miſſiſſippi Neue Verſuche über künſtliche Mineralien Freies Fluor im Flußſpat . Richthofens Theorie der Entſtehung des aß Aus der Steppenzeit Deutſchlands 8 ie e e ee e Ueber die glaciale Flora und die Flora der Torfmoore. (Mit Abbildung) Paraſitiſche Pilze in Wurzelhölzern der Vorwelt . Ueber ſogenannte Kompaßpflanzen Ueber das Kauri-Gummi 8 Ueber die Kautſchukpflanzen . Ueber eine japaniſche Tertiärflora Zur Geſchichte der 8 Bäume Der Chinabaum : : Nervöſe Pflanzen . 5 Ueber Nordamerikaniſche Steinkohlenflora . Ueber Pathologie foſſiler Baumſtämme . Prähiſtoriſche Pflanzen aus i dea 5 Maſtixgewinnung 2 : phyfiologie, Anthropologie, Soologie. Ueber die Zelle und ihre Lebenserſcheinungen Ueber die angebliche Afterloſigkeit der Bienenlarven Die Gehörorgane der Inſekten . : Zur Naturgeſchichte des Dachſes . Ueber den Farbenſinn der Bienen . Der Zwiſchenwirt des Bothriocephalus latus VI Inhalts⸗Verzeichnis. Neue Paraſiten im Schweinefleiſch Irrige Anſchauung über den altertümlichen Charakter der Tiefſeefaung Gedanken über Leben und Tod (O. Bütſchli) .. Ueber Entwickelungshemmung bei der Geburtshelferkröte (Ay tes obstetricans) Ueber Analyſe und Syntheſe von Gangarten des Pferdes Iſt der Menſch das höchſtentwickelte Tier? 5 Herſtellung mikroſkopiſcher Präparate von Infuſorien, Radiolarien und andern Urtieren Eine Theorie des Geruchsſinns . 8 : Ueber die chemiſchen und phyſtkaliſchen Prope bei der < Thale von Gehirn und Nerven Der Stichling als geologiſcher Zeuge : 8 o Milzbrandimpfung Tragen die Regenwürmer zur Verbreitung des Milzbrandes bei? Ueber Chlorophyll bei Tieren 3 Die Tierwelt der Mansfelder Seen . 1 Natürliche Brücken 5 Eigentümliche Gebräuche und Einrichtungen im Lundareiche 5 Die Nordoſtküſte des Kaſpiſchen Meeres N Zur Erforſchung des Pamir 5 Stand der MAmujfrage . Einteilung der Turkmenen . toes Erklärung der Entſtehung der Flugſandregtonen i in den fen von Turan Kuldſcha sa 5 r Die verſchiedenen Arten der Höhenmeſſung Die größte Inſel der Erde. 5 Ueber die Veränderung der Farbe des Mittelländiſchen Meeres und andrer Gewäſſer Die Erhaltung der Tiefe im Verbindungskanal des ae oor. mit der Se Die öſtliche Fortſetzung des Küen⸗Lüen 5 5 Kaſchgar 2 Der nördlich ſte Gletſcher der Alpen a und der e fidlägfte Guropas Der Tanganyikaſee : Station am Wlimafluffe . Das Atlasſyſtem é Der Jaſchikul⸗ oder Kuldukſee Titterariſche Aundſchau. Allgemeines. Biographien. Mitteilungen aus dem Reichs⸗Geſundheitsamt. I. Band Otto Zöckler, Gottes Zeugen im Reich der Natur . . Otto Wilhelm Thomsé, Tier- und Pflanzengeographie. (Mit Abbildung) F. Mühlberg, Die allgemeinen Exiſtenzbedingungen der Organismen Die geſamten Naturwiſſenſchaften. Bearbeitet von Dippel, Gottlieb ze. Dr. K. W. v. Dalla Torre, Anleitung zu wiſſenſchaftlichen gr e aa SUpenveifon Encyklopädie der Naturwiſſenſchaften. Herausgegeben von Jäger, Schenk : G. Neumayer, . zu wiſſenſchaftlichen Beobachtungen aul e 5 Wilhelm Wundt, Logik. I Band. Erkenntnislehre ; : Herbert Spencer, Die Prinzipien der Pſychologie . Wilhelm Herſchel, Sein Leben und ſeine Werke. (Mit xbbitbung) Stephan Fellner, Albertus Magnus als Botaniker 8 Henkels Grundriß der allgemeinen Warenkunde. 3. Auflage sulk Erdmann⸗ König, Grundriß der allgemeinen Warenkunde. 10. Auflage : Mathematiſche und naturwiſſenſchaftliche „ aus den u Sigungsberichten der ce Réigl. poenfifiben Akademie der Wiſſenſchaften zu Berlin Julius Meurer, Handbuch des alpinen Sport = Piltz, Ueber Naturbeobachtung des Schülers G. Wallentin, Grundzüge der Naturlehre für die unteren Klaſſen der Gymnaſien & Piltz 700 Aufgaben und Fragen für Naturbeobachtung des Schülers in der Heimat . Pbhviif, phpſikal. Geographie, Meteorologie. Georg Krebs, Grundriß der Phyſik für höhere realiſtiſche e : Hugo Magnus, Farben und Schöpfung Theod. Reye, Die Wirbelſtürme, Tornados und Wetterſäulen in der Grd- kmoſphtre Fleeming Jenkin, Elektrizität und Magnetismus Domenico Ragona, Annuario della societa meteorologica italiana Ph. Wolfers, Newtons mathematiſche Prinzipien der Naturlehre v. Airy, Der Magnetismus 5 5 Newton, Sir Iſaak, Mathematiſche Prinzipien der Naturlehre 3 Alfred von „ Die elektriſche Beleuchtung und oe wendung i in der Prat E. Lommel, Lexikon der Phyſik und Meteorologie Seite 188 228 228 229 270 309 347 382 421 421 460 39 117 118 151 153 189 189 232 271 312 300 383 384 384 422 423 425 461 465 38 78 79 80 119 232 232 232 272 273 Inhalts⸗Verzeichnis. Carl du Prel, Entwickelungsgeſchichte des Weltalls : ; J. G. Wallentin, Lehrbuch der Phyſik für die oberen Klaſſen der Gymnaſien . Auguſt Heller, Geſchichte der Phyſik von Ariſtoteles bis auf die neueſte Zeit ‘ Die moderne Metereologie. Sechs Vorleſungen von Robert James Mann u. . . . .. , E. Geleich, Grundzüge der phyſiſchen Geographie des Meeres mit einem Anhang über Ozeanſchiffahrt E hemie. Johnſtons ee des täglichen Lebens : E. Reichardt, Desinfektion und desinfizierende Mittel. 2. Auflage 5 Ludwig Wenghöffer, Kurzes Lehrbuch der Chemie der Roplenftoffoordindungen G. Schultz, Die Chemie des Steinkohlenteers ꝛc. 3 Adolf Pinner, Repertorium der anorganiſchen Chemie. J. Quaglio, Das Waſſerſtoffgas als Brennſtoff der Zukunft. .. Alexander Claſſen, Quantitative Analyſe auf elektrolytiſchem Wegen. Aſtronomie. Simon Neweomb, Populäre Aſtronomie K. Israel⸗ Holzwart, Elemente der ſphäriſchen Aſtronomie Mineralogie, Geologie, Geognoſie, Paläontologie. Julius Quaglio, Die erratiſchen Blöcke und die Eiszeit nach Profeſſor Otto Torells Theorie G. Poulett Serope, Ueber Vulkane. Ueberſetzt von G. A. v. Klöden. d Dr. D. F. Weinland, Ueber die in Meteoriten entdeckten Tierreſte Fr. A. Quenſtedt, Handbuch der Petrefaktenkunde : 5 G. R. Lepſius, Halitherium Schinzi, Die foſſile Sirene des Mainzer Beckens MONK d Julius Wiesner, Elemente der Anatomie und Phyſiologie der Pflanzen Julius Wiesner, Das Bewegungsvermögen der Pflanzen Burkarts Sammlung der wichtigſten europäiſchen Nutzhölzer in charatteriſtiſchen ‘Sehnitten Ferdinand Cohn, Die Pflanze H. Müller, Alpenblumen, ee Befruchtung durch Inſekten und ihre Anpaſſungen an Juſenen G. Hahn u. O. Müller, Die am häufigſten vorkommenden Pilze Deutſchlands . ‘ Aglaia von Enderes, Frühlingsblume a 8 Wilhelm Julius Behrens, Methodiſches Lehrbuch der allgemeinen Botanit. 2. Auflagen. Robert Hartig, Lehrbuch der Baumkrankheiten. (Mit Abbildungen) 5 n Ernſt Pfitzer, Grundzüge einer vergleichenden Morphologie der Orchideen 8 Mühlberg, Die 1 unſrer Flora. é G. Pritzel und Dr. C. Jeſſen, Die deutſchen Voltsnamen der Pflanzen 8 Phyſiologie, Entwickelungsgeſchichte, Anthropologie und Soologie. Hermann Müller, Am Neſte ; T. H. Huxleys L Leitfaden für praktiſche Biologie Friedrich Kinkelin, Die Urbewohner Deutſchlands . aby Theodor Stein, Die paraſitären Krankheiten des Menſchen : Glaſer u. Klotz, Leben und Eigentümlichkeiten in der mittleren und niederen Tierwelt : Ate tod coed aa Charles Darwin, The formation of vegetable mould through the action of worms, with observations on their habits . 8 Balfour, Handbuch der vergleichenden ‘Embeyotoge E. Gräffe, Das Süßwaſſeraquarium Geographie, Ethnographie, Reiſewerke. B. du Chaillu, In dem Lande der Mitternachtsſonne. Frei überſetzt von A. Helms e Ferdinand Hirts geographiſche Bildertafeln. Herausgegeben von Dr. Alwin page u. Arnold Ludwig. (Mit Abbildung). . N Amand v. Schweiger— Lerchenf e lb, Der Orient é Serpa Pintos Wanderung quer durch Afrika vom atlantieen 3 zum dischen Dean Joſef Chavanne, Die mittlere Höhe Afrikas 5 4 Ferdinand Hirts geographiſche Bildertafeln Karl Bamberg, Schulwandkarte von Afrika Bibliographie. Bericht vom 1. Oktober bis 30. November 1881 S. 42. — Vom Dezember 1881 S. 82. — Vom Januar 1882 S. 120. — Vom Februar 1882 S. 154. — Vom März 1882 S. 192. — ae Lee 1882 S. 233. — Vom Mai 1882 S. 274. — Vom Juni 1882 S. 314. — Vom Juli 1882 S. — Vom Auguſt 1882 S. 385. — Vom September 1882 S. 426. — Vom Ottober 1882 S. 466. VII Seite 350 461 462 463 464 231 31¹ 313 384 422 425 VIII Inhalts⸗Verzeichnis. Witterungsüberſicht für Zentraleuropa. Monat Januar 1882. (Mit Abbildung.) S. 122. — Februar 1882 S. 155. — März 1882 S. 194. April 1882 S. 234. — Mai 1882 S. 276. — Juni 1882 S. 315. — Juli 1882 S. 354. — Auguſt 1882 S. 387. — September 1882 S. 427. — Oktober 1882 S. 468. Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im Januar 1882 S. 44. — Im Februar 1882 S. 84. — Im März 1882 S. 123. — Im April 1882 S. 156. — Im Mai 1882 S. 195. — Im Juni 1882 S. 236. — Im Juli 1882 S. 277. — Im Auguſt 1882 S. 316. — Im September 1882 S. 356. — Im Oktober 1882 S. 388. — Im November 1882 S. 429. — Im Dezember 1882 S. 469. Neueſte Mitteilungen. Die Heimat des Jadeits — Bequeme Pipette nach Mann — F. Heerens neues Pioſkop zur Milchprüfung Die drei kleinſten Staaten Europas und ihre Bevölkerung nach neueſter Zählung — Neue Art von Heizung — Kobelt in Südſpanien und Marokko — . e — e des e Ca — . deutſcher Pflanzennamen 5 ee Eine thermiſche Wage — Foſſile Vögel Bit, : : Wie Bohrſchwämme ihre Höhlen in Auſterſchalen bohren — Rornrade giftig — Sternanis giftig — Japaniſche Nadelhölzer — Wirkung kleinſter Organismen 5 Der transatlantiſche Transport gefrorener Fiſche — Elektrizitätsleitung durch feuchte Luft — Clektriſche Beleuchtung der Städte — Zum Ehrengedächtnis von Alexander v. Humboldt — Lorentz . 5 Ozonbildung durch Lichtwirkung — Der neue Cunard-Dampfer „Servia“ — Anilinfarben in Amerika — Die Verteilung von Licht, Wärme und Arbeitskraft — Ueber die Sequoien . Apparat für Oberflächenſpannung. (Mit Abbildung.) — Schwimmende und untergehende Flaſche. (Mit Abbil⸗ dungen.) — Le diable captik. (Mit Abbildung) . . . Neuer Flaſchenfülltrichter von Boldt und Vogel in Hamburg. (Mit osu.) = Shafi in Nordamevita — Neue meteorologiſche Beobachtungen — Schlagintweit + 5 e Verrichtungen der Dampfmaſchine : Staub, Nebel, Wolken — Ueber die Geſchwindigkeit und den Widerſtand der donamoelektriſchen Maſchinen — Die längſte Drahtſpannung — 3 einer Thalſperre (de Habra) in N — e des Theehandels in Turkeſtan Das Nervenſyſtem der Hydroidpolypen — Die Farben der Frühlingsblumen — Der Marquis von Worceſter als Erfinder der Dampfmaſchine — Import deutſcher Luft in Frankreich. Ueber das Wandern der Fiſche von Meer zu Meer — Verwendung mechaniſcher Kraft für den Betrieb von Straßenbahnen — Daß ſtarke Elektriſierung weder Entwickelung noch Rae N von 1 1 alteriert ꝛc. — Aenderung der Richtung des Golfſtroms 0 Eiſenbahnwagenräder aus Papier — Herſtellung des Triamidotriphenylmethans 281575 Köhlers Leuchter- und Taſchen⸗Feuerzeug. (Mit Abbildungen.) — Elektriſche Maſſage. (Mit Abbildung.) — Errichtung einer wiſſenſchaftlichen Beobachtungsſtation am Kap Horn i Ueber Schichtenbildung durch Ameiſen — Der unterſeeiſche Tunnel zwiſchen England und Frankreich — Bez ſeitigung des Schnees von den ſtädtiſchen Straßen 5 5 Die längſte Drahtſpannung — Interne Vegetation der Kartoffel — Die tleinſte Sampfnaſchme — Nachweis des Chloroforms in Vergiftungsfällen — Neues über Trichinen ; Bakterien als Baumverderber — Eiskammern in der Wiifte — Samoa⸗ und Tongaarchipel — Timbuktu Die Preiſe der Pariſer Akademie der Wiſſenſchaften für 1881 — Deutſche Telegraphen= und Telephonanlagen — Das elektriſche Licht und die e — Neuer Beweis für die e der Erde — Durch Elektrizität getriebenes Boot Elektriſche Einheiten und deren Benennungen — _Sedruefeboaexfnffenuption — Die Colanuß — Mittel gegen die Verheerungen der Reblaus Anthropologiſches — Das Maſtodon — Der Sperling in Auſtralien — Die Urſache der Malariaerkrankungen — Ein neuer Beitrag zu unſerm Stammbaum — Eine neue Tabakpflanze 8 Schaden der Seeſterne für die Auſterbänke — Japaniſche Kerzen — Elektriſche Beleuchtung für Seehafen = Geſchwindigkeit der Eilzüge — Feſtes Petroleum — Synthetiſche Darſtellung für Ammoniak ¢ Das größte Teleſkop der Welt — Volgers Quellentheorie — Kleine diluviale Fauna Venuserpeditionen — Der Manila⸗Hanf — Mount Cook — Ueber Honigameijen § 3 Die Taucherei auf ſchwarze Perlen — Eine neue Art künſtliches Pergament — alder Figuren = Luft⸗ ballonfahrt zum Nordpol — Stanley — Nutzbarmachung der Niagara⸗Fälle Rieſige Tintenfiſche in Neuſeeland — Ein neuer Dinornis — Zeitſchriften der Welt — Ein außerordentlich empfindliches Thermometer — Ueber die Niedermetzelung der Cee penis = eon gegen Tuberkel⸗Bakterien — Zentralaſiatiſche Eiſenbahn . Einwirkung von Seewaſſer auf die Erhärtung des Zementmörtels — Ein Eenberg — Goldminen am Zambezi — Kopalharz — Erzeugung großer Kälte — Ueber Axolote Was 430 470 {| | { 10 uml 0 i eee ul { ee My, I numme \ Das Erdbeben von Cajamicciola auf Ischia (4. märz 1881). Von Prof. Dr. A. v. Caſaulx in Bonn. entzückenden Uferfahrt, die von Neapel durch den Tunnel des Poſilip an der A kraterreichen Küſte der phlegräiſchen Gefilde entlang und um die unvergleichliche Bucht von Bajae führt, blickt man am nächſten hinüber nach den Inſeln Procida und Ischia. In Neapel ſelbſt ſind ſie durch den Rücken des Poſilip verdeckt. Mit blinkenden, weißen Landhäuſern, aus grünen Gärten ſich abhebend, liegt Procida, wie eine glänzende Perl— muſchel auf dem blauen Spiegel des Meeres; freund- lich gleicht ihr in den untern Küſtenſäumen die über ihr aufragende Inſel Ischia, aber düſter und gefahr— drohend ſteigt in der Mitte der Kegel des Epomeo empor, wie ein Gorgonenhaupt auf lieblich geſchmück— ten jungfräulichen Schultern. Mit breiter Baſis nimmt er faſt die ganze Inſel ein und hier, von Nordoſten geſehen, endigt er in ſcharfer Spitze. In Wirklichkeit iſt es ein von Weſten nach Oſten geſtreckter Rücken, der mit ſeiner Erhebung von 760 m wie ein Grenz— wall ſich mitten durch die Inſel hindurchſchiebt. Am Nordabhang des ſteilen Epomeo, hoch oben über der Küſte, in Gärten und Weinbergen zerſtreut, in Schatten und Kühle eines dem Meere zugewen— deten Thales liegt die Königin der quellenreichen Inſel, la regina dei bagni: Gajamicciola. Bäder, Kurſäle, zahlreiche Hotels und Villen bieten den Rei— ſenden außer den ewigen Reizen der von der Natur ſo farbenreich geſchmückten Lande auch die erwünſchten Bequemlichkeiten des täglichen Lebens. Auch vielen deutſchen Beſuchern iſt Ischia und Caſamicciola, die Heilkraft ſeiner Quellen und das köſtliche Behagen ſeiner Meerlage, ein liebes Reiſeziel Humboldt 1882. om Kap Miſenum, dem Endziel jener und alle Freunde des ſchönen Badeſtädtchens haben mit Trauer die Nachricht vernommen, daß es am 4. März d. J. zum größten Teile durch tückiſchen Erdſtoß in Trümmer geworfen wurde. Nicht etwa zum erſtenmal dringen heute an dieſer Stelle des Pluto zuckende, unheilvolle Bewegungen zu Tage. Ischia ijt ſeit den älteſten Zeiten als der Schau— platz gewaltiger vulkaniſcher Ausbrüche bekannt, wenn⸗ gleich nur ein einziger, der letzte, hiſtoriſch genau nach der Zeit des Eintrittes und der Stelle des Lava— durchbruches feſtſteht: es iſt der Ausbruch von 1301, der den vielgenannten Lavaſtrom del' Arſo geliefert hat, der jetzt noch nackt und öde, ein ſtarres Schlacken— feld, zum Meere niederſteigt. Aber die ältern Erup— tionen laſſen ſich aus dem Studium der geognoſtiſchen Verhältniſſe der Inſel dennoch auffinden; auch alle frühern ſcheinen an dem nördlichen und nordöſtlichen Abhange des Epomeo erfolgt zu ſein. Die älteſten Anſiedler, die Griechen aus Euböa, wurden durch eine Eruption des Montagnone, ſpäter angeſiedelte Syrakuſaner durch den großen Lavaſtrom von Zale und Marecocco von ihren Sitzen auf der Inſel ver— trieben. Nachchriſtliche Eruptionen bis auf die genannte des Jahres 1301 ſind nicht ſicher bekannt. Lange Zeiten der Ruhe der vulkaniſchen Arbeit werden alſo auf Ischia von kurzen, aber heftigen Aeußerungen unterbrochen. Es haben auch zu allen Zeiten Erdbeben die Inſel heimgeſucht. Noch in dieſem Jahrhundert haben mehr— fach zerſtörende Kataſtrophen dieſer Art ſtattgefunden: am 2. Februar 1828 wurde ebenfalls Caſamicciola teilweiſe zerſtört; ſehr heftig waren auch die Erdbeben vom 7. Juni 1852 und 15. Auguſt 1867. Letzteres 1 2 : Humboldt. — Januar 1882. dehnte ſich auch auf die gegenüberliegende Küſte aus, aber Caſamicciola war durch die höchſte Intenſität der Wirkungen wiederum als Mittelpunkt bezeichnet. So waren denn gewiß die wackern Bewohner von der Väter Zeiten und Ueberlieferung her zur Reſignation gegen das unabwendbare Unheil erzogen. Ueber das in hohem Grade merkwürdige und mehr wie die vorhergehenden zerſtörende Erdbeben dieſes Jahres liegt jetzt der kurze Bericht einer eigens zur Unterſuchung der Erſcheinungen eingeſetzten Kommiſſion vor, an deren Spitze der treffliche Geologe Profeſſor G. Guiscardt-aus Neapel ſtand. ?) Dieſer amtliche Bericht und die ſchon früher geſammelten Nachrichten laſſen nun die Einzelheiten des Erdbebens fo weit überſehen, daß es thunlich erſcheint, auch Schlüſſe auf die geologiſche Urſache der Kataſtrophe zu ziehen. Allerdings beſtätigt ſich hier wieder die oft ge⸗ machte Erfahrung, daß gerade die furchtbarſten und zer⸗ ſtörendſten Ereigniſſe am wenigſten genaue Daten hinter ſich zurücklaſſen, um ihren Eintritt und die begleiten⸗ ten Vorgänge ſo zu fixieren, daß der Forſcher eine einigermaßen zuverläſſige Baſis findet, darauf er⸗ klärende Folgerungen zu bauen. Das Plötzliche des Eintrittes, die Schrecken der furchtbaren Erſcheinung, die Sorge um das eigene Leben, um die Angehörigen, um die Habe macht jede Beobachtungsgabe erſtarren. Nur wenige bewahren eine ſcharfe Erinnerung an die Einzelheiten und die Folge der Vorgänge, oder ſind ſich ſpäter noch der einzelnen Phaſen der Kataſtrophe bewußt, die durch das Chaos der Verwüſtung hindurch Eindruck gemacht haben mußten. Aus toten Trüm⸗ merſpuren und nur ſelten aus der lebendigen Quelle perſönlicher Beobachtung von Augenzeugen fügt ſich daher die Statiſtik ſolcher gewaltiger Naturereigniſſe zuſammen. Am 4. März 1881 um 1 Uhr 5 Min. Nachmit⸗ tags wurde Caſamicciola von dem erſten heftigen Stoße getroffen, dem ſchnell ein zweiter ebenfalls zer⸗ ſtörender Stoß folgte. Viele Häuſer ſtürzten ein, viele andre wurden mehr oder weniger beſchädigt, nur wenige blieben unverſehrt. Zahlreiche Bewohner wur⸗ den unter den Trümmern begraben und kamen um, viele Verwundete und Verſtümmelte retteten wenigſtens ihr Leben. Nach den beiden Hauptſtößen traten noch eine Reihe folgender Erſchütterungen ein, ſo am 6. und 7. März und bis zum 17. März dauernd. Keine derſelben erreichte jedoch eine bedeutende Intenſität, ſondern ſie ſchienen im Gegenteil mit immer mehr ſich abſchwächenden Wirkungen zu verlaufen. Es hatte dann freilich auch der erſte Stoß ſeine Schuldigkeit in trauriger Vollkommenheit gethan. Nach dem Berichte ſcheint die ſtärkſte Zerſtörung doch nur ſolche Gebäude betroffen zu haben, die von älterer und ſchlechter Bauart waren. Faſt alle alten Gebäude ſtürzten in Trümmer, ebenſo die kleinen Bauernhäuſer; mangelhafter Bau, ſchlechter Mörtel, *) II terremoto di Casamicciola, Relazione di Semmola, Schiayoni, Zinno e Guiscardi. allzuflache Gewölbe ſcheinen daran Schuld zu haben. Größere, ſolide Gebäude, wenngleich alt, ſind mehr oder weniger geſpalten und zerriſſen worden, aber ſind doch ſtehen geblieben, ſo das Gebäude des Monte della Miſericordia, die Pfarrkirche, die Gaſthofs⸗ gebäude der großen und kleinen Sentinella. Das Hotel Bellevue, im alten Teile ſtark beſchädigt, blieb unverſehrt in ſeiner neuerbauten Hälfte. Stärker iſt die Zerſtörung in den höher gelegenen Teilen geweſen, als in den tiefern. Die in der Rich⸗ tung von Norden nach Süden verlaufenden Mauern ſind nach Oſten oder Weſten zu Boden geworfen. Das ſpricht für eine in dieſem Sinne verlaufende Richtung der Bewegung. ö Spalten, die ſich im Erdboden geöffnet, verlaufen in meridionaler Richtung etwas nach Weſten oder Oſten gewendet; auch danach würde die Richtung der vorherrſchenden Bewegung in die Normale, d. i. von Weſten nach Oſten fallen. : Der offizielle Bericht führt eine Reihe von Bei⸗ ſpielen anſcheinend rotatoriſcher Bewegungen auf. Daß dieſen gleichwohl in Wirklichkeit keine rotatoriſche, ſtrudelförmige Wellenbewegung des Bodens zu Grunde liegt, iſt bekannt. Solche drehende Ortsveränderungen von Gegenſtänden kommen bei allen Erdbeben vor: in großer Zahl fanden ſie nach vom Rath z. B. bei dem heftigen Erdbeben von Belluno vom 29. Juni 1873 ſtatt. Schon Mallet hat die Erklärung dieſer Er⸗ ſcheinung darin gefunden, daß eine Drehung zweier aufeinander liegender Körper dann durch eine gewöhn⸗ liche, geradlinig verlaufende Schwingung hervor⸗ gebracht wird, wenn der Haftpunkt oder der Punkt der größten Reibung der beiden Körper nicht mit dem Schwerpunkt zuſammenfällt. Auch zu Caſamicciola ſind es vorzüglich viereckige, aus einzelnen Teilen beſtehende Steinpfeiler, die in ihren Stücken ſolche Drehungen ausgeführt haben. In der Ausdehnung des erſchütterten Oberflächen⸗ gebietes laſſen ſich zu Caſamicciola zwei Zonen unter⸗ ſcheiden. Die eine (ſiehe Karte) bildet eine in der Richtung von Oſten nach Weſten langgeſtreckte Ellipſe, geht durch Sperone, Sta. Barbara, Fango und umfaßt die größte Zerſtörung. Die zweite Zone grenzt im Norden an das Meer und geht von Punta Perrone durch den Fuß des Monte Rotaro über Caja Pizzi, Stennecchia und Spatara und endigt wieder an der Küſte zwiſchen S. Reſtituta und Lacco Ameno. Dieſe Zone umfaßt den Teil der Inſel, in dem man die Erſchütterung weniger gefühlt hat. Außerhalb dieſer Zone iſt die Erſchütterung noch mehr oder weniger heftig bemerkt worden zu S. Lucia delle Vajole, zu Barono im Süden und zu Fontana Serrara, Moropano u. a. Auch zu Lacco Ameno wurde der Stoß mit oſt⸗weſtlicher Richtung ziemlich ſtark geſpürt. Außerhalb der Inſel hat man die Erſcheinung nur ganz ſchwach auf der gegenüberliegenden Inſel Vivara und an der Küſte zu Bacoli, im Weſten aber auch noch auf Ventotene, einer der Ponzainſeln ge⸗ fühlt. Dieſe weite Erſtreckung nach Weſten läßt um Humboldt. — Januar 1882. 3 fo mehr in Uebereinſtimmung mit der im gleichen Sinne liegenden langen Achſe der innern Erſchütte— rungsellipſen auf eine von Weſten nach Oſten gerichtete longitudinale Ausdehnung des Erdbebens ſchließen. Dieſes wird dadurch noch auffallender, als ſelbſt die empfindlichſten Inſtrumente des Obſervatoriums am Veſup nicht die geringſte Spur des Erdbebens ver— raten haben und es in dem nahe gelegenen Neapel durchaus nicht wahrgenommen wurde. So ergibt ſich denn das als wichtigſter Geſammtcharakter des Erdbebens von Caſa— micctola: Ganz außergewöhnlich große In— tenſität bei einer auffallend geringen oberflächlichen Verbreitung, und ſtarke ue Erdoberfläche darin beſtehen, daß die ſtärkere Erſchütte⸗ rung im Oberflächenmittelpunkt die heftigeren Wir⸗ kungen hervorruft und daß auch die äußerſten Strahlen des Streukegels noch fühlbare Bewegung zeigen, wäh— rend in dieſen bei der ſchwächern Erſchütterung nichts mehr gefühlt wird. Die Oberflächenverbreitung iſt alſo ein Maß für die Intenſität bei gleichen Tiefen. Bei einem Erdbeben von ſehr geringer Tiefe kann aber mit der größern Heftigkeit der Erſcheinung im Mittelpunkte dennoch eine geringe Oberflächenver— breitung ſich verbinden. Das ſcheint für das Erdbeben von Caſamicciola zu gelten. Aeußerſte, zerſtörendſte Wirkung im Mittelpunkt; ſehr geringe Ausdehnung an der Oberfläche: daraus muß eine ſehr geringe \ Ischia ae * 7 * 7 Fig. J. Die Inſel Ischia und die Erdbebenzonen vom 4. März 1881. Maßſtab 1: 100 000. Ausdehnung der Erſchütterung, d. i. Elon— gation in weſtöſtlicher Richtung. Laſſen ſich aus dieſen weſentlichen Charakteren irgend welche Geſichtspunkte gewinnen, aus denen Schlüſſe auf die Lage des Erregungspunktes und ſomit auf die Urſache des Erdbebens gezogen werden können? Jedes Erdbeben iſt eine Wellenbewegung, die von irgend einer Erregungsſtelle aus, mag man dieſer eine mehr punkt- oder kreisförmige oder eine linear geſtreckte Geſtalt geben, nach allen Seiten gleich— mäßig in der Erdrinde ſich fortpflanzt. Hierbei ſehen wir von den in der Beſchaffenheit der Erdrinde ſelbſt begründeten Unregelmäßigkeiten ab. Liegt der erregende Herd ſehr tief, ſo wird ein mit ſehr breiter Baſis an die Erdoberfläche gelangender Streukegel den Aus— tritt der Wellenbewegung bezeichnen. Bei zwei Erd— beben, für die wir eine gleiche Tiefe des Erregungs— punktes annehmen, aber eine ſehr verſchiedene Kraft der erſten Urſache, wird die Verſchiedenheit an der Tiefe des Erregungspunktes gefolgert werden. Erd— beben, die in der meiſterſchütterten Zone kaum Schorn— ſteine umzuwerfen vermochten, haben bei 2 Meilen Tiefe des Erregungspunktes Areale von 2—3 Tauſend Quadratmeilen erſchüttert. Unter Caſamicciola möchte die Tiefe des Erregungsortes daher vielleicht nur nach Hunderten von Metern zu ermeſſen ſein. So erklärt ſich auch, warum an den gegenüberliegenden Küſten der phlegräiſchen Gefilde die Erſchütterung faſt nicht mehr wahrgenommen wurde. Wenn wir die Figur auf Seite 4 betrachten, die einen Durchſchnitt von Ischia über Vivara und Pro- cida nach dem Kap Miſenum darſtellt, fo ijt erſicht⸗ lich, daß von einem Punkte en auf der Linie ab, welche durch den Boden der trennenden Meeresarme gezogen iſt, eine Wellenbewegung ſchon nicht mehr direkt in den Boden der Inſel Procida gelangen kann. Sie muß dann in das Meer übertreten und wird aus dieſem wieder austretend kaum noch ſehr wirkſam ſein können. Nur von tiefer gelegenen Punkten 4 Humboldt. — Januar 1882. z. B. ce aus kann eine direkte Fortpflanzung nach dem Boden von PBrocida und dem Kap Miſenum erfolgen. Hätte die Erregungsſtation jo tief wie ce gelegen, jo bliebe es faſt unbegreiflich, daß eine Welle, die Caſamicciola zu Boden warf, nicht in direktem Verlaufe auch Procida und Kap Miſenum noch ſehr empfindlich getroffen haben ſollte. Nur eine in höherer Lage als a b, alſo nicht einmal ſo tief wie der Meeres⸗ boden befindliche Urſache gibt uns eine Erklärung der ſchwachen Wirkung auf den Nachbarinſeln. Denn von e aus kann keine direkte, geradlinige Wellenbewegung hinübergelangen, ohne das Meer zu durchqueren und dort faſt vernichtet zu werden, wie das ein Blick auf die nebenſtehende Konſtruktion erkennen läßt. Auch dieſe Betrachtung ſcheint daher die Not⸗ wendigkeit der Annahme einer ſehr geringen Tiefe des Erdbebenherdes zu ergeben. Hiernach erſcheint es nun fernerhin auch nicht wohl thunlich, den Herd der Erſchütterung mit dem Herde der vulkaniſchen Eruptionen auf Ischia ohne weiteres Cap Misenum MN. 0. — ep Lo A Es erweiſen nun aber ſowohl die umgeworfenen Mauern, die aufgeriſſenen Spalten im Boden, als auch die einſeitige Elongation der Erſchütterung auf eine Linie, die keineswegs radial zur Inſelmitte, alſo von Norden nach Süden, ſondern von Oſten nach Weſten gerichtet iſt. So iſt denn die Vorausſetzung, daß vulkaniſche Aeußerungen unterhalb des Epomeo die direkte Schuld an der Kataſtrophe ſeien, keineswegs begründet, man⸗ cherlei ſcheint im Gegenteile geradezu dagegen zu ſprechen. a Soll aber eine andre Urſache auf Ischia zu finden ſein? Die Antwort ſcheint unſchwer ſich zu bieten. Der Boden der Inſel beſteht außer aus feſten Lavabänken noch aus mächtigen Ablagerungen fub- marin gebildeter Tuffe mit eingeſchalteten, zum Teil ſehr ſtarken Schichten von thonigem Mergel, den man hier, wie auch in Sizilien, Creta nennt. Mehrere hundert Fuß tief unter der Oberfläche wird der Thon, die Creta, in ausgedehnten Gruben gewonnen. Da Is 6 A, 22 Cioran 0 \ Wo Wi. OA cca 5 W N = , — 4 AC N N N Fig. 2. Profil von Ischia über Procida nach Kap Mijenum. zu identifiziren. Wir müſſen für den letztern nach unſern bisherigen Kenntniſſen doch wohl eine tiefere Lage vorausſetzen. Wenn aber das Erdbeben von Caſamicciola wegen der nahen Nachbarſchaft mit vulkaniſchen Eruptions⸗ punkten nun doch als ein vulkaniſches angeſehen werden ſoll, ſo müßten wir dann jedenfalls die materia peccans als der Epidermis ganz nahe gelegen an⸗ nehmen; es müßte die Aeußerung alſo z. B. von einer verhältnismäßig hohen Stelle im vulkaniſchen Zentral⸗ ſchlote ausgegangen ſein. Bei ſo heftiger Erregung aus ſo geringer Tiefe bleibt es dann immerhin faſt unverſtändlich, daß die vulkaniſche Kraft ſich nicht an irgend einer Stelle wirklich Durchbruch verſchafft haben ſollte und daß ſie in allmählich ſich abſchwächender Erregung endlich ſogar zur Ruhe kam, ehe die materia peccans entfernt war. Auch darf man nach analogen Vorgängen, z. B. auf den Flanken des Aetna, vorausſetzen, daß, wenn z. B. exploſive Sprengungen im Schlote, oder das Aufreißen einer Spalte im Innern des Vulkankegels das Erdbeben verurſacht hätten, dann die Achſe der Bewegung auf eben dieſe Stelle, alſo auf das Zentrum der Inſel, den Epomeo, verweiſen würde. Denn daß dieſer als das eigentliche Zentrum aller ſeitlichen Ausbrüche gelten muß, das kann als feſt⸗ ſtehend angenommen werden. dieſe nachtertiäre Bildung bis zu 1400 Fuß am Epomeo hinaufreicht, ſo ſind alſo alle Veränderungen und die ganze Hebung der Inſel erſt nach dieſer Zeit erfolgt.“) In noch größerer Tiefe läßt ſich die mächtigere Ent⸗ wickelung dieſer marinen Ablagerungen mit größter Wahrſcheinlichkeit vorausſetzen. Nichts eignet ſich aber beſſer, um plötzliche Dis⸗ lokationen einzelner Teile zu veranlaſſen, als ſolche Thone. Vom Waſſer durchfeuchtet, drücken ſich die⸗ ſelben leicht zuſammen oder quetſchen ſich ſeitlich aus und bilden dabei treffliche, natürliche Gleitflächen. Anderſeits aber wird ihr Gehalt an Karbonaten auch durch Auflöſung fortgeführt und ſie fallen ſchnell der Verwitterung anheim. Die Kalkſteine des nahen Capri mit ihren grotesk zerfreſſenen Felsformen und höhlen⸗ reichen Wänden bieten uns dafür deutliche Belege. Solche Bildungen dürfen wir als die Baſis von Ischia vorausſetzen. Auch die Bimsſteinablagerungen unterliegen leicht tiefgehender Verwitterung. Wie viele Quellen und von dieſen geſpeiſte Bäche, durch ihre hohen Temperaturen größtenteils von ganz beſonders auflöſender Kraft, arbeiten aber auf Ischia und in ſeinen Tiefen an dieſer Zerſetzung und Zer⸗ ſtörung der Schichten! Faſt 20 heiße Quellen treten ) C. W. C. Fuchs, Die Inſel Ischia. Tſchermaks Mit⸗ teilungen 1872. S. 199 ff. Humboldt. — Januar 1882. 5 an verſchiedenen Stellen der Inſel zu Tage, alle mehr oder weniger reichlich beladen mit aufgelöſten Salzen. Die Quelle von S. Reſtituta enthält in 100 Kubik— zoll Waſſer ſogar 27,7 Gramm feſter Beſtandteile. Wenn alſo in einer Stunde nur 100 Kubikmeter Waſſer aus dieſer Quelle ausſtrömen, würden ſie ſtündlich 77 Kilos aufgelöſter Beſtandteile aus der Tiefe emporbringen; zehntauſend Kubikmeter Waſſer alſo ſchon die anſehnliche Menge von 7700 Kilos oder 38 ½ Zentner! Das aber iſt die Arbeit weniger Tage. Unter den gelöſten Salzen iſt nächſt den Chlor— verbindungen aber Karbonat von Kalk am meiſten in den Quellen enthalten. So müſſen alſo Höhlungen im Unterbau der Inſel ſich bilden, deren Zuſammenbruch die Urſache von Erſchütterungen werden kann. Ebenſowohl können allerdings auch Rutſchungen und Verſchiebungen im Schichtenbau durch die teilweiſe Auflöſung von Schichten angebahnt und herbeigeführt werden, wie ſolche weit verbreitet als die Aeußerungen der gebirgsbildenden Bewegungen in der Erdrinde erſcheinen. Spalten von größerer oder geringerer Er— ſtreckung bezeichnen dann die Ebenen, längs welcher die Dislozierung erfolgte. Wenn die geringe Tiefe der Erregungsſtelle und die perfuſen Wirkungen der Zerſtörung für die Ka— tajtrophe von Caſamicciola faſt ein Dislokationsbeben der erſten Art, ein Einſturzbeben wahrſcheinlich machen, ſo läßt die einſeitige Elongation des Erſchütterungs— gebietes eher ein Erdbeben der zweiten Art, ein Spal— tenbeben vermuten. Ob man der einen oder andern dieſer beiden, weſentlich auf Dislokationen in nicht allzu großer Tiefe baſierten Urſachen den Vorzug geben ſolle, dafür dürfte eine Entſcheidung nur ſchwierig zu begründen ſein. Der vulkaniſchen Kraft aber darf man in dieſem Falle nicht die Schuld geben. Da ſie aber ſo nahe gelegen in andrer Art ſo oft auf Ischia ſich geäußert hat, erſcheint das Beiſpiel von Caſamicciola für die Erdbebenfrage ganz beſonders lehrreich. Die künſtliche Eisbahn auf der Frankfurter Patent- und Muſterſchutzausſtellung. Von Oberlehrer Dr. Georg Urebs in Frankfurt a. M. 5 war ein eigentümlicher Kampf gegen die Natur der Dinge, daß man es verſuchte, in der Sommer— hitze, welche in dieſem Jahre zeitweilig auf 35° C. ſtieg, eine künſtliche Eisbahn von beträchtlicher Größe herzuſtellen. Viel Mühe und Zeit hat es freilich auch gekoſtet; wiederholt wurde die Eröffnung an— gekündigt und immer wieder abgeſagt, bis endlich am 7. Auguſt Abends 8 Uhr die Halle, über deren Portal zwei mächtige Eisbären thronten, ſich öffnete und die ſchon lange harrenden Schlittſchuhläufer aufnahm. Sofort entwickelte ſich denn auch ein lebhaftes Treiben, welches ſich täglich erneuerte und bis zum Schluß der Aus— ſtellung anhielt. Eine angenehme Kühle von 18° C. kühl in Vergleich zu der äußeren Hitze, machte die Halle auch für Nichtſchlittſchuhläufer zu einem geſuchten Auf— enthaltsorte, der abends, durch die brillante elektriſche Beleuchtung, noch beſonders an Reiz gewann. Die künſtliche Eisbahn oder eigentlich die na— türliche, wie ſie offiziell heißt — man kann wirklich über die Benennung in Verlegenheit kommen — iſt über dem Asphaltboden des Skating-Rinks des Palmengartens, der unmittelbar an den Ausſtellungs— park ſtößt, angelegt. Die Bahn iſt 38 m lang und 13½ m breit, hat alſo eine Fläche von 513 qm. Die „Kälteerzeugungsmaſchine“, welche zur Her— ſtellung des Eiſes diente, iſt von Profeſſor Linde in München erfunden und von der Maſchinenfabrik Augs— burg ausgeſtellt und in Betrieb geſetzt worden. Das Prinzip iſt eigentlich ſchon älter, die Konſtruktion aber, welche Linde ſeiner Maſchine gegeben, bietet namentlich durch die geſchickte Dichtung der Hähne, Ventile und Stopfbüchſen mittelſt Glycerin große Vorteile dar, indem dadurch der Verbrauch an Ammoniak, welches zur Kälte— erzeugung dient, weſentlich herabgemindert wird. Wenn irgend eine flüchtige Flüſſigkeit, z. B. Ather oder Ammoniak, durch Verminderung des auf ihr laſtenden Druckes zu raſchem Verdunſten gebracht wird, ſo entſteht eine beträchtliche Kälte. Schon 1856 wurde von Harriſon die Verdunſtungskälte des Athers und 1860 von Carré die des flüſſigen Ammoniaks zur Eiserzeugung benutzt. Ammoniak iſt vorteilhafter als Ather, da er nicht bloß billiger iſt, ſondern auch bei demſelben Druck eine weitaus größere Kälte er— zeugt. Jedem beſtimmten Druck entſpricht bekanntlich eine beſtimmte Siedetemperatur; für Ather gilt: Druck 0,09 0,24 0,6 1,2 5 Atmſph. Temperatur: -20 0 +20 40 90 C. und für Ammoniak: Druck: 0,7 1,16 1,84 4,4 15,5 Atmſph. Temper.: —40 —30 -20 0 40°C. Bei gleichem Druck fiedet alſo Ammoniak bei viel niederer Temperatur als Ather. Die Lindeſche Eismaſchine (Fig. 1) beſteht aus zwei Cylindern, in welchen ſich in einem Stück 6 Humboldt. — Januar 1882. geſchweißte ſchmiedeeiſerne Rohrſpiralen befinden, und aus einer doppelten Saug- und Druckpumpe, von denen hier nur die eine C fichthar ijt. Der eine Cy⸗ linder A, oder eigentlich die eine Rohrſpirale heißt Refrigerator und die andere B Kondenſator; beide ſtehen durch eine Röhre, in welcher ſich ein Ventil befindet, untereinander und außerdem durch je eine andere Röhre mit der Pumpe in Verbindung, welche letztere durch eine Dampfmaſchine in Gang geſetzt wird. Beim Anfang des Prozeſſes wird zunächſt käuf⸗ licher Salmiakgeiſt (in Waſſer gelöſtes Ammoniakgas) erhitzt und die Ammoniakdämpfe in den Refrigerator Fig. 1. geleitet. Dann wird der Deſtillationsapparat, der überhaupt nur nach längeren Zwiſchenräumen, um den unvermeidlichen Verluſt an Ammoniak zu erſetzen, in Benutzung kommt, abgeſtellt und nunmehr die Doppelpumpe durch die Dampfmaſchine in Gang ge⸗ bracht. Die eine zieht die Ammoniakdämpfe aus dem Refrigerator und die andere preßt ſie unter hohem Druck in den Kondenſator, wo ihnen durch Kühl⸗ waſſer die bei der Verdichtung zu einer Flüſſigkeit entſtehende Wärme entzogen wird. Das flüſſige Am⸗ moniak geht nun durch das Ventil in der Verbindungs⸗ röhre nach dem Refrigerator zurück, wo es unter geringerem Druck zu raſchem Verdunſten gelangt und eine beträchtliche Kälte erzeugt. Die entſtehenden Ammoniakdämpfe werden durch die eine Pumpe aber⸗ mals aus dem Refrigerator gezogen und durch die andere in den Kondenſator gepreßt u. ſ. w. Der Druck im Refrigerator beträgt 1 bis 2, der im Kondenſator 7 bis 10 Atmoſphären. In dem Cy⸗ linder, welcher das Kondenſatorrohrſyſtem umgibt, befindet ſich das Kühlwaſſer, welches immerwährend erneuert wird, und in dem andern Cylinder eine ſchwerfrierende Flüſſigkeit, z. B. eine Kochſalzlöſung. Soll bloß die Luft in einem Raume abgekühlt wer⸗ den, ſo kann das kalte Rohrſyſtem (der Refrigerator) in geeigneter Weiſe in den Raum eingelegt werden. Bei der Herſtellung der Eisbahn wurde das durch den Refrigerator abgekühlte Salzwaſſer durch Röhren nach dem Skating⸗Rink geführt; ſoweit die Röhren über der Erde waren, zeigten ſie ſich zur lebhaften Ueberraſchung des Beſchauers mit einer dicken Eis⸗ kruſte überzogen. Ueber der Asphaltdecke des Skating⸗Rinks war ein Rohrnetz von 5 km Länge horizontal gelegt, welches aus 140 Stück ſchmiedeeiſernen Röhren, jede 38 m lang und 3 em im Lichten weit, beſtand; jede Lage war von der andern 10 em entfernt. In das auf Querhölzern liegende Rohrnetz wurde an einem Ende die Salzlöſung ein und aus dem andern durch eine Pumpe wieder nach dem Refrigerator zurück⸗ geführt. Beim Eintritt hatte die Salzlöſung eine Temperatur von 6—8 und beim Austritt 5° unter Null. Der Asphaltboden war bis zu einer Höhe von 17cm mit Waſſer begoſſen worden, jo daß der Waſſerſpiegel lem hoch über den Röhren ſtand. Nachdem die Kochſalzlöſung zehn Tage lang (Tag und Nacht) durch das Rohrnetz geführt worden, be⸗ gann endlich die Eisbildung an der Eintrittsſtelle der Kühlflüſſigkeit; betrug doch die Waſſermaſſe 200 Hektoliter! Nun ſetzte ſich aber auch die Eisbildung raſch fort und als die Eisdecke eine Stärke von 12 em erlangt hatte, wurde das untere Waſſer (von 5 em Höhe) abgelaſſen. Das Eis lag alſo hohl und erlangte dadurch eine gewiſſe Elaſticität. Zugleich bildete die unter ihm befindliche Luft eine vortreff⸗ liche Iſolierſchicht gegen die Erdwärme. Selbſtverſtändlich mußte zur Konſervierung der Eisdecke die Salzlöſung ununterbrochen in den Röhren zirkulieren; auch mußte, nach Entfernung des durch Humboldt. — Januar 1882. g 7 das Schlittſchuhlaufen abgeſchabten Eiſes, zeitweilig friſches Waſſer aufgegoſſen werden. Wenn die Bahn wieder überfroren war, wurde ſie mit Matten belegt, um den erwärmenden Einfluß der Luft möglichſt un- ſchädlich zu machen. Die erſte Eisbahn iſt im Jahre 1876 in London hergeſtellt worden; ſie war aber bei weitem kleiner als die Frankfurter. Die Lindeſche Maſchine kann auch zur fabrik— mäßigen Darſtellung von Blockeis und zwar auf verſchiedene Art benutzt werden. Die eine beſteht darin, daß in den oberen Teil der Salzlöſung, welche den Refrigerator umgibt, ſchichtenweis eine Anzahl Gefäße, von denen je neun zu einem „Wagen“ ver— bunden ſind, eingehängt werden. Ein Wagen nach dem andern wird, wenn das Waſſer in demſelben gefroren iſt, oben herausgenommen, während unten ein anderer eingeſchoben wird. Eine andere Art der Blockeiserzeugung beſteht darin, daß die kalte Salzlöſung des Refrigerators in den unteren Teil eines Cylinders C (Fig. 2) geleitet wird; durch das Rohr r' tritt die Salzlöſung ein und durch das Rohrer“ wird fie wieder nach dem Refrigerator (mittels einer Pumpe) zurückgeführt. Der Cylinder taucht mit ſeinem unteren Teil in Waſſer und wird in langſame Rotation verſetzt. Da— bei bedeckt er fic) außen mit einer immer dicker wer- denden Eisſchicht, welche zeitweilig abgenommen wird. Zu dem Zweck wird die Salzlöſung aus dem Cy- linder ganz ausgepumpt und dafür warmes Waſſer eingefüllt, während man gleichzeitig das Waſſer in dem unteren Behälter abläßt. Das Eis wird durch das warme Waſſer von dem Cylinder abgelöſt und kann durch Thüren, welche in dem den Cylinder um— gebenden Gehäuſe angebracht ſind, herausgenommen werden. Spuren der ſubalpinen und ſubarktiſchen Flora im Thüringer Walde. Don Prof. Dr. Ernſt Hallier in Jena. n der Herbſt-Wanderverſammlung des Thüringiſch- tapierte der Vortragende allein den Verluſt der Schichten Sächſiſchen Vereins für Erdkunde, welche am 2. Oktober d. J. in Jena ſtattfand, entwickelte Herr Geh. Hofrath Profeſſor Dr. E. E. Schmid in einem ſehr klaren Vortrag die neueren Anſichten über Ent- ſtehung und Veränderung der Gebirge, insbeſondere über Niveauveränderungen infolge von Faltenbil— dungen und Abwaſchungen, namentlich mit Rückſicht auf die Hypotheſen, welche einige neuere Geologen bezüglich angeblicher Gletſcherbildungen im Thüringer Walde aufgeſtellt haben. Das Reſultat ſeiner an Ort und Stelle, d. h. an den bedeutendſten Erhebungen des Gebirges, namentlich am Beerberg und Schnee- kopf angeſtellten Unterſuchungen war ein durchaus negatives, dahin gehend, daß die zu jener Hypotheſe herangezogenen Thatſachen, ſo z. B. das Vorhanden— ſein größerer Geſchiebe, ebenſogut ganz andere Er— klärungsgründe zulaſſen würden; ja der Vortragende ging ſo weit, die ganze Gletſchertheorie in das Be— reich geologiſcher Träumereien zu verweiſen. Natürlich wollte derſelbe damit nicht die Möglich— keit des Vorhandenſeins von Gletſchern in früheren Erdepochen in Abrede ſtellen, vielmehr nur die für dieſe Anſicht ins Feld geführten Thatſachen als nicht beweiskräftig verwerfen. Betonte doch der Vortragende ſelbſt, daß mächtige Niveauveränderungen notwendig müßten ſtattgehabt haben und noch beſtändig ſtattfinden. Abgeſehen von den ſäkularen Bewegungen der Erddecke, der Trias durch Eroſion auf 1000 Fuß Mächtigkeit und zwar, wie er ausdrücklich hervorhob, nach einer ſehr niedrigen Schätzung. Freilich läßt ſich ſchwer beſtimmen, wann, d. h. in welcher geologiſchen Epoche die Abwaſchungen ſtattgefunden haben. Auf alle Fälle würden aber dieſe Abwaſchungen be weitem nicht ausreichen, um während der letzten Erd— epochen ſeit der Miocänzeit, und in früheren Epochen kann überhaupt von Gletſcherbildungen nicht wohl die Rede ſein, die Annahme ſolcher Bildungen zu rechtfertigen. Kleinere Eismaſſen freilich halten ſich an mehrern Stellen des Thüringer Waldes während kalter Sommer bis in den künftigen Winter hinein, teils an der Oberfläche, wie z. B. in einer Schlucht in der Nähe von Oberhof, teils in Höhlen. Der merkwürdigſte Fall der letztgenannten Art iſt mir in dieſem Sommer bekannt geworden. Auf dem ſogenannten Eisberg oberhalb des Dorfes Unter-Wirrbach, etwa zwei Stun- den von der Eiſenbahnſtation Schwarza entfernt, befindet ſich in einer Meereserhebung von nur etwa 2000 Fuß ein ſeit mindeſtens ſechs Jahren verlaſſenes Eiſenbergwerk, deſſen Schächte, um Unglücksfällen vor— zubeugen, verſchüttet worden ſind, deſſen Stollenſyſtem aber zum großen Teil noch zugänglich ijt. Ein Forſt— beamter hatte die Freundlichkeit, mir den verſchloſſenen Hauptſtollen zu öffnen und zu meinem größten Er— ſtaunen fand ich nicht nur in dem Hauptgang in ver— 8 5 Humboldt. — Januar 1882. hältnismäßig geringer Tiefe unter der Erdoberfläche, ſondern auch in verſchiedenen Nebenſtollen größere Eismaſſen, teils die Klüfte ausfüllend, teils die Wände bedeckend, teils in großen Stalaktiten von der Decke herabhangend. Das durchſickernde atmoſphäriſche Waſſer gefriert in dieſen Gängen und zwar in ſo großen Maßen, daß vor einigen Jahren, als in den um⸗ liegenden Ortſchaften Mangel an Eis eingetreten war, drei mit je drei Ochſen beſpannte Fuhren dieſes Höhlen— eiſes ins Thal abgeführt werden konnten. Solche Thatſachen regen allerdings an zum Nach⸗ denken über die Frage, ob nicht während der jüngſten Erdepochen auf den Höhen des Thüringer Waldes, wenn nicht ein alpines, ſo doch ein ſubalpines Klima geherrſcht haben könne. Ausdrücklich muß ich noch bemerken, daß ich den Eiſenberg im Auguſt dieſes Jahres beſucht habe, alſo nach dem durch ſeine ab⸗ norm hohe Temperatur ausgezeichneten Juli 1881. Näher noch ſcheint dieſe Frage den Botaniker in⸗ tereſſieren zu müſſen als den Geologen; denn das Vorhandenſein einer nicht ganz unbedeutenden Zahl ſubalpiner und ſubarktiſcher Pflanzen auf den höheren deutſchen Gebirgen muß allerdings auffallen. Indeſſen liegt in dem iſolierten Vorkommen ſubalpiner Pflanzen auf den Gebirgskuppen und in Gebirgsthälern doch noch keineswegs ein zwingender Grund zu der An— nahme einſtiger bedeutenderer Erhebung der Gebirge, vielmehr iſt die größte Vorſicht bei der Beurteilung derartiger Thatſachen von nöbten. Zwei Annahmen ſind hier möglich und beide find mindeſtens gleich⸗ berechtigt. Entweder ſind die ſubalpin⸗ſubarktiſchen Gewächſe der mitteldeutſchen Gebirge Ueberreſte einer früheren Alpenflora, oder ſie ſind Folge ſpäterer Verſchleppungen durch Wandervögel und haben fic) nur daher an bez ſtimmten Lokalitäten anſiedeln können, weil ſie hier Bedingungen fanden, welche denen in ihrer Heimat ſehr nahe kommen. Wie nahe dieſe Annahme liegt, dafür ſprechen lebhaft die künſtlichen Anſiedlungen ſubalpiner Pflanzen durch Menſchenhand im Thüringer Walde, ja ſelbſt außerhalb des eigentlichen Gebirges. Wer auf dem Inſelsberg den Zwergkiefernbeſtand des Krummholzes oder Knieholzes: Pinus mughus Scopolin geſehen hat, wird denſelben ſicherlich für wild halten. Das dichte Gebüſch erhebt ſich kaum bis zu einem Meter über die Erdoberfläche, in einer Meeres⸗ erhebung von 1000 Metern ganz denſelben Eindruck hervorrufend, den man im Alpengebiet in einer Meeres⸗ höhe von 50006000 Fuß erhält. Aehnliches ſogar in den Alpen ſelbſt vor. In ſeiner vortrefflichen Schrift über die Kultur der Alpenpflanzen) fagt Kerner: „Am Würmſee in Bayern finden ſich in der Höhe von 1900 Fuß Gentiana lutea und Lonicera alpigena und am Ufer des 2930 Fuß über dem Meere gelegenen Achenſees in Nordtirol glaubt man ſich ſtellenweiſe geradzu in ) A. Kerner, Die Kultur der Alpenpflanzen. Inns⸗ bruck 1864. S. 36. Freilich kommt die Knieholzregion verſetzt. Dichte Gehölze von Pinus mughus und Betula pubescens umſäumen deſſen Ufer, und an den Halden, Geſimſen und Felswänden, die dort aus dem blauen Waſſerſpiegel aufragen, beobachtete ich neben dem Buſchwerk des Rhododen- dron Chamaecistus und hirsutum, Sorbus Chamae- mespilus, Daphne striata und Arctostaphylos offi- cinalis, als beſonders hervorzuhebende Arten: Bartsia alpina, Aster alpinus, Arabis pumila, Saxifraga caesia, Alchemilla alpina, Globularia nudicaulis, Rhamnus pumila, Salix retusa, Soldanella alpina, Pinguicula alpina, Sedum atratum, Pedicularis foliosa und Jacquinii, Carex ferruginea und firma, durchwegs Pflanzen, die ſonſt wohl nicht unter 4 bis 5000 Fuß Seehöhe angetroffen werden.“ Steigt man nun vom Inſelsberg nach Eiſenach herab, ſo findet man dort auf den Felsrücken und Felſenplateaus des Rothliegenden das Krummholz in Geſtalt bogig aufſteigender Stämme von 2—3 Metern Höhe, ja in den Felſenthälern in der Umgebung der Wartburg erreicht der Baum ſogar eine Stammhöhe von 4—6 Metern und auf den Bergabhängen bei Jena ſchießt das Krummholz ſchnurgerade empor und bildet weit ſchönere Bäume als die gemeine Kiefer, welcher der Kalkboden weniger zuſagt. Gewiß aber iſt das Krummholz nicht nur bei Jena, ſondern auch im Thüringer Walde überall angepflanzt und nirgends urſprünglich. Die Grauerle: Alnus incana DC. gedeiht im Marienthal bei Eiſenach, am Inſelsberg und ebenſo bei Jena an den Bergabhängen und im Saalthal ſo gut wie in den Alpenthälern. Auf dem Inſelsberg iſt ſie wahrſcheinlich wild, da ſie von Albrecht von Hallers) ſchon im Jahr 1745 erwähnt wird. Viola biflora L., das niedliche gelbe Veilchen der Alpen, iſt vor vielen Jahren auf den Felſen der Drachen⸗ ſchlucht im Annathal angepflanzt worden und gedeiht hier ſowie in der Landgrafenſchlucht, wohin ſie erſt im letzten Jahrzehnt gebracht wurde, ſo vortrefflich, daß ſogar gewiegte Floriſten dem Irrtum anheim⸗ gefallen find, fie für urſprünglich zu halten.“) Leider wird ihr ſehr nachgeſtellt, doch iſt ſie immerhin noch reichlich vorhanden. Mit weit geringerer Berechtigung könnte man das Gedeihen der Sockenblume, Epimedium alpinum L., am Mädelſtein unweit der Wartburg anführen, denn dieſe Pflanze gedeiht ohne allzugroße Rückſichtnahme auf ihre natürlichen Vegetationsbedingungen in jedem Blumengarten. Noch weniger kann das merkwürdige Vorkommen der öſterreichiſchen oder burgundiſchen Eiche, Quereus pubescens L., auf dem Kunitzberg unweit Jena als klimatologiſcher Fingerzeig aufgefaßt werden, denn dieſer Baum gehört dem ſüdlichen Alpengebiet, ja der ſüdeuropäiſchen Gebirgsflora an. Wie der Baum *) Albert, Halleri Flora Jenensis Henrici Bern- hardi Ruppii. Jenae 1745. S. 333. Rupp ſelbſt er⸗ wähnt ſie nicht. Vgl. Botaniſche Zeitung 1878, Spalte 748. Humboldt. — Januar 1882. 9 auf die Felsabhänge des Kunitzberges kommt, iſt ſchwer zu ſagen; ſeine Urſprünglichkeit an dieſer Stelle aber wohl ſehr zu bezweifeln. Wir wollen nun im folgenden einfach die That— ſachen für ſich reden laſſen, deren Erklärung einer ſpäteren Forſchung überlaſſend, alſo ohne Vorurteil für die eine oder die andere Hypotheſe. “) Grijebad,**) unſer größter Pflanzengeograph, hält es durchaus für möglich, die Aehnlichkeit der arktiſchen mit der alpinen Flora durch Migration zu erklären, wenn er ſagt: „Der Austauſch der Pflanzen zwiſchen Orten, die weit voneinander entfernt liegen, wie die Alpen von Norwegen, oder gar von Lappland und Spitzbergen, hat vielen Naturforſchern nie recht einleuchten wollen. Ich teile dieſe Bedenken nicht, den Seen der Alpen und des Nordens, ſo z. B. am Bellerjee und Mondſee im Salzburgiſchen,?) am Genferſee, am Muttenſee und am Rhoneufer in der Schweiz, *) in Tirol am Haiderſee im Vintſchgau, am Wolfsgruber See bei Ritten, *) dann in Skan⸗ dinavien, Schottland, England, Belgien, ſowie hier und da im nördlichen Deutſchland. In ganz Mittel— deutſchland und im größten Teil von Süddeutſchland war das Pflänzchen aber gänzlich unbekannt. Eine der ſüdlichſten Stellen ſeines Vorkommens mit Aus— nahme des Alpengebiets iſt das Elbufer bei Pirna. Meine Ueberraſchung war daher keine geringe, als ich dasſelbe im Sommer 1877 am Fuß des Dohlenſteins bei Kahla, drei Stunden oberhalb Jena, auffand, und zwar in großer Menge. Ranunculus reptans L. aus dem Saalthal. da Wanderungen des Samens durch die Luft, durch den Wind oder durch Zugvögel vermittelt, über die Zwi— ſchenländer, deren Klima nicht geeignet iſt, recht wohl möglich erſcheinen. Auch vermehren ſich die Beobach— tungen keimfähiger Samenkörner im Kropf oder zwi— ſchen den Federn der Vögel, je mehr man darauf zu | achten anfängt.“ Ich ſelbſt wurde zu Unterſuchungen über das Vor— kommen alpiner oder arktiſcher Pflanzenformen im Thüringer Wald zuerſt angeregt durch meine Ent- Später fand ich ſie nicht minder reichlich im Ufer— geröll der Saale bei Saalfeld ſowie bei dem Dorfe deckung des kleinen Seeranunkels, Ranunculus rep- tans L., auf dem Strandgeſchiebe der Saale bei Saal- feld und weiter abwärts bis zum Dohlenſtein bei Kahla. Dieſes kleine zierliche Gewächs findet ſich an ) Ueber die ſäkularen Bewegungen des Erdbodens findet man eine ziemlich ausführliche Darſtellung in meiner Schrift: Ausflüge in die Natur. Berlin 1876. *) A. Griſebach, Die Vegetation der Erde. Leip- zig 1872. Bd. I, S. 169. Humboldt 1882. Remſchütz an beiden Ufern. 17) Das Pflänzchen iſt von allen andern Arten der Gattung leicht zu unter— ſcheiden durch die zierlichen bogenförmigen Ausläufer und die ſehr kleinen einzelnen Blüten. Herr Pro— feſſor Hausknecht, dem ich ſie zeigte, anerkannte ſie ſogleich für den echten Ranunculus reptans L. und als für verſchieden von der kriechenden Form von *) Dr. A. Sauter, Flora der Gefäßpflanzen des Herzogthums Salzburg. Salzburg 1879. ) Vgl. G. D. J. Koch, Synopsis Florae Germa- nicae et Helveticae. Ed. tertia. Pars prima. Lips. 1857. p. 13. ) F. v. Hausmann, Flora von Tirol. Band J. Innsbruck 1851. S. 18. Hausmann trennt die Pflanze nicht von der kriechenden Form von R. Flammula L. +) Vgl. E. Hallier, Flora der Wartburg und der Umgegend von Eiſenach. Jena 1872. S. 7. 2 10 ö Numboldt. — Januar 1882. Ranunculus Flammula L. Da manche Botaniker dieſe Pflanze gleichwohl für eine Form des R. Flam- mula L. ausgegeben haben, jo kultivierte ich beide Spezies nebeneinander im Zimmer in verſchiedenen Töpfen unter genau gleichen Bedingungen. Beide Arten haben nun fünf Jahre lang ihre Eigenſchaften ganz unverändert beibehalten und es kann von einem Uebergang aus der einen Form in die andere gar keine Rede fein. Ranunculus reptans hat auch ganz andern Standort als R. Flammula, denn ſie findet ſich nur zwiſchen Ufergeröll an ruhigen überſchwemmten oder ſehr naſſen Stellen. Ich habe nun den Thüringer Wald an ſeinen öſtlichen Abdachungen nach allen Richtungen durch⸗ ſtreift, aber keine Spur von der Pflanze dort auf- finden können. Möglich indeſſen, daß ſie noch weiter aufwärts an der Saale vorkommt. Zwiſchen Saal⸗ feld und Eichicht habe ich ſie allerdings nicht finden können. Eine zweite ſubalpin⸗ſubarktiſche Pflanze iſt der ſturmhutblättrige Ranunkel: Ranunculus aconitifolius L. Er findet ſich in den Alpen und Voralpen durch die ganze Alpenkette verbreitet in einer Seehöhe von etwa 10001600 Meter, aber in der breitblättrigen Form, platanifolius, auch in die Alpenthäler bis 650 Meter herabſteigend. Im übrigen zieht er ſich von den Alpen ſowohl weſtlich als öſtlich in die deutſchen Gebirge hinein, durch Oeſterreich, Böhmen, Schleſien, Sachſen, Thüringen, den Harz, ebenſo durch die Vogeſen und den Schwarzwald bis nach Heſſen, dem ſüdlichen Weſtfalen und der Rheinprovinz. Wieder begegnen wir ihm in Norwegen, im nörd⸗ lichen Schweden. In den deutſchen Gebirgen findet ſich überall nur die Varietät platanifolius. In Thü⸗ ringen findet er ſich nur im eigentlichen Gebirge, ſo beſonders am Inſelsberg, am Marktberg bei Eiſenach, bei Gehlberg, am Friedberg bei Suhl und im oberen Saalgebiet. Aus der Familie der Kreuzblütler gehört die Zahn⸗ wurz, Dentaria bulbifera L., hierher. Sie findet ſich in der öſtlichen Schweiz und längs der Alpen⸗ kette ſporadiſch verbreitet bis Oeſterreich und Salz⸗ burg, dann durch Böhmen, Schleſien, Sachſen, die Oberlauſitz, im Rheingebiet, namentlich am Nieder⸗ rhein bis zu den Niederlanden, in den Moſelgebirgen, in Schwaben, Bayern, Thüringen, im Harz, ja ſelbſt in Pommern und Holſtein; dann tritt ſie in Skan⸗ dinavien und England wieder auf, aber nicht in Lapp⸗ land. Halb und halb kann man auch die Meiſter⸗ wurz, Imperatoria ostruthium L., und die weiße Peſtwurz, Petasites albus L., hierher rechnen, obwohl ihre Verbreitung ſich über einen großen Teil des deutſchen Florengebiets ausdehnt. Jedenfalls muß hierher die Alpen⸗Kratzdiſtel, Cir- sium heterophyllum Allioni, gezählt werden. Sie bewohnt Wieſen und graſige Felsabhänge der ganzen Alpenkette, beſonders in den Granitalpen von 1300 bis 2000 Meter Meereserhebung, ſporadiſch verbreitet, aber ſtellenweis häufig, ferner findet ſie ſich in Ober⸗ baden, Mähren, Böhmen, Schleſien, in der Oberlauſitz, der ſächſiſchen Schweiz, bei Stralſund, Schleswig u. ſ. w. Im hohen Norden Skandinaviens und Britanniens begegnen wir ihr abermals. Im Thüringer Wald kommt ſie z. B. vor bei Neuhaus, Suhl, im oberen Saalgebiet u. a. O. Unbedingt ſubarktiſch⸗ſubalpin iſt der ſchöne Alpen⸗ ſalat: Mulgedium alpinum Less. Er findet fic) in der ganzen Alpenkette verbreitet auf Matten, in Thä⸗ lern und auf Waldblößen, bis zu einer Höhe von etwa 1500 Metern. Von den Alpen aus dringt er auf den Apenninen nicht weit vor, geht aber im Norden auf die Vogeſen, den Schwarzwald, den Jura, die ſchwäbiſchen und bayriſchen Gebirge über, ſowie durch Mähren, Böhmen und das Erzgebirge bis Schleſien. Sonſt findet er ſich zerſtreut im Oberharz, auf dem Vogelsberg in Heſſen, auf der Rhön und im Thüringer Walde, wo er bei Ludwigsſtadt, Neu⸗ haus, Suhl, Schmiedefeld, Vesra, an den Schurten⸗ wänden und am Inſelsberg auftritt. Dann begegnen wir ihm wieder in Norwegen, Schweden, Lappland, Finnland und Schottland. In dem kleinen Siebenſtern, Trientalis europaea L., begegnen wir einer Pflanze, welche mehr ſubark⸗ tiſch als alpin genannt werden muß, denn ſie findet ſich in ganz Skandinavien, Schottland, England, ziem⸗ lich verbreitet im nördlichen Deutſchland, im mittleren weit ſeltener und nur auf den Gebirgen. In den Alpen iſt ſie ſelten und kommt nur in einer Meeres⸗ höhe von etwa 5000 Fuß vor, ſo z. B. auf der Tartſchenalp im Vintſchgau in der Nähe der Senn⸗ hütte, im Urſeren Thal in der Schweiz, ferner in Mähren, Böhmen, Schleſien, im Schwarzwald, im Fichtelgebirge, im Harz u. ſ. w. Im Thüringer Wald und im Thüringer Becken, beſonders im Saal⸗ gebiet, iſt ſie weit verbreitet. ; Am dürren Hof unweit Eiſenach, in ſehr mäßiger Meereserhebung, findet ſich das im Salzburgiſchen ſogenannte Roßblüml, Primula farinosa L., freilich nur noch in geringen Ueberreſten, aber unter Lokal⸗ verhältniſſen, welche denjenigen in den Alpen genau gleichen. An Anpflanzung iſt gar nicht zu denken; vielmehr iſt die Pflanze hier zweifellos wild. In den Alpen findet ſie ſich überall durch die ganze Kette in einer Erhebung von 1200 - 2000 Me⸗ tern und ſtellenweis noch höher hinaufgehend. Von den Alpen aus zieht ſie ſich durch Oberſchwaben, Bayern bis Oeſterreich, kommt noch vereinzelt bei Schweinfurt, Würzburg, Ansbach vor; aber in Mittel⸗ deutſchland ijt der Thüringer Fundort der einzige. Die Pflanze iſt aber zugleich durchaus ſubarktiſch, denn fie tritt wieder auf in den Mooren von Meck⸗ lenburg, Pommern, der Uckermark, Preußen und zieht ſich durch die Oſtſeeprovinzen nordwärts über Peters⸗ burg nach Finnland und durch Skandinavien nach Lappland. Auch die Rauſchbeere, Empetrum nigrum L., iſt echt ſubarktiſch⸗ſubalpin; denn auch ſie findet ſich in der ganzen Alpenkette verbreitet und zwar in einer faſt alpinen Meereserhebung von 50007000 Fuß, ebenſo im hohen Norden Europas durch Skandina⸗ Humboldt. — Januar 1882. 11 vien, Britannien und Rußland. Von den Alpen zieht ſie ſich durch die Vogeſen, durch Schwaben und Südbayern, zieht ſich weiter nördlich vereinzelt auf die Gebirge zurück: Sudeten, Glazer Gebirge, Erz— gebirge, Rhön, Thüringer Wald, Brocken, und tritt vom Niederrhein bis nach Preußen in den Mooren auf, an das nordiſche Verbreitungsgebiet ſich an— ſchließend. Im Thüringer Wald kommt ſie nur in einer Erhebung von 1000 Metern auf dem Schnee— kopf und Beerberg vor. Dagegen iſt die Feuerlilie, nach welcher das Lilien— thal an der Wartburg ſeinen Namen trägt, mehr ſubalpin als ſubarktiſch zu nennen, denn ſie erreicht nur das ſüdliche Norwegen. Auch in den Alpen findet ſie ſich nur in mäßiger Bodenerhebung von etwa 900—1500 Metern, iſt überhaupt nur ſporadiſch ver— breitet, ſo z. B. auf Kalkabhängen um Salzburg, ſtellenweiſe durch Tirol und die Schweizer Alpen, dann in Oberbaden, Württemberg, Oberbayern, Böh— men, Sachſen, Schleſien, Thüringen und den Harz. Im Thüringer Wald ijt fie im Lilienthal faſt aus- gerottet, findet ſich aber noch am Stutzhaus bei Ilmenau, am Burgberg bei Waltershauſen, am In— ſelsberg, an der Schütte, ſogar am Steiger bei Erfurt und an einigen Stellen weiter nordwärts, wie z. B. bei Frankenhauſen und an der Jechaburg. Weiter ſüdlich tritt ſie noch in den Apenninen und Pyre— näen wie in Kroatien auf. Einer echt ſubalpin-ſubarktiſchen Pflanze begegnen wir aber in dem Alpen-Riſpengras: Poa alpina L. Sie iſt faſt alpin⸗arktiſch, denn ſie ſteigt in den Alpen von 1000 bis zu 2500 Metern empor, iſt gemein durch die ganze Alpenkette, ja eines der gemeinſten aller Alpengräſer und reicht, durch eine weite Kluft vom alpinen Vorkommen getrennt, in Skandinavien und Britannien bis in den höchſten Norden hinauf und findet ſich noch im Samojedenlande. Ihr ſpora— diſches Vorkommen iſt auf die Rheinfläche und die Rheiniſchen Gebirge von Oberbaden bis Bingen und Sponheim, Mähren, Unteröſterreich, Oberſchwaben, den Jura, die Hochvogeſen und den Keſſel des mäh— riſchen Geſenckes, ſowie die Gegend zwiſchen Halle und dem öſtlichen Harz beſchränkt. In Thüringen findet ſie ſich faſt nur im oberen Saalgebiet, z. B. bei Obernitz oberhalb Saalfeld und weiter aufwärts. Im Süden kommt ſie noch auf den Pyrenäen und in Italien vor. Somit hätten wir im Thüringer Waldgebiet 10 phanerogamiſche Pflanzen aus der ſubarktiſch-ſubalpinen Flora zu verzeichnen, nämlich: Ranunculus reptans L. und R. aconitifolius L., Dentaria bulbifera L., Cirsium heterophyllum Allioni, Mulgedium alpinum Less., Trientalis euro- paea L., Primula farinosa L., Empetrum nigrum L., Lilium bulbiferum L. und Poa alpina L. Will man noch Imperatoria ostruthium L. und Petasites albus Gaertner dazu rechnen, ſo ſind es 12 Pflanzen. Eine etwas größere Zahl von Pflanzen des Thü— ringer Florengebiets muß als ſubalpin bezeichnet wer— den, wogegen man ſie nicht als ſubarktiſche anſehen kann. Es find 16—18 Arten. Vor allen Dingen gehören dahin vier Arten von Enzian, nämlich: Gentiana lutea L., G. acaulis L., G. verna L. und G. obtusifolia L. Der gelbe Enzian fehlt dem ganzen norddeutſchen und überhaupt dem ganzen nordeuropäiſchen Floren— gebiet. In den Alpen findet er ſich auf Triften und Voralpen in einer Meererhebung von 15002500 Metern durch einen großen Teil von Tirol, Vorarl— berg, den größten Teil der Schweiz, auf den Apen— ninen und Pyrenäen, ferner nördlich in den Vogeſen, im Schwarzwald, bei Würzburg, auf der Schwäbiſchen Alb. In Thüringen iſt das Vorkommen ein ganz ver— einzeltes aber zweifellos wildes, nämlich am Schweins— berg bei Arnſtadt, früher auch bei der Eremitage und auf den Gleichen. Früher trat die Pflanze auf dem Schweinsberg ſo maſſenhaft auf, daß die Apotheker ganze Wagenladungen der Wurzel wegfahren konnten. Die ſchöne großglockige Gentiana acaulis L. iſt durch die ganze Alpenkette verbreitet in einer Höhe von 1000-2000 Metern. Sie findet ſich auch in den ſüdeuropäiſchen Hochgebirgen, fehlt aber im ganzen Norden. Das vereinzelte Vorkommen über dem Mühl— hof bei Freiburg an der Unſtrut dürfte der nördlichſte Punkt in Europa ſein. Von den Alpen zieht ſie ſich in die Vogeſen, in die ſchwäbiſchen und bayriſchen Gebirge und mit den Flüſſen in die Münchener und Augsburger Ebene hinab. Gentiana verna L., der niedliche Frühlingsenzian, kommt bei Schleiz auf einer Moorwieſe vor, ein Fund— ort, den man mit Ausnahme meiner Ausgabe von Kochs Taſchenbuch*) meines Wiſſens in keiner deut— ſchen Flora angegeben findet, obgleich die Reußiſche Flora von W. O. Müller) ihn kennt. Sie findet ſich durch die ganze Alpenkette in einer Meereserhebung von 1200— 2500 Metern, ſteigt auf die Voralpen ſowie auf die Gebirge von Oberſchwaben, Bayern, Franken, Mähren, Oeſterreich, auf die Sudeten herab und findet ſich vereinzelt bei Gießen, Schweinfurt, ja ſeltſamerweiſe bei Franzöſiſch-Buchholz unweit Berlin. Sonſt kommt ſie mit Ausnahme von England im Norden gar nicht vor. Gentiana obtusifolia L. ijt auf das mitteleuro- päiſche Alpengebiet beſchränkt und geht weder hoch nach Norden hinauf, noch überſchreitet ſie das mittlere Alpengebiet nach Süden. Sie findet ſich ſowohl in alpinen als auch in ſubalpinen Höhen von 1000 bis 2500 Metern. Nördlich von den Alpen kommt ſie nur in Baden bei Stockach, in Bayern, Sachſen und Schleſien vor; dann in Thüringen im Falmiggrund und im Heltersbacher Thal zwiſchen Suhl und Hei— dersbach, ſowie bei Rappelsdorf und am Wilhelms— brunnen. Die übrigen Angaben, Könitz und die Wöllmiſſe bei Jena, ſind ſehr unſicher. Die weiße Brunelle, Prunella alba L., zieht ſich in einer Höhe von 1000 — 1200 Metern durch Tirol, ) G. D. J. Koch, Taſchenbuch der Deutſchen und Schweizer Flora, gänzlich umgearbeitet von E. Hallier. Leipzig 1878. S. 333. ) W. O. Müller, Flora der Reußiſchen Länder. Gera und Leipzig 1863. S. 149. 12 Humboldt. — Januar 1882. die Schweiz, Bayern, Unteröſterreich, das Rhein-, Nahe- und Moſelgebiet und anderſeits durch Böh⸗ men und Schleſien. Sonſt kommt ſie ganz vereinzelt vor, bei Schnepfenthal und Saalfeld im Thüringer Wald, aber nicht bei Jena, dagegen am Unterharz. Im Norden fehlt ſie ganz. Die Alpen⸗Sternblume, Aster alpinus L., iſt durch die ganze Alpenkette verbreitet in einer Höhe von 1600—2000 Metern, ſteigt aber auch tiefer in die Thäler herab, ſtellenweiſe bis 800 Meter. Sie findet ſich außerdem auf dem Feldberg in Baden, in Hochbayern, Böhmen, in den Karpathen, den ſchle⸗ ſiſchen Gebirgen (Keſſel), an der Bode im Harz und war früher in Thüringen im Saalgebiet oberhalb Saalfeld auf beiden Seiten der Saale häufig. Jetzt iſt ſie faſt ausgerottet. Nördlich vom Harz kommt ſie nicht mehr vor; dagegen tritt ſie auf den ſüd— europäiſchen Hochgebirgen wieder auf. Aus derſelben Familie der Kompoſiten gehört hier⸗ her die Gebirgs⸗Aſchenpflanze: Cineraria spathulae- folia L. Sie findet fic) nicht im Norden, auch nicht in Südeuropa, ſondern nur in den mitteleuropäiſchen Gebirgen; ſelten in Tirol (Seiſeralp, Schlern), häu⸗ figer in der Schweiz, dann in der Schwäbiſchen Alb, am Rhein bis Koblenz, am Main bis Würzburg, in Heſſen, bei Gießen, bei Steigerthal am Harz u. ſ. w. In Thüringen iſt ſie ſporadiſch verbreitet, auch außer⸗ halb des eigentlichen Gebirges. Die Wolldiſtel, Cirsium eriophorum Scopoli, kommt in den Alpen in einer Meereshöhe von 800 bis 1500 Metern auf Schlägen, Triften, buſchigen Abhängen vor, durch die ganze Alpenkette und ſtellen⸗ weiſe durch Oeſterreich, Böhmen, Mähren, Schleſien, ferner im Elſaß, in Württemberg, Franken, im Rhein-, Lahn⸗ und Moſelgebiet, in der Rhön, im Harz⸗ gebiet u. ſ. w. Im Thüringer Wald findet ſie ſich an zahlreichen Orten, auch bei Koppanz unweit Jena. Nördlich geht ſie bis Britannien, fehlt aber in Skan⸗ dinavien. Die ſchöne Walddiſtel, Carduus defloratus L., fehlt ſowohl im Norden als im Süden von Europa; ſie gehört recht eigentlich dem Alpengebiet an. Ihr Fehlen im Norden iſt ſogar hiſtoriſch geworden, da Linns ſich dieſelbe von Jena her verſchreiben mußte. Sie findet ſich durch das ganze Alpengebiet ver⸗ breitet, von den Thälern bis zu alpinen Höhen von mehr als 2000 Metern, ferner in Baden und im Elſaß, im Jura, auf dem Feldberg, auf den wüttembergiſchen und bayriſchen Gebirgen, im Donauthal, in Mähren und aus Südtirol bis nach Trieſt und Fiume vor⸗ dringend. Ihr Vorkommen bei Allendorf in Nieder⸗ heſſen, bei Heilsberg unweit Remda, bei Arnſtadt, am Veronikaberg bei Martinrode, am Hörſelberg und kleinen Ettersberg, in der Wöllmiſſe unweit Jena u. ſ. w. iſt ein ſporadiſches. Auch im oberen Saal⸗ gebiet findet ſie ſich an verſchiedenen Stellen. Aus der Familie der Doldengewächſe haben wir nur die Bärenwurzel zu nennen, deren Name ſchon auf ihren Urſprung in wilden Gebirgen hindeutet. Dieſe Pflanze, Meum athamanticum Jacq., findet ſich zwar wieder auf den engliſchen und ſchottiſchen Gebirgen, iſt aber durchaus keine nordiſche Pflanze; dagegen tritt ſie in den ſüdeuropäiſchen Gebirgen auf. Sie durchzieht faſt die ganze Alpenkette in einer Meereshöhe von 1000—2000 Metern, dann die öſter⸗ reichiſchen Gebirge, die Vogeſen, den Schwarzwald, die Schwäbiſche Alb, Hochbayern bis auf die Hochebene, die Eifel, die hohe Veen, Böhmen, das Erzgebirge, Schleſien, kommt dann bei Hirſchberg in Niederheſſen, bei Dresden und ſelten am Harz vor. Im Thüringer Wald, namentlich im weſtlichen Teil, ijt ſie auf, den Höhen und Plateaus ſehr verbreitet und zieht ſich ſtellenweiſe tief in die Thäler hinab, ſo z. B. im Schwarzathal bis zum Chryſopras. Die Felſenmiſpel, im Salzburgiſchen Gamsbeere (Gemſenbeere) genannt, gehört mehr dem ſüdeuro⸗ päiſchen Alpengebiet an und iſt durchaus nicht nordiſch. Sie findet ſich vom Fuß der Alpen bis in die Vor⸗ alpen zu einer Höhe von etwa 1400 Metern auf⸗ wärts auf beiden Seiten der Alpenkette bis zum Littorale, nach Krain, Oeſterreich, im Rheingebiet bis Koblenz, dann in Heſſen, Thüringen und dem Eichs⸗ feld. In Thüringen findet ſie ſich beſonders im ſüd⸗ öſtlichen Gebiet des Gebirges, oberhalb Saalfeld und Eichicht, im unteren Schwarzathal, im Schaalagrund über Rudolſtadt bis über Keilhau hinauf und an mehreren andern Orten und vereinzelt am Kyffhäuſer. Drei Ranunkulaceen gehören hierher, nämlich die beiden Arten des Sturmhuts, Aconitum Stoer- keanum Rehb. und A. variegatum L. und die Alpenraute, Thalictrum aquilegifolium L. b Das Aconitum Stoerkeanum Rehb. hat ſein Zentrum im Alpengebiet, von wo es ſüdlich bis in die norditaliſchen Apenninen hinabſteigt. Im ganzen iſt es nur ſehr ſporadiſch verbreitet, mag indeſſen auch häufig überſehen ſein. Es findet ſich in Tirol in den Gebirgen über Salurn und Bozen, im Salzburgiſchen früher am Untersberg, in den Berner Alpen, in Oeſterreich, Krain, Steiermark, Mähren, Böhmen, den Sudeten, an der Rappbode im Unterharz, bei Reichenau in Sachſen, im Schurtenthal und am Höllen⸗ kopf bei Ilmenau, bei Schleuſingen und an einigen andern Orten.) Aconitum variegatum L. geht durch die ganze Alpenkette in einer ähnlichen Meereserhebung von etwa 1600 Metern, von da nach Böhmen und Schleſien, findet ſich ferner in der Provinz Sachſen, in Poſen und Preußen, aber nicht im hohen Norden, im Harz im Bode⸗ und Selkethal, im Thüringer Walde ziem⸗ lich verbreitet, ſo z. B. auf dem Inſelsberg, Adlers⸗ berg bei Suhl, Vesra, Schönau, Ilmenau, im oberen Saalgebiet bis in die Gegend von Schleiz. Die Pflanze zieht ſich weit in die Gebirge des ſüdöſtlichen Europa hinein, fehlt aber dem Süden. Die Waldraute, Thalictrum aquilegifolium L., iſt in Tirol, Oberbayern, der Schweiz, Oberſchwaben, ) Hier findet fic) in der Garckeſchen Flora ein ſelt⸗ ſames Mißverſtändnis (13. Auflage, S. 15), indem näm⸗ lich Schönheits Gewährsmann Böhm für eine Ort⸗ ſchaft gehalten wird. Humboldt. — Januar 1882. 13 Oeſterreich, Böhmen, Schleſien, Sachſen, im Fichtel⸗ gebirge, in Thüringen und in den oberſchleſiſchen Gebirgen zerſtreut, auch in den ſüdeuropäiſchen Ge— birgen, aber nicht im Norden. Sporadiſch findet fic) die Mondviole, Lunaria rediviva L., von den ſüdeuropäiſchen Hochgebirgen ausgehend, durch die ganze Alpenkette und die höheren Gebirge verbreitet, in den Alpen durchſchnittlich in etwa 1300 Meter Meereshöhe. Dänemark, Schweden und Belgien tritt ſie auf, dagegen nicht im hohen Norden. In Thüringen findet ſie ſich im Annathal bei Eiſenach, am Marktberg bei Seebach, an einigen andern Orten. Mit geringerem Rechte würde man auch den Zwerg— buchsbaum, Polygala Chamaebuxus L., und das Fel⸗ ſenfingerkraut, Potentilla rupestris L., hierher rechnen können. Beide gehören der ſüdeuropäiſchen Hochge— birgsflora an, überſchreiten aber die Alpen in einer Auch in Preußen, der arktiſch-alpinen Kryptogamenflora im Thüringer Höhe von 1000 — 2000 Metern und find ſporadiſch nördlich vom Alpengebiet zerſtreut. Rechnen wir dieſe beiden Pflanzen hinzu, ſo haben wir 18 Phanerogamen des bloß ſubalpinen Gebiets in Thüringen zu ver— zeichnen und mit den 12 Pflanzen des fubalpin- ſubarktiſchen Gebiets mithin 30 Arten, immerhin eine anſehnliche Zahl. Gar lohnend wäre es, hier zugleich die Spuren Walde aufzuſuchen, namentlich der Flechten und Mus— eineen; doch muß ich dieſe Aufgabe einer ſpäteren { Gelegenheit vorbehalten. bei Schleuſingen, im oberen Saalgebiet bei Burgk und Alle phanerogamiſchen Pflanzen, welche hier auf— gezählt wurden, ſind zwar nicht alpin im Sinne der Pflanzengeographen, die meiſten gehen nicht über die Baumgrenze hinaus, wohl aber alpin im Sinne des Aelplers, denn die beſten Almen oder Alpen, d. h. Weiden, finden ſich in einer Meereshöhe von 1000 bis 2000 Metern. Die Schutzfärbung der Tiere. Von Dr. Friedrich Unauer in Wien. er von den vielen intereſſanten Erſcheinungen, wie ſie durch die Selektionstheorie aufgedeckt oder Gelehrten“) werden die Tierfärbungen unterſchieden doch richtig gedeutet worden, iſt die Thatſache, daß nung der Tiere in dem allgemeinen Konkurrenzkampfe um die Exiſtenz eine wichtige Rolle ſpielen. Forſcher wie Darwin, Wallace, Bates haben dieſe Frage nach ihren verſchiedenen Seiten beleuchtet und dargethan, von welcher Wichtigkeit für gewiſſe Tiere, für an— greifende wie für angegriffene, eine an die Farben⸗ umgebung ihres Aufenthaltes möglichſt ſich anpaſſende Färbung und Zeichnung ſei und wie ſich im Laufe der Zeiten auf dem Wege natürlicher Auswahl ganz überraſchende Uebereinſtimmungen einzelner Tierweſen nach Zeichnung und Färbung mit ihrer Außenum— gebung herausgebildet haben. Und was dieſe Meiſter im großen Allgemeinen angedeutet haben, wurde von Einzelarbeitern ins Spezielle verfolgt und nachge- wieſen. Daß dann, wenn die aufgebrachten Beiſpiele ſich häufen und immer neues Beobachtungsmaterial zuſammengetragen wird, nach und nach in den allge— meinen Aufſtellungen Korrekturen notwendig werden, kann nicht fehlen und entſpricht ja dem natürlichen Entwickelungsgang in allen ſolchen Fällen. Korrekturen ſcheinen mir heute ſchon hinſichtlich der termini technici nötig, die ſich bei Bezeichnung der verſchiedenen Fälle von Schutzfärbung in die zoologiſche Litteratur eingeführt haben, und will ich es im nach— folgenden verſuchen, das Korrekturbedürftige wenig— ſtens anzudeuten. Solche In den beſtbekannten Werken der eben genannten in Schutzfarben, Trutzfarben, geſchlechtliche auch die Art der Färbung und das Detail der Zeich- und typiſche Farben; von dieſen bleiben hier die beiden letzteren Unterſcheidungen außer Betracht. Die Trutzfarben ſcheidet Wallace wieder in die wehrhafter Weſen und in die wehrloſer Weſen, bei welchen eine. Nachäffung erſterer ſtattfindet, ſo daß wir alſo mit Wallace Schutzfarben, warnende und nachäffende Tierfarben zu unterſcheiden haben. Nun erregt ſofort die Gegenüberſtellung einer dieſer Farbengruppen gegenüber den beiden andern als „Schutzfarben“ Bedenken, denn es läßt ſich doch nicht leugnen, daß ſowohl die bunte Kröte, die ſich andern Tieren durch ihre Grellfärbung ſofort als übelbeſaftetes Tier kennzeichnet, und eine harmloſe Fliegenart, die ſich äußerlich als auffallend gefärbte Weſpe gibt, ſich eben in ihrem Farbenäußern gerade ſo gut eines Schutzkleides erfreuen, wie irgend ein grün gefärbtes Tier der Wieſe, das ſich kaum von dem Grün des Graſes abhebt. ) Bates „Contributions to an Insect Fauna of the Amazon Valley“ in Transact. of Linnean Society vol. XXIII p. 495; Wallace „Contributions to the Theory of Natural Selection p. 45; Darwin „Ueber die Entſtehung der Arten“, „Die Abſtammung des Men⸗ ſchen“ u. ſ. w.; Wallace „Die Tropenwelt“ u. ſ. w.; Trimens Aufſatz in Transact. of Linnean vol. XXVI p. 497; u. m. A. Society 14 Humboldt. — Januar 1882. Was dann weiters die jog. mimicry betrifft, unter der Wallace nur jene Fälle verſtanden haben will, in welchen ein an ſich harmloſes Tier in der bunten Maske eines bewehrten andern Tieres er⸗ ſcheint und ſo gleich dieſem gemieden wird, ſo halte ich dafür, daß die überraſchenden Beiſpiele, die uns verſchiedene Schmetterlinge fahle Blätter bis auf die Pilzflecken und Alterslöcher genau nachahmend zeigen, welche uns lebende Kokons in der Geſtalt verlaſſener durchfreſſener Bruträume vorführen und Inſekten kennen lernen laſſen, die von grünen Blättern, bunten Blüten, dürren Stäben kaum zu unterſcheiden ſind, daß, ſage ich, ſolche Beiſpiele mindeſtens ebenſogut als mimicry, was man mit „Nachäffung“ verdeutſcht hat, anzuſehen find, wie die von Wallace u. A. angeführten Beiſpiele. Fig. 1. Eine exotiſche Schmetterlingsgattung (Kallima) auf der Flügelunterſeite Färbung und Zeichnung alter Blätter wiederholend. 1. Der fliegende Falter; 2. u. 3. der ruhende Falter. Auch die deutſche Bezeichnung „Nachäffung“ wäre vielleicht durch das weniger energiſche, auch ſchon aus der Mineralogie bekannte „Nachahmung“ zu erſetzen; „Nachäffung“ läßt uns immer unwillkürlich vergeſſen, daß wir in dem Schutzfarbenkleide eines Tieres nicht ein willkürlich angelegtes, ſondern durch natürliche Züchtung demſelben überkommenes Gewand zu ſehen haben. Jedenfalls, um wieder auf das Weſen der mimicry zurückzukommen, ijt das, was man darunter zu verſtehen habe, nicht genau begrenzt und findet man ſo ein und dieſelben Beiſpiele von Schutzfär⸗ bungen hier als mimicry gedeutet, anderswo den Schutzfarben im Wallaceſchen Sinne eingereiht. Die von mehreren Forſchern verbürgte Beobach⸗ tung weiters, daß die grellfarbigen Hinterflügel vieler ſonſt düſter gefärbter Dämmerungsfalter und Nacht⸗ falter den Zweck haben, inſektenfreſſende Tiere bei der Verfolgung irre zu führen und von dem eigentlichen Körper abzulenken, erachte ich als ein ſo charakte⸗ riſtiſches Beiſpiel von Schutzfärbung, daß ſie von Schutzfärbungen andrer Art unterſchieden zu werden verdient. Endlich kommt meines Erachtens jenen Fällen ſchützender Färbung, in welchen die Anpaſſung an die Farbenumgebung von der Fähigkeit begleitet iſt, in langſamerer oder raſcherer Zwiſchenfolge mehr und weniger zahlreiche Farbennüancen hervorzurufen, alſo die Farben zu wechſeln und gebotenen Falles ver⸗ ſchiedenen Oertlichkeiten anzupaſſen, eine ſolche Wich⸗ tigkeit zu, daß auch dieſe Art von Schutzfärbung, welche mit der jog. mimicry zu den ausgeprägteſten Aeußerungen des im Laufe der Zeiten immer mehr geſteigerten Anpaſſungsbeſtrebens gehört, als eigene charakteriſtiſche Abſtufung unter den Schutzfarben an⸗ zuführen ſein dürfte. ; Dies vorausgeſchickt, würde ich ſonach vorſchlagen, unter der Bezeichnung „Schutzfarben“ alle jene Tier⸗ färbungen zu begreifen, die erwieſenermaßen dem Tiere in irgend einer Weiſe zum Schutze gereichen, ob nun dadurch, daß ſie das Tier der Beobachtung ent⸗ ziehen oder den Angreifer irreführen oder das Tier ſofort als ungenießbar, giftig u. ſ. w. verraten oder in Nachahmung von Pflanzenteilen, Steinen, wirklich bewehrten Tieren ſeinen Träger für etwas andres anſehen laſſen und ſo maskieren. Alle dieſe Schutzfarben würden nun zu unterſcheiden ſein in: 1) Bergungs⸗ farben, d. h. ſolche Schutzfarben, durch welche Tiere der Farbenumgebung ihres Aufenthaltes im allge⸗ meinen mehr und weniger angepaßt erſcheinen; 2) warnende Färbungen, d. h. ſolche Schutz⸗ farben, die in grellem Abſtiche von ihrer Farbenum⸗ gebung andern Tieren ſofort als giftige, ſtachelbe⸗ wehrte, übelſchmeckende Tiere ſich verraten; 3) Ab⸗ lenkungsfarben, d. h. ſolche Schutzfarben, welche durch grelle Färbung einzelner minder weſentlicher Körpertheile den Angriff von dem übrigen düſter ge⸗ färbten Körper ablenken; 4) Maskirungs? oder Nachahmungsfarben, d. h. ſolche Schutzfarben, welche den Träger entweder gewiſſen Detailobjekten der Pflanzenwelt und toten Natur oder aber mit Warnungsfarben ausgeſtatteten bewehrten Tieren täuſchend ähnlich ſehen, ihn alſo unter falſcher Maske auftreten laſſen und 5) Wechſelfarben, d. h. ſolche Schutzfarben, bei welchen die Anpaſſung an die Far⸗ benumgebung des Aufenthaltsortes noch erleichtert iſt durch die Fähigkeit, die Körperfarbe in verſchiedenen Nüancen erſcheinen zu laſſen.“) Wenn ich dieſe Unterſcheidungen der Tierfärbungen ) Es wäre gewiß nicht bei den Haaren herbeigezogen, wollte man neben dieſen fünf Farbenunterſcheidungen noch eine ſechste als „Schreckfarben“ gelten laſſen. Ich erinnere nur an die ganz abenteuerliche Geſtalt und Fär⸗ bung vieler Spinnerraupen (Harpyia vinula, Hybocampa Milhauseri, Notodonta Ziczac), der doch nur der Zweck des Abſchreckens innewohnen kann. Solchen Schreck⸗ farben und Schreckgeſtalten ganz harmloſer Tiere begegnen wir in der ganzen Tierwelt, bei Affen, Vögeln, Reptilien, Fiſchen, zahlreichen Inſekten. Humboldt. — Januar 1882. 15 in der eben angegebenen Reihenfolge miteinander abwechſeln ließ, ſo geſchah dies nicht, weil ich die Aufeinanderfolge für gleichgültig halte; im Gegenteile möchte ich damit zum Ausdruck gebracht haben, daß den Vögeln, Spinnen, Affen und was ſonſt unſern Faltern ſeit jeher nachſtellt, früher oder ſpäter alle die, welche einerſeits vollkommen wehrlos, anderſeits durch ein auffallendes Farbenkleid von ihrer Um— Fig. 2. Mimiery- Fälle: A Falter (Sesia tabaniformis), A‘ Zweiflügler (Ceria conopsoides), — B Flügelunterſeite von Ituna Ilione, B. Flügelunterſeite von Thyridia Megisto. — C Netzflügler (Psychopsis mimica), C! Cicadide (Colobesthes guttifascia), — b Spinner (Drepana lacertinaria), D' Netzflügler Drepanopteryx phalaenoides). — E Zweiflügler (Limnobia xanthoptera), E. Netzflügler (Psittacus Hageni), B u. B' nach Fr. Müller, die übrigen nach Graber; A, C, D, E die nachahmenden, A’, C, D., E' die nachgeahmten Formen. ich z. B. die Bergungsfarben für ſchon früher er— halten, die Maskierungsfarben aber als eine ſpätere Er— rungenſchaft der natürlichen Züchtung anſehe. Ich denke mir den Verlauf ſo. Anfänglich — es iſt für unſern Zweck einerlei, wann man dieſen Anfang geſetzt haben will — gab es da und dort weit mannigfaltiger gefärbte und gezeichnete Schmetterlinge z. B.; von dieſen erlagen gebung lebhaft abſtechend ihren Verfolgern am beſten ſichtbar waren, oder aber dieſe Tiere wanderten ihrem Schutztriebe folgend rechtzeitig in andere Gegenden aus, deren Farbentöne beſſer zu ihrem Farbenäußeren paßten; ſo blieben in den einzelnen Verbreitungs— gebieten nach und nach aus verſchiedenen Gruppen nur jene in dem allgemeinen Konkurrenzkampfe 16 Humboldt. — Januar 1882. ganz oder am beſten geſchont, die durch ein mit ihrer Umgebung mehr oder weniger übereinſtim⸗ mendes Farbenkleid den Blicken ihrer Feinde ver⸗ borgen blieben. Anderſeits blieben von den grell gefärbten Faltern immer wieder die infolge ſcharfer Säfte ungenießbaren Arten erhalten und bildete ſich ihr farbenbuntes Kleid immer mehr zur warnenden Hülle heraus. So liefen denn vom Anfange an zwei Farbengruppen nebeneinander her, von denen die eine immer beſſerer Anpaſſung an ihre Umgebung, die andere immer grellerer Abſtechung von dieſer zu⸗ ſteuerte. Von der großen Zahl grellfarbiger, aber nicht bewehrter Schmetterlinge waren aber jene Arten, die nicht am ganzen Körper, ſondern nur an einigen weniger empfindlichen Stellen lebhafte Farben zur Schau trugen, die ſie überdies beim Ruhen den Blicken zu entziehen vermochten, gegenüber ihren ganz bunten Verwandten im Vorteil; ſo lange ſie ruhten, blieben ſie ihren Verfolgern entzogen, flogen ſie auf, ſo ent⸗ kamen ſie, wenn auch unter Einbuße einiger Hinter⸗ flügelfetzen, ihren Feinden doch faſt immer; ſo bil⸗ deten ſich die Ablenkungsfarben heraus, die aber doch immer nur zweifelhaften Schutz boten, in der Natur auch nur wenige Beiſpiele zählen und in Konſequenz fortgeſetzter Naturausleſe kaum ſich erhalten werden. Da nun der ewig währende Kampf um die Exiſtenz ohne Raſt mit den am wenigſten kampfgerüſteten Tierweſen aufräumt, anderſeits nicht zu leugnen iſt, daß noch andre Momente thätig waren und ſind, die das einzelne Individuum bei der Aneignung gewiſſer Eigenſchaften, ſo auch gewiſſer Färbung und Zeichnung gleichſam mitwirken ließen und laſſen, ſo haben ſich nach und nach auf dem Wege der natürlichen Züchtung jene überraſchenden Uebereinſtimmungen zwiſchen der Färbung und Zeichnung der Tiere einerſeits und den Farbentönen ihrer Umgebung anderſeits herausge⸗ bildet, die uns heute als ins kleinſte Detail getreue Nachahmung einer Blüte, eines Aſtes, ja eines Tieres andrer Art vor Augen treten. Wenn wir heute manche afrikaniſche Mantisart von der Blüte, auf der ſie ſitzt, kaum unterſcheiden können, und immer wieder von einer Spannerraupe getäuſcht werden und ſie für einen Aſt halten, ſo wundern wir uns freilich über ſolches Naturwiderſpiel; nicht ſo wunderſam erſcheint aber dieſe Thatſache, wenn wir in eine längſt⸗ vergangene Zeit zurückgreifen, in der wir uns auf roten Blüten nicht bloß rot, ſondern auch ganz anders gefärbte Mantisarten ſitzend vorſtellen müſſen, die aber alle, den Blicken ihrer Verfolger preisgegeben, bald ausgerottet waren, während ihre ſchon damals der Schutzfärbung ſich erfreuenden roten Verwandten heute noch in der Tierwelt vertreten find und ſich ihr Schutzkleid im Wege der Vererbung und fortgeſetzten Anpaſſung ſo gut erhalten haben, daß wir heute Nachahmung nennen, was eheeinſt nichts andres war als einfache Bergungsfärbung. Und ganz in dem gleichen Sinne kam einigen Tieren ein urſprünglich vielleicht krankhafter Zuſtand, in deſſen Verlaufe eigen⸗ tümliche Farbenabwechſelungen auftraten, indem Kampfe um die Exiſtenz beſtens zu ſtatten und hat ſich nach und nach bei einzelnen Tieren zu einer ganz erſtaun⸗ lichen Fähigkeit des Farbenwechſels herausgebildet, welche Wechſelfärbung äußere Anpaſſung an verſchie⸗ dene Oertlichkeiten ermöglicht. Auch vergißt man bei Betrachtung all dieſer Fälle eines höchſt wichtigen Faktors, des Schutztriebes nämlich, der ja bei allen Tieren ſo rege ſich äußert und daher auch alle die verſchieden gefärbten und gezeichneten Tiere immer wieder ſolche Oertlichkeiten aufſuchen läßt, die mit ihrem Farbenkleid am beſten harmonieren. Eine ganze Reihe täuſchender Farbenwiederholungen und Farben⸗ nachahmungen zwiſchen Tieren und deren Außen⸗ umgebung hätte für die betreffenden Tiere gar keinen Wert, wenn ſie nicht dem Schutztriebe gehorchend gerade gewiße Standplätze wählen würden. Daß bei der Herausbildung all der Farbentöne unſrer Tiere übrigens noch ganz andre Momente (chemiſche Vor⸗ gänge, Lichteinflüſſe, die Art der Nahrung) mit in Betracht kommen, auf die einzugehen wir hier keine Veranlaſſung haben, iſt gewiß; keinesfalls wird durch ſie die Richtigkeit des bisher Angeführten in Frage geſtellt. Ich will es nun verſuchen, alle die ſchon von Bates, Wallace, Darwin ſeiner Zeit angeführten Bei⸗ ſpiele von Schutzfärbungen unter die von mir auf⸗ geſtellten fünf Kategorien ſchützender Färbungen ein⸗ zureihen. : Als Bergungsfarben find alle die von Wallace als „Schutzfarben“ angezogenen Beiſpiele zu deuten. Verſchiedene Heuſchrecken, Spinnen, Rüſſel⸗ und Blatt⸗ käfer, die grünen Eidechſen harmonieren in ihrem Grün mit der Grasumgebung; die Feld⸗ und Spitz⸗ mäuſe, der Feldhaſe, wiederholen in ihrer Haarfärbung die Farbe des Bodens; Taufroſch, Blindſchleiche, Erd⸗ kröte paſſen ſich der Farbe des faulen Laubes oder der Düſterfärbung der Baumrinde an; des Hamſters und der Haſelmaus Oberkleid ſticht kaum von der Feld⸗ umgebung ab; Rohrdommel, Regenpfeifer, Schnepfen und Kiebitze ahmen täuſchend den Moorboden in ihrem Gefieder nach; das Rotkelchen iſt beſtens an ſeine Blattumgebung angepaßt; Eisbär, Polarfuchs, Schneehuhn, Schneehaſe, Geierfalke, Schneeammer und andere Tiere des hohen Nordens ſind mehr minder weiß wie ihre Schneeumgebung; Mauereidechſen und Gekkos wiederholen in Färbung und Zeichnung täu⸗ ſchend das Düſterbraungrau der Mauern und Felſen; Gemſe, Steinbock, Murmeltier, Alpenhaſe ſind felſen⸗ farbig; der Wüſtenlöwe, die Antilope, das Kamel, die Wühl⸗ und Springmäuſe, die Steinſchmätzer, Haſel⸗ hühner, Landammern, Lerchen, Wachteln, Ziegenmelker, der Skink, Hardun und Dornſchwanz, die Hornviper, der Fenek, der Karakal, der Wüſtenhaſe tragen das fahle Kleid der Wüſte; in den Tropenwäldern wett⸗ eifern die farbenbunten Papageien, Finken, Schmetter⸗ linge, Prachtkäfer, Leguane, Baumſchlangen, Baum⸗ fröſche, Rieſenſchlangen mit dem Farbenreichtum der prunkenden Blüten und dem prächtig Grün der Blätter; die Wale, großen Fiſche, Seeſchlangen ſind oben bläulich wie das Meer, die Rochen und Schollen ſandfarben wie der Meeresgrund, viele “am Jig. 3. Exotiſche Inſetten in Shubfirbung und nachahmenden Formen: Unten, link, eine grüne Mantis, in der Mitte eine Stabſchrecke, rechts das wandelnde Blatt; am Strauche zwei Sackträger⸗Raupen und ein Kallima⸗Falter; auf dem Laube der vorhängenden Aſte verſchiedene, mannigfach geformte Zirpen. Humboldt 1882. 3 * 18 Humboldt. — Januar 1882. Quallen, Meduſen, Mollusken, Kruſtaceen hydrophan und lichtbrechend wie das Waſſer, viele Fiſche bunt und ſchimmernd wie die farbenreichen Korallengärten, die ſie durchſchwimmen; Eulen, Nachtſchmetterlinge, in Verſtecken lebende Tiere kleiden ſich in düſtere Farben; viele ruhende Falter, Käfer und Raupen ſind von der Rinde, die ihnen zur Unterlage dient, nicht zu unterſcheiden; eine große Zahl von Raupen, die auf Kräutern leben, iſt grün wie deren Blätter, oft auch noch durch gelbe oder rote Zeichnung den Blü⸗ ten ihrer Futterpflanze angepaßt; die Raupe des Totenkopfſchwärmers z. B. findet man nur ſchwer aus der Laubumgebung des Kartoffelkrautes heraus; bei den großen Katzen iſt das prächtige Fell auf das täuſchendſte ihrem Aufenthalte angepaßt, die braunen Streifen eines im Bambusdickicht hingeduckten Tigers erſcheinen als Nachahmung der Bambusſtengel, da⸗ gegen paßt wieder das einfarbige Aſchbraun des Puma zu der Baumrinde, auf der er ſich lauernd hinſtreckt; das Schneehuhn wiederholt in der Zeichnung ſeines Gefieders den Flechtenboden ſo täuſchend, daß man durch eine ganze Herde hindurchgehen kann, ohne ſie gewahr zu werden; in den Tropenwäldern mit ihrem beſtändigen Blätterdach gibt es allein ganz grüne Vögel, grüne Papageien und grüne Tauben; ebenſo ſind die Neſtbaue der Vögel und auch die andrer Tiere oft ganz überraſchend der betreffenden Oertlichkeit an⸗ gepaßt und oft ſo gut geborgen und der Umgebung gleich gemacht, daß ſelbſt geübte Augen ahnungslos darüber hinwegblicken. Als warnende Färbungen ſind gedeutet worden die lebhaften Farben zweier Schmetterlings⸗ familien, der Danaiden und Akraeiden, die durchwegs auffallend gefärbte, zugleich aber auch übler Säfte wegen ungenießbare Mitglieder zählen; mehr weniger lebhaft gefärbt ſind alle unſre ſtechenden Inſekten, viele ihrer harten Schale oder unangenehmen Säfte wegen ungenießbare Käfer; die Prunkfärbung der Korallenotter iſt Warnungsfärbung. Ablenkungsfarben ſind die auffallenden Fär⸗ bungen der Hinterflügel vieler, ſolange ſie ſich im Zuſtande der Ruhe befinden, mit düſterer Schutz⸗ färbung ausgeſtatteter Dämmerungs⸗ und Nachtfalter. Zuerſt beobachtet wurde der Zweck ſolcher Färbung von Weir an Triphaena pronuba, an welcher Art er beobachtete, daß ein in eine Vogelvoliere gebrachter Falter dieſer Art von den innewohnenden Vögeln erſt nach etwa fünfzig Fehlverſuchen ergriffen wurde, weil die Vögel immer nach den grellfarbigen Hinter⸗ flügeln haſchten; ganz ebenſo erklären ſich wohl die Hinterflügelverſtümmelungen, die wir an ſo vielen Faltern im Freien beobachten. Zu den Maskirungs⸗ oder Nachahmungs⸗ färbungen zähle ich u. a. die Beiſpiele, nach welchen eine ganze Reihe von Blatt⸗, Stab⸗ und Geſpenſter⸗ heuſchrecken, insbeſondere die grünen oder roten Man⸗ tisarten, das wandelnde Blatt u. a., grüne Blätter, verſchiedenfarbige Blüten, dürre Aeſte auf das täu⸗ ſchendſte nachahmend zeigen (ſiehe Fig. 3), alle die Spannerraupen in Form und Färbung Aſtſtückchen | gletchen, einzelne Falter dürres Laub in allen Details kopieren, wie dies Wallace z. B. von Kallima⸗Arten (ſiehe Fig. 1) erzählt, kleine Käfer, bei eingezogenen Füßen und Fühlern wie Vogeldung ausſehen, oder auf die Erde gefallen von kleinen Erdſtückchen nicht zu unterſcheiden find, Kokons von Aidos Amanda den Anſchein verlaſſener, von Schlupfweſpen durchbohrter Bruträume (ſiehe Fig. 4) haben. Als mimicry angeſehen waren die Fälle von Nachahmungen be⸗ wehrter Tiere mit Warnungsfärbung von Seiten ganz unbewehrter Tiere. So werden die oben ge⸗ nannten Danaiden und Akraeiden von 14 malayiſchen und indiſchen Papilioniden in Form, Farbe, Flug und Aufenthalt ſo täuſchend nachgeahmt, daß ſelbſt Sammler ſich irreführen ließen; desgleichen kopieren gewiſſe Leptaliden einige, ihrer unangenehmen Säfte wegen gemiedene Helikoniusarten; mehrere harmloſe Schmetterlinge und Zweiflügler erſcheinen in der Maske ſtechender Inſekten (ſiehe Fig. 2); die genannte Ko⸗ rallenotter wird von zwei nicht giftigen Schlangen in der Färbung getreu nachgeahmt; harmloſe Kuckucke erſcheinen als Habichte, ein ſchwacher Pirol als ſtreit⸗ luſtiger Honigſauger, der inſektenfreſſende Tana als friedfertiges Eichhörnchen. ) Zu den Wechſelfärbungen möchte ich ſchon jene Fälle ſtellen, in welchen, wie beim Hermelin, Schneehuhn, Polarfuchs, Wieſel eine Sommer⸗ und Winterfärbung Platz greift. Iſt bei dieſen Tieren ein Farbenwechſel nur zweimal im Jahre möglich, ſo erfreuen ſich bekanntermaßen die Chamäleons, ins⸗ beſondere Chamaeleo Owenii und cristatus, der ſüdaſiatiſche Blutſauger (eine prächtige Baumechſe), dann der ägyptiſche Wechsler, mehr minder alle unſre ) Es iſt nicht immer leicht nachzuweiſen, welche Form die nachahmende, welche die nachgeahmte. In der Regel iſt die durch keine Schutzmittel geſchützte Form die imitie⸗ rende; doch gehen diesbezüglich die Anſchauungen oft ausein⸗ ander. So ſieht Graber die Lokustinengattung Scaphura als Nachahmerin gewiſſer Sandweſpen an, während nach Fr. Müller das Umgekehrte der Fall iſt. Intereſſant iſt die Thatſache, daß auch geſchützte Arten ſich unterein⸗ ander nachahmen; ſo gibt es unter den durchwegs durch widrigen Geruch und Geſchmack geſchützte Danainen, Akrae⸗ inen, Helikoniinen ein Menge einander nachahmender Arten. Den Zweck ſolcher Nachahmung hat Fr. Müller (Zoolog. Anzeiger 1. Jahrg., Nr. 3) aufgeklärt, indem er darauf hinwies, daß ja inſektenfreſſende Tiere erſt durch ‘ Erfahrung gewiſſe Schmetterlingsarten als ungenießbar kennen lernen, der Nutzen ſolcher Nachahmung für gewiſſe Schmetterlinge um ſo größer, je weniger zahlreich ſie an Individuenzahl, alſo ſich umgekehrt wie das Quadrat ihrer Individuenzahl verhält. Leben z. B. von zwei ungenieß⸗ baren Arten in einer Gegend von einer Art 10,000, von der andern 2000 Stück und betrug die in dieſer Gegend den noch nicht erfahrenen Inſektenfreſſern zum Opfer fallende Zahl 1200, ſo wird die erſte Art 1000, die andere 200 verlieren, die erſte alſo 2%, die zweite 50% der Geſamtzahl gewinnen. In manchen Fällen z. B. bei Thyridia und Ituna (ſiehe Fig. 2, B u. B), werden ſich zwei Arten zu ihrem eigenen Vorteile entgegengekommen ſein, hat es alſo gar keinen Sinn zu fragen, welche die nachahmende Form ſei. Humboldt. — Januar 1882. 19 Froſch⸗ und Schwanzlurche, insbeſondere der Laub— froſch, die Erdkröte, der Grottenolm, der Fähigkeit, hig in kurzen Zwiſchenräumen ihre Körperfarbe innerhalb der grellſten Grenzen zu wechſeln, ſo daß ſie unſerm Auge eben noch düſter grau und braun wie die Erde oder die Rinde, auf der ſie ſaßen, und ſchon wieder grün wie das ſie umgebende Laub oder hellweiß oder gelb wie die Mauerwand und bald darauf wieder ganz dunkel ohne alle Nüancierung erſcheinen; bei den Fiſchen kommt insbeſondere den Schollen, vielen Panzerwangen, unſerer Forelle, bei den Krebstieren der chamäleonartigen Garneele die Eigenſchaft zu, je nach verändertem Aufenthalte die Körperfarbe zu wechſeln. Die hier für die einzelnen Fälle von Schutzfärbung in flüchtiger Skizzierung genannten Beiſpiele ſind mehr weniger jene, wie ſie in Terrain fand ich faſt kupferrote Schlingnattern. Die Zauneidechſe der wenig farbenreichen Wieſe iſt in einfärbigeres Braun und Grün gekleidet, die bunt- blumiger Waldwieſen ſehr bunt gezeichnet. Erdkröten auf Lehmboden fand ich wiederholt in lichtbraungelben Spielarten mit rotgelben Parotiden. Der Taufroſch dunkler Wälder iſt viel düſterer gefärbt als der gras— reicher Waldoaſen. Das Grün der Wechſel- und Kreuz— kröte iſt für die im Graſe zwiſchen bemooſtem Geſtein oder algenbeſetztem Holz ſich verſteckende Kröte gewiß Bergungsfarbe. Die Waſſertritonen legen nach ab— gelaufenem Laichgeſchäfte, wenn ſie ſich unter Steine, Wurzeln zurückziehen, unſcheinbar düſtere Farben an, die gar nichts von der Farbenlebhaftigkeit ihres Hochzeits— kleides verraten; fahl wie die Wieſenumgebung eines ſtehenden Gewäſſers ſind die Froſchjungen, düſter dunkel der Froſchalte den Werken von Wallace, Bates, Darwin ange⸗ führt werden und von da aus in den verſchie— denen großen und kleinen Schriften über dieſen Gegenſtand die Runde machten. Ich möchte nun am Schluſſe noch einige Beiſpiele für Schutzfärbung, wie ſie mir im Verlaufe mehr⸗ jähriger Beobachtung unſrer europäiſchen Tier- welt auftauchten, bei- bringen, wobei ich, wenn ich etwa ahnungslos ein ſchon in einem mir nicht vor Augen gekommenen großer Sümpfe, die er nie verläßt. Es gehört Uebung dazu, auf dem ſchlammbeſetzten Bach— geſtein die kleinen Lar- ven des Feuerſalaman— ders zu entdecken, die in der Marmorierung ihres düſterfarbigen Kleides den Bachgrund wiederſpiegeln. Wie oft mußte ich auf meinen einſamen Wanderungen in unſeren deutſchen Wäldern mich darüber wundern, wenn ich eine Holztaube, die eben vor mir niederflog, erſt nach langem Suchen mit Hilfe Werke erwähntes Bei- ſpiel mitteilen ſollte, im vorhinein meines Priori— tätsrechts mich gerne be⸗ gebe. Freunde meiner fachwiſſenſchaftlichen Beſtre— bungen wird es hierbei nicht wunder nehmen, wenn ich die meiſten dieſer Beiſpiele aus dem Bereiche der Lurch- und Kriechtierwelt hole. Bergungsfarben finden ſich wie überall auch in der Welt der Kriechtiere und Lurche in Menge. Ich will vor allem jener Fälle gedenken, welche dar— thun, wie ein und dieſelbe Art verſchiedenen Ver— hältniſſen ſich anſchmiegt. Die Ringelnatter des ſumpfigen Wieſenterrains iſt vorherrſchend grüngrau, die mehr auf trockenem Wald- und Wieſenboden lebende Spielart mehr minder hellbraun und pieder die großer ſchlammiger Sümpfe faſt einfärbig ſchwarz gefärbt. Die ſonſt vorherrſchend grau gefärbte Mauer- eidechſe*) fand ich auf rötlichem Sandboden unten tief ziegelrot, oben rötlichgrau gefärbt; auf eben ſolchem Intereſſant find Eimers Beobachtungen und Unter— ſuchungen über das Variieren der Mauereidechſe Guletzt: Archiv für Naturgeſchichte, 47 Jahrg., 2. Heft). Fig. 4. Cocon-Mimicry, Lints die Raupe von Aidos Amanda, eines venezuelaniſchen Schmetterlings; rechts ein Koton derſelben, einem leeren, durchlöcherten täuſchend ähnlich; oben ein Koton nach dem Ausſchlupfen des Schmetterlings. eines Feldſtechers in dem Laube entdeckte, in das ſie ihr Neſt hinein⸗ gebaut. Das Grün und Roſa vieler unſrer Schwärmer rief mir immer ſofort eine Reihe von Blumen wach, die ſie zu umſchwärmen gewohnt ſind. Die Raupen unſrer Bläulinge und des großen und kleinen Schillerfalters ſind alle grün wie ihre Krautumgebung. Wie oft überſah ich das knapp vor mir zwiſchen zwei Halmen ausgeſpannte Netz der Strickerſpinne, ſo wenig hob ſich das Hell— braun des dürren Spinnenleibes von der Rohrum— gebung ab. Als ablenkende Färbung möchte ich das Roth und Blau mancher Schnarrheuſchrecken deuten, die, ſolange ſie ruhig daſitzen, durch ihr düſteres Oberkleid dem Blick entzogen bleiben, beim Auf— ſchnarren ihr grellfarbiges Unterkleid ſehen laſſen; da meine Echſen einige von ihnen verſchmähen, könnte man hier wohl auch von Warnungsfärbungen ſprechen. Unſtreitig Warnungsfärbung iſt das Grell— gelb der Fleckenzeichnung unſres übelbeſafteten Feuer⸗ ſalamanders; desgleichen ſpielt die lebhaft gelbe oder zinnoberrote Unterſeite unſrer Waſſermolche, die nach 20 Humboldt. — Januar 1882. oben unſcheinbare Bergungsfarben zur Schau tragen, den Waſſertieren gegenüber die Rolle warnender Fär⸗ bung; auch die rotgelben Flecken am Bauche der Unke, die überdies die Gewohnheit hat, wenn ſie nicht zu entfliehen vermag, ſich am Boden hinzupreſſen und die grelle Unterſeite überzuſchlagen, deute ich als War⸗ nungsfärbung; bei der bunten Teichunke, die wohl nur zur Laichzeit auch am Tage ſichtbar iſt, dürfte Aehn⸗ liches anzunehmen ſein, da ſie ſehr übelriechende Säfte abſondert. Der Wechſel⸗ und der Kreuzkröte, gleich⸗ falls ſcharfe Säfte abſondernde Kröten, wird ihr grünes Schutzkleid, da wo fie fic) mehr auf einförmigem Sand⸗ boden zeigen, auch als Warnungskleid dienlich ſein. Als Beiſpiele von Maskirungsfärbung könnte Vipernatter nehmen, die in Färbung und Zeichnung, wohl auch in Wahl des Aufenthaltes und in der Art, zum Biſſe auszuholen, erſtere an die Kreuzotter, letztere an die Viper erinnern.“) ) Ich verweiſe auch auf meinen Aufſatz in: Zoologi- ſcher Anzeiger, 1879, Nr. 21: „Schutzfärbung bei Kriech⸗ tieren und Lurchen.“ — Eine ziemlich erſchöpfende Aufzäh⸗ lung von Beiſpielen für Schutzfärbungen bringe ich in einem Aufſatze: „Die Tierwelt im Schutzkleide“ und ſpeziell für die Lurche und Kriechtiere in der Abhandlung: „Welche Faktoren man einige Spielarten unſrer Schlingnatter und der Runftlider Don hat man bei Betrachtung der Färbung und Zeichnung der Kriechtiere und Lurche im allgemeinen in Rechnung zu brin⸗ gen und wie geben ſich die bezüglichen Verhältniſſe im ſpe⸗ ziellen bei unſeren heimiſchen Kriechtieren und Lurchen?“ (Im „Naturhiſtoriker“.) Si e @ 6; Dr. Theodor Peterfen, Vorſitzender im phyſikaliſchen Verein zu Frankfurt a. M. 5 Anilin, jene organiſche Baſe, welche gegenwärtig in der Farbeninduſtrie von der hervorragendſten Bedeutung iſt, wurde zuerſt aus natürlichem Indigo, der bekanntlich in den Indigopflanzen (Indigofera- Arten und Isatis tinctoria) enthalten iſt, dargeſtellt. Ein deutſcher Chemiker, Unverdorben, fand 1826 unter den bei der trocknen Deſtillation des Indigos auftretenden Produkten eine ölige Flüſſigkeit, welche mit Säuren wohlkriſtalliſierte Salze bildete und nannte ſie deshalb „Kriſtallin“. Einige Jahre ſpäter iſolierte Runge aus Steinkohlenteer einen Körper, den er wegen ſeiner blauvioletten Färbung mit Chlor⸗ kalk als „Kyanol“ bezeichnete. Bald darauf erhielt Fritzſche bei der Deſtillation des Indigos mit Aetz⸗ kali ebenfalls eine Baſe, welcher er nach der Indigo⸗ pflanze Indigofera Anil den Namen „Anilin“ erteilte. Zinin gewann ſodann 1842 aus dem bekannten, nur aus Kohlenſtoff und Waſſerſtoff beſtehenden, im Steinkohlenteer enthaltenen Benzol fein „Benzidam“, deſſen Identität mit Anilin von Fritzſche konſtatiert wurde, während Erdmann die Uebereinſtimmung von Anilin und Kriſtallin darlegte. A. W. Hofmann fand ferner kurz darauf, daß alle genannten Stoffe identiſch ſeien; der Name Anilin wurde als der paſſendſte beibehalten. Längere Zeit blieb dasſelbe ſo gut wie unbeachtet, bis Perkin 1856 aus dem Anilin einen ſchönen Farbſtoff, das Anilinviolett darſtellte, worauf bald eine ganze Reihe prächtiger Farb⸗ ſtoffe entdeckt wurden; ſeitdem haben die Anilinfarben raſch einen außerordentlichen Aufſchwung genommen, anfangs beſonders in England und Frankreich, dann mehr und mehr in Deutſchland, wo die theoretiſche organiſche Chemie ihre eigentliche Heimat beſitzt. Hier reichen jetzt Theorie und Praxis einander die Hand und deutſche Steinkohlenteerfarben, zu denen ſich nun⸗ mehr auch der künſtliche Indigo hinzugeſellt hat, haben den Weltmarkt erobert. Aber es ſind nicht nur viele aus dem Benzol unter Zuſatz anderer Körper abgeleitete Verbindungen (ſogen. Abkömmlinge oder Derivate des Benzols) in Farb⸗ ſtoffe von größter Schönheit und Mannigfaltigkeit übergeführt worden, auch die mit demſelben verwandten Kohlenwaſſerſtoffe des Steinkohlenteers wurden in die Farbeninduſtrie um ſo mehr hineingezogen, je beſſer man mit ihnen bekannt wurde. Von beſonderer Wich⸗ tigkeit mußte es dabei erſcheinen, das ſo beſtändige Krapprot oder Alizarin (natürlich vorkommend in der Wurzel der Färberröte, Rubia tinctorum) künſtlich herzuſtellen. In der That gelang dieſes Problem den Herren Graebe und Liebermann, unmittel⸗ bar nachdem dieſelben gefunden (1868), daß das aus Steinkohlenteer von Laurent, Fritzſche und An⸗ derſon gewonnene und näher beſchriebene Anthracen durch ein geeignetes Reduktionsverfahren aus natür⸗ lichem Alizarin reſultiere. In neueſter Zeit ſind fer⸗ ner auch prachtvolle, die Kochenille und Orſeille er⸗ ſetzende Naphthalinfarben raſch in Aufnahme gekommen. Nachdem, wie bemerkt, bei der Zerſetzung des Indigos einfache Benzolderivate erhalten waren, mußte umgekehrt, und angeſichts der außerordentlichen Fort⸗ ſchritte in der Erzeugung künſtlicher Farbſtoffe, der künſtliche Aufbau jenes Königs der Farbſtoffe den Chemikern als beſonders lohnendes Ziel erſcheinen. Nach zahlreichen Vorarbeiten und Studien iſt es wirk⸗ lich erreicht worden, ein neuer ſprechender Beweis dafür, daß die heutigen Anſchauungen über den Aus⸗ Humboldt. — Januar 1882. 21 bau und die Struktur chemiſcher Verbindungen ihre volle Berechtigung haben und daß Fortſchritte in der Farbenchemie die Kenntniſſe der chemiſchen Thatſachen und Geſetze durchaus benötigen. Eine genaue Be— kanntſchaft mit der Konſtitution des Indigo mußte der Syntheſe desſelben vorausgehen. An dieſer Syn—⸗ theſe ſind eine Reihe von Forſchern beteiligt; Baeyer in München, einer unſerer hervorragendſten organiſchen Chemiker, der jahrelang mit dem Gegenſtande be— ſchäftigt war, hat endlich die wohlverdiente Palme davongetragen. Unter dem 19. März 1880 iſt ſein Verfahren für das Deutſche Reich patentiert worden; zwei Zuſatzpatente wurden inzwiſchen noch beigegeben. Das Verfahren von Baeyer, welches wir am Schluſſe genauer angeben werden, und das jetzt in zwei der größten Teerfarbenfabriken, der badiſchen Anilin— und Sodafabrik in Mannheim (Ludwigshafen) und der Farbenwerke Meiſter, Lucius u. Brüning in Höchſt a. M. bereits im großen ausgeführt wird, geht von der Zimtſäure aus, welche früher nur als Beſtandteil gewiſſer aromatiſcher Harze, des Storax und Tolu- oder Perubalſams bekannt war, aber jetzt, nach Ber- tagninis Angaben (1856), durch Einwirkung von Eſſigſäure auf Bittermandelöl (Benzaldehyd) künſtlich und zwar ziemlich billig erhalten wird. Aus der Zimtſäure gewinnt man durch eine Reihe chemiſcher Prozeſſe einen Körper, welcher den langen Namen Orthonitrophenylpropiolſäure führt. Wird dieſer Körper mit einem Reduktionsmittel, d. h. mit einem Stoff, welcher andern Sauerſtoff entzieht, z. B. Traubenzucker verſetzt, ſo erhält man den künſtlichen Indigo. Die Orthonitrophenylpropiolſäure wird gegen— wärtig in Form eines 25prozentigen Teiges zum Preiſe von 12 Mark pro Kilogramm in den Handel gebracht. Den hohen Erzeugungskoſten des künſtlichen In⸗ digos kommt indeſſen ein Umſtand ſehr zu ſtatten. In der Kattundruckerei ließ ſich der natürliche Indigo bisher wohl zum Färben, aber nur mit be⸗ deutenden Schwierigkeiten und Koſten zum Aufdruck verwenden. Seine Benutzung für gemuſterte Stoffe war daher wegen des dann notwendigen Ausätzens, um andere Farben aufſetzen zu können, nur eine be- ſchränkte. Mit dem künſtlichen Indigo aber kann man drucken, d. h. mit Orthonitrophenylpropiolſäure auf- drucken und dieſe auf der Faſer in Indigo verwan— deln. Dadurch iſt der neuen Farbe auch bei verhält— nismäßig hohem Preiſe in der Stoffdruckerei ein großes Feld eröffnet; hier werden bei der großen Echtheit des Indigoblaues die unechten blauen Farben mehr und mehr verdrängt werden. Auf den Märkten von Kalkutta und London iſt der natürliche Indigo wohl etwas im Preiſe heruntergegangen, vorerſt aber wird er nicht entbehrt werden können und die Kultur der Indigopflanzen nicht ſobald herabſinken, was mit dem Anbau des Krapps ſeit der billigen Herſtellung des Alizarins eingetreten iſt. Gegen geſpannten Dampf iſt die künſtliche Farbe empfindlich, ſo daß ſie vorerſt noch nicht mit andern Dampffarben zuſammen benützt werden kann. Benzaldehyd Eſſigſäure Der künſtliche Indigo kann auf gewöhnliche Weiſe, wie der natürliche, in Küpe und Indigokarmin ver— wandelt werden; von fremdartigen Pflanzenſtoffen frei, iſt die Farbe ſchöner wie die beſte oſtindiſche Han— delsware. Für diejenigen, welche einigermaßen mit organiſcher Chemie vertraut ſind, fügen wir noch folgendes bei: Die Darſtellung der künſtlichen Zimtſäure erfolgt nach der Formel: Zimtſäure C,H;.COH + CH3.CO,H = CHs. C ch C 4 150. Hierbei wird eine gute Ausbeute erzielt. Benzaldehyd kann aus Toluol (Methylbenzol) CgH; . CIIz, beziehungs- weiſe zweifach gechlortem Toluol oder ſogenanntem Benzal— chlorid CeH;.CHCly durch Austauſch von 0 gegen Clo leicht erhalten werden. Neuerdings wird jedoch einfacher nach Caro Benzalchlorid durch geeignete Behandlung mit Natriumacetat direkt in Zimtſäure verwandelt nach der Gleichung: Waſſer Benzalchlorid Eſſigſaures Natron C.H;.CHCly + Cilz.CO.Na = Zimtſaures Natron Salzſäure ~—H Ces CoH CON + 2HCI. Zimtſäure oder Phenylacrylſäure, eine der Benzoeſäure ähnliche, gut kriſtalliſierende Verbindung, muß nun als Orthonitrozimtſäure in weitere Verwandlungen eintreten. Beim Nitrieren der Zimtſäure mit Salpeterſäure bilden ſich aber, von andern Zerſetzungsprodukten abgeſehen, alle drei der Theorie nach möglichen Mononitrozimtſäuren, alſo auch Meta- und Paranitrozimtſäure, was einen bedeuten— den Ausfall an dem gewünſchten Produkt und infolge da— von entſprechende Verteuerung der Indigofarbe ſelbſt zur Folge hat. Die Ausbeute an brauchbarer Orthoſäure zu erhöhen, beziehungsweiſe bei ihrer Bereitung möglichſt wenig Nebenprodukte zu erhalten, darauf iſt die Praxis jetzt beſonders hingewieſen. Der wichtigſte, von der ge— nannten Säure ſich weiter ableitende Körper iſt die als gelblich weißes Pulver zu erzielende Orthonitrophenylpro- piolſäure, welche mit alkaliſchen Reduktionsmitteln direkt Indigo zu liefern im ſtande iſt. Um zu ihr zu gelangen, wird überhaupt folgendermaßen verfahren: 1. Zimtſäure wird mit Salpeterſäure in Nitrozimt⸗ ſäure verwandelt. 2. Das gebildete Gemenge der iſomeren Ortho-, Meta⸗ und Paranitrozimtſäure wird durch Aetherifizieren mit Holzgeiſt und Salzſäure in die Methyläther verwandelt; die Trennung dieſer gut kriſtalliſierenden Verbindungen geſchieht durch fraktionierte Kriſtalliſation. Beiläufig be- merkt, läßt ſich die neben der Orthoſäure am reichlichſten auftretende Paraſäure in einen ſchönen roten Farbſtoff überführen. 3. Aus dem Orthonitrozimtſäuremethyläther wird durch Verſeifung mit ſchwacher Natronlauge unter Austritt von Methylalkohol das Natriumſalz gebildet und dieſes durch eine Säure zerlegt. 4. Die erhaltene freie Säure geht durch Behandlung mit genügenden Mengen von Brom in Orthonitrozimt— ſäuredibromid über. 5. Von dieſer letzteren Verbindung wird durch Be— handlung mit Alkalien das Brom als Bromwaſſerſtoff abgeſpalten und hierdurch die um zwei Atome Waſſerſtoff ärmer gewordene Orthonitrozimtſäure in Orthonitrophenyl— propiolſäure verwandelt. 22 Humboldt. — Januar 1882. Orthonitrozimtſäuredibromid I ele C,H, °K CH. C02. Br, = VN 2 Orthonitrophenylpropiolſäure Ge Age. 6. Orthonitrophenylpropiolſäure liefert mit Reduktions⸗ mitteln direkt Indigblau nach dem Ausdruck: 209H5 NOA = CygHypNo0o + 2002 + Oo. Daß bei dieſen Prozeſſen neben einer möglichſt großen Ausbeute an Farbe liefernder Verbindung auf entſprechende Wiedergewinnung der zur Verwen⸗ dung kommenden Materialien, ſo des Broms, des Holzgeiſtes und zweckmäßige Einrichtungen überhaupt thunlichſt Bedacht zu nehmen iſt, bedarf kaum der Erwähnung. Auch an die Möglichkeit, dem Indigotin homologe und ähnliche Farbſtoffe aufzufinden, deren Darſtellung vielleicht billiger zu bewirken, muß gedacht werden. Man kann mit der Orthonitrophenylpropiolſäure leicht die tiefſten Töne durch Aufdruck hervorbringen, indem man dieſelbe mit dem Reduktionsmittel miſcht, oder indem man den Stoff vorher mit dem Reduktions⸗ mittel imprägniert, trocknet und dann mit der Farbe be⸗ druckt. In der Wärme tritt die Färbung raſch, in der Kälte allmählich, aber viel gleichmäßiger und ſchöner ein. Als Reduktionsmittel diente anfangs Traubenzucker oder Milchzucker, jetzt Kanthogenſäure C. S. 00s. SH, beziehungsweiſe deren Kalium- oder Natriumſalz, womit kalt gefärbt werden kann. Die reduzierenden Mittel müſſen in alkaliſcher Löſung angewendet wer⸗ den; je ſchwächer dieſe iſt, um ſo ſchöner fällt die Farbe aus; alkaliſche Salze, wie Borax, ſind für den Prozeß daher beſonders geeignet. An Verbeſſerungen in der Bereitungsweiſe des künſt⸗ lichen Indigos wird fortwährend gearbeitet. In dieſer Hinſicht möge hier noch die Bemerkung einen Platz finden, daß Baeyer neuerdings aus der Löſung der Ortho⸗ nitrophenylpropiolſäure in konzentrierter Schwefelſäure bei Behandlung mit Reduktionsmitteln, insbeſondere Eiſenvitriol, einen neuen, dem Indigblau ſehr ähn⸗ lichen Farbſtoff erhielt, welchen er Indoim genannt hat. Dieſer Farbſtoff gibt mit wäſſeriger ſchwefeliger Säure oder mit einem alkaliſchen Biſulfit eine blaue Löſung, aus welcher ein waſſerlöslicher Farbſtoff durch Ausſalzen gewonnen werden kann, den man durch Erwärmen oder Einwirkung von Säuren wieder in einen andern blauen unlöslichen Farbſtoff verwan⸗ deln kann, Reaktionen, welche für die Färberei von Wichtigkeit ſind. So darf man auch von dieſem neueſten Zweig der Teerfarbeninduſtrie die Erwartung hegen, daß er zu immer größerer Bedeutung gelangen werde. 50 ESinſchlüſſe in Hühnereiern. Don Prof. Dr. H. Landois in Münſter i. W. 9 Zeit zu Zeit werden Tiere genauer bekannt, welche die ganze ziviliſierte Welt in Aufregung ver⸗ ſetzen; namentlich wenn ſie das Gedeihen unſerer täg⸗ lichen Nahrungsmittel in Frage ſtellen, oder gar die eigene Geſundheit des Menſchen gefährden. Zu dieſen Tieren gehören: Reblaus, Koloradokäfer, Trichine u. a. Im letzten Jahre war viel von Bandwürmern die Rede, welche in Hühnereiern vorkommen ſollten. Die zahlreichen Zeitungsnachrichten über dieſen Gegen⸗ ſtand werden gewiß bei manchem den Genuß dieſes ſchmackhaften und zuträglichen Nahrungsmittels be⸗ einträchtigt haben. Nicht ſo ſehr iſt es dieſer Geſichts⸗ punkt, welcher uns zur eingehenderen Unterſuchung dieſes Gegenſtandes aufforderte, als vielmehr die Frage, wie die fremden Körper in die Eier hinein gelangen? Denn dieſe ſteht mit der Entwickelung der Eiſchale, mit der Hiſtogeneſe der Eihüllen, in innigſter Be⸗ ziehung. Wir geben nachſtehend nur die Reſultate unſerer hierher bezüglichen Unterſuchungen, indem wir uns das eingehendere mikroſkopiſch-hiſtologiſche Detail für eine ſpeziellere Abhandlung vorbehalten. An dem linken Cierjtode — der rechte verküm⸗ mert ſtets — entwickeln ſich zur Legezeit die Dotter zu anſehnlicher Größe bis ſie die definitive Geſtalt erreicht haben. Der ganze Eierſtock ſieht dann einer Weintraube nicht unähnlich, indem die Eidotter, noch umhüllt von ihrer Bildungshaut, wie mit einem Stielchen an dem Eierſtock herabhängen. Bei der Reife des Dotters platzt die Bildungshaut und der Dotter fällt in das trichterförmige obere Ende des Eileiters. Der Eileiter ſelbſt iſt ein darmartig ge⸗ wundener Schlauch. Im Innern finden ſich zahl⸗ reiche Zotten, ſchraubenförmig angeordnet. Während der Dotter nun den Eileiter paſſiert, liefern die Ei⸗ leiterwände die Umhüllungsprodukte des Dotters, von denen das Eiweiß und die Eiſchale jedem be— kannt ſind. Zunächſt findet die Anlagerung des Eiweißes ſtatt. An hart geſottenen Eiern überzeugt man ſich leicht, daß das Eiweiß ſchichtenweiſe den Dotter umgibt, nicht unähnlich wie die Zwiebelblätter die Zwiebel⸗ knoſpe einſchließen. Aeußerſt zarte Häutchen und Ge⸗ Humboldt. — Januar 1882. 23 rinnſel finden ſich bei mikroſkopiſcher Unterſuchung vielfach in dem Eiweiß vor. Auch dieſe Häutchen und Gerinnſel ſind Produkte des Eileiters; ſie unter— ſcheiden ſich von dem eigentlichen Eiweiß vorzugs— weiſe dadurch, daß ſie in Waſſer unlöslich ſind. Ballen ſich dieſe unlöslichen Eiweiß- bezüglich Fibrin-Sub⸗ ſtanzen zu größeren Flocken und Klumpen zuſammen, ſo können ſie leicht beim Zerſchlagen des Eies auch vom Laien als fremde Einſchlüſſe entdeckt werden. Nehmen dieſe Gerinnſel nun zufällig die Geſtalt lang— geſtreckter Stränge an, ſo iſt eine Verwechſelung mit Würmern nicht ausgeſchloſſen. Derartig wurmförmige Gerinnſel habe ich ſelbſt recht häufig beobachtet. In nicht ſeltenen Fällen finden ſich an den inneren Eileiterwänden krankhafte Bildungen; es treten Blu— tungen ein, welche mit dem Eiweiß gemiſcht und geronnen braune bis ſchwärzliche Klumpen darſtellen, die dann in den normalen Eiweißſchichten des Eies lagern. Viel häufiger aber ſind es wirkliche Eier, welche in andern Hühnereiern eingekapſelt liegen. In den meiſten hierhin bezüglichen Fällen wird ein dotterloſes, kleineres, mit regelrechter Schale um— gebenes Ei nochmals mit Eiweißſchichten und zweiter Schale umgeben. Das innere eingeſchloſſene Ei hat jedoch durchaus nicht immer die normale Geſtalt; ſondern es kann die monſtröſeſten Formen annehmen. Ich beſitze eine umfangreiche Sammlung monſtröſer Hühnereier, und manche derartige verzerrter Ge— ſtalten habe ich auch als Einſchlüſſe in andern Eiern gefunden. Derartige Eier nehmen nicht ſelten die Geſtalt eines Wurmes an. So beſitze ich ein Exem— plar, welches mit einem ſtecknadelkopfgroßen Knöpfchen beginnt, dann folgt ein langer fädlicher Teil, in dieſem ſchließt ſich ein platter breiterer Strang an. Es imitiert einen Bandwurm ganz und gar, und jeder Laie wird es auch für einen Eingeweidewurm an— ſprechen. Und doch ijt es ein Ei: im Innern befin⸗ det ſich flüſſiges Eiweiß, und dieſes wird von einer weißen faſerigen Haut umgeben, von derſelben Struk— tur, wie wir ſie auch an der normalen Schale zu ſehen gewohnt ſind. Die allermeiſten Gebilde, welche in Hühnereiern gefunden und für Bandwürmer oder andere Würmer gehalten werden, find weiter nichts als monſtröſe Ct bildungen. An ſogenannten Windeiern finden ſich häufig langgeſtreckte fädliche Anhänge. Nehmen wir an, daß dieſe im Eileiter abreißen und ſpäter mit dem Eiweiß in ein normales Ei eingeſchloſſen werden, ſo iſt dieſes Rätſel hinreichend gelöſt. Sonderbarer ſind ſchon die Fälle, wo als fremde Einſchlüſſe Federn in den Eiern beobachtet werden. Federn bilden ſich in ſeltenen Fällen auch an dem Eierſtocke der Vögel, ebenſo wie an Eierſtöcken der Säugetiere wohl Haare hervorſproſſen. Löſen ſich dieſe ab, ſo fallen ſie mit dem Dotter in den Eileiter und werden mit dem Eiweiß von der Schale ein— gehüllt. Es fragt ſich, ob auch echte Würmer in den Hühnereiern vorkommen? Bis jetzt hat man im Innern des Haushuhns 26 verſchiedene Würmer beobachtet. Von dieſen gehören 13 zu der Abteilung der Spulwürmer: Ascaris gibbosa Rud. bewohnt die Eingeweide; Heterakis vesicularis Frölich, Dickdarm und Blind— darm; Heterakis inflexa Rud., Eingeweide und Eier; Heterakis compressa Schneider, Eingeweide; Phy- saloptera truncata Schneider, Magen; Syngamus primitivus Molin, Luftröhre; Dispharagus spiralis Molin, Speiſeröhre; Spiroptera hamulosa Diesing, Magenoberfläche; Filaria nasuta Rud., Magen; Spiroptera sp., eingefapjelt, die Eingeweidehäute; Trichosoma longicolle Rud., Dickdarm und Blind— darm; Trichosoma annulatum Molin, Eingeweide; Trichosoma collare v. Linstow, Eingeweide. Von den Hakenwürmern find bis jetzt keine Be- wohner des Huhnes bekannt geworden; dagegen von den Saugwürmern 8 Arten: Distomum oxycepha- lum Rud., die Eingeweide bewohnend; Distomum ovatum Rud., Eileiter und Ei; D. lineare Zeder, Maſtdarm; D. dilatatum Miram, Dick- und Blind- darm; D. pellucidum v. Linstow, Speiſeröhre; D. armatum Molin, Blind- und Dickdarm; D. commu— tatum Diesing, Eingeweide, Blinddarm; Notocotyle triserialis Diesing, Eingeweide, Blinddarm. Von den echten Bandwürmern kennen wir 5 Arten, ſämtlich die Eingeweide des Huhnes be— wohnend: Taenia cuneata v. Linstow; Taenia pro- glottina Devaine; T. cesticillus Molin; T. tetra- gona Molin; und endlich Bothriocephalus longi- collis Molin. In Wirklichkeit ſind bis jetzt nur 2 Arten Würmer in Hühnereiern aufgefunden: ein Spulwurm; Heterakis inflexa Rud. und ein Saug— wurm: Distomum ovatum Rud. Den erſteren kenne ich nicht aus Autopſie; er iſt jedoch an ſeiner dreh— runden langgeſtreckten Geſtalt leicht als Spulwurm zu erkennen. Das Distomum ovatum habe ich ſelbſt einmal gefunden. Der Wurm von abgeplatteter zun— genförmiger Geſtalt, nahe verwandt mit dem gewöhn— lichen Leberegel, Distomum lanceolatum L., mißt in der Länge etwa 11 mm, und in der Breite 5 mm. Der vielfach verſchlungene Darmkanal mit bräunlichem Inhalte ſcheint durch die glashelle Körperhaut deut— lich durch. Die ovalen bräunlichen Eier ſind in Un— zahl vorhanden. Weder von der einen noch von der andern in Hühnereiern gefundenen Wurmart kennen wir die vollſtändige Entwickelungsgeſchichte. Nach Analogie mit andern Thatſachen läßt ſich jedoch mit einiger Gewißheit behaupten, daß genannte Würmer der Ge— ſundheit des Menſchen nicht nachteilig werden können. Somit läge auch bei dem Genuß roher Eier für den Menſchen keine Gefahr vor. Wenn auch bisher in Hühnereiern nur obige zwei Wurmſpezies beobachtet wurden, ſo liegt die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß noch andere Arten gelegentlich in die Eier gelangen können. Wiſſen wir 24 Humboldt. — Januar 1882. ja, daß in dem Huhne 26 verſchiedene Würmer hei⸗ maten. Gelangen dieſe in die Leibeshöhle des Huhnes und von da aus in die trichterförmige obere Oeffnung des Eileiters, ſo können auch dieſe in das Ei einge⸗ ſchloſſen werden. Die pergamentartige weiße Haut der Hühner⸗ eiſchale beſteht aus einem wirren Geflechte zahl⸗ reicher verfilzter Faſern. Sie beſtehen in chemiſcher Beziehung ebenfalls aus Eiweiß, unterſcheiden ſich jedoch von dem normalen Eiweiß dadurch, daß ſie in Waſſer durchaus unlöslich ſind. Es iſt alſo eine faſerſtoffartige Subſtanz. Beide Stoffe, das Hühner⸗ eiweiß und die weiße Schalenhaut werden von dem Eileiter abgeſondert. Die letztere Subſtanz koaguliert nach der Abſcheidung, noch mehr durch Einwirkung von Kohlenſäure, und verfilzt ſich bei der drehenden Bewegung des Eies durch den Eileiter. Ueber der weißen Haut lagert eine Schicht von Uterindrüſenkörperchen. Von den Eileiterzotten trennen ſich kugelige Zellenhaufen ab, welche ſich in einigem Abſtand der weißen Schalenhaut anheften. An dieſe Uterindrüſen lagern ſich zahlreiche kleine Kalkkörnchen mit Eiweiß vermiſcht ab. Dadurch entſtehen die ſäulenförmigen Mammillen, welche wie nebeneinander gelagerte Baſaltſäulen die feſte Schale des Eies aufbauen. Die Oberfläche des Eies iſt endlich mit einer ſtrukturloſen eiweißartigen Oberhaut überzogen. Somit hätten wir über das Vorkommen von Würmern in Hühnereiern, ſowie über die Art und Weiſe des Einſchluſſes derſelben einige Einſicht er⸗ langt. Da hierher bezügliche Fälle immerhin zu den Seltenheiten gehören, ſo bitten wir vorkommen⸗ den Falls um Ueberſendung des Materials. Die Dampfmaſchinenſteuerungen. Von Ingenieur Th. Schwartze in Leipzig. Die beweglichen Teile einer Dampfmaſchine ſind ihrem Zwecke nach entweder Kraftübertragungsorgane oder Steuerungsorgane. Die Steuerungsorgane be⸗ wirken das rechtzeitige Zu⸗ und Ablaſſen des Dampfes und haben außerdem noch dafür zu ſorgen, daß der⸗ ſelbe ſeine Expanſivkraft gehörig an den Kolben ab⸗ gibt. Durch dieſe Funktionen der Steuerungsorgane wird nicht nur ein ſtoßfreier und gleichförmiger Gang der Maſchine herbeigeführt, ſondern auch weſentlich mit die ökonomiſche Ausnutzung des Dampfes ge⸗ währleiſtet. Der Teil der Steuerung, welcher direkt das Oeffnen und Schließen der Cylinderkanäle und ſomit die Dampfverteilung im Cylinder beſorgt, heißt das Dampfverteilungsorgan. Man hat Dampf⸗ maſchinen mit einem einzigen, aber auch mit zwei oder auch mit vier Dampfverteilungsorganen. Das älteſte Dampfverteilungsorgan iſt der hahnartige Dreh⸗ ſchieber; ſpäter trat an deſſen Stelle der von Watt erfundene Gleitſchieber und noch etwas ſpäter das von Hornblower erfundene Doppelſitzventil, jedoch wurden früher nur große, ſehr langſam gehende Ma⸗ ſchinen, insbeſondere Waſſerhaltungsmaſchinen für Berg⸗ werke, mit Steuerventilen verſehen, weil die letzteren einen komplizierteren Bewegungsmechanismus erfor⸗ dern als die Schieber. Epochemachend war die vom Amerikaner G. H. Corliß zu Anfang der fünfziger Jahre erfundene und nach ihm benannte Steuerung, welche ſozuſagen neues Leben in den Dampfmaſchinenbau brachte und die Erfindung einer großen Menge mehr oder minder ähnlicher Steuerungen hervorrief, die unter der allgemeinen Bezeichnung „Präziſionsſteuerungen“ zu⸗ ſammengefaßt und charakteriſiert werden. Allen Präziſionsſteuerungen kommt die Eigenſchaft zu, daß ſie die Einſtrömungskanäle am Cylinder allmäh⸗ lich öffnen, dann aber, wenn die Expanſion beginnen ſoll, ſehr raſch (präzis) ſchließen und daß die Aenderung des Expanſionsgrades, entſprechend der von der Ma⸗ ſchine abzugebenden Arbeitsleiſtung, ſelbſtthätig vom Regulator beſorgt wird. Um dieſes allmähliche Oeffnen und raſche Schließen der Einſtrömmungskanäle zu erreichen, ſind im Me⸗ chanismus, welcher die Bewegung des Dampfver⸗ teilungsorganes bewirkt, zwei beſondere Teile einge⸗ ſchaltet, von denen der eine — der aktive Mitnehmer — durch die Maſchinenwelle bewegt wird, während der andere Teil — der paſſive Mitnehmer — nur mit dem Dampfverteilungsorgan, aber nicht mit der Maſchinenwelle verbunden iſt. Während jeder Umdrehung der Hauptmaſchinenwelle wird jedoch der paſſive Mitnehmer in einem gewiſſen Moment vom aktiven Mitnehmer erfaßt und auf einen gewiſſen Teil der Umdrehung mit fortgeführt, dadurch die Oeffnung des Dampfverteilungsorgans veranlaßt, ſo daß der friſche Dampf in den Cylinder eintreten kann. In einem beſtimmten, von der Wirkung des Re⸗ gulators abhängigen Moment, läßt der aktive Mit⸗ nehmer den paſſiven wieder los, worauf derſelbe durch die Wirkung eines Gewichtes, einer Feder oder des Humboldt. — Januar 1882. 25 Dampfes ſelbſt plötzlich in ſeine frühere Lage zurück— getrieben wird und dabei den Einſtrömungskanal verſchließt. Das von Corliß benutzte Dampfverteilungsorgan iſt der hahnartige Durchſchieber und zeichnet ſich die Anordnung ſeiner Steuerung noch beſonders dadurch aus, daß die Cylinderkanäle ſehr kurz ausgeführt ſind, wodurch der ſchädliche Raum im Cylinder auf ein OWN 2 der oben erwähnten beiden Mitnehmer. Zu dem Zweck iſt die Zugſtange m jedes dieſer beiden Schieber jo mit ihrem Winkelhebel sA L verbunden, daß im beſtimmten Momente eine Löſung eintreten kann, worauf der Schieber durch die Wirkung des Gewichtes W ſofort geſchloſſen wird, wie dies links in Fig. 3 angedeutet ijt. Rechts dagegen iſt die Stange m“ in feſter Verbindung mit ihrem Winkelhebel s“ A‘ L/ Fig. 1. Minimum gebracht und der Dampfverluſt möglichſt verringert wird. Fig. 1 und 2 zeigen die Konſtruktion der Corliß— ſchieber im Längsdurchſchnitt und Querdurchſchnitt des Cylinders. AA‘ find die Zulaß- oder Admiſſions⸗ ſchieber aa‘ die ihnen entſprechenden Cylinderkanäle; dargeſtellt, wodurch das Gewicht W“ gehoben und der Schieber A‘ für den Dampfeintritt geöffnet wird. Die Herſtellung und Löſung erfolgt durch die Federn FF“. Die Zugſtangen mm' bilden hier die aktiven und die Winkelhebel sAL und s’ A‘L’ die paſſiven Mitnehmer. EE“ ſind die beiden Auspuff- oder Exhauſtſchieber und ee’ ihre Kanäle. In Fig. ijt die Bewegung des Kol— bens von links nach rechts dargeſtellt und iſt der Zu— und Austritt des Dampfes durch Pfeile angedeutet. Fig. 3 ſtellt ſchematiſch die Geſamtkonſtruktion der urſprünglichen Corlißſteuerung dar. X A“ find wiederum die Zulaß⸗ und EE“ die Auspuffſchieber. Die letzteren ſtehen mit der Scheibe M durch die Hebel tt“ und die Stangen un“ in immerwährender Verbindung und werden durch die in etwa ein Viertel Umdrehung hin und her oszillierende Scheibe M be- wegt, welche ihren Antrieb mittelſt der Stange N durch ein auf der Maſchinenwelle ſitzendes Exzenter gerhält. Die Verbindunder Zulaßſchieber AA’ mit der oszillierenden Scheibe M erfolgt periodiſch mittels Auf der Zugſtange m (ebenfo auf m)) ſteht ein Stäbchen 6, welches ſenkrecht geführt wird, und welches emporſteigt, wenn der Angriffspunkt II der Stange m an der Scheibe B ſich nach oben dreht. Sobald dieſes Stäbchen G bei ſeinem Emporſteigen an den Keil p 8ſtößt, wird die Stange m nach unten gedrückt und ſomit die Verbindung der beiden Mit— nehmer gelöſt, wodurch das Gewicht W zur Wirkung kommt und den Schieber ſofort ſchließt. Die beiden Keile pp’ ſind auf der Stange g befeſtigt und dieſe ſteht mit dem Regulator durch den Winkelhebel a be ſo in Verbindung, daß ſie bei dem Heben und Senken von deſſen Schwungkugeln ſich hin und her ſchiebt und ſomit ein früheres oder ſpäteres Löſen der Mit— nehmer bewirkt. Humboldt 1882. 26 Humboldt. — Januar 1882. Beobachtungen über die Phyſiologie des Nervenſyſtems vom Flußkrebs. Dr. H. Reichenbach, Dozent am Senckenbergianum in Frankfurt a. M. Ss tiefgehend unſere Kenntniſſe des Nervenſyſtems der Gliedertiere in anatomiſcher Beziehung ſind, ſo zahlreiche und genaue Beobachtungen über die Lebens⸗ äußerungen der genannten Tiere vorliegen, ſo gering⸗ fügig iſt doch noch immer das, was wir über die Phyſiologie des Nervenſyſtems im engeren Sinne wiſſen. Meiſt beruhen unſere Anſchauungen über die Funk⸗ tion des Nervenapparates der niederen Tiere auf Analogieſchlüſſen, von Beobachtungen an Wirbeltieren ausgehend. Doch ſind auch auf dieſem Gebiet bereits Reſultate vorhanden, die auf experimenteller Grund⸗ lage die früheren Vorſtellungen beſtätigen und berich⸗ tigen. So iſt bekannt, daß enthirnte Inſekten nicht bloß noch tagelang leben, ſondern auch ziemlich kompli⸗ zierte Verrichtungen ausüben. Solche Tiere freſſen, laufen, fliegen, atmen, — einige ſogar befruchten ſich und legen Eier. Selbſt einzelne losgetrennte Körper⸗ ſegmente ſind längere Zeit lebensfähig; die Atembe⸗ wegungen des losgetrennten Hinterleibs dauern fort; nach Faivre leitet das letzte Ganglienpaar der In⸗ ſekten, wenn man es reizt, ſelbſt dann noch die von ihm unter normalen Verhältniſſen veranlaßten Lebens⸗ prozeſſe ein, wenn es vom übrigen Nervenſyſtem voll⸗ ſtändig getrennt ijt. Wir wiſſen ferner durch Yer ſins und Baudelots Verſuche, daß durch Abtra⸗ gung der oberen Hälften der Ganglienknoten die Fähig⸗ keit der Bewegung aufgehoben wird, während die Empfindung verſchwindet, ſobald die unteren Hälften abgetragen werden. Ueberhaupt ſteht von der Gang⸗ lienkette der Gliedertiere feſt, daß einerſeits zwar den in den einzelnen Segmenten befindlichen Ganglien eine gewiſſe Selbſtändigkeit bei ihren Funktionen zu vindizieren iſt, daß aber anderſeits doch auch eine Abhängigkeit der einzelnen Knoten vom Geſamt⸗ nervenſyſtem reſp. von gewiſſen Teilen desſelben exi⸗ ſtieren muß. Neuerdings ſind dieſe Anſchauungen wiederum auf experimentellem Wege beſtätigt und erheblich er⸗ weitert worden durch Unterſuchungen am Flußkrebs, welche J. Ward angeſtellt und in den Proceedings of the Royal Soc. of Lond. Vol. XXVIII. pag. 379 mitgeteilt hat. Die wichtigſten Reſultate derſelben ſollen in folgendem kurz beſprochen werden: Bekanntlich ſtellt das Nervenſyſtem des Fluß⸗ krebſes eine aus Ganglienknoten beſtehende Ganglien⸗ kette dar, welche ihrer Hauptmaſſe nach unter dem Darm dicht am Integument gelegen iſt. Nur das Gehirn, das jog. obere Schlundganglion liegt über, reſp. vor der Speiſeröhre; von ihnen gehen zwei den Schlund umfaſſende Kommiſſuren aus — die Schlund⸗ kommiſſuren —; dieſe treten unter dem Schlund in das Unterſchlundganglion; daran ſchließen ſich fünf mehr oder weniger genäherte Thorakalganglien und ſechs Schwanz- oder Abdominalnervenknoten. Alle dieſe Knoten ſind durch zwei dicht beiſammenliegende Längs⸗ kommiſſuren verbunden und von ſämtlichen treten mehrere Nerven aus, welche im allgemeinen die in dem betreffenden Segment liegenden Organe verſorgen. Ward durchſchnitt nun zunächſt eine der beiden Schlundkommiſſuren, ſo daß das Gehirn nur noch durch eine Kommiſſur mit dem übrigen Nervenſyſtem in Ver⸗ bindung ſtand. Sofort iſt der ganze Körper auf der verletzten Seite mehr oder weniger entkräftet; Augen⸗ ſtiele und Fühler reagieren nur auf ſtarke Reize; die Schwimmkraft iſt beinahe gänzlich aufgehoben; wäh⸗ rend ein unverletzter Krebs, der auf den Rücken ge⸗ fallen iſt, unermüdlich und ſehr zweckmäßige Bewe⸗ gungen macht, um wieder in die normale Lage zu gelangen, kann ſich das in Rede ſtehende Tier nicht umdrehen; die Schwanzklappen der verletzten Seite hängen ſchlaff herab und ſind nicht mehr normal aus⸗ gebreitet; daher werden die Bewegungen unſymme⸗ triſch. Beide große Scheren ſind nach der verletzten Seite gerichtet; ein Unterſchied in der Intenſität ihres Druckes exiſtiert nicht. Ferner beſteht eine Tendenz, beim Gehen plötzlich vorwärts zu eilen und von einer Seite zur andern zu ſchwanken. Aber trotzdem bleibt allen Bewegungen der Stempel der Willkür und Zweckmäßigkeit bewahrt. Werden nun beide Schlundkommiſſuren getrennt, ſo treten höchſt bemerkenswerte Erſcheinungen auf: Die Antennen werden noch in normaler Weiſe, nur ſchwächer, hin und her bewegt; das Tier liegt auf dem Rücken und macht oben erwähnte Anſtrengungen nicht, um in die Normalſtellung zurückzugelangen, ſondern Kaufüße, Scheren und die drei erſten Bein⸗ paare ſchwingen in gleichem Tempo, aber alternierend, nicht ſynchroniſch, wie die Abdominalfüße, hin und her. Plötzlich und ohne bemerkbare Urſache oder auch auf ſehr geringfügige Störung verwandeln ſich dieſe rhythmiſchen Bewegungen in eigentümliche freſſende oder putzende Bewegungen; die letzteren bleiben haupt⸗ ſächlich auf das vierte Beinpaar beſchränkt, das an den rhythmiſchen Schwingungen keinen Anteil nimmt. Die Humboldt. — Januar 1882. 27 Freßbewegungen ſind eine vollkommene Nachahmung derjenigen, welche eintreten, wenn Nahrung ſelbſtändig ergriffen wird; ſie erſcheinen vollſtändig koordiniert, und zwar in ſolchem Grade, daß die Scherenfüße ihre Bewegung, um einen Biſſen in den Mund zu führen, aufſchieben, ſobald Brocken auf einmal auf ſämtliche Scheren gebracht werden. Wird das Tier auf einen Tiſch geſetzt, ſo werden ſämtliche Gang— füße ſtelzenartig ausgeſtreckt; das halb gebeugte Ab— domen berührt gerade mit der Schwanzfloſſe den Bo— den. In dieſer Stellung bleibt das Tier während ungefähr einer Minute, andere Extremitäten machen die erwähnten Freßbewegungen. Endlich wird ein Bewegungsverſuch gemacht; träge und wackelnd wer— den die Glieder bewegt, obwohl gut koordiniert; allein das Tier hat die Fähigkeit verloren, das Gleichgewicht zu erhalten; es fällt um und liegt hilflos auf dem Rücken. Hieraus geht nun hervor, daß zwiſchen den vom Gehirn ausgehenden Nervenfaſern keine Kreuzung ſtattfindet, wie dies bei den Wirbeltieren der Fall iſt. Ferner: Von der Gegenwart des Oberſchlundganglions, reſp. von ſeinem Zuſammenhang mit dem übrigen Nervenſyſtem mittels der Schlundkommiſſuren hängt vor allem die willkürliche und zweckmäßige Bewegung des Tieres als Ganzes ab; auch wird durch dieſes Gehirnganglion die Fähigkeit bedingt, die zielloſe und heftige mechaniſche Aktivität der niederen Nerven— zentren zu hemmen und fie in zweckmäßige zu verwan- deln. Außerdem hängt von dem in Rede ſtehenden Ganglion das Vermögen ab, das Gleichgewicht zu behalten und die Schwimmbewegung einzuleiten und zu regulieren. Demgemäß iſt in der That das obere Schlundganglion in vieler Beziehung ſeinen Funk— tionen nach mit dem Gehirn der Wirbeltiere zu ver— gleichen. Von weiteren Verſuchen ſei noch folgender er— wähnt: Werden beide Kommiſſuren zwiſchen Unterſchlund— ganglion und den Bruſtganglien durchſchnitten, ſo werden die Antennen und beſonders die Augenſtiele öfter und kräftiger bewegt. Rhythmiſche Schwin— gungen ſind nicht ſelten, bleiben aber auf die hinteren Kaufüße beſchränkt, ſind eingentümlich und hören bald auf. Dagegen ſind die oben erwähnten Putzbewe— gungen häufiger und alle 4 Beinpaare nehmen öfters daran teil; aber die Freßbewegungen treten nur ganz ausnahmsweiſe ein, ſelbſt nach äußerem Reiz. Sie ſind zwar kräftig genug, aber die Scherenfüße verraten deutlich eine gewiſſe Unſicherheit bei dem Beſtreben, den gepackten Biſſen zum Mund zu führen; denn ſie laſſen ihn nicht los, wenn ſie dahin gelangt find und alle reichen zu gleicher Zeit und nicht ſue⸗ ceſſive die gepackten Brocken nach dem Mund. Auf den Tiſch geſetzt waren dieſe Tiere unfähig ſich ſchwebend zu erhalten; die Scheren waren hilf— los der Länge nach auf jeder Seite ausgeſtreckt, und die Beine waren größtenteils unter dem Leib zuſam— mengeſchlagen. Hieraus ergibt ſich, daß die Unterſchlundganglien nicht nur die Quelle einer beträchtlichen Summe von Bewegungsenergie darſtellen, ſondern daß ſie auch die Zentren für die Koordination der Orts- und Freß— bewegungen, ſowie der rhythmiſchen Schwingungen der Extremitäten repräſentieren. In drei Fällen, wo eine Längsteilung des Ober— ſchlundganglions gelungen war, ſtreckte das Tier die Gehfüße ſtelzenartig aus. Das Abdomen wurde ab— wechſelnd hoch aufgehoben und dann eingeſchlagen. Die Fähigkeit, Gleichgewicht zu halten, ſchien nicht geſtört zu ſein; im Waſſer war das Tier ſehr aktiv, machte indeſſen ſehr ausgeſprochene Zirkusbewegungen. Die Gehfüße zeigten nicht die Neigung zu Freß- und Putzbewegungen, wie in den vorhergehenden Ver— ſuchen. Intereſſant iſt das Verhalten der Tiere, bei denen die Kommiſſuren durchſchnitten waren, noch deshalb, weil ſie zeigen, daß unter den nervöſen Zentren, die auch anatomiſch eine gewiſſe Selbſtändigkeit zur Schau tragen, eine viel geringere Solidarität exiſtiert als bei den höheren Tieren. Der hirnloſe Froſch bleibt bewegungslos ſitzen, wenn er nicht gereizt wird, und ſelbſt dann zeigen die Bewegungen eine große Ab— hängigkeit voneinander, während die Glieder des hirnloſen Krebſes beinahe unaufhörlich Putzbewegungen ausführen und bei den Freßbewegungen verhalten ſich die Scherenfüße ſo, als ob jeder einem beſon— deren Individuum angehöre. Nichtsdeſtoweniger wirken die verſchiedenen Zen— tren mehr oder weniger aufeinander ein, wie aus dem verſchiedenen Verhalten der Antennen bei obigen Verſuchen zur Genüge erhellt, und auch daraus her— vorgeht, daß die Freßbewegungen teilweiſe aufhören, wenn hinter dem Unterſchlundganglion die Kommiſ— ſuren getrennt werden, dagegen Putzbewegungen in ſtärkerem Maße auftreten. Ferner ſcheinen die na— türlichen Entladungen eines ganglionären Zentrums, die nicht im Dienſt der Willensthätigkeit erfolgen, rhythmiſch vor ſich zu gehen. Die dadurch eingelei— teten rhythmiſchen Bewegungen werden dann von andern Zentren aus durch zeitweiſe Beſchleunigung oder Hemmung variiert und den ſpeziellen Zwecken des Tieres dienſtbar gemacht. Es ſteht zu wünſchen, daß dieſe intereſſanten Un— terſuchungen wiederholt und erweitert werden, denn eine Fülle von Fragen bleibt noch ungelöſt. 28 Humboldt. — Januar 1882. Alexander d Mun bio ho 4 Ein Lebensbild von Prof. Dr. E. Reichardt in Jena. riedrich Heinrich Alexander v. Humboldt wurde S am 14. Sept. 1769 in Berlin geboren, ſein gleich berühmter Bruder Wilhelm war um zwei Jahre älter, geboren den 22. Juni 1767. Die erſte Erziehung beider Gebrüder geſchah in dem ſchönen Beſitztume Tegel und fällt in die bewegte Zeit kurz vor der franzöſiſchen Revolution; die erſten litterariſchen Er⸗ zeugniſſe von Alexander gehören ſchon dem verfloſſenen Jahrhunderte an, weshalb ein Verſtändnis der Bil⸗ dung und Leiſtungen nur durch einen Blick in die damaligen Zeiten zu erlangen iſt. Humboldts Eltern waren der Major v. Humboldt, die Mutter eine geborene v. Colomb, der Vater ſtarb ſchon im Jahre 1779, als Alexander noch nicht zehn Jahre alt war. Bei den reichen Mitteln ließen es die Eltern an nichts fehlen, was für die Ausbildung der Söhne von Wert geweſen wäre. Ein Jahr lang war der berühmte Pädagog und Autor der allver⸗ breiteten Jugendſchriften, Campe, Lehrer der beiden Söhne, jedoch ſchon 1777 übernahm die weitere Aus⸗ bildung Chriſtian Kunth, ein armer, aber ſehr kennt⸗ nisreicher junger Mann, welcher nicht allein die Jugenderziehung leitete, ſondern ſpäter die Univerſi⸗ tätsſtudien mit durchlebte und Zeit ſeines Lebens ein treuer Freund blieb, für Alexander ſogar ein bedeu⸗ tender Hilfsarbeiter bei der Herausgabe der umfang⸗ reichen Werke wurde. Alexander war lange Zeit als Kind und Jüngling äußerſt ſchwächlich, ſo daß die Lehrer ihn weniger anzuſtrengen wagten, dennoch zeichnete er ſich durch eine unermüdliche Thätigkeit aus; mehrere ſeiner Freunde ſchrieben die Körper⸗ ſchwäche der überaus angeſtrengten Geiſtesthätigkeit zu. Jedenfalls wurde Alexander in den Kinder⸗ und Studienjahren für weit ſchwächer und namentlich auch geiſtesärmer gehalten als ſein älterer Bruder, welcher ſehr frühzeitig den damals neu belebten Studien der Sprachwiſſenſchaften ſich hingab und unendlich Großes darin leiſtete. Der jüngere Humboldt trieb die Sprachkunde nichtsdeſtoweniger eifrig und benutzte ſie ſehr bald zu Forſchungen in der Geſchichte, ja eine erſte unge⸗ druckte Arbeit behandelte die „Weberei der Griechen“, wahrſcheinlich ſchon 1790 geſchrieben. Unter der Leitung ihres Lehrers Kunth gingen beide Brüder 1783 nach Berlin und wurden hier durch weitere, vorzügliche Lehrkräfte für die Univerſität vorbereitet, ſo daß ſie gleichfalls gemeinſam Michaelis 1787 die damals ſehr berühmte Hochſchule Frankfurt a. O. Nur wenigen Menſchen iſt es vergönnt, ein ſo hohes Alter zu erreichen wie Alexander v. Humboldt; ſehr we⸗ nigen aber, faſt drei Menſchenalter hindurch ſo erhabene Ziele und Zwecke in ungeſchwächter Geiſteskraft zu verfolgen. beziehen konnten, zunächſt um die Kollegien für all⸗ gemeine Bildung zu hören. Nach den eigenen Angaben Alexanders hatten ſchon ſehr frühzeitig Landſchaft und Naturgegenſtände, namentlich ein koloſſaler Drachenbaum und eine Fächer⸗ palme in einem alten Turme des botaniſchen Gartens in Berlin, bleibende Eindrücke und das Verlangen nach näherer Erforſchung hervorgerufen, und ſo ver⸗ tauſchte derſelbe auch ſchon im zweiten Semeſter Frankfurt mit Berlin, um Botanik und Fabriktechnik, gleichzeitig auch die griechiſche Sprache eifrig zu be⸗ treiben. 1789 beſuchte er die Univerſität Göttingen und wurde hier eifriger Schüler von Blumenbach, lernte jedoch auch den Weltumſegler Georg Forſter kennen, der mit ſo belebter Sprache die Reiſen in ferne Länder beſchrieben, und ihm verdanken wir wohl in erſter Linie den feſten Entſchluß Humboldts, die großen Reiſen auszuführen, welche für alle Zeiten ein bleibendes Denkmal deutſchen Fleißes und deut⸗ ſcher Arbeit ſein werden. 1790 unternahm Humboldt mit Georg Forſter eine kleine Reiſe an den Rhein, ſtudierte hierbei namentlich die baſaltiſchen Gebirge, welche Anlaß gaben, eine kleine Broſchüre „Mineralogiſche Beobach⸗ tungen über einzelne Baſalte am Rhein“ zu veröffent⸗ lichen mit der Abſicht, die damals geltenden An⸗ ſchauungen Werners in Freiberg über die Bildung der Erde durch Waſſer zu befeſtigen. Die mineralogiſchen Studien, verbunden mit dem Wunſche der Mutter, eine Staatsſtellung zu erwerben, führten zu dem Entſchluſſe, den Bergbau zu wählen und für den geſchäftlichen Teil beſuchte Humboldt im Winter 1790—91 die Handelsſchule in Hamburg, 1791 ging er nach Freiberg, um Werners Lehren unmittelbar zu hören, gleichzeitig aber auch mit Leopold v. Buch gemeinſam zu arbeiten, welchen er in Berlin kennen gelernt und der hier gleichfalls Bergbau trieb. Mitt⸗ lerweile wurde ununterbrochen botaniſiert und ſogar ein Werk „über die unterirdiſche Flora der Freiberger Gruben“ bearbeitet, welches äußerſt intereſſante und lehrreiche Unterſuchungen bietet hinſichtlich der Erfor⸗ derniſſe und Lebensbedingungen der Pflanze. So hatte Humboldt bis zu dieſem jungen Alter von 22 Jahren die Naturwiſſenſchaften mit regem Eifer betrieben und, allerdings unterſtützt von den zur Verfügung ſtehenden Mitteln, die Zeit nach Kräften ausgenutzt, um dem ſchon längſt gefaßten Humboldt. — Januar 1882. 29 Plane, großen Reiſen mit tüchtigen Kräften nahe treten zu dürfen. Die Naturwiſſenſchaften erlebten jedoch in derſelben Zeitperiode wichtige Umgeſtaltungen und Erweite— rungen, welche überall, in jedem Zweige derſelben, zu neuem Leben und regſter Thätigkeit aufforderten. Die Phyſik wurde durch die Entdeckungen eines Volta, Galvani — des Galvanismus — bereichert, Montgolfier erfand 1783 den Luftballon; in der Aſtronomie wirkten Herrſchel und Laplace; die Botanik und geſamte Naturwiſſenſchaft hatten den 1778 ein- getretenen Verluſt von Linns zu beklagen; de Sauſſure lenkte die Aufmerkſamkeit auf einen andern Teil der Pflanzenkunde, die Lebenserforderniſſe der Pflanzen; Juſſieu, Decandolle bearbeiteten die Syſtematik; aber vorzüglich war es ein Gebiet, welches einer völligen Umgeſtaltung entgegenging und der längſt notwen— digen Aufklärung zugeführt wurde — die Chemie. Die neue Chemie fand nicht überall ſofort An— hänger, noch weniger Lehrer und Humboldt beklagte dieſen Mangel bei ſeinem Aufenthalte in Freiberg ſehr. Nichtsdeſtoweniger ergriff er die damals noch äußerſt ſchwierigen Gasunterſuchungen mit größtem Eifer und ſuchte die Kenntnis und Belehrung durch Fleiß zu erlangen, was auch vollſtändig erreicht wurde. Im Frühjahr 1792 wurde Humboldt königl. Berg- aſſeſſor und im Juli Oberbergmeiſter in dem damals preußiſchen Fichtelgebirge; ſein Wohnort war beſon— ders im Bade Steben, woſelbſt er auch eine Berg— mannsſchule errichtete; erſt 1797 gab er dieſe Stellung freiwillig auf, nachdem er vorher verſchiedene Aner— bietungen, z. B. als Director der ſchleſiſchen Berg— werke, ausgeſchlagen hatte. Die Stellung als Diri— gent gejtattete eine freie Beweglichkeit, fo daß er feine früher unternommenen Forſchungen keineswegs unter— brach und ſehr häufig ſelbſt vom Staate zu auswärtigen Arbeiten Verwendung fand. Eine kurze Zeit ſchwebte ihm ſogar der Gedanke vor, Bergmann zu bleiben. Die Regſamkeit, mit welcher Humboldt ſeine Stellung ergriff, gab dem daniederliegenden Berg— bau der Gegend einen neuen, ſehr anerkennenswerten Aufſchwung und förderte Arbeit und Ausbeute im hohen Grade. Ausgedehnte Unterſuchungen unter— nahm er über die unterirdiſchen Gasarten, beſonders der böſen und ſtickenden Wetter, welche ſpäter 1799 von ſeinem Bruder Wilhelm veröffentlicht wurden, und betreffen dieſe ſowohl ſehr intereſſante chemiſche Prüfungen der Luft in den Bergwerken, wie auch die Konſtruktion von Grubenlampen mit einfachem oder doppeltem Luftzuge, welche durch eine mit Luft oder Sauerſtoff gefüllte Blaſe, Faß u. dergl. auch in böſen Wettern brennen, d. h. mit Luft verſorgt werden ſollten. Wie weit dieſe Prüfungen von Hum boldt in eigener Perſon geführt worden, mag fol— gende Stelle des genannten Werkes ergeben: „Am 13. Okt. 1796 habe ich die letzten Verſuche mit der neuen Ringlampe in dem Bernecker Alaun— werke gemacht. Die Wetter waren mit Stickluft und Kohlenſäure ſo überladen, daß ich Papier und Licht nicht auf eine einzige Sekunde an meiner Wetter— lampe anzünden konnte. Ich gelangte 6—8 Lachter über die Gegend hinüber, wo noch Reſte unverbrannten Schwefels lagen und ſtand ſchon mitten im faulen Holze, als meine Ringlampe noch immer wie am Tage brannte. Ich ſetzte ſie nieder, um das Brennen in der unterſten Schicht zu beobachten, aber das Ge— menge von gekohltem Waſſerſtoffgaſe, welchen das Grubenholz aushauchte, benahm mir plötzlich alle Beſinnung. Ich wurde mit einer ſehr angenehmen Empfindung müde, und ſank endlich ohnmächtig neben der Lampe hin. Zum Glück ſoll ich noch kurz vorher den Steiger Bauer gerufen haben. Dieſer und der Herr Oberbergmeiſter Killinger eilten mir ſchnell zu Hilfe und zogen mich ſo ſchnell bei den Füßen heraus, daß ich bald in der reinen Grubenluft wieder zu mir kam. Ich hatte die Freude, beim Erwachen meine Lampe noch brennen zu ſehen. Bis auf wenige Mattigkeit ſpürte ich des andern Tages von dem unangenehmen Vorfalle keine Folgen mehr, und hatte dennoch an mir ſelbſt erfahren, wie irreſpirabel Gas— arten ſein konnten, in welchen meine Lampe dennoch hell fortbrennt.“ So hing das Leben unſres größten deutſchen Natur— forſchers ſchon ſo früh von dem Zufalle in einer ſehr be— denklichen Weiſe ab, in einer Lage, welche der eigene Trieb, den Mitarbeitern zu nützen, allein geſchaffen hatte. Nächſt dieſen chemiſchen Unterſuchungen beſchäftigte ſich Humboldt, folgend den Entdeckungen und An— regungen von Galvani, mit dem Einfluſſe des Galva— nismus auf die Muskel- und Nervenfaſer; die Rejul- tate erſchienen 1797 in einem zweibändigen Werke „über die gereizte Muskel- und Nervenfaſer“. Die Arbeit war aber keineswegs eine ununterbrochene, denn Humboldt bereiſte ſowohl im Auftrage der Re— gierung monatelang Oeſterreich, Deutſchland, um hier die Salzbergwerke zu ſtudieren, wie auch zur Erho— lung und eigenem Studium die Schweiz, das Jura— gebirge und Oberitalien. Zweimal wurde er ſogar in diplomatiſcher Beſchäftigung verwendet, 1794 am Rhein im Hauptquartier des Feldmarſchalls v. Möl— lendorf und im Juli 1796 als Abgeſandter Preußens an General Moreau, um die Schonung der Beſitzun— gen des Fürſten Hohenlohe zu erlangen, was auch von glücklichem Erfolge begleitet war. Schon 1794 war Wilhelm v. Humboldt in Jena geweſen und mit Schiller, Goethe, Fichte, Stark, Hufeland in freundſchaftliche, belehrende Beziehung getreten; Alexander wurde erſt durch die traurige Nachricht des Todes der Mutter am 20. Nov. 1796 veranlaßt, ſeinen Bruder aufzuſuchen und lebte hier vom Januar 1797 bis zum Frühjahr, die Zeit be— ſonders zu anatomiſchen Studien unter Loder be- nutzend, ſo daß er täglich 6—7 Stunden auf dem anatomiſchen Theater arbeitete, um ſich namentlich noch eingehendere Kenntniſſe vom anatomiſchen Bau des Menſchen zu verſchaffen, äußerſt wichtig für die Herausgabe ſeines ſchon berührten Werkes „über die gereizte Muskel- und Nervenfaſer“. Hier in dieſem berühmten Werke findet ſich ſchon deutlich der Hin— weis und Anſpruch auf die vergleichenden Momente, 30 Humboldt. — Januar 1882. welche Humboldts Arbeiten charakteriſieren und den bleibenden Wert verleihen; wenige eigene Worte mögen den Beweis dafür bieten: „Wenn ich die Vegetabilien auch nicht als Tiere ſelbſt, aber doch als Objekt einer allgemeinen Phyſio⸗ logie und Anatomie betrachte, ſo iſt mir, um nicht, wie weiland Baptiſta Porta, falſche Analogieen auf⸗ zuſtellen, die genaueſte Kenntnis der tieriſchen Stoffe, ihres Miſchungsverhältniſſes, ihrer Form und davon abhängigen Erregbarkeit (insitabilitas) erforderlich. Je unendlich weiter ich mich aber davon entfernt ſehe, deſto lebhafter bleibt mir das Gefühl, mich dieſem Zwecke nähern zu müſſen. Vor allem lockte mich der wunderliche Bau der menſchlichen Organiſation an. An keiner andern iſt man ſo tief in die Bildung einzelner Teile und ihrer Funktionen eingedrungen, an keiner andern ſcheint die tieriſche Faſer ſo leicht erregbar, an keiner andern iſt das Verhältnis eines Weſens gegen die ganze phyſiſche und intellektuelle Welt ſo ſorgfältig erörtert, an keiner andern ſind die Wirkungen der Vorſtellungskraft auf Bewegungen in der Materie ſo ſichtbar, als gerade in der menſchlichen Organiſation. Wer ſich daher irgend einem Teile der Naturbeſchreibung ernſthaft widmet, ſollte jenes Stu⸗ dium nicht vernachläſſigen, wäre es auch nur, um ein⸗ zuſehen, welche unabſehbare Fülle von Kräften in ein Aggregat irdiſcher Stoffe zuſammengedrängt ſein kann.“ In Jena wurde ſchon ſehr viel von einer beab- ſichtigten weſtindiſchen Reiſe geſprochen und endlich auch die ſtaatliche Stellung, in welcher Humboldt mittlerweile Oberbergrat geworden, völlig aufgegeben, um frei dem geſteckten Ziele zueilen zu können; Widerwärtigkeiten mannigfacher Art ſtellten ſich noch jahrelang entgegen. Zunächſt ordnete er im Juni 1797 ſeine Familienangelegenheiten durch Verkauf des ihm zuerteilten Erbgutes, um die Gelder für die be⸗ ſtimmten Zwecke verfügbar zu haben und übertrug die Verwaltung ſeinem Erzieher und Lehrer Kunth. Früher war Humboldt das Anerbieten gemacht worden, Napoleons Feldzug nach Egypten mit zu be⸗ gleiten, worauf er nicht eingegangen; jetzt ſtellten ſich die kriegeriſchen Ereigniſſe der Abreiſe nach Italien in den Weg. Im Frühjahr 1798 erbat ſich jedoch ein Lord Briſtol Humboldt dringend als Begleiter für eine Bereiſung der Nilländer, aber der Engländer wurde ſeitens des Direktoriums der franzöſiſchen Republik verhaftet, weil dieſes von ihm feindliche Einflüſſe in Aegypten befürchtete. Humboldt kam endlich in Paris an und hörte von dem großen Plane der Weltumſegelung unter Admiral Baudin, welchen zwei andre Naturforſcher, Michaux und Bonpland, begleiten ſollten. Er erhielt die Erlaubnis, mitzu⸗ reiſen und ſich zu entfernen, wo es ihm beliebe; allein abermalige Verzögerungen traten ein und fo verſuchte er es, mit einer ſchwediſchen Fregatte nach Algier zu kommen, aber auch dieſes Schiff kam wegen Beſchä⸗ digung nicht und ſo benutzte Humboldt den unfrei⸗ willigen Aufenthalt, in Paris Apparate anzuſchaffen und Studien mannigfacher Art zur weiteren Ausbil⸗ dung anzuſtellen. Beſonders eifrig betrieb er Chemie, gemeinſchaft⸗ lich mit dem berühmten Chemiker Gay Luffac; letzte⸗ rem gelang es, unterſtützt von Humboldt, die einfachen Verhältniſſe zu beſtimmen, in welchen ſich die gas⸗ förmigen Beſtandteile des Waſſers zu dieſem verbinden, während Humboldt die gleichbleibende Miſchung der at⸗ moſphäriſchen Luft erwies. Im Jahre 1799 erſchienen „Verſuche über die chemiſche Zerlegung des Luftkreiſes“. Die erwähnten verſchiedenen Verſuche zu einer größeren Reiſe hatte Humboldt ſtets gemeinſam mit dem ihm eng befreundeten Bonpland ausgeführt und fo unternahmen beide Freunde es noch einmal, mit einem kleinen Schiffe nach Tunis zu gehen; nur die Räumung der großen Kajütte für fie, von dem da⸗ ſelbſt inſtallierten Vieh, verzögerte die Abfahrt; da lief die Nachricht ein, daß man in Tunis die Fran⸗ zoſen feindſelig behandle und auch dieſer Plan war geſcheitert. Endlich reiſten beide Forſcher nach Spa⸗ nien, um ſowohl dieſes Land zu unterſuchen, wie ihre Reiſezwecke zu verfolgen und es gelang dies in ſehr unerwarteter, ſchneller Weiſe. Durch Empfehlung des Mineralogen und ſächſiſchen Geſandten von Forell wurde Humboldt mit dem ſpaniſchen Miniſter des Auswärtigen, de Urquijo, bekannt und dieſer aufge⸗ klärte Mann vertrat die Angelegenheit ſo lebhaft und warm bei dem Könige, daß Humboldt die faſt noch nie gegebene Erlaubnis erhielt, ohne Zwang, völlig frei, die ſämtlichen ſpaniſchen Provinzen in Amerika oder dem indiſchen Ozean beſuchen zu dürfen, mit allen nur möglichen Empfehlungen an die dortigen ſpaniſchen Behörden. Freudig erregt berichtete Hum⸗ boldt dieſes Reſultat ſeinem Bruder und die lebhafte Schilderung von Spanien veranlaßte dieſen, kurz nach der Abreiſe von Alexander, dieſes Land auch zu beſuchen. Um die Bedeutung Alexander v. Humboldts als Reiſenden und Gelehrten ſchätzen zu können, iſt die Kenntnis ſeiner erſten Vorbereitungen und Studien dringend erforderlich und wird vielfach überſehen, dieſe allerdings ſchon dem vorigen Jahrhundert an⸗ gehörigen Thatſachen gebührend hervorzuheben. In dem Alter von 30 Jahren galt Humboldt ſchon als ein hervorragender Gelehrter im Gebiete der Botanik, beſonders der neubegründeten, wiſſenſchaftlichen Bo⸗ tanik, im Gebiete der Phyſiologie, der Chemie, des Bergbaues, wo er die praktiſche Thätigkeit auf das genauſte hatte kennen lernen und ſo ausgerüſtet nur dem einen Plane zueilend, ferne Länder zu betrachten und zu erforſchen. Bis jetzt kann kein zweiter Reiſender aufgezählt werden, welcher mit einem ſolchen gediegenen Fond von Wiſſen ein derartiges Unternehmen begonnen habe; faſt durchgängig beklagen die Herren ſelbſt nach ihrer Rückkunft die Kargheit ihres Wiſſens bei dem Abgange aus der allein die Fundgrube der Wiſſen⸗ ſchaft einſchließenden gebildeten Welt. Hervorzuheben iſt allerdings, daß dem Streben Humboldts die Zeit nicht günſtiger ſein konnte; es war die Zeit der größten Entdeckungen im Gebiete der Naturwiſſen⸗ ſchaften, und ihm waren keine Schranken geſetzt — namentlich auch hinſichtlich des Geldaufwandes —, Humboldt. — Januar 1882. 31 ſich mit den größten Gelehrten der Zeit in Verbindung zu bringen; aber die That, der raſch aufgenommene und unverrückt verfolgte Plan gehört ihm und be— weiſt ſicher eine große Ausdauer und Geiſtesſtärke, ſchon in ſo jugendlichem Alter, noch dazu in einer Zeit, die gleichzeitig nicht reicher fein konnte an auf- regenden, politiſchen Vorgängen, welche den größten Teil der Menſchen von den ernſten Studien ablenkten. Am 5. Juni 1799 verließen Humboldt und Bonpland an Bord der Korvette Pizarro den Hafen von Corunna während eines Weſtſturmes, welcher die engliſchen Blockadeſchiffe vertrieben hatte und es ge— lang nach mehrtägigem Lavieren, die hohe See zu ge— winnen und die Reiſe nach Amerika anzutreten. Am Tage vor der Einſchiffung ſchrieb Humboldt an ſeinen Freund Freiesleben: „Mir ſchwindelt der Kopf vor Freude! Wel— chen Schatz von Beobachtungen werde ich nun zu meinem Werke über die Konſtruktion des Erdkörpers ſammeln können! Der Menſch muß das Gute und Große wollen — das Uebrige hängt vom Schickſal ab!“ Humboldt und Bonpland beſuchten Teneriffa, landeten ſodann in Cumana in Venezuela und be— reiſten dieſen Staat, ſowie das heutige Neugranada, Ecuador und einen großen Teil von Peru, namentlich den Cordilleren folgend, ſowie den großen Flüſſen Ori— noko und im oberen Teile dem Amazonenſtrom, hierauf wendeten ſich die Reiſenden nach Mexiko und beſuchten große Strecken dieſes Landes; zweimal berührten ſie auch Cuba, zuletzt, um von da über Waſhington nach Europa zurückzukehren. Am 3. Aug. 1804, demnach nach fünf Jahren, landeten beide Freunde im Hafen von Bordeaux. Ein Teil der geſammelten wiſſenſchaftlichen Schätze war früher ſchon anhergeſendet worden, ein andrer leider durch Schiffbruch verloren gegangen. Die lange Zeit der Reiſe hatten Bonpland und Humboldt unermüdlich zu Forſchungen jeder Art be— nutzt. Der Pik von Teneriffa und der Chimporazo waren erſtiegen, eine größere Anzahl Vulkane oder vulkaniſcher Verbindungen beobachtet worden, Pflanzen und Tiere geſucht und gefunden und vor allem die Höhebeſtimmungen und Barometer- wie Temperatur⸗ meſſungen, die Beobachtung des Himmels mit größter Aufmerkſamkeit ausgeführt; aber auch die alten Denk— mäler der früheren Einwohner Amerikas, ſo nament⸗ lich in Mexiko, wurden erforſcht und als ſprechende Zeichen vergangener Zeit betrachtet. Wenige Wochen nach der Ankunft auf dem ameri— kaniſchen Feſtlande wurde in der Nähe von Cumana von einem Miſchlinge ein Mordanfall auf die Reiſen— den ausgeführt, Bonpland zu Boden geſchlagen und beide Freunde konnten mit größter Mühe ſich ſo lange wehren, bis der Zufall Kaufleute herbeiführte und ſo das Uebelſte verhinderte. Was iſt aber dieſer Mord— verſuch gegen die tauſend und aber tauſend Gefahren, während der mühevollen und gefährlichen Reiſen, in dem Inneren des Kontinentes, in den Urwäldern, auf den reißenden Flüſſen, bei der Beſteigung der meiſt völlig unwegſamen Gebirgsketten und der Berge ſelbſt. Monatelang hatten beide Forſcher als Um— gang nur Wilde und es läßt ſich wohl denken, welche Freude ſie haben konnten, als ſie bei einer Reiſe nach Havana, von einem engliſchen Kriegsſchiffe aufgebracht und freundlichſt behandelt, hier nach langer Zeit wieder einmal gebildete Menſchen trafen. Auf einem leichten Fahrzeuge hatten ſie binnen 75 Tagen 375 geo— graphiſche Meilen auf den wilden Strömen des Orinoko befahren, in unſäglichſter Hitze und ausge— ſetzt allen Widerwärtigkeiten des Klimas, der Mos— kitos u. jf. w. In Mexiko wurde ſelbſt in der Regenzeit nicht geraſtet, ſondern die große Reiſe nach den mexikaniſchen Bergwerken ausgeführt. Humboldt erwies hier eine ſehr kräftige Natur und widerſtand den ſchädlichen Einflüſſen am längſten, beſſer als Bonpland. Während der Krankheit des einen oder andern beſorgte der geſunde Teil auch noch die Arbeit des verhinderten Gefährten, mit welchen Widerwärtig— keiten verbunden, beſchreibt am beſten Humboldt ſelbſt: „In der Guyana, wo man wegen der Moskitos, die die Luft verfinſtern, Kopf und Hände ſtets ver— deckt haben muß, iſt es faſt unmöglich, am Tageslicht zu ſchreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, ſo wütend ſchmerzt das Gift der Inſekten. Alle unſre Arbeit mußte daher beim Feuer in einer tne dianiſchen Hütte vorgenommen werden, wo kein Sonnenſtrahl eindringt, und in welche man auf dem Bauch kriechen muß. Hier aber erſtickt man wieder vor Rauch, wenn man auch weniger von den Mos— kitos leidet. In Maypures retteten wir uns mit den Indianern mitten in den Waſſerfall, wo der Strom raſend tobt, aber der Schaum die Inſekten vertreibt. In Hiquorote gräbt man ſich nachts in den Sand, ſo daß bloß der Kopf hervorragt und der ganze Leib mit 3—4 Zoll Erde bedeckt bleibt. Man hält es für eine Fabel, wenn man es nicht ſieht. — Wenn unter ſolchen Beſchwerden die Pflanzen endlich beſchrieben ſind, ſo geht ein neuer Jammer an, wenn man nach einiger Zeit die Kiſte wieder öffnet. Die unermeßliche Näſſe des amerikaniſchen Klimas, die Ueppigkeit der Vegetation, in der es ſo ſchwer iſt, alte, ausgewachſene Blätter zu finden, haben über ein Drittel unſrer Sammlungen verdorben. Täglich fin— den wir neue Inſekten, welche Papiere und Pflanzen zerſtören. Kampfer, Terpentin, Teer, verpichte Bretter, Aufhängen der Kiſten in freier Luft, alle in Europa erſonnenen Künſte ſcheitern hier, und unſre Geduld wird auf eine harte Probe geſetzt. Iſt man vollends 3—4 Monate abweſend, jo erkennt man ſein Herbarium nicht wieder. Von acht Exemplaren muß man fünf wegwerfen, zumal in der Guyana, dem Dorado und dem Amazonenlande, wo wir täg— lich im Regen ſchwammen. Vier Monate hindurch ſchliefen wir in Wäldern, umgeben von Krokodilen, Boas und Tigern, die hier ſelbſt Kanoes anfallen, nichts genießend als Reis, Ameiſen, Maniok, Piſang, Orinokowaſſer und bisweilen Affen. Von den Grenzen von Quito bis Surinam haben wir Strecken von 8000 Quadratmeilen, in denen keine Indianer, fon- dern nur Affen und Schlangen anzutreffen ſind, an Händen und Geſicht von Moskitoſtichen geſchwollen, durchſtrichen.“ (Schluß folgt.) 32 Humboldt. — Januar 1882. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. Ph y ite. Aleber elektriſche Ringſiguren von E. Reitlinger und Fr. Wächter. Wied. Ann. XII. S. 590 bis 612. 1881. Läßt man von einer feinen Metallſpitze elektriſche Funken auf eine polierte Metallfläche überſchlagen, ſo ent⸗ ſtehen auf der Platte kreisförmige Farbenringe. Nach den Unterſuchungen von Reitlinger und Wächter laſſen ſich dieſe in folgende 4 Elemente zerlegen: 1) Iſt die Platte der poſitive Pol, ſo entſtehen far⸗ bige Ringe mit einem dunkleren Zentrum. Die farbigen Ringe laſſen ſich durch Abreiben mit Kreidepulver leicht entfernen, dagegen bleibt in der Mitte entſprechend dem dunkleren Scheibchen eine Veränderung der Oberfläche. Beim Betrachten durch das Mikroſkop hat dieſelbe das Ausſehen, als ob darauf äußerſt viele feine Nadelſtiche wären. Dieſes Scheibchen wird die zentrale Auf⸗ reiß ungsſcheibe genannt. Dieſelbe entſteht durch Auf⸗ reißung des Metalles, eine Wirkung der Ausſtrömung der poſitiven Elektrizität. 2) Die farbigen Ringe entſtehen nur bei Vorhanden⸗ fet von Sauerſtoff, ſind alſo Oyydringe, fie werden nicht durch den freien Sauerſtoff der Luft erzeugt, ſondern durch die Zerſetzung des in der Luft vorhandenen Waſſer⸗ ſtoffes, wie Experimente in vollſtändig getrockneter Luft nachweiſen. Auch dieſe Erſcheinung iſt an die poſitive Ausladung gebunden. 3) In dem zentralen Aufreißungsfleck ſind bei ge⸗ wöhnlichem Luftdruck zahlreiche kleine blanke Scheib⸗ chen bemerkbar, wenn eine alternierende Entladung ein⸗ tritt. Dieſelben müſſen alſo von der negativen Elektrizität herrühren. Wird der Luftdruck vermindert und die Platte der negative Pol, ſo vergrößern ſich die blanken Scheibchen, während ihre Zahl abnimmt, ſchließlich erhält man nur eine einzige von einem Oxydſaum umgebene Scheibe. 4) Wendet man zur Erzeugung der Figuren ſtarke Induktionsapparate an, ſo erhält man farbige Ringe, die ſich von den Oxydringen unterſcheiden und Konden⸗ ſations⸗- und Aufſtreuungsringe genannt werden. Man erhält ſie beſonders ſchön, wenn die Entladung unter Ausſchluß der Oxydation z. B. in Waſſerſtoffgas erzeugt wird. Man erkennt dann wieder den zentralen Auf⸗ reißungsfleck, der jetzt metallrein erſcheint, dann einen je nach dem Spitzenmaterial verſchieden gefärbten Ring, der aus von der Spitze herrührendem kondenſierten Metalldampf beſteht, dann einen dritten grauen oder ſchwarzen Kreis, der aus gröberen, mit dem Mikroskop erkennbaren Partikelchen beſteht, die ebenfalls von dem Metalle der Spitze herrühren, auch hier ſcheint die poſitive Entladung die Losreißung zu bewirken. 133. Seber das Eindringen der Elektrizität in die Maſſe bei Ladung iſolierender Platten. Wied. Ann. Bd. XIII. S. 207. Holtz fand, daß bei der Ladung von Ebonitſcheiben ſich dieſelben, nachdem ſie längere Zeit geladen auf dem Tiſch gelegen hatten, durch die Maſſe der Scheibe entluden. Holtz nimmt daher ein Eindringen der Elektrizität in die Maſſe an. Aehnliches wurde ſchon von Priſtley bei Ley⸗ dener Flaſchen beobachtet. B. Chemie. Chemiſcher Anterſchied zwiſchen lebendem und totem Brotoplasma. Durch Vergleichung der Zerſetzungserſcheinungen des Albumins im Tierkörper mit den auf rein chemiſchem Wege erhaltenen gelangte E. Pflüger vor einiger Zeit zu dem Schluß, daß die Stickſtoffverbindung beim lebenden Eiweiß eine andere ſei als beim toten. In den Cyangruppen ſei die leichte Beweglichkeit des lebenden Protoplasmas zu ſuchen, durch Uebergang des Stickſtoffs des Cyans in Ami⸗ dogruppen ſei der Eintritt des Todes bedingt. Die Herren O. Loen und Th. Bokorny, von denen der eine bereits die Hypotheſe aufſtellte, daß im Albumin eine Anzahl Aldehydgruppen (wahrſcheinlich 12) vorhanden ſeien, daß die leichte Beweglichkeit dieſer Gruppen das Leben und ihre Verſchiebung den Tod bedinge, daß mit andern Worten die Lebenskraft auf die Spannkraft der Aldehydgruppe zurückzuführen ſei, haben nun weitere Unterſuchungen über dieſen Gegenſtand angeſtellt und veröffentlicht.) Die Atomlagerung der Aldehydgruppe beſitzt eine ſehr große Beweglichkeit vermöge der Tendenz ihres an HC mit zwei Affinitäten angelagerten O unter günſtigen Umſtänden eine Affinität preiszugeben, wodurch eine O- und eine O-Affi⸗ nität zum Eingehen von Verbindungen disponibel werden und ein Freiwerden von Energie die Folge iſt. Die Nähe von Amidogruppen im Molekül muß die Schwingungen der Aldehydgruppe offenbar noch ſteigern. In den Ketonen iſt die Verbindungsfähigkeit herabgemindert, werden aber aus den Aldehyden die zugehörigen Säuren, ſo iſt jede Aehnlichkeit mit den früheren merkwürdigen Eigenſchaften verſchwunden. Die Verfaſſer waren bemüht, Aldehydgruppen im le⸗ benden Protoplasma, insbeſondere von Algen, nachzuweiſen, ſowie ihr Nichtvorhandenſein nach dem Tode darzuthun, was ihnen mit einer ſehr verdünnten alkaliſchen Silber⸗ löſung (1 Th. AgNOs auf 100,000 Th. Waſſer) gelungen iſt. Sie denken ſich die Gruppe im Leben, nach dem Tode und nach der Reaktion mit Silberoxyd folgendermaßen konſtruiert: 1. Gruppe im Leben 2. Gruppe im normalen Tod (Verſchiebungstod) | | CH—NH2 1 905 0 OH 0-0 C—C il Sd \| \e 3. Gruppe nach Reaktion mit Age 0 (Reattionstod) | CH—NHe \ — 0 hoe Now l| Das genannte Reagens wirkt unter Silberabſcheidung noch bei zehnfacher Verdünnung, die Grenze einer noch wahrnembaren Reaktion liegt ſogar erſt bei einer Verdün⸗ nung mit 2 Mill. Thln. Waſſer. Das lebende Protoplasma iſt daher ein feineres Reagens auf Silber als Salzſäure und Schwefelwaſſerſtoff, welche ſchon bei 300,000 facher Verdünnung des Silbernitrats keine deutliche Reaktion mehr geben und es muß jene daher zu den feinſten in der Chemie bekannten Reaktionen gerechnet werden. Im Anſchluß an vorſtehende Mittheilung mag noch der kürzlich von Rad ziszewski gemachten Entdeckung Er⸗ wähnung geſchehen, daß viele organiſche Körper, und zwar vorzugsweiſe aldehydartige, lebhaft phosphoreszieren, wenn ſie in Berührung mit Alkalien und Sauerſtoff ſich langſam oxydieren. 28 *) Pflügers Archiv XXV. 150. — Chem. Centralbl. 1881. S. 557 u. 571. Humboldt. — Januar 1882. Mineralogie. Geologie. Geognoſie. Künſtliche Darſtellung von Mineralien und Ge- ſteinen auf fenerfliffigem Weg. Zu den bedeutendſten Erfolgen der experimentierenden Mineralogie in den letzten Jahren gehört die von den beiden Franzoſen Lévy und Fouqué ausgeführte künſtliche Darſtellung einer Reihe von Mineralien, welche als Geſteinsbeſtandteile eine hervor- ragende Rolle ſpielen, ſowie die zum erſtenmal gelungene Nachbildung aus einem Gemenge von mehreren Mineralien zuſammengeſetzter Felsarten. Der künſtlichen Erzeugung kriſtalliſierter Mineralien, denen wir im Geſtein auf Schritt und Tritt begegnen, ſtellen ſich oft die größten Schwierigkeiten entgegen, ob— gleich wir ihre Zuſammenſetzung auf das genaueſte kennen und demnach ihre Darſtellung als eine einfache Aufgabe der ſynthetiſchen Chemie erſcheinen könnte; die Sache geht aber nicht jo glatt. Um einen Kriſtall zu erhalten, be- darf man bekanntlich eines geeigneten Löſungsmittels, welches nach der Verdunſtung die aufgelöſte Subſtanz kriſtalliſiert zurückläßt, oder wir müſſen einen Körper in ſchmelzflüſſigen Zuſtand verſetzen, um ihn kriſtalliſiert zu erhalten. Nun ſind aber die meiſten geſteinsbildenden Mineralien ſowie auch die wichtigſten Beſtandteile derſelben (Kieſelſäure, Thonerde) in Waſſer faſt unlöslich, und aus dem Schmelzfluß liefern ſie eine glasähnliche (amorphe) Subſtanz. Die Natur arbeitet mit zwei Agentien, die uns im Laboratorium nur in beſcheidenem Maße zur Verfügung ſtehen, mit großen Zeiträumen und großen Maſſen. Wenn das Waſſer, welches jahraus, jahrein durch die Felſen rieſelt, auch nur die geringſten Spuren Kieſelſäure auf- gelöſt enthält, ſo vermag es im Lauf der Jahrtauſende die Wand einer Kluft, wo es zur ruhigen Verdunſtung gelangt, mit fußgroßen Bergkriſtallen zu bedecken; während wir nur geringe Mengen ſchwer ſchmelzbarer Mineralien zum Fluß bringen können, quellen aus dem Krater eines Vulkanes mächtige Ströme geſchmolzener Maſſen hervor, die im Innern erſt nach Jahren vollſtändig erhalten und manchmal fauſtdicke Kriſtalle ausſcheiden (Leucit in alten Veſuvlaven). Ein zuſammengeſetztes Geſtein künſtlich darzuſtellen, hatte bis dahin überhaupt noch niemand vermocht und viele der künſtlich produzierten Mineralien ſind unter Ver⸗ hältniſſen erzeugt worden, die ſicherlich von den natür— lichen abweichen; um ſo mehr verdient es hervorgehoben zu werden, daß das von Lévy und Fouqus befolgte Ver⸗ fahren den Verhältniſſen, wie ſie in der Natur ſtatthaben, recht nahe kommt. Die verſchiedenen Arten des Feldſpats, welchem neben dem Quarz die wichtigſte Rolle bei der Geſteinsbildung zuerteilt iſt, ferner Nephelin und Leucit, ebenfalls häufige Beſtandteile vulkaniſcher Maſſen, erhielten die genannten Forſcher in der einfachſten Weiſe dadurch, daß ſie die Sub⸗ ſtanzen, aus welchen die betreffenden Mineralien beſtehen, in Form von Kieſelſäure, Thonerde, Soda, Pottaſche, ge- glühtem kohlenſaurem Kalk in geeigneten Verhältniſſen, oder auch das Mineralpulver ſelbſt in einem Platintiegel zu einer homogenen Flüſſigkeit ſchmolzen, dieſelbe 48 Stunden einer niedrigeren, aber dem Schmelzpunkt naheliegenden Temperatur ausſetzten und darauf erkalten ließen. Zur Darſtellung eines baſaltartigen Geſteines wurde ein Ge⸗ menge von Augit und Feldſpat (Labradorit) ähnlich be- handelt und es reſultierte ein den Laven des Aetna naheſtehendes Geſtein, aus Augit, Feldſpat und Magneteiſen, welches fic) ausgeſchieden hatte, zuſammen— geſetzt. Alle dargeſtellten Mineralien zeigen in jeder Hin- ſicht genau die Eigenſchaften wie die in Eruptivgeſteinen vorkommenden natürlichen. Levy und Fouqus ijt es nach dieſer Methode, wobei es weſentlich darauf ankommt, die geſchmolzene Maſſe längere Zeit auf einer dem Schmelzpunkt naheſtehenden Temperatur zu erhalten, gelungen, noch andere bajalt- ähnliche Geſteine darzuſtellen; die Beſtandteile derſelben Humboldt 1882. 33 ſind mikroſkopiſch, wie auch die einen Baſalt komponieren⸗ den Mineralien erſt durch das Mikroſkop erkannt werden können. Einer unſerer bedeutendſten Petrographen, Roſenbuſch in Heidelberg, welchem ein Teil der Präparate zugeſchickt wurde, „kann nicht unterlaſſen, dem Gefühl freudigen Er⸗ ſtaunens Ausdruck zu geben, welches ihn beim erſten Wn- blick dieſer Dinge ergriff und bei jeder wiederholten Be— trachtung immer wieder ergreift“. (Comptes rend. 1878. II. Sem. p. 700. 779. 961. 1880, I. Sem. p. 698.) Sch. Der geologiſche Bau der libyſchen Wüſte. Bei der von Rohlfs, Zittel, Aſcherſohn und Jordan 1 menen wiſſenſchaftlichen Expedition nach der libyſchen Wüſte hat wohl die Geologie, durch Zittel vertreten, die lohnendſte Ernte eingetragen. Wir erfahren, daß dies früher geo— logiſch ſehr wenig bekannte Gebiet, ſowie die von der libyſchen Wüſte in Bezug auf ihren Schichtenbau nicht zu trennende ſogenannte arabiſche Wüſte zwiſchen dem Nil und der Küſte des roten Meeres nicht, wie man wohl vielfach geglaubt hat, Spuren eines erſt vor kurzem ge— ſchwundenen Meeres aufweiſen, ſondern aus Schichten be— ſtehen, welche der Kreide- und unterſten Tertiärformation, alſo weit hinter der geologiſchen Gegenwart zurückliegenden Bildungen, angehören. Die Geſteine der Kreideperiode, welche überwiegen, ſind vorwiegend Sandſtein, bunte Mergel, Kalkmergel und Kalkſteine; die cretaceijde Fauna erweiſt ſich als ganz außerordentlich reichhaltig, wie ſie ſonſt kaum zur Entwickelung gelangt oder erhalten iſt (Ammoniten, Auſtern, Seeigel u. ſ. w.); in der älteſten Tertiärzeit gelangten die Nummulitenkalke zum Abſatz, ſo genannt weil die Verſteinerungen, welche ſie führen, vom Volk als verſteinerte Münzen angeſehen wurden; es ſind erbſen- bis thalergroße Kalkſchalen von Foraminiferen, die auch anderwärts in der unterſten Stufe der Tertiär— formation in ungeheuren Maſſen auftreten; ſie bedecken in der Wüſte meilenweit den Boden. Außer daß in der mittleren Tertiärzeit das Meer in zwei verhältnismäßig unbedeutende Depreſſionen im Norden eindrang, fehlt jede Spur einer ſpäteren Meeresbedeckung. Wie die libyſche Wüſte ſcheint die ganze Sahara größtenteils der Kreideformation anzugehören, während ältere geſchichtete Geſteine fehlen, eruptive Geſteine da— gegen gebirgsbildend auftreten. Es kann demnach von einer jüngſtvergangenen Meeres- bedeckung der Sahara nicht die Rede ſein, da in dieſem Falle über der Kreideformation jüngere geſchichtete Ge— ſteine liegen und unſerer heutigen Meeresfaung nahe— ftehende Foſſilien aufweiſen müßten; auch iſt die Ober= flächengeſtaltung der Wüſte nicht eine ſolche, wie ſie der Meeresboden aufweiſt, ſondern die zeriſſenen, zackigen, zerklüfteten Formen der Wüſtengebirge, die tiefen Thal⸗ einſchnitte deuten auf die erodirende Thätigkeit fließender Gewäſſer, welche vielleicht noch in der älteſten hiſtoriſchen Zeit dem heute ſo ſterilen Gebiet üppige Fruchtbarkeit verliehen. Dieſer ſterile Charakter der Sahara iſt ledig— lich den ungünſtigen meteorologiſchen Verhältniſſen, dem faſt gänzlichen Regenmangel zuzuſchreiben; der Boden an und für ſich iſt zur Produktion einer reichen Vegetation geeignet. Der Salzgehalt der Waſſeranſammlungen, welcher manche Oaſen unbewohnbar macht, rührt von dem Gehalt an Steinſalz her, an welchem neben Gips die Kreide— mergel wie auch anderwärts ſehr reich ſind. Die auf⸗ ſteigenden Thermalwaſſer, welche mitten in dem troſtloſen Wüſtengebiet Paradieſe ſchaffen, ſind nach Zittels Unter⸗ ſuchungen nicht, wie man früher annahm, auf den Nil zurückzubeziehen, ſondern nehmen ihren Urſprung in den regneriſchen Zonen von Zentralafrika, von wo ſie auf waſſerdichten Schichten nach Norden geführt werden. Der Wüſtenſand ſtammt von dem der Kreideformation angehörigen „nubiſchen Sandſtein“, welcher ſich auf dem linken Nilufer durch 10 Breitegrade hin erſtreckt; fein 5 34 Humboldt. — Januar 1882. Transport wird auf die Thätigkeit früher fließender Ge⸗ wäſſer im Verein mit dem Winde zurückgeführt. 4 Zittel, Ueber den geolog. Bau der lihyſchen Wüſte. München 1880. — Vortrag, gehalten im Ver. f. Geogr. u, Statift. z. Frkft. a. M. im Okt. 1881. Sch. Botanik. Aeber die glaciale Flora und die Flora der Torfmoore. Begünſtigt durch das wärmere und zugleich feuchte Klima hatte ſich gegen Ende der Tertiärzeit eine reiche und üppige Flora, insbeſondere auch über Zentral⸗ europa ausgebreitet, deren zahlreichen Spuren wir noch häufig in den jungtertiären Ablagerungen begegnen. Bald aber erhoben ſich an verſchiedenen Stellen unſrer Erde mächtige Gebirge, welche die heut noch exiſtierenden Ge⸗ birgszüge nicht unbedeutend an Höhe überragt haben mögen, und die ſich in ihren höheren Regionen mit Schnee und mit Eis bedeckten. Die ſogenannte Eiszeit begann und drängte die bisherige üppige Flora weiter und weiter nach Süden. Nicht bloß in Europa, auch in andern Welt⸗ teilen, nicht bloß auf der nördlichen, ſondern auch auf der ſüdlichen Halbkugel ſind zahlreiche Spuren jener Eisperiode erkannt worden, welche einen großen Teil unſrer Erde mit den Feſſeln gewaltiger Schnee- und Eismaſſen über⸗ zog. Dieſe mächtige Schnee⸗ und Eisanhäufung auf der Maſſe des Gebirges, welche ſich ſtets durch neue und reichlicher als jetzt erfolgende Niederſchläge mehr und mehr vergrößert haben mag, fand endlich Abfuhrwege und verbreitete nun ihren erkältenden Einfluß noch auf weitere Entfernungen.) Gewaltige Gletſcherſtröme bewegten ſich z. B. von den Alpen nach den verſchiedenſten Richtungen, ergoſſen ſich über ein großes Areal des europäiſchen Feſt⸗ landes“) und vernichteten zum großen Teil die frühere lebensfriſche Vegetation. Wohl mag noch, beſonders an den ſüdlichen Abhängen, z. B. der Alpen, auch in der Nähe der weithin ausſtrahlenden Gletſcherbildungen eine immerhin noch reiche Vegetation in den geſchützteren Thälern exiſtiert haben, wie auch jetzt noch auf Neuſee⸗ land in faſt unmittelbarer Nähe mächtiger Gletſcherſtröme eine reiche Flora, untermiſcht ſogar mit Myrten, Baum⸗ farne und einer Palme, ſich zeigt; nördlich des Gebirges aber in der norddeutſchen Ebene, welche damals großen⸗ teils unter Waſſer lag und über welche die ſkandinaviſchen Gebirge ihre erratiſchen Blöcke ausſtreuten, mag nur eine ſehr ſpärliche Flora von Glacialpflanzen beſtanden haben, welche in den Ebenen und auf niedrigen Bergzügen ſich anſiedelte. Als nun endlich der Bann jener ſtarren Eiszeit ge⸗ brochen und durch das Zurückweichen jener kältenden Gletſchermaſſen neuer Boden für die Ausbreitung einer Vegetation gewonnen wurde, da ſiedelten ſich auch auf dem befreiten Areale zunächſt jene Glaeialpflanzen an, denen wir jetzt nur noch im hohen Norden oder auf den höchſten Gipfeln der Gebirge oder hier und da auch in niedriger gelegenen Torfmooren und Haiden als Flücht⸗ lingen begegnen. Während der langen Dauer der gla⸗ cialen Periode, ſowie einige Zeit vor derſelben und nach deren Beendigung dominierte jene glaciale Flora in Europa nördlich der Alpen und über das nördliche Aſien weit ver⸗ breitet; ja gewöhnlich nimmt man gewiſſermaßen zwei Eis⸗ zeiten an, zwiſchen welchen eine Periode (nach Geikie z. B. ſind ſogar mehrere ſolcher Zwiſchenperioden anzu⸗ nehmen) mit etwas wärmerem Klima eingeſchoben wurde. In dieſer Zwiſchenperiode wurden z. B. die Torfmoore von Dürnten und Utznach in der Schweiz gebildet und die aus Kiefern beſtehenden Wälder von Norfolk in England begraben. In jenen Lagern finden ſich zugleich auch Reſte der Haſelnuß (Corylus Avellana L.), des Fieber⸗ flees (Menyanthes trifoliata L.) und Blätter der *) Vergl. z. B. Probſt, Erörterungen über den Zuſammenhang der klimatiſchen Zuſtände der letzten 3 Erdperioden, in Württembergiſchen naturwiſſ. Jahresheften. 1875. „) Vergl. z. B. Kinkelin, Ueber die Eiszeit, im Bericht der Senckenberg. naturforſch. Geſellſchaft. 1876. Mit Karte. Seeroſe (Nymphaea), welche ſämtlich auf ein wär⸗ meres Klima deuten, wie es jetzt etwa im nördlichen Europa herrſcht, und alſo für eine zeitweiſe Ermäßigung der Kältegrade ſprechen. Ueberreſte dieſer glacialen Flora ſind uns an ver⸗ ſchiedenen Fundſtätten, noch unterhalb der ſpäter ent⸗ ſtehenden Torfmoore, beſonders durch ſkandinaviſche Forſcher aufgeſchloſſen worden. Engler!) zählt die vorzüglichſten Fundorte der foſſilen arktiſchen oder glactalen Pflanzen auf. Im ſüdlichen Schweden wurden durch Nathorſt, auf Seeland durch Steenstrup und Nathorſt, durch den letzteren auch noch nördlich der Alpen in der ebenen Schweiz, ſowie in Meklenburg ſolche Fundſtätten entdeckt. Hier zeigten ſich neben andern Reſten in den poſtglacialen Lagern beſonders arktiſche Weiden, wie Salix her ba- cea L., S. polaris Wahlenb., S. reticulata L. und eine arktiſche Roſacee Dryas octopetala L., ſowie die in der arktiſchen Region, aber jetzt auch noch in Oſtpreußen vorkommende Zwergbirke (Betula nana L.). Letztere wurde auch in England (bei Bovey Tracey in Devonſhire) in den poſtglacialen Lagern foſſil gefunden, kommt jetzt aber in Großbritannien nur noch auf den ſchottiſchen Hochgebirgen vor. Daß die glacialen Pflanzentypen aber auch ſchon vor Beginn der Eiszeit in Europa feſten Fuß gefaßt hatten, dafür legt eine Entdeckung von Nathorſt Zeugnis ab, welcher in England unter dem ſogenannten „Boulder Clay“ unterhalb der glacialen Schichten, alſo ſchon in der präglacialen Periode, ebenfalls die Reſte einer arktiſchen Weide (Salix polaris Wahlenb.) und ein arktiſch⸗ alpines Moos (Hy pnum turgescens Jensen) be⸗ obachtete. In neuerer Zeit nun wurde die Zahl dieſer Fundorte durch weitere Unterſuchungen Nathor jts™) noch bedeutend vermehrt und beſonders reiche Lager von gla⸗ cialen Pflanzen in Schonen, andere aber auch in Eng⸗ land, der Schweiz und dem Norden von Deutſchland, wo während der glacialen Periode das ſkandinaviſche Binnen⸗ eis über ganz Norddeutſchland bis etwa nach Leipzig ſich erſtreckte, und zwar beſonders in Meklenburg gefunden. Hier ſiedelte ſich nach dem Abſchmelzen des Schnees nicht eine Waldvegetation, wie bisweilen angenommen wurde, ſondern eine ausgeſprochen arktiſche Florg an, deren Ele⸗ mente beſonders aus den zwerghaften Geſtalten der früher erwähnten arktiſchen Weiden, wie Salix herbacea L., S8. reticulata L., S. polaris Wahlenb., der weiß⸗ blütigen Dryas octopetala L., der Zwergbirke (Be- tula nana IL.) und einigen Waſſerpflanzen, wie My- rio phyllum, Potamogeton u. ſ. w. beſtanden haben. Später aber miſchten ſich auch ſubarktiſche Ele⸗ mente darunter. Neben der Zwergbirke und jenen ark⸗ tiſchen Weiden tauchten noch Betula odorata Bechst., Salix arbuscula L. u. ſ. w. auf, bis endlich dicht unterhalb der Torfmoore ſich noch eine dritte Birkenart, die Betula verrucosa Ehrh., hinzugeſellt haben mag. Die unterhalb der Torfmoore gefundenen Pflanzen gehören alſo nicht genau demſelben Horizonte an, ſondern die zu⸗ erſt erſcheinenden vein arktiſchen Typen machen nach und nach den ein etwas wärmeres Klima verlangenden Pflanzen Platz, welche von fernher einwandernd die urſprüngliche glactale Flora in die Polarregionen oder auf enger be⸗ grenzte Lokalitäten der höheren Gebirge, der Torfmoore u. ſ. w. zurückdrängten, wo beſondere Verhältniſſe den früher weithin herrſchenden Bewohnern noch Schutz vor den herandrängenden Einwanderern boten. Die Florenelemente, welche nach der glacialen Vege⸗ tation hintereinander in das nördliche Europa einwan⸗ *) Engler, Verſuch einer Entwickelungsgeſchichte der Pflanzenwelt. 5 Theil. ae extratropiſchen Gebiete der nördlichen Hemiſphäre. 1879. b J .. ) Nathorft, Ueber neue Funde von foſſilen Glacialpflanzen, in Englers botan. Jahrb. 1881, Bd. 1, Heft 5, S. 431. — Oder auch: Nathorſt, Berattelse om en med understöd af allmanna medel utford vetenskaplig till Schweiz och Tyksland (Bericht über eine mit Staatsunterſtützung ausgeführte Reiſe nach der Schweiz und Deutſch⸗ land), in Oefyersigt af Kongl. Vetenskaps Akademiens Forhand- Iingar, Stockholm 1881, Nr. 1. Humboldt. — Januar 1882. 35 derten, finden ſich dort in den verſchiedenen Schichten der Torfmoore eingebettet, an deren Unterſuchung ſich gleich— falls beſonders ſkandinaviſche Forſcher beteiligten. Hier wechſeln nacheinander Schichten von Torf und von Wald— reſten, wie ſie außer in den ſkandinaviſchen Ländern jedoch auch anderwärts, ſo z. B. in Irland, England, Frankreich, im Jura u. ſ. w. gefunden wurden. Steenstrup unter- ſchied in den Torfmooren Dänemarks 4 ſolcher Schichten, von welchen jede durch eine beſondere Flora charakteriſiert wurde. In der tiefſten Schicht oberhalb der glacialen Bildungen zeigten ſich beſonders die Blätter der Zitter— pappel (Populus tremula L.), in der zweiten folgten Stämme unſerer gewöhnlichen Kiefer (Pinus si! vestris L.), in der dritten Reſte von Eichen (Quercus sessiliflora Ehrh.) und in der vierten endlich ſolche der Erle (Alnus glutinosa L.) in größerer Menge. Es mußte ſich alſo während der Bildung der verſchiedenen Schichten in den Torfmooren Dänemarks das dortige Klima mehrfach geändert haben, da die angeführten Pflanzen ſehr verſchiedene Bedingungen zu ihrem Gedeihen ver— langen. Aehnliche umfaſſende Unterſuchungen ſtellte nun Axel Blytt auch in Norwegen an und legte vor kurzem die hintereinander eingewanderten Floren, welche ſehr ver— ſchiedener klimatiſcher Verhältniſſe bedürfen, treten uns nun auch in den aufeinanderfolgenden Schichten der Torf— moore entgegen und ſucht Blytt in ſeiner angeführten Schrift nachzuweiſen, daß „bei Verbreitung der Pflanzen (ſpeziell der Einwanderung der norwegiſchen Flora) fic) die Verhältniſſe am beſten erklären laſſen, wenn man anz nimmt, daß das Klima ſäkularen Veränderungen unterworfen iſt in der Weiſe, daß Zeiträume mit einem feuchten und milden Klima abwechſeln mit Zeit⸗ räumen, in welchen trockenes und mehr kon— tinentales Klima herrſcht“. Blytt ſtellt nun für die Torfmoore von Dänemark und das ſüdöſtliche Norwegen das hier wiedergegebene geologiſche Profil auf und unterſcheidet hierbei die fol— genden 10 Abſchnitte: 1. Letzter Abſchnitt der Eiszeit. Feuchtes Klima. 2. Lehm mit arktiſchen Pflanzen, von welchen be— ſonders Dryas oetopetala L., Salix reticulata L., S. polaris Wahlenb., Betula nana L. u. ſ. w. her⸗ vorzuheben ſind. Dieſe Flora, welche jetzt hauptſächlich in Nordgrönland, Spitzbergen und andern hochnordiſchen Gegenden zu Hauſe iſt, exiſtierte damals auch noch in Idealer Turchſchnitt durch ein Torfmoor, in Dänemark und dem ſüdlichen Norwegen (nach Blytt). gewonnenen intereſſanten Reſultate, welche durch neueſte Unterſuchungen noch bedeutend erweitert wurden, in einer ausführlicheren Arbeit nieder). Auch Blytt fand in den Torfmooren des ſüdlichen Norwegens die gleiche Schichten— folge wieder, welche früher Steenstrup in Dänemark beobachtet hatte.“) Nur war hier zu berückſichtigen, daß während der Bildung der Torfmoore der däniſche Boden ſich nur um ein ſehr Geringes aus dem Meere erhoben hatte, die Hebung Norwegens während dieſer Zeit aber die bedeutende Zahl von 600 Fuß betrug. Um nun eine Vergleichung der Schichtenfolge in Dänemark und dem ſüdlichen Norwegen zu ermöglichen, müſſen alſo in dem letztgenannten Lande nicht die tiefer gelegenen jüngeren, ſondern die höher befindlichen älteren Torfmoore unter⸗ ſucht werden, welche ſchon beſtanden haben, ehe die Hebung des Bodens begann. Nach der Eiszeit, welche nach den angeſtellten Berechnungen etwa vor 80 90,000 Jahren ihr Ende erreichte, wanderten nun nach Blytt verſchie⸗ dene Floren von ſehr unterſchiedenem Charakter hinter— einander in Norwegen ein. Blytt unterſcheidet die fol⸗ genden ſechs Floren: 1. die arktiſche, 2. die ſubarktiſche, 3. die boreale, 4. die atlantiſche, 5. die ſubboreale und 6. die ſubatlantiſche Flora und wie uns die beigegebene Karte zeigt, ſo haben ſämtliche ſechs Floren noch in ver⸗ ſchiedenen Gegenden Norwegens ſich mehr oder minder rein in ihren Elementen erhalten. Die Spuren dieſer ) Axel Blytt, Die Theorie der wechſelnden kontinentalen und inſularen Klimate, in Englers botan. Jahrb. 1881, Bd. II, Heft 1 und 2. ) In den interglacialen Forimooren von Utznach und Dürnten zeigen ſich nach Heer ſieben verſchiedene Schichten. Dieſelhen würden alſo vorausſichtlich einen noch größeren Zeitraum für ihre Bildung in An⸗ ſpruch genommen haben. Schonen und Seeland. Sie bezeichnet ein kontinentales Klima und dieſes Klima, welches die Verbreitung der ark— tiſchen Pflanzen begünſtigte, brachte auch infolge der Abnahme der Niederſchläge die Gletſcher zum Zurück⸗ weichen. Auch jetzt noch findet ſich in Norwegen auf Schiefer eine ausgeſprochen arktiſche Flora, welche, das Küſtenklima ſcheuend, mehr im Innern des Landes an einzelnen Lokalitäten hervortritt, im ſüdlichen Norwegen nur die Gebirge bewohnt, im Norden aber auch in die Ebene herunterſteigt. In den im ganzen einförmigen nur von ſpärlicher Flora bekleideten Gebirgsſtrecken ſtößt man, fagt- Blytt, „bisweilen auf Partien leicht ver— witternder Schiefer, die blumengeſchmückten Oaſen mitten in der Wüſte gleichen. Die meiſten eigentlichen Gebirgs— pflanzen finden ſich auf dieſen Schiefern und viele Arten find ausſchließlich an dieſelben gebunden. Dryas oc- topetala bildet einen leuchtenden weißen Blütenteppich, der mit blauen Sträußchen von Veronica saxatilis, gelben Kränzen von Potentilla nivea und purpur⸗ farbigen von Oxytropis Lapponica wie mit einer Stickerei bedeckt iſt, einer großen Menge andrer ebenſo reizender Gebirgspflanzen nicht zu gedenken. Charakter— pflanzen für dieſe Schieferflora des Hochgebirges ſind, außer ein paar andern, vorzugsweiſe Dryas und die kleine Weide Salix reticulata mit ihren netzadrigen, auf der Unterſeite ſilberweißen Blättern“. 3. Torf mit Blättern der Zitterpappel (Populus tremula IL.) und einer Birke (Betula odorata Bechst.), ungefähr 3 Fuß mächtig. 4. Wurzelſtöcke und Waldreſte. 5. Torf mit hineingeſtürzten Stämmen der Kiefer (bb) und (in Dänemark) mit Steingeräten, ungefähr 4 Fuß mächtig. Damals wuchs die Kiefer noch in Däne— 36 Humboldt. — Januar 1882. mark, wo fie jetzt fehlt. Während der Bildung der Schichten 3, 4 und 5 wanderte die ſubarktiſche Flora ein, welche noch jetzt in Norwegen über das ganze Land verbreitet iſt. Dieſe Flora ſcheut meiſtentheils das Küſten⸗ klima nicht, ja viele kommen an ſehr feuchten Standorten vor. Auf feuchten Abhängen und in ſchattigen Wäldern gedeiht hier Mulgedium alpinum, Aconitum sep- tentrionale, Archangelica neben dem weiß⸗ blühenden Hahnenfuß (Ranunculus aconitifolius), auf Mooren wachſen Menyanthes, Triglochin, Co- marum, Pinguicula, Andromeda polifolia, die Sumpfheidelbeere (Vaccinium uliginosum) u. ſ. w., auf trocknerem Boden Geum rivale, Lotus corniculatus, Ranunculus aeris, Alchemilla vulgaris, Geranium silvaticum u. ſ. w., während die Holzvegetation aus der Bergbirke (Betula odorata), der Kiefer und Fichte, der Vogelbeere (Sorbus Aucu- paria), dem Faulbaum (Prunus P a dus), der Zitter⸗ pappel (Populus tremula) und der grauen Erle (Alnus inc ana) gebildet wird. 6. Wurzelſtöcke und Waldreſte. In dieſer Schicht findet ſich (im ſüdlichen Norwegen) der Haſelſtrauch, der damals dort viel häufiger war als jetzt, die Eiche und andre die Wärme liebenden Laubhölzer. Zu Anfang dieſer Periode lag Norwegen noch etwa 350 Fuß tiefer als jetzt. Damals wanderte die boreale Flora ein, welche, das Küſtenklima ſcheuend, einen trocknen und warmen Standort bevorzugt und mit Vorliebe auf den Schutt⸗ ablagerungen der innern Fjordenregion, ſo im Chriſtiania⸗ fjord, Sognefjord und Trondhjemsfjord, gedeiht. Hier bildet ſie lichtgrünes Gebüſch von Haſel, Ulme, Linde, Eſche, Ahorn, Eiche, Sorbus Aria, Roſen und andern wärmeliebenden Sträuchern, zwiſchen welchen häufig die Blüten verſchiedener ſtark duftender Lippenblütler, von Geranium Robertianum, Verbascum, Hy- pericum, Dentaria bulbifera und einigen Schmetterlingsblütlern hervorlugen. Im inneren Sogne⸗ fjord findet man ſogar auf ſolchem Schutte einen Wald von Ulmen und einen ſolchen von Vogelkirſchen (Prunus avium) vor, was ſonſt nirgends wieder in Norwegen beobachtet wird. 7. Torf, im Durchſchnitt 4 Fuß mächtig, mit hinein⸗ geſtürzten Stämmen von Quercus sessiliflora (cc), welche, ein mildes inſulares Klima vorziehend, dort da⸗ mals viel häufiger war als jetzt. Noch lag das ſüd⸗ öſtliche Norwegen 150 Fuß tiefer als gegenwärtig, als in dieſer Periode die Einwanderung der atlantiſchen Flora begann. Dieſe Flora, welche noch in den weſt⸗ lichſten und feuchteſten Gegenden Norwegens, beſonders von Stavanger bis aufwärts nach Chriſtianſund ſich zeigt, in den inneren Fjorden aber gänzlich fehlt, beſitzt an charakteriſtiſchen Elementen beſonders die Stecheiche ([le , die Eibe (Taxus), den rothen Fingerhut (Digitalis purpurea), das Moosheidekraut (Erica Fetralix) und andere. 8. Wurzelſtöcke und Waldreſte. Bei Beginn dieſer Periode lag das ſüdliche Norwegen noch 50 Fuß tiefer als jetzt. Die ſubboreale Flora wanderte ein, welche noch jetzt die niedrigſten Küſtengegenden am Chriſtiania⸗ fjord und Skiensfjord bis 75 Fuß über dem Meere ein⸗ nimmt. Ihr find unter anderm zuzuteilen Spiraea filipendula, Libanotis montana, das ſchöne rot⸗ blühende Geranium sanguineum, Thymus Cha- maedrys, der Feldbeifuß (Artemisia campestris), Rhamnus catharticus, Fragaria collina u. ſ. w. Ihre Arten find kontinental und lieben trockne, warme Standorte. 5 9. Torf (gewöhnlich aus loſem Sphagnum be⸗ ſtehend) ungefähr 5 Fuß mächtig; noch ſind Steingeräte in Norwegen gebräuchlich. Die ſubatlantiſche Flora wandert ein, welche jetzt nur in den ſüdlichſten Gegenden, im Amte Smaalehnene und im Chriſtianſandiſchen Stift vertreten iſt. Es ſind Küſtenpflanzen, von welchen viele an feuchten Standorten wachſen. Hierher gehören z. B. Gentiana Pneumonanthe, Cladium Mariscus, Teucrium Scorodonia, Pulicaria dysenterica, Ajuga reptans, Berula angustifolia u. ſ. w. 10. Gegenwart. Die Moore ſind zum größten Teile trocken, vielfach mit Heide und Wald bewachſen. Eine neue Wurzelſchicht ſteht in den Mooshügelchen der Moore fertig da, um unter neuen Torflagern begraben zu werden, ſobald eine neue Regenzeit beginnen ſollte. Zu ähnlichen Reſultaten gelangte auch Geikie bei Unterſuchung der ſchottiſchen Torfmoore, wo nach der Glacialperiode ebenfalls ein wärmeres Klima eintrat, oder Hlicje*) bei Unterſuchungen der Torfmoore in der Champagne, wo auf Schichten mit Pinus und Taxus ſolche mit Quercus und andern mehr Wärme liebenden Laubbäumen folgten. Anderſeits aber führt Engler!) auch wieder einige Fälle an, in welchen noch im Zeitalter des Menſchen, und vielleicht durch dieſen ſelbſt unterſtützt, in umgekehrter Weiſe Eiche und andre Laubbäume durch Kiefer und Fichte zurückgedrängt wurden, wie z. B. in Weſtpreußen oder in der Umgebung von Graz; ja in Rußland, wo nach Beketoff die Nadelhölzer wieder durch die Zitterpappel und Birke, alſo gerade durch jene Ele⸗ mente, welche in den Torfmooren Skandinaviens un⸗ mittelbar auf die Glacialflora folgten, verdrängt werden, deutet dieſer Umſtand ſogar auf ein abermaliges Vor⸗ ſchreiten des ſubarktiſchen Florenelements hin. Durch dieſe Unterſuchungen iſt alſo ein Wechſel der Vegetation in den einzelnen Schichten und mit dieſem auch ſäkulare Ver⸗ änderungen im Klima nachgewieſen worden. Aber wie die Torfmoore Skandinaviens im Vergleich zu den Ver⸗ änderungen in der ruſſiſchen Vegetation beweiſen, können dieſe Veränderungen dort zu wärmeren Klimaten vor⸗ ſchreitende, hier aber zu nordiſchen Florenelementen rück⸗ ſchreitende ſein; wie wir etwa in ähnlicher Weiſe ſehen, wie hier ſo manche Gebiete höher und höher aus dem Meere allmählich emportauchen, andere dort eine ebenſo allmähliche Senkung erleiden. So zeigen ſich ſolche ſä⸗ kularen langſamen Senkungen z. B. an der normänniſchen, belgiſchen, holländiſchen und norddeutſchen Küſte, ſowie im Oſten der Vereinigten Staaten und des auſtraliſchen Kontinents, während anderſeits Skandinavien nebſt Schott⸗ land und Jütland, Griechenland, Japan, Sumatra, Java, die Küſte von Chili u. ſ. w. eine ebenſo fortſchreitende, wenn auch ſehr allmähliche Erhebung erkennen laſſen. Die Glacialflora und die Flora der Torfmoore, welche bis vor kurzem noch fo wenig bekannt waren, verbinden die Ausläufer der Tertiärflora mit der heutigen Vegetation, mit welcher ſie um ſo enger verknüpft ſind, als ſie nahezu unter Bedingungen exiſtiert haben, welche noch jetzt für einen Teil unſrer Vegetation gelten. Es iſt das hohe Verdienſt jener oben erwähnten Forſcher, auf jenes wich⸗ tige Verbindungsglied zwiſchen der Vorwelt und jetzt und auf die wichtigen Veränderungen aufmerkſam gemacht zu haben, welche die Pflanzendecke in jenen Perioden durch⸗ lebt hat. Wie bedeutungsvoll und fruchtbringend aber das Hereinziehen der Tertiärzeit und die Kenntnis der eben be⸗ ſprochenen Floren für das Verſtändnis der heutigen Ve⸗ getation und ihrer Entwickelungsgeſchichte iſt, das zeigt z. B. Englers Verſuch einer Entwickelungsgeſchichte der Pflanzenwelt, in welchem auch die paläontologiſchen For⸗ ſchungen von der Tertiärzeit an ſo meiſterhaft benutzt wurden. G. ele ee, Aleber die Zelle und ihre Cebenserſcheinungen ſind in neuerer Zeit mehrere wichtige Unterſuchungen veröffentlicht worden, die unſere Kentniſſe in mehr als einer Beziehung erweitern. Beſonders ſind es drei Ab⸗ handlungen W. Flemmings (Beiträge zur Kenntnis der 8 ) Fliche, Faune et flore des tourbiéres de la Champagne, in comptes rendus 1876. T. 82, p. 979. ““) Engler, Verjud einer Entwickelungsgeſchichte der Pflanzen⸗ 12 5 I. 190 Die extratropiſchen Gebiete der nördlichen Hemiſphäre. „P. * Humboldt. — Januar 1882. 37 Zelle und ihrer Lebenserſcheinungen. Archiv für mikr. Anat. 16. 18. 20), die über die Rolle des Zellkerns bei der Teilung Eingehendes berichten. Vor der Teilung, alſo im Ruhezuſtand, ſtellt der Kern ein äußerſt feinadriges „Korbgerüſt“, aus enggewundenen Fäden beſtehend, dar. Beim Beginn der Teilung ſammelt ſich faſt alle durch die gewöhnlichen Färbemittel tingierbare Subſtanz, welche von Flemming Chromatin genannt wird, zu kleinen, ſchleifen— artig gebogenen Fädchen, die dem Kern nunmehr ein „knäuel— artiges“ Anſehen geben. Alsbald beginnt, wie durch ein im Zentrum des Kerns befindliches Attraktionszentrum veranlaßt, eine eigentümliche Anordnung der Fädchen, in— dem ſich nämlich die Winkel der Schleifen nach dem Zentrum ſtellen, während die freien Fadenenden von ihm wegge— wendet ſtehen, als ob ſie abgeſtoßen würden. Es reſultiert daraus eine „Sternfigur“ der Fädchen. Bald bemerkt man ein Beſtreben der Fadenſchleifen ſich in zwei Gruppen zu teilen, und ſich anders anzuordnen; mehrere Male aber fallen ſie in die Sternform zurück, bis nach einigen Verſuchen („Syſtole und Diaſtole“) die Schleifen derart um— geordnet ſind, daß die Winkel nach den Polen, die Enden nach dem Aequator gerichtet ſtehen, als ob ſich nunmehr bett etwas den Polen genäherte Attraktionszentren gebildet ätten. Dieſe Phaſe heißt „Aequatorialplatte“. Allmählich rücken die zwei Fädchengruppen nach den Polen zu aus— einander und formieren zwei Sternfiguren, die dem durch— laufenen Stadium der Sternform des Mutterkerns ſehr ähnlich ſind; ſie gehören jetzt den Tochterkernen an, laſſen aus ſich wieder „Knäuelformen“ entſtehen, bis in letzter Inſtanz wiederum das Stadium des „Korbgerüſtes“ erreicht wird, d. h. die beiden Tochterkerne im Ruhezuſtand ſich befinden. Von hohem Intereſſe hierbei iſt, daß die neu entſtandenen Tochterkerne von der Aequatorialplatte an die gleichen Stadien, aber regreſſiv durchlaufen, die der Mutterkern bis dahin progreſſiv gebildet hat. Bei vielen Zellteilungen treten auch weniger oder nicht tingier— bare Fäden auf, die meiſt eine ſpindelförmige Figur dar— ſtellen. Flemming nennt ſie achromatiſche Fäden und unterſcheidet je nach ihrem Vorkommen eine chromatiſche und eine achromatiſche Zellteilung. Die ganze Reihe der bei der Teilung durchlaufenen Prozeſſe im Zellkern wird als „Karyokineſe“ bezeichnet. An einer nicht unbeträcht— lichen Reihe von Objekten der verſchiedenſten Art iſt die Karyokineſe von Flemming und andern nachgewieſen; es ſcheint, daß ſie ein allgemein vorkommender Prozeß iſt, doch ſind noch einige Abweichungen zumal bei Pflanzen konſtatiert (vergl. Straßburger), die fic) nicht ganz un- gezwungen in das Flemmingſche Schema einfügen laſſen. Von hervorragendem allgemeinerem Intereſſe ſind Flemmings Angaben über Befruchtung und Teilung der Seeigeleier. Bekanntlich waren durch A. Schneider die berühmten Beobachtungen von O. Hertwig, Fol und Selenka über das Eindringen des Spermakerns in die Eizelle und die alsdann ſtattfindende Kopulation mit dem Eikern in Zweifel gezogen worden. (Zool. Anz. 1880.) Flemming beſtätigt die übereinſtimmenden Angaben der drei Forſcher: er konſtatierte, was bis jetzt nicht bekannt war, im reifen Eierſtocksei eine radiäre Anordnung des Protoplasmas; er wies nach, daß aus dem Kopf des eingedrungenen Samenfadens, der noch einige Zeit nach dem Eindringen an ſeiner charakteriſtiſchen Geſtalt kenntlich iſt, ein neuer Kern, der Spermakern, entſteht, der auf den Eikern los— rückt und vollſtändig mit ihm zu einem neuen, dem ſog. Furchungskern verſchmilzt. Das Ei hat nun wiederum den Wert einer Zelle mit einem Kern und beginnt nun ſeine Teilungen (Furchung), wobei der Kern nach Flemming die karyokinetiſchen Prozeſſe deutlich erkennen läßt. Rb. Aeber die angebliche Afterloſigkeit der Bienen- larven teilt Hermann Müller in Lippſtadt mit, daß er, nachdem er ſchon vor 12 Jahren Exkremente von Mega— chile-Larven beobachtet, neuerdings von der thatſächlichen Anweſenheit und Thätigkeit eines Afters bei Dasipoda hirtipes ſich überzeugt habe. dieſer Naturmerkwürdigkeit bewirkt habe. Die Larve frißt allerdings den blumenartig duftenden, angenehm ſäuerlich ſchmeckenden, aus Zichorienpollen und etwas Nektar beſtehenden Futterballen radikal und ohne auszuſetzen auf, ohne während dieſer Zeit eine Spur von Exkrementen zu produzieren. Ihr Gewicht hat infolge dieſer Leiſtung von 0,0025 g bis auf 0,35 f zugenommen. Erſt jetzt beginnt das Ausſcheiden der unverdauten Reſte, welches mehrere Tage in Anſpruch nimmt, wobei ihr Ge⸗ wicht auf 0,09 — 0,15 g ſinkt. Alſo ſtrenge Arbeitsteilung. Rb. Geographie. Natürliche Brücken. Das neunte Heft der Peter— mannſchen Mitteilungen bringt unter anderm eine Ab— handlung von Profeſſor Keller über eine natürliche Brücke, welche er auf einer Reiſe in den Abruzzen zu ſehen Gelegenheit hatte. Die erwähnte Brücke befindet ſich bet dem Dorfe Papigno (Umbrien), 7 km öſtlich von Terni in der Nähe des Einfluſſes des Velino in die Nera. Etwa 300 m unterhalb der Vereinigungsſtelle kommen die beiderſeitigen Ufer zur Berührung und bilden fo die „Ponte Naturale”, deren engſte Stelle zu etwa 6 m Breite angegeben wird. Der Verfaſſer ſchreibt die Entſtehung der Brücke einem chemiſchen Prozeſſe zu, der ſich einſtmals bei höherem Waſſerſtande zwiſchen den im Waſſer mit— geführten Sedimentärſtoffen vollzogen und die Bildung II. Eigentümliche Gebräuche und Einrichtungen im Tundareiche. Das Lundareich, im Quellgebiete des Living— ſtonefluſſes zwiſchen dem 8. und 12.“ nördlich vom Aequator gelegen, wurde im Jahre 1874 von Dr. Pogge beſucht. In ſeinem kürzlich veröffentlichten Berichte „Beiträge zur Ent— deckungsgeſchichte Afrikas. Dritt. Heft“ ſchildert der Reiſende auch das Reich und den Hof des Muato Jamwo, d. i. des Oberkönigs der Lundaſtaaten. Das Reich iſt nach dem— ſelben in mehrere große und kleine Gebiete geteilt, über welche weniger mächtige Häuptlinge unter verſchiedenen Namen herrſchen. Alle haben Tribut an den Oberherrſcher zu zahlen, der in Lebensmitteln, Leoparden- und Löwen— fellen, Elfenbein, Kupfer, Salz u. dergl. beſteht. Dieſe Gegenſtände werden durch eine jährlich einmal nach Muſſumba ziehende Karawane dem Häuptling überbracht. Wer den Tribut pünktlich liefert, kann in ſeinem Lande ziemlich ungehindert ſchalten und walten. Die Regierung des großen Reiches liegt aber nicht in der Hand des Ober— königs allein, es nimmt vielmehr an derſelben noch eine unverheiratete Dame, die Lukokeſcha, Anteil, und zwar ſo, daß der Muato Jamwo keinen wichtigeren Regierungsakt ohne ihre Zuſtimmung vollziehen kann. Sie gilt als die Mutter aller Oberkönige oder Muato Jamwos und hat bei der Neuwahl die entſcheidende Stimme, ſowie umge— kehrt wieder bei der Wahl der Lukokeſcha der Muato Jamwo mit ſeiner Stimme den Ausſchlag gibt. Die übrigen Wahl- berechtigten ſind der Mona Arta, „der erſte Sohn des Staates“; der Cliana Mulopo, „der zweite Sohn“; der Mona Phalada, „der Sohn der Waffen“; und der Muari Vaneji, „der Koch des Staates“. Dieſe vier höchſten Würdenträger bilden zugleich den oberſten Rat des Königs, neben welchen aber auch noch die Kilolos, d. i. die Großen, bei minder bedeutenden Angelegenheiten zur Beſchlußfaſſung herangezogen werden können. ; Die „Hauptſtadt“ von Lunda iſt Muſſumba, d. i. „großes Lager“; ſie liegt unter dem 35.“ 6. L. von Greenwich und gleicht nichts weniger als einer Stadt nach unſern Be— griffen. Die Häuſer beſtehen aus Erdhaufen mit niedrigem Eingange, und nur die der Vornehmen haben einige Aehn⸗ lichkeit mit menſchlichen Wohnungen, auch ſind dieſe letzteren umzäunt, was bei den Behauſungen der Sklaven und Arbeiter nicht der Fall. Der Einwohner von Muſſumba kriecht in ſeine Wohnung. Auch die Lage der Haupt- und Reſidenzſtadt iſt nicht immer dieſelbe. Sie ändert ſich mit 38 Humboldt. — Januar 1882. jeder neuen Thronbeſteigung, da mit dem Tode des Königs deſſen Kipanga zerſtört wird; das jetzige Muſſumba heißt Quizememe. Die Bewohner des Reiches ſind nach dem Berichte des Reiſenden Kannibalen; ſo holten ſie z. B. einen eben juſtifizierten Zauberer unter großem Lärm von dem Richt⸗ platze, um ihn zu Hauſe zu verſpeiſen. Um nach einem Streite wieder Freundſchaft anknüpfen zu können, iſt es nötig, ſeinen Gegner durch Geſchenke erſt mürbe zu machen, worauf dann als Beweis der Ausſöhnung ein Gegengeſchenk erfolgt. So erlangte Pogge die Freundſchaft Muato Jam⸗ wos nach einem geringfügigen Zwiſchenfalle durch Ueber⸗ ſendung von zwei Yards Zeug wieder, welches Geſchenk der König ſeinerſeits durch Ueberreichung einer Schale Bohnenſchoten erwiderte. Geſchenke werden überhaupt bei allen nur erdenklichen Gelegenheiten ausgetauſcht und zwar oft ſolche von ganz ſonderbarer Art. So überreichte jeder von den Großen des Reiches bei einem Beſuche, den ſie dem Reiſenden abgeſtattet hatten, demſelben männiglich ein Rind zum Angebinde. H. Sitterart) dco RN m Onpanea wu: Georg Krebs, Grundriß der Bhyfik für höhere realiſtiſche Lehranſtalten (Realſchulen I. O., höhere Gewerbeſchulen u. ſ. w.), ſowie zur Selbſtbelehrung. Leipzig, Veit u. Komp. 1882. Preis 7 Ah, Wenn es ſich darum handelte, in wenigen Worten die Aufgabe zu umſchreiben, welche der phyſikaliſche Unter⸗ richt an ſolchen Lehranſtalten zu erfüllen hat, welche teils zum Studium an techniſchen Hochſchulen vorbereiten, wie dies bei den Realſchulen der Fall iſt, oder aber ihre Zög⸗ linge in das praktiſche Leben entlaſſen, wie dies bei Ge⸗ werbeſchulen und Lehranſtalten ähnlicher Einrichtung ge⸗ ſchieht, ſo könnte man dieſelbe etwa in folgender Weiſe formulieren: Als Aufgabe des phyſikaliſchen Unterrichts auf der angeführten Stufe kann bezeichnet werden: Kennt⸗ nis der Grunderſcheinungen der verſchiedenen Erſcheinungs⸗ kreiſe, ſowie der wichtigſten Beziehungen zwiſchen denſelben, vor allem jedoch Geläufigkeit und Sicherheit in der Kennt⸗ nis der elementaren Sätze, ſowie der Grundprinzipien der Mechanik, beſonders inſofern es ſich um die Wirkungen der Schwerkraft handelt. Wenn wir bedenken, daß unſer ganzes Leben in jeder ſeiner Bewegungen ein fortwähren⸗ des Ringen mit der Erdſchwere iſt, daß jedes unſerer Bau⸗ werke in allen ſeinen Formen, ſei es Gewölbe, Dachkon⸗ ſtruktion oder Brückenbogen, dieſen Kampf mit der uner⸗ bittlichen, nirgendwo und niemals ruhenden Kraft zum Ausdruck bringt, wenn wir überlegen, daß der Druck des Luftozeans es iſt, der, mit dem Gewichte vieler Zentner auf uns laſtend, unſere Arme und Beine gewichtlos in den Gelenkpfannen hält, und daß dieſer Druck dem mächtig nach außen firebenden Blutdruck an unſerm Körper das Gleichgewicht hält und ſomit eine wichtige Lebensbedingung erfüllt; wenn wir dies alles vor Augen halten, ſo kann es uns nicht entgehen, von welch eminenter Bedeutung die Kenntnis der Wirkung dieſer Kraft auf die verſchie⸗ denen Gegenſtände an der Oberfläche der Erde für alle Stände und in allen Lagen des Lebens ſein müſſe. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Bekanntſchaft mit den andern Erſcheinungskreiſen, welche wie die der Wärme und der Elektrizität das Verſtändnis für zwei der ſtaunens⸗ werteſten Erfindungen der neueſten Zeit: der Dampf⸗ maſchine und des Telegraphen eröffnen, oder welche wie die Lehre vom Lichte die Wirkungsweiſe der mächtigen Forſchungswaffen, der Bewaffnung des Auges: Teleſkop und Mikroſkop erklärt, oder welche uns wie die Akuſtik die Welt der Gehörempfindungen und die wunderbare Thatſache der Harmonie der Töne, das Fundament der Tonkunſt erſchließt, daß die Bekanntſchaft mit allen dieſen Naturerſcheinungen für die Gebildeten aller Stände von großer Wichtigkeit ſei. Jedoch für die Schule iſt es vor allem notwendig bei der ſchwer zu bewältigenden Maſſe des Wiſſensmaterials, dem jugendlichen Geiſte ein gewiſſes Streben einzuimpfen, phyſikaliſch geſprochen ihm eine ge⸗ wiſſe lebendige Kraft einzuprägen, welche denſelben in der erhaltenen Richtung forttreibt und zur Erweiterung ſeiner Kenntniſſe anſpornt. Wenn der Abiturient einer der oben⸗ genannten Lehranſtalten die Kenntniſſe der verſchiedenen elementaren Rechnungsoperationen und deren Anwendung auf die Beiſpiele, wie ſie die bürgerliche oder politiſche Arithmetik bringt, ferner auf die geometriſchen Beziehungen der einfachen Raumgebilde, ſowie auf die einfachen mecha⸗ niſchen Probleme ſich in der Weiſe angeeignet hat, daß er ſich in allen dieſen Fällen auch wirklich ſelbſtändig zurecht zu finden vermag, ſo hat unſerer Anſicht nach der mathematiſch⸗phyſikaliſche Unterricht ſeine Aufgabe redlich und erfolgreich erfüllt. Es ſoll damit beileibe nicht geſagt werden, daß die Kenntnis der übrigen phyſikaliſchen Er⸗ ſcheinungen, deren Bedeutung für den Gebildeten wir oben anzugeben verſuchten, zu vernachläſſigen wäre, allein es iſt dieſe Kenntnis viel leichter zu erreichen, da es ſich hier⸗ bei um keine prinzipiellen Schwierigkeiten handelt. Den Anforderungen des Unterrichtes, wie wir den⸗ ſelben in den obigen Zeilen zu umſchreiben verſuchten, iſt in dem zu beſprechenden Werke unſerer Ueberzeugung nach durchwegs vollauf Rechnung getragen. Etwa ein Drittel des ganzen, 38 Druckbogen ſtarken Werkes beſchäftigt ſich mit der Mechanik der drei Aggregationsformen, die übrigen zwei Drittel entfallen auf Akuſtik und Wellenlehre, Optik, Magnetismus, Elektrizität, Wärmelehre und als Ergänzung mathematiſche Geographie und Aſtronomie. Faſt ein Sechs⸗ teil des ganzen Buches nimmt — gebührender Weiſe — die Wärmelehre ein. 6 Eine bedeutende Schwierigkeit elementarer Lehrbücher der Phyſik bildet die Ableitung der phyſikaliſchen Geſetze, da auf jener Stufe des Unterrichtes, für welche dieſelben geſchrieben wurden, die Anwendung der Infiniteſimalrech⸗ nung noch verſagt iſt und man ſich, um höhere Rechnungen zu vermeiden, oft einzelner Kunſtgriffe bedienen muß, welche nur allzu leicht gegen die wünſchenswerte Strenge der Beweisführung, oft auch gegen den guten Geſchmack ver⸗ ſtoßen. Wir finden dieſe Klippe in unſerm Werke ſehr glücklich vermieden. Die Ableitungen der einzelnen Sätze finden wir durchaus klar und kurz, ſo daß ſie in leicht überſehbarer Weiſe den Zuſammenhang zwiſchen dem Aus⸗ gange und dem Endpunkte der Deduktion vor Augen führen. Rühmend muß erwähnt werden, daß das Werk in ſeinen Definitionen, in der Einteilung des Stoffes, in der Anführung und Erklärung von Apparaten u. ſ. w. überall auf dem Niveau der Wiſſenſchaft und Technik ſteht. Humboldt. — Januar 1882. 39 Die Verwendbarkeit des Buches wird durch die große An— zahl von Aufgaben, welche den einzelnen Paragraphen bei— gefügt ſind, weſentlich erhöht. Eine angenehme Zugabe ſind die kurzen, anhangsweiſe beigefügten Logarithmentafeln und Tabellen. Selbſtverſtändlich kann es unſere Aufgabe an dieſem Orte nicht ſein, eine eingehende Beſprechung des Werkes zu liefern, dies muß Fachorganen überlaſſen bleiben, die ſich ausſchließlich mit Unterrichtsangelegenheiten beſchäftigen. Wir müſſen uns darauf beſchränken, eine kurze Überſicht des Inhalts folgen zu laſſen. Nach einer entſprechenden Einleitung, die ſich vorzugsweiſe mit der Konſtitution der Materie beſchäftigt, folgt die Mechanik, bei welcher wir eine erfreuliche Abweichung von der gewöhnlichen Art der Behandlung des Stoffes konſtatieren können. Dadurch nämlich, daß die Mechanik in mathematiſche und phyſiſche (Phoronomie und eigentliche Mechanik) geteilt wird, ge— ſchieht ein ſcharfes Abtrennen jener Teile der Bewegungs— lehre, welche rein aus den Begriffen der Bewegung folgen, wie Geſchwindigkeit und Beſchleunigung von jenen, welche auf dem Grunde der aus der Erfahrung geſchöpften Be— wegungsgeſetze ſtehen, wie dies bei den Begriffen der Kraft und der Energie der Fall iſt. — Das zweite Kapitel bildet die Wellenlehre und die Akuſtik, das dritte die Lehre vom Licht, das vierte und fünfte Kapitel enthält die Lehre vom Magnetismus und der Elektrizität, das ſechſte die Wärme— lehre und die Meteorologie. Den Schluß bildet als ſieben— tes Kapitel die mathematiſche Geographie und Aſtronomie. Wenn wir ſchließlich nach einer nochmaligen Durch— blätterung des Buches dasjenige, was uns hierbei aufge— fallen, kurz zuſammenfaſſen wollen, ſo kann dies etwa in folgender Weiſe geſchehen: das Buch enthält eine Fülle von wohlgewählten phyſikaliſchen Wahrheiten, deren Ab— leitung von einfacheren und bekannten Sätzen klar und frei von Ueberwucherung des mathematiſchen Apparates iſt, ferner enthält es die Beſchreibung aller jener Verſuche und Vorrichtungen, welche zur Demonſtration der wichtigſten Erſcheinungen notwendig ſind, darunter auch vom Verfaſſer ſelbſt ausgedachte und auch ſchon anderweitig bekannte Vor— tragsapparate. Endlich enthält das Werk die Erklärung der wichtigſten techniſchen Erfindungen, beſonders jener, bei welchen die Elektrizität eine Rolle ſpielt. Erwähnen wir ſchließlich noch die ſchöne Ausſtattung des Buches, große Anzahl der Holzſchnitte u. ſ. f., fo können wir den „Grundriß der Phyſik“ mit voller Befriedigung den Lehrern dieſer Wiſſenſchaft empfehlen. Budapeſt. Prof. Aug. Heller. Julius Wiesner, Elemente der Anatomie und Phyfiologie der Pflanzen. Mit 101 Holz⸗ ſchnitten. Wien, Hölder. 1881. Preis 7 M Ein kurzgefaßtes, klar und überſichtlich ausgearbeitetes Lehrbuch der allgemeinen Botanik wird jedermann will kommen ſein und iſt namentlich Anfängern zur Rekapitu— lation des im Vortrag Gelernten ſehr zu empfehlen. Das vorliegende Buch iſt der erſte Band eines zwei— bändigen Werkes, deſſen Inhalt im Titel angegeben iſt, während der zweite in Ausſicht geſtellte Band die Mor— phologie der Organe, die Syſtematik und die Biologie der Pflanzen bringen wird. Das Werk iſt, wie aus dem Vorwort hervorgeht, das Skelett botaniſcher Vorträge des Herrn Verfaſſers und ſucht daher vorzugsweiſe dem prak— tiſchen Bedürfnis des Anfängers zu entſprechen. Dem Herrn Verfaſſer ſchwebte bei Abfaſſung des Buches beſonders die Aufgabe vor, die ungeheure Maſſe des angehäuften empiriſchen Materials in eine möglichſt einfache und überſichtliche Form zu bringen und die all— gemeinen Reſultate möglichſt klar hervortreten zu laſſen, und wir ſind der Meinung, daß er im ganzen dieſen Zweck recht gut erreicht hat. N Dem Text geht eine Inhaltsüberſicht voran und den Beſchluß macht ein etwas kurz gehaltenes Sachregiſter. Ueber Einzelnes in der Anordnung und Verteilung des Stoffes ließe ſich vielleicht mit dem Verfaſſer ſtreiten; ſo z. B., ob die Zuſammenſtellung der Anatomie und Phyſio⸗ logie einerſeits, ſowie der Morphologie der Organe, Bio— logie und Syſtematik anderſeits eine glückliche iſt, nicht minder über die Einteilung der Morphologie. In dieſen Dingen herrſcht aber unter den Lehrern der Botanik ſo viele Liebhaberei, daß wir darüber nicht mit dem Verfaſſer rechten wollen. Dem durch Robert Brown und Schleiden in der Bo— tanik zur Geltung gebrachten methodologiſchen Prinzip der Entwickelungsgeſchichte wird ſeine wahre Stellung und Be- deutung eingeräumt. Im Gegenſatz zu einigen neueren Darwiniſten macht der Verfaſſer mit vollem Recht geltend, daß die vitaliſtiſchen Phänomene ſich noch keineswegs als mechaniſche Probleme auffaſſen laſſen, ſondern vorläufig einer durchaus andern Methode der Darſtellung bedürfen. Das Material der Thatſachen iſt im ganzen klar und korrekt mitgeteilt und wir würden nur wenige Einwen— dungen zu machen haben. Die Gleichheit oder Verſchieden— artigkeit der Zellformen eines Gewebes dürfte wohl beſſer durch die Ausdrücke: „iſomorph“ und „heteromorph“ an- gedeutet werden als durch die Bezeichnungen des Verfaſſers „polymorph“ und monomorph“ (S. 15). ; Den Satz „Zellen, welche mit Membran umſchloſſen ſind, ändern ihre Form nur durch Wachstum“ würde der Herr Verfaſſer wohl in aller Strenge kaum aufrecht er— halten wollen, da hier Dehnung, Spannung, Zerrung oft weſentliche Aenderungen hervorrufen. Bei der Darſtellung der Zellenlehre für Anfänger im Vortrag oder im Lehr— buch halten wir die genetiſche oder entwickelungsgeſchicht— liche Methode für erſprießlicher als die vom Verfaſſer in Anwendung gebrachte rein deſkriptive. Den nämlichen Wunſch möchten wir auch für andere Teile des Buches, namentlich für die Gewebelehre zur Ausſprache bringen. In einzelnen Abſchnitten iſt nicht ganz dem neueſten Standpunkt der Forſchung Rechnung getragen; ſo z. B. wird auf Seite 57 als Beiſpiel der freien Zellbildung noch der Embryoſack der Phanerogamen angeführt. Der phyſiologiſche Teil iſt im ganzen noch zweckmäßi⸗ ger und für den Anfänger fruchtbarer ausgearbeitet als der anatomiſche. Eine Anzahl kritiſch-litterariſcher Anmerkungen findet ſich dem Text in Form von Noten angehängt. Papier und Druck ſind tadellos, Druckfehler wenige vorhanden, die Abbildungen meiſt klar und zweckentſprechend. Anfängern und Lehrern, namentlich auch Schullehrern, kann das Werk als ein ſehr brauchbares Hilfsmittel em— pfohlen werden. Jena. Prof. Dr. Hallier. Mitteilungen aus dem Neichs⸗Geſundheitsamt. Herausgegeben von Struck. I. Band. Berlin, Gerſchel. 1881. kart. Preis 16 % Vor kurzem iſt der erſte Band der „Mitteilungen aus dem kaiſerlichen Geſundheitsamt“ erſchienen, worin nament— lich wertvolle Beiträge über die Erforſchung des Entſtehens krankmachender Organismen enthalten ſind. So wird in einer Arbeit über die Entſtehungsurſachen, das Weſen und die Verbreitung des Milzbrandes nachgewieſen, daß der den Milzbrand im Körper erzeugende Organismus als ein ſelbſtändiges Weſen und nicht als eine aus andern Or— ganismen entſtandene, durch Umwandlung gebildete Ueber— gangsform zu betrachten ijt. Auch die Krankheit erzeu⸗ genden Schimmelpilze ſind ſpezifiſche Weſen, welche nur aus ihresgleichen entſtehen und nur ihresgleichen wieder erzeugen. Ferner wird der Nachweis geliefert, daß es eine Menge von Bakterienkrankheiten gibt, die ein Individuum wiederholt ergreifen können, ohne es dadurch vor ſpäteren Invaſionen zu ſchützen. Der Desinfektionsfrage ſind ſo— dann eine Reihe von Arbeiten gewidmet. Die ungenügende Wirkſamkeit der Karbolſäure, der ſchwefligen Säure und des Chlorzinks gelangt an der Hand mykologiſcher Verſuche zur Darlegung; auch die Verſuche über Desinfektion mit heißer 40 Humboldt. — Januar 1882. Luft führten nicht zu befriedigenden Reſultaten, und Ver⸗ ſuche über das Eindringen der Hitze in das Fleiſch bei deſſen Zubereitung erwieſen die Schwierigkeiten; welche fic) einer Erhöhung der Temperatur auf 100°C. und darüber im Inneren des Fleiſches entgegenſtellen, wodurch die praktiſche Frage, wie weit Anſteckungsſtoffe, auch Tri⸗ chinen, beim gewöhnlichen Kochen vernichtet werden können, näher beleuchtet wird. Weiter werden die verſchiedenen Methoden der Waſſeranalyſen, insbeſondere vom ſanitären Standpunkt aus beſprochen und endlich als techniſche Grund⸗ lagen für die polizeiliche Kontrolle der Milch eine vorläufige einfache und eine definitive Prüfung vorgeſchlagen. Frankfurt a. M. Dr. Th. Peterſen. Simon Neweomb, Populäre Aſtronomie. Deutſche vermehrte Ausgabe, bearbeitet durch Dr. Engel⸗ mann. Mit dem Bildnis W. Herſchels, 2 Stern⸗ kärtchen und 207 Holzſchnitten. Leipzig, Engel⸗ mann. 1881. Preis 12 %, geb. , 13. 50. Das Original, aus der Feder eines der bedeutendſten Aſtronomen der Gegenwart, hat im Heimatlande des Verfaſſers, Amerika, und in England, in welchen beiden Ländern aus Privatmitteln von zahlreichen Freunden der Aſtronomie bei andern Nationen auf dieſe Weiſe kaum erreichte und ſchon von vielen Erfolgen belohnte Opfer für dieſe Wiſſenſchaft gebracht worden ſind, in kurzer Zeit eine große Verbreitung gefunden. Des Buches Eigenart der vorwiegend geſchichtlichen und philoſophiſchen Behandlung des Gegenſtandes bei knap⸗ per Darſtellung der für den Laien wenig genießbaren techniſchen Seite und die klare, allgemein faßliche Sprache haben den Herausgeber, einen Fachmann, veran⸗ laßt, eine deutſche Bearbeitung zu unternehmen. Eine reine Ueberſetzung würde dem deutſchen Publikum eine geringe Meinung von der Thätigkeit und den Leiſtungen deutſcher Aſtronomen verſchafft haben, da das Original — allerdings für Amerikaner geſchrieben — die Arbeiten ſeiner Landsleute in erſter Linie, diejenigen deutſcher Gelehrten meiſt gar nicht berückſichtigt. Den Grund erklärt vermutlich richtig Ovids: „Barbarus hie ego sum, quia non intel- ligor ulli.“ Die deutſche Ausgabe hat dieſen Fehler be⸗ ſeitigt und eine objektive, vom nationalen Standpunkt freie Darſtellung gewählt. Sie hat ferner Plan und Form er⸗ weitert, um „auch ſolche zu berückſichtigen, welche an that⸗ ſächlichem Material etwas mehr wünſchen und jene, welche die Luſt und Fähigkeit beſitzen, die Himmelskunde ſelbſt, mit wenngleich beſchränkten Mitteln zu fördern“. Für letztere iſt eine treffliche Anleitung zu aſtronomiſchen Be⸗ obachtungen neu hinzugefügt mit Angaben zur Prüfung von Fernröhren und einem Nachweis von Bezugsquellen und Preiſen der letzteren, endlich im Anhang ein Ver⸗ zeichnis von veränderlichen Sternen, Doppelſternen, Nebel⸗ flecken und Sternhaufen. Faſt jedes Kapitel hat Um⸗ änderungen und Zuſätze aufzuweiſen, welche das Buch auf den neueſten Stand unſerer Kenntniſſe erheben. Beſondere Sorgfalt iſt im rühmlichen Gegenſatze zu manchem andern populären Werke auf die Zahlenangaben durch Zurück⸗ gehen auf die Quellen verwendet. Hypotheſen und That⸗ ſachen ſind ſtreng auseinandergehalten, ein Vorzug beſon⸗ ders gegen Mädlers populäre Aſtronomie, welche in dieſem Punkte viel Unheil angerichtet hat. Eine weſentliche Ver⸗ mehrung haben die ſchon das Original auszeichnenden guten Holzſchnitte erhalten, indem an Stelle der 112 Bilder des letzteren die ſtattliche Anzahl von 207 getreten ijt. Unter dieſen ſind die Abbildungen einer Menge von aſtro⸗ nomiſchen Inſtrumenten mit ihren Mikrometer⸗ und Spek⸗ tralapparaten, von Planetenoberflächen, Kometen und Nebel⸗ flecken hervorzuheben. Eine ſehr willkommene Bereicherung hat ferner die deutſche Ausgabe durch die im Anhang bei⸗ gegebenen biographiſchen Skizzen erhalten. Die dieſer Beſprechung geſteckten Grenzen erlauben keine eingehendere Berührung des reichen Inhalts des Buches, welches ſelbſt dem Studenten der Aſtronomie in vielen Punkten als ein nützlicher Wegweiſer dienen kann. Dem Freunde der Himmelskunde, für welchen das Werk geſchrieben iſt, kann dasſelbe nur auf das wärmſte empfohlen werden. Straßburg i. E. Dr. E. Hartwig. Johnſtons Chemie des täglichen Lebens, neu be⸗ arbeitet von Dr. Fr. Dornblüth. Mit 118 Ab⸗ bildungen. Stuttgart, Krabbe. Preis 6 J. Dieſes im beſten populären Stil geſchriebene, für den gebildeten Laien ohne Schwierigkeit verſtändliche Buch be⸗ handelt auf 539 Seiten alle weſentlichen Genußmittel, nach ihrer Bedeutung für die Ernährung des Menſchen, wobei auch über die „Luft, welche wir athmen“, das „Waſſer, welches wir trinken“ und den „Boden, den wir bebauen“ hinlängliche Auskunft gegeben wird. Ebenſo ſind die Pflanzen, deren Früchte uns zur Nahrung dienen, in ſehr ausführlicher Weiſe mit Angabe des Nährwertes, der Verfälſchungen u. ſ. w. beſchrieben. . In dem Kapitel über das „Fleiſch, welches wir eſſen“, iſt auch der Wert der einzelnen Teile der Tiere, ſowie die Bereitungsweiſe, das Konſervieren, Räuchern und Ein⸗ kochen gebührend berückſichtigt. Sehr umfangreiche Mitteilungen ſind ferner über die Getränke — Thee, Kaffee, Schokolade — und nach Behandlung der Zuckerarten, über Bier, Wein und Brannt⸗ wein gemacht. Ueber die „Gewürze und Düfte“ und die narkotiſchen Stoffe iſt alles nur Wünſchenswerte mitgeteilt. Den Schluß bilden einige Kapitel, welche ſich auf den Kreislauf der Stoffe, das Atmen, die Verdauung und Ernährung beziehen. f Heutzutage, wo man mit Recht auf die Geſundheits⸗ pflege einen weitaus größeren Wert legt, als dies früher der Fall geweſen, wird vorliegendes Buch, welches über alle Nahrungsſtoffe in ausführlichſter und für jedermann verſtändlichſter Weiſe Bericht erſtattet, ſicher ein großes Publikum finden, um ſo mehr, als es wiſſenſchaftlich zu⸗ verläſſig iſt und ſich durch eine ſehr ſchöne Ausſtattung bei mäßigem Preis empfiehlt. Frankfurt a. M. Dr. Krebs. E. Veichardt, Desinfektion und desinſtzierende Mittel zur Bekämpfung geſundheitsſchädlicher Einflüſſe, wie Erhaltung der Nahrungsſtoffe, in gemeinnützigem Intereſſe beſprochen für Be⸗ hörden, Aerzte, Apotheker und Laien. Zweite, ſtark vermehrte und umgearbeitete Auflage. Mit 2 lithographierten Tafeln. Stuttgart, Enke. 1881. Preis 3 / Der bekannte Herausgeber der Zeitſchrift des Deutſchen Apothekervereins, des „Archivs der Pharmazie“, welcher in den pharmazeutiſchen wie in den chemiſchen Fächern reich an Erfahrungen iſt, hat ſeine vor längerer Zeit ver⸗ öffentlichte Arbeit über Desinfektion und desinfizierende Mittel in zweiter Auflage erſcheinen laſſen, welche in Ein⸗ teilung und Behandlungsweiſe der erſten folgt, verſchiedene Abſchnitte, namentlich jene über Entfernung und Verwer⸗ tung der Abfallſtoffe, den inzwiſchen gerade auf dieſem Gebiete gemachten Erfahrungen und Neuerungen gemäß, jedoch ganz neu bearbeitet. Verfaſſer behandelt der Reihe nach pflanzliche und tieriſche Nahrung, Zerſetzungsprozeſſe, Gährung, epidemiſche Krankheiten, Dungſtoffe, Kanaliſa⸗ tion und Abfuhr, Desinfektion der Luft, des Waſſers, fäkaler Maſſen und bei anſteckenden Krankheiten, und ſchließt mit Angaben über Erhaltung wichtiger Nahrungs⸗ mittel. Der, wie erſichtlich, eine Reihenfolge vielfach ven⸗ tilierter Tagesfragen möglichſt objektiv behandelnde Inhalt bringt das Wichtigſte auf den erwähnten Gebieten in ge⸗ drängter Form, ohne zu ſpeziell zu werden, und iſt daher zur raſchen und doch eingehenden, dabei allgemein ver⸗ ſtändlichen Orientierung beſonders geeignet. Frankfurt a. M. Dr. Gy. Peterſen. Humboldt. — Januar 1882. 41 Hermann Müller, Am Neſte. Beobachtungen und Mitteilungen über das Leben und die Fort⸗ flanzung einheimiſcher körnerfreſſender Vögel. Fur Vogelliebhaber, Ornithologen und Züchter. Mit einem Vorwort von Dr. A. E. Brehm. Berlin, S. Modes Verlag. Preis 1 / 50. Das von Brehm warm empfohlene Büchlein, welches nach ſeinen Aeußerungen im Vorwort „ſtaunenswerte Er— gebniſſe“, „eine geradezu überraſchende Fülle enthüllter Geheimniſſe, richtiger Urteile und ſachlicher Beobachtungen“ enthält, bringt auf 174 Seiten zuerſt zahlreiche Erfahrun— gen an verſchiedenen Futterarten und wendet ſich dann zu den Züchtungsverſuchen. Verfaſſer verfügt über ein Beobachtungsmaterial, was während einer Zeit von acht Jahren angeſammelt wurde und ſich über 956 Eier, 83 Junge, 158 Niſtungen, 165 Gelege erſtreckt, und zwar von Girlitzen, Dompfaffen, Stieglitzen und Zeiſigen her— rührend, und von welchem das Wichtigſte mitgeteilt wird. Weitere Abteilungen behandeln Einzelheiten des Neſtlebens: Fortpflanzungstrieb, Niſtſtoffe, Niſten, Legen, Brüten 2. Beſonders anziehend beſchrieben ſind die Wochenbett— und Kinderſtubenſzenen der kleinen Lieblinge, die Bedeckung der Jungen, Neſtwärme, Fütterung, die erſten Sitze, Be— wegungen und Töne der Kleinen u. a. m. und gar man⸗ ches jener anſcheinend geringfügigen und doch uns Menſchen in hohem Maße intereſſierenden Geheimniſſe aus dem Gemütsleben der Tiere iſt hier der Natur abgelauſcht, und mit einem Intereſſe und einer Sorgfalt beobachtet und erzählt, die einer zärtlichliebenden und feinfühlenden Mutter alle Ehre machen würde. Die letzten Abteilungen enthalten Beobachtungen über Krankheiten und Heilmittel, ſowie Vermiſchtes aus dem Gemütsleben der Vögel. Unter dem anſprechenden Titel: naturalia non sunt turpia findet der geneigte Leſer auch manches Zwergfellerſchütternde. Das Buch iſt für Vogelliebhaber, Ornithologen und Züchter (mithin für Erwachſene) beſtimmt, birgt aber auch manches von allgemeinerem Intereſſe. Frankfurt aM. Dr. Reichenbach. Julius Wiesner. Das Vewegungsvermögen der Pflanzen. Eine kritiſche Studie über das gleichnamige Werk von Charles Darwin. Nebſt neuen Unterſuchungen. Mit 3 Holz⸗ ſchnitten. Wien, Hölder. Preis 5 % Der Wert dieſes Werks dürfte in erſter Linie in den „neuen Unterſuchungen“ liegen, ſo beſcheiden auch der Verfaſſer den Namen des berühmten engliſchen Bio— logen, deſſen gleichnamige Arbeit hier kritiſch beleuchtet wird, in den Vordergrund ſtellt. Die Abhandlung bewegt ſich, ſoweit der für Laien ſchwierige Stoff es geſtattet, in einer leicht faßlichen Form. In der Einleitung (Seite 3) wird Darwin gewiß nicht mit Unrecht der Einwand gemacht, er habe „ſeinem Experiment nicht die erforderliche Strenge gegeben, wes— halb viele ſeiner Ergebniſſe unſicher, ja zweifelhaft werden“. Darwin iſt eben der Mann der fruchtbaren Gedanken und geiſtreichen Hypotheſen, der die exakte naturwiſſenſchaftliche Methode nicht immer in ſeiner Gewalt hat. Das Hauptergebnis der Darwinſchen Arbeit faßt Wiesner folgendermaßen kurz zuſammen (S. 5): „Das freie Ende jedes wachſenden Pflanzenteils zeigt eine eigentümliche andauernde Bewegung, welche, meiſt ruck— weiſe vor ſich gehend, nahezu einem Kreis oder einer Ellipſe, oder weil der betreffende Pflanzenteil in die Länge wächſt, einer unregelmäßigen Schraubenlinie folgt. Dieſe Bewegung nennt Darwin Zirkumnutation. Alle Bewegungen wachſender Pflanzentheile, der He— liotropismus, Geotropismus, Hydrotropismus und andere ſind nach Darwin nur Modifikationen der Zirkumnutation. Nach Wiesner (S. 6, 7 ff.) find nun viele Fälle an⸗ geblicher Zirkumnutation nichts anderes „als der Ausdruck Humboldt 1882. einer gewiſſen Unregelmäßigkeit im Wachstum der Organe“. Die allgemeine Verbreitung der Zirkumnutation gibt derſelbe nicht zu. Ebenſo verwirft Wiesner Franks An⸗ ſicht vom Transverſalheliotropismus (Diaheliotropismus nach Darwin). Nicht minder iſt die von Darwin als Diageotropis- mus, von Frank als Transverſalgeotropismus bezeichnete Bewegungsform nach Wiesner eine kombinierte Erſcheinung und nicht auf einfache Wirkung der Gravitation zurück⸗ zuführen (S. 11). Auch Darwins Anſicht, daß alle Zirkum⸗ nutationsbewegungen Reizphänomene ſind, iſt nach Wiesner unrichtig. Der erſte Abſchnitt des Buches gibt in ſehr klarer und faßlicher Form eine Ueberſicht über die Bewegungs— erſcheinungen der Organe im allgemeinen. Im zweiten Abſchnitt wird die „Mechanik der Nutations⸗ bewegungen“ in ſehr gedrängter Darſtellung geſchildert. Die Nutation junger Wurzelſpitzen und Keimlinge erfolgt nicht, wie Darwin annimmt, bloß durch ungleich verteilte Turgeszenz, ſondern, wie aus Wiesners ſehr klaren und beweiſenden Verſuchen hervorgeht, iſt ſie eine Folge un— gleichen Wachstums, verbunden mit ungleichem Turgor. Wiesners Schlußſatz (S. 35) lautet folgendermaßen: „Da ſohin die Turgorausdehnung während des Wachstums nur eines der untrennbar verbundenen Wachstumsmomente darſtellt und da ſich alle Nutationsbewegungen nur ſo lange vollziehen, als die betreffenden Pflanzenteile (in die Länge) wachſen und nur dann eintreten und auch nur ſo lange anhalten, als die ſämtlichen Bedingungen des Längen— wachstums erfüllt ſind, ſo folgt, daß dieſe Bewegungen als durch ungleichſeitiges Wachstum hervorgerufen aufzufaſſen find. Ausführlicher iſt im 3. Kapitel (S. 39— 84) der Heliotropismus geſchildert. Aeußerſt klar und bündig weiſt der Verfaſſer nach, daß die heliotropiſche Krüm⸗ mung fortwachſender Pflanzenteile ein Reſultat der Wachs— tumsdifferenz iſt, welche infolge der das Wachstum hem- menden Eigenſchaft des Lichtes an der dem Licht zuge— wendeten und an der vom Licht abgewendeten Seite des Organs eintritt. Auf unbeleuchtete Pflanzenteile wird die heliotropiſche Wirkung des Lichtes nicht fortgepflanzt, wie Darwin annimmt. „Was Darwin als eine Reizübertragung deutete, iſt ein durch den heliotropiſch verzweigten oberen Teil des Organs hervorgerufenes Belaſtungsphänomen, welches Zugwachstum einleitete“ (S. 72). Im 4. Kapitel (S. 85— 129) wird der Geotropismus beleuchtet. Die Diskuſſion iſt in dieſem Abſchnitt etwas weniger klar und durchſichtig als in den früheren und gegen einzelne Teile derſelben ließen ſich wohl noch Einwände erheben. Eine Erklärung der Thatſache des Geotropismus fehlt und dürfte auch noch kaum genügend vorbereitet ſein. Wenn auf S. 88 geſagt wird: „In einem horizontal geſtellten wachstumsfähigen Stengel wirkt die Gravitation oberſeits mit der gleichen Intenſität wie an der Unterſeite, denn der Durchmeſſer des Organs verſchwindet ja gegenüber dem Erdradius,“ ſo iſt dieſer Satz unrichtig, denn das Organ ſelbſt übt auf ſeine unteren Schichten einen Druck aus, welchen die oberen Schichten nicht zu tragen haben und dieſe Druckverhältniſſe, die doch wahrſcheinlich ſehr weſent— lich find, ſcheinen bei der Lehre vom Geotropismus über⸗ haupt noch nicht genügend berückſichtigt zu ſein. Auf Seite 89 Zeile 7-13 hat eine Silbenverſchie— bung ſtattgefunden, welche der aufmerkſame Leſer leicht ver⸗ beſſern wird. Im ganzen iſt der Druck ſehr korrekt. Es mag hier beiläufig Erwähnung finden, daß das im ganzen ſehr gut ſtiliſierte Buch hier und da von grammatikaliſchen Härten nicht ganz frei iſt, wie z. B. unrichtige oder unge⸗ wöhnliche Anwendung von Partizipien; ſo Seite 118 Zeile 1 und 29, Seite 69 Zeile 14 u. a. a. O. Es iſt das an und für ſich eine ziemlich unweſentliche Sache, ſollte aber doch in einem für größere Leſerkreiſe beſtimmten Buch vermieden werden. Sehr kurz wird im 5. Kapitel der Hydrotropismus behandelt, ohne daß weſentliche neue Thatſachen oder Schlußfolgerungen mitgeteilt würden. Auch das 6. Kapitel: „Einfluß von Zug und Druck auf das Längenwachstum“ ijt ſehr kurz gehalten. Sehr inter- 6 42 Humboldt. — Januar 1882. eſſant iſt das 7. Kapitel: „Empfindlichkeit der Wurzeln“ (S. 139 — 147). „Darwin findet, daß ein leiſer, auf die Wurzelſpitze einſeitig ausgeübter Druck, eine einſeitige Be⸗ rührung die Wurzel nötigt, in der wachſenden Region, alſo entfernt von der Angriffsſtelle, eine Krümmung aus⸗ zuführen, welche ſie von dem Orte der Berührung weg⸗ wendet.“ Wiesner widerlegt dieſe Auffaſſungsweiſe voll⸗ ſtändig, indem er zeigt, daß die Wurzelſpitze nicht nur in Queckſilber eindringt, ſondern auch feuchtes Löſchpapier durchbohrt und kleine im Wege befindliche Körper vor ſich herſchiebt, woraus hervorgeht, daß ſie allerdings einen ſchwachen Druck zu ertragen vermag, ohne die von Darwin vorausgeſetzte Uebertragung des Reizes einzuleiten. Wiesner zeigt, daß bei Darwins Verſuchen die Wurzelſpitze verletzt oder im Gasaustauſch beeinträchtigt wurde und daß daraus die von ihm ſogenannte Darwinſche Krümmung folgt. Die ſpontane Mutation (Kapitel 8 S. 148156) läßt bis jetzt noch keine theoretiſche, ſondern nur eine phä⸗ nomenologiſche Erörterung zu. Im Hauptabſchnitt: „Zir⸗ kumnutation zeigt der Verfaſſer durch ſehr ſorgfältig aus⸗ geführte Experimente, daß es Pflanzen gibt, welche keine Spur von Zirkumnutation erkennen laſſen. Damit iſt die Darwinſche Anſicht von dieſer angeblichen Urbewegung der Organe vollſtändig widerlegt. Im 10. und letzten Abſchnitt des Buches werden die Schlußfolgerungen nochmals zuſammengeſtellt, und es wird auf einige feine und ſcharfſinnige Beobachtungen Darwins aufmerkſam gemacht. Wir ſind der Meinung, daß die vorliegende Schrift zu den bedeutenderen Leiſtungen im Gebiet der Pflanzen⸗ phyſiologie der neueſten Zeit gehört, und können ihre Lektüre um ſo mehr jedem Gebildeten empfehlen, als die Dar⸗ ſtellungsweiſe ſie auch dem Laien durchaus zugänglich macht. Jena. Prof. Dr. Hallier. Bibliographie. Bericht vom J. Oktober — 50. November 1881. Allgemeines. Biographien. e e der iam an ee zu Halle. 15. Bd. Halle, Niemeyer. M. Archib f 7 Maturgeidicte, e v. F. H. 5 43. Jahrg. 1877. 6. Heft. Berlin, Nicolaiſche 5 ⸗Buchh. M. Bernſtein, A. aturrofjnfijaj tice Volksbücher. Neue Folge. 11. Liefg. Berlin, Hempel. 60 Pf. Büchner, L. Licht u. Leben. Drei allgem. verſt. naturwiſſenſch. Vorträge als Beiträge zur Theorie der nakürl. Weltordnung. Leip; Thomas. Darwins geſammelte Werke. Auswahl in 6 Bdn. 47 50. (Schluß)⸗ Liefg. Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagshandlung. à M. 1. Du Bois⸗Reymond, E, Ueber die Grenzen des Naturerkennens. Die ſieben Welträtſel. 2 Vorträge. Leipzig, Veit & Co. M. 2 Eger, L. Der Naturalien⸗ Sammler. 5. Aufl. Wien, Faeſy. M. 2. 40. Fellner, St. Albertus Magnus als Botaniter. Wien, Hölder. M. 4. 60. e e Ubhdign. 1. Bd. 1. Abt. Leipz, Barth. M. 6. Fiſcher, E. G. Kepler und die unſichtbare Welt. Eine Hieroglyphe: Mit & Einleit. u. Ergänzugn. v. F. Zöllner. Leipz., Staackmann. M. 3. Jahrbuch der Erfindungen und Fortſchritte auf den Gebieten der Phyſik und Chemie, der Technologſe und Mechanik, der Aſtronomie und Meteorologie. Herausgeg. von H. Gretſchel u. G. Wunder. 17. Jahrg. erb Quandt & Händel. M. 6. Kauer, A. n für Lehrer⸗ und r ⸗Anſtalten. 1. u. 2. Teil. 2. Aufl. Wien, A. Hölder. 9 Kirchhoff, G. Geſammelte Abhandlungen. 1. Abt. Leipzig, Barth. M Klein u. Thomé. Die Erde und ihr organ. Leben. 55.—57. Lsg. Stuttgart, Spemann. a 50 Pf. Klencke, H. Alexander von Humboldts Leben und Wirken, 9 8955 und Wiſſen. Fortgeſ. v. H. Th. Kühne u. E. Hinte. 7. Aufl. 2 Abdr. Leipzig, S. Spamer. M. 4. 50., geb. M. Magnus, H. Farben u. Schöpfung. Acht Warleſungen über d. Beziehngn. d. Farben z. Menſchen u. z. Natur. Bresl., Kerns Verl. Geb. M. 6. Moldenhauer, E. F. Th. Das Weltall und ſeine Entwickelung. Dar⸗ legung der ARTE. Ergebniſſe der kosmolog. Forſchung. 1. Liefg. Köln, Mayer. 80 Pf. Schleſinger, J. Die rer pe 5 ſchen und geiſtigen Welt aus dem Aether. Wien, Hölder. Sitzungsberichte der kaiſerl. Atad, 5 Wiſſenſchſtn. Mathemat.⸗natur⸗ wiſſenſchftl. Klaſſe, 1. Abt. Enth. d. Abhandlgn. aus dem Gebiete der Mineralogie, Botanik, Zoologie, Geologie u. Paläontologie. 83. Bd. 3. u. 4. Heft. Wien, ©. Gerolds Sohn. Mt. 5. 50. — Dasſelbe. 2. Abt. Enth. die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mathematik, Phyſik, Chemie, Mechanik, Meteorologie und Aſtro⸗ nomie. 83. Bd. 3. u. 4. Heſt. M. 6. 50. — Dasſelbe. 3. Abt. Anatomie u. theoret. Medizin. Zöllner, F. e Abhandlungen. mann. M. Zöllner, F. Getlavung der univerſellen Gravitation aus den ſtatiſchen Wirkungen d. Elektrizität u. die allgemeine Bedeutung des Weberſchen Geſetzes. Mit Beiträgen v. W. Weber. Leipz., Staackmann. M. 5. Zöllner, F. 5 ee und chriſtliche Offenbarung. Leipzig, Staackmann. M. Enth. d. Abhndlgu. aus d. Gebiete d. 1 ea 83. Bd. 3.—5. Heft. M. 4. Bd. Nan S Chemie. 5 990 2 der Experimentalchemie. Arendt, R. 1 der Experimental⸗Chemie. ie 5 ens der organiſchen Chemie. 7. 2. Bd. 2. Liefg. Leipzig, 2. Bd. 1. Liefg. Leipzig, Liefg. Leipzig, 2 Teile. Been Bo Ghemiter: Kalender f. 1882. Herausgeg. v. K. peer: Berlin, Springer. Geb. in Leinw. u. geh. M. 8 Dammler, O. Lexikon der angewandten Chemie. i Bibl. In⸗ ſtitut. M. 5. Dragendorff, G. Die qualitative u. quantitative Analyſe von Pflanzen und Pflanzenteilen. Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht. 6. 5 H. Die Chemie im 5 der öffentl. Geſundheitspflege. Dresden, v. Zahns Verlag. M. Gmelin⸗Krauts Handbuch 5 heme A e Chemie. 6. Aufl. Herausgeg. v. K. Kraut. 2. Bd. 2. Abt. Bearb. von S. M. Jör⸗ genſen. 7. u. 8. Liefg. Heidelb, Winters Univerſit.⸗Buchh. M. 3. Handwörterbuch, neues, der Chemie. Red. 120. v. Fehling. 40. Liefg. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 2. Hofmann, C. Chemiſch⸗techniſches Unwerſal degeptbuch 2. Aufl. 2.— 7. Liefg. Berlin, Stahn. a 50. Pf. 5 Hoppe-Seyler, F. Ueber die Einwirkung des Sauerſtoffs auf Gäh⸗ rungen. Feſtſchrift. Straßburg, Trübner. M. 1. Jacobſen, E. Chemiſch⸗techniſches Repertorium. Jahrg. 1880. Berlin, Gaertner. M. 13. Janovsky, J. V. Anleitung zur qualitativen 9 unorganiſcher und organiſcher Körper. Prag, Calve. Geb. M. Kekulé, A. Lehrbuch der organiſchen Chemie oder a Chemie der Kohlenſtoffverbindungen. 3. Bd. 3. Liefg. Stuttgart, Enke. M. 6. Kekuls, Chemie der Benzolderivate oder der aromatiſchen Subſtanzen. (Sep.⸗Abdr. aus dem Lehrbuch der organ. Chemie.) 2. Bd. 2. Liefg. Stuttgart, Enke. M. 6 Nee Kolbe, H. Zur gende e der theoretiſchen Chemie. Leipzig, ea M. 1. 4 Krauſe, G. Anerngtenle Tabelle der chemiſchen Elemente und ihrer Eigenſchaften. 81 1 u. engliſch.) 3. Aufl. Köthen, Ver⸗ lag d. Chemiker⸗Ztg. Krauſes, G., ee a auf das Jahr 1882. 5 Teile. Verlag der Chemiker⸗Zeitung. Geb. u. broſch. M. Mitteilungen, chemiſch⸗techniſche, der neueſten Zeit, ihrem weſentlichſten Inhalte nach zuſammengeſtellt. 9 85 von L. Elsner. Fort⸗ Hecht von F. Elsner. 3. pulse Bd. Die Jahre 1880—1881. 7. Heft. Sale, Knapp. M. Rammelsberg⸗ C. F. Hondbuch der kriſtallographiſch⸗phyſikaliſchen Chemie. 1. Abt. Elemente und anorgan. Verbindungen. Leipzig, Engelmann. M. 14. Wenghöffer, L. Kurzes Lehrbuch der Chane der Kohlenſtoffverbindungen. Stuttgart, Wittwers Verlag. Weyl, Th. Analytiſches Hilfsbuch f. d. dane 0 Be Uebungen der Mediziner und Pharmazeuten. Kart M. Sb 80 12 phyſiologiſche Chemie. 1. Heft. Sraßburg, Trübner. SHvK, Vhyſikaliſche Geographie, Meteorologie. Ballauf, L. Die Grundlehren der Phyſik in 950 5 Darſtellung. 3. Bd. Langenſalza, Bayers Söhne. M. 2. Beiträge, metronomiſche. Nr. 3. Sheen Unterſuchungen. Herausgeg. v. W. Foerſter. Berlin, Dümmlers Verlag. M. 8. Brettuer, H. A. Leitfaden f. d. Unterricht in der Phyſik. 20. Aufl. Hard. Gs v. Ulffers u. Blümel. Stuttgart, Heitz. M. 3. Guichard, E. Die Harmonie der Farben. Deutſche Ausgabe mit Text von G. Krebs. 9.—11. Liefg. Frankfurt a. M., Rommel. a M. 4. te E. W der phyſiſchen Geographie des Meeres. Wien, Hölder. 5 Jochmann, E. Grundriß der Experimentalphyſik. Vermehrt um Ele⸗ mente der Aſtronomie und mathematijd. 0 von O. Hermes. 7. Aufl. Berlin, Winkelmann & Söhne. 4. 6 Kappe, K. Anfangsgründe der Phyſik. 15. Aufl. Gearb. von W. Dahl. Eſſen, Bädeker. M. 4. 20, Krebs, G. Grundriß der pout für höhere realiſtiſche Lehranſtalten. Leipzig, Veit & Co. Lommel, 6. Lexikon der oni 15 Meteorologie. Inſtitut. M. 4, geb. M. Neumann, F. Vorleſungen über >. A ere de Magnetismus, namentlich über ca Theorie d. magnet. Induktion. Leipz., Teubner. M. 3. 60. Puſchl, C. Ueber die latente Wärme der Dämpfe. 2. Aufl. Wien, Hölder. M. 1. 40. Repertorium der Experimental⸗Phyſik, für phyſikaliſche Technik, mathe⸗ matiſche und aſtronomiſche Jan enen Herausgeg. von Ph. Carl. 18 Bd. 1. Heft. München, Oldenbourg. pro compl. M. 24. Schreiber, SB: Die Bedeutung der Windroſen für theoretiſche und prak⸗ tiſche Fragen der Meteorologie und Klimatologie. (Petermanns geograph. Mitteilungen. Ergänz.⸗Heft Nr. 66.) Gotha J. Perthes. Weinhold, A. F. Phyſikaliſche Demonſtrationen. Anleitung zum Ex⸗ perimentieren im Unterricht an Gymnaſien, Realſchulen und Gewerbe⸗ ſchulen. 3. (Schluß⸗) Liefg. Leipzig, Quandt & Händel. M. 8. 50. id Köthen, Herausgeg. 155 5 W Seyler. pro compl. M. 12. Leipzig, Bibliogr. Humboldt. — Januar 1882. 43 Aſtronomie. Kalender, aſtronomiſcher, f. 1882. Herausgeg. von der k. k. Sternwarte. oe el ge. 1. Jahrg. Wien, Gerolds Sohn. M. 1. 20, kart. 1 8 H. C. E. 1 e Schul⸗Ausgabe. A. Kochs Verlag. M. 2 mua, S. Populäre Af rongmie Deutſche Ausg. Bearb. von R. Engelmann. Leipzig, Engelmann. M. 12, geb. M. 13. 50. Publikationen des aſtrophyſikaliſchen Observatoriums zu Potsdam. Nr. 6 u. 7. Leipzig, Engelmann. M. 7. Mineralogie, Geologie, Geognoſte, Valäontologie. Abhandlungen zur geolog. Spejialfarte von Preußen u. den thüringiſchen Staaten. 3. Bd. 2. Heft. Berlin, Schroppſche Landkartenh. M. 9. Paldontographica. Beiträge 3. Naturgeſch. d. Vorwelt. n von W. Dunker u. K. A. Zittel. 28. Bd. 3. Liefg. Kaſſel, Fiſcher. M. 20. Quenſtedt, F. A., Petrefaktenkunde Deutſchlands. 1. Abt. 7. Bd. 1. Heft. Gaſteropoden. Leipzig, Fues Verlag. Mit Atlas M. 16. Wach, A. K. Kriſtallformennetze zum e mote iſometriſchen Kriſtallmodellen. 1. Liefg. Pilſen, Maaſch. Werner, G. Mineralogiſche u. geolog. Tabellen. emits, Knapp. 80 Pf. ane für Kriſtallographie und 8 Herausgeg. von P. Groth. 6. Bd. 2. Heft. M. 4. Leipzig, Botanik. Drude, O. Die ſtoßweiſen Wachstums veränderungen in der Blattent⸗ widelung von Victoria regia Lindl. Leipzig, Engelmann. M. 2. 50. Ebermayer, E. Naturgeſetzliche Grundlagen des Walde und Ackerbaues. 1. Teil. Phpſtologſſche . der Pflanzen. 1. Bd. Die Beſtand⸗ teile der Pflanzen. M. 1 Freyn, J. Zur Kenntnis ae Arten der Gattung Ranunculus. II. Kaſſel, Fiſcher. M. 1. Hartlinger, A. Atlas der Alpenflora. Herausgeg. vom deutſchen und öſterr. Alpenverein. Nach der Natur gemalt. Mit Text von K. W. v. Dalla Torre. 2. u. 3. Liefg. Wien, C. Gerolds Sohn. a M. 2. Hartlinger, A. Atlas der Alpenflora. Herausgeg. vom deutſchen und öſterr. Alpen⸗Verein. Nach der Natur gemalt. Mit Text von K. W. v. Dalla Torre. 4. Liefg. Wien, C. Gerolds Sohn. M. 2. Wen C. Pflanzen⸗Atlas nach dem Linnsſchen Syſtem. 8. und . u. 10. Liefg. Stuttgart, Thienemanns Verlag. à 90 Pf. 8 A. A. Hilger und Th. Huſemann. Die Pflanzenſtoffe in eet, A 1 Li pharmakologiſcher und toxikologiſcher Hin⸗ icht. 1. Liefg. Berlin, Springer. M. 6. Zahlbücher, botaniſche Für Syſtematik, are 2. 00 und Pflanzen⸗ poi. A9. von A. Engler. 2. Bd. 4. Heft. Leipzig, elmann. M. Jahresbericht, atnlſer Syſtematiſch geordnetes Repertorium der botaniſchen Litteratur aller Länder. Herausgeg. von L. Juſt. 6. abr: (1878). 2. Abt. 2. Heft. Berlin, Gebr. Bornträger. M. 5. — Dasſelbe. 7. sobre. (1879). 1. Abt. 1. Heft. M. 10. — Dasſelbe. 2. Abt. eft. M. 8. 40. Klat, F. W. Neue Ae iten in dem Herbarium des Herrn Francaville entdeckt und beſchrieben. Halle, Niemeyer. 80 Pf. Lorinſer, F. W. Die wichtigſten, eßbaren und giftigen Schwämme. Mit naturgetreuen Abbildungen dieſer auf 12 Tafeln in Farbendruck. 2. Aufl. Wien, Hölzels Verlag. M. 10, Text apart M. 1. 20. Minks, A. Simbolae licheno-mycologicae. Beiträge zur Kenntnis 1 8 Grenzen zwiſchen Flechten und Pilzen. 1. Teil. Kaſſel, Fiſcher. Rürdlinger. Anatomiſche Merkmale der wichtigſten deutſchen Wald⸗ und Gartenholz⸗Arten. Stuttgart. Cottaſche Buchhandlung. 80 Pf. l K. Unterſuchungen zur Morphologie der Gefäßkryptogamen. 2. Heft. Die Schizaeazeen. Leipzig, Engelmann. M. 12. Rabenhorſts, D d Flora von Deutſchland, Oeſterreich und der Schweiz. 1. Bd. Pilze, von G. Winter. 5. Keſg. Leipzig. Kummer. M. 1 40. Reichenbach, H. G. Xenia orchidacea. Beiträge zur ean der Orchideen. 3. Bd. 2. Heft. Leipzig, Brockhaus. h G. Ch. Pflanzenblätter in Naturdruck mit der doſaniſchen Kunſt⸗ prache für die Blattform. Eine illuſtr. Morphologie des Blattes. . Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagshdlg. Mit Atlas in Folio in Mappe. 8 we Schlechtendal, D. F. L. v., L. E. Langenthal und E. Schenk. Flora von Deutſchland. 5. Aufl. Bearb. von E. Hallier. 40.— 46. Liefg. Gera, Köhlers Verlag. à M. 1. Unterſuchungen aus dem botaniſchen Laboratorium der Univerſität Göttingen. Herausgeg. von J. Reinke II. Berlin, Parey. M. 10. Wagners, H., Illuſtrierte deutſche Flora. 2. Aufl. Bearb. u. verm. von A. Garde. 9. u. 10. Liefg. a 75 Pf. Waldner, H. Deutſchlands Farne, mit Berückſichtigung der angrenzenden Gebiete Oeſterreichs, Frankreichs und der Schweiz. 7. Heft. 1 berg, Winterſche Univerſitätsbuchhandlung. In Mappe M. pid E. Aus der Flora der e ee Berlin, Schroppſch andkartenhandlung. Geb. M. Wiesner, J. Das ee der Pflanzen. Eine krit. Studie über das gleichnam. Werk von Ch. Darwin. Wien, Hölder. M. 5. Wiesner, J. Elemente der wiſſenſchaftl. Botanik. 1. Wien, Hölder. M. 7. Willkomm, M. IIIustrationes florae Hispaniae insularumque. Balearium. Livr. 3. Fol. Stuttg., Schweizerbartſche Verlagsh. M. 12. Zippel, H., u. R. Bollmann, K. Repräſentanten einheim. Pflanzenfami⸗ lien. 2. Abt. Phanerogamen. 2. Liefg. mit Atlas. Folio. M. 14. Phyſtologie, e n Anthropologie und Zoologie. Arbeiten aus dem joolog. Inſtitute der Univerſität Wien und der joologifdjen Station in Trieſt. 4. Bd. 1. Heft. Wien, Hölder. M. 18. Archiv für Anthropologie. Herausgeg. v. A. Ecker und Lindenſchmidt. 13. Bd. 4. Vierteljahrsheft. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 18. Balfour, F. M. Handbuch der vergleichenden Embryologie. Aus dem Engl. überſetzt v. B. Vetter. 2. Bd. 1. Hlfte. Jena, Fiſcher. M. 9. Brehms Thierleben. Chromo⸗ * Vögel. 1.—9. Heft. Leipzig Bib⸗ liograph. Inſtiſtut. a M. Claus, C. Beiträge zur e der Geryonopſiden- und Eucopiden⸗ Entwickelung. Wien, Hölder. M. 8. Erichſen, W. F. Naturgeſchichte der Inſekten Deutſchlands. Fortgeſ. von H. Schaum, G. Kraatz, H. von Kieſewetter und J. Weiſe. 1. Ab⸗ teilung Coleoptera. 6. Bd. 1. Liefg. bearb. von J. Weiſe. Berlin, Nicolaiſche Verlagshandlung. M. 4. 50. Goltz, F. Ueber die Verrichtungen des Großhirns. Geſammelte Abhand⸗ handlungen. Bonn, Strauß' Verlag. Cart. M. 8. 80. Goette, A. Abhandlungen zur Entwickelungsgeſchichte der Tiere. 1. Heft. Bag. . to. zur Entwickelungsgeſchichte der Würmer. Leipzig, Of. . Hazay, J. Die Mollusken⸗Fauna von Budapeſt mit beſonderer Rückſicht⸗ nahme auf die embryonalen und biolog. Verhältniſſe ihrer Vor⸗ kommniſſe. Kaſſel, Fiſcher. M. 8. Henſel, R. Kraniologiſche Studien. Leipzig, Engelmann. M. 12. Kiprijanoff, W. Studien über die foſſilen Reptilien Rußlands. 1. Teil. Gattung . König. St. Petersburg. Zu bez. Leipzig, Voß' Sort. M. 8. 2 Kobelt, W. 1 Re 155 europäiſchen e lebenden Binnen⸗ konchylien. ufl. Kaſſel, Fiſcher. 6. Koch, L. Die Arachniden Auſtraliens 19 9 5 der Natur beſchrieben und abgebildet. 28. Liefg. Nürnberg, Bauer & Raſpe. Kraepelin, K. Leitfaden für den zoologiſchen . an mittleren und höheren Schulen. Leipzig, Teubner. M. 1. Lubarſch, O. Syſtematiſcher Grundriß der Zoologie. tiere. Berlin, Hirſchwald. M. 2. Marſchall, A. F. Ornis Vindobonenſis. Die 8 aa Wiens und ſeiner a eae Wien, Faeſy. M. 4. 5 5 Martin, Ph. L. Illuſtrierte Naturgeſchichte der Are Leipzig, Brockhaus. 30 Pf. Martini u. Chemnitz, Syſtematiſches . Kabinett. Neu herausgeg. von H. C. Küſter, W. Kobelt und H. C. Weinkauff. 309.—311. Ifg. 1 Bauer & Raſpe. à M. 9. Moleſchott, Ueber die allgemeinen Lebenseigenſchaften der Nerven. (Rede.) Siegen, Roth. M. 1. Müller, A., u. K. Tiere bet Heimat. Deutſchlands Säugetiere und Vögel. Mit Illuſtration. 1. Liefg. Kaſſel, Fiſcher. M. 1. Müller, H. Am Neſte Betrachtungen und Mitteilungen über das Leben und die e einheim. körnerfreſſ. Voͤgel. Berlin, Modes Verlag. M. 1. 5 Neumayr, M. Ae Studien über foſſile Echinodermen. Wien, C. Gerolds Sohn. M. Mayr, G. Die Genera der sattehGewobnenben Cynipiden. M. 1. 20. Pagenſtecher. Allgemeine Zoologie oder Grundgeſetze des tier. Baues und Lebens. 4. (Schuß⸗)Teil. Berlin, Parey. M. 21 Robert, L. P. Gefiederte Freunde. Bilder zur Naurgeſchicte der nüttzl. Vögel Mittel⸗Europas. Nach der Natur gemalt. 2. Serie. 20 Tafeln. Fol. In Pappmappe M. 25. In Leinwandmappe M. 30. Leipzig, Arnoldiſche e Schlechtendal, Dr. H. K Die Gliederfüßler mit Ausſchluß der In⸗ eae Leipzig, andes M. 2. 40. Sachs, C. Unterſuchungen am Bitteraal, Gymnotus electricus. Nach feinem Tode bearb. von E. Du Bois⸗Reymond. Mit 2 Abhand⸗ lungen von G. Fritſch. Leipzig, Veit & Co. M. 26. Selenka, E. Zoologiſche Studien. II. Zur Entwickelungs geſchichte der Seeplanacien. Leipzig, Engelmann. M. 6. See für wiſſenſchaftliche Zoologie. Herausgeg. von C. Th. v. Sie⸗ bold u. A. v. Kölliker unter Redaktion v. E. Ehlers. 36. Bd. 2. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 12. 8 Zeitſchrift, deutſche entomologiſche. 25. Jahrg. 1881. 2. Heft. Nicolaiſche Verlagsbuchhandlung. M. 8. 61. Teil. Wirbel⸗ 27. Heft. Wien, Hölder. Berlin, Geographie, Ethnographie, Meifewerke. Daniel, H. A. Handbuch nee Geographie. 5. Aufl. 24. u. 25. Liefg. Leipzig, Fues“ Verlag. l Du Chaillu, P. B. Im Lande der Mitternachtsſonne. Sommer- und Winterreiſen durch Norwegen und Schweden, Lappland und Nord⸗ Finnland. 1.—3. Liefg. Leipzig, ae & Sohn. a M. 1. Haushalter, B. Eine ethnographiſche Fahrt nach Böhlen am 16. und 17. Aug. 1881. (Vortrag.) Rudolſtadt, Hofbuchdruckerei. 50 Pf. Hellwald, Fr., v. Naturgeſchichte des Menſchen. 10. u. 11. Liefg. Stuttg., Spemann. à 50 Pf. Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu 9 15 a. S. 1881. Halle, Buchhandlung d. Waiſenhauſes. M. Mitteilungen des Vereins für Erdtunde a Saini. 1880. Duncker & Humblot. M. 4. Nachtigal, G. Sahara und Sadan. Afrika. 2. Teil. Berlin, Weidmannſche Buchhandl : Macher, J. Land und Leute in der 1 Proving 2 Bahia. Streifzüge. Leipzig, G. Weigel. M. 6., fu Nordenskiöld, A. E. Frhr. v. Die Umſege ung ens und Europas auf der Vega 18781880. 