IN BLAUB RERNEN IN BLAUE FERNEN VIVIENNE VON WATTENWYL IN BLAUE FERNEN Afrikanische Jagdabenteuer Mit eigenen Aufnahmen der Verfasserin VERLAG HALLWAG BERN ‚y | ser2ı 9, RN, ERSiTv OF nF Titel des Originals “Out in the Blue” Übertragung aus dem Englischen von Rolf Bally Alle deutschen Rechte vorbehalten vom Verlag Hallwag Bern Druck: Hallwag AG. Printed in Switzerland Aufbruch Die «Modasa» pflügte ihren Weg durch die dunklen Wogen, geradewegs hinein in die untergehende Sonne. Der schwarze Küstenstreifen mit seinen glitzernden Lichtern glitt am Steuerbord vorüber, und ein hie und da vor uns auftauchendes schattenhaftes Segel verlor sich bald hinter uns in der Abenddämmerung. War es wirklich wahr geworden, dass wir uns endlich an Bord befanden und jeder rhythmische Schlag der Schiffs- schrauben uns unwiderruflich vorwärts brachte Tag, und Nacht, Afrika entgegen ? Während der letzten zwei Wochen hatten wir kaum Zeit gefunden, über unsern bevorstehenden Aufbruch nachzudenken. Ausserdem hatten wir nie ganz daran glauben können, weder als wir die Kataloge von Silver studierten und viele Tage darauf verwendeten, unsere Camp-Ausrüstung zusammenzustellen, noch als wir die Schiffsplätze belegten. Ja, noch am Vorabend des 4. Mai 1923, dem Tag unserer Abfahrt, als wir in Benjamin Edgington’s Werkstätte unser aufgeschlagenes Zelt und die ganze Ausrüstung in aller Eile kontrollierten, schien uns die endliche Verwirklichung unseres Trau- mes kaum fasslich. Denn wer lange auf die Erfüllung eines Wunsches gehofft hat, dem scheint sie immer unwahrscheinlicher. Wir hatten diese Expedition seit sieben Jahren ge- plant und hatten gespart dafür, als ich noch zur Schule 5 ging, und nun, mit zweiundzwanzig Jahren, stand ich endlich vor der Verwirklichung dieses so lange herbei- gesehnten Augenblicks. Unmittelbar vor dem Weltkrieg 1914 hatte B., mein Vater, zwei Jahre in Zentralafrika verbracht und das Land, seine Jagdweisen und Reisemöglichkeiten gründ- lich kennengelernt. Dann unternahm er eine Expedition durch Nordost-Rhodesien, von welcher er eine schöne Trophäensammlung zurückbrachte, die er dem Museum in Bern überliess. Einige Jahre später wurde dort ein neuer Kurator gewählt, der mit seiner ganzen Persönlichkeit dafür eintrat, dass das Museum neuen Schwung bekommen solle, und der sein besonderes Interesse der Erneuerung der Sammlung afrikanischer Fauna widmete. Hier bot sich endlich die so lange ersehnte Gelegenheit: Die Museumsleitung erklärte sich bereit, Transport und Verpackung aller ihr zugesandten Trophäen zu tragen — eine grosse Erleichterung für unser Expeditions- Budget —, und was die übrigen Unkosten betraf, so konnten wir, nachdem wir alle unsere Ersparnisse flüssig gemacht hatten, zwei ganze Jahre lang unter- wegs bleiben. Man kann nicht gänzlich ohne Übergang vom Alltag in das gesteigerte Erlebnis eines Abenteuers treten, und da lag die Zeitspanne einer langen Seereise vor uns. Allein zuzusehen, wie der Bug des Schiffes das Wasser durchschneidet und es weißschäumend beiseite wirft, macht uns das eine vergessen und erfüllt uns mit lockenden Visionen des andern. Genügt das noch nicht, so sind Port Said und Port Sudan wohl geeignet, einen Vorgeschmack des Ostens zu geben, und der Suez- 6 Kanal — von wo aus der Blick über endlosen Sand und steinige, im Sonnenglast flimmernde Hügel schweift — einen Vorgeschmack der Wüste. Einen Monat später lief die «Modasa» in die blaue Bucht von Kilindini-Harbour ein. Bei Einbruch der Nacht verliess der Zug den Hafenplatz und trug uns mit wachsender Geschwindigkeit landeinwärts in die Dunkelheit. Der Mond schien abwechselnd bald in das eine Fen- ster, bald in das andere, während der Zug sich durch das ersehnte afrikanische Grasland wand, undwir glaub- ten in unserer Ungeduld den Tagesanbruch nicht mehr erwarten zu können. Doch allmählich erstarb das Ge- räusch der Räder, und unter Vorstellungen von Löwen- jagden und dem Donner der Tsavobrücke in den Ohren verfiel ich in festen Schlaf, bis mich die helle Morgen- sonne weckte. Die Regenzeit war gerade vorüber. Alles war grün wie ein Park, die Atmosphäre so leuchtend klar, dass, fast hundert Meilen entfernt, der schneeige Gipfel des Kilimandjaro wie eine weisse Wolke am Himmel hing. Aus Hügeln und Busch gelangten wir allmählich in offeneres Gelände, die Athi-Hochebene, eine ungeheure Grasfläche, die im Winde wogte wie ein Meer. Solange es aufwärts gegangen war, hatten wir uns fast die Augen aus dem Kopf geschaut, um Wild zu entdecken und sahen auch richtig einige Giraffen und dann und wann ein Hartebeest (Kuhantilope) — aber grasten ganze Herden von Hartebeests, Gnus, Ga- zellen und Zebras buchstäblich neben dem Geleise und hoben kaum die Köpfe, als der Zug vorüberdonnerte. Es war ein erstaunlicher Anblick und ganz dazu ange- 7 tan, einem die Lust am Töten von Grosswild für immer zu nehmen. Dies war jedoch ein Wild-Reservat; ausser- halb seiner Grenzen würden wir Mühe genug haben, zu erjagen, was wir für unsere Sammlung brauchten. Es stellte sich dann auch heraus, dass wir noch ge- nügend Zeit finden würden, um die Freude am Jagen wiederzugewinnen. Wir hatten gehofft, schon eine Woche später unter unsern Zelten zu schlafen, aber noch. fast einen Monat wurden wir in Nairobi fest- gehalten, bevor wir uns auf den Weg machen konn- ten; denn selbst mit Unterstützung des Game Warden (Vorstand des Wildschutz-Departements) — und seine Hilfe ging so weit, dass er unsere ganze Karawane zu- sammenstellte — können dreissig kräftige Träger nicht im Umsehen zusammengetrommelt werden. Mit der Anwerbung eines so vorzüglichen Gewehrträgers wie Kongoni, eines Vormannes wie Bokari und Leuten, die etwas vom Abhäuten der Beute verstehen, unge- rechnet den Koch und persönliche Dienerschaft, wurde ein längerer Aufenthalt unvermeidlich. Doch so sehr wir nach dem Aufbruch brannten, war diese Verzögerung nur unser Vorteil. Die Regenzeit war im Innern ungewöhnlich heftig gewesen. Das be- deutete, dass nun das Gras sehr hoch stand, und dass die Elefanten nicht vor zwei bis drei weitern Monaten in den Meru-Wald zurückwechseln würden. Der Elefant war die grösste Aufgabe unserer Expe- dition, denn wir beabsichtigten, seine Haut mitzuneh- men; damit wollten wir den Anfang machen, um diese schwerste Arbeit bald hinter uns zu haben. Ob wir es fertigbringen würden, einen Elefanten zu häuten und seine ganze Haut zu präparieren, war für uns noch eine ungelöste Frage, denn B.’s Erfahrung auf dem Gebiet der Taxidermie hatte sich bis daher nur auf die Los- lösung der Maske von Antilopen erstreckt. Ein Gross- wildjäger, der darin Erfahrung hatte, versicherte uns nachdrücklich, dass ohne Mithilfe von mindestens hun- dert Mann und einem Kran und Flaschenzug nicht daran zu denken sei. Bis jetzt war es nur ein Plan ge- wesen, gerade so wie die Erbeutung des weissen Nas- horns, und niemand glaubte weniger daran als B. selbst. Nun jedoch wurde der Elefant plötzlich das Hauptziel unseres Ehrgeizes. Ein kurzer Ausflug nach dem obern 'Tana würde die Zwischenzeit prächtig ausfüllen und uns trainieren, denn erst hinter Meru sollte die eigentliche Expedition beginnen: zum nördlichen Teil des Uaso Nyiro, mög- licherweise bis zu den Lorian-Sümpfen, dann hinüber an den untern Tana und der Küste entlang nach Lamu. Es war ein verlockendes Programm, dessen Ausfüh- rung acht oder neun Monate beanspruchte und zeitlich nur durch den Wiederbeginn des Grossen Regens be- grenzt war. Der obere 'Tana war eine wildreiche Gegend und bot uns mancherlei Gelegenheit, unsere Sammlung zu be- ginnen; überdies lag er gerade auf unserer Route. Zwar erstreckten sich noch etwas über hundert Meilen ge- bahnten Weges zwischen ihm und Meru, aber diese Strecke konnten wir gegebenenfalls auch mit dem Wa- gen zurücklegen. Alle Jagd-Expeditionen in Ostafrika benützten Automobile, wo sie konnten, und B.’s An- sicht, dass man, wenn man im Grasland an einen be- stimmten Platz gelangen wolle, einfach dorthin mar- schiere, war total veraltet. Hier war einmal Armut gleichbedeutend mit Frei- heit. Wir mochten wohl vorgeben, dass ein Marsch mit der Kolonne viel romantischer sei als eine Reise im Automobil, oder dass, trotzdem die Erfahrungen eines berufsmässigen weissen Jagdführers für grösseren Er- folg bürgen würden, der ganze Reiz unseres Unter- nehmens darin bestehe, unsere Erfahrungen selbst zu machen; wir hatten jedoch nicht aus eigener Wahl auf beides verzichtet. Wer gewusst hätte, was der Ankauf unserer sechs Packesel für unser Budget bedeutete, der hätte schnell eingesehen, dass wir auf alle weiteren Bequemlichkeiten verzichten mussten. Diese Packesel waren eine Nebenausgabe, mit der wir nicht gerechnet hatten, die sich aber als völlig unumgänglich erwies. In dem Landstrich, den wir bereisen wollten, konnte man nämlich keine Nahrungsmittel kaufen, und wenn auch die Träger Fleisch von dem erlegten Wild essen würden, hatten sie doch Anspruch auf ihre Tagesration «Posho » (Maismehl). Da nun für die Träger, die unsere Lasten trugen, andere Träger Posho tragen müssten, müsste für diese wiederum Posho vorhanden sein; die Packesel lösten diese komplizierten Berechnungen auf einfache Weise, denn für sie fand sich immer Gras. Unter dem Aussuchen der Esel und Packsättel, dem Kauf zweier Reitsättel (wir hofften später zwei Maul- tiere anzuschaffen), dem Ankauf von Proviant, Seilen, Fleischmessern, Skalpellen, Sturmlaternen und all den hundert Dingen, die Robinson Crusoe gebraucht, ver- gingen die Tage; ja, es gab so viel anzuordnen und nach- zusehen, dass ein Monat gerade genügte. Beeilen konn- ten wir uns dabei nicht, niemand in Nairobi beeilte sich jemals, und jede Einzelheit erforderte einen Morgen für Io sich. Der Koch, einmal auf einen Verkaufsladen von Haushaltartikeln losgelassen, verbrachte einen ganzen Tag mit der Auswahl seiner Töpfe und Pfannen. Hätten wir allen seinen Wünschen Gehör geschenkt, dann hätte er uns noch einen grossen Fleischkasten, eine Kaffeemühle und eine grössere Fleischhackmaschine aufgebürdet. Vielleicht hatte er mit seinerHackmaschinedochnicht so Unrecht gehabt, aber sie passte so wenig zu unserer vorgefassten Meinung über das «rauhe Lagerleben», dass wir ihn nur auslachten. Noch hatten wir keine Er- fahrung in Büffelsteaks, oder B. hatte sie nicht mehr in Erinnerung, und über solche Kleinigkeiten machten wir uns am Vorabend unseres Aufbruchs zur «Safari» das Herz nicht schwer. Kein Wunder, dass man uns beneidete, denn «Safari*» bedeutet Jagen und Aben- teuer, weitab von gebahnten Wegen, draussen in den «Blauen Fernen. » * Wörter wie «Safari», «Posho», «Boma», «Zariba» etc. kom- men häufig vor und nachdem sie einmal verwendet, werden sie ohne Anführungszeichen wiedergegeben. Die «Blauen Fernen» von Ost-Afrika sind gleichbedeutend mit dem südafrikanischen Begriff «Grasland». II Am Oberlauf des. Tana Nachdem wir die Höhe von Fort Hall hinter uns gelassen, durchquerten wir den Tana und folgten seinem linken Ufer. Wie herrlich war es, die gebahnten Strassen endlich hinter uns zu haben, denn von Thika aus hatten wir zwei Tage lang ihre Hitze und ihren Staub einge- atmet, mit halbgeschlossenen Augen und mit keinem andern Gedanken ausser dem, dass wir dreissig lange Meilen abmarschieren mussten. Nun aber, auf dem schmalen Pfad durch hohes Gras, über kleine Hügel und quer durch Bachbette, vergassen wir über unserm Verlangen, Wild zu erspähen, völlig, dass wir marschier- ten. Am zweiten Tag erst sahen wir das erste Wild. Wir hatten gerade einige Perlhühner aufgescheucht, als B. niederkniete und anlegte. So sehr ich auch spähte, ich konnte nichts entdecken. Da tauchten auf seinen Schuss ein halbes Dutzend Tiere mit rostrotem Rücken aus einem Grasfleck auf, gerade dort, wo ich sie ver- geblich gesucht hatte, und flohen davon. Es waren Impala-Antilopen gewesen, eine davon mit kapitalem Gehörn, wie B. sagte. Er jagte hinter ihnen her, feuerte noch zweimal und kam nach Ablauf einer Stunde zu- rück, nachdem er das Rudel im Dickicht verloren hatte. Das war ein peinlicher Umstand, denn seit Anbeginn fühlten wir uns von unserer Gefolgschaft mit skepti- schen Blicken beobachtet, und bisher hatte noch nichts zu unsern Gunsten gesprochen. Der Koch sah in der I2 Bescheidenheit unserer Vorräte beinahe eine persön- liche Beleidigung. Und dass wir die Landstrasse zu Fuss hinter uns gelegt hatten statt in Automobilen, war für unsere Vorräte nicht vorteilhaft gewesen. In- dessen, sagte B., schade es nichts, wenn man sich am Anfang bescheiden müsse. Um so erfreulicher werde es sein, wenn sich die Dinge später zum Bessern wendeten, und wenn die Leute einmal Wildbret bekämen, werde ihre Zuversicht schnell wachsen. Aber nun waren wir auf Wild gestossen, und es hiess bei den Leuten, B. könne nicht schiessen. Wir waren uns bewusst, wieviel vom ersten Eindruck abhängt; und von Kongoni, dem früheren Gewehrträger des Prinzen Wilhelm von Schweden, bis herab zum Küchenjungen, betrachtete uns die ganze Gesellschaft mit fast mitleidiger Ver- achtung. Über einer so beschämenden Situation durften wir die Sonne nicht untergehen lassen, und nachdem wir einen Lagerplatz gefunden hatten, machten wir uns mit einem kleinen Stossgebet um ein besseres Jagd- glück auf die Pirsch. Ausser einer alten Büffelfährte sahen wir jedoch keine Spur eines lebenden Wesens, und die anbrechende Nacht liess uns schon umkehren, als Kongoni unmittelbar vor uns einige Impalas ent- deckte. B. nahm sich diesmal Zeit, zielte mit grösster Sorgfalt und war überzeugt, den Bock getroffen zu haben, aber unser fruchtloses Nachsuchen und das Fehlen jeglicher Spur von Schweiss am Anschuss liessen uns wieder daran zweifeln, als wir im hohen Gras un- versehens auf den verendeten Impala stiessen. Das war ein grosser Augenblick. Die Boys fielen über ihn her, zerhackten und zerschnitten ihn, indem sie sich bis 13 zu den Ellbogen mit Blut besudelten, bis nichts als ein dunkler Fleck am Boden übrig war und jeder Schwarze seine Last an Wildbret hatte. Bis daher hatte ich mir nie diesen Teil des Jagens vorgestellt, und als das ver- endete Tier mit seinen sanften Augen vor uns lag, hätte ich alles dafür gegeben, dass die Kugel auch diesmal ihr Ziel verfehlt hätte. Das Gehörn war leider nur mittelmässig, und wir fanden nachher, dass unser Jagdpass uns nur noch drei Impalas erlaubte. Und doch war es der Mühe wert gewesen, denn der Erfolg brachte das Lager in die hoffnungsfreudigste Stimmung. Wir sassen an unserm ersten Lagerfeuer, und während wir zusahen, wie die hellen Flammen die Finsternis fernhielten und unser Zelt und die schützenden Bäume in ihren traulichen Kreis einschlossen, fühlten wir uns durchdrungen von der wahren Zufriedenheit des Jägers seit Urbeginn. Dies würde ein herrliches Leben werden, und ich be- gann mich mehr und mehr meiner Tränen über den er- legten Impala zu schämen, besonders, da ich gerade in seine frischgeröstete Leber mit der gleichen Lust ein- hieb wie irgendeiner im Lager. Ein langer Marsch am folgenden Tag, an dem wir aber kein Wild zu Gesicht bekamen, brachte uns in eine Gegend, die mehr und mehr nach dem echten Afrika aussah, und wir atmeten auf, als — endlich — die melancholische, grüne, endlos gewellte Ebene hinter uns lag. Kaum hatten wir unser Lager aufgeschlagen, als einige alte Kikuyu-Häuptlinge mit ihren Frauen er- schienen. Sie setzten sich in einen Kreis und gebärdeten sich sehr freundschaftlich. Sie boten sich an, B. eine Büffelherde zu zeigen, und er brach mit ihnen auf, 14 während ich mich bereitmachte, auf den Fischfang zu gehen, um für unsern Abendtisch etwas zu fangen. Wir hatten Brahimo als meinen Gewehrträger gewählt; ich musste versprechen, ihn mit der Büchse mitzu- nehmen. Es war ein erregender Gedanke, allein in die Wildnis zu wandern, und ich wollte gerade aufbrechen, als B. noch einmal zurückkam, um mir einzuschärfen, dass ich, im Falle ich einen Löwen sehe, nicht auf nahe Distanz schiessen und auch keine Nachsuche anstellen dürfe. Ich sah jedoch sogleich, dass ich mir keine Hoffnungen auf einen Löwen zu machen brauchte, denn zwischen Lager und Fluss sah die Gegend nach allem andern als nach Dschungel aus; sie glich vielmehr einem sehr zahmen Maisfeld. B. hatte keine Anzeichen von Büffeln bemerkt. Aber am folgenden Morgen — wir waren vor Tagesgrauen aufgebrochen — stiessen wir sehr früh auf zwei Nas- hörner. Sie bewegten sich gleichmütig in unserer Rich- tung durch das offene Land, riesige, schwerfällige Krea- turen, die völlig harmlos und dumm aussahen. Unsere Boys schrieen und suchten sie mit Steinwürfen zu ver- scheuchen, und der Koch zog mich zu meinem gröss- ten Ärger am Arm zurück und stellte sich vor mich hin. B. meinte zwar, das sei ein glänzendes Zeugnis dafür, dass der Koch im Notfall seine Geistesgegenwart be- wahren würde. Ich aber hegte damals noch den absur- den Glauben, dass ich mich mit allem Wild auf freund- schaftlichen Fuss stellen könne. Zur Mittagsstunde machten wir bei einem kleinen, kristallklaren Bach, einer Augenweide nach dem schmut- zigtrüben Wasser des Tana, halt und schlugen dort 15 unser Lager unter einigen Schirmakazien auf. Da unsere Kikuyu-Gefolgschaft sich inzwischen auf sechs Mann vergrössert hatte, schickte B. sie nach Süden, Osten und Westen, um nach Wild zu spähen. Wir hatten einen langen, heissen Marsch hinter uns und waren so glück- lich, endlich im Schatten ruhen zu können, so dass wir beinahe wünschten, ihre Suche bleibe erfolglos. Alle Arbeit war getan, die Träger schliefen, und die Stille eines heissen afrikanischen Nachmittags lag reg- los über dem Lager. Kein Blättchen bewegte sich an den Zweigen, und ausser einer Zikade, die eintönig in der Nähe zirpte, schien alles Lebende in Schlaf ver- sunken, als zwei der Kikuyus leise zu unserm Zelt traten und meldeten, sie hätten vier Löwen gesichtet. Im Nu versetzte diese Meldung das Lager in Auf- regung; Kongoni machte den Dolmetscher. Sie hatten gesehen, wie sich die Löwen im hohen Gras nieder- taten, und waren sogleich unbemerkt zurückgekehrt, zwei ihrer Kameraden in der Nähe zurücklassend, um die Örtlichkeit zu markieren. Wir griffen zu den Büchsen, steckten einige Biscuits in die Taschen und machten uns schleunigst auf den Weg, der Führer voran. Bergab verfielen wir alle in Trab, und ausser Atem keuchten wir die nächste An- höhe hinauf. Als wir ein kleines Plateau erreicht hatten, bewegten wir uns vorsichtiger vorwärts und glaubten uns schon ganz nahe, als ein Paar Kiebitze zu unseren Füssen mit schrillem Warnruf hochflog. Wir machten uns aber unnötig Sorge, dass sie den Löwen unsern Standort verraten könnten, denn wir waren noch weit von ihnen entfernt, und da der Wind sich inzwischen gedreht hatte, sahen wir uns genötigt, einen grossen 16 Umweg zu machen. Dadurch verloren unsere Führer die Richtung. Wir gingen zwei gute Stunden und be- gannen schon, ihre Löwenmeldung für falschen Alarm zu halten, als wir auf ihre beiden wartenden Gefährten stiessen. Wiederum machten sie halt und begannen nochmals einen hitzigen Wortwechsel in lautem Flüsterton, unter eifrigem Deuten und Gestikulieren, und schwatzten dabei so durcheinander, dass selbst Kongoni nicht klug daraus wurde. Auf alle Fälle war es nun zu spät, und obgleich es wohl möglich war, dass die Löwen sich hier niedergetan hatten, kosnten wir kaum von ihnen er- warten, dass sie, ungestört von dem Gekreisch eines halben Dutzends Eingeborener, ruhig in ihrem Ver- steck blieben. Das Schilfrohr erstreckte sich meilen- weit in die Ferne, und wir blickten darüber hin, als eine Bewegung im Schilf unmittelbar vor uns aller Auf- merksamkeit spannte. Und plötzlich schnellte beinahe vor unsern Füssen etwas Gelbes in die Höhe. Einen Augenblick lang waren knurrende, fauchende Löwen ringsum. Ich zählte sieben im ganzen, die nun nach allen Richtungen flüchtig wurden. Einer, ein halbausge- wachsenes Junges, schrak zurück und sprang dann, nur wenige Schritte an mir vorbei, den andern nach. B. erlegte einen Löwen, fehlte eine Löwin, die in hohen, schnellen Fluchten durch das Schilf setzte, und gab dann auf einen grossen Löwen mit schwarzer Mähne Feuer, im Augenblick, als er verhoffte. Er strauchelte, kam wieder hoch und verschwand im Schilf. All dies war das Werk eines Augenblicks; ich stand noch immer wie festgewurzelt, und als mir der Ge- danke kam, die Kamera oder die Büchse zu gebrauchen, 17 war alles vorüber, die Löwen fort, verschwunden. Unterdessen gab der erste Löwe, der nun ausser Sicht irgendwo zwischen den Büschen lag, tiefknurrende, vibrierende Laute von sich, ein seltsam schöner, mark- erschütternder Ton, der die Luft erzittern macht. Die Neger warfen Steine, um ihn zu veranlassen, hochzu- kommen, und endlich konnten ihn unsere nur mit Speeren bewaffneten Führer sehen. Er lag in einer Bodensenkung, zerbiss das Gras und zersplitterte die umherliegenden Zweige in ohnmächtiger Wut. B. gab ihm den Fangschuss. Dann beugten wir uns auf die wundervolle Beute und liessen unsere Hände über seine weiche goldene Flanke streichen. Nun galt es, den grossen, krankgeschossenen Löwen zu finden. Wir drangen in ein Dschungel von verfilztem Gras, das hoch über unsere Köpfe reichte, jeden Augen- blick gewärtig, dass eine der Löwinnen uns annahm. Die Suche war kurz; als wir auf einen Streifen freien Geländes kamen, fanden wir den Löwen auf der Seite liegend, verendet. Er war ein Riese. Allein seine mächti- gen Vorderpranken zu heben war eine Anstrengung. Wie Stricke fühlten sich seine Muskeln und Sehnen unter der fahlen Haut an. Haupt und Schultern waren von einer majestätischen Mähne umhüllt. Kongonis bisheriger Ausdruck geduldiger Lange- weile war nun verschwunden, er konnte seine Freude nicht verhehlen. Er schüttelte uns beiden die Hände und rief B., zum erstenmal ins Englische fallend, zu: «Good luck, my boy!» während die Kikuyus singend um die Jagdbeute herumtanzten. Die Sonne war am Untergehen, es blieb uns keine Zeit mehr für photographische Aufnahmen; leider ka- 18 men wir auch nicht mehr dazu, die notwendigen Kör- permasse zu nehmen. B. machte die Anschnitte, und wir alle gingen ans Werk, den Löwen abzustreifen. Da ich nichts davon verstand, musste ich zu meinem Kum- mer mein Messer einem der Kikuyus geben. Es war harte Arbeit; Kongoni sagte, die Decke dieses alten Löwen sei so zäh wie die eines Büffels. Wir mussten uns sehr beeilen, und niemand hatte ein wirklich schar- fes Messer bei sich. Eine der Pranken war stark ent- zündet, wir fanden als Ursache den Stachel eines Sta- chelschweins, der tief und fest darin stak. Die Nacht war herzingebrochen, bevor noch der zweite Löwe abgestreift war, und beim Schein von Streichhölzern, mit denen ich ihm leuchtete trennteB. ihm den Kopf vom Rumpf. Wir fragten uns schon, wie wir wohl das Lager finden würden, als wir von ferne einen Ruf hörten. Auf unsere Antwort hinsahen wir bald einen Lichtschein auf uns zukommen. Der erfahrene Kongoni hatte einen der Kikuyu zum Lager zurück- gesandt, und nun kam Bokari mit ı5 Trägern herbei. Es gab ein grosses Beglückwünschen und Hände- schütteln, und endlich, während die Häute in Lasten verschnürt wurden, konnten wir uns niedersetzen. Ob- wohl unsere Hände nach der harten Arbeit nicht ge- rade appetitlich waren, liessen wir uns unsere Biscuits schmecken und drehten uns eine wohlverdiente Ziga- rette. Der Rückweg zum Lager war weit, doch bald erschien der Vollmond und half uns, den Weg durch die Dornbüsche zu finden. Wir aber dachten nicht an Müdigkeit. War das verwunderlich, wenn ein Blick hinter uns die dunklen Umrisse von Trägern zeigte, die unter einer so stolzen Last schwankten ? 19 Mit unbeschwerten Gedanken kehrten wir heute ins Lager zurück, wir wandelten wie auf Wolken. Unter- wegs erzählte mir B. von der Löwenjagd in Rhodesien, wie dort die Eingeborenen die Erbeutung eines Löwen stets mit Gesängen feiern. Da begannen auch hinter uns die Träger zu singen, einer als Vorsänger, worauf die übrigen mit leiser Stimme im Chor einfielen. Als wir uns dem Lager näherten, wurden uns lodernde Fackeln entgegengeschwenkt, und mit Jubelgeschrei liefen uns die Zurückgebliebenen entgegen. Bevor wir wussten, wie uns geschah, ergriffen sie uns, hoben uns auf ihre Schultern und trugen uns im Triumph ins Lager. Der Gesang wurde lauter und lauter, die ganze wilde Pro- zession bewegte sich in einer Art hüpfendem Tanz vor- wärts. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als wir das La- gerfeuer erreichten. Es war ein wildes Schauspiel, diese halbnackten, mit Asche weissbemalten, mit Grasbü- scheln geschmückten Wilden in ihrem Tanz um das Feuer, das sie seltsam beleuchtete. Wir fanden nie heraus, wer der Urheber dieser De- monstration gewesen, sie endete mit einem Bakschisch für jedermann, womit wir vermutlich einen kurzsich- tigen Präzedenzfall schufen, aber ausser unserer Freude über den ersten Löwen zählte heute nichts mehr. Es war in der Tat ein wunderbarer Glücksfall gewesen, und erwünscht kam er uns auch, denn es bedurfte schon der Erlegung eines schwarzmähnigen Löwen, um die Erinnerung an den schlechten Anfang zu ver- wischen. \ Wir fürchteten für die Felle, wenn wir mit dem Prä- parieren bis zum Morgen warten würden, und so be- gannen wir die Arbeit auf der Stelle. Um vier Uhr früh 20 waren beide Schädel sauber herausgeschält, aber nun, nach beinahe vierundzwanzigstündiger Anstrengung, waren wir beide so müde, dass wir uns kaum noch zu unsern Feldbetten schleppen konnten. Erst am darauffolgenden Nachmittag waren die zwei Häute für die Behandlung mit dem Konservierungs- mittel bereit und im Schatten zum Trocknen aufge- spannt. Es war das erste Mal, dass unsere Leute ihre Geschicklichkeit im Präparieren erprobten, und zu un- serer angenehmen Überraschung waren sie viel ge- wandter, als wir zu erwarten hofften. Mvanguno, der «Ober-Abbalger», ein :brummiger, alter Kauz mit O- Beinen, tat sehr beleidigt, als B. ihn fragte, ob er Schä- del entfleischen könne. Und in der Tat, er machte seine Sache gut, bis er dann doch B. freimütig eingestand, er wisse nicht, wie die Nüstern losgetrennt würden. Kon- goni machte sich auch heran und brachte B. mit viel Geheimnistuerei vier seltsam geformte Knöchelchen, die Schlüsselbeine der Löwen, unfehlbare Glücks- bringer. Am vorhergehenden Abend hatten wir in unserer Eile ganz vergessen, dass das Museum für jedes Exem- plar die Laufknochen bis zum Becken und Schulter- gürtel brauchte. Als B. aber zurückging, um sie zu bergen, waren auch nicht mehr die kleinsten Überreste der beiden Kadaver zu finden; alles war schon von den Hyänen verschlungen worden. Auf seinem Rück- weg wäre ihm um ein Haar ein böser Unfall zugestos- sen. Während er durch das Gras ging, hörte er ein zischendes Geräusch. Er glaubte, es sei sein hinter ihm gehender Boy, der sich die Nase putze. Es waren indessen zwei Puff-Ottern, die nur wenige Zentimeter 21 von der Stelle im Grase lagen, wo B. seinen Fuss nie- dergesetzt. Da wir uns jetzt in wildreicheren Gegenden befanden, machten wir nur einen kleinen Tagesmarsch. B. hatte gerade in der Nähe ein Stück Wild geschossen, als Köder für Löwen, als einer der Kikuyus die Nachricht brachte, er habe eine Büffelherde gesichtet. Wir machten uns so- fort auf die Suche mit Kongoni, Brahimo und zwei Trä- gern. In einer halben Stunde glaubten wir zur Stelle zu sein, aber wir brauchten fast 2% Stunden Gehens, bis wir an die Herde herankamen. Wir fanden sie in für uns sehr ungünstiger Stellung, inmitten einer Senkung, von deren Rand wir uns gegen den Himmel abhoben. Wir schätzten die Herde auf mindestens hundert Stück. Sie ästen friedlich von dem blassgrünen Gras, das ihnen bis an den Bauch reichte, und von dem sie sich in der Beleuchtung der schräg am Himmel stehen- den Sonne kohlschwarz abzeichneten. Jedes Gestrüpp und jedes Grasbüschel als Deckung benützend, pirschten wir uns vorsichtig näher. Es war nicht leicht, gedeckt zu bleiben, denn wir bewegten uns den Hang hinunter. Wir waren gerade auf Schussweite herangekommen, als die uns zunächst stehenden Tiere unruhig wurden. Sie hoben die Köpfe, und den Blick gerade auf uns, die Lauscher gegen uns gerichtet, be- wegten sie sich einige Schritte auf uns zu. Dann ver- hofften sie. Flach in das Gras geschmiegt, ohne einen Muskel zu bewegen, selbst den Atem unterdrückend, warteten wir, und bald konnten wir, zwischen den Halmen hindurchblickend, zu unserer Erleichterung beobachten, wie sie wieder beruhigt die Köpfe senk- ten, um weiter zu äsen. 22 B. versuchte, einen starken Bullen aufs Korn zu nehmen, aber die Tiere bewegten sich während des Äsens beständig durcheinander. Auch wenn hier und dort ein mächtiges Haupt sich hob, so war das dazuge- hörige Blatt nie lange genug sichtbar, um einen sicheren Schuss zuzulassen. Endlich trennte sich ein Bulle von der übrigen Herde, und B. gab Feuer. Der Knall der schweren Büchse zerriss die Stille wie ein Kanonen- schuss. Das friedliche Bild hatte sich mit einem Schlag in wildes Durcheinander verwandelt. Mit dröhnendem, zornigem Brüllen, ein Meer von geschüttelten Hörnern, jagte die Herde in einer Staubwolke davon. Wir rann- ten quer durch die Senkung der Herde nach, was das Zeug hielt. Kein Schweiss am Anschuss: B. musste also gefehlt haben. Weiter, der Herde nach! Wir gewannen an Boden, und schon sahen wir sie wieder, dicht zu- sammengedrängt, am obern Rand der Senkung. Diesen Rand ungesehen zu erreichen, war keine leichte Auf- gabe, denn es lag ein Streifen ganz offenen Geländes dazwischen. Dahinter befand sich wieder eine schützen- de Mulde. B. und Kongoni suchten sie so rasch wie möglich zu erreichen. Ich blieb mit den andern zurück und konnte von meiner Deckung aus beobachten, was sich nun abspielte. B. und Kongoni gelang es, bis zur Mulde zu kommen, die so nahe unter dem Rand der Senkung lag, dass weder sie die Büffel noch die Büffel die Jäger sehen konnten. Gerade als es aussah, als ob sie diesmal an die Herde herankommen würden, er- eignete sich etwas Eigentümliches: eine junge Büffel- kuh löste sich aus der Herde, näherte sich mit offen- kundiger Absicht bis auf zwanzig oder dreissig Schritt 23 der Mulde, warf sich dann plötzlich herum und galop- pierte zurück. Auf diesen Alarm hin jagte die ganze Herde wieder davon. Wir sprangen auf und rannten, so schnell uns die Beine trugen, nach, und als wir den Rand des Plateaus erreichten, sahen wir auf dessen anderer Seite die Herde hinweggaloppieren. Wenigstens bezweifelten wir kei- nen Augenblick, dass sie vor uns flüchteten, bis wir plötzlich gewahr wurden, dass ihre Front gegen uns gerichtet war: die Herde war nicht flüchtig, sie nahm uns an! Was war zu tun? Kein Baum in Sicht, keine Deckung. Das Ganze spielte sich mit solcher Schnelligkeit ab, dass wir diesen Wechsel der Situation kaum erfasst hatten, als die Herde schon heranpreschte, im letzten Augenblick abbog und an uns vorüberdonnerte. Obgleich die Herde auf nicht weniger als etwa siebzig Schritt herangekommen war, schien es uns unheim- lich nahe, wie sie an uns vorbei- und weiterstürmte, während der Boden unter ihren Hufen dröhnte und die Luft von ihrem dumpfen Brüllen erfüllt war. Als sie an uns vorüber waren, verhofften sie wieder- um, Front gegen uns, und über dem Gras konnten wir die mächtigen Häupter mehrerer Bullen erkennen, die nach uns äugten. Einer derselben trug eine kapitale Hauptzier. B. pürschte sich an, kniete nieder und legte an. Der Schuss setzte die Herde von neuem in Galopp, schnaubend und dumpf brüllend wie vorher, aber dies- mal liessen sie einen Bullen am Platz. Er lag auf der Seite, und als wir uns näherten, hob er den Kopf und versuchte hochzukommen. B. gab ihm einen Fang- schuss, obgleich schon die erste Kugel tödlich gewesen, 24 eine schöne Leistung für die kleine 318er* auf über 100 Meter Distanz.- Die Sonne stand jetzt kaum mehr eine Handbreit über dem Horizont, es hiess sich beeilen. Wir schickten Brahimo mit einem der Träger zum Lager, um eine Windlaterne und genügend Leute zu holen, um die Haut zu tragen. Nach der Aufregung der letzten halben Stunde und dem Tumult und dem Getöse der flüchtigen Herde umgab uns nun eine Totenstille. Nichts war geblieben in der weiten Grassteppe als der gefällte Büffel und hoch oben am Himmel zwei ruhig kreisende Geier. Wenn man einen Büffel zum erstenmal unmittelbar vor sich liegen sieht, so macht er einen mächtigen Ein- druck. Unser fünf mussten alle Kraft aufwenden, um ihn auf den Rücken zu wälzen. Wir stellten unsere Büchsen gegen seine Schultern, um ihn in dieser Lage zu halten. Die Haut war ausserordentlich zäh, aber dies- mal hatten wir scharfe Messer und einen Wetzstein mitgebracht. Da wir kaum zu fürchten brauchten, Löcher in eine so dicke Haut zu schneiden, konnten wir rasch arbeiten. Nur hie und da unterbrachen wir uns, um die Zecken abzulesen, die in grosser Zahl auf uns herüberwanderten. Als die Nacht hereinbrach, war die Haut fertig abgestreift. Wenn wir für den Weg nach dem Lager und wieder zurück je etwas über zwei Stunden rechneten, würde es zehn Uhr werden, bis unsere Leute zur Stelle waren. Wir machten es uns darum gemütlich und sammelten Holz, um ein Feuer anzuzünden. Wahrscheinlich fiel * Unser Arsenal bestand aus je einer 318er Wesley Richards und einer 416er Rigby express. 