13. u. 14. Liefg. Leipzig, Brockhaus. a M. 1. Oberländer, R. Fremde Völker. Ethnograph. Schilderungen aus der alten und neuen Welt. 1.—3. Liefg. Leipzig, Klinthardt. à M. 1. 50. Schmeltz, J. D. E., u. R. Krauſe. Die ethnographiſch⸗anthropologiſche Abtlg. d. Muſeum 1. in Hamburg. Ein Beitrag zur Kunde der Südſee-Völker. M. Schweiger⸗Lerchenfeld, A. 5. Der Orient. 28. Liefg. Wien, Hart- lebens Verlag. 60 Pf Leipzig, Ergebniſſe ſechsjähriger . in 44 Humboldt. — Januar 1882. 80 Om TA Zh 5m 5h 16" 01 874 J Tauri 529 U Cephei 6 1420 Algol 10 32 120 44m el e e 5h Om. 556 U Cephei 1754 6 Librae 756 Algol 12 A7 142 39m el 52 U Cephei h m 95 Bee oer 66 2179, TA 6" 12" 9] IE 49 U Cephei 13® 48" OL TA 8e Slo) 11 35 CA 8 17 9, 1 A 7 482 91 IIA 1597 Algol 164 U Cephei 12)5 Algol 10. 40 ) 12 59 60 105 13" 1A 5b 24m Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im Januar 1882. Ah 48m ö 21 ell 1758 6 Librae 12 10™ 15 ge Al 72 N Tauri h 27m a 45 en 1774 U Cephei 11 5 A I A . 10 43 6 0 17% U Cephei 7 49 O III A 1657 U Cephei 10" 44 igh 22 A 1 10" 13" III E 13h 93m 10 1 (HO 1871 U Cephei 135 18" IIA 1058 Algol 651 ) Tauri 17758 U Coronae 1750 6 Librae 1576 U Coronae II. 51 9) 14 1373 U Coronae 16 20" FE. d.) 178 13" K. h.) Tauri 5> 9m A. h. 16 Gem. 6 Gh gm E. h. O0 BAC 7 Om A. d. § 2432 61/2 166 9" E. h.y29Can- 16 56™ Neda 6 1758 U Cephei e Leo- nis 5 Sn E he 18" 25m A. d. 165 6 Librae 13 54™ E. 1 ana 14 28 Ap fF Amiel b 13 35" E. d. ( Tauri 14" 23™ A. h.) 34/2 11" 46™ E. d. 13" om ant ben. 6 14" 22m E. d. ( BAC (Mittlere Berliner Zeit.) 4 52 E. d. 56 41™ A.- h. ö 13 58 E. d. 14 46 A.h, 12 45 E. d. 13 52™ A.h. p*Ariet. 6 Gem. 4% „Gem. 47 Roter Fleck auf N. Ce ile 13 N Su 535 14" 40m 10° 31™ | 6h 93m ISS) gb Im 13 48. 8 TO ge Te ee 12 55™ Sh 46™ 10° 24 6 15m 128 2 7h 532 gh 32m 5 23™ 11> 10 ae 12> 48™ Sh 39" TOR 17 Gn Sm 11* 55 5 Für die veränderlichen Sterne Algol (E. Persei), 5 Librae, „ Tauri, U Coronae und U Cephei find die Zeiten des kleinſten Lichtes angeſetzt. Die Eintritte (E) und Austritte (A) der Jupiterstrabanten in Bezug auf den Schatten des Jupiters ſind mit der Bezeichnung A und deren Nummer angegeben, die Vorübergänge der Schatten der Trabanten vor der Jupiterſcheibe mit der Bezeichnung A. @ und Nummer des zugehörigen Trabanten. Die Zeiten für die Verfinſterungen des III. und IV. Jupiterstrabanten können bis zu 10 Minuten falſch ſein. Bei den Sternbedeckungen durch den Mond iſt die Bezeichnung des Sterns (BAC heißt British Association Cata- logue), jeine Größe, Eintritt (8), Austritt (4) am hellen (h) und dunklen (d) Rande und die genäherte Zeit aufgeführt, welche namentlich bei tiefſtehendem Monde um mehr als eine Viertelſtunde von der wahren Zeit abweichen kann, Orte vorausgeſetzt, deren geographiſche Breite etwa 496 beträgt. Die Ephemeride für den großen roten Fleck auf Jupiter gibt die Zeit an, zu welcher der Fleck die Mitte der Scheibe pajfiert. 15n Sm A.h. 124326 ½ Humboldt. — Januar 1882. 45 Neueſte Mitteilungen. Die Heimat des Zadeits. Nephrit und Jadeit ſind jene beiden merkwürdigen harten, außerordentlich zähen, meiſt verſchiedene Nüancen von Grün auf— weiſenden Mineralien, aus welchen die Bewohner der Pfahlbauten mit ſtaunenswerter Kunſtfertigkeit einen Teil ihrer Steingeräte, beſonders Beile, herſtellten; ſie unterſcheiden ſich dem äußeren Anſehen nach nur wenig oder gar nicht voneinander, während bei ge— nauerer Unterſuchung ein bedeutender chemiſcher Unter— ſchied zu Tage tritt und der Jadeit meiſt eine größere Härte und ein höheres ſpezifiſches Gewicht als der Nephrit aufweiſt. Obgleich nun eine große Menge aus dieſem Material gefertigter prähiſtoriſcher Werk— zeuge beſonders in Frankreich und der Schweiz ſowie in Mexiko und Mittelamerika als Zeugen der dort hauſenden hochkultivierten Ureinwohner gefunden wor— den iſt, gelang es bis jetzt noch niemals, trotz der eifrigſt darauf gerichteten Nachforſchungen, den Nephrit oder Jadeit irgendwo in Europa als einheimiſche Mineralien ausfindig zu machen. Der Nephrit findet ſich an mehreren Punkten Aſiens und in Neuſeeland, während als Heimat des Jadeits bisher mehrere Orte Chinas angegeben wurden, wo dieſes Mineral jetzt noch hochgeſchätzt und ſchon von alters her zu ver— ſchiedenen Gegenſtänden verarbeitet wird. Vor kurzem erſt — und es darf uns dies bei der erſchwerten Zugänglichkeit Chinas nicht wundern — ijt es dem unermüdlichen Eifer Fiſchers in Freiburg gelungen, in Erfahrung zu bringen, daß aller Jadeit, der heutzutag in den Handel kommt, nur von einer einzigen Quelle ſtammt, nämlich von Mogoung (Mung⸗ Kong), nördlich von Bhamo in Birmah. Graf Bela Széchényi und Ingenieur-⸗Geolog Loizy lieferten auf ihren Reiſen in Aſien den Nachweis, daß alle als Jadeit vorkommenden erwähnten Orte Chinas nur Stapelplätze für den Jadeithandel ſind und daß alles Material nur von Mogoung kommt, wo das Mineral als Gerölle ſich in den Nebenflüſſen des Irawaddy vorfindet und außerdem ſeit undenklichen Zeiten durch Ausgrabungen gewonnen wird. Gewöhnlich wer— den die Steine auf Schiffen den Irawaddy hinunter- paren und zur See nach Canton gebracht, weil der Landweg durch räuberiſche Banden im Gebirg ge— fährdet iſt. Eine Schiffsladung, welche 40 —80 Steine enthält, wird im Durchſchnitt zu 4000 —6000 Mark verkauft; in China repräſentieren aber oft einzelne ſchöne und reine Steine einen Wert von 20 — 40,000 M.; die Steine werden hauptſächlich in Canton verſchliffen. Fiſcher hat eine reichhaltige Sammlung roher Jadeit- ſtücke, der erſten, welche direkt von der Fundſtätte nach Europa gekommen ſind, einer eingehenden Unter— ſuchung unterzogen. Ebenſowenig wie in Europa hat ſich jemals in Amerika Jadeit oder Nephrit anſtehend gefunden und iſt dieſe Thatſache von weittragendſter Bedeutung für die chen he der mexikaniſchen und mittelameri— kaniſchen Völker, da ſie auf eine Einwanderung von Aſien her hindeutet. Fiſcher macht ſich verbindlich, zu jedem amerikaniſchen verarbeiteten Stück Jadeit oder Nephrit das aſiatiſche Rohmaterial aufzuweiſen und erinnert daran, daß auch eine auffallende Ueber— einſtimmung in Kunſtwerken und Gebräuchen zwiſchen den Kulturvölkern Mexikos und den Chineſen exiſtiert. „Dieſe Erſcheinung nun, daß in Mexiko, Yufatan und Mittelamerika die feinſten, prächtigſten Skulp⸗ turen in Jadeit (ſeltner in Nephrit) ausgeführt ſind, während ungeachtet der ſorgfältigſten Nachforſchungen und Erkundigungen bis jetzt kein Mineraloge, über— haupt kein Menſch je in ganz Amerika ein Gramm dieſer Mineralien entdecken konnte, wird doch nach allgemein menſchlichen Begriffen uns mit unſern Blicken dahin weiſen, wo von uralter, ja vielleicht von un— vordenklicher Zeit her jene Mineralien den Angel— punkt der Steinkünſtler bildeten und die Rolle von Edelſteinen ſpielten.“ H. Fiſcher, Nephrit und Jadeit nach ihren minera— logiſchen Eigenſchaften, ſowie nach ihrer urgeſchicht— lichen und ethnographiſchen Bedeutung. Stuttgart 1875. — Ueber die mineralogiſch⸗archäologiſchen Be- ziehungen zwiſchen Aſien, Europa und Amerika. N. J. f. Min. 1881, II. Bd. p. 299. W. Sch. Bequeme Vipette nach Mann. Ein einfaches, entſprechend dickes Glasrohr wird am einen Ende pipettenartig verjüngt, während der Rand des andern Endes über der Flamme etwas verbreitert und nach außen umgebogen wird. Man ſchiebt dann dieſe, eventuell graduierte Pipette durch die genau ſchließende Durchbohrung eines Korkes, den man in ein etwa 10 em oder entſprechend langes Stück weiteren Glas⸗ rohrs einſetzt. Das obere Ende des weiteren Glas— rohrs wird luftdicht mit einem Kork verſchloſſen. Um beide Korke am weiteren Glasrohr möglichſt feſtſitzend zu machen, ſchmiert man jie mit etwas Kolophonium⸗ pulver ein; die obere Hälfte des dünneren Pipetten- rohrs wird ferner mit etwas Talg eingeſchmiert, damit es in der Durchbohrung des Korkes leichter hin und her bewegt werden kann. Schiebt man nun die Pipette bis in die Nähe des ſoliden Korkes, taucht ſie dann in die betreffende, zu pipettirende Flüſſigkeit und ſchiebt durch den Druck des Daumens das obere, weitere Glasrohr hinauf, ſo entſteht in demſelben eine Luftverdünnung, durch welche die Flüſſigkeit zum Hineindringen in die Pipette gezwungen wird. Dies geſchieht bei gelindem Druck in ſo ruhiger Weiſe, daß ſelbſt kleine Tropfen auf der Oberfläche einer Flüſſigkeit in einem cylindriſch ſchmalen Glaſe leicht abgehoben werden können. Abgeſehen von der An— wendung dieſes, im „Chemiſchen Zentral-Blatt“ kürz⸗ lich beſchriebenen und abgebildeten Apparats zum Pipettiren ſchädlicher oder ekelerregender Flüſſigkeiten und der Verwendung zur Trennung verſchieden ſchwerer, nicht miſchbarer Flüſſigkeiten, kann derſelbe auch dienen, geringe Niederſchläge vom Boden oder ſchwerere Flüſ— ſigkeiten aus demſelben leicht herauszuheben. P. J. Heerens neues YiofKop zur Nilchprüfung. Dieſer einfache patentierte kleine Apparat, welcher von der Gummikamm⸗Geſellſchaft in Hannover her⸗ geſtellt wird und zum Preiſe von 1 Mark überall zu haben iſt, ermöglicht eine unmittelbar abzuleſende an⸗ nähernde Fettbeſtimmung, alſo Beurteilung der Milch 46 Humboldt. — Januar 1882. und iſt für die Haushaltung wie für die Marktpolizei recht geeignet. Eine kleine runde Platte aus Hart⸗ gummi führt in der Mitte eine flache Erhöhung mit einem 0,33 mm hohen Rändchen. Hierauf werden einige Tropfen Milch gebracht und eine Glasplatte aufgelegt, ſo daß eine 0,33 mm dicke Milchſchicht entſteht, deren Farbe je nach dem Fettgehalt mehr oder weniger blaugrau iſt. Der Rand der Glasplatte zeigt ſechs ſolcher Farbabtönungen, dem verſchiedenen Fettgehalt der Milch entſprechend, mit den Bezeich⸗ nungen: Rahm, ſehr fett, normal, weniger fett, mager, ſehr mager. Durch Vergleichung der Farbe der Milchprobe mit dieſer Skala iſt die Unterſuchung ſofort vollzogen. 155 Die drei kleinſten Staaten Europas und ihre Bevölkerung nach neueſter Zählung. Die drei kleinſten Staaten Europas ſind das an der Riviera gelegene Fürſtentum Monaco, deſſen Flächeninhalt 7/5 Quadratmeile kaum überſchreitet, worauf etwa 3000 Einwohner leben. Es iſt eine genueſiſche Grün⸗ dung, von der Republik dem heute dort noch regie⸗ renden Geſchlechte der Grimaldi übergeben. Der zweite Miniatur⸗Staat ijt die Republik San Marino am Südende der italieniſchen Provinz Romagna; ſie hat etwas über eine Quadratmeile Flächenraum und eine Bevölkerung von 7300 Seelen, ſtammt aus dem dritten Jahrhunderte und leitet ihren Urſprung von dem Patrone der Marmorbrecher Marinos her. Das dritte endlich von den kleinſten europäiſchen Reichen, das Fürſtentum Liechtenſtein, hat eine Größe von 3 Quadratmeilen und 8000 Einwohner, liegt am Oberrhein, ſtammt aus dem Jahre 1698 und ver⸗ dankt ſeine Entſtehung der Erhebung derer von Liechten⸗ ſtein durch Kaiſer Ferdinand II. in den Reichsfürſten⸗ ſtand. H. Neue Art von Heizung. Wenn feſte Körper durch Wärme verflüſſigt werden, ſo ſammelt ſich in ihnen eine gewiſſe Menge latenter Wärme, welche in dem Maße wieder frei und fühlbar wird, als der Körper ſeinen feſten Zuſtand wieder annimmt. Man kann auf dieſe Weiſe in gewiſſen Subſtanzen, ohne deren Temperatur zu erhöhen, eine bedeutend größere Wärmemenge anſammeln als im Waſſer, welches wegen ſeiner bedeutenden Wärmekapazität zu Heizungs⸗ zwecken vielfach Verwendung findet. Das kriſtalliſierte eſſigſaure Natron, welches bei 59° C. flüſſig wird, iſt hierzu ſehr geeignet und durch die Herren An⸗ celin u. Gillet, Zivilingenieure in Paris, bereits im vorigen Jahre für Wärmflaſchen auf franzöſi⸗ ſchen und engliſchen Eiſenbahnen benutzt worden. Der Wärmeeffekt dieſes Salzes iſt ungefähr der vier⸗ fache von dem des Waſſers, wenn man beide flüſſig auf dieſelbe Temperatur z. B. 80° C. bringt und dann abkühlen läßt; Wärmflaſchen, welche mit Waſſer⸗ füllung nach 2—3 Stunden auszuwechſeln find, wür⸗ den bei der Füllung mit geſchmolzenem eſſigſaurem Natron alſo 10 Stunden vorhalten, woraus der Vorteil und die Annehmlichkeit einleuchtet. Das deutſche Patent von A. Nieske in Dresden benutzt zu demſelbem Zweck ebenfalls eſſigſaures Natron, jedoch in einer Miſchung mit unterſchwefligſaurem Natron, welches leichter ſchmilzt als eſſigſaures Na⸗ tron und dieſes in der Miſchung am zu raſchen Aus⸗ kriſtalliſieren verhindert. Die mit dem Salzgemenge zu etwa / angefüllten Wärmflaſchen werden luftdicht verſchloſſen und dann in einen Ofen oder in ein Bad ſiedenden Waſſers bis zum Schmelzen gegeben. Nach der Größe der Flaſchen hält die Wärme 10—18 Stun⸗ den an; die Füllung iſt natürlich fortgeſetzt zu be⸗ nutzen. Solche Wärmeapparate können für alle jene Zwecke dienen wie die gewöhnlichen; ſie ſind von A. Wolff u. Gebr. Eberſtein in Dresden zu be⸗ ziehen. Das eſſigſaure Natron und Salze von ähn⸗ lichen Eigenſchaften ſind offenbar auch zu andern Anwendungen, wenn es ſich um konſtante Erwärmung handelt, geeignet, ſo für häusliche Zwecke und an Stelle von Dampfwaſſerheizungen, in welchem Falle auch die Gefahr von Exploſionen vermieden werden könnte. Pe Kobelt in Hüdſpanien und Marokko. Eine Forſchungsreiſe, die der bekannte Konchyliolog Dr. W. Kobelt im Auftrag der Senckenbergiſchen naturforſchenden Geſellſchaft an den Küſten des weſtlichen Mittelmeers machte, hat das intereſſante Reſultat ergeben, daß der ehemalige Landzuſammen⸗ hang zwiſchen Südſpanien und Marokko eine weit größere Ausdehnung gehabt hat, als man gewöhnlich annimmt, und mindeſtens bis zum Meridian von Oran und Cartagena zurückgereicht hat. Kobelt ſchließt dies aus der Aehnlichkeit der Molluskenfaunen: die von Oran und Cartagena ſind ſich ähnlicher als die von Oran und Tanger oder von Cartagena und Gibraltar, und ferner verſchwinden vom Meridian von Cartagena an einige Arten, die den Küſten des Mittelmeers von Syrien an getreulich gefolgt ſind, fehlen in Marokko und Spanien und treten an der franzöſiſchen Weſt⸗ küſte wieder auf. Das Fehlen deutet auf eine Küſten⸗ linie von Oran bis Cartagena. Von hohem Intereſſe iſt ferner die Thatſache, daß Kobelt in den Gebirgen von Tetuan eine Anzahl Arten gefunden hat, die von ſizilianiſchen kaum zu unterſcheiden ſind, was bei der Verſchiedenheit der Molluskenfaunen von Algerien und Sizilien vorläufig unerklärlich iſt. Rb. Optiſche Täuſchung. Betrachtet man einen ver⸗ tikalen Stab durch einen horizontalen Spalt, ſo er⸗ ſcheint er heller als durch einen vertikalen Spalt. Da ſich dieſes auch bei photographiſchen Aufnahmen zeigt, iſt dies keine optiſche Täuſchung, ſondern wahr⸗ ſcheinlich durch Diffraktionserſcheinungen zu erklären. Préve, Compt. rend. 92 pag. 522. B Erfinder des Opernglaſes iſt nicht wie bisher angenommen der Pater Anton Maria Schyrle aus Rheita, ſondern D. Chorez, Optiker zu Paris im Jahr 1632. Jovi, Compt. rend. 91 pag. 547. B. Wörterbuch deutſcher Pflanzen⸗Namen. In vie⸗ len Büchern werden bloß die deutſchen Pflanzen⸗ namen angewendet, ohne daß die wiſſenſchaftlichen Bezeichnungen Hing ſind. Dann kommt der Leſer wohl bisweilen in Verlegenheit, wenn er unter letzterer Bezeichnung die Pflanze in einem größeren wiſſenſchaftlichen Werke aufſuchen will. Für ſolche Fälle iſt ein kleines Schriftchen zu empfehlen: Salo⸗ mon, Wörterbuch der deutſchen Pflanzen-Namen mit Beifügung der botaniſchen Namen. Stuttgart 1881. Verlag von Eugen Ulmer. Preis 1 Mrk. 50 Ss. Humboldt. — Januar 1882. — Inſeratenanhang. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart, 9° 8 ioe : ESS — Botaniide Werke ron Prof. Karl Roch Baturwiſſenſchaftliche und pniloſophiſche in Berlin. Dendrologie. Bäume, Sträucher und Halbſträucher, welche in Mittel- und Nord-Europa im Freien cultivivt werden. Kritiſch beleuchtet. Zwei Bände. gr. 8. 1869 —1873. geh. M. 33. 20. Vorleſungen über Dendrologie. Gehalten zu Berlin im Winterhalbjahr 1874— 75. In drei Theile. I. Theil. Geſchichte der Gärten. II. Theil. Bau und Leben des Baumes, ſowie ſein Verhält— niß zu Menſchen und Klima. III. Theil. Nadelhölzer oder Koniferen. Die 8. 1875. geheftet. complet M. 8. 80. Die deutſchen Obſtgehölze. Vorleſungen gehalten zu Berlin im Winterhalbjahr 1875 — 76. zwei Theilen. I. Theil. Geſchichte und Naturgeſchichte der deutſchen Obſtgehölze. II. Theil Auswahl der zum allgemeinen Anhange empfohlenen Obſtſorten. In 8. 1876. geheftet. complet M. 12. — | Die Bäume und Sträucher des alten Grieden- lands. gr. 8. 1879. geheftet. M. 8. — Werke von Prof. Wilh. Wundt in Feipzig. Die phyſikaliſchen Axiome und ihre Beziehung zum Cauſalprincip. Ein Kapitel aus einer Philo— ſophie der Naturwiſſenſchaften. 8. 1866. ge— heftet. M. 2. 40. Handbuch der mediciniſchen Phyſik. Mit 244 in den Text gedruckten Holzſchnitten. gr. 8. 1867. geheftet. M. 10.— Anterſuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren. gr. 8. 1870 — 76. geheftet. M. 9. 20. Tehrbuch der Bhyfiologie des Menſchen. Mit 170 in den Text gedruckten Holzſchnitten. Vierte umgearbeitete Auflage. gr. 8. 1878. ge— heftet. M. 16. — Sogik. Eine Unterſuchung der Prineipien der Er— kenntniß und der Methoden wiſſenſchaftlicher Forſchung. Zwei Bände. I. Erkenntnißlehre. gr. 8. 1880. geheftet. M. 14. — (Der 2. Band erſcheint 1882.) — Su beziehen durch jede Burh handlung. Im gleichen Verlage erſcheint die Gartenflora. Allgemeine Monatsſchrift für dentſche, ruſſiſche und ſchweizeriſche Garten- und Blumenkunde. Unter Mitwirkung vieler Botaniker und Gärtner Deutſchlands, Rußlands und der Schweiz herausgegeben und redigirt von Dr. Eduard WRegel, Kaiſerl. Ruſſ. wirklichem Staatsrathe, Director des Kaiſerl. Bot. Gartens in St. Petersburg. Jährlich ein ftarfer Band in gr. 8. mit 24 Farbendrucktafeln, 12 ſchwarzen Taſeln und vielen Holzſchnitten. Preis des Jahrganges 18 Wark. Verlag von Oskar Feiner in Leipzig. Taſchen-Kalencler für Vflanzen⸗Hammler. Ausgabe mit 500 Pflanzen. Gebunden mit Notizbuch, Taſche 2. M. 1. 40. Ausgabe mit 1000 Pflanzen. Zweite Auflage. Gebunden ꝛc. M. 1. 75. 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M. 6. — Falltenberg, Docent Dr. P., Vergleichende Anter⸗ ſuchungen über den Ban der Vegetationsorgane der Monocotyledonen. Mit 3 Taf. 8. geh. M. 4. 80. Henkel, Prof. Dr., Die Naturprodukte und Induſtrie⸗ Erzeugniſſe im Welthandel. Eine populäre Han⸗ delsgeographie. 2 Bände. 8. geh. M. 18. 40. Hoh, Prof. Dr. Th., Compendium der Vhyſik. Mit 61 Holzſchnitten. 8. geh. M. 3. 60. lein, Herm. J., Grundzüge der höheren Analyſts, der Differential- und Integralrechnung. Für das Selbſtſtudium bearbeitet. 8. geh. M. 1. 60. Koſenthal, Dr. D. A., Synopsis Plantarum diapho- ricarum. Syſtematiſche Ueberſicht der Heil-, Nutz⸗ und Giftpflanzen aller Länder. gr. 8. geh. M. 18. — Schubert, Dr. F., Tehrbuch der Mineralogie für Schulen, mit kurzem Ueberblick der Petrographie und Geognoſie und mineraliſchem Wörterbuch. Mit 20 Holzſchnitten. gr. 8. geh. M. 1. 60. v. Chanhoffer, Prof. Dr. L., Das Wlikkrofcop und feine Anwendung. Ein Leitfaden der allgemeinen mikro⸗ ſeopiſchen Technik. 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Band 2. Lieferung, II. Band 1. Lieferung vergriffen) Arbn, Prof. Dr. Chr., Aeber das Verhalten der Mikrocephalie zum Atavismus. Lex.⸗8. geh. M. 1. = Berſinn, Dr. F., Der Ausdruck des Auges. Mit 1 Tafel. gr. 8. geh. M. 1. 20. Jaeſche, Staatsrath Dr. E., Das räumliche Sehen. Mit 37 Holzſchnitten, 2 Steindrucktafeln und 1 Licht⸗ drucktafel. gr. 8. geh. W Merten, Dr., Die Vererbung von Krankheiten und die etwaigen Mittel, derſelben entgegenzuwirken. Eine hygieniſche Monographie. gr. 8. geh. M. 1. — Maleſchott, Prof. Dr. J., Cehre der Nahrungsmittel. Für das Volk. Dritte Auflage. gr. 8. geh. M. 2. — Prener, Prof. Dr. W., Weber die Arſache des Schlafs. gr. 8. geh. 80 Pf. Samuel, Prof. Dr. S., Die epidemiſchen Krankheiten, ihre Urſachen und Schutzmittel. gr. 8. geh. M. 1. — Spamer, Dr. K., Bhyfiologie der Heele. Die ſeeli⸗ ſchen Erſcheinungen vom Standpunkte der Phyſio⸗ logie und der Entwicklungsgeſchichte des Nerven⸗ ſyſtems aus wiſſenſchaftlich und gemeinverſtändlich dargeſtellt. Mit 25 Holzſchnitten. 8. geh. M. 6. — P. B. Huriews Ceitfaden für praktiſche Biologie. Mit Bewilligung des Verfaſſers in das Deutſche übertragen von Dr. O. Thamhayn. 8. geh. M. 4. — Toldt, Prof. Dr. K., Lehrbuch der Gewebelehre mit vorzugsweiſer Bexückſichtigung des menſchlichen Kör⸗ pers. Mit 127 Holzſchnitten. gr. 8. geh. M. 15. — Wallach, Dr. J., Das Leben des Menſchen in ſeinen körperlichen Beziehungen für Gebildete dargeſtellt. Zweite Auflage. kl. 8. geh. M. 4. 40. Surkerktandl, Docent Dr. E., Zur Morphologie des Geſichtsſchädels. 8. geh. M. 4. — Heſtulé, Prof. Dr. A., Chemie der Venzolderivate oder der aromatiſchen Subſtanzen. I. Band. Mit in den Text eingedruckten Holz⸗ ſchnitten. gr. 8. 1867. geh. M. 8. 40. II. Band i. u. 2. Liefg. gr. 8. 1880 1881. A M. 6. — Liebermann, Prof. Dr. C., Grundzüge der Chemie ves Menſchen für Aerzte und Studirende. gr. 8. 1880. geh. M. 6. — — — Tabellen zur Reduction der Gasvolumina auf 0 Grad und 760, oder 1000 Millimeter Queckſilber⸗ druck zum Gebrauch bei Gasanalyſen in chemiſchen und chemiſch⸗techniſchen Laboratorien. Lex.⸗8. 1882. geh. M. 1. Keichardt, Prof. Dr. E., Desinfection und desinſicirende Mittel zur Bekämpfung geſundheitsſchädlicher Ein⸗ flüſſe wie Erhaltung der Nahrungsſtoffe, in gemein⸗ nützigem Intereſſe beſprochen für Behörden, Aerzte, Apotheker und Laien. Zweite, ſtark vermehrte und umgearbeitete Auflage. Mit 2 lithogr. Tafeln. gr. 8. 1881. geh. M. 3. — — Su beziehen durch jede Surh handlung. Siele und Wege der modernen phyſikaliſchen Forſchung. Von Prof. Aug. Heller in Budapeſt. eit jenen Tagen, da die Söhne eines ideal angelegten, hochbegabten Volkes, die von den alten Kulturſtätten des Orients über— nommenen Kenntniſſe von ihrer rein prak— Aicher Bedeutung abzulöſen begannen, um von den— ſelben ausgehend dem letzten Grund der Dinge nachzu— forſchen, haben ſich unſre Anſichten über das Weſen und die Eigenart der Natur, inmitten welcher wir leben, weſentlich umgewandelt. Es iſt ein weiter Weg, und er führt durch den Nebel vieler Jahrhun— derte, auf dem wir zu den verſchiedenen Phaſen und zu den Anfängen der Naturkenntnis bei den Griechen aufſteigen; jedoch kann es als eines der intereſſan— teſten Probleme der Wiſſenſchaft vom Menſchen be— trachtet werden, dem Entwickelungsgange der Welt— anſchauung in den verſchiedenen Epochen der Geſchichte nachzuſpüren. — Es mag nicht überflüſſig ſein, wenn wir gleich von vornherein bemerken, daß wir unter Weltanſchauung eines Zeitalters nicht diejenige verſtehen, wie ſie in der großen Maſſe des Volkes vorhanden iſt — dieſe Anſicht iſt heute im ganzen und großen dieſelbe, die ſie zur Zeit der Griechen war — unter der Weltanſchauung verſtehen wir viel— mehr die Summe der Vorſtellungen über die Art und Weiſe der Vorgänge in der Natur, wie ſie in den Häuptern der tiefſten Denker einer Epoche ſich bildete und wie ſie von dieſem Quell ausgehend, in den auf— geklärten Schichten und leitenden Kreiſen der Zeit ihren Ausdruck findet. Ueberall dort, wo es ſich um allgemeine Ideen und nicht um unmittelbar für die Sinne greifbare Vorſtellungen handelt, dominieren die Anſichten einzelner Denker in der Weiſe, daß ſie der Gedankenwelt ganzer Jahrhunderte den Stempel ihres Geiſtes aufzudrücken vermögen. Humboldt 1882. Die Entwickelung der Naturanſchauung iſt, wie jedes Geiſteserzeugnis der Menſchheit, wie deren Reli— gionsſyſteme, Sprache u. ſ. f. eine Wachstumserſchei— nung, ein organiſcher Prozeß, der ſich mit einer ge— wiſſen Geſetzmäßigkeit vollzieht. Jedoch iſt es oft ſchwer, die Schöpfer einzelner Ideen mit Sicherheit feſtzuſtellen und den Stand der Entwickelung von den Zufälligkeiten im Lebensgange der einzelnen Forſcher abzulöſen und mit den übrigen Kulturverhältniſſen des Landes und der Zeit in Einklang zu bringen. — Es kann nun nicht geläugnet werden, daß die Ge— ſchichte der Entwickelung unſres Wiſſens von der Welt der Naturerſcheinungen ſich derzeit noch in ihren An— fängen befinde. Unſere Quellen über die Entſtehung der Grundideen jeder Naturerkenntnis ſind höchſt mangelhaft, das meiſte darüber wurde niemals nieder- geſchrieben, oder iſt oft dem Denker, der nur auf das End— reſultat ſah, ſelbſt nie ganz bewußt geworden und das wenige, das ſchriftlichen Aufzeichnungen zur Bewahrung anvertraut wurde, iſt in dem vernichtenden Kampfe, den Zeit und Menſchen gegen die Erzeugniſſe menſchlicher Kunſt und menſchlichen Wiſſens ſtets geführt, zum großen Teile 5 So finden wir uns denn gewiſſermaßen in der Lage des Forſchers unter— gegangener Welten, der aus wenigen Knochen das ganze vorſündflutliche Tier ſich aufzubauen verſucht, nur mit dem Unterſchiede, daß die Aufgabe des For- ſchers untergegangener Geiſteswelten eine in jeder Hinſicht um vieles ſchwierigere iſt. Möge als Beleg unſre Kenntnis über die Naturwiſſenſchaft des griedt- ſchen Altertums dienen. Man hat den ſcheinbaren Widerſpruch zwiſchen der hohen Stufe der Entwickelung, auf der ſich die Kunſt und die Wiſſenſchaft vom Menſchen bei den i 48 Humboldt. — Februar 1882. ſtufe ihrer Naturerkenntnis häufig genug erörtert und hat ſich mit ziemlicher Geringſchätzung über die Ge⸗ ringfügigkeit dieſer Kenntniſſe darauf beſchränkt, die Gründe für dieſe auffallende Erſcheinung zu ſuchen, um die Griechen gewiſſermaßen zu entſchuldigen. — Es ſcheint nun, als habe man hier nicht ganz richtig geurteilt. Jedenfalls fällt es ſchwer, aus ſo verſtüm⸗ meltem Torſo die vollkommene Statue zu rekon⸗ ſtruieren. Was wir einigermaßen vollſtändig kennen, das ſind die Werke Platons und Ariſtoteles! Wir dürfen nun nicht vergeſſen, daß nach der Zeit der großen Philoſophen die große Zeit der alexandrini⸗ ſchen Gelehrtenſchule folgte, welche Periode, wenn ſie auch ein Epigonenzeitalter für Kunſt und für Philo⸗ ſophie war, doch das Zeitalter der mathematiſchen und naturwiſſenſchaftlichen Forſchung genannt werden muß. Und davon, was dieſe Epoche geſchaffen, be⸗ ſitzen wir — mit geringen Ausnahmen — bloß höchſt unvollſtändige Bruchſtücke und Nachrichten oft aus zweiter und dritter Hand. Trotzdem iſt auch dies wenige durchaus geeignet uns Achtung einzuflößen vor dem Zuſtande der Naturerkenntnis bei den Alten. Und nun wollen wir daran gehen, in kurzen Wor⸗ ten die Aufgabe der Naturerkenntnis zu umgrenzen und in allgemeinen Zügen die Hauptentwickelungsſtufen derſelben zu charakteriſieren. In letzter Inſtanz können wir als Aufgabe der Naturerkenntnis die Bildung allgemeiner Vorſtellungen bezeichnen über die Anord⸗ nung der Dinge und über den Verlauf der Erſchei⸗ nungen in der Natur. Der Bau des Weltalls vom Himmelsgebäude bis zum kleinſten Organismus auf der Erdoberfläche, ſoweit unſer, durch Fernrohr und Mikroskop geſchärftes Auge zu dringen vermag, ſowie die Geſetze, nach denen ſich die Vorgänge in den ver⸗ ſchiedenen Erſcheinungskreiſen abſpielen, das ſind die Elemente unfrer Naturerkenntnis. Und dieſe Natur⸗ erkenntnis finden wir in allmählicher, jedoch ſtetiger Ver⸗ änderung, in ununterbrochenem Werdeprozeß begriffen. Bei den Griechen finden wir im ganzen und großen alle jene allgemeinen Formen, in denen ſich unſer philoſophiſches Denken über die Natur noch heute bewegt, vollſtändig vorgebildet. „Die allge⸗ meinen Bedingungen alles natürlichen Daſeins ſind Raum, Zeit und Bewegung“. Dieſer ariſtoteliſche Ausſpruch bildet auch heute noch den oberſten Satz unſres Philoſophierens über die Natur. — Wenn jedoch auch die allgemeinen Denkformen ſich in jenen fernen Zeiten vorgebildet finden, ſo iſt doch die Art des Forſchens eine von der unſren gewaltig verſchiedene. Auch dafür wollen wir die Forſchungsweiſe des Vaters der Naturwiſſenſchaft: nämlich Ariſtoteles als Beiſpiel anführen. Bevor er an die Behandlung einer Frage geht, unterſucht er die landläufigen Meinungen und die Anſichten andrer Gelehrten über denſelben Ge- genſtand, um ſchließlich die Unterſuchung meiſt mit Unterſtützung ſeitens ganz fremder oder weitabliegen⸗ der Argumente zu Ende zu führen. So kommt es, daß er die Grundprinzipien der phyſikaliſchen For⸗ ſchung, die Eckſteine unſrer Kenntnis der Natur- alten Griechen befand und der niedern Entwickelungs⸗ | erſcheinungen ganz richtig anführt, dabei jedoch nicht nach dieſen ſelbſt aufgeſtellten Grundſätzen verfährt, ſondern die Gründe der Vorgänge in oft weitablie⸗ genden Beziehungen ſucht. So leitet er aus der Vor⸗ ausſetzung, daß der Kreis die vollkommenſte Form und daß die gleichförmige Bewegung die vollkommenſte Bewegung ſei, den Schluß ab, daß die Planeten ſich auf kreisförmiger Bahn gleichmäßig bewegen. Die Weiſe des Ariſtoteles iſt nun allerdings nicht für das ganze Altertum maßgebend, beſonders nicht für die ſpätere Zeit der alexandriniſchen Gelehrten; immerhin iſt ſie es, welche der Naturerkenntnis des Altertums ihren Stempel aufprägt. Wir würden jedoch ſehr irren, wenn wir jene unvollkommene Art des wiſſen⸗ ſchaftlichen Schließens ausſchließlich dem Altertum zuſchreiben würden. Auch in der theoretiſchen Phyſik unſrer Tage treffen wir auf Schlüſſe, welche aus den Eigenſchaften jener mathematiſchen Gebilde ge⸗ zogen wurden, die wir zur Behandlung der Frage benützen, nicht aber aus der Eigenart der Materie, an welcher jene Vorgänge geſchehen. Einer unſrer bedeutendſten Forſcher auf dem Ge⸗ biete der Naturerkenntnis, einer der wenigen, die von Zeit zu Zeit dem ins Einzelne gehenden, fachmäßigen Arbeiten zu entrinnen ſuchen, um einen umfaſſenden Blick auf das ſich ſtetig ausbreitende Gebiet der menſch⸗ lichen Erkenntnis zu werfen, hat die Bemerkung ge⸗ macht ), daß die neuere Naturwiſſenſchaft, wie paradox dies auch klingen möge, ihren Urſprung dem Chriſten⸗ tum verdanke, da die Idee eines einzigen, unbedingten Gottes, der keine andern Götter neben ſich duldet, die Menſchheit an die Vorſtellung gewöhnte, daß überall der Grund der Dinge nur einer ſei, während es dem unentwickelten Kauſalitätstriebe des Alter⸗ tums genügte, über die Urſachen einer Erſcheinung eine hübſch ausgedachte und gut anzuhörende Mei⸗ nung hinzuſtellen und das Forſchen in anmutigem Hin⸗ und Herreden über das augenblicklich annehmbar Dünkende beſtände. Es ſcheint uns dieſe Meinung, wenn auch im allgemeinen vollkommen richtig, doch bezüglich des Ernſtes der wiſſenſchaftlichen Forſchung des Altertums auf einer nicht ganz ſtichhaltigen Ver⸗ allgemeinerung zu beruhen. Es iſt hauptſächlich die Platoniſche Richtung, auf welche ſich der Vorwurf beziehen könnte, während er ſchon die Ariſtoteliſche Forſchungsweiſe nicht mehr treffen kann. Als zur Zeit der Einnahme Athens durch Sulla das Manufkript der Ariſtoteliſchen großen, grund⸗ legenden Werke nach Rom und durch Ciceros Freund Tyrannion und durch Andronikos von Rhodus in den Bücherverkehr gelangte, da begannen die Ariſtoteliſchen Ideen und Lehren ihre glänzende Bahn, um das ganze Mittelalter hindurch als unanfechtbare, abſolute Wiſſenſchaft zu gelten, inſofern man nämlich die Lehre des Philoſophen von Stageiros inmitten jener finſtern Zeit richtig zu verſtehen vermochte. In dieſer Zeit finden wir die Meinungen über die Vorgänge in der *) Du Bois⸗Reymond, Kulturgeſchichte und Natur⸗ wiſſenſchaft. Leipzig 1878. S. 28. Humboldt. — Februar 1882. 49 Natur derart mit religiöſen Anſchauungen durchtränkt, jener großen, für die Entwickelungsgeſchichte des menſch— daß wir ſie nur ſchwer davon befreien können. — lichen Geiſtes ſtets denkwürdigen Periode, an deren Als zur Zeit der Renaiſſance die Kunſt im Geiſte Schwelle wir Namen, wie Kopernikus, Galilei und des Altertums aufzublühen begann, da ergab ſich die Kepler begegnen, reiften in relativ kurzer Zeit unſre eigentümliche Erſcheinung, daß die Naturwiſſenſchaft moderne Anſicht vom Weltſyſtem, ſowie die Grund— eben dieſes Altertums, die bis dahin allgemeine Gel- lehren der heutigen Mechanik: Dinge, deren Keime tung hatte, zum Gegenſtande allſeitigen Angriffs längſt ſchon der Entwickelung harrten, daher auch die wurde und auf den Trümmern der alten eine neue ſprungweiſe, raſche Entwickelung, welche zu Ende des Naturwiſſenſchaft ſich zu entwickeln begann. Es war ſiebzehnten und der erſten Hälfte des achtzehnten dies eben der Geiſt der Reformation, der ſich auch Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft geltend machte. In (Schluß folgt.) tation und Technik. Don Prof. Dr. Auguſt Vogel in München. 0 Naturforſcher älterer Tage nennt die Pflanzen Die Kohlenſäure iſt eine ſehr innige Verbindung „treue Freunde des Menſchen“. Wenn wir die un- zwiſchen Sauerſtoff und Kohlenſtoff, — dieſe beiden endliche Bedeutung der Pflanze in der tieriſchen Er- Stoffe find in der Kohlenſäure durch ein ſchwer zer— nährung, ihren mannigfachen Wert als Heilmittel in reißbares Band aneinander gefeſſelt. Wir bedürfen Betracht ziehen, fo erſcheint ſchon hiedurch allein im einer hohen Temperatur und ſtark reduzierender Mittel, angegebenen Sinne jener Ausspruch vollkommen ge- um dieſen Verein zu ſprengen. Das Blattgrün be— rechtfertigt. Aber von andrer Seite her ijt der Ein- werkſtelligt ohne beſondere Mühe, wie es ſcheint, nur fluß der lebenden Vegetation auf „Wohl und Wehe mit Unterſtützung der Sonnenſtrahlen, dieſe ſchwierige der Menſchheit“ ein nicht minder großer. Nicht nur Zerlegung. hota die fertigen Erzeugniſſe — das unendliche Heer der Wenn wir ſagen, das Blattgrün bewirke dieſe Farbſtoffe, der fetten und ätheriſchen Oele —, wie Analyſe, fo ijt dies genau genommen nicht ganz rich⸗ ſolche uns die Pflanzenwelt liefert, find es, wodurch tig. Denn wäre dies der Fall, fo müßte ja auch das uns die Pflanze unentbehrlich wird, ſogar die Vor- aus dem Lebensverbande abgeſchiedene Chlorophyll gänge ober und unter der Erde, welche die Pflanzen- ebenfalls dieſe Wirkung zeigen; wir können durch thätigkeit begleiten, ſind für uns von der allergrößten Aether oder andre Löſungsmittel das Blattgrün den Wichtigkeit. grünen Pflanzenteilen entziehen. Wenn nun das Vor allem iſt zu berückſichtigen, daß der Pflanze Blattgrün an und für ſich die Fähigkeit der Kohlen— — dieſem ſchönen Gebilde aus Luft und Waſſer — ſäurezerlegung hätte, ſo müßte dies auch durch den eine ganz ungewöhnliche energiſche Kraft chemischer abgeſchiedenen Farbſtoff geſchehen. Das ijt aber nicht Wirkung innewohnt. Sie, die Pflanze in ihrem ſtillen fo. Laſſen wir Lichtſtrahlen durch eine Löſung von Haushalte, führt mit den einfachſten Hilfsmitteln Blattgrün auf wäſſerige Kohlenſäure fallen, fo erfolgt Analyſen und Syntheſen aus, wie wir ſie in unſren keine Einwirkung. Ja ſogar, wenn wir einen grünen Laboratorien nur mit Mühe und Anſtrengung zu- Pflanzenteil zermalmen, d. h. deſſen lebendigen Zu— ſtandebringen. ſammenhang, deſſen Struktur aufheben, ſo hat der Um nur ein Beiſpiel aufzuführen, mag hier die aus dem Lebensverbande geriſſene Farbſtoff die Fähig⸗ Zerſetzung der Kohlenſäure durch die grünen Blätter keit, Kohlenſäure zu zerlegen, verloren. Ich erwähne mit Hilfe des Sonnenlichtes erwähnt werden. Die dies nur zur Unterſtützung der anerkannten Thatſache, Pflanzen ſind es, welche das Gleichgewicht der Atmo- daß ausſchließlich dem Lebensvorgange der Pflanze ſphäre erhalten, indem fie die Kohlensäure, wie ſie dieſe energiſche chemiſche Wirkung zukömmt. ſich durch den Atmungs- und Verbrennungsprozeß So begegnen wir denn in der Entwickelung der bildet, zerlegen und den zum Atmen notwendigen Pflanze überall zahlreichen chemiſchen Vorgängen; die Sauerſtoff in Freiheit ſetzen. Und inſofern ijt die Pflanze ijt mit Vorliebe chemiſch thätig, ſie zerlegt Bezeichnung der Pflanzen als „treue Freunde des die Kohlenſäure, das Ammoniak, bildet aus dem Stick⸗ Menſchen“ bei weitem nicht ausreichend, wir müſſen ſtoffgaſe und Sauerſtoffgaſe der atmoſphäriſchen Luft ſie zugleich unſre unentbehrlichſten Freunde nennen, Salpeterſäure und zerlegt ſie wieder u. ſ. w. Aber da ohne ſie das menſchliche Leben überhaupt nicht auch die Aufnahme der Mineralbeſtandteile durch die denkbar wäre. . Wurzeln aus dem Boden iſt keineswegs eine rein 50 Numboldt. — Februar 1882. mechaniſche Aufſaugung. Wir wiſſen aus Liebigs Forſchungen, jede Wurzel ſondert Säuren ab — es mag unentſchieden bleiben, ob außer Kohlenſäure, welche jedenfalls ſtets vorhanden, noch andre Säuren hier zur Wirkung gelangen — und dieſe Säuren be- fördern weſentlich die Aufnahme der Mineralbeſtand⸗ teile aus dem Boden. „Die Pflanze greift mit ihren Wurzelausſcheidungen den Boden an.“ (Liebig.) Legt man geſchliffene glänzende Platten von Bergkriſtall, Quarz oder Feuerſtein in den Boden, ſo daß ſie von Wurzeln umfaßt werden, ſo bemerkt man nach einiger Zeit an den von Wurzeln berührten Stellen Trübungen; dieſe Mineralien werden hiernach offenbar von den Wurzeln angegriffen. Noch weit deutlicher tritt die Wirkung der Wurzeln auf Kalkſteine hervor; auf Ackerfeldern, welche mehrere Jahre hintereinander mit Cerealien bebaut worden ſind, finden wir häufig an den Steinen Einſchnitte, von den Angriffen der Wur⸗ zeln herrührend. Die unterirdiſche chemiſche Thätigkeit der Pflanze iſt es, die hier vorzugsweiſe unſer Intereſſe bean⸗ ſprucht, wir dürfen ſie als einen mächtigen Hebel der Technik betrachten. Die Pflanze nimmt einen wich⸗ tigen Anteil an der Darſtellung techniſch hochbedeuten⸗ der und nützlicher Materialien und zwar iſt es zu— nächſt die Beteiligung der Pflanze an der Fabrikation der Pottaſche und Soda, an der Jod- und Brome bereitung. Sehr treffend ſagt Runge: „Die Pflanze iſt ein großer Chemiker, ſie weiß oft die Stoffe ſchärfer und beſtimmter zu ſcheiden, als der Menſch mit ſeinen chemiſchen Hilfsmitteln.“ Wir wiſſen, aus einem Bo⸗ den, der Kalkerde, Thonerde, Kieſelerde, Eiſen, Talk⸗ erde, Kali, Natron u. ſ. w. enthält, nehmen ver⸗ ſchiedene Pflanzen ſehr Verſchiedenes auf. Lycopodium complanatum (Bärlappe) bemächtigt fic) aus ſolchem Boden vorzugsweiſe der Thonerde, welche wegen ihrer Unlöslichkeit in Kohlenſäure für andre Pflanzen nicht aufnehmbar iſt. Gräſer, Schachtelhalme (Equisetum fluviatile) eignen ſich eine ungewöhnlich große Menge Kieſelerde an, Wermut (Absynthium vulgare) er⸗ greift mit Vorliebe das Kali, Glaux maritima das Natron, die Hortenſien das Eiſen, und eine ſehr große Menge, man darf wohl ſagen alle Pflanzen, die Kalkerde. Hierher gehört die Berührung der vielbeſprochenen Frage: Beſitzen die Pflanzen ein Wahlvermögen in ihrer Aufnahme mineraliſcher Nährſtoffe aus dem Boden? Ohne natürlich die Frage, die jo viele Rontvo- verſen hervorgerufen, eingehend beſprechen zu wollen, möchte ich nur einige Beiſpiele aufführen, welche viel- leicht zur Entſcheidung der Frage Beitrag liefern könnten. Zunächst ijt es Thatſache, daß in den ver⸗ ſchiedenen Pflanzen verſchiedene Mengen der einzelnen Nährſtoffe gefunden werden, auch dann, wenn die⸗ ſelben auf dem nämlichen Boden, von genau derſelben Zuſammenſetzung, gewachſen ſind. Wenn wir Kalk⸗ pflanzen und Kalipflanzen nebeneinander ſäen auf einen fruchtbaren Boden, d. h. auf einen Boden, der beide Nährſtoffe, Kalk und Kali, in ausreichender Menge enthält, ſo nimmt die Kalkpflanze vorzugsweiſe die ihr notwendige Kalkerde, die Kalipflanze das Kali auf. Darauf beruht, wie man weiß, das Prinzip der Wechſelwirtſchaft. Wenn einem Boden durch die Jahresernte von Kalipflanzen das Kali großenteils entzogen iſt, ſo kann noch im nächſten Jahre von einer Kalkpflanze Ernteertrag erzielt werden und umgekehrt. Dieß wird wohl mit einigem Grunde dem Wahlver⸗ mögen der Pflanze zugeſchrieben — ſie wählt ſich aus dem Boden die ihr entſprechende Nahrung. Freilich erhebt ſich dagegen ein ſchwer wiegender Einwurf. Läßt man nämlich z. B. Pflanzen mit ihren unver⸗ letzten Wurzeln in Löſungen von zwei Salzen tauchen, Chlorbaryum- und Chlorkaliumlöſung, von welchen erſteres der Vegetation feindlich, das andre zuträglich iſt, ſo finden wir doch beide Salze in der Pflanzen⸗ aſche vor. Bei Annahme eines Wahlvermögens der Pflanzenwurzel iſt die Aufnahme der ihrer Natur gif⸗ tigen Stoffe eigentlich nicht einzuſehen. Allerdings ſind in dieſen Aſchen ſtets nur geringere Mengen von den feindlichen Stoffen aufgefunden worden als von den zuträglichen. Die Wurzelentwickelung ſelbſt richtet ſich, wie man aus vielen Beiſpielen erkennt, nach der Natur des Bodens. Man hat beobachtet, daß die Wurzeln in fruchtbarem Boden, wo ſie ſchon in der nächſten Umgebung Nahrung genug finden, von ge- ringerer Ausdehnung ſind als auf ſterilem. Der be⸗ rühmte Reiſende v. Martius erzählt, daß die mäch⸗ tigſten Baumſtämme der Urwälder, wie ſie nach den heftigen Aequinoktialſtürmen der Amazonenſtrom mit ſich fortreißt, mit ganz unverhältnismäßig kleinen Wurzeln verſehen ſind. Dies hängt nach meinem Da⸗ fürhalten zum Teil damit zuſammen, daß in dem an Nährſtoffen überreichen Boden jener Tropengegenden ſchon eine geringfügige Wurzelverbreitung ausreicht, um die nötige Nahrung aufzunehmen, während in minder fruchtbarem Boden die Wurzel, gleichſam ängſt⸗ lich ſuchend, ſich nach allen Seiten und in die Tiefe hin erſtrecken muß. Aehnlich wie in einem von ver⸗ heerenden Kriegen ausgeſogenen Lande das Fura⸗ gieren für einen Truppenkörper ſich mehr und mehr über ein weiteres Terrain erſtrecken muß, ſo hat auch die Wurzel in ausgeſogenem Lande einen ausgedehn⸗ teren Diſtrikt zu umfaſſen, als in reichem Boden. Liegt hierin auch gerade nicht ein Beweis für die Annahme eines Wahlvermögens der Pflanze, ſo zeugt dies doch von einem willkürlichen Beſtreben, ſich ihre Nahrung zu verſchaffen. Der Feldſpat nebſt den dahin gehörigen Mine⸗ ralien iſt als Hauptvorratsmagazin für den Bedarf alles Kalis auf Erden anzuführen. Allein im Feld⸗ ſpate iſt das Kali in einer ſehr ſchwerlöslichen Ver⸗ bindung mit Kieſelerde und Thonerde enthalten; Che⸗ miker und Mineralogen wiſſen, wie mühſam es iſt, aus dieſer feſten Verbindung das Kali abzuſcheiden, und wenn wir darauf angewieſen wären, die 6 bis 15 Prozente Kali des Feldſpates auf chemiſchem Wege darzuſtellen — das Kali wäre wohl heutzutage noch ein überaus koſtbares und koſtſpieliges Material. Der Kaligehalt des Feldſpates und vieler andrer Mineralien, wie namentlich des Leueits, Ortoklas, Humboldt. — Februar 1882. 51 Porphyrs, Baſalts u. a., war daher auch lange un— bekannt geblieben; der Pflanze verdanken wir eigent— lich zunächſt dieſes analytiſche Reſultat, ſie hat uns auf die Entdeckung des Kalis in ſo manchen Mine— ralien geführt. Wohl war es ſchon längſt aufgefallen, daß die Aſchen faſt aller Pflanzen Kali enthalten, auch derjenigen, welche auf kalifreien Bodenarten, wie man damals meinte, gewachſen. Dieſer rätſelhafte Umſtand gab zu der verzeihlichen Annahme Veran— laſſung, daß durch das Pflanzenleben Kali gebildet werde, und ſo kam es denn auch, daß man früher das Kali, da es nur aus Pflanzenaſchen gewonnen werden konnte, vegetabiliſches Alkali — Pflanzenalkali nannte. Es iſt nicht nur das durch den zerſtörenden Ein— fluß der Atmoſphärilien u. ſ. w., kurz der Verwitte— rung, aufgeſchloſſene, gleichſam aus dem Banne der höchſt innigen chemiſchen Verbindung frei gewordene Kali, welches die Pflanze dem Geſtein entnimmt, — die Pflanzenwurzel wirkt mit in der Zerſetzung des Feldſpates. Die Pflanzenwurzel vermag das Kali aus den unlöslichen Verbindungen, wie es ſich faſt allerorten im Boden befindet, aufzunehmen und über— liefert uns das wichtige Material als Pottaſche in den Pflanzenaſchen. Durch dieſe Vorarbeit, in der unterirdiſchen Werkſtätte der Pflanze vollzogen, iſt die Vegetation zu einem bedeutungsvollen Hebel der Technik geworden. Wir laſſen die Pflanze für uns arbeiten; ſie übernimmt die für uns mühſame und koſtſpielige Aufſammlung des Kalis, welches ihr zur Nahrung dient, aus den Geſteinen und wir haben nur nötig, ihre Aſchen auszulaugen. Alle bisher zur Aus— führung gelangten Vorſchläge, unmittelbar aus kali— haltigem Geſteine, namentlich aus den Feldſpaten, durch chemiſche Bearbeitung das Kali zu gewinnen, konnten ſich als viel zu teuer in der Praxis nicht einbürgern. Die chemiſche Technik iſt nun einmal nicht im ſtande, auf dieſem Gebiet mit der chemiſchen Thätigkeit der Pflanze in Konkurrenz zu treten. Erſt durch die Auffindung der reichen Kaliſchätze in Staß— furt, Kalucz und an andern Orten konnten die Ver— ſuche direkter Darſtellung des Kalis aus dem Feld— ſpate ohne Vermittelung der Pflanze ad calendas graecas vertagt werden; heutzutage haben begreif— licherweiſe angeſichts der Mineralkaliſalz-Induſtrie aus Cerruallit und Kianit alle Vorſchläge, welche die Ex— traktion des Kali aus dem Feldſpate bezwecken, nur noch hiſtoriſches Intereſſe zu beanſpruchen. Dagegen bleibt der Gewinnung der Kaliſalze aus der Aſche der Vegetabilien unveränderte Bedeutung erhalten. Die gewöhnlich als Heizmaterial dienenden Holz— arten liefern durchſchnittlich 2 pro mille Pottaſche. Beſonders reich daran iſt die Zuckerrübe; ſie ſteht unter den Pflanzen, welche bei der Verbrennung eine kalireiche Aſche hinterlaſſen, mit oben an. Schon im erſten Dezennium des laufenden Jahrhunderts, als die Rübenzuckerinduſtrie Bedeutung zu gewinnen an— fing, bezeichnete der franzöſiſche Agronom Dombasle die Rübe als eine höchſt beachtenswerte Pflanze in Betreff der Produktion von Kaliſalzen. Er ſuchte die Rübe ſogar gleichzeitig zur Gewinnung von Zucker und von Pottaſche zu verwenden und machte daher den Vorſchlag, die Rübenpflanze gegen Ende der Kul— tur zu entblättern und die Blätter durch Verbrennen auf Pottaſche zu verarbeiten. 100 Kilogramm trockener Rübenblätter hinterlaſſen 10,5 Kilogramm Aſche, aus welcher 5,1 Kilogramm Pottaſche dargeſtellt werden können. Es hat ſich aber in der Folge gezeigt, daß das Entblättern nachteilige Wirkung auf den Zucker— gehalt der Rübe ausübt, und die Kaliſalzgewinnung aus den Blättern wurde gufgegeben. Nachdem ſpäter durch Erfahrung dargethan, daß die Alkaliſalze, welche die Rübe während ihrer Vegetation aus dem Boden aufgenommen, in den Saft übergehen und ſich nach Abſcheidung des Zuckers dem größten Teile nach in der Mutterlauge, der ſogenannten Melaſſe, anſam— meln, ſuchte man die Melaſſe auch in dieſem Sinne zu verwerten, indem nach Verwandlung des Zuckers durch Gähren in Alkohol und Abdeſtillieren desſelben der ſalzreiche Rückſtand, die Schlempe, zur Trockne gebracht und durch Kalzination auf Pottaſche verar- beitet wurde. Hierdurch erhob ſich die Pottaſchen— gewinnung, wie ſolche die Rübe durch den Vorgang ihrer vegetabilen Entwickelung darbietet, zu einem blühenden Induſtriezweig. Eine einzige deutſche Rüben— zuckerfabrik lieferte ſchon vor Jahren das ungeheure Quantum von 600 Zentnern Pottaſche jährlich als Nebenprodukt. Wenn man noch vor Jahren die Frage aufwerfen konnte, ob es nicht zweckmäßiger wäre, dieſe großen Mengen von Kali, welche die Runkel— rübe alljährlich dem Boden entzieht, als Mineral- dünger den Rübenfeldern zurückzuerſtatten, ſtatt ſie zu verkaufen, ſo iſt gegenwärtig nach Auffindung der reichen Salzlager in Staßfurt die Sachlage eine andre geworden. Der Rübenzuckerfabrikant verwertet heut— zutage mit vollem Rechte die Kaliſalze der Melaſſe im Handel, indem er nun im ſtande iſt, ſeinen Rüben⸗ feldern durch weit billigeren Staßfurter Kalidünger das reichlich zu erſetzen, was denſelben durch die Vege— tation der Rübe entzogen worden. Die Rübe über— nimmt hiebei, wenn man ſo ſagen darf, die Rolle einer Veredlung im technologiſchen Sinne, d. h. einer Werterhöhung der Kalipräparate, indem ſie denſelben durch ihren Organismus Wanderung geſtattet. Schon vor längerer Zeit iſt der Vorſchlag gemacht worden, auch den Vegetationsvorgang einer andern Pflanze, des Wermuts, zur Pottaſchengewinnung zu verwenden und deshalb dieſe Pflanzenſpezies aus— ſchließlich zum Zwecke der Pottaſchenfabrikation an— zubauen. Erfahrungsgemäß liefern 18,000 Quadratfuß in einem Sommer durch dreimaligen Schnitt 200 Zent— ner trocknes Kraut, aus welchem 24 Zentner Aſche und daraus 940 Pfund Pottaſche gewonnen werden. Wie man ſieht, verſchmäht die Technik keineswegs die abſichtliche Erzeugung und Pflege der Pflanzen, welche ſie als brauchbare Mitarbeiter in Beſchaffunng indu— ſtriell-wichtiger Präparate erkannt hat. In welcher Form das Kali in der lebenden Pflanze enthalten, welche Rolle es in der Pflanzenzelle über— nimmt, — dies iſt vorläufig noch ein völliges Rätſel 52 Humboldt. — Februar 1882. für uns. Sicher iſt nur, daß das Kali in der Pflanzen⸗ zelle an organiſche Stoffe gebunden fein müſſe, welche beim Einäſchern der Pflanze in Kohlenſäure umgeſetzt werden, ſo daß wir das Kali in den Pflanzen vor⸗ waltend als kohlenſaures Kali, d. h. als Pottaſche antreffen. Auch in der Sodafabrikation iſt die Pflanze thä⸗ tig; die am Meere wachſenden Pflanzen entziehen dem Kochſalz des Meeres Natron und überliefern es uns in ihrer Aſche als kohlenſaures Natron, d. i. als Soda. In Spanien baut man die Salsola soda förmlich durch jährliches Ausſäen an den Küſten an, um daraus eine Aſche zu gewinnen, welche von allen ähnlichen die wertvollſte. Sie iſt unter dem Namen Barilla beſonders früher ſehr im Handel geſchätzt worden, bildet feſte graue Stücke von 25 bis 30 Pro⸗ zenten reinen kohlenſauren Natrons. Ganz in dem⸗ ſelben Sinne zieht man an den franzöſiſchen Küſten des Mittelmeeres die Salicornia annua (Familie der Atripliceen), um dieſe Pflanze nach der Einſammlung des Samens zu dem ſogenannten Salicor einzuäſchern, einer Maſſe, welche 14 bis 15 Prozente kohlenſaures Natron enthält. Die auf ſolche Weiſe durch Vermitte⸗ lung der Pflanzen gewonnene Sodamenge iſt indes wie bekannt verſchwindend klein mit dem rieſenhaften Sodaverbrauche in der Induſtrie; die Menge, welche dieſen Verbrauch deckt, entſpringt nur zum kleinſten Bruchteile aus der Einäſcherung von See- und Strand⸗ pflanzen, bei weitem zum Mehrertrage aber aus der fabrikationsmäßigen Umwandlung mineraliſchen Koch⸗ ſalzes in Soda. Uebrigens liefert uns auch die Soda⸗ bereitung durch Pflanzen einen überzeugenden Beweis von dem energiſchen Chemismus der Vegetation. Die ſogenannten Natronſeen in Zentralafrika, Kalifornien u. ſ. w. enthalten zwar wie bekannt kohlenſaures Natron gelöſt, wahrſcheinlich entſtanden durch Zerſetzen des Chlornatriums mittelſt kohlenſaurer Kalkerde, ſo daß den Pflanzen jener Gegenden allerdings direkt Soda zur Aufnahme dargeboten wird. Aber im Meer⸗ waſſer iſt doch vorzugsweiſe das Natron nur als Chlornatrium (Kochſalz) enthalten. Durch den Vege- tationsprozeß wird das Kochſalz zerſetzt; wir finden das Natron in den Pflanzen zum Teil an organiſche Säuren gebunden, welche Verbindungen beim Ver⸗ brennen der Pflanze und beim Auslaugen der Aſche (unter Mitwirkung des in der Aſche befindlichen Kalkes) kohlenſaures Natron geben. Die vegetabiliſche Thätig⸗ keit übernimmt alſo hier die Zerſetzung des Kochſalzes, welche wir zum Zwecke der Sodabereitung künſtlich nur auf Umwegen bewerkſtelligen können. Wenn uns nun, wie gezeigt, die Vegetations⸗ thätigkeit in der Pottaſche- und Sodafabrikation jo | wichtige und erwünſchte Beihilfe gewährt, ſo iſt es auch dieſe Thätigkeit, der wir ſogar die Entdeckung bedeutender, in der Induſtrie unentbehrlich gewordener Stoffe verdanken. Ohne die thätige Mitwirkung der Vegetationskraft würden wir wohl ſchwerlich die wert⸗ volle Bekanntſchaft des hochgeehrten Geſchwiſterpaares, geſchichte des Jodes ſpielt die chemiſche Vegetations⸗ thätigkeit eine Hauptrolle. Das Jod iſt in dem Waſſer des Meeres enthalten, aber in außerordentlicher Ver— dünnung. Vier Millionen Pfund Meerwaſſer müſſen, wie behauptet wird, zur Trockne verdampft werden, um ungefähr ¾ Pfund Jod zu erhalten. Bei dieſer jedenfalls ganz ungeheuern Verdünnung wäre es menſchlicher Forſchung vielleicht nie geglückt, dieſen wichtigen Stoff, welchem bekanntlich die Photographie ihr glänzendes Daſein verdankt, aufzufinden. Hier iſt uns zum Glück die Unterſtützung der zwar im Verborgenen aber doch ſo mächtig wirkenden Kraft der Vegetation zu Hilfe gekommen. Wie Schwefel und Phosphor als notwendige Beſtandteile der Pflanzen des Feſtlandes auftreten, ſo iſt das Jod unentbehrlich für die Pflanzen des Meeres; mit Begierde ſuchen ſie es auf in den Fluten, um ſich dasſelbe als feſten Beſtandteil anzueignen. Das Anziehungsvermögen der Meerespflanzen für das Jod iſt ein überaus kräftiges. Schon in früher Zeit war die Aſche der Meeres⸗ pflanzen, unter den Namen Kelp und Varek bekannt, wie ſchon erwähnt, als Material zur Sodabereitung benützt worden. Die Aſche wurde mit Waſſer aus⸗ gezogen und aus der Löſung die Soda durch Kri⸗ ſtalliſation gewonnen. Von der Mutterlauge, die keine Kriſtalle mehr abſetzte, wußte man keinen weiteren Gebrauch zu machen und hielt ſie für vollkommen wertlos. Aber dieſe verachtete Mutterlauge iſt es gerade, welche das Jod enthält. Uebergießt man ſie nämlich mit Schwefelſäure, ſo entwickelt ſich ſofort das Jod in veilchenblauen Dämpfen. Es iſt mehr⸗ fach darüber verhandelt worden, ob wir die Ent⸗ deckung des Jodes lediglich dem Zufalle zu verdanken haben. Der Nachweis ſcheint aber in der That heut⸗ zutage nicht mehr möglich zu ſein, ob die Schwefel⸗ ſäure abſichtlich oder zufällig auf die Mutterlauge gebracht worden ſei. Bezeichnend für die damalige Zeit und namentlich für den Unterſchied der früheren Journaliſtik und der Journaliſtik unſrer Tage ijt es, daß in der Sitzung der Pariſer Akademie vom 29. November 1813, — zwei volle Jahre nach der Entdeckung — zum erſtenmale des Jodes Erwähnung geſchieht. Der Moniteur vom 2. Dezember 1813, welcher über die Sitzung der Akademie Bericht er⸗ ſtattet, iſt meines Wiſſens das erſte gedruckte Akten⸗ ſtück über das Jod. Es unterliegt gewiß keinem Zweifel, daß gegenwärtig wenige Tage hinreichend geweſen wären, um einer derartigen Entdeckung all⸗ gemeinſte Verbreitung durch die Preſſe zu verſchaffen. Aus dem Mitgeteilten erkennen wir, die unſchein⸗ baren pflanzlichen Gebilde des Meeres ſind es, welche den erſten und wichtigſten Vorgang in der Darſtellung des Jodes übernehmen; fie erſparen uns die koſt⸗ ſpielige Mühe, das Meerwaſſer abzurauchen, ſie über⸗ liefern der menſchlichen Induſtrie in ihrer jodhaltigen Aſche das koſtenfrei konzentrierte Meerwaſſer zur wei⸗ teren Behandlung. Um einen beiläufigen Anhalts⸗ punkt zu gewinnen von der Erſparnis, welche uns die Meerespflanzen in dieſer Hinſicht gewähren, mag Jod und Brom, gemacht haben. In der Entdeckungs⸗ i nur erwähnt werden, daß die Koſten, um die für ein Pfund Jod nötige Menge Meerwaſſers zur Trockne Humboldt. — Februar 1882. 53 abzurauchen, mit dem wohlfeilſten Heizmateriale und der geeignetſten Heizeinrichtung, mindeſtens 4000 Mark betragen. waſſer, wenn wir es direkt, ohne Beihilfe der chemi— ſchen Pflanzenthätigkeit, zur Jodfabrikation benützen müßten, nicht allenthalben mittelſt künſtlicher Heizung abgeraucht würde; es wäre wohl vorzuziehen, in tropiſchen Gegenden wenigſtens, hiezu die Sonnen— wärme in Anſpruch zu nehmen. Dies erforderte aber immerhin Vorrichtungen, wodurch der gegenwärtige Preis des Jodes, 30 Mark per Kilogramm, ſehr weſent— lich erhöht ſein müßte. Neben dem Jode enthalten die Meerespflanzen auch das Brom, in der Aſche der am Mittelmeere wachſenden Pflanzen hat man es 1826 nachgewieſen. 100 Teile Meerwaſſer enthalten ungefähr 6 Milligramm Brom. Die Bedeutung der Pflanzenthätigkeit für die Darſtellung des Broms aus dem Meerwaſſer iſt in— ſofern geringer, als die Darſtellung dieſes Körpers aus der Mutterlauge von der Verarbeitung der Staß— furter Kaliſalze (insbeſondere des Karnallits, Tach— hydrits und Karinits) bei ihrem Reichtum an Brom lohnender erſcheint, als die Benützung des Meer— waſſers. Die Pflanzenwelt, unabläſſig in ihrem ſtillen Haus— halte für uns thätig, berechtigt zur Hoffnung auf eine weitere Benützung ihrer Kraft in Rückſicht auf die Beſtandteile des Meerwaſſers. Sollte ſie uns nicht in der Folge das Mittel werden, den zwar äußerſt geringen, aber doch unzweifelhaft nachgewie— ſenen Silbergehalt des Meerwaſſers auszubeuten? Wer mag es wiſſen, ob nicht ſchon längſt ein bisher unbeachtet gebliebenes Individuum des Pflanzenreiches, vielleicht auch des Tierreiches, in verborgener Thätig— keit damit beſchäftigt iſt, den Silbergehalt im Meer— waſſer auf einen engeren Raum zuſammenzudrängen und anzuhäufen? Nur an uns liegt es, die natür— liche Konzentrierungsmethode des ſilberhaltigen Meer— waſſers zu erkennen, und es entſpringt uns aus den Fluten des Ozeans eine unerſchöpfliche koſtbare Quelle edlen Metalles. In der That, die dereinſtige Ge— winnung des Silbers aus dem Meere in ähnlicher Weiſe wie die Gewinnung des Jodes iſt nicht ſo ganz hoffnungslos, als es vielleicht erſcheinen möchte. Wir wollen zwar vorläufig in unſren Hoffnungen nicht ſo weit gehen, wie der berühmte Fourier, welcher vertrauensvoll ausgeſprochen, es werden in der Folge auf unſrer Erde durch allmähliche Veränderung ihrer Achſenlage ſo glückliche Umwandlungen und Fort— Ich will gern zugeben, daß das Meer- ſchritte vorgehen, daß „das Meerwaſſer zu einem herrlichen Getränke wird, noch lieblicher, als Limonade, daß nur noch nutzbare Tiere im Meere entſtehen, nur noch ſchmackhafte Fiſche und ſolche Seetiere, die bereitwilligſt unſre Schiffe ziehen.“ Zu— nächſt begnügen wir uns mit der Thatſache und er— kennen es dankbar an, die Gebilde des Meeres, Pflan zen ſowohl als Tiere, beſitzen ganz unläugbar ein eigentümliches Vermögen, dem Meere einzelne Stoffe zu entziehen, welche es in äußerſt geringen Mengen, in äußerſter Verdünnung enthält. In Hinſicht der Bedeutung der Tierwelt für Anhäufung einzelner Subſtanzen im Meere mag hier der Schaltiere ge— dacht werden. Der Gehalt des atlantiſchen Ozeans an Kalkerde beträgt nur "10 Prozent und doch dieſer geringe Gehalt reicht aus für die Schaltiere des Meeres zum Aufbau des Gehäuſes, welches ihnen zur Wohnung dient. Die bewundernswürdige Ab— ſorptionskraft dieſer Tiere hat in emſiger Thätigkeit aus dem “Jiro Prozent Kalkerde, wie ſolche das Meer bietet, im Laufe der Zeit auf dem Grunde des Mee— res und an deſſen Ufern ungeheure Bauten von Kalk— ſchalen aufgeführt, — Ablagerungen, welche der Menſch ſogar zu techniſchen Zwecken nutzbar zu machen vermochte, ja noch mehr, dieſe wunderbaren unter— ſeeiſchen Baumeiſter nehmen Teil an der Umgeſtal— tung unſrer Erde, indem ganze Gebirgsmaſſen und Inſelgruppen ihnen ihre Entſtehung danken. In ähn— licher Weiſe ſind die Korallen, die ſogenannten Blumen des Meeres thätig. Man erkennt hieraus, wie die ewig ſchaffende Natur durch die Aufſtellung geſchickter Sammler auch in der Tiefe des Meeres in unſrem Intereſſe arbeiten läßt. Die Beiſpiele vegetabiler chemiſcher Thätigkeit in ihrem Bezuge auf zahlreiche Produkte zum Vorteile der Induſtrie und Technik könnten noch viel weiter ausgedehnt werden. Die bekannte Umwandelung des Stärkemehls in Zucker durch die Keimthätigkeit der Gerſte, ein chemiſcher Vorgang, welchen die Bier— brauerei ſo vorteilhaft in Anſpruch nimmt, die Um— wandelung der Pflanzenſäuren in Zucker während der Reifung der Früchte, — dies ſind vegetabile Arbeiten, welche als wertvolle Beihilfe dankbar anerkannt wer— den. Doch das Angeführte wird ſchon genügen, um den Nachweis zu liefern, daß wir in dem ſtillen, anſpruchsloſen Haushalte der Pflanze einen von der Natur aufgeſtellten tüchtigen Gehilfen beſitzen, unver— droſſen thätig in den Vorarbeiten, welche ſo manchen Fabrikationszweigen in hohem Grade Vorteil bieten. 54 Humboldt. — Februar 1882. Die mikroſkopiſchen Waffen der Cölenteraten. Don Dr. Carl Chun, Privatdozent in Leipzig. B Ariſtoteles und Plinius war die Fähigkeit der Polypen und Meduſen, bei der Berührung ein unter Umſtänden unerträgliches Neſſeln zu ver⸗ urſachen, bekannt. Sie faßten deshalb den größten Teil unſrer Cölenteraten unter dem Namen der Neſſeltiere (xidar, urticae) zuſammen, einer Be⸗ zeichnung, die neuerdings in der Form „Enidaria“ viel⸗ fach angewendet wird, um die Cölenteraten im engeren Sinne den Schwämmen gegenüberzuſtellen. Begreif⸗ lich, daß es ſchon ſeit alter Zeit nicht an Verſuchen fehlte, das Neſſeln der reizenden Blumenpolypen, Meduſen und Siphonophoren zu erklären und die Organe aufzufinden, welche den ätzenden Stoff ſezer⸗ nieren. Es würde an dieſer Stelle zu weit führen, die mannigfachen, oft ſehr abenteuerlich klingenden Hypotheſen älterer Forſcher zu erwähnen, zumal nur eine eingehende mikroſkopiſche Analyſe über die Neſſel⸗ organe Aufſchluß zu geben vermochte. In den dreißiger Jahren dieſes Jahrhunderts wurde man zuerſt auf kleine glänzende Körper aufmerkſam, die maſſenhaft über die Oberfläche der Neſſeltiere zerſtreut, bald als Samenfäden, bald als Eier oder ſelbſt als Infuſions⸗ tiere in Anſpruch genommen wurden. Erſt den Er⸗ örterungen von Siebolds, Ehrenbergs und Erdls iſt es zu verdanken, daß man in dieſen glänzenden „Neſſelkapſeln“ die ſpezifiſchen Neſſelorgane zu er⸗ blicken habe. Von rundlicher, ovaler oder langge⸗ ſtreckter Form und ſtets mikroſkopiſcher Größe häufen ſie ſich beſonders an der Spitze der Fangfäden oft jo maſſenhaft an, daß dort förmliche Neſſelbatterieen entſtehen. Prüft man nun eine ſolche Neſſelkapſel (Fig. 3—6 nk) genauer, fo erkennt man leicht, daß ſie aus einer derben, ſtark lichtbrechenden Wandung beſteht, an deren einem Pole ein glänzender, im Innern der Kapſel ſpiralig aufgerollter Faden (Fig. 6 nf) ſich anheftet. Ein Druck auf der Kapſel oder der Zuſatz von Reagentien genügt, um dieſen Neſſel⸗ faden nach Außen vortreten zu laſſen. Inſofern er in ſeiner ganzen Länge von einem feinen Kanale durchzogen wird, ſo wird es ermöglicht, daß er, ohne von der Kapſel abzureißen, ſich vollſtändig bei dem Hervorſchnellen umkrempelt, vergleichbar etwa einem Handſchuhfinger, den man umſtülpt. Oft iſt der aus⸗ geſchleuderte Faden an ſeiner Baſis mit ſtarren, rück⸗ wärtsgerichteten Borſten verſehen oder er läßt in ſeiner ganzen Länge ſpiralig verlaufende Verdickungen erkennen (Fig. 4). Daß die Neſſelkapſeln in Zellen erzeugt werden, wußten bereits die älteren Forſcher. Thatſächlich gelingt es leicht, das Protoplasma der Zelle in dünner Lage um die Neſſelkapſel nachzuweiſen und gewöhn⸗ lich an der Baſis letzterer den Zellkern (Fig. 4 u. 5 n) aufzufinden. Stets trifft man auch an der freien Oberfläche der Neſſelzelle einen feinen fadenförmigen Fortſatz, den ſogenannten Cnidozil, welcher nur ſelten ſo kurz und ſtumpf erſcheint, wie an den in Fig. 3 und 6 (en) dargeſtellten Zellen. Ehe wir uns nun über weitere Eigentümlich⸗ keiten der Neſſelzellen und über ihre Wirkungsweiſe orientieren, ſo mag es geſtattet ſein, auf die ſonder⸗ baren früher für Neſſelzellen gehaltenen Fangapparate der Rippenquallen einen Blick zu werfen. Unter dem Mikroſkope erſcheint der Fangfaden dieſer ungemein zarten und graziöſen Cölenteraten dicht mit halbkuge⸗ ligen Hervorragungen bedeckt, welche auf ihrer Außen⸗ fläche mit kleinen klebenden Körnchen beſät ſind (Fig. 7 und Sk) und im Innern einen Spiralfaden (mu) enthalten. Das ganze Gebilde gleicht täuſchend einer Neſſelkapſel mit ihrem eingerollten Faden und that⸗ ſächlich wurde es auch von allen Beobachtern in dieſem Sinne gedeutet. Es gelang mir jedoch nachzuweiſen, daß der vermeintliche Neſſelfaden einen ſpiral aufge⸗ rollten, deutlich kontraktilen Muskel repräſentiert, der ſich in einen feinen nach der Mitte des Fangfadens verlaufenden Ausläufer fortſetzt und an den die Fang⸗ fäden durchziehenden Muskeln endigt. Kein Beob⸗ achter hat bei den Rippenquallen eine Spur von neſſelnder Wirkung wahrnehmen können. Dagegen überzeugt man ſich leicht, daß den Fangfäden eine merkliche Klebrigkeit, von den erwähnten kleinen Körnchen herrührend, zukommt. Setzt man z. B. eine Cydippe in ein Glasgefäß, ſo bleiben die Fangfäden oft ſo feſt an den Wandungen haften, daß es dem Tiere nicht gelingt, ſie ohne Zerreißen zu kontrahiren. Wir können uns nun leicht über die Wirkungsweiſe dieſer „Greifzellen“, wie ich ſie genannt habe, folgende Vorſtellung bilden. Gerät ein Tier, etwa ein kleiner Krebs (denn dieſe bilden die hauptſächliche Nahrung der Rippenquallen) mit dem Fangfaden in Berührung, ſo bleibt er an einer größeren Zahl von Greifzellen kleben. Bei ſeinen Fluchtverſuchen zieht er dieſelben derart aus, daß ſie den Vortizellen vergleichbar mit einem langen, von dem nun gerade geſtreckten Muskel durchzogenen Stiel dem Fangfaden aufzuſitzen ſcheinen (Fig. 8). Der Muskel ſucht ſich jedoch zu kontra⸗ hieren und verhütet, daß die Greifzelle abreißt. Durch eine raſche Kontraktion des ganzen Fangfadens wird ſchließlich das anklebende und von den Greifzellen teilweiſe umſchlungene Tier der Mundöffnung über⸗ liefert. Fig. 1. Physalia Arcthusa uy. in natürlicher Größe. Fig. 2. Stück eines Fangfadens von Physalia vergrößert. »Gefäß. b Reffelbatterie. Fig. 36. Neſſelzellen bei 600facher Vergrößerung. uk Reſſeltapfel. nf Neſſel · faden. n Zelltern. en Fnidozil. mu Muskel. Jig. 3. Kleine Neſſelzelle von Physalia, Humboldt 1882. | Fig. Fig. Jig. dig. Fig. Große Neſſelzelle von Physalia. Neſſelzellen von den Fangfaden der Velella (einer Siphonophore). Große Neſſelzelle von Physalia mit eingerolltem Reffelfaden. Greifzelle einer Rippenqualle (Buplokamis). Auggeftredte Greifzellen einer gelappten Nippenqualle (Eucharis), 8 56 Humboldt. — Februar 1882. Während alſo eine Greifzelle beliebig oft in Aktion zu treten vermag, ſo iſt hingegen eine Neſſelkapſel, ſobald ſie ihren Faden hervorgeſchnellt hat, für den Organismus wertlos geworden, denn es iſt nicht ab⸗ zuſehen, durch welche Kraft der ausgeſchnellte Faden wieder in die Kapſel aufgerollt werden könnte. Indeſſen werden auch vielfach bei Meduſen Neſſelkapſeln erzeugt, welche einen nur unvollkommenen Faden differenzieren oder deſſen ganz entbehren und wie die Klebekörnchen der Greifzellen eine klebrige Beſchaffenheit erkennen laſſen. Thatſachlich können wir die Körnchen der Greif— zellen als rudimentäre Neſſelkapſeln betrachten, die in großer Zahl auf der Oberfläche einer halbkugelig ſich emporwölbenden Ektodermzelle abgeſchieden wurden. Doch auch für den ſonderbaren Muskel der Greif⸗ zellen laſſen ſich homologe Bildungen bei Neſſelzellen nachweiſen. Man iſt nämlich neuerdings mehrfach auf feine baſale Ausläufer an den Neſſelzellen auf⸗ merkſam geworden, welche bald als muskulöſe, bald als nervöſe Fäden gedeutet wurden, ohne daß es indeſſen gelungen wäre, überzeugende Beweiſe für die eine oder andre Anſicht beizubringen. Ich neigte mich auf Grund der Homologieen zwiſchen Greif- und Neſſelzellen zu der Anſicht hin, daß dieſe Fäden Muskeln repräſentieren möchten, welche zugleich mit der Entladung der Neſſelkapſel in gewiſſe Beziehung zu ſetzen ſeien und fand dieſe Auffaſſung durch er⸗ neute Unterſuchungen völlig beſtätigt. Belehrt ſchon das optiſche Verhalten der oft anſehnlich langen Fäden und ihr Herantreten an die in der Tiefe verlaufen⸗ den Muskelfaſern, daß ſie weit eher die Charaktere von Muskeln zur Schau tragen, als diejenige von Nerven, ſo gab die Unterſuchung der Neſſelzellen von Physalia, jener Siphonophore, welche durch die formidabelen Wirkungen ihrer Neſſelbatterieen ſeit alter Zeit eine gewiſſe Berühmtheit erlangt hat, den untrüglichſten Aufſchluß über die Natur und Wirkungs⸗ weiſe jener baſalen Ausläufer. In der Fig. 1 habe ich ein kleines Exemplar der Physalia darzuſtellen ver⸗ ſucht. Ihre anſehnliche mit Luft erfüllte Schwimm⸗ blaſe, welche eine feine vermittelſt eines kräftigen Sphinkters verſchließbare Oeffnung aufweiſt, trägt an der Baſis eine erſtaunlich große Zahl von Nahr⸗ polypen, Taſtern, Geſchlechtspolypen und Fangfäden. Nie vermag die ausgebildete Physalia völlig in das Meer unterzutauchen, ſondern als Spiel von Wind und Wellen treibt ſie oft in unabſehbaren Scharen an der Oberfläche dahin, durch ihre prachtvolle ultra— marinblaue und roſa Färbung ſchon von weitem die Aufmerkſamkeit des Reiſenden erregend. Die Matroſen kennen und fürchten die „Seeblaſe“ oder „Fregatte“, denn ſchon eine leiſe Berührung der gewaltigen, zu einer Länge von 20—40 Metern dehnbaren Senk⸗ fäden erzeugt ein unerträgliches Brennen, welches ge⸗ fährliche Eiterungen im Gefolge haben kann, zumal wenn etwa bei dem Baden empfindliche Hautſtellen mit der Physalia in Berührung kamen. Was nun die feinere Struktur der uns hier hauptſächlich inter⸗ eſſierenden Senkfänden anbelangt, ſo repräſentieren ſie ſeitlich kompreſſe von kräftigen Längsmuskelbündeln durchzogene Bänder, an deren einer Kante dichtge— drängte nierenförmige Neſſelbatterieen (Fig. 2 p) ſich inſerieren. Der Fangfaden wird von einem Ernäh⸗ rungskanal (y) durchzogen, welcher unter jede Batterie einen blinden Aſt abgibt. Eng nebeneinandergedrängt, trifft man bei mikroſkopiſcher Analyſe Neſſelkapſeln von zweierlei Art in der Batterie an: kleinere, an der Oberfläche ſtehende und große tieferliegende kuge⸗ lige Kapſeln. An der Baſis beider Formen von Neſſelkapſeln bemerkt man anſehnliche Zellkerne, wie ſie denn weiterhin durch außerordentlich kurze Cnidozils ausgezeichnet find (Fig. 3, 4 u. Gn u. en). Der lange Neſſelfaden (mk) iſt in mehreren Spiraltouren in der Kapſel aufgerollt und läßt, wenn hervorge- ſchnellt, ſpiralige Verdickungen an ſeiner Oberfläche erkennen. Die kleinen Neſſelzellen beſitzen lange baſale Ausläufer (Fig. 3 mu), welche dadurch unſer beſon⸗ deres Intereſſe in Anſpruch nehmen, daß ſie deutlich quergeſtreift ſind wie die willkürlichen Muskeln der höheren Tiere. Noch origineller ſind die kurzen, breiten und ſtämmigen Ausläufer der großen Neſſel⸗ zellen gebildet. An ihrer peripheren den Kern um⸗ gebenden Schichte iſt nämlich die kontraktile Subſtanz in Form iſolierter quergeſtreifter Fibrillen ausgeſchieden, welche ſich in der Umgebung der Kapſel mehrfach dichotomiſch teilen und mit ihren Endausläufern gegen den Cnidozil konvergieren. So wird die ganze Kapſel von einem ungemein zierlichen und regelmäßigen Netz⸗ werk kontraktiler Fibrillen umflochten, deren Quer⸗ ſtreifung an den feinſten Ausläufern verſchwindet. Die kleinen Neſſelzellen laſſen dieſelbe Komplikation erkennen, wenn auch bei der geringen Größe der Nach⸗ weis des Netzwerkes ein ſchärferes Zuſehen erfordert. Mit dem ſtrikten Nachweiſe, daß die baſalen Aus⸗ läufer der Neſſelzellen Muskelfäden repräſentieren, erhalten wir einmal eine von den früheren Anſichten abweichende Vorſtellung über den Mechanismus der Entladung, anderſeits tritt die Natur der Neſſel⸗ zellen in ein neues Licht. Im allgemeinen war man darüber einig, daß nur ein Druck auf die Wandung der Kapſel die Entladung bewerkſtelligen könne. Wäh⸗ rend man jedoch bald ein endosmotiſches Aufquellen der in der Neſſelkapſel enthaltenen Subſtanz durch von außen eingedrungenes Waſſer (Dujardin), bald eine Ausdehnung derſelben durch Wärme (Gosse), bald die Elaſtizität der Neſſelkapſelwand als Haupt⸗ triebkraft in Anſpruch nahm, ſo ſuchte der treffliche Kenner des feineren Baues der Polypen, F. E. Schulze, den auf die einzelnen Cnidozils ausgeübten Druck als erſten Anſtoß zur Entladung geltend zu machen, ſei es, daß der Druck von der Baſis desſelben ſich direkt auf die Kapſelwand fortpflanze, ſei es, daß das die Kapſel umgebende Plasma ſich kontrahiere. Es it gewiß nicht zu leugnen, daß in vielen Fällen ein kräftiger von außen kommender Stoß durch Druck auf die Kapſel den Faden entladet. Ob jedoch der Cnidozil bei ſeiner Länge und Feinheit gewiſſermaßen wie der Schlagbolzen unſrer Hinterlader den Druck überträgt, dürfte zweifelhaft erſcheinen. Bei ſeiner Berührung wird er eher die Rolle eines Taſthaares ſpielen und Humboldt. — Februar 1882. 57 nicht das Plasma der Zelle, ſondern die Muskel— faſern zur Kontraktion anregen. Wo ſie, wie bei Physalia, die Kapſel allſeitig umfaſſen, liegt der Effekt einer Kontraktion auf der Hand, wo ſie dagegen, wie bei den in Fig. 5 abgebildeten Neſſelzellen der Velella, nur bis zur Baſis der Kapſel reichen, da dürfte ſchon allein der bei der Kontraktion des langen Muskels ausgeübte Zug, ſowie der Umſtand, daß die Neſſelzelle gegen das unterliegende Gewebe gedrückt wird, zu einer Entladung Veranlaſſung geben. Denken wir uns nun weiterhin die Muskelenden der einzelnen Neſſelzellen durch nervöſe Apparate in Verbindung geſetzt (bei den Velelliden, Phyſalien und einigen andern Siphonophoren iſt es mir in der That ge— lungen, Ganglienzellen aufzufinden, welche mit den bei Meduſen bekannten in vieler Beziehung überein— ſtimmen), ſo leuchtet ein, daß auch ſchon eine bloße Berührung der vielfach zwiſchen den Neſſelzellen zer— ſtreuten Sinneszellen mit ihren feinen Sinneshärchen genügt, um eine größere oder geringere Zahl von Neſſelkapſeln zur Entladung zu bringen. Leider wiſſen wir über die chemiſche Natur des in den Neſſelkapſeln enthaltenen Giftes einſtweilen nur ſo viel, daß es keine ſaure Reaktion erkennen läßt. Wahrſcheinlich gelangt es meiſt dadurch zum Austritt, daß der Neſſelfaden durch die Bewegungen der Beute abreißt. Di E Was nun ſchließlich die morphologiſche Natur der Neſſel- und Greifzellen anbetrifft, ſo repräſentieren dieſelben nicht Drüſen, wie man früher glaubte, welche ihr Sekret in Form einer Kapſel reſp. der Klebekörn⸗ chen erſtarren laſſen, ſondern einzellige Muskeln — Muskeln allerdings von ſo komplizierter Struktur, wie ſie in der Tierreihe ſich kaum möchten wiederfinden laſſen. Nicht nur differenziert der plasmatiſche Nähr— teil der Muskelzelle einen feinen Fortſatz, den Cnidozil, nicht nur ſcheidet er urſprünglich in Form einer Vakuole die ſo fein modellierte Kapſel mit ihrem Faden aus, ſondern unter Umſtänden tritt uns die kontraktile quergeſtreifte Subſtanz in einer ſo eigenartigen An— ordnung entgegen, wie ſie bis jetzt noch nicht beob— achtet wurde. Daß man den Neſſel- und Greifzellen einen ſo hohen ſyſtematiſchen Wert beilegt, wie dies neuerdings vielfach geſchieht, möchte ich nicht befürworten. Nicht nur kommen den Neſſelkapſeln gleichende Bildungen bei Protozoen und niederen Würmern (Turbellarien) vor, ſondern ſelbſt manche Nacktſchnecken (Aeolidien) beſitzen in ihren Anhängen echte Neſſelkapſeln. Und ſchließlich fehlen unter den ſogenannten „Cnidarien“ ſowohl Neſſel- wie Greifzellen vollſtändig den höchſtorganiſierten Rippenquallen und Colenteraten überhaupt, nämlich den gewandten und räuberiſchen Beroen. Gen bom tot: ek Don Prof. Dr. H. Fleck in Dresden. enn der Gebrauch des Geheimniſſes, ſich ent- ja, daß vielmehr gerade darin das Geheimnis der ſprechend zu nähren, ein Vorrecht der beſitzen— den Klaſſe wäre, ſo müßte der Mangel hinreichenden Beſitzes zugleich als die trübe Quelle der Erkrankun— gen betrachtet werden, und Armut und Krankheit als untrennbare Geſchwiſter der darbenden Menſchheit Gemeingut ſein. Der Umſtand indes, daß gerade in den Reihen der Unbemittelten oft wahre Typen der menſchlichen Geſundheit vertreten, hingegen in den mit häuslicher Bequemlichkeit und Ueppigkeit ausge— ſtatteten Häuſern der höheren Geſellſchaft und beſitzen— den Klaſſen gar häufig die unheimlichen Brutſtätten ſchwerer körperlichen Leiden anzutreffen ſind, läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß das Wohl— befinden des Einzelnen nicht ſowohl im Vollbeſitz der Mittel zu ſuchen iſt, welche die menſchliche Exiſtenz im allgemeinen zu begründen und zu heben vermögen, als vielmehr in der Fähigkeit einer rationellen Wus- nützung derſelben, und daß der Aufwand an materiellen Bedürfniſſen zur Erreichung dieſes Zieles kein ſo großer iſt, als er für den erſten Augenblick ſcheint, Geſundheitspflege ſchlummert, daß die vernünftigſte Art der Ernährung den Beſitz beſonders ergiebiger materieller Hilfsquellen nicht vorauszuſetzen hat. Unſer phyſiſches Wohlbefinden gipfelt in dem all— zeitig richtigen Abwägen der drei Hauptlebensfunk— tionen: der Arbeit, der Ernährung und der Ruhe, und ſtellt in Betreff der Ernährung ſo be— ſcheidene Anſprüche an unſre Mittel, daß auch der mit Glücksgütern wenig Geſegnete in der günſtigen Lage bleibt, ſich regelrecht zu ernähren, wenn er es verſteht, den Ernährungsanſprüchen in Qualität und Quantität jederzeit gerecht zu werden. Schon der Umſtand, daß uns die gleiche Menge derſelben Speiſen verſchiedenartig mundet, ungleich— artig ſättigt und nährt oder bekommt, je nach der Art ihrer Zubereitung, nach der Tageszeit, an welcher ſie genoſſen und nach den äußern Umſtänden, unter welchen ſie verzehrt wird, führt uns darauf hin, daß zu einer vernunftgemäßen Ernährung etwas mehr gehört, als die heutige Wiſſenſchaft auf Grund ein— 58 Humboldt. — Februar 1882. gehender phyſiologiſcher Studien bisher feſtzuſtellen in der Lage war. Denn die Anforderung an be- ſtimmte Mengen von Fleiſch- und Fettkoſt, welche die neuere Phyſiologie der normalen Ernährung Er⸗ wachſener zu Grunde legt, berechtigt in ihrer Erfül⸗ lung noch nicht zu dem Schluſſe, daß hiermit zugleich die Bedingungen einer normalen Ernährung unter allen Lebensverhältniſſen erfüllt würden, wenn auch nicht zu leugnen iſt, daß Fleiſch und Fett als die beſten Nahrungsmittel in den Vordergrund, geſtellt zu werden verdienen. Normal iſt die Ernährung dann, wenn ſie den Verhältniſſen der Individuen entſprechend Rechnung trägt, wenn ſie mit den Bedingungen der Leiſtungs⸗ fähigkeit diejenigen der bequemen Beſchaffungsfähig⸗ keit gleichzeitig erfüllt. Die Pflanzenkultur in ihrem ganzen Umfange liefert die ſicherſten Beweiſe, daß exotiſche Gewächſe unter gewiſſen Bedingungen in den nördlichen Kli⸗ maten vollſtändig gedeihen, wenn wir es verſtehen, erſtere normal zu nähren, ihnen die Verhältniſſe ent⸗ gegenzubringen, welche in Betreff der Ernährung ihrer erſprießlichen Entwicklung den beſten Vorſchub leiſten. Die günſtigen Erfolge, deren ſich die Züchtung der Raubtiere in unſern zoologiſchen Gärten zu rühmen haben, beweiſen, daß das Klima allein nicht als einziger Faktor in der Entwickelung der erſtern in den Vordergrund zu ſtellen iſt. Ebenſo iſt die Möglichkeit, den Menſchen in ſeiner mannigfaltigen Lebensweiſe und Berufsſtellung vor⸗ teilhaft zu ernähren, nicht an die Geſetze des Luxus geknüpft, vielmehr weiſen alle Umſtände darauf hin, daß die Löſung dieſer Aufgabe viel näher liegt, als es für den erſten Augenblick erſcheint. — Außer den⸗ jenigen Stoffen, welche wir in die Reihe der Nah⸗ rungsmittel im engern Sinne ſtellen: Fleiſch, Fett, Brot und Mehl, Milch, Gemüſe aller Art, Früchte und Wurzeln oder Knollengewächſe u. ſ. w., ſpielen in der Oekonomie des Stoffwechſels eine An⸗ zahl von Beköſtigungsmitteln eine hervorragende Rolle, deren höchſtwichtige Bedeutung für die menſchliche Er⸗ nährung bisher von der Allgemeinheit durchaus noch nicht entſprechend gewürdigt worden iſt, — das ſind die Genußmittel: Wein, Bier, Tabak, Kaffee, Thee, Gewürze aller Art, Fruchtſäuren, Eſſig, Salz, Fleiſchextrakte u. a. m. Alle dieſe Stoffe erfüllen in ihrer Verwertung bei der menſchlichen Ernährung die Aufgabe, die Nah⸗ rungsmittel im Verdauungsprozeß leichter umſetzbar zu machen, die Verdauung zu beſchleunigen, zu kräf⸗ tigen, den Erſatz von Muskelfaſer, Gehirnſubſtanz, Blut und Fett, wie ſie durch körperliche oder geiſtige Arbeit beanſprucht und verbraucht werden, zu beſchleu⸗ nigen und zu vervollſtändigen. 8 Daher kommt es, daß uns gehörig geſalzene und gewürzte Speiſen weit beſſer munden und bekommen, als ſolche, welchen dieſe Zuthaten fehlen; daher be⸗ obachten wir, daß auch ſchwerverdauliche Koſt, mit Wein oder Bier genoſſen, uns gut bekommt und hin⸗ reichend nährt. Der Grund für dieſe Erſcheinungen iſt in dem Um⸗ ſtande zu finden, daß alle dem menſchlichen Organis- mus zugeführte Nahrung auf ihrem Wege durch Mund⸗ höhle, Magen und Darm mit Flüſſigkeiten gemiſcht wird, welche, wie der Speichel des Mundes, der Ma⸗ genſaft, der Pankreasſaft des Dünndarmes, die Auf⸗ löſung der Speiſen bedingen. Die Ausſonderung dieſer Flüſſigkeiten erfolgt durch die Thätigkeit von Drüſen, welche dieſe Säfte ausſcheiden und deren Funktion eine um ſo intenſivere iſt, je mehr die ſie umkleidenden Nervenbündel gereizt werden. Dieſer Nervenreiz wird durch die Genußmittel erhöht und dadurch die Menge der ausgeſchiedenen Verdauungs⸗ flüſſigkeit vermehrt. Daher kommt es, daß ſchon der Anblick gewiſſer, dem Individuum beſonders liebge⸗ wordener Speiſen noch vor deren Genuß den Speichel, im Munde zuſammenfließen läßt. Da ſich aber die Verdauung um ſo günſtiger vollzieht, je vollſtändiger und reichlicher die gebotene Nahrung mit Speichel, Magenſaft u. ſ. w. gemiſcht wird, ſo werden alle die⸗ jenigen Mittel, welche dieſen Prozeß beſchleunigen und unterſtützen, begünſtigend auf die ganze Ernäh⸗ rung wirken und das find die Genußmittel. — Dieſe kurze populäre Darſtellung wird aber auch hinreichen, zu beweiſen, daß mit einem zu großen Verbrauch von ſolchen Genußmitteln leicht eine Ueber⸗ reizung der Verdauungsnerven Hand in Hand gehen kann und hierin liegt der Grund, warum dieſelben als ſolche unter Umſtänden ebenſo gefährlich werden können, wie ſie bei normaler Ernährung nutzbrin⸗ gend ſind. Wer Wein, Bier, Branntwein genießt, ohne dem Magen entſprechende konſiſtente Nahrung zugeführt zu haben, der vergeudet Verdauungsſäfte und über⸗ reizt die Verdauungsnerven, wie er gleichzeitig ſeine Geſundheit aufs Spiel ſetzt. Daher kommt es, daß uns die genannten Getränke bisweilen ſchlecht bekommen, daß die Wein- oder Bier⸗ trinker üble Folgen auf den Genuß dieſer Getränke auf Rechnung der Qualität der letzteren ſchieben, während ſie ſelbſt die Schuld daran tragen, daß ihnen dieſe Genußmittel nicht zuſagten, weil ſie es verab⸗ ſäumten, bei Genuß derſelben entſprechende Nahrung mit zu verbrauchen. Ein ſtarker Trinker muß ſtets ein ſtarker Eſſer ſein! Niemand ſollte Bier, Wein und Liqueur in den leeren Magen bringen, niemand ſollte es ver⸗ ſäumen, ſich dem Genuß geiſtiger Getränke hinzu⸗ geben, ohne vorher den Magen hinreichend mit fefter Nahrung gefüllt zu haben. Dann würden auch alle die Uebelſtände, die mit dem ſtarken Genuß von Bier und Wein zur Geltung kommen, ſchwinden und dieſe Stoffe von wahrem Werte für die Geſamtheit ſein und bleiben. Die ſtärkenden, anregenden Wirkungen vieler Ge⸗ nußmittel machen dieſelben zu den wichtigſten Hebeln der menſchlichen Thatkraft, werden aber nur zu leicht zu einem zweiſchneidigen Schwerte, wo deren Genuß bei der Ernährung in den Vordergrund geſtellt wird. 6 1 Humboldt. — Februar 1882. 59 Der Umſtand ferner, daß alle Nationen ein oder Trunkſucht ebenſowenig, wie Bajonette gegen die Hun— mehrere Genußmittel in den Vordergrund ſtellen und derſelben in hohem Grade bedürfen, um den an ihre geiſtige oder phyſiſche Kraft gemachten Anſprüchen gewachſen zu bleiben, wie die Thatſache, daß Miß— griffe in der Wahl und im Verbrauch der Genuß— mittel letztere zu Vernichtern ganzer Völkerſchaften werden ließen, ſpricht hinreichend für die national— ökonomiſche Bedeutung derſelben. Hieraus leitet ſich von ſelbſt die hohe Bedeutung ab, welche man z. B. dem Wein und dem Biere als deutſchen Nationalgetränken ſeit langen Zeiten ge— geben, und in dem oben Mitgeteilten ijt der Schlüſſel zur Beantwortung der Frage gegeben, wann und unter welchen Bedingungen der Genuß geiſtiger Ge— tränke von Vorteil oder Nachteil für die Volks— wohlfahrt werden könne. Aus den oben gegebenen kurzen Darſtellungen ergibt ſich aber gleichzeitig, daß Strafgeſetze gegen die gersnoth, wirkſame Mittel abgeben. Die Trunkſucht iſt ein Produkt ſchlechter Ernährungsweiſe und wird in dem Maße beſchränkt, als mit der Möglichkeit ge— nügenden Erwerbes die Beſchaffung geſunder, hin— reichender Koſt Hand in Hand geht. Die Erfahrung lehrt, daß mit der Einrichtung von Volksküchen und Volksſpeiſeanſtalten, welche auch den Wenigbemittelten den Genuß billiger, kräftiger Koſt geſtatten, die Er— ſcheinungen der Trunkſucht zurücktreten. Der enge Rahmen des Bildes, welches hier über die Bedeutung der Genußmittel ausgebreitet wurde, geſtattet nicht, auf den Wert der einzelnen dieſer Stoffe in der Oekonomie des Stoffwechſels ſpezieller einzugehen. Das Vorſtehende dürfte aber bereits hin— reichen, die Aufmerkſamkeit des denkenden Leſers auf ein Thema hingelenkt zu haben, deſſen praktiſche Aus⸗ nützung ihm vielleicht in ſeiner Lebensſphäre oder Berufsthätigkeit von einigem Werte erſcheinen wird. Darwins neueſtes Werk über die Arbeit der Würmer.“ Don Dr. H. Reichenbach, Dozent am Senckenbergianum in Frankfurt a. M. as neueſte Werk des großen Briten ſchließt fich | ſeinen Vorgängern würdig an und iſt nicht nur für den Zoologen, ſondern auch für den Landwirt, den Geologen, ja auch für den Archäologen vom höch— ſten Intereſſe. Mit echter Meiſterſchaft wird uns hier wieder ein Beiſpiel demonſtriert, wie in der Natur kleine, anſcheinend unbedeutende Urſachen, wenn ſie nur kontinuierlich während langer Zeiträume wirken, ko— loſſale Wirkungen hervorbringen können — ein Mo— ment, deſſen Häufigkeit und Wichtigkeit in neuerer Zeit zumal auf dem Gebiet der Geologie und der allgemeinen Entwickelungsgeſchichte der Organismen mehr und mehr eingeſehen werden muß; und dieſer Umſtand war nicht zum mindeſten eine der Trieb— federn für den berühmten Naturforſcher, dieſes an— ſcheinend unbedeutende Gebiet mit einer ſolchen wahr— haft ſtaunenswerten Genauigkeit, mit den ſcharfſinnigſten Methoden und öfters mit Hilfe ſeiner Söhne nach allen Richtungen hin zu durchdringen. Schon 1837 hatte Darwin die Beobachtung ge- | macht und veröffentlicht, daß auf der Oberfläche von Weideland gelegene Fragmente aus Mergel, Schlacken 2c. *) Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer mit Beobachtungen über deren Lebensweiſe von Charles Darwin. Aus dem Engliſchen überſetzt von J. Victor Carus. Mit 15 Holzſchnitten. Stuttgart, E. Schweizerbart'ſche Verlagshandlung (E. Koch) 1882. nach Verlauf weniger Jahre unter den Raſen ſinken, aber immer noch eine Schicht bilden (vergl. umſtehenden Holz— ſchnitt). Eine Vermutung von Wedgwood, es möchte dies den Würmern zuzuſchreiben ſein, veranlaßte Dar— win, die Sache weiter zu verfolgen und das vor— liegende Buch iſt die Darlegung der Beobachtungen und der Reſultate über dieſen Gegenſtand. Bevor er jedoch auf die Sache ſelbſt eingeht, teilt er in den zwei erſten Kapiteln eine große Menge Details über die Lebensweiſe der Würmer mit; ſelbſtverſtändlich bezieht ſich alles auf Arten, die, wie unſre Regen— würmer, Erde in der Form ihrer wie Darmausgüſſe erſcheinenden Exkremente auf die Oberfläche bringen, die wir nicht nur in Garten und Feld, ſondern auch in den belebteſten Straßen großer Städte zu gewiſſen Zeiten in Menge finden. Nur das wichtigſte aus Darwins inhaltsreichem Buche kann hier hervorgehoben werden. Betreffend die einzelnen Sinneswahrnehmungen beſtätigt Darwin zunächſt die Beobachtung Hoff— meiſters, daß das Vorderende des Wurms, obwohl keine Sehorgane nachgewieſen ſind, gegen Licht empfind- lich iſt, aber nur wenn letzteres geraume Zeit einge— wirkt. Bei Beleuchtung mittelſt einer Linſe und Kerzenlicht erfolgt das Zurückziehen des Tieres in ſeine Röhre meiſt augenblicklich; „es ſchießt wie ein Kaninchen in ſeine Höhle hinab“. Braunes und dunkelblaues Licht wirkte nicht. Iſt der Wurm bei 60 Humboldt. — Februar 1882. der Arbeit, will er gerade eben ein Blatt in ſeine Höhle ziehen, oder verzehrt er ein ſolches, oder liegt er in Liebesumarmungen, — ſo reagiert er nicht auf intenſive Beleuchtung: ſeine „Aufmerkſamkeit“ iſt eben anderweitig in Anſpruch genommen. Gegen Lufterſchütterungen vollſtändig taub, ſind ſie dagegen höchſt empfindlich, wenn feſte Körper, mit denen jie in Berührung find, in Erſchütterung ge- raten. Wurde ein Blumentopf, in dem Würmer waren, auf ein Klavier geſtellt und nur ein Ton an⸗ geſchlagen, ſo fuhren die Tiere ſofort zurück. Sehr entwickelt ſcheint der Gefühlsſinn; ein leiſer Luftzug irritiert ſie. Der Umſtand, daß ſie gewiſſe Nahrungsmittel (Zwiebelſtückchen, Kohl ꝛc.) auch dann jy Durchſchnitt durch die Ackererde auf einem vor fünfzehn Jahren drainierten und urbar gemachten Felde, auf die Hälfte der natürlichen Größe reduziert. A Raſen; B vegetabiliſche Ackererde ohne irgend welche Steine; C Ackererde mit Bruchſtücken von gebranntem Mergel, Kohlenſchlacken und Quarzrollſteinen; D aus ſchwarzem, torfigem Sande mit Quarzrollſteinen beſtehender Untergrund. zu finden wußten, wenn letztere verſteckt wurden, ſpricht dafür, daß Geruchsempfindungen vorhanden ſind; jedenfalls aber nicht für alle Riechſtoffe, denn ſtark riechende Subſtanzen (Tabakſaft, Mille-fleurs⸗Parfum u. a.) wurden nicht wahrgenommen. 5 Dagegen ſcheinen die Würmer gegen Geſchmacks⸗ eindrücke gar nicht unempfänglich, da unter vielerlei gleichzeitig Gebotenem gewiſſe Lieblingsſpeiſen (Zwie⸗ belblätter, Sellerie, Karotten u. g.) mit Vorliebe aus⸗ gewählt werden. Sonſt ſind ſie gerade nicht wähle⸗ riſch, ſie ſind echte Omnivoren, ja ſogar Kannibalen, denn ſie freſſen die Leichen ihrer Brüder. Ihre Furchtſamkeit, ihre Freßgier, der Umſtand, daß ſie nicht erſchrecken, wenn ſie mit ihresgleichen zuſammenſtoßen, ja in kugelige Bündel während eines Teils des Winters zuſammengerollt liegen, ihre zu gewiſſen Zeiten größere Reizbarkeit, ferner die Art und Weiſe, wie gewiſſe Gattungen (Perichaete) ihre Exkremente zu Türmen bis zu 3 Zoll hoch aufbauen, das Auspflaſtern der Röhren mit feiner Erde und kleinen Steinchen, das Auskleiden der Mündungen mit Blättern u. a. m. beweiſen hinlänglich, daß be- ſondere Inſtinkte und Gewohnheiten auch hier eine wichtige Rolle ſpielen und geben Darwin zu manchen geiſtvollen Bemerkungen Anlaß. Selbſt einen gewiſſen Grad von Intelligenz ſchreibt er ihnen zu auf Grund ſehr zahlreicher und intereſſanter Beobachtungen und Experimente, auf die wir hier nur verweiſen können.?) Hinſichtlich des Verdauungsprozeſſes fand Darwin die Flüſſigkeit, mit der die Würmer die in die Höhlen gezogenen Blätter anfeuchten, von ähnlicher Natur, wie das Sekret der Bauchſpeicheldrüſe der höheren Tiere, was auch ſchon von Léon Frederie beobachtet wurde. Das genannte Sekret reagiert alkaliſch, gibt den Blättern eine dunkelbraune Farbe, und wie Francis Darwin zeigte, entfärbt es nicht nur die Chlorophyllkörner in den Zellen, ſondern wandelt den Zellinhalt in zerbröckelte, körnige Maſſe um, und was das Intereſſanteſte dabei iſt, es löſt die Stärkekörn⸗ chen auf. Wir haben hier alſo eine Verdauung außer⸗ halb des Magens. „Die größte Analogie bieten vielleicht derartige Pflanzen dar wie Drosera und Dionaea; denn hier wird animale Subſtanz verdaut und in Pepton verwandelt, nicht innerhalb eines Magens, ſondern auf der Oberfläche der Blätter.“ Das dritte Kapitel handelt von der Menge feiner Erde, die von den Würmern auf die Oberfläche ge- ſchafft wird. Die Tiere verſchlucken Erde haupt⸗ ſächlich der organiſchen Subſtanzen wegen (kleine lebende oder tote Geſchöpfe, Eier, Sporen ꝛc.), die ihr beigemengt ſind und geben die unverdauten Reſte am Ausgang ihrer Höhle ab. Da die Zahl der Wür⸗ mer, welche auf kleinem Raum beiſammen leben, ſehr groß ſein kann (133,000 = 356 Pfund auf 1 Hektar nach Henſen), ſo wird auch fortwährend eine beträcht⸗ liche Menge von Erde aus der Tiefe nach oben ge⸗ ſchafft und der Umſtand, daß die Höhlen einſtürzen und daher neue gegraben werden müſſen, wird dieſen Prozeß nur beſchleunigen. Es werden nun zunächſt einige Beiſpiele erörtert, die deutlich zeigen, daß in der That Gegenſtände von der Oberfläche verſchwin⸗ den und in der Tiefe wieder aufgefunden werden können. Ein Stück Land wurde 1822 mit gebrann⸗ tem Mergel und Schlacken bedeckt; 15 Jahre ſpäter fand ſich unter dem ½ Zoll dicken Raſen eine Schicht Ackererde von 2½ Zoll Mächtigkeit und unter dieſer Humus von 1½ Zoll Mächtigkeit voll von Bruch⸗ ſtücken gebrannten Mergels und Fragmenten von Kohlenſchlacken zuſammen mit einigen weißen Quarz⸗ Rollſtücken, die der weiter unten liegenden Schicht angehörten (Vergl. Figur.). Nach 6 ½ Jahren waren die Bruchſtücke ſchon 4—5 Zoll unter der Oberfläche. *) So ſtreut z. B. Darwin circa 200 gleichſchenkelige Papierdreiecke aus (Seiten 3 Zoll, Baſis 1 oder ½ Zoll) und findet, daß weitaus die meiſten mit der Spitze voran in die Höhle gezogen waren, während zu vermuten war, daß mehr Dreiecke mit der Baſis voran eingezogen würden, da dieſe doch mehr Angriffspunkte bietet. Humboldt. — Februar 1882. 61 Ein Darwin gehöriges Stück Land war mit kleinen und großen Feuerſteinen dicht überſtreut, die Vege— tation war dürftig; nach Verlauf von 30 Jahren waren die Steine ſämtlich eingeſunken und mit Hu— mus bedeckt, ſo daß ein Pferd über den kompakten Boden von einem Ende des Feldes zum andern ga— loppieren konnte, ohne mit ſeinen Hufen einen Stein zu berühren. Auch große Steine werden begraben. Einer der Druidenſteine bei Stonehenge (16 Fuß lang, 6 Fuß breit, 28 ¼ Zoll dick) ijt bereits 9½ Zoll mit ſeiner Baſis unter das Niveau des umgebenden Bodens eingeſunken. Darwin führt noch viele andre ſachen, die die Beteiligung der Würmer erweiſen. Sie lieben den Schutz der Steine, unterminieren ſie, ſetzen ihre Exkremente am Umfang ab und bewirken ſo allmählich das Verſinken und Begraben. Die Dicke der Humusſchicht, die im Lauf von 10 Jahren durch die Thätigkeit der Würmer an | | i | Durch das Herabziehen von Blättern rc. wird der Humus mit organiſcher Subſtanz angereichert: das Gleiche wird bewirkt durch das Begraben organiſcher Reſte; durch die fortwährende Bewegung der Würmer, durch Einſtürzen der Röhren und das Hinaufſchaffen der Exkremente bieten ſich für die Einwirkung der Kohlenſäure, der Humusſäuren ꝛc. neue Berührungs— flächen, d. h. der chemiſche Umwandelungsprozeß der in der Ackererde befindlichen Geſteinsfragmente wird beſchleunigt. Ja ſogar iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß die Würmer an den Boden Humusſäure abgeben, denn dieſe wurde in ihrem Darm gefunden und ihre intereſſante Beiſpiele an und erörtert die That Exkremente enthalten Ammonick. Die Würmer bereiten den Boden in ausgezeich— neter Weiſe für das Wachstum der Pflanzen; ſie decken Samenkörner mit ihren Exkrementen zu, ihre tum. der Oberfläche ausgebreitet wird, ſchwankt zwiſchen 0,83 und 2,2 Zoll. Das Gewicht der Wurm— Exkremente beträgt in einem Fall jährlich 18,12 Tons für 1 Aere. So verſtehen wir denn, daß die Würmer beim Eingraben alter Bauten 2c. eine erhebliche Rolle ſpielen, wie Darwin im vierten Kapitel auf das Eingehendſte darthut. Als man bei Shrewsbury ein Feld tiefer als gewöhnlich pflügte, fand man große Mengen von Pfei— len, offenbar aus der Schlacht daſelbſt im Jahre 1403 herrührend. Im Jahre 1876 wurde eine römiſche Villa bei Abinger (Surrey) dicht unter dem Humus aufgefunden und Darwin und ſeine Söhne konſta— tierten überall im Zementfußboden Wurmröhren und lebende Würmer, die noch bei der Arbeit waren. Dasſelbe gilt von Beaulieu Abbey, Hampſhire u. a. Ja ſogar altrömiſche Städte wie Silcheſter und Uri— conium find nach Darwin durch Mithülfe der Wür— mer vergraben und ſo erhalten worden. Mehrere Holzſchnitte und genaue Detailangaben erhärten dieſe Behauptungen. Das Einſinken von gepflaſterten Stellen in Gärten kann ebenfalls beobachtet werden und mehrere Fälle werden angeführt. Das fünfte und ſechſte Kapitel ſchildert die Thä— tigkeit der Würmer bei der Abtragung des Landes. Wir verdanken die Exiſtenz unſrer Sedimentärſchich⸗ ten nicht nur den Einflüſſen der Atmoſphärilien, den Flüſſen, Meereswellen, Erdbeben und vulkaniſchen Ausbrüchen, auch die Regenwürmer haben bei dem Zermalmungsprozeß des kriſtalliniſchen Urgeſteins ihr gutes Teil beigetragen. Der Humus, der wie ein Mantel die feſte Erde bedeckt, iſt viele Mal durch ihren Darm gewandert, und da der Kaumagen mit kräftiger Muskulatur ausgeſtattet iſt, ſo wirken die verſchluckten Geſteinsfragmente wie Mühlſteine, zer— malmen nicht nur die etwa vorhandene Nahrungs- ſubſtanz, ſondern reiben auch ihre Ecken und Kanten ab oder ſie werden gar ganz zerdrückt. Höhlen laſſen Waſſer eindringen und erleichtern den Wurzeln durch das beſtändige Auflockern das Wachs— „Sie miſchen das ganze innig durcheinander, gleich einem Gärtner, welcher feine Erde für ſeine ausgeſuchteſten Pflanzen zubereitet. In dieſem Bur ſtand iſt ſie gut dazu geeignet, Feuchtigkeit zurückzu— halten und alle löslichen Subſtanzen zu abſorbieren.“ Die Würmer helfen auch mit bei der Denudation, wie Darwin nachweiſt, indem die auf die Ober— fläche gebrachten Exkremente entweder durch Regen— waſſer abgewaſchen werden, oder bei trocknem Wetter zerbröckeln und auf geneigten Flächen abwärts rollen. Er ſtellt hierüber die genaueſten Beobachtungen an und berechnet z. B., daß auf einer Fläche von mitt— lerer Neigung von 9° 26“ 2,4 Kubikzoll Erde in einem Jahr um 1 Yard nach unten rückt. Durch die Verkleinerung der Geſteinsfragmente tragen die Würmer auch dazu bei, daß der Wind und das Waſſer die Teilchen leichter weiter ſchaffen, wodurch die Humusdecke weniger hoch wird und dem— gemäß das darunter liegende Geſtein den Einflüſſen der zerſetzenden Faktoren leichter zugänglich iſt. Die Würmer helfen alſo bei den dauernden Pro— zeſſen, die den feſten Boden unſrer Erde unausgeſetzt angreifen und ihn dem Meere überliefern, in nicht zu unterſchätzender Weiſe mit. Und wenn, wie Dar⸗ win anführt, das ungeheuer große Miſſiſſippigebiet in 4½ Millionen Jahren auf das Niveau des Meeres— ufers gebracht fein wird, jo werden die Würmer, die ja jährlich eine Schichte feinſter Erde von 0,2 Zoll Mächtigkeit an die Oberfläche befördern, einen nicht unbedeutenden Anteil daran gehabt haben. — In der That, „man kann wohl bezweifeln, ob es noch viele „andre Tiere gibt, welche eine ſo bedeutungsvolle „Rolle in der Geſchichte der Erde geſpielt haben, wie „dieſe niedrig organiſierten Geſchöpfe. Indeſſen haben „einige noch niedriger organiſierte Tiere, nämlich die „Korallen, bei weitem in die Augen fallendere Tha- „tigkeit darin entfaltet, daß ſie unzählige Riffe und „Inſeln in den großen Weltmeeren gebaut haben; „dieſe ſind aber ganz auf die tropiſchen Zonen be⸗ „ſchränkt.“ 62 Humboldt. — Februar 1882. % witty O enn Don Meere. Dr. Fr. Höfler in Frankfurt a. M. An allen Erdteilen gibt es Länderſtrecken, von denen mit größerer oder geringerer Sicherheit behauptet wird, daß ſie einſt von einem Meere bedeckt geweſen ſeien. So ſpricht man von einem vormaligen Ka⸗ ſpiſch⸗araliſchen Meere in Aſien, einem Sahara-Meere in Afrika, einem ſolchen, das die Llanos des Orinoko . können; denn das weichende Meer hat den verlaſſenen Ländern, ihren Strom: und Flußſyſtemen, ſowie ihren Seen unverkennbare Merkmale aufgedrückt. — Be⸗ trachten wir zuerſt die Tiefebenen. Alle Tiefebenen, die aus einer einſtigen Meeres⸗ bedeckung entſtanden ſind, zeigen überraſchende Eigen⸗ 48 N 05 Ache Manytsctu svg an “1 97% eel) soyosa o phoadc . Fig 1. Der Manytſch nach Dr. Petermanns Karte von Südrußland und Kaukaſien. und die Pampas des La Platafluſſes überzog; und in Europa ſoll das ſalzige Waſſer in der lombar⸗ diſchen Ebene, im ungariſchen Tieflande, in den Marſch⸗ gebieten der Nord- und Oſtſeeküſte ebenſo geflutet haben, wie über die unabſehbaren Flächen von Sar⸗ matien; ja nicht Tiefländer allein, auch Hochebenen werden als einſtiger Meeresboden bezeichnet, wie in Europa die ſchweizeriſche und oberdeutſche. Die untergegangene Flora und Fauna jener Ge⸗ genden, wie nicht minder ihre geologiſche Beſchaffen⸗ heit liefern dem Naturforſcher oft unumſtößliche Be⸗ weiſe für jene Thatſache; aber dieſe Zeugen einer grauen Vergangenheit ſind es nicht immer, die uns von den Veränderungen, die mit der Oberfläche unſ⸗ rer Erde vor ſich gegangen ſind, zu erzählen wiſſen; jene ſelbſt ſpricht oft mit viel beredterem Munde von den Umwälzungen, die fie bis zu ihrer heutigen Ge- ſtaltung zu beſtehen hatte. So tragen gewiſſe Hoch⸗ und Tiefebenen, die auf denſelben befindlichen ſtehenden und fließenden Gewäſſer ein ſo eigentümliches Gepräge an ſich, daß wir aus demſelben häufig den Schluß auf ihre frühere umfangreiche Waſſerbedeckung wagen tümlichkeiten. Alle durchziehen größere Ströme mit wenig entwickelter Laufrichtung; alle haben einſeitige Nebenflußſyſteme; gehört ferner die Ebene der jüngſten Bildung an, ſo fließen die Neben⸗ flüſſe durch Seen, ja auch der Hauptſtrom er⸗ gießt ſich mitunter erſt in einen ſolchen, um von da aus dann dem Meere zuzueilen; endlich iſt jedes ſo entſtandene Tiefland von mindeſtens zwei größeren Gebirgszügen umſchloſſen. Es ſind alſo alle ſo geſtal⸗ teten Tiefebenen einſtige Golfe. Als nämlich der Meeres⸗ arm ſeine Rückwärtsbewegung infolge der Hebung der Küſte begann, hörte ſeine Verbindung nicht momen⸗ tan mit dem Hauptmeere auf, die Loslöſung von demſelben vollzog ſich vielmehr erſt allmählich, bis ſchließlich nur mehr eine ſchmale flußartige Rinne zwiſchen beiden die einſtige Zuſammengehörigkeit kenn⸗ zeichnete. Das war das erſte Strombett des künf⸗ tigen durch das werdende Tiefland gehenden Fluſſes. Mit dem ſteten Zurückweichen der See verlängerte ſich auch allmählich ſein Rinnſal; von einem Ober⸗ und Mittellauf desſelben konnte im Anfange daher keine Rede ſein; denn das erſtere waren eine Un⸗ Humboldt. — Februar 1882. 63 menge von Flüßchen und Bächlein, die ſich erſt ver- einigen ſollten; das letztere ein größerer See, in den ſich alle Gewäſſer von der ganzen Umgebung ergoſſen. Abfluß und Verdunſtung arbeiteten an der Vernich— tung dieſes Mittellaufſees; aber dieſe allein hätten ihn nie vernichtet, wäre nicht die zerſtörende Arbeit der Nebenflüſſe hinzugekommen. Ihre Sedimente füll— | weichen nach einer weniger bedrängten Seite hin; verteilte es ſich auf beiden Ufern gleichmäßig, wurde der neue Strom die gerade Linie zu nehmen ge— zwungen. So ſehen wir beiſpielsweiſe den Po mehr dem Apenninen zugewendet als den Alpen, weil ihm von den erſtern wegen ihrer geringern Höhe und ihres geringern Waſſerreichtums weniger hinderndes Ma— ee 7 SS Erklérung === ~ Fraheres Seegebcet. W photo Stullgart . Fig. 2. Karte zur Veranſchaulichung der Waſſerbedeckung der ſchweizeriſchen Hochebene vor dem Durchbruch der Rhone. Nach Sydows Karte der Schweiz entworfen von Dr. Höfler. ten ſeinen Boden aus; ſie verſtopften ſogar den Haupt— abfluß mit ihren Maſſen immer mehr und zwangen den neu entſtandenen Strom, neue Rinnſale zu ſuchen, d. i. zur Deltabildung. Das Delta war ſchon vorhanden, bevor noch der Fluß in ſeiner ganzen Länge ſich entwickelt hatte. Die Richtung des Mittellaufes des neu entſtehen— den Stromes hing aber hauptſächlich von der Größe der dieſem zuſtrömenden Gewäſſer ab. Je größer die von dort her kommende Waſſermaſſe, deſto umfang— reicher ihr Sinkmaterial; wo es in größerer Menge abgelagert wurde, nötigte es den Fluß zum Aus- Humboldt 1882. terial zugeführt wurde; er weicht alſo folgerichtig bei der Einmündung des Tieino aus den Alpen nach Süden aus, während er da, wo Lambro und Olona ihm zuſtrömen, ſich wieder nordwärts wendet. — Eine dauernde Waſſerbedeckung des Landes blieb jedoch an jenen Stellen länger beſtehen, die erſtlich urſprünglich tiefer lagen als das Becken des verſchwundenen Meeres- arms, und durch die ferner reißende Nebenflüſſe ihren Weg genommen hatten; aber auch jene mußten dem einſtigen Untergange anheimfallen, wenn auch ſpäter als jener Meeresarm, deſſen Verzweigungen ſie ge— bildet hatten. Schon dieſe Thatſachen leiten uns auf 9 64 Humboldt. — Februar 1882. die Vermutung, daß alle Tiefebenen mit wenig ent⸗ wickelten Stromläufen Becken einſtiger Meere waren, und daß dieſe Tiefländer um ſo jüngeren Datums ſeien, je größer die Delta— bildung der ſie durchfließenden Hauptſtröme, und je reicher das ihnen oder ihren Neben⸗ flüſſen angehörige Seengebiet iſt. So er⸗ ſcheint das „Lombardiſche“ Meer als ein jüngſt ver⸗ ſchwundenes infolge der charakteriſtiſchen Eigentümlich⸗ keiten ſeines Stromes und deſſen Nebenflüſſen; ſo ent⸗ ſteht vor unſren Augen ein „Iberiſches Meer“, allerdings länger dahin als jenes, ein provengaliſches mit fjord⸗ artiger Einbuchtung bis nach Lyon hin, wie nicht weniger ein ſolches da, wo heute die induſtriereichen Fluren der untern Seine den Wanderer entzücken. Das Schwarze Meer ſendet ſeine Arme bis zum „Eiſer⸗ nen Thor“ und bis ans Knie des Dnieſter, des Don und der Wolga, und das ſchwediſche Tiefland iſt überflutet von den Waſſern der Oſtſee. N Aber nicht der Hauptſtrom, der an Stelle eines vom Meere verlaſſenen Gebietes getreten iſt, hat ſein eigentümliches Gepräge erhalten; auch ſeine Neben⸗ flüſſe find mit einem ſolchen ausgezeichnet. Sie bil- den untereinander, ſoweit ſie dem einſtigen Meeres⸗ gebiete angehören, ſämtlich Parallelſyſteme und fol⸗ gen in ihrem Unterlaufe mehr oder weniger der Rich⸗ tung des Hauptſtromes. So gehen die Alpennebenflüſſe des Po in ihrem Unterlaufe alle in eine ſüdöſtliche, teilweiſe ſogar öſtliche Richtung über, in welchem Falle ſie dann oft längere Zeit mit dem erſtern parallel fließen, und zwar geſchieht das um ſo häufiger, je⸗ mehr ſich der Strom ſeiner Mündung nähert. Der Grund für die Erſcheinung läßt ſich wohl nur darin ſuchen, daß dieſe Flüſſe ſchließlich zwiſchen ſich und ihrem Mündungsgebiet ſo viel Sedimente abgelagert hatten, daß ein natürlicher Damm zwiſchen ihnen und dem vom Hauptſtrom eingenommenen Bette ent⸗ ſtand, der ſie nötigte, längere Zeit ſelbſtändig zu bleiben und ihre Mündung immer näher der des Hauptſtroms ſelbſt zu legen. So müſſen allmählich in dergleichen Ebenen mehrere ſelbſtändige Haupt⸗ ſtröme entſtehen, wie in der lombardiſchen Tiefebene, wo ſich die Etſch bereits ein eigenes Mündungsgebiet ins Adriatiſche Meer gebildet hat. Wie die Fläche der lombardiſchen Ebene, jo zeigen auch die der an⸗ dern einſt von Meeren bedeckten die gleichen Erſchei⸗ nungen. Die Nebenflüſſe des Ebro, der dem Po in⸗ folge ſeines einſeitigen Flußſyſtems nicht unähnlich iſt, lenken, ſoweit ſie im Tieflande fließen, alle in die Richtung des Hauptſtromes ein, und die Donau nimmt von Orſowa ab auf ihrem linken Ufer lauter parallellaufende Nebenflüſſe auf; dabei zeigt ſich auch die Thatſache, daß, je größer der Nebenfluß, um ſo größer auch ſeine Neigung wird, in die vom Hauptſtrome angenommene Richtung einzulenken. Aus den entwickelten Gründen erſcheint auch der Uralfluß, als einſtiger Nebenfluß der Wolga, und das Land zwiſchen ihm und dem letzteren als früherer Meeres⸗ boden, ausgefüllt, wenn auch nur zum Teile durch die von beiden mitgeführten Sinkſtoffe. Die heute noch in dem Obtſchei-Syrt ſporadiſch auftretenden Steppenflüſſe bewegen ſich in den frühern Rinnſalen der beiden Ströme. Auch der Don und Dnjepr ſprechen nach der Art ihres Unterlaufens für das frühere Vorhandenſein eines Meeres an dieſer Stelle. Der Manytſchlauf erſcheint als das einſtige Strombett des Don, welcher ſich ehemals aber nicht ins Aſowiſche ergoß, ſondern ins Kaſpiſche; daß der erſtere und letztere ihren Lauf geändert haben, verurſachte zuerſt die Hebung der Ergenihügel, wodurch ihre Ablenkung nach Weſten und die gleichzeitige Verſchüttung des Seebodens er⸗ folgte. Durch dieſen Umſtand wurde aber auch der Dujepr gezwungen nach Weſten umzubiegen, und zwar um ſo mehr, je höher die Anſchwemmung wuchs. Der gegenwärtig noch ſich von Alexandrowks nach Süden abzweigende Flußarm repräſentiert ſich als der ältere Lauf. Auch ein andrer Umſtand ſpricht da⸗ für, daß der Manyptſch einſt ein viel größerer Fluß war, der nach Oſten abfloß. Es iſt die Geſtalt des „Großen Liman⸗Sees“, aus dem er heute kommt. Die ſogenannten Flußſeen haben alle eine über⸗ einſtimmendes Merkmal: „Alle Flußſeen werden da, wo der Fluß einmündet, breiter, wo er aus dem See geht, ſchmäler. Da nun der Liman⸗See ſich nach Often zuſpitzt und nach Weſten breiter wird, ſo kann die Weſtſeite nur erſt in neueſter Zeit die Ausmündung eines Fluſſes geworden ſein, während ſie urſprünglich nach dem Bau des Liman im Oſten lag; hier konnte aber nur ein großer Fluß, wie der Don, ausfließen; denn kein andrer wäre im ſtande geweſen, die Zuſchüttung in ſo rieſigem Umfange zu bewerkſtelligen. Auch was wir oben von den Nebenflüſſen geſagt haben, zeigt ſich hier wieder: Alle Nebenflüſſe des jetzigen öſtlichen Manytſch haben noch heute die öſtliche Richtung inne. Nur gleiche Urſachen können gleichartige Wirkungen hervorbringen. Auch das entſchwundene Meer der germaniſchen Ebene hat die charakteriſtiſchen Zeichen ſeines einſtigen Beſtandes in den Flüſſen, die jetzt durch das Tiefland kommen, hinterlaſſen. Sie alle lenken in ihrem Unter⸗ laufe etwas nach Oſt ab, alle weiſen faſt unter dem⸗ ſelben Parallel ein Knie auf, ſo der Rhein bei der Lippemündung, die Ems beim Einfluſſe der Leda, die Weſer bei dem der Aller, die Elbe bei der Vereinigung mit der Havel, die Oder da, wo fic) die Warthe er- gießt und die Weichſel an der Einmündung des Bug. Die genannten Zuflüſſe folgen eine Strecke vor der Vereinigung der Richtung des Hauptſtromes. Sie haben alſo denſelben aus ſeinem urſprünglichen Laufe verſchoben; dieſe Nebenflüſſe bilden aber auch unter⸗ einander Parallelſyſteme, ſowie hinwieder die Haupt⸗ ſtröme ſelbſt in ihrem Mündungsgebiete; es müſſen alſo bei der Entſtehung dieſer Flußrichtungen analoge Urſachen thätig geweſen ſein; es ſind dieſelben, wie bei allen andern: die Ablagerungen. Dieſe Abla⸗ gerungen der Flüſſe bewirkten vor allem eine Teilung derſelben durch Deltabildung; denn ſie hatten wohl Humboldt. — Februar 1882. 65 alle zuſammen vor Zeiten eine gemeinſchaftliche Mün— dung, ſo daß alſo die Weichſel durch den heutigen Netzelauf in die Oder, dieſe wieder durch die Havel in die Elbe ſich ergoß; dieſe ſelbſt aber mündete nicht weſtlich, ſondern öſtlich von Jütland in die Mecklen— burger Bucht. Nicht minder ging die Weſer und Ems weſtlicher als heute ins Meer. Auch der Rhein begann früher wohl ſchon vor Weſel ſeine Einmündung, wie es ja erwieſen iſt, daß er in hiſtoriſcher Zeit ſeinen Lauf bei Kanten verändert und nach Nordoſten ver— legt hat; die Maas emanzipiert ſich ſomit immer mehr von ſeiner Herrſchaft, ähnlich wie die andern Flüſſe von der der Elbe; dieſe ſind aber bereits darin ſchon weiter fortgeſchritten; denn ſie ſind ſelbſtändige Ströme geworden. Aus dem Vorhandenſein des Delta läßt (ord ſich aber nach dem oben Geſagten auf das Alter ihrer Selbſtändigkeit ſchließen. Es erſcheint die Weichſel im Oſten als derjenige Fluß, der ſich zuerſt von den übrigen trennte, und der Yſelarm des Rhein iſt wohl die erſte und urſprüngliche Mündung dieſes Stromes geweſen; der weſtlichſte Deltaarm dürfte als der jüngſte betrachtet werden. Ein ähnliches jugendliches Alter repräſentieren auch die Mündungen der ſchwediſchen Flüſſe. Das Meer im Norden Deutſchlands, deſſen Brandung einſt den ganzen Mittelgebirgsſaum benetzte, mußte alſo ſtetig vor der Arbeit des Süßwaſſers zurückweichen, das die Produkte der in den Gebirgen fortſchreiten— den Verwitterung in ſeinen Tiefen ablagerte. All— mählich tritt das Feſtland hervor, der Hauptſtrom des neuen Gebietes vernichtet ſich ſelber wieder; ſelb— ſtändige Ströme ſcheiden ſich von ihm ab und ſuchen ihren eigenen Weg um die meereszerſtörende, aber länderbildende Arbeit allein fortzuſetzen. Scheidend gräbt das Meer jedoch das Zeugnis ſeiner einſtigen Herrſchaft über das entſtandene Land ins Antlitz der Flüſſe. — Etwas verſchieden von dem geſchilderten Vorgange bei der Tieflandbildung iſt der Prozeß der Entwäſſerung von Hochländern und ihre Trocken— legung, obwohl auch dabei die Flüſſe die Haupt⸗ arbeit beſorgen. Welcher Art nun dieſe Arbeit ſei, das lehrt uns die Konfiguration der Umgebung eines vom Meere befreiten Hochlandes und die Reſte des erſtern: die jetzt noch beſtehenden Gewäſſer, vor allem die Seen. Alle einſt vom Meere bedeckten Hochländer zeigen zwei hervortretende Merkmale: An den Endpunkten ihrer Hauptabdachung liegen entweder die größten Seen oder bedeutende Moorländer, durch welche die Hauptſtröme des Plateaus ihren Lauf nehmen, um bei ihrem Austritte aus denſelben durch vor— Vrervaldstetier S | Sard Fig. 4. ſtehende Gebirgsketten ſich hindurchzuarbeiten; und ferner, an den Rändern der das Hochland umgebenden Höhen kleinere Seen mit oft mannigfaltig verzweigten Armen. Beides kann nur von einem einſtigen großen ſtehenden Binnenwaſſer herrühren, und zwar erſcheinen jene an den Rändern der Hauptabdachung als die letzten Sammelbecken, die im Gebirgs— abhange verſtreuten als frühere Fjorde des— ſelben. Selbſtverſtändlich war der Druck der Waſſerſäule am ſtärkſten an den tiefſten Stellen des Hochlandes. Dieſem mächtigen Andrange der Wogen entſprach eine ebenſo heftige Brandung, die den Boden nicht nur aufwühlte und ausgrub, ſondern auch die ent— gegenſtehenden Wände dort allmählich zu durchſägen begann, wohin der Hauptfall des Waſſers ging. Je mehr nun dieſe Arbeit der Durchwaſchung fortſchritt, um ſo mehr mußten ſich die Gewäſſer der befreienden Stelle zuwenden und ſo das Werk beſchleunigen. Das Land hinter ihnen wurde in den höhergelegenen Gegenden frei, die von den Bergen kommenden Bäche 66 Humboldt. — Februar 1882. begannen darin ihre Furchen zu ziehen und es mit ihrem Detritus zu bedecken. Jemehr aber die Durch⸗ ſägung der die Hauptabdachung einengenden Gebirge dem Niveau der Hochebene ſich näherte, um fo mach- tiger wurde auch die Strömung der Gewäſſer nach dieſer Richtung hin. So wurde nach und nach eine tiefe Furche gegraben: das Bett des künftigen Haupt⸗ ſtromes des Plateaus. Spalte zum Abfluſſe geſchaffen war. Ueberall da nämlich, wo zwei Gebirge verſchiedenen Cha— rakters zuſammentreffen, iſt ein Zwiſchen— raum zwiſchen beiden entſtanden, ſo z. B. zwiſchen Alpen und Jura, zwiſchen Jura und Schwarzwald, zwiſchen Alpen und Böhmerwald u. ſ. w. Dieſen gegebenen Faktor benützten die nach dem Genferſee zu drängenden Gewäſſer, die nach dem Bodenſeebecken abfließenden, wie überhaupt alle von Gebirgen verſchiedener Bauart umſchloſſenen, ſtehenden Binnengewäſſer. Der junge Strom fand natürlich in den durch die aufwühlende Bewegung der Gewäſſer an der Durchbruchſtelle entſtandenen, mit ſalziger Flut bedeckten Abgründen ſein Ende; aber er bildete im Laufe der Zeit aus dem bittern, ſalzigen Waſſer ſüßes. So wurde die ſchweizeriſche Hochebene von dem ſie bedeckenden Waſſer durch die Bildung eines Rinnſales zwiſchen Jura- und Savoyer⸗ alpen befreit, und der Rhonefluß iſt der Erbe des entſtandenen Strombettes geworden. Als Zeuge der gewaltigen Arbeit der Elemente iſt der Genfer See übrig geblieben, deſſen Arme fic) aber bis nach Solo- thurn erſtreckten; mit der zunehmenden Vertiefung der Gebirgsſpalte zwiſchen Jura und Alpen löſte er ſich aber in mehrere Seen auf, als deren Teile der Neuen⸗ burger, Bieler und Murtner See zu betrachten ſind. Noch gegenwärtig iſt der einſtige Zuſammenhang dieſer Meere durch das Thal der Venoye und Movyon, ſo⸗ wie der Ziel und Broye zu verfolgen. Auch nach Norden zu ſchufen ſich die Gewäſſer der ſchweizeriſchen Hochebene einen Abfluß, und zwar in der Richtung des Aarlaufes bei Brugg, alſo aus dem nördlichen Arm des Neuenburger Sees. Dadurch hatten aber auch die höhergelegenen Waſſerbecken ihre Verbindung mit dem Hauptmeere verloren, und die einſt tief ſich ins Gebirge einſchneidenden Waſſerarme erſchienen jetzt als Seen des Feſtlandes. Die Geſtalt aber, zu der ihnen einſt die ſalzige Flut verholfen, konnten ſie nicht verleugnen. Deshalb finden wir dieſe Seen am Fuße der Hochebenen mit allen Eigen⸗ tümlichkeiten fjordartiger Buchten ausgezeichnet. Wie die Fjorde Norwegens ſenden die Seen der ſchweize⸗ riſchen Hochebene ihre Verzweigungen ins Land, ja Bei dem Durchbrechen des Waſſers kam noch mit der günſtige Umſtand in Rech⸗ nung, daß ſchon von allem Anfange her eine gewiſſe der Vierwaldſtädter See zeigt in ſeinen Veräſtungen ſogar eine auffallende Ahnlichkeit mit dem Sogne⸗ Fjord Norwegens. Andre von dieſen Zeugen einſtiger Meeresbedeckung ſind faſt ganz verſchwunden, was allerdings nur da ſich ereignen konnte, wo der Abhang des Gebirges zu ſteil war, und dem Waſſer daher die Arbeit der Aus⸗ waſchung mehr erſchwert wurde. Wir finden alsdann dieſe Fjorde weiter ins Flachland herabgeſchoben, und heute infolge dieſer Lage zum großen Teile durch die hindurchziehenden Flüſſe verſchüttet und in Moräſte oder Moore verwandelt. Beiſpiele dieſer Art weiſt die oberdeutſche Hochebene auf. Das Meer verſchwand von ihr, nachdem dasſelbe ſich bei Regensburg, Deggen⸗ dorf, Paſſau, Grein und Krems durch die zwiſchen den beiden Gebirgsſyſtemen offengelaſſene Spalte hin⸗ durchgearbeitet und ſich mit den im Marchlande flu⸗ tenden vereinigt hatte. Die höhergelegenen Teile der Hochebene wurden nun frei, während in den durch die Wogen geſchaffenen Vertiefungen kleinere Waſſer⸗ becken ſich behaupteten, um der Sammelplatz der aus der Umgebung kommenden, fließenden Gewäſſer zu werden, die die Verwitterungsprodukte in ihnen ablagerten und ſie allmählich zuſchütteten. So haben ſich nur winzige Reſte von den einſt ſich weit ins Land verzweigenden Fjorden auf der bayriſchen Hochebene beiſpielsweiſe erhalten. Wir nennen als ſolche den Ammer⸗, Würm⸗ und Chiemſee; von andern zeugt nur noch das Moos von ihrer einſtigen Größe. Das Endinger-, Freiſinger- und Dachauer⸗, wie das große Donaumoos find Reſte fjordartiger Meeres⸗ einſchnitte. Alle zeigen die charakteriſtiſchen Veräſtun⸗ gen; durch dieſe Aſte nehmen die kleineren Flüſſe ihren Weg, ihnen gelingt aber das Werk der Zer⸗ ſtörung nicht ſo ſchnell als dem Hauptſtrome; daher haben manche davon kleine Seebecken zu durch⸗ fließen, während jener bereits dieſer Hinderniſſe Herr geworden iſt. Der an die Stelle des Meeresarmes getretene Strom ſetzt aber heute die Arbeit, die allein zu erledigen er nie⸗ mals im ſtande geweſen wäre, nun fort. Sein Rinnſal aber bedeutet das nie ruhende Beſtreben des flüſſigen Elementes, immer tiefere Erdenſtellen zu erreichen, um ſich endlich mit dem Weltmeere zu vereinigen. So werden uns die Flußdurchbrüche zu Wegweiſern beim Aufſuchen verſchwundener Hochlandsmeere, und ihr wiederholtes Vorkommen bei einem und demſelben Strome weiſt auf ebenſoviele Stationen hin, die das abfließende Meer durchlaufen mußte, bevor ihm ſeine Vereinigung mit dem Hauptmeere gelang. Sie ſind mit jenen Seeüberreſten auf den Hochebenen ſprechende Zeugen der ſich ſtetig vollziehenden Veränderungen auf der Oberfläche unſres Planeten. Humboldt. — Februar 1882. 67 Das moderne Beleuchtungsweſen. Don Ingenieur Th. Schwartze in Leipzig. I. ls im Jahre 1792 der Ingenieur William Murdoch zu Rodruth in Cornwall ſein Haus beſtimmten Lichteinheit, wobei man das Geſetz zu Grunde nach eigener Erfindung mit Steinkohlengas beleuchtete, da wurde einer der folgenreichſten Fortſchritte für das Gemeinwohl angebahnt. Die erſte größere Anwen— dung fand die neue Beleuchtungsmethode im Jahre 1804, wo Murdoch in einer Baumwollſpinnerei zu Mancheſter einen Gasbeleuchtungsapparat aufſtellte, der 3000 Lichtflammen zu erſetzen hatte. Auch deutſches Verdienſt iſt gleich zu Anfang in dieſer Sache zu rühmen, indem ein gewiſſer Winzer (bekannter unter dem engliſierten Namen Windſor), der damals in London lebte und 1830 in Paris ſtarb, die erſte Londoner Gasbeleuchtungsgeſellſchaft begründete und mancherlei Verbeſſerungen in dieſem Fache erfand. Im Jahre 1815 waren bereits viele Straßen und Gebäude Londons, ſowie andrer engliſcher Städte mit Gas beleuchtet und 1822 beſtanden ſchon in der engliſchen Metropole vier große Gasgeſellſchaften mit ſechs Gaswerken, worin jährlich über elf Millio— nen Kubikmeter Steinkohlengas erzeugt und in einer Rohrleitung von etwa 54 deutſchen Meilen Länge zur Speiſung von 30,400 Straßenlaternen und 134,500 Privatbrennern verteilt wurden. Hannover erhielt 1826 Gasbeleuchtung; Berlin folgte 1828, Frank- furt a. M. 1829, Dresden 1833, Wien 1840, Leipzig und Köln 1841, Hamburg 1846 und ſo weiter, und heutigen Tages iſt die Gasbeleuchtung über alle Welt verbreitet, aber wahrſcheinlich ſind die Tage ihrer allgemeinen Anwendung gezählt, da mit ihren Vor— teilen auch einige weſentliche Uebelſtände verknüpft ſind und ein andres noch vorteilhafteres Beleuch— tungsſyſtem ihr eine immer mächtiger werdende Kon— kurrenz bereitet. Wir meinen das elektriſche Licht. Bei dieſem Zuſtande der Dinge iſt natürlicher— weiſe unter den Gastechnikern ein eifriges Streben nach möglichſter Verbeſſerung des von ihnen vertrete— nen Beleuchtungsſyſtems erweckt worden. Um ein Urteil in der Sache zu gewinnen, iſt es vor allem nötig zu wiſſen, wie viel Leuchtgas aus einem be— ſtimmten Quantum Steinkohle zu gewinnen ijt. In dieſer Beziehung iſt zuerſt die Kohlenſorte, dann Man aber auch die Produktionsweiſe maßgebend. kann annehmen, daß 100 Kilogramm mittelguter Stein- kohle 25 bis 30 Kubikmeter Leuchtgas ergeben, wobei durch Zuſatz eines gewiſſen Quantums bituminöſer Schiefer — ſogenannter Plattenkohle — die Leucht- kraft des Gaſes weſentlich verbeſſert werden kann. ſtimmt. Zur Meſſung der Lichtſtärke einer Gasflamme vergleicht man eine Gasflamme, die in einem für die fragliche Gasſorte vorteilhafteſten Brenner in einer beſtimmten Zeit eine beſtimmte Gasmenge verbraucht, mit einer legt, daß die Intenſitäten des Lichtes einer von zwei Lichtquellen beleuchteten Fläche ſich umgekehrt verhalten, Fig. 1 wie die Quadrate der Entfernungen der beleuchteten Flächenſtellen von den Lichtquellen. Als Lichteinheit be— nutzt man in Deutſchland eine aus reinem Paraffin her— geſtellte Normalkerze von 20 Millimeter Durchmeſſer mit einem aus 24 Baumwollenfäden geflochtenen Docht und einer ſolchen Länge, daß 6 Stück ſolcher Kerzen 500 Gramm wiegen; in Frankreich dagegen benutzt man die mit Uhrwerk verſehene Carcel— lampe und ſoll das Pariſer Gas bei einem ſtündlichen Konſum von 105 Liter in einem vorſchriftsmäßigen Argandbrenner ſo viel Licht entwickeln, wie 42 Gramm gereinigtes Rüböl bei dem ſtündlichen Konſum in einer Carcellampe. Das Licht einer ſolchen Lampe entſpricht dem Lichte von 7, deutſchen Normalkerzen. Bei den bezüglichen Verſuchen ijt es üblich, eine Normal- Gasflamme herzuſtellen, wozu man einen Rundbrenner verwendet und ſeine Leuchtkraft für 5 Kubikfuß eng- liſch (141 Liter) Konſum nach Normalkerzen be⸗ 68 Humboldt. — Februar 1882. Wenn man im gewöhnlichen Leben von einem Brenner ſpricht, fo ijt damit ein Brenner gemeint, der 5 Kubikfuß engliſch gleich 141, Liter Gas per Stunde konſumiert. Man darf jedoch nicht annehmen, daß Brenner verſchiedener Konſtruktion, von denen jeder 141 Liter konſumiert, auch dieſelbe Leuchtkraft beſitzen müſſen; wie ſchon bemerkt wurde, iſt dieſe Leucht⸗ kraft verſchieden und wird der Wert eines Brenners durch den Quotienten: Konſum dividiert durch Leucht⸗ kraft, beſtimmt. Man erfährt dadurch, wie viel Liter Gas not⸗ wendig ſind, um mit dem Brenner die Leuchtkraft einer Normalkerze zu er⸗ halten. Für einen guten Argandbrenner iſt dieſer Quotient gleich 9, für einen ſchlechten gleich 14, für Brenner vonmitt⸗ lerem Konſum wächſt dieſer Quotient bis 45. Das heißt alſo, wenn man einen Kon⸗ jum von 141, Liter hat, ſo würde bei einem guten Argand⸗ brenner 141, divi⸗ diert durch Leucht⸗ kraft gleich 9, die Leuchtkraft 15, Ker⸗ zen betragen, oder 9 Liter Gas per Stunde werden eine Licht⸗ ſtärke von einer Kerze geben. Da nun nach einer früheren An⸗ gabe 100 Kilogramm Steinkohle circa 30 Kubikmeter Gas ab⸗ geben, folglich 1 Kilo⸗ gramm Kohle circa 300 Liter Gas ent⸗ ſprechen, ſo kann man mit dem aus 1 Kilogramm Kohle zu erhaltenden Gaſe etwa 30 Argandbrenner mit einer Geſamtlichtſtärke von 500 Normalkerzen eine Stunde lang ſpeiſen. Neuerdings haben die Gastechniker, angetrieben von der wachſenden Konkurrenz des elektriſchen Lichtes, ſich befliſſen, ſogenannte „Intenſivbrenner“ zu kon⸗ ſtrujeren, die gegenüber den früher benutzten Brennern zwar viel mehr Gas in der Zeiteinheit konſumieren, dafür aber auch ein bei weitem helleres, dem weißen Sonnenlichte mehr ähnliches Licht ergeben und eine billigere Beleuchtung herſtellen laſſen. Von dieſen neueren Gasbrennern ſind beſonders die folgenden hervorzuheben: der Marini-Gölzer⸗ Brenner (Fig. 1), welcher auch in freier Luft kein Fig. 2. gläſernes Schutzgehäuſe erfordert und der auf dem einfachen naturgemäßen Prinzip der zweckmäßigen Richtung und guten Verteilung der zugeführten Luft beruht. Bei der größten Sorte dieſer Brenner hat der mit 250 Gasausſtrömungsöffnungen verſehene Brenner⸗ ring 133 Millimeter Durchmeſſer; dieſem ringförmigen Brenner wird das aus dem Regulator ſtrömende Gas durch vier Röhren zugeführt, wie aus der Abbildung erſichtlich iſt. Von unten iſt der Brenner von einem glocken⸗ ähnlichen Gehäuſe aus Kriſtallglas um⸗ geben, welches die Zuführung des Luft⸗ ſtromes nach dem äußeren Umfange der Flamme regelt. Innerhalb der Flam⸗ men befindet ſich ein vielfach durchlöcher⸗ ter, oben überdeckter Hohlcylinder aus Porzellan, der auf einem kurzen Kriſtall⸗ glascylinder ruht und am Fuße mit einem kupfernen Ko⸗ nus umgeben iſt, welcher die kreisför⸗ mige Flamme nach außen drängt, wäh⸗ rend der für den innern Umfang der Flamme nötige Luft⸗ ſtrom durch den durch⸗ löcherten Porzellan⸗ cylinder zugeführt wird. Marini⸗Gölzer konſtruieren mehrere Typen dieſer Bren⸗ ner; der Typus von 800 Liter produziert (nach Pariſer Meſſung) ungefähr 8,5 Carcels mit einem ſtündlichen Konſum von 95 5Liter pro Car⸗ cel; ein größerer Typus konſumiert 1500 Liter und produziert 17 Carcels mit einem Konſum von 90 Liter per Stunde und Carcel. Da nun nach Pariſer Meſſung ein vorſchriftsmäßiger Argandbrenner mit einem ſtündlichen Konſum von 105 Liter die Leuchtkraft einer Normal⸗Carcellampe leiſten ſoll, jo erzielt fic) mit dem Marini⸗Gölzer⸗Brenner eine Erſparnis von beziehentlich 9,5 und 14 Prozent an Gaskonſum. Der Intenſivbrenner von Bengel iſt jo eingerichtet, daß das aus einem kreisförmigen Spalt, ähnlich wie bei einer Solaröllampe ausſtrömende Gas eine kugel⸗ förmige Flamme erzeugt, indem die Flamme gegen Humboldt. — Februar 1882. 69 eine oberhalb angebrachte Scheibe trifft, ſich ſtaut und innig mit der Luft vermiſcht. Im allgemeinen find dieſe Intenſivbrenner mit Rheometern oder trockenen Regulatoren (im Gegen— fas zu den Regulatoren mit hydrauliſchem Verſchluß) verbunden; indem es für Brenner mit großem Kon— ſum unbedingt nötig iſt, daß der Gaszutritt ſehr genau reguliert wird, weil ſonſt bedeutende Störungen und große Gasverluſte herbeigeführt werden können. Der Bengel-Brenner konſumiert ſtündlich 700 — 750 Liter und produziert 9 bis 10 Carcels mit einem Konſum von 75 bis 80 Liter pro Stunde und Carcel, erweiſt ſich alſo noch bedeutend ſparſamer als der Marini⸗Gölzer-Brenner. Man kann die Wirkung dieſes Brenners ſehr ver— ſtärken, wenn man denſelben mit einer Glaskugel umgibt, indem alsdann die Luft erwärmt zur Flamme tritt, was für die Erhöhung des Wirkungsgrades weſentlich iſt. Erfahrungsmäßig kann man nach dieſem Prinzip bei zweckmäßiger Einrichtung ſchon für Brenner mit verhältnismäßig ſchwachem Konſum den Gas— verbrauch auf 67 und ſelbſt bis auf 65 Liter pro Stunde herabbringen. Das eben angedeutete Prinzip der Luft-Vorwär⸗ mung hat der Ingenieur Friedrich Siemens in ſinn—⸗ reicher Weiſe und mit Glück zur Anwendung gebracht. Wie ſchon bemerkt wurde, ſteigert ſich die Intenſität des Lichtes einer Gasflamme mit der Temperatur, indem die ſich abſcheidenden Kohlenſtoffteilchen, welche durch ihr Glühen die Leuchtkraft einer Flamme er— zeugen, um ſo ſtärker glühen, je mehr ſie erhitzt werden. Bei erhöhter Temperatur wächſt aber nicht allein die Intenſität des Lichtes, ſondern dieſes Licht enthält auch Strahlen von größerer Brechbarkeit, d. h. es nähert ſich dem violetten Spektrum, ſo daß bei Temperaturen, die zwiſchen den Schmelzpunkten des Goldes und Eiſens, d. h. zwiſchen 1300 und 1400 Grad C. liegen, das Licht merklich weißer wird. Indem man alſo für die Erhöhung der Ver— brennungstemperatur bei einer Gasflamme ſorgt, macht man nicht nur deren Licht dem Tageslichte ähnlicher, ſondern es wird auch die Leuchtkraft für die Gewichts— einheit des Leuchtſtoffes erhöht. Der nach dieſem Prinzip konſtruierte Siemensſche Gasbrenner iſt in Fig. 2 und 3 dargeſtellt. Der Apparat beſteht aus drei Hauptteilen: dem eigentlichen Brenner; dem Regenerator, worin die zur Unterhaltung der Flamme dienende Luft erwärmt wird, und aus dem Zugſchornſtein. Der Brenner (Fig. 2) beſteht aus einem kreis— förmigen Bündel enger Kupferröhren m, deren Zahl, je nach der Stärke des Brenners, 10 bis 48 beträgt K und die einen Durchmeſſer von 4 bis 5 Millimeter haben. Das in den Raum A eingeführte Gas durch—⸗ zieht dieſe Röhren und wird darin ſo ſtark erhitzt, als dies ohne Zerſetzung geſchehen kann. Die Luft tritt durch die untere ringförmige Oeffnung ein und ſteigt infolge ihrer Erwärmung, die ſie in dem ring— förmigen Raume C zwiſchen dem äußeren kupfernen Gehäuſe und dem inneren kupfernen Schornſteine B erfährt, empor. Bei dieſem Aufſteigen wird die Luft in Folge der Berührung mit der heißen Wandung des Schornſteins B erhitzt und trifft oben in der Nähe der Mündungen der Gaszuführungsröhren m gegen einen flachen, innerhalb ſternförmig gezahnten Ring, welcher die Luft in viele dünne Ströme zerteilt; das aus den Röhren m ausſtrömende Gas wird durch einen in ähnlicher Weiſe verzahnten Ring ebenfalls zerteilt und ſomit eine ſehr innige Miſchung von Gas und Luft hergeſtellt. Dieſe Miſchung wird entzündet und bildet einen ſchön leuchtenden Lichtmantel, der über den Rand des aus feuerfeſtem Material be— ſtehenden Hohleylinders C fic) nach innen krümmt und in den Schornſtein B eintritt, welcher die Verbren— nungsprodukte durch das ſeitliche Rohr G in den oberen Schornſtein E abführt. Ueber der Flamme befindet ſich der gläſerne Schornſtein D, jedoch kann der Brenner auch ohne dieſe gläſerne Umhüllung an freier Luft benutzt werden, wenn derſelbe in der etwas abgeänderten Weiſe, welche Fig. 3 illuſtriert, kon— ſtruiert iſt. Bei dieſer Einrichtung wird der Abzug der Ver— brennungsprodukte durch das Zentralrohr H bewirkt, welches ſich durch den feuerfeſten Cylinder e in den Raum B einſenkt. Die Richtung der Pfeile deutet die Bewegungsrichtung der Flamme und der Ver— brennungsprodukte an. Der Hauptvorteil des Siemens-Brenners liegt unzweifelhaft in der verſtärkten Leuchtkraft, welche durch die Vorwärmung des Gaſes und der Luft er— zielt wird. Dieſe Regenerativ-Beleuchtungsapparate werden vom Erfinder in vier Größen angefertigt und ſtellen ſich Konſum und Leuchtkraft derſelben folgendermaßen: Konſum in Liter Lichtſtärke in Verbrauch per Kerze per Stunde Normalkerzen und Stunde 1. 1500-1000 400-500 circa 4 Liter do doe 160200 „ 3 fe 400-00. de d „ 66 4. 250— 300 35 — 45 7 7 ” In einem folgenden Artikel werden wir dieſen mit der Gasbeleuchtung erzielten Reſultaten die Reſul— tate der elektriſchen Beleuchtung gegenüberſtellen. 70 Humboldt. — Februar 1882. Meran D: Humboldt. Ein Lebensbild von Prof. Dr. E. Reichardt in Jena. (Schluß.) Humboldts Bruder weilte bei der Ankunft Alexan⸗ ders in Europa in Albano und ſo reiſte letzterer nach einem Aufenthalte in Paris dahin, jedoch ſchon im Sommer 1805 nach Neapel, wo ein Ausbruch des Veſups ihn lebhaft beſchäftigte. 1806 und 1807 war er in Berlin und erlebte hier die traurigſten Tage ſeines engeren Vaterlandes. Im Frühjahr 1808 wurde er dem Prinzen Wilhelm als Begleiter nach Paris ge- geben und voran geſendet, um das Intereſſe Preußens fördern zu helfen und von nun an blieb er 20 Jahre lang, bis 1827, in Paris, um ſeine aufgeſpeicherten, wiſſenſchaftlichen Errungenſchaften ſchriftlich nieder— zulegen. Die erſte litterariſche Frucht der Reiſen waren „Die Anſichten der Natur“, erſchienen im Jahre 1808; das Reiſewerk wurde in franzöſiſcher Sprache ge⸗ ſchrieben und erſt ſpäter in die deutſche übertragen; es umfaßt in der großen Ausgabe 17 Folto- und 11 Quartbände und koſtet ein einziges Exemplar circa 2500 Thaler, die Herſtellungskoſten beliefen ſich auf 220,000 Thaler und Humboldt ſelbſt hat über 60,000 Thaler dazu aus eigenen Mitteln beigeſteuert; ſtaatliche Unterſtützung war dabei nicht geleiſtet worden. Für die einzelnen Zweige waren als Mitarbeiter bedeutende Gelehrte in Anſpruch genommen; Bon⸗ pland hatte gemeinſchaftlich mit Kunth beſonders den botaniſchen Teil. Um ungeſtört dieſer Rieſen⸗ aufgabe obliegen zu können, ſchlug Humboldt 1810 die Direktion des Unterrichtsweſens in Preußen aus; den König von Preußen begleitete er wiederholt 1818 nach England, 1822 in Italien, wo abermals der Veſuv mehrfach beſtiegen wurde. Einer ſpeziellen Aufforderung und dem Wunſche des Königs folgend, ſiedelte er endlich 1827 nach Berlin über, und blieb, allerdings mit mehrfacher Unterbrechung, hier wohn⸗ haft. Am 3. November 1827 eröffnete er eine Reihe öffentlicher Vorträge, welche den Anfang zu dem ſpäter erſchienenen Kosmos legten; dieſelben unterbrach jedoch ſehr bald ein neues Reiſeunternehmen. Schon 1810, 11 u. 12 waren Humboldt Vorſchläge zu Reiſen gemacht worden und Geldmittel geboten, von dem Könige von Preußen, Kaiſer von Rußland, aber nicht in Wirklichkeit getreten; 1827 ſtellte es jedoch Kaiſer Nikolaus Humboldt in hochherzigſter Weiſe frei, Aſien zu bereiſen und zwar auf Staats⸗ koſten, und mit Erleichterungen, wie ſie irgend nur geleiſtet werden konnten. Er unternahm dieſe Reiſe auch, am 12. April 1829 von Berlin aus, gemein⸗ ſchaftlich mit den Profefforen Ehrenberg und G. Roſe. Die Fahrt ging von Berlin über Peters⸗ burg nach Rajan und an das Ural⸗, bis an das Altai⸗ gebirge und bis an die Grenzen von China, von hier an das Kaſpiſche Meer und über das Land der däni⸗ ſchen Koſaken zurück nach Petersburg. Am 28. Dezbr. desſelben Jahres traf Humboldt mit ſeinen Begleitern wieder in Berlin ein und ſehr bald erſchien, zuerſt abermals in franzöſiſcher Sprache, ſpäter deutſch, ſein großes Werk „Centralaſien“. 1830 ſendete König Friedrich Wilhelm III. Humboldt zur Begrüßung des Königs Ludwig Philipp nach Paris, wobei derſelbe zugleich als politiſcher Berichterſtatter des Königs von 1830-1832 und 1833—1834 fungierte. Mit Friedrich Wilhelm IV. lebte Humboldt in freund⸗ ſchaftlichſtem Verkehr, wohnte meiſt im Schloß, war faſt immer zur Tafel, und begleitete denſelben 1842 auf der Reiſe nach England. Das letzte große Werk iſt der von ihm ſo benannte Kosmos, nach eigener Angabe ein litterariſches Sammelwerk, keines⸗ wegs ein Abſchluß einer beſtimmten wiſſenſchaftlichen Epoche, wie es vielfach aufgefaßt wurde. Am 21. April 1859, im Alter von 90 Jahren, legte ſich der noch völlig geiſtesrüſtige Greis in Folge einer Erkältung und am 6. Mai trat ruhig der Tod ein, einen Abſchluß bildend für das irdiſche Leben. Zahlreiche Auszeichnungen waren Humboldt zu Teil geworden, ſtaatliche wie wiſſenſchaftliche; ohne irgend eine beſtimmte Staatsſtelle zu begleiten, hatte er den Rang und Titel eines wirklichen Geheimen Rates, der ſonſtigen äußeren Auszeichnungen nicht zu gedenken. Im Umgange zeichnete ſich Humboldt durch ein äußerſt leutſeliges Weſen aus und ſpendete freigebig, oft über ſeine Kräfte, Hilfe und Unterſtützung. In der Politik blieb er, trotz der nächſten Beziehung zu anders denkenden Kreiſen, ſtets der freieren Richtung zugethan und ſprach ſeine Meinung auch unverhohlen gegen ſeinen königlichen Schirmherrn aus. Zwei Jahre vor ſeinem Tode traf Humboldt ſchon ein Schlag⸗ anfall und als der König ihn gleichzeitig mit ſeinem Arzte Schönlein beſuchte und letzterer ihm mitteilte, daß er wohl längere Zeit auf der linken Seite nicht feſtſtehen könne, erwiderte der ſchwer Erkrankte lächelnd: „Darum werde ich doch nicht nötig haben, mich auf die rechte zu Gerlach zu ſetzen.“ Beide Gebrüder Humboldt leuchten als Sterne erſter Größe weit ſtrahlend über die Genoſſen der Zeit hervor, beiden liegt etwas Gemeinſames zu Grunde und beide kannten ihre eigentümlichen Rich⸗ Humboldt. — Februar 1882. 71 tungen und Auffaſſungen fo genau, daß Wilhelm mehrfach die Herausgabe naturwiſſenſchaftlicher Werke ſeines Bruders leitete, Alexander überall und ſo namentlich bei ſeinen Reiſen in Amerika, beſonders in Mexiko, für den ſprachkundigen Bruder ſammelte und reiche Schätze zur Beurteilung desſelben über— brachte. Noch mehr, auch der Typus des Forſchens iſt ein gemeinſamer „ſuchen den ruhenden Pol in der Er— ſcheinungen Flucht“. Die Sprache dient nicht nur als ein Mittel des Austauſches gegenſeitiger Wünſche und Ideen, ſie wird zur lehrreichen Geſchichte der Sprachen ſelbſt, der Menſchheit, der fortſchreitenden Ziviliſation und die Sprachforſchung erſt recht eigent— lich zur Wiſſenſchaft erhoben. Alexander ſtand dieſen Forſchungen nahe und be— ſchäftigte ſich vielfach und anhaltend mit den Sprachen der neuen und alten Welt, den Ideen des darin ge— lehrteren Bruders nachſtrebend. Unter den amerikani— ſchen Reiſewerken enthalten die „Vues des Cordil- leres et des Monuments des Peuples indigénes de l’Amerique“ äußerſt ſchätzenswerte Beiträge für Archäologie. Sehr bald jedoch weckte das Anziehende der Natur den Trieb nach Reiſen, aber auch gleichzeitig nach den ernſteſten Studien der Naturwiſſenſchaft. In keiner Beziehung trat Humboldt ſchroff alt— hergebrachten Meinungen entgegen, ſeine klaren Be— weiſe ſtürzten von ſelbſt, was morſch war, und regten vor allem zu neuem Streben und Forſchen an. Die ſarkaſtiſchen Bemerkungen, welche er in der ihm ſehr geläufigen, leichten Unterhaltungsweiſe gern gebrauchte und oft übel gedeutet wurden, finden in ſeinen Hand— lungen und Werken nirgends einen Nachklang. Schon in dem erſten, der Oeffentlichkeit über— gebenen Werke „über die Baſalte am Rhein“ finden ſich deutliche Anzeichen der umfaſſenden, vergleichen— den Betrachtungsweiſe „daß ich die Kräuter, Mooſe und Flechten überall mit aufführe, welche ich auf den Baſalten fand, werden viele für ſehr überflüſſig halten. Ich glaube mich aber durch die Gründe, welche ich in der Abhandlung ſelbſt dafür vorführe, und noch mehr durch das Beiſpiel großer Naturhiſtoriker von dieſem Vorwurfe befreien zu können.“ In den „Aphorismen aus der chemiſchen Phyſio— logie der Pflanzen“ hebt der Ueberſetzer als beſonders neu und eigentümlich hervor „die allgemeine Idee, die Pflanzen als belebte Geſchöpfe zu betrachten, darum nicht als Tiere, ſondern bloß als Gegenſtände der generellen, vergleichenden Anatomie.“ Das berühmte, gleichfalls vor der erſten Reiſe und namentlich mit in Jena gearbeitete Werk „über die gereizte Muskel- und Nervenfaſer“ legte den Grund zu den ſpäteren Forſchungen der neueren Phyſiologie, welche in Du Bois Reymond den eifrigſten Ver— folger fanden. Kaum auf dem Meere angelangt, ergaben die Temperaturmeſſungen desſelben die wichtige That— ſache, daß ſich Untiefen und nahes Feſtland durch Erniedrigung der Wärmegrade erkennen laſſen und Humboldt 1882. kation der Dämpfe. dieſe auf dreierlei Weiſe: erſchütternd, oder plötz— lich, das iſt ruckweiſe, hebend; oder wie zuerſt in jo das Thermometer ein wichtiges Warnungsſignal für den Seefahrer abgeben kann. Die fortgeſetzten Meſſungen der Wärme zu Waſſer und zu Lande, im Thale und auf den Höhen, führten zu der gemein— ſamen Verkettung dieſer Verhältniſſe auf dem ganzen Erdball. Humboldt erkennt dadurch nicht allein die Meeresſtrömungen, fondern auch die Verteilung der Wärme auf der feſten Erdrinde. Seinem genialen Forſchen in ſpäterer Zeit, wo auf ſeine Veranlaſſung Unterſuchungen ſo weit verbreitet, wie möglich, auf der ganzen Erde ſtattfanden, verdanken wir die Kennt— nis der gleichen Wärmepunkte der Erde, ſei es für den Umlauf eines Jahres oder einer Jahreszeit. Indem dieſe Unterſuchungen ſich auch dahin aus— dehnten, die Pflanzendecke der Erde in ihrer Zuſam— menſetzung abhängig zu finden, ſowohl vom herrſchen— den Klima, wie der Höhe der Gegend, entſtand die Konſtruktion der ſogenannten Vegetationsgürtel und genauer auf die Anforderungen einer einzelnen Pflanze eingehend, gab Humboldt für dieſe Grenz— zahlen der Möglichkeit der Exiſtenz an, Mittelzahlen, welche für die Kenntnis der Vegetation, der Aus— führung der Kultur von größter Bedeutung gewor— den ſind. Die Bewegungen der Meere und der Luft, die periodiſchen Wallungen dieſer flüſſigen oder elaſtiſch flüſſigen Erdteile, die Niederſchläge der Feuchtigkeit, des Regens, des Taues, ſie wurden von Humboldt in vergleichenden Anſchauungen aufgefaßt und führten ſchließlich zu den erfolgreichſten Entdeckungen, zu der Begründung der wiſſenſchaftlichen Meteorologie, wie ſie von Dove mit ſo großem Scharfſinn feſtgeſtellt wurden, gaben Anlaß zu den für die Schiffahrt ent— ſcheidenden Studien der Meeresſtrömungen, die mit anerkanntem Genie von dem berühmten Amerikaner Maury bearbeitet worden ſind. Humboldt erlebte ſelbſt zu Cumana Erdbeben, beſtieg wiederholt thätige und erloſchene Vulkane und gibt mit der ihm charakteriſtiſchen Einfachheit Schilde— rungen des Vorganges: „In dem Erdbeben offenbart ſich eine vulkaniſch— vermittelnde Macht; aber eine ſolche Macht, allver— breitet wie die innere Wärme des Planeten und über— all ſich ſelbſt verkündend, wird ſelten und dann nur an einzelnen Punkten bis zu wirklichen Ausbruchs— Phänomenen geſteigert. Die Gangbildung, d. h. die Ausfüllung der Spalten mit kriſtalliniſchen, aus dem Inneren hervorquellenden Maſſen (Baſalt, Melaphyr und Grünſtein) ſtört allmählich die freie Kommuni— Durch Spannung wirken dann einem großen Teile von Schweden beobachtet worden iſt, ununterbrochen, und nur in langen Perioden bemerkbar, das Niveauverhältnis von Meer und Land umändernd. 4 „Ehe wir dieſe große Erſcheinung verlaſſen, die hier nicht ſowohl in ihren Einzelnheiten, als in ihren allgemeinen phyſikaliſchen und geognoſtiſchen Verhält— niſſen betrachtet worden iſt, müſſen wir noch die 10 ( 72 Humboldt. — Februar 1882. Urſache des unausſprechlich tiefen und ganz eigentüm⸗ lichen Eindrucks berühren, welchen das erſte Erdbeben, das wir empfinden, ſei es auch von keinem unter⸗ irdiſchen Getöſe begleitet, in uns zurückläßt. Ein ſolcher Eindruck, glaube ich, iſt nicht Folge der Er⸗ innerung an die Schreckensbilder der Zerſtörung, welche unſrer Einbildungskraft aus Erzählungen hiſtoriſcher Vergangenheit vorſchweben. Was uns ſo wunderſam ergreift, iſt die Enttäuſchung von dem an⸗ geborenen Glauben an die Ruhe und Unbeweglichkeit des Starren, der feſten Erdſchichten. Von früher Kindheit ſind wir an den Kontraſt zwiſchen dem be⸗ weglichen Element des Waſſers und der Unbeweglich⸗ keit des Bodens gewöhnt, auf dem wir ſtehen. Alle Zeugniſſe unſrer Sinne haben dieſen Glauben be⸗ feſtigt. Wenn nun urplötzlich der Boden erbebt, ſo tritt geheimnisvoll eine unbekannte Naturmacht als das Starre bewegend, als etwas Handelndes auf. Ein Augenblick vernichtet die Illuſion des ganzen früheren Lebens. Enttäuſcht ſind wir über die Ruhe der Natur; wir fühlen uns in den Bereich zerſtörender, unbe⸗ kannter Kräfte verſetzt. Jeder Schall, die leiſeſte Regung der Lüfte ſpannt unſre Aufmerkſamkeit. Man traut gleichſam dem Boden nicht, auf den man tritt.“ Obgleich Humboldts erſte Veröffentlichung über die Baſalte des Rheingebietes beſtrebt war, die Vil- dung vulkaniſcher Geſteine durch Einfluß von Waſſer zu erklären, gemäß der Lehren des von ihm ſo hoch⸗ geſchätzten Mineralogen Werner, ſo gab er ſelbſt doch die ſicherſten Beweiſe des Gegenteils und be⸗ zeichnete den Vulkanismus in der einfachſten Art als „Reaktion des Erdinneren gegen die Oberfläche.“ Seinem Freunde Leopold v. Buch war es vorbe⸗ halten, die Theorie der Erdbildung nach der vulkani⸗ ſchen oder plutoniſchen Geſtaltung auszuſprechen, Humboldt dagegen lieferte die wertvollſten Beiträge. Zu der Einteilung der Vulkane, nach Leop. v. Buch, in Zentral⸗ und Reihenvulkane bot Humboldt aber⸗ mals die brauchbarſten Belege durch die Kenntnis der vulkaniſchen Berge der Andeskette, ſowie durch aus⸗ gebreitete Studien andrer Forſchungen. Die eigenen Erlebniſſe der Wirkungen des Erdbebens und Unter⸗ ſuchungen über die Leitung in der Ferne deuteten auf beſtimmte Richtungen, abhängig von Gangſpalten und Klüften im Inneren der Erde. Die Thätigkeit des Erdinneren, die hier ent⸗ ſpringende Wärmeſtrahlung und magnetiſche Strömung veranlaßten Humboldt, ſo weit ſein Name Klang und Einfluß beſaß, in Europa, Aſien, Amerika Beobach⸗ tungsſtationen der Magnetnadel einzurichten. Wenige Jahre ſpäter reifte die Frucht in dem berühmten Göt⸗ tinger Aſtronomen Gauß, welcher die Theorie des Erdmagnetismus begründete. 5 Die Nordlichter charakteriſterte Humboldt als mag⸗ netiſche Gewitter. Pflanzen und Tiere betrachtete er zuerſt in ihrer geographiſchen Verbreitung und begründete dadurch die Geographie der Pflanzen. Pflanzen wie Tiere gedeihen nur unter beſtimmten notwendigen Bedin⸗ gungen; Analogieen fern gelegener Teile der Erde, im thatſächlich Lebenden, oder den Reſten der früheren Vegetation, der Kohlenlager oder längſt ausgeſtorbe⸗ ner Tierformen, deren Verſteinerungen uns den Weg ebenen und geſtatten, in Zeiten zu blicken, welche außerdem der Geſchichte gänzlich entzogen ſind. Die Geographie der Pflanzen, der Tiere, der Menſchen und, um mit Humboldt zu reden, auch der Geſteine, ijt in dem Verfolge das ſprechendſte Ge⸗ ſchichtsbuch der Naturforſchung geworden, geſchrieben mit deutlichen Ziffern, lesbar dem Genius, den die unnennbare, unſichtbare Schöpfungskraft die Gabe verliehen. Im innigſten Zuſammenhange ſteht die vorzugs⸗ weiſe von Ritter und Berghaus bearbeitete phyſika⸗ liſche Geographie, zu welcher Humboldt ſeine eigenen Beobachtungen zur Verfügung ſtellte. . Die Sternenwelt wurde für Humboldt nicht minder Gegenſtand der exakteſten Forſchung, wir verdanken ſeiner genauen Beobachtung und Verfolgung des einmal Aufgenommenen die Kenntnis der periodi⸗ ſchen Wiederkehr der Sternſchnuppenſchwärme. Dieſe einzelne, hervortretende Entdeckung verſchwindet jedoch gegenüber der Bearbeitung der vorhandenen Kennt⸗ niſſe des Himmelsraumes. Eine viel umfaſſende Korre⸗ ſpondenz, teilweiſe Berichterſtattung, welche ſich in ſeiner Perſon gewiſſermaßen konzentrierte, führte zu den größten Entdeckungen auf dem Gebiete der Aſtro⸗ nomie. Humboldts eigenen, von früher Jugend auf gehegten Studien war es überlaſſen, die geſchichtliche Verkettung des Erkannten feſtzuſtellen; ſeine Werke ſind von unendlicher Bedeutung wegen dieſer geſchicht⸗ lichen Vollſtändigkeit, verbunden mit Citaten der Quellen. Die jugendliche Thätigkeit Humboldts bis zum dreißigſten Jahre und Beginn der erſten großen Reiſe war den Studien der einzelnen Zweige der Natur⸗ wiſſenſchaften gewidmet. Pflanzen⸗ und Tierkunde, Mineralogie, Phyſik, Mathematik, Aſtronomie und Chemie wurden wechſelnd oder gleichzeitig, oft, wie Chemie, ganz ausſchließlich getrieben und hierzu ein Zeitraum von 12 Jahren verwendet, in welchem aller⸗ dings auch die praktiſche Thätigkeit als Bergmann fällt. 12 Jahre liegen zwiſchen dem Anfange der Univerſitätsſtudien und demjenigen der erſten Reiſe. Die gemeinſchaftlich mit Bonpland ausgeführte Reiſe lieferte durch die vielgeſtalteten Forſchungen ein un⸗ geheures Material, deſſen Veröffentlichung ſogar nicht völlig beendet wurde, wenigſtens hinſichtlich der eigent⸗ lichen perſönlichen Aufzeichnungen. Die dann binnen circa 20 —25 Jahren bearbeiteten Geſamtwerke über Amerika enthalten die Ergebniſſe der Naturforſchung und wichtige politiſche, ſtaatswirtſchaftliche, von Hum⸗ boldt ſelbſt abgefaßte Arbeiten über Neuſpanien, Cuba u. ſ. w.; aber die ſchon vor der Reiſe geſtellte Aufgabe „die Konſtruktion des Erdkörpers“ zu ſtudieren, tritt überall im weiteſten Umfange und in der groß⸗ artigſten Anlage hervor, ſo daß Kräfte über Kräfte herangezogen werden, um ſämtlich nach den Ideen dieſes einen großen Mannes das eine Ziel zu ver⸗ folgen. Humboldt. — Februar 1882. 73 Für Humboldt hat alles Leben; der Stein erinnert ihn an die Gleichgeſtaltung der Gebirgsmaſſen in den verſchiedenſten Gegenden der Erde, an die Heimat, die Pflanze iſt ein Geſchöpf wie das Tier, die Sprache ein Teil der Naturkunde des Geiſtes, die Erde mit all dem irdiſchen ein unendlich kleiner Teil der ge— ſamten Schöpfung, aber jede Idee, jede Beobachtung wird ausgebeutet für den einen Zweck der Erkenntnis des Ganzen, der Natur in der Größe der Geſamtheit. Die großen Reiſewerke wurden in franzöſiſcher Sprache veröffentlicht, als derjenigen, welche die ge— bildete Welt am verbreitetſten gebraucht; Humboldt erreichte dabei eine ſolche Kenntnis derſelben, daß er in Paris als der erſte Kenner bezeichnet wurde. Aber auch ſeine vaterländiſche Sprache ſchrieb er mit einer Eleganz und Gewandtheit, welche nicht allein die Bildſamkeit unſrer Sprachweiſe auf das Glänzendſte erwies, ſondern vor allem ihm zum Ruhme gelangt. Die Vorrede der, in der bedrängteſten Lage Preußens und Deutſchlands 1808, herausgegebenen Anſichten der Natur ſchließt mit folgenden Worten: „Mögen meine Anſichten der Natur, trotz dieſer Fehler, welche ich ſelbſt leichter rügen, als verbeſſern kann, dem Leſer doch einen Teil des Genuſſes ge— währen, welchen ein empfänglicher Sinn in der une mittelbaren Anſchauung findet. Da dieſer Genuß mit der Einſicht in den inneren Zuſammenhang der Natur— kräfte vermehrt wird, ſo ſind jedem Aufſatze wiſſen— ſchaftliche Erläuterungen und Zuſätze beigefügt. „Ueberall habe ich auf den ewigen Einfluß hin— gewieſen, welchen die phyſiſche Natur auf die moraliſche Stimmung der Menſchheit und auf ihre Schickſale ausübt. Bedrängten Gemütern ſind dieſe Blätter vorzugsweiſe gewidmet. Wer ſich herausgerettet aus der ſtürmiſchen Lebenswelle, folgt mir gern in das Dickicht der Wälder, durch die unabſehbare Steppe und auf den hohen Rücken der Andeskette.“ Der Schluß des zweiten Vortrages enthält nach einer lebendigen Erzählung der Grabſtätte eines unter- gegangenen Indianerſtammes in wenigen Worten eine greifende Wiedergabe des Eindruckes einer Nacht der Tropenländer: „Es war eine der heiteren und kühlen Nächte, die unter den Wendekreiſen ſo gewöhnlich ſind. Mit farbigen Ringen umgeben, ſtand die Mondſcheibe hoch im Zenith. Sie erleuchtete den Saum des Nebels, welcher in ſcharfen Umriſſen, wolkenartig, den ſchäu— menden Fluß bedeckte. Zahlloſe Inſekten goſſen ihr rötliches Phosphorlicht über die krautbedeckte Erde. Von dem lebendigen Feuer erglühte der Boden, als habe die ſternenvolle Himmelsdecke ſich auf die Gras— flur niedergeſenkt. Rankende Bignonien, duftende Vanille und gelbblühende Baniſterien ſchmückten den Eingang der Höhle. Ueber dem Grabe rauſchten die Gipfel der Palmen. „So ſterben dahin die Geſchlechter der Menſchen. Es verhallt die rühmliche Kunde der Völker. Doch wenn jede Blüte des Geiſtes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke ſchaffender Kunſt zerſtieben, ſo entſprießt ewig neues Leben aus dem Schoße der Erde. Raſtlos entfaltet ihre Knoſpen die zeugende Natur; unbekümmert, ob der frevelnde Menſch (ein nie verſöhntes Geſchlecht) die reifende Frucht zertritt.“ Die Leiſtungen Humboldts in faſt allen Zweigen der Naturwiſſenſchaften treten jedoch erſt hervor, wenn man den damaligen Zuſtand der Naturwiſſenſchaften vergleicht. Die Medizin war, abgeſehen von Phyſik und Mathematik faſt überall die Vertreterin ſämtlicher Zweige der Naturwiſſenſchaften. Fremd der Heilkunde, wandte Humboldt alle Kräfte auf, das Naturſtudium als etwas für ſich Stehendes zu pflegen und trug nicht wenig dazu bei, Freunde und Lehrer den einzelnen Zweigen zuzuführen. Eine große Anzahl unſrer berühmteſten akademiſchen Lehrer verdanken Humboldt die Anregung, wie Liebig, Schleiden, Dove, Braun. Welche Umwand— lung haben aber die Naturwiſſenſchaften ſeit dem An— fange dieſes Jahrhunderts durchlebt, in Medizin, Zoologie, Botanik und Chemie; dennoch finden wir Humboldt auf der Höhe der Zeit, trotz des fort— ſchreitenden Alters und der nicht ausbleibenden Ab— nahme der Kräfte. Ini Jahre 1845, demnach im 76. Jahre des Lebens, erſchien der erſte Band vom Kosmos, das letzte Werk, welches durch den Tod noch unterbrochen, glücklicherweiſe jedoch nur zum kleinen Teile unvollendet blieb. Die Vorrede beſagt: „Ich übergebe am ſpäten Abend eines vielbewegten Lebens dem deutſchen Publikum ein Werk, deſſen Bild in unbeſtimmten Umriſſen mir faſt ein halbes Jahr— hundert lang vor der Seele ſchwebte. In manchen Stimmungen habe ich dieſes Werk für unausführbar gehalten, und bin, wenn ich es aufgegeben, wieder, vielleicht unvorſichtig, zu demſelben zurückgekehrt. Ich widme es meinen Zeitgenoſſen mit der Schüchtern— heit, die ein gerechtes Mißtrauen an das Maß meiner Kräfte mir einflößen muß. Ich ſuche zu vergeſſen, daß lange erwartete Schriften gewöhnlich ſich minder der Nachſicht zu erfreuen haben. „Wenn durch äußere Lebensverhältniſſe und durch einen unwiderſtehlichen Drang nach verſchiedenartigem Wiſſen ich veranlaßt worden bin, mich mehrere Jahre und ſcheinbar ausſchließlich mit einzelnen Disziplinen, mit beſchreibender Botanik, mit Geognoſie, Chemie, aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen und Erdmagnetis— mus als Vorbereitung zu einer großen Reiſe-Expe— dition zu beſchäftigen, ſo war doch immer der eigent— liche Zweck des Erlernens ein höherer. Was mir den Hauptantrieb gewährte, war das Beſtreben, die Erſcheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allge— meinen Zuſammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganze aufzu— faſſen.“ Das Werk ſelbſt gibt in muſtergültiger, edelſter deutſcher Sprachweiſe den Ueberblick über das ganze Thun und Treiben ſeines Lebens. Daß der lebensfriſche Greis den einzelnen Zweigen der Naturforſchung nicht mehr zu folgen im ſtande war, wie namentlich der ſich ſo überraſchend entfalten— 74 Humboldt. — Februar 1882. den Chemie, iſt kein Vorwurf; ſeine Aufgabe lag von früher Jugend an darin, das Einzelne zu einem harmoniſchen Geſamtbilde zu vereinen und der Kosmos ijt das lautſprechendſte Zeugnis dieſer generaliſieren⸗ den Auffaſſungsweiſe, hier ſpricht der Greis mit ſtets jugendlicher Kraft, aufmunternd den Jünger, zu folgen. Wenn die Könige bauen, haben die Kärrner zu thun! und die Kärrner haben ſich in Maſſe gefunden. Der bekannte Ausſpruch von Laplace über Humboldt lautet: C'est toute une Academie! Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. Phyſik. Die Erwärmung des Eiſes über 0 Grad. Ein von Carnelley in der „Nature“ mitgeteilter Verſuch, nach dem Eis bei einem Druck von weniger als 4,6 mm bedeutend erwärmt werden könne, ohne zu ſchmelzen, hat wegen des den bisherigen Anſchauungen durchaus widerſprechenden Verhalten des Eiſes die allgemeine Aufmerkſamkeit der Phyſiker erregt. : Carnelley füllt eine ungefähr ſechs Fuß lange, an dem untern Ende mit einer ſtarken Glasflaſche verſehene Röhre mit Queckſilber und ſtellt dieſelbe umgekehrt in ein Gefäß mit Queckſilber. In dem dadurch entſtehenden Torizelli⸗ ſchen Vakuum befindet ſich ein Thermometer, deſſen Kugel gerade das Queckſilberniveau im Gefäß erreicht. In das Vakuum wird luftfreies Waſſer geführt, das durch eine Kältemiſchung am Verdunſten gehindert, zum Gefrieren um die Thermometerkugel gebracht wird. Während des Verſuches wird auch die Glasflaſche mit einer Kältemiſchung umgeben, ſo daß die vom Eiſe etwa abgegebenen Dämpfe ſich ſofort kondenſieren und der vorhandene Druck nie 4,6 mm überſtieg, der von Carnelley als kritiſcher Druck bezeichnet iſt. Hatte ſich zwiſchen Thermometerkugel und Gefäßwand ein Eiscylinder gebildet, jo wurde der Apparat gehoben, fo daß ſich zwiſchen dem Eiscylinder und der Queckſilberoberfläche ein Zwiſchenraum befand. Wurde nun die Röhre erwärmt, ſo daß ſich zwiſchen Eis und Glaswand durch Schmelzung ein zur Durchlaſſung der Dämpfe geeigneter Raum gebildet hatte, ſo konnte das Eis beliebig erwärmt werden ſogar bis 180°, ohne daß Schmelzung eintrat. Bei dieſer Temperatur fiel das Eis von der Thermometerkugel ab oder war verflüchtigt, ohne in den tropfbar flüſſigen Zuſtand übergegangen zu ſein. Die Erhöhung der Temperatur des Eiſes wurde nicht nur am Thermometer abgeleſen, ſondern auch auf kalorimetri⸗ ſchem Wege beſtimmt, indem erhitzte Eisſtücke in ein Waſſer⸗ kalorimeter gebracht, die Temperatur des Waſſers erhöhten. Aehnliche Erſcheinungen zeigten Queckſilberchlorid und Kampfer, erſteres ſchon bei einem Drucke von 420 mm. Dieſer intereſſante Verſuch wurde von den verſchie⸗ denſten Forſchern wiederholt. F. Lothar Meyer, Chem. Ber. 1881, S. 718 — 22; A. Wüllner Wiedem. Ann. Bd. 13, S. 105—108; Hannay, Nat. 24, S. 505 606; Buttlerow, Chem. Ber. 1881, S. 2044; A. Schuller, Mitteil. der ungar. naturwiſſ. Geſellſchaft; Petterſon, Chem. Ber. 1881, S. 1369 — 75 u. a. Von allen wurde beobachtet, daß allerdings kein Schmelzen eintrat, ſondern das Eis ſublimierte, d. h. direkt in den dampfförmigen Zuſtand überging; die Temperatur blieb aber, ſo lange die ganze Kugel mit Eis bedeckt war, unter 0 Grad, bei Wüllner ſtieg ſie in dieſem Falle nie über drei Grad. Auffallend war letzterem, daß, wie auch Carnelley angibt, bei einer Temperatur von über 30 Grad, noch ein an der Thermometerkugel hängender Eistropfen haften blieb und erſt bei einer Temperatur von 40 — 50 Grad abfiel und dann ſehr ſchnell verdunſtete. Dieſe Erſcheinung findet ihre Erklärung dadurch, daß das Thermometer unten eine Verdickung des Glaſes hatte, ſo daß, ſo lange der Tropfen dort hing, die Temperatur dieſer Stelle noch nicht 0 Grad erreichte, während das Queckſilber in der Kugel ſelbſt ſchon bedeutend erwärmt war. Petterſon brachte mit dem Apparat noch ein Mano⸗ meter in Verbindung, ſo daß die Druckzunahme im Apparate gleichzeitig mit der Temperaturerhöhung des Eisſtückes ab⸗ geleſen werden konnte. Das Reſultat der Unterſuchungen war: „Die obere Grenze der Erwärmung des gewöhnlichen Eiſes iſt die Spannungskurve des geſättigten Waſſerdampfes über Eis, das von Regnault zwiſchen den Temperaturen — 32 Grad und 0 Grad unterſucht worden iſt.“ Verſuche Hannays mit Queckſilberchlorid Nat. 24 S. 77 haben dasſelbe negative Reſultat ergeben. Nach Vorliegendem ſcheint der Verſuch Carnelleys widerlegt zu ſein; hervorzuheben iſt jedoch noch mit Petter⸗ ſon, daß kein Experiment unter denſelben Umſtänden wie bei Carnelley angeſtellt iſt, indem hier das Eis, das die Thermometerkugel umgab, gebildet war aus dünnen Schichten ſublimierten Eiſes, das durch Kondenſation von Waſſerdampf von ſehr niedrigem Druck erhalten wurde. Ebenſo wie nun rotes Queckſilberjodid durch Sublimation in gelbes übergeht, welches eine an Farbe, Kriſtallform, latenter Wärme gänzlich verſchiedene Modifikation bildet, ſo könnte das Eis durch Sublimation in eine neue allo⸗ tropiſche Modifikation übergehen. Einwirkung der Temperatur auf den Magnetis⸗ mus. Eine bedeutende Temperaturerhöhung ſtört bekannt⸗ lich den Magnetismus eines Magneten teils dauernd, teils vorübergehend. So verlieren z. B. magnetiſche Magnet⸗ eiſenſteine ihren Magnetismus ſchon unterhalb der Glüh⸗ hitze, und Stahlmagnete ſchon bei einer Temperatur von circa 400 Grad. J. Prowbridge hat nun im „Silliman Journal“ 1881, Vol. 21, S. 316-318 gezeigt, daß Stahl⸗ magnete, die bei 20 Grad magnetiſiert waren, in einer Kältemiſchung von Kohlenſäure und Aether eine Verminde⸗ rung des Magnetismus bis zu 7́ der urſprünglichen Stärke zeigten. B. leber den heutigen Zuſtand der Galvanoplafttk, als eines Zweiges der elektriziellen Technik, gab Hr. Bouil⸗ hace vom Hauſe Chriſtofle, des berühmten Etabliſſements für Galvanoplaſtik in Paris, in dem daſelbſt am 17. Oktbr. abgehaltenen internationalen Kongreſſe der Elektriker die folgenden intereſſanten Aufſchlüſſe über den von ſeinem Hauſe gepflegten galvanoplaſtiſchen Betrieb: Am 25. No⸗ vember 1841 fanden die erſten Anwendungen der Galvano⸗ plaſtik in Frankreich ſtatt. In einem Berichte, welchen der Chemiker Dumas der Pariſer Akademie der Wiſſen⸗ ſchaften damals vorlegte, beſprach derſelbe die Verſuche des Hrn. Chriſtofle mit dieſem neuen Verfahren der Elektro⸗ chemie und verhieß dieſem neuen Induſtriezweige eine große Zukunft. In der That werden in den Ateliers der genannten Firma gegenwärtig jährlich 6000 kg Silber in Humboldt, — Februar 1882. 75 durchſchnittlich '/ss mm dünnen Schichten aus den galvano— plaſtiſchen Bädern niedergeſchlagen. Seit der Gründung dieſes Geſchäftes wurden in dieſer Weiſe 169,000 kg reines Silber verbraucht. Die mittlere Dicke dieſer Niederſchläge entſpricht 3 g Gewicht pro Quadratdezimeter; die Geſamt— fläche, welche mit dieſer Silberhaut überzogen wurde, iſt daher gleich 560,000 Quadratmeter oder gleich 56 Hektaren. In Paris allein beträgt der jährliche Verbrauch von Silber für galvanoplaſtiſche Zwecke durchſchnittlich 25,000 kg und in der ganzen Welt etwa 125,000 ke. Das Haus Chriſtofle hat zuerſt unter den Galvanoplaſtikern ausgedehnten Ge— brauch von den dynamoselektriſchen Maſchinen an Stelle der galvaniſchen Batterien gemacht, welche wegen fort— während nötiger Erneuerung ſehr unbequem und koſt— ſpielig ſind. Die erſten bezüglichen Verſuche fallen in das Jahr 1854. Verſchiedene Konſtruktionen der Dynamo— Maſchine erwieſen ſich nicht als zweckentſprechend; erſt 1871 half Gramme dem Bedürfnis mit einer ſolchen Maſchine ab, welche bei 300 Umdrehungen per Minute ſtündlich 600 g Silber in vier damit in Verbindung gebrachten galvanoplaſtiſchen Bädern niederſchlug, wie kontraktmäßig feſtgeſtellt worden war. Die folgenden Zahlen geben Aufſchluß über die Erſparnis, welche mit einer ſolchen Maſchine im Vergleich zu den galvaniſchen Batterien erreicht wird. Mit der Batterie koſtet der Niederſchlag von Ing Silber 5,87 Franks, mit der Gramme— Maſchine aber nur 0,94 Franks. Unter ſolchen Umſtänden iſt erklärlich, daß die Anwendung der Dynamo-Maſchine in der Elektrochemie, z. B. zum Läutern der Metalle, zur Galvanoplaſtik u. ſ. w. täglich zunimmt. Gegenwärtig ſind zu derartigen Zwecken bereits über 300 Gramme-Maſchinen im Betrieb. Schw. he nn tae. Dampfdichten von Metalloiden in höherer Tempe- ratur. Neue Metalle. Aus den Unterſuchungen, welche einerſeits V. Meyer und neuerdings deſſen Mitarbeiter H. Züblin, andrerſeits J. M. Crafts und F. Meier über die Dampfdichte der Halogene in höherer Temperatur angeſtellt haben *), folgt mit größter Wahrſcheinlichkeit, daß die Diſſociation der Halogene in der Glühhitze in einem Zerfallen ihrer Moleküle in je zwei einzelne Atome beſteht. Dieſe Diſſociation, deren Größe innerhalb weiter Grenzen von der Temperatur abhängig iſt, tritt am leichte ſten bei dem Jod und am ſchwierigſten bei dem Chlor ein, wie V. Meyer nachgewieſen hat. Somit zeigen die Halogene bei Glühhitze ſcheinbar das umgekehrte Verhalten wie in niedrer Temperatur, bei welcher gerade das Chlor— molekül ſich leicht in Atome trennt, während das Jod weit mehr Neigung hat als Molekül zu beſtehen. Hierin liegt indeſſen nur ſcheinbar eine Abnormität. Denn wenn z. B. Chlorwaſſerſtoff und Chloräthyl ſehr beſtändige Körper ſind, während Jodwaſſerſtoff und Jodäthyl ſich leicht unter Abſcheidung von Jodmolekülen Je zerſetzen, fo kommt das wohl nicht daher, daß J zu J eine größere Verwandtſchaft beſitzt als Cl zu Cl, ſondern hat vielmehr ſeinen Grund in der ſtärkeren Verwandtſchaft des Chlors zu Kohlenſtoff und Waſſerſtoff. Aus dem über das Verhalten der Halogene in der Hitze Ermittelten zieht daher V. Meyer den Schluß, daß die graduelle Verwandtſchaft der Halogene zu ihres— gleichen Atomen derſelben Reihe folgt, wie die Affinität der Halogene zu andern Stoffen: Das Chlor, welches im allgemeinen von den drei Halogenen die ſtärkſte Neigung zu andern Körpern zeigt, hat auch gegenüber dem gleichartigen Atom Chlor das größte Verbindungsſtreben; das Jodatom aber hat zum Jod das geringſte, gerade wie Jod auch zu Kohlenſtoff und Waſſerſtoff geringeres Vereinigungsſtreben Das Brom ſtellt ſich, wie in ſeinem Geſamtver⸗ zeigt. halten, ſo auch in ſeiner Verwandtſchaft zum gleichartigen Atom in die Mitte. ) Ber. d. Deutſch. Chem. Geſ. XIII. 851, 1010 und 1722. XIV. 1453. — Compt. rend. Jan. 1881 V. Meyer fand auch für Arſen and Phosphor bei Gelbglut erheblich niedrigere Dampfdichten. als den un⸗ normalen Formeln Ass und Ps entſpricht. Die gefundenen Zahlen liegen zwiſchen dieſen und den Werten Ase und Pe. Verſuche bei noch höherer Temperatur würden wahr— ſcheinlich zu letzteren Zahlen führen und die Anomalieen in der Dampfdichte dieſer beiden Elemente damit aufhören. Nachdem den einfachen Stoffen in den letzten Jahren ein Zuwachs beſonders durch das von Lecog de Bois⸗ baudran in einigen Blenden aufgefundene Gallium zu Teil geworden, dem das Samarium desſelben Autors nach— folgte, glaubt Phipſon ein neues, dem Lanthan ähnliches Metall, welches er Aktinium nennt, im käuflichen Zink und Delafontaine, abgeſehen von ſeinem neuem Metall der Yitriumgruppe, dem Philippium, im Samarskit neben Samarium ein weiteres Element Dezipium annehmen zu ſollen. Es wird wohl noch längere Zeit dauern, bis wir über die ſeltenen und einander ähnlichen Elemente der Yttrotantalmineralien gehörig aufgeklärt ſind. Pe Reiniqung des Quedifilbers. Zur Reinigung des Queckſilbers, welches bekanntlich in chemiſchen und phyfi- kaliſchen Laboratorien eine ausgedehnte Anwendung zur Darſtellung von Amalgamen, zu analytiſchen Zwecken, Dampfdichtebeſtimmungen ꝛc. findet, war früher Durch— ſchütteln mit verdünnter Salpeterſäure oder Eiſenchlorid— löſung empfohlen worden. Auch neuerdings hat Lothar Meyer (Berichte der deutſchen chemiſchen Geſellſchaft 1879] 13, 437) vorgeſchlagen, das zu reinigende d Queckſilber aus einem Tropftrichter in feinem Strahle durch eine 1 bis 1% m lange mit Ctfendjloriolsjung angefüllte Röhre fallen zu laſſen. Iſt das Queckſilber ſehr ſchmutzig, ſo daß es die enge Ausflußöffnung des Tropftrichters verſtopfen würde, ſo wird es zuerſt durch ein Papierfilter mit feiner Oeffnung filtriert. Dieſe Methode iſt jedoch nach J. W. Brühl (Bericht der deutſchen chemiſchen Geſellſchaft [1879] 13, 204, 576) ungeeignet, wenn es ſich um die Reinigung größerer Mengen ſtark verunreinigten Metalls handelt. Nach Brühl verfährt man am beſten ſo, daß man gleiche Volumina des zu reinigenden Queckſilbers und einer Löſung, welche auf ein Liter Waſſer 5 g Kaliumdichromat und einige Kubikzentimeter konzentrierte Schwefelſäure enthält, in einer Flaſche tüchtig durchſchüttelt. Das Metall zerfällt in kleine Kügelchen, während ein ſehr kleiner Teil desſelben ſich vorübergehend in das rote Chromat verwandelt. Man bewegt die Flaſche fo lange, bis dieſes rdte Pulver ver— ſchwunden iſt und die wäſſerige Löſung durch das gebildete Chromſulfat rein grün gefärbt erſcheint. Die Chromſäure oxydiert dabei vorwiegend die unedlen Metalle und ſonſtige Verunreinigungen des Queckſilbers. An der Oxydation ſcheint ſich auch das Queckſilberchromat zu beteiligen. Durch einen kräftigen Waſſerſtrahl, welchen man in die Flaſche hineinleitet, wird ein feines graues Pulver, welches auf der Oberfläche des Queckſilbers und zwiſchen den Kügelchen verteilt liegt und nur aus den Oxyden der Metalle beſteht, abgeſchlemmt. Je nach dem Grade der Verunreinigung des Queckſilbers wiederholt man dieſes Verfahren noch ein— oder zweimal und ſchüttelt zuletzt mit deſtilliertem Waſſer fo lange, bis dasſelbe kein graues Pulver mehr abſchlemmt und vollkommen klar bleibt. Der Verluſt an Queckſilber bei dieſer Methode iſt nur gering. Bei einem Verſuche, welcher mit 2 5 reinem Queckſilber angeſtellt wurde, gingen nur 10 8 = ½ Prozent verloren. Schlz. Jeuerbeſtändige Vapiere, Farben und Drud- ſachen. Wirklich feuerfeſtes Papier, d. h. ein ſolches, welches eine Temperatur von 800° C. und mehr verträgt, in Verbindung mit einer Druckerſchwärze oder Tinte, welche bei ſo ſtarker Erhitzung nicht angegriffen werden, war bis jetzt noch nicht vorhanden; einige mit Asbeſt bereitete Papiere vertrugen wohl gewiſſe nicht zu hohe Temperaturen, erwieſen ſich aber als Druck- und Schreibpapier nicht ge⸗ eignet. L. Frobeen in Berlin ſtellt nun neuerdings nach der „Deutſchen Induſtrie-Zeitung“ ſolche Stoffe von den erforderlichen Eigenſchaften her und hat ſich ſeine 76 Humboldt. — Februar 1882. Methoden patentieren laſſen. Asbeſtfaſern beſter Qualität werden in einer Auflöſung von übermanganſaurem Kali gewaſchen und mit ſchwefliger Säure gebleicht. So vor⸗ bereitet werden auf 95 Teile Faſern 5 Teile geſchliffener oder gemahlener Holzſtoff, wie ihn die Papierfabriken ver⸗ arbeiten, zugeſetzt; die Maſſe wird unter Zufügung von Leimwaſſer und Borax in den Holländer gebracht, in dieſem innig gemiſcht und zu Papier weiter verarbeitet, welches von glatter Oberfläche und durch Satinieren zum Schreiben geeignet erhalten werden kann; es ſoll der Weißglühhitze widerſtehen. Zur Herſtellung einer feuerfeſten Druckfarbe und Schreibtinte wird eine Miſchung von Platinchlorid und Lavendelöl benutzt, welcher für die Farbe, wenn ſie ſchwarz ſein ſoll, Lampenruß und Firniß, für die Schreib⸗ tinte chineſiſche Tuſche, Waſſer und arabiſches Gummi zu⸗ geſetzt werden. Um eine gute feuerfeſte Farbe zu erhalten, werden 10 Teile trockenes Platinchlorid und 25 Teile Lavendel⸗ öl in einer Porzellanſchale erwärmt, bis die Gasentwicke⸗ lung aufhört, dann 35 Teile Lampenruß und 30 Teile Firniß in kleinen Portionen zugeſetzt. Beim Glühen des mit der Farbe bedruckten Papieres wird das Platin reduziert und bleibt als ſchwarzbrauner Uebergang zurück. Für feuer⸗ feſte Tinte kann eine Miſchung von 5 Teilen trockenem Platinchlorid, 15 Teilen Lavendelöl, 15 Teilen chineſiſcher Tuſche, 1 Teil Gummi und 64 Teilen Waſſer dienen. Mit Zuhilfenahme metalliſcher Unterglaſurfarben und Wquarell= farben ſind auch bunte feuerbeſtändige Farben zu erzielen. P. Paläontologie. Aeber Spuren von wirbelloſen Tieren und ihre paläontologiſche Bedeutung. In den Abhandlungen der ſchwediſchen Akademie (Bd. 18. Nr. 7) iſt vor kurzem eine größere Arbeit von A. G. Nathorſt erſchienen, welche den im Titel angegebenen Gegenſtand zum Thema hat und durch ihre exakte Darſtellung, durch experimentelle Erläute⸗ rung des Geſagten, ſowie endlich durch die logiſchen Schlußfolgerungen, welche ſich an die angeſtellten Experi⸗ mente knüpfen ließen, von allgemeinem Intereſſe und weit⸗ gehender Bedeutung für die Beurteilung gewiſſer ſoge⸗ nannter Verſteinerungen iſt. Es handelt ſich hier um Bildungen, welche, ihrer äußeren Formenähnlichkeit mit Algen wegen, meiſtens als Pflanzen angeſehen und mit den Namen Chondrites 2¢. belegt wurden. Auch das ſeiner Zeit großes Aufſehen ver- urſacht habende Eophyton aus den älteſten verſteinerungs⸗ führenden Ablagerungen Schwedens gehört hierher. Der⸗ artige Formen find noch kürzlich ſyſtematiſch in dem Hand⸗ buch der Poläontologie von Zittel und Schimper und zwar von letzterem dargeſtellt und in zahlreiche Familien zerlegt, von denen weiter unten die Rede ſein wird. — Meiſt ſind dieſe vermeintlichen Pflanzenreſte entweder lang⸗ gezogen, ſchilfblattähnliche, oder hin- und hergezogene und ſchlingenartig verlaufende, zopfähnliche, bald feine, faden⸗ förmige und ganz regellos verzweigte oder zuſammenge— häufte Gebilde. — Dieſelben liegen nun meiſtens als Haut⸗ Reliefs auf der Unterſeite der Schichten, ſie müſſen alſo als Ausgüſſe von Basreliefs auf deren Ober⸗ fläche betrachtet werden; ferner finden ſie ſich vom Silur bis in die Jetztzeit in faſt unveränderter Form in allen möglichen Formationen, und endlich zeigen ſie alle keine Spur von organiſcher Subſtanz, alſo namentlich keine kohligen Beſtandteile auf ihrer Oberfläche, was notwendig wäre, wenn es überhaupt Pflanzen ſein ſollten. — Alle dieſe und noch andre Gründe, wie namentlich auch, daß von Waſſer getränkte Algen im Waſſer nie ſo ſchwer werden, daß ſie auf dem Meeresboden ſo tiefe Eindrücke hinter⸗ laſſen könnten, wie es die in Frage ſtehenden Körper ge⸗ than haben, haben ſchon hin und wieder Zweifel bei manchen Paläontologen erweckt, ob hier überhaupt Verſteinerungen von Pflanzen oder Tieren (Würmern) vorliegen, oder nicht vielmehr Spuren von Tieren. Wie divergierend aber die Anſichten hierüber ſind, geht wohl am beſten daraus hervor, daß manche dieſer Formen, wie z. B. die bekannten zopf⸗ artigen Neroiten der paläozoiſchen Formation in dem Zittel⸗ Schimperſchen Handbuch ſowohl im paläozoologiſchen Teil, als im phytopaläontologiſchen Teil behandelt werden, im erſteren bei den Würmern als „höchſt problematiſche Ver⸗ ſteinerungen“, im letzteren, wie erwähnt, als Pflanzen. Es iſt nun Nathorſts großes Verdienſt, in dieſe verwickelten Verhältniſſe durch direktes Experiment Klar⸗ heit gebracht zu haben. Freilich iſt ſchon früher mehrfach darauf hingewieſen worden, daß dieſe vermeintlichen Pflanzen wohl Spuren von Tieren, welche auf dem Meeresboden kriechen, ſein könnten und auch wohl dieſe Anſicht durch einzelne Experimente, jo von Emmons und von Han⸗ cock, unterſtützt worden. Zum erſtenmal aber ſind von Nathorſt Experimente in größerer Zahl angeſtellt und die gewonnenen Reſultate auf die verſchiedenen Gruppen der vermeintlichen Pflanzen vom Standpunkte des Friti- ſchen Botanikers zur Verwendung gelangt. Nathorſt hielt ſich einige Zeit zur Herſtellung ſeiner durch die angeſtrengte Thätigkeit bei der Aufnahme geo⸗ logiſcher Karten zerrütteten Geſundheit in Kriſtineberg in Bohuslän auf, wo ihm vom Vorſteher der dortigen zoologi⸗ ſchen Station, Profeſſor Loven, das Material zu ſeinen Verſuchen geliefert wurde. Dieſe Experimente, welche aller⸗ dings erſt nach manchen mißglückten Verſuchen zum Ziele führten, beſtehen im weſentlichen darin, daß er Tiere der verſchiedenſten Art auf aus dem Meere heraufgeholten Schlamm in einer Schüſſel unter Waſſer oder auch auf weichem Gips kriechen ließ und dann nach Entfernung des Waſſers und hinreichender Austrocknung die Kriechſpuren in Gips abgoß. So erlangte er direkt die Hautreliefs der Spuren, welche auch in den betreffenden Foſſilien ſtets vorliegen. Ferner war es auf dieſe Weiſe möglich, wenn man nämlich genügend viel Waſſer über dem Schlamm hielt, auch Spuren dicht über dem Boden hinſchwimmender Tiere, welche denſelben nur wenig berührten, abzuformen. Die Tiere, deren Kriech- oder Schwimmſpuren Nathorſt auf dieſe Weiſe beobachtete, waren folgende: Carcinus maenas L., Crangon vulgaris Fabr., Palaemon squilla L., Corophium longicorne Fabr., Gammarus locusta L., Synapta sp., Brissus sp., Asteracanthion rubens Retz. Amphiura sp., Cylichna cylindracea Pennant, Littorina littorea L., Paludinella sp., Nucula sulcata Bronn. und noch manche andre Mollusken, ſowie einige Würmer. Neben dieſen von Nathorſt ſelbſt beobachteten Spuren ſind in ſeiner Abhandlung auch die von andern Gelehrten dargeſtellten berückſichtigt. Dazu kommen dann noch Spuren von Inſekten, von Inſektenlarven, von Geißelwürmern u. a., endlich ſolche von Pflanzen, welche auf dem Schlamm hin⸗ gezogen wurden, von Waſſertropfen und von rinnendem Waſſer, wie man ſieht, von faſt allen organiſchen und un⸗ organiſchen Materien, welche auf dem Meeresboden oder auf dem Strande Spuren zu hinterlaſſen pflegen. Auf dieſe Weiſe hat Nathorſt nun eine große Zahl der ver⸗ meintlichen foſſilen Algen in ihrer Form erhalten und zwar Conferviteae, Caulerpiteae, von denen wenigſtens ein Teil (Keckia und Phymatoderma) Wurmſpuren ſind. Ganz und gar fallen unter die Tierſpuren die Schimper⸗ ſchen Gruppen der Chordophyceae, der Arthophyceae, Rhysophyceae (letztere meiſt Cruſtaceenſpuren), die Alec- torurideae (mit den bekannten Formen Spirophyton, Cancellophycus ete.), letztere entſtanden durch wirbelnde Bewegung, die Cylindriteae (Kriechſpuren verſchiedener Art), ein großer Teil der Chondriteae und des Sphaeroe- citeae, während die Spongiophyceae, die Fucoiditeae: und die Dictyophyteae wirklich Verſteinerungen, und zwar auch Algenverſteinerungen, aber von noch unſicherer ſyſtematiſcher Stellung ſind. Nathorſt dehnt ſeine Unterſuchungen auch über die nicht von ihm ſelbſt beobachteten, ihm nur aus der Litteratur bekannten Spuren aus und gibt zum Schluß eine Ueber⸗ ſicht der einſchlägigen Litteratur, welche die erhebliche Zahl von 129 verſchiedenen Publikationen erreicht. Die Ab⸗ handlung iſt außer mit zahlreichen Holzſchnitten noch mit 11 Quarttafeln ausgeſtattet, welche photographiſche Bilder der gewonnenen Fußſpuren enthalten. — Es wird trotz Humboldt. — Februar 1882. 77 der zwingenden, auf Experiment beruhenden Gründe, welche Nathorſt gegen die Pflanzennatur der obengenannten Gebilde anführt, ſicher ſeine Abhandlung nicht ohne Wider— ſpruch bleiben, und ich höre, daß namentlich ſeitens des Phytopaläontologen derſelbe ſchon geäußert wurde. Aber das wird nicht hindern, daß ſich im Laufe der Zeit die Paläontologie zu Nathorſts Anſicht bekennt und ihm für die wichtige und erfolgreiche Beſeitigung zahlreicher Pſeudo— Petrefakten dankbar ſein wird. D. ah tet. k. Varaſitiſche Pilze in Wurzelhölzern der Vorwelt. In ſeiner trefflichen Arbeit über die foſſilen Hölzer von Karlsdorf am Zobten beſchreibt H. Conwentz Spuren paraſitiſcher Pilze, welche er in dem Wurzelholze einer Cypreſſenart (Rhizocupressinoxylon) vorfand. Die eine Art entſprach ganz dem Mycel eines Hutpilzes, Agaricus mellens, welches durch eigentümliche Zellen, ſogenannte Schnallenzellen, und durch blaſige Hyphenan— ſchwellungen charakteriſiert iſt und auch jetzt ein Zerfallen des Holzes in ſeine einzelnen Beſtandteile veranlaßt. Der andre Organismus aber ſtimmte mit einer kleinen Pilz— form, Xenodochus ligniperda Willk., überein, welche fic) gleichfalls nur da zeigt, wo das Holz mit dem Erdboden in Berührung iſt. Die Pilzformen alſo, welche ſich jetzt noch ſo erfolgreich an der Zerſtörung der Wurzeln von Nadelhölzern beteiligen, zeigten ſich ſchon in der Tertiär— formation, welcher die foſſilen Hölzer von Karlsdorf zu— zuzählen ſind. (S. H. Conwentz, die foſſilen Hölzer von Karlsdorf am Zobten; ein Beitrag zur Kenntnis der im norddeutſchen Diluvium vorkommenden Geſchiebehölzer. Breslau 1880 oder auch in Schriften der naturforſch. Geſ. in Danzig 1880. Bd. IV. Heft 4. Schon früher hatte van Tieghem aus der Stein— kohlenperiode den Organismus der Butterſäuregährung (Bacillus Amylobacter) in Dünnſchliffen verkieſelter Wurzeln aus jener Periode beobachtet, welcher nach den vom Verf. angeſtellten Verſuchen die unter Waſſer vor ſich gehende Zerſetzung feiner Würzelchen des Eibenbaums (Taxus) und der Cypreſſe verurſacht. Wie in den Sümpfen der Jetztwelt erlitten alſo auch ſchon in der Steinkohlenperiode die Wurzeln der Gymnoſpermen in denſelben Gewebeteilen und durch denſelben Organismus die gleiche Zerſetzung und die von dieſem Organismus (Bacillus Amylobacter) hervorgerufene Butterſäure— gährung in der Zelluloſe und anderwärts zeigt ſich als einen der allgemeinſten Vorgänge in der organiſchen Welt. (S. van Tieghem, Sur le ferment butyrique, Ba- cillus Amylobacter, a Tépoque de la houille in Annal. d. Scienc. nat. 1878, T. 9, p. 381 oder in Comptes rendus 1879, T. LXXXIX, p. 1102.) G. e nO) ee Die Gehörorgane der Inſekten waren bisher nur bei wenigen Ordnungen (Geradflügler, Fliegen und Käfer) und meiſt nur von einzelnen Formen beſchrieben. Ganz beſonders war es Leydig, der eigentümliche ſtifteführende Nervenendigungen und ſolche von ſaitenartiger Beſchaffen— heit, die als Schallempfindungen vermittelnde Organe ge— deutet werden können, vielfach beſchrieb. Nach Graber (Zool. Anzeiger 1881) haben dieſe als Hörorgane in An— ſpruch genommenen Bildungen eine weite Verbreitung und ſind bei faſt allen Inſekten nachzuweiſen. Sie finden ſich nicht nur am Stamm des Körpers, wo ſie an mehreren Segmenten auftreten, ſondern auch an den Anhängen, beſonders an den Flügeln und den Beinen. An den be— kannten Schwingkölbchen der Fliegen finden ſich eigentüm— liche Platten, die in hohem Maße an die Membrana reti- cularis des Cortiſchen Organs der Wirbeltiere erinnern ſollen. Von Intereſſe iſt ferner noch die Mitteilung Grabers, daß die mit einem Trommelfell verſehenen Hörorgane, wie ſie von Grillen und Heuſchrecken (Locusta) an den Vorderbeinen bekannt find, auch an den Mittel- und Hinterbeinen auftreten und daß ſie auch bei Schaben (Blattiden) und Feldheuſchrecken (Acridiern) in denſelben Stellen gefunden werden. : Rb. Geographie. Die Nordoſtküſte des kaſpiſchen Meeres. An der Nordoſtküſte des kaſpiſchen Meeres iſt das Gebiet zwiſchen der Uralflußmündung und der der Emba bei den Ver— meſſungsarbeiten in den Jahren 1830 — 1840 wegen feiner vermeintlichen Unzugänglichkeit nicht aufgenommen worden. Ein vorwiegender Grund, von der Vermeſſung abzuſehen, ſoll damals auch der geweſen ſein, daß der Mangel an Süßwaſſer in jener Gegend jeden längeren Aufenthalt in der Tentjak⸗Sor unmöglich mache. Durch Gerüchte war aber in letzter Zeit bekannt geworden, daß Fiſcher aus Aſtrachan an der Küſte der Sor Stationen zum Einſalzen der Fiſche angelegt hätten, wozu ihnen die dort vorhan— denen Seen das nötige Salz lieferten. Eine von der topographiſchen Abteilung des Orenburger Militärbezirks ausgeführte Unterſuchung der Nordoſtküſte des genannten Meeres ergab die Richtigkeit der Behauptung von dem Beſtehen der Salzſeen, von denen der größte der eine Meile lange Iskaniſee iſt. Ferner wurde feſtgeſtellt, daß die Ufer einſt vom Meere weithin bedeckt waren, ja, daß das Seewaſſer gegenwärtig noch bei heftigeren Weſtwinden das ganze Gebiet überſchwemme und daß die Ufer des kaſpiſchen Meeres von Jahr zu Jahr immer mehr ver— ſanden. Nach dieſer Aufnahme hat es ſich auch gezeigt, daß die Nordküſte dieſes Meeres bisher falſch dargeſtellt war, und daß ſie um 12 Werſt nach Oſten zu verſchieben ſei. Mit dieſer Notiz bringt der „Ruſſiſche Invalide“ gleichzeitig auch die Nachricht von der Richtigſtellung der Mündung des Sagys, von dem bis jetzt angenommen wurde, daß er ſich in den Salzſümpfen der Sor verliere. Es iſt dies nicht der Fall, er mündet vielmehr in zwei Armen, dem Kara-Baspak und dem Alpys-At ins kaſpiſche Meer. Von Intereſſe dürfte auch noch die bei der Auf— nahme der Tentjak-Sor gemachte Beobachtung fein, daß das Waſſer der aus derſelben ins Meer gehenden Flüſſe, das im Unterlaufe einen nicht unbedeutenden Salzgehalt aufweiſt, dieſen bei Oſtwinden verliert und trinkbar wird. Zur Erſorſchung des Damir. Seit der Beſitzer— greifung Chokands, jetzt Fergſana genannt, durch Ruß— land, hat dieſes letztere ſich angelegen ſein laſſen, durch wiſſenſchaftliche Expeditionen die in ſeinen Beſitz gelangten oder benachbarten Gebiete der Wiſſenſchaft aufzuſchließen. Zwei ſolcher Expeditionen richteten ihr Augenmerk auf das bis jetzt noch faſt ganz und gar unbekannte Pamirplateau. Die letzte unter der Leitung des Generalgouverneurs von Turkeſtan Dr. Sſeverzow hat eine große Zahl wiſſen— ſchaftlicher Reſultate aufzuweiſen. „Bei der Aufnahme des Rang-Kul,“ lautet der Bericht in Röttgers „Ruſſiſche Revue“ 1879, „wurden auch die Berge, welche die öſtliche Begrenzung des Pamir bilden, ſichtbar. Sämtliche bisher ausgeſprochene Anſichten über die Randgebirge haben ſich als falſch erwieſen. Es iſt dies kein zuſammenhängender Rücken, der annähernd meridional läuft, wie Hayard, nach ihm Murchiſon und ſpäter Koſtenko behaupteten, auch nicht einfach der ſteile Rand einer Hochebene wie Fed= ſchenko angab.“ Das Gebirge löſt ſich nach dem Berichte vielmehr in einzelne Gruppen auf, die um mehrere ſehr hohe Gipfel gelagert erſcheinen. Als der höchſte wird der 25,800 Fuß hohe Tangarm Pik oder Muſtag⸗ata ange⸗ nommen. An jene an ſchließen ſich Berggipfel mit ihren Gruppen bis zu 15,000 Fuß Höhe; ſie alle ſind mit ewigem Schnee bedeckt. Mitten unter ihnen liegt der kleine Kara- Kul⸗See, von dem berichtet worden war, daß er ohne Abfluß ſei. Auch dieſe Annahme hat ſich als irrig er— ( 78 Humboldt. — Februar 1882. wieſen, denn er hat einen nordöſtlichen Abfluß und einen nach Südweſt; der nordöſtliche iſt allerdings gegenwärtig verſiegt. Koſtenko thut auch gelegentlich der Beſprechung dieſes Sees der merkwürdigen Thatſache Erwähnung, daß Si e Owe ee 4) Gs) @ fein Waſſer am Freitag ſteige. Der Grund dieſer Er⸗ ſcheinung wurde in dem regelmäßigen Anſchwellen eines in den See mündenden Flüßchens gefunden. Um ihn lagern ſich häufig trockene Nebel. H. e e , Gay Ge , Hugo Magnus, Jarben und Schöpfung. Acht Vorleſungen über die Beziehungen der Farben zum Menſchen und zur Natur. Mit einer Tafel. Breslau. J. U. Kerns Verlag (Max Müller). 1881. Preis geb. 6 MH Wir freuen uns, das Publikum auf dieſen neuen Vor⸗ leſungs⸗Cyklus des wackeren Breslauer Ophthalmologen aufmerkſam machen zu können, der eine ſehr wichtige Er⸗ gänzung zu den früher im gleichen Verlage erſchienenen Vorleſungen über das Auge bildet. Damals ſpielte die Farbenwahrnehmung nur eine untergeordnete Rolle, ſeit⸗ dem aber hat der Verf. gerade dieſem Gegenſtande eine ſo anhaltende und erfolgreiche Thätigkeit zugewandt, daß eine monographiſche Darſtellung der einſchlägigen Fragen aus ſeiner Feder gewiß allen, die ſich für dieſe phyſikaliſch und phyſiologiſch gleich bedeutſame Theorie intereſſieren, willkommen ſein muß. Freilich hat der Herr Verf. viele Gegner, teilweiſe recht ſtreitbarer Natur, und bei ihnen wird die neue Schrift nur teilweiſen Anklang finden, aber das wird ihm auch von jener Seite zugeſtanden werden müſſen, daß er die ſtrittigen Punkte klar und korrekt dar⸗ zuſtellen weiß und redlich bemüht iſt, ſeine eignen Anſich⸗ ten unermüdlich weiterzubilden. Es wird zunächſt der phyſikaliſche Charakter jener Funktion unſres Auges erläutert, welche wir mit dem Namen der „Farbe“ zu bezeichnen gewohnt ſind. Es wird darauf hingewieſen, daß ſchon ein einigermaßen „gebilde⸗ tes“ Auge dazu gehört, im Sonnenſpektrum die traditionelle Siebenzahl der Farben wahrzunehmen, daß aber auch in der That eigentlich nur vier Grundfarben (einfache Farben nach Leonardo da Vinci) exiſtieren. Wie nun kommt in unſrem Sehorgan die eigentliche Farbenempfindung zu ftande? Zwei ſehr verſchiedene Hypotheſen find von Män⸗ nern erſten Ranges zur Erklärung dieſer phyſtologiſchen Thatſache aufgeſtellt worden: die Moungſche „Dreifarben⸗ theorie“, deren Grundzüge kein Geringerer als Helmholtz ſich angeeignet hat, und die Heringſche „Theorie der Gegen⸗ farben“. Unſer Gewährsmann erörtert ſachgemäß die Prinzipien beider Auffaſſungen, indem er freilich bekennen muß, daß gegen die erſtere deren abſolute Unvereinbarkeit mit den Erſcheinungen der einſeitigen Farbenblindheit, gegen die letztere hingegen deren allzugroße Kompliziertheit als gewichtige Gegenargumente angeführt werden müſſen. Eine neue, von Preyer angedeutete Erklärungsweiſe, welche ſich namentlich auf die jedem Kunſtkenner geläufige Ein⸗ teilung der Farben in warme und kalte ſtützt und dieſen Gegenſatz wiſſenſchaftlich zu definieren verſucht, ſcheint dem Verf. eine vielverſprechende Zukunft zu beſitzen, obgleich er ihr gegenüber fürs erſte auch nur den Standpunkt des objektiven Berichterſtatters einnimmt. . „Die biologiſchen Aufgaben der Farben“ bilden den Gegenſtand der dritten Vorleſung, welche damit das Ge⸗ biet der von Darwins Namen ausſtrahlenden naturwiſſen⸗ ſchaftlichen Forſchungen betritt. Eifrige Darwinianer, be⸗ ſonders Jäger, haben, von der Ueberzeugung ausgehend, daß die Färbung keines organiſchen Körpers etwas Zu⸗ fälliges ſein könne, alle dieſe Färbungen als Schutzfarben, Trutzfarben, Lockfarben u. ſ. w. zu klaſſifizieren verſucht. Wir ſtimmen Magnus ganz darin bei, daß eine ſolche Interpretation der Natur ſtets etwas Gezwungenes und Gewaltſames an ſich trägt; die „chromatiſche Funktion“ iſt eben nicht, wie die Sanguiniker des Darwinismus glauben, dem freien Belieben des betreffenden Tieres unter⸗ ſtellt, ſondern richtet ſich nach feſten mechaniſchen Geſetzen. Mit ſchlagenden Gründen wird auch die Annahme wider⸗ legt, daß im Tier⸗ und Pflanzenreiche Gelb die „Ekel⸗ farbe“ ſei. Die Verteidiger der teleologiſchen Lehre be⸗ rufen ſich natürlich in erſter Linie auf den Farbenſinn der Tiere, über den freilich die Akten noch keineswegs ge⸗ ſchloſſen ſind. Was man darüber bis jetzt weiß, iſt am beſten in dem bekannten, inhaltsreichen Werke des Ameri⸗ kaners Grant Allen geſammelt, gegen welches unſer Verf. eine lebhafte, immer jedoch taktvolle Polemik eröffnet. Wir wollen hier gleich bemerken, daß wir über dieſes Buch eine günſtigere Anſicht hegen, als Herr Magnus, daß wir nicht allein den auch von letzterem bewunderten feinen Beobachtungsſinn Allens anerkennen, ſondern auch den von ihm aus ſeinem reichen Materiale gezogenen Schlüſſen bis zu einem gewiſſen Grade beipflichten können. Allen hat unſres Erachtens bewieſen, daß einer Menge von höheren und niederen Tieren ein quantitativ wie qualitativ frei⸗ lich ſehr verſchiedenes Farbenperzeptionsvermögen zukommt, und es ſcheint uns auch zugegeben werden zu müſſen, daß zwiſchen dem tieriſchen und unſrem menſchlichen Farben⸗ ſinn einige Analogie obwaltet. Allein dieſe ganz unbe⸗ ſtimmte Analogie, über deren wahres Weſen menſchliche Forſchung vorausſichtlich niemals ins klare kommen wird, da der klaſſiſche Zeuge, das Tier, zu ewigem Schweigen verurteilt iſt, darf ja nicht mit einer Identität verwechſelt werden, wie dies Grant Allen und fein philoſophiſcher Sekundant Marty gethan haben. Die philoſophiſche Kon⸗ ſtruktion kann uns, ſo wertvoll ſie unter gewiſſen Um⸗ ſtänden auch iſt, nun und nimmer zur Ausfüllung einer Lücke in unſrem empiriſchen Wiſſen dienen, vielmehr müſſen wir uns hier, wie ja auch ſonſt nur allzu häufig, bei unſrer Unvollkommenheit beſcheiden und dürfen vor allem den angeblich ſo hoch entwickelten Farbenſinn der Tiere nicht dazu verwenden, die Frage nach der allmählichen Ausbil⸗ dung des menſchlichen Farbenſinns in verneinendem Sinne zu entſcheiden, wie von einigen neueren Gelehrten ge- ſchehen iſt. Die Entwickelung des Farbenſinns wird in der fünf⸗ ten Vorleſung mit jener Sorgfalt und mit jenem liebe⸗ vollen Eingehen ins Detail abgehandelt, welche man von einem Manne zu erwarten berechtigt war, an deſſen Namen fic) gerade dieſes Problem in der Exinnerung aller Sach⸗ kenner untrennbar angeknüpft hat. Der Verf. dokumen⸗ tiert ſich in dieſem Kapitel als ein Forſcher, dem die Er⸗ kenntnis der Wahrheit höher ſteht als die Anhänglichkeit an manche lieb gewordene Meinung, und ſo ſehen wir denn, daß er die in früheren Schriften vorgetragenen An⸗ ſichten oft in der erheblichſten Weiſe modifiziert. Er gibt freimütig zu, daß ſeine frühere, faſt ausſchließliche Berück⸗ ſichtigung des ſprachwiſſenſchaftlichen Elementes ihn hie und da zu weit geführt habe, daß insbeſondere dem home⸗ riſchen Zeitalter nicht, wie Gladſtone wollte, eine wirkliche Farbenblindheit, wohl aber eine gewiſſe Farbenträgheit oder Farbengleichgültigkeit zuerkannt werden müſſe. Seinem Humboldt. — Februar 1882. 79 linguiſtiſchen Verfahren hat der Verf. ſpäter ein ethno- | logiſch-vergleichendes ſubſtituiert, das ihm gute Erfolge ein— gebracht hat; die Fragebogen, welche er in Gemeinſchaft mit dem völkerkundigen Dr. Pechuél⸗Löſche an Reiſende, Miſſionäre, Konſulatsbeamte u. ſ. w. hinausgegeben und unlängſt erſt gefüllt zurück bekommen hat, geſtatten uns, mit Sicherheit feſtzuſtellen, wie es bei Völkerſchaften, die mehr oder weniger noch im Naturzuſtande beharren, mit der Wahrnehmung, Wertſchätzung und Namengebung der Farben beſtellt iſt. So viel iſt über jeden Zweifel er— haben, daß bei den Naturvölkern ganz ebenſo wie bei den Kulturvölkern des Altertums die lichtſtarken, langwelligen Farben leichter unterſchieden und ſprachlich ſchärfer hervor— gehoben werden, als die lichtſchwachen Farben von kürzerer Wellenlänge. Auch der an ſich ſehr ſcharfſinnigen Argu— mentation Carus Sternes, welcher die Ausbildung der Farbenterminologie in engſte Beziehung zu der Entwickelung der Kunſtfärberei ſetzen wollte, werden beachtenswerte Gründe entgegengeſtellt. An die Darſtellung der Entwickelungsgeſchichte unſrer chromatiſchen Funktion ſchließt ſich ganz naturgemäß die— jenige der phyſiologiſchen Farbenblindheit ſelbſt an. Hier urteilt der Verf., deſſen bezügliche Arbeiten in Fachkreiſen wohl bekannt ſind, aus einem reichen Erfahrungsſchatze heraus. Er legt uns die Methoden, deren ſich verſchiedene Augenärzte zur Feſtſtellung der Farbenblindheit bedienen, klar und ſachlich auseinander; die Stillingſche will er nicht völlig verwerfen, aber für den praktiſchen Hauptzweck, die Prüfung der bei Eiſenbahn und Marine angeſtellten Be— dienſteten, dünkt ihm die Holmgrenſche Wollenmethode die beſte. Mit Entſchiedenheit wird insbeſondere auch die Behauptung zurückgewieſen, die Farbenblindheit repräſen— tiere einen pathologiſchen Zuſtand. — Die ſiebente Vor— leſung handelt von der Aeſthetik der Farben, wobei viel— fach auf das bekannte v. Bezoldſche Buch über die Farben⸗ lehre in Bezug auf Kunſt und Kunſtgewerbe hingewieſen wird. Beſonders die Wirkung der Komplementärfarben wird hier einer eingehenden Beſprechung unterzogen. Zum Schluſſe endlich kommt der Verf. noch auf ein Thema, dem er bereits mehrfach in monographiſcher Bearbeitung näher getreten iſt. Er ſtellt ſich die Frage, ob der Farben— jinn „erzogen“, d. h. mittelſt unausgeſetzter Uebung und Trainierung geweckt und weiter gebildet werden könne, und zwar nicht bloß für das einzelne Individuum, ſondern für ganze Generationen. Der Verf. iſt auf Grund ſeiner Studien geneigt, dieſe Frage unbedingt mit Ja zu beant— worten, auch macht er Vorſchläge in dieſem Sinne, denen man nur ſeitens der maßgebenden Faktoren eine wohl— wollende Aufnahme wünſchen kann, damit wenigſtens für die gebildeten Kreiſe jene Ratloſigkeit in der richtigen Auf— faſſung und Bezeichnung von Farbentönen, von der u. a. Virchow ſchaudererregende Fälle mitteilt, allmählich befei- tigt werden möge. Wir haben im vorſtehenden einen gedrängten Bericht über den Inhalt der Magnusſchen Vorleſungen zu erſtatten verſucht. Wenn wir noch hinzufügen, daß dieſelben einer leicht fließenden, eleganten Darſtellung ſich befleißigen, ſo hoffen wir genug gethan zu haben, um dem intereſſanten Buche einen oder den andern neuen Leſer zuzuführen. Ansbach. Prof. Dr. S. Günther. Theod. Beye, die Wirbelſtürme, Tornados und Wetterſäulen in der Erd⸗Atmoſphäre. Zweite unveränderte Ausgabe. Mit vier Sturmkarten zum Gebrauche für Seeleute, 30 Holzſchnitten und Lithographien. Hannover, Carl Rümpler. 1880. Preis 6 % Der Verfaſſer dieſes Werkes, trefflich bekannt durch ſeine mathematiſchen Arbeiten, hat es in demſelben verſucht, dem Leſer ein anſchauliches Geſamtbild der meiſtens mit furchtbaren Verheerungen auftretenden Wetter ſäulen, Tornados und Cyklonen zu geben, und dieſe Phä- Humboldt 1882. nomene in einer Weiſe zu erklären, welche wohl — mit Ausſchluß der mathematiſchen Partien, die dem Buche in einem Anhange beigegeben ſind — allgemein verſtänd— lich bezeichnet werden darf, und die auch den Meteorologen vom Fache befriedigen wird. Er wollte bei der Abfaſſung dieſes Buches dem lebhaften Wunſche nachkommen, „zur Sicherheit der braven Seeleute und der auf dem Meere ſchwimmenden reichen Erzeugniſſe menſchlichen Fleißes einen beſcheidenen Teil beizutragen.“ Durch einzelne bemerkenswerte Beiſpiele aus älterer und neuerer Zeit wird im vorliegenden Buche das Weſen der Wirbelſtürme und der durch ſie veranlaßten Phänomene klargelegt und durch dieſelben auf die letztere beherrſchen— den Geſetze hingewieſen. Es iſt die Darſtellung eine durchwegs lebhafte und anſchauliche, und es muß zuge— ſtanden werden, daß es vorzüglich dieſem Umſtäande zu danken iſt, daß das Buch dem Leſer eine angenehme Lektüre bietet. Es gehören ſo z. B. die Schilderung der Wetterſäule von Hainichen, der Trombe von Chatenay, die Beſchreibung der Wirkungen einiger be merkenswerten Cyklonen wahrhaft zu den Muſterdarſtel— lungen naturwiſſenſchaftlicher Gegenſtände. Der Verfaſſer war auch im ganzen Verlaufe des Buches beſtrebt, dem Fachmanne nützliche Anhaltspunkte zu geben und denſelben auf die Theorie zu verweiſen. Ein reichhaltiger Litteratur nachweis, die in dem Buche enthaltenen mathematiſchen Begründungen der vom Ver— faſſer aufgeſtellten theoretiſchen Betrachtungen werden dem Fachmanne willkommen ſein und letztere auch das Intereſſe des gelehrten Phyſikers erregen. In einer anziehend geſchriebenen Einleitung wird auf das Rätſelhafte der Wetterſäulen und Wirbelſtürme hingewieſen, die Entſtehung der letzteren über Bränden und über den Kratern thätiger Vulkane beſchrieben. Im erſten Abſchnitte folgt eine Schilderung der Land- und Waſſerhoſen, im zweiten Abſchnitte die Beſprechung der Urſachen und Entſtehung der Wetterſäulen. Nach des Verfaſſers Theorie entſtehen die Wetterſäulen dann, wenn die Atmoſphäre in dem eigentümlichen Zuſtande eines labilen Gleichgewichts ſich befindet, was bei mit Waſſerdampf geſättigter Luft dann eintritt, wenn die Tem-= peraturabnahme der Luft für 100 Erhebung nur '/s ° Celſius beträgt, ein Umſtand, der auf Grundlage der Grundformel der mechaniſchen Wärmetheorie eine mathe- matiſche Erörterung erfährt. Im dritten Abſchnitte beſchreibt der Verfaſſer die nordamerikaniſchen Tor⸗ nados, welche oft ungeheure Dimenſionen annehmen. — Den Hauptabſchnitt des vorliegenden Buches bildet eine ſachgemäße Schilderung der Cyklonen und ihrer Geſetz— mäßigkeit, welche unter andern von den Meteorologen Dove, Redfield, Reid, Buys-Ballot erkannt wurde. Die Bewegung der Luft in einer Cyklone, welche auf der nördlichen Erdhälfte dem Sinne des Zeigers einer Uhr entgegengeſetzt, auf der ſüdlichen im umgekehrten Sinne erfolgt, das Vorrücken einer Cyklone, die barometriſche Depreſſion im Innern einer Cyklone werden auf leichte Weiſe erklärt, was zum großen Teile auch durch trefflich ausgeführte Figuren erreicht wurde. — Von großem In⸗ tereſſe iſt die auf Grund einer verhältnismäßig einfachen Rechnung gegebene Bemerkung, daß der Kubaorkan wäh⸗ rend dreier Tage eine Arbeit von 473,5 Millionen Pferde ſtärke geleiſtet habe, eine Arbeit, welche jene auf der Erde in derſelben Zeit geleiſtete um vieles übertrifft. — Bei der Erklärung der Wirbelſtürme geht der Verfaſſer auf die Erörterung der Elektrizitätshypotheſe von Pid⸗ dington und auf die Theorie von Dove näher ein und führt aus, welche Einwendungen gegen die von den beiden Gelehrten ausgeſprochenen Meinungen geltend ge— macht werden können. J bey : Von bedeutendem Intereſſe erſchien dem Referenten der achte Abſchnitt, in welchem die auf der Sonne ſtattfindenden Eruptionen von Waſſerſtoffgas, die unter dem Namen Protuberanzen bekannt ſind, als groß⸗ artige Wirbelſtürme erkannt werden, worauf ja ſchon die von Profeſſor Zöllner beobachtete und bildlich dar— 11 80 Humboldt. — Februar 1882. geſtellte Form der Protuberanzen hinweiſt. Es find nach dem Verfaſſer des vorliegenden Werkes die Sonnenflecken wolkenartige Verdichtungsprodukte in den tieferen Regionen der Sonnenatmoſphäre, die ſich in ähnlicher Weiſe wie die großen Wolkenſchichten der auf der Erde vorkommenden Cyklonen von unten her erneuern. Es hat dieſe Hypotheſe eine große Wahrſcheinlichkeit für ſich; es iſt über allen Zweifel erhaben, daß bei den außerordentlichen Temperatur⸗ verhältniſſen auf der Sonne die Einflüſſe, welche auf unſrem Planeten die Wetterſäulen und Wirbelſtürme hervorrufen, dort in viel höherem Maße zur Geltung gelangen. Der neunte und letzte Abſchnitt des Buches ent⸗ hält eine Reihe von praktiſchen Regeln für See⸗ leute, der gefährlichen Wirkung einer Cyklone zu ent⸗ rinnen. Vor allem iſt es die Buys⸗Ballot'ſche Regel, nach welcher man, in einem Wirbelſturme dem Winde den Rücken zukehrend, das Zentrum des Sturmes genau zur Linken in der nördlichen und genau zur Rechten in der ſüdlichen Hemiſphäre hat, welche einer beſonderen Er⸗ wägung unterworfen wird. Dieſer Abſchnitt, ſowie die vier dem Buche angehängten Sturmkarten dienen vorzüg⸗ lich zum Gebrauche und zur Orientierung für Seeleute. Referent hat mit Vergnügen und Befriedigung die einzelnen Teile des vorliegenden Buches genau verfolgt und iſt überzeugt, daß der Verfaſſer ſeinen Wunſch, „durch die zahlreich eingeflochtenen Berichte über verheerende Wetterſäulen und Wirbelſtürme, durch eine unbefangene Schilderung dieſer gewaltigen Naturerſcheinungen und durch ihre wiſſenſchaftliche Erklärung auch einem weiteren Leſer⸗ kreiſe fruchtbare Anregung zu bieten,“ erfüllt hat. Wien. Prof. Dr. J. G. Wallentin. Ikeeming Senkin, Elektrizität und Magnetis⸗ mus. Mit beſonderer Bewilligung des Autors ins Deutſche übertragen von Prof. Dr. Franz Exner. Mit in den Text eingedruckten Holz⸗ ſchnitten. Braunſchweig, Vieweg und Sohn. 1880. Preis 9 & Der Verfaſſer, im Gebiete der Elektrizitätslehre rühmlich bekannt, wollte in dem vorliegenden Lehrbuche einerſeits dem Leſer die Grundzüge der Theorie der elektriſchen Erſcheinungen vorführen, anderſeits ihm eine Reihe von praktiſchen Problemen nahelegen, welche in Lehrbüchern bisher nicht geſammelt wurden, ſondern in den verſchiedenſten Zeitſchriften zerſtreut ſich vorfinden. Wir ſtimmen dem Verfaſſer vollſtändig bei, wenn er behauptet, daß das, was zuweilen in den Hand⸗ büchern als praktiſche Elektrizitätslehre bezeichnet wird, auf den Namen einer Wiſſenſchaft nicht Anſpruch erheben kann, ſondern meiſtens eine Aneinanderkittung unzuſammenhängender Thatſachen iſt. Nachdem der Refe⸗ rent das vorliegende Werk einem genauen und eingehen⸗ den Studium unterworfen hatte, neigt er ſich entſchieden zur Anſicht des Ueberſetzers, daß der Hauptwert des Buches „nicht ſo ſehr in der Wahl des gebotenen Stoffes, als vielmehr in der Art der Behand⸗ lung,“ welche bei den Engländern — was Elektrizitäts⸗ lehre anlangt — viel rationeller als bei den Deutſchen iſt, liegt. Um den zuletzt ausgeſprochenen Satz zu rechtfer⸗ tigen, genügt ein Hinweis auf die geradezu bahnbrechen⸗ den Arbeiten von Mapwell und Thomſon, welche auf Der Verfaſſer ſuchte dem Leſer von Anfang einen Ueberblick über die geſamte zu lehrende Wiſſenſchaft zu geben und ihm die uſuellen techniſchen Ausdrücke vorzu⸗ führen; es mußten zur Erreichung dieſes Zieles gewiſſe als grundlegend zu bezeichnende Experimente beſchrieben und auf einige Thatſachen aufmerkſam gemacht werden. So macht der Verfaſſer den Leſer ſehr bald mit dem Be⸗ griffe „Potential“ bekannt, allerdings in einer nicht allgemein, auch nicht leicht verſtändlichen Darſtellungsweiſe. Referent iſt überhaupt der Meinung, daß insbeſonders zum Studium der erſten einleitenden Partien des vorliegenden Werkes ein tüchtig phyſikaliſch geſchulter Leſer vorausgeſetzt wird, daß das vorliegende Buch keineswegs, zu den jo gerne bezeichneten „populär wiſſenſchaft⸗ lichen“ Arbeiten zu rechnen iſt. Ich glaube, daß der Ueberſetzer, der als vorzüglicher Elektriker bekannt iſt und durch ſeine ſchönen Arbeiten über die Theorie des gal⸗ vaniſchen Elementes ſich einen bedeutenden Ruf er⸗ worben hat, die zuweilen ſchwulſtige Darſtellung, die oft genug Schwierigkeiten in ſich birgt, hätte vermeiden kön⸗ nen, wenn er ſich nicht jo ängſtlich an das Original ge- klammert hätte. Referent hat in manchen Partien auch eine konſequente Unterſuchungsmethode vermißt; die letztere iſt zuweilen bei Erörterung eines und desſelben Problems zum Teil analytiſch, zum Teil ſynthetiſch. Vorzüglich iſt es der erſte Teil des Buches, der aus den erwähnten Gründen in mehrfacher Beziehung Schwie⸗ rigkeiten bietet und deshalb manchen Leſer vom Studium der weiteren Partien abſchrecken dürfte. In der That wird der Fachmann eine mathematiſche Abhandlung, in welcher die Grundzüge der Potentialtheorie erörtert werden, mit mehr Luſt und größerer Befriedigung leſen, als das zweite mit „Potential“ überſchriebene Kapitel dieſes Werkes. Wer ſich aber mühſam durch die einleiten⸗ den Teile des Buches durchgearbeitet hat, wird in den Abſchnitten, in welchen die zur Meſſung elektriſcher Größen dienlichen Apparate beſchrieben, überhaupt die elektriſchen und magnetiſchen Meßmethoden dargelegt werden, ſo viel Lehrreiches und Wiſſenswertes in verhältnismäßig geringer Ausdehnung vorfinden, daß er gerne die Schattenſeiten der erſten Teile des Buches vergeſſen wird. Freilich iſt es notwendig, daß der Leſer, welcher das Buch bis ins kleinſte Detail verfolgt, häufig einſchlägige theoretiſche Unterſuchungen aus der Elektrizi⸗ tätslehre zu Hilfe nimmt; ohne eine ſolche Vorarbeit wäre z. B. das Kapitel, welches von der Aufſuchung der Fehler in Telegraphenlinien handelt, nicht gut ver⸗ ſtändlich. Es muß allerdings betont werden, daß der nicht theoretiſch gebildete Leſer aus dem Buche auch großen Nutzen ziehen wird, da die Reſultate der Theorie und des. Experimentes zumeiſt in einer verſtändlichen, durchaus korrekten Sprache bekannt gemacht werden. In den einzelnen Kapiteln des Jenkin'ſchen Wer⸗ kes wird von den elektriſchen Grunderſcheinungen, der Erklärung der in der Elektrizitätslehre üblichen Ausdrücke, dem Potentiale, dem elektriſchen Strome und ſeinen Haupt⸗ wirkungen, dem elektriſchen Widerſtande gehandelt. Im fünften Kapitel wird von den elektroſtatiſchen Einheiten im allgemeinen und den elektroſtatiſchen Meſſungen geſprochen. Auf die in der Praxis gebräuchlichen Einheiten geht der Verfaſſer im zehnten Kapitel ein; die hier gegebenen Ta⸗ bellen werden dem Elektriker bei ſeinen Arbeiten recht zweckdienlich ſein. Im 6.—9. Kapitel iſt vom Magnetis⸗ mus, den magnetiſchen Meſſungen, den elektromagnetiſchen Meſſungen und der Meſſung der elektromagnetiſchen In⸗ duktion die Rede. Im 11. Kapitel (chemiſche Theorie der elektromotoriſchen Kraft) wird die Elektrolyſe genauer als in andern Lehrbüchern behandelt und auf den Zuſammen⸗ hang zwiſchen Verbindungswärme und elektromotoriſcher Kraft hingewieſen. An dieſes Kapitel ſchließt ſich das ſehr hübſch ausgeführte über Thermoelektrizität. Beſſer wäre es geweſen, wenn im Anſchluſſe an die chemiſche Theorie der Elektrizität die Beſchreibung der galvaniſchen Batterien und ihrer Wirkungsweiſe ſtattgefunden hätte, was aber erjt im 15. Kapitel geſchieht. Recht ausführlich und in einer überſichtlichen Weiſe behandelt der Verf. die Theorie der Galvanometer, der Elektrometer, der Widerſtandsmeſſungen, der Vergleichung von Kapazitäten, Potentialen und elek⸗ triſchen Quantitäten, und gibt jedesmal an, wie die ent⸗ ſprechenden Meßmethoden auszuführen ſind. — Die Appa⸗ rate zur Erzeugung von größeren Elektrizitätsmengen, aljo die Reibungs- und Influenzelektriſiermaſchinen, die magneto⸗ elektriſchen und elektromagnetiſchen Apparate beſchreibt der Verfaſſer in den vier aufeinanderfolgenden Kapiteln 18— 21. Von Intereſſe iſt unter anderm die Vergleichung der Humboldt. — Februar 1882. Arbeitswerte der Dampfmaſchinen und der Elektromotoren. — In den nun folgenden Abſchnitten wird von den An⸗ wendungen der Elektrizität gehandelt; daß an dieſer Stelle der Beſchreibung der Telegraphenapparate und Telegraphenlinien der größte Raum gewidmet wurde, iſt ſelbſtverſtändlich. — Nicht ſo allgemein bekannt dürfte den meiſten Leſern der Inhalt des 23. Kapitels (Geſchwindigkeit der Signale) ſein. Die drei letzten Abſchnitte des vorliegenden Buches umfaſſen die Beſchreibung der weiteren Anwendungen der Elektrizität, die Lehre von der atmoſphäriſchen und terreſtriſchen Elek— trizität (ein beſonders leſenswertes Kapitel), die Beſchrei—⸗ bung des Seekompaſſes und ſeiner Anwendung. In einem Anhange ſpricht der Verfaſſer vom Telephon und Mikrophon. Vermißt haben wir eine Reihe von Illuſtrationen, die dem Texte hätten mit Leichtigkeit beigegeben werden können, durch welche z. B. die Anordnung der bei den einzelnen Meſſungen gebrauchten Apparate erſichtlich wor- den wäre. Die in dem Buche gebotenen Illuſtrationen laſſen nichts zu wünſchen übrig. Lektüre zu empfehlen, welche mit den elektriſchen und magnetiſchen Meßmethoden ſich auf kurzem Wege vertraut machen wollen; ſie werden in dem Buche ſo viel finden, als ſie benötigen, um das Studium von Detailwerken über Elektrizität mit Erfolg betreiben zu können; es iſt aber hierbei zu bemerken, daß es insbeſon⸗ dere die Arbeiten und Methoden engliſcher Phyſiker ſind, welche berückſichtigt worden ſind. Wien. Prof. Dr. T. G. Wallentin. T. H. Huxleys Feitfaden für praktiſche Bio- logie. Mit Bewilligung des Verfaſſers in das Deutſche übertragen von Dr. Osk. Thamhayn. Stuttgart, Ferd. Enke. 1881. Preis 4 l In erſter Linie ſei gleich dankbar der glückliche Griff anerkannt, mit welchem Ueberſetzer und Verleger das Werk von Huxley: a course of elementary instruction in practical biologie der deutſchen Wiſſenſchaft zugänglicher gemacht haben. Ueber die wiſſenſchaftliche Bedeutung des Originalwerkes ſelbſt ein Wort zu verlieren, heißt eigent- lich Eulen nach Athen tragen. Das Werk beweiſt uns Deutſchen nur, daß wir nachgerade anfangen dürfen, in Bezug auf Methodik des naturwiſſenſchaftlichen Unterrichtes bei den Engländern in die Schule zu gehen. Die bei Trübner in Straßburg erſcheinenden naturwiſſenſchaftlichen Werkchen ſind geradezu klaſſiſche Muſter der populären Darſtellung. Was dieſe aber für den elementaren Unter⸗ richt ſind, iſt Huxleys Leitfaden für den biologiſchen an der Hochſchule, der durchaus nicht überall auf der Höhe der Zeit ſteht. Ich glaube beſtimmt, daß dieſes Werk in wenig Hände kommen wird, in denen es nicht nutzbringend wirken kann. Für Lehrer und Schüler iſt dasſelbe gleich wichtig, ich möchte ſagen unentbehrlich. Betreff des Inhalts jet erwähnt, daß folgende Unter— ſuchungsobjekte gewählt ſind. Hefe, Protococcus, Proteus animalis, Bakterien, Schimmelpilze, Chara Nitella, Farn— kraut, Bohnenpflanze, Glockentierchen, Süßwaſſerpolypen, Süßwaſſermuſcheln, Süßwaſſerkrebs und Hummer, Froſch. Dabei wird zunächſt der allgemeine Charakter des betref— fenden Individuums in bezug auf Vorkommen, Struktur ꝛc. beſchrieben. Nach dieſer vorbereitenden Einleitung beginnt nun der experimentelle Teil, welcher nicht bloß energiſches Studium, ſondern vor allem, um wirklich nutzbar zu wer⸗ den, die praktiſche Durchführung des Geſagten mit Hilfe des Mikroskops, der chemiſchen Prüfung oder des Sezier— meſſers erfordert. Die Beſchreibung und Anweiſung iſt ſtets ſo präzis und klar, daß das Werk ſich eben deshalb in hervorragender Weiſe auch für diejenigen eignet, welche auf dem Wege des Privatſtudiums ſich die nötigen Vor⸗ 81 Daß dieſen Zwecken gegenüber Illuſtrationen dem Werke eine noch weitere Verbreitung ſichern würden, iſt wohl klar. Sachlich möchte ich mir nur betreff der Unterſuchung mit Hefe eine Bemerkung erlauben. Huxley empfiehlt friſche „Bäckerhefe“ zur Demonſtration der endogenen Zellteilung auf Kartoffelſcheiben oder Pariſer Pflaſter zu verteilen; nach 8—9 Tagen werden dann die Ascoſporen ſichtbar. Dem gegenüber möchte ich nun darauf hinweiſen, daß nach Rees auf Möhrenſcheiben die Ascoſporen ſchon nach 6 Tagen ſicher erwartet werden dürfen, und daß weiter für das Gelingen des Experimentes weſentlich iſt, daß untergährige Hefe verwendet wird. Da nun ſolche durchaus nicht immer bei Bäckern zu bekommen iſt, dort vielmehr Preßhefe (ober⸗ gährige) ebenſo häufig verwendet wird, fo könnte dieſes Ueberſehen leicht das Mißlingen dieſes Experimentes ver— ſchulden. Memmingen. Dr. Hans Vogel. | Ludwig Wenghöffer, kurzes Lehrbuch der Chemie Vorzüglich iſt das Jenkin'ſche Werk allen jenen zur n hae 5 80 übungen zu biologiſchen Beobachtungen erwerben wollen. der Kohlenſtoffverbindungen unter beſonderer Berückſichtigung der neueſten Forſchungen. Stutt⸗ gart, Konrad Wittwer. 1882. Preis 12 % Das große Gebiet der organiſchen Chemie oder der Kohlenſtoffverbindungen mit ſeinen Tauſenden und aber Tauſenden von Körpern, ſeinen zahlreichen Theorieen und Nutzanwendungen wird von Jahr zu Jahr ſchwieriger zu überſehen; um den raſchen Fortſchritten der Wiſſenſchaft zu folgen, hat auch der Eingeweihte fortgeſetzte eingehende Studien zu betreiben, während das ſelbſtändige Arbeiten des einzelnen ſich immer mehr auf kleine Zweige des Ganzen konzentrieren muß. Der Studierende bedarf daz her des praktiſchen Leitfadens ſehr notwendig, ſei es, um das von dem Lehrer Vorgetragene, was nur allgemeine Umriſſe bieten kann, eingehender in ſich aufzunehmen, ſei es, um ſich für ſeine beſonderen Zwecke entſprechend vor- zubereiten. Eine große Zahl theoretiſch wie praktiſch ge- bildeter Chemiker wird gegenwärtig beſonders von der umfangreichen Farbeninduſtrie in Anſpruch genommen, deren mannigfaltige Bedürfniſſe und ſtetige Fortſchritte tüchtige und gründliche Schulung ſpeziell in der organi- ſchen Chemie erfordert. An praktiſchen, auf der Höhe der Wiſſenſchaft ſtehenden Lehrbüchern beſteht kein Ueberfluß, das vorliegende wird als ſolches allſeitig willkommen ſein. Das umfangreiche Material geſchickt und gut geordnet verarbeitend, mit Nebenſächlichem nicht verwirrend, dieſes vielmehr nur andeutend, in weſentlichen Auseinander— ſetzungen aber eingehend und verſtändlich, insbeſondere die von der Mehrzahl der Chemiker anerkannten Anſichten über den Aufbau der organiſchen Verbindungen klar dar— legend und fortwährend durch geeignete Formeln paſſend illuſtrierend, dabei die wichtigſten Repräſentanten der chemiſchen Großinduſtrie nach Gebühr behandelnd und die neueſten Arbeiten überall berückſichtigend, ijt dieſes reich— haltige Buch eigentlich bedeutend mehr als ein „Kurzes Lehrbuch“, und ebenſowohl zur Orientierung und zum Studium für den Lernenden wie zum Nachſchlagen und Nachleſen überhaupt vortrefflich geeignet. Nach einer kurz gehaltenen zweckmäßigen Einleitung und Klaſſifikation der Kohlenſtoffverbindungen werden im ſpeziellen Teil die bei— den großen Abteilungen organiſcher Verbindungen, die Fettkörper und die aromatiſchen Verbindungen mit gleicher Ausführlichkeit bedacht; letzteren reihen ſich die Körper von meiſt unbekannter Konſtitution an und ſchließlich folgt einiges über Fäulniß, Gährung und Konſervirung orga- niſcher Stoffe. Bei der durchaus zweckmäßigen und ge— fälligen äußeren Ausſtattung des 48 Bogen ſtarken Buches iſt der Preis desſelben ein mäßiger und wird zu ſeiner Verbreitung, die wir aufrichtig wünſchen, jedenfalls bei- tragen. Frankfurt a. M. Dr. Theodor Peterſen. 82 Numboldt. — Februar 1882. Burkaris Sammlung der wichtigſten europäiſchen Nutzhölzer in charakteriſtiſchen Schnitten, aus⸗ geführt von F. M. Vodany in Wien. 40 Tafeln mit geſchnittenen Hölzern und einem erläuternden Text. Brünn 1880. Preis 20 % Dieſe Sammlung, welche nun vollſtändig erſchienen iſt, erfreut ſich bereits einer allgemein günſtigen Aufnahme, und mit Recht, denn die vorliegenden Schnitte ſind mit der größten Sauberkeit und Sorgfalt ausgeführt und der begleitende Text iſt zwar kurz, aber durchaus zweckent⸗ ſprechend. Das Unternehmen hat laut einer Notiz auf dem Titelblatt die Befürwortung des Kaiſerlichen Unterrichts⸗ miniſteriums, ſowie des Handelsminiſteriums zu Wien gewonnen, was allein für ſeine Brauchbarkeit genügendes Zeugnis ablegen würde. Geſchäftlich iſt das Werk durch Patent für Oeſterreich⸗Ungarn und durch Muſterſchutz für das Deutſche Reich ſicher geſtellt. Das Ganze iſt in vier Serien zu je zehn Nummern abgeteilt, in welchen 40 europäiſche Nutzhölzer zur An⸗ ſchauung und zur Beſprechung gelangen. Jede Serie findet ſich in einer ſoliden Mappe in Buchform, deren Deckel in der geſchmackvollſten Weiſe mit eingelegter Holzarbeit ge⸗ ſchmückt iſt, ſo daß man gleich eine klare Vorſtellung von der Bedeutung der betreffenden Hölzer für das Kunſt⸗ gewerbe bekommt. Die Schnitte ſind dünne Fourniere von 12 em Länge und 4½ em Breite, und ſind dergeſtalt in ſchwarzen Kartonrahmen befeſtigt, daß man ſie bequem auf beiden Seiten betrachten kann. Jeder Rahmen zeigt den Hirn⸗ ſchnitt (Querſchnitt), Spiegelſchnitt (Radialſchnitt) und Fladerſchnitt (Tangentialſchnitt). Außer dem wiſſenſchaft⸗ lichen lateiniſchen Namen und dem deutſchen Namen finden ſich die Trivialnamen noch in fünf modernen Sprachen angegeben. Infolge ihrer praktiſchen Faſſung eignen ſich die Schnitte ganz vortrefflich zur Unterſuchung mittelſt der Lupe. Die Nomenklatur könnte hier und da wohl etwas mehr dem Beſtreben der modernen Botanik, ſich einer kor⸗ rekten Schreibweiſe zu befleißigen, Rechnung tragen. So müßte es wohl heißen: Pirus (ſtatt Pyrus), silvestris (ſtatt sylvestris) u. ſ. w. Die deutſchen Namen ſind durchweg korrekt, wenn auch nicht ganz frei von öſterrei⸗ chiſchen Provinzialismen, wie z. B. „Zwetſchkenbaum“ ſtatt „Zwetſchenbaum“. Für Acer campestre L. hätten wir gern den weit verbreiteten, uralten deutſchen Namen „Maßholder“ angewendet geſehen. Auch die franzöſiſchen und engliſchen Namen ſind korrekt, doch hat ſich auf Tafel 33 bei dem engliſchen Namen des Walnußbaums zweimal der nämliche Druckfehler eingeſchlichen: „Commun Walnut-wood™ jtatt „Common Walnut-wood". Ueber die Korrektheit der böhmiſchen, polniſchen und ungariſchen Trivialnamen müſſen wir Kennern dieſer Sprachen das Urteil überlaſſen. Die Einleitung „über den Bau des Holzes“ leidet ſtellenweiſe an Unklarheit; ſo z. B. iſt der Unterſchied zwiſchen Parenchym und Prosenchym weder klar noch kor⸗ rekt angegeben. Hier hätten wohl einige Abbildungen zur Erläuterung nicht ſchaden können. Auch die techniſchen Eigenſchaften der Hölzer werden kurz im allgemeinen be⸗ ſprochen. Im ſpeziellen Teil des Textes werden die einzelnen Tafeln durchgenommen. Beſprochen werden dann nach der Reihe: 1) Ausſehen und Bau des Holzes; 2) Dicke; 3) Saftgehalt; 4) Schwinden; 5) Quellen; 6) Elaſtizität und Feſtigkeit; 7) Härte; 8) Spaltbarkeit; 9) Dauer; 10) Verwendung. Auf die techniſchen Angaben iſt ganz beſondere Sorgfalt verwendet und es ſind durchweg die beſten Quellen benutzt. Dieſes nützliche Werk kann nicht nur allen gewerb⸗ lichen Schulen unbedingt empfohlen werden, ſondern wird auch für jede andere Schule, ja ſelbſt für die Univerſitäten vom größten Nutzen ſein. Jena. Prof. Dr. Hallier, Bibliographie. Bericht vom Monat Dezember 1881. Allgemeines. Biographien. Abhandlungen der naturforſchenden Geſellſchaft zu Görlitz. 17. Bd. Görlitz, Remers Buchhandlung. M. 5. Archiy f. Naturgeſchichte. Herausgeg. v. F. H. Troſchel. 47. Jahrg. 1881. 3. u. 4. Heft. Berlin, Nicolaiſche Verl.⸗Buchh. M. 19. Aeskulap. Lieder⸗Album für Mediziner und Freunde der Naturwiſſen⸗ ſchaften v. Dr. Supinator brevis. 2. Ausg. Berlin, W. J. Perjer. M. 1. 50. Bibliotheca historico-naturalis, physico-chemica et mathematica. erases. v. F. Frenkel. 31. Jahrg. 1. Heft. Jan. — Juni 1881. öttingen, Vandenhoeck K Ruprechts Verl. M. 1. 20. Bildniſſe berühmter Naturforſcher und Philoſophen aus den wiſſenſchaft⸗ lichen Abhandlungen v. F. Zöllner. 1. Liefg. In Mappe M. 12. Leipzig, Staackmann. Darwin, Ch. Geſammelte Werke. Ueberſ. v. J. V. Carus. 93.95. Liefg. Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagshandlung. a M. 1. 20. Erfindungen und Erfahrungen, neueſte, auf den Gebieten der praktiſchen Technik, der Gewerbe, Induſtrie, Chemie, der Land- und Hauswirt⸗ ſchaft. Herausgeg. v. Th. Koller. 9. Jahrg. 1882. (13 Hefte) pro compl. M. 7. 50. a Heft M. —. 60. Wien, Hartlebens Verl. Heß, W. Streifzüge durch die Natur. Populär⸗wiſſenſchaftliche Schilde⸗ rungen. Hannover, Weichelt. M. 2. 50. Huxley, T. H. Allgemeine Einführung in die Naturwiſſenſchaften. Deutſche Ausg. v. O. Schmidt. Straßburg, Trübner. Geb. M. —. 80. Kaltbrunner, II. Der Beobachter. Allgemeine Anleitung zu Beobach⸗ tungen über Land und Leute. Bearb. v. E. Kollbrunner. 10 Liefg. 8 20 M. 1. 20. Kriſt, J. Anfangsgründe der Naturlehre für die unteren Klaſſen der Mittelſchulen, beſonders der Gymnaſien. 11. Aufl. Wien, Brau⸗ müller. M. 3. Martin, P. L. Die Praxis der Naturgeſchichte. 3 Thl. Naturſtudien. 2. Hälfte. (Schluß.) Weimar, B. F. Voigt. M. 5. : Mühlberg, F. Die allgemeinen Exiſtenzbedingungen der Organismen.“ Aarau, Sauerländers Verlagsbuchh. M. —. 70. Natur, die. Zeitung zur Verbreitung naturwiſſenſchaftlicher Kenntnis und Unterhaltung für Leſer aller Stände. Herausgeg. v. K. Müller. Neue Folge. 8. Jahrg. 1882. Nr. 1. Halle, Schwetſchkeſcher Verl. Vierteljährlich M. 4. Sitzungsberichte der kaiſerl. Akademie der Wiſſenſchaften. Mathemat.⸗ naturwiſſenſchaftl. Klaſſe. 1. Abt. Enth. die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mineralogie, Botanik, Zoologie, Geologie u. Paläonto⸗ logie. 83. Bd. 5. Heft. M. 4. 40. Wien, C. Gerolds Sohn. — Dasſelbe. 2. Abt. Enth. die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mathematik, Phyſik, Chemie, Mechanik, Meteorologie u. Aſtronomie⸗ 83. Bd. 5. Heft u. 84. Bd. 1. u. 2. Heft. M. 13. 90. Wien, C. Gerolds Sohn. 83. 5. M. 3. 50. 84. 1. M. 7. 40. 2. M. 3. — Dasſelbe. 3. Abt. Enth. die Abhandlungen aus dem Gebiete der Phyſiologie, Anatomie u. theoret. Medizin. 84. Bd. 1. Hft. M. 4. 40. Wien, C. Gerolds Sohn. . 9 Zeitſchrift, Jenaiſche, f. Naturwiſſenſchaft. 15. Bd. 3. Heft. Jena, Fiſcher. M. 6. Chemie. Arendt, R. Technik der Experimentalchemie. 2. Bd. 3.—4. Liefg. (Schluß.) Leipzig, L. Voß. M. 3. Beilſtein, F. Handbuch der organiſchen Chemie. 8. Liefg. Leipzig, L. Voß. M. 3 Bötſch, K. Unvollſtändige Verbrennung von Gaſen. Tübingen, Fues. N. —. 90. Claſſen, A. Quantitative Analyſe auf elektrolytiſchem Wege. Aachen, Mayer. M. 2. 40. Grießmähyer, V. Die Verfälſchung der wichtigſten Nahrungs⸗ und Ge⸗ nußmittel vom chemiſchen Standpunkte. 2. Aufl. Augsburg, Lam⸗ part & Co. M. 2. f Heil, H. Unterſuchungen über die Konſtitution des Leueins. Fehſenfeld. M. —. 50. i 3 Heppe, G. Haus wirtſchaftliche Chemie. Leipzig, L. Voß. M. 2. Jahresbericht über die Fortſchritte der Chemie und verwandter Teile anderer Wiſſenſchaften. Herausgeg. v. F. Fittica. Für 1880. 2. Heft. Gießen, Ricker. M. 10. 8 Tabellen zur Reduktion der Gasvolumina auf 0 Grad Stuttgart, Enke. M. 1. Gießen, Liebermann, L. u. 760 od. 1000 Millimeter Queckſilber. Poſt, J. Chemiſch⸗techniſche Analyſe. Handbuch der analptiſchen Unter⸗ ſuchungen zur Beauſfſichtigung des chemiſchen Großbetriebes. 2. (Schluß⸗)Abt. Braunſchweig, Vieweg K Sohn. M. 14. Reiſchauer, C. Die Chemie des Bieres. Herausgeg. v. V. Grießmayer. 2. Ausg. Augsburg, Lampart & Co. M. 2. 50. Ruetz, O. Anleitung zur Prüfung von Trinkwaſſer und Waſſer zu techniſchen Zwecken, nebſt Methoden zur Beurteilung des Trinkwaſſers. Neuwied, Heuſers Verl. cart. M. 1. Schwab, L. Ueber Naphtoläther und das Verhalten desſelben beim Nitriren. Tübingen, Fues. M. —. 50. 8 Siepermann, O. Ueber eine neue Syntheſe ſauerſtoffhaltiger organiſcher Baſen. Tübingen, Fues. M. — 60. . Zeitſchrift für analytiſche Chemie. Herausgeg. v. C. R. Frejenius. 21. Bd. 1. Heft. Wiesbaden, Kreidels Verl. pro compl. M. 12. — Dasſelbe. Autoren- und Sachregiſter zu den Bänden 11—21. Bes arb. v. H. Freſenius u. V. Lenz. Humboldt. — Februar 1882. 83 Phyſil, Phyſikaliſche Geographie, Meteorologie. Formulare der k. meteorologiſchen Sentral-Station München. Nr. 1—4. München, Th. Ackermann. M. 1. 80. Hankel, W. G. Elektriſche Unterſuchungen. 15 Abhandlungen. Ueber die aktino- und piezoelektriſchen Eigenſchaften des Bergkriſtalls und ihre Beziehungen zu den thermoelektriſchen. Leipzig, Hirzel. M. Kritik der Hypotheſen, welche der heutigen Phyſik zu Grunde liegen, zum Behufe e. einheitlichen Naturanſchauung von e. Denker. Köln, Rommerskirchen. M. — 40. Meteorologie, die moderne. 6 Vorleſungen von R. J. Mann, J. K. Laughton, R. Strachan, W. C. Ley, G. J. Symons u. R. H. Scott. Deutſche Orig.-Ausg. 8. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 4. 60. Müller⸗Pouillets Lehrbuch der Phyſik und Meteorologie. 8. Aufl. Be⸗ arb. v. L. Pfaundler. 3. Bd. 2. (Schluß-)Abt. Braunschweig Vieweg & Sohn. M. 6. Scheffler, H. Das Weſen der a des Galvanismus und Mag⸗ netismus. Leipzig, Förſter. M. Schriften der g eee Geſellſchaft zu Königsberg. 22. Jahrg. 1881. Abt. Königsberg, Koch. pro compl. M. 6. Schulze, R. Die phyſitaliſchen Kräfte im Dienſte der Gewerbe, der Kunſt me der Wiſſenſchaft. Frei nach A. Guillemin. Leipzig, Froh⸗ berg. = NG Weidenbach, L. Kompendium der elektriſchen Wiesbaden, Biſchkopff. M. 11. Zwerger, M. Ueber Kältemiſchungen und die in denſelben verbrauchten Wärmemengen. München, Th. Ackermann. M. 2. Telegraphie. 2. Ausg. Aſtronomie. eitſchrift für populäre Aſtronomie. Red. H. J. Klein. 15 Bd. (12 Hefte.) 1. Heft. Leipzig, Scholtze. Sirius. oder Neue Folge 10. Bd. pro compl. M. 10. Mineralogie, Geologie, Geognoſte, Paläontologie. Groth, P graphiſch⸗chemiſchen . d geordnet. Vieweg & Sohn. M. 6. 80. Haushofer, K. Ideale ere Landſchaftsbilder. lith. Kaſſel, Fiſcher. M. 8. aahcbug, neues, f. Mineralogie, Geologie u. Paläontologie. Herausgeg. W. Benecke, C. Klein u. H. Roſenbuſch. Jahrg. 1882. 1. Bd. 5 He. pro 1. Bd. compl. M. 20. Lehmann, R. Neue Beiträge zur Kenntniß der ehemaligen Strandlinien in anſtehendem Geſtein in Norwegen. Halle, Schwetſchkes Verlag. M. 1. 20. Peters, K. F. Mineralogie. Straßburg, Trübner. Geb. M. — 1 Senoner, A. Generalregiſter der Bde. XXI XXX des Jahrbuchs und der Jahrgänge 1871—1880 der Verhandlungen der k. k. geologiſchen erie. Wien, Hölder. M. 6. Zittel, K. A. u. K. Haushofer. Paläontologiſche Wandtafeln u. geolog. Abet. 2, Liefg. Tafel 7—9. Chromolith. Kaſſel, Fiſcher. M. I Botanik. Artus, W. Handatlas ſämtlicher mediziniſch-pharmazeutiſcher Gewächſe. 6. Aufl. 5 15 G. v. Hayek. 7.— 12. Liefg. Jena. Mantes Verl. aM. —. Cohn, F. Die pflanze. Vorträge aus dem Gebiete der Botanik. Bres⸗ lau, Kerns Verl. M. 11. Geb. M. 13. 50. Göppert, H. R. Beiträge zur Pathologie und Morphologie foſſiler Stämme. Kaſſel, Fiſcher. M. 12. Göppert u. G. Stenzel. Die Medulloſeä. Eine neue Gruppe der foſſilen Tabellariſche Ueberſicht der Mineralien, nach ihren kriſtallo⸗ 2. Aufl. Braunſchweig, Taf. 1—4 Chromo⸗ Cycadeen. Kaſſel, Fiſcher. M. 12. Gremli, A. Neue Beiträge zur Flora der Schweiz. 2. Heft. Aarau, Chriſten. M. 1. Hartinger, A. Atlas der Alpenflora. Herausgeg. vom deutſchen und öſterreich. Alpenverein. Nach der Natur gemalt. Mit Text von K. W. V. Dalla Torre. 5. Liefg. Wien, C. Gerolds Sohn. M. 2. Hartinger, A. Atlas der Alpenflora. Schulausg. f. d. Anſchauungs⸗ unterricht. Blatt 1 enth. 14 Pflanzen. Chromol. Wien, C. Gerolds Sohn. M. 2. Hoffmann, C. Pflanzenatlas nach dem Linneſchen Syſtem. 11. u. 12. (Schluß⸗) Liefg. Stuttgart, Thienemanns Verl. a M. — 90. compl. cart. M. 12. Jahrbücher f. wiſſenſchaftliche Botanik. Herausgeg. v. N. Pringsheim. 13. Bd. 1. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 12. Lenz, H. O. Das Pflanzenreich. 5. Aufl. Bearb. v. O. Burbach. 2 Halbbd. Gotha, Thienemann. M. 3. 60. Martius, C. F P. & E. A. Eichler. Flora Brasiliensis. Emmeratio plantarum in Brasilia hactenus detectarum. Fase. 85. Leipzig, F. Fleiſcher. M. 58. 80. Pfeffer, W. Pflanzenphyſtologie. Ein Handbuch des Stoffwechſels und Kraftwechſels in der Pflanze. 2 Bd. Leipzig, Engelmann. M. 10. Schlechtendal, D. F. L., v. L. E. Langethat und E. Schenk. Flora von Deutſchland. 5. Aufl. Herausgeg. v. E. Hallier. 47., 48. u. 49. Liefg. Gera, Köhlers Verl. à M. 1. Seboty, J. Die Alpenpflanzen nach der Natur gemalt. Mit Text von F. vgs 35.37. Heft. Prag, Tempsky. M. 1. Stahl, Ueber ſogen. ene ene Jena, Fiſcher. M. — 75. 5 ‘2. Grasherbarium. Aufl. (10 LieFg.) 1. Liefg. Biele⸗ feld, Helmich. pro compl. M. 15. wagten 13 Illuſtr. deutſche Flora. 2. Aufl. Bearb. u. verm. v. Garcke. 11. Liefg. Stuttgart, Thienemanns Verl. M. — 75. Wilde, A. Unſere eßbaren Schwämme. Kaiſerslautern, Gottholds Buchh. M. — 60. Willtomm, M. reichs und der S M. 1. 25. Führer ins Reich aa Pflanzen Deutſchlands, Oeſter⸗ Schweiz. 2. Aufl. 7. Liefg. Leipzig, Mendelssohn. Zwick, H. f Lehrbuch f. d. Unterricht in der Botanik. lin, Burmeſter & Stempell. M. 1 Phyſtologie, Entwicklungsgeſchichte, Anthropologie, Zoologie. 1. Kurſus. Ber⸗ Archiv, niederländiſches, f. Zoologie. Herausgeg. v. C. K. 9 Suppl.⸗Bd. I. 2. Lfg. Leipzig, Winterſche Verlagsh. M. Berttau, Ph. Bericht über die wiſſenſchaftlichen Leiſtungen im Gebiete der Entomologie während des Jahres 1880. Berlin, Nicolaiſche Berk. - Buchh. M. 10. Braß, A. Abriß der Zoologie. Leipzig, Engelmann. M. 6. Brehms Tierleben. Chromo = Ausg. Vögel. 10. 13. Heft. Leipzig, Bibliogr. Inſtitut. a M. 1. Brühl, C. B. Zootomie aller Tierklaſſen f. Lernende, nach Autopſien ſtizz. Atlas. 23. u. 24. Liefg. Wien, Hölder. a M. 4. Darwin, Ch. Die Bildung der Ackererde durch die Thätigteit der Wür⸗ mer, mit Beobachtung über deren Lebensweiſe. Aus dem Engl. von J. V. Carus. Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagshandl. M. 4. Geb. M. 5. Foſter, M. Phyſiologie. Deutſche Ausgabe von O. Schmidt. Straß⸗ burg, Trübner. Geb. M. — 80. Jahresbericht, zoologiſcher, f. 1880. Herausgeg. von der zoologiſchen Station zu Neapel. Red. v. J. V. Carus. 1. Abth. Leipzig, Engel⸗ mann. M. 10. Kinkelin. Die Urbewohner Deutſchlands. M. 1. 20. Krufenberg, C. F. W. deutung der vergl. Methode f. d. Biologie. Univ.⸗Buchh. M. 1. 20. Leuckart, R. u. H. Nitſche. Zoologiſche Wandtafeln zum Gebrauche an Univerſitäten und Schulen. 5. Liefg. Tafel 12—14 a 4 Blatt Fol. mit Text. Kaſſel, Fiſcher. M. 7. 50 Lindau, Ludwigs Buchholg. Vergleichende phyſiolog. Vorträge. I. Die Be⸗ Heidelberg, C. Winters Martin, Ph. L. Illuſtr. Naturgeſchichte der Tiere. 28. 29. Heft. Leipzig, Brockhaus. à M. — 30. Martini & Chemnitz. Syſtematiſches Conchylien⸗Kabinett. Neue Herausg. v. H. C. Küſter, W. Kobelt und H. C. Weinkauff. 312. Liefg. Nürnberg, Bauer & Raſpe. M. 9. — Dasſelbe. Seftio 98. M. 27. Meyer, A. B. Ueber künſtlich deformierte Schädel von Borneo und Mindanao im königl. anthropologiſchen Muſeum zu Dresden, nebſt Bemerkungen über die Verbreitung der Sitte der künſtlichen Schädel⸗ Deformierung. Leipzig, Teubner. M. 6. Mitteilungen, conchologiſche. Herausgeg. v. E. v. Martens. 2 Bd. 1. u. 2. Heft. Kaſſel, Fiſcher. Schwarz a M. 2. color. AM. 4. Ploß, H. Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropolog. Studien. 2. Aufl. 2 Hlbbde. Berlin, Auerbach. M. 3. Nolph, W. H. Büiologiſche Probleme, zugleich als Verſuch einer ratio— nellen Ethik. Leipzig, Engelmann. M. 3. l te zur Naturlehre des Menſchen und der Tiere. Moleſchott. 13. Bd. 1. Heft. Gießen, Roth. l d. k. k. zoolog.⸗botaniſchen Geſellſchaft in Wien. 1881. 31. Bd. 1. Halbjahr. Leipzig, Brockhaus. M. 10. Zeitung, Wiener entomologiſche. Herausgeg. u. red. v. L. Ganglbauer 2c. 1. Jahrg. 1882. (12 Hefte.) Wien, Hölder. 1. Heft pro compl. M. 8. Zopf, W. Zur Entwickelungsgeſchichte der Ascomyonten. Chaetomium. Leipzig, Engelmann. M. 12. Zwick, H. Leitfaden f. d. Unterricht in der Naturgeſchichte. Tierkunde. 1. Kurs. 2. Aufl. Berlin, Burmeſter & Stempell. M. —. 30. Geographie, Ethnographie, Reifewerke. Chavanne, J. Die mittlere Höhe Afrikas. Wien, Gerold & Co. M. 1. 80. Daniel, H. A. Illuſtr. kleineres Handbuch der Geographie. 8.— 11. Liefg. Herausgeg. M. 4. Jahrg. Leipzig, Fues Verl. M. —. 60. te Daniel, H. A. Handbuch der Geographie. 5. Aufl. 29. u. 30. Liefg. Leipzig, Fues Verl. a M. 1. Im Lande der Mitternachtſonne. Sommer- und Lappland und Nord⸗ Leipzig, Hirt & Du Chaillu, P. B. Winterreiſen durch Norwegen und Schweden, La Finnland. Frei überſ. von A. Helms. 4.5. Liefg. Sohn. à M. 1. Globus. Illuſtr. Zeitſchrift für Länder⸗ und Völkerkunde. Begr. von K. Andree. Herausgeg. v. R. Kiepert. 41. Bd. Nr. 1. pro compl. M. 12. Handatlas, großer, des Himmels und der Erde. Bearb. v. H. Kiepert, C. F. Weiland, C. u. A. Gräfe, C. Bruhns, O. Delitſch, Rud. Arnd. 49. Aufl. 72 Bl. in Kpfrſt. m. Farbendr. u. Kol. M. 83 — Auswahl in 49 Bl. M. 50. Hellwald, F. v. Naturgeſchichte des Menſchen. 12. Liefg. Stuttgart, Spemann. M. —. 50. 8 * Kloeden, G. A. v. Handbuch der Erdkunde. 4. Aufl. 4 Bd. 2 Liefg. Berlin, Loango-Expedition, die, forſchung Aequatorial-⸗Afrikas 1873—1876. Gußfeldt, J. Falkenſtein, E. Pechuel⸗Loeſche. Leipzig, Frohberg. M. 15. Nordenſtjold, A. E. Frhr. v. un auf der Vega. 18781880. 15.— 17. Liefg. M. 1. Oberländer, R. Fremde Bolter, Ethnographiſche Schilderungen a. d. alten und neuen Welt. 4. Liefg. Leipzig, Klinkhardt. M. 1. 50. Semper, C. Reiſen im Archipel der Philippinen. 2. Thl. Wiſſenſchaftl. Reſultate. 2 Bd. Malacologiſche Unterſuchungen von R. Bergh. Suppl.⸗Heft II. Wiesbaden. Kreidels Verlag. M. 20. Stielers, A. Handatlas über alle Teile der Erde. Neu bearb. von A. Petermann, A. Berghaus, C. Vogel. 29. Liefg. Gotha, J. Perthes. M. 1. 80. Weidmannſche Buchh. M. 1. ausgehend v. d. deutſchen Geſellſchaft zur Er⸗ Ein Reiſewerk von P. 3. Abth. 1. Hälfte. Die Umſeglung Aſiens und Europas Leipzig, Brockhaus. 84 Humboldt. — Februar 1882. Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im Februar 1882. (Mittlere Berliner Zeit.) | Roter Fleck auf A. 1973 Algol 160 U Cephei 1651 6 Librae 5h 14™ ? 10 24" N II A 7 46 | 1 ean: f 7 96m § J 1 43 15% 9) III E m h 92m 2 15 525 1 5 5 „ Cancri 4 1 89 S 3 gh 24a | 3 5 | 11. 9m 5 6/1120 U Coronae 157 U Cephei 145 ae 1 01 66 54m | 6 7 12% O N I A 12% 40" 7 SHERI e eee, 10s 9 01 gt ga | 8 | Sh m 3h m A | ; h m 1 it 85 05 12 0 11 125 228 0 . Librae 4 10" 10" 10 S 111573 U Cephei ee I. 11 dh 18 11" 48 12 86 f. 09 em | 13 7» 39 13 h m h 3 ihr h 7m 15 15 100 105 toy el 1552 6 Librae Sil 16,8 34m A I A 1253 8 Cancri 1570 U Cephei ( 10 55m 17 4 a 105 8855 1 6 II 18 6 460 18 Bg 12 33™ |19 194 tga ff @ 20 Sh 24m 20 2101170 Algol 1456 U Cephei m S * h m 22 155 145 0 1458 8 Librae 106 2m 22 23 10 30 9] I A 3 24759 Algol 55 30™ 108 39" 8 39” E. h. fe 11" 40 24 6 49m 5 0 3 17 f g 14 A. d. 5 53 Tauri 6 25 ; 7 32m 25 26.70 30 A II A {1483 U Cephei 27 gn 10" 27 28 155 oe i 15 ö 1 Caneri 6 Neueſte Mitteilungen. Eine thermiſche Wage. 5. V. Langley. Chem. News 1881, Vol. 43, pg. 6. Werden durch zwei dünne Stahl⸗, Platin- oder Palladiumbleche zwei gleich ſtarke Ströme geleitet, die dann durch die Spiralen eines Differentialgalvanometers gehen, jo wird bei Be⸗ ſtrahlung des einen Plättchens dasſelbe erwärmt, ſein Wiederſtand erhöht und dadurch ein Ausſchlag des Galvanometers bewirkt. Die Empfindlichkeit des Apparats übertrifft die der Thermoſäulen, indem derſelbe nach 1/s0000 Grad Fahrenheit — / ooos Grad Celſius angeben ſoll. B. Joſſile Vögel. Die Zoologie kann ſich heutigen Tages nicht mehr damit begnügen, nur die lebenden Formen in das Bereich ihrer Unterſuchungen zu ziehen, ſondern man hat einſehen gelernt, daß erſt durch das eingehende Studium der ausgeſtorbenen Fauna mit Humboldt. — Februar 1882. 85 Berückſichtigung der Entwickelungsſtadien, die das ſetzten ſich auf ſehr feine ins Aquarium geworfene Individuum vom Ei an durchläuft, das richtige Ver— ſtändnis für die Stellung der heutigen Tiergruppen zu einander gewonnen werden kann. So lehrt uns die vergleichende Anatomie, daß die foſſilen Vogel— reſte auf eine ſehr nahe Verwandtſchaft der Vögel mit den Reptilien (Eidechſen 2c.) hindeuten, jo daß mit Berückſichtigung der vorweltlichen Typen Vögel und Reptilien von ſyſtematiſchem Standpunkt aus als eine zuſammengehörige Tiergruppe betrachtet werden können. Zahlreiche Vogelreſte ſind von Profeſſor Marſh in der amerikaniſchen Kreideformation gefunden worden, darunter ganz merkwürdige Geſtalten, die unter ſich eine weit größere Verſchiedenheit zeigen, als irgend zwei Vögel der Jetztwelt. Es fet hier nur des Ich- thyornis dispar (Fiſchvogel) gedacht, eines Waſſer— vogels, der die Größe einer Taube erreichte, deſſen Kiefern mit ſpitzen, zuſammengedrückten Zähnen be— ſetzt waren und deſſen Wirbel die Geſtalt der an beiden Enden uhrglasförmig nach innen gewölbten Fiſchwirbel hatten (bikonkave Wirbel); das Bruſt⸗ bein mit ſtark entwickeltem Kiel deutet auf einen guten Flieger. In Hesperornis regalis dagegen kennen wir einen Taucher von vier bis fünf Fuß Höhe mit Wirbeln, die wie die der lebenden Vögel gebaut ſind, deſſen Kiefer aber mit dichtgeſtellten Zähnen beſetzt waren; das Bruſtbein war ungekielt (wie beim Strauß), die Flügelknochen waren ſchlecht entwickelt, alſo auch die Flügel verkümmert. Vor zwanzig Jahren erregte ein in den ſoge— nannten Solenhofer Schiefern, einem juraſſiſchen dich— ten, plattigen Kalkſtein, welcher in der ganzen Welt zu lithographiſchen Zwecken Verwendung findet, auf— gefundenes Foſſil, der Archiiopterix macrurus, das größte Aufſehen; beſonders die zugehörigen Federn, verwieſen auf einen Vogel, während der Skelettbau, namentlich der aus zahlreichen Wirbeln beſtehende lange Schwanz, mehr auf die Reptilien hindeutete. Vor drei Jahren iſt, ebenfalls in Solenhofen, ein zweiter Auchäopterix gefunden worden, der von dem Berliner Muſeum angekauft wurde, während der erſte im britiſchen Muſeum in London aufgeſtellt ijt. Pro— feſſor Marſh, der ausgezeichnetſte Kenner foſſiler Vögel, hat neuerdings auch den Aechiopterix der alten Welt einer eingehenden Unterſuchung unterzogen und gefunden, daß deſſen Wirbel ebenfalls zum Teil bikonkav ſind, und ſeine Kiefer Zähne trugen; als beſonders bemerkenswert hebt er ferner die Thatſache hervor, daß die das Becken bildenden Knochen nicht miteinander verwachſen, ſondern getrennt waren, was bei keinem einzigen ausgewachſenen lebenden oder foſſilen Vogel vorkommt, ſondern nur bei jungen Vögeln und auch bei den Dinoſauriern, einer aus— eſtorbenen Gruppe der Reptilien (Iguanodon). Auch bier ſehen wir demnach wieder die ſo oft beobachtete Uebereinſtimmung anatomiſcher Merkmale der Jugend— zuſtände eines Tieres mit ſolchen ſeiner im ausge— wachſenen Zuſtande ganz anders gebauten Vorfahren. Alle bis jetzt gefundenen Vögel der Kreideformation find Waſſervögel, die der Juraformation Landvögel. Amer. journ. of science. Third series. Vol. XXII, Nr. 130. October 1881. W. Sch. Wie Vohrſchwämme ihre Höhlen in Aufter- ſchalen bohren, ijt jüngſt von Naſſonow in der zoologiſchen Station von Sewaſtopol beobachtet wor— den. Die ganz jungen Schwämmchen von Clione Kalkplättchen von Auſterſchalen feſt und bohrten dann mittelſt ausgeſtreckter Protoplasmaausläufer die Ober— fläche der Kalkplatte in Form einer Roſette an, was auf einen chemiſchen Auflöſungsprozeß ſchließen läßt; denn die Nadeln ſind zu klein und die Kraft, mit der ſie bewegt werden können, iſt jedenfalls ſehr gering. Nachdem die feinen Ausläufer tief genug eingedrun⸗ gen ſind, vereinigen ſie ſich untereinander und ſchnei— den dadurch winzige halbkugelförmige Stücke aus der Kalklamelle heraus, welche dann durch Kontraktion in die Körperhöhle gelangen und zuletzt nach außen befördert werden. In die fo entſtandene Höhle dringt alsdann der Schwammkörper ein; auf der Stelle der Roſette bildet ſich eine Ausfuhröffnung (Osculum) und im Innern ſetzt der junge Schwamm ſeine Bohr— thätigkeit fort. (Zool. Anzeiger. 1881.) Rb. Kornrade giftig. In Frankreich angeſtellte Ver⸗ ſuche weiſen auf die giftige Wirkung der Samen der Kornrade, Agrostemma Githago L., hin. (S. Archiv der Pharmazie, Bd. 214, S. 87.) — Auch Ulbricht: Die Kornraden als Futtermittel und als Brennmate— rial (ſ. Zentralblatt für Agrikulturchemie 1880, S. 34) hält die Benutzung der Kornraden als Futtermittel für nicht ungefährlich. G. Sternanis giftig. In den Früchten des japa⸗ niſchen Sternanis (jap. Shikimi-no-ki), Illicium re- ligiosum, welcher vielleicht nur als Varietät des echten Sternanis, IIlieium anisatum, zu betrachten iſt, findet ſich nach Eykman ein giftiger, kriſtallini— ſcher, in Waſſer ſchwer löslicher Beſtandteil. Der⸗ ſelbe fehlt in dem ätheriſchen und fetten Oele und wird von Eykman mit dem Namen Sikimine be— zeichnet. Gegen dieſe Vergiftungsfälle, welche in Ja— pan ſchon mehrmals vorgekommen find, wendete neuerdings Dr. Langgaard als Gegenmittel mit Cr- folg Chloralhydrat an. (Mitteilungen der deutſchen Geſellſchaft für Natur- und Völkerkunde Oſtaſiens. 1881. Heft 23.) 85 Japaniſche Nadelhölzer. In einem vor der Linnean Society gehaltenen Vortrage gibt Maxwell Maſters für Japan an Koniferen an 13 Gattungen (darunter eine endemiſche) und 41 Arten (darunter 22 eigentümliche); 9—10 Arten hat Japan und das nordöſtliche Aſien gemeinſam. Enge Beziehungen finden ſich beſonders mit China, viel weniger mit Nordamerika. Der Vortragende glaubt, daß in Japan ein Entwickelungszentrum zu ſuchen ſei, von welchem aus dieſe Koniferen ſich weiter verbreiteten. (Journ. of Bot. New Ser. 1881. X. Nr. 218. Febr. p. 61.) G. Wirkung kleinſter Organismen. Zuerſt im Jahre 1872 und wieder 1880 zeigten ſich am Grunde des Adriatiſchen Meeres ausgedehnte ſchlei— mige Maſſen, welche die Maſchen der Fiſchernetze ausfüllten und die Fiſcherei bedeutend hinderten. Die Maſſe wird nach Syrski und Caſtracane durch die außerordentlich ſtarke Vermehrung einer kleinen einzelligen Alge aus der Gruppe der Diatomeen, Nitzschia Closterium, welche noch mit andern Diatomeen untermengt iſt, gebildet (nach Zanardini ſoll die Urſache eine andre kleine Alge aus der Gruppe der Palmellaceen, Dermogloia limi, ſein). Die zeitweiſe ungeheure Vermehrung dieſer Pflänzchen wird nach Caſtracane durch verminderten Salzgehalt des Meeres hervorgerufen, indem nach 86 Humboldt. — Februar 1882. ſchneereichem Winter durch plötzliches Schmelzen des Schnees auf den Alpen und Apenninen der Po und ſeine Zuflüſſe ungeheuer anſchwellen. Es iſt dies ein neuer Beweis dafür, daß unter Umſtänden auch die kleinſten Organismen durch ihre maſſenhafte Ver⸗ mehrung⸗ ſchädlich werden können. In ähnlicher Weiſe wurde ein andrer kleiner Organismus, Colletonema neglectum, der Reiskultur einige Jahre vorher gefährlich, indem deſſen zarte Schläuche einen dichten Ueberzug über den hervorbrechenden Keimen der Reis⸗ pflänzchen bildeten. — Vergl. Conte Francesco Castracane, Straordinario fenomeno della vita del mare, osservato nell’ Adriatico nella estate del 1880. (Estr. dagli Atti dell’ Accad. pontif. de’ Nuovi Lincei. Tomo 34. Sessione del 19 Dicembre 1880.) 1. Der transatlantiſche Transport gefrorener Hifdie wird nunmehr im großen Maßſtabe auf be⸗ ſonders dazu eingerichteten Schiffen ausgeführt. Wie „Engineering“ vom verfloſſenen Monat Auguſt berich⸗ tet, lag zur Zeit an den weſtindiſchen Docks Londons die Dampfyacht „Diana“, mit welcher die intereſſante Frage der Möglichkeit des Transportes friſcher Lachſe von der Hudſonsbay nach England gelöſt wurde. Das Fahrzeug gehört der Hudſonsbay⸗Kompagnie und iſt von der Bell⸗Coleman Mechanical Refrigerations-Kompagnie zu Glasgow mit einem ihrer patentirten Trockenluft⸗ Refrigeratoren nach der Erfindung J. J. Colemans ausgerüſtet. Der Schiffskörper iſt luftdicht und mit einem ſchlechten Wärmeleiter umkleidet; er kann etwa 35 Tonnen Fiſche faſſen, welche in einer Temperatur von 7 bis 8 Grad C. unter Null während der ganzen Reiſe erhalten werden. Dieſe Fiſche, Lachſe der ſchönſten Art, werden in Mengen von etwa 3 Tonnen täglich gefangen und ſofort nach dem Schiffe geſchafft, wo ſie kalt geſtellt werden. Bei der Oeffnung der Kalt⸗ luftkammer in London fanden ſich dieſe Fiſche in ganz ausgezeichnet gutem Zuſtande. Schw. Bezüglich der Elektrizitätsleitung durch feuchte Tuft hat der italieniſche Phyſiker, Marangoni, neuer⸗ dings Verſuche angeſtellt, durch deren Reſultate der bisherigen Anſchauung, daß feuchte Luft ein guter Elektrizitätsleiter ſei, beſtimmt entgegengetreten wird. Der Genannte verfuhr in der Weiſe, daß er eine Leydener Flaſche ſtark erwärmte, um den Niederſchlag der Feuchtigung an derſelben zu verhüten, und fand, daß bei dieſer Vorſichtsmaßregel die Flaſche in feuch⸗ ter Luft ebenſo lange Funken gab, wie in der trockenen Luft. Wird die Leydener Flaſche nicht erwärmt in feuchte Luft gebracht, ſo ſetzt ſich an der Flaſchen⸗ wandung eine dünne Waſſerſchicht ab, welche eine unmerkliche Ausſtrahlung der Elektrizität bewirkt, und hierdurch kam man zu der irrtümlichen Anſicht, daß die Entladung durch die feuchte Luft direkt verlang⸗ ſamt werde. Schw. Elektriſche Beleuchtung der Städte. In Eng⸗ land macht die Einführung der elektriſchen Beleuch⸗ tung raſchere Fortſchritte als in irgend einem andern Lande. Nicht nur ſind die meiſten Bahnhöfe, Ver⸗ ſammlungsſäle und Ausſtellungsräume Londons mit elektriſchem Lichte erhellt, ſondern auch ein großer Teil der verkehrreichſten Straßen der City wird be⸗ reits probeweiſe elektriſch beleuchtet. Die an hohen eiſernen Maſten aus zierlichem Gitterwerk aufgehäng⸗ ten Siemensſchen Lampen, welche die Zufahrt aus Cheapſide und Poultry zur London⸗Bridge erhellen, haben ſich durch ihren gleichmäßigen, dem Auge wohl⸗ thuenden Glanz die allgemeine Zufriedenheit erworben. Die Southwark⸗Bridge und ihre Zufahrtſtraßen ſind mit Bruſh⸗Lampen, die Blackfriars⸗Bridge und die anliegenden Straßenzüge mit Jablohkoff-Kerzen be⸗ leuchtet. Auch in andern engliſchen Städten bricht ſich die Verwendung des elektriſchen Lichtes für Straßen⸗ beleuchtung immer mehr Bahn. Für Nebenſtraßen will man zur Ergänzung teilweiſe Oelbeleuchtung in Anwendung bringen. Die kleine Stadt Godalming hat die Gasbeleuchtung vollſtändig abgeſchafft. P. Zum Ehrengedächtnis von Alexander von Hum⸗ boldt. Eine jede Nation fühlt ſich wohl verpflichtet, die Erinnerung an ihre ausgezeichneten Männer rege zu erhalten, und nicht bloß durch Schrift, ſondern auch wohl durch Konterfei ihr Andenken zu feiern. Gr. Oswald de Kerkhowe de Denterghem hat 1877 ein höchſt intereſſantes Werk über Palmen ver⸗ öffentlicht, in welchem er in dem Abſchnitte über Litteratur auch die Abbildungen der um dieſe Pflan⸗ zenfamilie hochverdienten Autoren gibt, wie Alexan⸗ der von Humboldt, Martius und Blume, ſich dabei aber in der Perſon von Alexander von Humboldt vergriffen, indem er nicht das Bild dieſes Heroen der Litteratur aller Zeiten, ſondern das ſeines Bruders, Wilhelm von Humboldt, liefert, der bekanntlich ebenfalls, jedoch in einem andern Fache der Litteratur, außerordentlich hoch geſchätzt wird. Da ich mich noch ſehr genau auf ſeine Perſönlichkeit er⸗ innere (ich ſah ihn einſt im Februar 1825 in einer Abendgeſellſchaft bei dem damaligen Präſidenten unſ⸗ rer Medizinal⸗Angelegenheiten, Dr. Ruſt, in Berlin), erkannte ich augenblicklich dieſe Verwechſelung. Der S. 155 des oben genannten Werks gelieferte Holzſchnitt iſt in der That eine nur mäßig gelungene Kopie der nach dem Bilde von Krü⸗ ger, eines in den damaligen Berliner Kreiſen ſehr geſchätzten Porträteurs, gefertigten Lithographie, welche, wie auch die von Alexander, noch ziemlich ver⸗ breitet iſt, daher man ſich ſehr leicht von der Richtigkeit meiner Angabe überzeugen kann. Bei einer gewiß wohl bald zu erwartenden neuen Ausgabe des er⸗ wähnten, für einen großen Kreis von Leſern berech⸗ neten Werkes, wird der Herr Verfaſſer gewiß bemüht ſein, dieſen Fehler zu verbeſſern. Beide Brüder ſahen ſich übrigens einander ſehr wenig ähnlich. Gppt. Torentz +. Am 6. Oktober 1881 ſtarb der als Mooskenner geſchätzte und um die Erforſchung der ſüdamerikaniſchen Flora hochverdiente Botaniker Prof. Dr. Lorentz in Concepſion del Uruguay an einer Lungenentzündung. (S. C. Bänitz, Proſpekt für 1882. XV. Jahrgang.) G. | { ( un yp ul { so TONNE } ty i | Mts! \ Der Sturm am 14. und 15. Oktober 1881. Von Dr. J. van Bebber, Abteilungs- Vorſtand der deutſchen Seewarte in Hamburg. Abgleich in den letzten Jahren das Intereſſe für Witterungserſcheinungen beim Publi— kum in ſehr erheblichem Maße zugenommen Jhat und insbeſondere die Aufmerkſamkeit auf die Verwertung der Wettertelegraphie für das praktiſche Berufsleben, ſei es zum Wohle der Küſten— bevölkerung und der Schiffahrt, oder zum Nutzen der Landwirtſchaft in eminentem Grade hingelenkt wird, obgleich für die Verbreitung von Witterungsthat⸗ beſtänden ſo außerordentlich viel gethan wird, daß keine Deutſche Zeitung, welche irgend welche Bedeutung beanſprucht, eines täglichen Wettertelegramms von der Seewarte entbehrt, obgleich die Zuſtände und Wand— lungen in unſrem Luftkreiſe mit dem materiellen und geiſtigen Wohle vieler Berufsklaſſen in innigem Zu⸗ ſammenhange ſtehen: ſo vermißt man doch ein allge— meines Verſtändnis der Grundlehren der modernen Meteorologie und der bei der Verwertung derſelben leitenden Prinzipien, mehr als man in der That er⸗ warten ſollte. Daher dürfte es ſich empfehlen, ehe ich zu meinem eigentlichen Gegenſtande übergehe, einige grundlegende Bemerkungen in gedrängter Kürze vor- auszuſchicken. Die Atmoſphäre, welche unſern Erdball in ver- hältnismäßig dünner Schichte umgibt, hat die hervor- ragende Eigentümlichkeit, daß ihre Teilchen leicht ver— ſchiebbar find, und daher reſultiert aus jeder Ber- ſchiedenheit im Luftdrucke in derſelben Höhenſchichte eine horizontale Luftbewegung, die wir Wind nennen, und zwar ſtrömt die Luft aus der Gegend des größern in diejenige des geringern Druckes. Da beſtändig Urſachen (namentlich Wärme und Feuchtigleit) wirken, welche eine Luftdruckänderung hervorbringen, ſo iſt Humboldt 1882. auch das Gleichgewicht der Atmoſphäre beſtändig mehr oder weniger geſtört, und da dieſe ſich beſtrebt, das geſtörte Gleichgewicht wieder herzuſtellen, und dieſes Streben nie ganz befriedigt wird, ſo iſt die Luft in beſtändiger Bewegung, die zeitweiſe einen außer— ordentlich hohen Grad erreicht und dann als Sturm bezeichnet wird. Es iſt ohne weiteres klar, daß in irgendwelcher Höhe einer Luftſäule der Druck der darunter befind— lichen Luft nach oben zu abnehmen muß, und da man das Geſetz kennt, nach welchem der Luftdruck mit der Höhe abnimmt, ſo iſt es möglich, alle Barometerſtände, welche die Maße für den Luftdruck in beſtimmter Höhe und zu beſtimmter Zeit angeben, durch Rech— nung ſo umzuändern (zu reduzieren), als wenn alle in einer Höhe, z. B. im Meeresſpiegel, abgeleſen worden wären, wobei allerdings für die Abnahme der Temperatur mit der Höhe, die oft ſehr große Schwan— kungen zeigt, konſtante Werte in die Rechnung ein geführt werden müſſen, wodurch für größere Seehöhen das Reſultat um einige Millimeter unrichtig ſein kann. Um ſich ein klares Bild von der Luftdruckver— teilung zu machen, werden die auf das Meeresniveau reduzierten Barometerſtände in eine ſynoptiſche Karte mit möglichſt großem Gebiete eingetragen und die Orte mit gleichen Barometerſtänden durch Linien mit einander verbunden, welche von 5 zu 5 mm ausge- zogen werden (Iſobaren). Der Ort auf der Karte, wo das Barometer tiefer ſteht als in der ganzen Umgebung, heißt das barometriſche Minimum, und die dasſelbe umgebende Gegend die barometriſche Depreſſion; dagegen der Ort des höchſten Baro- meterſtandes das barometriſche Maximum. 12 * 5 88 Humbolot. — März 1882. Betrachten wir die Karte vom 14. Oktober 8 Uhr abends (Karte II), welche in vieler Beziehung ſehr lehr⸗ reich iſt, ſo befindet ſich een Minimum an der Weſtküſte Jütlands: wohin wir uns von dort aus auch wenden, nach allen Seiten ſteigt der Luftdruck an, raſch nach Oſten, Süden und Weſten, langſamer nach Norden. Ein zweites Minimum liegt im hohen Norden, weſt⸗ lich von Norwegen. — Entfernen wir uns aber z. B. nach Südweſten, ſo werden wir einen Ort angeben können, wo das Barometer höher ſteht, als in der ganzen Umgebung (barometriſches Maximum). Nachdem wir uns eine klare Vorſtellung von der Luftdruckverteilung verſchafft haben, verſuchen wir es, dieſelbe in Beziehung zu bringen zu den Wind⸗ verhältniſſen. Die auf der Karte befindlichen ge⸗ fiederten Pfeile geben ſowohl die Richtung, als auch die Stärke des Windes an, indem einerſeits der Pfeil mit dem Winde fliegt, und anderſeits die Stärke des Windes durch die Anzahl der Fieder illuſtriert wird. Es bedeutet: 1 Fieder — leichten Wind, 2 Fieder — mäßigen, 3 Fieder — ſtarken, 4 Fieder — ſtür⸗ miſchen Wind, 5 Fieder — vollen Sturm und 6 Fie⸗ der Orkan. Die Legende zu den übrigen Zeichen für Bewölkung und Hydrometeore finden ſich am Fuße der Wetterkarte I. — Auf der Wetterkarte ſind zwar alle Windrichtungen vertreten und auf den erſten Blick möchte es ſcheinen, als wenn alle Windpfeile ohne Wahl bunt durcheinander gewürfelt wären; allein eine aufmerkſame Betrachtung zeigt ein einfaches Ge⸗ ſetz, welches uns einen klaren Einblick in die Luft⸗ zirkulation über Europa geſtattet. Betrachten wir zunächſt die das Minimum umgebende Gegend (Karte!), ſo gruppieren ſich um dasſelbe die Winde folgender⸗ maßen: Auf der Südſeite des Minimums wehen weſtliche und ſüdweſtliche, auf der Oſtſeite ſüdliche und ſüdöſtliche, auf der Nordſeite nördliche und nord⸗ öſtliche und auf der Weſtſeite nördliche und nordweſt⸗ liche, ſo zwar, daß die Luftmaſſen ſich dem Minimum in ſpiralförmigen Bahnen nähern. — Unterſuchen wir ferner die Luftbewegung um das Gebiet des höchſten Luftdrucks, ſo ſehen wir die Luft allenthalben ab⸗ ſtrömen, aber nicht geradlinig zum tiefſten Luftdrucke, ſondern ſtark nach rechts abgelenkt. Dieſe Verhält⸗ niſſe laſſen ſich zu dem einfachen Geſetze zuſammen⸗ faſſen: Kehrt man dem Winde den Rücken, ſo zeigt für die nördliche Hemiſphäre die linke etwas nach vorn erhobene Hand auf den niedrigen Luftdruck, die rechte etwas nach hinten erhobene Hand auf das Ge- biet mit hohem Luftdrucke. Dieſes Geſetz hat ſich durch die Erfahrung vollkommen beſtätigt und bildet die Grundlage der modernen Witterungskunde. Ohne mich auf die theoretiſche Begründung dieſes Geſetzes weiter einzulaſſen, will ich nur kurz erwähnen, daß die Ablenkung des Windes nach rechts in der Erd⸗ rotation, ſowie in dem Beharrungsvermögen der Körper ihren Grund hat. — Ferner weht unter den⸗ ſelben Verhältniſſen der Wind um ſo ſtärker, je größer die ſenkrecht zu den Iſobaren gemeſſenen Druckunter⸗ ſchiede oder Gradienten ſind, welch' letztere die nach jener Richtung gemeſſenen Druckunterſchiede (in Milli⸗ metern) auf die Strecke eines Meridiangrades an⸗ geben. Ein Blick auf die Karte überzeugt uns ſofort von der Richtigkeit obiger Behauptung: überall, wo die Iſobaren dicht gedrängt liegen, alſo die Druck⸗ unterſchiede (Gradienten) groß ſind, herrſcht ſtarke oder ſtürmiſche Luftbewegung und dort wehen nur ſchwache Winde, wo die Iſobaren weiter auseinander treten. Während die Gebiete mit hohem Luftdruck nur langſam ihren Ort verändern, und über derſelben Gegend oft mehrere Tage faſt unverändert lagern, wodurch ſie der Witterung den Charakter der Be⸗ ſtändigkeit geben, ſind die Minima meiſt in ſtetiger und raſcher Bewegung begriffen. Die mittlere Ge⸗ ſchwindigkeit der Minima für Europa (für den atlan⸗ tiſchen Ozean gilt nahezu dasſelbe, für Amerika iſt dieſelbe beträchtlich größer), fand ich aus den 5 Jahren 1876 bis 1880 7,4 m pro Sekunde, welche Geſchwin⸗ digkeit einem mäßigen bis friſchen Winde entſpricht. Jedoch iſt dieſelbe in den einzelnen Fällen ſehr ver⸗ ſchieden: manchmal erſcheinen Minima tagelang ſta⸗ tionär, manchmal ſchreiten ſie mit Sturmesgeſchwin⸗ digkeit fort. Die Fortbewegung erfolgt meiſtens nach öſtlicher, nordöſtlicher und ſüdöſtlicher Richtung, ſelten rein ſüd⸗ oder nordwärts, und äußerſt ſelten nach Weſten hin. Dabei verfolgen die Minima ge⸗ wiſſe Zugſtraß en, die je nach der Jahreszeit mehr oder weniger beſucht ſind und dieſe ſind für die aus⸗ übende Witterungskunde von hervorragender Bedeu⸗ tung. Nehmen wir die britiſchen Inſeln als Aus⸗ gangsgebiet an, wo die Minima, die teils von Grön⸗ land und Island, teils vom mittlern nordatlantiſchen Ozean, teils aus niederen Breiten zuerſt erſcheinen, ſo verläuft eine außer im Frühjahr ſehr frequentierte Zugſtraße von der Weſtküſte Irlands und Schott⸗ lands der norwegiſchen Küſte entlang über den Polar⸗ kreis hinaus und teilt ſich dann in drei Zugſtraßen, von denen die eine nordwärts zum Eismeere, die andre häufiger beſuchte zum weißen Meere und die dritte ſüdoſtwärts nach dem Innern Rußlands führt. Im hohen Norden nimmt dieſe Zugſtraße noch diejenigen Minima auf, welche insbeſondere von Island kommen. Die Minima, welche ſich auf dieſer Straße bewegen, bringen uns mit ſüdweſtlichen Winden ozeaniſche Luft, trübes Wetter mit Niederſchlägen, wodurch die Hitze des Sommers und die Kälte des Winters gemildert wird. Diejenigen, welche über Nordſkandinavien nach Südoſt umbiegen, haben für unſre Gegenden nord⸗ weſtliche Winde im Gefolge mit veränderlichem Wetter und ſinkender Temperatur. Andre drei Zugſtraßen durchziehen, von den bri⸗ tiſchen Inſeln ausgehend, das Nord- und Oſtſeegebiet in ſüdöſtlicher, öſtlicher und nordöſtlicher Richtung und vereinigen ſich dann zu einer einzigen Zugſtraße, welche von Südſchweden oder der mittleren Oſtſee nach dem weißen Meere hinführt. Die auf ihr ſich bewegenden Minima bringen bei meiſt ſüdweſtlichen Winden zunächſt Trübung, Niederſchläge und Erwärmung, dann Auf⸗ klaren und Abkühlung, ſehr oft vollſtändigen Wetter⸗ umſchlag und nicht ſelten ſtürmiſche Witterung. Humboldt. — märz 1882. 89 Eine weitere Zugſtraße endlich, welche beſon— ders im Frühjahre ſtark beſucht iſt, führt vom Süd— weſten der britiſchen Inſeln ſüdoſtwärts durch Frank— reich nach dem Mittelmeerbecken, vereinigt ſich hier mit einer aus den weſtlichen Teilen des Mittel— meers kommenden Straße und verläuft dann ent— weder oſtwärts zum ſchwarzen Meere oder nord— oſtwärts nach Finnland. Die auf ſüdöſtlicher Straße fortſchreitenden Minima bringen unſern Gegenden öſtliche Winde, trockenes und im Sommer heißes, im Winter kaltes Wetter, dagegen die vom Mittel— meer nordöſtlich ſich bewegenden für Süd- und Oſt— deutſchland Trübung, naßkaltes Wetter, nicht ſelten Schneeſturm. Die meiſten Minima gehen nördlich an uns vorüber, dabei ſetzt der Wind aus Südoſt ein, wird ſtärker, das Barometer fällt, die Bewölkung nimmt zu, Niederſchläge fallen und die Temperatur ſteigt; geht das Minima vorüber, ſo dreht der Wind unter weiterem Auffriſchen nach SW, W und endlich nach NW, das Barometer erreicht ſeinen tiefſten Stand und fängt dann an zu ſteigen, die Nieder— ſchläge haben das Maximum erreicht und fallen, nachdem die Wolkendecke zerriſſen iſt, immer ſpärlicher und in einzelnen Böen; die Temperatur ſinkt. Dieſer Wetterumſchlag iſt um ſo vollſtändiger, je näher der Ort an der Bahn des Minimums liegt. Nach dieſen allgemeinen Erörterungen gehe ich zur ſpeziellen Betrachtung des Sturmes vom 14. und 15. Oktober über, der in vieler Beziehung Lehrreiches bietet. Eine ausführliche Beſprechung dieſes Sturmes mit reichhaltigem Karten- und Zahlenmaterial habe ich in den Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie (Jahrgang 1882, Heft J, Januar) ge— geben. Nachdem eine tiefe Depreſſion, langſam an der norwegiſchen Küſte fortſchreitend, ſchon ſeit mehreren Tagen im Nord- und Oſtſeegebiete, ſowie im deut— ſchen Binnenlande lebhafte, vielfach ſtürmiſche weſt— liche Winde hervorgerufen und unterhalten hatte, wurde am 13. morgens an der Südweſtküſte Irlands durch das Fallen des Barometers und das Zurück— drehen des Windes nach SSE (H-international = Oſt) das Herannahen einer neuen Depreſſion vom Ozean her ſignaliſiert. Auf der Wetterkarte vom 13. Oktober tritt die Depreſſion an der norwegiſchen Küſte, die ihren Einfluß auf Wind und Wetter über dem Ge— biete von Weſtbritannien oſtwärts bis ins Innere Rußlands, vom hohen Norden ſüdwärts bis zu den Alpen ausdehnte, ſo ſehr in den Vordergrund, daß man ſchwerlich ahnen konnte, daß jene ſcheinbar un— bedeutende Störung bei Süd-Irland das Signal zu jenem orkanartigen Sturme ſein würde, der für große Meeres- und Länderſtrecken geradezu verhängnisvoll wurde und der jedenfalls zu den furchtbarſten Stürmen gehört, die in unſren Breiten glücklicherweiſe nur ſelten vorkommen. Die rapiden Aenderungen des Luftdrucks und das Zurückdrehen der Winde bei Eintritt von Regenwetter bis zum Nachmittage im Südweſten der britiſchen Inſeln zeigen mit aller Entſchiedenheit das Heran— nahen einer intenſiven Depreſſion vom Ozean heran. Am Abend hatten ſich dieſe Vorgänge über das ganze Gebiet der britiſchen Inſeln ausgedehnt, während über Dänemark und an der ſüdnorwegiſchen Küſte unter Einfluß der Depreſſion im Norden bei ſteigendem Barometer die nordweſtlichen Winde ſtellenweiſe bis zum vollen Sturm aufgefriſcht waren. Umgeben von dicht gedrängten Iſobaren und ſtür— miſcher Luftbewegung lag das Minimum am 14. morgens über Südſchottland (vgl. Karte I), ſeinen Einflüß über die britiſchen Inſeln, das Nordſeegebiet, Frankreich und die Weſtküſte Deutſchlands erſtreckend. Im ſüdöſtlichen Nordſeegebiete waren die vorher ſtür— miſchen Winde mit abnehmender Stärke zurückgedreht und friſchten jetzt von neuem wieder auf. Im zentralen Raume der Depreſſion dagegen wehte, wie es gewöhnlich der Fall zu ſein pflegt, eine leichte Briſe aus variabler Richtung. Die Aenderungen in der Luftdruckverteilung ſeit dem Abend waren fo außerordentlich groß, daß ſchon dieſe auf eine atmo- ſphäriſche Störung deuten mußten, die für Küſte und Binnenland nur verheerend ſein konnte: an der oſt— ſchottiſchen Küſte war in den 13 vorhergehenden Stunden das Barometer um 27 mm gefallen. Um 1 Uhr Nachmittags wurde an der weſtdeut— ſchen Küſte, welche ſchon am vorhergehenden Tage auf die Vorgänge im Weſten der britiſchen Inſeln ausdrücklich aufmerkſam gemacht worden war, das Sturmwarnungsſignal „Südweſtſturm recht drehend“ angeordnet und gleichzeitig auf das vermutliche raſche und ſtarke Auffriſchen der Winde hingewieſen. Auch das Binnenland wurde von dem Hereinbrechen der drohenden Gefahr rechtzeitig unterrichtet, indem für das nordweſtliche Deutſchland „heftige Stürme“, für Zentraldeutſchland „voller Sturm“ und für das öſtliche Deutſchland „ſtürmiſche Winde“ in Ausſicht geſtellt wurden. Etwas nach 8 Uhr morgens ging die Depreſſion bei Edinburgh vorüber. Dabei drang dir Sonne plötzlich durch die auseinandergehenden und raſch ab— nehmenden Wolken, dann aber, innerhalb einer Stunde, trat ein vollſtändiger Wechſel ein: am Nordhorizonte lag eine niedere Bank dunkler Wolken, von welcher aſchgraues langhingezogenes und drohend ausſehendes Gewölk immer höher zum Zenith hinaufzog, in kurzer Zeit den Himmel ganz bedeckend; es entſtand eine ſolche Dunkelheit, daß man die Morgenzeitungen bei Gaslicht leſen mußte. Der Wind ſprang bei ſinken— der Temperatur von SSW nach dem entgegengeſetzten Kompaßſtriche NNE um, und ſteigerte ſich raſch zum vollen Sturme. An der Küſte von Berwickſire war die Dunkelheit viel größer und unheimlicher, mit ihrem Eintritt brach ein orkanartiger Sturm aus, welcher, mit unwiderſtehlicher Gewalt alles vor ſich niederwerfend, zu einer Höhe heranwuchs, welche die— jenige des Orkans vom 24. Januar 1868 faſt erreichte, welcher damals in dieſen Diſtrikten großes Unheil anrichtete. Auf der beigegebenen Karte J iſt das Regengebiet auf der Südoſtſeite der Depreſſion ſehr deutlich aus— 90 Humboldt. — märz 1882. geprägt: in einem breiten Streifen, welcher ſich vom Kanal nach Nordjütland und weit hinein ins Binnen⸗ land bis zur Linie Hannover⸗Karlsruhe erſtreckt, herrſcht überall Regenwetter, während über Weſtbritannien, wo in der Nacht überall beträchtliche Regenmengen gefallen waren, der Regel entſprechend, Aufklaren eingetreten war. Als am 14. Okt. 2 Uhr nachmittags das Minimum mit der beträchtlichen Tiefe von 720 mm über der Nordſee öſtlich von Shields lag, traten auf der Weſt⸗ ſeite ungewöhnlich große Gradienten auf, indem auf A Wetterkarte von 14. October 1887. Ld] e e iy ly 0 ; ; . IF | E we e weiſe einer bewegten See und entſandte dichte Waſſer⸗ ſtrahlen über Brücken und landende Schiffe, während an manchen Stellen der Waſſerſtand ſo niedrig war, daß der Dampfbootdienſt eingeſtellt werden mußte. Auch an der Deutſchen Küſte traten bis zum Nach⸗ mittage Sturmböen ein und jetzt wurde in anbetracht der drohenden Gefahr auch für die oſtdeutſche Küſte das Signal „Südweſtſturm“ angeordnet. — Bis etwa 2 Uhr nachmittags war in Hamburg das Wetter noch ziemlich ruhig, zwar einige heftige Regenböen hatten vorher geweht, allein Sturmesſtärke hatten ſie nicht FIA 14 e . Sy ae uot AG avec age V Rauhirost’ O A, bedeckt 2 55355 es Dat | @) aaa = Nebel D Thaw Karte J. der Strecke eines Meridiangrades (111 km) der Luftdruck um volle 13 mm anſtieg, ein Gradient, der den kleinſten Sturmgradienten (4,5) um den drei⸗ fachen Wert übertraf, wohl der größte, welcher auf den Wetterkarten der Seewarte beobachtet iſt. Auch nach dem Kanal hin waren die Druckdifferenzen außer⸗ ordentlich groß. Daher erklären ſich die ungewöhn⸗ lich ſchweren Stürme an der Oſtküſte Großbritaniens und am Kanal, die daſelbſt, von heftigen Regengüſſen begleitet, insbeſondere am 14. wüteten. In London nahm der Sturm zeitweiſe den Charakter eines tro⸗ piſchen Orkanes an: Schornſteine und Gerüſte wur⸗ den niedergeweht, Bäume entwurzelt, Telegraphen⸗ leitungen zerſtört, viele Schiffbrüche fanden an der Küſte ſtatt, und leider ſind bedeutende Verluſte an Menſchenleben zu beklagen. Die Themſe glich ſtellen⸗ erreicht; um 3 Uhr klarte es im weſtlichen und ſüd⸗ weſtlichen Horizont auf, um 37/2 Uhr zeigte ſich blauer Himmel im Zenith. Schon vor 2 Uhr war dieſes Aufklaren an der ſüdlichen Nordſee erfolgt und ſchritt jetzt der Küſte entlang langſam bis zur Odermündung fort, überall gefolgt von einem Anſchwellen der Winde, welche zuerſt mit dem Zeiger der Uhr, dann entgegen⸗ geſetzt dieſer Richtung drehten: eine Erſcheinung, welche aus dem Vorübergange von ſekundären Bil⸗ dungen zu erklären iſt. Da auch gleichzeitig das rapide Fallen des Barometers in ein ſehr langſames überging und auch die Winde nachließen, ſo ſchien die größte Gefahr vorüber zu ſein. Allein ſchon einige Stunden nachher friſchten die Winde wieder auf und erreichten in den einzelnen Stößen, die jetzt immer raſcher aufeinander folgten, eine orkanartige Gewalt. Humboldt. — März 1882. 91 Beſonders intereſſant ijt die Wetterkarte II, welche die Situation vom 14. Oktober 8 Uhr abends veran— ſchaulicht. Auf derſelben hat das Minimum, mit unveränderter Tiefe oſtwärts fortſchreitend, die jütiſche Küſte erreicht, ſeinen Wirkungskreis über ganz Weſt— europa ausdehnend. Im Zentrum ſelbſt herrſcht, wie am Morgen und wie es in der Regel der Fall iſt, eine flaue Briſe, aber im Umkreiſe wehen ſtürmiſche Winde, vielfach ſchwere Stürme, die ſich über das deutſche Binnenland bis zum Fuße der Alpen aus- gebreitet haben. Nur über Nordſkandinavien herrſcht Welter larte. vom 14. October 8 VLE J) wl Til d Fe by ed mindeſten ſtürmiſch, meiſtens aber als voller Sturm und vielfach in orkanartigen Böen auftraten, und ferner, daß etwas nach Mitternacht, zur Zeit des Hochwaſſers, die Winde nach NW ſprangen und mit zunehmender Heftigkeit wehten, und ſo der Flut— welle einen erneuten kräftigen Impuls gaben, ſo ver— einigen ſich alle dieſe Faktoren zu dem Reſultate, daß trotz der dove tide ſich an unjrer Küſte die Waſſer⸗ maſſen zu einer ſchreckenerregenden Höhe anſtauen mußten, wie dieſes bei dem Sturme am 30. Januar 1877, wo die Verhältniſſe ähnlich lagen, für die 8 U. Abends. LSS ia 15 5 Die Lfeile fliegen mit dem Minde. | Die Befiederung derselben gibt die Windstarke an (halbe Beaufort- Scala 6 = Orkan). Die Kurve e Bezerchnet die Bahn des Me- nimums. Karte II. leichte Luftſtrömung, die zum Teil unter dem Cine fluſſe des Minimums an der fütiſchen Küſte, zum Teil unter demjenigen der im hohen Norden ver— ſchwindenden Depreſſion ſteht. Betrachten wir die durch die Wetterlage gegebenen Windverhältniſſe über der Nordſee und weſtlichen Oſtſee etwas näher, ſo finden wir alle Bedingungen erfüllt, große Waſſer— maſſen an unſerer Nordſeeküſte anzuſtauen und in die Flußmündungen hineinzudrängen. Ueber der weſt— lichen Oſtſee wehten ſüdweſtliche, am Ausgange der Oſtſee öſtliche, am Kanal anderſeits weſtliche und über der nördlichen Nordſee nördliche Winde, welch' letztere nach Süden hin langſam in nordweſtliche und weſtliche übergingen, alſo alle Winde, die geeignet waren, das Waſſer der ſüdlichen Nordſee zuzuführen. Berückſichtigen wir nun, daß alle dieſe Winde zum holländiſchen und oſtfrieſiſchen Küſten der Fall war, für jene Gegenden der größten und verheerendſten Sturmflut dieſes Jahrhunderts. Bis 54/2 Uhr nachmittags (am 14.) war in Ham⸗ burg die mittlere ſtündliche Windgeſchwindigkeit bis auf 22 m pro Sekunde geſtiegen, wobei Böen in ziemlich gleichbleibender Stärke raſch aufeinander folg— ten. Um 6¼ Uhr folgte eine äußerſt ſchwere Sturm— böe, vor welcher der Wind zuerſt von SSW nach 8 ausſchoß, und in welcher derſelbe wieder nach SSW zurückdrehte. Die nächſte, ſchwere und länger anhal— tende Böe erfolgte um 9 Uhr 40 Minuten, wobei das Barometer in ſehr ſtarkes Fallen überging. Dann folgten raſch aufeinander die Böen mit gleicher Heftig— keit bis zum Morgen. Etwas vor Mitternacht hatte in Hamburg das Barometer den tiefſten Stand er— 92 Humboldt. — märz 1882. reicht (727,8 mm), wobei die mittlere Wind⸗Geſchwin⸗ digkeit auf 29 m pro Sekunde ſtieg, eine Geſchwindig⸗ keit, die zwar einem heftigen Sturme entſpricht, die aber in den einzelnen Stößen nur mit derjenigen eines Orkans vergleichbar iſt. Jedenfalls wurde in den Stößen ein Druck ausgeübt, welcher 250 Pfund auf den Quadratmeter weit übertraf. Erſt nach 6 Uhr morgens wurden die Böen ſpärlicher und ließen dann langſam nach. Ich habe dieſen Sturm in der Nacht vom 14. auf den 15. auf der freigelegenen Seewarte, wohl dem höchſten bewohnten Gebäude Hamburgs, beobachtet; der Eindruck läßt ſich kaum wiedergeben: das gewaltige Toſen des Sturmes, der die Waſſer⸗ maſſen auf der Elbe vor ſich hintrieb, darunter die raſch aufeinander folgenden Warnungsſchüſſe der am Fuße der Seewarte gelegenen Batterie, welche das weitere Anſchwellen der Sturmflut ſignaliſierten und ſo die Bewohner der tiefer gelegenen Wohnungen auf die hereinbrechende Waſſersnot aufmerkſam machten, die ſchweren vorüberjagenden Wolkenmaſſen, die dichten Regengüſſe, welche der Sturm gegen die Fenſterſcheiben peitſchte, das alles erregte trotz der Sicherheit des Baues ein unheimliches beſorgniserregendes Gefühl. Am 15. morgens lag das Minimum über Süd⸗ ſchweden. Seine Tiefe hatte beträchtlich abgenommen, allein an der Weſtküſte Jütlands dauerten die ſchweren Stürme noch fort, jetzt aus nordweſtlicher Richtung wütend, und auch an der Deutſchen Küſte bis nach Danzig hin war Weſt⸗ oder Südweſtſturm eingetreten. Auf der Nord⸗ und Oſtſeite der Depreſſion war das Wetter ziemlich ruhig, auch am Südfuße der Alpen und über Großbritannien waren die Winde ſchwächer geworden, nur an der oſtſchottiſchen Küſte wehten noch ſtürmiſche Schneebsen aus NW. — Als im Laufe des Tages das Minimum mit abnehmender Tiefe über Südſchweden fortſchritt, friſchten an oſtdeutſcher Küſte die Winde zum ſchweren Sturme auf. In den fol⸗ genden Tagen ſetzte das Minimum mit abnehmender Intenſität ſeine nordöſtliche Bahn fort und iſt am 19. am weißen Meere kaum noch erkennbar, nachdem über Weſteuropa ſchon am 16. bereits wieder ruhiges Wetter eingetreten war. Die Ausbreitung des Sturmfeldes während dieſes Sturmes war eine außerordentlich große: Am 14. bis 2 Uhr nachmittags waren ſtürmiſche Winde aufge⸗ treten bis zur Linie Kaiſerslautern⸗Swinemünde, abends 8 Uhr herrſchte voller Sturm über Schottland, England, der Nordſee, Nordfrankreich, Weſtdeutſch⸗ land und Dänemark, der ſich in der Nacht über die oſtdeutſchen Grenzen hinaus ausdehnte, und ins⸗ beſondere im Nordſeegebiete, im nordweſtlichen und zentralen Deutſchland die Stärke eines verheerenden Orkanes erreichte. In Magdeburg wurde in der Nacht vom 14. auf den 15. (1 Uhr) ein gewal⸗ tiger Windſtoß beobachtet, deſſen Geſchwindigkeit 38% m pro Sekunde betrug. Faſt zu derſelben Zeit erreichte der Sturm ſeine größte Geſchwindigkeit in Brandenburg und im Königreich Sachſen. Dem entſprechend find auch die zahlloſen und be⸗ trächtlichen Verwüſtungen zu Waſſer und zu Lande und ſind beſonders bedeutende Verluſte an Menſchen⸗ leben zu beklagen. Ich verzichte darauf, aus der Unmaſſe von Zeitungsnachrichten, ſowie privaten Mit⸗ teilungen, welche mir vorliegen, hier einen Auszug zu geben; dagegen will ich an dieſen Sturm hier noch einige kurze Bemerkungen knüpfen, die vielleicht von einigem Intereſſe ſein dürften. Auf den erſten Blick hat es den Anſchein, als wenn das oben beſprochene Minimum ſich in der Nacht vom 13. auf den 14. an der Südweſtſeite der tiefen Depreſſion an der norwegiſchen Küſte ſich gebildet und dann raſch weiter entwickelt habe, allein die mir vor⸗ liegenden Schiffsjournale weiſen mit aller Entſchieden⸗ heit nach, daß dasſelbe ſchon am 9. auf dem Ozean öſtlich von der amerikaniſchen Küſte ſich befunden, in den folgenden Tagen dem 50. Breitegrad entlang quer durch den Ozean fic) bewegt und am 13. abends die Küſte Irlands erreicht hat. Bis zum 13. kamen, ſoweit ſich ermitteln läßt, in der Umgebung des Minimums ſtürmiſche Winde nicht vor. Die Zugſtraße, welche das Minimum verfolgte, führt vom Ozean kommend über Schottland, die Nordſee, Dänemark, Südſchweden nach Finnland hin. Auf ihr, ſowie auf derjenigen, welche vom Südweſten der britiſchen Inſeln ausgeht und in oſtnordöſtlicher Richtung ſich hinzieht, bewegten ſich die ſchwerſten Stürme, welche in den letzten Jahren ſtattfanden. Hervorzuheben iſt der Umſtand, daß derartige Minima in der Regel auf der Südweſtſeite einer tiefern Depreſſion zuerſt erſcheinen, wobei der weitere Vorgang gewöhnlich der ijt, daß die Depreſ⸗ ſion im Nordoſten an Tiefe und Intenſität abnimmt, reſp. verſchwindet, dagegen das Minimum auf der Südweſtſeite mit zunehmender Intenſität ſehr raſch vorwärts eilt, ſo daß die Verbindungslinie beider Minima eine Drehung entgegengeſetzt der Bewegungs⸗ richtung der Uhrzeiger macht. Am 13. abends war die Verbindungslinie beider Minima gerichtet von SW nach NE, am 14. 8 Uhr morgens von SSW nach NNE, 8 Uhr abends von 8 nach N, wobei das nördliche Minimum zum Eismeere verſchwindet. Dieſelbe Drehungsrichtung läßt ſich an der großen Achſe der ellipſenförmigen Iſobaren nachweiſen: Die⸗ felbe war gerichtet am 14. morgens von W nach E, abends von SW nach NE, am 15. morgens von SE nach NW, abends von NE nach SW, und am 16. morgens von N nach 8. Die Fortpflanzungsgeſchwindigkeit war über den britiſchen Inſeln ſowie über der Nordſee außergewöhn⸗ lich groß (13 bis 14 m pro Sekunde), etwa die doppelte der mittleren, über den däniſchen Inſeln und Südſchweden faſt normal (7 bis 9 m pro Sekunde). Dieſes verſchiedene Verhalten in der Fortbewegungs⸗ geſchwindigkeit ſcheint nicht ſo ſehr mit der Tiefe, wie man wohl früher glaubte, ſondern mit der Aenderung und der Intenſität der Erſcheinung, jedenfalls noch mit andern Urſachen, zuſammenzuhängen. Um über die letzteren Punkte Aufſchluß zu erhalten, unterſuchte ich nahezu 1450 Fälle aus den Jahren 1876 bis 1880 und fand bezüglich der Tiefe keine weſentliche Ver⸗ Humboldt. — März 1882. 93 ſchiedenheit in der Geſchwindigkeit, dagegen zeigte es ſich, daß die raſch an Tiefe zunehmenden Minima im Mittel ungefähr 30 Prozent raſcher fortſchreiten, als die raſch an Tiefe abnehmenden; ferner ergab ſich aus dieſer Unterſuchung, daß die Geſchwindigkeit der— jenigen Minima, welche in ihrer Umgebung ſtürmiſche Winde erzeugten, in 426 Fällen in dem Verhältnis von 8:7 im Mittel größer war, als diejenige aus allen Fällen abgeleitete. — Dieſes Reſultat iſt für das Sturmwarnungsweſen von großer Wichtigkeit und inſoferne demſelben ungünſtig, als gerade die raſch an Tiefe zunehmenden und intenſiven Minima, die alſo unſrer Küſte am meiſten Gefahr drohen, die größte Geſchwindigkeit haben. Da bis jetzt am Abend und in der Nacht keine Beobachtungen durch den Telegraph der Seewarte zugehen, ſo ijt es ſchon aus dieſem Grunde unvermeidlich, daß auch hin und wieder ein Sturm unſre Küſte über— raſcht, ehe noch ein Warnungsſignal gehißt werden kann. Ein weiteres Entwickelungsſtadium iſt die Ein— richtung eines zweckmäßig organiſierten Nachtdienſtes, und dann möchte nur ſelten ein Sturm von größerer Ausdehnung und Intenſität unſre Küſte unvorbereitet treffen. Die zahlreichen und vielfach ſehr ſchmerzlichen Verluſte an Gut und Menſchenleben, auch bei dieſem Sturm, mahnen, alles aufzubieten, um das Sturm— warnungsweſen unſrem maritimen Vaterlande fo ſegenbringend wie möglich zu machen und die durch die Stürme verurſachten Schäden immer mehr einzu— ſchränken. Die Anfertigung von Feuerſteinwaffen. Eine vergleichende Studie. Don Eugen Freiherrn von Tröltſch, k. w. Major a. D. in Stuttgart. taunend und fragenden Blicks betrachten wir in prähiſtoriſchen Muſeen die älteſten Erzeugniſſe menſchlicher Hände: Werkzeuge und Waffen aus Kieſel— und Feuerſtein, wie aus Knochen erlegter Tiere, jene aus freier Hand geformten Gefäße von Thon, die einen von roheſtem Außern, die andern ſchon den erwachenden Formenſinn bekundend. Sie alle ſind die einzigen Dokumente der Vor— zeit, die wir beſitzen und aus denen wir uns beſtreben, die Geſchichte unſerer älteſten Vorfahren zu entziffern. Iſt es nun unſern Forſchungen auch gelungen, da und dort den geheimnisvollen Schleier zu lüften und einen Blick zu werfen in das Thun und Treiben jener noch dunkeln Zeiten, ſo ſtehen wir doch noch vor ſo vielen ungelöſten Rätſeln, vor ſo vielen Fragen, die trotz unſrem Bemühen unbeantwortet blieben. Zu dieſen gehört vor allem die Fabrikation von Feuerſteinartefakten. Wie haben die Menſchen der Vorzeit alle dieſe Meſſer und Sägen, Bohrer und Schaber und dieſe ſchöngeformten Dolche, Lanzen— und Pfeil⸗Spitzen gefertigt? Wie war es möglich, ohne Benützung von Metall dem ſpröden, brüchigen Stoffe jene meiſt ſchönen Formen zu verleihen? Be— nützten ſie Stein oder Knochen hiezu? Geſchah die Formung des Flints durch Schlagen, Brechen oder Drücken? Machten ſie denſelben zuvor gefügiger durch Erhitzung im Feuer? Derartige Fragen drängen ſich uns auf, wenn wir die Anfertigung vorgeſchicht— licher Feuerſteinwerkzeuge zu enträtſeln verſuchen. Dies wird uns aber um ſo ſchwieriger, weil es bis jetzt nicht gelungen iſt, in einer jener prähiſtoriſchen Niederlaſſungen, wie Höhlen, Pfahlbauten und ſelbſt in Feuerſteinwerkſtätten mit ihren nach vielen Tau— ſenden zählenden Abfällen Werkzeuge oder Ueberreſte ſolcher zu finden, die zur Feuerſteinbearbeitung ge— dient haben. Auch unſre eignen Verſuche, ſelbſt wenn ſie gelungen ſind, laſſen noch manchen Zweifel zurück. Obgleich es uns nicht vergönnt iſt, zurückzuſchauen in jene viele tauſend Jahre alten menſchlichen Werk— ſtätten und den prähiſtoriſchen Menſchen zu belauſchen, wie er zuerſt aus dem großen Feuerſteinknollen die einzelnen Lamellen abſprengt und aus dieſen ſich mühſam Werkzeuge und Waffen formt, ſo iſt es uns ermöglicht, die jetzt noch lebenden Feuerſteinarbeiter in ihrer Thätigkeit zu beobachten, ſei es auf dem Kontinente, ſei es in fernen Erdteilen bei wilden Stämmen. Noch vor weniger als 50 Jahren war die Fa— brikation des Feuerſteins ein blühendes Gewerbe, namentlich in Frankreich; denn außer ſeiner Ver— wendung zu Feuererzeugung wurde er für die da— mals noch gebräuchlichen Steinſchloßgewehre ver— wendet. Bedeutende ſolcher Fabriken hatten unter anderen namentlich die Champagne, auch Orleanais und die Pikardie. Mit verſchiedenen Hämmern und Meißeln von Eiſen und Stahl geſchieht heute noch das Abſchlagen in ſogenannte Anbrüche, das Spalten in länglichte Schiefer und deren Zerteilen in viereckige Stücke. 94 Humboldt. März 1882. Hier alſo geſchieht die Anfertigung durch Schlag. lang der Kante rechts und links verſchiedene Stückchen Bei den wilden Stämmen dagegen ſcheint dieſelbe | ab, bis der Gegenſtand die Form einer Lanzen⸗ oder meiſt durch Druck zu erfolgen. Pfeil⸗Spitze erhalten hat. Eine ſehr ähnliche Bear⸗ So wird jetzt noch in Auſtralien und in Süd⸗ beitungsweiſe haben auch die nordamerikaniſchen In⸗ amerika der Obſidian mittels Anpreſſen eines ſpitzen dianer.) . c Size 2 a ee Rs Fig. 1. Fig. 3. Altindianiſche Pfeil-(Dolch⸗ 2) Spitze von Feuerſtein aus der Gegend des Ohio. — Fig. 4. Dolchſpitze von Glas, von einem Feuerländer in meiner Gegen⸗ wart gefertigt. — Fig. 5. Dolchſpitze von Feuerſtein von der Inſel Seeland (Dänemark). — Fig. 6. Pfeilſpitze von Feuerſtein, der aus einer Pfahlbaute bei Konſtanz ſtammt und — Fig. 7. Pfeilſpitze von Glas, beide in meiner Gegenwart durch einen Feuerländer angefertigt. — Fig. 8. Prähiſtoriſche Pfeilſpitze von Feuerſtein in einer Pfahlbaute bei Konſtanz gefunden. — Fig. 9. Prähiſtoriſche Pfeilſpitze von Feuerſtein aus dem Pfahlbau zu Merkurago bei Arona am Lago Maggiore. — Fig. 10. Pfeilſpitze von Feuerſtein von einem Klamath⸗Indianer (am nördlichen Ende Kaliforniens) vor einigen Jahren angefertigt, Alle Figuren ſind in natürlicher Größe gezeichnet. Stockes geſpalten und hierdurch die Obſidianmeſſer Auch die Klamath⸗Indianer, am nördlichen Ende erzeugt. So fabrizieren heute noch die Eskimos ihre Kaliforniens, bearbeiten den Feuerſtein in ähnlicher Werkzeuge von Hornſtein. Dieſelben legen den z bearbeitenden Splitter in eine löffelartige Vertiefung ) Sir John Lubbock. Die vorgeſchichtliche Zeit, er⸗ in Holz und ſprengen durch einen leiſen Druck ent⸗ läutert durch die Ueberreſte des Altertums und die Sitten Humboldt. — März 1882. 95 Weiſe und fertigen aus ihm die verſchiedenartigſten Waffen und Geräte, darunter Pfeilſpitzen von be— ſonders zerbrechlicher Form. Zuerſt wird der zu be— arbeitende Stein längere Zeit dem Feuer ausgeſetzt und vollſtändig durchgeglüht, nachher raſch abgekühlt, durch ſeitliche Schläge in blattartige Scheiben ge— ſpalten und dieſelben je nach der zufällig erhaltenen Form zur Verarbeitung als Meſſer, Bohrer, Schaber, Pfeil⸗ oder Lanzen-Spitzen verwendet. Mittels einer geſchweiften Spitze aus dem Zahne eines Seelöwen oder von Hirſchhorn (bei den gegenwärtigen Klamath ſchon aus Eiſen beſtehend), die in einem Stocke be- feſtigt iſt, werden die Steine wie bei den Eskimos durch Druck auf die Kante zu der verlangten Form abgeſplittert. Zum Abſprengen der größeren Stücke wird das Brechinſtrument ſenkrechter, zu den kleineren ſchiefer auf die Kante geſetzt. Hiebei ruht der zu be— arbeitende Stein in einem Lappen von Hirſchleder in der linken Hand, ſo daß die zu bearbeitende Seite aus dem Leder hervorſteht. Zur Herſtellung der Wider- haken an der Pfeilſpitze wird eine Beinnadel ver- wendet.“) Auf demſelben Prinzip, nur mit Verwendung von weit roheren Werkzeugen, beruht die Anfertigung von Pfeil⸗ und Lanzen⸗Spitzen durch die Feuerländer. Sie genau zu beobachten, war uns vor kurzem treff— liche Gelegenheit gegeben, bei Beſuch der gegen— wärtig Europa bereiſenden Familie. Statt des ihnen fremden Feuerſteines verwenden dieſe Bewohner der Inſel Hermite eine Art Grünſtein, mehr aber noch Glas von Flaſchen, welche am Meeresufer geſtrandet ſind oder ſie von vorüberfahrenden Schiffen erbettelt haben. Indeß bewieſen dieſelben in meiner Anweſen— heit, daß fie auch Feuerſtein in gleicher Weiſe zu be- arbeiten verſtehen, indem ſie aus zwei Stücken Feuer⸗ ſtein, aus den Pfahlbauten bei Konſtanz ſtammend, zwei zierliche Pfeilſpitzen verfertigten. Die Anfertigung von Dolch- oder Pfeil-Spitzen geſchah in folgender Art. Der feuerländiſche Ar— beiter umwickelt mit einem Zipfel des ihn befletden- den Fells das Feuerſteinſtück bis auf die zu bear⸗ beitende Kante und umfaßt es mit der linken Hand, während in der geſchloſſenen rechten das Werkzeug gehalten wird. Dasſelbe beſteht nur in einem zylin— driſchen Stücke Tierknochen (einer abgebrochenen Har⸗ pune, deren Zähne übrigens keinerlei Verwendung bei Anfertigung der Spitzen fanden), ſiehe Fig. 1; ur⸗ ſprünglich ca. 20 em lang, iſt dasſelbe durch allmähliche und Gebräuche der jetzigen Wilden. und 85. ) Archiv für Anthropologie. 7. Band, Seite 263. Die Erzeugung der Steinwaffen von Paul Schuhmacher in San Franzisko. 1. Band, Seite 84 o Humboldt 1882. Abnützung bis auf ca. 13 em reduziert worden. Nun iſt die erſte Aufgabe, dem Stücke die allgemeine Form zu geben, der Arbeiter fest zu dieſem Zwecke das ab- gerundete Ende a des Werkzeugs feſt auf die äußere Kante des Feuerſteins und durch einen Druck ab- und wenig ſeitwärts ſprengt er allmählich auf der Vor- und Rückſeite größere Stücke von muſchelförmiger Geſtalt ab. In dem nun folgenden zweiten Sta— dium werden in gleicher Weiſe mit vorſichtigerem Druck kleinere Stücke abgeſprengt und ſchon nach wenig Minuten ſehen wir Dolch- oder Pfeil⸗Spitze in klaren Umriſſen, auch Spitze und Schneide ihrer Vollendung genähert; noch mehr durch eine dritte ſolche Bearbeitung bei ſehr behutſamer Abſprengung kleinſter Splitter. Nun fehlen der Waffe noch jene beiden Widerhaken unten an ihrem breiteren Teile zur Befeſtigung im hölzernen Schafte. Unglaublich raſch, mit einem gleichfalls ſehr rohen Werkzeuge von Eiſen in hölzernem Schafte, Fig. 2 (in Ermangelung deſſen mit einem Stück Knochen oder Muſchel), ſind auch dieſe hergeſtellt. Je nur ein Druck mit deſſen eckigen Kanten b und eu von der Seite und einen von unten nach oben und die halbkreisförmigen Aus— brüche ſind fertig. Noch einmal prüft der Peſcheräh ſein Fabrikat, es rechts und links drehend, verbeſſert da und dort noch durch Abſplittern kleinſter Teile Form, Schneide und Spitze, prüft die Schärfe der beiden letzteren an ſeiner Wange, und erſt, nachdem er alles für gut gefunden, übergibt er ſein wohl— gelungenes Produkt in fremde Hände. Die WAnfer- tigung einer ſolchen Pfeilſpitze, Fig. 6, dauerte ca. 20 bis 25 Minuten, während jene der Dolchſpitze von Glas, Fig. 4 (gleichfalls in meiner Anweſenheit), wegen des bekannteren Materials nur 15 Minuten Zeit erforderte. Aus dem Bisherigen ergibt ſich ſomit, daß die Fabrikation von Feuerſteinwerkzeugen bei Kultur— völkern (Frankreich) durch Schlag, bei wilden Völkern durch Druck erfolgt. Unter letztern aber verdient die Bearbeitungsmethode der Feuerländer ganz be— ſondere Beachtung, weil ſie als kulturniedrigſtes Volk ſich des primitivſten Werkzeuges bedienen und uns aus dieſen beiden Gründen ohne Zweifel die Art und Weiſe zeigen, wie die vorhiſtoriſchen Völker ihre Feuer— ſteinartefakte erzeugt haben. Eine Vergleichung der feuerländiſchen Lanzen— (Dolch-) und Pfeil⸗Spitzen aber zeigt, daß dieſelben nicht nur von demſelben Typus ſind, wie die indianiſchen der Vorzeit und Gegenwart, ſondern daß ſie in ihrer Form ſogar mit den prähiſtoriſchen im Norden, Süden und in der Mitte Europas übereinſtimmen. Ihre Form iſt die vollendetſte aller Pfeil- und Lanzen-(Dolch-) Spitzen von Stein. Wir finden fie mit wenig Modi⸗ fikationen auch aus Bronze gefertigt in der ſpäteren Metallzeit bei germaniſchen, wie andern Völkern. 13 96 Humboldt. — März 1882. Pendelapparate für die Suſammenſetzung von Schwingungen. * Studium der ſchwingenden Bewegungen iſt von beſondrem Intereſſe, weil ganze Kapitel der Phyſik, wie nament⸗ lich Akuſtik und Op⸗ tik, auf dieſen Be⸗ wegungsformen be⸗ ruhen. Wir wollen hier zwei Apparate be⸗ ſchreiben, welche ge⸗ eignet ſind, die Zu⸗ ſammenſetzung zwei⸗ er ſchwingenden Be⸗ wegungen aufzuzeich⸗ nen. Das deutlichſte Bild von einer ſchwin⸗ genden Bewegung gibt das Pendel; iſt die Schwingungs⸗ weite gering, ſo ſtimmt ſeine Bewe⸗ gung vollſtändig mit der eines elaſtiſchen Körpers, einer Stimmgabel, einer geſpannten Saite 2c., welche aus ihrer Gleichgewichtslage gebracht worden, überein. Es iſt nun leicht, einen Körper in eine ſolche Lage zu bringen, daß er die Bewegungen zweier, etwa ſenkrecht zu einander ſchwin⸗ genden Pendel gleich⸗ zeitig ausführen, d. h. eine Bewegung ma⸗ chen muß, welche aus den Bewegungen bei⸗ der Pendel zuſamen⸗ geſetzt iſt. Fig. zeigt einen derartigen Pendel⸗ apparat, welcher von Kleemann in Halle gefertigt iſt. Zwei Pendel P und Pi können in zu einander ſenkrechten Ebenen ſchwingen, das erſte von rechts nach links, Mad = das zweite von vorn nach hinten. ſtangen ſind Querſtangen qq und o befeſtigt, von Von Oberlehrer Dr. Georg Hrebs in Frankfurt a. M. Vi We SZ UU ge Wi Eid d LT iu = SSS Fig. 1. An den Pendel⸗ geſchoben werden kann. denen jede einerſeits in eine (nach unten gehende) Spitze und anderſeits in eine Schneide endigt, mit denen ſie auf kleinen, aufrechtſtehenden Pfannen ſitzen. Es wird hierdurch Si⸗ cherung gegen Ver⸗ ſchiebung der Pendel bei möglichſt geringer Reibung erreicht. An den Pendel⸗ ſtangen ſind kleine Meſſingſchälchen u, u, u, welche zur Aufnahme von Ge⸗ wichten dienen, ver⸗ ſchiebbar angebracht. Durch verſchiedene Belaſtung und durch Höher⸗ und Tiefer⸗ ſtellen der Meſſing⸗ ſchälchen kann man die Schwingungs⸗ dauer der Pendel ver⸗ ändern. Die Pendel⸗ ſtangen tragen eine Centimeterteilung, ſo daß es leicht iſt, wenn man eine beſtimmte Schwingungsdauer durch Probieren her⸗ ausgefunden, die Stellung, welche die Schälchen dabei ge⸗ habt, aufzunotieren. Die Pendelſtange P iſt an ihrem un⸗ teren Ende mit einer horizontalen Achſe aa, an der eine Glas⸗ ſcheibe G befeſtigt iſt, verbunden. Auf der andren Seite hängt die Glasſcheibe an zwei Fäden, welche leicht verlängert oder verkürzt werden können. Außer⸗ dem liegen auf der Glasſcheibe zwei dünne, federnde Meſſingſtreifen h, h, unter welche ein weißes oder berußtes Papier, oder eine dünne berußte Glasſcheibe Humboldt. — März 1882. Die Pendelſtange Pi iſt unten ebenfalls an einer horizontalen Achſe, welche ſich in dem Meſſingrahmen mm drehen kann, befeſtigt. An dem Meſſingrahmen iſt vorn ein Stängelchen r, das am Ende den Schreib— ſtift k trägt und hinten ein Stängelchen mit einer Schraube g, welche als Gegengewicht dient, ange— bracht. Wenn man die Schraube g vor- oder rück⸗ wärts bewegt, ſo kann man es leicht dahin bringen, daß der Stift k nur ſehr leiſe auf der Schreibtafel liegt, und da ſich das Stängelchen r um die im 97 Will man mit dem Apparat einen Verſuch machen, ſo muß man die Pendel erſt auf ein beſtimmtes Schwingungsverhältnis abſtimmen. Man läßt zu dem Zweck jedes der Pendel für ſich innerhalb der— ſelben Zeit ſchwingen und zählt die Anzahl der Schwingungen; durch verſchiedene Stellung der Schäl— chen und verſchiedene Belaſtung derſelben kann man es dahin bringen, daß etwa das Schwingungsver— hältnis 1:1, 2:3, 1:2 u. ſ. w. ſtattfindet. Ob die Einſtellung genau iſt, kann man an der Figur Aa Fig. 2. Uniſono (1:1). SIL Fig. 3. Grundton und Oktave (1: 2). 0 — — innern von mm befindliche, wagrechte Axe auf- und abbewegen kann, ſo gleitet der Stift auch leicht über eine Unebenheit der Schreibtafel weg. Soll der Schreibſtift die Tafel nicht berühren, ſo hängt man ihn in die Schlinge des Fadens t, welche ſonſt bei p eingehängt wird. Der Träger der Pfannen für die Achſe oo ift auf einem drehbaren Holzſtück S befeſtigt, das vorn einen über einem ge— teilten Bogen bb befindlichen Zeiger Z trägt. Durch Drehung des Holzſtücks S kann man die Schwingungs⸗ ebene des Pendels Pi verändern, ſo daß es mit der des Pendels P nicht bloß einen rechten, ſondern einen beliebigen Winkel bilden kann. Der Schreibſtift k iſt entweder von Eiſen, oder er beſteht aus einer in eine feine Spitze endigenden Glasröhre, welche mit Tinte gefüllt wird; den eiſernen Stift ſetzt man ein, wenn auf eine berußte Fläche, die Glasröhre, wenn auf weißes Papier geſchrieben werden ſoll. Fig. 4. Grundton und Quinte (2: 3). ſelbſt ſehen, wie wir alsbald näher erklären werden. Iſt ein beſtimmtes Verhältnis, wie etwa 1: 1, möglichſt genau hergeſtellt, fo ſetzt man erſt das Pendel P in Schwingung, während man den Schreibſtift k durch Niederdrücken der Schraube g von der Schreibtafel entfernt hält; dann hebt man auch das Pendel Pi etwas und läßt es dann los, wobei ſich der Stift herunterſenkt und über die Tafel hin- und hergleitet. Wäre bloß das Pendel P in Bewegung, ſo würde der Stift eine gerade Linie in der Richtung von rechts nach links aufzeichnen, während er eine ſolche von vorn nach hinten beſchriebe, wenn bloß Pi in Bewe⸗ gung wäre. Sind aber beide Pendel im Schwingen begriffen, ſo beſchreibt der Stift eine Kurve, welche aus den beiden genannten geradlinigen Bewegungen zuſammengeſetzt iſt. Fig. 2, 3 und 4 zeigen die Figuren, welche der Stift beim Schwingungsverhältnis 1: 1 (Uniſono); 1:2 (Grundton und Oktave) und 2:3 (Grundton 98 Humboldt. — märz 1882. und Quinte) und zwar bei einmaligem Umgang be⸗ ſchreibt. Die einzelnen Figuren, welche demſelben Schwingungsverhältnis angehören, entſtehen je nachdem beide Pendel gleichzeitig eine Schwingung beginnen, oder das eine gegen das andere mehr oder minder verſpätet iſt. Iſt das Schwingungsverhältnis nicht — 7 | / Fig. 5. exakt, jo kommen nach der Reihe die einzelnen dem⸗ ſelben Schwingungsverhältnis angehörenden Figuren (in 2, 3, 4) zu Tage. Der Stift macht nun aber viele Umgänge; er beſchreibt jede Figur vielmals und zwar in einem kleineren Maßſtab, weil die Pendel⸗ ſchwingungen allgemach immer kleiner werden. Iſt irgend ein Schwingungsverhältnis ganz exakt einge⸗ halten, ſo ſchreibt ſich jede folgende Figur genau parallel in die vorhergehende ein. Iſt z. B. bei ge⸗ nauem Uniſono beim erſten Umgang eine Ellipſe ent⸗ ſtanden, ſo bilden ſich bei den folgenden Umgängen eben ſolche, aber kleinere, welche ſich parallel ineinander einſchreiben. Eben an der Figur ſelbſt, welche der Stift beſchreibt, kann man auch nur mit Sicherheit erkennen, ob ein gewiſſes Verhältnis genau iſt, oder nicht. Sind die immer kleiner werdenden Figuren nicht ſtets ſich ſelbſt parallel, ſo muß man an den Pendeln noch weiter regulieren. Neuerdings iſt von Dr. M. Weinberg in Brünn ein ſehr einfacher für den Schulgebrauch höchſt brauch⸗ barer Apparat für dieſen Zweck angegeben worden (Carls Repertorium, XVII. Bd., p. 587). An dem oberen Teil eines Holzgeſtells oder einer tiefern Fenſterniſche (Fig. 5), oder einfach an der Decke eines Zimmers, find zwei Haken A und B eingeſchlagen, über welche eine lange Schnur geht; die Enden der Schnur gehen bei C und D (wenigſtens in der von dem Verf. beliebten Einrichtung) durch die Löcher zweier Eiſenſtäbchen O und D und find hier mittels eines Holzſtiftes feſtgeklemmt. Bei M ſind die zwei Fäden durch ein Stückchen zuſammengedrückten Blei⸗ rohres verbunden und unten in den Haken einer Blei⸗ kugel B eingehängt; die Bleikugel iſt in einen Kork K eingelaſſen, deſſen unteres, verjüngtes Ende in ein in eine Spitze endigendes, mit Sand gefülltes Glas⸗ gefäß G eingeſteckt iſt; die Spitze iſt ca. 3 mm weit. Das Zweifadenpendel AMB kann nur von vorn nach hinten, das andere MB nach allen Richtungen ſchwingen. Legt man unter G ein größeres Blatt Papier, faßt das Gefäß G, deſſen Spitze man zu⸗ nächſt zuhält, zieht es etwas ſeitwärts und läßt dann los, ſo zeichnet der ausfließende Sand dieſelben Fi⸗ guren, welche wir oben beſprochen haben, auf. Durch Verſchiebung des Ringes M und Verlängerung oder Verkürzung der Fäden (indem man die Holzſtiftchen bei C und D nacheinander herausnimmt und anzieht oder nachläßt) kann man das Schwingungsverhältnis des oberen und des unteren Pendels nach Wunſch regulieren. Bringt man die Haken an der Zimmer⸗ decke gerade über dem Experimentiertiſche an, ſo kann man die Stiften C und D leicht an der Platte des Tiſches ſelbſt anbringen. Für Uniſono muß der Punkt M mit A und B nahezu in gerader Linie liegen. Der Apparat arbeitet ſehr gut und iſt äußerſt billig. Humboldt. — März 1882. 99 das Gehör der Inſekten. Von Prof. Dr. Vitus Graber in Czernowitz. s liegt in der Natur des menſchlichen Geiſtes, daß er ſein Streben mit Vorliebe nach möglichſt entfernten, ja nicht ſelten nach völlig unerreichbaren Zielen richtet und über dieſen auf das Nächſtliegende, auf die Erforſchung deſſen, was die Grundlage eines exakten Wiſſens iſt, ganz und gar vergißt. Das zeigt ſich u. a. auch in Bezug auf den bis— herigen Gang der Forſchung betreffs der Sinne der niederen Tiere. Das Nächſtliegende wäre hier offenbar durch ge— ſchickte Experimente feſtzuſtellen, auf welche der ver— ſchiedenen äußeren Erregungsurſachen oder Sinnes- reize die niederen Tiere überhaupt reagieren und dann, wie ſie es thun, d. h. was für erkennbare Gegen— wirkungen dieſe Reize und zwar bei wechſelnder Stärke hervorbringen, und welche Reizgattungen re⸗ lativ den mächtigſten Eindruck machen. So wäre es beiſpielsweiſe doch gewiß intereſſant zu erfahren, ob ein beſtimmtes niederes Tier, etwa eine Schnecke, mehr durch Licht als durch Schall, oder, innerhalb einer und derſelben Reizgattung, mehr durch hohe oder niedere Töne, mehr durch blaues als durch rotes Licht u. ſ. w. affiziert wird. Statt nach dieſer Richtung hat aber die Forſchung, und namentlich die moderne, wenigſtens bei den nie— deren Tieren ihren Schwerpunkt nach einer ganz anderen Seite verlegt. Man fragt gegenwärtig zu allererſt in der Regel nicht, was für Reize ein Tier überhaupt empfindet oder perzipiert, ſondern was es zur Wirkſammachung derſelben für Einrichtungen oder Organe hat und dann, wie ein ſolcher Apparat vermöge ſeiner phy— ſikaliſchen Konſtruktion und Beſchaffenheit gerade dieſe oder jene Empfindung zu vermitteln geeignet iſt. Mitunter geht man dann noch weiter und ver— tieft fic) in Spekulationen über das Quale oder Wie der einzelnen Empfindungen, d. i. darüber, ob z. B. das Riechen eines niederen Tieres ein wahres Riechen, ſein Sehen ein wahres Sehen u. ſ. w. ſei. Es leuchtet nun wohl von ſelbſt ein, daß der durch dieſe Methode der Sinneerforſchung herbeigeführte Zu— ſtand unſeres einſchlägigen Wiſſens ein ſehr eigen— tümlicher iſt: Wir kennen nämlich zwar, und z. T. bis auf das allerfeinſte Detail, verſchiedene Organe der Sinnesempfindung niederer Tiere; über die Haupt⸗ ſache aber, über das Sinnesleben ſelbſt, über die Wechſelwirkung zwiſchen den äußeren Vorgängen und dem lebenden Organismus iſt unſer wirkliches Wiſſen meiſt ein ſehr beſchränktes, und der bloßen Ver⸗ mutung, der Willkür der Meinung und Deutung ein um ſo weiterer Spielraum aufgethan. Ganz beſonders fühlbar macht ſich nun, um auf unſer Thema zu kommen, die Vernachläſſigung der experimentellen Methode hinſichtlich der Frage nach der Schallempfindung oder dem Gehör der niederen Tiere und gilt dies in beſonders hohem Grade von unſeren Lieblingen: den Inſekten. Nun, was weiß man bisher über das Gehör dieſer in ſo vieler Beziehung merkwürdigen Geſchöpfe? Angeſichts der Thatſache, daß dieſelben von jeher mit beſonderer Vorliebe unterſucht und beobachtet wurden, ſollte man a priori wohl erwarten, daß man hierüber recht vieles und recht genaues wiſſe. In Wahrheit trifft aber das gerade Gegenteil zu: Man weiß über die Schallempfindung der meiſten Inſekten ſehr wenig, und dieſes wenige iſt vielfach ſehr un— ſicher und zweifelhaft. Ich will den Stand der Dinge, bezw. die Ge— ſchichte der Gehörerforſchung bei den Inſekten kurz ſkizzieren. Zunächſt unterſuchte man, wie auch ſonſt üblich, das Kerfgehör nicht auf geradem Wege, d. i. durch Experimente, ſondern indem man zuerſt nach den be- treffenden Organen, alſo nach den Ohren forſchte. Dieſes nun bald über ein Jahrhundert fortgeſetzte Suchen nach den Inſektenohren führte aber zu keinem nennenswerten poſitiven Ergebnis; denn die eigent— lichen, zur Schallperzeption geeigneten und zuerſt von Siebold, Leydig und Weismann beobachteten ſaitenartigen Nervenendorgane, über die ich vielleicht ein andermal berichten werde, blieben, wenig⸗ ſtens für das Gros, für die Mehr- oder Allgemein— heit der Inſekten unbekannt. Die Folge war, daß manche Forſcher, von älteren nenn' ich Linné und Bonnet, den Inſekten den Beſitz von Gehörorganen und damit kurzweg auch gleich das Gehör ſelbſt ganz und gar abſprachen. Der letztgenannte Entomologe zählt übrigens zu den wenigen, die Schallexperimente mit den Inſekten machten, und, was aber nicht vollkommen ſicher ge— ſtellt erſcheint, ſich überzeugt zu haben glaubte, daß ſie auf ſolche Reize reagieren. Es ſollte ſich aber hiebei nur um eine Erregung der Taſtnerven, alſo um eine Art Schallkitzel handeln. Näheres wurde nur bezüglich einer einzigen In⸗ ſektengruppe, nämlich betreffs der muſizierenden Heu— ſchrecken eruiert. Schon im vorigen Jahrhundert hatte u. a., wie man in der wenig bekannten Schrift von Lehmann: „De sensibus externis animalium exsanguium (Göttingen 1798) nachleſen kann, der Italiener Brunelli beobachtet, daß die (meiſt) ſtummen Weib- 100 chen der Heuſchrecken durch das Gezirpe ihrer Kava⸗ liere herangelockt werden, was offenbar ein ſehr feines Gehör vorausſetzt, und daß letztere, wie man ſich leicht an unſeren Feld⸗ und Herdgrillen überzeugen kann, ihren „Geſang“ unterbrechen, ſobald ſie durch ein Geräuſch geſtört werden. Als dann ſpäter (1844) v. Siebold ſeine denk⸗ würdige Entdeckung von mit Trommelfellen verbun⸗ denen ſpezifiſchen Nervenenden bei dieſen Tieren publizierte, gewann ſelbſtverſtändlich die Anſchauung, daß die Heuſchrecken wirklich Gehör beſitzen, noch mehr an Wahrſcheinlichkeit. Ich ſelbſt ſtellte dann vor mehreren Jahren ſyſte⸗ matiſche und ausgedehnte Experimente mit dieſen Tieren an, und überzeugte mich, und ich hoffe auch andre, auf das gründlichſte, daß ſie nicht bloß über⸗ haupt gegen diverſe Schallreize empfindlich ſind, ſondern daß fie, was a priori zu vermuten war, in der That auch das Vermögen der Tonunterſcheidung beſitzen. Da bekanntlich außer den Heuſchrecken auch noch viele andere Inſekten allerlei Laute von ſich geben, ſo hätte es ſicher ſehr nahe gelegen, auch dieſe auf ihre Hörfähigkeit zu prüfen. Dies iſt indes bisher noch nie in entſprechender Weiſe geſchehen und wir wiſſen alfo nicht mit völliger Sicherheit, ob z. B. die Fliegen, die Bienen, die Käfer u. ſ. f. das Geſumme und Gebrumme, welches ſie erzeugen, auch wirklich wahrnehmen. Wenn man ſich aber ſelbſt um die Schallempfin⸗ dungsfähigkeit der ſogenannten ſtimmbegabten Kerfe ſo viel wie gar nicht kümmerte, ſo läßt ſich leicht denken, daß betreffs der übrigen ſtummen Inſekten noch weniger Verſuche unternommen wurden, und es ſcheint, daß die Ungewißheit darüber, ob die Kerfe hören oder nicht hören, den meiſten Entomologen nicht ſehr beſchwerlich fiel. — Eine lobenswerte Ausnahme macht in dieſer Be⸗ ziehung u. a. der durch ſeine biologiſchen Experimente an Inſekten rühmlichſt bekannte engliſche Forſcher Sir John Lubbock, indem er ſeine Lieblingstiere, die Ameiſen, auch auf das Gehör prüfte. Obwohl es nun aber Lubbock mit verſchiedenen, und z. T. auch mit äußerſt intenſiven Geräuſchen und Klängen verſuchte, ſo blieben die Ameiſen doch an⸗ ſcheinend ganz gleichgiltig. Anſtatt nun jedoch, wie es wohl manche andere gethan hätten, ohne weiteres zu behaupten, daß die Ameiſen abſolut taub ſeien, ſtellte Lubbock, und mit Rückſicht auf gewiſſe hier nicht näher zu erör⸗ ternde Verhältniſſe auch nicht ohne alle Berechtigung, die Hypotheſe auf, daß dieſe Geſchöpfe vielleicht nur durch feinere, uns gar nicht berührende Schallreize erregbar ſeien und daß ihr Gehör überhaupt eine ganz andere Beſchaffenheit wie das unſerige beſitze. Nun iſt es aber Zeit, dem Leſer zu eröffnen, daß ich ihn in die arg verfahrene Inſektengehörfrage gar nicht eingeführt hätte, wenn ich nicht auf Grund eigener, während der letzten Herbſtmonate unternom⸗ mener Verſuche in der angenehmen Lage wäre, in das tiefe Dunkel, das bislang in der Sache geherrſcht hat, einiges Licht zu bringen. Humboldt. — märz 1882. Ehe ich im folgenden ein paar dieſer entſcheidenden Experimente mitteile, ſei mir früher noch ein Wort über die nächſte Veranlaſſung hiezu geſtattet. Auf Grund ausgedehnter und, ich darf es ſagen, äußerſt mühſeliger mikroſkopiſcher Unterſuchungen hatte ich vor Jahresfriſt die wichtige Thatſache kon⸗ ſtatiert, daß jene eigenartigen, ſchon oben erwähnten ſenſibeln Nervenendapparate, die bei den Heuſchrecken allgemein als akuſtiſche, als dem Gehörſinn dienende, gelten, auch bei der Mehrzahl der übrigen Inſekten, freilich ohne Begleitung von Trommelfellen, vor⸗ kommen. Sind nun dieſe ſaitenartigen (chordotonalen) Sinnesorgane, ſo ſchloß ich, bei den Heuſchrecken aku⸗ ſtiſche, dann müſſen ſie es wohl auch bei den anderen Kerfen ſein und dann entfällt doch wahrhaftig jeder aprioriſche Grund, daran zu zweifeln, daß die In⸗ ſekten wirklich ein Gehör haben. Die in Rede ſtehenden Verſuche ſollten dann aber zeigen, inwieweit dieſe Folgerung eine begründete iſt. Was nun zunächſt die gewählten Verſuchsobjekte be⸗ trifft, ſo experimentierte ich nicht allein mit verſchie⸗ denen luftlebenden Kerfen, worunter ſich namentlich die allbekannten „Ruſſen“ und Kakerlake (Blatta, Periplaneta), ſowie mehrere Fliegen als äußerſt fein⸗ hörig erwieſen, ſondern auch, was bisher meines Wiſſens noch nie in entſprechender Weiſe geſchehen iſt, mit diverſen Waſſerinſekten, zumal mit Ruderwanzen und Schwimmkäfern und im nachſtehenden werde ich ausſchließlich nur die letztern in Betracht ziehen. Die Ruderwanzen (Corixa), die der Lefer mit dem Fangnetz in jedem Tümpel maſſenhaft einſam⸗ meln kann, find für unſere Zwecke geradezu klaſſiſche Objekte. Dies vor allem wegen gewiſſer Gewohn⸗ heiten. Im Aquarium, dem Schauplatz unſerer Experi⸗ mente, halten ſie ſich meiſt am Grunde auf, wobei ſie in der Ruhe ausſchließlich nur die Mittelbeine zum ſich feſthalten an einem Steinchen, Blatt o. dgl. ver⸗ wenden, während die zum Rudern eingerichteten breiten Hinterfüße, wie Balanzierſtangen, frei ausgeſpreizt getragen werden. Infolge dieſer ganz eigentüm⸗ lichen Haltung können ſie beim Eintritt irgendwelcher Störung ohne den mindeſten Zeitverluſt die Flucht ergreifen. Dabei bewegen ſie ſich, aber meiſt nur etliche Sekunden lang, ſchnell durch das Waſſer, ſteigen auch wohl, zum Luftſchöpfen, einen Moment an die Oberfläche, darauf verankern ſie ſich wieder, und rühren ſich in der Regel, was für uns wichtig, fünf bis zehn Minuten lang nicht vom Flecke. Meine Verſuche mit dieſen ſtets ſegelfertigen netten Geſchöpfen begann ich nun damit, daß ich mit einem Glasröhrchen an die beiläufig einen halben Centimeter dicke Glaswand des Aquariums anſchlug und dadurch einen mäßig ſtarken Schall von bekannter Beſchaffen⸗ heit erzeugte. Wie wirkte nun dieſe Veränderung des Zuſtandes ihrer Umgebung auf die Ruderwanzen? Ich kann ohne Uebertreibung ſagen, genau wie ein unerwarteter Donnerſchlag oder ein Schreckſchuß auf uns wirkt. Humboldt. — März 1882. 101 Die meiſten, namentlich aber die der Glaswand näher ſitzenden Corixen erhoben ſich blitzſchnell und ruderten in wilder Flucht durcheinander. War denn aber wirklich der Schall die Urſache dieſer unverkennbaren Erregung? Ich nannte die betreffende Urſache abſichtlich früher nicht ſo, ſondern nur eine „Zuſtandsveränderuug“ der Umgebung, weil durch den, wenn auch gelinden Schlag an die Aqua— riumwand außer den feinen unſichtbaren Schwingungen, die wir Schall nennen, möglicherweiſe auch gröbere mechaniſche Bewegungen oder Erſchütterungen des Ge- fäßes, reſp. des Waſſers erzeugt worden ſein konnten. Ich änderte nun den Verſuch in der Weiſe ab, daß bei der Hervorbringung des Schalles an der Aquariumwand keinerlei merkbare Bewegung des Waſſerſpiegels entſtand. — Das Ergebnis blieb dasſelbe. Um aber ganz ſicher zu gehen, machte ich u. a. noch folgenden Kontrolverſuch. Ich nahm ein langes Rührſtäbchen aus Bein, unten mit einem pfennig⸗ großen dünnen Scheibchen verſehen und bewegte das— ſelbe ziemlich langſam lotwärts gegen mehrere ruhende Corixen. Obwohl nun letztere durch die dadurch er- zeugte Bewegung des Waſſers hin- und hergeſchaukelt wurden, blieben ſie bisweilen doch auf ihrem Platze, was mich anfangs, bei der empfindſamen Natur dieſer Weſen, nicht wenig wunder nahm. Nachdem ich mich ſo überzeugt hatte, daß unſre Ruderwanzen gegen gröbere Bewegungen des Auf— enthaltsmediums, wenn ſelbe mit nicht zu großer Geſchwindigkeit erfolgen, nur ſchwach reagieren, that ich folgendes: Ich näherte zunächſt vorſichtig das Scheibchen einem Tier, das ſich eben zur Ruhe geſetzt hatte, bis auf etwa 2 em, klemmte es dann am Arme eines Ständers feſt und berührte das über dem Waſſer⸗ ſpiegel befindliche (auch mit einer Beinplatte verſehene) Ende des Stäbchens mit einer zum tönen gebrachten Glocke. Die Wirkung entſprach in der That meiner Erwartung: die betreffenden Tiere ergriffen jedes— mal blitzſchnell die Flucht. Aus den bisherigen Verſuchen ergibt ſich nun wohl zur Evidenz, erſtens, daß die Ruderwanzen gegen Schallſchwingungen überhaupt empfindlich ſind und zweitens, daß ſie durch dieſe feinen und ſchnellen Bewegungen des Aufenthaltsmediums ſtärker affiziert werden, als durch gewiſſe gröbere und langſame Cr- ſchütterungen desſelben. Es läßt ſich aber auch nachweiſen, daß das Gehör der Ruderwanzen ein relativ ſehr feines iſt. Bekanntlich hören wir einen Schall oder Ton, der in der Luft entſteht, wenn wir uns unter Waſſer befinden, entweder gar nicht oder nur ſehr gedämpft, was, von der Einrichtung unſres nicht für den Waſſer⸗ aufenthalt beſtimmten Ohres abgeſehen, hauptſächlich auch davon herrührt, daß die Stärke der Schallwellen beim Übergang aus dem einen Medium in das andre, namentlich infolge der Reflexion, eine ſehr bedeutende Abſchwächung erleidet. Aus letzterem ergibt ſich dann von ſelbſt, daß Waſſertiere, auf die, wie dies z. B. bei vielen Fiſchen der Fall iſt, ein in der Luft, über dem Waſſer⸗ ſpiegel, erzeugter Schall einen beträchtlichen Ein⸗ druck macht, offenbar ein relativ feines Gehör beſitzen müſſen. Soviel mir bekannt, iſt aber ſolches bei wirbel- loſen Waſſertieren noch nie in verläßlicher Weiſe kon— ſtatiert worden und der bekannte Phyſiologe Henſen, der ſpeziell die Krebſe darauf unterſuchte, ſagt aus- drücklich, „daß rein in der Luft erzeugte Töne nicht wirkten,“ angeblich aber auch, wie er beifügt, was aber wohl nicht vollkommen richtig iſt, gar nicht ins Waſſer übergingen. Wenn nun Krebſen, die ſich nach der herrſchenden und wohl auch ganz begründeten Anſchauung ſehr ausgebildeter Ohren erfreuen, die Schallſchwingungen außerhalb ihres Elementes unempfunden verhallen ſollen, ſo ließ ſich a priori von den meiſt für ohren— los gehaltenen Inſekten eine entſprechende Reaktion wohl um ſo weniger erwarten, und ich ging daher begreiflicherweiſe nicht mit ſonderlich viel Hoffnung an die experimentelle Prüfung der Sachlage. Letztere belehrte mich aber ſofort, daß man ſich unter keiner Bedingung bung vorgefaßte Meinungen beirren laſſen darf. Der kräftige Klang einer größern Tiſchglocke näm— lich, die ich nahe dem Aquarium, aber frei in der Luft anſchlug, jagte mehrere Corixen augenblicklich in die Flucht und dasſelbe Reſultat erzielte ich nament— lich an friſch eingefangenen Tieren und in der Stille der Nacht auch durch verſchiedene andre in der Luft erzeugte Töne und Geräuſche. Noch viel empfindlicher aber als die Ruder- und andre Wanzen, z. B. die Rückenſchwimmer (Notonecta), erweiſen ſich mehrere ganz kleine Waſſer- und Schwimmkäfer u. a. Arten der reichen Gattung La- cophilus. Während ſich nämlich die bezeichneten Wanzen augenſcheinlich ſehr bald an die ſie erregenden Schall— reize gewöhnen und überhaupt auf in der Luft erzeugte nur unregelmäßig oder gelegentlich reagieren, thun dies die kleinen Waſſerkäfer (im weiteren Sinne) fo pünktlich, daß man den Verſuch jederzeit demonſtrieren kann. Hier muß ich nun in Bezug auf die richtige Be— urteilung der Schallempfindlichkeit der Inſekten ganz kurz noch auf einen vielfach gar nicht beachteten Um— ſtand aufmerkſam machen. Es iſt der, daß, wie wir an uns ſelbſt beobachten können, die ſubjektive Erregung durch Schallſchwin— gungen und überhaupt durch alle Arten von Reizen, ſelbſtverſtändlich nicht erſt bei jenem hohen Stärke— grad beginnt, bei welchem dieſelben Schreck- reſp. Fluchterſcheinungen hervorrufen, ſondern daß ſchon viel früher, wenn die Verſuchstiere anſcheinend noch ganz ruhig ſind, Wahrnehmung ſtattfindet. Begreiflicherweiſe ſind wir aber bei den Tieren völlig außer ſtande, die untere Grenze der Reiz— ſtärke (die ſogen. Reizſchwelle), bei welcher zuerſt eine merkliche Empfindung eintritt, auch nur annähernd zu beſtimmen. 102 Humboldt. — März 1882. Indem ich die vielen andern von mir angeſtellten Verſuche übergehe, möcht' ich nur noch hervorheben, daß die meiſten der unterſuchten Waſſertiere ſtärker durch hohe als durch niedere Töne affiziert werden. Dies ſieht man am beſten, wenn man ſich mit einer Geige zum Aquarium ſtellt und mit kräftigen Strichen die Tonleiter ſpielt. Vom ungeſtrichenen bis zum eingeſtrichenen g bleiben die meiſten Corixen völlig regungslos, vom letzteren bis zum zweigeſtrichenen a erhebt ſich bis⸗ weilen die eine oder die andre; geht man aber noch höher in die drei- und viergeſtrichene Oktav hinauf, alſo zu Tönen, die auf ein⸗ bis dreitauſenden von Schwingungen in der Sekunde beruhen, ſo kann man mit Sicherheit darauf rechnen, ein Paar der Corixen zu vertreiben. Durch ſolche und ähnliche Verſuche kann man ſich auch leicht überzeugen, daß ſich die Schallempfindlich⸗ keit der Inſekten zwiſchen ziemlich weiten Grenzen bewegt und daß auch ihre Unterſchiedsempfin d⸗ lichkeit ſowohl in Bezug auf die Höhe als auf die Stärke der als Reiz wirkenden Töne eine nicht unbedeutende iſt. Ja iſt dann aber, um zum Schluſſe auch dieſe Frage noch zu berühren, das unzweifelhaft ſtattfin⸗ dende Schallempfinden der Inſekten auch ein wirk⸗ liches Hören oder nur, wie vielfach geglaubt wird, eine Art Vibrationstaſtgefühl, wie wir ein ſolches beim Einwirken ſehr ſtarker Schallſchwingungen neben der eigentlichen Gehörwahrnehmung auch haben? Darauf ſei in Kürze folgendes erwidert: Welche beſondere Beſchaffenheit oder Qualität das Schallempfinden der Inſekten hat, eventuell ob es jenem nicht näher definierbaren Etwas nahekommt, was durch Erregung unſrer Gehörnerven und akuſti⸗ ſchen Zentren entſteht, das werden wir ſelbſtverſtänd⸗ lich abſolut nie herausklügeln; dagegen läßt ſich wohl mit großer Wahrſcheinlichkeit be- haupten, daß auch das vermutlich durch die ſaitenartigen Nervenendorgane ver⸗ mittelte Schallempfinden der Inſekten ein ganz beſonderer oder ſpezifiſcher Er⸗ regungszuſtand iſt, beziehungsweiſe daß er nicht mit dem zuſammenfällt, was wir Taſten nennen. Zur Begründung dieſer meiner Anſchauung führ' ich nur kurz folgende Punkte an. Für's erſte bringen ſo ſchwache Schallſchwingun⸗ gen, wie etwa das Gezirpe einer Grille, die von den Inſekten nicht nur überhaupt empfunden, ſondern zum Teil wenigſtens ſogar als luſterweckende Lockrufe wahrgenommen werden, in unſerm Taſtapparat abſolut keine merkliche Reaktion hervor. Zweitens iſt zu beachten, daß wir entſchieden nicht befähigt ſind, mittelſt des Taſtſinnes verſchiedene Klänge deutlich zu unterſcheiden, während gewiſſe In⸗ ſekten, wenn uns nicht alles täuſcht, dieſe Fähigkeit beſitzen. . Drittens endlich darf unter andrem auch nicht ver⸗ geſſen werden, daß die Ausbildung ganz beſonderer von Taſtorganen weſentlich verſchiedener Apparate zur Vermittelung von Schallempfindungen, wie ich ſie bei den meiſten Inſekten nachgewieſen habe, in der That ziemlich überflüſſig erſchiene, wenn mit dieſer morpho⸗ logiſchen Differenzierung nicht auch eine das geſamte Orientierungsvermögen erweiternde phyſiologiſche oder funktionelle Sonderung verbunden wäre. Doch ſeien wir vorläufig zufrieden, daß wir nun⸗ mehr wenigſtens das Eine ganz beſtimmt und ſicher wiſſen: Die Inſekten haben ein Gehör und zwar im Allgemeinen ein ſehr feines. Ueber den angeblichen Einfluß des Sonnenlichts auf den Luftzug in Kaminen. Don Prof. Dr. F. Kohlrauſch in Würzburg. (Mit Bewilligung des Verf. aus den Sitzungsberichten der Würzburger Phyſ.⸗med. Geſellſchaft 1881 abgedruckt.) W verbreitet iſt die Annahme, daß der Auftrieb der Luft in einem Kamine durch den Sonnen⸗ ſchein beeinträchtigt werde. Die Klage über einen rauchenden Ofen wird von dem einſchlägigen Geſchäfts⸗ mann gar oft dahin beſchieden, daß „die Sonne den Rauch zurückgedrückt habe“. Insbeſondere ſoll der auf dem Kamine laſtende Sonnenſchein ein Hindernis gegen den Luftzug bei dem Anheizen des Ofens bilden. Seit der Crookesſchen Entdeckung mechaniſcher Wirkungen des Lichtes kann man dieſe Anſicht nicht mehr mit voller Sicherheit a priori als einen Aber⸗ glauben behandeln, vielmehr würde ein von den Sonnenſtrahlen ausgeübter Druck gegen den Rauch als ein intereſſanter Zuwachs zu den Lichtmühl⸗ Erſcheinungen anzuſehen ſein. Deswegen hielt ich es für der Mühe wert, dieſe Frage durch den Verſuch zu entſcheiden. Freilich ſind die Kräfte des Lichtes in der Licht⸗ mühle nur geringfügig; aber auch von dem Auftrieb in einem Kamine kann man oft dasſelbe ſagen. Be⸗ ſonders bei dem Anheizen eines Schornſteins könnte Humboldt. — März 1882. 103 ein Gegendruck von einem Hunderttauſendſtel einer Atmoſphäre unter Umſtänden ſchon kritiſch werden. Es war alſo vor allem ein hinreichend empfind— licher Apparat notwendig, um den Auftrieb zu meſſen. In einfachſter Weiſe wird dieſer Zweck folgender— maßen erreicht“): Man bog ein dünnes federndes Kupferblech (½o mm Dicke) in Wellenform, aber nicht wie bei dem Aneroidbarometer in konzentriſche, ſondern in parallele geradlinige Wellen von etwa 15 mm Wellen— länge. Ein ſolches Wellenblech von 50 mm Höhe, 150 mm Breite wurde in einem Rahmen eingeſetzt, die kurzen, ſeitlichen Ränder befeſtigt, während der längere, obere und untere Rand ſich frei, mit einem Spielraum von etwa % mm in dem Rahmen verſchieben kann. Daß hierbei der Verſchluß nicht ganz dicht iſt, kommt für den hier verfolgten Zweck nicht in Betracht, denn die freien Spalten zwiſchen dem Blech und dem Rahmen ſind im Vergleich mit dem Quer- ſchnitt des Kamines oder auch eines Ofenroſtes verſchwindend klein. Auf das Blech iſt in ſeiner kurzen Mittellinie, etwa 20 mm vom obern Rand, ein Stückchen Kork aufgekittet, in welches eine abgekniffene Steck⸗ nadel ſo eingedrückt wird, daß der Stecknadelknopf herausragt. Gegen die— ſen Knopf liegt ein kleiner von dem Rahmen drehbar herabhängender Glasſpiegel mit einem untern Punkt ſeiner Hinterfläche an und folgt alſo den Be— wegungen des Bleches durch eine vertikale Drehung. Damit die Empfindlichkeit der Bewegung nicht unter einer Reibung leide, iſt das Spiegelchen nicht an einer Achſe, ſondern — wie bei einem früher von mir be— ſchriebenen Variationsbarometer *) — an zwei ſehr feinen Stahlfedern aufgehängt. Der Apparat arbeitet alſo ohne jede Reibung. Die Federchen drücken zu— gleich den Spiegel leicht gegen den Stecknadelknopf. Nimmt nun der Druck hinter dem Bleche zu, ſo wird das letztere dadurch nach vorn bewegt und dreht den Spiegel nach oben und umgekehrt. In bekannter Weiſe beobachtet man dieſe Bewegungen an dem vom Spiegel zurückgeworfenen Bilde eines vertikalen Maß— ſtabes mit einem Fernrohr. *) Ahnlich wie durch eine von Röntgen für andere Zwecke gebrauchte und weniger empfindliche Vorrichtung. Poggendorff, Annalen CXLVIII 580. 1873. ) Poggendorff, Annalen CL 423. 1873. Humboldt 1882. Um die Empfindlichkeit dieſes Druckmeſſers (Diffe— rentialmanometers) zu ſchätzen, wurde in einem Ge— häuſe, in deſſen Seitenwand der Rahmen befeſtigt war, oberhalb des Rahmens eine Luftſäule von etwa 350 mm Höhe durch Leuchtgas erſetzt. Dadurch ent— ſtand eine Bewegung des Spiegelbildes von einem 3m entfernten Maßſtabe um etwa 40 mm. Das Leuchtgas hat etwa die halbe Dichtigkeit der Luft. Dann entſpricht alſo die Auswechſelung der obigen Luftſäule durch Leuchtgas dem Wegnehmen einer Luft: ſäule von halber Höhe, als von 175 mm, d. h. einer Druckverminderung hinter dem Spiegel um etwa 0000 Atmoſphäre. Kann man nun 0,5 mm mit dem Fernrohre noch ſicher ableſen, ſo geht die Genauigkeit des Apparates auf beiläufig ein Viertelmillion— ſtel Atmoſphäre. Das iſt eine Größe, welche ſicher nicht mehr von Belang iſt bei dem Ofenzuge, denn fie entſpricht in einem 5 m hohen Kamine einer Temperaturänderung von nur etwa 0 Grad. Bei den Lichtverſuchen war der Druckmeſſer in dem Ausſchnitt einer Seitenwand eines Holzkiſtchens angebracht, welches in ſeiner obern und untern Wand je eine runde verſchließbare Oeffnung von 80 mm Durchmeſſer beſaß. Zunächſt verſchloß man die untere Oeffnung und ſetzte die obere abwechſelnd den Sonnenſtrahlen und dem Schatten eines vorgehaltenen Schirmes aus. Irgend eine Wirkung auf den Druck im Kaſten war nicht zu beobachten. Befeſtigte man auf der obern Oeffnung einen kleinen Hohleylinder von ſchwarzem Papier, ſo ent— ſtand ſogar bei dem Auftreffen der Sonnenſtrahlen ſofort eine kleine Drudverminderung im Innern, herrührend von der Erwärmung der Luft im Cylinder. Darauf verſah man die untere und die obere Oeff— nung des Kaſtens mit 350 mm langen eiſernen Röhren. Es genügte jetzt, wenn die untere Oeffnung verſchloſſen war, eine geringfügige Erwärmung des obern Rohres, um eine Druckverminderung hervortreten zu laſſen. Umgekehrt brauchte man nur das obere Rohr zu ſchließen, das untere etwas zu erwärmen, um eine merkliche Druckvermehrung zu erhalten. Die Sonnenſtrahlen aber übten auch jetzt durch— aus keinen Einfluß aus, der einige Zehnmillionſtel eines Atmoſphärendrucks erreicht hätte. Man füllte den Kaſten mit Rauch, der bei geſchloſſener unterer Oeffnung langſam aus dem obern Rohre hervorquoll. Aber auch hier wieder dasſelbe negative Reſultat des Sonnen— lichtes. Endlich aber könnte man noch der Meinung ſein, daß wenn auch kein Druck des Lichtes auf den ruhen— den Rauch vorhanden iſt, doch ein Bewegungs— widerſtand beſtehen könnte. Deswegen heizte man den Apparat ſchwach durch Erwärmung des untern Rohraufſatzes, wechſelte an der obern Oeffnung mit Belichtung und Beſchattung ab und ließ nun dauernd oder plötzlich eine Rauchſäule aufſteigen. Freilich war jetzt das Manometer in dem aufſteigenden Luftſtrom nicht ganz ſtationär, ſondern wechſelte ſeine Einſtel— 14 104 Humboldt. — März 1882. lung unregelmäßig um Beträge bis zu etwa 2 Skalen⸗ teilen. Trotzdem ließ eine öftere Wiederholung der Verſuche keinen Zweifel darüber, daß auch hier kein Einfluß des Sonnenlichtes von einem Mil⸗ lionſtel Atmoſphärendruck beſtand. Nach dieſen Ergebniſſen ſcheint alſo die Meinung, daß die Sonnenſtrahlen den Rauch zurück⸗ drängen, in das Gebiet der Fabel ver- wieſen werden zu müſſen. Wahrſcheinlich liegt, wie ſo oft in naturwiſſenſchaftlichen Volks⸗ mindert hat, kann ſie den Auftrieb ſtören. anſichten, eine Verwechſelung zweier Urſachen für eine Beobachtung vor. Indem die Sonne eine Erwärmung der äußeren Luft bewirkt und dadurch die Tem⸗ peraturdifferenz gegen das Innere des Kamines ver⸗ Das iſt eine Beobachtung, die man oft genug machen kann, wenn erſt geheizt werden ſoll, nachdem die Sonne höher geſtiegen iſt; und hierauf dürfte die irrige Anſicht von dem Druck der Sonnenſtrahlen zurückzu⸗ führen ſein. ; Siele und Wege der modernen phyſikaliſchen Forſchung. Von Prof. Aug. Heller in Budapeſt. (Schluß.) Die Naturwiſſenſchaft, insbeſondere die Lehre von den Naturerſcheinungen, d. i. die Phyſik, hat im Verlaufe der letzten drei Jahrhunderte einen unge⸗ ahnten Aufſchwung genommen. Während die Phyſik des Altertums und ſomit auch die des Mittelalters außer den Bewegungs-, d. i. mechaniſchen Erſcheinun⸗ gen feſter Körper bloß die Lichterſcheinungen kultivierte, wurden durch Torricelli und die andern Schüler Galileis, durch Otto von Guericke, Pascal, Boyle und andere die Erſcheinungen des Druckes und der Bewegung von Flüſſigkeiten und luftförmigen Körpern erörtert und feſtgeſtellt. — Neue Bahnen eröffneten ſich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, als man durch planmäßiges Experimentieren die Grunderſcheinungen der Elektrizität auffand. Seither iſt die Elektrizitätslehre, welche mit Entdeckung der ſtrömenden Elektrizität in der zweiten Hälfte des acht⸗ zehnten Jahrhunderts in ein neues Stadium ſeiner Entwickelung trat, zu einem ausgedehnten Wiſſens⸗ kreis angewachſen, welcher auch die magnetiſchen Er⸗ ſcheinungen in ſich aufgenommen hat. Während dergeſtalt ſich unſre Kenntniſſe von den Veränderungen an der Materie, d. i. von den Natur⸗ erſcheinungen ſtets ausbreiten und heute ſchon ein kaum mehr überſehbar großes Gebiet einnehmen, hat ſich die Naturerkenntnis auch vertieft und hat die einzelnen Faktoren derſelben einer eingehenden Unter⸗ ſuchung unterzogen. Sowie der Hiſtoriker die Quellen, aus denen er ſein Material ſchöpft, bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit einer Unterſuchung unterwirft und mit der Fackel der hiſtoriſchen Kritik die Nebel ſagen⸗ hafter Zeiträume zerſtreut, ſo forſcht man nach den Quellen unfrer Kenntniſſe von den Naturerſcheinungen und über deren Glaubwürdigkeit. Trotzdem es uns heute als ganz ſelbſtverſtändlich erſcheinen mag, daß das geſamte Material, aus dem ſich unſer Wiſſen von der Außenwelt aufbaut, einzig und allein aus der Erfahrung ſtammt und demnach in Form von Sinneseindrücken zu unſrem Bewußtſein gelangt, dauerte es doch lange Zeit, bevor dieſe Wahrheit all⸗ gemein anerkannt wurde. Das gegenwärtige Zeit⸗ alter ſucht ſich in ſeinen wiſſenſchaftlichen Beſtrebun⸗ gen ſoviel als möglich vor Täuſchungen zu bewahren und ſtrebt, im Falle ſich in irgend einer Frage volle Gewißheit nicht erreichen läßt, wenigſtens den Grad der Wahrſcheinlichkeit zu beſtimmen. Während die phyſikaliſche Forſchung ſomit in einer Beziehung viel rigoroſer geworden iſt, hat ſie in andrer Beziehung ihre Anſprüche weſentlich reduziert, nämlich bezüglich der Grenzen der Naturerkenntnis. Die Naturwiſſenſchaft vergangener Tage ſteckte ſich als Ziel, die letzte Urſache der Erſcheinungen zu ergründen und hoffte dies durch pures Nachdenken über den Gegen⸗ ſtand erreichen zu können. Was nun dieſes Endziel betrifft, ſind wir beſcheidener geworden. Wir forſchen nicht mehr nach dem Urgrunde der Dinge und erwarten nichts mehr von dem bloßen Philoſophieren über dieſen Gegenſtand. Die Anſtrengungen, welche die Forſchung unſrer Tage macht, ſind viel mächtiger und wenden gewaltigere Mittel auf, als dies unſre Vor⸗ fahren gethan. So wie das Heer, das ein Land mit Krieg überzieht, nur dann Ausſicht auf Erfolg hat, wenn es genau die Bodenverhältniſſe desſelben, ſeine Flüſſe und Berge kennt, ſo ſucht die moderne phyſi⸗ kaliſche Forſchung genau das Terrain, auf dem es ſich bewegt, zu erkunden und ſo wie es im Kampfe auf die Vorzüglichkeit der Waffen ankommt, ſo ſucht die⸗ ſelbe durch Erfindung von Werkzeugen, welche die Sinne ſchärfen, die Erforſchung der Erſcheinungswelt zu fördern. Nachdem man die Quellen unſrer Erkenntnis einer ſtrengen Kritik unterzogen und gefunden hat, daß wir nach Ausſchließung der Erfahrung, wie ſie durch unſre Sinne vermittelt wird, über die Natur nichts wiſſen können, hat man das Gewicht der Forſchung auf die Schärfung der Sinneswerkzeuge gelegt, um durch ge⸗ Humboldt. — März 1882. naue Beobachtung der Erſcheinungen dieſe ſo genau als möglich beſchreiben zu können. Denn wir ſetzen uns heute als Endziel bloß die beſcheidene Aufgabe, die Erſcheinungen der Natur genau und vollſtändig zu beſchreiben. Hiezu ſind nun vor allem ſolche Werkzeuge erforderlich, welche die Grenzen der ſinn— lichen Wahrnehmung weit über die des unbewaffneten Sinnenwerkzeuges hinausrücken. Es ſind dies die Meßwerkzeuge und die optiſchen Inſtrumente. Unſre Fernröhren geben uns von den Gegenſtänden, welche auf Millionen Meilen entfernten Himmelskörpern ſich befinden, wohlumgrenzte Bilder, und unſre Vergröße— rungsgläſer zeigen uns Gegenſtände und Vorgänge, von deren Exiſtenz das nackte Auge keine Ahnung hatte; unſre Längenmeßapparate geſtatten die Wahr— nehmung von Längenunterſchieden, die kaum ein Tauſendſtel des Millimeters betragen, während unſre feinen Wagen das Gewicht des im Sonnenſtrahl tanzenden Stäubchens zu beſtimmen vermögen. — Wer vermöchte in kurzen Worten den ſtattlichen In— ſtrumentenpark des modernen Phyſikers zu beſchreiben, alle die Apparate zur peinlich genauen Meſſung von meßbaren und zur Sichtbarmachung von unmeßbaren, kleinen Veränderungen. Es iſt die oben angedeutete Beſchränkung, welche ſich die phyſikaliſche Forſchung der Gegenwart auf— erlegt hat, eben der wichtigſte Fortſchritt, der auf dieſem Gebiete ſeit Jahren geſchehen iſt. — In den Perioden ſeiner Kindheit ſtrebte der menſchliche Geiſt nach ewig unerreichbaren Idealen. Ihm ſchien es noch möglich, Reſultate ſeiner Beobachtung und des Nachdenkens darüber bis auf die letzten Dinge zurück— zuführen. So ſuchte man im Anfange nach einer Urſache und nach den Bedingungen der Materie ſelbſt, wie wir dies bei den älteſten griechiſchen Philoſophen der vorſokratiſchen Periode finden. — Ein weiterer Schritt war es, die Materie als gegeben zu betrach— ten und dem Weſen der Kraft, als der Urſache der Bewegung nachzuſpüren. Während ſolcherweiſe der jugendliche Geiſt des Menſchen unerreichbaren Fernen nachſtrebte, über welche hinaus er erſt die Grenzen ſeines Reiches ahnte, ſehen wir unſere Kenntnis von der Natur auf viel engere Grenzen beſchränkt. Unter allen Erſcheinungen ſind es bloß die Bewegungserſcheinungen, welche einer vollſtändigen Beſchreibung zugänglich ſind, da deren Elemente: Raum und Zeit, unſern Sinneseindrücken erfaßbar und ſomit auch meßbar ſind. Es gibt keine zweite Gattung von Naturerſcheinungen, welche wir ebenſo gänzlich zu verſtehen im Stande wären und ſomit iſt es ein naheliegendes Streben, alle Natur— erſcheinungen auf Bewegungserſcheinungen, d. i. auf Mechanik zurückzuführen. Unſre Zeit iſt die der me— chaniſchen Naturanſchauung. In der erſten Hälfte des Jahrhunderts ſiegte jene Lichttheorie, nach welcher das Licht eine Art von ſchwingender Bewegung iſt, eine Anſicht, die ſeither durch zahlreiche Entdeckun— gen eine faſt unumſtößliche Gewißheit erhalten hat; die zweite Hälfte des Jahrhunderts hat uns die me— chaniſche Wärmetheorie gebracht, nach welcher auch 105 dieſe Erſcheinung ein Bewegungsphänomen iſt. Es blieben ſomit bloß Elektrizität, Magnetismus, Elaſti⸗ zität und Kohäſion nebſt einigen andern Erſcheinun⸗ gen, von denen wir wohl überzeugt ſind, daß ſie ebenfalls Bewegungserſcheinungen ſein müſſen, wenn es bisher auch noch nicht gelungen iſt, die wahrſchein— liche Art der Bewegung aufzufinden. So erkennen wir denn in der modernen Phyſik das Streben, die geſamte Welt der Erſcheinungen in Mechanik aufzulöſen. Dort, wo der Naturforſcher des Altertums von einander, ihrer Sphäre, der ſie zugeordnet, zuſtrebende Subſtanzen ſah, die ſich ſtets wie Ol und Waſſer zu entmiſchen ſtrebenden vier Elemente der griechiſchen Phyſiker, über welche als fünfte Weſenheit (quinta essentia) der überirdiſche, vollkommene Aether, aus dem die Himmelskörper ge— bildet waren, ſeine ewig gleichen, ungeſtörten Kreiſe beſchrieb .. ... dort, wo die Naturlehre der jüngſt— verfloſſenen Jahrhunderte noch verſchiedene Subſtanzen erblickte mit gewiſſen geheimnisvollen Kräften und Tugenden ausgerüſtet . . . .. dort, wo noch die Phyſik des vorigen Säkulums eine ganze Reihe von unwäg— baren Subſtanzen, ſogenannten Imponderabilien, anz nahm, als da ſind: Elektrizität, Magnetismus, Licht, Wärme u f f dort erblicken wir nun mit dem Auge des Geiſtes den ſinnbetäubenden, wilden Tanz der kleinſten Körperteilchen, welche wirbelnd, ſchwir— rend, ſchwingend, kreiſend oder mit raſender Geſchwin— digkeit den Raum durchſtürmend jede mögliche Art von Bewegung, mit jeglicher Art von Geſchwindigkeit vollführen, die als ein vollkommenes Chaos erſcheinen würde, wenn nicht die mechaniſch-geometriſchen Geſetze den Takt zu dieſer neuen Muſik der Sphären ſchlagen würden. Und alle dieſe, die mannigfaltigſten Evo— lutionen vollführenden Teilchen beſtehen aus einer und derſelben, ſonſt gänzlich eigenſchaftsloſen Materie, welche als rieſiger Weltozean das All erfüllt, in dem alle dieſe Bewegungen nichts andres ſind, als eine Aonen hindurch ſchon andauernde Gleichgewichts- ſtörung, welche, nachdem ſie noch Aonen dauern wird, endlich unausweichlich zu einem Ausgleich der Be— wegungen führen muß. Wenn erſt jedes Teilchen der Materie im weiten Weltall mit gleicher Geſchwin— digkeit, in gleicher Weiſe ſich bewegen wird und wenn ſchließlich die letzte Ungleichheit in der räumlichen Verteilung der Materie dahingeſchwunden ſein wird, dann hört auch die Urſache der Veränderung auf und ewig gleichförmig und veränderungslos ruht der Ozean in Totenſtille. Ob urſprünglich ein mächtiger Schöpfungsakt das Gleichgewicht geſtört oder ob die Störung von Ewigkeit her beſtanden; ob der Welten— tod, die endliche Ausgleichung in endlicher Zeit erfol— gen werde oder ob dies bloß ein ewig mehr ange— ſtrebter, jedoch ewig nie erreichter Endzuſtand fein werde, — wer von uns Sterblichen mit unſrem endlichen Verſtande vermöchte ſolches zu entſcheiden, von denen ſich mit den Worten des Dichters ſagen läßt: „Sitzt das kleine Menſchenkind An dem Ozean der Zeit, 106 Humboldt, — märz 1882. Schöpft mit ſeiner kleinen Hand Tropfen aus der Ewigkeit“. Es entſteht nun die gewichtige Frage, ob die mechaniſche Weltanſchauung, der unſre heutige Philo⸗ ſophie der Natur (um der Phyſik ihren Newtonia⸗ niſchen Namen zu geben) mit vollen Segeln zuſteuert, eine objektiv richtige ſei, oder ob bloß eine von unſrem Denkvermögen infolge unſrer modernen Art zu forſchen, geforderte. Unſre Sinneseindrücke, das ſind die letzten Quellen unſrer Erkenntnis, ſind bloß Zeichen der Dinge um uns, welche den wirklichen Dingen ebenjo- wenig gleichen, als der Buchſtabe „a“ dem Laute, den er bezeichnet. Der ſchon oben einmal zitierte Sekretär der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften: Profeſſor Emil Du Bois-Reymond hat in einer 1872 gehaltenen Rede: „Ueber die Grenzen des Naturerkennens“ und hieran anknüpfend in einer am 8. Juli 1880 gehaltenen Rede unter dem Titel: „Die ſieben Welträtſel“ die Grenzen auszu⸗ ſtecken verſucht, über welche hinaus ſich a menſchliche Geiſt in der Erkenntnis der Dinge nie zu ſchwingen im Stande ſein wird und hat, ſich auf den Stand⸗ punkt der mechaniſchen Naturanſchauung ſtellend, dieſe Grenzen ſcharf bezeichnet. Es ſcheint uns nun als ſei dieſe Anſicht vom Standpunkte des Phyſikers, der ſtrenge darauf zu ſehen hat, daß er den feſten Boden der Erfahrung nicht unter den Füßen verliere, und nur ſo weit geht, als dieſe reicht, in etwas zu modi⸗ fizieren; es ſei mit andern Worten die Grenze jenes „ignorabimus“, das in jener Rede den Forſchern der Zukunft zugerufen wird, noch näher zu rücken. Denn das, was ſtets und immerdar Hypotheſe bleiben wird: unſer Wiſſen von der Konſtitution der Materie und die Frage, ob die mechaniſche Weltanſchauung wirklich mehr iſt, als ein bloßes Bild der Dinge, ob die Quantität, räumliche Anordnung und die Geſchwindig⸗ keit der durch den Weltenraum ſtürmenden Materie die ſämtlichen chemiſchen, phyſiologiſchen und andern organologiſchen Erſcheinungen zu erklären im ſtande ſein wird, ſowie ſie dies bisher bei einigen wenigen phyſikaliſchen Erſcheinungen vermochte, ob mit einem Worte der Naturforſcher mit dieſer einen Hypotheſe ausreichen werde, welche allerdings die gewichtige Motivation für fic) hat, daß die Bewegungserſchei⸗ nungen die einzigen vollkommen erfaßbaren ſeien, das alles weiſt darauf hin, daß vor jener Grenze, auf welche Du Bois-Reymond ſein „ignorabimus“ geſchrieben, eine breite Zone ſolcher Wahrheiten liege, deren Schleier keine ſterbliche Hand heben wird, ein Gebiet, das wir bloß mit Vermutungen und Hypo- theſen ausfüllen können. Der menſchliche Geiſt hat in der Erdenkung und Ausführung phyſikaliſcher Meßinſtrumente im Laufe des letzten Jahrhunderts wirklich Staunenswertes ge- leiſtet. Unſre Sinne, bewaffnet mit dieſen erwählten Werkzeugen, ſind im ſtande, ſolche Diſtanzen zu meſſen und ſolche Kräfte gegeneinander abzuwägen, welchen gegenüber der Menſch entweder als Sonnenſtäubchen verſchwindend klein, oder als Rieſe unendlich groß erſcheint. Und doch find alle dieſe Werkzeuge unzu— reichend, ſobald es ſich um Fragen über die Ron- ſtitution der Materie und die Art der Bewegung der Körperelemente handelt. Wir werden durch kein Mikroſkop der Welt die letzten Teilchen der Körper erblicken und durch keine Vorrichtung die raſend ſchnelle Bewegung derſelben ſichtbar machen und ſo ſind wir denn, wenn wir bei der Unterſuchung der Erſcheinungen nicht auf halbem Wege ſtehen bleiben wollen, gezwungen, da uns die volle, ungetrübte Wahrheit durch die Beſchränktheit unſrer Sinne ver⸗ ſagt iſt, zu Vorausſetzungen: Hypotheſen unſere Zu⸗ flucht zu nehmen. Die Bedeutung der Hypotheſen in der Phyſik iſt eine zweifache. Entweder hat fie bloß die Aufgabe, die Anwendung der Rechnung auf eine Erſcheinung zu ermöglichen und iſt dann bloß eine mathematiſche Fiktion, wie z. B. die Hypotheſe, welche auch die heutige theoretiſche Phyſik noch feſthält, der⸗ zufolge wir Elektrizität und Magnetismus als Sub⸗ ſtanz betrachten, deren Menge, Dichte ꝛc. wir in Rech⸗ nung bringen, da bis jetzt keine beſſre Hypotheſe ge— funden werden konnte, oder aber iſt die Hypotheſe eine mechaniſche, welche die Zurückführung einer Er⸗ ſcheinung auf Bewegungsphänomene bewerkſtelligt. Eine ſolche Hypotheſe iſt beiſpielsweiſe jene, welche die Wärme als eine Bewegung der kleinſten Körperteil⸗ chen betrachtet. Bei dieſen Hypotheſen der zweiten Kategorie beruhigen wir uns und nehmen ſie als ge⸗ nügende Erklärung, da das, was über ſie hinausliegt, zugleich über alle Erfahrung in die Nebelregionen der Metaphyſik hinausragt. — — Hunderte von Forſchern ſind in unſern Tagen bemüht, durch mannigfaltige Veränderungen der Um⸗ ſtände, durch Trennen der verſchiedenen Faktoren, unter deren Einwirkung die Naturerſcheinungen zu ſtande kommen, neue Erfahrungen über die Eigen⸗ tümlichkeiten der Vorgänge in der Natur zu ſammeln. Der praktiſche Sinn bricht vom Baume der Natur⸗ erkenntnis, was ihm paßt und wendet es auf die Bedürfniſſe des alltäglichen Lebens an. Doch unbe⸗ kümmert, ohne Rückſicht auf ſeitab liegende Zwecke ſchreitet die Wiſſenſchaft ihre erhabne Bahn zur Sonnenhöhe reiner Naturerkenntnis. Humboldt. — März 1882. 107 Leuchtende Farben. Von Dr. Theodor Peterſen, Vorſitzender im phyſikaliſchen Verein zu Frankfurt a. m. 1 der gewöhnlichen Art der Beleuchtung ver— mittelſt kohlenſtoffhaltiger Stoffe, ſeien es feſte, flüſſige oder gasförmige, gelangt die elektriſche mehr und mehr zu Bedeutung und Anwendung und läßt in den nächſten Jahren mit Recht weitere weſentliche Fortſchritte erwarten. Neben dieſen beiden beſteht eine dritte eigentümliche Beleuchtungsart, welche bis jetzt allerdings noch wenig benutzt wird, indeſſen im— merhin zu größerer Anwendung gelangen kann, um ſo mehr, als ſie ſich für gewiſſe Beleuchtungszwecke ſehr wohl eignet. Sie beruht auf der Eigenſchaft gewiſſer Stoffe, Licht aufzunehmen, gleichſam einzu— ſaugen, und és im dunkeln nach und nach wieder zu verbreiten. Die Erſcheinung hat Aehnlichkeit mit dem Leuchten des Phosphors im dunkeln, was auf einer langſamen Verbrennung deſſelben beruht; man hat ſie daher ebenfalls als Phosphoreszenz bezeichnet, ob— gleich hier keine Verbrennung ſtattfindet. Auch ſo— genannte Fluoreszenz, wie der nach dem Erhitzen eine zeitlang im dunkeln leuchtende Flußſpath zeigt, kommt hier nicht in Betracht; das Leuchten des Flußſpaths wird durch direkte Beleuchtung aufgehoben, das Licht der leuchtenden Farben aber dadurch gerade bewirkt. Selbſtleuchtende Körper, welche in neuerer Zeit beſondere Beachtung erfahren haben, ſind längſt be— kannt. In cqhineſiſch-japaneſiſchen Ueberlieferungen wird ſchon darauf hingewieſen, daß zur Zeit des chine— ſiſchen Kaiſers Tai-Tſung, 998—976 v. Chr. das Bild eines Ochſen täglich aus ſeinem Rahmen ins Freie und abends zurückgebracht wurde, um zur Nacht— zeit ſichtbar zu ſein und daß die Japaneſen es ver— ſtanden, aus Auſternſchalen, mit gewiſſen Farben ver- miſcht, ein Präparat herzuſtellen, welches einem da— mit behandelten Bilde die Eigenſchaft erteilte, bei Tage unſichtbar, aber bei Nacht ſichtbar zu ſein. Im techniſchen Wörterbuch von Karmarſch und Heeren erwähnt Prof. Gintl zahlreicher unorganiſcher und organiſcher Stoffe, welche nach vorhergegangener Be— ſtrahlung durch eine Lichtquelle im Dunkeln mehr oder weniger leuchten, ſo Marmor, Kreide, verſchiedene Salze, wie Salpeter, Glauberſalz, Borax, Soda, Kochſalz, Bitterſalz, ferner Stärke, Mehl, Gummi, Leim, gebleichte Leinwand, Baumwollenſtoff, weißes Papier, beſonders aber gewiſſe Sorten von Diamant, Phosphorit, Flußſpath, Gips, Kalkſpath und WArra- gonit, Strontianit, Witherit und Schwerſpath. Der Bologneſer Schwerſpath hat in dieſer Hinſicht eine gewiſſe Berühmtheit erlangt. Wir widmen der Ge— ſchichte der leuchtenden Farben, welche nach Aufzeich— nungen des verſtorbenen M. M. von Weber durch . Mitteilungen des Herrn J. Gaedicke in der Ber— liner polytechniſchen Geſellſchaft bekannter geworden ift*), eine etwas nähere Betrachtung. Vincenzo Casciorolo, ein Schuhmacher zu Bo— logna, der neben ſeinem Handwerk noch die Kunſt des Goldmachens zu erfinden ſtrebte, fand im Jahre 1630, bei Nacht von einer Reiſe heimkehrend, am Fuße des Berges Paterno durch einen vorhergefal— lenen Regen von der Berglehne herabgewaſchene weiße Gerölle, welche in der Dunkelheit ein mattes bläu— liches Licht ausſtrahlten. Er hoffte hierin das Ma— terial zur Herſtellung des Goldes gefunden zu haben, ſah ſich aber trotz aller angewandten Mittel in ſeiner Hoffnung betrogen. Bald darauf ſchrieb Fortuno Leciti eine Schrift über den Bologneſer, im dunkeln leuchtenden Stein und Pater Athanaſius Kircher erwähnt deſſelben als eines Wunders. Unter den Phyſikern und Chemikern, welche ſich in der Folge damit beſchäftigten, iſt beſonders der Engländer Can— ton zu nennen, welcher Leuchtſteine oder Lichtſauger faſt ebenſo intenſiv leuchtend herſtellte, wie man es heute vermag. Ein Stück ſeines Produktes, in eine Glasröhre eingeſchmolzen, auf der die Jahreszahl 1764 zu leſen iſt, befindet ſich im Beſitz von Prof. Tuſon in London und hat ſeine lichtſaugende Kraft bis auf den heutigen Tag ungeſchwächt behalten. Wiſſenſchaftlich behandelte den Gegenſtand zuerſt E. Becquerel, welcher vermittelſt ſeines Phosphoro— ſkops die Eigenſchaft der Phosphoreszenz an einer großen Anzahl von Körpern nachwies. Die Arbeiten der beiden Becquerel, Vater und Sohn, über die Leuchtſteine hat in neuerer Zeit namentlich Balmain fortgeſetzt und dieſe ſo wirkſam hergeſtellt, daß ihre praktiſche Anwendung ermöglicht iſt. Er verkaufte ſein Verfahren an ein Londoner Geſchäft und von dieſem wird jetzt fabrikmäßig gearbeitet. Die Vorſchriften zur Herſtellung von Leuchtſteinen laufen alle darauf hinaus, eine Schwefelverbindung von Baryum, Calcium oder Strontium zu bereiten, wofür entweder die auf verſchiedene Weiſe reduzierten ſchwefelſauren Salze der alkaliſchen Erden oder die kohlenſauren Salze und Oxyde dienen, welche letzteren mit Schwefel oder Schwefelverbindungen behandelt werden. Die reinen Schwefelverbindungen leuchten gar nicht. Indeſſen iſt die chemiſche Zuſammenſetzung allein nicht maßgebend für die Leuchtkraft, da von zwei Subſtanzen gleicher Zuſammenſetzung die eine leuchten kann, während die andere nicht leuchtet; das *) S. u. a. Induſtrie-Blätter 1881, Nro. 21 und 22. 108 Humboldt. — März 1882. Leuchten hängt vielmehr außer von der richtigen chemi⸗ ſchen Zuſammenſetzung noch von einem beſtimmten molekularen Zuſtande des betreffenden Stoffes ab. Der Bononiſche oder Bologneſer Leuchtſtein wird nach einer alten Vorſchrift von John aus eiſenfreiem Schwerſpathpulver hergeſtellt, das mit Traganth⸗ ſchleim zu Kuchen geformt, getrocknet und in einem Windofen, zwiſchen kleinen Kohlen geſchichtet, eine Stunde lang geglüht wird; die geglühte Maſſe kommt noch warm in gut verſchließbare Gefäße, ein Zuſatz von 3—4 Prozent Magneſia macht ſie wirkſamer. Oſann reduzierte ſchwefelſauren Baryt in der Glüh⸗ hitze durch Waſſerſtoffgas, Markgraf glühte ſchwefel⸗ ſauren Kalk mit Kohle und Canton ſtellte phos⸗ phoreszierende Schwefelverbindungen von Kalk her, ſogenannten Cantonſchen Phosphor, in dem er als Material gebrannte Auſternſchalen nahm, welche er mit Schwefelblumen glühte. Auch Grotthus arbeitete nach dieſem Verfahren und Oſann modifizierte das⸗ ſelbe dadurch, daß er die Schwefelblumen durch Schwe⸗ felmetalle erſetzte, welche in der Hitze Schwefel ab⸗ geben, wie Schwefelantimon, Schwefelzinn und Zin⸗ nober. Wach kehrte zu der Cantonſchen Vorſchrift zurück, mengte aber die Schwefelblumen mit kleinen Mengen von Metalloxyden, um dadurch verſchiedene Farben zu erzielen. Homberg glühte Kalk mit Salmiak und Balduin ſalpeterſauren Kalk bis zur beginnenden Zerſetzung. Gute Leuchtſteine erhält man ferner durch Glühen von unterſchwefligſaurem Kalk mit etwas Magneſia, ſowie durch Glühen von unter⸗ ſchwefligſaurem oder ſchwefligſaurem Baryt und Strontian. In neuerer Zeit hat ſich außer Balmain u. A. Seelhorſt mit der Bereitung von Leuchtfarben be⸗ ſchäftigt. Nach des letzteren Verſuchen erhält man durch 20—25 Minuten langes Glühen von unter⸗ ſchwefligſaurem Strontian oder gleicher Teile von kohlenſaurem Strontian und Schwefelmilch zuerſt über einer Bunſenſchen Lampe, dann über dem Ge⸗ bläſe, eine ſchön grün leuchtende Maſſe, während durch ſtarkes Glühen von ſchwefelſaurem Strontian in einer Atmoſphäre von Waſſerſtoffgas eine blau leuchtende, bei kurzem und ſchwächerem Glühen eine gelb leuch— tende, bei Anwendung eines Gemenges von ſchwefel⸗ ſaurem oder kohlenſaurem Baryt mit Kohle hingegen eine orangegelb leuchtende Maſſe erzielt werden ſoll. In der Regel ſind die neuen Leuchtfarben indeſſen Schwefelcalciumverbindungen, gewöhnlich bläulich leuch⸗ tend, von Gaedicke aber auch ſchön grünleuchtend dargeſtellt. Die Farbe des ausgeſtrahlten Lichtes iſt unabhängig von der Farbe der erregenden Strahlen; ein beſtimmter Leuchtſtein ſtrahlt immer dasſelbe Licht aus, gleichviel ob er durch violettes, blaues oder farb⸗ loſes Licht erregt wird. Farbig iſt das ausgeſtrahlte Licht überhaupt nur kurze Zeit, ſpäter zeigen die Leuchtſteine aller Bereitungsarten das gleiche weiß⸗ liche Licht. Die Wirkung des Lichtes auf den Leuchtſtein iſt mit dem Anſchlagen einer Glocke zu vergleichen. Eine momentane Erregung bringt die Glocke zum Tönen, der Ton klingt eine zeitlang nach, wird immer ſchwächer und verſchwindet endlich. So auch bei dem Leucht⸗ ſtein. Durch eine momentane Beleuchtung erregt, leuchtet er anfangs ſtark, dann immer ſchwächer, bis er nur noch von dem ganz geruhten Auge in tiefer Finſternis wahrzunehmen iſt, um endlich ganz zu ver⸗ ſchwinden. Das Nachleuchten des Leuchtſteins iſt je⸗ doch von viel längerer Dauer als das Nachklingen der Glocke, da das Schwingen des Lichtes ein viel feinerer Vorgang iſt, als das Schwingen des Metalls beim Tönen. Die meiſten Lichtquellen ſind im ſtande, den Leucht⸗ ſtein zu erregen, ſo Petroleumlicht, Gaslicht, ſogar ein brennendes Streichholz; bei ſchwachem Licht muß jedoch der Leuchtſtein in nächſte Nähe der Lichtquelle gebracht werden. Sehr kräftig erregen Magneſium⸗ licht und elektriſches Licht, am beſten indeſſen das Tageslicht. Da Waſſer den Leuchtſchein nicht ver⸗ ändert und da ſein Leuchten keine Verbrennung iſt, er alſo der atmoſphäriſchen Luft nicht bedarf, ſo leuchtet er auch unter Waſſer. Gar nicht wirkt eine durch Kochſalz gelb gefärbte Weingeiſtflamme, dagegen wirkt eine durch Kupfer blaugrün gefärbte Weingeiſt⸗ flamme erregend. Unter den Strahlen des Sonnenſpektrums ſind es die ultravioletten und die violetten, welche am ſtärkſten erregen; nach dem gelb zu nimmt die Wir⸗ kung ab. Die gelben und roten Strahlen heben die Wirkung der entgegengeſetzten violetten Strahlen auf, indem ſie das durch dieſe hervorgerufene Leuchten aus⸗ löſchen oder bedeutend abſchwächen. Aehnliche Ver⸗ hältniſſe walten ob, wenn man den Leuchtſtein mit farbigen Gläſern bedeckt. Dunkelblaues Glas, ob⸗ ſchon es ſcheinbar das Licht bedeutend ſchwächt, läßt alle wirkſamen Strahlen durch, ja zu Zeiten, wo das Tageslicht viel rote und gelbe Strahlen enthält, wird der mit blauem Glaſe bedeckte Leuchtſtein ſtärker er⸗ regt als durch das reine Tageslicht, weil die aus⸗ löſchenden gelben Strahlen durch das blaue Glas zurückgehalten werden; gelbes Glas läßt dagegen faſt gar keine wirkſamen Strahlen durch. Bringt man ein mit gelb oder grün leuchtender Materie beſtrichenes Papier durch Sonnenbeleuchtung zur Phosphoreszenz, bedeckt nun einen Teil desſelben mit einer gelben oder grünen Glasplatte, einen andern Teil mit undurchſichtiger Pappe und ſetzt abermals dem Sonnen⸗ lichte aus, ſo wird der mit dem Glaſe bedeckt ge⸗ weſene Teil im dunkeln nicht mehr leuchten, wohl aber der bedeckt gehaltene Teil; es wurde alſo durch das Glas, welches nur gelbe oder grüne Strahlen durchließ, die bei der erſten Beleuchtung erworbene Phosphoreszenz ausgelöſcht. Die chemiſch wirkſamen Strahlen des Spektrums ſind es nun auch, welche Phosphoreszenz hervor⸗ rufen, wie ein weiteres Beiſpiel darthun mag. Legt man eine Roßkaſtanienrinde in Waſſer, fo fluoresziert dieſes alsbald mit ſchön violetter Farbe, indem, wie Stokes gezeigt hat, die Löſungen des Aeskulins, eines Beſtandteiles jener Rinde, die ultravioletten und violetten Strahlen, welche bekanntlich das Chlor⸗ Humboldt. — märz 1882. 109 ſilber ſchwärzen, abſorbieren. Eine konzentrierte Aes— kulinlöſung wirkt nach Verſuchen von Dreher aus— löſchend auf die Phosphoreszenz, ebenſo eine Löſung von Jod in Schwefelkohlenſtoff, während beide Löſun— gen die Wärmeſtrahlen durchlaſſen; eine Alaunlöſung, welche die Lichtſtrahlen durchläßt, abſorbiert im Ge— genteil die Wärmeſtrahlen. Die chemiſchen Strahlen erregen alſo die Phosphoreszenz, während die Wärme— ſtrahlen auslöſchend wirken. Man hat die Phosphoreszenz durch ein Nach— ſchwingen der durch das Licht erregten Moleküle er— klärt und iſt nach dieſer Auffaſſung an ein Hin- und Herpendeln der Atome in dem Leuchtſtoff gedacht worden, welches, durch den Widerſtand des Aeters ſchwächer und ſchwächer werdend, ſchließlich aufhören müſſe. Eine ſolche elaſtiſche Schwingungsweiſe würde jedoch nicht mit den Wärmewirkungen harmonieren. Die Wärme befördert allerdings chemiſche Verbin— dungen, aber nicht, indem ſie die Moleküle einander nähert, ſondern indem ſie den Zuſammenhang der Atome lockert und dadurch chemiſche Prozeſſe be— günſtigt. Die Wärme wirkt in eigentümlicher Weiſe auf eine vorher beſtrahlte Leuchtſteinfläche. Sie bewirkt ein ſtarkes Aufleuchten; das bis dahin langſam ab— gegebene Licht wird je nach dem Grade der Erwär— mung ſtärker leuchtend, mehr oder weniger raſch ab— gegeben, dafür hört die Fläche aber früher auf zu leuchten, als es ohne Erwärmung der Fall geweſen wäre. Die Wärme verhält ſich alſo hier zum Leucht— ſtein analog, wie ſie ſich zum Magneten verhält, ſie treibt die wirkſame Kraft aus und es bedarf einer neuen Erregung, um die Kraft wieder in Wirkſam— keit zu ſetzen. Ueberhaupt ſcheint das Licht in einem ähnlichen Verhältnis zu dem Leuchten der Leuchtſteine zu ſtehen, wie Elektrizität zum Magnetismus, ſo daß der Name Lichtmagnet für die Leuchtſteine ganz paſ— ſend iſt. Die Dauer des Leuchtens iſt bei den Präparaten verſchieden. Nach Gaedickes Beobachtungen leuchten die beſten Leuchtſteine nach einer Beſtrahlung bis zu 19 Stunden; es gehört aber völlige Dunkelheit und ein gut geruhtes Auge dazu, um den ſchwachen Schein dann noch wahrzunehmen. Die Stärke des ausge— gebenen Lichtes iſt wie der Schall der Glocke un— mittelbar nach der Erregung am größten, die Abnahme iſt dann aber anfangs ſchneller als ſpäter. Von den gewöhnlichen atmoſphäriſchen Einflüſſen wird eine gut präparirte Leuchtſubſtanz faſt gar nicht angegriffen, ihre Leuchtkraft aber augenblicklich durch Chlor, ferner durch Salzſäure und Salpeterſäure, langſamer durch Schwefelſäure vernichtet; auch wird die Leuchtkraft geſtört durch Subſtanzen, welche die Farbe verdunkeln, daher darf ſie nicht mit bleihaltigen Firniſſen ver— rieben werden, welche ſich ſchwärzen; die Beimengung eines Firniſſes ſchwächt an und für ſich die Leucht— kraft, bei der allmählich eintretenden Zerſetzung des Firniſſes an der Luft wird auch die Leuchtkraft auf— gehoben. Nachteilig wirkt auch Eiſen wegen der Roſt— bildung. andere, die eigentliche Farbe, ein, wie es ſcheint, teil— weiſe reduzierter ſchwefelſaurer Kalk (Gips), welcher neben ſtarker Reaktion auf Kalk und Schwefelſäure auch auf Schwefel (Schwefelwaſſerſtoff) und ſchwef— lige Säure reagiert. Die Farbe kann mit Waſſer, Oel oder einem hellen Lack zur Anſtrichfarbe bereitet werden, mit welcher dann die Gegenſtände, welche im dunkeln leuchten ſollen, mehrmals zu beſtreichen ſind. Ein dunkler Untergrund iſt zu vermeiden und es em— pfiehlt ſich, vor Auftragen der Leuchtfarbe einen weißen Grund mit Schlemmkreide und Leim oder Zinkweiß in Kopal herzuſtellen. Der Zinkweißanſtrich darf nicht zu viel Kopal und letzterer keinen bleihaltigen Firniß beigemengt enthalten, der Kopal muß viel— mehr rein, in Terpentinöl gelöſt, verwendet werden. Das Balmainſche Farbpatent befindet ſich in Händen der Herren Ihlee & Horne in London, deren Agenten (in Frankfurt a. M. die Herren Wirth & Comp.) die Farbe zum Preiſe von 12 M. p. engl. Pfund (als Oelfarbe 8 M.) abgeben. Leucht— farben können übrigens auch anderweitig bezogen wer— den, u. a. von Herrn Dr. Th. Schuchardt in Görlitz. Selbſtleuchtende Gegenſtände, als Statuen, Büſten und andere mit leuchtender Materie präparirte Objekte liefern die Herren C. Beuttenmüller & Comp. in Bretten (Baden), ferner die Thonwaren— fabrik Seegerhal bei Neuwedel in Preußen. Die Leuchtfarben eignen ſich zu vielfachem prak— tiſchem Gebrauch. Mit ihnen behandelte Statuen, Zifferblätter von Uhren, Namen von Straßen, Weg— weiſer werden bei Nacht in ſchönem magiſchem Lichte ſichtbar. Gebäude, Grotten, Tunnels, Eiſenbahn— wagen können im dunkeln damit entſprechend be— leuchtet werden. Beſonders gute Dienſte leiſten ſie zu Aufſchriftstafeln für Pulvermagazine und andere Räume mit feuergefährlichen Stoffen, welche beim Betreten mit einem brennenden Lichte Gefahr bringen. Von beſonderem Intereſſe iſt aber die Anwendung der Farbe im See- und Schiffsweſen, ihre Nützlich— keit für Signale, für Zeichen an Hafeneingängen, Untiefen, Felſen, für gewiſſe Schiffsteile, für Ret— tungsringe, ſowie für unterſeeiſche Operationen. So konnte ein Taucher in einem bemalten Taucheranzuge an einem trüben Tage und in nicht ſehr klarem Waſſer auf acht Meter Tiefe die kleinſten Einzelheiten an einem vor Southampton geſtrandeten Schiffe unter— ſcheiden. Die erwähnte Seegerhalſche Fabrik hat den Leuchtſtoff zur Herſtellung von Lampen benutzt, deren Licht einen dunklen Raum derart erhellt, daß man dabei gröbere Arbeiten verrichten, ſogar leſen kann. Die Lampen haben die Geſtalt eines auf der inneren Seite mit Leuchtſtoff überzogenen Schirmes; für Ar— beiten, welche bei anderm Licht gefährlich ſind, ver— dienen ſie beſondere Beachtung. Auf der Frankfurter Patent- und Muſterſchutz⸗ Ausſtellung des letzten Sommers war die Balmain— ſche Leuchtfarbe in einem viel beſuchten Pavillon an 110 Humboldt. — März 1882. verſchiedenen Objekten veranſchaulicht. Die Läden wur⸗ den geöffnet und, nachdem das Sonnenlicht wenige Augenblicke eingelaſſen, wieder geſchloſſen, ſo daß der Raum ganz verdunkelt war. Auf intenſiv blauem, leuchtendem Grunde reflektierte nun ein Schild mit der Aufſchrift „Frankfurt“ ſein prächtiges Licht. Dar⸗ auf wurde eine hellleuchtende Statuette vorgeführt, von demſelben feenhaften blauen Lichtſchimmer um⸗ floſſen; ſie ſchien von dieſem Licht ganz durchdrungen und aus Licht zu beſtehen und vollſtändig körperlos zu ſein. In die anſtoßende Abteilung des Pavillons eintretend, ſtrahlte dem Beſucher dasſelbe herrliche Licht ruhig und ſtetig ringsum von Decke und Wän⸗ den entgegen, jo daß er ſich in einem bläulichen Licht⸗ meer zu befinden wähnte. Der Art ſind die Effekte der neuen Leuchtfarbe, welche ein einfacher Anſtrich mit derſelben bewirkt hat. Wir wünſchen ihr weitere Erfolge. . Eine Sure e ine tt Von Prof. Fr. M. Dränert in Bahia. In Dr. E. Halliers Zeitſchrift für Paraſiten⸗ kunde, Bd. I. S. 14, 1869, erwähne ich einer Schmetterlingsraupe, die an verſchiedenen Orten Bra⸗ ſiliens in den Zuckerrohrfeldern großen Schaden ver⸗ urſacht haben ſollte. Meinen eigenen wiederholten Unterſuchungen zufolge iſt dieſer Schaden in der Pro⸗ vinz Bahia nie erheblich geweſen, was ſich durch ein eigentümliches Kulturverfahren der hieſigen Zucker⸗ rohrpflanzen erklärt. Erſt im Jahre 1879 erhielt ich von einem Landmanne dieſer Provinz eine Anzahl Zuckerrohrhalme, von denen ich fünfzig einer genauen Unterſuchung unterwarf. Die Halme waren 52 bis 100 em lang, und der größte Teil derſelben hatte an den oberen Knoten ſeitliche Zweige getrieben. Neununddreißig dieſer Halme waren angebohrt und die oberen Internodien waren der Länge nach mit Kanälen durchſetzt; einige dieſer Kanäle fanden ſich auch in den mittleren und unteren Internodien. Sie waren 2 bis 20 em lang (ſiehe Fig. 2), und in ihnen fand ich ſechs Schmetterlings⸗ raupen, ihre Exkremente und drei Häute der Raupen. Sogar viele der ſeitlichen Zweige waren nicht ver⸗ ſchont worden. Elf Halme hatten ſchon die Endknoſpe verloren und das Zellgewebe an dieſer Stelle war in Fäulnis begriffen. Nach mündlichen Mitteilungen ſoll die ganze betreffende Pflanzung, d. h. die zweite Ernte, derartig zerſtört worden ſein. Der auf dieſe Weiſe beſonders in den oberen In⸗ ternodien verurſachte Schaden war ſo beträchtlich, daß die natürliche Entwickelung des Zuckerrohrs in der Richtung der Endknoſpe, alſo in der der Hauptachſe, unterbrochen wurde, nicht nur infolge der Zerſtö— rung des Zellgewebes durch die Raupe an der be⸗ treffenden Stelle, ſondern auch wegen der dergeſtalt eingeleiteten Zerſetzung der Pflanzenſubſtanz. Der Saft, der jedoch noch in dem untern Teile des Hal⸗ mes zirkulierte, bewirkte die Entwickelung der Kno⸗ ſpen zu Zweigen an den Knoten, eine Entwickelung, die das Rohr zur Zuckergewinnung untauglich macht. Da ſelbſt dieſe neuentwickelten ſeitlichen Halme von der Raupe angebohrt wurden, iſt es begreiflich, wie die ganze Pflanzung ſchließlich der Zerſtörung des Inhalts unterlag. Angeſichts ſolcher Zerſtörung bemühte ich mich, das Inſekt zu züchten, um es genau kennen zu lernen, was mir auch nach einiger Mühe gelang, da es ſich nur in den Pflanzungen ſelbſt züchten läßt. Es iſt ein Nachtſchmetterling aus der Unterordnung der Mikro⸗ lapidopteren, zu der Familie der Pyraliden gehörig, und von mir Pyralis sacchari benannt. Das vollkommene Inſekt beſitzt einen 15 mm langen Körper, und ſeine ausgebreiteten Vorderflügel ſpannen 26 mm. Das Weibchen tt etwas größer (ſiehe Fig. 6 und 7). Die Vorderflügel ſind ſchmutziggelb und die Adern treten durch braune Linien hervor, ſo daß dieſe Far⸗ ben und Zeichnungen täuſchend diejenigen des trockenen Zuckerrohrblattes, und beſonders der Scheide desſelben nachahmen. Die Hinterflügel jedoch zeigen eine etwas hellere gelbe Farbe und beſitzen, wie die Vorderflügel, einen ſeidenartigen Glanz. In der Ruhelage bedecken die vordern Flügel in Form eines Dreiecks vollkommen die hintern, wie auch den Hinterleib des Inſekts, und bilden nach hinten ein kleines, leicht gewölbtes, faſt glattes Dach (ſiehe Fig. 5). Die Hinterflügel in dieſem Falle ſind fächerförmig gefaltet und dem Körper anliegend. Die Vorderflügel ſind an der Baſis ſehr wenig ausgeſchweift und am Außenrande winkelförmig ab- geſchnitten. Sowohl Hinter- als Vorderflügel ſind am Rande gefranſet. Die untern Lippentaſter ſind 2½ mm lang, und zwiſchen ihnen verbirgt ſich der ſehr kleine, häutige, rudimentäre Rüſſel. Dieſe Taſter treten an dem vor⸗ dern Teile des Kopfes ſtark hervor, während nur wenig von den obern Lippentaſtern zu ſehen iſt, da Humboldt. — März 1882. 111 fie nur / mm lang find. Die Fühler find faden— förmig. Die Bruſt iſt eiförmig und mit feinen, ſchmutzig— gelben Schuppen beſetzt. Von den ſechs Beinen zeich— nen ſich die mittlern durch ein Paar und die hin— tern durch zwei Paar Dornen aus. blaſſe, ſchmutziggelbe Farbe (ſiehe Fig. 3). Längs des Rückens läuft ein ſchmaler, etwas dunklerer Streifen, der von dem durch die transparente Haut ſichtbaren, ſchlauchartigen Magen herrührt. Auf den | einzelnen zwölf Ringeln des nackten Körpers, ſeitlich jenes Streifens, befinden ſich dunkle Punkte, zuweilen Fig 2. Fig. 1. Aeußere Anſicht der angebohrten Spitze eines Zuckerrohrhalmes mit der Endtnospe. a Eingang des Kanals. b Ausgang desſelben. Natürliche Gröſte. ig. 2. Längsſchnitt derſelben Spitze eines Zuckerrohrhalmes mit dem bloßgelegten Kanal (a- b. Natürliche Größe. Fig. 3. Rückenanſicht der Raupe von Pyralis sacchari, m. Natürliche Größe. — Fig. 4. Puppe von Pyralis sacchari, m. Natürliche Größe. Fig. 5. Pyralis sacchari mit den Flügeln in der Ruhelage. Natürliche Größe. Fig. 6. Männchen von Pyralis sacchari, Natürliche Größe. — Fig. 7. Weibchen von Pyralis sacchari, Natürliche Größe. Der Hinterleib, gleicherweiſe mit feinen, ſchmutzig— gelben Schuppen bedeckt, ijt cylindriſch und beim Weibchen komiſch zugeſpitzt und mit Legſtachel ver— ſehen, während der beim Männchen in einen After— büſchel endet. b Die Raupe, der eigentliche Uebelthäter, iſt im ausgewachſenen Zuſtande 27 mm lang und hat eine Humboldt 1882. dreieckartig gruppiert. Ihr Kopf wird oben durch zwei braune Platten gebildet, welche die ſehr kräftigen Kauwerkzeuge beſchützen. Sie beſitzt ſechzehn Beine, ſechs an den vordern Ringeln der Bruſt, acht Bauch— beine und zwei Beine, die Nachſchieber, am letzten Ringel, welche letzteren ſie befähigen ſich auch rück— wärts zu bewegen. 15 112 Humboldt. — März 1882. Die jungen Raupen dringen vorzugsweiſe in das zartere Zellgewebe der obern Internodien des Zucker⸗ rohrhalmes ein und verurſachen hier den größten Schaden, indem ſie, wie ſchon erwähnt, das Wachs⸗ tum in der Richtung der Hauptachſe des Rohres ver⸗ hindern. Größer geworden, ſind ſie befähigt, auch die untern Internodien auszuhöhlen. Während des ganzen Jahres findet man Raupen in den Zuckerrohrfeldern; ſie ſind jedoch ſeltener in der Regenzeit, nämlich in den Monaten Mai, Juni, Juli und Auguſt. Ebenſo während des ganzen Jahres legen die Weibchen ihre 150 bis 200 Eier vorzugsweiſe an den vexilaren Teil des Blattes, beſonders des jungen Zuckerrohres, wenn ſolches vorhanden iſt. . Die Raupe braucht zu ihrer vollen Entwickelung 30 bis 32 Tage, während welcher Zeit ſie ſich fünf⸗ mal häutet, um ſich ſchließlich in ihrem zuletzt aus⸗ gefreſſenen Bohrgange in eine 15 mm lange, koniſche, nackte Puppe zu verwandeln (ſiehe Fig. 4). Die Puppe liegt in keinem Geſpinnſt; höchſtens findet man an den Ausgängen des Kanals, in dem ſie ſich befindet, etwas Celluloſe durch einige Fäden vereinigt, um als Verſchluß zu dienen. Zwölf Tage nach der Verpuppung entſchlüpft der Schmetterling, und ſomit braucht das Inſekt höchſtens zwei Monate zu ſeinen Verwandlungen. . Nehmen wir an, daß von den 150 bis 200 Eiern immer nur 50 zur vollkommenen Entwickelung von Weibchen gelangen, ſo würde ein Weibchen am Ende eines Jahres doch ſchon eine Nachkommenſchaft von 15,625,000, 000 Individuen haben. Anhaltende Regen, verſchiedene Feinde unter den Vögeln und Inſekten, und jenes obenerwähnte Kulturverfahren vermindern zum Glück ihre Menge in außerordentlicher Weiſe, ſo daß beſonders in der Provinz Bahia nie ſehr dar⸗ über geklagt worden iſt. Es iſt nämlich Brauch der meiſten Pflanzer dieſer Provinz, die nach der erſten Ernte auf dem Felde zurückbleibenden, trockenen Blätter gewöhnlich des Nachts zu verbrennen, damit die Wurzelſtöcke von Neuem kräftiges Rohr treiben. Bei dieſer Gelegen⸗ heit werden gleichzeitig nicht nur die vorhandenen Nachtſchmetterlinge, ſondern auch ihre Eier, Raupen und Puppen mit verbrannt und ſomit ihre Zahl be⸗ deutend vermindert. Wer aber das Brennen der Zuckerrohrſtoppeln unterläßt, wie jener Pflanzer, der mir das kranke, noch unreife Rohr ſandte, der kann allerdings erleben, daß die Raupe von Pyralis sacchari ihm die ganze zweite Ernte zerſtört. Auf den weſtindiſchen Inſeln und in Luifiana hat man gleichfalls eine Pyralide als Zerſtörer der Zucker⸗ rohrpflanzungen aufgefunden, und unter dem Namen Diatraea sacchari beſchrieben. Ob dieſelbe mit der braſilianiſchen identiſch iſt, habe ich nicht ermitteln können. Auch auf den Inſeln Bourbon und Maurice ſoll im Jahre 1848 ein ähnliches oder dasſelbe In⸗ ſekt mit neuen Zuckerrohrvarietäten von Java und Ceylon eingeführt worden ſein. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. e Neue Anterſuchungen über die Newtonſchen Ringe. Von Sohnke und Wangerin. Wied. Ann. XII. S. 1— 40 und 201249. Legt man eine ebene Glasplatte auf eine Konvexlinſe von ſchwacher Krümmung und betrachtet dieſe Kombination im reflektierten Licht, indem man alſo auf ſie herabblickt, ſo ſieht man bekanntlich um einen dunklen Mittelpunkt eine Reihe von gefärbten konzentriſchen Ringen. Werden dieſelben im homogenen Licht z. B. im Natriumlicht er⸗ erzeugt, ſo treten ſie als ſchwarze, ſcharf abgegrenzte und zur Meſſung geeignete Ringſyſteme auf. Die Entſtehung dieſer Ringe findet ihre Erklärung in der Interferenz der Lichtſtrahlen, die in der obern und untern Fläche der ſehr dünnen, zwiſchen den Gläſern befindlichen Luftſchicht reflek⸗ tiert werden. Die Ringe wurden bisher als Kreiſe, als Ort der Interferenz die zwiſchen den Gläſern befindliche Luftlamelle reſp. deren oberſte Schicht angeſehen. Sohnke unterſuchte dieſe Ringe mittels eines Mikro⸗ ſkopes. Dasſelbe war horizontal, nach allen Richtungen verſchiebbar, beliebig zu neigen und konnte längs ſeiner Achſe vor⸗ und zurückgeſchoben werden. Zu gleicher Zeit ließ ſich die Größe aller dieſer Bewegungen genau meſſen. Die theoretiſchen Betrachtungen von Wangerin gingen von dem Umſtande aus, daß nicht ein einziger Punkt Licht⸗ ſtrahlen ausſchickt, und daß die Erſcheinung der Ringe, wenn man von wiederholten Reflexionen im Innern der Luftlamelle abſieht, nicht durch zwei interferierende Strahlen ſondern durch die Interferenz unendlich vieler Komplexe von zwei Strahlen zu ſtande kommt. Die durchaus übereinſtimmenden Reſultate der experi⸗ mentellen und theoretiſchen Unterſuchungen ſind folgende: Die alte Theorie iſt nur bei ſenkrechter Incidenz der Lichtſtrahlen richtig. Bei jeder andern Ineidenz liegen die Ringe nicht in einer Ebene, ſondern ſind Kurven doppelter Krümmung, die auf einer geradlinigen Fläche dritter Ordnung liegen. Die Entſtehung dieſer Fläche iſt unabhängig von dem Krümmungsradius der Linſe, abhängig dagegen von der Dicke und dem Brechungsexponenten der planparallelen Platte. Die Projektionen der Ringe durch Parallele zur eie auf die Horizontalebene ſind konzentriſche reiſe. Eee man die Ebene, die durch den Mittelpunkt des ſchwarzen Zentralfleckes und die Lichtquelle ſenkrecht zur Platte gelegt iſt, zentrale Einfallsebene, ſo liegen die Schnittpunkte dieſer Ebene und der Ringe alle auf einer durch den Zentralfleck gehenden Geraden, der Hauptgeraden; die in dieſer Ebene liegenden Ringdurchmeſſer fallen alſo alle in dieſe Hauptgerade, die zur Horizontalebene geneigt iſt. Die Neigung derſelben hängt lediglich von dem Ein⸗ Humboldt. — März 1882. 113 fallswinkel der Lichtſtrahlen d ab und iſt durch die einfache sin . cos} . sap 1 0. 0 beſtimmt. Die Ringdurch⸗ meſſer ſind den Quadratwurzeln aus den natürlichen Zahlen proportional und unabhängig von der Dicke der planparal- lelen Platte. Die dem Lichte zugewendeten Teile der Durch— meſſer erheben ſich über die Horizontalebene, die lichtfernen ſenken ſich darunter. Nennt man die durch die Achſe des Mikroſkops, wäh— rend dasſelbe auf den Zentralfleck einſteht, ſenkrecht zur zentralen Einfallsebene gelegte Ebene die Querebene, ſo ſchneidet dieſe alle Ringe in Punkten, die wieder auf einer Geraden, der Quergeraden liegen, die horizontal ohne Schnitt unter der Hauptgeraden vorübergeht. Nur die Punkte der Ringe, die in der zentralen Ein— fallsebene liegen, erſcheinen deutlich; alle übrigen Inter— ferenzpunkte werden um ſo undeutlicher, je weiter ſie ſich vom Ringzentrum entfernen. B. A. Kundt: Aeber den Einfluß des Druckes auf die Oberflächenſpannung an der gemeinſchaftlichen Frennungs fläche von Flüſſigkeiten und Gaſen und über die Beziehung dieſes Einfluſſes zum Cagniard de la Tourſchen Zuſtand der Flüſſigkeiten. Zied. Ann. XII. S. 538 — 550. 1881. Unter der kritiſchen Temperatur eines Gaſes verſteht man bekanntlich die Temperatur, bei der es unmöglich wird, allein durch Druck das Gas in den flüſſigen Aggre— gatzuſtand überzuführen. Nach der mechaniſchen Wärme— theorie iſt dies die Temperatur, bei der infolge der Wärme— bewegung keine innere Arbeit mehr zu leiſten iſt, um die Moleküle aus der Sphäre ihrer Anziehungskraft zu bewegen. Verſuche von Andrews und Cailletet haben ergeben, daß bei Kompreſſion von Gasgemiſchen, z. B. Luft und Kohlenſäure, die kritiſche Temperatur erniedrigt wird. So fand Cailletet, daß beim Komprimieren von 5 Vol. C02 und 1 Vol. NOe bei einer Temperatur von 26° die Kohlen— ſäure ſich leicht kondenſierte. Bei ſtärkerem Druck von 150—200 Atmoſphären wurde der Meniskus der verflüſ— ſigten Kohlenſäure immer flacher, bis ſchließlich derſelbe ganz verſchwand und mit ihm die Flüſſigkeit; Gas und Flüſſigkeit waren in einen homogenen Zuſtand (Cagniard de la Tourſchen Zuſtand) übergegangen. (Kritiſche Tem⸗ peratur von CO: ijt 31°). Gilt dieſes nun für alle Flüſſigkeiten, ſo muß eine Flüſſigkeit durch Hinzupumpen eines Gaſes, das ſich über der kritiſchen Temperatur befindet, bei hinreichend ſtarkem Druck ſelbſt gasförmig werden. Hierbei muß der Menis- kus zwiſchen Flüſſigkeit und Gas ſich allmählich abplatten, d. h. die Oberflächenſpannung der Flüſſigkeit abnehmen. Iſt dieſelbe Null, ſo wird die Flüſſigkeit gasförmig. Kundt ſtellte nun hierauf bezügliche Experimente an und unterſuchte die Kapillaritätskonſtante zwiſchen Flüſſig⸗ keiten und Gas bei Alkohol, Aether, Schwefelkohlenſtoff, Chloroform, Waſſer, bei verſchiedenen Drucken und fand überall eine Abnahme der Oberflächenſpannung. Er kommt durch ſeine Unterſuchungen zu folgendem Schluſſe: „Iſt die Möglichkeit gegeben, Flüſſigkeiten durch Hin— zupumpen von Gaſen, die fic) über ihrer kritiſchen Tem: peratur befinden, in Gasform überzuführen, ſo muß auch die Möglichkeit zugegeben werden, diejenigen feſten Körper, welche ihren Schmelzpunkt mit wachſendem Druck erniedri— gen, durch bloßen Druck eines indifferenten Gaſes gas— förmig zu machen.“ B. Binaurikulares Hören. Gelegentlich der Pariſer elektriſchen Ausſtellung war die Bühne der großen Oper mit dem Induſtriepalaſte, wo die Ausſtellung ſtattfand, telephoniſch verbunden. Hierbei ſtellte fic) ein ſehr merk⸗ würdiger Effekt heraus, wenn man ein Telephon an jedes der beiden Ohren legte. Der Berichterſtatter in der Zeit- ſchrift „l'Electriciens,“ welcher wir dieſe Mitteilung ent- nehmen, bezeichnet die Wirkung als auditive Perſpektive. — Kurz die Wirkung war beim Hören mit dieſen beiden Telephonen eine ähnliche wie beim Sehen durch ein Gleichung tg o = Spektroskop. Um die Sache begreiflicher zu machen, iſt zuerſt die Verbindungsweiſe der Bühne nach dem beiſtehenden Diagramm zu erklären. Längs der Bühne befinden ſich Mikrophone, die im Diagramm mit 1 bis 10 bezeichnet ſind; dieſelben beſtanden aus zwei Reihen von je 5 Stück ſchwachen Kohlenſtäbchen, die nebeneinander auf einem Brettchen angeordnet. Jedes der Brettchen ruhte auf einer Bleiplatte und dieſe wieder auf vier elaſtiſchen Kautſchuk⸗ blöcken, um die Mitteilung der Erſchütterungen des Fuß— bodens der Bühne auf die Apparate zu vermeiden. Dieſe Mikrophonen waren mit einer galvaniſchen Batterie ver— bunden und die Leitung nach den Telephonen beſtand aus zwei Paar Drähten. Mit jedem Mikrophon waren acht Telephone verbunden und im ganzen zehn mikrophoniſche Ueberträger und achtzig telephoniſche Empfänger vorhanden. Die Batterien befanden ſich bei P. In den beiden andern Drähten der Leitung waren Induktionsſpiralen zur Ver— ſtärkung der Stromintenſität eingeſchaltet. Die zehn Em- pfangsſtationen, jede mit acht Telephonen, waren im In⸗ duſtriepalaſte in der Weiſe aufgeſtellt, daß je ſechszehn Telephone für acht Hörer mit den in Paaren 1 und 6, a a Vem 3 2 und 8, 3 und 9, 9 und 10 gruppierten Mikrophonen verbunden waren. Auf dieſe Weiſe empfing jeder der beiden Ohren des Hörers je nach der Stellung des Sängers in A oder A‘ die Töne aus größerer oder geringerer Ent— fernung und ſomit war es möglich, nach dem Gehör die Stellung der Sänger zu beurteilen. Schw. Das eleſtriſche Licht auf den Teuchttürmen hat ſich nicht bewährt. Wir entnehmen einem Vortrage des Mr. John B. Wigham aus Dublin, welcher vor der Sektion 6 der britiſchen Aſſoziation in York gehalten wurde, nach „Engineering,“ die folgenden bezüglichen Mitteilungen: In England ſind vier elektriſche Lichtſtationenverſuchsweiſe ein— gerichtet worden; auf der einen, dem Leuchtturme zu Dungeneß in Schottland wurde jedoch das elektriſche Licht wieder beſeitigt und zur Oelbeleuchtung gegriffen, hauptſächlich deshalb, weil der zu helle Schein die Seeleute über die Entfernung täuſchte. Auf keinem ſchottiſchen Leuchtturme wird jetzt elektriſches Licht benutzt, ebenſo auch nicht auf den Leuchttürmen der Iriſchen Küſten. Die Kommiſſionäre der Iriſchen Leuchtturmlichter ſprachen ſich in einer Ein⸗ gabe an das Parlament in folgender Weiſe aus: „Die Verſuche mit dem elektriſchen Lichte haben zu der Thatſache geführt, daß — obſchon dasſelbe unzweifelhaft das glän⸗ zendſte bekannte Licht bei klarem Wetter, es jedoch in keiner Weiſe verhältnismäßig wirkſam bei Nebel iſt, wo der Seemann am meiſten das Licht benötigt.“ Es haben ſich alſo bezüglich der Leuchturmſignale folgende Mängel am elektriſchen Lichte herausgeſtellt: 1. Täuſcht dasſelbe bei hellem Waſſer die Seeleute, indem dieſelben die Entfernung vom Leuchtturme nicht mehr abzuſchätzen vermögen; je nach der Beſchaffenheit der Atmoſphäre erſcheint das Licht gleich hell, ob es zehn Seemeilen (½ geographiſche Meilen = 1,8881 km) oder eine entfernt iſt. 2. Bei Nebelwetter, wenn das Licht beſonders nötig iſt, wird dasſelbe vielmehr als Gas oder auch nur Oellicht gedämpft. Es rührt dies daher, 114 Humbolot. — März 1882. daß der Nebel die brechbarſten Strahlen, nämlich einen blauen und violetten, aus denen das elektriſche Licht hauptſächlich beſteht, am ſtärkſten abſorbiert, dagegen die weniger brech⸗ baren und auch die am meiſten leuchtenden Strahlen des gelben und roten Lichtes am leichteſten N ae chw. Aeber eleßtriſche Entladung im abſoluten Bakuun (Beſſel Hagen Wied. Annal. Bd. XII. S. 411). Fig. 1. Von Geißler in Bonn werden ſogenannte ab⸗ ſolute Vakuumröhren angefertigt, in denen bei einem Abſtand der drahtförmigen Elektroden von 2mm keine elektriſche Entladung durchgeht, ſon⸗ dern der Funke in der Luft zwiſchen den beliebig verſtellbaren Meſſingſtäbchen a und b (Fig. 1) überſpringt. Solche Röhren werden nach einem Vorſchlag von Andrews (Pogg. Ann. Bd. 88 S. 309—314) hergeſtellt, indem man ſie mit Kohlenſäure füllt, dieſe evacouiert, den Reſt der Kohlenſäure durch Kalilauge abſorbiert und dieſe ſchließlich durch konzentrierte Schwefelſäure ein⸗ trocknet. Beſſel Hagen hat Vakuumröhren her⸗ geſtellt, die außer den drahtförmigen Elektroden a und b (Fig. 2) noch 2 andre Elektroden e und d enthielten, die aus aufgerollten qua- dratiſchen Aluminiumblechen von 10 em Seiten⸗ | fläche beftanden. Zwiſchen dieſen Elektroden fand J nun bei Anwendung kräftiger, durch Leydener Flaſchen verſtärkter Funken einer Influenz⸗ elektriſiermaſchiene ſtets bei den größten Ver⸗ dünnungen noch Entladung ſtatt, die ſich an einer ruckweiſen, wenn auch ſehr ſchwachen Phosphoreszenz der Glaswand bemerkbar machte. B. Chemie. Gaslampe für hohe Temperaturen. Um eine voll⸗ ſtändige Verbrennung des Gaſes in den Bunſenſchen Gas⸗ lampen und eine dadurch bedingte höhere, gleichmäßig in der monchromatiſchen Flamme verteilte Temperatur herbeizuführen, iſt es nicht nur erforderlich, die Menge der zuzuführenden Luft zu vergrößern, ſondern auch die Art und Weiſe der Zuführung zu berückſichtigen. Ein in der Flamme zentral geführter Luftſtrom iſt unzureichend; derſelbe muß verteilt in die Flamme eingeführt und ent⸗ Fig. 2. weder durch die Länge der über der Flamme befindlichen Zugröhren oder durch Entfernung der Brennröhre von der Gasausſtrömungsſpitze reguliert werden. Für Oefen empfiehlt ſich die erſtere, für Glüh⸗ und Schmelzlampen die letztere Regulierung. Durch Vierteilung des Luft⸗ kegels erzielte Terquem ſchon früher eine wenig leuch⸗ tende Flamme von hoher gleichmäßig verteilter Tempe⸗ ratur. Eine Flamme von höchſtem Wärmeeffekt erreicht man nach dem „Metallarbeiter“ aber dadurch, daß man durch einen trichterförmigen Aufſatz das obere Ende der Brennerröhre einer Bunſenſchen Gaslampe erweitert, deren Rohr von der Ausſtrömungsſpitze weiter abgerückt werden kann, und die Flamme nicht in vier, ſondern durch ein über der Trichteröffnung angebrachtes konvex geſtaltetes perforiertes Metallblech oder Drahtgewebe in zahlreiche Flämmchen teilt. So reſultiert eine große, nicht zurück⸗ ſchlagende, ſchwach bläulich gefärbte Flamme von ſehr hoher und in allen ihren Teilen gleichmäßig ver⸗ g teilter Temperatur, die \ ſich vorteilhaft zur be⸗ ſchleunigten Erwärmung größerer Flüſſigkeits⸗ mengen und für Glüh⸗ und Schmelzarbeiten eignet. Lampen dieſer Konſtruktion ſind aus dem techniſchen Inſtitut von Dr. R. Muenke in Berlin zu beziehen. Die Figur ſtellt die Lampe im Durchſchnitt dar: In den Zapfen des eiſernen Fußes A iſt ſeitlich das Schlauch- ſtück B für die Gas⸗ zuleitung, oben zentral die Gasausſtrömungsſpitze C und das Rohr DD geſchraubt, welches der Länge nach mit drei weiten Längsausſchnitten ver⸗ ſehen iſt. Ueber das Rohr D läßt ſich das doppelt ſo lange E mit Reibung ſchieben, damit die Längsausſchnitte des Rohres D entweder ganz oder teilweiſe verdeckt werden können. Die Scheibe M dient als Hand⸗ habe. G iſt ein geſchlitzter, auf E verſchiebbarer Ring, der drei gekrümmte Drähte zur Aufnahme des Flammenmantels trägt. F iſt der trichterförmige bis an den Wulſt O in die Röhre E hineintretende Aufſatz mit konvex (parabo⸗ loidiſch) geformtem Kopfe P aus Drahtgewebe oder perfo⸗ riertem Blech. Vor dem Entzünden der Lampe werden die drei Längsausſchnitte der Röhre P verdeckt; durch allmähliche Verſchiebung der Röhre E vergrößern ſich dieſelben, die Flamme verliert zunehmend an Leuchtkraft, der Innenkegel verkleinert ſich immer mehr und verſchwindet ſchließlich. In dieſem Zuſtande brennen die zahlreichen, halbkugeligen, hellblauen Flämmchen auf der Oberfläche des paraboloidiſch geformten Kopfes, während die große, ſchwach leuchtende Flamme eine gleichmäßig verteilte, ſehr hohe Temperatur entwickelt. P. Bot @ hte. Aeber ſogenannte Kompaßpflanzen. Eigentüm⸗ licherweiſe breiten einige Kompoſiten ihre Blätter in der Meridionalebene aus, ſo daß die Ränder derſelben nach Norden oder nach Süden gerichtet ſind. In dieſer Hinſicht unterſuchte E. Stahl unſern einheimiſchen wilden Lattich, Lactuca Scariola L. Hier find die Blätter ver⸗ tikal geftellt (beſonders deutlich an mageren, auf trockenem, ſonnigem Boden gewachſenen Exemplaren und auch hier wieder am deutlichſten an den unteren Blättern); der eine Humboldt. — märz 1882. 115 Seitenrand ijt dann nach oben, der andre nach unten ge- kehrt. Obgleich in der Divergenz von 8 am Stengel ver⸗ teilt, ſtehen ſie nicht in 8 Längsreihen vom Stengel ab, ſondern ſind beſtrebt, ſich ſämtlich in parallelen Vertikal— ebenen zu ordnen. Die Spitze der Blätter iſt nach Süden oder Norden gerichtet, die Oberſeite oder Unterſeite des Blattes nach Weſten oder Oſten gekehrt. Zu dem Erdmagnetismus ſteht dieſe Erſcheinung in keiner Beziehung, wohl aber iſt ſie durch die Wirkung des Lichtes bedingt und als einen beſondern Fall des Helio— tropismus zu betrachten. Darauf deutet ſchon die That- ſache, daß dieſelbe am deutlichſten an ſonnigen Standorten, wahrgenommen wird. An ſchattigen Standorten, nur von diffuſem Lichte getroffen, zeigen die Blätter genau hori— zontale Stellung. Die Meridianſtellung der Blätter von Lactuca Scariola L. iſt auf den gewöhnlichen Dia— heliotropismus (nach Darwins Bezeichnung) zurückzu- führen und gibt Stahl hierfür an Hand bekannter Wachs- tumsgeſetze die Erklärung. Auch bei vielen Papilionaceen, z. B. Bohnen, nehmen bei ſehr ſtarker Inſolation die Blätter eine Stellung an in welcher fie der Sonne die geringſte Fläche dar— ieten. Als Kompaßpflanze wird ſehr häufig' eine andre Kompoſite, Silphium laciniatum, eine in Nord— amerika ſehr weit verbreitete Präriepflanze, genannt, welche den Jägern ſchon lange bekannt ijt und, wie angeftellte Meſſungen mit dem Kompaß dargethan haben, beſonders in den Wurzelblättern die Meridianſtellung genau einhält. Doch müſſen auch dieſe Pflanzen an freiem, ſonnigem Stand- orte kultiviert werden. Endlich tritt die Meridianſtellung noch ein bei Aplopappus rubiginosus und nach Stahl auch bei Lactuca saligna und Chondrilla juncea, welche 3 ſämtlich gleichfalls der Familie der Kompoſiten zugehören. — (E. Stahl, über ſogenannte Kompaßpflanzen in Jen. Zeitſchrift für Naturwiſſen⸗ ſchaft 1881. Bd. XV. N. F. VIII mit 1 Tafel). G. Geologie. Eutſtehung der Korallenriſſe und Inſeln. Die bis jetzt herrſchende Theorie Darwins, welche beſonders in dem nordamerikaniſchen Geologen Dana einen eifrigen Verfechter fand, ſtellt über die Entſtehung der Korallenriffe und Inſeln folgende Anſichten auf. Die riffebildenden Korallentiere ſiedeln ſich zunächſt im ſeichten Waſſer der Umgebung einer Küſte an, jedoch in keiner größern Tiefe, als 20 — 30 Faden, da dieſelben erfahrungsgemäß an noch tiefern Stellen nicht mehr leben können. Hier bilden ſie die Saum- oder Strandriffe (fringing reef). Senkt ſich nun infolge der ſäkularen Bewegung die Küſte langſam, jo wächſt das Korallenriff nach oben und der zwiſchen dem— ſelben und der Küſte befindliche Meeresarm vertieft und erweitert ſich und wird endlich zu einem breiten, ſchiffbaren Kanal. Dann werden die Korallenbauten als Damm- oder Wallriff (Barrier-reef) bezeichnet. Bei weiterer langſamen Senkung der Inſel und fortſchreitendem Emporſteigen des Korallenriffs verſchwindet ſchließlich die Inſel ſelbſt unter Waſſer. Es bildet ſich eine von dem Riff umgebene Lagune, Atoll. Bei noch weiterer Thätigkeit des Meeres und der Winde werden Stellen des Riffes überdeckt und es erheben ſich darauf die niedrigen Koralleninſeln. Auch durch nach— folgende ſubterrane Bodenerhebung kann ein Hervortreten der Inſeln bewirkt werden. Während ſeines zweijährigen Aufenthaltes auf den ſo iſolierten Bermudas⸗Inſeln unterſuchte J. J. Rein dieſe kleine Inſelgruppe in gründlichſter Weiſe und gab neuer- dings eine lebensfriſche Darſtellung der einſchlagenden Ver— hältniſſe, ſowie der an die Südſtaaten der Union ſich an— lehnende Flora und Fauna, insbeſondere auch der riffe— bildenden Meerestiere. Bei dieſen Unterſuchungen gelangte nun Rein zu der Anſicht, daß die Bildung der Bermudas—⸗ Gruppe nicht in dem Sinne der Darwinſchen Senkungs— theorie gedeutet werden könne und beſprach ſchon 1870 in ſeinen „Beiträgen zur phyſikaliſchen Geographie der Ber- mudas⸗Inſeln“ im Jahresbericht der Senckenbergiſchen natur- forſchenden Geſellſchaft dieſe neuen Anſichten über die Bil- dung der Korallenriffe ausführlicher. . Bei einer ſpäteren Unterſuchung der Bermudas— Gruppe gelangte auch John Murray, einer der Natur- forſcher der Challenger-Expedition, zu dem gleichen Re ſultate (wie auch C. Semper bei Erforſchung der Korallen⸗ riffe der Palaos⸗Gruppe), daß die Senkungstheorie Dar⸗ wins hier für die Entſtehungsweiſe dieſer Inſelgruppe nicht mehr ausreiche und finden fic) in ſeiner 1880 auf— geſtellten Theorie über die Bildung der Korallenriffe, wie Rein bemerkt, die von dem letztern ſchon früher aufge— ſtellten Grundgedanken wieder. Rein faßt nun neuerdings nochmals die Hauptpunkte - ſeiner Anſicht über die Entſtehungsweiſe der Korallenriffe und ⸗Inſeln in folgender Weiſe zuſammen; bei welcher Darſtellung wir ſeinen eigenen Worten folgen: 1. „Die Annahme bedeutender Senkungen innerhalb des Gebietes der Korallenriffe ſtützt ſich auf Vermutungen und nicht auf exakte Beobachtungen. Die darauf bafierte Berechnung großer Mächtigkeiten jüngerer Korallenriffe iſt illuſoriſch und wird durch keine thatſächlichen Meſſungen verifiziert.“ 2. „Das Vorkommen aller Formen von Riffen und rezenter Hebungserſcheinungen innerhalb eines engen Ge— bietes, wie es Semper für die nördliche Gruppe der Palaos-Inſeln nachgewieſen hat und wohl auch noch ſonſt in der Südſee konſtatiert werden könnte, läßt ſich mit der Darwinſchen Senkungstheorie nicht erklären.“ 3. „In keiner geologiſchen Formation gibt es Korallen riffe, die auch nur annähernd die Dicke hätten, wie ſie von Anhängern der Senkungstheorie für junge ſubmarine Riffe angenommen und berechnet wird. Man darf daraus ſchließen, daß die Mächtigkeit letzterer das Maß derer aus der Tertiärzeit und älterer geologiſcher Epochen nicht über⸗ ſchreiten und gleich dieſen weit unter 100 m bleiben wird.“ Bei dieſem Punkte gibt Rein eine intereſſante Zu- ſammenſtellung von K. v. Fritſch über die Mächtigkeit vorweltlicher Korallenbildungen gemachten Mitteilungen, welche beweiſt, daß die Mächtigkeit dieſer Bildungen meiſt ſehr bedeutend unter 100 m zurückbleibt, wie verſchiedene Beiſpiele aus dem Miocäu, Oligocän, Eocän, Kreide, Jura, Trias, Devon und Silur darthun. Da, wo die Mächtig⸗ keit ſich den 100 m nähert, finden fic) mehrere Bänke über— einander. Auch die durch jungvulkaniſche Thätigkeit ge- hobenen Korallenriffe der Südſee bleiben weit unter 100 m zurück, ja erreichen bei manchen nur 6—7 m Mächtigkeit. 4. „Ohne eine beträchtliche Senkung annehmen zu müſſen, kann dann ihr Auftreten und Charakter erklärt werden, denn es iſt einfacher und natürlicher, dieſelben als Krönung ſubmariner Berge anzuſehen. Dieſe mögen in einzelnen Fällen immerhin begrabene Inſeln ſein, doch iſt es wahrſcheinlicher, daß die meiſten durch vulkaniſche Thatig- keit oder auf andere Weiſe emporgeſtiegen ſind und ihre Gipfel endlich durch Aufbau von Tier- und Pflanzenreſten bis in die Nähe des Meeresſpiegels gelangten, wo dann riffebildende Polypen ihre Arbeit begannen.“ 5. „Die Form der Riffe, insbeſondere der Atolle hängt in erſter Linie ab von der des Untergrundes und der Art der Nahrungszufuhr; ihre Ableitung von dieſen beiden Grundfaktoren iſt einfacher und natürlicher, als die von geſunkenen Inſeln.“ 6. „Die bis jetzt an Korallenriffen beobachteten Wachs⸗ tumserſcheinungen laſſen ſich nicht als geologiſches Zeit— maß zur Berechnung der Wachstumsdauer eines Riffes ver- werten.“ (J. J. Rein, die Bermudas-Inſeln und ihre Korallen- riffe, nebſt einem Nachtrage gegen die Darwinſche Senfungs- theorie; aus den Verhandlungen des erſten deutſchen Geo- graphentages. Berlin 1881. D. Reimer). G. Demnüchſt wird ein größerer Aufſatz über dieſen Gegenſtand er⸗ ſcheinen. D. Red. 116 Humboldt. — März 1882. Geo ger a p h. i e. Stand der Amufrage. Seitdem Rußland das ganze Gebiet am öſtlichen Ufer des Kaspiſchen Meeres in Beſitz genommen hat, lenkte es auch ſein Augenmerk auf das alte Bett des Amu⸗ oder Qxusfluſſes, hauptſächlich in der Abſicht, denſelben wieder in dieſes frühere Rinnſal abzu⸗ leiten. Die Angelegenheit machte aber keine rechten Fort⸗ ſchritte, bis im Jahre 1880 der Strom von ſelbſt von Chiwa an in der Richtung nach Alt⸗Urgendſch infolge eines Dammbruchs bei der erſteren Stadt ſein altes Bett wieder aufſuchte. Dadurch kam die Frage der Ableitung dieſes Stromes von ſeiner heutigen Mündung wieder in Fluß. Eine Unterſuchung des Oxusbettes von Chiwa ab durch den Oberſt Petruſſewitſch lieferte günſtige Reſultate. Nach derſelben iſt der Fluß für flachgehende Fahrzeuge von Chiwa an ſchiffbar, ſeine Waſſermenge iſt eine beträchtliche, ähnlich etwa der der Wolga bei Symbirsk, und ſie würde aus⸗ reichen, ihn bis ans Kaspiſche Meer ſchiffbar zu machen; das Gefälle bis zum See Sary-Kamyſch, im Süd⸗Süd⸗ weſten des Aralbeckens, iſt ausreichend und ſind Verſan⸗ dungen nicht zu befürchten, da der Strom infolge des ziem⸗ lich bedeutenden Gefälles ſein Bett ſelbſt immer vom Sande befreit. Der Fluß hatte früher durch die Oaſe von Chuva aller Wahrſcheinlichkeit nach zwei Strombetten, gegenwärtig ſind es deren ſogar drei; davon fallen die beiden nörd⸗ lichen, der Laudon und Usboi in den Sary⸗Kamyſch, wäh⸗ rend der ſüdliche in der Wüſte verſiegt. Eine Kommiſſion, die ſich mit der Erforſchung der Terrainverhältniſſe des Sary⸗Kamyſchgebietes zu beſchäftigen hatte, kam zu dem Reſultate, daß dieſer See 15 m unter dem Spiegel des Kaspiſchen Meeres liege. Durch dieſes Ergebnis veranlaßt, wurden Zweifel über die Möglichkeit der Durchleitung des Amu durch dieſen See wach, da man meinte, daß der Fluß dieſes Becken von 11,000 — 12,000 qm nicht zu füllen im⸗ ſtande ſei und daß durch Verdunſtung ein großer Teil des Waſſers verloren gehen müſſe, der Strom alſo nichts mehr an das Kaspiſche Meer abgeben könne. — Prof. Dr. Lenz in St. Petersburg führt nun in einem Aufſatze, der 1879 im „Globus“ erſchien („neue Forſchungen im alten Bette des Oxus“), den Gegenbeweis zur Anſicht der Kommiſſion, indem er behauptet, daß auch nach der Ausfüllung des Sary⸗Kamyſch der Amu noch ein bedeutendes Waſſerquantum dem Kaspiſchen Meere zuführen könnte. Laſſen wir ihn ſelbſt ſprechen: „Der Aral, ſagt er in dem erwähnten Auf⸗ ſatze, hat eine Oberfläche von rund 67,600 qm, der Amu⸗ Darja führt ihm dreimal mehr Waſſer zu, als der Syr⸗ Darja; 50,700 qm find demnach dem Amu, 16,900 qm dem Syr zugute zu ſchreiben. Es kann demnach der Satz aufgeſtellt werden, daß der Amu⸗Darja ſo viel Waſſer mit ſich führt, als von einer Oberfläche von 50,000 qm ver⸗ dunſten. Wenn demnach dieſer Fluß einen See von 11,000 - 12,000 qm Oberfläche bilden würde, wie der Sary-Kamyſch nach Schätzung der Kommiſſion, fo würde hier nur ½ der Waſſermenge des Fluſſes verdunſten und % der ganzen Menge wieder in das Kaspiſche Meer ab⸗ fließen können.“ Ob nun durch das ſogenannte Bett des Usboi oder Duden, wie es die Turkmenen heißen, der Amu wirklich einſt ſeinen Lauf genommen, darüber werden die von der ruſſiſchen Regierung veranſtalteten und bereits ziemlich weit vorgeſchrittenen Vermeſſungsarbeiten im Usboibette und an der Balchanbucht endgültig Aufſchluß erteilen. Prof. Lenz iſt hauptſächlich auch durch die hiſtoriſchen Belege veranlaßt, einen thatſächlichen einſtigen Abfluß des Amu zum Kaspimeere anzunehmen. Auch die Ergebniſſe der Expeditionen von 1876, 1877 und 1879, welche eine Abdachung des Landes vom Laudon zum Usboi konſtatieren, die doppelt ſo groß iſt, wie der wirkliche Fall des Fluß⸗ zum Aralſee und der Umſtand, daß die Oaſe von Chiwa nur ½ des Amuwaſſers zur Irrigation des Landes be- nötigt, während der übrige Teil nutzlos in den Seiten⸗ armen, im Delta des Fluſſes und im Uralſee verdunſtet, ſprechen für die Richtigkeit der Anſicht des obengenannten Autors. Anders dürfte es ſich allerdings mit dem Er⸗ trage dieſer neuzuſchaffenden Waſſerſtraße verhalten, die Produktionskraft von Chiwa und Buchara iſt bekanntlich eine ſehr geringe, und wird ſich auch kaum ändern, da die Bevölkerungszunahme und damit das Steigen der Pro⸗ duktion an gewöhnlichen Erzeugniſſen in dem gegebenen Raum der Oaſe nicht von Bedeutung ſein kann; ein günſtigeres Prognoſtikon läßt ſich aber den von dem Usboi neu zu bewäſſernden Gebiete ſtellen. Wenn es richtig iſt, was der Chan, Abul-Ghazi⸗Behodur in ſeiner Beſchreibung der Gegenden, durch die zu ſeiner Zeit der Amu noch floß, ſagt, daß ſie nämlich von großer Fruchtbarkeit und dicht bevölkert geweſen ſeien, ſo wären durch dieſe Wieder⸗ eroberung eines von der Wüſte gegenwärtig beſchlag⸗ nahmten Gebietes von 1200 Werſt Länge die Koſten reich⸗ lich ausgeglichen, die die Arbeiten der zu ſchaffenden, wenn auch wenig erträglichen Handelsſtraße dem ruſſiſchen Staats⸗ ſäckel verurſachen. H. Einteilung der Turſmenen. Die Turkmenen gehören ihrer Abſtammung nach dem türkiſchen Stamme an. Ihre Wohnſitze liegen an dem ſüdöſtlichen Ufer des Kaspiſchen Meeres und dehnen ſich von da zwiſchen der Wüſte Kara⸗ Kum und dem Kopet⸗Dagh bis nach Merw und Chiwa hinaus. Nach den Berichten von Petruſſewitſch, „die Turk⸗ menen zwiſchen dem alten Flußbette des Amu-Darja und der nördlichen Grenze Perſiens,“ Vambery's, „die Turk⸗ menenſteppe und ihre Bewohner,“ (Weſtermanns Monats- hefte 1880, Juni), und E. v. Steins, „die Turkmenen,“ (Petermanns Mitteilungen, 26. Bd. 1880) zerfallen die Turkmenen in anſäßige „Tſchomuren,“ und in nomadi⸗ ſierende „Tſchorwa“. Oft ſind die Mitglieder einer und derſelben Familie Tſchomuren und Tſchorwas. Die Haupt⸗ familien der Turkmenen ſind die Jomuden, die Goklanen, die Tekke oder Tekkinzen, die Saryk und die Salor und die Erſari, welche in den zu Afghaniſtan gehörigen Oaſen von Maimene, Balch und Andſchui ihre Wohnſitze haben. Die Jomuden ſelbſt teilen ſich wieder in die Kara-Tſchuka, am Kaspiſee, und dieſe wieder Tſcharfabai und Atabai, nörd⸗ lich und ſüdlich vom Atrek, eine andere Familie der Jo⸗ muden ſind die Ogourdſchalen, was ſoviel, wie Geſindel be⸗ deuten ſoll; die dritte Familie endlich bilden die einge⸗ wanderten Schichzen. Die Hauptfamilie der Jomuden gibt E. v. Stein zu 150,000 Köpfen an. Weſtlich von den Jo⸗ muden wohnen die Goklanen; ſie ſind perſiſche Unter⸗ thanen. Die reinſte Familie von allen bilden aber die Tekke, von den Ruſſen Tekkinzen genannt. Sie wohnen in den Oaſen von Achal und Merw, ſind nach dem Falle Chiwas jetzt ſelbſt Mittelpunkt des Turkmenenſtammes und zählen annähernd 400,000 Seelen; der Hauptort der Achal iſt Kiſil⸗arwat. Die urſprünglichen Merw-Tekkinzen wurden im Jahre 1785 von dem Chan von Buchara unter⸗ jocht und in die Gefangenſchaft geſchleppt, worauf die Saryk von der herrenloſen Oaſe Beſitz ergriffen. Die Salor wohnten in den dreißiger Jahren in Alt⸗ Sarachs am Rud, wurden aber hier von den Tekkinzen über⸗ fallen, fortgeſchleppt und Merw einverleibt, ſo daß die Familie der Salor als erloſchen zu betrachten iſt. Die Geſamtſtärke aller Turkmenen beträgt 190,000 Kibitken oder 900,000 bis 950,000 Seelen, H. = re Humboldt. — März 1882. 117 ariſche Rund{ dha u. Otto Zöckler, Gottes Zeugen im Reid der Natur. Biographieen und Bekenntniſſe großer Naturforſcher aus alter und neuer Zeit. Erſter Theil: Die früheren Jahrhunderte (bis 1781). Zweiter Theil: Das letzte Jahrhundert (1781-1881). Gütersloh. C. Bertelsmann. 1881. Preis compl. 9 , Wer das große Werk Zöcklers über die Geſchichte der Beziehungen zwiſchen Religions- und Naturwiſſenſchaft ſtudiert hat, dem iſt das Beſtreben dieſes grundgelehrten Theologen wohlbekannt, alle Diſkrepanzen zwiſchen dieſen beiden Wiſſenſchaften hinwegzuräumen und die zahlloſen Hilfsmittel, welche gerade das Naturſtudium von jeher dem Apologeten dargeboten hat, ſyſtematiſch für ſeine Zwecke zu verwerten. Apologetiſch iſt auch die Tendenz des vorliegenden Werkes in erſter Linie; an dem Beiſpiele berühmter Naturforſcher ſoll dargethan werden, daß exak— tes Denken und religiöſer Sinn ſich keineswegs gegenſeitig ausſchließen, vielmehr ſehr wohl miteinander vereinbar ſind. Aber man erkennt, daß beim Ausarbeiten des Buches das rein geſchichtliche Element immer ſtärker ſich geltend gemacht hat; bei einzelnen der aufgenommenen Lebens— beſchreibungen konnten nur ganz gelegentlich auch einige Streiflichter auf die religiöſen Anſchauungen der betreffen— den Perſönlichkeit fallen, eben weil dieſe Anſchauungen ſich niemals beſonders bemerklich gemacht hatten, und doch nehmen wir nicht wahr, daß eben deswegen weniger Liebe auf die Schilderung verwandt worden wäre. Kurz es iſt ein eigenartiges Buch, welches wir hier vor uns haben; ein Teil der Leſer wird auf den geſchichtlichen, ein andrer auf den apologetiſchen Teil den größeren Wert legen, niemand aber wird unbefriedigt von dem Geſamteindruck ſein. Wir wollen im folgenden die Anlage und den Hauptinhalt der beiden Bände in thunlichſter Kürze einer Erörterung unterziehen. Die Zeiteinteilung, welche für die Trennung des ganzen Werkes in zwei Bände maßgebend geweſen iſt, baſiert auf dem Jahre 1781, in welchem der Verf. ſchon früher einen großen Wendepunkt unſres Naturwiſſens er⸗ kannt hat. Hierin liegt gewiß viel Wahres, denn mit der Entdeckung des Uranus erweiterte ſich das kosmiſche Syſtem in ungeahnter Weiſe, die Wattſche Verbeſſerung der Dampf— maſchinen ſignaliſierte eine ganz neue Epoche der Technik, und Kants kritiſche Reform des philoſophiſchen Denkens, die man von dieſem Jahre datieren darf, ſchuf auch eine völlig neue Grundlage für die Methodik der Naturforſchung. Zudem kann, wenn man den genannten Wendepunkt feſt⸗ hält, das Buch des Verf. gewiſſermaßen als ein Säkular⸗ Erinnerungswerk betrachtet werden. Einer kurzen Einleitung über die joniſchen Natur⸗ philoſophen, insbeſondere Anaxagoras, folgen die Biogra— phieen von Ariſtoteles, Archimedes, Seneca, Hippokrates und Galen. Von mittelalterlichen Gelehrten werden Ger— bert (der ſpätere Papſt Sylveſter), Roger Bacon, Albertus Magnus, Nikolaus von Cuſa, Alphons von Kaſtilien, Regiomontan und der geiſtreiche Arzt-Philoſoph Raimund von Sabunde behandelt. Die Neuzeit beginnt mit Kolum⸗ bus, dem ſich Koppernikus (leider noch mit einfachem p geſchrieben) und — nach Einſchiebung eines Abſchnittes über Koppernianer und Antifoppernianer — Tycho Brahe und Leonardo da Vinci anſchließen. Darauf folgen drei Mediziner, Paracelſus, Paré und Veſal. Mit Johann Kepler und Galileo Galilei beginnt der Verf. zwei Bio⸗ graphieen, welche in der That ganz dazu geeignet ſind, auf die Stellung früherer Naturforſcher zu den herrſchen— den Kirchen ein helles Licht zu werfen, wobei natürlich mit Wärme der echt religiöſen, tiefen Empfindungen ge— dacht wird, die ſich Kepler auch unter den herbſten Ver— folgungen zu wahren wußte. Als „Zwiſchenglieder zwiſchen Galilei und Newton“ finden Gaſſendi, Horrox, Borelli, Pascal, Hooke u. a. ebenfalls ein Plätzchen, doch ſelb ſtändig erſcheinen erſt wieder Huygens (nicht Huyghens), deſſen „Kosmotheoros“ hier natürlich eine eingehendere Beſprechung findet, als in andren Werken, Newton und Boyle, welch letzterer ein echter Teleolog und als ſolcher natürlich auch ein ſtrenger Proteſtant war. Als Phyfio- logen und Mikroſkopiker werden Harvey und Swammer— dam ganz nach Verdienſt gefeiert, und dieſen Anhängern der Kirchenreform tritt als guter Katholik der Jeſuit Athanaſius Kircher gegenüber, für deſſen Ehrenrettung wir dem Verf. recht dankbar ſind. Mag er auch ſeine Polyhiſtorgelehrſamkeit öfterhin ziemlich oberflächlich haben walten laſſen, für die phyſikaliſchen Disziplinen hat er unleugbar Tüchtiges geleiſtet. Die von Leibnitz bis Kant ſich erſtreckende Zeitperiode wird ganz richtig als die des naturphiloſophiſchen Dogmatismus bezeichnet; Halley, Clai⸗ raut, Euler, Boerhave, Haller, Linné, Buffon, Joh. Ber⸗ noulli, Nieuwentijt, Hartſöker, Lambert, Franklin, Stahl, Friedrich Hoffmann und Bonnet werden als die für den Zweck des Autors bedeutendſten Koryphäen herausgehoben. — Der zweite Band, der ſich ja in ziemlich engen Zeit grenzen bewegt, iſt infolgedeſſen auch nicht chronologiſch, ſondern vielmehr nach den einzelnen Wiſſenszweigen ein—⸗ geteilt worden. Als Aſtronomen werden uns vorgeführt Wilhelm Herſchel ſamt ſeinem Sohn John (S. 199 ff.) und ſeiner Schweſter Karoline, Laplace, Gauß, Olbers, Beſſel, Encke, Mädler, Leverrier und Secchi, als Phyſiker und Technologen Watt, Fulton, Stephenſon, Volta, Am⸗ pere, Oerſted, Schweigger und andere Elektriker, Brewſter, Arago, Biot und Robert Mayer, als Chemiker Lavoiſier, Prieſtley, Cavendiſh, Davy, Faraday, Berzelius und die Deutſchen Liebig und Schönbein. Die Phyſik der Erde vertreten Deluc, Sauſſure, Humboldt, Ritter, die Geologie wird in den drei Hauptvertretern der deutſchen, der fran zöſiſchen und der engliſchen Schule, in Werner, Cuvier und Lyell, gewiſſermaßen typiſch aufgefaßt, doch werden auch die Schüler und Freunde dieſer Männer kurz ge⸗ ſchildert. Für die Botanik erſcheinen De Candolle, Mar⸗ tius, Schleiden u. A. Braun, für die Zoologie Lamarck, Oken, Ehrenberg und Agaſſiz, für die Anthropologie Blumenbach, R. Wagner, v. Bär und Boucher de Perthes, deſſen Verdienſte um die Auffindung und Agnoscierung prähiſtoriſcher Menſchen eine ſehr anſchauliche Schilderung erfahren. Zum Schluß endlich werden auch die modernen Reformer der ärztlichen Wiſſenſchaft aufgeführt: Bichat, Corviſart, Magendie, Bernard, Hunter, Cooper, Bell, Heim, Hufeland, Schönlein, Rokitansky und Hyrtl. In⸗ ſoferne in dem vorſtehenden Verzeichniß mehrere Namen heute noch lebender Forſcher vorkommen, ſo würden wir es für angezeigt gehalten haben, daß in der letzteren Kate⸗ gorie auch dem Schöpfer der Cellularpathologie, Rudolph Virchow, ein Platz angewieſen worden wäre, umſomehr, als die ihm gewidmete Stelle auf Seite 9 des erſten Bandes den wirklichen Ueberzeugungen dieſes wahrhaft objektiv denkenden Mannes nicht gerecht geworden zu ſein ſcheint. i Die einzelnen Viographieen find mit Benützung der beſten vorhandenen Quellenſchriften — vgl. den detaillier⸗ ten Litteraturnachweis am Schluſſe — ausgearbeitet und laſſen die entſchiedene Vorliebe des Verf. zu dieſer Art 118 Humboldt. — März 1882. “at hiſtoriſcher Darſtellung allenthalben hervortreten. Ein paar Kleinigkeiten können bei einer Neuauflage leicht rektifiziert werden. Es iſt (S. 81 des I. Bandes) neuerdings ſehr unwahrſcheinlich geworden, daß Regiomontanus den jungen Martin Behaim perſönlich unterrichtete, und es ſteht keines⸗ wegs feſt, daß der Altdorfer Profeſſor Kaſpar Hoffmann (ibid. S. 250) ſich in ſpäteren Jahren zu Harveys Theorie des Blutumlaufes bekehrt habe. Referent hat ſich hierüber in ſeiner Abhandlung: „Die mathematiſchen und Natur⸗ Wiſſenſchaften an der Nürnbergiſchen Univerſität Altdorf“ (Verein für die Geſchichte Nürnbergs, 3. Heft) näher aus⸗ geſprochen. Was (ibid. S. 179) vom freien Falle der Körper geſagt wird, iſt ſachlich nicht ganz richtig. Allein, wie bemerkt, iſt dergleichen umſoweniger ins Gewicht fallend, als es in einem ſo großen Werke überhaupt nie ganz vermieden werden kann. Hervorgehoben werden muß aber noch die durchaus taktvolle Art und Weiſe, mit wel⸗ cher der Verf. die religiöſen Anſichten ſeiner Helden feſt⸗ zuſtellen und für ſeine apologetiſchen Zwecke auszunützen weiß, indem er ſelbſtverſtändlich ſeinen eignen ſtreng gläu⸗ bigen Standpunkt keinen Augenblick verleugnet. Ansbach. Prof. Dr. S. Günther. Ferdinand Cohn, Die Pflanze. dem Gebiete der Botanik. Kerns Verlag (Max Müller). 11 & geb. 13 , 50 g. Die größte Beränderung, welche ſeit ungefähr vierzig Jahren für die Naturwiſſenſchaften zu tage getreten, liegt nach meinem Dafürhalten darin, daß ſie heutzutage zum Gemeingut aller, wenigſtens einem weit ausgedehnteren Kreiſe zugänglich geworden. Die größten und berühm⸗ teſten Naturforſcher unſrer Zeit, Alexander von Hum⸗ boldt und Juſtus von Liebig an der Spitze, ſie haben es nicht verſchmäht, den reichen Schatz ihres Wiſſens in populärer Darſtellung, für alle verſtändlich, freigebig zu eröffnen. Ich erinnere nur an den Kosmos und die Chemiſchen Briefe, Bücher, welchen ſich in Beziehung auf Erfolg, günſtige Aufnahme und durchgreifende Wirkung kaum ein andres dieſer Art zur Seite ſtellen kann. Auch in Hinſicht vollendeter Form ſtehen die beiden erwähnten Werke als unerreichtes Muſter da. Während früher der Naturforſcher ſich damit begnügte, ſeine Beobachtungen in einem nur für Fachgenoſſen berechneten Stile mitzuteilen, machte ſich doch nach und nach die Sitte geltend, veran⸗ laßt durch die Form populärer Darſtellung, auch der ſprachlichen Seite Rechnung zu tragen. Wir begegnen heutzutage in weitverbreiteten Journalen neben hiſtoriſchen, artiſtiſchen und politiſchen Arbeiten lehrreichen Beſprechun⸗ gen aus den verſchiedenſten Gebieten der Naturforſchung. Wohl noch von ſo mancher Seite wird dieſe Art der Arbeiten nicht gebilligt; doch auch zugegeben, daß mit⸗ unter ſolche Beſtrebungen den Stempel der Oberflächlich⸗ keit an ſich tragen — wir wollen uns dadurch nicht be⸗ irren laſſen. So viel iſt gewiß, durch Einführung popu⸗ lärer Darſtellung naturhiſtoriſchen Stoffes in die Tages⸗ lektüre, ſowie durch die üblich gewordenen populären Vorträge wird vielfach Belehrung, ja ſogar Anregung geboten. In dem vorliegenden Werke liefert uns Dr. F. Cohn, Univerſitätsprofeſſor in Breslau, eine erwünſchte Gabe populärer Darſtellung aus dem Gebiete der Botanik. Sie — die mit Recht fo genannte Scientia amabilis — eignet ſich ja beſonders zur Behandlung in anregender, allgemein verſtändlicher Form. Das Werk iſt hervorge⸗ gangen aus öffentlichen Vorträgen, welche der Verfaſſer an verſchiedenen Orten Deutſchlands innerhalb der Jahre 1852 bis 1881 gehalten. Wir begrüßen es als einen glücklichen Gedanken des Verfaſſers, dieſe in verſchiedenen Journalen zerſtreuten Abhandlungen uns in einer vor⸗ trefflich ausgeſtatteten Sammlung darzubieten. Der Ver⸗ faſſer manifeſtiert ſich in ſeinen Arbeiten nicht nur als Botaniker vom Fach, die vorliegende Leiſtung läßt auch deſſen intime Bekanntſchaft mit naheliegenden verwandten Doktrinen auf das Deutlichſte erkennen. Jeder der ſechs⸗ Vorträge aus Breslau, J. U. 1882. Preis zehn Vorträge ſtellt ſich dar als ein einheitliches Bild und es ſchließt ſich dadurch eine eingehende Beſprechung ſelbſt⸗ verſtändlich aus; jeder einzelne Vortrag aber enthält ſo viel des Intereſſanten und Anxegenden, daß wir eine Wahl zu treffen, um einzelnes hervorzuheben, uns nicht veranlaßt ſehen können. Durch Lebhaftigkeit der Farben⸗ gebung und durch Treue der Zeichnung die Aufmerkſam⸗ keit des Leſers zu feſſeln, durch anregende Darſtellung nützliche Kenntniſſe zu verbreiten, dies war das Ziel, welches der Verfaſſer bei Ausarbeitung ſeiner Vorträge erſtrebt hat. Wir können aus ganzer Ueberzeugung dieſes Ziel als ein vollkommen erreichtes bezeichnen. Wenn der Ver⸗ faſſer in Ausſicht ſtellt, Aufgaben und Probleme der Wiſſenſchaft, welche hier übergangen oder zunächſt nur vorübergehend berührt worden, in der Folge tiefer ein⸗ gehend zu bearbeiten, ſo können wir nur den aufrichtigen Wunſch ausſprechen, es möge Zeit und Luſt dem Verfaſſer nicht fehlen, ſein Verſprechen in nicht ferner Zukunft zu erfüllen; durch Talent und Kenntnis dürfte ſelten ein Naturforſcher zu ſolcher Aufgabe mehr befähigt erſcheinen. München. Prof. Dr. A. Vogel. Otto Wilhelm Thomé, Tier- und Pflanzen geographie. Nach der gegenwärtigen Ver⸗ breitung der Tiere und Pflanzen, ſowie mit Rückſicht auf deren Beziehung zum Menſchen dargeſtellt. Mit zahlreichen Voll- und Text⸗ bildern in Holzſchnitt. Stuttgart, W. Spe⸗ mann. Preis 14 / 50 . Mit dieſem Werke, dem zweiten Teil von „Klein und Thomé, Die Erde und ihr organiſches Leben, ein geographiſches Hausbuch“, iſt eine unverkennbare Lücke in der populären naturwiſſenſchaftlichen Litteratur ausgefüllt. Durch zahlreiche Reiſen in fremden Erdteilen, durch wieder⸗ holte, wohlausgerüſtete Expeditionen zur Erforſchung des Tier- und Pflanzenlebens in allen Ländern, durch die un⸗ geheure Ausdehnung des internationalen Handels, der Akklimatiſationsverſuche und ähnlicher Beſtrebungen ſind unſre Kenntniſſe von der Verteilung des organiſchen Lebens auf der Erde außerordentlich gewachſen. Geographie ſtu⸗ dieren oder lehren ohne eingehende Berückſichtigung des organiſchen Lebens iſt unmöglicher als je zuvor. So werden Forſcher und Laien und namentlich Lehrer mit 6 Freuden den Verſuch begrüßen, die in zahlreichen Reiſe⸗ werken und Fachſchriften zerſtreuten Schilderungen und Studien zu einem überſichtlich gegliederten Ganzen zu⸗ ſammenzufaſſen und durch gute Abbildungen dem Verſtänd⸗ nis ſo nahe wie möglich zu rücken. Freilich! ein ſchwie⸗ riges Unternehmen iſt dieſer Verſuch! Die große Fülle des Stoffes verlangt von dem Bearbeiter eine außerordent⸗ liche Beleſenheit namentlich in der geographiſchen Litteratur und eine beſtändige Kritik der Quellen, aus denen er ſchöpft. Iſt doch die Befähigung der Reiſenden, den tiefern Zuſammenhang zwiſchen Klima, Bodenbeſchaffenheit, Vege⸗ tation und Tierwelt zu erkennen, eine ſehr ungleiche und überhaupt nur wenigen in ſo hohem Grade eigen, wie z. B. A. von Humboldt. Hier gilt es richtig auszu⸗ wählen, um dem Leſer ein möglichſt wahrheitsgetreues und anſchauliches Bild z. B. vom Urwalde oder der Steppe vorzuzeichnen. Der Verfaſſer iſt dieſer Forderung nach beſten Kräften und zum Teil mit großem Geſchick gerecht geworden. Geführt von den beiden Autoritäten auf dem Gebiete der Pflanzen- und Tiergeographie, Griſeb ach und Wallace, folgt er ihrer Einteilung der Erde in Floren- und Faunengebiete und verſucht in fünf Haupt⸗ abſchnitten (Aſien, Afrika, Amerika, Auſtralien und das Meer, Europa) die verſchiedenen Regionen nach den vor⸗ züglichſten Quellen zu charakteriſieren. Dabei erfahren die Nutz⸗, Kultur- und Giftpflanzen, die domeſtizierten Tiere und die hervorragendſten Geſtalten unter den wilden in Wort und Bild eine beſondre, höchſt erfreuliche Berück⸗ ſichtigung. Als beſonders gelungen hebe ich unter andern folgende Abſchnitte hervor: Tundra, Dattelpalme, die Nutz⸗ pflanzen Indiens, Südafrika. Humboldt. — März 1882. 119 Wenn der Verfaſſer in der Hauptſache kompilatoriſch verfährt und ſeine eigne Arbeit fic) weſentlich auf die An- ordnung des Stoffes beſchränkt, ſo liegt das in der Natur der Sache. Zu bedauern iſt nur, daß er ſeinem in der Einleitung ausgeſprochenen Prinzipe, uns ſeine Gewährs— männer ſtets zu nennen (alſo doch wohl auch, wenn er ſie mit ihren eignen Worten vorführt, ſtets in „— “), fo häufig untreu geworden ijt. Der Lefer meint die Ausein- anderſetzungen des Verfaſſers vor ſich zu haben und lieſt doch nur die wenig oder gar nicht veränderten Sätze von Griſebach und Wallace, von letzterem in der recht ſchlechten Ueberſetzung von A. B. Meyer. Auch tritt noch der Uebelſtand hinzu, daß ſolche Sätze nur zu oft aus einem zuſammenhängenden wiſſenſchaft lichen Räſonne⸗ ment herausgeriſſen und ohne weiteres in ein populäres Buch hineingeſetzt von der Vegetation, über welche die Neuzeit ſo zahlreiche und ſchöne Entdeckungen gemacht hat und deren Kenntnis uns erſt einen tiefern, Geiſt und Gemüt befriedigenden Einblick in das organiſche Leben der Erde ermöglicht, ſind recht ſtiefmütterlich behandelt. Die wichtigen, unſre Zeit ſo mächtig bewegenden Fragen, ob Schöpfung oder Urzeugung, Konſtanz oder Veränderlichkeit der Arten, läßt der Verfaſſer unbeantwortet oder ſpricht ſich wenigſtens, wahrſcheinlich in Rückſicht auf einen größern Leſerkreis, ſehr unbeſtimmt aus. Ich bin weit entfernt, die Berechtigung, ja Opportunität dieſes Standpunktes zu beſtreiten, halte aber doch ein etwas aus— führlicheres Eingehen auf den „ſogenannten Darwinismus“, wie der Verfaſſer ſich ausdrückt, bei einem Werke, wie das vorliegende, für unabweisbar. Jeder, der dasſelbe zu eingehender Be— werden, um nicht zu ſagen hinein⸗ geflickt. Eine ſol⸗ che tadelnswerte Methode, die lei⸗ der von populä⸗ ren Schriftſtel⸗ lern häufig ge⸗ handhabt wird, kann nur dahin führen, bei dem wiſſenſchaftlich gebildeten Leſer ein verhängnis⸗ volles Gefühl der Unſicherheit her⸗ vorzurufen, wäh⸗ rend der Laie manches erfährt, das ihm unver⸗ ſtändlich bleiben muß, alſo über⸗ flüſſig und ſtö⸗ rend iſt. Was der Autor eines Bu⸗ ches und was ſeine Gewährsmänner ſagen, ſollte im⸗ mer ſcharf ge- trennt bleiben, wobei es erſterem unbenommen iſt, eine echt popu⸗ läre Schilderung ſelbſtändig nach ſeinen Quellen auszuarbeiten. Vermißt habe ich in dem Werke die Berückſichtigung der wertvollen Abhandlung von Wallace ſ über die Tropen- welt und eine ausführliche Behandlung des organiſchen Lebens im Meere. Freilich meint der Verfaſſer, daß „eine ausführliche Schilderung des letztern nicht die Aufgabe eines geographiſchen Hausbuches ſein kann“. Angeſichts der zahlreichen wiſſenſchaftlichen Expeditionen zur Erforſchung der Meere, welche von Engländern, Amerikanern, Nor— Victoria regia aus „Thomé, Tier- u. Pflanzengeographie“ (Verlag von Wilh. Spemann in Stuttgart). wegern und Deutſchen in den letzten Dezennien mit ſo glänzendem Erfolge ausgeführt find, vermag ich dieſe An— ſicht nicht zu teilen. Wie groß iſt das Meer im Vergleich mit dem Feſtlande, wie ungeheuer fein Reichtum an Lebens- formen, wie vielfach ſind die Beziehungen derſelben zum Menſchen (man denke nur an die Fiſche und Wale)! Von allen neuern Ergebniſſen der Forſchung in dieſer Richtung erfahren wir ſo gut wie nichts. Der Verfaſſer begnügt ſich, die etwas veraltete Einteilung des Meeres von Schmarda in 10 Regionen im Auszuge mitzuteilen, abgeſehen von einigen wenig gelungenen Schilderungen über Korallen, Meerleuchten u. a. Dabei ſchlüpfen wohl auch Fehler mit unter, wie die Behauptung S. 564, daß Aal, Lachs und Hering echt kosmopolitiſche Fiſche ſeien. Auch die ſo wichtigen Beziehungen der lebenden Weſen untereinander, namentlich die Abhängigkeit der Tierwelt Humboldt 1882. nutzung in die Hand nimmt, hat doch zſicher auch vom Darwinis⸗ mus gehört, ge— leſen und dar— über nachgedacht. Sei er alſo Geg⸗ ner oder Freund, er wird ihn hier vermiſſen. Die Abbildun⸗ gen, in welchen nebſt den zitierten Schilderungen und Auszügen der Schwerpunkt des Buches zu ſu⸗ chen iſt, ſind gut, nicht wenige jo- gar vorzüglich. Das Ganze wird ein wertvolles, vielfach unent⸗ behrliches Hilfs⸗ mittel für die Lektüre und naz mentlich in der Hand des Leh⸗ rers für den Unterricht bilden. Aus dieſem Grunde und um die vorhandenen Fehler auszumerzen, iſt doppelt zu wünſchen, daß unſer Werk bald eine neue Auflage erleben möge. Oldenburg. Dr. Friedrich Heincke. Annuario della societa meteorologica italiana, redatto dal Prof. Domenico Ragona, diret- tore del r. osservatorio di Modena. Roma, Torino, Firenze. Ermanno Loescher. Vol. I. 1879. Vol. II. 1879. Vol. III. 1880. Jedermann, der fic) in Deutſchland für die Förderung der Witterungskunde intereffiert, kennt die von der Wiener meteorologiſchen Geſellſchaft herausgegebene Zeitſchrift, eine wahre Fundgrube für alle Freunde dieſer entwickelungs⸗ fähigen Wiſſenſchaft. Ihr Vorbild ſpornte die italieniſche Schweſtergeſellſchaft an, etwas Aehnliches zu leiſten; man rief das italieniſche metereologiſche Jahrbuch ins Leben und fand für dasſelbe einen trefflichen Herausgeber in dem Direktor der königl. Sternwarte zu Modena. Pro⸗ feſſor Ragona hat für die Klimatographie ſeines engern Vaterlandes bereits Gewaltiges geleiſtet und kann recht eigentlich als der Mittel- und Sammelpunkt für alle meteorologiſchen Forſchungen innerhalb Italiens betrachtet werden. Von der unter ſeiner Leitung erſchienenen Zeit— 16 120 Humboldt. — März 1882. ſchrift — der Name „Jahrbuch“ trifft nur für den dritten Band zu, anfangs erſchien halbmonatlich eine Nummer — liegen jetzt drei ſtattliche Bände vor; allein leider iſt die Kenntnis des Unternehmens in Deutſchland bei weitem noch nicht ſo verbreitet, als im Intereſſe der Sache zu wünſchen wäre. Wir glauben deshalb nichts Ueberflüſſiges zu thun, wenn wir in einem an das größere Publikum ſich richtenden Journale eine Skizze von dem Inhalte des „Annuario“ entwerfen und die ungemeine Reichhaltigkeit des Inhaltes wenigſtens in kurzen Andeutungen zur An⸗ ſchauung bringen. Die beiden erſten Bände find der Hauptſache nach jo eingerichtet, daß jede Nummer eine größere oder kleinere Abhandlung von ſelbſtändiger wiſſenſchaftlicher Bedeutung enthält. Auf ſie folgen kleinere Mitteilungen, Korreſpon⸗ denzen und Rezenſionen. Den Schluß endlich bilden kürzere Notizen verſchiedener Art und bibliographiſche Nachweiſun⸗ gen über neu erſchienene Schriften. Den Löwenanteil der ganzen Arbeit hat Profeſſor Ragona ſelbſt auf ſich ge⸗ nommen, deſſen raſtloſe Feder jo ziemlich zu jedem einzel⸗ nen Hefte einen Beitrag geliefert hat. Indes begegnen wir auch andern namhaften Mitarbeitern, von denen be⸗ ſonders die Profeſſoren Nanoja in Melfi, Bolts⸗ hauſer in Catania, Hann in Wien und der Seeoffizier Brault in Paris erwähnt ſein mögen. Die Sprache iſt durchgängig natürlich die italieniſche, doch kommen auch franzöſiſch geſchriebene Artikel vor. Wir geben nachſtehend eine gedrängte Ueberſicht über die bemerkenswerteſten Beſtandteile der beiden erſten Bände. Im erſten Bande tritt uns zuerſt Ragonas ausführ⸗ licher Bericht über die Verhandlungen des meteorologiſchen Kongreſſes zu Havre entgegen, jodann Léon Braults — von Ragona übertragener — Auszug ſeiner Unter⸗ ſuchungen über nautiſch-meteorologiſche Karten. Der Re⸗ dakteur veröffentlicht, im Anſchluß an ſeine frühern Ar⸗ beiten von verwandter Tendenz, eine Darſtellung der täglichen Schwankung von abſoluter und relativer Feuchtig⸗ keit, geſtützt auf ein gewaltiges Zahlenmaterial; ebenſo bearbeitet derſelbe die Jahresoszillationen des Barometer⸗ ſtandes, um ſo ein Urteil über des Prager Phyſikers Zenger Hypotheſe einer kosmiſchen Beeinfluſſung des Luftdruckes zu gewinnen. Von Intereſſe ſind ferner die Nachrichten über das neu gegründete Obſervatorium auf dem Pie du Midi und eine mit Zeichnungen verſehene Korreſpondenznachricht über roten Schnee, der in Sizilien gefallen war. Manche neue Geſichtspunkt eröffnet Na⸗ nojas durch mehrere Nummern ſich hindurchziehende Ab⸗ handlung, welche ſich mit dem Einfluß des Erdkörpers auf die Atmoſphäre beſchäftigt. Auch über neue meteorologiſche Inſtrumente, ſo über einen Regenmeſſer und über einen ſelbſtthätigen Verdunſtungsmeſſer finden wir Mitteilungen vor, doch werden die betreffenden Beſchreibungen durch Abbildungen nicht in genügender Weiſe unterſtützt, und was ſich von letztern findet, entſpricht zu wenig den in Deutſchland üblichen Anforderungen. — Der zweite Band iſt an Originalaufſätzen noch reichhaltiger als der erſte. Ragona veröffentlicht eine Reihe klimatologiſcher Unter⸗ ſuchungen über die Gegend von Modena, die ſowohl an ſich beachtenswert ſind, als auch deshalb, weil ſie gewiſſer⸗ maßen als Muſter für ähnliche Arbeiten gelten dürfen, die Aufmerkſamkeit junger Meteorologen verdienen. All⸗ gemeineren Inhalts iſt desſelben Autors Studie über die jährlichen Variationen der Temperatur⸗Marima und Mi⸗ nima. Von Profeſſor Montigny in Brüſſel erhalten wir wichtige Beobachtungen über das Flimmern der Sterne, von Brault mehrere Notizen über ſpeziellere meteoro⸗ logiſche Probleme. Die Literatur des Auslandes wird ſorgfältig berückſichtigt und auszugsweiſe den Leſern des Jahrbuches zugänglich gemacht, wie wir denn u. a. einen Bericht über Hellmanns Vergleichung der Barometer antreffen. Alle merkwürdigen Erſcheinungen, die irgend⸗ wie in das Gebiet der Witterungslehre einbezogen werden können, wie Nord- und Zodiakallichter, auffallende Meteore, Erdbeben, Wirbel⸗ und Föhnſtürme werden gewiſſenhaft regiſtriert. Hervorragenden Fachmännern, wie Volpi⸗ celli, Seccchi u. ſ. w., deren Lebensende gerade in den laufenden Jahrgang fiel, ſind kurze Nekrologe gewidmet worden. Der dritte Band — leider vorläufig der letzte des ganzen Unternehmens — iſt nach weſentlich andern Grund⸗ ſätzen angelegt und gearbeitet, wie ſeine beiden Vorgänger. Herr Ragona trat, nachdem eine Fuſion der beiden meteorologiſchen Vereine der appenniniſchen Halbinſel er⸗ folgt war, von der Direktion zurück und beſchränkte ſich darauf, in dem dritten Bande ſeines Jahrbuches zwei um⸗ faſſende eigene Eſſays zu publizieren. In dem erſteren derſelben wird das Wechſeln der Windrichtungen im Laufe eines Tages und Jahres auf Grund eines impoſanten empiriſchen Materiales ſtudiert und unter beſtimmte Geſetze zu bringen geſucht; der zweite ſtellt ſich eine noch höhere Aufgabe. Der Verfaſſer ſchildert in längerem Vortrage das Weſen der ſynoptiſchen Wetterkarte und zeigt, wie man fic) für kürzere Zeiträume und für beſchränkte Erd⸗ gegenden derſelben zur annähernd genauen Vorausbeſtim⸗ mung der Witterung bedienen könne. Wir geben uns der Hoffnung hin, daß ein Unter⸗ nehmen von ſo augenfälliger Nützlichkeit, wie das italieniſche Jahrbuch, bald in der einen oder andern Form wieder aufleben werde. Herr Ragona ſelbſt ſetzt ſeine Forſchungen unentwegt weiter fort und bereichert die Aktenbände der Modeneſiſchen Akademie fortlaufend mit meteorologiſchen Denkſchriften — allein, wie groß iſt der Leſerkreis ſolch gelehrter Publikationen? Der Verbreitung der Wiſſenſchaft leiſtete die frühere Form der Veröffent⸗ lichung unſtreitig weit größern Vorſchub. Ansbach. Prof. Dr. S. Günther. Bibliographie. Bericht vom Monat Januar 1882. Allgemeines. Biographien. Abhandlungen, herausgeg. von der Senckenbergiſchen naturforſchenden A 12. Bd. 3. u. 4. Heft. Frankfurt a. M., Winter. urain für Maturgeſchichte. Herausgeg. v. E. H. 1 aoe Jahrg. 1878. 6. Heft. Berlin, Nicolaiſche Verl. 1 — Dasſelbe. 48. Jahrg. 1882. 1. Heft. M. Bericht, 7., der naturwiſſenſchaftlichen Geſellſchaft 1 Chemnitz, umfaſſend die Zeit vom 1. Januar 1878 bis 31. Dezember 1880. Chemnitz, Bülz. M. 4. 50. Bernſtein, A. Ratusroifenjehajtide Volksbücher. Neue Folge. 12. Liefg. Berlin, Hempel. a M. — Dinglers polytechniſches 8 10 Herausgeg. von J. Zeman und Fr. Fiſcher. Jahrg. 6. 1. Heft. Stuttgart, Cottaſche Buchhandlung. pro compl. M. Gaea. Natur und Leben. Zeitſchrift zur Verbreitung naturwiſſenſchaft⸗ licher und geographiſcher Kenntniſſe. 18. Jahrg. (12 Hefte.) 1. Heft. Köln, Mayer. à Heft M. 1. SEE an . ß rd 925 naturwiſſenſchaftlichen Liebhabereien. und B. Dürigen. 7. Jahrg. 1882. Nr. 25 Berlin, Gerſchel Vierteljährl. M. 3. Natur und Offenbarung. 28. Band. (12 Seite.) 1. Heft. Miinjter. Aſchendorffſche Buchhandl. pro compl. M. Naturae novitates. Bibliographie neuer Cc aller Länder auf dem Gebiete der Naturgeſchichte und der exakten Wiſſenſchaften. 4. Jahrg. 1882. 24 W Nr. 1. Berlin, Friedländer & Sohn. pro compl. M. Naturforſcher, der. Wochenblatt zur Verbreitung der Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. Herausgeg. von W. Sklarek. 15. Zahrg. 1882. Nr. 1. Berlin, Dümmlers Verlag. Vierteljährl. M. 4 Notizblatt, ler once für Chemiker, Gewerbetreibende, Fabrikanten und Künſtler. egründet von R. Böttger. Herausgeg. von Th. Peterſen. 37. Jahrg. 1882. (24 Nummern.) Nr. 1. Frankfurt a. M. Expedition des polytechniſchen Notizblatts. pro compl. M. 6. Repertorium der techniſchen Journal⸗Litteratur. Herausgeg. von B. Kerl. Jahrg. 1880. M. 15. Sitzungs erichte der kaiſerl. Akademie der Wiſſenſchaften. Mathemat.⸗ naturwiſſenſchaftl. Klaſſe. 1. Abt. Enth. die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mineralogie, Botanik, Zoologie, Geologie u. Paläonto⸗ logie. 84. Bd. 1. u. 2. Heft. Wien, Gerolds Sohn. M. 9. 40. — Dasſelbe. 3. Abt. Enth. die Abhandlungen aus dem Gebiete der Gerlos e Anatomie und theoret. Medizin. 84. Bd. 1. Hft. Wien, erolds Sohn. M. 3. 50. Verhandlungen des naturbiftarifi mediziniſchen Vereins zu Heidelberg. Neue Folge. 3. Bd. 1. Heft. Heidelberg, C. Winters Univerſ.⸗ Buchhandl. M. 3. erausgeg. (52 Nummern.) * Humboldt. — März 1882. 121 Wochenſchriſt für Aſtronomie, Meteorologie und Geographie. Red. von J. Klein. Neue Folge. 25. Jahrg. 1882. Nr. 1. Halle, chmidt. pro compl. M. 9. Chemie. e C. Leitfaden für den Unterricht in der Chemie und Mineralogie. 4. Aufl. Berlin, Stubenrauch. M. — Lehrbuch der Chemie und ä 1 Theil, Chemie. Berlin, Stubenrauch. M. . F. e der a den Chemie. 9. Liefg. ieee b Gentratbtatt für Agrikulturchemie und rationellen Land⸗ wirtſchaftsbetrieb. Red. von M. Fleiſcher. 11. Jahrg. 1882. 1. Heft. Leipzig, Leiner. Halbjährlich M. 10. Centralblatt, chemiſches. 3. Folge. 13. 220 1882. Nr. 1. Hamburg, Voß. pro compl. M. Gmelin⸗Krauts Handbuch der Chemie. een Chemie. 6. Aufl. 157 ausgeg. von K. Kraut. 2. Bd. 1. Abt. 12. u. 13. Liefg. Heidel⸗ berg, Winters Univers. ⸗Buchhandl. M. 3. Journal für praktiſche Chemie. Gegr. von O. L. Erdmann, herausgeg. 18. 8. Kolbe und E. v. 3 Jahrg. 1882. Nr. 1 u. 2. Leip⸗ zig, 1 pro compl. M Kohlmann, B. und F. Frerichz. ‘ian zur quantitativen chemi— miſchen Analyſe. Leipzig, Barth. M. Repertorium der analytiſchen Chemie für Sande, Gewerbe und öffent⸗ liche Geſundheitspflege. Red. von J. Stalweit. 2. Jahrg. 1882. (24 Nummern.) Nr. 1. Hamburg, Voß. Halbjährl. M. 6 Phyſik, Vhyſtkaliſche Geographie, Meteorologie. Doubrava, S. Ueber Elektrizität. Verſuch einer neuen Darſtellung der aa 0. Grunderſcheinungen. 1. Teil. Prag. Slavik & Borovy. Guichard. E. Die Qarmoniec der Farben. Deutſche Ausgabe mit Text von G. Krebs. 12.— 14. Liefg. Fol. Frankfurt a. M. W. Rommel. Hantel, W. G. Elektriſche Unterſuchungen. 15. Abhandlung. Ueber die aktino⸗ und piezoelektriſchen Eigenſchaften des Bergkriſtalls und ihre Beziehungen zu den thermoelektriſchen. Leipzig, Hirzel. M. 2. Hilbert, R. Das Verhalten der Farbenblinden gegenüber den Erſchei⸗ nungen der Fluorescenz. Königsberg, Hartungſche Verlagsbuchhandl. Hildebrandt, C. Ueber die ſtationäre elektriſche Strömung in einer un⸗ eee Ebene und einer Kugeloberfläche. Göttingen, Akademiſche M. 1. 50. 3. Aufl. Paderborn, F. M. Phpſttaliſch uel Nr. 8. Der große Ozean 2. Aufl. 8 Blatt. Chromolith. r. 8 Moldenhauer, E. F. Th. Das Weltall und ſeine Entwickelung. Dar- ſtellung der neueſten e der kosmolog. Forſchung. 2. 3. Liefg. Köln, Mayer. M. — Müller⸗Pouillets Lehrbuch a Phyſit und Meteorologie. 8. Aufl. Bee arb. v. L. Pfaundler. 3. Bd. 2. (Schluß⸗YAbth. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 6. Pilar, G. a der Abyſſodynamik. Buchhandl. Repertorium fur 5 eck Herausgeg. von der Sole Akademie der Wiſſenſchaften. Red. von H. Wild. 7. Bd. 2. Heft. St. Petersburg.) Leipzig, Voß“ Sort. M. 9. Schellen Die magnet⸗ und dynamoselektriſchen Maſchinen, ihre Konſtruktion und praktiſche Anwendung zur elektriſchen Beleuchtung und Kraftübertragung. 2. Aufl. Köln, Du Mont⸗Schaubergſche 4. Aufl. Leipzig, (52 Nummern.) Agram, Suppans Univerſ.⸗ Buchhandl. M. 16. Zeitſchrift, elektro⸗techniſche. Red. von K. E. 391950 3. Jahrg. 1882. (12 Hefte.) Berlin, Springer. pro compl. M. Zeitſchrift für Mathematik und Phyſik. Herausgeg. fice O. Schlömilch, E. Kahl und M. Cantor. on Jahrg. 1882. 1. Heft. Leipzig. Teubner. pro compl. M. 1 as, Hilfifer, J Die aſtronomiſchen Längenbeſtimmungen mit beſonderer Be⸗ m. der neueren Methoden. Aarau, Sauerländers Verlag. Bublitationen des Aſtro⸗phyſikaliſchen D pth zu Potsdam. Nr. 8. 2. Bd. 4. Stück. Leipzig, Engelmann. Mineralogie, Geologie, Geognoſte, Paläontologie. Blaas, J. Katechismus der Petrographie. oe illuſtrierte Katechis⸗ men. Nr. 107. Leipzig, Weber. geb. M. eim, A. Ueber Bergſtürze. Winterthur, Wurster & Co. M. ever, G. Rugoſe Korallen als oſt⸗ und che Diuuviaigeſchiebe Berlin, Friedländer & Sohn. M. — Palacontographica. Beiträge zur Arburgeſchicte der Vorwelt. 8 gegeben von W. Dunker und K. A. Zittel. 28. Bd. 4. u. 5. Liefg. Kaſſel, Fiſcher. M. 48. Schröder, Beiträge zur Kenntnis der in oſt⸗ und weſtpreußiſchen Diluvialgeſchieben gefundenen Silurcephalopoden. Berlin, Fried⸗ länder & Sohn. M. 2. 40. des Königreichs Sachſen. Spezialkarte, geologiſche, Herausgeg. vom Königl. inanzminiſterium. Bearbeitet unter Leitung von H. Cred⸗ ner. Sekt. 97 und 113. Chromolith. mit Erläuterungen. Leipzig. Engelmann. à 3 M. Botanik. Artus, W. Handatlas ſämtlicher mediziniſch⸗pharmazeutiſcher Gewächſe. 3 Cage von G. v. Hayek. 7.—12. Liefg. Jena, Maukes erl. — ; : Beiträge zur Morphologie und Phy⸗ ſiologie der Pilze. 5. Reihe. Beitrag zur Kenntnis der Uſtilagincen. Frankfurt a. M., Winter. M. 6. Centralblatt, bolaniſches. Herausgeg. von W. Uhlworm und W. J. = Behrens. Jahrg. 1882. Nr. 1. Halbjährlich M. 14 Flora. Red. Singer. 65. Jahrg. 1882. Nr. 1. Regensburg, Manz. pro compl. M. 15. Gonnermann, W. und L. Rabenhorſt. Mycologia . Liefg. Koburg, Riemannſche Hofbuchhandl. a M. 7. 50. Graßmann, R. Das Pflanzenleben oder die Phyſtologie der Pflanzen. Stettin, Graßmanns Verlag. M. 4. 80. Griſebach, A. Flora 5 fragmentum. Ed. A. Kanitz. Klauſen⸗ burg, Demjen. M. Bary, A. de und M. Woronin. 7. —9. Hartinger. A. Alas der Alpenflora. Herausgeg. vom deutſchen und öſterreich. Alpenverein. Nach der Natur gemalt. Mit Text von K. W. v. Dalla Torre. 6. Liefg. Wien, C. Gerolds Sohn. M. 2 Huſemann, A., A. Hilger und Th. Huſemann. Die Pflanzenſtoff chemiſcher, phyſiologiſcher, pharmakologiſcher und e Hin⸗ ſicht. 2. Aufl. 2. Liefg. Berlin, Springer. M. Irmiſchia. Botaniſche Monatsſchrift. Red. von Leimbach. 2. Jahrg. oes 12. Nummern. Nr. 1. Sondershauſen, Eupel. pro compl. 3. War A. Plantae Romaniae huiusque cognitae. III. Klauſen— burg. Demjen. M. 5. pro compl. M. 14. Rabenhorſts, L., Kryptogamen-Flora von Deutſchland, der Schweiz. 2. Aufl. 1. Bd. Leipzig, Kummer. M. 2. 40. Schlechtendal, D. F. L., L. E. Langethal und E. von Deutſchland. 5. Aufl. Herausgeg. Liefg. Gera, Köhlers Verl. A M. 1. Schmidlin, E. Illuſtrierte populäre Botanik. 4. neuer Bearbeitung von O. E. R. Zimmermann. Oehmigke's Verlag. M. 1. Schmidlins Anleitung zum Botaniſieren und zur Anlegung von Pflanzen⸗ ſammlungen. 3. Aufl. neu bearbeitet von O. Wünſche. Berlin, Parey. M. 3. Oeſterreich und Pilze von G. Winter. 6. Liefg. Schenk. von E. Hallier. Flora 50.— 52. Aufl. in vollſtändig 2. Liefg. Leipzig. Urban, J. Geſchichte des königl. botaniſchen Gartens zu Berlin, nebſt einer Darſtellung ſeines augenblicklichen Zuſtandes. Berlin, Gebr. Bornträger. M. 3. Wagners, H. Illuſtrierte deutſche Flora. 2. Aufl. Bearb. und verm. von A. Garcke. 12. u. 13. Liefg. Stuttgart, Thienemanns Verlag. a M. — 75. Willkomm M. Führer ins Reich der Pflanzen Deutſchlands, Oeſter⸗ reichs und der Schweiz. 2. Aufl. 7. Liefg. Leipzig, Mendelsſohn. M. 1. 25. Phyſtologie, Entwicklungsgeſchichte, Anthropologie. Zoologie. Anzeiger, zoologiſcher. Herausgeg, von J. V. Carus. 5. Jahrg. 1882 Nr. 101. Leipzig, Engelmann. pro compl. M. 9. Archiv für die on e 5 b der Menſchen und der Thiere. Herausgegeben von E. F. Pflüger. 27. Bd. 1. u. 2. Heft. pro compl. M. 20. Balfour, F. Handbuch der vergleichenden Embryologie. Ueberſetzt von B. Vetter. 2. Bd. 2. Hälfte. Jena, Fiſcher. M. 9. Benecke, a or Schuppen unjrer Fiſche. Berlin, Friedländer & Sohn. M. 1. Brehms Thierleben Chromo⸗Ausg. Vögel. 14.— 18. Heft. Leipzig, Bibliogr. Inſtitut. a M. 1. 2 3 Bronn, H. G. Klaſſen und Ordnungen des Thierreichs, wiſſenſchaftlich dargeſtellt in Wort und Bild. 6. Bd. 3. Abt. Reptilien. Fort⸗ geſetzt von C. K. Hoffmann. 25. und 26. Liefg. Leipzig, Winter⸗ ſche Verlagsbuchhandl. a M. 1. Ba Coles Claus, C. Grundzüge der Zoologie. 4. Aufl. 2. Bd. 2. (Schluß⸗“Liefg. 2 Bde. Marburg, Elwertſche Verlagshuchhandl. compl. M. 20. Eimer, Th. Unterſuchungen über das Variiren der Mauereidechſe, ein Beitrag zur Theorie von der Entwickelung aus konſtitutionellen Ur⸗ ſachen, ſowie zum Darwinismus. Berlin, Nicolaiſche Verlagsbuch⸗ andl. 0. M. 1 Gefiügelbof, der. ⸗Händler. Herausgeg. von K. Ruß. mern.) Nr. 1. Berlin, Gerſchel. Hermann, L. Kurzes Lehrbuch der Phyſiologie. 7. Aufl. wald. M. 12. Jahrbuch, morphologiſches. wickelungsgeſchichte. Herausgeg. von C. Gegenbaur. Leipzig, Engelmann. M. 15. Jahresbericht, zoologiſcher, f. 1889. Wochenſchrift für Geflügelliebhaber. Züchter und Jahrg. 1882. (52 Num⸗ Dieriehährüch M. 3. Berlin, Hirſch⸗ Eine Zeitſchrift für Anatomie und Ent⸗ 7. Bd. 3. Heft. Herausgeg. von der zoologiſchen Station zu Neapel. Red. von J. v. Carus. 2. — 4. Abt. Leipzig, Engelmann. M. 21. : : Lubarſch, O. Syſtematiſcher Grundriß der. Zoologie. 2. Teil. Wirbel⸗ loſe Tiere. Berlin, Hirſchwald. M. Martini & Chemnitz. Syſtematiſches berge Neue Herausg. v. H. C. Küſter, W. Kobelt und H. Weinkauff. 313. Liefg. Nürnberg, Bauer & Raſpe. Spe 9. — eae Sektio 99. M. x Mays, K. Ueber die 5 al des menſchlichen Gehirns. Heidelberg, C. F. Winters Univerſ.⸗Buchhandl. M. — 40. : Müller, A. und K. Thiere der Heimath. Deutſchlands Säugethiere und Vögel. Mit Illuſtrationen. 2. Liefg. Kaſſel, Fiſcher. M. 1. Pagenſtecher, H. A. Zur Entwickelungsgeſchichte der Trematoden. Heidelberg, C. Winters Univerſ.⸗Buchhandl. M. 1. Sundmann, G. Finniſche Vogeleier. Mit Text von J. Palmen Nr. 1—3. Helſingfors. Berlin, Friedländer & Sohn. as 15. Welt, die gefiederte. Zeitſchrift für Vogelliebhaber, Züchter und Händ⸗ ler. Herausgeg. von K. Ruß. 11. Jahrg. 1 (52 Nummern.) Nr. 1. Berlin, L. Gerſchel. Vierteljährl. M. 122 Humboldt. — März 1882. Ne Zeitſchrift für wiſſenſchaſtliche Zoologie. bold und A. v. Kölliker unter der Red. von E. Ehlers. 3. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 13. Herausgeg. von C. Th. v. Sie⸗ 36. Bd. Geographie, Ethnographie, Beifewerke. Aus allen Weltteilen. Illuſtrierte Monatshefte für Länder- und Völker⸗ kunde und verwandte Fächer. Red. v. H. Toeppen. 13. Jahrg. 1881/1882. 4. Heft. Leipzig, Mutze. M. — 80. Ausland, das. Wochenſchrift für Länder- und Völkerkunde. Jahrg. 1882. (52. Nummern.) Nr. 1. Stuttgart, Cottaſche Buchhandl. Viertel⸗ jährlich 7 M. Daniel, H. A. 5. Handbuch der Geographie. Aufl. 29. u. 30. Liefg. Leipzig, Fues Verl. a M. 1. 2 Daniel, H. A. Illuſtr. kleineres Handbuch der Geographie. 12.— 18. Liefg. Leipzig, Fues' Verl. à M. 60. Du Chaillu, P. P. Im Lande der Mitternachtſonne. Sommer- und Winterreiſen durch Norwegen und Schweden, Lappland und Nord⸗ Finnland. Frei überſ. von A. Helms. 5.6. Liefg. Leipzig, Hirt & „Sohn. a M. 1. Götz, W. Das Donaugebiet mit Rückſicht auf ſeine Waſſerſtraßen nach den Hauptgeſichtspunkten der wirtſchaftlichen Geographie. Stuttgart, Grüninger. M. 8. Handbuch, geographiſches, zu Andrées Handatlas. 2/4. Liefg. Biele⸗ feld, Velhagen & Klaſing. a M. 1. Hellwald, F. v. Naturgeſchichte des Menſchen. Spemann. M. —. 50. Kloeden, G. A. v. Handbuch der Erdkunde. 4. Aufl. 4 Bd. 3. Liefg. Berlin, Weidmannſche Buchh. M. 1. Kloeden, v., und R. Oberländer. Deutſches Land und Volk. Leipzig, Spamer. M. — 50. Mülinen, E. F. v., Beiträge zur Heimathkunde des Kantons Bern deut⸗ ſchen Theils. 3. Heft. Mittelland. II. Jegistorff⸗Ottenlenebad. Bern, Haller. M. 2. 50. Nordenſkjöld, A. E. Frhr. v. Die Umſegelung Aſiens und Europas auf der „Vega“. 1878 - 1880. 17. Liefg. Leipzig, Brockhaus. M. ale Oberländer, R. Fremde Völker. Ethnographiſche Schilderungen a. d. alten und neuen Welt. 5. und 6. Liefg. Leipzig, Klinkhardt. a M. 1. 50. Petermann, A. Herausgeg, von E. Behm. Gotha, J. Perthes. 13. Liefg. Stuttgart, 56. Heft. Mitteilungen aus Perthes' geographiſcher Anſtalt. Jahrgang 1882. (12 Hefte.) 1. Heft. pro Heft M. 1. 50. Schrenck, L. v. Reiſen und Forſchungen im Amur⸗Lande in den Jahren 1854 1856. 3. Bd. 1. Liefg. Die Völker des Amur⸗Landes. Geograph.-hiſtoriſcher und anthropolog.⸗ethnologiſcher Theil. (St. Pe⸗ tersburg.) Leipzig, Bok’ Sort. M. 15. 50. Witterungsüberſicht für Sentraleuropa. Monat Januar 1882. Der Verlauf der Witterungserſcheinungen im Januar 1882 läßt ſich in zwei verſchiedene Epochen zerlegen, von denen die erſte vom 1. bis 11. durch lebhafte, häufig ſtürmiſche Luftbewegung, durch mildes, trübes und zu Nieder⸗ ſchlägen geneigtes Wetter, die zweite, den übrigen Teil des Monats umfaſſende, durch ſtille, neblige, ſonſt trockene Witterung charakteriſiert ſind. 111. Januar. Während der Luftdruck über Süd⸗ europa hoch war, durchſchritten das nordweſtliche und nörd⸗ liche Europa zahl⸗ reiche Depreſſio⸗ nen, teilweiſe von beträchtlicher Tiefe, die ihren Einfluß meiſtens bis zum Fuße der Alpen ausbreiteten, Wind und Wetter über Nord⸗ und Mittel⸗ europa beherr⸗ ſchend. Daher das Vorherrſchen der ſüdweſtlichen Win⸗ de, welche vielfach ſtark, zeitweiſe ſtür⸗ miſch auftraten. Am 3. und 6. waren es umfangreiche Depreſſionen über der Nordweſthälfte Europas, welche über ganz Deutſchland ſtürmiſche Luftbewegung verurſachten. Auch in der Epoche vom 7. bis 11. war unter Einfluß raſch aufeinander⸗ folgender Depreſſionen das Wetter, insbeſondere an der Küſte unruhig, vielfach ſtürmiſch. Durch die eben be⸗ ſprochene, durch die Luftdruckverteilung bedingte, lebhafte, ſüdweſtliche Luftbewegung wurde warme, dampfreiche, ozea⸗ niſche Luft unſerem Kontinente zugeführt: daher das an⸗ dauernd milde, trübe und häufig zu Niederſchlägen geneigte Wetter. Insbeſondere waren es ſekundäre Bildungen, welche am Südrande der Hauptdepreſſionen oſtwärts fortſchreitend, zu Niederſchlägen Veranlaſſung gaben. Die Temperatur lag in Deutſchland faſt beſtändig über dem Gefrierpunkte, insbeſondere am 7., wo dieſelbe infolge der ſtürmiſchen ſüdweſtlichen Winde in Mittel⸗ und Süddeutſchland den normalen Wert bis zu 11° überſchritt. 12— 31. Januar. Ungewöhnlich hoher und gleich⸗ mäßig verteilter Luftdruck lag über Mitteleuropa, während 2 15 Januar 1862. Luftdruck . 7 iH li | im hohen Norden Depreſſionen weſt⸗oſtwärts fortſchritten. Hervorzuheben iſt der äußerſt hohe Luftdruck im Oſten am 15., wo auf der Strecke Neufahrwaſſer⸗Lemberg das Baro⸗ meter auf 788 mm ſtand. Der nächſt höchſte Barometer⸗ ſtand ſeit 1876 wurde daſelbſt am 6. Oktober 1877 mit 784 mm beobachtet. Für das weſtliche Gebiet war am 16. der Barometerſtand am höchſten: in Hamburg erreichte er an dieſem Tage 787.3 mm, während ſeit 1868 der höchſte Stand etwa 782 mm betrug. Nach den Beobachtungen in Emden von 1836 bis 1870 erreichte im Dezember 1859 der Luftdruck den Wert von 786 mm, ſo daß das Maxi⸗ mum in dieſem Ja⸗ nuar als das höchſte ſeit 45 Jahren für das nordweſtliche Deutſchland zu be⸗ N i a A trachten iſt. Die Dron I, Luftdruckverteilung Pk. 25 , * YY 8 ea, 16. Jana 1882 Luftdruck . 6 urch Oe ent ehen 5 Kärtchen veran⸗ ſchaulicht, auf wel⸗ chen die eingezeichneten Linien die Orte mit gleichen auf das Meeresniveau reduzierten Barometerſtänden von 5 zu 5mm verbinden. — Trotz des hohen Barometerſtandes war das Wetter anhaltend trübe, vielfach neblig, jedoch ohne weſent⸗ liche Niederſchläge; nur vom 14. bis zum 18. und am 31. war dasſelbe teils heiter, teils neblig. Der gleichmäßigen Luftdruckverteilung entſprechend, war die Luftbewegung ſchwach, nur an der Küſte wehten vielfach mäßige, weſtliche Winde, welche daſelbſt das andauernd milde Wetter unter⸗ hielten, während im Binnenland mäßiger Froſt herrſchte.“) Hamburg. Dr. van Bebber. ) Die Urſache der Entſtehung dieſer Barometermaxima, ihrer Bee ſtändigkeit und ihres öfteren Wiedereintretens in gewiſſen Wintern ſucht Hann in der Temperaturverteilung von Gegenden ſüdlich oder ſüd⸗ weſtlich von Europa. Die Luft fließt in der Höhe von Gegenden anormal oher Erwärmung nach höheren Breiten und bewirkt, dort herabſinkend, arometriſche Maxima, welche dann wieder die Bahnen der Barometer⸗ minima von den gewöhnlichen Bahnen ablenken. Vgl. Zeitſchrift der öſterreichiſchen Geſellſch. für Meteorologie. Februarheft 1882, S. 50. Humboldt. — März 1882. 123 Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im März 1882. (Mittlere Berliner Zeit.) 1 144 6 Librae 2 8) 2m A III A | 15710 U Coronae h | 44h F 3 bi 995 5 el 1480 U Cephei / @| 4/6" 54 N 1A | 5 7h 27 E. h. (c? Arietis | Sh 25m E. h. g 65 Ariotis s 98 31> AC d. 6 6 12ů 32 E. Bh. (2 Tauri Uranus 12 57m A. d.) 4.5 in Opposition 7 1125 S Cancri 8 7 24m E. h. He Tauri 1326 U Cephei 1319 6 Librae 8 28 A. d.] 6 | 9 10% 22 A III E 12 5 A III A | 1287 U Coronae bh 200. 111 39m A 1 | 11/8 50 A 1A S | 12 13 | 1383 U Cephei 14 5% 13" 11" 14 E. h. ) 55 Leo- 7 51 5 YOU 12 275 4.0. nia 6 15 1385 3 Librae 16" 52” E. 1 e e ee 6 16 915 Algol 1044 U Coronae | 9h Sw E. H. / BAC A201 | 12" 56" E. U. 9 g Virg. ; 10 7m A.d.§ 6 13" 56 A. d. 5 6 17 18 10 46" 1A 11" 48" E. ir 722 | 1289 U Cephei 125 55™ A. d. 6 Be le cep Ol 20 21 7 51™ leu 15 15" E. d.? 39d | 15" 27" E. 1 10 29" 16" 28" A. h. F Oph.6 | 16" 18 A. h. 8 | 22 1880 6 Librae 23 | 881 U Coronae 1286 U Cephei 24 | | 25 | 3 | 26 bp 155 b A 01 pee S Caneri | 27 f. alem | 28 19, 28" foe 122 U ea | 29 | 1246 6 Librae | 30 31 Roter Fleck auf N. 10" 65 120 gh Sb gh gh 48 3g" 26™ 17 55 465" 33" 10" 48" 3" 41™ 124 Humbolot, — März 1882. e ee eee e TG e Ozonbildung durch Lichtwirkung wurde kürzlich von dem franzöſiſchen Chemiker J. Deſſan entdeckt; derſelbe hat nämlich gefunden, daß Sauerſtoff durch Lichſtrahlen direkt in Ozon umgewandelt werden kann. Das zu ſeinen Verſuchen benutzte Ozon war aus doppelchlorſaurem Kalium bereitet und ſehr rein. Es war in einem Glasballon enthalten, welcher ſamt den übrigen benutzten Gefäſſen mit ſchwarzem Papier über⸗ zogen war, um das Licht abzuhalten. Unter dieſen Umſtänden zeigte der Sauerſtoff keine Reaktion auf Ozon; wenn aber die Strahlen von einem Knallgas⸗ Kalklichte auf den Sauerſtoff einwirkten, ſo konnte nach 25 Minuten mittels Jodkalium⸗Stärke die An⸗ weſenheit des Ozons nachgewieſen werden. Dieſe Ent⸗ deckung dürfte ein bedeutungsvolles Licht auf die phy⸗ ſiologiſchen Wirkungen der Sonnenſtrahlen werfen. Schw. Der neue Cunard-Dampfer „Servia“ ijt unter den neueren großen transatlantiſchen Dampfern das größte, ſtärkſte und vollkommenſte Schiff; dasſelbe iſt von der Firma James und George Thomſon auf den Werften am Clyde gebaut und fand die Probe⸗ fahrt am 16. November ſtatt. Die erreichte Maximal⸗ geſchwindigkeit betrug volle 18 Knoten, d. i. 4½ deutſche Meilen in der Stunde. Die Maſchinen ar⸗ beiteten mit 6,5 Atmoſphären Dampfdruck und leiſteten 10,500 indizierte, alſo etwa 12,000 effektive Pferde⸗ ſtärken bei 53 Touren per Minute. Bei der Probe⸗ fahrt war das Schiff mit 2500 Tonnen belaſtet. Beim Antritt ſeiner erſten transatlantiſchen Reiſe hatte das Schiff 3500 Tonnen Laſt im Ladungsraume und 1700 Tonnen Kohlen in ſeinen Bunkers, wobei der Kiel etwa 8 Meter tief ging. Die Servig iſt das hundert⸗ achtzigſte Schiff, welche die Cunardkompanie ſeit ihrer Gründung im Jahre 1824 in Dienſt geſtellt hat. Schw. Anilinfarben in Amerika. Nach dem Journal of Chemistry in Boſton wurden im Jahre 1880 nicht weniger als 700,000 Pfund (pounds) Anilin⸗ farben nach den Vereinigten Staaten gebracht. Hier⸗ von kam der größte Teil aus Deutſchland. Für die Farbſtoffe ſelbſt wurden 2,800,000 Dollars gezahlt, an Zoll aber 1,300,000 Dollars entrichtet. Dieſe hohen Zollabgaben laſſen es erklärlich erſcheinen, daß man immer mehr und mehr in Amerika dazu kommt, die Teerfarbſtoffe ſelbſt aus dem dort ſehr billigen Steinkohlenteer darzuſtellen und nicht aus dem Aus⸗ lande zu kaufen. Der Grund, weshalb die Induſtrie ſich in dem ſonſt ſo rührigen Amerika erſt wenig mit dieſen Farbſtoffen beſchäftigt, iſt einfach der, daß die organiſche Chemie in den dortigen Lehranſtalten noch kaum kultiviert wird. i Die Verteilung von Licht, Wärme und Arbeits Kraft, teils durch Elektrizität, teils durch Waſſerdampf, iſt gegenwärtig in New Nork von zwei Geſellſchaften in Angriff genommen worden. Im öſtlichen Teile der Stadt beſorgt die Ediſon Electrie Light Company die Legung eines kompletten unterirdiſchen elektriſchen Leitungsſyſtems, während im weſtlichen Teile die New Pork Steam Companp beſchäftigt iſt, ein Röhren⸗ ſyſtem zur Verſorgung der Häuſer mit Hochdruckdampf für Heizung und Kraftleiſtung anzulegen. Die erſtgenannte Geſellſchaft hat bereits 5 km Leitung auf einer Fläche von 64 ha fertig geſtellt. Wenn aber der ganze Diſtrikt fertig iſt, ſo werden 22,5 km Leitung unter den Straßen und 11 km Zweigleitung vorhanden ſein. Dieſe Leitungen werden 16000 Lampen ſpeiſen und 400 Pferdeſtärken werden zum Betriebe der elektriſchen Lichtmaſchinen dienen. Die zweitgenannte Geſellſchaft baut ein rieſiges Keſſelhaus von vier Etagen, jede mit 16 Dampf⸗ generatoren; dieſe 64 Dampfgeneratoren beſitzen zu⸗ ſammen mindeſtens 5000 Pferdeſtärken Leiſtungs⸗ 8 . fähigkeit. chw. Aeber die Hequoien. Wie die Salisburieen hatte auch die Gattung Sequoia in den früheren Perioden eine viel weitere Verbreitung als jetzt. Noch exiſtieren derzeit 2 Arten: die Sequoia semper- virens Endl. (= Taxodium sempervirens Lamb.) und S. gigantea Endl. (= Welling- tonia gigantea Lindl.), der Mammutbaum. Die erſtgenannte Spezies iſt weiter verbreitet; fie be⸗ ſitzt zweizeilig geordnete abſtehende Blätter, kleine kugelige Zapfen und die Tracht etwa unſrer Eiben⸗ bäume (Taxus baccata L.). Die in Höhe und Durchmeſſer des Stammes gewaltigen Mammut⸗ bäume treten dagegen mehr in einzelnen kleineren Gruppen auf; ſie haben mehr die Tracht der Eypreſſen und beſitzen ſchmälere den Zweigen angedrückte Blätter und etwas größere eiförmige Zapfen. Beide Arten find Bewohner des nordweſtlichen Amerika. In der Tertiärzeit nun zeigt ſich als nächſtverwandte Art zu Sequoia sempervirens Endl. die S Langsdorfii (Bgt.) Heer, welche in Europa, Aſien und Amerika weit verbreitet war vom 43. bis 78.“ nördl. Br. Der 8. gigantea Endl. aber entſprach im Tertiär Sequoia Sternbergii Göpp., die etwas ſeltener auftrat und ihre nördlichſte bekannte Grenze ſchon bei 70° nördl. Br. fand. Noch ſchloſſen fic) 3 andre miocäne Arten eng an 8. Langsdorfii (Bet.) Heer an: S. brevifolia Heer, S. dis- ticha Heer und S. Nordenskioeldi Heer, und auch S. longifolia Lesd., S. angustifolia Lesd. und S. acuminata Lesq. aus dem Tertiär von Nordamerika ſtehen derſelben nahe. Dagegen finden ſich auch zwiſchen S. Langsdorfii (Bgt.) Heer und S. Sternbergii Göpp., welche, wie die beiden lebenden Arten, zwei Extreme darſtellen, eine Anzahl (6) von Arten, welche die vorhandene Lücke ausfüllend als Verbindungsglieder zwiſchen dieſen beiden entgegenſtehenden Typen auftreten, nämlich: 8. Couttsiae Heer, S. affinis Lesq., S. im- bricata Heer, S. Sibirica Heer, S. Heeri Lesq. und S. biformis Les. 8 Humboldt. — März 1882. 125 In der Kreideperiode treten 10 Sequoia-Arten auf, 3 in der oberen, 2 in der mittleren und 5 in der unteren Kreide. Auch hier laſſen ſich wieder dieſe beiden Typen erkennen und entſpricht der 8. sem- pervirens Endl. die S. Smittiana Heer, der S. gigantea Endl. aber die S. Reichenbachii Gein. Den Übergang bilden wieder S. subulata Heer, S. rigida Heer, S. gracilis Heer, 8. fastigiata Carr. und S. Gardneriana Carr., von welchen die drei letztgenannten Arten angedrückte Blätter beſitzen und ſich fo mehr dem Mammut— baume nähern. Unter den vielen Koniferen der Juraperiode iſt die Gattung Sequoia nicht vertreten; ſie zeigt ſich alſo zuerſt in der unteren Kreide (Urgon) und auch hier ſchon in die beiden extremen Typen zerſpalten, welche noch exiſtieren. Wie Heer ſagt: „In die jetzige Schöpfung ſind nur die beiden Flügel der Gattung übergegangen, das Zentrum aber mit ſeinen zahlreichen Zwiſchenarten iſt mit der Ter— tiärzeit ausgefallen.“ — Oswald Heer, Ueber die Sequoien in Regels Gartenflora 1879, S. 6-10; auch Vortrag in der ſchweiz. naturf. Geſ. 1879. G. Apparat für Oberflächenſpannung. Bekannter⸗ maßen übt die Haut einer Seifenblaſe einen ſtarken Druck auf das Innere aus, den man mit dem Namen Oberflächenſpannung bezeichnet. Um ſich von dieſem Druck zu überzeugen, taucht man das eine Ende einer Glasröhre in gute Seifenbrühe, nimmt es wieder heraus, bläſt in das andre Ende der Röhre und erzeugt ſo eine größere Seifenblaſe. Nimmt man nun den Mund weg, ſo daß die Oeffnung frei wird, ſo ſchrumpft nach und nach die Blaſe durch den Druck, welchen die äußere Wand auf die innere Luft ausübt, immer mehr zuſammen und zwar in dem Maße raſcher, als die Blaſe kleiner wird. Die Oberflächenſpannung iſt überhaupt bei ſtark gewölbten Flächen, wie z. B. bei kleinen Kugeln größer, als bei ſchwächer gewölbten. Man kann dieſen Unterſchied der Oberflächenſpan— nungen bei kleinen und großen Kugeln auf eine ſehr nette Weiſe mittels beiſtehenden Apparates nachweiſen. An einer horizontalen Meſſingröhre A B, welche in der Mitte durch einen Hahn E verſchloſſen werden kann, find zwei vertikale Röhren ab und a‘ b’ angebracht. Man ſchließt den Hahn R, läßt b und |b‘ einen Augenblick in Seifenbrühe tauchen und bläſt nun zuerſt etwa in a, fo daß fic) bei b eine größere Seifenblaſe bildet; darauf verſchließt man a mittelſt eines Stückchens Wachs und bläſt nun an b' eine ebenſolche, aber etwas kleinere Blaſe an. Nachdem man auch a' mittelſt Wachs verſchloſſen, öffnet man den Hahn R und bemerkt nun, daß die Blaſe bei b“ immer kleiner wird und zwar mit zunehmender Ge— ſchwindigkeit, während die Blaſe bei b ſich vergrößert. Wenn die Blaſe bei b’ faft zuſammengeſchrumpft iſt, ſchließt man R und bläſt nun wieder an b' eine kleinere Blaſe an, welche nach Oeffnung von R aber— mals einſchrumpft und die Blaſe von b vergrößert u. ſ. w. Durch Wiederholung dieſes Verfahrens iſt man imſtande, die Blaſe an b zu bedeutender Größe zu entwickeln. Gute Seifenbrühe erhält man auf folgende Weiſe: Man löſt bei gelinder Wärme einen Gewichtsteil Marſeiller Seife in 40 Teilen deſtillierten Waſſers, filtriert nach dem Erkalten und ſetzt unter Umſchütteln zu drei Teilen der Seifenbrühe zwei Teile Glyeerin. — Ackermanns Gewerbezeitung Nr. 21. 1881.) Kr. Schwimmende und untergehende Flaſche. Wenn ein Menſch im Waſſer ſich auf den Rücken legt, ſo daß nur ein Teil des Geſichtes hervorſieht, ſo ſinkt er nicht unter; dies geſchieht aber ſofort, wenn er die Arme in die Höhe ſtreckt. Um dies zu verſinnlichen, füllt man eine größere Flaſche teilweiſe mit Waſſer und befeſtigt mittelſt eines Gummibandes zwei längere, eiſerne Stifte ſo an derſelben, daß ſie nach unten hängen. Man ſetzt nun die Flaſche in ein Gefäß mit Waſſer und gießt noch ſo viel Waſſer in dieſelbe, daß ihr oberer Rand eben über das Waſſer im Gefäſſe hervorſieht. Dann zieht man die Stäbe nach oben und bemerkt, daß die Flaſche nunmehr im Waſſer unterſinkt, wenn man ſie frei— läßt. — (Ackermanns Gewerbezeitung Nr. 21. 1881.) Kr. Le diable captif. Wenn in die Röhre des all— bekannten Waſſerhammers ein kleines gläſernes Teufel— chen eingeſchloſſen iſt, ſo macht dasſelbe, wenn man die Kugel des Waſſerhammers in die Hand nimmt und dadurch ein raſches Verdunſten des Waſſers be— wirkt, die poſſierlichſten Bewegungen. 126 Humboldt. — März 1882. Dieſer zu den fogen. wiſſenſchaftlichen Spielzeugen gehörige Apparat hat in Paris unter dem Namen il Le diable captif reißenden Abſatz gefunden. — (Ackermanns Gewerbezeitung Nr. 2. 1881.) Kr. Neuer Ilaſchenfülltrichter von Boldt und Vogel in Hamburg. Ein kupferner, innen ver⸗ zinnter Trichter hat an der Stelle, wo der Hals anfängt (bei 2), einen Wulſt, über welchen ein dünnes Stück Kautſchukſchlauch geſchoben iſt. Durch dieſe Einrichtung iſt es möglich, den Trichter ſowohl in enge als weite Flaſchen luftdicht ſchließend einzu⸗ ſetzen. In dem Trichter aft noch eine Röhre 3, 4 eingeſetzt, welche bis unter den Hals geht und aus der die Luft der Flaſche entweicht, ſobald die in den Trichter gegoſſene Flüſſigkeit in die Flaſche fließt. Wenn die Flaſche ſo weit gefüllt iſt, daß der untere Teil 4 der Röhre in der Flüſſigkeit ſteht, jo kann nichts mehr einfließen. Will man nun den Trichter abnehmen, ohne daß etwas ausläuft, ſo zieht man die Röhre mittels des Hebels 1 herauf, wobei ein Kautſchukring, welcher am Ende 4 der Röhre ange⸗ bracht iſt, den Hals des Trichters verſchließt. Man kann ihn nun auf eine andre Flaſche aufſetzen u. ſ. w. Solche Trichter waren auf der Patent- und Muſter⸗ ſchutzausſtellung in Frankfurt im vorigen Jahre aus⸗ 90515 — (Ackermanns Gewerbezeitung Nr. 21. 1881. ie Induſtrie in Nordamerika. Bei der Aufmerk⸗ ſamkeit, welche die Ausdehnung der Induſtrie in Nordamerika beanſprucht, dürfte der augenblick⸗ liche Stand der Fabrikation der Teerfarbſtoffe in jenem Lande von Intereſſe ſein. Mit der Darſtellung dieſer Farbſtoffe beſchäftigen ſich dort zwei Fabriken, welche ſich in dem Staate Newyork PN Die eine fertigt täglich 450 pounds (1 pound = 453,6 g) Scharlachrot, Braun, Violett, Chryſoidin und Orange⸗ gelb. Die andre macht monatlich 12,000 pounds Fuchſin und 5000 pounds Blau und Violett. Beide Fabriken ſollen nächſtens vergrößert werden. Schtz. Neuere meteorologiſche Beobachtungen, welche Herr G. M. Whipple auf dem Obſervatorium zu Kew angeſtellt hat, haben zu intereſſanten Reſultaten geführt, welche der Witterungskunde ſehr zu gute kommen dürften. Aus einer Reihe von Beobachtungen über die Variationen der relativen Feuchtigkeit und thermometriſchen Trockenheit der Luft bei wechſelndem Barometerſtande hat der Genannte eine Kurve kon⸗ ſtruiert, welche mit einer vorher von demſelben aus den Beziehungen des Barometerſtandes, Sonnenſcheins und der Bewölkung abgeleiteten Kurve faſt zuſammen⸗ fiel, woraus Herrn Whipple hervorzugehen ſchien, daß wenigſtens zu Kew Bewölkung und Trockenheit der Luft im umgekehrten Verhältnis ſtehen, ſo daß als Regel anzunehmen ſei, die Bewölkung ändere ſich mit der Luftfeuchtigkeit. Hieraus folgt, daß zu Kew die Wolken nicht aus großer Entfernung vom Winde zugetrieben werden, ſondern wahrſcheinlich verhältnis⸗ mäßig mehr am Ort, wo ſie erſcheinen, ſich bilden. Mit Bezug auf die Wetterglaslegende folgt hieraus, daß man ſich nur im Sommer darauf halbwegs ver⸗ laſſen kann, weil alsdann die Trockenheit der Luft direkt mit der Höhe des Barometerſtandes variiert. Im Winter wird die Trockenheit oder relative Feuchtig⸗ keit der Luft vom atmoſphäriſchem Drucke nur wenig affiziert. Die Extreme der größten Feuchtigkeit liegen an den beiden Grenzen des Barometerſtandes, während die trockenſte Zeit bei einem Barometerſtande von 767 mm eintritt. Im Sommer findet das Gegen⸗ teil ſtatt, denn die Kurve bildet faſt eine gerade Linie, wodurch ſich herausſtellt, daß in dieſer Jahres⸗ zeit der Luftdruck proportional zur Trockenheit der Luft variiert. Die größte Feuchtigkeit tritt alsdann bei dem niedrigſten und die größte Trockenheit bei dem höchſten Barometerſtande ein. Schw. Schlagintweit 1. Der bekannte Naturforſcher und Reiſende Dr. Hermann von Schlagintweit⸗ Sakünlünski iſt am 19. Januar, vormittags 11 ½ Uhr im 56. Lebensjahre in München geſtorben. : Kr. { gut! eee eee Die Kreuzberghöhle bei Laas in Krain und der Höhlenbär. Von Dr. Ferdinand v. Hochſtetter in Wien. Mei dem lebhaften Intereſſe, welches gegen— wärtig den Höhlenforſchungen der Geo— logen und Prähiſtoriker entgegengebracht wird, darf ich es wagen, in dieſen Blättern eine wenig bekannte und ſelten beſuchte Karſthöhle zu beſprechen, auf welche ich im Jahre 1878 durch meinen Freund, den um die Naturkunde Krains ſo hochverdienten Kuſtos des kraineriſchen Landesmuſeums, Herrn Carl Deſchmann in Laibach aufmerkſam ge— macht wurde. Ich habe der Durchforſchung dieſer Höhle in Ge— meinſchaft mit mehreren jüngeren Arbeitsgenoſſen in den Sommern 1878 und 1879 mehrere Wochen ge— widmet und wir verdanken unſeren Grabungen in der Höhle eine Anzahl der ſchönſten und vortrefflich er— haltenen Höhlenbärenſkelette, die nunmehr eine Zierde der Wiener Sammlungen ſind und die uns um ſo werthvoller erſcheinen, als es die erſten vollſtändigen Höhlenbärenſkelette aus dem höhlenreichen, bis in unſere Tage von Bären bewohnten Karſtgebiete in Krain ſind. Die Station Rakek an der Südbahn zwiſchen Loitſch und Adelsberg iſt dem Karſtreiſenden wohl— bekannt als der Ausgangspunkt zum Beſuche des Zirknitzer Sees und des kraineriſchen Schneeberges. Zirknitz und das nördliche Ende des gleichnamigen Seebeckens liegt von hier nur eine kleine Gehſtunde entfernt. Schon gleich, nachdem man auf der Straße nach Zirknitz die erſte Anhöhe erreicht hat, öffnet ſich die Ausſicht auf das ausgedehnte Becken des merk— würdigen, viel beſchriebenen Sees. Die dunklen Waldesſchatten des mächtigen Javornik Vrh gegen Südweſten, in deſſen Felsgeklüfte noch Bären und Wölfe hauſen, bilden einen auffallenden Kontraſt Humboldt 1882. gegen die ſonnverbrannten nackten Hutweideflächen der Slivniza in Nordoſt. Der See ſelbſt iſt nur bei höherem Waſſerſtand als ein ſchmaler hori— zontaler Streifen am Fuße des Jawornik ſichtbar. Die ganz eigenartige ober- und unterirdiſche Waſſer⸗, Fels⸗ und Grotten-Romantik dieſer Gegend entzieht ſich vollſtändig dem die Landſchaft überſchauenden Blick. Sie erſchließt ſich nur dem, der auf den Kanoe ähnlichen Fahrzeugen der Eingebornen Tage lang den See befährt, und ſich von dieſen alle die geheimniß— vollen „Speih-“ und „Sauglöcher“, die oberch, vranja jama, bobarza, reitié, reschetto, närte, karlauza und wie fie alle heißen, zeigen und erklären läßt, und dem, der die Wald- und Felswildniſſe des Javornik bis zu den Naturbrücken und Höhlen von S. Kanzian durchſtreift. Aber auch weiterhin gegen Süden, dort, wo in der Umrahmung des Sees von der höchſten Spitze eines dunkelbewaldeten Bergkegels, des Kreuzbergs, ein weißer Punkt — die Wallfahrtskirche Heiligen- kreuz — über den See leuchtet, gibt es noch Natur⸗ wunder aller Art. Die ſchön gebaute neue Straße von Zirknitz nach Laas, von der ſich bei Bloſchkapo⸗ liza die nach Oblak und weiterhin nach Gotſchee füh⸗ rende Straße abzweigt, windet ſich hinter dem Kreuz⸗ berg zwiſchen einer ganzen Gruppe von ähnlichen Kegelbergen hindurch, auf deren letztem die alte Schloß— ruine von Laas liegt. Hier öffnet ſich das Thalbecken von Altenmarkt und Schneeberg. Hiſtoriſch merk— würdig iſt der Ulaka genannte Hügel bei Altenmarkt, auf welchem das Terbo der Römer geſtanden haben ſoll. Zahlreiche römiſche Münzen, die hier gefunden werden, von Augustus, Domitian, Trajan, Alexander Severus u. ſ. w. und andere römiſche Altertümer 17 128 Humboldt. — April 1882. bezeugen die einſtige römiſche Anſiedlung. Auch das Thalbecken von Altenmarkt, welches nur etwa 120 Meter höher liegt als das Zirknitzer Becken, und aus welchem dieſes unterirdiſch ſeine ſüdlichen Zuflüſſe er⸗ hält, iſt, wie das Zirknitzer Becken den Ueberſchwemmun⸗ gen teils oberirdiſcher, teils unterirdiſcher Waſſerläufe ausgeſetzt, nur daß ſie hier ſeltener vorkommen und akuter verlaufen, während ſie im Zirknitzer Becken ein chroniſches Uebel ſind. Die beiden Thalbecken haben nur eine unterirdiſche Waſſerkommunikation, und das Thalbecken von Alten⸗ markt oder Laas hängt ebenſo wieder nur durch unter⸗ irdiſche Waſſerläufe zuſammen mit dem oberſten Thal⸗ boden, der zu dem Syſtem des Zirknitzer Sees ge⸗ hört, mit dem Becken von Oblak. Die auffallenden Kegel⸗ und Kuppenformen des Kalkſteingebirges zwi⸗ ſchen Laas und Oblak und die zahlreichen Dolinen auf den mehr plateauförmig ſich ausbreitenden Höhen ſind die deutlichen Kennzeichen der großartigen Zer⸗ ſtörungen, welche in dieſem wie ein Schwamm von zahlloſen unterirdiſchen Kanälen und Höhlen durch⸗ löcherten Gebirge vor ſich gegangen ſind. Der früher erwähnte Kreuzberg, deſſen Spitze die Wallfahrtskirche Heiligenkreuz ziert, iſt es, an deſſen Fuße die nach ihm benannte Höhle liegt. Der Ein⸗ gang der Höhle befindet ſich am nordöſtlichen Abhang des Berges eine halbe Stunde von dem an der Straße von Zirknitz nach Laas gelegenen Dorfe Bloſchkapo⸗ liza und zwar 10 Minuten abwärts von der Straße im Wald. Dieſes kleine Bergdorf iſt daher der be⸗ quemſte Ausgangspunkt für den Beſuch der Höhle. Ein ſchattiger Waldplatz vor dem Eingang ladet zu kurzer Raſt ein, die zumal, wenn man die Höhle im Sommer beſucht, wohl angezeigt iſt, um nicht erhitzt die kühle Grotte zu betreten; denn der Temperatur⸗ wechſel tft ein ſehr bedeutender. Selbſt im Hoch⸗ ſommer bei 28° bis 380° Cels. äußerer Lufttemperatur hat das Innere der Höhle nie mehr als 10—11° Cels. Mit Recht heißt fie daher auch „Merzla Jama“ die „kalte Grotte“. Den Eingang bildet eine in ſüdlicher Richtung in das Kalkgebirge eindringende, von oben nach unten bis auf 5 Meter ſich erweiternde Felsſpalte, zu der man über eine mit Buſchwerk bewachſene Schutthalde von Felstrümmern etwa 30 Meter hinaufſteigen muß, um oben beim Eingang angelangt, auf einem ſchlüpf⸗ rigen Schuttkegel faſt um das Doppelte jener Höhe wieder in die erſte Halle der Höhle hinabzuklettern. Aus der Höhle ergießt ſich im Sommer ein ſtarker kalter Luftſtrom, der am Eingang im Kontakt mit der warmen äußeren Luft fortwährend einen feinen Niederſchlag erzeugt, durch den der nach innen gekehrte mit viel Walderde vermiſchte Schuttkegel immer feucht und naß erhalten wird. 5 Schon in der halben Höhe des Abſtieges öffnet ſich rechts eine ſchwer zugängliche aber höchſt merk⸗ würdige Seitengrotte, die zu einem Fundort von Höhlenbärenreſten führt, der den früheren Beſuchern gänzlich unbekannt geblieben war. Der Boden des nur 8 bis 10 m breiten und ebenſo hohen Höhlen— armes iſt ganz mit großen ſcharfkantigen Felstrüm⸗ mern eines Deckenſturzes bedeckt, über welche man vorſichtig ſteigen muß. Der anfänglich weſtlich ge⸗ richtete Höhlengang wendet ſich ſpäter unter einem rechten Winkel gegen Süden und führt endlich unter tief herabhängenden Tropfſteinmaſſen hindurch wieder in einen höheren Höhlenraum, der zu den unheim⸗ lichſten Partieen der Höhle gehört. Die Decke der Höhle blättert ſich hier förmlich ab, große ſchwere Felsplatten drohen mit Einſturz, Waſſer rieſelt durch die Spalten und Klüfte und ſchachtartig in die Tiefe führende Löcher verrathen einen Abgrund, der ein größeres Waſſerbecken enthält. Wirft man Steine hinab, ſo hört man ſie oftmals auf Felſen aufſchlagen, und endlich ſcheinen ſie an einer ſchiefen Felswand in ein tiefes Waſſer zu rutſchen. Erſt mehrere Sekunden, nachdem die Steine ins Waſſer gefallen, beginnt ein Rauſchen, das von keiner anderen Urſache herrühren kann, als daß die durch den Steinwurf erregten Wellen an die Ränder des Beckens anſchlagen. Eine aufgeregte Phantaſie wird das unterirdiſche Getöſe und Geräuſche mit grollenden und ſtöhnenden Menſchenſtimmen ver⸗ gleichen. Hier, wo ganz neue Felsſtürze jedes weitere Vordringen unmöglich machten, entdeckten wir zu unſerer nicht geringen Ueberraſchung einen Knochen⸗ fundplatz. Unter der 0,2 bis 0,3 m dicken Sinter⸗ decke nämlich, von der wir jedoch zuerſt die von der Decke herabgefallenen Felsplatten abräumen mußten, ſtießen wir auf feuchten klebrigen Lehm, der ganz durchſpickt war mit Knochen. In kurzer Zeit war eine etwa 3—4 Quadratmeter große Fläche abgedeckt, auf der nicht weniger als 8 große Schädel von Ursus spelaeus mit den dazu gehörigen Skeletten bloßgelegt wurden. Leider war der Erhaltungszu⸗ ſtand der Knochen in dem durchnäßten Lehm ein derartiger, daß die meiſten Knochen in der Hand zerfielen und zerbrachen, ſo daß nur einzelne Wirbel⸗ und Extremitätenknochen, die Fußwurzelknochen und Phalangen erhalten blieben. Die ſchönen Schädel, die rieſigen Becken, Schulterblätter, Rippen u. ſ. w. zerfielen ſelbſt beim vorſichtigſten Herausnehmen alle in Stücke. Allein der Knochenreichtum ijt hier ein ganz erſtaunlicher, obgleich die Knochenablagerung nicht mächtiger als ½ bis 1 m tft. Ein Individuum liegt auf und neben dem anderen. Die vollſtändigen Skelette mit allen Knochen in der urſprünglichen natürlichen, oder doch nur wenig verſchobenen Lage kommen, wenn man mit den Fingern ſorgfältig den Lehm entfernt, nach und nach zum Vorſchein; und neben den rieſigen Exemplaren der Alten fanden ſich hier auch in großer Anzahl junge Individuen von verſchiedenem Alter; ſelbſt die Reſte von embryonalen Skeletten haben wir hier gefunden, niedliche kleine Pratzen und Wirbelſäulen mit allen den zarten Knöchelchen in der ngtiirlidjen Lage, fo daß kein Zweifel darüber ſein kann, daß die Individuen da verendet ſind, wo ſie begraben liegen. Doch kehren wir wieder zum Hauptgang der Höhle zurück. Die erſte große Halle, zu der der Abſtieg vom Humboldt. — April 1882. 129 Eingang herabführt, haben wir zur Erinnerung an den Diſtriktsförſter Zörrer, welcher im Jahre 1838 den erſten Höhlenplan entwarf, „Zörrers Dom“ genannt. Sie iſt circa 70 m lang, 20 bis 25 m breit und ebenſo hoch. Der Boden iſt ſteinig, und fällt links ſanft ab zu einer flachen mit ſandigem Lehm erfüllten Vertiefung, die wir waſſerfrei fanden, die aber zeit⸗ weilig Waſſer enthalten muß und in der Sauglöcher verdeckt liegen mögen. Die Seitengrotte, die ſich von dieſer Mulde aus in nordöſtlicher Richtung abzweigt, iſt ganz mit grobem Blockwerk erfüllt. Aus „Zörrers Dom“ ſteigt man über einen großen Trümmerberg von ſcharfkantigen, nur zum Teil über— ſinterten Felsblöcken aufwärts und gelangt dann bald auf den mehr ebenen Boden einer zweiten Halle. Von dieſer zur dritten Halle hat man einen zweiten Trümmerberg zu überſteigen, der mit dem erſten zuſammenhängt, aber hier wieder die ganze Breite der Höhle einnimmt, und ſich da, wo der Hauptgang der Höhle aus der ſüdöſtlichen Richtung in eine öſtliche umbiegt, am höchſten erhebt, ſo daß die Spitze desſelben etwa nur 10 m unter dem Cine gang der Höhle liegt. Man ſieht von hier aus zum letztenmal den Schein des Tageslichts vom Ein— gang her und hört zum erſtenmal den Bach rauſchen, der weiter im Innern der Höhle fließt. In der Mitte der dritten Halle befindet ſich eine felſige dolinenartige Einſenkung, während die ſeit— lichen Höhlenwände mit hübſchen Tropfſteinbildungen geziert ſind. Ein mühſamer Weg über einen dritten Felzſturz, auf deſſen höchſter Spitze ſich eine ſchöne Tropfſtein— pyramide erhebt, führt endlich in den „Großen Dom“. Hier ſind wir im eigentlichen Mittelpunkt der Höhle, in welchem ſich die 4 Hauptarme derſelben kreuzen. Gegen Oſten ſetzt ſich der Hauptgang in gerader Richtung fort zum „See“. Gegen Süden öffnet ſich eine kurze, gegen Norden aber eine große Seitengrotte mit vielverzweigten Gängen. Die Höhle gibt an dieſer Stelle bei genügender Beleuchtung ein groß— artiges und intereſſantes Bild. Faſt in der Mitte des gewaltigen, gegen 30 m weiten Raumes erhebt ſich ein rieſiger Stalagmitenkegel, der an ſeiner ſüd— lichen Seite auf einem flachen durch wulſtige Sinter— bildungen in beckenförmige Abſätze abgeſtuften Fuße ſich aufbaut, an ſeiner nördlichen Seite aber tief und ſteil in den nördlichen Seitenarm der Höhle abfällt. Ich nannte dieſen Kegel wegen ſeiner regelmäßigen vulkanähnlichen Form den „Chimborazo“. Die Sinterwülſte rings um den oberſten Kegel erinnern an die Ringe der ſog. Erhebungskrater, und die kleineren Sinterkegel an dem Hauptkegel an die paraſitiſchen Nebenkegel der großen Vulkane. Von der Südſeite erſcheint der Chimborazo als ein nur etwa 3 m hoher Kegel, ſein flacher Fuß verliert ſich in dem ſanft anſteigenden Boden der ſüdlichen Seitengrotte. Will man ihn ſeiner ganzen Größe überſchauen, ſo muß man aus dem großen Dom links herabſteigen in den Eingang der nörd⸗ lichen Höhle, aus dem der impoſante Kegel in Ab⸗ ſätzen wenigſtens 8— 10 m hoch aufſteigt auf einer Baſis von 15—20 m Durchmeſſer. An der Decke der Höhle über dem Kegel hängen mächtige Stalak— titen, und wahrſcheinlich iſt der Chimborazo nichts anderes, als ein vollſtändig von dicken Sinterbildun— gen überkleideter Deckenſturz. Der Boden des großen Domes iſt in ſeiner ſüdlichen Hälfte ein ziemlich ebener Lehmboden. Die ſüdliche (rechte) Felswand beſteht aus horizontal gelagerten Kalkbänken. An der nördlichen (linken) Höhlenwand fallen zwei ſpitz— bogenförmige Portale auf, die in niſchenförmige Räume führen, welche durch hübſche Tropfſteingebilde ausgezeichnet ſind. Beim Eingang in die erſte Niſche ſteht links eine ſchöne 3 m hohe freie Stalagmiten— ſäule, im Innern der Niſche hängt ein ſchönes Gebilde von der Decke herab, das man einen „Vorhang“ nennen kann. Die Niſche verliert ſich in einen engen Kanal, in welchen man etwa 15 m weit hinein— ſchlüpfen kann, und durch den zu gewiſſen Zeiten Waſſer fließt. Gerade vor der Mitte des Eingangs in die zweite, Niſche ſteht wieder eine freie Stalag— mitenſäule. Auch dieſe Niſche iſt zu Zeiten die Aus— flußöffnung von Waſſer, welches ſich in die Höhle ergießt. Die ſüdliche Seitengrotte des großen Doms, die an ihrem Eingang 14 m breit und 8 m hoch ijt, ſteigt ſanft an und hat nur eine Tiefe von 30 m. Der allmählich in niederen Sinter-Terraſſen auf— ſteigende Boden zeigt höchſt merkwürdige, mit feinem Sand erfüllte beckenförmige Vertiefungen. Dieſe Seitengrotte eignet ſich ganz beſonders zu einem angenehmen Ruhepunkt beim Beſuch der Höhle, indem die Sinterſtufen am Rande der ſandigen Becken die bequemſten natürlichen Sitze bilden. Der öſtlich fortſetzende Hauptgang der Höhle ver— engt ſich vom großen Dom an tunnelartig bis zu einer Breite von 8 und einer Höhe von 6 m. Die aus nahezu horizontal gelagerten Geſteinsbänken be⸗ ſtehenden Felswände zeigen jene eigentümlichen Cro- ſionsformen, welche die Wirkung ſtark fließenden und Sand mit ſich führenden Waſſers ſind und die man ſich am leichteſten vorſtellt, wenn man ſich dicht an einander die Eindrücke breiter Finger in einer plaſti— ſchen Maſſe denkt. Seichte Waſſertümpel beginnen und bald kommt man an den Bach, deſſen Rauſchen man ſchon in der dritten Halle hört. Das vollkommen klare Waſſer, welches eine Temperatur von nur Yo C. zeigt, fließt dem Beſucher aus dem hinteren Teile der Höhle entgegen und ſtürzt ſich mit lautem Rauſchen links an der nördlichen Felswand in einen engen ſtollenförmigen Kanal, in welchem man es nicht weiter verfolgen kann. Bei ſeichtem Waſſerſtand kann man dem Höhlen— bach entlang weiter waten und gelangt, nachdem man rechts den Eingang in die ſog. Bärengrotte, der wir alsbald unſern Beſuch abſtatten wollen, paſſiert hat, an den „See“, deſſen Abfluß der Höhlenbach iſt. Dieſer ſtellt eine vollkommen ruhige Waſſerfläche in dem vom Eingang entfernteſten weſtlichen Teile der Höhle dar, von etwa 120 m Länge bei einer 130 Humboldt. — April 1882. größten Breite von 20 m. Da wir keinen Nachen hatten und zur Herſtellung eines Floßes die nöthige Zeit fehlte, ſo konnten wir die Tiefe des Waſſers nicht unterſuchen. Zörrer fand die Tiefe des Sees bei deſſen Anfang 24 Fuß, in der Mitte aber 42 Fuß. Seine Zuflüſſe erhält er aus weſtlichen und ſüdlichen Felsſpalten und Nebenarmen der Höhle. Das Niveau des Sees dürfte um 20 m niedriger liegen als der Höhleneingang. Wir kehren zurück und wenden uns der „Bär en⸗ grotte“ zu. Der Aufſtieg in dieſen zuerſt gegen Süden, dann allmählich gegen Weſten ſich wendenden Seitenarm gehört im allgemeinen zu den unange⸗ nehmſten Partieen der Höhle. Gleich anfangs hat man einen von ſchlüpfrigem Lehm überzogenen Sinterkegel zu überklettern, der weiter einwärts in einen etwa 8 m hohen Felstrümmerhaufen übergeht. Auch dieſer iſt von dicken Lagen von feuchtem Schlamm überzogen, ſo daß man ſehr vorſichtig herabſteigen muß, wenn man nicht ausgleiten will. Glücklicher⸗ weiſe iſt dieſe ſchlechte Partie nur kurz und man gelangt bald auf etwas ebeneren, wenn auch naſſen Lehmboden, in welchem einige Rinnſale ausgewaſchen find, dann hat man einen etwa 7—8 m hohen Lehm⸗ hügel zu erſteigen, auf dem man bereits bei jedem Schritt anf Bärenknochen tritt. Zur Linken beleuchtet der Fackelſchein eine tiefe Mulde im Lehm, die auch zur trockenſten Jahreszeit mit Waſſer erfüllt iſt. Rings um das Waſſerbecken ſteigt nun der Höhlen⸗ lehm, eine deutliche, zum Theil abgeſchwemmte Terraſſe bildend, 7—8 m hoch bis an die Decke der Höhle an, und der Höhlengang iſt ganz von Lehm erfüllt, der ſtellenweiſe eine Mächtigkeit ſogar von 10—12 m erreichen dürfte. Man glaubt am Ende der Höhle zu ſein. In⸗ deſſen man klettere muthig in der rechten Ecke an der Lehmwand hinauf, und man wird unter der Höhlendecke einen niedrigen Schlupf finden, der den Durchgang zum letzten und intereſſanteſten Teil der Bärengrotte bildet. Der Schlupf führt zunächſt auf die Plattform der nur ſchwach überſinterten Lehm⸗ terraſſe, die nach wenigen Schritten wieder mit ſcharfem abgeſchwemmtem Rand in eine Vertiefung abfällt, um jenſeits derſelben ſich fortzuſetzen. Die vordere Platt⸗ form ijt nur 10 m breit und lang. Die Decke der Höhle ſenkt ſich hier ſchief von rechts nach links herab und läßt nur wenig Raum übrig, wo man ſich auf⸗ recht bewegen kann. Aber gerade dieſer enge rings abgegrenzte Raum iſt die eigentliche Schatzkammer der Höhle; hinter derſelben erweitert ſich die Höhle dann noch einmal zu einer an ſchönen Tropfſteinge⸗ bilden reichen Halle und findet in einem engeren mit Sinterterraſſen geſchmückten Gange ihr Ende. Die erwähnte Lehmterraſſe, das iſt nun der Haupt⸗ fundplatz von Höhlenbärenreſten in der Kreuzberg⸗ höhle und bemerkenswert iſt vor allem, daß der ganze Knochenreichtum nur der oberſten 0,50 bis 1 m mächtigen Lehmſchichte angehört. Der Reichthum an Reſten von Ursus spelaeus in dieſer Schichte iſt aber * geradezu ſtaunenswert. Die tägliche Ausbeute mit 4 bis 6 Arbeitern, welche mit einer Unterbrechung von einer halben Stunde von Morgens 10 Uhr bis Nach⸗ mittags 4 Uhr gruben, war ſo groß, daß die Leute nicht im Stande waren, alles gefundene Material abends aus der Höhle zu ſchleppen. Die 5— 6000 einzelnen Knochen, welche ich 1878 und 1879 hier geſammelt habe, rühren von einer nicht mehr als 20 Quadratmeter großen Fläche her, auf der die Skelette von wenigſtens 100 Individuen aller Alters⸗ ſtufen lagen. Der Erhaltungszuſtand der Knochen iſt hier, wo der Lehm ſo trocken iſt, daß er nicht an den Fingern klebt, ein ſo guter, daß eine größere Anzahl von Schulterblättern und mehrere Becken in vollſtändig unverſehrtem Zuſtande ausgegraben werden konnten. Auch konnten wir uns beim Graben leicht überzeugen, daß in den meiſten Fällen die Skelette der einzelnen Individuen vollſtändig beiſammen lagen. Auch nicht ein Knochen zeigte die Spuren von einer Abrollung im Waſſer. Auffallend war mir nur, daß wir bei der außerordentlichen Anzahl von Rumpf⸗ und Extremitätenknochen und auch bei der großen Anzahl von Unterkiefern auf verhältnismäßig wenig gut erhaltene Schädel kamen. Ich erkläre mir dies daraus, daß früher ſchon von den Bauern der Um⸗ gegend hier wiederholt oberflächlich gegraben wurde. Da dieſe nur nach Schädeln ſuchten, indem ſie nur ſolche verwerten konnten, oder für wertvoll hielten, ſo mögen viele derſelben ſchon früher ausgegraben worden ſein. Um auch die kleinſten Fuß⸗ und Hand⸗ knöchelchen, die Krallen, die kleinen Schwanzwirbel und die zarten Knochen des Zungenbeins nicht zu überſehen und zu verlieren, mußte der Lehm hand⸗ vollweiſe durchſucht werden. Sämtliche ausgegrabenen Bärenreſte gehören dem echten hochſtirnigen Höhlen⸗ bären Ursus spelaeus Rosenm. an. Von anderen Bärenarten, wie Ursus arctoideus oder Ursus pris- cus habe ich keine Spur gefunden. Dagegen kann ich einen linken Unterkieferaſt und eine linke Ulna vom Gulo borealis, den Schädel, einen Unterkiefer⸗ aft und einen rechten humerus einer Marderart (am nächſten der Mustela foina Exl.), und zwei Halswirbel von Canis lupus erwähnen, die wir noch gefunden, während weder von der Höhlenhyäne, noch vom Höhlenlöwen, von dem einige Reſte in der Adelsbergergrotte nachgewieſen wurden, nichts vorkam. Aus der gegebenen Beſchreibung geht hervor, daß die Kreuzberghöhle, wenn ſie ſich auch an Ausdeh⸗ nung und an Schönheit der Tropfſteinbildungen mit der weltberühmten Adelsberger Grotte entfernt nicht vergleichen läßt, dennoch zu den größeren und jeden- falls zu den intereſſanteſten Höhlen des Karſtes gehört. Die größte Entfernung vom Eingang bis zum hinterſten Ende des Sees beträgt in gerader Linie nicht mehr als 385 m, den Windungen der Höhle nach gemeſſen 462 m; der Hauptgang der Höhle ijt alſo kaum ſo lang, als der vordere Teil der Adels⸗ berger Grotte bis zum Tanzſaal. Sämtliche Ver⸗ zweigungen der Höhle, ſoweit dieſelben uns zugäng⸗ lich waren, haben zuſammen eine Länge von 1650 m. Humboldt. — April 1882. 131 Alle Zu- und Abflüſſe der Höhle verlieren ſich aber in enge unzugängliche, das Gebirge auf größere Ent— fernungen durchſetzende Waſſerkanäle, die ſich da und dort wohl wieder höhlenartig erweitern mögen. Die Höhle iſt niemals, ſelbſt in den trockenſten Sommern nicht, wenn der Zirknitzer See, wie es im Auguſt 1879 der Fall war, ganz abgelaufen, ohne Waſſer, ſie gehört daher zu den eigentlichen Waſſerhöhlen und zeichnet ſich vor allem anderen durch die große Mannigfaltigkeit aller jener Erſcheinungen aus, welche der teils chemiſch, teils mechaniſch wirkenden Eroſion unterirdiſcher Gewäſſer zuzuſchreiben ſind. Gegenwärtig ſind die Verhältniſſe der unterirdi— ſchen Waſſerzirkulation der Art, daß ſtehendes Waſſer, in der Form größerer unterirdiſcher Waſſerbaſſins ſich nur an zwei Punkten findet, und zwar in ziem— lich verſchiedenem Niveau, gleich beim Eingang ein unzugängliches wenigſtens 35—40 m unter dem Cin- gang gelegenes Baſſin, und in dem vom Eingang entfernteſten öſtlichen Teile der etwa 20 m unter dem Niveau des Eingangs gelegene „See“. Beide um 15 bis 20 m in ihrem Niveau verſchiedenen Waſſerbecken haben ihre eigenen Zu- und Abflüſſe. Der Abfluß des Sees findet durch den nördlichen Höhlenarm in nördlicher und nordweſtlicher Richtung ſtatt; der Abfluß des unterirdiſchen Sees am Eingang iſt unbekannt, die Möglichkeit, daß derſelbe ſich mit dem Abfluß des Sees irgendwo vereinigt, iſt nicht ausgeſchloſſen. Die Frage, wo die unterirdiſchen Wäſſer der Kreuzberghöhle zu Tage treten, läßt ſich, obwohl direkte Beobachtungen fehlen, doch, wie ich glaube, mit ziemlicher Wahrſcheinlichkeit dahin beantworten, daß der Abfluß der Höhlengewäſſer in der Quelle zu ſuchen iſt, welche weſtlich von der Höhle in einer Entfernung von 1,45 Kilom. und in einer Meeres— höhe von 580 m bei Stegberg in ſolcher Stärke hervorbricht, daß ſie als ein anſehnlicher Bach alsbald eine Mühle treibt. Ich habe die Höhle beſchrieben, wie ich ſie während der trockenſten Jahreszeit im Hochſommer gefunden habe. Leider ſind keinerlei Nachrichten über den Zuſtand der Höhle in der naſſen Jahreszeit oder zur Zeit der Schneeſchmelze vorhanden. Aber aus den Eroſions-Erſcheinungen in den verſchiedenen Armen der Höhle geht hervor, daß dieſelbe periodiſch bedeutenden Hochwäſſern ausgeſetzt ſein muß, durch welche größere, ſonſt trockenere Teile unter Waſſer geſetzt und unzugänglich werden. Daß dies, wenn auch die Waſſerzirkulation ſich im Laufe der Zeiten ſehr weſentlich verändert haben mag, in früheren Perioden ebenſo der Fall war, das beweiſt am beſten das Vorkommen des diluvialen knochenführenden Lehms an den relativ und abſolut höchſt gelegenen Punkten der Höhle, die heute vom Waſſer nicht mehr erreicht werden. Da von einer Einſchwemmung der Leichname oder der Skelette der Höhlenbären durch zeitweilige Fluten von außen in die Höhle oder aus anderen Höhlenteilen auf die jetzige Lagerſtätte, wie in manchen anderen Höhlen, nicht die Rede ſein kann, ſo müſſen wir uns wohl vorſtellen, daß die Tiere da verendet ſind, wo ihre Skelette vollſtändig und in der natürlichen Lage der einzelnen Knochen ſo viel wie ungeſtört beiſammen liegen, wo Alte und Junge neben und übereinander begraben liegen und ſelbſt die zarteſten Knochen un— verſehrt erhalten blieben. Und da dieſe Skelette nur in der oberſten Lehmſchichte in den höchſten Teilen der waſſerreichen Höhle liegen, ſo bekommen wir durch— aus den Eindruck, als ob die Tiere, deren Wohn— platz dieſe Höhle war, vor dem eindringenden Waſſer, das ſie von ihrem gewöhnlichen Ein- und Ausſchlupf abgeſchnitten hatte, in die höchſten und entlegenſten Teile der Höhle geflüchtet und hier von der Flut erreicht und in dem Schlamme, welchen das Waſſer mit ſich führte, eingebettet worden wären. Bei der außerordentlichen Anzahl von Individuen, die da begraben liegen — es müſſen Tauſende ſein — iſt es kaum denkbar, daß es eine Generation war, die hier einer Kataſtrophe erlag; wahrſcheinlicher iſt es anzunehmen, daß die Ueberſchwemmung, der Höhle ſich periodiſch wiederholte und daß Generationen nach Generationen ſo ihren Untergang gefunden haben. Daß der jetzige Begräbnißplatz der Tiere nur eine letzte vergebliche Zufluchtsſtätte, nicht aber der ge— wöhnliche Aufenthaltsort derſelben in der Höhle war, ſcheint mir auch daraus hervorzugehen, daß es die entfernteſten und entlegenſten, vom Lichte gänzlich abgeſchloſſenen Teile der Höhle ſind, wo ſich die Reſte finden. Freilich iſt auch der Fall nicht ausgeſchloſſen, daß zur Zeit als die Tiere lebten, wohl andere Zu— und Eingänge exiſtiert haben, als der heutige. Ein weiterer Grund für jene Annahme iſt aber auch die Thatſache, daß ſich neben den Bärenknochen nirgends Reſte von Tieren gefunden haben, von denen man annehmen könnte, daß ſie von den Bären als Beute in die Höhle geſchleppt worden wären, um hier in aller Ruhe verzehrt zu werden. Bemerkenswert in dieſer Beziehung iſt auch, daß eigentlich angenagte Knochen, wie ſie in Hyänenhöhlen ſo häufig ſind, oder Knochen, welche wie diejenigen aus der Vypuſtekhöhle in Mähren, die Nageſpuren des Stachelſchweins (Hystrix spelaea oder cristata) an ſich tragen, nicht vorkommen. Das Einzige, was ſich ziemlich häufig findet, ſind Extremitätenknochen, welche an den Enden in der Nähe der Epiphyſen einander gegenüberſtehende runde Löcher zeigen, die wohl nichts anderes als durch die ſpitzigen Eckzähne der Bären verurſachte Biſſe ſind, als ob die Tiere in ihrer Not ſich an den Knochen der bei frü— heren Kataſtrophen verunglückten Individuen verſucht hätten. 132 Humbolot. — Upril 1882. Der Einfluß der Arbeit auf das menſchliche Auge. Von Dr. Hugo Magnus, Privatdozent in Breslau. Wien auch die ältere Augenheilkunde bereits zu der Erkenntnis gelangt war, daß das menſch⸗ liche Auge durch angeſtrengte Arbeit gewiſſe Ver⸗ änderungen, ſowohl in ſeinem Bau wie in ſeiner Funktion, zu erleiden habe, ſo rührt die genauere Analyſe dieſer Veränderungen doch erſt aus der neueſten Zeit her. Gerade die letzten beiden Jahr⸗ zehnte haben ſpeziell die Beziehungen, welche zwiſchen Arbeit und Auge obwalten, zum Gegenſtand der umfaſſendſten Unterſuchungen gemacht und uns ge- lehrt, inwieweit wir gewiſſe Geſtaltsverhältniſſe des Sehorgans, und zwar ſowohl normale als wie auch pathologiſche, als Reſultate eines von dem Auge ge⸗ leiſteten Arbeitsquantums anſehen dürfen. Natürlich können wir die Veränderungen, welche das menſchliche Auge unter dem Druck der äußeren Verhältniſſe zu erleiden hat, nur dann vollſtändig überſehen, wenn es uns gelingt, eine beſtimmte Form des Auges als ſeine „natürliche“ oder beſſer geſagt „kindliche“ feſt⸗ zuſtellen. Die Abweichungen von dieſem natürlichen oder kindlichen Formentypus des Sehorgans würden wir dann als durch äußere Bedingungen veranlaßte anzuſehen haben und es würde nur unſre Aufgabe ſein, zwiſchen dieſen Formveränderungen und zwiſchen der durch die äußeren Verhältniſſe bedingten Thätig⸗ keit des Auges geſetzmäßige Beziehungen nachzu⸗ weiſen. Treten wir nunmehr in den Gang dieſer Unter⸗ ſuchung ein, indem wir zuvörderſt feſtzuſtellen ſuchen: ob eine Form des Auges und welche als die ur⸗ ſprüngliche oder kindliche anzuſprechen ſei. Durch eine viele Tauſende von Kinderaugen um⸗ faſſende Prüfung hat man die Ueberzeugung ge⸗ wonnen, daß der Bau des kindlichen Auges im all⸗ gemeinen ein überſichtiger, d. h. hypermetropiſcher ſei. Und zwar findet ſich dieſer Bau hauptſächlich nur ſo lange, als das kindliche Auge noch zu keiner anhaltenden Arbeit genötigt wird; ſowie mit Beginn der Schulzeit das Sehorgan in ernſtlicher Weiſe be⸗ nützt wird, beginnt auch der überſichtige Bau all⸗ mählich zu verſchwinden und in andere Formen über⸗ zugehen. Beſonders ſind dieſe Verhältniſſe von Dr. Erismann ſtudiert worden, welcher Forſcher auf Grund ſeiner höchſt umfangreichen Unterſuchungen zu dem Ergebnis gelangt iſt: daß der normale Re⸗ fraktionszuſtand reſp. Bau des jugendlichen, noch durch keine Arbeit angeſtrengten Auges der überſichtige ſei. Ganz in Uebereinſtimmung hiermit iſt von anderen Forſchern feſtgeſtellt worden, daß weitaus der größte Teil von Schülern einer Dorfſchule — alſo einer Anſtalt, welche an die Augen ihrer Zöglinge keine beſonders hohen Anſprüche zu machen pflegt — bei genaueſter Unterſuchung ſich gleichfalls als überſichtig zeigte. ö Für diejenigen meiner Leſer, welche mit den phy⸗ ſiologiſch-optiſchen Begriffen weniger vertraut ſind, möge die Bemerkung hier eingeflochten ſein, daß man im allgemeinen drei Bauarten oder Refraktions⸗ zuſtände des Auges unterſcheidet, nämlich: die Ueber⸗ ſichtigkeit, Hypermetropie; die Normalſichtigkeit, emme⸗ tropie und die Kurzſichtigkeit, Myopie. Der eigentliche Grund für dieſe drei verſchiedenen Zuſtände iſt in der anatomiſchen Beſchaffenheit des Sehorgans zu ſuchen. Der Längsdurchmeſſer des Auges, die ſogenannte Augenachſe, welche durch die Mitte der Hornhaut nach dem hinteren Teil des Augapfels geht, iſt nämlich bei den drei genannten Refraktionszuſtänden von ver⸗ ſchiedener Länge, ſo zwar, daß das überſichtige Auge durch eine kurze, das normalſichtige Auge durch eine mittlere und das kurzſichtige durch eine beſonders lange Augenachſe charakteriſiert werden. Sprechen wir dem⸗ nach alſo von einem überſichtigen Auge, ſo würde dies anatomiſch ſo viel heißen, als das betreffende Auge iſt durch einen kurzen Längsdurchmeſſer ausgezeichnet. Es deckt ſich alſo der Refraktionszuſtand des Auges mit dem ganz beſtimmten anatomiſchen Begriff der Achſenlänge; das überſichtige Auge iſt ein kurzachſiges, das kurzſichtige ein langachſiges und zwiſchen beiden liegt die Normalſichtigkeit, d. h. die mittlere Achſen⸗ länge. Kurzſichtigkeit, Normalſichtigkeit und Weit⸗ ſichtigkeit ſind Ausdrücke, welche auf die phyſiologiſchen Zuſtände des Sehorgans Bezug nehmen und ſich in dem morphologiſchen Begriff der langen, mittleren und kurzen Augenachſe fixieren. Kehren wir nach dieſen zum vollen Verſtändnis unſrer Darſtellung unerläßlichen Bemerkungen wieder zu unſrem eigentlichen Thema zurück, ſo hatten wir als urſprünglichen Typus des Kinderauges die Ueber⸗ ſichtigkeit gefunden. Nach dem, was wir ſoeben über die anatomiſche Weſenheit der Ueberſichtigkeit gehört haben, wiſſen wir aber, daß dieſelbe einer kurzen Achſe des Sehorgans entſpricht. Wir würden ſomit alſo für das kindliche, noch durch keine ernſthafte Arbeit in Anſpruch genommene Auge als charakteriſtiſche Form die Kurzachſigkeit, die geringe Längsausdehnung des Augapfels feſtgeſtellt haben. Im beſten Einklang mit dieſer Anſchauung ſtehen einige andere Erfah⸗ rungen, welche man an Augen gemacht hat, die ähn⸗ Humboldt. — April 1882. 133 lich wie das Kinderauge noch durch keine andauernde Arbeit eine Veränderung ihrer urſprünglichen anato— miſchen Form erlitten haben können. In erſter Linie gehören hierher die an Tieraugen gewonnenen That— ſachen; die bekannten phyſiologiſchen Haustiere, Ka— ninchen und Froſch, zeichnen ſich durch ſcharf aus— geſprochene Ueberſichtigkeit, d. h. durch Kurzachſigkeit des Sehorgans aus. Und ferner hat Profeſſor Berlin feſtgeſtellt, daß unſre Haustiere durchſchnittlich alle überſichtig ſind. Von beſonderer Bedeutung für unſre Anſchauung, nach der eine kurze Achſe der charakteri— ſtiſche Typus eines im Naturzuſtand befindlichen, nur wenig angeſtrengten Auges ſein ſoll, wäre es ganz gewiß, wenn die Augen der Naturvölker einer gründ— lichen Prüfung bezüglich dieſes Punktes unterworfen würden. Einzelne derartige Unterſuchungen ſind bereits von Dr. Kotelmann in Hamburg angeſtellt worden; dieſer Forſcher prüfte Angehörige verſchiedener Natur— völker und fand unter 52 Augen 37 überſichtig. Uebereinſtimmend hiermit hat man in Landſchulen, und die Landbevölkerung mutet im allgemeinen ihren Augen doch ganz gewiß viel weniger Arbeit zu als die Stadtbevölkerung, einen auffallend hohen Prozent— ſatz von Ueberſichtigen gefunden. Alles in allem ſteht alſo jedenfalls ſo viel feſt, daß das kindliche Auge vor der Schulzeit weitaus am häufigſten eine kurze Achſe beſitzt und unter dem Einfluß der Arbeit dieſe ana— tomiſche Eigenartigkeit des Kinderauges erhebliche Veränderungen erleidet, auf die wir ſofort näher ein— gehen werden. Die kurze Achſe iſt alſo ganz gewiß ontogenetiſch und höchſt wahrſcheinlich auch phylo— genetiſch als der urſprüngliche, kindliche Typus des Sehorgans anzuſehen. Wird nun das kurzachſige Auge des Kindes an— dauernd zu einer größeren Arbeitsleiſtung angehalten, wie dies mit Beginn der Schulzeit der Fall zu ſein pflegt, ſo antwortet es auf dieſe Verhältniſſe meiſt mit einer entſprechenden Umänderung ſeiner anato— miſchen Form. An vielen Tauſenden von Kinder— augen iſt der Nachweis geliefert worden, daß unter dem Einfluß der Arbeit allmählich die urſprüngliche Ueberſichtigkeit in Kurzſichtigkeit übergeht, d. h. ana— tomiſch geſprochen alſo, daß die kurze Achſe des Auges allmählich eine Verlängerung erfährt. Und zwar weiß man ſogar, daß, wenn wir ſo ſagen dürfen, die Länge der Achſe zur Größe der geleiſteten Arbeit in gewiſſen proportionalen Beziehungen ſteht. Je anſtrengender und anhaltender die Arbeitsleiſtung wird, um ſo mehr verlängert ſich die Augenachſe und um ſo mehr Augen verfallen dieſem Zuſtand. Faſſen wir das Geſagte in die Geſtalt eines Geſetzes, ſo würde dasſelbe lauten: die Kurzſichtigkeit nimmt in der Schule von den niedrigen zu den höheren Klaſſen quantitativ wie qualitativ zu. In den oberen Klaſſen ſind höhere Grade von Langachſigkeit und in größerer Anzahl vorhanden als in den unteren. Wir können uns an dieſem Ort nicht weiter darauf einlaſſen feſtzuſtellen, inwieweit die Schule und inwieweit andere Faktoren an der Entwickelung der genannten Verhältniſſe die Schuld tragen mögen; uns genügt es, die Thatſache konſtatiert zu haben, daß anſtrengende Arbeit allmählich die urſprüngliche Form des Augapfels erheblich zu modifizieren vermag. Fragen wir nun, durch welche Faktoren wohl die anſtrengende und dauernde Arbeit eine ſolche Um— änderung der Form unſres Sehorgans zu bewirken vermag, ſo müſſen wir in erſter Linie eine Druck— ſteigerung im Bulbus dafür verantwortlich machen. Eine jede anhaltende Beſchäftigung mit dem Auge naheliegenden Gegenſtänden ruft nämlich eine Druck— ſteigerung im Augapfel hervor. Ob dieſe Druck— erhöhung aber Folge der Thätigkeit der Binnen— muskulatur des Auges iſt oder abhängt von der länger anhaltenden Konvergenzſtellung des Auges oder weſent— lich in Blutüberfüllung der verſchiedenen Gewebe des Bulbus begründet iſt, dieſe Frage wollen wir ganz unerörtert laſſen. Denn ſie ändert an der Thatſache, daß jede größere Anſtrengung des Auges mit einer Druckſteigerung im Inneren desſelben eng verbunden iſt, nicht das mindeſte. Hält eine derartige Druck— erhöhung nun längere Zeit hintereinander an und kehrt ſie in kurzen Zwiſchenräumen oft wieder, ſo drängt ſie allmählich die hintere Augapfelwand zurück und bewirkt damit natürlich eine Verlängerung der Augenachſe. Es wird auf dieſe Weiſe alſo die ur— ſprünglich kurze Achſe des Kinderauges allmählich immer länger werden müſſen. Vermag die hintere Augapfelwand der unabläſſig gegen ſie andrängenden Druckerhöhung einen kräftigen Widerſtand entgegen— zuſetzen, ſo wird natürlich die Verlängerung der Augenachſe nur in beſcheidenen Grenzen ſich vollziehen und es kann ſehr wohl der Fall eintreten und tritt auch wirklich ein, daß die urſprünglich kurze Achſe nur ſo wenig verlängert wird, daß das betreffende Auge dauernd den urſprünglichen Typus der Kurz— achſigkeit zu bewahren vermag. Iſt der Widerſtand der hinteren Augapfelwand nun aber nicht groß ge— nug, um die kindliche geringe Länge der Augenachſe dauernd zu erhalten, ſo wird natürlich aus der kurzen Achſe nicht ſofort und ohne weiteres eine abnorm lange, ſondern es vollzieht ſich eine derartige Um— wandlung allmählich durch mehrere Entwickelungs— phajen hindurch. Zuvörderſt wird aus der kurzen Augenachſe eine ſolche von mittlerer Länge; die hintere Augapfelwand wird dabei ſo weit zurückgedrängt, daß optiſch geſprochen die Netzhaut in dem Hauptbrenn— punkt des im Ruheſtand (akkommodationsloſen) befind⸗ lichen Auges zu liegen kommt. Gelingt es dem Auge, dieſen Zuſtand anatomiſch zu fixieren, ſo bleibt es für die Dauer ſeines Lebens normalſichtig, emmetropiſch. Gibt es aber dem Andrängen der Druckſteigerung noch weiter nach und geſtattet es der hinteren Augapfel— wand, noch weiter zurückzuweichen, ſo geht die mittlere Augenachſenlänge damit verloren und eine progreſſive Verlängerung beginnt ſich geltend zu machen. Je nachgiebiger ſich das Auge auch jetzt noch zeigt, um ſo hochgradiger wird die Achſenlänge und mit ihr die Kurzſichtigkeit. Aus dem Geſagten geht alſo hervor, daß ſowohl die ſogenannte Normalſichtigkeit (mittlere Achſenlänge) 134 Humbolot. — April 1882. als wie auch die Kurzſichtigkeit (Vergrößerung der Achſenlänge) ſich aus der urſprünglichen kurzen Achſe des Auges entwickeln und als Ergebniſſe des Ein⸗ fluſſes aufzufaſſen ſind, welche die Arbeit auf die Form des Augapfels auszuüben vermag. Es geht aber ferner auch daraus hervor, daß die Elaſtizitäts⸗ verhältniſſe des Sehorgans, ſpeziell die Widerſtands⸗ fähigkeit der hinteren Bulbuswand für die Länge der Augenachſe von der größten Bedeutung ſind. Befinden ſich die einzelnen Gewebe des Auges in einem beſonders weichen und nachgiebigen Zuſtand, ſo werden ſie der mit der Arbeit verbundenen intra⸗ okularen Druckſteigerung viel leichter erliegen, als wenn ſie reſiſtent und widerſtandsfähig ſind. Die Neigung des Auges, unter der anſtrengenden Arbeit in mehr oder minder hochgradige Achſenlänge, d. h. Kurzſichtigkeit zu gerathen, wird daher bis zu einem gewiſſen Grade immer eine individuelle bleiben. Die Ernährungsverhältniſſe des geſammten Organismus, die Erblichkeit, ſowie überhaupt alle Faktoren, welche die Elaſtizitätsverhältniſſe der Augenwandungen be⸗ dingen, werden bei der Umformung, zu welcher die Arbeit unſer Sehorgan veranlaſſen will, ein ſehr gewichtiges Wort mitzureden haben. Natürlich werden ſie nicht im ſtande ſein, den geſtaltungsbildenden Einfluß, welchen die Arbeit auf das Auge auszuüben vermag, unter allen Verhältniſſen zu neutraliſiren und völlig auszuſchließen, aber ſie werden ihn mäßigen und beſchränken können. So zeigt ſich uns alſo die anatomiſche Geſtalt des Auges als Produkt eines Kompromiſſes, welchen die Beſchaffenheit der Gewebs⸗ elemente unſres Sehorgans mit den Anforderungen abgeſchloſſen hat, welche die Arbeit an ſie ſtellt. Die Auxoſporenbildung bei Cymbella gastroides Kutz. Von Prof. Dr. Ernſt Hallier in Jena. ymbella gehört zu denjenigen Gattungen der Diatomeen, bei denen die Auxoſporenbildung ſchon mehrfach beobachtet worden iſt, wenn auch die Angaben über deren Entſtehung und Bedeutung ziem⸗ lich verſchieden ausgefallen ſind, was wohl beſonders daher rührt, daß die Beobachtungen nicht ganz voll⸗ ſtändig durchgeführt werden konnten. Da ich nun im ſtande bin, für einige Formen den Entwickelungsgang der Auxoſporen ganz lücken⸗ los mitzuteilen, ſo ſcheint es mir angezeigt, dieſe Be⸗ obachtungen der Oeffentlichkeit nicht länger vorzuent⸗ halten. Zu dieſen Formen gehört auch Cymbella. Cymbella gastroides Kützing, eine wohl nirgends ſeltene Form, habe ich ſeit dem vorigen Herbſt wieder⸗ holt von einer Lokalität in der Jenaiſchen Flora be⸗ zogen, welche für die Beobachtung der Auxoſporen⸗ bildung beſonders günſtiges Material darbietet, näm⸗ lich aus den Süßwaſſerkalkgruben bei Ammerbach, wo die ſogenannten Ammerbacher Luftſteine gewonnen werden. Die Cymbella findet ſich beſonders maſſenhaft in den tieferen mit Waſſer gefüllten Gruben, deren Boden mit verſchiedenen Diatomeen bedeckt iſt, unter welchen aber Cymbella gastroides und Cyclotella Meneghi- niana Ktz. vorherrſchen. Beſonders während des Winters und Frühjahrs lebt die Cymbella in einer conſiſtenten Gallerte, welche teils von den Diatomeen ausgeſchieden wird, teils aus den leeren Röhren her⸗ vorgeht, aus denen Oszillarien herausgekrochen ſind, beſonders die rote Varietät der Oscillaria nigra. Solche Gallertmaſſen werden infolge ſtarker Gas⸗ entwickelung häufig in großen Mengen an die Ober⸗ fläche des Waſſers geführt, ſo daß ſie bisweilen das Waſſer mit einer dicken flockigen Lage bedecken. Dieſes ſchwimmende Material fand ich für die Unter⸗ ſuchung am beſten geeignet. In der Gallerte findet man die Cymbella in Zwei⸗ teilung begriffen, welche ſich hier genau der Pfitzer⸗ ſchen Schachteltheorie entſprechend vollzieht. Hier wie bei allen Pinnularien, bei Navicula, Cymatopleura Solea, Amphora und Himanthidium ſieht man die Schachtelbildung ohne alle künſtlichen Hilfsmittel, wie z. B. Aufquellen in Kali, was immer mißlich ijt und leicht zu Täuſchungen Anlaß geben kann, ohne wei⸗ teres, ganz deutlich, ſobald man nur ſtarke Oelim⸗ merſionsſyſteme anwendet. Die Ausdehnung der Cymbella in der Richtung der Achſe B, alſo die Länge der Schiffchen, ſchwankt zwiſchen 0,0216 und 0,06 mm, alſo innerhalb eines ziemlich bedeutenden Intervalles. Figur 1 zeigt ein abgeſtorbenes Exemplar der Cymbella von der Nebenſeite. Der Tod iſt einge⸗ treten unmittelbar vor Beginn der Teilung, daher ſieht man ſehr deutlich die beiden Schachtelhälften, nämlich & die ältere und größere, B die jüngere und kleinere. An den beiden Enden ee ijt das Ueber⸗ greifen der Gürtelbänder überaus deutlich. In der Humboldt. — April 1882. 135 Mitte bei m find die Schachteln noch ein wenig über— Die Auxoſporen entſtehen in der erwähnten Gal— einander geſchoben. lerte. Da die Cymbella in dieſer Gallerte ſich zuerſt SS: Y Y I © oceans oOo} Fig. 2. Fig. 3. Fig. 5. Fig. 8. 1 Fig. 9. Fig. 1. Cymbella gastroides Kitz. von der Nebenſeite. A die größere (altere) Schachtel. B die kleinere (jüngere) Schachtel. e die Enden der Schachteln, wo die Gürtelbänder übergreifen. Vergr. 1980: 1. — Fig. 2-5. Beginn der Auxoſporenbildung von Cymbella gastroides Kitz Vergr. 700: J. 2 die beiden Schweſter⸗ zellen, in welchen ſich das Plasma zuſammengezogen hat. 3 die beiden Zellen haben ſich geöffnet und die jungen Auxoſporen drängen ſich heraus. 3 die Auxoſporen ſind gewachſen und drängen die leeren Zellhäute bei Seite. 4 Auxoſporen faft ausgewachſen. Alle Schweſterzellen find noch von einer Gelatinekapſel eingeſchloſſen. — Fig. 6. Faſt ausgewachſenes Auxoſporenpaar. — Fig. i. Fertige Auxoſporen nach der vollendeten Ausbildung der Kieſelmembran. Vergr. 790: 1. Fig. 8. Ein Zellenpaar, wo die eine Zelle (A) eine junge Auxoſpore gebildet Hat, während die andere zu Grunde gegangen iſt. Vergr. 790: 1. Fig. 9. Schale von Cymbella gastroides. A von der Hauptſeite. B von der Nebenſeite. Vergr. 1980: 1. Ebenſo deutliche Bilder geben die Gattungen noch durch Zweiteilung vermehrt hat, ſo liegen ihre Cymatopleura, Amphora, Himanthidium, Navicula Individuen ſelbſtverſtändlich faft immer paarweiſe bei⸗ und Pinnularia. ſammen. Dabei wenden ſie, während ſie ſelbſt Gal⸗ Humboldt 1882. 18 136 Humbolot. — April 1882. lerte ausſcheiden, einander die flachere Nebenſeite zu, die ich als Bauchſeite bezeichnen will. Das hat wohl keinen andern Grund, als daß ſie mit dieſen flachen Seiten am leichteſten aneinander adhäriren, wenig⸗ ſtens findet man ſehr oft ſowohl frei ſchwimmende als auch in Gelatine eingebettete Individuen mit der Bauchſeite zuſammenliegend. Zu der Annahme, daß ſie ſich zu dieſem Zwecke aufſuchen, ſich zu einander bewegen und ſich in beſtimmter Abſicht vereinigen, iſt nicht der mindeſte Grund vorhanden. Zur Auxoſporenbildung ſchicken ſich ſtets nur die kleineren Individuen an. Im Durchſchnitt hatten die Mutterzellen der Auxoſporen in der Richtung der B-Achſe eine Länge von 26—29 Mikromillimetern. Dagegen iſt der Durchſchnitt der von mir gemeſſenen aus Auxoſporen hervorgegangenen Zellen 58 —55 Mikromillimeter, alſo etwa das Doppelte. Dieſe großen Zellen legen ſich ebenfalls in der Gallerte, worin ſie entſtanden ſind, vorzugsweiſe mit den Bauch⸗ flächen gegen einander. Da nun aus dieſen großen Zellen niemals Auxoſporen gebildet werden, ſo iſt klar, daß dieſe Vereinigung mit der Auxoſporenbil⸗ dung gar keinen Zuſammenhang hat, ſondern etwas für dieſe ganz Zufälliges iſt. Die Auxoſporenbildung ſelbſt geht folgendermaßen von ſtatten. Die beiden Individuen, welche zur Auxoſporen⸗ bildung ſich anſchicken, gehören einem durch gewöhn⸗ liche Teilung entſtandenen Paar an und ſind daher an Größe etwas verſchieden. Vor der Auxoſporen⸗ bildung zieht ſich das Plasma in jeder der Schweſter⸗ zellen etwas zuſammen, wie Figur 2 zeigt. Nun öffnen ſich beide Schachteln, meiſtens ziemlich gleich— zeitig, und die beiden Plasmaballen treten in Geſtalt der jungen anfangs faſt kubiſchen Auxoſporen teil⸗ weiſe heraus. Durch ihre Ausdehnung werden die Schachteln voneinander gedrängt wie in Figur 3. Vom Beginn der Auxoſporenbildung bis zu ihrer Vollendung iſt das Ganze von einer Gelatinekapſel umſchloſſen, welche immer größer, aber auch immer zarter und durchſichtiger wird (vgl. Figur 2—6). In Figur 3 ſieht man von jeder Schweſterzelle die eine Schachtel, die andre liegt dahinter. In Figur 4 iſt das Auxoſporenpaar bedeutend gewachſen, hat die Schachteln, deren eine man hier von der Seite (Neben⸗ ſeite) gewahrt, während die andre dahinter liegt, noch weiter auseinander gedrängt und hat länglich vier- | kantige Geſtalt angenommen. In Figur 5 ſieht man drei der Schachteln von der Hauptſeite. Die beiden Auxoſporen haben ſich ſtark in die Länge geſtreckt, ſo daß ſie doppelt ſo lang ſind wie die leeren Schachteln und haben eylindriſche Geſtalt angenommen mit ab⸗ gerundeten Enden. Das Plasma iſt jetzt mit zahl⸗ reichen Oeltröpfchen erfüllt. Nun nehmen beide Auxo⸗ ſporen die gebogene Schiffchengeſtalt großer Indivi⸗ duen von Cymbella an, zeigen aber noch keine mit Skulptur verſehene derbe Membran (Figur 6). Dieſe entſteht aber ſehr bald, nachdem die Auxoſporen völlig ausgewachſen ſind. Ein Perizonium kommt nicht zur Ausbildung, vielmehr bildet ſich die Kieſelablagerung in der zarten Haut, welche die Außenfläche der Auxo⸗ ſpore darſtellt. In Figur 7 iſt die Kieſelmembran ſoeben fertig geworden. Auffallend iſt es, daß die beiden Schweſterauxoſporen faſt immer etwas ver⸗ ſchieden an Größe ſind. Man ſollte denken, die kleinere der Schweſterzellen müßte auch eine kleinere Auxo⸗ ſpore bilden; dem iſt aber nicht ſo, vielmehr geht mindeſtens ebenſo häufig die größere Auxoſpore aus der kleineren der beiden Mutterzellen hervor. Der ganze Prozeß der Auxoſporenbildung iſt alſo eine Verjüngung, kein eigentlicher Geſchlechtsvorgang. Man hat wohl von einer Einwirkung der beiden Schweſter⸗ zellen aufeinander geſprochen, zu dieſer Annahme liegt aber nicht der mindeſte Grund vor, vielmehr haben wir gleich anfangs geſehen, daß und aus wel⸗ chem Grunde die beiden Zellen notwendig beiſammen⸗ liegen müſſen. Es läßt ſich aber auch direkt beweiſen, daß die beiden neu ſich bildenden Auxoſporen bei ihrer Entſtehung von einander durchaus unabhängig ſind und daß eine gegenſeitige Beeinfluſſung der beiden Mutterzellen, wie man ſich eine ſolche auch denken mag, dabei durchaus nicht ſtattfindet. Wäre nämlich eine derartige Beeinfluſſung zur Auxoſporenbildung notwendig, ſo könnten natürlich die Auxoſporen ſtets nur paarweiſe entſtehen, was aber keineswegs der Fall iſt. Sehr häufig kommt es vor, daß vor Ausbildung der Auxoſporen die eine der beiden benachbarten Mutterzellen durch irgend einen Zufall zu Grunde geht. Einen ſolchen Fall habe ich in Figur 8 abge⸗ bildet. Von dem Bellenpaar hat die Zelle A auf der linken Seite bereits eine junge Auxoſpore gebildet, während in der Zelle rechts (B) das Plasma mit dem Endochrom ſich in zwei kugelige Maſſen geſon⸗ dert hat und im Abſterben begriffen iſt. Nicht ſelten findet man ausgewachſene Auxoſporen oder daraus hervorgegangene fertige Zellen ganz vereinzelt und von der Nachbarzelle nur noch das Skelett, welches vor der Ausbildung der Auxoſpore abgeſtorben iſt. Was nun endlich die Struktur der Kieſelmem⸗ bran anlangt, ſo bin ich für Cymbella zu ganz ähn⸗ lichen Anſichten gelangt, wie Pfitzer ſie für Pinnu⸗ laria ausgeſprochen hat. Auf der Schalenſeite läuft durch die Mitte ein in der Mitte und an den beiden Enden in entgegenge— ſetztem Sinn etwas ausgebuchteter, im Knoten unter⸗ brochener Längskanal. Die Querlinien ſind vertiefte Halbkanäle auf der äußeren Oberfläche, wie Figur 9 bei ſehr ſtarker Vergrößerung zeigt. Der Mittel⸗ knoten und die beiden Endknoten treten auf der Gür⸗ telbandſeite nach Innen vor. Was Pfitzer über die ſymmetriſchen Verhältniſſe der beiden Schalen bei Pinnularia anführt, trifft eben⸗ ſo vollſtändig bei Cymbella zu. Humboldt. — April 1882. 137 Eßbare Schnecken und Muſcheln. Von Herm. Jordan in Potsdam. Ni Tiere und Tierklaſſen ſpielen als Nahrungs— Critter in dem Haushalte des Menſchen eine bet weitem wichtigere Rolle, als die Mollusken. Aber dieſelbe iſt durchaus nicht ſo ganz unbedeutend, als gerade in deutſchen Landen, zumal im deutſchen Binnen— lande mancher glauben möchte; auch wäre es irrig anzunehmen, daß erſt die moderne Kultur z. B. die Auſter als vorzüglichen Leckerbiſſen kennen und ſchätzen gelernt habe. Einmal iſt die Auſter auch jetzt nicht überall nur ein Leckerbiſſen, ſondern in manchen Ländern, wie in Nordamerika, ein wirkliches Volksnahrungs— mittel, und außerdem iſt ſie auch von den älteſten Urvölkern ſchon gegeſſen worden. Aus fernen prä— hiſtoriſchen Zeiten ſtammende, an däniſchen Küſten gefundene „Küchenabfälle“ (Kjökkenmöddinger) ent⸗ halten Schalen von Auſtern, Miesmuſcheln und anderen Mollusken); bei dem Bau einer Straße von Nizza nach Monako fand man an alten, der ſo— genannten „Steinzeit“ angehörenden Feuerherden neben Knochen von Auerochſen auch die Schalen jetzt noch gegeſſener Seemollusken und einiger Helixarten“ “); in einer Höhle bei Maravillas in Valencia wurden, jedenfalls auch als Speiſereſte, neben den Knochen teils ausgeſtorbener, teils noch lebender Tiere Schalen von noch jetzt in Spanien vorkommenden Land⸗ und Süßwaſſermollusken entdeckt. Auch be— dienen ſich ſogenannte „wilde“ Völker, beſonders die Bewohner von Inſeln und ozeaniſchen Küſten, der marinen Weichtiere in großer Menge und in ge— ringerem Maße der Landmollusken als Nahrungs— mittel. Es würde weitläufig ſein, auf alle die Arten ein— zugehen, welche man in fremden, beſonders tropiſchen Ländern zu eſſen pflegt. Vielmehr ſoll hier nur der in Europa als Eßware geſchätzten Weichtiere Cr- wähnung gethan werden. Im ganzen genommen ſteigert ſich von Norden nach Süden die Zahl der gern gegeſſenen Arten, wie die ſüdeuropäiſche Fauna überhaupt eine bedeutend reichhaltigere wird. Roßmäßler“ ) erzählt uns von ) Es find: Ostrea edulis, Mytilus edulis, Cardium edule, Litorina litorea. un) Die Gattung Helix L. iſt eine kosmopolitiſche. Zu ihr gehören mehr als 1000 Arten, von bekannten deutſchen z. B. die große Weinbergſchnecke (Helix po- matia I.), und die beiden bunten, fünfbändrigen Arten unſerer Gärten und Laubwälder (H. hortensis Müll. und H. nemoralis L.). es) Roßmäßler, Reiſeerinnerungen aus Spanien. p. 116. „vierzehn verſchiedenen Arten Schnecken (caracoles) *) von der Gattung Helix“, welche er „in ungeheuren Mengen als Eßwaaren“ und zwar beſonders in Murcia und Valencia feilbieten ſah. Beſonders geſchätzt iſt die „Bergſchnecke, carocol serrano” (Helix Alonensis Fer. Fig. 1 mit der Varietät var. campesina Ezq.), von welcher das Dutzend zur Zeit Roß mäßlers mit dem Werte eines deutſchen Groſchens bezahlt wurde. Die ,caracoles” prangen, nachdem fie in einer gewürzreichen Brühe gedünſtet worden ſind, auf dem Tiſche des armen wie des reichen Spaniers; Jung und Alt ſchlürfen mit demſelben Behagen die Tiere aus ihrem Gehäuſe heraus, welche beſondere Schneckenhändler (caracoleros) vor Sonnenaufgang auf den Bergen ſammeln und in Espartobeuteln auf den Markt bringen. Alle dieſe „caracoles“ gehören zu der Gattung Helix L., und zwar nicht nur die in Spanien gegeſſenen Landſchnecken, ſondern auch alle diejenigen, welche man in Europa überhaupt zu dieſem Zwecke ſammelt. In den Tropen ißt man da— gegen hauptſächlich Achatina-Arten. Nur ſolche Formen, deren Nahrung grünes Blatt— werk iſt, haben einen angenehmen Geſchmack, und wie man in Spanien die erwähnte „Bergſchnecke“ allen anderen vorzieht, ſo iſt man in Südfrankreich der Meinung, daß die Schnecken nach den verzehrten Kräutern ſchmecken und daß darum die aus Bergland ſtammenden die vorzüglicheren ſeien. In Frankreich und beſonders im ſüdlichen Teile deſſelben iſt der Verbrauch an Schnecken umfangreich, wenn auch nicht ſo bedeutend wie in Spanien. Früher zumal wurden ungeheure Mengen einer unſerer Weinbergſchnecke (Helix pomatia L.) nahe verwandten Art (IH. as- persa Müll. ſiehe Fig. 3) nach den Antillen und nach Senegal als Faſtenſpeiſe exportiert; jetzt hat dies ſehr nachgelaſſen, geſchieht aber immer noch. Die Schnecken werden zu dieſem Behufe am Ende des Winters, wenn ſie noch keine Nahrung zu ſich ge— nommen haben, geſammelt, in Tonnen verpackt und verſendet. Infolgedeſſen hat fic) Helix aspersa auch auf Cuba angeſiedelt. Eine andere Art aus derſelben | ) Dieſe 14 Arten laſſen ſich auf 13 reduzieren, da die erſten beiden zuſammenfallen; es ſind: Helix (Macu- laria) Alonensis Fér. mit var. campesina Ezq., lactea Müll., punctata Müll., vermiculata Müll., Balearica L. (= Hispanica Partsch), Loxana Rossm., Chartha- giniensis Rossm., II. (Tachea) splendida Drap., H. (Pomatia) aspersa Müll., H. (Xerophila) pisana Müll. variabilis Drap., Arigonis Rossm., Terverii Mich. 138 Humboldt. — April 1882. Gruppe Pomatia Leach hatten die alten Römer kennen und ſchätzen gelernt (Helix aperta Born). Es kamen jährlich viele Schiffe nach Ligurien, um dieſelbe für den Tiſch der reichen Römer in beträcht⸗ lichen Mengen zu ſammeln. Sie iſt auch jetzt noch die beliebteſte unter den in Südfrankreich gegeſſenen Arten; neben ihr rühmt man Hel. vermiculata Müll. (Fig. 2), eine Verwandte der ſpaniſchen Helix Alo- Im ganzen werden in Südfrankreich nensis Fer. werden jährlich für ungefähr 5000 Fres. Schnecken umgeſetzt, wobei z. B. Helix pisana Müll. nach dem Gewicht, 50 kg für ca. 2 Fres., H. aspersa und H. vermiculata nach dem Hundert zu 25 Cent. ver⸗ kauft werden. Auch in anderen großen Städten Frankreichs, z. B. Paris, werden Schnecken ver⸗ handelt, am meiſten aber auf der Inſel Rhé, von wo der Erlös für die verkauften Helixarten im jähr⸗ lichen Mittel auf 25,000 Fres. angegeben wird. Fig. 5. Fig, 6. Fig. 1. Helix Alonensis Fér,, aus Murcia (nach Roßmäßler). — Fig. 2. Helix vermiculata Müll. — Fig. 3. Helix aspersa Müll. — Fig. 4. Venus decus- 5 sata, — Fig. 5. Lithodomus dactylus Sow. — Fig. 6. Murex erinaceus. 