25 Tau, denn durch nichts wollte sich das Holz zum Bren- nen bewegen lassen, bis schliesslich Kongoni einen Zipfel seines Hemdes opferte. Als es aber Mitternacht wurde und die Leute noch immer nicht gekommen waren, begriffen wir, dass uns nichts übrig blieb, als die Nacht hier zu verbringen. Wir machten uns alle auf, Holz zu sammeln, nachdem wir mit den letzten Ästen das Feuer hoch aufgeschürt hatten, um nicht auch diese unfreiwillige Lagerstelle aus den Augen zu verlieren. Die Nacht war dunkel, der Mond von Wolken verdeckt, aber der Himmel war noch hell genug, dass sich die Bäume als schwarze Schatten von ihm abhoben und die abgestorbenen Zweige und Äste auf dem Boden weisslich schimmerten. Dennoch war es eine grosse Erleichterung, wieder in der Nachbarschaft des schüt- zenden Feuers zu sein; wir liessen es hell auflodern, während die Boys uns aus Gras ein Nachtlager berei- teten. Die Hyänen hatten das Aas bald gewittert und stri- chen in der Nähe umher; fast die ganze Nacht hindurch liessen sie ihr unheimlich klagendes Geheul vernehmen. Allmählich begannen wir grossen Hunger zu verspü- ren. Ich schnitt daher ein Stück Fleisch vom Büffel herunter und spiesste es an einen Stock, den ich nach Art der Eingeborenen über die Glut schräg in den Boden steckte. Bald roch es herrlich nach Braten, aber das Fleisch schmeckte widerlich fade, denn wir hatten kein Salz bei uns. Wir beschlossen, künftig, was wir auch sonst Wichtiges vergessen mochten, stets ein Päckchen Salz mitzuführen. B. war meinem Braten nicht übermässig zugetan, aber etwas musste er doch davon essen, wenn auch nur um der Romantik willen, 26 im offenen Grasland am Feuer neben unserem erlegten Büffel zu nächtigen, ohne Decken und Proviant, an- gewiesen auf halbgeröstetes Büffelfleisch, um unsern Hunger zu stillen. Weder Kongoni noch der Träger Mu- tua assen etwas. Nur der junge Kikuyu-Wilde, der sich den ganzen Abend geheimnisvoll damit zu schaffen ge- macht hatte, die Fettschicht vom Bauche des Büffels zu lösen, briet nun grosse Stücke davon und ass sie nach bewährter Eingeborenenart: ersteckte ein Ende in den Mund und schnitt es dicht davor mit seinem Messer ab. So warerstundenlang still beschäftigt und hörte anschei- nend nur darum auf, weil sein Messer stumpf geworden war. Zum Schluss spuckte er noch einmal verächtlich ins Feuer, wickelte sich in seine Decke und verfiel als- bald in einen gesunden Verdauungsschlaf. Während wir ihn so beobachteten, stellten wir trübselige Be- trachtungen an über die Überlegenheit des Schwarzen gegenüber dem Weissen für dieses ursprüngliche Leben in der Steppe. Für uns war diese Nacht ein Erlebnis und brachte viele Unbequemlichkeiten mit sich; für ihn bedeutete es ein alltägliches Ereignis, höchstens verbunden mit einer bessern Mahlzeit als gewöhnlich. Wie dieser Schwarze hiess, konnten wir nie herausbrin- gen, obwohl er lange Zeit als Führer bei uns blieb. Wir nannten ihn «Pet», und diesen Namen behielt er. Wir waren gerade am Einschlafen, als in der Nähe ein Löwe knurrte; später in der Nacht hörten wir ein Rauschen im Gras und fanden am Morgen, dass ein Nashorn ganz dicht an uns vorbeigewechselt war. Beim Morgengrauen machten wir uns auf den Weg zum Lager; Mutua, der freiwillig während der ganzen Nacht Wache gehalten hatte, blieb bei der Büffelhaut 27 zurück, bis die Träger für ihren Abtransport ein- trafen. Ein Vogel begann zu zwitschern, ein leichter Mor- genwind wehte über die Grassteppe und eine urplötz- lich flammenumsäumte Hügelkuppe kündete die auf- gehende Sonne an. Wie mit einem Schlag war das dämmergraue Gras in Gold verwandelt, zart-violette Schatten lagen in den Niederungen, und Lerchen stie- gen mit schwirrendem Flügelschlag in den morgen- klaren Himmel hinein. In dieser ersten Glorie wandelte sogar der Führer wie verklärt einher; seine Haut war von purpurnen Schatten überhaucht wie die unberührte Wachsschicht über einer dunklen Traube. Auf halber Strecke begegneten wir den Trägern; sie hatten in der Nacht den Weg verfehlt und dann in einem Kikuyu-Kraal übernachtet. Sie brachten uns keinen Proviant mit, und, was wir noch mehr vermiss- ten, auch kein Wasser. Aber endlich erreichten wir das Lager, unsere Gürtel schon im letzten Loch, und nach einem ergiebigen Frühstück legten wir uns nieder und schliefen bald wie die Murmeltiere. Am folgenden Tag erlegte B. einen starken Impala- bock als Köder, doch da er nicht angenommen wurde, obwohl wir allnächtlich Löwen hörten, beschlossen wir, ein Treiben zu veranstalten. Unterhalb des Lagers zog sich ein Streifen Grasland ungefähr eine halbe Meile breit und mehrere Meilen lang wie ein Flussbett hin. Mit seinem hohen Gras- wuchs schien er ein sehr geeigneter Aufenthaltsort für Löwen. B. am einen Ende der Treiberkette und ich am andern, drückten wir mit acht oder neun unserer Leute den Streifen durch. Wir stiessen auf eine Buschgruppe 28 wie die, in welcher sich die sieben Löwen aufgehalten hatten — eine grüne Staude, die einer Nessel ähnlich sieht —, und es war erregend, Schritt für Schritt darin vorzudringen, die Büchse schussbereit, dabei an die Stauden klopfend wie bei einem Hasentreiben, jeden Augenblick darauf gefasst, einem Löwen gegenüberzu- stehen. Doch Stunde um Stunde in Hitze und Sonnen- glast schläferte unsere gespannten Sinne allmählich ein; wir bewegten uns schliesslich in einer Art Betäubung vorwärts, aus der wir nur von Zeit zu Zeit mit einem Ruck auffuhren, wenn plötzlich ein Rebhuhn schwir- rend zu unsern Füssen hochging oder unser Blick den erdfarbenen Schatten eines flüchtig gewordenen Hasen traf. Am gleichen Abend kehrten unsere Packesel von Fort Hall zurück, wohin wir sie geschickt hatten, um unsern Vorrat an Posho zu ergänzen, und die Esel- treiber berichteten eine schlimme Geschichte von einem Löwen, der sie inder vorhergehenden Nacht angegriffen hatte. Er war mit einem Satz über die Dornhecke ge- sprungen, hatte einen Esel geraubt und einen zweiten arg zugerichtet. Trotzdem seine Pranken nur ein ein- ziges Mal zugefasst haben mussten, waren auf beiden Seiten der Kruppe des Esels bis zum Knochen klaf- fende Wunden, so tief, dass drei Finger darin Platz hatten; ein Anblick, der einen mit tiefem Groll gegen alle Löwen erfüllen konnte. Das einzig noch Mögliche war eine Behandlung mit Kalium-Permanganat, doch glaubten wir nicht, dass viel Aussicht auf Rettung des armen Tieres vorhanden sei. Wir banden seine Hinter- beine an einen Holzpflock, um es am Ausschlagen zu verhindern, wenn die Permanganat-Kristalle es brann- 29 ten, aber das wäre nicht nötig gewesen; das arme, kleine Tier blieb völlig apathisch. Da der Esel nun nicht marschfähig war und auch die Büffelhaut noch einige Tage zum Trocknen brauchen würde, liessen wir das Lager vorläufig an seinem Platz und unternahmen mit nur leichtem Gepäck eine Streife den 'Tana abwärts. Zwischen zwei Hügeln, die wir auf der Karte als Twoinoini bezeichnet fanden, stiessen wir auf den Fluss. Als wir auf ein Rudel von Kuhantilopen trafen, schlug B. vor, ich solle meine Weidmannskunst an ihnen ver- suchen. Ich hatte vorher schon einige Male auf eine Scheibe geschossen und brannte nun darauf, meine Geschicklichkeit an lebendem Wild zu erproben. Es war eine lange und heisse Pürsche; ich zitterte vor Auf- regung und sagte mir immer wieder die Regel vor, dass man beim Schiessen das Blatt und nur das Blatt ins Auge fassen und eine ruhige Hand behalten müsse. Kongoni schien ziemlich gelangweilt über das ganze Experiment und darüber, dass er in der heissen Nach- mittagssonne einen Hügel hinaufkriechen musste, nur um zu sehen, wie ich ein altes Hartebeest fällte. Ich spürte förmlich, wie er zehn gegen eins wettete, dass ich fehlen würde —, und — ich fehlte! B. erlegte eine Kuhantilope später am Tag, liess sie als Köder unter einen Baum schleppen, und da es noch zeitig genug war, erstiegen wir den höheren der beiden Hügel. Von dort hatten wir eine unbehinderte Sicht nach allen Seiten, eine gute Gelegenheit, unsern Stand- ort genau zu bestimmen. Zwölf Meilen vor uns sahen wir den Rauch von unserem Lager aufsteigen, und ganz in der Ferne glitzerten die Windungen des Flusses. 30 Gegen Norden konnten wir ungefähr erraten, wo Embu liegen musste und ein Sumpf, von dem unsere Leute viel erzählten, der « Tinga-Tinga», wo sich die grossen Büffel aufhalten sollten. Als wir wieder am Fuss des Hügels angekommen waren, hatten die Boys uns für die Nacht einen bequemen kleinen Unterschlupf aus Gras hergerichtet. Es war ein wunderschönes Plätzchen unter ausladen- den Bäumen und Vorhängen verflochtener Schling- pflanzen. Den ganzen Morgen verbrachten wir mit Fischen und Schmetterlingfang. So ein Ruhetag, den man wirklich geniessen konnte, war eine angenehme Unterbrechung. Wir sassen gerade im Schatten, um unsere Schmetterlinge zu ordnen, als plötzlich ein höchst aufgeregter Kikuyu heranstürmte. Zwei Löwen lägen schlafend bei dem Köder, er habe die schwarzen Quasten ihrer Ruten zwischen dem Gras hindurch erblickt. Es war die heisseste Stunde des Tages, und wir waren schon beinahe am Ziel, als die übrigen Kikuyus, «Pet», der Führer, voran, zwischen den Felsen über uns erschienen und uns herunterriefen, es sei bisher kein Löwe auch nur bis in die Nähe des Aases gekom- men. Den Dummkopf, der uns so schmählich alar- miert hatte, schickten wir sogleich wieder den Hang hinunter mit dem Auftrag für die Träger, sie sollten aufpacken und zum Hauptlager zurückkehren. Wäh- rend wir im Schatten der wilden Feigenbäume auf seine Rückkehr warteten, zuckte der Führer plötzlich auf wie ein Spürhund, er nahm eine charakteristische Stellung an und deutete in der Richtung, in der er ein Wild erspäht hatte. Wir suchten das trockene Gras nach 31 Löwen ab, aber ohne Erfolg, sahen eine Büffelherde in zu weiter Entfernung, als dass wir ihr hätten folgen können, und erst lange nach Einbruch der Dunkelheit kamen wir ins alte Lager zurück. Dort wurden wir mit dem Bericht begrüsst, dass sich Büffel den ganzen Tag in Sichtweite des Lagers aufgehalten hatten und dass in der Nacht zwei Löwen in unmittelbarer Nähe zur Tränke gekommen seien. Die Büffelherde blieb aber auch am nächsten Tag in geringer Entfernung. Wir folgten ihr, und B. erlegte einen Bullen. Sein schlechtes Gehörn enttäuschte uns, doch war uns das Wildbret willkommen, als Proviant wie als Köder. Die Boys schnitten sich aus seiner Haut Sandalen, was wir sehr begrüssten, denn bisher hatten sie darauf bestanden, Stiefel zu tragen, und wenn ein Eingeborener sich unter gewöhnlichen Umständen so geräuschlos fortbewegt wie das Wild selbst, so macht er in Stiefeln mehr Lärm als ein Weisser. Die Jagd auf den Bullen war aufregend gewesen, denn er schien unverwundbar und war überdies vollkommen furcht- los. Statt flüchtig zu werden, machte er immer wieder Front und erwartete uns kampfbereit. Zweimal war er niedergebrochen, und als er endlich sein letztes Röcheln ausgestossen und wir uns vorsichtig genähert hatten, fanden wir, dass ihn alle fünf Kugeln in der Nähe des Blattes getroffen und zwei davon den Herz- muskel angerissen hatten. Es war kaum anzunehmen, dass wir nochmals ein so ergiebiges Löwen-Revier passierten, und selbst wenn wir am Uaso-Nyiro auf Löwen stiessen, so würde es nicht die prachtvolle schwarzmähnige Varietät des 32 obern Tana sein. Aber wir mochten noch soviel Schilf- dickicht durchspüren, nie wieder begegnete uns ein ähnliches Jagdglück wie bei unserm ersten Löwen- abenteuer. Mochten wir auch Nacht für Nacht im Ansitz verbringen, nie nahm ein Löwe den Köder an. Eines Tages fanden wir ein ausgetrocknetes Fluss- bett, eine Örtlichkeit, die uns wie geschaffen schien als Aufenthalt für Löwen, und bald entdeckten wir auch frische Fährten im Sand. Hier war also wieder einige Aussicht auf Erfolg. Wir schlugen unser Lager in der Nähe auf, beschafften einen Köder, den wir in das Flussbett schleiften, und errichteten auf der hohen Böschung eine «Boma»*, die einen guten Überblick gewährte. In der ersten Nacht geschah nichts, doch in der zweiten bemerkten wir, gleich nachdem wir die Boma bezogen und B. die Blendlaterne geöffnet hatte, dass der Köder seine Lage geändert hatte. Wir waren noch nicht lange wieder im Dunkeln, da vernahmen wir Scharren von Pranken, Knurren und Schnauben. Einen Augenblick schien es, als ob sich das Geräusch gegen uns die Böschung heraufbewegte, doch als gleich dar- auf B. die Laterne aufflammen liess, beleuchtete ihr Licht eine Löwin, die hochaufgerichtet neben dem Köder sass. Sie bewegte keinen Muskel. B. zielte und drückte ab. Ich wartete mit verhaltenem Atem, aber statt eines betäubenden Knalls kam nur ein metallisches Knacken .— sonst nichts. Ein Versager, und bis B. wieder geladen hatte, war die Löwin verschwunden. Sie versuchte dann, den Köder hinter einen Busch zu zerren, indem sie den Kadaver geschickt als Deckung benutzte, und wir konnten nur ihre Stirn und darunter * Ansitz 33 die glühenden Lichter sehen. Die zweite Kugel sass, doch die Löwin verschwand lautlos mit einer riesigen Flucht. Ein Lichtstrahl der verhüllten Laterne fiel auf die Büchse; sonst tiefste Finsternis, eine schwüle Nacht, nur belebt vom eintönigen Chor der Grillen, der alle andern Geräusche, nach denen wir angestrengt lausch- ten, verschlang. Plötzlich schien sich da unten wieder etwas zu regen, und der aufblitzende Lichtstrahl be- leuchtete grell eine zurückprallende Löwin. Zugleich glühten von der benachbarten Böschung eine Reihe phosphoreszierender Lichter auf. Wiederum schwarze Dunkelheit, endloses Warten, währenddem unsere Glieder in der unbequemen Lage steif wurden, da wir nicht wagten, sie in eine bequemere Stellung zu bringen, bis es schliesslich unwahrscheinlich wurde, dass die Löwen zurückkämen. Wir kletterten hinunter, um uns umzuschauen; keine Spur von Schweiss, nicht das geringste Anzeichen. Wir hatten die einzige gute Chance verpasst: die Löwin vor uns, hell beleuchtet wie bei Tageslicht, und dann dieser Versager. Trotz alledem, die Spuren, denen wir ge- folgt waren, konnten nicht von einer einzigen Löwin stammen, und B. entschloss sich zu einem nochmaligen Ansitz auf den sicherlich ganz kapitalen König der Tiere. Wir verschafften uns einen neuen Köder und bauten nochmals eine Boma. Nachdem wir einen pas- senden Platz gefunden und den Leuten ihre Arbeit an- gewiesen hatten, sahen wir auf dem Rückweg ein Rudel Kuhantilopen. B. erklärte mir, wie ich mich anpürschen müsse, zuerst ein Bachbett hinunter und in einem an- dern aufwärts, und ich zog los, diesmal allein. Aber als 34 ich unten war, hatte ich schon die Richtung verloren und kam zu weit nach rechts, so dass die Tiere Wind von mir bekamen, bevor ich auf der Bildfläche erschien, und flüchtig wurden. Ich ging jedoch weiter, nur um mir noch den Köder von gestern zu besehen. Ganz unvermittelt stiess ich darauf, und ein Blick durch die Büsche hindurch machte mich mit klopfendem Herzen jäh erstarren. Waren das nicht Kopf und Vorderteil eines Leoparden? Fast atemlos vor Aufregung hob ich langsam und vorsichtig die Büchse an die Schulter, zielte — und erkannte plötzlich, dass ich auf das Aas selbst angelegt, ein Stück gelben Felles, schwarz ge- sprenkelt von den daraufsitzenden Fliegen. Schnell schaute ich mich nach allen Seiten um, ob niemand Zeuge dieser letzten zwei Minuten geworden sei, und richtig, da stand B., der auch gekommen war, um den Köder zu besichtigen, auf der Böschung über mir. Er schien belustigt und augenscheinlich nicht ganz klar über mein Verhalten; und ich muss gestehen, die Erklärung fiel mir nicht ganz leicht. Bei Einbruch der Nacht ging B. zum Ansitz zurück; gerade als ich mich niederlegen wollte, hörte ich ein Knurren in der Nähe, das so sehr nach Löwen tönte, dass ich die schussbereite Büchse neben mich legte. Wenn ich im Lager allein blieb, bestimmte Bokari fünf bis sechs Träger, die am Feuer schliefen und der Reihe nach wachen mussten. Lange Zeit hielt mich noch ihr Schwatzen wach, und als ich endlich am Einschlafen war, gab es plötzlich einen furchtbaren Aufruhr im Lager, und unter Knurren und Fauchen stürmte etwas an meinem Zeltvorbei. Ich sprang auf, ergriffdieBüchse und fand draussen das halbe Lager zusammengelaufen. 35 Die knurrenden Laute waren verstummt, ausserhalb des Feuerscheins lag undurchdringliche Finsternis. Ich bekam nicht recht heraus, was geschehen war, etwas war mitten durch das Lager gestürmt. Die einen woll- ten einen Löwen erkannt haben, andere nur eine Hyäne. Der Kikuyu erbot sich, für den Rest der Nacht bei meinem Feuer zu wachen, und bald lag das Lager wieder in nächtlichem Frieden. Die in den Boden ge- steckten Speere hoben sich wie stumme Wächter schwarz gegen die tanzenden Flammen ab. B. kam kurz nach Tagesanbruch zurück und fragte, ob ich seinen Schuss gehört habe; diesmal habe er den grossen Löwen erwischt. Auf diese frohe Kunde hin veranstalteten die Neger einen Festzug, schmückten sich mit Blättern, bemalten ihre Gesichter mit Asche und sangen wie schon früher ihren Triumphgesang, der mit «Camiso, camiso» beginnt und mit der täuschen- den Nachahmung eines fauchenden Löwen schliesst. Der erlegte Löwe wurde stolz an einer Stange herum- getragen. Endlich legten sie ihn auf die Erde, und wir besahen ihn genauer. Es war ein prächtiges, schwarz- mähniges Ungetüm; ich kniete bei ihm nieder, um sein seidenglattes Fell zu streicheln und die riesigen Reisszähne zu bewundern, als mir plötzlich zum Be- wusstsein kam, dass B. nicht die geringste Freude über das seltene Weidmannsheil an den Tag legte. Beim Frühstück erzählte er mir, wie es sich zugetragen: Wäh- rend der ganzen Nacht war der Köder unberührt ge- blieben; B. war ein wenig eingeschlummert, als Kon- goni ihn vorsichtig weckte und: «Simba » flüsterte. Ge- rade graute der Morgen, und B. erkannte auf der Höhe der gegenüberliegenden Böschung die riesige fahle Ge- 36 stalt des Löwen. Er beobachtete ihn eine Weile hinge- rissen von der unbewussten Würde des königlichen Tieres, das reglos, wie in Gedanken versunken, da- sass, während der Morgenwind in seiner Mähne spielte. Endlich hob B. die Büchse und gab Feuer. Ohne einen Laut, ohne eine Bewegung zur Flucht, kollerte der Löwe die Böschung hinunter und fiel langhingestreckt neben den Köder. B. hatte wahrlich wenig Anlass, auf so leichte Beute stolz zu sein, und auch ich fühlte, das war ein unwürdiges Ende für eine so majestätische Kreatur. Unsere Marschroute führte nun über ein Hochpla- teau, über den Baumwipfeln konnten wir Berge er- kennen. Es gab hier Rebhühner, und so griffen wir zur Flinte, um einige zu erlegen. Wir folgten einem lustig plätschernden Bach, der silbern über Steine hüpfte, und dessen unterhöhlte Ufer von ulmenähn- lichen Bäumen beschattet waren, und wir wanderten zurück über blumenübersäte Wiesen, die in saftigem Grün prangten wie unser Weideland. An den Hängen leuchteten petunienartige Winden, da wuchsen Sesam und Ginster, blaue Blumen wie Rittersporn und lachs- farbene Crossandra. Veilchen gab es hier und goldene Gentianazeen, wir streiften durch süssduftenden Thy- mian, und scharlachrote Blumen schimmerten im Gras. Solche Heimwege waren unvergesslich in ihrer Lieb- lichkeit. Doch manchmal erhob sich aus der schweigen- den Dämmerung das Gespenst der Einsamkeit mit schrecklicher Wucht und heftete sich fast greifbar an unsere Fersen, um erst wieder von uns zu lassen, wenn das geschäftige Treiben im Lager hörbar wurde. Wenn dann die Feuer wie freundliche Fanale aufloderten, 37 lachten wir über unsere Furcht. An solchen Abenden waren wir voller Zuversicht für ein gutes Gelingen unseres Unternehmens und begannen unsere anfäng- lichen Zweifel zu vergessen. Denn jetzt ging alle Arbeit wie am Schnürchen. Nach getanem Tagewerk war ge- nügend Fleisch vorhanden, und wir konnten hören, wie sich unsere Leute an ihren Feuern vergnügten, ihr Gelächter schallte durch die Nacht. «Lass sie lachen», pflegte B. zu sagen. «Das ist das beste Zeichen, dass alles in Ordnung ist.» Dann mochte Kasaja wohl seine Geige stimmen, und bald sangen alle zur Begleitung mit. Allmählich war uns ihr Gesang so vertraut, dass kein Abend ohne ihn vollkommen war. Kasaja begann etwa so: Presto m —— |. wo Am Mm” wu In Ham Mn im a HERE ER GR Dr Man mn mai a BI” War Alle waren nun so gut in Form, dass die langen Märsche keine Anstrengung mehr bedeuteten. Sogar der verwundete Esel, an dessen Aufkommen wir sehr gezweifelt, hatte sich prächtig erholt. Was mich betraf, so blickte ich auf die ersten Tage unserer Reise (als ich noch die Vorräte unmethodisch verpackte, noch nicht Suaheli sprechen konnte und zweifelte, ob ich den Marsch bis zum Ende aushalten würde) mit der Überlegenheit eines alten Afrikaners zurück. Nach fünfzehn MeilenMarschund oft anschlies- senden Pürschgängen bis zum Einbruch der Nacht war mein einziger Gedanke die süsse Ausspannung des Schlafs gewesen. Und so schmerzlich bald wieder ent- rissen mich der Hahnenschrei, das unbarmherzige Klir- 38 ren des Frühstücksgeschirrs, das Kratzen von Jims Füssen auf der Zeltbahn den Armen der Vergessenheit, wenn er um fünf Uhr früh die Laterne, den Tee und die Biskuits brachte. Immerhin gab es noch drei Minuten Gnadenfrist während er die Schuhe und Gamaschen holte, dann aber sprang ich schnell auf, ehe ich Zeit fand, mich nochmals wohlig zu strecken und mich zu bedauern. Es war noch dunkel, meine Kleider fühlten sich feucht an, ich schauderte, und meine Glieder schmerzten von der Müdigkeit des vergangenen Tages. Nun aber war ich gestählt, und ich begann mich auf diese Stunde der Morgendämmerung zu freuen, da ich, an einem Grashalm kauend, still mit der Trägerlinie durch das graue, lauschende Schweigen schritt und den durch den Tau verstärkten herben Geruch der roten afrikanischen Erde, des trockenen Grases und der Asche einatmete. Die Bäume, die Erde und alle ihre Kreaturen schienen des so wichtigen Augenblicks zu warten, da die Sonne sich erhob. Ihn zu versäumen hätte bedeutet, die lebenspendende Geburt des ganzen Tages verfehlt zu haben. An den folgenden Tagen war es bitter kalt in der Frühe. Nach Norden hin erstreckte sich ein weites Land, eine unabsehbare Einöde unter einem stählernen Himmel, und wir wanderten meilenweit, ohne auch nur ein Stück Wild zu erblicken. Die Einförmigkeit wurde durch eine Kuhantilope mit ausnahmsweise gutem Ge- hörn unterbrochen. B. erbeutete sie nach langer Pür- sche und erlebte dabei einen merkwürdigen Fall von Gesichtstäuschung. Er war sonst ein guter Schütze, und so konnten wir uns nicht erklären, warum die Kugel stets im Sand aufschlug und die Antilope unver- 39 sehrt weiterflüchtete. Erst nachdem er beide Fesseln zerschmettert hatte, gab er sich Rechenschaft, wie sehr er die Entfernung unterschätzte, und als er nun das Visier auf 300 m stellte, brachte der nächste Schuss sie zur Strecke. Nun war es allmählich Zeit geworden, neue Jagd- gründe aufzusuchen, und nach einem langen Tages- marsch erreichten wir den Thiba, ein idyllisches Flüss- chen, das ungefähr halb soviel Wasser führte wie der Tana. Währenddem das Lager aufgeschlagen wurde, gingen wir fischen. Das war eine so herrlich ausruhende Beschäftigung nach dem heissen Tagesmarsch, dass wir sitzenblieben bis die Dämmerung kam, die Frösche ihren Chor anstimmten und Fledermäuse umherhusch- ten. Da neigte sich plötzlich die Angelrute, die Rolle surrte, und ein grosser Fisch biss an. Zweimal versuchte er vergebens, sich in das Schilf zu retten, beim dritten Mal gelang es ihm, sich loszureissen, und die Leine hing wieder schlaff herab. Diese Fische, eine Art von Barben, sollen die Fähigkeit besitzen, wie Aale im eingetrock- neten Flußschlamm die Trockenheit zu überdauern. Sie schmecken vorzüglich. Wir ärgerten uns über unser Missgeschick. Kongoni war indessen mit einer Laterne gekommen, um uns ins Lager zurückzuführen. Ein weiterer langer Marsch brachte uns zu den grossen Tinga-Tinga-Sümpfen. Kongoni suchte Ngon- du, einen Kikuyu-Häuptling, auf, der uns alles Wissens- werte über die Büffel sagen konnte. Tagesanbruch sei die günstigste Zeit für die Pürsche, da sie dann ausser- halb des Sumpfes ästen. Er erbot sich, B. am nächsten Tag als Führer zu begleiten. B. brach noch vor Sonnen- aufgang auf und begab sich zuerst zu Ngondus Kraal. 40 Ngondus vierjähriges Söhnchen übernahm die Pflich- ten des Hausherrn, bis der Vater bereit war. Es kam | auf B. zu, gab ihm mit ernster Miene die Hand, dann schüttelte es seine Decke aus, hüllte sich darein und setzte sich nieder. Später liess mir B. ausrichten, ich solle ihm mit einer Angelrute, mit dem Koch und dem Essen folgen. Es hatte in der Nacht geregnet, der Bach, der unterhalb des Lagers in den Sumpf mündete, war angeschwollen und floss ungefähr brusttief mit reissender Strömung dahin. Schon glaubte ich, ihn durchschwimmen zu müssen, als der Träger Muthoka mir anbot, mich auf seinen Schultern hinüberzutragen. Ich traf B. am Ufer des Flusses, und während wir das Angelgerät bereitmachten, berichtete er mir über seine morgendliche Pürsche. Er war bald auf die Herde gestossen, hatte einen Bullen angeschossen, der mit zerschmetterter Schulter in das Papyrus-Dickicht des Sumpfes flüchtig wurde. B. machte sich sofort mit Kongoni auf die Suche. Der Papyrus reichte ihnen weit über den Kopf, und im Halbdunkel desDickichts wären sie beinahe an die dunkle Gestalt gestossen, die zwi- schen den Stauden hindurch wie ein Schatten aussah. B. konnte nicht einmal feststellen, welcher Teil des Büffels ihm zugewandt war, und so feuerte er gerade in dessen Mitte. Das Tier warf sich herum, fiel kra- chend zu Boden und wühlte bei seinen Anstrengungen, wieder hochzukommen, Schlamm und Wasser auf wie ein Mühlrad. B. beeilte sich, ihm den Fangschuss zu geben. Erst dann entdeckte er, dass es gar nicht der angeschossene Bulle war, sondern eine uralte Kuh, der schon eine Anzahl Zähne im Unterkiefer fehlten. Sie 4I trug jedoch ein prächtiges, edelgeschwungenes Ge- hörn. Da sie im Wasser lag, war es nicht möglich, auch ihre Haut zu bergen. Am darauffolgenden Tag machte B. einen erneuten Versuch, einen Bullen zu erlegen und hatte sich schon fast bis auf Schussweite an einen herangepürscht, als ein Rudel Wasserböcke seine Anwesenheit verriet. In weniger als einer halben Minute war die Herde wieder im Sumpfdickicht verschwunden, das sie den ganzen Tag über nicht mehr verliess. Am Nachmittag kamen unsere Leute von Embu mit den Maultieren an; sie brachten einen Brief von Crufty, der besagte, dass er zwei gute Tiere gewählt habe: ein braunes und eines mit grauem Kopf. Ferner schrieb er uns, die Elefanten seien noch immer nicht in den Wald zurückgewechselt, und das Gras stehe noch hoch, so dass durchaus keine Eile nötig sei, nach Meru zu kommen. Ich machte mich daran, die Sättel auszu- packen, damit wir die Maultiere sogleich probieren könnten. Die Boys erklärten, dass der Graugesichtige niemanden nahe kommen liess, der Braune dagegen sei ganz fromm, und so näherten wir uns ihm getrost, um ihn zuerst zu satteln. Beim blossen Anblick des Sattels aber warf er sich herum, schlug mit beiden Hinterbei- nen aus und brannte durch. Der Zaum war zu lang, doch dem war bald abgeholfen. Das Anpassen des Sattels dagegen bot grössere Schwierigkeiten: der Gurt war viel zu kurz, und so sehr wir auch zogen und uns abmühten, die Enden wollten nicht zusammenkommen. Wir waren noch daran, etwas zu ersinnen, um hier Ab- hilfe zu schaffen, als der «Syce»* auf der Bildfläche * Pferdeboy 42 erschien. Er drängte uns ohne viel Umstände beiseite und ergriff den Sattel. Er war ein ungehobelter Bengel mit einer Armbanduhr, aber er schien seine Arbeit zu verstehen — man musste nur sehen, wie er mit dem Sattel umging. Er kam rasch vorwärts mit seiner Arbeit, bald würden wir unsern ersten Galopp durch die Steppe machen. Plötzlich aber hielt er inne; etwas schien nicht zu klappen. Er drehte sich um und gab uns seine er- staunliche Entdeckung kund: der Gurt sei zu kurz. B. liess ihn nachher zu sich kommen, um ihn zu fragen, warum er sich nicht gleich bei seiner Ankunft gemeldet habe und warum er ihn nicht mit «Bwana» (Herr) anrede; er lachte ihm nur ins Gesicht, worauf B. ihm eine gesunde Ohrfeige gab, die sein Benehmen von da ab sehr vorteilhaft veränderte. Auch die Packesel kehrten nun zurück mit neuem Posho und einem grossen Büschel Bananen. Das war ein Geschenk von Sancho Pansa, einem der Eseltreiber, um das Geschehnis beim letzten Transport wieder gut- zumachen. Wir fanden dies so rührend, dass B. ihm einen Schilling gab. Später kamen wir allerdings da- hinter, dass er stattdessendieKiboko (Nilpferdpeitsche) verdient hätte, denn es stellte sich heraus, dass er in der Nacht, als der Löwe den Esel raubte, zu faul gewesen war, die Tiere mit einer Zariba* zu umgeben. Eine fast noch traurigere Überraschung stand uns aber bevor: unser «Pet», der uns mit einem Vorschuss auf seinen Lohn verlassen hatte, um, wie er sagte, eine neue Hütte zu kaufen, kam nun zurück, von Kopf bis zu Fuss neu bekleidet, unkenntlich und strahlend vor Stolz. Wir starrten ihn entsetzt an. Sein verblichenes * Dornenhecke 43 Tuch war verschwunden und hatte dem stereotypen Khaki-Anzug weichen müssen. Verschwunden war auch seine wilde, krause Mähne, und auf den rasierten Schädel hatte er einen lächerlichen neuen Fez gestülpt. Sogar auf seinen Speer hatte er verzichtet, zusammen mit allen übrigen Attributen der Wildheit. Er sah uns erwartungsvoll an und schien ein wenig gekränkt dar- über, dass wir seine Veränderung nicht mehr zu schät- zen wussten. Aber nicht nur seine äussere Erscheinung war verändert: zusammen mit seiner Eingeborenen- tracht schien er sich seines ganzen eigenen Charakters entledigt zu haben, er war nicht mehr unser vertrauter Pet. Der folgende Tag war reich an Abwechslung. Da der Standort der Büffel ziemlich weit vom Lager ent- fernt war, beschlossen wir am Abend, dass B. in der Frühe aufbrechen sollte, während ich später am Tage die Safari zum Fluss hinunterführen und dort einen neuen Lagerplatz suchen würde. Das war nun eine Gelegenheit, das braune Maultier zu erproben, und da der Gurt noch nicht geändert war, wollte ich es mit einer Decke reiten. Die Safari war fertig zum Aufbruch und wartete nur darauf, mir zu folgen. Kaum war ich aber aufgesessen, als das Tier kehrt machte, die Nase zwischen die Beine steckte und den Hang hinunterjagte. Die Decke rutschte über seinen Hals hinab, und es fehlte nicht viel, dass ich ihrem Beispiel folgte; dann ging es in den Bach hinein, wo das Tier endlich im Schlamm steckenblieb, und wir mussten beide beschämt ans Ufer schwimmen. Nachdem ein geeigneter Platz für das Lager gefunden war, ging ich mit Brahimo und Mutua auf die Suche 44 nach B. Bald entdeckten wir ihn und Kongoni am gegenüberliegenden Rand des Sumpfes. B. hatte nicht erwartet, dass ich ihn finden würde und war schon auf dem Rückweg. Doch nun änderte er seinen Plan; wir schickten Brahimo zurück, den Koch zu holen, und während wir auf ihn warteten, überlegten wir uns, wie wir den Tag noch zu einem erfolgreichen Ende führen könnten. B. hatte in der Frühe kein Glück gehabt; er hatte zwei Büffelbullen schwer krankgeschossen, doch konn- ten sie beide noch in den unwegsamen Sumpf hinein flüchtig werden. Darin lag gerade die Schwierigkeit der Jagd; Büffel waren in grosser Zahl vorhanden, doch wenn es nicht gelang, sie auf dem schmalen Streifen Grasland, den sie zur Äsung aufsuchten, zur Strecke zu bringen, dann waren sie für den Jäger ver- loren. Zu beiden Seiten erstreckte sich meilenweiter Sumpf, in dessen Schutz sie sicher geborgen waren. Wagte man sich da hinein, dann schlug der bis zu zwölf Fuss hohe Papyrus über dem Kopf des Jägers zusammen, und man konnte keinen Schritt weit sehen; man watete knöchel- bis gürteltief im Wasser, so dass sich auch die stärkste Schweißspur nicht halten liess. Und doch, irgendwo da drinnen barg der Sumpf zwei Büffel, vielleicht schon verendet, während wir hier in Sonne und Sicherheit dasassen. Etwas musste ge- schehen. Smaragdgrün leuchtete der Sumpf zu uns herüber und schien uns lächelnd herauszufordern. Eine Un- entschlossenheit überkam uns, die uns ebensosehr den Mut raubte einzudringen, wie die Willenskraft, vom Sumpfe fernzubleiben. Doch schliesslich, waren wir 45 hier, um Abenteuern aus dem Wege zu gehen? Wir sprangen auf, und Kongonis Augen leuchteten, als er murmelte: «Büffel, gro-o-sser Büffel ». Wir nahmen die Fährte auf und tauchten in das Dämmerlicht des Schilfs, Mutua voran, dann B., Kongoni und zuletzt ich auf dem Maultier. Der Sumpf war uns günstig geneigt, die Fährte so breit, dass ein Streifen Himmel über uns sichtbar war, das Wasser so seicht, dass wir die reichliche Schweißspur halten konnten. Bei einem so starken Schweissverlust konnte der Büffel nicht weit gekommen sein; doch immer weiter führte uns die Spur, bis in die innerste Tiefe des Sumpfes. Zweimal hatte uns der Büffel eine Falle ge- stellt, indem er plötzlich im rechten Winkel abge- schwenkt und parallel zu seiner Fährte zurückgekehrt war, um uns im Schilf verborgen zu überraschen. Hätte er ausgeharrt, dann wären wir überrumpelt wor- den, ehe wir von seiner Anwesenheit wussten, aber jedesmal brach er wieder krachend durch das Dickicht aus, bevor wir noch zu seinem Versteck gelangten. An den Stellen, wo er uns erwartet hatte, war das schmutzige Wasser vom Schweiss tiefrot gefärbt; lies- sen wir jetzt mit der Verfolgung des krankgeschossenen Tieres nicht locker, dann würde der Blutverlust es bald so stark erschöpfen, dass es sich niedertun musste. Aber unsere Verfolgung brachte den Büffel nur in grössere Wut, und beim dritten Mal schien er Ernst machen zu wollen. Wir pürschten uns vorsichtig Schritt für Schritt der Spur entlang, während unsere Blicke nach allen Richtungen das Riedgras zu durch- dringen suchten, als wir plötzlich sein keuchendes Schnauben vernahmen. Es war ganz unmöglich, die 46 Richtung der Laute festzustellen, auch war nicht das geringste zu sehen, und doch fühlten wir mehr, als dass wir es wussten: ganz nahe hinter den dichten Papyruswänden, vielleicht rechts, vielleicht links von uns, stand der Büffel und beobachtete uns. Sollten wir vorwärts gehen oder zurück? Eine lähmende Unge- wissheit überfiel uns, als plötzlich wieder ein Schnau- ben ertönte, ein Prasseln im Schilf, das von allen Seiten zugleich zu kommen schien, und der Büffel wiederum flüchtig wurde. Diesmal war er ganz bedenklich nahe gekommen, und doch hatten wir nichts, rein gar nichts gesehen. Dass wir den Büffel entdecken würden, bevor er uns sah, war in dieser Schilfwildnis so gut wie ausgeschlos- sen. Sogar Kongoni, der doch schon manche Büffel- jagd mitgemacht, hatte nun einigermassen genug. Jetzt wäre es eine unnötige Herausforderung der Gefahr ge- wesen, mit der Suche fortzufahren. Der Büffel war in einem Zustand, dass er bis morgen sicherlich schon ver- endet oder doch wenigstens bewegungsunfähig gewor- den war. Die Schweißspur würde auch morgen noch gut zu halten sein, und so war es sicherlich das Klügste, die Suche auf den morgigen Tag zu verschieben. Wir bezeichneten daher die Stelle mit einem Stück Papier und kehrten um. Das war nun so ein Fall, an dem der wahre Waidmann seine Schulung beweisen konnte. Denn hat man eine Spur aufgenommen, sie gefunden, verloren und wiedergefunden, dann gerät man leicht in einen Eifer, der alle andern Gedanken und Überle- gungen erstickt. Wie ein Spürhund hinter seiner Beute kennt man nur noch ein Ziel: das Wild zu erreichen. Auf diese flammende Jagdlust verzichten zu können, 47 wenn die Pulse fliegen und man vor Furcht und Jagd- fieber bebt und doch wieder über jedem Furchtgefühl steht, dazu gehört eine eiserne Selbstbeherrschung. Ich, die ich von dieser Schule noch nichts wusste und zum ersten Mal von solchen elementaren Gefühlen durchwirbelt war, empörte mich zutiefst und war voll Verachtung darüber, dass die er aufgegeben wurde. Wir machten uns nun so rasch wie möglich wieder auf den Rückweg. Da die Aufregung vorüber war, war ein ausgiebiges Frühstück unser erster Gedanke, denn wir befanden uns nun schon seit sieben Stunden unterwegs, mit nichts ausser Tee und Zwieback als Proviant. Als wir wieder ins Sonnenlicht hinaustraten, fanden wir den Koch und die Träger schon vor, und ein herrlicher Duft nach gebratenem Speck wehte uns entgegen. Schon eilten wir auf sie zu, als der Führer, der unser Kommen erwartet hatte, uns entgegenlief und berichtete, er habe Büffel im Sumpf hinter uns ge- hört. B. gab mir ein Zeichen, weiterzureiten, während er mit Kongoni, im Gras gebückt, sich wieder dem Sumpf zuwandte. Ich konnte nichts erkennen noch hören, stieg ab, band das Maultier fest und ging lang- sam zurück bis an den Rand des Schilfdickichts. Ein Schuss fiel, und die Leute schrieen mir zu, ich solle zurückrennen. Ich sah mich um, verwundert, dass sie solchen Lärm schlugen, als drei Büffel im Galopp gerade auf mich zukamen. Sie waren noch mindestens 200 Meter entfernt, hatten mich jedoch nicht bemerkt, sondern waren gegen den Sumpf hin flüchtig. Nachdem B. mit Kongoni sich vorsichtig ange- pürscht hatte, erklomm er einen mit weissen Winden 48 bewachsenen Hügel, der einen guten Überblick über den Sumpf gewährte: Sie hatten kaum dort Fuss ge- fasst, als ihnen das Lärmen der Madenhacker die Nähe der Büffel verriet. Bald nachher traten sie einer nach dem andern in die Lichtung, vertraut wie eine Vieh- herde. Als sie auf Schussweite herangekommen waren, gab B. auf den Bullen Feuer, worauf sie alle kehrt machten und in einem Schilfdickicht verschwanden. Das Geräusch durch den Sumpf stampfender, spritzen- der Hufe verstummte mit einem Schlag, und wieder herrschte tiefes Schweigen. Dies dauerte eine Minute, als die Herde plötzlich wieder herangaloppierte, ge- radewegs auf den Hügel zu, den die Jäger innehatten. Der Abstand zwischen Herde und Hügel verringerte sich rasch, als sie mit einer Schnelligkeit und Entschlos- senheit heranstürmte, die nichts schien aufhalten zu können. So gewaltig war ihre Stosskraft und so dicht gedrängt ihre Formation, dass der Leitbulle, der im letzten Augenblick eine Kugel erhielt, sich aufbäumend schräg über die übrigen fiel und einige Meter weit von ihnen vorwärts getragen wurde. Doch nun, als die Kühe bemerkten, dass ihr Anführer niedergestreckt war, zerstreuten sie sich und kehrten sich dem Sumpfe zu, während der tödlich getroffene Bulle, vorwärts strauchelnd, dumpf zu Boden schlug. Ich wollte mir den Ort dieser Geschehnisse ansehen, und wir gingen zusammen zurück. Als ich auf dem Hügel stand, sah ich erst, wieviel von diesem Schuss abgehangen hatte, denn der verendete Büffel lag keine zehn Meter von B.’s Standort entfernt. Wir beschlossen nun, dass B. den andern Büffel, den er in der Frühe krankgeschossen hatte, suchen solle, 49 während ich mich am Rande des Sumpfes postierte, um etwa ausbrechendes Wild unter Feuer zu nehmen. Aber B. geriet bald in so dichtes Schilfgestrüpp, dass er wie- derum zwei Büffel fast berührte, bevor er sie bemerkte, und er gab daher die Nachsuche zu meiner grossen Erleichterung auf. Unser Bedarf an Aufregung und Büffeljagden war nun für einen Tag reichlich gedeckt. Die Sonne ging schon unter, als wir uns endlich dem Lager näherten. Auf dem Rückweg hatten wir nichts Aufregenderes als eine vorüberstreifende Schnepfe ge- schossen. An jenem Abend setzte B. sich, zwei Zigaretten dre- hend, mit seinem üblichen: «Gib Feuer, Murray, mein Sohn», zum Lagerfeuer. « Jawohl, hoher Herr», sagte ich, und nun war die schönste Stunde des Tages ge- kommen, nämlich die, ihn nochmals zu durchleben. Wir kamen dabei zum Schluss, dass wir wirklich gute und zuverlässige Leute hätten. Kongonis Tugenden standen ausser Zweifel, und er hatte sie auch heute wieder bewiesen, als er, ohne zu wanken, neben B. den annehmenden Büffel erwartete, obwohl er selbst keine Waffe trug. Auch Mutua, der die Nachsuche auf den krankgeschossenen Büffel angeführt, hatte keine Spur von Furcht gezeigt; und nicht zuletzt der Koch, der, stets bereit mit dem lebenspendenden Teekessel, immer fröhlich und vergnügt auf dem Posten war. Es war ein eindrucksreicher Tag gewesen, und ich fühlte, dass dieser furchtbare Sumpf noch manche Nacht in meinen Träumen wiederkehren werde. Am nächsten Morgen, als B. schon auf der Suche nach dem krankgeschossenen Büffel unterwegs war, 5o * kamen einige Kikuyus ins Lager, die berichteten, sie hätten soeben zwei Löwen gesehen, die am andern Flussufer einen Wasserbock rissen. Das lautete günstig, und ich sandte die Kikuyus so- fort voraus, während ich schnell mit den Maultieren B. nacheilen wollte. Bald merkte ich aber, dass, was die Maultiere betraf, von Eile keine Rede sein konnte. Nur um «Greyface» zu satteln, brauchten wir eine volle Stunde. Acht Mann konnten ihn nicht halten, und wir mussten ihn an einen Baum binden, die Beine fesseln und eine Schlinge um seine Oberlippe legen, bis er stillhielt. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst, als ich in den Sattel stieg, aber überraschenderweise war er nun ganz fromm; «Brownie» dagegen, der sich gut satteln liess, vergeudete die kostbare Zeit damit, dass er den Pferdeboy abwarf. Der Tag neigte sich schon zu Ende, als ich B. endlich fand, der weder die Kikuyus gesehen noch von den Löwen gehört hatte, und nun war es zu spät, um ihnen nachzuspüren. Auf der Suche nach dem Büffel hatte B. sich im Sumpf verirrt; er war in ein fast undurchdringliches Schilfdickicht geraten, in dem er überdies bis zum Gür- tel im Wasser versank, und hatte den ganzen Morgen gebraucht, um sich wieder herauszuarbeiten. Danach bemerkte er, dass Kongoni in diesem Wirrsal den Zeiss- Feldstecher verloren hatte. Das war ein doppelt emp- findlicher Verlust, da wir nur dies eine Fernglas be- sassen. Die Löwen sollten ungefähr eine Stunde vom Lager entfernt gesehen worden sein. Doch als wir uns am tolgenden Tag nach dreistündigem Marsch noch immer $I mehrere Meilen von ihrem Standort entfernt fanden, sandten wir einen Boten zurück, um Proviant zu holen, setzten uns unter einen Dornbaum und verwünschten das ganze Pack der Kikuyus. Nach zwei weitern Stunden gelangten wir zu einem Kraal, dessen Häuptling, ein Riese an Gestalt und Um- fang, uns alles Wissenswerte über die Löwen sagen konnte. Sein Äusseres war so finster und drohend, dass wir beide ihm sofort den Namen «Nero» beilegten. Er gab uns indessen neuen Mut, indem er angab, die Löwen strichen in der Lichtung oberhalb seines Kraals herum, die Kikuyus hätten sie nicht weit davon ge- sehen. Wir hatten uns also nicht umsonst in der glühen- den Sonne rösten lassen auf unserm mehrstündigen Marsch. Sofort machten wir uns daran, einen Köder zu beschaffen und eine Boma zu errichten. Früh am folgenden Morgen hatten die Leute ein schlafendes Krokodil am Ufer einer Lagune neben dem Fluss angetroffen und überredeten mich, mit ihnen zu kommen, um es zu erlegen. Unterwegs überlegte ich mir beständig, wo die einzig tödliche Stelle sei — am Kopf oder hinter dem Blatt. Aber als ich nach atemloser Pürsche ans Ufer kam, war die Riesenechse verschwun- den. Inzwischen war B. von dem Ansitz zurückgekom- men, er hatte mit den Löwen kein Glück gehabt. Wir gingen nun hinunter, um nochmals nach den Kroko- dilen zu sehen und kamen, einer grasbestandenen Rinne folgend, an den Fluss. Dort fanden wir durch Zufall das Versteck, wohin die Löwen ihre Beute geschleppt hatten. Es lag in einer tiefen, halb mit Treibholz an- gefüllten Unterhöhlung der Uferböschung. Der Sand war zerpflügt von ihren scharfen Krallen, und in einem 52 Winkel lagen die stinkenden Überreste des Aases. Auf dem Rückweg bekamen wir vier Impalas zu Ge- sicht, die von einem kapitalen Bock geführt waren. Sollten wir ihn erlegen ? Es fiel uns schwer, dies zu ent- scheiden, denn dann hatte B. später nur Anrecht auf ein einziges Stück, und am Uaso Nyiro sollte es viel bessere Böcke geben. Wir beobachteten den Bock, wie er völlig vertraut einherzog, sich graziös zwischen Stei- nen und Stauden einen Weg suchte. Bald würde das Gestrüpp ihn unsern Blicken entziehen. Jetzt oder nie! B. feuerte, ein vernehmlicher Kugelaufschlag, und der Bock brach zusammen; die augenblickliche Wirkung der Kugel war fast verblüffend. Wir eilten auf ihn zu und legten das Bandmass an sein Gehörn, voller Angst, dass es uns enttäuschen würde, aber es war beinahe um drei Zoll länger als das letzte, ein wirklich kapitales Exemplar. Wir waren nun in ein Gebiet gekommen, in dem wir nach Angabe von Capt. C. auf Kenya-Oribis stos- sen würden, eine örtliche Spielart, von der B. ein Paar erbeuten wollte. Ein kleines Treiben blieb ohne Erfolg, doch auf dem Heimweg lenkte einer der Träger unsere Aufmerksamkeit auf zwei Warzenschweine. B. sandte dem einen eine Kugel nach, worauf es mit zerschmettertem Hinterlauf an uns vorbei flüchtig wurde. Es verlor reichlich Schweiss, doch mussten wir ihm eine weite Strecke folgen, ehe es sich stellte. Ein zweiter Schuss brachte das wie ein Ferkel quiekende Tier zu Fall. Sein Gebräch war nur schwach entwickelt, aber sonst war es ein starker Bursche. Indem wir das schwindende Tageslicht noch ausnützten, balgten wir es so rasch als möglich ab. 53 Das Lager war noch einige Meilen entfernt, doch Ngondu, der Häuptling, behauptete, es sei ihm ein leichtes, den Weg im Dunkel zu finden. Seinen Über- wurf um sich gewunden, den langen Speer über der Schulter, machte er einen höchst zuverlässigen Ein- druck, doch er sollte unser Vertrauen bald gründlich erschüttern, indem er uns in den sonderbarsten Zick- zackwegen über das Plateau führte und endlich zugeben musste, er habe sich verirrt. Wir hörten den Fluss auf der falschen Seite rauschen und entdeckten, dass wir auf ein Licht am gegenüberliegenden Ufer zugesteuert waren, weit oberhalb Neros Kraal. Nach manchem Zusammenstoss mit Felsen und Bäumen in der tinten- schwarzen Nacht kamen wir endlich wieder auf den richtigen Pfad und sahen die Lagerfeuer uns entgegen- leuchten. B. wollte noch wegen Löwen auf den Ansitz gehen, und Pet schritt ihm mit einer Laterne voran. Die Boma war genau 25 Minuten vom Lager entfernt, Pet aber brauchte genau drei Stunden und 40 Minuten, um sie zu finden, und diese Glanzleistung verhalf ihm zum Ende seiner Laufbahn. Löwen gab es rings um uns. Kaum war die Sonne untergegangen, als wir sie aus allen Richtungen knur- ren hörten. Aber sie waren erstaunlich vorsichtig und liessen alle Köder unberührt liegen. Wir vergassen den Schlaf über dem Suchen nach Mitteln und Wegen, wie sie zu überlisten seien. Eine unserer Ideen war, einen Termitenhügel zu untergraben, um in ihm verborgen beim Köder anzusitzen. Die Löwen würden uns nicht so leicht wittern, und man wäre völlig unsichtbar. Denn ohne Zweifel würde ein Dornenverhau in der 54 Nähe des Köders, und wäre er noch so klein, die Auf- merksamkeit des Löwen wecken, und ist sein Verdacht einmal rege, dann ist kein Wild listiger und schlauer als er. Schliesslich fanden wir heraus, dass es am besten war, ein als Köder erlegtes Stück Wild einfach liegen- zulassen, es mit Zweigen zu verdecken, und wenn es von einem Löwen angenommen wurde, einen Ansitz aus Dornen zu errichten, ihn aber erst nach einer oder zwei Nächten zu benützen, wenn der Löwe sich an den Anblick gewöhnt hatte. Der Nachteil dabei war der, dass das Aas nach drei bis vier Nächten — wenn über- haupt etwas davon übrig blieb — so stark verludert war, dass es die Löwen nicht mehr lockte; wurde aber ein frischer Köder an die gleiche Stelle gebracht, so erregte dies wiederum den Verdacht der vorsichtigen Raubtiere. Häufig kam es auch vor, dass die Hyänen den Köder vorwegnahmen. Wir verlegten das Lager etwas nach Norden an einen kleinen Bach, und B. schoss ein Zebra. Während der Nacht nahm ein Löwe den Köder an, zog die Zweige sorgfältig beiseite und verzehrte den Magen und eine Keule. B. liess einen Verhau errichten und begab sich kurz nach Sonnenuntergang auf den Ansitz. Der Ver- hau war nur wenige Fuss vom Köder und etwas unter- halb desselben angelegt, so dass alles, was sich ihm näherte, sich gegen das schwindende Licht des Himmels abheben würde. Später konnte der Mond genügendes Büchsenlicht liefern. Nach kurzem Warten sah er schon die Umrisse eines Löwen über die Beute ragen. Nicht das leiseste Ge- räusch war zu vernehmen; der Löwe stand regungslos verhoffend, während B. Zoll um Zoll die Büchse an die 55 Schulter brachte. In diesem Augenblick hustete Kon- goni hinter ihm. Der Löwe war augenblicklich ver- schwunden. Vielleicht war es nur, weil er so nahe ge- wesen, dass B. ihn mit ausgestrecktem Arm hätte be- rühren können, aber er hatte den Eindruck, es sei der grösste Löwe gewesen, den er je gesehen. Für seine Enttäuschung wurde er aber bald darauf entschädigt: er schoss später in der Nacht auf eine Gestalt, die er als eine Hyäne ansprach. Doch als das Tier den Schuss mit einer sechs Fuss hohen Flucht quittierte, und B. die lange Rute sah, glaubte er, einen kleinen Löwen vor sich zu haben. Er war daher sehr überrascht, als die Laterne einen verendeten Leoparden beleuchtete. Es war ein kapitales, prachtvoll gezeichne- tes Tier. B. war über diesen Glücksfall sehr erfreut, denn obgleich es nicht schwer ist, einen Leoparden in der Falle zu erbeuten, bekommt man ihn selten vor die Büchse. In der darauffolgenden Nacht erlegte B. eine Hyäne und hätte sie auch bergen können, wenn nicht ihr Genosse, während sie noch am Verenden war, begon- nen hätte, sie zu verzehren. Es entspann sich ein wüten- der Kampf, B. hörte ihr Scharren und Fauchen in der Dunkelheit. Darauf gelang es dem verendenden Tier, in ein Erdferkelloch hinabzurutschen, so dass weder B. noch ihr Gefährte sie wieder zu Gesicht bekamen. Kongoni schüttelte missbilligend den Kopf; eine Hyäne zu schiessen bringe Unglück, und B. würde nun nie wieder einen I.öwen erlegen. So lächerlich dieser Aberglaube war, so stand doch das ganze Lager unter dem Eindruck dieses Zwischenfalls. Wir wären selbst davon angesteckt worden, wenn es uns nicht ange- 56 spornt hätte, den Aberglauben so rasch wie möglich zu widerlegen. Nach einem langen Tag vergeblicher Pürsche nach dem Kenya-Oribi erlegte B. einen Köder, und die Boys errichteten wiederum, doch ohne rech- ten Mut zur Sache, eine Boma. Nachdem sie fertiggestellt war, ritten wir heimwärts durch das Schweigen des Abends, im roten Licht der untergehenden Sonne. Stets war dies der feierliche Augenblick des Tages, und selbst am Anfang unserer Reise, als uns das Graslandnoch inseiner Unermesslich- keit bedrückte, schien sich dann ein Friede über seine Feindseligkeit zu senken, der uns aufatmen und den Blick zuversichtlich heben liess. Vom Gesichtspunkt des Sammlers aus waren die Kenya-Oribis wichtiger als Löwen. Wir verwendeten ganze Tage auf seine Jagd, nahmen ein Dutzend Trä- ger mit als Treiber, doch erfolglos. Dabei sind die Oribis weder selten noch besonders schwer zu erjagen; nur war jetzt nicht die richtige Jahreszeit für Antilopen- jagd. Einen Monat später, wenn das Gras niederge- brannt war, wäre es viel einfacher gewesen; jetzt stan- den die Halme so hoch, dass die Tiere unsichtbar blie- ben, ausser wenn ihre hohen Fluchten sie über das Gras hinaustrugen. Waren sie aber einmal flüchtig ge- worden, so verschwanden sie rasch in langen Sprüngen, ohne je in Schussweite zu kommen. Unsere Streifjagden brachten uns an den Thiba zu- rück. Während wir dem Fluss entlang zogen, machte uns Ngondu auf eine dunkle Masse am andern Ufer aufmerksam, die wie ein im Gras liegender Felsen aus- sah. Bald erkannten wir, dass es ein Flusspferd war. Es richtete sich auf seinen kurzen Vorderläufen auf 57 und sah nun mit seinen gegen uns gerichteten winzi- gen Lauschern genau wie ein überfetter gutmütiger Hund aus. Plötzlich bemerkte es uns, stürzte gegen den Fluss und tauchte unter. Noch beobachteten wir den Wasser- spiegel, als Mutua einen Schrei ausstiess und rief, er sei von einer Schlange gebissen worden. Zufälligerweise hatte ich gerade die Taschen-Apotheke bei mir, als sie einmal nötig war. B. machte einen Einschnitt über der gebissenen Zehe, den wir mit den Kristallen füllten. Die Schlange selbst war von niemandem gesehen wor- den; es war aber wohl eine Giftschlange gewesen, denn das ganze Bein schwoll auf den doppelten Um- fang an, und es dauerte viele Tage, bis Mutua es wie- der gebrauchen konnte. Das war überhaupt ein Tag voller Missgeschick: Kongoni glitt auf einem Felsen aus und schlug einen Splitter aus B.’s Büchsenschaft, Brownie stürzte in ein verborgenes Erdferkelloch, und auf dem Heimweg, als wir auf einen Flug Perlhühner gestossen waren und einige derselben erlegten, trafen mich zwei Schrot- kugeln, die von einem Baum abprallten, in den Hals. Ich konnte mir gar nicht denken, was geschehen war, denn ich hatte nur ein Gefühl, als ob mich zwei Golf- bälle sehr stark getroffen hätten. Dann, als ich Brahi- mos ziemlich erschrockenes Gesicht sah, fühlte ich mit der Hand nach und bemerkte, dass mein Hals mit Blut bedeckt war. Es schien mir unfasslich, dass zwei abgetriebene Schrotkugeln noch solche Durchschlags- kraft besassen, oder dass ein Perlhuhn einen Treffer überleben konnte, selbst wenn es nicht an einer töd- lichen Stelle getroffen wurde. 58 Nach dem Abendbrot griffen wir wieder zur Büchse und gingen hinunter zum nächtlichen Ansitz am Bach, in der Hoffnung, dass der Löwe, dessen Spuren wir in der Nähe des Eselpferches bemerkt hatten, seinen Besuch wiederhole. Ein Ochsenfrosch quakte, Leucht- käfer schwirrten über das Wasser, sonst herrschte grosse Stille und tiefe Dunkelheit. Dann machten wir die unliebsame Entdeckung, dass wir unsere Laternen nicht zum Brennen bringen konnten, was uns ver- anlasste, schleunigst die Böschung hinaufzuklettern, um in ziemlicher Eile zum Lager zurückzukehren, während wir hinter jedem Busch einen Löwen ver- muteten. Die drückende Stille wurde durch ein Gewitter unterbrochen, und mitten in der Nacht stürzte unter Krachen und Knacken das Zelt über unsern Köpfen zusammen. Der Regen strömte hernieder. Obgleich wir das Zelt nicht wieder aufzurichten vermochten, konnten wir doch darunter schlafen. Wir hatten ver- gessen, die Zeltleinen zu lockern, und der Regen hatte sie so stark gespannt, dass sie den Zeltpfosten ge- krümmt und schliesslich gebrochen hatten. Die Bruch- stelle war so schräg, dass der Pfosten am Morgen bald provisorisch repariert war. Für heute war ein Marsch vorgesehen, aber zu der Verspätung, welche die Gewitterschäden verursacht hatten, kam noch B.’s Entdeckung, dass die Zebradecke begonnen hatte in Fäulnis überzugehen. Mvanguno, der für die Häute verantwortlich war, behauptete zwar, sie seien alle fertig zum Verpacken, doch da nun das Zebra verdorben war, sah B. auch die übrigen Häute nach und stellte fest, dassauch das Warzenschwein 59 ruiniert war. Die Warzen waren nicht aufgeschlitzt worden, wie es sich gehörte, und wir mussten das Fell fortwerfen. Das war ein harter Schlag. Es war nicht nur schade um die vergebliche Mühe und die schönen Felle, es zeigte uns auch, dass Mvanguno keineswegs so zuverlässig war, wie es geschienen hatte. Man kann keinem Eingeborenen, und sei er noch so geschickt, einen verantwortlichen Posten anvertrauen. Es war ein Jammer, dass ich von der Arbeit nichts verstand und nicht selbst die Anzeichen der beginnenden Fäulnis zu erkennen vermocht hatte. Ich konnte es wohl noch lernen, doch wenn Mvanguno mit all seiner Erfahrung sich als unbrauchbar erwies, wieviel weniger konnte ich da helfen. Aber den ganzen Tag jagen, nachts auf dem Ansitz sein und daneben noch die Trophäen zu überwachen war mehr, als ein einzelner leisten konnte. Dennoch wurmte es mich, dass mein Anteil an der Expedition so bescheiden war. Ich war Verpflegungs- offizier und ausserdem noch — schlecht und recht, so gut es eben ging — Schiffsarzt und Photograph. Nicht einmal schiessen konnte ich, und so unentbehrlich war ich nicht, als dass ich nicht gerade so gut hätte daheim- bleiben können. Ich war in solch trübe Überlegungen versunken, als B. vorschlug, heute einmal einen Ruhetag einzuschal- ten und mit Schmetterlingsnetzen und Angelruten an den Fluss zu gehen. Wir wussten ein liebliches Plätz- chen, wo sich das Ufer sanft gegen den Rand des Flus- ses senkte, und das umrahmt war von dichtbelaubten Bäumen. Das war ein verlockender Plan, und um Zeit zu gewinnen sattelten wir die Maultiere. Sie hatten sich in lammfromme Tiere verwandelt, die sich von uns 60 in zwei Minuten satteln liessen, während sie dem Pferde- wärter noch immer gern eins auswischten. Kaum hatten wir uns aber auf den Weg gemacht, als uns die Kikuyus einholten, und ein Blick auf diese Tröpfe genügte mir, mich zu überzeugen, dass es mit dem Picknick am Fluss für diesmal aus war. Ihr Bericht liess uns aber die Enttäuschung schnell vergessen: drei Löwen ganz in der Nähe, gerade beim Reissen ihrer Beute gestört! Wir liessen die Maultiere im Lager zurück und be- gaben uns so rasch wie möglich an die Stelle, an der die Löwen ihre Beute gerissen hatten. Doch wir sahen sofort, dass unsere Eile keinen Zweck gehabt, denn die Antilope war schon völlig verzehrt. Wir hatten die Kikuyus falsch verstanden: sie hatten uns gesagt, dass nur wenig von dem Aas übriggeblieben sei, während wir verstanden hatten, sie hätten es noch kaum be- rührt, und daraus folgerten, die Löwen würden nun bald zu ihm zurückkehren. Das war nur eine der zahl- reichen Lehren, wie wichtig es war, ihre Sprache zu verstehen. Hätten wir uns nun nicht weiter um das Aas gekümmert und sofort die Suche aufgenommen, dann hätten wir die Löwen möglicherweise noch erreicht. So aber verloren wir viel kostbare Zeit und erschöpften uns dann in einer fruchtlosen Suche, stundenlang durch hohes Schilfgras, unter einer unbarmherzigen Mittags- sonne. Am frühen Nachmittag waren wir denn auch völlig erschöpft und gaben sie auf. Wir hatten die Löwen ganz in der Nähe des Lagers vermutet, hatten weder Tee noch Wasser mitgenommen und waren nun ausgedörrt vor Durst. Während ich meinen Weg durch das hohe Gras bahnte, wiederholte ich mir 61 immer stumpfsinnig die Alternative: «Löwe oder Limo- nade», und da mir nicht die Gunst zuteil wurde, zwischen beiden zu wählen, blieb es jedesmal bei der Limonade. Es regnete viel, die feuchte Hitze machte das Jagen sehr beschwerlich, und die Häute trockneten schlecht. Wir erlebten in diesen Tagen aber zwei Dinge, auf die wir seit Beginn unserer Reise gehofft hatten. In der Nacht hörten wir einen Löwen brüllen. Es war ein erschütterndes Konzert und hallte so klar über die Ebene, dass, als es erstarb und noch einige knur- rende Laute folgten, man fast glaubte, sein Atemholen zu hören. Er mochte wohl gegen 400 Meter von uns entfernt sein, und doch erfüllten die donnernden Laute die Nacht und machten die Luft erzittern, so mächtig war seine königliche Stimme. Mit den Worten: «Da liegt der Mount Kenya!» weckte mich B. am andern Morgen, und im Rahmen des Zelteinganges, weit über dem Ozean von goldenem Gras, erhob sich der riesige Berg, dessen schneebedeck- ter Gipfel im zitternden Licht des anbrechenden Mor- gens schimmerte. Bisher hatten wir immer nur die Vorberge und die Umrisse seines Fusses gesehen; darüber aber hing wie ein Vorhang eine Wolkendecke, die sich niemals ge- lüftet hatte. Schon unzählige Male hatten wir versucht, uns vorzustellen, was sie wohl verberge, hatten uns schwarze Abgründe und schimmernde Gletscher aus- gemalt und uns gefragt, wie hoch über diese Wolken der Gipfel wohl reiche, und wie wohl Schneeberge unter dem Aequator sich ausnehmen würden. Doch nie konnte sich unsere Einbildungskraft mit dem unver- gleichlichen Anblick messen, die der Kenya in Wirk- 62 lichkeit bot. In den tauklaren, kristallenen Morgen ragten seine beiden Gipfel, über einem zarten Wolken- gürtel, mit frischem Schnee bedeckt. Den ganzen Tag über marschierten wir in Sicht des Berges, hatten eine lange Pürsche auf Wasserböcke und schlugen bei Einbruch der Nacht unser Lager am Ufer eines Flüsschens auf, unser letztes Lager auf un- serm Streifzug nach dem obern Tana. Am folgenden Morgen packten wir alle Häute zu- sammen, nachdem wir sie mit Naphtalin bestreut hat- ten, und nähten sie in grüne Willesden-Säcke, die, aus stärkstem Hanf gewoben und mit Arseniklösung ge- tränkt, sogar das gefährlichste aller Ungeziefer, den Speckkäfer, fernhalten. Wenn alles beieinanderlag, die Büffelhaut, drei Löwen, der Leopard, ein Zebra, die Kuhantilope und das Impala, Schädel und Knochen mit Draht in Gras verpackt, so war es eine recht an- sehnliche Sammlung für den Anfang. Doch war auch ihre Unvollständigkeit allzu offenbar: noch fehlten weibliche Stücke von Kuhantilope, Impala und Büffel — das Museum aber musste Paare haben. Dem konnte später abgeholfen werden, denn diesen Tierarten wür- den wir immer wieder begegnen. Dagegen war das fehlende Kenya-Oribi eine Lücke in unserer Samm- lung, die wir nicht mehr ausfüllen konnten. Kongoni hatte für kleineres Wild nie viel übrig ge- habt; die Boys hatten überhaupt seit langem ihr In- teresse am Oribi verloren. Da wir aber wussten, dass sich nie wieder Gelegenheit zu seiner Erbeutung bieten würde, beschlossen wir einen letzten Versuch zu ma- chen und begaben uns ohne Begleitung auf einen Pürsch- gang. Es war kurz nach der Mittagsstunde, kein Wind- 63 hauch brachte Kühlung von der glühenden Hitze, aber wir dachten nur an unsere Beute. Wir bahnten uns unsern Weg unermüdlich durch das hohe Gras, immer noch auf Erfolg hoffend, bis der Abend hereinbrach. Erst als die Dämmerung kam, die Nachtschwalben lautlos an uns vorüberglitten und wir noch weit vom Lager entfernt waren, mussten wir eingestehen, dass die kleinen Oribis uns endgültig geschlagen hatten. Wir machten uns wieder auf den Marsch, und zwei Tage später erreichten wir Embu. 64 Embu — Meru — Maua — (Jombeni-Kette) «Er ist zum mindesten ein 90-Pfünder. Die Einge- borenen behaupten, seine Zähne ziehen Furchen am Boden, weil sie so schwer sind, dass er sie nicht heben kann.» So lautete die Beschreibung eines Elefanten, von dem uns Mr. L. erzählte, als wir bei ihm beim Kaffee sassen. Es mutete uns ganz seltsam an, wieder ein Dach über uns zu haben; die Bücherregale, die Bilder an den Wän- den und die silbernen Bestecke auf dem weissen Tisch- tuch umgaben uns mit einer behaglichen Atmosphäre der Geborgenheit. Aber wenn es auch schön und gut war, eines Tages zu all diesen Dingen zurückzukehren, so fühlten wir doch eine geheime Freude darüber, dass dies nicht schon jetzt sein musste. Im Augenblick hatten wir nur Sinn für den Bericht über diesen riesigen Ele- fanten, und unser einziger Gedanke war, zu erfahren, wo und wie wir ihn finden konnten. Wenn wir die weite Entfernung nicht scheuten, dann war er unser. Er war ein alter Einzelgänger und hatte sich, solange irgendein Eingeborener denken konnte, in einem kleinen Waldkomplex in der Nähe zweier Hügel aufgehalten. Mr. L. hätte am liebsten selbst noch einmal den Ver- such gemacht, ihn zu jagen, aber er versicherte uns, dass seine Pflichten ihn nun von jenem Distrikt zu- rückhielten, so sei es sehr fraglich, ob sich ihm diese 65 Gelegenheit je wieder bieten würde. Er erbot sich, nach Meru zu schreiben, um uns denselben Führer zu verschaffen, den er gehabt und der am besten mit den Gewohnheiten und dem jeweiligen Standort des Ele- fanten vertraut war. Eine Frage drängte sich B. sogleich auf: Wenn diese kapitalen Zähne des Elefanten so von sich sprechen machten, warum war nie jemand ernstlich darauf aus- gegangen, sie zu erbeuten? Doch es schien, dass eben nur wenige davon wussten, und die Örtlichkeit war viel zu abgelegen, als dass man die Jagd auf ihn für lohnend hielt. Es war sechzig Meilen von Meru ent- fernt — sechzig Meilen hin und sechzig Meilen zu- rück — und dies zu Fuss. Das war ein Dämpfer sogar für unsere Begeisterung, doch wenn wir sicher damit rechnen konnten, den Elefanten zu finden, mochte es sich wohl lohnen. Abgesehen davon, dass die Jagd auf einen wirklich kapitalen Elfenbeinträger ihre besondern Reize hatte — mit dem Verkauf der Stosszähne könn- ten wir die Hälfte unserer Expedition bezahlen —, musste der Elefant selbst ein mächtiger Geselle sein. Immerhin war es eine riskierte Sache, denn wir würden fast einen Monat damit verlieren. Sonst gab es dort wenig Wild, jedenfalls keine Arten, die wir nicht auch später antreffen würden. Wir erwogen aber diese Für und Wider, als wir uns schon auf dem Marsch befanden und Embu bereits hinter uns lag. Embu war die erste Vorposten-Siedlung, die wir getroffen hatten, und wir waren überrascht, inmitten der Wildnis Gärten voll wundervoller Rosen, mit sauber geschnittenen Buchsbaum-Hecken umsäumt, und bewässerte Rasenflächen zu sehen. 66 Es war vielleicht ein Zeitverlust von fünf Tagen, eine Strecke zu Fuss zurückzulegen, die man im Auto- mobil bequem in einem oder höchstens zwei Tagen durchmessen konnte, aber wir bereuten es nicht, denn die Gegend zwischen Embu und Meru ist ausserge- wöhnlich reizvoll. Nach Wild hielt man freilich vergebens Ausschau, denn die Gegend ist dicht bevölkert, aber wir fanden herrliche Schmetterlinge und verkürzten manchen lan- gen Marsch damit, sie zu sammeln. Während der ersten Tage benützten wir die zahlreichen Abkürzungen, um Zeit zu gewinnen; das Gelände ist hügelig, und die Strasse schlängelt sich in zahllosen Windungen dahin, zwar ziemlich eben, aber sehr auf Kosten von Distanz und Zeit. Aber auch die Abkürzungen waren sehr gewun- dene Pfade, oft schienen sie nicht kürzer als die Strasse selbst; was wir scheinbar an Kürze gewannen, verloren wir damit, dass sie ständig bergauf und berg- ab führten. Als in einer Nacht Regen fiel, wurden die Wege zudem so schlüpfrig, dass wir die Maultiere und Packesel auf die Hauptstrasse dirigieren mussten. Aber selbst für uns, die wir keine Lasten trugen und kräftige Stöcke benutzten, war das Begehen der Pfade mühsam. Bergauf mussten wir uns oft mit den Händen festhal- ten, und bergab war es mehr ein Rutschen als ein Gehen. Wie würden sich wohl die beladenen Träger anstellen ? Doch sie entledigten sich einfach ihrer San- dalen und nahmen die Steigungen und Gefälle barfuss so sicher wie Bergziegen, trotz ihren Lasten von fünfzig bis sechzig Pfund. Geradezu erstaunlich war die Sicher- heit, mit der sie ein Flüsschen überschritten. Es war 67 angeschwollen und die Brücke fortgerissen. Die einzige schwankende Verbindung mit dem andern Ufer be- stand aus zwei jungen Stämmchen, die man darüberge- legt. Wir glaubten, es werde eine langwierige Sache sein, alle unsere Lasten da hinüber zu bringen, und trösteten uns damit, dass wir mit einem Kraftwagen nun in einer bösen Klemme wären. Als aber die Träger die Notbrücke erreichten, schoben sie nur ihre Lasten zurecht und gingen Mann für Mann über den schaukeln- den Steg, als wäre er eine feste, breite Brücke. Das war kurz hinter Chuka gewesen, und wir waren ein wenig näher an die Hänge des Meruberges heran- gekommen. Die sanftgerundeten Hügel mit ihren Ba- nanen- und Maispflanzungen lagen nun hinter uns, die Gegend war hier schon grossartiger und gebirgiger; hier begann auch der Urwald. Bisher hatten wir am Grunde jedes Tälchens einen leicht zu überschreiten- den Bach gefunden, aber nun waren es Flüsse zwischen steilen Hängen, und es gab weder Abkürzungen noch Furten. Es blieb uns nur noch übrig, der Strasse zu folgen, die dem Hang entlang die engen Täler hinauf- führte, oben die Brücken überschritt und auf der gegen- überliegenden Talseite zurückging. Es waren richtige Haarnadelkurven, und oft waren die sich gegenüber- liegenden Strassenabschnitte nur wenige hundert Meter voneinander entfernt, obwohl es manchmal eine halbe Stunde kostete, sie über die Brücke zu erreichen. Am dritten Morgen hellte sich das Wetter auf, der Nebel verzog sich, das Sonnenlicht strömte durch die Blätter und zeichnete bunte Flecken auf den Wald- boden. Die Erde erwachte zu neuem Leben, die Vögel sangen, und wohin man blickte, waren lebendiges Licht 68 und Farbe, gaukelnde Schmetterlinge, glitzernde, im Sonnenlieht sprühende Tautropfen. Gleich silbernen Säulen standen die Baumstämme vor dem dunklen Laubwerk, ihre Äste bildeten ein phantastisch ver- schlungenes Dach über uns. Wir fanden uns in unserm Marsch plötzlich aufge- halten durch eine Barriere aus Zweigen, welche die Strasse versperrte, und gleichzeitig kam uns eine alte Frau entgegengelaufen. Unser Hund kläffte sie an, das schien sie völlig in Wut zu bringen. Sie tanzte umher, kreischte und schnitt schreckliche Grimassen, dann trabte sie mit gespreizten Ellbogen und zurückgeboge- nem Kopf einher, als wollte sie, einen Vogel Strauss nachahmen. Wir sahen gleich, dass das arme Ding wahnsinnig war. Die Boys waren natürlich entzückt über dieses Intermezzo und reizten sie, bis sie der- massen in Wut kam, dass wir uns ins Mittel legen muss- ten und die grösste Mühe hatten, sie abzuschütteln. Da wir uns um die üblichen Lagerplätze nicht ge- kümmert hatten, mussten wir in der vierten Nacht unser Zelt mitten auf der Strasse aufschlagen, als dem einzigen ebenen Lagerplatz. Am nächsten Morgen, als wir der Trägerkolonne vorausmarschierten, bemerkten wir einen grossen, weissgestrichenen Wegweiser. Schon aus der Ferne versuchten wir zu erraten, was die In- schrift besagen könnte. Es war ein so schöner, ver- trauenerweckender Wegweiser, und wir glaubten seiner hoffnungsvollen Inschrift gerne: Meru ı5 Meilen. Als auch diese Strecke überwunden war, erfuhren wir, dass Mr. L. tatsächlich schon geschrieben, so dass man uns nicht nur erwartete, sondern sogar schon nach dem Führer gesandt hatte. 69 Aber auch so würden wir noch fünf Tage auf ihn warten müssen, und wir begannen innig zu wünschen, wir wären nicht von unserer ursprünglichen Reise- route abgewichen. Grufty, mit dem wir uns besprachen, hatte ebenfalls seine Bedenken; hauptsächlich machte er geltend, dass, selbst wenn uns die Erbeutung des Ele- fanten gelänge, wir niemals die schwere Haut den gan- zen Weg zurücktransportieren könnten. Im Wald von Meru könnten wir Elefanten sozusagen von der Land- strasse aus schiessen; warum also unsere kostbare Zeit hier verschwenden? Das waren ja ganz einleuchtende Gründe, aber nun hatte man schon nach dem Führer geschickt; für die Elefanten des Meruwaldes war es noch zu früh, und auf keinen Fall gab es unter ihnen einen Riesen, der sich mit dem 9o-Pfünder messen konnte. Darum hatten wir für Cruftys Argumente wenig übrig, und da wir nun einmal diesen Elefanten im Kopf hatten, gab er nach. Diese fünf Tage des Wartens waren übrigens nur vom Standpunkt des Schiessens aus vergeudet, und der Gedanke daran konnte unsern Aufenthalt nicht ver- derben. Crufty bestand darauf, uns in einem Haus ein- zulogieren und uns in der Offiziersmesse zu bewirten. Wir ritten vor dem Frühstück aus, sahen bei der Parade und beim Polo zu, wir fuhren in den Wald und für ein Wochenende nach Siolo, um Federwild zu schies- sen, verbrachten fröhliche Abendstunden mit Bridge- spiel und Musizieren und vertrieben uns die Zeit auf so angenehme Weise, dass es uns beinahe leid tat, als der Führer eintraf. Doch einmal unterwegs, waren wir wieder Feuer und Flamme, und was Maithia, den Führer, betraf, so hätte 79 er, glaube ich, selbst Crufty nach dem Elefanten auf die Beine gebracht. Ein Ungetüm, von dem nur Mungu (Gott) sagen konnte, wieviel hundert Jahre es zählte, und seine Zähne — nun das war sicher: sie waren länger als Maithia mit hochgestrecktem Arm. Er musste mehrere Meter von einem Baum zurücktreten, um uns eine Vorstellung ihrer Länge zu geben. Ihr Gewicht musste gewaltig sein, und natürlich war es richtig, dass der Elefant sie manchmal am Boden entlang schleifte. Maithia veranschaulichte dies, indem er mit seiner Zehe eine Furche im Sand zog. Bei der blossen Erwähnung des Elefanten ging ein Leuchten überMaithias ehrliches altes Gesicht. Ganz so gross wie er es haben wollte, war der Elefant wohl nicht; doch eines war gewiss: finden würden wir ihn. Maithia kannte die ganze Gegend wie seine Handfläche; er würde uns selbst mit verbundenen Augen zu ihm hinführen. So waren wir also voll der besten Zuversicht, als wir uns auf den Weg machten. Die Strasse nach Maua scheint zum Teil mehr von Elefanten begangen zu sein als von Menschen, und wenn wir im Staub ihre riesigen Fährten entdeckten, fühlten wir uns jedesmal neu angespornt für die Überwindung der vielen Mei- len, die uns noch vom Gebiet unseres Elefanten trenn- ten. Es war nicht nur das Auffinden der Elefanten- fährte, das unsern Marsch verkürzte; der Weg selbst ist reich an Abwechslung und zieht sich bald durch Waldungen, in denen die breiten Blätter der Bananen wie helle Fahnen im Waldesdämmer hängen, bald über Hügel, von denen der Blick weithin über Ebenen und Berge in ihrem beständigen Wechselspiel von Licht und Schatten schweift. 