7 Arten Landſchnecken ) gegeſſen, welche denſelben Helixgruppen oder Untergattungen angehören wie die, welche man in Spanien auf den Markt bringt. Daß an manchen Orten Sübdfrankreichs der Schneckenhandel kein ganz unbedeutender iſt, geht aus den Zahlen hervor, welche Moqu in-Tandon!““) über den Markt von Marſeille veröffentlicht. Dort *) Nämlich: Helix (Pomatia) aspersa Müll., aperta Born, melanostoma Drap., H. (Macularia) vermicu- lata Müll., H. (Xerophila) pisana Müll., variabilis Drap., ericetorum Müll. **) Moquin-Tandon, hist. nat. des mollusques de France, Paris 1855, livre quatriéme (p. 326—334). Nach dem Norden hin wird die Molluskenfaung an Arten und auch an Individuenzahl ärmer. In den Mittelmeerländern iſt es noch niemand eingefallen, Schnecken züchten zu wollen, da das bei der großen Menge der in der Natur vorkommenden ganz über⸗ flüſſig wäre. Dagegen züchtete man früher in Nord⸗ frankreich, in der Schweiz und in Mitteldeutſchland Hel. pomatia L. und Hel. aspersa Mill. in be⸗ ſonderen Schneckengärten. Dies geſchah nirgends mehr als auf klöſterlichen Gemarkungen, wo das Be⸗ dürfnis nach verſchiedenartiger Faſtenſpeiſe ein be⸗ deutendes war. Seit ein großer Teil des deutſchen Volkes der katholiſchen Religion abhold geworden iſt und die Klöſter verſchwanden, hat die Schneckenzüchterei Humboldt. — April 1882. 139 bei uns ziemlich zu exiſtieren aufgehört. Nur aus Schwaben werden alljährlich zur Faſtenzeit noch grö— ßere Mengen der Hel. pomatia nach Wien geſchickt. Sie werden von den Schneckenbauern geſammelt, ge— mäſtet und nach der Eindeckelung verſendet. Sonſt zieht man Schnecken nur noch in der Franche-Comté und in Lothringen, und zwar beſonders wieder Hel. pomatia und Hel. aspersa. Außer dieſen werden im mittlern und nördlichen Frankreich auch wohl zwei andere Arten gegeſſen, welche der Gruppe unſrer fünfbänderigen Gartenſchnecken angehören; die eine davon, Hel. nemoralis L., iſt auch in Norddeutſch— land an bevorzugten Lokalitäten häufig genug, aber doch ſchon ſehr an Kulturland und an warm— trockenen Kalkboden gebunden; die andere, Hel. syl- vatica Drap., hat nur ein beſchränktes Verbreitungs- gebiet am oberen Rhein und der oberen Rhone einerſeits und in den öſtlichen Pyrenäen anderer— ſeits. In den Pyrenäenländern aber beachtet ſie niemand. Nach Oſten hin nimmt auch in Südeuropa die Sitte des Schneckeneſſens ab. Sie erſtreckt ſich dann faſt nur noch auf die ſchon oft erwähnten beiden großen Arten der Pomatiagruppe; ſo kauft man am Gardaſee Hel. pomatia L. bei Viktualienhändlern und Hel. aspersa wird wohl überall innerhalb ihres großen Verbreitungsbezirkes, in den Mittelmeerländern und Weſteuropa, gegeſſen. Zudem hat letztere die beſondere Genugthuung erfahren, daß nach ihr be— nannte Feſte gefeiert werden. Die Glaſer von New— caſtle nämlich haben ein jährlich wiederkehrendes „Schneckenfeſt“, zu welchem ſie am Sonntag vorher die nöthige Menge von Exemplaren der Hel. aspersa ſelbſt auf dem Lande ſammeln. Süßwaſſerarten werden zwar in ungeheuren Mengen von den krähenartigen Vögeln vertilgt, vom Menſchen aber kaum gegeſſen, — um ganz davon abzuſehen, daß man unter ihnen Leckerbiſſen ver⸗ muthen könnte. Süßwaſſerſchnecken vor allen Dingen ißt niemand auf der Welt; dieſelben ſind Bewohner des Schlammes und ſchon ihr Aroma iſt darum nichts weniger als appetitlich. Süßwaſſermuſcheln aber werden hin und her, doch nur von niederen Volksklaſſen in armen Land— ſtrichen gegeſſen. So verwenden die Vogeſenbauern die Flußperlmuſchel (Margaritana margaritifera L.) manchmal als Nahrungsmittel. Moquin-Tandon jah in Tournefeuille bei Toulouſe den Unio litoralis Lam. verzehrt werden; er koſtete das Muſchelgericht ſelbſt, konnte aber nur konſtatieren, daß dasſelbe für einen ziviliſierten Geſchmack nicht zu den unbedingten Annehmlichkeiten gehöre. Ebenſo wird erzählt, daß man in Oberitalien gelegentlich eine Verwandte unſrer Flußperlmuſchel (Margaritana Bonellii Fer.) nicht verſchmähe. d Hingegen gibt es und gab es von jeher an ab— ſolut allen ozeaniſchen Küſten wenn nicht viele, ſo doch immer einige Arten, zum größeren Teile Muſcheln, zum kleineren Schnecken, welche nicht nur von den Anwohnern verſpeiſt, ſondern auch als be— liebter Handelsartikel weit in das Land hinein trans— portiert werden. Von Meeresgaſtropoden (Schnecken), welche in Europa verzehrt werden, ſind höchſtens aus Eng— land Litorina litorea, Patella vulgata und Bucci- num undatum zu erwähnen, welche an deutſchen Küſten aber nur als Fiſchköder Verwendung finden. Dagegen iſt die Zahl der marinen Lamelli— branchiaten (Muſcheln), welche gegeſſen und als Eßware auch geſchätzt werden, überall — und im Süden wieder mehr als im Norden — eine große. Abgeſehen von den Auſtern und Miesmuſcheln erwähnen wir als beſonders bemerkenswert eine Muſchel aus den Salzſümpfen von Berre, Modiola Gallo- provincialis. Nicht weniger als 25 Millionen Stück werden von derſelben alljährlich nach Marſeille allein auf den Markt gebracht und erzielen einen Ertrag von ungefähr 170,000 Fres. In ebenfalls reichlicher Menge werden in Südfrankreich Venus— und Herzmuſcheln gegeſſen. So liefert ein ſalziger Küſtenſee bei Cette, weſtlich von Montpellier, der Etang de Thau, eine eßbare Muſchel, „Cloviſſe“ ge— nannt (Venus virginea), deren Erlös jährlich auf 400,000 Fres. ſteigt. In Marſeille beträgt der Geldwert des jährlichen Umſatzes von Venus de— cussata (Fig. 4) ca. 12,000 Fres. und ebenda werden von einer Herzmuſchel (Cardium glaucum) ungefähr 3000 Zentner (150,000 kg) auf den Markt gebracht. Herzmuſcheln werden faſt überall gegeſſen, jo Cardium edule L. längs der franzöſiſchen und engliſchen Küſte und überall in den Mittelmeerländern, Cardium ru- sticum und Cardium aculeatum in England, letzteres aber erſt, nachdem es vorher in kaltem Brunnenwaſſer getötet worden iſt. Eine Venusmuſchel (Venus gal- lina L.) wird von den Venetianern, obgleich jie ſelbſt ſie verachten, gemäſtet und in Mengen, welche einen jährlichen Durchſchnittswert von 10,000 Liren reprä— ſentieren, nach Rom ausgeführt. Als ein Leckerbiſſen wird eine Bohrmuſchel (Lithodomus dactylus Sow. ſiehe Fig. 5) angeſehen; unter der Bezeich— nung „Seedatteln“ werden dieſe Muſcheln, welche man durch Zertrümmerung des ſie bergenden Kalk— geſteins gewinnt, an den Mittelmeerküſten verkauft und z. B. in Marſeille mit ungefähr 10 Cent. das Stück bezahlt. Der in einer Tiefe von 60—80 Meter auch Bänke bildende Pecten Jacobaeus L. (,,capa santa“ der Italiener) und Pecten glaber L. — zu jenen Muſcheln gehörend, deren Schalen ſo beliebt als Ragoutfinſchüſſelchen ſind — werden nicht nur in Italien, ſondern auch an andern Mittelmeerküſten lebend oder zubereitet verzehrt; Pecten opercularis und Pecten maximus, jener friſch, dieſer eingeſalzen, ſind ein gemeines Eſſen in Schottland. Der Muſcheln wären noch viele aufzuzählen, welche hier und da wohl ein Gericht ausmachen können; aber trotz großer Mengen gewiſſer Arten, die wie erwähnt vom Menſchen für ſeinen Tiſch gefangen werden, er— reicht in dieſer Beziehung doch keine im entfernteſten die Auſter — Ostrea. Die Auſtern leben in ungefähr 60 Arten von 140 Humboldt. — April 1882. 60° n. Br. ab in allen Meeren bis in die ſüdliche Hemiſphäre hinein, und zwar in Weſteuropa beſonders an den vom Golfſtrom berührten Küſtenſtrichen. Neuſeeland hat ſeine Auſternbänke und ebenſo China, Indien, Afrika, Amerika und Europa. Es ſind nicht alle Menſchen ſo glücklich, wie die Bewohner von Kalkutta, welche über eine Rieſenauſter verfügen, die nur in mehreren Biſſen vertilgt werden kann. Dafür aber kann ſich kein andres Feſtland ſo wohlſchmeckender Auſtern rühmen, wie ſie Europa in den engliſchen „Natives“ beſitzt. Die meiſten der europäiſchen Speiſeauſtern ge⸗ hören der Art Ostrea edulis L. an; weniger geſchätzt ſind neben ihr O. hippopus an den atlantiſchen und O. cristata Poli an den mittelmeeriſchen Küſten. O. edulis lebt meiſt auf Bänken, welche in einer Tiefe von 40— 60 Meter liegen; doch kommt ſie auch in ſeichterem Waſſer an den Küſten fort, und dort gerade erlangt ſie den an ihr geſchätzten feinen Geſchmack. Die Tiefſeeauſtern ſind hart und ſchmecken meiſt bitter, weshalb man ſie erſt in beſonderen, ſeichten Waſſer⸗ baſſins „mäſtet“. Wie wir oben ſahen, aß man Auſtern ſchon in prähiſtoriſchen Zeiten; auch gepflegt werden ſie ſchon ſeit langer Zeit. So legte Sergius Orata zur Zeit des Craſſus bei Bajae künſtliche Auſternbänke im Lago di Fuſaro an, welche bis heute betrieben werden. In dem ſeichten Strandſee werden um künſt⸗ liche Auſternbänke herum Reiſigbündel ausgelegt, an denen ſich die ſchwärmende Brut feſtſetzt. Bekanntlich entwickeln ſich während der Sommer⸗ monate Juni bis Auguſt aus den befruchteten Auſtern⸗ keimen mit Wimperorganen ausgerüſtete, frei beweg⸗ liche Schwärmlinge; ihre immerhin bedeutende Be— weglichkeit befähigt ſie, Strecken von 4—8 Kilometern zu überwinden. Dieſe Schwärmlinge, welche in einer ungeheuern Anzahl produziert werden, von denen aber eine verhältnißmäßig noch größere Menge zu Grunde geht, ſetzen ſich nach einiger Zeit auf Steinen und alten Muſchelſchalen feſt, um in ungefähr 5—6 Jahren zu einer vollwüchſigen Auſter heranzureifen. Nach Prof. Möbius) liegen auf den beſten und zugleich fruchtbarſten der ſchleswigholſteiniſchen Auſternbänke an der Südſpitze der Inſel Sylt neben 1000 voll⸗ wüchſigen Auſtern („zahlbar Gut“) nicht mehr als 480 halbwüchſige („Junggut“); und dennoch über⸗ ſteigt bei einer alten Auſter die Zahl der Eier eine Million, und mindeſtens 44 Prozent aller alten Auſtern einer Bank legen alljährlich Keime ab. Von 440 Millionen Schwärmlingen kommen alſo unter gün⸗ ſtigen Verhältniſſen nur 480 Stück zur vollen Ent⸗ wickelung. Nun iſt eine Auſter ein ſchönes Ding und es wäre als ein großes Ereignis in den Annalen der deutſchen Oekonomie zu verzeichnen, wenn es gelänge, dieſe unendlichen Mengen von zu Grunde gehenden Auſternkeimen aufzufangen, groß zu ziehen und fo aus einer koſtſpieligen Delikateſſe ein ſchmackhaftes ) Möbius, Die Auſter und die Auſternwirtſchaft. Berlin 1877. und kräftiges) Volksnahrungsmittel zu machen. In England und beſonders in Nordamerika!) kann man dagegen die Auſter in der That ein Volksnahrungs⸗ mittel nennen, wenn man darunter auch nicht gerade in England die echten „Natives“ und in Nordamerika nicht die beſten Auſtern von der Cheſapeake- und Delaware⸗Bai verſtehen darf! Derſelbe Wunſch war es, der Prof. Coſte dem Kaiſer Napoleon III. den Vorſchlag machen ließ, an den franzöſiſchen Küſten eine ähnliche Methode der Auſternzucht einzuführen, wie man ſie in dem Lago di Fuſaro ſchon ſo lange betrieb. Nach Genehmigung des Kaiſers wurden daher in der Bucht von St. Brieux an der Nordküſte der Bretagne Schalen von Auſtern und andern Muſcheln ausgeſtreut, Faſchinen durch Steine auf den Grund geſenkt und im März und April 1858 reife Auſtern über eine Fläche von 100 Hektaren ausgeſtreut. Sechs Monate ſpäter waren die Faſchinen, die toten und lebendigen Schalen am Grunde von jungen Auſtern dicht überſät, und auf dieſen ſcheinbar unerwartet günſtigen Erfolg hin wurden binnen kurzer Zeit noch viele ähnliche Auſtern⸗ parke angelegt, z. B. im Hafen von Toulon, in dem ſalzigen Küſtenſee Etang de Thau bei Montpellier und in der Bucht von Arcachon, ſüdweſtlich von Bordeaux. Wie man aber in St. Brieux aus der Brut nicht eine einzige marktfähige Auſter aufziehen konnte, ſo gingen auch alle andre Anlagen bald ein. Zum Teil lag das an der falſchen Behandlung, indem man verſäumte, die Auſternparke von Pflanzen und Schlamm zu reinigen; aber es lag daran nur zum kleinſten Teile. Denn Parkauſtern pflanzen ſich erſtens niemals ſelbſtändig fort, und zweitens können nach einem unverletzbaren Naturgeſetz auf einer gewiſſen Fläche oder in einer gewiſſen Waſſermenge nie mehr als eine beſtimmte Zahl animaliſcher Weſen von gleicher Lebensweiſe exiſtieren. Dieſes Geſetz, von Möbius das Geſetz der „Biocönoſe“ (Lebens⸗ gemeinſchaft) genannt, beruht einmal darauf, daß immer nur für eine beſchränkte Anzahl animaliſcher Weſen Nahrung in ausreichender Menge vorhanden iſt. Aber außerdem mag hier wohl noch etwas andres mitſprechen. Nach Verſuchen nämlich, welche Prof. Semper in Würzburg mit unſrer großen Schlamm⸗ ſchnecke (Limnaea stagnalis L.) anſtellte “*), kann man ſagen, daß auch bei reichlich vorhandener Nah⸗ rung dennoch die auf jedes Individuum entfallende Waſſermenge einen Einfluß dergeſtalt ausübt, daß ) Die Auſtern übertreffen durch ihren Gehalt an feſten Stoffen das Fleiſch der Fiſche bedeutend, in etwas geringerem Grade auch dasjenige der Säugetiere und Vögel. Forellenfleiſch enthält 19,5% feſter Stoffe. Schweinefleisch 11 21,7 Io 110 7 Ochſenfleiſch 5 22,5 % 1 uw Auſtern mit Bart enthalten 21,5—23 % feſter Stoffe. 17 ohne 5 1 23 — 24,5 % 0 1 **) Die nordamerikaniſche Auſter iſt Ostrea Virginiana. ) conf.: Verh. d. Phyſ. Mediz. Geſ. Würzburg. Bd. III, 1872, p. 271279; Bd. IV, 1878, p. 5081. Humboldt. — April 1882. 141 bis zu einem gewiſſen Grade das Wachstum der Tiere im Verhältnis mit dem Volumen des ge- botenen Waſſers zu- und abnimmt; daß ein Maximum der Günſtigkeit vorhanden iſt, über welches hinaus eine Vergrößerung der Waſſermenge wieder ungünſtig wirkt. Wenn man dabei auch nicht gerade, wie Semper geneigt zu ſein ſcheint, an einen beſtimmten im Waſſer vorhandenen und uns noch unbekannten Stoff zu denken braucht, ſo geht eben doch zur Evi— denz daraus hervor, daß abgeſehen von der Nahrungs— menge auch der gebotene Raum eine große Rolle bei der Entwickelung von Tierformen ſpielt. Daher kommt es denn auch, daß in einem Auſternparke nur eine beſtimmte Anzahl Auſtern bis zur Marktfähigkeit groß gezogen werden kann, auch wenn genügende Nahrung vorhanden iſt. Darum ſind wohl auch alle Verſuche fehlgeſchlagen, die man in England und in Nordamerika angeſtellt hat, eine größere Anzahl von Auſtern in künſtlichen Anlagen durch Fütterung mit Maismehl fett zu machen. Gegenwärtig züchtet man Auſtern nur noch in der Bucht von Arcachon; man legt alte, von ozeani— wollte man ſich an den deutſchen Nordſeeküſten für geringen Lohn auch noch größeren Mühen unterziehen, ſo würden alle Beſtrebungen, künſtliche Auſtern— züchtereien anzulegen, dennoch ganz vergeblich ſein. Die Nordſee lagert an den Geſtaden meiſtens einen feinen, den Auſtern höchſt verderblichen Schlick ab; es würde daher nötig ſein, vor demſelben geſchützte Baſſins zu bauen — aber wie müßten ſolche Bau— werke angelegt ſein, um den verheerenden Sturm— fluten unſrer rauhen und wilden See Trotz bieten zu können? Bei Norderney hatte man in der That im Früh— jahr d. J. 1869 einen ſolchen Verſuch gemacht. Man ſetzte 20,000 erwachſene Auſtern auf ein ausgetieftes Terrain von 825 Quadratmetern aus; aber Seeſterne und Krebſe fielen über die Auſtern her und eine Sturmflut vernichtete im Auguſt deſſelben Jahres die Anlage. In der Oſtſee ferner ſind wegen ihres geringen Salzgehaltes alle Anſiedelungsverſuche, welche man in den Jahren 1753, 1830 und 1843 anſtellte, ſchen Bänken eingebrachte Auſtern aus und ſtreut zwiſchen dieſelben leere Muſchelſchalen und Dachziegeln, um die junge Auſternbrut darauf einzufangen. Die Dachſteine ſind mit einem im Waſſer unlöslichen, von ihnen aber leicht ſich abhebenden Ueberzuge von Zement verſehen, der mit fibrinfreiem Blut und Waſſer ver— miſcht iſt. Ohne dieſen Ueberzug ſitzen die jungen Auſtern, wenn ſie im Oktober von den Ziegeln ab— gelöſt werden ſollen, ſo feſt, daß die meiſten von ihnen zerbrechen. Auch ſo geht noch ein Dritteil der geſammten Brut zu Grunde. bringt man dieſelbe in viereckige, flache Brettkäſten mit Drahtböden, welche 2 Meter lang, 1 Meter breit und 15 — 30 Centimeter hoch ſind. Die Käſten ſtehen in den „Claires“, viereckigen, 30—40 Meter langen und 4—5 Meter breiten Teichen, welche an Stellen ausgegraben ſind, die bei Ebbe trocken laufen. Nach abermals 2 Monaten werden die jungen Auſtern auf dem Boden der Zuchtteiche ausgeſtreut, deren Bett eine Lage von grobem Kies ausmacht, da die Auſtern weichen Sand- oder Schlickboden am allerwenigſten vertragen können. In den Zuchtteichen werden die Auſtern zum Schutze gegen die animaliſchen Feinde?) mit Netzen überſpannt, wie man aus demſelben Grunde oben erwähnte Holzkäſten mit Drahtböden verſah. Auch it es gut, die Austern von Zeit zu Zeit in benachbarte Teiche zu verſetzen, welche einige Zeit hindurch trocken gelegen haben. Und einer ſolchen mühevollen Behand— lung bedürfen die Auſtern mehrere Jahre hindurch, ehe fie auf den Markt gebracht werden können! Das Ver— dienſt iſt natürlich ein entſprechend geringes; aber Nach der Ablöſung *) 3. B. Taſchenkrebſe (Carcinus maenas) und Schnecken (Murex erinacens, ſiehe Fig. 6). Letztere feilen mit der Radula, einer bei allen Gaſtropoden vor- | handenen, hornigen und mit Zähnchen verſehenen Reib— platte Löcher in die Auſternſchalen und verzehren ſodann die Auſtern ſelbſt. ohne jeden Erfolg geblieben. Der Lieblingswunſch Vieler, durch künſtliche Aufzucht die Zahl der auf den Markt gebrachten Auſtern beliebig zu vermehren und die Anſicht, daß man dies wohl könne, nur aber noch keine ernſtliche Anſtalten dazu gemacht habe, beruhen darum auf utopiſcher Grundlage. Das einzige, was von Menſchenhänden mit gutem Erfolge für Erhöhung der Auſternproduktion gethan worden, iſt die möglichſte Verbeſſerung der natürlichen Bänke. In dieſer Beziehung leiſten augenblicklich die Auſternfiſcher von Whitſtable das Beſte und haben darum, wie ſie mit Stolz ſagen, „den erſten Auſtern⸗ grund der ganzen Welt“. Die Whitſtabler Auſternkompagnie beſteht bereits ſeit 600 700 Jahren; ähnlich den Einrichtungen deutſcher Lootſenkompagnien haben nur Söhne früherer Mitglieder, alſo erſt nach dem Tode des Vaters, die Berechtigung zum Eintritt. Die Kom- pagnie verfügt über ein Gebiet von ungefähr vier engliſchen Quadratmeilen, welches ihr durch Parla- mentsakte vom Jahre 1793 als Eigenthum ju- geſprochen worden iſt. Man unterſcheidet in Whitſtable dreierlei Auſtern— gründe. Auf dem „Breeding Ground“ (Zuchtgrund) liegen Auſtern, welche im Meere gefiſcht und hierher gelegt wurden, um Brut zu erzeugen. Der Grund beſteht aus Sand, Steinen und alten Auſternſchalen. Die andern beiden Gründe beſtehen nur noch aus leeren Auſternſchalen, welche man alljährlich in großen Mengen über ſie ausſchüttet. Es ſind der „Fattening Ground! (Mäſtgrund), auf welchem Auſtern ge⸗ mäſtet werden, die man von anderwärts, z. B. Wales oder Irland hinbrachte und der „Native Grounde, auf welchem die berühmteſten aller Auſtern, die kleinen gewölbten Whitſtabler Natives liegen. Letztere wachſen aber nicht auf dem Nativeground ſelbſt, ſie werden vielmehr als 1-1 ¼ Zoll große Muſcheln aus dem „Blackwater“, einer kleinen Bucht bei Colcheſter, ge— holt und auf jenem ausgeſetzt. Nur dieſe Blackwater⸗ auſtern bringen es dahin, allen an echte Natives ge— 142 Humboldt. — April 1882. ſtellten Anforderungen zu genügen. Außer Whitſtable ſind von bekannteren engliſchen Auſternplätzen noch zu nennen: Herne Bay, Reculvers, Margate — ſämmtlich an der Themſemündung — und in Eſſer River Roach, woher die Händler von Oſtende faſt ihren ſämmtlichen Vorrath beziehen. Die Reſervoirs von Oſtende beſtehen aus großen, 6—7 Fuß tiefen Teichen, deren Wände mit Mauerwerk und mit Holz bekleidet ſind. Sie ſind durch Bretterwände in Ab⸗ teilungen geteilt, in welche das Waſſer, nachdem es vorher in einem Klärbaſſin den Schlick abgeſetzt hat, durch Schleuſen eingelaſſen wird. Verſuche einer vollkommen künſtlichen Auſternkultur hat man in England an der Küſte der kleinen Inſel Hayling mit einem Gründungskapital von 50,000 Pfund Sterling gemacht, leider auch hier trotz treff⸗ licher Anlagen ohne Erfolg. In England beobachtete man zuerſt eine Schonzeit der Auſtern. So beſtimmte ein Geſetz Eduard III. vom Jahre 1375, daß während der ganzen Laichzeit keine Auſtern gefiſcht werden dürften. Jetzt ſetzt eine aus 12 Mitgliedern der Whitſtabler Auſterngilde zu⸗ ſammengeſetzte Jury die Dauer der Schonzeit in England feſt. Dieſelbe fällt auf die Zeit von Anfang Mai bis Anfang Auguſt. In Frankreich befiſchte man in der Mitte dieſes Jahrhunderts ſämmtliche vorhandene Bänke viel zu ſtark, jo daß der Ertrag derſelben ſehr bald ein äußerſt geringer wurde. Erſt in den Jahren nach 1860 ſorgte die Regierung wieder für eine weniger ſchonungsloſe Ausbeutung derſelben, und bald wurden ihre Bemühungen auch von einem guten Erfolge belohnt. Die beſten franzöſiſchen Auſtern ſind die grünen „Marenner Auſtern“, von den Bänken bei Marennes und La Tremblade an der Mündung der Seudre, ſüdlich von Rochefort. Ihr guter Ge⸗ ſchmack kann nicht mit ihrer grünen Färbung zu⸗ ſammenhängen, da auch andre Auſtern, wenn ſie auf dieſe Bänke verſetzt werden, bald dieſe Färbung, aber nicht den guten Geſchmack annehmen. Die ſogenannten „Holſteiner Auſtern“ liegen auf Bänken in dem ſchleswigſchen Wattenmeer. „Watten“ nennt man die bei Ebbe trocken laufenden Stellen, welche in dem ſchleswigſchen Küſtenmeer einen ver⸗ hältnißmäßig großen Raum einnehmen. Auf ihnen können alſo die Auſtern nicht liegen. Die Bänke be⸗ finden ſich vielmehr, 47 an der Zahl, an den ſchrägen Abhängen zwiſchen den Watten und den Kanälen, in denen die Ebbe⸗ und Flutſtrömungen laufen, den ſogenannten „Leien“ oder Tiefen). Auch bei den zur Zeit des Neumondes und Vollmondes eintretenden Springebben bleibt immer mindeſtens ein Meter Waſſer über den Auſtern ſtehen und dennoch ſterben in ſtrengen Wintern viele von ihnen an der Froſtkrankheit. Wie würde es da erſt in ſeichten Zuchtteichen ausſehen! Die beſten ſchleswigholſteiniſchen Bänke ſind die an der Südſpitze der Inſel Sylt, als diejenigen, welche ) Dieſe Ströme laufen zum Teil mit überraſchender Heftigkeit, in der Sekunde eine Geſchwindigkeit von 1,5—2 m erreichend! dem offenen Meere am nächſten liegen. Hier kommen Auſtern vor, welche den feinſten, engliſchen Natives in dem gewiſſen, unübertrefflichen Nußgeſchmack gleich⸗ ſtehen. Auf allen Auſternbänken leben außer Ostrea edulis noch eine große Menge andrer Tiere, wie die Auſternbänke überhaupt die tierreichſten Stellen unſrer Meere zu ſein pflegen. Charakteriſtiſch aber für dieſe beſten unſrer Bänke ſind zwei Tiere, welche ſich am liebſten auf den Auſternſchalen ſelbſt niederlaſſen, ohne übrigens deren Bewohnern ſonſt einen Schaden zuzufügen. Es find dies ein Röhrenwurm (Poma- toceros triqueter), deſſen dreikantige Röhren wie ein S gekrümmt ſind und die ſogenannten Seehände (Alcyonium digitatum). Ein Paſtor auf Sylt pflegte darum die Auſternfiſcher bei ihrer Abfahrt zu ermahnen, ihm friſche Auſtern mitzubringen, aber „nur ſolche, welche der liebe Gott gezeichnet hat“. Ueberall werden die Auſtern natürlicher Bänke mit 25—30 kgm ſchweren Schleppnetzen von dem Grunde heraufgeholt, deren man, je nach der Art des Windes von der Luvfeite (Windſeite) des Fahr⸗ zeuges eins bis vier auswirft und 5— 10 Minuten ſchleppen läßt. Nachdem das Netz heraufgezogen und umgeſchüttet iſt, werden die Auſtern ausgeleſen, vom Schmutz befreit und in einem Korbe in dem Meere nochmals abgewaſchen. Dann erſt ſind ſie marktfähig. Zum Verſand werden fie in Tonnen, und zwar fo feſt verpackt, daß ſich keine derſelben unterwegs öffnen kann. In der Auſternſaiſon 1875/76 wurde eine Tonne (700—800 Stück) ſchleswigſcher Auſtern von den Händlern mit 105 Mark bezahlt, d. h. dreimal fo teuer wie 15 Jahre vorher. Die Annexion Schleswig⸗ Holſteins beſeitigte den Einfuhrzoll nach dem nord⸗ deutſchen Bundes⸗ und ſpätern deutſchen Reichsgebiet und verurſachte auf dieſe Weiſe einen beſſern Abſatz und die höheren Preiſe. In Whitſtable bezahlte man in den Jahren 1852—1862 für den Buſhel (1400 bis 1600 Stück) 2 Pfund 2 Schilling, 1863—1864 aber 4 Pfund und 1876 ſogar 12 Pfund; in Col⸗ cheſter 18561863 nur 66 Schillinge, 1867/68 ſchon 130 Schillinge. Die Marenner Auſtern waren 1863 noch mit 3 Francs für das Hundert verkäuflich, wäh⸗ rend ſie 1869 bereits mit 9 Franes bezahlt wurden. Ueberall eröffneten neue Eiſenbahnlinien neue und ſchnell erreichbare Abſatzgebiete, welche immer weiter in das Land hinein ſich erſtreckten; das konſumierende Pub⸗ likum wurde ein immer größeres und die Auſtern⸗ preiſe natürlich entſprechend höher. Nur Nordamerika produziert im Verhältnis zu ſeiner Bevölkerung immer noch ſo viele Auſtern, daß eine weſentliche Ver⸗ teuerung ihres Preiſes noch nicht eingetreten iſt. Wie großartig der dortige Auſternverkehr iſt, möge daraus erhellen, daß in Baltimore 10,000 Menſchen bei Auſternfiſcherei und Handel beſchäftigt ſind und allein der Newyorker Markt eine jährliche Summe von 8 Millionen Dollars umſetzt. In London allein wurden z. B. im Jahre 1864 nicht weniger als 495 Millionen Auſtern im Werte von 2 Millionen Pfund Sterling verbraucht, während 1870 in ganz Humboldt. — April 1882. 143 Großbritannien ein Kapital von 4 Millionen Pfund im Auſternhandel umgeſetzt wurde. Der Verkauf der Auſtern von Marennes und Tremblade erzielte in günſtigen Jahrgängen ziemlich 800,000 Frank, wäh— rend neuere Reſultate ganz bedeutend geringer waren. Eine andre Muſchel, welche den europäiſchen Meeren angehört und Gegenſtand menſchlicher Kultur geworden iſt, iſt die Miesmuſchel (Mytilus edulis L.). Auch hier gebührt den Italienern das Lob, dieſelbe zuerſt an ihren Küſten durch künſtliche Mittel in ihrer Vermehrung unterſtützt zu haben. So legt man im Golf von Venedig Strohſeile, ſchwimmendes Flecht— werk und kleine Flöße aus, an denen die Muſcheln ſich feſtſetzen können. Im größten Maßſtabe aber betreibt man die Miesmuſchelzucht an der franzöſiſch— atlantiſchen Küſte in der Bai von Aiguillon; auch dort verwendet man floßartiges Holz- und Korb— | werk, und außerdem in den Meeresgrund gepflanzte Bäume, um die Muſcheln ſich daran anſetzen zu laſſen. Endlich muß hier noch die Miesmuſchel— zucht der Kieler Bucht erwähnt werden, welche beſonders in neuerer Zeit ſich ſehr vervollkommnet hat: ihr iſt es zu verdanken, daß bei uns die Muſcheln auch in größern Binnenſtädten kein unge— wöhnliches Eſſen mehr ſind. Die Miesmuſchel lebt heute noch in der Oſtſee, wie in prähiſtoriſchen Zeiten, in denen unbekannte Urvölker die erwähnten „Küchenabfälle“ an ihren Küſten aufhäuften. Der Auſter wurden ſeitdem die nötigen Exiſtenzbedingungen in der Oſtſee durch Vermin— derung des Salzgehaltes entzogen — wer weiß, ob nach Jahrtauſenden nicht wieder ein rohes Volk „Küchenabfälle“ mit Auſternſchalen an den baltiſchen Küſten aufhäuft. ele meter g ea p h i e.) Don Dr, J van Sebber, Abteilungs-Vorſtand der deutſchen Seewarte in Hamburg. n der 5. Sitzung des internationalen Kongreſſes für Elektrizität in Paris machte der bekannte Brüſſeler Meteorologe van Ryſſelberghe einen Vorſchlag, der jedenfalls die Beachtung der ausüben— den Meteorologen in hohem Grade verdient, nämlich die Regiſtrierungen der Apparate an in- und aus— ländiſchen Stationen durch Telegraphenleitungen auf die Zentralanſtalten zu übertragen, fo daß alle wich- tigen meteorologiſchen Elemente ſowohl an den be— treffenden Stationen, als auch an der Zentralanſtalt kontinuirlich aufgezeichnet werden. Die Wusfiihrbar- keit dieſer Idee, welche übrigens ſchon früher, ins— beſondere von Mohn und Buys-Ballot ausge— ſprochen wurde und wegen des bedeutenden Koſten— aufwandes nicht zur Verwirklichung kam, iſt keinem Zweifel unterworfen, und wurde thatſächlich auf Initiative des Direktors der Brüſſeler Sternwarte Houzeau durch die ſtändige Verbindung der Regi— ſirierapparate in Oſtende, Antwerpen und Arlon mit der Zentralanſtalt Brüſſel, ſowie durch die tem— poräre von Brüſſel mit Paris am 2. Oktober 1881, von welcher Aufzeichnung mir ein Abdruck vorliegt, bewieſen. Ein einziger Schreibſtift zeichnet Luftdruck, Windrichtung und Stärke, Temperatur, Feuchtigkeit und Regenmenge alle zehn Minuten auf einer Metall- platte, die ſofort für den Druck angewendet werden kann. Würde man auf dieſe Weiſe an der Zentral- anſtalt zu jeder beliebigen Zeit die Aufzeichnungen *) Vgl. Ciel et terre, Nr. 16, 15. Oktober 1881. Humboldt 1882. einer Anzahl gut verteilter Stationen vor ſich haben, ſo wäre man im ſtande, die Aenderungen von Wind und Wetter, oder worauf es hier ankommt, die Aen— derungstendenz kontinuierlich zu verfolgen, und es wäre faſt unmöglich, daß irgend eine Störung unbe— achtet auftreten, ſich entwickeln und ohne War— nung irgend eine Gegend überraſchen könnte. Man erkennt ſofort die Vollkommenheit dieſes Syſtemes und den außerordentlichen Vorteil vor der bisherigen Methode, bei welcher nur einmal oder (wie bei der Seewarte) zweimal täglich telegraphiſche Nachrichten an der Zentralanſtalt einlaufen, ſo daß der kontinuierliche Gang der Witterung und die Aenderungstendenz aus Zeitintervallen geſchloſſen werden müſſen, die noch ziemlich weit auseinander liegen, und es unvermeid— lich iſt, daß auch hin und wieder atmoſphäriſche Stö— rungen unvermutet uns überraſchen. Durch die Telemeteorographie würde das Studium der großen atmoſphäriſchen Bewegungen und der lokalen Vorgänge zum Teile gewiſſermaßen einem Laboratoriumexperi⸗ mente vergleichbar ſein. Die Koſten für die Anlage und Unterhaltung der Telegraphenleitungen und der Apparate ſind allerdings ſehr bedeutend und berech— nen ſich auf einige Millionen, allein wenn man be— denkt, daß bei einem einzigen ſchweren Sturm durch Schiffbrüche an der Küſte dieſelbe Summe verloren gehen kann, fo wäre die Durchführbarkeit dieſes Sy— ſtems doch in Erwägung zu ziehen. Vielleicht ließe ſich das Ryſſelbergheſche Projekt in der Weiſe modifizieren, daß, um die Koſten auf 19 144 Humboldt. — April 1882. ein Minimum zu reduzieren, zu den Regiſtrierungen diejenigen Telegraphenleitungen zur Verwendung kämen, welche zeitweiſe nicht in Thätigkeit ſind und in den Nachtſtunden mag letzteres vielfach der Fall ſein; man hätte nur noch die verhältnismäßig geringen Anſchaffungskoſten der Regiſtreirapparate zu tragen. Allerdings würden dann die Regiſtrierungen manche Lücken aufweiſen, allein man würde ſo ein ſehr brauch⸗ bares Material erhalten, woraus man in Verbindung hes d Von mit den Wetterkarten großen Nutzen für die Praxis ziehen könnte. Dem Kongreß, welcher die Ausführbarkeit des Projektes anerkannte, erſchien es notwendig, das⸗ ſelbe einem eingehenden Studium zu unterziehen, um die Koſten für Anſchaffung und Unterhaltung der Apparate und Leitungen ſowie den Koſtenanteil der beteiligten Nationen zu beſtimmen, ehe man den Regierungen Vorlagen machen könne. Schwann. Dr. H. Reichenbach, Dozent am Senckenbergianum in Frankfurt a. M. m 11. Januar dieſes Jahres ſtarb zu Köln am Rhein der um die Wiſſenſchaft hochverdiente Forſcher Theodor Schwann, Profeſſor der Phyſio⸗ logie zu Lüttich, der Begründer der Zellentheorie. Geboren zu Neuß am 7. Dezember 1810, beſuchte er das Progymnaſium ſeiner Vaterſtadt und das Gymnaſium zu Köln und zeigte ſchon früh eine aus⸗ geſprochene Fähigkeit für Phyſik und Mathematik. Seine Studien machte er zu Bonn, Würzburg und Berlin, wo die berühmteſten damaligen Gelehrten (Treviranus, Nees von Eſenbeck, Goldfuß, Nöggerath, Biſchof u. a.) ſeine Lehrer waren. Entſcheidenden Einfluß übte auf ihn der geiſtvolle Phyſiologe Joh. Müller, der damals noch Privatdozent in Bonn war. Schwann aſſiſtierte als Student bei den epochemachen⸗ den Unterſuchungen Joh. Müllers über ſenſitive und motoriſche Nervenwurzeln, über das Blut u. a. und in hohem Maße angeregt, hatte er bald Gelegenheit, ſeine eigenen Kräfte geltend zu machen. In ſeiner Inauguraldiſſertation „De necessitate aéris atmos- phaerici ad evolutionem pulli in ovo incubito“ Berlin 1834, bewies er, daß das Hühnerei weder in reinem Stickſtoff, noch in Waſſerſtoff, weder in Kohlen⸗ ſäure, noch im leeren Raum die erſten Spuren des Embryo erzeugt, ſondern nur bei Gegenwart von Sauerſtoff, d. h. daß ſchon in den früheſten Ent⸗ wickelungsperioden der Atmungsprozeß ſtattfindet. Nachdem Joh. Müller als Nachfolger Rudolphis in Berlin den Lehrſtuhl für Anatomie und Phyſiologie eingenommen hatte, wurde Schwann fein Aſſiſtent und beteiligte ſich in den nächſten Jahren in hervor⸗ ragender Weiſe an der Löſung fundamentaler Fragen. Von ſeinen zahlreichen Leiſtungen ſeien hier nur einige erwähnt: Bezüglich der damals durch die Ent⸗ deckungen von Eberle in Fluß gekommenen Experi⸗ mente über künſtliche Verdauung zeigte Schwann, daß die Fähigkeit, mit Säuren ein Verdauungs⸗ gemiſch zu liefern, nur der Drüſenhaut des Magens zu vindizieren ſei; ja er ſtellte zuerſt aus dieſer eine durch Salzſäure fällbare Subſtanz dar, die das Ver⸗ dauungsvermögen in hohem Grad beſitzt, und die er „Pepſin“ nannte. („Ueber das Weſen des Verdauungs⸗ prozeſſes“. Müllers Archiv 1836 pag. 90). Auch die Frage der Urzeugung ſuchte er auf experimen⸗ tellem Wege zu fördern; er zeigte u. a. auf ſehr ſinnreiche Weiſe, daß in einer Fleiſchinfuſion keine Organismen entſtehen, wenn dieſelbe ſorgfältig aus⸗ gekocht iſt und von der zutretenden Luft alle Keime durch Vorſichtsmaßregeln ferngehalten werden. (Pog⸗ gendorfs Annalen 1837 Bd. XII.) Es war mithin die alte Anſchauung, nach welcher der Sauerſtoff die Fäulnis bewirke, widerlegt und der Nachweis von dem Gehalt der Luft an organiſchen Keimen erbracht, ein Reſultat, welches für die Weiterentwickelung unſres Wiſſens über dieſe Verhältniſſe von der tiefgehendſten Bedeutung war; man denke nur an die großen Um⸗ wälzungen auf dem Gebiet der Medizin, an die anti⸗ ſeptiſchen Verbände, an die Desinfektion u. v. a. Bald zog Schwann auch die Gährungsprozeſſe in den Bereich ſeiner meiſterhaften Unterſuchungen: er entdeckte die Hefepilze als die Urſache jener wunder⸗ baren Erſcheinungen; er bewies die Ausſcheidung von Kohlenſäure durch den Gährungsprozeß und zeigte, daß letzterer nicht eintritt, ſobald wiederum das Zu⸗ treten der Keime in der Luft ausgeſchloſſen bleibt. Schwann war es auch, der zum erſtenmale, wie Du Bois⸗Reymond bemerkt, eine Erſcheinung am Lebenden wie eine phyſikaliſche Kraft unterſuchte und zu Reſultaten gelangte, die ſich mathematiſch in Zahlen ausdrücken laſſen. Schwann brachte nämlich durch Irritieren des Nerven einen unbelaſteten Muskel zur Kontraktion und markierte die Stelle mittelſt ſinn⸗ reicher Apparate, bis zu welcher die Kontraktion er⸗ folgt war. Wurde nun der Muskel mit einem Ge⸗ wicht belaſtet, ſo kontrahierte er ſich bei der Reizung um eine Diſtanz = a weniger ſtark; bei Verdoppe⸗ Humboldt. — April 1882. 145 lung des Gewichtes betrug die Kontraktion um ein Stück = 2 a weniger u. ſ. f. Das heißt: die Ver- minderung der Kontraktionsdiſtanz iſt proportional dem angehängten Gewicht. Von wahrhaft epochemachender Bedeutung ſollte aber ſein 1839 erſchienenes Werk: „Mikroſkopiſche Unterſuchungen über die Uebereinſtimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen“ (Berlin 1839) werden, durch welches er der Begrün— der Zellenlehre und ſomit der Reformator der ge— ſamten biologiſchen Wiſſenſchaften wurde. Der über— einſtimmende Bau der Pflanzen war bereits bekannt; Robert Brown hatte den Zellkern entdeckt, und der Mitbegründer der Zellenlehre Schleiden hatte den Kern in jungen Pflanzenzellen überall nachgewieſen. Schleiden teilte Schwann mündlich ſeine Reſultate mit und dieſer, frappiert durch die Aehnlichkeit jener Gebilde mit ſolchen, die er längſt in tie— riſchen Geweben beobachtet hatte, konſtatierte dann vorzugsweiſe am Knorpelgewebe die ungemein weit— gehende Uebereinſtimmung der tieriſchen und pflanz— lichen Elementarorgane und ſuchte das Wachstum der Organismen mit Hilfe der neugewonnenen An— ſchauung zu erklären und die alten Anſichten von der myſtiſchen Lebenskraft mit großem Erfolg zu bekämpfen. Wenn nun auch heute der Schwannſche Zellbegriff nicht mehr in der urſprünglichen Faſſung beſteht und | | | | wir nur im Protoplasma das Weſentliche der letzten Bauſteine der Organismen zu ſuchen haben, ſo wird doch, bei allem Dunkel, das noch über der Natur des Protoplasmas herrſcht, die wahrhaft großartige Er— rungenſchaft des menſchlichen Forſchungstriebes, daß einerſeits die niederſten Geſchöpfe eine Zelle darſtellen und anderſeits die höheren Organismen bis zum Men— ſchen hinauf aus einer einzigen Zelle ſich entwickeln und aus ſolchen Elementarorganismen aufgebaut ſind, — mit einem Wort, daß alles Leben an die Zelle gebunden iſt, — den Namen Theodor Schwanns im ſchönſten Sinne des Wortes unſterblich machen. — 146 Humboldt. — April 1882. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. e heise, Die elektriſche Eiſenbahn als Vorleſungsapparat. Man hat zwar ſchon vielfach „elektriſche Eiſenbahnen“ als Vorleſungsapparate konſtruiert, allein die neueſte, von dem Mechaniker Ernecke in Berlin hergeſtellte zeichnet ſich vor gegenüber, welches ſich um die Achſe a drehen kann; die Enden der Achſe liegen in den Lagern der Metallſtreifen m und m'. Fig. 3 zeigt das Rad A von der Seite geſehen. Auf der Achſe a ſitzt auf der einen Seite ein Trieb T, welcher in das gezahnte Rad r eingreift und auf der andern Seite ein mit wenigen, tief eingeſchnittenen Zähnen Fig. 3. verſehenes Rädchen 1“, dem eine Feder k gegenüberſteht. Die Achſe des Rades r iſt zugleich die des Wagenrades U; dreht ſich r um, jo muß fic) auch U umdrehen; die drei andern Wagenräder laufen dann einfach mit. Der poſitive Strom geht auf die eine Schiene (bei p), tritt in das Rad V, geht von deſſen Achſe auf den Metallſtreifen i und von da durch den Draht d in die Windungen des Elek⸗ tromagnetes E, läuft dann vom andern Ende der Drahtwindungen durch d“ nach der Feder k und, wenn dieſe einen Zahn des Rädchens r“ berührt, über r“ und a nach dem Träger m der Achſe in den Draht d“ nach 1“ und in die Achſe des Wagenrades U zum ne⸗ gativen Strome, welcher bei n in die zweite Schiene tritt. . Sobald der Strom ge⸗ Li f i EIn den früheren dadurch vorteilhaft aus, daß ſie bei aller Sicherheit des Ganges klein und billig iſt und in ge⸗ ſchloſſener (kreisförmiger) Bahn läuft; ein einziges, in gutem Zuſtand befindliches Flaſchenelement genügt, um die „Lokomotive“ in hinlänglich raſchen Lauf zu verſetzen. Fig. 1 läßt den elektriſchen Wagen, ſowie die zwei kreisförmigen Schienen, an welche die Poldrähte des Flaſchenelementes geführt ſind, erkennen. Die genauere Einrichtung des Wagens zeigt Fig. 2. Dem Eiſenkern K eines Elektromagnetes E ſteht ein mit ſechs tief einge⸗ ſchnittenen, breiten Zähnen verſehenes Rade A aus Gijen ſchloſſen iſt (wenn die Feder t einen Zahn von r“ berührt), zieht der Eiſenkern K einen Zahn des Rades A herbei, jo daß A ſich etwas dreht; damit dreht ſich zugleich r“, fo daß jetzt die Feder k zwiſchen zwei Zähne von r’ kommt; der Strom iſt nunmehr unterbrochen; das Rad A aber dreht ſich noch ein wenig vermöge der Trägheit weiter. Alsbald darauf, wenn der Zahn von A, welcher ſoeben dem Eiſenkern des Elektromagnetes gegenüberſtand, ſich von demſelben etwas entfernt hat, kommt die Feder f wieder mit einem Zahn von r“ in Berührung; der Strom iſt nun wieder geſchloſſen, der folgende Zahn von A wird vom Eiſenkern herbeigezogen u. ſ. w. Auf dieſe Art dreht ſich & ziemlich raſch um und verurſacht damit zugleich die Drehung des Wagen⸗ Humboldt. — April 1882. 147 rades U; durch die Reibung des Rades U an der Schiene entſteht dann die Fortbewegung. Kr. Pneumatiſche Eiſenbahn für London. Dem eng⸗ liſchen Parlament liegt zur Zeit eine Bill vor zur Kon— zeſſionierung einer pneumatiſchen Eiſenbahn an die Mid- Metropolitan Company. Die Hauptlinie ſoll im äußer— ſten Weſten der Stadt bei Uxbridge Road Station beginnen und unter dem großen nach Oſten gerichteten Straßenzuge Uxbridge Road, Oxford Street und Holborn bis in das Herz der Weltſtadt führen, ſodann unter den ſtärkſtbelebten Straßen der City, Newgate Street, Cheapſide und Poultry, bis nach Aldgate und den Minories im Oſten Londons. Außer dieſer 10 Kilometer langen zweigleiſigen Haupt⸗ linie find mehrere eingleiſige Zweiglinien in Ausſicht genommen, welche Paddington, South Kenſington und die Weſtminſter⸗Brücke zum Anſchluſſe bringen würden. Jedes Gleis ſoll in einem beſonderen, kreisförmigen Tunnel von 3,6 m Durchmeſſer angelegt werden. Die Stationen, 15 an der Zahl, würden in offenen Einſchnitte liegen und mit Treppen von der Straße aus zugänglich ſein. Der Bauausführung ſtehen keine großen Schwierig- keiten im Wege, da in dem Teile Londons, welcher von der Hauptlinie und ihren Abzweigungen berührt wird, faſt durchweg feſter Untergrund vorhanden iſt. Die beiden zwiſchen je zwei Stationen liegenden, mit einander kommunizierenden Tunnelröhren bilden jedesmal ein abgeſchloſſenes Syſtem. Die Bahnwagen, deren Innen— räume bequem eingerichtet und mit elektriſchem Lichte er— hellt werden ſollen, erhalten an ihren Außenſeiten Kränze aus einem filzartigen, bis dicht an die Tunnelwände reichenden Gewebe, welches nahezu hermetiſch ſchließt. Der Betrieb ſoll durch Pulſion und Aſpiration ſtattfinden, indem die Luft vor dem Wagenzuge abgeſaugt wird, wäh— rend hinter demſelben komprimierte Luft in die Tunnel— röhre tritt. Die Kompreſſion der Luft würde an zwei oder drei Zentralſtellen erfolgen, von denen aus Rohr— leitungen nach den einzelnen Stationen führen ſollen. Bereits im Jahre 1872 war ein ähnliches Projekt ausgearbeitet worden, das jedoch in Finanzkreiſen nicht die erforderliche Unterſtützung fand. Das Projekt der Mid-Metropolitan Company ſcheint auf ſicherer N zu beruhen. Ein magnetiſches ThermofKop. In einer Verſamm— lung der „Royal Society of Edinburgh“ zeigte Sir William Thomſon ein magnetiſches Arrangement zur Angabe der Temperatur vor, welches ſich auf die bekannte Thatſache begründet, daß ein Magnet ſeine Kraft verliert, wenn er erwärmt wird, und ſich beim Kühlerwerden wie— der kräftigt. Zwei Stücke dünnen Stahldrahtes, ungefähr Mg Zoll lang, werden magnetiſiert und zuſammen fo auf⸗ gehängt, daß ſie nahezu ein aſtatiſches Nadelpaar bilden. An jeder Seite derſelben werden zwei andre Magnete von gleicher Größe eingeſetzt, deren gleiche Pole einander gegenüberſtehen. Dieſe werden „Reflektoren“ genannt und lenken das in der Schwebe hängende Nadelpaar von ſeiner Null⸗Richtung ab, wenn ein Wechſel der Temperatur die magnetiſche Kraft ſteigert oder mindert. Ein dünner Spiegel reflektiert vom aſtatiſchen Nadelpaare einen Licht— ſtrahl nach der Weiſe des bekannten Thomſonſchen Re— flektions⸗Galvanometers und markiert dadurch die kleinen Abweichungen vom Null-Punkte. Der Apparat ſoll gegen die Veränderung der Tem- peratur äußerſt empfindlich und korrekt ſein, ſo lange der Winkel, den die Nadeln beſchreiben, verhältnismäßig klein iſt. Ho. Neuberechnung der Atomgewichte. F. W. Clarke. Phil. Mag. Vol. 11 pag. 101-112. Clarke hat die Atomgewichtszahlen der Elemente (66) nachgerechnet und dieſelben zuſammengeſtellt einmal be— zogen auf H = 1; dann auf O = 16. macht wie früher Prout darauf aufmerkſam, daß, wäh— rend bei den Zahlen auf II = 1 bezogen nur 25 find, Der Verfaſſer die bis auf ‘ro ganze Zahlen find, bei der Berechnung auf O = 16 dagegen 39. Bei den im letzteren Falle eine Ausnahme machenden Elementen iſt das Atomgewicht teils fehlerhaft beſtimmt, teils iſt die Beſtimmung einiger mit konſtanten Fehlerquellen behaftet. B. Beziehungen zwiſchen den Atomgewichten der Elemente. M. Gerber. Chem. News 43 pag. 232 —43. Faßt man die Elemente in 4 Gruppen zuſammen und zwar die einatomigen, die zwei- und vieratomigen, die drei- und fünfatomigen, und die als Metalle bezeich— neten, ſo findet man, daß die Atomgewichtszahlen in jeder Gruppe durch einen gemeinſamen Faktor geteilt werden können und zwar bei den einzelnen Gruppen durch 0,769; 1,995; 1,559; 1,245. B. Die Größe des Waſſermoleküls. De Heen Annal. de la Sociét. scient. de Bruxelles. De Heen hat mit Hilfe von Kapillaritätserſcheinungen den Durchmeſſer o eines Waſſermoleküls berechnet und ge- funden 6 = 75. 10 mm = 0,000000075 mm. Die An- zahl der in einem Kubikmillimeter befindlichen Moleküle wäre 25 Trillionen. B. Chemie. Die Herſtellung von Anilinfarben durch Elektro- Cyfe iſt an fic) nicht ganz neu, denn ſchon 1875 machte Herr Goppelsroeder, ein Mülhauſer Fabrikant, im Bulletin de la Société induſtrielle de Mulhouſe auf die leichte Her— ſtellung gewiſſer Farbſtoffe mittels elektriſcher Wirkung auf— merkſam und von Coquillon wurde das Verfahren ſehr aus— gedehnt. Die Produkte ſind jedoch erſt neuerdings und zwar auf der vorjährigen elektriſchen Ausſtellung zu Paris vor die Oeffentlichkeit getreten. Der Herſtellungsprozeß beſteht im allgemeinen, daß in angeſäuertes Waſſer ein elektriſcher Strom geleitet und eine organiſche Subſtanz darin aufgelöſt wird, welche die Fähigkeit beſitzt, unter dem Einfluſſe des im Statusnaſcents befindlichen Sauer— oder Waſſerſtoffes einen Farbſtoff zu bilden. Zu dem Zwecke benutzt Goppelsroeder Platinplatten als Elektroden, indem er dieſelben mit den Polen einer Batterie aus 16 Bichro— matelementen verbindet. Um die beiden Platten vonein— ander zu trennen und die Vermiſchung der ausgeſchiedenen Farbſtoffe zu verhindern, wird die eine Platte — gewöhnlich die poſitive — von einer poröſen Thonzelle umſchloſſen; zuweilen werden aber auch beide Platten in getrennte, die Löſung enthaltende Gefäße eingetaucht und die Verbindung durch Einhängen eines Baumwollendochtes oder ſchwediſchen Filtrierpapiers in beide Löſungen hergeſtellt. Anſtatt der Platinplatten werden zuweilen auch Kohlenplatten mit Vorteil angewendet und nötigenfalls der ganze Apparat zur Erwärmung in ein Sandbad geſtellt. Die im angeſäuerten Waſſer aufzulöſenden Subſtanzen ſind beſonders die Salze von Anilin, Toluidin, Methylin, Diphenylamin, Methyl- diphenylamin, Phenol und Naphtylamin. Anilinſchwarz wird durch die Elektrolyſe aus einer wäſſerigen Löſung von ſalz— ſaurem, ſchwefelſaurem oder ſalpeterſaurem Anilin, die mit etwas Schwefelſäure angeſäuert iſt, erhalten. Verſchieden— artiges Anilinblau wird am negativen Pole durch Elektrolyſe von ſalzſaurem Methanylin, Dephenylamin und Methyl— dephenylamin ausgeſchieden. Hoffmanns Violet erhält man am negativen Pole aus einer Löſung von Roſanilinſalz mit Methylalkohol, Schwefelſäure und einer Spur von Jodkali. Künſtliches Alizarin wird am poſitiven Pole aus einer Miſchung von Anthraquinon und Aetzkali bereitet. Die Reſultate ſind vielverſprechende, jedoch ſcheint bezüglich des ökonomiſchen Wertes dieſer Methoden noch einiger Zweifel zu beſtehen. Schw. Geognoſie. Die Cocänformation im Staate Wiffiffippi. Die hohen und ſteilen Ufer des Miſſiſſippi oberhalb New-Or⸗ leans, auf denen die Städte Natchez, Rodney, Grand Gulf 148 Humboldt. — Upril 1882. und Vicksburg liegen, haben einen gleichen geologiſchen Urſprung, wobei ſie zugleich Schichtungsverhältniſſe zeigen, die aber nicht allein in Beziehung auf ihr Alter, ſondern auch in bezug auf die ihnen zukommenden Eigentümlich⸗ keiten und die Urſachen, welche dieſe herbeiführten, weſent⸗ lich voneinander abweichen. Die unteren Schichten ſind durchgängig maritimen Urſprungs und gehören nach den fie ſcharf charakteriſierenden Leitmuſcheln der Eocänbildung an. Die Muſcheln ſind in ihnen vorherrſchend, und wie in allen übrigen bis jetzt in den Vereinigten Staaten un⸗ terſuchten Lokalitäten, grenzt fic) auch hier die Cocan- ſcharf gegen die Miocänformation durch eine weſentlich untereinander abweichende Reihe von Arten ab. Die Hügel bei Vicksburg ſteigen ſteil von dem Miſſiſſippi auf, oft mit einer Ausdehnung von mehreren Meilen. Tief ausgewaſchene Erdſchlüpfe legen die Eocänſchichten bloß, während die Seiten der Hügel und Klüfte durch die aus dem eiſenſchüſſigen Mergel oder den verſteinerungsführen⸗ den Sand⸗ und Thonmaſſen ausgewaſchenen Muſcheln eine weiße Oberfläche erhalten haben. Die oft 60 Fuß über dem gewöhnlichen Waſſerſtand des Miſſiſſippi mäch⸗ tigen Schichten verlaufen ziemlich horizontal. Die unterſte bloßgelegte Schicht beſteht aus einem bläulichen kompakten Kalkſtein, den man in Vicksburg zum Pflaſtern benutzt. Das Geſtein iſt voller Muſcheln von ſolchen Arten, die auch in den oberen Mergeln vorkommen. Dahin gehört vor allen Pecten Paulsoni (Morton), eine Spezies, die auch in dem weißen Kalkſtein in der Nähe von Clai⸗ borne in Alabama häufig auftritt. Ein ſehr dünner Num⸗ mulite, von Morton beſchrieben, tritt gleichfalls häufig in dem Kalkſtein, wie in den auflagernden Schichten auf und verbindet die Formation von Vicksburg mit dem weißen Eocänkalk von St. Stephens in Alabama. Eine neue Spezies Pinna charakteriſiert vor allen den Kalkſtein von Vicksburg; — in den dieſen überlagernden Schichten erſcheint ſie nur ſporadiſch zerſtreut. Den Kalkſtein ſelbſt überdecken verſchiedene ſandige Mergelſchichten, hier und da auch verhärtete eiſenſchüſſige Thonlager, ſowie ſolche eines Gemiſches von Thon und Sand, alle aber reich an foſſilen Muſcheln. Gegen das Ausgehen der Eocänbildung treten Lager eines groben Kieſes auf, die mit ganzen Mu⸗ ſcheln ebenſo reich, wie mit Fragmenten durchſetzt ſind, wie ſich in ihnen auch die ſchönſten Agate eingebettet fin⸗ den. Die Lager ſind durch die Hebung nur unbedeutend verworfen worden. Obſchon die Gruppe der foſſilen Mu⸗ ſcheln ganz den Charakter der Eocänbildung beſitzt, fo unterſcheidet ſie ſich doch von der zu Claiborne und andrer Lokalitäten beſonders dadurch, daß ſich unter ihren 62 Spe⸗ zies allein 32 neue Arten befinden. Die Nähe eines alten Seegeſtades liegt hier außer Zweifel, was bei Claiborne nicht der Fall iſt. Bivalven mit noch verbundenen Scha⸗ len ſind ſelten, Fragmente ungemein häufig und die vielen durch Waſſer abgenutzten Exemplare beweiſen, daß fie von der Brandung hin- und hergeworfen wurden. In dem Thonlager der oberen Schichten haben einzelne Muſcheln nicht allein eine Spur ihrer Färbung, ſondern auch ihre urſprüngliche Politur beibehalten, die aber verſchwindet, ſobald fie der Sonne ausgeſetzt werden. Die große Car- dita planicosta, die ſonſt jo häufig in den Eocännieder⸗ ſchlägen auftritt, fehlt hier ganz; — ebenſo die Crassa- tella alta von Claiborne, die aber durch eine ſpezifiſch verſchiedene neue Art vertreten wird. Eine neue Pano- pala, die ziemlich häufig iſt, tritt durchgehends in verti⸗ kaler Stellung gegen die Schicht und vollkommen unverletzt auf. Sie lebte und ſtarb daher an der Stelle, wo man ſie jetzt findet, während alle übrigen den Einwirkungen der Brandung und der Strömung unterworfen waren. Dieſelbe Stellung nehmen auch die übrigen Spezies Pa- nopaia in der Miocänformation ein, woraus hervorgeht, daß ſie ſich ſo tief in den Schlamm oder Sand eingruben, daß das Waſſer ſeine Einwirkung auf ſie verlor, während es die übrigen Mollusken an dem Geſtade zuſammen⸗ häufte. : Die größte Maſſe der Eocänbildung iſt nördlich von Vicksburg bloßgelegt, wo ſie ſich ebenfalls bis auf 60 Fuß über den Fluß erhebt. Der Kalkſtein, unmittelbar über dem Niveau des Fluſſes, iſt die unterſte bekannte Schicht, da das tiefere Geſtein von dem Fluſſe bedeckt wird. Das Xentalium thalloides iſt ſowohl der Eocän⸗ bildung von Vicksburg wie der von Claiborne in großen Maſſen gemeinſam. Merkwürdig iſt es, daß in beiden keine einzige Spezies Cerithium auftritt, ein Genus, das in ſo vielen Spezies der Eocänbildung Frankreichs eigen⸗ tümlich iſt. Ueber der Eocänformation von Vicksburg, Grand Gulf, Rodney und Natchez lagert ein mächtiger Lehm⸗ niederſchlag von homogener Zuſammenſetzung und gleicher Färbung, der an manchen Stellen eine Mächtigkeit von 50 Fuß beſitzt, wie er in jener zugleich ganz mit dem Bo⸗ den der Schilfſtriche in Miſſiſſippi übereinſtimmt. Beſon⸗ ders zahlreich in dieſem Lehmniederſchlag treten eine Menge Landſchnecken und zwar in ſolchen Spezies auf, die jetzt noch in großer Zahl auf den Alluvialſtrichen vorkommen, welche den jährlichen Ueberſchwemmungen des Fluſſes un⸗ terworfen ſind. Dahin gehören Helix thyroides, ligera; concava, setosa, arborea, perspectiva, Succinea ovalis, Helicina orbiculata. Unter den Süßwaſſerſchnecken findet fic) weder die Paludina, noch unter den Süßwaſſer⸗ muſcheln eine kleine Cyelas in den Bächen bei Vicksburg obſchon in dieſen zwei andre Spezies Cyelas häufig vor⸗ kommen. Gr. n e b Aeber das Kauri Gummi. Nach einem Berichte des Konſul Griffin in Auckland wird das aus Neuſee⸗ land ſtammende Kaurigummi in den Vereinigten Staaten in Maſſe zur Firnisbereitung verwendet. Dieſes Gummi iſt der eingetrocknete Saft des Kauribaumes, Dammara australis, und wird nur noch in Auckland nördlich vom 30° ſ. Br. gefunden. Bald in einzelnen Klumpen oder in großen Lagern kommt es vor an entholzten Bergab⸗ hängen, auf ſeichtem Thonboden, in Sümpfen oder an mit vulkaniſchen Trümmern überdeckten Stellen und zeigt ſich dicht unter der Oberfläche bis zu der Tiefe von einigen Fußen. In den Gabelungen der größeren Aeſte findet man Lager von einigen Pfunden bis zu einem Zentner (engliſch) an Gewicht. Durch Einſchnitte in ältere, 10 bis 12 Fuß im Durchmeſſer haltende Bäume oder beim Fällen friſch gewonnenes Gummi iſt weiß und beſitzt nicht die prachtvoll bernſteingelbe Färbung des älteren Gummis, das längere Zeit unter der Erdoberfläche gelagert hat. Das Gummi iſt im Waſſer unlöslich, es verbrennt mit rußender Flamme und entwickelt hierbei einen an Myrrhe erinnernden Geruch. Weniger hart und zerbrech⸗ licher als Bernſtein, zeigt es auch ſeltener Einſchlüſſe von Pflanzen oder Inſekten. Mit der Gewinnung dieſes Gummi beſchäftigen ſich etwa 18003000 Leute, großen⸗ teils Maoris. Nach Beſitznahme von Neuſeeland durch die Engländer wurde es ſofort ein Handelsartikel. Da⸗ mals wurden jährlich etwa 100 Tonnen exportiert, die Tonne von 24 — 28 Pfund St., während der Export für 1880 auf 5500 Tonnen à 216 Pfund St. berechnet wurde. Von dieſen werden mehr als 7¼ nach den Vereinigten Staaten ausgeführt. Bei dieſem hohen Verbrauche dürften bereits in 50— 80 Jahren die Kauriwälder gefällt fein, da die Regierung nichts thut, um dieſelben zu ſchützen oder neue Anpflanzungen zu machen. — (The Kauri Gum of New - Zealand in Scientific American. 1881. April; The Pharm. Journ. and Transact. 1881. Mai.) G. Aeber die Kautſchukpflanzen. Den Kautſchuk des Handels liefern 4 Pflanzenfamilien, nämlich die Urti⸗ caceen (inkl. der Artocarpeen), Apoeyneen, Lo⸗ beliaceen und Euphorbiaceen. Unter den Urticaceen find verſchiedene Ficus⸗ arten als Kautſchuk liefernd zu bezeichnen, wie Ficus elastica, F. religiosa aus Aſien, F. elliptica, F. prinoides u. ſ. w. aus Amerika, beſonders aber Castilloa elastic a, welche den Kautſchuk von Mexiko Humboldt. — April 1882. 149 und Zentralamerika liefert. — Bei den Apocyneen finden fic) folgende Kautſchukpflanzen: in Amerika Ca- meraria latifolia, Hancornia speciosa, Tabernaemontana utilis; in Aſien Urceola elastica, Melodinus monogynus, Willughbeia utilis; auf Madagastar Vahea gummifera. — Unter den Lobeliaceen iſt nur Syphocampylus caout- chouc zu nennen, eine Pflanze, die auch nur wenig Kautſchuk liefert; endlich unter den Euphorbiaceen Hevea Guyanensis oder Siphonia elastica, die Kautſchukpflanze Braſiliens und Guyanas, ſowie Euphorbia punicea von den Antillen. Neuerdings wurde nun ein andrer, ebenfalls zu den Euphorbiaceen gehörender Kautſchukbaum bekannt, wel- cher in Menge in Kolumbien zu Hauſe und von Poſa da— Arango als eine neue Art der Gattung Excoecaria, E. gigantea Pos. Ar. bezeichnet wird. Er erreicht die bedeutende Höhe von 20—40 m und einen Stamm— durchmeſſer von etwa 1 m. Die geſchätzteſten Kautſchukſorten Amerikas iſt der Kautſchuk von Para und Braſilien, welchen die Hevea liefert, und dann derjenige von Honduras, welcher von Castilloa gewonnen wird. Durch transverſale Gin- ſchnitte an dem Stamme des Kautſchukbaumes wird der Saft zum Ausfließen gebracht und liefert ein einziger Baum wohl 5—10 ker des ausfließenden Saftes im Tage. Dieſes Ausfließen währt wohl Jahre lang, doch müſſen dieſe Einſchnitte ſtets wieder erneuert werden. Bei Ficus und Excoecaria ift der Saft zu dick, um ſofort ausfließen zu können. Dann fällt man den Baum, läßt ihn etwa eine Woche liegen, bis der Saft durch eine Art Zerſetzung leichtflüſſiger wird, und nun erſt bringt man in der Rinde, ohne das Holz zu verletzen, bei 10 em Entfernung voneinander die Schnitte an. Wird dieſe Operation eine Zeit lang wiederholt, ſo liefert ein Baum von Excoecaria wohl 60-100 Frank Gewinn, für 12 kgr 40 Frank gerechnet. — (A. Pos ad a- Arango, Note sur un nouvel arbre à caoutchouc in Bulletin de la Société Botanique de France. 1880. Tome XXVII. Comptes rendus p. 310.) G. Aeber eine japaniſche Tertiärflora. Schon feit langer Zeit war es aufgefallen, daß in der europäiſchen Tertiärflora eine Menge von Typen (faſt ½ der Geſamt⸗ zahl) ſich finden, deren nächſte Verwandte in der lebenden Flora Nordamerikas zu ſuchen ſind, während viel weniger ſich an die jetzt in Europa exiſtierende Flora anlehnen. Um nun dieſe große Uebereinſtimmung zwiſchen der euro— päiſchen Tertiärflora und der jetzigen Vegetation Nord— amerikas zu erklären, nahm man an, es habe früher zwi—⸗ ſchen dieſen beiden Weltteilen eine Landverbindung, die ſog. „Atlantis“, beſtanden, welche dann ſpäter unterge— ſunken ſei. Je beſſer man jedoch mit der ſo nahe ver— wandten Flora des öſtlichen Aſiens und Japans bekannt wurde, um fo mehr trat die Atlantistheorie in den Hin- tergrund und als Erſatz für die Erklärung dieſer über⸗ raſchenden Uebereinſtimmung der beiden Floren trat die von Aſa Gray verfochtene Anſicht einer Landverbindung zwiſchen Aſien und Nordamerika am Behringsſunde auf, welche den Pflanzenaustauſch begünſtigte. Die Uebereinſtimmung der tertiären Flora Europas und der Flora von Oſtaſien und Japan einerſeits und von Nordamerika anderſeits fand alſo ihre Erklärung in der gemeinſchaftlichen Abſtammung von der zirkumpolaren Tertiärflora. Hier waren allgemein verbreitet Sequoia, Taxodium, Ginkgo, Glyptostrobus, Tanne, Fichte, Föhre; und neben dieſen Nadelhölzern die Laub- baumgattungen Erle, Birke, Buche, Eiche, Haſelnuß, Weiß⸗ buche, Platane, Ahorn, Linde, Saſſafras, Diospyros, Liquidambar, Liriodendron, Magnolia u. ſ. w. Dieſe Flora war rings um den Pol herum vertreten bei Atanekerdluk in Grönland (70° n. Br.), Discovery Bay in Grinnelsland (81° 46“ n. Br.), an der Oſtküſte von Grönland, im Surturbrand Islands, auf Spitzbergen, König Karls Land, am Lenafluſſe (65 ½ v n. Br.), Aljaska, am Mackenziefluſſe in Nordkanada und auf Banksland. Von hier ſtrahlten dieſe Typen nach Süden hin aus und aus dieſer Region ſtammen denn auch die jog. „nord⸗ amerikaniſchen Elemente“ in der Tertiärflora Europas. Bei dieſer Wanderung nach Süden und wieder rückwärts (bei bezüglichen Aenderungen des Klimas) war in Nordoſt⸗ amerika und in Nordoſtaſien die nordſüdliche Richtung der Gebirge für Erhaltung der alten Flora beſonders günſtig, während in Europa der Querverlauf der Gebirgs— züge dieſer nordſüdlichen Wanderung hindernd entgegen— trat und hier dieſe alte Flora mehr erloſch.*) Da außer jenen oben erwähnten Typen eines ge— mäßigten Klimas auch ſüdliche Formen, wie z. B. Palmen, aus dem europäiſchen Tertiär mit ſolchen übereinſtimmen, welche fic) jetzt in den ſüdlichen vereinigten Staaten vor⸗ finden, jo ijt deren gemeinſamer Urſprung nach Nat⸗ horjt**) ebenfalls in der eocänen oder der Kreide-Flora der Polarländer zu vermuten. Noch neuerdings lieferten die wichtigen Unterſuchungen Heers ““) über die miocäne Flora der oſtaſiatiſchen Inſel Sachalin nördlich von Japan (die pflanzenführenden Lager finden ſich etwa bei 51° n. Br.), in welcher 74 foſſile Pflanzenarten unterſchieden wurden, einen neuen, für den Zuſammenhang Oſtaſiens mit Nordamerika ſprechender Anhaltspunkt. Die Tertiärflora von Sachalin nämlich ſtimmt beſſer mit jener von Grönland, Spitzbergen, ja auch der Schweiz überein, als mit der von Zentralſibirien. So wurde z. B. keine der 18 von Lopatin am Kolyma in der Nähe von Krasnojarsk beobachteten Arten unter den miocänen Pflanzen von Sachalin gefunden, während die Tertiärflora an der Südküſte des Baikalſees ganz ähnlich der von Sachalin und Aljaska iſt. Auch Klebs z) weiſt auf den innigen Zuſammenhang der tertiären Flora Europas weniger mit der atlantiſchen Flora Nordamerikas, als vielmehr mit der japano-dinefifden hin und betont zugleich, daß auch die Fauna, insbeſondere die Binnen- konchylien, ein ganz ähnliches Verhältnis erkennen läßt. Nach Englert) zeigt fic) nun gerade in Japan, wo auf etwa 2800 Spezies über 900 Gattungen und darunter viele monotypiſche entfallen, eine urſprüngliche, direkt aus der Tertiärzeit ſtammende Flora, welche ſeit längerer Zeit keine durchgreifenden Veränderungen mehr erlitten hat. Auch die tropiſchen und ſubtropiſchen Ele— mente zeigen einen allmählichen Uebergang in die Flora des tropiſchen Aſiens. Dieſer Anſicht ſtehen nun in gewiſſer Weiſe die Unter- ſuchungen Nathorſts zt) entgegen, deren Reſultate uns in dieſer vorläufigen Mitteilung über eine bei Nangaſaki in Japan, auf der ſüdlichen Hauptinſel Kiouſiou bei 33° n. Br., von Nordenſkjöld unter mächtigen Schichten vulkaniſchen Tuffes entdeckten Tertiärflora gegeben werden. Trotz der ſüdlichen Lage des Fundortes nämlich verweiſen die hier beobachteten tertiären Pflanzen auf ein relativ gemäßigtes Klima. Farn fehlen ganz, Monokotyledonen und Nadelhölzer ſind ſehr ſelten. Um ſo häufiger aber finden ſich Reſte von angioſpermen Gewächſen. Unter dieſen herrſcht wieder eine Buche, welche der nordamerika— niſchen Fagus ferruginea ſehr nahe ſteht und deren Blattabdrücke etwa 80 — 90 ¼ ſämtlicher Abdrücke geliefert haben, fo daß dieſe Ablagerungen weißen thonigen Ge— ) Siehe Engler, Verſuch einer Entwickelungsgeſchichte der Pflanzen⸗ welt. I. Der extratropiſchen Florengebicte der nördlichen Hemiſphäre. 1879. — Vergl. auch A. G. Nathorſt, Förutskickadt meddelande om tertiar floran vid Nangasaki pa Japan (Aftryck ur Geol. Fore- ningens i Stockholm Forhandlingar 1881. Nr. 68. Bd. V. Nr. 12.) **) Nathorjt, I. o. 4 Heer, Primitiae florae fossilis Sachalinensis (Mém. de Academie Impér. des Sciences de St. Pétersburg, VII. Série. Tome XXV. Nr. 7. 61 Seiten mit 7 Taf.) — Vergl. auch Fr. Schmidt, die miocäne Flora von Sachalin. Petersburg 1880. +) Klebs, Rich., Ueber den ſogenannten nordamerikaniſchen Cha⸗ rakter unſrer jungen miocänen Flora und Fauna (Schriften d. phyſ. ökon. Geſ. zu Königsberg 1880. XI. Abteil. 1. Sitzungsber. p. 6.) +t) Engler, I. e. +++) Nathorſt, I. e. 150 Humboldt. — April 1882. ſteines und Sandſteines, in welchen jene Reſte ſich finden, ſich jedenfalls in unmittelbarer Nähe eines Buchenwaldes gebildet haben. Daneben zeigen ſich auch Reſte einer Eiche, Walnuß, Pterocarya, My rica, Birke, Ulme, Zelcova, Styrax, Clethra, Liquidambar, Corylopsis, Philadelphus, Deutzia, Prunus, Waldrebe (Clematis) und je 2 Arten von Ahorn und Linde. Alle dieſe, meiſt ſicher beſtimmbaren Arten ſind nächſt verwandt mit ſolchen, welche jetzt in den Gebirgswäldern Japans und des nördlichen Amerikas vorkommen. Aber auch die übrigen dort gefundenen, aber wegen ihrer ſchlech⸗ teren Erhaltung nicht jo ſicher beſtimmbaren Reſte ver⸗ weiſen gleichfalls auf ein gemäßigtes Klima. Hieraus ſchließt nun Nathorſt, daß bei Abweſenheit aller tropi⸗ ſchen und ſubtropiſchen Elemente die Temperaturabnahme der pliocänen Periode und der Eiszeit, wenn auch in nicht ſo bedeutendem Grade, wie anderwärts, bis an das Südende von Japan ihren Einfluß erſtreckt hat. Als J. Mil ne!) über die Wahrſcheinlichkeit einer Eiszeit in Japan ſprach, vermochte er zwingende Gründe für ſeine Anſicht nicht anzuführen; Nathorſts Unterſuchungen würden hierfür einen wichtigen Stützpunkt bilden. Nathorſt aber folgert weiter, daß während der plio⸗ cänen Zeit, zu welcher die Ablagerung von Nangaſaki ge⸗ hören dürfte, tropiſche und ſubtropiſche Gewächſe nicht in Japan exiſtieren konnten, ſondern daß dieſelben diejenigen Typen ſein möchten, welche am ſpäteſten in Japan einge⸗ wandert find (im Gegenſatz zu der herrſchenden Anſicht). Und in der That ſcheinen geologiſche Verhältniſſe darauf hinzudeuten, daß ſich damals von Japan über die Lutſchu⸗ Inſeln ein Kontinent ſich bis gegen die Philippinen hin er⸗ ſtreckt habe, wo wohl die Elemente gelebt haben mögen, welche, ſpäter nach Japan einwandernd, ſich hier eine neue Heimat gründeten. Gt S O Olo gi e. Zur Naturgeſchichte des Dachſes finden ſich Bei⸗ träge in der Zeitſchrift für wiſſenſchaftliche Zoologie Bd. 36 1881 von G. Herbſt, Profeſſor in Göttigen: Schon 1873 hatte Herbſt die Mitteilung veröffentlicht, daß die Paarungszeit des Dachſes nicht, wie man bisher annahm, in den November oder gar Dezember fällt, — was mit den übrigen Lebensverhältniſſen des Dachſes auch nur ſchwer zu vereinbaren wäre, — ſondern vielmehr in den Juli, eine Beobachtung, die ſpäter auch von Schacht (Zool. Gart. 1877) und Fries (Zool. Anz. 96) gemacht wurde. Da die Wurfzeit Ende Februar bis Anfang März fällt, ſo mußte bei einem ſo kleinen Tier eine Ruheperiode des Eies, ähnlich wie beim Reh, angenommen werden und wirklich beobachtete Fries, daß die befruchteten Eier nur bis zur Vollendung des Furchungsprozeſſes ſich entwickeln, dann aber die weiteren Entwickelungsprozeſſe ſiſtieren, — wie lange, iſt unbekannt, jedenfalls aber mehrere Monate. Offenbar ſteht die Exiſtenz dieſer „Latenzeier“, wie Weiß⸗ mann die entſprechenden Gebilde bei den Daphnien ge⸗ nannt hat, mit den Lebensbedingungen der betreffenden Tiere im engſten Zuſammenhang, ähnlich wie bei den Fledermäuſen die Ueberwinterung des Samens innerhalb des weiblichen Organismus durch die erſt im Frühjahr erfolgende Ovulation, d. h. Loslöſung der reifen Eier vom Eierſtock und die um dieſe Jahreszeit vorhandene Abmage⸗ rung der Männchen bedingt iſt. Ende Oktober oder Anfang November iſt der Haar⸗ wechſel des Dachſes vollendet und nun beginnt die Leb⸗ haftigkeit und die Freßluſt, wie Herbſt zu beobachten Ge⸗ legenheit hatte, allmählich abzunehmen. Die Tiere werden träge, ſchläfrig, freſſen kaum die Hälfte des früheren Quan⸗ tums und meiden ſorgfältig alles Harte; mitunter wird auch tagelang gefaſtet, bis endlich gegen Mitte Februar allmählich die alte Lebhaftigkeit wiederkehrt. ) J. Milne, Evidence of the glacial period in Japan (Transact. Asiat. Soc. of Japan. Vol. IX. Part. I.) Bekannt ijt die Sage, der Dachs lebe während des Winters buchſtäblich von ſeinem Fette, indem er dasſelbe ſchlürfe. Der Dachs beſitzt nun allerdings unter dem Schwanz eine Hauttaſche von 2½ Zoll Durchmeſſer und 1 Zoll Tiefe, deren blutreiche Wände Mündungen von Drüſen zeigen, die eine graugelbe Subſtanz von ſalben⸗ artiger Konſiſtenz produzieren und in der That, Hevbjt beobachtete an zwei ganz jungen Dachſen, daß dieſelben nach dem Genuß von Milch mit wilder Begierde und Hef⸗ tigkeit den Inhalt der Taſche ausſchlürften und glaubt, der letztere trage zur Löſung und Verdauung der Milch⸗ ſtoffe bei. Da die jungen Tiere aber auch bei tagelangem Faſten das Sekret der Taſche ſchlürften und letzteres augenſcheinlich immer mit Vorliebe geſchieht, ſo meint Herbſt, dem Sekret nicht nur Gehalt an Nahrungsſtoffen, ſondern auch Wohlgeſchmack und heilſame Wirkung zu⸗ ſchreiben zu ſollen. Ausgewachſene Dachſe genießen das Sekret niemals, obwohl es während des Frühlings und des Sommers in beträchtlichen Mengen gebildet wird; dagegen ſind die Tiere eifrig beſchäftigt, dasſelbe durch Anpreſſung des Hinterkörpers an feſte Gegenſtände zu entfernen, woraus nach Herbſt zu ſchließen ſei, daß beim erwachſenen Dachs die Taſche zu einem Exkretionsorgan geworden iſt, dazu beſtimmt, überflüſſige oder ſchädliche Stoffe aus dem Organismus zu entfernen. Rb. Aeber den Farbenſtun der Bienen. (Journal of the Royal Microse. Soc. Ser. II. Vol. I. Part. 6 pag. 882.) 2 Um zu ſehen, ob und wie Bienen durch verſchiedene Farben affiziert werden, machte der berühmte engliſche Forſcher Sir John Lubbock intereſſante Verſuche. — Er beklebte kleine Glastäfelchen je mit einem Stückchen Papier von einer beſtimmten Farbe: blau, grün, orange, rot, weiß, gelb, und eines ließ er farblos, ſtellte ſie auf einen Grasplatz der Reihe nach auf und brachte auf jedes ein weiteres Glasplättchen mit einem Tropfen Honig, hatte aber ſchon früher eine Biene gewöhnt, an dieſen Platz zu kommen, um Honig zu holen. Die farbigen Gläſer und die Honiggläſer wurden, nachdem ſie von der Biene be⸗ ſucht waren, fortwährend ſucceſſive vertauſcht, damit allein die Farben als das Tier beſtimmende Faktoren übrig blieben. 5 Zuerſt flog die Biene auf das blaue Glas und als jie verjagt wurde, begab jie ſich auf das weiße und fo fort und zwar in der Reihenfolge grün, orange, gelb, farb⸗ los, rot. Dies wurde 100mal wiederholt, wobei zwei Bienen⸗ ſtöcke benützt wurden und außerdem wurden die Beobach⸗ tungen auf längere Zeit verteilt. Es ergab ſich u. a., daß das blaue Glas als eines von den drei erſten unter 100 Fällen 74mal beſucht wurde. Im Gegenſatz hierzu wurde das farbloſe Glas nur 25mal als eines der drei erſten gewählt. Demgemäß werden Bienen in der That durch Farben affiziert und ihre Lieblingsfarbe ſcheint blau zu ſein. Dieſes Reſultat iſt nicht ohne tiefergehende Bedeutung, da die Inſekten, zumal die Bienen bei der Befruchtung der Blüten eine hervorragende Rolle ſpielen. Rb. Der Zwiſchenwirt des Bothriocephalus latus (Grubenkopf), jenes Bandwurms, der vorzugsweiſe in Ruß⸗ land und in der Schweiz als Plage der Menſchen auftritt, iſt zwar immer noch nicht aufgefunden, aber es wurden neuer⸗ dings von Dr. M. Braun in Dorpat Beobachtungen mitgeteilt, die den Zwiſchenträger mit Hilfe deſſen alſo die Bandwurmbrut in den Menſchen gelangt, wenigſtens vermuten laſſen. (Vergl. Zool. Anz. Nr. 97 und 102). Braun fand nämlich zu allen Jahreszeiten in den meiſten Hechten aus dem Peſpusſee die Bandwurmköpfe von Bothriocephalen, von denen ſich allerdings nicht ſagen läßt, ob ſie zur Spezies latus gehören; und was beſon⸗ ders hervorzuheben iſt, ſie ſind nicht nur in der Leibes⸗ höhle und in deren Organen, ſondern auch in der ge⸗ ſamten Körpermuskulatur anzutreffen, wo ſie einge⸗ Humboldt. — April 1882. 151 kapſelt harren, bis ihr Träger vom definitiven Wirt ge- freſſen iſt, um hier ein neues Leben zu beginnen, ge— ſchlechtsreif zu werden und Eier zu produzieren. Es ijt nun von hohem Intereſſe, daß es Braun voll- ſtändig gelungen iſt, dieſe Köpfe an Hunde und Katzen unter den dabei üblichen Kautelen zu verfüttern und nach einigen Tagen im Darme der getöteten Tiere junge Bothriocephalen angeſaugt aufzufinden, deren Spezies aber wegen ihrer Jugend noch nicht hat ermittelt werden können. Die von dem berühmten Helminthologen Leuckart ſchon früher ausgeſprochene Vermutung, daß Fiſche die Zwiſchenwirte der Grubenköpfe ſeien, iſt alſo in der That wahrſcheinlicher geworden. Es ſpricht dafür u. a. auch noch der von Braun hervorgehobene Umſtand, daß weitaus die meiſten Tiere, die als Wirte von Bothriocephalen bekannt ſind, zu den leidenſchaftlichen Fiſcheſſern gehören. Immerhin aber bleibt noch die ſchwierige Frage zu löſen, ob auch für den im Menſchen lebenden Bothrioce- phalus latus der Zwiſchenwirt ein Fiſch iſt. Rb. Geographie. Erklärung der Entſtehung der Flugſandregionen in den Wüſten von Turan. Bekanntlich finden ſich in den zentralaſiatiſchen Wüſten, wie der Kara-Kum, Kiſil⸗ Kum u. a. gewiſſe Striche beweglichen Sandes, deren Ent- ſtehung in einer Abhandlung: „Die Wege aus dem ruſ— ſiſchen Turkeſtan nach Merw“, Globus, B. 39., 1881, in folgender Weiſe zu erklären verſucht wird: „Zwiſchen dem Aralſee, dem Serawſchan- und Amu⸗ fluſſe, der hervorragendſten Flugſandregion, weht jährlich ſechs Monate lang ein anhaltender, ziemlich heftiger Nord— weſtwind, der die Sandhügel von Nordoſt nach Südweſt fortbewegt, ſie am Unterlaufe des Amu anhäuft, den nord— öſtlichen Rand des Steppengebietes aber allmählich vom Flugſande befreit. Die Entſtehung dieſes Windes erklärt man ähnlich, wie bei den Paſſaten der Troppenländer da⸗ durch, daß die Erhitzung der weiten Sandflächen ſüdlich vom Amu dort einen ſtarken nach oben gehenden Lujt- ſtrom erzeugt, der ein Nachſtrömen kalter Luft aus den nordweſtlich von dieſen Wüſten liegenden Gebirgen zur Folge hat.“ „Erhärtet wird,“ ſagt der Verfaſſer weiter, „dieſe Anſicht dadurch, daß der Wind in denjenigen Stunden am ſtärkſten weht, in denen die Sonne am meiſten wirkt. Er erhebt ſich zwiſchen 9 und 10 Uhr morgens, erreicht feine größte Heftigkeit um 2 Uhr und läßt erſt nach Sonnen— untergang allmählich nach, um Mitternacht legt er ſich ganz und die Luft bleibt dann bis Sonnenaufgang an— genehm und kühl. Von 2 Uhr nachts bis 10 Uhr morgens iſt in der Region dieſer Winde die günſtigſte Zeit für Märſche.“ Vambéry u. a. hielten dieſe oben geſchilderten Winde für fiebererzeugend, Oberſt Majew dagegen, der ſie eingehend beobachtete, ſtellt dieſe Eigenſchaft vollkommen in Abrede. Nur da, wo ſie vorher über große Sumpf— ſtrecken dahinſtrichen, wie z. B. in Tardſchui, dem ſie die Ausdünſtungen des Serawſchanſumpfes zubringen, können ſie ſchädliche Einflüſſe auf die Geſundheit hervorbringen; in Buchara dagegen erzeugen ſie eine angenehme Ab kühlung ohne ſchädliche Einwirkung auf die Geſundheit. U. Kuldſcha. Am 19. Auguſt 1881 wurde zu St. Peters- burg der Vertrag vollzogen, nach welchem Kuldſcha, nach— dem es zehn Jahre, von 1871 bis 1881, in Händen der Ruſſen geweſen war, wieder an China übergeht. Nur ein ganz unbedeutender Teil der Jliprovinz verbleibt in ruſ— ſiſchem Beſitz. Die neue Grenze geht nach dem, dem „Journal de St. Petersbourg“ entnommenen und in „Dr. A. Petermanns Mitteilungen“ 1881, Heft 10 enthal— tenen Berichte, von der Stadt Bedzin-Tau aus, folgt dem Laufe des Khorgos bis zu deſſen Einmündung in den Sli, wendet ſich dann, dieſen Fluß kreuzend, ſüdwärts durch die Berge Mſun-Tau, in dem fie das Dorf Koldyger weſtlich läßt, folgt alsdann dem ſüdlichen Zweige dieſer Berge bis zum Tekes, den ſie überſchreitet, läuft an den rechten Nebenfluß desſelben, den kleinen Muſart, entlang, wendet ſich, auf dem Thianſchan angekommen, längs dem Kamm dieſes Gebirges gegen Weſten und folgt der natürlichen Grenze bis zum Suok-Paß. — Wer dieſe Grenzlinie auf der Karte verfolgt, wird finden, daß Rußland die ſtra— tegiſch wichtigen Punkte ſich zu ſichern wußte, denn es behielt das Thal des Tekes mit ſämtlichen über den Thianſchan führenden Gebirgspäſſen „aus ökonomiſchen und andern Gründen,“ wie es im Vortrage heißt. il era i ſche Nun dſch a u. J. Mühlberg, Die allgemeinen Exiſtenzbedingun⸗ gen der Organismen. Rede zur Eröffnung der Schweizeriſchen Naturforſchenden Geſellſchaft, gehalten am 8. Auguſt 1881 in Arau. Arau, Sauerländer. 1882. Preis 70 J. In klarer Form werden die allgemeinen Exiſtenzbedin— gungen der Organismen nicht nur auf unſrer Erde, ſondern auch auf den übrigen Himmelskörpern, insbe- ſondere auf den Planeten unſres Sonnenſyſtems mehr oder weniger eingehend erörtert, — freilich unter der Voraus— ſetzung, daß die allgemeinen Eigenſchaften der Körper überall die gleichen ſeien. Das Problem, auf abiogene— tiſchem Wege Leben zu erzeugen, ſei unlösbar, ſo lange das Protoplasma nicht vollſtändig erforſcht ſei, und alle derartigen Verſuche ſeien dem Beginnen eines Knaben zu vergleichen, der verſchiedene auffällige Beſtandteile einer Uhr zuſammenrüttelt, in der Hoffnung, ſo eine wirkliche Uhr zu erhalten. Beſonders eingehend und an einzelnen Beiſpielen ausführlicher werden die chemiſchen, phyſika— liſchen und aſtronomiſchen Bedingungen behandelt. Eine Humboldt 1882. Lebenskraft gebe es nicht; das, was man ſo nennt, ſei dem nur einſtweilen unbekannten x einer algebraiſchen Formel vergleichbar. In unſerm Planetenſyſtem ſei die Erde am geeignetſten, als Wohnplatz der Organismen zu dienen, während die übrigen Planeten, mit Ausnahme des Mars, weniger günſtig ausgeſtattet ſeien. Verf. ſagt aber am Schluß, daß auf andern Himmelskörpern, den modifizierten Verhältniſſen entſprechend, Organismen auf— treten würden, wenn einmal die Erde nicht mehr bewohn— bar ſei. Ob dies freilich ein Troſt für uns iſt, wie Verf. meint, ſcheint fraglich; mindeſtens müßte zuvor dargethan werden, daß Leben überhaupt etwas Tröſtliches hat, und insbeſondere dann, wenn wir gar nicht mehr exiſtieren — und dies dürfte ſchwer halten. Soviel Genuß Referent bei der Lektüre des thatſächlichen Teiles der Rede gehabt hat, ſowenig vermag er einzuſehen, „daß wir alle Grund haben, uns des Aufenthalts auf unſerm ſo wohl ausge— ſtatteten Himmelskörper dadurch würdig zu erweiſen, daß jeder fic) nach Kräften beſtrebt, das vielfältige Zuſammen— wirken von Stoffen, Formen und Bewegungen, welchen 20 152 er fein Leben verdankt, und ſeine Stellung in der Natur richtig zu erkennen.“ Letzteres thut man allerdings, aber aus andern Motiven. Frankfurt a. M. Dr. H. Reichenbach. Friedrich Kinkelin, Die Arbewohner Deutſchlands. Lindau und Leipzig, Ludwig. 1882. Preis 1 , 20 . In kurzen Zügen gibt uns das vorliegende Werkchen eine intereſſante Ueberſicht über alles, was bis jetzt über die Urbewohner Deutſchlands erforſcht iſt. Zunächſt ſchildert der Verf. den landſchaftlichen Hin⸗ tergrund dieſes Urmenſchen, die Natur, der er entwuchs, aus der er ſeine Exiſtenz und die Anregung zum innern Leben ſchöpfte. Dann folgt eine Aufzählung der einzelnen Funde von menſchlichen Werkzeugen und Menſchenxreſten der Urzeit, ſowie der gleichzeitigen Tiere. Auf Grund derſelben wird dann in einzelnen trefflichen Bildern das Leben des Steinmenſchen, des Urbewohners Deutſchlands, geſchildert. Hiernach beſaß derſelbe einen höheren Kultur⸗ grad, als der unſrer mindeſt begabten wilden Völkerſchaf⸗ ten iſt. Er verſtand es bereits, ſich verſchiedene Gerät⸗ ſchaften zu verfertigen: Meſſer und Lanzenſpitzen aus Feuerſtein, Dolche, Pfeilbolzen und Löffel aus Renn⸗ tiergeweih, Angelgeräte, Holznadeln, wahrſcheinlich zum Stricken der Netze, und noch manches andre, deſſen Zweck, uns nicht klar iſt. Auch das Feuer hatte er ſich dienſtbar gemacht. Die Kunſt, Gefäſſe aus plaſtiſchem Thon herzu⸗ ſtellen, kannte der Steinmenſch noch nicht. Dieſe Erfin⸗ dung machte er erſt auf deutſchem Boden. Schließlich wendet der Verf, ſich zur Beantwortung der Frage: woher die älteſten Bewohner Deutſchlands ſtammen. Da ſie ſchon eine gewiſſe Kulturſtufe erreicht haben, ſo muß das Menſchengeſchlecht ſchon eine geraume Zeit vorher exiſtiert haben. Wir würden alſo die Vor⸗ fahren zunächſt in der früheren Tertiärzeit ſuchen müſſen. Aber von einem Tertiärmenſchen findet man in Deutſch⸗ land keine Spur. Es bleibt alſo nur übrig, eine Ein⸗ wanderung anzunehmen. Dieſe könnte nach dem Verf. von Oſten oder Südweſten erfolgt ſein. Der letzteren Richtung ſprechen die ſpaniſchen Höhlenfunde nicht das Wort; denn Tiere, welche in Deutſchland erſt nach dem Ausſterben der Diluvial⸗Säuger auftreten, begleiten hier die Reſte und Spuren des Höhlenmenſchen. Der Verf, ſucht dagegen nachzuweiſen, daß die Urbewohner Deutſch⸗ lands aus Oſten oder Südoſten gekommen ſind. Referent erlaubt ſich ſchließlich noch auf die Aus⸗ grabungen des Herrn Amtsrat Struckmann hinzuweiſen, welche, weil noch nicht veröffentlicht, dem Verf. nicht be⸗ kannt waren. Dieſelben betreffen die am ſüdlichen Rande des Harzes zwiſchen den Städten Herzberg und Lauter- berg liegende Einhornhöhle. Die unteren Schichten enthalten Knochen des Höhlen⸗ tigers, zahlreiche Reſte des Wolfes, der Fiſchotter, des Dachſes und eine außerordentliche Menge von Höhlen⸗ bärenknochen. Die Knochen ſind ſämtlich zerſchlagen und zerklopft. Dies ſowie einige rohe Topfſcherben bezeugen die damalige Gegenwart des Menſchen. Wie aus der Abrollung eines Teiles der Knochen hervorgeht, muß dieſe erſte Anſiedelung ſtattgefunden haben, ehe noch der Harz von Gletſchern bedeckt war; alſo vor der Eiszeit. Eine zweite Kulturſchicht zeigt die oben erwähnten Tierknochen. Dazu kommen noch Reſte des Wildſchweins, des Hirſches und Rehes; ein Beweis, daß ſie entſtanden iſt, als der Harz bewaldet war, alſo nach der Eiszeit. Die primi⸗ tiven Topfſcherben treten hier häufiger auf. Die Röh⸗ renknochen ſind hier ebenfalls ſämtlich aufgeſchlagen. Auch in dieſer Periode waren die Bewohner ein auf niederer Stufe ſtehendes Jägervolk. Es folgt eine dritte Kultur⸗ ſchicht. Mit der Fauna iſt eine bedeutende Veränderung vor fic) gegangen und der Menſch hat bedeutende Fort⸗ ſchritte in der Entwickelung gemacht. Statt der Reſte des Höhlenbären finden ſich hier die Knochen des braunen Bären, neben den Jagdtieren zahlreiche Reſte von Haus⸗ Humboldt. — April 1882. tieren, Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, ſowie Hunde. Die Knochen ſind hier ebenfalls aufgeſchlagen und zeigen Spuren künſtlicher Bearbeitung. Auch menſchliche Knochen finden ſich. Topfſcherben zeigten ſich in ſehr großer Menge. Dieſelben ſind noch ſehr roh, ungebrannt und die Verzie⸗ rungen ſehr primitiver Natur, indem ſie mit der Finger⸗ ſpitze oder den Nägeln eingedrückt ſind. Viele ſind vom Feuer geſchwärzt, alſo als Kochgeſchirr benutzt. Daneben finden ſich verſchiedene Geräte und Schmuckſachen, nament⸗ lich zwei rohe Steinhammer, ein durchbohrter Steinham⸗ mer, ein feingeſchliffener Steinkeil, ein Schleifſtein, ein Schaber von Feuerſtein, Perlen von rotem Thon, Knochen und Bernſtein u. ſ. w. Die meiſten Reſte weiſen auf die jog. frühere Steinzeit hin, jedoch laſſen einzelne Metall⸗ gegenſtände darauf ſchließen, daß die Einhornhöhle noch in me erſten Jahrhunderten unſrer Zeitrechnung bewohnt wurde. Einen ausführlicheren Bericht wird Herr Amtsrat Struckmann in einem der nächſten Hefte des Archivs für Anthropologie veröffentlichen. Hannover. Prof. Dr. W. Heß. Theodor Stein, Die paraſttären Krankheiten des Menſchen. Bd. I. Entwicklungsgeſchichte und Paraſitismus der menſchlichen Ceſtoden. Lahr 1882. Preis 18 J Seit Küchenmeiſters bahnbrechenden Entdeckungen über die Paraſiten des Menſchen haben zahlreiche Forſcher auf dieſem Gebiete weiter gearbeitet, und die letzten 25 Jahre weiſen eine ſehr bedeutende Litteratur auf, welche alles weit hinter ſich läßt, was bis dahin über die Paraſiten erforſcht war. Dennoch bleibt noch genug zu thun; denn die Erforſchung der Lebensgeſchichte dieſer Tiere iſt bei der oft ſehr komplizierten Entwickelungsweiſe ſehr ſchwierig und ihre Zahl iſt nicht gering. Der Menſch beherbergt weit mehr Paraſiten als irgend ein Tier. Es finden ſich in ſeinem Körper, abgeſehen von den Paraſiten, welche nur gelegentlich in ihm vorkommen, 6 Protozoen oder Urtierchen, 40 Würmer, darunter 13 Bandwürmer im vollkommenen Zuſtande oder als Finnen, und 25 Glie⸗ dertiere. Wie häufig dieſelben vorkommen, geht aus fol⸗ genden Angaben hervor: Prof. Zenker fand in Dresden von 1939 Perſonen 283 mit Paraſiten behaftet; in Er⸗ langen hatten von 1755 Perſonen 635 Paraſiten; Prof. Zeller beobachtete, daß in Kiel von 890 Perſonen ſogar 445, alſo 50 Prozent, Paraſiten aufwieſen. In Hannover leiden etwas über 2 Proz., in Dorpat 6 Proz., in Pe⸗ tersburg 15 Proz. und in Genf 25 Proz. der Einwohner an Bandwürmern. Grade dieſe letzten Paraſiten gehören zu den gefährlichſten, weil ſie nicht nur den Körper ihres Wirtes durch Entziehen der Nahrungsſtoffe ſchwächen, ſondern auch durch gelegentliche Selbſtinfektion im Finnen⸗ zuſtande in Gehirn, Rückenmark u. ſ. w. eindringen und Krankheiten des Nervenſyſtems, namentlich Geiſtesſtörun⸗ gen, hervorrufen können. Wir nehmen daher jeden Beitrag zur genaueren Kennt⸗ nis dieſer gefährlichen Feinde mit Dank auf, namentlich wenn er in ſo beſtechender Ausführung auftritt, wie in dem vorliegenden Werke. Ein beſonderes Gewicht hat der Verf. auf die Abbildungen gelegt, welche die nur wenigen zur Verfügung ſtehenden Dauerpräparate erſetzen ſollen. Außer einer Anzahl von in den Text gedruckten Holz⸗ ſchnitten finden wir einen Atlas von 14 phototypiſchen Tafeln, welche 115 nach der Natur photographierte Band⸗ würmer in allen Entwickelungsſtadien enthält, von denen einige höchſt ſeltene Unika ſind und zum erſtenmal natur⸗ getreu wiedergegeben werden. Der Text gibt eine klare, überſichtliche Darſtellung der Organiſation und Entwickelung der Bandwürmer mit Benutzung der neueſten Forſchungen. Ganz beſonders hat der Verf. die Therapie der Bandwurmkrankheiten berück- ſichtigt, da gerade auf dieſem Gebiete der Heilkunde, wie er ſagt, noch die veraltetſten Ideen herrſchen und die Un⸗ ſicherheit in der Behandlung der Bandwurmkrankheiten es Humboldt. — April 1882. 153 vornehmlich verſchuldet, daß die Kurpfuſcher gerade auf dieſem Gebiete einen ſo bedeutenden Einfluß ſich errungen haben. Die noch vielfach gebräuchlichen Vorturen, beſtehend in Darreichung körnerreicher Früchte, Sardellen und Hä— ring und ſtarker Abführungsmittel, verwirft der Verf. völlig. Ebenſo weiſt er nach, daß von den eigentlichen Bandwurmmitteln: Granatwurzelrinde, Kuſſo, Camala, Terpentinöl, Kürbiskerne, Kali picronitricum, teils un⸗ wirkſam, teils nachteilig und gefährlich ſeien. Er empfiehlt dagegen Extractum filicis maris aethereum in Gelatin- kapſeln eingeſchloſſen und gibt eine genaue Gebraud)s- anweiſung. Mit dieſem einfachen Mittel hat der Verf. in keinem einzigen Falle einen Mißerfolg gehabt; immer ging der Bandwurm meiſt zu einem Knäuel zuſammengeballt auf einmal mit dem Kopfe ab. Wenn dies Mittel zu— weilen nicht wirkt, ſo kommt dies daher, daß entweder nicht ausgebildete Wurzelſtöcke von Filix mas oder aber die Wurzelſtöcke von Filix femina, welche an der ſchwar⸗ zen Farbe leicht erkenntlich ſind, zum Extrakt benutzt wurden. Schließlich erlaubt ſich Referent hier noch in Bezug auf die Entwickelungsgeſchichte von Bothriocephalus latus eine neue Beobachtung anzuführen. Stein ſagt in obi— gem Werke: „Es iſt die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß ein finnenartiger Zwiſchenzuſtand auch bei dieſem Bandwurme und zwar in Fiſchen vorkommen mag.“ Dr. Braun in Dorpat (j. Zool. Anzeiger Nr. 97) hat nun in der Leibeshöhle, ſowie in der Körpermuskulatur der Hechte unentwickelte Bothriocephalen in ſehr dünn⸗ wandigen Cyſten in großer Zahl aufgefunden. Dieſelben wurden zunächſt an ganz junge Hunde, welche nur mit gekochter Milch genährt wurden, und als das Reſultat zweifelhaft war, an Hunde und Katzen, welchen die Cin- geweidewürmer abgetrieben waren, verfüttert. Als die Verſuchstiere einige Tage nach der Infektion getötet wur— den, zeigte es ſich, daß die Bothriocephalen ſich an den Darmzotten feſtgeſogen hatten. Es geht daraus hervor, daß die Bothriocephalen des Hechtes in warmblütigen Tieren günſtige Bedingungen zum Leben finden. Ob ſie zu Bothriocephalus latus gehören, bleibt allerdings noch zweifelhaft, da fie zu unentwickelt waren, um fie zu be- ſtimmen. Indeſſen iſt dies nicht unwahrſcheinlich und werden weitere Verſuche darüber Aufſchluß geben. Hannover. Prof. Dr. W. Heß. Die geſamten Naturwiſſenſchaften. Für das Ver⸗ ſtändnis weiterer Kreiſe und auf wiſſenſchaft— licher Grundlage bearbeitet von Dippel, Gott⸗ lieb, Gurlt, Klein, Mädler, Mafius, Moll, Nauck, Nöggerath, Ovezier, Quenſtedt, Reklam, Reis, Romberg, Zech. Eſſen, G. D. Bädeker. 3 große Bände. 3. Aufl. 1877. Preis 45 M geh., 51 M geb. Dieſes große, die geſamte Naturwiſſenſchaft um- faſſende und von hervorragenden Fachmännern verfaßte Werk füllt eine bedeutſame Lücke in der populärwiſſen⸗ schaftlichen Litteratur in vorzüglicher Weiſe aus. In leicht— verſtändlicher Sprache geſchrieben und auf dem neueſten Standpunkt fußend, behandelt es im erſten Bande auf 923 Seiten die Mechanik (von Zech), die Phyſik und Meteorologie (von Koppe und in dritter Auflage von Reis), die Dampfmaſchine (von Moll) und die elek⸗ triſche Telegraphic, Galvanoplaſtik und Photo— graphie (von Nauck). Der zweite Band, 806 Seiten, enthält die Chemie und chemiſche Technologie (von Gottlieb), Phyſio— logie (von Reklam) und Zoologie (von Maſius). Der dritte Band, 1088 Seiten, enthält die Botanik (von Dippel), die Mineralogie (von Quenſtedt), die Geognoſie und Geologie (von Nöggerath), Berg— bau- und Hüttenkunde (von Gurlt), das Meer (von | Romberg) und die Aſtronom ie (von Mädler, in dritter Auflage von Klein). Wenn ein ſo umfangreiches Jerk in kurzer Zeit drei ſtarke Auflagen erlebt hat, ſo zeigt ſich dies ſchon hin— länglich, daß es den Freunden der Naturwiſſenſchaft eine hochwillkommene Gabe war. Die Trefflichkeit der Bear- beiter der einzelnen Abteilungen bürgt ohnehin ſchon für die Gediegenheit des Inhalts, hinter welchem die Dar— ſtellung, was Klarheit und Gefälligkeit betrifft, nicht zu⸗ rückbleibt. Außerdem hat aber auch die Verlagshandlung durch würdige Ausſtattung, namentlich durch zahlreiche, ſehr hübſche Illuſtrationen das Ihrige gethan, um das Buch zu einer Zierde des Bücherſchranks zu machen. Wir können deshalb dieſes umfangreiche Werk jedem Freunde der Naturwiſſenſchaft auf das beſte empfehlen. Frankfurt a/ M. Dr. Krebs. Julius Quaglio, Die erratiſchen Blöcke und die Eiszeit nach Vrofeſſor Otto Torell’s Theorie. Wiesbaden, Bergmann. 1882. Preis 1% 80 Die Vorſtellungen, auf welche Weiſe die ſog. Find— linge oder erratiſchen Blöcke mit Kieſen, Sanden und Lehm dahin transportiert worden ſind, wo ſie ſich heute im Norden Europas und Amerikas finden, haben in den letzten Jahren eine gewaltige Wandlung erfahren. Wenn ſich nun der Stand unſres Wiſſens und die Auffaſſung, die wir über die Geſchichte von eminenten Erſcheinungen in der Natur hegen, ſehr verändert haben, iſt es gewiß eine wohlmotivierte und verdienſtliche Arbeit, die Fährten dieſer Wandlung durch eine hiſtoriſche Rückſchau für die— jenigen, welche an der jüngſten Geſchichte unſrer Erdober— fläche Intereſſe haben, vorzuführen, und beſonders die Arbeiten mehr in den Vordergrund zu ſtellen, die vor allem die Umgeſtaltung unſrer Ideen über den Hergang des diluvialen Phänomens hervorriefen. Neben der jahre— langen Arbeit Torells ſind es auch umſichtige Beobach— tungen Berendts, Jentzſchs, H. Credners, Hellands, Alb. Pe⸗ neks, beſonders auch J. Geikies und andrer, welche die ſo vielfach geprüfte Theorie Torells, daß nicht Eisberge und Treibeis, wie dies Lyell in ſeiner Driftteory geltend machte, es waren, welche uns die nordiſchen Geſchiebe zutrugen, ſondern die Bewegung eines rieſig ausgedehnten Inlandseiſes, das, von den ſkandinaviſchen Höhen aus— gehend, ſich bis ins mittlere Rußland, bis an die deutſchen Mittelgebirge erſtreckt, die damals wohl ſehr flache Oſtſee rc. erfüllte, ſogar die Oſtſeite Englands erreichte und dort ſeine Schuttwälle oder Moränen ablagerte, deren Be— ſtandteile oft mit Evidenz nach ihrer Heimat weiſen und ſowohl deren Verbreitung, als auch durch die Richtung der Streifen und Schrammen auf anſtehendem Geſtein den Weg ihres Transportes bezeichnen — auch als diejenige konſtatierten, welche die Diluvialerſcheinungen Norddeutſch— lands befriedigend und ungezwungen erklärt. Im Speziellen beſchreibt der Verfaſſer ſowohl das ſkandinaviſch-germaniſche Glacialgebiet, als auch das Nord— amerikas, deſſen Eismaſſen nach Torell gemäß des Charak— ters der Blöcke, wie der Richtung der Schrammen, Grön— land entſtammen. Außer den durch Gletſcher bewirkten Schliffen, Kritzen und Furchen ſind die ſeltſamen durch den außerordentlich großen Druck in Bewegung befind— licher gewaltiger Eisſtröme bewirkten Schichtenſtörungen, Stauchungen und Faltungen, Zuſammenſchiebungen ꝛc. im Untergrunde — durch die Erſcheinungen bei Velpke in Braunſchweig und durch ſolche in Wisconſin in Nord— amerika erläutert. Am Schluſſe iſt Torells Gliederung der diluvialen Schichten in Skandinavien und Großbritanien gegeben. Die Mitteilungen einer ſolchen vergleichenden Gliederung des deutſchen Diluviums hätte hier gewiß in erſter Linie intereſſiert. — Der lehrreichen und reichhaltigen Broſchüre iſt zur Erläuterung noch eine Karte der nördlichen Gis- flut und der glacialen Furchen in Europa und Nordamerika beigegeben. Frankfurt a. M. Dr. F. Rinkelin. 1. Beilage⸗Bd. 3. Aufl. (In M. 2. 154 Humboldt. — April 1882. 250 Jahrbuch, neues, für Mineralogie, Geologie und Paläontologie. Herausg. 5 9 15 5 Benecke, 15 uetherberſche erg an 5 8 3. Heft. Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagsbuchh. 55 B 1 b I 10 8 ra Y h Te. Lepſius, G. R. Halitherium Schinzi, die foſſile Sirene des Mainzer A Beckens. 8. A. ee 0h der ON ra 1119 8 Quenſtedt, F. A. Handhu er Petrefaktenkunde. Bericht vom Monat Februar 1882. ca. 25 Liefgn.) 1. lefg. Tübingen, Lauppſche Buchh. Venator, E. Ueber das Vorkommen und die Gewinnung von Stron⸗ tianit in Weſtfalen. Leipzig, Felir. M. 1. Zeitſchrift für Kryſtallographie und Mineralogie. Herausg. von P. Groth. Allgemeines. Viographien. 6. Bd. 3. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 4. 50. Friede, B. Kosmiſcher Führer. Wichtige Momente aus den Gebieten Botanik. der Aſtronomie, Erdkunde und Völkergeſchichte. Leipzig, Beck & Schir⸗ mer. M. 2. 40, gebd. baar M. 3. Hähn, E. Illuſtrirte Naturgeſchichte für die Volksſchule. Mannheim, Bensheimers Verlag. M. — 60, gebd. M. — 75. Handatlas, großer, der Naturgeſchichte aller drei Reiche. Herausgeg. von G. v. Hayek. 1. Liefg. Wien, Perles. M. 2. Jahrbücher des Naſſauiſchen Vereins für Naturkunde. Jahrg. 33 und 34. Wiesbaden, Niedner. M. 6. Naturhiſtoriker, der. Illuſtrirte Monatsſchrift für die Schule und das Haus. Herausgeg. von Dr. Friedrich Knauer. IV. Jahrg. 1. u. 2. Heft. Wien, III. Saleſianergaſſe 20. Im Selbſtverlag, pro compl. 10 N. 10. Ploß, H. Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. 2. Aufl. 3 Halbbd. Berlin, Auerbach. M. 3. : Sitzungsanzeiger dev kaiſerl. Akademie der Wiſſenſchaften. Weathemat.- naturwiſſenſchaftl. Claſſe. Jahrg. 1882. (Ca. 30 Nummern.) Nr. 1—g. In Comm. Wien, C. Gerold's Sohn. pro compl. M. 3. Sitzungsberichte der Geſellſchaft naturforſchender Freunde zu Berlin. Jahrg. 1882. Nr. 1. Berlin, Friedländer & Sohn. pro compl. M. 4. Weismann, A. Ueber die Dauer des Lebens. Vortrag. Jena, Fiſcher. M. 1. 50. Chemie. Birnbaum, K. Leitfaden der chemiſchen Analyſe. Für Anfänger, 4. Aufl. Leipzig, Quandt & Händel. M. 1. 60. Handbuch der chemiſchen Technologie. Herausgeg. von P. A. Bolley. Nach dem Tode des Heraueg. fortgeſezt von K. Birnbaum. 7. Bo. Die Metallurgie. 6. Liefg. Specſeller Theil der Metallgewinnung. Blei. Silber. Von C. Stölzel. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 5. Monatshefte für Chemie und verwandte Theile anderer Wiſſenſchaften. 3. Bd. 1882. 1. Heft. Wien, Gerold's Sohn. pro compl. M. 10. Roscoe, H. E. u. C. Schorlemmer. Ausführliches Lehrbuch der Chemie. 3. Bd. Die Kohlenwaſſerſtoffe und ihre Derivate oder: Organiſche Chemie. 1. Abth. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 12. DHvyik, BWhuyfikalifhe Geographie, Meteorologie. Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie. 10. Jahrg. 1882. 1. Heft. Berlin, Mittler & Sohn. Halbjährl. M. 1. 50. Chavanne, J. Phyſikaliſche Wandkarte von Afrika. 1: 8,000,000. 2. Aufl. 4 Blatt. Chromolith. Fol. Nebſt Text. Wien, Hölzel's Verlag. M. 12, auf Leinw. in Mappe M. 16, mit Stäben M. 18. Fortſchriite, die, der Phyſik im Jahre 1877. 33. Jahrg. Red. von B. Schwalbe. 2. Abth., enthaltend Optik, Wärmelehre, Elektricitäts⸗ lehre. Berlin, G. Reimer. M. 10. 50. Guichard, E. Die Harmonie der Farben. Deutſche Ausgabe mit Text von G. Krebs. 15.16. Liefg. Frankfurt a. M., Rommel. à M. . Häuſelmann, J. Populäre Farbenlehre für den Gebrauch in Mittel⸗ ſchulen. Zürich, Orell, Füßli & Co. M. 4. Moldenhauer, E. F. Th. Das Weltall und ſeine Entwickelung. 6. Liefg. Köln, Mayer. M. — 80. Schenzl. Beiträge zur Kenntniß der erdmagnetiſchen Verhältniſſe in den Ländern der ungariſchen Krone. Budapeſt, Kilian's Univerſ.⸗Buchhandl. 24. Sitzungsberichte der phyſikaliſch⸗medieiniſchen Societät zu Erlangen. 13. Heft. Nov. 1880 bis Auguſt 1881. Erlangen, Beſold. M. 2. Sitzungsberichte der mathematiſch⸗phyſikaliſchen Claſſe der k. b. Akademie der Wiſſenſchaften zu München. 1882. 1. Heft. München, Franzſche Buchhandl. M. 1. 20. Suchsland, E. Das Zodiakallicht, eine Folge des Baues unſeres Planeten⸗ ſyſtems. Stolp, Schrader. M. — 50. Tillo, A. v. Ueber die geographiſche Vertheilung und ſäculare Aende⸗ rung der Declination und Snclination im europäiſchen Rußland. (St. Petersburg.) Leipzig, Voß' Sort. M. 6. Zeitſchrift der öſterr. Geſellſchaft für Meteorologie. Red. von J. Hann. 18. Bd. 1882. Nr. 1. Wien, Braumiiller. pro compl. M. 12. Astronomie. Sternfreund, G. Aſtronomiſcher Führer pro 1882. Mit einer Karte des nördl. Sternhimmels. München, Literar. artiſtiſche Anſtalt. M. 2. 40. Karte apart M. — 80. Mineralogie, Geologie, Geognoſte, Paläontologie. Cohen, E. Sammlung von Mikrophotographien zur Veranſchaulichung der mikroskopiſchen Struetur von Mineralien und Geſteinen. 5. Liefg. Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagsbuchh. In Mappe M. 16. Hörnes, R., und M. Auinger. Die Gaſteropoden der Meeres⸗Ablage⸗ rungen der 1. und 2. miocänen Mediterran⸗Stufe in der öſterreichiſch⸗ ungariſchen Monarchie. 3. Liefg. Wien, Hölder. M. 10. 80. Engler, A. Verſuch einer Entwicklung der Pflanzenwelt, insbeſondere der Florengebiete ſeit der Tertiärperiode. 2. Theil. Die extra⸗ tropiſchen Gebiete der ſüdlichen Hemiſphäre und die tropiſchen Gebiete. Leipzig, Engelmann. M. 11. Gartenflora. Allgemeine Monatsſchrift für deutſche, ruſſiſche und ſchweizer. Garten⸗ und Blumenkunde. Herausg. und redig. von E. Regel. Jahrg. 1882 (12 Hefte). 1. Heft. Stuttgart, Enke. pro compl. M. 18. Hartinger, A. Atlas der Alpenflora. Herausg. vom deutſchen und öſterreich. Alpenverein. Nach der Natur gemalt. Mit Text von K. W. v. Dalla Torre. 7. Liefg. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 2. Jahrbücher, botaniſche, für Syſtematik, Pflanzengeſchichte und Pflanzen⸗ geographie. Herausg. von A. Engler. 2. Bd. 5. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 4. P Karſten, H. Deutſche Flora. Pharmaceutiſch⸗medieiniſche Botanik 6. Liefg. Berlin, Späth. M. 1. 50. Schlechtendal, D. F. L. v., L. E. Langenthal und E. Schenk. Flora von Deutſchland. 5. Aufl. Herausg. von E. Hallier. 54. Liefg. Gera, Köhler's Verlag. M. 1. Schmidt, A. Atlas der Dioctomaceen-Kunde. 19. u. 20. Heft. Braun⸗ ſchweig, Schlegel. a M. 6. Verhandlungen des botaniſchen Vereins der Provinz Brandenburg. 23. Jahrg. 1881. Mit den Sitzungsberichten aus dem Jahre 1881. Red. und herausg. von P. Aſcherſon, E. Köhne, F. Kurz. Berlin, Gärtner's Verlag. M. 6. Wagner's, H., illuſtrirte deutſche Flora. 2. Aufl. Bearb. und verm. von A. Garcke. 14. Liefg. Stuttgart, Thienemann's Verlag. M. — 75. Willkomm, M. Führer in's Reich der Pflanzen Deutſchlands, Oeſter⸗ reichs und der Schweiz. 2. Aufl. 8. Liefg. Leipzig, Mendelsſohn. M. 1. 25. Phyſtologie, Entwickelungsgeſchichle, Anthropologie, Zoologie. Archiv für Anthropologie. Zeitſchrift für Naturgeſchichte und Urgeſchichte des Menſchen. Herausg. v. A. Ecker, C. Lindenſchmidt 2c. 13. Bd. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 26. Brehm's Thierleben. Chromo⸗Ausg. Vögel. Bibliograph. Inſtitut. a M. 1. Dunker, G. Index molluscorum maris Japonici conscriptus et tabulis iconum 16 illustratus. Caſſel, Fiſcher. M. 80. Haller, G. Die Hydrachniden der Schweiz. Bern, Huber & Co. M. 2. Haſſe, C. Das natürliche Syſtem der Elasmobranchier auf Grundlage des Baues und der Entwicklung ihrer Wirbelſäule. Beſonderer Theil. 1. Liefg. Jena, Fiſcher. M. 20. Martin, Ph. L. Illuſtrirte Naturgeſchichte der Thiere. 30./31. Heft. Leipzig, Brockhaus. a M. — 30. Mittheilungen des Ornithologiſchen Vereines in Wien. Red. von A. v. Pelzeln. 6. Jahrg. 1882. (12 Nummern.) Nr. 1. Wien, Frick. pro compl. M. 6. Müller, A. und K. Thiere der Heimath. Deutſchlands Säugethiere und Vögel. Mit Illuſtr. 3.—5. Liefg. Caſſel, Fiſcher. a M. 1. Nachrichten, entomologiſche. Herausg. v. F. Katter. 8. Jahrg. 1882. 1. Heft. Stettin, Katter. pro compl. M. 7. Reichenau, A. Vogelbilder aus fernen Zonen. 1. Theil. Papageien. 9. Liefg. Aquarelle von G. Mützel. Caſſel, Fiſcher. M. 5. Ein⸗ zelne Tafel à M. 2. Prachtausgabe M. 8. Einzelne Tafel aM. 3. Rößler, A. Die Schuppenflügler (Lepidopteren) des kgl. Reg.-Bez. Wiesbaden und ihre Entwicklungsgeſchichte. Wiesbaden, Niedner. M. 5. Zeitſchrift, Berliner entomologiſche. Herausg. von dem entomolog. Verein in Berlin. Red. von H. Dewitz. 25. Bd. 1881. (2. Heft.) Berlin, Nicolaiſche Verlagsbuchh. M. 8. Geographie, Ethnographie, Beifewerke. Daniel, H. A. Handbuch der Geographie. 5. Aufl. 31. und 32. Liefg. Leipzig, Fues Verlag. a M. 1 Daniel, H. A. 9 15. Liefg. Leipzig, Fues“ Verlag. a M. — 60. Dilthey, R. Die deutſchen Anſiedelungen in Südbraſilien, Uruguay und Argentinien. Reiſebeobachtungen aus den Jahren 1880 und 1881. Berlin, Allg. Verlags-⸗Agentur. M. 1. Du Chaillu, P. B. Im Lande der Mitternachtsſonne. Sommers und Winterreiſen durch Norwegen und Schweden, Lappland und Nord⸗ Finnland. Frei überſ. von A. Helms. 7/8. Liefg. Leipzig, Hirt & Sohn. a M. 1. Klöden, G. A. v. Handbuch der Erdkunde. 4. Aufl. 4. Bd. 4. Liefg. Berlin, Weidmannſche Buchh. M. 1. Nordenſkjöld, A. E. Frhr. v. Die Umſeglung Aſiens und Europas auf der Vega. 18781880. 18.19. Liefg. Leipzig, Brockhaus. a M. 1. Oberländer, R. Fremde Völker. Ethnographiſche Schilderungen aus 555 1515 und neuen Welt. 7. u. 8. Liefg. Leipzig, Klinkhardt. M ale 30. 19.21. Heft. Leipzig, Illuſtrirtes kleineres Handbuch der Geographie. 14. u. Humboldt. — April 1882. 155 Witterungsüberſicht für Sentraleuropa. Monat Jebruar 1882. Der Verlauf der Witterungserſcheinungen im Februar 1882 läßt ſich in zwei voneinander verſchiedene Epochen zerlegen, von denen die eine, vom 1. bis zum 13., durch ruhiges, ſtark nebliges, ſonſt trockenes, im Binnenlande kaltes, die andere, den übrigen Teil des Monats um- faſſende, durch warmes, veränderliches Wetter mit meiſt geringen Niederſchlägen und ſtarker, nicht ſelten ſtür— miſcher Luftbewegung charakteriſiert ſind. 1—13. Februar. Während zahlreiche Depreſſionen das nordweſtliche und nördliche Europa durchzogen, ſtan— den die Witterungsverhältniſſe Zentraleuropas unter dem Einfluſſe hohen Luftdrucks, deſſen zentraler Teil bald nach dem Nordſee⸗ gebiete, bald nach Südoſteuropa ver⸗ ſchoben wurde. Da⸗ 2 her war die Luft- W7 7s bewegung andau— 2 ernd ſchwach, über Nordzentraleuropa ſüdlich bis weſtlich, im Süden variabler Richtung. Nur am Anfange und am i f 2 2 Schluſſe dieſer GY 2 LS Epoche war das TG Yj Wetter heiter, im Binnenlande viel- fach wolkenlos, in Mepis « Lultdruck . der übrigen Zeit ſtark neblig, jedoch ohne weſentliche Niederſchläge. Charakteriſtiſch war die Temperaturver- teilung, indem die Iſothermen im allgemeinen parallel den Küſtenlinien verliefen, wodurch Kontinental- und See⸗ klima in ziemlich ſcharfen Kontraſt traten. Die beiden nebenſtehenden Kärtchen illuſtrieren die Druck- und Wärme⸗ verteilung am 4. Februar und ſind ohne weiteres ver— ſtändlich. Unſre Küſte blieb meiſtens froſtfrei, trat daſelbſt leichter und vorübergehender Froſt ein, indem die weſtlichen Winde die Zufuhr warmer Luft⸗ maſſen unterhielten oder erneuerten. Dagegen im Binnen- lande, insbeſondere im Süden herrſchte andauernd ziem— lid) ſtrenge Kälte, deren Minimum zeitweiſe über Zentral⸗ frankreich, zeitweiſe über Süddeutſchland und zeitweiſe über Oeſterreich lag. Am 3. und 4. erreichte das Tempe⸗ ratürminimum in München beziehungsweiſe — 15 und 14°. 14—28. Februar. Schon ſeit einigen Tagen vor Anfang dieſer Epoche hatte ſich im Weſten ein Wetter- umſchlag vorbereitet: Beim Herannahen einer tiefen De— preſſion vom Ozean her war am 10. und 11. das Barometer im Weſten ſtark gefallen, während der hohe Luftdruck nur ſelten , * Küſte lag, ihren Einfluß auf ganz Nord- und Mitteleuropa ausbreitend und friſche bis ſteife ſüdweſtliche Winde über Zentraleuropa bis zum Fuße der Alpen hervor— rufend; weſtoſtwärts fortſchreitend erhob ſich bei trü— bem, regneriſchem Wetter raſch die Temperatur, ſo daß am 15. ganz Deutſchland froſtfrei und ein Wärmeüberſchuß bis zu 9 Grad vorhanden war. Bemerkenswert iſt die öftere Wiederholung desſelben Witterungsvorganges in dieſer Epoche: das Erſcheinen der Minima im Weſten oder Nordweſten der britiſchen Inſeln, ihr Zug nordoſtwärts nach Nordnorwegen und dann ihr Umbiegen ſüdoſtwärts nach dem Innern Rußlands, durch welche Vorgänge oſt— wärts fortſchreitend zuerſt ſüdweſtliche rechtsdrehende Winde mit Trübung und Erwärmung, dann nordweſtliche zurück— drehende Winde mit Abkühlung und meiſt aufklärendem Wetter bedingt wurden. So war die Temperatur beſtän⸗ digen und beträcht— lichen Schwankun⸗ gen unterworfen, j jedoch lag dieſelbe, D ZAC weil die Minima ., raſch aufeinander . folgen, meiſt über dem normalen Wer= te und dem Gefrier— punkte. Die ſtärkſte Erwärmung erfolg- te am 14., 15. und am 26., an welchen Tagen die warme ozeaniſche Luft, in ſtarkem, ſtellenweiſe ſtürmiſchem Stro— me, unſern Kontinent überflutete. Während dieſer Epoche waren die Winde nicht ſelten ſtürmiſch, insbeſondere in der langſam ſüdoſtwärts nach dem Schwarzen Meere hin zurück wich. Aber erſt am 14. erfolgte der Witterungsumſchlag, als die eben erwähnte Depreſſion an der nordnorwegiſchen Zeit vom 15. bis 20. für die Küſte, teilweiſe auch für das Binnenland, wo zwei aufeinander folgende Depreſſionen das norwegiſche Meer und Südſkandinavien durchzogen und am 23. unter Einfluß eines Minimums über Finnland. Na— mentlich fanden am letzteren Tage ſchwere, vielfach von Verwüſtungen begleitete Stürme an der oſtpreußiſchen Küſte ſtatt. Wie die Temperatur, fo waren auch die Bewölkungs—⸗ verhältniſſe häufigem Wechſel unterworfen; im allgemeinen indeſſen war das Wetter vorwiegend trübe, nur der 20., 22. und der 26. waren vorwiegend heiter. Der diesjährige Winter war, insbeſondere für das nördliche Deutſchland, außergewöhnlich mild und daher iſt am Schluſſe des Februar die Vegetation außerordentlich weit vorgeſchritten, ein Umſtand, der wegen der in der Regel häufig eintretenden Frühjahrsfröſte nicht eben günſtig erſcheint. Es ſei hier noch ſchließlich bemerkt, daß die oft von Landwirten ausgeſprochene Wahrſcheinlichkeit, nach einem milden Winter zum Ausgleich einen kühlen Sommer zu bekommen, und umgekehrt, jeder ſicheren Grundlage ent— behrt, und einſchlägige Unterſuchungen ein entſchiedenes Reſultat nicht zur Folge hatten. Hamburg. Dr. T. van Bebber. 156 Humbolot. — April 1882. ve Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im April 1882. (Mittlere Berliner Zeit.) | Roter Fleck auf A. 1 125 805 - i t eLeouis5 : 2 115 Ain 0 A el | 1189 U Cephei 1687 U Coronae 7 10" 2 D 3 gb 5m AN TA 3 4 8h 48 4 5 1222 6 Librae 5 6 g® 50" 9} II A 6 7 1125 U Cephei 1 8 81 Algol 8 9 144 U Coronae 7h 56m 9 € 10 10 11 gt 34™ 11 12 1122 U Cephei 1128 6 Librae 12 13 13 14 dn 15 A III A 1080 8 Caneri 14 15 15 16 1221 U Coronae 8b 4 Im 16 8 17 1088 U Cephei 17 18 h 59m bela, : 19 1143 6 Librae Venus nahe bei Jupiter nahe bei 19 Saturn Mond 20 20 21 10h 7m E. me BAC 1733 105 28" N III E 8 21 10h 55 A.h.§ 6½ 22 n 9gm b ; a 105 185 12 @ II 1085 U Cephei 22 23 988 U Coronae 9b 26™ 23 3 24 24 h m 5 ee 40e K. h. $60 s 5 2699 20 Q TA 1029 3 Librae 26 27 1081 U Cephei 27 28 8h 34™ 28 29 29 30 14" 29™ E. d.) 3404312 30 15 18 A. h. 1 6 ½ Menejbe Mitte pi ung en, Verrichtungen der Dampfmaſchine. In Eng⸗ land ſollen nach dem „Techniker“, mit Ausnahme der Lokomotiven Dampfmaſchinen von 7,000,000 Pferde⸗ kraft per Jahr im Gange ſtehen, in den Vereinigten Staaten Nordamerikas 7,500,000, in Deutſchland 4,000,000, in Frankreich 3,000,000 und in Oeſter⸗ reich 1,500,000.“ Die Anzahl der Lokomotiven der alten und neuen Welt überſteigt 100,000 Stück, deren Kraft auf 30,000,000 Pferdeſtärken veranſchlagt wer⸗ den kann. Die Geſamtpferdekraft aller auf der ganzen Erde im Gange ſtehenden Dampfmaſchinen und Loko⸗ motiven wird auf 80,000,000 geſchätzt. Wenn nun jede Pferdekraft die Arbeit von 10 Männern ver⸗ richtet, ſo wird die Dampfkraft auf der ganzen Erde täglich die Arbeit von 800,000,000 Männern ver⸗ richten. Wird die Bevölkerung der Erdoberfläche auf 1,500,000, 000 Seelen und die Anzahl der Männer vom 15. bis 65. Lebensjahr auf etwa ein Dritteil Humboldt. — April 1882. der Geſamtbevölkerung angenommen, ſo ergeben ſich rund 500,000,000 Männer in arbeitsfähigem Alter. Wenn aber die Dampfmaſchinen die Arbeit von 800,000,000 Männern verrichten, jo folgt daraus, daß, ſeitdem die Erfindungen von Watt und Stephen— ſon ihren wohlthätigen Einfluß über die ziviliſierte Welt ausgeübt haben, die Hilfsquellen der Induſtrie ſich nahezu verdoppelt haben. E. Staub, Nebel, Wolken. J. Aidken hat in den Proc. Roy. Soc. Edinb. gezeigt, daß Waſſerdampf ſich nie in einem Raum kondenſiert, in dem nicht feſte oder flüſſige Stoffe vorhanden ſind. Der Be- weis wird geliefert, indem Dampf in filtrierte Luft geblaſen wurde, es zeigte ſich dann nicht das ge— ringſte Zeichen einer Kondenſation. Bei nicht fil— trierter Luft trat Trübung ein, und zwar um ſo ſtärker, je größer die Zahl der Staubteilchen in der Luft war. Es bilden daher dieſe die Kerne (Nuclei) für Nebel- und Wolkenteilchen und würde ohne Staub keine Nebel und Wolken und kein Regen eintreten können. Zu den Staubquellen gehört jede Verbren— nung, vor allem die des Schwefels in den Kohlen. B Aecher die Geſchwindigkeit und den Wider- ſtand der dynamoelektriſchen Maſchinen hat Lacoine Verſuche angeſtellt und gefunden, daß der mit der Rotationsgeſchwindigkeit dieſer Maſchinen wachſende Widerſtand hauptſächlich — wenn nicht anz — von dem ſich vergrößernden Widerſtande der ommutatorbürſten herrührt. Dieſe auf den Wechſeln des Kommutators reibenden Bürſten bilden in der That ebenſoviele Mikrophone, und ihr Widerſtand variiert mit der Rotationsgeſchwindigkeit und dem Drucke, mit welchem ſie aufliegen. Nach Lacoines Verſuchen ſtieg der Widerſtand in einem Stromkreiſe, worin eine Batterie, ein Telephon, ein Galvano— motor und ein Kommutator nach Grammes Modell eingeſchaltet war, bei einer Geſchwindigkeit von 2000 Touren per Minute faſt auf das Dreifache im Vergleich zum Widerſtande in der Ruhe, bei 4000 Touren auf das Dreizehnfache, bei 5000 Touren auf das Dreiundzwanzigfache und bei einer ſehr großen aber unmeßbaren Geſchwindigkeit ſogar auf das Zweiundvierzigfache, nämlich bis zu dem enormen Werte von 2900 Ohms, welche Größe alſo nahezu 2000 Siemensſchen Widerſtandseinheiten oder dem Widerſtande einer Queckſilberſäule von 2000 m. Länge bei 1 mm Durchmeſſer entſpricht. Für eine gewiſſe Geſchwindigkeit nahm der Widerſtand ab, wenn der Druck der Federn verſtärkt wurde, und es iſt möglich einen Druck zu erhalten, bei welchem der mikrophoniſche Effekt unterdrückt und das Telephon zum Schweigen gebracht wird. Die von Lacoine angeſtellten Verſuche haben gezeigt, daß der Wider— ſtand proportional dem Kubus der Geſchwindigkeit iſt. Schw. Die längſte Drahtſpannung in der Welt kommt bei der elektriſchen Leitung über den Kiſtnah-Fluß bei Bezorah und Sectanagrum in Indien, zwiſchen zwei Hügeln vor, von denen jeder eine Höhe von 1200 Fuß hat. Dieſe Spannung beträgt etwas mehr als 6000 Fuß. Die einzige Vorrichtung, der man ich zum Ziehen dieſes Drahtes über den Fluß be— iente, war eine gewöhnliche Schiffsankerwinde. Ho. 157 Einſturz einer Thalſperre (de VHabra) in Algerien. Gegen Ende des vergangenen Jahres ereignete ſich im öſtlichen Algerien ein Unglück, dem eine größere Zahl von Menſchenleben zum Opfer fiel als bei dem Brande des Ringtheaters in Wien und dem Einſturze der Taybrücke zuſammen— genommen, die Zerſtörung der großen Sperrmauer, welche unweit der franzöſiſchen Ackerbaukolonie Perré— gaux im Habrathale, die aus dem Qued Fergoug und deſſen Seitenthälchen herbeifließenden Waſſermaſſen aufgeſtaut und für ein Reſervoir, deſſen Inhalt bei vollſtändiger Anfüllung 30 Mill. ebm betrug, als thalſeitiger Abſchluß gedient hat. An der tiefſten Stelle maß die Höhe dieſer „Thalſperre“ nahezu 36 m, ihre Sohlenbreite 32 m, ihre obere (Kronen—) Breite dagegen nur 4,3 m. Die Länge zwiſchen den beiden Thalrändern wird auf 480 m angegeben. In Folge eines wolkenbruchartigen Regens, welcher eine ſehr raſche Anfüllung des Reſervoirs veranlaßte, ſtürzte der obere Mauerteil auf etwa 10 m Höhe in einer Länge von 110 m zuſammen, und eine ungeheuere Waſſermaſſe ergoß ſich über die Ländereien, zu deren Bewäſſerung ſie aufgeſpeichert werden ſollte. Das unglückliche Dorf Perrégaux ijt vollſtändig zerſtört; über 800 Menſchen fanden ihren Untergang. Die indirekte Urſache des Unglückes iſt jedenfalls der außergewöhnlich ſtarke und über eine ſehr be— deutende Fläche ausgedehnte Regenfall, welcher die Provinz Oran, ſonſt durch ihre Trockenheit berüchtigt, kurz vorher betroffen hat. Das Niederſchlagsgebiet, welches durch den Qued Fergoug entwäſſert, iſt 80,000 Hektaren groß. Da die binnen wenigen Stunden niedergefallene Regenhöhe über 160 mm betrug, ſammelte ſich in kurzer Zeit eine gewaltige Waſſermaſſe, etwa 130 Mill. ebm, welche mit großer Geſchwindigkeit gegen die ihren Weg hemmende Sperr— mauer anprallte. Eine ſorgfältig hergeſtellte Mauer würde ſelbſt dieſem Anprall jedenfalls widerſtanden haben, ſo daß nur eine Ueberſtrömung der Mauerkrone eingetreten wäre. Die direkte Urſache des Einſturzes der Mauer iſt vermutlich darin zu ſuchen, daß bei der vor 20 Jahren bewirkten Herſtellung mangelhafte Mörtel— materialien, vor allem ſchlechter Cement, zur Verwen— dung gelangt ſind. Aus demſelben Grunde wurde vor einigen Jahren eine andre franzöſiſche Thalſperre (de Montſouris) noch vor ihrer vollſtändigen Fertig— ſtellung zerſtört. Ke. Entwickelung des Theehandels in Turkeftan. Der geſamte Theehandel in Turkeſtan war bis zum Jahre 1875 beinahe ausſchließlich in den Händen der Chineſen. Sie gelangten dazu auf eine ſehr eigen— tümliche Weiſe. In dem Gebirge dieſes Landes, dem Alatau, finden ſich die ſogenannten Margali (Berg⸗ hirſche), deren Geweih in der erſten Hälfte des Som⸗ mers einen Stoff enthält, der von den Chineſen als Reizmittel ſehr geſucht wird. In früheren Zeiten waren dieſe Tiere im Alatau ſehr zahlreich vorhanden und der Handel mit ihren Geweihen wurde äußerſt ſchwunghaft betrieben. Die Geweihe wurden in die innern Provinzen des himmliſchen Reiches ausgeführt, wo ſie raſch Abnehmer fanden, wenn dieſelben auch nur hochgeſtellte oder ſehr reiche Perſonen ſein konnten, da das Margaligeweih nur für bedeutende Summen zu haben war. Infolge der großen Nachfrage be- 158 Humboldt. — April 1882. gann ein wahrer Vernichtungskrieg von Seiten der Bergbewohner gegen die Berghirſche, ſo daß ſie in Kürze in einzelnen Gegenden faſt ganz ausgerottet wurden. Die allmählich geringe Ausbeute und die zunehmende Schwierigkeit, ſolche Geweihe zu erhalten, veranlaßte einige chineſiſche Handelshäuſer, Nieder⸗ laſſungen in Turkeſtan zu gründen, um ſo leichter den Einkauf dieſer geſuchten Ware bewerkſtelligen zu können; damit wurde aber auch zugleich der Verkauf und der Umtauſch von Thee gegen Geweihe ver⸗ bunden. Der Handel mit Thee nahm raſch zu. Im Jahre 1875 hielten ſich in Wernoje 10 Vertreter chineſiſcher Firmen auf, welche zuſammen in dem ge⸗ nannten Jahre 8000 Pud Thee verkauften, was einem Werte von 290,000 Rubeln entſpricht. Seit Konſtituierung des Generalgouvernements Turkeſtan erhielten die Chineſen die Ruſſen zu Konkurrenten, was dieſe um ſo leichter thun konnten, als die Re⸗ gierung ihnen große Privilegien gewährte, ſo z. B. zollfreie Einfuhr des Thees über Kjiachta und Ir⸗ kutsk; dadurch begann der Theetranſit über Sibirien zu ſteigen, während das Monopol der Chineſen all⸗ mählich ſeinem Ende naht. (Ruſſ. Revue Bd. 9.) H. Das Nervenſyſtem der Hydroidpolypen, die von allen Coelenteraten noch die einzige Gruppe waren, bei denen jenes wichtige Organſyſtem noch nicht bekannt war, wurde vor kurzem von Karl F. Jickeli in Heidelberg bei mehreren Arten aufge⸗ funden (Zool. Anz. Nr. 102). Er fand hiſtologiſche Elemente, die als Ganglienzellen zu deuten ſind, beſonders an den Armen, an deren Grund ſie einen nervöſen Plexus bilden, von dem aus fic) ner⸗ vöſe Elemente über den ganzen Körper fortſpinnen. Entſprechend dem Verhalten des Nervenſyſtems der Quallen, Seeroſen und Röhrenquallen liegt das⸗ ſelbe auch bei den Hydroidpolypen ganz in der äußeren Körperſchicht, wo es bei den Embryonen der höheren Tiere nur vorübergehend ſich befindet. Rb. Die Farben der Frühlingsblumen. In einem Beitrage zur „Science Review“ über dieſen Gegenſtand bemerkt Herr A. W. Bennett, daß aus einer Liſte von 64 Spezies 40,5 Proz. weiß, 20,3 Proz. gelb, 17,4 Proz. blau oder violet und 7,8 Proz. roſenrot. Es ſcheint daher, daß die weißen und gelben Blumen vorherrſchend ſind. Der Autor begründet dieſe Erſchei⸗ nung auf der Thatſache, daß bei den weißen Blumen die Farbe der Gegenwart von Luft in den Zellen der Blumenblätter zuzuſchreiben iſt, während die gelben Frühlingsblumen, wie Tussilago, Eranthis hyoma- lis, Primulus, Cheiranthus u. ſ. w. ihre Farben dem Xanthin, einem feſten Farbſtoffe verdanken, der wahrſcheinlich eine Modifikation des Chlorophyl, in Alkohol und Aetzkali nur langſam löslich iſt. Das Vorherrſchen der glänzender farbigen Blumen während des Sommers und Herbſtes ſchreibt der Verfaſſer der Gegenwart ſolcher Farbſtoffe zu, welche ein ſtarkes Licht und eine höhere Wärme zu ihrer Herſtellung er⸗ fordern, wie dies beſonders bei den dunkelroten Farb⸗ ſtoffen der Fall iſt. Die Wirkung des Lichtes wird mit Bezug auf die Flora der Schweiz gezeigt, wo die große Anzahl der roten, nelkenfarbigen und blauen Blumen im Frühjahr merkwürdig iſt. H. Müller ſchreibt dies der größeren Durchſichtigkeit der Luft zuſchmuggeln. und dem deshalb mehr intenſiven Lichte zu. Mit Bezug hierauf und weil der Frühling auf den Bergen um einen Mongt ſpäter eintritt als in den niedriger gelegenen Ebenen, iſt die Alpenflora glänzender gefärbt. Dieſe Erklärung wird durch die von Siemens ange⸗ ſtellten neueren Verſuche über die Pflanzenzucht bei elektriſchem Lichte beſtätigt. Schw. Der Marquis von Worceſter als Erfinder der Dampfmaſchine. In einer der letzten Nummern der engliſchen Zeitſchrift „Bibliographer“ gibt ein Herr W. H. Proſſer eine Notiz über eine als Unikum in ſeine Hände gekommene Kopie des berühmten Buches „Century of Inventions“, worin einiges Licht über einen mit der früheſten Zeit der Erfindung der Dampf⸗ maſchine bezüglichen Punkt geworfen zu werden ſcheint. Es mag vorerſt daran erinnert werden, daß Duſaguliers angibt, Savery habe alle Kopieen des „Century“, deren er habhaft werden konnte, vernichtet, um ſoviel als möglich den Nachweis der Vorerfindung durch den Marquis, welcher gegen ſein Anrecht auf ein Patent hätte vorgebracht werden können, zu beſeitigen. Dieſe Beſchuldigung wurde bisher als eine ſehr zweifelhafte angeſehen, indem der Inhalt des „Century“ ſehr vage und myſteriös iſt und ohne allen praktiſchen Wert er⸗ ſcheint. Die Kopie des Herrn Proſſer enthält jedoch einige Zuſätze, nämlich die „Definition“ (Patentbeſchrei⸗ bung) und den Parlamentsakt, worin dem Marquis und ſeinen Erben die Nutznießung aus der Erfindung ſeiner Dampfmaſchine auf 100 Jahre geſichert wird. Die „Definition“ iſt außerordentlich ſelten, nur zwei Kopieen ſind bekannt und in der Form, in welcher Herr Proſſer dieſelbe beſitzt, erſcheint ſie als ein Unikum. Es könnte daher wohl an Duſaguliers Beſchuldigung Saverys etwas Wahres ſein, inſofern derſelbe aus allen Kopieen des „Century“, die er ausfindig machen konnte, die bezüglichen Blätter, welche die „Definition“ u. ſ. w. erhielten, entfernte. Schw. Import deutſcher Tuft in Frankreich. Im deutſchen Zolltarif finden ſich einige Auffälligkeiten. So z. B. wird das amerikaniſche Büchſenfleiſch drei Zollkategorieen unterſtellt: das Fleiſch wird für ſich taxiert, die Büchſe gilt für feine Eiſenware und die Etiquetten zahlen den Zoll der Chromolithographieen. Scheinbar zur Rechtfertigung dieſes Verzollungsmodus führt ein Berliner Blatt an, daß Alexander von Hum⸗ boldt einſt die Zollfreiheit eines Artikels benutzt habe, um einen andern verzollbaren in Frankreich — ein⸗ Im Jahre 1805 war unſer großer Gelehrter mit Gay⸗Luſſac in Paris mit Verſuchen über die Kompreſſion der Luft beſchäftigt; zu dem Zwecke waren viel Glasröhren nötig, welche in Frankreich ſich zur Zeit ſehr teuer ſtellten, und dabei war auch ein ſehr hoher Zoll auf den Import dieſer Ware gelegt. Um billiger dazu zu gelangen, beſtellte Humboldt die nötigen Glasröhren in Deutſchland, gab aber zugleich Ordre, daß der Fabrikant die Röhren an beiden Enden verſchmelze und auf jedes Rohr eine Etiquette mit den Worten „deutſche Luft“ befeſtige. Da nun damals und wohl auch jetzt noch die deutſche Luft zollfrei in Frankreich eingehen darf, jo erhielten die beiden Ex⸗ perimentatoren erwünſchtermaßen billige See enw. LTT I My i I Motneynnnre Der Eiſenkies, ſeine Bildung und Serſetzung. Ein Kapitel aus der Chemiſchen Geologie. Don Prof. Dr. F. Sandberger in Würzburg. ie in der organiſchen Schöpfung, gibt es auch im Mineralreiche keinen Stillſtand, weder an der Oberfläche der Erde noch in ihrem Inneren, überall zerſetzen ſich ältere Kombinationen von Elementen, aus welchen die Mineralien beſtehen, und treten wieder mit an— dern zu neuen zuſammen. Es iſt längſt bekannt, daß ohne dieſe immerwährende Umſetzung der an der Oberfläche vorhandenen Mineralkörper kein pflanz— liches und als notwendige Folge davon auch kein tieriſches Leben auf derſelben exiſtieren könnte. Eine Anzahl von Stoffen, welche für die wichtigſten Funk— tionen des Pflanzenreichs unerläßlich ſind und ſich im Holz, im Laub und in den Früchten anhäufen, wie Kalk, Alkalien, Kieſelſäure, Phosphor und Schwefel können nur aus dem Boden, alſo aus zerfallenden Mineralkörpern entnommen und durch oft ſehr kom— plizierte Prozeſſe von dem pflanzlichen Organismus aſſimiliert werden. Seit uralter Zeit hat die Not den Menſchen gelehrt, dieſe Umſetzung künſtlich zu befördern. Der Boden wird zu dieſem Zwecke bis zu gewiſſer Tiefe durch den Pflug aufgebrochen, um immer wieder neue Schichten zur Verwitterung, d. h. zur Abgabe gewiſſer Stoffe in löslicher Form zu ver— anlaſſen, in der ſie von den Pflanzenwurzeln aufge— nommen werden können. Dieſer Boden iſt nicht homogen, ſondern enthält in der Regel Trümmer verſchiedener Mineralien und muß ſie enthalten, wenn er im ſtande ſein ſoll, den Pflanzen alle die Nähr— ſtoffe zu liefern, welche ſie zu ihrem Lebensprozeſſe bedürfen. Da nun jedes einzelne Mineral je nach ſeinem chemiſchen Verhalten gegen luft- und kohlen— ſäurehaltiges Waſſer ganz verſchiedene Zerſetzungs— Humboldt 1882. N e produkte liefert, ſo iſt der Boden und die ihn durch— tränkende Flüſſigkeit das Endprodukt einer ganzen Reihe von Zerſetzungsprozeſſen, nicht das eines ein— zelnen. Ganz ſo wie der Ackerboden verhält ſich jedes andre Mineralgemenge, es liefert ebenfalls durch Zerſetzung eine ganze Reihe von neuen Produkten, welche anſcheinend bunt und willkürlich miteinander gemiſcht ſind. Um die Bedeutung der einzelnen Fak— toren dieſes Gemenges zu verſtehen, iſt es nötig, zu unterſuchen, in welcher Weiſe ſich jeder einzelne ur— ſprüngliche Beſtandteil des Gemenges zerſetzt, bezw. welche neuen Subſtanzen er als Beitrag zu dem End— produkte liefert. Solche Unterſuchungen führen dann in einen der intereſſanteſten Teile der Geologie ein, welchem bis jetzt im großen Publikum nur wenig Aufmerkſamkeit zugewendet worden iſt, obwohl er das ſicherlich nicht verdient. Es kann nicht in meiner Abſicht liegen, hier die Bildung und Zerſetzung einer großen Zahl von Mine— ralien zu erörtern, ich möchte beides vielmehr nur an einem verfolgen, welches eine weite Verbreitung und deshalb eine hervorragende Wichtigkeit auch für das praktiſche Leben beſitzt. Ehe jedoch auf einzelnes eingegangen wird, mögen noch einige Worte darüber am Platze ſein, wie man am ſicherſten nachzuweiſen in der Lage iſt, aus welchem älteren ein jüngeres Mi- neral entſtanden ijt. Es liegt auf der Hand, daß in dieſer Beziehung jene Fälle eine hervorragende Wich— tigkeit beſitzen müſſen, in welchen die Umſetzung ſo allmählich vor ſich gegangen iſt, daß der neue Körper noch in der mehr oder weniger gut erhaltenen Kriſtall— form ſeines Urſprungsminerals oder wie man das in der 21 160 Humboldt. — Mai 1882. Wiſſenſchaft bezeichnet, als Pſeudomorphoſe nach ihm auftritt. Findet ſich z. B. Silberglanz (Schwefelſilber Ag?S) in der Form des Rotgültigerzes (8Ag?S.Sb?8%), fo unterliegt es keinem Zweifel, daß letzteres vor ihm vorhanden war und fein Schwefelantimon (Sb 89) verloren, d. h. an eine Flüſſigkeit abgegeben hat, in welcher dieſes löslich, Schwefelſilber aber unlöslich iſt. Wir wiſſen nun aus der Chemie, daß das nur die Löſung einer ſogenannten Schwefelleber, d. h. Schwefel⸗ Kalium, ⸗Natrium,⸗ Ammonium, ⸗Baryum oder ⸗Cal⸗ cium fein kann und find ſelbſt im ſtande, durch Ein⸗ hängen eines Rotgültigerzkriſtalls in eine ſolche ver- dünnte Löſung, welche natürlich von der Luft ganz abgeſchloſſen werden muß, in nicht langer Zeit die fragliche Pſeudomorphoſe künſtlich darzuſtellen. Finden wir waſſerhaltige kieſelſaure Thonerde, den weißen erdigen Kaolin in Formen des Kali- oder eines an⸗ deren Feldſpats, welcher eine waſſerfreie Doppel⸗ verbindung von kieſelſaurem Alkali oder Kalk mit kieſelſaurer Thonerde iſt, ſo ſchließen wir mit Recht, daß ſich der Kaolin aus einem Feldſpate unter Aus⸗ tritt von kieſelſaurem Alkali oder Kalk gebildet haben müſſe. In allen Fällen, wo Pſeudomorphoſen vor⸗ liegen, ſind alſo ſehr beſtimmte Anhaltspunkte für die Ermittelung des urſprünglichen Körpers gegeben, wenn auch ihre Bildung in ſehr vielen Fällen auf weit komplizirteren Prozeſſen, namentlich Wechſel⸗ zerſetzungen von natürlichen Subſtanzen beruht, als fie die überaus einfache Umwandlung von Rotgültig⸗ erz zu Silberglanz und von Kalifeldſpat zu Kaolin darbieten. Eines der lehrreichſten Beiſpiele für Um⸗ wandlungsprozeſſe im Mineralreiche gewährt ohne Zweifel Der Eiſenkies. Der Eiſenkies, auch Schwefelkies oder Pyrit ge⸗ nannt, iſt in reinſtem Zuſtande Zweifachſchwefeleiſen (FeS? = 46,08pr03. Fe und 53,92proz. 8) in For⸗ men des regulären Kriſtallſyſtems, von welchen Würfel, Oktaeder, Pentagondodekaeder und gebrochenes Pen⸗ tagondodekaeder am häufigſten an ihm beobachtet werden. Mit ihm gleich zuſammengeſetzt, aber im rhombiſchen Syſteme kriſtalliſiert, alſo dimorph, iſt der im ganzen bedeutend weniger verbreitete Strahl⸗ kies (Speerkies, Kammkies). Da ſeine Bildungs⸗ und Zerſetzungsweiſe von jener des Eiſenkieſes kaum abweicht, ſo erſcheint eine ſpeziellere Erörterung über ihn hier überflüſſig. Der Eiſenkies iſt von ſpeisgelber Farbe, ſehr ſtarkem Metallglanze, hohem ſpezifiſchem Gewicht = 5 und bedeutender Härte, welche jener des Quarzes faſt gleich ſteht, gibt daher am Stahle Funken und iſt in früherer Zeit ähnlich wie der Feuerſtein benutzt worden. Er iſt nicht magnetiſch und wird nicht von Salzſäure, ſondern nur von erhitzter Salpeterſäure aufgelöſt. Außer Schwefel und Eiſen enthält der Eiſenkies nicht ſelten noch andere Körper, welche ohne Aenderung der Form entweder Schwefel vertreten, wie Arſen (bis zu 4 Proz.) und Selen, oder Eiſen, wie Gold (höchſtens 0,02 Proz.), Platin (0,05 Proz.), Silber (0,10 Proz.), Kupfer (bis 5 Proz., Huelva), Thallium (bis zu 1 Proz.) oder Kobalt, Nickel (bis 1 Proz.) und Mangan. Bei Rotglühhitze zerſetzt ſich der Eiſenkies im geſchloſſenen Gefäße und gibt Schwefel ab, welcher dann entweder als ſolcher oder in weitere Produkte, namentlich Schwefelſäure, um⸗ gewandelt in den Handel kommt. Es bleibt dann ein niederes Schwefeleiſen (Fes 8e) als ſchwarze po⸗ röſe, ſehr ſtark magnetiſche Subſtanz zurück, welche mit dem natürlich vorkommenden Magnetkieſe über⸗ einſtimmt und wie dieſer von Salzſäure leicht unter Schwefelwaſſerſtoffentwickelung zerſetzt wird. In der chemiſchen Großinduſtrie kennt man aber noch kein Verfahren, durch welches die ganze Menge des beim Glühen abſcheidbaren Schwefels gewonnen wird, ſon⸗ dern nur 13— 14 Proz., da bei ſtärkerem Erhitzen die aus Thon beſtehenden Deſtillationscylinder zu Grunde gehen würden. Arſen und Selen gehen, wenn vorhanden, mit dem ſublimierten Schwefel weg, welcher durch ſie für manche Zwecke, z. B. das Schwefeln der Fäſſer, unbrauchbar werden würde, da ſich aus ihnen beim Verbrennen ſtark giftige Dämpfe von arſeniger und ſeleniger Säure entwickeln, und daher erſt durch nochmalige Deſtillation von ihnen befreit werden muß. Bei ſtärkerem Glühen an der Luft wird der Eiſenkies dagegen in ſchweflige Säure und baſiſch ſchwefelſaures Eiſenoxyd umgewandelt. Der Glührückſtand kann nun weiter auf Eiſenvitriol, dann auf Schwefelſäure und das als Poliermittel ſehr geſchätzte pulverige Cijenoryd (Colcothar, caput mortuum) ) verarbeitet werden. In ihm bleiben alle jene Subſtanzen zurück, welche das Eiſen teilweiſe vertreten haben, wie Kupfer, Silber, Gold, Platin, Thallium und Mangan, und werden aus ihm ge- wonnen, falls ſie in hinlänglicher Menge vorhanden ſind. In Deutſchland wird namentlich der Rückſtand des in ganzen Schiffsladungen aus der Provinz Huelva in Spanien importierten Eiſenkieſes von der Schwefelſäurebereitung auf der Duisburger Hütte weiter verarbeitet und das Kupfer und Silber aus demſelben gewonnen, ebenſo in noch größerem Maß⸗ ſtabe zu Neweaſtle am Tyne (England). Die ge⸗ ſamte Kupferproduktion aus ſolchen Kiesrückſtänden in Zentral⸗Europa wird auf 250,000 Ztr. veran⸗ ſchlagt, die des Silbers iſt, dem geringeren Gehalte der Erze an dieſem Metalle entſprechend, weit ge⸗ ringer, aber immer noch lohnend. Wo der Gold- gehalt einigermaßen hoch iſt, wie in dem Schwefel⸗ kieſe von Alais (Dep. du Gard) wird natürlich auch dieſer gewonnen. Der größte Teil der Schwefelſäure, welche in der chemiſchen Induſtrie eine eminente Rolle ſpielt, wird aus Eiſenkies dargeſtellt. Neben ihm kommt in neuerer Zeit allerdings auch noch Kupfer⸗ kies und Zinkblende (Schwefelzink) für den gleichen Zweck zur Verwendung. : Es fragt fic) nun, wo und wie bildet ſich Eiſen⸗ ies? Man darf ſagen, Eiſenkies bildet ſich überall, wo ſchwefelſaures Eiſenoxydul oder ſtatt deſſen lösliche ) 2 CFe O. 80% = Fe?203, 806, S0. Humboldt. — Mai 1882. 161 ſchwefelſaure Verbindungen, beſonders Gyps und Glauberſalz, und Eiſenſalze, vor allem kohlenſaures Eiſenoxydul, mit faulender organiſcher Subſtanz in Berührung kommen. Letztere beſitzt wie kein andrer in der Natur vorkommender Körper in hohem Grade das Vermögen, andern Subſtanzen ſchon bei ge— wöhnlicher Temperatur Sauerſtoff zu entziehen, z. B. ſchwefelſaure Salze in Schwefelmetalle umzuwandeln. Allerdings bilden ſich auf dieſe Weiſe zunächſt ein— fache Schwefelmetalle MS und nicht ſogleich zwei— fache, da hierzu noch weitere Bedingungen erfüllt werden müſſen. Die fauligen Flüſſigkeiten aus Küchen, Senkgruben u. ſ. w. enthalten je nach dem Stadium ihrer Zerſetzung ſchwefelſaures Kali, Natron, Kalk oder Ammoniak und organiſche Subſtanz oder letztere iſt bereits zerſtört und hat die Salze in Schwefel— falium, Natrium, -Calcium oder Ammonium um— gewandelt. Dieſe Subſtanzen, ſogenannte Schwefel— lebern, greifen ſofort den Eiſengehalt der Rinnſteine oder des Bodens der Kanäle an und ſetzen in ihnen einen intenſiv ſchwarzen Schlamm ab. Es iſt wäſſe— riges Einfachſchwefeleiſen, welches hier ganz ebenſo, wie bei der Analyſe durch Schwefelammonium aus Eiſenlöſungen gefällt wird, wie Chepreul zuerſt ge— zeigt hat). Wie in jenen Abfällen der Wohnorte geht auch die Bildung von Schwefeleiſen in jedem Torfmoore ſowie im Schlamme von Teichen, Flüſſen und im großartigſten Maßſtabe in jenem der Meere vor ſich, ſobald nur Eiſen- und ſchwefelſaure Salze in demſelben vorhanden ſind. Die Bildung von Schwefeleiſen iſt alſo ununterbrochen faſt auf der ganzen Erde im Gange, da die dazu nötigen Bedin— gungen kaum irgendwo fehlen. Wo dieſes Einfachſchwefeleiſen mit der atmoſphä— riſchen Luft in Berührung kommt, wird es raſch wieder oxydiert und man findet es daher nicht häufig in zu Geſteinen erhärteten Maſſen. Doch habe ich ſelbſt einen nicht unintereſſanten Fall beobachtet, in welchem es ſich in einem trockenen Lokale jahrelang erhalten hat. Im Jahre 1857 entdeckte ich während der Ebbe im Meere bei Oſtende eine derartige Neubildung. Eiſerne Pfähle, welche dort eingerammt waren, zeigten ſich an der Baſis ganz mit einer bis 9 em dicken dunkelſchwarzen harten Maſſe umgeben, in welcher wohlerhaltene violette Schalen der hier maſſenhaft lebenden eßbaren Miesmuſchel (Mytilus edulis L.) eingebacken waren. Ich nahm davon Stücke mit und behandelte ſie mit Salzſäure, welche ſogleich große Mengen von Schwefelwaſſerſtoff und Kohlenſäure entwickelte, während die Geſteinsprobe vollſtändig zu Sandkörnern auseinanderfiel. Die faulende Subſtanz der Miesmuſcheln, welche ſich an dem eiſernen Pfahle wie gewöhnlich in großen Klumpen angeſiedelt hatten, in großer Menge bildet und in früheren Perioden hatte den Gips des Meerwaſſers zu Schwefelcaleium zerſetzt und dieſes das Eiſen in Einfachſchwefeleiſen umgewandelt, welches dann nebſt aus dem freigewor— denen Calcium durch Oxydation und Aufnahme der bei der Fäulnis entwickelten Kohlenſäure entſtandenem *) Compt. rend. XLIII. p. 128. kohlenſaurem Kalke die Sandkörner des Meeresbodens zu ſteinharten Maſſen verkittete. Erſt nach vielen Jahren war das Stück von außen nach innen voll— ſtändig verwittert und zerfiel zu Bröckchen. Unzweifel— haft geht derſelbe Prozeß unter gleichen Bedingungen in jedem Meere vor ſich, deſſen Sandgrund eiſen— haltig iſt. Weniger leicht angreifbar wird das Schwefeleiſen, wenn es mehr Schwefel gebunden hat, d. h. Doppelt- ſchwefeleiſen, Eiſenkies, geworden iſt. Dies erfolgt überall, wo es mit einer großen Menge von Schwefel— leberlöſung in Berührung bleibt und dieſer alſo wei— teren Schwefel zu entziehen vermag. In der Natur wird dieſer Prozeß ſehr anſchaulich durch gewiſſe Pſeudomorphoſen erläutert. Es ſind das große ſechs— ſeitige Tafeln aus Erzgängen bei Freiberg, Stranitza in Siebenbürgen u. a. O., welche in der Regel ganz aus Aggregaten kleiner Eiſenkieskriſtalle beſtehen, zu— weilen aber noch zum Teil aus dem urſprünglichen hexagonal kriſtalliſierenden Magnetkieſe. Da alſo wahrſcheinlich in der Natur zuerſt Einfach- oder „ -Schwefeleiſen gebildet und erſt durch weitere Zu— fuhr von Schwefelalkalien in zweifaches umgewandelt wird, ſo erklärt ſich auch der ſo häufige Goldgehalt der Eiſenkieſe ganz leicht, da Schwefelgold in Schwe— felalkalien löslich iſt, alſo in ſolcher Löſung dem Ein— fachſchwefeleiſen zugeführt werden kann. Es gibt auffallende, aber hinlänglich verbürgte Fälle aus hiſtoriſcher Zeit, in welchen tote organiſche Körper direkt in Eiſenkies umgewandelt oder wie man das auch nennt, durch dieſen „verkieſt“ gefunden worden ſind. So die in einem Gefäße mit Eiſen— vitriollöſung ertrunkene und verkieſte Maus in dem Laboratorium des Chemikers Bakewell, Eiſenkies— bildung in hohlen Baumſtämmen, in welchen Mine— ralquellen gefaßt waren, an den Wurzeln von Schilf u. ſ. w. Noch viel inſtruktiver ſind die prächtigen glänzenden Ueberzüge von Eiſenkies auf Geröllen und derbe Maſſen desſelben als Kitt von Sand, welche beim Aufgraben der moorigen Umgebung von ver— ſchütteten Mineralquellen vorkommen, die ſchwefel— ſaure und eiſenhaltige Salze enthalten, wie die Säuer— linge von Roisdorf bei Bonn, Memlos bei Fulda. Ebenſo verhalten ſich auch die Eiſenkiesharniſche und Knollen, welche ich ſelbſt aus dem Moorboden des Würzburger Pfahlbaus in etwa 2¼ m Tiefe heraus- nehmen konnte, und welche Sandkörner, Knochen— trümmer und Eichenholzbröckchen umſchloſſen. Die angeführten Beiſpiele, welche leicht noch ſehr vermehrt werden könnten, werden genügen, um die oben aus— geſprochene Behauptung zu rechtfertigen, daß ſich Eiſenkies unter den erwähnten Bedingungen noch gegenwärtig auf der Oberfläche ununterbrochen und in ebenſo beträchtlicher gebildet haben muß. In der That gibt es keine Steinkohlen- oder Braunkohlenablagerung, welche ihn nicht in einzelnen Flötzen in Menge enthielte, in manchen Bänken öfter ſo reichlich, daß nicht die Kohle, ſondern der in ihr ſteckende Eiſenkies durch Aufbereitungsprozeſſe gewon— 162 Humboldt. — Mai 1882. nen wird, wie zu Kladno in Böhmen u. a. O. Und nicht bloß in foſſilen Kohlen aller geologiſchen Pe⸗ rioden ſelbſt findet ſich das Zweifachſchwefeleiſen an⸗ gehäuft, ſondern auch in allen mit organiſcher Sub⸗ ſtanz imprägnierten Geſteinen, mag dieſe nun in den früheſten oder ſpäteſten Stadien der Zerſetzung, d. h. als Ulminkörper, Bitumen, Steinkohle oder Anthracit vorhanden fein. Am reichlichſten pflegt ſie in gewiſſen Thonſchiefern und Mergelſchiefern mit Eiſenkies zu⸗ ſammen aufzutreten. Die Art des Vorkommens iſt auch hier wieder ungemein charakteriſtiſch. Wo ſich irgend größere foſſile Organismen, z. B. Konchylien, namentlich Ammoniten und Orthoceratiten oder Stammſtücke von Pflanzen in ſolchen Schichten fin⸗ den, erſcheint der Kies in und um dieſe konzentriert und oft z. B. in der fränkiſchen Lettenkohle zu fauſt⸗ bis kopfgroßen Klumpen angehäuft, während er ſonſt durch die ganze Maſſe fein verteilt vorkommt. Es gibt keinen ſchlagenderen Beweis dafür, daß Zwei⸗ fachſchwefeleiſen auch in früheren geologiſchen Perioden in größter Menge durch faulende Tier- und Pflanzen⸗ Subſtanz auf gleiche Art aus Löſungen ſchwefelſaurer Salze gebildet worden iſt, wie er heutzutage überall entſteht, und zwar nicht nur in den bisher aufge⸗ führten Geſteinen, ſondern, wie ich an einem andern Orte) ausgeführt habe, auch mit andern Schwefel— metallen zugleich auf Erzlagern und Erzgängen. Die mächtigen Eiſenkieslager von Undal u. a. O. in Norwegen werden von ſchwarzen Thonſchiefern begleitet und enthalten ſelbſt ſtellenweiſe noch bis 21/2 Proz. Kohle, wodurch der Kies ſchwarz gefärbt erſcheint, ebenſo verhalten ſich jene von Meggen an der Lenne in Weſtfalen. Im Schwarzwald und rheiniſchen Schiefergebirge gibt es kaum ein Eiſenkiesgangtrum, welches nicht in von Anthracit oder Graphit impräg⸗ niertem Nebengeſteine aufſetzte. Hier war alſo das Reduktionsmittel im Ueberſchuß vorhanden und wurde nicht vollſtändig verbraucht, während dies an anderen Orten der Fall war und daher kein Reſt desſelben im Kieſe mehr zu konſtatieren iſt. Allein das Mineral entſteht in der jetzigen Periode auch noch auf andre Weiſe, wenn auch in weit ge- ringerer Menge. Dieſe muß hier gleichfalls erwähnt werden, ſchon um auch in dieſem Falle die verbreitete, aber irrige Meinung nicht aufkommen zu laſſen, als müſſe ein und dasſelbe Mineral in der Natur immer auf gleiche Art gebildet werden. . findet ſich auch an Vulkanen, aber nice in ihren Laven, ſondern nur als Zerſetzungsprodukt der in vulkaniſchen Geſteinen reichlich vorhandenen Sauerſtoffverbindungen des Eiſens (Magneteiſen, Oxydulſilikat) durch Schwefelwaſſerſtoff⸗Exhalationen, welche in manchen vulkaniſchen Gebieten, beſonders in Island und Unteritalien ſo häufig ſind. Bunſen hat 1847 gezeigt, daß durch fortdauernde Einwirkung folder Schwefelwaſſerſtoff⸗Ausſtrömungen vulkaniſche Tuffe Islands in einen Thon umgewandelt werden, in welchem Eiſenkies und Gips in Kriſtallen einge- *) Unterſuchungen über Erzgänge J, S. 28. wachſen find. Thonerde und Kieſelſäure des Geſteins werden durch Schwefelwaſſerſtoff nicht angegriffen und bilden den thonigen, ganz entfärbten Reſt. Das Eiſen gibt ſeinen Sauerſtoff an den Waſſerſtoff des Schwefel⸗ waſſerſtoffgaſes ab und nimmt deſſen Schwefel auf, Kalk und Alkalien wandeln ſich zunächſt in Schwefel⸗ lebern um, die aber an der Luft raſch verändert werden. Das Schwefelcalcium zerfällt nämlich hier ſchließlich zu Schwefel und ſchwefelſaurem Kalk (Gips), welcher ſich als ſchwerer löslich im Geſtein kriſtalliſiert ab⸗ ſcheidet, während die Schwefelalkalien als leichtlös⸗ liche ſchwefelſaure Salze durch die Regenwaſſer fort⸗ geführt werden. Dieſelbe Wirkung wie gasförmiger Schwefelwaſſerſtoff haben auch heiße mit ihm geſättigte Schwefelleberlöſungen, wie ſie in Kalifornien und Nevada auftreten.) Auch ſie ſetzen Eiſenkies in den vulkaniſchen Tuffen ab, welche ſie durchſtrömen und ähnliches iſt im kleinen von den Quellen von Chaudes⸗ Aigues am Cantal) und von Aachen) bekannt. Wie man ſieht, beſteht die ſo überaus häufige Bildung des Eiſenkieſes über die ganze Erde weg mit Ausnahme der eben erwähnten auf vulkaniſchem Wege in einem großartigen Reduktionsprozeſſe, welcher eine Konzentration des Schwefels aus löslichen ſchwefel⸗ ſauren Salzen und in geringerem Grade auch eine ſolche des Eiſens zur Folge hat, während zugleich der Schwefel auch noch andre Elemente, die neben ihm in geringerer Menge vorhanden ſind, an Eiſen bindet und mit dieſem zugleich etwa vorhandenes Gold, Platin, Silber, e Kupfer, Kobalt und Nickel ausfällt. Sehen wir nun zu, welche Neubildungen mit ſeiner Zerſetzung durch Sauerſtoff verbunden ſind, ſo werden wir auf eine Reihe überaus merkwürdiger Thatſachen ſtoßen. Die Art der Zerſetzung des Eiſenkieſes durch den Sauerſtoff der Luft, welcher manche Varietäten, namentlich die kleinkörnigen, raſch, andre aber nur allmählich anheimfallen, hängt zunächſt davon ab, ob Sauerſtoff nur in geringer Quantität oder in großem Ueberſchuſſe zugegen iſt. Im erſten Falle überzieht ſich der Kies langſam mit Ausblühungen von Eiſen⸗ vitriol (FeO 805 + 7 H?0), zu deſſen Bildung alles Eiſen, aber nur ein Aequivalent Schwefel verbraucht wird. Das zweite Aequivalent Schwefel wird als ſolcher abgeſchieden und bleibt zwiſchen dem Eiſen⸗ vitriol in gelben Flocken zurück. Zieht man die zer⸗ fallene Maſſe mit Waſſer aus, welches den Vitriol auflöſt, ſo kann man dann auch die gelben Flocken deutlich erkennen und als Schwefel nachweiſen, ſei es direkt durch Schmelzen und Verbrennen oder durch Löſen in Aetzkali, welches dann Metalllöſungen fällt. Zuweilen bleibt dieſes abgeſchiedene zweite Aequivalent Schwefel von der Oxydation verſchont und findet ſich zwiſchen den weiteren Umwandlungsprodukten des Eiſenvitriols noch erhalten, wie z. B. ſehr ſchön in ) Unterſuchungen über Erzgänge I, S. 12. **) Longchamp Ann. chim. phys. XXXII, p. 260. ) Noeggerath. Schweiggers Journ. NLIX, S. 260. Humboldt. — Mai 1882. 163 den ſpäter näher zu erläuternden Pſeudomorphoſen von Brauneiſenſtein nach Eiſenkies bei Rippoldsau im Schwarzwald und ſolchen vom Ural, wo zuweilen freies Gold neben freiem Schwefel in den pſeudo— morphen Druſen auftritt. Erfolgt aber die Oxydation des Eiſenkieſes bei ganz ungehemmtem Zutritt des Sauerſtoffs der Luft, ſo wird auch das zweite Aequivalent Schwefel in Schwefelſäure verwandelt. vitriollöſung eine ſtark ſaure Reaktion und bringt bei dem Zuſammentreffen mit durch ſie angreifbaren Mineralſubſtanzen ſehr energiſche, von der Bildung mannigfacher ſekundärer Mineralien begleitete Wir— kungen hervor, welche ſpäter beſchrieben werden ſollen. Mit der Bildung des Eiſenvitriols iſt ſtets eine beträchtliche Volumvergrößerung verbunden, welche und ſich in einer ſtarken Auflockerung der Kiesmaſſen ſelbſt und kieshaltiger Geſteine kundgibt. In ſehr großartigem Maßſtabe geht die Vitriol— bildung in den ſtellenweiſe bis 30 und 100 m mad tigen Kieslagern des Rammelsberges bei Goslar am Harze und des Rio Tinto in Spanien vor ſich. Neben dem Eiſenvitriol und den aus ihm durch Oxydation hervorgehenden meiſt hoch zitrongelben baſiſch ſchwefel— ſauren Eiſenoxyden treten in dem ſogenannten „Alten Mann“ des Rammelsbergs auch Kupfervitriol, Zink— vitriol und andre von der Umwandlung der den Eiſenkies begleitenden Schwefelmetalle herrührende ſchwefelſaure Salze auf, welche, ſoweit möglich, von— einander getrennt und weiter verarbeitet werden. In den Rio Tinto fließen aus den verlaſſenen römiſchen, zum Teil ſelbſt noch einer älteren Zeit angehörigen Grubenbauten Vitriolwaſſer in ſolcher Menge ab, daß ſie dieſen dunkel färben und ſeine Gerölle durch aus ihnen ausgeſchiedenes Eiſenorydhydrat zu hartem Konglomerate verkitten. Das in ihnen enthaltene Kupfer wird durch altes Eiſen ausgefällt und ſo als Zementkupfer gewonnen. Man ſchlägt die Menge des Kupfers, welches aus dieſen alten Werken ſeit dem 5. Jahrhundert n. Chr. als Kupfervitriol in das Meer geführt worden iſt, auf 75,000 Tonnen an. Da der Eiſenkies höchſtens 5 Kupfer enthält, fo iſt natürlich die Menge des Eiſens noch weit größer und es wäre nicht merkwürdig, wenn man an der Mündung des Rio Tinto Neubildungen von eiſen— ſchüſſigem Sandſtein in großem Maßſtabe finden würde. Die Vitriolbildung in Grubenbauten hat aber noch mancherlei andre Folgen, zunächſt die in gleichem Maße, als derſelben Sauerſtoff zur Oxydation des Kieſes entzogen wird, erfolgende Anreicherung der in den Gruben vorhandenen Luft an Stickſtoff, die ſich bei nachläſſiger Behandlung der zur ſteten Erneuerung der Luft beſtimmten ſogenannten Wetterſchächte jo | ſteigern kann, daß fie nicht ſelten den Tod von Ar— beitern durch Erſticken herbeiführt. Solche Fälle kommen in allen Kohlenrevieren vor, wo die Kohlen ſehr kiesreich ſind und die nötigen Vorſichtsmaßregeln unterlaſſen wurden. Nicht minder gefährlich für den Bergbau ſind die phyſikaliſchen Wirkungen dieſer Oxydation, beſonders die beträchtliche Erhöhung der Temperatur, welche ſie begleitet. Werden in Stein- und Braunkohlengruben die kleinſten Abfallbrocken, das ſogenannte Kohlenklein oder Gries von Flötzen, welche ganz mit feinverteiltem Eiſenkieſe erfüllt find, nicht ſorgfältig herausgeſchafft und bleiben in lockeren und deshalb dem Luftzuge Dieſe verleiht der Eiſen— g durchweg zugänglichen Haufwerken in den unterirdiſchen Räumen liegen, ſo beginnt die Oxydation zwar lang— ſamer, als bei Einfachſchwefeleiſen, verſtärkt ſich aber allmählich und bewirkt zunächſt Glimmen, welches ſich bei hinlänglichem Luftzuge ſelbſt zum vollen Brennen des aufgehäuften Kohlenkleins ſteigert. Das nächſte Flötz wird dann ebenfalls ergriffen und gerät in Brand, che wenn man nicht in der Lage ijt, den Zutritt der Luft der Aufnahme von Sauerſtoff und Waſſer entſpricht zu der Brandſtätte durch Verſtopfung der Schacht- und Stollenmündungen vollſtändig abzuſchneiden. Die Steinkohlenbrände in Oberſchleſien (Fanny-Grube), zu Planitz bei Zwickau und der immer noch fort- dauernde des Blücher-Flötzes am Brennenden Berge bei Duttweiler unweit Saarbrücken gehören in Deutſch— land zu den bekannteſten, aber auch die Braunkohlen— reviere des Weſterwaldes, der Rhön, Steiermarks und Südfrankreichs haben mehr als einen Gruben— brand erlebt, oft von längerer Dauer, wie jener der Grube Einigkeit am Bauersberg bei Biſchofsheim v. Rh. von 1852—1859 und in den böhmiſchen Becken, namentlich um Karlsbad und Teplitz liegen die Er— zeugniſſe alter Erdbrände maſſenhaft zu Tage. Ueberall erſcheint der Schieferthon, welcher das Flötz einſchließt, unmittelbar an der brennenden Kohlenmaſſe in eine perlgraue porzellanartige Fritte, ſogenannten Porzellan-Jaſpis verwandelt, zuweilen ſelbſt ganz verſchlackt. Noch in beträchtlicher Ent— fernung von derſelben zeigt es ſich rot gebrannt und bedeutend erhärtet. An den kälteren Stellen erſchei— nen die Klüfte mit Schwefel, direktem Deſtillations— Produkte des Eiſenkieſes, Alaun, deſſen Bildung ſpäter noch näher beleuchtet werden ſoll, und Salmiak be— deckt, welcher ſich auf Koſten des Stickſtoffgehaltes der Steinkohle bildet. Um noch zu retten, was zu retten war, hat man an manchen Orten, namentlich bei Zwickau, auf dem Terrain der brennenden Flötze Treibhäuſer angelegt und hier in großem Maßſtabe wertvolle tropiſche Pflanzen, beſonders Ananas kul— tiviert. Findet ſich die Kieslagerſtätte in quarzigen Ge— ſteinen, welche von der freien Schwefelſäure nicht an— gegriffen werden können, ſo fließen aus den Gruben— bauten Waſſer mit ſehr ſtark ſaurer Reaktion ab, welche die an ihrem Rande etwa aufkeimende Vege— tation zerſtören. Es gibt ſolche Waſſer mit einem Gehalte von 1,05, 2,20 und ſelbſt 5,26 g freier Schwefelſäure in 10 1 Waſſer, z. B. die Eckholtzquelle bei Ronneby in Schweden, die Quellen von Civillina in Venetien und von Rockbridge County in Virginien. Ein höherer Gehalt an freier Schwefelſäure kommt nur in den Waſſern der Solfataren vor, welche durch Kondenſation von ſchwefligſauren und Waſſerdämpfen 164 Humboldt. — Mai 1882. entſtehen und in Unteritalien, Mexiko, Südamerika und Java häufig ſind. In den meiſten Fällen hat die bei der Verwitte⸗ rung der Eiſenkieſe gebildete Schwefelſäure ſofort Gelegenheit, ſich mit Baſen zu vereinigen und dann je nach der Art des Geſteins, in welchem der Eiſen⸗ kies eingewachſen war, verſchiedene neue Mineralkörper zu bilden. Die gewöhnlichſten davon find ſchwefel— ſaure Thonerde und Gips. Da nun in den eiſenkies⸗ haltigen Schiefertonen Kali ſelten ganz zu fehlen pflegt, ſo bildet ſich aus ihnen mitunter auch direkt Alaun in Form weißer mehliger oder haarförmiger Ausblühungen. So lange man wohlfeileres Material zur Darſtellung dieſes für ſo viele techniſche Zwecke unerläßlichen Körpers noch nicht kannte, wurde Alaun aus ſolchen Geſteinen an ſehr vielen Orten gewonnen. Sie führen daher heute noch den Namen Alaunſchiefer und kommen in allen geologiſchen Formationen, z. B. im Uebergangsgebirge von Schweden, Sachſen, Thü⸗ ringen, dem Fichtelgebirge, in der Lettenkohlengruppe Thüringens, Frankens und Württembergs, in Braun⸗ kohlenthonen am Niederrhein, der Lauſitz u. ſ. w. vor. Sie werden aber jetzt nur noch unter beſonders gün⸗ ſtigen Umſtänden verarbeitet, da man Alaun weit billiger und in größerer Reinheit aus Alaunſtein und den Rückſtänden der Verarbeitung des Kryoliths zu Soda gewinnen kann und hierbei nicht erſt die läſtigen Eiſenſalze zu beſeitigen hat, welche in den Alaun⸗ ſchiefern neben ſchwefelſaurer Thonerde entſtehen. Wo die Verwitterung ſolcher Geſteine im großen ſtatt⸗ findet, erſcheinen dieſe in kleine Splitter zertrümmert, welche an ſteilen Abhängen wahre fortwährend ab⸗ rutſchende Trümmerhalden bilden. Bäche, welche ſolche Maſſen als feinen Schlamm fortführen, beher⸗ bergen weder Pflanzen, noch Fiſche oder ſelbſt Kon⸗ chylien, da die gelöſten Salze dem pflanzlichen und tieriſchen Leben feindlich ſind. Ehe ſolche Alaunſchiefer oder Alaunerden weiter verarbeitet werden können, müſſen ſie noch einmal geröſtet werden, um den noch friſchen oder nur teilweiſe zerſetzten Eiſenkies, welchen ſie enthalten, zu oxydieren. Nachdem dies durch Liegen⸗ laſſen der geröſteten Maſſe an der Luft während eines Jahres ſchließlich vollſtändig erreicht iſt, wird erſtere ausgelaugt und dann geklärt, wobei ſich baſiſche Eiſen⸗ oxydſalze abſcheiden. Die Lauge wird nun mit ent- ſprechenden Quantitäten von kohlenſaurem Kali (Pottaſche) verſetzt und ſchließlich der entſtandene Kali⸗ alaun rein erhalten. Beſtehen die Geſteine, in welchen Eiſenkies reich⸗ lich eingeſprengt iſt, überwiegend aus kohlenſaurem Kalk, wie die Kalkſteine und Kalkmergel, ſo finden weſentlich andre Erſcheinungen ſtatt. Zunächſt greift die frei gewordene Schwefelſäure kohlenſauren Kalk an und wandelt ihn unter Entwickelung der äqui⸗ valenten Menge Kohlenſäure in waſſerhaltigen ſchwefel⸗ ſauren Kalk, Gips, um, während ſich auch der Eiſen⸗ vitriol mit dem übrigen kohlenſauren Kalke zu Gips und kohlenſaurem Eiſenoxydul umſetzt (CaO. 00 + FeO. SO = CaO. SO FeO. 00. Allein koh⸗ lenſaures Eiſenoxydul, als Mineral Eiſenſpat genannt, iſt ſehr leicht höher oxydierbar und liefert bei Zutritt von Luft und Waſſer unter Entwickelung von Kohlen⸗ ſäure Eiſenoxydhydrat oder Brauneiſenſtein (2 [Fe O. CO?] +0 = Fe? 0?+ H?0 2 00). So erſcheint ſchließlich der Eiſenkies in Brauneiſenſtein umgewandelt. Dabei bleibt nicht ſelten die Form ſeiner Kriſtalle vollſtändig erhalten, nur im Inneren ſind ſie natür⸗ lich ſehr verändert, durch und durch brüchig und porös. Dieſe Umwandlung kann ganze Kieslager und Gänge ergreifen und ſich bis in große Tiefen (100 m in dem Kieslager von Huelva) hinab erſtrecken. Der Berg⸗ mann nennt ſolche zu Tage ausſtreichende poröſe Brauneiſenſtein⸗Maſſen, welche in der Tiefe aus Kieſen beſtehen, mit Recht „Eiſerne Hüte“ und ſchätzt fie ſehr. Das alte Bergmanns⸗Sprüchlein: „Es iſt kein Gang ſo gut, er hat einen eiſernen Hut“, hat darin ſeinen Grund, daß ſich in dem Brauneiſenſtein alle jene Metalle konzentrieren, welche dem Eiſenkies in geringer Menge eingemengt waren und ſich, wie Gold, Silber und Platin, nicht ebenfalls höher oxy⸗ dieren können, ſondern aus ihrer Verbindung mit Schwefel gediegen abſcheiden. Der Reichtum dieſer eiſernen Hüte oder Pacos, wie ſie der ſpaniſche Amerikaner nennt, iſt oft ein außerordentlicher und nimmt mit der Tiefe rapid ab. Alle Beobachtungen an Gold und Brauneiſenſtein führenden Gängen und Lagern in Auſtralien, Kalifornien und Südamerika ergeben das auf das Beſtimmteſte und konſtatieren ein⸗ ſtimmig die bedeutende Abnahme der Goldproduktion, ſobald dieſe Oxydations⸗Zone überſchritten ijt und man dann an die tieferen Kieſe kommt, welche zwar auch Gold, aber in ſehr geringer Quantität und alſo auf eine ſehr große Menge von Schwefel und Eiſen verteilt enthalten. Nicht minder beſtimmt ſind die Angaben über die Verminderung der Silber⸗Ausbeute in allen den Fällen, wo der Bergbau aus dem eiſer⸗ nen Hute in die tiefere Region der friſchen Schwefel⸗ verbindungen hinabgeht. Man ſieht, welche Fülle von merkwürdigen geo⸗ logiſchen Erſcheinungen und für die Induſtrie wich⸗ tigen Produkten ſich an die Bildung und Zerſetzung des Eiſenkieſes knüpft. Die wichtigſten wurden in dieſer Skizze angedeutet, für eine erſchöpfende Be⸗ handlung der Sache würde aber der in dieſer Zeit⸗ ſchrift zu beanſpruchende Raum bei weitem nicht aus⸗ gereicht haben. Humboldt. — Mai 1882. 165 el ſchutz frage. Don Dr. Karl Ruf in Berlin. I Si den Blick des Naturkundigen, ja eigentlich für jeden Gebildeten, der aufmerkſam und verſtänd— nisvoll um ſich zu ſchauen vermag, liegen die Ver— hältniſſe, welche die Vogelſchutzfrage ins Leben ge— rufen haben, klar genug vor. Es bedarf wohl kaum des Hinweiſes, daß überall, wo „der Menſch mit ſeiner Qual“ hinkommt, d. h. wo die Menſchenthätig— keit Fuß faßt und eindringt, das freie Tierleben zurück— gedrängt, in ſeinen Daſeinsbedingungen untergraben und zuletzt vernichtet wird. So ſind eben die menſch— lichen Kulturen — das Herunterſchlagen der Wälder, Ausroden der Gebüſche, die Regelung der Waſſerläufe und andere landwirtſchaftliche Arbeiten für den Zweck, möglichſt viel und reichlichſt ergiebiges Ackerland zu ſchaffen — die erſte und hauptſächlichſte Urſache der Verringerung der Singvögel. Alle übrigen obwalten- den Verhältniſſe dürfen dieſem einen gegenüber als verhältnismäßig gering gelten. Erkennen wir die land— und forſtwirtſchaftlichen Kulturen in ihrer ganzen Be— deutſamkeit von dieſem Geſichtspunkt aus an, ſo haben wir in ihnen auch von vornherein die Begründung der Vogelſchutzfrage überhaupt vor uns. Wie ſtaunenswerth verſchiedenartig wird dieſe letztere nun aber aufgefaßt! Am nächſten liegt die ſentimentale Anſchauung und dieſe finden wir daher auch am meiſten verbreitet. Da geht man von den Geſichtspunkten des Vogelſchutzes im weiteſten Sinne aus, ſpricht über den Nutzen der Vögel, ihre äſthe— tiſche Bedeutung, vornehmlich aber über die Pflicht des Menſchen, ſie zu ſchützen, in ſchwärmeriſcher über— ſchwänglicher Weiſe. Im Gegenſatz zu dieſer Auf— faſſung tritt ſodann die Meinung auf, welche es ganz und gar beſtreitet, daß die Beſchützung der Vögel überhaupt notwendig ſei, und zwiſchen dieſen beiden äußerſten Punkten liegt eine weite Reihe der mannig— fachſten Abſtufungen vom begeiſterten Lobe bis zur kühlen Erwägung des Nutzens und Schadens. Als Vorkämpfer der Beſtrebungen für praktiſchen Vogelſchutz und gewiſſermaßen der Urheber der Theorie, daß die Singvögel für den Naturhaushalt und für das Menſchenwohl hochwichtig und daß es daher notwendig ſei, ſie wirkſam zu beſchützen, zu hegen und vor Verminderung oder gar Ausrottung zu be— wahren, iſt C. W. L. Gloger allgemein anerkannt. Wohl hatten ſchon längſt vor ihm Andere ſolchen Vogelſchutz empfohlen, ja, in den Schriften der Autoren auf den Gebieten der Gärtnerei, Land- und Forſtwirtſchaft erhoben ſich bereits ſeit dem Beginn unſres Jahrhunderts einzelne Stimmen, welche auf die Nützlichkeit der Vögel verwieſen und zu deren Schutz aufforderten; ſo J. Th. Ratzeburg, P. Fr. Bouché, Gruner, Forſter u. a. Allmählich ſehen wir hier immer mehrere Schriftſteller auftreten, namentlich aber gingen die Darſtellungen der Mütz⸗ lichkeit der Vögel bezüglich die Ermahnungen zum Vogelſchutz in die Volksnaturgeſchichten über. So 3. B. gab O. H. Lenz aus ſeiner bekannten „Gemeinnützigen Naturgeſchichte“ (II. „Die Vögel“, Gotha 1835, neu— bearbeitet von Burbach in der fünften Auflage) eine beſondere kleine Vogelſchutzſchrift?) heraus. Mit dem nachhaltigſten Eifer aber, um in den weiteſten Kreiſen Teilnahme für dieſe Sache zu erwecken, trat doch eben Gloger auf. Mit ihm etwa zur gleichen Zeit, aber durchaus ſelbſtändig wirkte Graf H. von Wodzicki!“) und ſeine Schrift, die zuerſt in pol— niſcher Sprache erſchien, wurde auch in mehrere andere überſetzt. Wer Glogers Thätigkeit aufmerkſam verfolgt, wird anerkennen müſſen, daß er nicht allein mit voller Beherrſchung des Stoffs, alſo mit klarer Einſicht der obwaltenden Verhältniſſe, mit gründlicher Kenntnis der in betracht kommenden Vogelarten, ſondern auch mit der Raſtloſigkeit eines Agitators für eine gute Sache und zugleich mit der eleganten Form eines geiſtvollen Schriftſtellers vorzugehen wußte. Seine Ziele glaubte er in Folgendem erreichen zu können: J. „Belehrung der Landbevölkerung einerſeits und der Jugend anderſeits über die Lebensweiſe und das ganze Weſen der Vögel, weil durch Unkenntnis und Mutwillen vorzugsweiſe die Verminderung der Vögel wie der nützlichen Tiere überhaupt herbeigeführt werde. 2. Beſchaffung von künſtlichen Zufluchtsorten und Brutſtätten für die in Höhlen niſtenden Vögel, da durch die moderne Land- und Forſtwirtſchaft die natürlichen unabwendbar immer ſeltener würden; auch verlangte er — wie ſchon Ratzeburg lange vor ihm — die Erhaltung hohler Bäume, ſo lange als es ohne ernſtliche Gefährdung der Forſtintereſſen möglich ſei. 3. Anſtreben einer Geſetzgebung für Preußen, beziehentlich für Deutſchland, nach welcher jede, unnötige Schädigung und Tötung aller nützlichen Tiere, insbeſondere der Vögel, unter Strafe zu ſtellen ſei. 4. Anbahnung internationaler auf Gegenſeitig— keit beruhender Verträge, durch welche beſonders der *) Lenz, „Aufforderung zur Schonung und Pflege der nützlichen Vögel“ (Gotha 1851). ) Wodzicki, „Ueber den Einfluß der Vögel auf die Feld- und Waldwirtſchaft im allgemeinen, wie insbeſondere über die waldſchädlichen Inſekten“ (Lemberg 1851). 166 Humboldt. — Mai 1882. Maſſenvertilgung der Zugvögel in ſüdlichen Ländern Schranken geſetzt werden ſollen.“ Dabei ging er recht ſcharf gegen alle Vorurteile und namentlich gegen die Gleichgültigkeit der beteiligten Forſt⸗, Land⸗ und Gartenwirte vor. Bereits im Jahre 1853, alſo vor dreißig Jahren, gab er genaue Anleitung zur Her⸗ ſtellung der Vorrichtungen, welche mit gutem Grund die Glogerſchen Niſtkaſten heißen und die — wenn nicht anders doch aus Pietät — allenthalben ſo genannt werden ſollten, wenn auch die Idee der⸗ artigen praktiſchen Vogelſchutzes keineswegs ſeine eigenſte war, ſondern lange vor ihm thatkräftig geübt worden. : Glogers Anregungen in verſchiedenen Zeitungen wurden meiſtens in die Fachblätter übernommen und von den Herausgebern, jo von Cabanis ), Balda⸗ mus ) u. a. dringend befürwortet; trotzdem aber und obwohl ſeine Vogelſchutzſchriften ) ſodann in hohen Auflagen, alſo in tauſenden von Exemplaren ſeitens der preußiſchen Staatsbehörden an die Lehrer und Schüler, Dorfſchulzen und andere Landleute ver⸗ teilt, dann auch in acht verſchiedenen Sprachen — meiſtens freilich ohne Bewilligung, ſogar ohne Vor⸗ wiſſen des Verfaſſers — überſetzt wurden, hatte er einerſeits perſönlich davon keinerlei materiellen Nutzen, denn er lebte in Armut und ſtarb unter traurigen Verhältniſſen, anderſeits aber vermochte die Vogel- ſchutzidee nur ſtaunenswert langſam zu weiterer Ver⸗ breitung zu gelangen. Erſt als neuere populäre Schriftſteller in ſehr weit verbreiteten Zeitſchriften und Zeitungen (wie „Gartenlaube“, „Ueber Land und Meer“, „Kölniſche Zeitung“, „Neue freie Preſſe“ u. a. m.) unermüdlich mannigfaltige Schilderungen aus dem Leben der uns nächſtumgebenden Vögel brachten und immer von neuem zu deren Schutz und Hegung aufforderten, *) Cabanis, „Journal für Ornithologie“ ſeit 1853). ) Baldamus, „Naumannia“ (Stuttgart 1851 bis 1858). **) Gloger, 1. „Kleine Ermahnung zum Schutze nütz⸗ licher Tiere“ (Berlin 1858, Preis 3 Silbergroſchen)z 2. „Die nützlichſten Freunde der Land- und Forſtwirtſchaft unter den Tieren“ (Berlin 1858, Preis 7½ Silber⸗ groſchen); 3. „Anleitung zur Hegung der Höhlenbrüter“ (mit 5 Tafeln in Steindruck, nach Glogers Tode heraus⸗ gegeben). Außerdem noch zahlreiche andere Schriften, welche jedoch leider wenig zur Geltung gekommen. Die drei erſten Nummern wurden ſodann unter dem Geſamttitel: Dr. C. W. L. Glogers Schriften über Vogelſchutz und den Schutz nützlicher Tiere überhaupt, zeitgemäß bearbeitet und neu herausgegeben von Karl Ruß und Bruno Dürigen: 1. „Kleine Ermahnung zum Schutz nützlicher Tiere“ (zwölfte Auflage, Leipzig 1878 mit 66 Abbildungen auf 3 Tafeln, Preis 60 Pf.); 2. „Die nützlichſten Freunde der Land- und Forſtwirtſchaft unter den Tieren“ (achte Auflage, Leipzig 1877, ebenfalls mit 66 Abbildungen, Preis 1 Mark 20 Pf.); 3. „Anleitung zur Hegung der Höhlenbrüter“ (zweite Auflage, Leipzig 1880 mit 17 Abbildungen auf einer Tafel, Preis 1 Mark 20 Pf.); vermehrt 4. durch ein „Vogelſchutzbuch“ (Leipzig 1881 mit 83 Abbildungen auf 4 Tafeln, Preis 5 Mark). (Kaſſel (Wien 1872) konnte man wahrnehmen, daß die Vogelſchutzidee all⸗ mählich im ganzen Volk lebendig werde. Jetzt be- mächtigte ſich eine bald ſtaunenswert anwachſende populäre Litteratur) der Angelegenheit und ihr vor allem iſt wohl die jetzige außerordentlich verbreitete, mehr oder weniger verſtändnisvolle Teilnahme in allen Bevölkerungsſchichten zu danken. In betreff dieſer Vogelſchutzſchriften bemerkt Borg greve**) folgendes: „Der günſtige Abſatz, das buchhändleriſche Geſchäft, welches mit den Glogerſchen Schriften gemacht war, zum Teil vielleicht auch wirklicher Eifer für die Sache, veranlaßte bald das Erſcheinen von noch einigen Dutzend Variationen über dasſelbe Thema, größten⸗ teils Produkten von Verfaſſern, welche nach ihren *) Baldamus, Ed., „Schützet die Vögel (Bielefeld 1808); Beiche, Ed., „Die ſchädlichen und nützlichen Vögel Deutſchlands“ (Berlin 1868); Biſchof, W., „Nutzen und Schaden der in Bayern vorkommenden Vögel“ (München 1868); Borggreve, B., „Die Vogelſchutzfrage“ (Leipzig 1878); Brehm, A. E., „Das Leben der Vögel“ (Glogau 1867); Burbach, O., „Der einheimiſchen Vögel Nutzen und Schaden“ (Gotha 1880); Droſte, Baron Ferd. v., „Die Vogelſchutzfrage“ (Münſter 1872); Frauenfeld, Georg Ritter v., „Die Grundlagen des Vogelſchutzes“ (Wien 1871); Derſelbe, „Die Frage des Vogelſchutzes“ „Freunde und Feinde des Landmanns“ (Langenſalza 1870); Giebel, C. G., „Vogelſchutzbuch“ (Berlin 1877); Gloger (ſiehe oben); Homeyer E. v., „Deutſchlands Säugethiere und Vögel, ihr Nutzen und Schaden“ (Stolp 1877); Hopf, B., „Die Vögel und die Landwirtſchaft“ (Stuttgart 1880); Kitteleß, „Ueber Niſtkäſten für Vögel“ (Wien 1874); Kompfe, D., „Die Vögel“ (Mainz 1878); Löffler, C., „Die Höhlenbrüter“ (Leipzig 1870); Martin, P. B., „Unſre Sänger im Feld und Wald“ (Stuttgart 1873; Derſelbe, „Menſch und Tierwelt im Haushalt der Natur“ (Stuttgart 1880); Montanus, „Schützet die Singvögel“ (Elberfeld 1868); Müller, Adolf und Karl, „Die einheimiſchen Säugetiere und Vögel nach ihrem Nutzen und Schaden“ (Leipzig 1873); Dieſelben, „Unſere nützlichſten Säugetiere und Vögel, der deutſchen Jugend geſchildert“ (Köln 1877); Ruß, Karl, „Handbuch für Vogelliebhaber“ II. (Hannover 1881), ſiehe auch Neubearbeitung der Gloger ſchen Vogelſchutzſchriften; Schleicher, W., „Nützliche und ſchädliche Vögel“ (Berlin); Schier, W., „Die ſchädlichen Vögel“ (Prag 1881); Stadelmann, „Der Schutz der nützlichen Vögel“ (Halle 1807); Tſchudi, F. v., „Die Vögel und das Ungeziefer“ (St. Gallen 1862); Tſchudi-Schmidhofen, „Schützet und heget die Vögel“ (Wien 1872). Derſelbe, „Winke zum Schutz und zur Hebung der nützlichen Vögel“ (Salz⸗ burg 1876); . . . „Die nützlichen Vögel der Landwirt⸗ ſchaft“ (Stuttgart)) . . . „Ueber Vogelſchutz“ (Elbinger Vogelſchutzberein)) . . . „Zum Vogelſchutz“ (Frauenfeld 1872); Voigt, Karl, „Vorleſungen über nützliche und ſchädliche, verkannte und verleumdete Tiere“ (Leipzig 1874). Außerdem eine Anzahl Streitſchriften: Altum, B., „Der Vogel und ſein Leben“ (Münſter 1869); Derſelbe, „Unſre Spechte und ihre forſtliche Bedeutung“ (Berlin 1879); Baldamus, Ed., „Der Würzburger Amſelprozeß und die Amſel“ (Frankfurt a. M. 1880); Homeyer, E. v., „Die Spechte und ihr Wert in forſtlicher Beziehung“ (Frank⸗ furt a. M. 1879); Semper, C., „Mein Amſelprozeß“ (Würzburg 1880). ) Borggreve, „Die Vogelſchutzfrage“ (Leipzig 1878). > Humboldt. — Mai 1882. 167 bisherigen Publikationen als dazu wenig legitimiert erſchienen. Auch von dieſen Schriften wurden noch einige, wenigſtens die von Giebel (und Stadel— mann) in Preußen von den Behörden an die mit dem Landvolk in direkte Berührung kommenden Organe des Staats angeſchafft, ohne daß in denſelben etwas geboten geweſen wäre, was in bezug auf den frag— lichen Zweck die Glogerſchen Schriften hätten ver— miſſen laſſen.“ Als am wirkſamſten zur Verbreitung der Vogel— ſchutzidee muß zunächſt ohne Frage die Thätigkeit A. E. Brehms ), namentlich in ſeinem unten ge— nannten Werke und in Zeitſchriften, anerkannt werden, und ihr unmittelbar folgend dürfte ſodann die des Verfaſſers dieſer Darſtellung zur Geltung gekommen fein *). Für mich perſönlich galt es zunächſt einen beſonders ſchwierigen und hartnäckigen Kampf un— mittelbar zu führen, den nämlich mit dem Berliner Vogelmarkt, indem ich denſelben in den Zeitungen rückſichtslos angriff und ſein Verbot zu erlangen ſuchte. Es würde hier zu weit führen, wollte ich die draſtiſche Schilderung anfügen, welche Karl Bolle von demſelben gegeben; wer ſich für dergleichen beſon— ders intereſſirt, möge im „Vogelſchutzbuch“ “ **), nach— leſen. Nur einige kurze Angaben will ich entnehmen: „Schenken Sie mir Glauben, wenn ich es von vorn— herein ausſpreche, daß der Berliner Vogelmarkt einer der wohlbeſetzteſten von all den vielen geweſen iſt, welche ich in Deutſchland und einem großen Teile des übrigen Europa zu ſchauen Gelegenheit fand. . . Ihm durfte nichts fehlen, von dem was eingeboren oder freiwillig zugewandert war, falls es ſich nur überhaupt fangen ließ; auf dem auch alles für ein billiges Käufer fand, vom „gelernten“ Dompfaff bis zu dem zufällig in eine Reuſe gekrochenen Waſſer— huhn oder dem aus hohem Turmneſt gefallenen Mauerſegler. . . Es würde freilich vergeblich ſein, danach zu fragen, was aus jenen zahlloſen der Lieb— haberei geopferten Vögeln geworden fei. .. Des Markttages, wenn die Landfrauen in langen Reihen da ſaßen, vor ſich die Körbe voller Blumen, Wald— beeren u. a. .. dann durfte neben anderen Körben voll Eier des Kiebitzes und der Lietze zur Begleitung ein Grasmückenneſt nicht leicht fehlen oder ein junger Kuckuck oder ein Gitter voller Starmätze, die der flachshaarige Junge vom Baum herabgeholt hatte. .. Doch das war wenig, was ſo verkauft ward, das waren nur die Wilden, deren Zufuhr im Vergleich mit jener der Zünftigen zu nichts zerfiel. .. Die Berliner Vogelſtände jener Zeit waren ein wahrhaftes Museum vivum an Vögeln wie an Eiern und Neſtern. Es iſt kaum zu ſagen, welche Menge von *) A. F. Brehm, „Das Leben der Vögel“ (Glogau 1861, zweite Auflage 1867). ) Karl Ruß, „Handbuch für Vogelliebhaber“ II. (Berlin, zweite Auflage 1881), „In der freien Natur“ I. (Berlin, zweite Auflage 1875), „Meine Freunde“ (Berlin, zweite Auflage 1878), „Durch Feld und Wald“ (Leipzig, zweite Auflage 1875). u) Glo gerſche Schriften IV. Humboldt 1882. Arten, welche Suiten reicher und farbenprächtiger Naturbilder an dieſen beſcheidenen Vogelhändlerſtänden auf mehreren Plätzen Berlins dargeboten wurden. Was die meilenweite Umgebung nur erzeugte, was ſie über ſich hinwegwandern ſah, hier war es zu finden. . . In den langen flachen Käfigen der Händler wimmelte es wahrhaft von Vögeln, piepte und kreiſchte es durcheinander, daß es eine Luſt war (J). Allen friſchgefangenen hatte man die Flügel gebunden. Nie werde ich ſolche Maſſen von Wieſenpiepern und gelben Bachſtelzen, nie gleiche Anhäufungen junger Wiedehopfe und Grünſpechte, noch weniger jene koſt— baren Gehecke von Blauraken, Pirolen oder Nacht— ſchwalben wiederſehen, von den Droſſeln aller Art, Kiebitzen, Rotſchwänzchen und Rotkehlchen, die zahl— reich waren wie der Sand am Meere, gar nicht zu reden. Aber bei euch möge die Erinnerung einen Augenblick verweilen, ihr reizenden Bruten des Zaun— königs im grünen Moosneſt, der Haubenmeiſe und des Blaukehlchens, die ihr regelmäßig zu erſcheinen pflegtet. Wendehälſe, Grasmücken, Schilfſänger, Wieſenſchmätzer, ſeltener Brachpieper, ihr alle waret ſtehende Gäſte. Als Ausnahmevorkommnis ſind mir ſogar Eisvogelfamilien erinnerlich. . . Jede Jahres- zeit ſpendete etwas Willkommenes. Es hat Jahre gegeben, in denen die Erlen- und Leinzeiſige ſo häufig gefangen wurden, daß man ſie für wenige Pfennige zum Verſpeiſen faufte. 4 Muß man nun auch einräumen, daß durch die Unterdrückung ſolcher Vogelmärkte zunächſt die Lieb— haberei und vielleicht ſogar die Wiſſenſchaft Nachteile hat, ſo ergibt doch gerade dieſe Darſtellung eines be— geiſterten Vogelliebhabers am ſchlagendſten, wie not— wendig eigentlich das Vogelfangs-Verbot war. Gleiche oder ähnliche Vogelmärkte gab es ja auch in vielen an— deren Städten. Uebrigens hat das Polizeiverbot des Vogelfangs oder richtiger geſagt die verſchärfte Hand— habung der bereits ſeit dem September 1852 be— ſtehenden Verordnung über Vogelſchutz unmittelbar das energiſche Auftreten des damaligen Präſidenten vom Landes-Oekonomie-Kollegium Herrn Dr. Opper— mann herbeigeführt. Dieſem hohen Beamten ver— danke ich auch das Material, welches ich zur Er— örterung der Maßregeln, die ich für die Hegung der Singvögel im „Vogelſchutzbuch“ gegeben, benutzt habe. Mit dem Ende der Sechziger- und dem Beginn der Siebziger Jahre entwickelte ſich ſodann eine außer— ordentlich regſame Thätigkeit für die Verbreitung der Vogelſchutzideen und zugleich für ihre thatkräftige Verwirklichung. Man braucht nur das vorhin ge— gebene Verzeichnis der in jener Friſt geſchaffenen Vogelſchutzſchriften zu überblicken, um dies zu ermeſſen. Aber es entfaltete ſich noch eine ganz andre und ungleich wirkſamere Regſamkeit, die nämlich von mehreren hundert Vereinen (für Vogelliebhaberei und Zucht, Vogelſchutz, Geflügelzucht und Tierſchutz), welche ſich nach und nach über unſer ganzes deutſches Vaterland, auch über Oeſterreich, die Schweiz u. a. verbreiteten und die nun die Vogelſchutzfrage nach allen Seiten hin ihrer Löſung entgegenzuführen ſuchen. 22 168 Humboldt. — Mai 1882. Sie verfolgen die Ziele, welche ja im weſentlichen bereits Gloger auf ſeine Fahne geſchrieben und die wir nach neueſter Auffaſſung etwa in folgenden Punkten vor uns ſehen. 1. Wirkliche thatkräftige Beſchützung und Hegung der Vögel: a) durch Ausführung aller Vogelſchutzmaßnahmen, alſo Beſchaffung neuer Niſtgelegenheiten, Anpflanzung von Vogelſchutzge— hölzen, Anlage von Vogelhainen, Feldremiſen u. a., Bepflanzung der Raine, Wegeränder, Eiſenbahn⸗ böſchungen u. g. mit dornigen und beerentragenden Sträuchen, ſachgemäße Erhaltung hohler Bäume, Aushängen von Niſtkäſten; p) Beſchirmung der Vogel⸗ neſter durch Unterdrückung des Eierſammelns und muth willigen Neſterzerſtörens, ſowie möglichſte Ver⸗ ringerung der Vogelräuber aus der Tierwelt; c) Vogelfütterung im Winter; d) Einbürgerungsver⸗ ſuche mit Singögeln an ſolchen Orten, wo ſie früher vorhanden geweſen oder wo ſie überhaupt fehlen. 2. Erweiterung der Kenntnis der Vögel und des Vogellebens, Erweckung, Verbreitung und zweckmäßige Anleitung der Liebhaberei für alle einheimiſchen Sing- und Schmuckvögel. 3. Streben nach ſachgemäßer geſetzlicher Regelung des Vogelſchutzes. 4. Streben nach Erreichung eines inter⸗ nationalen Vogelſchutz-Geſetzes insbeſondere zur Unterdrückung der maſſenhaften Vogelmörderei in Südeuropa. Damit verbindet ſich ſodann auch die Liebhaberei für fremdländiſche Vögel und in den meiſten Vereinen zugleich für Hühner, Tauben und andres Nutz⸗ und Schmuckgeflügel. Wer dieſes Vereinstreiben ſeit ſeinem Beginn her aufmerkſam verfolgt hat und genau kennt, wird, wenn er ehrlich urteilen will, anerkennen müſſen, daß darin trotz mancher Mißgriffe und Uebertreibungen doch ein geſunder Kern ſteckt, der eine gedeihliche Entwickelung nach allen Seiten hin wohl erwarten läßt. Zum Sammelpunkt für derartige Vogelſchutz⸗ beſtrebungen wuchs meine Zeitſchrift für Vogel⸗ liebhaber *) gleichzeitig mit dem ganzen Vereinsleben empor. Während A. E. Brehm nach der Unter⸗ drückung des Berliner Vogelmarkts mit Bolle ge⸗ meinſam bittere Klage darüber geführt, daß es mit der Liebhaberei für einheimiſche Vögel nun zu aller Zeit vorbei ſein werde, während E. v. Homeyer nicht minder ſchmerzlich beklagt, daß die Liebhaberei für die fremdländliſchen Vögel allen Sinn für die einheimiſchen ertöte, ſo ſehen wir, daß der letztere in der Gegenwart eine ſolche lebendige Entfaltung ge⸗ funden, wie er ſie zur Zeit der Naumann, Bech⸗ ſtein, Lenz, Paſtor Brehm u. a. kaum gehabt. Zugleich hat man der Liebhaberei für die einheimiſchen Vögel noch eine neue Seite abzugewinnen gewußt: man züchtet jetzt Nachtigallen und andere kerbtierfreſſende und körnerfreſſende Vögel unſerer Fluren faſt gleicherweiſe eifrig wie die fremdländiſchen und auch vielfach mit den beſten Er⸗ *) Ruß, „Die gefiederte Welt“ (Berlin ſeit 1882). folgen *). Für ſolche Liebhaberei find ſodann außer meiner Zeitſchrift nach und nach noch mehrere andere erſtanden, und alle erfreuen ſich eines, wenn auch bei weitem nicht ſo großen, doch immerhin lebhaften Leſerkreiſes. Auch die mehr oder minder ſtreng wiſſenſchaftlichen Zeitſchriften auf dieſem Gebiete, die Vereinsblätter *), ferner die Jahresberichte, welche weniger regelmäßig erſcheinen, auch die zahlreichen Blätter für Geflügelzucht, ſodann vorzugsweiſe die Tierſchutz-Zeitungen, die forſtwirtſchaftlichen und Jagdzeitſchriften, faſt alle landwirtſchaftlichen Zeitun⸗ gen, ja ſogar die Organe des Sports, dann natür⸗ lich beſonders die populären naturwiſſenſchaftlichen Zeitſchriften und ſchließlich auch faſt alle Unterhal⸗ tungsblätter und politiſchen Zeitungen bringen hin und wieder Mitteilungen über Vogelſchutz, Vogel⸗ pflege und Vogelzüchtung. Da können wir es wohl ermeſſen, daß eine ſolche ſtaunenswerte, umfangreiche Thätigkeit auch eine entſprechend wirkungsvolle iſt. Am bedeutſamſten für die Vogelliebhaberei ſind gegenwärtig die von faſt ſämtlichen Vereinen all- jährlich veranſtalteten Ausſtellungen geworden, auf welchen neuerdings insbeſondere auch die ein⸗ heimiſchen Vögel zur vollen Geltung kommen. Man wird es keinesfalls beſtreiten können, daß durch die⸗ ſelben Vogelkenntnis, Vogelliebhaberei und Vogel⸗ ſchutz gleicherweiſe gefördert werden und daher ſind meines Erachtens die Ausſtellungen mit beſonderer Freude zu begrüßen, wie denn eben in der That alle dieſe Beſtrebungen zuſammen in vielfacher Hinſicht der allgemeinen Anerkennung wert erſcheinen, wenn ſie dieſelbe freilich leider auch noch nicht überall im entſprechenden Maße finden. II. Glogers Auffaſſung der Vogelſchutzidee war die, daß die ganze Natur und alles rings in ihr urſprüng⸗ lich durchaus zweckmäßig eingerichtet ſei, daß die Störungen im Gleichgewicht des Naturwaltens ledig⸗ lich durch die Menſchenthätigkeit verurſacht würden, daß die Natur aber immer und überall das Be⸗ ſtreben habe, wieder ins Gleichgewicht zu gelangen; die Vögel vermöge ihrer Ernährung durch Kerbtiere wirken darauf hin, beziehentlich tragen dazu bei, daß das geſtörte Gleichgewicht wieder hergeſtellt werde. Dieſe Anſchauung hat man im allgemeinen bis zum heutigen Tage beibehalten und nur über den mehr oder minder hohen Grad der in dieſem Sinne ent⸗ falteten Nützlichkeit der einzelnen Vogelarten, ſowie auch über das Gegenteil, das Maß ihrer Schädlich⸗ keit für den Naturhaushalt und beziehentlich für die menſchlichen Nutzgewächſe, obwaltet eben der vorhin ) Siehe Ruß, „Handbuch für Vogelliebhaber“ II. und „Die gefiederte Welt“ (Mitteilungen in allen zehn Jahr⸗ gängen). **) „Monatsſchrift des deutſchen Vereins zum Schutz der Vogelwelt“ (Halle, ſeit 1876), „Mitteilungen des ornithologiſchen Vereins in Wien“ (ſeit 1876), „Zeitſchrift des ornithologiſchen Vereins in Stettin“ (ſeit 1877), „Blätter des böhmiſchen Vogelſchutzvereins in Prag“ (ſeit 1880) u. a. Humboldt. — mai 1882. 169 erwähnte manchmal gar hitzige Meinungsſtreit. Nun geht aber dieſe Auffaſſung doch von vornherein von ganz unrichtigen Vorausſetzungen aus, denn man darf nie und nirgends mit voller Entſchiedenheit be— haupten, daß eine Vogelart durchaus ſchädlich oder nützlich ſei; ein und derſelbe Vogel kann bei ganz ein und derſelben Lebens- und Ernährungsweiſe hier großen Nutzen, dort noch größern Schaden hervor— bringen und an der dritten Stelle ganz gleichgültig ſein. Jeder Menſch ſieht eben den Vogel, d. h. jede einzelne Art, von dem Standpunkt ſeiner Bildung und ſeiner Kenntniſſe, durch die Brille ſeines perſön— lichen Vorteils, ſeiner Vorliebe oder ſeines Vorurteils an. Somit kommen wir zu der Einſicht, daß wir am beſten daran thun, das Verhältnis der etwaigen Schädlichkeit oder Nützlichkeit, mindeſtens aber die ſorgfältige Abwägung beider bei den einzelnen Arten, ganz außer acht zu laſſen. Dagegen haben wir einige andere Geſichtspunkte vor uns, welche ſich keineswegs ohne weiteres von der Hand weiſen laſſen. Als einen der wichtigſten erachte ich die äſthetiſche und dann die humane Seite. Man würde ſich ſicherlich an der Natur und Menſch— heit zugleich verſündigen, wollte man teilnahm- und herzlos an dem Gedanken vorübergehen, daß alle freilebenden Tiere überhaupt über kurz oder lang dem völligen Ausſterben anheimfallen müſſen — und doch liegt hier nicht bloß eine Möglichkeit, ſondern die Wahrſcheinlichkeit ſehr nahe. Wollte man mich in ſolcher Befürchtung der Weichherzigkeit zeihen, ſo brauchte ich doch bloß darauf hinzuweiſen, daß es ſich hier um die Thatſache handelt, welche ergibt, daß ja bereits zahlreiche Tierarten dem Vordringen der menſchlichen Kultur haben weichen müſſen, und daß dies unabwendbar immer mehr geſchehen wird. Treiben wir den Streit bis zum äußerſten, ſo bleibt uns nur die Wahl zwiſchen der kraſſen Auffaſſung, welche den Vogel einfach wie jedes andere Ding mit Rückſicht auf den menſchlichen Vorteil, beziehungsweiſe Nutzen oder Schaden beurteilt und alſo lehrt alles auszu— nutzen, ſoweit man irgend kann, was uns feindlich ijt, ohne weiteres zu vernichten und die weder nütz— lichen noch ſchädlichen Geſchöpfe gleichfalls rückſichts— los aus dem Wege zu räumen — oder der entgegen— geſetzten Anſchauung, die uns ſagt, daß wir das Recht des Daſeins bei jeder Kreatur achten und alles ſchätzen ſollen, wenn es auch nicht durchaus nutzbar, ſondern nur ſchön, anmutig, Auge, Ohr und Herz erfreuend iſt. Meines Erachtens würde es dem Menſchenherzen wenig Ehre machen, uns auch ſicherlich keinen Vor— teil, ſondern nur Unheil bringen, wollten wir alle Vögel um uns her nur mit ſchnöder Erwägung ihres Nutzens und Schadens anſehen. Für jeden, der ſich mit der Vogelſchutzangelegenheit beſchäftigt, müſſen ſodann die folgenden Fragen von größter Bedeutung ſein: 1) Iſt denn die Behauptung, daß die Singvögel an Arten und Kopfzahl allent— halben der Verringerung und ſtellenweiſe ſogar der Ausrottung entgegengehen, wirklich thatſächlich richtig? 2) In welchen Urſachen ijt dieſe trübſelige Erſchei⸗ A a 1 nung begründet? 3) Welche Maßnahmen können zu deren Abſtellung verhelfen? Wer mit ausreichender Kenntnis um ſich blickt, wird daran nicht zu zweifeln brauchen, daß der erſte Punkt leider mit voller Entſchiedenheit bejaht werden muß. Hierher gehörende Beiſpiele finden wir in der vorhin aufgezählten reichen Literatur vielfach mitge— teilt. Jeder Vogelfreund kennt ſodann wohl zweifel— los aus eigener Erfahrung Fälle, in denen hier und da ein beſonders auffallendes Vogelpärchen, ander— wärts eine ganze Vogelkolonie, z. B. Erd- oder Haus- ſchwalben, verſchwunden ſind oder die letzteren ſich doch immer mehr verringern. Welchen ſprechenden Beweis gibt ferner Berlin! Wo ſind die gefiederten Schätze geblieben, welche noch vor wenigen Jahr— zehnten die Umgebung der Reichshauptſtadt bevölkerten und die durch den geſchilderten Vogelmarkt in nur zu unvernünftiger Weiſe ausgebeutet wurden. Er⸗ fahrene Vogelkundige behaupten nun zwar, daß manche Arten, ſo z. B. die Lerchen ſtellenweiſe ſogar be— deutend an Kopfzahl zugenommen haben; Gegenſtücke aber laſſen ſich allenthalben in großer Mannigfaltig— keit nachweiſen. Bei der Beantwortung der zweiten Frage muß ich folgerichtig zugleich vielfach die dritte berühren und es iſt daher am beſten, wenn ich beide einfach zuſammenfaſſe. Auf a) die Bedeutung der Kultur— verhältniſſe für die Vögel habe ich bereits mehrfach hingewieſen; als weitere Verringerungsurſachen kom— men ſodann noch folgende in Betracht: b) zunächſt der Maſſenmord der Vögel in den Ländern um's Mittelmeer; c) der Vogelfang bei uns; d) das Aus⸗ rauben oder Zerſtören der Vogelneſter; e) das Ueber— handnehmen der Feinde aus der Tierwelt. Hier haben wir nun das Hauptfeld der Thätig— keit der Vereine vor uns, hier erſtreben ſie alſo die Ziele, welche ich vorhin angegeben, und es erübrigt nur noch auf die Vogelverringerungsurſachen näher einzugehen, um, wenn möglich, die beſten Mittel und Wege für ihre Abſtellung aufzufinden. Ueber den Maſſenmord unſerer Singvögel in den Ländern um's Mittelmeer hat meine Zäeitſchrift“) ſeit Jahren überaus zahlreiche Angaben gebracht und nicht minder iſt auch in vielen anderen, namentlich großen politiſchen Zeitungen“) dieſe Angelegenheit durch ſehr ausführliche Mitteilungen gründlich erörtert. Wer ſich über den Umfang der unſeligen ſüdeuropäiſchen Vogelmörderei näher unterrichten will, mag dort nach— leſen; hier genüge nur das eine Beiſpiel, daß nach Angabe eines Augenzeugen in der Nähe von Chia— venna täglich 26,000 Dutzend Vögel gefangen und verſpeiſt wurden. „Wie hier aber, ſo geſchieht es in jeder Stadt und jedem Dorf am Fuß der Alpen wochenlang im Herbſt.“ Alle Anſtrengungen, welche ſeitens Einzelner oder der Vereine im Laufe der letzten zwanzig Jahre gemacht worden, ſind geſcheitert und nur dadurch iſt der Fang einigermaßen eingeſchränkt worden, daß ſich die Zahl der ankommenden Vögel *) Ruß, „Die gefiederte Welt“. **) z. B. „Kölniſche Zeitung“ 1881. 170 Humboldt. — Mai 1882. allmählich immer mehr verringerte, fo daß ſich der Betrieb bereits beſtehender oder gar die Anlage neuer derartiger großer Vogelfangvorrichtungen nicht mehr recht verlohnt. Wenden wir uns nun der Betrachtung des Vogel⸗ fangs bei uns zu, ſo kann ich zunächſt mit Genug⸗ thuung behaupten, daß derſelbe gegenwärtig in jeder Hinſicht viel geringer betrieben wird, als in früheren Zeiten. Der ſcheußliche Meiſenfang zum Verſpeiſen dieſer nützlichen Vögel, welcher bis vor einem Jahr⸗ zehnt noch in Thüringen u. a. ausgeübt wurde, hat völlig aufgehört; anderweitig werden Vögel für die Küche nur im geringen Maße gefangen und ſomit würden wir über die ſcheußlichſte aller Vogelvertil⸗ gungen bereits hinweg fein, wenn wir nicht den leidigen Lerchen⸗ und Kramtsvogelfang noch im großartigſten Maßſtabe bei uns ſehen müßten. Der Vogelfang als Erwerb zum Verkauf lebender Vögel für die Liebhaberei iſt bei uns nur noch in verhält⸗ nismäßig geringem Maße zu finden. Die Polizei ſieht den Vogelfängern allenthalben ſcharf auf die Finger, dem Verkauf der bereits gefangenen Vögel gegenüber pflegt ſie dagegen gern ein Auge zuzu⸗ drücken. Nach meiner Meinung iſt dies Verfahren auch durchaus richtig. Ganz zu unterdrücken wird der Vogelfang nimmermehr fein, denn die Liebhaberei für Stubenvögel wurzelt tief im Volksleben. Be⸗ trachtet man die Verhältniſſe mit klarem, unpar⸗ teiiſchem Blick, fo kommt man entſchieden zu der Ein⸗ ſicht, daß die Anzahl der zur Befriedigung der Vogel⸗ liebhaberei lebend gefangenen Vögel zunächſt dem Maſſenfang für Küchenzwecke gegenüber geradezu ver⸗ ſchwindend gering iſt; ferner, daß die Liebhaber der edlen Sänger zugleich auch regelmäßig die thatkräftig⸗ ſten Vogelſchützer ſind, daß ein ſolcher für jeden ge⸗ fiederten Gaft, den er im Käfige beherbergt, ſich eifrig beſtrebt, hunderten freilebender Vögel die Daſeins⸗ bedingungen zu ſichern. Sieht man zudem die Lieb- haberei für einheimiſche Vögel von wiſſenſchaftlichen, naturgeſchichtlich-erziehlichen, äſthetiſchen u. a. Geſichts⸗ punkten aus an, erwägt man, daß ſie ſeit Jahr⸗ hunderten im deutſchen Volksleben heimiſch iſt, daß ſie zur Anregung, Belehrung und Erheiterung im Familienleben viel beizutragen vermag, daß ſie zur Verbreitung ornithologiſcher und allgemein natur⸗ geſchichtlicher Kenntniſſe eine gewichtige Bedeutung hat — ſo wird man ihre Berechtigung zweifellos gelten laſſen müſſen. Während es ſich bei jedem Stubenvogelfang immer nur um eine verhältnismäßig geringe Anzahl, gleichſam um den einzelnen Kopf handelt, da vernichtet der die Neſter ausraubende Bube mit einem Schlag die ganze Familie und vertreibt die betreffende Vogelart nicht ſelten für immer oder doch für lange Zeit aus der Gegend. Gern erkenne ich es an, daß die Oologie als Wiſſenſchaft einen hohen Wert hat und für die Ornithologie unentbehr⸗ lich iſt; dem warmherzigen Freunde der Vögel muß es aber förmlich ungeheuerlich dünken, wenn er die Thätigkeit eines ſolchen Sammlers betrachtet, der ein ganzes Menſchenalter hindurch in den Wäldern und Auen viele Tauſende von Vogelneſtern ausraubt und ee da er ſtets die ganzen Gelege nimmt, im Laufe der Jahre eine Vogelzahl vernichtet, die in Anbetracht des Treibens eines einzelnen Menſchen geradezu erſchreckend erſcheint. Müſſen wir hier indeſſen rückhaltlos die Berechtigung des Eierſammelns für die Wiſſenſchaft zugeben, fo ſprechen wir doch umſomehr Abſcheu und Entrüſtung aus über die Handlungsweiſe der Eierſammler, die unter dem Deckmantel der Wiſſen⸗ ſchaft Schacher treiben. E. v. Homeyer gibt folgende Andeutung: „. .. Es klingt ja an ſich ganz ſchön, aber die Wiſſenſchaft iſt beim Eierſammeln nur zu oft die bergende Hülle für den ſchnödeſten Eigennutz. Ich könnte darüber recht ſchlagende Thatſachen mite a teilen .. .“ Das Neſterausrauben ſeitens der Hirten⸗ buben, welches größtenteils nur aus Mutwillen ge⸗ ſchieht, richtet gleichfalls viel Unheil an und läßt ſich, da jene kleinen Uebelthäter gewiſſermaßen darauf an⸗ gewieſen ſind, mit Naturgegenſtänden, allen Tieren, derer fie habhaft werden können, Vogelneſtern u. a. m. ihr Spiel zu treiben, nicht leicht unterdrücken. Wir können nur die dringende Bitte an die Lehrer auf dem Lande richten, daß ſie durch Belehrung über die Vögel, ihre Nützlichkeit u. ſ. w. auf die Jugend ein⸗ wirken mögen. Anleitung dazu bieten in erſchöpfender Weiſe die neubearbeiteten Gloger'ſchen „Vogelſchutz⸗ ſchriften“, insbeſondere das „Vogelſchutzbuch“. Da⸗ durch, daß der Lehrer in der Schule über die Lebens-, und namentlich die Ernährungsweiſe der Vögel Auf⸗ klärung gibt, den Kindern damit richtige Vorſtellungen, bezüglich Kenntniſſe beibringt und dadurch wiederum Aufmerkſamkeit, Anteilnahme, Zuneigung für die Tierwelt und das Naturleben überhaupt zu erwecken ſucht, wird der Vogelſchutz eben ſicherlich in der wirk⸗ ſamſten Weiſe gefördert. Es iſt ein großer Unter⸗ ſchied, ob der Landmann das Vogelneſt neben dem Wege mutwillig, wohl gar böswillig herabreißt, es unbedachtſamerweiſe ſeinen Kindern zum Spiel mit⸗ nimmt — oder ob er in humaner und tierfreundlicher Geſinnung und an Einſicht bereits ſo hoch ſteht, daß er das Vogelneſt ſorgſam behütet, vor allen Gefahren zu bewahren ſucht, es ſeinen Kindern mit Vorſicht zeigt und ihnen die Lehre einprägt, daß ſie es gleich⸗ ſam wie ein Heiligtum der Natur betrachten müſſen. Es würde hier zu weit führen, wollte ich eine eingehende Schilderung aller Feinde der Vogelwelt geben; ich muß mich vielmehr mit einer bloßen Auf⸗ zählung begnügen und darauf hinweiſen, daß Näheres über dieſelben ja in jeder guten Naturgeſchichte zu finden iſt. Obenan unter ihnen ſteht leider die Haus⸗ katze; eine ſolche kann in Gärten, auf Feldern, Wieſen, in Hain und Wald geradezu unermeßlich vielen Schaden verurſachen, und ſie ſollte daher überall dort unnach⸗ ſichtlich getötet werden. Auch kleine Hunde, insbe⸗ ſondere Spitze, Pinſcher, ſogenannte Rattenfänger u. a. darf man während des Frühlings und Frühſommers daſelbſt nicht leiden. Steinadler, Wander- und Baum⸗ falk, kleinere Falken, Hühnerhabicht, Sperber, Weihen, Milane, Buſſarde, Eulen, Krähenvögel, Würger, beide Störche, Fuchs, Marder, Iltis, Wieſel, Igel, Eich⸗ Spitzmaus, Ratten, Mäuſe — fie ſämmtlich 0 cia wo man die Vögel hegt und ſchützt, alſo in iS werden. den eigentlichen Vogelſchutzanlagen nicht geduldet ſcheidungen feſtzuhalten, denn während man nur die verhältnismäßig wenigen durchaus ſchädlichen allent— halben und rückſichtslos verfolgen darf, Kenner, Waidmann, Landwirt, insbeſondere aber der Vogelſchützer viele der anderen, ſo die kleinſten Falken, Buſſarde, alle Eulen bis auf den Uhu, mehrere Krähen— vögel und die kleinſten Würger (und gleicherweiſe auch die meiſten der Vierfüßler) verſchonen und ſelbſt beſchützen. Die Thätigkeit der Vereine erſtreckt ſich in dieſem Punkt namentlich darauf, daß Prämien für die Erlegung der Raubvögel ausgeſetzt werden und dies hat allerdings ſeine Berechtigung, aber auch ſeine Schattenſeite. Es iſt meiſtens zwecklos, einen ſolchen Kampf nur an einer Oertlichkeit zu führen, weil näm— lich doch die meiſten gefiederten Räuber Zug- oder doch Strichvögel find. Um wirkſamen Schutz für die Singvögel (ſowie auch für Tauben und andres Nutz geflügel) zu erlangen, müßte die Raubvogelvertilgung durch ganz Deutſchland einheitlich und ungleich wirk— ſamer als bisher betrieben werden. nun in Betracht, daß es für viele Betheiligte recht ſchwer hält, von den überaus ſchädlichen gefiederten Räubern die mehr oder minder nützlichen ſicher zu unterſcheiden, ferner ſind in letztrer Zeit die Jäger leider vielfach zu der Meinung gekommen, daß die Buſſarde u. a. ſehr ſchädlich ſeien, weil ſie hin und wieder ein jagdbares Tier ſchlagen. Meines Erachtens würde es zu den wirkſamſten Vogelſchutzmaßnahmen gehören, wenn ſachkundige berufene Schriftſteller ſich bemühen wollten, einerſeits durch Gegenüberſtellung aller bisher vorhandenen Ausſprüche in der ein— ſchlägigen Literatur und andrerſeits durch gründliche Erörterung der Frage gerade das Verhältnis dieſer Vögel thunlichſt aufzuklären. III. Es iſt wohl erklärlich, daß bereits ſehr frühe die geſetzliche Regelung der Vogelſchutzangelegenheit viel— fach erſtrebt und mehr oder minder auch erreicht worden. Einige kleine deutſche Staaten, ſo beſonders Heſſen— Darmſtadt beſaßen bereits geſetzliche Beſtimmungen, wenn dieſelben freilich auch keineswegs ausreichend waren und meiſtens bald in Vergeſſenheit gerieten. Das erjte eigentliche Vogelſchutzgeſetz finden wir in Schwarzburg⸗Sondershauſen (1854) und durch das— ſelbe wurden namentlich die unheilvollen Meiſenhütten unterdrückt. Nach dem preußiſchen Landrecht war in den ſechs öſtlichen Provinzen das Fangen aller nicht zur Jagd gehörenden Tiere für jedermann freigegeben; allmählich und ſtellenweiſe wurden dann beſondere Beſtimmungen zum Schutz der Vögel erlaſſen, ſo im Regierungsbezirk Münſter bereits im Jahr 1823, dann eine Nachtigalſteuer von 5 Thaler im Jahr 1841, jedoch nicht allgemein, „ſondern nur, wo das Bedürf— nis ſich herausſtellte,“ z. B. in der Rheinprovinz, im Regierungsbezirk Erfurt, in der Stadt Berlin. Humboldt. — Mai 1882. Im übrigen aber ſind doch zwiſchen den einzelnen aller dieſer Tiere bedeutungsvolle Unter- wird jeder thologen-Geſellſchaft Dabei kommt 171 Für die letztere erſchien eine Verordnung über Vogel— ſchutz im Jahr 1852. Infolge deſſen, daß die öffent— liche Meinung ihre Stimme immer lauter und nach— drücklicher erhob, gelangte die Vogelſchutzfrage ſodann auch vor das Forum des preußiſchen Abgeordneten— hauſes (1862), welches „die Erwartung ausſprach, die Regierung werde auf internationalen Schutz der für die Land- und Forſtwirtſchaft nützlichen Vögel Bedacht nehmen“. Auf Anregung von Borggreve wurde die Vogel— ſchutzfrage in einer Verſammlung der Deutſchen Orni— (1870) zu Hannover verhandelt, und infolge deſſen ſchrieben „zwei namhafte Orni— thologen, der damalige Direktor des zoologiſchen Gartens zu Hannover Niemeyer und F. v. Droſte— Hülshoff Abhandlungen über Vogelſchutz. Beide be— handelten aber eigentlich nur eine Seite der Frage, nämlich die möglichſte Richtigſtellung des Nutzens und Schadens der einzelnen Vogelarten und das zweckmäßigſte Verfahren zur Beſchützung der vor— wiegend nützlichen durch die Landesgeſetzgebung“. Einzelne kleinere deutſche Staaten, z. B. Württemberg, Bayern und Sachſen, erzielten eine ſelbſtändige Geſetz— gebung oder doch bezügliche Verordnungen auf dieſem Gebiete, während die preußiſche Regierung der An— ſicht war, daß es beſſer ſei, die letzteren lediglich der Polizeiverwaltung den örtlichen Verhältniſſen gemäß zu überlaſſen. Im übrigen wurden nun Sachver— ſtändige von verſchiedenſter Berufsthätigkeit, wie Land— und Forſtwirte, Fachornithologen, insbeſondre betref— fende Schriftſteller, ſowie hervorragende Perſönlich— keiten inmitten der höheren Behörden herangezogen und zu Gutachten veranlaßt. Auf dem internationalen Kongreß der Land- und Forſtwirte in Wien (1873) wurde auf Antrag des Geſandten der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft v. Tſchudi die Vogelſchutzangelegen— heit gleichfalls zur Verhandlung gebracht; aber auch dort, wie überall anderwärts führte dieſelbe nur zu langwierigen Streitigkeiten über den Grad der Nütz— lichkeit bezüglich Schädlichkeit der einzelnen Arten. Im Jahre 1875 kam dann eine Vereinbarung zwiſchen Oeſterreich-Ungarn und Italien zu Stande und zwar in folgender Faſſung: Artikel I. Die Regierungen beider Teile ver— pflichten ſich, im Wege der Geſetzgebung Maßregeln zu treffen, welche dazu geeignet ſind, den für die Bodenkultur nützlichen Vögeln thunlichſten Schutz und zwar mindeſtens in dem durch die folgenden Art. II bis IV bezeichneten Umfange zu ſichern. Art. II. Das Zerſtören oder Ausheben der Neſter und Brutſtätten überhaupt, das Wegnehmen der Eier und das Fangen der jungen Vögel, in welcher Weiſe immer, ſoll allgemein verboten ſein. Ebenſo ſoll der Verkauf der gegen dieſes Verbot erlangten Neſter, Eier und Vögel beſtraft werden. Art. III. Es ſoll ferner allgemein verboten ſein: a) der Fang oder die Erlegung der Vögel zur Nacht— zeit mittelſt Leim, Schlingen und Netzen, Feuer- und andren Waffen; hierbei gilt als Nachtzeit der Zeit— raum von einer Stunde nach Sonnenuntergang bis 172 Humboldt. — Mai 1882. eine Stunde vor Sonnenaufgang; bp) jede Art des Fanges oder der Erlegung, ſolange der Boden mit Schnee bedeckt iſt; c) jede Art des Fanges oder der Erlegung längs der Waſſergerinne, an den Quellen und Teichen während der Trockenheit; d) der Vogel⸗ fang mit Anwendung von Körnern oder andren Futter⸗ ſtoffen, denen betäubende oder giftige Subſtanzen beigemiſcht ſind; e) der Vogelfang mittelſt Schlingen und Fallen jeder Art und Form, welche auf der Bodenfläche angebracht werden, namentlich mit Reuſen, kleinen Fallkäfigen, Schnellbögen, mit den in Dal⸗ matien „Ploke“ genannten Fallen, ſowie mit der für den Fang der Lerchen üblichen „Lanciatore'; k) der Vogelfang mittelſt der „Paretelle' genannten Schlag⸗ netze und überhaupt mit beweglichen und tragbaren, auf dem Boden oder quer über das Feld, Niederholz oder den Weg geſpannten Netzen. (Die Regierungen beider Teile behalten ſich vor, noch fernere Arten des Vogelfangs zu verbieten, wenn aus den Aeußerungen der in Oeſterreich-Ungarn hier zu berufenden Stellen oder aus jenen der Provinzialräte in Italien erkannt wird, daß ſolche Arten des Vogelfangs als zu zer⸗ ſtörend auf den Beſtand der Stand- oder Wander⸗ vögel einwirken). Art. IV. Der Fang oder die Erlegung ſoll über⸗ dies unbeſchadet der allgemeinen Verbote der Art. II und III nur geſtattet ſein: a) Vom 1. September bis Ende Februar mit Schießwaffen; p) vom 15. Sep⸗ tember bis Ende Februar mit andren nicht verbotenen Mitteln. Der Verkauf der Vögel ſoll außer dieſen Zeiten verboten ſein. Art. V. Ausnahmen von den Beſtimmungen der Art. II, III und IV können von jeder Regierung zu wiſſenſchaftlichen Zwecken über begründetes Einſchreiten und unter beſtimmten Bedingungen geſtattet werden. Art. VI. Da im Sinne des Art. I die Beſtim⸗ mungen dieſer Erklärung nur den Schutz jener Vogel⸗ arten zum Zweck haben, welche der Bodenkultur nütz⸗ lich find, fo iſt es ſelbſtverſtändlich, daß die Art. II bis V weder auf die Raubvögel und die ſonſtigen für die Land⸗ oder Hauswirtſchaft als ſchädlich er⸗ kannten Vögel, noch auf das in der Landwirtſchaft und im Haushalt überhaupt vorkommende zahme Federvieh Anwendung finden. (Auf ſolche Vogel⸗ arten ferner, welche, ohne der Bodenkultur in ent⸗ ſchiedener Weiſe ſchädlich oder nützlich zu ſein, ihren vornehmlichen Wert lediglich als Jagdtiere haben, ſollen zwar die Art. II bis V eine unbedingte An⸗ wendung nicht finden; die Regierungen beider Teile erklären jedoch ihre Bereitwilligkeit auch in Betreff dieſer letzterwähnten Vogelarten Vorſchriften zu er⸗ laſſen, welche den Fortbeſtand derſelben als Gegen⸗ ſtand der Jagd ſichern). Art. VII. Die Regierungen beider Teile werden von Fall zu Fall ſich gegenſeitig jene Normen über den Vogelſchutz mitteilen, welche in ihren Staats⸗ gebieten erlaſſen werden, ſammt den hierzu nötigen oder gewünſchten Erläuterungen. Art. VIII. Die Regierungen beider Teile werden dahin wirken, daß auch andere Staaten dieſer Er⸗ klärung beitreten. Art. IX. Die gegenwärtige Erklärung wird in zwei gleichlautenden Exemplaren ausgefertigt, welche von den betreffenden Miniſtern der auswärtigen An⸗ gelegenheiten zu unterzeichnen und gegenſeitig auszu⸗ tauſchen ſind. (Rom am 29. November 1875). Bis jetzt iſt dieſe internationale Vereinbarung jedoch noch keineswegs thatſächlich in Kraft getreten, denn ſowohl in Oeſterreich als auch in Italien wird trotz derſelben der Vogelfang im großartigſten Maß⸗ ſtabe betrieben. Bevor dieſelbe durch den Beitritt der übrigen europäiſchen Regierungen vollſtändig inter⸗ national geworden, wird die italieniſche Regierung wohl ſchwerlich die Macht erlangen, mit dem nötigen Nachdruck die Beſtimmungen des Vertrags zur Gel- tung zu bringen. In dieſer Einſicht ſuchte man nun ſchon längſt durch Anträge in den geſetzgebenden Ver⸗ ſammlungen der verſchiedenen Länder, insbeſondre Deutſchlands, dieſes Ziel zu erſtreben. Der Ver⸗ band der rheiniſch⸗weſtfäliſchen Tierſchutzvereine, er⸗ ſuchte den Verfaſſer dieſes um ein Gutachten, auf Grund deſſen eine Eingabe an den deutſchen Reichs⸗ tag gerichtet wurde. In demſelben Jahre (1876) brachte ſodann der Fürſt zu Hohenlohe-Langenburg den „Entwurf eines Geſetzes betreffend den Schutz nützlicher Vogelarten“ gleichfalls in den Reichstag. Dann wurde die deutſche ornithologiſche Geſellſchaft in Berlin zur Abgabe eines Gutachtens aufgefordert. Borggreve ſtellte einen Antrag dahin, daß man alle Vögel geſetzlich unter die jagdbaren Tiere einreihe. Bei allen derartigen Auslaſſungen, bezüglich Gut⸗ achten (v. Frauenfeld für die öſterreichiſche Regierung, F. v. Droſte⸗Hülshoff für die deutſche Ornithologen⸗ Geſellſchaft, Borggreve für die preußiſche Regierung, K. Ruß für den Verband der rheiniſch⸗weſtfäliſchen Tier⸗ ſchutzvereine, A. E. Brehm und Genoſſen für die allge⸗ meine deutſche ornithologiſche Geſellſchaft, ſowie auch bei dem Geſetzentwurf des Fürſten Hohenlohe⸗Langen⸗ burg) handelte es ſich im weſentlichen immer wieder nur um Meinungsverſchiedenheiten über den mehr oder minder hohen Grad der Nützlichkeit bezüglich Schäd⸗ lichkeit der einzelnen Vogelarten. Die deutſche Reichs⸗ regierung brachte im Jahr 1878 den Entwurf eines Vogelſchutzgeſetzes ein, welcher zunächſt für das Inn⸗ land gelten, aber auch als Grundlage für die inter⸗ nationalen Vereinbarungen dienen ſollte; denn das vorhin angeführte bisher beſtehende Abkommen zwiſchen Oeſterreich⸗Ungarn und Italien nennt Borggreve mit Recht „eine vieldeutige zur Umgehung geradezu auf⸗ fordernde Faſſung“. Leider kam auch damals das Geſetz nicht zu Stande. Als Vorſitzender der Vereine „Aegintha“ und dann „Ornis“ in Berlin brachte ich die Vogelſchutz— frage natürlich auch im Kreiſe derſelben zur Sprache und erzielte volle Einſtimmigkeit über folgenden Geſetz⸗ entwurf, bei welchem, wie ich mit Beſtimmtheit glaube, alle Schwierigkeiten unſchwer zu überwinden ſind: 1) Für alle freilebenden Vögel wird eine alljährliche Schon- und Schutzzeit feſtgeſtellt. * Humboldt. — Mai 1882. 173 (Die unter das Jagdgeſetz fallenden Arten kommen hier nicht in Betracht.) Nur die als fraglos über— wiegend ſchädlich bekannten ſind auszunehmen (als ſolche dürfen gelten: Adler, Falken, Sperber, Habichte, Weihen, Milanen, Uhu, Rabe, Elſter, beide Heher (2), Reiher, Rohrdommel, Kormoran, Taucher und Säger). 2) Unbedingter Schutz zu jeder Zeit wird nur den Vögeln zu Teil, in Betreff deren großer Nützlichkeit ſich keinerlei Meinungs— zwieſpalt erhebt und die zugleich für die Lieb— haberei an Stubenvögeln keine Bedeutung haben. (Dies ſind: alle Schwalben, der Segler, die Nachtſchwalbe, alle Spechte, Wendehals (7), Kleiber, Baume und Mauerläufer, Kukuk, Wiedehopf). Sie dürfen unter keinen Umſtänden gefangen und getötet werden. 3) Auch die als durchaus oder doch nur überwiegend ſchädlich bekannten Vögel dürfen nur von Jagdberechtigten zu jeder Zeit erlegt oder gefangen werden. 4) Alle übrigen, zu dieſen beiden Gruppen nicht gehörenden Vögel dürfen außer jener be— ſtimmten Zeit des Jahres (Vogelſchonzeit) gefangen werden. 5) Jeder großartige und Maſſenfang jedoch, ſowie jedes Fangen und Erlegen der Vögel für den Zweck des Verſpeiſens ſind durchaus verboten. 6) Das Ausrauben und Zerſtören aller Vogelneſter mit alleiniger Ausnahme derer von den genannten ſchädlichen Vögeln iſt ſtrafwürdig; auch jene dürfen nur von Jagdberech— tigten ausgeraubt oder zerſtört werden. Es erübrigt nun noch, daß ich auch die Geſichts— punkte, bezüglich Motive angebe, welche mich bei der Aufſtellung dieſer Geſetzesvorſchläge leiteten: 1) Um alle Streitigkeiten über den Nutzen und Schaden der einzelnen Arten überflüſſig zu machen und zugleich der ausübenden Obrigkeit die Bürde der Unterſcheidung zwiſchen nützlichen und ſchädlichen Arten abzunehmen, wünſche ich unbedingten Schutz für alle nicht durchaus ſchädlichen Vögel in einer beſtimmten Zeit des Jahres. 2) Die im zweiten Punkt aufgezählten durchaus zu ſchützenden Vögel kennt jedermann von vornherein, ſie ſind ſämtlich bereits im Volksmunde gleichſam heilig geſprochen, ſo daß ihr geſetzlicher Schutz daher eigent— lich nur gegen mutwillige und einſichtsloſe Leute, gegen dieſe aber auch um fo mehr notwendig iſt.“) Bei einigen Arten, ſo z. B. dem Wendehals habe ich ein Frage— zeichen gemacht, weil er ſtellenweiſe der Bienenräuberei beſchuldigt worden. Wenn man freilich ſo weit geht, auch die Schwalben als Bienenfeinde zu verfolgen, ) Wo manche läſtig werden, kann man fie unſchwer vertreiben, ſo z. B. Schwalben dadurch, daß man die Stellen, an welche ſie ihre Neſter bringen wollen, mit grüner Seife beſtreicht. Als brutal würde ich es anſehen, wenn man ſie anſtatt deſſen verfolgen, beziehentlich die Neſter herabſtoßen wollte, oder wenn dies ſogar geſetz— lich geſtattet ſein ſollte. ſo hört alle Berufung an Einſicht und Verſtändnis auf — und dann erſcheint das Feſthalten an einer beſtimmten Schonzeit für alle Vögel um ſo mehr not— wendig. 3) Aus triftigen Gründen habe ich das Verzeichnis der völlig freizugebenden ſchädlichen Vögel ſo kurz als möglich gefaßt. Wo Schaden und Nutzen einander noch irgendwie gleichkommen könnten — ſo z. B. bei Nebel- und Rabenkrähe, weißem Storch, Eisvogel, Waſſerſtar — habe ich mir geſagt, daß es nicht allein humaner, ſondern auch vorteilhafter ſei, ein ſolches Geſchöpf nicht durchaus der Ausrottung preiszugeben. 4) Mein Vorſchlag geht dahin, daß man die Schonzeit für alle Vögel vom 1. April bis 31. Auguſt feſtſtelle, vorbehaltlich deſſen, daß es wie bei der Jagdſchonzeit der Lokalbehörde anheimgegeben ſei, den Witterungsverhältniſſen entſprechend den Be— ginn und Schluß zu verlängern, bezüglich zu ver— kürzen. 5) Die Liebhaberei für Stubenvögel iſt be- rechtigt, denn ſie wurzelt tief im deutſchen Volksleben; fie darf ſogar als ein nicht zu unterſchätzendes er- ziehliches Moment betrachtet werden. Im übrigen habe ich mich über den Fang und das Recht, Stuben- vögel zu halten, vorhin bereits ausgeſprochen. Im Gegenſatz dazu ſteht der Fang von Singvögeln zum Verſpeiſen, denn der winzige Fleiſchbiſſen iſt in gar keinem Verhältnis zum direkt nützlichen, wie zum ethiſchen Wert des Vogels. Ferner iſt es ein Un— ding, wenn das deutſche Reichsgeſetz das Verzehren von Lerchen und Droſſeln als Leckerei geſtatten will, während das internationale Vogelſchutzgeſetz dasſelbe in den Ländern am Mittelmeer verbieten ſoll, trotz— dem die Vögel dort einen Gegenſtand der Volks— ernährung bilden. 6) Das Rauben von Vogeleiern wirkt entſchieden demoraliſierend auf die betreffenden Menſchenklaſſen, von den Sammlern werden fragelos alle Neſter überhaupt zerſtört, welche ſie erlangen können, während der Ertrag im ganzen doch nur ein äußerſt geringer iſt. Selbſtverſtändlich muß es ge— ftattet fein, daß betreffende Lokalbehörden an gewiſſen Oertlichkeiten das Einſammeln der Eier von Möwen und Seeſchwalben (niemals aber von Kiebitzen) ver- pachten dürfen. Ohne Frage muß ſodann die Er- legung und der Fang von Vögeln aller Art, ſowie zu jeder Zeit und gleicherweiſe das Einſammeln von Eiern für wiſſenſchaftliche Zwecke frei ſein. Ganz beſonderes Gewicht lege ich darauf, daß bei Annahme dieſer Grundſätze für ein Vogelſchutzgeſetz von vornherein der leidige Streit über den Nutzen und Schaden der Vögel ausgeſchloſſen iſt; ja ich würde, wenn auch ungern zuſtimmen, daß der zweite Punkt meines Vorſchlags fortfiele und alſo überhaupt gar keine Vögel, ſelbſt nicht einmal die bedingungslos nützlichen genannt würden. Dann könnte auch der dritte Punkt fortbleiben, denn die in demſelben be— zeichneten ſchädlichen Vögel fallen ja unter das Jagd— geſetz. Ferner würde ich damit einverſtanden ſein, daß der Vogelfang außerhalb der Schonzeit nicht für Jedermann unbedingt frei ſei, ſondern daß die Erlaubnis, lebende Vögel für die Liebhaberei zu fangen, nur an durchaus zuverläſſige Leute, vielleicht auch nur 174 Humboldt. — Mai 1882. gegen Erlegung einer gewiſſen Summe für Löſung und Fangweiſen ſind ſtreng verboten.“ Eine Er⸗ eines Fangſcheins gegeben werde. klärung zu dieſen Vorſchlägen gibt der Genannte in Der deutſche Verein zum Schutz der Vogelwelt Folgendem: „Das Verbot des Verkaufs toter Sing⸗ (Vorſitzende Pfarrer Thienemann in Zangenberg bei vögel noch beizufügen, ſcheint mir gewagt, denn es Zeitz und Prof. Dr. Liebe in Gera) bereitet ſoeben würde auch das ſofortige Aufgeben der Uccellendas eine Petition an den Reichstag vor, welche im wefent- und Roccolis in ſich ſchließen, was die Regierungen lichen mit den von mir aufgeſtellten Punkten über- kaum ſogleich zu thun wagen werden, indem viele einſtimmt. Er wünſcht die Erlaubnis gegen Löſung dieſer Einrichtungen mit bedeutendem Koſtenaufwande eines Fangſcheins für 3 bis 5 Mark und nur an hergeſtellt wurden; die bezügliche Einnahme wird dem unbeſcholtene Perſonen in möglichſt geringer Anzahl Staat dienen und die Aufhebung der Fanganſtalten geſtattet zu ſehen. Die Fangzeit ſolle die Monate nach und nach herbeiführen. Wer zuviel will, be⸗ einſchließlich September bis Dezember umfaſſen. kommt am Ende nichts, ſagt das Sprichwort. Etwas Schlingen, Sprenkel, Vogelleim und alle Geräte für muß allerdings geſchehen, ſoll die Vogelmörderei nicht den Fang einer größern Anzahl auf einmal ſollen beſtändig an Ausdehnung zunehmen. Uebrigens wird verboten ſein. Die ſchädlichen Vögel ſollen für jede es ſchwer genug halten, den Vogelfang im Süden zu Provinz von Sachverſtändigen feſtgeſtellt werden. unterdrücken, denn da die Südländer kein Wild be⸗ Alles übrige iſt wie in meinen Vorſchlägen angegeben. ſitzen, wollen ſie wenigſtens auf die Vögel Jagd Der Verein verlangt ſodann, daß internationale Ver- machen. Sie antworten auf unſre Vorwürfe einfach: träge abgeſchloſſen werden. Leider tritt er aber nicht Was gehen uns eure Vögel an? Dieſelben kommen dem Kramtsvogelfang entgegen, ſondern will den- in Scharen zu uns, um ſich füttern zu laſſen, und ſelben „im Dohnenſtieg“ von Jagdberechtigten vom da ſollten wir unſre Trauben, Feigen u. drgl. nicht 15. Oktober an freigegeben ſehen. — vor ihnen ſchützen dürfen! Außerdem fangt ihr ja Schwieriger noch als die nationale Regelung ſtellt auch ſelbſt, was ihr könnt. — Auch das ſchweizeriſche ſich nun aber die Löſung der internationalen Frage. Bundesgeſetz erlaubt ja das Erlegen der ſonſt unter F. Wirth?) macht folgende Vorſchläge: 1) „Die beſondern Schutz geſtellten Vögel, wie Stare und fernere Herſtellung von Fangvorrichtungen: Uccel- Droſſeln zur Zeit der Traubenreife in den Reb⸗ lendas, Roccolis u. drgl., wo Singvögel zum Zweck bergen. — Die Hauptſache iſt, daß die Staaten ge⸗ des Tötens gefangen werden, iſt verboten. 2) Die meinſam und einig vorgehen und nur das Mögliche beſtehenden Vorrichtungen dieſer Art haben eine Ab- anſtreben. Gerade dem gemeinſamen Andrange der gabe an den Staat zu leiſten, welche dem Verkaufs- Mächte und ebenſo dem moraliſchen Gefühl wird wert der durchſchnittlich alljährlich gefangenen Vögel Italien auf die Dauer nicht widerſtehen können, gleichkommt. 3) Jeder Bodenbeſitzer iſt berechtigt, ſondern die maſſenhafte Vogelmörderei beſchränken ſelbſt oder auch durch Andere ſein Beſitztum, ſoweit müſſen“. — dieſes reicht, vor den Vögeln mit der Flinte zu Im Vorſtehenden glaube ich nun eine vollſtändige ſchützen. 4) Wer keinen Grundbeſitz hat und ohne Ueberſicht der geſamten Vogelſchutzfrage nach allen Vollmacht von einem Grundbeſitzer iſt, zahlt an den ihren Seiten gegeben zu haben, und wenn einerſeits Staat für das Schießen von Vögeln jährlich eine alles hier angeſammelte Material reiflichſt geprüft beſtimmte Taxe. Die Haltung und Verwendung und anderſeits die gemachten Vorſchläge beherzigt geblendeter Lodvigel, ſowie alle grauſamen Mittel würden, fo dürfte auf Grund deſſen eine ſach⸗ und *) Wirth, „Schweizeriſche Blätter für Ornithologie“ zeitgemäße, in jeder Hinſicht befriedigende Löſung (Zug, ſeit 1877). der Frage wohl zu ermöglichen ſein. Die Bewäſſerungskanäle Südfrankreichs. Don Regierungsbaumeiſter H. Keller in Berlin. Wo die Provence in voller Pracht ſchauen will, gegen die brennende Hitze Schutz gewährt, und am der muß mit dem erſten Sonnenſtrahle aufſtehen, Himmel keine Wolke! In den Thälern belebt das wenn die nackten ſilbergrauen Gipfel der Berge in präch⸗ | trijte Grau der Oliven das Blachfeld nur mäßig, die tigem Glanze ſtrahlen, wenn das weite Feld im felſigen Höhen ſind kahl und tot. friſchen Taue des Morgens blitzt. Sobald die Sonne Mit ſeltſamen Formen, wild zerriſſen und zer⸗ höher ſteigt, ſobald die Schwüle des Tages auf die klüftet, reichen die letzten Ausläufer der Alpen tief Landſchaft drückt, überwiegt das Gefühl des Oeden, in die Ebene hinein, welche Rhone und Durance und Troſtloſen — meilenweit kein friſchgrüner Wald, der die kleineren Wildbäche aus Gerölle und Kies und Humboldt. — mai 1882. fruchtbarem Schlicke aufgebaut haben. Der lange Sommer bringt nur wenig Regen, und wenn er ihn bringt, nur in heftigen, verheerenden Güſſen. Viele Quellen, in denen die Niederſchläge geſammelt zu Tage treten, verſiegen in der trockenen Jahreszeit ganz oder doch größ⸗ tenteils. Wo eine Thalſenke nachhaltig mit Feuchtigkeit ge⸗ ſpeiſt bleibt, da gleicht das Land ei— nem üppigen Gar⸗ ten, der mehrfache Ernten in reichſtem Maße bringt. Schon im frü⸗ hen Mittelalter ha⸗ ben fleißige Men⸗ ſchenhände Kanäle gegraben, welche aus der Durance bedeu⸗ tende Waſſermengen entnahmen, um ſie den auf beiden Ufern gelegenen Ebenen von Arles und Crau im Süden, von Car⸗ pentras und Cavail⸗ fon im Norden 3u- zuleiten. Die Aus⸗ nutzung der Durance geht ſo weit, daß bei niedrigem Waſſer⸗ ſtand nur etwa ein Zehntel ihrer Waf- ſermenge in die Rhö— ne abfließt. Neun Zehntel werden durch dreizehn Be— wäſſerungskanäle dem Strome entzo⸗ gen, um das Land zu befruchten, zu deſſen Bildung er ſelbſt Schutt und Trümmer aus den Alpen herabgeführt hat. Die Durance entſpringt auf dem Mont⸗Genevrein der Dauphins, unweit den Quellen des Po. Ihr Lauf bis zur Mündung in die Rhöne unterhalb von Avignon iſt 380 km lang. Ihr durchſchnittliches Gefälle beträgt 1 m auf je 330 m Länge, iſt alfo außerordentlich groß; und ſelbſt in ihrem unteren Laufe beſitzt ſie gegen andre Flüſſe ein ſehr be— trächtliches Gefälle. Die Waſſermenge, welche in dem oft über 1 km breiten, mit groben Geſchieben über— Humboldt 1882. Fig. 1. 175 ſäten Bette zum Abfluß gelangt, ſchwankt je nach der Jahreszeit in weiten Grenzen. Im Auguſt und September, wenn der vorjährige Schnee im Hochge— birge weggeſchmolzen iſt, führt die Durance in jeder Sekunde nur etwa 100 ebm Waſſer dem Meere zu, nach trockenen Win⸗ tern noch weniger. Die Herbſtregen laſ— fen fie um das dop- pelte bis dreifache anſchwellen. Vom Januar bis März vermindert fic) wie— derum ihre Waſſer⸗ menge. Durch die heftigen Niederſchlä—⸗ ge, welche im April zu fallen pflegen, wächſt der Strom von neuem an; und wenn der Schnee zu ſchmelzen beginnt, im Mai und Juni, ſtrö⸗ men gewaltige Hoch⸗ fluten, 910,000 ebm in der Sekunde, aus den Alpen hinab zum Rhönethal. Oft ge- nug ſind die Deiche gebrochen, mit denen die Bewohner der Ebene die Hochwaſ— ſermaſſen in geregel⸗ ten Lauf zu bannen verſucht haben, und ein alter Spruch nennt den Strom die Landplage der Pro- vence. Was die Du- rance in früheren Jahrhunderten durch ihre verheerenden Ueberſchwemmungen geſündigt hat, das vergilt ſie mit Wu⸗ cherzinſen dem an⸗ grenzenden Lande durch die Speiſung der Bewäſſerungska⸗ näle. Nicht allein da- durch, daß den Bflan- zen, die zum Wachs⸗ tum nötige Feuchtigkeit zugeführt wird, wirkt das Waſſer der Durance in günſtigſter Weiſe auf die Bewirtung der Ländereien ein. Die Bewäſſerung lockert den Boden, ſie laugt die für das vegetabiliſche Leben erforderlichen Salze aus und führt ſie in ge— löſtem Zuſtande den Wurzeln als Nahrung zu. Aber das Waſſer der Durance beſitzt noch höheren Wert. 23 176 Humboldt. — Mai 1882. gs Die gelben trüben Fluten führen große Maſſen fein- verteilten Schlick als vortrefflichen Dung auf die Felder. Hervé-Mangon hat berechnet, daß all⸗ jährlich nahezu 18 Millionen Tonnen feſte Sinkſtoffe durch die Durance aus den Alpen und ihren Vor⸗ bergen in aufgelöſter Form herabgeführt werden, wo⸗ von etwa die Hälfte aus Thonerde, etwa zwei Fünftel aus kohlenſaurem Kalk und der Reſt aus andern Salzen beſteht, die für das Leben der Pflanze un⸗ entbehrlich ſind. Die künſtliche Bewäſſerung erſcheint nicht für alle Diſtrikte der Provence und des Venaiſſin als ein unbedingtes Bedürfnis, nicht als eine Vorbedingung ihrer Bewirtbarkeit, wie dies in manchen Gegenden Spaniens, in Algerien und in Oſtindien vielfach der Fall iſt. Der größere Teil des bebauten Landes bedarf nur im Hochſommer oder nur in beſonders trockenen Jahren einer künſtlichen Waſſerzuführung. Aber die Flächen der vormals ſterilen „Garigues“, d. h. Haideländereien, welche einzig und allein durch den Bau der Bewäſſerungskanäle kulturfähig gemacht ſind, iſt doch von beträchtlicher Größe. Man ſchätzt ſie auf 50000 ha, nahezu 9 Quadratmeilen; und die Wertvermehrung, welche dieſe Fläche durch die künſt⸗ liche Waſſerzuführung erfahren hat, wird auf 150 Mill. Mark angegeben. Wenn in dem glücklichen Klima, das dem ſüd⸗ lichen Frankreich beſchieden iſt, ein Landſtrich nach⸗ haltig mit Feuchtigkeit verſehen wird, ſo dankt er die aufgewandte Mühe reichlich. Die mittlere Jahres⸗ temperatur von Avignon beträgt 14,42 , nämlich 13,9 im Frühjahr, 28,1“ im Sommer, 14,6“ im Herbſt, und im Winter immer noch 5,8. An heißen Sommertagen ſteigt der Thermometer bis auf 40° im Schatten. Fröſte ſind ſelten. Doch zerſtört zu⸗ weilen der eiſige Miſtral, wenn er aus dem Rhöne⸗ thal nach Oſten gedrängt wird, die leicht zu be⸗ ſchädigenden Oleander, Feigen, Granaten und Oliven, die ſonſt im Freien vortrefflich gedeihen. In den durch die niedrigen Höhenzüge gut geſchützten Ebenen fällt nur ſehr ſelten Schnee, etwa alle 5 bis 6 Jahre. Die Niederſchlagshöhe iſt gering, im Hügellande 75, in der Ebene nur 57 em, und die Zahl der Regen⸗ tage beträgt im Jahresdurchſchnitt 55 bis 60. Der Niederſchlag vertheilt ſich über das Jahr derart, daß im Hügellande auf die Frühlingsmonate 18, auf den Sommer 10, auf den Herbſt 31 und auf den Winter 16 em Regenhöhe kommen. Dabei iſt die Luft meiſt trocken und die Verdunſtung ſehr ſtark, etwa 2 mm für einen Sommertag. In den Klüften und Schluchten der Kalkfelſen verſickert das Regenwaſſer ſehr ſchnell und tritt alsdann am Fuße der Berge in Quellen⸗ form zu Tage. Die Höhlen des Kalkgebirges wirken in wohlthätiger Weiſe als Waſſerreſervoire, die mehr⸗ fach mächtige Quellen nachhaltig verſorgen. Am auffallendſten iſt dies in der Vaueluſe der Fall, wo die Sorgue aus dem maleriſchen Felſen⸗ keſſel entſpringt als ein fertiger Fluß, deſſen Waſſer⸗ menge von 13 bis zu 100 ebm in der Sekunde ſchwankt. Das Waſſer der Sorgue iſt jederzeit klar und kalt, daher weniger gut als das der Durance zu Bewäſſerungszwecken geeignet. Der Fluß wird vorzugsweiſe zu induſtriellen Zwecken benutzt, da er ein ſehr bedeutendes Durchſchnittsgefälle beſitzt, 74 m auf 40 km Länge, alſo 1: 540. Mehr als 150 Mühlen werden von ihm getrieben. Oberhalb L'Isle teilt er ſich in 2 Arme, welche ſich erſt kurz vor der Ouveze⸗Mündung wieder vereinigen, außerdem aber noch durch einen für Bewäſſerungszwecke beſtimmten Kanal untereinander in Verbindung ſtehen. Aus dem ſüdlichen Arme iſt der C. de Vaucluſe (oder du Griffon) abgeleitet, welcher die oberhalb Avignon gelegenen Ländereien des Rhönethals mit Waſſer verſorgt. Der älteſte, aus der Durance abgeleitete Be⸗ wäſſerungskanal iſt der C. St. Julien, den bereits im 13. Jahrhundert die Bewohner von Cavaillon zur Bewirtſchaftung ihrer Felder benutzten, während er ür⸗ ſprünglich (1171) nur zur Gewinnung der Waſſer⸗ kraft für ein biſchöfliches Mühlwerk angelegt war. Faſt ebenſo alt iſt der C. de Durancole (oder de l'Höpital de la ville D'Avignon), den ein geiſtliches Stift in Avignon für eine Mühlenanlage und zur Bewäſſerung ſeiner Liegenſchaften etwa um 1230 er⸗ baute. Die meiſten Kanäle, welche vom rechten Ufer der Durance abzweigen, ſind im vorigen und im gegen⸗ wärtigen Jahrhundert angelegt worden. Der C. de Crillon wurde unter Ludwig XV. hergeſtellt, aus⸗ ſchließlich zu Bewäſſerungszwecken. Eine Abzweigung des alten St. Julien⸗Kanals, der C. de Cabedan⸗ Vieux, erhielt durch den kurzen C. de Fugeyrolles einen Wiederanſchluß an die Hauptlinie. Das groß⸗ artige Projekt des Ingenieurs Brun (1762), welcher das Waſſer der Durance nach Carpentras leiten und- von dort aus über das ganze Venaiſſin verteilen wollte, kam zunächſt nur in ſehr beſcheidenem Maße zur Ausführung durch den Bau des C. de Cabedan⸗ Neuf. Im Jahre 1850 erhielt derſelbe eine Fort⸗ ſetzung durch den C. de L'Isle. Der urſprüngliche Plan wurde 1854 wieder aufgenommen. Der von 1854 bis 1857 erbaute C. de Carpentras erfüllt einigermaßen den von Brun beabſichtigten Zweck; und er würde ihn vollſtändig erfüllen, wenn nicht verſchiedene Schickſalsſchläge, welche den Wohlſtand der Landbevölkerung im letzten Jahrzehnt ſchwer be⸗ troffen haben, einige Zeit hindurch die Ausdehnung der Anſchlußkanäle verhindert hätten. Die Seiden⸗ würmerkrankheit, die Verdrängung des Krapprots durch das künſtliche Alizarin, die Verheerungen der Reblaus und mehrere außergewöhnlich kalte Winter haben die wichtigſten Quellen des Reichtums im Venaiſſin, nämlich die Zucht der Maulbeerbäume, der Oliven und feinen Obſtſorten, den Krappbau und den Weinbau in ſo hohem Grade geſchädigt, daß es bis vor kurzem an Kapital und Mut zu neuen Unternehmungen gebrach. Jetzt iſt den Provencalen die Thatkraft in reichem Maße wieder zurückgekehrt. Der kleine C. de Cambis und der bei Pertuis aus der Durance abzweigende C. de Cadenet ſind beide Humboldt. — Mai 1882. 177 im Laufe dieſes Jahrhunderts zur Bewäſſerung von Ländereien angelegt worden, welche durch die Hoch— waſſerdeiche der Durance von der Wohlthat der Zu— führung ſchlickreichen Waſſers ausgeſchloſſen waren. Am linken Ufer der Durance find 3 große Kanäle aus dem Strome abgeleitet, welche die Ebene von Arles, die ſterile Crau und die Umgebung von Marſeille bewäſſern. Der neuerdings angelegte, für die Waſſerverſorgung der Stadt Aix und ihrer Um— gegend beſtimmte C. du Verdon entnimmt ſein Waſſer bei Quinſon aus dem Verdon, dem größten Nebenfluſſe der Durance. Die Hauptlinie, durch eine große Zahl heberförmiger Röhrenleitungen (Siphons) ausgezeichnet, iſt ſeit 2 Jahren dem Betriebe über— geben. Die meiſten, in Ausſicht genommenen Ab— zweigungen ſind noch nicht fertiggeſtellt. Der C. de Marſeille, von 1839 bis 1850 er— baut, iſt für 4 verſchiedene Zwecke beſtimmt, für die Waſſerverſorgung der Stadt Marſeille, für die Ver⸗ ſorgung von Landgemeinden mit Trinkwaſſer, für die Bewäſſerung von Ländereien und für die Wus- nutzung ſeines Gefälles durch induſtrielle Anlagen, deren 107 zum Anſchluß gebracht ſind. Nahezu die Hälfte des zugeleiteten Waſſers wird in der Um— gegend von Marſeille für Bewäſſerungszwecke ver— braucht. Die Anlage iſt vortrefflich ausgeführt. Der kühne Aquadukt von Rocquefavour (unweit von Aix) bildet eine prächtige Zierde der Landſchaft. Der C. des Alpines (oder C. de Boisjelin), 1783 in Angriff genommen, hat bewirkt, daß die Fruchtbarkeit der von ihm bewäſſerten Gemeindebe— zirke am Fuße des wildromantiſchen Alpinengebirgs geradezu ſprichwörtlich geworden iſt. Dort iſt der Hauptſitz des Gartenbaues, welcher den Markt von Paris mit feinem Tafelobſte und köſtlichem Gemüſe verſorgt. Der C. de Craponne, im Jahre 1554 fon- zeſſioniert, bewäſſert die am Rande der großen Stein⸗ wüſte, welche den Namen Crau führt, gelegenen äußerſt fruchtbaren Ländereien. Die weite Fläche, welche unterhalb am linken Ufer der Rhone ſich aus— dehnt, über 40,000 Hektaren groß, verrät ſelbſt dem flüchtigen Blick, daß jie ihren Urſprung der unab- läſſigen Arbeit der Alpenſtröme verdankt, beſonders der Durance, welche ihre Mündung in das Meer ſich ſelbſt verſchüttet hat und immer mehr nach Norden ausweichen mußte. Vielfach ſind die groben Steingerölle mit Kies und Puddinge über— deckt, häufig liegen ſie nackt und bloß, nur ſelten hat ſich eine dünne Schicht fruchtbarer Ackerkrume durch ihre Zerſetzung gebildet. Spärlich ijt der Gras- wuchs, noch ſpärlicher das Gehölz, Zwergkiefern und verkrüppelte Oleander, die zwiſchen Salbei, Thymian und Lavendel in den feuchten Senken Wurzel gefaßt haben. Der Erbauer des Kanals, Adam de Craponne beabſichtigte, die ganze Crau nach und nach durch die ſchlickreichen Waſſermaſſen der Durance, welche ſein Kanal ihr zuführen ſollte, mit einer Schicht frucht- baren Bodens zu überziehen und hierdurch allmählich dem Ackerbaue zu gewinnen. Dieſer geniale Gedanke iſt durch die Indolenz der ſpäteren Jahrhunderte leider nur in geringem Maße zur Ausführung ge— bracht worden. Aber die blühenden Felder und üppigen Wieſen, welche auf dem durch Aufſchlickung urbar gemachten Teile der Steinwüſte entſtanden ſind, legen Zeugnis dafür ab, daß das von Craponne erdachte „Colmationsverfahren“ glänzende Erfolge zu erzielen vermag. Die Waſſermenge, welche der Durance durch die Bewäſſerungskanäle des Departements Vaucluſe entzogen wird, beträgt in jeder Sekunde 27,75 ebm, wovon 10 ebm auf die Kanäle de Cabedan-Neuf, de l'Isle und de Carpentras kommen. Der C. des Alpines entnimmt in jeder Sekunde 16 ebm, der C. de Craponne 10 ebm und der C. de Marſeille gleichfalls 10 chm, der C. du Verdon dagegen aus dem Fluſſe, nach dem er benannt ijt, 6 ebm. Durch die in Ausſicht genommenen Erweiterungen der Kanal— ſyſteme wird die konzeſſionsmäßig feſtgeſetzte Waſſer— menge, welche der Durance entzogen werden darf, im ganzen bis auf 92 ebm gebracht, während bei gewöhnlichem niedrigen Waſſerſtand ihre Zuflußmenge nur 100 ebm mißt. Die Bewäſſerungsanlagen ſind noch lange nicht bis zur Grenze ihrer Leiſtungsfähigkeit ausgenutzt. Man rechnet, daß Ländereien, deren Kultur unbedingt auf künſtliche Waſſerzuführung angewieſen iſt, durch— ſchnittlich für je 1 ha 1 Liter Waſſer in der Sekunde bedürfen. Mit 92 ebm Durance- und 18 chm Sorgue-Waſſer wird man alſo eine Landfläche von 110,000 ha ſpeiſen können, abgeſehen von dem weit größeren Gebiet, welches entweder durch das Ablauf— waſſer oder nur gelegentlich bewäſſert wird. Bis jetzt ſind kaum 50,000 ha für die künſtliche Waſſerzuführung aptiert. Der für die Vorbereitung einer ha Haideland, deren Wert 3— 900 Fr. beträgt, aufzuwendende Betrag beläuft ſich auf etwa 400 Fr. Durch die Bewäſſe— rung hebt ſich jedoch der Ertrag bald derart, daß der Werth des Landes auf 3500 bis 4000 Fr. erhöht wird. Die bedeutenden Anlagekoſten, welche für die Kanäle aufgewandt worden ſind, wurden teilweiſe von den zu Genoſſenſchaften vereinigten Intereſſenten, teilweiſe von Aktiengeſellſchaften aufgebracht, welche von den Grundeigentümern jährliche Renten für die Benutzung des Waſſers erhalten. Meiſtens hat ſich der Staat durch Gewährung von Beiträgen beteiligt, B. beim Bau des C. de Carpentras, der 3,9 Mill. Fr. koſtete, mit 800,000 Fr. Die Geſamt⸗ koſten des Neubaues der Bewäſſerungskanäle im Venaiſſin und in der weſtlichen Provence werden auf etwa 70 Mill. Fr. geſchätzt. Außerhalb dieſes Landesteiles ſind im Laufe der letzten Jahre drei größere Bewäſſerungskanäle ausgeführt oder doch in Angriff genommen worden, nämlich bei Nizza der C. de la Veſubie, bei Cannes der C. de la Siagne und bei Lannemezan in den Pyrenäen der C. de la Neſte. Die Rhone wird bis jetzt nur zur Waſſerverſorgung des kleinen oberhalb Orange gelegenen C. de Pierrelatte 178 Humboldt. — Mai 1882. benutzt. Durch den C. du Rhone, welcher demnächſt zum Bau gelangen ſoll, würden ihr jedoch etwas über 50 chm in der Sekunde zur Bewäſſerung der ſämt⸗ lichen Departements des Rhönethales und des Langue⸗ Doc entzogen werden. Gerade in den letzten Jahren haben die Be⸗ wäſſerungsanlagen für das ſüdliche Frankreich eine weſentlich erhöhte Bedeutung erhalten. Die Krapp⸗ kultur erweiſt ſich hier nicht mehr als lohnend, und der Weinbau iſt durch die Verheerungen der Reblaus faſt ganz zerſtört. Man wendet ſich daher mehr und mehr dem Wieſen⸗, Klee⸗ und Körnerbau zu, für deſſen Betrieb weit größere Waſſermengen nötig ſind als für die früheren Beſtellungsarten erforder⸗ lich waren. Auch zur Vertilgung der Reblaus hat ſich die zeitweilige Inundation der Weingärten nütz⸗ lich erwieſen. Getreidefelder geben jährlich doppelte Ernten, nämlich außer der Körnerfrucht noch Kartoffeln oder Bohnen. Wieſen werden 3 bis Amal geſchnitten, Luzernklee ſogar Smal. Am geminnreichſten ijt die Zucht feiner Gemüſe, edler Obſtſorten, der Oelfrucht und die des Maulbeerbaums, die nach Aufhören der Seidenwürmerkrankheit wieder zu Ehren kommt. Nirgends wohl hat fic) der Vorteil der künſt⸗ lichen Bewäſſerung ſo glänzend bewährt als im ſüd⸗ lichen Frankreich während der letzten Jahre. In den Departements Vaucluſe und Bouches du Rhöne ſind über 80,000 ha Rebengärten, deren Wert auf 200 Mill. Fr. geſchätzt wird, durch die Reblaus ver⸗ nichtet worden. Die Erweiterung und beſſere Aus⸗ nutzung der künſtlichen Bewäſſerung hat der Landbe⸗ völkerung jedoch die Kraft gegeben, dieſen außer⸗ ordentlichen Schaden zu verſchmerzen und das Miß⸗ geſchick zu überwinden, das die Hand des Schickſals über das ſchöne Land der Sonne verhängt hat. Weal e ß te) 8) Oly Don Dr. Friedrich Hinfelin in Frankfurt a. M. Ann einer der letzten wiſſenſchaftlichen Sitzungen der Senckenbergiſchen naturforſchenden Geſellſchaft in Frankfurt a. M. kamen einige von Herrn Ch r. Schrö— der daſelbſt hergeſtellte Zeichenapparate zur Demon⸗ ſtration, welche wohl allgemeineres Intereſſe verdienen, da ſie ſich zur geometriſchen Zeichnung der verſchie⸗ denſten techniſchen und Naturobjekte eignen, ohne vom Zeichner beſondere Kunſtfertigkeit zu erfordern. Wenn das perſpektiviſche Bild durch Betrach⸗ tung des Objektes aus einem nicht zu fernen Punkte, das ſtereoſkopiſche aus den in beiden Augen ent⸗ ſtandenen, zwei ungleichen Bildern durch intellektuelle Zuſammenfaſſung entſteht, jo ſtellt dagegen das geo⸗ metriſche Bild eine durch parallele Ordinaten auf einer Ebene gebildete Projektion in einer der drei aufeinander ſenkrechten Richtungen des Raumes dar. Nur die letzteren Bilder erlauben, wie es für Techniker wie Naturforſcher notwendig iſt, die wirklichen Di⸗ menſionen körperlicher, auf der Zeichenfläche hergeſtellter Figuren zu rekonſtruieren, ſo daß den Objekten ent⸗ ſprechende genaue Meſſungen an den Bildern ſtatt⸗ finden können. Die geometriſchen Bilder ſind aber auch um ſo mehr für Zeichnungen, an welche dieſe Anforderungen geſtellt werden, motiviert, da wir, die wir uns doch die Gegenſtände möglichſt von allen Seiten betrachten, auch ſolche dem Körper möͤglichſt genau entſprechende Bilder im Sinne mit uns tragen. Dieſe Apparate ſtellen in erſter Linie von Herrn Schröder ſchon ſeit längerer Zeit weſentlich verbeſ⸗ ſerte Lu cä'ſche Zeichenapparate dar; mit denſelben verband Herr Schröder einen Pantographen, was ja ſehr nahe lag und von Herrn Prof. Dr. J. Ranke in München ſchon vor 3 Jahren geſchehen war. Nach dem Vergleiche jener Apparate, welche Herr Schröder | Diopterographen nennt, mit dem urſprünglichen Lucä'ſchen, wie folder im Archiv für Anthropologie 1867 von Prof. Dr. Th. Landzert beſchrieben und abgebildet wurde, geſtatten dieſelben die allſeitige freie Stellung und Aufnahme des Objektes, ſeine Drehung um beſtimmte Winkel und beſeitigen nun durch Verbindung mit dem Pantographen die mit kaum zu vermeidenden Ungenauigkeiten verbundenen Umſtändlichkeiten der urſprünglichen Lucä'ſchen Me⸗ thode, ohne am Prinzipe etwas zu ändern; denn auch hier ijt der Lu cä'ſche Orthograph, ein Diopter mit Fadenkreuz, der weſentlichſte Teil. Dieſe beſtand darin, durch Tupfen mit Tuſch die durch den Diopter ge⸗ ſehenen Punkte des Objekts auf einer zwiſchen Di⸗ opter und Objekt gelegenen Glastafel zu notieren, dieſe Punktzeichnung dann abzupauſen und endlich durch Linien zu einem Bilde zu verbinden. Der Diopterograph, der wohl beſſer den Namen Orthopantogra ph führte, beſteht aus einem tubus⸗ artigen geſchloſſenen Diopter C Fig. 1 mit Faden⸗ kreuz; durch Verſchieben desſelben auf einer Spiegel⸗ glastafel E kann man durch den Diopter mit dem Auge den Formen des unter dem Glaſe befindlichen Gegenſtandes folgen. Die Glasſcheibe E, in den Holz⸗ rahmen B eingefügt, macht die obere Fläche eines aus vierkantigen Holzſtäben zuſammengefügten, an den anderen 5 Seiten offenen Kubus aus, ſo daß der Rahmen B ſamt Tafel auf jede Seite des Kubus Humboldt. — Mai 1882. 179 gelegt werden kann. Im unteren quadratiſchen Rahmen iſt die Schröderſche Zange von Stahl angebracht — die Vorrichtung, welche eine völlig freie, nach allen Seiten ſichtbare Stellung des von der Zange Schraube wfeſtgeſtellt wird; durch die runde Stange 2, welche durch Lager auf 2 gegenüberliegenden Stäben des unteren Rahmens befeſtigt iſt, hat die Achſe wx eine vertikale Drehbarkeit von rechts nach links um 2 Fig. 1. Fig. 2. gepackten Gegenſtandes bedingt. In dieſe Zange werden die harten Objekte feſt eingeſpannt, was durch das Anziehen der Schraube v und durch die 3 ſcharfen Spitzen der Zange geſchieht. In der Achſe (Scharnier- kopf) A hat die Zange nach beiden Seiten, nach vorne und hinten eine vertikale Bewegung, welche durch die erhalten; außerdem kann aber auch das Objekt hori— zontal, von vorne nach hinten oder umgekehrt auf der Stange z verſchoben werden; endlich iſt noch eine horizontale Drehung auf einem koniſchen Zapfen möglich, welche Drehung durch die Schraube x fixiert werden kann. Es ſind demnach 3 Drehungen möglich, 180. Humboldt. — Mai 1882. 1) um die horizontale Achſe 2, 2) um die vertikale Achſe wx und 3) um die horizontale Achſe w, wozu noch die Verrückung des Gegenſtandes längs der Achſe 2 vor⸗ und rückwärts hinzukommt, jo daß das Objekt in jede beliebige Lage gebracht werden kann. — An den quadratiſchen Rahmen B fügt ſich unmittelbar ein Zeichentiſch D mit der Stütze F an; beide ſind mit Scharnieren verſehen, fo daß fie über die Glas- tafel geklappt werden können. Der Pantograph H hat ſeine Stütze und ſeinen Drehpunkt in J zwiſchen Glasplatte und Zeichentiſch in der Mitte. Wo beim gewöhnlichen Pantographen der Fahrſtift ſich befindet, iſt an deſſen Stelle hier der Diopter C geſetzt, dem gegenüber der Zeichenſtift K ſteht, um das Objekt, dem das Fadenkreuz folgt, zu zeichnen. Man erhält ſomit ſofort ein zuſammenhängendes Bild des Gegen- verſehene tubusartige Diopter C; es iſt dies derſelbe Diopter wie in Fig. 1, ſo daß alſo die Lupe nach Belieben eingefügt und beſeitigt werden kann. Auch für den Arzt kann dieſe Zeichenmethode von Wert ſein; von Herrn Dr. Wiesner, Chefarzt am Heilig⸗Geiſthoſpital in Frankfurt a. M. wird neuer⸗ dings ein für den ſpeziellen Zweck modifizierter Ortho⸗ pantograph verwendet, um den Vergleich erkrankter Körperteile mit den entſprechenden geſunden oder der verſchiedenen Perioden der Krankheit unter einan⸗ der, ſei es nach Größe und Geſtalt (Geſchwülſte, Wunden, Frakturen, Luxationen 2c.) oder nach der Funktionsfähigkeit (Gelenkerkrankungen, Lähmungen 2c.) graphiſch dargeſtellt zu fixieren. Hiezu liegt auf einem Tiſche, der frei auf dem Boden ſtehend über die ganze Betklade geſchoben werden kann, eine große auf eben — Fig. 3. ſtandes in einer der 3 Projektionsebenen und zwar von gleicher Größe. Der Pantograph geſtattet nun aber bekanntlich auch eine ſofortige Verjüngung und Vergrößerung nach gewünſchtem Verhältnis. Beſonders zu Zeichnungsaufnahmen auf der Reiſe wird der Diopterograph auch zerlegbar hergeſtellt, Fig. 2; hier dienen dann zur Aufſtellung der Gegen⸗ ſtände 3 Stifte, welche auf dem Boden Q befejtigt, hier auch, wie es dem Objekte entſprechend ſcheint, einander mehr genähert oder entfernt werden können; der Gegenſtand, z. B. Knochen, Schädel, Urne 2c., kann ſomit auf denſelben auch in jede Stellung ge⸗ bracht werden. Zur geometriſchen Zeichnung kleiner Gegenſtände dient 1) ein unter der Glastafel angebrachtes Tiſch⸗ chen O, das durch den Arm P am Tiſchfuß auf⸗ und abſtellbar iſt und auf welchem etwa in Lehm einge⸗ bettet das kleine Objekt liegt, 2) der mit einer Lupe dieſem Tiſche verſchiebbare Spiegelglasplatte (60 em lang, 70 em breit). Ein weſentlich einfacherer Apparat iſt der von Herrn Schröder ſchon auf der Pariſer Ausſtellung 1878 ausgeſtellte Craniograph Fig. 3, der eben⸗ falls geometriſche oder orthographiſche Bilder gibt. Für ſenkrechte, alſo auch unter ſich parallele Ordinaten ſorgt folgende Vorrichtung: an einem Stativ mit ſchwerem einſeitig angebrachtem Fuß F befindet ſich ein auf- und abſchiebbares Stäbchen s und ein mit einem ebenfalls verſtellbaren Arm befeſtigtes Bleiſtift b. Die zur Zeichenebene ſenkrechte, horizontal verſchieb⸗ bare Ordinate iſt gebildet von dem Ende a jenes Stäbchens und der Spitze b des Bleiſtiftes. Indem a durch horizontales Verſchieben des Fußes den Kon⸗ turen des Objekts folgt, zeichnet b fofort das Bild in gleicher Größe auf das auf der Zeichenebene liegende Papier. Humboldt. — Mai 1882. 181 Die älteren magnetelektriſchen Maſchinen. Von Oberlehrer Dr. Georg Krebs in Frankfurt a. M. ot Anfang der vierziger Jahre, wo Bunſen zu— erſt mit Hilfe der von ihm erfundenen Zink— kohlenelemente das elektriſche Licht in größerem Maß— ſtabe herſtellte, indem er das Lahnthal bei Marburg elektriſch beleuchtete, iſt die Wiſſenſchaft mit nicht raſtendem Eifer und ſtaunenswertem Erfolg auf der betretenen Bahn fortgeſchritten; „es iſt,“ ſagt ein Elek— trotechniker, „als ob nur noch die letzte Schicht durch- zuſchlagen wäre, um voll und ganz zu dem blinkenden Erze zu gelangen.“ Vor allem war es die Koſtſpieligkeit der Elektrizi⸗ tätserzeugung, welche die Benutzung des elektriſchen Fig. 1. Lichtes anfänglich auf wenige beſondere Fälle, nächtliche Bauten, Leuchttürme u. dgl., beſchränkte; in den gal⸗ vaniſchen Elementen werden ziemlich teuere Materialien, wie Zink, Salpeterſäure und Schwefelſäure zur Elek— trizitätserregung verbraucht. Bald aber gelang es durch Bewegung von Draht— rollen vor den Polen von Magneten mächtige gal— vaniſche Ströme zu erregen, oder mit andern Worten, mechaniſche Arbeit in Elektrizität zu verwandeln. Eine ſolche Bewegung läßt ſich mit Hilfe von Dampf— und Gaskraftmaſchinen relativ billig herſtellen, ſo daß die elektriſche Beleuchtung hierdurch weitaus günſtigere Ausſichten auf allgemeine Benutzung gewann. Fig. 1 ſtellt eine ſolche magnetelektriſche Maſchine vor, welche in kleinem Maßſtabe zur Cr- regung galvaniſcher Ströme durch Bewegung zweier mit umſponnenem Kupferdraht umwickelter Rollen vor den Polen eines Hufeiſenmagnetes AB, und zwar hier durch Handbetrieb mittels Rad und Kurbel be⸗ | nutzt wurde. Beſſer iſt es, wenn man in die Draht- rollen Eiſenkerne ſteckt, welche an der einen Endfläche durch eine Eiſenplatte (tit) miteinander verbunden find. Nähert man eine Drahtrolle dem einen Pol eines Magnetes, ſo entſteht in den Drahtwindungen ein Strom; entfernt man die Rolle von dem Pol, fo ent⸗ ſteht ein Strom von entgegengeſetzter Richtung. Daß der Südpol gerade entgegengeſetzt wie der Nordpol wirkt, verſteht ſich von ſelbſt: Annäherung der Rolle an den Nordpol bringt einen Strom von der— ſelben Richtung hervor, wie Entfernung von dem Südpol und umgekehrt. Dreht man nun die Rollen in Fig. 1 vor den Polen des Hufeiſenmagnetes um und betrachtet man zunächſt nur eine der beiden Rollen, ſo entfernt ſich dieſelbe auf der einen Hälfte ihres kreisförmigen Weges etwa von dem Südpol und nähert ſich dabei dem Nordpol; beides bewirkt einen Strom in der⸗ ſelben Richtung. Bei der anderen halben Umdrehung, wo ſich die Rolle von dem Nordpol entfernt und ſich dem Südpol nähert, entſteht wiederum ein Strom, aber in entgegengeſetzter Richtung, wie vorhin. In der zweiten Rolle, welche gegen die Pole des Magnetes gerade die umgekehrte Lage hat, entſteht immer ein Strom von entgegengeſetzter Richtung, wie in der erſten. Durch die Art der Drahtbewickelung beider Rollen werden indeſſen die Ströme auf den zwei Rollen in gleiche Richtung gebracht, ſo daß alſo bei jeder halben Umdrehung in beiden Rollen derſelbe Strom läuft, welcher aber in der folgenden halben Umdrehung die entgegengeſetzte Richtung annimmt. Nun iſt an der Achſe k der Maſchine, an welcher die Drahtenden der Rollen befeſtigt ſind, eine Vorrichtung, der ſogenannte Kommutator an— gebracht, welcher die zwei Ströme auf gleiche Rich— tung bringt. Auf dieſe Art läuft ein Strom von ſtets gleichbleibender Richtung in die an der Achſe ſchleifenden Federn, von denen aus er durch Drähte nach beliebigen Apparaten geführt werden kann. Die Ströme ſind indeſſen keineswegs während der ganzen Umdrehung von gleicher Stärke; ſie haben begreif— licherweiſe ihre größte Intenſität, wenn die Rollen in unmittelbarer Nähe der Magnetpole ſich befinden und ſinken faſt auf Null herab, wenn die Rollen gleichweit von beiden Polen abſtehen. Man erhält alſo mittels ſolcher Maſchinen keine konſtanten Ströme, ſondern eigentlich Stromimpulſe, die indeſſen um ſo mehr zu einem konſtanten Strom zuſammenfließen, je raſcher die Umdrehung erfolgt. Zur genaueren Erklärung der hier obwaltenden Ver— 182 Humboldt. — Mai 1882. hältniſſe bemerken wir noch folgendes: Ein Magnet (Fig. 2) kann als ein Körper betrachtet werden, um welchen elek⸗ triſche Ströme kreiſen; ſieht man gegen den Südpol 8, ſo laufen die Ströme in der Richtung der Bewegung der Uhrzeiger; ſieht man auf den Nordpol N, ſo gehen ſie in entgegengeſetzter Richtung um. Verfolgt man indeſſen die an den Pfeilen erkennbaren Stromrichtungen vom Südpol Fig. 2. aus über die Umbiegung nach dem Nordpol hin, ſo kreiſen die Ströme doch in ſtets gleicher Richtung um das Eiſen. Nähert man eine Drahtrolle dem einen Pol, z. B. dem Südpol, ſo wird in derſelben ein Strom induziert, welcher Fig. 3. den um den Südpol laufenden Strömen entgegengeſetzt iſt, alſo gegen die Richtung der Uhrzeiger erfolgt. Beim Entfernen der Rolle von dem Pol entſteht in ihr ein Strom, welcher den um den Pol laufenden Strömen gleich⸗ gerichtet iſt. In Fig. 3 fteht einem Magnet AB ein Elektro⸗ magnet, d. i. ein mit Kupferdraht umwickeltes Hufeiſen, was im weſentlichen dasſelbe iſt, wie die vorhin (Fig. 1) erwähnten Drahtrollen mit Eiſenkernen, gegenüber. Dreht man den Elektromagnet um die Achſe a, ſo daß ſich ſein Schen⸗ kel Odem Südpol und fein Schenkel D dem Nordpol des Mag⸗ netes AB nähert, fo wird in den Drahtwindungen des Elektro⸗ magnetes aus doppelten Gründen ein Strom erregt; 1) es bringt der Südpol des Magnetes AB einen ihm entgegen⸗ geſetzten Strom in den Windungen hervor, und 2) es wird der Schenkel C in wachſendem Maße nordmagnetiſch, in⸗ folgedeſſen der Nordpol n einen Strom in den Windungen induziert, welcher den um ihn laufenden entgegengeſetzt iſt. Die beiden induzierten Ströme haben gleiche Richtung, doch iſt der zweite bei weitem der ſtärkere. In den Windungen des Schenkels D des Elektromagnetes, welcher ſich unter⸗ deſſen dem Nordpol des Magnetes AB genähert hat, ent⸗ ſtehen ebenſo zwei gleichgerichtete Ströme, welche aber den um C laufenden entgegengeſetzt find. Doch aber zirkuliert, wie ſchon oben bemerkt, wenn man von dem einen Pol, z. B. dem Nordpol n aus den Windungen bis zum Südpol n nachgeht, der Strom in allen Windungen in demſelben Sinne. Dreht man weiter, ſo kehrt ſich der Strom, wenn die Pole des Elektromagnetes über die des Stabmagnetes hinweggegangen ſind, um; die Windungen entfernen ſich von den Magnetpolen und die Schenkel des Elektromagnets verlieren ihren Magnetismus. Nach einer Vierteldrehung iſt die Wirkung am ſchwächſten; ſie ſteigt dann, ohne Aenderung der Stromrichtung wieder an u. ſ. w. Fig. 4 zeigt die Pole 8 und N des feſten Mag⸗ nets, ſowie 1 und I, 2 und Il die zwei Rollen mit den Eiſenkernen in zwei Lagen auf ihrer kreisförmigen Bahn; wenn die Rollen bei a und b ſind, ſo haben die Fig. 4. Ströme die geringſte Intenſität. Um die Einwirkung der Eiſenkerne auf die Drahtrollen richtig aufzufaſſen, muß man die Figur von der Rückſeite des Papiers betrachten, wie denn auch die Buchſtaben n und s (welche Nord- und Südpol bedeuten) eigentlich auf der Rückſeite, den Polen S und N gegenüber, angeſchrieben ſein müßten. Der Kommutator, welcher den nach jeder halben Um⸗ drehung ſeine Richtung wechſelnden Strom in ſtets gleiche Richtung bringt, hat in ſeiner einfachſten Geſtalt die Ein⸗ richtung, wie ſie Fig. 5 zeigt. Um die Drehungsachſe der Rollen (in Fig. 1 mit k bezeichnet) ſind zwei Halb⸗ cylinder e und e“ von Meſſing gelegt, welche bei a und b voneinander iſoliert ſind; an dieſe ſind die Windungs⸗ enden d und d' der Rollen geführt; zugleich ſchleift an jedem Halbeylinder eine Feder h und h“, von welchen die den Strom weiterführenden Drähte m und m' ausgehen. Humboldt. — mai 1882. 183 Die Halbeylinder drehen ſich (ebenſo wie die Rollen und die Drahtenden d und 4“ derſelben) um die Achſe. Die Einrichtung iſt ſo getroffen, daß die Iſolierſtellen a und b gerade die Federn berühren, wenn die Rollen über den 1 Fig. 5. Magnetpolen ſtehen, zur Zeit alſo, wo der Strom eben ſeine Richtung wechſeln will. In unſerer Figur geht augen- blicklich der poſitive Strom auf dem Draht d nach e, von da in die Feder h und in den Draht m. Nach einer Vierteldrehung ' berührt die Iſolierſtelle a die Feder h; unmittelbar darauf wechſelt der Strom ſeine Richtung, der poſitive Strom geht jetzt durch d“ nach c“; aber es berührt jetzt auch der Halbeylinder e“ die Feder h, während e an h“ anliegt; es geht alſo jetzt wieder der poſitive Strom nach h und m. Die erſte magnetelektriſche Maſchine iſt wahr— ſcheinlich von Pixii in Paris 1832 hergeſtellt worden. Späterhin haben Dal Negro, Clarke, Ettinghauſen u. a. weſentliche Verbeſſerungen angebracht. Stöhrer ließ mehrere Drahtrollenpaare über ebenſoviel Magnete ſich bewegen; aber erſt die Geſellſchaft Alliance in Paris, ſowie Holmes in Nordfleeth (1858) haben Maſchinen in großem Stil erbaut, welche aus vielen Rollen und Magneten beſtanden und bei welchen die Rollen durch Dampfmaſchinen umgetrieben wurden; die Ströme, welche ſie erzielten, waren ſo gewaltig, daß man das elektriſche Licht mit denſelben anſtellen konnte. Die Maſchinen aber waren ſehr teuer und außerdem lieferten ſie ebenſowenig, wie die kleineren dieſer Art, konſtante Ströme. Erſt am Anfang der ſechziger Jahre wurden Entdeckungen nach verſchiedener Richtung hin gemacht, welche die Möglichkeit, eine billige und ſichere elektriſche Beleuchtung herzuſtellen, in unmittelbare Nähe rückten. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. h pf i k. Der Wetterkompaß. Von den Herren Biernatzki u. Komp. in Hamburg wird ſeit kurzem unter der Be- zeichnung „Wetterkompaß“ ein neuer Wetterzeiger zum Co Me LTTERC ote Der Kees Fig. 1. Preiſe von 50 Mark in den Handel gebracht. Dieſer pa⸗ tentierte Apparat iſt eine Erfindung von Prof. Klinker⸗ fues, dem bekannten Direktor der Göttinger Sternwarte, welchem wir ſchon ein ähnliches Inſtrument, ein verbeſſertes Hygrometer, verdanken. Die auf letzteres geſetzten Erwar⸗ tungen haben ſich nicht in vollem Umfange erfüllt, da die von Zeit zu Zeit erforderliche Vergleichung mit einem Humboldt 1882. wirklichen Feuchtigkeitsmeſſer nicht jedermann möglich und die Wettervorherbeſtimmung den meiſten zu umſtändlich war, auch bei häufigem Fehlgehen aus mangelhafter Be— rückſichtigung aller Umſtände keine Befriedigung gewährte. Ferner läßt uns dieſes Inſtrument, ebenſo wie der neue Wetterzeiger über die Verhältniſſe der oberen, ſowie der in weiterem Umkreiſe lagernden Luftſchichten im unklaren, während ſich die telegraphiſche Wetterprognoſe weſentlich hierauf ſtützt. Deſſenungeachtet verſpricht das neue Inſtrument ein für den gewöhnlichen Gebrauch geeignetes zu werden und vielfach das alte „Wetterglas“, das Barometer, zu ver— 24 184 Humboldt. — Mai 1882. drängen. Thatſächlich ift es der Hauptſache nach ein ſolches und zwar ein Bourdonſches Aneroidbarometer, verbun⸗ den mit einem Haarhygrometer, welches unabhängig von den denſelben Zeiger lenkenden Veränderungen des Luft⸗ drucks den Ausſchlag je nach dem Waſſergehalt der Luft entweder in gleichem Sinne verſtärkt oder in entgegen⸗ geſetztem Sinne abſchwächt. Ueberdies wird der Wind⸗ richtung noch beſondere Rückſicht geſchenkt, indem deren erfahrungsmäßiger Einfluß auf die Himmelsbedeckung und die atmoſphäriſchen Niederſchläge in Betracht gezogen wird und zwar nach der durch langjährige Beobachtung gemachten Erfahrung, daß der Uebergang von Weſt nach Oſt die Wetterausſichten durchſchnittlich ungefähr fo viel verbeſſert als ein Steigen des Barometers von 9mm oder eine Ab⸗ nahme der relativen Feuchtigkeit um 50 Proz., während der Uebergang des Windes von Oſt nach Weſt dieſelben entſprechend verſchlechtert. Neben dem Hygrometer von Klinkerfues, welches beſonders in bezug auf die in der Nacht wahrſcheinliche niedrigſte Temperatur nicht unterſchätzt werden darf, gibt uns deſſen neuer Wetterzeiger auf die einfachſte Weiſe Aus⸗ kunft über die in 12 bis 24 Stunden zu erwartende Wit⸗ terung, d. h. darüber, ob klarer oder bedeckter Himmel, trockenes oder naſſes Wetter eintreten wird. Das iſt aber gerade das Wichtigſte, was wir vorher zu wiſſen begehren, ſei es auch nur annähernd genau und zuverläſſig. Unter 100 Wetterprognoſen ſollen übrigens beiläufig 90 zutreffen. Ferner hat dieſe Art der Prognoſe immer den Vorzug, eine ortsgültige zu ſein; ſie iſt daher für den Landwirt von beſonderer Bedeutung. Was den Wetterkompaß außerdem empfiehlt, ift ſeine bequeme und einfache Handhabung, ſo⸗ wie ſeine gediegene und hübſche Ausführung. Der Wetterkompaß kompenſiert die Wirkungen des Barometers und des Hygrometers derart, daß Fallen des Barometers und Abnahme der relativen Feuchtigkeit oder Steigen des Barometers und Zunahme der relativen Feuch⸗ tigkeit auf den Zeiger entgegengeſetzt wirken und in einem gewiſſen Verhältnis denſelben zur Ruhe bringen. Die Baſis für die Berechnung der Wetterſcheibe des Inſtru⸗ mentes bildet das durch gleichzeitige Beobachtung der Schwankungen des Barometers und Hygrometers feſtgeſtellte Verhältnis zwiſchen Luftdruck und Luftfeuchtigkeit, nämlich mm Luftdruck iſt in ſeiner Wirkung gleich 6 Proz. rela⸗ tiver Luftfeuchtigkeit. So werden Luftdruck und Luft⸗ feuchtigkeit, Windrichtung und gegenwärtiges Wetter als Faktoren für die Vorherbeſtimmung des Wetters gleichzeitig herangezogen und zweckmäßig verwertet. Aus vorſtehenden beiden Anſichlen ijt die Einrichtung des Wetterkompaſſes leicht erſichtlich. Der von innen be- wegte Zeiger tritt gebogen über die äußeren Skalen her⸗ vor und erlaubt dadurch eine ungehinderte Drehung der beiden Scheiben für Wettercharakter und Windrichtung. Bei der Einſtellung dreht der Beobachter die beiden Scheiben derart, daß der Zeiger auf das Feld der Wetterſcheibe zu ſtehen kommt, welches dem jeweiligen Zustande des Wetters entſpricht, während er an der Windſcheibe den derzeitigen Wind bezeichnet. Dieſe Einrichtung wurde getroffen, weil offenbar berückſichtigt werden muß, ob eine und dieſelbe Aenderung zu naſſem oder zu trockenem Wetter hinzukommt. Nach 10 bis 12 Stunden wird der Zeiger bei unverändert gebliebenem Winde das kommende Wetter direkt anzeigen. Bei verändertem Winde dreht man einfach den früheren Wettercharakter auf die neue Windrichtung und wird dann die danach veränderte Angabe des Zeigers das zu erwar⸗ tende Wetter angeben. Die durchbrochenen Scheiben der zweiten Abbildung erlauben einen Einblick in den inneren Mechanismus des Inſtrumentes. aa ſind die Enden eines Bourdonſchen Aneroidringes, welcher hier ſo angeordnet iſt, daß das eine Ende feſt an einer Fundamentplatte gelagert iſt, da⸗ her nur das andre Ende den durch die Aenderungen des Luftdrucks erzeugten Schwankungen folgen kann. Das ſchwankende Ende des Ringes trägt einen in einem Metall⸗ rahmen eingeſpannten hygroſkopiſchen Haarſtrang s, welcher durch das Glasauge eines Metallhebels e hindurch geht. Dieſer Hebel iſt mit einem kleinen Uebergewicht verſehen, um den Haarſtrang anzuſpannen, und greift durch ein Zahnſegment in ein Triebrad der Zeigerachſe ein. So werden die Ringſchwankungen durch den Haarſtrang auf das Segment c und dadurch auf den Zeiger übertragen. Unabhängig von dieſen ſeitlichen Verſchiebungen des Haar⸗ ſtranges beeinflußt derſelbe noch durch ſeine, dem Wechſel der Luftfeuchtigkeit entſprechende Längenänderung den Zeiger. Beide Kräfte ſind aber unabhängig voneinander, in ihrer Einwirkung auf die Zeigerbewegung addiren ſie ſich daher oder gleichen ſich aus. 2 Der Betrieb von Gasmaſchinen mit BWaffergas. Von J. Emerſon Dowſon in London iſt neuerdings ein Verfahren der Heizgaserzeugung in Vorſchlag gebracht worden, welches insbeſondere für den Betrieb von Gas⸗ motoren zur Erzeugung von elektriſchem Lichte und überhaupt zur Kraftleiſtung in Konkurrenz gegen die Dampfmaſchine hoch bedeutſam erſcheint. Der Dowſon'ſche Gasapparat beſteht aus einem vertikalen cylindriſchen eiſernen Gehäuſe, welches mit einem ſtarken feuerfeſten Thonfutter ausge⸗ kleidet iſt, um Wärmeverluſt und Oxydation möglichſt zu verhüten; am Boden des Gehäuſes befindet ſich der Roſt, worauf das Feuer entzündet wird; unter dem Roſte iſt eine geſchloſſene Kammer, in welche ein Strahl überhitzten Waſſerdampfes von 1½ bis 2 Atmoſphären Spannung eintritt, der einen Luftſtrom mit ſich führt. Der Dampf⸗ druck treibt ein Gemiſch von Gas und Luft durch das Feuer aufwärts, ſo daß die Verbrennung des auf dem Roſte befindlichen Anthracit unterhalten und der Dampf dabei teil⸗ weiſe zerſetzt wird. Es wird auf dieſe Weiſe ein Gas erzielt, welches durchſchnittlich aus 20 Waſſerſtoff, 30 Kohlen⸗ oxyd, 3 Kohlenſäure, 47 Stickſtoff in Volumenprozenten beſteht. Die kaloriſche Kraft dieſes Gasgemiſches iſt 3,5mal geringer, als die des mittleren Londoner Leuchtgaſes; ſein pyrometriſcher Effekt beziffert ſich auf 2268 C., während der des Leuchtgaſes 2594 C. beträgt. Der Waſſerver⸗ brauch ſtellt ſich auf 15 1 für 100 ebm Gas und zur Er⸗ zeugung dieſer Gasmenge ſind 18 Kk Anthracit nötig. Die Exploſionskraft des gewöhnlichen Leuchtgaſes wird im Verhältnis zum Dowſongas wie 3,5: 1 gerechnet, d. h. bei gleicher Leiſtung braucht ein Gasmotor 3, 5mal mehr Dowſongas als gewöhnliches Leuchtgas; da aber die Ver⸗ brennung des Kohlenoxyds ziemlich langſam vor ſich geht und weil die Verdünnung, welche im Cylinder infolge der nicht vollſtändig entfernten Verbrennungsprodukte ſtatt⸗ findet, das ſchwächere Gas mehr beeinflußt als das ſtärkere, ſo hat ſich ergeben, daß man lieber 5 Volumen Dowſon⸗ gas anſtatt 1 Volumen Leuchtgas in den Gasmotor ein⸗ treten läßt, um dieſelbe Kraftleiſtung ſicher zu erreichen. Hieraus ergaben ſich wichtige ökonomiſche Reſultate: denn wenn man die Koſten des Dowſongaſes, die ſich nach der Größe des Generators (zu 1000, 1500 und 2500 Kubik⸗ fuß engl. per Stunde) auf eirca 36, 27 und 23 Pfennig pro 1000 Kubikfuß (eirca 30 ebm) ſtellen, mit 5 multi⸗ pliziert, erhält man für die Betriebskoſten beziehentlich 180, 135, 115 Pfennig oder im Durchſchnitt 144 Pfennig für das Aequivalent von 1000 Kubikfuß gewöhnliches Leuchtgas, deſſen Preis ſich etwa auf 3 bis 4 Mank ſtellt, ſo daß ſich eine Erſparnis von 50 bis 60 Prozent ergibt. Ferner iſt noch zu berückſichtigen, daß Steinkohlengas 224 bis 150 Pfund Kohlen pro 1000 Kubikfuß Gas erfordert, während für dieſelbe Menge Dowſongas nur 12 Pfund Anthracit nötig ſind und multipliziert man dieſe Zahl, wieder mit 5, ſo ergeben ſich immerhin nur 60 Pfund, ſo daß an Transportkoſten außerdem noch ſehr erheblich geſpart wird. 4 Es ſtellt ſich nach Berückſichtigung aller Betriebs⸗ und Reparaturkoſten nebſt Amortiſation und Kapitalzinſen heraus, daß ein größerer Gasmotor mit Dowſongas um 40 bis 50 Prozent billiger als eine gleichſtarke Dampf⸗ maſchine betrieben werden kann. Schw. Ein elektriſches Feuerzeug. Die vorjährige Pariſer elektriſche Ausſtellung führte beſonders auch eine Menge kleiner und meiſt recht geſchmackvoller elektriſcher Neuheiten a Humboldt. — Mai 1882. 185 franzöſiſcher Erfindung vor, welche den Fabrikanten alle Ehre machten. Ein derartiger Artikel iſt ein von Chardin erfundenes elektriſches Feuerzeug mit der Bezeichnung „LEtincelle“, welches für häusliche Zwecke als nützlich erſcheint. Dieſer Apparat iſt in der That eine kleine dynamoelektriſche Maſchine und kann zum Entzünden von Oel-, Petroleum- und Gaslampen, ſowie zur Erregung von Induktionsſtrömen für mediziniſche Zwecke, für elek—⸗ triſche Klingeln und elektriſche Experimente im kleinen benutzt werden. Für Lichtanzünden beſitzt dieſer Apparat entſchiedene Vorzüge über ähnliche Apparate mit galvaniſcher Batterie, weil er reinlicher, dauerhafter und leichter zu handhaben ijt. Das Inſtrument beſteht aus einem per— manenten Hufeiſenmagnet mit um ſeine Pole gewundenen Spiralen und einer zwiſchen denſelben befindlichen Sie— mensſchen Armatur, welche mittels Kurbel und Zahnrad— vorgelege in Umdrehung verſetzt wird. Die in der Armatur erzeugten Ströme werden durch einen Clarkſchen Rommuta- tor in die Spiralen geſendet, wo ſie ſich durch die Magnet— kraft verſtärken. Durch die Kurbelumdrehung treten Strom— unterbrechungen ein und die Extraſtröme geben Funken, mit welchen leicht ein Gasbrenner oder eine Oellampe entzündet werden kann. Der Apparat wird mit einer kleinen Handlampe, einer Induktionsrolle und Geißlerſchen Röhren geliefert. Schw. Die Dichtigkeit der Erde iſt von Profeſſor von Jolly in München auf eine neue Art mittels der Wage beſtimmt worden (Wied. Ann. Bd. XIV, p. 331-355). Die theoretiſchen Betrachtungen find folgende. An den beiden Schalen einer ſehr ſorgfältig konſtruierten Wage iſt ein Draht befeſtigt von circa 20 m Länge, an dem wieder Schalen ſich befinden. Wird nun ein Körper in der oberen Schale gewogen, dann in die untere Schale gebracht, während das Gewichtſtück in der obern bleibt, ſo wird dieſer Körper in der untern Schale ſtärker angezogen, da er ja dem Mittelpunkt der Erde um 20 m näher iſt, das Gewicht desſelben wird alſo jetzt größer ſein. Bringt man nun unter die untere Schale eine Bleikugel von be— kannter Größe, ſo wird der Körper in der untern Schale durch die Attraktion der Bleikugel wieder eine entſpre— chende Gewichtszunahme erfahren. Die Differenz der Ge— wichtszunahmen mit und ohne Bleikugel gibt die Größe der Attraktion der Bleikugel. Aus der gemeſſenen An— ziehungskraft der Erde, der gemeſſenen Anziehungskraft der Bleikugel und der bekannten Dichte des Bleies ergibt ſich mit Benutzung des Gravitationsgeſetzes die unbekannte Dichte der Erde. Nach dem Newtonſchen Geſetze nämlich iſt die Kraft k, die eine Bleikugel U vom Radius r in der Entfernung a auf einen materiellen Punkt ausübt, k = aa wo p diejenige Kraft iff, die 2 gleiche Maſſen eed = = ere 4 > in der Einheit der Entfernung aufeinander ausüben. Da p. = a * 15 8 eds 8 8 4 wo d die Dichte des Bleies iſt, jo wird k =p N ro A 5 4 Anziehungskraft der Erde wird ausgedrückt durch g = p Tae t R xXx, wenn R der Erdradius, x die Dichtigkeit der Erde und der angezogene Punkt ein Punkt der Erdoberfläche iſt. (Auch für einen Punkt in der Entfernung h von der Erdoberfläche, wo h gegen R ſehr klein, bleibt mit großer Annähe⸗ k ror” 5 5 rung dieſe Kraft dieſelbe.) Es ijt dann — = RT a7 Sit nun m die Maſſe des gewogenen Körpers, fo ijt mk = q das Gewicht desſelben unter alleinigem Zuge der Bleikugel, mg = Q, das Gewicht des Rorpers unter N 1 a 15 0 19 80 Q alleinigem Zuge der Erde alſo n oder x = rama: Die Beobachtung ſelbſt war eine äußerſt ſchwierige. Der Apparat war in einem auf 3 Seiten freien Turme aufgeſtellt, deſſen Inneres hinreichend freien Raum ließ. Die Wage war nebſt Abbleſefernrohr erſchütterungsfrei aufgeſtellt, die von den obern Schalen führenden aus Meſſing beſtehenden und galvanoplaſtiſch vergoldeten Drähte von 21,005 m Länge waren durch Röhren aus Zinkblech geſchützt. Die Bleikugel in einem Geſamtgewicht von 5775, kg wurde aus einzelnen Barren zuſammengeſetzt. Als Gewichtsſtücke wurden mit Queckſilber gefüllte Glas⸗ kolben benutzt und zwar wurden 4 ſolcher Glaskolben von gleichem Volumen hergeſtellt, von denen 2 mit Queckſilber von gleichem Gewicht gefüllt wurden. Auf jede Schale kam ein Glaskolben, ſo daß das von Körper und Gewicht verdrängte Luftvolumen ſtets gleich blieb. Als Zulage— gewichte wurden Platinbleche verwendet. Die Orientie— rungsarbeiten erforderten ſehr viel Zeit und Mühe. Die geringſte Aenderung in der Temperatur bewirkte in den Röhren Luftſtrömungen und konnte infolgedeſſen die Wage nicht zum Ausſchwingen gebracht werden. Schon momentanes Auflegen der Hand auf die Röhre machte ſich bemerkbar. Veränderungen in dem Feuchtigkeitsgehalt der Luft machten ebenfalls exakte Wägungen unmöglich. Es konnte daher nur an Tagen beobachtet werden, an welchen Hygrometer ſowie Thermometerſtand möglichſt konſtant war. Mit Berückſichtigung aller Fehlerquellen erhielt Jolly für die mittlere Dichte der Erde die Zahl 5,692, eine Größe, die ſich von den Werten, die mittels der Torjions- wage erhalten wurden, nur um noch nicht 2% unter— ſcheidet. B. Chemie. Neue indigoähnliche Farben. Die bedeutenden Herſtellungskoſten des nach Baeyer bereiteten künſtlichen Indigblaus veranlaſſen die Chemiker zu fortgeſetzten Ber- ſuchen in dieſer Richtung, welche auch von Erfolgen be- gleitet find. So erzeugt die badiſche Anilin- und Soda- fabrik in Ludwigshafen neuerdings ein Alizarinblau, einen Abkömmling von Nitroalizarin und Glycerin, welches das frühere Präparat bei weitem übertrifft und, da es ebenſo gedämpft wird, wie die gewöhnlichen Dampffarben, für die Baumwolldruckerei und ⸗Färberei offenbar von Bedeutung iſt. Dieſe von Prudhomme entdeckte und von Brunck in Ludwigshafen verbeſſerte Farbe wird aus gewöhnlichem Alizarinblau mit Hilfe von doppeltſchwefligſauren Alkalien hergeſtellt und mit eſſigſaurem Chromoryd fixiert. Neben dieſem neuen blauen Farbſtoff verdient ein andrer neuer indigoartiger Farbſtoff, welcher von ſeinen Entdeckern, den Herren Köchlin und Witt, „Indophenol“ genannt wird und dem künſtlichen Indigo bedeutende Kon— kurrenz zu machen geeignet erſcheint, beſondere Beachtung. Nachdem es nämlich Witt gelungen, durch Einwirkung von Nitroſoderivaten aromatiſcher Verbindungen auf Phenole neue intereſſante Azofarbſtoffe herzuſtellen, haben ſich die Unterſuchungen auf dieſem Gebiete raſch vermehrt und ſind in der letzten Zeit verſchiedene Patente auf ſolche Farben genommen worden. So bereitet R. Meldola blaue und violette Farb- ſtoffe durch Einwirkung von Nitroſodimethylanilin auf Phenole, welche keine Methylgruppe enthalten, wobei der Sauerſtoff der Nitroſogruppe mit 2 Atomen Waſſerſtoff aus dem Phenolkern als Waſſer austritt. Die Reaktion vollzieht ſich bei Anwendung von Beta-Naphtol unter Mit⸗ hilfe von Eiseſſig nach folgender Gleichung: Ce Hs. NO. (CHa) 2. N CioH . OH = CHa N. (CHs) 2. N. C10 Hs. OH + H20. W. Conrad ſtellt blaue Farbſtoffe aus Sulfonſäuren dar, welche durch Einwirkung von ſchwefligſaurem Am⸗ moniak auf Nitroſoderivate der tertiären aromatiſchen Monamine, z. B. Nitroſodimethylanilin erzeugt werden. W. Majert bedient ſich zur Darſtellung blauer Farbſtoffe aus Nitroſodimethylanilin der Sulfokohlenſäure, deren Wir- kung das folgende Schema ausdrückt: 3 [Ce HA. NO. (CHa) 2. NI + CS2.SH: = 3[CsHs.NS. (CHa )2. NI + CO2 + H20. Die den Herren H. Köchlin in Lörrach und O. N. Witt in Mülhauſen im Elſaß patentierten, durch Billig— keit und Echtheit ausgezeichneten neuen blauen und vio— letten Farbſtoffe werden nach zwei Methoden bereitet. Nach der einen läßt man die Nitroſoderivate von tertiären aro⸗ matiſchen Aminen oder Phenolen, ſowie die ſogenannten Chlorchinonimide und deren Homologen auf alkaliſche, auch ammoniakaliſche Löſungen von Phenolen bei gewöhnlicher oder erhöhter Temperatur reagieren. Ein Zuſatz geeigneter reduzierend wirkender Stoffe, wie Zinkſtaub oder Zinn⸗ 186 Humboldt. — Mai 1882. oxydul, ift zur Beſchleunigung des Prozeſſes ſehr dienlich. Bisher wurden von Nitroſoderivaten namentlich Nitroſo⸗ dimethylanilin und Nitroſophenol, von Phenolen das ge⸗ wöhnliche Phenol, die beiden Naphtole, Reſorein und Orein, fowie von dieſen abgeleitete Verbindungen verwendet. Nach der zweiten Methode werden Paraamidoderivate primärer, ſekundärer oder tertiärer aromatiſcher Amine oder Phenole, insbeſondere Paraphenylendiamin, Paramido⸗ diphenylamin, Paramidodimethylanilin und Paramido⸗ phenol mit einem geeigneten Phenol in ſchwach alkaliſcher oder ſchwach ſaurer, etwa eſſigſaurer Löſung mit oxydieren⸗ den Subſtanzen, z. B. Chromaten, Permanganaten be⸗ handelt. So wird beiſpielsweiſe ein ſehr bemerkenswerter blauer Farbſtoff aus Paramidodimethylanilin und Alpha⸗ Naphtol nach folgender Vorſchrift erhalten. 10 Gewichts⸗ teile ſalzſaures Nitroſodimethylanilin werden in 1000 Teilen Waſſer gelöſt, 10 T. Zinkſtaub zugemiſcht und auf 45— 50% C. erwärmt. Nach vollzogener Reduktion wird der filtrierten Flüſſigkeit eine Miſchung von 12 T. Alpha⸗ Naphtol, 12 T. Natronlauge von 38° B., 10 T. Kalium⸗ dichromat und 200 T. Waſſer zugegeben, dann mit Eſſig⸗ ſäure angeſäuert. Der auf dieſe Weiſe vollſtändig gefällte Farbſtoff wird abfiltriert, mit Waſſer gewaſchen und als Teig oder nach dem Trocknen als Pulver in den Handel gebracht. Beta⸗Naphtol und Reſorein liefern violette Farb⸗ ſtoffe, bei Anwendung gewöhnlichen Phenols fällt der blaue Farbſtoff mehr grünlich aus. Der an der Luft getrocknete blaue Indophenolteig hat das Anſehen des käuflichen Indigos. Dieſes trockene Indo⸗ phenol ſublimiert bei vorſichtigem Erhitzen in ſchönen blauen, dem Indigo ähnlichen Nadeln; es iſt wenig lös⸗ lich in Alkohol, leichter in Phenol; in konzentr. Schwefel⸗ ſäure löſt es ſich mit tiefblauer Farbe, die auf Waſſerzuſatz in ſchmutziges Rot übergeht. Auch gegen Reduktionsmittel, 3. B. Traubenzucker, verhält fic) das Indophenolblau ähn⸗ lich dem Indigoblau, indem es dadurch in ſog. Indophenol⸗ weiß von graugelber Farbe verwandelt wird, welches große Verwandtſchaft zur tieriſchen Faſer beſitzt und wie eine Indigküpe zu benützen iſt, an der Luft ſich übrigens nur langſam wieder oxydiert und blau färbt, ſo daß zu dem Zweck beſſer Oxydationsmittel zu Hilfe genommen werden. Soll Pflanzenfaſer mit Indophenol gefärbt werden, muß man zu konzentrierteren Bädern greifen. Das neue Blau kann direkt auf der Faſer erzeugt werden, wofür ſich die Herren Köchlin und Witt drei Verfahren patentieren ließen. Auch die Herren Caſſella u. Komp. in Frankfurt a. M. bringen Indophenolblau und Indophenolweiß ſchon in den Handel. Die neuen Farben ſind weniger ſäureecht wie Indigo, aber völlig lichtbeſtändig, widerſtehen den Seifen und dem Chlor und können mit allen Dampffarben zuſammen gegeben werden. Da die Orthonitrophenylpropiolſäure das Dämpfen nicht ſo gut verträgt und die neuen Farben ſich ſchon jetzt be⸗ deutend billiger ſtellen als Indigotin, ſo eröffnen ſich ihnen die beſten Ausſichten. IPS MCL meer alogue Neue Berfude über Künſtliche Mineralien. Eine anſehnliche Reihe von Mineralien, ſpeziell ſolcher, welche zu den verbreitetſten in den Geſteinen gehören, ſind künſt⸗ lich, ſowohl auf trockenem wie auf naſſem Wege darge⸗ ſtellt worden. Augit, Olivin und ähnliche Mineralien wer⸗ den in Hüttenprodukten öfters beobachtet und auch gewöhn⸗ licher Feldſpat, Orthoklas, wird auf dieſem Wege gebildet; man fand letzteren mehrmals in Kupferſchmelzöfen zu Sangerhauſen in Thüringen, welches Vorkommen auch durch die chemiſche Analyſe von Heine identifiziert wurde. Auf naſſem Wege nach Zeolithen, beſonders Analzim und Laumontit gebildeter Feldſpat wurde in der Gegend von Dillenburg von Breithaupt, Grandjean und Sand⸗ berger nachgewieſen. Die Herren C. Friedel und E. Saraſin haben nun nach den Comptes rendus“ kürz⸗ lich Feldſpat, ſowie Quarz und Tridymit direkt künſtlich dargeſtellt. Sie bedienten ſich zu dem Verſuch einer Stahl⸗ röhre, in welche ein Rohr aus Kupfer oder Platin gebracht wurde, während erſtere noch in einen Gußeiſenblock zu liegen kam, der nach der Füllung zur beginnenden Rot⸗ glut erhitzt ward. In das innere Rohr hatte man gal⸗ lertförmige Kieſelſäure, Thonerde und Kalilöſung oder gallertförmige gefällte kieſelſaure Thonerde, kieſelſaures Kali und Kaliumhydrat gegeben und während 16—30 Stunden erhitzt. Nach beendigter Einwirkung fanden ſich neben Quarz⸗ kriſtällchen kleine hexagonale Tridymite, bekanntlich die zweite Form der kriſtalliſierten Kieſelſäure und kleine Kri⸗ ſtallkörnchen, welche ihren kriſtallographiſchen, phyſikali⸗ ſchen und chemiſchen Eigenſchaften, ſowie der Analyſe ge- mäß als Orthoklas feſtgeſtellt werden konnten. Ueber einen neuen Verſuch zur Herſtellung künſtlicher Diamanten berichtet das „Journal des Débats“k. Der engliſche Chemiker Hannay benutzte dazu eine ſtarke dick⸗ wandige ſchmiedeeiſerne Röhre. Das eine Ende derſelben war geſchloſſen, das andre offen; an letzterem führte er unter dem Druck von mehreren hundert Atmoſphären einen Kohlenwaſſerſtoff und eine feſte Stickſtoffverbindung ein, um die Abſcheidung von Kohlenſtoff zu begünſtigen. Die Röhre wurde während einiger Stunden zum Rotglühen. erhitzt und nach dem Erkalten zerſägt. Im Innern ſollen ſich dann zahlreiche, ſehr kleine weiße Kriſtällchen von allen Eigenſchaften des Diamants gefunden haben, von der Härte und oktaedriſchen Form desſelben. Aehnliche Verſuche wur⸗ den mehrfach von franzöſiſchen Chemikern ausgeführt, blieben aber ohne Erfolg. Näheres über den neuen Ver⸗ ſuch iſt abzuwarten. . Freies Fluor im Flußſpat. Im Granit von Wöl⸗ ſendorf bei Schwarzenfeld an der Naab findet ſich ein dunkelblauer, oft faſt ſchwarzer Flußſpat in ſtrahligen Maſſen, welcher ſchon lange die Aufmerkſamkeit der Che⸗ miker und Mineralogen auf ſich gezogen hat. Derſelbe gibt nämlich beim Zerſchlagen und Zerreiben einen ganz ähnlichen Geruch wie Chlorkalk von ſich und iſt deshalb auch unter dem Namen Stinkfluß bekannt. Schafhäutl glaubte darin in der That eine unter⸗ chlorigſaure Verbindung nachgewieſen zu haben, während Schrötter Ozon, Schönbein das jetzt von den Che⸗ mikern aufgegebene Antozon vermutete; andre ſchrieben den Geruch einem Gehalt an Kohlenwaſſerſtoff zu. Neuerdings hat ſich Oskar Löw mit dieſem Mineral beſchäftigt und nachgewieſen, daß der riechende Stoff Chlor aus Chlornatrium, Jod aus Jodkalium ausſcheidet und nach ſeiner in geeigneter Weiſe vorgenommenen Bindung an Natrium beim Uebergießen mit Schwefelſäure Glas ätzt, welch letztere Reaktion alſo ſicher auf Fluor deutet. Da der Wölſendorfer Flußſpat Cerium enthält, ſo ver⸗ mutet Löw, daß das freie Fluor durch Zerſetzung von Fluorcerium entſtanden ſei. W. Sch. Ber. d. deutſchen chem. Geſ. XIV, 9. 28) © 1 e n ti te Zur Gefdhidte der ginkgoartigen Baume. So manche Typen finden wir in der Pflanzenwelt, welche, durch ihren fremdartigen Habitus jetzt iſoliert zwiſchen den rezenteren Geſtalten unſerer lebenden Flora, in früheren Perioden mit einer Anzahl nächſtverwandter Formen eine weite Verbreitung beſeſſen haben. Daß auch die Gruppe der Nadelhölzer ſolche Typen aufzuweiſen hat, ſchildert uns der unermüdlich thätige Prof. Heer in einigen ſeiner neueſten paläontologiſchen Arbeiten. Die Familie der Eibenbäume (Taxineen) iſt jetzt in Europa allein durch den Eibenbaum, Taxus baccata L., vertreten, der ſich jedoch auch auf den atlantiſchen Inſeln, im Kaukaſus und auf dem Himalayagebirge vorfindet. Anderwärts aber, wie in Amerika, Aſien oder Auſtralien zeigen ſich noch andre Vertreter dieſer Familie in den Gattungen Cephalotaxus, Torreya, Podocarpus, Phyl- locladus und Ginkgo. Von dieſen Gattungen beſitzt beſonders Ginkgo eine eigentümliche Stellung. Nur eine einzige Art dieſer früher fo weit verbreiteten Gattung, Ginkgo biloba L. oder Salis- buria adiantifolia Sm. findet ſich noch in dem öſtlichen Humboldt. — Mai 1882. 187 Aſien und ragt als letzter Ausläufer längſt verſchwundener Perioden in die jetzige Flora hinüber. Vielleicht aber tritt die Gattung Ginkgo ſchon im Rhät auf, aus welcher Periode G. crenata Br. sp. ange⸗ führt wird; mit Sicherheit aber iſt ſie jedenfalls aus der Juraperiode und hier allein in 13 Arten nachgewieſen. Auch wurden nicht bloß die eigentümlichen Blätter, ſon— dern von einigen Arten ſogar die männlichen Blütenſtände, bei welchen zahlreiche nackte Staubgefäße, vorn mit 2—3 Pollenſäcken, an einer Längsachſe ſtehen, ſowie die Samen beobachtet. Einzelne dieſer Ginkgo-Arten haben eine ſehr weite Verbreitung beſeſſen. So iſt z. B. die zuerſt be- ſchriebene Art Ginkgo digitata Bet. aus Yorkſhire in England, von Kamenka in Südrußland, von Kusnezk am Altai und vom Kap Boheman in Spitzbergen (hier bei 78“ 22“ n. Br.), G. Huttoni Stern. von Porkſhire, von Spitz⸗ bergen und von Oſtſibirien aus verſchiedenen Fundorten, wie Uſt Balei (51° n. Br.), an der Angarra, an der Kaja und bei Ajakit nahe dem Eismeere (70° n. Br.), G. sibirica Heer von Uſt Balei, am oberen Amur, an der Bureja, bei Ajakit nahe dem Eismeere und aus Japan bekannt u. ſ. w. Allein bei Uſt Balei in Oſtſibirien wurden 7 Arten von Ginkgo unterſchieden, welche ſich ſämtlich durch tiefere Einſchnitte und durch die Bildung zahlreicher, ſchmälerer Lappen auszeichnen, während die ſpäter auftretenden Arten, insbeſondere die lebende G. biloba L. nur wenige, breitere Lappen und ſehr wenig tiefgehende Einſchnitte aufzuweiſen haben. Jedenfalls ſpielt Ginkgo im Oolith (Braunjura) eine ſehr bedeutende Rolle und ſtehen von jenen Jura- formen der lebenden Art am nächſten die G. digitata Brgt. sp. und G. Huttoni Sternb. Im Oolith beſteht die Gruppe der Taxineen außer Ginkgo noch aus den 5 weiteren Gattungen Rhipidopsis, Baiera, Trichopitys, Czekanowskia und Phoenicopsis. Von dieſen ſteht Ginkgo am nächſten die Gattung Rhi- pidopsis Schmalh. aus dem Petſchoralande. Sie beſitzt rieſengroße, handförmig zerteilte Blätter, deren unterſte Lappen viel kleiner als die übrigen ſind. Sehr wichtig erſcheint die Gattung Baiera mit leder— artigen kurzgeſtielten, keilförmig verſchmälerten, in 2 bis mehrere Lappen zerteilten Blättern, welche von zahlreichen Längsnerven durchzogen ſind. Auch hier zeigen ſich weit verbreitete Arten, wie z. B. B. pulchella Heer vom Amur, von Uſt Balei, von der Bureja, vom Eismeer und von der Inſel Andö an der Küſte von Norwegen, oder wie B. longifolia Pom. sp. aus Frankreich, Sibirien und vom Amur. Von letztgenannter Art ſind auch die von äußerer Haut noch umgebenen Samen und die Blütenkätzchen mit in dichter Aehre ſtehenden Staubgefäßen bekannt geworden, an denen 5—12 Pollenſäcke im Kreis geſtellt find. Im ganzen werden aus dem Braunjura 6 Arten, beſonders von Sibirien, aufgezählt. Doch ſchon im Rhät exiſtierten 7 Spe⸗ zies, davon 6 in dem Rhät des ſüdlichen Schweden, während von der weit verbreiteten B. Münsteriana Pr. sp. auch die männliche, als Stachyopitys Preslii Schenk be— ſchriebene und mit derjenigen von B. longifolia aus dem Oolith übereinſtimmende Blütenähre bekannt iſt. Die Gattung Czekanowskia beſaß büſchelförmig (etwa wie bei dem Lärchenbaum) geſtellte Blätter, welche ſich vom Grunde aus gabelig ſpaltend in haarfeine oder fadenförmige Lappen auflöſten, von einem Kranze von Niederblättern zuſammengehalten wurden und wahrſcheinlich (im Herbſte) abfielen. Die Samen zeigten ſich meiſt zu 2 auf kurzem Stiele; die männlichen Blüten, meiſt nur mit einem Pollen- ſacke an dem mit der Spitze einwärts gekrümmten Staub- faden, bildeten Kätzchen. Die Gattung zeigt ſich ſchon im Rhät von Schonen (Schweden), aber noch häufiger im Dolith von Scarborough (England), an der Tunguska am Altai, am Amur und in Ajakit am Eismeere vor; bei Uſt Balei in Oſtſibirien war Cz. setacea Heer der häufigſte Baum, während eine zweite Spezies Cz. rigida Heer viel ſeltener auftrat. Nicht häufig ijt die Gattung Trichopitys Sap. deren Blätter gleichfalls in haarfeine Blattlappen auslaufen, je- doch mehr oder minder lang geſtielt ſind. Aus dem braunen und weißen Jura ſind 4 Arten bekannt von Oſtſibirien, Frankreich und England. Phoenicopsis unterſchied ſich von den übrigen Gat— tungen, deren Blätter in Lappen geſpalten waren, ſofort durch die einfachen unzerteilten Blattformen, welche bei Ph. speciosa Heer vom Amurlande und von Bulun nahe dem Eismeere (70*/s° n. Br.) faſt fußlang waren. Noch fanden ſich 2 andere Arten im Oolith von Sibirien und dem Amurlande und von der Inſel Andö an der nor— wegiſchen Küſte. So bildeten die ginkgoartigen Bäume im Braunjura zum großen Teile die Wälder und ſcheint gerade Oſtſibirien ein Bildungsherd für dieſe Gruppe geweſen zu ſein. Denn bis jetzt ſind aus Oſtſibirien allein 26 Arten bekannt, während andre Fundorte nur wenige Spezies aufzuweiſen haben, wie Spitzbergen 3, Andö 3, Frankreich 2, England 5, Südrußland 2, Japan endlich 1 Art. Sie beſaßen jeden- falls im Braunjura den Kulminationspunkt ihrer Ent⸗ wickelung. Doch erlöſchen ſchon in dieſer Formation die Gattungen Rhipidopsis, Phoenicopsis, Czekanowskia und Trichopitys; Baiera zeigt fic) nur noch mit 2 Arten in der unteren Kreide (Urgon) und allein Ginkgo dauert bis in unſre jetzige Zeit aus. Im Wealden tritt Ginkgo pluripartita Schimp. auf, welche ſich eng an die bolithiſche G. Huttoni Sternb. an⸗ ſchließt; ähnlich wie auch G. arctica Heer aus der unteren Kreide (Urgon) Grönlands. In der mittleren Kreide, (Aptien) der Schweiz zeigt fic) G. Jaccardi Heer, in der oberen Kreide Grönlands G. primordialis Heer, von welcher auch die langgeſtielten Samen gefunden wurden. Aus der Tertiärformation wurden im ganzen 4 Arten bekannt. So zeigt ſich im Eocän von Nordamerika G. poly- morpha Lesq., im Eocän der Inſel Sheppey in England G. Eocenica Ett., im Miocän an der Lena (65 ½ 0 n. Br.) G. reniformis Heer, während die weit verbreitete G. adiantoides Ung., welche bei Senigaglia, in Grönland und auf Sachalin beobachtet wurde, vielleicht identiſch mit der lebenden G. biloba L. iſt; ein ſicherer Schluß iſt vor⸗ läufig noch unmöglich, da die Blüten und Samen der letzten Art noch nicht bekannt find. Da G. adiantoides Ung. in Grönland im Untermiocän, in Italien bei Seni— gaglia an der Grenze zwiſchen Miocän und Pliocän auf— tritt, ſo iſt wohl Grönland als Heimat dieſer nach Süden und nach Aſien einwandernden Pflanze zu betrachten. Zu den Taxineen zählt ferner noch die arktiſchmiocäne, mit lederigen unzerteilten Blättern verſehene Gattung Nageia, welche einerſeits ſich an Podocarpus (Sektion Nageia), anderſeits an Cordaites anſchließt. Sie findet fic) auf Spitzbergen bei 78° n. Br. und im Grinelllande bei 82° n. Br. Die Gattung Ginkgo ſelbſt wurde von der Jura— periode nicht beobachtet, wohl aber zeigt ſich Baiera ſchon im Keuper von Baſel und Würzburg mit B. furcata Heer und den beiden Arten B. digitata Bgt. und B. Grasseti Sap. sp. (= Ginkgophyllum Grasseti Sap.) in der Dyas von Mansfeld, von Fünfkirchen in Ungarn und von Lodeve in Südfrankreich. Auch das nahe verwandte feinblätterige Trichopitys heteromorpha Sap. erſcheint im Oberkarbon von Lodeve, ſowie auch in der oberſten Kohlen— abteilung von St. Etienne die beiden Dicranophyllum- Arten: D. Gallicum Gr. Eury und D. striatum Gr. Eury. Auch gehört wohl noch Psygmophyllum Schimp. mit den großen Knoſpen eingerollter, am Grunde keil- förmig verſchmälerter, von zahlreichen Längsnerven durd)- zogener Blätter zu der Gruppe der ginkgoartigen Bäume oder Salisburieen, wenn anders dieſe Blätter einfach waren. Die Gattung Psygmophyllum-Arten find aus dem Mittelkarbon Englands und der Dyas von Schleſien (Glatz) und Rußland bekannt. Aber ſelbſt wenn man dieſen noch zweifelhaften Typus ausſchließt, zeigen ſich doch die Salisburieen im Karbon vertreten durch Baiera, Trichopitys und Dicranophyllum. Gleichzeitig mit ihnen tauchen auch 2 andre Gruppen von Nadelhölzern auf, die Abietineen, zu welchen wahrſcheinlich Walchia und Ull- 188 Humboldt. — Mai 1882. mannia gehören, und die Taxodiaceen, zu welchen Voltzia und Schizolepis zu rechnen ſind. Eine andre von den lebenden Formen ganz ab⸗ weichende Pflanzenfamilie bilden die Cordaitidae. Es waren dieſe mächtige Bäume, welche am Ende der Zweige Büſchel langer ledexiger Blätter trugen. Die männlichen Blüten waren zu Kätzchen vereinigt, die weiblichen Blüten ſtanden in Aehren. In Blatt und Bildung der außen fleiſchigen Samen ſchloßen ſie ſich eng an die Salisburieen an. Aus der Kohle von St. Etienne in Frankreich be⸗ ſchrieb Brongniart*) 17 Gattungen gymnoſpermer Sa⸗ men. Von dieſen gehören neben andern in der Stellung noch etwas zweifelhaften Typen ſicherlich die Cardiocarpus- Arten zu den Cordaitiden. Die Vertreter dieſer Familie ſind in der Steinkohle ſowohl Europas, als auch Amerikas die häufigſten Bäume; auch in Spitzbergen und auf No⸗ waja Semlja wurden ſie beobachtet. Sie ſind vom Devon bis zur Dyas verbreitet; ja Dawſon gibt ſogar für die ſiluriſche Formation 2 Arten an. Sie ſind wohl als die einfachſt gebauten Koniferen anzuſehen, bilden jedoch keinen Uebergang zu den Gefäßkryptogamen, wie etwa die mit zuſammengeſetzten Blättern verſehenen Nöggera⸗ thieen, bei welchen die Pollenſäcke ähnlich wie bei den Cycadeen entwickelt waren. Die Koniferen ſind älter als die Cycadeen und reichen durch die Cordaitiden bis in die früheſten Zeiten zurück. In den meſozoiſchen Zeiten treten beſonders die Salisburieen (eine beſondere Gruppe der Familie der Taxineen) für ſie ein, welche jetzt nur noch durch Ginkgo biloba L. in Oſtaſien vertreten iſt. Nimmt man aber die foſſilen Nadelhölzer hinzu, ſo erhält man allein für die Salisburieen 8 Gattungen mit 61 Arten. Dieſe unter⸗ ſcheiden fic) von den übrigen Taxineen durch die 2- bis vielnervigen, meiſt gelappten Blätter, durch die männlichen in Aehren geſtellten Blüten, ſowie durch die einzeln, oder zu 2, 3 oder 4 am Stielende, ſelten in einer Traube zu⸗ ſammenſtehenden Samen, deren Schale innen verholzt, außen aber fleiſchig iſt. Bei den männlichen Blüten tragen die nackten Staubgefäße an ihrer Spitze 1— 2 oder 12 kreisförmig geſtellte Pollenſäcke, welche unterſeits der Länge nach aufſpringen. — Oswald Heer, Zur Geſchichte der ginkgoartigen Bäume in A. Engler, Botan. Jahrb. 1880, Bd. I. Heft 1. p. 1— 13 oder auch in Verhandl. d. Schweiz. naturf. Geſ. Vortrag an der 62. Jahresverſ. 1879, p. 61 und 62. — Schon früher in Regels Gartenflora 1874 gab Heer intereſſante Aufſchlüſſe über Ginkgo Thunb. G. ee e e Neue Parafiten im Schweinefleiſch. H. C. Duncker, als Mikroſkopiker beſtens bekannt, hat nach den Induſtrie⸗ blättern vor einiger Zeit im Zwerchfelle eines Schweines mikroſkopiſch kleine, in ihrer Form den Egeln ähnliche Paraſiten gefunden. Der Entdecker hat bereits in Gemein⸗ ſchaft mit Prof. Leuckardt und Pagenſtecher, den erſten Autoritäten auf dem Gebiete der Paraſitenkunde, den neuen Schmarotzer ſtudiert und angegeben, daß er äußerlich am meiſten dem Distomum clavigerum gleiche, welches ſich im Maſtdarm der Fröſche findet. Zur Auffindung ſoll man von denjenigen Stellen des Zwerchfells, welche der Leber am nächſten liegen, mittels der Schere thunlichſt zarte Querſchnitte entnehmen und dieſelben mit reichlichem Waſſer auf das Objettivglas brin⸗ gen. Zunächſt lege man das Deckglas ganz locker auf und ſuche in dem umgebenden Waſſer, ob es nicht bereits Würmer enthält. Dann achte man, ob ſich nicht zwiſchen den Muskelfaſern ſchlauchähnliche, graue Gebilde wurm⸗ förmig bewegen. Iſt dies der Fall und ſind es die ge⸗ ſuchten Tiere, ſo wird man alsbald ihre halbmondartigen, weißlich ſchimmernden Magenſchläuche im Innern derſelben erkennen können. Wenn man das Deckgläschen leiſe hin⸗ ) Brongniart, Etudes sur les graines, fossiles trouvées à Vétat silifié dans le terrain houillier de St. Etienne in Ann. d. Sciences natur. Bot. Sér. V. Tome XX. p. 234—265 mit 3 Taf. — Vergl. Comptes rendus 1874, P. II. und herſchiebt, treten dieſe Formen meiſt deutlicher her⸗ vor. Bezüglich ihrer Größe ſei noch hervorgehoben, daß das Tier ungefähr die einer Trichinenkapſel beſitzt. Der Paraſit ſoll nach Duncker gar nicht ſo ſelten und nur bisher immer überſehen worden ſein. Es iſt natürlich noch abzuwarten, welcher Natur die Reſultate von Fütterungsverſuchen ſein werden, um zu entſcheiden, ob ernſte Gefahr aus dem Genuſſe ſolchen Schweinefleiſches für den Menſchen beſteht. Wenn weitere Unterſuchungen darüber bekannt werden, ſollen ſie den Leſern des „Hum⸗ boldt“ um ſo eher mitgeteilt werden, als die Schweine⸗ fleiſchfrage auch in Amerika wieder friſches Intereſſe durch neue Beobachtungen von Dr. Ballard und Dr. Klein hervorgerufen hat. Es ſind nach deren Mitteilungen näm⸗ lich 20 und ſpäter wieder 15 Perſonen auf den Genuß von Schweinefleiſch unter ganz eigentümlichen Symptomen erkrankt und zum Teil geſtorben. Ob nun die gefundenen Bacillusformen und Sporen mit dem Genuſſe im direkten Zuſammenhange ſtehen, muß noch durch exaktere Experi⸗ mente bewieſen werden. N Geographie. Die verſchiedenen Arten der Höhenmeſſung. In einer Zuſammenfaſſung der Reiſeergebniſſe Ed ward Whimpers in den Anden von Ecuador (Globus Bd. 40, 1881) ſpricht ſich der berühmte Gebirgsreiſende über die Verwendbarkeit des Aneroids und des Siedepunktes des Waſſers zu Höhenbeſtimmungen folgendermaßen aus: „Ob⸗ gleich es eine wohlbekannte Thatſache iſt, daß ein einziges Aneroid zur Erlangung abſoluter Höhenbeſtimmungen voll⸗ kommen nutzlos iſt, wenden viele Leute dieſes Inſtrument noch immer unter der entgegengeſetzten Vorausſetzung an. Es kann nicht zu nachdrücklich ausgeſprochen, nicht zu all⸗ gemein verbreitet werden, daß die Aneroidbarometer neben der Eigenſchaft, faſt immer nach und nach beträchtliche Fehler anzunehmen, auch die beſitzen, daß die Fehler in Folge der verſchiedenſten Urſachen ganz plötzlichen Zu⸗ nahmen unterworfen ſind. Beſitzt ein Reiſender mehrere Aneroide, ſo kann er dadurch, daß er die verſchiedenen In⸗ ſtrumente miteinander vergleicht, ſolche plötzlichen Zu⸗ nahmen der Fehler wohl entdecken; beſitzt er nur eines, ſo iſt dies nicht möglich und infolgedeſſen kann er leicht, nein, wird er ſogar höchſt wahrſcheinlich vollkommen irrige Reſultate erzielen. — „Es ſchien mir nun,“ fährt der Reiſende fort, „daß, wenn man eine Anzahl von Aneroiden bei ſich führte, es wohl mög⸗ lich ſein möchte, der Wahrheit ziemlich nahe kommende An⸗ gaben dadurch zu erhalten, daß man das Mittel von den⸗ jenigen Inſtrumenten nähme, die in annähernder Ueberein⸗ ſtimmung blieben, während man die gar zu weit abweichenden ganz ausſonderte. Um mir Gewißheit über dieſen Punkt zu ver⸗ ſchaffen, nahm ich nun acht Aneroide der beſten Konſtruk⸗ tion mit auf die Reiſe. Dieſelben waren faſt zwölf Monate lang unter genauer Beobachtung geweſen und als die beſten aus einer größeren Anzahl für die Reiſe angefertigten aus⸗ gewählt worden.“ Whimper berichtet nun über das Verhalten dieſer acht Aneroide. Als er England verließ, ſtimmten ſie gut überein und betrug der größte Unter⸗ ſchied zwiſchen ihnen ungefähr /s oder genauer 0,13 (engl.) Zoll. Dieſer Unterſchied entſpricht am Meeresſpiegel einer Höhe von etwa 100 Fuß, und wenn man das Mittel von allen genommen hätte, ſo würde zwiſchen demſelben und der Angabe eines Normalqueckſilberbarometers nur eine unendlich kleine Differenz geweſen ſein. Als er aber in Guayaquil ankam, hatte der Unterſchied ſich ſchon bis auf 0,95 vergrößert; bei der Ankunft in Guaranda (8900 Fuß) war er bis auf 0,74 geſtiegen; an dem erſten Lagerplatze auf dem Chimborazo (14,300 Fuß) betrug er 0,88, am dritten Lagerplatze (17,200 Fuß) aber ſchon 1,2 Zoll. Dies waren die Unterſchiede zwiſchen denen, die noch am nächſten zu⸗ ſammengeblieben waren. Die, welche völlig toll geworden waren, wurden gar nicht mehr berückſichtigt. Bei der Ab⸗ reiſe waren ihre Angaben im ganzen um eine Höhe von etwa 100 Fuß unterſchieden geweſen, und auf der Höhe Humboldt. — von 17,000 Fuß über dem Meere hatte dieſer Unterſchied ſich bis auf das Aequivalent von 2000 Fuß vergrößert. „Bedenkt man nun,“ ſagt Whimper, „daß dies nicht etwa beliebig gewählte Aneroide waren, ſondern die Aus— leſe aus einer größeren Anzahl von ſpeziell für die Reiſe angefertigten, ſo wird man, glaube ich, wohl einſehen, daß dieſes Experiment in entſcheidender Weiſe dargethan hat, wie durchaus nutzlos das Beſtreben iſt, mit irgend einer Anzahl von Aneroiden abſolute Höhenbeſtimmungen ge— winnen zu wollen. So foftfpielig dieſer Verſuch auch geweſen iſt, betrachte ich ihn doch nicht als zu teuer bezahlt, da er die Sache, ſoweit ich ſie zu verfolgen wünſche, ein für allemal entſchieden hat.“ In ähnlicher Weiſe ergaben die Höhenmeſſungen, die durch Beſtimmung des mit dem Luftdruck fallenden Siede— punktes des Waſſers vorgenommen werden, ebenfalls un— ſichere Reſultate. Allerdings konnten ſie nicht durch trigo— nometriſche Meſſungen kontrolliert, ſondern nur Vergleiche mit den Angaben des Queckſilberbarometers vorgenommen werden. Dabei zeigte es ſich, daß die Siedepuntt- experimente immer geringere Höhen ergaben, als die Barometerbeobachtungen; jo war z. B. der Gipfel des Coto- paxi nach der Angabe des Barometers 19,650 Fuß, nach der Siedepunktmeſſung nur 19,090 Fuß hoch; der Antiſana Quadratmeilen = 733,900 Quadratkilometer. Mai 1882. 189 nach dem Barometer 19,335, nach der Siedepunttmeffung nur 18,714 Fuß, und der Cayambe nach dem Barometer 19,200, nach der Siedepunktmeſſung 18,600 Fuß hoch. ne Die größte Inſel der Erde. Bisher galt Borneo als die größte Inſel der Erde und als zweite im Range Neu— guinea. Der Flächenraum der erſteren wurde zu 13,597 geogr. Quadratmeilen, der der letzteren mit 12,912 geogr. Quadratmeilen angegeben. Nach einer auf neueſtes Karten— material vorgenommenen planimetriſchen Berechnung ergaben fic) aber für Neuguinea 14,263 geogr. Quadratmeilen 785,362 Quadratkilometer, für Borneo 13,328 geogr. Mit inbe⸗ griffen find bei beiden die kleinen Küſteninſeln, bei Neu⸗ guinea auch die 199,4 Quadratmeilen große Prinz Friedrich— Heinrich-Inſel, dagegen nicht mitgerechnet die an der Süd— oſtſpitze gelegenen Inſeln. Es wäre mithin Neuguinea die größte Inſel der Erde. Der Grund der bedeutenden Vergrößerung des Areals der letzterwähnten Inſel iſt in der gegen früher weit genaueren Aufnahme einer von ihr ſich abzweigenden ſüdöſtlichen Halbinſel, die viel länger iſt, als auf den alten Karten angegeben wurde, zu ſuchen. II. Dr. Petermanns Mitteilungen Bd. 26. ihne Rund ſch au. Anleitung zu wiſſenſchaftlichen Veobachtungen auf Alpenreiſen. Herausgegeben vom Deut- ſchen und Oeſterreichiſchen Alpenverein. Vierte bteilung. Anleitung zur Beobachtung der alpi⸗ nen Tierwelt von Profeſſor Dr. K. W. v. Dalla Torre. München, Lindauerſche Buchhandlung. 1882. Preis 2 / Jedem Beſucher der Alpen, der die Ueberzeugung gewonnen hat, daß die Kenntnis der Natur zwar nicht notwendig zum Naturgenuß iſt, daß ſie denſelben aber erhöht, wird vorliegende Anleitung aus ſo bewährter Hand eine ſehr willkommene Gabe ſein. In anregender Weiſe werden wir zunächſt mit der Geſchichte der euro— päiſchen Faunengebiete im allgemeinen und derjenigen der Hochalpenfauna im beſonderen bekannt gemacht und er— halten dann einen ſyſtematiſchen Ueberblick über den heutigen Beſtand der Alpenfauna und deren Erforſchung. Von den größeren Tieren werden die wichtigſten Arten genannt und beſonders wertvoll find die beigegebenen Beſtimmungs— tabellen und Abbildungen, ſowie die Angaben der wich— tigſten Litteratur. Ueberall finden ſich intereſſante biolo- giſche Notizen und Anleitungen zu ſpezielleren Beobach— tungen, wobei in anregender Weiſe auf die Lücken unſrer Kenntniſſe aufmerkſam gemacht wird. Bezüglich der nie— deren Tiere wird auf die unabweisbare Notwendigkeit der Beſtimmung durch Spezialforſcher verwieſen und dem— gemäß der Schwerpunkt der Anleitung auf die Fang- und Sammelmethoden verlegt. Kötſcher, Fangnetz, Fang— ſchere werden beſchrieben und ihre Verwendungen ange— geben. Von hervorragender Bedeutung ſind aber die im III. Kapitel angegebenen fauniſtiſchen und biologiſchen Mo⸗ mente, auf welche die Beobachtungen zu richten find. Ho⸗ rizontale und vertikale Verbreitung, höchſte Grenze der Tierwelt, Auftreten nach Jahres- und Tageszeit, Zahlen— verhältnis, Aufenthaltsort, Höhlenfaung werden zur Cr- forſchung empfohlen und ihre wiſſenſchaftliche Bedeutung hervorgehoben. Dann folgen die in neuerer Zeit ſo intenſiv ſtudierten Wechſelbeziehungen zwiſchen Tier- und Pflanzen- welt, zwiſchen den einzelnen Tierformen und zwiſchen Tierwelt und dem Menſchen. Hier werden wir angeleitet, Inſekten finden, um die Befruchtung vieler Pflanzen zu bewerkſtelligen, aufzuſuchen, fleiſchfreſſende Pflanzen zu beobachten, die Schutzfärbungen, Nachäffungen, die Para⸗ ſiten, die Ameiſengäſte, die Lebensweiſe der Räuber, die Ver⸗ ſchleppung von Tiereiern und vieles andre zu ſtudieren. Schließlich werden die Wetterpropheten unter den Tieren namhaft gemacht und das ebenfalls wichtige Stu- dium der Benennungen der Tiere im Volksmund, ihr Auftreten in Sagen und Gebräuchen wird an mehreren intereſſanten Beiſpielen erläutert. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dies Büchlein ſich binnen kurzem einen großen Freundeskreis erwerben und nicht nur zur Erforſchung der Alpenwelt, ſondern auch zur Ausbreitung der reinen und ungemiſchten Freude an der Natur ein Erhebliches beitragen wird. Die bereits erſchienenen Abteilungen enthalten: I. Orographie und Topographie. Hydrographie, Glet— ſcherweſen von Generalmajor C. v. Sonklar. Kurze An— leitung zu geologiſchen Beobachtungen in den Alpen von Oberbergdirektor und Profeſſor Dr. C. W. Gümbel. II. Einführung in die Meteorologie der Alpen von Dr. J. Hann. III. Anleitung zu anthropologiſch-vorgeſchichtlichen Beobachtungen von Profeſſor Dr. Johannes Ranke. Frankfurt a. M. Dr. Meichenbach. Encyklopädie der Naturwiſſenſchaften, heraus⸗ gegeben von Jäger, Schenk, Schlömilch, Kenngott, Zech, Ladenburg, Oppolzer und Wittſtein. Breslau, Ed. Trewendt. 18781882. Die zur Zeit bedeutendſte Erſcheinung auf dem Ge⸗ biete der „geſamten Naturwiſſenſchaften“ iſt entſchieden die ſeit drei Jahren bei Trewendt-Breslau erſcheinende Encyklopädie der Naturwiſſenſchaften. Dafür hat aber auch das Unternehmen, das ſchon im Anfange einer gün— ſtigen Aufnahme ſich zu erfreuen hatte, allenthalben ſich um jo mehr Freunde erworben, je mehr Lieferungen er— ſchienen ſind. Nach dem Plane der Verlagsbuchhandlung, die die beſten Namen als Mitarbeiter gewonnen hat, foll das Rieſenwerk zwanzig Bände umfaſſen; zum Erſcheinen 0 0 * die wunderbaren Einrichtungen, die ſich an Blüten und derſelben find mindeſtens neun Jahre in Ausſicht genommen. 190 Humboldt. — mai 1882. Die Ausgabe ſoll in drei Abteilungen erfolgen. Die erſte behandelt Zoologie mit Anthropologie, Botanik und Mathe⸗ matik, die zweite Mineralogie, Pharmakognoſie und Chemie und die dritte endlich Phyſik und Aſtronomie. Fertig liegt in zwei Bänden heute bereits die Mathe⸗ matik vor, welche unter der Redaktion von Schlömilch von einer Anzahl Fachleute bearbeitet wurde. Ein ſelb⸗ ſtändiges Urteil getraue ich mir zwar nicht über dieſes Werk zu fällen, aber hervorheben möchte ich dennoch, daß ich von Mathematikern ſchon ſehr viel Anerkennung über die gelun⸗ gene Darſtellung der einzelnen Disziplinen gehört habe. Eingehender möchte ich mich dagegen mit der Bo⸗ tanik beſchäftigen. Redigiert iſt ſie von Schenk; im Ge⸗ genſatze zur Zoologie, Chemie, Phyſik 2c. iſt hier nicht die lexikographiſche, ſondern ſyſtematiſche Darſtellung gewählt. Man hat anfänglich dieſe Abweichung in der Behandlung des Stoffes bedauert — jetzt wird wohl die Klage hier⸗ über verſtummt ſein, denn es dürfte ſehr ſchwer fallen, für die Botanik in alphabetiſcher Beſprechung Wieder⸗ holungen zu vermeiden und doch ebenſo Gründliches zu leiſten, wie es thatſächlich durch die bisher vorliegenden Arbeiten geſchehen iſt. Sämtliche Aufſätze kommen aus der Hand von Spezialiſten. H. Müller ſchildert uns zunächſt die Wechſelbeziehungen zwiſchen Blumen und den ihre Kreuzung vermittelnden Inſekten. Wer einigermaßen in der Litteratur bewandert iſt, wird wiſſen, daß der Lipp⸗ ſtädter Realſchuloberlehrer auf dieſem Gebiete die erſte Autorität geworden iſt. Wer nicht die Geſamtwerke des⸗ ſelben kennen lernen kann, ſoll wenigſtens in der Ency⸗ klopädie die Quinteſſenz dieſer intereſſanten Beobachtungen durchſtudieren und durchprobieren. — O. Drude gibt uns dann in einem kleinern Artikel Aufſchluß über die bisher erzielten Reſultate über Studien und Fütterungs⸗ verſuche an inſektenfreſſenden Pflanzen. Wie trotzdem noch ernſte Bedenken gegen dieſe experimentell ſo genau beobachtete Thatſache erhoben werden können, ſcheint nahezu unbegreiflich. — Sadebeck hat die Bearbeitung der Ge⸗ fäßkryptogamen übernommen; auch die neueſten Arbeiten Rauwenhoffs über die bisher unbekannte Keimung und Prothalliumentwickelung der Gleicheniaceen ijt noch zum Teil wenigſtens berückſichtigt worden. — Von O. Dru de finden wir dann nochmals eine Arbeit über die Morpho⸗ logie der Phanerogamen, die in erſchöpfender Weiſe den neuen Anſchauungen gerecht wird. Lehrern und Ver⸗ faſſern von Lehrbüchern ſoll dieſe Arbeit beſonders zur Beachtung empfohlen ſein. — Die Perle des erſten botaniſchen Bandes bilden aber meiner Anſicht nach Franks Pflanzen⸗ krankheiten). Damit iſt eine wirkliche Lücke in unſerer Litteratur ausgefüllt, die bislang immer um ſo ſchmerz⸗ licher gefühlt wurde, weil die einſchlägigen Arbeiten in allen möglichen Zeitſchriften zerſtreut waren, ſo daß es faſt ein Ding der Unmöglichkeit ſchien, auch nur über den kleinſten Kreis von paraſitären Erſcheinungen an der Pflanze ſich vollkommen zu orientieren. Dies der Inhalt des erſten, 766 Seiten umfaſſenden Bandes der Botanik. Vom zweiten Bande ſind bis jetzt drei Lieferungen erſchienen. Detmer gibt in dem erſten Hefte ein Syſtem der Pflanzenphyſiologie. Auch hier ſind die bahnbrechenden Arbeiten der neuen Zeit (Sachs, Pfeffer, Detmer rc.) vollauf berückſichtigt, jo daß dieſe Arbeit der beſondern Beachtung um ſo mehr wert iſt, als auf dem Gebiete der Phyſiologie in den botaniſchen In⸗ ſtituten ungeheure Regſamkeit entfaltet wird, ſo daß der dies⸗ bezügliche Inhalt vieler ſonſt noch vecht guter Lehrbücher als veraltet bezeichnet werden muß. Im nächſten Hefte hat P. Falkenberg „die Algen im weiteſten Sinne“ und im dritten Göbel die Muscineen und Pfitzer die Ba⸗ ) Frank hat außerdem noch bei Trewendt⸗Breslau ſeine, Pflanzen⸗ krankheiten“ in bedeutenderer Ausführlichkeit gegenüber der Arbeit in der Eneyklopädie als ſelbſtändiges Werk erſcheinen laſſen. Dieſer ſtattliche Band, mit einem ſehr exakten Regiſter verſehen, ſoll ſich in der Hand eines jeden Naturforſchers befinden, der auch nur gelegentlich über Krank⸗ heit dieſer oder jener Pflanze ſich orientieren will. Es hat das Buch einen um ſo höhern Wert, weil es ſelbſt dem Lajen das Auffinden und Beſtimmen der Krankheitsurſache durch ſehr präziſe Beſchreibungen er⸗ leichtert und noch dazu die bis jetzt bekannten Mittel zur Vertilgung reſp. Bekämpfung angibt. Ws cillariaceen (Dtatomeen) bearbeitet. Selbſtverſtändlich können hierüber endgültig nur Spezialfloriſten urteilen; darum darf ich erwähnen, daß mir gegenüber einer der bedeutendſten Mooskenner Bayerns, Bezirksarzt Dr. Holler, ſich mit aller Anerkennung über die Mooſe Göbels ausgeſprochen hat. Nun zur Zoologie! Redigiert iſt dieſelbe von der unerſchöpflichen Arbeitskraft des bekannten Stuttgarter Zoologen G. Jäger. Daß er ſeine Seelentheorie redlich mit in ſein Werk verflochten hat, hat man ihm verübelt. Ich finde es natürlich, daß ein Schriftſteller die Idee, von deren Richtigkeit und Tragweite er in ſeinem innerſten Innern überzeugt iſt, auch auf ſolche Weiſe zu verbreiten ſucht. Zudem iſt nur in „Zeitungen“ bis jetzt ein ab⸗ ſprechendes Urteil über ſeine jedenfalls geiſtreiche Hypo⸗ theſe gefällt worden. Die Wiſſenſchaft ſelbſt hat hierüber noch keinen Richterſpruch verlauten laſſen, ich weiß viel⸗ mehr von ehrlichen Gegnern zu berichten, die unumwunden anerkennen, daß ſehr viel Wahres in Jägers Theorien zu finden iſt. Freilich gibt es anderſeits Leute, welche über Jäger urteilen wie über einen Tollhäusler, die aber, wenn man mit ihrer Weisheit ins Gericht geht, alsbald merken laſſen, daß ſie nicht einmal Jägers Fundamental⸗ ſätze kennen. Die Phraſen ſolcher Schwätzer kommen nur aus „Zeitungsberichten“ und das iſt, meiner Anſicht nach, das eine Unglück, das dieſer Theorie vielleicht durch Jä⸗ gers eigne Schuld widerfahren iſt, daß ſie durch Zeitungs⸗ ſchreiber „populär“ gemacht wurde — und das andre iſt: ihr eigner Name, der in erſter Linie zu Mißverſtändniſſen Veranlaſſung gegeben hat. Jäger hat nun bei der lexikographiſchen Bearbeitung des Ganzen die allgemeine Zoologie, Phyſiologie, allge⸗ meine Anthropologie und Protozoen und in Gemeinſchaft mit E. Hoffmann die Inſekten, Spinnen und Tauſend⸗ füßler übernommen. Von andern Mitarbeitern nenne ich Böhm für Protozoen, W. Hartmann für Vögel, v. Hell⸗ wald für ſpezielle Anthropologie, Klunzinger für Cö⸗ lenteraten und einen Teil Fiſche, Koßmann für Krebſe, Amphibien und Fiſche, v. Martens für Mollusken und Echinodermen, Mehlis für Urgeſchichte, v. Mojſiſovies für Anatomie, Säugetiere und Reptilien, Röckl für Haus⸗ tiere und ſpezielle Tierzucht, Weinland für Würmer. Das Gebiet der eigentlichen Syſtematik, das ohnehin in den beſſern Lehrbüchern, z. B. Claus, in genügender Genauigkeit behandelt iſt, iſt ſelbſtverſtändlich auch hier wie in der Botanik mehr in den Hintergrund gedrängt; freilich iſt die Grenze ſchwer zu ziehen zwiſchen dem, was für eine Encyklopädie dennoch notwendig und was über⸗ flüſſig iſt. Selbſt darüber, was bei einer einzigen Gat⸗ tung unentbehrlich ſein dürfte, wird ſich ſtreiten laſſen. So vermiſſe ich bei Culex die Angabe der Urſache der Schwel⸗ lung und Entzündung der Haut an den vom Inſekt an⸗ gebohrten Hautſtellen. Dagegen habe ich dankbar eine Notiz angenommen, die ich heuer gleich auf ihre Richtigkeit prüfen werde, daß nämlich Auflegen einer reinen Wolle — Anziehen eines Wollhandſchuhs — den Schmerz und die Schwellung bei Mückenſtichen verhindern, während Bedecken mit einem Pflanzengewebe (Leinwand oder Baum⸗ wolle) nichts helfe. Eine ausführliche Behandlung muß dagegen für die allgemeine Zoologie, Anthropologie und Ethnographie konſtatiert werden. Für die letzteren Disziplinen eriſtiert in der Litteratur bis jetzt nichts, was mit dem, was hier geboten wird, wetteifern könnte. Erwähnt ſei noch, daß der zoologiſche Teil der Eneyklopädie bis zum Buchſtaben D (Diſtoma) vorgeſchritten iſt. Von Januar 1882 an beginnt neben der erſten Ab⸗ teilung bereits auch aus der zweiten die Mineralogie, redigiert von Kenngott und die Pharmakognoſie, redi⸗ giert von Wittſtein, zu erſcheinen. Ich werde nicht ver⸗ ſäumen, von Zeit zu Zeit den Leſern des „Humboldt“ über den Fortgang des anerkennenswerten Unternehmens zu berichten, das, ehe das naturwiſſenſchaftliche Jahrhundert zur Neige geht, ein Faeit ziehen will über das, was ge⸗ leiſtet worden iſt — und was noch zu leiſten ſein wird. Memmingen. Dr. Hans Vogel. Humboldt. — Mai 1882. Hermann Müller, Alpenblumen, ihre BWefrud- tung durch Sufekfen und ihre Anpaſſungen an Inſekten. Mit 173 Abbildungen. Leipzig, Engelmann. 1881. Preis 16 M Erſt ſeitdem ich Müllers Arbeiten über Befruchtung der Blumen durch Inſekten kennen gelernt habe, habe ich das Prädikat „amabilis“ an der scientia botanica jo recht von Grund aus verſtehen gelernt. — Müller ver⸗ dient auf obigem Forſchungsgebiete die erſte Autorität ge- nannt zu werden. Durch ihn iſt der Gedanke Darwins reſp. Sprengels von der gegenſeitigen Beziehung der Blumen- und Inſektenwelt mit dem meiſten Nachhalte verarbeitet worden und man kann die Fruchtbarkeit ſeiner Arbeiten für die relativ kurze Zeit ſeiner Forſchungen nur bewundern. Im Jahre 1873 erſchien ſein erſtes Werk: „Befruchtung der Blumen durch Inſekten und die gegenſeitigen Anpaſſungen beider“ (Leipzig, Engelmann), wo er in der eingehendſten Weiſe die Grundideen dieſer bis dahin meiſt überſehenen Beziehungen erörterte. Da nun der Zweck dieſer Zeilen weniger die einer kritiſchen Beſprechung der Müllerſchen Werke ſein kann, ſondern vielmehr der der Aufmunterung, dieſem reizenden Forſchungsgebiete möglichſt viele Liebhaber zuzuführen, ſo möge es mir geſtattet ſein, in erſter Linie das eben ge— nannte Werk dem Anfänger zu empfehlen. Reiche bota- niſche Spezialkenntniſſe ſind dazu durchaus nicht erforder— lich — man braucht nichts als klaren Verſtand und ein offenes Auge, um dennoch durch müheloſes Beobachten ſich die ſeligſten Stunden zu verſchaffen. Zudem iſt das Werk ſo hübſch illuſtriert, daß es dadurch auch doppelt leicht verſtändlich wird. Wer fic) dann weiter für die Ent- wickelung dieſer jungen botaniſchen Zweigwiſſenſchaft inter⸗ eſſiert, findet in den Verhandlungen des naturhiſtoriſchen Vereins für die preußiſchen Rheinlande und Weſtfalen von 1878 an und dann in der Zeitſchrift Kosmos Bd. 1—4 reiches Material zuſammengetragen. Auch für die Eney— klopädie der Naturwiſſenſchaften (Trewendt, Breslau) hat Müller 1880 eine Ueberſicht ſeiner bisherigen Beob— achtungen in dem Aufſatze „Wechſelbeziehungen zwiſchen den Blumen und den ihre Kreuzung vermittelnden In— ſekten“ bearbeitet. Dabei blieb jedoch Müller nicht ſtehen. Für ihn galt es, ſeine Theorie die Feuerprobe beſtehen zu laſſen in den reineren, gleichſam natürlicheren Begetationsver- hältniſſen der Alpen. Eine große Anzahl von Neben⸗ faktoren, wie fie in der reichbevölkerten Ebene unvermeid⸗ lich ſind, beeinfluſſen in den Bergen nicht mehr ſo intenſiv das organiſche Entwickelungsleben, das dort einfacher und unverfälſchter ſich dem forſchenden Auge offenbart. Waren die Geſetze, welche Müller der heimatlichen Natur des Flachlandes abgelauſcht hatte, richtig, ſo mußten ſie wo⸗ möglich noch in reinerer Form oben in der Abgeſchloſſen— heit der Alpen zu Tage treten: und es war ſo. Volle ſechs Jahre 1874 — 79 finden wir den gelehrten Lippſtädter Naturforſcher in ſeiner Ferienzeit jedesmal in den Bergen und in der gewiſſenhafteſten Weiſe führt er über jede einzelne Beobachtung Tagebuch. Das in der Ueberſchrift genannte Werk iſt die Frucht dieſer ſechs— jährigen Studien und enthält die Ueberſicht der erzielten Reſultate. Dieſelbe wird für den Gebrauch um ſo prak— tiſcher als zunächſt die Pflanzen nach dem natürlichen Syſtem in ihren Blüteneinrichtungen durchbeſprochen wer— den. Dazu finden wir dann genaue Angaben über alle Inſekten, welche auf denſelben gefunden wurden. Die beigegebenen Zeichnungen ſind auch in dieſem Buche in jeder Beziehung ſehr brauchbar, was ich aus eigner Cr- fahrung beſtätigen kann, da ein großer Teil dieſer Alpen- blumen mir in dem weiteren Florengebiete Memmingens zum eignen Studium ſehr leicht zugänglich iſt. Im An⸗ hange finden wir dann noch eine ſyſtematiſche Zuſammen⸗ ſtellung der gefundenen Inſekten mit Angabe der Blumen und ihrer Anpaſſungsſtufen. Der enorme Vorteil dieſer „doppelten Buchführung“ wird erſt klar, wenn man in Humboldt 1882. öffnen vermag. 191 die Lage kommt, praktiſch ſich mit ſolchen Dingen zu be⸗ ſchäftigen und eine raſche Orientierung erwünſcht iſt. Ein andrer Teil des Werkes iſt nun den Konſe— quenzen gewidmet, welche fic) aus den gemachten Beob- achtungen ziehen laſſen. Müller gibt hier gleichſam dem Leſer Rechenſchaft über die Deutung, welche er ſeinen Funden unterlegt. Ehrlicher kann eine Forſchung nicht mehr zu Werke gehen. Wer ſich mit den ungekünſtelten Folgerungen nicht einverſtanden erklärt, hat hier Gelegen- heit, ſeinen Scharfſinn zu üben, eine beſſere Erklärung an die Stelle der Müllerſchen zu ſetzen. Zur Beſprechung kommen nun in dieſem theoretiſchen Teile folgende The— mata: a) Anpaſſungsſtufen der Alpenblumen und ihr In⸗ ſektenbeſuch. b) Anpaſſungsſtufen der blumenbeſuchenden Inſekten und ihr Blumenbeſuch. c) Variabilität der Alpen⸗ blumen durch Abänderung der Blumenfarben oder ihrer Größe im Zuſammenhang mit den ſonſtigen dazu ge⸗ hörigen Abänderungen oder in bezug auf Stellung und Geſtalt der ganzen Blume oder ihrer Teile ꝛc. Der letzte Abſchnitt iſt noch dem Vergleiche der Alpenblumen mit denen des Tieflandes gewidmet in bezug auf Reichhaltig— keit des Inſektenbeſuches und Sicherung der Kreuzung durch denſelben, in bezug auf die Beteiligung verſchiedener In— ſektenabteilungen am Blumenbeſuche und in bezug auf Größe, Farbenglanz, Duft und Honigabſonderung. Ich habe oben dieſe Art botaniſcher Studien beſeligend genannt und möchte zum Schluſſe nur noch dieſen für einen nüchternen Naturforſcher ſonſt nicht gebräuchlichen Ausdruck damit motivieren, weil mir ſelbſt, als Men⸗ ſchen, die Erkenntnis ſolcher gegenſeitiger Beziehungen, an denen man jahrelang blind vorbeigelaufen, innere Be- friedigung gewährt hat, beſonders aber weil ich als Lehrer ſchon wiederholt die Gelegenheit gehabt, aus den Augen lernbegieriger Schüler die ſtille Herzensfreude leuchten zu ſehen, welche ſie bei Exkurſionen empfunden haben, wenn ich ſie auf die einfacheren Fälle der wechſelſeitigen Bezie⸗ hungen und Anpaſſungen aufmerkſam machte. Die Müller⸗ ſchen Werke ſeien daher jedem empfohlen, der ſich für ſo leicht und überall zugängliche Naturerſcheinungen inter— eſſiert, dem Lehrer aber ſeien ſie am wärmſten ans Herz gelegt: er hat darin ein wirkſames Mittel, den botaniſchen Unterricht zu beleben und zur Freude der Jugend zu machen. Memmingen. Dr. Hans Vogel. G. Schultz, Die Chemie des Steinkohlenteers, mit beſonderer Berückſichtigung der Künſtlichen Jarbſtoffe. Braunſchweig, Vieweg u. Sohn. 1882. Preis 12 A Trotz der ziemlich umfangreichen Litteratur, die wir bereits über die Chemie des Steinkohlenteers und die daraus darſtellbaren künſtliſchen organiſchen Farbſtoffe be- ſitzen, iſt jede neue Erſcheinung auf dieſem Gebiet den Intereſſenten hoch willkommen, ſobald ſie auf Vollſtändig⸗ keit Anſpruch macht oder aber neue Geſichtspunkte zu er⸗ Ein Werk, welches wie das vorliegende beiden Anforderungen zugleich Rechnung trägt, begrüßen wir deshalb mit Freuden und ſind überzeugt, daß der Verfaſſer mit der Publikation desſelben dem Theoretiker wie dem Praktiker einen wichtigen Dienſt geleiſtet hat. Die vorliegende erſte Lieferung, die ſich mit der Chemie ſelbſt und den einfacheren Derivaten des Benzols befaßt, enthält in überſichtlicher Anordnung eine ausführliche Tabelle der Teerbeſtandteile, wie wir ſie in dieſer Voll⸗ ſtändigkeit und Zuverläſſigkeit bis jetzt nicht beſaßen. Der Verfaſſer hat mit dankenswertem Eifer die Reſultate der Arbeiten aller Forſcher über dieſen Gegenſtand zuſammen⸗ geſtellt, ſo daß jedes weitere Nachſchlagen in dem zer⸗ ſtreuten Material künftighin erſpart bleibt. Der geſchicht⸗ lichen und theoretiſchen Einleitung folgt eine ausführliche Beſchreibung der gebräuchlichen Methoden der Deſtillation des Steinkohlenteers und der Ueberführung des Benzols in Anilin, wobei die einzelnen Apparate durch Zeichnungen wiedergegeben find und fo eine leichtere Anſchauung er⸗ möglichen. Beſonders erwünſcht ſind die dieſer Lieferung beigegebenen Situationspläne einer Teerdeſtillerie und 25 192 Humboldt. — Mai 1882. einer Anilinfabrik, die beide an Deutlichkeit nichts zu wünſchen übrig laſſen und die ſchon für ſich das Werk zu einem ſchätzbaren Handbuche der Teerfarbeninduſtrie ge⸗ ſtalten. Die dem theoretiſchen Teil beigefügten Litteratur⸗ nachweiſe laſſen dies Buch beſonders für das eingehende Studium beſtimmt erſcheinen. Die zweite Lieferung, die in Bälde erſcheint, wird die Farbſtoffe ſelbſt hinſichtlich ihrer Zuſammenſetzung, Gewinnung und Eigenſchaften behandeln. Frankfurt a. M. Dr. Greiff. Glaſer und Klotz, eben und Eigentümlichkeiten in der mittleren und niederen Tierwelt. 2. wohlfeile Ausgabe. Mit 220 Textabbildungen, 6 Tonbildern 2c. fu) Zeichnungen von Gau⸗ chard, F. Keyl, Mesnel, Kretſchmer, Thieme u. a. Leipzig, O. Spamer. 1882. Preis 8 , gebunden. Das ganze Werk zerfällt in zwei Abteilungen. Die erſte, von Dr. Glaſer bearbeitet, behandelt die Amphibien, Reptilien, Fiſche und Gliedertiere. Die zweite von Dr. Klotz dagegen beſpricht die Mollusken, Würmer, Strahltiere und Protozoen. Beide Teile ſind unabhängig voneinander bearbeitet; Glaſer lehnt ſich nun in der Einteilung ſeines Stoffes an ein Werk der Gebrüder Müller, das den Titel führt: „Wohnungen, Leben und Eigentümlichkeiten der Säugetiere und Vögel“. Eine Folge dieſer nahen Beziehungen iſt nun die von Glaſer eingeſchlagene Me⸗ thode in der Behandlung ſeines Stoffes, die kurz ange⸗ deutet bei den Gliederfüßlern in dem Rahmen der fol⸗ genden Diſpoſition ſich bewegt: I. Fortpflanzung und Verwandlungsarbeiten. 1) Erdarbeiter (Grillen, Grabweſpen, Krebſe, Erd⸗ ſpinnen ꝛc.); 2) Arbeiter im Waſſer (Waſſerſpinnen); 3) Einzelarbeiter in Pflanzenteilen (Blütenſtecher, Gall⸗ inſekten, Holzbienen ꝛc.); 4) Arbeiten und Verwandlungen kleiner Tiere in größere (Bremen, Krätzmilbe ꝛc.); 5) Ar⸗ beiten im Freien (Netze von Spinnen, Weſpen c.). II. Bauten und Arbeiten geſellig lebender Kerbtiere. 1) Erdkoloniſten (Ameiſen, Termiten u. ſ. w.); 2) frei⸗ niftende Anſiedler (Ameiſen, Horniſſe u. ſ. w.). III. Kerb⸗ und Gliedertiere von beſonderer Wichtigkeit für den Menſchen. 1) Käfer; 2) Schmetterlinge; 3) Immen; 4) Zwei⸗ flügler; 5) Netzflügler; 6) Geradflügler; 7) Halbdecker (Halbflügler); 8) Spinnen⸗ und Kruſtentiere. Es iſt richtig, der Leſer mag an dieſer etwas ſonder⸗ baren Ein⸗ und Verteilung des Stoffes manches auszu⸗ ſetzen haben, aber man muß trotzdem die ſaubere und ge⸗ ſchickte Behandlung desſelben anerkennen; für die reifere Jugend, aber auch für den naturliebenden Laien ſind doch die einzelnen Kapitel in der anziehendſten Weiſe geſchrieben. Zudem erleichtert ein gutes Regiſter die raſche Auffin⸗ dung der geſuchten Tierformen. Eine ganz ſpezielle An⸗ erkennung verdient noch die Verlagsbuchhandlung für die ſehr reiche Ausſtattung ſowohl dieſes erſten Teils wie des zweiten von Dr. Klotz behandelten. Dem Leſer wird da⸗ mit das Wiedererkennen der verſchiedenen Arten im Freien ſehr erleichtert — ein Lob, das bekanntlich nicht jedem zoologiſchen Lehrbuche zuerkannt werden kann. Sachlich möchte ich mir nur noch zum erſten Teile folgende Bemerkung erlauben: Auf Seite 24 heißt es ganz richtig: „Das Hinabwürgen wird durch Abſonderung ſchlüpfrigen Speichels erleichtert, ohne daß Rieſenſchlangen, wie man gewöhnlich erzählt, aus der Beute förmlich erſt einen wohleingeſpeichelten Klumpen herſtellen.“ Dagegen ſcheint mir mit dieſen Angaben im Widerſpruch die fol⸗ gende Notiz S. 28 zu ſtehen, wo es heißt: worauf die Rieſenſchlangen ſie nach vollſtändiger Tötung mit Speichel begeifern und die ſo ſchlüpfrig gewordene Maſſe langſam hinabſchlucken.“ Ich halte wenigſtens mit der letzten Darſtellungsform Mißverſtändniſſe für nicht unmöglich. Gehen wir nunmehr zum zweiten Teile über, ſo dürfen wir uns nicht verſchweigen, daß wir hier vor dem ſchwie⸗ rigſten Teile der ganzen Arbeit ſtehen. Je einfacher die Formen und die Lebensäußerungen der niederen Tiere werden, deſto ſchwieriger wird es, für den „Leſer“ inter⸗ eſſantes Material zu ſammeln — deſto intereſſanter, dürfen wir hinzufügen, wird aber meiſt ihre äußere Form, ſei es durch phantaſtiſche Entwickelung eines Gehäuſes oder durch feine Zeichnung am mikroſkopiſch kleinen Organismus. Meiſt ſpottet aber ſolche Mannigfaltigkeit aller Sprache und in ſolchen Fällen wiegen dann wie in unſerm Buche gute Illuſtrationen ſehr ſchwer. Ungeachtet dieſer großen Schwierigkeiten hat es aber Dr. Klotz verſtanden, ſeine Aufgabe mit bewundernswertem Geſchicke zu löſen. Wenn es mir trotz dieſer aufrichtigſten Anerkennung geftattet iſt, Wünſche zu äußern, ſo möchte ich ein Nautilus⸗Männchen neben Nautilus⸗ Weibchen abgebildet ſehen und zu den Erzählungen von Trembley die Aufforderung angereiht haben, ſeine Experimente an Hydra durch Umwenden der⸗ ſelben nachzumachen, da dies, ſo viel mir bekannt, in neuerer Zeit nicht mehr geſchehen iſt. Memmingen. G. Hahn u. O. Müller, Die am häufigſten vor⸗ kommenden Pilze Deutſchlands zum Ge- brauche für Jedermann. Mit 93 Abbildungen. Kanitz, Gera. 1881. Preis 1 % 50 g. Dieſe im Kommiſſionsverlage der Kanitzſchen Buch⸗ handlung erſchienenen Abbildungen guf 16 Tafeln ver⸗ dienen wegen ihrer recht gelungenen Zeichnung und treff⸗ lichen Kolorierung um ſo mehr die volle Beachtung, als gerade in ärmeren Gegenden durch Verbreitung inten⸗ ſiverer Pilzkunde ſehr viel Nutzen geſtiftet werden könnte; denn daß die Schwämme als ſehr nahrhaft, ſoweit ſie nicht giftig ſind, ſehr zu empfehlen ſind, brauche ich wohl nicht beſonders hervorzuheben. Die meiſten Leute fürchten nur den Genuß der Schwämme, weil jie nach den ſinnloſeſten Merkmalen (Schwärzung von Silber rc.) die genießbaren von den ſchädlichen Arten nicht zu trennen wiſſen und deshalb lieber ganz auf das billige Nahrungsmittel Ver⸗ zicht leiſten. Dieſe Tafeln möchte ich aber beſonders den Volks⸗ ſchulen empfehlen, weil ſie fürs erſte ſehr brauchbar ſind, zumal wenn der Lehrer dazu noch einige Erklärungen gibt und dann zweitens noch, weil ſie auch recht billig zu ſtehen kommen. Ich glaube nur, daß dieſe Bilder auf 2 größeren Tafeln aufgeklebt, ihrem Zweck als Anſchaungs⸗ mittel noch beſſer dienen werden. Memmingen. Dr. Hans Vogel. f Dr. Hans Vogel. Bibliographie. Bericht vom Monat März 1882. Allgemeines. Biographien. Baumann's J., Naturgeſchichte für den Schulgebrauch. 11. Aufl. von F. A. Finger. 2. Abdr. Frankfurt a. M., Sauerländer's Verlag. M. 1. 20. Bericht über die Sitzungen der ae e Geſellſchaft zu Halle im Jahre 1881. Halle, Niemeyer. 5 Bernitein, A Natürwiſſenſchaftliche Boltsbücher. Neue Folge. 13. Liefg. Mathematiſch⸗ Berlin, Hempel. M. — 60. Denkſchriften der Kaiſ. Akademie der e Gerold’s Sohn. naturwiſſenſchaftliche Claſſe. 43. Bd. Wien, M. 46. Edelmann, M. Th. Neuere Apparate für naturwiſſenſchaftliche Schule und Forſchung. 3. Liefg. Stuttgart, e Verlags⸗ buchhandlung. M. 6. I. Bd. 1 5 0. 2 Eneyklopädie dev. eae e 2. Abſh „ 1. u. 2. Liefg. Bres⸗ lau, Trewendt. a M. Enehklopädie der Sahai. lau, Trewendt. a Erfindungen, die, der 1 9 0 Zeit. 20 Jahre induſtrieller Fortſchritte im We der Weltausſtellungen. 8. Heft. Leipzig, Spamer. M. 50. Selmbotlh, H. Wiſſenſchaftliche Abhandlungen. 1. Bd. 2 Abth. Leipzig, Barth. M. 14. 8 1. Abth., 25.— 29. Liefg. Bres⸗ Humboldt. — Mai 1882. 193 Leipzig, Barth, 145 55 60 Fiecnen, G. Geſammelte Abhandlungen. 2. Abth. Mopye, a. 5 f. d. Unterricht i. d. Naturgeſchichte. bearb. v. F. Craemer. Eſſen, Bädeker. M. 2., geb. M. 2. 5 Mittheilungen der naturforſchenden Geſellſchaft in Bern aus dem Jahre 1881. 2. Heft. Bern, Huber K Co. M. 2. 70. Mittheilungen aus dem landwirthſchaftl. ⸗phyſtologiſchen Laboratorium und landwirthſchaftlich-botaniſchen Garten des landw. Inſtitutes der Univerſität Königsberg. Herausg. v. 8 Marek. 1. Heft. Königs⸗ berg, Beyer's Buchhandlung. M. 4. 5 Moldenhauer, E. F. Th. Das Weltall ae feine eee: Dar⸗ ſtellung der neueſten ae der kosmologiſchen Forſchung. 7. Liefg. Cöln, Mayer. M. — Mühlberg, ¥ Hauptſätze a dem Bortrag: Ueber die Bedeutung und mete des naturkundlichen aa an Mittelſchulen. Aarau, Sauerländer's Verlag. M. — Sout. F. Philoſophie der eee 2. Theil. Leipzig, E. Günther's Verlag. M. 10 (compl. M. 18). Sitzungsberichte der phyſikaliſch⸗medieiniſchen Geſellſchaft zu Würzburg. Jahrg. 1882. (10 Nrn.) Nr. 1 und 2. Würzburg, Stahel'ſche Buchhandlung. Pro compl. M. 4. Sitzungsberichte der kaiſerl. Akademie der Wilf e Mathemat.⸗ 1 anaattige Claſſe. 2. Abth. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 3. Ueber die ben der Neuzeit auf dem Gebiete der Naturwiſſen— ſchaft. Vortrag von J. R. II. Pilſen, Steinhauſen. M. — 40. Chemie. Unk, C. Ueber die Einwirkung von Gan den auf Trimetallphos⸗ phate. München. Th. Ackermann. M. 1 Erlenmeyer, E. Lehrbuch der organiſchen Chemie. Winterſche Verlagsbuchhandlung. 4. Handwörterbuch, neues, der Chemie. 41. Liefg. M. 2. 40. Meyer, R. Einleitung in das Studium der Gromer it Verbindungen. Leipzig, Winterſche Verlagsbuchhandlung. M. Müller, P. J. Leitfaden der anorganiſchen Ghetaie Feed M. — 90. Schultz, G. Die Chemie des Steinkohlentheers, ſichtigung der künſtlichen organ. Farbſtoffe. Vieweg & Sohn. M. 12. Bhyſtk, Phyſikaliſche Geographie, Meteorologie. Annalen des phyſikaliſchen Central-Obſervatoriums, herausgegeben von H. Wild. Jahrg. 1880. 2 Thle. (St. Petersburg.) Leipzig, Voß' Sortiment. M. 30. Dronfe, A. Einleitung in be analytiſche Theorie der Wärmeverbreitung. Leipzig, Teubner. Fuhrmann, A. Aufgaben aus der analytiſchen Mechanik. 2. Thl. Aufgaben aus der analytiſchen Dynamik feſter Körper. 2. Aufl. Hard Teubner. M. 3. 60 3. Liefg. Leipzig, Redigirt von H. von Fehling. Langenſalza, put beſonderer Berück⸗ 1. Abth. Braunſchweig, Guichard, E. Die Harmonie der Farben. Deutſche Ausg. 5 Text, v. 73 Krebs. 17. Liefg. Frankfurt a. M., Rommel. Perry, J. Die zukünftige . ben Elektrotechnik. 1 Leipzig, any & Händel. M. Strouhal, V., u. C. Barus. Ueber a Einſluß der Härte des Stahls auf deſſen Magnetiſirbarkeit und des Anlaſſens auf die Haltbarkeit der Magnete. Würzburg, Stahelſche Buchhandlung. M. 2. 40. Theile, F. Anleitung zu barometriſchen Höhenmeſſungen mittelſt Queck⸗ ſilberbarometer und Aneroid, nebſt dazu nöthigen Hülfstafeln. Dresden, Axt. 1 M Wüllerstorf⸗ Urbair, B. v. Die meteorologiſchen Beobachtungen am Bord des Polarſchiffes „Tegethoff“ in den Jahren 1872-1874. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 9. Zur Theorie vom kosmiſchen Maſſendruck. Jahresbericht des Breslauer phyſikal. Vereins 1882. Breslau, J. U. Kern's Verlag. M. 1. 20. Aſtronomie. Hildesheimer, J. Die aſtronomiſchen Kapitel in Maimonidis Abhand— lung über die Neumondsheiligung. Ueberſ. und erläutert. Berlin, Stuhr'ſche Buchhandlung. M. 2. Mineralogie, Geologie, Geognoſte, Paläontologie. Bd. 8. Abhandlungen der ſchweizeriſchen e Geſellſchaft. Berlin, Friedländer & Sohn. M. 3 Cleve, P. T., u. A. Jentzſch. Ueber 1 diluviale und alluviale Diatomeenſchichten Norddeutſchlands. Königsberg i.) Pr., Koch. M. 2. Engelhardt, H. Ueber die foſſilen 5 15 der Süßwaſſerſandſteine v. Graſſeth. Leipzig, Engelmann. M. 13 Hoernes, R. Zur Würdigung der theoretiſchen Speculationen 9 5 die Geologie von Bosnien. Graz, Leykam⸗Joſefsthal. M. — Sojeph, G. Erfahrungen im wiſſenſchaftlichen Sammeln und Beobachten der den Krainer e e eigenen Arthropoden. Berlin, Nicolaiſche Buchhandlung. 5 Weinland, D. F. Ueber die in Meteoriten entdeckten Thierreſte. Eß⸗ lingen, Fröhner. M. 2. Deu für Kryſtallographie und Mineralogie. rag. v. P. Groth. 3. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 6. Botanik. vA des botaniſchen Inſtituts in Würzburg. Gero. v. J. que d. 4. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 5. compl. M. Arneidi E. W. Sammlung plaſtiſch 1 Pilze. 20. Aeeſſ. Gotha, Thienemann. In Kiſte M. Artus, W. Hand⸗Atlas ſämmtlicher mmebicinifiepfarmaceutifijer Gee wächſe. 6. Aufl. Umg. v. 15 v. Hayek. 15. u. 16. Liefg. Jena, Mauke's Verlag. a M. — Enderes, A. v. Frühlingsblumen. Mit einer Einleitung und method. Charatteriftit von M. Willkomm. 1. Liefg. Leipzig, Freytag. M. 1. Fedtſchenko, A. Reiſe in Turkeſtan. III. n 2 Thle. (4. Moskau.) Berlin, Friedländer & Sohn. M. Garcke, A. Flora 255 Deulſchland“ 14. Aufl. Berlin, Parey. M. 3. 50. geb. M. Greßler, F. G. L. Deuiſchlands Giftpflanzen mit naturgetreuen ms bildungen. 13. Aufl. Langenſalza, Schulbuchhandlung. M. 1. Lennis, J. Synopſis der 3 Naturreiche. 2. Thl. 1 3. Aufl v. A. B. Frank. 1. Bd. Allgemeiner Theil. 1 Abth. Hannover, Hahnſche Buchhandlung. M. 8. Schlechtendal, D. F. L. v., L. E. 1 u. E. Schenk. Flora von Deutſchland. 5. I wie Herausg. v. E. Hallier. 55—57. Liefg. Gera, Köhler. aA M. Schmidt, R. Ausgewählte mitteldeutſche Flechten in getrockneten Exem⸗ A a Liefg. (In Mappe.) Jena, Deiſtung's Buchhandlung. Schoth, J. Die Alpenpflanzen, nach der Natur gemalt. Mit Text v. Graf. 38. Heft. Prag, Tempsky. M. 1. Wagner's, H., illuſtrirte deutſche Flora. 2. Aufl. Bearb. und verm. 9 aes 15. u. 16. Liefg. Stuttgart, Thienemann's Verlag. a 2 Wagner, H. Gtipiogamenseebaxi 5. u. 9. Liefg. 3. Aufl. Biele⸗ feld, Helmich. 15 Zwick. H. Lehrbuch für Sar Unters in der Botanik. 2. Kurſ. Berlin, Burmeſter & Stempell. M. 1. Yhyſtologie, Entwickekungsgeſchichte, Anthropologie, Zoologie. Anleitung zu wiſſenſchaftlichen Beobachtungen auf N 4. Abth. Anleitung zur Beobachtung der alpinen Thierwelt von K. W. von Dalla Torre. München, Lindauerſche Buchhandlung. M. 2. Brehm's Thierleben. Chromo-Ausgabe. Vögel. 23.26. Heft. Leipzig, Bibliograph. Inſtitut. M. 1. Centralblatt, biologiſches, herausg. v. J. Roſenthal. 2. Jahrg. 1882 bis 1883. (24 Nrn.) No. 1. Erlangen, Beſold. pro compl. M. 16. Garten, der zoologiſche. Redig. v. J. C. Noll. 23. Jahrg. 1882. (12 Hefte.) 1. Het Frankfurt a. M., Mahlau & Waldſchmidt. pro compl. M. 8 Hell 1 F. v. Noturgeſchichte pe Menſchen. W. Spemann. M. Jahrbücher der deutſchen gehe ahn Geſellſchaft nebſt Nachrichts⸗ blatt. Red. v. W. Kobelt. Jahrg. 1882. 1. Heft. Frank⸗ furt a. M., Dieſterweg. pro cant M. 24. Journal für Ornithologie, herausg, v. J. Cabanis. 30. Jahrg. 1882. 1. Heft. Leipzig, Kittler. pro compl. M. 20. Krukenberg, E. F. W. Vergleichend-phyſiologiſche 1 50 5 II. Heidel⸗ berg, C. Winter's Univ.⸗Buchhandlung. M. Martin, Ph. L. Aluſtrirte W der Thiere. zig, Brockhaus. M. Müller, A. & K. Thiere oe, Heimath. Deutſchlands Säugethiere und Vögel. Mit Illuſtr. 6. u. 7. Liefg. Caſſel, Fiſcher. a M. 1. Pelzeln, A. v. Bericht über die Leiſtungen in der Naturgeſchichte der Vögel während d. J. 1880. Berlin, Nicolaiſche Verlagsbuchhandlung. M. 3. Ruß, K. Die fremdländiſchen Stubenvögel, ihre Naturgeſchichte, Pflege und Sucht. 4. Bd. Lehrbuch der Stubenvögelpflege-Abrichtung und Zucht. Dieſg annover, Rümpler. M. 3. Taſchenberg. © O. Die Lehre von der Urzeugung ſonſt und jetzt. Halle. Niemeyer. M. 2. Thomſon, C. Unterſuchungen 1275 aus Weſt-Afrika ſtammenden Fiſch⸗ giftes. Dorpat, Karow. M. Unterſuchungen, 1 erates, v. G. Resins. Leipzig, F. C. W. Vogel. M. 12. 9 deutſche, entomologiſche, herausg. von der deutſchen entomolog. Geſellſchaft in Verbindung mit G. Kraatz. 26. Jahrg. 1882. 15 Heft. Berlin, Nicolaiſche Verlagsbuchhandlung. pro compl. M. Zwick, H. Leitfaden für den Unterricht in der Naturgeſchichte in Volks ſchulen. Tierkunde. 2. u. 3. Kurſ. 2 Aufl. Berlin, Burmeſter & Stempell. 50 Pf. Geographie, Ethnographie, BReifewerke. Biedermann, C. A. Das nördliche Georgia 3 ogeorgiſche Schweiz) und ſeine Hülfsquellen. Baſel, Jenke. M Blätter, deutſche geographiſche. Herausg. v. b. eee Geſell⸗ ſchaft in Bremen. 5. Jahrg. 1882. (4 Hefte.) 1. Heft. Bremen, Halem. pro compl. M. 8. Daniel, H. A. AIlluſtrirtes r ute Geographie. Leipzig, Fues' Verlag. a M. Du Chaillu, P. B. Im Lande der Wintemachtsſonne Sommer- und Winterreiſen durch Norwegen und Schweden, Lappland und Nord- finnland. Frei überſ. 1 A. Helms. 9. u. 10. Liefg. Leipzig, Hirt & Sohn. a M. Embacher, F. Lexikon der "Reifen und Entdeckungen. Leipzig, Bibliogr. Inſtitut. M. 4. gebd. M. 4. 50. 14/15. Liefg. Stutt⸗ 32. Heft. Leip⸗ Jahrg. 1881. 17.—19. Liefg. Handbuch, geographiſches, zu Andre's Handatlas. 5. Liefg. Bielefeld, Velhagen & Klaſing. M. 1. Klöden, v., u. R. r 5 Land und Volk. 58. Heft. Leipzig, Spamer: M. Le Monnicr, F., Ritter v. Der geographische Congreß u. die Ausſtellung in Venedig im Sept. 1881. Wien, Schworella & Heick. M. Nordenſkjöld, A. E. Frhr. v. Die Umfeglung Aſiens und 7 1 auf der Vega. 18781880. 20. Liefg. Leipzig, Brockhaus. M. 1. Oberländer, R. Fremde Völker. Ethnograph. Schilderungen aus der alten und neuen Welt. 9. u. 10. Liefg. Leipzig, Klinkhardt. a M. 1. 50. 194 Humboldt. — Mai 1882. Stieler's, A., Hand⸗Atlas über alle Theile der Erde. Neu bearb. von A. Petermann, H. Berghaus, C. Vogel. 30. Liefg. Gotha, J. Perthes. M. I. 80. Zeitſchrift für wiſſenſchaftliche Geographie, herausg. v. J. Kettler. 3. Bd. (6 Hefte.) 1. Heft. Lahr, Schauenburg. pro compl. M. 6. Zeitſchrift der Geſellſchaft für Erdkunde zu Berlin. Herausg. v. W Koner. 17. Bd. 1882. (6 Hefte.) 1. Heft. Mit Gratisbeilage: Verhand⸗ lungen der Geſellſchaft für Erdkünde. 9 Bde. pro compl. M. 13. Verhandlungen apart M. 4. Witterungsüberſicht für Zentraleuropa. Monat März 1882. Der Verlauf der Witterungserſcheinungen im März 1882 läßt ſich in drei voneinander verſchiedene Epochen zerlegen, von denen die erſte vom 1.—6. durch mildes, im Norden windiges, veränderliches und zu Niederſchlägen geneigtes, im Süden meiſt ruhiges, trockenes und vielfach heiteres, die zweite vom 6.— 21. durch ruhiges, heiteres und trockenes, in der Nacht kühles und am Tage warmes, die dritte vom 22.—31. durch ziemlich mildes, veränderliches, vorwiegend trübes und vielfach zu Niederſchlägen geneigtes Wetter charak⸗ teriſiert find. 1.—6. März. Wind und Wetter ſtanden während dieſer Epoche unter dem Einfluſſe zahlreicher Depreſſionen, meiſt von beträchtlicher Tiefe, welche das nordweſtliche und nördliche Europa durchzogen, und ihren Wirkungskreis auf das ganze weſtliche Europa nördlich vom Fuße der Alpen ausbreiteten, während die Luftdruckmaxima in Süd⸗ weſt⸗ und Südoſt⸗Europa nur wenig entwickelt waren. Indeſſen waren die weſtlichen und ſüdweſtlichen Winde, ins⸗ beſondere über den britiſchen Inſeln, ſowie im Nord⸗ und Oſtſeegebiete vielfach ſtark, zeitweiſe ſtürmiſch, daher das Wetter ziemlich warm, im Norden veränderlich, mit häufigen Niederſchlägen. Auf Südzentraleuropa war der Einfluß der Depreſſionen im Norden gering, und daher war hier die Witterung ruhig und warm und vielfach heiter. Nur am 1. und 2. traten in Süddeutſchland, unter Einfluß eines tiefen Minimums über Großbritannien, ſtarke bis ſtürmiſche Winde mit ausgedehnten Niederſchlägen auf. 6.—22. März. Am 6. dehnte fic) der hohe Luft⸗ druck im Südweſten, raſch an Intenſität gewinnend, nord⸗ oſtwärts aus und verbreitete ſich in den folgenden Tagen über faſt ganz Mitteleuropa, ſo daß über dem Gebiete ſüdlich von der Nord⸗ und Oſtſee faſt beſtändig ein ſehr gleichmäßig verteilter Luftdruck von 770 bis 775 mm lag. Daher war über Zentraleuropa das Wetter ruhig, heiter und trocken und die Wärmeverhältniſſe wurden faſt aus⸗ ſchließlich durch Ein⸗ und Ausſtrahlung geregelt, ſo daß der kühlen Nacht, — mitunter mit Froſt und Reifbildung — ziemlich hohe, am Schluſſe dieſer Epoche ſtellenweiſe faſt ſommerliche Tageswärme folgte. Nachtfröſte waren in Süddeutſchland außerordentlich häufig; insbeſondere vom 14. bis 19., wo jede Nacht an den meiſten Stationen Froſt oder Reifbildung brachte. Auch im nordöſtlichen Deutſchland kamen zeitweiſe Nacht⸗ fröſte vor, wenn durch die nördlichen Winde die Grenzen des Froſtgebietes, welches über Nordeuropa lag, ſüdwärts vorgeſchoben wurden. Oefter jedoch wurden Küſtengebiete durch unſere Depreſſionen, welche im Nordweſten zuerſt erſchienen, ſich der norwegiſchen Küſte entlang nordoſtwärts fortbewegten, und, wie im vorigen Monate, über Nordſkandinavien nach Südoſt umbogen, um dann ihren Weg nach dem Innern Rußlands fortzuſetzen, in die lebhafte Luftbewegung Nordeuropas hineingezogen. Daher war hier, im Gegen⸗ ſatz zum Binnenland, das Wetter häufig unruhig, vielfach trübe und die Temperatur zeitweiſe beträchtlichen Schwan⸗ kungen ausgeſetzt. Am 6. wurden die Winde, unter Ein⸗ fluß einer Depreſſion über Skandinavien, ſtürmiſch im nordweſtdeutſchen Küſtengebiete, am 7. und 9. verurſachten im Nordoſten raſch aufeinander folgende Depreſſionen ſtürmiſche nordweſtliche und weſtliche Winde, ſtellenweiſe Sturm an der oſtdeutſchen Küſte, am 16. und 17., als ein tiefes Minimum, von Nordſkandinavien kommend, dem Innern Rußlands zueilte, brach voller Sturm an der oſtpreußiſchen Küſte herein, der in der Nacht vom 16. und 17. in der Gegend von Königsberg eine faſt orkan⸗ artige Gewalt erreichte. Bemerkenswert iſt eine Gewitter⸗ böe, welche etwa um 7½ Uhr morgens an der Deutſchen Nordſee eintrat, und, von Regen-, Schnee⸗ oder Graupel⸗ fällen begleitet, ſich im Laufe des Tages oſt⸗ und ſüd⸗ wärts fortpflanzte. 22. — 31. März. Eine breite Zone niedrigen Luft⸗ druckes erſtreckte ſich faſt während dieſer ganzen Epoche von Nordeuropa ſüd⸗- oder ſüdoſtwärts über Zentraleuropa nach dem Mittelmeerbecken hin, charakteriſiert durch ver⸗ änderliches, vorwiegend trübes, vielfach zu Niederſchlägen geneigtes Wetter. Da in den verſchiedenen Teilen dieſes Gebietes häufig Depreſſionen auftraten, ſo waren die Winde und damit auch Temperatur und Wetter überhaupt ziem⸗ lich erheblichen Schwankungen unterworfen. Während in der Umgebung Italiens beſtändig ſtarke Depreſſionen lagerten, die ihren Einfluß nur ſelten über das Alpengebiet hinaus ausdehnten, traten im Nordſeegebiete und über Nord⸗ deutſchland mitunter tiefe Minima auf, welche zu ſtarker bis ſtürmiſcher Luftbewegung Veranlaſſung gaben. Hervor⸗ zuheben iſt ein Minimum, welches am 25. abends über Weſtirland erſchien und, gefolgt von ſtarken bis ſtürmiſchen Winden, mit beträchtlicher Geſchwindigkeit am 26. und 27. den Kanal, Schottland und das nördliche Deutſchland durch⸗ ſchritt und dann am 28. an der oſtpreußiſchen Küſte ver⸗ ſchwand. Dabei fielen bis nach Oſtdeutſchland hin be⸗ trächtliche Niederſchläge, in Münſter i. W. 29, in Magde⸗ burg 31 mm Regen in 24 Stunden. Am 25. vormittags fanden im nordweſtdeutſchen Küſtengebiete ſtellenweiſe Gewitter mit Graupelfällen ſtatt. Hamburg. Dr. J. van Bebber. 5 Humboldt. — Mai 1882. 195 Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im Mai 1882. (Mittlere Berliner Zeit.) 2 988 U Cephei Der Yor eel: in Boston 2 @| 3 | 933 s Caneri 105 8 Librae 8* 16" E. h. J u libra | Komet beinder aich in. 3 9 184.4. 5%, in ersten “Tagen “de 4 | 11> 0” E. h. ) 05305 Cepheus, Mitte des Mo- 4 115 33™ A. d. 6 nats 15 oar Cassiopeja 6 | 13% 35" E. h. ) II Sagit- ristischen Figur Wade. 6 145 27" A.d.§ tarii6 ses Fes und dem tern. 7 914 U Cephei Wee 7 S 10 | 1040 6 Librae 10 12 | 981 U Cephei 12 @ | 17 6½ Vorm. Sonnen- 837 U Cephei 926 6 Librae 1318 U Coronae 17 finsternis 22 | 884 U Cephei : 886 S Caneri 22 24 gn 42m E. et 19 Sex- 992 6 Librae 1185 U Coronae 24 10h 538™ A. h. § tantis 6 f 525 | 8 227 E. d. ) 55 Leonis 25 9" 14 A. h. 6 27 10h 46 E. d.) 40 4201 821 U Cephei 27 PES SBA HS - 6 29 13 58" E. ee ee Se ae cat oe an 29 14° 38 A. h. 6 Nahe von Capella mit 31 | 887 6 Librae gh2 U Coronae freiem Auge sichtbar. | 3] Jupiter iſt mit Beginn des Monats ſchon fo weit in die Sonnenſtrahlen gerückt, daß er nach dem Ende der Dämmerung ſchon untergegangen iſt und daher die Verfinſterungen ſeiner Trabanten und die Vorgänge auf ſeiner Oberfläche am Nachthimmel nicht mehr zu beobachten ſind. Am 29. Mai befindet er ſich in Konjunktion mit der Sonne und wird erſt Anfang Juli am Morgenhimmel für das freie Auge wieder ſichtbar werden. Saturn iſt am 5. Mai mit der Sonne in Konjunktion. An demſelben Tage befindet ſich Venus nahe bei Jupiter und ſelbſt durch kleine, mit Einſtellungskreiſen verſehene Fernröhre können beide Planeten ſchon bei Sonnenuntergang leicht aufgefunden werden. Venus zeigt ſich während dieſes Monats in der Abenddämmerung nahe am Horizont dem freien Auge. Mars durchwandert das Sternbild des Krebſes und befindet ſich in den erſten Tagen des Monats ungefähr in gerader Linie mit den beiden Hauptſternen der Zwillinge. Uranus ſteht im Sternbild des Löwen. Zu einer von Laien gewünſchten näheren Erläuterung der Angaben von Sternbedeckungen durch den Mond werden die beiden Figuren ausreichen, welche die Bedeckungen von Mai 6 und Mai 24 darſtellen. Der von ſcharfen Linien begrenzte Teil jeder Figur iſt kennen iſt. An den mit E bezeichneten ein Bild des Mondes, wie es im aftro- Stellen verſchwindet der in der Tabelle nomiſchen, die Gegenſtände umgekehrt ſeiner Bezeichnung und ſeiner Größe zeigenden Fernrohr an den erwähnten nach angegebene Stern, am 6. Mai Tagen erſcheint. Die ſchraffierte Linie alſo am hellen Rand (E. h.) — Phaſe gibt den dunklen, meiſt unſichtbaren des Mondes 3¾ Tage nach Vollmond Rand des Mondes an, welcher bei — am 24. Mai am dunklen, aber ſicht— guter Luft im Frühjahr vom zweiten baren Rand (E. d.) — Phaſe des Mon⸗ bis neunten Tag nach Neumond, im des 7½ Tage nach Neumond — und Herbſt vom neunten bis zweiten Tag an den mit A bezeichneten Stellen er— vor Neumond mit freiem Auge zu er— ſcheint der Stern wieder, am 6. Mai am dunklen, unſichtbaren Rand (A. d.), am 24. Mai am hellen Rand (A. h.). Für die veränderlichen Sterne: Algol, „ Tauri, 6 Librae, 8 Cancri, U Coronae, U Cephei: find die Zeiten des kleinſten Lichtes angegeben. Die Lichtveränderungen finden bei dieſen Sternen nur innerhalb einiger Stunden vor und nach dieſen Zeiten ſtatt. Das Licht dieſer Sterne iſt mehrere Tage ganz unverändert und nimmt einige Stunden vor den in der Tabelle angegebenen Zeiten bis zu einem gewiſſen Grade ab, um ſich in der gleichen Zeit wieder zu der gewöhnlichen Helligkeit zu erheben. Dieſe Erſcheinung iſt nur bei Algol mit freiem Auge zu verfolgen, bei „ Tauri und 4 Librae mittels eines ſogenannten Opernglaſes und bei den übrigen drei Sternen ſind zur Veobachtung der Erſcheinung kräftige Fernröhre notwendig. Am 17. Mai nach bürgerlicher Zeitrechnung am frühen Morgen findet eine für Deutſchland ſichtbare partiale Sonnenfinſternis ſtatt, welche eine totale ijt für alle Orte einer Linie, welche durch das Innere Afrikas über Siut am Nil, Bagdad, Teheran, Samarkand, Kaſchgar, Schanghai und über die Liu-Kiu-Inſeln hinaus ſich zieht. Für Deutſchland wird nur ein Drittel des Sonnendurchmeſſers verfinſtert. Die Zeiten für Beginn und Ende der Finſternis ſind in den Städten: aS Anblick Berlin. . Anfang 7 2" Ende 8" 33 mittlere Ortszeit in Berlin Königsberg.. na „ 9b 13 0 5 für das Bi ii „ Sr 52 5 3 freie Auge Den 5 6h 59m „ Bh 34 1 5 zur Zeit Munde 5 66 43 „ 8 21 * 5 der größten Straßburg i. k. „ 6 30 „ 8h 2m 1 1 Verfinſterung. Straßburg i. E. Dr. Hartwig. 196 Humboldt, — Mai 1882. Neueſte Mitteilungen. Acher das Wandern der Jiſche von Weer zu Meer gibt Profeſſor Dr. Keller von Suez aus in einem Berichte an die Oſtſchweizeriſche Geographiſch⸗ Kommerzielle Geſellſchaft in St. Gallen intereſſante Mitteilungen. Hat in den zwölf Jahren, ſeit der Kanal eröffnet iſt, der Austauſch zwiſchen der Tier⸗ welt des Mittelländiſchen und des Indiſchen Meeres die Dimenſionen nicht angenommen, die man an⸗ fänglich erwartete, ſo iſt doch eine Anzahl kleinerer Fiſche aus dem Mittelländiſchen in dem Roten Meere angekommen. Es ſcheint allerdings eine größere Reiſe⸗ luſt in dieſer Richtung als vice versa zu herrſchen. Von höchſtem Intereſſe iſt aber die nunmehr konſtatierte Thatſache, daß die echte Perlmuſchel durch den Kanal wandert und nicht etwa in vereinzelten Vor⸗ poſten, ſondern regelmäßig und in größern Zügen. Da fie aber den Timſah⸗See noch nicht erreicht hat, dürften wohl noch 1—2 Dezennien vergehen, bis fie ſich häuslich im Mittelländiſchen Meere niedergelaſſen haben wird. Jedenfalls iſt gegründete Ausſicht vorhanden, daß in kommenden Jahrhunderten der Perlfang nicht mehr auf die indiſchen Meere beſchränkt bleibt, ſon⸗ dern künftige Generationen ſich mit europäiſchen Perlen der Melegrina margaritafera ſchmücken werden. Ho. Verwendung mechaniſcher Kraft für den Be- trieb von Straßenbahnen. Das Straßenbahnweſen iſt eine amerikaniſche Erfindung. Die weitläufige Bau⸗ art der Städte Amerikas und ihr ſchlechtes Pflaſter wirkten gleichmäßig auf die raſche Verbreitung der Straßenbahnen, zu deren Betrieb anfangs ausſchließ⸗ lich Pferde verwendet wurden. In Europa fand das Straßenbahnweſen erſt vor 15—20 Jahren Eingang, ſeit 1870 jedoch in ſtetig beſchleunigtem Tempo. Man kann annehmen, daß zur Zeit in den verſchiedenen Städten beider Hemiſphären etwa 15,000 km Bahn⸗ geleiſe im Betriebe ſind. Auf den meiſten derſelben werden Pferde als Zugmittel verwendet, deren Unter⸗ haltung und Neubeſchaffung über die Hälfte der ge⸗ ſamten Fahrgeldeinnahme in Anſpruch nimmt. Zum Erſatz der tieriſchen Kraft ſind dreierlei Lokomotoren in Anwendung gekommen, 1) Dampflokomotiven, 2) Lokomotiven mit komprimierter Luft und 3) Draht⸗ ſeiltransmiſſion. Verſuchsweiſe iſt bekanntlich auch die Elektrizität angewandt worden. Die Drahtſeil⸗ transmiſſion hat ſich in San Franzisko für den Straßenbahnbetrieb vorzüglich bewährt. Die Seile liegen in Röhren unter der Straße; die Röhren ſind mit einem Schlitz verſehen, um die Wagen mit den Seilen verbinden zu können. Luftlokomotiven nach Beaumonts und Mekarskis Syſtem arbeiten mehr⸗ fach in England, find jedoch ſehr koſtſpielig. Dampf⸗ lo komotiven haben, beſonders in Italien und Amerika, neuerdings ſehr große Verbreitung auf Straßenbahnen gefunden und befriedigen auf ſolchen Strecken, wo Züge von 2—3 Wagen in angemeſſenen Intervallen gehen können, alle Anforderungen. Im Inneren der Städte, wo kleinere Wagen ſehr häufig gehen müſſen, läßt ſich die Maſchinenkraft nicht genügend ausnützen. Maſchinen von weniger als 8— 10 Pferdekraft ar⸗ beiten nämlich zu koſtſpielig, als daß ihre Verwen⸗ dung in Frage käme. Ke. Daß ſtarke Elektriſterung weder Entwickelung noch chemiſche Thätigkeit von Jermenten alteriert, bewies Ch. Richet, indem er 24 Stunden lang ſtarke Induktionsſtröme (welche Eidechſen innerhalb einer Minute töteten) durch 30 g friſche Milch in einer U-Röhre gehen ließ. Die Menge der gebildeten Milch⸗ ſäure war genau die gleiche wie in einer gleichen auf 350 C. erhaltenen Quantität derſelben Milch. Auch in einer Harnſtofflöſung, der ein wenig Magenſchleim⸗ haut zugeſetzt war, zeigte ſich nach 24 Stunden in der elektriſierten Röhre ebenſoviel Ammoniak wie in der nicht elektriſierten. Setzte er 5—6 Eidechſen oder Fröſche in Waſſer und elektriſierte ſie ſtark, ſo ſtarben ſie augenblicklich, während Bakterien, Vibrionen und alle andern Fäulnisorganismen ſich entwickeln, ſelbſt wenn der gleiche Strom 24 Stunden lang andauert. Richet ſchließt hieraus, daß die für die höheren Tiere abſolut tödlichen elektriſchen Ströme für das Leben der Mikroorganismen, inſofern ſie die Urſache der 1 Gärung ſind, von unmerklichem Einfluß eien. Biol. Zentralbl. Nr. 23. Rb. Aenderung der Richtung des Golfftroms. In der Sitzung vom 20. März d. J. wurde in der Pa⸗ riſer Academie des Sciences eine Frage erörtert, welche für die Witterungsverhältniſſe Europas von höchſter Wichtigkeit erſcheint. Herr A. Blavier teilte mit, daß ſeit drei Jahren die Sardinen, mit deren Fang an der Küſte von Vendse früher 3—4000 Schiffe und 15,000 Fiſcher beſchäftigt waren, faſt ganz von dort verſchwunden ſind. Er brachte dieſe Thatſache in Be⸗ ziehung mit eigentümlichen anormalen Witterungs⸗ erſcheinungen, denen ſeit 1880 das atlantiſche Küſten⸗ gebiet Frankreichs unterworfen iſt. Eine Erklärung der Anormalität glaubte er in einer Richtungsände⸗ rung des Golfſtroms ſuchen zu ſollen. Herr Milne⸗Edwards berichtete im Anſchluß hieran, daß G. Pouchet gelegentlich der Forſchungsreiſe der „Laponie“ gegen Ende Mai 1881 nördlich von den Shetlandsinſeln zwiſchen dem 63. und 66. Breite⸗ grad eine allmähliche Wärmezunahme des Seewaſſers beobachtet habe, ein Umſtand, welcher gleichfalls auf eine Richtungsänderung des Golfſtroms ſchließen läßt. Herr Blanchard bemerkte, daß in England bereits eine aus Ingenieuren und Hydrographen zuſammen⸗ geſetzte Kommiſſion gebildet worden ſei, welche die ſcheinbar erfolgte Aenderung der Richtung des Golf- ſtroms näher unterſuchen ſoll. Schließlich wurde eine Kommiſſion, beſtehend aus den Herren Faye, Janſſen, Daubrée und Admiral Jourien de la Graviere, eingeſetzt, welche mit der engliſchen Kommiſſion in Verbindung zu treten be⸗ auftragt wurde. : Auszug aus dem Journal officiel de la Rep. Fr. Nr. 82. 24. März. Ke. Humboldt. — Mai 1882. 197 Eiſenbahnwagenräder aus Bapier. Wie das „Archiv für Poſt und Telegr.“ ſchreibt, haben ſich die ſeit einiger Zeit von der Betriebsverwaltung der K. Eiſenbahndirektion zu Frankfurt a. M. in Gebrauch geſetzten Eiſenbahnwagenräder aus Papier vorzüglich bewährt und erſcheinen demnach geeignet, auf den Eiſenbahnen allgemeinere Anwendung zu finden. Im Hinblick auf die in den kalten Wintern der letzten Jahre vielfach vorgekommenen Reifenſprünge von Eiſenbahnwagenrädern und die hierdurch öfters hervor— gerufenen ſchweren Unfälle hat man ſich in Kreiſen der Eiſenbahntechniker neuerdings mit der Löſung des Problems der Herſtellung von Rädern beſchäftigt, deren Konſtruktion und Material eine ſichere Gewähr gegen das Vorkommen von Brüchen bieten. Bei Prüfung der Frage iſt zunächſt nicht unerörtert ge— blieben, daß die Urſachen der Radreifenbrüche in erſter Linie dem allzu ſcharfen Aufziehen der Bandage auf ein wenig oder gar nicht elaſtiſches Radgeſtell, ſowie dem Befahren hartgefrorener Strecken mit dieſen Rädern zugeſchrieben werden muß. Wenn man in techniſchen Kreiſen geglaubt hat, dieſen Mängeln durch ausſchließliche Verwendung von Metall zu den Rad⸗ körpern zu begegnen, ſo ergab ſich doch, daß bei dieſem Material die Erreichung einer zweckentſprechenden Elaſtizität des Radkörpers als ausgeſchloſſen zu be— trachten iſt. Man dachte zunächſt an Holzräder. Bei dieſen kommt aber in Betracht, daß die Holzſcheiben aus verſchiedenen Teilen zuſammengeſetzt werden müſſen, ſo daß bei dem Schwinden oder Werfen des Holzes die Räder loſe und fehlerhaft werden, und daß ferner das Holz bei großer Hitze ſchwindet, während die Bandage gleichzeitig ſich ausdehnt, ſowie daß umge— kehrt bei Näſſe oder Kälte die Bandage fic) zuſam— menzieht, während das Holz aufquillt. Weitere Ver— ſuche führten zur Herſtellung von Rädern aus einem dem Holz elaſtiſch ähnlichen Material, nämlich aus getrocknetem und durch hydrauliſchen Druck komprimier⸗ tem in Scheiben hergerichtetem Papierſtoff. Dem— gemäß wurden in den Eiſenbahnwerkſtätten zu Saar— brücken und in andern Fabriken Eiſenbahnwagenräder und Radſcheiben aus Papiermaſſe hergeſtellt, die ſich bei längerem Gebrauch als tadellos erwieſen und welche ſanft und geräuſchlos laufen. Die angeſtellten Verſuche ergaben ferner, daß die komprimierte Papier⸗ maſſe ſelbſt unter großem hydrauliſchem Druck noch bedeutende Elaſtizität zeigt, welche Eigenſchaft nur von günſtigem Einfluß auf die Erhaltung der Bandagen und des Oberbaus ſein kann. Auf amerikaniſchen Eiſenbahnen ſind bereits ſeit 1876 derartige Räder, vorzugsweiſe bei Salon-, Perſonen- und Schlafwagen in Gebrauch und haben ſich dort überall bewährt. P. Herſtellung des Friamidotriphenylmethans. Wichtige Entdeckungen auf dem Gebiete der künſtlichen Farbſtoffe ſind in letzter Zeit von Otto Fiſcher in München gemacht und zum Patente angemeldet worden. Von Bedeutung dürften die verſchiedenen neuen Dar— ſtellungsweiſen von Rosanilin vielleicht werden, da die ſeitherige Darſtellung desſelben, wie fie in der In⸗ duſtrie eingeführt, allerdings in keiner Weiſe eine rationelle genannt werden kann, weil die Ausbeute an Fuchſin (ſalzſaurem Rosanilin) nach beiden jetzt üblichen Methoden, dem Arſen wie dem Nitrobenzol— Verfahren nie 33—36 Proz. der Schmelze überſteigt und ein verhältnismäßig großer Rückſtand faſt wert⸗ loſer Nebenprodukte reſultiert. Das Verfahren zur Herſtellung des Tria- midotriphenylmethans und ſeiner Abkömm— linge von Otto Fiſcher in München D. R. -P 16710 iſt folgendes: Paramidobenzaldehyd vereinigt ſich als ſalzſaures Salz mit den aromatiſchen Aminen bei Gegenwart von Chlorzink zu Leukobaſen unter Waſſer⸗ austritt. — Man verfährt folgendermaßen: 10 Teile Paranitrobenzaldehyd werden in 50 Teilen Alkohol gelöſt und 50 Teile Salzſäure zugeſetzt. Zu dieſer Löſung bringt man langſam nach und nach 12 Teile pulveriſiertes Zink und erwärmt ſo lange die Maſſe gelinde, bis alles Zink gelöſt iſt. Nachdem hierauf der Alkohol abdeſtilliert iſt, wird das Ganze auf dem Waſſerbade eingedampft und die ganze Maſſe mit 17 Teilen Anilinchlorhydrat und 10 Teilen feſtem Chlorzink auf 120 bis 140° C. erhitzt. Aus der erhaltenen Schmelze wird das Paraleuk— anilin nach alter bekannter Weiſe iſoliert und dann mit irgend einem Oxydationsmittel (Chloranil, Mangan— hyperoxyd 2c.) zu Rosanilin oxydiert. Erſetzt man bei dieſem Prozeß das Anilin durch Orthotoluidin oder Xylidin oder durch Miſchungen genannter Amine, ſo erhält man die Homologen des Leukanilins. Wendet man ſtatt Anilin Mono- oder Di-methyl— anilin an, ſo erhält man die Leukobaſen des Methyl— violetts. Kombiniert man Paramidobenzaldehyd mit Benzyl— methyl- oder Benzyläthylanilin, ſo entſtehen Leukobaſen von blauvioletten Farbſtoffen. Die mit Diphenylamin und Orthoditolylamin er— zeugten Leukobaſen ebenſo wie die mit Methyldiphenyl— amin, Methylditotylphenylamin u. dgl. erhaltenen geben bei der Oxydation blaue Farbſtoffe. Ein anderer Weg zur Darſtellung von Rosanilin reſp. deſſen Salzen iſt von Otto Fiſcher vorgeſchlagen worden, wobei derſelbe von der Nitroleukobaſe dem Nitrodiamidotriphenylmethan ausgeht, die derſelbe auf folgende Weiſe erhält: 15 Teile Paranitrobenzaldehyd und 30 Teile Anilinſulfat, oder 15 Teile Paranitro⸗ benzaldehyt und 30 bis 32 Teile einer Miſchung von Anilinſulfat und ſchwefelſaurem Orthotoluidin erhitzt man mit 20 bis 30 Teilen Chlorzink im Dampfbade ſo lange, bis der Paranitrobenzaldehyd faſt ganz ver— ſchwunden iſt. Man kann die Reaktion durch einen kleinen Zuſatz von Waſſer, Alkohol oder einem andern paſſenden Löſungsmittel ſehr befördern. Man erhält dann als Reaktionsprodukt die betreffenden Nitro— leukobaſen, die mit geeigneten Oxydationsmitteln, z. B. Queckſilberchlorid behandelt, oder erſt reduziert und dann oxidiert, die Farbſtoffe geben (D. R.⸗P. 16766). Anſtatt die Nitroleukobaſen des Triphenylmethans erſt zu reduzieren und dann durch Oxydation in Farb⸗ ſtoffe überzuführen, hat ſich O. Fiſcher ein drittes Verfahren patentieren laſſen. Um ſeinen Zweck zu erreichen, behandelt er die Nitroleukobaſen mit Metallſalzen, welche auf die Nitro⸗ gruppe reduzierend wirken, während ſie gleichzeitig auf die Methangruppe Sauerſtoff übertragen. Man erhitzt zu dem Ende 1 Teil Paranitrodiamidotriphenyl⸗ methan mit 2 Teilen feſtem Eiſenchlorür unter ſteter Agitation auf 160—180 ſo lange, bis eine gleid- mäßige bronzeglänzende Schmelze reſultiert. Die ent⸗ ſtandene Schmelze wird nun mit verdünnter Salz⸗ ſäure behandelt und ſo daraus dann das Rosanilin als Chlorhydrat erhalten. Das Eiſenchlorür läßt 198 Humboldt. — Mai 1882. ſich hierbei auch durch beliebige andere reduzierend wirkende Metallſalze, als z. B. Zinnchlorür erſetzen. (D. R.⸗P. 16750. Hieran ſchließt ſich das Patent Nr. 15120 von Dr. Phil. Greif in Frankfurt a. M., das den Arbeiten von O. Fiſcher unmittelbar vorausging oder faſt gleich⸗ zeitig entſtand. E. Köhlers Ceuchter- und Taſchen⸗Jeuerzeug. Apotheker E. Köhler zu Kamenz 0 Schleſien hat ſich zwei zum allgemeinen Gebrauch geeignete Gegen⸗ ſtände patentieren laſſen. Das eine iſt ein nett gearbeiteter Leuchter, in welchem flüſſige Kohlenwaſſer⸗ ſtoffe, z. B. Benzin, ohne Gefahr mit einem unver⸗ brennlichen Docht gebrannt werden können, der gleich⸗ zeitig mit einer Anzündevorrichtung verſehen iſt, die den Gebrauch von Streichzündhölzern überflüſſig macht. Eine Füllung von nur circa 30g Benzin ermög⸗ licht eine 7—8ſtündige Brenndauer mit gleichmäßiger, ruhiger Flamme von der Leuchtkraft einer ſtarken Stearinkerze. Auch bei ſchiefer oder umgekehrter Lage des Leuchters kann keine Flüſſigkeit auslaufen. Um den Leuchter (Fig. 1) mit Brennmaterial zu füllen, wird deſſen oberer Teil bei A losgeſchraubt, das Dochtrohr herausgehoben und nach dem Eingießen des Oels wieder dicht verſchloſſen. Zum Anzünden wird der die Zündrolle umſchließende Behälter D vom Fuße des Rohrs bis zu dem unverbrennlichen Docht gehoben und der Ring nach rechts gedreht; der dabei abgenommene Deckel B wird beim Auslöſchen wieder aufgeſetzt. Mit Hilfe der Schraube C ijt die Flamme leicht regulierbar, ſo daß der Leuchter auch als Nacht⸗ licht benutzt werden kann. Um das Zündband im Behälter D zu erneuern wird deſſen linke Seitenwand abgenommen und die neue Zündrolle um den Stift gelegt. Aehnlich iſt die Konſtruktion des Köhlerſchen Taſchenfeuerzeugs oder ſogenannten „Revolverlichtes“ (Fig. 2). Um dasſelbe zu gebrauchen, wird der Deckel D abgehoben und der Ring A nach rechts gedreht, ſo daß die Lampe B frei wird. Zum Auffüllen des Oels nimmt man nun die Kappe C ab und feuchtet den im untern Röhrchen befindlichen Docht an; um eine neue Zündrolle einzulegen, wird die ſeitliche Wan⸗ dung des Behälters entfernt. P. Elektriſche Maſſage. Die mediziniſche Anwen⸗ dung der Elektrizität konnte bisher meiſt nur mit Wirkung beitragen. koſtſpieligen Apparaten durch Spezialiſten erfolgen; der beiſtehend illuſtrierte Apparat ſoll zur Erleichterung der in vielen Krankheitsfällen ſo heilſamen elektriſchen Das Inſtrument beſteht aus einer' metallenen, mit weichem Leder überzogenen Walze, einem Elektromagnet und einem permanenten Magnet, der in einer kräftigen Handhabe eingeſetzt iſt. Die Walze wird auf den leidenden Körperteil aufgeſetzt und indem ſie durch gelindes Andrücken und Schieben in Umdrehung gerät, treibt ſie mittels Zahnrädern die rotierende Achſe des Elektromagneten oder Induk⸗ tors, ſo daß der letztere raſch an den Polen des per⸗ manenten Magneten vorüber rotiert und in ſeinen Drahtſpulen geeignet ſtarke Induktionsſtröme erregt werden. Hierbei dient die Walze als die eine Elek⸗ trode, während mit dem andern Pole ein metallenes Kiſſen als zweite Elektrode verbunden iſt. Zur Her⸗ ſtellung des Stromes durch den kranken Körperteil wird das Kiſſen an der geeigneten Stelle an oder untergelegt und der Teil alsdann mit der Walze be⸗ arbeitet. Das Inſtrument iſt unter der Bezeichnung „Elektro⸗Maſſage⸗Inſtrument“ dem Dr. John Butler in New York patentiert und wird von der New Vork Dynamo⸗Elektrie⸗Manufakturing⸗Kompany, 907 Broadway, New York City geliefert. Schw. Errichtung einer wiſſenſchaftlichen Beobach- fungsftation am Kap Horn. Die franzöſiſche Re⸗ gierung verlangt von den Kammern die Bewilligung einer Summe von 796,000 Franks für die Errichtung einer wiſſenſchaftlichen Beobachtungsſtation auf einer hierzu geeigneten Inſel in der Nähe des Kap Horn. Sie will damit auch ihrerſeits zur genaueren Er⸗ forſchung der Polarregion und zur Vervollſtändigung der gerade in höheren Breitegraden höchſt unzureichen⸗ den, für die phyſikaliſche Geographie wichtigen Be⸗ obachtungen beitragen. Weil faſt alle übrigen Staaten, nämlich Rußland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Oeſtreich, Holland, England und Amerika wiſſenſchaft⸗ liche Stationen in der nördlichen Polarregion an⸗ gelegt haben oder anzulegen gedenken, während in der Südpolarzone nur Deutſchland eine Station er⸗ richten wird (in Neu⸗Südgeorgien), iſt die Wahl auf jenen äußerſten Endpunkt des amerikaniſchen Welt⸗ teils gefallen. Das für die Zwecke der auf 20 Monate auszurüſtenden Expedition zur Verfügung geſtellte Schiff wird in der Oranienbai oder in der St. Martins⸗ bucht ſichere Zuflucht während der Ruhezeit finden. Die eigentliche Beobachtungszeit ſoll vom November 1882 bis zum November 1883 dauern. Als Be⸗ obachter ſind 4 Marineoffiziere ausgewählt, welche zuvor an der Sternwarte von Montſouris eine beſon⸗ dere Ausbildung erfahren. Außerdem werden 2 Natur⸗ forſcher, worunter ein Arzt, der Expedition beigegeben. 12 Handwerker verſchiedener Berufsarten ſind zur Hilfeleiſtung des wiſſenſchaftlichen Beobachtungsper⸗ ſonals beſtimmt. Ke. Das Nährſtoffbedürfnis der Waldbäume im Vergleich zu dem der Ackergewächſe. Von Prof. Dr. E. Ebermayer in München. g urde ein Forſtmann vor 12 oder 15 Jahren über das Nährſtoffbedürfnis der Wald- bäume befragt, ſo mußte er eine ſehr unbefriedigende Antwort geben; er konnte nur ſagen, was vieljährige praktiſche Erfahrung lehrte, daß faſt alle Laubbäume beſſeren Boden beanſpruchen als die Nadelbäume und daß die Weißtannen und Fichten wieder größere Forderungen ſtellen als die Kiefern oder Föhren, welche ſich ſelbſt noch mit einem Boden begnügen, der für andre Waldbäume nicht mehr geeignet iſt. Heutzutage liegt die Sache anders. Seit dieſer Zeit hat ſich auf dem forſtlich-naturwiſſenſchaftlichen und ſpeziell forſtlich-chemiſchen Gebiete eine jo rege Thätigkeit entfaltet, daß wir einen tieferen Einblick in die Ernährungsgeſetze der Waldbäume erhielten, ja ſogar im ſtande ſind, die wichtigſten und ver— breitetſten Waldbäume nicht nur nach ihrem geſamten Nährſtoffbedürfnis, ſondern auch nach ihren Anſprüchen an die einzelnen Nährſtoffe des Bodens und der Luft klaſſifizieren zu können. Dieſe Forſchungsergebniſſe gehören ohne Zweifel zu den wichtigſten Fortſchritten, welche die Forſtwiſſenſchaft in der neueſten Zeit zu verzeichnen hat. Bisher ſtand dieſelbe in dieſer Be— ziehung der Landwirtſchaft gegenüber ſehr zurück; denn ſchon ſeit beinahe einem halben Jahrhundert haben wir es den weltbekannten agrikulturchemiſchen Forſchungen J. von Liebigs zu verdanken, daß ſich eine Reihe von Forſchern, insbeſondere von Agri— kulturchemikern bemühten, die Qualität und Quan— tität der Nährſtoffe feſtzuſtellen, welche die land— wirtſchaftlichen Kulturgewächſe zu ihrer möglichſt voll— kommenen Ausbildung bedürfen. Nachdem nun aber auch auf dem Gebiete der Forſtwirtſchaft das Ver⸗ Humboldt 1882. ſäumte wenigſtens zum Teil nachgeholt iſt, läßt ſich ein Vergleich ziehen zwiſchen dem Nährſtoffbedürfnis der wichtigſten Waldbäume und dem der Ackergewächſe. Es iſt dies von ſo großer volkswirtſchaftlicher Be— deutung, daß es den Leſern dieſer Zeitſchrift nicht unerwünſcht ſein dürfte, mit den wichtigſten Ergeb— niſſen dieſer neueren Forſchungen bekannt zu werden. Noch im erſten Drittel dieſes Jahrhunderts, ja bis zum Jahre 1840 hatte man über die Ernährung der grünen Pflanzen ganz falſche oder wenigſtens ſehr unklare Vorſtellungen. Vieljährige Erfahrungen lehr⸗ ten, daß auf humusreichem friſchem Boden größere Ernten erzielt werden als auf humusarmem trockenem Boden. Daraus hat man den Schluß gezogen, daß Humus (die Rückſtände verweſender Pflanzen- und Tierſtoffe) und Waſſer die alleinigen Nährſtoffe der Pflanzen ſeien. Erſt Liebig hat erkannt, daß nicht der Humus als folder, ſondern nur ſeine letzten Ver- weſungs- und Zerſetzungsprodukte (Kohlenſäure, Am— moniak und Mineralſalze) den Pflanzen zur Ernäh— rung dienen, daß überhaupt die Nahrung aller grünen Pflanzen aus verſchiedenen unorganiſchen Stoffen be- ſteht, die ſie teils durch ihre Blätter aus der Luft, teils durch die Wurzeln aus dem Boden aufnehmen. Seit dieſer Zeit wiſſen wir, daß die grün gefärbten Pflanzen die einzigen Geſchöpfe auf der Erde ſind, welche die Kunſt beſitzen, am Tage mit Hilfe der Sonne aus dieſen mineraliſchen Rohſtoffen in ihren Blättern organiſche Subſtanzen (Stärkemehl, Eiweiß— ſtoffe) zu erzeugen, die wieder das Material liefern, aus welchen bei hinreichender Wärme nicht nur in den chlorophyllführenden, ſondern auch in den chloro- phyllfreien Zellen durch die chemiſche Thätigkeit des Protoplasmas ſowohl am Tage, als auch nachts 26 200 Humboldt — Juni 1882. alle andern organiſchen Stoffe hervorgehen, welche ſie zum Aufbau ihres Körpers, alſo zum Wachstum notwendig haben. Durch zahlreiche exakte Unterſuchungen und Ver⸗ ſuche iſt nachgewieſen, daß die Waldbäume, die Acker⸗ gewächſe, die Gartenpflanzen, die wild wachſenden Unkräuter, kurz alle grünen Landpflanzen zur Er⸗ nährung dieſelben Stoffe bedürfen, nur nach Pflan⸗ zenart in ſehr verſchiedener Menge. Wachſen auf einem und demſelben Boden Eichen, Nadelhölzer, Zier⸗ ſträucher, Roſen, Gräſer u. ſ. w. nebeneinander, ſo nehmen dieſe Gewächſe aus der Luft und dem Boden die gleichen Nährſtoffe auf, wie ein Getreide-, Klee⸗, Kartoffelfeld ꝛc., aber je nach der Natur der Pflanzen in ſehr verschiedener Quantität. Die Zahl der Stoffe, welche zur Ernährung der grünen Pflanzen unbedingt notwendig ſind, iſt verhältnismäßig ſehr klein, denn im ganzen ſind es nur folgende neun unorganiſche Körper: Waſſer, Kohlenſäure, Ammoniak oder Salpeter⸗ ſäure, Kali, Kalk, Magneſia, Phosphorſäure, Schwefel⸗ ſäure und etwas Eiſen, welche in genügender Menge und in aufnehmbarer Form den Pflanzen zur Dispo⸗ ſition ſtehen müſſen, wenn ſie ſich kräftig entwickeln und möglichſt hohe Erträge liefern ſollen. Die Kohlen⸗ ſäure wird weitaus zum größten Teile durch die Spaltöffnungen der Blätter direkt aus der Luft auf⸗ genommen, das Waſſer geht aus dem Boden in die Pflanzen über und die übrigen Nährſtoffe werden in Form von Salzen ebenfalls dem Boden durch die feinen Faſerwürzelchen entzogen. Derjenige iſt der beſte Pflanzenzüchter, der es verſteht, den Nährſtoff— bedürfniſſen der Pflanzen in qualitativer und quanti⸗ tativer Beziehung jederzeit gerecht zu werden, und durch richtige Auswahl des Standortes, ebenſo durch zweckentſprechende Pflege und Behandlung der Pflan⸗ zen für den erforderlichen Lichtzutritt Sorge trägt. Nach dieſen einleitenden Bemerkungen wollen wir das Nährſtoffbedürfnis der Waldbäume und Acker⸗ gewächſe näher ins Auge faſſen. 1) Das Waſſerbedürfnis der Waldbäume und Ackergewächſe. Jeder Forſtmann weiß aus Erfahrung, daß nur auf friſchem Boden genügende Holzproduktion ſtattfindet; daß in regenreichen Jahren der Holzzuwachs bedeutend größer iſt als in trockenen Jahren und daß ein mineraliſch ärmerer Boden bei angemeſſenem Feuchtigkeitsgrade fruchtbarer iſt als ein mineraliſch kräftiger Boden bei ungenügendem Waſſer⸗ gehalt. Bei der Beſtandespflege gehen alle Manipula⸗ tionen darauf hinaus, dem Boden die nötige Friſche zu erhalten, anderſeits aber auch den Bäumen durch angemeſſene Durchforſtung die erforderliche Lichtmenge zuzuführen. Iſt die Winterfeuchtigkeit gering und fällt die Vegetationszeit auch in eine regenarme Periode, fo leiden darunter nicht nur die land⸗ wirtſchaftlichen Kulturgewächſe, ſondern auch die Wälder. Schon dieſe allbekannten Erfahrungen weiſen dar auf hin, daß das Waſſer unter allen Nährſtoffen von den Pflanzen in größter Menge aufgenommen wird. Dieſer bedeutende Waſſerbedarf, insbeſondere der Waldbäume, erklärt ſich leicht, wenn wir be⸗ denken, daß a) in allen Teilen der Bäume, im Stamme, in den Wurzeln, in den Aeſten und Zweigen, insbe⸗ ſondere aber in den Blättern ſo viel Waſſer auf⸗ geſpeichert iſt, daß mehr als die Hälfte, faſt zwei Drittel des Gewichtes der Waldbäume (56—60 %“) allein von Waſſer herrührt; daß bp) auch die trockene feſte, verbrennliche Subſtanz der Bäume etwa zur Hälfte aus den Elementen des Waſſers (Sauerſtoff und Waſſerſtoff) beſteht, die durch jenen Teil des aufgenommenen Waſſers ge- liefert werden, der durch die Einwirkung des Sonnen⸗ lichtes am Tage in den r chemiſch zerſetzt wird; daß endlich 0 der größte Teil des Wa ſſers, das von den Wurzeln aus im Holzſtamm (Splint) aufwärts ſteigt und in die Blätter tritt, durch die Spaltöffnungen derſelben wieder langſam verdunſtet und als Waſſer⸗ dampf in die Luft übergeht. Wäre dieſer Waſſer⸗ dunſt nicht durchſichtig wie die Luft, ſo würde zur Vegetationszeit jeder Wald, ja jeder einzelne Baum von einer dichten Dampfwolke umhüllt ſein. Dieſe Tranſpiration hat für die Saftbewegung in den Bäumen die größte Bedeutung, indem ſie weſentlich zur aufſteigenden Bewegung des Saftes von den Wurzeln bis zu den Blättern beiträgt. Auch das Welken und Dürrwerden der Pflanzen bei an⸗ haltendem trockenem Wetter ſteht mit der Tranſpiration in Zuſammenhang, denn die Pflanzen bleiben nur dann friſch, wenn das durch die Blätter verdunſtete Waſſer durch die Thätigkeit der Wurzeln aus dem Boden wieder vollſtändig erſetzt wird. Iſt der Waſſer⸗ verluſt durch die Blätter größer als die Waſſerzufuhr durch die Wurzeln, ſo werden die Blätter ſchlaff und welken. Eine Pflanze macht deshalb um ſo größere Anſprüche an die Bodenfeuchtigkeit, je ſtärker ihr Tranſpirationsvermögen iſt. Die Stärke der Tran⸗ ſpiration iſt aber nach Pflanzenart wieder ſehr ver⸗ ſchieden. Den weſentlichſten Einfluß hat darauf die Beſchaffenheit (Organiſation) und die Zahl und Größe der Geſamtoberfläche der Blätter. Je weniger Spalt⸗ öffnungen vorhanden ſind, je ſtärker die Cuticula und Wachsüberzüge eines Blattes entwickelt ſind, je kleiner die Geſamtoberfläche der Blätter iſt, deſto geringer iſt das Tranſpirationsvermögen. Sehr beſchleunigt wird die Waſſerverdunſtung der Blätter durch 90 Lufttemperatur, durch trockene Luft, durch ſtarke Luft⸗ bewegung und durch direkten Zutritt der Sonnen⸗ ſtrahlen. Man hat ſich ſchon vielfach bemüht, die Tran— ſpirationsgröße der Waldpflanzen und Kulturgewächſe unter verſchiedenen äußeren Verhältniſſen durch exakte Beobachtungen feſtzuſtellen, leider aber haben dieſe Arbeiten noch nicht ſo brauchbare Mittelzahlen ge— liefert, daß daraus der Waſſerbedarf der verſchiedenen Kulturgewächſe abgeleitet werden könnte. Aus den mühſamen und ſorgfältigen Unterſuchungen von Höhnel geht hervor, daß die Laubbäume, und unter den Koniferen die Lärche viel ſtärker tranſpirieren, alſo Humboldt. — Juni 1882. 201 auch mehr Waſſer beanſpruchen, als die wintergrünen Nadelhölzer. Die Blätter der Bäume können wäh— rend der Vegetationszeit in einem Tage ebenſoviel, ja noch mehr Waſſer abgeben als ihr eigenes Gewicht beträgt. Setzt man die tägliche Tranſpirationsgröße des Blattes einer großblätterigen Linde — 100, fo erhält man für die tägliche Tranſpirationsgröße des Blattes der Weißbuche den Mittelwert 96 5 1 „ Rotbuche „ 5 71 2 „ des Spitzahorns „ 5 64 5 „ der Eiche 17 1 43 5 Ps » Fichte i 19 5 1 „ pobre i 1 16. Wie groß der Waſſerverbrauch eines Waldes infolge der Tranſpiration ſein kann, läßt ſich daraus erſehen, daß nach einer Berechnung von Höhnel das Gewicht des Waſſers, welches ein ha Buchenwald in einem Sommer verdampft, im Durchſchnitt auf 3 Mill. kg oder auf 3 Mill. 1 = 30000 hl geſchätzt werden kann. Dieſe Waſſermenge würde, wenn ſie über einen ha ausgebreitet wäre, denſelben 300 mm hoch mit Waſſer bedecken. Da nun in Deutſchland jährlich im Durchſchnitt 700 mm Niederſchläge fallen, ſo er— gibt ſich daraus, daß die größere Hälfte des Waſſers das auf den Wald fällt, im Boden verbleibt. Bis jetzt beſchränkten ſich die Unterſuchungen über die Tranſpirationsgröße der Forſtgewächſe nur auf jüngere Waldpflanzen. Da aber die Verdunſtungs— größe älterer Bäume von dieſen verſchieden ſein wird, ſo müſſen mit der Zeit auch Verſuche mit wenigſtens 25 —30jährigen Bäumen angeſtellt werden, die aller— dings mit größeren Schwierigkeiten verbunden ſind, aber nicht entbehrt werden können. Dabei muß vor allem auch die Größe der Geſamtoberfläche der Blätter berückſichtigt werden, weil dieſe auf die verdunſtenden Waſſermengen eines Baumes großen Einfluß hat. Wie verſchieden die Größe der Geſamtoberfläche der Blätter alſo auch die Tranſpirationsgröße in Laubholzbeſtänden ſein kann, geht aus Unterſuchungen hervor, welche in jüngſter Zeit auf meine Veranlaſſung von dem k. bayer. Forſt— gehilfen Trübswetter in Buchen- und Eichenbeſtänden vorgenommen wurden. Es ergab ſich, daß die Geſamtblattoberfläche pro ha betrug: in einem 25jähr. Buchenbeſtande 94,501,124 qm = 9,45 ha 2 75 0 i % 12% eye tod „ „ „ 54 „ Eichenbeſtande 65,455,55 „ = 6,54 „ Die Blätter des erſten Beſtandes würden ſomit den unter ihnen befindlichen Boden circa 9½ mal, die des zweiten Beſtandes 7% mal, die des Eichenbeſtan— des 6% mal bedecken. Prof. Unger berechnete, daß bei Mais die Oberfläche der Blätter 5 4 mal bei erwachſenen Rüben 4,4 mal bei Reben. . 1,3 mal größer iſt als der Alfprechendr Boden. Da ange⸗ nommen wird, daß wenn die Oberfläche der Blätter 3, 4, 5 mal größer iſt, als die Bodenfläche, auf welcher ſie wachſen, auch die Verdunſtung 3, 4 oder Smal größer ijt, als die Verdunſtung des Bodens ohne die Pflanzen wäre, ſo geht aus obigen Mit— teilungen hervor, daß die Waldbäume mehr Waſſer verdunſten als die landwirtſchaftlichen Nutzpflanzen, und daß unter den Waldbäumen die Buchen wieder mehr Waſſer abgeben als die Eichen, die Lärchen mehr als die Kiefern u. ſ. w. Von den Feldfrüchten tranſpirieren am ſtärkſten die krautartigen blattreichen Gewächſe, wie Klee, Tabak, Kraut, Rüben, Wieſen— gras ꝛc., am ſchwächſten die blattarmen Getreidearten. Die Thatſache, daß bepflanzter Boden während der Vegetationszeit infolge der Tranſpiration der Gewächſe in den tieferen Schichten mehr Waſſer verliert, als kahler, vegetationsloſer Boden, ſteht mit der bekannten, in den verſchiedenſten Gegenden ge— machten Erfahrung im Widerſpruch, daß bewaldete Gebirge zur Speiſung der Quellen weit mehr bei— tragen als nicht bewaldete Berge, und daß nach Ent— waldungen die Quellen oft ganz verſiegen. Bei der Erwägung dieſer Frage haben wir aber zu berück— ſichtigen, daß auf nicht bewaldeten Gebirgsabhängen bei ſtarkem Regen oder bei ſchneller Schneeſchmelze ungeheure Maſſen von Waſſer oberflächlich abfließen, die auf bewaldetem Boden e daß ferner im beſchatteten Walde bei der geringen Luftbewegung und niedereren Temperatur das Austrocknen des Bodens durch Verdunſtung des Waſſers an ſeiner Oberfläche weit langſamer vor ſich geht als an kahlen Bergab— hängen, die der Einwirkung der Sonne und den aus— trocknenden Winden direkt ausgeſetzt ſind. Wir müſſen annehmen, daß durch dieſe Wirkungen und möglicher— weiſe auch durch die Eigenſchaft des Waldes, die Regenniederſchläge zu erhöhen, der Waſſerverluſt, welchen die Bäume durch ihre Tranſpiration veran— laſſen, wieder gedeckt wird, ſo daß bei gleichen ſonſtigen Verhältniſſen die Wälder den tieferen Bodenſchichten dennoch mehr Waſſer zuführen als unbewaldete Flächen. Sicheren Aufſchluß über dieſe volkswirtſchaftlich ſo wichtige Frage können wir nur durch direkte Unter— ſuchungen erhalten, wie ich ſie früher ſchon vorge— ſchlagen habe). 2) Das Kohlenſäurebedürfnis der Wald— bäume und Ackergewächſe. Alle verbrennlichen oder organiſchen Stoffe der Pflanzen enthalten ohne Ausnahme Kohlenſtoff als Hauptbeſtandteil. In der Trockenſubſtanz der Hölzer finden ſich 48 — 51, der Blätter 40 — 45, der Kartoffel 44, der Rüben 42—44 °/o Kohlenſtoff. Am kohlen— ſtoffreichſten ſind unter den Pflanzenbeſtandteilen die Harze und die Riechſtoffe (ätheriſchen Oele), in welchen über 80 % Kohlenſtoff abgelagert ijt. Ohne Kohlen— ſtoff kann überhaupt keine einzige organiſche Subſtanz erzeugt werden. Dieſes Element bildet ſomit die Grundlage der geſamten organiſchen Schöpfung. Aber nur die grünen Pflanzen und in dieſen wieder nur die grünen chlorophyllführenden Zellen der Blätter haben das Vermögen, den zur Produktion der orga— niſchen Stoffe notwendigen Kohlenſtoff aus einem unorganiſchen gasförmigen Körper, aus Kohlenſäure, ſich anzueignen, die einen Beſtandteil der atmoſphä— ) Wie kann man den Einfluß der Wälder auf den Quellenreichtum ermitteln? Forſtwiſſenſchaftliches Zentral— blatt von F. Baur, Jahrgang 1879. 202 Humboldt. — Juni 1882. riſchen Luft bildet. Am Tage, ſo lange Sonnenlicht vorhanden iſt, dringt dieſes Gas durch die Spalt⸗ öffnungen in die Blätter ein, und wird in den chloro⸗ phyllhaltigen Zellen durch die Kraft des Sonnen⸗ lichtes in ſeine Beſtandteile, in Kohlenſtoff und Sauerſtoff zerlegt. Der Kohlenſtoff tritt in Ver⸗ bindung mit den Elementen des Waſſers und erzeugt neue organiſche Pflanzenſtoffe, während der Sauer⸗ ſtoff zum größten Teile in Form eines unſichtbaren Gaſes durch die Blätter ausgehaucht und an die um⸗ gebende atmoſphäriſche Luft abgegeben wird. Sämt⸗ licher in den verbrennlichen Pflanzenbeſtandteilen ent⸗ haltene Kohlenſtoff ſtammt von der atmoſphäriſchen Kohlenſäure ab. Es iſt dies überhaupt die Quelle des Kohlenſtoffs aller organiſchen Beſtandteile, auch der des menſchlichen als des tieriſchen Körpers, denn alle Stoffe, welche im Blute, im Fleiſch, im Fett, in der Milch, im Käſe, in der Wolle rc. enthalten fino, ſtammen in letzter Linie von den kohlenſtoffhaltigen organiſchen Subſtanzen ab, welche durch die vege- tabiliſchen Nahrungsmittel dem tieriſchen Organismus zugeführt werden. Die Pflanzenwelt bildet ſomit die einzige Kohlenfabrik auf der Erde, denn auch die Kohle unſerer foſſilen Brennmaterialien, die Steinkohlen, Braunkohlen und der Torf ſind bekanntlich Ueberreſte abgeſtorbener Pflanzen. Die Wälder haben wir demnach nicht nur als Holz⸗ fabriken, ſondern auch als die größten Kohlenfabriken der Erde anzuſehen. Es läßt ſich leicht berechnen, daß der Wald in den organiſchen Beſtandteilen des Holzes und der Blätter pro ha jährlich circa 3000 ke Kohle ablagert, wovon etwas mehr als die Hälfte im jährlichen Holzzuwachs enthalten iſt, die andre Hälfte durch den Blattabfall dem Waldboden zugeführt wird, wo durch die Verweſung desſelben ſämtlicher Kohlen⸗ ſtoff allmählich wieder in Kohlenſäure umgewandelt wird. In der geſamten Holzmaſſe eines 120 jährigen Buchenbeſtandes finden ſich bei mittlerer Bonität nach dem Abtrieb pro ha nicht weniger als circa 200,000 ke Kohle, die einzig und allein der Kohlenſäure ent⸗ nommen iſt, welche durch die Thätigkeit der Blätter unter Mitwirkung des Sonnenlichtes aus der atmo⸗ ſphäriſchen Luft aufgenommen wurde, die in 100,000 1 (einem Raume von 5m Seite und 4m Höhe) zwar nur 30—40 1 Kohlenſäure enthält, aber tagtäglich dieſes unentbehrliche Pflanzennährmittel durch die Verbrennung unſrer Heiz⸗ und Leuchtmaterialien, durch die Atmung der Menſchen und Tiere, durch die Verweſung und Fäulnis pflanzlicher und tieriſcher Stoffe, durch die Gährung zuckerhaltiger Flüſſigkeiten (Bier, Wein ꝛc.), durch die Thätigkeit der Vulkane ꝛc. in großer Menge zugeführt erhält. a Auf Feldern und Wieſen iſt die jährliche Kohlen⸗ ſtoffproduktion faſt um die Hälfte geringer als auf einer gleich großen Waldfläche, denn im großen Durch⸗ ſchnitt finden ſich in den organiſchen Erzeugniſſen der jährlichen Ernten des Ackerfeldes und der Wieſen bei mittlerer Produktion pro ha nur circa 2000 ke Kohlenſtoff aufgeſpeichert, alſo etwas mehr als in der jährlich erzeugten Holzmaſſe, Da das Kohlenſäurebedürfnis der Pflanzen natür⸗ lich um ſo größer iſt, je mehr Kohlenſtoff produziert, d. h. in den organiſchen Beſtandteilen des Pflanzen⸗ körpers abgelagert wird, ſo geht aus obigem hervor, daß der Wald jährlich etwa um die Hälfte mehr Kohlenſäure beanſprucht als die Feld- und Wieſen⸗ gewächſe. Durch Unterſuchungen im Speſſart habe ich nachgewieſen ), daß in der That die Luft in gut geſchloſſenen größeren Waldkomplexen im Sommer faſt noch einmal ſo reich an Kohlenſäure iſt, als die freie atmoſphäriſche Luft. Um 100 ke Kohlenſtoff ſich anzueignen, muß ein Baum oder jede andre Pflanze 366 kg Kohlenſäure aufnehmen. Es läßt ſich daher leicht berechnen, wie viel Kohlenſäure ein Wald, ein Ackerfeld oder eine Wieſe alljährlich zur Produktion der Kohlenſtoffverbindungen in den Ernten annähernd bedarf. 3) Das Stickſtoffbedürfnis der Waldbäume und Ackergewächſe. Wie gering das Stickſtoffbedürfnis der Pflanzen im Vergleich zum Kohlenſtoff⸗, Waſſerſtoff⸗ und Sauer⸗ ſtoffbedürfnis iſt, kann ſchon daraus entnommen werden, daß die organiſche Trockenſubſtanz des Pflanzenkörpers faſt zur Hälfte aus Kohlenſtoff, zur andern Hälfte aus Sauerſtoff und Waſſerſtoff beſteht und etwa nur 1,5 %% Stickſtoff enthält. Dieſer geringe Stickſtoff⸗ gehalt erklärt ſich dadurch, daß nur einzelne Pflanzen⸗ beſtandteile ſtickſtoffhaltig ſind und weitaus die Haupt⸗ maſſe des Pflanzenkörpers aus ſtickſtofffreien Stoffen aufgebaut iſt. Gerade aber die wertvollſten Pflanzen⸗ produkte, die Eiweißſtoffe oder Proteinkörper, welche die fleiſch⸗ und bluterzeugenden Beſtandteile der Nah⸗ rungs⸗ und Futterſtoffe bilden, ſind ſtickſtoffreich und enthalten im Mittel 16— 18 ⅝ gebundenen Stickſtoff. Auch zur Bildung des wichtigſten Beſtandteiles der Pflanzenzellen, des Protoplasmas, von dem alle Lebenserſcheinungen der Pflanzen ausgehen und an welchen das Leben der Pflanzen und Tiere haftet, zur Bildung des Zellkerns und der Grundmaſſe der grünen Chlorophyllkörner, kurz zur Bildung aller Zellen und Pflanzenſäfte ſind ſolche Eiweißkörper notwendig. Eine kräftige Entwickelung der Pflanzen iſt daher immer an das Vorhandenſein einer genügen⸗ den Menge von Eiweißſtoffen geknüpft. Die grünen Pflanzen ſind nun wieder die alleinigen Geſchöpfe auf der Erde, welche im ſtande ſind, dieſe äußerſt wert⸗ vollen Stoffe aus wenigen unorganiſchen Rohſtoffen zu erzeugen, die Ackergewächſe insbeſondere haben die wichtige Aufgabe, dieſes Hauptmaterial zur Bildung von Blut, Fleiſch, Milch, Nerven ꝛc., überhaupt zum Aufbau des tieriſchen Körpers fortwährend neu zu produzieren, weil dem letzteren dieſe Fähigkeit gänzlich abgeht. Sämtlichen Stickſtoff, den die Pflanzen zur Bildung von Eiweißſtoffen und einigen andern ſtickſtoffhaltigen Körpern bedürfen, eignen ſie ſich aus den ſtickſtoff⸗ haltigen Ammoniak- oder ſalpeterſauren Salzen an, 0 Amtlicher Bericht der 50. Verſammlung deutſcher Naturforſcher und Aerzte in München (1877), S. 218. Humboldt. — Juni 1882. 203 die unter allen Pflanzennährmitteln von der Natur in geringſter Menge geliefert werden. Aeußerſt wenig findet ſich davon in der Luft und wird in ſehr ſpär— licher Quantität durch Regen, Tau, Schnee dem Boden zugeführt; die Hauptquelle dieſer Pflanzen— nährmittel bildet in den Wäldern der aus den Ab— fällen, beſonders den Blättern entſtandene Humus, welcher bei ſeiner weiteren Zerſetzung neben Kohlen— ſäure auch Ammoniak- oder ſalpeterſaure Salze liefert. Eine weit reichere Stickſtoffquelle bilden die tieriſchen Exkremente im Stallmiſt, womit der Ackerboden ge— düngt wird. Da faſt alle Ackergewächſe in ihrem Körper mehr Eiweißſtoffe produzieren als die Waldbäume, ſo machen erſtere an die Stickſtoffnahrung des Bodens größere Anſprüche als der Wald. Aus Berechnungen ergibt ſich, daß bei mittleren Erträgen pro ha jährlich an Stickſtoff beiläufig erforderlich iſt: zur zur Holz⸗ Blatt⸗ in bildung bildung Summa ‘ kg kg kg im Buchenwald . 9 42 51 durch⸗ „ Weißtannenwald . 8 33 41 ſchnittlich „ Fichtenhochwald . fi 30 37 Nay 45 50 „ Kiefernhochwald .. 6 28 34 8 auf einem Kleefelde — — 96] im Mittel 5 „ Rapsfelde 65 63 kg, nach 5 „ Weizenfelde. — — 62 | Bouſſin⸗ 5 „ Kartoffelfelde — — 61 gault 5 „ Roggenfelde. — — 52 53 ke ” „ Gerſtenfelde. — — Stickſtoff. Daraus geht hervor, daß unter den verbreiteteren Waldbäumen die Buchen (und die meiſten andern Laubbäume) nahezu ſo viel Stickſtoffnahrung bedürfen als wie die Halmfrüchte, aber weniger als die Nadel— hölzer und daß unter den letzteren wieder die Weiß— tannen größere Anſprüche machen als die Fichten und Kiefern. Entfernt man aus dem Walde bloß das Holz und läßt die von der Natur zur Düngung des Waldbodens beſtimmten Abfälle, die ſog. Waldſtreu liegen, ſo vermindert ſich der Stickſtoffbedarf der Bäume ſo bedeutend, daß die durch die Niederſchläge alljährlich zugeführte Stickſtoffnahrung zur Holzbildung ausreichend iſt. Unter den landwirtſchaftlichen Nutz— pflanzen beanſpruchen die blattreichen Gewächſe, wie die Kleearten, den meiſten Stickſtoff, am wenigſten die blattarmen Getreidearten. 4) Mineralſtoffbedürfnis der Waldbäume und Acker gewächſe. Beim Rauchen einer Zigarre bleibt ſo viel Aſche zurück, daß das Volumen derſelben faſt ebenſo groß iſt, als das des urſprünglichen Fabrikates. Alle dieſe Aſchenbeſtandteile waren früher Mineralbeſtandteile des Bodens; ſie wurden während des Wachstums der Tabakpflanze durch die Wurzeln in Form von Salzen aus dem Boden aufgenommen und dienten zur Ernährung der Pflanze. Ohne Mitwirkung der— ſelben wäre ſie nicht im ſtande geweſen, ihre orga— niſchen Beſtandteile aus Waſſer, Kohlenſäure und Ammoniak (oder Salpeterſäure) zu bilden. Was vom Tabak geſagt shunted gilt bid für die ‘einen Ge⸗ wächſe; alle haben zu ihrer Entwickelung eine beſtimmte Menge von Mineralſtoffen notwendig und können nur dann hohe Erträge liefern, wenn ihnen dieſe mineraliſchen Nährſtoffe im Boden in hinreichender Menge und in aufnehmbarer Form zur Dispoſition ſtehen. Fehlt nur ein einziger unentbehrlicher Aſchen⸗ beſtandteil, oder iſt er nicht in genügender Menge vorhanden, ſo entwickelt ſich die Pflanze kümmerlich. Wie verſchieden die Anſprüche der Pflanzen an die mineraliſchen Bodenſalze ſind und welche ver— ſchiedene Quantitäten zur Ausbildung ihrer einzelnen Organe verwendet werden, iſt ſchon aus dem ver— ſchiedenen Aſchengehalt der Pflanzen und Pflanzen— teile zu entnehmen. So beträgt z. B. im vollkommen trockenen Zuſtand der mittlere Aſchengehalt des Stammholzes der Laubbäume (ohne Rinde) 0,49 0% 5 „ Nadelbäume „ if 0,25 „ der ſtärkeren Laubholzäſte 1,00 „ 5 1 Nadelholzäſte 0,80 „ „ ſchwachen Aeſte . Boz 0% 5 „ Stammrinde der Saubbiume 4,00 , i 5 „ Nadelbäume. 2,00 „ „ grünen Laubblätter 450% 5 1 Nadeln 8 2,50 „ , abgeftorbenen Herbſtblätter (Laubſtreu) 8 5,00 „ 5 10 Nadeln (Nadelſtreu) 3,50 „ Beträchtlich reicher an Aſche ſind die Produkte des Ackerfeldes, denn man findet im Mittel in der Trocken ſubſtanz von Wieſenheu 76 % „ Rotklee 8 ln, „ Kartoffelkraut .. 8,5 „ „ Kartoffelknollen „ 3,8 „ „ Rübenblättern 12—15 „ „ Rüben 4—6 „ „ Tabakblättern . 18 „ „ @etretdejtroh . . 5 „ „ Getreidekörnern . 3 , Aſche. Nachdem unter den Aſchenbeſtandteilen auch Mineral— ſtoffe vorkommen, welche zur Ernährung der Pflanzen nicht abſolut notwendig ſind, ſo hat es für praktiſche Zwecke beſonderes Intereſſe, die Anſprüche der Kultur— gewächſe an die unentbehrlichen Mineralſtoffe kennen zu lernen. Unter dieſen gibt es aber wieder ſolche, die in hinreichender Menge faſt in jedem Boden ent— halten ſind (Magneſia, Schwefelſäure und Eiſen) und andre, an welchen leicht Mangel iſt (Phosphorſäure und Kali). Die Kalkſalze gehören zu jenen Nähr— ſtoffen, die in vielen Böden in großem Ueberſchuß vorhanden ſind, häufig aber auch in ungenügender Menge ſich vorfinden. Der praktiſche Pflanzenzüchter wird die in ſpärlicher Menge dargebotenen Nährſtoffe (Ammoniak- oder ſalpeterſaure Salze, Kali- und phos- phorſaure Salze, unter Umſtänden auch Kalkſalze) als die wertvolleren bezeichnen, d. h. als diejenigen, auf welche er vor allem ſein Hauptaugenmerk richten muß. Abgeſehen von der phyſikaliſchen Beſchaffenheit und vom Waſſergehalt wird er daher die Güte des Bodens vorzugsweiſe nach der Menge der vorhan— denen Stickſtoffnahrung (Ammoniak- oder ſalpeter⸗ 204 Humboldt. — Juni 1882. ſauren Salzen) und nach dem Phosphorſäure⸗, Kali⸗ und Kalkgehalt beurtheilen. Schon oben wurde das Stickſtoffbedürfnis der Pflanzen beſprochen, hier wollen wir uns darauf beſchränken, die Anſprüche der wich tigſten Waldbäume und Ackergewächſe an die drei letztgenannten Mineralſtoffe etwas näher kennen zu lernen. Aus den vorliegenden Unterſuchungen ergibt ſich, daß bei mittleren Erträgen nachſtehende landwirtſchaft⸗ liche Kulturgewächſe pro ha alljährlich annähernd be- 5 ay 5 dürfen und dem Boden entziehen Phesphar⸗ Kali Kalk ſäure kg kg kg Runkelrüben (Blätter und Wurzeln) 184 40 32 Kleeheu ee ee e e e ene, ee e We ee 0 50 30 Kartoffeln (Kraut und Knollen) 120 40 36 Ne ee fe puihg) geeile gS Sie ea 58 44 48 CULLEN oy mote Gee es aie Gb Maree (6) 40 18 Haleiwa , 5 5 - 4 © 5 32 16 24 Am kalibedürftigſten ſind die Zuckerrüben und alle andren Rübenſorten, dann die Kartoffeln, die Klee⸗ arten, der Weinſtock, das Wieſengras und der Tabak; kaligenügſam ſind die Hülſenfrüchte (Erbſen, Bohnen, Wicken) und die Getreidearten. Den meiſten Kalk bedürfen die Kleearten, die blattreichen Erbſen-, Boh⸗ nen⸗ und Wickenpflanzen und das Wieſengras, am wenigſten beanſpruchen die Halmfrüchte. Nächſt Kali und Kalk wird Phosphorſäure von allen Kultur⸗ pflanzen in größter Menge aufgenommen. Der Be⸗ darf an dieſem Nahrungsmittel iſt nach Pflanzenart zwar auch verſchieden, aber es beſtehen keine ſo großen Unterſchiede wie beim Kali- und Kalkbedarf. Die meiſte Phosphorſäure verliert der Boden durch den Anbau von Raps, Klee, Rüben, Kartoffeln, weniger durch Tabak und Getreidearten. Letztere bedürfen viel Phosphorſäure zur Körnerbildung, wie überhaupt eine reichliche Samenbildung nur dann ſtattfinden kann, wenn der Phosphorſäuregehalt des Bodens nicht zu gering iſt. Für die Wälder iſt bezeichnend, daß ſie weit weniger Kali und Phosphorſäure, dagegen mehr Kalk mals die meiſten Ackergewächſe beanſpruchen. Bei mitt⸗ leren Erträgen bedürfen ſie zur Holz- und Blatt⸗ bildung pro Jahr und Hektar annähernd: Phosphor⸗ ſäure. Buchenhochwald zur Holzbildung 7 22 4 Blattbildung 8 88. 10 Summa: 15 Eichenhochwald zur Holzbildung 3 21 1 0 0 Weißtannen i; 8 4 2 i „ Blattbildung 10 80 10 Summa: 18 84 12 Fichten zur Holzbildung 4 10 1,5 „ „ Blattbildung 5 60 6,5 Summa: 9 70 8 Kiefern zur Holzbildung 2 9 il 6 „ Blattbildung 5 1 Summa: 7 27 5 Birken zur Holzbildung 2,5 4 14 Aus dieſer Zahlenreihe ergibt ſich, daß wieder die Nadelbäume genügſamer ſind als die Laubbäume, daß aber die Weißtanne bezüglich ihrer Anſprüche an Kali und Phosphorſäure ſich der Rotbuche ſehr nähert. Am genügſamſten iſt wieder die Kiefer und unter den Laubhölzern die Birke. Es iſt gewiß eine höchſt beachtenswerte Thatſache, daß die Waldbäume gerade an diejenigen Pflanzen⸗ nährſtoffe, welche im Boden in der Regel in gering— ſter Menge enthalten ſind (Ammoniak oder Salpeter⸗ ſäure, Phosphorſäure und Kali), geringere Anſprüche machen als die Ackergewächſe, und daß ihre Haupt⸗ nahrung aus Stoffen beſteht, welche die Natur in großer Menge darbietet, wie Waſſer, Kohlenſäure und Kalk. Dadurch erklärt ſich, warum der Wald bei hinreichender Feuchtigkeit mit mineraliſch ärmerem Boden ſich begnügt, als die Ackergewächſe. Ein guter Waldboden muß vor allem die erforderliche Feuchtigkeit und die entſprechende Menge von Kalk⸗ ſalzen enthalten; außerdem darf aber in ihm der Ammoniak-, Phosphorſäure⸗, Kali⸗, Magneſia⸗, Schwefelſäuregehalt ꝛc. nicht unter ein gewiſſes Mini⸗ mum geſunken ſein. Wo Kalkſalze nicht fehlen, ſind auch immer die erforderlichen Magneſtaſalze vor⸗ handen, aufnehmbare Kali⸗ und phosphorſaure Salze finden die Pflanzen in der Regel in der Feinerde (Thon rc.) und die nötige Stickſtoffnahrung (Ammo⸗ niak⸗ oder ſalpeterſaure Salze) liefert der Humus. Neben Sand muß guter Waldboden daher ſtets ein gewiſſes Quantum von Feinerde (Thon), Kalk und Humus beſitzen. Da der größere oder geringere Thongehalt auch die Friſche des Bodens bedingt und die Waldbäume in erſter Linie viel Waſſer bean⸗ ſpruchen, ſo kann auf thonarmen Böden nur dann ein entſprechender Holzzuwachs ſtattfinden, wenn Grundwaſſer vorhanden iſt und die Baumwurzeln von unten her Waſſer zugeführt erhalten. Aber auch in dieſem Falle darf es nicht an hinreichenden Kalk⸗ und Kaliſalzen, Phosphaten 2c. fehlen. Vieljährige Erfahrung lehrt, daß auch der beſte Ackerboden an Nährſtoffen, beſonders an ſolchen, die in geringſter Menge vorkommen (Stickſtoffnahrung, Phosphorſäure und Kali) erſchöpft und unfruchtbar wird, wenn man bloß erntet ohne zu düngen. Ganz dasſelbe muß beim Walde eintreten, wenn demſelben alle ſeine Produkte (Holz und Blätter) entzogen werden. Der ganze Unterſchied beſteht nur darin, daß der Wald wegen ſeiner geringeren Anſprüche an obige Nährmittel den Boden langſamer erſchöpft, als die Ackergewächſe. Daß aber in der That die Wald⸗ pflanzen in gleicher Weiſe wie die Feldfrüchte eine Erſchöpfung desſelben veranlaſſen können, beweiſt die bekannte Erfahrung, daß Saat⸗ und Pflanzbeete ihre Ertragsfähigkeit verlieren, ſobald ſie mehrere Jahre benützt werden, ohne Dünger zu erhalten. Es iſt oben nachgewieſen worden, daß ſich in den Blättern der Bäume weit mehr Boden⸗Nährſtoffe anſammeln als im Holze; infolgedeſſen ſind zur Blatterzeugung auch viel mehr Nährſtoffe notwendig als zur jähr⸗ lichen Holzproduktion. Die Blätter ſind daher jene Humboldt. — Juni 1882. 205 Teile des Waldes, welche an der Erſchöpfung des werden können. Dadurch vermindert ſich mit der Bodens am meiſten beteiligt find; durch ihren jähr- Zeit die Zahl und die Größe der Blätter, womit lichen Abfall geben fie dem Boden wieder den größ- nach bekannten allgemeinen phyſiologiſchen Geſetzen ten Teil der Nährſtoffe zurück, welche die Bäume eine Abnahme der Holzproduktion verbunden ſein muß. den tieferen Bodenſchichten entzogen und zur Blatt- Die Streunutzung iſt daher nichts andres, bildung verwendet haben. Die Bodendecke des als ein Eingriff in die Geſetze der Natur, Waldes hat daher die Beſtimmung, den natür- deſſen ſchädliche Folgen ſich um ſo früher geltend machen, lichen Dünger des Bodens zu bilden. Findet je ſtärker ſie betrieben wird. Findet keine Streu— keine Streunutzung ſtatt, fo empfängt der Boden, ab- nutzung ſtatt, fo hat der Wald ſeine volle Düngung; geſehen von jenen Stoffen, die vor dem Blattabfall in je häufiger die Bodendecke entzogen wird, deſto mehr die Zweige und Stämme zurückkehren, durch die Laub- Dünger verliert er; geſchieht dies alle Jahre, ſo be— oder Nadeldecke wieder die Nährſtoffe, welche zur findet er ſich in derſelben Lage, wie ein Ackerfeld, jährlichen Blattbildung notwendig ſind und verliert das nicht gedüngt wird. Man mag noch ſo viel durch die Holznutzung nur die wenigen Nährſalze, über die Unſchädlichkeit des Streurechens ſagen, dieſe welche im Holze abgelagert find. Dieſer geringe Ver- allgemeinen Geſetze können nicht umgeſtoßen werden. luſt kann aber durch die fortſchreitende Verwitterung Durch wohlbemeſſene Streuabgabe können nur die der Geſteinsteilchen im Boden wieder erſetzt werden. nachteiligen Folgen auf ein geringes Maß reduziert Daraus ergeben ſich die Nachtheile der Streunutzung werden ). sate felbft. Gs tritt nicht . e ) Wer ſich über die verſchiedenen, in dieſem Artikel der phyſikaliſchen Beſchaffenheit des Bodens ein, kurz angedeuteten Fragen näher unterrichten will, findet infolgedeſſen er trockener und feſter wird, ſondern gründlichen Aufſchluß in meinem neueſten Werke „Phyſio— es werden ihm auch jene Nährſtoffe entzogen, logiſche Chemie der Pflanzen“ 1882, und in meiner „Ge— welche wieder zur Blattbildung hätten verwendet | famten Lehre der Waldſtreu ꝛc.“, 1876. Ueber geſundheitsgefährliche Anwendung giftiger Farben. Profeſſor E. Reichert in Freiburg i. B. on Zeit zu Zeit pflegen öffentliche Blätter unter | Phantaſie ihrer Erfinder, und ſollte auch einmal der Rubrik „Kleinere Mitteilungen“ die Nach-, wirklich da oder dort der Verſuch zu einer ſolchen richt zu bringen, daß an irgend einem Orte der Welt, gemacht werden, ſo iſt ſofort der Arm der ſtrafenden gewöhnlich in dem Wunderlande Amerika, eine neue Gerechtigkeit bereit, dem Fälſcher das Handwerk zu und zugleich raffinierte Fälſchung eines Nahrungs- legen. In der That! das „Nahrungsmittelgeſetz“ mittels in Aufnahme gekommen fet und ſchon in vom Jahre 1879 einerſeits und die exakten Methoden großem Maßſtabe betrieben werde. Dieſe Nachrichten, der analytiſchen Chemie anderſeits haben nicht nur die um ſo eifriger verbreitet werden, je mehr Auf- dieſe Fälſchungen unmöglich gemacht, ſondern treffen ſehen zu erregen ſie geeignet ſind, und die um ſo auch mit Sicherheit die feinen Fälſcher, darunter gläubigere Aufnahme finden, je ungeheuerlicher fie namentlich die Weinſchmierer, welche die Wiſſenſchaft klingen, verdienen ſelten aufmerkſamer beachtet zu mißbrauchend, ihre Fabrikate den echten jo täuſchend werden; meiſtenteils find fie erfunden, entweder um nachmachen, daß nur der Unterſuchungsrichter und dem überreizten Geſchmacke der Leſer etwas Pikantes der Chemiker zuſammen im ſtande ſind, die Täuſchung vorzuſetzen, oder, was noch ſchlimmer iſt, um die zu ermitteln und nachzuweiſen. Ware eines Konkurrenten zu verdächtigen und unver— Während demnach die Beaufſichtigung und Säube— käuflich zu machen. Was hat man in dieſer Beziehung rung des Lebensmittelmarktes kaum etwas zu wün— nicht ſchon alles gehört? Bald verfälſcht der Müller ſchen übrig laſſen, ſcheint es, als ob einem andern oder Bäcker das Mehl mit Schwerſpat oder Gips, Punkte bis in die neueſte Zeit herein nicht die ge— bald verſetzt der Bierbrauer, um Hopfen und Malz nügende Beachtung zugewendet worden fet: es iſt zu ſparen, die Würze mit einem berauſchend wirkenden, dies die Verwendung giftiger Farben. Man giftigen Bitterſtoff, hier läßt der betrügeriſche Kauf- darf es geradezu als unbegreiflich bezeichnen, wie mann Kaffeebohnen aus Mehlteig herſtellen und in leichtfertig und gewiſſenlos mancher Fabrikant mit Chicago ſoll ſogar Kafe aus Lederabfällen bereitet giftigen Farben bemalte Waren in den Handel bringt, werden. wie unwiſſend und ſorglos der Käufer dieſelben vom Derlei grobe Fälſchungen exiſtieren nur in der Markte nimmt und beide fo die Geſundheit, wenn 206 Humboldt. — Juni 1882. nicht das Leben, vorzugsweiſe der noch im zarteſten Alter ſtehenden Jugend gefährden. Es hat den An⸗ ſchein, als ob vielfach die Meinung verbreitet wäre, daß die Giftigkeit einer Farbe durch ihre Schönheit aufgehoben wird, ein Irrtum, der um ſo ſchlimmer wäre, als die giftigen Farben eben wegen ihrer Schön⸗ heit Verwendung finden, und gerade die in kleinen Doſen erfolgende jedoch ſich öfter wiederholende Cin- führung metalliſcher Gifte in dem Organismus lang⸗ wierige Krankheiten erzeugt, deren Urſache ſchwer zu erkennen und deren Folgen noch ſchwerer zu beſei— tigen ſind. Verfaſſer hat in den Jahren 1879, 1880, 1881 im amtlichen Auftrage eine Menge bemalter Waren auf die Giftigkeit ihrer Farben unterſucht und Reſultate erhalten, welche das eben ausgeſprochene, anſcheinend harte Urteil begründen. Von giftigen Farben wurden beſonders häufig gefunden: Bleiweiß, Zinkweiß, Men⸗ nige, Chromgelb, Schweinfurter Grün, Grünſpan und grüner Zinnober, letzterer eine Miſchung des giftigen Chromgelb mit unſchädlichem Berlinerblau. Da wegen der Dünne des Anſtrichs in der Regel nur geringe Quantitäten der einzelnen Farben zur Unterſuchung verwendbar ſind, ſo wurde zum Nachweis von Blei, Chrom und Kupfer ſo verfahren, daß eine von dem Gegenſtand abgelöſte Probe der Farbe mit Borax am Platindraht zuſammengeſchmolzen wurde; dadurch wurde einesteils die organiſche Subſtanz (Holz, Papier, Kautſchuk) zerſtört und andernteils geſtattete häufig ſchon allein die Färbung der Boraxperle einen Schluß auf die Natur der Farbe. Die Probe wurde dann vom Drahte entfernt, in etwas Waſſer, das durch Salzſäure ſchwach angeſäuert war, in einer Probier⸗ röhre durch Kochen gelöſt und die Löſung mit Schwefel— waſſerſtoffwaſſer oder andern Reagenzien auf bekannte Weiſe behandelt. So war es möglich, eine große Anzahl von Unterſuchungen in verhältnismäßig kurzer Zeit zu bewältigen. Aus dieſen Unterſuchungen ergab ſich, daß es am ſchlimmſten mit der Verwendung giftiger Farben bei Herſtellung von Kinderſpielwaren beſtellt ijt. In vielen Fällen ſind zwar die Farben mittelſt eines Firniſſes, häufig aber auch nur mit Leim fixiert, ſo daß ſie ſich beim Anfeuchten mit Waſſer oder auch ſchon trocken mit den Fingern abreiben laſſen. Als weiße Farbe iſt meiſtenteils Bleiweiß, häufig auch Zinkweiß und zerriebene Schlämmkreide angewendet, als ziegelrote Farbe ausnahmslos Mennige, als gelbe Chromgelb manchmal auch Curcuma (nicht giftig), als grüne Farbe gewöhnlich der relativ am wenigſten giftige grüne Zinnober, zuweilen aber auch Grün⸗ ſpan z. B. an den bekannten Tannenbäumchen und in vereinzelten Fällen ſogar die giftigſte aller Farben, das Schweinfurter Grün. a Ebenſo ſchlimm war das Ergebnis der Unter⸗ ſuchung der Farben auf bemalten Holzſchächtelchen der gewöhnlichſten Sorte, welche zur Aufbewahrung ebenſo geringer Zuckerwaren dienten und offenbar die Naſchſucht vorzugweiſe der Kinder vom Lande zu reizen beſtimmt waren. Die Deckel dieſer Schäch⸗ telchen waren bemalt mit Bleiweiß, Mennige, Chrom⸗ gelb und Schweinfurter Grün, die ſchon mit trockenen Fingern abgerieben werden konnten. Erfreulicher geſtaltete ſich das Ergebnis hinſichtlich der bemalten Kautſchukwaren, deren Farben ohne Ausnahme ſo feſt haften, daß ſie ſelbſt bei Anwendung des Fingernagels nicht abgelöſt werden können, und aus Zinkweiß, Chromgelb, rotem und grünem Zin⸗ nober und Ultramarin beſtehen, von denen zwar die beiden erſten als giftig zu bezeichnen ſind, jedoch ver⸗ möge ihrer vorzüglichen Fixierung wohl keine geſund⸗ heitsſchädlichen Wirkungen hervorbringen können. Da⸗ gegen wurde in dem Staube, womit unbemalte Kautſchukwaren von graulichweißer Farbe ſich im Laufe der Zeit bedecken, eine nicht unbeträchtliche Menge Zinkoxyd nachgewieſen. Die braunroten Kaut⸗ ſchukwaren verdanken ihre Farbe einem Antimon⸗ präparat. Von den zur Unterſuchung gelangten Bunt⸗ papieren, die zur Umhüllung von Zichorienkaffee⸗ paketen beſtimmt waren, erwieſen ſich einige Sorten als mit Chromgelb und eine Sorte ſogar als mit Schweinfurter Grün gefärbt; die übrigen wurden giftfrei befunden. Im Anſchluß hieran ſei bemerkt, daß Lampenſchirme aus Pappe, welche einen mit Schweinfurter Grün gefärbten Papierüberzug haben, immer noch einen ſehr gangbaren Artikel bilden. Eine rühmliche Ausnahme der Verwendung gif⸗ tiger Farben ließ ſich bei der Unterſuchung von Tapeten und Konditoreiwaren konſtatieren. Unter den vielen unterſuchten Tapetenſorten fand ſich keine einzige mit arſenhaltigen Farben und ebenſo erwieſen ſich ſämtliche Konditoreiwaren giftfrei. Vor einiger Zeit ging dem Bundesrat des Deut⸗ ſchen Reiches der Entwurf einer zu erlaſſenden Ver⸗ ordnung zu, betreffend die Verwendung giftiger Farben zur Herſtellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenſtänden. Nach dieſem Entwurf dürfen giftige Farben zur Herſtellung von zum Ver⸗ kaufe beſtimmten Nahrungs- und Genußmitteln nicht verwendet werden; als giftig ſind bezeichnet ſämtliche Präparate, welche Antimon, Arſen, Baryum, Blei, Chrom, Kadmium, Kupfer, Queckſilber, Zink, Zinn, Gummigutti und Pikrinſäure enthalten; ausgenommen ſind Schwerſpat, Chromoxyd und Zinnober. Ferner iſt es verboten Nahrungs- und Genußmittel in Um⸗ hüllungen zu verpacken, deren Farben gifthaltig ſind, oder in Gefäßen aufzubewahren, welche unter Ver— wendung giftiger Farben derart hergeſtellt ſind, daß die letzteren in den Inhalt des Gefäßes übergehen können. Zur Herſtellung von Spielwaren dürfen giftige Farben nicht verwendet werden mit Ausnahme von Zinkweiß und Chromgelb in Firnis oder Oel⸗ farbe; desgleichen iſt auch die Verwendung arſen⸗ haltiger Farben zur Herſtellung von Tapeten oder Bekleidungsgegenſtänden unterſagt. Nach den oben mitgeteilten Ergebniſſen der Unter⸗ ſuchung über geſundheitsgefährliche Verwendung gif⸗ tiger Farben wird man die Annahme des fraglichen Entwurfs nur mit Freude begrüßen können. Humboldt. — Juni 1882. 207 Der Ring von Pacinotti und die Grammeſche Maſchine. Don Oberlehrer Dr. Georg Krebs in Frankfurt a. M. . weſentlicher Fortſchritt in der Erzeugung ſtarker galvaniſcher Ströme durch mechaniſche Arbeit, be— züglich Bewegung, iſt von Dr. Antonio Pacinotti in Florenz (1860) angebahnt worden. Statt einer Anzahl Drahtrollen, in welchen Eiſenkerne ſich befinden wo Jamin in der Akademie der Wiſſenſchaften zu Paris die Grammeſche Maſchine zuerſt in die Oeffent— lichkeit brachte. Befindet ſich zwiſchen den Polen N und 8 eines Magnetes (Fig. 1) ein eiſerner Ring, fo wird an der Stelle des Rings, welche dem Nord— en IM pol N gegenüberſteht, ein Südpol s, und an der Stelle, welche dem Süd— pol S gegenüberſteht, ein Nordpol n erregt. Dreht man den Ring (in der Richtung des äußeren, ge— fiederten Pfeiles) um, fo ändert ſich an der Sache nichts Weſentliches, es tritt der Nordpol n und der Südpol s im Ring nur immer an andern und | Fig. 1. und die vor den Polen ftarfer Magnete rotieren, wandte er zuerſt einen zuſammenhängenden eiſernen, mit Kupferdraht umwickelten Ring an. Hierdurch gelang es ihm, ſtatt raſch aufeinanderfolgender Strom— impulſe, wie fie die älteren magnet⸗elektriſchen Maſchinen lieferten, einen konſtanten Strom zu er⸗ ielen. : Indeſſen iſt die Maſchine, welche Pacinotti fon- ſtruierte, nie in größerem Maßſtabe zur Anwendung gekommen; in dieſer Beziehung lief ihm ein Belgier Zénobe Théophile Gramme, der durch hervor— ragendes Talent vom Modellſchreiner in der Werk— ſtätte der Compagnie l' Alliance für elektriſche Ma— ſchinen ſich zu einem der geachtetſten Elektrotechniker emporſchwang, den Rang ab. Auch er wendet bei ſeiner Maſchine einen zuſammenhängenden, mit Kupfer— draht umwickelten eiſernen Ring, den er offenbar ſelb— ſtändig erfunden, an. Es war am 17. Juli 1871, Humboldt 1882. IIe. J = andern Stellen desſelben auf, und zwar ſtets an den- jenigen, welche den Polen des äußeren Magnetes ge— genüberſtehen. Es ijt des— wegen auch gleichgültig, ob der eiſerne Ring, wenn er mit Draht umwickelt iſt, ſich mit ſeiner Draht— bewickelung umdreht, oder ob bloß letztere um den Kern rotiert, dieſer ſelbſt aber ſtehen bleibt. Wir nehmen zur Vereinfachung der Erklärung an, der Ring ſtehe feſt und nur die Bewickelung drehe ſich. Wenn die Drahtbewickelung rotierend über den eiſernen Kern ſich hinſchiebt, ſo werden in derſelben elektriſche Ströme erregt und zwar an den Stellen am kräftigſten, welche ſich gerade an den Polen n und s befinden. Da der Nordmagnetismus von a bis n zu- und von n bis b wieder abnimmt, ſo ſind auch die Ströme in den einzelnen Teilen der oberen Drahthälfte verſchieden ſtark, bei n am ſtärkſten und bei a und b Null. Da jedoch die ganze Bewickelung in leitendem Zuſammen— hang iſt, ſo verteilt ſich die Elektrizität derart, daß durchweg ein Strom von mittlerer Stärke und zwar in der oberen Hälfte der Drahtwickelung in der Richtung des inneren Pfeiles (bei n) läuft. In der unteren Windungshälfte, welche ſich über den Südpol es des eiſernen Kernes fortbewegt, wird begreiflicherweiſe 27 208 Humboldt. — Juni 1882. * ein Strom von entgegengeſetzter Richtung induziert. Würde die Elektrizität nicht von beiden Ringhälften abgeführt, ſo müßten die beiden Ströme in der Be⸗ wickelung zuſammenlaufen und einander aufheben; die Bewickelung würde im ganzen unelektriſch ſein. Nun find aber an den Punkten a und b in alsbald näher zu erörternder Weiſe Leitungsdrähte angebracht, welche den Strom etwa nach einer elektriſchen Lampe L führen. Der Strom geht von a über n nach b, in den Draht m, über die Lampe L nach m', weiter nach a und von hier durch die untere Bewickelungs⸗ hälfte über s nach b. Statt zu ſagen, in der unteren Bewickelungshälfte läuft ein poſitiver Strom von a über s nach b, kann man auch ſagen, es läuft ein negativer Strom von b über s nach a: Von b geht ein poſitiver und von a ein negativer Strom in den äußern Kreis nach der Lampe, wo beide Elektrizitäten ſich vereinigen. Weil bei b ſtändig der poſitive Strom der obern Be⸗ wickelungshälfte und bei a der negative Strom der untern Bewickelungshälfte in die äußre Leitung tritt, fo verhält fic) b wie der poſitive und a wie der negative Pol einer galvaniſchen Batterie. Dieſer populären Erklärungsweiſe wollen wir noch die ſtrengere zufügen. In Fig. 2 bedeuten N und 8 die Pole des induzierenden Magnetes, n, p, s, py der eiſerne Ring, ſowie D und D“ zwei Stücke der Draht⸗ bewickelung. Denkt man ſich den eiſernen Ring bei n und s durchſchnitten, ſo erhält man zwei halbkreisförmige WIA Fig. 2. Waun Magnete, welche einerſeits (bei n) mit ihren Nordpolen und anderſeits (bei s) mit ihren Südpolen aneinander liegen; bei p und pf find die Indifferenzpunkte der zwei Magnete. Sieht man gegen den Nordpol des halbkreis⸗ förmigen Magnetes linker Hand, ſo wird er hier von Strömen umkreiſt, welche der Bewegung des Uhrzeigers entgegengeſetzt ſind. Sieht man aber gegen den Südpol s, ſo laufen die Ströme um den Magnet wie die Uhrzeiger. Verfolgt man indeſſen, etwa vom Südpol s ausgehend, die an den Pfeilen erkennbare Richtung der Ströme, ſo gehen fie (von s über py nach m weiterſchreitend) immer in derſelben Richtung um das Eiſen. Auf dem halbkreisförmigen Magnete rechter Hand laufen die Ströme in entgegengeſetzter Richtung, wie auf dem linker Hand. Wir beachten zunächſt bloß den halbkreisförmigen Mag⸗ net linker Hand (s py n) und denken uns eine Drahtrolle D gerade vor dem Südpol s. Bewegt ſich nun D in der Richtung des Pfeiles k, ſo nähert ſie ſich zuerſt allen auf spin kreiſenden Strömen, weshalb dieſe in der Rolle D einen ihnen entgegengeſetzten Strom induzieren. Bei wei⸗ terer Bewegung nimmt die Zahl der Ströme vor der Rolle, denen ſie ſich nähert, ſtändig ab, während eine immer mehr wachſende Zahl von Strömen hinter ſie zu liegen kommt. Die erſteren bewirken in der Rolle einen ihnen entgegengeſetzten, die letzteren einen ihnen gleich ge⸗ richteten Strom. So lange die Rolle noch nicht nach pe gekommen, überwiegt die Wirkung der erſteren Ströme, doch aber nimmt der Strom in der Rolle immer mehr ab, um bei pf gleich Null zu werden. Geht die Rolle über p, hinaus, ſo iſt die Zahl der hinter ihr liegenden Ströme, von denen ſie ſich entfernt, größer als die Zahl der vor ihr liegenden, denen ſie ſich nähert; es wird alſo jetzt ein Strom mit ſtändig wachſender Stärke induziert, welcher den um den halbkreisförmigen Ring kreiſenden gleichgerichtet iſt (ſiehe D“). Nehmen wir nun noch die Wirkung des rechtſeitigen Magnetes hinzu. Wenn die Drahtrolle D“ in der Richtung 4“ nach n ſchreitet, fo nähert fie ſich zu⸗ gleich den Strömen, welche bei n auf dem halbkreisförmigen Magnete rechter Hand kreiſen; dieſe induzieren einen Strom, welcher ihrer eigenen Richtung entgegengeſetzt, alſo derjenigen des bereits in D“ durch den Einfluß des linksſeitigen Magnetes erzeugten Stromes gleichgerichtet iſt. Die Wirkungen beider halbkreisförmigen Magnete verſtärken alſo einander. Geht D‘ über n hinaus, fo bleibt die Wirkung des linksſeitigen Magnetes dieſelbe, nimmt aber wegen der größeren Ent⸗ fernung raſch ab; ebenſo nimmt auch die Wirkung des rechtsſeitigen Magnetes, obwohl er immer noch, ehe die Rolle bei p angekommen, einen Strom in derſelben Rich⸗ tung induziert, immer mehr ab; die Zahl der Ströme vor der Rolle, denen ſie ſich nähert, wird geringer und die⸗ jenige hinter ihr, von denen ſie ſich entfernt, wird größer; beide aber wirken einander entgegen. Bei p iſt die Wir⸗ kung beider Magnete auf die Rolle Null u. ſ. w. Geht die Rolle über p, ſo wechſelt der Strom ſeine Richtung, wächſt bis s, wo er ſeine größte Stärke erlangt und wird bei pl Null. Uebrigens üben auch die Pole des äußeren Mag⸗ netes eine Wirkung auf die Bewickelung des Ringes aus; ſie iſt indeſſen fo gering, daß fie vernachläſſigt werden kann. Im weſentlichen übt nämlich nur die untere Seite von 8 (Fig. 1) einen Einfluß auf den oberen Teil der Bewickelung bei n und ebenſo nur die obere Seite von N auf den unteren Teil der Bewickelung bei s. Wenn etwa die Bewickelungsteile links von n ſich dem Pole 8 nähern, ſo entfernen ſich gleichzeitig ebenſoviel Bewickelungsteile rechts von n von dem Pole S; die in den beiden Teilen induzierten Ströme ſind gleich, aber entgegengeſetzt und heben einander auf. Dies iſt auch dann noch annähernd der Fall, wenn, wie dies bei manchen Maſchinen vorkommt, die Schenkel des Magnetes fo ge- bogen ſind, daß die Endflächen der Pole der Bewickelung direkt gegenüberſtehen. Dreht ſich der Ring mit der Bewickelung raſch um, fo verlängern ſich die Pole n und s in der Richtung der Drehung, weil das Eiſen nicht ſo ſchnell ſeinen Magnetismus Humboldt. — Juni 1882. 209 verliert; es entwickeln ſich größere magnetiſche Felder; gleichzeitig verſchieben ſich auch die Indifferenzpunkte. p kommt etwas tiefer und pi etwas höher zu liegen. N Fig. 3. Wir haben nun noch darzulegen, wie die Elek— trizität an den Indifferenzpunkten a und b (Fig. 1) in den äußern Kreis, bezüglich nach der Lampe L geführt wird. Die Drahtbewickelung beſteht aus einer Anzahl, und zwar in unſrer Figur 3 aus 16 Rollen, welche mit einem eigentümlichen, auf der Drehachſe X ſitzenden Apparat KK, dem ſogen. Kommutator oder beſſer Kollektor in Verbindung ſtehen; den Namen Fig. 4. „Stromwechsler“ führt er mit Unrecht, denn er ift nicht dazu beſtimmt, die Richtung des Stromes zu ändern, ſondern nur denſelben aufzunehmen und die Ableitung zu ermöglichen. Er iſt ein Cylinder, deſſen Oberfläche aus 16 Kupferſtreifen beſteht, welche durch eine nidt- leitende Subſtanz voneinander getrennt ſind (vergl. auch Fig. 4). Die Drahtenden jeder Rolle führen auf zwei benachbarte Streifen des Kollektors, ſo daß durch dieſen auch alle Rollen untereinander leitend verbunden ſind. Zwei „Bürſten“ oder „Beſen“ von Kupferdraht ſchleifen an den Punkten A und B (Fig. 3) in der Nähe der In— differengpunfte J und J’ an dem Kollektor; von ihnen geht dann die äußere Leitung ab. Fig. 5 zeigt die vollſtändige Gram- meſche Maſchine. Die Pole eines ſtarken Magnetes umfaſſen den Ring an zwei gegenüberliegenden Stellen, rechts und links, während die Beſen oben und unten an dem Kollektor ſchleifen. Der Magnet iſt ein „Blätter⸗ magnet“ von Jamin. Bekanntlich laſſen ſich dünne Eiſenblätter leichter auf den höchſten Grad des Magnetismus brin⸗ gen, als dicke Stäbe; es iſt deshalb vorteilhaft, um einen kräftigen Magnet zu erhalten, eine Anzahl ſtark magneti- ſierter dünner Eiſenblätter mit den gleichnamigen Polen aufeinander zu legen und durch Klammern zu ver⸗ binden. Damit man die Bewickelung am Ring beſſer erkennen kann, iſt dieſelbe abwechſelnd hell und dunkel ſchraffiert. Unſere Maſchine iſt für Handbetrieb, II Fig. 5. Damit der Ring raſcher den Magnetismus annimmt und verliert, macht man ihn aus einem Drahtbündel, ſtatt aus einem ſoliden Eiſenſtück. zum Drehen mittelſt Kurbel und Rad, eingerichtet. Bei größern Maſchinen werden Dampf- oder Gaskraftmaſchinen zum Umtreiben des Ringes benutzt. Daß hier wirklich mechaniſche Arbeit in Elektrizität verwandelt wird, davon kann man ſich leicht auf das Schlagendſte überzeugen. Wenn man den äußeren Schließungskreis unter⸗ bricht, ſo kann man mit der größten Leichtigkeit 210 Humboldt. — Juni 1882. den Ring umdrehen; es kann fic) eben kein Strom | in Fig. 3), fo hält es ſehr ſchwer, den Ring umzu⸗ ausbilden; ſchließt man aber den äußeren Kreis (verbindet man die Beſen durch einen Draht, wie drehen; je raſcher man dreht, um ſo mehr muß man ſich anſtrengen, um ſo ſtärker tft aber auch der Strom. Die abweichende Geſtaltung der Gärten unter verſchiedenen Himmelsſtrichen. Don Hofgarten-Inſpektor Jäger in Eiſenach. We auch gebildete Menſchen ſich wohnlich ein⸗ richten, da legen ſie an ihren Wohnungen zur Erhöhung des Lebensgenuſſes Gärten an. Dieſer Lebensgenuß iſt zunächſt Naturgenuß in be⸗ ſchränkter Form. Man will nicht nur eine ſchöne Umgebung des Hauſes ſehen, ſondern auch darin ver⸗ weilen, ſei es ruhend oder ſich bewegend. Dieſes Bedürfnis der Ruhe oder der Bewegung hat von jeher und bei allen Völkern Einfluß auf die Geſtaltung der Gärten ausgeübt, iſt in den meiſten Ländern ſogar beſtimmend geweſen. Daß auch andre Triebkräfte mit auf die Gärten eingewirkt haben, als politiſche Lage, Größe des Grundbeſitzes in einem Lande, Beſchäftigung und Gewohnheiten der Bewohner U. a. m. ſoll nicht beſtritten werden; aber der Haupt⸗ grund für die Verſchiedenheit der Gärten iſt das Klima. Wir wollen dieſes näher begründen. In Gegenden, wo den größten Teil des Jahres hohe Wärme vorherrſcht, zeitweiſe in große Hitze ausartet, hat der Menſch zwar das Bedürfnis der Abkühlung in freier Luft, aber nur mit geringer Be⸗ wegung. Man wird dort ſtets den Gärten nur eine kleine Ausdehnung geben, ſelbſt wo der Grundbeſitz groß, die Natur umher ſchön iſt. In den meiſten Gegenden heißer Länder geſtattet aber das Klima keine großen Gärten, weil eine ſchöne Vegetation nur mit Hilfe reichlicher Bewäſſerung möglich iſt, das verfügbare Waſſer aber notwendiger zur Kultur der Nutzpflanzungen und für die Haustiere gebraucht wird. In den meiſten Gegenden beſchränkt ſich der eingeborne Bewohner, auch von europäiſcher Abkunft, auf einen Gartenhof. So waren der Beſchreibung nach die Gärten Griechenlands, Perſiens, Syriens, Aegyptens u. a. m., fo find noch heute die Gärten des Orients, ſelbſt im ſüdlichſten Europa, wo Araber orientaliſche Sitte verbreitet haben. Der ſagenhafte, aber nach neuen Unterſuchungen doch vorhanden ge- weſene Garten der Semiramis, welcher unter der Benennung „die ſchwebenden“ oder „hängenden Gär⸗ ten von Babylon“ im ganzen Altertume bekannt war und noch jetzt häufig erwähnt wird, war nur ein künſtlich aufgeführter Terraſſenberg, mit Alleen, Grot⸗ ten und kaſemattenartigen Wohnräumen und Waſſer⸗ künſten. Die ſogenannten Paradieſe der Perſer, welche die älteren griechiſchen Schriftſteller erwähnen und beſchreiben, ſind mit Unrecht für Gärten angeſprochen worden. Es waren wohl nur waldige Gegenden im Gebirge, wo die Jagd geübt wurde und fruchtbare bewäſſerte Niederungen mit Obſtbäumen, welche noch jetzt in Perſien und darangrenzenden Ländern Para⸗ dieſe genannt werden. Unter den Mittelmeervölkern weichen nur die Römer der ſpäteren Kaiſerzeit von den Gewohnheiten der Orientalen ab, indem ſie auf dem Lande auch größere Gärten anlegten, auch Tiergärten damit ver⸗ einigten. Den Römern, welche die damalige Welt beherrſchten, war bei allem raffiniertem Luxus die orientaliſche Ruhe kein Bedürfnis, auch lagen ihre Villen zum großen Teil in Gegenden und Lagen mit einem gemäßigten, ſelten heißen Klima. Nehmen wir das Vorſtehende als richtig an — und es iſt ja feſt begründet — ſo geht daraus her⸗ vor, daß die Gärten jener Gegenden und aller heißen Länder eine regelmäßige Einrichtung haben müſſen, weil auf einem kleinen Raume ein unregelmäßiger Garten — wir wollen das Wort Park hier vermeiden — ein Unding wäre. Wenn hier und da ein Haus, ein Tempel oder eine öffentliche Quelle von alten ſchönen Bäumen, alſo unregelmäßig ſtehenden Reſten eines Waldes umgeben war und als Garten benutzt wurde, ſo ſind ſolche Ausnahmen von keiner Be⸗ deutung. In allen heißen Ländern finden wir auch bei den Europäern im allgemeinen nur kleine regel⸗ mäßige Gärten. Kühle baumſchattige Plätze, fließen⸗ des, womöglich bewegtes Waſſer, Badeeinrichtungen, dazu Fruchtbäume und einige Lieblingsblumen: dieſes ſind ungefähr die Hauptbeſtandteile des kleineren Gartens in heißen Landſtrichen. Allerdings haben die Nationen auch verſucht, die Sitten und Gewohnheiten ihres Landes in den Ko⸗ lonieen in den Gärten zur Geltung zu bringen, aber wenn ſie nicht ſchon von ſelbſt ähnlich waren, mit wenig Geſchick und Glück. In Indien gibt es einige große öffentliche Gärten, welche einigermaßen an einen engliſchen Park erinnern; aber ſie dienen mehr zum Fahren als zum Gehen und ſind mehr zur Ver⸗ Humboldt. — Juni 1882. 211 ſchönerung und Luftverbeſſerung wegen angelegt wor— den. Ueberall, wo Spanier und Italiener hingekommen find, haben fie ihre kleinen Korſos und öffentlichen Prome— naden ſelbſt in kleinen Städten angelegt, oft nur einen Marktplatz mit Baumreihen beſetzt, wo abends alle Welt plaudernd ſich aufhält, zuweilen als ausgedehnte Alleen zum Fahren, z. B. in der Havanna. Die Holländer haben ihre kleinen Gärten in die Kolonieen übergetragen und faſt nichts daran, als die Pflanzen verändert und die in keinem warmen Lande fehlende Veranda angenommen. Mit dem Beginne der neuen Zeit im 16. Jahr- hundert entwickelte ſich zunächſt in Italien im Gefolge der Baukunſt der Renaiſſanceſtil, welcher bei den Gärten noch mehr als bei den Gebäuden eine wirk— liche Renaiſſance, ein Wiederaufleben der alten römi— ſchen Villengärten war. Der Unterſchied beſtand nur in der freieren Behandlung der alten Römergärten, denen nirgends Zwang angelegt, wo wie in den Gebäuden nur Zweckmäßigkeit bei der Einteilung berückſichtigt wurde, ſelbſtverſtändlich ſtets durch die Geſetze der Schönheit geleitet. Die Gärten der Renaiſſance-Villa waren ſtreng regelmäßig, dabei anſehnlich groß, oft mit dem anſtoßenden Walde ver— bunden. Es hatten ja nur die Großen ſolche Gärten, der Bürgerſtand nur Frucht- und Obſtgärten. An⸗ fangs ziemlich einfach, nur reich an Waſſerkünſten, wurden ſie im 17. Jahrhundert verſchnörkelt, bis ſie endlich am Hofe Ludwigs XIV. den ſogenannten franzöſiſchen Stil darſtellten. Da dieſer Stil in einem Lande mit angenehmem Sommerklima entſtand und man auf Wald und das Vergnügen der Jagd nicht verzichten wollte, ſo ſind dieſe Gärten groß angelegt, ſchloſſen Waldpartieen, größere Waſſer- und Raſenflächen ein. Sie erfüllten alſo die im Anfange aufgeſtellte Vorausſetzung, daß große Gärten nur in einem gemäßigten Klima möglich ſind. Bei dieſen Gärten dürfen wir natürlich nicht an die kleinlichen Nachahmungen der kleinen Adels- und der Geld— ariſtokratie denken, welche ſelbſt im kalten Norden klein und kleinlich ausfielen, weil es zu Großem, wie es der Stil verlangte, an Mitteln fehlte. Der jetzt herrſchende Gartenſtil konnte nur in einem Lande mit gemäßigtem Klima und großen Grundbeſitz ſich ausbilden, obſchon der erſte „engliſche Garten“, der des Dichters Pope in Twickenham nicht groß, nur ein Parkgarten war. Was die Chi— neſen und Japaner bei dem ſo ſehr geteilten Grund— beſitz dieſer übervölkerten Länder annähernd zu den— ſelben Gärten geführt hat, kann, wie ſo vieles bei dieſen rätſelhaften Völkern, nicht erklärt werden. Doch muß hervorgehoben werden, daß auch dieſe Länder ein nur mäßig warmes Klima haben und daß der Grundbeſitz der höheren Berufsklaſſen noch Garten— luxus erlaubt. Anfangs wurden nur große Landſchaftsgärten in England angelegt und die vorhandenen Wildparke dazu gezogen oder dieſe allein als Park eingerichtet. Beiläufig bemerkt, mochte auch die Einführung der zahlreichen Baum- und Straucharten aus dem damals ſehr durchforſchten Nordamerika zur Notwendigkeit des neuen landſchaftlichen Gartenſtils beitragen, in— dem es für die vielen ſchönen Holzarten in den be— ſtehenden Gärten nach franzöſiſcher Art keinen Platz gab. Es iſt nicht unſere Aufgabe, die Urſachen für die Notwendigkeit des landſchaftlichen Stils weiter zu verfolgen. Wie geſagt, zunächſt waren die neuen „engliſchen Gärten“ große Parke, dienten der weiten Bewegung, dem Fahren, Reiten, Fiſchen und anderm Sport, Dinge, die nur in einem kühleren Klima möglich oder angenehm ſind. Erſt zu Ende des vorigen Jahrhunderts erklärten die Gartenäſthetiker, daß auch kleinere Gärten parkartig eingerichtet ſein könnten. Es geſchah aber wohl nicht oft, und zunächſt waren es, wenigſtens in Deutſchland, Karrikaturen, die auf einem kleinen Raume alles zuſammenhäuften, was ſonſt in einem Parke vorkam, anſtatt ſich mit der Anlage eines idealiſierten Landſchaftsbildes zu begnügen. Unſre kleinen Parkgärten, welche jetzt die Häuſer der Vorſtädte und Villengegenden ſchmücken, ſind meiſtens erſt im zweiten und dritten Viertel des Jahrhunderts entſtanden. Sind uns die Urſachen, warum unſre heutigen Landſchaftsgärten nur in einem Lande mit gemäßig— tem Klima entſtehen konnten, nur in ſolchen Ländern Berechtigung haben, durch das Vorhergehende be— kannt, ſo wäre doch die Annahme, daß nun alle dieſe Gärten in Ländern mit gemäßigten oder auch kälterem Klima die gleiche Einrichtung haben könnten oder müßten, ſehr irrig. Und weil die Gärten an— legenden Künſtler oft in dieſem Irrtum gebannt waren, ſo ſind allerorts verfehlte Parkanlagen gemacht worden. Es bedarf nur einer kurzen Ausführung, um dies zu beweiſen. In dem verhältnismäßig ſonnenwarmen, regen- und nebelreichen England ver— langt man nach freien, offenen Flächen, und die Nationalliebhaberei und Gewohnheit braucht ausge— dehnte Weideflächen für Haustiere. Daher hatten die erſten engliſchen Parke und haben noch große Wieſen mit kurzem Raſen, darauf zahlreiche ein— zelne Bäume und Baumgruppen, mit verhaltnis- mäßig wenig Strauchwerk, welches nur in den Abteilungen für Wild und Faſanen vorherrſchend iſt. Die Bevorzugung des Raſens in England wird dort auch durch das vorzügliche Gedeihen desſelben ſeine Schönheit befördert. Man kann ſagen, daß der Engländer in den Raſen (ſo zu ſagen) vernarrt iſt, was ihm Niemand zum Vorwurf machen wird. Als man aber dieſe raſenreichen engliſchen Parke auf dem mehr ſonnigen, oft ſommerheißen Kontinente nach— ahmte, verfehlten ſie ihren Zweck. Der Raſen ver— brannte und vertrocknete, wurde nie ſo dicht, wie in England und der Garten gewährte zu wenig Schatten. Das Erkennen dieſer Uebelſtände führte bald zu einer andern Auffaſſung: die Parke wurden mehr waldartig, indem man die Raſenflächen beſchränkte, die vereinzelten Bäume mehr durch Gruppen erſetzte. Und ſo bildeten ſich, um nur von Deutſchland zu reden, jene älteren Muſterparke, wie Wilhelmshöhe bei Kaſſel, Wörlitz u. a. m., wobei wir jedoch nicht 212 Humboldt. — Juni 1882. an die baulichen Ungeheuerlichkeiten von Wöllitz, welche uns jetzt lächerlich erſcheinen, denken dürfen. Weit häufiger waren in Deutſchland waldartige Parke mit keinen andern offenen Flächen, als an⸗ liegenden Wieſen, welche man durch gewundene Wege und allerhand Bauwerk zum Park ſtempelte. Dieſe hießen zwar Park, waren aber nichts als Wald, ohne Spur künſtleriſcher Anordnung. Das rechte Maß im Ver⸗ hältnis vom Baumwuchs, Wieſen und Waſſer (Schatten und Licht des Landſchaftsgartens) traf zuerſt zu Anfang des Jahrhunderts der Pfälzer Hofgärtner L. Sckell, nochmals in München als Ludwig von Sckell, Intendant der königlichen Gärten, in vielen großen Parkanlagen, beſonders dem „Engliſchen Garten“ in München, Nymphenburg bei München, ferner in den Gärten von Aſchaffenburg und mehrere andere in Süddeutſchland. Nicht minder, ja vielleicht noch beſſer, weil Sckell immer noch an engliſchen Ueber⸗ lieferungen haftete, gelangen dem Fürſten Pückler⸗ Muskau in ſeinen berühmten Gärten von Muskau 1820 1870) und Branitz ſchöne Verhältniſſe; ſpäter Lennse in Potsdam, General-⸗Direktor der könig⸗ lichen Gärten in zahlreichen Anlagen, was ſich auf ſeine Schüler, beſonders den verſtorbenen Stadtgarten⸗ Direktor Meyer in Berlin, vererbte. Betrachten wir die heutigen Gärten, ſo können wir nur beſtätigen, daß dieſelben eine für unſer Klima geeignete Einrichtung haben, mithin das ſind, was ſie ſein ſollen. Allerdings ſind viele noch nicht muſtergiltig. In den kleineren Landſchaftsgärten (Parkgärten) pflanzen die Gärtner zu viele fremde Holzarten, von denen manche noch nicht akklimatiſiert ſind, es auch wohl nie werden. Dieſe gelangen nicht zur vollkommenen Ausbildung, und ſo zeigen ſolche Gärten oft ein Bild von Unfertigkeit und Leere. Ein andrer Fehler moderner kleiner Landſchaftsgär⸗ ten iſt die Ueberfüllung mit immergrünen Koniferen, den Nadelholz⸗, Wachholder⸗, Cypreſſen⸗ und Lebens⸗ baumarten u. ſ. w., mit zahlloſen Spielarten, welche faſt ſämmtlich ſpitze oder koniſche Kronen und ein dunkles Grün haben. Die Mode begünſtigt dieſe Pflanzen, und da man ſie auch in bereits beſtehenden Gärten wünſcht, ſo pflanzt man mehr, als für das ſchöne Verhältnis gut iſt. Dadurch häufen ſich in den modernen Gärten die kegel- und pyramiden⸗ förmigen Baumkronen zu ſehr an und das überall auftretende düſtere Grün bekommt ein mißliches Ueber⸗ gewicht. Dieſem übeln Gebrauch gegenüber, muß hervorgehoben werden, daß man jetzt mehr auf ſchönen Raſen hält und denſelben durch Bewäſſerung und den Gebrauch von Mähmaſchinen beſſer pflegt. Ueber die Methoden zur Beſtimmung der mittleren Dichte der Erde und eine neue diesbezügliche Anwendung der Wage. Don Prof. Dr. J. G. Wallentin in Wien. nter den vielen Problemen, welche ſich auf die Phyſik der Erde beziehen, nimmt die Be— ſtimmung der Maße und der Dichte der Erde eine der hervorragendſten Stellen ein. Forſcher des vori⸗ gen und des jetzigen Jahrhunderts haben ſich mit der Beantwortung dieſer wichtigen Frage beſchäftigt und mannigfaltige Methoden des Verſuches hierbei in Anwendung gebracht. Vor nicht langer Zeit hat Profeſſor v. Jolly den älteren Methoden eine angereiht, welche wegen ihrer Eigentümlichkeit, ihrer prinzipiellen Einfachheit, wegen der mittels derſelben erzielten genauen Beobachtungen es wohl verdient, im nachfolgenden eingehender beſprochen zu werden. Es iſt das von dem berühmten Münchener Gelehrten bei ſeinen auf die Beſtimmung der Maße und Dichte der Erde bezüglichen Beobachtungen verwendete Meß⸗ inſtrument eine Wage, allerdings eine ſolche, die mit einem großen Maße von Genauigkeit und Em⸗ pfindlichkeit begabt iſt. Während — wie wir weiter unten hören werden — die früheren Methoden zu⸗ meiſt auf dynamiſchen Prinzipien beruhten, iſt die Methode von Profeſſor v. Jolly eine rein ſtatiſche; man kann — allerdings ſinnbildlich — behaupten, daß es dieſem Forſcher gelungen ſei, mit Hilfe desſelben Inſtruments, das wir bei der Beſtimmung des Ge⸗ wichtes von Körpern anzuwenden gewohnt ſind, der üblichen Schalenwage, auch die Erde abzuwägen! Damit die eben genannte Methode klar vor Augen trete, iſt es notwendig, einerſeits einige einleitende Worte der Darlegung derſelben vorauszuſchicken, anderſeits die älteren Methoden — wenn auch nur in Kürze — zu berückſichtigen. Es iſt mit ſehr großer Wahrſcheinlichkeit erwieſen, daß im Jahre 1666 Newton auf den Gedanken gekommen iſt, es ſei die Schwerkraft, deren Wir⸗ kungen man ſchon lange vorher eingehend ſtudiert hatte, nicht auf die Oberfläche der Erde und die höchſten Berge derſelben beſchränkt, ſondern ſie erſtrecke ſich : Humboldt. — Juni 1882. 213 mit abnehmender Stärke bis zum Monde. In dem berühmten Werke Newtons, „philosophia natu- ralis“, das als das erſte vollkommene Lehrbuch der Mechanik mit vollem Rechte gilt, ſpricht der unſterb— liche Forſcher den Grundſatz der ſogenannten Gra— vitationstheorie, daß zwei Körper ſich direkt wie ihre Maſſen und umgekehrt wie die Quadrate der Ent— fernungen anziehen, mit vollendeter Klarheit aus und es iſt „die konſequente und meiſtens ſtrenge Entwickelung faſt all der Folgerungen, welche ſich aus dieſem einen Geſetze ergeben, welche Newton das unbeſtrittene Anrecht auf die Urheberſchaft der Gra— vitationstheorie verleiht“, wie Profeſſor Poggen— dorff in ſeinen Vorleſungen über Geſchichte der Phyſik ſagt. Es war erwünſcht, dieſes das Weltall beherr— ſchende Grundgeſetz durch den Verſuch nachzuweiſen, alſo zu zeigen, daß iſolierte Maſſen in der That derart aufeinander wirken, wie es Newtons Geſetz ausſagte. — Notwendig ſtellte es ſich heraus, dieſe Erörterungen vorauszuſchicken, da die experimentelle Unterſuchung des Gravitationsgeſetzes mit der Be— antwortung der Frage nach der Maſſe und Dichte der Erde auf das Engſte verknüpft iſt. Wird das Gravitationsgeſetz als richtig voraus— geſetzt, ſo lehrt eine mathematiſche Betrachtung, daß die Wirkung einer Kugel auf einen Punkt ihrer Oberfläche oder auf einen Punkt außerhalb derſelben ſo beſchaffen iſt, als ob die geſamte Maſſe der Kugel in ihrem Zentrum vereinigt wäre. Es ſei hierbei erwähnt, daß wir die Kugel gleichmäßig mit Maſſe erfüllt oder wenigſtens aus gleichförmig dichten Schichten zuſammengeſetzt denken. Die anziehende Wirkung einer ſolchen Kugel auf einen Punkt ihrer Oberfläche iſt demnach ihrem Gewichte direkt, dem Quadrate ihres Halbmeſſers umgekehrt proportional. Betrachten wir nun zwei Kugeln aus demſelben Ma— teriale, denen jedoch verſchiedene Halbmeſſer zukom— men, ſo ſtehen die Anziehungen, welche dieſe Kugeln auf Punkte ihrer Oberflächen äußern, in demſelben Verhältniſſe, in welchem ihre Halbmeſſer ſich befin— den; es hat nämlich beiſpielsweiſe eine Kugel von doppeltem Halbmeſſer nach ſtereometriſchen Grund— ſätzen eine achtmal ſo große Maſſe als eine aus dem— ſelben Materiale verfertigte Kugel, die nur den ein— fachen Radius beſitzt; daher iſt nach dem eben er— wähnten Gravitationsgeſetze von Newton die Wir- kung der erſten Kugel auf einen ihrer Oberflächen— punkte zweimal ſo groß, als die Attraktion der zweiten Kugel auf einen ihrer Oberfläche angehörenden Punkt. Der Durchmeſſer unſerer Erde beträgt nun in runder Zahl 13,000,000 m; eine ebenſo dichte Kugel, die den Durchmeſſer von 1m beſitzt, wird daher auf einem Punkt ihrer Oberfläche eine Wirkung ausüben, welche '/:s000000 derjenigen ijt, mit der die Erde einen ihrer Oberflächenpunkte affiziert, oder es wird, da die Anziehung der Erde auf einen Körper ſich als Ge— wicht des letzteren äußert, die von der kleinen Kugel ausgeübte Kraft dem 13,000, 00 0ſten Teile des Ge— wichtes des angezogenen Körpers gleichkommen. Wür— den wir etwa die Anziehung einer Bleikugel von Um Durchmeſſer meſſen und dieſelbe gleich dem 13,000,000 ſten Teile des Gewichtes des attrahierten Körpers finden, ſo müßten wir ſchließen, daß die mittlere Dichte der Erde gleich jener des Bleies wäre, was in Wirklichkeit nicht der Fall iſt, da die letzt⸗ genannte Anziehung durch das Experiment nahezu doppelt ſo groß gefunden wird, die mittlere Dichte der Erde alſo nahezu halb ſo groß als jene des Bleies iſt. Dies waren die Gedanken, welche die Forſcher, die ſich zuerſt mit der Frage nach der Dichte der Erde eingehend beſchäftigten, bei ihren Unterſuchungen leiteten. Gelingt es alſo, die Anziehung, die eine gegebene Kugel auf einen Punkt ausübt, zu be— ſtimmen, ſo iſt hiermit das Problem der Be— ſtimmung der mittleren Dichte der Erde auch gelöſt. Wir ſprachen im vorhergehenden von „mittlerer Erddichte“. Unter relativer Dichte, oft auch Dichte ſchlechtweg genannt, verſteht man bekanntlich jene Zahl, welche angibt, wie vielmal das Gewicht des in Unterſuchung gezogenen Körpers größer iſt, als das Gewicht eines gleich großen Waſſerkörpers. Halten wir an der heute noch vielfach ausgeſprochenen Mei— nung feſt, die Erde ſei einſtens feurig flüſſig ge— weſen und habe ſich erſt im Laufe von ſehr großen Zeiträumen von ihrer Oberfläche aus abgekühlt, ſo iſt klar, daß die dem Mittelpunkte näheren Erd— ſchichten, unter einem bedeutenderen Drucke ſtehend als die der Erdoberfläche benachbarten, mehr zuſammen—⸗ gepreßt wurden als die letzteren, in demſelben Volu— men daher mehr Maſſe enthielten als dieſe, kurz eine größere Dichte aufweiſen mußten als die oberfläch— lichen Schichten. Wie ſich die Dichte der einzelnen Erdſchichten mit der Entfernung derſelben vom Erd— zentrum ändere, darüber liegen keine direkten Ver— ſuche vor; wohl hat der berühmte franzöſiſche Ana— lytiker Laplace eine Hypotheſe aufgeſtellt, welche mit den Beobachtungen im Einklange iſt. Nach dieſem Forſcher iſt das Geſetz der Zuſammendrückbarkeit der Maſſe, aus welcher die Erde vor ihrer Feſtwerdung beſtand, in folgender Weiſe ausdrückbar: Die Zu— nahme des Quadrates der Dichtigkeit iſt der Zunahme des Druckes proportional. Daß man alſo nicht ſchlechtweg von „Dichte der Erde“ ſprechen kann, ſondern den Begriff der mitt— leren Dichte einführen muß, iſt nach den eben ge— machten Bemerkungen zu verſtehen. Es iſt ſomit mittlere Dichte der Erde jene Dichte, welche eine ideale Erdkugel in allen ihren Teilen beſitzen müßte, damit ſie ſich — was ihr Gewicht und ihre attra— hierenden Wirkungen anlangt — genau ſo verhält wie die wirkliche Erdkugel. Die zuerſt in Anwendung gebrachte Methode, die mittlere Erddichte zu beſtimmen, rührt von Bou— guer her. Ein in einer vollkommen ebenen Gegend frei aufgehängtes Bleilot iſt ſtets gegen den Mittel— punkt der Erde, von dem nach dem Obigen die at- 214 Humboldt. — Juni 1882. : : trahierende Wirkung derſelben ausgeht, gerichtet; be- findet ſich aber auf der einen Seite des Bleilotes eine bedeutende über die Ebene weit hervorragende Maſſe, ſo wird auch dieſe die Kugel des Senkbleies nach dem Gravitationsgefebe anziehen, dasſelbe wird aus der Vertikalen um einen Winkel abgelenkt werden. Dieſe von Bouguer gehegte Idee fand ihre experimentelle Beſtätigung, denn aus Verſuchen, die er an den Abhängen des Chimboraſſo anſtellte, fand er eine Ablenkung des Bleilotes, die ungefähr 78“ betrug. Aus dieſer Ablenkung ergibt ſich weiter, in welchem Verhältniſſe die anziehende Wir⸗ kung des Gebirges und die Geſamtattraktion der Erde ſtehen. Gelingt es, durch direkte Meſſung Dichte und Volumen des Berges — eine allerdings ſehr ſchwierige und mit großen Ungenauigkeiten verbundene Aufgabe — zu beſtimmen, ſo läßt ſich in Verbin⸗ dung mit dem bekannten Volumen der Erde deren mittlere Dichte finden. — Der engliſche Aſtronom Maskelyne nahm 1774 ähnliche Verſuche wie Bou⸗ guer vor und wählte für ſeine Beobachtungen einen Berg, der einerſeits iſoliert daſtand, anderſeits im allgemeinen eine ziemlich einfache Geſtalt beſaß und deſſen Dichte nach der geognoſtiſchen Zuſammen⸗ ſetzung leicht eruiert werden konnte. Als ein ſolcher Berg bot ſich ihm der ſchottiſche Berg Shehallien dar, welcher eine nahezu kegelförmige Geſtalt beſitzt, deſſen attrahierende Wirkung auf das Bleilot er ſo⸗ mit leicht rechnen konnte. Aus den diesbezüglichen Verſuchen und Rechnungen ergibt ſich für die mitt⸗ lere Erddichte die Zahl 4,71, welche — mit den neueren und neueſten Verſuchen verglichen — zu klein iſt. Es wurde ſchon oben auf die Schwierigkeit und Ungenauigkeit der Unterſuchung hingewieſen; ſo iſt es unmöglich, die verſchiedenen Dichten der Erde, welche im Berge und in ſeiner Umgebung ſtattfinden, in Rechnung zu ziehen. Spätere Beobachtungen von Colonel James, an demſelben Berge angeſtellt, ergaben in der That für die mittlere Erddichte eine größere Zahl (5,32). Ungleich genauer ſind die Unterſuchungen, welche mit der Drehwage angeſtellt wurden; eine ſolche wurde von dem engliſchen Phyſiker Michell kon⸗ ſtruiert; die mit derſelben auszuführenden Verſuche wurden aber erſt nach deſſen Tode von gd (1798) gemacht. Eine zu den diesbezüglichen Ver⸗ ſuchen ſehr geeignete one wurde der Drehwage von Baily gegeben. An einem feinen Seidenfaden hängt ein ſehr leichter horizontaler Stab, der an ſeinen Enden kleine Metallkugeln trägt. Gegenüber dieſen kleinen Metallkugeln und zwar auf verſchiedenen Seiten derſelben ruhen auf einer drehbaren Tafel zwei ſchwere Bleikugeln, welche die kleinen Metallkugeln anziehen, in Folge deſſen der horizontale Hebel aus der Gleichgewichtslage gedreht wird, bis die Torſion des Seidenfadens die Weiterbewegung verhindert, dann kehrt die Drehwage gegen ihre urſprüngliche Ruhelage zurück, um welche ſie eine Reihe von Schwin⸗ gungen ausführt. Aus der Dauer einer Schwingung läßt ſich nun ein Schluß auf die Größe der An⸗ ziehung, welche die große auf die kleine Kugel aus⸗ übt, ziehen. Aus dem Verhältniſſe dieſer Kraft und dem Gewichte der kleinen Kugel, welches uns die Kraft vorſtellt, mit der die ganze Erdkugel dieſe kleine Kugel anzieht, läßt ſich dann das Verhältnis zwiſchen der Maſſe der großen Bleikugel und jener der Erde berechnen. So erhielt Cavendiſh für die mittlere Erddichte 5,48; Hutton, der die Rechnungen von Cavendiſh revidierte, fand das Reſultat nur 5,32, was mit den in neuerer Zeit von Colonel James angeſtellten oben erwähnten Verſuchen in Ueberein⸗ ſtimmung ſich befindet. Reich brachte an der Dreh⸗ wage einen Spiegel an und konnte die Schwingungen derſelben mit einem Fernrohre beobachten; ſeine im Jahre 1837 angeſtellten Beobachtungen ergaben die mittlere Erddichte zu 5,44; Baily in London er⸗ hielt im Jahre 1842 die Zahl 5,66, endlich Cornu und Baille in Paris (1873) 5,56. 8 Nebſt den bisher betrachteten Methoden, die mitt⸗ lere Dichte der Erde zu beſtimmen, wurde eine dritte zuerſt von dem engliſchen Naturforſcher Airy ange⸗ gebene mit Erfolg angewendet. Wie früher bereits erwähnt wurde, wirkt eine homogene Kugel oder eine ſolche, welche aus Schichten zuſammengeſetzt iſt, in deren jeder die Dichte un⸗ veränderlich iſt, während dieſe Größe von Schichte zu Schichte variiert, auf einen außer ihr gelegenen oder einen an ihrer Oberfläche befindlichen Maſſen⸗ punkt nach dem Gravitationsgeſetze von Newton jo, als ob die Geſamtmaſſe der Kugel in deren Zentrum konzentriert wäre. Je entfernter der Maſſenpunkt ſomit vom Zentrum der Kugel iſt, deſto geringer tft die auf ihn einwirkende Attraktionskraft der Erde, weshalb ja bekanntlich die Schwingungsdauer eines Pendels größer wird, je mehr man ſich vom Hori⸗ zonte mit demſelben erhebt. Die Frage, wie groß die Attraktion der Erde auf einen in ihr befindlichen Maſſenpunkt iſt, wurde von der mathematiſchen Theorie dahin beantwortet, daß auf einen ſolchen Punkt nur jene Maſſe attrahierend wirkt, welche von der durch den Punkt gedachten mit der großen Kugelfläche kon⸗ zentriſchen begrenzt iſt. In tiefen Schachten müßte nach dieſer Theorie — unter Vorausſetzung einer überall gleich dichten Erdkugel — die Schwerkraft ſchon merklich geringer als an der Erdoberfläche ſein. Iſt aber die mittlere Dichte der Erde im Verhältnis zu jener, welche in der betrachteten Schichte herrſcht, groß, überſchreitet das Verhältnis der beiden Dichten — ſo lehrt eine verhältnismäßig einfache Rechnung — den Wert 1,5, fo erſcheint die Schwerkraft in der Tiefe größer, als an der Erdoberfläche, was in der That die ſogleich zu beſchreibenden Verſuche von Airy zeigen. Da ein Pendel um ſo raſcher ſchwingt, je größer die Acceleration der Schwere iſt und umgekehrt, ſo beſtimmt man am beſten die Variation der Schwere mittels des Pendels. Mit Hilfe elektriſcher Signale fand Airy, daß eine am Boden des Bergwerkes von Harton Colliery in Wales (in einer Tiefe von 383 m) befindliche Uhr täglich um 2¼ Sekunden Humboldt. — Juni 1882. 215 ſchneller ging, als an der Erdoberfläche. Es ergab ſich hieraus das Verhältnis der Beſchleunigung am Boden des Kohlenbergwerkes zu jener an der Ober— fläche gleich 1,000052. Unterſuchungen des Inhaltes des Bodens über dem Schachte lieferten als Wert für die mittlere Dichte der Erde in der Nähe des Ortes, an welchem die Verſuche angeſtellt wurden, die Zahl 2,5. Aus dieſen durch das Experiment er- mittelten Zahlen erhielt Airy die mittlere Erddichte zu 6,566, alſo größer als die bisher genannten Beob— achter. Doch glaubte Airy, daß dieſes Reſultat das- ſelbe Vertrauen verdiene, wie die von ſeinen Vor— gängern erhaltenen Angaben. Einen prinzipiell ähnlichen Weg haben im Jahre 1848 Plana und Carlini eingeſchlagen, um die mittlere Dichte der Erde zu beſtimmen. Sie beob— achteten die Pendelſchwingungen am Fuße und auf der Spitze des Mont Cenis und konnten bei Be— rückſichtigung der Volumina, der Diſtanz des Pendels vom Schwerpunkte der Erde und des Berges durch Rechnung das Verhältnis der mittleren Erddichte und der Dichte des Berges ermitteln. Da die beiden Forſcher die letztgenannte Dichte früher ſorgfältig eruiert hatten, war es ihnen möglich, die mittlere Dichte der Erde zu 4,95 anzugeben, ein Reſultat, welches im Vergleiche mit den früher erwähnten klein iſt. Es iſt begreiflich, daß die von Airy und den beiden obengenannten italieniſchen Phyſikern erhal— tenen Zahlen aus dem Grunde nicht viel Anſpruch auf Genauigkeit erheben können, da die Hypotheſen, welche dieſe Forſcher beim Gebrauche ihrer Methoden über die Dichte von Beſtandteilen der Erde aufſtellen mußten, nur unſicher ſein konnten. In neueſter Zeit hat Profeſſor v. Jolly in München die Frage nach der mittleren Dichte der Erde wieder aufgenommen und — wie wir annehmen dürfen — endgültig beantwortet. Schon im Jahre 1878 hat der genannte Phyſiker in einer größeren Ab- handlung auf die Vervollkommnung in der Kon— ſtruktion der Wagen hingewieſen und auf Grund von beachtenswerten Vorverſuchen den Satz ausge— ſprochen, daß die Wage in ihrer beſten Konſtruktion, wie ſie dem erwähnten Forſcher gegeben war, eine ſolche Leiſtungsfähigkeit beſitze, daß ſie ſich als Gra— vitations meßinſtrument recht gut eignen würde und daß der Verſuch einer Wägung der Erde möglich ſei, wenn die äußeren Verhältniſſe in einer ſpäter zu beſprechenden Weiſe dem Unternehmen günſtig ausfallen. Jolly wies in der erwähnten Abhand— lung nach, daß mit einer ſolchen leiſtungsfähigen Wage Meſſungen ausgeführt werden können, bei denen der gemachte Wägungsfehler den Wert von ein— tauſendſtel Milligramm nicht überſchreite. Es wurde ein Verſuch angeſtellt, der in der That einen ſchlagenden Beweis von der Trefflichkeit der ge— brauchten Wage liefert. Wenn man in die beiden Wageſchalen gleiche Gewichte legt, ſo muß ſich — ſobald die Wageſchalen nicht gleich weit vom Erd— mittelpunkte entfernt ſind — zwiſchen dieſen gleichen Gewichten eine Differenz zeigen, da nach dem New— Humboldt 1882. tonſchen Gravitationsgeſetze die Anziehung zweier Körper dem umgekehrten Quadrate der Diſtanz der letzteren proportional iſt. Auf einer Wage, deren Schalen eine Höhendifferenz von 5,29 m hatten, wurden zwei Kilogrammgewichte gelegt und es zeigte ſich das vom Erdmittelpunkte entferntere Gewicht um 1,500 mg leichter als das andere. Nach dem Gra— vitationsgeſetze hätte man eine Differenz der beiden Gewichte erwarten ſollen, welche gleich 1,652 mg be— trägt. Dieſer Unterſchied zwiſchen Rechnung und Beobachtung weiſt unzweideutig darauf hin, daß bei den angeſtellten Verſuchen ſtörende Faktoren vor— handen waren, welche bei genauen Gravitations- experimenten wegzuſchaffen ſind. Die bisher be— beſchriebenen Verſuche wurden von Jolly in einem maſſiven Gebäude angeſtellt, welches von maſſiven Häuſern umgeben iſt. Die Attraktion, welche von den Gebäuden auf die mit einander zu vergleichenden Kilogrammgewichte ausgeübt wurde, bewirkt die Differenz zwiſchen dem theoretiſch und experimentell erhaltenen Reſultate. In einer zweiten Abhandlung, welche Jolly vor kurzem der königlich bayriſchen Akademie der Wiſſenſchaften überreichte, macht derſelbe Mitteilung von der ſchließlichen Anordnung der Verſuche, welche ihn zur Beſtimmung der mittleren Erddichte leiteten. Es follen im folgenden nur die weſentlichen Punkte des Verſuches dargeſtellt werden; bezüglich des De— tails muß auf die Originalarbeit verwieſen werden. Die Verſuche wurden in einem Turme angeſtellt, der von drei Seiten freiſtand, deſſen Stiegenhaus ge— räumig war. Zwiſchen den an den Umfangsmauern in die Höhe geführten Treppen war ein freier Raum von 15 m Seite und 25m Höhe. Oben wurde eine Wage und ein Ableſefernrohr, welches zur Beobachtung der Schwingungen der Wage diente, vollkommen erſchütterungsfrei aufgeſtellt. Von jeder der oberen Schalen führte ein galvanoplaſtiſch ver— goldeter Meſſingdraht, der durch eine ihn umgebende Zinkblechröhre geſchützt war, durch das Stiegenhaus herab und trug am unteren Ende eine Schale. Der Abſtand jeder oberen von der entſprechenden unteren Schale betrug 21,005 m. Sowohl die oberen als auch die unteren Schalen befinden ſich in Wagekäſten; zwiſchen dem unteren Wagekaſten und dem Boden des Turmes war noch ſo viel Raum, daß unter einer der unteren Wagſchale eine Bleikugel von Im Durch— meſſer aufgebaut werden konnte. Mit dieſer ſo eingerichteten Wage wurde der ſchon früher erwähnte Verſuch angeſtellt. Das der Beſtimmung der mittleren Erddichte zu Grunde lie⸗ gende Prinzip iſt unſchwer zu erſchließen: Ein Kilo⸗ gramm in die rechtsſeitige obere, ein ebenſo großes Ge⸗ wicht in die linksſeitige untere Schale gelegt, weiſen nach dem Früheren eine Differenz auf; wird nun unter die letztgenannte Schale die Bleikugel aufge— ftellt, fo wird wegen der Anziehung der letzteren auf das Kilogrammgewicht dieſe Differenz noch vermehrt. Aus dieſen Beobachtungen läßt ſich die Größe der Attraktion der Bleikugel beftimmen und man kann, 28 . 216 Humboldt. — Juni 1882. wenn man dieſe Größe mit der Anziehung der Erd⸗ kugel auf denſelben Körper in ein Verhältnis bringt, bei Berückſichtigung der bekannten Dichte des Bleis, die mittlere Erddichte beſtimmen. Wie ſchon früher erwähnt wurde, erfolgte die Ableſung mit einem Fernrohre; in der Mitte des Wagebalkens, welcher eine Länge von 60 em und ein Gewicht von 724 gm hat, iſt ſenkrecht zur Länge des Balkens ein kleiner Spiegel fixiert; dieſem gegen⸗ über befindet ſich in einer Entfernung von 3½ m eine Skala, welche in Millimeter geteilt iſt. Die bedeutende Empfindlichkeit dieſer Wage erhellt aus dem von Jolly angegebenen Umſtande, daß bei der größten Belaſtung der Wage, welche 5 kg betrug, ein Zulegegewicht von 10,068 mg noch einen Aus⸗ ſchlag von 26,54 mm gab. Als Gewichtsſtücke verwendete v. Jolly vier Glaskolben von gleichem Rauminhalte und gleichem Gewichte, von denen zwei mit gleichen Quantitäten Queckſilber gefüllt waren. Hierdurch wurden bei den Wägungen die Luftgewichte eliminiert, da die vier Kolben in den vier erwähnten Wageſchalen gleiche Luftgewichte verdrängen, mag der Barometerſtand hoch oder niedrig ſein. Zuerſt wurden die beiden Queckſilber enthalten⸗ den Kolben in die oberen, die leeren Kolben in die unteren Schalen gebracht; in einem zweiten Falle wurde einer der Kolben der oberen Station mit dem leeren Kolben der unteren Station vertauſcht; es er⸗ fuhr alſo der erſtere eine Annäherung an den Erd⸗ mittelpunkt, welche der vertikalen Diſtanz der beiden Wageſchalen gleichkommt. Es muß — entſprechend der Theorie — mit der Verſetzung des Kolbens von der oberen in die untere Station eine Gewichtszunahme eintreten, welche durch Zulegegewichte beſtimmt werden kann. In der That fand Profeſſor v. Jolly bei Berückſichtigung der Faktoren, welche auf das Wä⸗ gungsreſultat Einfluß nehmen, eine Gewichtszunahme von 31,686 mg. Daß die Aenderung des Feuchtig⸗ keitsgehaltes und der Temperatur der Luft einen ganz bedeutenden Einfluß auf das Beobachtungs⸗ reſultat ausüben, ift wohl ſelbſtverſtändlich; man muß deshalb bei Anſtellung der Verſuche Tage wählen, an welchen die Bedingung eines beſtändig gleichen Hygrometerſtandes annäherungsweiſe wenigſtens er⸗ füllt iſt. Der ſoeben erwähnte von Profeſſor v. Jolly angeſtellte Vorverſuch ift unter anderem auch inſoferne von großem Intereſſe, als es durch ihn ermöglicht wird, die Ergebniſſe der Beobachtung und der Theorie einer vergleichenden Prüfung zu unterwerfen. Unter der Bedingung, daß der Beobachtungsort auf einer Hochebene gelegen iſt — was für München, welche Stadt auf einem die Meeresoberfläche um 515 m überragenden Hochplateau ſich befindet, gilt — hat v. Jolly eine Formel auf rechnendem Wege deduziert, durch welche die Gewichtsdifferenz eines und desſelben Körpers, welche einer beſtimmten Höhendifferenz ent⸗ ſpricht, gegeben wird; dieſe theoretiſche Formel liefert für die Gewichtszunahme, welche der mit Queckſilber erfüllte Kolben erfährt, wenn er von der oberen in die untere Schale gebracht wird, den Wert von 33,059 mg, eine Zahl ſomit, welche die Beobachtungs⸗ zahl an Größe übertrifft. Dieſe Differenz iſt ohne Zweifel lokal ſich geltend machenden Urſachen zuzu⸗ ſchreiben; es ſind letztere die Anziehungen, welche von den Gebäuden, die den Beobachtungsort umgeben, ausgeübt werden. Nachdem v. Jolly dieſen Vorverſuch vorgenom⸗ men hatte, ging er an die Unterſuchung, wie groß die weitere Gewichtszunahme des von der oberen in die untere Schale gebrachten Kolbens iſt, wenn auf das in dem letzteren enthaltene Queckſilber eine Blei⸗ kugel von 5775,2 kg, die unter die untere Schale aufgeſtellt wurde, anziehend wirkt; jedenfalls zieht auch die Bleikugel den Queckſilberkolben in dem Falle an, in welchem ſich derſelbe in der oberen Schale be⸗ findet, doch iſt dieſe Anziehung nach den v. Jolly angeſtellten Rechnungen von einer ſolchen Kleinheit, daß ſie an der Wage ſich nicht manifeftiert. Während — wie oben bemerkt — ohne Auf⸗ ſtellung der Bleikugel die Gewichtszunahme bei der Uebertragung des Queckſilberkolbens von der oberen in die untere Station 31,686 mg betrug, war die Zunahme des Gewichtes bei untergeſtellter Bleikugel 32,275 me; die Anziehung der Bleikugel entſpricht ſomit einem Gewichte von 0,589 mg. Nachdem Jolly den Radius der Bleikugel (0,4975 m), den Abſtand des Mittelpunktes des Queckſilberballons vom Mittel⸗ punkte der Bleikugel (0,5686 m), das Gewicht des Qued- ſilbers (5,0094 ke), die Dichte des Bleis (11,186) mit aller Sorgfalt beſtimmt hatte, erhielt er nach Ausführung einer leichten Rechnung für die mittlere Dichte der Erde 5,692. Dieſes Reſultat übertrifft das mit der Torſionswage erhaltene um beinahe 2%. Von Intereſſe ſind die Verſuche, welche faſt zu derſelben Zeit wie v. Jolly J. H. Poynting in Mancheſter zur Beſtimmung der mittleren Erddichte anſtellte. Auch dieſer Forſcher bediente ſich bei ſeinen Meſſungen der Wage: es wurde ein Bleigewicht von 452,92 me an einem Drahte an dem einen Arm der Wage aufgehängt und befand ſich ungefähr 6 eng⸗ liſche Fuß unter demſelben; durch Gegengewichte in der anderen Schale wurde das Bleigewicht äquilibriert und nun eine große Bleimaſſe, welche das Gewicht von 154220,6 f hatte, direkt unter das hängende Gewicht gebracht; die durch dieſe Bleimaſſe verur⸗ ſachte Zunahme des Gewichtes betrug ein Hundertſtel von einem Milligramm. Der Mittelwert aus elf Meſſungen, welcher für die mittlere Dichte der Erde erhalten wurde, betrug 5,69, was mit den früher mitgeteilten Verſuchen von Jolly in guter Ueber⸗ einſtimmung ſich befindet. Es ſind allerdings, wie Poynting angibt, ſeine verſchiedenen Beſtimmungen von einander ſehr differierend, weshalb die Mittel⸗ zahl noch mit verhältnismäßig großen wahrſcheinlichen Fehlern begabt iſt, doch gedenkt Poynting ſeine Verſuche nochmals unter günſtigeren Verhältniſſen aufzunehmen. Pana Von allen erwähnten Methoden, die mittlere Humboldt. — Juni 1882. 217 Dichte der Erde zu beſtimmen, kommt unzweifelhaft denjenigen, welche auf dem Prinzipe der Torſions— und gewöhnlichen Wage baſiert find, aljo den Me— thoden von Cavendiſh und Jolly die größte Genauigkeit zu. des Münchener Gelehrten, die hierbei thunliche Eli— minierung der ſtörenden Einflüſſe rechtfertigen das Vertrauen, welches man in deſſen Beſtimmungen ſetzen kann. Die Sorgfalt der Beobachtungen Der Zahl, welche die mittlere Dichte der Erde angibt, kommt inſoferne eine große Bedeutung zu, da fie bei der Vergleichung der Maſſen der Himmels— körper mit der Erdmaſſe in Rechnung genommen werden muß, ſo daß man wohl mit Recht behaupten kann, es bieten die geſchilderten Arbeiten genialer Forſcher über dieſen Gegenſtand nicht bloß phyſika— liſches Intereſſe, ſondern ſie ſeien auch für den Aſtro— nomen von großem Belange! — Die Leopardennatter (Callopeltis quadrilineatus Pallas)“ Von Dr. Friedrich Unauer in Wien. ie artenreiche Familie der Nattern (Colu- bridae) iſt in der europäiſchen Fauna durch die Gattungen der Jachſchlangen (Coronella Lau- renti) mit 3 Arten, Trugnattern (Tachymenis Wiegmann) mit 1 Art, Kielrückennattern (Tropi- donotus Kuhl) mit 3 Arten, Zornſchlangen (Za- menis Wagler) mit 2 Arten, Kletternattern (Callopeltis Bonaparte) mit 2 Arten, Schnauzen— nattern (Rhinechis Michahelles) mit 1 Art, Steig⸗ nattern (Elaphis Aldrovandi) mit 3 Arten, Schild— augenſchlangen (Periops Wagler) mit 1 Art, Sandſchlangen (Psammophis Boie) mit 1 Art, Grubennattern (Coelopeltis Wagler) mit 1 Art, alſo im Ganzen durch 10 Gattungen mit 18 Arten vertreten. Aus dieſen Gattungen unterſcheiden ſich die Ver— treter der Kletternattern von deren übrigen Ver— wandten durch ihren gegen den ſtets ſtark geſtreckten dreieckigen oder länglich elliptiſchen Kopf hin deutlich ſich verdünnenden Körper, die ſchönen, glänzenden, ſcharf umriſſenen Kopfſchilder (von denen das mäßig große Rüſſelſchild oval und breiter als hoch iſt) und die ganz glatten, kaum merklich gekielten Schuppen (in 21—27 Reihen). Dieſer Gattung gehört die be- kannte Aeskulapnatter (Callopeltis Aesculapii Aldrovandi) und die hier zu beſprechende Leopar— dennatter an. Bei der relativen Armut unſerer europäiſchen Rep⸗ tilienfauna muß es auffallen, daß wir ſelbſt von den weni— gen Arten hinſichtlich derer Lebensweiſe nur ganz ſpärliche Kenntniſſe haben. In den größeren Terrarien unſerer Tiergärten kommen die nach Färbung und Form intereſſan— ten Schlangen und Echſen Südeuropas immer häufiger zur Ausſtellung, ſo daß auch ſchon der Laie Mitteilungen über das Thun und Treiben dieſer Tiere verlangt. Ich gedenke, an dieſer Stelle in zwangloſen Zwiſchenzeiten über einzelne dieſer wenig gekannten Tiere, ſoweit ich ſie zu beobachten Gelegenheit hatte, mehr weniger ausführliche Mitteilungen zu bringen. Macht ſchon die Aeskulapnatter in ihrem glatten glänzenden Schuppenkleide einen ſtattlichen, angeneh— men Eindruck, wozu wohl ihr anſprechendes Betragen in erſter Linie beiträgt, ſo feſſelt die farbenbuntere Leopardennatter das Auge des Beobachters durch ihr ſchmuckes Aeußere ganz beſonders. Es läßt ſich auch nicht leicht ein ohne alle Ueberladung farben— reicheres, zuſagenderes Farbenkleid denken, als das unſerer Natter. Ein friſches Rötlichgrau oder Hell— braun bildet die Grundfarbe des Oberkörpers. Von dieſer hebt ſich eine über den ganzen Rücken hin— ziehende Reihe großer, ſchön kaſtanienbrauner Quer- flecken ab. Zu beiden Seiten dieſer Querflecken folgt eine Reihe kleinerer Flecken. Ganz beſonders zier— licher Zeichnung erfreut ſich aber der fein geſchwungene Kopf mit ſeinen regelmäßig geformten, lebhaft glän— zenden Schildern. Ueber den hinteren Schnauzen— ſchildern ſteht ein glänzend ſchwarzer Querfleck, der beiderſeits zum Auge hinzieht und unterhalb des Auges als vertikaler Seitenfleck über die Lippenſchilder hin- ſtreicht. Ein ebenſo gefärbter Fleck ziert den Scheitel, und von dem aus laufen zwei ſchmale Streifen zu der Rückenfleckenreihe hin. Zwiſchen dieſem Scheitel— fleck und dem erſtgenannten Querfleck zieht ein ſchräger ſchwarzer Fleck von den Mundwinkeln zu den Augen— brauenſchildern. Dazu noch das grelle Gelbrot der Regenbogenhaut des Auges, fo daß wir wirklich un— willkürlich an die farbenbunten Katzen der Tropen gemahnt werden. Unſere farbenſchmucke Natter wird 60—80 cm lang. Sie findet ſich in zwei ſtändigen Spielarten, von denen die eine, die Leopardennatter, wie wir ſie beſchrieben haben, in Dalmatien, Iſtrien und Italien heimiſch iſt, während die andere, die Vier— jtreifennatter*), im ſüdöſtlichen Europa ſich findet; bei ihr vereinigen ſich die oben erwähnten braunen ) Nicht zu verwechſeln mit der viel größeren Strei⸗ fennatter (Elaphis quadrilineatus Bonaparte). 218 Humboldt. — Juni 1882. Rückenquerbinden zu zwei Längsbinden, neben welchen jederſeits die Grundfarbe in Form einer ſcharf ſich abhebenden Längsbinde verläuft, ſo daß über den Oberkörper vier Längsbinden hinziehen. So lebhaft die Leopardennatter durch das bunte Farbenkleid von anderen Nattern abſticht, ſo wenig läßt ſich dies von ihrem Gebahren ſagen. Sie bleibt da an Lebhaftigkeit weit hinter ihrer näch⸗ ſten Verwandten, der ſo geſchmeidigen, lebendigen dieſe Vorliebe für minder warme Temperatur trägt ſie nicht bloß zur Schau, wenn ſie eine ganze Reihe von Tagen ſich ſattſam im Sonnenlichte zu baden Gelegenheit hatte; nein, auch wenn ich ſie nach lan⸗ gen trüben und kalten Wochen mit ihren Mitgefan⸗ genen zum erſten Male wieder an die Sonne brachte und ihre Genoſſen mit Wolluſt den heißen Sonnen⸗ ſtrahlen ſich entgegenſtreckten, floh ſie ſofort abſeits von den grade beſonnten Stellen nach einem kühlen Die Leopardennatter. Callopeltis quadrilineatus Pallas. Aeskulapnatter zurück, die eben durch ihr zu⸗ trauliches, agiles Weſen dem Reptilienfreunde und Terrarienbeſitzer viel Freude bereitet. Volle Stunden lang lagert unſere Leopardennatter, wenn ſie einmal ein paſſendes Plätzchen gefunden, regungslos in ihrem Käfig, und nur das Zungenſpiel und der Blick der lebhaften Augen verrathen, daß ſie beobachtet, was um ſie her vorgeht. Dabei äußert ſie, ſo ganz ver⸗ ſchieden von der bei der Mehrzahl der Kriechtiere lebhaft zum Ausdruck kommenden Vorliebe für Son⸗ nenlicht und Wärme, auffallende Neigung für Kühle, ſchattige Orte. Immer wieder entzieht ſie ſich den nachrückenden Sonnenſtrahlen durch eiligen Rückzug nach einem dunklen Plätzchen. Und kann ſie ſich nicht, wie ſie gerne möchte, in einen kühlen Verſteck zurückziehen, ſo ſchmiegt ſie ſich mit wahrer Gier an den kühlen Waſſernapf oder birgt ſich an beſonders warmen Tagen bis an den Kopf im Waſſer. Und Winkel und lehnte ſich, als könnte ſie mit den kalten Wänden nicht nahe genug in Berührung kommen, in ſonderbarer Kopfüberſtellung die ſenkrechte Fenſter⸗ wand entlang enge an und blieb ganze Nachmittage in dieſer anſcheinend keineswegs bequemen Stellung. Die Leopardennatter erſchien mir überhaupt oft als ganz rätſelhaftes Tier. Stundenlang ſtarrt das Auge ins Weite und es ſcheint ihr alle Teilnahme für die nächſte Umgebung abhanden gekommen zu ſein. Dann fährt ſie wieder plötzlich, wie im Traume, mit geöffnetem Rachen nach der ſich nähernden Hand, um aber, als habe ſie ſich eines Beſſeren beſonnen, mitten im Ausholen innezuhalten. Und ebenſo un⸗ verſtändlich bleibt ſie in anderer Hinſicht. An manchen Tagen ſcheint ſie wahre Mordgier zu überkommen; jede Eidechſe, die ſich ihr nähert, wird angefallen und, wenn bewältigbar, erwürgt. Dann vergehen aber wieder drei und vier Wochen, über die ſie ſich Humboldt. — Juni 1882. 219 förmlich Hungerkur auferlegt zu haben ſcheint. Bei der Jagd auf ihre Beute entfaltet die Leoparden— natter, von ihrem ſonſtigen Gleichmute verſchieden, große Lebendigkeit. Lebhaftes Züngeln und der Blick des feurigen Auges verrathen, daß fie ihr Opfer er- blickt hat; unverwandten Blickes gleitet ſie auf das⸗ ſelbe zu und ehe ſich dieſes verſieht, hat ſie mit blitz— ſchneller Halswendung nach ihrem Opfer ausgeholt und dasſelbe mit den lebenden Feſſeln umſtrickt. Erſt, wenn fie ſich von dem eingetretenen Tode des erbeu- teten Tieres überzeugt hat, löst ſie die Feſſeln und geht daran, dasſelbe mit dem Kopfe voran zu ver— ſchlingen. 5 Als Futter reichte ich den Leopardennattern Mauer— eidechſen und kleinere Zauneidechſen; desgleichen fielen ſie ſofort über junge Ringel- und Würfelnattern her, ſo daß die Mitteilungen anderer Beobachter, nach welchen fie durch Verzehren junger Vipern ſehr nütz⸗ lich werden, wohl Glauben verdienen. Reptilienfreunden, für deren Terrarien ſich unſere ſchmucke Leopardennatter wohl eignet, ſei noch er— wähnt, daß die Tierhandlung Anton Mulſer in Bozen (Südtirol) lebenskräftige Exemplare dieſer Art zu billigen Preiſen verſendet, und füge ich noch hin— zu, daß die Mitteilungen verſchiedener naturgeſchicht— licher Werke, die Leopardennatter ſei nicht zu über— wintern, der Wahrheit nicht entſpreche. Wie alle ſüdlichen Reptilienarten verlangt die Leopardennatter den Winter über wärmere Räume zum Aufenthalt; ſonſt aber erträgt ſie das Gefangenleben nicht ſchlechter als andere Kriechtiere, wenn man für zweckgemäße Käfige ſorgt, ihr genügend Nahrung, Waſſer, friſche Luft bietet, das Ueberhandnehmen von Schmarotzer— milben durch öfteres Reinigen der Käfige, Wechſeln des Mooſes, Warmbäder u. ſ. w. verhindert und die Häutung durch in den Käfig gebrachtes rauhes Geſtein erleichtert. Das moderne Beleuchtungsweſen. Don Ingenieur Th. Schwartze in Leipzig. II. Beim Eingehen auf die Vergleichung des Gas— lichtes mit dem elektriſchen Lichte iſt wohl zuerſt die Frage zu beantworten: Auf welche Weiſe kann die Elektrizität zu Beleuchtungszwecken benutzt werden? Und zweitens: Wie ſtellt ſich das Koſtenverhältnis? Um die erſte Antwort in halbwegs genügender Ausführlichkeit geben zu können, iſt einiges über die Natur der zu dem fraglichen Zwecke dienenden elek— triſchen Kraftwirkung vorauszuſchicken. Es iſt eine allbekannte Thatſache, daß die Elek— trizität bei ihrem Uebergange von einem Leiter zum andern ſich in Lichterſcheinungen umſetzt, ſobald ihr ein Widerſtand entgegentritt, der ihre Spannung bis zu einem gewiſſen Grade erhöht. Dieſer Widerſtand kann durch den dazwiſchen befindlichen Raum oder durch einen zur Intenſität des Stromes verhältnis— mäßig geringen Querſchnitt eines Zwiſchenleiters her— vorgerufen werden. Es findet im letztern Falle durch die Stauung des elektriſchen Stromes eine Umſetzung in Wärme und ein dadurch hervorgerufenes Erglühen des ſchwachen Leiters ſtatt, während im erſtern Falle der Uebergang des elektriſchen Stromes gewiſſermaßen in einem Funkenſprühen vor ſich geht. Dieſe Erſcheinungen können ſchon mit jeder ge— wöhnlichen Elektriſiermaſchine, d. i. durch Reibungs— elektrizität oder ſogenannte ſtatiſche (doch fälſchlich nur ſogenannte) Elektrizität hervorgerufen werden; viel beſſer eignet ſich aber dazu die ſogenannte dy— namiſche oder Volta-Elektrizität, weil dieſe in dauern⸗ der ſtarker Strömung erzeugt und durch Drähte auf größeren Entfernungen fortgeleitet werden kann. Aus praktiſchen Gründen iſt jedoch für Beleuchtungszwecke und andre elektromotoriſchen Leiſtungen die auf mag— netiſcher Induktion beruhende Magnetelektrizität am beſten zu verwenden. Das elektriſche Licht, welches durch den Wider— ſtand hervorgerufen wird, welcher ſich dem elektriſchen Strome an irgend einer Stelle ſeiner Leitung ent— gegenſetzt, wurde in der für Beleuchtungszwecke ge- eigneten Dauer und Stärke zum erſtenmal ums Jahr 1813 vom engliſchen Phyſiker Humpfry Davy mittels einer galvaniſchen Batterie aus 3000 Kupfer⸗ zinkelementen erzeugt. Es war dieſes das elektriſche Kohlenlicht, welches entſteht, wenn in den Stromkreis einer galvaniſchen Batterie oder eines andern dazu geeigneten Elektromotors zwei einander gegenüber— ſtehende, dünne, zugeſpitzte Kohlenſtäbchen eingeſchaltet werden. Der elektriſche Strom wird dadurch ge— zwungen, den ſogenannten Voltabogen oder Licht— bogen zu bilden, welcher von einer äußerſt intenſiven Lichterſcheinung begleitet iſt, wobei gleichzeitig eine ſehr ſtarke Wärmeentwickelung an den einander zunächſt liegenden Stellen der Kohlenſtäbchen vorhanden iſt. Ein derartiger Lichtbogen entſteht jedoch nicht nur, wenn ein elektriſcher Strom von gleicher Rich— tung, d. i. ein kontinuirlicher Strom (wie ſolchen 220 Humboldt. — Juni 1882. unmittelbar die galvaniſche Batterie erzeugt) durch die Leitung kreiſt, ſondern auch dann, wenn raſch aufeinander folgende Wechſelſtröme, wie ſie unmittel⸗ bar von einer magnet⸗elektriſchen Maſchine entſendet werden, zwiſchen den Kohlenſpitzen ihren Uebergang finden. Je nachdem das eine oder das andre vor ſich geht, ſind die den Lichtbogen begleitenden Erſcheinungen weſentlich verſchiedene und erfordern auch verſchiedene Einrichtungen der Beleuchtungsapparate. Bei dem Uebergange des kontinuierlichen Stromes iſt das eine Kohlenſtäbchen als das poſitive, das andre als das negative zu unterſcheiden, denn nach dem Sinne der Elektrizität, d. h. nach dem Elektrizitäts⸗ zeichen richtet ſich ihr Verhalten. Bei Wechſelſtrömen tauſchen die Stäbchen ihren elektriſchen Charakter im ſteten Wechſel gegeneinander aus und ihr Verhalten wird dadurch identiſch. Nehmen wir zuerſt an, es ſei nur ein ſehr dünnes Kohlenſtäbchen, gewiſſermaßen ein Kohlendraht in den Stromkreis eines Elektromotors eingeſchaltet. Bei einer gewiſſen Größe des Widerſtandes, welchen der elektriſche Strom durch dieſen Kohlendraht erfährt, wird der letztere in ſeiner ganzen Länge zur hellen Weißglut kommen. Die Einwirkung des atmoſphäri⸗ ſchen Sauerſtoffes wird alsdann ein raſches Ver⸗ brennen des Kohlendrahtes bewirken; um dieſes zu verhüten, ſchließt man den Kohlendraht in ein luft⸗ dichtes Glasgehäuſe ein, welches möglichſt luftleer oder mit einem indifferenten Gaſe (3. B. Stickſtoff) gefüllt iſt. Das Glühen des Kohlendrahtes wird alsdann mit der Dauer des elektriſchen Stromes fortbeſtehen, und man hat eine, mildes Licht ausſtrahlende elek⸗ triſche Inkandeszenz- oder Glühlichtlampe, welche einen für gewiſſe Zwecke ſehr brauchbaren elektriſchen Be⸗ leuchtungsapparat repräſentiert. Einen andern Modus der elektriſchen Lichterzeu⸗ gung erhält man, wenn man die ſchon oben erwähnten beiden Kohlenſtäbchen oder Kohlenſpitzen in den Strom⸗ kreis des Elektromotors bringt und durch eine ge⸗ wiſſe Entfernung dieſer Stäbchen den Stromkreis un⸗ terbricht. Die getrennten Elektrizitäten vereinigen ſich alsdann unter blendender Lichterſcheinung, und dieſe Lichterſcheinung wird herkömmlicherweiſe, wie ſchon be⸗ merkt wurde, als der Voltabogen bezeichnet. Bei gehörig ſtarkem Strome und unter ſonſt günſtig angeordneten Umſtänden kann dieſer Lichtbogen eine ziemliche Länge, ſelbſt bis zu 10 em erlangen; des ſehr ſtarken Wider⸗ ſtandes wegen findet aber alsdann eine bedeutende Kraftverſchwendung ſtatt. Um möglichſt ökonomiſch zu ſein, ordnet man daher die Kohlenſpitzen in ſehr geringer Diſtanz (etwa 3 mm) von einander an, oder bringt unter andrer Form die Lichtkohlen wohl auch miteinander in Berührung, wodurch die ſoge⸗ nannte Kontakt-⸗Inkandeszenz als Lichtwirkung re⸗ ſultiert. Der Voltabogen, der als wichtigſte Methode der elektriſchen Lichterzeugung gilt, iſt von gewiſſen, ſehr intereſſanten und zum Teil für die Konſtruktion der Apparate maßgebenden Erſcheinungen begleitet, die hier in Kürze zu beſprechen ſind. Im Voltabogen ſtrahlt das Licht von den in ſtärkſter Weißglut verſetzten Enden der Kohlenſtäbchen aus; der dazwiſchen befindliche Raum, durch welchen der elektriſche Strom ſich zur Herſtellung ſeines Kreis⸗ laufes Bahn bricht, iſt weniger hell und iſt mit glühenden Kohlenpartikeln erfüllt, die von der poſi⸗ tiven Kohlenſpitze zur negativen fliegen; jedoch findet — wie ſchon angedeutet — dieſe Erſcheinung nur bei gleichbleibender Richtung des Stromes ſtatt. Durch das Fortreißen der Teilchen höhlt ſich das Ende des poſitiven Kohlenſtäbchens aus, das negative ſpitzt ſich zu und verhält ſich der Abbrand zwiſchen poſitiver und nega⸗ tiver Kohlenſpitze ungefähr wie 2: 1, jedoch iſt dieſes Verhältnis kein konſtantes, indem dasſelbe von man⸗ cherlei Umſtänden abhängt. Auch die Temperaturen zwiſchen den Kohlenſpitzen ſind bedeutend verſchieden, und man hat gefunden, daß diejenige der nega⸗ tiven Spitze mindeſtens 2500, diejenige der poſi⸗ tiven Spitze mindeſtens 3200 Grad C. beträgt. Bei dem durch Wechſelſtröme erzeugten Lichte ſpitzen beide Kohlenſtäbchen ſich gleichmäßig zu und iſt das Maß der Abnutzung an beiden dasſelbe. Um dieſe Gleichheit der Abnutzung oder des Abbrandes auch bei der Anwendung des kontinuierlichen Stromes herbeizuführen, hat man dem poſitiven Stäbchen einen ungefähr doppelt ſo großen Querſchnitt ge⸗ geben als dem negativen. Uebrigens müſſen die Kohlenſtäbchen ſelbſt auf Koſten der Lichtintenſität eine gewiſſe Dicke erhalten, weil zu dünne Stäbchen von einem ſtarken Strome bis auf eine größere Länge in Rotglut verſetzt werden können, wodurch ihr Abbrand und damit die Auslage für die Lichtunterhaltung bedeutend erhöht wird. Um den unnützen Abbrand der Kohlenſtäbchen überhaupt zu verhüten, hat man dieſelben auf galvanoplaſtiſchem Wege mit einem Ueberzuge von Kupfer oder Nickel verſehen. In Fig. 1 iſt die Verbrennungsweiſe der Kohlen⸗ ſtäbchen unter der Einwirkung von Wechſelſtrömen dargeſtellt, während Fig. 2 die Verbrennungsweiſe bei kontinuierlichem Strome illuſtriert; und zwar iſt hier — wie aus den vorhergehenden Bemerkungen ſich ergibt — a das poſitive und b das negative Stäbchen. In Folge der hierbei ſtattfindenden Aus⸗ höhlung des poſitiven Stabendes bildet dasſelbe eine kleine Sonne, welche etwa Zweidrittel des Lichtes nach unten, alſo gerade dahin ſtrahlt, wo man für gewöhnlich das hellſte Licht wünſcht. Soll dagegen das meiſte Licht ſeitlich in einer beſtimmten Richtung ausſtrahlen, wie dies z. B. für Leuchtturmlichter er⸗ wünſcht iſt, ſo ſtellt man zweckmäßig die Kohlen⸗ ſtäbchen nicht mit ihren Achſen in eine gerade Linie, ſondern verſchiebt das untere negative Stäbchen b derartig, daß ſeine Achſe die Seite des poſitiven Stäbchens a tangirt; der Abbrand erfolgt alsdann auf die in Fig. 3 illuſtrierte Weiſe. Anſtatt die Kohlen für die elektriſche Lichterzeu⸗ gung in Stabform anzuwenden, hat man denſelben Humboldt. — Juni 1882. 221 aus dieſem oder jenem Grunde auch andre Formen gegeben. So iſt z. B. in der Werdermannſchen Lampe die poſitive obere Kohle kreisplatten- oder brodförmig, und die untere ſtabförmige Kohle berührt dieſelbe, fo daß Kontaktinkandeszenz reſultiert. In der Wallace-Farmer-Lampe ſind beide Kohlenſtücke plattenförmig und werden mit ihren parallelen Seiten in geringer Entfernung erhalten, wodurch der Licht— bogen gezwungen wird, zwiſchen den parallelen Platten— kanten hin- und herzulaufen, indem er ſich ſtets an die Stelle des geringſten Widerſtandes begibt. In der Regnier-Lampe haben die Kohlen die Form kreis— runder, dünner Scheiben, die mit ihren geneigten Achſen ſo gegeneinander geſtellt ſind, daß ſie in einem Punkte ihres Umfanges ſich ſo weit einander nähern, als zum Uebergange des Lichtbogens erforderlich iſt und dabei durch Rotation den Abbrand gleichmäßig auf ihren Umfängen verteilen. Anſtatt die ſtabför— migen Kohlen einander in gerader Linie gegenüber zu ſtellen, hat man dieſelben auch parallel neben— einander oder gegeneinander geneigt angeordnet und Fig. 2. Fig. 3. damit ein den ſonſtigen Umſtänden angemeſſenes, möglichſt günſtiges Konſum der Stäbchen und ein ſtetiges Licht zu erreichen geſucht. Anſtatt der Kohlen— ſtäbchen hat man auch Metalldrähte zur Anwendung gebracht. Aus dieſen Andeutungen dürfte hervorgehen, daß die Elektriker aus praktiſchen Gründen oder zuweilen wohl auch nur aus der Sucht nach etwas Neuem, Eigentümlichem und deshalb Patentfähigem ſich wacker gemüht haben, die verſchiedenartigſten Anordnungen in der Konſtruktion elektriſcher Lampen zuwege zu bringen. Im allgemeinen kann man die große Zahl ver— ſchiedener Lampenkonſtruktionen in zwei Klaſſen bringen: in Glühlichtlampen und in Voltabogenlampen, die letz— teren werden wiederum eingeteilt in eigentliche Lam— pen und in Kerzen. Dieſe Unterſcheidung begründet ſich darauf, daß Lampen zur Erhaltung des normalen Lichtbogens beſonderer Reguliervorrichtungen bedürfen, während in der Kerze die Kohlenſtäbchen einfach parallel nebeneinander geſtellt ſind und mit Wechſel— ſtrömen unter beiderſeits gleichmäßiger Abnutzung den Lichtbogen zwiſchen ſich erzeugen. Ferner kann man noch mit Bezug auf die Art der Stromzuführung Gleichſtromlampen und Wechſel— ſtromlampen unterſcheiden. jedoch inſofern eine willkürliche, als jede Lampe bei Dieſe Klaſſifizierung ijt | paſſender Anordnung mit kontinuierlichem Strome oder mit Wechſelſtrömen betrieben werden kann. Es wurde ſchon angedeutet, daß die elektriſchen Lampen zur Diſtanzerhaltung der Kohlenſpitzen für Erzeugung des normalen Lichtbogens beſonderer auto— matiſcher Reguliervorrichtungen bedürfen; dieſe Re— gulatoren müſſen aus leicht zu findendem Grunde von der Stromſtärke ſelbſt beeinflußt werden, und zwar muß große Empfindlichkeit derſelben beſonders in dem Falle vorhanden ſein, wenn in einem und demſelben Stromkreiſe mehrere Kerzen oder Lampen gleichzeitig im Betriebe zu erhalten ſind, d. i. wenn die Teilung des elektriſchen Lichtes ſtattfindet. Die Teilung des Lichtes war eine der ſchwierigſten Aufgaben für Elektrotechniker, jedoch ſcheint dieſelbe nunmehr zur Befriedigung in mehrfacher Weiſe gelöſt zu ſein. Die Bedeutung dieſer Aufgabe liegt darin, daß mit einem einzigen Elektromotor in möglichſt vielen Punkten des Stromkreiſes Lichter von geringer gleichbleibender Intenſität zu erzeugen ſind und da— mit eine der gewöhnlichen Gasbeleuchtung ſich nähernde Beleuchtungsweiſe zuwege gebracht wird. Man er— fährt hieraus, daß die Wege der Gastechniker und Elektrotechniker neuerdings ſtracks auseinander gingen; denn während die erſteren ſich bemühten, durch In— tenſivbrenner den Gasverbrauch im Verhältnis zur Lichtintenſität auf ein Minimum zu bringen, ſuchten letztere die zu grelle Intenſität des elektriſchen Lichtes zu ſchwächen und ſelbſt auf die Gefahr eines ver— größerten Kraftaufwandes den Lichteffekt eines Strom— kreiſes möglichſt gleichmäßig im Raume zu verbreiten. Hauptſache bei der Teilung des elektriſchen Lichtes iſt es, die Leitung, durch welche der Elektromotor mit den Lampen verbunden iſt, derartig einzurichten, daß jede einzelne Lampe die zu ihrer Maximalleucht— kraft erforderliche Elektrizitätsmenge ganz unabhängig von den übrigen Lampen zugeführt erhält, was durch Regulatoren mit elektriſcher Spiralanziehung, durch ſogenannte Solenoide auf eine höchſt einfache Weiſe geſchieht. Ein ſolches Solenoid beſteht aus einer vom elektriſchen Strome durchfloſſenen Drahtſpirale, in deren Achſe ein Eiſenſtab ſich befindet, welcher durch die magnetiſierende Wirkung des Spiralſtromes in die Drahtſpirale hineingezogen wird. Dieſe auf den Eiſenſtab ausgeübte magnetiſche Anziehung wirkt am ſtärkſten, wenn das eine Ende des Stabes ſich in der Mitte der Spirale befindet, und ihre Tendenz iſt, den Stab ſo weit in die Spirale hineinzuziehen, daß die Stabmitte mit der Spiralmitte zuſammenfällt, in welcher Stellung das Gleichgewicht zwiſchen dem im Stabe erweckten Magnetismus und dem elektri— ſchen Spiralſtrome hergeſtellt iſt. Verbindet man das eine Ende des Eiſenſtabes mit dem einen Kohlen— ſtäbchen, und das andere Stabende mit einem paſſend normirten Gegengewichte, ſo wird durch die mag— netiſche Kraftäußerung dem wirkſamen Stabgewichte bei einer beſtimmten Stärke des Lichtbogens das Gleichgewicht gehalten. Anſtatt des Gegengewichtes kann jedoch auch noch ein zweites Solenoid zur An— wendung kommen. 222 Humboldt. — Juni 1882. Im höchſten Grade und in einfachſter Weiſe ſcheint die Verteilung des elektriſchen Lichtes mit den von Ediſon und Swan konſtruierten Glühlichtlampen aus⸗ führbar zu ſein. Dieſe Glühlichtlampen haben in der Zeit der elektriſchen Ausſtellung, welche voriges Jahr in Paris ſtattfand, ſich recht gut bewährt. Bei den Beleuchtungsverſuchen im großen Pariſer Opernhauſe waren 600 Swanſche Lampen (benannt nach ihrem Erfinder Mr. J. W. Swan in Newceaſtle, England) am Hauptkronleuchter angebracht, jede von ungefähr 20 Kerzen Leuchtkraft und in drei Stromkreiſen zu je 200 Lampen verteilt. Jeder der drei Stromkreiſe wurde von einem beſondern Elektromotor, einer großen Siemenſchen Wechſelſtrommaſchine, geſpeiſt. Durch dieſe 600 Glühlichtlampen von zuſammen 12000 Kerzen Lichtintenſität wurden die früher an demſelben Kron⸗ leuchter vorhandenen 750 Gasflammen erſetzt. Der Fig. 4. Betrieb jedes Elektromotors wurde durch eine 25-pfer- dige Dampfmaſchine beſorgt, ſodaß mit einer Pferde⸗ ſtärke 160 Lampen betrieben wurden. Die Verbin⸗ dungsweiſe dieſer Lampen, wodurch die gleichmäßige Lichtverteilung erzielt wurde, war einfach und ſinn⸗ reich. Die Anordnung der Lampen war paarweis, ſo daß jeder Stromkreis 100 Paar Lampen enthielt, von denen jedes Paar durch eine Nebenleitung mit der von den Polen des Elektromotors ausgehenden Hauptleitung A B verbunden war, wie Fig. 4 illu⸗ ſtriert. An den Verbindungsſtellen der Nebenleitung mit der Hauptleitung ſind Vorrichtungen eingeſchaltet, welche dem elektriſchen Strom einen gewiſſen Wider⸗ ſtand entgegenſetzen und ſomit deſſen gleichmäßige Ver⸗ teilung in der ganzen Leitung herbeiführen. Ferner iſt aber noch zwiſchen jedem Lampenpaare li Ii, le le, le ls u. ſ. f. ein dritter, unabhängiger Leitungsdraht C D ebenfalls mittels Widerſtandsvor⸗ richtungen eingeſchaltet, jo daß für jede Lampe beider⸗ ſeits ein gewiſſer Elektrizitätsvorrat vorhanden iſt und der Strom von jeder Lampe aus zu den übrigen Lampen ſeinen Weg finden kann. Bei dieſer Anordnung wird daher durch das zufällige Verlöſchen einer oder auch mehrerer Lampen der Stromkreis nicht unter⸗ brochen und keinerlei ſchädliche Beeinfluſſung der übrigen Lampen veranlaßt. Schließlich dürften hier noch einige Bemerkungen über die Erzeugungskoſten des elektriſchen Lichtes im Vergleich zum Gaslichte am Platze ſein, da erſt hier⸗ durch eine reelle Baſis für die Wertſchätzung beider Beleuchtungsarten gegeben wird. Swan ſelbſt gibt an, daß es vorteilhafter ſei, das Gas in einer Gasmaſchine für den Betrieb ſeiner Lampen zu verbrennen, als dasſelbe direkt zur Licht⸗ erzeugung zu benutzen. Was den Widerſtand anbe⸗ langt, welchen ſeine Lampen dem Durchgange des elektriſchen Stromes entgegenſetzen, ſo fußt er zur Unterſtützung ſeiner Behauptung, daß überhaupt kein Widerſtand ſtattfinde, auf dem von Faraday aufge⸗ ſtellten Satze: Ein elektriſcher Strom, der einen Zoll Drahtlänge rotglühend macht, kann auch 100 Zoll Drahtlänge und überhaupt einen unendlich langen Draht zum Glühen bringen. Swan ſtellt ferner, geſtützt auf ſeine Erfahrungen und Berechnungen die Behauptung auf, daß 20 kg Kohlen, die zum Be⸗ trieb einer Dampfmaſchine verbrannt werden, mittels ſeiner Lampen ein Licht entwickeln, welches denſelben Effekt gibt wie 30 ebm Leuchtgas, das mit gewöhn⸗ lichen Gasbrennern verbrannt wird. Nun ſind aber nach einer früheren Berechnung!) zur Erzeugung von 30 ebm Leuchtgas 100 kg Kohlen, alfo 2,5 mal ſo⸗ viel als zur gleichen Lichtentwickelung mit Elektrizität nötig. Auch viele andre glaubwürdige Angaben beſtä⸗ tigen, daß die elektriſche Beleuchtung unter günſtigen Umſtänden bedeutend billiger, oder zum mindeſten doch nicht teurer als die Gasbeleuchtung ſtelle, und daneben fällt auch noch die läſtige Wärmeentwickelung, ſowie die Verſchlechterung der Luft, welche die Gas⸗ beleuchtung in Räumen, wo viele Flammen brennen und viele Menſchen ſich aufhalten, ſo widerwärtig macht, bei der elektriſchen Beleuchtung hinweg; außer⸗ dem iſt aber auch noch die Aehnlichkeit des elektri⸗ ſchen Lichtes mit dem Sonnenlichte in den Fällen von Vorteil, wo es ſich um die richtige Unterſcheidung der Farben handelt. ) Art. IJ im 1. Hefte dieſer Zeitſchrift. Humboldt. — Juni 1882. 223 Niemen ben mi digkeit. Don Dr. Hans Vogel in Memmingen. 3 einiger Zeit hat ein junger Gelehrter viel Aufſehen in der agrikulturchemiſchen Welt er— regt mit der Behauptung, daß die geminderte Ertrags— fähigkeit mancher Felder nicht auf den Nährſtoff— mangel im Boden zurückzuführen, ſondern durch eine außerordentliche Vermehrung von Wurzelparaſiten bedingt ſei. Es iſt hier nicht die paſſende Stelle, über die Richtigkeit dieſer jedenfalls der Beachtung würdigen Hypotheſe ein Urtheil zu fällen — ich wurde nur an die Polemik, die ſich alsbald gegen den Autor Dr. Linde erhob, zurückerinnert, als ich kürzlich eine Arbeit zur Hand bekam, welche von einem der hervorragendſten Forſcher auf dem Gebiete der Landwirtſchaft, Prof. Kühn in Halle kommt und die Urſache der Rübenmüdigkeit des Bodens auf Nematoden (Fadenwürmer) zurückleitet. Entdeckt wurden dieſe Würmer ſchon im Jahre 1859 von Schacht an Zuckerrüben der Hallenſer Gegend. Doch ſelbſt im Jahre 1865 ſchienen ſie noch keine Gefahr zu bedeuten, indem Taſchenberg behauptete, daß die davon befallenen Pflanzen zwar kränkeln aber nicht ausſterben. Mit dem Maße aber, als die Rübenkultur in den Gegenden der großen Zuckerfabriken forciert wurde, ſchuf man dem Paraſiten immer günſtigere Gelegenheit zur maſſenhaften Aus— breitung. Alle, ſicher aber, alle 2 Jahre wurde der Boden wieder mit derjenigen Pflanze bebaut, welche dem Gedeihen der Schmarotzer den meiſten Vorſchub leiſtete; der Boden wurde, um ſeine Ertragsfähigkeit zu ſteigern, aufs beſte bearbeitet und durchlockert, ſo daß den Tierchen der Verkehr und die Wanderung möglichſt erleichtert wurde. Eben weil man von ihrer Gefahr keine Ahnung hatte, führte man noch dazu in den Abfällen der Zuckerfabriken auch den geſunden Feldern die Schmarotzer zu, ſo daß ganze Gegenden damit infiziert wurden. Hören wir zunächſt, welches die mühevoll er— rungenen Reſultate der jahrelangen Forſchung Kühns über die Fortpflanzung dieſer Tiere ſind. Die jungen Larven, welche wie kleine Fäden ausſehen, bohren ſich in das Innere der ganz feinen Wurzelfaſern. Ein Stachel (in beiden Figuren A) erleichtert ihnen dieſe Arbeit. Im Innern der Wurzel leben ſie vom Safte der Pflanzen. Endlich ſchwellen ſie am Hinterteile ihres Körpers flaſchenförmig an, daß das Gewebe der Pflanze platzt und ihr Afterende frei wird. Während bisher Männchen und Weibchen gleiche Entwickelungsformen zeigen, verlieren endlich die Männchen dieſe Form, um ſich in einen dünnen langen Wurm (Fig. 1) zu verwandeln, während die Humboldt 1882. Weibchen die Flaſchenform beibehalten und die Eier bilden (Fig. 2). Im gefüllten Zuſtande erreichen dieſe Tiere die Größe von Stecknadelköpfen, ſo daß ſie gut mit freiem Auge erkannt werden können. Ein Teil der reifen Eier wird ausgeſchieden, die übrigen reifen raſch nach und die letzten ſcheinen innerhalb der Hülle ihre Verwandlung durchzumachen. Aus den Eiern entwickeln ſich Larven, welche ſich wieder in Fig. 1. Wurzeln einſaugen, um von neuem den Lebenslauf der Alten zu beginnen. Bei ihrer raſchen Ver— mehrung (nach 6 Wochen ſind die Larven ſchon wieder mit Eiern gefüllt) iſt es leicht erklärlich, warum das ganze Jahr alle möglichen Entwickelungsſtufen der Larven zu finden find. Hat alſo dieſen Tieren ſchon die Natur die denk— bar günſtigſten Bedingungen zur raſchen Ausbreitung gewährt, ſo hat der Menſch in ſeiner Unkenntnis ihr verheerendes Umſichgreifen noch thunlichſt unter— ſtützt. Dazu kommt aber noch, daß dieſe Tiere durch— aus nicht auf Zuckerrüben allein als ihre Nährpflanze angewieſen ſind. Kohlrüben, Blattkohl, Senf und Rübſen gewähren ihnen in ihren Wurzeln ebenfalls die Bedingungen ihrer Exiſtenz. Beim Kampfe gegen dieſe Art Phylloxera in der Rübenkultur müſſen wir vor allem dahin trachten, die noch geſunden Felder *) geſund zu erhalten, da— *) Auf einem Rübenzuckerfelde der hieſigen Gegend, das im vorigen Sommer angelegt wurde, konnte ich bis jetzt den Paraſiten noch nicht finden. D. V. 29 224 Humboldt. — Juni 1882. gegen auf den kranken den Schmarotzer zu ver⸗ tilgen. Kompoſt von Zuckerfabriken darf ohne ge⸗ hörige Desinfektion mit Aetzkalk oder Hitze nicht mehr auf die Felder gelangen. Zur Zerſtörung der vorhandenen Schmarotzer ſcheinen zwei Wege offen zu ſein: Die Nematoden durch Einpflanzen und rechtzeitiges Wiederausrotten ihrer Lieblingspflanzen aus dem Erdreich zu entfernen, oder ſie ſo vollſtändig auszuhungern, daß ſie ſchwach genug werden, um den Angriffen ihrer Feinde zu unterliegen. Denn auch ſolche find vorhanden in Form von Pilzen. Letzteres Verfahren: anhaltende Brache ſcheint nach dem „Schleſiſchen Landwirt“ das relativ billigere Mittel zur Bekämpfung zu ſein. Daß es aber hohe Zeit iſt, allgemeine Schutzmaßregeln zu ergreifen, mag, daraus entnommen werden, daß ſchon bis zum Jahre 1876 von 25 Zuckerfabriken im Magdeburger Stadtbezirke 24 ihren Betrieb einſtellten infolge der Verwüſtungen, welcher dieſe kleine Schmarotzer in den dortigen Rübenfeldern verurſacht hatte. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. 30) yay i be Eine neue Erklärungsweiſe der eleßtriſchen und magnetiſchen Kraftwirkungen. Von den bekannten Katurerſcheinungen iſt keine in ein jo geheimnisvolles Dunkel gehüllt wie die Elektrizität und der damit im in⸗ nigſten Zuſammenhang ſtehende Magnetismus. Die erſte Hypotheſe über das Weſen der Elektrizität hat wohl der franzöſiſche Phyſiker du Fay ums Jahr 1733 aufgeſtellt, nachdem von ihm die Verſchiedenheit des elektriſchen Zu⸗ ſtandes entdeckt worden war. Derſelbe wollte nämlich die elektriſchen Wirkungen durch die damals zur Geltung ge⸗ kommene Carteſianiſche Wirbeltheorie erklären. Du Fay war jedoch mit dem naturnotwendigen Zuſammenhange der von ihm unterſchiedenen beiden Elektrizitätsarten nicht vertraut; dieſen in der entgegengeſetzten Polarität begrün⸗ deten Zuſammenhang zu entdecken, blieb Benjamin Frank⸗ lin vorbehalten, welcher denſelben mit den Worten aus⸗ drückte: „Gewinnt ein Körper an elektriſchem Feuer, fo muß ein andrer es verlieren.“ In dieſen Worten iſt die unitariſche Hypotheſe ausgeſprochen, nach welcher die poſitive und negative Elektrizität relative Erſcheinungen einer und derſelben Grundurſache ſind. Der italieniſche Profeſſor O. F. Moſſotti, der auf Franklins unitariſcher Hypotheſe fußte, kam darauf, einen Zuſammenhang zwiſchen der Elek⸗ trizität und der Schwerkraft finden zu wollen und der um das einheitliche Zuſammenfaſſen der elektriſchen Er⸗ ſcheinungen hochverdiente Faraday ſtimmte dieſer Idee zu, indem er 1857 ſchrieb: „Daß eine iſoliert für ſich beſtehende Gravitationskraft exiſtierte, welche keine Beziehung zu den andern Naturkräften und zu dem Prinzip von der Erhaltung der Kraft beſitzen ſollte, iſt ebenſowenig an⸗ zunehmen, wie ein Prinzip des Leichten gegenüber dem⸗ jenigen der Schwere. Die Gravitation mag nur ein übrig⸗ bleibender Reſt von den Naturkräften ſein“ u. ſ. w. Einige der bedeutendſten Phyſiker der Jetztzeit, wie Friedrich Zöllner und Wilhelm Weber ſind der Meinung, daß das ponderable (Schwerkraft beſitzende) Molekül eine Verbindung poſitiv und negativ elektriſcher Teilchen ſei und daß infolge davon, daß die Anziehungs⸗ kraft der ungleichartig elektriſchen Teilchen etwas größer als die Abſtoßungskraft gleichartiger Teilchen ſei, das Gravitationsgeſetz aus dem elektriſchen Grundgeſetze folge, welchen Gedanken zuerſt der Aſtrophyſiker Friedrich Zöllner ausgeſprochen hat. . Trotz alles dieſes geiſtreichen Strebens iſt immerhin die Urſache der Anziehung und Abſtoßung, welche bei den elektriſchen und magnetiſchen Erſcheinungen zu Tage tritt, noch zu erklären; denn es liegt darin etwas Geheimnis⸗ volles und ſelbſt für den Laien Frappantes, ſo daß die Beſtrebungen, etwas Licht in dieſen dunklen Wirkungs⸗ kreis der Naturkräfte zu werfen, wohl allgemeines In⸗ tereſſe bieten. Von Bedeutung ſind in dieſer Beziehung die Ex⸗ perimente, welche von Dr. C. A. Bjerknes (Profeſſor der mathematiſchen Wiſſenſchaften an der Univerſität zu Chriſtiana) und deſſen Sohne Wilhelm Bjerknes auf der elektriſchen Ausſtellung zu Paris angeſtellt wurden und großes Aufſehen bei den Phyſikern erregten. Schon im Jahre 1856 veröffentlichte Dr. Bjerknes eine mathematiſche Unterſuchung der vibratoriſchen Wirkung eines Körpers auf den andern oder auf ein in demſelben Medium befindliches Syſtem von Körpern, aber erſt 1875 kam er dazu, die Sache experimentell zu prüfen und ſeine Theorie in überraſchender Weiſe bewahrheitet zu finden. Seine Experimente beruhen auf den folgenden Grund⸗ lagen. Wird Luft in einer hohlen elaſtiſchen Kugel, alſo etwa in einem Kautſchukball abwechſelnd verdichtet und verdünnt, ſo wird die Kugel abwechſelnd größer und kleiner, je nachdem mehr Luft hineingepreßt oder zum Teil heraus⸗ getrieben wird. Befindet ſich eine ſolche vibrierende Kugel in einer Flüſſigkeit, fo wird ſie durch ihre vraſch aufein⸗ ander folgenden Volumenveränderungen in dieſer Flüſſig⸗ keit Pulſationen erregen, welche radial vom Mittelpunkte der Kugel ſich fortpflanzen und nach dem Geſetze der radial wirkenden Kräfte, wozu ja auch die Gravitation gehört, auf das umgebende Medium, ſowie auf die darin befind⸗ lichen Körper wirken. Hiernach muß alſo die Intenſität⸗ des Einfluſſes der pulſierenden Kugel auf irgend einen Punkt ihrer Umgebung, liege er nah oder fern, ſich um⸗ gekehrt wie das Quadrat der Entfernung dieſes Punktes vom pulſierenden Körper verhalten, alſo in der zwei⸗ fachen Entfernung ein Viertel, in der dreifachen Ent⸗ fernung ein Neuntel u. ſ. f. von der Kraftwirkung an der Oberfläche des pulſierenden Körpers betragen. Durch die bezüglichen Experimente ſtellte ſich nun in Uebereinſtim⸗ mung mit den Rechnungsreſultaten der mathematiſchen Theorie heraus, daß wenn zwei pulſierende oder vibrierende, in dasſelbe Medium eingetauchte Körper ähnliche Vibrations⸗ phaſen haben, d. h. ſich ganz gleichzeitig ausdehnen und zuſammenziehen, dieſelben ſich gegenſeitig anziehen, wäh⸗ rend ſie bei entgegengeſetzten Vibrationsphaſen, d. h. wenn ſie ſich wechſelſeitig ausdehnen und zuſammenziehen, ein⸗ ander abſtoßen. Es ſind dies ganz analoge Wirkungen, wie bei der elektriſchen und magnetiſchen Anziehung durch ungleiche Polarität und Abſtoßung durch gleiche Polarität, obſchon hierbei die dynamiſchen Zuſtände der beiden ſich anziehenden Körper bei der Anziehung analog und bei der Abſtoßung verſchieden erſcheinen, während man mit Bezug auf dieſe Erſcheinungen an elektriſchen und magnetiſchen Körpern das Umgekehrte vorausſetzt. Ein einfacher Verſuch dient zur Illuſtrierung dieſer Humboldt. — Juni 1882. 22 Erſcheinungen. Wenn man zwei gleich große und ſonſt gleich beſchaffene hölzerne Kugeln a und b (Fig. 1) aus nicht zu großer Höhe und in geringer Entfernung von⸗ einander auf einen ruhigen Waſſerſpiegel fallen läßt, ſo werden dieſelben infolge der entgegengeſetzten Wirkungen zwiſchen ihrer Trägheit und dem hydroſtatiſchen Auftrieb Fig. 1. eine Zeitlang im Waſſer auf und nieder tanzen und dabei ähnliche Pulſationen im Waſſer hervorrufen, wie wir ſolche oben in den gleichzeitig pulſierenden elaſtiſchen Kugeln vorausſetzten. Sind alſo die beiden Holzkugeln a und b gleich groß und gleich ſchwer und hat man dieſelben gleich— zeitig aus gleicher Höhe herabfallen gelaſſen, ſo werden auch ihre Einwirkungen auf das Waſſer genau dieſelben ſein und dasſelbe wird um beide Kugeln herum ganz gleich— zeitig vor ſich gehende kreisförmig fic) ausbreitende Wellen- bewegungen entfalten und die beiden Kugeln werden eine gegenſeitige Anziehung aufeinander ausüben, ſo daß ſie ſich einander nähern und endlich in Berührung kommen werden, vorausgeſetzt, daß die Pulſationen des Waſſers lange genug aushalten. Sit dagegen eine von den beiden Kugeln, etwa e in Fig. 2 bei gleichem Durchmeſſer ſchwerer als die andre Fig. 2. Kugel a, jedoch immerhin noch ſchwimmfähig, ſo wird die⸗ ſelbe bei dem gleichzeitigen Herabfallen aus gleicher Höhe tiefer untertauchen, auf der andern Seite der Kugel a wieder emporſteigen und von dieſer abgeſtoßen werden, wie dies in Fig. 2 angedeutet iſt. Bei der Ausführung ſeiner Experimente in Paris be- bediente ſich Dr. Bjerkens eines mit Glaswänden fon- ſtruierten und mit Waſſer gefüllten Kaſtens, worin ein aus zwei horizontalen Luftpumpen und zweier damit ver⸗ bundenen pulſierenden Trommeln beſtehender Apparat ein- eingetaucht war. Von dieſen pulſierenden Trommeln, iſt die eine (a in Fig. 3) feſt, die andere (b) aber beweglich Fig. 3. ſo daß ihre Entfernung zur feſten Trommel reguliert werden kann; fie beſtehen je aus einem kurzen Metall— cylinder, auf deſſen beide Endflächen elaſtiſche Membrane geſpannt ſind und beide ſind durch Kautſchukſchläuche mit je einer Luftpumpe verbunden. Durch eine geeignete Vorrichtung der Maſchinerie kann nun bewirkt werden, daß beide Trommeln entweder gleichzeitige Ein- und Aus- biegungen erleiden, wie dies Fig. 4 darſtellt, wobei die beiden Trommeln ſich anziehen, oder daß die Aus- und Einbiegungen ungleichzeitig erfolgen, wobei die beiden Trommeln einander abſtoßen, wie Fig. 5 illuſtriert. Durch die Anwendung einer Doppeltrommel, in deren Mitte ſich eine, die beiden Trommelfelle voneinander ſe— parierende ſteife Scheidewand befindet und bei welcher jede der beiden Abteilungen mit einer der beiden Luft— pumpen verbunden war, konnte die Wirkung eines mit Fig. 5. entgegengeſetzten Polen verſehenen Magnetſtabes in über— raſchender Weiſe nachgeahmt werden, indem die eine Seite dieſer Doppeltrommel auf die andre einfache Trommel anziehend, die andre Seite aber abſtoßend wirkſam ge— macht werden konnte. Welche Folgerungen hieraus auf die Grundurſache der elektriſchen und magnetiſchen Anziehung und Ab— ſtoßung zu ziehen ſind, will ich hier dahin geſtellt ſein laſſen. Intereſſant iſt die Sache jedenfalls. Schw. Der größte Eleſttromagnet ijt Eigentum des phy- ſikaliſchen Inſtituts der Univerſität Greifswald. Der— ſelbe wurde hergeſtellt aus 28 Lamellen von 7 mm dickem Eiſenblech, da ein maſſiver Eiſenkern wegen der bedeutenden Koſten und anderer Schwierigkeiten nicht an— wendbar war. Die Lamellen wurden ſo geſchnitten, daß ihre Breite den aufeinander folgenden parallelen Sehnen eines Kreiſes von 7 , 28 -= 196 mm Durchmeſſer ent— ſprach. Im Feuer hufeiſenförmig gebogen, wurden die Lamellen auf den einander zugewandten Seiten lackiert, damit die Wirkung der Extraſtröme ſo groß wie möglich wurde und dann zuſammengefügt. Die vorſpringenden Kan— ten der verſchieden breiten Lamellen wurden mit der Feile entfernt. Auf dieſe Weiſe erhielt man einen Hufeiſenmag— neten, deſſen Höhe 1270 mm war, der Durchmeſſer des cylindriſchen Kerns betrug 195 mm, die ganze Länge des Kerns 2706 mm, der Polabſtand von der Mitte des Cy— linders gemeſſen 596mm und das Gewicht des Kerns 628 kg. Die Magnetiſierungsſpirale wurde teils aus Band— kupfer, teils aus Kupferdraht hergeſtellt. Das Bandkupfer wurde in Ringen zu je 15 Windungen, die durch Gattapercha⸗ ſtreifen voneinander getrennt waren, über den Kern geſtreift und die Enden ſo verlötet, daß alles eine fortlaufende Lei— tung bildete. Der Kupferdraht wurde umgelegt, indem je 2 Drähte nebeneinander aufwärts gebunden wurden, dann ab— wärts, zwiſchen die Lagen, kam ſtarkes Papier. Auf dieſe Weiſe erhielt man noch 5 Doppellagen von je 2 Drähten, ſo daß mit dem Bandkupfer 25 übereinander liegende Win— dungen vorhanden waren. Das Gewicht derſelben betrug 275 kg, das Geſamtgewicht alſo 903 kg. Zum Vergleiche fügen wir die Maße der ſonſt bekannten großen Elektro— magnete bei. on Bo 2 2 ae 2 „ | Se | eo |= 2 5 Se Se = a2 E „ % lene me ieee lee 2 „„ | 8 |? |e A =) mm mm kg mm kg Faradays Hufeiſen⸗ magnet. 1168 95,25 64,8 152 3 85,1 Plückers Hufeiſen⸗ magnet. . . 1320 102 84 284 3p ile) Greifswalder Huf⸗ | cijenmagnet 2706 | 195 628 596 25 903 - Der Eiſenkern wurde in einem auf Rädern ruhenden Kaſten aus ſtarken Eichenbohlen mit Zement eingemauert. Zur Erzeugung des elektriſchen Stromes dienten 54 Grove⸗ Poggendorffſche Elemente. Mit dieſem gewaltigen Apparate wurden die verſchiedenſten Experimente angeſtellt, von denen wir hervorheben: Eiſenſtücke hafteten zu mehreren an⸗ einander, wenn ſie unter dem Einfluß des Magneten waren auch in fußweiter Entfernung. Ließ man zwiſchen den Polen einen Kupfercylinder rotieren, in dem ſich 40 gr leichtflüſſiges Woodſches Metall befand (Schmelzpunkt 65 — 70 C.), fo ſchmolz dasſelbe ſchon in weniger als 2 Minuten. Eine Kupferſcheibe von 25em Durch⸗ meſſer, die in vertikaler Ebene durch ein Gewicht in raſche Rotation verſetzt werden konnte, verlangſamte bei geſchloſ— ſenem Strome zwiſchen den Polen des Magneten die Bewegung faſt bis zum Stillſtehen. Die Drehung der Polariſationsebene wurde in Faradayſchem Flintglas bei nur einmaligem Durchgang des polariſierten Lichtes beobachtet. Bei Anwendung von Zuckerlöſung in einer 20 em langen Röhre drehte ſich die Polariſationsebene beim Humboldt. — Juni 1882. ſicht gewährt das von mir?) beſchriebene „Poroskop“ ber der Unterſuchung einer größeren Reihe von Subſtanzen ebenſo überraſchende wie lehrreiche Aufſchlüſſe. Von dem zu unterſuchenden Materiale werden, wo es angeht, Cylinder von 3 em Länge und 3 gem Querſchnitt (andernfalls Scheiben von demſelben Querſchnitte) gebildet und in den, in der Mitte einen ringförmigen Schild tragenden Meſſing⸗ cylinder (CC in Fig. 1) luftdicht fo eingekittet, daß nur die Endquerſchnitte (QQ) der poröſen Subſtanz frei bleiben. Das Kapſelporoskop“ **) beſteht aus einem ſolchen mit zwei Verſchlußkapſeln verſehenen Meſſingeylinder und einem darin eingekitteten poröſen, z. B. aus Rotbuchenholz ver⸗ fertigten, Cylinder. Beim Aufſetzen der beiden Kapſeln, und bei der Hinz und Herbewegung der einen von ihnen, folgt die andere Kapſel, ſo treu mit, daß es den Anſchein hat, als bewege ſich der Meſſingeylinder durch die ring⸗ förmige Scheidewand. Eine dritte Kapſel ijt mit einem Stöpſelverſchluß verſehen und fungiert wie die anderen beiden; wird jedoch der Stöpſel aus derſelben entfernt, ſo iſt von dem Mitbewegungsphänomen keine Spur mehr vorhanden. Polwechſel vom Rot in helles Blau. „Die magnetiſche Wirkung auf Flüſ⸗ =i jigteiten, Gaſe und Flammen, ſowie die gewöhnlichen Erſcheinungen des Dia— f magnetismus, die Einſtellung der Mag⸗ = iil — — = netkriſtallaxen gegen nähere und fernere 5 = Pole, die Anziehungs- und Abſtoßungs⸗ erſcheinungen bei Anwendung der Dreh⸗ wege u. ſ. w. können mit ſo volumi⸗ nöſen Objekten dargeſtellt werden, daß ſie im größten Auditorium ſichtbar ſind.“ (Mitteilungen des naturwiſſenſchaftlichen Vereins für Neu⸗Vorpommern und Rügen. 1880.) B. Aeber den Durchgang von Luff durch poröſe Körper bei minimalen Druckunterſchieden. Ueber dieſes Thema hielt Herr Chriſtiani in der phyſiologiſchen Geſell⸗ ſchaft zu Berlin einen Vortrag, den wir hier wiedergeben. Daß poröſe Körper, anorganiſche, wie organiſche, bei höheren Druckunterſchieden für Gaſe durchgängig ſind, iſt eine jedermann geläufige, wenn auch häufig mehr dog⸗ matiſch als experimentell überkommene Thatſache. Völlig neu dagegen iſt meines Wiſſens die Erkenntnis, daß für gewiſſe Körper diejenigen Druckkräfte verſchwindend klein ſind, welche eben noch hinreichen, in verſchwindend kleiner Zeit Luft durch ſie hindurchtreten zu laſſen, obgleich die betreffenden Mittel beiweitem weniger porös erſcheinen, als andere, durch welche, paradoxer Weiſe gerade im Gegen⸗ teil, nur vermittelſt verhältnismäßig außerordentlich großer Drucke Luft hindurchgepreßt werden kann. In dieſer Hin⸗ Fig. 2. Eine zweite Art von Poroskopen bilden die „Mano⸗ meterporoskope“ (Fig. 2). Sie dienen namentlich feineren Beobachtungen aber auch Demonſtrationszwecken und für letztere genügt es, oft die poröſen Cylinder ſo, wie ſie ſind, ohne Meſſingfaſſung in Anwendung zu bringen. Dieſe unmittelbare Einfügung der poröſen Subſtanzen iſt bemerkenswerter Weiſe möglich und zuläſſig, wenn es ſich um einen parallel der Längsfaſer geſchnittenen Buchsbaum⸗ cylinder handelt, oder, wenn die Cylinder aus Zweigen von der entſprechenden Dicke anderer ganz friſcher Hölzer unter ſorgfältiger Schonung der Rinde entnommen werden. In den Manometerporoskopen werden die Enden der Cylin⸗ der durch Kautſchukſchläuche (bei feineren Unterſuchungen durch Bleiröhren) mit dem druckzuführenden Rohre (R) nur mit zwei Manometern (Mi und Me) in Verbindung geſetzt. Die Manometer enthalten, je nach Umſtänden, Queckſilber oder Waſſer als Sperrflüſſigkeit. Mit Waſſer als Sperrflüſſigkeit wird das Poroskop ſo em⸗ ) In den Verhandlungen der phyſiologiſchen Geſellſchaft in Berlin. 1882. Nr. 1. S. 10 ff. 2 0 **) Die Poroskope werden nach meinen Angaben von dem Mechaniker des Berliner phyſiologiſchen Inſtitutes, Herrn Pfeil, angefertigt. Humboldt. — Juni 1882. 227 pfindlich, daß ſchon ein ganz leicht verſtärktes Atmen bei offenem Munde in der Nähe der freien Mündung des Druckrohres R die Kuppen im Manometer Me in merklichen Ausſchlägen mit⸗ ſchwanken läßt, wenn in den Kautſchukſchläuchen (bei C) ein Längscylinder aus Budsbaumbhol;*) eingeſchalten iſt. Die Mitbewegung der Kapſel am Kapſelporoskope und der Sperrflüſſigkeit in Manometer Me des Manometerporoskopes iſt übrigens, wie vorauszuſehen war, eine aperiodiſche. Nach meinen bisherigen Beobachtungen am Manometer⸗ poroskope laſſen fic) bezüglich der Leichtigkeit des Luft- durchtrittes unter Druck für's erſte drei Arten von Körpern unterſcheiden, nämlich: a) äußerſt leicht, 8) weniger leicht, 1) ſehr ſchwer durchgängige Körper. Bedeutet A den in Mi beobachteten, eventuell in Queck— ſilber abgeleſenen, aber auf Waſſer als Sperrflüſſigkeit umgerechneten Ueberdruck, der ſtattfindet, wenn in Me eben wahrnehmbare Aenderungen des Kuppenſtandes eintreten, ſo findet ſich in erſter Annäherung: A, < 0°005 m; Ag < 005 m; A, > 05 m für folgende Subſtanzen: a) Verſchiedene Lederarten (Schafleder, Ziegenleder, Rindleder u. ſ. w.); ) Hölzer in Längscylindern: 1) alte, trockene: Buchsbaum und Rotbuche, 2) ganz friſche: ““) Eiche (Kaukaſiſche Eiche, Q. pedunculata, sessiliflora, bicolor); Ulme (U. coryllifolia); Buche; Pappel (P. monilifera); Weide (S. fra- gilis); Elaeagnus. Dichter Mauerſtein (Klinker); Längscylinder von friſchen Linden- und Hollunderzweigen und von Fichtenholzkohle. Thonzellen galvaniſcher Elemente (noch unbenutzte); Elfenbein; Kork; alte und friſche Nadelhölzer: (Pinus silvestris, strobus; Picea excelsa; Taxo— dium); trockenes Hollundermark; altes trockenes Eichenholz aus der Werkſtatt; der Quere nach dem Holz entnommene Cylinder aus: Buchsbaum, Rot— buche, Fichtenholzkohle. Die durch die Poroskopie gewonnene Erkenntnis, daß unter Umſtänden Porenweiten von ſo niedriger Ordnung, wie ſolche durch einige der unter « und 8 genannten Körper dargeboten werden, für minimale Drucke der Luft Durch— tritt gewähren, iſt offenbar nicht nur für die pflanzliche, ſondern auch für die animale Phyſiologie, für die Lehren von der Reſpiration, Perſpiration, vom Gaswechſel unter Druck überhaupt, von dem größten Intereſſe. Mit dieſer Erkenntnis wird vieles bisher unverſtändlich gebliebene klar werden. So wird, um nur ein ſolches Beiſpiel hier an— zuführen, verſtändlich, woher die durch Tracheenkiemen im Waſſer atmenden Libellenlarven die Kraft gewinnen, die Gaſe durch die äußerſt feinen Poren ihrer Schwanzanhänge treten zu laſſen. Ein ſehr geringer negativer Druck, wie er im Leibe durch den Stoffwechſel während des Lebens wohl fortwährend erzeugt wird, genügt hier eben, der äußeren 10 Luft den Eintritt in die Porenkanälchen zu verſchaffen. Der hypothetiſchen Forderung, die ich mir bei dieſer Be— trachtung ſtellte, daß dieſe Porenkanälchen der ſo im Waſſer atmenden Tiere zum Schutze vor Durchnäſſung mit Fett bekleidet fein müßten, wird, wie mir Herr Dr. Brandt auf meine Frage mitteilte, ſehr gut Rechnung getragen, indem in der That die Chitingebilde durchweg mit einer feinen Fettſchicht überzogen ſind. K. ) Oder eine andere der unten unter & verzeichneten Subſtanzen. “*) Menſchliche Haut, namentlich im möglichſt friſchen Zuſtande, ſoll bei nächſter ſich darbietender Gelegenheit unterſucht werden. ) Herr Dr. Kurtz hatte die Güte, mir ſolche aus dem botaniſchen Garten zu verſchaffen. Chemie. Die Herſtellung von Jarbſtoſſen der Noſanilin- gruppe durch Einwirkung von Nitrobenzylchlorid auf Salze primärer aromatiſcher Amine bei Gegenwart von Oeydationsmitteln. Man erhitzt 1 Aequivalent Nitrobenzylchlorid (Ce HNO CII2 Cl) mit 2 Aequivalent Anilinſulfat oder ſchwefelfaurem Toluidin oder einer Miſchung von beiden unter Zuſatz von 1 Aequivalent Eiſen— chlorid auf 170 bis 200% ., bis man eine bronzeglänzende Schmelze erhält und zieht aus dieſer Schmelze mit Waſſer und Salzſäure die waſſerlöslichen Farbſtoffe der Roſanilin— gruppe aus. Wendet man bei dieſem Verfahren die betreffenden Sulfoſäuren von Anilin, Tolnidin und ihren Homologen an, jo erhält man Roſanilinfarbſtoffe, die die Sulfoſaure⸗ gruppe enthalten. Auch hierbei kann das Eiſenchlorid durch andre Oxydationsmittel erſetzt werden. Haben alle dieſe Verfahren bis jetzt auch noch keine praktiſche Verwendung in der Fabrikation ſelbſt gefunden, ſo iſt doch damit unleugbar ein großer Fortſchritt gemacht und zum Behufe der Roſanilindarſtellung eine neue Bahn eingeſchlagen worden, die für die Darſtellung dieſes Farb— ſtoffes aus den oben ſchon angeführten Gründen nicht ohne Wichtigkeit ſein dürfte. — E. Blaue und rote Jarbſtoffe. Horace Köchlin in Lörrach und D. Otto N. Witt in Mühlhauſen i. E. haben ein Patent auf die Darſtellung blauer und roter Farbſtoffe (D. P. 15915) genommen. Derſelbe erhält die Farbſtoffe nach 2 verſchiedenen Methoden, und zwar zunächſt nach Methode I dadurch, daß er die Nitroſoderivate tertiärer aromatiſcher Amine oder Phenole oder die ſogenannte Chlorchinonimide mit alkaliſchen oder ammoniakaliſchen Löſungen von Phenolen zuſammenbringt und darauf Reduktionsmittel, wie Zink— ſtaub, Zinkoxydul, Traubenzucker ꝛc. einwirken läßt, oder dadurch, daß er nach Methode II ſchwach alkaliſche, neutrale oder ſchwach ſaure Miſchungen von Phenolen, mit Paramido— körpern von Phenolen, primären, ſekundären und tertiären aromatiſchen Aminen, mit Oxydationsmitteln behandelt. Zu Oxydationsmitteln können angewendet werden zu— nächſt der Sauerſtoff der Luft oder Chromate, Ferricyanüre, Permanganate, Hypochloride oder ähnlich wirkende Sub— ſtanzen. Derſelbe erhält u. a. einen blauen Farbſtoff aus Amidodimethylanilin und Phenol oder Naphtol auf folgende Weiſe: 10 kg Nitroſodimethylanilinchlorhydrat werden in 100 kg Waſſer gelöſt und mittels 10 kg Zinkſtaub bei 45 bis 50°C Erwärmung zu Paramidodimethylanilin re— duziert. Die ſo erhaltene Löſung wird nun gemiſcht mit einer Löſung von 12 kg Naphtol, 12 kg Kaliumbichromat in 100 kg Waſſer. Nachdem man dieſer Miſchung etwas Eſſigſäure zugefügt hat, entſteht der Farbſtoff ſofort und fällt in ſchwach ſaurer Löſung vollſtändig aus. Man er- hält auf dieſe Weiſe mit & Naphtol ein reines Blau, mit Phenol ein mehr grünſtichiges Blau und mit Reſorein und 8 Naphtol violette und graublaue Farbſtoffe. Es laſſen ſich dieſelben Farbſtoffe jedoch auch auf folgende ſehr einfache Weiſe direkt auf der Faſer darſtellen, was bei dem Kattundrucke gewiſſe Vorteile bietet. I. Man imprägniert den Stoff mit einer Löſung Naphtolnatrium und nachdem dies getrocknet, bedruckt man mit einer verdickten Löſung von Nitroſodimethylanilinchlor— hydrat, der ein nur in alkaliſcher Löſung wirkendes Re- duktionsmittel (wie Zinnoxydul, Traubenzucker,) beigemiſcht iſt und erhält dann die Farbe nach dem Dämpfen licht, und waſchecht. II. Man klotzt den Stoff mit einer Löſung von Traubenzucker und bedruckt ihn dann mit einer verdickten Löſung von Nitroſodimethylanilin und Naphtolnatrium. Auch hier kommt die Farbe nach dem Dämpfen zum Vor— ſchein. III. Methode: Man bedruckt den gebleichten Stoff ohne vorhergegangene Präparation mit einer verdickten 228 Humboldt. — Juni 1882. Löſung von Amidodimethylanilin und Naphtolnatrium, dämpft und zieht ihn dann durch eine Löſung von Kalium⸗ bichromat und waſcht. Die Farbe entwickelt ſich im Chromat⸗ bade. Dieſe erhaltenen Farben zeichnen ſich durch große Beſtändigkeit dem Lichte und der Luft gegenüber aus, und iſt in dieſer Beziehung das ſo erhaltene Naphtolblau ſelbſt dem Indigo vorzuziehen. E. e e e Irrige Anſchauung über den altertümlichen Cha- rater der Tiefſeefauna. Durch die in neuerer Zeit aus⸗ geführten Schleppnetzunterſuchungen ſind zahlreiche Formen von Typen, die man vorher nur als Verſteinerungen zum Teil aus älteren Formationen kannte, zu Tage ge⸗ fördert worden; nachdem ſie ſchon ſeit vielen Jahrtauſenden von der Bühne des Lebens geſchwunden zu ſein ſchienen, fand plötzlich vor den Augen des erſtaunten Forſchers ihre Auferſtehung als „lebende Foſſilien“ ſtatt, die wie die Mahnen Verſtorbener aus der Unterwelt auftauchten, und zwar hat ſich allgemein die Anſicht verbreitet, daß jene Tiere vorwiegend in den größten Meerestiefen unter 500 Faden angetroffen worden ſeien, was in der Annahme gleich⸗ mäßiger Lebensbedingungen undinfolgedeffen in langſameren Fortſchritten der Formveränderung eine naheliegende Er⸗ klärung zu finden ſchien. Zu den Typen, welche der Tiefſeefauna einen alter⸗ tümlichen Charakter verleihen ſollten, gehören die geſtielten Haarſterne (Crinoiden) und viele Seeigel (Echinothurien, Galeriten, Salenien, Ananchyten), ferner die merkwürdigen Glasſchwämme (Hexactinelliden und Lithiſtiden) mit ihrem wunderbar kunſtreichen Kieſelgeflecht. M. Neumayr tritt nun dieſer Anſchauung von dem foſſilen Charakter der Tiefſeefaung auf Grund ſtatiſtiſcher Daten, einer Monographie der von der Challengerexpedition erbeuteten Seeigel von A. Ag aſſiz entnommen, entſchieden entgegen; dieſes Werk enthält eine Zuſammenſtellung aller bis jetzt bekannten lebenden Seeigel nach ihrer vertikalen Verbreitung im Meere, und gerade die Seeigel ſind für die obige Annahme von beſonderem Intereſſe, weil unter ihnen die meiſten altertümlichen Formen gefunden worden ſind und man deren Verbreitungsbezirk in die größten Tiefen zu verſetzen gewohnt iſt. 1. Von den Hauptgruppen der Seeigel, den regulären (Mund und After polar entgegengeſetzt) und irregulären (Mund ſeitlich) finden ſich die erſteren ſchon in den älteren Formationen, während die letzteren erſt ſpäter auftreten und man ſollte demnach erwarten, daß ſich verhältnis⸗ mäßig mehr reguläre in der Tiefſee finden. Es treten nun in der Litoralzone (bis zu 100 bis 150 Faden) 211 Seeigelarten auf, worunter 51% reguläre und 49% irreguläre find; in der Tiefſee (unter 450 bis 500 Faden) 74 Arten, worunter 46 % regulär, 54% irregulär ſind; wenn man davon diejenigen, welche auch in der Litoralzone leben, abzieht, ſo bleiben nur noch 40% reguläre und 60% ͤirreguläre. „Wir ſehen alſo, daß im ſeichten Waſſer die geologiſch alten regulären ſtärker vertreten ſind, die geologiſch jüngeren irregulären in der Tiefſee.