71 Dennoch war es ein langer Marsch. Wir wurden beide krank, und auch die Träger hatten einer nach dem andern Anfälle von Schüttelfrost. Als wir endlich in Maua ankamen, fanden wir einen weissen Ansiedler im Rasthaus einquartiert. Er warnte uns, dass das Gebiet, das wir aufsuchen wollten, und das eine Tagesreise vom Kinna (Mackenzie-Fluss) entfernt liegt, von der Tse-Tse-Fliege verseucht sei. In zuvorkommender Weise erbot er sich, bis zu unserer Rückkehr nach unserem Hündchen und den Maultieren zu sehen. Wir setzten unsern Marsch fort und kampierten auf halber Höhe des Abhanges. Das Waldland um Maua — die Jombeni-Kette — ist sehr hoch gelegen und sein Klima neblig und kalt. Der Abstieg führte uns nur halbwegs nach der Ebene hinunter, doch war der kli- matische Unterschied sehr fühlbar, und beim ersten Sonnenschein erholte sich bald jedermann. Von dem Plateau, auf dem wir lagerten, sahen wir die Ebene sich zu unsern Füssen ausbreiten; den Fluss, der von uns weg nach links bog, mussten wir überschreiten, und gerade vor uns, etwa zwei Tagereisen entfernt, lagen die beiden kleinen Hügel, die im blauen Abend- licht kaum zwei Stunden entfernt schienen. Das Ziel war also in Sicht, doch vorläufig noch unerreichbar. So sehr wir darauf brannten, den Marsch fortzu- setzen, so waren wir doch so erschöpft, dass wir am folgenden Tag nur bis zum Fluss gelangten, und, nach- dem wir ihn überschritten, mussten wir kampieren. Noch erinnere ich mich, wie wir am Ufer sassen und auf die Safari warteten, wie im Schatten der Palmen das Wasser silbern in einen kleinen Weiher rieselte, während sich opalfarbige Schmetterlinge im Sonnen- 72 licht schaukelten. Wie klein und schwach waren wir doch inmitten dieser lächelnden Natur. Damals fühlte ich plötzlich, dass Afrika furchtbar werden konnte, wenn einen das Glück verliess; mir war, als ob es ewig mit uns spielte, indem es uns bald wie auf einem Wellenkamm emportrug, bald wieder mit seiner un- endlichen, schrecklichen Weite überschwemmte, in der selbst das Sonnenlicht hart und grausam war. Doch zählte ich damals erst zweiundzwanzig Jahre, und es war wohl, weil ich noch so wenig von diesem Land begriffen hatte, dass mir solche Gedanken kamen. Oder war es, weil mir B. schwere Sorgen machte, der gerade wieder an einem heftigen Fieberanfall litt? Ich sass bei ihm bis spät in die Nacht hinein, und von meinem Platz aus konnte ich sehen, wie der Vollmond nach Westen sank und ein tauschwerer Nebel sich über das Lager legte, der die Feuer erstickte; und immer- fort schallte der Gesang der Grillen durch die nächt- liche Stille. Doch das Missgeschick schien uns nicht lange ver- folgen zu wollen. Drei Tage später stand unser Zelt am Fluss gegenüber den beiden Hügeln, und Maithia war unterwegs, um den Standort des Elefanten fest- zustellen. Die Büchse durften wir nun nicht gebrauchen, und wir verbrachten den Tag mit Fischen. Zwar waren die Fische schlecht und voller Gräte, aber es war ein hüb- scher Zeitvertreib; B. fing ein Dutzend, alle zwischen ı/a bis 2 Pfund. Der unermüdliche Maithia kam gegen Mittag zurück, wie immer mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wischte sich den Schweiss von der Stirne und schickte sich an, einen 73 schlimmen Bericht vom Stapel zu lassen. Er hatte weder den Elefanten noch seine Spuren gesehen; die Wakambas hatten alles Gras um seine Lieblingsplätze niedergebrannt. Das war allerdings stark! Uns den gan- zen Weg bis hierher zu führen, um uns dann mit einer solchen Nachricht abzuspeisen. Am nächsten Tag schickten wir ihn wieder auf die Suche, und am Abend kam er mit dem gleichen Be- richt zurück: keine Spur von dem Elefanten. Aber was nützte alles Zürnen, Diskutieren oder Drohen? Maithia hatte wirklich sein Äusserstes getan, und wenn er nun müde und abgehetzt zurückkam, enttäuscht, doch ergeben die Schultern hob mit dem fatalistischen Ausspruch: «Shauri aMungu»*, dann war eben nichts mehr zu wollen. Es war leider wahr, dass die Wakam- bas die ganze Gegend zu grauer Asche verbrannt hat- ten. Die Asche lag überall mehrere Zoll hoch, alles war schwarz und verkohlt, die Bäume glimmten noch tagelang. Wir wateten durch Asche, kampierten auf Asche, assen Asche; ein Windstoss, und das Zelt war voller Asche, überall drang sie ein. In kürzester Zeit waren wir, unsere Kleider und alles, was wir berührten, schwarz, und wir zweifelten, ob wir je wieder sauber würden. Da es mit dem Elefanten nun nichts war, machten wir uns auf die Jagd nach dem kleinen Kudu. Doch schien es uns höchst zweifelhaft, ob wir je eines zu Gesicht bekämen, denn das Dorngestrüpp war hier so dicht, dass wir uns nicht ohne Geräusch darin fortbe- wegen konnten, und zweimal machten wir Dikdiks flüchtig, bevor wir sie zu sehen bekamen. * Es ist Gottes Wille 74 Wir waren schon mehrere Stunden unterwegs und hatten offenes Gelände vor uns, als wir drei äsende Kudus sichteten. Das Glück war uns hold, denn wir sahen sie, bevor sie uns eräugten. Als der Bock sichernd das Haupt hob, traf ihn die Kugel in die Brust, und er brach auf der Stelle zusammen. Sein Gehörn war zwar bescheiden, doch besass sein Fell solch seidenen Glanz und seine Formen solche Vollkommenheit, dass er uns als das schönste Geschöpf erschien, das wir je gesehen. Am gleichen Tag fand Maithia eine Elefantenfährte. Zwar war sie nicht sehr frisch, dennoch nahm B. sie am folgenden Morgen auf. Er folgte ihr während zehn Stunden, und auf dem Rückweg hatte er eine unlieb- same Begegnung mit einem Nashorn, das plötzlich schnaubend aus den Büschen auf ihn losfuhr. Der An- griff geschah so unerwartet, dass B., wie er mir nachher erzählte, wie hypnotisiert das heranstürmende Ungetüm anstarrte. Bevor er begrifl, was geschah, war sein drohendes Horn zwei Fuss von seiner Brust entfernt. Er sprang gerade noch zur Seite, und das Nashorn raste in gerader Linie weiter. Es warf einen Träger zu Boden und begann dann, den armen alten Maithia im Kreis herumzujagen. Maithia wich nach links und rechts mit Katzensprüngen aus, manchmal so knapp, dass das Horn kaum einen Zoll von ihm entfernt schien. Es war verblüffend, mit welcher Gewandtheit das schein- bar so schwerfällige Tier sich drehen und wenden konnte. B. blieb im Anschlag, um eine günstige Ge- legenheit für eine Kugel abzupassen, aber Maithia war viel zu nahe bei seinem Verfolger. Dieser gab glück- licherweise die Jagd auf, raste weiter und war bald 75 zwischen den Bäumen verschwunden. Maithia war knapp genug davongekommen; das Horn des Rhino hatte ihn so nahe gestreift, dass sein Lendentuch zer- . tissen und eine Rippe gequetscht war. Wir hatten viele Schauergeschichten von angreifen- den Nashörnern gehört, und von solchen, die über die bewilligte Anzahl hinaus — angeblich aus Notwehr — erlegt wurden, und hatten dies nie so recht geglaubt. Das aber war nun ein solcher Fall, wo ein Nashorn ohne jegliche Herausforderung die Jäger angriff. Über die folgenden Tage unserer Elefantenjagd ist nicht viel zu sagen; sie kamen uns vor wie ein böser Traum, indem wir uns Stunde um Stunde in betäuben- der Hitze vorwärts bewegten und in ein ewiges Wirrsal von Ästen und Zweigen starrten, bis die Augen uns in dem unbarmherzigen Sonnenglast schmerzten. Rings um die beiden Hügel führte die noch frische Spur, und wir hielten sie, stundenlang einem Bach- bett folgend. Die Fährte war enorm, sie mass fast 24 Zoll im Durchmesser, und wir waren überzeugt, dass es die Spur unseres Riesen-Elefanten sein musste. Wir stiessen auf seine frische, noch warme Losung, . vielleicht kaum eine Stunde alt, und auf gebrochene Zweige, an deren Bruchstelle der Saft noch weiss und feucht war. Auch fanden wir Löcher im Sand, wo er mit seinen Stosszähnen nach Wasser gegraben hatte. Einmal führte die Spur aus dem Bachbett und die Böschung hinauf, und wir hofften schon, er habe sich nun entschlossen, einen Ruheplatz für den Tag zu suchen. Doch nachdem wir sie eine Stunde lang weiter verfolgt hatten, führte sie wiederum in das Bachbett zu- rück. Zweimal stiessen wir auf frische Spuren, mussten 76 aber beidemal feststellen, dass sie von andern Elefanten herrührten. Das Betrüblichste aber war die Unfähig- keit der Leute, die Spur zu halten. Je undeutlicher sie wurde, desto mehr schwatzten sie untereinander; wir hörten geduldig ihre zahllosen Palaver an, die dann doch nur zu ziellosem Umherwandern führten. Das Gelände war scheusslich, undurchdringlicher Dornbusch bis auf die Wildwechsel. Es bestand wenig Aussicht, dass wir den Standort des Elefanten von einem Baumwipfel aus feststellen konnten, denn der Busch erstreckte sich meilenweit nach allen Seiten. Das knackende Unterholz verriet uns in einigem Um- kreis, aber noch verräterischer war der Wind, der aus allen Richtungen zu wehen schien, bald von vorn, bald von hinten, kleine Windstösse, die sicherlich unsere Witterung immer wieder zu ihm hintrugen. Es waren furchtbar anstrengende Tage (für mich war es ermüdend genug, jeden dritten Tag mitzukommen). Denn, wenn die Sonne sich feurigrot hinter denMorgen- nebeln erhob, waren wir schon unterwegs auf der Fährte, und wenn wir todmüde ins Lager zurückkehr- ten, war sie schon untergegangen. Wir erlaubten uns keine Rast während der Mittagshitze, und wir verdop- pelten unsere Anstrengungen nach jedem erfolglosen Tag. Wenn man einer bestimmten Wildart nachgeht und keinen verräterischen Schuss riskieren darf, kommt einem oft anderes Wild verführerisch vor die Büchse, So sahen wir beständig Wasserböcke und kleine Kudus, die ganz vertraut nach uns äugten, und einmal zwei prachtvolle Impalaböcke, die mit hellem Getrappel aus dem Busch brachen und abschwenkten, als sie auf uns stiessen. Die schönste Begegnung aber war die mit zwei 77 äsenden Giraffen, auf die wir ganz unvermutet kamen. Die eine war uns zugekehrt und so nahe, dass wir ihre langen Wimpern erkennen konnten, und sie schlang gerade ihre dünne graue Zunge um einen Akazien- zweig, als sie uns plötzlich eräugte. Einen kurzen Augenblick verhofften sie regungslos und schienen uns mehr neugierig als furchtsam zu betrachten, dann wandten sie sich beide und wurden flüchtig. Lautlos bewegten sie sich durch den scheinbar undurchdring- lichen Busch mit sanften und fliessenden Bewegungen wie Schiffe auf hoher See. Wenn der Busch auch dicht und undurchdringlich war, so brauchten wir doch ein Verirren darin nicht zu befürchten. Auch wenn wir das Bachbett verliessen und dabei gelegentlich die Richtung verloren, so konn- ten wir stets von einem Baum aus die beiden Hügel se- hen, nach denen wir uns orientierten. Als eines Abends B. nicht nach Hause kam und ich ihn vergebens im Lager erwartete, beruhigte mich das Wissen um diese beiden Orientierungspunkte sehr. Von allen Aufre- gungen, die man im Busch erleben kann, ist die Angst des einsamen Wartensdas Schlimmste, sicherlich schlim- mer als ein gefährliches Abenteuer, das man miterlebt. Man hat so schrecklich viel Zeit, sich auszumalen, was wohl geschehen sei und so wenig Möglichkeit, etwas zu tun, denn ohne eine Ahnung der einzuschlagenden Richtung kann man nicht dem ersten Gedanken nach- geben und eine Rettungskolonne abschicken. Alles, was übrig bleibt, ist, dass man an einem erhöhten Punkt ein Feuer anzündet und Signalschüsse abgibt. Ein Leopard strich während der ganzen Nacht um das Zelt, schnüffelnd und von Zeit zu Zeit ein eiskal- 78 tes rauhes Fauchen ausstossend, das mich jedesmal aus dem Schlaf -aufschrecken liess. Ich tastete nach der Büchse, fand sie aber entladen; die Streichhölzer konnte ich nicht finden, mit denen ich die Lampe anzünden wollte, um Patronen zu suchen. Das Feuer war ausge- gangen, und so dauerte es eine Ewigkeit, bis die Mor- gendämmerung anbrach. Erst gegen 10 Uhr früh kam ein Bote mit Nachricht. B. hatte an unserm früheren Lagerplatz übernachtet, dem ersten, den wir am Fluss unterhalb des Graben- randes bezogen hatten. Die Zelte waren schon abgebrochen und unsere Leute schon seit Tagesanbruch marschbereit. Die Trä- ger schätzten die Strecke auf etwa fünf Stunden. Da ich schneller ging als sie, brach ich allein auf und ging voraus. Am Nachmittag, als ich einem Hügel entlang wan- derte, hörte ich einen Pfiff und entdeckte aufblickend B. auf halber Höhe des Hangs. Er hatte dort auf einen Chanler’s Riedbock Jagd gemacht. Bald sassen wir beisammen im Schatten eines alten Affenbrotbaumes, und während der Koch das Feuer schürte und mit der Bratpfanne hantierte, berichtete B., was er inzwischen erlebt hatte. Kurz nach ihrem Aufbruch am vorhergehenden Tag waren sie auf die Spur von vier grossen Elefanten- bullen gestossen. Maithia folgte ihr lange Zeit mit der Sicherheit eines Spürhundes, bis er unglücklicherweise ein Nashorn sah, das unter einem Baum schlief. Keine Macht der Welt hätte ihn dazu gebracht, an diesem Nas- horn vorbeizugehen; ein langer Umweg kostete viel Zeit, und als sie die Spur endlich wieder aufnehmen 79 konnten, verlor sie sich bald gänzlich im dichten Wald- bestand. Sie überquerten zwei Flussbette und folgten der Spur den ganzen Tag. Bis sie gegen Osten den Grabenrand erreicht hatten, war die Nacht hereinge- brochen. Hier bot sich nun Gelegenheit zur Erbeutung von Chanler’s Riedbock, und wir stiegen den Hügel wieder hinan. Er erhob sich in drei Gipfeln, die gegen einen Krater abfielen. Wir veranstalteten ein Kesseltreiben, indem wir von unsern Leuten das Gras anzünden liessen. Als die Sonne unterging, hatte der Wind den ganzen Krater in ein Flammenmeer verwandelt, das sich huf- eisenförmig nach aussen verbreitete, an den Hängen heraufleckte wie eine Flut und alles in seinem Bereich vernichtete. Allmählich verstummte das Tosen und Knistern, und nur noch der eine Gipfel, der unserm Standort gegenüberlag, war von züngelnden Flammen gekrönt. Auf die wildtosende Feuersbrunst senkte sich die Abendstille mit verdoppelter Feierlichkeit, und die purpurne Nacht verwandelte die verkohlte Fläche in ein Meer von Schatten. Nur widerstrebend verliessen wir die Stätte dieses Schauspiels und stiegen langsam den Hügel hinab. Der folgende Tag würde uns wieder auf dem Rückweg nach Meru finden, unsere Pläne schmählich zunichte. Doch eine Möglichkeit stand uns noch offen: der Wald von Maua war voll von Elefanten, und es stand ausser jedem Zweifel, dass die vier grossen Elefanten sich auf dem Wege dorthin befanden. Die Frage war nur die: sollten wir ohne weitern Zeit- verlust nach Meru zurückkehren, oder sollten wir 80 \laua gleich jetzt unser Glück im Wald von Maua versuchen, dem wir so.nahe gekommen waren? Ein Marsch von sieben Stunden trennte uns noch von der eigentlichen Elefantengegend. Wir konnten uns kaum mit dem Gedanken befreunden, dass wir nun so weit gekommen waren und nichts weiter aufzuwei- sen hatten als ein einziges kleines Kudu. Die Erbeu- tung eines mittelmässigen Elefanten, eines 40- bis so-Pfünders zum Beispiel — die durchlebten zwei Wochen hatten unsere Ansprüche gewaltig zurückge- schraubt —, hätte unsern Abstecher genügend gerecht- fertigt. Wenn es uns zudem gelänge, seine Haut zu bergen, so könnten wir ihn immer noch als vollen Erfolg buchen. Das war entscheidend. Am nächsten Morgen stiegen wir den Grabenrand hinauf und fanden den Weg viel weniger ermüdend als zuvor, denn nun waren wir ge- stählt und trainiert und fühlten uns jeder Anstrengung gewachsen. So beelendend es ist, auf Safari krank zu werden, so gibt es kaum ein Gefühl, das dem Stolz der körperlichen Leistungsfähigkeitgleichkommt, wenn man sich fühlt, als habe man seine Kraft versechsfacht und vermeint, Berge versetzen zu können. Vielleicht liegt gerade darin eine gewisse Gefahr, denn es fällt dann schwer, seine Energie im Zaum zu halten, und leicht mutet man sich zu grosse Anstrengungen zu. Jede Meile, die wir hinter uns legten, trug dazu bei, unsere Hoffnungen steigen zu lassen. Entweder kreuz- ten wir eine frische Elefantenfährte, oder wir begegne- ten Eingeborenen, die etwas über die Elefanten wuss- ten, denn wir befanden uns wieder in bewohntem Ge- biet und folgten einem ausgetretenen Pfad, der von Dorf zu Dorf führte. Die Dörfer waren oft nur ein paar von Gärten umgebene Hütten, kleine Lichtungen, wie Inseln im Wald verstreut. Die Eingeborenen beklagten sich, dass die Elefanten allnächtlich in ihre Shambas* einbrächen und in den Saaten schon solche Verwüstungen angerichtet hätten, dass eine Hungersnot drohe. Was unsere Hoffnungen verdoppelte, war der Bericht, dass die Elefanten ihre gewohnte Vorsicht schon soweit vergässen, dass sie oft lange nach Tagesanbruch in den Lichtungen anzu- treffen seien. Maithia war hier in seiner Heimat, und jedesmal, wenn uns ein Eingeborener begegnete, gab es eine ausgiebige Begrüssung, die sich meist hinauszog, bis der Bekannte weit ausser normaler Hörweite zurück- geblieben war, denn wir konnten nicht ständig anhal- ten. Dabei erhielten wir einen Beweis für das erstaun- liche Gehör der Eingeborenen: Maithia, der an der Spitze marschierte, sprach vor sich hin als rede er mit sich selber, ohne die Stimme zu erheben oder auch nur den Kopf zu wenden, und bald kam die Antwort, für unsere Ohren ein gerade noch hörbarer Laut, für ihn offenbar wohlverständlich. Es wardeutlich zu sehen, er war hier eine bekannte und beliebte Persönlichkeit, und nun, da er den Weissen zur Abwehr gegen die Elefanten brachte, wurde er als Befreier begrüsst. Es kam uns sehr zustatten, dass uns die Eingeborenen willkommen hiessen, denn ohne ihren guten Willen hätten wir unsere Pläne nicht ausführen können. Wir sollten in einem Punkt auf ihre Hilfe angewiesen sein, * Felder, Pflanzungen 82 der vorerst durchaus unwahrscheinlich schien. Zu un- serer Linken wareine Bergkette; rechts von uns senkte sich das Gelände gegen die bewaldete Ebene hin. Wir befanden uns auf einer Stufe dazwischen, einem ziem- lich hügeligen und zerrissenen Plateau, von Hunderten von Rinnen durchzogen, die während der Regenzeit wilde Sturzbäche sein mussten. Die Gegend prangte in einem so saftigen Grün, und die Vegetation gedieh so üppig in einer feuchten Atmosphäre, dass wir an alles andere als an Wassermangel dachten, und doch gab es hier kein Wasser; der nächste Fluss war fast neun Meilen von hier entfernt. Noch unerklärlicher war es uns, dass die Eingeborenen so weitab vom Was- ser lebten. Lieber treiben sie aber ihr Vieh sechs Stun- den weit zum Fluss und wieder zurück, als dass sie ihre Pflanzungen im Stich liessen. Wir waren nun bei der Lieblings-Shamba der Ele- fanten angelangt, deren Besitzer so sehr darauf be- dacht waren, uns bei sich zu behalten, dass sie sich so- gar erboten, unsern Wasservorrat täglich zu erneuern. Im Windschatten eines Hügels fanden wir einen ge- schützten Lagerplatz, doch als wir sahen, dass der Ort eine Tabakpflanzung war, wollten wir gerade eine an- dere Stelle suchen, als der Dorfhäuptling mit einer grossartigen Handbewegung seinen Frauen gebot, sie auszuroden. Man behandelte uns überhaupt wie die Fürsten, und wir erhielten hier, was wir uns schon lange ge- wünscht hatten, nämlich zwei Milchziegen. Noch nie hatte uns frische Milch so herrlich geschmeckt, nach- dem wir drei Monate lang nur Büchsenmilch genossen hatten. Unterdessen stiess der Herold fleissig ins Horn, 83 um die Bevölkerung aufzufordern, den Aufenthalt der Elefanten auszukundschaften. Am nächsten Morgen waren wir schon vor Sonnen- aufgang unterwegs, der abnehmende Mond leuchtete noch über uns, aber bald erhoben sich Nebel aus der Ebene und entzogen den Himmel und die Baumwipfel unseren Blicken. Wir bahnten uns einen Weg zwischen triefenden Büschen hindurch, die uns bis auf die Haut durchnässten. Das kümmerte uns aber wenig, waren wir doch voller Hoffnung, die Elefanten bald zu errei- chen. Die ganze Nacht hindurch hatten wir die Rufe von Eingeborenen gehört, die durch den Lärm die Elefanten aus den Pflanzungen fernzuhalten suchten. Doch mussten wir uns überzeugen, dass die Elefan- ten noch nicht so nahe waren, denn anstatt sich so laut- los wie möglich vorwärts zu bewegen, zogen unsere Führer ihre Erkundigungen von den Eingeborenen der Umgegend ein, indem sie sich mit ihnen auf halbe Kilo- meterlänge im Brüllton unterhielten. VielZeitging auch damit verloren, dass wir auf einen wichtigen Späher warteten, der den genauen Standort der Elefanten wis- sen sollte. Als er endlich kam, wusste er gar nichts, und unsere Leute schalten den Häuptling wütend einen «Mwongo» (Lügner). Endlich nahmen wir die Spur eines anscheinend starken Bullen auf. Es war in der Nähe einiger Bananen- stauden, die er ausgerissen und umhergestreut hatte. Grosse entwurzelte Bäume lagen überall auf seinerSpur, andere waren nur geknickt, als habe er ihnen im Vor- beigehen einen spielerischen Schlag versetzt. Wir konn- ten es kaum fassen, dass er in einer einzigen Nacht ein so gründliches Zerstörungswerk hatte vollbringen können. 84 Kongoni hielt die Spur gut, nachdem er sie einmal gefunden hatte. Sie führte die Pflanzung hinunter bis an deren Rand, den ein offener Hang vom eigentlichen Wald trennte. Hier hätten wir sie infolge eines Gras- feuers beinahe wieder verloren. Der Rauch, der von ihm aufstieg, hatte die Sonne zu einem rotglühenden Ball verdüstert, und als die Spur näher darauf zuführte, strömte ein heisser Aschenregen auf uns nieder. Jetzt sahen wir erst, dass die Spur mitten auf den prasselnden Feuerherd zuhielt. Schon glaubten wir, sie aufgeben zu müssen, als der Wind den Rauch für einen Augenblick verwehte. Es waren zwei Feuerherde und dazwischen eine schmale, noch nicht brennende Öffnung. Wir hol- ten tief Atem und stürzten hindurch, während der Rauch uns einschloss und zu ersticken drohte und die Glut unsere Kleider versengte. Doch wir kamen glücklich auf die andere Seite und konnten die Spur ohne Zeit- verlust wieder aufnehmen. Wir waren nun auf einem starkbegangenen Wechsel, einer richtigen Elefanten- Heerstrasse, die so ausgetreten war, dass wir ihr bis zum Waldrand im Laufschritt folgen konnten. Der plötzliche Unterschied zwischen dem blendenden Sonnenlicht und dem Dämmer des Waldes war so gross, dass wir zuerst wie in nächtlichem Dunkel tapp- ten. Doch als unsere Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sahen wir, dass wir in einem herrli- chen Wald standen, dessen Geäst sich hoch über uns zu einem Dache wölbte. Nur hie und da stahl sich ein Sonnenstrahl hindurch, der einzelne Blätter in leuch- tend durchsichtigem Grün schimmern liess. Der Boden war völlig trocken, vergebens suchten wir nach An- zeichen der Fährte. Wir fanden nur einen Baum, der 85 hoch über uns tiefe Eindrücke zeigte, wo der Elefant seine Stosszähne aufgestützt hatte, um auszuruhen. In diesem kühlen Waldesinnern hätten wir stundenlang verweilen mögen, aber in einem Labyrinth von Schat- ten, ohne hilfreiche Fährte und bei stets wechselndem Wind nach Elefanten zu spüren, war völlig nutzlos. So traten wir, wenn auch ungern, hinaus ins alltägliche Sonnenlicht und gingen den Weg zurück, den wir ge- kommen waren. Neben dem Lager stand ein Baum, von dem aus man die Lichtung bis zum Waldrand herrlich überblickte, und wir verbrachten den Rest des Tages damit, von seinem Geäst aus nach den riesigen blaugrauen Ge- stalten zu spähen. Gegen Abend glaubte ich einmal bestimmt, einen Elefanten zu erkennen und holte den Feldstecher (Oberst L. hatte uns sein Glas geliehen), doch war es nur ein Klumpen abgestorbener Schlingpflanzen, der im Geäst eines Baumes hing. B. hatte das Glas noch darauf gerichtet, als ich weit draussen in der Ebene zwei dunkle Punkte bemerkte. War es möglich, dass dies Elefanten waren? Doch wenige Augenblicke spä- ter erkannte ich durch das Fernglas deutlich zwei der Dickhäuter, die sich dem Waldrand entlang bewegten; ab und zu leuchteten ihre weissen Stosszähne auf. In wenigen Sekunden waren wir unten und ergriffen die Büchse; auf das Zauberwort «Tembo» (Elefant) standen Kongoni, Brahimo und Maithia bereit, und wir rannten den Abhang hinunter. Auf unserm Eil- marsch durch das hohe Gras wurde ein starker Busch- bock vor uns flüchtig, und nach zwanzig Minuten ab- wechselnden Laufens und Gehens krochen wir einen 86 Hügel hinauf, von dessen Höhe wir die Elefanten beob- achten konnterr. ” Wir zählten zehn oder elf Stück, die sich langsam vorwärts bewegten. Sie rissen mit ihren Rüsseln Gras aus, spielten mit den Büscheln und schlugen dabei mit ihren mächtigen Lauschern, offenbar zum Zeitvertreib, bis es genügend dunkel war, um in die Pflanzungen einzudringen. Zuerst glaubten wir nur Kühe vor uns zu haben, dann erschien ein Bulle, doch er war nur klein, und einer seiner Stosszähne war abgebrochen. Kurz darauf tauchte ein zweiter, weit grösserer Bulle auf. Niedergeduckt berieten wir uns, ob wir die jetzt gebotene Gelegenheit nützen oder aber bis zum Tages- anbruch warten sollten, um sie auf ihrem Rückweg zu fassen, wenn sich vielleicht ein noch stärkerer Bulle bieten würde. Es war in erster Linie das rasch schwin- dende Tageslicht, das uns Bedenken machte, denn wäh- rend wir sie noch beobachteten, schienen die massigen Gestalten sich in Schatten aufzulösen und vor unsern Augen zu verschwinden. Doch B. entschloss sich zum Handeln, und wir pürschten uns durch die Senkung. Da hoben sich über uns die riesigen Umrisse eines Bullen gegen den Himmel ab. Ein Hirnschuss war für das schwindende Büchsen- licht zu unsicher; B. pürschte sich näher heran und setzte ihm eine Kugel aufs Blatt. Mir schien, es bedürfe zum mindesten einer Kanonenkugel, um den Koloss zu fällen, und der Schuss tönte so schwach wie der Knall eines Luftgewehrs. Der Elefant warf sich auf der Hinterhand herum, die Herde wurde schnell und ge- räuschlos in der Richtung des Waldes flüchtig, und der Bulle folgte nach. Während er sich umwandte, bot er 87 Gelegenheit zu einer zweiten Kugel, doch leider klemmte sich die Patrone im Magazin, wir verloren Zeit, und als wir ihm endlich nacheilten, war er in der Dämmerung verschwunden. Da standen wir nun ent- täuscht in der schweigenden Lichtung. «Er wird sterben », sagte Kongoni voll Überzeugung, und da ein Elefant mit einer Kugel im Herzen manch- mal dreihundert Meter weit kommt, bevor er zusam- menbricht, stieg unsere Hoffnung. Eine Nachsuche war aber ausgeschlossen, bevor der Tag anbrach, und wenn er schon jetzt verendete, so würde das Abhäuten nach zehnstündigem Warten bedeutend erschwert. Doch leider ergab sich, dass uns seine Haut keine Sorgen machte, denn wir sollten sie nie zu Gesicht be- kommen. Am nächsten Tag fanden wir keine Spur von Schweiss am Anschuss, und auch der Wald gab nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die nun folgenden Tage, an denen wir uns in der Morgendämmerung und bei Einbruch der Nacht auf den Anstand begaben, rieben uns völlig auf. Wir be- kamen Fieber und Erkältungen, und schliesslich wurde uns eines klar: Elefanten hin oder her, wir mussten fort von hier, und zwar so schnell wie möglich. Wir fühlten uns tatsächlich so elend, dass, wäre selbst der grösste Elefant neben dem Lager gestanden, wir auf ihn verzichtet hätten, denn wir hätten nicht mehr die Kraft besessen, seine Haut zu präparieren. Es war nicht das gewöhnliche Fieber, an dem wir litten; niemand konnte etwas essen, und wir alle hatten Brechanfälle. Das Wasser trug die Schuld an unserm Zustand. Um auf dem langen Transport in Kesseln ein Ausschütten zu verhindern, hatten die Eingebore- nen Bananenblätter darüber gedeckt; vielleicht trugen diese nicht-mehr ganz frischen Blätter die Schuld an dem verdorbenen Wasser. Den wahren Grund entdeck- ten wir erst auf dem Rückweg, als wir an den Fluss kamen. Da sahen wir denn, dass das Wasser gerade dem durch das Vieh verunreinigten Tränkplatz ent- nommen war, statt oberhalb desselben. Der eine abgefeuerte Schuss hatte die Elefanten für den Augenblick aus den Shambas verjagt; darüber hinaus war aber der Jagdzug des weissen Mannes nicht gerade ruhmreich gewesen. Er wog dies damit auf, dass er für den Transport seiner Trägerlasten aus dem Distrikt eine fast unberechenbare Zahl von «Centies» versprach. Ein Bote wurde nach Maua vorausgeschickt, um die Maultiere zu holen, die wir mit Ungeduld als Retter in der Not erwarteten. Doch der Pferdeboy brachte nur Grayface und eine Botschaft des Ansiedlers, er habe sich Brownie geborgt und werde ihn uns später zustellen. Drei Tage später, als wir gerade einen Frühstücks- halt machten, hob Grayface, der friedlich gegrast hatte, plötzlich den Kopf und galoppierte den Weg hinunter. Doch diesmal war es nicht einer seiner ver- schrobenen Anfälle, wie wir zuerst vermuteten, denn ungefähr eine Meile weiter fanden wir ihn vergnügt seine Nüstern an denen Brownies reiben. Wir waren ungefähr zwanzig Meilen von Meru entfernt und be- fanden uns auf einem bedenklichen moralischen Tief- stand. Denn wir hatten Zeit genug gehabt, die Unüber- legtheit unseres Abstechers einzusehen, und jede Meile brachte uns dem Augenblick näher, an dem wir dies 89 vor andern eingestehen mussten. Aber in Meru er- warteten uns gute Nachrichten: Die Elefanten waren in den Wald zurückgewechselt. Ja, es hatte ihnen schon jemand einen Besuch abgestattet und einen 70-Pfünder erbeutet. Das war nur die erste Strafe, die wir für den Unglücks-Ausflug nach Maua erleiden mussten. Da in sechs Wochen infolge der Regenschauer die Strassen für schwere Lasten nicht mehr passierbar waren, beschlossen wir, auf der Stelle aufzubrechen. Ohne uns daher in Meru aufzuhalten, machten wir uns sofort auf den Weg nach dem Wald. Unterwegs rasteten wir bei einer Sägemühle, deren Besitzer — einer von ihnen war Berufsjäger — uns bereitwillig über die möglichen Standorte der Elefanten Auskunft gaben. Ein besonders glücklicher Umstand war es auch, dass sie Lastwagen-Transporte machten und versprachen, die Haut des Elefanten noch vor dem Einsetzen der Regenzeit sicher nach Nairobi zu schaffen. Das war eine wesentliche Erleichterung für uns. Die Transport- frage hatte uns weitaus die grösste Sorge gemacht, denn das einzige Transportmittel, mit dem wir bisher gerechnet hatten, war Motis Ochsenkarren (Moti war der indische Bazarbesitzer), ein Gefährt, das sicherlich sehr langsam war, ohne deswegen besonders zuver- lässig zu sein. Am nächsten Morgen befanden wir uns schon früh auf der Suche nach dem Gunga-Kratersee. Unser Führer war ein Ausbund von Dummheit, und der Koch stand ihm nicht nach; der eine verirrte sich, und der andere hatte vergessen, Wasser mitzunehmen. Es wurde Mittag, bevor wir den See fanden. Er ist entzückend gelegen, ein überraschender Anblick, wenn man ihn 909 nach mühseligem Erklimmen der kahlen Hänge zwi- schen den Felsen eingebettet unter sich sieht. Man blickt auf eine durchsichtige Wasserfläche hin- ab, blau wie Türkis, ungebrochen von der stillen Spie- gelung der Bäume, die weit unten zurückgeblieben sind. Die Elefanten kommen hier zur Tränke, und der Ort ist ein idealer Beobachtungsposten. Er liegt ober- halb der Baumgrenze, so dass man von hier aus den Weg des Wildes verfolgen kann, wenn es ins Freie tritt. Wir waren bald wieder unterwegs, doch konnten wir keinerlei Anzeichen von Elefanten bemerken, und als wir bei Sonnenuntergang zurückkehrten, fanden wir, dass unsere Boys alle Zeltpflöcke vollständig zersplit- tert hatten in ihrem Eifer, sie in den harten Lavaboden einzuschlagen. Der Wald konnteuns abermorgengenug neue Pflöcke liefern, ebenso auch eine solide Zelt- stange als Ersatz für die erste, die am Thiba im Gewitter zerbrochen war. Für diese Nacht behalfen wir uns, indem wir die Zeltleinen an Lavablöcken festbanden. Unsere Leute hatten auf dem Marsch am Morgen eine Spur gefunden, und am folgenden Tag ging es zurück in den Wald. Der Ort, den wir als Lagerplatz wählten, war zunächst eine mit wildem Gestrüpp überwucherte Lichtung, doch unsere Leute säuberten den Platz mit soviel Geschick, dass sie bis zum Abend einen unserer hübschesten Lagerplätze daraus gemacht hatten. Man trat gebückt durch einen niedrigen, von Büschen über- dachten Tunnel; richtete man sich auf, so stand man im Lager, das, eine kleine Welt für sich unter einem hohen Blätterdach, von einem mächtigen silbergrauen Baum- 91 stamm beherrscht war. Man konnte ein dutzend Mal auf dem Weg von Meru an der Biegung vorbeigehen, die um die Lichtung führt, und an dem Bach, der dort in einen Teich plätschert, ohne zu ahnen, dass dicht hinter der Blätterwand eine ganze Safari ihr Lager auf- geschlagen hatte. Das grüne Zelt war fast unsichtbar inmitten der Blätter, wir brannten nur kleine Feuer, verhielten uns so still wie Mäuse und blieben beinahe sogut versteckt wie die Elefanten selbst. Es war nun Mitte September geworden, und wir sollten schon bald nach dem Uaso Nyiro unterwegs sein. Diese Überlegung bestimmte uns, die Jagd mit der äussersten Energie aufzunehmen. Gegen Mittag kamen wir zu einem Sumpf inmitten des Waldes, der von einer felsenumsäumten Quelle gespeist wurde. Dann und wann wehte uns ein betäubender Aasgeruch entgegen, und eine halbe Meile weiter stiessen wir auf den verluderten Kadaver eines Elefanten. Seine Rippen ragten über der schwarzen Körperhöhle, und daneben war eine kribbelnde Masse von Maden, von der aus ein zischendes Geräusch mehrere Meter weit hörbar war. Nun besassen wir eine Erklärung dafür, warum wir hier keine frische Spur fanden, denn das genügte, um die Elefanten vom Wald fernzuhalten. Wir drangen weiter durch Gestrüpp und Nesseln vor, kletterten über gestürzte Bäume, und die Schatten begannen schon länger zu werden, doch immer noch hatten wir die Strasse nicht gefunden. Der Führer ging gerade in entgegengesetzter Richtung, davon waren wir überzeugt, und dazu waren wir nicht einmal untereinander einig, wo die Strasse liegen musste. Wir wussten zwar, dass wir sie zu unserer Rechten suchen 92 mussten, aber sie zieht sich in so vielfältigen Windun- gen dahin, dass wir keine Ahnung hatten, unter wel- chem Winkel wir auf sie zuhalten sollten. Es sah schon ganz so aus, als hätten wir uns verirrt, als wir plötzlich einen schmetternden Ton, halb wie Gewieher, halb wie Trompeten, vernahmen, der weit- hin durch den Wald hallte. Das konnte niemand anders gewesen sein als unser treuer Brownie. Indem wir in seiner Richtung vorwärtsstrebten, kamen wir bald auf die Strasse. Doch jetzt waren wir erst recht verwirrt, denn die Strasse lag rechts von uns statt links. Sie beschreibt hier eine grosse Schleife, und unser allzu hastiger Versuch, sie im rechten Winkel zu schneiden, hatte uns so weit nach rechts geführt, dass wir fast pa- rallel mit ihr zurückgegangen waren. Als wir Brownies Gewieher hörten, waren wir gerade im Begriff, auf knapp die Entfernung eines Steinwurfs am Lager vor- beizugehen. Gegen Abend postierten wir uns in der Nähe des kleinen Teiches oberhalb der Strasse, in der Erwartung, dass die Elefanten hier zur Tränke kämen. Die Sonne war untergegangen, und die verschieden- sten Vögel liessen ihren Lockruf erschallen. Dann und wann ertönte das seltsame Krächzen und Geschnatter der Hornraben, dessen synkopischer Rhythmus fast musikalisch ist. Die Buschkrähen riefen sich unter- einander, und ganz in der Nähe gurrten zwei Turtel- tauben. Aus der Ferne tönte das chromatische Decres- cendo eines Buschkuckucks, und das ganze Konzert war begleitet von dem monotonen metallischen «Tink- Tonk» des Kupferschmieds, das klingt, als ob zwei Hämmer auf einen Amboss schlügen. Bald verwischte 93 die fortschreitende Dunkelheit alles Gegenständliche, und wir konnten nur noch die hellen Stämme zweier Bäume vor uns schimmern sehen. Nun herrschte tiefes Schweigen. Auch wir verhielten uns regungslos und lauschten. B. hob die Büchse, doch es war schon zu dunkel, um Korn und Visier zu erkennen, und wir überlegten uns gerade, auf welchem Weg wir ins Lager zurückkehren sollten, als auf der andern Seite des Wassers etwas Weisses aus den Büschen ins Freie glitt. Welches Tier besass eine weisse Brust? Ich suchte die Frage vergebens zu beantworten, als B. mir zu- flüsterte: «Ein Elefant, sieh seine Stosszähne», und sich vorsichtig erhob. Ich bat: «Geh nicht zu nahe hin, es ist ja stockdunkel». Doch B. hatte seinen Entschluss gefasst: «Doch, ganz nahe, das ist die einzige Möglich- keit», und pürschte sich an das Ufer hinunter. Der Elefant, ein dunkler Schatten hinter den gebo- genen Stosszähnen, die wie zweiHalbmonde leuchteten, kam lautlos zum Wasser hinunter und begann seinen Durst zu löschen. Dann drehte er plötzlich um, be- gann die Böschung wieder zu erklimmen und ver- hoffte regungslos. Er, B. und ich und die ganze Welt ringsum waren in angestrengtem Lauschen erstarrt. Doch der Elefant kehrte wieder um und begab sich ganz in das Wasser hinein. Die Mondsichel, die hinter den Wolken er- schien, zeigte, dass er gerade dahin gewandt stand, wo ich B. vermutete. Trotzdem ich auf den Schuss gefasst war und in seiner Erwartung in die Dunkelheit blinzelte, zerriss er die Stille mit erschreckender Heftigkeit. Zwei wei- tere Schüsse folgten in kurzen Zwischenräumen, das 94 Mündungsfeuer blendete wie zwei Blitze, und dann stürzten Kongoni, Brahimo und ich zu B. hinüber. Er stand noch da, wo er gefeuert hatte, keine fünf Meter von der Stelle, wo der Elefant gewesen. Wir lauschten atemlos, hörten den Elefanten den Hang hinauf krachend durch die Büsche flüchten und dann einen dumpfen Ton, wie von einem Fall. Es folgte absolute Stille, bis zu unsern Füssen die Frösche zu quaken begannen, dann leise, und wie in weiter Entfernung ein Brechen von Zweigen. Nun konnten wir nicht länger warten, vorsichtig überquerten wir den Bach und tasteten uns durch die Büsche den Hang hinauf. Ich fühlte etwas Nasses auf meiner Hand, und als ich sie gegen das Mondlicht hielt, sah ich einen dunklen Fleck darauf. Alle Zweige, an die wir streiften, waren klebrig von Blut. Wir war- teten, lauschten mit klopfenden Pulsen, dann schlichen wir wieder ein paar Schritte weiter und kamen schliess- lich bis zu einem der hellen Baumstämme. Kongoni, der zuvorderst ging, hielt an und streckte seinen Arm aus: dort, im Schatten, leuchtete etwas Weisses. Wir näherten uns vorsichtig und konnten die Stosszähne des Elefanten erkennen und dann seine dunkle, massige Gestalt, gegen einen Baum gelehnt. Brahimo trat leise näher und warf einen Ast danach, aber diese Vorsicht war nicht mehr nötig; der Elefant war schon verendet. Nun war es endlich zur Strecke gebracht, das stolze Wild, das wir wachend und in unsern Träumen alle diese Wochen hindurch gejagt hatten. Ungläubig stau- nend standen wir vor ihm und zweifelten, ob wir nicht träumten. Doch er war greifbar vor uns, seine wie 95 ein mächtiger Granitblock gewölbte Stirn, die riesigen, friedlich gegen die Schultern zurückgelegten Lauscher, und um seinen rauhen, noch warmen Rüssel hing ein Duft, der an Brombeeren erinnerte. So verloren und zusammengeschrumpft lehnte er da, dass ich ihn hätte liebkosen mögen, und auch B. war von einer geheimen Reue erfüllt. B. besah ihn mit kritischen Augen und schätzte seine Zähne auf kaum 30 Pfund. Immerhin war es ein aus- gewachsener Elefant, und wenn wir nur seine Haut retteten, so war dies alles, was wir uns wünschen konn- ten. Dazu durften wir aber keinen Augenblick verlieren. Unser Rufen wurde vom Lager aus sofort beantwortet, und einige Minuten später kamen alle Träger mit Sei- len und Laternen herbei, und wir machten uns an die Arbeit. 