“ 2. Ein ähnliches Reſultat geht aus der Betrachtung der einzelnen Gattungen hervor. Die Gattung Cidaris, welche ſich ſchon in der Tiefſee findet, tritt lebend in der Litoralzone auf und reicht nur mit einer Art in die Kontinentalzone, wie die zwiſchen jener und der Tiefſee (abyſſiſche Zone) liegende Region benannt wird; von 3 bekannten juraſſiſchen Formen findet ſich keine in der Tiefſee, 1 in der litoralen Zone (Echinobriſſus), 2 treten in der kontinentalen Zone auf (Hemipedina und Pachy⸗ gaſter). Von 22 bis in die Kreideformation herab⸗ gehenden Gattungen kennt man aus der litoralen Zone 8, aus der kontinentalen 9, aus der Tiefſee 5, von denen aber 4, ſogar mit denſelben Arten, höher hinaufgehen und nur Hemiaſter in den großen Tiefen ſeine Hauptverbreitung hat. Es ergibt ſich, „daß die allerälteſten Typen der Diefſee ganz fehlen und daß meſozoiſche Genera am beſten in der kontinentalen, nächſtdem in der litoralen, am ſchwächſten in der abyſſiſchen Region vertreten ind.“ g 3. Von drei altertümlichen Familien, worunter wir die an die Echinothurien der Kreidezeit erinnernden Gattungen Phormoſoma und Asthenoſoma mit beweg⸗ lichen dachziegelförmig angeordneten Täfelchen hervorheben, finden ſich allerdings die lebenden Vertreter vorwiegend in der Tiefſee, aber ganz ebenſo ſind andre alte Typen ſogar ausſchließlich an die litorale Zone gebunden. Unter 13 geologiſch alten Gruppen ſind 4 vorwiegend und 2 ausſchließlich litoral, 1 vorwiegend und 1 ausſchließlich kontinental, 2 vorwiegend litoral und kontinental, 3 vor⸗ wiegend abyſſiſch; alſo keine gehört ausſchließlich der Tief⸗ ee an. 9 Wenn fernerhin die bis in die älteſten Formationen zurückgehenden geſtielten Crinoiden mit Vorliebe für den foſſilen Charakter der Tiefſeefauna angeführt werden, ſo entſpricht dieſe Auffaſſung den thatſächlichen Verhältniſſen inſofern nicht, als jene Organismen von jeher an die tiefen Regionen des Ozeans geknüpft waren. Der Nach⸗ weis ihrer großen Verbreitung durch die Tiefſeeforſchungen erregte dadurch ſo gerechtes Erſtaunen und rief den Ein⸗ druck einer geologiſchen Renaiſſance hervor, daß die ge⸗ nannten Formen in den uns bekannten Tertiärſchichten faſt ganz fehlen, alſo ſchon damals auf den Ausſterbeetat geſetzt zu ſein ſchienen, was nach Neumayr ſehr einfach darin ſeine Erklärung findet, daß überhaupt Tiefſeebildungen aus jener Zeit kaum bekannt ſind. „Stellen wir uns vor, wir kennten die recente Vieffeefauna ſeit langer Zeit ſehr genau und auch aus der Tertiärzeit lägen lauter Tiefſeeablagerungen vor; wäre es nun durch neue Methoden gelungen, auch die Litoralfauna der jetzigen Meere zu er⸗ forſchen, ſo käme uns ſicher das maſſenhafte Auftreten ge⸗ waltiger Aſträen, Mäandrinen, Favien u. ſ. w., überhaupt der großen Gruppen litoraler Tiere als ein ausgeſprochener altertümlicher Zug vor.“ Ebenſo merkwürdig müßte, wenn wir jetzt erſt die Seichtwaſſerfauna genauer kennen lernten, das Auftreten der bis in die cambriſche Formation herabgehenden Lingula, das der Pfeilſchwanzkrebſe, welche an die Trilobiten erinnern, erſcheinen; auch Nautilus, die Myxinoiden und die Störe, die Vertreter der alten Ganoidfiſche, find keine Tiefſeetiere. Kurz, es hat jede Meeresregion, das Feſtland und Süßwaſſer „lebende Foſſilien“;die Schleppnetzunterſuchungen haben uns bei der Menge neuer Formen auch zahlreiche altertümliche kennen gelernt; ihnen wurde vorzugsweiſe Intereſſe geſchenkt, ſo daß man glaubte, ſie ſeien in be⸗ ſonderer Menge vorhanden; es verbreitete ſich ferner die irrige Annahme, alle dieſe Funde ſtammten wirklich aus der Tiefe; die meiſten in der Tiefſee auftretenden alten Formen fehlen im Tertiär; durch dieſe Umſtände und durch die aprioriſtiſche Annahme, daß in tiefen Meeres⸗ zonen die Arten langſamer variieren, erklärt es ſich, daß man der Tiefſeefauna einen altertümlichen Charakter zuſchreibt. Neues Jahrb. für Mineralogie, Geologie und Paläon⸗ tologie. 1882. Band I, 2. Heft, Seite 123. W. Sch. O. Bütſchli, Gedanken über Leben und Tod. (Zool. Anz. Nr. 103.) Anknüpfend an ſeine berühmten Unterſuchungen über „die erſten Entwickelungsvorgänge der Eizelle, die Zellteilung und die Konjugation der Infu⸗ ſorien“, Abhandlungen der Senckenbergiſchen Naturfor⸗ ſchenden Geſellſchaft zu Frankfurt a. M., 1876, macht Bütſchli auf den ſcharfen Gegenſatz zwiſchen den Urtieren und den höheren Tieren aufmerkſam, der darin beſteht, daß das Individuum der durch Teilung ſich fortpflanzen⸗ den Urtiere durch dieſen Prozeß ſeine Sonderexiſtenz auf⸗ gibt und ſich gleichſam in zwei neue Individualitäten ſpaltet, während die höheren Tiere beſtimmt und ſcharf geſondert neben ihren Nachkommen mehr oder weniger lang weiter exiſtieren. Der Tod der höheren Tiere ſei nicht das Er⸗ löſchen des Lebens überhaupt, ſondern nur das der indi⸗ viduellen Exiſtenz; demgemäß könne die Fortpflanzung der einzelligen Weſen, da durch dieſelbe ja die individuelle Exi⸗ Humboldt. — Juni 1882. ſtenz aufgehoben werde, zugleich als der Tod des betreffen⸗ den Individuums bezeichnet werden. Aber bei dieſem letz⸗ teren Tod werde keineswegs — wie bei dem Tod der höheren Tiere — lebende Subſtanz aus dem Bereich des Lebens ausgeſchieden, da ja beide aus der Teilung hervor- gegangenen Weſen weiterleben und ſich auch bald wieder weiterteilen, alſo auch nicht den Keim des Todes in ſich tragen, wie die höheren Tiere, ſondern immer fortexiſtieren können, wenn ſie nicht durch einen äußerlichen Unfall um ihr Leben kommen. Die Beſchränkung der Lebenszeit der höheren Tiere könne man ſich hypothetiſch durch die An⸗ nahme einer beſtimmten Quantität eines in gewiſſem Sinn fermentartig wirkenden Stoffes begreiflicher machen, der die eigentümlichen Lebensäußerungen der Zellen bedinge, aus dem vom Muttertier ſich ablöſenden Ei ſtamme, aber ſich allmählich aufbrauche und das Ende des Individuums herbeiführe, während dagegen die Urtiere dieſes Lebens— ferment fortwährend neu erzeugten und daher eigentlich nicht dem Tode anheimfielen. In den den urſprünglichen Charakter auch am meiſten bewahrenden Zellen der Keim— ſtätten der höheren Tiere nun werde neues Lebensferment für die Nachkommenſchaft aufgehäuft. Die Konjugations- erſcheinungen der Urtiere einerſeits und die Befruchtungs— vorgänge bet den höheren Tieren anderſeits erlaubten jo- gar die Annahme, daß dies Lebensferment vorzugsweiſe im Zellkern (Eikern, Spermakern) konzentriert ſei. Rb. Aeber Entwickelungshemmung bei der Geburts- helferſtröte (Alytes obstetricans) teilt Brunt (Zool. Anz. Nr. 104) folgendes mit: Am 11. Juni 1879 wur⸗ den die Larven aus dem Ei gelöſt, ſind jetzt etwa 77 mm lang, haben deutliche Hinterextremitäten, während die Vor— derextremitäten äußerlich noch gar nicht erkennbar ſind. Auf dieſem Stadium find die jetzt über 2 ½ Jahre alten Larven ſtehen geblieben, die doch unter normalen Umſtän⸗ den in wenigen Wochen ihre Metamorphoſe beendigt haben würden. Die anatomiſche Unterſuchung hat gut entwickelte Lungen nachgewieſen, wie überhaupt von Brunk nichts von pathologiſchen Erſcheinungen berichtet wird. Bei der Erklärung dieſer retardierten Entwickelung muß hervor— gehoben werden, daß das Zimmer, in dem die Tiere ge— oe wurden, ſtets behaglich erwärmt war, und daß fie urchaus nicht auf künſtliche Weiſe zu einem bleibenden Aufenthalt im Waſſer genötigt waren, ſondern reichlich Gelegenheit hatten, auf Steine und Moos zu klettern, um ſich an den Luftaufenthalt zu gewöhnen. Brunk ſucht die Urſache dieſer eigentümlichen Erſcheinung in der ſpär— lichen, nur in Algen beſtehenden Nahrung, die zwar ge— nügt habe, die Larven auf dies Entwickelungsſtadium zu bringen und ihr Leben weiter zu friſten, aber nicht hin— reiche, die Metamorphoſe zu beenden. Brunk ſtellt wei- tere Mitteilungen über die anatomiſchen Befunde ꝛc. in Ausſicht, auf die man mit Recht geſpannt ſein kann. R Seog tay hve Aeber die Veränderung der Farbe des BWittel- ländiſchen Meeres und anderer Gewäſſer hat John Aithon, der ſchon vor einiger Zeit um die Erforſchung der Urſachen der Nebelbildung ſich Verdienſte erworben, neuerdings Unterſuchungen angeſtellt, deren Reſultate der Royal Society zu Edinburg in einer der letzten Sitzungen vorgelegt wurden. Herr Aithon berichtet, daß er die Farbe des genannten Waſſers ſehr ſchön fand und daß dieſelbe ſich von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag veränderte. Die brillanteſten Effekte machten ſich bemerk⸗ lich, nachdem ſtarker Wind das Waſſer gegen die Küſten getrieben hatte und die Farbentöne waren ſo verſchieden, daß kein Maler ſie wiederzugeben vermocht hätte. Viele Theorien wurden ſchon aufgeſtellt, um die Erſcheinung zu erklären; die eine davon ſchrieb die Urſache dem Reflexe des prachtvoll blauen Himmels zu. Aber dieſe Theorie zeigt ſich nicht ausreichend, indem das Mittelländiſche Meer auch unter einem weiß oder dunkel bewölkten Himmel tiefe 229 und ſchöne Färbungen zeigt. Nach einer andern Theorie ſoll der blaue Ton des Waſſers von ſehr kleinen Teilchen oder mikroskopiſchen Organismen herrühren, welche Licht reflektieren. Nach einer dritten Theorie wird das Blau des Waſſers durch Lichtabſorption hervorgerufen. Herr Aithon ſtellte im vorigen Frühjahr zu Mentone Verſuche an, um zu beſtimmen, welche Theorie die richtige fei. In⸗ dem er Waſſer in lange, inwendig geſchwärzte, an dem einen Ende durch ein Stück Papier geſchloſſene und am andern Ende mit einem Spiegel verſehene Röhren füllte, fand er, daß das Waſſer des Mittelländiſchen Meeres grünes Licht hindurchgehen ließ; indem er ferner Röhren, die am untern Ende mit einem Reflektor verſehen waren, vertikal unter die Oberfläche des Waſſers verſenkte und durch eine darüber gelegte Glasplatte hindurchſah, bemerkte er ein unbeſchreiblich ſchönes Blau. Dieſe Reſultate lie⸗ ferten ihm den Beweis, daß die Abſorptionstheorie die richtige ſei. Er verſenkte ferner verſchiedenfarbige Platten unter Waſſer bis zu einer gewiſſen Tiefe und fand, daß Weiß ſich in Blau, Gelb in Grün und Purpur in Violett umänderte. Der ihn am meiſten befriedigende Verſuch beſtand darin, daß er purpurn gefärbte Gegenſtände bis auf etwa 2 Fuß (0,6 m) Tiefe unter Waſſer brachte; dieſelben erſcheinen vollkommen blau, indem die ganze rote Kom⸗ ponente abſorbiert wurde. Mittels Gefäßen, die mit blau gefärbtem Waſſer gefüllt waren, bewies Herr Aithon, daß ſuſpendierte Materie nötig fei, um die im Mittellän— diſchen Meerwaſſer bemerkten Erſcheinungen hervorzurufen; auch fand er, daß im Meerwaſſer maſſenhaft ſuſpendierte Materie vorhanden iſt. Die Verſuche wurden mit dem Waſſer des Comoſees und Genferſees fortgeſetzt und mit bezug auf letzteren konſtatiert, daß der weiße Grund die Färbung des Waſſers beeinfluſſe. Ferner bewieſen Ver— ſuche an der ſchottiſchen Küſte, daß das grüne Ausſehen des Waſſers der Abſorption der roten Lichtſtrahlen zuzu⸗ ſchreiben ſei und daß ſuſpendierte feſte Körperchen zur Erhöhung des Glanzes beitragen. Gelber Grund erzeugt grünes Waſſer. Durch Deſtillation des Waſſers wurde bewieſen, daß die blaue Farbe dem Waſſer eigentümlich ſei. Schw. Die Erhaltung der Tiefe im Berbindungskanal des Friſchen Haſſs mit der Oſtſee ijt neuerdings Ge- genſtand lebhafter Erörterungen in techniſchen Kreiſen ge- weſen. Bekanntlich mündet in das Haff außer dem Pregel und mehreren kleineren Küſtenflüſſen ein Hauptarm des Weichſelſtroms, die Nogat. Obwohl die von dieſem Fluſſe zugeführten Schlamm- und Sandmengen in bedeutendem Grade zur Verflachung des ſüdlichen Haffteiles und zur Einſchränkung der Breite desſelben durch langſamen Vor⸗ bau des vor Elbing gelegenen Deltas beitragen, üben die bei hohen Flußwaſſerſtänden zugeführten Waſſermaſſen eine ſehr günſtige Spülwirkung in dem Verbindungskanale aus, der den Namen „Pillauer Tiefe“ führt. Im Intereſſe der Dorfſchaften, welche in den bei ſtarken Eisgängen höchſt gefährlichen Ueberſchwemmungen ausgeſetzten Weichſel— niederungen gelegen ſind, würde es erwünſcht ſein, die Nogat vollkommen lahmzulegen, um den ungeteilten Weichſel⸗ ſtrom bei Dirſchau vorüber in das Meer zu leiten. Hier— durch könnte ſeine ungeſchwächte Kraft benutzt werden, die Eisverſetzungen, welche ſich bei ſtrengen Wintern in der unteren (geteilten) Weichſel häufig bilden, zu zerſtören oder zu verhindern. Damit wäre aber die Quelle der Deichbrüche und Ueberſchwemmungen, welche eine Folge der von jenen Eisverſetzungen hervorgerufenen Strom— anſtauungen ſind, gründlich beſeitigt. Gegen das Projekt einer „Koupierung“ der Nogat, d. h. einer Abdämmung und Lahmlegung dieſes Strom— arms, haben die Vertreter der Königsberger Kaufmann⸗ ſchaft, für welche die Erhaltung der Einfahrtstiefen im Pillauer Tief eine Lebensfrage iſt, entſchiedenen Einſpruch erhoben. Es wurde geltend gemacht, die Spülwirkung der Nogat ſei unbedingt notwendig für die Inſtandhaltung der Schiffbarkeit jenes Verbindungskanals. Von anderer Seite wurde der Einwand erhoben, die 230 Humboldt. — Juni 1882. von den Binnengewäſſern in das Haff und aus demſelben durch das Pillauer Tief ins Meer fließenden Waſſermaſſen ſeien verſchwindend gering gegen diejenigen Waſſermaſſen, welche bei auflandigen Winden von der Oſtſee her in das Haff getrieben werden und wieder zurückſtrömen müſſen, ſobald der Wind aufhört oder umſchlägt. Hieraus folgerte man, die Erhaltung der Fahrtiefen ſei nicht ein Ergebnis der Spülwirkung des Binnenwaſſers, ſondern vielmehr das Reſultat der zwiſchen dem Haff und dem Meere je nach der Richtung des Windes ein- und ausgehenden Strö⸗ mungen. Dieſer Auffaſſung wurde entgegengehalten, daß die eingehende, d. h. die vom Meere aus durch das Pillauer Tief in das Haff leitende Strömung nicht nur nichts zur Erhaltung der Tiefe des Verbindungskanals beizutragen vermag, weil ſie an der erfahrungsmäßig am meiſten zu Verflachungen geneigten Stelle, nämlich am ſeeſeitigen Ende des Kanals, nur eine ſehr geringe Stärke beſitzt, ſondern daß ſie ſogar höchſt ungünſtig auf die Erhaltung der Tiefe einwirkt, weil die von der Oſtſee aus eingetriebenen Waſſer⸗ maſſen mit feinen Sandteilchen gemengt ſind, welche teil⸗ weiſe in jenem Kanale ſelbſt, teilweiſe im Haff zur Ab⸗ lagerung gelangen. Es wurde hervorgehoben, daß eine ſpülende Wirkung nur von der ausgehenden Strömung hervorgebracht werden könne, und daß jede Schwächung derſelben eine Schädigung der Schiffahrtsverbindung ver⸗ urſachen müſſe. Einen wichtigen Anhalt fand dieſe Anſchauung in dem Umſtande, daß ſeit der im Jahre 1854 ausgeführten teil⸗ weiſen Koupierung der Nogat die frühere regelmäßige Ge⸗ ſtaltung der Tiefenlinien in dem Verbindungskanal ver⸗ ſchwunden iſt. Allerdings hat 1855 ein ungewöhnlich ſtarker Spülſtrom, da infolge mehrerer Deichbrüche das geſamte Hochwaſſer der Weichſel in das Haff und durch das Pillauer Tief in das Meer ſich ergoß, jene vormalige Regelmäßigkeit weſentlich geſtört und ungewöhnliche Tiefen, deren dauernde Erhaltung nicht möglich war, hervorgerufen. Aber dieſer abnorme Fall hat in großem Maßſtab den Beweis geführt, daß die Binnengewäſſer eine kräftige Spül⸗ wirkung ausüben. Und wenn ſich die regelmäßige Geſtal⸗ tung der Tiefenlinien bis jetzt nicht wieder hergeſtellt hat, ſo dürfte dies der Abnahme der Waſſermenge, welche unter normalen Verhältniſſen vom Binnenlande zugeführt wird, zuzuſchreiben ſein. Man hat zwar hiergegen eingewandt, der ſeit 1855 verfloſſene Zeitraum ſei noch zu kurz, als daß die in jenem Jahre geſtörte Gleichgewichtslage wieder erreichbar geweſen wäre. Jedoch deutet die Ausbildung der Sandablagerungen, welche ſeitdem ſtattgefunden hat, darauf hin, daß die vor jenem Ereignis zur Erhaltung der genügenden Einfahrtstiefen ausreichende Breite des Verbindungskanals nunmehr zu groß iſt. Es hat ſich des⸗ halb bereits als notwendig erwieſen, dieſe Breite durch Vorbau der Molen und durch gegenſeitige Annäherung der Molenköpfe, d. h. der ſeewärts gelegenen Endpunkte der Molen, erheblich einzuſchränken. Durch das zufällige zeitliche Zuſammentreffen der bei⸗ den für die Ausbildung der Tiefen des Verbindungskanals höchſt wichtigen Thatſachen, der teilweiſen Nogatkoupierung (1854) und des abnormen Spülſtroms (1855) werden die an und für ſich bereits komplizierten Vorgänge in bezug auf ihren kauſalen Zuſammenhang ſo ſehr verſchleiert, daß es längerer Zeit bedurft hat, um die Frage aufzuklären. Die preußiſche Akademie des Bauweſens hat ſich nach ein⸗ gehenden Erwägungen dahin ausgeſprochen, daß eine Kou⸗ pierung der Nogat im Intereſſe der Erhaltung der Fahr⸗ tiefen im Pillauer Tief unzuläſſig ſei. Ke. Vn ec Qiu Onyecmant 35. du Chaillu, In dem Sande der Witternachts⸗ ſonne. Sommer⸗ und Winterreifen durch Nor⸗ wegen und Schweden, Lappland und Nordfinn⸗ land. Frei überſetzt von A. Helms. Leipzig, F. Hirt u. Sohn. 1881. Preis einer Liefg. 1. Die vorliegende erſte Lieferung iſt vor allem einer kurzen Schilderung der charakteriſtiſchen Eigentümlichkeiten der ſkandinaviſchen Halbinſel gewidmet, beſchäftigt ſich dann mit einer eingehenden Beſchreibung von Gotenburg und der Stadt der „Pariſer“ des Nordens: Stockholm, wobei der Verfaſſer das geſellſchaftliche Leben in beiden Städten in anziehender Weiſe dem Leſer veranſchaulicht. Eine Ein⸗ ladung König Karls XV. gibt ihm auch Gelegenheit, einige Bemerkungen über dieſen volkstümlichen Herrſcher und die Verhältniſſe ſeines Landes mit einzuflechten. Wenn auch der Inhalt nicht die allein wiſſenſchaftliche Seite ver⸗ folgt, ſo finden doch die geographiſchen wie nicht minder die ethnographiſchen und wirtſchaftlichen Fragen eingehende Würdigung und zwar in einer Form, die es auch dem minder orientierten Leſer ermöglicht, den Schilderungen mit Aufmerkſamkeit und Intereſſe zu folgen. Die Ein⸗ flechtung heiterer Epiſoden aus dem Wanderleben und das Hervorheben beſonders charakteriſtiſcher Züge aus dem nor⸗ diſchen Völkerleben machen das Werk nebenbei im hohen Grade unterhaltend. Die Darſtellung wird unterſtützt durch eine große Anzahl wirklich ſehr guter Illuſtrationen aus dem Landſchaftengebiete, aus dem Gebiete der Skulptur, der Paläontologie, dem Volksleben und anderen mehr. Indem wir uns eine eingehendere Beſprechung des Werkes bis zu ſeinem Abſchluß vorbehalten, möchten wir doch ſchon jetzt gegen die in der Einleitung aufgeworfene Behauptung: —„der Beimiſchung ſkandinaviſchen Blutes verdankt England die Freiheit, deren es ſich rühmt und die mannhaften Eigen⸗ ſchaften ſeines Volkes, deſſen Wanderlust, Liebe zur See und Vorliebe für Eroberungen in fernen Ländern; dies Erbteil iſt ein Kennzeichen ſeiner vorzugsweiſe angloſkandinaviſchen, nicht der angelſächſiſchen Abſtammung“ — unſre Bedenken erheben. Der ſkandinaviſche und angelſächſiſche Volkscharakter iſt in vieler Beziehung ein fo homogener, daß man wohl ſchwerlich mit Sicherheit wird behaupten können, dieſe oder jene Eigentümlichkeit der heutigen Engländer ſtammt von Skandinaviern oder Angelſachſen; am wenigſten in Beziehung auf das Freiheitsgefühl beider, es findet ſich dieſes bei dem Angelſachſen nicht weniger ausgeprägt, wie dem Skandinavier; als die letzteren infolge ihrer Ueberzahl in England immer über⸗ mütiger wurden und die erſteren zu unterdrücken begannen, erwachte der Freiheitstrieb der Angelſachen auf eine ſchreck⸗ liche Weiſe, indem in der St. Briceiusnacht (13. Novem⸗ ber 1002) ein allgemeines Blutbad unter den Dänen veranſtaltet wurde, das ihre Macht auf lange Zeit brach. Auch der Heldenmut der Angelſachſen iſt nicht anzuzweifeln, wenn ſie auch dem Kriegshandwerke und den Raubzügen weniger zugethan waren, als ihre nordiſchen Nachbarn. Die Liebe der Engländer zur See und die Vorliebe für Eroberungen in fremden Erdteilen dürfte wohl das einzige, wirklich nachweisbare Erbe ſein, daß die Waräger ihrer neuen Heimat hinterlaſſen haben. Frankfurt a. M. : ort Dr. Höfler. Humboldt. — Juni 1882. 231 Ferdinand Hirts geographiſche Vildertafeln. Eine Ergänzung zu den Lehrbüchern der Geo— graphie, inſonderheit zu denen von Ernſt von Seydlitz. Herausgegeben von Dr. Alwin Oppel (Bremen) u. Arnold Ludwig (Leipzig). Erſter Teil: Allgemeine Erdkunde. Mit der fortſchreitenden Entwickelung des geographi— ſchen Unterrichts Hand in Hand geht das Beſtreben, alles, was zur Veranſchaulichung und Belebung desſelben von eutzen fein könne, heranzuziehen. Und dies mit Recht; denn wohl kaum irgend ein andrer Unterrichtsgegenſtand bedarf mehr der äußeren Hilfsmittel, als gerade dieſer. Gilt es dabei doch, nicht nur ein gewiſſes Quantum memorier- baren Stoffes dem Gedächtniſſe einzuprägen; es muß ſich dargeſtellt, und es dürfte eine Erklärung ihrer wichtigſten Beſtandteile aus der Figur heraus ziemlich ſchwer halten. Erwünſcht wäre es auch geweſen, wenn neben den Quer— durchſchnitten der Kontinente in einer Figur ihre ver— ſchiedenartige Breiten- und Längenausdehnung Berückſich— tigung gefunden hätte. Zwei dieſer Tafeln beſchäftigen ſich mit der Geſchichte der Erdrinde. Recht lebendig wir— ken hier die Vegetationsbilder aus den verſchiedenen Erd— perioden. Tafel 4 bringt Gebirgstypen zur Veranſchauli— chung, darunter auch eine der impoſanteſten Höhlen im Kalkgebirge: die Adelsberger Grotte. Tafel 5 und 6, die Hochgebirgskunde behandelnd, ſind unſtreitig zu den hervorragendſten des ganzen Cyklus zu zählen, enthalten unter anderm das Panorama der Montblanegruppe vom Weſten aus geſehen, ferner als Beiſpiel eines Gebirgs Farrengruppe. (Aus „Ferdinand Hirts geographiſche Bildertaſeln“.) auch das Erlernte vor unſerm geiſtigen Auge verkörpern, muß Geſtalt annehmen, ſollen unſre Bemühungen nicht völlig nutzloſe geweſen ſein. Eine lebendige Schilderung, das Wort des Lehrenden können unſrer Anſchauung Vor— ſchub leiſten; aber oft wird durch die anregendſte Beſchrei— bung, durch einen ſtundenlangen Vortrag das nicht erreicht, was eine gut ausgeführte Zeichnung, ein Bild, mit einem Schlage bewirkt: die Vergegenwärtigung, die richtige Vor— ſtellung von dem Geleſenen oder Gehörten. Deshalb muß das Erſcheinen eines jeden ſolchen Hilfsmittels für den geographiſchen Unterricht mit Freuden begrüßt werden. Die Zahl der geographiſchen Anſchauungsmittel iſt durch die oben erwähnte Veröffentlichung in glücklicher Weiſe vermehrt worden. Das in den Bildertafeln zur Darſtel— lung Gelangte umfaßt das geſamte Gebiet der allgemeinen Erdkunde. — Beginnen wir mit dem erſten Blatte, es iſt der Veranſchaulichung der allgemeinen Bodenverhältniſſe gewidmet. Wenn auch die dort beigegebenen Abbildungen der hauptſächlichſten Meßinſtrumente füglich hätten weg— fallen können, ſo thun ſie doch dem Ganzen keinen Ein— trag. Unſeres Dafürhaltens ſind ſie entſchieden zu klein Humboldt 1882. zirkus den „Waſſerboden im Pintſchgau“ und eine Alpen— landſchaft mit Hochgebirgsſee (Zell am See). Der Be— ſchauer ſieht ſich mitten in die großartigſte Alpenwelt ver— ſetzt. Da ſteigen vor ſeinen Augen die gewaltigen Eis— und Schneeberge majeſtätiſch zum Himmel an; dort öffnet ſich der ſchauerliche Abgrund, deſſen unheimliche Tiefe das trügeriſche Eis einer Gletſcherbrücke überdeckt, die zu überſchreiten ein kühner Bergſteiger ſich eben anſchickt; hier wieder windet ſich in ſerpentinenartigen Krüm— mungen die Alpenſtraße zur Höhe hinan, wo das Alpen- wirtshaus mit ſeinen buntgemiſchten Gäſten den müden Wanderer zu kurzer Raſt einladet — Bilder voll Leben und Friſche! Des Vorzüglichen iſt zu viel geboten, als daß hier alles Beſprechung finden könnte. Auch würde ihm unſer Lob nicht weiter nützen, denn „des Guten beſter Anwalt iſt das Gute ſelbſt“. Es ſei nur noch einzelnes hervor— gehoben. So wirken beiſpielsweiſe die Bilder der Tafeln 7, Vulkane und heiße Quellen, 8, Inſeln und Küſten, 10, Häfen, Leuchttürme und Küſtengewerbe, ferner 13, Fluß⸗ kunde, wobei das Flußſyſtem der oberen Elbe neben anderm in ſeiner charakteriſtiſchen Eigentümlichkeit zur 30 232 Humboldt. — Juni 1882. Darſtellung gelangt, äußerſt günſtig. Eine etwas er⸗ höhte Anſpannung unſrer Phantaſie beanſpruchen die Tafeln 17, 18 und 19, wo die Baumcharaktere den verſchiedenen Zonen und einige Alpenblumen dargeſtellt werden, und zwar deshalb, weil den Bäumen und Blu⸗ men das Kolorit fehlt, obwohl die Zeichnung im übri⸗ gen tadellos genannt werden muß. Tafel 20 (Völkerkunde) bringt für die hervorſtechendſten Eigentümlichkeiten der ein⸗ zelnen Völkertypen meiſt trefflich ausgeführte Abbildungen. — Auch den verſchiedenen Arten des Reiſens, hauptſächlich in den Tropen- und Polarländern, find zwei Tafeln gewidmet; da iſt der pfeilſchnell dahinfliegende Hundeſchlitten des Be⸗ wohners der Nordpolarländer, die Menſchenkraftmaſchine des Japaneſen, die Zebudroſchke des Inders, der Konvoi des afrikaniſchen Erforſchungsreiſenden zur Anſchauung gebracht. — Die Sammlung ſchließt mit einer Anzahl von Jagdbildern, von denen das die Jagd der Indianer auf Kaimans darſtellende zugleich die eigentümliche Erfindungs⸗ gabe der Eingebornen der neuen Welt dokumentiert. Dem Atlas iſt ein Büchelchen unter dem Titel „Er⸗ läuternder Text zur erſten Abteilung von Ferdinand Hirts Bildertafeln“ von den Herausgebern beigefügt, in dem, ſoweit es nötig iſt, die einzelnen Bilder in kurzer und leicht verſtändlicher Weiſe ihre Erklärung finden. Wir ſind überzeugt, daß ſich die Bildertafeln bei allen Freunden der Erdkunde nicht nur ihres inneren Gehaltes ſondern auch ihres billigen Preiſes wegen raſch Eingang verſchaffen werden, was um ſo mehr zu wünſchen iſt, als durch derartige Anſchauungsmittel das Studium der Geographie nicht nur fruchtbringender, ſondern auch be- quemer gemacht wird. Frankfurt a. M. Dr. F. Höfler. Adolf Vinner, Nepertorium der anorganiſchen Chemie, mit beſonderer Rückſicht auf die Stu⸗ dierenden der Medizin und Pharmazie; 4. Aufl. Berlin, Robert Oppenheim. 1882. Preis 8 7% Das vorliegende Repertorium der Chemie iſt dazu be⸗ ſtimmt, den Studierenden der Chemie, der Medizin und Pharmazie als Leitfaden neben den Vorleſungen zu dienen. Dementſprechend iſt das Buch in ziemlich gedrungenem Stil abgefaßt, da es ja nicht ein Lehrbuch ſein ſoll, welches auch zum Selbſtunterricht dienen kann. Auch die Zahl der Figuren iſt auf das Notwendigſte beſchränkt; doch hätte hier etwas mehr geſchehen können, da bei ſpäteren Re⸗ petitionen mancher Apparat dem Studenten von der Vor⸗ leſung her nicht mehr deutlich in der Erinnerung ſein dürfte. An Vollſtändigkeit läßt das Buch nichts zu wünſchen übrig, ſelbſt Verbindungen, welche in andern Lehrbüchern der Chemie nicht erwähnt werden, wie Wismutſäure und Wismutoxydul ſind angeführt. An einigen Stellen hätten wir freilich eine etwas größere Ausführlichkeit, z. B. ge⸗ nauere Angaben über die Darſtellung des Ozons gewünſcht. Die Zuſammenſtellung der Elemente iſt nicht unweſent⸗ lich anders, als in den gewöhnlichen Lehrbüchern der Chemie; außer Antimon und Arſen, welche auch ſonſt hier und da zu den Metalloiden gerechnet werden, ſind noch Vanadin, Niob, Tantal, Wismut, Zinn, Titan, Zirkonium und No⸗ rium unter den Metalloiden aufgeführt; warum nicht auch Molybdän und Wolfram? Doch thut die Einteilung wenig zur Sache. Ebenſo wollen wir mit dem Verfaſſer nicht darüber rechten, ob es nicht beſſer iſt „ſchwefelſaures Zinkoxyd“ ſtatt „ſchwefelſaures Zink“ zu ſagen; abgeſehen davon, daß, wenn man dieſe der dualiſtiſchen Theorie entnommenen Namen benutzen will, man ſie vollſtändig geben ſoll, kommt man auch in Verlegenheit, wenn zwei baſiſche Oxy⸗ dationsſtufen beſtehen — ſchwefelſaures Eiſenoxyd und ſchwefelſaures Eiſenoxydul. Der Verfaſſer läßt in ſolchen Fällen die der dualiſtiſchen Theorie entnommenen Namen einfach weg. Im ganzen aber iſt das Buch mit großer Sorgfalt gearbeitet und hat auch ſeinem inneren Worte entſprechend bereits die 4. Auflage erlebt. Der kurze, gedrängte Stil erleichtert dem Studierenden die Repetition ungemein und ſo ſind wir nicht zweifelhaft, daß ſich das Buch noch zahlreiche neue Freunde erwerben wird. Außerdem ſind uns von der Verlagshandlung noch einige früher erſchienene Werke von hohem wiſſenſchaft⸗ lichem Werte zugegangen, auf welche wir die Aufmerkſamkeit der Leſer hinlenken möchten: Anleitung zu wiſſenſchaftlichen Beobachtungen auf Reifen, mit beſonderer Nückſicht auf die Bedürfniſſe der kaiſerl. Marine, ver- faßt von Aſcherſon, Baſtian, Förſter 2c. herausgegeben von G. Neumayer. Berlin, Oppenheim. 1875. Preis 18 7% Daß von ſolchen Kräften nur vorzügliches zu erwarten iſt, braucht nicht erſt geſagt zu werden. Airy, Geo. Videll, Weber den Magnetismus. Autoriſierte Ueberſetzung, durchgeſehen von Fr. Tietjen. Berlin, Oppenheim. 1873. Preis 3 M15 g : Auf 165 Seiten enthält das Büchlein einen ſtreng wiſſenſchaftlichen Abris aller irgend weſentlichen magneti⸗ ſchen Erſcheinungen, ſo daß hier jeder über dieſen Gegen⸗ ſtand die vollſtändigſte Belehrung findet. Die Ueberſetzung iſt von Tietjen beſorgt. Newton, Sir Sfaac, Mathematiſche Prinzipien der Naturlehre, herausgegeben von Profeſſor Dr. J. Ph. Wolfers. Berlin, Oppenheim: 1872. Preis 12 / Die Ueberſetzung des Fundamentalwerkes der Phyſik von Newton — Principia philosophiae naturalis mathe- matica — liegt hier in vorzüglicher Bearbeitung vor und man ſollte denken, daß jeder Phyſiker und jeder Studie⸗ rende der Naturwiſſenſchaft im Beſitze dieſes Werkes ſein müßte. Aber trotzdem daß die geſchichtlichen Studien in Mathematik und Naturwiſſenſchaft neuerdings mit beſon⸗ derem Eifer betrieben werden, ſo ſcheint es doch, als ob die Verbreitung des genannten Werkes nicht mit der Ge⸗ ſchwindigkeit erfolgt, wie man wohl hätte erwarten dürfen, umſomehr als der Preis nur 7 / beträgt. Möchten dieſe Zeilen dazu beitragen, dieſem grundlegenden Werke eine größere Verbreitung zu verſchaffen! 8 Scrope, G. Voulett, Weber Vulkane. 2. Aufl. Ueberſetzt von G. A. von Klöden. Berlin, Oppenheim. Preis 8 KH . Dieſes vortreffliche Buch gibt auf 470 Seiten eine genaue Darſtellung der wichtigſten Vulkane und ihrer Auswurfsſtoffe. Eine Darlegung der plutoniſchen zur vulkaniſchen Thätigkeit bildet den Schluß. Frankfurt a. M. Dr. G. Krebs. Dr. D. FJ. Weinland, Weber die in Meteoriten entdeckten Tierreſte. Mit 2 Holzſchnitten. Eßlingen a. N. 1882. Preis 2 % Weinland hat die über 600 an Zahl betragenden Schliffe von Meteoriten, die dem Werk von Dr. O. Hahn: „Die Meteoriten (Chondrite) und ihre Organismen,“ mit 32 Tafeln photographiſchen Abbildungen zu Grunde liegen und die von 18 verſchiedenen, „ſicher beglaubigten“ Meteo⸗ ritenfällen (Wiener und Tübinger Sammlung) herrühren, einem genauen Studium unterworfen und ſpricht in der vorliegenden Schrift im weſentlichen eine Beſtätigung der Entdeckung Hahns aus. Humboldt. — Juni 1882. 233 Die organiſchen Reſte treten nach Weinland teilweiſe in folder Menge auf, daß manche Schliffe weitaus der Haupt— ſache nach ganz aus ihnen zuſammengeſetzt ſind, und zwar ſind es durchgängig Verſteinerungen, deren Material ein bläuliches oder gelbliches Silikat darſtellt; auch organiſche Maſſe konnte nachgewieſen werden. Die bei dem Durchgang durch unſere Atmoſphäre erzeugte Schmelzung erſtreckt ſich auf eine Schicht von nur wenigen Millimetern. Von beſonderem Intereſſe iſt der Umſtand, daß die vorgefundenen Gebilde mit unſren irdiſchen Formen große Aehnlichkeit haben und ſich den Klaſſen unſerer Typen unterordnen laſſen ſollen. Weinland beſchreibt im ganzen 16 Gattungen, die er den Polyeiſtinen, Schwämmen, Foraminiferen, Korallen und Krinoiden zurechnet. Weder Reſte höherer Tiere noch pflanz— liche Gebilde konnten ſicher nachgewieſen werden. Von allgemeiner Bedeutung ſind noch folgende Bemerkungen. Alle bis jetzt gefundenen Reſte gehören Waſſertieren an, die in einem nie zufrierenden Waſſer gelebt haben müſfen, — ein Umſtand, der der Hypotheſe von Schiapa— relli, die Meteoriten entſtammten den Kometen, wenigſtens bezüglich der Chondrite widerſpricht. Ferner gehören ſämt— liche Reſte einer vergleichsweiſe frühen Entwickelungsepoche der organiſchen Weſen an. Sämtliche Formen zeichnen ſich durch außerordentliche Kleinheit aus und ſcheinen von einem einzigen außerirdiſchen Himmelskörper herzurühren. Sollte ſich die Hahn'ſche Entdeckung noch weiter beſtätigen, ſo wären wir genötigt, viele tiefgreifende Anſchauungen in der Wiſſenſchaft zu modifizieren und man darf in der That auf die von Weinland in Ausſicht geſtellten weiteren Veröffentlichungen auf das Höchſte geſpannt ſein. Am Schluß der kleinen Schrift richtet Verfaſſer an etwaige Beſitzer von ſicher beglaubigten Meteoriten die Bitte, ihm ſolche zur mikroſkopiſchen Unterſuchung zu überlaſſen. Frankfurt a. M. Dr. Y. Reichenbach. Aglaia von Enderes, Frühlingsblume, mit einer Einleitung und methodiſchen Charakteriſtik von Prof. Dr. M. Willkomm. Leipzig, G. Frey⸗ tag. 1882. 12 Lieferungen à 1 97 Sehr früh zog uns heuer der herrlich warme Sonnen— ſchein hinaus ins Freie und ließ uns auch alsbald die Erſtlinge der Pflanzenwelt begrüßen. Wer Freude an der neu ergrünenden und erblühenden Welt hat — und wer ſollte nicht Freude an ihr haben, dem kann vorliegendes Werkchen, deſſen erſte Lieferung bisher erſchien, in der anmutigſten Form und ſchönſten Ausſtattung ein ſicherer Führer ſein, die ſo begrüßten auch genauer kennen zu lernen. Daß dies in der zuverläſſigſten Weiſe geſchieht, dafür bürgt uns der Name des Autors. Das Bändchen wird 71 der ſchönſten Frühlingsblumen Deutſchlands und Oeſterreichs koloriert und außerdem 108 Holzſchnitte enthalten und ſo jedem Bücherſchrank zur Zierde gereichen. Die Farben— druckbilder ſowohl wie die Holzſchnitte ſind naturwahr und prächtig ausgeführt. Frankfurt a. M. Dr. Friedr. Kinkelin. Bibliographie. Bericht vom Monat April 1882. Allgemeines. Biographien. Beobachtungs⸗Station, die öſterreich. ec auf Jan Mayen. 1882 bis 1883. Wien, Gerold u. Comp. M. Führer durch das Muſeum Godeffroy. le, Frederichſen u. Co. 75. Jahrbuch des naturhiſtoriſchen e von Kärnten. 15. Heft. Klagenfurt, von Kleinmayr. Jahreshefte des Vereins für buterlandiſce Naturkunde in Württemberg. 38. Jahrg. Stuttgart, Schweizerbart'ſche Verlagsbuchhandl. M. 7. 20. Richter, M. . Must für alle naturwiſſenſchaftliche Liebhabereien. Herausg. v. Ruß u. B. Pewee 7. Jahrg. 1882. Nr. 14. Berlin, Gerſchel. Wierer M. König, J Procentiſche e und Nährgeldwerth der menſch⸗ lichen Nahrungsmittel, nebſt Koſtrationen und Verdaulichkeit einiger Nahrungsmittel. Graphiſch dargeſtellt. Berlin, Springer. M. 1. 20. Kosmos, Zeitſchrift für rü e und einheitliche Weltanſchauung. Heraus sg. v. E. Krauſe. Jahrg. 1882. 1. Heft. Stuttgart, Sehweizerbart jhe Verlagshandiung. Halbjährlich M. 12. Lotos. Jahrbuch für Naturwiſſenſchaft. Herausg. v. Ph. Knoll. Neue Folge. 2. Bd. Prag, Tempsky. M. 3. Mittheilungen der deutſchen Geſellſchaft für Natur⸗ und Völkerkunde Oſtaſiens. 26. Heft. Febr. 1882. Yokohama. Berlin, Asher u. Co. M. 6. Naturforſcher, der. Wochenblatt zur Verbreitung der Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. Herausg. v. W. Sklarek. 15. Jahrg. 1882. Nr. 14. Berlin, Dümmler's Verlag. Vierteljährlich M. 4. Pettenkofer, W. v. Der Boden und ſein Zuſammenhang mit der Ge— ſundheit des Menſchen. Berlin, Gebr. Pactel. Pokorny, A. Naturgeſchichte für Volks- und Bürgerſchulen. 3. Aufl. Prag, Tempsky. M. 1. 20. Sitzungsberichte der mathematiſch-phyſicaliſchen Claſſe der königl. bayer. Akademie der Wiſſenſchaften zu München. Jahrg. 1882. 2. Heft. München, Franz'ſche Buchhandlung. M. 1. 20. Sitzungsberichte der Naturforſcher-Geſellſchaft bei der Univerſität Dorpat. Redig. v. G. Dragendorff. 6. Bd. 1. Heft. 1881. (Dorpat.) Leipzig, K. F. Köhler. M. 2. Wandtafeln fur den td let Anſchauungsunterricht an Volks⸗ und Bürgerſchulen. Herausg. A. Hartinger. 2. Abth. Botanik. 1. Lieftg. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 8., auf Pappe M. 12. gefirnißt und mit Hejen M. 16. 3. Stufe. Chemie. Chemiker⸗Zeitung. Herausg. v. G. Krauſe. 6. Jahrg. 1882. Gothen, Verlag der Chemiker-Zeitung. Vierteljährlich M. 3 Fittig, R. Grundriß der e Ai a Aufl. Duncker u. Humblot. M. 20., cart. M. 7. Medieus, L. Kurze Anleitung aus quantitativen tial 2. Aufl. Tü⸗ bingen, Sarai Buchhandlung. M. Rammelsberg, © F. Handbuch der kehſtalogcphiſc, ene Ghemlee 2. Abth. Organiſche Verbindungen. Leipzig, Engelmann. M. Hülfstabellen für das 1 ae zur Berechnung oa Analyſen. Berlin, Springer. Cart. Schädler, C. Die Technologie der Fette git Oele des Pflanzen⸗ und Thierreichs. Berlin, Polytechniſche Buchhandlung. M. 3. 50. Phyſik, Phyſtkaliſche Geographie, Meteorologie. Guichard, E. Die Harmonie der Farben. Deutſche Ausg. mit Text. v. G. Krebs. 18. (Schluß⸗Liefg. Frankfurt a. M., Rommel. M. 4. Hartwig, G. Das Leben des Luftmeeres. Populäre Streifzüge in das atmoſphäriſche Reich. Neue Ausg. Wiesbaden, Biſchkopff. M. 4., geb. M. 5. 50. Moldenhauer, E. F. Th. Das Weltall und ſeine Entwickelung. Dar- ſtellung der neueſten Ergebniſſe der kosmologiſchen Forſchung. 8. und 9. Liefg. Cöln, Mayer. a M. — Monatsſchrift für praktiſche Witterungskunde. Herausg. v. R. Aßmann. Jahrg. 75 Nr. 1. Magdeburg, Faber'ſche Buchdruckerei. pro compl. M. Reis, ei 0 der Phyſik. 5. Aufl. Nr. 15. Leipzig, Leipzig, Quandt u. Händel. a Pe Die Wärmeverhältniſſe im Gotthardtunnel und die Hypotheſen über Erdwärme. Aarau, Chriſten. M. — 60. Aſtronomie. Gretſchel, H. Lexikon der Aſtronomie. M. 5., 50. geb. M. 6. Prel, C. du. Entwickelungsgeſchichte des Weltalls. Entwurf einer Phi⸗ loſophie der Aſtronomie. 3. Aufl. der Schrift: Der Kampf ums Daſein am Himmel. Leipzig, Günther's Verlag. M. 6. Leipzig, Bibliographiſches Inſtitut. Mineralogie, Geologie, Geognoſte, Paläontologie. Deichmüller, J. V. Foſſile Inſekten aus dem Diatomeenſchiefer v. Kutſch⸗ lin bei. — 5 Böhmen. Leipzig, Engelmann. M. 3 Koratſch, M. Die Verhandlung von Venedig und ihre Urſachen. eos, Morgenſtern. M. 8. Quenſtedt, F. A. Handbuch der r 3. Aufl. 2. Liefg. Tübingen, Laupp'ſche Buchhandlung. M. en für Kryſtallographie und Mineralogie Herausg. v. P. Groth. 4. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 5. Botanik. Archiv für die Naturkunde Liv-, Eſth⸗ und Kurlands. 2. Serie. Biolog. 5 8 aie. 9. Bd. 4. fg. (Dorpat.) Leipzig, K. F. Köhler. Hartinger, A. öſterreichiſchen Alpenverein. K. W. von Dalla⸗Torre. Jahrbücher, botaniſche, für geographie. Herausg. v. A. Engelmann. M. 3. Atlas der Alpenflora. Herausg. vom deutſchen und Nach der Natur gemalt. Mit Text von 8. Lig. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 2. Syſtematik, Pflanzengeſchichte und Pflanzen⸗ Engler. 3. Bd. 1. Heft. Leipzig, Jahresbericht, botaniſcher. Syſtematiſch geordnetes Repertorium der botaniſchen Literatur aller Länder. Herausg. v. L. Juſt. 6. Jahrg. (1878.) 2. Abth. 3. Heft. Syſtematiſcher Theil. Berlin, Gebr. Bornträger. M. 7. 20. Humboldt. — Juni 1882. 234 Huth, E. Flora von Frankfurt a. d. O. und Umgegend. Frankfurt a. d. O., Waldmann. Cart. M. 2. Pacher, D., u. M. Freiherr v. Jabornegg. Flora von Kärnten. 1. Theil. 1. Abth. Klagenfurt v. Kleinmayr. M. 4. Pfiſter, J. Die Farrenkräuter im Naturſelbſtdruck, nach dem vereinfachten Verfahren. I. Theil. Die Farrenkräuter des öſterreich.-ungariſchen Küſtenlandes. 1. u. 2. Vg. Prag, Neugebauer. a M. 1. 20. Solms-Laubach, H. Graf zu. Die Herkunft, Domeſtication und Ver⸗ breitung des gewöhnlichen Feigenbaums. (Ficus Carica I.) Göt⸗ tingen, Dieterich'ſche Verlagsbuchhandlung. M. 4. Traumüller, F., u. R. Krieger. Grundriß der Botanik für höhere Lehr⸗ anſtalten. Leipzig, Brockhaus. M. 1. 20., cart. M. 1. 40. Wagner's, H., illuſtrirte deutſche Flora. 2. Aufl. Bearb. und vermehrt v. A. Garcke. 17. und 18. Liefg. Stuttgart, Thienemann's Verlag. a M. — 75. . Waldner, H. Deutſchlands Farne, mit Berückſichtigung der angrenzenden, Gebiete Oeſterreichs und der Schweiz. 8. Heft. Heidelberg, C. Winter's Univ.⸗ Buchhandlung. In Mappe M. 2. 50. Willkomm, M. IIIustrationes flor Hispania insularumque Ba- learium. ivr. 4. Stuttgart, Schweizerbart'ſche Verlagshandlung. M. 12. Zippel, H., u. K. Bollmann, Repräſentanten einheimiſcher Pflanzen⸗ familien in farbigen Wandtafeln und erläuterndem Text. 2. Abth. Phanerogamen. 3. Lfg. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 14. Phyſtologie, Entwickelungsgeſchichte, Anthropologie, Zoologie. 8 0 Beiträge zur Biologie. Als Feſtgabe Th. L. W. von Biſchoff gewidmet von ſeinen Schülern. Stuttgart, Cotta'ſche Buchhandlung. M. 15. Berge's. F., Schmetterlingsbuch. Umg. u. verm. v. H. v. Heinemann. 6. Aufl. 1. Lfg. Stuttgart, Thienemann's Verlag. M. 1. 50. Braun, M. Beiträge zur Kenntniß der Fauna baltica. I. Ueber Dor⸗ pater Brunnenplanarien. (Dorpat.) Leipzig, K. F. Köhler. M. 2. Brehm 's Thierleben. Chromo-Ausgabe. Vögel. 27,30. Heft. Leipzig, Bibliographiſches Inſtitut. M. 1. Häkel. E. Monographia festucarum europaearum. Caſſel, Fiſcher. M. 8. Hayek, G. v. Leitfaden der Zoologie. 2. Aufl. Wien, Pichler's Wwe. u. Sohn. M. 2. 40. Heyden, L. v. Catalog der Coleopteren von Sibirien mit Einſchluß der⸗ jenigen der Turaniſchen Länder, Turkeſtans und der chineſiſchen Grenz⸗ gebiete. Berlin, Nicolaiſche Verlagsbuchhandlung. M. 9. Jahrbuch, Morphologiſches. Eine Zeitſchrift für Anatomie und Ent⸗ wickelungsgeſchichte. Herausg. v. C. Gegenbaur. 7. Bd. 4. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 12. 2 Martin, Ph. L. Illuſtrirte Naturgeſchichte der Thiere. 33. Heft. Leipzig, Brockhaus. M. — 30. Martini u. Chemnitz. Syſtematiſches Conchylien⸗Kabinet. Neu herausg. v. H. C. Küſter, W. Kobelt u. H. C. Weinkauff. 314 Lg. Nürn⸗ berg, Bauer & Raſpe. M. 9. Moleſchott, J. Ueber die allgemeinen Lebenseigenſchaften der Nerven. Rede. Gießen, Roth. M. 1. Müller, A. u. K. Thiere der Heimath. Deutſchlands Säugethiere und Vögel. Mit Illuſtr. 8. u. 9. fg. Caſſel, Fiſcher. a M. 1. Ranke, J. Stadt⸗ und Landbevölkerung verglichen in Beziehung auf die Größe ihres Gehirnraums. M. 1. Rothe, C. Das Thierreich. ſchulen und Gymnaſien. M. 1. 80. Studien, darwiniſtiſche. Nr. 12. Leipzig, Günther's Verlag. M. 2. Weismann, A. Beiträge zur Kenntniß der erſten Entwickelungsvorgänge im Inſektenei. Bonn, Cohen & Sohn. M. 4. Welt, die gefiederte. Zeitſchr. f. Vogelliebhaber, Züchter u. Händler. Herausg. v. K. Ruß. II. Jahrg. 1882. Nr. 14. Berlin, Gerſchel. Vierteljährlich M. 3. Woldrich, J. Leitfaden der Zoologie f. d. höheren Schulunterricht. 4. Aufl. Wien, Hölder. Geb. M. 3. 20. Geographie, Ethnographie, Reifewerke. Coordes, G. Geographiſche Größenbilder. Graph.⸗ſtatiſt. Beitrag zur Methode des geographiſchen Unterrichts. 1. Heft. Caſſel, Kleimen⸗ hagen. M. 1. 25. Daniel, H. A. Handbuch der Geographie. 5. Aufl. Leipzig, Hues’ Verlag. a M. 1. Du Chaillu, P. B. Im Lande der Mitternachtsſonne. Sommer- und Winterreiſen durch Norwegen und Schweden, Lappland und Nord⸗ Finnland. Frei überſ. v. A. Helms. 11. u. 12. Ljg. Leipzig, Hirt & Sohn. M. 1. Gradmeſſung, europäiſche. Das ſchweizeriſche Dreiecknetz, herausg. v. d. ſchweizeriſchen geodätiſchen Commiſſion. 1. Bd. Die Winkelmeſſungen und Stationsausgleichungen. Zürich, Höhr. M. 10. Habenicht, H. Elementar⸗Atlas. 12 Blatt. Gotha, J. Perthes. M. 1. 20. Stuttgart, Cotta'ſche Buchhandlung. Leitfaden für die unteren Claſſen der Real⸗ 2. Aufl. Wien, Pichler's Wwe. u. Sohn. 33. U. 34. Ofg⸗ Handbuch, geographiſches, zu Andree's Handatlas. 6. Efg. Bielefeld, Velhagen & Klaſing. M. 1. Hellwald, F. v. Naturgeſchichte des Menſchen. 16. Efg. Stuttgart, Spemann. M. — 50. Hölzel's geographiſche Charakterbilder für Schule und Haus. 3. fg. 3 Blatt Oelfarbendruck. Wien, Hölzel's Verlag. Subſeript.⸗Preis M. 12. Auf Deckel oder weißen Carton geſpannt M. 15. Einzel⸗ preis à 6 M. Auf Deckel oder auf weißen Carton geſpannt a M. 7. Daſſelbe. Textbeilage M. 1. 20. Hübner, O. Geographiſch⸗ſtatiſtiſche Tabellen aller Länder der Erde. 1882. Geb. M. — 75. Hüttl, C. E. Kartenleſen, Kartenprojektionen, Karten⸗Darſtellung und Vervielfältigung. Wien, Hölzel's Verlag. M. 1. Kloeden, G. A. v. Handbuch der Erdkunde. 4. Aufl. 4. Bd. 5. u. 6. Lfg. Berlin, Weidmann'ſche Buchh. M. 1. Nordenſkjöld, A. E. Freiherr v. Die Umſeglung Aſiens und Europas auf der Vega 1878-1880. 21. Lfg. Leipzig, Brockhaus. M. 1. Ozean, atlantiſcher. Ein Atlas von 36 Karten, die phyſikaliſchen Ver⸗ hältniſſe und die Verkehrsſtraßen darſtellend. Herausg. v. d. Direktion der deutſchen Seewarte. Hamburg, Friedrichſen & Co. Geb. M. 20. Paulitſchke, Ph. Die Afrika⸗Literatur in der Zeit von 1500 bis 1750 n. Chr. Ein Beitrag zur geographiſchen Quellenkunde. Wien, Brock⸗ hauſen & Bräuer. M. 4. > Petermann’s, A., Mittheilungen aus J. Perthes' geographiſcher Anſtalt. 1 5 5 v. E. Behm. 67. Ergänzungsheft. Gotha, J. Perthes. M. 5. Preuß, A. E. weiſen Fortſetzung. Kurzer Unterricht in der Erdbeſchreibung nach einer ſtufen⸗ 20. Aufl. Königsberg, Gräfe. M. — 50. Witterungsüberſicht für Zentraleuropa. Monat April 1882. Der. Verlauf der Witterungserſcheinungen im April 1882 läßt ſich in zwei voneinander verſchiedene Epochen zerlegen, von denen die eine vom 1—12. durch meiſt heiteres und trockenes Wetter mit häufigen Nachtfröſten und mäßiger vorwiegend öſtlicher Luft⸗ bewegung, die zweite vom 1330. durch veränder⸗ liche, vielfach zu Niederſchlägen geneigte Witterung, mit häufigen Temperaturſchwankungen und lebhaften, nicht ſelten ſtürmiſchen Winden aus vorwiegend weſt⸗ licher und ſüdweſtlicher Richtung charakteriſiert ſind. 112. April. Hoher Luftdruck, deſſen Maximum meiſt über 775 mm lag und am 4. am Bottiſchen Buſen den Wert von 780 mm übertraf, lagerte beſtändig über Nord⸗ europa, während gleichzeitig niedriger Luftdruck über Süd⸗ europa ſich befand und zwar vom 1— 5. an der Weſtküſte Frankreichs, und vom 6— 12. über dem Mittelmeerbecken. Daher erklärt ſich das Vorwalten der öſtlichen, teilweiſe nordöſtlichen Winde, das trockene, heitere, zeitweiſe wolken⸗ loſe (6—8.) Wetter, wodurch die nächtliche Ausſtrahlung ungehemmt vor ſich gehen konnte. Berückſichtigen wir ferner, daß die öſtlichen Winde dem Froſtgebiete im Oſten und Nordoſten entſtammten, jo wirkten dieſe beiden Ur⸗ ſachen zuſammen, das Temperaturminimum beträchtlich herunterzudrücken, und daher die häufigen Nachtfröſte, welche insbeſondere in der Epoche vom 9. bis zum 12. eine großartige Ausdehnung und eine die Vegetation ge- fährdende Intenſität erreichten. Dieſe Verhältniſſe werden durch die beiſtehenden Wetterkärtchen vom 9. hinreichend klar gelegt, von denen die erſtere die Luftdruckverteilung und die davon abhängigen Windrichtungen, die zweite die Temperaturverteilung, beide für 8 Uhr morgens, illuſtrieren. Dementſprechend ſank in der Nacht vom 9. auf den 10. die Temperatur in Kaſſel um 5°, in Karlsruhe und Kaiſerslautern um 4° vom 10. auf den 11. in München, Humboldt. — Juni 1882. 235 Friedrichshafen, Kaiſerslautern, Neufahrwaſſer um 4°, und vom 11. auf den 12. in Süddeutſchland bis zu 7° unter den Gefrierpunkt. Die hierdurch verurſachten Schäden an der Obſt⸗ und Weinkultur waren recht erheblich, jedoch nicht ſo ſchlimm, als ſie in den damaligen Berichten dar— geſtellt wurden. . 2 9 April 1889 ir aaron Lultdrack 13—30. April. Durch das Erſcheinen einer tiefen Depreſſion in der Nacht vom 12. auf den 13. im Süd⸗ weſten der britiſchen Inſeln war ein Witterungsumſchlag angedeutet, welcher ſich in den folgenden Tagen, langſam weſtoſtwärts fortſchreitend, auch für Zentraleuropa vollzog. Da derſelbe manches Intereſſe bietet, ſo habe ich ſeinen Verlauf in allen drei beiſtehenden Kärtchen dargeſtellt. 2 , , ss = => g — 12.April 1882.8Uhr a. Wetter ſehr veränderlich, Niederſchläge mit heiterer Witte— rung raſch wechſelnd, die Temperatur großen Schwan— kungen unterworfen und weſtliche und ſüdweſtliche Winde vorherrſchend. Am 18. morgens erſchien ein Minimum, vom Nordoſten kommend, über der ſüdlichen Nordſee und bedingte an dieſem Tage über Weſtdeutſchland ſtürmiſche Luftbewegung, ſtellenweiſe voller Sturm aus Südweſt mit regne— riſcher Witterung und ſteigender Temperatur. Am folgenden Tage verſchwand dasſelbe langſam oſt— wärts, während an der weſt— deutſchen Küſte heftige Regenböen aus W. und NW. auftraten. In der oben bezeichneten Epo— che hebt ſich der Zeitraum vom 20—24., wo ein umfangreiches Gebiet hohen Luftdrucks vom Süd— weſten kommend, langſam oſtwärts über Mitteleuropa wegzog, durch heiteres, ruhiges Wetter mit hohen Tagestemperaturen heraus, weld)’ letztere insbeſondere am 22., 23. und 24. vielfach 22° erreichten, ſtellenweiſe überſchritten. Ungefähr unter denſelben Verhältniſſen wie am 18. wehten am 26. im weſtlichen Deutſchland ſtarke bis ſtür— miſche Winde mit unbeſtändigem Wetter, und ausgedehnten ergiebigen Regenfällen, als eine Depreſſion an der Hollän— diſchen Küſte erſchien, welche in den folgenden Tagen nordoſtwärts verſchwand. Eigentümlich war die Situation am 29., an welchem 74. April 1882. S Hu. a Luttdruck. Am 12. erſtreckte ſich der Einfluß der Depreſſion auf Tage zwei ſehr deutlich ausgeprägte Depreſſionen ſehr dicht Weſtfrankreich und die britiſchen Inſeln, auf welch’ letzte— rem Gebiete Regenwetter mit meiſt ſteigender Temperatur eingetreten war. Am 13. war die ganze Weſtküſte Zentral⸗ europas in den Wirkungskreis des Minimums eingetreten, daher Zunahme der Bewölkung und Niederſchläge mit ſteigender Temperatur. Am 14. dehnte ſich der Einfluß oſtwärts über ganz Zentraleuropa aus und ſüdwärts bis nach Nordafrika, wo der Scirocco die Temperatur bis zu 31° erhob. Die Axe der zungenförmigen Icobaren, welche, wie auf dem Kärtchen angedeutet, ſich von Mittel— irland oſtſüdoſtwärts bis etwa in die Gegend von Bres— lau hinzieht, teilt zwei Gebiete von ganz verſchiedenem Setterdjarafter: der Nordoſten viel kälter mit Oſtwinden, der Südweſten viel wärmer mit Südweſtwinden; im ſüd— lichen Oſtſeegebiete liegt die Temperatur noch unter 5 %, dagegen ſüdlich der Linie Borkum-Magdeburg ſchon über 10 . In den folgenden Tagen lagen beſtändig Minima über Nordeuropa, in raſcher Aufeinanderfolge das Nord— und Oſtſeegebiet durchziehend, nicht ſelten von beträcht— licher Intenſität und Tiefe und daher häufig von un— ruhiger, ſtürmiſcher Witterung begleitet. Deshalb war das raſch in oſtnordöſtlicher Richtung beieinander lagen; die eine ſüdlich von den Shetlands— Inſeln, umgeben von mäßiger bis ſtarker Luftbewegung, die andre an der Südküſte Irlands, welche über Südweſt— england ſtürmiſche, am Kanal ſtarke ſüdweſtliche Winde hervorrief. Die Verbindungslinie beider Depreſſionen war von SW. nach NO. gerichtet. Während die erſtere Depreſ— ſion langſam nordwärts fortſchritt, bewegte ſich die zweite und lag am 30. April die oben erwähnte Ver— nach NW. erhielt, ein Druckverteilung in der am Eingange der Oſtſee, ſo daß bindungslinie die Lage von SO. Vorgang, welcher bei ähnlicher Regel ſich vollzieht und der auch in den folgenden Tagen ſich wiederholte.“) Das letztere Minimum iſt deswegen bemerkenswert, weil unter ſeinem Einfluſſe am 29. über Süd england, am 30. über der Weſthälfte Norddeutſchlands, ins- beſondere an der weſtdeutſchen Küſte, ſchwere Stürme wehten, wodurch an der Küſte Strandungen veranlaßt wurden. In Südengland wurden durch den Sturm Häuſer abgedeckt, Schornſteine herabgeweht, Bäume entwurzelt und viele Per— ſonen verletzt, teilweiſe getödtet. Hamburg. Dr. T. van Bebber. ) Vergl. auch dieſe Zeitſchrift über den Sturm vom 14. u. 15. Oktober 1881. Heft 3, Seite 92. 236 Humboldt. — Juni 1882. 3 | 10" 27 E. h. 5 29 Sagittarii 111 29m A. d. 6 612 46 E. h. 5 e Caprice. 13½ 47™ A. d. 5 Te || UBS Geen IB Ihe 15 Navis 13 Sm A. d. 5 17 | 1584 U Coronae 24 | 1382 U Coronae Die Zeit der hellen Nächte, welche mit dieſem Mo⸗ nat. beginnt, bietet ſelbſtverſtändlich wenige beobachtbare Erſcheinungen am Himmel. Die veränderlichen Sterne verſchwunden; von 8 Cancri und 6 Librae, welche nur kurze Zeit am Nachthimmel über dem Horizonte ſichtbar ſind und von U Cephei fällt in dieſem Monat kein Lichtminimum auf eine Nachtſtunde. Die Planeten Merkur, Saturn und Jupiter ſind für das freie Auge in den Sonnenſtrahlen verborgen, Venus glänzt als i Kalender. Himmelserſcheinungen im Juni 1882. (Mittlere Berliner Zeit.) Algol und J Tauri find jetzt in den Sonnenſtrahlen Abendſtern am Nordweſthimmel, Uranus befindet ſich 1½ ° ſüdöſtlich von J Leonis. Vollmond ift am 1. Juni um 9½ Abends, das letzte Viertel am 8. Juni um 6" Abends, Neumond am 15. Juni um 7½ Abends und das erſte Viertel am 23. Juni um 7 Abends. : Die Sonne erreicht im Mittag ihren höchſten Stand am 21. Juni. Der von Wells am 18. März in Boſton entdeckte Komet befindet ſich in den erſten Tagen des Monats in ſeinem größten Glanze und wird mit großen Fern⸗ röhren vielleicht mit Erfolg am Tage beobachtet werden können; am 11. Juni kurz vor Mittag paſſiert er ſeine Sonnennähe in einem Abſtande von der Sonne, welcher nur Shop der mittleren Entfernung der Erde von der Sonne beträgt. Gegen Ende des Monats tritt der Komet in das Sternbild des Löwen und wird ſich noch in der Abenddämmerung beobachten laſſen. Straßburg i. E. Dr. Hartwig. Weit r re wilt ne om Aleber Schichtenbildung durch Ameiſen bringt Dr. H. von Ihering eine Mitteilung im Neuen Jahr⸗ buch für Mineralogie 1882, Bd. I., Heft 2, S. 156. Bei Col Mundo nuovo am Rio dos Sinos in Bra⸗ ſilien wird der Boden aus Sand gebildet, worauf in einer Tiefe von 4 Fuß eine Schicht ſchweren, roten Lehmes folgt. An einer Stelle lag der Lehm in einer etwa 1 dem dicken Schicht zu oberſt über dem Sand. Bei näherer Unterſuchung ſtellte es ſich heraus, daß dieſe Umkehrung der natürlichen Lagerung durch Atta cephalotes, eine große, bei den Einheimiſchen unter dem Namen Mineiros (Bergleute) bekannte Ameiſe, bewirkt worden war. Das Tier baut ſich in einer Tiefe von 4— 5 Fuß unterirdiſche Bruträume und ſchafft den Grund in lockeren, durch Speichel zu⸗ ſammengeklebten Kugeln von Linſen- bis Erbſengröße an die Oberfläche. Dadurch wird der Boden auf eine Ausdehnung, die etwa der eines mäßig großen Wohn⸗ hauſes gleichkommt, um einen oder mehrere Dezi⸗ meter gleichmäßig erhöht und kann ſich dieſe weſent⸗ liche Veränderung der Bodenoberfläche noch auf größere Strecken ausdehnen, wenn ſich neue Kolonieen an⸗ ſiedeln. W. Sch. Der unterſeeiſche Tunnel zwiſchen England und Frankreich macht neuerdings wieder viel von ſich reden. Die engliſchen Zeitungen, Times an der Spitze, haben ausführlich die Frage erörtert, wie die engliſche Ausmündung desſelben im Kriegsfalle gegen eine plötzliche Invaſion vom Kontinente her geſchützt werden könne. Die nächſtliegende Frage, wie es möglich ſein wird, die nur vom Lande aus zugäng⸗ lichen Arbeitsſtollen, deren jeder etwa 16 km bis zur Tunnelmitte lang werden müßte, ausreichend zu ven⸗ tilieren, hat jedoch bis jetzt keine befriedigende Löſung gefunden. Die vorbereitenden Arbeiten, welche auf der franzöſiſchen Seite durch die Nordeiſenbahngeſell⸗ ſchaft, auf der engliſchen Seite durch eine beſondere, von der Südoſtbahn gegründete Aktiengeſellſchaft be⸗ trieben werden, haben zunächſt nur den Zweck, die Mächtigkeit und Beſchaffenheit der Kalkſchicht zu unter⸗ ſuchen, welche ſich nach geologiſchen Annahmen unter dem thonigen Bette des Pas de Calais zwiſchen bei⸗ den Küſten hinzieht. Bei Sangatte, unweit von Ca⸗ lais, iſt ein Schacht bis nahe zur erforderlichen Tiefe abgeteuft. Auf der engliſchen Seite zwiſchen Dover und Folkeſtone, unweit von Shakeſpeares⸗Cliff, iſt die Abteufung des 30 m unter Ebbeſpiegel tiefen Schachtes bereits vor längerer Zeit beendet und mit der Vor⸗ treibung eines Verſuchsſtollens begonnen worden, deſſen Länge zur Zeit über 1 km beträgt. Dieſer Stollen liegt jedoch nicht in der Richtung des ſpäterhin mög⸗ licherweiſe zu bauenden unterſeeiſchen Tunnels, ſondern parallel zur Meeresküſte. Das durchfahrene Geſtein beſteht durchweg aus grauem Kalk der oolithiſchen Formation in dichten, feſten Bänken. Starker Waſſer⸗ drang hat ſich trotz der großen Nähe des Meeres nir⸗ gends gezeigt. Sämtliche Maſchinen, Förderlokomo⸗ tiven und Steinbohrer (Syſtem Beaumont) werden mit komprimierter Luft betrieben, durch deren Rück⸗ ſtrömung eine vortreffliche Ventilation bewirkt wird. Vorzüglich bewährt hat ſich die Beleuchtung des Stol⸗ lens mit elektriſchem Licht (Swan'ſche Inkandeszent⸗ lampen). Die Schwierigkeiten eines Tunnelbaues wachſen jedoch in ſolch hohem Grade mit der Länge des Tunnels, daß die bis jetzt erzielten guten Ergeb⸗ niſſe beim Vortrieb des Verſuchsſtollens keine günſtigen Rückſchlüſſe auf die Ausführbarkeit des Unternehmens zu ziehen geſtatten. Ke. Zeſeitigung des Schnees von den ſtädtiſchen Straßen. In den Budgets der Großſtädte des nörd⸗ Humboldt. — Juni 1882. 237 lichen Europa ſpielt die Beſeitigung des Schnees von den ſtädtiſchen Straßen eine große Rolle. Die City von London, welche allen Schweſterſtädten mit der Einführung rationeller Einrichtungen rühmlichſt vovan- geht, hat ſich durch den ſtarken Schneefall des Winters 1880/81 beſtimmen laſſen, ein bereits in früheren Jahren verſuchsweiſe angewandtes Verfahren zur Weg— ſchaffung des Schnees mittels Schmelzung zukünftig in größerem Maßſtabe anzuwenden. Der bedeutendſte Anteil der für die Beſeitigung des Schnees erforder— lichen Koſten entfällt nämlich auf die Abfuhr aus der inneren Stadt nach geeigneten Ablagerungsplätzen in der Umgegend. Um dieſe Abfuhrkoſten zu erſparen, hat M. Clarke einen Apparat erfunden, welcher be— zweckt, den von einer größeren Straßenfläche durch Schaufelung und Karren entfernten Schnee in beſon— ders angelegten Gruben mittels Gasheizung zu ſchmelzen und das Schneewaſſer durch die Kanaliſa⸗ tionsröhren abzuleiten. Die Herſtellung eines ſolchen Apparates, welcher 80—90 ebm zuſammengepreßte (= 350 ebm lockere) Schneemaſſe in 1 Tag zu ſchmel— zen vermag, erfordert etwa 2400 Mark Anlagekapital; die Betriebskoſten betragen pro 1 ebm lockere Maſſe etwa 25 Pfg. Demgegenüber iſt hervorzuheben, daß die Abfuhr des bei dem Schneeſturm vom 18. Januar 1881 auf die Straßen der City niedergefallenen Schnees ungefähr 110,000 cbm, über 85000 Mark, aljo 77 Pfg. pro Kubikmeter gekoſtet hat. Ueber 1 Woche lang waren außer dem ſtändigen Perſonal und Pferdebe— ſtand der ſtädtiſchen Straßenreinigung (350 Mann und 70 Pferde) 1000 Arbeiter und 250 Karren mit der Aufſchaufelung und dem Transport des Schnees beſchäftigt. Der Straßenverkehr war einige Tage lang für Fuhrwerke faſt ganz unterbrochen, da man an ſolche Erſcheinungen nicht gewöhnt und auf dieſelben nicht vorbereitet war. Die hierdurch verurſachten Mißſtände haben die Verwaltungsbehörde der City be- ſtimmt, eine größere Anzahl von Clarke'ſchen Appa— raten für die Straßen ihres Stadtgebietes anzulegen. Ke. Die längſte Drahtſpannung in der Welt kommt bei der elektriſchen Leitung über den Kiſtnah-Fluß bei Bezorah und Sectanagrum in Indien, zwiſchen zwei Hügeln vor, von denen jeder eine Höhe von 1200 Fuß hat. Dieſe Spannung beträgt etwas mehr als 6000 Fuß. Die einzige Vorrichtung, der man ſich zum Ziehen dieſes Drahtes über den Fluß bediente, war eine gewöhnliche Schiffsankerwinde. Ho. Interne Vegetation der Kartoffel. Der Fran⸗ zoſe Lacharme beſchäftigte ſich nach einer Mitteilung von M. Lebl (Wiener landw. Ztg. 1881, S. 249) mit Verſuchen über die Haltbarkeit von Kartoffeln. Zu dieſem Zwecke hatte er aus verſchiedenen Varie— täten: Belle Augustine, Hollande rose, Holl. rouge und Holl. jaune die beſten Knollen ausgewählt und auf einem Brette im kühlen Keller aufbewahrt. Um die Keimung, als bei den Verſuchen ſtörend, zu unter— drücken, wurden bei der allwöchentlichen Unterſuchung die ſogenannten Augen durch Auskratzen ſorgfältig entfernt. Im Monat September nun jah Lacharme die Kartoffeln der Länge nach ſich ſpalten — während im Innern kleine Knöllchen ſich entwickelt hatten, welche bis zu Walnußgröße heranwuchſen. Um ju- fällige Täuſchungen auszuſchließen, wiederholte Lacharme nach der Kartoffelernte ſeine Verſuche wieder in der— ſelben Weiſe — und ſiehe da: im September trat die gleiche Erſcheinung wieder ein — in jeder Kar⸗ toffel hatten fic) 4—5 Knöllchen von hellroter Farbe mit violettem Hauche gebildet. W Die kleinſte Dampfmaſchine. Die kleinſte Dampf⸗ maſchine hat bis jetzt ein amerikaniſcher Uhrmacher Namens Buck konſtruiert. Sie wiegt nach dem „Iron— monger“ nur 50 Gran, nimmt mit Keſſel, Regulator und Speiſepumpe kaum 3 cem Raum ein und hat nur 16 mm Höhe, ſo daß ſie von einem gewöhn— lichen Fingerhut bedeckt wird. Ihr Kolbenhub be— trägt nur etwas über 2mm, der Durchmeſſer des Kolbens etwas weniger als 1,5 mm. Die kleine Maſchine beſitzt 140 verſchiedene Teilchen, welche durch 52 Schrauben miteinander verbunden ſind. Drei Tropfen Waſſer ſind hinreichend, um den Keſſel voll genug zu machen und die Maſchine in Bewegung zu E. ſetzen. Nachweis des Chloroforms in Vergiftungs⸗ fällen. Nach einer Mitteilung von Vitali (Chemiker— Zeitung 1882, Nr. 47) ſoll es auf folgende Weiſe leicht ſein, Chloroform bei Vergiftungen nachzuweiſen. Man bringt die von den Eingeweiden abdeſtillierte Flüſſigkeit in eine Flaſche und leitet Waſſerſtoffgas durch dieſelbe. Das austretende Gas wird an einer Platinſpitze entzündet. Iſt Chloroform vorhanden, ſo wird dasſelbe durch den Waſſerſtoffſtrom mitgeriſſen und verbrennt in der Flamme zu Chlorwaſſerſtoff. Hält man nun ein feines Kupferdrahtnetz in die Flamme, ſo nimmt dieſelbe durch das entſtehende Kupferchlorid eine intenſiv grüne Farbe an. Ein kaum ſichtbares Tröpfchen Chloroform mit 30 cem Waſſer vermiſcht, bewirkte die grüne Färbung ſehr deutlich. Ich gebe nun gerne zu, daß es damit möglich iſt, Chloroform zu erkennen — aber leider gibt es auch noch eine Reihe andrer Stoffe, welche unter gleichen Umſtänden das gleiche Reſultat liefern können. Ich nehme an, daß der Geſtorbene noch Chloral— hydrat genoſſen hat: es kann dann bei der Flüchtig— keit desſelben mit Waſſerdämpfen davon auch in das Deſtillat gelangen — und hier dann gleichfalls eine Grünfärbung der Flamme bewirken. Die angegebene Reaktion hat deshalb umſo weniger Wert, als noch eine Reihe von Chlorverbindungen namhaft gemacht werden könnte, die flüchtig genug find, um ins Deſtil⸗ lat zu kommen und dann zu den gröbſten Ir⸗ rungen Veranlaſſung zu geben. Ich nenne nur Clayl- chlorür (Liquor hollandicus) und Aethylidenchlorid (Aranſcher Aether); unter Umſtänden ſogar, wenn z. B. mit Schwefelſäure der Darminhalt deſtilliert wird: Kochſalz! V. Neues über Trichinen. Bis jetzt war es unter den Mikroſkopikern ein Dogma, daß Trichinen nur im Fleiſche, aber niemals im Fettgewebe di. h. im Speck vorkommen können. Ich glaube mich nicht zu täuſchen, wenn ich ſogar glaube, eine kaiſerliche Ver— ordnung geleſen zu haben, wornach Speck beim Im⸗ port aus Amerika nicht mehr auf Trichinen unter⸗ ſucht zu werden braucht. Nun behauptete Chatin ſchon vor mehr als einem halben Jahre, daß er Tri- chinen im Bruſtſpecke von Schweinen ſowohl im freien, wie eingekapſelten Zuſtande gefunden habe. In neueſter Zeit verlautet ſogar, daß Chatin auch noch Trichinen 338 Humboldt. — Juni 1882. im Darmfette in allen Entwickelungsſtadien ange⸗ troffen habe. In der Regel waren die Paraſiten ſchon fertig mit ihrer Entwickelung und eingekapſelt. Dieſer Fund verdient, wenn er ſich als richtig beſtätigt, um ſo mehr Beachtung, als ſolche infizierte Gedärme regelmäßig aus Amerika importiert werden, indem ſie in Frankreich zur Fabrikation der Saucischen dienen und mit Fleiſch gefüllt werden. W. Bakterien als Baumverderber. Schon ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts werden in den Vereinigten Staaten Nordamerikas diesfeits der Rocky Mountains die Kernobſtbäume von einer verheerenden Krankheit heimgeſucht, welche man bei den Birnbäumen als fire blight, bet den Apfelbäumen als twig blight bezeichnet, und welche in Europa nicht vorzukommen ſcheint. Am härteſten werden die Birnbäume be⸗ troffen; auf weite Strecken hin hat man deren An⸗ pflanzung vollſtändig aufgeben müſſen, da ſie der Krankheit regelmäßig erliegen. Kaum weniger leidet die Quitte; bei den Apfelbäumen werden nur die Aeſte befallen (daher twig blight, Zweigbrand) und ſie ſterben nur ausnahmsweiſe infolge der Krank⸗ heit ab. Außer den genannten Bäumen hat man den Brand auch noch an der italieniſchen Pappel, der amerikaniſchen Eſpe, der Wallnuß und verſchiedenen andern Arten beobachtet. Den Grund dieſer verheerenden Krankheit ſuchte man früher natürlich in Säfteſtockungen u. dgl. oder in Eigentümlichkeiten des Bodens; doch überzeugte man ſich bald, daß ſie kontagiös und ſchon 1863 be⸗ hauptete Dr. Salisbury, daß ſie durch einen Pilz ver⸗ urſacht werde, welchen er Sphaerotheca pyri nannte. Doch wurde dieſe Anſicht von mehreren Seiten leb⸗ haft bekämpft und nun iſt P. J. Burrill durch ſorg⸗ ſame Experimente und genaue mikroſkopiſche Unter⸗ ſuchungen zu dem Reſultate gelangt, daß nicht der Pilz, den man allerdings häufig in der Rinde der brandigen Stellen findet, die Urſache des Abſterbens iſt, ſondern eine winzige Bakterie von ungefähr 0,003 mm Länge und 0,001 mm Dicke, welche zum mindeſten ſehr nahe verwandt, wenn nicht identiſch iſt mit Paſteurs Vibrion butyrique (Bacillus amylo- bacter van Tieghem). ſcheint hier in derſelben Weiſe durch Fermentation ſchädlich zu wirken, wie in tieriſchen Körpern und in allen Kohlenſtoffverbindungen. Von den Impfungen, welche Burrill mit bakterienhaltigen Flüſſigkeiten an Birnbäumen vornahm, hatten 63 Proz. Erfolg, wäh⸗ rend die an Quitten vorgenommenen ſämtlich, die an Aepfeln nur bei 30 Proz. Brand erzeugten. Es kann nach dieſen Unterſuchungen kaum mehr einem Zweifel unterliegen, daß auch im Pflanzenreiche die Bakterien dieſelbe unheilvolle Rolle ſpielen, wie im Tierreiche, und dürfte ſich verlohnen, auch bei analogen Erkrankungen unſrer Nahrungspflanzen nach ſolchen auszuſchauen. Ko. Eiskammern in der Wüſte. Die Not macht erfinderiſch. Das beweiſen die merkwürdigen Brunnen⸗ anlagen im „Roten Sande“ der Turkmenenſteppe. Dieſe Wüſte Zentralaſiens, die im allgemeinen nicht als waſſerarm bezeichnet werden kann, weiſt aber den⸗ noch einige Strecken auf, denen natürlichen Quellen geradezu mangeln. Eine ſolche liegt in der Gegend von Alang auf dem Wege von Merw nach Karſchi. Baum und Strauch ſind verſchwunden, rötlicher Ton, Dieſer winzige Organismus bedeckt von beweglichem Sande erſcheint und bezeich⸗ net die öde Verlaſſenheit; zu den glühenden Sonnen⸗ ſtrahlen geſellt ſich der erſchlaffende „Harmſir“ und erſchwert dem vom Durſte gemarteten Reiſenden das Fortkommen. Da zeigt ſich mitten in der Wüſte ein kuppelartiger Bau, es iſt die Sardoba Tſchil-Gumbeg, eine Eiskammer, in der Schneewaſſer während des ganzen Sommers friſch erhalten wird. Es iſt eine Art Ziſterne in einer kleinen Vertiefung angelegt und aus gebrannten Ziegeln erbaut. Ihr Zugang iſt mit einer Lehmwand umgeben; die zum Waſſer hinab⸗ führenden Stufen ſind aber bereits zerbröckelt und verfallen. Pferde oder andre Tiere werden nicht hinzugelaſſen, um das Waſſer nicht zu verunveinigen. Der merkwürdige Brunnen ſteht unter keiner irgend⸗ wie gearteten Ueberwachung und doch kommt es, nach Oberſt Majews Berichte niemals vor, daß ein Turk⸗ mene fein Pferd zur Tränke in denſelben hinabführte. Der Brunnen wird jeden Herbſt von den in jenen Gegenden nomadiſierenden Illibai-Turkmenen bis obenhin mit Eis und Schnee gefüllt und das Schmelz⸗ waſſer erhält ſich den ganzen Sommer und Herbſt über friſch und zeigt keine Spur von Verdorbenheit. Samoa und Congaardipel. Am 24. Nov. 1881. fand auf beiden Gruppen ein ſtarkes Erdbeben ſtatt, welches auch auf den Schiffen in den Häfen verſpürt wurde. Gegen vier Meilen von Nakualofa, der Hauptſtadt von Tongatabu, ſenkte ſich die große Ebene und bildet jetzt ein ziemlich tiefes Thal. Al, n BS) Timbuktu. Dr. Oskar Lenz, der im Auftrage der Afrikaniſchen Geſellſchaft zu Berlin am 22. De⸗ zember 1879 von Tanger aus die Reiſe nach Tim⸗ buktu antrat und die Stadt nach einer gefahrvollen Reiſe auch erreichte, läßt ſich in einem in dem Vereine für Geographie und Statiſtik zu Frankfurt a. M. ge⸗ haltenen Vortrage folgendermaßen über die genannte Stadt aus: „Timbuktu, am Niger gelegen, wird von den feind⸗ ſeligen Stämmen der Tuareg und den Maſſina um⸗ geben und hat gerade durch dieſen Umſtand ſeine frü⸗ here Bedeutung und Größe verloren; denn die ſich ewig befehdenden Nachbarſtämme machen ſie von Zeit zu Zeit nicht nur zum Schauplatz ihrer Plünderungen, ſondern verhindern auch infolge der durch die Kriege entſtehenden Unſicherheit die Entwickelung von Handel und Verkehr. So iſt es gekommen, daß Timbuktu, einſtmals das Emporium des Handels für den weſt⸗ lichen Sudan von ſeiner früheren Bedeutung und Größe vollkommen herabgeſunken iſt und die heutige Stadt nur mehr als Schatten ihrer einſtigen Größe erſcheint. Sie wird von keinem Könige oder Sultan regiert; ein Bürgermeiſter (Kabia) beſorgt die Ver⸗ waltungsgeſchäfte. Timbuktu hat gegenwärtig noch 10,000 Einwohner (Araber und Neger). Handel und Induſtrie ſind, wie geſagt, nicht bedeutend. Die Ausfuhr beſchränkt ſich auf Straußfedern, Elfen⸗ bein, Goldſtaub, Gummi und Sklaven, welche in den Bamboraländern gefangen und nach Marokko gebracht werden; die Einfuhr beſteht in Salz, Mehl, Zucker, Thee, Korallen und Baumwollſtoffen.“ H. W Nga eee | ae Blicke in das Leben der nordiſchen Meere. Von Dr. Friedrich Heincke in Oldenburg. L. Jeit einer Reihe von Jahren hat ſich auch in Deutſchland ein lebhaftes öffentliches Intereſſe für die künſtliche Fiſchzucht ge— zeigt. Es iſt nicht meine Abſicht, dieſelbe hier ausführlicher zu beſprechen oder Propaganda für ſie zu machen, aber ich glaube, daß der Inhalt der vorliegenden Abhandlung, welche den Leſer in ein ebenſo intereſſantes wie in Deutſchland wenig be— kanntes Gebiet führen wird, wohl dazu angethan iſt, die Beſtrebungen der Fiſchzüchter in das richtige Licht zu ſtellen. Was will die Fiſchzucht? Sie er— ſtrebt dasſelbe für die ſüßen Gewäſſer, was der Forſtmann für die Wälder. Die Vernichtung ihres Beſtandes an nutzbaren Lebeweſen will ſie verhindern, das Weggenommene durch geeigneten Nachwuchs er— ſetzen, ihren Ertrag womöglich ſteigern und ſie in geordnetem Zuſtande der Nachwelt hinterlaſſen. Die Geſetze, welche die lebendige Welt unſrer Gewäſſer beherrſchen, ſucht der Fiſchzüchter zu ergründen, wie der Landmann die des Bodens. So ſammelt er einen wertvollen Schatz von Regeln, ein ſegenbringendes Erbteil für die kommenden Geſchlechter. Enge ver— wandt mit ſolchen Beſtrebungen, aber ungleich groß— artiger und auch für den Fernſtehenden anziehend und erhebend ſind jene, welche unſere weſtlichen und nordiſchen Nachbarn germaniſchen Stammes ſeit einer Reihe von Jahren verfolgen. Naturforſcher, See— fahrer und Kaufleute, ja Hiſtoriker verbinden ſich mit einfachen Männern aus dem Volke, mit gemeinen Fiſchern, zu Erreichung eines großen Zieles. Das Meer mit ſeiner ſturmbewegten Oberfläche und ſeinen ſtillen Abgründen, unendlich im Vergleich mit den ſüßen Gewäſſern, ſoll ein Ackerfeld der Menſchheit werden, ſein ungeheurer Reichtum an lebendigen Humboldt 1882. Weſen ſoll mehr und mehr, ſoll voll und ganz zu jener höchſten Leiſtung herangezogen werden, deren das Organiſche fähig ijt: er ſoll dem Menſchen gehören und der Kräftigung ſeines Geiſtes dienen. Wer hätte nicht ſchon von dieſem Reichtum der nordiſchen Meere an nutzbaren Tieren gehört? Aber nur wenige werden eine richtige Vorſtellung von demſelben haben. Ich will verſuchen ein Bild davon zu entwerfen, mit wenigen Strichen, eine Skizze, die noch weit hinter der Wirklichkeit zurückſtehen muß. Wenn die Sonne das Sternbild des Steinbocks verläßt, um wieder in Schraubenwindungen zum nördlichen Himmel emporzuſteigen, wenn unſere Tage wieder länger werden, dann hoffen wir auf den Segen des kommenden Frühlings. Aber noch drei volle Monate müſſen wir uns gedulden, bis die Wälder wieder grünen und unſere ſchlummernden Saaten zu erwachen beginnen. Für den Bewohner der Südweſtküſte Norwegens kommt dieſer Segen faſt unmittelbar. In dem bewunderungswürdigen Telegraphennetz der Küſte, welches die kleinſten Schereneilande miteinander verbindet, beginnt ſich der elektriſche Strom zu regen. Die Späher, ihr Antlitz dem Meere zugewendet, haben die eigentiim- liche Veränderung ſeiner Oberfläche bemerkt. Ueberall hin verbreitet ſich ſchneller als der Gedanke ihr Ruf: „Sie kommen!“ Sie ſind da, die unermeßlichen Scharen des ſchönen glänzenden Vaarſild, des Früh— jahrsherings. Ein wunderbares Schauſpiel bietet ſich bei ruhigem Wetter dem Beſchauer. So weit das Auge reicht, dehnt ſich an der Oberfläche des Meeres eine glitzernde Heringsmaſſe, oft in ſo ungeſtümem Drängen begriffen, daß die oberſten Fiſche von den untern aus dem Waſſer gedrängt werden und ein 31 240 Humboldt. — Juli 1882. 7 merkliches Anſchwellen der Scharen in der Mitte be⸗ obachtet wird. Einen Fiſchberg nennt es der Nor⸗ weger. In die Fjorde hinein ziehen ſich ſchillernde Streifen in beſtändiger Bewegung. Zahlloſe Feinde, die eleganten, luſtig ſpringenden Delphine, Herings⸗ und Dornhaie, vor allen aber Kabeljaue folgen den Milliarden Heringen. Tauſende von Möwen ſchweben gierig über ihnen und alle vereint vernichten eine ungeheure Zahl der wehrloſen Geſchöpfe. Was dem Menſchen ſchließlich anheimfällt, iſt ſicher nicht mehr als 1 oder 2 Proz. der Geſamtmaſſe, die ungerechnet, welche ihr Ziel erreichen und im Innern der Fjorde ihren Laich abſetzen, um dann ebenſo ſchnell zu ver⸗ ſchwinden, wie ſie gekommen. Aber dieſer geringe Prozentſatz genügt, Tauſenden von Menſchen ihren Lebensunterhalt zu ſpenden. So an der Südweſtküſte Norwegens. Zu der⸗ ſelben Zeit beginnt hoch oben, nahe dem 70° n. Br. ein noch regeres Leben. Dort, wo die Tagesſonne erſt wenige Stunden über dem Horizont verweilt, ein dämmerndes Licht verbreitend, wo im Sommer ſelbſt die Gerſte nicht immer reift und das Feſtland mit ſeinen zahlreichen Schereneilanden, mit der gigantiſchen, zerklüfteten Inſelgruppe der Lofoten ein Bild der Oede und Verlaſſenheit bietet. Jetzt aber ſtrömen von allen Seiten, weit von Süden her, die Fiſche herbei, mehr als 70,000 Menſchen, zum Fange des Skrei, des großen Bankdorſches (Gadus morrhua Linné.) ) Ueber 16,000 kleinere und größere Fahr⸗ zeuge beleben die eiſigen Gewäſſer zwiſchen den Inſeln. Während unten im Süden gewaltige ſchwim⸗ mende Netzwände den Heringen entgegengeſtellt wer⸗ den oder Hamen und Körbe ſie aus den engen Buchten ſchöpfen, ſenken ſich hier Millionen von Angeln in die Tiefe. So dicht ſind oft die Berge des Kabeljaus, daß die Angelleinen nicht ſinken wollen, ſondern auf dem Rücken der Fiſche liegen bleiben. Am Lande, auf den Klippen harren Männer und Weiber auf die ankommenden Fiſche; hier wer⸗ den dieſelben ausgeweidet, geſalzen und getrocknet. Man watet buchſtäblich in den blutigen Eingeweiden, ja das Meer iſt auf weite Strecken ſo mit dem Rogen und Milch der Fiſche bedeckt, daß ſich hier — ſonderbar genug — ohne Wiſſen und Willen der Fiſcher eine künſtliche Befruchtung der herausge⸗ ſchnittenen Geſchlechtsprodukte vollzieht. Fleiſchfreſſende Wale begleiten auch hier die Fiſchſcharen und auch ſie fallen dem Menſchen zur Beute. Berge von Stock⸗ fiſch und Klippfiſch, zahlloſe Tonnen voll geſalzenem Dorſchrogen und Leberthran harren bald der Ver⸗ frachtung und mehrere Fabriken ſind thätig, die Ab⸗ fälle zu einem wertvollen Guano zu verarbeiten. An der Oſtküſte Großbritanniens fällt die Haupt⸗ ernte auf dem Meere in die Monate Juli bis Sep⸗ tember. Schotten, Engländer und Holländer ver⸗ einigen ſich auf hoher See zu einem großartigen Treibnetzfang auf eine der wertvollſten Heringsſorten, ) Kabeljau und Dorſch find Bezeichnungen für ein und dieſelbe Art. den jog. ſchottiſchen oder holländiſchen Lachshering. In den Häfen, namentlich in Yarmouth entfaltet ſich ein äußerſt reges Leben. Während Hunderte von Fahrzeugen im Hafen aus- und eingehen und am Lande in den Räuchereien und Salzereien Tag und Nacht gearbeitet wird, iſt auf der See eine nach Tauſenden von Fahrzeugen zählende Flotte — Schottland allein beſitzt 7000 Heringsfahrzeuge — beſonders bei Nacht mit dem Auswerfen und Ein⸗ ziehen der Netze beſchäftigt. Durch Aneinanderknüpfen derſelben werden unabſehbare Netzwände den Herings⸗ ſcharen entgegengeſtellt. Die ſchottiſchen Treibnetze allein würden aneinander gereiht eine Länge von 12000 engliſchen Meilen haben. Bei günſtigem Wetter iſt der Fang oft ein enormer, beträgt doch, ſoweit ſich das abſchätzen läßt, die Zahl der allein von S gefangenen Heringe jährlich 1000 Millionen tück. Aber alles, was ich bis jetzt vorgeführt habe, iſt unbedeutend verglichen mit dem, was von April bis Mitte September in den Gewäſſern um Neufund⸗ land, namentlich auf der großen Bank öſtlich von dieſer Inſel vor ſich geht. Auf einer Meeresfläche von 200,000 engliſchen Quadratmeilen ſammeln ſich mindeſtens 20,000 kleinere und größere Fiſcherfahr⸗ zeuge von Kanada, den Vereinigten Staaten und Frankreich, jedes im Durchſchnitt mit 7—8 Mann Beſatzung. Im Anfang der Saiſon fängt man mit großen Treibnetzen zahlloſe Heringe und Lodde oder Capelin (Mallotus villosus Mäller), ein arktiſcher Stint, welcher auch bei Norwegen vorkommt; ſie werden geſalzen als Köder für den Kabeljau, der von Mitte Juni an in ungeheurer Menge erſcheint. Lange Grundleinen mit je 2— 3000 Angeln werden verſenkt, an Bojen verankert und nach 6—8 Stunden wieder aufgezogen. Auf dieſe Weiſe kann ein Boot mit 7—8 Mann in der Saiſon 30— 40,000 Fiſche von 1 bis 20 kg Gewicht fangen. Das rauhe und regneriſche Klima verlangt, daß die Tag und Nacht thätigen Fiſcher eine große Widerſtandskraft gegen alle Unbill dieſer eiſigen Gegenden entwickeln. Nach⸗ dem auf dem Lande in nahezu 9000 Stapelplätzen die Zubereitung der Fiſche vollendet iſt, zieht endlich alles heim. Der arktiſche Winter mit ſeinen Eis⸗ bergen naht und ſchwingt ſein Zepter über eine öde, unwirtliche Waſſerwüſte. Vergleicht man nicht unwillkürlich dieſe nordiſchen Meere mit jenen Steppen Aſiens und Afrikas, z. B. der Kalahari, wo die nur einen Monat währende Regenzeit mit einem Schlage weite Wieſen und Blumenteppiche aus einem Erd⸗ reich hervorzaubert, das 11 Monate lang von der brennenden Sonne ausgedörrt einem harten, nackten Felſen oder einem öden Staubmeere gleicht? Meine Skizze von dem Reichtum der nordiſchen Meere würde unvollſtändig bleiben, wollte ich nicht zuletzt auch der Haifiſche, Bartenwale, Delphine, Walroſſe, Seehunde, Eisbären, Möwen und Eider⸗ enten gedenken, welche rings um den Pol in unge⸗ heurer Menge vorkommen, zahlreich erbeutet werden und dem Menſchen enormen Gewinn bringen. Es Humboldt. — Juli 1882. 241 gab eine Zeit, vor 200—300 Jahren, wo der Fang dieſer Tiere, namentlich der Wale und Robben nicht nur weit bedeutender war, als jetzt, ſondern ſelbſt noch einträglicher als der Fiſchfang. Dieſe Zeiten ſind vorüber, teils weil die Wale ſich vor der maß— loſen Verfolgung weiter nach Norden zurückgezogen haben, teils weil ihr Thran und Fiſchbein an Markt— wert verloren hat. Aber auch jetzt noch ziehen jährlich Hunderte von Fahrzeuge auf den Walfang oder Robben— ſchlag, namentlich im nördlichen ſtillen Ozean von San Franeisco aus und entreißen den nordiſchen Meeren ihre nutzbaren Schätze. Der nationalökonomiſche Wert, welcher dem Men— ſchen jährlich aus dem Schoße der Nordiſchen Meere zu gute kommt, das Kapital, welches dem Meere abgerungen wird, läßt ſich ſchwer, im günſtigſten Falle nur annähernd abſchätzen. Der Fang bei Neu— fundland und in den benachbarten Meeresteilen iſt gewiß mit 30 Millionen Mark nicht zu hoch ver— anſchlagt, die Seefiſchereien Norwegens bringen einen jährlichen Ertrag von 25 bis 30 Millionen Mark, wovon etwa 28 Proz. auf den Hering, 60 Proz. auf den Kabeljau und der Reſt auf andre Fiſche, z. B. die Makrele kommt. Großbritannien zieht aus dem Meere jährlich ein Kapital von 80—90 Millionen Mark, Frankreich 60 — 70 Millionen. Doch — Zahlen ſind tot! Man muß einmal erlebt haben, wie das Herannahen des Herings oder andrer Wanderfiſche die Küſtenbewohner in Bewegung ſetzt. Wer geſehen hat, wie am Morgen die reichbeladenen Boote von dem nächtlichen Fange heimkehren, von einer erwar— tungsvollen Menge empfangen, wie die prächtig glänzenden Fiſche aus den Maſchen des Netzes, in dem ſie ſich zu Tauſenden verwickelt haben, unter Geſang und Scherzen von den Fiſchern gelöſt und durch die ſchreienden Stimmen öffentlicher Verkäufer an Ort und Stelle verhandelt oder durch Weiber und Kinder für das Einſalzen bereitet werden, wer mitempfunden hat, wie das ganze Sinnen und Trachten einer zahlreichen thätigen Bevölkerung einzig auf die Fiſche gerichtet iſt, der allein wird eine richtige Vorſtellung von der Größe und Bedeutung der Schätze bekommen, welche das Meer, die Mutter alles Lebens, beherbergt und welche der Menſch erntet, ohne geſäet zu haben. Wer dies alles nur einmal mitgefühlt und noch mehr, wer mitten drin ſteht mit ſeinen Freuden und Leiden, wird bei dem nicht die Furcht vor dem Meere, dem wilden Element, in innige Liebe ſich verwandeln? Aus einem ewigen, unerſchöpflichen Füllhorn ſpendet es ſeine Gaben den Menſchenkindern. So unermeß— lich einförmig, ſo öde und leer an der Oberfläche, ſo mannigfaltig, ſo reich und fruchtbar iſt das Meer im Innern. Und doch hat ſich in das Gefühl der Liebe und Verehrung der Seevölker für das Meer nur zu oft die Empfindung ſchmerzlicher Enttäuſchung gemiſcht, wenn allmählich oder urplötzlich die Quelle ihres Wohlſtandes verſiegte, wenn die gewaltigen Fiſchzüge mit einem Male ausblieben, gleichſam als wären die Launen des Meeres, die ſonſt nur flüchtig über ſein Antlitz hingehen, bis tief in ſein Inneres gedrungen, um nun den Menſchen mehr zu ſchädigen, als Sturm und Unwetter vermögen. Hier ſtehen wir vor einer rätſelhaften Erſcheinung, welche der Skandinavier „Fiſchperioden“ nennt. Forſchungen in den ſchwediſchen Reichsarchiven haben ergeben, daß an der Küſte von Bohusläu im Kattegat ſeit dem zehnten Jahrhundert bis in die neueſte Zeit in regelmäßig ſich wiederholenden, etwa 60 jährigen Perioden die ſonſt ſo reichen Heringszüge ſich außer— ordentlich verringerten oder ganz ausblieben. Zum letztenmal geſchah dies im Jahre 1808 und erſt im Januar 1877 kamen wiederum gewaltige Scharen des langvermißten Fiſches. Zahlreiche wohlhabende Familien verarmten in ſolchen Zeiten, Handel und Wandel ging zurück, ja blühende Städte ſanken von ihrer Höhe und der Fiſcher mußte, ſoweit es möglich war, Netz und Angel mit Pflug und Hacke ver— tauſchen. Wie im Kattegat, ſo war es auch an der Südweſtküſte von Norwegen, wo im Jahre 1784 der Vaarſild faſt ganz verſchwand, um erſt in den letzten Dezennien wieder in größerer Menge zu kommen, ſo war es auch im hohen Norden und an den Küſten Großbritanniens, vielleicht überall. Wo liegt hier die Urſache? Vergangene Jahr— hunderte erblickten wohl die Aeußerungen göttlichen Zornes in dem Ausbleiben der ſegenbringenden Fiſchzüge und finſterer Aberglaube mag manches Opfer zu ſeiner Beſänftigung gefordert haben. Von einer wiſſenſchaftlichen Erforſchung der wahren Urſachen war bis zum erſten Viertel unſeres Jahr— hunderts keine Rede, es gab eben bis dahin keine Wiſſenſchaft des Meeres, wie die bekannte Herings- theorie des Hamburger Bürgermeiſters Anderſen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hinreichend beweiſt. Nach dieſer Lehre waren die unbekannten Polarmeere, namentlich bei Island und Grönland, Heimat und Brutſtätte aller Heringe des nördlichen Europas. Von da aus ſollte jährlich ein ungeheurer Schwarm nach Süden aufbrechen, getrieben von der Vorſehung und ihren Werkzeugen, den Walen, um ſich an der Nordſpitze Schottlands in mehrere Zweige zu ſpalten, alle Küſten heimzuſuchen, und endlich vom Menſchen dezimiert ſeinen Rückzug anzutreten. So ſprach damals die fog. Wiſſenſchaft, geſtützt auf un— zuſammenhängende und ungenau beobachtete That— ſachen. Und doch war den gemeinen Fiſchern Skandi— naviens längſt bekannt, daß beiſpielsweiſe der Vaarſild gerade zum Ablegen ſeines Laiches die Fjorde auf— ſucht, daß ſeine Brut dort geboren wird und auf— wächſt, daß zahlreiche Heringsſtämme längs der Küſte ſich niemals weit von derſelben entfernen und ſich durch unzweifelhafte lokale Kennzeichen ihrer äußern Geſtalt von andren Stämmen unterſcheiden laſſen. Dem Staate, welcher den unſterblichen Linne hervorgebracht, war es vorbehalten, den erſten Schritt zu einer wiſſenſchaftlichen Löſung der hier vorliegenden Probleme zu thun. Der ſchwediſche Zoologe und ſpätere Altertumsforſcher Nilſſon ward in den zwan— ziger Jahren von ſeiner Regierung beauftragt die 242 Humboldt. — Juli 1882. 5 Urſache von der Abnahme der Heringe im Kattegat zu erforſchen. Dies war ein bedeutſames Ereignis in der Geſchichte der Wiſſenſchaften. Indem der Staat einem Naturforſcher die Unterſuchung übertrug, emanzipierte er ſich von den Vorurteilen der Ver⸗ gangenheit und ſuchte die letzten Gründe ſeines Miß⸗ geſchicks nur noch in natürlichen Vorgängen. Zur möglichen Abwehr neuen Unglücks wollte er zuerſt und vor allem eine Erkenntnis der natürlichen Exiſtenz⸗ bedingungen der nützlichen Fiſche. Erſt dann konnte geprüft werden, ob der Menſch durch übermäßige Ausnutzung des Gebotenen ſich ſelbſt geſchadet oder ob die Urſache des Unglücks in Verhältniſſen liege, welche ein Eingreifen des Menſchen nicht geſtatten. Jene grundlegende, erſte Erkenntnis konnte aber nur die exakte Wiſſenſchaft erwerben. Das iſt ja das Kennzeichen derſelben, daß ſie unbeirrt durch Rückſichten auf das augenblickliche praktiſche Be⸗ dürfnis und unbeeinflußt von leidenſchaftlichen Er⸗ regungen des Gemüts, welche den Blick nur zu leicht trüben, indem ſie ihn auf unweſentliche Einzelheiten lenken, daß ſie frei und unabhängig, mit den nötigen Hilfsmitteln ausgerüſtet, die Wahrheit ſucht. Jahre⸗ lang mögen ihre Beſtrebungen reſultatlos erſcheinen und gar dem Spott des Praktikers anheimfallen; it ihr Streben nur echt und wahr, ſo werden auch eines Tages die Erfolge mit einem Schlage kommen. Und wie oft haben dieſe Erfolge nicht die Welt in Staunen verſetzt und ganzen Völkern Heil und Segen gebracht! Die Geſchichte der Meeresunterſuchungen iſt ein ſchönes Beiſpiel hierfür. Wie die Abnahme des Walfanges bei Spitzbergen die erſten großen Nord⸗ polexpeditionen hervorrief, ſo war auch weiter ſüdlich die Not der erſte Antrieb, welcher Fürſten und Parlamente, wenn auch nach langem Widerſtreben, zwang ſich an den Naturforſcher zu wenden. So ſind nach und nach faſt in allen ziviliſierten Staaten, namentlich in Skandinavien, England, Nordamerika, in letzter Zeit auch in Deutſchland, ſtändige wiſſen⸗ ſchaftliche Kommiſſionen eingeſetzt, deren einzige Auf⸗ gabe die Unterſuchung des Meeres iſt. Koſtſpielige Expeditionen, wie die des engliſchen Challenger 18721875 und die norwegiſchen von 1876-1878 oder wie die neueſte von Nordenſkjöld ſind ausge⸗ ſandt worden. Die bedeutendſten Männer der Wiſſen⸗ ſchaft, Phyſiker, Chemiker, Geologen, Botaniker und Zoologen ſind bei ihnen thätig. Auch für den, der nur in beſcheidenem Maße und nur eine kurze Zeit lang — ich ſpreche von mir ſelbſt — an dieſen Forſchungen teilgenommen hat, mußte es ein ſtolzes, erhebendes Gefühl ſein, an der Löſung ſo großer Probleme mitwirken zu können. Freilich — ein Stubengelehrter darf man nicht ſein. Da gilt es mit den Fiſchern hinauszugehen auf das launiſche Meer mit ſeinen Gefahren, mitten in Regen und Un⸗ wetter das Senkblei zu werfen, bei eiſiger Kette das Schleppnetz über den Meeresgrund zu ziehen und Strapazen nicht zu ſcheuen, bei denen oft Geſund⸗ heit und Leben auf dem Spiele ſtehen. Bewunderungs⸗ würdiges haben hierin unſre nordiſchen Nachbarn geleiſtet. Axel Boeck, der eifrigſte der norwegiſchen Heringsforſcher, erlag ſeinem unermüdlichen Beſtreben mitten im beſten Mannesalter und dasſelbe Schickſal traf den Dänen G. Winther, der einfacher Fiſcher⸗ knecht wurde, um die für ſeine Forſchungen unent⸗ behrlichen praktiſchen Fertigkeiten zu erwerben und die Koſten derſelben ganz aus eigenen Mitteln be⸗ ſtritt. G. O. Sars, Profeſſor in Chriſtiana, weilte monatelang in den unwirtlichen Gewäſſern der Lofoten, um ſtundenlang auf dem Meere in einem kleinen Boote zu dredgen und zu angeln und fern von allem Komfort, ja von den unentbehrlichſten Be⸗ quemlichkeiten auf den öden Schereneilanden ſeinen Fang zu unterſuchen. Solch eine lebendige Forſchung hat aber auch ihren eigenen Reiz, der für alle Mühen reichlich entſchädigt. Jede Erſchlaffung des Körpers und Geiſtes ſchwindet vor dem erfriſchenden Hauch des Meeres. Der beſtändige Verkehr mit den ein⸗ fachen Fiſchern iſt ungemein anziehend, ſobald man gelernt hat, dieſe Leute richtig zu nehmen. Die intelligenteren unter ihnen haben ſelbſt das lebendigſte Intereſſe an den Problemen, welche der Forſcher zu ergründen ſucht. Ihr offener, ſeit Generationen ge⸗ ſchärfter Blick für die Eigentümlichkeiten des Meeres gibt dem Forſcher tauſend Fingerzeige. Verſteht er es, die Beobachtungen der Fiſcher von ihrem Beiwerk zu ſondern, ſo enthüllen ſie ihm nicht ſelten Dinge, welche er ſelbſt auch bei dem größten Fleiße nie gefunden hätte. Verbunden mit ſo einfachen Männern aus dem Volke, im Hinblick auf ein gemeinſames Ziel, voll Teilnahme an ihren Leiden und Freuden, wird auch der gelehrteſte Forſcher nie vergeſſen, daß er ein Menſch iſt. In dem nächſten Abſchnitte unſrer Betrachtungen ſollen die Hauptreſultate vorgeführt werden, welche die wiſſenſchaftliche Erforſchung der nordiſchen Meere zu verzeichnen hat. Humboldt. — Juli 1882. 243 Die neueſten Fortſchritte der Celephonte. Don Dr. Theodor Stein in Frankfurt a. M. ine der hervorragendſten Errungenſchaften auf dem Gebiete der neueſten Elektrotechnik iſt die Beflüge— lung des geſprochenen Wortes. Schon im Jahre 1860 hatte der verſtorbene Lehrer der Phyſik, Philipp Reiß, zu Friedrichsdorf das erſte Telephon zur galvaniſchen Uebermittelung des Schalls auf weite Entfernungen hin erfunden, ohne daß deſſen Apparat im praktiſchen Leben Verwertung hätte finden können. Erſt dem amerikaniſchen Profeſſor der Phyſik zu Boſton Graham-Bell iſt es im Jahre 1877 ge— lungen, den erſten vollkommen gebrauchsfähigen Fern— ſprechapparat zu erfinden und es haben bis heute verſchiedene techniſche Kombinationen mit dem Bellſchen Telephon die Klarheit des übermittelten Wortes, deſſen Klangfarbe und Schallſtärke noch um ein Bedeuten— des verbeſſert. In erſter Linie hat hierzu die Er— findung des Hughes ſchen Mikrophons weſentlich beigetragen. Um den heutigen Stand der Telephonie richtig beurteilen zu können, iſt es nötig, einen Blick auf die prinzipiellen Konſtruktionen der erſten brauch— baren Telephone und Mikrophone zu werfen. Das urſprüngliche Bellſche Telephon (Fig. 1) beſteht M ,.. Wa 2 VM MMW Ve Fig. 1. Das Bellſche Telephon. aus einem in einem hölzernen Gehäuſe von etwa 10 em Höhe eingeſchloſſenen länglichen Magnetſtab a b, an deſſen oberes Ende ein von einer Draht- ſpule e d umgebenes Stück weiches Eiſen e aufge— ſteckt iſt. Die Drahtumwindungen dieſes Eiſenſtückes führen mit ihren beiden Enden durch die Holzhülle fe nach den beiden Klemmſchrauben i und k, welche zur Aufnahme der Fortleitungsdrähte ss dienen. Das Holzgehäuſe erweitert ſich nach oben zu einer trommelartigen mit trichterförmigem Mundſtücke M verſehenen Höhle tt, in welcher eine dünne Platte von Eiſenblech mn ausgeſpannt iſt, letztere ſteht von dem oberen Theile der elektromagnetiſchen Vorrich⸗ tung etwa ½ mm ab und wird durch fie der Apparat nach oben abgeſchloſſen. Mit einem derartigen höchſt einfachen Inſtru— mente iſt in beſtimmter Entfernung ein zweites gleich— artiges Inſtrument durch die Drähten ss verbunden. Wird nun an der einen Station bei M hineingeſpro— chen, ſo entſtehen durch das Annähern der Metall— platte an den Magnetſtab, infolge der verſchieden— artigen Tonſchwingungen, in der kleinen Drahtſpule ed ſogenannte Induktionsſtröme, welche nach dem andern Fernſprechapparate durch die Drähte i k fort- geleitet werden und den jenſeitigen Magneten ſtärken oder ſchwächen, jo daß derſelbe die dortige Metall— membran zu gleichartigen Tonſchwingungen anregt, wie dies durch den Mund des Sprechers auf der erſten Station geſchah. Der zweite kleine Apparat durch deſſen Verwen—⸗ | dung die Telephonie in den jüngſten Jahren fo be- Fig. 2. Hughes Mikrophon deutende Fortſchritte gemacht hat, iſt das Mikrophon, wegen ſeiner hohen Empfindlichkeit ſo genannt, d. h. Hörapparat, mit welchem man die feinſten Ton- ſchwingungen in analoger Weiſe hören kann, wie man mit einem Mikroſkope die kleinſten Dinge zu 244 Humboldt. — Juli 1882. ſehen im ftande iſt. Auch dieſer Apparat iſt eine amerikaniſche Erfindung und zwar vom Profeſſor Hughes, dem Erfinder des Drucktelegraphen, kon⸗ ſtruiert. Der kleine Apparat (Fig. 2) beſitzt die Eigenſchaft, daß wenn er in den Stromkreis einer galvaniſchen Batterie eingeſchaltet wird, er gleichſam die feinſten Schallſchwingungen in elektriſche Strom⸗ unterbrechungen umzuſetzen im ſtande iſt, welche ihrer⸗ ſeits wiederum, an einer entfernten Station durch ein Bell ſches Telephon geleitet, hier in exquiſiter Kohlenteile geleiteter, von dem Elemente e kommen⸗ der elektriſcher Strom durch die Verſchiedenheit des an den Kontaktſtellen entſtehenden Widerſtandes in ſeiner Stromſtärke verändert, und in indulatoriſche Schwingungen verſetzt, welche in dem entfernten Telephon t in hörbare Schallwellen umgewandelt werden. Das Beſtreben verſchiedener Erfinder war nun bei Vervollkommnung des Fernſprechweſens darauf gerichtet, ein Mikrophon als Gebeapparat mit einem I \ J \ tj Fig. 3. Aeußere Anſicht des de Locht ſchen Telephons. und zwar vermehrter Deutlichkeit, wieder als die ur⸗ ſprünglich auf das Mikrophon einwirkende Schallbewe- gung durch das Ohr des Hörers empfunden werden. Die einfachſte Form des Mikrophons iſt die in Figur 2 abgebildete. Auf ein ſenkrecht ſtehendes Brettchen ab find zwei quadratiſche Kohlenſtücke o und k rechtwinkelig befeſtigt; zwiſchen denſelben artikuliert ein, an beiden Enden zugeſpitztes Kohlen⸗ ſtäbchen d in je einer kleinen Vertiefung in der Weiſe, daß es ſelbſt auf die geringſte Erſchütterung hin ſich etwas bewegen kann. Spricht oder ſingt man nun gegen das Brettchen à b, ſo wird durch die Erſchütte⸗ rung der Schallwellen die ganze Einrichtung in Schwingungen verſetzt und ein durch die geſchilderten geeigneten Telephon als Empfangsapparat zu ver⸗ binden. Im hohen Grade wurde dieſes durch zwei Erfin⸗ dungen erreicht: das de Lochtſche „Mikrophon mit ſchwingender Tafel“ und das Böttcher ſche „Telephon mit freiſchwebendem Magnete.“ — Der Mineningenieur Léon de Locht-Labye zu Lüttich hat mit ſeinem in Fig. 3 u. 4 abgebildeten Fernſprechapparate auf der vorjährigen internatio⸗ nalen Elektrizitätsausſtellung zu Paris die Beſucher in gerechtes Staunen verſetzt. Trotz des betäubenden Geräuſches der benachbarten Dampfmaſchinen konnte man noch auf eine Entfernung von 10 m gegen den Apparat geſprochene Worte und Sätze mittels eines Humboldt. — Juli 1882. 245 Telephons deutlich vernehmen. Der Erfinder hat Knöpfen C und J führen Drahtleitungen durch eine ſeinem Inſtrumente den Namen „Pantelephon“ ge— geben; er wollte damit ausdrücken, daß man damit alle Arten von Tönen und Geräuſchen, ſeien die— felben ſtark oder ſchwach, übertragen könne. In Fig. 3 iſt die äußere Anſicht, in Fig. 4 die innere Einrich— tung des Apparats erſichtlich. Wird das mit einem poröſen Stoffe, Tuch oder Tüll, beſpannte Thürchen geöffnet, ſo erkennen wir in P eine, an zwei elaſti— ſchen Federn P ſchwebende äußerſt dünne, aber ver Fig. 4. hältnismäßig große Korkplatte PP, auf deren unteren Teil ein Kohlenſcheibchen O aufgeleimt iſt. Mit dieſem Kohlenſcheibchen ſteht ein bei n in einem Kugelgelenke drehbarer, kleiner Hebel in Verbin— dung, deſſen oberes Ende mit einem Platinknöpf— chen verſehen iſt, welches, je nachdem man den Hebel ſtellt, einen feſten oder mäßigen Kontakt mit der Kohlenfläche 0 vermittelt. Von dem unteren Teile n des Hebels geht eine Drahtleitung nach dem Knopfe C. Von der Kohle 0 dagegen führt eine ſolche hinter der Korkfläche nach F und von hier nach einer am Boden des Apparates befindlichen ſtrom— verſtärkenden Induktionsrolle e k, deren Spirale mit dem Knopfe T in Verbindung ſteht. Von den | kleine vierelementige Leelanché- oder Meidinger— Batterie nach der zweiten Station, um hier ein Bell ſches Telephon in ſich aufzunehmen. Wird nun gegen die Korkſcheibe P geſprochen, ſo gerät dieſelbe in Folge ihrer Größe, ihrer Leichtig— keit und ihrer elaſtiſchen Aufhängung, ſelbſt bei dem leiſeſten Sprechen und auch dann, wenn man aus einer Entfernung von 8 bis 10 m gegen den Apparat ſpricht, in verhältnismäßig bedeutende Schwingungen, . cn Tasman | S Innere Anſicht des de Loch tſchen Telephons. welche nach den eingangs erwähnten Geſetzen in dem entfernten Telephone auf das deutlichſte als artikulierte Worte vernommen werden. Mit jeder Station ſind, wie auf den Abbildungen zu erſehen, zwei Hörtelephone für beide Ohren des Hörers ver— bunden. Die Einrichtung 8 in dem Apparate be— ſteht aus einem elektromagnetiſchen Läutewerke. Hängt das Telephon an dem Hebel A, fo iſt das Läutewerk durch die Kontaktfeder m eingeſchaltet, und das Mi— krophon ausgeſchaltet. Drückt man nun auf den Knopf b, ſo läutet es auf der entgegengeſetzten Station; man erkennt an der Aufgabeſtation, daß jemand ſich an der 2. Station befindet und ein Zeichen ſeiner Anweſenheit gegeben hat, wenn das 246 Humboldt. — Juli 1882. kleine Schild R von der ſchwarzen Scheibe J an der Aufgabeſtation herabgefallen iſt. Hierauf wird das Telephon abgehängt und in dieſem Momente ſchaltet ſich von ſelbſt die Leitung ſo um, daß nun das Läute⸗ werk ausgeſchaltet, und die Fernſprechvorrichtungen eingeſchaltet ſind. Die Empfindlichkeit dieſes de Locht⸗ ſchen Telephons iſt eine ganz außerordentliche und daher nicht nur zu direktem Verkehre zwiſchen zwei Perſonen benutzbar, ſondern auch zum Hören von Konzertſtücken und Opernvorſtellungen auf weite Ent⸗ fernungen hin geeignet. Auch in der Kriminaljuſtiz dürfte das de Lochtſche Pantelephon inſoferne Ver⸗ wendung finden, als mittels desſelben Geſpräche von Verbrechern belauſcht werden können, wenn in deren Zelle unter einer Tapete verſteckt, ein ſolcher Appa⸗ rat angebracht iſt. Das zweite der oben erwähnten Fernſprechapparate iſt das von dem Telegraphenſekretär Böttcher zu IId 8 i" 14 Fig. 5. Konſtruttion des Böttcher ſchen Telephons. Franfurt a. M. erfundene Telephon mit ſchweben⸗ dem Magnete. Dasſelbe unterſcheidet ſich haupt⸗ ſächlich dadurch von allen bis jetzt bekannten Syſtemen, daß der Magnet nicht wie bisher allgemein üblich, mit dem Gehäuſe feſt verbunden, ſondern mittelſt Schrauben und Stahldrähten frei ſchwebend in dem⸗ ſelben aufgehängt iſt. Hierdurch iſt es möglich daß derſelbe die Schwingungen der Membrane innerhalb gewiſſer Grenzen mitmacht. Nähert ſich die Mem⸗ brane dem Magneten, ſo wird die Anziehungskraft verſtärkt und der Magnet nähert ſich gleichzeitig der Membrane. Entfernt fic) die Membrane wieder, fo wird die Anziehungskraft vermindert und der Magnet geht wieder in ſeine urſprüngliche Lage zurück. Die Differenz der Annäherung und Entfernung zwiſchen Membrane und Magnet iſt demnach bedeutend größer als bei den bisher bekannten Syſtemen und muß deshalb auch die Induktion, ſowie die Wirkung im Empfangsapparat, eine bedeutend größere ſein. In Fig. 5 iſt das Böttcherſche Telephon im Durchſchnitte erſichtlich, der Magnet M ijt an den Schrauben A A B in einer Metallkapſel frei auf⸗ gehängt und die Polenden P desſelben in der Weiſe aus maſſiven Eiſenſtäbchen zuſammengeſetzt, daß ſolche von der Mitte des ſchwebenden Magneten über M nach oben gehen. Es ſind drei etwas voneinander abſtehende Eiſenſtäbchen, um welche die Induktions⸗ ſpule J herumführt. Die ſchwingende Membrane m iſt einen halben mm über den Polenden P an⸗ gebracht; über derſelben befindet ſich der Schall⸗ trichter T. Bei dem Sprechen wird der Mund dem Trichter möglichſt nahe gebracht, während man in ruhigen Räumen auf eine Entfernung von einigen Me⸗ tern ſehr deutlich jedes an der Gegenſtation geſprochene Wort vernehmen kann. Zur Unterſtützung des Hörens kann übrigens für den Fall, daß leiſe in den Gebe⸗ apparat hineingeſprochen wird an den Empfangs⸗ orten ein kleines Hörtelephon, wie ſolches in Fig. 6 Fig. 6. Hörtelephon von Schäfer &€ Montanus. erſichtlich, in die Leitung eingeſchaltet werden. Man kann dann gleichzeitig in den Apparat, Fig. 5 hinein⸗ ſprechen und mit dem Apparate Fig. 6 hören. Um die Anwendung von Batterieſtrömen, welche beſondere Pflege beanſpruchen, zu vermeiden, hat die Firma Schäfer Montanus zu Frankfurt a. M., welche das Böttcherſche Patent in Ausführung bringt, für die Läutevorrichtung einen kleinen Magnet⸗Induktions⸗ Apparat zum Betriebe der Anrufglocken angebracht. Man hat nur an der Kurbel Fig. 7 zu drehen und das Läutewerk an der entgegengeſetzten Station meldet ſofort, daß geſprochen werden ſoll. Dieſe Einrich⸗ tung iſt an allen ſolchen Orten beſonders wertvoll, wo ſich kein ſachverſtändiger Mechaniker befindet, welcher die bei Benutzung einer Batterie kaum zu vermeidenden Betriebsſtörungen raſch beſeitigen könnte. Fig. 7 zeigt in perſpektiviſcher Anſicht die kom⸗ pletten Vorrichtungen des Böttcher ſchen Telephons, wie ſolche zur praktiſchen Verwendung von der oben genannten Firma ausgeführt werden. Humboldt. — Juli 1882. 247 n er oA Ma TE 7. Telephonſtation mit Induktor. Einen ganz ausgezeichneten und in ſeiner Wirkungs— weiſe an das Geiſterhafte grenzenden Effekt, habe ich durch Verbindung des Lochtſchen Apparats mit dem Böttcher ſchen Telephone erzielt und ſolchen kürzlich in einer zahlreich beſuchten Verſammlung der elektro— techniſchen Geſellſchaft zu Frankfurt a. M. vorgeführt. Das de Locht ſche Inſtrument wurde als Gebe— apparat benutzt, und hoch an der Wand aufgehängt, während ein in die Leitung eingeſchaltetes Böttcher— ſches Telephon mitten im Saale auf einem Tiſche ſtand. Jeder im Saale Anweſende konnte nun, ohne an die Telephone hintreten zu müſſen, ſich mit den an der entfernten Station Anweſenden unterhalten und auch die Antworten wurden gleichzeitig, ebenſo wie ausgeführte Geſangsſtücke, im ganzen Saale ge— hört. Die aus dem Munde des Sprechenden kom— menden Schallwellen ſchlugen an die Korkplatte des de Lochtſchen Telephons an und wurde von hier das Geſprochene nach der entgegengeſetzten Station durch Drahtleitung übermittelt, während von dort aus die Antworten durch das Böttcherſche Telephon im Saale der Geſellſchaft, für alle laut und deutlich hörbar, ankamen. Die Fortſchritte, welche die moderne Elektrotechnik in wenigen Jahren auf Grund der Entwickelung der Elektrizitätslehre hervorgezaubert hat, erſtrecken ſich nicht nur auf das Verkehrsleben im großen, ſondern wurden auch für das Kleingewerbe in hohem Grade nutzbar gemacht. Die bezügliche praktiſche Verwertung zu ſchildern, ſoll die Aufgabe meiner nächſten Mitteilung ſein. im Gouvernement Aſtrachan im Winter 18789. Prof. Dr. Samuel in Kénigsberg. La civilisation seule a détruit la peste en Europe, seule elle l'anéantira en Orient. Dieſes Wort, welches als Motto auf einer bekannten Peſt— ſchrift (von Aubert-Roche) ſteht, iſt ein prägnanter Ausdruck für die zuverſichtliche Hoffnung, mit der man ſich in Europa der Peſt gegenüber trug. Die Peſt galt als für Europa beſeitigt. Wollte man gegen— über den Krankheiten, welche neuerdings in unſerm Weltteil aufgetreten ſind oder doch ſich weiter ausgebreitet haben, wie Cholera, Flecktyphus, Diphtherie, auch diejenigen Krankheiten anführen, welche als von der Kultur überwunden angeſehen werden dürfen, ſo waren Peſt und Ausſatz die Bei— ſpiele, auf welche man immer wieder zurückkommen mußte. In den mediziniſchen Lehrbüchern wurde die Peſt gar nicht mehr oder nur der Vollſtändigkeit wegen mit kurzen Darſtellungen berückſichtigt. Auch Humboldt 1882. war die Hoffnung, daß für Europa die Peſt keine Bedeutung mehr habe, durchaus nicht ohne Grund. War doch ſeit 1841 ſelbſt der letzte Peſtwinkel unſres Erdtheils, die europäiſche Türkei, von der Peſt ver— ſchont geweſen, ja in Aegypten ſelbſt, dem ſeit dem graueſten Altertum berüchtigten Peſtlande, war ſeit 1844 nicht ein Erkrankungsfall beobachtet worden. Wie ſollte man da nicht glauben dürfen, dieſen ſchlimmſten Feind des Menſchenlebens doch endlich uͤber— wunden zu haben. Ein paniſcher Schrecken ergriff daher im Winter 1878/79 Europa, als erſt dunkle Gerüchte, dann immer beſtimmtere Nachrichten auftraten, daß dieſe gefährlichſte Krankheit im Gouvernement Aſtra— chan ausgebrochen fei. Selbſt ein Mann wie Vir- chow konnte ſich bei den Depeſchen vom Peſtſchau⸗ platze des Gruſelns nicht enthalten. Es wird dem Bewußtſein der Zeitgenoſſen unvergeſſen bleiben, welche 32 248 Humbolot. — Juli 1882. Beſtürzung die ganze Bevölkerung ergriff, mit welcher Intenſität der Druck der öffentlichen Meinung ſich geltend machte, wie die ruſſiſche Regierung fic) end⸗ lich zu den umfaſſendſten Maßregeln entſchloß, wie die benachbarten Regierungen Kommiſſare auf den Peſtſchauplatz zur Beobachtung der Peſt und deren Gegenmaßregeln abſandten. Es iſt auch allbekannt, daß die Kommiſſare, ja daß auch die ruſſiſchen Re⸗ gierungsmaßregeln zu ſpät kamen. Zu ſpät in dem Sinne, als die Peſt ſchon erloſchen war, weſentlich durch die Selbſthilfe der Bevölkerung zum Er⸗ löſchen gebracht worden war. Dies ging nicht ohne Grauſamkeit ab. Als die Bevölkerung von Wetljanka, dem erſt ergriffenen Orte, ſich deſſen bewußt wurde, daß der Verkehr mit den Erkrankten und allen von ihnen herrührenden Gegenſtänden verderblich iſt, da ſchloß man die verſeuchten Häuſer, ließ niemand aus denſelben heraus und ſtieß alle leicht erkrankten Individuen in die Peſthäuſer, wo man ſie ihrem Schickſale überließ. Auch in den Nachbarorten, wohin die Epidemie von einzelnen Perſonen verſchleppt wurde, iſt eine ähnliche Volksſanitätspflege geübt worden. Gegen die verſeuchten Orte ſperrte ſich die ganze Um⸗ gebung völlig ab. Kein Zweifel, daß manche Unglückliche aus Mangel an Pflege zu Grunde gegangen und ein⸗ geſperrte Geſunde verhungert ſind, doch gelang es auf dieſe Weiſe, der Epidemie mit einem Menſchen⸗ verluſt von gegen 600 Perſonen Einhalt zu thun. Aber war denn das die Peſt? Von allen Krank⸗ heiten iſt die Peſt die verderblichſte, ſie fordert die meiſten Menſchenopfer. Manche Krankheiten haben an ſich ſchlimmere Mortalitätsſätze, aber es geht ihnen die leichte Verbreitungsfähigkeit ab. Die Stadt Toulon hatte 1720 26,000 Einwohner. Man weiß nicht, wie viele vor der Krankheit flohen, doch ſicher iſt, daß 20,000 erkrankten und 16,000 von ihnen ſtarben. Solche Verheerungen ſind der Peſt allein eigen. Mit den ihr näher ſtehenden Krankheiten, den Typhen insbeſondere, teilt ſie das ſchwere Fieber (Temperatur bis 43 o C., Puls 120) mit Kopfſchmerz, Schwindel, Er⸗ brechen hin und wieder und die große körperliche und gei⸗ ſtige Schwäche. Der Totaleindruck iſt der der Berau⸗ ſchung. Spezifiſch eigen iſt jedoch der Peſt die Entwicklung von Lymphdrüſenſchwellungen an Achſel, Leiſte, auch wohl an andern Körperſtellen. Dieſe Bubonen treten jedoch erſt nach 2—8tägiger Fieberdauer auf, ſie endigen in günſtigen Fällen mit Eiterung. Inkon⸗ ſtanter find Brandſchwäre, die nur in 1/5 aller Fälle ſich zeigen, und Blutungen aus den verſchiedenſten Or⸗ ganen. Milzgeſchwulſt ſcheint regelmäßig, Schwellung der Leber und Nieren häufig zu ſein. Vergleichen wir mit dieſer kurzen Schilderung der Peſt die Be⸗ ſchreibung der Krankheit, welche ſich in den Papieren des am 12. Dezember in Wetljanka verſtorbenen Geiſt⸗ lichen Guſſakow vorfand. „Wo die Krankheit in eine Familie kommt,“ ſchreibt er, „da ſterben ſie alle und nur wenige überleben. Die Aerzte ſagen, es wäre das Fieber; als ob wir das Fieber nicht kennten. Die Leute bekommen Kopfſchmerz, Hitze, Schwindel, Erbrechen und eine Anſchwellung in der Leiſte oder in der Achſel und in 3—4 oder höchſtens in 6 Tagen ſind ſie tot. Iſt das ein Fieber?“ — Dieſe Aerzte, die getäuſcht, durch die in der Epidemie von Wetl⸗ janka häufige Komplikation mit Lungenblutung, die Peſtnatur der Krankheit verkannten, ſind ebenſo wie der Geiſtliche Guſſakow Opfer ihres Berufes ge⸗ worden. Täuſchungen über einzelne Peſtfälle können leicht in doppelter Weiſe entſtehen. Einerſeits gibt es Fälle von ſolcher Stärke, daß der Tod innerhalb 2— mal 24 Stunden eintritt, alſo früher, als die Bubonen ſich auszubilden vermögen, anderſeits gibt es umgekehrt Fälle von ſehr geringer Intenſität, bei denen es wohl zur Entwickelung von Bubonen kommt, aber ohne alle erhebliche Fieber- und nervöſe Erſcheinun⸗ gen. Beiderlei Extreme ſind nur mit Sicherheit zu diagnoſtizieren, wenn ſie mit unzweifelhaften Peſtfällen zugleich auftreten und von ihnen ſich herleiten laſſen. Die Peſt von Wetljanka iſt demnach als ein neues Glied in der großen Reihe der Peſtepidemieen anzu⸗ ſehen. Die Peſt zählt bereits eine 1000 jährige Ge⸗ ſchichte in Europa, eine nachweisbar über 2000jährige in Afrika und dem Orient. Keineswegs ſind alle Epi⸗ demieen, welche die Alten als Peſtepidemieen angeben, als ſolche zu betrachten. Mit der Bezeichnung Peſt, Peſtilenz belegte man im Altertum die verſchiedenſten epidemiſch auftretenden ſchweren fieberhaften Krank⸗ heiten. In dieſen großen Topf wurden außer unſrer Bubonen⸗ oder Beulenpeſt noch der Kriegs- oder Fleck⸗ typhus, der Unterleibstyphus, vielleicht auch Pocken und andre Krankheiten geworfen. Echte Peſt können wir nur da annehmen, wo Bubonen ausdrücklich erwähnt werden. Bei der berühmten Peſt des Thukydides, die zu Be⸗ ginn des peloponneſiſchen Krieges die Blüte Athens brach, handelt es ſich um ein Gemiſch verſchiedener Krankheiten; daß unter denſelben auch die Peſt eine Rolle geſpielt, iſt möglich, aber nicht erwieſen. Doch läßt ſich die Geſchichte der Peſt bis in das 2., 3. Jahrhundert v. Chr. zurückführen, denn die Zeit⸗ genoſſen des Dionyſios, der vor 280 v. Chr. gelebt hat, kannten ſchon „peſtilente Bubonen, ſehr akute und hochgradig tödliche,“ die zumeiſt in Libyen, Aegypten und Syrien beobacht werden. Weltbekannt wurde die Peſt des Juſtinian 542 n. Chr., die ſich in 50—60 Jahren bis zu den Grenzen der bewohnten Erde verbreitete. Die verderblichſte Peſtepidemie aber von allen wurde der ſogenannte ſchwarze Tod, der im Herbſt 1347 von der Krim aus nach italieniſchen und ſüd⸗ franzöſiſchen Häfen verſchleppt wurde und ſich mit einer für die damaligen Kommunikationsverhältniſſe wunderbaren Schnelligkeit ausbreitete, ſo daß bis Ende 1348 ſchon der ganze europäiſche Kontinent mit den Inſeln befallen war. Der Geſamtverluſt wird auf 25 Millionen Menſchen, d. h. / der damaligen Bevölkerung Europas geſchätzt. Welche tiefgreifende Nachteile für die Kultur daraus erwuchſen, iſt aus der Weltgeſchichte allgemein bekannt. Keine Krank⸗ heit hat auf das Gemüt der Völker einen gleich dauernden Eindruck gemacht. Wenn auch ſchwächer, dauerten die Epidemieen in den nächſten Jahrhun⸗ derten fort, erſt im 17. Jahrhundert iſt ein erheblicher Humboldt. — Juli 1882. 249 Nachlaß zu erkennen. Doch bleibt im 18. Jahr— hundert noch die Türkei ſtändiger Sitz der Krank— heit, von wo aus Epidemieen nachweisbar 1704 bis 1714 nach Rußland, Preußen, Pommern, Schleſien, 1713 nach Oeſterreich und Bayern, 1720 nach der Provence fortgepflanzt wurden. Im 19. Jahrhun- dert gab es auf europäiſchem Boden noch 1808 eine ſchwache Epidemie an den Wolgaufern, die nur 100 Tote koſtete, dann 1813 auf Malta, 1815 auf Nola, 1820 auf den Balearen, 1837 auf der griechiſchen Inſel Poros und eine geringfügige in Odeſſa. Die Türkei hatte noch ihre Peſtepidemieen 1834, 1836, 1837, 1839. Die Epidemie von 1837 iſt es, über die Graf Moltke in ſeinen bekannten Briefen über Zu— ſtände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 18351839, S. 111, einen lebendigen Be— richt erſtattet. 1841 war ſie zum letztenmal in der europäiſchen Türkei, ſeit 1844 iſt auch kein Peſtfall aus Aegypten mehr gemeldet worden, Beweis dafür, daß ſie auch dort nicht ihre eigentliche Heimatsſtätte hat. Jetzt exiſtiert ſie noch an der Küſte von Tri— polis, in Arabien, Meſopotamien, Perſien, aber iſt hier ihre Heimat? Exiſtiert ſie hier ohne Einſchleppung von außen? Sporadiſche Peſtfälle nicht anſteckender Natur ſollen allerdings in Meſopotamien, Kurdiſtan an verſchiedenen Orten vorkommen. Ob aber die— ſelben nicht weither aus Indien eingeſchleppt ſind, iſt bis jetzt nicht feſtzuſtellen. Die Einſchleppungs— möglichkeit iſt durch die Leichentransporte gegeben, die zum Grabe des heiligen Hufjéin in Kerbela, nach Nedjef und andern Wallfahrtsorten ſtattfinden. Manche Umſtände ſprechen für Indien als Heimat der Peſt. Im Jahre 1836 wurde in der Stadt Pali in Indien eine Krankheit beobachtet, die mit dem ſchwarzen Tod inſofern eine große Aehnlichkeit hat, als die Peſt auch hier mit den ausgeprägten Lungenblutungen auftrat, wie dies übrigens auch bei der Epidemie von Wetljanka ſtatthatte und zu Verwechſelungen mit Lungenentzündung Anlaß gab. Auch exiſtiert in den gebirgigen Diſtrikten Hindoſtans ſtetig eine über— tragbare Peſt, die ſich aber wie in Meſopotamien, Perſien und Tripolis zumeiſt in kleineren Kreiſen hält. Wohl möglich, daß wir hier den Urſitz der Krank— heit zu ſuchen haben, ein Sitz, von dem aus nicht bloß nach dem ganzen Weſten, ſondern auch nach Oſten, nach China hin die Peſtepidemien ausgegan— gen ſind. Worin das eigentliche Peſtgift beſteht, iſt zwar noch unbekannt, doch unterliegt es keinem Zweifel, daß wir auch hier, wie bei den meiſten In— fektionskrankheiten, an mikroſkopiſche pflanzliche Or— ganismen zu denken haben. Von dieſem Geſichts— punkte aus wird die Unterſuchung der Peſt neu auf— zunehmen ſein. Es iſt kein Gegenbeweis gegen dieſen Gedanken, daß einſt von drei in Aegypten mit Peſt— ſtoff geimpften Verbrechern nur einer die Peſt bekam und zwei nicht. Noch weniger kann es als Beweis für ihn gelten, daß Dr. Whyte, der während der Peſt ſich ſelbſt geimpft, an derſelben erkrankte, da zur Peſtzeit viele an der Peſt auch ungeimpft er- kranken. Die Peſtmikrokokken oder Bakterien können im Körper weilen, wirken und neue Keime reprodu— zieren, ohne daß dieſelben ſogleich volle Reife zur Anſteckung entwickeln. So raſch, ſo unmittelbar an— ſteckungsfähig durch bloße Berührung, wie Pocken, Scharlach, Maſern, Flecktyphus find, fo kontagiös iſt die Peſt eben nicht. Wohl aber genügt längerer Auf— enthalt in einer durch einen Peſtkranken vergifteten Atmoſphäre und beſonders gefährlich ſind die Gegen— ſtände, die von dem Kranken und aus dem Kranken— zimmer ſtammen. Haut und Haare von Rinderpeſt ſind noch nach Monaten erweisbar im ſtande, die Rinderpeſt wieder zu erzeugen. Für die Menſchenpeſt gelten als Peſtträger und beſonders ſuszeptibel alle wollenen, baumwollenen, und Leinenſachen; auch dann, wenn ſie ſehr lange verwahrt geweſen waren. Als nicht ſuszeptibel gelten Getreide, auch Brot, alle Metalle, auch Geld, ſofern ſie nicht verunreinigt ſind. Auch von Gummigegenſtänden ſetzt man voraus, daß ſie das Gift nicht aufnehmen. Die lange Dauer der Lebensfähigkeit des Peſtgiftes außerhalb des menſch— lichen Organismus auf geeigneten Gegenſtänden hat zu lang dauernden Abſperrungsmaßregeln und Verkehrs— hemmungen geführt. Das Wort Quarantäne von dem italieniſchen quaranta, 40 Tage, iſt der Ge— ſamtausdruck für die Verkehrshemmungen geworden, die gegen die Verbreitung der Peſt eingeführt worden ſind. Die Summe von 40 Tagen oder 6 Wochen iſt inſofern willkürlich gegriffen, als für die Normie— rung dieſer Zahl offenbar ganz andre eykliſche Ver— hältniſſe maßgebend waren. Die Quarantäne dient zunächſt zur Prüfung der Geſundheitsverhältniſſe der Perſonen, ob dieſelben den Peſtkeim in ſich tragen. Doch dürfte hierzu allein die Quarantäne nur kurze Zeit andauern, da die Inkubation des Peſtkeimes im Körper, die Zeit alſo von ſeinem Eindringen bis zur Entwickelung der Krankheit, kaum länger als 4 bis 5 Tage beträgt. Sehr viel länger droht Gefahr von allen Provenienzen, d. h. von allen Gegenſtänden, die von dem Peſtkranken herrühren, mit ihm in Berüh— rung geweſen ſind. Nächſt der Reinigung der Perſonen iſt daher die ſchärfſte Desinfektion der Sachen notwendig, bei minder wertvollen, aus dem Peſtzimmer ſtammenden iſt die Verbrennung geradezu ratſam, während bei wertvolleren und unentbehrlichen Klei— dungsſtücken trockene Hitze von 120°, auch Dämpfe von ſchwefliger Säure und Bromdämpfe empfohlen werden. Leicht und wirkungsvoll läßt ſich die Quaran— täne in Seehäfen ausüben, wo ſie auch bei eintre— tendem Bedürfnis ununterbrochen im Gange erhalten wird. Ob eine allgemeine Landquarantäne an einer langen Landesgrenze, z. B. an der deutſch-ruſſiſchen, Erfolg verſprechend iſt, bleibt allerdings ſehr fraglich. Wohl gelang es bei der Epidemie von Nola 1815, die Weiterverbreitung der Peſt über Italien durch Ziehung mehrfacher Gräben um die Stadt, volle Iſolierung der Einwohner von der Außenwelt, Er— ſchießung derjenigen, die den Kordon zu durchbrechen wagten, zu verhindern. Ganz Italien fürchtete aller- dings ſich Wochen lang vor einem Hunde, dem es gelungen war, den Kordon zu durchbrechen. Ob aber 250 Humboldt. — Juli 1882. in großen Städten und an einer Hunderte von Meilen langen Grenze ausführbar iſt, was in kleinen Städten anwendbar iſt, muß doch ernſtlich bezweifelt werden, ſelbſt wenn man von den Gewaltmitteln abſieht und von der totalen Verkehrsſtörung, die dabei unver⸗ meidlich ſind. Die Ausbreitung der Peſt hat ſich von phyſikaliſchen Verhältniſſen ſehr wenig abhängig erwieſen. Peſtepidemieen haben bei großer Hitze, auch bei ſtrenger Kälte ſtattgefunden, ſie haben ſich nicht auf Niederungen beſchränkt gezeigt, ſondern ſind auch auf über 3000 m Höhe aufgetreten. Daß Boden⸗ verhältniſſe von größerer Wirkſamkeit ſind, läßt ſich nicht nachweiſen. Schmutz der Ortſchaften wird als ein die Peſt beförderndes Moment angeſehen. Als individuelle Prophylaxe hat ſich die vollſtändige Abſonderung bewährt. Reinlichkeit und Hautpflege werden empfohlen, doch ſoll nicht ver⸗ ſchwiegen bleiben, daß im Orient grad die Oelträger, deren Haut von Oel trieft, als beſonders gefeit gelten. Daß kurzer Aufenthalt im Krankenzimmer nur ſelten ſchadet, iſt bereits angeführt. Bei uns würde man die Kranken ſchnell in Behandlung nehmen, völlig abſondern, Aerzte und Pflegerinnen würden ſich durch Waſchung mit Karbolöl, Karbolſprühregen auf Geſicht und Haar zu ſchützen ſuchen. Die Zahl der Men⸗ ſchen, die abſolut unempfänglich, immun gegen das Peſtgift find, iſt aber ſehr gering, die Gefahr alfo immer eine ſehr große. Aus alledem geht hervor, von wie großer Wich⸗ tigkeit bei dieſer gefährlichſten aller Krankheiten das »principiis obsta“ iſt, welch entſcheidender Wert darauf gelegt werden muß, die erſten Peſtherde zu iſolieren, zu bewältigen, auszulöſchen. Hoffentlich iſt die Epidemie von Wetljanka nur als der letzte Nachzügler dieſer verderblichen Krankheit auf euro⸗ päiſchem Boden anzuſehen. Reizwirkungen im Tier- und Pflanzenreiche. Von Prof. Dr. Auguſt Vogel in München. ie Wirkung der Brenneſſeln auf die Haut iſt bekanntlich ſehr übereinſtimmend mit dem Ge⸗ fühl, welches ein Bienen⸗ oder Weſpenſtich hervor⸗ bringt. Aber es beſteht nicht nur eine große Aehn⸗ lichkeit in den hierdurch erzeugten Empfindungen, es iſt auch der Grund der Reizung beider auf die Haut — und dies dürfte wohl weniger allgemein bekannt ſein — der Hauptſache nach derſelbe. Es kann näm⸗ lich als entſchieden betrachtet werden, daß in den Giftorganen der Bienenſtacheln Ameiſenſäure, ſoge⸗ nanntes Bienengift, enthalten iſt; dieſelbe ſehr ätzende Säure kömmt aber auch in den Brennhaaren der Brenneſſel vor. Die Brennhaare vieler Raupen, beſonders aus der Familie der Pelzſpinner, Pro⸗ zeſſionsraupe, große Schwammraupe, welche wahr⸗ ſcheinlich nach Willkür abgeſchüttelt werden können, enthalten ebenfalls Ameiſenſäure, ſie dringen bei Berührung der Raupe in die Haut ein, namentlich an feuchten Stellen derſelben und verurſachen brennen⸗ des Jucken und Entzündung. Dieſe reizende Eigen⸗ ſchaft behalten die Brennhaare auch nach dem Ab⸗ ſterben der Raupe bei. Hierfür ſpricht die verbürgte Mitteilung, daß die Beſucher einer Raupenſammlung von einem Exantheme am Halſe befallen worden. „Manche haarige Raupen machen Jucken und Brennen auf der Haut, wenn man ſie berührt und oft ſelbſt Röte und Geſchwulſt. Es rührt dies von feinen Härchen her, die auch, wenn ſie in der Luft herum⸗ ſchweben, ähnliche Zufälle erregen. Mehrere Frauen, welche das Raupenmagazin des Naturforſchers Reaumur beſuchten, erhielten einen Ausſchlag am Halſe.“ (Leuchs, Hausſchatz 1862.) Beim Stiche der Bienen, Weſpen, Horniſſen u. ſ. w. iſt am Stachel ein kleines waſſerhelles Tröpfchen bemerkbar, das ſogenannte Bienengift (Ameiſenſäure), welches in die vom Stachel bewirkte Wunde eindringt und die bekannten Reizeffekte hervor⸗ bringt. Es wäre aber ganz irrig anzunehmen, dieſes mit dem Stachel entleerte Bienengift habe nur den Zweck, dem Bienenſtiche eine erhöhte Wirkung zu verleihen, alſo nur zur Verteidigung zu dienen. Das⸗ ſelbe hat vielmehr den viel wichtigeren Zweck, gährungs⸗ und fäulniswidrig zu wirken. Der be⸗ rühmte Bienenzüchter Holz teilt mit, daß nach ſeinen langjährigen Wahrnehmungen der Honig, welcher von ſogenannten „boshaften Bienenvölkern“ herrührt, beſondere Eigenſchaften zeigt. Derſelbe hatte nämlich ſtets einen herben, kratzenden Geſchmack und ebenſo war ſein Geruch ſcharf. Wie kann der Charakter des Bienenvolkes einen Einfluß auf Geruch und Ge⸗ ſchmack des von ihm geſammelten Honigs ausüben? Wir wiſſen, daß Bienen, welche geſtört werden, ſogleich ihren Stachel hervorſtrecken, an deſſen Spitze ein winzig kleines Tröpfchen zum Vorſchein kömmt. Dies Tröpfchen iſt, wie ſchon geſagt, das ſogenannte Bienengift (Ameiſenſäure). Hört dann die Störung auf, ſo zieht die Biene zwar den Stachel wieder zurück, das Tröpfchen Flüſſigkeit aber geht nicht wieder mit dem Stachel zurück, ſondern wird an den Waben abgeſtreift und teilt ſich früher oder ſpäter Humboldt. — Juli 1882. 251 dem Honig mit. So erklärt ſich, daß Honig von ſolch erregbaren Bienen ſchärfer ſchmecken und riechen muß, als von friedfertigen Bienen. Erregbare Bienen werden viel öfter das Ameiſenſäuretröpfchen abſtreifen, als friedfertige; vielleicht bildet ſich dasſelbe bei nervöſen Bienen auch größer, als bei weniger nervöſen und ihr Honig wird dadurch viel gehaltreicher an Ameiſenſäure. In keinem ächten Honig fehlt dieſe Säure, aber die vorhandene Menge iſt verſchieden. Dieſe Beimengung iſt nicht nur nicht ſchädlich, ſon— dern ſehr zuträglich, ja ſogar notwendig, da ſie den Honig vor Verderbnis ſchützt; wiſſen wir ja doch, daß gereinigter, alſo von ſeinem Ameiſenſäure— gehalte befreiter Honig ſehr bald in Gährung über— geht, während ungereinigter Honig ſich jahrelang unverändert erhält. Die Bienen ſind von der Natur mit dem Inſtinkte dieſer Erkenntnis aus— geſtattet und fie tragen daher dieſes Ameiſenſäure— tröpfchen nicht aus der Wohnung, wie ſie es ſo ſorgfältig mit ihren Entleerungen thun. Die Bienen fügen, ſo wird wenigſtens von Kennern verſichert, dem geſammelten Nektar, welcher ohne jede Ameiſen— ſäure iſt, ſolche der Konſervierung wegen bei und zwar auch da, wo ſie ohne irgend welche Beun— ruhigung hauſen. Wiederholt iſt in landwirtſchaftlichen Journalen und öffentlichen Blättern der Bienenſtich als Kur— methode gegen rheumatiſche Affektionen dringend und mit zahlreichen Beiſpielen des Erfolges belegt em— pfohlen worden. Wenn hierbei in erſter Linie die den Bienenſtich notoriſch begleitende Ameiſenſäure als ein Hauptfaktor der Wirkung betrachtet werden darf, ſo wäre wohl eine Einreibung der betreffenden leidenden Hautſtelle oder Einſpritzungen mit Ameiſen— ſäure des Verſuches wert, um die immerhin etwas umſtändliche Behandlung mit lebenden Bienen zu vermeiden. Schon vor 200 Jahren wurde Ameiſen— ſäure aus Ameiſen, beſonders aus der braunen Wald— ameiſe dargeſtellt, indem man dieſelben zerquetſcht mit Waſſer deſtillierte und die ſaure Flüſſigkeit als Hautreizmittel benutzte. Die Rötung der Haut beim Gebrauche von Fichtennadelbädern iſt ebenfalls Folge der Wirkung der Ameiſenſäure. Nicht minder iſt die gährungswidrige Eigenſchaft der Ameiſenſäure längſt anerkannt. Was nun die Reizwirkung der Brenneſſel, der Juckbohne und andrer Vegetabilien betrifft, ſo hängt dieſe, wie ſchon erwähnt, mit dem Gehalte dieſer vegetabiliſchen Brennhaare an Ameiſenſäure zuſammen. Die Spitze der Brenneſſelbrennhaare iſt glasartig ſpröde, ſie dringt daher ſchon bei leichter Berührung in die Haut ein, bricht ab, die Ameiſenſäure ergießt ſich in die Wunde und bewirkt das bekannte brennende Gefühl. Sehr häufig iſt in dieſer kleinen Notiz von Ameiſenſäure die Rede geweſen; zum Schluſſe darf deshalb doch nicht unerwähnt bleiben, die Säure hat ihren Namen eigentlich nur daher bekommen, daß ſie zuerſt in den Ameiſen aufgefunden worden iſt, hätte man ſie zuerſt in den Bienen, Brenneſſeln u. a. nachgewieſen, ſo würde ihr wohl eine andre Bezeichnung zugefallen ſein. Die Ameiſen ſondern die nach ihnen benannte Säure durch eine Drüſe ab, weshalb, wenn man Ameiſen über blaues Lakmus— papier laufen läßt, auf ihrem Wege rote Streifen entſtehen. Hält man einen Stock in einen Ameiſen— haufen, ſo beſpritzen die Tiere den Stock mit ſtarker Ameiſenſäure. bauten. Von Oberlehrer F. Henrich in Wiesbaden. LE W- jemals lebende Korallen geſehen hat, ſei es im Meere, ſei es in Aquarien, der verglich ſie unwillkürlich mit einem Beete voll der blüten— reichſten mannigfaltigſten Blumen. Wie auf dieſem, ſo erheben ſich unter Waſſer ſcheinbar Tauſende von Mooſen und Blättern, Sträuchern und Bäumchen, alle geſchmückt mit Millionen bunter Blüten die in weißen, lebhaft roten, gelben, grünen, violetten, blauen und braunen Farben einen bezaubernden An— blick gewähren. Kein Wunder daher, daß ſie von jeher für Pflanzen gehalten worden ſind. Ihre Tier— natur iſt zuerſt unzweifelhaft von Peyſſonel be— wieſen worden.?) Von jeher hat dieſe Tierklaſſe einen hervorragenden Einfluß auf die Geſtaltung der Erdoberfläche gehabt. Die Erweiterung der Küſten, die Bildung neuer Inſelgruppen, die großen Meeresſtrömungen, die Verbreitung von See- und Landbewohnern hängen teilweiſe von Korallen ab. Die meiſten Korallen leben geſellig, beſitzen das Vermögen Kalk abzuſcheiden und Bauten aufzuführen, Bauten von ſolchen Dimenſionen, daß alle menſch— lichen Bauten dagegen verſchwinden. *) Bronn, Klaſſen und Ordnungen des Tierreichs 2. Bd. 1860 und E. Haekel, arabiſche Korallen 1876. 252 Atolle oder Laguneninſeln nennt man dieſe Bauten, wenn ſie ringförmig ſind und Waſſer ein⸗ ſchließen, Kanalriffe, Barrieren- oder Damm⸗ riffe, wenn ſie ringförmig eine Inſel umgeben. Kanalriffe unterſcheiden ſich daher von Atollen nur dadurch, daß bei ihnen innerhalb des Korallenringes eine Inſel emporragt. Erſetzen wir dieſe Inſel durch Waſſer, jo haben wir ein Atoll. — Saum⸗ oder Strandriffe — die dritte Art der Bauten — ziehen fic) der Küſte entlang und find von ihr ge⸗ trennt durch einen Kanal ſeichten Waſſers. — Waſſer von 20° R. iſt für die riffbildenden Korallen am angemeſſenſten; denn ſie kommen faſt nur im Stillen und Indiſchen Ozean zwiſchen 20° nördlicher und 20° ſüdlicher Breite vor, wo die höchſte Temperatur des Waſſers 24° R., die niedrigſte 16° R. iſt. Auf den Bermuda⸗Inſeln in 32° 15“ n. Breite kommen auch noch Korallenriffe vor. Sehr wahrſcheinlich er— möglicht das warme Waſſer des Golfſtromes hier die Exiſtenzbedingungen. Nördlicher als auf den Bermuda⸗Inſeln find riffebildende Korallen nicht bekannt. Im Roten Meer kommen ſie noch vor in 30° n. Br., im Stillen Ozean an den Loo Choo⸗ Inſeln in 27° n. Br.) Ihre Hauptentwickelung fällt in die Tropen. Sie gedeihen am beſten in einer Tiefe von 1,8 bis 9 mz; aber auch in 30 m Tiefe kommen fie noch fort. In 30—40 m Tiefe werden indeſſen nur noch vereinzelte Exemplare lebend getroffen. Stets müſſen ſie vom Waſſer umwaſchen werden. Sind ſie auch nur kurze Zeit der Luft ausgeſetzt, ſo ſterben ſie ab. Sie können mithin von dem Meeresboden nur ſo hoch emporwachſen, daß ſie zur Zeit der Ebbe von den Wogen noch erreicht werden. Zur Flutzeit ſind ſie gänzlich vom Waſſer bedeckt. Rollen dann die vom Sturme gepeitſchten Wogen über ſie hin und brechen ſich mit Macht, dann entſteht jener weiße Schaum, den der kundige Seefahrer ängſtlich vermeidet. Wenn die Korallen nicht über den niedrigſten Waſſerſtand hinauswachſen können, ſo fragt es ſich: Wie iſt die Bildung jener Koralleninſeln möglich, die mit Pflanzen aller Art bedeckt, 1,8 —4,5 und 6m hoch über die Oberfläche des Meeres empor⸗ ragen? — Die Wogen, die in dem Großen Ozean jene Korallenſtöcke peitſchen, brechen Zweig um Zweig von den Korallen ab, die ſie zuerſt treffen. Die Bruchſtücke werden in der Richtung der Wogen zwiſchen die rückwärts gelegenen Stöcke geſchleudert und teilweiſe zu Sand zerrieben, mit ihnen zugleich zahlreiche Muſchelſchalen, Seeigelſchalen und See⸗ igelſtacheln. Die vorderen Korallen wachſen raſch nach, bieten ſich von neuem den anſtürmenden Wogen dar, um von neuem abgebrochen und wieder rückwärts aufgeworfen zu werden. Die hinteren Korallen wer⸗ den bedeckt von den Trümmern der vorderen und denen andrer Tiere und ſterben raſch ab. Der ) Ueber den Bau und die Verbreitung der Korallen⸗ riffe von Ch. Darwin, überſ. von V. Carus 1876. S. 60. Humboldt. — Juli 1882. durch den Zerreibungsprozeß in großer Menge ſich bildende Kalkſand füllt alle Zwiſchenräume zwiſchen Korallen und den Bruchſtücken der verſchiedenſten Tiere aus. Zur Ebbezeit ſcheidet ſich aus dem Meer⸗ waſſer das Bindemittel, der kohlenſaure Kalk ab, der die ganze Maſſe zuſammenkittet. Jetzt haben wir einen kompakten, feſten Stein auf deſſen Ober⸗ fläche weitere Bruchſtücke aufgehäuft und zerrieben werden können. Dieſe Bruchſtücke häufen ſich mehr und mehr an, bis die hinterſten zur Flutzeit von den ſtärkſten Wellen noch eben erreicht werden. Höher hinauf können die Bruchſtücke durch Waſſer nicht mehr auf⸗ geworfen werden, folglich können, ſo ſcheint es, die Korallenbauten die Oberfläche des höchſten Meeres⸗ ſtrandes auch nur 1,8—4 m überragen; denn das iſt die Höhe, welche ſtarke Wellen beim Anrollen erreichen. Zur Zeit der Ebbe werden die verkitteten Steine von der glühenden Sonne getroffen, ausge⸗ dehnt und geſpalten. Ganze Schichten werden ab⸗ gelöſt und von der bald folgenden Brandung ge⸗ hoben, durcheinander geſchoben und zerrieben. Die zerriebene Maſſe wird durch Sturmwinde an einzelnen Stellen zu Hügeln zuſammengefegt, die 4—6 m über die Meeresfläche reicht und den Wellen uner⸗ reichbar iſt. Hier iſt ſie vegetationsfähig. So ent⸗ ſtehen dann jene Korallenringe im Ozean, die die Bewunderung und das Erſtaunen aller Seefahrer erregt haben. Der Ozean trägt ihnen fort und fort die Keime zahlloſer Pflanzen zu und bald ſproßt eine eigentümliche, ſelbſt üppige Vegetation auf dieſen Inſeln, deren einige von Menſchen bewohnt ſind, die ſich ohne Mühe von Brotfrüchten, von Bananen und Kokosnüſſen ernähren. Man ſollte meinen, daß an den Stellen, die den Wellen am meiſten ausgeſetzt ſind, die Exiſtenzbe⸗ dingungen der Korallen am wenigſten günſtig ſein müßten. — Gerade das Gegenteil iſt der Fall. Je ſtärker die Wogen anſtürmen, deſto ſchneller ver⸗ mehren ſich die Korallen. Werden auch einzelne Zweige durch die Wellen abgebrochen, der Nachwuchs erfolgt ſo raſch, daß ſie bald wieder erſetzt ſind. Nicht ſo iſt es an den Stellen, wo die Wellen die wenigſte Kraft beſitzen. Hier entfalten ſich die Korallen nur langſam, wahrſcheinlich weil ihnen hier weniger Nahrung zugeführt wird. Was ſind es für Korallen, die das merkwürdige Vermögen beſitzen Riffe zu bauen? Es ſind hauptſächlich Aſträen, Mäandrinen, Ma⸗ dreporen, Milleporen, Pocilloporen und Nulliporen. In ihren Zwiſchenräumen finden ſich noch Muſcheln, Seeſterne und Seeigel, deren Gehäuſe die Kalk⸗ maſſe der Riffe vermehren helfen. Von den genannten Arten ſcheinen ſich die Aſträen auf einem untermeeriſchen Gebirge zuerſt anzuſiedeln, denn man trifft ſie lebend 17 m unter der Ober⸗ fläche. Ihnen folgen die Mäandrinen, die in einer Tiefe von 17—4 m unter der Meeresoberfläche gut gedeihen. Auf ſie folgen die eigentlichen Wellen⸗ brecher, die Madreporen, Milleporen, Porites und Humboldt. — Juli 1882. Pocilloporen, die bis zur Oberfläche heranwachſen und ſich kühn den ſturmgepeitſchten Wogen entgegen- ſtellen. Ein Wall aus dem feſteſten Granit, der ununterbrochen dem Andrange der Wellen ausgeſetzt wäre, müßte mit der Zeit angenagt, abgetragen und zerſtört werden. Nicht ſo dieſer Korallenring. Was die Wogen heute abnagen und zerſtören, das baut morgen die Lebenskraft der Korallen wieder auf. Zwei gleich ſtarke, ewig wirkende Kräfte, die vereinte Kraft des Windes und Waſſers und die Lebenskraft organiſcher Geſchöpfe, ſtehen hier gleich ſtark gegen— über. Wie wunderbar daß die unſcheinbare Koralle der unermeßlichen Kraft des Windes und Waſſers mit Erfolg nicht nur widerſteht, ſondern kräftig im Andrange derſelben gedeiht. Wie die Natur um Großes zu ſchaffen das Kleine erwählt, das können wir an dem Beiſpiele der Korallen aufs klarſte er— kennen. Wodurch aber iſt eine ſolche Wirkung möglich? Allein durch die Organiſation der Korallen. Der kalkige Korallenſtock iſt das innere Skelett eines zuſammengeſetzten Organismus und ſteht in derſelben Beziehung zu dem eigentlichen Korallentier, wie das Knochengerüſt des menſchlichen Körpers zu den umſchließenden Weichteilen. Die Korallen wachſen hauptſächlich durch Knoſpung und durch Teilung. Durch Knoſpung. Bei vielen Korallen, z. B. bei den Pocilloporen und Madreporen ſproſſen aus der Seitenwand eines Stammtierchens neun Kelche, die aufwärts wachſen und wieder zu Stammtierchen werden können. Sie gleichen mit ihrem Stamme und den verzweigten Aeſten einem Baume des Feldes. Die unteren Teile ſind ſtets abgeſtorben und werden bald fo verändert, daß man keine Spur der organi: » ſchen Struktur erkennt. Bei Aſträenſtämmen von 3—5 m Durchmeſſer iſt kaum eine 15 mm dicke Schicht, bei 3— 5 m ſtarken Poritesſtämmen nur eine 5 mm dicke Schicht an der Oberfläche lebend. Aehnlich wie bei den Madreporen iſt es auch bei den Porites. Nur ſind die einzelnen Knöſplinge derſelben durch eine ſehr poröſe Maſſe verbunden. Anders iſt es bei der Teilung, durch welche ſich z. B. die Aſträen vermehren. Auf der mit Tentakeln (Fühlern) beſetzten Mundſcheibe bildet ſich neben dem vorhandenen Munde eine neue Mund— öffnung und darauf auch ein neuer Magenſchlauch. Zwiſchen den beiden Mundöffnungen wachſen neue Tentakeln, ſo daß bald zwei Individuen nebeneinander ſtehen. Sind ſie ſeitlich mit ihren Wänden ver— ſchmolzen, ſo bilden ſich maſſige Formen; iſt dies nicht der Fall, ſind beide frei, ſo entſtehen veräſtelte Stämmchen. Bei manchen Korallen, z. B. bei den Mäan— drinen, verlängert ſich die Mundſcheibe, in welcher dann ein neuer Mund nach dem andern ſich öffnet, bis ſchließlich zahlreiche Mündungen in einer oft vielfach geſchlängelten Furche nebeneinander ſtehen. Nachdem wir die Erbauer der Koralleninſeln 253 kennen gelernt haben, wollen wir ihre Bauten näher ins Auge faſſen. Die Zahl der Koralleninſeln im Stillen Ozean allein ijt nach Dana*) 290. In dieſer Zahl find aber nur die großen, nicht die kleinen, inbegriffen. Die Geſamtoberfläche dieſer 290 Koralleninſeln be- trägt 50 000 qkm. An der Oſtküſte von Auſtralien zieht ſich ein Riff hin, das allein die Länge von 1771 km beſitzt. Die Atolle im Archipel der Niedrigen Inſel (18° ſ. Br. und 140° L.) find an Größe ſehr verſchieden. Vliegen-Atoll iſt 96,6 km lang und 32,2 km breit; ein andres Atoll in derſelben Gruppe iſt 48,3 km lang und im Mittel 9,65 km breit; das kleinſte Atoll iſt nur 1,5 km lang. Die meiſten Atolle in dieſer Gruppe haben eine längliche Form. Hervorragend an Größe find die Atolle im Maldiva— Archipel. Eines derſelben iſt 652 km lang, ſeine größte Breite ijt 148 km, ſeine kleinſte 70,37 km**) Die durchſchnittliche Breite des Korallenſtreifens eines Atolls — vom Meere bis zur Lagune — iſt 400 bis 500 m. Der Korallenſtreifen des Weihnachts⸗ atolls erreicht an einer Stelle die anſehnliche Breite von 4828 m. Die Figur 1 zeigt uns die Form vom Reeling: Atoll. Sie hat zwei Oeffnungen, durch welche ſie Fig. . mit dem offenen Meere kommuniziert, eine größere und eine kleinere. Die innerhalb des Korallenringes befindliche Waſſermaſſe heißt Lagune, der Name Laguneninſel ſtatt Atoll erklärt ſich daraus. Bei allen Atollen ſteht die Lagune in Verbindung mit dem offenen Meere, bei den meiſten kommuniziert ſie durch eine Oeffnung — Kanal genannt — bei vielen auch durch zwei und ſelbſt durch drei Kanäle. Fehlt der Kanal, dann erreicht ein Teil des Atolles nicht die Oberfläche. Stände die Lagune mit dem offenen Meere nicht in Verbindung, fo müßten die „) Dana: On Corals and Coral Island 1872. ) Darwin, Ueber den Bau und die Verbreitung der Korallenriffe. S. 20. 254 an Nahrung bald abſterben. Aber nicht nur wegen Nahrungsmangel, auch noch aus einem andern Grunde. Süßwaſſer iſt für Korallen ein tötliches Gift. Wenn folglich ſtarke Platzregen das Salzwaſſer der Lagune verdünnen, ſo werden nicht nur die Korallen, nein alle lebenden Weſen der Lagune dem Untergange raſch entgegengeführt. Sehr verſchieden iſt die Tiefe der Lagune. In den Atollen der Niedrigen Inſeln ſchwankt ſie zwiſchen 36,6 und 69,5 m, in der Marſhall⸗Gruppe zwiſchen 54,9 und 64,1 m. In den Lagunen der Maldiva⸗ Atolle finden ſich große Bezirke die 82 m und ſelbſt 89,7 m tief ſind. In den Lagunen, wo das Waſſer ruhig iſt, wachſen die Riffe in der Regel ſenkrecht auf und hängen bis⸗ weilen über. Bisweilen, und das iſt eine ſehr merk⸗ würdige Thatſache, trifft man Stufen in der Lagune, die einen bedeutenden vertikalen Abſtand voneinander haben, fo daß das Senkblei von 4—5 m plötzlich in 37—43 m Tiefe hinabfällt. Die Mathilden⸗ Inſel bietet ein ſehr gutes Beiſpiel dieſes ſtufen⸗ artigen Baues. Die meiſten Riffe innerhalb einer Lagune ſind gänzlich unregelmäßig, einige erheben ſich bis zur Oberfläche, andere liegen in allen mög⸗ lichen Tiefen vom Boden aufwärts, einige erheben ſich ſenkrecht, andre dachförmig. Wenn der Grund der Lagune aus Sediment beſteht, und es muß be⸗ merkt werden, daß der größere Teil des Bodens der meiſten Lagunen aus Sediment gebildet iſt, ſo neigen ſich die Ufer der Lagune gewöhnlich allmählich. Aus was beſteht dieſes Sediment? In der Regel aus den zerriebenen Teilen der Korallenſtücke, alſo aus Sand und kalkigem Schlamm. Ob auch aus Thon, wie Kotzebue von den Lagunen der Marſhall⸗ Atolle behauptet, mag dahin geſtellt ſein. Unmöglich iſt es nicht; denn wir wiſſen, daß bei vulkaniſchen Eruptionen große Strecken des Meeres mit Bims⸗ ſteinen und Aſche bedeckt werden. Treiben dieſe in Lagunen und ſinken unter, fo müſſen fie notwendiger⸗ weiſe nach der Zerſetzung Thon liefern. Daß Bims⸗ ſteine mit Atollen in Berührung kommen, das zeigt die Koralleninſel Sikayana, wo Bimsſteingerölle teil⸗ weiſe den Korallenſtreifen bedecken und eine eigene üppige Vegetation von hochſtämmigen Laubbäumen im Gefolge haben. Der Sand des Sediments iſt häufig kieſelig, und mit Recht wird man fragen, warum kieſelig und nicht kalkig? Es iſt möglich, daß auch dieſer kieſelige Sand von zerriebenem Bimsſtein herrührt, er kann aber zum Teil wenigſtens auch von den Korallenſtöcken ſelbſt herrühren. Dieſe Stöcke beſtehen nicht bloß aus kohlenſaurem Kalk und organiſcher Subſtanz, ſie ent⸗ halten auch noch phosphorſaure⸗ und kieſelſaure Salze und Fluorverbindungen, und zwar enthalten ſie: kohlenſauren Kalk Organiſche Subſtanz phosphorſaure, kieſelſaure Salze und Fluorverbindungen 90 96,5 Prozent. 0,2 0,9 5 0,73 — 2,5 ” In 100 Teilen dieſer phosphorſauren und kieſel⸗ ſauren Salzen hat man gefunden: Kieſelſäure 5,23 — 30,01 Prozent. Kalkerde . 7,17—35,01 i Magnefia 0,49—45,19 if Fluorcaleium 0,71 34,85 1 Fluormagneſium 2,34 — 26,62 1 Phosphorſ. Kalkerde 0,00 —4,25 fh Phosphorſ. Magneſi 0,25 — 16,30 1 Thonerde Brak oi dae 7,12—35,00 1 Eiſenoxyd 18,30 — 27,39 fs Die Silikate find darnach allerdings nur in ge- ringer Menge vorhanden. In dem Maße aber, als der fein zerriebene kohlenſaure Kalk der Lagune von dem kohlenſäurehaltigen Meerwaſſer gelöſt wird, muß der Lagunenſchlamm kieſelſäurereicher werden. Zudem leben im Meere und folglich auch in den Lagunen gar manche Geſchöpfe, die das Vermögen beſitzen, Kieſelſäure aus dem Meerwaſſer abzuſcheiden. Sinkt deren Kieſelpanzer zuletzt auf den Boden, ſo vermehrt er den Kieſelſäuregehalt des Lagunen⸗ ſchlammes gleichfalls. f Betrachten wir nun den Bau des Korallenriffs ſelbſt. Die Figur 2 zeigt uns einen Querſchnitt durch das Keeling-Atoll, vom Meere A bis zur Lagune F. “) A Meeresſpiegel bei Ebbeſtand; wo der Buch⸗ ſtaben A ſteht, beträgt die Tiefe 47,75 m und die Entfernung vom Rande des Riffs 137,2 m. B Aeußerer Rand des flachen Teils des Riffs, welcher bei Ebbeſtand eintrocknet. Der Rand beſteht entweder aus einem konvexen Hügel, wie hier dar⸗ geſtellt iſt, oder aus zerklüfteten Spitzen, ähnlich denen unter dem Waſſer etwas nach dem Meere hinaus. Die Ebene des Atolls, eine Fläche von Korallen⸗ geſtein, bei Flutſtand vom Waſſer bedeckt. D Eine niedrige vorſpringende Schicht ſchnelle zerbröckelten Korallengeſteins, von den Wellen bei Hochwaſſer umwaſchen. E Gin Abhang (auch Hügel oder Inſelchen ge⸗ nannt) von loſen Fragmenten, durch Winde zuſammen⸗ geweht, von dem Meere nur bei ſtarken Stürmen erreicht. Der obere Teil iſt mit Pflanzen bedeckt. Der Abhang fällt ſanft gegen die Lagune ab. F Spiegel der Lagune bei Ebbeſtand. Der Meeresgrund ſenkt ſich von B nach A hin zuerſt ganz allmählich. In 100 bis 182 m Ent⸗ fernung von B, fällt er unter einem Winkel von 45° bis 70° in die Tiefe. Das Atoll bildet demnach den Gipfel eines ſehr ſteilen untermeeriſchen Gebirgs. Die zahlreichen Atolle, die den Ozean bedecken, entſprechen ebenſovielen unterſeeiſchen ſteilen Gebirgen. Da nun die riff⸗ bauenden Korallen, wie wir gehört haben, nicht tiefer als 15—30 m unter der Oberfläche des Meeres anſetzen, ſo iſt es höchſt merkwürdig, daß unter *) Aus Darwin „Ueber den Bau und die Verbreitung der Korallenriffe 1876. Seite 5. Humboldt. — Juli 1882. 255 dieſer Oberfläche ſo viele Gebirge von nahezu gleicher Höhe exiſtieren und daß dieſe Gebirge auch gerade ſo nahe an die Oberfläche des Meeres reichen, daß riffbildende Korallen ſich anſiedeln können. Eine Er— klärung für dieſe eigentümliche Erſcheinung werden wir ſpäter bringen. Wenn man darüber nachdenkt, was das endliche Schickſal eines Atolls ſein wird, ſo ergibt ſich folgendes. Wenn die Kraft des Windes und der Wellen genau im Gleichgewichte ſteht mit der Thätigkeit der Korallen, wenn die letzteren alſo genau ſo viel auf— bauen als die erſteren niederreißen und abreiben, ſo wird der Korallenring zwar fortbeſtehen, allein die Lagune, die einen Teil des Detritus aufnimmt und deren Boden ſich außerdem durch die Gehäuſe vieler in ihr vorhandenen Geſchöpfe erhöht, die Lagune, ſage ich, muß im Laufe der Zeit notwendig ausge— füllt werden. Merkwürdigerweiſe iſt kein einziges größeres Atoll bekannt, deſſen Lagune auch nur bis zum widerſtehen können? — Aber warum denn nicht? — Wiſſen wir nicht, daß die riffbildenden Korallen gerade am beſten gedeihen im Andrange der Wogen? Und ſind dieſe zerſtückelten Partien jetzt nicht weit mehr den Wellen ausgeſetzt als vorher, wo ſie nur von einer Seite erreicht werden konnten? — Aller— dings; und folglich ſind die Exiſtenzbedingungen der noch anſitzenden Korallen ſehr viel günſtiger als vor— her. Rund um den vereinzelten Korallenſtreifen können ſie ſich jetzt ausbreiten und vielleicht ein kleines Atoll bilden. Auch die Lagune iſt nach der Zerſtückelung den Wellen zugänglicher und möglicher— weiſe der Schauplatz neuer, wenn auch kleinerer Atoll— bildungen. Und die Erfahrung hat gelehrt, daß es in der That ſo iſt. Selbſt bei Atollen, die nur zwei oder drei Kanäle haben, kommt es vor, daß ſich der Korallenſtreifen zwiſchen zwei Kanälen, die ſehr weit ſind, zu einem kleinen Atoll ausbildet. Ganz natürlich, denn die Wogen können den Streifen, wenn nur die Kanäle recht weit ſind, vollſtändig umſpülen und den Korallen Nahrung zuführen. 150 Yards _ N— | Fig. 2. Waſſerſtande der niedrigſten Ebbe ausgefüllt, ge— ſchweige denn ganz in Land verwandelt wäre. Dagegen kommen mitten in einer Gruppe von Atollen bisweilen kleine, ebene, ſehr niedrige Korallen— inſeln vor, die möglicherweiſe früher einmal kleine Atolle waren. Findet ein Gleichgewichtszuſtand zwiſchen der Thätigkeit der Korallen und der zerſtörenden Wirkung von Wind und Wellen nicht ſtatt, ſo überwiegt ent— weder die Thätigkeit der Korallen die Wirkung von Wind und Welle oder umgekehrt. Im erſten Fall kann das Atoll, das nicht mehr in die Höhe wachſen kann, nur am äußeren Rande, der der Wirkung der Wellen fortwährend ausgeſetzt iſt, ſtärker werden. Dieſes Stärkerwerden hat in— deſſen ſeine engen Grenzen; denn wenn der äußere Rand durch das Wachstum der Korallen weiter in das Meer hinausrückt, Jo wird den Korallenwänden ſehr bald die Unterlage fehlen, ſie werden vertikal und müſſen ſpäter durch ihr eigenes Gewicht abreißen. Der Gleichgewichtszuſtand wird dadurch wieder her- geſtellt. Möglich freilich wäre es auch, daß dieſe abgeriſſenen Maſſen den Boden, auf den ſie fallen langſam erhöhen und ſpäter ſelbſt die Unterlage für den Bau der Korallen abgäben. Im zweiten Falle muß das Atoll allmählich zer— ſtört werden. Die Zahl der Kanäle, die die Lagune mit dem Meere verbinden, wird zunehmen, der Korallenſtreifen wird zerſtückelt und die einzelnen Partien werden der vereinten Kraft von Wind und Welle nicht lange widerſtehen können. Nicht lange Humboldt 1882. Das Mahlos Mahdoo-Atoll bietet ein intereſſantes Beiſpiel eines zerſtückelten Atolls. Die zahlreichen zerſtückelten Streifen haben ſich faſt ſämtlich in läng— lich gezogene Atollringe verwandelt von 4828 und 8046 m Durchmeſſer. Ebenſo erheben ſich aus der früheren Lagune viele kleine, oft ganz regelmäßige Atolle. Daß die Korallen, wie ſchon mehrmals angeführt, im Andrange der Wogen am beſten gedeihen, das geht daraus hervor, daß die Kanäle ſich ſtets da bilden, wo der Ring am meiſten geſchützt vor Wind und Wellen iſt. Liegen z. B. zwei Atolle nahe bei einander, ſo entſtehen die Kanäle da, wo ſich die Atolle anſehen. Atolle, die der Wirkung der konſtant wehenden Paſſatwinde ausgeſetzt ſind, haben ihre Kanäle auf der weniger exponierten Seite. Wenn dem fo ijt, jo kann auch niemals die Wir— kung von Wind und Welle auf das Atoll die Thätig— keit der Korallen überflügeln. Wenn demnach Atolle zerſtückelt werden, ſo iſt die Urſache nicht zu ſuchen in dem allzu heftigen Wind, in dem allzu ſtarken Heranrollen der Wogen, ſie iſt in etwas ganz anderm zu ſuchen. In was denn? Einige Fiſcharten leben vorzugsweiſe von Korallen. Fortwährend weiden ſie an dem äußeren und inneren Rande des Atolls. Wenn ſich nun dieſe Fiſche in ungewöhnlich ſtarker Anzahl lange Zeit hindurch ein— finden, vermögen ſie dann nicht das Atoll zu ge— fährden, es der Zerſtückelung entgegen zu führen? Wie aber wenn die zerſtückelten Partien ſich wieder 33 256 Humboldt. — Juli 1882. in neue kleinere Atolle umwandeln? Warum ſetzen die Fiſche jetzt nicht mehr ihre Jagd fort und ver⸗ hindern die Bildung dieſer Atolle? Weil ſie auch vorher das Gedeihen des Atolls nicht gefährdet haben. Die Fiſche können unmöglich an der Zer⸗ ſtückelung des Atolls ſchuld ſein. — Eine andre Urſache muß exiſtieren; denn Mahlos Mahdoo⸗Atoll im Maldiva Archipel ſteht nicht vereinzelt da. Noch andre Atolle desſelben Archipels ſind in Auflöſung begriffen. Die große Chakos⸗Bank ſcheint gleichfalls ein einziges großes Atoll geweſen zu ſein, das nach der Zerſtückelung ſich in kleinere Atolle aufgelöſt hat. Wir werden dieſe andre Urſache bald kennen lernen. Barrieren oder Kanalriffe. Kanalriffe unterſcheiden ſich von Atollen nur durch den zentralen Teil. Dieſer it bei den Atollen Waſſer und wird Lagune genannt; bei den Kanalriffen er⸗ hebt ſich aus der Lagune hohes Land, welches durch einen Kanal tiefen Waſſers (Lagunenkanal) von dem Korallenring getrennt iſt. Denken wir uns das hohe Land weg, ſo bleibt ein Atoll zurück. Wie die Atolle, ſo haben auch die Kanalriffe Durchbrüche, Kanäle, welche den Lagunenkanal mit dem offenen Meere verbinden. Dieſe Kanäle liegen in der Regel den Hauptthälern gegenüber und das iſt leicht begreiflich, denn aller Sand und Schlamm, der bei Regengüſſen von dem hohen Lande abgeführt wird, gelangt in die Hauptthäler und wird durch den Lagunenkanal nach dem Riff hin geführt, wo nun⸗ mehr die Korallen abſterben müſſen. Den Wellen iſt es jetzt ein Leichtes, in den Damm einen Kanal zu graben, weil die Lebenskraft der Korallen, die ſonſt das Gleichgewicht gehalten hat, vernichtet iſt. In bezug auf die Korallenarten, die das Kanal⸗ riff erbauen, auf die Inſelchen, die ſich auf dem Riffe bilden, auf die Tiefe des Lagunenkanals, kurz in bezug auf alle Punkte, die ſich auf das Riff be⸗ ziehen, beſteht kein Unterſchied zwiſchen Atollen und Kanalriffen. Nur die ungeheure Größe mancher Kanalriffe ſcheint für den erſten Augenblick etwas Beſonderes zu ſein. Dieſe Größe iſt in der That erſtaunlich. Das Riff an der Weſtküſte von Neu⸗Caledonien iſt 644 km lang und hält ſich vom Ufer 13 und mehr km entfernt. Das Riff an der Oſtküſte von Auſtralien erſtreckt ſich auf eine Entfernung von 1771 km, und hält ſich im Mittel 32—48 km, an einigen Stellen 145 km vom Lande entfernt. Der Lagunentanal ijt 18—45, an einigen Stellen 110 m tief. Die Inſeln innerhalb der Kanalriffe ſind von ſehr verſchiedener Größe. Manouai iſt 15 m hoch, Aitutaki 110m, Maurua etwa 244 m und Tahiti 2135 m. Saum- oder Strandriffe. Wie die Kanalriffe eine Inſel oder einen Teil derſelben umziehen, ſo auch die Saumriffe. Wodurch unterſcheiden ſich nun beide? Allein dadurch, daß bei 4 Kanalriffen die zentrale Inſel vom Riff durch einen Kanal mit tiefem Waſſer, bei Saumriffen durch einen Kanal mit ſeichtem Waſſer getrennt iſt. Außerdem ſind die Saumriffe meiſtens von geringerer Breite und nähern ſich mehr dem Ufer der Inſel als die Kanalriffe. Es ſpringt in die Augen, daß dieſe Unterſcheidungs⸗ merkmale nicht durchgreifende ſind, und daß es leicht vorkommen kann, daß der eine das für ein Kanalriff erklärt, was der andere für ein Saumriff hält. Die Riffe, welche die Inſel Mauritius umziehen, können uns als Beiſpiel von Saumriffen dienen. Das Riff liegt in der Regel nur 800 m, an einzelnen Stellen indeſſen 3200 und 4800 m vom Ufer entfernt. Der Kanal zwiſchen dem Riff und dem Strande iſt fo ſeicht, daß man ihn an vielen Stellen bei Ebbe⸗ ſtand durchwaten kann; an einigen Stellen erreicht er 3—4 m, ja ſelbſt 18—21 m Tiefe. Der Grund des Kanals iſt ſandig. Jedem Bache gegenüber iſt das Riff durchbrochen. Alle Bäche und Flüſſe der Inſel münden in den Kanal und lagern hier ihren Detritus ab. Darum ſind die Kanäle in der Regel ſo ſeicht, darum iſt auch der Boden derſelben gewöhnlich ſandig. Die Ausfüllung und Trockenlegung des Kanals wird nur verhindert oder verzögert durch die Waſſermaſſen, die, bei ſtür⸗ miſcher See über das Riff geworfen, ſchnell zum Meere zurückkehren, Detritus mit ſich führend. Nachdem wir die drei Arten von Riffen kennen gelernt haben, müſſen wir uns nach dem Zuſammen⸗ hange fragen in dem ſie untereinander ſtehen. Auf die enge Beziehung zwiſchen Kanal- und Saumriffen wurde ſchon aufmerkſam gemacht. Beide gehen ineinander über. Da z. B., wo das Saum⸗ riff von Mauritius vom Strande durch einen Kanal von 18—21 m Tiefe getrennt iſt, iſt es nicht mehr Saumriff, ſondern Kanalriff zu nennen. Welche Beziehung beſteht aber zwiſchen Kanal⸗ riffen und Atollen? Gehen auch ſie ineinander über, oder iſt hier ein Uebergang nicht möglich? — Wir haben gehört, daß die Inſeln innerhalb der Kanalriffe von ſehr verſchiedener Höhe ſind. Wir können uns leicht ein Kanalriff denken, deſſen zentrale Inſel noch eben die Oberfläche des Waſſers erreicht, ein andres, deſſen Inſel nur noch bei niedrigſter Ebbe ſichtbar wird. Das letzte Riff könnten wir mit ebenſo gutem Recht zu den Atollen, als zu den Kanalriffen zählen. Der Uebergang von den Kanalriffen zu den Atollen iſt mithin ſehr wohl möglich; er muß not⸗ wendigerweiſe ſtattfinden, wenn der Meeresboden ſich ſo langſam und ſtetig ſenkt, daß die Lebensbedin⸗ gungen der Korallen nicht gefährdet werden. Ob er in der That ſtattfindet, das iſt eine Frage, der wir jetzt näher treten wollen. Die Baſis, auf der die Korallen anſetzen, darf, wie wir gehört haben, nicht viel tiefer als 17 m unter der Meeresoberfläche liegen. Die Baſis aller Atolle iſt, ſo ſcheint es, entweder der Gipfel eines unter⸗ meeriſchen Gebirgs oder der Krater eines Vulkans. Wäre ſie der Krater eines Vulkans, ſo müßte Humboldt. — Juli 1882. 257 das Atoll ungefähr das Abbild des Kraters ſein. Nun kennt man Atolle, die 129 km lang und 16 bis 19 km breit ſind. Auf der Erdoberfläche iſt kein einziger Krater bekannt, deſſen einer Durchmeſſer 7—8mal fo groß iſt als der andere. Die größten Kratere auf der Erdoberfläche ſind außerdem nicht ein zehntel ſo groß. Es iſt aber doch nicht einzuſehen, warum die untermeeriſchen Kratere ſo viel größer ſein ſollten als die andern. Kein einziger Grund läßt ſich dafür anführen. Es ſoll nicht in Abrede geſtellt werden, daß hier und da unter der Meeres— oberfläche ein Krater liegt, der den Korallen Veran— laſſung zum Aufbau eines Atolls gegeben hat; nur auf das Befriedigendſte erklärt. Darwin ſagt: Die Erklärung der Saumriffe bietet keine Schwierigkeiten dar, denn die Korallen umziehen eine Inſel oder Halbinſel in der Entfernung vom Lande und in der Tiefe, welche ihrer Organiſation am angemeſſenſten iſt. Die notwendige Folge hiervon iſt ein ſchmales Riff, ein ſeichter Kanal und eine unbedeutende Ent— fernung des Riffs vom Lande. Sinkt die Inſel fo langſam, daß die Korallen Zeit haben, in die Höhe zu bauen und die Oberfläche des Waſſers zu erreichen, dann wird die Entfernung des Riffs vom Lande größer, der Kanal tiefer und das Riff breiter. Das Riff breiter? Aus welchem Grunde denn? An der 2 Mn Fig. 3. 2 Wf) 7 j 775 76 WW Fig. 4. daß ſämtliche Atolle auf unterirdiſchen Kratern aufge— baut ſind, das allein wird geleugnet; wo hat man jemals geſehen, daß auf ſo engem Bezirk ſo viele Vulkane von gleicher Höhe nebeneinander aufgetürmt waren? Die Kratere der gewöhnlichen Vulkane liegen in ſehr verſchiedener Höhe über dem Meer, die Kratere dieſer untermeeriſchen Vulkane müßten alle in gleicher oder nahezu gleicher Höhe unter dem Meere liegen. Hunderte von Bergen, in demſelben Bezirk, alle von gleicher Höhe, iſt etwas ſo Unwahrſcheinliches, ſo einzig Daſtehendes, daß wir die Annahme von Kra— tern müſſen fallen laſſen. Dann kann die Baſis, und zwar aus demſelben Grunde, auch nicht der Gipfel eines untermeeriſchen Gebirgs ſein. Auch aus einem andern Grunde kann das nicht ſein. Wäre die Baſis der Gipfel eines Berges, dann hätten die Korallen ihr Wachstum von dem Gipfel aus begonnen und wären langſam bis zur Oberfläche gekommen. Dann hätte aber kein ringförmiges Gebilde, kein Atoll, es hätte eine maſ— ſive Koralleninſel entſtehen müſſen. Die Baſis kann alſo weder der Krater eines Vulkans, noch der Gipfel eines untermeeriſchen Bergs ſein. Was kann ſie nun noch ſein? c Den Schlüſſel zu dem Rätſel gab Darwin, indem er eine Hypotheſe aufſtellte, welche alle Erſcheinungen dem Meere zugewandten Seite müßten die Korallen ſchon vertikal aufwärts bauen, wenn das Riff in ſeiner Breite keine Einbuße erfahren ſoll. Hier kann es mithin nach der Meeresſeite unmöglich breiter werden. — An der dem Lande zugekehrten Seite da— gegen gewinnen die Korallen, weil der Kanal tiefer wird, neue Anſatzpunkte, von denen aus ſie in die Höhe bauen und das Riff erbreitern können. Von der Konfiguration der ſich ſenkenden Inſel wird es abhängen, in wie weit das möglich iſt. Das aber iſt leicht einzuſehen, daß das Saumriff durch fortwährende Senkung der Inſel allmählich in ein Kanalriff über— gehen muß. Sinkt die Inſel noch mehr, ſo verſchwindet ſie endlich von der Oberfläche, und aus dem Kanalriff wird ein Atoll. Sinkt die Inſel immer noch, ſo be— halten wir ſo lange ein Atoll, als die Korallen noch im ſtande ſind, in ihrem Aufbau nach oben gleichen Schritt zu halten mit der Senkung der Inſel nach unten. Iſt das nicht mehr der Fall, ſinkt die Inſel raſcher, ſo tritt zunächſt eine Zerſtückelung des Atolls und unter Umſtänden eine gänzliche Zerſtörung des— ſelben ein. Jetzt iſt es begreiflich, wie es kommt, daß ſo viele untermeeriſche Gebirge auf engem Bezirk ſchein— bar gleiche Höhe haben. Nicht die Gebirge haben 208 Humboldt. — Juli 1882. gleiche Höhe; ſie alle ragten ehedem mit verſchiedener Höhe über die Meeresoberfläche und waren von einem Kanalriff umgürtet. Im Laufe der Zeit ſanken ſie mit dem Meeresboden in die Tiefe, während die Korallen rüſtig aufwärts bauten. Aus den Kanal⸗ riffen wurden Atolle und nun mußte es den An⸗ ſchein gewinnen, als hätten zahlreiche Vulkane (oder Gebirge) auf engem Bezirke gleiche Höhe, und was noch merkwürdiger iſt, als hielten ſich ihre Kratere gerade 12—17 m unter der Meeresoberfläche, da⸗ mit die Korallen ihren Aufbau ohne Schwierigkeiten hübſch beginnen konnten. Die Kanalriffe geben ein ungefähres Bild von einem horizontalen Durchſchnitt der Inſel, die ſie umgürten. Da die Atolle früher Kanalriffe waren, gilt von ihnen im allgemeinen dasſelbe. Die eigen⸗ tümliche Form vieler Atolle bietet daher jetzt keine Schwierigkeiten mehr, Krater, deren einer Durch⸗ meſſer 7⸗— Smal fo groß iſt, als der andre, find etwas Unerhörtes, aber Gebirgszüge von ſolcher Form ſind ganz gewöhnlich. Daß die Zerſtückelung eines Atolls von einer allzu raſchen Senkung der Unterlage herrühren kann, iſt ſchon erwähnt worden. Daß jand- oder ſchlamm⸗ führende Strömungen, die das Atoll umſpülen und das Wachstum der Korallen beeinträchtigen, gleich⸗ falls Urſache der Zerſtückelung ſein können, liegt auf der Hand. Wie iſt es aber möglich, daß alsdann aus den zerſtückelten Partien kleinere Atolle werden? Wäre die Urſache der Zerſtückelung des urſprüng⸗ lichen Atolls eine fand- oder ſchlammführende Strö⸗ mung, ſo beſteht die Urſache zwar jetzt auch noch fort, dennoch iſt die Wirkung eine andre; denn die Meeres⸗ wellen können von allen Seiten das Bruchſtück um⸗ ſpülen und den Korallen eher friſche Nahrung zu⸗ tragen, während ſie das urſprüngliche Atoll nur am äußeren Umfange zu erreichen vermochten. An dieſem Umfange lief aber gerade die ſchlammreiche Strömung her, die von den Wellen nicht vollſtändig verdrängt werden konnte. Da einer jeden größeren Senkung eine Hebung entſpricht und da die zahlreichen Atolle im Stillen Ozean uns auf eine Senkung verweiſen, ſo müſſen wir fragen: Welche Teile der Erdoberfläche haben eine dieſer Senkung entſprechende Hebung erfahren? — Die Antwort auf dieſe Frage iſt nicht leicht. Zwar kann man verweiſen auf das Himalayagebirg und auf die rieſigen Bergketten an der Weſtküſte von Amerika und es wird niemand leugnen, daß dieſe möglicherweiſe ein Aequivalent für die Senkung ſind, allein, es wäre doch merkwürdig, wenn nicht auch einmal Koralleninſeln in das Bereich der Hebung gekommen wären, es wäre auffallend, wenn an keinem Orte ein Atoll hoch über das Niveau des Meeres wäre erhoben worden. Gäbe es eine Koralleninſel, ein Atoll, das Hunderte von Metern über die Meeresoberfläche her⸗ vorragte und vom Fuße bis zum Gipfel noch deutlich die Korallenbildung erkennen ließe, ſo lieferte dieſes den ſchlagendſten Beweis für eine Hebung oder für eine Senkung und darauffolgende Hebung; denn riffbauende Korallen können nicht tiefer anſetzen, als höchſtens 20 bis 30 m unter der Meeresoberfläche, folglich kann ohne eine Hebung ein Atoll nicht höher als höchſtens 20 bis 35 m werden. Nun gibt es aber, wie wir gleich hören werden, Riffe, die über das Meer erhoben, Hunderte von Me⸗ tern hoch ſind, und ganz aus Korallengeſtein beſtehen, folglich liefern dieſe den unumſtößlichſten Beweis für eine Hebung, der nach der vorgetragenen Theorie eine Senkung vorausgegangen ſein muß. Solche Riffe ſind bekannt aus jüngſter Zeit und auch aus ſehr früher Zeit. 5 Nach Draſche ) finden ſich auf den Philippinen allerorts gehobene Korallenriffe. Im Innern der Inſel hat er rezente Korallenriffe bis zu 1280 m Höhe angetroffen. Auf Java wurden durch Junghuhn und v. Richt⸗ hofen gehobene Riffe nachgewieſen. Leſſon fand auf der Nordküſte von Neu-Guinea eine Korallen⸗ ſchicht (aus Madreporen vorzugsweiſe beſtehend) von 68 m Höhe über dem Meer. Im Cooks Archipel, auf Mangaia traf Wilſon ein ehemaliges Atoll, 96 m hoch gehoben, an. Auf dem Gipfel desſelben iſt eine Vertiefung, die nach Wilſon der ehemaligen Lagune entſpricht. Ganze Länder, z. B. ein 80,000 qkm großer Teil von Florida, verdanken den Korallen ihre Ent⸗ ſtehung. Aus der Geſchwindigkeit, mit der die Korallen emporwachſen, kann man einen Schluß auf die Dauer der Bildung eines vorliegenden Riffs bilden. Agaſſiz hat das gethan in bezug auf die vier konzentriſch auf⸗ einander folgenden Korallenriffe an der Küſte Flo⸗ ridas. Jedes einzelne Riff beanſprucht zur Bildung mindeſtens 8000 Jahre, alle vier mithin 32,000 Jahre. Daß dieſe Rechnung eine ganz unſichere, faſt willkür⸗ liche iſt, wird durch folgende Betrachtung klar. Geſetzt, man wüßte z. B., daß die Korallen unter den günſtigſten Bedingungen 0,36 m hoch im Jahre emporwachſen könnten). Was könnte man ſchließen in bezug auf ein rezentes Riff, das 1000 m hoch über das Meer emporragt? — Nur das, daß zur 5 5 3 1000 Bildung des Riffes mindeſtens 0.36 oder 2778 Jahre 7 erforderlich waren. Hierbei iſt gleichzeitig voraus⸗ geſetzt, daß der Meeresgrund, auf dem die Korallen angeſetzt haben, jedes Jahr 0,36 m geſunken iſt. Hat dieſer Meeresgrund, nachdem er 1000 m tief geſunken war, ſich ſofort und ebenſo ſchnell wieder erhoben, dann iſt das fragliche Riff 5556 Jahre alt. Nun kennt man in bezug auf die Geſchwindigkeit des Emporwachſens der Korallen weder die günſtig⸗ *) Draſche, Fragmente zu einer Geologie der Inſel Luzon. 1878. Wien. ) Nach Leutnant Wellſtead hat ſich der kupferne Boden eines Schiffes im Perſiſchen Meerbuſen innerhalb eines Jahres mit einer 0,36 m dicken Schicht von Korallen inkruſtiert. Humboldt. — Juli 1882. ſten noch die ungünſtigſten Bedingungen, in bezug auf die Senkung mancher Länder weiß man, daß ſie ſo langſam erfolgt, daß ſie in einem Menſchenalter nicht einmal zu beobachten iſt, folglich iſt auf die ganze Rechnung nicht das mindeſte Gewicht zu legen. Sie iſt weit davon entfernt, uns auch nur eine unterſte Grenze anzugeben. Viel wichtiger iſt die Thatſache, daß von den 1033 jetzt lebenden Korallenarten 77‘ innerhalb und nur 23 außerhalb der Tropenzone leben. Denjenigen, die außerhalb der Tropen leben, geht, mit ganz wenigen Ausnahmen, das Vermögen ab, Kalk zwiſchen ihre Fleiſchfaſern abzulagern. Im Mittel— meer und auch noch in höheren Breiten leben einige Korallen, die ein Kalkgerüſt ablagern, Riffe vermögen ſie aber nicht zu bauen, auch leben ſie nicht geſellig. Die Erbauer der Korallenriffe leben, wie das ja auch ſchon früher erwähnt wurde, in Meerwaſſer, deſſen mittlere Temperatur 20° R. iſt. Die Frage liegt nahe: Wird das in früheren geologiſchen Perioden auch ſo geweſen ſein, haben die Erbauer der Korallenriffe auch damals einer ſo hohen Temperatur bedurft, oder iſt die Annahme er— laubt, daß in früheren Perioden andre Spezies, möglicherweiſe auch in nördlicheren Gegenden, bei niedrigerer Temperatur, das Vermögen Kalk abzu— ſcheiden und Riffe zu bauen beſeſſen haben? Dieſe Annahme iſt nicht zuläſſig. Der Maßſtab, den uns die Natur jetzt gibt, der iſt es, den wir anlegen zur Beurteilung von Thatſachen, die Millionen von Jahren hinter uns liegen. Würden wir anders verfahren, ſo wäre der Willkür Thür und Thor ge— öffnet. In unſerm Falle läßt ſich kein einziger Grund dafür anführen, daß es früher ſollte anders ge— weſen ſein. Nun denn, wenn dem ſo iſt, ſo ſind die Korallen— bänke, wo wir fie treffen in früheren Perioden, un- ſchätzbare Thermometer. Sie geben uns beſſer und zuverläſſiger als irgend eine Tierklaſſe Aufſchluß über die Temperatur jener fernen Periode und das iſt für die Bildungsgeſchichte unſers Erdballs von der aller— größten Bedeutung. Schon in der Silurformation treffen wir geſellig lebende Korallen mit dem Vermögen Kalk abzuſcheiden und Riffe zu bauen. Auf der Inſel Gottland in der Oſtſee finden ſich Kalkſteine aus der Silurzeit mit zahlreichen oft wohl— erhaltenen Ueberreſten von Halysites catenularia, Calamopora, Gottlandica, Heliolites interstincta und andern, Korallenriffe bildenden Rovallenarten*). Die Kalkſteine und Dolomiten der benachbarten Inſel Oeſel enthalten gleichfalls zahlreiche riffbildende Korallenarten, darunter Cyatophyllum articulatum, Calamopora cristata und andre. Die Inſel Oeſel liegt unter 58 ½¼, die Inſel Gottland unter 57“ n. Br. Hier im hohen Norden muß in jener fernen *) Naumann, Lehrbuch der Geognoſie. 2. Bd. S. 364. 259 Zeit die mittlere Meerestemperatur 20° R. ge— weſen ſein. Die Kalkſteine von Süd-Devonſhire (50 ¼ b n. Br.), der Devonformation angehörig, die bald dicht, bald ſchiefrig, bald vollkommen kryſtalliniſch ſind, führen zahlreiche riffbauende Korallen, unter denen Calamo- pora polymorpha beſonders häufig iſt. Die Kalkſteinmulden der Eifel (50° n. Br.) be⸗ ſtehen aus Kalkſtein, Mergel und Dolomit. Der Kalkſtein iſt meiſt blaulich grau, undeutlich kriſtal— liniſch, feſt und wird durch mergelige Zwiſchenlagen in nicht ſehr mächtige Schichten abgeteilt s). Dieſer Kalkſtein beſteht, namentlich in den höheren Etagen, größtenteils aus riffbildenden Korallen, unter denen Stromatopora polymorpha, Cyatophyllum quadri- genium und Heliolites porosa ſehr vorwalten. Der große rheiniſch-weſtfäliſche Kalkſteinzug, der bei Erkrath, in der Nähe von Düſſeldorf beginnt und bei Allendorf endigt, enthält Korallen, die ganze Bänke bilden, mit dem Geſtein innig verwachſen, aber gut erhalten find. Es find hauptſächlich Stroma- topora concentrica, Calamopora polymorpha, Cya- thophyllum ceratites und Heliolites porosa. In der Steinkohlenformation finden ſich die Ko— rallen in der unteren Abteilung, in dem ſogenannten Kohlenkalkſtein. In Südwales z. B. (52 ¼ » n. Br.) erlangt der Kohlenkalkſtein eine Mächtigkeit von 579 m. Nach unten ſtrotzt er von Krinoiden, nach oben von Korallen. Sehr ſparſam kommen die Korallen vor in der Permiſchen Formation, in der Triaszeit und im Lias. Im braunen Jura treten ſie ſchon ziemlich ſtark wieder hervor und ſetzen in einzelnen Diſtrikten Frankreichs (bei Ranville im Calvados, bei Charriez, bei Langres) ganze Kalkſteinbänke zuſammen. Im weißen Jura erlangen die riffbildenden Ko— rallen eine bedeutende Entwickelung. Der Korallen— kalkſtein beſteht hier aus zahlloſen oft ſehr wohl er— haltenen Korallen, die durch kohlenſauren Kalk oder durch Kieſelerde zuſammengekittet ſind. Die Schich— tung dieſer Kalkſteine ijt mehr oder weniger undeut⸗ lich und unregelmäßig. Die Korallenkalke finden ſich in England, bei la Rochelle, Nontron, Rochefoucault in Frankreich, bei Hildesheim in Hannover (52% n. Br.) in Franken, Schwaben und andern Ländern. In der Kreideperiode gehören die Korallenkalk— ſteine zu den ſelteneren Erſcheinungen. Der Kalk— ſtein von Faxöe in Seeland (51 ¼ “ n. Br.), der 12—30 m über der weißen Kreide liegt, kann als Beiſpiel eines Korallenriffs gelten. Sonſt ſind die Korallen nur ſelten zu eigentlichen Bänken angehäuft. Gut erhalten ſind ſie in der Regel auch in dieſer Formation. Gut vertreten ſind beſonders die Ge— ſchlechter Maeandrina, Cyclolites, Astraea und andere. In der Tertiärformation treten uns die Korallen bald gehäuft, bald ſpärlich entgegen. *) Naumann, Lehrbuch der Geognoſie. 2. Bd. S. 384. 260 Humboldt. — Juli 1882. In den Oberburger Nummulitenmergeln in Steier⸗ mark ſind die Korallen ſehr ſtark und gut vertreten?). Auch der mittlere Grobkalk des Baſſins der Seine enthält mitunter zahlreiche wohlerhaltene Korallen, unter andern Astraea panicea, Madrepora Solan- deri, Porites Deshayesiana, Anthophyllum dis- tortum. In Steiermark finden ſich wahre Korallenkalk⸗ ſteine, welche im Sauſalgebirge, ſüdlich von Gratz, förmliche Korallenriffe über dem Thonſchiefer bilden. Im Wiener Baſſin kennt man etwa 32 Korallen⸗ ſpezies. Einzelne kleine Korallenſpezies finden ſich auch in der norddeutſchen Oligocänformation, riffbauende Ko⸗ rallen aber nicht. Wir ſehen aus dem Angeführten, daß in früheren Perioden riffbauende Korallen in hohen Breitengraden angetroffen werden und müſſen daraus ſchließen, daß die mittlere Meerestemperatur in jenen Breiten zu jenen Zeiten 20° R. geweſen ſein muß. In dem Maße, als die Erde durch Wärme⸗ ausſtrahlung kühler wurde, wanderten die riffbilden⸗ den Korallen aus höheren Breiten nach dem Aequator hin, wo ſie jetzt allein noch zu exiſtieren vermögen. Auf der Inſel Luzon fanden Semper und ſpäter Draſche zahlreiche Korallenkalkſteine die jünger als die Tertiärformation ſind. In dem kreisförmigen Thale bei Benguet im Diſtrikte Benguet erkannte Semper“) an den Roz rallenkalkſteinen und an der eigentümlichen Form und Anordnung derſelben ein Atoll, das 1220 m hoch über die Meeresfläche gehoben war. Draſche s) fand die Korallenkalkſteine nicht nur in Benguet, er fand ſie noch an zahlreichen andern Orten in Nord⸗Luzon, hoch erhoben über das Meeres⸗ niveau. Die Korallenreſte in dieſen Kalkſteinen ſind gewöhnlich ſehr ſchlecht erhalten, doch gelang es Draſche mehrere zu beſtimmen. Er fand nur ſolche Genera, welche auch jetzt noch im Indiſchen Ozean die häufigſten find. Eine ſehr bemerkenswerte Eigentümlichkeit dieſer in jüngſter Zeit gehobenen Korallenriffe iſt die Schich⸗ tung und die vollſtändige kriſtalliniſche Beſchaffenheit derſelben. Schichtung und kriſtalliniſche Beſchaffenheit hebt auch Darwin als eine ſchwer zu erklärende Erſcheinung an Riffen, die noch in der Bildung begriffen ſind, hervor. Bei der Aufzählung der Korallenbänke aus frü⸗ heren Perioden wurde beſonders auf den guten Er⸗ haltungszuſtand der Korallen aufmerkſam gemacht. Bei den jüngſten noch in der Bildung begriffenen, ſowie bei den zuletzt gehobenen Bänken fällt uns nichts mehr auf, als daß Korallen wegen der kriſtal⸗ liniſchen Umbildung kaum mehr zu erkennen ſind. ) Naumann, Lehrbuch der Geognoſie. Tertiär⸗ formation. S. 30. *) Semper, die Philippinen und ihre Bewohner. Würzburg 1869. ) R. v. Draſche, Fragmente zu einer Geologie der Inſel Luzon. Wien 1878. Mit Recht fragen wir: Woher der Unterſchied zwi⸗ ſchen den Korallenbänken der früheren und der Jetztzeit? Eine genügende Antwort iſt darauf noch nicht ge⸗ geben worden; doch iſt das gewiß, daß die wohl⸗ erhaltenen Korallen der Bänke aus früheren Perioden andern Bedingungen ausgeſetzt waren, wie die heutigen. Die zahlreichen kriſtalliniſchen Kalkgebirge in den Alpen und andern Orten, ſowie die Schlerndolomite, ſind auch ſie umgebildete Korallenbauten? Dieſe Frage iſt endgültig noch nicht entſchieden. Der erſte, der die Korallenrifftheorie auf ſie anwandte, war v. Richthofen). Ein warmer und ſcharfſinniger Verteidiger dieſer Theorie iſt Mojſiſovies. Und man muß geſtehen, dieſe merkwürdigen Kalkgebirge der Alpen werden durch keine Hypotheſe ſo natur⸗ gemäß und befriedigend erklärt, als durch die An⸗ nahme, ſie ſeien das Produkt der Thätigkeit riff⸗ bauender Korallen. Denken wir uns einmal einen in der Bildung begriffenen Atollbezirk gehoben. Steilwandige, reihen⸗ förmig angeordnete, unten zuſammenhängende Kalk⸗ gebirge mit flachen plateauartigen Höhen ſtehen vor uns. Die Breite wird zwiſchen 10 bis 100 km ſchwanken. In der Geſteinsmaſſe finden wir zahl⸗ loſe Bruchſtücke von Muſcheln, Seeigelgehäuſen und Seeigelſtacheln, mehr oder weniger gut erhalten; wir treffen auch vollkommen feinkörnigen kriſtalliniſchen und ſelbſt dichten magneſiahaltigen Kalkſtein, in dem wir keine Spur von Organismen nachweiſen können. In den Kalkgebirgen der Alpen treffen wir eine eigentümliche Schichtung, die Draſche auch an Ko⸗ rallenriffen der Küſte von Weſt⸗Luzon, die nur wenige Fuß über dem Meeresſpiegel erhoben waren, beob⸗ achtet hat. Gümbel glaubt den Schlerndolomiten gerade wegen der Schichtung die Riffnatur abſprechen zu müſſen. Nachdem man aber die Schichtung an leben⸗ den und an den zuletzt gehobenen Riffen erkannt und nachgewieſen hat, dürfte dieſer Einwand ſein Haupt⸗ gewicht verloren haben. Gümbel erwähnt im Schlerndolomit dünne, oft nur hautähnliche Zwiſchenlagen von Mergel. Draſche n) hat aber ganz ähnliche Erſcheinungen an den Riffen von Sagada beobachtet. Das ſpärliche Vorhandenſein von Korallenreſten in den Schlerndolomiten wird von Gümbel als weiteres Argument gegen die Riffnatur derſelben an⸗ geführt. Allein die geologiſch ganz jungen Riffe von Luzon ſind teilweiſe ganz in kriſtalliniſchen Kalk um⸗ gewandelt. i Damit ſind indeſſen noch lange nicht alle Schwie⸗ rigkeiten gehoben. Man könnte fragen: Wie kommt *) v. Richthofen, Geognoſtiſche Beſchreibung der Umgebung von Predazzo, St. Caſſian und der Seiſſer Alpe in Südtirol. Gotha, Juſt. Perth. 1868. S. 293 bis 306. (Jetzt vergriffen.) ™) R. v. Draſche, Fragmente zu einer Geologie der Inſel Luzon. S. 43. a Humboldt. — Juli 1882. 261 es, daß von Korallen faſt nichts mehr zu erkennen iſt, während Gyroporellen recht wohl erhalten ſind? Wie kommt es, daß in den Korallenbauten früherer D at RN dal i Von Perioden, die Korallen ſo gut erhalten ſind, während ſie in den jüngeren Riffen oft kaum nachgewieſen werden können?“) N. Dr. Guſtav Schultz, Privatdozent der Chemie in Straßburg i. E. en Beobachtern wird bei dem Beſuche von Gasanſtalten ein weißes, kryſtalliniſches Sublimat nicht entgangen ſein, welches ſich an den Wänden der Gaſometer (Gasbehälter) in oft beträchtlichen Mengen findet. Dasſelbe beſteht aus faſt reinem Naphthalin, einem Kohlenwaſſerſtoff, welcher 93,7 Teile Kohlenſtoff und 6,3 Teile Waſſerſtoff enthält. Dieſer Körper gerät beim Erhitzen zwar erſt bei 217“ ins Sieden, er beſitzt aber, wie viele andere feſte Subſtanzen, z. B. Moſchus, die Eigenſchaft ſich ſchon bei gewöhnlicher Temperatur in ſehr erheblichem Maße zu verflüchtigen. Obwohl nun das aus Stein- kohlen bereitete Leuchtgas wiederholt auf phyſikaliſchem und chemiſchem Wege gereinigt wird, bevor es in die Rohrleitungen der Städte übergeht, ſo iſt die Flüch— tigkeit des Naphthalins doch eine ſo erhebliche, daß letzteres ſtets dem Leuchtgaſe beigemengt bleibt und ſogar zu der Leuchtkraft desſelben beiträgt. Man findet häufig beim Reinigen von Gasleitungsröhren, welche viele Kilometer von der Gasanſtalt entfernt ſind, Naphthalin in feinen Blättchen abgeſchieden, ſogar Verſtopfungen von Gasröhren durch das mitgeführte und wieder kryſtalliniſch abgeſchiedene Naphthalin kommen öfters vor. 5 Was nun die Bildung des Naphthalins bei der Leuchtgasfabrikation anbetrifft, ſo entſteht dasſelbe, wie viele andere, gegen Hitze ſehr widerſtands— fähige Kohlenwaſſerſtoffe, wenn Steinkohlen, Braun— kohlen oder Holz der ſogenannten trockenen Deſtillation unterworfen, d. h. unter Abſchluß von Luft ſtark ev- hitzt werden. Auch, wenn man Alkohol, Eſſig, Aether oder viele andere organiſche, Waſſerſtoff enthaltende Subſtanzen einer hohen Glut ausſetzt, z. B. durch eine zum Glühen erhitzte, eiſerne Röhre leitet, erhält man mehr oder weniger größere Mengen von Naph— thalin. Aus dieſem Grunde findet ſich der genannte Kohlenwaſſerſtoff ſtets im Steinkohlenteer, Holzteer oder Braunkohlenteer und in ähnlichen, aus organi— ſchen Subſtanzen erzeugten Produkten, zu deren Bil— dung eine hohe Temperatur nötig iſt. ) Ueber die, auszugsweiſe auch im „Humboldt“ mit— geteilte Theorie von Prof. Dr. J. J. Rein in dem Vortrag: „Die Bermudasinſeln und ihre Korallenriffe, nebſt einem Nachtrage gegen die Darwinſche Senkungstheorie“ wird in einer ſpäteren Arbeit geſprochen. Im Steinkohlenteer kommt das Naphthalin öfters ſehr reichlich vor und kann 8 Proz. von demſelben ausmachen. Da nun der Steinkohlentheer ſeit einer Reihe von Jahren behufs Darſtellung von Farb— ſtoffen, Karbolſäure, Fleckenwaſſer u. ſ. w. in ſehr beträchtlichen Maſſen, welche man auf circa 6 Mil— lionen Zentner jährlich ſchätzt, verarbeitet wird, ſo ſcheint es nicht unintereſſant zu erfahren, in welcher Weiſe das bei dieſer Verarbeitung erhaltene Naphthalin Verwendung findet und ſich der Menſchheit nützlich macht. Der Kohlenwaſſerſtoff iſt zwar ſchon ſeit dem Jahre 1820, in welchem er von Garden entdeckt wurde, bekannt, ſeine Einführung in die Technik datiert jedoch erſt von dem Zeitpunkte ab, als man für die Gewinnung von Benzol für Anilinfarben größere Mengen von Steinkohlenteer zu deſtillieren anfing, alſo ſeit etwa 20 Jahren. Um das als Nebenprodukt hierbei erhaltene Naphthalin zu ver— werten, verſuchte man ſogleich aus letzterem in ganz analoger Weiſe wie aus Benzol Farbſtoffe darzu— ſtellen und zwar nach denſelben Methoden, nach wel— chen man die Anilinfarbſtoffe gewann. Dieſe Be— mühungen wurden jedoch anfangs nur mit wenig Erfolg gekrönt. Von den damals bereiteten Farbſtoffen hat nur einer, das von Schiendl in Wien entdeckte Naphthalinrot, auch zum Andenken an den abeſſyniſchen Feldzug Magdalarot genannt, wegen ſeiner zarten, roſafarbenen Töne und ſeiner Fluoreszenz die Wuf- merkſamkeit in etwas erhöhtem Maße auf ſich gelenkt. Jener Farbſtoff iſt jedoch heute faſt ganz durch die unten genannten Eoſine verdrängt und wird nur noch wenig dargeſtellt. Geringe Mengen von Naphthalin wurden auch eine kurze Zeit zur Bereitung von Ben- zozſäure nach einem Verfahren verwendet, bei welchem als Zwiſchenprodukt zuerſt Phtalſäure entſteht. Aber alle dieſe Verwendungsarten des Kohlenwaſſerſtoffs ſtanden mit den anſehnlichen Maſſen, welche von dem letzteren gewonnen wurden, in keinem Verhältnis, ſo daß man genötigt war, die Hauptmenge des Naphthalins, um dasſelbe überhaupt los zu werden oder doch in irgend einer Weiſe zu verwerten, zu verbrennen und in einen feinen Ruß zu verwan— deln, welcher dann für Tuſche und Firniſſe benutzt wurde. 262 Humboldt. — Juli 1882. Wie bei vielen andern derartigen Abfällen, welche bei Großbetrieben erhalten werden, hat auch hier die neuerdings ſo weit fortgeſchrittene Wiſſenſchaft auf die Wege hingewieſen, welche zu einer rationellen Verwertung führen. Wenn gleich nun auch heute noch nicht alles Naphthalin, welches man bei der Leuchtgasfabrikation aus Steinkohlen und der Ver⸗ arbeitung des Steinkohlenteers erhält, in ökonomiſcher Weiſe ausgenützt wird, ſo ſind es doch ſehr beträcht⸗ liche und täglich ſich ſteigernde Mengen, welche ent⸗ weder direkt verbraucht oder in wertvolle Produkte umgewandelt werden. Bevor wir einen Ueberblick über die heutige Naph⸗ thalininduſtrie geben, ſoll zunächſt kurz der Methode gedacht fein, nach welcher der Kohlenwaſſerſtoff aus dem Steinkohlenteer abgeſchieden und in reinem Zu⸗ ſtande gewonnen wird. Zu dieſem Behuf wird der Teer aus ſchmiedeeiſernen Keſſeln, welche mit Deckel und Ableitungsrohr für die Dämpfe ver⸗ ſehen ſind, deſtilliert, und die übergehenden Produkte ſorgfältig abgekühlt und aufgefangen. Zuerſt erſcheint der ſogenannte Vorlauf, ein Ge⸗ menge von niedrig ſiedenden Oelen und ammoniak⸗ haltigem Waſſer, dann folgt das Leichtöl, welches ſeinen Namen davon trägt, daß es leichter als Waſſer ijt und auf demſelben ſchwimmt. Nach dem Leichtöl deſtilliert ein in Waſſer unterſinkendes und daher Schweröl genanntes Produkt. Hiervon erſtarren die letzten, grün gefärbten Anteile zu einer butterartigen Maſſe. Dieſe ijt ſehr wertvoll, weil fie den Kohlen— waſſerſtoff Anthracen, das Ausgangsmaterial für das künſtliche Alizarin, enthält. Sie wird daher auch als Anthracenöl bezeichnet. Den in dem Deſtillierkeſſel bleibenden Rückſtand läßt man ausfließen, worauf derſelbe nach dem Erkalten zu einem glänzend ſchwarzen Pech erſtarrt, welches als künſtlicher Asphalt zur Pflaſterung von Straßen, zur Anfertigung von Leitungsröhren und zahlreichen anderen Zwecken be- nutzt wird. Die letzten Anteile des Leichtöls und die erſten des Schweröls bilden das Ausgangsmaterial für das Naphthalin. Letzteres ſcheidet ſich nach dem Erkalten dieſer Produkte nach einiger Zeit ab und wird durch Abfiltrieren und Abpreſſen von den öligen Beimen⸗ gungen befreit. Da der Kohlenwaſſerſtoff aber immer noch baſiſche und ſaure Körper einſchließt, ſo werden letztere durch Schwefelſäure und Natronlauge entfernt und ſchließlich der ſo gereinigte Körper der Deſtil⸗ lation oder Sublimation unterworfen, wobei er in rein weißer Geſtalt erhalten wird. In dieſem Zu⸗ ſtande findet das Naphthalin direkt ſchon Verwendung, um z. B. die Leuchtkraft des Leuchtgaſes zu erhöhen. Man hat zu dieſem Zwecke neuerdings auch beſondere kleine Lampen konſtruiert, welche in einer Metall⸗ kapſel Naphthalin enthalten. Das zu „karburierende“ Gas wird durch den Kohlenwaſſerſtoff geführt, be⸗ ladet ſich dabei mit den Dämpfen desſelben und tritt ſchließlich aus einem Brenner, wo es entzündet wird. Die Flamme erwärmt eine über dem Brenner befindliche Metallplatte, welche mit der oben ge⸗ nannten Metallkapſel in Verbindung ſteht und be- wirkt dadurch eine ſchnellere Verdampfung des Naph⸗ thalins und damit eine Erhöhung der Helligkeit der Gasflamme. Eine andere, weit wichtigere Verwendung findet ſeit kurzem das Naphthalin in der Medizin. Es hat ſich nämlich gezeigt, daß der Kohlenwaſſerſtoff ein vorzügliches antiſeptiſches Mittel iſt, welches Schimmelpilze und Bakterien in kurzer Zeit tötet. Bei Wundverbänden und anſteckenden Krankheiten hat es ſich, ſoweit die Verſuche darüber vorliegen, vorzüglich bewährt und ſcheint ſehr geeignet die zur Zeit beſonders häufig benutzten Antiſeptika Karbol⸗ ſäure, Salicylſäure und Jodoform in vieler Beziehung zu erſetzen. Vor der Karbolſäure hat es den großen Vorteil, daß es abſolut ungiftig iſt und daher in jeder beliebigen Menge angewandt werden kann, ohne Störungen zu verurſachen. Alle andern antiſeptiſchen Mittel übertrifft es durch ſeine große Billigkeit. Da ſchon 100 kg reines Naphthalin für 60 Mark zu haben ſind, ſo unterliegt es keinem Zweifel, daß der Körper bald allgemein zu mediziniſchen Zwecken Anwendung finden wird. Niedere Tiere werden durch Naphthalindämpfe leicht vertrieben oder getötet. Aus dieſem Grunde iſt es ſchon längere Zeit als Mittel gegen die Motten ſowohl in Muſeen, beſonders Käferſammlungen, als auch in der Haushaltung im Gebrauch. Neuerdings wird es auch mit Erfolg gegen Krätze angewendet; es dürfte überhaupt gegen Ungeziefer und Inſekten im allgemeinen, namentlich im Sommer, zu em⸗ pfehlen ſein. Alle dieſe Verwendungen des Naphthalins treten in betreff der Menge und Mannigfaltigkeit gegen die⸗ jenigen zurück, welche der Kohlenwaſſerſtoff heute in der Farbentechnik findet. Mehrere tauſend Kilogramm werden davon täglich auf künſtliche Farbſtoffe ver⸗ arbeitet. Vorzugsweiſe ſind es rote Farbſtoffe, welche aus Naphthalin hervorgebracht werden, aber auch gelbe und blaue werden aus ihm erzeugt. Unter den erſteren ſind es beſonders die zahlreichen Repräſen⸗ tanten der Eoſine und der Azofarbſtoffe, welche in ſo reichlicher Menge in den Handel kommen, und deren vorzüglichſte Varietäten in gleicher Weiſe die Cochenille zu verdrängen drohen, wie das künſtliche Alizarin aus dem Anthracen des Teers vor nur kurzer Zeit die im ſüdlichen Frankreich früher ſo blühende Krappinduſtrie lahm gelegt hat. Es iſt ſehr bemerkenswert, daß dieſe künſtlichen, aus dem Naphthalin gebildeten Farbſtoffe nicht zufällig entdeckt, ſondern das Reſultat umfangreicher, wiſſen⸗ ſchaftlicher Unterſuchungen ſind. Dabei hat ſich von neuem gezeigt, wie fruchtbringend es für die Wiſſen⸗ ſchaft und Induſtrie iſt, wenn Theorie und Praxis enge zuſammengehen und ſich gegenſeitig fördern und ergänzen. Während die Wiſſenſchaft von der Induſtrie durch die Beſchaffung von Ausgangsmaterialien zu den Unterſuchungen unterſtützt wird, gibt ſie ander⸗ ſeits wertvolle Fingerzeige zur Ausnützung von Er⸗ findungen und Verwertung bisher nutzloſer Abfall⸗ Humboldt. — Juli 1882. 263 — voll gefärbte Subſtanzen verwandelt werden können, nähert ſich die Hoffnung jener Enthuſiaſten der Er— füllung, welche die Farben von Blüten einer unter gegangenen, in Kohle verwandelten Pflanzenwelt in den künſtlichen Farbſtoffen aus Steinkohlenteer ihre Auferſtehung feiern laſſen. ſtoffe. So hat ſie alſo auch auf die rationelle Ver— | wendung des Naphthalins, dieſes früher faſt wert: loſen, nur beläſtigenden Nebenproduktes der Anilin— farbenfabrikation hingewieſen. Und mit dem Eintritt des Naphthalins in den Kreis der andern, aus dem Steinkohlenteer erzeugten Stoffe, welche in pracht— Dr. Bjerknes hydrodpnamiſche Verſuche. Ingenieur Th. Schwartze in Leipzig. benbezeichnete Verſuche, von denen wir ſchon in Nr. 5 dieſer Zeitſchrift einleitend kurz berichteten, bietet, in ihrem ganzen Umfange betrachtet, außer— gewöhnliches Intereſſe und ſind ſehr wohl geeignet, einiges Licht in das bisher noch ganz dunkle Gebiet der magnetiſchen und vielleicht auch elektriſchen Er— ſcheinungen zu werfen. Die Verſuche haben im all— gemeinen auf die folgenden beiden Thatſachen geführt: Pulſierende Körper wirken aufeinander wie ein— zelne Magnete. Schwingende Körper wirken aufeinander, ſowie auf pulſierende Körper, wie vollſtändige Magnete. Mit Benutzung eines ausführlichen Artikels in dem engliſchen Fachblatte „Engineering“ teilen wir dar- über in Kürze folgendes mit: Fig. 1 illuſtriert den von Dr. Bjerknes zum Nachweis der Wirkung pulſierender oder vibrierender Fig. 1. Körper auf zwei kleine ſchwingende Kugeln be— nutzten Apparat, der mit der in unſerm erſten Artikel erwähnten Luftpumpe in Verbindung geſetzt wurde; derſelbe beſteht aus einem Rahmen aa, der oberhalb Humboldt 1882. mit einem kleinen Cylinder A verſehen iſt, worin ſich ein Kolben befindet. Das obere Ende des Cylinders iſt durch ein Kautſchukrohr mit der Luftpumpe ver- bunden, ſo daß über dem Kolben abwechſelnd Luft— verdichtungen und Luftverdünnungen bewirkt werden können, wodurch der Kolben im Cylinder C eine auf— und niedergehende Bewegung erhält. Die Kolben— ſtange greift an dem Ende eines kleinen Winkel— hebels an, der ſeinen Drehpunkt am Geſtell hat und deſſen andrer Arm eine im Geſtell aa geführte Querſtange bb bei ſeiner Bewegung hin- und her— ſchiebt. Die Bewegung der Stange bb wird durch eine am Rahmen befeſtigte Blattfeder e unterſtützt. Mit der Stange bb find zwei nach unten vereinigte Stangen dd verbunden, welche eine Querſtange mit den an deren Enden befeſtigten leichten Metallkugeln K, K trägt. In der vollgezeichneten ſchattierten Dar— ſtellung der Kugeln K, K“ bewegen ſich dieſelben durch den Antrieb des beſchriebenen Mechanismus geradlinig hin und her, wird aber die Kugelſtange rechtwinkelig zur Ebene des Rahmens aa geſtellt, wie dies die punktierte Darſtellung der Kugeln in Fig. 1 zeigt und dann mit ihrem Träger dd feſt verbunden, ſo erfolgt eine rotierende Bewegung der Kugeln, woran der ganze danach eingerichtete Rahmen aa teilnimmt. Es kann auch der Apparat ſo einge— richtet werden, daß nur eine am Träger dd aufge- hängte Kugel in pendelartige Schwingungen verſetzt wird, wie dies Fig. 2 andeutet. Fig. 2. Die Verſuche fanden nun in folgender Weiſe ſtatt: In Fig. 3 find K K“ die beiden oszillierenden Kugeln, welche im punktiert angegebenen Kreiſe frei 34 s 264 Humboldt. — Juli 1882. um den Mittelpunkt O rotieren, in welchem Punkte man ſich die Achſe des Apparats vertikal zur Ebene der Zeichnung zu denken hat. P iſt eine einfache oseillierende Kugel, wie dies Fig. 2 angibt. In Fig. 3 haben nun die beiden Kugeln K und P ent- Fig. 3. gegengeſetzte Schwingungen, wie aus den punktierten Kugelumriſſen erſichtlich ijt; das Reſultat wird eine Abſtoßung ſein, wie dies der Pfeil an Kugel K an⸗ deutet. Wird anderſeits der Kugel Keine ähnlich oszillierende Kugel P“ genähert, fo iſt das Reſultat der ähnlichen Oseillationen eine Anziehung. In Fig. 4 iſt im Diagramm die Analogie der magnetiſchen Wirkung dieſes Verſuchs dargeſtellt. Fig. 4. Hier iſt die horizontal um den Punkt O rotierende meſſingene Stange an ihren Enden mit kleinen Stab⸗ magneten NS verſehen, während N“8“ zwei andre kleine Stabmagneten ſind, die mittelſt geeigneter Handheben den drehbaren Magneten genähert werden können. Bei der Annäherung links, wo gleiche Pole aufeinander einwirken, erfolgt eine Abſtoßung und bei der Annäherung rechts, wo ungleiche Pole auf⸗ einander einwirken, eine Anziehung. Eine Beſprechung der ſämtlichen auf dieſe Klaſſe von magnetiſchen Erſcheinungen bezüglichen Experi⸗ mente würde hier zu weit führen. Nur einiges über die Nachahmung der diamagnetiſchen Wirkungen mittelſt pulſierender Körper ſei hier noch erwähnt. Fig. 5 Fig. 5. illuſtriert den von Dr. Bjerknes hierzu benutzten, ſehr einfachen Apparat, derſelbe diente zum Nachweis des Einfluſſes, welchen das ſpezifiſche Gewicht bei der Einwirkung pulſierender oder oszillierender Körper ausübt. An einem Stativ aus ſtarkem Drahte hängt einerſeits an einem Seidenfaden ein kleiner Cylinder A aus Siegellack oder Metall, anderſeits ein Cy⸗ linder B aus Kork oder leichtem Holze; die beiden Cylinderachſen befinden ſich in einer Horizontalebene. Merkwürdigerweiſe werden dieſe beiden Cylinder von der erwähnten pulſierenden Trommel in ganz verſchiedener Weiſe beeinflußt. Wird nämlich die pulſierende Trommel T (Fig. 6) in die Nähe des Fig. 7. Fig. 6. ſpezifiſch ſchwereren Cylinders A gebracht, jo ſtellt dieſer ſich ſofort mit ſeiner Achſe parallel zur Achſe der pulſierenden Trommel, d. h. winkelrecht zur Vibrationsrichtung des Membrans. Bringt man da⸗ gegen die pulſierende Trommel in die Nähe zu dem ſpezifiſch leichteren Cylinder B, ſo ſtellt dieſer ſich als⸗ bald winkelrecht zur Trommelachſe, d. h. parallel zur Vibrationsrichtung des Membrans (Fig. 7). Noch klarer treten dieſe merkwürdigen Erſchei⸗ nungen mit Anwendung der in Fig. 7 und 8 dar⸗ geſtellten Apparate hervor. Fig. 8 zeigt eine kleine, aus einem ſpezifiſch ſchwereren Material als Waſſer beſtehende Kugel K, welche mittels eines Fadens an einem Korke aufge⸗ hängt iſt, der ſie im Waſſer ſchwimmend erhält. In Fig. 9 iſt K eine ähnliche Kugel, die aber ſpezifiſch leichter als Waſſer iſt und die mittels eines Fadens an einem Drahte befeſtigt iſt, der beiderſeits durch angehängte Korke in horizontaler Lage ſchwimmend erhalten wird. Wird nun die pulſierende Trommel oder die oszillierende Kugel (Fig. 2) in der Nähe der ſchwimmenden ſpezifiſch ſchwereren Kugel (Fig. 8) gebracht, fo wird dieſelbe angezogen, während da⸗ gegen unter denſelben Umſtänden die ſpezifiſch leichtere Kugel (Fig. 9) abgeſtoßen wird. Es treten alſo hier wiederum die Analogieen der hydrodynamiſchen Erſcheinungen mit den magnetiſchen Kraftwirkungen überraſchend deutlich hervor, denn der ſpezifiſch ſchwerere Körper benimmt ſich unter dem Einfluſſe der pulſierenden Trommel wie ein Stück weiches Eiſen unter dem Einfluſſe eines Mag⸗ nets, d. h. es erfolgt Anziehung, während der ſpe— zifiſch leichtere Körper ſich wie ein diamagnetiſcher Körper unter dem Einfluſſe eines ſtarken Magnets verhält. Mit Bezug auf dieſe Verſuche iſt nicht außer acht zu laſſen, daß das Medium, worin die Körper ſich befinden, eine ebenſo wichtige Rolle bei den Erſchei— nungen ſpielt, wie die oszillierenden Körper ſelbſt und dieſe Thatſache hebt die Verwandtſchaft zwiſchen den hydrodynamiſchen und diamagnetiſchen Erſchei— nungen noch auffälliger hervor, indem hier die Wir— kung des Waſſers an die Stelle der geheimnisvollen Fernewirkung tritt oder das von Faraday ange— nommene ätheriſche Medium erſetzt. Wenn man die Körper im allgemeinen, gleichviel, ob dieſelben feſt, flüſſig oder gasförmig ſind, als der magnetiſchen Anziehung unterworfen betrachtet, ob— ſchon dabei der Grad der Einwirkung verſchieden ſein mag, jo tritt die Mitwirkung des Mediums hinſicht— lich der Natur der Erſcheinungen ſofort in ſeiner ganzen Bedeutſamkeit hervor. Beſitzt ein Körper ſtärkere magnetiſche Eigenſchaften, als das ihn um— gebende Medium, ſo wird derſelbe, ſobald er in ein magnetiſches Feld gebracht wird, dem direkten mag— netiſchen Einfluſſe unterliegen und es wird Anziehung ill erfolgen. Iſt dagegen das den Körper umgebende Medium ſtärker magnetiſch, als der unter Beob— achtung geſtellte Körper, ſo tritt die Erſcheinung des Diamagnetismus auf. Wir kommen ſchließlich noch auf einen andern Zweig dieſer intereſſanten Verſuche zu ſprechen, in welchen Dr. Bjerkens ein ſogenanntes hydromag— netiſches Feld durch die Wirkung zweier pulſierender Trommeln, welche in gleicher Achſe und in kurzer Entfernung voneinander ſich befinden, hervorbringt. Fig. 10. In dieſem Raume oder hydromagnetiſchen Felde ließ Dr. Bjerkens kleine Körper ſchwimmen, wie die kleine in Fig. 10 illuſtrierte Kugel K und brachte da- durch eine Reihe ſehr merkwürdiger, den magnetiſchen analoge Erſcheinungen hervor. Befindet ſich eine pulſierende Trommel oberhalb und eine zweite pulſierende Trommel unterhalb, jede in Humboldt. — Juli 1882. 265 gleicher Entfernung von der kleinen Kugel und beide achſial zueinander geſtellt und oszillieren ihre Mem— brane in gleicher Richtung, indem die eine ſich ein— baucht, während die andre ſich ausbaucht, ſo ſtellt ſich die kleine ſchwimmende Kugel achſial zu den oszillierenden Trommeln, wie Fig. 11 illuſtriert; wird die ſchwimmende Kugel aus ihrer Stellung her— ausbewegt, doch ſo, daß ſie noch innerhalb des Wir— kungsfeldes der Trommeln bleibt, ſo kehrt ſie ſtets wieder in ihre Stellung zurück; die Kugel verhält Fig. 11. Fig. 12. ſich alſo in dieſem Falle wie ein Stück weiches Eiſen, das zwiſchen den entgegengeſetzten Polen zweier Mag- nete freibeweglich iſt, alſo etwa auf einem Stück Kork ſchwimmt. Pulſieren die Trommeln in ungleicher Richtung, indem ſie ſich gleichzeitig ein- oder ausbauchen, ſo wird die ſchwimmende Kugel bis auf eine gewiſſe Entfernung aus der Achſenrichtung der Trommeln fortgetrieben, wie dies Fig. 12 illuſtriert, die Kugel verhält ſich alſo unter der Wirkung der pulſierenden Trommeln wie ein ſchwimmendes Eiſenſtück zwiſchen den gleichartigen Polen zweier Magnete. Fig. 13 illuſtriert endlich noch das von zwei pul⸗ ſierenden Trommeln TT’ hervorgebrachte Kraftlinien— feld. Die Röhren der beiden Trommeln ſind durch Fig. 15. eine durchlochte Glasplatte geführt, welche auf dem Waſſerſpiegel gehalten wird. Unterhalb der Glas- platte ijt ein hohler Cylinder C aus dünnem Blech auf einem dünnen elaſtiſchen Stahldrahte befeſtigt, ſo daß der Cylinder ſich unter dem Einfluſſe der pulſierenden Trommeln nach allen Seiten hin leicht 266 Humboldt. — Juli 1882. bewegen kann. Am oberen Ende des Cylinders iſt ein mit Farbe gefüllter Kamelhaarpinſel befeſtigt, deſſen Spitze die Glasplatte gerade berührt. Unter dem Einfluſſe der pulſierenden Trommeln verzeichnet der Pinſel auf der Glasplatte Linien, die den mag⸗ netiſchen Kraftlinien ganz analog ſind. f Intereſſante Kinder der ſiebenbürgiſchen Flora. Don Julius Römer, Lehrer für Naturwiſſenſchaften in Aronſtadt (Siebenbürgen). ie Pflanzenwelt Siebenbürgens, dieſes aus den Tiefebenen Ungarns, der Wallachei und der Moldau gleich einer Feſtung ſich erhebenden Hoch— landes, ſchließt ſich zwar im großen und ganzen an jene Mitteleuropas an, hängt aber auch mit anny => Fig. 1. Hepatica transsilvanica Fuss. den Floren der pontiſchen Länder und Sibiriens durch manche vermittelnde Form zuſammen. Wenn beiſpielsweiſe Siebenbürgen von 257 holzartigen Gewächſen auch 139 = 54% mit dem Rhein⸗ gebiete gemeinſam hat, ſo beſitzt es anderſeits von 112 holzartigen Gewächſen Beſſarabiens 99, von 116 der Ukraine 94 und von 147 der Krim 89. Siebenbürgen hat ſogar mit der Krim und der J. Ukraine je 6 holzartige Gewächſe gemein, welche Mit der Flora des Rheingebietes mangeln. keinem der genannten Gebiete teilt dagegen Sieben⸗ bürgen etwa 70 holzartige Gewächſe n). Auch mit dem Kaukaſus und mit Sibirien hat Sieben⸗ (112.) bürgen manche Pflanzen gemein, welche der mittel- europäiſchen Flora fehlen. Polygala sibirica, Alium ) Die Quellen dieſer Zuſammenſtellung find: Tſcher⸗ njajew, Ueber die Wälder der Ukraine. Döngingk, Verzeichnis der Holzpflanzen Beſſarabiens. Chr. v. Steven, Verzeichnis der auf der tauriſchen Halbinſel wildwachſen⸗ den Pflanzen. Moskau 1857. Boſiner, Beſchreibung Humboldt. — Juli 1882. 267 sibiricum, Plantago sibirica, Waldsteinia sibirica find einige Belege dafür. So geben denn ſolche Beziehungen der ſieben— bürgiſchen Pflanzenwelt ein ungewöhnliches Intereſſe, welches noch durch den Umſtand erhöht wird, daß Siebenbürgen manche ihm eigentümliche oder wenig— ſtens in ihm zuerſt gefundene Pflanzenſpezies beſitzt. Mit den wichtigſten derſelben die Leſer des „Hum— boldt“ bekannt zu machen, dürfte nicht unnütz ſein. An die Spitze der Reihe intereſſanter Kinder der ſiebenbürgiſchen Flora ſtelle ich eine Pflanze, die ſchon ſeit mehreren Jahren in Hunderten von Exemplaren den botaniſchen Tauſchvereinen in den verſchiedenſten Ländern und Städten durch unſern tüchtigen fieben- bürgiſchen Botaniker Joſeph Barth (evangel. Pfarrer in Langethal) zugeſendet worden iſt und nach der trotzdem noch immer ſolche Nachfrage iſt, daß ich auch in dieſem März abermals mehrere Hunderte geſam— melt und an Herrn Barth zur Präparation ge— ſendet habe. Der ſozuſagen klaſſiſche Standort dieſer Spezia⸗ lität der ſiebenbürgiſchen Flora — der Hepatica transsilvanica — iſt „die Zinne“ oder der Kapellen— berg bei Kronſtadt, ein dicht hinter der Stadt ſteil aufſteigender, mit ſchönem Buchenwald bedeckter Berg— rücken (994 m Höhe), welchem Kronſtadt mit ſeine unvergleichlich herrliche Lage verdankt. Im Oktober des Jahres 1846 wurde dieſe Pflanze vom damaligen Aſſiſtenten am Naturalienkabinett in Wien, Th. Kotſchy an der Zinne gefunden und als neu erkannt, war aber ſchon drei Jahre früher dem Botaniker M. Bielz bekannt geworden. Von meh—⸗ reren Namen, welche fie erhielt, nämlich H. angu- losa Schott-Kotschy, H. multiloba Schur., Ane mone angulosa Lam. und An. pedata Rafin, ob⸗ gleich ihre Identität mit den zwei letzteren nicht er- wieſen iſt, blieb ihr der ihre Heimat bezeichnende Name H. transsilvanica, welchen ihr der Altmeiſter der ſiebenbürgiſch-deutſchen Botaniker, Superintendenzial⸗ vikar Michael Fuß gegeben hat. Er hat auch die erſte genaue Beſchreibung derſelben veröffentlicht. (Mitteilungen des naturhiſtoriſchen Vereins in Sieben- bürgen. 1850. Heft 1.) Kaum hat, gewöhnlich Ende März oder Anfang April, der oft allzulange Winter ſein Regiment an den Frühling abgetreten, ſo erheben ſich aus dem Mulm vermoderter Blätter die zarten Blütenknoſpen unſerer ſchönen Hepatica. In wenigen Tagen iſt der flaumig behaarte Blütenſtiel fingerlang geworden und trägt einen meiſt neunſtrahligen großen Stern von wunderbarer, himmelblauer Farbe). Den Mittel— punkt derſelben bilden die grünlich-gelben Stempel, des Kiewſchen Gouvernements. Döll, Rheiniſche Flora. Beſchreibung der wildwachſenden und kultivierten Pflanzen des Rheingebietes vom Bodenſee bis zur Moſel und Lahn. Frankfurt 1843. M. Fuß, Flora transsilvanica excur- soria. Hermannſtadt 1866. *) Selten iſt die Korolle weiß oder roſa gefärbt, welche Farbe dann auch die Staubfäden zeigen. welche in ſchönem Kranze die auf blauen Staubfäden ſchaukelnden weißen Staubkölbchen umgeben. — Bald wächſt eine zweite Blüte aus ſchuppigem Grund her— vor, an dem ſich jetzt auch zwei über und über mit ſeidenartig glänzenden Haaren bedeckte, nickende Blätter zeigen. Noch ſtehen hinter ihnen, ſie gleichſam ſchützend und ſchirmend, die großen, viellappigen, lederartigen, grünbraunen Blätter, die unter dem Schnee aus— dauernd, nun der Jugend das Feld räumen müſſen. — Bald zerzauſt der wilde Märzwind die ſchönen Blüten und während im dreizähligen Kelche ſich die Früchtchen entwickeln, wächſt nun auch das dritte Laubblatt nach. Im April ſind dann dieſe ausge— gewachſen und überziehen mit friſchem Grün den felſigen, ſchattigen Boden, deſſen Kühle und Feuch— (23.) Fig. 2. Crocus banaticus Heuffel. tigkeit das ſiebenbürgiſche Leberblümchen ſo ſehr liebt. Als echte Kalkpflanze findet es ſich nur ausnahms- weiſe noch auf Trachyt und zieht die kühle nördliche Lage jeder andern vor. — Mit Recht aber iſt es der Liebling der frühlingsfrohen Menſchen geworden und macht dem Schneetröpfchen (Gal. nivalis) be⸗ denkliche Konkurrenz. Am ſchönſten iſt es freilich, beide in ſchönem Vereine blühen zu feben, beſonders wenn der ſtolze Hundszahn (Erithronium deus canis) ſein lebendiges Rot dem Weiß und Blau zugeſellt, ſo daß der Waldboden zum ſchön geſtickten Teppich wird, wie ihn ſchöner keines Menſchen Hand erzeugen könnte. Während an dieſer, von ſo wenigen geahnten Frühlingspracht dein Auge ſich ergötzt, biſt du höher und höher geſtiegen und ſtehſt auf der Spitze „der 268 Humboldt. — Juli 1882. Zinne“. Unter dir die in die Berge hineingezwängte Stadt, hinter dir die blendendweißen Gipfel der Kar⸗ pathen; — wahrhaftig ein wundervolles Bild! Wir wandern dem Hochgebirge zu und gelangen auf eine Waldwieſe. Ueberall iſt es noch winterlich ſtill und tot, grau und braun iſt Baum, Strauch und Erde. Kaum hat ſich die winzige Draba verna, die Carex praecox und montana oder die Potentilla verna aus dem ſchützenden Schoß der Humusdecke heraus⸗ gewagt. Doch ſiehe! Welch rötlicher Schimmer zieht dein Auge zu jenen Sträuchern hin? Welcher Wag⸗ hals will dem noch überall lauernden Winter trotzen? — Es iſt der hübſche Crocus banaticus, den zwar Neilreich nur als eine Varietät des Crocus vernus beſtehen laſſen möchte. Auffallend iſt aber immer⸗ hin die Färbung des Perigons. Die violettrötliche Farbe desſelben iſt mit dem Glanze der Seide ver⸗ einigt und jeder Perigonalzipfel trägt am Ende einen dunkleren Fleck in Geſtalt zweier mit den Spitzen ſich berrührender Halbmonde. Eng preſſen ſich die weißen oder weißlich⸗grünen Scheiden an den Blüte⸗ ſchaft und neugierig gucken die zwei linealen Blätt⸗ chen mit weißen Rückenſtreifen hervor. Crocus banaticus vikariert in Siebenbürgen den Crocus vernus und die Hepatica transsilvanica vertritt im Kalkgebirg die Hep. triloba, welche ſich mehr im Hügellande des mittleren Siebenbürgens findet. Und auch jenes ſtattliche Gewächs, welches tiefer im Strauchwerk drin ſein Haupt erhebt, die Helleborus purpurascens iſt eine ſiebenbürgiſche Stell⸗ vertreterin der Hell. viridis und iſt durch ihre äußer⸗ lich düſter purpur⸗violett gefärbte, ſtets zu zweien ſtehenden Blüten genügend charakteriſiert. So ſind denn ſchon die Erſtlinge der wieder⸗ erwachten Natur Repräſentanten einer ſpezifiſchen ſiebenbürgiſchen Flora. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. Ph yſik. Die Dampfſpannung der Flüſſigkeitsgemiſche. Konowalow, Wied. Ann. Bd. 14. S. 34 — 52 und 219 226. Nach dem Daltonſchen Geſetze erhält man die Spann⸗ kraft eines Gemiſches von unter ſich indifferenten Gaſen durch Addition der Spannkräfte der einzelnen Gaſe. Ebenſo verhalten ſich nach Unterſuchungen von Regnault und Magnus die geſättigten Dämpfe ſolcher Flüſſigkeiten, die nicht ineinander löslich ſind. Bei ineinander gelöſten Flüſſigkeiten tritt nach Unterſuchungen derſelben Autoren ſtets ein Verluſt von Spannkraft ein. Bei Flüſſigkeiten, die ſich nur in begrenzter Menge in einer andern löſen, wie z. B. Aether und Waſſer, erreichte die Spannkraft des Gemiſches kaum die der flüchtigeren Flüſſigkeit. Bei Flüſſigkeiten dagegen, die ſich in allen Verhältniſſen miſchen, war die Spannkraft des Dampfes ſtets kleiner als die der flüchtigeren Flüſſigkeit und größer als die der weniger flüchtigen und zwar verſchieden nach dem Mengeverhältnis der einzelnen Flüſſigkeiten. Seit längerer Zeit waren aber Ausnahmen von dieſer Regel bekannt. So hatte Roscoe gezeigt, daß ein Gemiſch von 77,5 %% Ameiſenſäure in 22,5% Waſſer konſtant bei 107° ſiedete, während der Siedepunkt der Ameiſenſäure 101,1“ iſt. Es war alſo hier die Spannkraft des Dampfes geringer, als die jeder einzelnen Komponente. Um zu ermitteln, in welchem Zu⸗ ſammenhange das Verhalten der Stoffe in Dampfform mit dem im flüſſigen Zuſtande ſtände, unterſuchte Kono⸗ walow die Miſchungen von Waſſer mit der Alkoholreihe Cn Hen + 2 0 und der Säurereihe Cn Han O2. Die erſten Glieder dieſer Reihen miſchen ſich in allen Verhältniſſen mit Waſſer. Vom 4. Gliede der Alkoholreihe, ſowie vom 5. der Säurereihe bilden ſich ſchon 2 differente Schichten, von denen die eine der reinen Flüſſigkeit ſich um ſo mehr nähert, je höhere Glieder man nimmt. Nach zwei Methoden iſt bekanntlich die Spannkraft der Dämpfe bisher unterſucht. Nach der einen wird die Siedetemperatur einer Flüſſigkeit bei einem gemeſſenen äußern Drucke beſtimmt, nach der andern wird bei einer beſtimmten Temperatur die Spannkraft des Dampfes unter⸗ ſucht, der ſich in einem freien, d. h. von keinem Gaſe er⸗ füllten Raume entwickelt. Die letzte Methode wurde ange⸗ wendet und zwar in einer etwas modifizierten zuerſt von Magnus angegebenen Verſuchsanordnung. Für jede Flüſſig⸗ keit wurde eine Anzahl Miſchungen nach der Wage herge⸗ ſtellt und ihre Spannkraft bei möglichſt gleichen Tempe⸗ raturen unterſucht. Die erhaltenen Reſultate wurden graphiſch dargeſtellt, indem die Prozentgehalte als Abſeiſſen und die Spannkraft als Ordinaten einer Kurve dargeſtellt wurden. Dieſe Kurven zerfielen in 3 Gruppen. 1) Kurven mit Maximum (Propylalkohol, Butyl⸗ alkohol, Butterſäure). 2) Kurven mit Minimum (Ameiſenſäure). 3) Kurven ohne Maximum und Minimum. a) ſteigende (Methyl⸗ und Aethylalkohol); b) fallende (Eſſigſäure, Propionſäure). Für die zwei erſten Gruppen ergab ſich, daß jede Miſchung bei der Temperatur, bei der das Maximum oder Minimum eintritt, dieſelbe Zuſammenſetzung hat wie ihr Dampf. Es iſt alſo ein Maximum oder Minimum die notwendige und hinreichende Bedingung, daß ein Flüſſig⸗ keitsgemiſch einen kon ſtanten Siedepunkt hat. Bei der dritten Gruppe exiſtiert kein Miſchungs⸗ verhältnis, deſſen Zuſammenſetzung identiſch mit der des Dampfes wäre. Es ändert ſich hier bei konſtanter Tem⸗ peratur ſtets die Spannkraft oder bei konſtantem äußern Druck die Siedetemperatur, es gibt alſo unter dieſer Gruppe keine Flüſſigkeit mit konſtantem Siedepunkt. Bei Flüſſigkeiten, die ſich nicht in jedem Verhältnis miſchen, bei denen zwei Schichten auftreten, ergab ſich ebenſo wie bei einem Gemenge von verſchiedenen feſten Körpern und Flüſſigkeiten, die zwei Schichten bildeten, daß die Dampf⸗ ſpannung und Zuſammenſetzung beider Schichten gleich waren. B. Aleber die Cichtenbergiſchen Figuren (eleßtriſche Staubſiguren). E. Reitlinger und Fr. Wächter Wied. Ann. 14. S. 591 610. Läßt man von einer metalliſchen Elektrode auf eine Humboldt. — Juli 1882. 269 nicht leitende Platte, z. B. von Harz oder Kautſchuk Elektrizität ausſtrömen, und beſtreut die Platte nachher mit Vil larſyſchem Gemenge (Miſchung von Schwefel⸗ blumen und Mennig) jo erhält man auf der Platte gelbe Strahlenfiguren (Fig 1) oder rote Scheibenfiguren (Fig. 2), 25 AIS Fig. 1. Fig. 2. je nachdem der aus der Elektrode austretende Strom po- ſitiv oder negativ war. Man verſuchte dieſe Erſcheinung durch einen eigentümlichen Bewegungszuſtand der Luft rings um die Elektrode zu erklären. Die durch Reibung poſitiv gewordenen roten Mennigteilchen ſetzten ſich an den negativ elektriſchen Stellen der Platte feſt, die nega— tiven Schwefelteilchen an den poſitiven. Reitlinger und Wächter hatten bei einer Unter- ſuchung „Ueber elektriſche Ringfiguren“ (Humboldt I. S. 32) gefunden, daß die dort erwähnten Aufſtreuungs— ringe durch Losreißung materieller Teile der poſitiven Elektrode entſtänden. Auf Grund dieſer Erfahrung ſtellten ſie die verſchiedenartigſten, ſehr intereſſanten Experimente an, die zu einer weit befriedigenderen Erklärung der Fi— guren führen. Beſtanden die Elektroden aus guten Leitern, jo er— hielt man bei Anwendung des poſitiven Stromes ſtets gelbe Strahlenfiguren. Beſtanden die Elektroden aus Halbleitern, ſo gab es gelbe ſcheibenförmige Figuren, beſtanden ſie aus Nicht— leitern, ſo zeigten ſich gar keine Figuren. Bei den Halbleitern entſtanden aber nur dann ſcheiben⸗ förmige Figuren, wenn ſie ſtaubfrei waren. Bei der Be— nützung von Holzſtäben als Elektroden, die längere Zeit im Zimmer gelegen hatten, erhielt man eine gemiſchte Figur (Fig. 3), eine Scheibe, die von einer mehr oder | | hy, 10 | i if 4 HAA Fig. 3. | minder großen Anzahl radialer Striche durchzogen war. Benützte man jedoch die Holzſtäbe raſch hintereinander zur Erzeugung von mehreren Figuren, ſo nahmen die radialen Streifen immer mehr ab, bis man ſchließlich wieder eine vollſtändige Scheibenfigur erhielt. Wurde jedoch jetzt die Holzſtange mit einem feinen Metallſtaube beſtreut, ſo gab es vollſtändige Strahlenfiguren, wie fie Fig. 1 zeigte. Dieſe Experimente führten zu dem Schluſſe, daß die po- ſitive Strahlenfigur dadurch entſteht, daß einzelne poſitiv elektriſierte Teilchen in feſtem oder flüſſigem Agregatzu⸗ ſtande ſich von der Spitze in der Richtung ihrer Elektrizi⸗ tätsübertragung entfernen, ſchief von der Spitze nach der Harzplatte fahren und auf derſelben radial vom Fußpunkt der Spitze fortſchleifen. Dieſe Teilchen erzeugen poſitiv elektriſierte Striche auf dem Harze, welche, durch Beftau- bung ſichtbar gemacht, die gelbe Strahlenfigur bilden. Bei Halbleitern iſt zur Erzeugung ſtrahlenförmiger Figuren das Vorhandenſein von ſtaubförmigen Partikelchen erfor⸗ derlich, ſonſt erfolgt die Entladung durch die Gasteilchen und erzeugt ſcheibenförmige Figuren. Bei Anwendung des negativen Stromes wurden ſtets rote ſcheibenförmige Figuren erzeugt, ohne die geringſte Andeutung eines radialen Striches, es mochten die Elek— troden aus guten halben oder ſchlechten Leitern beſtehen. Es entſteht alſo die negative Scheibenfigur ebenfalls durch Gasentladung. Aus der Färbung der Figur läßt ſich nicht ſchließen, ob dieſelbe eine poſitiv oder negativ elektriſche iſt. Blies man nämlich das Villarſyſche Gemenge, an- ſtatt es durch Muſſelin durchzubeuteln, aus der engen Oeffnung einer Glasröhre heraus, ſo wurden durch die Reibung an Glas die Schwefel- und Mennigteilchen ent⸗ gegengeſetzt elektriſiert als bei der Reibung durch Muſſelin. Man erhielt ſo bei poſitiver Entladung rote Strahlen- und rote Scheibenfiguren. B. E he m te. Neue Indikatoren für die Alkalimetrie. Prof. G. Lunge in Zürich hat ſchon früher, auch in ſeinem Handbuch der Sodainduſtrie, an Stelle des Lackmus das Dimethylanilinorange oder Orange III von Poirrier als Indikator für alkalimetriſche Beſtimmungen empfohlen. In ſeinem Bericht an die letzte Generalverſammlung des Vereins deutſcher Sodafabrikanten, welchen die „Chemiſche Induſtrie“ zum Abdruck bringt und auf den wir wegen ſeiner bemerkenswerten Mitteilungen über zweckmäßige Unterſuchungsmethoden von Produkten der chemiſchen Groß⸗ induſtrie beſonders aufmerkſam machen, wird die Empfeh— lung wiederholt und dieſer Indikator allen andern vor- gezogen. Mit Hilfe des genannten Farbſtoffs, welcher aus der Fabrik von Dr. Th. Schuchhardt in Görlitz zu beziehen ijt, können außer ätzenden auch kohlenſaure und Schwefel— alfalien in der Kälte ſcharf austitriert werden, da Schwefel- waſſerſtoff den Farbſtoff ebenſo wenig wie Kohlenſäure verändert; unterſchwefligſaure Salze wirken nicht ein. Als Probeſäuren darf man ſich nur der Mineralſäuren, nicht der Oxalſäure bedienen. Die große Zeiterſparnis, gar nicht von derjenigen an Brennmaterial zu reden, beim Titrieren von Rohſoda, kaleinierter Soda und in allen andern Fällen, wo man die Operation bei Lackmus nur durch Kochen beendigen kann, wird jedem, der ſich einmal dieſes Verfahrens bedient hat, klar ſein. Die Gingelreful- tate ſtimmen unter ſich und mit den Reſultaten der Ti⸗ trierung mittelſt Lackmus überein. Der etwas hohe Preis des Methylorange iſt kein Hindernis, da wenige Gramme davon für lange Zeit ausreichen, wodurch es ſogar billiger als Lackmus zu ſtehen kommt. Man kann dabei auch ohne Anſtand die Normalnatronlauge durch eine viel ſicherer herzuſtellende und im Gebrauch angenehmere Lö⸗ ſung von kohlenſaurem Natron erſetzen. Uebrigens darf man mit Methylorange nur in der Kälte arbeiten und ſoll von der wäſſerigen Löſung nur ganz wenig zuſetzen. Zur Titration von Aetzalkalien neben kohlenſauren Alkalien bedient ſich Lunge des von Degener vorge— ſchlagenen Phenacetolins, welches erhalten wird, indem man gleiche Moleküle Phenol, konz. Schwefelſäure und Eſſigſäureanhydrid längere Zeit am Rückflußkühler erhitzt. Der zu unterſuchenden alkaliſchen Löſung werden einige Tropfen des Indikators zugeſetzt, ſo daß eine kaum merk⸗ liche gelbe Färbung entſteht; man läßt darauf Normalſäure einlaufen und lieſt deren verbrauchte Menge ab, wenn die Färbung in ſchwach Roſa umgeſchlagen iſt und dauernd ſo bleibt; jetzt iſt alles Aetzalkali geſättigt. Man ſetzt nun mehr Säure zu, wobei die Farbe erſt ſtark rot, dann gelbrot wird; im Augenblick, wo alles kohlenſaure Alkali geſättigt iſt, geht das Rot oder Gelbrot plötzlich und ſcharf in Goldgelb über, eine neue Ableſung der ver⸗ brauchten Säure gibt nun auch das vorhandene kohlenſaure Alkali an. Mit dem Phenacetolin als Indikator kann auch Aetz⸗ kalk raſch und ſicher titriert werden, z. B. im gewöhnlichen gebrannten Kalk. Man wiegt zu dem Zweck eine größere Probe von 100 —150 fg ab, löſcht vollſtändig, bringt den Brei in einen Halbliterkolben, füllt zur Marke auf, pi— 4 270 Humboldt — Juli 1882. pettiert unter Umſchütteln 100 ce heraus, läßt dieſe in einen Literkolben fließen, füllt wieder zur Marke auf und nimmt von dem gut gemiſchten Inhalt jedesmal 25 ce zur Probe. Man läßt dieſe Menge in eine Porzellanſchale laufen, ſetzt einige Körnchen gefällten kohlenſauren Kalks zu, dann etwas von dem Indikator und titriert unter ſtetem Umrühren mit Normalſalzſäure. Will man auch den kohlenſauren Kalk mit beſtimmen, ſo zerſetzt man ihn warm mit überſchüſſiger Säure und titriert dieſe mit Alkali zurück. Auch bei Gegenwart von Magneſia iſt die Reaktion mit Sicherheit zu beobachten, nur hält die Ab⸗ blaſſung etwas kürzere Zeit vor. Die Reſultate ſind bei Kalkbeſtimmungen zwar nicht ganz ſcharf, aber für tech⸗ niſche Zwecke mindeſtens ebenſo brauchbar wie die nach der von Seyferth modifizierten Scheiblerſchen Me⸗ thode der Umwandlung des Aetzkalks in Zuckerkalk, welche eine zeitraubende zwölfſtündige Digeſtion erfordert. Mineralogie und Geognoſie. Ridthofens Theorie der Entſtehung des Lf wird von dem amerikaniſchen Geologen Ellsworth Call ganz entſchieden beſtritten. Richthofen iſt bekanntlich bei ſeiner Unterſuchung des chineſiſchen Löß zu der Anſicht gelangt, daß derſelbe nicht vom Waſſer abgelagert, ſondern durch die Gewalt des Windes aus der Mongolei herüber⸗ geweht worden ſei; ſeine Theorie hat vielfach Beifall ge⸗ funden und iſt auf alle Lößablagerungen angewandt wor⸗ den. In der That bietet auch der Rheinlöß die auffal⸗ lende Erſcheinung, daß unter den von ihm eingeſchloſſenen Mollusken die Landſchnecken ganz auffallend vorherrſchen. In Nordamerika ſcheint dies nun nicht der Fall zu ſein; nach Calls Aufzählung im „American Naturaliſt“ für Mai finden ſich darin Vertreter von elf Gattungen Süß⸗ waſſerſchnecken, denen dreizehn Gattungen Landſchnecken (die Gattungen hier aber enger gefaßt, als in Europa üblich) gegenüberſtehen, ein Verhältnis, das für die Waſſer⸗ ſchnecken günſtiger iſt, als das in den Anſchwemmungen unſrer Flüſſe. Demnach kann für den Miſſourilöß kein Zweifel ſein, daß er durch Ablagerung aus Süßwaſſer entſtanden iſt. Call muß übrigens auch anerkennen, daß die gewaltigen Staubſtürme, welche z. B. in Jowa nicht ſelten herrſchen, nicht ohne Einfluß auf die Lößformation bleiben und mitunter die Grenzen derſelben verrücken können, doch hält er derartige Veränderungen für wenig erheblich. — Der amerikaniſche Löß folgt nur den Haupt⸗ ſtrömen; ſeine Hauptentwickelung erreicht er in Nebraska, dann in Jowa und Miſſouri. Ko. 280 G ih b Der Chinabaum. — Seitdem Haßkarl die erſten Einchonapflanzen und Samen nach Java brachte und ſie dort unter der Leitung unſers Landsmannes Junghuhn fröh⸗ lich gediehen, haben auch die Engländer in Vorderindien, Ceylon und auf Jamaika Verſuche mit Anpflanzungen ge⸗ macht und jetzt ſchon zeigen dieſe künſtlichen Chinawälder eine Entwickelung, welche dem Export aus den ſüdameri⸗ kaniſchen Heimatländern eine ſehr fühlbare Konkurrenz macht, um ſo mehr, als ſchon jetzt nach kaum 20 Jahren eine Veredlung des Produktes durch die Kultur bemerkbar wird. Unter dem Titel: Peruvian bark, a popular account on the introduction of Chinchona cultivation in British India (London, Murray 1880) hat neuer⸗ dings Herr C. R. Markham einen Bericht über die Einchonakultur gegeben, welcher um ſo wichtiger iſt, als Herr Markham ſelbſt der eigentliche Begründer dieſer Kultur iſt und ſelbſt mit großer Gefahr die erſten Pflanzen und Samen aus Südamerika holte. Wegen der teilweiſe höchſt romantiſchen Erzählungen ſeiner Erlebniſſe in Süd⸗ amerika und der intereſſanten eingewobenen Schilderungen der Einchonawälder müſſen wir auf das Buch ſelbſt ver⸗ weiſen. In Vorderindien finden ſich, da die Einchonen genügende Feuchtigkeit verlangen nur zwei zur Anpflan⸗ zung im großen geeignete Stellen, der Abhang des Himalaya und die Ghats an der Weſtküſte. In den feuchten Schluchten der Ghats wurden bei Dodabetta in mehr als 8000 Fuß Höhe die erſten Bäume angepflanzt und gediehen ausgezeichnet, am beſten C. succirubra; ſchon 1866 ſtanden dort über 250,000 Bäume. Seitdem haben aber auch Privatleute bedeutende Pflanzungen an⸗ gelegt, in denen die Wirtſchaft meiſtens ganz in der Weiſe wie in unſern deutſchen Schälwaldungen betrieben wird; man läßt fie in Buſchform und treibt z. B. C. succirubra nach acht Jahren ab, wo ihre Rinde das Maximum von Alkaligehalt erreicht hat; die Cinchonen haben ſämtlich ein ſehr bedeutendes Ausſchlagsvermögen und treiben ſo⸗ fort wieder aus. In neuerer Zeit hat man aber auch Hochwaldbetrieb eingeführt und ſchält die Stämme nicht auf einmal, ſondern nur ſtreifenweiſe und bedeckt nach dem Schälen die wunden Stellen mit Moos; nach etwa 22 Monaten iſt eine vollſtändige neue Rinde gebildet, welche reicher an Alkalien iſt, als die urſprüngliche. Weiter ausgedehnte Pflanzungen hat man angelegt in Sikkim an den Abhängen des Himalaya und im eng⸗ liſchen Birmah, wo indes die Pflanzungen noch neuer ſind. — Ferner auf Ceylon, wo ſie ganz ausgezeichnet ge⸗ deihen und von Eingebornen wie von engliſchen Pflanzern auf eigene Rechnung kultiviert werden; in 1878 bedeckten die Pflanzungen ſchon 5578 Acker, obwohl die erſten An⸗ pflanzungen nicht älter als 1861 ſind. Auch in Jamaika hat man ſeit 1860 Verſuche mit Anpflanzungen gemacht, die ſehr gute Reſultate lieferten; ſchon 1876 ſtanden dort 120,000 Bäume und der Export belief ſich in 1880 auf über 300 Ballen. Die Pflanzungen auf Java liefern auch recht günſtige Erfolge. In 1879 hatte man von fünf verſchiedenen Sorten zuſammen 1,678,000 Bäumen, und wurden 106,000 Pfund Rinde geerntet. Schon jetzt iſt Indien die wichtigſte Bezugsquelle nach Kolumbien geworden; in 1879/80 lieferte es über ein Siebentel der Geſamtproduktion und die indiſchen Rinden werden erheblich höher bezahlt, als die ſüdamerikaniſchen; vor der Chinanot, welche uns infolge der Raubwirtſchaft in den ſüdamerikaniſchen Wäldern drohte, ſind wir nun hoffentlich für alle Zeiten geſichert. Ko. HOOLOGi se Aeber Analyſe und Syntheſe von Gangarten des Bferdes finden ſich intereſſante Mitteilungen im Journal für Landwirtſchaft. Jahrg. 1881 u. Biol. Centralbl. Bd. II. Nr. 2 von Schmidt-Mül heim in Proskau. Bekanntlich war es nicht möglich geweſen, durch ein⸗ fache Beobachtung mit Auge oder Ohr die Reihenfolge, in welcher die Glieder des Pferdes beim Galopp den Bo⸗ den verlaſſen und wieder berühren, feſtzuſtellen, — denn die widerſprechendſten Angaben finden ſich in der betref⸗ fenden Litteratur — bis Marey mittelft einer vom Reiter ge⸗ tragenen rotierenden Trommel, auf welche Schreibſtifte durch ſinnreiche Einrichtungen (Gummikapſeln unter den Hufen des Pferdes) Kurven zeichnen, die erſte exakte Schilderung der Gangarten des Pferdes lieferten). Er ſtellte unter anderm das intereſſante Faktum feſt, daß beim ge⸗ wöhnlichen Trab die Dauer des Auftretens doppelt ſo lang iſt, als die Dauer des Schwebens in der Luft. Da fonjtruierte der Amerikaner Muybridge einen elektro⸗ photographiſchen Apparat, der Bilder von 0,0005 Sekunden Dauer liefert, ſtellte eine größere Anzahl Apparate in regelmäßigen Abſtänden dicht nebeneinander auf und ver⸗ fertigte von einem vorbeigaloppierenden Pferd eine un⸗ unterbrochene Reihenfolge von photographiſchen Aufnahmen. Muybridges Unterſuchungen liefern nicht nur eine Be⸗ ſtätigung der Angaben Ma reys, ſondern ſie geſtatten auch eine vollſtändige Analyſe der Bewegungen. Während eines einzigen Galoppſprungs wurden nicht weniger als ) Vgl. Carlet et Marey. Essai experimental sur la loco- motion humaine, étude de la marche. Annales des sc. nat. V. Sér. Zool. 1872 und Marey, La machine animale. Paris. Germer Bailliére 1873. Ferner Biol. Centralbl. I. Nr. 13 und 14. Humboldt. — Juli 1882. 271 fünf Aufnahmen gemacht. Schwebt das rechtsgaloppierende Pferd in der Luft, ſo iſt der Oberkörper horizontal ge— richtet; die linke Hintergliedmaſſe berührt zuerſt den Boden, dann folgen linkes Vorder- und rechtes Hinterbein gleich— zeitig, die rechte Vordergliedmaſſe iſt weit nach vorn ge- richtet. Im nächſten Moment verläßt das linke Hinter- bein den Boden und gleichzeitig erreicht das rechte Vorder— bein denſelben und zwar weit vorn; rechtes Hinter- und linkes Vorderbein befinden ſich im Zuſtand extremſter Streckung, verlaſſen dann den Boden, und durch das Ueber— gewicht des Hinterbeins bekommt der Körper die Richtung nach vorn und unten, bis das rechte Vorderbein, welches allein noch den Boden berührt, ähnlich wie die Spring— ſtange des Turners, den nach vorn und unten ſchließenden Körper kräftig nach oben ſchleudert. Und jetzt ſchwebt das Tier wieder horizontal in der Luft. Von ferneren Re— ſultaten ſei noch erwähnt, daß zwiſchen geſtrecktem und Schulgalopp nicht unweſentliche Unterſchiede exiſtieren, daß beim geſtreckten Trab die diagonal geſtellten Vorder- und Hinterextremitäten nicht genau korreſpondierend arbeiten, ſondern daß die Vorderbeine etwas früher den Boden verlaſſen, und ferner, daß beim geſtreckten Trab der Kör— per länger über als auf dem Boden verweilt. Schmidt-Mülheim konſtruierte nun eine ſtrobo— ſkopiſche Scheibe, verteilte die Momentbilder in der ge— hörigen Reihenfolge und konnte ſo durch Syntheſe der auf analytiſchem Wege gewonnenen Einzelbilder, die Be— wegungen des Trabes, des Galopps und des Rennlaufs mittelſt Rotation des ſtroboſkopiſchen Apparates und Fixie⸗ Atera riſſch e rung des Bildes in einem Spiegel vollkommen wieder— erkennen, wodurch offenbar ein neuer Beweis für die Rich— tigkeit der gefundenen Reſultate geliefert iſt. Die er— wähnten ſtroboſkopiſchen Scheiben ſind durch die photo— graphiſche Anſtalt von Otto Wunder in Hannover zu beziehen. R Geographie. Die öſtliche Fortſetzung des Küen-Lüen. Die öſt— liche Fortſetzung des Küen-Lüen, des bekannten großen Scheidegebirges zwiſchen den Stufen von Tibet und der Mongolei, bilden nach einem Berichte des Oberſt Prſche— walsky in der Sitzung der Petersburger Geographiſchen Geſellſchaft am 10. Februar 1882 die zwei zuſammenhän— genden Gebirge des Nanſchan und Altytagh, der Nanſchan, ſüdlich von der ſehr fruchtbaren Oaſe von Sudſchau, be— ſteht aus mehreren Ketten, von denen der berühmte Aſien— forſcher die nördliche die Humboldt- und die ſüdliche die Ritterkette nannte. Das Gebirge erreicht eine Gipfelhöhe bis zu 19,000 Fuß (5590 m). Es iſt im Gegenſatze zu den benachbarten mit Niederſchlägen reichbedachten Hoch— gebirgen von Tibet und dem im Often gelegenen Kanſu vegetationsarm. Die Schneegrenze beginnt bei 13,500 Fuß (3970 m) und nur in der Nähe dieſer Region, auf der Höhe von 11— 12000 Fuß, finden ſich reiche Alpentriften vor. Den übrigen Teil bedecken meiſt durcheinander— geworfene, gewaltige Felstrümmer ohne alle Vegetation. H. Run d ſch a u. 3. Quaglio, Das Waſſerſtoffgas als Brennſtoff der Zukunft. Wiesbaden, Bergmann. 1880. Preis 1 MH 60 9. In dem kleinen, aber höchſt wertvollen Schriftchen berichtet Quaglio über die Bemühungen, welche teil= weiſe ſchon aus den Zwanziger Jahren herrühren, Waſſer— gas zu fabrizieren, d. h. ein Gas, welches durch Erhitzung von Steinkohle (Braunkohle, Anthracit u. drgl.) mit Waſſer⸗ dampf hergeſtellt wird. Wir verzichten darauf, die ver— ſchiedenen Methoden der Erzeugung hier aufzuführen und beſchränken uns darauf, lediglich die neueſte nach Strongs Patent, mit Hilfe der von Quaglio und Dwight fon- ſtruierten Oefen etwas näher zu beſchreiben. Das Waſſergas von Strong iſt nicht leuchtend und in erſter Linie zu Heizzwecken beſtimmt; doch kann es auch durch feſte und flüſſige Kohlenwaſſerſtoffe (durch An- reicherung mit Kohlenſtoff) leuchtend gemacht werden. Die Herſtellung des Waſſergaſes geſchieht in gemauerten Oefen ſtatt in Retorten und ſind dieſelben ſo eingerichtet, daß auch Kohlenklein und zwar bis zu dreiviertel verwandt werden kann. Nachdem die Kohlen lebhaft in Brand ge— ſetzt worden, wird Waſſerdampf, welcher ſich in Berührung mit den glühenden Kohlen zerſetzt und eben die Gasmiſchung erzeugt, welche man Waſſergas nennt, eingeführt. Das- ſelbe beſteht in 100 Teilen aus 35 — 40 Teilen Kohlen- oxyd und 50 — 55 Teilen Waſſerſtoff, nebſt Beimengungen von Kohlenſäure, Grubengas, Stickſtoff und Sauerſtoff. Schon aus dieſer Zuſammenſetzung wird man erſehen, daß das Gas eine ſehr bedeutende Heizkraft beſitzt, viel größer, wie das mit Luft gemengte Leuchtgas. Da aufer- dem wegen der Möglichkeit, Kohlenklein zur Darſtellung zu verwenden, das Gas weit billiger iſt als Leuchtgas, ſo ſagt der Verfaſſer gewiß nicht zu viel, wenn er be— hauptet, das Waſſergas werde das Heizmaterial der Zu- kunft ſein. Ebenſo günſtig ſpricht ſich Prof. Naumann Humboldt 1882. in Gießen über dasſelbe aus und auch Reuleaux prophe- zeit ihm eine große Zukunft; hat er ſich doch bemüht, den Magiſtrat in Berlin zu veranlaſſen, eine Kommiſſion nach Stockholm zu entſenden, wo Quaglio und Dwight Ver— ſuche mit dem Waſſergas anſtellten. Bedenkt man, wie einfach und reinlich die Gasheizung iſt, daß ferner die Gaskraftmaſchinen weit billiger mit dieſem Gaſe arbeiten könnten, als mit dem gewöhnlichen Leuchtgas, faßt man ferner ins Auge, daß durch die billigere Krafterzeugung auch die elektriſche Beleuchtung erheblich gefördert werden müßte, ſo unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß das Waſſergas auf die häuslichen und die gewerblichen Verhältniſſe einen großartigen Einfluß zu üben beſtimmt ſein dürfte. Für jeden, der ſich über dieſe wichtige Sache genügend zu informieren wünſcht, empfehlen wir deshalb das angezeigte Schriftchen auf das Wärmſte. Frankfurt a. M. Dr. Georg Krebs. Wilhelm Wundt, Logik. Eine Anterſuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Me- thoden wiſſenſchaftlicher Jorſchung. Erſter Band. Erkenntnislehre. Stuttgart, Ferd. Enke. 1880. Preis 14 / Ein Lehrbuch der Logik hier, in einer naturwiſſen⸗ ſchaftlichen Zeitſchrift, zu beſprechen, kann nur in gewiſſen Ausnahmsfällen geſtattet ſein. Denn wenn man auch die Logik, wie für jedes andre Fach, ſo auch für die Natur— wiſſenſchaften als Propädeutik gelten laſſen muß, ſo iſt der Zuſammenhang zwiſchen der trockenen Syſtematik, auf welche gewöhnlich in ſolchen Werken allein Gewicht gelegt wird, und zwiſchen der induktiven Forſchungsmethode der Aſtronomie oder Phyſik ein ſo wenig enger, daß mancher Zeitverluſt darin erblicken würde, ſich auch jene anſchei— nend ſo unfruchtbaren Regeln vorher anzueignen. Allein praktiſche Erfahrungen mancherlei Art haben eben doch 35 272 Humboldt. — Juli 1882. gezeigt, daß auch die Logik nicht ungeſtraft von jemandem, wer es auch fet, fic) ignorieren läßt, und es mußte des⸗ halb der Wunſch rege werden, den rein formalen Teil dieſer Wiſſenſchaft, die bekannten „ſpaniſchen Stiefeln“ Mephiſtos, mit all jenen übrigen Geſetzen, durch welche die menſch⸗ liche Erkennungsthätigkeit geregelt wird, zu einem orga⸗ niſchen und ſyſtematiſchen Lehrgebäude vereinigt zu ſehen. Dieſem Wunſche kommt das Werk des berühmten Leipziger Vertreters einer exakten Philoſophie nach Möglichkeit ent⸗ gegen; einſtweilen liegt uns der erſte Teil, die Erkenntnis⸗ lehre vor, während der zweite Teil, die Methodik, in nicht zu ferner Zeit nachfolgen wird. Schon darin iſt das Abweichende dieſes Werkes von andern Büchern genugſam gekennzeichnet, daß der Verfaſſer die Logik nicht, wie einige, als eine bloße Einleitung in die Philoſophie, noch auch wie andre, als den Inbegriff der Philoſophie, wohl aber als einen integrierenden Be⸗ ſtandteil derſelben betrachtet wiſſen will. Auch kann die Logik nicht allein und ſelbſtändig, ſondern nur im engſten Verbande mit der Erkenntnistheorie ihre große Aufgabe zu löſen hoffen. Demzufolge nimmt der Verfaſſer auch nicht, wie die ariſtoteliſche Logik, das Denken als etwas Feſtſtehendes, Gegebenes hin, welches nur noch gewiſſen feſten Normen unterzuordnen wäre, ſondern er fragt ſich, wie der Menſch überhaupt dazu gelangt, zu denken, und unterſucht ſomit zuerſt das Weſen der aſſociativen Begriffe, ſimultane und ſucceſſive Aſſociation, indem er ſich dabei auf gewiſſe — teilweiſe von ihm ſelbſt aufgeſtellte — Sätze der Pſychophyſik beruft. Die Beiſpiele find großenteils einem Gebiete entnommen, auf welchem ſich die allmähliche Ent⸗ wickelung zuſammenfaſſender Begriffe vielleicht am reinſten offenbart, nämlich der Sprachwiſſenſchaft. Auf die Aſſo⸗ ciation folgt die apperceptive Verbindung, und auch hier müſſen die ſimultanen und die ſucceſſiven Denkverbindun⸗ gen unterſchieden werden. So iſt es endlich möglich, die einfachſten Geſetze des Gedankenverlaufes zu erkennen, die Wechſelwirkung zwiſchen Gedankenverlauf und Begriffsbil⸗ dung nachzuweiſen und zwiſchen pſychologiſchen und rein logiſchen Denkgeſetzen eine wichtige Unterſcheidung zu treffen. Nunmehr geht der Verfaſſer dazu über, die Eigenſchaften der Begriffe als ſolche zu ſtudieren und namentlich dar⸗ über Klarheit zu ſchaffen, was man eigentlich unter den logiſchen „Kategorieen“ zu verſtehen habe; in eine nähere Schilderung dieſer tiefgehenden und vielfach vom betrete⸗ nen Wege abweichenden Einzelunterſuchungen können und wollen wir nicht eingehen, doch möge wiederum die ſtete Rückſichtnahme auf etymologiſche und ſprachvergleichende Forſchung als ein beſonderer Vorzug dieſes Abſchnittes namhaft gemacht ſein. Im dritten Abſchnitt reiht ſich an die Analyſe der Urteile, deren Klaſſifikation ebenfalls in neuer Form durchgeführt wird, wobei ſich manche Gelegen⸗ heit gibt, traditionellen Anſchauungen entgegenzutreten. Des Verfaſſers Betrachtungen über die Reduktion aller Urteile auf eine gleiche Form zeichnen ſich vor andern durch ihre mathematiſche Form aus, und da ſich ſo der Nutzen eines der mathematiſchen Formelſprache nachgebil⸗ deten Schematismus auch bei der Behandlung logiſcher Fragen klar ergibt, ſo kann es uns nicht überraſchen, daß ein großer Abſchnitt mit dem Titel „Algorithmus der Ur⸗ teilsfunktionen“ die Grundzüge jenes eigentümlichen, Logik⸗ kalküls“ enthält, welche von Boole, Peirce, Delboeuf, Schröder u. a. bereits in überraſchend hohem Grade ausgebildet, von den Fachphiloſophen jedoch ſo gut wie gar nicht berückſichtigt worden iſt. Was die ſehr klare und auf charakteriſtiſche Beiſpiele ſich ſtützende Darſtellung anlangt, ſo weicht ſie inſoferne von den gewöhnlichen Muſtern ab, als in ihr das Symbol 1 durch das Symbol co erſetzt wird; an fic) kann mit beiden, ſoferne nur ihre Bedeutung klar feſtgehalten wird, gleich gut gerechnet werden, indes würden wir doch aus den von E. Schröder (Zeitſchr. f. Math. u. Phyſ., 25. Band, H.⸗Lt. Abt., S. 86) angeführten Gründen dem erſteren Kollektivzeichen den Vorzug geben. Freges „Begriffsſchrift“ (Halle 1879) iſt vermutlich zu ſpät erſchienen, um in dem Wundtſchen Werke noch Erwähnung haben finden zu können. Auf die Lehre von den Urteilen folgt diejenige von den Schlußfolgerungen als den Verbindungen einer Anzahl von Urteilen. Wir rechnen es dem Verfaſſer zum entſchiedenen Verdienſte an, uns mit den abſtruſen Wortbildungen der mittelalterlichen Sylogiſtik verſchont und dafür die Wich⸗ tigkeit der einzelnen Schlußarten gerade auch für die Natur⸗ wiſſenſchaften in den Vordergrund gerückt zu haben; nur für die vier hauptſächlichſten Formen hätten wir die mnemo⸗ techniſch brauchbaren alten Bezeichnungen auch hier repro⸗ duziert gewünſcht. Dem „Algorithmus der Urteile“ wird ein in algebraiſche Form gekleideter „Algorithmus der Schlüſſe“ zur Seite geſtellt. Die eigentliche Logik im älteren Wort⸗ ſinne iſt jetzt erſchöpft, nicht aber der Inhalt unſers Wer⸗ kes, denn der Verfaſſer führt uns nunmehr in die Er⸗ kenntnistheorie ein und definiert, nachdem er die geſchicht⸗ lich am meiſten hervortretenden Richtungen gekennzeichnet, hat, in exakter und feinſinniger Weiſe die Grenzlinie zwiſchen Glauben und Wiſſen, wo ſich denn wieder für manche Naturforſcher neueſter Zeit die wenn auch unlieb⸗ ſame Thatſache ergibt, daß ſie in der Vermutung, Schlüſſe von beſonders ſicherem wiſſenſchaftlichen Inhalte zu ziehen, doch nur von einem recht engen Dogmatismus befangen waren. Nicht minder ſcharf werden die Kriterien der Ge⸗ wißheit gegenüber der Wahrſcheinlichkeit beſtimmt; dieſer Abſchnitt iſt Mathematikern, die ſich über die philoſophiſche Grundlage der Wahrſcheinlichkeitsrechnung kürzer und leichter als durch die Lektüre der Laplaceſchen Schriften unterrichten wollen, dringend anzuempfehlen. Die Er⸗ kenntnislehre beſchäftigt ſich weiter mit den allgemeinen Erfahrungsbegriffen, Ding, Eigenſchaft, Qualität und Quantität, ferner mit den von Kant zuerſt dieſem ihrem Weſen nach erkannten Anſchauungsformen der Zeit und des Raumes, der Bewegung und Zahl, wobei beſonders auch die neueren Raumtheorieen geſtreift werden. Natürlich wird auch der Subſtanz und dem ominöſen „Ding an ſich“ ein größerer Raum gewidmet und erörtert, unter welchen Umſtänden dieſes letztere einen greifbaren Sinn hat, näm⸗ lich, wenn man es mit dem denkenden Subjekt ſelbſt identifiziert. Der ſechſte Abſchnitt endlich deckt die Be⸗ deutung jener Fundamentalinſtrumente, wenn man ſo ſagen darf, auf, von denen eine jede wiſſenſchaftliche und ſpeziell eine auf Befragung der Natur gerichtete Unter⸗ ſuchung Gebrauch machen muß: es iſt dies die Summe logiſch⸗mathematiſcher Axiome und das Kauſalgeſetz. Wie ſich hieraus die bekannten Grundlehren der Mechanik als Korollarien ableiten laſſen, iſt wohl noch nirgendwo ſo klar dargethan worden, wie an dieſem Orte. Nicht minder wichtig für die Wechſelbeziehungen zwiſchen Philoſophie und Naturwiſſenſchaft iſt das den Zweckbegriff und die erlaubte wie unerlaubte Teleologie behandelnde Schlußkapitel. Wir hoffen, durch dieſe Anzeige wenigſtens den Beweis erbracht zu haben, daß die Wundt ſche Logik gerade für ein tiefer eindringendes Studium der Naturwiſſenſchaft in weiteſter Bedeutung als eine treffliche Vorſchule anzu⸗ ſehen iſt. Ansbach. Prof. Dr. S. Günther. Alfred von Arbanitzky, Die elektriſche Beleuch- tung und ihre Anwendung in der Praxis. Wien, Peſt, Leipzig, A. Hartleben. 1882. Preis 4 AM, Wenn man vor 25 Jahren ſagen konnte, wir leben im Zeitalter der mechaniſchen Wärmetheorie, ſo kann man jetzt mit gleichem Recht ſagen, wir leben im Zeitalter der Elektrotechnik. Nicht bloß die wiſſenſchaftlichen, ſon⸗ dern auch die gewöhnlichen politiſchen Blätter bringen faſt in allen Nummern irgendwelche Neuigkeiten aus dem Gebiete der elektriſchen Beleuchtung und der dahin ein⸗ ſchlagenden Apparate. Die Zahl der Firmen, welche auf dieſem Gebiete arbeiten, iſt ſchon jetzt groß, aber noch in rapidem Wachstum begriffen. Auch hat die Elektrotechnik ein weit größeres, allgemeines Intereſſe, wie die me⸗ chaniſche Wärmetheorie und ſo iſt es denn erklärlich, daß ſich die allgemeine Teilnahme dieſem Gegenſtand mit ge⸗ Humboldt. — Juli 1882. 273 fpanntefter Aufmerkſamkeit zugewandt hat. Beſondere Zeitſchriften für Elektrotechnik ſind bereits in größerer Zahl entſtanden und finden eifrige Lefer; auch Einzelwerke über die neueren elektriſchen Maſchinen und deren Ver— wendung zur elektriſchen Beleuchtung liegen bereits vor; doch ſind dieſelben meiſt ziemlich umfangreich und teuer und deshalb für das große Publikum wenig geeignet. Eine Ausnahme hiervon macht das in A. Hartlebens Verlag erſchienene Büchlein von Dr. Alfred von Ur⸗ banitzkty. Von dem öſterreichiſchen Miniſterium auf die internationale elektriſche Ausſtellung zu Paris geſandt, welche fo viel zur Förderung der elektrotechniſchen Be— ſtrebungen beigetragen, hat der Verfaſſer auf 215 Seiten eine leichtverſtändliche Darlegung der wichtigſten elektriſchen Maſchinen, Regulatoren und Lampen gegeben, ſowie einen Ueberblick über die Leiſtungsfähigkeit der gewöhnlichſten Lichtmaſchinen und eine Koſtenrechnung der elektriſchen Beleuchtung. Zahlreiche und ſehr hübſch ausgeführte Illu⸗ ſtrationen machen es ſelbſt dem Laien unſchwer möglich, ſich in die Materie hineinzuarbeiten. Da der Preis nur 4 / beträgt, fo iſt anzunehmen, daß vorliegendes Büchlein einen großen Leſerkreis ge— winnen dürfte und empfehlen wir dasſelbe hiermit dem großen Publikum auf das Angelegentlichſte. Zugleich weiſen wir noch auf einige andere Bände der „Chemiſch⸗techniſchen Bibliothek“ Hartlebens hin, welche mit der Beleuchtungsfrage zuſammenhängen: Eduard Perl, Die Beleudfungsftoffe und deren Fabrikation. Preis 2 MH A. Müller, Die Gasbeleuchtung im Haus und ie des Gaskonſumenten. Preis 2 J. 5 Die Briquette-Induſtrie. 5 Frankfurt a. M. Preis Dr. Georg Krebs. E. Tommel, Lexikon der Bhyfik und Wefeoro- logie in volksthümlicher Darſtellung. Mit 392 Abbildungen und einer Karte der Meeresſtrö— mungen. Leipzig, Bibliograph. Inſtitut. 1882. Preis 4 /, geb. 4 , 50 g. Von den 39 Fachwörterbüchern, welche im Verlag des Bibliographiſchen Inſtituts erſchienen ſind, fallen 15 in den Kreis der Gegenſtände, mit welchen ſich dieſe Zeitſchrift beſchäftigt; eines derſelben, das der Phyſik und Meteorologie, ſoll im folgenden einer kurzen Beſprechung unterzogen werden. Die Anforderungen, denen ein ſolches populäres Lexikon zu entſprechen hat, ſind ziemlich mannigfaltiger Natur und nicht ganz leicht zu erfüllen: Vollſtändigkeit auf kleinem Raume und klare, leicht faßliche Darſtellung, durch welche doch zugleich der Strenge nichts vergeben wird, werden immer die hauptſächlichſten Erforderniſſe ſein. Aber auch die Aufgabe des Berichterſtatters iſt einem ſolchen Werke gegenüber keine ganz leichte, da man ein ſolches doch nicht, wie andre Bücher, in einem Zuge mit der Feder in der Hand durchleſen kann. Unwillkürlich ſieht man ſich deshalb dazu gezwungen, ſich durch eine größere Anzahl von Stichproben ein Durchſchnittsurteil zu verſchaffen. Auf dieſem Wege iſt denn auch der Berichterſtatter vorgegangen, und er kann bezeugen, daß ihn ſeine Proben zu einem ſehr günſtigen Urteil über das Ganze geführt haben. Nirgends wird Wichtiges vermißt, den praktiſchen Anwendungen der Phyſik iſt allerorts die nötige Beach— tung zu teil geworden, und, obgleich mathematiſche Ent— wickelungen völlig vermieden ſind, ſo gebricht es doch den einzelnen Artikeln nicht an jener Exaktheit, welche eben in gemeinverſtändlichen Darſtellungen der Naturlehre über— haupt erreichbar iſt. Mit beſonderer Vorliebe ſcheinen die optiſchen und meteorologiſchen Artikel behandelt zu ſein, was ja auch nach der ſonſtigen wiſſenſchaftlichen Beſchäf⸗ tigung des Verfaſſers nicht auffallend iſt. Auch weiß man, daß Herr Lommel zu jenen Meteorologen gehört, welche noch am meiſten an den von Dove ausgegangenen An— ſchauungen feſthalten und dieſe Richtung hat denn auch den bezüglichen Auseinanderſetzungen einigermaßen die Direktive gegeben. Wir haben an und für ſich gegen dieſe Abweichung um ſo weniger einzuwenden, da wir nur von einem Ineinandergreifen der ſtatiſtiſchen und der ſynopti— ſchen Witterungskunde die wirkliche Förderung der Ge— ſamtwiſſenſchaft erwarten, und es uns vorkommt, als trete in neuerer Zeit jene gegen dieſe gar zu ſehr in den Hintergrund; wir dürfen dieſer Anſicht um ſo mehr Ausdruck verleihen, als auch die Lehre von den Wetter— karten und Sturmwarnungen im Artikel „Wetter“ eine vollkommen befriedigende Darlegung erfahren hat. Dagegen können wir es nur als einen Ausfluß zu weit getrie— bener Verehrung für den Altmeiſter der Meteorologie er— achten, wenn (S. 360) von Buys-Ballots „Wind⸗ regel“ und Doves „Winddrehungsgeſetz“ geſprochen wird; wir ſollten meinen, daß die Bezeichnung richtigerweiſe ge— rade die umgekehrte ſein ſollte, denn was Dove von der Drehung der Winde im oder gegen den Sinn des Uhr— zeigers lehrte, iſt doch nur eine Erfahrungsregel mit zahl— reichen Ausnahmen, Buys-Ballots Vorſchrift dagegen, die Lage des barometriſchen Minimums praktiſch zu erfor— ſchen, entſpricht einem wirklichen Naturgeſetze. Im übrigen wünſchen wir in einem Werke, wie dem Lom melſchen, das für weitere Kreiſe die vielleicht ausſchließliche Quelle phy— ſikaliſcher Belehrung ſein ſoll, eine durchgreifendere Berück— ſichtigung des hiſtoriſchen und litterariſchen Elementes. Ganz fehlen die bezüglichen Angaben allerdings nicht, und der Artikel „Phyſik“ bringt ſogar ein recht hübſches Ma— terial in dieſer Hinſicht bei, allein wir würden es, wie ge- fagt, gerne geſehen haben, wenn recht oft derartige Hin— weiſe in dem Buche zu finden wären. Um nur einzelnes herauszuheben: Anläßlich des netten Kärtchens der Meeres- ſtrömungen ſollte doch bemerkt werden, daß gerade dieſe kartographiſche Darſtellung ein Verdienſt G. v. Bogus- lawskis iſt, und unter den Lehrbüchern der Meteorologie hätte außer Lommels „Wind und Wetter“ zum minde— ſten auch das Mohn ſche Werk Erwähnung finden ſollen. Doch genug dieſer im ganzen nicht ſehr weſentlichen Aus— ſtellungen, durch welche der gute Geſamteindruck nicht ge— ſtört werden kann, und deren Objekte bei einer etwaigen Neubearbeitung ohnehin ſehr leicht zu beſeitigen wären. Ansbach. Prof. Dr. S. Günther. Wilhelm Zulius Behrens, Methodiſches Lehrbuch der allgemeinen Botanik für höhere Lehran— ſtalten. Braunſchweig, C. A. Schwetſchke u. Sohn (M. Bruhn). Zweite Auflage. 1882. Preis 3 J, geb. 3 . 60 g In demſelben liegt uns ein mit Liebe und Sorgfalt, aber auch mit gründlicher Sachkenntnis durchgearbeitetes ſogenanntes methodiſches Lehrbuch der allgemeinen Botanik für höhere Lehranſtalten vor, das ſchon nach zwei Jahren in zweiter Auflage erſcheint und dementſprechend vielfache Aufnahme und großen Anklang gefunden hat. Dies in manchen Stücken ganz eigenartige, in allen Partieen auf dem neueſten Standpunkte ſtehende Werk iſt mit einer ſehr großen Zahl teils ſchematiſcher, teils nach der Natur aufgenommener, vom Verfaſſer meiſt ſelbſt gezeichneter, recht zweckmäßig und doch ökonomiſch ausgewählter Ab⸗ bildungen ausgeſtattet. Dieſe ſind als vorzüglich zu be— zeichnen, wenn auch bisweilen etwas zu wünſchen übrig bleibt; fo find z. B. die Stützblätter der blattartig aus- gebildeten Zweige von Phyllocladus nicht erſichtlich, Lo- doicea Sechellarum iſt ſchwer als ſolche zu erkennen. Es ijt gewiß das Buch als aus einem Guß zu bezeich⸗ nen. Die Gliederung des Stoffes iſt in folgender Weiſe geſchehen. Der erſte Abſchnitt iſt, wie dies meiſt geſchieht, der Geſtaltlehre oder der Beſchreibung der einzelnen Organe der höheren Pflanzen gewidmet. Im zweiten Abſchnitte werden die wichtigſten Pflanzenordnungen, wie ſie Beh— rens nennt (die wir ſonſt Familien heißen), ſoweit es die bedecktſamigen Blütenpflanzen angeht, von der höheren 274 Humboldt. — Juli 1882. Einheit alſo zur niederen gehend, vorgeführt und diefe Abteilungen beſonders durch die Blütendiagramme be⸗ gründet. Der Diagrammatik iſt denn auch eine eingehende Erörterung gewidmet. Es wird alſo gerade der Weg, den die ſich derzeiten methodiſch nennenden Lehrbücher ein⸗ ſchlagen, nicht verfolgt. Hiſtoriſch, wie entwickelungs⸗ geſchichtlich iſt es gewiß begründet, daß die Nadelhölzer ꝛc. im Zuſammenhange mit den heteroſporen Gefäßkryptogamen behandelt werden; als Pflanzen, die uns in ſo großen Beſtänden landſchaftlich entgegentreten und von früh unſer Intereſſe erregen und verdienen, möchte doch ein nicht zu geringer Raum ſchon in der Syſtematik der Blütenpflanzen einzuräumen fein; fie find erſt auf den 2—3 letzten Seiten aufgeführt. . Der dritte Abſchnitt behandelt ein Thema, das bisher noch kaum in den botaniſchen Lehrbüchern nur etwas be⸗ rührt iſt; es iſt gewiß verdienſtlich vom Verfaſſer, den für alle ſo anregenden und intereſſanten, hauptſächlich in den letzten 10—15 Jahren erforſchten, der Beſtäubung und Verbreitung dienenden Wechſelbeziehungen zwiſchen dem Pflanzenreich einerſeits und den Inſekten und Vor⸗ gängen in der Atmoſphäre anderſeits größeren Raum ge⸗ widmet zu haben. Dieſes Kapitel iſt mit großer Klar⸗ heit und Liebe verfaßt. Wenn wir nun auch nicht vor⸗ ausſehen, daß im Unterrichte dieſem Gegenſtande in ſolchem Maße Zeit zur Verfügung ſteht, ſo muß eben der Lehrer aus der ziemlich großen Zahl von Beiſpielen eine Aus⸗ wahl treffen. Erklärlich iſt es, daß der Forſcher bei Ab⸗ faſſung eines allgemeinen Werkes das Thema ſeines Spe⸗ zialſtudiums bevorzugt. Dem beſonders ſtrebſamen Schüler wird gerade dieſes Kapitel auch privatim viel Genuß und Anregung bieten. Im vierten Teile iſt zuerſt die Zelle in allen ihren anatomiſchen Verhältniſſen, dann das Gewebe in ſeinen verſchiedenen Formen behandelt und die wichtigſten Lebens⸗ vorgänge vorgeführt. Die moderne Experimentalbotanik iſt hiebei weſentlich berückſichtigt, wie überhaupt in allen Teilen die induktive Methode als Grundlage unſres heu⸗ tigen Wiſſens, das Ausgehen von der Natur als ſolche zur Geltung gebracht wird. Der fünfte Abſchnitt gibt die wichtigſten Kryptogamen⸗ gruppen; bei der großen Mannigfaltigkeit dieſer Lebens⸗ formen muß für die Schule ſelbſtverſtändlich in manchen Teilen nur eine Auswahl ſtattfinden. Schließlich ſind noch vier recht praktiſche Ueberſichts⸗ tabellen über die wichtigſten Ordnungen (reſp. Familien) der monokotylen und dikotylen Pflanzen gegeben, zuſammen mit den Abbildungen der in denſelben geltenden Anord⸗ nung der Blütenteile. Zwei Ziele hat der Verfaſſer in hohem Grade erreicht, einmal die Pflanze als ſolche, als eine beſondere Lebensform in ihren verſchiedenſten Be⸗ ziehungen dargeſtellt zu haben, dann für ein ſpäteres, ſpezielleres Studium der Botanik ein mit der heutigen wiſſenſchaftlichen Behandlung völlig harmonierendes, vor⸗ bereitendes Lehrmittel geſchaffen zu haben. Wir wiſſen wohl, daß allen Wünſchen gerecht zu wer⸗ den, zur Unmöglichkeit gehört; vielleicht findet aber der Verfaſſer doch das eine oder andre der Beachtung wert. Wir möchten uns daher folgende Bemerkungen erlauben. — Mit der Unterſcheidung der Pflanzenorgane in vier Kategorieen einverſtanden, möchte die Definition der Haar⸗ gebilde S. 4 doch anders zu faſſen ſein; die Charakteriſtik der Blätter, wie auch die der Stengel- oder Achſengebilde, iſt genügend wohl nur durch ihr Wachstumsgeſetz zu geben. — Es iſt gewiß nicht zweckmäßig, daß die Autoren viel⸗ fach derſelben Bezeichnung verſchiedene Bedeutung geben; jo ſpricht Behrens von Palmen ſchaft, während der Stamm der Palme in allen uns bekannten Lehrbüchern Stock heißt; in denſelben wird unter Schaft ein von einem Rhizom oder dergleichen ſich abzweigender Blüten⸗ oder Blütenſtandſtiel verſtanden. — Im Kapitel vom Blatt verſteht es Behrens, die verſchiedenen Sonder⸗ bildungen unter allgemeinere Kategorieen zu bringen und dadurch die Ueberſichtlichkeit in hohem Grade zu fördern; die fingerteiligen, fiederteiligen ꝛc. Blätter mit Nadel und linealem Blatt in eine Kategorie — als beſondere Blatt⸗ formen — zu ſtellen, iſt kaum empfehlenswert: die An⸗ ordnung der Rippen iſt doch gewiß das wichtigſte Moment für die Einteilung der Blätter. — Mit der Bezeichnung Blütenblätter ſtatt Kronblätter, da doch alle Blätter, welche die Blüte zuſammenſetzen, Blütenblätter ſind, können wir nicht übereinſtimmen. — Die nicht feltene Art der Bil⸗ dung der Samenträger reſp. ⸗Leiſten durch Einrollen der Fruchtblattränder nach ein- und wieder nach auswärts hätte wohl beſonders hervorgehoben zu werden verdient. — Die Samenbildung dürfte wohl inſofern eine umfäng⸗ lichere Behandlung erfahren, als ein dikotyler Samen mit Eiweiß, etwa auch noch der eines Nacktſamers beſprochen und abgebildet wird. Weder das citierte Blatt der Tor⸗ nelie noch die Blätter der übrigen Aroideen entſpricht der Erklärung für das monokotyle Blatt, S. 97, allerdings beſitzt es eine Hauptrippe und aus dieſer entſpringen Nebenrippen, jedoch laufen die Rippen dritter Ordnung nicht parallel nebeneinander her, ſondern find bei ge- nauer Betrachtung miteinander zu einem Netz⸗ oder Maſchenwerk verbunden. Dikotyle Nervatur zeigen u. a. auch einige kleine Orchideen wie Malaxis und Goodyera, Iſt in der Grasblüte (S. 84) die Bedeutung der ſo⸗ genannten Honigſchüppchen nicht die der Kronblätter? Da doch die Labiaten, Korbblütler ꝛc. jo ganz dem Be⸗ griffe der Familie entſprechen, warum werden ſie in eine mehr künſtliche Abteilung, die Ordnung hinaufgeſtellt? Wozu werden die Gefäße führenden Sporenpflanzen Farn⸗ kräuter genannt, da doch der erſtere Name genügt und der zweite nur einen Teil trifft? Zum Schluſſe möchten wir uns noch die Bemerkung erlauben, ob bei der Anlage dieſes Buches es ſich nicht empfehlen würde, ein kurzes auf die klimatiſchen Verhält⸗ niſſe bezügliches, die geographiſche Verbreitung der Pflanzen⸗ welt kurz beſprechendes Kapitel einzufügen, da durch das⸗ ſelbe auch nur eine Wechſelbeziehung zur übrigen Natur zur Darſtellung gelangte und ſomit das vom Verfaſſer beabſichtigte Geſamtbild vervollſtändigt würde. Wenn der Verfaſſer obige wenige Wünſche für begründet hält, ſo be⸗ treffen ſie doch Dinge, die dem Werte des Buches kaum Abbruch thun. Wir heben ſchließlich nur noch hervor, daß bei dem Umfang und der Ausſtattung des Buches der Preis von 3 Mark ein außerordentlich niederer iſt. Frankfurt a. M. Dr. Friedr. Kinkelin. Bibliographie. Bericht vom Monat Mai 1882. Allgemeines. Biographien. Abhandlungen, herausg. vom naturwiſſenſchaftlichen Vereine in Bremen. 