96 I ar au Im Wald von Meru Wir konnten keine günstigere Zeit für die Erlegung des Elefanten ausgesucht haben als den Einbruch der Nacht. Die Schwierigkeit bestand nämlich nicht nur in der sehr schweren Arbeit des Abbalgens, sondern haupt- sächlich darin, dass dies so rasch wie möglich geschah; wenn man das Konservierungsmittel nicht fast augen- blicklich in die Haut rieb, verdarb sie unweigerlich. Je grösser die Hitze, desto weniger Zeit darf man ver- lieren. Wenn Hitze und Fliegen am ärgsten waren, konnte eine Antilopendecke sogar anfangen zu riechen, bevor sie fertig abgestreift war. Nun aber hatten wir die ganze Nacht vor uns, und da wir der Sonne um eine Marschroute voraus waren, war es ein herrliches Be- ginnen. Die Lage, in der sich der Kadaver befand, war übri- gens denkbar ungünstig. Auf einer Seite an einen Baum gelehnt und auf der andern gegen die Böschung, bot er nur zwei Möglichkeiten: entweder mussten wir ihn ein Stück bergauf schleppen oder aber den Baum fällen, und es schien wirklich, als ob wir ohne Kran und Flaschenzug nicht viel ausrichten könnten. Mit zwei kräftigen Stangen als Hebel und dreissig Mann an den Stricken begann das Seilziehen. Ein rhythmischer Gesang machte uns im Takt arbeiten. Doch, obwohl wir auch unser vereintes Gewicht in die Seile legten 97 und hin und her zerrten, bis der Boden unter uns nach- gab, die tote, unbewegliche Masse zog uns zurück. Sie gab so wenig nach, als wäre sie ein Felsen, den wir vom Berg loszureissen trachteten. Nach vielen Anstrengungen vermochten wir ihn in eine Rückenlage zu bringen, indem wir den Boden abgruben und ihn mit Hilfe von Hebeln wendeten. Dann kletterte B. auf ihn und machte die Einschnitte, eine mühsame Arbeit, da die dicke lederne Decke von der Spitze des Rüssels bis an das Schweifende aufge- schnitten werden musste, und dann auf der Innenseite eines jeden Laufes im rechten Winkel bis zum Haupt- schnitte in der Mitte. Vor allem wollten wir die Haut in einem Stück los- lösen, und dies gelang uns auch, ohne einen überflüs- sigen Schnitt zu machen, obwohl die Vorderläufe schon in kniender Stellung völlig steif geworden waren. Das Abhäuten in so grossem Maßstab erforderte keine besondere Sorgfalt, denn die lederige Haut war so dick, dass man sie kaum durch versehentliche Schnitte beschädigen konnte, und das Licht der Sturm- laternen genügte für die Arbeit. Nur der Rüssel mit seinen zahllosen Muskelansätzen in seiner ganzen Länge und seiner sehr zarten Haut bot grosse Schwierigkei- ten. Auch der Kopf, besonders die Partien des Maules, gaben mühsame Arbeit, und wir mussten die Kiefer mit Keilen auseinandertreiben. Stunde um Stunde zer- rann bei der Arbeit, und langsam löste sich die gerollte Haut von dem riesigen Körper. So eifrig waren wir bei der Arbeit, dass keine Unter- haltung aufkam; nur dann und wann ein kurzer Aus- ruf, ein paar Worte, sonst unterbrach kein Laut die 98 nächtliche Stille als das gleichmässige Abreissen der nachgiebigen Haut unter der Schneide und das Schlei- fen der Messer auf dem Wetzstein. Maua mit seinen Enttäuschungen und Entbehrungen schien nun einer andern Welt anzugehören. Unsere jetzige Arbeit, der wir uns trotz schmerzenden Fingern und steifem Rücken mit wahrem Vergnügen unterzo- gen, im frohen Bewusstsein, unsere Aufgabe gelöst zu haben, war doch etwas anderes als das stets erfolg- lose Pürschen bis zur völligen Erschöpfung von damals. Es mochte gegen fünf Uhr morgens gewesen sein, als wir die Haut endlich abgelöst hatten, denn als wir in das Lager zurückgingen, um noch zwei Stunden Schlaf zu erhaschen, begann der Himmel schon sich über den Bäumen zu verfärben. Lange bevor die Sonne den Meridian erreichte, wurde die Haut im Triumph auf einem Traggeflecht aus Zwei- gen in das Lager gebracht. Man sah es diesen Leuten, die unter der Last daherschwankten und sich vor Be- geisterung heiser schrieen, nicht an, dass sie sich die ganze Nacht hindurch wie Sklaven abgerackert hatten. Wenn die Arbeit getan ist, dann vergisst man leicht, welchen Anteil die Leute daran hatten. Doch hätten sie nicht ihr Bestes hergegeben und nicht bis auf den letzten Mann Hand angelegt, der Koch und unsere persönlichen Boys inbegriffen, wären sie nicht mit dem gleichen Eifer bei der Sache gewesen wie wir selbst, dann wäre die Haut des Elefanten nie nach Europa gekommen. Mit dem Abhäuten war es aber noch lange nicht getan; das war sozusagen nur die Einleitung gewesen. Ausser dem Herauspräparieren der Fussknochen und 99 Knorpel, dem Wenden der Ohren und dem Säubern des Rüssels musste die ganze fast überall zolldicke Haut dünngeschabt werden. Das bedeutete eine zweitägige harte Arbeit für B. und acht geübte Leute. Man hatte uns für das Wenden der Ohren einen nützlichen Wink gegeben. Ihr riesiger Umfang machte es unmöglich, einfach das Innere nach aussen zu kehren, und doch mussten die beiden Oberflächen irgendwie getrennt und von der dazwischenliegenden Knorpel- schicht befreit werden. Statt nun den Rand der Ohren vom Ansatz aus ringsum zu spalten, ist die einfachere Methode die, über die ganze Aussenseite einen kreuz- weisen Schnitt zu ziehen. Man hat dann vom Mittel- punkt des Kreuzes aus vier getrennte Hautlappen, die man bis zu einem Zoll vom äussern Umfang des Ohres zurücklegen kann. Doch wiederum war es der Rüssel, der die gröss- ten Schwierigkeiten bot. Vom Abstreifen abgeschen musste B. sechzehn Stunden darauf verwenden. Jede seiner Runzeln — und deren gibt es einige Hunderte — entspricht einem Muskelwulst, so dass die sonst geübte Methode, das Fleisch glatt von der Hautfläche abzu- schaben, hier versagte. Alle diese kleinen Gruben wären sonst mit Resten des Muskelfleisches ausgefüllt geblie- ben und hätten bald genug Fäulnis hervorgerufen. Das Ausschaben dieser Vertiefungen ist eine wahre Ge- duldsprobe, eine äusserst subtile Arbeit, die man mit der Spitze eines Federmessers und mit der grössten Vorsicht machen muss, denn die Epidermis ist hier so dünn wie Schlangenhaut. Nachdem einmal die ganze Haut präpariert und auf einem Gestell drei Fuss über dem Erdboden aufge- IOoo spannt war, glaubten wir uns ihretwegen weiterer Sor- gen so-ziemlich ledig. Doch so weit war es noch nicht, es kann einer Haut noch vieles zustossen, bis sie endlich im Museum untergebracht ist. Wir mussten täglich mehrere Stunden darauf verwen- den, die ganze Oberfläche genau nachzusehen, hier und dort dünner zu schaben und die Ränder zu strecken. Das Trocknen machte prächtige Fortschritte, doch dann fanden wir die Haut eines Morgens mit Tau getränkt und hätten sie beinahe dadurch verloren. Ein unglück- seliges Versehen trug die Schuld daran: Man hatte uns statt der bestellten Alaun- und Salpetermischung 70 Pfund Arsenikseife geschickt. Dann aber folgte eine längere Periode so schönen Wetters, dass selbst die dickste Haut dabei trocknen konnte. Kalte Nächte folgten auf klare sonnige Tage, an denen ein steter trockener Wind durch den Wald blies, und als die kritischen Tage endlich einmal vor- bei waren, begann die Haut wie durch Zauber zu trock- nen. Der ganze Prozess fesselte uns fast zwei Wochen lang an ein und denselben Platz, aber es gab hier so viel Wild, dass wir auch für zwei Monate genügend zu tun gehabt hätten. Ich wurde dieser Pürschgänge durch den Wald nie- mals müde; selbst wenn man kein Wild antraf, konnte man doch üben, sich geräuschlos unter diesem Blätter- baldachin zu bewegen, zwischen den seltsamen Bäumen hindurch, in deren zerklüfteten Stämmen mit der knorrigen und doch wieder glatten Rinde, die wie mit einer Schicht von geschmolzenem Blei überzogen aus- sah, man sich leicht hätte verbergen können. Es war unendlich reizvoll, sich zwischen den Lianen hindurch- 101 zuwinden, die in armdicken Schlingen von den Ästen hingen und am Boden hinkrochen wie Schlangen. Man war in steter Spannung, denn die Schatten ge- wannen Leben, wo man es am wenigsten vermutete. Wenn man das Unterholz durchstreifte, ohne mehr zu erwarten als die winzige Dikdik-Antilope, konnte man unversehens mitten in eine Büffelherde hineinspazieren. Oder man suchte im Geäst der Bäume nach Colobus- Affen, wenn das Knacken eines Zweiges und ein vorbei- flitzender rostroter Schatten verriet, dass man die un- wiederbringliche Gelegenheit für einen Harveys-Ducker verpasst hatte. Wir unternahmen manchen Pürschgang auf diese scheue Antilope, doch es gelang uns nur, ein einziges Stück zu erbeuten, eine Abnormität, ein ge- hörntes Schmaltier. Auch Buschböcke gab es hier, und wir stiessen immer wieder auf Elefantenspuren. Als uns die Verfolgung eines Buschschweins ein- mal auf eine Lichtung führte, sahen wir an einem gegenüberliegenden Hang eine rote Staubwolke. Als sie sich verzog, stand dort ein Elefant, der ein Staubbad nahm. Er blies den Staub erst hinter das eine, dann hinter das andere Ohr, blieb noch eine Weile stehen, ein Vorderbein wie zum Ausruhen nach vorn gestreckt, und verschwand darauf wieder im Wald. Neben unsern Pürschgängen besuchten wir regel- mässig bei Tagesanbruch den Kadaver des Elefanten; am ersten Morgen sahen wir zwei Leoparden, die den Hang hinauf flüchtig wurden. Das Aas des Elefanten ist einer der besten Köder, ausserdem waren die Nächte jetzt mondhell. Bei einem gut getarnten Ansitz konn- ten wir mit Bestimmtheit damit rechnen, einen Leo- parden zu erlegen, wenn nichts dazwischenkam. 102 Was dann dazwischenkam, war nur geringfügig, aber es genügte-durchaus, um Menschen, Tiere, ja borener — die Boys schworen, dass es keiner unserer Leute gewesen — hatte auf einem Baum ganz in der Nähe ein Bienenvolk ausgeräuchert, um an den Honig zu gelangen, und nun umschwärmte eine Wolke ge- reizter Bienen den Kadaver, um jeden, der sich näherte, zu überfallen. Menschen und Tieren war aus diesem oder jenem Grunde daran gelegen, an den Kadaver heranzukommen, doch die Bienen verteidigten ihn wie eine Festung. So verloren wir eine gute Gelegenheit, und als der Ansitz endlich errichtet war, hatten die Leoparden ent- weder die unliebsame Bekanntschaft der Bienen ge- macht, oder die Verwesung des Kadavers war schon so weit fortgeschritten, dass er sie nicht mehr interes- sierte; jedenfalls liessen sie sich nicht mehr in der Nähe blicken. Er lockte nur noch eine Hyäne, die B. eines Morgens erlegte, ein grosses Exemplar der gemeinen gefleckten Varietät, mit vor Alter abgenutztem Gebiss. Unweit davon trafen wir im Wald auf eine zweite Hyäne. Von einer Kugel getroffen, flüchtete sie in ein Gestrüpp, wo wir sie stellten; fauchend grub sie ihre Fänge in die eigenen Vorderläufe, ein widerwärtiger Anblick. B. er- ledigte sie sogleich mit einem Fangschuss. Im Vergleich zur ersten war sie nur klein, und da auch die Haut der Vorderläufe durch ihre Bisse stark beschädigt war, wollte B. sie liegenlassen; ihr Fell war es nicht wert, dass wir uns ein zweites Mal dem unbeschreiblich ekel- haften Gestank aussetzten. Ich aber hätte es schade 103 gefunden, das Fell zu verlieren, denn wir hatten so lange vergeblich Hyänen zu erlegen versucht, und nun wür- den wir gerade ein Paar haben. Darum bat ich B., mich zurückzulassen, damit ich mich an ihr im Ausbalgen versuchen könne. Es war für mich ein grosser Augen- blick, denn noch nie vorher hatte ich die Hauptschnitte gemacht. Bald war ich so sehr bei der Sache, dass ich mich um den Gestank nicht mehr bekümmerte. Das Messer unter der Haut einzusetzen und die Schneide in einem saubern, glatten Schnitt der ganzen Länge nach zu führen, war bedeutend schwieriger, als es aus- sah, und ich machte alle Fehler eines Anfängers; der Mittelschnitt war ziemlich gezackt, und die Schnitte an der Innenfläche der Läufe trafen sich nicht auf glei- cher Höhe. Ich war noch mitten in der Arbeit, als B. wieder zurückkam; er hatte sich Sorge um mich ge- macht, weil ich unbewaffnet zurückgeblieben war. Ich war enttäuscht, denn ich hatte mich darauf gefreut, die Haut allein abzustreifen und damit einen trium- phierenden Einzug ins Lager zu halten; aber es war vernünftiger so, und während Maithia die angefangene Arbeit vollendete, setzten wir unsern Pürschgang fort. Heute hatten wir Glück; wir waren noch nicht weit gekommen, als B. einen Colobus-Affen schoss. Er sauste aus den sechzig Fuss hohen Ästen herab und fiel mit einem dumpfen Aufschlag gerade zwischen uns zur Erde. Nachdem wir ihn seines schönen Felles ent- ledigt, kehrten wir um, ausgehungert aber zufrieden mit unsern drei neuen Trophäen. Am nächsten Tag vervollständigte B. die Dikdik- Gruppe, und da die Elefantenhaut hart und trocken war wie Wellblech, wurde es Zeit, dass wir weiterkamen. 104 Jeden Abend wurde sie einige Stunden lang zu- sammengelegt;-so dass sie leicht die richtigen Falten annahm, und indem wir sie nochmals mit Hilfe von Seilen und einem Dutzend Boys fest verschnürten, brachten wir die Haut in die Form eines Paketes von 5x6x 2 Fuss. Sie war zu gewaltig, um in einem der Leinwandsäcke Raum zu finden, doch nachdem wir sie in arsenikgetränkten Kattun und in eine äussere Hülle von Sacktuch eingenäht hatten, war sie gesichert gegen Ratten und Insekten und für die lange Reise wohlgeschützt. In frischem Zustand hatte es zwanzig Mann ge- braucht, um sie zu heben; jetzt konnten fünf Mann sie zur Strasse hinuntertragen, und mit einem Seufzer der Erleichterung sahen wir das Lastauto mit ihr hin- ter einer Biegung verschwinden. Abschiedsstimmung lag in der Luft, und das Lager begann schon verlassen auszusehen: die Plattform leer, vor dem Zelt ein fadendünner Rauch, der sich langsam im Geäst verlor, ein Bild, das sich in unsere Erinnerung eingrub. Nie wieder würde es hier sein wie heute. Unter solchen Gedanken beschlossen wir, am folgenden Mor- gen noch einen letzten Pürschgang zu machen. In Meru erwartete uns ein ausgefüllter Tag mit all den Anordnungen für den Transport, den Vorberei- tungen für die Expedition nach dem Uaso-Nyiro, dem Ankauf von weitern Packeseln und Posho sowie mit der Ergänzung unserer eigenen Vorräte. Die zweite Sendung, die Moti schon vor sechs Wochen von Nai- robi hätte bringen sollen, war noch immer nicht da; Moti entschuldigte sich damit, dass die Kisten für Trägerlasten zu schwer gewesen seien, weshalb er sie 105 in Thika zurückgelassen habe. Bis Mitte Oktober hätten wir sie dann gewiss, und so lange reichte unser Vorrat an Büchsenkonserven, wovon wir wenig ge- braucht hatten. Der hilfsbereite Bezirks-Amtmann hatte uns nämlich mit frischem Gemüse und Früchten verschwenderisch versorgt, während wir im Wald von Meru kampierten. Vor uns lag ein weiter Weg, grösstenteils durch Wüstenland, und um sicher zu sein, dass wir- unsere Vorräte auch wirklich erhielten, zahlten wir Moti zwei Trägerlöhne für jede Kiste von Thika aus voraus. Der Bezirks-Amtmann half uns noch bei der Anwerbung von zwölf Trägern. Unsere eigenen Träger aus Nai- robi hielt er für eine zweifelhafte Gesellschaft. Auch wir hatten noch so geurteilt während der Tage am Oberlauf des Tana; doch jetzt hätten wir sie gegen keine andern Träger in ganz Afrika getauscht. Wir beschlossen frühzeitig aufzubrechen und ver- liessen das Lager im Schein unserer Handlaterne. Es war noch stockfinstere Nacht, und eine unmittelbar vor uns flüchtig werdende Büffelherde veranlasste uns, ein Feuer anzuzünden und den Anbruch des Tages abzuwarten. Als sich endlich der Himmel violett verfärbte und die Sterne einer nach dem andern verblichen, brachen wir auf und überquerten die Ebene zwischen dem Wald und den Bergen. Gerade vor uns ragte der Kenya empor, fast durchsichtig schimmernd im Dämmerlicht; seine Schneefelder lagen wie zartrosa Blumenblätter unter dem Gipfel. Im Osten entfachte sich die Glut bald zu leuchtender Flamme, und feurige Strahlen schossen über das Firmament. Noch einmal stiessen wir 106 auf drei Büffel, die ihre Häupter hoben und nach uns äugten, drei dunkle Silhouetten gegen den Himmel, bis sie sich plötzlich herumwarfen und polternd gegen den Wald hin flüchtig wurden. Hinter dem Wald, die Jombeni-Kette zur Rechten und die Hügel von Siolo zur Linken, erstreckte sich die Ebene bis zu Archer’s Post, den Chanler-Fällen, Merty und, weiter über den sichtbaren Horizont hin- aus, zu den Lorian-Sümpfen. Lauter Namen, die unsere Phantasie beschäftigten. Bis jetzt waren es zwar nur Worte, die wir immer wiederholten. Indem wir diese Orientierungspunkte, die uns Kongoni in weiter Ferne zeigte, zu erkennen versuchten, hatten wir uns inner- lich schon vom Meru-Wald losgesagt und marschierten wieder neuen Zielen entgegen. 107 Die Siolo- Ebene An der Strasse nach Siolo befindet sich ein Maji- Chumbe — eine Salzwasserstelle. Inmitten einer aus- gedehnten Öde von braungetrocknetem Gras und ver- dursteten Bäumen leuchtet dieser Fleck saftigen Grüns wie ein herrlicher Smaragd. Das Wasser ist spürbar salzhaltig — Seife schäumt darin nicht — doch wenn man es an der Stelle schöpft, wo es aus der Erde tritt, abkocht und filtriert, dann ist es durchaus geniessbar. Und da es das Wild von weit- her wie ein Magnet anzieht, kampierten wir dort wäh- rend zehn Tagen. Endlich unterwegs nach dem Uaso-Nyiro, hatten wir zwar kein sonderliches Verlangen, uns an der Strasse lange aufzuhalten, anderseits bot sich hier eine Gelegen- heit, die wir nicht vorübergehen lassen durften: wir mussten noch eine Giraffe erbeuten. Wenn wir sie hier erlegten, so konnte sie auf ebenso einfache Weise wie der Elefant mit dem Lastwagen an die Küste gebracht werden. Die Giraffe, besonders die «reficulata», ist ein herr- liches Wild, aber ihre Erlegung ein höchst unwaidmän- nisches Unterfangen; Giraffen sind hier so häufig und so vertraut, dass man leicht mit dem Auto auf Schuss- weite herankommt. So sagte man uns wenigstens in Meru, und es tat uns aufrichtig leid, dass wir eines der schönen Geschöpfe abschiessen mussten. 108 Doch beim Waidwerk lässt sich nichts vorausbe- rechnen, und als-wir zu dem Maji-Chumbe kamen, war weit und breit keine Giraffe zu sehen. Jeden Morgen, wenn wir uns in aller Frühe zu anstrengendem Pürschgang aufmachten, warf derMond noch unsere Schatten auf die Erde, bis er allmählich im Morgenlicht verblich. In dieser Beleuchtung ge- mahnte die weite Ebene von Siolo mit den steinigen, kegelförmigen Hügeln und dem pfeifenden Wind be- reits an die Wüste, und Maithia, der wie ein Araber in seine Decke gehüllt voranschritt, verstärkte noch diesen Eindruck. Doch mit ihrem plötzlichen, blen- denden Aufgang hob die Sonne die Erde aus den freudlosen Nebeln, übergoss sie von neuem mit strah- lender Pracht. So bekamen wir, gerade als die Sonne aufgegangen war, ein Rudel Giraffen zu Gesicht. Sie ästen zwischen einigen Akazienbäumen, und es war nicht schwer, sich ihnen zu nähern. Sie waren durchaus nicht misstrauisch, der Wind blieb günstig, und wir hatten genügend Zeit, in dem Rudel von etwa zwanzig Stück den stärksten Bullen auszulesen. Ein wohlgezielter Schuss mit der 416er Büchse konnte ihn sicherlich zur Strecke bringen; B. nahm den Bullen sorgfältig aufs Korn. Doch nichts erfolgte als ein Staubwölkchen, das vor seinen Hufen aufstob, wo die viel zu kurz gezielte Kugel einschlug. Augenblicklich machte die Herde kehrt und wurde mit dem ihr eigentümlichen, gleichförmigen Passgang flüchtig. Obgleich wir rannten, was unsere Lungen hergaben, um sie in Sehweite zu behalten, waren sie bald zwischen der spärlichen Deckung verschwunden, als ob der Erdboden sie verschlungen habe. 109 Dann folgte eine Art von Versteckspiel zwischen dem Rudel und uns, denn jedes Mal, wenn wir an Boden gewannen, sagte uns ein gedämpfter und rasch sich verlierender Hufschlag, dass sie uns bemerkt hatten. Es war nicht der Wind, der uns immer wieder ver- riet; die Giraffen eräugten uns über die Gipfel der Bäume hinweg, lange bevor wir auf Schussweite heran- kamen. Wir mussten offenes Gelände passieren, dessen niedriges Buschwerk zwar vor anderem Wild als Dek- kung genügt hätte, nicht aber vor diesen lebenden Wachttürmen. Sie waren nun endgültig gewarnt und verliessen sich nicht allein auf ihre vorzüglichen Augen, sondern ver- suchten auch, uns unter den Wind zu bekommen, in- dem sie einen weiten Bogen schlugen. Als B. diese Absicht durchschaute, rannte er vorwärts, um ihnen zuvorzukommen und den Weg abzuschneiden. Bald blieb ich ganz zurück und verlor die Jagd schliesslich aus den Augen. Maithia war mit mir zurückgeblieben; ich schickte ihn voraus, damit er mit der Jagd in Ver- bindung bleibe oder wenigstens beobachte, welche Richtung sie nahm, und warf mich selbst in den Schatten. Maithia war schon einige Zeit gegangen, doch so sehr ich lauschte, kein Ton drang bis zu mir. Ein Warzenschwein trottete dicht neben mir aus dem Ge- büsch und begann in der Asche zu wühlen. Ich sass ruhig da und beobachtete sein Tun, als Maithia auf der Anhöhe erschien und aufgeregt winkte. Icheilte ihm ent- gegen. Er konnte kaum sprechen vor Erregung und war völlig ausserstande, sich über eine Reihe von Schnalz- lauten und wilden Freudenschreien hinaus verständlich 1IOo zu machen. Nur langsam und stückweise konnte ich aus ihm herausbringen, dass B. die Giraffe erlegt hatte. B. war parallel mit der Herde vorwärts gerannt, mehr in der Absicht, sich unter dem Wind zu halten, als sie zu überholen, und es war eigentlich ein noch sehr kleines Giraffenjunges, das die Jagd zu seinen Gunsten entschied. Es konnte nicht mit den übrigen Schritt halten, und der alte Bulle blieb immer wieder zurück, um es zu erwarten und vorwärts zu treiben. B. feuerte, ohne irgendein: Resultat. Er hatte die Ent- fernung schon wieder falsch eingeschätzt, und dazu kam, dass die Giraffen, die so hoch über dem Erdboden standen, viei näher schienen. Erst als B. das 500-Meter- Visier benützte, erreichte die Kugel ihr Ziel. Das Rudel setzte die Flucht fort, das Kalb, so gut es konnte, allein hinterher, denn der Bulle war zusammen- gebrochen. Halbaufgerichtet auf den Vorderknien schwenkte er den langgestreckten Hals hin und her und schlug einige Male so gewaltig mit den Hinter- läufen aus, dass es durch die Luft zischte. Er war am Verenden, doch Kongoni warnte B. davor, zu nahe zu gehen. Man konnte sich kaum denken, dass ein so sanf- tes Geschöpf gefährlich werden könnte, doch die Wucht, mit der es seinen Hals schwenkt, genügt, um tödliche Schläge auszuteilen. Kongoni versicherte, es sei wohl- bekannt, dass eine Giraffe sich auf diese Art verteidige. Trotzdem es das stärkste Stück des Rudels war, zweifelte B. anfänglich, ob es nicht doch ein weibliches Tier sei, da es sich so sehr des Kalbes angenommen hatte. Aber es war ein kapitaler Bulle, ein altes Exem- plar, das in seiner ganzen Höhe etwas über ı8 Fuss (ca. 6 m) mass. III Im Tod verliert der Löwe seine Wildheit, und der Büffel sieht harmlos aus. Selbst der Elefant verliert von seiner Grösse, doch die Giraffe war noch riesiger, als wir sie uns vorgestellt hatten und hatte noch im Tod nichts von ihrer Grazie eingebüsst. Die Jagd hatte in einer baumlosen Ebene ihr Ende gefunden, ungefähr zehn Meilen vom Lager entfernt, und Maithia schickte sogleich nach den Trägern. Die fünf Träger, die wie ich zurückgeblieben waren, holten uns bald ein, und da es hier weder Zweige noch Blätter gab, um unsere Beute vor der Mittagssonne zu schützen, machten wir uns ohne Aufschub daran, die Haut abzulösen. Sie ergab eine gewichtige Last, und der Weg führte durch schwieriges Gelände, so dass wir erst mit Einbruch der Nacht in Sicht der Lager- feuer kamen. Der Speisezettel für den nächsten Abend war: Giraffensuppe Giraffenzunge alles ausgezeichnet Giraffenschwanz Es war nur schade, dass sich das Fleisch nicht für später aufheben liess, denn nachdem wir zwei Tage lang an der Giraffe gearbeitet und ihren Geruch unaus- löschlich in der Nase hatten, empfanden wir einen gewissen Widerwillen davor, des Abends noch davon zu essen. Mit dem Rüssel des Elefanten war es uns ebenso ergangen: er war tagtäglich zum Essen erschie- nen, ein vorzüglicher Ersatz für kalte Zunge, bis B. sich energisch weigerte, immer wieder die beiden Nasenlöcher vor sich auf dem Teller zu haben. Das Präparieren der Giraffenhaut war, wenn auch in kleinerem Maßstab, gerade so schwierig wie das II2 Präparieren der Elefantenhaut, ja, in mancher Hinsicht noch schwieriger. Beim Elefanten wussten wir von vornherein, dass uns eine gewaltige Arbeit bevorstand, man hatte uns ja prophezeit, dass wir sie niemals zu Ende führen könnten, und so waren wir auf unüber- windliche Schwierigkeiten gefasst. Aber niemand schien das Häuten einer Giraffe für besonders schwer zu hal- ten, und wir machten uns daher ziemlich sorglos an die Arbeit. Die Giraffenhaut ist indessen fast ebenso dick und viel zäher als die des Elefanten. Eine Elefan- tenhaut ist grobkörnig und runzlig, und dünngeschabt ist das Netzwerk ihrer Falten fast durchsichtig dünn; die Giraffenhaut bildet ein einheitliches Ganzes, fein- körnig und zäh wie Kautschuk. Keine andere Haut stumpfte die Messer schneller ab, und wir verwandten fast ebensoviel Zeit auf das Schärfen der Schneiden wie zum Schaben. Die Boys, die doch Meister darin waren, die Fussknochen aus den Schalen zu lösen, brauchten dazu einen ganzen Tag. Eine heikle Arbeit war auch das Entfernen der Haut von den Hörnern, heikler noch als das Präparieren des Elefantenrüssels. Es sah ganz leicht aus, bis man sich an die Arbeit machte. Dann zeigte sich erst, dass die Gehörnknochen mit kleinen Erhebungen bedeckt sind, an denen die Haut wie Pergament festklebt. Dazwischen sitzt kein Fleisch, so dass das Messer entweder einen dieser kleinen Knochenhügel trifft oder aber in die Haut schneidet. Während B. an den Hörnern arbeitete, präparierte ich Lippen, Nüstern und Lider, wobei ich manches über die Feinheiten des Muskelgefüges lernte. Dass ich am Kopf arbeiten durfte, bedeutete für mich einen grossen Fortschritt, und als B. am Abend meine 113 Leistung besah und sie als ein sauberes Stück Arbeit erklärte, fühlte ich mich im siebenten Himmel, denn es war mein grösster Ehrgeiz, mich gerade in dieser Arbeit zu bewähren. Überhaupt bezeichnete Maji-Chumbe für mich einen Abschnitt in unserer Reise, denn von nun an war ich ein nützliches Mitglied der Expedition. Wir begannen uns in die Arbeit zu teilen, deren es genug gab, um uns beide voll zu beschäftigen: B. jagte, und ich befasste mich im Lager mit den Trophäen. Nachdem ein Stück Wild erlegt war, brauchte B. sich um nichts weiter zu bekümmern. Sein Anteil an der Arbeit endete mit der Erlegung der Beute, die meine, wenn die Haut zu- gerichtet, getrocknet und verpackt war. War uns in Maua das Glück nicht hold gewesen, so zeigte es sich hier ganz besonders grosszügig, und noch vor Ablauf der zehn Tage unseres Hierseins war unsere Sammlung um ein Dutzend neuer Arten bereichert. Es waren Stücke darunter, die wir später schwerlich wieder treffen würden, wie das Kenya-Hartebeest, von dem nur mehr zwei Rudel in diesem Distrikt existieren sollen. Das Kenya-Hartebeest ist vielleicht eine Kreu- zung zwischen Coke und Lelwel jacksoni oder Neu- manns Hartebeest (Alrelaphus neumanni), und sein eigentlicher Aufenthalt liegt weiter nördlich an den Ufern des Rudolfsees. Sie schienen uns beträchtlich grösser als das gewöhnliche Cokes Hartebeest und auch schöner und leuchtender in Farbe und Zeichnung. B. hatte das seltene Glück, ein schönes Paar zu erbeuten. Es waren lange, ermüdende Tage, und oft war B. dankbar, dass er Brownie für den Rückweg hatte, wenn die Jagd ihn weit in die Steppe hinausführte. 114 Die beiden Maultiere waren mit der Zeit so unzer- trennliche Gefährten geworden, dass, wenn Brownie allein gebraucht wurde, Grayface ein so herzbrechen- des Geschrei ausstiess, dass das Wild im Umkreis einer Meile flüchtig wurde. Und darin erwies sich das Tier so unbelehrbar, und es war so geschickt, sich der Strafe zu entziehen, dass am Ende nichts übrig blieb, als Grayface jeweilen auch mitzunehmen. Wenn er allein zurückblieb, rührte er kein Futter an, er war nur zufrieden, wenn er mit einem Strick um den Hals dem Gefährten nachtraben durfte. Das Sammeln von Kleinwild ist immer sehr müh- sam, und B. freute sich darum besonders, als es ihm gelang, ein Paar der Klippspringer und ein Paar der Chanler’s Riedböcke zu erlegen. Für diese kleinen Antilopen war die 318er Büchse zu grosskalibrig, und ein Weichmantelgeschoss riss am Ausschuss die halbe Flanke weg, wodurch das Fell unbrauchbar wurde. Vollmantelgeschosse waren die einzigbrauchbareMuni- tion dafür. Sie erschwerte anderseits die Nachsuche be- trächtlich (Vollmantelgeschosse hinterlassen selten eine Schweißspur), und die scheuen, kleinen Steeneböcke entzogen sich allen Nachstellungen bis zuletzt, trotz- dem sie hier häufig waren und beständig in Sicht kamen. Immerhin gelang die Erbeutung eines Steenebockes, und bald darauf vermehrte sich unsere Sammlung um Exemplare der Elen-Antilope, Oryx, Grants-Gazelle, des Warzenschweins, weiter um drei Schakale und eine junge Löwin. Die Löwin erlegte B. im Frühansitz über einem ge- rissenen Stück Wild. Bevor sie erschien, versuchten aka nad ein paar Schakaleilasaersisrilänii 115 Es war aber so mit Ästen zugedeckt, dass die Hyänen sich nicht hindurchzwängen konnten, nur die kleinen Schakale schlüpften hinein. Die Hyänen erwarteten sie draussen, und jedesmal, wenn ein Schakal mit seinem Happen erschien, verjagten sie ihn und verschlangen seine Beute. Mochten sich die Hyänen den Schakalen weit überlegen fühlen, so war es doch keinen Moment zweifelhaft, wer hier Herr und Meister war, als die Löwin auftauchte. Trotzdem sie kaum halbwüchsig war, nahmen die Hyänen augenblicklich Reissaus. Bislang war das Wetter für die Konservierung der Häute ausnehmend günstig gewesen; ein stetiger heis- ser Wind trocknete sie aus wie ein Ofen. Doch nun brachte uns jeder Tag der Regenzeit näher. Die Wolken türmten sich täglich höher, es regnete des Nachts, und die Luft blieb den Tag über feucht und drückend. Jede Nacht brachten wir alle Häute im Zelt unter, so dass sie unsere Betten bis unter das Vordach drängten. Die Giraffenhaut machte sich zwar durch einen durch- dringenden Geruch bemerkbar, aber es war kein eigent- licher Fäulnisgeruch, und die Felle schienen sich soweit gut zu halten, bis B. eines Morgens feststellte, dass einer der Schakale zu faulen begann, dann die Grant-Gazelle und bald darauf die junge Löwin. Diese Entdeckung bestürzte uns sehr, denn hatte der Fäulnisprozess einmal begonnen, dann war mit Arsenik- seife nicht mehr zu helfen, und wir betrachteten die be- troffenen Häute schon als verloren. Es gab noch eine Rettung, wenn wir nur das richtige Konservierungs- mittel zur Hand hätten. Glücklicherweise traf am glei- chen Tag eine Sendung von dreissig Pfund aus Meru ein, Es war geradezu ein Genuss, das sauber trock- 116 nende Pulver zu benützen nach der mühsamen Arbeit mit der schmierigen Arsenikseife, die unsere aufge- sprungenen Finger ätzte und die Häute nur unvoll- kommen trocknete. Mit dem frischen Pulver hatten wir bis zum Abend die schon aufgegebenen Häute gerettet. Das Konservierungsmittel, das wir benutzten, schien niemandem bekannt, doch waren einige Leute, die wir trafen, von unsern Erfolgen davon so beeindruckt, dass auch sie es versuchen wollten. Bei günstiger Witterung ist Arsenik zwar völlig ge- nügend, auch hat es den Vorteil, dass es die Häute vor den Angriffen aller Arten Insekten schützt. Die meist- verwendeten Konservierungsmittel sind Alaun oder Salzlauge. Beide haben den Nachteil, dass die mit ihnen behandelte Haut selbst nach Jahren bei Witte- rungswechsel zu schwitzen beginnt, was bei ausge- stopften Stücken ein Reissen der Nähte verursacht. Man soll darum nur gebrannten Alaun verwenden. Das Rezept, das übrigens in einem Buch über 'Taxidermie von Brown, dem frühern Präparator des Museums zu Exeter, zu finden ist, ist einfach: drei Teile gebrannter Alaun, ein Teil Salpeter. Man kannnoch etwasKampher beimengen, doch die Hauptsache ist, dass die Mischung so fein als möglich zerstossen wird. Eines Morgens war ich gerade auf den Knien dabei, die Haut der Löwin mit dem Pulver einzureiben, als Mac, der in Siolo stationiert war und zum Frühstück herüber kam, hinzutrat. «Man sieht, Sie sind noch Neu- ling in diesem Land», bemerkte er, nachdem er mir eine Weile zugesehen, «sonst würden Sie einen Eingebore- nen für sich schwitzen lassen.» Umsonst wollte ich ihm begreiflich machen, dass ich selbst die Arbeit wahr- 117 scheinlich gewissenhafter ausführe als ein Neger; Mac liess sich nicht überzeugen. «Es ist ein Grundsatz», sagte er. «Sie sollten in einem Stuhl sitzen und aufpas- sen, dass ein Boy unter Ihrer Anleitung die Arbeit gründlich besorgt; was die Gründlichkeit betrifft, so sind seine Hände um mindestens die Hälfte härter als die Ihren, also würde er Ihr Pulver sicherlich besser einreiben, als Sie es können. » Ich dachte ziemlich beschämt über Mac’s Worte nach, als er gegangen war, und ihre Berechtigung leuchtete mir so sehr ein, dass ich mich wohl von nun an in den verachteten Stuhl gesetzt hätte, um von da aus meine Di- rektiven zu geben, hätte ich nicht eine fürchterliche Ent- deckung gemacht: dieGiraffenhautbegannzu verderben! Heute sollte sie vom Lastauto abgeholt werden; am vorhergehenden Abend hatten wir versucht, sie zu- sammenzufalten, aber sie war so steif gewesen, dass wir sie kaum biegen konnten. Wir liessen sie deshalb über Nacht im Freien, damit der Tau sie etwas erweiche. Das Wetter war wieder schön, die Haut fertig präpa- riert, und ein bisschen Tau konnte ihr nichts schaden. Zwischen drei und vier Uhr morgens weckte mich ein von der Vorsehung gesandter Schakal mit scharfem andauerndem Bellen, und gleichzeitig drang das mono- tone Trommeln von Regen an mein Ohr. Ich rannte hinaus, um nach der Haut zu sehen, fand sie schon ziemlich durchnässt und versuchte sie unter das Zelt zu ziehen. Doch wie sehr ich auch zerren und reissen mochte, sie rührte sich nicht. In einer Stunde musste B. aufstehen. Er hatte einen aufreibenden Tag hinter sich mit einer langen vergeblichen Pürsche aufChanler’s Riedbock, die er heute fortsetzen wollte,und ich mochte 118 ihn nicht wecken. Ich schleppte so leise wie möglich ein halbes Dutzend Kisten heran, stellte sie rings um die Haut und stahl mich in das Zelt, wo ich die Tren- nungswand losmachte, eine Zeltbahn, die gross genug war, um die ganze Haut zu decken. B. meinte zwar, dass der Regen keinen Schaden an- gerichtet habe, besonders da nun ein Wind einsetzte und der Tag versprach, das Trocknen zu begünstigen. Als ich die Haut aber genauer untersuchte, fand ich, dass nicht nur Teile am Kamm und um die Hufe weich geworden, sondern dass sie in ihrer ganzen Ausdeh- nung am Verderben war. Das Fell hing über den Ge- stellen wie ein phantastischer Teppich; die mahagoni- farbenen Flecken leuchteten seltsam zwischen dem unregelmässigen breiten Streifennetz hervor. Gestern noch gesichert und trocken, liess sich heute das Haar von der Haut wegwischen wie Moos von einer Mauer. Die einzige Möglichkeit, die Haut noch jetzt zu retten, bestand darin, einige Pfund des kostbaren Konservie- rungsmittels zu opfern, einen Teig anzurühren und beide Seiten damit zu bedecken. Es war nun beinahe zehn Uhr morgens, und das Lastauto sollte gegen drei Uhr eintreffen. Jede Sekunde bis dahin musste also damit ausgenützt werden, die Masse über die ganze Ausdehnung der Haut zu verstreichen und beständig an den Stellen zu erneuern, wo sie eintrocknete. Stun- den zerrannen bei dieser Beschäftigung. Ich verdiente es, dass die Sonne mit verzehnfachter Glut auf mich niederbrannte, und dass mich die Arbeit doppelt und dreifach erschöpfte, denn es war alles meine Schuld. B. war dagegen gewesen, dass die Haut dem Tau aus- gesetzt wurde. 119 Während meine Finger ununterbrochen die Masse in die Haut einrieben, hatte ich nur zwei Gedanken: wie sollte ich B. das Missgeschick gestehen, und die Hoff- nung, dass B. vor der Ankunft des Lastwagens zu- rückkam. Doch das Auto kam zuerst, und Mr. Y., der sich schon verspätet hatte, wollte sogleich abfahren. Was sollte ich tun? Das Lastauto kam nicht nochmals zurück, und die Haut in diesem Zustand fortzubringen, hatte keinen Zweck. Endlich kam auch B. Er war müde von langer Jagd, und ich hätte mit meinem Bericht gerne gewartet, bis er Zeit fand, sich ein wenig auszuruhen; doch als ich ihn kommen sah, konnte ich doch nicht anders, als ihm unumwunden gestehen, was geschehen war. Auch B. hatte einen Tag voll vergeblicher Mühe hinter sich; er sagte nur müde: «Je nun», als hätte es eben so sein müssen, und ich hätte vor Scham weinen mögen. Mr. Y., für den eine Giraffenhaut nicht mehr bedeu- tete als irgendein anderes Stück Fell, nahm nun doch soviel Anteil an unserm Kummer, dass er seine Eile, vor Dunkelheit fortzukommen, nicht mehr erwähnte, und wir gingen alle hin, die Haut anzusehen. B. be- klopfte sie, um zu untersuchen, wie weit sie getrock- net war, und fragte dann: «Was soll denn der Haut fehlen? sie ist ja tadellos.» Er hatte nicht gesehen, wie das Haar ausging, und um es ihm zu zeigen, zog ich an einem Büschel. Aber so sehr ich auch zog, ich konnte es nicht ausreissen. So unglaublich es schien, das Konservierungsmittel und der dreimal gesegnete Wind hatten die Haut in diesen wenigen Stunden ge- rettet. 120 Am nördlichen Uaso-Nyiro Wir wollten nun möglichst bald an den Uaso-Nyiro gelangen, so fand uns die aufgehende Sonne schon unterwegs in der Richtung unserer langen, blauen Schatten über die sandige Ebene. In der Ferne zeich- nete sich der Flusslauf durch eine Linie von Palmen ab. Seit vier Monaten hatte uns der Uaso-Nyiro als ein Eldorado vorgeschwebt, und es war ein grosser Au- genblick, als wir endlich durch sein schmutzigbraunes Wasser wateten. Wenn es auch bisher an Wild nicht gefehlt hatte, so waren wir nun in den «Gesegneten Jagdgründen » angelangt, und nach allem, was man uns erzählt hatte, standen uns grosse Dinge bevor. Wild aller Arten, zahlreicher als irgendwo sonst in Afrika, war stets in der Nähe zu finden, sogar die scheuen Büffel hielten sich nahe an den Fluss. Je weiter wir vordrangen, desto klarer erkannten wir den Grund dafür: das Wild hielt sich an die Nach- barschaft des Flusses, weil er durch eine Wüste loss — ein schmales, lebenspendendes Band inmitten einer toten Welt. Die Wüste rückte uns hier nahe auf den Leib. Das linke Flussufer war nur ein schmaler Streifen, begrenzt von einer unregelmässigen Hügelkette. Nördlich dieser Hügel und südlich des Uaso dehnt sich die wasserlose Einöde. Kein Wunder, dass das Wild sich nicht weit da hinein zerstreute. Wir hatten schon so lange keinen 121 Fluss mehr gesehen — unsere Jagdzüge hatten sich vom Maji-Chumbe bis hierher immer nur von Wasser- loch zu Wasserloch bewegt — dass uns nun die stete Nähe des Flusses ein beruhigendes Gefühl der Gebor- genheit gab. Meine Phantasie verfolgte den Lauf des Flusses hin- auf bis zu seiner Quelle unter dem Aequator, wo er aus einer Höhe von mehreren tausend Metern brausend herabstürzt, ein gletschergeborener Bergstrom, und abwärts bis an sein klägliches Ende, wo er, ungespeist von Zuflüssen, schwächer und schwächer wird, bis er irgendwo hinter den Lorian-Sümpfen, von der Wüste überwältigt, versandet. Wir wählten einen Dornbaum mit flacher, schattiger Krone als Lagerplatz und begaben uns dann an das Flussufer hinunter. Das Wasser war lauwarm und schlammig, aber nach dem Sonnenglast der kahlen Ebene war es ein unbeschreiblicher Genuss, im Schat- ten zu liegen und die Wellen vorüberziehen zu sehen, die Augen auf dem sattgrünen Gras ruhen zu lassen oder sie ganz zu schliessen und dem Plätschern der Strömung und dem einschläfernden Wispern der Pal- men über uns zu lauschen. Obgleich wir weite Strecken absuchten, sahen wir auffallend wenig Wild. Die Rinderpest hatte auch hier gewütet, und es schien, als ob selbst die Hyänen die Opfer dieser Plage verschmähten, denn überall fanden wir Kadaver von Vieh, manche schon halb im Sand vergraben, andere unberührt mit der eingeschrumpften Haut über den Knochen, und wieder andere, deren nackte Rippen nach oben starrten, ein trostloser An- blick in dieser sonnenglühenden Öde. 122 Das Vieh gehörte den Boran, einem sehr zutrau- lichen Nomadenstamm. Wir trafen einige ihrer Hirten, als sie die Herden zur Tränke trieben, und da sie auch Esel besassen, vereinbarten wir mit ihnen, dass sie unsere Vorräte an Posho bis Merty mitnahmen; wir ersparten so unsern eigenen Eseln einen doppelten Weg. Für dieses Abkommen mussten wir mit ungefähr zwanzig Häuptlingen eine Sitzung abhalten. Sie hock- ten um ein Feuer und zogen sich drei- oder viermal ausser Hörweite zurück, um’den Fall zu beraten, so dass es Mitternacht wurde, bis eine Einigung zustande kam. Die Poshofrage war damit in befriedigender Weise ge- löst. Nun machten uns nur unsere eigenen Vorräte Sorgen, von denen eine Sendung schon seit einem Monat fällig war. Als letzte Möglichkeit, sie noch zu bekommen, schickten wir Bokari den weiten Weg nach Meru zurück. Noch hatten wir keine Anzeichen von Löwen be- merkt, als an einem Nachmittag ein Träger in grosser Angst ins Lager zurückgelaufen kam und berichtete, er habe, als er zum Fischen an den Fluss gegangen sei, einen Löwen schlafend unter einem Baum angetroffen, und in seiner Eile hatte er beim Davonlaufen sein Messer verloren. Wir begaben uns sogleich zu dem be- sagten Baum, fanden aber weder den Löwen noch das Messer, so dass uns der Bericht des Trägers etwas zwei- felhaft erschien. Trotzdem legten wir einen Köder aus, und als wir uns am folgenden Morgen zwischen Lava- blöcken hindurch der Stelle vorsichtig näherten, über- raschten wir dort eine Rotte Hyänen, aber keinen Löwen. Der Rest des Tages verlief unter einer Reihe erfolg- loser Pürschen auf Oryx, die längste auf einen kapitalen 123 Bullen, der immer wieder hinter dem Rudel durch- wechselte. Sie endigte mit einem Fiasko: B. feuerte, und als er näherkam, um seine Beute zu. besichtigen, lag an Stelle des Bullen eine Kuh. Wir waren nun in der Nähe eines Sumpfes, den Kongoni als einen der besten Jagdgründe für Löwen und Büffel gepriesen hatte, aber obwohl wir die Gegend meilenweit absuchten, fanden wir nichts als einige sehr alte Spuren. Aber es war unsere eigene Schuld, und wir bereuten wieder einmal den verlorenen Monat in Maua. Nun waren wir nicht mehr die ersten am Platz, sondern wir zogen hinter einer Safari her, die nach Marsabit wollte, und die das Wild aus der Gegend vergrämt hatte. Der vergebliche Ansitz im Sumpf bot uns eine kleine Entschädigung dadurch, dass wir eine Herde der zier- lichen Grant-Gazellen auf wenige Schritt Entfernung an der Tränke beobachten konnten. Dreissig bis vierzig Strausse näherten sich ebenfalls. Wenn ihnen auch die Witterung versagt bleibt, so machen sie diesen Mangel mit ihrer Sehschärfe wett, sie eräugten uns auf eine geradezu unglaubliche Entfernung. Als wir sie noch beobachteten, trabte ein Schakal vorbei mit heraus- hängender Zunge und mit im Sonnenlicht zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen. Der Rückweg führte uns an einem andern Sumpf vorbei, der weisslich und lehmig aussah und wie ein Zementsee roch, so dass wir den Plan fassten, das Jagen aufzugeben und eines schönen Tages hierher zu- rückzukommen, um mit seiner Ausbeutung ein Ver- mögen zu machen. Wir begannen nun unsere Tagesmärsche immer lange vor Sonnenaufgang, um so den grössten Teil schon 124 hinter uns zu haben, bevor die Sonnenglut ihren Höhe- punkt erreichte-Nach dem Frühstückshalt teilten wir uns gewöhnlich: B. hielt landeinwärts, um zu jagen, während ich am Fluss entlang marschierte, um den nächsten Lagerplatz zu wählen. Aber wenn wir auch früh aufbrachen, um die kühlen Morgenstunden voll auszunützen, so waren doch die Abende die besten Stunden in der Wüste. Das Morgenrot in all seiner Schönheit bedeutete den Beginn der sengenden Glut eines Tages; der Abend hingegen verhiess Rast und Erholung. Die Erde wurde kühler, die sandigen Flä- chen verwandelten sich in Gold, und die Hügel, die bislang noch in der glühenden Atmosphäre geflimmert, ragten in klaren Umrissen in den Abendhimmel. Die Anstrengung und der Durst versetzten einen den Tag über in eine Art von Betäubung, in eine völlige Stumpfheit, und erst am Abend kehrte die Freude an den Dingen des Lebens zurück. Oberhalb der Chanler’s Fälle stiessen wir auf die ersten Büffelspuren, darunter die von zwei Bullen. B. folgte ihnen neun Stunden lang, bis er die Tiere zu Ge- sicht bekam. Sie hatten an einer Stelle über den Fluss gesetzt, wo er sich in drei Arme teilte. Der dritte Arm war nur wenige Meter breit, doch so tief, dass B. ihn durchschwimmen musste. Die wirbelnde Strömung riss ihn aber sogleich unter die Oberfläche, so dass er einen Augenblick zweifelte, ob er je wieder hochkäme; der schmale Kanal musste vier bis fünf Meter tief ge- wesen sein. Das Jagen in den heissesten Stunden während vieler aufeinanderfolgender Tage und das unfreiwillige Bad trugen wohl die Schuld an einem heftigen Fieberanfall. 125 Während einem oder zwei Tagen musste B. liegen, und da unser Küchenschrank leer war, zog ich mit der Schrotflinte aus, in der Hoffnung, auf Perlhühner zu stossen und zur Abwechslung einmal zu treffen. Ich fand aber keine, dagegen erlegte ich nach langer Pür- sche einen Dikdik, einen guten Bock, worauf ich sehr stolz war, denn er war meine erste Beute; auch würde es nun für B., der keine feste Nahrung zu sich nehmen konnte, eine gute Fleischbrühe geben. Ich legte ihn um meine Schultern (wie der Gemsjäger im Bilder- buch) und machte mich auf den Rückweg. Als ich nach einiger Zeit auf Giraffen stiess — genau an der Stelle, wo ich das Lager vermutete — verlor ich die Orientierung, und wenn ich, einmal am Fluss, mich auch nicht ernstlich verirren konnte, wusste ich doch nicht mehr, ob ich seinem Lauf stromauf- oder strom- abwärts folgen sollte, und eine halbe Stunde lang war ich tatsächlich ratlos. B. freute sich so sehr über den Dikdik, dass ich ihn auf sein Bett legte, und wir betrachteten ihn mit einer Freude, als sei er die Haupttrophäe unserer Expedition. Dabei bemerkten wir erst, dass er abweichend vom Dikdik des Meruwaldes einen Haarkamm zwischen dem Gehörn trug und eine seltsam verlängerte pelzige Nase besass; er stellte darum eine Bereicherung unserer Sammlung dar, wahrscheinlich war es Smith’s Varietät. Der schöne Erfolg mit dem Dikdik hatte mir Mut gemacht, und wiederum machte ich mich mit derBüchse auf, diesmal, um zwei Perlhühner nach Hause zu brin- gen, so dass der Fleischtopf stets gefüllt blieb. Dass es mit unserer Fleischkost zeitweise schlecht bestellt war, daran trug hauptsächlich der Koch die Schuld. Seitdem 126 esihm an Büchsen fehlte, hatte er so sehr allen Unter- nehmungsgeist verloren, dass er sogar an einem Tag, nachdem B. einen Büffel erlegt, behauptete, er könne kein Fleisch auftischen. Dies konnte ich ihm noch ver- zeihen; nicht aber, dass er nun noch B.’s Geburtstags- kuchen zu Kohle verbrannte. Es sollte eine Überra- schung werden, und ich hatte so wenig dabei mit Man- deln, Rosinen und Zitronat gespart, als ob das Kolo- nialwarengeschäft an der nächsten Ecke gewesen wäre. Alles in allem war es ein recht bescheidener Geburts- tag: die Löwen brüllten die ganze Nacht, was B.’s er- zwungene Ruhe doppelt lästig machte, denn natürlich wollte er aufstehen und einen Köder auslegen. Früh am Morgen zog ich wieder aus, um ihm einen Köder zu beschaffen. Ich pürschte erst auf Zebras, dann auf Wasserböcke, aber ohne jeden Erfolg, und kam am Ende eines langen Tages bedrückt nach Hause. Als am Abend alles im Lager still geworden war, liess uns ein plötzliches Grunzen, von donnerndem Huf- schlag gefolgt, auffahren. Ein Nashorn raste mitten durch die Lagerfeuer. Es schwenkte nur einmal herum und steuerte geradewegs auf das Zelt los, doch bog es im letzten Augenblick ab und verschwand krachend in der Dunkelheit. Die Boys behaupteten, die Maultiere hätten uns gerettet, indem sie so heftig nach ihm aus- schlugen, dass sie ihm den Besuch verleideten. Das Fauchen eines Löwen schien auf B. besser zu wirken als die beste Medizin; er schwor, er sei wieder bei Kräften, und es fehle ihm nichts als wieder einmal eine richtige Löwenjagd. Wir brachen vor Tagesanbruch auf und sichteten auch bald einen Löwen, oder wenigstens einen Teil 127 von ihm, als er gerade in einem Dickicht beim Fluss verschwand. Erst suchten wir ihn durch Lärm hochzu- bekommen, dann nahmen wir die Spur nach allen Regeln der Kunst auf. Noch nie hatten wir eine an- strengendere Suche gehabt. Kongoni und Brahimo ent- wickelten einen unermüdlichen Eifer und wirkliches Geschick. Bei bewölktem Himmel wäre es leichter ge- wesen, obwohl die Suche in die Hügel führte und oft über kiesigen Grund, wo es fast unmöglich war, sie auch nur zu erraten. Heute aber herrschte eine drük- kende Gewitterschwüle, und die Sonne war selbst für den Uaso-Nyiro ausnahmsweise heiss. B. war am Ende seiner Kräfte, und auch ich konnte mich gerade noch von einem Stückchen spärlichen Schattens bis zum nächsten schleppen, um dort halb betäubt nach Luft zu schnappen. Doch gerade die Hitze gab uns einen Vorteil, denn der Löwe schien sie noch mehr zu fühlen als wir, er tat sich in immer kürzeren Abständen nieder. Aber da er sich sorgfältig unter dem Wind hielt, bekam er stets rechtzeitig Witterung von seinen Verfolgern und trollte sich. Zweimal bekamen wir ihn zu Gesicht, und das gab uns erneute Energie, denn er war ein riesiges Exemplar mit goldener Mähne. Gegen drei Uhr nach- mittags verwischte sich die Spur völlig. Nachdem wir sie so manche Meile hatten halten können, wollten wir sie nicht ohne einen letzten Versuch aufgeben, und B. schlug vor, in einer Linie nach der Richtung, die der Löwe genommen hatte, vorzurücken. Ich versprach mir wenig Erfolg von diesem Plan und gab zu beden- ken, dass wir später nach eingetretener Dunkelheit un- sern neuen Lagerplatz schwerlich finden würden. B. 128 aber war entschlossen, und ehe wir hundert Meter ge- gangen waren, fanden wir die Fährte wieder, und im nächsten Augenblick sahen wir den Löwen vor uns, B. rannte vorwärts, um ihn im Auge zu behalten, und sobald es die Büsche erlaubten, feuerte er — ein Schuss im Laufen, der sofort mit einem Knurren beantwortet wurde. Die Spur wies Schweiss auf, und bald gab uns ein erneutes Knurren aus tiefer Kehle die Richtung an. Er hatte hinter einem gestürzten Baumstamm so ge- schickt Deckung genommen, dass seine Brust ge- schützt war; wir sahen nur seinen Kopf mit den flach angelegten Lauschern. B. trat dicht heran, um zu feuern. Ich beobachtete jede Bewegung des Löwen und sah, wie er seinen Schweif steif über den Rücken erhob, als wollte er zum Sprung ansetzen. Zwei Schüsse brachten ihn noch nicht zur Strecke, und beim dritten machte er kehrt und nahm nach einigen Fluchten unter einem Busch Dek- kung. Selbst ein weiterer Schuss brachte sein wüten- des Knurren nicht zum Schweigen. «Knurren» ist ein unzulängliches Wort für die Laute, die ein in die Enge getriebener Löwe ausstossen kann. Sie lassen einem das Mark in den Knochen erstarren, und ebenso fehlen mir die Worte, um den verzehrenden Hass auszu- drücken, der in seinen gelben Augen glühte. Er war am Verenden, unfähig, uns anzugreifen, doch die Fel- sen, die ganze Luft vibrierten unter seinem Zorn, und ihn so liegen zu sehen, wie seine Pranken Furchen in den steinharten Boden rissen und das Blut aus seinem Rachen schoss, während seine Fänge zolldicke Äste und Zweige zersplitterten, konnte einen vor Furcht erzittern machen. 129 Wir fanden nachher, dass er diese Äste mit halbzer- schossenem Unterkiefer durchbissen hatte. Es war ein prächtiges Exemplar, und wir stellten fest, dass sein Magen keine Nahrung enthielt; es war also nicht eine ausgiebige Mahlzeit gewesen, die ihn zum Anhalten bewegt hatte, sondern lediglich die grosse Hitze. 130 Die Lorian-Sümpfe Die übergrosse Hitze war ein Vorbote für heftige Gewitter gewesen, die mehrere Tage andauerten. Am folgenden Morgen hörten wir ein unheimliches Rau- schen, das immer näher kam, bis der Fluss in mächtiger Springflut heranrollte. Ein Glück, dass die Ufer hier sehr hoch waren, sonst hätte er unser Lager überflutet. Aber auch so drohte die Situation ernst zu werden, denn die Flut hatte uns am falschen Ufer überrascht. Der Regen erweckte wie durch Zauber eine Welt von Insekten. Ameisen nisteten sich in unsern Kisten ein, und wir mussten für unsere Nachtmahlzeiten auf Licht verzichten, denn die Laternen lockten die flie- genden Ameisen, die Käfer und Heuschrecken in sol- chen Massen an, dass sie unsere Suppe zu einem Brei verdickten, ehe wir Zeit fanden, sie zu essen. Wir töteten drei Skorpione und zwei Tausendfüssler im Zelt. Sancho Pansa erbat sich einen der Skorpione, denn er war gebissen worden und behauptete, dass ein zerstampfter Skorpion auf den Biss gelegt das einzig wirksame Gegenmittel sei. Es half nichts, dass wir bereuten, um einen Monat zu spät in dieses Wildparadies gekommen zu sein. Die lange Regenzeit hatte begonnen, das Wild fand überall Wasser und saftige Äsung, so dass es die Ufer des Flusses verlassen hatte und sich weit umher zerstreut aufhielt. 131 Ein Unglück kommt selten allein. Nun begann auch die Haut des Löwen zu verderben. Den ganzen Tag rackerte ich mich damit ab, sie dünner zu schaben und die Konservierungsmasse darauf zu verstreichen; mit einer Art Flaschenzug hisste ich die an eine Stange ge- bundene Haut an einem Baum hoch, damit sie möglichst frei in der Luft hing; aber die Feuchtigkeit der Luft war so gross, dass alles tropfnass wurde. Mittlerweile nützte B. jede Stunde des Tages mit Jagen aus, denn das Wild wurde immer seltener in der Gegend, und wir begannen daran zu zweifeln, ob wir die noch fehlenden Arten überhaupt noch zusammen- bringen würden. B. erlegte ein Grevy-Zebra, dessen Haut schon vom Regen durchnässt war, als es noch lebte. Ich verbrachte den 'Tag über der Arbeit mit der Zebra- und der Lö- wenhaut und geriet über beide fast in Verzweiflung. Wachend und träumend verfolgte mich die fixe Idee, dass sie mir unter den Händen verderben würden. Doch, erlebte ich einen aufregenden Tag mit den Häuten, so hatte es B. noch schwerer gehabt mit einer Jagd auf Elefanten, von der er erst lange nach Einbruch der Nacht zurückkehrte. Bei einem Wasserloch hatte er eine sehr grosse, noch ganz frische Spur gefunden. Sie führte in einen Waldgürtel, und bald stiess er auf den mächtigen Dickhäuter, der im Schatten hinter einer dichten Wand von Buschwerk stand. Nichts war von ihm sichtbar als der obere Teil seines Hauptes und die kleinen glänzenden Augen. Der Wind war unbestän- dig, und der Elefant hatte schon Verdacht geschöpft. B. konnte beobachten, wie er den Kopf nach allen Seiten wandte — mit einem gewichtigen Schwung, der 132 auf ein Paar stattlicher Stosszähne schliessen liess —, die riesigen-Lauscher ausbreitete und mit erhobenem Rüssel den Wind sorgfältig prüfte. B. meinte nachher, er hätte auf alle Fälle zurück- gehen und sich ihm von einer andern Seite nähern sollen, wo der Wind günstiger und wahrscheinlich auch die Sicht besser war. Er bat mich wiederholt, in meinem Tagebuch besonders hervorzuheben (er selbst hatte nie eines geführt), dass man in solcher Hitze nicht immer ganz zurechnungsfähig sei. Es pas- sierte ihm öfters, dass er, wenn er zwischen zwölf und drei Uhr mittags jagte und dabei irgendeine Entschei- dung traf, er sie später als völlig unzweckmässig er- kennen musste. Der Elefant stand nun im Schatten, und das wech- selnde Spiel der Sonnenflecken auf seiner grauen Haut machte es unmöglich, die Ohröffnung zu erkennen. Mit der kleinen 318er aber gab es nur zwei Möglich- keiten: ein Hirnschuss oder den Elefanten zu verlieren. Das Tier quittierte B.’s Kugel, indem es in die Knie brach und hinter der grünen Blätterwand verschwand. Aber bevor B. zur Stelle war, kam es wieder hoch und wurde flüchtig. Es entfernte sich krachend durch. das Unterholz, das hier so dicht und undurchdringlich war, dass B. und seine Leute sich ihren Weg mit den Buschmessern bahnen mussten. Sie folgten ihm den ganzen Tag, überschritten dabei den Uaso, und erst die untergehende Sonne setzte der Jagd ein Ende. B. hatte die Stosszähne nie zu Gesicht bekommen, aber er war gewiss, dass sie mindestens achtzig Pfund wogen, und dass ihm damit wohl die letzte Gelegenheit zur Erbeutung eines kapitalen Elefantenbullens ent- 133 gangen war. Doch wenn er auch die Spur am nächsten Tag aufgenommen hätte, war die Wahrscheinlichkeit gering, ihn einzuholen, denn bis dahin war der Elefant wohl schon in der Gegend von Kom, ungefähr dreissig bis vierzig Meilen von hier. In der Nacht erwachte ich an einem malmenden Geräusch dicht beim Zelt, ab und zu von einem kurzen Knacken unterbrochen, das beinahe wie Pistolen- schüsse tönte. Augenblicklich wurde mir klar, dass Hyänen sich an unsern 'Trophäen gütlich taten, und ich stürzte hinaus, um sie zu verjagen. Ich befürchtete Schlimmes und sah schon die Gehörne des Gerenuks*) und der Oryx-Antilopen ruiniert, doch die Hyänen hatten sich mit den Zebraknochen begnügt und die wertvolleren Trophäen unberührt gelassen. Das Wetter besserte sich etwas, und es schien, als ob die gefährdeten Häute doch noch zu retten wären. B. freute sich sehr darüber, besonders da er wieder einen Tag voller Fehlschläge hinter sich hatte: ein Gerenuk war in der Dickung verschwunden im Augen- blick, als er auf ihn abdrücken wollte, eine Büffelherde wurde keine zwölf Meter vor ihm im dichten Busch flüchtig, und ein Kleines Kudu stand in einer Lichtung, als gerade Kongoni die Büchse trug. Wir waren nun im Gebiet des Kleinen Kudu, und da das Hochwasser sich wieder verlaufen hatte, schick- ten wir die Safari über den Fluss voraus, indessen wir landeinwärts hielten, um zu jagen. Der Koch sollte uns mit dem Frühstück folgen, verstand aber seine Instruktion falsch, und die Folge war, dass wir ihn, die Maulesel und die Safari verloren und das Lager » Giraffengazelle 134 erst spät am Nachmittag fanden. Der nächste Tag ent- schädigte uns aber dafür und für manchen andern er- folglosen Pürschgang, indem B. einen starken Kudu- bock erlegte. Hier trennten wir uns. Ich sollte sofort mit der Haut das Lager aufsuchen, während B. noch ein weibliches Kudu erlegen wollte. Wiederholt traf ich auf schmale Streifen von Palmenbestand, die ich für das Flussbett hielt, das ich aber erst spät am Nach- mittag erreichte. Der Koch, der die Gegend kannte, hatte behauptet, Merty sei nur eine halbe Stunde von unserm letzten Lager entfernt, und unsere Leute hatten darum die Anweisung, dort das heutige Lager aufzu- schlagen. Er hatte sich aber wiederum geirrt und ver- sicherte jetzt, es seien noch drei Stunden bis Merty. Ein Gewitter hatte jede Spur verwischt, und nun wusste ich nicht, befand sich die Safari vor oder hinter uns. Unterwegs erschlug der Koch mit seinem Stock eine Puffotter; niemand wollte sie anrühren, und so übernahm ich es, sie abzuhäuten. Ich entschied mich dafür, dass die Safari hier noch nicht vorübergekommen sei und ging stromaufwärts durch das dichte Gestrüpp zurück, als uns unvermittelt ein Nashorn annahm. Sehr verzagt und vorsichtig gingen wir weiter fluss- aufwärts. Ohne mir Rechenschaft abzulegen warum, wählte ich unter den vielen Wildwechseln, die nach allen Seiten liefen, einen, der von der ursprünglichen Richtung völlig abwich. Es war eine glückliche Ein- gebung, denn alsbald stand ich B. gegenüber. Hätten wir uns in diesem dichten Dschungel nur um wenige Meter verfehlt, dann wären wir unweigerlich aneinan- der vorbeigelaufen. Auch B. hatte sich verirrt, erriet 135 aber, als er die abgehäutete Schlange fand, dass ich dort vorbeigekommen war. Inzwischen war es Abend geworden, und wir sandten zwei Boys voraus, um die Safari zu suchen. B. hatte, kurz nachdem ich ihn am Morgen verlassen, sein weibliches Kudu erlegt, so dass nun auch Brahimo, mit der frischen Haut beladen, auf der Suche nach dem Lager im Busch umherlief. Die Nacht brach herein, ohne dass wir von der Safari oder von den beiden Boys, die sie suchen gegangen, etwas hörten. Wir machten daher ein Feuer, und der Koch briet etwas Kudufleisch. Die Leute rührten es aber nicht an, da das Kudu nicht nach ihrem Brauch geschächtet war. (Durchschneiden der Gurgel.) Fast die ganze Nacht hindurch regnete es in Strömen, dennoch unterhielten wir ein loderndes Feuer, und nachdem ein Schutzdach für die Kuduhaut hergestellt war, wickelten wir uns in die Decken der Maultiere, und mit den Sätteln als Kopfkissen schliefen wir, so gut es eben ging. Die Safari fand uns bald nach Tages- anbruch. Das Lager war kaum eine Meile von uns ent- fernt gewesen, doch die Dunkelheit und das umher- streifende Nashorn hatten genügt, uns für die Nacht zu trennen. Der arme Brahimo hatte auf einem Baum übernachtet. Seine Kuduhaut war ganz durchweicht, und da der Regen am folgenden Tag nicht aufhörte, konnten wir sie nur trocknen, indem wir sie aufspann- ten, ein Schutzdach darüber bauten und auf jeder Seite ein Feuer unterhielten. Die ständige Überwachung des Trocknens beschäftigte mich bis zum Abend, als B. mit einem erlegten Grevy-Zebra zurückkam, als Ersatz für die von den Hyänen ruinierte Haut. 136 Am folgenden Tag erreichten wir Merty. Unterwegs hätten wir um ein Haar unsern kleinen Hund verloren; sein ständiger Durst und die damit verbundene An- ziehungskraft, die der Fluss auf ihn ausübte, wären ihm fast zum Verhängnis geworden. Er hatte eine Rotte von Meerkatzen umhergejagt und legte sich nun in das seichte Wasser, von dem er gierig lappte. Plötzlich tauchten nicht weit von ihm die Schnauze und die vor- stehenden Augen eines Krokodils auf, das wie ein Torpedo auf ihn zuschoss. Unser Geschrei verscheuchte es, aber es war schon so nahe gewesen, dass es beim Umwenden eine Welle hoch ans Ufer warf. Der Zwi- schenfall war nicht dazu angetan, uns zum Durchwaten des Flusses zu ermuntern, der zudem hier ziemlich reissend war. B. stand mit schussbereiter Büchse Wache, bis alle drüben ankamen; die Ziegen wurden getragen, die abgesattelten Esel schwammen hinüber, und alles wickelte sich ohne Störung ab. Nur die Last, die unsere Trophäen enthielt, wurde nass, und wir mussten den Rest des Tages damit zubringen, sie wieder zu trocknen. Mit einem Seufzer der Erleichterung deponierten wir unsere Sammlung in den K.A.R.*-Stores in Merty, wo sie nun endgültig vor allen Unbilden der Regen- zeit geborgen war. In Merty fanden wir Bokari, der von Meru zurück- gekommen war, ohne aber eine einzige unserer Vor- ratskisten mitzubringen. Wir hatten Moti stark im Verdacht, dass er sie nicht herausgab, um uns dadurch zu zwingen, neue Vorräte von ihm zu kaufen. Aber das konnten wir uns jetzt nicht mehr leisten, selbst * Kings African Rifles 137 wenn wir es gewollt hätten, und es bestand somit keine Aussicht mehr, in den einförmigen Speisezettel von Fleisch und Reis viel Abwechslung zu bringen. Wäre das Fleisch nur frisch gewesen! Meistens aber erinnerte sein Geruch so sehr an verdorbene Felle, dass wir unwillkürlich an Alaun und Salpeter denken mussten; es war zähe und zugleich fast in Verwesung übergegangen, so dass wir uns versucht fühlten, aus- schliesslich von Tee zu leben. Ein heftiges Gewitter verzögerte unsern Abmarsch von Merty. Wir beobachteten die rasch heraufziehende schwarze Wand und fanden gerade, als es losbrach, einen Unterstand. Es wurde beinahe dunkel, nur der herabstürzende Regen leuchtete weiss. Er fiel mit sol- chem Tosen hernieder, dass man sich kaum verständi- gen konnte. Noch nie hatten wir solch sintflutartigen Wolkenbruch erlebt, und während wir aneinanderge- drängt im Eingang der Hütte hockten und hinausblick- ten, sagten wir uns, dass der Ausdruck: «Regen wie in Merty» bei uns von nun an sprichwörtlich sein würde. Mit dem Grabenrand von Merty im Rücken schritten wir jetzt durch eine steinlose Ebene, dienachdem schwe- ren Gewitter mehr den Anblick einer Reihe von Lagu- nen bot. Stunde um Stunde wateten wir durch Schlamm und Wasser, und als wir in der Abenddämmerung unser Lager aufschlugen, trennten uns doch erst wenige Meilen von der breiten Silhouette des Grabenrandes. Wir alle waren todmüde und machten uns nicht einmal die Mühe, Feuer anzuzünden. Es war sehr still im Lager diese Nacht. Denn das war kein gewöhn- licher Schlamm; es gibt kaum ein heimtückischeres Element als diese schwarze Baumwollerde. Nach jedem 138 halben Dutzend Schritten hat man ein solches Gewicht von Erde an den Füssen, dass man sie kaum mehr heben kann. Der klebrige Schlamm ist nur eine obere wasserdichte Schicht, geht man darüber hinweg, so bleibt der trockene Boden an den Schuhen hängen, der nächste Schritt fügt eine weitere Schicht hinzu und so fort, ad infinitum, bis man, am Weitergehen verhindert, stehen bleibt, ihn abkratzt und von neuem beginnt. Es goss die ganze Nacht hindurch, so dass wir am Morgen warten mussten, bis sich das Wasser etwas ver- laufen hatte, statt wie gewöhnlich vor dem Frühstück ein gutes Stück des Tagesmarsches hinter uns zu brin- gen. Und selbst dann war das Gehen so beschwerlich, dass wir schon nach zwei Stunden haltmachten, um zu warten, bis die Sonne den Schlamm auszutrocknen begann. Während wir uns ausruhten, ging B. allein auf die Jagd und erlegte ein Zebra in der Absicht, den Leuten Fleisch zu verschaffen. Und da sie die beiden Kudus verschmäht hatten, weil sie nicht geschächtet gewesen, schnitt er ihm diesmal selbst stilgerecht die Gurgel durch. Aber auch das sollte vergebens sein, denn die Leute weigerten sich wiederum, wenn auch etwas weh- mütig, davon zu essen, weil der Ritus von einem An- hänger des Islam ausgeführt werden muss. Am nächsten Tag bekamen wir vierzig Elefanten zu Gesicht und fanden die frische Spur von acht Löwen, was uns bestimmte, unser Lager hier aufzuschlagen. B. machte sich auf, einen Köder zu erlegen. Die Ele- fanten hielten sich am gegenüberliegenden Flussufer auf, B. beobachtete sie mit Kongoni von einem Baum aus. Da kam Maithia, der auf eigene Faust nach Ele- 139 fanten gespürt hatte, in grosser Aufregung zu mir. Er hatte weiter unten am Wasser mehrere Stück ge- sehen, und ich folgte ihm nun dorthin, denn ich hatte mir schon lange gewünscht, photographische Auf- nahmen von Elefanten zu bekommen. Sie suhlten sich gerade, und ich konnte zuerst nichts weiter erkennen als eine Flanke, die wie eine Insel aus dem Wasser ragte; dann erschienen Haupt und Ohren eines der Tiere, als es sich umdrehte. Wir kamen, von Bäumen gedeckt, bis auf eine sandige Landzunge und hatten von da aus eine unbehinderte Sicht quer über die halbe Breite des Flusses, in dem sich fünf Elefanten völlig vertraut suhlten. Sie griffen mit ihren Rüsseln in die herabhängenden Zweige und liessen sich dann geniesserisch in das Wasser zurücksinken, das über ihren Köpfen zusammenschlug, so dass nur noch die Enden ihrer Stosszähne sichtbar waren. Wie wünschte ich mir da, dass ich nun einen Film- apparat zur Hand hätte! Aber ich hatte nur noch drei Negative übrig, und während ich noch auf einen günstigen Augenblick wartete, um wenigstens diese so gut wie möglich anzubringen, bekamen die Ele- fanten unsere Witterung. Die Rüssel erhoben und die grossen nassen Lauscher ausgebreitet, kamen sie auf uns zu. Dann machten sie kehrt und flüchteten sprit- zend und stampfend gegen das jenseitige Ufer. Wäh- rend sie auf uns zugekommen waren, hatte Maithia mir eindringlich Zeichen gegeben, ich solle zurück- weichen und mich zuletzt sogar am Ärmel weggezogen; aber ich war entschlossen, mir diese einzigartige Ge- legenheit nicht entgehen zu lassen, und watete noch weiter hinaus, um so nahe wie möglich zu kommen. 