7. Bd. 3. (Schluß-⸗) Heft. Bremen, Müller's Verlag. M. 5. Aly, Fr. Die Quellen des Plinius im 8. Buch der Naturgeſchichte. Marburg, Elwertſche Verlagsbuchhandlung. M. 1. 80. Archiv des Vereins der Freunde der Naturgeſchichte in Mecklenburg. Herausgegeben v. C. Arndt. 35. Jahr (1881). Neubrandenburg, Brünslow. M. 3. Aus der Molecular⸗Welt. 2. Abdr. Heidelberg, C. Winter's Uni⸗ verſitäts⸗Buchhandlung. M. 2. 80. Denkſchriften der kaiſerl. Akademie der Wiſſenſchaften. Mathematiſch⸗ naturwiſſenſchaftliche Claſſe. 44. Bd. Wien, C. Gerold's Sohn. t. 40 M. 40. Handatlas, großer, der Naturgeſchichte aller 3 Reiche. Herausg. v. G. von Hayek. 2. Lfg. Wien, Perles' Verlag. Hruby, J. E. Anleitung zum Unterrichte in der Naturlehre an ein⸗, zwei⸗ und dreiklaſſ. Volksſchulen. Wien. Perles' Verlag. M. 2. Mettenins, C. Alexander Braun's Leben, nach ſeinem handſchriftlichen Nachlaß dargeſtellt. Berlin, G. Reimer. M. 12. Mittheilungen, mathematiſche und naturwiſſenſchaftliche, aus den Sitzungs⸗ berichten der kgl. preußiſchen Akademie der Wiſſenſchaften zu Berlin. Jahrg. 1882. 1. Heft. Berlin, Dümmler's Verlagshandlung. pro compl. M. 8. Müller, F. A. Das Axiom der Pſychophyſik und die pſychologiſche Be⸗ Maut der Weberſchen Verſuche. Marburg, Elwertſche Buchhand⸗ ung. mos Pettenkofer, M. v. Der Boden und fein Zuſammenhang mit der Ge- ſuͤndheit des Menſchen. 2. Aufl. Berlin, Gebr. Paetel. M. 1. Humboldt. — Juli 1882. . Sitzungsberichte der kaiſerl. Akademie der Wiſſenſchaften. Mathematiſch⸗ naturwiſſenſchaftliche Claſſe. 2. Abth. Abhandlungen aus dem Ge- biete der Mathematik, 5 Chemie, . Meteorologie und Aſtronomie. 84. Bd. 5. Heft. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 6. Zeitſchrift für Naturwiſſenſchaften. 8 v. naturwiſſenſchaftlichen ek für Sachſen und Thüringen in Gale ia 1882. (6 Hefte.) 1. Heft. Berlin, Parey. pro compl. M Chemie. one F. ments der organiſchen Chemie. Jahresbericht über die Fortſchritte auf dem Gebiete der reinen Chemie. Herausg. v. W. H. Staedel. 8. Jahrg. Bericht f. d. Jahr 1880, 2. Hälfte. Tübingen, Lauppſche Buchhandlung. M. 7., cpl. M. 13. Jahresbericht über die Fortſchritte der Chemie und N Theile anderer Wiſſenſchaften. Herausg. v. F. Fittich. Für 1880. Gießen, Ricker. M. 10. König, J. Chemie der menſchlichen Nahrungs- und Genußmittel. 1. Thl. Chemiſche Zuſammenſetzung der n Nahrungs- und Genuß⸗ mittel. Berlin, Springer. Gebd. M. Naumann, A. Lehr- und SEH der nchen Vieweg & Sohn. 2 Poetſch, W., Verſuche über die Einwirkung von Kohlenoxydgas Gemiſch von Natriumacetat und F Jena, baled Buchhandlung. M. — 75. 1. Bd. 1 11. Lfg. Hamburg, Braunſchweig, auf ein From⸗ Thomſen, J. Thermochemiſche Unterſuchungen. und verwandte Phänomene. Leipzig, Barth. Wagner's, R., von, Jahresbericht über die Leiſtungen der chemiſchen Technologie. Für 1881. Fortgeſetzt von F. Fiſcher. 27. Jahrg. Leipzig, O. Wigand. M. 20. BPhyſik, Phyſikaliſche Geographie, Meteorologie. Archiv der Mathematik und Phyſik. Gegr. von J. A. Grunert, fortge⸗ ſetzt von R. Hoppe. 68. Thl. 1. Heft. Leipzig, C. A. Koch's Verlag. pro compl. M. 10. 50. Berichte über die Verhandlungen der königl. ſächſiſchen Geſellſchaft der Wiſſenſchaften zu Leipzig. Mathematiſch⸗phyſikaliſche Claſſe. 1881. Leipzig, Hirzel. M. 1. Edelmann, M. Th. Die erdmagnetiſchen Apparate der eee Expedition im Jahre 1883. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 4 Boymann, J. A. Lehrbuch der Phyſik für Gymnaſien, Realſchulen und andere höhere ee Re eaten we “ee Düſſeldorf, Schwannſche Se ene, M. 4., M. Effert, G. Aufgabenlöſungen be Grundriß der mathematiſchen und phyſikal. Geographie. Würzburg, Stahelſche Buchholg. M. — 50. Gejcitentafeln für das Jahr 1883. pera Amt der kaiſerl. Marine. Berlin, Mittler & Sohn. Hankel, W. G. Elettriſche Mud unge 116. e Abhandlung Ueber die thermoelektriſchen Eigenſchaften des Helvins, Mellits, Pyromor⸗ phits, Mimeteſits, Phenakits, Pennins, Dioptaſes, Strontianits, Witherits, Cerruſits, Euklaſes und Titanits. Leipzig, Hirzel. M. 2. Iſrael⸗Holtzwart, K. Abriß der mathematiſchen W 1 höhere Lehr⸗Anſtalten. Wiesbaden, Bergmann. Cart. Krebs. J. Lehrbuch der Phyſik und Mechanik für d. Neal⸗ al höhere Bürgerſchulen, Gewerbeſchulen und Seminarien. 4. Aufl. Wies⸗ baden, Bergmann. M. 3. 60., gebd. M. 4. Letoſchek, E. Tableau der wichtigſten meteorologiſch-geographiſchen Ver⸗ hältniſſe. Chromolith. Fol. Wien, Pichler's Wwe. & Sohn. In Mappe M. 8. Roſenberger. F. Die Geſchichte der Phyſik. 1. Thl. Geſchichte der 4 906 im Alterthume und im Mittelalter. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 3. 60. Aſtronomie. Sterne und Menſchen. Skizzen und Gloſſen aus der Mappe Wien, Hartleben's Verlag. M. 6,, gebd. M. aaah, Berliner aſtronomiſches, Planeten 1—220 für 1882. Red. Verlagsbuchhandlung. M. 12. Neutraliſation 2. Falb, R. Bee i rsoalhal li i 1884, mit Ephemeriden der v. F. Tietjen. Berlin, Dümmler's Israel⸗Holtzwart, K. Elemente der ſphäriſchen e für Stu⸗ dirende bearb. Wiesbaden, Bergmann. 4. Klein, H. J. Anleitung zur Durchmuſterung des nmel. Aſtrono⸗ miſche Objekte für gewöhnliche Teleſkope. 2. Aufl. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 24. Oppolzer, Th. von. Syzygien⸗Tafeln für den Mond, nebſt ausführ⸗ ole Anweiſung zum Gebrauche derſelben. Leipzig, Engelmann. 16 Nachrichten, aſtronomiſche. Herausg. von A. 1 102. Bd. Nr. 2425. Hamburg, Mauke Söhne. pro compl. M. Mineralogie, Geologie, Geognoſte, Paläontologie. Bach, H. Geognoſtiſche Karte von Württemberg, Baden und Hohen⸗ zollern. 1: 450,000. ee Stuttgart, Bonz & Comp. M. 9. 30., auf Leinw. M. 10. 30. Fraas, O. Geognoſtiſche Beſchreibung von Württemberg, Baden und Hohenzollern. Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagsbuchholg. M. 5. Höhenſchichten⸗Karte des Harzgebirges. Bearbeitet auf Grundlage der Auhagenſchen topographiſchen Karte v. d. kgl. preuß. geolog. Landes⸗ Anſtalt. 1: 100,000. 2 Blatt. Chromolithogr. Folio. Berlin, Schropp'ſche Hof⸗ Landkartenhandlung. M. 8. Jahrbuch der kaiſerl. königl. geologiſchen Reichsanſtalt. ss 1882. 32 Bde. No. 1. Wien. Hölder. pro compl. Karte der Dolomiten und des Süd⸗Abhanges der Genteat « Alpen. 1: 320,000. Chromolithogr. Folio. Wien, Hartleben's Verlag. In Catton M. — 90. 275 Loſſen, K. A. Geognoſtiſche Ueberſichtskarte des Harzgebirges. Zu⸗ ſammengeſtellt nach den Aufnahmen der geologiſchen Landes-⸗Anſtalt und älteren geolog. Karten auf der Grundlage der Auhagenſchen topograph. Karte. 1: 100,000. 2 Blatt. Chromolithogr. Folio. Berlin, Schropp'ſche Hof⸗ Landkartenhandlung. M. 22. Pokorny, A. Illuſtrirte Naturgeſchichte des Mineralreichs. Für die Mittelſchulen. 11. Aufl. Ausgabe f. d. Deutſche Reich. Leipzig, Freytag. M. 1. 20., gebd. M. 1. 52. Quenſtedt. F. A. Petrefaktenkunde Deutſchlands. 1. Abth. 7. Bd. 2 951 5 Gaſteropoden. 2. Heft mit Atlas. Leipzig, Fues' Verlag. Tietze, E. Die geognoſtiſchen Verhältniſſe der Gegend von Lemberg. Mit einer geolog. Karte. Wien, Hölder. M. 5. 60. Karte ap. M. 4. ide far Kryſtallographie und Mineralogie. Herausg. v. P. Groth. Bd. 5. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 6. Botanik. Abhandlungen, botaniſche, 5 dem Gebiet der Morphologie und Phy⸗ ſiologie. Herausg. v. 3. von Hanſtein. 4. Bd. Heft. Bonn, A. Marcus. M. 5 Artus, W. Hand⸗ Atlas ſämmtlicher mediziniſch⸗pharmaceutiſcher Ge⸗ wächſe. 6. Aufl., umgearbeitet von G. von Hayek. 17. u. 18 Lg. Jena, Mautes Verlag. a M. — 60. Brügger, Ch. G. Mittheilungen über neue e der Schweizer⸗Flora. Chur, Hitz ſche Buchhandlung. M. Enderes, A. v. Frühlingsblumen. Mit einer Einleitung 0 method. ene v. M. Willkomm. 2. u. 3. fg. Leipzig, Freytag. Fankhauſer, J. Die Entwicklung des Stengels und des Blattes von Ginkgo ae “4 (Salisburia adiantifolia, Smith.) Bern, Huber & Co. M. 1. Hahn, G. Mons Herbarium. I. Musci frondosi. II. Musci hepatici. Gera, Kanitzſche Buchhandlung. In Mappe M. 4. Hanauſek, E. ain n phyſikaliſche und 7 en der Pflanzenkörper. 2. Aufl. Wien, Hölder. M. 2. Hartinger, A. Atlas der Alpenflora. Herausg. v. delſchen u. Sia Alpenverein. Nach der Natur gemalt. Mit Text von K. W. v Dalla Torre. 9. Ljg. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 2. Karſten, H. Deutſche Flora. Pharmaceutijd-medicinijde Botanik. 7. fg. Berlin, Späth. M. 1. 50. Lehmann, F. W. O. e mit beſonderer e der wirkſamen Stoffe. Hamburg, J. F. Richter. M. 1. 50 Poforny, A. Illuſtrirte Naturgeſchichte des Pflanzen reichs. Für die Mittelſchulen. 12. Aufl. Leipzig, Freytag. M. 2., gebd. M. 2. 32. Pritzel, G. u. C. Jeſſen. Die deutſchen wolken der Pflanzen. 1. Hälfte. Hannover, Cohen. M. 5. Sclechtendal, D. F. L. u. L. E. Langethal u. F. Schenk. Flora von Deutſchland. 5. Aufl. 51 v. E. Hallier. 58.—61. Lfg. Gera, Köhler's Verlag. a M. Schmidlin, E. Illuſtrirte populäre Botanik. 4. Aufl. 3. Efg. Leipzig, Oehmigke's Verlag. M. 1. Seboth, J. Die Alpenpflanzen, nach der Natur gemalt. Mit Text von F. Graf. 39. Heft. Prag, Tempsky. M. 1. Treichel, A. Volksthümliches aus der Pflanzenwelt, beſonders für Weſt⸗ preußen. 11. Danzig, Bertling's Buchhandlung. M. 1. Wilde, A. Unſere eßbaren Schwämme. 2. Auflage. Kaiſerslautern, Gotthold. M. — 60. Willkomm, M. Führer in's Pa der Pflanzen Deutſchlands, Oeſter⸗ reichs und der Schweiz. Aufl. 10. Lfg. Leipzig, Mendelsſohn. M. 1. 25. Phyſtologie, Entwickelungsgeſchichte, Anthropologie, Zoologie. Berge's, F. Schmetterlingsbuch. Umgearb. v. H. v. Heinemann. 6. Aufl. 2. u. 3. Efg. Stuttgart, Thienemann's Verlag. a M. 1. 50. Brehm's Thierleben. Chromo⸗Ausgabe. Vögel. 31.— 35. Heft. Leipzig, Bibliographiſches Inſtitut. a M. 1. Bronn's, H. G., Klaſſen und Ordnungen des Thierreichs, lich dargeſtellt in Wort und Bild. 6. Bd. 3. Abth. 1 7 fg. wiſſenſchaft⸗ Reptilien. Fortgeſetzt von C. K. Hoffmann. Leipzig, Winter⸗ ibe Verlagsbuchhandlung. a M. Brühl. C. B. Zootomie aller Thiertlaſſen ur Lernende, nach Autopſien ſtizzirt. 25. Lfg. Wien, Hölder. M. 4. arid, A. Die Inſektenwelt. Ein Taſchenbuch i entomolog. Exkur⸗ ſionen. 2. Aufl. 1. Lig. Leipzig, Lenz. Krukenberg, C. F. W. eeu lee poyſiolsgiſche Studien. Experi⸗ mentelle Unterfuchungen. 2. Reihe. Heidelberg, C. Winter's Univ.⸗ Buchhandlung. M. 5. Leuckart. Bericht über die wiſſenſchaftlichen Leiſtungen in der Natur⸗ geſchichte der niederen Thiere während der Jahre 18761879. 1. Hälfte. Berlin, Nicolai'ſche Verlagsbuchhandlung. M. 12. Leuckart, R. Ueber * Berlin, Nicolaiſche Verlagsbuchhand— lung. M. — 50. 9 H. Bilder und Studien aus dem Thierreich. Für Unter⸗ richtszwecke. In Lichtdr. i 1. Heft. Leipzig, Titze. M. 10., einzelne Blätter a M. Martin, Ph. L. Juuſteirte ate der Thiere. 34. Heft. zig, Brockhaus. ee u. Chemnitz. Spende Conchylien-Kabinet. Neu herausg. C. Küſter, W. Kobelt u. H. C. Weinkauff. 315. Lfg. Nürn⸗ 2 5 Bauer & Raspe. M. 9. Daſſelbe. Sectio 100. (Inhalt: Ancylus u. Navicella.) M. 27 Mojſiſovics, A. v. Syſtematiſche Ueberſicht des Thierreichs, zum Ge⸗ brauche 5 akademiſchen Vorleſungen. Graz, Leuſchner & Lubensky. Leip⸗ Gebd. M. 5. Peters, W. C. H. Naturwiſſenſchaftliche Reiſe nach A on digt Zoologie III. Amphibien. Berlin. Renner. Cart. M. Thierfreund, der. Mittheilungen des Württemb. FbieriGuyvercins. 276 Humboldt. — Juli 1882. 8. Jahrg. 1882. (4 Nrn.) Nr. 1. Stuttgart, Metzlerſche Sortim.⸗ Buchhandlung. pro compl. M. — 80. Zeitſchrift, Berliner entomologiſche. Herausg. v. dem entomolog. Verein in Berlin. Redig. v. H. Dewitz. 26. Bd. Berlin, Nicolai'ſche Verlagsbuchhandlung. M. 9. Zeitſchrift für wiſſenſchaftliche Zoologie, herausg. v. C. Th. von Sie⸗ bold und A. v. Kölliker, unter Redaktion von E. Ehlers. 36. Bd. 4. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 12. Geographie, Ethnographie, Reifewerke. Balbi's, A., Allgemeine Erdbeſchreibung. Ein Hausbuch des geographi⸗ ſchen Wiſſens. 7. Aufl. Neu bearb. v. J. Chavanne. 1. Lg. Wien, Hartleben's Verlag. M. — 75. : Baumgarten, J. Amerika. Eine ethnographiſche Rundreiſe durch den Kontinent u. die Antillen. Stuttg., Riegerſche Verlagsbuchholg. M. 5. Sb G. Kleines Lehrbuch der Landkarten⸗Projektion. Caſſel, Keßler. 30 Du Chaillu, P. B. Im Lande der Mitternachtsſonne. Sommer⸗ und Winterreiſen durch Norwegen und Schweden, Lappland und Nord⸗ Finnland. Frei überſetzt v. A. Helms. 13. Lfg. Leipzig, Hirt & Sohn. M. 1. Guthe's, H., Lehrbuch der Geographie. Neu bearb. v. H. Wagner. 5. Aufl. I. Allgemeine Erdkunde. Länderkunde der außereuropäiſchen Erdtheile. Hannover, Hahnſche Buchhandlung. „ Bs Handbuch, geographiſches, zu Andree's Hand⸗Atlas. 7. Lfg. Bielefeld, Velhagen & Klaſing. M. 1. Hauptformen, die, der Erdoberfläche. Herausg, zur Ergänzung der E. v. Seydlitz'ſchen Geographie. Oelfarbendruck. Breslau. F. Hirt. M. 4. Henzler, G. Schul⸗Wandkarte von Württemberg. 6. Blatt. 4. Aufl. Chromolithogr. Folio. Stuttgart, Riegerſche Verlagsbuchhandlung. M. 7., auf Leinwand mit lackirten Stäben M. 12. Hiekiſch, C. Die Tunguſen. Eine ethnolog. Monographie. 2. Aufl. Dorpat, Schnakenburg's Verlag. M. 3. Hirt's F., Geographiſche Bildertafeln. Herausg. v. A. Oppel und A. Ludwig. 2. Dhl. Typiſche Landſchaften. Breslau, Hirt. M. 4. 40., geb. M. 5. 50., Prachtb. M. 6. Kloeden, G. A. v. Handbuch der Erdkunde. 4. Aufl. 4. Bd. 7. Lg. Berlin, Weidmannſche Buchhandlung. Lange, H. Südbraſilien. Die Provinzen Sao Pedro do Rio Grande do Sul u. Santa Catharina, mit Rückſicht auf die deutſche Coloniſation. Berlin, Allgemeine Verlags⸗Agentur. M. 5. Mittheilungen der geographiſchen Geſellſchaft (für Thüringen) zu Jena. Herausg. v. G. Kurze. 1. Bd. 1. Heft. Jena, Fiſcher. pro compl. M. 5. Oberländer, R. Fremde Völker. Ethnographiſche Schilderungen aus der alten und neuen Welt. 11.—14. fg. Leipzig, Klinkhardt. a M. 1. 50. 1 Petermann’s, A., Mittheilungen aus J. Perthes geographiſcher Anſtalt. Herausg. v. E. Behm. 68. Ergänzungsheft. Gotha, J. Perthes. M. 4. Regiſtrande der geographiſch⸗ſtatiſtiſchen Abtheilung des großen General⸗ ſtabes. Neues aus der Geographie, Kartographie und Statiſtik Europas und ſeiner Kolonien. 12. Jahrg. Berlin, Mittler & Sohn. M. 13. Richthofen, F., Frhr. von. China. Ergebniſſe eigner Reiſen und darauf gegründeter Studien. 2. Bd. Das nördliche China. Berlin, D. Reimer. M. 32., gebd. M. 36. Stieler’s, A., Handatlas über alle Theile der Erde. A. Petermann, H. Berghaus und C. Vogel. 31. Lg. Perthes. M. 1. 80. Trampler, R. Atlas der öſterreich.⸗ungariſchen Monarchie, für Mittel⸗ und verwandte Schulen. Ausg. in 31 Blättern. Wien, k. k. Hof⸗ und Staatsdruckerei. Geb. M. 3. 60. Neu bearb. v. Gotha. J. Witterungsüberſicht für Sentraleuropa. Monat Mai 1882. Der Verlauf der Witterungserſcheinungen im Mai 1882 läßt ſich in drei voneinander verſchiedene Epochen zerlegen, von denen die erſte vom 1—10. durch raſchen Witterungswechſel, durch ſchwache Winde aus variabler Richtung, durch ziemlich große Gewitter⸗ und Regenhäufigkeit und Dunchlic normale Tem⸗ peraturverhältniſſe, die zweite vom 11—23. durch ziemlich kühles, vorwiegend heiteres und trockenes Wetter bei meiſt ſchwachen ſüdweſtlichen bis nördlichen Winden und die dritte, den übrigen Teil des Monats umfaſſende, durch warmes heiteres Wetter mit großer Gewitterhäufigkeit und ſchwachen ſüdöſtlichen bis ſüd⸗ weſtlichen Winden charakteriſirt ſind. 1—10. Mai. Unter dem Einfluſſe flacher De⸗ preſſionen, welche teils im Nordweſten, teils über Zentraleuropa auftraten, war die Witterung raſchem Wechſel unterworfen. Am 1. lag eine Depreſſion im Nordweſten, welche einen Ausläufer mit trübem, regne⸗ riſchem Wetter nach Weſtdeutſchland entſandte, in welchem ſich am Nachmittage ein ſekundäres Minimum ausbildete. Am Abend und in der Nacht durchſchritt dieſes die ſüd⸗ liche Oſtſee, im nordweſtdeutſchen Küſtengebiete von elek⸗ triſchen Entladungen begleitet. Während das trübe, reg⸗ neriſche Wetter ſich bis zum 2. oſtwärts ausbreitete, trat im Nordweſten wieder raſches Aufklaren ein. Am 3. und 4. war das Wetter über ganz Zentraleuropa heiter, die Temperatur erhob ſich allenthalben über ihren normalen Wert und ſtieg im Deutſchen Binnenlande meiſt über 25°C. Allein dieſes Wetter war von nicht langer Dauer: Am 3. zeigte ſich weſtlich von Frankreich eine flache um⸗ fangreiche Depreſſion, welche langſam nordoſtwärts fort⸗ ſchritt. Am 4. erſtreckte dieſelbe ihren Einfluß auf die britiſchen Inſeln, das Nordſeegebiet und Frankreich, wo überall trübes regneriſches Wetter herrſchte und am 5. und 6., an welchen Tagen die Depreſſion nach dem Finni⸗ ſchen Buſen fortſchritt, war ganz Zentraleuropa nördlich von den Alpen in ihren Wirkungskreis hineingezogen. Unter ihrem Einfluſſe hatten am 3. in Frankreich zahl⸗ reiche elektriſche Entladungen ſtattgefunden, am 4. traten auch in Deutſchland viele Gewitter auf, welche zuerſt im nordweſtdeutſchen Küſtengebiete ſich zeigten und von dort aus ſich raſch ſüdwärts und langſam oſtwärts fortpflanzten. Dabei fielen bei erheblicher Abkühlung vielfach beträchtliche Niederſchläge. Auch am 7. und 8. gab eine Depreſſion, welche zuerſt über dem Biskayiſchen Buſen ſich zeigte und dann ziemlich raſch Frankreich und Deutſchland oſt⸗ nordoſtwärts durchſchritt, Veranlaſſung zu Gewittern und ſehr ergibigen Niederſchlägen; vom 8. auf den 9. fielen in 24 Stunden in Magdeburg 24, in Swinemünde 30, in Friedrichshafen 36 mm. Am 9. lag dieſelbe Depreſſion mit zunehmender Tiefe an der oſtdeutſchen Grenze, im ſüdlichen Oſtſeegebiete ſtürmiſche nördliche Winde bedingend, unter deren Einfluß die Temperatur bis zu 7° unter die Normale herabgedrückt wurde. 11—22. Mai. An derſelben Stelle, am Biskayiſchen Buſen, an welcher die eben beſprochenen Depreſſionen zuerſt ſich zeigten, erſchien am 9. ein Luftdruckmaximum von etwas über 770 mm, welches mit wenig veränderter Höhe lang⸗ ſam nordwärts nach den britiſchen Inſeln ſich verſchob, hier vom 12. bis zum 18. faſt ſtationär blieb, ſich dann am 19. nach Skandinavien verlegte und erſt am 23. ſeinen Weg ſüdoſtwärts weiter fortſetzte. Seine Bahn war, jo zu ſagen, vorgezeichnet, durch eine Depreſſion, welche am 9. im Nordweſten der britiſchen Inſeln erſchien, ſich dann langſam nordoſtwärts nach der norwegiſchen Küſte fort⸗ bewegte, am 12. Südſchweden, am 13. und 14. das mitt⸗ lere Oſtſeegebiet paſſierte und ſich in den folgenden Tagen nach dem ſüdweſtlichen Rußland entfernte. Dem ent⸗ ſprechend drehten über Zentraleuropa die Winde lang⸗ ſam, dem Zeiger der Uhr folgend, aus SW. durch W. Humboldt. — Juli 1882. 277 und NW. nach N. und endlich nach NE. Die Luftbewe— gung war meiſt nur ſchwach, nur in dem Zeitraume vom 12—14., als die eben erwähnte Depreſſion Südſkandina— vien und die mittlere Oſtſee durchſchritt, kamen im Nord—⸗ und Oſtſeegebiete ſtürmiſche weſtliche recht drohende Winde vor, welche an der oſtdeutſchen Küſte volle Sturmesſtärke erreichten, während im Binnenlande die Winde nur lang— ſam, und höchſtens bis zur Stärke 6 der Beaufortſchen Skala auffriſchten. Während dieſer Epoche war das Wetter meiſt heiter, trocken, und unter Einfluß der meiſt nörd— lichen Luftſtrömung, kühl. Insbeſondere vom 17. bis 19. lag die Temperatur beträchtlich unter ihrem normalen Werte, ſo daß ſtellenweiſe Reifbildung oder Nachtfröſte eintraten. Gewitter von größerer Ausdehnung kamen in dieſer Epoche nicht vor. 23—31. Mai. Während das Maximum ſeinen Weg langſam ſüdoſtwärts fortſetzte, wurde der Nordweſten wieder das Depreſſionsgebiet und die Winde, welche meiſt nur ſchwach auftraten, drehten jetzt ziemlich raſch von SG. durch S. nach SW. und hoben die Temperatur allenthalben wieder über ihren normalen Wert. Hervor- zuheben iſt die große Gewitterhäufigkeit dieſer Epoche. Nachdem ſchon am 22. in Frankreich zahlreiche Gewitter ſtattgefunden hatten, erſtreckte ſich am 23. Nachmittags eine breite Gewitterzone von der Südfranzöſiſchen Küſte über Zentraleuropa nach der Deutſchen Küſte hin, wo überall, von SW. nach NE. fortſchreitend, Gewitter ſtatt⸗ fanden (Karlsruhe 3" p. m., Raffel und Leipzig 6 ½ p. m., Magdeburg 7½ p. m., Swinemünde 11 ¼ p. m.). Dabei fielen ſtellenweiſe ſehr erhebliche Niederſchläge (Neufahr— waſſer 44, Sylt 20, Wilhelmshaven 21ů mm). Am 24. und 25. wiederholten ſich dieſe Erſcheinungen im ſüdlichen, nordweſtlichen und nordöſtlichen Deutſchland. Am 26. kamen Gewitter vereinzelt im Süden und Oſten, am 28. auf der Strecke Wiesbaden — Kiel vor, am 30. entluden fic) unter dem Einfluſſe einer flachen Depreſſion ausge- dehnte Gewitter mit heftigen Regengüſſen in dem Gebiete zwiſchen Karlsruhe — München — Magdeburg, wahrſcheinlich von SW. nach NE. ſich fortpflanzend, welche in der Gegend des Erzgebirges von argen Verwüſtungen begleitet waren und endlich am 31. wurden der Weſten und Norden Oeſterreichs von ſchweren Gewittern, zum Teil mit Hagel— ſchlag, heimgeſucht. Im Uebrigen war während dieſer Epoche das Wetter bei meiſt ſehr hohen Tagestemperaturen heiter, vielfach wolkenlos, insbeſondere vom 27—30., als das Luftdruckmaximum, vom Süden kommend, fic) nach Zentraleuropa verlegt hatte. Hamburg. Dr. J. van Bebber. Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im Zuli 1882. 1089 U Coronae 15h 54™ ? 18 14™ 90 0 21 BAC 8152 6 ½½ 12 10™ 14% 50 5 e A II 15> 250 b. u. 15" 13" NI E 14" 4m 17h 75 5 E 14% m 10 81 5 A1 1325 Algol 14° 27 N III E 16" 125 18" 26 1 16" 30" 9} III A 9 42" E. h. | 8 Aqua- 10 47" A. d. ri 6 Jupiters ſich zeigen. Straßburg i. E. Roter Fleck auf A. 14" 54™ 15" 405 14 47a 13 54™ 15" 325 14" 39 31 a We öſtlich von Regulus, am Ende des Monats etwa 4 Monddurchmeſſer ſüdlich von s Leonis und wandert am 27. ganz nahe bei Uranus vorbei. Saturn und Jupiter tauchen im Sternbild des Stiers am Morgenhimmel aus den Sonnenſtrahlen auf, erſterer 2 Stunden vor letzterem aufgehend. Zwiſchen beiden ſteht Aldebaran (* Tauri). Vollmond iff am 1. um 6½ morgens und am 30. um 2 nachmittags; das letzte Viertel am 7. um 10%½ abends; Neumond am 15. um 7½ morgens; das erſte Viertel am 23. um 11" vormittags. In der obigen Tabelle bedeutet @ AI, AI, daß der Schatten des erſten, des zweiten Trabanten zwiſchen den beiden zugehörigen Zeitangaben auf der Scheibe des Jupiters ſichtbar iſt. des erſten Trabanten in den Schatten des Jupiters, A III A Austritt des dritten Trabanten aus dem Schatten des Jupiters. Wenn in der Zeit der Unſichtbarkeit des Jupiters keine Veränderungen in der Lage und Beſchaffenheit des roten Flecks ſtattgefunden haben, ſo ſollte der letztere zu den oben angegebenen Zeiten auf der Scheibe des (Mittlere Berliner Zeit.) Die veränderlichen Sterne Algol und . Tauri treten in dieſem Monat wieder aus den Sonnenſtrahlen hervor; nur der erſtere bietet jedoch ein beobachtbares Lichtminimum. S Caneri iſt in den Sonnenſtrahlen ver— ſchwunden; 3 Librae hat in der kurzen Zeit ſeiner Sichtbarkeit am Abend kein Lichtmini— mum. Von U Cephei iſt nur die Lichtabnahme am 3., 8., 13., 18., 23., 28. zu beobachten, da die Zunahme erſt nach Sonnenaufgang eintritt. Von den Planeten iſt Merkur wenige Tage vor und nach dem 19. am Nordoſthimmel im Sternbilde der Zwillinge mit freiem Auge ſichtbar, aber nicht unter fo günſtigen Um⸗ ſtänden, wie um die Zeit des 31. Mai, wo er unweit von Venus ſchon in früher Abend— dämmerung leicht aufgefunden werden konnte. Venus glänzt am Abendhimmel, wandert am 14. unweit von Regulus, am 29. nahe bei Uranus vorbei, welcher ſich 4 Monddurchmeſſer weſtlich von s Leonis befindet, und kommt am 1. Auguſt in große ſcheinbare Nähe des Mars. 31 Letzterer ſteht am 1. etwa 5 Monddurchmeſſer DL IE bedeutet Eintritt Dr. Hartwig. 278 Humboldt. — Juli 1882. Neueſte Mitteilungen. Die Vreiſe der Variſer Akademie der Wiſſen⸗ ſchaften für 1881 wurden in der folgenden Weiſe verteilt: den Lalandepreis von 6000 Franken er⸗ hielt Profeſſor Swift in Rocheſter für ſeine merk⸗ würdigen Erfolge in der Entdeckung von Kometen, wovon derſelbe innerhalb drei Jahren ſieben auffand. Den zweiten Preis erhielt Herr Gill, Aſtronom am Kap der guten Hoffnung für ſeine neueſten Beſtim⸗ mungen der Sonnenparallaxe. Dieſelbe wurde aus heliometriſchen Beobachtungen des parallaktiſchen Winkels des Mars abgeleitet und zu 8,78 Sekunden gefunden. Der Wert beträgt 19,352,000 geographiſche (93,080,000 engliſche) Meilen für die mittlere Diſtanz der Sonne von der Erde. Der Preis für die wichtigſte Entdeckung in der Phyſik wurde M. Gaſton Planté für ſeine Sekundärbatterie oder Elektrizitäts⸗Akkumu⸗ lator, dagegen der für die Chemie dem verſtorbenen St. Clair Deville zuerkannt. Nach einer der ſtatuariſchen Beſtimmungen der Akademie ſind deren Mitglieder von der Preisverteilung ausgeſchloſſen, daher dieſe nachträgliche Anerkennung der Verdienſte des berühmten Chemikers um die Entdeckung der Erſcheinungen und Geſetze der Diſſociation bemerkenswert iſt, da ein derartiger Preis in dieſem Falle zum erſtenmale zu⸗ erkannt wurde. Schw. Deutſche Selegraphen- und Telephonanlagen. Im elektrotechniſchen Verein zu Berlin hielt Staats⸗ ſekretär Stephan kürzlich einen Vortrag über die Entwickelung des deutſchen unterirdiſchen Telegraphen⸗ netzes und des Fernſprechweſens. Erſteres iſt nun⸗ mehr zum Abſchluß gelangt, indem die bedeutende ſiebenarmige Linie Königsberg⸗Aachen fertig geſtellt iſt. Alle einigermaßen bedeutenden Plätze Deutſch⸗ lands ſind jetzt unterirdiſch verbunden und damit deren ununterbrochener Drahtverkehr geſichert. Die Kabel haben eine Länge von 5463 km, die einzelnen Leitungen eine ſolche von 37,372 km. Was die Telephoneinrichtungen betrifft, ſo durfte der Leiter des deutſchen Telegraphenweſens mit Stolz darauf hinweiſen, daß Deutſchland die Sache zuerſt in die Hand nahm, als die Telephonie ſich noch in ihren Anfängen befand. Augenblicklich beſtehen im deutſchen Reich ſchon ca. 1500 Fernſprechämter; der Betrieb geht ausgezeichnet, Störungen kommen nicht vor. Daneben entwickelte ſich in größeren Orten der tele⸗ phoniſche Privatverkehr in erfreulicher Weiſe. P. Das elektriſche Licht und die Kurzſichtigkeit. Mit Rückſicht auf die große Anzahl von Studierenden, welche mit Kurzſichtigkeit behaftet ſind, hat Profeſſor Pickering in London kürzlich die verſchiedenen phyſi⸗ kaliſchen Urſachen unterſucht, welche dieſen abnormen Zuſtand der Augen hervorbringen können und es hat derſelbe gefunden, daß daran hauptſächlich die Wärme ſchuld trägt, welche unſere jetzigen Beleuchtungsapparate entwickeln. Die Lampenflammen und Glascylinder ſtrahlen bedeutende Wärme aus und dieſelbe wird vom Papier reflektiert. Zugleich wird der hygrometriſche Zuſtand der umgebenden Luft verändert und Stirn, Schläfe und Augen werden trocken. Dieſe Anſicht ſcheint dadurch beſtätigt zu werden, daß Kopfweh und Augenſchmerz temporär durch Befeuchten mit kaltem Waſſer gemildert werden (als ſehr zweckdienlich er⸗ ſcheint uns auch nach eignen Erfahrungen das Ein⸗ reiben der Augenlider mit reinem Glycerin). Ge⸗ wöhnliche Gasbrenner und Oellampen ſtrahlen viel Wärme aus und daher iſt vielleicht ihr ſchädlicher Einfluß auf die Augen erklärlich. In dieſer Be⸗ ziehung dürfte das elektriſche Licht neben ſeiner größeren Intenſität auch noch den Vorteil bieten, daß es die umgebende Luft weniger oder gar nicht erwärmt. In dieſer Beziehung ſoll man in den Zeichenſälen des Kenſingtonmuſeums zu Londen ſchon recht günſtige Erfahrungen gemacht haben. 5 hw. Neuer Beweis für die Kugelgeſtalt der Erde. Es iſt klar, daß bei der Kugelgeſtalt der Erde größere — Seen im Zuſtande der Ruhe eine konvexe Oberfläche bieten müſſen und daß alle Bilder, die infolge der Spiegelung darauf erſcheinen, deshalb nur in ver⸗ kleinertem Maßſtabe in dem konvexen Waſſerſpiegel zu ſehen ſein müſſen. Dieſe Beobachtung iſt in der That von Dufour und Farell auf dem Genferſee gemacht worden und zwar an Bergen und Schiffen, deren Spiegelbild auf der Waſſerfläche in verkleinertem Maßſtabe erſchien. — Somit würde dadurch ein neuer Beweis für die Kugelgeſtalt der Erde erbracht (Mon- des 31. 42). H. Durch Elektrizität getriebenes Boot. Der erſte Verſuch, ein Boot durch Elektrizität zu treiben, wurde bereits im Jahre 1839 von Jacobi auf der Newa ausgeführt. Derſelbe verwendete 128 Gro veſche Elemente und einen Elektromotor eigener Konſtruktion, welcher das Boot durch Schaufelräder in Bewegung ſetzte. G. Trouvsé in Paris hat nun nach dem „Elektricien“ kürzlich dieſen Verſuch mit Erfolg auf der Seine wiederholt. Das dazu verwendete kleine Boot, das „Telephon“ genannt, konnte drei Perſonen tragen und wurde durch eine dreiflügelige Schraube getrieben, die in einem Ausſchnitt des Steuerruders gelagert und durch Kette mit den beiden oben auf dem Steuer angebrachten Motoren verbunden war. Bei dieſer Anordnung wurde die Steuerung leicht. Die Motoren waren kleine dynamo⸗elektriſche Maſchinen mit Siemens-Rollen und von Trouvé's eigener Konſtruktion; beide waren vollſtändig unabhängig von⸗ einander. Dieſe Motoren wurden durch zwei Batterien, aus je ſechs Chromſäure⸗Elementen von großer Ober⸗ fläche beſtehend, mittels zweier Metallſchnüre geſpeiſt, die, gleichzeitig mit hölzernen Handgriffen verſehen, zur Bewegung des Steuers dienten. An den Hand⸗ griffen waren überdies Vorrichtungen zum Cine und Ausſchalten angebracht. Das Boot wog mit den Ele⸗ menten, Motoren und drei Perſonen 350 kg. Es fuhr ſtromaufwärts mit einer Geſchwindigkeit von 1 m in der Sekunde und ſtromabwärts mit der doppelten Geſchwindigkeit, wobei die Stromgeſchwindigkeit un⸗ gefähr 20 em in der Sekunde betrug. IE dehnte Praxis betrieb. har de Nat wi en. 8 war eine ſtattliche Verſammlung von Leidtragenden, welche am 24. April der A Beerdigung von Charles Darwin in der 2 ¶RVVeſtminſterabtei beiwohnte. Mitglieder des königlichen Hauſes, die ausgezeichnetſten Vertreter der Wiſſenſchaften, Miniſter und Deputierte des Parla— ments — ſie alle legten Zeugnis ab für die Ver— ehrung, welche nicht allein England, ſondern die ganze ziviliſierte Welt einem Manne zollt, der zwar im Leben nie eine offizielle Stellung einnahm, deſſen Gedanken jedoch einen Widerhall bis in die ent— legenſten Gebiete menſchlichen Wiſſens und Geiſtes— lebens fanden. So ruht er nun nach dem Willen des Volkes zwiſchen Newton und Herſchel in jenem Se Pantheon der britiſchen Nation, wo dem Beſchauer im eigentlichen Sinne des Wortes auf Schritt und Tritt der Ruhm und die geiſtige Bedeutung Englands durch die Grabſtätten ſeiner großen Toten vorgeführt wird. Charles Darwin wurde am 12. Februar 1809 zu Shrewsbury geboren, wo ſein Vater, Dr. Robert Waring Darwin, als geachteter Arzt eine ausge— Nachdem er ſeinen erſten Unterricht in der Vaterſtadt erhalten hatte, bezog er 1825 als ſechzehnjähriger Student die Univerſität Edinburg, um dann zwei Jahre ſpäter in Cambridge ſeinen naturwiſſenſchaftlichen Studien bis zum Jahre 1831 obzuliegen. Oft hat es Darwin bei der ihm eignen Offenherzigkeit und Beſcheidenheit beklagt, daß er ſeine Univerſitätszeit nicht beſſer ausnutzte, ſondern durch die trockene Darſtellung von dem Beſuch der Vorleſungen ſich abſchrecken ließ und als eifriger „Sammler und Jäger“ in der freien Natur ſich um— hertrieb. Eine unüberwindliche Abneigung gegen die Sektion von Leichen beſtimmte ihn, dem Studium der Anatomie und Medizin zu entſagen und vorwiegend mit Humboldt 1882. Botanik und dem Sammeln von Tieren ſich zu beſchäfti— gen. In ſeiner Neigung für die Botanik wurde er nament— lich durch die Vorleſungen und den Verkehr mit Pro— feſſor Henslow in Cambridge beſtärkt, welcher bald die Beobachtungsgabe und das Talent von Darwin erkannte und als ein väterlicher Freund dem mit rührender Anhänglichkeit ergebenen jungen Manne zur Seite ſtand. Henslow ſuchte den unſyſtema— tiſchen Sammeleifer zu dämpfen, wies auf methodiſche Beobachtung und Unterſuchung hin und erweckte ſchließlich auch Darwins Neigung für Geologie. Mächtig angeregt durch die glanzvollen Reiſeſchilde— rungen Alexander von Humboldts beſchloß Dar— win, nachdem er ſeine Examina in Cambridge ab— ſolviert hatte, eine wiſſenſchaftliche Reiſe zu unter— nehmen. Eine Gelegenheit hierzu bot ſich ihm 1832 in der von der britiſchen Regierung beabſichtigten Expedition des „Beagle“ behufs Unterſuchung und kartographiſcher Aufnahme der Küſte von Südamerika, welcher dann Längenbeſtimmungen und hydrographiſche Meſſungen in der Südſee ſich anſchließen ſollten. Der treffliche Kapitän des Schiffes, Robert Fib- Roy, beabſichtigte einen wiſſenſchaftlich gebildeten Naturforſcher an Bord zu nehmen, dem er außer freier Verpflegung einen Teil der Kabine zur Ver— fügung ſtellen wollte. Darwin meldete ſich frei— willig und verzichtete auf jeglichen Gehalt unter der Bedingung, daß die Sammlungen ihm als Eigentum überlaſſen blieben. Am 27. Dezember 1831 verließ der „Beagle“ den Hafen von Devonport, um dann zunächſt über Teneriffa die braſilianiſche Küſte und das Feuerland nebſt den angrenzenden Inſeln zu unterſuchen und dann durch die Magelhaensſtraße längs der chileniſchen und peruaniſchen Küſte zu ſegeln. Nachdem mehrfach ausgedehnte Landerkurſionen in das Innere des Kontinentes unternommen worden 36 280 Humboldt. — Auguſt 1882. waren, wurde den Galapagosinſeln ein Beſuch ab⸗ geſtattet und dann die Weiterreiſe durch den Stillen Ozean bis nach Neuſeeland ausgedehnt. Bei der Rückfahrt landete der „Beagle“ in Vandiemens⸗ land und Auſtralien, um ſchließlich über Mauritius und um das Kap der guten Hoffnung zum zweiten⸗ mal Braſilien aufzuſuchen und endlich nach fünf⸗ jähriger Reiſe im Oktober 1836 im heimatlichen Lande, das Darwin ſeitdem nicht wieder verließ, einzutreffen. : Nie, jo geſteht Darwin, war ein Forſcher ſchlechter für eine Entdeckungsreiſe vorbereitet, wohl ſelten, ſo dürfen wir hinzufügen, hat eine Weltum⸗ ſegelung den Keim zu großartigeren Anſchauungen gelegt. Raſtlos war er während derſelben thätig, die Lücken ſeines Wiſſens zu ergänzen, obwohl er trotz ſeiner ungewöhnlichen Körperkraft und anſcheinend trefflichen Geſundheit auf das empfindlichſte während der fünf Jahre an der Seekrankheit litt. Die im Jahre 1846 erſchienenen Reiſeſchilderungen Darwins geben in anmutiger und feſſelnder Form eine Idee von ſeiner univerſellen Begabung und geiſtvollen, an einen Humboldt erinnernden Auffaſſung der Natur. Hier ſind es geologiſche Erſcheinungen, welche ſein Intereſſe feſſeln, dort wieder die geographiſche Ver⸗ breitung von Tieren und Pflanzen; anthropologiſche und paläontologiſche Forſchungen, die ſtille Thätig⸗ keit der Korallentiere und die Erhebung der Korallen⸗ inſeln, Struktur und Fortpflanzungsverhältniſſe niederer Tiere — ihnen allen wendet er ſeine Aufmerkſamkeit zu, um aus den mühſam gewonnenen Detailbeobach⸗ tungen zu allgemeinen Anſchauungen durchzudringen. Nicht unſchwer wird man in ſeinen Reiſeſchilderungen und in den zahlreichen wiſſenſchaftlichen Bearbeitungen ſeiner Sammlungen und Beobachtungen die Keime ſeiner ſpäteren Ideen über die Entſtehung der Leb- weſen entdecken. „Als ich während der Fahrt des Beagle,“ ſo erzählt Darwin, „den Galapagos⸗ archipel, der im Stillen Ozean ungefähr 500 engliſche Meilen von der Küſte von Südamerika entfernt liegt, beſuchte, ſah ich mich von eigentümlichen Arten von Vögeln, Reptilien und Pflanzen umgeben, die ſonſt nirgends in der Welt exiſtieren. Doch tragen ſie faſt alle ein amerikaniſches Gepräge an ſich. Zuvor hatte ich auf der Reiſe von Nord nach Süd auf beiden Seiten von Amerika viele Tiere ge⸗ ſammelt; und überall, unter Lebensbedingungen, die ſo verſchieden als nur möglich waren, traten mir amerikaniſche Formen entgegen; Arten erſetzten Arten derſelben eigentümlichen Genera. So zeigte es ſich beim Beſteigen der Kordilleren, beim Eindringen in die dichten tropiſchen Urwälder, bei der Unterſuchung der Süßwaſſer Amerikas. — So drängte ſich mir von neuem der Gedanke auf, daß Gemeinſamkeit der Abſtammung von den früheren Einwohnern oder Koloniſten Südamerikas allein das ſo verbreitete Vorherrſchen amerikaniſcher Typen durch jenes ganze, große Gebiet erklären könne. Gräbt man mit ſeiner eignen Hand die Knochen ausgeſtorbener gigantiſcher Säugetiere aus, ſo tritt die ganze Frage der Aufeinanderfolge der Arten lebendig vor die Seele.“ Nach der Rückkehr von der Reiſe verbrachte Da r⸗ win drei Jahre in London und verheiratete ſich im Jahre 1839 mit E. Wedgwood, der Tochter ſeines Onkels Joſiah Wedgwood und Enkelin des be⸗ rühmten Erfinders der Wedgwood-Thonwaren. Um lediglich ſeinen Arbeiten leben zu können und ſeine offen⸗ bar infolge der Reiſe angegriffene Geſundheit zu ſchonen, zog er fic) 1842 nach dem bei London zwiſchen Beckenham und Bromley gelegenen Down zurück. Von dieſem idylliſchen Landſitze in dem üppigen Kent datieren alle ſeine epochemachenden Arbeiten. Zunächſt erſchienen in raſcher Folge zahlreiche Publi⸗ kationen, welche die geologiſchen und zoologiſchen Ergebniſſe ſeiner Reiſe behandelten. Unter ihnen ſei außer der großen 1840 im Verein mit den ausge⸗ zeichnetſten Fachgelehrten begonnenen und von der bri⸗ tijden Regierung fubventionierten „Zoology of the voyage of H. M.S. Beagle“ vorwiegend ſeines epoche⸗ machenden Werkes über den Bau und die Verbreitung der Korallenriffe (1842) und der trefflichen Mono⸗ graphie der Cirripedien (1851—1854) gedacht, in welch letzteren er außer einer umfaſſenden Charakteriſtik der lebenden und foſſilen Formen die Wiſſenſchaſt mit der Entdeckung eines der merkwürdigſten Ge⸗ ſchlechtsdimorphismen bereicherte. Obwohl nämlich die Rankenfüßler hermaphroditiſche Kruſtaceen repräſen⸗ tieren, ſo beſitzen doch nach Darwin einige Gat⸗ tungen Zwergmännchen (complemental males), welche wie Paraſiten dem Körper des Zwitters aufſitzen. Tritt in dieſen Publikationen das ſpekulative Ele⸗ ment in den Hintergrund, ſo waren es doch die Fragen über Entſtehung und Verbreitung der tieriſchen und pflanzlichen Arten, welche bereits während der Reiſe Darwin zum Nachdenken anregten und all⸗ mählich, nachdem er jahrelang, wie er ſelbſt geſteht, nur Thatſachen geſammelt hatte, ehe er ſich erlaubte, aus ihnen allgemeine Schlüſſe zu ziehen, eine klare Faſſung erhielten. Daß der Begriff einer Art, wie er zuerſt durch Ray in die beſchreibenden Natur⸗ wiſſenſchaften eingeführt wurde, in jener ſtarren Faß⸗ ſung, welche ihm Linns verlieh, nicht länger halt⸗ bar ſei, hatten ja bereits vor Darwin mehrfach den⸗ kende Forſcher betont. Mit ſeinem berühmten Aus⸗ ſpruch „tot numeramus species diversas, quot ab initio creayit infinitum ens“ trat Lin ns einerſeits mit der großartig angelegten Anforderung hervor, den Gedanken des Schöpfers nachzugehen, während doch gleichzeitig ein ſupranaturaliſtiſches Element in eine naturwiſſenſchaftliche Definition eingeführt wurde, welches dem Geiſte derſelben vollſtändig zuwider iſt. Wenn wir von Definitionen in den beſchreibenden Naturwiſſenſchaften reden, fo müſſen wir fie ſtreng von den Definitionen der reinen Geiſteswiſſenſchaften, der Philoſophie und Mathematik, unterſcheiden. Pascal ſagt einmal in ſeinen Reflexionen über die Mathematik, daß wir uns keines Ausdrucks bedienen dürfen, deſſen Sinn wir nicht zuvor vollſtändig analy⸗ ſierten. Die wiſſenſchaftliche Methode beſtehe darin, Humboldt. — Auguſt 1882. 281 alles zu definieren und zu beweiſen. Aber er bemerkt doch zugleich, daß dies nicht immer möglich iſt. Nach ſeiner Anſicht ſind die wahren Definitionen nur Namensdefinitionen, d. h. das Setzen eines Namens für Objekte, welche der menſchliche Geiſt wählte, um die Rede abzukürzen. Wir können deshalb nicht De— finitionen für Objekte geben, welche der menſchliche Geiſt nicht geſchaffen hat, wir können eben mit einem Worte keine Definitionen von Naturobjekten auf— ſtellen. Die Mathematik und teilweiſe die Philoſophie können die Objekte ihrer Unterſuchung definieren, da ſie eine reine Schöpfung des menſchlichen Verſtandes repräſentieren. Trotzdem ſtoßen wir auch bei ihnen auf einfache Begriffe, welche wir nicht zu definieren vermögen. In den Erfahrungswiſſenſchaften erkennen wir die Objekte erſt nach und nach. An der Hand allge— meiner, vergleichender Anſchauungen und verfeinerter experimenteller Methoden ſuchen wir uns einen immer detaillierteren Einblick zu verſchaffen. Wir beſitzen nicht im Beginn unſrer Forſchung, wie es der Begriff einer Definition vorausſetzt, eine vollſtändige und lückenloſe Kenntnis von dem Weſen der entgentreten— den Objekte, ſondern wir ſetzen es uns zum Ziel, ge— wiſſermaßen zum unerreichbaren Ideal, eine Definition aufzuſtellen. Die Definitionen der beſchreibenden Naturwiſſenſchaften repräſentieren weiter nichts, denn den prägnanten Ausdruck der Summe des jeweilig Erkannten; ſie ſind wandelbar und bedürfen mit dem Fortſchritt der Wiſſenſchaft einer bald weiteren, bald engeren Faſſung, ja wir ſind unter Umſtänden oft genötigt, auf eine Definition überhaupt Verzicht zu leiſten. Wenn daher Lin ns die naturhiſtoriſche Art als etwas von Beginn der Schöpfung an Unver— änderliches definierte und man ſpäterhin allen höheren Kategorien und ſchließlich mit Cuvier auch den Typen jenes ſtarre Element vindizierte, ſo lag es in der Natur der Sache, daß mit der fortſchreitenden Erkenntnis Zweifel an der Richtigkeit der Linnsſchen Definition geäußert wurden. ganze Reihe von Forſchern und Philoſophen an, welche bereits vor ihm die Variabilität der Arten ſtatuierten und zum Teil ſogar zu weittragenden Folgerungen über den Zuſammenhang der organiſchen Natur geführt wurden. Bewundern wir bei manchen derſelben, ſo bei Oken, Göthe und dem ſcharfſinnigen Großvater Darwins, Erasmus Darwin, das divinatoriſche Genie, welches ſie den Zuſammenhang der belebten Natur oft mehr ahnen, denn durch That— ſachen begründen ließ, ſo tritt uns anderſeits in Lamarck ein Forſcher entgegen, der, mit einer ſtau— nenswerten Detailkenntnis der tieriſchen und pflanz— lichen Formen ausgerüſtet, geradezu als Begründer einer Transmutationslehre aufzufaſſen iſt. Für Lamarck gibt es nur zwei Möglichkeiten, welche das Problem von der Entſtehung der Arten löſen. „Ent⸗ weder hat die Natur (oder ihr Schöpfer) bei der Schaffung der Tiere alle möglichen Verhältniſſe, in welche ſie kommen würden, vorausgeſehen und hat jeder Art eine konſtante Organiſation, ſowie eine Darwin führt eine’ beſtimmte und in ihren Teilen unveränderliche Geſtalt gegeben, welche jede Art an den Orten und in den Klimaten, in denen man ſie vorfindet, zu leben und hier ihre Gewohnheiten beizubehalten zwingen — oder die Natur hat alle Tierarten nacheinander her— vorgebracht. Sie hat mit den unvollkommenſten und einfachſten begonnen und mit den vollkommenſten aufgehört; ſie hat ihre Organiſation ſtufenweiſe ver— wickelt. Indem ſich die Tiere allgemein auf alle bewohnbaren Orte der Erdoberfläche ausbreiteten, hat jede Art derſelben, durch den Einfluß der Verhält— niſſe, in welchen ſie ſich befanden, ihre Gewohnheiten und diejenigen Modifikationen in ihren Teilen erlangt, die wir bei ihr beobachten.“ Lamarck ſucht nun in feiner , Philosophie zoologique“ auf die faſt unlösbaren Schwierigkeiten hinzuweiſen, denen wir bei Annahme der erſten Möglichkeit begegnen und entſcheidet ſich für eine Deſzendenz der Lebeweſen. Im Prinzip ſind es zwei Momente: Vererbung und Anpaſſung, welche Lamarck als treibende Motive für die Umwandlung der Arten verwertet. Den Einfluß der äußeren Exiſtenzbedingungen, auf welche der Organismus zu reagieren genötigt wird, weiß er wohl zu würdigen, namentlich legt er jedoch dem gewohnheitsmäßigen Gebrauch oder Nichtgebrauch der Organe eine große Bedeutung bei. Er fehlt inſofern, als er die Ge— wohnheiten und Triebe der Tiere als das Primäre betrachtet, welches die abweichende Konfiguration der Organſyſteme in zweiter Linie bedinge, ohne zu be— denken, daß Bau und Lebensweiſe der Organismen wie zwei Glieder einer Gleichung aneinander gebunden ſind und beide nur gleichzeitig eine entſprechende Aenderung zulaſſen. Lamarck fühlte ſelbſt, daß die von ihm verwerteten Prinzipien die ſteigende Vervollkommnung in der Organiſation, und die Ent— wickelung des Höheren aus Niederem nicht vollkommen erklären, und ſo greift er ſchließlich noch zu einer myſtiſchen 1 des Lebens“, welche die Organi— ſation der Lebeweſen beſtändig verwickele. Wenn er damit auch einen unklaren Begriff einführt, der an die ſupponierte „Lebenskraft“, das „treibende Prinzip“ der naturphiloſophiſchen Schule erinnert, wenn er auch vielfach ſeine Spekulationen mit phantaſtiſchen Vorſtellungen durchwebt, ſo müſſen wir immerhin die Kühnheit ſeiner Schlüſſe, welche ſelbſt die Abſtammung des Menſchen in den Kreis der Betrachtung ziehen, bewundern. Dieſen Schwächen ſeiner Darſtellung und vor allem dem unvollkommenen Zuſtand der Naturwiſſen— ſchaften, welche gerade den gewichtigſten Indizienbe— weis für die Annahme einer Deſzendenz aus der Paläontologie und Entwickelungsgeſchichte nicht zu führen vermochten, war es zuzuſchreiben, daß die An— ſchauungen Lamarcks nur noch in Geoffroy Saint— Hilaire einen Vertreter fanden, um dann faſt völlig der Vergeſſenheit anheim zu fallen. Erſt als Schwann und Schleiden die Lehre von dem Aufbau der Tiere und Pflanzen aus Zellen aufſtellten, als Karl Ernſt v. Bär in einer Reihe tief— ſinniger Unterſuchungen die vergleichende Entwickelungs— 282 Humboldt — Auguſt 1882. geſchichte begründet und den Nachweis geliefert hatte, daß die höheren Tiere Entwickelungszuſtände durch⸗ laufen, welche die niederen zeitlebens fixiert zeigen, als Cuvier durch eine Reihe glanzvoller Unterſuchungen ſowohl der Paläontologie, wie auch der vergleichenden Anatomie ihren eigentlich wiſſenſchaftlichen Gehalt gegeben hatte, als endlich Charles Lyell mit ſeinen Reformideen in der Geologie hervortrat — da war das Fundament gelegt, auf dem eine Entwickelungs⸗ hypotheſe mit Erfolg aufgebaut werden konnte. 1859 erſchien Darwins „Origin of species“. Zwanzig Jahre hindurch hatte er mit der Publikation jener Ideen zurückgehalten, die bei dem Beſuch von Südamerika entſtanden und allmählich zur feſt be⸗ gründeten Hypotheſe gereift waren. 1839 entwarf * 0 ) * (%% % J NUNN Wins AINA 0 ö 0 0 NN ) er die erſte ſchriftliche Skizze ſeiner Anſichten und unterbreitete dieſelbe dann 1844 befreundeten For⸗ ſchern zur Prüfung und Meinungsäußerung. Erſt als 1858 der berühmte engliſche Reiſende Alfred Ruſſel Wallace bei ſeinen Reiſen auf den Mo⸗ lukken zu Anſichten gekommen war, welche im Prin⸗ zip durchaus mit denen Darwins harmonierten, Humboldt. — Auguſt 1882. entſchloß ſich Darwin auf das ſtürmiſche Drängen ſeiner Freunde, Hooker und Charles Lyell, hin gleichzeitig mit dem Berichte von Wallace einen Auszug aus ſeinen Manuſkripten im Juli 1858 der Linnean Society of London vorzulegen, dem dann 1859 die ausführlichere Darſtellung in der Entſtehung der Arten nachfolgte. Charakteriſtiſch für die Be— ſcheidenheit der beiden Begründer der Deſzendenz— lehre iſt der Umſtand, daß Darwin die Priorität der Publikation Wallace überlaſſen wollte, während ſeinerſeits wieder Wallace mit Freuden anerkannte, wie viel umfaſſender und tiefer Darwin der Löſung des Problems nahe getreten war. Indem nun Darwin, angeregt durch das Studium von Malthus' Nationalökonomie, den beiden von Lamarck bereits verwerteten Prinzipien: Vererbung und Anpaſſung als treibendes Motiv zur Artumbildung, noch den „Kampf um das Daſein“ hinzugefügt, entrollt er ein Bild von dem Getriebe und der ſtufenweiſen Vervollkommnung des organiſchen Lebens, welches an Großartigkeit ſeinesgleichen ſucht. Wir wiſſen nicht, was wir mehr an ihm bewundern ſollen; ob ſein umfaſſendes Wiſſen, welches alle Gebiete der Naturwiſſenſchaft harmoniſch durchdrungen hat, ob den eiſernen Fleiß, mit dem die Thatſachen zuſammen— getragen und unter einheitliche Geſichtspunkte geſtellt werden, ob die Beſcheidenheit, das Beobachtungstalent und den glücklichen Experimentator, oder endlich die Fülle der neuen Gedanken, welche nie zu phantaſti— ſchen Vorſtellungen verwebt, ſondern ſtets von der ſtrengſten Selbſtkritik geleitet eng an die Thatſachen ſich anſchließen. Die Bedeutung von Darwins Werk, das einen Wendepunkt in unſrer geſamten Naturauffaſſung darſtellt, allſeitig zu würdigen, würde den Rahmen dieſer Skizze weit überſchreiten. „Es war ein Schlag, wie die Geſchichte der Wiſſenſchaft noch keinen ſah: ſo lange vorbereitet und doch ſo plötzlich; ſo ruhig geführt und doch ſo machtvoll treffend; an Umfang und Bedeutung des erſchütterten Gebietes, an Wieder⸗ hall bis in die fernſten Kreiſe der menſchlichen Er— kenntnis eine wiſſenſchaftliche That ohnegleichen“ (Du Bois-Reym ond). Die in dem „Origin of species“ oft nur kurz berührten Wirkungen der künſtlichen, natürlichen und geſchlechtlichen Zuchtwahl; die Entwickelung der Schönheit in der Natur, die Wechſelbeziehungen zwiſchen Tier und Pflanze und die Wirkungen der Kreuz- und Selbſtbefruchtung bei Pflanzen behandelte Darwin ſpäterhin in einer Reihe von gehaltvollen und bahnbrechenden Werken), denen dann rein wiſſenſchaftliche Abhandlungen, welche keinen direkten Bezug zu der Entwickelungs⸗ hypotheſe haben (ſo die Abhandlungen über inſekten— *) Ueber die Befruchtung der Orchideen durch In— ſekten (1862), Die Variation von Tieren und Pflanzen unter dem Einfluſſe der Domeſtifikation (1868), Ueber die Abſtammung des Menſchen und über die geſchlechtliche Zuchtwahl (1871), Ueber den Ausdruck der Gemütsbe— wegungen bei Menſchen und Tieren (1872), Ueber die Kreuz- und Selbſtbefruchtung der Pflanzen (1876). 283 freſſende Pflanzen [1875], über das Bewegungsver— mögen der Pflanzen [1880] und ſeine letzte Arbeit: Die Bildung der Ackererde durch die Thätigkeit der Würmer [1881] ſich anſchloſſen. In allen dieſen Schriften offenbart ſich Darwin als derſelbe geiſtvolle und glückliche Forſcher, der mit liebenswürdiger Beſcheidenheit und Aufrichtigkeit ſo— wohl die Verdienſte andrer in das richtige Licht ſtellt, als auch die Einwürfe derſelben mit Sorgfalt prüft und oft dem Leſer die Waffen in die Hand gibt, welche zur Bekämpfung der Hypotheſe dienen können. Frei von tendenziöſer Darſtellung knüpft er in ſeinen Folgerungen ſtets an die Thatſachen und ſeine eignen Wahrnehmungen an; wenn er ſchließlich auch den Menſchen in den Kreis ſeiner Betrachtungen zieht, ſo geſchieht es auf den direkten Eindruck hin, welchen er bei dem Beſuche des Feuerlandes empfing. „Das Erſtaunen, welches ich empfand,“ ſo ſchreibt Darwin, „als ich zuerſt einen Trupp Feuerländer an einer wilden zerklüfteten Küſte ſah, werde ich nie vergeſſen, denn der Gedanke ſchoß mir ſofort durch den Sinn: ſo waren unſre Vorfahren. Dieſe Men— ſchen waren abſolut nackt und mit Farbe bedeckt, ihr langes Haar war verſchlungen, ihr Mund vor Auf— regung begeifert und ihr Ausdruck wild, verwundert und mißtrauiſch. Sie beſaßen kaum irgend welche Kunſtfertigkeit und lebten wie wilde Tiere von dem, was ſie fangen konnten. Sie hatten keine Regierung und waren gegen jeden, der nicht von ihrem kleinen Stamme war, ohne Erbarmen. Wer einen Wilden in ſeinem Heimatlande geſehen hat, der wird ſich nicht ſchämen, wenn er zu der Anerkennung gezwungen iſt, daß das Blut noch niedrigerer Weſen in ſeinen Adern rollt.“ Darwin hat es vermieden, den höchſten und letzten Fragen der Wiſſenſchaft nahe zu treten oder gar eine vermeintliche Löſung derſelben zu verſuchen. Sie ſind ja gerade in Deutſchland, wo die Entwicke— lungshypotheſe enthuſiaſtiſche Aufnahme und haupt⸗ ſächlich ihre ſpätere geiſtige Vertiefung fand, von Forſchern ausreichend behandelt worden, deren Namen in aller Munde leben. Er rechnet nur mit That— ſachen, ohne zu verſchweigen, daß wir über die letzte Urſache der Erſcheinungen der Vererbung, über die erſte Entſtehung der Lebeweſen nichts wiſſen. Wenn er die Vererbung durch eine Theorie der Pangeneſis plauſibel zu machen ſucht, ſo bezeichnet er letztere ausdrücklich als eine proviſoriſche und kleidet im Grunde nur die Anſchauungen von Hippokrates in ein modernes Gewand. Er verſchweigt auch nicht, daß noch manche dunkle Punkte ſeiner Hypotheſe einer befriedigenden Erklärung bedürfen und war überzeugt, daß, wie er den Anſchauungen Lamarcks ein neues Prinzip hinzufügte, ſo auch ſeine Hypotheſe weiterer, den Mechanismus der Artumbildung er— klärender Prinzipien bedürfe. Daß jedoch ſeinem Wirken nicht das Schickſal Lamarcks zu teil werde, dafür hat die Wiſſenſchaft geſorgt. Wohl ſelten hat eine Hypotheſe anregender gewirkt, wohl ſelten erlebte die Wiſſenſchaft eine Zeit, in der gleich intenſiv, 284 Humboldt. — Auguſt 1882. gründlich und ehrlich das Beſtreben hervortrat, den Erſcheinungen der Lebeweſen nachzuforſchen und das mühſam gewonnene Detail unter einen großartigen Geſichtspunkt zu ſtellen. Der vergleichenden Phyſio⸗ logie und Biologie iſt ein unabſehbar weites Feld für Forſchungen eröffnet worden; die Entwickelungs⸗ geſchichte hat einen ungeahnten Aufſchwung genommen und Hand in Hand mit der vergleichenden Anatomie unſre Ideen über die Verwandtſchaftsbeziehungen der Tiere und der Pflanzen geklärt; die Lehre von der geographiſchen Verbreitung der jetzigen Lebewelt im Lichte der Deſzendenzhypotheſe beginnt ſich zu einer eignen Disgnlin heranzubilden; der Syſtematiker ſucht die Verwandtſchaftsverhältniſſe der Arten, von denen man früher mehr in idealem Sinne ſprach, als den Ausdruck einer Blutsverwandtſchaft hinzu⸗ ſtellen und den „Stammbaum“ zu ergründen; die Paläontologie endlich hat in den letzten Jahrzehnten durch eine Reihe glanzvoller Entdeckungen, welche diejenigen Cuviers weit überſtrahlen, einen Indi⸗ zienbeweis für die Deſzendenz zu führen vermocht, wie er angeſichts der von Darwin ſo nachdrücklich betonten Unvollſtändigkeit der geologiſchen Urkunde kaum ſchlagender denkbar iſt. Dieſen großartigen Aufſchwung hat Darwin noch in ſeinen letzten Lebensjahren erlebt und mit regem Intereſſe verfolgt. „Jeder, der mit Darwin verkehrte,“ ſo ſchreibt ſein langjähriger Freund Huxley, „mußte an Sokrates erinnert werden. Derſelbe Wunſch, einen Menſchen zu finden, weiſer als er ſelbſt; derſelbe Glaube an die Souveränität der Vernunft; derſelbe ſchlagfertige Humor; dasſelbe teilnahmvolle Intereſſe für alle Ziele und Beſtre⸗ bungen der Menſchheit. Statt aber von den Pro⸗ blemen der Natur als für immer unlösbaren ſich abzukehren, hat unſer moderner Philoſoph ſein ganzes Leben darauf verwandt, ſie im Geiſte eines Heraklit und Demokrit anzugreifen und was er gefunden, bil⸗ det den Körper, als deſſen voreilender Schatten ihre Spekulationen zu betrachten ſind.“ Dr. Carl Chun in Leipzig. Ueber Brutpflege bei Reptilien und Lurchen. Don Prof. Dr. C. B. Ulunzinger in Stuttgart. W die Säugetiere und Vögel alle, die In⸗ ſekten zum großen Teile für ihre Brut, Eier oder Junge, oft in ausgezeichneter und wunderbarer Weiſe ſorgen, finden wir von einer ſolchen Pflege bei den Reptilien, Amphibien und Fiſchen meiſtens gar nichts oder nur bei wenigen, nur ausnahmsweiſe. Brutpflege in der Art, daß die Alten ihre Brut in für deren Entwickelung möglichſt günſtige Orte bringen, iſt freilich bei allen Tieren vorhanden, auch den nieder⸗ ſten, und muß es ſein, ſonſt würde das Geſchlecht ja gar nicht exiſtieren. Aber nachdem ſie dieſer Be⸗ dingung genügt haben, bekümmern ſich jene Tiere nicht weiter um ihre Nachkommenſchaft; ja manche freſſen, wie viele Fiſche, bei nächſter 5 ihre eigene Brut wieder auf. Bei den am höchſten ſtehenden der genannten 3 Tierklaſſen, bei den eigentlichen Reptilien, kennt man nur 2 Beiſpiele von eigentlicher Brutpflege, von Behütung oder ſelbſt Bebrütung: einmal bei den meiſten Arten der Krokodile. Nach übereinſtimmen⸗ den Angaben baut ſich das Weibchen des Miſſiſſippi⸗ kaimans (Alligator lucius) beſondere Neſter für ſeine Eier im dichten Geſträuch oder Rohr 50 bis 60 Schritte vom Waſſer entfernt, zu welchem Zweck es Blätter, Stöcke u. dgl. im Rachen herbeiträgt, legt die Eier hinein und deckt ſie, ſchichtenweiſe ge⸗ legt, ſorgſam wieder zu. Fortan ſoll es beſtändig in der Nähe des Neſtes auf Wache liegen und grimmig über jedes Weſen, das ſich den Eiern nähert, her⸗ fallen. Die ausgekrochenen Jungen werden dann von der Mutter ins Waſſer geführt, zunächſt der Sicherheit wegen in kleine Tümpel. Aehnliches er⸗ zählen Schomburgk vom ſüdamerikaniſchen Mohren⸗ kaiman (Alligator niger), Humboldt vom Spitz⸗ krokodil (Crocodilus acutus), das die Jungen ſogar auf dem Rücken tragen ſoll, und die Eingebornen im Sudan vom Nilkrokodil. Auch von einigen Schlangen wird erwähnt (Dumeril und Bibron, Erpetologie VI, S. 190, aber ohne nähere Angaben), daß ſie den Ort, wo ſie die Eier gelegt haben, bewachen, den Augenblick des Auskriechens erwarten und die erſten Bewegungen ihrer Jungen überwachen. Ja, es wird ſogar (4. c.) erzählt, eine Klapperſchlange habe in der Gefahr ihre Jungen in ihren Schlund geſteckt, und nach der Gefahr wieder herauskriechen laſſen, eine Beobachtung, die allerdings nicht genügend beglaubigt, indes nicht ohne Beiſpiel in der Tierwelt iſt (der ſyriſche Fiſch Chromis pater familias). Sicher iſt dagegen eine förmliche Bebrütung bei einer Rieſenſchlange (Python) aus Indien beobachtet worden und zwar nicht bloß von Ein⸗ gebornen, ſondern von dem Zoologen Valenciennes im Jardin des plantes in Paris. Das Weibchen Humboldt. — Auguſt 1882. 285 legte ſich fo über ihren Eiern zuſammen, daß die Leibeswindungen ein flaches Gewölbe bildeten, deſſen höchſte Stelle der Kopf einnahm und in dieſer Lage blieb die Schlange 2 Monate lang, bis die Jungen ausſchlüpften. Da die Schlange als kaltblütiges Tier faſt keine Eigenwärme hat, ſo konnte dieſe Lage wohl nur dazu dienen, die Wärmeausſtrahlung von den Eiern zu hindern und ſo die Eier wärmer zu erhalten. Noch weniger, als die Reptilien, welche ihre Eier doch mindeſtens in Sand, Erde, Mulm u. dgl. ver— ſcharren und bergen, haben die Amphibien oder Lurche zu ſorgen. Die Eier der Jungen müſſen hier einen gewiſſen Grad von Feuchtigkeit haben, um das Stadium, wo ſie mit Kiemen atmen, durchlaufen zu können. Die meiſten ſetzen daher einfach ihren Laich in das Waſſer ab, ohne ſich weiter darum zu be— kümmern, ja ſie gehen dabei vielfach mit ſozuſagen unverzeihlichem Leichtſinn zu Werke, indem ihnen oft eine ſeichte Regenpfütze, die dem Vertrocknen nahe iſt, wo alſo der Laich zu Grunde gehen muß, genügt, namentlich die Kröten, die nicht gern ins Waſſer gehen. Die Fälle, wo Lurche eine wirkliche Brutpflege zeigen, beziehen ſich eben meiſtens auf ſolche waſſer— ſcheue, das Waſſer meidende Arten: es ſind meiſtens Laubfröſche und krötenartige Tiere. Brutpflege und Waſſerſcheu hängen bei den Lurchen offenbar zuſammen. Der bekannteſte Fall iſt der bei unſrer ſogenannten Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans), welche in Frankreich, Italien und in der Schweiz gemein iſt, in Deutſchland aber nur im Weſten, beſonders im Rheinthal, ſich findet. Schon 1778 beobachtete Demours in Paris, und zwar im Jardin des plantes ſelbſt, das eigentümliche Gebahren derſelben, und ſpäter beſtätigten Brongniart und Agaſſiz deſſen An— gaben, ſo daß ſie allgemein als feſtſtehend angenommen wurden, bis fie in neueſter Zeit de l'Jsle 1876 weſent— lich modifizierte. Nach den älteren Autoren ergreift das Männchen bei der Paarung, welche im Trockenen vor ſich geht, das erſte aus dem Weibchen austretende Ei mit den 2 mittleren Zehen des einen Hinterfußes, ſtreckt dieſen und zieht die Eierſchnur heraus, macht es mit dem andern Fuß ebenſo, bis die ganze Schnur heraus iſt, und wickelt dieſe dann in Ser Touren um ſeinen Fuß bis zur Hälfte herauf, wobei die die Eier zu— ſammenhaltende Gallerte zu einem dünnen Faden vertrocknet. Das in ſeinen Bewegungen durch dieſe Laſt behinderte Männchen ſoll ſich dann 10—20 Tage in eine Höhle oder Mauerſpalte zurückziehen, bis die Eier reif geworden ſind; dann geht es ins Waſſer, was das Tier ſonſt nicht thut, die Eier quellen auf und die Jungen kriechen daraus in wenigen Mi— nuten, die einzelnen ſogar mit Blitzesſchnelle, hervor und ſchwimmen davon, als verhältnismäßig ſchon weit entwickelte Quappen, die das Stadium der äußeren Kiemen ſchon im Ei durchlaufen hatten. Nach de l'Isle's genauen Beobachtungen verhält ſich der Vorgang aber weſentlich anders. Das Greifen des Männchens an oder in die Kloake des Weibchens geſchieht nicht zum Zwecke des Herausholens der Eier, ſondern zum Reizen des Weibchens, und geht dem Akt des Eierlegens, das in einem Ruck geſchieht, voran. Die in 2 roſenkranzförmigen Schnüren her— vorkommenden und dann zu einem Paket zuſammen— klebenden Eier werden in einem viereckigen Raum zwiſchen den Füßen des Männchens, welche an der Ferſe, durch das Weibchen gehalten, zuſammenſchließen, aufgenommen; und endlich, nach mehreren Pauſen, befeſtigt das Männchen die inzwiſchen zäher gewordene Eiermaſſe an ſeinen Ferſen und Füßen bis zum Kreuz herauf, indem es die Füße abwechſelnd in die Maſſe hineintaucht, ſtreckt und wieder zurückzieht, ein Vor— gang, der, wie die vorausgegangene Paarung, un— gefähr / Stunde dauert. De l' Isle fand ferner, daß dieſe Männchen mitſamt ihrer Laſt nachts herumhüpfen, ja ſogar zuweilen in dieſem Zuſtand wieder ſich paaren und eine zweite Schnur aufnehmen; das Verſtecken derſelben hält er für eine Ausnahme. Eine zweite Art von Brutpflege iſt die, wo das Weibchen die Eier in eigens dazu gebildeten Rücken— taſchen herumträgt und hier gewiſſermaßen ausbrütet. Die Eier gelangen dahin mit Hilfe des Männchens. Der berühmteſte Fall dieſer Art iſt der von Pipa americana, der Wabenkröte aus Surinam und Braſilien, ſchon 1705 von dem Fräulein Sibylle Merian entdeckt und 1775 näher von Fermin be— ſchrieben. Die eigentümliche Kröte bewohnt am liebſten den Schlamm; das Laichen geſchieht nach einigen im Trockenen im Sand, nach andern im Waſſer. Das Männchen ſtreicht die Eier dem Weibchen auf den Rücken, woſelbſt ſich durch den Reiz um jedes Ei eine Hautwucherung, oder genauer, eine Wucherung der Hautdrüſen bildet, worin die Eier wie in Bienen— waben liegen und ſich hier bald zu Jungen entwickeln, welche, bereits mit 4 Beinen verſehen und ohne Larven— ſchwanz, noch geraume Zeit in ihren Zellen auf dem Rücken der Mutter verweilen, wie Beuteltiere. Sie ſcheinen gar keine Metamorphoſe durchzumachen; noch niemand hat Kiemen bei ihnen geſehen, höchſtens ein ſchwanzartiges Atemorgan, das aber auch ſehr bald noch im Ei reſorbiert wird. Das Weibchen wird ſich daher während der Brutzeit im Trockenen oder wenigſtens an der Oberfläche des Waſſers auf— halten. Einen ähnlichen Fall entdeckte 1854 Weinland bei einem Laubfroſch aus Venezuela; es iſt der Beutelfroſch, Notodelphys oder Opisthodelphys ovifera. Er fand den Froſch mit auffallend großen, aber wenigen Eiern gefüllt, welche ſich in 2 Taſchen auf dem Rücken unter der Haut befanden und zu der eine Hautſpalte über dem After führte. Die Em— bryonen in den Eiern waren ſchon wohl entwickelte Quappen mit Augen, Schwanz und 4 Beinen, und hatten ein eigentümliches glockenartiges, an einem Stil ſitzendes Organ, den äußeren Kiemen der andern Batrachier in der Lage entſprechend. Die Dottermaſſe war auffallend groß, eine Eigentümlichkeit der auf dem Land ſich bildenden Tiere. Schon 1841 wurde ein andrer Beutelfroſch aus Ecuador und Mexiko (Nototrema marsupiatum) beſchrieben, bei dem die 286 Humboldt. — Auguſt 1882. Verhältniſſe ganz ähnlich, aber noch nicht näher be⸗ kannt ſind ). ’ Eine dritte eigentümliche Entwickelungsart bei Lurchen, welche auch mit Brutpflege verbunden iſt, iſt die in einem Schaum, ebenfalls im Trockenen vor ſich gehend. Erſt in den letzten Jahren ſind mehrere ſolche Fälle von verſchiedenen Seiten her be⸗ kannt geworden. 1867 beſchrieb Henſel einen Froſch aus dem Urwald von Rio grande dal Sud in Süd⸗ braſilien, als Cystignathus mystaceus (Hensel nec Spix); er iſt dem bekannten zierlichen Pfeiffroſch (Cyst. ocellatus) ähnlich, er geht nicht ins Waſſer, wohl aber macht er, und zwar immer in der Nähe von Pfützen, innerhalb der Grenzen, wohin das Waſſer nach heftigen Regen ſteigen kann, unter Steinen, faulenden Baumſtämmen u. dgl. eine Höhlung, welche er mit einem weißen zähen Schaum, wie aus ge⸗ ſchlagenem Eiweiß, ausfüllt; in der Mitte dieſer Maſſe finden ſich die fahlgelben Eier. Die jungen Larven, die daraus ſich bilden, haben äußere Kiemen. Steigt das Waſſer der Pfütze bis in jenes Neſt, ſo ſchwimmen ſie, wie andre Quappen davon. Sie ſind aber außerordentlich lebenszäh, und können lange Zeit ſich feucht erhalten, da ihr Rücken ſehr drüſenreich iſt; wenn die Pfütze austrocknet und die Quappen andrer Arten ſterben, ziehen ſich die des genannten Pfeiffroſches unter ſchützende Gegenſtände, Bretter, Baumſtämme u. dgl. zurück und bleiben hier gruppen⸗ weiſe zuſammengeballt liegen, bis die Pfütze ſich wieder füllt. Ob die Jungen auch ohne Waſſer ſich zu voll⸗ kommenen Tieren verwandeln können, iſt zweifelhaft. Ungefähr dasſelbe beobachtete neuerdings Gundlach bei Cystignathus typhonius Daud. (S. Peters, Berlin, akad. Monatsber. 1876.) Eine Beobachtung, welche ein Spanier, Dr. Bello in Portorico, an einem Laubfroſch (Hylodes martini- censis Tschudi), dem Antillenfroſch, Coqui ge- nannt, machte, erregte beſonders dadurch Aufſehen, daß die Jungen vollkommen entwickelt aus dem Ei kommen. Er fand 1870 im Garten einen ſolchen Coqui auf einem „Lilienblatt“ ſitzen, und an letzterem ca. 30 Eier in einer baumwollenen Hülle zuſammen⸗ geklebt; die Mutter hielt ſich in ihrer Nähe, „wie um ſie zu bebrüten“. Wenige Tage darauf fand er die nur 2—3““ großen entwickelten Jungen, die raſch heranwuchſen. 1876 wurde dies von Gundlach be- ſtätigt und Peters fand bei genauerer Unterſuchung, daß ſchon die Embryonen im Ei 4 Extremitäten haben, und einen ſehr gefäßreichen breiten Schwanz beſitzen, der wohl als Reſpirationsorgan dienen dürfte, da weder von Kiemen, noch von Kiemenlöchern ſich eine Spur fand *). Ebenſo ſcheint auch die Entwickelung der oben genannten Wabenkröte vor ſich zu gehen. Noch eine auffallende Eigentümlichkeit hierbei iſt zu erwähnen, ) Neuerdings hat Boulenger wieder darüber ge⸗ ſchrieben. Die Zeitſchrift Bull. Soc. Zool. France 1880 ſteht mir aber nicht zu Gebot. a) Bavay glaubt zwar einen Kiemenbogen geſehen zu haben; dies könnte nach Peters aber auch ein Aorten⸗ bogen ſein. daß der Embryo innerhalb einer dem Amnion der höheren Tiere (Amnioten) ähnlichen Blaſe und Flüſſig⸗ keit liegt. Ein dritter (oder vierter) Fall von Brutpflege mit Entwickelung der Eier in einem Schaum iſt 1875 von dem verſtorbenen Dr. Buchholz in Weſt— afrika beobachtet und von Peters beſchrieben worden; auch hier handelt es ſich wieder um einen das Waſſer meidenden Laubfroſch, Chiromantis guineensis Buch h. An den Blättern eines niederen Baums, der halb im Waſſer ſtand, fand Buchholz einige ziemlich große, ſchneeweiße, lockere, teilweiſe an der Luft erſtarrte ſchaumige Maſſen, wie von Inſekten, z. B. Cikaden, worin ſich zahlreiche Eier, ſowie ganz junge, friſch aus dem Ei geſchlüpfte Froſchlarven zeigten; nach einigen Tagen ſchlüpften auch die Eier aus. Die Larven entwickelten ſich, wie andre Quappen, in Waſſer geſetzt, weiter. Die wenige Schaummaſſe, der Gallerte des gewöhnlichen Froſchlaichs entſprechend, kann die Larven aber nur kurze Zeit nach dem Aus⸗ ſchlüpfen ernähren, und es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe durch die Regengüſſe von den Zweigen der Bäume in das Waſſer hinabgeſpült werden. Bald fand Buchholz auch den oben erwähnten Froſch ſelbſt auf jenen Bäumen, und endlich denſelben im Laichen be⸗ griffen, und ſogar auf der Laichmaſſe ſitzend, die er mit allen 4 Extremitäten umarmt hatte, wie bei der Paarung. Die Maſſe war noch halbflüſſig, zähſchaumig, erſt im Lauf des Tags erſtarrte ſie an der Luft. Noch verdient eine mündliche Mitteilung unſres Freundes A. Kappler), der 40 Jahre lang in Surinam gelebt, beobachtet und geſammelt hat, Er⸗ wähnung. Er behauptet, und das wiſſe in Surinam jeder Eingeborene, daß ein Laubfroſch (Dendrobates trivittatus Spix) ſeine Quappen auf dem Rücken von einem Gewäſſer zum andern trage. Die Alten und die Quappen, die er an das König⸗ liche Naturalienkabinet in Stuttgart einſchickte, haben freilich gar keine eigentümliche Organiſation, welche einen Anhaltspunkt zur Erklärung dieſes Verhaltens geben könnte, und dieſe Beobachtung, welche ſonſt von keinem wiſſenſchaftlichen Reiſenden weder an dem längſt bekannten Froſche, noch an irgend einem andern gemacht wurde, iſt auch zu ungenügend, da über die ſonſtige Lebensweiſe und die Entwickelungsgeſchichte des betreffenden Tieres nichts angegeben werden konnte. So unwahrſcheinlich iſt dieſes Anhaften der Quappen aber gar nicht, da ja auch die Quappen unſrer Fröſche ſich gern an Gegenſtände im Waſſer, wie Pflanzen, Stengel u. dgl. anſetzen, und zwar, wie es ſcheint, durch Anſaugen mit dem kleinen Mund. (S. Röſel, Fröſche, Taf. 2, Fig. 17.) Wenn man nun nach den Gründen forſcht, warum gewiſſe Arten der Lurche ſo für ihre Brut ſorgen, andre nicht, ſo haben wir ſchon auf den Zuſammen⸗ hang hingewieſen zwiſchen Brutpflege und Waſſerſcheu, d. h. Neigung, das Waſſer zu vermeiden. Gehen wir noch einen Schritt weiter, um dieſe Verhältniſſe 2 A. Kappler, Holländiſch-Guiana, Stuttgart 1881. Humboldt. — Auguſt 1882. 287 zu verſtehen, und zwar auf Grund der Entwickelungs— lehre, welche dieſe, wenn auch nicht zu beweiſen, ſo doch am einfachſten und natürlichſten zu erklären ver- mag, ſo dürfte die jetzt als Waſſerſcheu ſich darbietende Eigentümlichkeit durch einen einſt im Lebenslauf jener Arten entſtandenen Wa ſſermangel ſich gebildet haben, welcher ſie zwang, ihrer gefährdeten Brut auf eine andre als die bisher gewohnte Weiſe das Leben zu ſichern: alſo nach dem Obigen durch Aufnahme auf den Rücken, durch Herumtragen an den Füßen, durch Einhüllen in einen Schaum. So wurde den Embryonen wenigſtens ein Minimum der für das Amphibienleben ſo nötigen Feuchtigkeit zugeführt, und ſie entwickelten ſich darin im Verhältnis zu andren Arten weit, ſo daß ſie beim Ausſchlüpfen ſchon einige Stadien zurückgelegt haben, welche andre Fröſche erſt in der Freiheit durchmachen, z. B. das Stadium der äußeren Kiemen, einige Arten ſo weit, daß ſie beim Ausſchlüpfen ſchon völlige entwickelte Lufttiere ge— worden ſind, ja es ſcheint, daß bei dieſen nicht ein— mal im Ei Kiemen zur Entwickelung gekommen ſind. Bei erſteren wurde das Waſſerleben aber wenigſtens abgekürzt. Freilich iſt bei dieſem Raiſonnement ſchwer ein— zuſehen, warum dieſe Fröſche, nachdem der hypothetiſche Waſſermangel nicht mehr vorlag, nicht wieder all— mählich zu der gewöhnlichen Eierablegung ihrer Gat— tungsverwandten zurückkehrten. Ganz analoge Entwickelungsverhältniſſe zeigen auch die geſchwänzten Amphibien oder Salamander. Während unſre Tritonen oder Waſſerſalamander ihre Eier ins Waſſer abſetzen, wie die meiſten Fröſche, bringt unſer das Waſſer meidender gefleckter Erd— ſalamander lebendige Junge hervor, die aber noch äußere Kiemen tragen und noch längere Zeit im Waſſer leben müſſen. Unſer ſchwarzer Berg- oder Alpenſalamander aber bringt ſchon völlig zum Luft— tier entwickelte Junge zur Welt und ſetzt ſie auf dem Trockenen ab, nachdem bekanntlich in jedem Eileiter ſich bloß ein Junges entwickelt hat, während die übrigen Eier von dieſen im Mutterleibe aufgefreſſen werden. Der Alpenſalamander verhält ſich im Wejent- lichen wie die Wabenkröte, nur daß die Jungen ſich nicht auf, ſondern in dem Leibe der Mutter, und zwar völlig entwickeln. Bei beiden Landſalaman⸗ dern haben wir alſo ebenfalls eine Brutpflege, nur eine innere und daher nicht ſo auffällige. Der Grund davon iſt auch hier wieder Waſſerſcheu, reſp. Waſſer⸗ mangel, und Anpaſſung an die gegebenen äußeren Umſtände zur Sicherung der Art. Die Diskuſſion über Kinderernährung auf der Salzburger Naturforſcherverſammlung. Don Dr. Philipp Biedert, Hreis- und Spitalarzt in Hagenau im Elſaß. 1 ie letzte Jahresverſammlung deutſcher Natur— forſcher und Aerzte in Salzburg war in einer faſt providentiellen Weiſe vom Wetter begünſtigt. Nachdem uns der Sonne heller Schein am Sonntag Nachmittag das glänzende Grau der Feſtung auf grüner Höhe, die ragenden Zacken des Untersbergs und der hohen Göll im ſtrahlenden Licht und zarte— ſten Duft gezeigt, konnte derſelbe am Montag noch einmal gleich freundlich blicken, unbeſorgt darum, daß an dieſem erſten Hauptarbeitstag durch ihn der friſche Eifer der Naturforſcher zu Allotriis verlockt würde. Am Dienstag ſchon trieb vorſorglicher Regen an dem der Arbeit beſtimmten Vormittag die Feft- gäſte in die der Pflicht geweihten Räume. Zur Strafe aber dafür, daß ſich an dem folgenden wundervollen Mittwoch bereits viele von der allgemeinen Sitzung weg in die lachenden Alpenthäler und zum dunkel— träumenden See hatten führen laſſen, verregnete der Himmel am nächſten Tag den vielverheißenden Aus— Humboldt 1882. flug nach Zell⸗am⸗See gründlich, und fein unfreund— liches Geſicht korrigierte an den letzten Verſammlungs⸗ tagen wirkſam das Bedenkliche, das ein ſo reizender Sitz und eine ſo verführeriſch freundliche Bevölkerung für den anhaltenden Arbeitseifer einer wiſſenſchaftlichen Verſammlung hat. Der uns hier beſchäftigende Gegenſtand hatte dieſe Witterungseinflüſſe weniger nötig. Teils ſtand er an den erſten beiden ſchaffensfriſchen Vormittagen auf der Tagesordnung der pädiatriſchen Sektion, teils ſcheint ſeine innere Bedeutung genügende Gewalt über den der Kinderwelt zugeneigten Teil der Naturforſcher und Aerzte zu haben. So vermochte er es, den ge— räumigen Saal der k. k. Oberen Realſchule, in wel— chem die Sektion über ihn diskutierte, mit einer die Mehrzahl der angeſehenſten Fachmänner deutſcher Zunge enthaltenden Teilnehmerzahl ſtundenlang ge— füllt zu halten. Es war aber auch den Verhand— lungen in einer Weiſe vorgearbeitet worden, die ihnen ein beſonderes Intereſſe zu geben verſprach. Eine 37 288 Humboldt. — Auguſt 1882. vor zwei Jahren auf der Naturforſcherverſammlung in Baden ernannte Kommiſſion hatte es unternommen, in zahlreichen von ſpeziellen Referenten wieder durch⸗ ſonderten Einzel- und Geſamtarbeiten das Vertrauens⸗ würdige aus der Maſſe deſſen, was bis jetzt über die Ernährung der Säuglinge vorgebracht wurde, aus⸗ zuleſen, um betreffs einer Anzahl wichtiger Einzel⸗ fragen zu einem möglichſt einheitlichen und feſten Standpunkt zu kommen. Der gewonnene Stand⸗ punkt ſollte Mittelpunkt der Diskuſſion werden. Ich will nun ſofort zuſammenfaſſen, was ſich als Quint⸗ eſſenz dieſer Geſamtarbeit herausgeſtellt und was von dem Vorſitzenden der Kommiſſion, Dr. Soltmann⸗ Breslau, als ſolche in einer einleitenden Rede!) ent⸗ wickelt wurde unter allgemeiner und durch die ganze folgende Diskuſſion nicht veränderter Zuſtimmung der Verſammlung. Ich gebe demnach förmliche Prinzipien in dem Nachſtehenden: 1) Das Beſte, was dem Kinde geboten werden kann, iſt die Milch ſeiner Mutter, und jede Mutter iſt verpflichtet, ihrem Kinde dieſe Nahrung zu gewähren, um nicht durch eine Unterlaſſungsſünde entweder nur ihr Kind einer größeren oder, wenn ſie eine Amme nimmt, ihr Kind einer mäßigen, das der Amme einer großen Gefahr auszuſetzen. 2) Sehr ſelten wird eine Frau in guten Verhältniſſen außer Stande ſein, dieſe Pflicht völlig oder teilweiſe zu erfüllen, viel ſeltener jedenfalls, als von bequemen Müttern angenommen und auch hier und da von allzu nachgiebigen Aerzten zugegeben wird. 3) Wo aber wegen Krankheit oder andern zwingenden Gründen die Mutter wirklich nicht ſtillen kann, oder wenn — was häufiger vorkommt — ihre Milch früher oder ſpäter zur völligen Ernährung des Kindes nicht ausreicht, dann verdient als aus⸗ ſchließliches oder — im zweiten Fall — teil⸗ weiſes Erſatzmittel der Muttermilch für das erſte halbe Jahr nur eine Tiermilch, ins⸗ beſondere die Kuhmilch in entſprechender Präparation, worunter auch für ſchwierige Fälle die von Biedert angegebenen Rahm⸗ gemenge zu rechnen ſind, in Betracht genom⸗ men zu werden. 4) Alle anderweitigen künſtlichen Prä⸗ parationen und Fabrikate ſind überflüſſig, zu teuer und einesteils weniger nahrhaft, andernteils weniger leicht verdaulich, als die richtig behandelte Kuhmilch; insbeſondere gilt das letztere von den ebenſo prätentiös angeprie⸗ ſenen, wie kritiklos angenommenen Kindermehlen, von denen Markt und Haushaltungen überſchwemmt ſind und deren Verwendung vor Ablauf des erſten 159 Jahres **) keine competente Stimme das Wort redete. ) Dieſe mit lebhaftem Beifall aufgenommene Solt⸗ mannſche Rede iſt unverkürzt in dem weiter unten citier⸗ ten Spezialbericht enthalten. ) Ich möchte übrigens hier bemerken, daß von dieſen Dies Glaubensbekenntniß der berufenen Vertreter der Kinderheilkunde iſt geeignet, allgemeine Aufmerk⸗ ſamkeit zu erregen und die oft noch ſonderbaren und verworrenen Meinungen über die Art und Weiſe, wie man ſeinen werdenden Sproſſen zu traktieren habe, vermöge ſeiner Einfachheit wirkſam aufzuklären. Es könnte förmlich zum Markſtein der Verſtändigung mit allen Kinderbeſitzern und ſonſtigen Intereſſenten dieſer wichtigen Angelegenheit werden, einer Ver⸗ ſtändigung, ohne welche für ſie nichts Großes und Dauerndes geleiſtet werden kann. Schreiber dieſes durfte mit Befriedigung in jenem Votum das wieder⸗ finden, was er in ausführlicher Begründung in ſei⸗ nem kurz vorher erſchienenen Buch über Kinderernäh⸗ rung) darzuthun bemüht war. Und wenn der Vor⸗ ſitzende bei Aufzählung der Arbeiten der obenerwähnten Kommiſſion in erſter Linie dies Buch nannte, indem er es als „Baſis für jede weitere Forſchung auf dem Gebiete der Kinderernährung“ unter dem Beifall der Verſammlung bezeichnete ), fo kann ich darauf wohl den Anſpruch ſtützen, daß ich wie mit meiner vorhin gelieferten Zuſammenfaſſung der allgemeinen Grund⸗ ſätze, ſo in den nachfolgenden Weiterausführungen einiger Einzelheiten die jetzt in kompetenten Kreiſen maßgebenden Anſchauungen wiedergebe. Ich werde dabei, um den Leſern dieſes Blattes ein abgerundetes Bild zu bieten, den eingehend in der Diskuſſion be⸗ ſprochenen Punkten hier und da Einiges, was — als dem Fachmann bekannt — nur flüchtig berührt wurde, ergänzend beifügen müſſen. Der Gegenſtand, um den ſich die Verhandlungen gleich am erſten Tage drehten, war, nachdem die Wichtigkeit der (Tier⸗) Kuhmilch prinzipiell feſt⸗ geſtellt war, naturgemäß die möglichſt allgemeine Gewinnung einer guten Milch für die Kinder⸗ ernährung. Theoretiſch und praktiſch kann dieſe Forderung nur durch Zuſammenwirken verſchiedener Perſönlichkeiten, von Aerzten, praktiſchen Oekonomen, Molkereitechnikern und Verwaltungsbeamten gelöſt werden. Die Aerzte verlangen eine rein erhaltene, unzerſetzte Milch von normaler Zuſammenſetzung und frei von jedem Krankheitskeim. Die Oekonomen können dafür ſorgen mittelſt gut gehaltener, nicht durch ſtarke Inzucht verdorbener Viehraſſen, unter denen jedenfalls auch die mit Recht geſchätzten Ge⸗ birgsraſſen vertreten ſein ſollen. Sie werden dieſe Tiere in nicht zu engen und dumpfen, regelmäßig gereinigten und gelüfteten Ställen, bei guter Pflege und gutem Futter geſund zu erhalten ſuchen, krankes Mehlen, die in den ſpäteren Monaten für Wohlhabende als Uebergang zur feſteren Nahrung wohl empfehlenswert find, gerade das urſprüngliche Neſtleſche nicht mehr das beſte iſt, ſondern dieſe Bezeichnung einigen deutſchen Fabri⸗ katen gebührt. *) Die Kinderernährung im Säuglingsalter. Von Dr. Ph. Biedert, Spital- und Kreisarzt in Hagenau i. E. Stuttgart, bei Enke. N ) Spezialbericht der Diskuſſion über die Ernährungs⸗ frage, erſtattet von Albrecht im Jahrb. f. Kinderheilkunde N. F. XVIII, Heft 1, S. 17. Humboldt. — Auguſt 1882. 289 Vieh zeitig ausſcheiden, die Milch aber durch Rein— lichkeit der Gefäße und des Aufbewahrungsraumes vor jeder Verderbnis ſchützen. Was darüber die Molkereitechnik lehrt, wird uns gleich noch einmal kurz beſchäftigen. Der Verwaltungsbeamte wird durch Aufſicht zunächſt dafür ſorgen, daß gute unverfälſchte Milch an den Markt gebracht wird. Durch Milch— wage findet er den Waſſerzuſatz; ebenſo wichtig iſt, daß er, z. B. mit dem Feſerſchen Laktoſkop, feſtſtelle, ob keine Entrahmung ſtattgefunden. Denn das Fett iſt ein außerordentlich wichtiger Beſtandteil der Milch für die Ernährung. Jeder intelligente Schutzmann kann dieſe Proben machen und kann auch mit Reagens— papier oder durch Kochen im Reagensglas ſehen, ob die Milch nicht ſchon zu ſauer geworden, er kann darauf achten, ob ſie nicht übel ausſehend, ſchmutzig iſt. Sehr viel kann durch dieſe Maßregeln allein genützt werden. In exquiſiter Weiſe ſind neuerdings für Erzeugung guter Milch bemüht und ein unbeſtreitbares Verdienſt haben ſich dadurch erworben die Kurmilch- oder Kinder- milchanſtalten. Dies Verdienſt beſteht hauptſächlich darin, daß ſie in vielen Orten erſt gezeigt haben, wie eine gute Milch beſchaffen iſt, daß ſie nach ver— ſchiedenen Richtungen ein praktiſches Vorbild für deren Erzeugung gegeben haben, und daß ſie auf dieſe Weiſe ſowohl zahlreiche konkurrierende Oekonomen zum Streben nach einem ähnlichen Produkt angeregt, als auch beim Publikum die Anſprüche erhöht, die Aufmerkſamkeit auf verſchiedene Punkte verſtärkt haben. Dagegen erhob ſich in der Verſammlung eine lebhafte Debatte darüber, ob in dieſen An— ſtalten nicht doch vielfach in den Anſprüchen an die Milcherzeugung über das Ziel geſchoſſen und ſo das Erzeugnis unnötig verteuert werde, in einer Weiſe, die der Verallgemeinerung einer ſolchen tadelloſen Milcherzeugung, von der über— haupt erſt ihre Bedeutung für die ganze Bevölke⸗ rung datieren würde, geradezu im Wege ſteht. Als in dieſer Weiſe wohl übertrieben wurde das ſehr teure Beſchränken auf ganz wenige Gebirgsraſſen an⸗ geführt, die immer wieder raſch nachbezogen werden müſſen, weil eine Nachzucht und ſelbſt ein langes Halten des Viehs, wie nachher zu erwähnen, zu ge— fährlich iſt, ferner die luxuriöſe Ausſtattung der Ställe, Zementieren der Decken, Oelfarbenanſtrich in den— ſelben ꝛc., der vielleicht zu groß bemeſſene Raum der— ſelben, koſtſpielige Geſchäftsführung, endlich ganz be— ſonders die koſtſpielige Trockenfütterung, d. i. Fütte⸗ rung des Milchviehs ausſchließlich mit Heu und Körnern. Ein Mitglied der Verſammlung konnte auf Grund eigner Erfahrung in einem großen, ihm gehörigen Stall faſt jeden dieſer gemachten Einwände beſtätigen, von der Nutzloſigkeit des Oelanſtrichs, der im Stalldunſt zerfreſſen und erweicht werde, bis zu dem nur vermeintlichen Vorteil der Trockenfütterung, die nicht allein keine beſſere Milch produziere, als vorſichtiges und rationelles Miſchfutter, die ſogar nicht einmal auf die Dauer dem Vieh munde, es dann nicht mehr genügend ernähre und geſund er— halte). Andre erzählten allerdings von beſſeren Fütterungs- und ſogar lukrativen Mäſtungsreſultaten bei den abgemelkten Tieren. Als indes jene ſchlimmen Reſultate in unerwarteter Weiſe von Bern aus gerade auch für die am meiſten gerühmte Schwyzer Raſſe beſtätigt wurden, als man hörte, daß gerade dieſe dort bei Trockenfütterung nach 1—2 Jahren krank, häufig perlſüchtig geworden ſei, da geriet auch bei den wärmſten Verehrern der Glaube an die unfehl— bare Notwendigkeit dieſer Fütterungsmethode ins Wanken. Noch ehe ein andrer Kollege, Landsmann einer berühmten Kurmilchanſtalt, zugefügt hatte, daß nicht ſo regelmäßig, wie man glaube, an dieſer An— ſtalt Sektionen der abgängigen Tiere gemacht würden und deren Geſundheit bewieſen, daß er im Gegenteil auch dort von perlſüchtigen (tuberkulöſen) Tieren gehört — vorher ſchon hatten mehrere Vertreter (Albrecht, Förſter) der Trockenfütterung ihre Ueber- zeugung mit der einſchränkenden Bedingung verſehen, daß das hierbei eingeſtellte Milchvieh nicht zu lange gehalten, nicht bis zum Ende der Milchergiebigkeit benutzt, ſondern ſehr häufig gewechſelt werden ſolle. Ueberhaupt konnte bei der eingangs erwähnten prinzipiellen Uebereinſtimmung der Verſammlung auch die lebhafteſte Debatte über eine techniſche Einzel— heit keinen ſolchen Riß in ihre Meinungen bringen, daß dieſelben ſchließlich nicht leicht etwa in folgender Faſſung zuſammengetroffen wären: „Die Kurmilch— anſtalten ſind als ein weſentlicher Fortſchritt anzu⸗ ſehen, an deſſen zeitiger Form zunächſt wenigſtens für Begüterte mit Nachdruck feſtzuhalten iſt. Im Intereſſe der allgemeinen Milchverſorgung aber iſt es dringend zu wünſchen, daß man mit ſorgfältigem, aber weniger koſtſpieligem Vorgehen eine dem Preiſe nach allen Kreiſen zugängliche Milch erzeuge.“ Profeſſor Henoch-Berlin betonte ebenfalls mit Nachdruck die letzte Forderung vom Standpunkt einer groß⸗ ſtädtiſchen Bevölkerung aus, und wie notwendig dieſe Rückſicht überall iſt, hat eine Mitteilung des (auch ſonſt in der Lehre von der Kinderernährung mit großem Verdienſt thätigen) Profeſſors Demme-Bern über die in dieſer Stadt projektierte Milchkuranſtalt gezeigt. Nach den vorliegenden Plänen über Bau und Geſchäftsbetrieb würde der Liter Milch auf 42 Centimes gekommen ſein, demnach noch weit billiger, als in den bekannteren deutſchen Anſtalten, die 50 Pfennige für die gleiche Menge nehmen. Man fand jedoch dort auch jenen geringeren Preis noch ſo hoch, daß daran zunächſt das ganze Vorhaben ſcheiterte; *) Damit niemand hieran Anſtoß nehme, jet ausdrück— lich beigefügt, daß unter der mit der Trockenfütterung konkurrierenden ebenfalls eine ſehr ſorgfältig geregelte Fütte— rungsmethode verſtanden iſt, mit vorſichtigen Uebergängen zur jedesmaligen Grünfütterung, fortwährender Mitbe— nutzung auch von Trockenfutter und Ausſchluß oder Redu⸗ zierung auf erlaubte Mengen bei jedem irgendwie bedent- lichen Futterſtoff. Etwas Näheres über dieſe Art der Fütterung iſt u. a. in meinem oben citierten Buch mit⸗ geteilt. 290 Humboldt. — Auguſt 1882. Bern wird jetzt eine auf noch billigeren Unterlagen errichtete Anſtalt erhalten. Ich habe noch und hatte ſchon, als ich mich im Sinne der oben ſkizzierten Einwendungen an der Debatte über die Kurmilchanſtalten beteiligte, für jetzt keine endgültige Schlußfolgerung im Auge. Mir ſchien nur ſicher, daß der Beweis für die ausſchließ⸗ liche Notwendigkeit einer beſtimmten Viehhaltung und Viehfütterung noch nicht erbracht, daß in jenen An⸗ ſtalten ſomit in einem gewiſſen Grade die That dem Gedanken vorausgeeilt ſei. Ehe man aber allgemein auf das ſchwierige Terrain, auf das dieſe Eile ge⸗ führt hat, folgt, halte ich eine Beweisaufnahme über das wirkliche Bedürfnis für erforderlich in Form einer vergleichenden Unterſuchung an Kindern, die mit Ver⸗ ſtändnis und gleicher Sorgfalt durch Milch, die unter verſchiedenen beſtimmten Bedingungen erzeugt iſt, ernährt werden. Und zwar müßte dies in einer zu dieſem Zwecke für einige Zeit zu unterhaltenden eig⸗ nen Verſuchsanſtalt für Kinderernährung ge⸗ ſchehen. Bis jetzt hat man noch nichts derart gethan, um den Beweis für die Ueberlegenheit der ſpezifiſchen Kurmilch zu liefern. Im Gegenteil habe ich und haben viele andre mit gewöhnlicher guter Bauern⸗ milch bei richtiger Behandlung derſelben Erfolge er⸗ zielt, wie ſie beſſer kaum zu erwarten ſind; es wurde ſogar geradezu von kundiger Seite in der Verſamm⸗ lung für Frankfurt bezeugt und auch für Leipzig wurde es verſichert, daß ein Vorzug der teuren Milch der dortigen Kurmilchanſtalten vor billigerer guter von andern Oekonomen erzeugter Milch ſich keines⸗ wegs ergeben habe. Mein Vorſchlag jener vergleichenden Prüfung, die ideell der erſten Anlage einer ganzen Milchanſtalt eigentlich hätte vorausgehen müſſen, fand deshalb inſofern ſofortigen Anklang, als der ſchon genannte Teilnehmer an der Debatte, der zugleich Beſitzer eines großen Milchviehſtalls ijt (Heſſing⸗Augsburg), ſich bereit erklärte, mehrere Stück ſeines Viehſtandes in verſchiedener Weiſe halten und füttern zu laſſen, ſpäter auch ein Kollege in Augsburg die Verſuche mit der ſo gewonnenen Milch zu machen übernahm. Ich weiß nicht, ob ſchließlich die Umſtände ermög⸗ lichen werden, daß dieſe Abſicht Geſtalt gewinnt und Früchte trägt. Schon aber die Ueberlegung, daß hierbei die immer unſichere und verſchiedenartige Behandlung der Kinder und der Milch in den jeweiligen Familien das Ergebnis beeinfluſſen muß, läßt für eine allgemein⸗ gültige Löſung der Frage das urſprüngliche Verlangen nach einer ſpeziell dafür eingerichteten kleinen Anſtalt nicht überflüſſig erſcheinen. Dieſelbe, die mit einem ſchon beſtehenden Spital, Kinderſpital ꝛc. verknüpft werden könnte, hätte die Aufgabe, unter einheitlicher Leitung und ſtrenger Aufſicht die Reſultate der ver⸗ ſchieden gewonnenen Milch an den damit genährten Säuglingen zu prüfen, die Prüfungsobjekte aber in der nötigen Mannigfaltigkeit zu variieren, d. i. Kinder von den verſchiedenſten Konſtitutionen und Geſund⸗ heitsverhältniſſen in verſchiedenen Jahreszeiten zu Parallelbeobachtung der Ernährungsergebniſſe mit den beiden Milcharten zu benutzen. Den Verſuchen müßten all die neueren Fortſchritte zu Grunde gelegt werden, wie ſie unſre Kenntnis über die beſte Zubereitung und Verabreichungsweiſe der Milch, über die Menge von Nahrungsſtoffen, die nach Alter und Entwicke⸗ lungszuſtand der Kindeskörper verlangt (J. darüber auch Jahrbuch für Kinderheilkunde N. F. Bd. XVII). Variationen könnten nach vorausgegangener längerer Verſuchsreihe auch in der Haltung des Viehs ſelbſt vorgenommen werden, um nach dieſer Richtung die Erkenntnis möglichſt breit zu geſtalten. So wäre in nicht zu ferner Zeit Gewißheit darüber zu erlangen, was von dem jetzt ſo Scheinenden wirkliches Er⸗ fordernis iſt zur Erzielung einer guten Kindermilch, und man käme in die Lage, den leichteſten und billig⸗ ſten Weg einzuſchlagen zu allſeitig befriedigender Er⸗ reichung dieſes notwendigen Zieles. Jetzt ſchon werden an manchen Orten in menſchen⸗ freundlicher Abſicht Geldmittel aufgewandt, um Mittel⸗ loſen die teure Kurmilch zugänglich zu machen — Mittel, die ohne Ende fließen müßten, wenn von mehr als einer ſchönen, aber vergänglichen Laune die Rede ſein ſoll. Vielleicht leſen einige der mildthätigen Seelen dieſe Zeilen und ſehen ein, daß ſie durch Aufſparen jener Mittel und durch Vereini⸗ gung der ſie ſpendenden Menſchenfreunde zu Schaffung einer ſolchen Verſuchsanſtalt hof- fen können, mit einem Male einen dauern⸗ den Erfolg zu erzielen. Den nämlich, daß das, was jetzt durch Wohlthätigkeit einigen zugänglich gemacht wird, dann vielen von ſelbſt zufließt, weil es leichter gewonnen und billiger zu haben iſt. Nicht durch planloſes Schenken nutzt man den Menſchen, ſondern indem man ihre Fähigkeit ſtei⸗ gert, das, was ſie nötig haben, zu erzeugen und ſich anzueignen. Humboldt. — Auguſt 1882. 291 Die dynamo⸗elektriſchen Maſchinen. Von Oberlehrer Dr. Georg Hrebs in Frankfurt a. M. Ein höchſt bedeutſame Verbeſſerung erfuhren die elektriſchen Maſchinen durch Einführung des von W. Siemens in Berlin im Jahre 1867 erfundenen dynamoselektriſchen Prinzips, namentlich ſeit— dem dasſelbe auf den Ring von Pacinotti ange— wandt wurde. Wenn, wie dies bei der Gramme— ſchen Maſchine, welche im ſechſten Heft beſchrieben worden, der Fall iſt, ein gewöhnlicher Stahlmagnet zur magnetiſchen Erregung des mit Kupferdraht um⸗ wickelten Ringes benutzt wird, ſo hängt die Stärke der magnetiſchen Erregung des Rings und der elektriſchen der Drahtwindungen von der Stärke des Fig. 1 zeigt die ſchematiſche Anordnung einer dynamo-elektriſchen Maſchine, welchen Namen alle diejenigen Maſchinen führen, bei denen ein Elektro— magnet ſtatt eines Stahlmagnets zur Stromerregung verwandt wird. Die Eiſenſtäbe pp’ und q g' find die Schenkel zweier Elektromagnete, deren gebogene Pole N und S miteinander verbunden ſind. Zwiſchen den Polen befindet ſich der eiſerne Ring tt, von deſſen Draht— umwindung Verbindungsdrähte nach dem Kollektor k k führen. Die beiden vom Kollektor nach b und p“ führenden Drähte ſtellen die Schleifbürſten vor, Fig. 1. Magnetismus des Stahlmagnetes ab und kann des— halb eine gewiſſe Grenze nicht überſchreiten; im Gegen— teil wird die Maſchine mit der Zeit immer ſchwächere Ströme liefern, weil der Stahlmagnet allmählich an Kraft verliert; man muß ihn zeitweilig friſch mag— netiſieren, um den elektriſchen Strom wieder auf die urſprüngliche Stärke zu bringen. Wenn man aber ſtatt eines Stahlmagnets einen Elektromagnet — ein mit Kupferdraht umwickeltes Eiſenſtück — nimmt, deſſen Drahtwindung mit der des Rings in Verbindung geſetzt iſt, ſo kann man den Strom theoretiſch ins Unbegrenzte ſteigern, wenn man ſich die Drehung des Rings nur raſch genug vorſtellt; praktiſch findet die Steigerung der Strom— ſtärke eine Grenze an der Unmöglichkeit, die Ge— ſchwindigkeit der Drehung über ein gewiſſes Maß zu bringen, ſowie an der Erwärmung der Drähte, welche ſich mit der wachſenden Stromſtärke bis zum Glühend⸗ werden ſteigern kann. welche den bei der Drehung des Rings um die Achſe a im Ring entſtehenden Strom aufnehmen. Die Schleifbürſten ſtehen mit der Drahtwindung der Schenkel des Elektromagnetes in Verbindung; von b geht der Draht um p“, dann um p, von da in die äußere Leitung, etwa nach einer elektriſchen Lampe L, weiter nach q und über g“ nach b’. Ein im Ring entſtehender Strom läuft alſo ſtets nicht bloß in die äußere Leitung, ſondern auch in die Umwindungen des Elektromagnetes. Die Schenkel pp’ und q 4“ der Elektromagnete beſtehen aus weichem Eiſen, welches raſch den Mag— netismus annimmt und wieder verliert. Iſt jedoch einmal ein Strom durch die Windungen geleitet worden, ſo bleibt noch ſo viel Magnetismus für immer in dem Eiſen zurück, als nötig iſt, um die Maſchine beim Umdrehen des Rings in Thätigkeit zu ſetzen. Der wenn auch urſprünglich ſehr ſchwache Mag— 292 Humboldt. — Auguſt 1882. netismus in den Polen N und 8 erzeugt in den gegenüberliegenden Teilen des Rings (oben und unten) einen Süd⸗, bezüglich Nordpol. Dieſer Mag⸗ netismus erregt beim Drehen in den Windungen des Rings einen urſprünglich ſehr ſchwachen Strom; dieſer Strom umläuft auch die Windungen der Schenkel pp“ und qq’ der Elektromagnete und be⸗ wirkt, daß dieſelben etwas ſtärker magnetiſch werden; infolgedeſſen nehmen auch die den Polen NJ und 8 gegenüberliegenden Teile des Rings einen etwas ſtärkeren Magnetismus an, und dieſer erregt nun wieder in den Windungen des Ringes einen ſtärkeren Strom, der, in die Schenkel der Elektromagnete Maſchinen ſetzt ſich die Arbeit der Drehung in Elek⸗ trizität um, denn ohne Drehung kein Strom. Fig. 2 zeigt eine ausgeführte dynamo⸗elektriſche Maſchine (Gramme); NGS iſt der eine, N!“ 8“ der andre Elektromagnet. An den Doppelpolen NN“ und 88“ befinden ſich die kreisförmig ausgeſchnit⸗ tenen Anker A und A“. Zwiſchen den Ankern kann ſich der Ring um eine Achſe drehen; an dieſer iſt die Riemenrolle R angebracht, um die ein von einer Kraftmaſchine ausgehender Riemen zum Zwecke der Drehung der Achſe und des Rings gelegt werden kann. Fig. 3 zeigt die dynamo⸗elektriſche Maſchine, welche fließend, dort wieder kräftigeren Magnetismus er⸗ regt u. ſ. w. Auf dieſe Art wächſt bei der Drehung des Ringes der Magnetismus und die Stromſtärke ſo raſch an, daß nach wenigen Minuten bereits die Kohlenſpitzen der elektriſchen Lampe L zu glühen be⸗ ginnen. Aus dem Geſagten iſt ohne weiteres erſicht⸗ lich, daß die oben aufgeſtellte Behauptung, man könne bei hinlänglich raſcher Drehung den Strom beliebig ſteigern, wohl gerechtfertigt iſt. : Die Dynamomaſchine hat in dieſer Hinſicht eine große Aehnlichkeit mit der Influenzelektriſiermaſchine, bei welcher eine Glasſcheibe vor einer andern, welche urſprünglich nur eine Spur von Elektrizität beſitzt, gedreht wird und auch binnen wenig Augenblicken mehrere Zentimeter lange Funken erzeugt. Bei beiden von v. Hefner von Alteneck (Oberingenieur bei Siemens & Halske in Berlin) konſtruiert worden iſt. Der Ring iſt hier zu einem Cylinder ver⸗ längert, ſo daß größere Drahtmaſſen und breitere Elektromagnete in Anwendung kommen können. Der Draht iſt nur über die äußere Oberfläche des Mantels, der Länge nach, gelegt. Die ganze Bewickelung der Trommel beſteht aus einer Anzahl Drahtſträngen; jeder Drahtſtrang (Fig. 4) geht von einem Streifen k des Kollektors aus, biegt ſich an der vorderen Stirnfläche der Trommel nach oben (ab), geht längs einer Seitenkante be nach hinten, biegt ſich über die hintere Grundfläche der Trommel nach unten (ed), geht längs einer Seitenkante d e, welche der be diametral gegenüberliegt, nach vorn und weiter an der Humboldt. — Auguſt 1882. vorderen Stirnfläche (ef) nach oben an einen andern Streifen k. des Kollektors. Daß die Drahtbewickelung nur über die äußere Fläche des Cylinders geht und nicht auch über die innere, wie dies bei einem Ring der Fall iſt, bei welchem immer rundum gewickelt wird, hat einen be— 293 konſtruiert hat, daß die letzteren den erſteren nahezu ganz umfaſſen (Fein in Stuttgart und Schuckert in Nürnberg): Man drückt z. B. den Ring ſeitlich zuſammen und läßt rechts und links von den Polen der Magnete Eiſenlappen (Anker) ausgehen, welche den Ring auch ſeitlich umfaſſen: Flachringmaſchine. 2 3 a =k F d e . vil im wD II 40m ö 13" 19" 1 165 54 5 1 2 11* 54 9, I E 14" 16 A II E 2 8 14 57 3 4 € 1025 Algol 14" 20m N III E 16 317 A III A 4 5 12h 47m E. h. ) 68 Orionis 16" 35m 5 13 37m A.d.§ 6 6 1320 U Cephei 12 26™ 6 8 1220 U Coronae 16" 34" 101 14 4m 8 18 48m 9 13 477 AI E 16 530 A II E 0 9 10 11 2 15 42m 10 1317 (A 1 h 1 h m h m 11 1286 U Cephei 11" 16" , Al 11 34 11 13" 58 12 e 17 20m 12 13 13" 1 2m 13 15 987 U Coronae 14" 50™ 15 16 123 U Cephei 15 40" A I E 10h 41m 16 h m 8b m it7/ 155 115 2 eI 16" 28 17 18 13h 50™ : L T= 18 16 330 5 el 20 > 10" 20" E. d.) p‘Sagit- 13 57 | 20 11 In A. h. tari 4 - ‘ 21 1129 U Cephei 1584 Algol Sh 43m E. ate. 6536 gh 48m 21 95 58" A. h. J 6 ½ h m . h ZBm 22 i 145 ae 0 ul e 150 35 22 23 7 7m H. d. ) 8 Aquarii 17> 34 AI E 11> 26™ 23 55 18" A. h. 5 6 i 24 22 Algol h 50m 137 2 1222 Algo 17 555 5 1 el 17 4 25 h m II h m h 4m 95 128 2m AI E 19 en 13 26 D G2 Bie 1 oe Fiscium Oe ihe A 61 1176 U Cephei 26 188 3m 7 55m A. h.“ 6 11> 33u 27 6h 36m E. h. ) d Piscium 920 Algol 11> 247 A II E 145 42 27 Th 94m A d. 5 28 5 108 33™ 28 29 16 20m 16 20™ | 29 18¹ 40 (A III 30 175 38m E. 99 8 6 5 12 10™ 30 18 48" A. d. 6 Von den großen Planeten ſind nur Venus, Jupiter und Saturn dem freien Auge ſichtbar. In der frühen Abenddämmerung zeigt ſich Venus tief am Südweſthorizont; ihre ſcheinbare Entfernung von der Sonne erreicht am 26. September ihren größten Betrag und vermindert ſich von da ab wieder, bis ſie am 6. Dezember ihren kleinſten Wert erreicht, an welchem Tage Venus bekanntlich vor der Sonnenſcheibe vorübergeht, ein Phänomen, welches vor dem Jahre 2004 ſich nicht wiederholt. Zur Beobachtung desſelben werden vom Deutſchen Reich im Monat September 2 Expeditionen nach Südamerika, im Oktober 2 Expeditionen nach Nordamerika gejandt. Jupiter tft anfangs von 11 Uhr, am Ende von 9 Uhr an am Ofthimmel ſichtbar. Die raſch wechſelnde Stellung ſeiner 4 Monde, deren Verfinſterungen und deren Schattenvorübergänge vor der Jupiterſcheibe, endlich das ſchon im Verlaufe einiger Stunden ſich auffällig verändernde Ausſehen der Oberfläche der letzteren, das raſche Vorüberziehen der Flecken und beſonders des großen roten Flecks bieten dem Liebhaber außerordentlich viel Unterhaltung und Genuß. Saturn iſt anfangs von 9½ Uhr, ſchließlich ſchon von 71/2 Uhr abends an am Oſthimmel ſichtbar. Beide Planeten haben jetzt ſchon eine für das Studium ihrer Oberflächenbeſchaffenheit ſehr günſtige Lage am Himmel, welche während des größten Teils der Nacht ſie hoch über der in niederen Höhen immer ſtattfindenden Unruhe der Luft erhält. Die raſche Zunahme in der Dauer der Nächte vermehrt die Gelegenheiten zur Beobachtung der noch fo rätſelhaften Lichtveränderungen der veränderlichen Sterne gegenüber den bisherigen Monaten ziemlich erheblich; von Algol fallen allein 5 Lichtminima auf günſtige Nachtſtunden. Von U Cephei ſind Abnahme und Zunahme des Lichtes in gleicher Ausdehnung während dieſes Monats beobachtbar. Von J Tauri fallen dagegen die Minima nur auf Stunden ſeiner Unſichtbarkeit. - Straßburg i. E. Dr. Hartwig. — . — — — — — — — — — —— — —— Humboldt. — September 1882. 357 Neueſte Mitteilungen. Schaden der Seeſterne für die Auſterbänke. In ſeinem zehnten Bericht über die amerikaniſche Auſter— kultur veranſchlagt Ingerſoll den Schaden, welchen die Seeſterne an den Auſterbänken anrichten, allein für Buzzardsbai am Weſtende des Sundes von Long Island auf 200000 Dollars jährlich. Die Zahl der Seeſterne hat mit der künſtlichen Auſterkultur ſehr zugenommen. Sie verzehren beſonders junge Auſtern, und zwar indem ſie dieſelben mit ihren Armen um— faſſen und den dünnen neugebildeten Schalenrand mit dem Mundring abbrechen, bis ſie das Tier erreichen können; dann ſtülpen ſie den dehnbaren Magen her— vor in die Schale hinein und ſchlürfen das wehrloſe Tier aus. Ko. Japaniſche Kerzen. In Japan liefern die Samen von 4 Khus-Arten, darunter Rh. vernicifera, Rh. ra- dicans und Rh. succedanea Pflanzenwachs, welches mit Bienenwachs zuſammen zu Kerzen verarbeitet wird. Dieſe Kerzen find gegenwärtig ſchon auf den europai- ſchen Markt gebracht worden (Oeſterr. Monatsſchr. f. d. Orient, 1881, Nr. 12, S. 205. — Von dem japa⸗ niſchen Lackbaume, Rh. vernicifera DC, welcher als Firnis liefernde Pflanze eines der wichtigſten Kultur— gewächſe Japans iſt, blühten während des Monats Juni 1882 zum erſtenmale 2 männliche Exemplare im botaniſchen Garten der Senckenbergiſchen mediz. Stif- tung zu Frankfurt a. M. Dieſelben waren aus Samen erzogen worden, welche Prof. Rein in Marburg von ſeiner Reiſe nach Japan zurückgebracht hatte. G. Elektriſche Beleuchtung für Seehäfen. Die Einfahrtsſchleuſe des alten Dockbaſſins in Antwerpen wird bereits ſeit einer längeren Reihe von Jahren elektriſch beleuchtet. In London und Liverpool ſollen demnächſt die Kais mehrerer Flutdocks mit elektri— ſcher Beleuchtung ausgeſtattet werden. Nach einer Mitteilung des „Genie civil“ benutzt man neuer⸗ dings im Hafen von Bordeaux die zur Umladung des Getreides beſchafften ſchwimmenden Krahne wäh— rend der Nachtzeit für die elektriſche Beleuchtung. Die Lampen werden an der Spitze der etwa 15 m hohen Krahnpfoſten angebracht. Die elektro⸗dyna⸗ miſche Maſchine, welche tagsüber die Ent- und Bez ladungsvorrichtungen in Bewegung fest, wird nachts zur Erzeugung des elektriſchen Lichtes benutzt. Dieſe Einrichtung, der man den Namen , Elévateurs-phares “ gegeben hat, dürfte vermutlich eine ausgedehnte Ver⸗ breitung gewinnen. Ke. Geſchwindigkeit der Eilzüge. Der ſogenannte „Fliegende Holländer“, der ſchnellſte Eilzug der eng— liſchen Great-Weſtern⸗Eiſenbahn, legt die 313 km lange Strecke zwiſchen London und Exeter in 4 Stun⸗ den und 14 Minuten zurück. Er hält unterwegs viermal an. Seine mittlere Geſchwindigkeit beträgt 74 km per Stunde. Der von London nach Leeds gehende Eilzug der Great-Northern-Eiſenbahn braucht für die 300 km lange Strecke mit vier Aufenthalten 4 Stunden, durchläuft alſo per Stunde 75 km. Der „Fliegende Schottländer“ der Midland-Eiſenbahn hat auf der 683 km langen Strecke bis Glasgow eine mittlere Geſchwindigkeit von 65 km in der Stunde. Sein Konkurrenzzug auf der mit günſtigeren Stei- gungsverhältniſſen verſehenen Great-Northern-Eiſen— bahn durchjagt die 638 km lange Strecke zwiſchen London und Edinburgh in nur 9 Stunden, alſo mit einer mittleren Geſchwindigkeit von 70,6 km per Stunde. Dieſer Eilzug hält auf der ganzen Tour nur viermal an. Der ſchnellſte Eilzug der Welt iſt neuerdings zwiſchen Jerſey City und Philadelphia von der amerikaniſchen Pennſylvania-Eiſenbahngeſell— ſchaft eingerichtet worden. Derſelbe durchläuft die 142 km lange Strecke mit einem einzigen Aufenthalt in 11 Minuten, legt mithin per Stunde 85 km. zurück. Zum Vergleich mag bemerkt werden, daß die von Berlin nach Frankfurt fahrenden Eilzüge für die 544 km lange Strecke 12 Stunden Zeit brauchen, alſo nur 45,5 km per Stunde durchlaufen. Der Expreßzug zwiſchen Berlin und Hamburg hat eine mittlere Geſchwindigkeit von 54 km per Stunde, da er in 5½ Stunden 297 km zurücklegt. Der Jagd— zug zwiſchen Hannover und Berlin braucht für 255 km nur 3 Stunden 53 Minuten, durchläuft alſo 66 km per Stunde. Ke. Jeſtes Petroleum. Vor einiger Zeit war mehr- fach die Rede davon, daß es einem Herrn P. Ditt— mar in St. Petersburg gelungen ſei, Petroleum in eine feſte Form zu verwandeln. Das dafür genom— mene Patent iſt nun bekannt geworden; es baſiert auf einem Zuſatz von 3—5 Prozent gewöhnlicher Seife zu dem Oele. Weitere Aufklärungen über die— ſen Gegenſtand brachte Herr E. Johanſon in der „Pharmazeutiſchen Zeitſchrift für Rußland“. Derſelbe fand, daß Petroleum beim Erwärmen eine gewiſſe Menge trockner Seife aufnehmen kann und daß die Löſung beim Erkalten zu einer Gallerte geſteht, die ſich am Feuer entflammt und in gleich verlöſchenden Stücken ähnlich dem brennenden Siegellack abtropft; durch verdünnte Säure, z. B. Eſſigſäure, konnte das Produkt wieder verflüſſigt werden (offenbar infolge der Zerlegung der Seife). Etwa 1½ Prozent Seife genügen ſchon, um aus dem Petroleum eine gallert- förmige, opodeldoc-ähnliche Maſſe zu erhalten, die bei 3 Prozent Gehalt ſchon ziemlich feſt iſt; dabei ſchei— den ſich geringe Mengen flüſſiger, nicht feſt werden— der Produkte ab, welche wohl aus leichter ſiedenden Beſtandteilen des Petroleums beſtehen. Das Vor⸗ handenſein derſelben in der feſten Maſſe iſt natürlich gefährlich, um ſo mehr als dieſelbe vor dem Gebrauch immer erſt verflüſſigt werden muß. Aus dieſen und andern Gründen kommt Verf. daher zu dem Schluſſe, daß die angeblichen Vorteile des feſten Petroleums, welches bis zum Verbrauch in der Lampe einen mühe- und gefahrvollen, koſtſpieligen und zeitrauben— den Weg, viel verſchlängelter als bisher, zu durch⸗ wandeln habe, ein durchaus imaginärer ſei. P. Synthetiſche Darſtellung von Ammoniak. Ueber die ſynthetiſche Darſtellung von Ammoniak aus Waj- 358 Humboldt. — September 1882. ſerſtoff und Stickſtoff in Gegenwart von Platinſchwamm berichtete Johnſon (Chem. soc. 1881. 128). Am⸗ moniak bildet ſich, wenn ein Gemiſch von Waſſerſtoff und Stickſtoff über zur Rotglut erhitzten Platinſchwamm ſtreicht und ebenſo wenn Stickſtoff in der Kälte über Platinſchwamm ſtreicht, der mit Waſſerſtoff beladen iſt, allerdings in geringer Menge. Der Stickſtoff muß zu dieſem Verſuch aus einer Löſung von Ammonium⸗ nitrit oder von Kaliumnitrit und Salmiak entwickelt und mittels Eiſenſulfat von allen Oxyden befreit werden. Letzteres wird durch beſondere Verſuche mit⸗ tels einer gewogenen Menge metalliſchen Kupfers feſtgeſtellt. Der Stickſtoff, welcher durch Ueberleiten von Luft über glühendes Kupfer dargeſtellt wird, iſt nicht im ſtande, Ammoniak zu bilden, ebenſowenig der aus wäſſeriger Löſung gewonnene, wenn er, bevor er mit dem Platin und Waſſerſtoff in Berührung kommt, auf Rotgluttemperatur gebracht wird. Es ſcheint demnach, daß der Stickſtoff, ähnlich dem Phos⸗ phor, in zwei Modifikationen exiſtiert, einer aktiven und einer durch Erhitzen entſtehenden inaktiven. Das größte Teleſkop der Welt ijt nunmehr auf dem Wiener Obſervatorium aufgeſtellt worden. Der Verfertiger desſelben, Herr Howard Grubb m Dublin, ſteht bereits in der Herſtellung von Reflektoren wohl einzig da. Die mechaniſchen Teile ſeines erſten großen Refraktors waren bereits 1878 vollendet, aber infolge der Schwierigkeiten, vollkommene Glasſcheiben zu erhalten, trat eine große Verzögerung ein. Die von der öſterreichiſch⸗-ungariſchen Regierung ernannte Ko⸗ miſſion zur Begutachtung der Ausführung, beſtehend aus den Herren Prof. Ball, Grafen v. Crawfurd und Baliares, Huggins, Prof. J. Emerſon Rey⸗ nolds, Grafen v. Roſſe, Prof. Stokes, Dr. G. Stoney und Walſh, dem öſterreichiſch-ungariſchen Konſul in Dublin, konnte erſt vor etwa 12 Monaten berichten, daß auch dieſe Schwierigkeit überwunden fei. Das Objektivglas hat 27 Zoll engl. (686 mm) Durchmeſſer; das Teleſkoprohr ijt 3272 Fuß engl. (nahezu 10 m) lang und hat in der Mitte 1 m Durch⸗ meſſer, wobei es ſich nach dem Objektivglaſe hin bis auf deſſen Größe, nach dem andern Ende hin aber bis auf 12 Zoll engl. (305 mm) Weite verjüngt. Das Gewicht der beweglichen Teile beträgt 6000 bis 7000 Kilogramm und doch können alle Bewegungen mit einer Hand bewirkt werden. Schw. Volgers Quellentheorie hat eine ſehr entſchie⸗ dene Abfertigung erfahren durch ein Werk von Hann (über eine neue Quellentheorie auf meteorologiſcher Baſis). Herr V. behauptet bekanntlich, es ſei „eine der bedauerlichſten Erſcheinungen in der Wiſſenſchaft“, daß man noch immer glaube, die Quellen würden durch das Regenwaſſer geſpeiſt; das Waſſer komme nur von dem in der Luft enthaltenen Waſſerdampf, welcher kondenſiert würde, wenn die Luft im Erd⸗ boden zirkuliere. Hann macht nun darauf aufmerkſam, daß eine ſolche Kondenſation nur ſtattfinden könne, wenn der Erdboden kälter ſei als die Luft, alſo nur während der wärmeren Jahreszeit; ferner daß, wenn ſie in einem für die Quellenbildung genügenden Maße erfolge, dadurch raſch eine Erwärmung des Bodens bis zu einem Grade erfolgen müſſe, der weitere Kon⸗ denſation unmöglich mache. Endlich hat aber Hann berechnet, welche Quantität Luft ihren ganzen Waſ⸗ ſerdampf abgeben müſſe, um ſo viel Waſſer zu liefern, wie der Regen; im Juni bei feuchteſter Luft würde ein Kubikmeter der unterſten Luftſchicht nur 2 g Waſſer ergeben; um alſo einen täglichen Niederſchlag von 2 kg Waſſer = 2 mm Höhe auf den Quadrat⸗ meter zu ergeben, müßten mindeſtens 1000 Kubik⸗ meter Luft durch dieſen Meter Boden zirkulieren. Volgers Quellentheorie dürfte damit ein- für allemal abgethan ſein. Ko. Kleine diluviale Fauna. Zu den Erfunden von Thiede und Weſteregeln, denen ſich von ziemlich gleicher Art die in den Höhlen von Steeten an der Lahn und von Mittelfranken, ferner die des Lößes im oberen Mainthal anſchloſſen, ſind nun neuerdings auch ſolche in Oberſchwaben hinzugetreten, die einen weiteren Beleg liefern, daß der großen diluvialen Thierwelt 1100 allenthalben eine kleine beigeſellt war, und daß die klimatiſchen und landſchaftlichen Ver⸗ hältniſſe, von welchen jene Mifrofauna Zeugnis gibt, eine weite Verbreitung hatten. Es ſind Spalten der Meeresmolaſſe und ſandige, lößartige Gebilde, welche die obere Süßwaſſermolaſſe bedecken, in welchen Dr. J. Probſt jene oberſchwäbiſche Mikrofaung auffand. Nach den Beſtimmungen Prof. Nehrings enthielten erſtere: den Halsbandlemming (Myodes torquatus), ein hochnordiſcher zirkumpolarer Nager — dann fol- gende Wühlmäuſe: Arvicola ratticeps, A. gregalis, A. amphibius und A. arvalis nebſt Hermelin (Foe⸗ torius erminea) und wahrſcheinlich auch den Pfeif⸗ haſen (Lagomys pusillus). Dazu kommt nun noch das Murmeltier (Arctomys marmotta), das bekannt⸗ lich auch bei Langenbruck bei Donaueſchingen und zwar mit dem Moſchusochſen (Ovibos moschatus) zuſammen, ſogar bei Aſti in Oberitalien aufgefunden wurde. In jenen lößartigen Gebilden lagen Skelett⸗ reſte von Maulwurf, Spitzmaus, Haſen, Sieben⸗ ſchläfer, Waſſerratte und der Feldmaus, wozu ſich noch Vogelknochen und neſterweiſe zuſammenliegende Batrachierknochen, wohl dem Gewölle von Eulen 2c. zugehörig, fügen; bisher iſt der große Pferdeſpringer (Alactaga jaculus) noch nicht gefunden. Wie Sandberger für die Maingegend, glaubt Probſt auch als Tummelplatz jener Tiere eher ein mooriges Heideland als eine Steppe annehmen zu ſollen, welche Annahme auch das in Schuſſenried ſo häufige Ren geradezu fordere. Wir fügen hier die Anſchauungen Prof. Woldrichs bei, wie ſie ſich ihm in Uebereinſtimmung mit dem Vorkommen bei Thiede aus ſeinen Unterſuchungen böhmiſcher Höhlen ergaben. Hiernach hat das Landſchaftsbild ſeit der quartären Zeit gewiſſe Stadien durchlaufen. Auf dem frei ge⸗ wordenen Glacialboden hat ſich zunächſt eine Tundren⸗ flora angeſiedelt, welche arktiſchen Tieren, vorzüglich dem Halsbandlemming, Ren 2c. und den dieſelben begleitenden Raubtieren, dem Eisfuchs, Fiälfraß 2c. zum Aufenthalt diente; darauf jet eine Steppenflora gefolgt; mit derſelben haben ſich Steppentiere, wie der Pferdeſpringer 2c. und ihre Begleiter, die wieſel⸗ artigen Tiere, angeſiedelt. In den Flußthälern und am Fuße der Gebirge entwickelte ſich eine üppige“ Grasvegetation, welche dem Mammut, den Rindern 2c. und dadurch auch ihren Feinden, dem Bären, dem Löwen ꝛc., Nahrung lieferte. Allmählich gewann auch der aufſproſſende Wald Umfang und bot den Wald⸗ tieren, wie dem Elen, den Hirſchen ꝛc., e hes as — ‘NS Die ſichtbaren und fühlbaren Wirkungen der Erdrotation. Von Prof. Dr. S. Günther in Ansbach. II. 4. Azimutalveränderungen horizon— taler Bewegungen auf der Erdoberfläche. Es tritt nämlich jetzt die Frage an uns heran, ob irgend eine kontinuierliche Bewegung längs der Erd— oberfläche eine Ablenkung von der urſprünglichen Richtung durch die Achſendrehung erleiden könne oder nicht. Wir gedenken über dieſe wichtige Frage zu— nächſt ganz allgemein ſo viel auszuſagen, als ſich ohne Zuhilfenahme höherer mathematiſcher Vorkennt⸗ niſſe eben mitteilen läßt; alsdann aber ſollen die äußerſt vielfachen Anwendungen auf Erdphyſik und Meteorologie, die ſich von den erlangten Ergebniſſen machen laſſen, einer kritiſchen Beſprechung unter— worfen werden. Poiſſon griff in einem Aufſatze, der eigentlich zunächſt nur ein beſchränkteres balliſtiſches Ziel an- ſtrebte, den Gegenſtand analytiſch an, indem er ſich dabei dem Grundgedanken nach an D'Alembert (ſ. o.) anſchloß. Seine Reſultate laſſen ſich etwa dahin zuſammenfaſſen: 27) Jeder auf der Crdober- fläche ſich bewegende Körper wird durch die Erd— rotation in dem Sinne beeinflußt, daß ſeine Be- wegungsrichtung auf der Nordhemiſphäre zur Rechten, auf der Südhemiſphäre zur Linken eine Ablenkung erfährt. Die Größe dieſer Ablenkung ſetzt ſich aus zwei Teilen von ſehr ungleicher Größe zuſammen. Ein erſter Beſtandteil, und zwar der an Größe un— verhältnismäßig überwiegende, iſt rein mechaniſch lediglich durch das Trägheitsgeſetz bedingt, ein zweiter reſultiert aus dem Umſtande, daß beim Fortſchreiten im allgemeinen verſchiedene Parallelkreiſe durch— ſchnitten und ſomit Punkte von größerer oder ge- ringerer Winkelgeſchwindigkeit erreicht werden. Was erſtere Ablenkung anlangt, ſo iſt ihr Betrag von der Humboldt 1882. Fortſchreitungsrichtung ganz und gar unabhängig, die ſekundäre Ablenkung dagegen wird dann am ſtärkſten hervortreten, wenn die Bewegung in meridionaler Richtung vor ſich geht. Da nun aber ſchon das pri— märe Glied auch im günſtigſten Falle nur zu ſehr geringem Zahlwerte aufzuſteigen vermag, ſo gilt ein Gleiches in noch weit höherem Grade für das ſekundäre, und es kann das letztere deshalb für gewöhnlich ohne die geringſte Einbuße an Exaktheit vernachläſſigt werden. Darin, daß ſie dies nicht nur nicht thun, ſon— dern in Verkennung des wahren Sachverhalts auf die nördliche oder ſüdliche Richtung irgend eines Be— wegungsvorganges den Hauptnachdruck legen, irren nicht wenige unſrer beſten Lehrbücher und populären Darſtellungen. Später hat Buff mit großem Geſchick der ana— lytiſchen Darlegung des franzöſiſchen Geometers einen elementargeometriſchen Beweis ſubſtituiert?“), und da derſelbe ſich wirklich durch hohe Einfachheit aus— zeichnet, ſo glauben wir auch an dieſer Stelle den— ſelben unſren Leſern nicht vorenthalten zu ſollen ?). Ein materieller Punkt, der ſich zur Zeit in A (Fig. 4) befinden möge, ſoll eine Bewegungstendenz beſitzen, „) Einen ähnlichen Beweis, nur in einer noch mehr abgerundeten Form, hat Zöppritz in einem vor dem II. reſp. III.) deutſchen Geographentage zu Halle ge- haltenen Vortrage gegeben und daraus intereſſante Folge— rungen gezogen, deren ſpäter Erwähnung zu thun ſein wird. Mancher von unſren Leſern mag daran erinnert werden, daß ja eine ähnliche Demonſtration da und dort auch für Foucaults Formel zu finden iſt, und das iſt wahr, allein während der Beweismodus im vorliegenden Falle ſtrenge richtig iſt, kann er in ſeiner Anwendung auf Pendelſchwingungen aus den uns bereits bekannten Ur— ſachen einen gleichen Anſpruch nicht erheben. 46 360 Humboldt. — Oktober 1882. i welche ihn im Verlaufe eines Zeitteils nach G führen würde; in der nämlichen Zeit führt ihn die Erd⸗ drehung allein von A nach B. Legt man in A an die Meridianlinie dieſes Orts eine Berührende, ſo kann dieſelbe natürlich nicht ſich ſelbſt parallel fort⸗ rücken, vielmehr dreht fie fic) um jenen Punkt C, in welchem die Erdachſe von ihrer Verlängerung getroffen wird. Konſtruiert man aus AG und AB ein Parallelogramm GABH, fo gibt deſſen vierter Eck⸗ punkt H den von dem Mobile im erſten Intervalle C 1 G H Fig. 4. faktiſch erreichten Ort an. Als Wechſelwinkel iſt GAC = AEB, und nimmt man noch einen bekannten planimetriſchen Satz hinzu, ſo ergibt ſich X EBC = < GAC — & ECB, d. h. der Winkel, welchen die neue Meridianrichtung mit jener der urſprünglichen Bewegung bildet, iſt kleiner, als jener, den beide Gerade zuerſt miteinan⸗ der einſchloſſen ). Für den Beobachter ſelbſt aber, der, ohne es zu merken, von A nach B verſetzt ward, muß der Eindruck entſtehen, als fei die Linie AG nach rechts um den Winkel ACB abgelenkt worden. ) Der Beweis Buffs ſcheint an einem kleinen Fehler zu leiden, der übrigens, wie Zöppritz (ſ. o.) gezeigt hat, ſich auch vermeiden laſſen kann. Nur weil Benoni von dieſer Nebenſache ſo viel Aufhebens macht und um ihret⸗ willen die ganze Berechnung verworfen ſehen möchte?“), wollen wir noch einen Augenblick dabei verweilen. Es iſt ja zweifelsohne richtig, daß BH und AC im ſtreng geo⸗ metriſchen Sinne zwei ſich kreuzende Linien ſind und keinen Punkt E miteinander gemein haben. Wenn man aber berückſichtigt, daß ABC eine Tangentialebene der Erde iſt, fo können die Ebenen G HH!“ und ABC doch ſehr nahe als zuſammenfallend angenommen werden, und jeden⸗ falls iſt der kürzeſte Abſtand zwiſchen den windſchiefen Geraden BH und AC eine unendlich kleine Größe. Eine durch BH und BC gelegte Ebene würde die AC in einem Punkt E“! ſchneiden müſſen, und es wäre dann in vollſter Strenge 1182 U Cephei 17> 35m E. h. | J Tauri 16 43™ 2 1 01 L SIS il 18" 38" A. d. ( 5.6 18 58m f 2 12 13” E. 1 13 55" N 1 E 16 46 E. h.dyS0rionis 13˙ 48™ | 2 13 12 A. d. 5.6 17" 58" A. d. 5.6 : 3) 11 11 > GE SVE | 3} 13" 96™ t A el 4 130 59" N II E 8 15 26" | 4 5 13 53™ E. h. “ 6402872 11" 17" 5 14> 45m A.d.§ 6 4 | 6 8 15™ 10!9 U Cephei 18" 18" E. h. 2 oleonis 17" 4" | 6 10" 570 192 el 19" 36" A. d. 5 6 a “128 55 7 8 18 41™ | 8 9 15> 48" A I E 145 33™ | 9 10 10h 13 9} III E 12> 31™ A III A D 5 2) I 10" 24" | 10 15h 99m § A 0 11 10 16 U I E 1075 U Cephei 1580 8 Caneri 165 35" Of II E 16" 10" 11 12 Lob 12 : 10h 49™ ; 7» 48" | 13 ie 195 32m 5 AI 5 14 1329 Algol 13" 39™ | 14 15 gh 30 15 16 1022 U Cephei 17 41" N LE : 15 17" | 16 17 1027 Algol 14" 11" 9} III E 14 59™ 16 30m A IIIA 111 8 17 17h 14˙¹ A. ® I q 18 12" 10" 70 IE 16" 55™ | 18 19} 3 g 238" 12 46™ | 19 11» 49m § A. el 1 h m hh Gm 2 20 155 toy ell du 3 0 21 988 U Cephei 14 23™ | 21 22 10 14™ 22 23 920 U Coronae 12 16 E. d. ) 15 Piscium 16" Im 23 13m 5m A. h. 61/2 24 12 38 E. cer ean 16 538" 01 18> 10 Q III E 11> 52™ 24 TB AS AN I) (I eh 25 14> Zu AI E 15h 41m E. d.) c Pistium N 17 39m 25 16 37m A. h. 1 6 260 @ 985 U Cephei 11 22 2 1 13" 30™ | 26 3° 27" 91 sys 35 27 8h 32m A I E 15 58™ gh 21™ 27 182 41m 5 A @ II gh 16m h 7m 98 1 10 4% (A @ l. ae 29 7 26 E. H. ) BAC 1651/11" Em N II E 10" 58" 29 8h 15 A.d.§ 6½ 30 648 U Coronae 1482 8 Caneri 16" 4510 30 31 91 U Cephei . 12 360 31 Merkur iſt für das freie Auge während des ganzen Monats unſichtbar. Venus geht am Anfang des Monats um 7 Uhr, am Ende um 6 Uhr unter und ſtrahlt in früher Dämmerung tief am Südweſthimmel in immer noch zunehmendem Glanze. Mars iſt unſichtbar. Die beiden ihrem teleſkopiſchen Ausſehen nach inter⸗ eſſanteſten Planeten Jupiter und Saturn ſtehen am Ofthimmel, Saturn anfangs um 7½, Uhr, ſchließlich um 5½ Uhr und Jupiter anfangs um 9½ Uhr, am Schluſſe des Monats um 7½ Uhr abends aufgehend. Das Vorüberziehen des roten Fleckes auf letzterem ereignet ſich zwar täglich in einer Nachtſtunde, aber nur acht⸗ mal bei genügender Höhe über dem Horizonte in den dem Liebhaber bequemſten Stunden vor Mitternacht. Die ſeltenen Verfinſterungen des dritten Trabanten fallen dreimal auf Nachtſtunden. Uranus am Morgen⸗ himmel geht anfangs um 16 ½ Uhr, ſchließlich um 14½ Uhr auf. Von den 6 bekannten veränderlichen Sternen vom Algoltypus bieten nur 3 Librae und ) Tauri — erſterer Stern wegen ſeiner Unſichtbarkeit — keine beobachtbaren Lichtminima. Straßburg i. E. Dr. Hartwig. Humboldt. — Oktober 1882. 389 Neueſte Mitteilungen. Benusexpedifionen. Zur Beobachtung des diesjährigen, vor dem Jahre 2004 ſich nicht wieder— holenden Venusvorübergangs vor der Sonnenſcheibe am 6. Dezember ſendet das Deutſche Reich vier aſtronomiſche Expeditionen aus, zwei nach Südame— rika und zwei nach Nordamerika, mit der Hauptauf— gabe, den Ort der Venus auf der Sonnenſcheibe für die ganze Dauer der Erſcheinung durch Meſſungen mittels Fraunhoferſcher Heliometer zu beſtimmen, welche durch die Anbringung verſchiedener Verbeſſe— rungen zu einem hohen Grade von Leiſtungsfähigkeit gebracht worden find: Die Anwendung der Photo- graphie unterbleibt auf Grund der Erfahrungen von 1874 von feiten der Deutſchen gänzlich. Das Per- ſonal dieſer Expeditionen iſt folgendermaßen zu— ſammengeſetzt: Expedition IV nach Punta Arenas an der Magelhaens— ſtraße (Patagonien), abgegangen von Hamburg in zwei Abteilungen am 1. und 8. September. Leiter: Prof. Dr. A. Auwers, Mitglied der Berliner Akademie (Chef der Südexpeditionen). I. Aſtronom: Dr. F. Küſtner, deſignierter Ob- ſervator der Hamburger Sternwarte. II. Aſtronom: Dr. P. Kempf, Aſſiſtent des aſtrophyſikaliſchen Obſervatoriums in Potsdam. Geologiſcher Begleiter in der Eigenſchaft eines wiſſenſchaftlichen Gehilfen: Dr. G. Steinmann, Aſſiſtent des geolog.- paläontolog. Inſtituts und Privatdozent an der Univerſität Straßburg. Techniſcher Gehilfe: F. Schwab, Mechaniker. Expedition III nach Bahia Blanca in Argentinien, abgegangen aus Hamburg am 16. September mit Dampfer Petropolis. Leiter und I. Aſtronom: Dr. E. Hartwig, Aſſiſtent der Straßburger Sternwarte. II. Aſtronom: Dr. B. Peter, erſter Obſervator der Leipziger Sternwarte. Wiſſenſchaftlicher Gehilfe: W. Wislicenus, Cand. Astr. an der Straßburger Sternwarte. Techniſcher Gehilfe: H. Mayer, Mechaniker der kgl. Bairiſchen math.-phyſik. Staatsſammlung. Expedition II nach Aiken in Süd⸗Carolina (U. S. A.). Abgang Mitte Oktober von Hamburg. Leiter und I. Aſtronom: Dr. J. Franz, Obſer⸗ vator der Königsberger Sternwarte. II. Aſtronom: Dr. H. Kobold, Obſervator der aſtrophyſik. Sternwarte zu O'Gyalla in Ungarn. Wiſſenſchaftlicher Gehilfe: A. Mareuſe, Stud. Astr. an der Berliner Sternwarte. 5 Techniſcher Gehilfe: Mechaniker Karl in Würz— urg. Expedition I nach Hartford in Connecticut (U. S. A.). Abgang Mitte Oktober von Hamburg. Leiter und I. Aſtronom: Dr. G. Müller, Aſſiſtent am aſtrophyſik. Obſervatorium in Potsdam. II. Aſtronom: Dr. F. Deichmüller, Obſervator der Bonner Sternwarte. Wiſſenſchaftlicher Gehilfe: Bauſchinger, Stud. Astr. an der Berliner Sternwarte. Techniſcher Gehilfe: Mechaniker Dölter in Diedenhofen. Von den beiden Deutſchen Polarexpeditionen, von welchen die eine unter Dr. Gieſe und L. Am— bronn, Aſſiſtent der Chronometer-Abteilung der Deutſchen Seewarte nach dem Nordpol in dieſem Frühjahr abgegangen iſt, wird die zweite unter der Leitung von Dr. Schrader, Obſervator der Ham— burger Sternwarte, nach dem Südpol abgeſandte Expedition den Venusvorübergang in Süd-Georgien ebenfalls mit einem Heliometer beobachten. Hg. Der Manila Hanf. Die Stammpflanze des Manila-Hanfes, die Musa textilis, gedeiht in voller Güte nur auf dem vulkaniſchen Boden der Philip— pinen; Anpflanzungen auf andern indiſchen Inſeln und auf Singapore haben keinen ſonderlichen Erfolg gehabt, obwohl dort zahlreiche Bananenarten in voller Ueppigkeit gedeihen. Die Pflanze braucht zu ihrer vollen Entwickelung drei Jahre; wenn der Blüten— kolben ſich zu entwickeln beginnt, wird der Stamm, welcher eine Höhe von 3½ m und eine Dicke von 18 em erreicht, umgehauen; man läßt ihn eine Zeit lang liegen, um den Saft gähren zu laſſen, ſchneidet ihn dann in Streifen und zieht dieſe mehrfach zwi— ſchen zwei ſtumpfen verſtellbaren Meſſern durch, bis die glänzendweißen Faſern iſoliert ſind. Dieſe braucht man nur einige Stunden an der Sonne zu trocknen, ſo ſind ſie zum Verpacken fertig. Ein Neuanpflanzen iſt unnötig, da, wie bei der eßbaren Banane, um den Stamm herum ſtets eine Menge Schößlinge ſtehen, welche ſofort nachwachſen. — Der Export aus Manila belief fic) in 1881 auf über 800000 Piculs im Wert von 36 Millionen Frank. Ko. Mount Cook, der höchſte Berg Neuſeelands, iſt von einem Mitglied des engliſchen Alpenklubs, dem Rev. W. S. Green, mit Hilfe zweier ſchweizer Füh⸗ rer, Ulrich Kaufmann und Emil Boß, zum erſten Mal erſtiegen worden. Nach mehreren vergeblichen Verſuchen gelang das Unternehmen endlich am 2. März; die Reiſenden lagerten am Fuße des Mount Tasman in 9000“ Höhe. Ein wild zerriſſe— ner Gletſcher und ſehr häufige Lawinen- und Cis- ſtürze machten die Beſteigung beſchwerlich und ſtellen— weiſe ſehr gefährlich; erſt um 6 Uhr Abends erreich— ten ſie den Gipfel, der aber von Wolken verhüllt war und keinerlei Ausſicht bot. Auch Höhenbeobach— tungen konnten nicht mehr angeſtellt werden, und die Reiſenden waren kaum 2000“ herabgeſtiegen, als die Nacht ſie überfiel und zwang, hinter einer Felszacke bis zum Morgen ohne Schutz und ohne Nahrung ſitzen zu bleiben. Nach ſiebenunddreißigſtündiger Ab— weſenheit erreichten ſie wieder ihr Bivouak. Intereſſant ijt, daß fie an der Schneegrenze ein Gnaphalium fanden, welches dem Edelweiß unſrer Alpen ſehr nahe ſteht. Ko. leber Honigameiſen, die von Pablo de Llave 1832 in Mexiko entdeckt wurden, macht Me. Cook intereſſante Mitteilungen. (The Honey Ants of the Garden of the Gods and the Occident Ants of the American Plains. Philadelphia 1882.) Die durch reichliche Aufnahme von Zuckerſäften, welche 390 Humboldt. — Oftober 1882. während der Nacht auf Eichengallen geſammelt wer- den, bis zur Erbſengröße angeſchwollenen Arbeiter⸗ ameiſen hängen von der rauhen Decke des Baues herab und ſtellen lebendige Vorratstöpfe dar, jeden Augenblick bereit, ihren hungrigen Schweſtern und Brüdern etwas Honig herauszuwürgen. Geſtorbene und unverletzte werden ſonderbarerweiſe ohne auf- gebrochen zu werden aus dem Stock entfernt, während der Inhalt verletzter Tiere gierig aufgefreſſen wird. Eine Verwandte der Ackerbauameiſe, Pogono- myrmex occidentalis, baut keine Straßen wie dieſe; das kahle Feld um ihren Bau iſt weniger umfang⸗ reich; auch zieht ſie keine beſondere Grasſorte; ihr koniſcher Hügel it mit Steinchen gepflaſtert und jeden Abend wird der an der Baſis des Hügels be⸗ findliche Eingang mit Steinchen zugemauert. Hier hat ſich alſo vorzugsweiſe der Hausbau vervoll⸗ kommnet, während bei der Texaner Ackerbauameiſe (P. barbatus) Straßen⸗ und Feldbau auf höherer Entwickelungsſtufe ſtehen; denn letztere ſchafft um ihren Hügel ein großes, kreisförmiges, kahles Feld, auf dem nur eine beſondere Ariſtida⸗Art geduldet wird, und legt ſtrahlenförmig verlaufende Wege an. (Vergl. Biol. Centralbl. Nr. 3, Bd. II.) 15 b. Die Taucherei auf ſchwarze Perlen wird jetzt an den Küſten von Unterkalifornien im großartigen Maßfſtabe betrieben. Die Händler liefern die Fahr⸗ zeuge und Taucherapparate unter der Bedingung, daß ihnen die Perlen zu feſtgeſetzten Preiſen verkauft werden. Dieſe Juwelen ſind von großer Schönheit und ſtehen hoch im Preiſe. Die Jahresproduktion derſelben wird durchſchnittlich auf 500 000 bis 1 Million Pfund Sterling geſchätzt. Schw. Eine neue Art Künſtliches Vergament wird von Herold und Gawalowsky in Brünn her⸗ geſtellt; dasſelbe iſt waſſerdicht und kann zu osmo⸗ tiſchen Operationen und andern Zwecken benutzt werden. Zur Herſtellung desſelben wird Wollen⸗ oder Baum⸗ wollengewebe benutzt, das durch Waſchen von fremden Subſtanzen, wie Gummi, Stärke u. ſ. w. befreit wird. Hierauf wird das Gewebe in ein Bad ge⸗ bracht, worin feiner Papierbrei in ſtark verdünntem Grade eingerührt iſt, ſo daß die Zwiſchenräume des Gewebes ſich damit füllen. Um die Papiermaſſe feſter mit dem Gewebe zu verbinden, läßt man als⸗ dann den Stoff zwiſchen Walzen hindurchgehen. Die Hauptoperation beſteht darin, daß der ſo behandelte Stoff einige Sekunden lang in ein Bad von kon⸗ zentrierter Schwefelſäure eingetaucht und ſchließlich mehrfach in Waſſer und Ammoniakflüſſigkeit aus⸗ gewaſchen wird, um alle Spuren der Säure zu vertilgen. Hierauf wird der Stoff nochmals zwiſchen zwei Stahlwalzen gepreßt, zwiſchen zwei andern mit Filz bedeckten Walzen getrocknet und ſchließlich zwiſchen polierten Walzen geglättet. Schw. Cichtenbergiſche Figuren. K. L. Bauer ſchreibt in Pogg. Ann. Bd. XVI; neue Folge, S. 368, daß er die Lichtenbergſchen Figuren ſchöner erhalte, wenn er eine Hartgummiplatte zuerſt mit Lycopodium beſtreue und dann erſt den Knopf einer (poſitiv oder negativ) geladenen Flaſche nähere. Die Flaſche wird vertikal abwärts gehalten, es darf alſo die Stange nicht durch Ketten mit dem inneren Beleg verbunden ſein, weil ſonſt die Verbindung des Anopfes mit dem inneren Beleg aufhören würde. Die Figuren ändern ſich etwas, wenn man Knöpfe von verſchiedener Größe auf die Stange aufſchraubt. K. Tuftballonfahrt zum Nordpol. — Kapitän Cheyne verfolgt ſein Projekt, mittels dreier anein⸗ ander gejochter Luftballons den Nordpol zu erreichen, mit großem Eifer und hat ſich nun nach Montreal begeben, um das amerikaniſche Publikum für ſeine Pläne zu intereſſieren und den nötigen Betrag von 80000 Dollars zuſammen zu bringen. Er will mit ſeinen Leuten zu Schiff nach St. Patricks Bai gehen, wo Kapit. Nares ausgedehnte Kohlenlager geſehen hat, dort ein Haus bauen, die nötigen Apparate aufſtellen und den Waſſerſtoff zur Füllung ſeines Ballons fabrizieren. Bei günſtigem Wind im Sommer ſoll dann die Fahrt angetreten werden und gedenkt N. in höchſtens 24 Stunden den Pol zu er⸗ reichen; ein abgewickelter Draht ſoll die Verbindung mit der Station unterhalten, Lebensmittel für 51 Tage ſollen mitgenommen werden, wie er aber zurück⸗ zukommen gedenkt, ſagt das Projekt nicht. Ko. Stanley. Nach den im zweiten Hefte der Chro- nique de la Société belge de Geographie mit- geteilten Berichten hat Stanley ſeine Dampfer von Iſangila nach Manyanga glücklich auf dem Fluſſe bringen können und der „Royal“ beſorgt jetzt den regelmäßigen Dienſt zwiſchen dieſen beiden Punkten; allerdings muß er dabei über einige Stromſchnellen gezogen werden und in der trockenen Jahreszeit wird auch das unmöglich ſein. Von Manyanga aus hat Stanley eine Straße von 11 Kilometer Länge bauen müſſen, um die Katarakte von Utomba Makata zu überwinden; dann folgen wieder zwanzig Kilometer offenes Waſſer, auf denen der „En avant“ in Dienſt geſtellt iſt, und weiterhin neue Stromſchnellen, längs deren wieder eine Straße gebaut werden muß. Cin e Datum iſt dieſen Angaben nicht bei⸗ gefügt. Nach andern Nachrichten hat Stanley ſchon im Juli 1881 Stanley Pool erreicht, doch wird nicht angegeben, ob mit ſeinen Dampfern oder nicht. Der belgiſche Kapitän Roger, welcher mit Popelin am Tanganyika war und nach dem Tode ſeines Chefs zurückkehrte, iſt mit einer Anzahl in Sanſibar an⸗ geworbener Leute von der Congomündung aus in zwei Monaten ebendahin gelangt und hat Stanley ſeine Leute übergeben; er ſelbſt kehrt nach Europa zurück. AKO. Nutzbarmachung der Biagara-Ralle. In den Vereinigten Staaten werden jetzt ausgedehnte Unter⸗ ſuchungen über die Nutzbarmachung der hydrauliſchen Kraft der Niagara⸗Fälle angeſtellt. Es ſollen 3 Tur⸗ binen angebracht werden von je 1,22 m Durchmeſſer, deren jede 1000 e haben wird. Das geometriſche Büreau der Vereinigten Staaten berechnet nun, daß jede Minute 285,000 ebm Waſſer niederfallen; bei einer Höhe von 61 m find dies ca. 3,000,000 Pferde⸗ kräfte, entſprechend dem induſtriellen Bedürfniſſe von 200 Millionen Seelen Bevölkerung. (Mon. ind. 9. 15.) E. Die Pilze als Feinde des Waldes. Von Dr. Robert Hartig, Profeſſor an der Univerſität München. 8 Jer deutſche Wald hat im Laufe der letzten au Jahrhunderte und vielfach ſchon früher BO); eine Wandlung erfahren, die nur der— LNienige richtig zu beurteilen vermag, dem es vergönnt war, einen der wenigen Ueberreſte des alten deutſchen Urwaldes kennen zu lernen, wie ſolche hier und da teils aus Pietät, meiſt aber deshalb ev- halten worden ſind, weil die Entfernung von den menſchlichen Kulturſtätten, oder die Schwierigkeit des Transportes die Gewinnung des Holzes nicht ver— lohnte. Neben mächtigen Baumrieſen, deren Alter nach Jahrhunderten zählt, ſehen wir dort von Alter und Sturm gebrochene Stämme Zeugnis ablegen für die Vergänglichkeit auch dieſer urwüchſigen Vegetation. Auf den Trümmern der geſtürzten Bäume erhebt ſich eine neue Generation, erwachſen zahlreiche kräftige Stämmchen und füllen die entſtandene Lücke wieder aus. Zwar ſehen wir im Kampf ums Daſein, im Kampf um Licht und Nahrung zahlloſe Bäume den ſtärkeren Nachbarn erliegen, zwar fordern die Feinde des Waldes aus dem Tier- und Pflanzenreiche man⸗ ches Opfer, doch wird dadurch nur Platz geſchaffen für ein um ſo üppigeres Gedeihen der Zurückgeblie— benen. Alle Altersſtufen ſtehen im bunten Gemiſch neben⸗ und untereinander und der Formenreichtum, der ſchon dadurch ein ſo mannigfaltiger iſt, wird noch erhöht durch die Verſchiedenartigkeit der Holzarten, die wir im Walde antreffen. Nadelholzbäume und Laubhölzer mannigfacher Art ſtehen einzeln oder gruppenweiſe verteilt im Urwalde nebeneinander. Dieſer urſprüngliche Waldzuſtand iſt im Laufe der Zeit faſt überall verdrängt durch die Anſprüche, die der Menſch an den Boden und an die Produkte des Waldes richtete. Wo der Ackerbau lohnende Humboldt 1882. Früchte verſprach, iſt der Wald ganz verſchwunden, wo der Landwirt nichts zu hoffen hatte, da wurde oft genug durch Unverſtand oder Habſucht der Wald verwüſtet. Wenn wir heute noch einen reichen Schatz ſchöner Waldungen in Deutſchland unſer nennen, ſo haben wir dies beſonders der Sorge des Staates und der Pflege der deutſchen Forſtwirte zu verdanken, an welche einſt Schiller die Worte richtete: „Frei von des Egoismus Tyrannei herrſcht Ihr in Euren dunklen Wäldern und Eures ſtillen Fleißes Früchte reifen der ſpäten Nachwelt zu.“ Blicken wir nun aber auf dieſe unter der Pflege der Forſtwirte erwachſenen Waldungen und vergleichen ſie mit dem Urwalde, ſo zweifle ich faſt, daß allſeitig das Urteil über die Leiſtungen der Forſtwirte zu Gunſten derſelben ausfallen wird. An Stelle des unendlichen Formenreichtums, den wir bewundern in dem wilden Durcheinander des aus verſchiedenaltrigen und verſchiedenartigen Bäumen zuſammengeſetzten Ur⸗ waldes, iſt die Monotonie des modernen Waldes ge— treten. Stundenlang wandern wir oft durch den Wald dahin und überall iſt derſelbe aus Bäumen einer Holzart und einer Altersſtufe gebildet. Wer nur mit dem Auge des Künſtlers den modernen Forſt betrachtet, wird ſehr bald unbefriedigt denſelben ver— laſſen und zurückkehren in den von Menſchenhand noch nicht begründeten Wald. Aber auch der Forſtmann als ſolcher kann ſich nicht völlig mit dem zufrieden erklären, was die Forſtwirte dieſes Jahrhunderts mit vieler Sorgfalt und Mühe geſchaffen haben. Die Abweichung von dem Vorbilde der Natur, die Erziehung reiner und gleichaltriger Beſtände hat Gefahren heraufbeſchworen, welche früher in dem Grade unbekannt waren und es iſt die höchſte Zeit, 50 392 Humbolot. — November 1882. daß wir bei der Begründung der Wälder den feit nahezu einem Jahrhundert eingeſchlagenen Weg ver⸗ laſſen und unſer Beſtreben dahin richten, wiederum Beſtände zu erziehen, die wenigſtens bezüglich der Holzart, innerhalb gewiſſer Grenzen auch wohl bezüg⸗ lich des Baumalters dem urſprünglichen Waldbilde mehr ähnlich ſind, daß wir alſo gemiſchte Beſtände erziehen. f Zu den größten Gefahren, welche den gleich⸗ artigen modernen Waldungen drohen, gehören die verheerenden Epidemieen, die durch die Verbreitung paraſitärer Pilze hervorgerufen werden. Dieſe Feinde des Waldes haben ja auch im Urwalde ihr Weſen getrieben, aber die Bedingungen maſſenhafter Verbreitung waren dort nicht gegeben. Entweder ſind dieſelben nur den Nadelhölzern oder nur den Laub⸗ holzbäumen, oder wohl nur ganz beſtimmten Pflanzen⸗ arten gefährlich, ſie ſind entweder auf das jugendliche Alter angewieſen, oder treten nur an älteren Bäumen auf, und ſo iſt es leicht erklärlich, daß in einem Ur⸗ walde wohl hier und da ein Baum der Krankheit er⸗ liegt, daß es aber zu einem epidemiſchen Auftreten von Infektionskrankheiten nur da kommen kann, wo gleich⸗ artige, für die Krankheit empfängliche Individuen nahe zuſammenſtehen, wie das in den monotonen Waldungen der Jetztzeit meiſt der Fall iſt. Leider haben die Waldverwüſtungen durch paraſitiſche Pilze in den letzten Jahrzehnten eine geradezu ſchreckener⸗ regende Ausdehnung erlangt. Die Erforſchung dieſer Krankheiten iſt vorzugs⸗ weiſe dem letzten Jahrzehnt?) vorbehalten geblieben und glaube ich, daß ein orientierender Ueberblick über den Stand unſrer Kenntniſſe für den Leſerkreis dieſer Zeitſchrift nicht ohne Intereſſe ſein dürfte. Bei den Infektionskrankheiten der Tiere und Menſchen ſind es faſt nur niedere Pilze, die ſogen. Spaltpilze, welche bei ungeheurer Vermehrungsfähig⸗ keit im Gewebe oder im Blute ſich verbreiten und die Krankheitserſcheinungen durch ihre Lebensthätigkeit hervorrufen. Die infektiöſen Pflanzenkrankheiten werden dagegen nur durch höhere Pilze erzeugt, und zwar ſind dies faſt ſtets ſolche, welche ein deutliches Mycelium be⸗ ſitzen. Unter Mycelium verſtehen wir den vegetativen, der Ernährung dienenden Teil der Pilzpflanze, der für gewöhnlich im Inneren des Pflanzenkörpers verborgen, ſelten einmal außerhalb des Nährſubſtrates zu ſehen iſt und dann als Schimmelbildung bezeichnet zu wer⸗ den pflegt. Das Myeelium beſteht aus äußerſt zarten, mit Plasma und Zellſaft erfüllten Schläuchen, die an ) R. Hartig. Wichtige Krankheiten der Waldbäume. Berlin 1874. ; i Die Zerſetzungserſcheinungen des Holzes. Berlin 1878. 1 Unterſuchungen aus dem forſtbotaniſch. Inſtitut zu München. Berlin 1880. 0 Lehrbuch der Baumkrankheiten. Berlin 1882. ihrer Spitze ſich vergrößern und durch ſeitliche Aus⸗ ſproſſung ſich veräſteln. Sie ſondern zumal an den zarten, jüngſten Spitzen Fermentſtoffe aus, durch welche die organiſche Subſtanz der Wirtspflanze ver⸗ ändert reſp. aufgelöſt wird und wodurch es der Pilz⸗ pflanze gelingt, nicht allein in die Wirtspflanze ein⸗ zudringen, ſondern auch in ihr ſich zu verbreiten. Dieſe Verbreitung geſchieht ſo, daß entweder die reich veräſtelten Pilzfäden in den Räumen zwiſchen den Zellen wachſen und kleine Saugwarzen in das Innere der Zellen einbohren, um aus ihnen die Nahrung zu entziehen, oder von einer Zelle zur andern wachſen, wobei ſie die Wandungen mit Leichtigkeit durchdringen, alſo im weſentlichen in den Zellen ſich befinden. Seltener, z. B. beim Mehltau des Wein⸗ ſtockes u. ſ. w., bleibt des Mycel auf der Oberfläche und ſendet nur ſeine Saugwarzen in die Oberhaut⸗ zellen der Blätter, Früchte u. ſ. w. Früher oder ſpäter entſtehen an dem Myeelium Fruchtträger und dieſe oft mächtig entwickelten Organe ſind es, die der Laie als Pilzpflanze zu betrachten pflegt, ohne daran zu denken, daß er mit dem Ab⸗ brechen eines Champignons nur eine Frucht abgepflückt hat, welche auf der im Boden verborgenen Pilzpflanze ſich entwickelt hat. An oder in den Fruchtträgern entſtehen kleine Zellen, Sporen und Brutzellen, welche durch den Wind fortgeführt, oder durch Tier und Menſch verſchleppt, den Pilz und damit die Krankheit verbreiten. Je nachdem nun die Verbreitung der Krankheit durch Mycelium oder durch Fortpflanzungszellen ſtatt⸗ findet, trägt dieſelbe einen ganz verſchiedenen Charakter. Das Mycelium iſt nur dann im ſtande, die Verbreitung einer Krankheit von einer Pflanze auf eine andre zu vermitteln, wenn dasſelbe an den Wur⸗ zeln oder überhaupt an unterirdiſchen Pflanzenteilen ſich entwickelt. Nur im feuchten Boden vermag ſich nämlich das Mycel außerhalb der Pflanze ſelbſt zu verbreiten, während oberirdiſch ein Wachstum des Pilzes durch die Trockenheit der Luft bald beein⸗ trächtigt werden würde. Verbreitet ſich eine Krankheit durch unterirdiſche Myeelinfektion, dann entſtehen Lücken in den Wald⸗ beſtänden, die ſich durch das fortſchreitende Abſterben der Randbäume immer mehr vergrößern. Erfolgt dagegen die Verbreitung durch Sporen, ſo können die nächſten Nachbarn geſund bleiben, während entfernter ſtehende Pflanzen erkranken. Es gibt eine Reihe von Paraſiten, welche beide Verbreitungsweiſen haben; bei ihnen entſtehen durch Sporenverbreitung neue In⸗ fektionsherde, die wiederum durch unterirdiſche Mycel⸗ infektion ſich vergrößern. Beiſpielsweiſe ſei hier auf die Wurzeltramete, Trametes radiciperda, hingewieſen, auf den gefährlichſten Zerſtörer der Fichten⸗ und Kiefernwälder, dem jährlich Millionen der wertvollſten Bäume in Deutſchland zum Opfer fallen. Dieſer Pilz entwickelt ſeine Früchte meiſt unterirdiſch an den Wurzeln, zumal wo ſolche an Mäuſegängen vorüberſtreifen. Hier ſtreifen die Mäuſe mit ihrem Pelz Sporen ab und ver⸗ Humboldt. — November 1882. 393 ſchleppen dieſelben oft weithin, bis fie an eine ge- ſunde Wurzel die Sporen wieder abſtreifen. Die ge— keimte Pilzpflanze zerſtört nicht allein das Innere des Baumes, indem ſie die gefürchtetſte Art der ſogen. Rotfäule des Holzes veranlaßt, ſondern ſie tötet auch die Wurzeln und damit den Baum, und wo eine Wurzel desſelben mit Wurzeln der Nachbarbäume unter- irdiſch ſich berührt, da tritt das Pilzmycel an der Berührungsſtelle auf dieſe über und läßt auch ſie er— kranken. In ähnlicher Weiſe verbreitet ſich eine ganze Reihe von Pilzen unterirdiſch durch ihr Mycel, welches da— bei charakteriſtiſche Formen annimmt, jo der Agaricus melleus, einige Arten der Gattung Rosellinia u. ſ. w. Dieſe unterirdiſch ſich verbreitenden Pilze können, wie ſich von ſelbſt ergibt, nur da epidemiſch auftreten, wo der Beſtand aus gleichartigen Pflanzen gebildet iſt; denn wenn die Krankheit einen Baum befallen hat und dieſer iſt von andern Baumarten umgeben, dann wird die Pilzkrankheit gewiſſermaßen auf ihrem Entſtehungsorte iſoliert und der Paraſit kann nicht weiter wandern. Die Verbreitung der Krankheiten durch Sporen oder Brutzellen -ift allen Paraſiten eigentümlich, dabei kommen aber die intereſſanteſten und mannig— faltigſten Verſchiedenheiten vor. Zunächſt ſind bei ſehr vielen Pilzen hinſichtlich der Lebensdauer und der Bedeutung für die Krankheits— verbreitung zweierlei Fortpflanzungszellen zu unter⸗ ſcheiden. Die einen dienen dazu, den Pilz und die Krankheit von einem Jahr auf das folgende zu über— tragen. Ihre Lebensdauer iſt dementſprechend eine lange, mindeſtens bis zum folgenden Jahre währende. Manche Sporen erhalten ſich aber auch viele Jahre lang keimfähig. ‘é Dieſe erſte Gruppe bezeichnet man als Dauer- ſporen. Neben ihnen gibt es aber noch Vermehrungs— zellen, deren Keimfähigkeit oft nur ſehr kurze Zeit währt, und die dazu dienen, im Laufe derſelben Vegetationsperiode die Krankheit zu verbreiten. Ein Beiſpiel mag dies erläutern. Durch ganz Deutſch— land verbreitet, tritt an Keimlingspflanzen der Rot⸗ buche, des Ahorn, der Fichte, Kiefer u. ſ. w. eine Krankheit auf, welche mit der bekannten Kartoffel- krankheit die größte Verwandtſchaft beſitzt und auch durch einen dem Kartoffelpilz Phytophthora infestans nächſt verwandten Paraſiten Phytophthora omnivora erzeugt wird. Die Dauerſporen dieſes Pilzes ruhen im Boden und erhalten ſich dort eine Reihe von Jahren lebendig; kommen ſie mit keimenden Pflanzen in Berührung, dann dringt ihr Keimſchlauch in die— ſelben ein und die infizierte Pflanze ſtirbt in wenig Tagen, nachdem ſie zuvor zweierlei Fortpflanzungs— zellen gebildet hat. An feinen Pilzhyphen, welche die Oberhaut durchbohren, entſtehen Brutzellen, die alsbald keimen, wenn ſie durch den Wind fort— geführt oder durch Menſchen und Tiere, z. B. durch Mäuſe, durch Wild u. ſ. w. verſchleppt, auf geſunde Pflanzen abgeſtreift werden. Durch ſie verbreitet ſich, wie bei der Kartoffelfäule die Krankheit ſchnell von Pflanze zu Pflanze. Im Gewebe der erkrankten Blätter und Stengel dagegen entſtehen infolge voraus— gegangener Sexualakte die Dauerſporen, deren Zahl in einem Buchenkeimling fic) auf 1¼ Millionen be— laufen kann. Mit den verfaulten Geweben gelangen ſie in den Boden und vergiften dieſen für eine Reihe von Jahren. Eine Anzahl paraſitiſcher Pilze iſt bezüglich ihrer Verbreitung gebunden an die Gegenwart zweier ver— ſchiedener Wirtspflanzen; es find das die heteröeiſchen Roſtpilze, die ihren Entwickelungsgang ähnlich der Finne und dem Bandwurm nicht auf einem und dem— ſelben Wirte beendigen können. Gerade ſo, wie be— kanntlich der Getreideroſt durch Pilze entſteht, welche zuvor auf Berberitze (Aecidium berberidis), auf Kreuz⸗ dorn und Faulbaum (Aecidium Rhamni) und auf Boragineen (Aecidium Asperifoliarum), ſich entwickelt hatten, ſo entſteht eine viel verbreitete Weißtannen— nadelkrankheit durch einen Pilz, der auf der Preifel- beere (Vaccinia Vitis idaea) überwintert (Calypto- spora Goeppertiana), es ijt ferner der Fichtenblaſenroſt eine Entwickelungsform des Alpenroſenpilzes Chryso- myxa Rhododendri und des Sumpfporſtpilzes Chry- somyxa Ledi 2c. Von vielen Roſtkrankheiten der Waldbäume fehlt uns noch die Bekanntſchaft des ganzen Entwickelungsganges der betreffenden Pilze. Von hohem Intereſſe iſt die Angriffsweiſe der Pilze, hinſichtlich welcher dieſe in zwei Gruppen ge— teilt werden können, nämlich in ſolche, die unver— letzte Pflanzen zu infizieren vermögen und in ſolche, die nur an vorgebildeten Wunden eindringen können, alſo die infektiöſen Wundkrankheiten erzeugen. Was die erſteren betrifft, ſo ſind nur die unterirdiſch ſich verbreitenden kräftigen Myeelbildungen im ſtande, auch in ältere durch Korkbildung geſchützte Wurzeln einzudringen, während der zarte Keimſchlauch einer Spore nur unter gewiſſen Verhältniſſen die Infektion zu vollziehen vermag, deren Vorhandenſein uns be— rechtigt, von einer Krankheitsanlage oder Prä— dispoſition zu reden. Hierunter haben wir jeden, wenn auch nur vorübergehenden Zuſtand im anato— miſchen Bau oder in den Lebensfunktionen eines Or— ganismus zu verſtehen, der an ſich noch keinerlei Nach— teil für das Individuum in ſich ſchließt (alſo nicht Krankheitskeim oder Krankheit ſelbſt iſt), der in der Regel ſogar zu den völlig normalen, allen Pflanzen zeitweiſe zukommenden Eigenſchaften gehört, der aber, wenn noch ein zweiter äußerer Faktor, der für ſich allein ebenfalls ohne Nachteil für die Pflanze iſt, hin— zukommt, zu einer Erkrankung führt. Die Krankheitsanlagen laſſen ſich in drei Gruppen einteilen. Zur erſten gehören alle ſolche natürliche Entwickelungszuſtände, welche jede Pflanze periodiſch zeigt, z. B. jugendliches Alter der ganzen Pflanze oder einzelner Teile derſelben. So lange ein Pflanzenteil nur von einer zarten, wenig verkorkten Oberhaut bekleidet iſt, können Pilzkeime in dieſelbe eindringen, die ſpäter, bei entwickelterem Hautgewebe ſich nicht mehr einzubohren vermögen. Auch der Vegetationszuſtand der Pflanze bedingt 394 Humboldt. — November 1882. oftmals eine Prädispoſition, inſofern das ruhende Gewebe der Rinde und des Cambiums den Angriffen mancher Pilze unterliegt, während es im Sommer zur Zeit vegetativer Thätigkeit dem Vordringen des Pilzes Widerſtand leiſtet u. ſ. w. Es gibt mancherlei Eigentümlichkeiten, die eine Prädispoſition in ſich ſchließen, aber doch nur ein⸗ zelnen Individuen oder Varietäten ange— boren ſind und dieſe kann man als eine zweite Gruppe von Krankheitsanlagen zuſammenfaſſen. So gibt es unter unſern Waldbäumen Individuen, die regelmäßig früher oder ſpäter ergrünen, als ihre Nachbarn. Dieſe können dadurch eine Prädispoſition für Krankheiten beſitzen, denn manche Pilze ſtreuen ihre Sporen unter günſtigen Witterungsverhältniſſen in wenig Tagen aus und da die Sporen ihre Keim⸗ fähigkeit bald einbüßen, ſo werden nur die Pflanzen erkranken, deren Triebe und Blätter bereits entwickelt aber anderſeits auch noch nicht ſo weit entwickelt ſind, daß die Oberhaut verkorkt iſt. Bekanntlich nimmt man ja auch an, daß die dünnhäutigen Kar⸗ toffelſorten deshalb mehr vom Kartoffelpilz heimge⸗ ſucht werden, als die dickhäutigen Rotaugen, weil jene leichter durch die Keimſchläuche der Brutzellen durchbohrt werden. Endlich gibt es aber auch Krankheitsanlagen, welche erſt durch äußere Einflüſſe entſtanden, alſo im Gegenſatze zu den angeborenen, als erworbene An⸗ lagen zu bezeichnen ſind. Zu dieſen erworbenen Krankheitsanlagen gehören die zahlloſen mannigfaltigen Verwundungen, welche das Eindringen vieler paraſitären Pilze in das Pflanzen⸗ innere erſt ermöglichen. Hagelſchlag, Windbruch, Be⸗ ſchädigungen durch Menſchenhand, z. B. bei Baum⸗ äſtungen u. ſ. w., vorzugsweiſe aber manche an ſich wenig gefährliche Inſektenbeſchädigungen werden erſt dadurch verderblich und ſelbſt tödlich, daß durch ſie den paraſitären Pilzen die Pforte ins Innere des Baumes geöffnet wird. Gehen wir zur Betrachtung der verſchiedenen Einwirkungen der Pilze auf die von ihnen be⸗ wohnten Pflanzen reſp. Gewebeteile, d. h. auf die Beſchreibung der Krankheiten ſelbſt über, ſo kann die Aufgabe dieſes kurzen Artikels nur darin beſtehen, auf einige beſonders intereſſante Verhältniſſe hinzu⸗ deuten. Die große Mannigfaltigkeit der Erkrankungs⸗ formen, deren Charakter ſtets von der Spezies der eingedrungenen Paraſiten abhängt, nötigt uns zu der Annahme, daß eine jede Pilzſpezies einen ihr eigen⸗ tümlichen löslichen Stoff, ein Ferment ausſondere, welches im Pilzplasma entſtanden, auf den Inhalt und auf die Wandungen der Zellen der Wirtspflanze eine beſondere Wirkung ausübt. Es gibt Pilze, welche auf die fertigen lebenden Gewebe der Pflanze keinerlei erkennbare Einwirkung ausüben, dagegen in den noch jugendlichen unfertigen Geweben eine bedeutende Zuwachsſteigerung, eine Ver⸗ größerung der Zellen veranlaſſen, die zu einer bedeu⸗ tenden Anſchwellung der bewohnten Pflanzenteile Pilze, führen, z. B. bei der Stengelkrankheit des Vaccinium Vitis idaea, welche durch Calyptospora Goeppertiana hervorgerufen wird. Bei andern Krankheiten veranlaßt der Pilz eine bedeutende Steigerung der Zellteilungsgeſchwindigkeit im Cambium, ſo daß bedeutende Stammanſchwellungen z. B. die Stammbeulen der Weißtanne (Aecidium elatinum), der Wachholderſtämme (Gymnoſpor⸗ angiumarten) 2c., entſtehen. Recht oft veranlaſſen daß die von ihnen bewohnten Pflanzenteile eine ganz abnorme Geſtalt annehmen, ſo z. B. ent⸗ ſtehen die Narren oder Taſchen der Pflaumen, der Ellernzäpfchen, die Hexenbeſen der Hainbuche, Birke, Kirſche u. ſ. w. durch die Arten der Gattung Hxoascus. Auch bei ſolchen Krankheiten, bei welchen das Pilzmycel den Tod der bewohnten Pflanzenteile in kurzer Zeit herbeiführt, äußert ſich die Art der Pilz⸗ fermente ſowohl in bezug auf den Zellinhalt, als auf die Zellwandung in der verſchiedenſten Weiſe. Manche Pilze löſen zuerſt die Stärkekörner des Zellinhaltes auf, bevor merkliche Veränderungen im Plasma und Chlorophyllgehalt erkennbar werden, andre Pilzarten laſſen die Stärke völlig unverändert, ſo daß dieſe noch vorhanden iſt, wenn ſelbſt die dicken, urſprünglich verholzten Zellwände ſchon völlig aufge⸗ löſt wurden. Unter den holzzerſtörenden Pilzen hat eine jede Spezies ihre charakteriſtiſche Zerſtörungsform, fo daß makroſkopiſch und mikroſkopiſch aus der Zer⸗ ſtörungsform aufs genaueſte die Pilzſpezies erkannt werden kann. Von der Eiche ſind mir zehn verſchie⸗ dene Zerſetzungsformen im ſtehenden Baume bekannt und beruhen die Verſchiedenheiten unter anderm darin, daß durch die Fermentausſcheidung des Paraſiten ent⸗ weder zuerſt der Holzſtoff der Zellwand, oder zuerſt die Zelluloſe aufgelöſt und von dem Mycel unter Zu⸗ tritt des Sauerſtoffs der Luft teils in Pilzſubſtanz verarbeitet, teils in Kohlenſäure und Waſſer verwan⸗ delt wird. Ich ſchließe dieſen orientierenden Ueberblick mit einer kurzen Andeutung der Maßregeln, die dem Forſtwirte zur Verfügung ſtehen, um ſeinen Wald gegen die mannigfachen Feinde zu ſchützen, die dem⸗ ſelben Verderben drohen. Erziehung gemiſchter Waldbeſtände iſt die erſte und wichtigſte Vorſichtsmaßregel, die den Wald nicht allein gegen Pilze, ſondern auch gegen Inſekten⸗ kalamitäten, gegen Feuer u. ſ. w. am ſicherſten ſchützt. Sowohl die unterirdiſche, als auch die oberirdiſche Anſteckung wird am erfolgreichſten dadurch beeinträch⸗ tigt, daß jeder Baum durch andersartige EME gleichſam iſoliert iſt. Wechſel der Holzarten auf ſolchen Böden, die von Wurzelparaſiten eingenommen ſind, oder dort, wo der Boden durch Dauerſporen einer Pilzart vergiftet iſt; Vermeidung aller Handlungen, durch welche Pilzſporen oder kranke Pflanzen verſchleppt werden können u. ſ. w. ſind weitere allgemein gültige Vorſichtsmaßregeln. Iſt anderſeits eine Krankheit zum Ausbruch ge⸗ langt, ſo ergreife man ſofort die nötigen Vertilgungs⸗ maßregeln, bevor die Epidemie weiter um ſich ge⸗ Humboldt. — November 1882. griffen hat, denn ſo leicht die Bekämpfung im An— fangsſtadium iſt, ſo ſchwer, ja oft ſo fruchtlos iſt dieſelbe, wenn eine allgemeine Verbreitung der Pilze bereits erfolgt iſt. Handelt es ſich um Wurzelpara— ſiten, dann entferne man bei vereinzeltem Auftreten derſelben die kranke oder getötete Pflanze mit ihren Wurzeln durch Ausreißen oder Ausroden. Iſt bereits ein größeres Terrain erkrankt, dann iſoliere man das⸗ ſelbe durch ſchmale Stichgräben und entferne ab und 395 zu die etwa in dieſen zur Entwickelung gelangenden. Fruchtträger der Paraſiten. Für alle paraſitären Krankheiten gilt als ge— meinſamer Grundſatz, daß man möglichſt bald die pilzkranken Pflanzen aus den Beſtänden ent: fernt, um die Verbreitung durch Sporenbildung zu verhindern. Sauberkeit iſt auch im Walde die erſte Vorſchrift der Geſundheitspflege. Bruchſtücke aus Sidechſenſtudien. Von Dr. G. H. Th. Simer, Profeffor der Zoologie in Tübingen. I Einige Bemerkungen über pſychiſche Eigenſchaften der Eidechſen. Die in Italien lebenden Eidechſen zeichnen ſich durch eine außerordentliche Scheu vor dem Menſchen aus. Kein Wunder: der Italiener findet ein ganz beſonderes Vergnügen daran, jedes Tier, deſſen er habhaft werden kann, zu quälen und zu töten. Die Tiere haben nach den Lehren der dortigen Prieſter keine Seele; daß dieſelben keinen Schmerz empfinden, ſcheint dem Volk nur eine ſelbſtverſtändliche Schluß— folgerung aus dieſer Lehre zu ſein. Auch bei uns wird leider genug in dieſem Betreff geſündigt. Mit Trauer findet der Naturfreund die Leichen zertretener nützlicher Reptilien, wie der Schlingnatter, der Blind- ſchleiche, der Eidechſen, auf Weg und Steg. Die Schule thut hierin kaum Nennenswertes zur Auf— klärung. Aber es nimmt bei uns doch wohl ſelbſt der gedankenloſeſte Menſch in der Mehrzahl der Fälle an, daß die Tiere Schmerz empfinden. Freilich kommt häufig genug ſelbſt bei „Gebildeten“ auch das Gegen— teil vor, und die Frage eines geiſtlichen Herrn, ob denn Tiere wie die Schmetterlinge auch Nerven be— ſäßen und empfinden könnten, hat mich vor einigen Jahren im Norden Deutſchlands ſchwer betroffen. Daß es indeſſen bei uns immerhin beſſer mit unſrer Sache ſteht als in Italien, das zeigt die Thatſache, daß ſich die Tiere bei uns im allgemeinen viel harmloſer dem Menſchen gegenüber benehmen als dort. Das gilt auch für die Eidechſen. Unſre Lacerta agilis wenigſtens läßt ſich oft leicht mit den Händen greifen. Daß es in der That auch bei den Eidechſen das Ver— halten des Menſchen gegenüber dem Tiere iſt, welches jene Scheu oder deren Fehlen unmittelbar bedingt, und daß nicht etwa die durch das wärmere ſüdliche Klima geſteigerte Lebendigkeit der italieniſchen Rep— tilien vorzüglich in Frage kommt, dies beweiſt das Folgende. Als ich die Lacerta muralis coerulea auf dem äußeren, Menſchen faſt unzugänglichen Faraglione Felſen auffand, zeigte ſie ſich faſt vollſtändig furchtlos. Das Tier ließ ſich nach der Erzählung der Männer, welche mir es vom Felſen herabbrachten, dort ohne weiteres mit den Händen greifen. Deshalb ſcheint auch im Verlaufe weniger Jahre der Felſen faſt von ihm entvölkert worden zu fein. Die eben von dem Faraglione herab- gebrachten Tierchen ſaßen mir ruhig auf der Hand, ohne irgend welche Scheu zu verraten. In der Ge— fangenſchaft fraßen ſie mir von vornherein das Futter aus der Hand. Sie ließen ſich jederzeit, ohne einen Verſuch des Entrinnens zu machen, ergreifen, und wenn ſie ſich je dabei widerſtrebend zeigten, ſo war dies keineswegs ein Ausdruck von Furcht, ſondern augenſcheinlich nur von Unbehagen. Welcher Gegen— ſatz zu dem Verhalten der Mauereidechſen der Inſel Capri dem Menſchen gegenüber! Aber auch diejenigen Mauereidechſen, welche z. B. den Monacone bewoh- nen, ſind ſo ungemein ſcheu, daß es außerordentlich ſchwer iſt, ſie zu fangen: das kann ſeinen Grund nur darin haben, daß dieſer Fels dem Menſchen leicht zugänglich iſt und daß die Tiere von dieſem werden verfolgt worden ſein; und doch werden die Beſuche von Menſchen auf dieſem Felſen ziemlich ſelten ſein — es hat da oben niemand etwas zu thun, es ſei denn zur Zeit der Wachteljagd, wo der Fels zum Fang ein günſtiger Punkt ſein mag. Daß die kleinen Tiere ſo empfindlich ſind gegenüber dem Menſchen, daß feindliche Handlungen ſich ſo feſt im Gedächtnis der Individuen und demzufolge im Cha- rakter ganzer Raſſen ausprägen, ſpricht entſchieden für einen höheren Grad von geiſtiger Begabung unſrer Freunde, als man ihnen gewöhnlich zuzuſchreiben ge- neigt iſt. Dafür ſpricht aber auch die Thatſache, daß ſelbſt die ſcheueſten Gefangenen ſich leicht zähmen laſſen, bald aus der Hand freſſen, wenn auch die 396 Humboldt. — November 1882. hervorgehobenen Unterſchiede z. B. zwiſchen der Mo⸗ nacone- und der Faraglione⸗Eidechſe jo ſehr eingeprägt ſind, daß ſie ſich ſelbſt nach jahrelanger Gefangen⸗ ſchaft nicht völlig verlieren. Einen weiteren Beweis für geiſtige Empfänglich⸗ keit der Eidechſen liefert die bei ihnen in einem ganz hervorragenden Maße in den Vordergrund tre⸗ tende Eigenſchaft der Neugier, ſowie ein unver⸗ kennbar großer Sinn für muſikaliſche Töne. Es ift ſchon den Knaben bekannt, daß man durch Vorpfeifen eines Liedchens oder einzelner Töne eine Eidechſe im Laufe hemmen, auf die Stelle bannen, ihr näher und näher kommen und ſchließlich ſie mit der Hand fangen kann. Sie ſcheint ſich vor den Tönen ſelbſt zu vergeſſen, ſo aufmerkſam, unbeweglich lauſcht ſie mit neugierig dem Pfeifenden zugewendetem Ohr. Der Neugier an ſich fallen unſre Tiere häufig zum Opfer: man hat, wie wir ſehen werden, eine beſondere, erfolgreiche Fangmethode auf dieſelbe ge⸗ gründet. Ich beſuchte einſt in glühender Sommer⸗ hitze den Monacone⸗Felſen. Bis dahin hatte ich trotz wiederholter Verſuche keine der dort lebenden Ei⸗ dechſen, die bei meinem Anblick jeweils mit geradezu raſender Schnelligkeit davoneilten, erlangen können. Heute mußte ich eine haben, denn ich war genötigt, morgen wieder abzureiſen. Aber auch mein Fangapparat, die alsbald zu beſchreibende Grasſchlinge, wollte zu keinem Ziele führen. Wieder hatten ſich nach einem vergeblichen Fangverſuch alle Eidechſen vor mir ver⸗ krochen. Da ſetzte ich mich, um dieſelben vertrauens⸗ ſelig zu machen, in der glühenden Mittagshitze regungs⸗ los auf einen Stein. Nicht allzulange dauerte es, da lugte eine Eidechſe, die ſich vorher bei meiner Annäherung in einem Loch verborgen hatte, aus dieſem hervor, um jedoch, als ſie meiner anſichtig ward, raſch wieder hineinzuſchlüpfen. Bald wagte ſie ſich von neuem hervor. Diesmal weiter. Den Kopf ſchief aufhaltend, äugte ſie nach mir und als ſie nichts Verdächtiges an dem Gegenſtand ihrer Aufmerkſam⸗ keit zu bemerken glaubte, rückte ſie aus ihrem Verſteck vollſtändig heraus. Die Neugier machte ſich, nach⸗ dem das Tierchen angefangen hatte ſich zu beruhigen, nun mehr und mehr geltend und gewann die Ober⸗ hand: bald raſch vorwärts laufend, bald einen Augen⸗ blick wieder ſtille haltend, aber ohne mein Geſicht auch nur einen Moment aus dem Auge zu verlieren, rückte mir die Eidechſe immer näher. An meinen Füßen angekommen, unterſuchte ſie prüfend meine Stiefel, indem ſie dieſelben genau betrachtete und einige Mal mit der Zunge betaſtete. Darauf ſprang ſie auf meine Stiefel hinauf, kletterte — immer von Zeit zu Zeit im Laufe wieder einhaltend und wieder mit der Zunge prüfend — an meinen Beinkleidern in die Höhe, mir aufs Knie, dann am Arm empor, bis ich ſie durch einen raſchen Griff erhaſchte. Auf dieſe Neugier alſo gründet ſich die folgende Fangmethode, deren Uebung bei den Knaben in Italien allgemein verbreitet zu ſein ſcheint. Die Knaben nehmen einen langen Grashalm und bilden aus dem dünnen Ende desſelben eine zuziehbare Schlinge. Sie ſpucken hierauf auf die Schlinge; es entſteht darin ein ſchillerndes Häutchen von Speichel, indem dieſer ſich im Rahmen der Schlinge ausſpannt. Sobald die Knaben eine Eidechſe ſehen, legen oder hocken ſie ſich auf den Boden, nähern ſich dem Tierchen in dieſer Stellung langſam und halten ihm mit lang ausgeſtrecktem Arm die Schlinge vor den Kopf. Die Eidechſe ſieht verwundert den ſeltſamen Apparat, bleibt wie gebannt davor ſtehen, vergißt vor Neugier ihre Furcht und jede Vorſicht, läßt ſich durch lang⸗ ſames Wegziehen des Halmes ſelbſt da und dorthin locken, dem Fangenden näher bringen, bis ihr plötz⸗ lich die Schlinge über den Kopf gezogen wird. Ich war anfangs der Meinung, daß entweder das bunte Schillern des Speichelhäutchens das Tierchen anziehe oder der Umſtand, daß ſich deſſen Form und Farbe in ihm widerſpiegele. Allein der Bann ſcheint weſentlich in der Schlinge zu liegen, denn man er⸗ reicht den Zweck auch ohne den Speichel, und in manchen Gegenden Italiens wird er allgemein ohne dieſen betrieben. Dagegen dient etwas Muſik, Pfeifen eines Liedchens, ſehr zur Erhöhung des Zaubers und ſeiner Erfolge. Die Knaben legen ſich auf das Fangen der Eidechſen zum Zeitvertreib. Während ſie in der Sonne lungernd liegen, ſtrecken ſie ihre Schlinge aus. Ich verlor zu Anfang meiner Eidechſenunterſuchungen viele Zeit mit den Verſuchen, die flinken Tierchen zu fangen. Je mehr ich ſie verfolgte, um ſo ſcheuer wurden ſie, um ſo weniger kam ich zum Ziele. So war ich ſchließlich in großer Verlegenheit, denn ich brauchte viel Material. Da verriet mir Don Pagano's Sohn Manfred, der jetzige Wirt des bekannten gaſt⸗ lichen Hauſes auf Capri, das Geheimnis des Fanges mit der Schlinge. Ich ging von nun an auf die Eidechſenjagd, gefolgt von einer Anzahl von Knaben, und in kurzem hatte ich jedesmal Beute übergenug, denn alle Knaben der Inſel Capri beſaßen von Kinds⸗ beinen an Virtuoſität in dieſer Jagd. III. Sauroktonos. Die beſchriebene Methode des Eidechſenfanges ſcheint mir die einfache Erklärung eines antiken Kunſt⸗ werks abzugeben, welches bisher die Philologen und die Kunſtkenner von Profeſſion kaum richtig und, wie mir ſcheint, ſehr gezwungen gedeutet haben. Die berühmte Statue des Sauroktonos ſtellt be⸗ kanntlich einen noch dem Knabenalter nahen Jüngling dar, welcher, mit dem linken Arm an einen Baum⸗ ſtamme gelehnt, in der rechten Hand ein Stück eines Stabes haltend, in lauernder Stellung eine am Baum⸗ ſtamm hinaufkletternde Eidechſe mit den Augen ver⸗ folgt, um dieſelbe, wie die Archäologen meinen, mit jenem Stabe, bezw. mit einem Pfeile, von welchem der Stab ein Stück darſtellen würde, entweder zu kitzeln oder zu durchbohren. Das letztere Urteil bezieht ſich, ſoviel ich weiß, auf die Angabe von Plinius: „fecit“ (ex aere Praxiteles, welchem die Statue von ihm zugeſchrieben wird), „puberem Apollinem subrepenti lacertae Humboldt. — Movember 1882. cominus sagitta insidiantem quem sauroctonon vocant.“ Apollo ſoll aus den Zuckungen der ſter— benden Eidechſe Zukünftiges verkünden wollen. Ein auf unſre Statue bezügliches Epigramm des Martial lautet: „Sauroctonos Corinthius (d. i. aus korinthiſchem Erz) „Ad te reptandi, puer insidiose, lacertae „Parva, cupit digitis illa perire tuis.“ Die Eidechſe kriecht alſo zu dem Knaben heran. Dies und die ganze Haltung des Sauroktonos welche eine Fig. 3. durchaus ruhig erwartende, faſt nachläſſige iſt, eben— ſo die Haltung des rechten Armes und der rechten Hand, die Art, wie dieſe das Stabſtück in den Fingern hält — leicht und ſpielend, nicht feſt und ſicher, wie man einen Pfeil hält, mit dem man töten will, end— lich der friedliche, eher Spiel als ernſte Uebung an⸗ deutende Ausdruck des Geſichts — alles dieſes ſcheint mir auf das beſtimmteſte darauf hinzuweiſen, daß wir im Sauroktonos einen Knaben vor uns haben, welcher mit der Grasſchlinge auf die Eidechſe lauert, nicht mit einem Pfeile. Erſt durch dieſe Erklärung wird die Haltung der ganzen Statue verſtändlich und erſcheint dieſe in ihrer ganzen lebenswahren Harmonie. Bekanntlich findet ſich eine Nachbildung des Originals in Marmor, welche im Jahre 1777 auf dem Palatin ausgegraben wurde, im Vatikan, eine andre kleinere, in Erz, bei S. Balbino gefunden, in der Villa le 397 bani in Rom, eine u. a. in Paris. Ich kenne die beiden erſteren aus eigner Anſchauung genauer. An der bekannteſten und ſchönſten, der vatikaniſchen, ſind die beiden Arme von den Schultern ab neu. Am Exemplar der Villa Albani ſind die Arme alt, nach einer der mir im Augenblick zugänglichen An— gaben ſoll die rechte Hand auch hier reſtaurirt ſein. Sei dem wie ihm wolle, jedenfalls iſt die Haltung vom rechten Arm, von Hand und Fingern in beiden Fällen übereinſtimmend eine ſolche, daß ſie nur auf die leichte Handhabung eines Grashalms bezogen werden kann, nicht aber eines Pfeils. Das Haupt⸗ gewicht möchte ich indeſſen auf die, wie geſagt, nur mit erſterer Auffaſſung in Einklang zu bringenden Geſamtverhältniſſe der Statue legen. Es wäre intereſſant zu wiſſen, ob die Methode des Eidechſenfanges mit der Schlinge auch in Griechen— land geübt wird, was bei den alten Beziehungen der Griechen und Römer wohl wahrſcheinlich iſt; aber ſelbſt wenn dies nicht der Fall wäre, würden dieſe Beziehungen dazu hinreichen, dem Praxiteles den Stoff zu ſeiner Statue an die Hand gegeben zu haben. Damit wäre die Uebung jener Methode als eine ſehr alte erwieſen. Auf wie alte Zeiten ſich ähnliche Uebungen zurückführen laſſen, wie zäh ſie ſich auf die Nachkommenſchaft vererben und in ihr erhalten, dafür liefert mir den Beweis ein Freskogemälde im etrus- kiſchen Muſeum im Vatikan, einen Knaben darſtellend, welcher einen durch einen Bindfaden an den Beinen feſtgehaltenen Vogel flattern läßt, ein Verfahren, welches heute noch zu den gewöhnlichſten Thaten der täglichen Tierquälerei in Italien gehört und welches ſonach mindeſtens ſeit dem ins Dunkel einer unbe— kannten Vorzeit ragenden Leben des Etruskervolkes gedankenloſe Menſchenkinder beſchäftigt hat. IV. Die Stimme der Eidechſen. Der Unbefangenheit der ſchwarzblauen Eidechſe, welche ich auf den äußerſten Faraglione-Felſen fand, glaube ich, wie ich ſchon 1873 mitteilte, die Ent⸗ deckung einer Eigenſchaft zuſchreiben zu dürfen, die bis jetzt bei unſren Tieren nicht bekannt war und unter den Reptilien überhaupt gewöhnlich nur den Gekos und dem Chamäleon zugeſchrieben wird, nämlich einer Stimme. An einem Sommertage hörte ich in dem Zimmer, in welchem ein Eidechſenkäfig ſtand, einen eigentümlichen Laut, ähnlich dem Piepen eines jungen Vogels, nur leiſer. Bald bemerkte ich zu meiner Ueberraſchung, daß der Laut aus der Kehle einer meiner männlichen blauen Eidechſen kam. Das Tier ſaß ruhig auf einem Stein und wiederholte den Laut wohl ein dutzendmal in Pauſen von etwa einer Vier- telminute, indem es jedesmal leicht den Mund öffnete. Während mehrerer Wochen beobachtete ich in der Folge dieſelbe Stimme bei verſchiedenen andern In— dividuen und zwar nicht nur bei männlichen, ſondern auch bei weiblichen. Darauf habe ich ſie monatelang nicht wieder gehört. Eine Reihenfolge der von mir beobachteten Rufe ſchrieb ich nach meinem Gehör fol— einer 398 Humboldt. — November 1882. gendermaßen auf: chri, bſchi, riä, bi, bſchiä. Es tönte aus dieſen kurz gezogenen Rufen beſonders das ch, das ſch, i und ä heraus; dem Charakter nach waren fie für mein Verſtändnis völlig indifferent; ich ver⸗ mochte weder Freude oder Behagen, noch Schmerz, noch Leidenſchaft in ihnen zu vernehmen. Die Tiere fanden ſich dabei in anſcheinend völlig normalem Zu⸗ ſtande. ... Später hörte ich, wie ich weiter mitteilte, die Stimme auch bei einer durch eine Konjunktivitis erblindeten gewöhnlichen Mauereidechſe von Capri. Eben dieſer Fall beſtärkte mich in der Annahme, es fet weſentlich das vertrauliche Weſen der Faraglione⸗ Bewohnerin geweſen, welches dieſelbe veranlaßte, ihre Stimme öfter hören zu laſſen, während dies die ge⸗ wöhnlichen ſcheuen Eidechſen nicht thun. Die Blinde unter den letzteren war durch ihre Krankheit gleich⸗ falls ungeſtört von der Außenwelt. Weniger ſorgfältige Schriftſteller als angriffs⸗ luſtige Witzbolde haben gemeint, es handle ſich in der von mir beſchriebenen Stimme um nichts andres, als um eine katarrhaliſche Affektion der Naſenſchleimhaut, welche die italieniſchen Eidechſen ſich in unſrem kalten Deutſchland zugezogen hätten, kurz um einen biederen Schnupfen. Inzwiſchen kam ich in die Lage, dieſelben Laute an einer Eidechſe zu hören unter Umſtänden, welche allen und jeden Ein⸗ wurf gegen die Deutung derſelben als den Ausdruck anormalen Stimme vollſtändig ausſchließen mußten. Die betreffende Thatſache habe ich in der im vorigen Jahre erſchienenen Abhandlung über die Mauereidechſe mitgeteilt. Im Jahre 1877, ſo berichte ich dort, als ich auch den mittleren der drei Faraglione⸗Felſen bei Capri nach Eidechſen abſuchen ließ, wartete ich in einem Boote am Fuße des Felſens auf die Rückkehr des Mannes, welchen ich zum Suchen hinaufgeſchickt hatte. In dem Augenblicke nun, als ich eine der von dem Manne erbeuteten Eidechſen (Lacerta muralis coe- ruleo-coerulescens mihi), die derſelbe ſoeben aus ſeinem Taſchentuche befreit hatte, in die Hand nehmen wollte, ſtieß ſie wiederholt raſch nacheinander einen ſehr ſcharfen, wie „bſchi“ tönenden, etwa an heißeres Pfeifen einer Maus oder eines kleinen Vogels er⸗ innernden Laut aus. Uebrigens erwähnte ich, daß ſchon Duges be- richtet, es gebe die den Küſten des Mittelmeeres eigentümliche kleine Lacerta Edwardsii unter Um⸗ ſtänden einen Laut von ſich der an das Knarren der Bockkäfer erinnere und die große, ſüdliche Lacerta ocellata blaſe im Zorne die Luft fo heftig von ſich, daß eine Art Stimme dadurch erzeugt werde. Auf Anfrage ſchrieb mir ferner im vorigen Jahre Herr H. Landois in Münſter, daß Lacerta viridis eine lebhaft ziſchend blaſende Stimme von ſich geben könne. Wenn dieſe Tiere — die betreffenden Individuen ſtammten aus Trieſt — an warmen Sommertagen auf den Nahenden biſſig losfuhren, ließen ſie ihre Stimme deutlich vernehmen. Sonſt iſt allerdings meines Wiſſens bis jetzt eine Stimme bei Lacerta nicht beobachtet worden, was wohl darauf zurückzuführen iſt, daß die Tiere dieſelbe, wie ich ſchon oben be⸗ merkte, unter gewöhnlichen Verhältniſſen nur äußerſtſel⸗ ten hören laſſen, dagegen ziſcht die in Oregon wohnende Echſe Tupaya Douglasii, wenn ſie gereizt wird, vernehmbar, ebenſo ſollen die Leguane, wenn ſie ein⸗ gefangen werden, fauchen und ziſchen. Vor kurzem haben nun dieſe Beobachtungen über eine Stimme bei Eidechſen eine weitere Beſtätigung erhalten. Durch Wahrnehmungen zweier Engländer, der Herren Pascal und Oliver, von welchen der erſtere berichtet uber einen wie ,wheet-t’wheet* klin⸗ genden Ruf einer Eidechſe, welchen er auf Ajaccio hörte“), während der letztere einen Ruf wie „tweet⸗tweet“ von Hemidactylus frenatus Schleg. beſchreibt **). Da das letztere Tier zu den Geko's gehört, bei welchen eine Stimme bekannt iſt, nach welcher eben der Name „Geko“ gebildet wurde, ſo erſcheint bemerkenswert für uns allerdings nur die Thatſache, daß bei der genannten Art die Stimme anders als gewöhnlich und mit der der eigentlichen Eidechſen übereinſtim⸗ mend iſt. *) Nature, 10. Nov. 1881. **) Ebenda, 22. Dez. 1881. Beſtändigkeit oder Unbeſtändigkeit der Kontinente. Von Hermann Jordan in Potsdam. etrachten wir eine der naiven Weltkarten des Mittelalters, ſo finden wir wohl vor Indien ein meerumfloſſenes Land, auf welchem das erſte Eltern⸗ paar ſich den Freuden des Paradieſes hingibt. Es erzählen uns auch alte Kirchenſchriftſteller, wie Lac⸗ tantius, Hrabanus Maurus, Kosmas Indi⸗ kopleuſtes u. a. m., daß die Stätte des Gartens Eden ein abgetrennter Kontinent im ſüdöſtlichen Aſien geweſen ſei, und bei der Entdeckung von Südamerika glaubte Kolumbus eine große Inſel vor der Gangesmündung gefunden zu haben, bei welcher ihm wichtige Anzeichen auf die Nähe des irdiſchen Paradieſes zu deuten ſchienen. Arabiſche Geographen ſprechen von einem Inſellande Wak Wak im Oſten von Afrika, und in den Märchen aus 1001 Nacht iſt es eine Prinzeſſin von den Inſeln desſelben geheimnisvollen Namens, Re | S N 0 By : linte : S = mut der unter Tausendfaden. Co Meer ither Acer 400 Humboldt. — November 1882. welcher Haſſan aus Baſſora den Schleier raubt. Der Name Wak Wak ſelbſt deutet an, daß die alten Araber nicht recht wußten, was ſie ſich darunter denken ſollten; aber der Glaube an das Beſtehen einer größeren Landmaſſe im Bereiche des indiſchen Ozeans war ſehr verbreitet im früheren Mittelalter. Man darf wohl annehmen, daß Claudius Ptole⸗ mäus der Urheber dieſer Anſchauung war; denn vor ihm ſchrieben Geographen wie Herodot, Strabo und Plinius, daß Afrika zu umſchiffen ſei, während er ſelbſt meinte, daß das Südende von Afrika mit Südoſt⸗ aſien in direkter Verbindung ſtände. Dieſe Land⸗ brücke nannte er das „indiſche Aethiopien“. In neueſter Zeit iſt man mehrfach auf die An⸗ nahme einer ſolchen Landverbindung zurückgekommen. Freilich ſah man von ihrem Beſtehen bis in hiſtoriſche Zeiten hinein ab; aber man glaubte, daß ſie früher vorhanden geweſen ſein müſſe. Nach P. L. Sclater, einem bedeutenden Zoologen und Tiergeographen des modernen Englands, lag hier einſt „Lemuria“, das Vaterland der Halbaffen oder Lemuriden, von dem heute nur Madagaskar und die Maskarenen übrig geblieben ſein ſollen, und ein deutſcher, erſt kürzlich verſtorbener Geograph und Anthropologe erklärt die Annahme von Selaters Lemuria für ein „anthro—⸗ pologiſches Bedürfnis“). Wir meinen den rühm⸗ lichſt bekannten Oskar Peſchel, dem wir nicht widerſprechen dürfen, wenn er ſagt, daß das erſte Auftreten des Menſchen ein kontinentales geweſen ſein müſſe. Auch wird ein jeder zugeben, daß dieſes erſte Auftreten der ſogenannten „Alten“ Welt ange⸗ höre; aber aus dem Umſtande, daß man bisher noch nirgends den Tertiärmenſchen, den Stammtypus für alle Menſchengeſchlechter aus tertiärer Zeit gefunden hat, folgern zu wollen, daß die Stätte, an der dieſer Urmenſch hauſte, von den Wogen eines Weltmeeres verſchlungen worden ſein müſſe, das iſt doch eben wohl eine allzu kühne Hypotheſe. Noch allgemeiner als der Glaube an eine früher weſentlich andre Verteilung von Land und Waſſer im Indiſchen Ozean war die Sage von der fabel⸗ haften Atlantis verbreitet, welche das Gebiet der heutigen Atlantiſchen Inſeln eingenommen haben ſollte; letztere wären nach dieſer Verſion nichts als die Ueberreſte jenes verſunkenen Feſtlandes. Obwohl nun aus der Geologie und aus der Verſchiedenartigkeit der Pflanzen- und Tierformen dieſer Inſeln längſt nachgewieſen iſt, daß dieſelben niemals in Verbindung untereinander geſtanden haben, ſo hielt doch bis in die neueſte Zeit hinein mancher hartnäckig an der alten Anſchauung feſt! ). Eine Verallgemeinerung der Anſicht, daß vor Zeiten im Indiſchen und Atlantiſchen Ozean größere Ländermaſſen ſtanden, kann nur fo lauten, daß im ) Oskar Peſchel, Völkerkunde. Seite 35. ) Nicht ohne Unwillen finden wir dieſe Anſchauung 3. B. noch vertreten von Bourgingnat in ſeiner „Mala⸗ cologie de Algérie“, Paris 1864. Leipzig 1874. Laufe der Erdepochen Waſſer und Land ihrer Lage nach auf der Erdoberfläche vollkommen wechſeln, wie es auch einer der bedeutendſten Geologen der Jetzt⸗ zeit in ziemlich ſcharfer Weiſe ausgeſprochen hat. „Kontinente,“ ſagt Charles Lyells), „obwohl ganze Erdepochen hindurch beſtändig, wechſeln doch ihre Lage im Laufe der Zeiten gänzlich.“ Es iſt nicht ange⸗ nehm, einer Autorität wie Lyell widerſprechen zu müſſen, hier aber dennoch unvermeidlich, und es iſt ein Glück, daß wir ſeinem bedeutenden Namen einen andern von nicht minder gutem Klange entgegen⸗ ſetzen können, den Namen des berühmten Charles Darwin. Es ſei uns an dieſer Stelle eine kleine Einſchal⸗ tung erlaubt. Sämtliche vorhandene Inſeln kann man in zwei große Gruppen zerlegen, in ozeaniſche und kontinentale Inſeln. Letztere liegen in der Nähe von Feſtländern und ähneln dieſen in den Trachten der Pflanzen und Tiere; zwiſchen ihnen und dem Feſtlande pflegt das Meer nicht beſonders tief zu ſein, weshalb man annehmen darf, daß ſie zeitweiſe mit demſelben in Verbindung geſtanden haben. Je nachdem nun die Abtrennung von dieſem ſpäter oder früher erfolgte, ſtimmt auch ihre Fauna und Flora mehr oder weniger mit der feſtländiſchen überein. Auf den britiſchen Inſeln, auf Faröer und auf Island kommt faſt keine Pflanze vor, welche nicht auch dem europäiſchen Feſtlande angehörte, und aus der geſamten britiſchen Fauna ſind auch nur einige wenige Eigentümlichkeiten anzuführen. Dementſprechend hat Großbritannien auch noch in jungtertiärer oder gar poſttertiärer Zeit mit Europa zuſammen gehangen. Anders iſt es ſchon in Japan. Dieſes hat allein 26 „endemiſche“, d. h. ihm eigentümliche Säugetiere und mehr als 10 eigentümliche Vogelformen aufzu⸗ weiſen, und man kann mit Beſtimmtheit ſagen, daß es ſeit längerer Zeit nicht mehr mit dem Feſtlande verbunden war, als Britannien. Als mutmaßlichen Trennungszeitpunkt nimmt A. R. Wallace) den erſten Teil der Pliocänperiode an. Noch verſchie⸗ dener vom nächſtliegenden Feſtlande verhält ſich Ma⸗ dagaskar. In demſelben Verhältnis nimmt die Tiefe der Meere zu, welche die genannten Inſeln umſpülen. Während zwiſchen Großbritannien, den Shetlands⸗ inſeln und Europa das Meer nirgends tiefer als 100 Faden (200 m) iſt, erreicht das Japaniſche Meer in der Mitte eine Tiefe von mehreren hundert Faden, und der Kanal von Moſambik iſt ſtellenweiſe über 1000 Faden tief (ſiehe Karte). Ozeaniſche Inſeln, inmitten großer Weltmeere gelegen, weichen dagegen bezüglich ihrer Pflanzen und Tiere immer auffallend von allen umliegenden Län⸗ dern ab. Kann man wohl auch eine gewiſſe Ver⸗ wandtſchaft der Formen mit denen der nächſten Kon⸗ tinente oder kontinentalen Inſeln herauserkennen, ſo *) Charles Lyell, Principles of Geology, 11" ed. Vol. I, pag. 258. ) A. R. Wallace, Island Life. London 1880. Kap. XVIII. Humboldt. — November 1882. iſt ihre Eigenartigkeit doch durchweg eine weit aus- geprägtere, als bei denen der kontinentalen Inſeln. Als beſonders geläufige Beiſpiele für ozeaniſche In— ſeln nennen wir die Sandwichinſeln (ſiehe Karte), die Galäpagosinſeln, die Azoren, Madeira und St. Helena. Charles Darwin?) nun macht darauf auf— merkſam, daß Neuſeeland ausgenommen keine der ozeaniſchen Inſeln auch nur eine Spur von paläo— zoiſchen oder meſozoiſchen Sedimentärformationen zeigt, wenn Neuſeeland überhaupt als echte ozeaniſche Inſel anzuſehen iſt. Wie wir auf unſrer Karte ſehen, ſteht es mit dem auſtraliſchen Feſtlande durch einen unter- meeriſchen Rücken in Verbindung. Aus dem Fehlen ſolcher alter Schichten zieht Darwin nun den einzig möglichen Schluß, daß während paläozoiſcher und meſozoiſcher Zeit weder Feſtländer noch größere In— ſeln da vorhanden geweſen ſein können, wo heute große, nur mit kleinen Inſeln beſtandene Ozeane ſich ausdehnen. Hätten damals größere Ländermaſſen dort geſtanden, ſo würden ſich doch wahrſcheinlich entſprechend alte Meeresablagerungen an ihnen ge— bildet haben, und dieſe würden bei der Erhebung der jetzigen ozeaniſchen Inſeln wenigſtens ſtellenweiſe mit emporgehoben worden ſein. Das aber iſt nirgends der Fall. Die ozeaniſchen Inſeln ſind vielmehr durchweg aus vulkaniſchem Geſtein aufgebaut, und von Sedimentſchichten findet man als älteſte höchſtens ſolche aus tertiärer Zeit, wie z. B. auf Madeira und auf den Kanaren. Man hat demnach alſo keinen Grund zu der Annahme, daß in früheren Erdepochen Feſtländer ſich da ausdehnten, wo heute unſre großen Weltmeere wogen. Dieſe Ozeane werden vielmehr zu allen Zeiten Ozeane geweſen ſein, und der von Charles Lyell angenommene vollkommene Wechſel zwiſchen Land und Meer dürfte mindeſtens fraglich erſcheinen. Noch weiteres Beweismaterial für eine gewiſſe Beſtändigkeit der Kontinente bringt auch Wallace“), auf welches einzugehen uns hier aber erlaſſen ſein möge. , Freilich haben unſre Feſtländer nicht immer die- ſelben Umriſſe gehabt wie heute; ſie mögen vielmehr zum großen Teil oder in ihrer ganzen Ausdehnung immer abwechſelnd ſtückweiſe unter Waſſer von ver- ſchiedener Tiefe untergetaucht geweſen ſein. Aber es fehlt ſelbſt nicht an ſolchen Gebirgen, welche jeder Spur eines ehemaligen ſubmarinen Zuſtandes ent⸗ behren. Denn wenn wir Oskar Fraas glauben wollen — und wir haben keinen Grund, dies nicht zu thun — bedeckt auch nicht der kleinſte Fetzen von Bildung irgend eines ſpäteren Zeitalters den Sinai, als ob er nie ſich in das Meer getaucht, niemals ge— wankt hätte *). In fortwährendem langſamem Schwanken heben *) Ch. Darwin, Origin of species. 60 ed. pag. 288. n) Wallace, I. c. Kap. VI. zr) O. Fraas, Aus dem Orient. Geologiſche Be— obachtungen. Stuttgart 1867. Seite 7—8. 401 und ſenken ſich, wie in Atembewegungen unſres Pla— neten, die meiſten unſrer Seeküſten, Länder und See- becken. Wir wiſſen, daß die Weſtküſte Norwegens ſeit der Eiszeit ſich bis 100 Faden (600 Fuß) gehoben hat, und wir finden auf Sizilien noch in einer Höhe von 2000 Fuß und darüber Kalkſtein mit Muſchel— arten, wie ſie heute noch im Mittelmeer vorkommen. Aber nicht überall ſind wir uns über die Art der jüngſt ſtattgefundenen und noch fortdauernden Niveau— veränderungen im klaren. Hebungen kann man allenthalben leichter verfolgen als Senkungen, und wiederum an ziviliſierten Küſten leichter als an den von rohen Völkern bewohnten. So riefen beſonders viele Diskuſſionen die hauptſächlich im Bereiche unſrer Kartenſkizze heimiſchen Koralleninſeln hervor. Nach— dem man früher gänzlich verkehrten Anſchauungen über die Entſtehung der verſchiedenen Korallenbildungen gehuldigt hatte, ſtellte Darwin) eine Theorie auf, welche alsbald allgemein angenommen und von Dana noch weiter ausgebaut wurde. Danach müßte der Stille Ozean ein im Sinken begriffenes Gebiet ſein, indem die Atolle oder Laguneninſeln (ringförmige Korallenriffe mit einer Fläche ruhigen Waſſers in der Mitte) und die Kanalriffe (Riffe mit einem breiten Kanal tiefen Waſſers zwiſchen ſich und dem Lande) nur durch Senkung aus gewöhnlichen Küſtenriffen entſtehen könnten. Dieſe aber ſind Korallenriffe von geringer Mächtigkeit und Ausdehnung, welche mehr oder weniger unmittelbar einer Küſte auflagern und deren Formen meiſt ziemlich genau wiedergeben; aus ihrem Vorkommen müßte man nach Darwin auf neuerliche Hebung oder auf einen ſtationären Zuſtand ſchließen. Dana**) baute dieſe Theorie in bezug auf den Stillen Ozean noch weiter aus, indem er zwei Hauptſenkungsgebiete in demſelben unterſcheiden zu müſſen glaubt. So durchſchneide eine Linie von den Paumotusinſeln nach Japan gerade die eine tiefſte Senkung in einer Richtung, welche mit der- jenigen der großen Inſelreihen oder den Untiefen, auf denen dieſe ſtehen (ſiehe Karte) und faſt mit einer Achſenlinie durch den Stillen Ozean zuſammen— fällt. Die andre Hauptſenkungsregion ſei zwiſchen den Neuhebriden und Auſtralien zu ſuchen. Dieſe Senkungstheorie ſteht mit den Thatſachen, welche ſich aus der Tier- und Pflanzengeographie ergeben, nicht gerade im Widerſpruch, denn es zeigen ſich manche Uebereinſtimmungen in der Fauna und Flora nicht nur der einzelnen Inſelgruppen, ſondern man kann innerhalb der polyneſiſchen Inſelwelt an der Hand der Biogeographie auch zwei größere Ab— teilungen unterſcheiden: die Region der inneren und die Region der äußeren polyneſiſchen Inſeln. Jene beſteht aus der Inſelreihe von Neuguinea bis zu den Viti⸗Inſeln **) und enthält meiſtens Inſeln von größerem Flächenraum und mit höheren Berg— *) Darwin, The Structure and Distribution of Coral Reefs. 2h ed. 1874. *.) Dana, Corals and Coral Islands. an) „Viti“s, nicht „Fidſchi“⸗Inſeln! 1875. 402 Humboldt. — November 1882. i rücken; letztere umſchließt die geſamten andern poly- neſiſchen Inſeln, die durchweg ſehr klein und niedrig ſind. Nur der Sandwicharchipel iſt in jeder Be⸗ ziehung als etwas Beſonderes aufzufaſſen. Nun kommen ja einer ganzen ſolchen Inſelregion manche Tier⸗ und Pflanzentypen gemeinſam zu. Aber die Inſeln der inneren Reihe findet man immer noch genügend voneinander verſchieden, um nicht an ein früheres Zuſammenhängen derſelben denken zu müſſen; die äußeren polyneſiſchen Inſeln hingegen ſind formen⸗ arm wie richtige ozeaniſche Inſeln, und die Ueberein⸗ ſtimmung in ihren Pflanzen- und Tiertrachten kann man vielleicht dem Umſtande zuſchreiben, daß ſie von Formen bevölkert wurden, welche ſich ganz beſonders gut zur Verbreitung von einer Inſel zur andern über das Meer hinweg eignen. Jedenfalls wird man, auch wenn man der Darwiniſchen Senkungstheorie noch volle Gültigkeit zuerkennen will, nicht ſo weit gehen dürfen, in den polyneſiſchen Inſelreihen die Ueberreſte größerer, jetzt verſunkener Landmaſſen ſehen zu wollen. Zum Ueberfluß iſt neuerdings dieſe Theorie über die Entſtehung der Korallenriffe, welche ſo klar und fo wohl begründet zu fein ſchien, in ihren Grund⸗ lagen erſchüttert worden. Karl Semper?) gelangte „) K. Semper, Natürl. Exiſtenzbedingungen der Tiere. Internationale wiſſenſchaftl. Bibliothek. Bd. XL. Die Spuren der „Suchtwahl“ auf Grund langer und ſorgfältiger Beobachtungen zu dem Reſultat, daß die Bildung der Palaos- oder Pelew-Inſeln durch die Darwiniſche Senfungs- theorie nicht in genügender Weiſe zu erklären ſeien; ja er glaubt ſogar, daß die Atolle und Kanalriffe dieſer Inſeln nur während einer fortgeſetzten Hebung ent⸗ ſtanden fein könnten. Außerdem fand auch J. J. Rein), daß man bei den Bermudas⸗Inſeln und ihren Korallen⸗ riffen nicht mit Darwins Anſchauungen auskomme. Es iſt zu bedauern, daß eine an ſich ſo klare und einfache Theorie nicht in allen Fällen auszureichen ſcheint, aber man muß die von den erwähnten For⸗ ſchern gegen dieſelbe gebrachten Einwände dennoch in ihrem vollen Umfange anerkennen. Wird man nun auch nicht leugnen, daß Niveau⸗ ſchwankungen fortwährend die Umriſſe und Geſtaltung der Kontinente in langſamem Wechſel ſich verändern laſſen, ſo darf man doch eben niemals und in keinem Falle ſo weit gehen, daß man Feſtländer und Ozeane ihre Lage vollkommen gegeneinander austauſchen läßt. Unſre Weltmeere waren im weſentlichen immer Meer, unſre Feſtländer im ganzen genommen immer Land oder doch wenigſtens nur ſeichtes Meer, und das auch immer nur ſtückweiſe. ) J. J. Rein, Die Bermudasinſeln und ihre Korallenriffe. Berlin 1881. auf dem Schmetterlingsflügel. Von Julius Lippert in Berlin. Gern weilt bei beginnender Winterarbeit unſer Blick auf dem farbigen Bilde, das der Sammelfleiß der Kinder als Sommerausbeute zuſammengetragen, er ſucht Erholung in dieſem Zeichen ſchöner Erinne⸗ rung. Aber was die Jugend heiter genießt, das muß das Alter grübelnd zerſetzen — um es doppelt zu ge⸗ nießen. Schon der flüchtige Laienblick ordnet dieſe bunten Geſtalten in zwei Gruppen, die mit den natur⸗ geſchichtlichen Beſtimmungen nichts gemein haben; wie im ſchlichten Kattunkleide umhuſchten uns in der Sommerfriſche die alltäglichen, die gemeinen Geſtalten, wie in Brokat und Seide traten die ſeltenen Erſchei⸗ nungen auf. „Nicht doch,“ wendete damals eine ſammelnde Dame auf dieſe Bemerkung ein, „dieſer Senfweißling, der kein farbiges Pünktchen auf ſeinen Flügeln trägt, beſitzt das ſchönſte und koſtbarſte Seidenkleid; wir haben uns nur gewöhnt, den Begriff der ,Gemein- heite von der großen Verbreitung, in betreff derer er zutrifft, auf die Wertſchätzung dieſes Kleides an ſich zu übertragen.“ Aber der Dame gelang es nicht, die Mehrheit zu ihrer Anſchauung zu bekehren. Man blieb dabei, daß man das Kleid eines Schillerfalters auch dann für wundervoll prächtig und das des Weißlings für ſchmucklos halten würde, wenn dieſer jo ſelten wie jener und jener ſo gemein wie dieſer wäre. Mehr Anklang fand dagegen die Bemerkung eines Herrn: Mutter Natur ſei eine gute Haushälterin und auch für jie müßten die Farben und Stoffe in verſchiedenem Preiſe ſtehen. Weiß und ſchwarz ſind ihre billigſten. Damit malt ſie alles, was ſie tauſendfältig und zu herdenweiſem Leben geſchaffen hat; zu grau vermiſcht bekleideten dieſe Farben die Mehrzahl alles verbrei⸗ teteren Getiers. Aber wirkliche Farben ſehen wir in unſren Sammlungen nur auf Exemplare verwen⸗ det, die unſre Kinder nicht aus der großen Herde herausgefangen, ſondern die ſie nicht ohne großen Müheaufwand als vereinzelte Erſcheinungen in ihren Verbreitungsgebieten erſpäht oder die ihnen als ein ſeltener Glücksfall zugeflogen ſind. Je ausgeſprochener und leuchtender aber die Farben ſeien, für deſto koſt⸗ NA Humboldt. — November 1882. 403 barer ſcheine fie Mutter Natur zu halten und dejto ſparſamer gehe ſie als gute Wirtin damit um. Der Herr hatte recht — ſoweit es ſich um die That— ſächlichkeit der Erſcheinung handelt. Wir aber werden nicht erwarten, daß uns irgend ein Grübeln den Schlüſſel zuführen könnte, der unſrem Verſtändniſſe im einzelnen jede Laune dieſer wundervollen und oft wunderlichen Zeichnungen erſchlöße; dennoch bleibt es der Prüfung wert, ob ſie nicht wenigſtens im all— gemeinen unter dem Einfluſſe jener Naturgeſetze ſtehend erkannt werden können, die uns heute nun einmal bei aller Naturbetrachtung geläufig geworden ſind. ; Daß die Zeichnung auf dem bunten Falterflügel in ſo ſcharf abgeſetzten Farben und in ſo beſtimmtem Linienſpiel erſcheint, das erklärt genügend die Art der farbigen Bedeckung des Flügels, insbeſondere der für unſer Auge wenigſtens ſcharfe Schnitt des Außen— randes der Schuppen. Setzt ſich der uns wahrnehm— bare Farbengrund aus ſpitz auslaufenden Haaren oder ſolchen Federhärchen zuſammen, ſo gewährt er bei aller Farbenmannigfaltigkeit dem Blicke nur ein Bild unauflösbar durchmiſchter Farben wie ein Tuchſtoff aus gemiſchtem Wollhaar, jene Schuppenbekleidung aber muß uns das eines mit abgeſetzten Farben her— geſtellten Stickmuſters bieten, in dem von der vollen Mannigfaltigkeit der Farben auch im Geſamteindrucke nichts verloren geht. Wir fragen alſo auch nicht, ob dieſe Zeichnungen im einzelnen in irgend einem erkennbaren Zuſammen— hange ſtehen könnten mit den großen Geſetzen, nach denen die Natur diejenigen Individuen auswählt, denen ſie die Ehre zuteilen will, Stammväter der kommenden Geſchlechter zu ſein. Aber in betreff der Farbenverteilung im allgemeinen mit beſonderer Rückſicht auf den durch ſie hervorgebrachten Eindruck muß dieſe Frage berechtigt ſein. Nun ſind es insbeſondere zwei bekannte Wege, auf denen wandelnd wir die Natur zu ertappen hoffen dürfen, jene Zuchtwahl, welche die Individuen zur Fortpflanzung des Geſchlechtes ausſondert, deren individuelle Verſchiedenheiten ihnen ſelbſt im Da— ſeinskampfe von größerem Nutzen ſind, und jene andre Zuchtwahl, welche nur demjenigen Individuum eine Nachkommenſchaft ſichert, welches insbeſondere Eigenſchaften beſaß, um mit größerer Sicherheit die Bewerbung des andern Geſchlechtes auf ſich zu lenken. Jene nennen wir in ſchon hergebrachter Weiſe die natürliche, dieſe die ſexuelle Zuchtwahl, und es ſtellt ſich unſre Aufgabe nun genauer dahin, zu unter— ſuchen, inwieweit ſich der Einfluß beider auch bei unſren lieblichen Sommergäſten bemerkbar mache, oder ob alles nur ein Spiel des Zufalls, eine Laune der Schöpfung ſei. Die Aufgabe droht dadurch etwas komplizierter zu werden, daß es von vornherein betrachtet ſo ſcheinen müßte, als müßten ſich gerade in dem zu betrachten— den Objekte beiderlei Arten von Zuchtwahl gegenſeitig ausſchließen — aber wir wollen nicht a priori ſchließen, wie die Natur den Widerſpruch vereinigt hat. Die „natürliche Zuchtwahl“ kann, ſofern es ſich lediglich um Farbe und Zeichnung der Schmetter- linge handelt, nur auf ein Moment hinausgehen, auf den Schutz dieſer völlig wehr- und hilfloſen Ge- ſchöpfe gegenüber ihren unendlich zahlreichen Feinden. Waffen, welche die Zuchtwahl ſchärfen könnte, beſitzen dieſe Tierchen nicht; jene kann alſo nur diejenigen günſtigen Erſcheinungen an einzelnen Individuen in ihren Nachkommen häufen, welche das ruhende Tier — die Bewegung ruft die Gefahr ohne Rückſicht auf die Farbe — im Verhältnis zu ſeiner gewöhnlichen Umgebung möglichſt unauffällig, ja unkenntlich machen und dadurch bergen und ſchützen und für die Fort— pflanzung dieſer Art Individuen erhalten. Das ent— ſchiedene Gegenteil aber bedingt die „ſexuelle Zucht— wahl“, und ſo können wir wohl ſchon halb und halb erwarten, das Kleid des Schmetterlings als ein Kom— promiß beider kennen zu lernen. Wenn wir aber dieſem Kompromiß immer wieder begegnen, auch wo die Natur mit Berückſichtigung andrer, hier ſchon als gegeben zu betrachtender Merkmale wieder auf einem andern Wege dem Ziele zuſtreben mußte, dann werden wir von Zufall und Laune abſehen müſſen. Fig. 1. Die Schutzflügelfläche des Senſweißlings (ints) und des Auroraweißlings (rechts ) Diejenigen unſrer Lieblinge nun, welche wir bei einem flüchtigen Ausblicke als die „gemeinſten“ aus- ſonderten, diejenigen, welche Mutter Natur ſcheinbar wie Stiefkinder im bloßen blanken Hemde ausſendete, zur Not, daß fie in irgend eine Hemdecke ein Merk— zeichen ſtickte, das ſind im Gegenteil die beglückteſten von allen, wahre Schoßkinder mütterlicher Laune; ſie haben es gar nicht nötig, ſchön zu ſein, und ſie können von ſich ſagen: „Wenn wir ſchön ſind, ſind wir ungeſchmückt am ſchönſten.“ Sie ſind von unſrem Geſichtspunkte aus diejenigen, auf welche bezüglich des Kleides weder die „natürliche“ noch die „ſexu— elle“ Zuchtwahl irgend einen merklichen Einfluß aus- geübt hat, er wäre denn nur in kargen Andeutungen vorhanden. Als zugänglichſte Beiſpiele können wir die Weißlinge unter den Tagfaltern, einige Spanner, 404 Humboldt. — November 1882. Wickler, Motten und ſelbſt Spinner unter den Nacht⸗ ſchmetterlingen aufſtellen. Noch könnte man die Un⸗ anſehnlichkeit vieler aus den letztgenannten Gruppen der natürlichen Zuchtwahl auf das Konto ſetzen — und die ausgeſuchte Färbung mancher Wickler, wie des grünen Eichenwicklers zwängt allerdings dazu —, aber die meiſten Weißlinge ſind nach ihrer Färbung im Verhältniſſe zu ihrer gewöhnlichen Umgebung weder auffällig geſchützt, noch für die erfolgreiche Be⸗ werbung der Geſchlechter auffällig gezeichnet. Aber gerade dieſer Umſtand wird bedeutſam, wenn wir beachten, daß wir es in dieſer Gruppe durchwegs mit maſſen⸗ und herdenweis auftretenden Individuen zu thun haben. Dieſes herdenweiſe Auftreten und Zuſammenleben ſetzt die ſexuelle Zuchtwahl bis auf ein geringes außer Spiel. Es kann in einem Kohl⸗ garten gar nicht vorkommen, daß ein Kohlweißling zum Schaden ſeiner Art deshalb ohne Nachkommen geblieben wäre, weil es an einem genug auffälligen Merkmale gefehlt hätte, von ſeinesgleichen im andern Geſchlechte entdeckt zu werden oder umgekehrt. Daß aber eine ſolche Opulenz der ſexuellen Verſorgung dieſe Art Zuchtwahl faſt außer Spiel ſetzen konnte — nur ein paar ſchwarze Punkte kennzeichnen jede der untereinander fortpflanzungsfähigen Arten —, das verdankt dieſe Gruppe von Schmetterlingen dem außergewöhnlich günſtigen Erfolge, zu welchem ſie die natürliche Zuchtwahl geführt hat. Ein ſolcher Erfolg iſt die Fähigkeit der Gruppe von verſchie⸗ denerlei Futter zu leben und doch wieder im ganzen zur Wahl gerade jener Kräuter gelangt zu ſein, die nachmals der Menſch als Nahrungspflanzen in großen Maſſen bauen und zu neuen üppigen Formen aufzüchten ſollte. Damit, mit dieſem glück⸗ lichen Lottozuge, iſt weſentlich jene Erſcheinung be⸗ dingt. Beide zuſammen begründen wieder die Maſſen⸗ haftigkeit des Auftretens, und dieſe läßt wieder der natürlichen Zuchtwahl bezüglich untergeordneterer Merkmale nur einen geringen Spielraum. In einer Gemüſe und Obſt bauenden Gegend wurde zu meiner Schulzeit die ganze Schuljugend zum Abfangen der Weißlinge in Sold genommen — und nebenbei die Schulzeit in angenehmer Weiſe mit der Verrichtung ausgefüllt — aber auch dieſer grimmige Vernichter erwies ſich ganz unfähig, dem Artbeſtande einen bleibenden Schaden zuzufügen. Dann kann ſich aber auch die Nachſtellung der Vögel nicht ſo belangreich erweiſen, daß die natürliche Zuchtwahl auf die Meh⸗ rung jener kleinen Eigentümlichkeiten mit Erfolg hin⸗ wirken könnte, die vor ſolchen Feinden einige Sicher⸗ heit bieten. So hat denn bei den Gemüſe⸗ und Allerleifreſſern die natürliche Zuchtwahl ſich auf die Ausleſe der Farbe kaum zu erſtrecken gebraucht, um der Art die Exiſtenz zu ſichern. Wie ſich aber doch in der ſchwarzen Zeichnung der Artencharaktere eine leichte Spur der ſexuellen Zuchtwahl ausdrückt, ſo muß auch die gelb⸗ liche oder grüngelbe Aederung der Unterſeite des Hinterflügels als eine andeutende Spur der natür⸗ lichen betrachtet werden. Wie ſchon erwähnt, kann dieſe überhaupt nur beim ruhenden Schmetterlinge in Betracht kommen; wenn ſich aber der Tagfalter in völliger Ruhelage befindet, dann iſt es jene Unterſeite des Unterflügels allein, welche in ganzer Fläche dem ſpähenden Auge des Feindes ausgeſetzt iſt. Auf dieſer der vier in Betracht kommenden Flächen müſſen wir alſo auch vor allen diejenigen Merkmale ſuchen, welche die natürliche Zuchtwahl dem Kleide des Tieres aufgeprägt haben kann. In der That trägt auch dieſe Fläche allein bei allen Weißlings⸗ arten einigen Anflug von Farbe, und dieſer iſt in ſeinem grüngelben oder graugrünen Tone recht wohl danach angethan, mit derjenigen Umgebung, in welche das ruhende Tier verſetzt zu ſein pflegt, ſo überein⸗ zuſtimmen, daß letzteres leicht überſehen werden kann. Während aber bei der Weißlingsgruppe auf dem Flügelkleide immer nur eine ſchwache Spur zu be⸗ merken iſt, hat ſich jene Zuchtwahl auf einem viel wirkſameren Gebiete, auf dem der Bekleidung der Raupe bethätigt. Wie oft macht ſich die grüngraue Raupe des Kohlweißlings im Kohlgarten eher dem Geruchs⸗ als dem Geſichtsſinne bemerklich, und die grasgrüne Raupe des Rübſaatweißlings weiß ſich den Blattrippen der Reſeda ſo anzuſchmiegen, daß wir ſie wie oft unbemerkt auf dem Blumentiſche züchten. In ähnlicher Weiſe hat bei der Schar der un⸗ ſcheinlicheren Nachtfalter die Natur die Zuchtwahl auf ein andres Gebiet verlegt, doch kann man nicht ſagen, daß ihnen nicht die natürliche Zuchtwahl das paſſendſte Kleid geſchaffen hätte, nur die Spuren der ſexuellen fehlen großenteils gänzlich. Auch ſie leben aber auch zumeiſt in großen Neſtern, zum Teil in übergroßen Herden zuſammen auf geſelligen, nie fehlenden Futter⸗ pflanzen, und die kleineren Arten entfernen ſich ſchon wegen der geringeren Flugkraft nie weit von der Geburtsſtätte der ganzen Geſellſchaft, von der ſie auch Futternot nicht forttreibt. Es geht ihnen alſo genau wie dem Kohlweißling im Kohlgarten und die man⸗ gelnde Gefahr hat nach dieſer Richtung hin der Zucht⸗ wahl keinen Anſtoß zu Geſtaltungen geben können. Ganz entgegengeſetzte Einflüſſe machen ſich da⸗ gegen in bezug auf diejenigen Schmetterlinge geltend, welche, weil ihre Raupe nach Futterwahl oder Lebens⸗ dauer anſpruchsvoller lebt, mit ihrer Futterpflanze nur eine vereinzelte Exiſtenz führen, allenfalls ab und zu in kleine Sippen oder Clans geſchart erſcheinen, immer aber wieder mit der Nötigung, die Wiege ihrer Nachkommen wieder in der Einſchicht aufzu⸗ ſtellen. Das ſind die im allgemeinen „ſelteneren“, aber in demſelben Grade auch durch ein kunſtvolles Farbenſpiel ausgezeichneten Schmetterlinge. Ein kräf⸗ tigerer Körperbau, größere, weittragendere Flügel ermöglichen vielen unter ihnen weite Streifzüge, Nomadenwanderungen und Brautfahrten; aber auch dieſe Fähigkeit zerſtreut immer wieder die kleinen geſel⸗ ligen Verbände. Sind ſie ſo immer von großer Exiſtenz⸗ gefahr bedroht, ſo daß thatſächlich einzelne Arten in manchem Sommer wie ausgeſtorben und dann wieder nur wie durch die beſondere Gunſt eines Jahres wieder gerettet erſcheinen, ſo dürfen wir wohl gerade Humboldt. — November 1882. 405 bei ihnen einen ihre verräteriſche Auffälligkeit ver- mindernden Einfluß der natürlichen, aber auch ebenſo einen ihre gegenſeitige Auffindbarkeit und ihre Liebeswerbung erleichternden der ſexuellen Zucht— wahl erwarten. Bei der weitern Betrachtung müſſen wir aber Tagſchmetterlinge und Abend- und Nachtfalter aus- einander halten, weil bei dieſen Gruppen verſchiedene Körperanlagen auch verſchiedene Lebensgewohnheiten bedingen; mit dieſer Verſchiedenheit aber ſteht der Einfluß der Zuchtwahl in genaueſter Uebereinſtimmung. Gerade die Verſchiedenheit der Wege, welche die Natur gegangen iſt, nachdem ſie einmal in einer einzigen Anordnung eine Differenz hat eintreten laſſen, gibt der Deutung einen hohen Grad von Gewißheit. Der Tagfalter faltet in völliger Ruhe, wie bekannt, beide gegenüberſtehende Flügelpaare aufrecht aneinander, jo ganz unverkennbar auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl liegt. Viel häufiger zeigt ſie gar nichts, als das farbenblaſſe Schema der Zeichnung der ent— ſprechenden Oberſeite ohne auffallende und ohne täuſchende Farben mit einziger Ausnahme der vor— ſtehenden Ecke, die mit dem Hinterflügel auffällig harmoniert. Indem mancher Schmetterling gerade an der Spitze des Vorderflügels ein Erkennungsmal trägt, ſtreckt er dieſes in matten Farben gemalte Wappen im Zuſtand der Ruhe hinter dem Unter— flügel hervor, gleichſam als ob er für gute Bekannte und ein Schäferſtündchen doch zu Hauſe ſein wollte. Dagegen iſt mehr oder weniger bei faſt allen Tagfaltern die Unterſeite des Hinterflügels diejenige, auf welche die natürliche Zuchtwahl aufs deutlichſte ihre oft wunderbare und wie raffiniert erſonnen ſcheinenden Zeichen geſchrieben hat. Es gibt im Fig. 2. Die Schutzfläche des Sandauges. daß der Hinterflügel den etwas zurückgezogenen Vorderflügel zum größern Teile deckt. Der Schwärmer und Nachtfalter bringt überhaupt niemals die Unter- ſeite ſeiner Flügel zur Anſicht, ſondern deckt ſchlum— mernd den Hinterflügel mit dem Vorderflügel. Wir werden alſo, wenn natürliche Zuchtwahl auf den in Rede ſtehenden Gegenſtand überhaupt wirkſam ge— weſen ſein ſoll, zunächſt zu erwarten haben, daß ſie beim Schwärmer (Abendfalter) und Nachtfalter die Unterſeite aller Flügel ebenſo außer Spiel gelaſſen, wie die eine Seite der Flunder im Meere, beim Tag— falter dagegen die Unterſeite des Vorderflügels ver- hältnismäßig am wenigſten berührt habe. Dieſe erſte kleine Probe ſtimmt auf das eviden— teſte. Die Flügelkehrſeite der Nachtſchmetterlinge er— ſcheint völlig vernachläſſigt, jie iſt weder durch ſchützende, noch durch leuchtende oder kennzeichnende Farben aus— gezeichnet, und in einem hohen Grade ähnlich ver— hält fic) beim Tagfalter die Rückſeite des Vorder— flügels zu den übrigen drei in Betracht kommenden Flächen, wie wir uns an faſt jedem beliebigen Bei— ſpiele überzeugen können. Nur ſelten trägt ſie wie beim C-Falter eine ſelbſtändige Zeichnung, die dann Waldbereiche einige „Waldvögel“- und „Sandaugen“- Arten, die dem folgenden Jäger ſofort unter der Hand verſchwinden, ſobald ſie an einen Tannenſtamm oder einen flechtenbewachſenen Stein ſich heftend ihr Flügelpaar zugeſchlagen haben. Die Zeichnung durch— einander gewäſſerter Linien von Weiß und Schwarz fällt mit der der Tannenrinde, mit den Spuren lebender und abgeſtorbener Flechten ſo auffällig zu— ſammen, daß man in ſolcher Umgebung den ſitzenden Schmetterling faſt niemals entdecken wird. Mehr oder weniger gilt das nun von einer großen Reihe von Tagfaltern und die Erſcheinung iſt überhaupt eine ſo auffällige, daß ſie nur angedeutet zu werden braucht. Nur in wenigen Fällen ſcheint es, als ob gerade dieſe Fläche umgekehrt eine beſondere Aus— zeichnung trüge, und die Schematiker haben ſie auch ſo gefaßt. Aber auch der ſogen. „Silberſtrich“ oder „Kaiſermantel“ dankt ſeinen matt ſilbergrau glänzenden Wellenlinien weit mehr Schutz als Verrat, wenn er nach ſeiner Gewohnheit an der ſilberglänzenden Unter— ſeite des Lindenblattes hängt oder ſich an die glän— zende Rinde der Aeſte dieſes Baumes ſchmiegt. Die leuchtende Farbe, die ihn beim Aufſchlage ſofort ver— 406 Humboldt. — November 1882. rät, trägt die Innenfläche der Flügel. Auffallender iſt freilich noch der ähnliche Schmuck der Perlmutter⸗ falter. Aber auch dieſe wie milchweißer Quarz glän⸗ zenden Punkte verkleinern unter zu Sand gelöſten Quarzkriſtallen und Glimmerblättchen die ſonſt verräte⸗ riſche glanzloſe Fläche. Unter welchen Umſtänden dieſe abſonderliche Zuchtwahl gerade eintrat, läßt ſich ja nicht erraten, aber auch heute noch lieben es ge- rade die zuletztgenannten Falter über den kieſigen Wegen und Steinhalden ſich herumzutreiben. Der Tagfalter beſitzt die Einrichtung einer Blend⸗ laterne. Er hält ſein Licht im Verſchluß jedem Be⸗ denklichen gegenüber und läßt es für den hervorleuchten, dem er ein Zeichen ſeiner Anweſenheit geben will. Zumeiſt ſteht dieſes Licht in demſelben Dienſte wie die Fackel der Venusprieſterin Hero, ſie zeigt dem Segler der Lüfte den Kurs über den oft nicht unge⸗ fährlichen Hellespont, der die Individuen ſeltener Art gewöhnlich trennt. Wie des Tagfalters Liebesbewer⸗ bung mit einem leichten Bewegen der aufgeſchlagenen Flügel ſich ausdrückt, kann man oft beobachten. Da müſſen glänzende, ſchillernde, helle oder bunt durch⸗ einander gemengte Farben ihres Erfolges beſonders gewiß ſein, und das erklärt wohl genügend den großen Erfolg der Zuchtwahl. Aber nicht bloß die Aufmerk⸗ ſamkeit müſſen dieſe Farben auf ſich ziehen; ſie müſſen auch durch ihre Eigentümlichkeit gerade die Art er⸗ kennen laſſen, ſonſt wäre die Leanderleuchte ohne Nutzen aufgeſteckt. An Spuren, als ob ſich beiderlei verſchieden verteilt hätte, fehlt es nicht ganz. Im allgemeinen verteilt die ſexuelle Zuchtwahl ihre Fürſorge gleichmäßig auf alle zwei, beziehungsweiſe alles in allem vier Innenflächen der Flügel; doch nehmen auf bunteren Flügeln die leuchtenderen Farben wie Gelb und Rot mit Vorliebe ihren Platz auf dem Vorderflügel, während die Zeichnungen in Blau häu⸗ figer wie ein Artenmal den Hinterflügel füllen; oft auch umzieht derſelbe bunte Saum als ſolches alle vier Flügel, indes das Innere durch eine gleichartigere Farbenmaſſe ſchreiend wirkt, und bei einigen Arten ſitzt das Artenmal in der äußeren Ecke des Vorderflügels. Wir müſſen hier bei ſolchen Andeutungen ſtehen bleiben, dem Leſer die Nachprüfung überlaſſend. Nur dürfte noch, ehe wir die Tagſchmetterlinge verlaſſen, des Mißverhältniſſes zu gedenken ſein, das bei ihnen zwiſchen der großen Flügelfläche und dem kleinen Körper beſteht. Wenn nun bei letzterem die Zuchtwahl ganz außer Spiele bleibt, ſo gibt dieſes Mißverhältnis dafür eine genügende Erklärung. Wo aber der Körper durch das farbige Haarkleid einbezogen wird, da ge⸗ ſchieht es ausnahmslos im Sinne der ſexuellen Zucht⸗ wahl, indem ſich ſeine Farbe der der Innenfläche an⸗ ſchließt — wird er doch auch nur bei geöffneten Flügeln ſichtbar. Im verſtändlichen Gegenſatze dazu ijt der ſtarke Leib der Nachtſchmetterlinge ein niemals vernachläſſigtes Objekt der Zuchtwahl und zwar nach beiden Richtungen hin, wie wir noch ſehen werden. Fänden wir außerdem all das Angeführte bei den Schwärmern und Nachtfaltern gerade ſo vor, ſo müßten wir bei ihrer abweichenden Einrichtung und Lebensgewohnheit an ein Spiel des Zufalles denken, dem nachzugrübeln nicht verlohnen könnte. Aber das iſt eben nicht der Fall, vielmehr ſtehen die ſehr weſent⸗ lichen Unterſcheidungen in ſo genauem Zuſammen⸗ hange mit jenen Abweichungen, daß gerade dieſe Uebereinſtimmung in der Mannigfaltigkeit ein ſolches Zufallsſpiel ausſchließt. Zunächſt werden wir auch in dieſer Doppelgruppe wieder all die Arten aus⸗ ſcheiden müſſen, bei denen des Herdenlebens wegen, um es kurz zu ſagen, der Einfluß ſexueller Zuchtwahl nicht oder nur wenig in Betracht kommen kann. Da⸗ gegen müſſen insbeſondere die ſogen. Abendfalter und ſolche Nachtſchmetterlinge, welche, wie einige Spinnerarten, auch bei Tage fliegen, hier in Betracht kommen, weil für fie nach der Richtung der Lebens⸗ erhaltung und der Fortpflanzung ganz ähnliche Bedingungen beſtehen, wie für die Tagfalter. Da zeigt ſich denn auch durchgehends das Walten des⸗ ſelben Geſetzes mit genaueſter Anpaſſung an die ver⸗ änderten Eigentümlichkeiten. Der Nachtſchmetterling ſchlägt die Flügel nicht aufwärts zuſammen; darum bleiben, wie ſchon er⸗ Fig. 3. Das rote Ordensband mit links gedeckter, rechts enthüllter Leuchtfläche. wähnt, alle vier Unterflächen der Flügel gänzlich außer Betracht; auch die Natur hat ſie darum in der Ausſtattung vernachläſſigt. Aber er deckt im Zuſtande der Ruhe die Vorderflügel wagrecht über die Hinter⸗ flügel, etwa wie der Bahnwächter die Blechklappe vor das farbige Laternenglas ſchiebt. Dieſer einzige Um⸗ ſtand ſchreibt ſowohl der natürlichen wie der ſexuellen Zuchtwahl eine durchaus andre Richtung vor: war beim Tagfalter die Unterſeite der Spielraum der natürlichen, die Ober- oder Innenſeite aber die der ſexuellen Zuchtwahl, ſo fällt beim Abendfalter infolge des veränderten Schließungsapparates der Oberflügel als Schutzdecke der natürlichen, der Unterflügel aber als die farbige Lichtſcheibe in jener Blendlaterne gänzlich der ſexuellen Zuchtwahl anheim. Dieſe der Annahme völlig entſprechende Einteilung zeigt ſofort ein Blick auf die Familie der Bärenſpinner, der „Ordensband“-Eulen, auf den Totenkopfſchwärmer, das Abendpfauenauge und alle Abendfalter faſt ohne Ausnahme. Die Zeichnung des Oberflügels, welche Humboldt. — November 1882. 407 ihrer Beziehung zum Lebensſchutze wegen der natür— lichen Zuchtwahl ihre Erhaltung und Ausbildung verdankt, kann natürlich der Mannigfaltigkeit der Um— gebungen entſprechend mannigfaltig genug ſein, und fie erſcheint ausnahmsweiſe, z. B. bei den Bären—⸗ ſpinnern an ſich ſogar ziemlich farbenprächtig, wenn ſie auch ſelbſt dann noch keinen Vergleich mit den aufſchreienden Farben des naturellen Hinterflügels aushalten kann. Aber auch dieſes Braunweiß des gemeinen Bärenſpinners und das Iſabellgelb und Olivengrün des Beinwellſpinners erfüllt erfahrungs— mäßig ſehr wohl den Zweck. Letzterer wäre in dem kleinen Gehölz, das er liebt, vor dem auf— merkſamſten Sammler völlig ſicher, wenn er nicht die Gewohnheit hätte, auch bei Tage zu fliegen und leuchten. Kaum aber hat er ſich wieder feſtgeſetzt, ſo bedarf es aller Mühe, ihn aufzufinden. Einzelne Abendfalter gewinnen durch die Aufnahme von Grün in den Oberflügel den Schein der Buntheit, aber auch dieſer Zuſatz liegt keineswegs außer der natürlichen Zuchtwahl. Am entſprechendſten aber drückt dieſen Einfluß das gewäſſerte Grau auf den Vorderflügeln der großen „Ordensbänder“ und einer ſehr ſtattlichen Reihe von Abend- und Nachtfaltern aus. hange, der nun doch kaum noch ein zufälliger genannt werden kann, ſehr wohl zu erfaſſen, dabei erkennt man aber auch, daß ſie in ihrer Ausbreitung keines— wegs zuſammenfallen mit den Grenzen der Familien des Syſtems. Während in derſelben Familie die großen, nur vereinzelt vorkommenden Eulenarten der „Ordensbänder“ die Spuren der ſexuellen Zuchtwahl mit den leuchtendſten Farben auf ihren Flügeln ein— geſchrieben tragen, find die Hinterflügel all der kleinen Kohl- und Graseulenarten, die auf wieſenweis bei— ſammen wachſenden Futterkräutern in großer Geſel— ligkeit leben, völlig unbeſchrieben geblieben. Während aus der Familie der Spinner die immerhin relativ ſelten zu nennenden „Bären“ die leuchtendſten Farben auf dem Hinterflügel tragen, behilft ſich der in un— fo durch die Entfaltung ſeiner Unterflügel weithin zu Ebenſo entſchieden und mit leuchtender Deutlich⸗ keit trägt bei allen größeren und nicht herdenweis lebenden Schmetterlingen dieſer Gruppe gerade der Hinterflügel die Spuren der ſexuellen Zuchtwahl, und während beim Tagfalter alle vier Innenflächen nur ein einziges einheitliches Gemälde bilden, kennzeichnet es insbeſondere die Abendfalter, aber auch Spinner und Eulen auf das auffälligſte, daß auf ihren Hinter- flügeln völlig neue und zwar faſt immer hell leuch- tende Farben auftreten, ſo das helle Blau bei der Eſchen-Eule, der Purpur bei der Bachweiden-Eule und den Bärenarten, das Gelb bei mehreren Eulen, dem Totenkopf und dem Taubenſchwänzchen, das Roſenrot des Weinſchwärmers, Abendpfauenauges, Wolfsmilch- und andern Schwärmern. Der den Größenverhältniſſen nach keineswegs be- langloſe Leib des Nachtſchmetterlings, wie erwähnt, nimmt teil an dem Einfluſſe der Zuchtwahl und zwar oft in der auffälligſten Weiſe beiden Richtungen in zweckmäßigſter Verteilung folgend. heimlicher Geſelligkeit die Schlehenhecken verwüſtende Ringelſpinner und der noch gemeinere Schwammſpinner ohne jede derartige Reklame, ja einige ſeiner nächſten Verwandten repräſentieren ſich ſogar aller Gefahren des Lebens nicht achtend im blanken Kleide der Un— ſchuld. Es iſt aber gewiß nicht zufällig, daß gerade Fig. 4. Der große Schwammſpinner ohne Spuren ſexueller Zuchtwahl. dieſe Sippe, die nicht zugeben mag, daß Kleider Leute machen, der ſexuellen Zuchtwahl durch ihre proleta— riſche Geſelligkeit, der natürlichen aber durch eine ganz beſondere Fürſorge für die Sicherheit ihrer Bruten entwachſen iſt. Da nun dieſe Verſchiedenheit der Kleiderordnung bis mitten in die Familien hinein- reicht, die doch von den Syſtematikern nach ſehr weſentlichen Körpermerkmalen feſtgeſtellt und begrenzt worden ſind, ſo liegt der Schluß nahe, daß der wirk— ſame Einfluß der Zuchtwahl auf das Kleid der Als nahe liegendes Beiſpiel kann uns der ge meine Bärenſpinner dienen. Sein bei gedeckten Flite | geln ſichtbarer Bruſtteil hat genau die Hauptfarbe der Vorderflügel, der des Beinwellſpinners wieder— holt ſelbſt das Motiv der Zeichnung derſelben, ſo daß in der Ruhelage nichts die gleichartige Stimmung ſtört. purpurrote Leib mit den blauſchwarzen Punkten auf das erfolgreichſte den Effekt der Hinterflügel. eine ſolche Verteilung der Einwirkungen der Zucht— Hebt jener aber die Flügel, ſo verſtärkt der Wo wahl nicht erkennbar ijt, wie bei mehreren herdenweis lebenden oder durch anderweitige Mittel genügend ge— ſchützten Nachtſchmetterlingen, erſcheint auch der Leib in gleichmäßiger und unausgeſprochener Färbung. Alle dieſe Erſcheinungen ſind in ihrem Zuſammen— Humboldt 1882. relativ jüngeren Zeit angehören muß, und dieſer Schluß ſteht wieder völlig im Einklange mit der großen Erſcheinung, daß die älteren Differenzierungen im Verhältnis zur geſamten nachfolgenden Entwicke— lung die weſentlicheren ſeien und die nachfolgenden immer nur Unweſentlicheres und alſo überhaupt in einer minder durchgreifenden Weiſe zu modifizieren vermögen. Damit wird nun wohl auch der Laie darüber beruhigt ſein können, warum nun einmal heutigen Tages aus einem Schmetterlinge keine Fleder- maus mehr wird. Zum Schluſſe ſei noch einer kleinen Anpaſſung Erwähnung gethan, die wahrſcheinlich mit derſelben Erſcheinung, die wir uns kurz vorher klar zu machen verſuchten, zuſammenhängt. Bei einigen Gruppen von Nachtſchmetterlingen, bei denen aus Urſachen, für 52 408 Humboldt. — November 1882. die im einzelnen Erklärungsgründe wohl aufzufinden wären, ein Einfluß der ſexuellen Zuchtwahl auf den Unterflügel nicht ſtattgefunden hat, und dieſer alſo, wie z. B. bei der bekannten Kupferglucke, ſich durch keinen leuchtenden Effekt von dem Vorderflügel unter⸗ ſcheidet, kann auch gar nichts darauf ankommen, daß der Vorderflügel den Hinterflügel im Ruhen nicht völlig bedecke, vielmehr kann letzterer, wie im ge- nannten Falle, bei unzureichender Breite des Vorder⸗ flügels um das betreffende Stück unter demſelben hervorſehen. Bei denjenigen Faltern aber, bei welchen für den Hinterflügel ſexuelle Zuchtwahl die Farben miſchte, mußte die natürliche Zuchtwahl proteſtieren, wenn nun der Hinterflügel, dem jene eine möglichſt große Fläche zu geben wollen Anlaß hatte, mit ſeiner Farbenpracht auch bei geſchloſſenem Blendglaſe hervor⸗ leuchten wollte, und ſo findet denn recht bezeichnender Weiſe bei dieſer Gruppe eine Einfältelung des Hinterflügels ſtatt, bei jener aber nicht. Wieder ſtellt ſich uns alſo Mutter Natur neckend als jene knauſerige Haushälterin vor, die, wenn ſie ſchon ein⸗ mal ein Stückchen koſtbaren Stoffes für ein Einigungs⸗ ſtück ſpendiert hat, nun eifrig darüber wacht, daß es ja unter der Schutzkappe bleibe! Die Wetterprognoſe und ihre Nutzbarmachung. Von Dr. J. van Bebber, Abteilungs-Vorſtand der deutſchen Seewarte in Hamburg. (Vortrag gehalten vor dem Prov. Landwirtſchaftsverein Bremervörde.) Woch kein Problem hat trotz der vielen Be⸗ mühungen, welche bis in die früheſte Zeit hinein⸗ reichen, ſo unerſchütterlich allen Angriffen Widerſtand geleiſtet, ſo ſehr alle, oft an langwierige und müh⸗ Jame Arbeiten geknüpften Erwartungen getäuſcht, als die Vorherſage des Wetters. So glänzende Aus⸗ ſichten für das materielle Wohl der Menſchheit auch die Löſung desſelben verſprach, ſo war dieſes Problem doch mehr geeignet, die meteorologiſche Wiſſenſchaft bei beſonneneren Männern in der Achtung herunter- zudrücken, als zu ihrer Förderung beizutragen. Zunächſt waren es die Wetter⸗ oder Bauern⸗ regeln, die ſchon einer ganz frühen Zeit entſtammen, und die ſich als ein Stück mittelalterlicher Vor⸗ ſtellung bis zu unſrer Zeit erhalten haben: ſie ſind bleibende Monumente eines naiven Empirismus, wel⸗ chem jede befriedigende Grundlage, jede genügende Methode fehlt. Sie enthalten eine Miſchung von Wahrheit und Irrtum, und da man ſich nicht die Mühe gab, dieſe Regeln an der Hand der Erfahrung mit dem thatſächlichen Verlauf der Witterung ſtati⸗ ſtiſch zu vergleichen, ſie zu erproben, zu ſichten und zu vervollkommnen, ſo gingen ſie unverändert, alſo wenig verwertbar, wie eine alte, ehrwürdige Tradition von Generation zu Generation über. Zwar wurde die Löſung des alten Problems ſehr häufig in Angriff genommen, allein gewohnt, durch theoretiſche Spekulationen ohne genügende Grundlage und ohne den Boden der Erfahrung feſtzuhalten, Naturgeſetze abzuleiten und unbewußt der vielen Schwierigkeiten der Aufgabe, erhielt man meiſtens Endreſultate, die mehr zur Erheiterung des Publi⸗ kums als zum weiteren Ausbau der Wiſſenſchaft dienten. Die nach beſtimmten einfachen Geſetzen geregelte Bewegung der Geſtirne und dann die Erkenntnis der allgemeinen Schwere führten naturgemäß auf die Idee, daß die Witterungserſcheinungen in einer be⸗ ſtimmten Beziehung zum Laufe der Himmelskörper ſtänden. Insbeſondere war es der Mond, welcher unſchuldigerweiſe die Rolle eines Wettermachers über⸗ nehmen mußte, und welcher hauptſächlich den Wit⸗ terungswechſel verurſachen und regeln ſollte. Läßt ſich doch an ſeine regelmäßig wiederkehrenden Phaſen und Stellungen leicht ein Syſtem von Wetterprophe⸗ zeiungen anlehnen. Und doch kann man ſowohl an der Hand der Rechnung als durch langjährige Be⸗ obachtungen mit aller Entſchiedenheit nachweiſen, daß die Einflüſſe des Mondes auf unſre Witterung gegen⸗ über den mächtigen Einwirkungen der Sonnenwärme ſo verſchwindend klein ſind, daß ſie ganz außer acht fallen. soya Wer nur einige Zeit über Mond- und Witterungs⸗ wechſel Buch führt, der wird bald inne werden, daß jene alten Anſichten durchaus falſch ſind. Erſt der neueren Zeit war es vorbehalten, die ſo mißachtete, ja wie es ſchien zur immerwährenden Un⸗ fruchtbarkeit verurteilte Wiſſenſchaft in die ihr ge⸗ bührende Stellung zu bringen und ihr einen den übrigen Wiſſenſchaften ebenbürtigen Platz anzuweiſen. Erſt nachdem geeignete Inſtrumente, insbeſondere für die Meſſung des Luftdrucks und der Luftwärme, erfunden und verbeſſert waren, nachdem einige Haupt⸗ zielpunkte feſtgeſtellt waren, nach welchen die Forſchung gerichtet ſein ſollte, nachdem möglichſt Einigkeit in der Beobachtungsmethode geſchaffen war, erhielt die meteorologiſche Wiſſenſchaft durch die bahnbrechenden Arbeiten hochverdienter Männer, wie Alexander v. Humboldt, Dove, Kämtz und Maury, einen vorher nie geahnten Aufſchwung. Während die drei erſten durch Sammlung, Sichtung, Verarbeitung und Vergleichung des vorhandenen Materials die Grund⸗ ſteine zu einer vergleichenden Klimatologie legten, er⸗ warb ſich Maury auf dem Gebiete der maritimen Humboldt. — November 1882. 409 Meteorologie dadurch unſterbliche Verdienſte, daß er durch Darlegung der Windverhältniſſe auf dem Ozean den Seefahrer in ſtand ſetzte, die Seereiſen auf die kürzeſte Dauer zu beſchränken, wodurch einerſeits die Gefährlichkeit der Reiſe vermindert und anderſeits erhebliche Koſten geſpart wurden. Bis in die neueſte Zeit bediente man ſich zur Erforſchung der den atmoſphäriſchen Vorgängen zu Grunde liegenden Geſetze der Durchſchnittswerte. Aus ihnen kann der meteorologiſche Charakter oder das Klima einer Gegend leicht abgeleitet werden. Aus den Abweichungen des Witterungsganges von dieſen Mittelwerten können die Grenzen ziemlich feſtgelegt werden, zwiſchen welchen ſich das Wetter in irgend einer Gegend bewegen kann. Ferner können auf dieſe Weiſe die lokalen Eigentümlichkeiten eines Gebietes, z. B. der Einfluß von Land und Waſſer, von Berg und Thal, von bepflanzter und unbepflanzter Gegend, auf die allgemeinen Witterungsphänomene beſtimmt werden, allein ſo vieles und großes auch durch dieſe Methode erreicht wurde, volle Befriedigung kann die— ſelbe allein nicht geben. Denn die Mittelwerte geben uns nur ideale Witterungszuſtände und verwiſchen vollſtändig den kontinuierlichen Gang des Wetters. Die Mittel gleichen nach dem Ausſpruche eines fran— zöſiſchen Gelehrten ſtummen Statuen, denen der friſche Hauch des Lebens fehlt. Vor allem ſind es die ſcheinbar regelloſe, ja launenhafte Aufeinanderfolge der Witterungszuſtände, die außerordentliche Mannig— faltigkeit im Witterungswechſel, der Zuſammenhang und die Wechſelwirkung der meteorologiſchen Elemente bei jedem Witterungsvorgange, welche am meiſten unſer Intereſſe in Anſpruch nehmen, und welche ins- beſondere zu Studienobjekten geeignet find. Die mo- derne Witterungskunde erfaßt die durch möglichſt kurze Zeitintervalle getrennten Witterungserſcheinungen, wie ſie auf möglichſt großem Gebiete, z. B. ganz Europa, gleichzeitig auftreten, ſtellt ſie anſchaulich auf geo— graphiſchen Karten dar, und indem ſie dieſe mit den vorhergehenden vergleicht, ſo verleiht ſie den zeitlich getrennten Wetterphänomenen den Charakter des un— unterbrochen Fortſchreitenden. Ihre Aufgabe iſt dahin gerichtet, aus beſtehenden Witterungszuſtänden und ihren Aenderungen die nachfolgenden abzuleiten. So ſehr vieles man ſich auch von dieſer neuen Methode verſprach und ſo wichtige Geſetze auch bei ihrer erſten Anwendung entdeckt wurden, worunter das bariſche Windgeſetz die erſte Stelle einnimmt, ſo wurden doch in der Folge die Erwartungen in— ſoferne getäuſcht, daß man allmählich zu der Anſicht kam, daß es nur nach langer und mühevoller Arbeit möglich ſein dürfte, die Löſung der Aufgabe allein durch dieſe Methode dem Ziele näher zu bringen. Daher dürfte es gegenwärtig am meiſten entſprechend fein, die beide Methoden trennende Kluft zu itber- brücken und beide zugleich zur Erforſchung der den Wttterungsphänomenen zu Grunde liegenden Geſetze anzuwenden. Wenigſtens haben einige neuere Unter— ſuchungen nach dieſer Richtung hin gezeigt, daß es mög—⸗ lich ijt, auf dieſem Wege ganz gute Erfolge zu erzielen. Zwei Umſtände waren es, welche der neueren Methode ſowohl in der alten wie in der neuen Welt raſchen Eingang verſchafften, nämlich die Einführung des Telegraphen in den meteorologiſchen Dienſt und die Ausſicht, aus der Vorherſage des Wetters Nutzen für Seefahrt und Landwirtſchaft zu ziehen. Nachdem ſchon im Jahre 1856 auf Initiative Leverriers der wettertelegraphiſche Dienſt im In— tereſſe der Seefahrt in Frankreich eingeführt war“) und einzelne europäiſche Staaten, wie z. B. Holland, Eng— land, teilweiſe auch Deutſchland, dieſem Vorgehen ge— folgt waren, wurde jenſeits des Ozeans ſowohl für Land— wirtſchaft als Seefahrt der Wetterdienſt in ſo groß— artigem Stile eingerichtet und mit ſo außerordentlichen Mitteln ausgeſtattet, daß alle ähnliche Einrichtungen in der alten Welt hinter dieſen weit zurückbleiben. Die ſehr befriedigenden Erfolge und die hieraus entſpringende Popularität der Prognoſen in Nord— amerika konnten in Europa nicht unbeachtet und ohne Einfluß bleiben: allenthalben war man bemüht, die Meteorologie für praktiſche Zwecke zu verwerten. Im neu erſtandenen Deutſchen Reiche, welches mit ſo vielen Vorurteilen abzubrechen und ſo vielen und ge— wichtigen Verpflichtungen auch anderwärts nachzu— kommen hatte, erhielt die Wettertelegraphie in der deutſchen Seewarte in Hamburg ein Inſtitut, welches ſich allen ähnlichen Inſtituten der alten Welt wenig— ſtens ebenbürtig an die Seite ſtellen kann. Die Auf— gabe ihrer meteorologiſchen Abteilung, der Abteilung III, ging in erſter Linie dahin, die Meteorologie zur Siche— rung des Seeweſens und zum Wohle der Küſten— bevölkerung zu verwerten, und noch jetzt bildet die Löſung dieſer Aufgabe das Hauptziel aller ihrer Be— ſtrebungen. Allein um ihren Verpflichtungen in voll— ſtem Maße nachkommen zu können, bedurfte es eines umfangreichen und ſehr wertvollen Materials täglicher wettertelegraphiſcher Mitteilungen, und da dieſes un— zweifelhaft auch für andre, insbeſondere für land— wirtſchaftliche Zwecke ausgenutzt werden konnte, ſo hielt es die Seewarte für ihre Pflicht, unbeſchadet ihrer Hauptaufgabe auch nach Kräften für die Inter— eſſen des Binnenlandes einzutreten und ſo den Wünſchen und Bedürfniſſen des Publikums zu entſprechen. Daher wurde den täglich von der Seewarte herausgegebenen Wetterkarten Prognoſen beigegeben, welche, da ſie das ganze Deutſche Reich umfaßten, notwendig allgemein ge— halten werden mußten und ſich höchſtens nach Norden und Süden, oder Weſten und Oſten, oder nach Nord— weſten, Nordoſten und Süden gliederten. Allein die mannigfache Verſchiedenheit in der Bodengeſtaltung bedingten nicht zu vernachläſſigende Modifikationen *) Es fei hier bemerkt, daß die erſte Idee, den Tele— graphen zur Vorausbeſtimmung des Wetters zu benützen, nicht von Leverrier, ſondern von einem Deutſchen Medi— ziner, Joſeph Wittmann aus Mainz, ausging. Derſelbe veröffentlichte am 2. Okt. 1850 in der in Frankfurt a. M. erſcheinenden „Didaskalia“ einen Artikel: „Vorſchlag zu einer Vorherſagung des Wetters durch Mitteilung des elek— triſchen Telegraphen“, vgl. J. Vincent, Ciel et Terre 1882, Nr. 12. 410 auf den durch die Wetterlage gegebenen allgemeinen Witterungscharakter, und dieſes führte naturgemäß zu der Idee, Deutſchland in klimatiſche Diſtrikte ein⸗ zuteilen, für dieſe Lokalzentren zu ſchaffen, welche neben den allgemeinen Prognoſen der Seewarte auch genügendes Material an thatſächlichen Mitteilungen erhalten ſollten, und denen die Aufgabe zufallen ſollte, einerſeits die allgemeinen Prognoſen den lokalen Ver⸗ hältniſſen und den Bedürfniſſen ihres Diſtriktes an⸗ zupaſſen und ſie möglichſt raſch und allſeitig zu ver⸗ breiten und anderſeits durch Verbreitung von That⸗ beſtänden das Publikum in ſtand zu ſetzen, ſich ſelbſt ein Urteil über die jeweilige Wetterlage zu verſchaffen. Dieſe letztere Thätigkeit, nämlich die Verbreitung von Thatbeſtänden, fei es durch tabel⸗ lariſche Zuſammenſtellungen oder durch Wetterkarten, iſt für die gedeihliche Entwickelung des Prognoſen⸗ dienſtes von hervorragender Bedeutung. Nach einer Vorkonferenz im Jahre 1876 zwiſchen einem Vertreter des Königl. preuß. landwirtſchaftl. Miniſteriums und der Direktion der Seewarte kam dieſe Sache bei Gelegenheit der Naturforſcherverſammlung in Kaſſel 1878 zwiſchen Meteorologen und den Ver⸗ tretern der Landwirtſchaft und der Preſſe nochmals zur Beratung. Es wurde eine ganze Reihe von Beſchlüſſen gefaßt, allein keiner derſelben kam zur Ausführung. Da eine durch die Regierung ſanktionierte und geregelte, das ganze Deutſche Reich umfaſſende Or⸗ ganiſation vorerſt noch unmöglich erſchien, ſo ſchritten einige Staaten und Gebietsteile zu einer Art Selbſt⸗ hilfe und gründeten in Konnex mit der Zentralſtelle für Wettertelegraphie, der deutſchen Seewarte, Zentren für Verbreitung von Prognoſen und Witterungs⸗ thatbeſtänden. Schon vor der Kaſſeler Konferenz hatten ſich Syſteme für Wettertelegraphie gebildet im Königreich Sachſen, in Mittelfranken und in Württemberg. Die Prognoſen für Württemberg waren faſt lediglich für den Königlichen Hof beſtimmt, das Syſtem in Mittel⸗ franken, welches unter meiner Leitung ſtand und deſſen Koſten hauptſächlich vom landwirtſchaftlichen Verein des Kreiſes getragen wurden, ſtellte nach meiner Abberufung an die Seewarte ſeine Thätigkeit wieder ein. Gegenwärtig iſt der wettertelegraphiſche Dienſt eingeführt: in Chemnitz für das Königreich Sachſen, in Magdeburg für die Provinz Sachſen und Umgebung, in München für das Königreich Bayern, in Stuttgart für das Königreich Württem⸗ berg, in Karlsruhe für das Großherzogtum Baden. Dieſe Syſteme erhalten hauptſächlich von der See⸗ warte ihr Material, welches hinreicht, ſich einen Ueber⸗ blick über die Wetterlage und deren Aenderung zu bilden und hiernach die allgemeine Prognoſe je nach Bedürfnis den lokalen Verhältniſſen ihres Gebietes anzupaſſen. Es würde zu weit führen, die Einrich⸗ tung dieſer Syſteme hier ausführlich zu beſprechen; ich will nur noch erwähnen, daß außerdem noch eine größere Anzahl von Intereſſenten namentlich Zeitungen (etwa 35—40), tägliche Prognoſen, verbunden mit Witterungsthatbeſtänden, von der Seewarte erhalten. Humboldt. — November 1882. re Ich komme jetzt zu zwei Fragen, welche den Haupt⸗ gegenſtand meines Vortrages ausmachen, nämlich: 1) Sind die bisher erzielten Erfolge des Prognoſen⸗ dienſtes derart, daß aus den Prognoſen ein weſent⸗ licher praktiſcher Nutzen, ſpeziell für die Landwirt⸗ ſchaft, gezogen werden kann, und 2) wie läßt ſich der Nutzwert der Prognoſen erhöhen? Was die erſtere Frage betrifft, ſo iſt die Beant⸗ wortung derſelben nicht ſo ſehr Sache des Fachmannes als des Publikums ſelbſt, welches bei ſeinen Arbeiten und Unternehmungen mit den Prognoſen zu rechnen hat. Gerade derjenige, welcher ſich tagtäglich mit den Prognoſen beſchäftigt, der tagtäglich Prognoſen ausgibt, und der ſich die Förderung der ausübenden Witterungskunde zur Hauptlebensaufgabe gemacht hat, der ſieht am meiſten die den Prognoſen noch anhaf⸗ tenden Unſicherheiten, und die häufigen Enttäuſchungen machen ihn am meiſten geneigt, ein hartes Urteil über die Prognoſen abzugeben. Ueber die Erfolge und die Nützlichkeit des Sturm⸗ warnungsweſens zur Sicherung der Küſtenſchiffahrt und zum Wohle des Fiſchereibetriebes iſt bei dem dabei intereſſierten Teile der Küſtenbevölkerung kein Zweifel mehr vorhanden. Es liegen der Seewarte gegenwärtig einige 60 Berichte und Gutachten von den Vorſtänden der Signalſtellen, Lotſenkomman⸗ deuren, Hafenmeiſtern u. ſ. w. vor, welche ſich faſt ausnahmslos über die Einrichtung als auch die Wirk⸗ ſamkeit des Sturmwarnungsweſens ſehr günſtig aus⸗ ſprechen. Nicht ſo einig ſind die Anſichten über die Prognoſen zu landwirtſchaftlichen Zwecken, wie auch die Bedürfniſſe des Seemannes von denen des Landwirtes durchaus verſchieden ſind. Der Seemann rechnet mit der Fortbewegung und Umgeſtaltung der großen, von ihm gefürchteten und oft für ganze Küſtenſtrecken verderbenbringenden Cyklonen; für ihn iſt es Hauptſache, Windrichtung, Windſtärke und die Aenderungen derſelben für die nächſte Zeit zu erfahren, dagegen Temperatur, Bewölkung, Regen, Gewitter, Hagelſchauer und Ueberſchwem⸗ mungen kümmern ihn ſehr wenig. Aber gerade dieſe letzteren Elemente intereſſieren den Landwirt am allermeiſten, während die erſteren an und für ſich mehr Nebenſache für ihn ſind. Nach dem gegen⸗ wärtigen Stande der ausübenden Witterungskunde iſt die Vorherſage des Windes ungleich leichter als diejenige der für den Landwirt wichtigen Elemente, und daher müſſen die Erfolge des Sturmwarnungs⸗ weſens auch günſtiger ſein, als die der landwirt⸗ ſchaftlichen Prognoſe. Sind es doch gerade die Hauptfragen, über die wir gegenwärtig noch ſo ſehr im unklaren ſind, z. B. über die Verbreitung und die Intenſität der Niederſchläge über die dem Wechſel von trockenem und feuchtem Wetter zu Grunde lie⸗ genden Geſetze, über Gewittererſcheinungen, Hagel⸗ fälle ꝛc.; alles dieſes ſind für die Landwirtſchaft ſehr wichtige Fragen, allein ihrer Löſung ſtellen ſich außer⸗ ordentliche, ja, wie es ſcheinen möchte, faſt unüber⸗ ſteigliche Hinderniſſe entgegen. Dieſe Löſung, welche jedenfalls in der Verknüpfung der allgemeinen atmo⸗ Humboldt. — November 1882. 411 ſphäriſchen Bewegungen ſowohl an der Erdoberfläche als auch in höheren Luftſchichten mit den lokalen Verhältniſſen geſucht werden muß, kann als Haupt- zielpunkt der modernen Witterungskunde angeſehen werden. Jedenfalls iſt es eine ſehr erfreuliche Er— ſcheinung, daß gerade dieſe Probleme in jetziger Zeit, insbeſondere durch Gründung einer großen Anzahl klimatiſcher Stationen und rationelle Beobachtungen, von vielen Seiten in Angriff genommen wurden, und dieſe Thatſache iſt lediglich eine Errungenſchaft des Prognoſendienſtes. Von vorneherein läßt ſich nach dem bereits Ge- ſagten wohl annehmen, daß das Urteil des Publi— kums über die landwirtſchaftliche Prognoſe ungünſtiger ausfallen muß, als das über die Sturmwarnungen. Wie es ſehr häufig der Fall zu fein pflegt, fo be- | wegen ſich auch hier die Urteile des Publikums in Extremen: die einen behaupten, daß die Wettervorher— ſagungen faſt ausnahmslos mit den nachfolgenden Thatbeſtänden übereinſtimmen, die andern dagegen leugnen den Wert der Prognoſen überhaupt. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Wenn auch zugeſtanden werden muß, daß die Sicherheit des Eintreffens der Prognoſen noch vieles zu wünſchen übrig läßt und derjenige, welcher bei der Einteilung ſeiner Arbeiten und ſeinen Unternehmungen fic) nur auf die Pro- gnoſe ſtützt, manchmal bittere Enttäuſchungen erfährt, ſo iſt es offenbar doch zu weit gegangen, über die Anwendbarkeit der Prognoſen ganz den Stab zu brechen und ihren Nutzwert für null und nichtig zu halten. Vielmehr läßt ſich nicht leugnen, daß bei richtiger Anwendung derſelben, wie ich noch des weiteren zeigen werde, aus den Prognoſen mancherlei Vorteil gezogen werden kann. Dieſes ſcheint auch die vom Publikum am meiſten geteilte Anſicht zu fein. Für die günſtige Beurtet- lung der Prognoſen von ſeiten des Publikums ſprechen insbeſondere die Popularität, welche dieſelben in ſehr kurzer Zeit im ganzen Deutſchen Reiche ſich erworben haben, ſo daß trotz der nicht unerheblichen Koſten keine größere deutſche Zeitung einer täglichen Depeſche von der Seewarte entbehrt, ferner die vielen An— fragen von Privaten und Behörden bei wichtigen Unternehmungen, deren Gelingen mehr oder weniger vom Wetter abhängt; endlich das Intereſſe, welches jetzt allenthalben der meteorologiſchen Forſchung ent— gegengebracht wird. Noch vor wenigen Dezennien waren es nur ſehr wenige Gelehrte, welche ſich eingehend mit meteoro— logiſchen Studien befaßten; gegen die Forſchungs— reſultate verhielt ſich das Publikum faſt ganz indifferent. Seitdem aber durch Einführung des Prognoſendienſtes die Löſung des alten Problems, das Wetter vorher— zuſagen, und zwar auf wiſſenſchaftlicher Grundlage, auf die Tagesordnung geſetzt war, um ſo Seefahrt und Landwirtſchaft, die Hauptmomente des nationalen Wohlſtandes, zu fördern, da fand die Witterungs— kunde raſch unzählige Freunde, die den meteorologi— ſchen Beſtrebungen ihr Intereſſe und ihre Arbeit zu— wandten. Der enge Geſichtskreis, der ſich bisher nur | | | | auf lokale Witterungsphänomene beſchränkte, erwei— terte ſich, man ſuchte dieſe in Zuſammenhang zu bringen mit den allgemeinen atmoſphäriſchen Be— wegungen. Durch die Prognoſe ijt die meteoro— logiſche Wiſſenſchaft berufen, das Gemeingut der ganzen Nation zu werden, und ſo unſicher auch ihre Grundlagen noch ſind, ſo langſam und mühevoll auch ihre Entwickelung von ſtatten gehen mag, die Prognoſe iſt für das Publikum unentbehrlich geworden. Zudem find die Erfolge, welche durch die Pro- gnoſen ſeit ihrer kurzen Exiſtenz erzielt wurden, doch nicht ganz zu unterſchätzen. Obgleich die Methode der Prognoſenprüfung viele Willkür in ſich ſchließt und bei Beurteilung der Erfolge oder Mißerfolge auch die Art und Weiſe berückſichtigt werden muß, wie die Prognoſen abgefaßt ſind, ſo werden doch für alle deutſchen Gebiete durchſchnittlich 80 Prozent Treffer erzielt, welche ſich über die einzelnen Monate des Jahres ziemlich gleichmäßig verteilen, ſo daß alſo unter fünf Ausſichten durchſchnittlich vier mit den nachfolgenden Thatbeſtänden übereinſtimmen. Dieſe ahlen müſſen einen um ſo höheren Wert erreichen, je mehr ſie mit den Urteilen des Publikums in Ein— klang ſtehen. Berückſichtigen wir ferner noch, daß die Exiſtenz der modernen Witterungskunde kaum zwei De— zennien umfaßt, und daß dieſelbe wie alle andern Wiſſenſchaften eines weiteren Ausbaues fähig iſt, ſo daß wir, wenn auch nach langwieriger Arbeit, uns doch immerhin dem Ziele nähern werden, erwägen wir ferner, daß wir im praktiſchen Leben auch ſonſt mit Wahrſcheinlichkeiten, oft viel geringeren, rechnen müſſen, und endlich, daß auch andre Wiſſenſchaften — ich verweiſe hier beiſpielsweiſe auf die innere Medizin — nicht viel beſſer daran find als die meteoro- logiſche, ſo dürfte manches leicht hingeworfene, auf flüchtigem Eindruck beruhende Urteil viel milder oder doch wenigſtens gerechter ausfallen. Der Nutzwert der Prognoſen kann aber noch er— heblich unterſtützt werden, und zwar durch das Urteil des Empfängers ſelbſt. Um ſich ein gegründetes Ur⸗ teil zu verſchaffen, iſt es erforderlich, die Wetterlage und die atmoſphäriſchen Bewegungen wenigſtens über der ganzen Nordweſthälfte Europas zu kennen und zu verfolgen, und daß man im ſtande iſt, hiermit die am Orte ſelbſtgemachten Beobachtungen über Wind und Wetter und deren Aenderungen in Einklang zu bringen. Beiſpielsweiſe ſei bemerkt, daß man vielfach geneigt iſt, bei der Beurteilung des kommenden Wet— ters das Barometer als Wetterpropheten zu Rate zu ziehen, und mit gewiſſem Rechte; allein ſehr oft iſt bei hohem Barometerſtande das Wetter ſchlecht und regneriſch, bei tiefem trocken und heiter. Die Be— wegungen des Barometers können erſt dann ver— ſtanden werden und ihre richtige Verwertung finden, wenn ſie in Beziehung gebracht werden mit den großen atmoſphäriſchen Bewegungen. Das Material zu dieſer Ueberſicht der Witterung über Europa läßt ſich leicht verſchaffen. In erſter Linie ſind es die Wetterkarten der Seewarte, welche 412 Humboldt. — November 1882. täglich herausgegeben werden, und welche die Luft⸗ druckverteilung, die Luftbewegung, die Temperatur, Bewölkung, Niederſchläge ꝛc. ſowohl in kartographi⸗ ſcher als tabellariſcher Zuſammenſtellung, ſowie eine Ueberſicht der Witterung in Worten enthalten. Dieſe geben ein anſchauliches Bild aller Witterungsvorgänge, welche zu wiſſen wünſchenswert ſind, und zeigen ganz klar, wie ſich die einzelnen Wetterphänomene über Europa fortpflanzen und umwandeln. Die Wetterkarten gelangen allerdings erſt am Abend des Tages, worauf ſie ſich beziehen, zur Aus⸗ gabe, und kommen meiſt am Morgen des andern Tages erſt zu Händen der Intereſſenten; allein trotzdem kann bei richtiger Anwendung aus denſelben ein nicht un⸗ weſentlicher Nutzen gezogen werden. Wer an der Hand dieſer Wetterkarten die atmoſphäriſchen Vorgänge über Europa aufmerkſam verfolgt und das ſo gewonnene Urteil mit ſeinen Beobachtungen vergleicht, iſt meiſtens in der Lage, beurteilen zu können, wie ſich das Wetter für ſeine Gegend wahrſcheinlich geſtalten wird. Um einige Beſchleunigung zu erzielen, hat man daran gedacht, einfachere Wetterkarten durch den Telegraphen zur Verſendung zu bringen, und ge⸗ langte auf folgendem Wege zur Durchführung dieſer Idee. Ungefähr das ganze Gebiet, von welchem die Seewarte Wettertelegramme erhält, wurde in 900 kleine quadratiſche Felder geteilt und jedes Quadrat mit einer Zahl verſehen. In die Karte werden nun die Linien gleichen Luftdruckes (Iſobaren) von 5 zu 5 mm eingetragen, dieſe durch eine genügende Anzahl Punkte feſtgelegt, die Lage dieſer Punkte durch Zahlen ausgedrückt und dieſe Zahlen per Telegramm an die Intereſſenten befördert. Dieſe erhalten außerdem von der Seewarte noch eine Reihe von telegraphiſchen Mitteilungen über Wind, Temperatur, Bewölkung 2c. an den einzelnen Stationen und ſind ſo im ſtande, nach Maßgabe des Materials mehr oder weniger vollſtändige Wetterkarten herzuſtellen. Auf dieſe Weiſe ſind die Wetterkarten konſtruiert, welche man in den größeren deutſchen Zeitungen findet. Ich will mich darauf beſchränken, nur durch einige Beiſpiele anzudeuten, wie durch die Verknüpfung der thatſächlichen Mitteilungen mit den Lokalbeobachtungen ein erhöhter Nutzwert der Prognoſen zu erzielen iſt. Es dürfte bekannt ſein, daß die barometriſchen Depreſſionen, ihre Fortbewegungen und ihre Umwand— lungen von entſcheidender Bedeutung für die Witte⸗ rungsverhältniſſe und deren Aenderungen für eine beſtimmte Gegend ſind. Nun gilt der Erfahrungsſatz, daß jene in der Regel nach Oſt oder nach Nordoſt oder nach Südoſt, viel ſeltener nach andrer Richtung fortſchreiten und ſo Wind und Wetter, welche in ihren Umgebungen herrſchen, aus der einen Gegend mehr oder weniger unverändert in die andre hinüber⸗ tragen. An der Zentralſtelle, alſo an der Seewarte, werden die Aenderungen des Wetters, wie ſie ſich faſt über ganz Europa vollziehen, aufmerkſam verfolgt und fo die Aenderungen abgeleitet, welche für den fol⸗ genden Tag wahrſcheinlich ſtattfinden werden und hieraus die Witterungsausſichten feſtgeſtellt. Die Wetterkarten ſetzen den Empfänger, wenn auch etwas ſpäter, in die Lage, ſich einen klaren Ueberblick über die Witterungsvorgänge über Europa zu verſchaffen, und jetzt kann er aus den Bewegungen ſeines Baro⸗ meters, den Aenderungen des Windes und der Witte- rung an ſeinem Orte wenigſtens annähernd erkennen, welche Witterungsvorgänge ſeit Stellung der Pro⸗ gnoſe ſich vollzogen haben, und ſo ein Urteil ge⸗ winnen, ob fic) das Wetter wahrſcheinlich im Sinne der Prognoſe ändern wird oder nicht, und ferner wird er annähernd ermeſſen können, ob die Prognoſe nicht etwa auf längere Zeit als 24 Stunden auszu⸗ dehnen iſt. Hierbei dürfte der Zug der oberen Wolken wichtige Fingerzeige für die Fortbewegungsrichtung der Depreſſionen geben. Ferner möchte ich auf die ſo gefürchteten Nacht⸗ fröſte hinweiſen, welche mit größerer Wahrſcheinlich⸗ keit des Eintreffens vorausgeſagt werden können, als dieſes bei den meiſten der übrigen Elementen der Fall iſt, insbeſondere wenn die Vorherſage durch lokale Beobachtungen unterſtützt wird. Nachtfröſte ſind dann am erſten zu befürchten, wenn das Wetter heiter und trocken iſt und die Temperatur gegen Abend weniger als etwa fünf Grad über dem Gefrierpunkte liegt. Die Wetterlage iſt gewöhnlich dadurch charak⸗ teriſiert, daß über Nordeuropa ein Gebiet hohen Luft⸗ druckes liegt, während im Süden die Barometerſtände am niedrigſten ſind. Hierdurch werden nordöſtliche bis nordweſtliche Winde für unſre Gegend vorherr⸗ ſchend, welche die kältere Luft aus nördlicher gelegenen Gegenden zu uns herüber transportieren. Bleibt nun außerdem noch am Abend und während der Nacht bei obiger Temperatur das Wetter trocken und heiter, ſo läßt ſich faſt mit Sicherheit auf Nachtfroſt ſchließen. Alſo auch hier kann die Prognoſe durch lokale Be⸗ obachtungen erheblich unterſtützt werden. Schon aus dieſen wenigen Andeutungen dürfte hervorgehen, daß man die Prognoſe nicht als eine Prophezeiung, als einen Orakelſpruch blindlings hin⸗ nehmen darf, ſondern daß dieſelbe durch eigenes, auf thatſächlichen Mitteilungen und lokalen Wahrneh⸗ mungen beruhendes Urteil unterſtützt werden muß, wenn ſie wahren Nutzen bringen ſoll. Anderſeits können die Beobachtungen am Orte ſelbſt, ſo wenig ſie auch zu unterſchätzen und ſo mancherlei Nutzen ſie auch bringen mögen, allein niemals die Grundlage zu einer gegründeten Pro⸗ gnoſe bilden. Wer auf Grund dieſer unmittelbaren Beobachtungen ein Urteil über den künftigen Ver⸗ lauf der Witterung abgeben will, der wird bald die Sicherheit dieſes Urteils ſchwinden ſehen, wenn er ohne Vorurteil dieſes einige Zeit mit den nachfolgenden Thatbeſtänden vergleicht. Daher wurde ſtets darauf hingearbeitet, das Publikum durch Karten und ſonſtige Wetterberichte immer wieder auf die großen atmo- ſphäriſchen Vorgänge hinzuweiſen, um ſo das Ver⸗ ſtändnis der Grundſätze anzubahnen, welche bei der Aufſtellung der Prognoſe maßgebend ſind, und um ſo endlich ein ſachverſtändigeres und gerechteres Ur⸗ teil zu erwirken, als dasjenige ausfallen muß, welches Humboldt. — November 1882. 413 nur auf flüchtigem unmittelbarem Eindruck und auf einſeitigen, ganz lokalen Geſichtspunkten beruht. Daher hielt es die Seewarte für ihre Pflicht, an dem Grund— ſatze ausnahmslos feſtzuhalten, keine Prognoſen an Intereſſenten regelmäßig abzuſenden, wenn nicht gleichzeitig mit den Prognoſen auch Witterungs- thatbeſtände mitbezogen werden, und dieſes Verfahren dürfte noch ſo lange aufrecht erhalten werden, als die Wahrſcheinlichkeit des Eintreffens der Prognoſen der Sicherheit ganz nahe gerückt iſt. Wenn das Publikum die Seewarte in dieſen ihren Beſtrebungen unterſtützen, wenn es über die Prognoſen ein gerechtes Urteil fällen und dabei dieſchwierige Aufgabe der Seewarte, die ja nur den Wünſchen und Bedürfniſſen des Publikums gerecht werden will, nicht verkennen wollte, ſo würde es hierdurch der Sache einen großen „Dienſt erweiſen. Um fo leichter wird dann die See— warte auf der einmal betretenen Bahn unbeirrt weiter fortſchreiten und ſich über etwa abfällige Aeußerungen, die über Fehlprognoſen, deren öftere Wiederholung unvermeidlich iſt, leichthin gemacht werden, im Gefühle ihrer Pflichterfüllung hinwegſetzen. Die Diskuſſion über Kinderernährung auf der Salzburger Naturforſcherverſammlung. Von Dr. Philipp Biedert, Kreis- und Spitalarzt in Hagenau im Elſaß. II. Eng an die Beſprechung der Milchgewinnung, zum Teil unter dieſelbe gemiſcht, hatten ſich ver— ſchiedene Darlegungen über die Zubereitung der Milch unmittelbar für die Ernährung des Kindes ſelbſt an— geſchloſſen. Es iſt nötig, dieſelbe für eine Mitteilung an größere Kreiſe überſichtlich zu gruppieren und ihnen eine prinzipielle Darlegung der Geſichtspunkte, die ſich bei Verwendung der Tiermilch für die Kinder— ernährung ergeben, vorauszuſchicken ?). Altbekannt iſt, daß die Kuhmilch ſtoffreicher iſt, als die Menſchenmilch, insbeſondere, daß ſie mehr Eiweißſtoffe (Kaſein) enthält, nach neueren Beſtim⸗ mungen gut das Doppelte. Deshalb hat man von jeher zur Erzielung einer Uebereinſtimmung Verdün⸗ nung der Kuhmilch mit Waſſer vorgeſchrieben. Man hat aber auch von jeher gefunden, daß damit die Sache noch nicht abgemacht war und ſich darüber viel den Kopf zerbrochen. Die Schwierigkeit iſt, wenn auch nicht aus dem Wege geräumt, ſo doch völlig auf— geklärt durch Verwertung der Reſultate meiner Ende der 60er Jahre begonnenen Unterſuchungen über die chemiſche Natur der Menſchen- und Kuhmilch. Es fand ſich dabei, was in vereinzelten Wahrnehmungen ſchon mehreren aufgefallen war, daß eine gänzliche und weittragende Verſchiedenheit in dem wichtigſten Beſtandteil, dem Käſeſtoff beider Milcharten, exiſtiert, daß alſo nicht die wohl ausgleichbare Mengendifferenz an dieſem Beſtandteil Menſchen- und Kuhmilch unter— ſchied, ſondern die ganz andre chemiſche Beſchaffenheit, die bei dem Kuhkaſein in viel geringerer Löslichkeit *) Eine ſich mit der nachfolgenden deckende Darlegung wurde, angeregt durch den Vorſtand der pädiat. Sektion und ſchließlich direkt veranlaßt durch die hygien. Sektion, in einer Sitzung der letzteren auf der diesj. Naturf. -Verſ. zu Eiſenach von dem Verf. obiger Arbeit vorgetragen. | und viel größerer Schwerverdaulichkeit ihren wichtigſten Ausdruck findet. So wird es klar, warum man häufig die Kuhmilch viel ſtärker verdünnen muß, als bis zur Herſtellung eines der Menſchenmilch gleichen Kaſein— gehaltes, wofür Zuſatz von gleichen Teilen Waſſer genügen würde, warum man bis zu 3 Teilen Waſſer auf 1 Teil Milch nehmen muß, um den jüngſten Kindern und ſchwächſten Verdauungsorganen ein Nah— rungsgemiſch zuzuführen, das nicht weſentlich mehr als Muttermilch beläſtigt. Happe-Hamburg und in andrer Form Demme (bei Erwähnung der konſer— vierten Milch) gaben der jetzt immer allgemeiner an— erkannten Notwendigkeit ſolcher Verdünnung in der Verſammlung präziſen Ausdruck. Es iſt natürlich, daß wenn die Kinder etwas älter und die Verdauungs— organe kräftiger werden, man die Milch immer weniger verdünnen, in immer nahrhafterer Miſchung geben kann. Es iſt ſogar bereitwillig zuzugeben, daß es nicht ſelten Kinder gibt, die von vornherein eine we— niger verdünnte Kuhmilch gut vertragen, alſo deren ſchwerverdauliches Kaſein ohne Schaden bewältigen können. Es iſt aber unbegreiflich, daß, weil es ſolche gibt, manche, ſogar Aerzte, behaupten, man könne allen Kindern ſolche weniger verdünnte Nahrung geben, obwohl die tägliche Erfahrung lehrt, daß viele dabei erkranken und die meiſten damit nimmer geſunden. Daß dieſen Kranken und Schwachen die Milch in obiger Verdünnung gegeben werden müſſe, und daß man, ſolange man die Verdauungskraft eines Kindes noch nicht kennt, am vorſichtigſten wenigſtens damit an— fangen ſolle, das erfuhr in dieſer Verſammlung keinen Widerſpruch. Dieſe Verdünnung repräſentiert einen Ge- halt an Kaſein von ca. 1 %, den ich auch bei ſchwächſter Verdauung gewöhnlich noch erlaubt gefunden habe. Das war nun ſtets ausgemacht, daß man, weil nach dieſer Verdünnung auch der Zucker— gehalt der Milch unnötig verringert war, um 414 Humboldt. — November 1882. 