140 Dass die Tiere Wind von uns bekommen hatten, war sehr ärgerlich, und ich war beschämt, als B. mir sagte, ich habe damit die ganze Herde gründlich ver- grämt. B. hatte sie so lange beobachten wollen, bis er einen starken Bullen vor die Büchse bekam, und nun hatte ich alles verdorben. Dazu hielt B. mir vor, dass es idiotisch war von mir, in einem Fluss herumzuwaten, der voller Krokodile war. Meine gehobene Stimmung über die Aufnahmen, die ich einzigartig glaubte, war dahin. Wäre B. mir wirklich böse gewesen, so hätte ich es noch besser ertragen, aber er tröstete sich bald damit, dass die Aufnahmen vielleicht eher einen dauern- den Gewinn darstellten als ein erlegter Elefant, und jetzt verfolgte mich die ganze Zeit der Gedanke, dass sie am Ende schlecht oder gar nicht herauskommen würden. B. liess den Köder an den Fluss hinunterschaffen, an dessen gegenüberliegendem Ufer er Löwen beob- achtet hatte. Es mochten wohl die gleichen acht Löwen gewesen sein, deren Spuren wir schon gesehen, und da die Geier durch ihre Kreisflige um den Köder seine Lage prächtig bezeichneten, durften wir mit ziemlicher Sicherheit mit ihrer Rückkehr rechnen. Als wir aber am nächsten Morgen vorsichtig die Stelle aufsuchten, war der Köder verschwunden. Die Spur erwies, dass die Räuber zwei Leoparden gewesen waren; wir suchten die Umgebung umsonst nach ihnen ab. Doch wurden wir am gleichen Tag durch einen Buschbock entschädigt, dessen prachtvolles Fell ge- fleckt und auch gestreift war, eine Abart, die Selous als ein Bindeglied zwischen Sylvaticus und Seriptus an- sieht. Wie dem auch sei, das Exemplar besass noch ein 141 weiteres Interesse, indem es die allgemeine Ansicht widerlegte, dass der Buschbock in der Nähe des Lorian nicht vorkomme. Ein überzeugender Beweis dafür, dass er diese völlig steinlose Ebene wirklich bewohnte, war der Zustand seiner Hufe, die mangels genügender Abnutzung in dem weichen Boden um einige Zoll länger waren als gewöhnlich, so dass ihre Spitzen zurückgebogen waren. Der aus seinen Ufern getretene Fluss brachte uns viele Meilen von unserer Richtung ab. Wir hielten uns aber an einen Zebra-Wechsel, der uns viel zielloses Suchen im Sumpf ersparte. Unterwegs kreuzten wir eine frische Löwenfährte, worauf B. sich sogleich daran machte, einen Köder zu beschaffen, aber ohne Erfolg. Wir schlugen das Lager erst nach Einbruch der Dunkelheit auf, und da wir kein Feuer machten, ban- den wir die Esel dicht bei den Zelten der Leute fest und die beiden Maultiere bei unserm eigenen auf bei- den Seiten aufgerollten Zelt. Während der Nacht gab es einen grossen Lärm, die Maultiere schlugen aus und wieherten, und am Morgen fanden wir die deutliche Spur einer Löwin, die um das Zelt gestrichen war. Allem Anschein nach war es dasselbe Tier, dessen Fährte wir am vorhergehenden Tag gekreuzt hatten, und aus der Art und Weise, wie die Spur zwischen und um alle Büsche herumführte, schloss B., dass sie sehr hungrig sein musste. Sie selbst erbrachte den schlagenden Beweis dafür, indem sie, wie sich nachher herausstellte, eine Segeltuch-Badewanne verzehrt hatte. Zuerst schien uns dies etwas unglaublich. Wir dachten, Jim habe vergessen, sie einzupacken und lasse nun seiner Phantasie diesmal etwas zu sehr die Zügel 142 schiessen. Aber er zeigte uns zwei Enden zerkauter Schnur und ein Stück Segeltuch, woran noch der Spei- chel glänzte, so dass wir ihm doch Glauben schenken mussten. Tatsächlich hatten wir erst einige Tage vor- her in alter Löwenlosung zwei kräftige Nägel und ein Stück Sacktuch gefunden. Dass ein Löwe eine ganze Segeltuch-Badewanne ver- zehrte, war ein deutlicher Beweis für die Spärlichkeit des Wildes. Sie wurde immer offensichtlicher, und der Loriansumpf, dem wir in so mühsamen Märschen zu- strebten, würde sicherlich eine grosse Enttäuschung werden. Wir sollten dort unsern grossen Elefanten schiessen, doch hatten wir ja schon festgestellt, dass auch die Elefanten zu wandern begonnen hatten, und unser Marsch nach dem Lorian hatte nur noch den Zweck, die Brücke, die dahinterlag, zu erreichen, um dort den Uaso zu überschreiten. Die Lockung des Wildreichtums war somit verschwunden. - Noch immer hatten wir Grund zur Eile: erstens ging das Posho bedenklich zur Neige, zweitens mussten wir in Merty zurück sein, wenn Capt. D. durch das Wüsten- gebiet nach Garba-Tula zog, damit wir von den Was- serkamelen profitieren konnten, die er mitführte. Auf diese Weise wurde aus unserm Marsch nach dem Lorian eine Art von Rennen, und wenn auch wenig dabei zu gewinnen war, so glaube ich, dass wir eher vor Erschöpfung umgefallen wären, als kehrt zu machen. Die scheuen Gerenuks waren fast das einzige Wild, das wir antrafen. Sie hielten sich zumeist in Paaren, zu dritt oder höchstens zu vieren. Gelingt es, sich ihnen unbemerkt zu nähern, so bieten sie das anmutigste 143 Bild, das man sich denken kann. Sie äsen am liebsten von den jungen Schösslingen der Dornbäume, und um sie zu erlangen, richten sie sich frei auf den Hinterläufen auf, ohne nach Art der Ziegen einen Vorderlauf gegen den Stamm zu stützen. Zierlich halten sie das Gleich- gewicht, während sie sich schlank emporstrecken, und ihre Anmut ist wirklich bezaubernd. Ihre Bewegungen erinnern in mancher Hinsicht an die der Giraffen. Im Lauf strecken sie ihre langen, geraden Hälse nach vorn, mit einem leicht gebogenen Schwung, der ihnen von der Seite eine fast schwanenhafte Silhouette gibt. Es tat uns leid, sie erlegen zu müssen, nur um unsere Vor- räte an Wildbret zu ergänzen, und da unser Jagdpass nur vier Stück erlaubte, würden wir gehörig Abbitte tun müssen, wenn wir das nächste Mal den «Game Warden» besuchten. Aber es war nicht zu ändern; die Leute konnten mit Posho allein nicht das leisten, was von ihnen gefordert wurde, und wir selbst hatten bei unsern knappen Vorräten keine andere Wahl. Der Koch fand nun zwar eine Pflanze, die ein gutes spinatartiges Gemüse lieferte; eine weniger glückliche Hand hatte er mit Pilzen, die uns, obwohl sie wie eine essbare Sorte aussahen und unbeschreiblich gut schmeckten, bedenkliche Magenkrämpfe verursachten. Der folgende Tag verlief sehr unbefriedigend. Wir mussten uns durch ein Wirrsal von Wasserläufen hin- durcharbeiten und ununterbrochen sumpfige Stellen umgehen, so dass wir nur wenig vorwärts kamen, ob- gleich wir von Sonnenaufgang bis -untergang mar- schierten. Es gab nirgends festen Boden in der Nähe des Flus- ses. Es blieb uns nichts übrig, als das Lager im Schlamm 144 Bernhard von Wattenwyl mit einem Kudu J« ımbeni-( sebirge B.v.W. mit der Haut eines Waldschweins berdare-Gebirge inmitten melancholisch quakender Frösche aufzuschla- gen. Wir alle waren erschöpft und niedergeschlagen, weil die Esel nicht nachkamen und B. zwei Grant- Gazellen, die er unterwegs für die Leute geschossen, verloren hatte; die eine kam hoch und flüchtete im Augenblick, als Kongoni sich daran machte, sie zu «chingern» (schächten) und die andere liess Maithia, den wir zurückgelassen, bis die Träger das Tier holten, schmählich im Stich. Er holte uns mit entsetzten Augen ein und berichtete von einem Dutzend Löwen, die in geschlossener Linie gegen ihn vorgerückt seien. Seine Löwen entpuppten sich dann als die Esel, so dass die Leute wenigstens ihr Posho erhielten. Wir befürchteten, dass sich das Gelände gegen den Lorian zu stets verschlimmern würde, doch dies war der schlimmste Marsch gewesen, den wir erleben soll- ten. Am folgender Tag wurde der Boden zu unserer Überraschung trockener, und wir kamen um gute zwanzig Meilen weiter, was uns auf die Höhe des Lorian brachte. Wir befanden uns auf einer monotonen Ebene, die kaum durch einen Busch unterbrochen wurde. Nichts war zu sehen als eine grenzenlose Weite von Gras- und Schlammflächen. Der Lorian selbst unterschied sich nur durch das höhere Gras, Flecken von satterem Grün und durch grosse Flüge weisser Sumpfvögel. Sonst wies nichts darauf hin, dass wir ihn endlich erreicht hatten. Seitdem wir Merty verlassen, beobachteten wir täg- lich Luftspiegelungen: Bäume, die sich in türkisblauen Flächen spiegelten, wo wir wussten, dass es weder Bäume noch Wasser gab. Heute aber erlebten wir noch eine andere Erscheinung: alle Gegenstände zeigten sich 145 in so starker Vergrösserung, dass wir ein Zebra für einen Elefanten hielten. B. gab Feuer auf eine Oryx- Antilope, die so gross schien wie eine Giraffe, und stellte das Visier auf 300 Meter, während sie tatsächlich gegen 1000 Meter entfernt war. Von Elefanten sahen wir nichts als alte Spuren, die, halb mit Wasser gefüllt, wie Granattrichter aussahen. Nun wir glücklich den Lorian erreicht hatten, sollte es unmöglich sein, an das andere Ufer zu gelangen; einige Hirten vom Stamm der Boran, denen wir be- gegneten, brachten uns diese niederschmetternde Nach- richt. Das ganze Land auf der andern Seite sei unter Wasser gesetzt, berichteten sie. Das überstieg unsere schlimmsten Befürchtungen so sehr, dass wir beschlossen, uns durch den Augenschein selbst davon zu überzeugen. Wir folgten der Strasse jenseits der Brücke während einiger Meilen und schlu- gen dann wieder die Richtung nach dem Fluss ein, wobei wir aber den Sumpf in weitem Bogen umgingen. Das kostete uns viel Zeit und manche Wegstunde und erwies sich überdies als ganz überflüssig, denn das Terrain war hier überall viel besser. Wenn auch die Erde so mit Rissen und Spalten durchzogen war, dass wir die Reittiere nicht gebrauchen konnten, so hatten wir doch wieder festen Boden unter den Füssen, und wieder einmal war unsere Tagesleistung zwanzig Meilen. Der Morgen war herrlich klar, beinahe frisch, und das Gras wogte im Wind unter dem hellblauen Him- melszelt. Wir befanden uns auf dem Rückmarsch, der bangen Sorge ledig, wann wir den Lorian erreichen würden, und ob uns die Flut den Weg nicht versperrte. Die Zeit war wieder unser. Stolz auf das, was wir in 146 diesen Tagen geleistet hatten, schritten wir durch den goldenen Morgen mit der siegesgewissen Zuversicht von Welteroberern dahin. ; Eine Baumgruppe in der Ferne schien uns der geeig- nete Ort für unsern Frühstückshalt. Aber so kräftig wir ausschritten, es wurde Mittag, und die Baumgruppe flimmerte und schwankte noch immer in weiter Ferne; sie schien förmlich vor uns zurückzuweichen. Wir fanden eine Erklärung dafür, dass das Wild hier so ausserordentlich scheu war, denn wenn wir hinter uns blickten, schienen unsere Träger mit ihren Lasten wie zwölf Fuss hohe Riesen und die Maultiere wahre Ungeheuer. Als wir endlich bei der Baumgruppe anlangten, waren wir aufs äusserste erschöpft, und wenn auch ihr Schatten willkommen war, so fanden wir hier kein Wasser, wie wir gehofft hatten, und konnten von Glück sagen, dass ein Boran uns mit einem Viertelliter Milch vor wirklichen Durstesqualen be- wahrte. Nach zwei weitern Marschstunden gelangten wir wieder an den Fluss. Noch nie hatten wir dankbarer dem Plätschern fliessenden Wassers gelauscht. 147 Am nördlic hen Lauf des Uaso-Nyiro Mit der Umgehung des Lorian hatten wir das Sumpf- gebiet noch nicht gänzlich hinter uns gelassen; während der folgenden Tage mussten wir beständig weiteSumpf- strecken umwandern. Jedesmal, wenn wir den Weg endgültig frei glaubten, zeigten uns das saftiggrüne Gras und das Quaken der Frösche an, dass wieder Sumpfland vor uns lag. Diesmal errichteten wir das Lager auf dem nackten Schlammboden, in einiger Entfernung von Gras und Büschen, in der Hoffnung, dadurch die Mückenplage zu vermeiden, aber sie fanden uns bald genug und kamen pünktlich bei Sonnenuntergang in dichten Wol- ken angerückt. Ja, sie trieben es so toll, dass die Boys ihnen den Tod unseres Hahns zuschrieben, der in der Nacht einging und der bisher unser zuverlässiger Wecker gewesen war. B. legte einen Köder aus, der aber ausser zahlreichen Geiern und einer Hyäne nichts anzulocken vermochte. Die Hyäne war so ausgehungert, dass wir sie am hell- lichten Tag beobachten konnten, wie sie versuchte, sich dem Aas zu nähern. Wäre es die gestreifte Varietät gewesen, von denen wir zwei noch am Lorian gesehen, so hätte B. sie trotz dem Aberglauben unserer Leute erlegt. Im Grunde waren wir unserm Schicksal dankbar, dass uns nichts mehr in dieser Gegend zurückhielt; 148 nach einem weitern Tag hatten wir das Sumpfland end- gültig hinter uns gelassen. Über unserm nächsten Lagerplatz wogten wieder die Häupter der Dompal- men, der Lieblingsbäume des Elefanten. Es war eine wirkliche Erlösung, denn man kann sich schwerlich eine melancholischere Gegend denken als diese sump- fige Öde, die sich monoton flach bis zum Horizont unter den trüben Wolken dehnt, unbelebt ausser von Reihern und den unsichtbaren, aber mit unerbittlicher Eintönigkeit quakenden Fröschen. Heute und am nächstfolgenden Tag wurden meine medizinischen Kenntnisse auf die Probe gestellt. Un- sere Leute zeigten Symptome, deren Behandlung mir einiges Kopfzerbrechen verursachte. Fieber ist mit einer Messerspitze Chinin schnell beseitigt, und Epsom- salz war mein harmloses Mittel gegen alle Leiden; doch hier versagte beides. Die Leute beklagten sich über Magen- und Kopfschmerzen, ohne aber Dysen- terie- oder Fiebererscheinungen zu zeigen. Die Tiere litten bedenklich unter der Fliegenplage — parasitische Fliegen, gelb und grün gesprenkelt, be- deckten sie in Scharen. Besonders die Maultiere waren so mitgenommen, dass sie sich im Lager zu Boden warfen, bevor man sie abpacken konnte. In der Nacht weckte uns das Geschrei der Leute. Ein Körper streifte dicht an unserm Zelt vorbei, und wir hörten das unverkennbare Fauchen eines Löwen. Bokari kam mit dem Bericht, dass der Löwe eines der Maultiere angegriffen habe. Beim Schein einer rasch angezündeten Laterne fanden wir auch richtig den armen Grayface, dem das Blut von Hals und Kehle strömte. 149 Am Morgen konnten wir erkennen, wie nahe der Löwe unser Zelt gestreift hatte: eine Zeltleine war ihm im Weg gewesen, er hatte sie über das Zeltdach ge- schleudert. Er war glatt über das Feuer gesetzt, doch der Lärm im Lager hatte ihn nicht endgültig vergrämt, denn die Spur zeigte, dass er kurz darauf versucht hatte, in die Zariba der Esel einzudringen. Diese kaltblütige Frechheit war doch etwas stark, und wir beschlossen, ihn zu suchen, bis es Abend würde, wenn es sein müsste. Wir machten uns alsbald auf den Weg in Erwartung eines anstrengenden Tages. Doch noch keine halbe Stunde hatten wir seine Spur aufge- nommen, als wir ihn schon zu Gesicht bekamen, nicht weit hinter einem Stück offenen Geländes, auf dem unsere Esel weideten. Der erste Schuss fällte ihn; B. gab ein zweites Mal Feuer, worauf der Löwe mit unfasslicher Geschwindigkeit hochkam, herumschnellte und uns annahm. Ein dritter Schuss legte ihn im letzten Augenblick um. Es war ein noch junges Exemplar mit prachtvollem Gebiss, so dass wir uns seine Unfähigkeit, Grayface zu überwältigen, zuerst nicht erklären konnten. Wir fanden aber eine Verletzung an seinem Rückgrat, eine alte Speerwunde, die wohl die Ursache für seinen ge- schwächten Zustand war. Er hatte sich nur wenige Meter von den Eseln ent- fernt aufgehalten, keine hundert Meter vom Lager, und wollte wohl den Augenblick abwarten, da einer der Esel ausser Sicht kam. Er war ein so abstossender Geselle, ohne jede Spur von Adel, dass wir diesmal nicht das leiseste Mitleid mit unserm Opfer verspürten. Da er ausserdem so 150 wenig Respekt vor Lagerfeuern und Menschen an den Tag gelegt.hatte, waren wir sehr beruhigt, ihn aus dem Weg geräumt zu wissen. Das nächste Mal hätte seine Wahl leicht auf einen von uns fallen können. Die grausame Wildheit seines Ausdrucks, als er herumschnellte und uns annahm, war entsetzlich. Es dauerte nur eine Sekunde — die Welt um mich ver- sank —, als dieser fauchende Löwe mit geöffnetem Rachen auf uns zustürzte, eine Kraft, für die es kein Zurückhalten mehr gab, und ich hatte nur eben Zeit, darüber zu staunen, dass nicht auch B. von diesem Anblick gelähmt war, sondern kaltblütig die Büchse hob und Feuer gab. Der Magen des Löwen enthielt nichts als Gras, ein überzeugender Beweis für den Mangel an Wild und eine Erklärung für seine Furchtlosigkeit, denn er musste buchstäblich am Verhungern gewesen sein. Be- vor wir seine Haut abstreiften, führte ich Grayface an ihn heran, um ihm zu zeigen, dass er gerächt war. Und merkwürdigerweise scheute das Maultier nicht, wie die Tiere sonst tun, wenn sie einen Löwen wittern, sondern blickte ruhig wie in Betrachtung versunken auf ihn hernieder, bevor er sich abkehrte. Wenn der leere Magen des Löwen auch das Gegen- teil zu beweisen schien, so kehrte das Wild doch all- mählich wieder zum Fluss zurück, und B. erlegte am nächsten Tag einen Wasserbock, eine weibliche Impala und zuletzt noch eine kapitale Grant-Gazelle. Unsere Abhäuter hatten wieder alle Hände voll zu tun, und ich dachte an die schönen Tage am Maji-Chumbe. Mac hatte ganz recht: der Eingeborene beurteilt einen Weissen danach, wieviel Arbeit er andere für sich 151 verrichten lässt. Dennoch waren mir die Häute wich- tiger, und man kann sich auch dadurch Achtung ver- schaffen, dass man seine Arbeit gründlich versteht. Ge- schick beim Abbalgen ist nur eine Frage der Übung, und ich hatte inzwischen gelernt, das Messer mit Sicher- heit zu handhaben. Das Gefühl für die Arbeit sass mir nun sozusagen in den Fingerspitzen. Daneben gab es immer Unterhaltung. Die Leute schwatzten ununter- brochen, so dass ihr Suaheli mir im Verlauf der Zeit verständlicher wurde. Zuerst hatte mir ihre Sprache nur wie ein verworrenes Geschnatter geklungen, aber allmählich konnte ich fast ihre ganze Unterhaltung ver- stehen, besser vielleicht, als sie mir zutrauten. Ja, sie vergassen bald ganz, dass ich mitten unter ihnen war, und sie schnupften, räusperten sich und spuckten in die Weite (ein besonders beliebter Sport), als ob sie ganz unter sich wären. Ihnen zuzuhören bei ihren Diskussionen über irgend- einen Vorfall, über einen andern Träger oder über frü- here Herren, ihrer primitiven unbewussten Poesie zu lauschen, die ihre Bilder stets der greifbaren Umwelt entnahm, ihre Geduld und ihren Fatalismus und beson- ders ihren Sinn für Humor kennenzulernen, alles dies trug viel dazu bei, ihr Wesen zu verstehen. Sie spreizen sich gerne in den Kleidungsstücken des Weissen und ahmen seine Gewohnheiten nach, so dass man leicht in Versuchung gerät, sie vom eigenen und viel zu kom- plizierten Standpunkt aus zu beurteilen. Dabei sind sie aber so unkompliziert, so ganz natürlich, so unglaub- lich einfach und ungekünstelt, dass sie niemals wirklich altern, niemals gänzlich erwachsen sind, sondern immer die gleichen, unverantwortlichen Kinder bleiben. 152 Wir hatten eine Anzahl Häute zu präparieren, so dass wir heute nicht marschieren konnten, und B. machte sich allein auf, um einen Köder zu erlegen. Die Haut des Löwen hatte zu faulen begonnen. Es war mir noch ein Rätsel, wie man in der Regenzeit eine Löwenhaut konserviert. Denn diesmal hatte ich von Anfang an Stunden darauf verwendet und, um der Fäulnis vorzubeugen, alle Stellen im voraus bestrichen, die zuerst angegriffen werden. Während ich noch beim Auftragen der Paste war, kam Grayface keuchend und schnaubend auf mich zu und stiess seine heissen Nüstern an meinen Arm. Ich wusch nochmals seine Wunden aus, gab im Wasser und Salz und etwas Posho, worauf er zu grasen versuchte. Da trat Schaum aus seinem Maul, er strauchelte und legte sich nieder. Aber noch wollte er nicht nachgeben, er stand noch einmal auf, doch nur, um wieder zu stürzen, und nach wenigen Sekunden wurde er steif, und seine Augen verglasten. Während ich noch auf den so armselig kleinen Kör- per zu meinen Füssen blickte, kam Brownie heran, um nach seinem Gefährten zu schauen. Als er sah, was geschehen, blickte er nachdenklich zu ihm hinab. Ich sprach mit ihm, doch er schien mich weder zu sehen noch zu hören; er senkte den Kopf, beschnupperte den toten Kameraden, machte dann langsam und be- dächtig kehrt und entfernte sich wieder. Nie mehr rief er von da ab nach Grayface, wie es sonst seine Gewohnheit gewesen. Gegen Abend hatte B. einen Köder erlegt, und wir wanderten miteinander zurück. Die Palmen zu unserer Linken zeichneten sich kohlschwarz vom roten Abend- 153 himmel ab, während rechts von uns der Vollmond, noch blassgrün wie ein Stück Eis, über der Steppe hing. Kein Laut war hörbar, ausser dem Gurren der Tauben. So gewiss ein bestimmter Duft oder ein Laut in uns die Erinnerung an irgendeinen Ort mit plötzlicher Wehmut auslöst, so gewiss würde uns von nun an das Gurren von Tauben immer wieder an die Ufer des Uaso versetzen. Durch das Tagesgrauen und durch das silberblaue Morgenlicht, durch die glutheisse Stille des Mittags bis hinein in die erlösende Kühle der violetten Nacht ertönte ihr immerwährendes Gurren. Manchmal schien uns ein leiser Spott darin zu klingen, denn ihr immer und immer wiederholtes «Muguu, Muguu guu» klingt fast genau wie «Mguu», das Sua- heliwort für «Spur». Und was taten wir anderes, als Spuren entziffern, Spuren folgen und gar oft wieder verlieren ? Beständig sahen wir neue Arten von Vögeln, deren Namen wir leider nicht kannten, und dann und wann lag eine hell- und dunkelblau gezeichnete Feder, schim- mernd wie ein Edelstein, auf unserm Pfad. Die Vogelwelt war hier so reich, dass wir uns an ihre farbige Pracht gewöhnten. Die bunten Weber, die sich in ihren geflochtenen Nestkolonien tummelten, die Buschkuckucke, die bei ihren chromatischen Duetten immer wieder aus dem Takt fielen wie zwei mutwillig trabende Pferdchen, die Würger, die eine Note pfiffen, dann ihre Oktav (nur um ein weniges zu hoch) und dann die erste Note wiederholten, die Lerchen, die sich mit schwirrendem Flügelschlag in die Höhe schwangen, die Stare mit ihrem Metallglanz wie grüne Käfer, und andere Vögel mit flammenden Brustfedern, die Eisvögel 154 und Schwalben. Am vertrautesten aber war uns der Ruf des Perl- und Rebwildes in der Dämmerung. Die acht Löwen und die vierzig Elefanten hatten an- scheinend nicht auf uns gewartet; so gingen wir wieder über den Fluss zurück. Wir fanden eine Furt, an der uns das Wasser nur bis zum Gürtel reichte. Der Fluss war in fünf Tagen um ebenso viele Fuss gefallen. Wir marschierten eine knappe Stunde, als wir auf Elefanten stiessen. Es befand sich keiner darunter, den zu erlegen es sich verlohnt hätte, der Leitbulle hatte einen ab- gebrochenen Stosszahn. Die langersehnte Gelegenheit für meine Kamera war da! Beim Anpürschen gelangten wir unmittelbar hinter eine Kuh, doch im dichten Unterholz war es unmöglich, sich ihr von der Seite zu nähern. Wir warteten eine Weile, aber als sie sich nicht rührte, krochen wir zurück, um ihr von einer andern Seite beizukommen. Dies brachte uns zu einer kleinen Lich- tung, auf der eine zweite Kuh stand. Imgleichen Augen- blick trat ein Kalb ins Freie; es war noch so klein, dass man es beinahe hätte auf den Arm nehmen können. Es war überaus reizend, zuzusehen, wie es bedächtig auf uns zukam, mit den Ohren klappte und mit dem kleinen Rüssel sorgfältig den Boden untersuchte, mit komisch selbständigem Gebaren, wie die Miniatur- Ausgabe eines erwachsenen Elefanten. Einen gestürz- ten Baumstamm, der in seinem Weg lag, betrachtete es eine Weile, dann hob es einen nach dem andern seiner Läufe, die voll Lehm waren, und putzte sie fein säuberlich ab. So sehr nahm uns der Anblick gefangen, dass es uns gar nicht in den Sinn kam, die Kamera zu gebrau- 155 chen, bis der Kleine wieder ausser Sicht zwischen den Bäumen verschwunden war. Aber wir kamen nicht dazu, uns über diese Unterlassung zu grämen, denn im gleichen Augenblick teilten sich die Büsche, und der Bulle erschien. B. hatte die Büchse schussge- recht und sagte mir ins Ohr: «Reiss aus, wenn ich rufe». Der Elefant verhoffte; er witterte Gefahr, aber er schien über die Richtung unschlüssig. Plötzlich besann er sich und kam den Pfad entlang, geradewegs auf uns zu, die Ohren weit ausgebreitet. Ich hatte nur noch ein Negativ übrig, und kurz entschlossen stellte ich die Entfernung auf zehn Meter ein und nahm mir vor, auszuharren, bis das majestätische Tier, das wie ein Schiff unter vollen Segeln auf uns zusteuerte, das Blick- feld ausfüllte. Als B. mir das verabredete Zeichen gab, machte ich kehrt, lief so schnell ich konnte zwischen Baumstäm- men und Büschen hindurch und schloss die Kamera im Laufen, Brahimo folgte dicht hinter mir im gleichen Tempo, und so sah ich keinen Grund, anzuhalten, bis ein weiterer Zuruf B.’s mich stoppte. Für B. hatte sich der Vorgang nicht ohne Komik abgespielt: Als der Elefant die Stelle erreicht hatte, an der wir vorher gestanden, bekam er plötzlich unsere Witterung in seinen schwingenden Rüssel. Augen- blicklich wurde er flüchtig, und während ich nach links ausriss, schlug er sich nach rechts in die Büsche; eine halbe Minute später suchte die ganze Herde pras- selnd und trompetend das Weite. In der Annahme, dass die flüchtige Herde nun alles übrige Wild vergrämt habe, beschlossen wir, unsere Tätigkeit wieder dem andern Flussufer zuzuwenden. 156 Als wir am Rand des Wassers standen, bemerkten wir in einiger Entfernung ein Krokodil; wir warteten in der Hoffnung, dass es sich auf Schussweite nähern würde. Wohl hatten wir schon viele Krokodile gesehen, aber bis jetzt waren sie noch immer zu schlau gewesen. Bald erschien es wieder an der Oberfläche, und zwar so nahe, dass seine Absicht, uns näher in Augenschein zu nehmen, offenbar war. Einen Augenblick später tauchte aus einem Wirbel gerade zu unsern Füssen seine schleimig-grüne Schnauze auf. B. feuerte aus nächster Nähe, und das Untier schnellte senkrecht in die Luft, wie von einer Mine hochgeschleudert, fiel aufklatschend ins Wasser zurück und sank dann wie ein Stein. Einer seiner kurzen Läufe ragte noch über die Oberfläche, daran banden wir einen Strick. In diesem Augenblick kamen unsere Leute heran, und bald hatten wir den Burschen auf dem Trockenen. Doch obgleich die Kugel tief in seinen Schädel ein- gedrungen war, wand es sich noch und warf sich mit nicht zu bändigender Gewalt hin und her; ein Schlag seines mächtigen, hornbewehrten Schweifes hätte leicht einem Unvorsichtigen das Schienbein zu brechen ver- mocht. Wir wollten es so schnell wie möglich abhäuten, um alsdann unsern Marsch fortzusetzen. Aber als es nach Ablauf einer Stunde noch nicht möglich war, ihm nahezukommen, warfen wir eine Schlinge über seinen Kopf und zogen es an einem Ast in die Höhe. Kaum hing das Untier mit seinem ganzen Gewicht in der Luft, als der Strick riss. Dreissig Neger fielen auf den Rücken, während am andern Ende das Krokodil auf die Erde krachte. 157 Alle betrachteten die Sache als einen Riesenspass, stürzten sich in corpore auf das Krokodil und hielten es durch ihr Gewicht nieder, während B. die nötigen Schnitte anbrachte. Das Loslösen der Kopfhaut nahm den ganzen Tag in Anspruch. Die Haut ist mit der Schädeldecke fest verwachsen; es war eine wahre Steinmetzarbeit, sie von ihr zu trennen. Um jeden einzelnen Zahn des rechenartigen Gebisses musste ebenfalls ein Schnitt gelegt werden. Wir brauchten Arsenikseife in grossen Mengen, denn es ging ein Gestank von dem zwölf Fuss langen Kadaver aus, der alle unsere bisherigen Erfahrungen übertraf. Für den Uaso besass das Krokodil eine ganz respektable Grösse. Wir bezweifelten nicht, dass das Krokodil es auf einen von uns abgesehen hatte. Es stimmte nachdenk- lich, sich vorzustellen, wie gering die Aussicht war, einem so blitzschnellen und zielbewussten Angriff zu entgehen. Ebenso klar war es, dass es nur der grim- mige Hunger so kühn gemacht hatte, denn in seinem Magen fanden wir keine Spur von Nahrungsresten, dafür aber siebzehn blanke Kieselsteine. Es war eine so unheimliche Begegnung gewesen, dass es uns beide noch lange kalt überlief, und wir beschlossen, von einer Überquerung des Uaso abzusehen, solange wir darin noch solche ausgehungerte Saurier antreffen konnten, denen die weissen Kiesel im Magen klapperten. Als wir das Ende des nächsten Marsches erreicht hatten, erhob sich der Grabenrand gerade wieder über dem Horizont, und wir lagerten an diesem Abend nur wenige Stunden von Merty entfernt. 158 Die fortgeschrittene Jahreszeit hatte inzwischen eine fast unglaubliche Veränderung der Bodenbeschaffen- heit mit sich gebracht, wir konnten in wenigen Stunden eine Strecke zurücklegen, für die wir noch vor eini- gen Wochen mehrere Tage gebraucht hatten. Wir brannten darauf, den Grabenabsturz aus der Nähe kennenzulernen, eine eigentümliche Felsenmauer von ungefähr hundert Metern Höhe, mit einer Reihe von Vorsprüngen wie Bastionen und oben flach wie das Dach eines Forts. Er besteht aus schwarzen, glatten Blöcken, so steil aufgetürmt, dass man aus einiger Ent- fernung kaum begreift, dass sie nicht alle herabrollen. Das Plateau selbst ist kahl und erstreckt sich viele Meilen ins Innere. Man sagt, es werde gelegentlich von Elefanten und Büffeln durchzogen. Wir bekamen aber kein Wild zu Gesicht, denn die Sonne war schon im Sinken; doch unser Auge schweifte von dieser Felsbastion über einen Horizont, unendlich wie das Meer, und durch das Land, das wie eine Landkarte zu unsern Füssen ausgebreitet lag, schlängelte sich der Uaso in die Ferne. Über alles senkten sich langsam die weichen Flügel der Nacht. 159 Am Unterlauf des Tana Der Wegnach Garba-Tula sollte eine richtige Wüsten- route sein und die einzige Wasserstelle der dortige Brunnen. Wir stellten uns demgemäss eine sandige Öde unter einem ehernen Himmel vor; statt dessen mussten wir den grössten Teil dieser sechzig Meilen knöcheltief durch Wasser waten, die Wüste war grün und blumen- übersät wie ein Garten, und Garba-Tula mit seinen Strohdächern, die sich um eine Wiese gruppierten, so ländlich wie ein Bauernhof im Herzen Englands. Die Wasser-Kamele nahmen sich in dieser Umgebung höchst grotesk aus; es gibt kein Geschöpf, das durch Regen so ganz aus der Fassung gebracht wird wie das Kamel. Ihre kläglichen Versuche, auf dem schlüpfrigen Boden vorwärts zu kommen, boten einen jämmerlichen Anblick ; die langen Beine glitten hilflos nach allen Rich- tungen, jedes für sich, wie ebensoviele schlecht be- festigte Stelzen. Wir hatten gehofft, sie als Reittiere zu benutzen, doch die Boran-Kamele sind nicht zugeritten und sollen überhaupt so unzähmbar sein, dass sie jeden, der es doch versucht, sie zu reiten, mit den Zähnen von ihrem Höcker herunterreissen oder mit ihm auf Nimmerwiedersehen durchbrennen. Ich hätte gerne die Wahrheit dieser wilden Gerüchte auf die Probe gestellt, nicht nur, weil ein Kamelritt mir schon lange als Hauptreiz dieses Treks vorgeschwebt hatte, sondern 160 gleichen Augenblick teilten sich die Büsche, und der Bulle erschien (S. 156) B.v.W. mit Bongoköpfen Te a ee A: weil jetzt auch eine Frage akut wurde, die ich schon lange erwartet hatte: B. bestand darauf, dass ich Brow- nie, jetzt unser einziges Reittier, benützen sollte. Glück- licherweise konnten wir aber ein zweites Maultier auf- treiben, gerade als wir im Begriff waren, Merty zu ver- lassen. Wir marschierten meist bei Nacht, so dass wir wenig Wild zu Gesicht bekamen. Dennoch bereicherten wir unsere Sammlung um ein wertvolles Stück. B. rettete es gerade noch davor, in unser Feuer zu laufen und fand bei näherem Zusehen, dass es eine der seltenen Nacktratten war. Sie hatte ungefähr die Grösse einer Maus, war vollständig unbehaart und besass nur rudi- mentär entwickelte Augen und Ohren, dafür aber vier sehr lange Zähne, die ihr das Aussehen eines klei- nen Walrosses gaben. Ein paar Tage später fanden wir drei weitere Nacktratten. Weil sie sich mit Posho füttern liessen und überhaupt gut mit uns auskamen, aber auch, weil wir nur noch eine Spiritusflasche übrig hatten, liessen wir sie am Leben. In Garba-Tula gab es einen indischenKramladen, zur grossen Freude unserer Leute, die allsogleich Vorschuss verlangten; aber auch wir stöberten eifrig darin nach Konserven. Die Büchsen waren für uns ihr Gewicht in Gold wert, und augenscheinlich auch für den Babu, der sie uns verkaufte. Wir feilschten um ein Dutzend Büchsen und etwas Mehl und Zucker wie etwa Anti- quitätenhändler um kostbares altes Zinngeschirr. Die Aufschriften dieser Büchsen, «Pfirsiche», «Petits pois», «Bohnen mit Speck», Wörter, die wir fast an- dächtig lasen, erschienen uns wie ein Märchen. Wir bezahlten für alles nicht weniger als 200 sh. Aber dass 161 wir sie überhaupt bekamen, war schon mehr als wir ge- hofft, und wir wussten, dass uns diese Extravaganz auch später nicht reuen würde. Ausserdem kauften wir noch einige Hühner und über ein Dutzend wirklich frischer Eier. Die teuer erworbenen Vorräte hatten uns ingehobene Stimmung versetzt; mit neuem Mut machten wir uns wieder auf den Weg, zwischen den seit dem Regen blütenduftenden Dornbüschen hindurch, gefolgt von unsern vier Kamelen, die wie vier dünkelhafte Philo- sophen im Rhythmus ihrer hölzernen Glocken auf weichen Sohlen hinter uns her stolzierten. Wir hatten einen Führer gefunden, der uns zum Kinna- (oder Mackenzie)-Fluss führen sollte. Er sah wie ein Halbsomali und geborener Führer aus. Am Handgelenk trug er einen kleinen geschnitzten Schemel, und zu seiner weitern Ausrüstung gehörte eingänzlicher Mangel an Ortssinn, wie wir alsbald entdecken sollten, denn schon am ersten Morgen führte er uns falsch. Den ganzen Tag wand sich der Pfad zwischen Dorn- büschen hindurch, eine sehr ungemütliche Gegend, um sich darin zu verirren. Bei Sonnenuntergang liessen wir den Führer kommen und fragten ihn, wie weit es noch bis Bisanadi am Kinna-Fluss sei. Er hob die Schultern und nahm Allah zum Zeugen dafür, dass er nicht wisse, ob es bis zum Kinna zwei oder fünf Tage- reisen seien. Da niemand von uns in dieser Gegend ge- wesen, waren wir völlig in seiner Hand und trösteten uns damit, dass wir die Wasser-Kamele bei uns hatten und häufig auf Regenpfützen stiessen. In der Trocken- zeit wäre es allerdings bedenklich gewesen, hier vom rechten Weg abzukommen. Aber schon am folgenden 162 Tag — wir waren kaum sechs Stunden unterwegs — senkte sich der Boden, und in der Ferne zeichnete sich ein schmaler, baumbestandener Streifen ab. Diesmal war es keine Luftspiegelung, und bald wateten wir durch die Wasser des Kinna. Wo Bisanadi lag, wusste niemand, aber das bekümmerte uns nicht mehr, hatten wir doch jetzt den Fluss als sichern Führer. Der Kinna erschien uns reizvoller als der Uaso und viel einsamer. Der Uaso ist das anerkannte Jagdrevier aller Sportsleute, hier in dieser weltverlorenen Gegend kamen wir uns wie Forschungsreisende vor. An einem einzigen Tag bekamen wir hier mehr Wild zu Gesicht als während einer Woche am Uaso, und B. erbeutete einen kapitalen Oryx-Bullen, eine Trophäe, die schon seit Maji-Chumbe das Ziel unserer Wünsche gewesen war. Die Verfolgung des Bullen führte ihn auf einen Hügelzug, von dem aus der Blick bis zurück nach Maua und auf die Jombeni-Kette reichte. Als wir in eines der vielen ausgetrockneten Fluss- betten hinabstiegen, hielt der Führer plötzlich an und wies auf die gegenüberliegende Böschung. Wir hatten Mühe, gegen das schräge Sonnenlicht und durch das Gewirr der Blätter ein Kleines Kudu zu unterscheiden, das mit erhobenem Haupt nach uns äugte. Eine Kugel machte den Sand unter ihm aufstieben, es schnellte sich hoch in die Luft und setzte in das Dickicht. Sein schöngewundenes Gehörn, das einen Augenblick lang verführerisch in der Sonne geglänzt hatte, liess uns seine Spur mit besonderem Eifer aufnehmen. Doch wir erreichten es nicht mehr, dagegen bekamen wir im Verlauf unserer Pürsche drei weitere Böcke zu Gesicht. 163 Kurz daruaf traten wir aus einem Waldsaum und fanden uns unvermittelt am Ufer eines breiten Flusses — wir waren am Tana. Wir trauten unsern Augen kaum, denn der Führer hatte uns versichert, dass wir noch weit von Bisanadi entfernt seien, und von dort bis an den Tana sollten es noch immer zwei Tagereisen sein. Waren wir 5o oder 150 Meilen von Hamaye entfernt? Auch die Karte gab keinen Aufschluss, denn wir wussten nicht genau, an welcher Stelle wir den Kinna verlassen hatten. Erst in Hamaye aber konnten wir unsere Vorräte an Posho ergänzen, von dem wir gerade noch genug für drei Tage hatten. Wir waren daher über den Anblick des Tana höchst erfreut und schlugen hier unser Lager auf, in der bestimmten Voraussicht, in spätestens zwei Tagen in Hamaye zu sein. Wir hatten gehört, es sei nicht gewiss, dass der Kinna tatsächlich in den Tana münde, und um weitere Zweifel zu zerstreuen, machte ich von der Mitte des Kinna aus eine Aufnahme, die zeigt, wie er sich im rechten Winkel in den Tana ergiesst. Von Hamaye aus sollte die Safari über Maua und Meru nach Nairobi zurückkehren — eine Strecke, um die wir sie nicht beneideten —, während wir uns den Tana hinab in Einbäumen an die Küste tragen lassen wollten. Der Abschied von den Leuten ging uns beiden sehr nahe, besonders die Trennung von unserm treuen Maithia, der in seine Heimat, Maua, dem Aufenthalts- ort des sagenhaften Riesen-Elefanten, zurückkehrte. Es war noch Zeit für eine Gruppen-Aufnahme, und da sie vor allem «typisch» werden sollte, schwangen 164 die Träger ihre Messer und Pangas, Kasaya spielte auf seiner kleinen Geige, Mvanguno wetzte sein Schab- messer, der Koch rührte in seinem Kochtopf, Jim bereitete einen Siphon, Kisima reichte Platten, der Ziegenboy brachte seine Ziegen, der Syce die Maul- tiere, und sogar die Kamele konnten nach vielem Wie- derholen des Zauberwortes «Tuuh» dazu bewogen werden, sich dem Gesamtbild einzufügen. Die Leute waren trotz dem bevorstehenden Marsch in Fest- stimmung. Als Überraschung bekamen sie noch alle «King-Stork »-Zigaretten, dann machten sie sich unter Singen, Lachen und Rufen an die erste Etappe ihres langen Rückwegs, wie Kinder auf einem Schulausflug. Nach vierundzwanzigstündigem Regenguss war der Abend wolkenlos klar und erfüllt von den murmeln- den Stimmen des Wassers. Die Erde schien zu jubi- lieren über die Wasseradern und Giessbäche, die in eili- gem Lauf dem Fluss zustrebten. Der neue Mond hing wie ein silberner Bogen am Himmel, daneben funkelte der Abendstern. Im bleichen Glanz schimmerte der Fluss, der in reissendem Lauf die Zweige der Büsche erfasste und wieder zurückschnellen liess. Der Anblick der hoch ans Ufer gezogenen Barken erinnerte uns plötzlich wieder daran, dass wir uns im Morgengrauen des folgenden Tages dieser wirbelnden, tanzenden Flut anvertrauen würden. Als wir am nächsten Tag die Boote genau besahen, kamen uns leise Bedenken, wie es wohl um ihre See- tüchtigkeit stehe. Die Wellen warfen sie rauh gegen- einander und zerrten an den Bootsleinen, und der Berg an Ladung, der neben ihnen aufgetürmt lag, schien nimmer darin Platz zu finden. 