15 wieder auf die normale Menge von Zucker zu kommen, mit dem Waſſer zugleich Zucker zuſetzen müſſe. Dasſelbe würde von dem Fett gelten, das in der dreifach verdünnten Kuhmilch zu weniger als 1% vorhanden iſt. Sein Erſatz iſt aber nicht fo einfach. Man kann ihn nur dadurch bewerkſtelligen, daß man von vornherein ſüßen Rahm ſtatt Milch zur Verdünnung nimmt. Seit längerer Zeit iſt das auch, beſonders nach dem Vorgang Ritters in Prag, hier und dort einmal angeraten worden. Vorſchriften zur Herſtellung geeigneter Rahmmiſchungen und ausführliche Ernährungsverſuche damit habe ich erſt im Anſchluß an meine oben erwähnten Arbeiten in dem letzten Jahrzehnt geliefert. Ueber das unter dem Namen des „Biedertſchen Rahmgemenges“ in der Kinderheilkunde bekannte Präparat ſind von vielen zuverläſſigen Beobachtern gute Reſultate publiziert worden, und ſeine guten Eigenſchaften fanden durch Soltmann in der einleitenden Rede, wie im Laufe der Diskuſſion durch Happe Erwähnung. Indem man ſo die jetzt beſonders gewürdigte (Voit) Nährkraft des Fettes herbeizieht, iſt man in der Lage, ſchwachen Verdauungsorganen weniger von dem oft bedenklichen Kaſein zuzumuten, ohne daß man den Körper weniger nährt. Denn der teilweiſe Erſatz der Eiweißſtoffe durch Fett iſt ein gut befeſtigter Satz der neueren Ernährungslehre. Außerdem hat die Vermehrung des Fettes aber auch einen ganz direkten Vorteil: wenn das Milchgemiſch in dem Magen gerinnt, ſo legen ſich dann viel mehr feinſte Fett⸗ tröpfchen zwiſchen den ſich zuſammenballenden Käſe⸗ ſtoff, deſſen Gerinnſel müſſen natürlich um ſo viel äſtiger, poröſer, lockerer werden. Dadurch werden ſie aber einesteils leichter verdaulich, weil die Ver⸗ dauungsſäfte bequem in ihre Poren dringen können, andernteils inoffenſiver als die gewöhnlichen Kuh⸗ milchgerinnſel, welche als härtere Brocken und Bröckchen die Darmwände einfach durch ihr Darüberſtreichen ent⸗ zündlich reizen. In der That hat man allenthalben beobachtet, daß das Rahmgemenge in vielen Fällen gut vertragen wurde und gut nährte, wo dies mit der verdünnten Kuhmilch nicht der Fall war. Für ſolche Fälle iſt es auch hauptſächlich beſtimmt. Wie man die verdünnte Kuhmilch allmählich durch Zuſatz von weniger Waſſer für das heranwachſende Kind nahrhafter macht, ſo muß dasſelbe mit dem Rahm⸗ gemenge durch immer wachſenden Milchzuſatz zum dreifach verdünnten Rahm geſchehen. Das Genauere über Herſtellung und Anwendung der Milchverdünnung und des Rahmgemenges muß ich anheimſtellen, in meinem im erſten Teil dieſes Auf⸗ ſatzes ſchon erwähnten Buche („Die Kinderernährung im Säuglingsalter“) nachzuleſen. Dort iſt auch bereits auf eine Rahmkonſerve hingewieſen, „Künſtliches Rahm⸗ gemenge“, das fabrikmäßig hergeſtellt wird und das über die mancherlei Umſtändlichkeiten und Schwierigkeiten der Beſchaffung des natürlichen Rahms hinweghelfen ſoll. Da ſeitdem von Monti, Martin, Kormann Raudnitz u. A., auch von mir zum Teil ſehr günſtige Erfahrungen bei Ernährung und bei Behandlung Beſtimmte kranker Kinder damit veröffentlicht werden konnten, verſpricht es ein brauchbares Erſatzmittel des friſchen Rahms zu werden. Daß es umgekehrt Fälle gibt, in denen Fett, alſo auch Rahmmiſchungen, mangelhaft oder gar nicht ver- tragen werden, iſt in dem erwähnten Buche eingehend abgehandelt. Doch ſind Einzelheiten über dieſen Zu⸗ ſtand, der ſtets eine ſchwere Erkrankung darſtellt, nur für Aerzte von beſonderem Intereſſe, wie überhaupt auch die diätetiſche Behandlung längerer und ſtärkerer Darmaffektionen, jet es mit verdünnter Kuhmilch, fei es mit Rahmgemenge oder ſonſt noch zu nennenden Dingen, einer ſachkundigen ärztlichen Ueberwachung nach verſchiedenen Richtungen hin ſtets bedarf. Jene Verdauungsſtörungen, in denen die Organe für Verarbeitung und Aufſaugung des Fettes im Darm weſentlich alteriert ſind, haben öfter zu Em⸗ pfehlung abgerahmter Milch Veranlaſſung gegeben, und ſie ſind es auch wohl, in denen eine vorüber⸗ gehende ausſchließliche Anwendung von ſchleimigen (Gerſte⸗, Hafer⸗)Abkochungen, von Leguminoſenſuppen, von denen einige exquiſite Erfolge veröffentlicht ſind, von Eiweißwaſſer, von Buttermilch (in der das Fett fehlt) ſich von auffallend heilſamer Wirkſamkeit be⸗ wieſen haben. Aber auch in dieſen beſondern Fällen muß man ſuchen, den Organismus allmählich wieder an Aufnahme von Fett zu gewöhnen, das eben doch ein unentbehrliches Requiſit regelmäßiger Ernährung iſt. Auch als beliebter Zuſatz zur Milch, zum Zweck der Verdünnung an Stelle des Zuckerwaſſers, fanden die eben genannten ſchleimigen Abkochungen in der Diskuſſion Erwähnung, insbeſondere Abkochungen von Gerſte und Hafer, zwiſchen denen, ſo viel man es auch verſucht einen Unterſchied feſtzuſtellen, für dieſen Zweck in Wirklichkeit keiner vorhanden iſt. Man hat von der Verdünnung mit ſchleimigen Flüſſigkeiten eine lockere Gerinnung des Käſeſtoffs erwarten wollen, indes iſt davon thatſächlich nichts zu beobachten. Da⸗ gegen ſteht den Schleimen ihr altbekanntes Renommee gegen Durchfälle empfehlend auch in der Kinderpraxis zur Seite, wo es ſich um eine Neigung zu diarrhöi⸗ ſchen Stühlen handelt. Den genannten Schleimen reihen ſich Reiswaſſer, Kalbsbrühe, Löſungen von Gelatine, reſp. Hauſenblaſe an, an die alle nur die Bedingung zu ſtellen iſt, daß ſie ganz dünnflüſſig ſeien, keine dicklichen Breie, von denen eine etwas plumpe, aber verbreitete Vorſtellung eine Art mecha⸗ niſchen „Stopfens“ erwartet. . Wenn die bis jetzt genannten Präparationen der Kuhmilch auf indirektem Wege den Käſeſtoff derſelben zu beeinfluſſen ſuchten, ſo ging ein von Pfeiffer⸗ Wiesbaden der Verſammlung mitgeteiltes Verfahren direkt darauf aus, das Kaſein der Kuhmilch mit Be⸗ zug auf ſeine oben angeführten für die Ernährung nachteiligen Eigenſchaften umzuändern. Die Umwand⸗ lung wird durch Erhitzen mit einem nach ſehr ge- nauen Vorſchriften ſtets friſch zu bereitenden Pankreas⸗ extrakt angeſtrebt. Das Pankreas (die Bauchſpeichel⸗ drüſe) hat bekanntlich die Fähigkeit, Eiweißſtoffe zu verdauen, und dieſe Kraft ſoll bei jenem Verfahren Humboldt. — November 1882. 415 auf das Kaſein der Kuhmilch einwirken. dasſelbe eigentlich ſchon verdaut, d. i. zu Pepton werden, ehe es vom Kinde genoſſen wird; es würde dann, wie Pepton, löslich, durch Salzſäure nicht mehr fällbar, ſomit dem Muttermilchkaſein ähnlicher werden und in dieſem Zuſtand auch ſchwacher Verdauung wenig mehr zur Laſt fallen. Bei einer Probe, die uns Herr Pfeiffer machte, überzeugte ich mich, daß das Kaſein danach durch Salzſäure zwar nicht un— fällbar, aber doch ſchwächer und feiner koaguliert wird. Jedenfalls iſt auch die Einwirkung während des einfachen Aufkochens viel zu kurz, um wirklich alles Kaſein zu peptoniſieren. Auch ſoll die peptoniſierte ilch nach des Redners Angabe etwas bitter werden, was ſie wohl nicht allen Kindern empfehlen wird. Indes hat er ſie bei einem ſehr elenden Kind doch wochen— lang, zuletzt in bedeutenden Mengen zugeführt und ein ſehr hübſches Reſultat damit erzielt. Der aus- gedehnten praktiſchen Verwendung ſteht die Notwen— digkeit, die Pankreas-Milch, weil fie ſehr leicht fault, bei jeder Darreichung friſch zu präparieren, und noch mehr die ſehr umſtändliche Herſtellung des notwen— digen friſchen Pankreasſaftes im Weg. Jedenfalls aber iſt der Verſuch ſehr intereſſant und bei demſelben mit vollem Verſtändnis der Punkt, auf den es an- kommt, richtig angefaßt. Wenn man dasſelbe von einem andern ebenfalls zur Sprache gebrachten Verfahren ſagen könnte, ſo würde bei dieſem auch der praktiſchen Verwendung nichts im Wege ſtehen. Es verlangt nur die einfache Zumiſchung eines in Waſſer gelöſten Pulvers zur Milch, welches Pulver von dem erſten Erfinder ge— heimnisvoll Laktin, von dem Nacherfinder etwas menſchlicher Milchſalz getauft wurde. Hier fehlt es nun leider am beſſern Teil, an dem Verſtändnis. Das Pulver beſteht in der Hauptmaſſe aus Milch— zucker, daneben aus einem Salzgemiſch, das in ſeiner Geſamtheit alkaliſch reagiert. Infolge dieſer alkaliſchen Reaktion, die es der Milch mitteilt, gerinnt dieſe langſamer, ihr Gerinnſel bleibt bei einem Parallel— verſuch deshalb noch etwas weich, während das der nicht alkaliſierten Milch ſchon feſtgeballt iſt. Das Verhalten, welches den in der Milchchemie Kundigen nach den Verſuchen von Heintz, Klunk, mir u. A. ſchon lange bekannt iſt, hielten die Erfinder und Fabrikanten des Pulvers für eine neue noch unbe— kannte Einwirkung, welche die Kuhmilch der Menſchen— milch gleich machen könne. Sie haben dabei ihre Beobachtung nicht einmal ſo lange fortgeſetzt, um zu bemerken, daß, wenn man die alkaliſierte Milch nur etwas länger ſtehen laſſe, bis die weiterſchreitende Säuerung den Alkalizuſatz ausgeglichen habe, die Ge— rinnſel derſelben den der gewöhnlichen Kuhmilch ganz gleich werden. Der Vorzeiger des Präparats war des- halb ganz erſtaunt, als die Milchproben, die er am erſten Tag mit den betreffenden Verſchiedenheiten hatte präſen— tieren wollen, am zweiten Tag, wo er dieſelben erſt vor- zeigen konnte, keine Spur mehr davon erkennen ließen. Wenn die Herren, die in die Kinderernährung und die Milchbehandlung hineinreden wollen, ſich erſt die Mühe Humboldt 1882. So foll | nehmen wollten, zu lernen, was man ſchon weiß, würden ihnen ſo unliebſame Ueberraſchungen und den andern die Mühe, Bekanntes und Falſchverſtandenes zurückzuweiſen, erſpart. Herr Pfeiffer hatte ſich dieſer Aufgabe ſchon in einer Zeitſchrift zweckmäßig entledigt. Ein Experiment des Herrn Eiſenſchitz-Wien machte dasſelbe in dra— ſtiſcher Weiſe in der Verſammlung anſchaulich. Das Brauchbare an der Sache, Alkalizuſatz zur Milch, iſt durch die gewichtige Empfehlung Vogels ſchon längſt allgemein bekannt, und die alte Vorſchrift, eine Meſſer— ſpitze voll Natr. bicarbon. zu 1 Liter folder Milch zu ſetzen, die beſonders im Sommer, wenn man ſchon leichte Säuerung wahrnehmen kann, Vorteil verſpricht, wird ſchon wegen ihrer Einfachheit und Billigkeit durch geſuchte und teure Neuerungen nicht verdrängt werden. Es mag ſich wohl mancher, der in dem letzten Jahrzehnt von der Kinderernährung gehört, wundern, daß in dieſer fachmänniſchen Diskuſſion von der Liebig ſchen Suppe jo gut wie nicht die Rede war. Doppelt wundert er ſich dann, wenn er hört, daß ſie bei den Teilnehmern der Verſammlung ſtillſchwei— gend als überwundener Standpunkt paſſierte. Ein Teil hatte ſie nach ungenügenden praktiſchen Erfah— rungen wieder aufgegeben, der jüngere Teil ſie auf Grund unſrer jetzigen Kenntniſſe von vornherein ab— gelehnt. Dem berühmten Chemiker hat die Kenntnis von der weſentlichen Verſchiedenheit des Käſeſtoffs der Menſchen- und Kuhmilch noch nicht zur Verfügung geſtanden, als er fic) mit der Sache beſchäftigte, und er verfiel deshalb in den Irrtum, daß es nur darum ſich handle, eine Uebereinſtimmung in der Mengen— zuſammenſetzung der Menſchen- und Kuhmilch herbei— zuführen, um eine richtige Kindernahrung zu bekommen. Seitdem man die qualitativen Verſchiedenheiten kennen gelernt, mußte man notwendig dieſes Prinzip der quantitativen Regulierung aufgeben — um ſo gewiſſer, als es ſich auch bereits praktiſch nicht bewährt hatte, und man nun wußte, warum? Noch ſchlimmer ſteht es prinzipiell mit den Kinder— mehlen, die ſich urſprünglich an die Liebigſche Suppe anſchließen wollten — aber mit außerordentlich mangel— haftem Verſtändnis juſt ſeitens des dadurch faſt berühmt gewordenen erſten Erfinders. Denn gerade das Weſen der Liebigſchen Suppe, das quantitative Verhältnis von 1 Teil Eiweiß zu 3,5 Teilen ſtickſtofffreier Nahrung, worauf Liebig in einer logiſchen Anſchauung den Nachdruck legte, warf er über den Haufen, indem er durch Einführung maſſenhafter Kohlenhydrate jenes Verhältnis in 1:6—7 umwandelte. Er glaubte naiver Weiſe einen Anſchluß an die Liebigſche Idee durch den rein formalen Umſtand zu erlangen, daß er ebenfalls Weizenmehl verwandte, das er durch be— ſtimmte Mittel, gleich Liebig, in Dextrin und Trauben⸗ zucker umwandeln wollte. Die Mehle waren nun weder durch die Qualität ihrer Beſtandteile, noch durch ihr Miſchungsverhältnis der Muttermilch gleichwertig. Manche, darunter gerade die auswärtigen Fabrikate, ſind in bezug auf Kaſein- und beſonders den Fettgehalt ganz mangelhaft; ein jetzt ziemlich billig verkauftes, das Anglo⸗Swiß⸗Kindermehl, enthielt nach einer Unter- 53 416 Humboldt. — November 1882. ſuchung des Polizeilaboratoriums in Straßburg jo wenig Fett (2,28 %), daß es unmöglich viel reine Milch enthalten kann, die eigentlich der wichtigſte Beſtandteil iſt. Einige deutſche Fabrikate ſind in der Beziehung viel beſſer, z. B. das im Vergleich damit unterſuchte Frerichsſche enthielt 6,98 °/, Fett. In bezug auf lösliche Kohlenhydrate hatte das erſte frei⸗ lich einen merklichen Vorzug; doch enthalten alle Kindermehle, ſo ſehr ſie es auch anders prätendieren, noch ſo viel unveränderten Stärkemehls, daß ſie da⸗ mit für jüngere und ſchwächere kindliche Verdauungs⸗ organe eine unerträgliche Laſt werden. Es herrſchte deshalb auch nicht der mindeſte Zweifel in unſrer Verſammlung, daß ſie als eigentliche Säuglingsnah⸗ rung nichts taugen, daß ſie dafür hinter einer ver⸗ ſtändig behandelten Kuhmilch weit zurückſtehen, und daß ſie nur im zweiten Halbjahr als Uebergang zu feſterer Nahrung ſich eignen — hierzu ſogar wegen ihrer feinen Pulverung recht gut. Dieſe Pulverung dürfte auch ihr Vorzug vor den gleichfalls vielfältig empfohlenen Nährzwiebacken ſein. Obwohl in der Diskuſſion ganz übergangen, ſollen doch auch die „Extrakte der Liebig ſchen Suppe“ eine kurze Erwähnung erhalten. Nach dem über die Suppe Geſagten können ſie als ſolche keine Bedeutung bean⸗ ſpruchen, dagegen ſind ſie Traubenzuckerſirupe, die als Zuſatz zu verdünnter Kuhmilch vielleicht recht brauch⸗ bar ſind. Ich habe neuerdings für den Traubenzucker anſcheinend recht günſtige Verſuchsreſultate erhalten. Doch ſind ſie noch nicht endgültig, und fragt es ſich, ob in jenen Extrakten der Traubenzucker nicht zu teuer kommt? Was über kondenſierte und die mehr und mehr aufkommende konſervierte Milch vorgebracht wurde, muß einem ſpätern Abſchnitt über Konſervierung der Milch überwieſen werden. Indem damit unſer Bericht wieder zur natürlichen Milch zurückkehrt, that er, was die Wiſſenſchaft in der ganzen vorliegenden Frage in den letzten Jahren gethan hat. Von einer Menge künſtlicher Präparationen, mit denen man vergeblich die Aufgabe zu löſen geſucht, hat ſie ſich wieder ab und dem Studium des Nahrungsmittels, das die Natur uns liefert, zugewandt. Sie hat damit in kurzem bemerkenswerte Erfolge erzielt. Erfolge aber, die nichts Ueberraſchendes haben! Sie blieben nie aus, wenn die Medizin, als Zweig der großen Natur⸗ wiſſenſchaft fich fühlend, aus dem Bereich willkürlicher Kombination zurückkehrte zur ſteten Quelle ihrer Kraft, zur Natur. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. P Hy ſik. leber das Weſen der eleßktriſchen Erſcheinungen und das Maß der elektriſchen Kräfte. Das Studium der Naturerſcheinungen hat die Phyſiker darauf geführt, die Körper als eine Vereinigung von Atomkomplexen oder Molekülen zu betrachten, welche ſich untereinander in einer gewiſſen gegenſeitigen Entfernung im Gleichgewicht er⸗ halten. Dieſer Gleichgewichtszuſtand der Moleküle erfordert, daß dieſelben mit einem gewiſſen Wirkungsvermögen (Energie) begabt ſind, welches wohl in einigen Bezie⸗ hungen erkannt worden iſt, deſſen vollſtändiges Weſen aber noch nicht enträtſelt werden konnte. Der Widerſtand, welchen die Körper dem Zuſammen⸗ drücken entgegenſetzen, wächſt mit der Volumenverkleinerung ſehr raſch bis in das Unendliche, ohne daß dabei die Mo⸗ leküle bis zur gegenſeitigen Berührung gebracht werden könnten. Man muß daraus ſchließen, daß die Moleküle in einer gewiſſen ſehr kleinen Entfernung ſich einander mit einer nicht zu bewältigenden Kraft abſtoßen. Dieſe Abſtoßungskraft nimmt aber mit wachſender Entfernung der Moleküle auch wiederum raſch ab und geht in die Anziehungskraft über, ohne welche ein ſtabiles Gleich⸗ gewicht der Moleküle nicht möglich ſein würde. Sobald nun dieſe Anziehungskraft einmal rege ge⸗ worden iſt, nimmt dieſelbe bei weiterem Auseinanderrücken der Moleküle umgekehrt zum Quadrate der Entfernung ab und folgt ſomit dem Geſetze der univerſellen Gravitation. Die Grenzen der Entfernung, innerhalb deren die negative Wirkung der Molekularkraft in die poſitive Wir⸗ kung übergeht, ſind vom Wärmezuſtande und der Natur der Körpermoleküle bedingt. Durch dieſe Grenzen wird der feſte, flüſſige und gasförmige Zuſtand der Körper beſtimmt. ; Aus dem Vorhandenſein dieſer innerhalb der Körper unter gewiſſen Umſtänden wach werdenden, bald durch Anziehung, bald durch Abſtoßung wirkſamen Kräfte, geht auch eine gewiſſe Klaſſe von Erſcheinungen hervor, in denen die Natur durch die Trennung jener, ihr ganzes Spiel bedingenden Kräfte, in ihrer großartigen Einfachheit ſich zu offenbaren ſcheint. Es ſind dies die Erſcheinungen der Elektrizität! Anziehung und Abſtoßung haben hier als Gegenpole ihre Selbſtändigkeit erlangt! Schon die alten Philoſophen hatten eine Ahnung da⸗ von, daß das Grundweſen der Natur in einer Gegen⸗ polarität beſteht. Es ſcheint ſich wirklich herauszuſtellen, daß Empedokles kein bloßer Phantaſt war, als er von dem Haß und der Liebe der beiden weltbildenden Urſub⸗ ſtanzen ſprach. Der klarverſtändige Benjamin Franklin fußt auf einer ähnlichen Idee, wenn er attraktive Körpermoleküle umgeben von einem repulſiven Aether (dem von ihm an⸗ genommenen elektriſchen Fluidum) vorausſetzte und in der Hypotheſe des hierdurch bedingten Gegenſatzes der Kräfte die elektriſchen Eigenſchaften der Körper zu erklären ſuchte. Franklin unterſchied demnach keine poſitive und negative Elektrizität, ſondern erkannte bloß das Vorhandenſein eines einzigen elektriſchen Fluidums an, weshalb ſeine Hypotheſe als die unitariſche Hypotheſe bezeichnet wird. Aeginus, welcher die Hypotheſe Franklins zu einer mathematiſchen Theorie ausarbeitete, machte zuerſt darauf aufmerkſam, daß, wenn die elektriſchen Fluiden der beiden Körper ſich im natürlichen Zuſtande des Gleich⸗ gewichtes befinden, die Attraktion der Materie und die Repulſion des Fluidums des erſten Körpers auf das Flui⸗ dum des zweiten gleich ſind, und umgekehrt, jo daß nur drei Kräfte in das Spiel kommen, wovon eine repulſiv und zwei attraktiv ſind. Nach dieſer Anſchauung übt in Humboldt. — November 1882. 417 der That jeder der beiden Körper durch ſeine Materie eine Anziehungskraft auf das Fluidum des andern aus, während die gegenſeitige Abſtoßung der beiden Fluida nur eine einzige, jeder der beiden erſten Kräfte gleiche Kraft bildet. Später erklärte der italieniſche Phyſiker Moſotti, geſtützt auf die obige Annahme des Aeginus, die all— gemeine Gravitation, welche Newton nur als eine ein— fache, nicht weiter in primitive Komponenten zerlegbare Kraft aufgefaßt hatte, als eine Folge der die elektriſchen Kräfte beherrſchenden Prinzipien. Unzweifelhaft liegt in dem getrennten Auftreten der anziehenden und abſtoßenden Kräfte die als „Polarität“ bezeichnete Grundeigenſchaft der elektriſchen Erſcheinungen, und danach kann man mit Recht zwei Arten von Elektri— zität — poſitive und negative — unterſcheiden. Anderſeits iſt aber keine abſolut gültige Einteilung der Körper in poſitiv und negativ elektriſche durchführbar, weil ein und derſelbe Körper in bezug auf einen zweiten als elektriſch poſitiv, in bezug auf einen dritten aber als elektriſch negativ auftreten kann. Im erſten Falle tauſcht der eine Körper ſeine freie negative Elektrizität gegen die freie poſitive des andern Körpers aus; im zweiten Falle aber erfolgt der Austauſch der freien poſitiven Elektrizität des erſten Körpers gegen die freie negative des zweiten. Das gegenſeitige elektriſche Verhalten des Körpers iſt alſo ein relatives. Gegenwärtig ijt die von Coulomb aufgeſtellte Hy- potheſe, daß die Körpermoleküle aus elektriſch poſitiven und negativen Namen zuſammengeſetzt ſind, von einigen bedeutenden Phyſikern als die wahrſcheinlichere anerkannt, während anderſeits aber auch die unitariſche Hypotheſe Franklins noch ihre Anhänger hat. Wie ſchon erwähnt, hatte der italieniſche Phyſiker Moſotti (in ſeiner 1836 zu Turin erſchienenen Schrift: Sur les forces, qui régissent la constitution des corps) zuerſt die Anſicht ausgeſprochen, daß Gravitation, Aggregation, elektriſche Kraft und elektro-chemiſche Wir— kung ſämtlich einen gemeinſchaftlichen Urſprung haben. Faraday ſchloß ſich dieſer Anſicht an, indem er 1857 im Philosophical Magazine ſich folgendermaßen darüber ausſprach: „Daß eine iſoliert für ſich beſtehende Gravitationskraft exiſtierte, welche keine Beziehung zu den andern Natur— kräften beſitzen ſollte, iſt ebenſowenig anzunehmen, wie ein Prinzip des Leichten gegenüber demjenigen der Schwere. Die Gravitation mag nur ein übrig bleibender Reſt von den andern Naturkräften ſein, wie Moſotti zu zeigen verſucht hat; denn daß dieſelbe ganz außerhalb des Be— reiches einer ferneren Experimentalunterſuchung oder phi— loſophiſchen Schlußfolgerung ſtehen ſollte, iſt nicht wahr— ſcheinlich.“ Moſotti war durch die Erkenntnis der formalen Uebereinſtimmung der Geſetze, nach denen die elektriſche und gravitierende Fernwirkung der Materie ſich vollzieht, auf die Idee des qualitativen Zuſammenhanges der Schwere mit den elektriſchen Kraftwirkungen geführt worden, allein vom Standpunkte der Franklin-Aeginusſchen unita- riſchen Hypotheſe aus vermochte er nicht den Nachweis des phyſiſchen Zuſammenhanges beider Kraftwirkungen zu führen. Dieſer Nachweis iſt erſt dem kürzlich verſtorbenen, hochverdienten Aſtrophyſiker Friedrich Zöllner geglückt, indem derſelbe den Gedanken ausſprach, daß die Moleküle der wägbaren Materie als eine Verbindung von poſitiv und negativ elektriſchen Teilchen betrachtet werden können, wobei die Anziehungskraft zwiſchen den ungleich elektriſchen Teilchen etwas größer ſei, als die Abſtoßungskraft zwiſchen den gleichartig elektriſchen Teilchen und daß dieſe Kraft⸗ wirkungsdifferenz als die Spannkraftswirkung oder uni⸗ verſelle Gravitation auftrete. Von Wilhelm Weber und Kohlrauſch iſt die An— zahl der poſitiven und negativen elektroſtatiſchen Einheiten beſtimmt worden, welche mindeſtens in einem Milligramm Waſſer vorhanden ſein müſſen. Es beträgt dieſe Zahl für jede der beiden Arten der Einheiten nahezu 16 Billionen. Zöllner hat, geſtützt auf dieſes Reſultat, berechnet, um wieviel die attraktive Kraft, welche zwiſchen den in zwei aufeinander wirkenden kugelförmigen Waſſermaſſen ent— haltenen entgegengeſetzten Elektrizitäten ſtattfindet, größer ſein muß, um die attraktive Wechſelwirkung zwiſchen den beiden Maſſen zu erklären, welche thatſächlich als Gravi— tation beobachtet wird. Er hat für dieſen hierzu nötigen Ueberſchuß der elektriſchen Attraktion einen ſo geringen Werth gefunden, daß ein direkter Nachweis desſelben auf elektroſkopiſchem Wege nicht möglich iſt. Dennoch genügt nach Zöllner!) eine ſolche geringfügige Differenz zwiſchen der attraktiven Wechſelwirkung zweier ungleichartiger elek— triſcher Teilchen und der repulſiven Wechſelwirkung zweier gleichartiger elektriſcher Teilchen, um unter der Annahme, daß die Trägheit aller ponderabeln Körper nur aus der Trägheit der in ihnen enthaltenen Teilchen entſpringe, die ganze Mannigfaltigkeit der himmliſchen Bewegungen in Uebereinſtimmung mit den Beobachtungen berechnen zu können. Nach dieſen elektriſchen Theorieen der Materien muß jeder Körper vermöge der in ſeiner Maſſe aufgeſpeicherten elektriſchen Kräfte eine ungeheure Summe von potentieller Spannkraft beſitzen, die — wenn man dieſelbe plötzlich freimachen könnte — die heftigſten Exploſionen erzeugen würde. Von dieſem Geſichtspunkte aus iſt es nicht ohne In⸗ und Kohl rauſch abgeleitete Energie eines meters Waſſer mit den durch Exploſion von Dynamit erzeugten Bewegungsgrößen zu verg Zöllner führt dieſe Berechnung a. a. O. d weiſt damit nach, daß die in der Maſſe von 1 Me Waſſer vorhandene elektriſche Energie bei plötzlicher Entfeſſelung im ſtande wäre, eine Bewegungsgröße zu erzeugen, welche die Exploſion einer Pulverladung von 16,7 kg Pulver bei Fortſchleuderung eines Geſchoſſes von 520 ke aus der größten Kruppkanone zu erteilen vermag. Schw. Neue Theorie des Nordlichtes. Stokes Nat. 613 bis 68. Das Nordlicht iſt eine Lichterſcheinung, die ge— wöhnlich in Geſtalt eines leuchtenden Bogens an dem nördlichen Horizonte auftritt. Der untere Rand des Bo— gens iſt in der Regel ſchärfer begrenzt als der obere, der Scheitel des Bogens liegt nahezu im magnetiſchen Meridian. Zuweilen ſcheint der Bogen aus nach oben gerichteten Strahlen zuſammengeſetzt zu ſein, die über denſelben hin— wandern. Während eines Nordlichtes gerät die Magnet— nadel in ſtarke Schwankungen. Die Häufigkeit der Er— ſcheinung hat eine Periode von 10— 11 Jahren, die mit der der Sonnenflecke zuſammenfällt, und zwar entſpricht einem Maximum der Flecke auch ein Maximum des Nord— lichts und umgekehrt. Theorieen über dieſe ſoeben kurz geſchilderte Erſchei— nung ſind aufgeſtellt von de la Rive und Prou (Comptes rendus 1872). Dieſelben faſſen das Nordlicht als eine elektriſche Erſcheinung der Atmoſphäre auf. Die Elektrizität wird durch die Aequatorialſtröme nach den Polen geführt, wo ſich nach de la Rive die poſitive Elektrizität dieſer Strömungen mit der negativen der Erde beim Zuſammentreffen mit dem Polarſtrom ausgleicht und das Nordlicht hervorruft. Nach Prou iſt die Region der Cirro-Cumuli oder Eisnadelgewölke diejenige Luftſchicht, in der die Ausgleichung der verſchiedenen Elektrizitäten durch geräuſchloſes Ausſtrömen das Nordlicht veranlaßt. Silbermann (Comptes rendus, février 1872) will die Erſcheinung durch atmoſphäriſche Flutwellen erklären, die durch Einwirkung des Mondes und andrer Himmels— körper entſtehen. Nach Zehfuß (Phyſikaliſche Theorie des Nordlichts, Frankfurt a. M. 1872) iſt die Erſcheinung des Nordlichts an ein materielles Subſtrat geknüpft, das er in den der Erdkugel zuweilen nahetretenden Meteor— ) Erklärung der univerſellen Gravitation aus den ſtatiſchen Wir⸗ kungen der Elektrizität von Friedrich Zöllner. Leipzig, 1882. 418 Humboldt. — November 1882. * maſſen von gaſiger oder ſtaubförmiger Subſtanz gefunden haben will. Stokes ſtellt nun folgende neue Theorie auf: Wird ein Teil der obern Schichten der Atmoſphäre aus irgend einem Grunde poſitiv elektriſch geladen und an einer andern Stelle negativ, ſo wird negative reſp. poſitive Elektrizität an den darunterliegenden Orten der Erdoberfläche durch Induktion gebunden. Bei genügend ſtarker elektromotoriſcher Kraft wird die Entladung zwiſchen Erdoberfläche und geladener Luftſchicht durch die Luft ſtattfinden; es ſind dies die Entladungen, die wir beim Gewitter beobachten. Iſt jedoch die elektromotoriſche Kraft nicht ſtark genug, ſo kann ein Ausgleich zwiſchen den ent⸗ gegengeſetzten Elektrizitäten in den höheren Luftſchichten ſtattfinden, eine Erſcheinung, die wir nach Stokes bei dem Nordlicht finden. Da bei der dünneren Luftſchicht eine geringere Potentialdifferenz ſtattfinden kann, ſo iſt eine Entladung durch große Räume möglich. Zu gleicher Zeit wird aber auch ein Ausgleich zwiſchen den auf der Erde freiwerdenden Elektrizitäten ſtattfinden und dieſes ſich durch den Einfluß auf die Magnetnadel bemerk⸗ bar machen. Das Fortſchreiten der Strahlen des Nord⸗ lichts klärt Stokes, indem er annimmt, daß eine ‘grip Strecke der Luft ziemlich gleichförmig mit einer geri} Elektrizität geladen fet, die die entgegengeſetzte auf de “2 bindet, welche wiederum bindend auf die der Luftſch zurückwirkt, und zwar ſo, daß die Verteilung ziemlich gleichmäßige iſt, ausgenommen am Rande die Wahrſcheinlichkeit einer Entladung gegen andre ſchichten am größten iſt. Findet nun eine ſolche ng vom Rande aus gegen die höheren dün⸗ ner ichten ſtatt, ſo wird das Gleichgewicht geſtört hir in Fortſchreiten der Entladung, und zwar immer vom Rafide aus ſtattfinden und hiermit eine Bewegung der Strahlen des Nordlichts. Das Zuſammenfallen der Häufigkeit der Nordlichter mit der der Sonnenflecke ſucht Stokes durch die Entſtehung der Flecke zu erklären. Er nimmt an, daß ein Sonnenfleck durch den Ausbruch wär⸗ merer Sonnenmaterie hervorgerufen wird. Es muß dann eine Vermehrung der Wärmeſtrahlung, und zwar gerade in dem ultravioletten Teil des Wärmeſpektrums ſtattfin⸗ den, das von unſrer Atmoſphäre am meiſten abſorbiert wird. Die oberen Luftſchichten werden ſomit ſtärker er⸗ wärmt, ſo daß die elektriſche Leitungsfähigkeit vermehrt wird und eine Entladung leichter eintreten kann. Vor allem iſt natürlich bei dieſer Theorie wichtig, durch Tem⸗ peraturmeſſungen feſtzuſtellen, ob zur Zeit des Maximums und Minimums ein Unterſchied in der Wärmeſtrahlung wahrzunehmen iſt. B. Ein erdmagnetiſches ObfervatéMum. Unter den Problemen, welche in der jüngſten Zeit beſonders die Naturwiſſenſchaft beſchäftigt haben, ſteht die Theorie des Erdmagnetismus obenan; ſteht doch die Wichtigkeit der Erſcheinungen des Erdmagnetismus für die phyſiſchen Ver⸗ hältniſſe der Erde ſchon lange feſt, und ſeit der Entdeckung des Zuſammenhangs zwiſchen ihm und den auf der Sonne ſich vollziehenden Vorgängen haben dieſelben auch kosmiſche Bedeutung gewonnen. Mag uns darum der Erdmagnetismus in der wech⸗ ſelnden Form des Polarlichts, in den Schwankungen der Magnetnadel, in den Perturbationen der Telegraphen⸗ leitungen entgegentreten, ſtets fordert er zur Forſchung heraus. Und wohl nirgends mehr als in dem nördlichſten aller europäiſchen Kulturſtaaten, in Norwegen. Bei ſeiner mächtigen Längserſtreckung von Süd nach Nord nähert ſich dies Land dem Pol mehr als irgend ein andres; es liegt dem Zentrum der magnetiſchen Störungen ſehr nahe, macht einen bedeutenden Teil der Zone größter Häufigkeit des Nordlichts aus und bietet durch ſein weitverzweigtes Telegraphennetz ein reiches Material zu Beobachtungen über magnetiſche Störungen, deren Wirkſamkeit zu er⸗ kennen auch die unter den Einrichtungen ihrer Art am nördlichſten gelegenen Telephonleitungen von Drontheim und Bergen weſentliche Dienſte leiſten können. Der Gedanke, daß Norwegen mehr wie jedes andre Land Europas dazu beſtimmt ſei, zur Aufklärung der noch in jo mancher Beziehung fraglichen norwegiſchen Erſchei⸗ nungen beizutragen, liegt äußerſt nahe; ihn zuerſt gefaßt, oder wenigſtens ihm folgend, zuerſt einen Verſuch zur wiſſenſchaftlichen Erforſchung hierher ſchlagender Fragen gemacht zu haben, iſt das Verdienſt des norwegiſchen For⸗ ſchers Sophus Tromholt. Nachdem derſelbe zum erſtenmal im Jahre 1878 die Aufforderung zu Nordlichtbeobachtungen an ſeine Lands⸗ leute erlaſſen hatte und derſelben in freundlichſter Weiſe entſprochen worden war, indem ihm im Winter 1879/80 Mitteil. v. 839 Beobachtungen v. 154 Nordlichtern v. 132 Stat. 1850,81 600 5 „249 5 i 1881,52 „5200 „ 300 „ 675 zugingen; nachdem er zum ſelben Zweck die Veranlaſſung gegeben, daß heute auf etwa 50 norwegiſchen Telegraphen⸗ ſtationen die Leitungsſtörungen nach Zeit, Stärke, Rich⸗ tung u. ſ. w. notiert werden; nachdem er endlich durch mehrere Schriften über fragliche Punkte des Erdmagne⸗ tismus Aufklärung zu geben verſucht hat, geht Tro m= holt jetzt mit dem Plane um, der Regierung die Errich⸗ tung eines Inſtituts zur Erforſchung der erdmagnetiſchen Erſcheinungen vorzuſchlagen, um ſo eine genauere und vollkommenere Beobachtung dieſer Verhältniſſe herbeizu⸗ führen, als ſie je ein einziger Mann würde leiſten können, zumal wenn, wie es bei Tromholt der Fall iſt, der größte Teil ſeiner Arbeitszeit Arbeiten andrer Art ge⸗ widmet iſt. Als höchſt paſſend zur Errichtung dieſer Anſtalt ſchlägt Tromholt Drontheim vor, das bei ſeiner nördlichen Lage äußerſt geeignet zur Beobachtung der dort ſchon in großer Zahl auftretenden Nordlichter iſt. Was die bauliche Einrichtung des Inſtituts betrifft, ſo iſt dasſelbe mit hinreichenden Räumen zur Aufnahme der Inſtrumente, einem Arbeitsſaal, ſowie mit einem Turm auszuſtatten, der mit einer Plattform verſehen iſt, außer⸗ dem aber auch ein Zimmer enthält, das nach allen Seiten freie Ausſicht gewährt. Es ſoll dies Inſtitut einmal ſelbſt ſo viel als möglich die erdmagnetiſchen Erſcheinungen, alſo beſonders die Nord⸗ lichter, ſeiner Beobachtung unterziehen, dann aber auch die Beobachtungen, welche in andern Teilen Nord⸗Europas ſo⸗ wie auf den die arktiſchen Meeresteile befahrenden Schiffen gemacht werden, ſowie die Notizen über die in Norwegen beobachteten magnetiſchen Störungen der Telegraphen⸗ leitungen ſammeln, kontrollieren und zuſammen mit den ſich aus dieſem Materiale ergebenden Schlüſſen veröffent⸗ lichen. Zur leichteren Regiſtrierung der in den Telegraphen⸗ leitungen auftretenden Störungen hat übrigens Trom⸗ holt einen beſonderen Apparat konſtruiert, der dieſelben nach Zeit, Stärke u. ſ. w. vermerkt; es wird derſelbe bald⸗ möglichſt in eine Norwegen in einer Länge von etwa 1400 km durchziehenden Telegraphenlinie während der Nacht, wo dieſelbe nicht im Dienſt benutzt wird, dagegen am Tage in eine dazu beſonders einzurichtende gleich lange Telephonleitung eingeſchaltet werden. Beiläufig ſei noch erwähnt, daß Tromholt ſich im kommenden Winter in Kautokeino in Finnmarken auf⸗ halten wird, um dort gemeinſchaftlich mit der etwa 100 km weiter nördlich gelegenen norwegiſchen Polarſtation Boſekop Beobachtungen über das Nordlicht, beſonders über die Parallaxe desſelben, anzuſtellen. Wir brauchen wohl nicht erſt anzudeuten, wie freudig die Nachricht der Verwirklichung von Tromholts Idee der Errichtung des erdmagnetiſchen Obſervatoriums ſeitens der geſamten wiſſenſchaftlichen Welt begrüßt werden würde; es würde damit zugleich ein ſchwacher Dankeszoll abge⸗ tragen, den die norwegiſche Nation ihrem Landsmann für die Arbeit ſchuldet, der er ſich im Dienſt der Wiſſenſchaft zur Ehre ſeines Vaterlands unterzogen. (Nature, 6. Juli 1882). Be. Humboldt. — Movember 1882. Chemie Neue Darſlellungsweiſe von künſllichem Vanillin. Die Herren Tiemann und Haarmann, Entdecker des künſtlichen Vanillins, des aromatiſchen Stoffes der Vanille- ſchote, bedienten ſich zur Herſtellung desſelben eines Glu— koſides der Koniferen, des Koniferins. Es wurde dann auch aus verwandten Stoffen erhalten. Die Farbwerke, vormals Meiſter, Lucius und Brüning in Höchſt a. M., haben ſich nun folgendes neue Verfahren zur Herſtellung von Vanillin patentieren laſſen: Metamidobenzaldehyd wird diazotiert, durch Zerſetzung mit Waſſer in Metaoxy⸗ benzaldehyd, weiter durch Nitrieren und Methylieren in Paramidometamethoxylbenzaldehyd Ce Hs. N O2. OCHs. CHO verwandelt. Darauf wird die Nitrogruppe amidiert, diazo— tiert und mit Waſſer zerlegt, wobei fic) Pargaoxymeta⸗ methoxylbenzaldehyd oder Vanillin CHs. OH. OCH s. CHO bildet. iB: Vollets Bürette iſt (nach dem Moniteur de la Photographie) anſtatt der gebräuchlichen Klemme mit einer im Gummirohr befindlichen Glaskugel verſehen, wie die beiſtehende Fig. 1 im Durchſchnitt des Rohres erkennen Fig. 2. Fig. 3. läßt. Bisher war es zuweilen üblich, ein Stückchen von einer ſoliden Glasſtange in das Gummirohr einzu— ſchieben, um eine Art Ventilverſchluß herzuſtellen; die Glaskugel iſt jedoch bequemer, weil ſich dieſelbe dichter im Rohre einklemmt und ſicherer an ihrem Platze bleibt, da— bei aber doch, wenn es gewünſcht wird, ſehr leicht an jede beliebige Stelle des Rohres geſchoben werden kann. Will man die im Bürettenrohre befindliche Flüſſigkeit tropfen— weis oder in einem feinen Strahle ausfließen laſſen, ſo braucht man nur das Gummirohr an der Stelle, wo die Glaskugel ſitzt, leicht zuſammenzudrücken, und zwar ſo, als wollte man die Kugel fortſchnellen, wie Fig. 2 illuſtriert; es bildet ſich dadurch nach der Hand zu eine Art Schneppe, wie aus dem Querſchnitt Fig. 3 erſichtlich iſt, deren Oeff— nungsweite man ſehr bequem regulieren kann, um den gewünſchten Ausfluß zu erhalten. Schw. 419 Aeber die BWirkfamkeit der gebräuchlichſten Des- infeRtionsmittef finden ſich in den Mitteilungen des Kaiſerlichen Geſundheitsamtes, Berlin 1882, höchſt wichtige und mittels äußerſt ſorgfältiger und geiſtreicher Methoden angeſtellte Unterſuchungen von Dr. Robert Koch, dem Entdecker der Tuberfulofebacillen, deren Reſultate von hoher praktiſcher Bedeutung ſind und im folgenden kurz mitgeteilt werden ſollen: 1) Karbolſäure. Eine 2prozentige Löſung wurde bisher vom Chirurgen ꝛc. als ganz ſicher wirkendes Des— infektionsmittel betrachtet. Milzbrandſporen aber, oder andre ebenſo widerſtandsfähige Infektionskeime büßen ſelbſt nach dreitägiger Einwirkung obiger Löſung noch keine Spur ihrer giftigen Eigenſchaften ein. Eine Iprozentige Löſung übt ſelbſt nach 15 Tagen noch keine Wirkung aus. Da— gegen vernichtet 5prozentige Karbollöſung die Sporen mit Sicherheit, aber erſt am zweiten Tag. Da nun aber nur ſelten eine ſo große Desinfektionsdauer angewendet wird und im allgemeinen bei der verſchiedenartigen Beſchaffen— heit der betreffenden Objekte eine unfehlbare Berührung mit der Löſung nur in wenigen Fällen ſtattfindet, ſo muß offenbar die Konzentration erheblich ſtärker ſein, mi deſtens 10prozentig. Dadurch aber werden Koſtenſteiger: J und beſchränkte Anwendbarkeit wegen ſtörender Wirk kräf⸗ tiger Karbollöſung der Verwendung der Karbe se als allgemeines Desinfektionsmittel einen Dam tgegen— ſetzen. Handelt es fic) dagegen nicht um V Dauerkeimen, ſondern um lebende Bakterien, von großem Nutzen ſein. Eine zwei Minut wirkung von 1prozentiger Karbollöſung tot bacillen vollſtändig. Die Grenze, bei welcher wirkung unſicher wird und ſchließlich aufhört, Vi 0,5 und 0,25 Prozent. : Um zu prüfen, ob gasförmige Karbolſäure bei gewöhn⸗ licher Temperatur desinfiziert, wurde Erde, die mit Ba— cillenſporen verſetzt war, Karboldämpfen ausgeſetzt; die Erde, die ſchon nach den erſten Tagen ſtark nach Karbol roch, ergab auch nach 45tägiger Einwirkung jedesmal üppige Bakterienwucherungen, wenn ſie auf Nährlöſung ausgeſtreut wurde. Man ſieht hieraus, wie wenig man ſich auf dieſes Mittel verlaſſen kann und wie manche Illuſion von ſicheren antiſeptiſchen Verfahren man aufzu— geben genötigt wird. Zwar wirkt bei hohen Temperaturen (55—75°C.) die Karbolſäure zerſtörend; aber da bei einem Verſuche die Temperatur von 75°C. mit der Karbolſäure bei zweiſtündiger Einwirkung noch nicht im ſtande war, die Keime vollſtändig zu vernichten, ſo erhellt hieraus die praktiſche Unanwendbarkeit auch dieſes Verfahrens. Behandlung von Bakterienkeimen mit Kalkmilch, in die 5prozentige Karbolſäure gebracht wurde, hatte gleichfalls keinen günſtigen Erfolg. Ebenſo ging es mit Karbolſäure 5prozentig in Oel oder Alkohol; auch nicht die geringſte desinfizierende Wirkung wurde erzielt. „Und welch feſtes Vertrauen die Chirurgie auf die ſicher desinfizierende Wirkung des Karbolöls ſetzt, weiß jeder“, ruft Koch aus. Selbſt die am leichteſten zu tötenden Mikroorganismen werden, wenn trockene Gegenſtände mit Karbolöl behan— delt werden, nicht vernichtet. 2) Schweflige Säure. Eine große Menge von Verſuchen, unter allen Kautelen angeſtellt, erwies, daß auch dieſes Mittel durchaus nicht zuverläſſig die fraglichen Mikroorganismen vernichtet, nur ſporenfreie Bakterien wer— den durch ſchweflige Säure (0,9 Volumprozente) getötet, und zwar in feuchtem Zuſtand nach einer Einwirkung von 2 Minuten, trocken dagegen erſt nach 20 Minuten. Sporen— haltige Kartoffelbacillen und Milzbrandſporen verloren ihre giftige Wirkung nicht, auch wenn ſie tagelang in Räumen gehalten wurden, die mit ſchwefliger Säure „des— infiziert“ waren. Nicht der geringſte Effekt wurde erzielt, auch wenn der Säuregehalt geſteigert wurde. Wurden die in der Praxis üblichen Desinfektionsverfahren thunlichſt nachgeahmt und in einem Zimmer Schwefel verbrannt, daß der Gehalt 2,89, nach 48 Stunden 0,01 Volumprozent betrug, und wurden nun mit Bakterien beſetzte Kartoffel— ſcheibchen, Pakete aus Watte oder Werg, in die ſporenfreie 420 Humboldt. — November 1882. as Bakterien, Micrococcus prodigiosus, Bakterien des blauen Eiters und der Roſahefe eingewickelt waren, in dieſes Zimmer gebracht und ferner Milzbrandſporen, Heubaeillen⸗ ſporen und ſporenhaltige Erde aufgeſtellt, ſo ergab ſich nach zwei Tagen, daß ſämtliche ſporenhaltige Objekte nicht im mindeſten an ihrer Entwickelungsfähigkeit verloren hatten. Wurde die ſchweflige Säure zugleich mit Waſſerdämpfen angewandt, ſo erſchien das gleiche Reſultat. Demgemäß hat a ſchweflige Säure keinen eigentlichen Desinfektions⸗ wert. 3) Chlorzink. Auch dieſes vielgeprieſene Des⸗ infektionsmittel, das ſchon in Verdünnung von 10 noch zuverläſſig wirken ſoll, zeigte ſelbſt bei 5prozentiger Löſung keine zerſtörende Wirkung auf Milzbrandſporen, welche einen Monat lang in derſelben gelegen hatten. Nicht ein⸗ mal eine irgendwie erhebliche Entwickelung hemmende Wir⸗ kung kann dem Chlorzink zugeſchrieben werden. So waren alſo drei bisher allgemein gebräuchliche Mittel als nahezu veſp. gänzlich wirkungslos erwieſen. Koch ſtellte nun mit einer großen Anzahl von Subſtanzen Desinfektionsverſuche an, indem er überall die Wirkung auf Milzbrandſporen eruierte, da einerſeits die Beurteilung ihrer Entwickelungsfähigkeit raſch und ſicher auszuführen iſt und anderſeits bei der ſchweren Zerſtörbarkeit dieſer Keime eine genügende Sicherheit für die Wirkung eines Des⸗ infektionsmittels gewonnen iſt, wenn ein günſtiges Reſultat ſich ergeben ſollte. Au n vielen Angaben ſeien folgende hervorgeho⸗ ders erhebliche Wirkung zeigte Terpentinöl; ger Einwirkung erfolgten nur vereinzelte aber twicklungen, nach 5 Tagen keine mehr, ſo daß einſtweilen die Hoffnung hegen darf, das Terpentinöl ch vielleicht in irgend einer Form als Desinfektions⸗ mittel verwenden laſſen. Chlor, Brom, Jod, Sublimat, Osmiumſäure und über⸗ manganſaures Kali töteten die Milzbrandſporen ſchon innerhalb der erſten 24 Stunden, letzteres allerdings in 5prozentiger Löſung. Salzſäure (2prozentig), Schwefel⸗ ſäure (1prozentig), konzentrierte Löſungen von Chlor⸗ natrium und Chlorcalcium, faſt ſämtliche angewandte Metallverbindungen, Borſäure, Borax, chlorſaures Kali, Benzoeſäure, benzoeſaures Natron, Zimtſäure, Chinin u. a. übten wenig oder keine Wirkung aus. + benjalls wichtig find Kochs Experimente über den entwickelungshemmenden Einfluß einiger Subſtanzen. So hielten äußerſt geringe Mengen von Allylalkohol die Ent⸗ wickelung von Milzbrandſporen auf; erſt nachdem letztere in andre Nährlöſungen gebracht und der Allylalkohol ver⸗ dunſtet war, traten die Bacillenvegetationen auf. Gleiches Reſultat wurde mit verdunſtendem Senföl gewonnen; in Verdünnungen von 1: 330,000 wurde das Wachstum gehindert, bei 1: 33,000 vollſtändig aufgehoben. Dieſe Eigenſchaft dürfte das Senföl zur Konſervierung von Nahrungsmitteln ꝛc. geeignet machen. Aehnlich ver⸗ hält ſich Thymol, Pfeffermünzöl, Terpentinöl, arſenikſaures Kali u. a. Die weiteren Verſuche über die beiden von Koch als kräftige Desinfektinnsmittel erwieſenen Subſtanzen Brom und Sublimat haben zum Teil ſehr wichtige Reſultate ergeben: Brom tötet die Sporen in 24 Stunden, ſowohl wenn es gasförmig, als auch wenn es in Waſſer gelöſt verwendet wird; die allgemeine Anwendung dieſes Mittels auch im großen dürfte aber wegen des hohen Preiſes des Broms nicht ausführbar ſein. In Fällen nun, wo die giftigen Eigenſchaften des Sublimats nicht hindernd in den Weg treten, muß nun nach Koch auf dieſes in der letzten Zeit ſelten angewandte Mittel — denn man ver⸗ ließ ſich auf Karbol 2. — zurückgegangen werden. Die außerordentliche Einwirkung des Sublimats auf Milzbrand⸗ und Bacillenſporen geht aus folgendem hervor: Eine ein⸗ malige Benetzung mittels des Sprayapparates mit 1% Löſung hatte ſämtliche Keime vernichtet. In Verdün⸗ nungen von 1: 20,000 genügte ein 10 Minuten langes Ein⸗ legen; die Wirkung hörte erſt auf bei 1: 50,000. Andre Verſuche haben aber ergeben, daß bei einmaligem Benetzen ein ſicheres Reſultat erſt mit 1: 5000 ſtarken Löſungen erzielt wird. Da dieſes jedenfalls in der Praxis wichtig werdende Mittel ſofort nach der Applikation (/ % Stunde) wieder abgeſpült werden kann, ſo dürften auch ſeine gif⸗ tigen Eigenſchaften in ſehr vielen Fällen nicht hindernd in den Weg treten. Das Sublimat würde ſich außerdem erheblich billiger ſtellen als Karbolſäure. Injektionen mit Sublimat dagegen, die an Meer⸗ ſchweinchen vorgenommen wurden, hatten keinen Erfolg; die Tiere wurden mit Milzbrandſporen geimpft und ſtarben ſämtlich am unzweifelhaften und ungeſchwächt auf⸗ tretenden Milzbrand. Rb. e at uate PWrahiftorifhe Pflanzen aus Angarn. Die Tropf⸗ ſteinhöhle „Baradla“ bei Aggtelek im Gömörer Komitate in Ungarn, wohl die größte europäiſche Höhle, liegt im Triaskalke; ſie hat in ihren Verzweigungen eine Geſamt⸗ länge von 7963 m. In der „Knochenkammer“ findet ſich eine etwa 1½% m mächtige Kulturſchicht und in dieſer Topfſcherben, Bronzegegenſtände und Tierknochen. Auch menſchliche Schädel und Skelette wurden gefunden. Die Bewohner dieſer Höhle haben ſich hauptſächlich von Pflanzen⸗ koſt genährt; neben jedem Skelette ſtand am Kopfende ein mit Getreide gefülltes Gefäß. Es wurde alſo ſchon in der Steinzeit bei Aggtelek Feldwirtſchaft getrieben; doch mögen die Ackergeräte von höchſt primitiver Beſchaffenheit geweſen ſein. Prof. Deininger unterſchied die Samen von folgenden Kulturpflanzen: Triticum sativum (vulgare) in größter Menge; die Samen gleichen nicht den von Heer aus den Pfahlbauten beſchriebenen Weizenſamen, unterſcheiden ſich aber wohl nicht von der jetzt kultivierten gewöhnlichen Art. Triticum vulgare. Die ſehr kleinen, tief gefurchten Körner ſtimmen mit Heers Tr. vulgare antiquorum aus den Pfahlbauten überein. Sie ſind ſelten und ſcheint die Kultur die vorige Art ſchon hervorgebracht zu haben, zumal zwiſchen beiden Körnerſorten ſich noch eine inter⸗ mediäre Form fand. : Triticum monococcum, das Einkorn, fand fic) nur in wenigen Körnern vertreten. Es unterſcheidet ſich nicht von der jetzt noch dort gebauten Art, doch ſind die rezenten Samen etwas länger und breiter. Panicum miliaceum. Die Körner der Hirſe waren ſehr zahlreich, doch meiſt ſchon zermahlen; ſie zeigten ſich etwas kleiner als die der Pfahlbauten und ſtimmten beſſer mit der rezenten Art. Die Körner gehören nach Dei⸗ ninger nicht zur grauen oder ſchwarzen Varietät, da an der Palea inferior die ſieben Rippen fehlen, ſondern auch ihrer mehr kugeligen Geſtalt wegen wohl eher zur weißen oder gelben Varietät. Die Samen hatten zum Teil ſchon gekeimt und war dann der Keim herausgefallen. — Das Vorkommen der Hirſe verweiſt auf ein dem jetzigen ähn⸗ liches Klima. Hordeum spec, nackte Gerſte. Die Spelzen fehlen. Obgleich das Korn etwas kleiner iſt als das Robenhauſener, fo ſtimmt es doch gut mit Heers Hordeum hexastichum sanctum überein. Ob die Gerſte ſechszeilig geweſen iſt, bleibt fraglich; doch findet ſich nach Vogt in den älteſten menſchlichen Niederlaſſungen nur ſechszeilige Gerſte; die zweizeilige ſei ein Produkt der neueren Zeit. Lathyrus sativus. Die Samen der Platterbſe finden ſich in größter Anzahl, doch ſind ſie kaum halb ſo groß, als die jetzt gewöhnlich kultivierte Form; nur bei Sevilla in Spanien wird eine Platterbſe gebaut, welche kaum größer iſt als die Aggteleker. Vicia Faba Celtica, die Saubohne, kommt ſeltener vor. Sie ſtimmt mit der Art aus den Pfahlbauten von Montalier, doch iſt ſie kleiner. Unter den 40 aufgefun⸗ denen Samen zeigen 10 (= 25 Prozent) die Spuren des Erbſenkäfers (Bruchus). Dieſer Käfer war alſo ſchon in jener Zeit häufig und iſt alſo nicht, wie wohl behauptet wurde, im vorigen Jahrhundert aus Amerika eingewandert. Pisum sativum. Von der Erbſe fanden ſich nur Humboldt. — November 1882. 421 wenige Körner; dieſe ſind aber nicht kugelig, ſondern etwas länglich und auch kleiner als die kleinſte jetzt kultivierte Art. Auch hier waren einige von Bruchus angegriffen worden. Ervum Lens. Die Samen der Linſe waren ſelten. Sie waren der kultivierten kleinen ſchwarzen Linſe ähnlich, doch noch kleiner, kleiner ſelbſt noch als die Linſe der Bronzezeit der Inſel Peter. Camelina sativa, der Leindotter, war in einer grö— ßeren Anzahl von Samen vertreten, doch waren dieſelben etwas kleiner als die jetzt kultivierten Samen des gewöhn— lichen Leindotters. Noch wurden die Samen der folgenden Unkräuter gefunden: Setaria viridis Beauv., Sideritis montana L., Rumex obtusifolius L., Polygonum Convolvulus L., P. lapathifolium L., Chenopodium hybridum L., Hi- biscus Trionum L., Galium Aparine L., G. verum L., G. palustre L., Amaranthus retroflexus L., Sambucus Ebulus L., ſowie noch etwas fraglich von Salvia pra- tensis L. und Plantago lanceolata L. Dagegen fehlen die Samen der Kornrade (Agrostemma Githago) und der Kornblume (Centaurea Cyanus), welche bei Roben— hauſen gefunden wurden. Dies deutet auf eine ſpätere Einwanderung. Unter dieſen Funden zeigte ſich auch ein fauſtgroßes Stück verkohltes Brot, wohl Weizenbrot, welches von einer etwa 1,5—2 em dicken Rinde von Leindotterſamen ume | geben war, welche beim Backen ihren Oelgehalt in das Mehl eindringen ließen. In andren Brotkrumen fand Deininger noch vollſtändig erhaltene Hirſekörner. Auch Heer beobachtete in Robenhauſen ähnliche Brote und in dieſen Weizenkörner und Leinſamen eingeſtreut. Die un⸗ gariſchen Samen, welche kleiner und unvollſtändiger ſind als die Robenhauſener oder Moosſeedorfer Reſte, deuten nach Deininger darauf hin, daß dieſe erſteren höheren Alters ſind. Noch wurden in Ungarn und Siebenbürgen eine Reihe andrer Fundſtätten entdeckt, welche neben einer Anzahl der genannten Sämereien auch in dem Lehm der Gebäude und Feuerherde eingemengte Weizenſpelzen, bei Töſzeg (im Gegenſatz zu der bei Aggtelek gefundenen nackten Gerſte) auch noch in ihre Spelzen eingeſchloſſene Körner, im Szädelöer Thale auch zahlreiche Körner des Roggens, Secale cereale, enthielten. Mor. Staub, Prähiſtoriſche Pflanzen aus Ungarn in Engler, Botaniſche Jahrbücher 1882, Bd. III, Heft 3, p. 281— 87, mitgeteilt aus dem Werke des Baron E. Nyäry, „A2 ageteleki barlang mint öskori temeté“ (Die Aggte— leker Höhle als urweltlicher Friedhof), heraus⸗ gegeben von der ungariſchen Akademie der Wiſſenſchaften. Budapeſt 1881. Glr. Maſtikgewinnung. Ueber die Gewinnung dieſes im Orient als Kaumittel und zur Bereitung des Maſtix— ſchnapſes unentbehrlichen Harzes gibt Bergrat vom Rath in der Beſchreibung ſeiner vorjährigen Reiſe nach Paläſtina intereſſante Notizen. Die Produktion iſt faſt ausſchließlich auf Chios beſchränkt; früher war ſie überhaupt nur einer Anzahl von Dörfern dort geſtattet, deren Bewohner ihre Ernte dem Sultan abliefern mußten; dafür zahlten ſie nur das halbe Kopfgeld und durften weiße Turbane tragen wie die Muſelmänner. Heute iſt der Anbau frei, trotzdem noch immer auf Chios beſchränkt. Der Maſtixbaum ijt nämlich in ſeinem Ertrag ſehr verſchieden, nur beſtimmte Bäume geben einen reichen Harzertrag; auf Chios hat man ſeit alten Zeiten nur die harzreichſten Bäume durch Ableger fortgepflanzt und dadurch ſo veredelt, daß andern Gegenden in Kleinaſien eine Konkurrenz nicht mehr mög— lich iſt. Die Gewinnung erfolgt ganz wie beim Manna in Sizilien; man macht einige Querſchnitte in den Stamm und läßt das ausfließende Harz auf dem Boden trocknen. Ko. ee e e Der Stichling als geologiſcher Zeuge. Neuerdings (vergl. dieſe Zeitſchrift S. 46) iſt viel über eine frühere Landüberbrückung des Mittelmeeres von Spanien nach Marokko und von Sizilien nach Tunis geſchrieben worden. In der Pariſer Akademie iſt dieſer Gegenſtand ausführlich erörtert worden. Außer geologiſchen ſind es namentlich zoogeographiſche Thatſachen, welche nur durch die An— nahme jener Ueberbrückung eine ungezwungene Erklärung finden. Die geographiſche Verbreitung des gemeinen dreiſtachligen Stichlings (Gasterosteus aculeatus) reiht ſich an dieſe Thatſachen als ein ganz beſonders intereſſanter Fall. Die genannte Fiſchart iſt am zahlreichſten und am kräftigſten entwickelt an den Küſten und in den ſüßen Gewäſſern des nördlichen Europas und Amerikas und tritt hier als große, ſchlanke Abart mit völlig gepanzerten Seiten und langen Stacheln auf, der ſogenannte Gaster— osteus trachurus oder rauhſchwänzige Stichling. Dieſe Abart geht in den europäiſchen Meeren etwa bis zum 48.“ n. Br., weiter nach Süden, alſo auch im Mittel- meer fehlt der Stichling im Salzwaſſer vollſtändig. Da— gegen findet ſich im Süßwaſſer vom Norden Deutſchlands und Frankreichs an bis zum Süden Spaniens und Italiens eine kleinere, als Gasterosteus leiurus oder glattſchwän— ziger Stichling beſchriebene Abart, welche faſt ganz unbe— panzerte Körperſeiten und viel kürzere und ſchwächere Stacheln beſitzt. Im Norden ihres Verbreitungsbezirkes iſt dieſe Varietät durch zahlreiche Uebergangsſtufen mit der gepanzerten nordiſchen Abart verbunden; je weiter man aber nach Süden kommt, um ſo mehr entfernt ſie ſich in ihrer Geſtalt von jener und der italieniſche Süßwaſſer⸗ ſtichling iſt jo verſchieden von dem Gasterosteus trachurus des Nordens, daß er nicht einmal halb ſo groß wird und von jedem Zoologen, der die Mittelſtufen nicht vor ſich hat, als eigne Art beſchrieben werden müßte. Nach der Entdeckung von Playfair, und Letourneux kommt nun eine dem italieniſchen Stichling ſehr naheſtehende Form des Gasterosteus aculeatus im Süßwaſſer von Algerien vor, was bei dem völligen Fehlen des Stichlings im Mittelmeer nur durch die frühere Exiſtenz einer Land— verbindung zwiſchen Italien und Algerien erklärt werden kann. Vom darwiniſtiſchen Standpunkt aus iſt ferner un— zweifelhaft, daß die Süßwaſſerform des Stichlings von der nordiſchen marinen Form abſtammt und ſich aus dieſer durch Anpaſſung an das Süßwaſſerleben entwickelt hat. Dieſe Umwandlung und die Wanderung des Stich— lings im Süßwaſſer von den Küſten der nördlichen Meere bis nach Algerien muß alſo ſchon beendet geweſen ſein, bevor die Landverbindung zwiſchen dem ſüdweſtlichen Europa und Nordafrika abgebrochen wurde. Sollte es einſt gelingen, den Zeitpunkt dieſer Abtrennung genau feſtzuſtellen, ſo hätten wir in unſrem Falle einen Maß⸗ ſtab für die Länge der Zeit, welche zur Ausbildung einer wohlunterſchiedenen Varietät oder, wenn man will, zur Bildung einer neuen Spezies erforderlich war. Hnek. Milzbrandimpfung. In der Sitzung der fran- zöſiſchen Akademie vom 22. Mai berichteten die Herren Arloing, Cornevin und Thomas über weitere Experi— mente, aus denen hervorgeht, daß die Impfung einer trächtigen Kuh auch das Kalb vollkommen ſchützt; ob die Wirkung auch über die eine Trächtigkeitsperiode hinaus ſchützt, iſt noch nicht ſicher zu beſtimmen, doch ſcheint es jo, denn auch die Kälber von Kühen, welche erſt 5/2 Monate nach der Inokulation beſprungen wurden, zeigten ſich völlig immun gegen friſches Milzbrandgift. (La Natura- liste Nr. 18.) Ko. Geographie. Das Atlasſyſtem. In der Monatsſchrift „Deutſche Rundſchau für Geographie und Statiſtik“ veröffentlicht Dr. Joſef Chavanne, der vorzügliche Kenner Afritas, einen längeren Aufſatz über das Atlasſyſtem, deſſen Haupt— gedanken wir wegen der über jenes Gebirge noch ſo mannigfaltig verbreiteten Irrtümer, denen der Verfaſſer in eingehender Weiſe entgegentritt, hier mitzuteilen uns nicht verſagen können. 422 Humboldt. — November 1882. Der Atlas iſt kein zuſammenhängender Gebirgszug, wie ihn die meiſten Lehrbücher der Geographie darzuſtellen pflegen, ſondern ein Syſtem von Bergketten, Hochplateaus und iſolierten Bergmaſſen, die den Nordrand Afrikas vom Kap Nun bis zum Kap Bon durchziehen. Daher iſt es auch notwendig, von einer Generaliſierung des Gebirgs⸗ zuges abzuſehen und nur drei Partieen zu unterſcheiden, welche durch Aufbau und Gliederung der Formen ſich in charakteriſtiſcher Weiſe voneinander unterſcheiden. Die charakteriſtiſche Form einer Hauptkette hat nur der weſt⸗ liche Zug, er hat auch die größte abſolute Höhe und iſt begleitet von mehreren mehr oder weniger gleichlaufenden Parallelketten, ſo daß er als der eigentliche Zentralzug erſcheint. Der Hauptkamm beginnt am Kap Ghir und endet, von Weſtſüdweſten nach Oſtnordoſten ſtreichend, am Gebirgsknoten des Dſchebel Aiaſchin; er bildet auf ſeiner ganzen Länge die Waſſerſcheide zwiſchen dem „Tell“ und der Sahara. Oeſtlich von dem letztgenannten Gebirgsknoten geht das Atlasſyſtem über in ein breites, wenig unduliertes Hochplateau, das die Streichrichtung des Hauptkammes beibehält und zwiſchen 80 — 150 km in der Breite ſchwankt. Den Nordabfall zum Mittelmeere bildet das fruchtbare Tell; der Abfall nach Süden zu iſt teils ſtufenförmig, auch ſteil, teils geht er in langgeſtreckten Abſätzen der Sahara zu; im Oſten, an den Quellen der Uad Mellega, löſt ſich das Plateau in mehrere kleinere Gebirgszüge auf, von denen der Hauptkamm bis nach Tunis zieht. Die Länge des ganzen Syſtems von Kap Nun bis Kap Bon berechnet Chavanne zu 2300 km; davon fielen auf Marokko 1050 km, 950 auf Algerien und 300 auf Tunis. Große Verwirrung herrſcht auch in der Bezeichnung der einzelnen Teile des Atlas. Bei den eingebornen Stämmen iſt der Name ganz unbekannt; dieſe geben den einzelnen Gruppen je nach der Form, dem Ausſehen oder der Farbe des Geſteins verſchiedene Namen. Vor allem werden die Ausdrücke „großer“, „hoher“ und „kleiner“ Atlas in einem Sinne gebraucht, der nicht mit den uns aus dem Altertum und dem Mittelalter überlieferten Auf⸗ zeichnungen im Einklange ſteht und auch nicht mit denen der heutigen Bewohner des Gebirges. Nur in Marokko iſt die aus dem Griechiſchen abgeleiteten Nomenklatur Idrar en Deren für großer Atlas gebräuchlich; eine ſpe⸗ zielle Unterſcheidung aber eines „hohen und großen“ Atlas ijt ganz überflüſſig, da der Idrar n Deren der Ber⸗ ber auch der höchſte Teil des ganzen Gebirgsſyſtems iſt. Was die Bezeichnung „kleiner“ Atlas anbelangt, ſo iſt ſie richtig nur für jene Striche meiſt iſolierter Gebirgs⸗ maſſive anzuwenden, die von Ceuta ausgehend ſich unter dem Namen „Er Rif“ als Maſſiv von Trawa, der Kette Dahra als Maſſiv von Zaccar u. ſ. w. repräſentieren, durch Tunis ziehen und am Kap Mbarek endigen. Die zwiſchen den beiden Ueds Tamarakt und Sus unter dem Namen großer Atlas bekannte Hauptkette hat eine mittlere Kammhöhe von 1200—1500 m, ſinkt aber nach einem Verlauf von 10 km öſtlich auf eine ſolche von 1000 m herab, um von da an wieder zu ſteigen, ſo zwar, daß ſie, je weiter ſie nach Oſten fortſchreitet, an Höhe zu⸗ nimmt, und zwar bei einer Entfernung von 100 km von der Küſte bis zu 3050 m, bei einer Entfernung von 180 km von derſelben eine ſolche von 3300-3500 m aufweiſt; ſüdlich von der Stadt Marokko bildet das Gebirge einmal einen etwa 50 km langen zuſammenhängenden Kamm von 3650 m abſoluter Höhe. Der Kulminationspunkt des ganzen Sy⸗ ſtems dürfte 3900 m betragen; Hacker ſchätzt ihn zu 3499 m. — Von der öſtlichen Fortſetzung iſt noch wenig bekannt; es fehlt vom Paß von Tagherut bis zum el Rint⸗ paß jeglicher Anhaltspunkt, nur einige Piks, wie der Aiaſchin erreichen die Höhe von 3000 m; er bildet zu⸗ gleich die dreifache Waſſerſcheide zwiſchen dem Atlantiſchen Ozean, dem Mittelmeer und dem Saharagebiet. Den vorhin erwähnten Hauptkamm begleiten im Sü⸗ den in der Entfernung von 20—200 m kleine Parallel⸗ züge, ſo z. B. der Dſchebel Saghreru, der Dſchebel Aulus (2500 m), die in der heutigen Geographie unter dem Geſammtnamen Antiatlas bekannt ſind. Die Anſchauung, daß die Gipfel des Hauptkammes die Grenze des ewigen Schnees erreichten, hat ſich nicht beſtätigt. Das Plateau im Oſten des Hauptgebirges, auf den Karten Plateau der Schotts genannt, fällt nach Chavanne ziemlich ſtark in öſtlicher Richtung ab, die Höhe im Weſten beträgt 1100 m, in der Mitte 900, im Oſten 580 m; ſie iſt bedeckt von muldenförmigen Becken, den Schotts, die zur Zeit des Regens mit brackigem Waſſer ſich füllen, im Sommer aber völlig trocken ſind. Den Südrand bilden einige unzuſammenhängende Höhenrücken, von denen die Maſſive der Wures- und Amurberge die hervorragendſten ſind; den Nordrand umgibt das „Tell“ in einer Breite von 120—150 km. Die Küſtenzone durchziehen mindeſtens fünfundzwanzig voneinander deutlich unterſcheidbare Ge⸗ birgsgruppen, die als eine Fortſetzung des marokkaniſchen Er Rif zu betrachten ſind und unter dem Namen „Kleiner Atlas“ zuſammengefaßt werden können. H. CFF! tejedy cy. UirsOn | cheat) Mathematiſche und naturwiſſenſchaftliche Mit. teilungen aus den Sitzungsberichten der Königlich preußiſchen Akademie der Wiſſen⸗ ſchaften zu Berlin. Berlin, Ferd. Dümmlers Verlag. 1882. Preis 8 . Vom 1. Januar d. J. gibt die Königlich preußiſche Akademie der Wiſſenſchaften wöchentliche Sitzungsberichte ſtatt den ſeitherigen Monatsberichten heraus. Außer⸗ dem ſollen die mathematiſchen und naturwiſſen⸗ ſchaftlichen Mitteilungen aus den Sitzungsberichten ſeparat erſcheinen; darin eingeſchloſſen ſind die dieſem Gebiet zugehörigen Preisaufgaben, Adreſſen, Reden u. ſ. w. Die Sitzungsberichte erſcheinen wöchentlich, acht Tage nach der Sitzung, die mathematiſchen und natur⸗ wiſſenſchaftlichen Mitteilungen monatlich. Die Sitzungsberichte für das Jahr 1882 koſten zu⸗ ſammen 12 , die Mitteilungen 8 MH, gewiß ein niedriger Ferdinand Hirts geographiſche Preis für dieſe hochwichtigen und umfangreichen Publi⸗ kationen. Frankfurt a. M. Dr. Georg Krebs. Wildertafeln. Eine Ergänzung zu den Lehrbüchern der Geo⸗ graphie, inſonderheit zu denen von Ernſt von Seydlitz. Herausgegeben von Dr. Alwin Oppel (Bremen) und Arnold Ludwig (Leip⸗ zig). Zweiter Teil: Typiſche Landſchaften. Breslau, Ferdinand Hirt. 1882. Preis 3 , 60 . Schon beim Erſcheinen des erſten Teiles dieſer Bilder⸗ tafeln konnten wir mit Befriedigung konſtatieren, daß durch dieſelben ein vorzügliches Hilfsmittel beim geo⸗ graphiſchen Unterrichte, das zur Veranſchaulichung und Belebung desſelben von nicht zu unterſchätzender Bedeutung Humboldt. — November 1882. 423 genannt werden muß, geſchaffen worden fei. Konnte man, wie erwähnt, über den erſten Teil nur Rühmliches ſagen, ſo gilt das in vielleicht noch höherem Grade auch für den zweiten, eben erſchienenen. Während jener die Hauptformen der Erdoberfläche behandelte, beſchäftigt ſich dieſer mit den typiſchen Landſchaften und den Vegetationsverhältniſſen auf derſelben. In 172 zum großen Teile recht gelungen ausgeführten Holzſchnitten, die auf 28 Tafeln vereinigt find, werden uns die intereſſanteſten Küſten-, Landſchafts⸗ und Vegetationsbilder vor Augen geführt. Wer jemals Gelegenheit gehabt hat, ſich von der belehrenden Eigen— ſchaft ſolcher Bilder in der Schule zu überzeugen, wird den Verfaſſern und dem Herausgeber nur Dank wiſſen für die aufgewandte Mühe und die ſorgfältige und kri— tiſche Auswahl aus dem großen umfangreichen Materiale; denn wir müſſen an einem für den Gebrauch in der Schule berechneten Bilderatlas den ſtrengſten kritiſchen Maßſtab anlegen, wir müſſen vorausſetzen, daß er überall nur das ſpezifiſch charakteriſtiſche, für die Geographie im engern und weiteren Sinne Verwendbare an den Land— ſchaften hervorhebe. Daß dies den Verfaſſern in vor⸗ liegendem Bilderatlas gelungen, läßt ſich nicht ableugnen, wenn auch noch einzelnes bei einer Neuauflage weggelaſſen und durch Beſſeres wird erſetzt werden können. Dies gilt hauptſächlich von den Bildern, welche die verſchiedenen Arten des Flachlandes, als Marſchen, Geeſt, Dünen, Pußten, Steppen u. dgl. zur Veranſchaulichung bringen ſollen; ſie ſind zu unbeſtimmt in den Konturen, auch zu verſchwommen, ſo daß ſie in dem Beſchauer keinen beſtimmten Eindruck hervorbringen, daher auch keinen in ihm zurücklaſſen. So wird z. B. der Eindruck des Bildes von der ſüdruſſiſchen Steppe und der Pußta auf jeden ein ziemlich analoger ſein, und doch ſind ſie ſehr weit in ihrer Art voneinander verſchieden. Da- für iſt aber die überwiegende Anzahl der übrigen Skiz— zen, wie geſagt, als wirklich gelungen, teilweiſe ge— radezu als vorzüglich zu bezeichnen; ſo z. B. die auf die britiſchen Inſeln bezüglichen, vor allem der Riefen- damm an der iriſchen Nordoſtküſte, die Kanalküſte in der Nähe von Dover, Landſchaft am Loch Neß in Hoch— ſchottland u. a. m. Aus den fremden Erdteilen ſind viele und recht intereſſante Anſichten in die Sammlung aufgenommen worden, ſo beiſpielsweiſe von Afrika, um nur einzelne hervorzuheben, die nördliche Abteilung des Suezkanals, die Moſelbai in der Nähe von Georgetown, eine Partie aus dem abeſſiniſchen Gebirge (Semien), die Viktoriafälle des Zambeſi u. a.; für Auſtralien und Polyneſien, das mit zwölf typiſchen Landſchaftsbildern vertreten iſt, wären in den Vordergrund zu ſtellen: Korallenbauten an der Oſtküſte, die heißen Quellen von Orakeikorako auf Neuſeeland, Man⸗ grovewald an der Küſte von Neuguinea; auch die neun übrigen find, vielleicht mit Ausnahme der Korallenring— inſel Tomatu, die wir ſchon beſſer gezeichnet geſehen haben, als recht günſtig gewählt zu bezeichnen. Eine ſehr reiche Auswahl tritt uns bei Amerika entgegen; ſie be⸗ ſtätigt vollkommen unſre eingangs erwähnte Anſicht von dem großen Geſchick der Herausgeber bei der Ausleſe des ihnen zu Gebote ſtehenden Materials; denn gerade Amerika produziert an Landſchafts-, Städte- und ähnlichen Bildern die ſchwere Menge. Wunder nimmt es uns, warum nicht eine der großartigen Anſichten der Trace der peruaniſchen Andenbahn einen Platz in dem Atlas gefunden hat. Die Bahn iſt jedenfalls eine der gewaltigſten Errungen⸗ ſchaften des menſchlichen Geiſtes und zugleich eine wun⸗ derbare Leiſtung der Technik. — Der Schluß iſt dem Nordpol⸗ gebiete gewidmet, es ſind dies ſechs prächtige Anſichten aus der Polarwelt in vorzüglicher Zeichnung und Aus- führung. : Wir find der Ueberzeugung, daß ſich auch der zweite Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryo- logie. 2 Bde. Ueberſetzt von Dr. B. Vetter. Jena, G. Fiſcher. 1880 —82. Preis 33 MH Balfour gilt entſchieden als eine hervorragende Autorität auf dem Gebiete der Embryologie. Hat ein Werk aus ſolcher Hand nun ſchon deshalb ein volles Recht, die Beachtung der wiſſenſchaftlichen Fachkreiſe für ſich in Anſpruch zu nehmen, ſo kann die in zwei ſtattlichen Bänden vorliegende Embryologie um ſo mehr auf eingehende Be— rückſichtung rechnen, weil ſie in ihrer Art das erſte Werk, gleichſam eine Eneyklopädie des bisher auf dieſem Gebiete Erforſchten iſt. Welch reicher Schatz von Wiſſen in dieſem Buche aufgeſtapelt iſt, mag der Leſer allein daraus ent- nehmen, daß im erſten Bande 572 und im zweiten 576 Werke und Abhandlungen benutzt, reſp. eitiert ſind. Wenn ein Sammelwerk ſich heutzutage durch gewiſſenhafte Benutzung aller Quellen ſchon beſtens empfiehlt, ſo kann Balfours Embryologie um ſo mehr auf den Dank ſeiner Lefer rechnen, weil es außerdem auch noch mit einem aus- führlichen Regiſter ausgeſtattet iſt, das man zur raſchen Orientierung bei eignen Arbeiten ſehr gut verwerten kann. Gehen wir nun nach dieſen allgemeinen Bemerkungen zur ſpeziellen Gliederung des Werkes über, fo muß be- merkt werden, daß der erſte Band ſich mit der embryonalen Entwickelungsgeſchichte der Metazoen, der zweite mit den Vertebraten einſchließlich der Tunikaten beſchäftigt, nach⸗ dem zur Einleitung zuvor noch allgemeine Betrachtungen über Ei und Samenzellen, Reifung, Befruchtung und Furchung des Eies vorausgeſchickt worden ſind. Sehr wichtig ſind dann noch die Schlußkapitel vom erſten Teil des 2. Bandes, in welchen die Keimblättchenbildung und die erſten Entwickelungsſtadien der Wirbeltiere, die Vor⸗ fahrenformen der Chordaten beſprochen werden, um dann daran allgemeine Folgerungen zu knüpfen. Wie nüchtern dabei Balfour in dieſer hochwichtigen Frage urteilt, mag aus ſeinen eignen Worten hervorgehen, wenn er Bd. II S. 297 ſagt: „Noch vor wenigen Jahren erſchien es wohl möglich, eine beſtimmte Antwort auf dieſe Fragen zu geben, welche in dieſem Kapitel notwendig aufgeworfen werden müſſen. Die Ergebniſſe der in jüngſter Zeit an⸗ geſtellten ausgedehnten Unterſuchungen haben aber gezeigt, daß dieſe Erwartungen vorzeitig waren und ungeachtet der zahlreichen wertvollen Bereicherungen dieſes Zweiges der Embryologie aus den letzten Jahren dürfte es doch nur wenige Embryologen geben, die zu behaupten wagen, daß jede Antwort auf jene Fragen mehr als nur ein taſtender Verſuch in Richtung der Wahrheit ſein könne.“ Der zweite Teil desſelben Bandes iſt dann ausſchließ⸗ lich der Organogenie gewidmet und zwar, wie von ſelbſt klar, mit hervorragender Rückſichtnahme auf die Chordaten, da die Entwickelung vieler Organe bei den wirbelloſen Tieren noch zu wenig für eine ſyſtematiſche Behandlung ſtudiert und bekannt iſt. Daß hier eine große Anzahl für die Wiſſenſchaft neuer Geſichtspunkte aufgeſtellt ſind, wie z. B. über die Entwickelung der Seitenglieder der Wirbeltiere, ſoll nur vorübergehend erwähnt werden. Schließlich ſei dankbar anerkannt, daß die Fiſcherſche Verlagsbuchhandlung das engliſche Werk Balfours durch die vorliegende Ueberſetzung Vetters der deutſchen Ge- lehrtenwelt ſo direkt zugänglich machte. Auch die zahl— reichen beigegebenen Illuſtrationen verdienen in ihrer ſorgfältigen Zeichnung alles Lob. Memmingen. Dr. H. Vogel. Julius Meurer, Handbuch des alpinen Sport. Teil des geographiſchen Bilderatlaſſes bald einen großen Gönnerkreis erwerben und als ein ſehr zweckmäßiges Lehrmittel ſich vor allem in den Schulen Eingang ver⸗ ſchaffen wird. Frankfurt a. M. Dr. F. Höfler. Humboldt 1882. Mit Abbild. und einer Karte der Alpen. Wien, Hartleben. 1882. Eleg. geb. Preis 5 40 Die gegen vormals erſtaunliche Schnelligkeit und Leichtigkeit des Reiſens und die Erſchließung zahlreicher neuer Verkehrswege hat die Reiſeluſt in unſren Tagen mächtig gefördert. Auch der fortgeſetzte Aufſchwung der Naturwiſſenſchaften konnte nur anregend wirken, die Natur in ihren Werkſtätten aufzuſuchen; ſo mußte ferner auch das vielgeſchäftige Leben unſrer Zeit, beſonders in den 54 424 Humboldt. — November 1882. N = raſch gewachſenen Großſtädten mit ihren Haufen wie Ameiſen emſiger Menſchen Erholungspauſen im Alltags⸗ leben, um Körper und Geiſt draußen friſch zu beleben, begünſtigen. Derart iſt das Reiſen in Blüte gekommen und Mode geworden. Auch ein Sport hat ſich eingeſtellt, große und waghalſige Touren zu unternehmen, die zu⸗ weilen belächelt werden mögen; immerhin hat dieſer Sport ſeine großen Reize und Anſpruch auf Verzeihlichkeit. Glücklich der, dem es vergönnt iſt, der Kraft und Aus⸗ dauer dazu beſitzt, die Welt in ihren großartigſten, dann aber auch häufig ſchwer zugänglichen Wundern zu ſchauen, wie die hohen Berge ſie darbieten. Wer nie an einem ruhigen heiteren Tage, von reinſten Lüften umfloſſen, auf einer hohen Ausſichtswarte der unvergleichlichen Alpen geweilt und das tiefe Indigblau des Firmaments im Gegenſatz zu den blendend weißen, aus unzähligen glitzernden Eis⸗ kriſtällchen beſtehenden Gletſchern und Firnflächen, die vom Zahn der Zeit zerfreſſenen und bloßgelegten Fels⸗ maſſen jener Gipfel und die duftigen grünen Thäler zu ſeinen Füßen geſchaut, dem ward eben ein hoher Natur⸗ genuß nicht zu teil. ; Solche Geſichtspunkte mögen auch zum Verſtändnis des „alpinen Sports“ für das vorliegende Buch herange⸗ zogen werden, in deſſen erſtem Teil eben dieſer Sport und deſſen wohlthätige Einwirkungen auf die gegenwärtige und die zukünftigen Generationen näher entwickelt werden. Der zweite Abſchnitt behandelt das Reiſen in den Alpen eingehender, die Sommerfriſchen und das Wandern im Hochgebirge, worauf ſich der folgende mit der Ausrüſtung des Touriſten beſchäftigt. Betrachtungen über die wich⸗ tigſten Gebirgsgruppen der Alpen und deren Eignung für die verſchiedenen Kategorien von Reiſenden, Bemerkungen über bevorzugte Standquartiere und Höhenluftkurorte, verbunden mit Ratſchlägen über Gebirgstouren ſchließen ſich an. Im letzten Teil werden die zahlreichen, in den letzten Jahren erſtandenen alpinen Vereine, die ſich die Erſchließung der Alpen zur Aufgabe geſtellt und zur He⸗ bung des Fremdenverkehrs nicht wenig beigetragen haben, einer überſichtlichen Beſprechung unterzogen. Der reiche Stoff des vorliegenden elegant ausge⸗ ſtatteten Bandes wird den Alpentouriſten um ſo mehr be⸗ friedigen, als der Verfaſſer in den Alpen mit dem Berg⸗ ſtock wie mit der Feder beſtens vertraut iſt und ebenſo⸗ wohl aus eigner Erfahrung ſpricht, wie er die umfang⸗ reiche alpine Litteratur geſchickt benutzt hat. Frankfurt a. M. Dr. Theodor Peterſen. G. N. Cepſius, Halitherium Schinzi, Die foffile Sirene des Mainzer Beckens. Eine ver⸗ gleichend-anatomifde Studie. Mit 10 Doppel⸗ tafeln. 4. Darmſtadt 1882. Preis 10 % Auf Grund von neueren Ausgrabungen bei Alzey und Flonheim in Rheinheſſen, wobei es dem Verfaſſer glückte, mehrere vorzüglich erhaltene Halitherien zu erhal⸗ ten, ſowie auf der Baſis eine Reihe von vergleichenden Studien über die übrigen foſſilen Sirenen mit den noch lebenden drei Arten Halicore Dugong, Manatus senega- lensis, Manatus australis wird in vorliegendem Werke eine vortreffliche Studie über den Entwickelungsprozeß der Bildung der Sirenen geliefert. An den Reſultaten des anatomiſchen Befundes, wobei Lepſius mit Recht die Be⸗ nennungen der menſchlichen Anatomie zu Grunde legt (nach Henle) weiſt der Verfaſſer nach, daß man bisher mit Unrecht nach der äußeren Geſtalt dieſe Säuge⸗ tiere den Walfiſchen im zoologiſchen Syſteme untergeordnet habe. Wohl haben in neuerer Zeit einzelne Zoologen, ſo Huxley, Blainville, Flower, gegen die Zurech⸗ nung zu den Cetaceen Einſpruch erhoben und die Ver⸗ wandtſchaft dieſer Tiere mit den Ungulaten hervorge⸗ hoben. Verfaſſer iſt nun auf Grund ſeiner neueſten Be⸗ funde in der Vergleichung derſelben mit den vorhandenen foſſilen Sirenen in der Lage, die Sirenen nach der Ana⸗ tomie ihres ganzen Körperbaues, nach dem vollſtändigen und wohl ausgeprägten Zahnapparat, nach dem vor⸗ handenen rudimentären Femur und nach den grö⸗ ßeren Beckenknochen von den Cetaceen auszuſchließen und die offenbare Verwandtſchaft dieſer Meerestiere mit den Huftieren genauer als bisher möglich nachzuweiſen. „Bei den lebenden drei Sirenenarten, bemerkt Lepſius, überwuchern die durch äußere Umſtände neu erworbenen Eigentümlichkeiten des Körperbaues (Verſchwinden der Beckenknochen, Einſchrumpfen des Femur u. a.) natürlich noch weit mehr die von den ſtammverwandten Ahnen ver⸗ erbten Formen als dies bei den tertiären Vorfahren der Fall iſt.“ Lepſius ſtellt fic) damit a posteriori voll⸗ ſtändig auf den darwiniſtiſchen Standpunkt, und es iſt dies um ſo mehr zu begrüßen, als ſeine Methode eine ſtreng analytiſch vergleichende genannt werden muß. — Im erſten Teile der Arbeit gibt Lepſius eine Beſchreibung des Skelettes von Halitherium Schinzi unter ſteter Rückſichtnahme auf den Körperbau der noch leben⸗ den Sirenen. Den Knochenbau des Halitherium beſchreibt unſer Autor in Kürze alſo: „Dieſer tertiäre Vorfahre der jetzt lebenden Sirenen hatte einen lang walzenförmigen, ſchweren Körper, der horizontal ausgeſtreckt im Waſſer ſich mittels der Vorder⸗ arme langſam fortbewegte. einigen 50 Wirbeln beſtehende Wirbelſäule trug vorn einen dicken Kopf, an den 19 Rückenwirbeln große Rippen und eine kurze, vordere Extremität mit wohl ausgebildeter Hand, befeſtigt in einem dem Bruſtkorbe aufgelegten Schulter⸗ blatt; ein reduzierter Beckenknochen lag neben den plumben Lendenwirbeln und ſtützte in einer kleinen Gelenkfläche das Rudiment eines Oberſchenkels; die übrigen Teile der hinteren Extremität fehlten; die zahlreichen Schwanzwirbel waren wahrſcheinlich, wie bei den lebenden Sirenen, von einem horizontal geſtellten Fettfloſſe umgeben.“ — Von beſonderem Intereſſe erſcheint des weiteren die Unterſuchung des Gebiſſes und deſſen Umwandlungsprozeß. Während das Halitherium Schinzi am Oberknochen zwei Stoßzähne, vier Molaren und vier Prämolaren beſitzt (die Zahnformel für Ober⸗ und Unterkiefer lautet: 90934 21 Zähne), jo hat der Manatus zwar eine Reihe wohlausge⸗ bildet, aber die übrigen Zahngattungen fehlen vollſtändig und Rhytina entbehrt alle Zähne, während die Halicore große Stoßzähne entwickelt und die Molaren reduziert. Am os coxae, dem Hüftbein des Halitherium konſtatiert Lepſius das Vorhandenſein einer Gelenkpfanne, in der ſich der kurze Stummel dieſes rudimentären Schenkelbeines ſtützt. Von Femurexemplaren kann Lepſius 5 nachweiſen, 4 aus der Mainzer Gegend, und zwar 2 von 1 Exemplar, 1 von Bordeaux. Derſelbe ijt ein bloßer, oben verdickter Knochenſtab mit glatter Oberfläche und variiert in jeiner Geſtalt bei verſchiedenen Individuen. „Bei den lebenden Sirenen iſt keine Spur eines Schenkelbeins zu ſehen“; bei den foſſilen war Hüft⸗ und Schenkelbein unter der Haut zwiſchen Muskeln und Sehnen eingeſpannt. Der zweite Abſchnitt beſchäftigt ſich mit einer kritiſchen Aufzählung der foſſilen Sirenen, welche in der Alten und Neuen Welt überall nur in tertiären Ablage⸗ rungen aufgefunden werden. Cuvier beſchrieb die erſte im Jahre 1809 unter dem Namen eines foſſilen Manatus. Später entdeckte man foſſile Sirenen im Mainzer Becken (von Dürkheim über Alzei bis nach Kirn, Kreuznach, Bingen), im Elſaß, in der Schweiz, in Oberſchwaben, in Belgien, im Wiener Becken, in den vier franzöſiſchen Tertiärbecken, in Nordböhmen, in Beſſarabien, in der Krim, in Oberitalien, auf Malta, in Aegypten, in England und in Nordamerika. Aber an keinem Orte fand man ſo gut erhaltene Skelette wie in Rheinheſſen. Nach einer Ueberſicht der Gattungen und Arten der Sirenen (der foſſilen, der ſubfoſſilen Rhytina 1780 im Behringsmeere ausgerottet, Länge bis 8 m, und der lebenden) behandelt der Autor im letzten Teile „die Stel⸗ lung der Sirenen im zoologiſchen Syſt em“. Er weiſt die Unterſchiede der Wale und Sirenen im Körper⸗ bau des Genaueren nach und lehrt die Verwandtſchaft der Sirenen zu den älteren Typen der Ungulaten, wäh⸗ rend die jüngeren Typen derſelben, wie Boviden, Cerviden, Die etwa 2m lange, aus Humboldt. — November 1882. 425 Oviden durch neuere Erwerbungen ihrer Skeletteile ſich weiter von den Sirenen entfernt haben. Im ganzen weiſt der perſiſtente Typus des Tapirs eine nähere Beziehung zu den Sirenen, beſonders in der Schädelbildung auf, was der Verfaſſer an den Einzelheiten des Schädel— baues und des Gebiſſes im ſpeziellen deduziert. Die von Blain ville betonte Aehnlichkeit der Sirene mit dem Elefanten erhebt fic) nicht über das Niveau all ge— meiner Verwandtſchaft, begründet dagegen keinerlei Homologie. Als Verwandtſchaftsbild der Ungulaten und der verſchiedenen Sirenenarten ergibt ſich zum Schluſſe folgende ſchematiſche Reihe: Ungulat a. I. Ungulata terrestria: 1. Perissodactyla. 2. Artiodactyla. 3. Proboscidea. II. Ungulata natantia ; 4. Sirenia: a. Halitherium (alttertiär). b. Metaxytherium (miocän). c. Felsinotherium (pliocän). d. Halicore (quarternär). e. Rhytina (ausgerottet Ende des 18. Jahrh.) Dürkheim a. d. Hart. Dr. C. Mehlis. Ernſt Pitzer, Grundzüge einer vergleichenden Morphologie der Orchideen. Mit einer farbigen und drei ſchwarzen lithographierten Tafeln und 35 in den Text gedruckten Holz— aie Heidelberg, Winter. 1882. Preis ai. Prorastamus (alttertiär). 61. Manatus (quarternär). Mehr als irgend eine andre Blütenpflanzenfamilie unſrer Flora haben die einheimiſchen Orchideen von jeher die Aufmerkſamkeit des Fachmannes und des Laien erregt. Zunächſt verdanken ſie das der ſeltſamen Schönheit ihrer zuweilen an Inſektenkörper erinnernden Blumen, dann manchen Eigentümlichkeiten des Wuchſes und Lebensweiſe. Das Intereſſe an den Orchideen mußte entſprechend ſteigen, ſeitdem die wundervolle Formenmannigfaltigkeit ihrer tropiſchen Gattungen angefangen hat, unſre Gewächshäuſer zu bevölkern. Einen ganz neuen Reiz gewann endlich das Studium der Orchideenblüten, nachdem insbeſondere Darwin denſelben ihr Befruchtungsgeheimnis abgelauſcht und er— kannt hatte, welche Wechſelbeziehungen beſtehen zwiſchen der Einrichtung der einzelnen Orchideenblüte und der Organiſation der ſie regelmäßig beſuchenden, ihren Honig one und ihren Pollen auf die Narbe übertragenden iere Mit der Aufklärung des Blütenbaues hat nun aber die Erforſchung der vegetativen Gliederung bei den Orchideen nicht gleichen Schritt gehalten. Irmiſchs verdienſtvolle Unterſuchungen beſchränken ſich auf den vegetativen Auf— bau unſrer einheimiſchen Repräſentanten. Die exotiſchen, vorzugsweiſe epiphytiſchen Formen dagegen ſind nie ver— gleichend unterſucht worden. Und gerade ſie verlangten bei der ausgeprägten Vielgeſtaltigkeit ihrer Vegetations— organe ganz beſonders eine Bearbeitung. Dieſe liefert nun das vorliegende Buch von Pfitzer ſo erſchöpfend, als es ohne Heranziehung der jetzt noch unvollſtändigen Entwickelungsgeſchichte überhaupt möglich iſt. Auf den reichen Inhalt des Werkes an dieſer Stelle näher einzugehen, ſcheint uns nicht angezeigt. Doch erlauben wir uns, auf manche intereſſante Beziehungen zwiſchen Bau und Lebensweiſe der exotiſchen Orchideen eigens hin⸗ zuweiſen, unter denen die wichtigſte ſein mag die anatomiſche Anpaſſung der epiphytiſchen Formen an ſonnige Standorte. Sie gleichen in dieſer Hinſicht den Kakteen und andern Fettpflanzen, ſind aber, trotz klarer Fingerzeige von ſeiten der Reiſenden, bisher meiſt im dumpfen Warmhaus kultiviert worden, als wären ſie Bewohner ſchattiger dunſtiger Ur— wälder. Die Ausſtattung des vorliegenden Buches iſt vorzüg— lich, ganz beſonders auch, was Auswahl und Ausführung der Illuſtrationen angeht. Vielleicht iſt ſie aber doch für den eigentlichen Zweck des Werkes zu opulent. Erlangen. Prof. Dr. M. Reeß. Karl Bamberg, Sdulwandkarfe von Afrika. Berlin, C. Chun. Preis 12 Blatt roh , 12. Ein großer Vorzug dieſer Schulwandkarte beſteht darin, daß ſie möglichſt wenig Namen enthält, ſo daß durch dieſelben nicht wie bei ſo vielen andern das Kartenbild beinahe vollkommen verſchwindet. Auch die Anwendung verſchiedener Farbentöne für die einzelnen Formen des Landes erweiſt ſich als ein ſehr glücklicher Griff bei der Abſicht, ein möglichſt plaſtiſches Bild des Erdteils zu ſchaffen. Nur wäre es dem Referenten lieber geweſen, wenn der Verfaſſer ſich bei der Darſtellung des Tieflandes der dafür auf den meiſten Schulwandkarten gegenwärtig immer mehr in Anwendung kommenden grünen Farben und ihrer Abſtufungen bedient hätte, ſtatt der in Braun. Die Darſtellung der Flüſſe durch große, ſtarke, wenn auch nicht dem Maßſtabe entſprechende Flußlinien erſcheint uns gerade für die Unterſtufe der Geographie betreibenden Schulen glücklich gewählt, da ſie einmal von ziemlich großer Entfernung deutlich geſehen werden können und ſich auch leichter gerade dadurch dem Gedächtnis einprägen. Die politiſche Einteilung genügt in der auf der Karte angegebenen Weiſe vollkommen für den Anfänger. Es ließe ſich ſomit das Urteil über die vorliegende Karte von Afrika dahin zuſammenfaſſen, daß dieſelbe ein vor allem für die Unterſtufe geeignetes, gediegenes Hilfs— mittel für den geographiſchen Unterricht bilden dürfte, das wegen ſeiner einfachen Interpretation und der im ganzen glücklichen Darſtellung der Bodengeſtalt für Lehrende und Lernende von Intereſſe und Nutzen ſein wird. Frankfurt a. M. Dr. F. Höfler. E. Viltz, Weber Naturbeobachtung des Schülers. Beitrag zur Methodik des Unterrichts in Heimats⸗ und Naturkunde. Begleitſchrift zu den „700 Auf— gaben und Fragen für Naturbeobachtung des Schülers in der Heimat“. Weimar, H. Böhlau. 1882. 8. Preis 60 . Die kleine Schrift gibt, wie der Titel ſagt, Er— läuterungen zu den „700 Aufgaben und Fragen“ und wie bei dieſen, ſo liegt auch in vorliegender Schrift der Haupt— wert in der Betonung und Erläuterung der richtigen Methode. Es iſt merkwürdig, wie hartnäckig die dog— matiſierende Darſtellung ſich nicht nur in Schulbüchern, ſondern ſelbſt in ſolchen Lehrbüchern behauptet, welche für Univerſitäten und höhere Lehranſtalten beſtimmt ſind, ob⸗ gleich z. B. auf dem Gebiet der Botanik ein Schleiden ſchon vor 35 Jahren ſein wuchtiges Schwert gegen den Dogmatismus erhoben hatte. Die Verfaſſer von Lehr- büchern gehen trotzdem noch vielfach von der Anſicht aus, daß die Methode, die ſie bei der Forſchung entſchieden ver— werfen, bei der Darſtellung des Stoffes in Lehrbuch und Vortrag erlaubt ſei. Wir begrüßen daher auch in dieſer Schrift des Verfaſſers mit Freuden das Streben, Lehrer und Schüler auf den Wert der Selbſtbeobachtung, der Einſicht in den Kauſalnexus der Erſcheinungen hinzuweiſen und dadurch die Macht des Dogmatismus zu brechen. Um den Geiſt, welcher den Verfaſſer beſeelt, zu charakteriſieren, brauchen wir nur eine oder die andre Stelle aus ſeiner Schrift wörtlich wiederzugeben. So heißt es z. B. auf Seite 11 und 12: „Solche öde Gerippe, von denen viele übrigens durch Stellung hervorragende 426 Humboldt. — November 1882. Schulmänner zu Verfaſſern haben, ſind unſren Leſern in genügender Menge bekannt. Wer da weiß, wie ſie benutzt werden, muß zugeben, und mag er ſonſt noch ſo optimiſtiſch von dem gegenwärtigen Unterrichtsweſen, insbeſondere von der Vorbildung der Lehrer für das niedere und höhere Schulamt denken, daß gerade dieſe naturkundlichen Leit⸗ fäden, Hilfsbücher, Grundriſſe, Abriſſe, dem alten Feinde Verbalismus in die Hände arbeiten. Sie ſind geradezu gefährlich — nicht nur entbehrlich —, weil ſie gar leicht den Lehrer auf den bequemen Pfad der Einpauk⸗ oder der abrichtenden Methode“ führen und dem Schüler ſtatt zu nützlichen Repetitionsbüchlein zu verderblichen Memorier⸗ büchlein werden. Nützlich können fie ſich dem Lehrer er⸗ weiſen, denn er braucht ſie nur gut auswendig lernen zu laſſen, um ſicher zu ſein, daß vor dem Kollegium und dem dankbaren Publikum ein glänzendes Oſterexamen ab- geſchnurrt wird.“ Und leider, müſſen wir hinzufügen, trifft dieſer Vor⸗ wurf keineswegs bloß die niederen Schulen, ſondern ſelbſt die Univerſitäten, wo das Einpauken zum Examen faſt überall an der Tagesordnung ijt, aber ebenſowenig Wert hat wie in den Schulen. Die Schrift gibt eine größere Zahl von Beiſpielen, auf welche Weiſe der Schüler auf dem Wege der eignen Beobachtung mit der Natur ver⸗ traut gemacht werden ſoll. Wir überlaſſen dieſen Inhalt der Schrift dem Studium und der Beherzigung des Leſers mit dem Bemerken, daß kein Pädagog oder angehender Lehrer unterlaſſen ſollte, ſich mit demſelben vertraut zu machen. 80 Jena. Prof. Dr. Hallier. Bibliographie. Bericht vom Monat September 1882. Allgemeines. Biographien. Archiv f. Naturgeſchichte, hrsg. v. F. H. Troſchel. 10 Jahrg. 6. Heft. Berlin, Nicol aiſche Verlags buch. M. Frerichs, 1 zur modernen Naturbetrachtung. 4 Abhandlungen. den. Fiſ cher Nachf. M. 2. 50. Handatlas, großer, oe Naturgeſchichte aller are Reiche. G. von Hayek. jg. Wien, Perles. M. 2 Jahresbericht der Garett Fart für Natur⸗ und Heilkunde in Dresden. 1 18811882. Dresden, Kaufmanns Sort.⸗Buchh. Mang, A., Leitfaden der Chemie, Mineralogie und Ge i e 0 für Bürger⸗ und Realſchulen ꝛc. Weinheim, Ackermann, M. 1. Plüß, B., ee Bilder, f. Schule und Haus aaa Zodlogie — Botanik — Mineralogie. Freiburg, Herderſche Verlags⸗ buchh. M. 3. gbd. M. 3. 80. Sitzungsberichte der kaiſerlichen Akademie der Wiſſenſchaften. Mathe⸗ matiſch⸗naturw. Claſſe. 1. Abth. Enthaltend die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mineralogie, Botanik, Zoologie, Geologie und Paläontologie. 85. Bd. 1. — 5. Heft. In Comm. Wien, C. Gerold's Sohn. M. 11. 60. Sitzungsberichte der kaiſerlichen Akademie der Wiſſenſchaften. Mathemat.⸗ naturw. Claſſe. 2 Abth. Enthaltend die Abhandlungen aus dem Gebiete der Mathematik, Phyſik, Chemie, Mechanik, Meteorologie 9 5 Aſtronomie. 85. Bd. 4. u. 5. Heft. Wien, C. Gerold's Sohn. Verhandlungen der k. k. zoologiſch⸗botaniſchen Geſellſchaft in Wien. Jahrg. 1882. 32. Bd. 1. Halbjahr. Leipzig, Brockhaus' Sor⸗ timent. M. 14. W et der naturforſchenden Geſellſchaft in Patel 7. Spl. Heft. Baſel, Schweighauſerſche Verlagsb. M. 4 wiege der naturforſchenden Geſellſchaft in Zürich. Red. R. Wolf. 27. Jahrg. 1. Heft. Zürich, Höhr. pro cpl. M. 3. 60. Zur Erinnerung an die 55. Verſammlung deutſcher Naturforſcher und 1879, Nor⸗ Hrsg. von Aerzte zu Eiſenach 1882 (18.— 21. Sept.). Eiſenach, Bäreckeſche Hofbuchh. Gbd. M. 3. Chemie. Beilſtein, F. Anleitung aut 9120 e chemiſchen Analyſe. Leipzig, Quandt & Händel. M. 1 4 Beith ety, Fr 9 b der Siac Chemie. 13. Lfg. Hamburg, Enchlläpädte ae Naturwiſſenſchaften. 2. Abth. 6. Ifg. Inhalt: Handwörterbuch der Chemie. 2. Lfg. Breslau, Trewendt. M. 3. Flögel, G., Leitfaden für den 1 Unterricht in der Chemie. Wien, Töplitz & Deuticke. Geb. M. 80. Graham⸗Stto's ausführliches Lehrbuch der anorganiſchen Chemie. Neu bearbeitet von A. Michaelis. 5. Aufl. 2. Hälfte. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 12. Moldenhauer, C. F. T James, J. W, über die Derivate des Aethylenchlorobromids; über das Wen dean ant und ſeine Reactionen. „ Rmannſche Buchdr. M. 7. Löw, O. u. Th. Bokorny, bie eng Kraftquelle im lebenden Proto- plasma. Zugleich 2. Aufl. zu: „Die chemiſche Urſache des Lebens.“ München, J. A. Finſterlin. M. 4. Mittheilungen, chemiſch⸗techniſche, der neueſten Zeit. L. Elsner. Fortgef für von F. Elsner. 3. Folge. Jahre 1881-1882. 2. Heft. Halle, Knapp. M. 1. Roscoe, H. E., Chemie. Deutſche Ausgabe. 0 von F. Roſe. 3. Aufl. Straßburg, Trübner. Cart. M. — Vhyſik, Phyſikaliſche Geographie, Meteorotogie. Annalen des phyſikaliſchen Central-Obſervatoriums, hrsg. v. H. Wild. Jahrg. 1881. 1. Thl. Meteorologiſche und magnetiſche Beobachtungen v. Stationen 1. Ordnung und außerordentl. Beobachtungen v. Sta⸗ tionen 2. u. 3. Ordnung. (St. Petersburg), Leipzig, Voß Sort. insbeſondere Jena, From⸗ Begründet von 3. Band. Die M. 10. 20. Chavanne, J., phyſikaliſch⸗ e Handatlas von Oeſterreich⸗ Ungarn in 24 (chromolith.) Karten. Mg. (3 Karten mit Text). Wien, Hölzel's Verlag. M. 7, Aue Karten à M. 3. Fiſcher, A. L., die Sonnenflecken und das Wetter. Erfurt, Villaret. M. 2. Hammerl, H., über Regenbogen, gebildet durch Flüſſigkeiten von 1585 ſchiedenen When e Wien, Gerold's Sohn. M. Holthof, F., das elektriſche Licht in ſeiner neueften Entwickelung mit beſond. Bereiitigumg der Pariſer Elektricitätsausſtellung 1881. Halle, Knapp. M. Lecher, E., über die Absorption ſtrahlender Wärme in Waſſerdampf und Kohlenſäure. wi, Gerold's Sohn. M. — 25. das Weltall und ſeine Entwickelung. Dar⸗ legung der neueſten Ergebniſſe der kosmolog. Forſchung. 18. (Schluß⸗ l i Cöln, Mayer. M. — 80. Pſcheidl, W 5 Beſtimmung der cb coeiiicienion durch Biegung eines Stabes. Wien, Gerold's Sohn. M. Schmidt, G., Analogien zwiſchen elektriſchen und Waſserſtömen, aus usta elektriſcher Kraftübertragung. Wien, calo⸗ Gerold's Sohn. Streink, | 8, Experimentalunterſuchungen. über die galvaniſche Polari⸗ ſation. 1. Abhandlg. Wien, Gerold's Sohn. M. — 40. Tiemann, C., der elektriſche Telegraph. Ein Buch f. Jedermann. Ber⸗ lin, Bänſch. M. 5. Waßmüth, A., über e. Anwendung der mechaniſchen, Sohn coe auf den Vorgang der Magnetiſirung. 8. Wien, Gerold's Sohn. M. — 25. Astronomie. Ginzel, F. R., aſtronomiſche Sun über Finſterniſſe. 1. Ab⸗ handlg. Wien, Gerold's Sohn. M. Haerdtl, E. Freih. th, e A d. Planeten „Adria“. Wien, Gerold's Sohn. M. Littrow's Wunder des Gurk oder gemeinfaßliche Darſtellung des Weltſyſtemes. 7. Aufl. v. E. Weiß. 1. Lfg. Berlin, Hempel. M. — 50. e Geologie, Geognoſte, Valäontologie. Achepohl, L., das niederrheiniſch-weſtfäliſche Steinkohlengebirge. Atlas 3 7 foſſilen Fauna und Flora. 5.— 7. fg. Eſſen, Silbermann. — 10. cates. G., neue Beiträge zur Kenntniß der . 1 40 uo im nördlichen 0 Wien, Gerold's Sohn. Dunikowski, E. v., die Spongien, Radiolarien und Foran e der unterliaſiſchen 1 vom Schafberg bei Salzburg. Wien, Ge⸗ rold's Sohn. Fortſchritte, die, der Geblogie Nr. 6. 1881. Cöln, Mayer. M. 2. 60. Fortſchritte, die, der Urgeſchichte. Nr. 7. 1881. Cöln, Mayer. M. 1. 80. Geinitz, F. E., die ſkandinaviſchen Plagioklasgeſteine und Phonolith aus dem mecklenburgiſchen Diluvium. Leipzig, Engelmann. M. 2. 50. Jentzſch, A., über Kugelſandſteine als charakteriſtiſche Diluvialgeſchiebe. Berlin, Friedländer & Sohn. M. 1. 50. Karte, geologiſche, v. Preußen u. den Thüringiſchen Staaten. 1: 25,000. Hrsg. durch das königl. preuß. Miniſterium der öffentlichen Arbeiten. 20. fg. (8 Blatt.) Chromolith. Mit Erläuterungen. M. 10. 1 A., Kryſtallformennetze zum Anfertigen von Kryſtallmodellen. 2. Heft. 13. Aufl. Prag, Tempsky. M. 1. Mojsisovies V. Mojsvar, E., die Cephalopoden der mediterranen Trias⸗ provinz. Wien, Hölder. M. 140. Müller, H. R., die 0 des Langebachsgrundes bei Ilmenau. Jena, Neuenhahn. M. — Quenſtedt, F. A., Handbuch der n 3. Aufl. 3.—5. Lig. 0d Lauppſche Buchhandl. a M. Stache, G., Fragmente einer afrikaniſchen Kohlenkalkfauna aus dem Ge⸗ biete der Weſt⸗Sahara. Wien. Gerold's Sohn. M. — 20. Standfeſt, F., Leitfaden f. d. mineralogiſchen Unterricht an den oberen Claſſen der Aer care Graz, Leuſchner & Lubensky. M. 1. 40. Iſcheemak⸗ G., über d. Meteoriten v. Mocs. 8. Wien, Gerold's Sohn. 70. M. Zeuch. fie Kryſtallographie und Mineralogie. Hrsg. v. P. Groth. Bd. 2. Heft. Leipzig, Engelmann, M. 6. Votaniß. aoe 8 8 5 eßbaren Pilze oder Schwämme. 0. Neu⸗Ulm, Stahl's Ver⸗ weint W., Handatlas ſämmtlicher mediciniſch⸗pharmaceutiſcher Gewächſe, 6. Aufl. Umgearb. von G. vyn Hayek. 23. und 24. fg. Sena, Mauke's Verlag. a M. — 60. Ebbinghaus, J., die Pilze und Schwämme Deutſchlands. Mit beſon⸗ derer Rückſicht auf die Anwendbarkeit als . an Heilmittel ſowie auf die Nachtheile derſelben. 3. Aufl. U. 2. Sa. Dres⸗ den, Bgenſch. a M. 1. 50. 8 Humboldt. — November 1882. Enecyklopädie der Naturwiſſenſchaſten. 2. Abth. 7. Lfg. Handwörter⸗ buch der e des Pflanzenreichs. 3. Lg. Breslau, Trewendt. „ Haläcsy, E. v., ab 0. Braun, Nachträge zur Flora von Nieder-Oeſter— reich. Leipzig, Brockhaus' Sort. M. 8. Hartinger, A., Atlas der Alpenflora. Hrsg. vom deutſchen und öſterr. Alpenverein. Nach der Natur gemalt. Mit Text von K. W. v. 1 14. Lfg. Wien. C. Gerold's Sohn. M. 2. Textheft azu 2 beinricher, E., die näheren Vorgänge bei der Sporenbildung der Sal- vinia natahs verglichen mit der der übrigen Rhizocarpeen. Wien, Gerold's Sohn. M. 1. 60 Karſten, H., e Pharmaccutiſch-medieiniſche Botanik. 9. Fg. Berlin, Späth. M. 50. R Klinge, J., Flora von Git, Liv⸗ und Curland. 1. Abth. Gefäßpflanzen: weiden und Phanerogamen. Reval, Kluge's Verlag. gabendork, L., Kryptogamen-Flora v. Deutſchland, 9 und der Schweiz. 2. on) a Bd. Pilze von G. Winter. 9. Ljg. Leipzig, Kummer. M. 2. Schlechtendal, D. F. L. v., L. E Langethal und E. Schenk, Flora von Deutſchland. 5. Aufl. Hrsg. von E. Hallier. 68. — 69. fg. Gera; Köhler's Verlag. M. 1 4. Aufl. von O. E. R. Verlag. M. 1. Schmidlin, E., illuſtrirte populäre Botanik. mit Berückſichtigung der angrenzen⸗ Zimmermann. 6. Lfg. Leipzig, Oehmigke's Waldner, 2 Deutſchland's Farne, Frankreichs und der Schweiz. 9. Heft. Hei- C. Winter's Univ.⸗Buchh. In Mappe M. 2. 50. den Gebiete Oeſterreichs, delberg. Phyſtologie, Entwickelungsgeſchichte, Anthropologie, Zoologie. Arbeiten aus dem zoologiſch-zootomiſchen Inſtitut in Würzburg. Hrsg. eh . 8 5. Bd. Würzburg, Staudingerſche Buchhandlung. uten f. "dinibtopotogie. Zeitſchr. f. Naturgeſchichte und Urgeſchichte des , Menſchen. Hrsg. v. A. Ecker, L. Lindenſchmit u. J. Ranke. 14. Bd. 2. Vierteljahrsſchr. Braunſchweig, Vieweg & Sohn. M. 14. =e 2 d. geſammte Phyſiologie d. Menſchen und der Thiere. v. E. F. W. Pflüger. 29. Bd. 1. u. 2. Heft. Bonn, Verlag. pro cpl. M. 20. Berge's, F., Schmetterlings⸗Buch. Umgearbeitet und verm. v. H. von einemann. 6. Aufl. 10. Efg. e Thienemann's Verlag. 1. 50. Hrsg. Strauß' Brehm’ 8 Thierleben. Chromo-Ausg. 49. 52. Heft. Säugethierg. Leipzig. Bibliograph. Inſtitut. M. 1. Darwin, Ch., die e des Menſchen u. die geſchlechtliche Zucht⸗ wahl. Ueber}. v. J. V. Carus. 4. Aufl. 5. u. 6. Lfg. Stuttgart, Schweizerbartſche Verlagsbuchh. a M. 1. Eiben, C. E., praktiſche Anweiſung zum Ausſtopfen der Vögel f. alle Freunde der Ornithologie. Quedlinburg. Ernſtſche Buchh. M. — 75. Fleiſchl, E. v., Ph yfiotogifa apie Notizen. 2. Mittheilung. Wien, Geroldis Sohn. M. — “a1 die, des A Nr. 4. 1879— 1882. Cöln, Mayer. Heller, C., u. C. v. Dalla⸗Torre, über die Verbreitung der 5 im . Hochgebirge. 2. Abth. Wien, Gerold's Sohn. M. — 70. Hilber, V., neue und wenig bekannte Conchylien aus dem oſtgaliziſchen Miocän. Wien, Hölder. M. 9. 60. Koehne, E., Repetitions⸗ Tafeln f. 15 agg Unterricht an höheren Lehranſtalten. 1. u. 2. eft. 3. Aufl. — 2. 2. Aufl.) Berlin, ei W. Müller. a M. Leonhardt, C., vergleichende Soot d. Mittel- und Oberſtufe höherer Schulen. Jena, Matthäi. M. 6. Ludwig, H., Verzeichniß der von Prof. Dr. Ed. van Beneden an der Küſte von Brajitien geſammelten Echinodermen. Berlin, Friedländer und Sohn. M. Martin, Ph. L., „Jluſtrirte Nee e der Thiere. zig, Brockhaus. a M. — Mittheilungen aus der 0 dg Station zu Neapel, zugleich cin 0 Mittelmeerkunde. 3. Bd. 4. Heft. Leipzig, Engel⸗ mann. M. Philippi, S., über Urſprung und c mee aee der tieriſchen Ore ganismen. Leipzig, E. Günthers Verlag. M. Preſcher, R., die Schleimorgane der Marchauſen. Wien, Gerold's ’ Sohn. M. — 80. 38. Heft. Leip⸗ Witterungsüberſicht für Rütimeyer, L., 427 Rieger, über die näheren Beziehungen der Schädellehre zur Popfiotoate, Pſychiatrie und Ethnologie. Würzburg, Stahelſche Buchh. M. Beiträge zur Geſchichte der Hirſchfamilie. I. Schädelbau. Baſel, Schiveighauſerſche Verlagsbuchh. M. 1. 60. Seeliger, O., zur Entwicklungsgeſchichte der Ascidien. 1 10 v. Clavelina, lepadiformis. Wien, 2. 40. Site ge E., über den Theilungsvorgang der Zellkerne und das Verhältniß der Kerntheilung zur Zelltheilung. Bonn, Cohen und Eibildung und Gerold's Sohn. Sohn. M 5. Tangl, E., über die 1 der Kerne in Spirogyra-Zellen. Wien, Gerold's Sohn. M. 1. 2 Undſtet, J., das erſte Auftreten des Gifens in Nord⸗Europa. Deutſche Ausg. v. J. Meſtorf. Hamburg, O. Meißner. M. 15 Zeitſchrift für wiſſenſchaftliche montane: Hrsg. v. C. Paap von Seibold u. A. von Kölliker, unter Red. v. E. Ehlers. . Bd. 2. Heft. Leipzig, Engelmann. M. 12. Geographie, Ethnographie, Reifewerke. Umicis, E. de, Marokko. Nach dem Atal. frei bearb. v. A. v. Schweiger⸗ Lerchenfeld. Wien, Hartleben's Verlag. M. 13. 50, gbd. M. 16. 20. Balbi's, A., allgemeine Erdbeſchreibung. Ein Hausbuch des geograph. Wiſſens. 7. Aufl. Neu bearb. v. J. Chavanne. 9.11. Lg. Wien, Hartleben's Verlag. M. — 75. Charaklerbilder, geographiſche, f. Schule u. Haus. 4. Lfg. Nr. 10—12. Oelfarbendr. Fol. Wien, Hölzel's Verlag. Subſer.⸗Preis M. 12, auf Deckel oder weißen Carton geſpannt M. 15, einzelne Blätter AM. 6, auf Deckel oder weißen Carton geſpannt a M. 7. Dasſelbe. Text⸗Beilage zur 4. Lfg. 3. Heft. M. 1. 20. . Daniel, H. A., illuſtrirtes kleineres Handbuch 0 Geographie. 25. bis 27. fa. Leipzig, Fues Verlag. à M. Dörffel, O O., die Kolonie e Franziska in d ſüdbraſlianiſchen Pro⸗ vinz Santa t Leipzig, Förſter. M. 2 Du Chaillu, P. Im Lande der Milfternaczts derne Sommer- und Winterreiſen duet Norwegen und Schweden, Lappland und Nord⸗ Bihan 5 5 überſ. v. A. Helms. Leipzig, Hirt & Sohn. M. 1. ou V. die Eintheilung der Alpen. Wien, Hölzel's Verlag. 80. Handbuch, geographiſches, zu Andree's Handatlas. 10. Bielefeld, Velhagen & Klaſing, M. 1. Heſſe⸗Wartegg. E. v., Miſſiſſippi⸗Fahrten. Reiſebilder aus dem ameri⸗ kaniſchen Süden. (1879— 1880.) 2. Ausg. (In s Lieferungen.) 1. Lfg. Leipzig, Reißner. M. 1. Knortz, K., Mythologie und Civiliſation der nordamerikaniſchen Indianer. 2 Abhandlungen. Leipzig, Frohberg. M. 1. 50. Hellwald, F. v., Bea aa des Menſchen. 22. Ljg. Spemann. M. Neumann's See Lexikon des Deutſchen Reichs. ſtein's Special⸗Atlas von Deutſchland als Gratiszugabe. Leipzig, Bibliogr. Inſtitut. a M. — 50. Nordpolarfahrt, die zweite deutſche, in den Jahren 1869 u. 1870, unter Führung des Kapitän Koldeweh. Volksausg., bearbeitet v. M. Linde⸗ aay und O. Finſch. Neue Ausgabe. Leipzig, Brockhaus. M. 5, d. 6. 50. Oberländer, R., fremde Völker. Ethnographiſche Schilderungen aus der alten und neuen Welt. 19. u. 20. Lfg. Leipzig, Klinkhardt. a M. 1. 50. Ploß, H., das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropologiſche Studien. 2 Aufl. 4. Halbbd. Berlin, Auerbach. M. 3. Reiß. W., und A. Stübel, das Todtenfeld von Ancou in Peru. Ein Beitrag zur Kenntniß der Cultur und Induſtrie des Inca-Reichs. 8. Lfg. Berlin, Aſher & Co. In Mappe M. 30. Richter, G., die Landwirthſchaft Auſtraliens und der Vereinigten Staaten v. Nordamerika. Eine geographiſche Studie. Vortrag. Dresden, Schönfeld's Verlag. M. — 40. . Ritter's geographiſch⸗ ſtatiſtiſches Lexikon. 7. Aufl., unter ae von . Lagai. 1. 5. 6. Lfg. Leipzig, O. Wigand. a M. Rundſchau, deutſche, für Geographie und te Hrsg. von 8. Um⸗ lauft. 5. Jahrg. 1882/1883. (12 Heſte.) Heft. Wien, Hart⸗ leben's Verlag. pro cpl. M. 8, einzelne Best a M. — 70. Schwarz, B., Montenegro. Schilderung einer Reiſe durch das Innere, nebſt Entwurf e. Geographie des Landes. Leipzig, Frohberg. M. 12, gbd. M. 13. Verhandlungen des 2. deutſchen Geographentags zu Halle am 12., 13. u. 14. April 1882. Berlin, D. Reimer. Wagner, L., Geographie f. Forſbildungsſchüler u. angehende 1 treibende, wie auch zum Selbſtſtudium. Rochlitz, Pretzcch. M. — (Schluß⸗)Efg. Stuttgart, Mit Raven⸗ 4.6. Lfg. Sentraleuropa. Monat September 1882. Die Witterung des Monats September ijt cha— rakteriſtiſch durch ſchwache Luftbewegung, nahezu normale Temperaturverhältniſſe, durch im Weſten vorwiegend trübes, im Oſten ziemlich heiteres Wetter, durch die e eee im Norden und die außerordentlich ſtarken und langandauernden Regen— güſſe im Süden. Nach der langanhaltend regneriſchen Witterung des vorigen Monats, welche der Ernte vielfachen Schaden brachte, trat am Anfang des Monats September wieder 428 Humboldt — November 1882. trockenes, vorwiegend heiteres Wetter ein. Hoher Luft⸗ druck hatte ſich am 1. über Mitteleuropa ausgebreitet, deſſen Maximum langſam aus Oſteuropa nach den briti⸗ ſchen Inſeln und nachher von dort aus nach dem nördlichen Oſtſeegebiete ſich verlegte. Während der erſten Dekade ſtand Zentraleuropa unter dem Einfluſſe dieſes hohen Luft⸗ drucks! die Luftbewegung war andauernd ſchwach, zuerſt aus ſüdlicher bis weſtlicher, nachher aus vorwiegend nörd⸗ licher Richtung. Die Temperatur lag dabei meiſtens etwas unter der Normalen, nur der 3. und 4. waren allgemein ſehr warme Tage, an welchen nachmittags das Thermo⸗ meter in Deutſchland ſtellenweiſe bis zu 27°C. ſich erhob. Während die Nordhälfte Zentraleuropas von Niederſchlägen meiſtens verſchont blieb, kamen am Nordfuße der Alpen heftige Regenfälle vor, insbeſondere am 4. und 5., wo am Bodenſee langandauernde wolkenbruchartige Regengüſſe niedergingen, welche innerhalb 24 Stunden 72 Liter Waſſer auf das Quadratmeter brachten. Gleichzeitig mit der Er⸗ wärmung ſtellten ſich auch elektriſche Entladungen ein: am 2. abends fanden in Weſtdeutſchland langanhaltende Gewitter ſtatt, am 3. entluden ſich Gewitter in Süd⸗ deutſchland und in der Nordſchweiz, am 4. hauptſächlich im Nordoſten, ſtellenweiſe auch im Süden. Vom 9. auf den 10. hatte ſich über faſt ganz Zentral⸗ europa Abnahme des Luftdrucks eingeſtellt, welche auch in den folgenden Tagen noch fortdauerte, während gleichzeitig über Rußland ein umfangreiches Gebiet hohen Lufdrucks ſich ausbildete und ſich daſelbſt längere Zeit erhielt. Da die Druckverteilung eine ziemlich gleichmäßige blieb, ſo war die Luftbewegung ununterbrochen ſchwach und die Windrichtung durch die jeweilige Lage der Depreſſions⸗ zentren bedingt, welche auf allen Gebietsteilen, hauptſächlich aber am Südfuße der Alpen und über der Nordhälfte Zentraleuropas auftraten. Durch die eben beſprochene Luftdruckverteilung wurde ein Gegenſatz im Witterungs⸗ charakter zwiſchen den weſtlichen und öſtlichen Gegenden hervorgerufen, welcher etwa bis zu Anfang des letzten Monatsdrittels anhielt. Während nämlich auf der Weſt⸗ hälfte Zentraleuropas bei meiſt trübem, vielfach regneri⸗ ſchem Wetter die Temperaturen unter der Normalen blieben, behielt auf der Oſthälfte die Wärme bei vor⸗ wiegend heiterem, trockenem Wetter faſt beſtändig einen Ueberſchuß und erreichten hier die Nachmittagstemperaturen einen ungewöhnlich hohen Wert. Bemerkenswert iſt die beträchtliche Abkühlung am 13. über Weſtdeutſchland infolge der nordweſtlichen Winde, welche ſich auf der Rückſeite eines über Zentraldeutſchland lagernden Minimums ent⸗ wickelt hatten. Am 13. nachmittags war es in Südweſt⸗ deutſchland bis zu 10° kühler, als vor 24 Stunden. Beſonders hervorzuheben ſind die langanhaltenden und außerordentlich ſtarken Niederſchläge im Alpengebiete und Italien, wodurch ausgebreitete und von mannigfachen Verwüſtungen begleitete Ueberſchwemmungen verurſacht wurden, während der Norden Zentraleuropas unter dem Einfluſſe leichter, anhaltend öſtlicher Luftſtrömung von Niederſchlägen faſt gänzlich verſchont blieb. Dieſe Regen⸗ güſſe wurden bedingt durch Depreſſionen, welche gleichzeitig am Nord⸗ und Südfuße der Alpen auftraten, und von denen die letzteren wegen ihrer ſtärkeren Ausbildung nicht ſelten von ſtürmiſcher Luftbewegung umgeben waren. Um ſich eine Vorſtellung von der außerordentlichen Stärke der Niederſchläge machen zu können, ſind im folgenden nach den täglichen von der Seewarte, ſowie von den meteoro⸗ logiſchen Zentralſtellen in Oeſterreich, Italien und der Schweiz herausgegebenen Wetterberichten, die Regenmengen der letzten 24 Stunden, welche die ungewöhnliche Größe von 301 auf das Quadratmeter erreichten oder übertrafen, für die Zeit vom 12. bis zum 20. September überſichtlich zuſammengeſtellt. Am 12. Karlsruhe 30, Altkirch 38, Bern 34, Caſta⸗ ſegna 41, Leſina 41, Belluno 34, Domodoſſola 58, Rom 46. Am 13. Lugano 37, Caſtaſegna 38, Domodoſſola 31. Am 14. Lugano 54, Caſtaſegna 40, Domodoſſola 47, Mailand 44, Turin 49, Genua 35, Porto Maurizio 55, Portotorres 72. Am 15. Luzern 37, Bern 31, Caſtaſegna 106, Domo⸗ doſſola 117, Mailand 90, Verona 43, Turin 34, Genua 37, Florenz 34, Livorno 57, Perugia 39, Neapel 33, Porto⸗ torres 57. Am 16. Caſtaſegna 63, Davos 32, Trieſt 70, Leſina 33, Verona 40, Aquila 40, Foggia 30, Potenza 32, Coſenza 39, Catanzaro 75, Siracus 30. Am 17. Pola 35, Leſina 61, Liſſa 30, Belluno 42, Catanzaro 91. 5 Am 18. Kaiſerslautern 39, Karlsruhe 67, Friedrichs⸗ hafen 123, Zürich 37, Trogen 50, Luzern 33, Caſtaſegna 36, Davos 73, Bregenz 70, Perugia 38. Am 19. Genug 37. Am 20. Kaiſerslautern 42, Lugano 73, Caſtaſegna 58, Domodoſſola 50, Perugia 38. ¥ In der 2. Dekade (vom 10.— 20. September) fielen auf dem Rigi 448, auf St. Gotthard 862, in Caſtaſegna 402, in Como 544, in Belluno 3951 Niederſchlag auf das Quadratmeter. : Die durchſchnittliche Jahresſumme der Niederſchläge be⸗ trägt beiläufig für Norddeutſchland 613, für Mitteldeutſch⸗ land 690, für Süddeutſchland 824, für die Nordſeite der Alpen (bei einer mittleren Seehöhe von 641 m) 1379, für die Alpen⸗ kämme und Gipfel (bei einer mittleren Seehöhe von 1954 m) 1715, für die Südſeite der Alpen (bei einer mittleren Seehöhe von 400 m) 17651 pro Quadratmeter), wovon etwa je der 36. Teil auf jene Dekade entfällt, und hieraus ergeben ſich die außerordentlichen Waſſermaſſen, welche ſich über jene Gegenden ergoſſen haben. Durch das Vordringen einer flachen Depreſſion, welche ſich am 21. über Zentraldeutſchland gebildet hatte, nach dem öſtlichen Deutſchland, trat auch am 22. im öſtlichen Zentraleuropa trübes vegneriſches Wetter ein, während die Temperatur unter den normalen Wert herabjant. Gleichzeitig friſchten an der Deutſchen Oſtſeeküſte die nord⸗ öſtlichen Winde vaſch auf und wurden ſtellenweiſe ſtürmiſch, wogegen die ſüdweſtliche Luftſtrömung über Süddeutſchland und Oeſterreich ihren ruhigen Charakter beibehielt. Bei all⸗ gemein zunehmendem Luftdrucke nahmen auch die Nieder⸗ ſchläge überall ab; große Regenmengen kamen nur noch vereinzelt vor. Am 25. hatte ſich ein Luftdruckmaximum wieder über Oſteuropa gelagert, welches, in Verbindung mit dem De⸗ preſſionsgebiete im Weſten, über Zentraleuropa ſchwache ſüdliche bis öſtliche Luftſtrömung bedingte, welche bis zum 28. andauerte. Ueber der Nordhälfte Zentraleuropas fanden zu dieſer Zeit keine nennenswerte Niederſchläge ſtatt, da⸗ gegen im Alpengebiete, insbeſondere am Südfuße der Alpen, dauerten die Regenfälle mit etwas verminderter Intenſität noch fort, und erhielten am 25. und 26., als eine Depreſſion, von der Afrikaniſchen Küſte kommend, nordwärts quer über Italien nach der nördlichen Adria ſich fortpflanzte, einen neuen Impuls, ſo daß an dieſen Tagen wieder außerordentlich große Regenmengen von den italieniſchen Stationen gemeldet wurden. Die letzte der bemerkenswerten Witterungserſcheinungen dieſes Monats bildet ein ziemlich tiefes Minimum, welches am 29. über Südoſtengland erſchien und mit beträchtlicher Geſchwindigkeit oſtwärts der Deutſchen Küſte entlang fort⸗ ſchritt. Im Gefolge dieſes Minimums traten im weſtlichen Deutſchland in der Nacht vom 29.— 30. heftige Sturmböen mit Regengüſſen auf. Auf dem Obſervatorium in Wilhelms- haven wurde eine mittlere ſtündliche Windgeſchwindigkeit von über 30 m pro Sekunde regiſtriert. Hamburg. Dr. J. van Bebber. ) Vgl. van Bebber, Regenverhältniſſe Deutſchlands. München, Ackermann. Humboldt. — November 1882. ‘ 429 Aſtronomiſcher Kalender. Himmelserſcheinungen im November 1882. (Mittlere Berliner Zeit.) Roter Fleck auf A. 1 155 57 NI E 185 23 1 218 ö 1 14" 22 E. h. dx Caneri 1776 U Coronee 14 132 15° 317 1526" A. d 5 3 10% 25" 9) IE 1526. Algol 1 h m n m he Ei | h Bim 4 95 ae A @1 115 re (Ae 1715 7 Tauri | 15" 51 4 5 888 U Cephei 13 42" 9) II E | 11" 42" 5 6 12h4 Algol | | 7h 39m 6 b | 17" 98m 7 7 500 n Tey) 10" 33m ö A ll ‘ 8 17° 517 NI E 1674 ) Tauri | 98 108 9 922 Algol 1573 U Corone 155 10 % 14" 5709 }17" 25m . 0 1 | 10 @ | 884 U Cephei 12219" e 10" 48" |10 11 g 38m Lot 132 16" 34% 11 115 532 0 185 ree 9} @ II . 15 12 16" 17" A II E 1582 Tauri | 12 25 12 13 8h 16 13 18" 12™ goon Tes “ge 14 ee (9) @ Zu 14 15 5n 380 E. d. 9 BA sf 821 U Cephei 8h 327 AIIIA 9» 54m 15 Gh 2 A b 6 f 16 ibe wks 7 1411 J Tauri 15¹ 40m 16 19" 19 90 A el 17) > (14° 13" 9, TE 11 31 17 18 1385 8 Cancri E 18 13" 47" A e I | 17" 18" 19 8 420 N I E 18" 53 N II E e ee e 20 788 U Cephei ah 1320 % Tauri n 20 gb 16™ 14 @1 21 13. 0= 14" 46™ 21 15 44m Nen : — 22 10h 7m A III E 12" 32" A III A LOM SRS 22 23 See) ney 1733 Algol 5 66 28™ 23 16" 24 244 @ 14 44" E. h. J c“ Tauri 166 7 NI E 1129 / Tauri 12 15 24 14 55 15h 33m A. h. 6 25 714 U Cephei ~* {13" 59 E. h. ) 7 Tauri 13h 26 5) 00 BE 5 25 145 Gm A. d.) 5.6 15 41 18% Im 26 7 33 E. h.) J Orion 11" 20 E. I. / 0rionis 10 36 A TE | 7, 55% E. h.) TI Orionis| 13" 52 26 du 23m A. d.) 5.6 [12 34 A. d. 5.6 Algol 18k 50™ A. d. 5.6 7 27 7 55 w A : 9 43m 27 10h 1000 0 A. el 8 h m h7 3 i 5 gm 28 5 59 { A @ Il 1087 J Tauri 15" 29" 28 29 1029 Algol 12h 33m H. air 14" 6" 9) TILE 11" 20 29 136 45 A. d. 6 30 720 U Cephei 10 46 N II E 7* 11™ 30 17" 7m Merkur iſt wegen ſeiner ungünſtigen Stellung am Himmel mit freiem Auge unſichtbar. Venus anfangs um 6 Uhr, ſchließlich um 4½ Uhr untergehend, iſt zu Beginn des Monats in ihrem größten Glanze und am Ende des Monats nicht mehr mit freiem Auge ſichtbar, weil ſie ſchon nahe zur Sonne gewandert iſt. Jupiter und Saturn zeigen ſich die ganze Nacht über, Saturn anfangs um 5 Uhr, ſchließlich um 3% Uhr, Jupiter zuerſt um 71/2 Uhr, am Ende des Monats um 5½ Uhr aufgehend. Saturn ijt am 14. des Monats in Oppoſition mit der Sonne. In mehreren Nächten ſind zwei Paſſagen des roten Flecks auf Jupiter in einer und derſelben Nacht beobachtbar. Uranus geht anfangs um 14% Uhr, ſchließlich gegen 13 Uhr auf. Neptun iſt am 9. in Oppoſition mit der Sonne. g ce Am 10. November findet eine ringförmige nur auf dem Großen Ozean und in Auſtralien ſichtbare Sonnen— finſternis ſtatt. 0 Von den Veränderlichen des Algoltypus bietet allein 5 Libra — noch in den Sonnenſtrahlen verborgen — kein beobachtbares Minimum; von 7 Tauri fallen alle Minima auf günſtige Nachtſtunden. Straßburg i. E. Dr. Hartwig. 430 Humboldt. — November 1882. Neueſte Mitteilungen. Nieſige Tintenſiſche in Neuſeeland. — Auch auf der ſüdlichen Halbkugel mehren ſich die Fälle des Vorkommens rieſiger Tintenfiſche. Mr. Kirk beſchreibt in Transact. Wellingt. Soc. 1879 fünf Exemplare, welche an Neuſeeland ſtrandeten, eins der⸗ ſelben war ohne die Arme zehn Fuß lang und hatte ſechs Fuß im Umfang; die Arme hatten am Grunde die Dicke eines Mannsſchenkels. Sie gehören wahr⸗ ſcheinlich zu derſelben Art, welche Velain auf St. Paul fand und als Architeuthis Mouchezi be⸗ ſchrieben hat. Ko. Ein neuer Dinornis iſt in der Provinz Nelſon auf der Südinſel von Neuſeeland gefunden worden. Das völlig erhaltene Skelett lag in einer Höhle. Es iſt die kleinſte bis jetzt gefundene Art, nicht größer als ein Dodo, aber unzweifelhaft ausgewachſen. Prof. Owen nennt ſie D. parvus, und iſt der Anſicht, daß ſie in dieſem dicht bewaldeten und noch wenig bevölkerten Diſtrikte Neuſeelands möglicher⸗ weiſe noch lebend vorkommen könne wie der ver⸗ wandte Notornis, der ja auch anfangs für aus⸗ geſtorben galt. i Ko. Zeitſchriften der Welt. Nach einem unlängſt in New Pork erſchienenen Schriftchen „Die Zeitungen und Bankinſtitute der Welt“ gab es zu Anfang dieſes Jahres auf der ganzen Erde 34,024 Zeitungen und periodiſch herauskommende Blätter mit über 10,500 Mill. Exemplaren Jahresauflage. Davon erſchienen in Europa 19,557, in Nordamerika und Weſtindien 12,390, in Südamerika 509, in Aſien 775 (die meiſten in Britiſch⸗Indien), in Afrika 132, in Auſtralien und Polyneſien 661. Von der Geſamtzahl kamen 4020 täglich, 15,274 mehrmals wöchentlich heraus; 8222 waren Wochenblätter und die übrigen erſchienen in längeren als wöchentlichen Friſten. Nahezu die Hälfte aller Blätter (16,550) erſchienen in engliſcher, etwa ein Viertel (7780) in deutſcher, ſodann 3850 in fran⸗ zöſiſcher und 1610 in ſpaniſcher Sprache. 5 Ein außerordentlich empfindliches Thermometer iſt kürzlich von M. Michelſon der franzöſiſchen phyſikaliſchen Geſellſchaft vorgelegt worden. Dasſelbe iſt auf das Prinzip der Doppel⸗Metallthermometer baſiert, aber anſtatt des einen Metalls iſt Ebonit oder Hartgummi gewählt. Es hat ſich nämlich herausge⸗ ſtellt, daß Hartgummi unter der Einwirkung der Wärme ſich zehnmal ſtärker ausdehnt als Platin, ſo daß eine Feder, welche einerſeits aus Platin und anderſeits aus Ebonit beſteht, ſchon bei der geringſten Temperaturveränderung eine Krümmung erleidet. Am Ende der Feder iſt eine kleine Glasſtange befeſtigt, welche einen Winkelhebel bildet, der ſich gegen einen kleinen, an einem Seidenfaden aufge⸗ hängten Spiegel ſtützt. Wenn die Feder ſich krümmt oder gerade ſtreckt, ſo wird der Spiegel um einen entſprechenden Winkel gedreht und ein von demſelben reflektierter Lichtſtrahl bewegt ſich auf einer Skala, an welcher man die Temperaturveränderung ableſen kann. Durch eine verhältnismäßig große Länge der Feder und des Hebels hofft der Erfinder das In⸗ ſtrument ſo empfindlich zu machen, daß dasſelbe noch den tauſendſten Teil eines Grades der Celſius⸗Skala anzeigt. Schw. eber die Niedermetzelung der Erevauzſchen Expedition durch die Tolba⸗Indianer ſind der So- ciété de Géographie genauere Nachrichten zugegangen. Raubſucht und Furcht vor Unterjochung durch die Weißen ſcheinen gleichen Anteil daran gehabt zu haben. Crevaux, obgleich gewarnt vor dem verräteriſchen Charakter dieſes Stammes, durchzog ihr Gebiet mit ganz ungenügender Begleitung und gelangte bis Teyo. Dort traf er eine große Menge Indianer, die anfangs freundlich waren und reich beſchenkt wurden, aber plötzlich mit den Meſſern in der Hand über Crevaux und ſeine Begleiter herfielen und ſie ſämtlich töteten. Mehrere Expeditionen zur Züchtigung der Indianer ſind ſowohl von Bolivia wie von Argentinien aus aufgebrochen und haben eine Anzahl Dörfer zerſtört; ſie ſollen den Stamm unterwerfen und gleichzeitig eine geſicherte Verbindung zwiſchen beiden Staaten herſtellen. ö i Ko. Schutz gegen FTuberkel-Wakterien. Nach den neueren Unterſuchungen von Dr. Koch iſt die Urſache der Tuberkuloſe in kleinen Bakterien zu ſuchen (ſiehe Heft 8). Als beſonders wirkſames Mittel gegen dieſelben bezeichnet nun Herr J. Kircher in Brook⸗ (yn nach der „Zeitſchr. d. öſterr. Apothekervereins“ ſchweflige Säure. In ſeiner Ultramarinfabrik, in welcher große Mengen von Schwefel verbrannt wer⸗ den, kam ſeit Jahrzehnten kein Fall von Schwindſucht vor, überhaupt blieben alle Krankheiten, welche von mikroſkopiſchen Tierchen erzeugt werden, von der Fabrik fern. Auch bei katarrhaliſchen Krankheiten wirkt das Einatmen von ſchwefliger Säure günſtig. Der Genannte empfiehlt daher, Lungenkranke in Räume zu bringen, worin ſtündlich kleine Mengen Schwefel (etwa 1— 2 Drachmen) über einer Spirituslampe oder beſſer auf einem warmen Ofen verbrannt werden; man werde bald größern Huſtenreiz und vermehrten Auswurf bemerken als eine Folge der unbehaglichen Stimmung der Paraſiten. Nach einigen Tagen legt ſich dieſer Reiz, da die Bakterien allmählich abſterben und aufhören, einen Reiz auf die ſeröſe Flüſſigkeit und das Lungengewebe auszuüben. Zur Nachkur bringe man den Patienten in Räume, die etwas aromatiſche Waſſerdämpfe enthalten. Zentralaſtatiſche Eiſenbahn. Nach dem Berichte, den der Ingenieur von Schultz der Kaiſerlichen geographiſchen Geſellſchaft in Petersburg vorgelegt hat, ſcheint die beſte Linie zur Weiterführung der Orenburger Bahn nach Zentralaſien die durch das Thal des Ilek nach der Tetſebaſch⸗Bai am Nordweſtufer des Aralſees zu ſein. Von dort aus bieten dann Oxus und Jaxartes einen ſchiffbaren Weg für 1300 bis 1400 engliſche Meilen. Die Gegend bis zum Aralſee bietet keine größeren techniſchen Schwierig⸗ keiten und Waſſer genug. Ko. Ein Blick in die Sinnenwelt der Tiere. Von Dr. Hugo Magnus, Privatdozent in Breslau. Jie Frage nach der Beſchaffenheit der Sinnes— empfindungen fest der exakten wiſſenſchaft— lichen Erforſchung die bedeutendſten Hinder— Rniſſe entgegen. Es beruht dies vornehm— lich in dem Weſen einer jeden Sinnesempfindung ſelbſt, in dem Umſtand, daß die Sinnesvorſtellung nur zum Teil Gegenſtand einer wirklichen objektiven Unterſuchung ſein kann, zum andern Teil aber als Funktion unſrer Subjektivität aufgefaßt werden muß und, ſo weit dies der Fall iſt, ſich unter den Händen des Unterſuchers eben in das Nebelhafte und Unfaß— bare des Subjektiven verflüchtigt. Eine jede Sinnes—⸗ empfindung ſetzt fic) nämlich aus drei Faktoren zuſam⸗ men: aus dem gegebenen äußeren Reiz; aus der Er— regung, in welche dieſer Reiz das betreffende Sinnes— organ verſetzt, und drittens aus der Vorſtellung, reſp. Empfindung, zu welcher das Gehirn die Erregung des Sinnesorgans verarbeitet. Die beiden erſten dieſer Faktoren, der äußere Reiz und die durch ihn bewirkte Erregung des Sinnesorgans, ſind es nun, welche der objektiven Unterſuchung ſich wenigſtens zum Teil zugänglich erweiſen; während dagegen der dritte Faktor, die Umſetzung der Sinneserregung in eine Sinnesempfindung, rein ſubjektiver Natur iſt und darum der Erforſchung die größten Schwierig— keiten bereitet. Dürfen wir an der Farbenempfindung, und mit dieſer wollen wir uns auf den folgenden Blättern ausſchließlich beſchäftigen, dieſe Verhältniſſe genauer erörtern, ſo würden ſich jene drei Faktoren hier in folgender Weiſe verhalten. Der erſte Faktor, der äußere Reiz, iſt gerade bei der Farbe ſehr genau gekannt; denn nach der heutigen wiſſenſchaftlichen Anſchauung beſteht derſelbe aus einer wellenartigen Bewegung der Aethermoleküle. Und zwar zeigen die Humboldt 1882. verſchiedenen Farben auch verſchiedene Formen der Aetherwellen; die roten und gelben Farbentöne zeichnen ſich durch längere, aber an Zahl geringere Wellen aus, während Grün, Blau und Violett aller- dings in einer Sekunde ſich öfters wiederholende Wellen beſitzen, dafür dieſe Wellen aber kürzer als jene von Rot und Gelb ſind. Man ſieht alſo, der erſte Faktor, der gegebene äußere Reiz, iſt bei der Farbenempfindung ſehr genau durchforſcht. Treten dieſe Aetherwellen nun in das Auge ein, ſo treffen fie hier auf die Netzhaut und verſetzen dieſe in Mit— ſchwingungen und hierdurch in einen mehr oder minder hochgradigen Erregungszuſtand. Die Größe dieſer Netzhauterregung läßt ſich experimentell meſſen und iſt für einzelne Farben bereits auch mehr oder minder genau beſtimmt worden; es iſt alſo dieſer zweite der drei Faktoren, aus denen ſich eine jede Farbenempfin— dung aufbaut, gleichfalls der exakten Erforſchung, wenigſtens in gewiſſer Beziehung, zugänglich. Nun fehlt aber noch der dritte und letzte Faktor, denn die durch die Aetherwellen bedingte Netzhauterregung iſt doch noch lange nicht die Farbenempfindung ſelbſt. Eine wirkliche Empfindung oder Vorſtellung der Farbe ergibt ſich erſt dann, wenn dieſe Netzhauterregung durch Vermittelung der Sehnerven dem Gehirn über— tragen worden iſt. Durch einen rätſelhaften, der menſchlichen Erkenntnis bisher noch völlig verſchloſſenen Prozeß wird nun hier im Gehirn jene Netzhaut— erregung zu der Vorſtellung der Farbe verarbeitet. Unſer Senſorium, reſp. unſre Seele oder wie man ſonſt die dunkle, geheimnisvolle Thätigkeit nennen mag, die in unſrem Gehirn waltet, nimmt von den ver— ſchiedenen Erregungszuſtänden, in welche die kurzen oder langen Aetherwellen die Netzhaut verſetzt haben, 55 432 Humboldt. — Dezember 1882. Kenntnis. Durch die langen Aetherwellen wird ein Empfindungsvorgang in uns hervorgerufen, den wir Rot nennen, während die kurzen Wellen wieder eine andre Vorſtellung in uns erzeugen, die wir je nach der Beſchaffenheit der Wellen als Grün, Blau oder Violett bezeichnen. Dieſer dritte in der Gehirn⸗ thätigkeit beruhende Faktor der Farbenempfindung ſpottet aber bis jetzt jeder menſchlichen Erforſchung. Wir vermögen den Vorgang einer jeden Sinnes⸗ empfindung und alſo auch den der Farbenempfindung allenfalls bis zu dem Punkt zu verfolgen, wo an den rein körperlichen, ſubſtantiellen Vorgang der Er⸗ regung ſich die ſeeliſche oder geiſtige Arbeit anſchließt, nämlich die Umbildung der Erregung in eine bewußte Vorſtellung; aber weiter einzudringen in dieſen geiſtigen Prozeß ſelbſt iſt uns nicht beſchieden. Vor der Hand hüllt ſich dieſer Schlußſtein einer jeden Sinnesempfin⸗ dung noch ſo in das Gewand des Subjektiven, daß ſich ihm gegenüber die exakte Forſchung zu einem „ignoramus“ bequemen muß. Ob aber dieſes augen- blickliche ignoramus ein ewiges ignorabimus ſein und bleiben wird, wer möchte dies entſcheiden! Jeden⸗ falls genügt aber dieſes gegenwärtige ignoramus, um den Einblick in die Beſchaffenheit der Sinnes⸗ vorſtellung empfindlich zu behindern, und mahnt uns gerade dieſer Frage gegenüber zu einer ganz beſonderen Vorſicht. Wie ſchwierig es iſt, die Qualität der Empfindung, welche ein Individuum von irgend einer Farbe hat, zu beſtimmen, geht am beſten daraus hervor, daß man bis jetzt über die Art der Empfin⸗ dung, welche die Farbenblinden von den einzelnen Farben z. B. von Rot haben, nicht einig werden konnte. Man ſuchte wohl durch theoretiſche Er⸗ örterungen die Vorſtellung, die ein Farbenblinder von Rot oder Grün haben mag, zu ermitteln, allein eine wirkliche Erkenntnis konnte man trotz aller Be⸗ obachtungen und trotz aller Angaben von ſeiten der Farbenblinden nicht eher gewinnen, als bis man die erforderlichen Aufſchlüſſe von einſeitig Farbenblinden erhielt. Leute, die mit dem einen Auge die Farben normal, mit dem andern unvollkommen ſahen, waren allein im Stande, genaue Angaben darüber zu machen, welche Empfindung von Rot ihnen das farbenblinde Auge übermittele. Der Eindruck, den ſie mit dem farbentüchtigen Auge von der betreffenden Farbe ge⸗ wannen, diente ihnen als Kontrolle, als Vergleich der mit dem farbenuntüchtigen Auge gewonnenen Farben⸗ vorſtellung; und erſt aus dieſer Parallele zwiſchen dem normalen und dem anormalen Farbeneindruck ließ ſich die Beſchaffenheit des letzteren beſtimmen. Wenn alſo unſer Urteil über die Qualität einer jeden Sinnes⸗ empfindung und ſpeziell in unſrem Falle hier die Farbenvorſtellung, ſelbſt beim Menſchen, der uns ſeine ſubjektiven Empfindungen doch wenigſtens ſchildern kann, gar ſo unſicher und unzuverläſſig ſich geſtaltet, wie hinfällig muß da erſt die Einſicht fein, die wir in die Sinnesempfindung der Tiere gewinnen können. Da wir naturgemäß hier auf jede poſitive Angabe über die Beſchaffenheit der ſubjektiven Empfin⸗ dung von Haus aus verzichten müſſen, ſo ſind wir lediglich nur auf die Beobachtung angewieſen; daß wir aber mittels dieſer allein, und mag ſie noch ſo exakt und genau ſein, doch niemals in das Weſen einer ſubjektiven Vorſtellung wirklich Erkenntnis ge- winnend eindringen können, liegt ſo klar auf der Hand, daß es Eulen nach Athen tragen hieße, wollten wir darüber noch irgendwie Worte verlieren. ; Wäre es bei einer ſolchen Lage der Dinge, fo könnte man mit vollſtem Recht fragen, eigentlich nicht gerathener, die ganze ſo ſchwer zugängliche Frage nach der Beſchaffenheit der tieriſchen Sinnesempfindungen vor der Hand noch ruhen zu laſſen? Und ich muß geſtehen, daß ich dieſe Frage unbedingt mit Ja be⸗ antworten würde. Wenn ich es aber trotzdem unter⸗ nehme, die Farbenempfindung der Tierwelt zum Gegenſtand meiner Unterſuchung zu machen, jo ge ſchieht dies weſentlich nur deshalb, weil in letzter Zeit von einzelnen Autoren über die Beſchaffenheit des tieriſchen Farbenſinns nicht allein ganz ſichere, in das Gewand des Thatſächlichen gekleidete Angaben gemacht, ſondern dieſelben bereits auch ſchon wieder zur Erklärung andrer Naturerſcheinungen benützt worden find. Beſonders war es der engliſch⸗ameri⸗ kaniſche Forſcher Grant Allen, welcher in ſeinem Buch: „Der Farbenſinn“ für alle Klaſſen des vielgeſtaltigen Tierreichs, von der niedrigſten bis zum Menſchen herauf, eine gleichartige Farbenempfindung behauptet und auf dieſer Gleichwertigkeit des Farbenſinns hypothetiſch die weitgehendſten Schlüſſe aufgebaut hat. Behauptungen wie: „Der Farbenſinn der Bienen und Schmetterlinge hat die Welt umge⸗ ſtaltet“ oder: „Wenn die Inſekten keinen Farben⸗ finn haben, dann muß das ganze Weltall nichts weiter als ein ſonderbar glückliches Zuſammentreffen zufälliger Atome fein”, kommen in dem Allendſchen Buche wiederholt vor und ſie zeigen deutlich, welche Wert⸗ ſchätzung Allen dem tieriſchen Farbenſinn zukommen läßt. Angeſichts derartiger Behauptungen, die, wenn auch nur ganz vereinzelt, doch von einigen deutſchen Autoren als baare Münze aufgefaßt und als ſolche bereits auch ſchon wieder auf dem wiſſenſchaftlichen Markt verausgabt worden ſind, dürfte es ſich doch empfehlen, zu unterſuchen, was die nüchterne wiſſen⸗ ſchaftliche Forſchung über den tieriſchen Farbenſinn wohl zu ſagen vermag. Da das Tier ja eigne Angaben über die Empfin⸗ dungen, welche es von den verſchiedenen Farben ge⸗ winnt, nicht zu machen vermag, ſo ſind wir bei der Unterſuchung dieſer ganzen Frage lediglich nur auf die an Tieren gewonnenen Beobachtungen angewieſen. Wir ſind genötigt, dieſe Bethätigungen, welche einzelne Tiere Farben gegenüber an den Tag legen, zu ſammeln und das ſo erhaltene Material müſſen wir dann ver⸗ werten, ſo gut es eben gehen will; und der letzte Punkt iſt eben der Brennpunkt des geſamten Gegen⸗ ſtandes. Darüber, daß Tiere Farben gegenüber Reaktion zeigen, kann ja gar kein Zweifel obwalten; wir wiſſen, daß der Stier, der Truthahn durch Rot in auffallende Erregung verſetzt werden, wir wiſſen, daß glänzende Farben an Früchten und Blumen die Humboldt. — Dezember 1882. 433 Aufmerkſamkeit der Vögel und Inſekten zu erregen vermögen. Welche Schlüſſe dürfen, wir aber aus ſolchen Beobachtungen ziehen und auf welchem Wege gelangen wir überhaupt dazu, derartige Thatſachen für eine Erkenntnis der tieriſchen Farbenempfindung zu verwerten? Im allgemeinen gibt es zwei Wege, auf denen wir aus jenen Bethätigungen, welche Tiere gegen chromatiſche Reize zeigen, Rückſchlüſſe auf die Be— ſchaffenheit ihrer Farbenempfindung ziehen können; nämlich einmal den Weg der philoſophiſchen Spekulation und anderſeits den Weg einer ſyſtematiſchen anatomiſch— phyſiologiſchen Erforſchung des tieriſchen Sinnes— organes. Welcher von dieſen beiden Wegen der richtige ſei, kann für einen Naturforſcher, der ſeine Schlüſſe nur auf dem Boden der exakten Unterſuchung, und das iſt der anatomiſch-phyſiologiſche, zu ſuchen gewohnt iſt, nicht zweifelhaft ſein. Grant Allen hat nun aber dieſen zweiten für uns allein möglichen Weg nicht gewählt; er ſagt ſelbſt, daß die anatomiſch— phyſiologiſche Forſchung ihm das Material für ſeine kühnen Schlüſſe nicht liefern könne und da dies nun der Fall iſt, ſo ſucht er bei der Philoſophie, was ihm die Naturwiſſenſchaft verſagt. Wir werden darum gezwungen ſein, für einige Augenblicke wenigſtens Grant Allen auf den von ihm gewählten philo— ſophiſchen Boden zu folgen, um zu ſehen, welche Früchte er auf dieſem Boden für die Erkenntnis der tieriſchen Sinnenwelt zu ernten vermag. Iſt dies geſchehen, jo wollen wir an der ſichern Hand der ana— tomiſch-phyſiologiſchen Forſchung die tieriſche Farben— empfindung noch einer kurzen Analyſe unterziehen. Die Bethätigungen, welche verſchiedene Tiere gegen gewiſſe Farben an den Tag legen, verwertet Grant Allen zu folgender Schlußfolgerung. Die Thatſache, daß Inſekten rote Blumen beſuchen, daß Vögel rote Früchte freſſen, daß der Stier gegen Rot eine beſondere Abneigung zeigt, beweiſt — ſo ſagt - wenigſtens Grant Allen — nicht bloß, daß die be— treffenden Tiere eine Empfindung von der roten Farbe haben, ſondern ſie beweiſt auch, daß dieſe Empfindung bei allen Tieren und auch beim Menſchen die nämliche ſei. Die logiſchen Bedenken, welche wohl jeder bei einer derartigen kühnen Schlußfolgerung verſpüren muß, ſind nun auch Grant Allen keines— wegs erſpart geblieben; und hat er es verſucht, durch allerlei philoſophiſche Kreuz- und Querſprünge ſich aus der fatalen Lage, in welche ihn jene Schluß— folgerung zu den elementarſten Grundſätzen der Logik gebracht hat, zu erretten. Doch wollen wir ihm bei dieſen ſeinen Rettungsverſuchen nicht weiter aſſiſtieren, ſondern das Unhaltbare jener Allen'ſchen Folgerung lieber an einem andern Beiſpiel aus der Sinnenwelt der Tiere darthun. Es wird gewiß Niemand, und auch der peinlichſte Skeptiker nicht, beſtreiten, daß eine ganze Reihe von Tieren gegen gewiſſe Nahrungs— mittel eine recht lebhafte Bethätigung beweiſen. Streut man Brotkrumen in einen Teich, ſo verſammeln ſich alsbald die Fiſche und verzehren dieſelben mit großem Eifer und ſcheinbar vieler Befriedigung; desgleichen kommen die verſchiedenſten Vögel herbei, wenn man ihnen Brotſtückchen hinwirft. Auch viele Säugetiere zeigen Vorliebe für Brot; der Hund, das Rind, das Pferd freſſen Brot und der Herr der Schöpfung, der Menſch, zählt dasſelbe unter ſeine elementarſten Nahrungsmittel. Alſo Vertreter der verſchiedenſten Tierklaſſen haben eine Geſchmacksbethätigung gegen Brot in der unzweifelhafteſten Weiſe verraten. Wollten wir uns nun der nämlichen Schlußfolgerung bedienen, mit der Grant Allen aus der einfachen Teilnahme, welche einzelne Tiere gegen Rot zeigen, eine für alle Tierklaſſen gleichgeartete Rotempfindung abgeleitet hat, ſo würden wir zu dem Ergebnis ge— langen: daß alle jene Tiere, die das Brot gefreſſen haben, auch den gleichen Geſchmack desſelben haben müßten. Denn wenn der Umſtand, daß Tiere gegen Rot eine gewiſſe Reaktion zeigen, ſchon zu dem Schluß genügte, daß dieſe Reaktion und mithin der Farbenſinn überhaupt überall der gleiche ſei, ſo kann man mit genau demſelben Recht, aus der Reaktion, welche Tiere gegen Brot zeigen, den Schluß ziehen, daß dieſe Reaktion d. h. alſo der Geſchmack des Brotes und mithin der Geſchmacksſinn überhaupt bei allen Tieren der nämliche ſei. Ich wüßte wenigſtens nicht, warum die Art und Weiſe der Schlußfolgerung, die für die Farbenempfindung erlaubt iſt, nicht auch für die Geſchmacksempfindung zuläſſig ſein ſollte. Das Widerſinnige einer derartig bewieſenen Gleichartigkeit des tieriſchen und menſchlichen Geſchmacksſinns liegt aber ſo auf der Hand, daß ich darüber wohl nicht erſt noch viel Worte verlieren darf. Wenn aber für den Geſchmacksſinn jene Schlußfolgerung als abſurd und durchaus unzuläſſig von der Hand gewieſen werden muß, fo iſt genau das Nämliche auch bei der Farbenempfindung der Fall. Auch hier muß die Grant Allenſche Beweismethode als gänzlich verfehlt angeſehen werden und ich kann meinen Leſern die Verſicherung geben, daß der exakt unterſuchende Natur— forſcher dies auch thut. Die wiſſenſchaftliche Forſchung folgert aus den Bethätigungen, die die verſchiedenen Tierklaſſen gegen die Farben bezeugen, nicht mehr und nicht weniger, als daß die Tiere eine gewiſſe Reaktion gegen chromatiſche Eindrücke beſitzen müſſen: welcher Art dieſe Reaktion und wie beſchaffen die Empfindung der einzelnen Farben ſein mag, darüber kann aber die Wiſſenſchaft keinen ſichern und allgemein verbindlichen Aufſchluß geben und maßt ſich dies auch gar nicht an. Hören wir, in welch vorſichtiger Weiſe Forſcher, die gerade im Gebiet der Farbenphyſiologie ſich der unbeſtrittenſten Autorität erfreuen, über die Farbenempfindung der Tiere urteilen; ſo ſagt z. B. Prof. Brücke: „Wenn einige Tiere Gegenſtände an den Farben zu erkennen ſcheinen, ſo beweiſt dies noch nicht, daß ſie dieſelben Grundfarben haben wie wir, auch nicht, daß fie mehrere Grundfarben haben, und . daß die in ihrer Netzhaut liegenden Endapparate unter ſich verſchieden find in Rückſicht auf ihre Erreg— barkeit durch Lichtſorten von verſchiedener Schwingungs— dauer“. Ganz ähnlich klingt ein Ausſpruch, den der bekannte engliſche Forſcher Wallace über jene von 434 Humboldt — Dezember 1882. Allen behauptete Identität des tieriſchen und menſch⸗ lichen Farbenſinns gethan hat; dieſer Autor ſagt nämlich: „Die höheren Wirbeltiere und auch einige Inſekten ſind ſicher im ſtande, das, was wir Farbe nennen, zu unterſcheiden; dies beweiſt aber keines⸗ wegs, daß ihre Farbenwahrnehmung mit der unſrigen übereinſtimmt. Die Fähigkeit der Inſekten, Rot und Blau zu unterſcheiden, kann ſehr wohl, ja nicht ein⸗ mal ganz unwahrſcheinlicherweiſe, auf ganz andern Sinneseindrücken beruhen, als bei uns und braucht auch weder den Genuß noch die beſtimmten Vor⸗ ftellungen im Gefolge zu haben, welche durch den An— blick der reinen Farbe in uns erweckt werden.“ Bleiben wir alſo auf dem Boden der exakten Naturwiſſenſchaft ſtehen, ſo können wir aus der Teil⸗ nahme, welche Tiere gewiſſen Farbeneffekten ſchenken, nichts weiter ſchließen, als was Brücke und Wallace geſchloſſen haben: daß die Tiere zwar wohl eine Farbenempfindung haben mögen, daß aber über die Beſchaffenheit derſelben aus den Beobachtungen ihres reaktiven Verhaltens allein nichts zu folgern iſt. Für denjenigen allerdings, dem die philoſophiſche Spekulation den durch die exakte Wiſſenſchaft nicht zu erbringenden Beweis zu erſetzen vermag, ſteht nichts im Wege, ſich die abenteuerlichſten und weitgehendſten Vorſtellungen über die Farbenempfindung der Tiere zu machen. Nur darf er nicht glauben und verlangen, daß dev- artige ſpekulative Luftſchlöſſer von der Wiſſenſchaft als wirkliche, dem Thatſächlichen entſprechenden Ergebniſſe acceptiert werden ſollen. Mit Hilfe der Spekulation iſt ja bekanntlich ſchon ſo manches ſcheinbar bewieſen worden, was die nüchterne, wirklich forſchende Natur⸗ wiſſenſchaft als die Luftblaſen eines allzu lebhaft arbei⸗ tenden Autorengehirnes entpuppt hat. Und ſo verhält es ſich mit der von Allen gelehrten Identität des tieriſchen und menſchlichen Farbenſinns eben auch. Nachdem wir alſo geſehen, welcher Art die Früchte ſind, die man bezüglich der tieriſchen Farbenempfin⸗ dung auf ſpekulativem Boden einzuheimſen vermag, wird es an der Zeit ſein, zu unterſuchen, welche Auf⸗ ſchlüſſe uns die anatomiſch⸗phyſiologiſche Forſchung zu geben im ſtande iſt. Erinnern wir uns zuvörderſt daran, daß wir Eingangs dieſes Aufſatzes als die weſentlichſten phyſio⸗ logiſchen Grundlagen einer jeden Farbenempfindung die Erregbarkeit der Netzhaut und die im Gehirn geleiſtete geiſtige Arbeit, mittels der die chromatiſche Erregung in eine chromatiſche Vorſtellung umgeſetzt wird, bezeichnet haben, ſo werden wir nicht zweifel⸗ haft ſein können, daß der morphologiſche Aufbau der Netzhaut ſowohl wie des Gehirns bei dem Zuſtande⸗ kommen der Farbenempfindung den größten Einfluß aus⸗ üben muß. Denn die funktionellen Aeußerungen eines Organs ſind ja keineswegs demſelben nur loſe und äußer⸗ lich anhängende Accedentien, ſondern ſie ſind durch den anatomiſchen Bau des Organs unmittelbar bedingt. Die Leiſtungsfähigkeit und Leiſtungswertigkeit eines jeden Teiles des tieriſchen Körpers ſind die unmittel⸗ barſten Ausflüſſe ſeines morphologiſchen Aufbaues. Wollen wir alſo die Funktionsmöglichkeiten ein und desſelben Organes bei den verſchiedenſten Tierklaſſen richtig würdigen, ſo müſſen wir von dem Grundſatz ausgehen, daß die Leiſtungen des betreffenden Organes abhängen von der Eigenartigkeit der anatomiſchen Beſchaffenheit dieſes Organes in den verſchiedenen Tierklaſſen. So muß alſo die Funktion des Auges ver⸗ ſchieden ſein, je nach dem Bau des Sehorgans bei den verſchiedenen Tierklaſſen. Der Begriff des Lichtes kann nicht bei allen Tierklaſſen ſchlechthin derſelbe ſein, ſon⸗ dern muß von der Beſchaffenheit der Netzhaut abhängen, durch dieſelbe beſtimmt werden. Je nach der Organi⸗ fation ihrer Netzhaut werden die verſchiedenen Tierklaſſen ſich deshalb auch verſchiedene Begriffe von der Be⸗ ſchaffenheit des Lichtes entwickeln müſſen. Wie ver⸗ ſchieden aber dieſe den einzelnen Tierfamilien eigen⸗ tümlichen Vorſtellungen des Lichtes ſein mögen, davon können wir uns einen Begriff machen, wenn wir das Verhalten einzelner Tiere gegen Licht beobachten. Wie verſchieden muß z. B. im Reich der Vögel der Lichtſinn bei einer Eule und bei einem Adler geſtaltet ſein. Während die Eule, ſchon von einem mäßigen hellen Tageslicht geblendet, das direkte Sonnenlicht unbedingt meidet, kann der Adler ſich dem hellſten Sonnenlicht ausſetzen, ja er badet ſich förmlich in einer Fülle des Lichtes. Aehnliche Erſcheinungen begegnen uns im Reich der Säugetiere; die Nacht⸗ raubtiere vermögen bei einer Beleuchtungsſtärke noch ſehr ſcharf zu ſehen, wo für andre Tiere bereits völlige Dunkelheit herrſcht. Alſo von einer Gleichartig⸗ keit ſelbſt der elementarſten Funktion des Auges des Lichtſinns kann im Tierreich in keiner Weiſe die Rede ſein; der Begriff des Lichtes ſteht in der allerunmittelbarſten Abhängigkeit von der Organiſation der Netzhaut. Genau dasſelbe gilt auch von der Farbenempfindung; auch dieſe wird in den verſchieden⸗ ſten Tierklaſſen lediglich nur beſtimmt durch die morphologiſchen Beſonderheiten des Gehirns und der Netzhaut, welche den betreffenden Tierfamilien eigen⸗ tümlich find. Je nach der verſchiedenen morpho⸗ logiſchen Ausbildung, welche das nervöſe Zentral⸗ organ in den einzelnen Tierfamilien beſitzt, muß auch die Farbenvorſtellung, welche der nervöſe Zentral⸗ apparat entwickelt, verſchieden ſein. Und dasſelbe gilt natürlich auch von der Organiſation des Auges; je nach der anatomiſchen Eigenartigkeit des Sehorgans muß die Erregung, in welche der chromatiſche Effekt die nervöſen Elemente des Auges verſetzt, verſchieden ſein. Erfahren wir nun aber, daß der anatomiſch⸗ optiſche Bau des Sehorgans gerade im Tierreich in den allerverſchiedenſten Formen variirt, jo werden wir uns der Ueberzeugung nicht verſchließen können, daß auch die Empfindung, welche die verſchiedenen Tiere von ein und derſelben Farbe empfangen, eine ungemein mannigfaltige ſein müſſe. Mit dieſer Er⸗ kenntnis haben wir nun allerdings immer noch keinen Einblick in die Beſchaffenheit der Farbenvorſtellung ſelbſt gewonnen; doch können wir einen ſolchen, wenn auch in recht beſcheidenem Umfange, wohl auch erhalten, wenn wir auf die morphologiſchen Verhält⸗ niſſe des Auges ſpeziell der Netzhaut etwas genauer Humboldt. — Dezember 1882. eingehen wollen. In der Netzhaut des Menſchen, ſowie der Wirbeltiere überhaupt finden ſich eigentiim- liche Elemente, welche ihrer Form wegen Zapfen genannt und als Träger reſp. Vermittler der Farben— empfindung angeſprochen werden. Hauptſächlich war es der berühmte Kenner der tieriſchen Morphologie, Prof. Max Schultze, welcher die chromatiſche Be— deutung dieſer Netzhautzapfen behauptet hat. Dürfen wir dieſe zapfenartigen Gebilde der Netzhaut nun als wichtige Momente bei der Entſtehung der Farbenempfin— dung anſehen, ſo muß ihre morphologiſche Verſchieden— heit natürlich auch in der allerunmittelbarſten Weiſe auf die Farbenvorſtellung Einfluß haben und können wir aus ihrer Beſchaffenheit einen ungefähren Rück— ſchluß auf die Qualität des Farbenſinns ziehen. Wenn wir nun hören, daß gewiſſe Tiere wie z. B. der Igel, der Maulwurf, die Fledermaus, der Haifiſch u. a. gar keine Netzhautzapfen beſitzen, ſo gewinnt es den Anſchein, als ob derartig organiſierte Tiere überhaupt kein Farbenempfindungsvermögen beſitzen könnten. Andre Tiere wieder, wie die Eulen, die Ratte, die Maus, das Meerſchweinchen u. ſ. w. haben auf— fallend wenig Zapfen. Sind nun aber die Zapfen die unentbehrlichen Vermittler der Farbenempfindung, ſo kann dieſe natürlich nur rudimentär ſein, wenn die Zapfen in geringer Anzahl ſich finden. Ander— ſeits wird vorausſichtlich die Farbenempfindung bei ſolchen Tieren lebhaft ſein, die ſich einer großen Menge dieſer chromatiſchen Empfindungselemente erfreuen; dies iſt z. B. bei den Tagraubvögeln der Fall. Aber nicht allein den Umfang des Farbenſinns, ſeine größere oder geringere Intenſität vermögen wir aus der Menge der Zapfen zu erſchließen, ſondern wir können aus der Beſchaffenheit derſelben ſogar auch auf die Quali— tät der durch ſie vermittelten Farbenempfindung folgern. Bei gewiſſen Tieren befinden ſich nämlich in den fraglichen Netzhautzapfen mehr oder minder intenſiv gefärbte Oelkügelchen und zwar füllen dieſe Farben— kugeln den Querſchnitt eines jeden Zäpfchens ſo voll— ſtändig aus, daß kein Lichtſtrahl durch den Zapfen in den Sehnerven gelangen kann, ohne zuvor jenes gefärbte Oeltröpfchen paſſiert zu haben. Die Farbe dieſer Kügelchen iſt nun eine ſehr verſchiedene; bald ſind dieſelben rot, bald gelb, grün oder blau; die Taube, ſowie viele andre Vögel beſitzen intenſiv rote Zapfenkugeln; der Froſch gelbliche u. ſ. w. Natürlich müſſen derartige chromatiſche Vorrichtungen, wenn überhaupt die Netzhautzapfen mit der Farbenempfin— dung in irgend welchem Zuſammenhang ſtehen, auf die Qualität der Farbenvorſtellung den bedeutendſten Einfluß ausüben, indem ſie von dem auffallenden Licht einen mehr oder minder bedeutenden Bruchteil abſorbieren und nur diejenigen Aetherwellen paſſieren und zum Sehnerv gelangen laſſen, welche der Farbe des betreffenden Oelkügelchens entſprechen. So werden alſo z. B. die mit roten Kugeln gefüllten Zapfen nur die roten Lichtſtrahlen durchgehen laſſen, die meiſten andern aber verſchlucken. Daß mit einem derartigen Vorgang eine hochgradige Beeinfluſſung des Farbenſinnes gegeben ſein muß, liegt auf der 435 Hand; welcher Art dieſelbe aber fein mag, davon kann man ſich ungefähr eine Vorſtellung machen, wenn man ſich ein rotes Glas vor die Augen hält. Durch das rote Glas werden die meiſten Lichtſtrahlen abſorbiert und hauptſächlich nur den roten der Zu— tritt zum Auge geſtattet; alſo ein ähnlicher Prozeß, wie ihn die roten Kugeln der Taubennetzhaut be— dingen. Wie man aber durch ein rotes Glas die Fähigkeit, Farben zu erkennen, zum größten Teil aufhebt, ſo kann auch das mit roten Oelkugeln be— gabte Tierauge nur eine rudimentäre Farbenkenntnis gewinnen. Erinnern wir uns nun daran, daß einzelne Tierklaſſen nur rote, andre nur grüne, noch andre nur blaue Netzhautkugeln beſitzen, kurz eine bedeutende Verſchiedenheit in der Färbung dieſer Netzhautelemente nachweisbar iſt, ſo wird uns alsbald klar werden, wie verſchiedenartig die Farbenempfindung in den ver— ſchiedenen Tierfamilien ſein muß. Andre Tiergruppen zeichnen ſich wieder durch einen Bau des Auges aus, der von dem Typus, nach welchem die Wirbeltieraugen gebaut ſind, auf das Erheblichſte abweicht. So finden wir z. B. die Inſektenaugen nach einem ſo eigenartigen Plan ge— baut, daß bei den Angehörigen dieſer Tierfamilie der geſammte Prozeß des Sehens in einer ganz charakte— riſtiſchen optiſchen Beſonderheit erfolgen muß. Wenn die phyſiologiſche Optik nun auch über die Beſchaffen⸗ heit des Sehvorgangs im Inſektenauge vor der Hand noch nicht vollen Aufſchluß zu geben vermag, ſo wiſſen wir jedenfalls doch ſo viel mit Gewißheit, daß Licht— und Formenſinn des Inſektenauges höchſt verſchieden ſind von den nämlichen Funktionen des menſchlichen, ſowie überhaupt des Wirbeltierauges. So iſt z. B. nach den neueſten Forſchungen höchſt wahrſcheinlich, daß der Formenſinn gewiſſer Inſektenaugen nur für die Entfernung einiger Zentimeter ausreicht, d. h. alſo, daß Tiere mit ſo organiſiertem Auge kaum auf wenige Schritte noch einen Gegenſtand an ſeinen Umriſſen zu erkennen vermögen. Wenn nun aber der phyſiologiſche Bau des Inſektenauges Formen— und Lichtſinn in einer ganz beſonderen, charakteriſtiſchen Weiſe entwickelt hat, ſo iſt mit Sicherheit anzunehmen, daß auch die höchſte Funktion des Auges, der Farben- ſinn, in einer analogen Weiſe ausgebildet iſt. Denn der Lichtſinn ſteht mit dem Farbenſinn in der engſten Verbindung; jede Aenderung des Lichtſinns hat un— bedingt eine ſofortige Veränderung des Farbenſinns im Gefolge. Wenn alſo das Inſektenauge einen eigenartigen Lichtſinn hat, dann muß nach unſrer augenblicklichen Anſchauung auch ſeine Farbenempfin⸗ dung einen ganz eigenartigen Charakter haben, einen Charakter, der eben durch die beſondere Beſchaffenheit des Lichtſinns bedingt wird. Es beſitzt alſo jede Tierklaſſe einen für ſie ganz charakteriſtiſchen Farbenſinn, der erzeugt wird durch die optiſche Eigenartigkeit des Sehorgans und durch die Ent— wickelung des nervüſen Zentralapparates. Von einer gleichartigen Leiſtungswertigkeit des Farbenorgans für alle Ordnungen des Tierreichs, wie ſie Grant Allen lehrt, kann unter keinen Umſtänden die Rede ſein. 436 Humboldt. — Dezember 1882. Aber ſelbſt wenn die phyſiologiſche Optik keinerlei Einſprache gegen die Identität des tieriſchen und menſchlichen Farbenſinns erheben wollte, ſo würde die tägliche Erfahrung gegen eine ſolche doch ganz entſchieden proteſtieren. Iſt es ja nach den neueſten Unter⸗ ſuchungen keinem Zweifel mehr unterworfen, daß ſelbſt der Farbenſinn des Menſchen nicht eine für alle Indi⸗ viduen der Gattung Menſch gleich verbindliche Be⸗ ſchaffenheit beſitzt. Mindeſtens vier Prozent der ge⸗ ſamten Menſchheit haben einen Farbenſinn, welcher; von der Leiſtungsfähigkeit des Farbenorgans der übrigen Menſchheit vollſtändig abweicht: wenn alſo ſchon unter den Menſchen ſelbſt von einer abſoluten Identität der Farbenempfindung keine Rede ſein kann, ſo kann man doch füglich nicht eine ſolche zwiſchen Menſch und Tier vorausſetzen. Wir können deshalb dem berühmten italieniſchen Naturforſcher Pater Secchi nur beiſtimmen, wenn er ſagt: „es könnte wohl mög⸗ lich ſein, daß die verſchiedenen Tiere auch eine andre Stufenleiter für die Lichtempfindungen beſitzen. Dieſe Behauptung findet eine Beſtätigung in der bekannten Erſcheinung der Farbenblindheit oder des Daltonismus“. Die Aufſchlüſſe, welche Anatomie und Phyſiologie über die Farbenempfindung des Tieres zu geben ver⸗ mögen, ſind alſo ſehr gering und beſchränken ſich hauptſächlich auf die Erkenntnis, daß für jede Tier⸗ klaſſe eine beſondere, der Organiſation dieſes Tieres genau entſprechende Farbenvorſtellung vorhanden ſein muß. Ueber die Qualität dieſer Vorſtellungen kann die Wiſſenſchaft nur wenige Angaben machen und ſelbſt dieſe ſpärlichen Mitteilungen tragen vielmehr den Charakter des Mutmaßlichen, als wie den des Thatſächlichen. Und genau dasſelbe “gilt für alle Sinnesempfindungen des Tieres. Die anatomiſche Unterſuchung der Sinnesorgane ergibt eine reiche Fülle der verſchiedenartigſten Formen; eine und das⸗ ſelbe Sinnesorgan zeigt in den einzelnen Tierklaſſen die verſchiedenſten Eigenartigkeiten ſeines Baues und die Phyſiologie ſchließt aus dieſen morphologiſchen Beſonderheiten auch auf charakteriſtiſche funktionelle Bethätigungen. Wenn nun auch die anatomiſch⸗ phyſiologiſche Forſchung die Qualitäten der einzelnen Sinnesleiſtungen nicht zu enthüllen vermag, ſo gibt uns dieſer Mangel der exakten Wiſſenſchaft noch lange keine Berechtigung, an die Sinnesthätigkeit der Tiere nun ohne weiteres einen menſchlichen Maßſtab zu legen, die Sinnesempfindung des Tieres mit dem Thermometer der menſchlichen Empfindung zu meſſen. Die tieriſche Sinnesempfindung iſt eben eine ganz charakteriſtiſche, der Bauart des betreffenden Sinnes⸗ organs und der Lebensweiſe des Tieres eng ſich an⸗ ſchließende, und dasſelbe iſt bei den menſchlichen Sinnes⸗ vorſtellungen auch der Fall. Und weil dies ſo iſt, ſo kann von einem Identifizieren der menſchlichen und tieriſchen Sinnesleiſtung gar nicht die Rede fein. Verſucht man dies aber doch und lehrt man die Gleich⸗ artigkeit der menſchlichen und tieriſchen Sinnesempfin⸗ dung, ſo ſchafft man Tiergeſtalten, wie ſie wohl in der heitern Welt des Märchens, aber nimmermehr in dem ernſten Reich der Wirklichkeit vorkommen. So gering nun auch der Einblick ſein mag, den wir an der Hand unſrer Unterſuchung in die Sinnen⸗ welt der Tiere gethan haben, ſo hat derſelbe doch auch ein praktiſches, allgemein wichtiges Reſultat er⸗ geben. Und zwar wurzelt dasſelbe in der Erkenntnis: daß wir mit den Sinnesempfindungen der Tiere, ſpeziell mit deren Farbenempfindung ſehr vorſichtig operieren müſſen und wir tatſächlich durchaus nicht berechtigt ſind, aus der Beſchaffenheit des tieriſchen Farbenſinns ſo weitgehende Rückſchlüſſe bezüglich des Einfluſſes der tieriſchen Farbenempfindung auf die Geſtaltung der ganzen Schöpfung zu machen, wie dies Grant Allen und ſeine Anhänger gethan haben. Ich wüßte wenigſtens nicht, auf welche Weiſe man Behauptungen Allens, wie: „der Farbenſinn der Bienen und Schmetterling hat die Welt umgeſtaltet“ rechtfertigen und aufrecht erhalten will, wenn man erfährt, daß man über die Farbenempfindung eines Schmetterlings oder einer Biene eigentlich ſo gut wie gar nichts weiß. Regenmenge und Abflußmenge. Von KRegierungsbaumeiſter H. Heller in Berlin. eitdem Alexander von Humboldt die Wichtig— keit der Niederſchlagsbeobachtungen klargeſtellt hat, iſt durch die emſige Arbeit vieler eifrigen Forſcher eine reichliche Menge zuverläſſiger Angaben über die Größe der Niederſchläge an verſchiedenen Orten und zu verſchiedenen Zeiten geſammelt worden. Wie das Waſſer aus dem Dunſtkreis auf die Erdfeſte gelangt, das wiſſen wir ungefähr. Wieviel die Meeresflächen und wieviel die Kontinente durch Verdunſtung zum Wiedererſatz der Waſſerdämpfe beitragen, darüber iſt nur wenig bekannt. Welchen Weg der nicht in Dampfform zur Atmoſphäre ſofort zurückkehrende Teil der Niederſchlagsmengen durchläuft, um un⸗ mittelbar als Tagewaſſer oder durch Quellenbildung Humboldt. — Dezember 1882. 437 und Grundwaſſerſpeiſung in offenen Flußläufen zum Sammelbecken des Meeres zu gelangen, das ſoll die jüngſte Disziplin der Naturlehre, die Hydrologie, erforſchen. Meteorologie und Geographie, die nächſtverwandten Zweige, haben zwar manche Grundlagen feſtgeſtellt, auf denen die neue Lehre weiter bauen kann. Mehr noch haben die praktiſchen Stiefgewiſter der Natur kunde, die Ingenieur- und die Forſtwiſſenſchaft, vor— gearbeitet. Bei Flußkorrektionen, bei Kanalanlagen und Meliorierungen kommt der Ingenieur häufig in die Lage, ſich für einen beſtimmten Fall Klarheit über den Verbleib der Niederſchlagsmengen verſchaffen zu müſſen. Viele gute und nützliche Beobachtungen ſind mühevoll zuſammengetragen worden. Aber weil es vereinzelt geſchah, ſo ſind ſie unzugänglich geblieben und unbenutzt für die Löſung des allgemeinen Problems für die Theorie vom „Kreislauf des Waſſers“. Der ſcharfblickende Naturkenner Goethe läßt in der klaſſiſchen Walpurgisnacht den entzückten Thales begeiſtert ausrufen: „Heil, Heil aufs neue! Wie ich mich blühend freue, Vom Schönen, Wahren durchdrungen: Alles iſt aus dem Waſſer entſprungen, Alles wird durch das Waſſer erhalten! Ozean, gönn' uns dein ewiges Walten! Wenn du nicht Wolken ſendeteſt, Nicht reiche Bäche ſpendeteſt, Hin und her nicht Flüſſe wendeteſt, Die Ströme nicht vollendeteſt, Was wären Gebirge, was Ebnen, was Welt? Du biſt's, dem das friſcheſte Leben entquellt.“ Bis jetzt fehlt jeder Nachweis über die Richtigkeit dieſer Hypotheſe, daß die gewaltige Fläche des Meeres jene Rolle eines Regulators für die ewige Wandlung des Waſſers in Dunſtform und Rückwandlung in Niederſchlagswaſſer wirklich ſpielt. Durch die Meſſung der Regenmengen muß die Meteorologie die Er— bringung eines Beweiſes unterſtützen. Die eigentliche Beweisführung kann jedoch nur erfolgen durch die Unterſuchung der Abflußmengen, d. h. derjenigen Waſſermaſſen, welche vom Feſtlande dem Meere zurück— gegeben werden, mögen ſie direkt den Bächen und Flüſſen zugeſtrömt ſein oder als nachhaltige Quellen die während weniger Stunden gefallenen Niederſchläge auf längere Perioden ausgleichend verteilen. Die Unterſuchung der Abflußmengen iſt die Aufgabe der Hydrologie, der Lehre von der Bewegung des Waſſers auf und in der Erdrinde. Die wichtigſten Hilfsmittel der Hydrologie ſind die Pegelbeobachtungen und die Konſumtions— meſſungen an den offenen Flußläufen n). Wenn ) Die Pegelbeobachtungen allein reichen zur Be— gründung von Hypotheſen über die Einwirkung der Ent— waldung, über die Waſſerabnahme in den Quellen, Bächen und Strömen u. ſ. w. keinenfalls aus. Die Unterſuchungen des öſterreichiſchen Miniſterialrats G. von Wex „Ueber die Waſſerabnahme u. ſ. w.“ entbehren daher einer ſicheren Grundlage. P an einer beliebigen Stelle eines Fluſſes bei verſchieden hohen Waſſerſtänden die Konſumtion, d. h. die Waſſermenge, welche in der Zeiteinheit zum Durch— fluß gelangt, ſorgfältig ermittelt wird, ſo läßt ſich ein beſtimmtes Geſetz über die Abhängigkeit der Kon— ſumtion vom Pegelſtande empiriſch auffinden. Hat man nun anderſeits für eine längere Periode von Tag zu Tag die Höhe des Waſſerſtandes durch Pegel— beobachtungen ermittelt, ſo gewinnt man aus der Zuſammenhaltung der Pegelſtände mit den zugehörigen Konſumtionszahlen ein ziemlich genaues Bild über die thatſächliche Abflußmenge des oberhalb der Be— obachtungsſtelle gelegenen Flußgebietes während der in Frage kommenden Zeitperiode. Eine derartige Unterſuchung liefert zugleich, wenn die Niederſchlagsmenge innerhalb derſelben Zeit für den betrachteten Teil des Flußgebiets beſtimmt werden kann, eine Wertſchätzung der thatſächlichen Ver— dunſtungsmenge. Wollte man umgekehrt aus den an mehreren Beobachtungsſtellen ermittelten Größen der Verdunſtungshöhe Rückſchlüſſe ziehen auf die Ver— dunſtungsmenge des ganzen Gebiets und ſomit auch auf die Abflußmenge, ſo würden in den meiſten Fällen völlig falſche Ergebniſſe erzielt werden. Die Intenſität der Verdunſtung hängt in hohem Grad von lokalen Verhältniſſen ab; und es iſt ſehr ſchwer, wenn nicht unmöglich, die Aufſtellungsorte der Verdunſtungs— meſſer derart aufzuſuchen, daß aus den Meſſungen ein brauchbarer Mittelwert für das ganze Gebiet zu erzielen wäre. Der bekannte Phyſiker Dalton hat zwar für England eine ſcheinbare Uebereinſtimmung der auf dem letzterwähnten Wege ermittelten Abflußmenge mit dem in der zuerſt beſchriebenen Weiſe aufgefundenen Werte erhalten. Jedoch beruhten die Schätzungen, deren er ſich in Ermangelung genauer Abflußmeſſungen bedienen mußte, auf ſolch willkürlichen Annahmen, daß man dieſer ſcheinbaren Uebereinſtimmung keine Bedeutung beilegen darf. Er beſtimmte zunächſt die mittlere Höhe des Niederſchlags, da die Regenhöhe etwa 31,4 engl. Zoll beträgt und die aus dem Tau und Nebel hinzutretende Feuchtigkeit auf 5,6 Zoll veranſchlagt werden kann, auf 36 Zoll. Die mit einiger Genauigkeit bekannte Abflußmenge der Themſe diente ihm als Maßſtab, um die geſamte Abfluß— menge der übrigen Flüſſe, mit welcher ſie im Ver— hältnis 1:8 ſtehen ſoll, einzuſchätzen. Daraus leitete er eine mittlere Abflußhöhe für das ganze Land von 13 Zoll ab. Anderſeits ergab ſich aus den direkt gemeſſenen Verdunſtungshöhen ein Mittelwert von 25,14 Zoll. Die Differenz zwiſchen Regen— und Verdunſtungshöhe, 36 — 25,14 = 10,86 Zoll, weicht allerdings nicht viel von dem zuerſt genannten Werte der Abflußhöhe ab. Doch ſind, wie bereits bemerkt, die Annahmen viel zu willkürlich, als daß dieſe Uebereinſtimmung als Kriterium für die Richtig keit der Methode betrachtet werden könnte. Man darf nicht überſehen, daß die direkte Meſſung der Verdunſtung nur eine Wertſchätzung der Ver—⸗ dunſtungsfähigkeit ermöglicht, die häufig ſehr 4338 Humboldt. — Dezember 1882. viel größer als die Niederſchlagshöhe iſt. In Marſeille z. B. beträgt die Höhe des mittleren Jahresnieder⸗ ſchlags 52,3 cm, dagegen die Verdunſtungshöhe 230 cm. Je größer die durchſchnittliche Jahreswärme und je ſeltener der Regenfall iſt, um ſo offenliegender zeigt ſich dies Misverhältnis. Es bedarf wohl keiner weiteren Beiſpiele, um darzuthun, daß die einzig richtige Methode zur Beſtimmung des Verbleibs der durch Regen, Tau und Nebel niedergeſchlagenen Waſſermenge die Meſſung der Abflußmenge iſt. Nur ein verſchwindend kleiner Teil der meteoriſchen Feuchtigkeit wird durch das Tier⸗ und Pflanzenleben oder durch Geſteinsumbildung dauernd gebunden. Anderſeits iſt der von Tau, Nebel, Reif u. ſ. w. herrührende Anteil des Niederſchlags unbedeutend gegenüber den als Regen oder Schnee ſich nieder⸗ ſchlagenden Waſſermengen. Um eine annähernd richtige Grundlage zum Studium der Bewegung des Waſſers zu erhalten, iſt es daher vor allem notwendig, aber auch ausreichend, Regenmenge und Abflußmenge des Beobachtungsgebiets möglichſt genau zu ermitteln. Ein treffliches Beiſpiel, in welcher Weiſe ſolche meteo⸗ rologiſche und hydrologiſche Unterſuchungen zu organi⸗ ſieren find, liefert die Einrichtung der „hydro- graphiſchen Kommiſſion des Königreichs Böhmen“ *). Dieſelbe beſteht aus 2 Sektionen, von denen die „meteorologiſche Sektion“ unter Leitung des Profeſſors Stu dnicka die Niederſchlagsverhält⸗ niſſe unterſucht, während der „hydrometriſchen Sektion“ unter Leitung des Profeſſors Harlacher die Meſſung der Abflußmengen übertragen iſt. Das Königreich Böhmen eignet ſich ganz beſonders gut zur einheitlichen Durchführung eines Beobachtungs⸗ planes, da ſeine politiſchen Grenzen faſt genau mit den Waſſerſcheiden der Oberelbe zuſammenfallen. Die von der hydrometriſchen Sektion zunächſt hergeſtellte hydrographiſche Karte, eine Verkleinerung der General⸗ ſtabskarten vom Maßſtab 1: 144000 in 1: 500 000, unterſcheidet die Zuflußgebiete der einzelnen Seiten⸗ flüſſe von einander durch Markierung der ſekundären Waſſerſcheiden. Auf das Gebiet der Moldau entfällt der Löwenanteil mit mehr als 28000 Quadrat⸗ kilometer, während die „kleine“ Elbe oberhalb der Moldaumündung bei Melnick nur 13 700, ferner die „große“ Elbe unterhalb Melnick nur 9500 Quadrat⸗ kilometer Zuflußgebiet aufweiſt. Das ganze Strom⸗ gebiet der Oberelbe, das böhmiſche Becken mißt 51300 Quadratkilometer, unterſcheidet ſich alſo nur ſehr wenig von dem 52000 Quadratkilometer be⸗ tragenden Flächeninhalte des Kronlandes Böhmen. Die meteorologiſche Sektion hat mit eifriger Unterſtützung ſeitens des böhmiſchen Forſtvereins ſeit 1875 eine große Anzahl, über 800, Beobachtungs⸗ ſtationen eingerichtet. Nach Jahresſchluß werden auf Grund der Meſſungen, die an den einzelnen Stationen über die jährliche Regenhöhe ſtattgefunden haben, in ) A. R. Harlacher, Profeſſor in Prag. Die Meſ⸗ ſungen in der Elbe und Donau und die hydrometriſchen Ap⸗ parate und Methoden des Verfaſſers. Leipzig, A. Felix, 1881. die hydrographiſchen Karten Kurven gleicher Regen⸗ höhe von 10 zu 10 oder von 20 zu 20 mm ein⸗ gezeichnet, ſogenannte „Iſohyeten“. Aus dieſer Schichtenkarte läßt ſich durch Planimetrirung der einzelnen Schichten für jedes Flußgebiet leicht die abſolute Regenmenge mit ziemlich großer Genauigkeit ermitteln. Nachfolgende Tabelle gibt z. B. die wich⸗ tigſten Reſultate der in den Jahren 1877 und 1878 ſtattgefundenen Meſſungen wieder: Slacheninbalk A enge | aie as obe Flußgebiet . i Quadrat⸗ ander Millimeter kilometer 1877 1878 1877 1878 „Kleine“ Elbe.. 13,699 8,9| 8,7 | 651 | 635 NNT. os 5 oc 28,137 16,7 18,2 | 594 | 647 „Große“ Elbe. 9,440 5,9| 5,9 | 620 | 620 Böhmiſches Becken. 51,276. 31,5 32,8 | 614 639 Der hydrometriſchen Sektion iſt eine un⸗ gleich ſchwierigere Aufgabe zugefallen, die ſich erſt im Laufe einer langen Reihe von Jahren befriedigend löſen laſſen wird. Ihre Thätigkeit erſtreckt ſich auf die Einrichtung eines Netzes von Pegeln, um die Vornahme zuverläſſiger Waſſerſtandsbeobachtungen an den Haupt⸗ und Nebenflüſſen möglich zu machen, ſowie auf Konſumtionsmeſſungen. Die Pegelab⸗ leſungen ſollen an den Hauptflüſſen täglich einmal, an den kleineren Nebenflüſſen, welche raſcheren Schwankungen unterworfen ſind, täglich dreimal er⸗ folgen. Sie werden allmonatlich in Tabellenform und in graphiſchen Tafeln veröffentlicht. Letztere Darſtellungsweiſe erleichtert den Vergleich mit dem gleichzeitigen Regenfall durch Aufnahme einer Kurve, in der man die täglichen mittleren Niederſchlagshöhen zur Erſcheinung bringt. Da der Waſſerſtand der Flüſſe auch weſentlich von der Temperatur abhängt, ſo iſt außerdem noch die Wärmekurve von Prag ein⸗ gezeichnet. Die zur Aufſtellung der Pegel notwendigen Rekognoszierungen und Arbeiten beſtehen im Aus⸗ ſuchen geeigneter Oertlichkeiten, die an normalen Flußſtrecken, d. h. weder im Stau, noch an Strom⸗ engen liegen müſſen, ſowie in der Gewinnung zu⸗ verläſſiger Beobachter, ferner im Setzen der Pegel, im Feſtlegen und ſorgfältigen Nivellieren ihres Null⸗ punktes, in der Aufnahme der benachbarten Fluß⸗ ſtrecke u. ſ. w. Da alle genannten Arbeiten ſehr zeitraubend und koſtſpielig ſind, ſo iſt das Pegelnetz noch keineswegs fertiggeſtellt. Noch langſamer vorwärts ſchreitet die Aus füh⸗ rung der Konſumtionsmeſſung en. Dieſelben haben den Zweck, mit möglichſter Genauigkeit die Waſſermengen zu ermitteln, welche die einzelnen Flüſſe an den Beobachtungsſtellen bei verſchiedenen Waſſerſtänden abführen, um auf Grund dieſer Er⸗ mittelungen empiriſche Geſetze über die Abhängigkeit des Wachstums der Waſſermenge vom Wachstum des Humboldt. — Dezember 1882. 439 Waſſerſtandes, die natürlich jedesmal nur für die in Tetſchen an der ſächſiſchen Grenze vorgenommen, um Frage kommende Beobachtungsſtelle Gültigkeit haben, zunächſt die Abflußmenge des geſamten böhmiſchen aufzufinden. Beckens beſtimmen zu können, bevor die einzelnen Je nach der Wichtigkeit des Fluſſes müſſen die Teilgebiete näher unterſucht werden. Meſfungen in größerer oder geringerer Zahl vor- Harlachers ſorgfältige Konſumtionsmeſſungen genommen werden. Für kleinere Waſſerläufe genügt haben ergeben, daß das empiriſche Geſetz der Waſſer⸗ es, die Aufnahmen bei einem ſehr niedrigen, bei mengenzunahme ſich für die Elbe bei Tetſchen durch die mittlerem und bei ſehr hohem Waſſerſtande zu be- Formel O = 4 W ausdrücken läßt, worin Q die wirken. Jedoch iſt darauf zu achten, daß man einen Waſſermenge in Kubikmetern per Sekunde und W Beharrungszuſtand auswählt, weil während des An- die größte Waſſertiefe des Querprofils bezeichnet. Kleine UElbe ſchwellens und Abnehmens der Hochflutwelle die | « und z find Konſtanten, welche auf Grund von Durchflußmengen anormale Werte annehmen. 14 Beobachtungen nach der Methode der kleinſten Für bedeutende Flüſſe iſt eine große Anzahl von Quadrate zu 78,09, bezw. zu 1,9535 beſtimmt worden Beobachtungen erforderlich, um das Geſetz der Waſſer- | find. Der Pegelnullpunkt liegt 1,45 m über dem mengenzunahme mit genügender Sicherheit zu er- tiefſten Punkt der Flußſohle. Wenn man mit H die mitteln. Wiederholte Meſſungen bei gleich hohem direkt abgeleſenen Pegelſtände bezeichnet, ſo lautet Pegelſtande tragen zur Eliminierung der vorhin er- daher die Formel in etwas vereinfachter Geſtalt wähnten Fehlerquelle bei. Ferner ijt die Veränderung 2-78 (H + 1,45). des Flußbetts, die häufig in einer gewiſſen Regel— Eine für die Hydrologie Böhmens wichtige Nutz— mäßigkeit mit dem Wechſel der Waſſertiefen erfolgt, anwendung dieſes hydrometriſchen Reſultats iſt die wohl zu beachten. So tritt beiſpielsweiſe bei Flüſſen Beſtimmung der täglichen Abflußmengen, die ſich mit mit leicht beweglicher Sohle faſt allgemein eine erheb- Hilfe der regelmäßig erfolgten Pegelableſungen auf liche Austiefung während des Niedrigwaſſers ein. Grund der vorgenannten Formel leicht ausführen läßt. Da jede einzelne Konſumtionsmeſſung an und für Wenn man die Jahresſummen bildet, fo ergibt ſich, ſich einen ziemlich beträchtlichen Aufwand von Zeit daß im Jahre 1877 etwa 9 Milliarden ebm und und Mühe notwendig macht, ſo iſt leicht erklärlich, im Jahre 1878 etwa 8,5 Milliarden ebm Waſſer daß die hydrometriſchen Arbeiten bis jetzt nur wenig aus dem Gebiete der Elbe oberhalb Tetſchen, deſſen umfangreich geblieben find. Außer einigen Meſſungen Größe nahezu 51,000 Quadratkilometer beträgt, ab- in der „kleinen“ Elbe, Moldau, Eger und Sazawa gefloſſen ſind. Die mittlere Abflußhöhe hat ſonach 175, wurden ſehr präziſe Beobachtungen in der Elbe bei bezw. 165 mm betragen, während in denſelben Jahren Humboldt 1882. 56 440 Humboldt. — Dezember 1882. die Niederſchlagshöhe 614, bezw. 635 mm betragen hat. Das Verhältniß zwiſchen Abflußmenge und Regenmenge kann ſonach für das Gebiet der Oberelbe auf 28,5, bezw. 26,0 Prozent beſtimmt werden. In einem ſo großen Strombecken ſind Bodenart, Geſteinsſchichtung, Einfluß der Vegetation, Nieder⸗ ſchlag, Verdunſtung und Abfluß je nach den ver⸗ ſchiedenen Gegenden ſehr verſchieden. Die am unteren Ende des Beckens gemeſſene Abflußmenge repräſentiert beim Vergleich mit der totalen Regenmenge die Summe aller verſchiedenartigen Verhältniſſe. Wenn man jedoch ein analoges Verfahren auf kleinere Teil⸗ gebiete anwendet, ſo zeigt ſich bald, daß die einzelnen Glieder dieſer Summe ungemein viel voneinander abweichen. „In den Quellgebieten“, ſagt Pralle“), „d. h. für die meiſten Flüſſe und Ströme in den Gebirgen, zeigen ſich bei beſonderen Formationen durch den überwiegenden Einfluß der unterirdiſch zu⸗ fließenden Waſſermengen abnorme Abflußverhältniſſe, die ſich weiter abwärts, je größer die Ausdehnung des Abflußgebiets wird, mehr und mehr verlieren, oder wenigſtens durch andre normale Einflüſſe über⸗ wogen werden.“ Andre Forſcher haben das Geſetz aufgeſtellt, „daß, je größer die Flußentwickelung und das Stromgebiet eines Waſſerlaufs iſt, um ſo kleiner das Waſſer⸗ quantum wird, welches von der gefallenen Regenmenge durch die Waſſerläufe zum Abfluß gelangt. Die Einwirkung der Verdunſtung, des animaliſchen und vegetabiliſchen Lebens, der Einfluß der Verwitterung der Geſteine auf das Zurückhalten eines Teiles der gefallenen Regenwaſſermengen iſt bei der Mannig⸗ faltigkeit der in einem großen Stromgebiete vorkom⸗ menden Bedingungen in den meiſten Fällen viel größer, als bei Flüſſen von kurzen Lauflängen und kleinen Abflußgebieten. Das Waſſer erreicht in dem letzteren Falle das Ziel ſchneller, und iſt auf dem Wege von der Quelle bis zur Mündung viel weniger Wechſelfällen ausgeſetzt“ (Ko vatſch !?), Verſandung von Venedig, S. 55). Die Zahl der zuverläſſigen hydrologiſchen Be⸗ obachtungen iſt noch zu gering, um dieſe Anſicht, die allerdings in vielen Fällen berechtigt ſein mag, be⸗ weiſen zu können. Jedenfalls liefern die That⸗ ſachen, welche Kovatſch anführt (Vergleiche der Ver⸗ hältniszahlen zwiſchen Abfluß⸗ und Regenmenge im Gebiete der Donau und in den Gebieten der ober- italieniſchen Flüſſe), den Beweis, daß es durchaus notwendig iſt, „in das Detail“ zu arbeiten, wenn die Geſetze der Bewegung des Waſſers erforſcht werden ſollen. Für die Brenta hat Kovatſch jene Ver⸗ hältniszahl auf 88, für den Bacchiglione auf 70, für den Tagliamento und Iſonzo auf 60, für den Po auf ) Pralle, Waſſerbauinſpektor. Beitrag zur Be⸗ ſtimmung des durch die Flüſſe abgeführten Teiles der Niederſchlagsmengen. (Zeitſchr. d. Arch.⸗ u. Ing.⸗V. zu Hannover, 1877, S. 77.) ) M. Kovatſch, dipl. Ingenieur und Profeſſor. Die Verſandung von Venedig und ihre Ur⸗ ſachen. Leipzig, Morgenſtern, 1882. 59,4, für die Etſch auf 50 Prozent beſtimmt, während nach Sonnklars „Hyetrographie des öſterreichiſchen Kaiſerſtaats“ die Donau nur 10 Prozent der jähr⸗ lichen Niederſchlagsmengen aus ihrem Stromgebiete abführt. Je größer und ungleichmäßiger das Abfluß⸗ becken iſt, um ſo mehr verwiſchen ſich die Unterſchiede und um ſo unbeſtimmter wird das Bild. „Ein andrer Umſtand kommt noch hinzu,“ ſagt Pralle, „der wahrſcheinlich häufiger ſeinen Einfluß äußert, als man meint, und der bei der Ermittelung des Verhältniſſes von Regen- und Abflußmenge, namentlich in den Gebirgen, die ſorgfältigſte Be⸗ achtung verdient. Es treten nämlich unter Umſtänden ſo bedeutende Waſſermengen in den unterirdiſchen Zuflüſſen zu Tage, daß ſie in ihren jährlichen Mittel⸗ werten größer ſind, als die ganze Niederſchlagsmenge, die im Jahresmittel in dem von den Waſſerſcheiden begrenzten Zuflußgebiete fällt. Darin liegt ein evidenter Beweis, daß in ſolchen Fällen das den Zufluß liefernde Gebiet über die Waſſerſcheiden des Niederſchlags hinausreicht, daß ein andres Abfluß⸗ gebiet einen Teil der Zuflußmenge hergibt.“ Ein interreſſantes Beiſpiel iſt die Waſſerführung der ſüdlich vom Harz an der Grenze des Eichsfeldes gelegenen Rhumequelle. Ihr nach der äußeren Terrain⸗ bildung beſtimmbares Abflußgebiet, deſſen jährliche Niederſchlagshöhe etwa 837 mm beträgt, mißt nur 5,7 Quadratkilometer. Die Quelle liefert durchſchnitt⸗ lich 4 ebm Waſſer per Sekunde, alſo 126 Mill. ebm per Jahr. Dies entſpricht jedoch einer jährlichen Abflußhöhe von mehr als 22 m, alſo dem 27fachen Betrag der Regenhöhe. Die unterirdiſchen Waſſer⸗ ſcheiden begrenzen alſo in dieſem Falle ein ſehr viel größeres Zuflußgebiet, deſſen genauere Ermittelung ſich an der Hand von geologiſchen Karten und hydro⸗ logiſchen Aufnahmen der benachbarten Landſchaft vor⸗ ausſichtlich bewirken laſſen würde. Noch nach einer andern Richtung hin ſind die hydrologiſchen Studien zu vertiefen. Die unterirdiſchen Zuflüſſe folgen den Einwirkungen der Niederſchläge häufig nur langſam, beſonders in klüften⸗ und höhlen⸗ reichen Gebirgsgegenden. Anderſeits nimmt die Ver⸗ dunſtung in hohem Grade mit der Tageswärme zu. Die Verhältniszahl, welche die Beziehung zwiſchen Abfluß⸗ und Regenmenge angibt, wechſelt daher inner⸗ halb eines meteorologiſchen Jahres beſtändig ihren Wert. Je nach der Bodenſchichtung und Vegetation des unterſuchten Gebiets wird jedoch die Größe ſo⸗ wohl, als auch die Stufenfolge der Wertſchwankungen ſehr verſchieden ſein. Eine ſorgfältige Beobachtung, auf welche Weiſe dieſe Verhältniszahlen in den ein⸗ zelnen Perioden des Jahres zu- und abnehmen, er⸗ laubt mancherlei Rückſchlüſſe, die für die Lehre von der Bewegung des Waſſers in hohem Grade wichtig ſind. Ein treffliches Beiſpiel für die zu dem genannten Zwecke einzuſchlagende Methode liefert die oben⸗ erwähnte Pralleſche Abhandlung durch die Be⸗ ſchreibung der Abflußverhältniſſe des Ilmenaugebiets. Die Quellen der Ilmenau liegen bei Salzwedel in der Altmark. Bis Bardowiek, für welche Pegelſtelle Humboldt. — Dezember 1882. 441 die Unterſuchungen angeftellt worden find, beträgt die Länge des Fluſſes 90 Kilometer, die Fläche ſeines Zuflußgebiets 1637 Quadratkilometer. Die Waſſer— menge ſinkt in dürren Zeiten weder ſehr tief herab, noch erhöht ſie ſich übermäßig, ſelbſt nicht bei den ſtärkſten Anſchwellungen. Der Umſtand, daß die Schwankungen der Abflußmenge in engen Grenzen bleiben, macht es möglich, aus einer verhältnismäßig geringen Zahl von Beobachtungen ein richtiges Er— gebnis abzuleiten. Als Hilfsmittel zur Beſtimmung des Verhältniſſes zwiſchen Abfluß- und Regenmenge im Ilmenaugebiet wurden benutzt: 1) die Monatsmittel aus zehnjährigen täglichen Ableſungen am Pegel zu Bardowiek; 2) eine genaue Meſſung der Waſſermenge bei Bardowiek für den Pegelſtand + 0,44 m und ein Annäherungsgeſetz für die Beziehungen zwiſchen Waſſerſtand und Waſſer— menge; 3) die in den Heften der preußiſchen Statiſtik enthaltenen 21jährigen Beobachtungen der Nieder— ſchlagshöhen auf den Stationen Lüneburg und Salz— wedel, die eine zuverläſſige Zuſammenſtellung der mittleren monatlichen Regenhöhen im Flußgebiete möglich machen. Die Unterſuchung iſt derart vorgenommen worden, daß zunächſt die mittleren Pegelhöhen für die einzelnen Monate zur Beſtimmung der mittleren monatlichen Waſſermengen benutzt wurden, woraus alsdann die Ableitung der mittleren monatlichen Abflußhöhen er— folgte. Die ſtärkſte Abflußmenge zeigt der Monat Januar, deſſen Abflußhöhe 18,7 mm beträgt, die ſchwächſte der Monat November mit 13,1 mm. Da- gegen iſt die mittlere monatliche Regenhöhe am größten im Juni mit 72,9 mm, am kleinſten im März mit 37, mm. Die Jahresſumme der Abflußhöhen be— trägt 192,9 mm, die Jahresſumme der Regenhöhen 593,3 mm. Sonach iſt der Monatsdurchſchnitt 16,1, bezw. 49,4 mm. In Fig. 2 ſind die Ergebniſſe der Unterſuchung graphiſch dargeſtellt. Der innere Kreis gibt in ſeinem Radius den Monatsdurchſchnitt der Abflußhöhe, der äußere Kreis den Monatsdurchſchnitt der Regenhöhe an. Die Monate ſind durch 12 Radien in gleich großen Winkelabſtänden abgeteilt. Für jeden Monat iſt die entſprechende mittlere Niederſchlagshöhe und die zu— gehörige Abflußhöhe als konzentriſches Bogenſtück aufgetragen, ſo daß jeder der beiden Kreiſe von einer treppenförmigen Ringlinie umgeben wird, deren Ge— ſtalt die Verteilung der Niederſchläge und Abfluß— mengen auf die einzelnen Monate darſtellt. Es ergibt ſich aus der Betrachtung der Figur ohne weiteres, daß der Niederſchlag nicht ſofort, wenn er fällt, zum Abfluß gelangt, ſondern erſt etwa einen Monat ſpäter. Wenn man die Abflußhöhen— kurve um einen Kreisſektor rückwärts dreht, ſo muß ihre Uebereinſtimmung mit der Regenhöhenkurve noch augenfälliger werden. In Fig. 3 iſt dies geſchehen und außerdem der Maßſtab für die Abflußhöhen der— art geändert, daß die beiden Kreiſe, welche die Monatsdurchſchnitte angeben, zuſammenfallen. Dieſe Verzögerung des Abfluſſes rührt her von der Verſickerung des Regenwaſſers in den durch— läſſigen Boden des Flußgebiets, deſſen Grundwaſſer den zugeſickerten Zufluß nur langſam in Quellen— form an die offenen Waſſerläufe abgibt. Die In— tenſität der Verdunſtung übt inſofern einen weſent— lichen Einfluß, als die abſoluten Maße des Abfluſſes in den Sommermonaten erniedrigt und in den Winter— monaten erhöht werden, während die relative Aehn— lichkeit der Abfluß- und Regenhöhen-Kurven durch die Verdunſtungsintenſität nicht beeinflußt wird. Nur die Monate Oktober und November zeigen eine kleine Abnormität, die vermutlich durch die Einwirkung der Herbſtnebel und vorzeitiger Fröſte zu erklären ſein wird. Wenn man die Variation des Verhältniſſes zwiſchen Abfluß- und Regenmenge für die einzelnen Jahreszeiten berechnet, ſo ergibt ſich, daß der Prozent— ſatz am größten im Winter iſt, nämlich 41,3 %, am kleinſten im Sommer, nämlich 24,1%, während im Frühjahr und Herbſt 35,5, bezw. 33,1% des Nieder ſchlagswaſſers abgeführt wird. Als Jahresmittel hat Pralle für das Ilmenaugebiet 32,5% gefunden, etwa ebenſoviel wie Ara go für das Flußbecken der Seine oberhalb Paris und wie Preſtel überſchlägig für das Gebiet der Elbe oberhalb der Flutgrenze gefunden hat. Wenn ähnliche Ermittelungen für einige andre Abflußgebiete mittlerer Größe angeſtellt würden, ſo könnte man mit Rückſicht auf die Bodenbeſchaffenheit, Höhenlage und klimatiſche Eigenart Gruppen bilden und für jede Gruppe einen Mittelwert der Ver— hältniszahl zwiſchen Abflußmenge und Regenmenge beſtimmen. Für die praktiſchen Zwecke des Ingenieurs genügt es faſt immer, die Abflußhöhe eines größeren Bezirks derart einzuſchätzen, daß die leichter zu ermit— telnde Regenhöhe mit demjenigen, als Prozentzahl aus- gedrückten Mittelwert multipliziert wird, welcher der am meiſten analogen Gruppe entſpricht ). Aus den früheren Ausführungen ergibt ſich, daß die zu unterſuchenden Gebiete weder zu groß, noch zu klein ſein dürfen: weder zu groß, um nicht die thatſächlichen Abfluß— verhältniſſe durch Kompenſation zu verſchleiern, noch zu klein, um den Einfluß lokaler Abnormitäten zu beſeitigen. Für die Zwecke der wiſſenſchaftlichen Forſchung iſt dies ſchätzungsweiſe Verfahren nicht ausreichend. Um den Verbleib des Niederſchlagswaſſers von Schritt zu Schritt verfolgen zu können, iſt es unerläßlich, die vorbeſchriebenen Unterſuchungen auf eine ſehr „) Beiläufig mag hier bemerkt werden, daß die in dem Werke G. von Möllendorfs „Die Regen: verhältniſſe Deutſchlands u. ſ. w“ angegebene Verhältniszahl für Abfluß und Niederſchlagsmenge, 47,3 %%, durchaus keine Gültigkeit beanſpruchen kann, da ſie aus einer Reihe von Beobachtungen entnommen iſt, die um mehr als 44 /% voneinander abweichen, überdies auch größtenteils nur für einzelne Bodenarten im kleinen an- geſtellt worden find. Das Verhältnis zwiſchen Abfluß menge und Niederſchlagsmenge wird für Deutſchland ver- mutlich im Mittel etwa 1:3 betragen. 442 Humboldt. — Dezember 1882. große Zahl kleiner Abflußgebiete auszudehnen. Durch Zuſammenhaltung der Einzelergebniſſe mit dem für das Geſamtbecken erhaltenen Reſultat laſſen ſich Schluß⸗ folgerungen gewinnen, deren Sammlung den Aufbau der hydrologiſchen Wiſſenſchaft ermöglichen wird. Die Zahl der vorhandenen Beobachtungen, welche zur Erreichung dieſes Zweckes benutzbar gemacht werden könnten, iſt weit größer, als vielfach geglaubt wird. In Norddeutſchland wird ſeit langer Zeit dem Melio⸗ rationsweſen große Aufmerkſamkeit zugewandt. Nur Januar e 6 % 40 0% 6 SEY Y . mengen und die Geſchiebeführung der Donau und ihrer Seitenſtröme, die Waſſerverſorgungsanlagen der Rauhen Alp — alle dieſe Arbeiten haben Veran⸗ laſſung gegeben zu einer großen Zahl nützlicher Be⸗ obachtungen, an deren Hand die Wiſſenſchaft vorwärts ſchreiten könnte, wenn ſie leichter zugänglich wären. Auch das Ausland bietet dem Hydrologen reichen Stoff, der oft nur einer ſyſtematiſchen Durcharbeitung harrt. England, Oeſterreich, Italien, die Niederlande und Spanien haben eine große Zahl vortrefflicher Fig. 2. ein ſehr geringer Teil der aufgeſtellten Entwürfe ift zur Ausführung gelangt, da faſt immer die Luſt der Intereſſenten zur Verbeſſerung ihrer Waſſerwirtſchaft nur jo lange anhält, als der augenblickliche, oft erſt in weiten Perioden wiederkehrende Notſtand dauert. Aber die Vorarbeiten, die hydrologiſchen Unterſuchungen, welche für die Aufſtellung jener Entwürfe ausgeführt worden ſind, liegen als ein latenter Schatz in den Regiſtraturen der Baubeamten. Aehnlich iſt's im Süden unſres Vaterlandes. Baden, Württemberg und Bayern haben ungemein viel brauchbares Material für die hydrologiſche Forſchung vorbereitet“). Die Regulierung des Rheins und ſeiner Zuflüſſe aus dem Schwarzwald, die Unterſuchungen über die Waſſer⸗ ) Sehr lehrreich ſind u. a. auch die Beobachtungen der forſtlich⸗meteorologiſchen Station Bayerns, die in Ebermayers Werk „Einwirkungen des Waldes auf Luft und Boden“ verwertet find. Monographien geliefert, aus denen ſich ſehr viele nütz⸗ liche Angaben gewinnen laſſen. Seit 1863 beſteht in der Schweiz) ein hydrometriſcher Beobachtungs⸗ dienſt für ſämtliche Flußgebiete, durch deſſen Fürſorge die täglichen Pegelſtände, Niederſchlagshöhen und Temperaturen alljährlich veröffentlicht werden. Dieſe regelmäßigen Beobachtungen finden ihre Ergänzung in beſonderen Aufnahmen, durch welche die Einflüſſe der Durchläſſigkeit, der Steilheit und der Kulturart des Abflußgebiets auf die Abflußmenge feſtgeſtellt werden ſollen. In ähnlicher Weiſe iſt ſeit 1854 unter der Oberleitung Belgrands “*) das Strom⸗ becken der Seine einer genauen Unterſuchung unter⸗ zogen worden. Die dort erprobte Methode wurde *) Lauterburg, tungen der Schweiz. **) Belgrand, logiques, Hyd rometriſche Beobach⸗ La Seine, études hydro- Humboldt. — Dezember 1882. 443 ſeitdem auf andre franzöſiſche Stromgebiete in mehr oder weniger umfaſſender Weiſe ausgedehnt, ſo daß nunmehr auch für die Garonne, den Adour, die Sadne und die Maas hydrologiſche Arbeiten vorliegen. Die Herſtellung eines großen Kartenwerks, deſſen im Maßſtabe 1: 200,000 gezeichnete Blätter eine Ueber— ſicht der Waſſerläufe, Mühlen und Bewäſſerungs⸗ anlagen Frankreichs geben und deſſen tabellariſche Beilagen alle charakteriſtiſchen Daten (Abflußmengen bei Hoch-, Mittel- und Niedrigwaſſer, Gefällverhält— Y ad 68 [Ia Januar. 31.9 (Februar) (47,5 beau 6. 1990390) niſſe u. ſ. w.) enthalten ſollen, ſchreitet erklärlicher— weiſe nur langſam voran. Der Verband deutſcher Architekten- und Ingenieur⸗ vereine hatte die Frage der beſſeren Ausnutzung des Waſſers in landwirtſchaftlicher, induſtrieller und fom- merzieller Beziehung auf die Tagesordnung ſeiner diesjährigen Verſammlung geſetzt. Die von Profeſſor Frauenholz in München vorgeſchlagene Reſolu— tion, welche einem Ausſchuſſe zur Bearbeitung einer Denkſchrift übergeben worden ijt, enthält eine Auf— forderung an die Regierungen durch ausgedehntere Beobachtungen der Flußwaſſerſtände, Ermittelungen der Geſchwindigkeiten und Waſſermengen, geometriſche Aufnahmen der Flußgebiete u. ſ. w. die Zwecke der Hydrologie kräftig zu fördern. Es iſt nicht zu be- zweifeln, daß dieſe Anregung fruchtbaren Boden finden wird. So hat z. B. der preußiſche Miniſter für Landwirtſchaft den beiden Häuſern des Landtages ace Rbtlulshohe We p N e Uh Qu mitgeteilt“), daß er ſämtliche Meliorations-Bau— inſpektoren der Monarchie veranlaßt habe, genaue Aufnahmen über den Zuſtand aller in ihren Diſtrikten vorhandenen größeren nicht ſchiffbaren Flüſſe und Flußſtrecken zu machen. Vielleicht wird hiermit die Möglichkeit geſchaffen, daß die in den Regiſtraturen ſchlummernden Notizen und Unterſuchungen recht bald bekannt gegeben und für die wiſſenſchaftliche Forſchung nutzbar gemacht werden. Das Problem, deſſen Löſung der Hydrologie vor— Fig. 3. behalten bleibt, iſt eine Funktion mit vielen Unbe— kannten. Eine große Zahl von Gleichungen iſt er— forderlich, um die Werte der Unbekannten zu be— ſtimmen. Nur wenig wiſſen wir über die Vorgänge bei der Verſickerung des Regenwaſſers, über Waſſer— kapazität und Kapillarattraktion der Bodenarten, über Bildung der Quellen, Sümpfe und Moore und über die vielgeſtaltigen Erſcheinungen, die man „Grund— waſſerverhältniſſe“ benennt, weil dies Sammelwort am leichteſten aus der Verlegenheit einer präziſen Erklärung hilft. Nur wenig iſt uns bekannt über die Rolle, welche bei der Regelung des Abfluſſes der Niederſchlagsmengen dem Pflanzenwuchs und der Bodenkultur zufällt, über den Einfluß der geologiſchen Schichtung und über die Einwirkung der äußeren *) Bericht über Preußens landwirtſchaftliche Verwaltung 1878-1880. 444 Humboldt. — Dezember 1882. Terraingeſtaltung. Wir wiſſen nur wenig über die Geſetze des Wachstums der Bäche und Flüſſe, über die Entſtehung und die wellenartige Fortbewegung der Hochfluten, über die Eroſion und den Transport der Geſchiebe. Es iſt uns nur wenig bekannt über die Abhängigkeit des Quellenreichtums vom baro⸗ metriſchen Druck und über die flutähnlichen Niveau⸗ ſchwankungen der unterirdiſchen Gewäſſer. Die Ziele der Hydrologie ſind mannigfach und einer emſigen Arbeit wohl wert. Nur durch das einmütige Zuſammenwirken vieler Forſcher kann die „Lehre von der Bewegung des Waſſers auf und in der Erdrinde“ feſt begründet werden. Vielleicht gelingt es dieſen Zeilen, dem jüngſten Zweige der Naturkunde neue Freunde zu gewinnen und ihnen anzudeuten, auf welchem Wege der Fortſchritt möglich iſt. fan ee; tab atgonie ec. Von Prof. Dr. Auguſt Vogel in München. sy: Farben find bekanntlich nichts Reales — nichts Körperliches — ſie ſind nur Zuſtände, welche gewiſſe Eindrücke auf unſer Auge hervorbringen; ſie entſtehen durch verſchiedene Zerſetzungen des Lichtes, indem die Oberfläche eines Körpers einige Strahlen reflektiert — zurückwirft, die andern abſorbiert — zurückhält oder einſaugt. Wir nennen z. B. einen Körper blau, wenn deſſen Oberfläche alle Strahlen aufſaugt und nur den blauen in unſer Auge zurück⸗ wirft. Es kommt vor, daß Perſonen verſchiedene Farben nicht voneinander zu unterſcheiden vermögen; dies iſt gewiß der ſicherſte Beweis, daß die Farben nichts Wirkliches ſind, ſondern Kinder des Lichtes oder nach Goethe: Thaten des Lichtes — Thaten und Lei⸗ den. Indes, wenngleich die Farben nichts Wirkliches ſind, — ſie üben doch unleugbar einen beſtimmten Eindruck auf den Menſchen aus, ſie offenbaren ihr Weſen nicht nur dem Auge, ſondern auch dem Ge⸗ müte, es ruht in der Farbe eine ſinnliche, ſittliche und äſthetiſche Wirkung. Während z. B. das rote Licht erregt, den Eindruck einer lärmenden Bewegung hervorbringt, ſo wird dagegen durch das blaue eine ſchwermütige Ruhe, eine ſchweigende Betrachtung über uns ergoſſen. Ein Blick in die bunte Blumenwelt zeigt uns die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Pflanzen⸗ farbſtoffe. Die Farbenſkala der Körper des Mine⸗ ralreiches erſcheint geringfügig im Vergleiche mit der Farbenpracht und Farbenmenge, wie ſie uns ver⸗ ſchwenderiſch die vegetabile Natur darbietet. Unter allen Pflanzenfarbſtoffen hat der grüne Farbſtoff der Pflanzen, das Blattgrün oder Chlorophyll, das größte Intereſſe, weil es der verbreitetſte Farbſtoff im Pflanzen⸗ reiche iſt und, wie bekannt, in einer nahen Beziehung zum Leben und Wachstum aller grünen Pflanzen ſteht. Das Blattgrün bietet ſchon bei oberflächlicher Betrachtung manches Wunderbare und Auffallende. Im Dunkeln gezogene Pflanzen ſind bekanntlich nicht grün, ſondern hellgelb gefärbt; es unterbleibt unter ſolchen Umſtänden die Bildung des grünen Farb⸗ ſtoffs in der Regel gänzlich. Die Entſtehung des Chlorophylls ſcheint hiernach vom Lichte bedingt zu ſein, wenigſtens mit demſelben im innigen Zuſammen⸗ hange zu ſtehen. Und doch, wenn das Chlorophyll durch irgend ein Löſungsmittel, Weingeiſt, Aether u. a, aus der Pflanze abgeſchieden, fo wird es ſehr ſchnell durch Einwirkung des Lichtes zerſtört, gebleicht. Dieſer durch das Licht erzeugte Farbſtoff — dieſes Kind des Lichtes, — verträgt nicht dem Lichte ausgeſetzt zu werden, iſt ſomit eine ganz unhaltbare Farbe. Be⸗ achtenswert iſt die höchſt intereſſante Thatſache, daß die Keimpflanzen der Koniferen auch bei vollkommenem Ausſchluß des Lichtes, in völlig lichtloſen Räumen, ergrünen. Zunächſt wurde die Beobachtung gemacht, daß Keimlinge von Fichten, Föhren, Thujen auch bei völligem Lichtmangel, im tiefſten Dunkel, oder mit einer Erdſchichte bedeckt, den grünen Farbſtoff er⸗ zeugen. Aus Föhrenſamen in feuchten Sägeſpähnen unter Lichtabſchluß gezogene Pflanzen zeigten nach meinen Verſuchen entſchiedene Chlorophyllbildung, ob⸗ gleich ſie im Vergleiche mit den im Tageslichte er⸗ zeugten Pflanzen nicht ſo kräftig entwickelt ſchienen. Doch auch hier findet ſich eine Ausnahme. Die Lärche (Larix europaea), iſt nämlich die einzige Konifere, deren Keimlinge im Finſtern nicht grün werden. Neueren Forſchungen der Chemie iſt es gelungen, die farbenſchaffende vegetabile Natur ſchrittweiſe aus ihrer Werkſtätte zu verdrängen. Vor kaum einem Jahrzehnt iſt es geglückt, der Krappwurzel ihre ge⸗ heime unterirdiſche Arbeit abzulernen, das Krapprot künſtlich darzuſtellen, und die neueſte Zeit verſucht es ſogar, unſre altehrwürdige Indigopflanze in Ruhe⸗ ſtand zu verſetzen und was ſie ſparſam in ſtiller Zelle emſig geſchaffen, zentnerweiſe aus großen Keſſeln hervorgehen zu laſſen. Durch die Entdeckung des künſtlichen Krapprotes (1868), des Alizarins, iſt der Krappbau, der beſonders in Frankreich große Länder⸗ ſtrecken für ſich beanſpruchte, überflüſſig geworden. Damit aber ſind die Ackerfelder, von welchen noch 1862 in Frankreich 20,463 Hektar zum Krappbau verwendet wurden, der Landwirtſchaft zum Cerealien⸗ bau zurückgegeben worden und damit einem großen volkswirtſchaftlichen Intereſſe genüge geleiſtet. Es Humboldt. — Dezember 1882. 445 waren vorzugsweiſe deutſche Chemiker, wie dies mein verehrter Freund W. v. Miller in ſeiner ausge— zeichneten Arbeit „Alte und neue Farbſtoffe“ ſo treffend hervorgehoben, denen die Darſtellung der künſtlichen Farbſtoffe gelungen; ſo iſt denn auch die techniſche Darſtellung künſtlicher Pigmente eine ſpe⸗ zifiſch deutſche Induſtrie. Iſt es nicht auffallend, die Engländer, die vor andern induſtrielle Nation, find von den Deutſchen in fold) wichtigem Induſtrie— zweig überflügelt worden; iſt es nicht eine merkwür⸗ dige Erſcheinung, dieſes praktiſche, ſelbſtändige Volk, „das auch zu ſtolz iſt, fremder Tugend zu räuchern“, läßt Deutſchland von Sachverſtändigen bereiſen, um Von von deutſcher künſtlicher Farbeninduſtrie Kenntnis zu nehmen? Ja, die Engländer exportieren ſogar ihren Theevorrat nach Deutſchland und kaufen die von Deutſchen daraus dargeſtellten Farben um hohen Preis zurück. So iſt denn das prophetiſche Wort Liebigs zur Wahrheit geworden. „Wir glauben, daß morgen oder übermorgen jemand ein Verfahren entdeckt, aus Steinkohlenteer den herrlichen Farbſtoff des Krapps oder das wohlthätige Chinin oder das Morphin zu machen; nach den neueſten Entdeckungen über die organiſchen Baſen iſt es uns geſtattet, an all dieſes zu glauben, ohne jemand das Recht ein— zuräumen, uns zu verlachen.“ Dr. Friedrich Unauer in Wien. njre Schlange ijt die einzige Vertreterin der Gattung der Trugnattern (Tachymenis). In ihrem Habitus, ihrer Färbung und Zeichnung, ihrem ganzen Gehaben iſt ſie ſo charakteriſtiſch, daß ſie auch der Laie, der ſie einmal geſehen, nicht wie— der verwechſelt, was ihm mancher andern, ſtark va— riierenden ſüdeuropäiſchen Colubridenart gegenüber nicht ſo leicht fällt. Betrachten wir einmal das Aeußere unſrer Natter. Ihrer Länge nach gehört ſie zu den kleineren Nat— tern, denn nur ſelten finden wir ein Exemplar von 80 em Länge; die meiſten reichen nicht viel über 60 em. Ganz beſonders charakteriſtiſch iſt ihr flach— gedrückter, hinten ſtark verbreiterter Kurzkopf, an dem wieder die ſcheuen Augen mit der längsgeſpaltenen Pupille auffallen. Dem ziemlich gedrungenen Körper fehlt die bei vielen Schlangen ſo deutlich ausgeſpro— chene Bauchkante faſt ganz. Der allmählich ſich ver— jüngende Schwanz nimmt etwa ein Sechſtel der ge— ſamten Körperlänge in Anſpruch. Von Wichtigkeit in ſyſtematiſcher Beziehung iſt bekanntlich bei Schlangen die Beſchilderung des Kopfes. Das Zügelſchild (scutum krenale) zieht unter dem vorderen Augenſchilde vorbei bis zum Auge hin. Die kleinen Brauenſchilder (scuta supraocularia) ſind bedeutend kürzer und ſchmäler, als das Stirn— ſchild (se. krontale). An Augenſchildern find 1 vorderes, 1—2 hintere vorhanden. Das faſt ſichel— förmige Rüſſelſchild (se. rostrale) iſt breiter als hoch. Das große Naſenſchild (se. nasale) liegt den Oberlippenſchildern (sc. supralabialia) auf. Die locker aufliegenden, ziemlich großen, glatten Sechseckſchuppen des Körpers ſind in 19 Längsreihen angeordnet. Wenig variierend iſt die Färbung und Zeichnung. Jede einzelne Schuppe iſt auf lichtgrauem Grunde ſchwarz gepunktet, ſo daß der ganze Oberkörper ein trübgraues Anſehen hat. Im Nacken ſteht ein brei— ter, dunkelbrauner oder ſchwarzer Flecken; ähnliche rundliche oder quergezogene Flecken ziehen über den Rücken, kleinere an den Körperſeiten hin. Die licht— graue oder gelbliche Unterſeite iſt einfarbig oder fein ſchwarz betupft. Die Heimat der Katzenſchlange iſt das ſüdliche Oſt— europa, denn von Trieſt etwa angefangen hat man ſie in ganz Iſtrien, Dalmatien, auf der Balkanhalbinſel, in Südrußland und in den Kaukaſusländern gefunden. In ihrem Betragen erinnert die Katzenſchlange viel an unſre Schlingnatter (Coronella laevis). Wie dieſe iſt ſie außerordentlich ſcheu und entzieht ſich dem Beobachter durch eilige Flucht; wie dieſe liebt ſie trockenen, aber nicht übermäßig beſonnten Auf— enthalt; gleich ihr zieht ſie ſich gern in enge Schlupfen zwiſchen Schutthaufen zurück; wie jene lebt ſie vor— zugsweiſe von Eidechſen, welche ſie ebenfalls in raſchem Ausholen mit geöffnetem Rachen erhaſcht und vor dem Verſchlingen mit den Leibesfeſſeln erwürgt; an die Schlingnatter erinnert auch ihr glattes, porzellan— artig glänzendes Schuppenkleid. Ich habe da und dort geleſen, daß Katzenſchlangen gar nicht, oder nur außerordentlich ſchwer zur Futter— annahme zu bewegen ſind. Dem iſt nicht ſo und möge ein Beiſpiel für viele die Grundloſigkeit dieſer Behauptung darthun. Eine der nebenſtehend ab— gebildeten Nattern war eben aus Südtirol angelangt und wurde von mir gleich aus der Kiſte in ein Glas— gefäß gebracht, um ſie dem Zeichner als gut erhal— tenes Exemplar zur Illuſtrierung zu überſenden. Gleichzeitig brachte ich eine Mauereidechſe in dasſelbe Glasgefäß. Als ich dann im Café das Glas neben mich ſtellte, die Schlange auch einigen Herren zeigte, machte die Eidechſe den Verſuch, an der Natter em— porzukriechen, wurde aber von dieſer ſofort gepackt, erwürgt und verſchlungen. Dieſelbe Schlange ver— zehrte im Laufe derſelben Woche noch 6 Mauer- eidechſen. Ein andres, um einige Tage ſpäter ange— kommenes Exemplar verzehrte eine halbe Stunde nach der Ankunft 9 Eidechſen, von denen drei faſt unver— daut abgingen. Ueberhaupt machte ich an dieſen 446 Humboldt. — Dezember 1882. 2 Nattern und andern Schlangen wiederholt die Be⸗ obachtung, daß ſie, ſowie ſie einmal oder mehrere Male glückliche Jagd gemacht haben, oft eine eigen⸗ tümliche Wut überkommt und ſie weit mehr Tiere ein entſchieden nächtliches Tier. Dies, dann ihre geſchmeidigen Bewegungen, ihr ſcheues Weſen, ihr unſtäter Blick, die Ruhe, mit der ſie ihre Beute beſchleicht, die Gier, mit der ſie über dieſelbe SAN 1 Die Katzenſchlange (Tachymenis vivax), fangen, töten und verſchlingen, als die Befriedigung ihres Hungers erfordern kann. Unſre Schlingnatter möchte ich trotz ihres verſteckten Lebens und trotz der (übrigens ganz unrichtigen) Behauptung Vieler, man könne ſie nur des Nachts in der Jagd begriffen ſehen, doch für ein Tagtier erklären. Dagegen iſt die Katzen⸗ ſchlange, wie wohl alle Tiere mit elliptiſcher Pupille, herfällt, rechtfertigen ganz den ihr gegebenen Na⸗ men. Bei paſſender Pflege, d. h. wenn man ſie im Sommer gegen zu »grelles Sonnenlicht, im Winter gegen Kälte ſchützt, für Trunk und genü⸗ gende Nahrung ſorgt und gegen die Gewaltthätig⸗ keit größerer Nattern ſchützt, hält ſie in der Ge⸗ fangenſchaft gut aus. Humboldt. — Dezember 1882. 447 1 D Creat ome nt he o.rt e. Nach A. Wurtz's théorie des atomes. Aus dem Franzöſiſchen. Von Dr. ©. Emmerling in Breslau. * acon von Verulam hat zuerſt in ſeiner „Nova Atlandis“ die Idee von einer Vereinigung von Menſchen, welche ſich dem Kultus der Wiſſenſchaft weihen, ausgeſprochen. Er beſchreibt darin die Organi— ſation dieſer Geſellſchaft und ihren Einfluß auf die Geſchicke eines weiſe regierten Volkes und läßt ſie vor unſrem Geiſte ſich zu der Höhe einer Staats— einrichtung erheben. Verſuche und Beobachtungen reichbar — könnte man es doch ſagen! — für den Hader der Parteien; mit einem Worte, dies Gut iſt das Erbteil der Menſchheit. Vor allen iſt es unſer Jahrhundert, welches dieſes Gut ſich zu eigen gemacht, das Jahrhundert, welches man’ zum Jahrhundert der Wiſſenſchaft geſtempelt hat. Es iſt in der That ein großartiges Schauſpiel, vor ſollten es ſein, auf denen ihr Streben nach Erforſchung der Wahrheit baſierte, und ſo zeigte in einem Jahr— hundert, welches weit entfernt war, frei vom Joche der Scholaſtik zu ſein, Englands Kanzler der Wiſſenſchaft ihre wahre Methode und ihre Rolle in der Welt an. Alle Zweige menſchlicher Kenntniſſe umfaßte Bacons Plan. Zahlloſe Beobachter durchzogen die Länder, die einen, um die Denkmäler vergangener Zeiten, Sprache, Sitten, Geſchichte der Völker zu ſtudieren; andre, um Geſtaltung und Erzeugniſſe des Bodens zu beobachten, die Struktur der Erdoberfläche und die Spuren ihrer Revolutionen aufzuzeichnen, alle Daten über Natur, Organiſation und Verteilung von Pflanzen und Tieren zu ſammeln. Die Pflege der exakten Wiſſenſchaften ruhte in andrer Händen. Zur Beobachtung der Geſtirne und Meteore waren Türme errichtet, zur Ergründung der phyſikaliſchen Geſetze reihten ſich in mächtigen Gebäuden Maſchinen und Inſtrumente, welche der Schwäche menſchlicher Kraft zu Hilfe kommen. waren überwacht und untereinander verknüpft. Durch Beobachtung, Vergleichung, Schlußfolgerung in das Innerſte der Natur zu dringen, den Schleier von dem verborgenen Zuſammenhange der Erſcheinungen zu heben und die letzten Urſachen zu ergründen, das war Bacons Plan. Doch ſollte ſich dieſer Philoſoph ſo ſehr in ſeiner Zeit geirrt haben, daß er hätte glauben können, ſein Plan ſei durchführbar? Er kannte ſie zu gut, als daß er es ſelber zu hoffen gewagt hätte, und ohne Zweifel hat er aus dieſem Grunde das glückliche Land, welches ſich einer ſo edlen Einrichtung erfreute, in die Ein— ſamkeit des großen Ozeans verlegt. Aber jener groß— artige Gedanke, welcher ſo lange als kühne Utopie gelten konnte, iſt nicht verloren gegangen; er wirkt heute in allen, welche nach Wahrheit ſuchen, ohne Unterſchied der Nationalität, fie alle bilden in Wirk⸗ lichkeit die Vereinigung, von welcher Bacon träumte. Die Wiſſenſchaft iſt ja heutzutage neutrales Gebiet, ein Gemeingut, gelegen auf ſonniger Höhe, erhaben uber dem Kampfplatz, wo die Völker ſtreiten, uner⸗ Humboldt 1882. Alle Zweige der Forſchung aber welchem wir ſtehen. Erſtaunlich ſchnell haben ſich ſeit etwa hundert Jahren alle auf Beobachtung und Ex— periment gegründeten Wiſſenſchaften entwickelt. Neue Ideen, welche vor unſren Tagen über die Wechſel— wirkung und Erhaltung der Kräfte auftauchten, ſind gleichſam eine Offenbarung für die eine oder andre dieſer Wiſſenſchaften geworden: Mechanik, Phyſik, Chemie, ſelbſt die Phyſiologie haben in ihnen Stütz⸗ punkte und verknüpfendes Band gefunden. Hand in Hand mit dieſem mächtigen Ideenflug und ihn unter— ſtützend ging die Vervollkommnung der Methode, der vollendete Geſchmack bei den Verſuchen, der größere Ernſt in der Strenge der Folgerungen. Sie ſind die ſiegreichen Waffen in dem Kampfe der Wiſſenſchaft gegen das Dunkel geworden, denn in den exakten Wiſſenſchaften genügt es nicht, einen Ausdruck zu geben oder einen Körper nach ewig beſtimmten Schön— heitsgeſetzen zu bilden, in ihnen iſt die Wahrheit tief verborgen und will erkämpft, geraubt ſein wie das Feuer vom Himmel. ‘ In dieſem Kampfe ift die Chemie eine würdige Mitſtreiterin geweſen, nachdem ſie, ihres alten Ge— wandes entkleidet, durch Lavoiſier in neue Bahnen geleitet worden war. Lavoiſiers Arbeiten über die Verbrennung haben unſrer Wiſſenſchaft eine unerſchütterliche Grundlage gegeben, durch ſie wurde der Begriff der einfachen Körper und der weſentliche Charakter der chemiſchen Verbindungen feſtgeſtellt. In den letzteren findet man an Gewicht alles wieder, was an ihren Elementen wägbar iſt; dieſe wiederum verlieren bei ihrer Ver— einigung zu zuſammengeſetzten Körpern nichts von ihrer eignen Subſtanz: fie verlieren nur etwas Un- wägbares, die Wärme, welche im Augenblicke ihrer Vereinigung frei wird. So kam Lavoiſier zu der Auffaſſung, daß ein einfacher Körper, wie der Sauer⸗ ſtoff, durch die innige Vereinigung der wägbaren Subſtanz, des Sauerſtoffs, mit dem unwägbaren, welche das Prinzip der Wärme ausmacht und welche er Kalorie nannte, gebildet wird, eine Auffaſſung, welche die moderne Wiſſenſchaft adoptierte, indem ſie ihr nur andre Form gab. 57 448 Humboldt. — Dezember 1882. Mit Unrecht hat man Lavoiſier beſchuldigt, er habe das Phyſikaliſche in der Verbrennungserſcheinung verkannt, mit Unrecht hat man verſucht, die Lehre vom Phlogiſton wieder zur Geltung zu bringen, welche er den Ruhm gehabt hat, zu ſtürzen. Aller⸗ dings verlieren die Körper beim Verbrennen etwas: das verbrennliche Prinzip, ſagten die Phlogiſtiker; die Wärme, ſagte Lavoiſier, und, was weſentlich iſt: ſie nehmen Sauerſtoff auf. Lavoiſier hat die Er⸗ ſcheinung in ihrem ganzen Weſen erkannt, von welcher der berühmte Urheber der Phlogiſtontheorie, Stahl, nur die äußeren Umriſſe geſehen, deren eigentliches Weſen er verkannt hatte. War auch Lavoiſiers Gebäude unvollkommen und hat auch die Zeit manche Linie in den Umriſſen verwiſcht, die Fundamente ſind dieſelben geblieben für einen größeren und ſchöneren Bau. Seine Arbeiten über die Verbrennung ließen ihn zunächſt die Natur der zu ſeiner Zeit am beſten bekannten Körper, der ſauerſtoffhaltigen, erkennen. Alle dieſe Körper, ſagt er, beſtehen aus zwei Teilen, ihre Konſtitution iſt binär, aber mehr oder weniger kompliziert. Die einen, Oxyde oder Säuren, beſtehen aus einem einfachen Körper verbunden mit Sauerſtoff, andre, komplizier⸗ tere, bilden ſich durch Vereinigung von Oxyden mit Säuren, es ſind dies die Salze. Dieſer dualiſtiſchen Hypotheſe ſchloß ſich zuerſt die franzöſiſche Nomen⸗ klatur an — ein Verdienſt Guyton de Morveaus, deren Prinzip etwa das iſt, daß man für jeden zu⸗ ſammengeſetzten Körper zwei Worte gebraucht, eines, welches das Genus, und eines, welches die Spezies angibt. 8 Die Fortſetzung von Lavoiſiers Werk übernahm der große Berzelius. Er hat die dualiſtiſche Hy⸗ potheſe über die Konſtitution der Salze auf die ganze Chemie ausgedehnt. Um ihr eine feſte Stütze zu geben, fügte er ihr die elektrochemiſche Theorie zu. Alle Körper ſind aus zwei konſtituierenden Teilen gebildet, davon jeder im Beſitz und gleichſam belebt iſt von zwei elektriſchen Fluidis. Da nun das elektro⸗ poſitive das elektronegative anzieht, ſo iſt es natür⸗ lich, ja notwendig, daß in jeder chemiſchen Verbindung die beiden Elemente ſich gegenſeitig anziehen, da fie von zwei entgegengeſetzten Elektrizitäten belebt ſind. Dieſe Hypotheſe war nicht nur eine Erklärung des Dualismus in den Verbindungen, ſondern auch eine einfache und ſcharfſinnige Theorie über das Weſen der chemiſchen Verwandtſchaft. Die Wahlanziehung, welche die Teile der Materie aufeinander ausüben, wurde auf eine elektriſche Wirkung zurückgeführt. Körper verlieh der elektrochemiſchen Hypotheſe und gab der ganzen Chemie eine feſte Grundlage die ſogenannte Atomentheorie, welcher, entlehnt von den Griechen, im Anfang dieſes Jahrhunderts eine neue Form und präziſerer Ausdruck von einem eng⸗ liſchen Denker, Dalton, verliehen wurde. Sie war weniger eine reine Geiſtesſpekulation, wie die Ideen der alten Atomiſtiker und der Philo⸗ ſophen der carteſianiſchen Schule, als eine theoretiſche Darſtellung von wohlverbürgten Thatſachen, d. h. von den beſtimmten Verhältniſſen, nach welchen die Kör⸗ per ſich verbinden, und von den einfachen Beziehungen, welche die multiplen Verbindungen zwiſchen zwei Körpern ausdrücken. Dalton hatte in der That ge- funden, daß in dem Falle, wo ſich zwei Subſtanzen in mehreren Verhältniſſen vereinigen und die Menge der einen konſtant bleibt, die Menge der andren nach ſehr einfachen Beziehungen ſteigt oder fällt. Die Entdeckung dieſer Thatſache iſt der Ausgangspunkt für die Atomentheorie geworden. Das Weſen der⸗ ſelben iſt folgendes: Das, was den Raum erfüllt, d. i. die Materie, iſt nicht bis ins Unendliche teil⸗ bar, ſondern ſetzt ſich aus einer Welt unſichtbarer, nicht mehr teilbarer Partikelchen zuſammen, welche aber wirkliche Ausdehnung und beſtimmtes Gewicht beſitzen. Es ſind die Atome. In ihren unendlich kleinen Dimenſionen bieten fie den phyſikaliſchen und chemiſchen Kräften Angriffspunkte dar. Unter ſich ſind ſie durchaus nicht gleich, und die Verſchiedenheit der Materie iſt mit der Verſchiedenheit verknüpft, welche den Atomen anhaftet. Völlig identiſch für einen und denſelben Körper differieren ſie von einem Elemente zum andren durch ihre relativen Gewichte und vielleicht ihre Form. Die Verwandtſchaft ſetzt ſie in Bewegung, und ſobald zwei Elemente ſich unter⸗ einander verbinden, werden die Atome des einen zu den Atomen des andren hingezogen. Da dieſe An⸗ näherung immer auf dieſelbe Weiſe unter einer be⸗ ſtimmten Anzahl von Atomen ſtattfindet, welche ſich aneinander lagern, ſo müſſen die kleinſten Teile der entſtandenen Verbindung der ganzen Maſſe völlig gleich ſein. Es erſchien ſo die Unveränderlichkeit der Verhältniſſe, in welchen die Körper ſich untereinander verbinden, als eine Folge der Fundamentalhypotheſe, daß die chemiſchen Verbindungen eine Folge der An⸗ ziehung der Atome ſind, welche unveränderliche Ge⸗ wichte beſitzen. Berzelius verglich die Atome mit kleinen Magneten. Er legte ihnen zwei Pole bei, in denen die beiden Elektrizitäten getrennt und ungleich verteilt ſind. Es gibt, ſagt er, Atome mit einem Ueberſchuß an poſitiver, und andre mit einem Ueber⸗ ſchuß an negativer Elektrizität; erſtere ziehen letztere an. Im Augenblicke, wo ſich eine Verbindung bildet, prallen die Atome aufeinander, iſt ſie gebildet, ſo ſind die Atome in Ruhe. , Mit Hilfe dieſer Theorie, welche Lavoifiers Dualismus zu einem Syſteme erhoben hatte, ließen ſich alle bekannten Thatſachen ohne Zwang erklären. Bald aber wurde ein weiterer großer Schritt auf dem Wege der Wiſſenſchaft gethan. Es geſchah durch die Entdeckung des Cyans durch Gay-Luſſ ac, welcher nachwies, daß dieſes zuſammengeſetzte Gas die charak⸗ teriſtiſchen Eigenſchaften eines einfachen Körpers zeigt, daß es fähig iſt, die verſchiedenſten Verbindungen mit wirklichen Elementen einzugehen, daß es endlich, ſo⸗ bald es ſolche eingegangen, ſich bei doppelter Zerſetzung verhält, wie z. B. das Chlor in den Chloriden. Man nannte deshalb das Cyan ein zuſammengeſetztes Radi⸗ kal, und von da rührt die Lehre von den Radikalen her, welche bald einen rapiden Aufſchwung nahm. Humboldt. — Dezember 1882. Bis dahin hatten ſich die bedeutenden Arbeiten auf dem Gebiete der Mineralchemie bewegt, und die großen Ideen waren dieſem Boden entſproſſen. Die Anpaſſung jener Theorien auf die organiſche Chemie, auf welche ſich jetzt die Aufmerkſamkeit lenkte, zeigte einige Schwierigkeiten. Man weiß, daß die unzähligen Körper, welche die. Natur in den Organen der Pflanzen und Tiere ver— teilt hat, nur eine kleine Zahl von Elementen um— faſſen: Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff und oft Stickſtoff. Sie unterſcheiden ſich nicht durch ihre all— gemeine Zuſammenſetzung, ſondern durch Zahl und Anordnung der Atome, welche ſie einſchließen. In— dem ſich dieſelben mehr oder weniger anhäufen und auf verſchiedene Weiſe gruppieren, bilden ſie eine ungeheure Menge von Verbindungen. Aber welches iſt die Anordnung der Atome, welches iſt die Struktur dieſer in ihrer Zuſammenſetzung ſo ähnlichen und in ihren Eigenſchaften ſo verſchiedenen Moleküle? Berzelius hatte hierfür eine Antwort. Indem er die organiſchen Verbindungen den anorganiſchen gleich behandelte, bildete er aus den Atomen der einen wie der andren zwei Gruppen: auf die eine Seite ſtellte er den Kohlenſtoff und Waſſerſtoff als elektro— poſitiv, auf die andre den Sauerſtoff als elektronegativ. Als man ſpäter künſtlich das Chlor in die organiſchen Verbindungen eingeführt hatte, wurden die Atome dieſes kräftigen Elementes auf die Seite des Sauer— ſtoffs geſtellt; beide bildeten in den binären Verbin⸗ dungen das elektronegative Element, die Atome des Kohlenſtoffs und Waſſerſtoffs bildeten das elektro- poſitive Radikal. Dieſer Weg hat bald in eine Sack— gaſſe geführt. Um jene Zeit gaben ſich junge Männer, an ihrer Spitze Dumas und Liebig, mit Eifer dem Stu— dium der organiſchen Verbindungen hin. Ueberzeugt, daß die Konſtitution dieſer Verbindungen nur aus dem aufmerkſamen Studium ihrer Eigenſchaften und ihrer Umwandlungen hergeleitet werden kann, machten ſie es ſich zur Aufgabe, die Körper ſelber zu fragen, ſie umzubilden, ſie der Einwirkung der verſchiedenſten Reagentien auszuſetzen in der Hoffnung, ihre Struktur zu enthüllen. Und das iſt die wahre Methode in der Chemie. Die erſte epochemachende Arbeit in dieſem Geiſte betrifft die Einwirkung des Chlors auf die or— ganiſchen Verbindungen. Dieſer einfache Körper ent— zieht denſelben Waſſerſtoff und kann ſich an die Stelle desſelben ſetzen, Atom für Atom, ohne daß das mo— lekulare Gleichgewicht geſtört und ohne daß, fügt Dumas hinzu, die Fundamentaleigenſchaften modi— fiziert, werden. Dieſe Erklärung begegnete dem hef— tigſten Widerſpruche. Wie konnte das Chlor die Stelle des Waſſerſtoffs einnehmen und ſeine Rolle in den Verbindungen ſpielen? Dieſe beiden Elemente, behauptete Berzelius, ſind mit entgegengeſetzten Eigenſchaften begabt und wenn das eine austritt, kann es das andre nicht erſetzen, ſie ſind zwei feindliche Brüder, nicht willens, ſich in einem Hauſe zu ver— tragen. Aber weder dieſe Kritik, noch viele andre haben 449 Geltung erlangt gegenüber der Macht der Thatſachen. Die Subſtitutionstheorie iſt ſiegreich aus dieſem Streite hervorgegangen, welcher einen neuen Markſtein in der Ge- ſchichte unſrer Wiſſenſchaft ausmacht. So hatten ſich die Ideen über die chemiſchen Ver— bindungen allmählich unter dem doppelten Einfluſſe der Atomentheorie und der Thatſache der Subſtitution modifiziert. Indem die Moleküle ein mehr oder weniger zuſammengeſetztes Ganzes bilden, können ſie ſich durch Vertretung ändern und eine Menge von Derivaten bilden, welche der Mutterſubſtanz ähnlich ſind. Letztere bildet für ſie das Modell oder den Typus. Die Wiſſenſchaft wurde ſo mit der ſoge— nannten Typentheorie bereichert, deren Wert zunächſt darin beſtand, daß ſie koſtbare Grundlagen einer Klaſſifikation brachte. Alle Verbindungen, welche ſich durch Subſtitution von einem und demſelben Körper ableiteten, wurden in dieſelbe Familie gezählt, deren Haupt gewiſſermaßen erſterer war. Die Ehre, das Prinzip dieſer Klaſſifikation entdeckt zu haben, gebührt Laurent und Gerhardt, den tapferen Streitern für die Wiſſenſchaft, denen ein vorzeitiger Tod, wenn nicht den Sieg, ſo doch die Früchte des Sieges ent— riſſen hat. Laurent war der erſte, welcher aus— ſprach, daß eine gewiſſe Anzahl von Mineral- und organiſchen Verbindungen die Konſtitution des Waſ— ſers beſäße, und dieſer Gedanke, glänzend von Wil— liamſon entwickelt, iſt von Gerhardt verallge— meinert worden. Nach letzterem können alle Verbin— dungen auf eine kleine Zahl von Typen zurückgeführt werden, deren hauptſächlichſten die Salzſäure, das Ammoniak und das Waſſer find. In dieſen verhält— nismäßig einfachen Verbindungen kann ein Element durch ein andres, oder durch eine Atomgruppe, d. h. ein Radikal erſetzt werden, wodurch eine Fülle ver— ſchiedener Körper entſteht, welche unter ſich durch die Analogie ihrer Struktur, wenn nicht durch über— einſtimmende Eigenſchaften verknüpft ſind. Letzterer Punkt war neu und bedeutungsvoll. Die Körper, welche zu demſelben Typus gehören und in ihrem molekularen Bau ähnlich ſind, können in ihren Eigen— ſchaften ſehr verſchieden ſein. So ſind die anorgani— ſchen und organiſchen Verbindungen des Waſſertypus nach Maßgabe ihrer Elemente oder Radikale kräftige Baſen, energiſche Säuren oder indifferente Körper. Aber, hat man gefragt, mit welchem Rechte können die verhältnismäßig einfachen Verbindungen, welche wir ſoeben genannt, allen andren zum Typus dienen, und warum ſollte die Natur gezwungen ſein, alle Körper nach dem Schema der Salzſäure, des Waſſers, des Ammoniaks zu formen? Die Schwierigkeit war eine ernſtliche; ſie iſt gehoben worden und gab Ver— anlaſſung zu einem wichtigen Fortſchritte. Die typiſchen Verbindungen ſtellen im Grunde verſchiedene Verbindungsformen dar, deren Verſchie— denheit auf die Natur ihrer Elemente zurückzuführen iſt. Letztere drücken jedem dieſer Typen einen be— ſonderen Charakter und eigentümliche Form auf. Die Atome des Chlors z. B. ſind ſo beſchaffen, daß einem ſolchen nur ein einziges Atom Waſſerſtoff fehlt, um 450 Humboldt. — Dezember 1882. Salzſäure zu bilden, ein Atom Sauerſtoff nimmt zwei Atome Waſſerſtoff auf und bildet Waſſer, wäh⸗ rend ein Atom Stickſtoff drei Atome Waſſerſtoff gebraucht, um zu Ammoniak zu werden, ein Atom Kohlenſtoff aber vier, um das Sumpfgas entſtehen zu laſſen. Dieſer Unterſchied in der Verbindungsfähigkeit mit Waſſerſtoff wird offenbar in allen Verbindungen jener Elemente zum Ausdruck kommen. Man gibt heutzutage zu, daß die Atome nicht unbeweglich ſind, ſelbſt nicht in den anſcheinend feſteſten Körpern. In dem Moment, wo die Verbindungen entſtehen, prallen die Atome aufeinander. In dieſem Kampfe bemerkt man regelmäßig ein Freiwerden von Wärme, welche von dem Aufwand an lebendiger Kraft herrührt, welche die Atome im Kampfe ver⸗ loren haben, und die Intenſität der Wärmeentwicke⸗ lung gibt ein Maß für die Energie der Affinitäten ab, welche in der Verbindung vorherrſchen. Aber die Intenſität der Kräfte iſt es nicht allein, was hier im Spiele iſt, es iſt auch die Wahlanziehung, von welcher Bergmann ſprach, welche die Form der Verbindung bedingt. Die Atome der verſchiedenen Elemente ſind nicht mit gleichem Verbindungsvermögen begabt, ſie find nicht untereinander gleichwertig, oder, wie man ſagt, ihre Atomizität iſt nicht dieſelbe. Dieſe Eigen⸗ ſchaft der Atome iſt ohne Zweifel an verſchiedene Bewegungsaxten gebunden, denen fie unterliegen. Mit ſolchen Atomen konſtruieren die Chemiker jetzt die Molekulargebäude. Sich auf die Ergebniſſe der Analyſen und das Studium der Reaktionen ſtützend, drücken ſie die Zuſammenſetzung der Körper durch Formeln aus, welche die Natur, die Zahl und An⸗ ordnung der Atome angeben, welche jedes Molekül einſchließt; und dieſe Formeln find nicht etwa nur eine erfinderiſche Geiſtesübung, ſie bilden vielmehr eine wertvolle Hilfe für die Erklärung der Eigen⸗ ſchaften der Verbindungen, für das Studium ihrer Umwandlungen, für die Entdeckung ihrer gegenſeitigen Beziehungen, alles Dinge, welche aufs engſte für jede Subſtanz mit der Natur und Anordnung der Atome verknüpft ſind. Ebenſo bietet die Erforſchung und Vergleichung dieſer Formeln dem Forſchergeiſte die Grundlage für die Syntheſe der Körper. Die Wiſſenſchaft leitet die Verwandlungen der Körper ab aus ihrer Molekularſtruktur und ruft durch eine Art Intuition neue Moleküle mit Hilfe ſchon bekannter hervor. Die künſtliche Bildung einer Menge Verbindungen, die Syntheſe ſo vieler organiſcher Körper, welche die Natur allein das Vorrecht zu haben ſchien, zu er⸗ zeugen, mit einem Worte die meiſten chemiſchen Ent⸗ deckungen, welche die Wiſſenſchaft und die Welt be⸗ reichert haben, gründen fic) auf dieſe in der Wiſſenſchaft wirkſamſte und rationellſte Methode. Nur ein Bei⸗ ſpiel ſtatt vieler. Ein glücklicher Zufall führt die Entdeckung der prächtigen purpurglänzenden Subſtanz herbei, welche unter dem Namen Fuchſin bekannt iſt. Ihre Analyſe beſtimmt die Zuſammenſetzung, gelehrte Forſchungen ſtellen ihre Molekularſtruktur feſt. Nun lernt man ſie modifizieren, die Zahl ihrer Derivate vermehren, die Quelle zu ihrer Darſtellung abändern, und das aufmerkſame Studium aller dieſer Reaktionen fördert eine Unzahl analoger Körper zu Tage, deren verſchiedene Farben an Glanz mit den reichſten Tinten des Regenbogens wetteifern. Es iſt ſchon eine neue, mächtige Induſtrie aus dieſen Arbeiten hervorgegangen, deren fruchtbare Entwickelung die Theorie Schritt vor Cree verfolgt und geleitet hat. In dieſer Art von Arbeiten hat die Wiſſenſchaft einen ihrer glänzendſten Triumphe gefeiert. Es iſt ihr geglückt, das färbende Prinzip des Krapps, das Alizarin, künſtlich zu bilden. Durch eine geiſtreiche Verknüpfung von Reaktionen und durch noch geiſt⸗ reichere theoretiſche Erwägungen iſt es Graebe und Liebermann geglückt, dieſen Körper auf ſyntheti⸗ ſchem. Wege mit Hilfe des Anthracens zu gewinnen, einer der zahlreichen Subſtanzen, die man jetzt dem Steinkohlenteer entzieht, der unreinen Quelle ſo großer Reichtümer. Das iſt eine Entdeckung, welche dem Herzen der Wiſſenſchaft, und zwar der abſtrak⸗ teſten, entſprungen iſt, und es wird dies nicht die letzte Frucht der ſchönen Entwickelung der Chemie ſein. Die Zuckerarten, die Alkaloide, andre komplizierte Körper, deren Eigenſchaften und Umwandlungen man rege ſtudiert zu dem Zweck, ihre Molekularſtruktur abzuleiten, alle dieſe Körper werden künſtlich darge⸗ ſtellt werden können, ſobald die vorbereitende, ſo ſchwierige und oft undankbar ſcheinende Arbeit weit genug vorgeſchritten ſein wird. Die heutige Wiſſen⸗ ſchaft wird ihren edlen Zweck nur auf ſicherem Wege und langſam erreichen können: durch das Experiment an der Hand der Theorie. In der Chemie wenig⸗ ſtens hat der Empirismus ſeine Zeit gehabt. Die geſtellten Probleme wollen klar ins Auge gefaßt ſein, und von nun an werden die Verſtandeserrungen⸗ ſchaften und das Experiment den glücklichen Funden und den Ueberraſchungen des Schmelztiegels nur ein mehr und mehr ſich verringerndes Gebiet übrig laſſen. Nicht die, welche nach Entdeckungen ſpüren, welche ernten, wo ſie nicht geſät haben, ſind die wahren Förderer der Wiſſenſchaft, ſondern die, welche metho⸗ diſch ihre Furchen ziehn, ihre Arbeit wird fruchtbar ſein, und die Güter, welche ſie anhäufen, werden den wahren Schatz der Wiſſenſchaft bilden. j Aber wird dieſe Wiſſenſchaft nicht eines Tages von ſo vielen Reichtümern gleichſam verſchüttet werden und wird das beſte Gedächtnis die ganze Fülle auf⸗ nehmen können? Wenn dieſe Gefahr exiſtiert, ſo braucht man ſie nicht zu fürchten. Es muß genügen, alle Bauſteine zu ordnen, damit ſie keinen Schutt mehr bilden. In einem gut gebauten Hauſe muß jeder Stein behauen ſein, bevor er ſeinen Platz einnimmt, in dem fertigen Gebäude aber haben nicht alle die gleiche Bedeutung, wenn auch jeder ſeinen Nutzen hat. Gerade fo ijt es in dem monumentalen Baud; der Wiſſenſchaft: die Details, welche den Zweck haben, die Lücken auszufüllen, werden im ganzen verſchwinden, man braucht nur die Grundſteine 5 die Spitze im Auge zu haben. Wenn die Chemie ſo beſchaffen iſt, hat ſie not⸗ Humboldt. — Dezember 1882. 451 wendige Beziehungen zur Phyſik. Die Atomentheorie, welche zur Erklärung der chemiſchen Erſcheinungen genügt, paßt ſich auch den phyſikaliſchen Theorieen an; auch die Urſache der phyſikaliſchen Veränderungen der Materie wird heute in der Bewegung der Atome und Moleküle geſucht. Zwei franzöſiſche Gelehrte, Dulong und Petit, haben ein ſehr einfaches Geſetz entdeckt, welches das Gewicht der Atome mit ihren ſpezifiſchen Wärmen in Verbindung bringt. Man weiß, daß die Wärme— mengen, welche nötig ſind, um die Temperatur der Gewichtseinheit der Körper um einen Grad zu er— höhen, ſehr verſchieden find. Man ſagt: ihre ſpezi— fiſchen Wärmen ſind verſchieden. Wenn man aber die Wärmemengen unter Bedingungen, wo ſie ſtreng vergleichbar ſind, bei den Elementen beſtimmt, ſo ſind die Temperaturveränderungen für dieſelbe Wärme— menge gleich, fo bald man nicht von einer Gewichts— einheit, ſondern von dem Atomgewicht ausgeht; mit andern Worten: die Atome der Elemente haben die— ſelbe ſpezifiſche Wärme, ſo verſchieden auch ihre rela— tiven Gewichte ſind. Die Wärme, welche ihre Tem— peratur gleichmäßig erhöht, macht ſich dadurch geltend, daß ſie die Schwingungsintenſität der Atome erhöht. Die Phyſiker nehmen in der That an, daß die Wärme eine Art der Bewegung iſt, daß ſie in Schwingungen der Atome oder des Aethers beſteht, dieſes vollkommen elaſtiſchen, aber unverdichtbaren, unwägbaren Fluidums, welches den ganzen unermeß— lichen Raum und jeden Körper bis ins Innerſte durch— dringt. Inmitten dieſes Fluidums durchlaufen die Geſtirne ihre Kreiſe, und inmitten dieſes Fluidums führen die Atome ihre Bewegungen aus und be— ſchreiben ihre Bahnen. Der Aether trägt und ver— teilt als leichter Bote der Wärme und des Lichts ihre Strahlen in das ganze Weltall, und das, was er ſelber an Schwingungsenergie verliert, wenn er in einen kalten Körper eindringt, um ihn zu erwär— men, teilt er den Atsmen desſelben mit durch Er— höhung ihrer Bewegungsintenſität; und was er an Energie in Berührung mit einem warmen Körper, der ſich abkühlt, gewinnt, entnimmt er den Atomen der letzteren, indem er die Schwingungsintenſität der— ſelben vermindert. So durcheilen Licht und Wärme, von materiellen Körpern ſtammend, den Raum und kehren zu materiellen Körpern zurück. Mit Recht läßt Goethe den Fürſten der Finſternis ſagen: „Das ſtolze Licht, das nun der Mutter Nacht Den alten Rang, den Raum ihr ſtreitig macht; »Und doch gelingt's ihm nicht, da es, fo viel es ſtrebt, Verhaftet an den Körpern klebt. — Von Körpern ſtammt's, die Körper macht es ſchön, Ein Körper hemmt's auf ſeinem Gange; So hoff' ich, dauert es nicht lange, + Und mit den Körpern wird's zu Grunde gehn.“ Der Kräfteaustauſch zwiſchen Aether und Atomen braucht ſich aber nicht immer durch Licht- und Wärme— erſcheinungen geltend zu machen. Die Kräfte können auch von der Materie aufbewahrt und gleichſam auf- geſpeichert werden oder unter andrer Form erſcheinen. Sie können als Affinität aufbewahrt, als Elektrizität verzehrt, in dynamiſche Bewegungen umgebildet wer— den. Sie ſind es, welche in den unzähligen Ver— bindungen thätig ſind, welche die Natur in ihrem Schoße bereitet, ſie ſind es, welche die Zerſetzung der Kohlenſäure und des Waſſerdampfes durch die feinſten Organe der Pflanzen verurſachen. Der Sonne ent— ſtammend wird die Lichterſcheinung zur Affinität in den Produkten der Pflanze, welche ſich in den Zellen bilden und anhäufen. Die ſo aufgeſpeicherte Kraft wird aber von neuem verwendet, wenn die organiſche Verbindung durch Verbrennung zerſtört wird. Wenn die Affinität, durch die Verbindung der brennbaren Elemente mit Sauerſtoff geſättigt, gleichſam verloren gegangen iſt, wird ſie wieder zu Wärme, Licht, Elektrizität. Das Holz, welches brennt, die Kohle, welche ſich oxydiert, geben Funken und Flammen, das Metall, welches ſeine Affinitäten erſchöpft, indem es eine Säure zerſetzt, erhitzt die Flüſſigkeit oder erzeugt unter andern Bedingungen einen elektriſchen Strom. In andern Fällen verſchwindet die Wärme, welche ſich ungleich an zwei Oberflächen verteilt oder fort: pflanzt, wenn man ſie aneinander reibt, oder in einem Kriſtall, den man erwärmt, oder in zwei Metallen, welche aneinander gelötet werden, zum Teil und macht ſich als Elektrizität geltend. Aber nicht genug. Dieſe Schwingungsbewegungen der Atome können Maſſenbewegung erzeugen, Orts— veränderungen der Körper und Moleküle. Man er— hitze einen Eiſenſtab, er wird ſich mit unwiderſteh— licher Gewalt ausdehnen: ein Teil der Wärme wird verbraucht, um zwiſchen den Molekülen eine gewiſſe Entfernung hervorzubringen. Man erhitze ein Gas, es wird ſich ebenſo ausdehnen, und ein Teil der Wärme, welche als ſolche verſchwindet, wird eine Entfernung, und zwar diesmal eine beträchtliche, zwi— ſchen den Gasmolekülen erzeugen. Der Beweis der Wärmeverwandlung in Arbeit iſt leicht zu geben, denn wenn man dasſelbe Gas auf denſelben Wärme— grad erhitzt, es aber an der Ausdehnung hindert, ſo braucht man ihm weniger Wärme zuzuführen, als im andern Falle. Die Differenz zwiſchen den zwei Wärme— mengen entſpricht genau der mechaniſchen Arbeit, welche die Moleküle im erſten Falle geleiſtet haben, indem ſie ſich voneinander entfernten. Es iſt dies eine der einfachſten Betrachtungen, auf welche man das Prinzip des mechaniſchen Wärmeäquivalents ge— gründet hat, welches heute ſo oft in der Mechanik, Phyſik und Phyſiologie angerufen wird. In der Phyſik hat es das Geheimnis der latenten Wärme beim Schmelzen und Sieden erklärt. Warum erhöht die Wärme, welche man ununter— brochen einer ſiedenden Flüſſigkeit zuführt, um das Kochen zu unterhalten, niemals die Temperatur desſelben über einen beſtimmten Grad bei gleich bleibendem Druck? Der Grund liegt darin, daß dieſe Wärme unaufhörlich abſorbiert wird und als ſolche ver— ſchwindet, um die mechaniſche Arbeit der Trennung der Moleküle zu leiſten. Ebenſo bezeichnet in der Erſcheinung des Schmelzens das Gleichbleiben der 452 Temperatur die Abſorption der Wärme, welche ſich zu molekularer Arbeit umſetzt. Die Auffaſſungen haben auf höchſt einfache Weiſe die Definitionen modifiziert und beleuchtet, welche die Phyſiker von den verſchiedenen Zuſtänden der Materie geben, und ſie ſtehen im Einklang mit den chemiſchen Theorieen über die Konſtitution der Körper. Bei den Mole⸗ külen kann die Wärme dreierlei Wirkungen hervor⸗ bringen: erſtens eine Temperaturerhöhung durch Wachſen der Schwingungsenergie, zweitens eine Volumvergrößerung durch Entfernung der Atome und Moleküle, und wenn dieſe Vergrößerung ſehr beträchtlich wird, eine Aenderung des Aggregat⸗ zuſtandes, indem feſte Körper flüſſig und flüſſige gasförmig werden; in letzterem Falle iſt die Ent⸗ fernung der Moleküle voneinander im Verhältnis zu ihrer Dimenſion unendlich groß. Endlich, wenn die Wärme auf die Atome ſelber, welche das Molekül bilden, einwirkt, kann ſie das in dem Syſteme herr⸗ ſchende Gleichgewicht brechen, indem ſie einen Kampf der Atome mit denen eines andern Moleküls hervor⸗ ruft, fo daß dieſer Bruch oder Kampf neue Gleich⸗ gewichtsſyſteme, d. i. neue Moleküle erzeugt. Hier beginnt wieder das Gebiet der Chemie, und dieſe Erſcheinungen ſind nur Fortſetzung oder Folge phyſikaliſcher Phänomene; dieſelbe Atomentheorie er⸗ ſtreckt ſich auf beide Gebiete. Und was für die Erde gilt, gilt für die Geſamtheit der Welten: die Ele⸗ mente, welche unſre Erde bilden, find auf der Sonne und den Sternen wiedergefunden worden, und die von der weißglühenden Maſſe, welche jene Geſtirne bildet, ausgehenden Strahlen ſind zum großen Teil dieſelben, welche die einfachen Körper unſres Pla⸗ neten erzeugen, eine bewundernswerte Erkenntnis der Phyſik, welche uns zugleich den Ueberfluß der Kräfte, welche die Sonne uns ſendet und die Ein⸗ fachheit der Konſtikution des Univerſums zeigt. Ein Sonnenſtrahl fällt auf ein Prisma: er wird von ſeinem Wege abgelenkt und in eine Unzahl ver⸗ ſchiedener Strahlen zerlegt. Jeder von dieſen nimmt eine beſtimmte Richtung an, und alle ordnen ſich in nebeneinander liegende Bänder, welche ſich zeigen, wenn man das ſo zerlegte und zerſtreute Licht auf einem Schirme aufhängt. Der ſichtbare Teil dieſes „Spektrums“ glänzt in allen Farben des Regen⸗ bogens; aber darüber hinaus, auf beiden Seiten des Spektrums, fehlen die Strahlen nicht. Die Wärme⸗ ſtrahlen machen ſich jenſeits des Roten geltend, die chemiſchen Strahlen offenbaren ſich jenſeits des Vio⸗ letten. Alle Kräfte, welche an der Oberfläche unſres Erdballes thätig ſind, Wärme, Licht, chemiſche Energie, ſind uns in einem weißen Lichtſtrahl geſendet worden. Aber dies glänzende Spektrum iſt kein ununter⸗ brochenes. Frauenhofer hat darin eine Menge ſchwarzer Linien entdeckt, welche die glänzenden Bänder durchſchneiden, und Kirchhoff hat gefunden, daß eine gewiſſe Anzahl unter ihnen genau dieſelbe Lage einnimmt, wie die brillanten Streifen, welche die Spektren der metalliſchen Subſtanzen bilden, wenn ſie zu lebhafter Weißglut erhitzt werden. Letzterer Humboldt. — Dezember 1882. Phyſiker ſah außerdem, daß unter gewiſſen Umſtänden dieſe glänzenden Bänder ſich verdunkeln und gleichſam umkehren können, indem ſie dann den dunkeln Streifen des Sonnenſpektrums gleich werden. Man hat hieraus ſchließen können, daß letztere ebenfalls von Strahlen herrühren, welche von metalliſchen Körpern ausge⸗ ſandt werden, die in Dampfform auf dem Sonnen⸗ körper verbreitet ſind, von Strahlen, welche durch dieſelben Dämpfe in der Sonnenatmoſphäre ver⸗ dunkelt werden. So iſt das Geſtirn, welches uns mit Wärme, Licht und Leben überflutet, von denſelben Elementen gebildet, wie unſre Welt. Dieſe Elemente ſind Waſſer⸗ ſtoff und Metalle in Gasform. Sie ſind nicht gleich⸗ mäßig in der Sonnenmaſſe und ihrer Dunſthülle ver⸗ teilt, der Waſſerſtoff und die flüchtigſten Metalle erheben ſich an die Oberfläche der Kugel zu be⸗ deutender Höhe. Hier aber ſind ſie nicht in Ruhe: jenes glühende Gasmeer wird durch fürchterliche Stürme aufgewühlt, Wirbel erheben ſich in unge⸗ heurer Menge bis zu 50,000 Meilen über die Gas⸗ ſphäre: es ſind die Sonnenprotuberanzen. Dieſelben erglänzen in einem rötlichen Lichte, welches ihnen eigentümlich iſt und nach Janſſen und Lockyer von ſehr verdünntem Waſſerſtoff herrührt, dem eine un⸗ bekannte Subſtanz, das Helium, beigemengt iſt. Die Lichtkugel ſelbſt gibt die Spektren unſrer gebräuch⸗ lichen Metalle außer denen des Goldes, Platins, Silbers und Queckſilbers. Die edlen Metalle, welche wenig Verwandtſchaft zum Sauerſtoff haben, fehlen auf der Sonne; dagegen findet man im Sonnen⸗ ſpektrum Strahlen, welche von denen, welche unſre Metalle geben, verſchieden ſind, aber Aehnlichkeiten mit ihnen zeigen. Die Strahlen der Metalloide feh⸗ len, ebenſo die der zuſammengeſetzten Körper: die Gasmaſſe iſt auf eine ſolche Glut erhitzt, daß keine chemiſche Verbindung dort exiſtieren kann. Das Spektroſkop hat alle Tiefen des Himmels erforſcht. Hunderte von Sternen haben ihm ihr Licht geſandt, kaum ſichtbare Nebelflecke haben ihm ihre Strahlen entdeckt. Oft zwanzigtauſendmal ſchwächer leuchtend als eine Wachskerze in 400 m Entfernung haben ſie doch ein Spektrum gegeben, ſehr einfach, aus Waſſerſtoff und Stickſtoff beſtehend. Mit Hilfe der Entdeckungen des Spektroſkops hat man ſogar das Alter der Sterne berechnet. Die füngſten fino die heißeſten, und ihr Spektrum ſetzt ſich nur aus einigen ſchwarzen Streifen zuſammen; der Waſſerſtoff herrſcht darin vor, aber man begegnet darin auch Spuren von Magneſium, Eiſen, vielleicht auch Na⸗ trium, und wenn es wahr iſt, daß der Sirius zur Zeit der Alten rot war, ſo verdankte er dieſe Färbung vielleicht einem Ueberſchuß an Waſſerſtoff. Die ge⸗ färbten Sterne ſind am wenigſten heiß und die älteſten. In anbetracht ihres Alters ſenden ſie das ſchwächſte Licht aus. Hier finden wir wenig oder keinen Waſſerſtoff, die metalliſchen Streifen herrſchen in ihrem Spektrum vor, man findet ſogar ſchon An⸗ deutungen von Verbindungen. : Nach den Beobachtungen des Pater Secchi Humboldt. — Dezember | 882. 453 und Lockyers finden fid) die Elemente mit dem leichteſten Atomgewicht auf den heißeſten Sternen, die Elemente mit hohem Atomgewicht auf den kälteſten. Es hat die Frage über die Einheit der Materie, welche die Chemie durch Vergleichung der Atomen— gewichte wahrſcheinlich gemacht, durch die Betrach— tungen über die Konſtitution des Univerſums neue Stützen gefunden. Gelöſt iſt fie freilich nicht und wird wahrſcheinlich nie gelöſt werden. So lehren uns Chemie, Phyſik, Aſtronomie, daß die Welten, welche den unendlichen Raum bevölkern, wie unſer eignes Weltſyſtem beſchaffen iſt und bewegt wird. Aber dieſe Harmonie der Sphären, von welchen Pythagoras ſprach, findet ſich auch in der Welt des unendlich Kleinen wieder. Auch da iſt alles Bewegung, ineinander greifende Bewegung, und die Atome, deren Anhäufung die Materie bildet, ſind niemals in Ruhe. Ein Stäubchen iſt erfüllt von zahl—⸗ loſen materiellen Individuen, deren jedes der Be— wegung unterliegt. Alles iſt in Schwingung in dieſer kleinen Welt, und dieſes allgemeine Zittern der Der Venusdurchgang At, Materie, die Atomenmuſik, um die Metapher des alten Philoſophen beizubehalten, iſt etwas Aehnliches wie die Harmonie der Welten. Es iſt eine ewige Ord— nung in der Natur, und in dem Grade als die Wiſſen— ſchaft eindringt und, durch die Einfachheit der Mittel befähigt, eindringen kann, bringt ſie die großartigen Reſultate an den Tag und läßt uns hinter dem Schleier, den ſie uns zu lüften erlaubt, die Harmonie und die Tiefe des Weltplans ſchauen. Wir fragen nicht nach den erſten Urſachen, ſie bleiben uns ſtets dunkel. Hier beginnt ein andres Gebiet, welches der menſchliche Geiſt ſtets genötigt ſein wird, zu durch— laufen: er iſt nun einmal ſo beſchaffen, und man wird ihn nicht ändern. Vergeblich wird ihm die Wiſſenſchaft die Bildung der Welt und die Ordnung der Erſcheinungen offenbart haben: er will immer tiefer eindringen, und in der inſtinktiven Ueber⸗ zeugung, daß die Dinge nicht in ſich ſelbſt ihren Grund zum Sein und ihren Urſprung haben, iſt er dahin geführt worden, ſie einer erſten, einheitlichen, allgemeinen Urſache unterzuordnen: Gott. am 6. Dezember 1882. Von Ginzel in Wien. . großen Opfer an Geld, Mühe und Zeit, welche im Jahre 1874 der Beobachtung des Vorüber— ganges der Venus vor der Sonne gebracht wurden und welche neuerdings in gegenwärtigem Jahre zu bringen ſind, ſcheinen dem Laien gewöhnlich in keinem Verhältniſſe zu dem beabſichtigten wiſſenſchaftlichen Re— ſultate zu ſtehen, als welches zumeiſt die Kenntnis der Entfernung der Sonne von der Erde angegeben wird. In der That handelt es ſich aber weniger um dieſe code als vielmehr um die möglichſt ge- naue Beſtimmung des Winkelwertes der Parallaxe d. h. des Winkels, unter welchem der Erdhalbmeſſer von der Sonne aus geſehen erſcheint. Dieſe Größe der Sonnenparallaxe iſt von größter Wichtigkeit für die Aſtronomie, da ihre Einführung in eine Menge von Problemen nicht zu vermeiden iſt und demnach die Richtigkeit der Löſungen vieler Aufgaben direkter oder indirekter Weiſe an eine möglichſt fehlerfreie Beſtimmung der Parallaxe der Sonne gebunden bleibt. Der Planet Venus eignet ſich wegen ſeiner Erdnähe vorzüglich zu dieſer Beſtimmung, nur iſt der zu den Meſſungen nötige Fall, daß der Planet als ſchwarze Scheibe über die Sonne geführt wird, ein ſeltener, und tritt bekanntlich nur nach Intervallen von 105 ½, 8, 121½ und wiederum 8 Jahren ein. Die Schwie⸗ rigkeiten, welche der praktiſchen Durchführung der Beobachtung der Venusvorübergänge entgegenſtehen, ſind bedeutend, und erſt allmählich hat ſich hierüber ein Fond von Erfahrungen geſammelt. Der Venus vorübergang von 1769 konnte ſchon aus dieſem Grunde kein befriedigendes Reſultat liefern, abgeſehen von den damals noch unvollkommenen, für die Ableitung des Ergebniſſes aber höchſt wichtigen Methoden der Ortsbeſtimmung der Beobachtungsorte. In jeder Hinſicht wohlausgerüſteter und erfahrener konnte man der Venuspaſſage vom 8. Dezember 1874 gegentiber- treten, und in noch höherem Maße wird dies bei dem . heurigen Vorübergange der Venus vor der Sonne der Fall ſein, der am 6. Dezember ſtattfindet und der auf 121 Jahre hinaus der letzte iſt, den die Wiſſenſchaft zu behandeln hat. Kaum iſt jemals ein wiſſenſchaftliches Unternehmen ſorgfältiger vorbereitet worden, als die Vorarbeiten zur Beobachtung des bevorſtehenden Venusdurchganges. Die Vertreter der einzelnen Staaten haben ſich auf der im Oktober v. J. in Paris abgehaltenen Kon— ferenz nicht nur über die Ausrüſtung der einzelnen Expeditionen, ſondern auch über die denſelben mit⸗ zugebenden Inſtruktionen verſtändigt und überdies das Beobachtungsprogramm ihrer Regierungen mit⸗ geteilt. Nach dem letzteren werden die teilnehmenden Staaten die folgenden Expeditionen ausrüſten, reſp. die event. ſtändigen Obſervatorien mit der Beobachtung beauftragen: 454 Die Argentiniſche Republik zwei Stationen. Braſilien fünf Stationen: zu Itapeva, Pernambuko, Rio de Janeiro, den Antillen, der Magelhaens⸗ ſtraße. Chile das Obſervatorium zu S. Jago. Dänemark zwei Stationen: auf St. Thomas oder S. Cruz. f Frankreich acht Stationen: auf Cuba, Martinique, Florida, S. Cruz, am its negro, in Mexiko, Chile. England: auf Bermuda, Jamaika, Barbados, Mada⸗ gaskar, N euſeeland, zuzüglich der Obſervatorien der Kapſtadt, Melbourne, Sidney. Holland: auf S. Martin. Mexiko: in Chapultepec. Portugal: die Station Lorenzo Marquas. Spanien: auf Cuba und Portorico. Die deutſchen Aſtronomen beobachten in Hartford (Connecticut), Aiken (Südcarolina), Bahia Blanca (Argentinien), Punta Arenas (Magelhaenſtraße). Bei der Wahl der Stationen hat man ſich ſelbſt⸗ verſtändlich vornehmlich von den für den gewählten Ort ſtatthabenden Sichtbarkeitsverhältniſſen des Phä⸗ nomens leiten laſſen. Der Beobachtungsort liegt im allgemeinen für die eigentliche Meſſung, nämlich für die Beſtimmung der von der Venus beſchriebenen Sehne, deſto günſtiger, je raſcher die Ränderberührung und die Bewegungsänderung beider Geſtirne daſelbſt ſtatthat. Ein großer Teil der in dieſer Beziehung günſtig gelegenen Orte fällt nach Südamerika, woraus die ſtarke Beſetzung nach dem oben mitgeteilten Pro⸗ gramme erklärlich wird. Ueberdies ſieht ganz Amerika den ganzen Verlauf des Vorüberganges, d. h. ſowohl den Eintritt der Venus auf der Sonnenſcheibe, als auch den Austritt, während in Europa nur der Ein⸗ tritt, in den auſtraliſchen Stationen nur der Austritt ſichtbar ſein wird. Das Phänomen vollzieht ſich derart, daß zuerſt der eine Rand der Venus mit der Sonne in Be⸗ rührung kommt (erſte äußere Berührung), darauf der Humboldt. — Dezember 1882. andre Rand lerſte innere Berührung), wobei vermöge der Wirkung der Irradiation durch einen Moment beide Ränder aneinander haften zu bleiben ſcheinen (die berüchtigte „Tropfenbildung“); nachdem die Venus über die Sonne gelaufen, erſcheint abermals der vor⸗ angehende Rand in Kontakt mit der Sonne (zweite innere Berührung), dann der folgende Rand (zweite äußere Berührung). Der ganze Durchgang dauert (für verſchiedene Orte mehr oder weniger different) ungefähr 6 Stunden 9 Minuten, die zwiſchen je einer äußeren und inneren Berührung verfließende Zeit beträgt etwa 20 Minuten. Für die bloße Anſicht des Phänomens von ſeiten des für Himmelserſcheinungen intereſſierten Laien reicht ein kleines aſtronomiſches Fernrohr von 3 Zoll Objektivöffnung vollkommen aus, ſobald es nur mit einem guten Sonnenblendglaſe verſehen iſt. Für die wiſſenſchaftliche Beobachtung eines der Kontakte müßte derſelbe außerdem mit einer vorzüglichen Sekundenuhr verſehen ſein und auch die wiſſenſchaftlichen Mittel beſitzen, ſowohl den Stand als täglichen Gol der Uhr beſtimmen zu können. Schließlich folgen hier noch die aus den Elementen des Durchganges für eine Reihe von Orten berechneten Zeitmomente des Eintrittes der äußeren und inneren Berührung. Aeußere Berührung: Innere Berührung 1 (Nachmittag) (Nachmittag) Für Wien 3 Uhr 3 M. 56 S. 3 Uhr 24 M. 31 S. „ Prag 2 % 56 „ 22 „ 1 „ Linz 2 % 5, „ Ai „ „ Oe aeOme „ Dresden 2 % 58 % 4% % 3 „ 14 eee „Berlin 2% 52 % 31 3 alone „München 2 % %, de, yp) ZEl „Nürnberg 2% 4 % „ „„ „ Augsburg 2% 42 „ 21 % „ seg OO „ Hamburg 2 % 39 % 0 % „ Oe „ Stuttgart 2 %% 35 % 3 % % 0 e „ Frankfurt M 2 33 ay 8 Bib Bh, „Straßburg 2 % 29, %% 5 „ „ 0 „Köln 2 % 27 ü %% , 4 ome „ Brüſſel 2 „% 16 % % „„ 0 eee „ Paris 2% 8 Foe „ e aloe „ London 4 5% %% 34 % 20 % 5 eee 1 Ingenieur Th. Schwartze in Leipzig. d Di Münchener Elektrizitätsausſtellung hat wiederum gezeigt, daß das elektriſche Licht mehr und mehr an praktiſcher Bedeutung gewinnt und der Gasbe⸗ leuchtung immer kräftiger Konkurrenz macht. Außer der Beleuchtung des Reſtaurants im Glaspalaſte hatte die Société électrique Edison in Paris durch ihre Vertreter in Berlin und München nicht nur die Be⸗ leuchtung des Reſtaurants und mehrerer andern Räumlichkeiten im Glaspalaſt, ſondern auch die Be⸗ leuchtung der Arcisſtraße übernommen und damit einen allgemein anerkannten Erfolg erzielt. Allgemein wird das milde, durch ſeine warme rötlich gelbe Fär⸗ bung den Augen wohlgefällige und dabei ſtetige Licht gelobt und bewundert. Unleugbar iſt gegenwärtig Humboldt. — Dezember 1882. 455 die Arcisſtraße, deren Gaskandelaber jetzt je drei in einer Glasvaſe ſymmetriſch verteilte Ediſonſche Glüh— lichtlampen aufgenommen haben, viel beſſer beleuchtet, als dies mit dem Gaslichte der Fall war. Welche Beleuchtung die weniger koſtſpielige iſt, muß freilich erſt noch entſchieden werden, indeſſen ſcheinen die bis— herigen Erfahrungen nachzuweiſen, daß das Ediſon— licht hinſichtlich des Koſtenpunktes der Gasbeleuchtung wohl die Wage halten kann. Uebrigens muß ſich ſchon binnen wenigen Monaten entſcheiden, bis zu welchem Grade das Ediſonſche Glühlicht mit dem Gaslicht in Konkurrenz zu treten und dasſelbe zu verdrängen vermag. Nach Ueberwindung vieler Schwierigkeiten hat nunmehr die Edison Electric Lighting Company zu New Jork ein Syſtem der Hausbeleuchtung vollendet und in Betrieb geſetzt, welches ſich über eine Fläche von mehr als einer engliſchen Quadratmeile erſtreckt und ungefähr ein Drittes des Flächenraumes reprä— ſentiert, auf welchem die genannte Kompanie ihr Beleuchtungsſyſtem vorläufig in New York zur Aus— führung bringen wird. In einem vierſtöckigen Ge— bäude, welches die Zentralſtation der jetzt in Betrieb geſetzten Beleuchtungsanlage bildet, ſind ſechs der größten Ediſonſchen Dynamomaſchinen aufgeſtellt, von denen jede einſchließlich der damit direkt ver— wiegt und 1200 Lampen ſpeiſen kann. In dem Sta— tionsgebäude ſelbſt iſt eine Batterie von 1000 Stück Glühlampen von je 16 Kerzen Leuchtkraft in zwei Gruppen angeordnet, welche zur Kontrolle der Strom— ſtärke dient, indem dieſelbe in den Stromkreis jeder der ſechs Dynamomaſchinen eingeſchaltet werden kann. Wenn die damit verbundene Maſchine dieſe Lampen— batterie zum normalen Glühen bringt, ſo iſt dies ein Beweis, daß dieſelbe richtig arbeitet und daß die Urſache einer etwa vorhandenen Störung in der Be— leuchtungsanlage wo anders zu ſuchen iſt. Ueber— haupt iſt alles mit bewundernswerter Umſicht an— geordnet und jeder Fehler im Betrieb wird ſofort in geeigneter Weiſe nachgewieſen. In dem gegenwärtig erleuchteten Stadtteile ſind 22 —23 Kilometer Straßen⸗ leitung angelegt, welche den Strom durch die Dienſt— drähte von ungefähr 15,000 Lampen für 946 Kon⸗ ſumenten liefern. Am 4. September wurden 5000 Lampen in verſchiedenen Wohnungen, Büreaus und Werkſtätten des Bezirks entzündet; unter den beleuch— teten Gebäuden befanden ſich auch die Etabliſſements des „New Pork Herald“ und der amerikaniſchen „Times“. Wahrſcheinlich wird noch einige Zeit vergehen, bis der ganze Bezirk mit Ediſonlicht beleuchtet wird, indem die vorhandenen Betriebsmaſchinen noch nicht ausreichend ſind und für Reſervemaſchinen geſorgt werden muß, bundenen 150pferdigen Dampfmaſchine über 30 Tonnen damit jeder Störung ſofort abgeholfen werden kann. Fortſchritte in den Naturwiſſenſchaften. Phyſik. Härten von Metallen durch Druck. Herr Clé⸗ mandot in Paris hat eine neue Methode gefunden, Me- talle insbeſondere Stahl zu härten, und dieſelbe „Tempern durch Druck“ genannt. Das Metall wurde bis zur Kirſch— rotglut erhitzt, dann mit Hilfe von hydrauliſchen Preſſen ſtark komprimiert und bis zur völligen Abkühlung unter demſelben Druck belaſſen. Die erzielten Reſultate waren den durch Abſchrecken erhaltenen analog. Der komprimierte Stahl hatte eine ungewöhnliche Härte und eine ſolche Fein- heit des Kornes angenommen, daß er nach dem Polieren das Anſehen von poliertem Nickel zeigte; er hatte ferner, wie der getemperte Stahl, bedeutend an Coércitivfraft ge- wonnen und die Fähigkeit erlangt, ſtark magnetiſch zu wer⸗ den. Nach dieſer Methode hergeſtellte Magnete erwieſen ſich als ſehr widerſtandsfähig und werden bereits zu Telephonen benutzt. Auch liefert dieſer Stahl vorzügliche Werkzeuge. Die Kompreſſion unter den angegebenen Bedingungen hat ihr Analoges in dem Abſchrecken des geglühten Metalls. Die in beiden Fällen auftretenden Erſcheinungen können in verſchiedener Weiſe gedeutet werden, doch kann man bei beiden annehmen, daß ein Zuſammentreten der Moleküle und ein Amorphwerden eintritt, wodurch die durch Fehlen der Kriſtalliſation bedingte Gleichmäßigkeit des Materials reſultiert. Das Zuſammendrücken kann man meſſen und abſtufen, ſowie durch Aenderung des Druckes den Grad der Härtung nach Bedürfnis verändern. Die Vorteile dieſer Härtungsmethode ſind daher einleuchtend. Zu den Mitteilungen Clémandots bemerkt Lan“), daß man namentlich in England ſchon längere Zeit den ) Compt. rend. 94. Humboldt 1882. S. 703 und 952, geſchmolzenen Stahl bis zum Erkalten einem ſtarken Druck ausgeſetzt und dabei Zunahme der Härte beobachtet habe, welche um ſo größer ſei, je mehr Kohlenſtoff der Stahl enthalte. Ferner zeigte ſich, daß im komprimierten Stahl die Menge des chemiſch gebundenen Kohlenſtoffs im Ver⸗ hältniß zum freien Kohlenſtoff größer ſei als bei dem nicht komprimierten, ſo daß alſo die Kompreſſion dieſelben phyſikaliſchen und chemiſchen Wirkungen hervorbringen würde, wie ſchnelle Abkühlung. P. Verſlüchtigung von Metallen im Bakunm. Die meiſten Verſuche über Verflüchtigung von Metallen durch den elektriſchen Bogen oder auf andre Weiſe haben ge- wöhnlich in Luft oder Gaſen unter dem Atmoſphärendrucke ſtattgefunden; neuerdings hat jedoch Eugen Demargay ſolche Verſuche durch Druckverminderung bei viel niedri⸗ geren Temperaturen ausgeführt. Bis jetzt ſind auch nur leicht flüchtige Metalle bei dem Experiment zur Verwen⸗ dung gekommen, der genannte beabſichtigt aber die Ver⸗ ſuche viel weiter auszudehnen. Sein Apparat beſteht aus einem Kriſtallrohr von 12 em Durchmeſſer, worin ſich das Metall befindet und das an beiden Enden zuge⸗ ſchmolzen iſt. Die Erhitzung wird durch Dämpfen von Schwefel, Queckſilber, Anilin, Waſſer und andern Sub⸗ ſtanzen bewirkt, welche Temperaturen von 440 100 C. ergeben. Das Vakuum wird mittels der Sprengel ſchen Queckſilberluftpumpe erhalten, hierauf wird das Rohr in den erwähnten Dämpfen erhitzt und gleichzeitig die Pumpe in Thätigkeit erhalten. In das Kriſtallrohr iſt ein feines Uförmiges Rohr eingeführt, deſſen Biegung etwa 2 em vom Metallſtück entfernt iſt und durch welches kaltes Waſſer ſtrömt; dasſelbe dient zur Kondenſation der Metalldämpfe. 58 456 Humboldt. — Dezember 1882. Wenn die Erhitzung wirkſam wird, ſo entwickelt ſich ſofort eine beträchtliche Menge Dampf, der fich raſch auf der Biegung des Kaltwaſſerrohres niederſchlägt und darauf einen dunkeln Ueberzug bildet, der mit der Zeit metall⸗ farbig wird. 5 ö N Auf dieſe Weiſe ſind Cadmium, Zink, Antimon, Wis⸗ mut, Blei und Zinn bei Temperaturen von beziehentlich 160, 184, 292 (Antimon und Wismut) und 360° C. (Blei und Zinn) verdampft worden. Bei höheren Tem⸗ peraturen fallen die Niederſchläge reichlicher aus. Dee margay hat nicht verſucht, ob auch bei noch niedrigeren Temperaturen Verflüchtigungen der Metalle ſtattfinden, jedoch bezweifelt er nicht, daß dies der Fall iſt, nur iſt er nach ſeinen Erfahrungen der Meinung, daß alsdann die Verflüchtigung durch eine dünne Schicht von Suboxyd, das weniger flüchtig als das Metall iſt, maskiert wird. In ſolchen Fällen beginnt die Metallſublimation erſt, wenn die ſchützende Oxydhaut zerriſſen worden 55 CW. ereinfachter Injektor (Patent Strube) von C. een 10 5 289 und Magdeburg. Die bis jetzt gebräuchlichen Injektoren haben entweder unveränderliche Düſen und arbeiten deshalb nur bei einem gewiſſen Dampf⸗ drucke, oder ſie haben eine bewegliche Dampfdüſe und ſind N ventile, ſog. Schlaberventile konſtruiert, ſo daß ſie dem Keſſel Luft zuführen. Alle dieſe Uebelſtände find bei dem Strube ſchen Injektor vermieden. Fig. 1 zeigt denſelben in äußerer Anſicht mit durchſchnittenem Schlaberventil C. Der In⸗ jektor hat keine Verpackung und iſt mit einem beweg⸗ lichen Düſenſyſtem verſehen, wodurch der Apparat bei veränderlichem Dampfdrucke ſicher funktioniert. Ferner hat derſelbe keine Dampfſpindel, ſondern ein eigenes ſau⸗ gendes Blasrohr (bet s in Fig. 2), fo daß bei jeder Dampfſchonung ein ſicheres Anſaugen erfolgt. Es iſt ſo⸗ mit die Dampfſpindel mit dem Waſſerhahne zu einem einzigen Organ verſchmolzen. Jeder der Strube ſchen Injektoren ijt mit einem Schlaberventile C verſehen, jo daß dem Keſſel keine Luft zugeführt wird und der Apparat geräuſchlos arbeitet. Eine andre gute Eigenſchaft dieſes Injektors beſteht darin, daß er ſowohl in horizontaler, als auch in vertikaler Lage benutzt werden kann und ſicher arbeitet. Bei veränderter Lage des Apparates muß ſelbſt⸗ verſtändlich das Schlaberventil ſo gedreht werden, daß der Auslauf nach unten zeigt. Die Handhabung des Injektors iſt ſehr einfach. Beim Aufdrehen des Handrades R wird zunächſt durch Lüften des Ventils v das kleine Dampfrohr s geöffnet, fo daß der bei B eintretende Dampf durch die Düſe d fahren kann und bei a durch die Oeffnung A, welche mit dem Saugrohr verbunden iſt. Hier⸗ auf ſtößt der Rand des Ventils v an den 2 hakenförmigen Vorſprung m des weiteren Dampfblasrohres (Düſe) an, worauf beim Weiterdrehen des Handrades der volle Dampf⸗ querſchnitt und gleichzeitig auch der volle Waſſerquerſchnitt geöffnet wird. Bei u iſt das Rückſchlagsventil. Schw. Die elektriſche Eiſenbahn der Brofeſſoren Ayrton und Varry. Seit Erfindung der Elektro⸗ motoren beſchäftigte man ſich damit, dieſelben zur Bewegung von Fuhrwerken zu benützen, je⸗ doch ohne durchſchlagenden Erfolg. vermochten, konnte man wieder Hoffnung ſchöpfen, zu dem gewünſchten Ziele zu gelangen. : Im Jahre 1878 führten die franzöſiſchen Ingenieure Chrétien und Félix einige be⸗ merkenswerte und praktiſche Verſuche in dieſer Richtung hin aus, indem ſie durch eine Turbine eine elektriſche Krafttransmiſſion in Betrieb ſetzten und dieſelbe zum Ziehen der Pflüge bei der Feldbearbeitung benutzten. Ein Jahr dar⸗ auf führte Dr. Siemens in Berlin eine wirk⸗ liche elektriſche Eiſenbahn gelegentlich der Ber⸗ liner Gewerbeausſtellung von etwa 900 m Länge S SAAT aus, nach deren Vorgange ſpäter andre Ausfüh⸗ = rungen im größeren Maßſtabe folgten. Bei der Fig. 2. dann ſehr kompliziert, d. h. ſie ſind aus ſehr vielen Teilen zuſammengeſetzt und können nur von ſachverſtändigen ge⸗ übten Leuten behufs Reinigung auseinander genommen werden, ferner haben dieſelben verbrennliche Packungen, welche leicht undicht werden, ſo daß ſie alsdann ihren Dienſt verſagen; auch ſind dieſelben meiſtens ohne Luft⸗ erſten Ausführung wurde der Strom durch die iſolierten Bahnſchienen geleitet und durch Schleif⸗ federn davon abgenommen und noch dem loko⸗ motiven Elektromotor zugeführt. Bei der 1881 in Paris ausgeführten Bahn dienten zwei ſtarke, oberhalb der Bahn ſchwebend geführte iſolirte Drähte als Stromleiter, auf denen ein kleiner, mit der elektriſchen Lokomotive verbundener Wagen lief, welcher dem Elektromotor den Strom zuführte. Für längere Bahnen und größere Geſchwindigkeiten iſt jedoch dieſe Einrichtung nicht praktiſch, weshalb die engliſchen Elektriker Ayrton und Par ry eine elektriſche Bahn konſtruierten, bei welcher nicht die ſchwierig zu iſolierenden Schienen, ſondern ein neben denſelben in den Boden gelegtes, gut iſoliertes Kabel als Hauptſtromleiter dient, während die eine Schiene Humboldt. — Dezember 1882. immer nur auf kurze Längen den Strom aufzunehmen hat, um denſelben nach der Lokomotive zu leiten. Auf dieſe Weiſe wird der übermäßige Elektrizitätsverluſt, der durch die ſchlechte Iſolation der Schienen herbeigeführt wird, vermieden. Bei der einen Anordnung der Bahn ſind die ſtromaufnehmenden Abteilungen der Schienen ſehr kurz und die Verbindung der Leitſchiene mit dem elektri⸗ ſchen Kabel wird mittels Niederdrücken der Schiene durch das Gewicht des darüberfahrenden Zuges bewirkt. Bei einer andern Anordnung ſind die Schienenteile länger und die Räder gehen über Hebel, durch welche der Kontakt der Schiene mit dem Kabel nach Durchlauf gewiſſer Strecken immer wieder hergeſtellt wird. Auf dieſe Weiſe wird ohne Aufhören dem Elektromotor ein kräftiger Strom zugeführt und der Zug fortgetrieben. Sobald der Zug auf ein an⸗ dres iſoliertes Schienenſtück übergeht, wird das vorher be— fahrene wiederum vom Strome ausgeſchloſſen, außerdem aber auch noch verhütet, daß dieſem Schienenſtück durch einen folgenden Wagenzug wiederum der Strom zugeführt werden kann. Auf dieſe Weiſe kann kein Zug auf dem eben verlaſſenen Schienenteile fortkommen und es muß zwiſchen zwei hintereinander fahrenden Zügen ſtets die Diſtanz einer Schienenabteilung gewahrt bleiben. Auf dieſe Weiſe wird verhütet, daß ein ſtillſtehender Wagenzug von einem folgenden eingeholt und geſtoßen wird. Profeſſor Ayrton und Parry haben auch noch die Einrichtung getroffen, daß der Zug ſtets ſelbſt ſeinen Ort auf der Strecke anzeigt. Zu dieſem Zwecke läuft neben der Bahn ein dünner iſolierter Draht nach der Signal— ſtation, wo derſelbe mit einem Galvanometer verbunden iſt, woran ſich ein Zeiger befindet. Dieſer befindet ſich hinter einem Papierſchirm, worauf die Bahnſtrecke mit ihren Stationen im kleinen Maßſtabe aufgezeichnet iſt. Der Schatten dieſes Zeigers bewegt ſich ganz ſo wie der Zug und zeigt ſomit ſtets deſſen Ort auf der Bahnkarte an. Schw. Chemie. Ein neues Kohlehydrat. A. Muntz hat ein neues Kohlehydrat von der Formel Ce Ho Os aus Luzernekörnern dargeſtellt und Galaktin genannt, indem es ſich durch Kochen mit verdünnten Säuren in eine zuckerartige Sub— ſtanz von den Eigenſchaften der Galaktoſe verwandelt; ihr Drehungsvermögen wurde + 84,6“ gefunden. In der betreffenden Mitteilung der „Compt. xend.“ wird gleich— zeitig darauf aufmerkſam gemacht, daß der Milchzucker, welcher mit Sicherheit im Pflanzenreich nicht nachgewieſen iſt und deſſen Vorkommen in der Milch der Säugetiere bis jetzt ein Rätſel war, ſeine Entſtehung dem ſo verbrei— teten Galaktin verdanken dürfte. Prof. Scheibler be- merkt hierzu noch in der „Neuen Zeitſchr. für Rübenzucker- Induſtrie“, daß das Galaktin paſſender Galaktan genannt werde, um es den ihm verwandten Stoffen entſprechend anzureihen. Man würde dann nämlich zu verzeichnen haben: Anhydride Ce Hi Os Zuckerarten Ce Hi2 Os Dextran Dextroſe Lävulan Lävuloſe Galaktan Galaktoſe. Veh Neue Baphtolfarben. Auf dem in neueſter Zeit ſo vielbearbeiteten Gebiete der Naphtolfarben ſind wieder ſchöne rote und gelbe Farbſtoffe aus einer neuen Mono— ſulfoſäure des Betanaphtols zu verzeichnen, welche ſich die Farbenfabriken vormals Friedr. Bayer & Comp. in Elberfeld patentieren ließen und Croceinſcharlach und Croceingelb genannt haben. Bei der raſchen Sulfurierung des Betanaphtols in niedriger Temperatur entſteht nämlich neben der von Schäffer entdeckten eine zweite iſomere Monoſulfoſäure, deren Natriumſalz zum Unterſchied von dem der iſomeren Verbindung in Alkohol ſehr leicht löslich iſt und Nitroprodukte liefert. Zur Bereitung werden 100 kg Betanaphtol raſch in 200 kg Schwefelſäure von 66° B. eingetragen, wobei die Temperatur nicht über 50 — 600. kommen darf. Die 0 457 Natriumſalze der beiden gebildeten Sulfoſäuren werden mittels Alkohol getrennt. Das leicht lösliche Salz gibt -mit Diazoverbindungen echte gelbrote Farbſtoffe. Um Croceinſcharlach zu erhalten, werden 50 kg Ami⸗ doazobenzolmonoſulfoſäure mit Salzſäure und Natrium⸗ nitrit diazotiert und das Diazoprodukt in eine Löſung von 75 kg Betanaphtolſulfoſäure in 5001 Waſſer und 140 kg 10prozentiger Ammoniakflüſſigkeit gebracht. Dabei erfolgt die Umſetzung: 0 ONa ws CoHs N. Ce Hi. N. CI + Cio He “SOs Na + 2 NH = ar 803. NIIX 8 ONa. : == Ce H