165 Es waren im ganzen sechs Einbäume, je zwei mit Stricken vereinigt, die uns, unsere Lasten, das Zelt, sieben Träger, vier Ziegen, den Hund und zwölf Rude- rer aufnehmen sollten. Die Lasten konnten wir unmög- lich noch weiter einschränken, und noch weniger konn- ten wir einen der sieben Leute missen. Es waren nur noch die Gewehrträger, die persönlichen Boys, Mvan- guno, Bokari und der Koch übrig. Allein um das Zelt aufzuschlagen, konnten wir keinen von ihnen entbeh- ren. Endlich war alles verstaut, bis auf ein aufgeregtes Huhn, für das kein Plätzchen mehr übrig schien. Der Koch war sogleich Herr der Situation: ohne ein Wort zu verlieren, ergriff er es, verschwand mit ihm hinter einem Busch und schnitt ihm dort seelenruhig die Kehle durch. Wenn wir diese Tat auch als gefühlsroh empfanden, mussten wir doch abends zugeben, dass uns der Braten ausgezeichnet schmeckte. Endlich waren wir eingeschifft und stiessen vom Ufer ab. Die Strömung erfasste uns, drehte uns bei und trug uns flussabwärts; die Ufer glitten vorüber, der sonnenbeschienene Lan- dungsplatz verschwand hinter einer Biegung. Die Boote bestanden ganz einfach aus ausgehöhlten Baumstämmen, aber sie waren weit genug, um unsere Matratzen aufzunehmen. Über das Gitterwerk, das sich über unsere beiden Einbäume wölbte, breiteten wir rote Wolldecken und eine Zeltbahn und hatten auf diese Weise ein schönes Sonnendach. Aber es war zu niedrig, um aufrecht sitzen zu können, so blieb uns nichts übrig, als lang ausgestreckt, den Oberkörper durch Kissen gestützt, dazuliegen. Das waren paradiesische Tage! Träumend zurück- gelehnt, schauten wir durch halbgeschlossene Augen 166 den Ruderern zu, deren in rhythmischem Schwung bewegte Schultern sich bronzefarbenvondem wechseln- den Hintergrund, Himmel, Grün und Wasser, abhoben. Es war köstlich, im Halbschlummer dem Plätschern des Wassers zu lauschen, das an der Bordwand dahin- gurgelte, während der Fluss uns mit einer Geschwin- digkeit unserem Ziel entgegentrug, die unsere ge- wöhnlichen Marschzeiten um das Doppelte und Drei- fache übertraf. Nach den Anstrengungen all dieser end- losen Märsche nun wirklich auszuruhen und zu genies- sen, erfüllte uns mit tiefster Genugtuung. Die Ufer waren mit der üppigsten tropischen Vege- tation überwuchert; die Urwaldriesen griffen oft weit über die Wasserfläche hinaus, so dass die Boote manch- mal unter belaubten Bogengängen dahinfuhren. Dann und wann strichen Blätter mit leisem Zischen über das Dach, oder ein Ast streifte kratzend die Bordwand. Nach zwei Tagen gleichmässiger Fahrt erreichten wir die Stromschnellen. Wir schickten die Leute ans Land, während wir selbst uns diese Sensation nicht entgehen lassen mochten. Nachher mussten: wir uns allerdings eingestehen, dass wir recht unvorsichtig ge- wesen, denn unter unserm Sonnendach wären wir wie die Mäuse in der Falle ertränkt worden, wenn das Kanoe gekentert wäre. Zwei alte Schiffer von einem benachbarten Kraal dienten als Piloten, sie dirigierten unsere schwerfälligen Fahrzeuge mit bewundernswerter Geschicklichkeit durch die Schnellen, von denen sie jeden Zollbreit zu kennen schienen. Wir schossen aus der bernsteinfarben schimmernden Wasserfläche unmittelbar in den kochenden Strudel hinein; es donnerte in unsern Ohren, Schaum spritzte 167 hoch über uns, die Ufer sanken zurück, und es sah aus, als wäre Rettung aus diesem Hexenkessel unmöglich. Es waren aufregende Augenblicke, und doch, als wir uns wieder im flachen Wasser befanden, Atem holten und wieder Herr über unsere Boote geworden, bedauer- ten wir nur, dass es nicht länger gedauert hatte. Im eigenen Kanoe, ohne Büchse, die nicht nass werden durfte, und vor allem ohne Sonnendach, müsste diese Stromschnellenfahrt ein aufregender Sport sein. Doch das konnten wir uns nicht leisten, wir mussten unsere Fahrt stromab ohne weitern Zeitverlust fortsetzen. Um zu warten, bis die an Land geschickten Leute uns einholten, landeten wir beim Kraal. Die beiden Piloten, die ein kleines Bakschisch ganz überglücklich gemacht hatte, brachten uns einen jungen Schafbock als Gegengeschenk. Dann breiteten sie feingeflochtene Matten aus, und die ganze Bevölkerung kam herbei, um uns in Augenschein zu nehmen. Da sie kein Suaheli verstanden, kam keine Unterhaltung zustande; doch waren sie sehr freundlich und gutgeartet. Sie gehören zu den primitivsten der überlebenden Stämme, und doch benahmen sie sich mit solch gelassener Würde, dass für sie der Ausdruck «Wilde » kaum angebracht war. Hier, an den weltvergessenen Ufern des Tana, war der Begriff der «kostbaren» Zeit noch unbekannt. Kei- nen Augenblick kam in uns das Gefühl auf, dass wir hier Zeit verloren, die wir vielleicht anderswo besser ausnützen konnten. Wir waren in lebendiger Berüh- rung mit der Poesie, die sich noch in alten Reisebe- schreibungen verbirgt und die wir heute auf unserm Erdteil vergeblich suchen; denn so selten haben wir Zeit, stillzustehen und den Augenblick zu erleben. 168 Leider konnten wir nicht länger verweilen, und wir bedauerten sehr, von diesem unberührten Land nicht mehr zu schen als nur zwei undurchdringliche Wälle von Urwald zu beiden Seiten unserer Wasserstrasse. Jeden Morgen aber benützten wir die Zeit, wenn das Lager abgebrochen wurde, um kleine Streifzüge land- einwärts zu unternehmen. Eines Tages hatte B. einen ausgedehnteren Pürschgang beabsichtigt. Wir ver- abredeten, dass ich eine halbe Stunde unterhalb des Lagerplatzes wieder landen und einen Signalschuss ab- geben solle. Im Augenblick aber, als ich vom Ufer abstossen wollte, hörte ich in einiger Entfernung stromaufwärts einen Pfiff, zum grossen Glück für B., der in dem fast unentwirrbaren Ufer-Dschungel so gründlich die Richtung verloren hatte, dass er sich einige Meilen stromabwärts glaubte, während er tat- sächlich stromaufwärts gegangen war — bei den viel- fachen komplizierten Windungen des Flusslaufs kein Wunder. Als wir wieder in offeneres Gelände kamen, führte uns die Jagd nach dem Kleinen Kudu oft weit landein- wärts, und wir kehrten erst gegen Mittag zu den Booten zurück. ‘ Sankuri, eine Regierungsstation am Ufer des Flusses, lag hinter uns. Wir hatten dort unsere Reise für zwei Tage unterbrochen. Den einen benützten wir zur Löwenjagd, den andern verbrachten wir auf der kühlen Veranda des Regierungsgebäudes. Man trifft so selten Weisse, und es gab deshalb so viel zu erzählen und zu- zuhören, dass die Stunden unmerklich verstrichen und wir unsere ungeduldig an den Stricken zerrenden Boote ganz vergassen. 169 Einen Löwen hatten wir zwar nicht bekommen, aber B. brachte einen Leoparden zur Strecke, und da in den andern Booten kein Schatten zum Aufspannen seiner Haut war, hing sie nun unter unserm eigenen Sonnendach und machte im Verein mit dem Hund, den Nacktratten, einem Chamäleon, einem Ichneumon und noch viel anderem den Aufenthalt darunter fast unerträglich. Dazu wurde es täglich heisser, denn mit jedem Tag gelangten wir in um einige Fuss tiefer ge- legene Zonen. Während der Mittagsrasten am Ufer hatten wir wenigstens zeitweise Ruhe vor unsern Mitpassagieren. Eines Tages, als wir ganz zufällig irgendwo am Ufer anlegten, öffnete sich vor uns ein Zauberwald, den sicherlich noch nie der Fuss eines Weissen betreten. Ein jeder Wald hat seine eigene Seele, dieser hier aber, mit seinen dämmerigen hohen Stämmen, zwischen denen die Sonnenflecken wie verstreute Goldstücke am Boden lagen, liess uns den Atem anhalten. Gegen Abend kletterten wir gewöhnlich aus unserer Mause- falle hervor und setzten uns vorn auf die Spitze des Bootes. Lautlos wie Vögel im Flug glitten wir dann über die@Wasserfläche dahin, so dass wir oft Trupps von Affen überraschten, die dann unter Kreischen und Schütteln von Ästen das Weite suchten. Nach neun Tagen Ruderfahrt vertauten wir unsere Boote am Landungssteg von Masa-Bubu. 170 Am Unterlauf des Tana, Lamu Von Masa-Bubu aus unternahmen wir eine kleine Expedition landeinwärts zur Erbeutung von Hunter’s Hartebeest (Damaliscus Hunteri‘). Diese Art, die hier Hirola genannt wird, war für unsere Sammlung von grossem Wert, da sie eine Zwi- schenform von Hartebeest und Impala sein soll. Ihr Vorkommen ist sehr beschränkt; ausser im Jubaland ist sie nur in dem kleinen Gebiet nördlich des Tana anzutreffen, das wir nun aufsuchten. Der ganzen Tana- fahrt hatte die Absicht zugrunde gelegen, eben diese seltene Antilope zu erbeuten. Da das Gebiet der Hirola erst 40 Meilen landeinwärts beginnt, nahmen wir Wasser-Kamele mit. Zuden Kame- len erhielten wir eine Eskorte von sechs Askaris als Schutz gegen umherziehende Somali-Räuber. Alles schien sich im Anfang dem Aufbruch entgegen- zusetzen: eines der Kamele verendete, ein zweites war ebenfalls nicht weit davon, ein Askari bekam Fieber, und wir konnten zuerst keine Träger bekommen. Als diese Schwierigkeiten glücklich beseitigt waren, wur- den die Askaris widerspenstig und brachten allerlei Gründe vor, warum wir nicht aufbrechen könnten: das Gras sei schon zu hoch, die Wasserstellen ausge- trocknet und so fort, und wenn wir nicht sehr ener- gisch aufgetreten wären, hätten wir an Ort und Stelle unser Lager aufschlagen können. Wir erreichten es aber, die noch viel widerspenstigeren, brüllenden 171 Kamele zu beladen und einen langen Nachtmarsch hinter uns zu bringen. Wir waren übereingekommen, bis zu einer ungefähr 20 Meilen entfernten Wasserstelle zu marschieren. Als nach Ablauf einer Stunde der Führer der Askaris feierlich erklärte: «Hier ist das Lager», nahm ihn B. sich einmal ganz gehörig vor. Das war das einzig wirk- same Mittel, sich Geltung zu verschaffen, und von nun an ging alles nach Wunsch. Die nächtliche Wanderung im bleichen Vollmond- schein neben der Kette geräuschlos einherschwanken- der Kamele, die schweigende Steppe: nie hatten wir die Poesie der afrikanischen Landschaft packender emp- funden. Wir befanden uns auf der Strasse nach Lamu, und die verschiedensten Fährten waren so deutlich er- kennbar wie im Tageslicht. Plötzlich erschien zwischen Giraffe, Oryx und Kudu eine neue Spur, scharfumrissen wie ein Pique-Ass — die Spur des Hirola. Bis das Lager fertig aufgeschlagen war, wurde es beinahe Morgen, und B. machte sich sogleich auf zu einer kurzen Orientierung, wie er meinte. Es wurde indessen beinahe Sonnenuntergang, bis er endlich zu- rückkam, und selbst das hatte er nur einer gütigen Vor- sehung zu verdanken. In diesem Flachland — Sand- und Dornbusch, so- weit das Auge reicht — war die Strasse das einzige Hilfsmittel, wonach man sich orientieren konnte. B. war südlich der Strasse in den Busch abgewichen und hatte dort eine Giraffengazelle mit einzigartig schönem Ge- hörn angeschossen. Er nahm sogleich die Nachsuche auf, und das waidwunde Tier hatte ihn kreuz und quer durch das Gestrüpp geführt, bis endlich die Schweiss- 172 spur aufhörte. B. wartete dann auf den Koch und die Träger, in der Absicht, mit ihnen zur Strasse und darauf zum Lager zurückzugelangen ehe die schlimmste Tages- hitze begann. Aber nun wusste niemand mehr, wo die Strasse lag. Ali, der Koch, deutete nach Norden; keiner der andern wollte eine eigene Meinung haben. Ali hatte uns zwar schon früher wiederholt irre- geführt, aber seine Abstammung als halber Somali ver- leitete uns immer wieder dazu, uns seinem Ortssinn an- zuvertrauen. Nachdem B. den Kompass konsultiert, schlug er darum eine nördliche Richtung ein. Die Sonne stieg höher und höher, und noch immer marschierten sie nordwärts. Allmählich war es allen klar geworden, dass sie sich verirrt und in der Aufregung der Jagd irgendwo die Strasse überschritten haben mussten, ohne darauf acht- zugeben. | Man muss es selbst erlebt haben, um sich den Schrek- ken zu vergegenwärtigen, den die Gewissheit, sich ver- irrt zu haben, auslöst: Du bist in einer bestimmten Richtung geradeaus ge- gangen in der festen Überzeugung, du brauchst sie nur lange genug einzuhalten, um nach Hause zu ge- langen; aber Stunden vergehen, und das silbergraue Gezweig bildet ein flimmerndes Gewirr vor deinen schmerzenden Augen. Verdacht steigt plötzlich in dir auf, und kurz entschlossen machst du kehrt, um jetzt mit gleicher Überzeugung die entgegengesetzte Rich- tung einzuschlagen. Du tröstest dich, wenn du nur den Kopf nicht ver- lierest, werde es schon gut herauskommen, aber mehr 173 und mehr erfüllt dich das ganze Entsetzen des Verirrt- seins, und ein quälendes Verlangen nach Wasser — Schlamm, wenn es sein muss, nur irgend etwas Flüssiges — lähmt alle Entschlussfähigkeit. Sinnlose Angst, Panik erfasst dich..., du beginnst zu rennen, hierhin, dahin, planlos, kopflos, bis du eine Stunde später plötzlich die erschreckendste aller Ent- deckungen machst: du stehst wieder vor deinen eigenen Fußspuren. B. hatte auf seiner Irrfahrt kein Hirola zu Gesicht bekommen, aber der Führer der Askaris machte sein unbotmässiges Betragen vom vorigen Tage wieder gut durch eine lange Suche und kam mit dem Bericht zu- rück, er habe ein Hirola-Rudel festgestellt und ausser- dem — in einer Entfernung von zwölf Meilen — eine Wasserstelle. Es erübrigt sich, auf eine nähere Beschreibung der fünf Jagdtage einzugehen, in deren Verlauf B. eine schöne Gruppe für das Museum erbeutete. So auf- regend, spannend und immer wechselnd das Erlebnis der Jagd ist, so eintönig wirkt die wiederholte Beschrei- bung. Im offenen Dornbusch war es nicht schwer, einen guten Bock auszumachen; das gab uns den Ehrgeiz, einen Rekordbock zu erbeuten, was uns während dieser fünf Tage manche vergebliche Anstrengung kostete. Wie oft sprang der Wind um und machte den Erfolg unserer Pürsche zunichte: die Hirolas verhofften, schüt- telten ihr Gehörn, und im Handumdrehen sahen wir ihre weissen Spiegel in der Ferne verschwinden. Die Jagd im Dornbusch besass einen ganz besondern Reiz, der teilweise darin lag, dass er den Jäger so voll- 174 ständig in der Gewalt hatte. Verlor man sich einmal darin, so konnte man sich nur durch ein Wunder wieder zurechtfinden. Die Strasse war wie ein treuer Freund, nur durfte man nicht vergessen, auf welcher Seite man sie gelassen. Dass man dies vergessen konnte, klingt zwar unwahrscheinlich, aber die «Strasse » war ja nichts weiter als eine sandige und zum Teil wieder über- wucherte Spur, die man nur gar zu leicht übersah. Ich erfuhr dies einmal an mir selbst, als B. mich auf einer Pürsche im Scherz fragte, wo die Strasse wohl liege. Ich deutete nach vorn, und doch hatten wir sie ganz kurz vorher gekreuzt, ohne dass ich es bemerkt. Ohne die Strasse hätte selbst eine vieljährige Steppen- erfahrung nicht geholfen, denn die Eingeborenen ver- loren die Orientierung ebenso leicht wie wir. Hielt man von einem Termitenhügel Ausschau, so traf das Auge nach allen Richtungen nichts als Busch in un- unterbrochener Fläche bis zum Horizont. Anfangs ver- fehlten wir auf dem Rückweg regelmässig das Lager, bis wir endlich einen Mast errichteten, an dessen Spitze ein weithin sichtbares Badetuch flatterte. Dieses Signal ersparte uns viel zielloses Umherwandern. Die Wüstenhitze war für uns ein neues Erlebnis. Sie erschien uns nicht nur als eine blosse negative Un- bequemlichkeit, die man ertragen musste — nein, sie war eine lebendige Kraft, überwältigend wie ein Orkan und doch schweigend und erbarmungslos. Der Boden war wie heisses Eisen und machte jeden Schritt zur Qual; die Schultern schmerzten, die zu dünnen Augen- lider vermochten nicht, den glühenden Sand und den Metallglanz der Dornbüsche, die in dem blendenden Sonnenglast wogten und schimmerten, abzuhalten. 175 Wie angenehm entspannend war es dann, nach diesen sonnendurchglühten Jagdtagen im kühlen Mondlicht zum Fluss zurück zu marschieren und wie unsagbar schön, nach dem nackten Glast der Wüste wieder das Grün der Bäume zu erblicken. Masa-Bubu war überaus lieblich. Das Zelt lag halb verborgen unter schattigen Bäumen, der Fluss, der in kühnem Bogen vorüberzog, war in dem friedlichen Landschaftsbild das einzige bewegte Element. Bäume und Sträucher standen reglos in der Mittagshitze, die Eingeborenen ruhten in ihrem Schatten, aber der Tana eilte unentwegt dem Meere zu, zurück zur Aussenwelt, und bald trug er auch unsere Boote hinweg aus diesem Paradies des Friedens, das wohl ewig unverändert und ungestört hier weiterträumen würde. Einmal hatte es allerdings den Anschein, als ob wir nicht fortkommen sollten, da unsere Bootsleute er- klärten, sie seien des Ruderns müde, und alle unsere Bemühungen, sie umzustimmen, versagten. Dabei wa- ren wir noch über 200 Meilen von der Küste entfernt. Es war ein Glück, dass die Boote dem «Sultani» ge- hörten, der versprach, uns sogleich eine andere Be- mannung zu senden. Von da ab wechselten die Ruderer bei jedem Kraal; bei unserer Ankunft stand immer eine neue Rudermannschaft bereit, und die Ablösung vollzog sich ohne Zeitverlust, meist wateten die Leute den Booten in den Fluss hinaus entgegen. Sie sangen beständig, um ihrer Arbeit Rhythmus zu geben, und unsere Hoffnung, dass sie des Singens müde würden, gaben wir bald auf, denn die Ablösungen erfolgten un- gefähr alle zwanzig Minuten. So melodisch ihre Lieder waren, so wirkten sie doch am Ende eines Tages, nach 176 neun bis zehn Stunden, ermüdend; dennoch konnte man sich vorstellen; mit welcher Wehmut man sich dieser Melodien später wieder erinnern würde. Meist war es nur ein einzelner Satz, vorgesungen vom ersten Boot und dann wiederholt von den andern, zuweilen nur ein Fragment, das im Gedächtnis haften blieb; und immer war es in Moll. Nichts wäre so wie diese einfachen Lieder und wie der Gesang der Vögel ge- eignet, das Bild Afrikas hervorzuzaubern, wenn wir sie nur alle festhalten könnten. Doch hier ist eine Wieder- gabe zweier dieser Strophen: Vögel sahen wir in Mengen am folgenden Tag, als wir die Waldzone verliessen und wieder durch Sumpf- gebiet fuhren.,Der Sumpf machte einen öden Eindruck. Gleich dem Lorian prangte er in fast unnatürlichem Grün und tönte ringsum wider vom Quaken unzäh- liger Frösche, dass es klang wie dasKochen und Zischen von tausend Wasserkesseln. Und dieser Sumpf war nicht leblos. Störche stelzten gleich Schildwachen längs seiner Ufer, Flamingos in zartrosa Farben wie Abend- wölkchen standen im Wasser, während die schlammige Uferlinie von Ibissen mit ihren weissen, schwarzgerän- derten Schwingen — Ägyptens geheiligte Vögel — 177 bevölkert war. Pelikane schwammen eine halbe Meile weit vor uns her, bevor sie sich mit schwerem Flügel- schlag erhoben und über unsere Köpfe hinweg zurück- flogen. Selbst die Eisvögel (es waren wohl ein Dutzend Arten, einer davon nicht grösser als ein Schmetterling, mit purpurschimmerndem Gefieder), die Fischadler und anderes Federwild, das man überall am Lauf des Tana trifft, traten hier zahlreicher auf als anderswo. Trotz diesem Vogelreichtum bedauerten wir nicht, das Sumpfland in Booten zu passieren, und wir atme- ten auf, als es endlich hinter uns lag. Wiederum kamen wir durch Waldgegenden, und in Kosi, wo wir anleg- ten, fanden wir Mango- und Bananenhaine und sahen die ersten Kokospalmen. Im Schatten der Mangobäume zu liegen, ihre herrlichen Früchte zu essen und den immerwährenden Durst mit frischer Kokosmilch zu löschen, schien mir ein würdiger Abschluss dieser Schlaraffentage. B. aber hatte nie viel für die geruh- samen Reize eines Südseedaseins übrig gehabt, und sein Interesse erwachte erst wieder, als wir Mwina erreich- ten und er im Schilf eine Bewegung wahrnahm. Es war schon fast dunkel, so dass wir nicht mehr zu erkennen vermochten, was sie verursacht hatte. Aber als wir am nächsten Morgen zum Aufbruch bereit waren und unser Hund nirgends zu finden war, wussten wir, was die Glocke geschlagen. Es war geschehen, was wir schon lange befürchtet und was unabwendbar einmal kommen musste: ein Leopard hatte ihn geraubt. B. war entschlossen, einen Tag zu opfern, um dem Räuber aufzulauern. Eine Ziege wurde bei einer Dek- kung angebunden, und es vergingen keine zehn Minu- ten, als sie schon von einem Leoparden gerissen wurde, 178 der nun knurrend über ihr stand. Mit einer Kugel in der Kehle konnte er trotzdem noch in den Schilf- bestand hinein flüchtig werden. B. folgte und sah bald sein schwarzgoldgeflecktes Fell zwischen den Halmen hindurchschimmern. Die Eingeborenen berichteten, dass der gleiche Leo- pard erst am Vortage vier Ziegen nacheinander ge- würgt habe, um sich an ihrem Blut zu sättigen; dies war die fünfte gewesen, und in seinem Magen fanden wir die Überreste eines Huhns, einige Rippen und Klumpen gelblichen Haarpelzes, die unzweifelhaft von einem Airdale-Terrier stammten. Einen Leoparden bei hellichtem Tage am Köder zu erlegen, war etwas ganz Ungewöhnliches. Wir hatten es bei jeder Lagerstelle versucht, mit Ziegen oder Affen als Köder, doch stets vergeblich. Allnächtlich hörten wir das Knurren von Leoparden, die hier über- all häufig vorkommen, aber sie liessen sich nie zu der Unvorsichtigkeit verleiten, den Köder anzunehmen. Später hörten wir von einer List, die einer der ge- übtesten Jäger des Tanalandes mit Erfolg angewendet hatte: eine Ziegenherde wird des Wegs getrieben, ge- folgt von zwei Männern, die eine weisse Ziege führen, an deren einem Hinterbein ein Stein mit einem Strick befestigt ist. Ist die vorher vereinbarte Stelle erreicht, dann gräbt der eine schnell ein Loch, der andere senkt den Stein hinein und scharrt das Loch zu. Dann gehen beide weiter ihres Weges, die Ziege bleibt wie zufällig zurück und meckert trübselig, nur wenige Schritt vom Ansitz des Jägers entfernt. Während B. dem Leoparden nachstellte, beschäftigte ichmich damit, den Inhalt der Arzneikiste zu trocknen, 179 die über Bord gefallen war. Der Träger, dem sie ins Wasser fiel, hatte nicht die Geistesgegenwart, sie sofort herauszufischen, sondern schaute ihr erst mit offenem Mund zu, wie sie davontrieb, und nun war ihr ganzer Inhalt mit einer von Permanganat gefärbten Brühe durchtränkt. Sogar einige meiner Filme hatten gelitten, glücklicherweise aber nicht die Elefantenaufnahmen. Am Abend, als wir in Kulesa anlegten, stand die Arzneikiste hoch im Kurs: wir hatten einige Frauen photographiert, die Korn stampften; sie benutzten dazu enge, drei Fuss hohe Mörser und über fünf Fuss lange Stössel, die sie mit beiden Händen schwangen und mit grosser Wucht herabstiessen. Dies bahnte freund- schaftliche Beziehungen an, die darin endeten, dass wir bald von ihren Kranken und Siechen belagert wurden. B. drückte sich und ging Enten schiessen. Der schlimm- ste Fall, den man mir zur Behandlung brachte, war ein winziges Bürschchen mit einer Bronchitis. Seine EI- tern, die Grossmutter und eine Tante, die ihn gebracht, schauten mit grossem Ernst zu, wie ich ihm eine un- schädliche Dosis Chlorodyne verabreichte und seinen Brustkorb in Watte packte, alles mit einer Selbstver- ständlichkeit, als hätte ich jahrelange Erfahrung. B. war entsetzt, als ich ihm von der Dosis Chloro- dyne erzählte, und behauptete, wir müssten von Glück reden, wenn es gelänge, von hier fortzukommen, ohne den ganzen Stamm auf dem Hals zu haben. Aber er hatte Unrecht; die Eltern waren entzückt über die Wirkung, und wir kamen am folgenden Tag ohne Zwischenfall bis Garsen. Garsen war uns überall am Fluss als ein Wildparadies beschrieben worden. Riesige Herden von Topis sollten 180 regelmässig an die Ufer zur Tränke kommen, ebenso Oribis und Wasserböcke in ganzen Scharen. Der Sultani in Garsen machte unsere Hoffnungen unzweideutig zunichte. Er behielt recht; die beiden Topis, die B. erbeutete kosteten ihn manche Anstren- gung, und ihre Häute mussten wir inmitten eines dich- ten Qualms zurichten, um uns die Moskitos vom Leib zu halten. Hier und in Golbante hofften wir auf eine letzte Gelegenheit für einen guten Wasserbock, doch Gol- bante erwies sich noch ärmer an Wild, da sich gerade die Gallas mit ihren Viehherden dort aufhielten. Die Gegend galt für besonders schlangenverseucht, und auf unsern Pürschgängen stiessen wir auf mehrere giftige grüne Mambas. Als B. auf der Jagd nach Perl- hühnern eine Lichtung überschritt, hörte er ein Zischen, und als er aufblickte, sah er sich einer schwarzen Mamba gegenüber, deren Haupt ihm drei Fuss hoch über dem Erdboden entgegendrohte. Ein Schrotschuss tötete sie augenblicklich; es war ein grosses, acht Fuss langes Stück. Im Lager legten wir den Körper der Schlange in Ringen zusammen, so, als ob sie noch lebte, und brach- ten den Ichneumon in seine Nähe. Das Tierchen näherte sich in weitem Bogen, neugierig, aber mit gesträubtem Nacken. Wir hatten ihn als ganz junges Tier eingefan- gen, und dies war jedenfalls seine erste Begegnung mit einer Schlange. Als wir ihm zum erstenmal ein Hühnerei angeboten, hatte er sein Interesse auf ganz ähnliche Art bekundet, und es war unterhaltend, zu beobachten, wie sein Instinkt langsam erwachte. Als er eingesehen, dass er 181 die Schale nicht zerbrechen konnte, trabte er zum nächsten Baumstamm, betrachtete ihn kritisch, rollte dann das Ei zu ihm hin und stellte sich mit dem Rücken gegen den Stamm auf. Dann schleuderte er das Ei kunstgerecht zwischen den Hinterläufen hindurch ge- gen den Stamm und zerbrach es auf diese Weise. Ehe wir nach Golbante kamen, hatten wir eine Nacht in Ngao zugebracht, wo Mr. R., ein Pionier des Tana, uns einen herzlichen Empfang bereitete. Die aus weissem Korallenkalk erbaute Missionsstation besass einen mau- risch anmutenden, palmenbeschatteten Hof und war auf einem freistehenden Hügel gelegen. Als das Schönste aber erschien uns nach unserer langen, zwi- schen zwei monotonen Uferlinien verbrachten Strom- fahrt der unbegrenzte Ausblick von ihrer höchsten Zinne. Nach allen Seiten, scheinbar bis zum Ende der Welt, tauchte der Blick in einen Farbenschmelz aller Schattierungen von Grün und Blau. Man hatte uns gesagt, dass Kone-Dirtu jagdlich sehr interessant sei, doch der Häuptling dieses Ortes, ein alter Araber mit edlen Zügen unter einem weissen Turban und mit der Würde eines Königs, den wir in Anasa trafen, erklärte uns, das Gras stehe in dieser Jahreszeit schon über mannshoch, und die Elefanten hätten die Gegend verlassen. Wir fuhren daher weiter stromab bis Kao. Von hier an ist der Fluss den Gezeiten unterworfen, und zu unserm Leidwesen mussten wir von ihm Abschied nehmen; fürs erste war der Landweg kürzer und schnel- ler, und zum andern führte er uns durch die Heimat von Haggard’s Oribi, einer lokalen Abart, die wir noch unserer Sammlung einzuverleiben gedachten. 182 Unterwegs sichteten wir einen anscheinend kapitalen Straussenhahn, der uns gleichfalls für die Sammlung willkommen war. Der scheue Vogel wurde flüchtig, bevor wir noch auf 200 Meter herangekommen waren. Eine Kugel, die seine Achillessehne streifte, behinderte ihn aber in seiner Flucht, so dass wir ihn ohne Schwie- rigkeit einholten. Erst dann sahen wir, dass wir ihn im schlimmsten Stadium der Mauser erwischt hatten — er war stellenweise geradezu schamlos nackt. Der Jagdpass erlaubte nur den Abschuss eines einzigen Stücks — zu fünf Pfund Sterling. Für uns war er vollkommen wertlos, und das Präparieren seiner Haut nahm einen ganzen Tag aufreibender Arbeit in An- spruch. Die noch haftenden Federn staken nur lose in der Fettschicht unter der Oberhaut; wir durften diese daher nicht entfernen, und so kostete er uns noch den Rest unseres wertvollen Konservierungsmittels. Das Gras stand auch hier schon hoch, und die Oribis benahmen sich nicht weniger scheu als ihre Artgenos- sen vom obern Tana. Nach zwei oder drei fruchtlosen Jagdtagen in der Gegend von Witu marschierten wir nach Mkonumbe, am obern Ende eines Creeks (schmale Meeresbucht). Als wir den freundlichen Regierungs- posten von Witu spät am Nachmittag verliessen und durch die umliegenden Kokosplantagen wanderten, liessen wir uns nicht träumen, dass wir eine Etappe von 25 langen Meilen vor uns hatten. Die Schuld daran trug ein eingeborener Polizist, der ebenfalls nach Mkonumbe wollte und sich uns angeschlossen hatte. Da er es eilig hatte, verriet er uns die Stelle, wo das Rasthaus der ersten Etappe war, erst lange nachdem wir es passiert hatten. Doch es schadete nichts, es war 183 ohnehin sehr heiss für Tagesmärsche, und wir waren froh, die Strecke bei Nacht zurückgelegt zu haben. Wir verkürzten uns den Weg mit Reminiszenzen an vergangene Abenteuer. Der Mond ging unter, das südliche Kreuz und der grosse Bär tauchten über dem schwarzen Rand der Erde auf; endlich hatten wir die baumbestandene Steppe hinter uns. Der Pfad führte über eine sanft abfallende Heide, und in der einsetzen- den Morgenbrise lag schon der Geruch des Meeres. Nach ein paar Stunden Rast ging B. Oribi jagen, während ich den kleinen Mungo zum Fischen mit- nahm. Der Strand war übersät mit den Löchern der kleinen, mit einer einzigen weissen oder lachsfarbenen Schere bewaffneten Krabben, und sowie ich mich näherte, flitzte jede Krabbe in ihr Loch zurück, wo nur ihre Schere noch einen Augenblick sichtbar blieb, ehe sie gänzlich verschwand. Es war sehr unterhaltend, dem Mungo bei seinen Versuchen, sie zu fangen, zuzusehen, denn es waren viele Tausende, so dass der Strand wie ein Feld von Schneeglöckchen aussah, die zurück- wichen, wenn man sich ihnen näherte und plötzlich wieder erschienen, sobald man ihnen den Rücken zu- kehrte. Die wenigen Oribis, die B. zu Gesicht bekam, ver- hielten sich so scheu, dass er nie auf Schussweite heran- kam. Diese kleinen Antilopen leisten Unglaubliches im Springen. B. mass einige Sprünge von über neun Metern Länge, und er schätzte, dass ihre Hufe sich am höchsten Punkt ihres Sprunges bis zwei Meter hoch über dem Boden befinden. Er erlegte ein weib- liches Tier inmitten eines solchen Riesensatzes, so dass es wie ein geschossener Vogel zur Erde fiel. 184 Da B. grossen Wert darauf legte, einen Bock zu er- beuten, nützte er jede Stunde bis zur Abfahrt des Schiffes; es blieb uns daher wenig Zeit, Lamu anzu- sehen, das geschichtlich von einigem Interesse ist. Aben- teuerliche Legenden von arabischen Sklavenjägern um- geben noch heute seine altertümlichen Gassen und Tor- bogen mit einer düstern Romantik. Die Insel besteht aus Sand, vom Wind zu kegekörmigen Hügeln ge- staltet. Der Sand ist in immerwährender Bewegung, der grösste Teil der alten Stadt liegt mehrere Faden tief unter den Dünen begraben. Ein Neuling hatte einmal sein Haus auf dem höchsten Hügel erbaut, wohl um der prächtigen Aussicht willen, aber nach kurzer Zeit gab es Risse in den Wänden, und schon wenige Jahre darauf versank das Erdgeschoss in den Keller. Der Oribibock blieb aber unerreichbar, und nach der letzten erfolglosen Pürsche waren wir versucht,eine ge- worfene Münze entscheiden zu lassen, ob wir die Dhow* nicht doch ohne uns abgehen lassen sollten. Das hätte aber den Verlust eines ganzen Monats bedeutet. Schon jetzt war unsere Zeit bis zur Regenperiode knapp. Wir beabsichtigten, die Bahnfahrt von Mombasa nach Nairobi in der Gegend von Voi zu unterbrechen, um dort auf die fransenohrige Oryx-Antilope und in der Athi-Ebene auf das Kilimandjaro-Gnu und die Thomson-Gazelle Jagd zu machen. In Nairobi mussten wir eine Woche rechnen, um die gesammelten Trophäen in Ordnung zu bringen und um eine neue Expedition nach den Aberdare-Bergen vorzubereiten, denn B. hatte es vor allem darauf abgesehen, einen Bongo für seine Sammlung zu erbeuten. * Arabisches Segelschiff 185 Der Kapitän der Dhow, die uns den Creek hinunter in den Hafen von Lamu brachte, war gewiss der roman- tischste Spitzbube, der je in See gestochen, und wer . weiss, ob sich wieder einmal die Gelegenheit bot, in einer Dhow zu segeln. Trotzdem waren wir froh, dass wir nicht für die ganze Fahrt nach Mombasa hinunter auf sie angewiesen waren. Wir hatten kaum genügend Platz zum Sitzen, die Eingeborenen drängten sich um uns herum, und Gerüche von faulenden Fischen, Ab- fall und Negern hätten bei etwas rauherem Seegang auch den seetüchtigsten Magen umdrehen können. Bei Einbruch der Nacht schifften wir uns ein. Der Wind blies unserm Kurs entgegen, so dass wir ständig kreuzen mussten und der schwerfällige Kasten sich bedenklich neigte, wenn ihm der Wind die Segel blähte und die Wellen an seine Längsseiten klatschten. Beim Kreuzen konnte die Segelstellung nicht vom Heck aus geändert werden; ein Schiffer musste jedesmal mit dem flatternden Segelende vorn um den Mast gehen, um es dann an der andern Bordseite zu vertauen. Der Mond, der uns den grössten Teil der Fahrt ge- leuchtet hatte, tauchte endlich in honigfarbenem Dunst unter, und wir dösten und froren in den Morgen hinein. Wir segelten schon der Küste von Lamu entlang, als das Segel wie ein schneeiger Gipfel in den Strahlen der Morgensonne erglühte. Ein Wald von Palmen spiegelte sich im opalschimmernden Meer, und die Sonne begann gerade die alten Mauern und Befesti- gungen der Stadt mit ihren ersten Strahlen zu röten, als wir in den Hafen einliefen. 186 Bongo-Jagd in den Aberdare-Bergen Dass er sich in der Einsamkeit der Bambuswälder aufhielt, dass er sehr selten war, sehr scheu und eine der schönsten Antilopen, die es gibt, das war alles, was wir über den Bongo in Erfahrung bringen konnten. Auch wie er aussah: eine Antilope, beinahe so gross wie das Grosse Kudu, auffallend gezeichnet mit weissen Streifen auf leuchtend kastanienbraunem Grund. Wir hofften, dass ein Wild, das als so buntfarbig geschildert wurde, selbst im undurchdringlichsten Urwald nicht lange verborgen bleiben könne. Aber über seine Lebensgewohnheiten war fast nichts in Erfahrung zu bringen. Wanderte er über weite Gebiete wie das Kudu, oder hielt er sich, gleich dem Buschbock, an einen besonderen Standort? Lebte er einzeln oder rudelweise? Was war seine bevorzugte Äsung? Niemand wusste etwas über solche Einzel- heiten. Aber gerade das bildete einen Hauptreiz unserer Aufgabe, dass wir ihre Besonderheiten erst heraus- finden mussten, bevor wir die Jagd mit einiger Aussicht auf Erfolg aufnehmen konnten. Der erste Schritt hiezu war, dass wir unser Lager im Gebiet des Bongo aufschlugen und uns mit den Ein- geborenen befreundeten. Wir erstiegen die Anhöhen von Kijabe und wandten uns dann landeinwärts. Auf sumpfigem Plateau, das sich wie eine Bucht zwischen Inseln von Bambus-Dick- icht und den Berghang hineindrängte, schlugen wir 187 unser nach Möglichkeit getarntes Lager auf. Die ein- zigen Bewohner dieses Landstrichs sind die Dorobos, kleingewachsene, misstrauische Leute und geborene Jäger. Sie waren mit allen Gewohnheiten des Bongo vertraut und zeigten sich viel zutraulicher, als wir an- fänglich erwarteten. Zwei Spurenleser erklärten sich bereit, uns beizustehen. Eine Schwierigkeit erwuchs uns einzig in der Be- dingung, die sie an ihre Mithilfe knüpften: sie brachten einen gelben Hund von undefinierbarer Abstammung mit; er war alt, voller Narben, ein Auge hatte er im Kampf mit einem Leoparden verloren, und sie bestan- den darauf, dass ohne seine Hilfe der Bongo auch dem besten Jäger unerreichbar sei. Dies stellte uns vor das folgende Dilemma: die Dorobos weigerten sich, ohne den Hund zu jagen, und das Gesetz untersagte die Jagd mit Hunden. Die Jagdbehörde hatte aber für diesmal ein Einsehen, weil unsere Expedition einen rein wissen- schaftlichen Charakter trug. Mit dem Hund und mit der Bereitwilligkeit der Ein- geborenen konnte es nun nicht fehlen, und B. war voller Zuversicht. Doch mit jedem Tag gelangten wir mehr zur Überzeugung, dass die Jagd auf den Bongo in dieser Bambuswildnis ungefähr soviel Aussicht hatte wie das Suchen einer Nadel in einem Heuschober. Der Wald und selbst die Dorobos schienen sich ver- schworten zu haben, ihren Bongo nicht herauszugeben. Sie konnten eine Spur manche Stunde lang unermüdlich halten, doch, wenn sie dann zu tief in den Wald führte, gaben sie vor, sie verloren zu haben oder stellten sich dumm. Wir waren überzeugt, dass sie genau wussten, wohin sich der Bongo gewandt hatte, und wie konnten 188 sie sich hier verirren, wo wir überall auf ihre eigenen Fallen und Gruben stiessen? Ein jeder Baum in ihrem Wald musste ihnen- doch bekannt sein, ein Glied in einer langen Kette vergangener Geschehnisse bilden. Die Jagd führte zu keinem Ziel, und am Ende des zehnten Tages wusste B. genau soviel, als er schon am Ende des ersten gewusst hatte. Und doch hatten wir inzwischen manches gelernt, was nur die Übung zu lehren vermochte. In erster Linie musste man es ver- stehen, sich lautlos im dichten Wald zu bewegen, den umherliegenden Stämmen ansehen, ob sie unser Ge- wicht aushielten oder aber mit einem Knacken nach- geben würden, das unsere gespannten Sinne wie ein Pistolenschuss traf; wir mussten ohne das leiseste Geräusch über Stämme klettern, die in Hüfthöhe den Weg versperrten, oder aber unter ihnen durchschlüpfen. Zur Wahrung des Gleichgewichts konnte man sich leicht versehentlich an einem abgestorbenen Bambus- stamm halten, der unter dieser Berührung knickte und in seiner ganzen Länge — oft 40 bis 5;o Fuss —krachend zusammenstürzte, ein Lärm, der die Bongos im Um- kreis einer Meile vergrämen musste. Die nun folgenden Tage glichen insofern einer dem andern, als alle damit begannen, zu suchen, bis wir eine frische Spur fanden und sie zu halten versuchten, bis sie sich im Nichts verlor oder bis die Nacht herein- brach. Eintönig aber waren diese Tage darum nicht; im Gegenteil, je länger wir den Bambuswald kennen- lernten, desto stärker zog er uns an. Er hielt uns in seinem Bann wie früher der Wald von Meru, und wie dieser erfüllte er uns mit dem gleichen Gefühl der Er- wartung. Und doch, wie wenig glich er dem Meru-Wald 189 oder irgendeinem andern Wald, den wir bisher gesehen. Sein Zauber nahm uns gefangen, sobald wir ihn be- traten; er war wie eine Welt für sich von Bäumen, Lianen und dichten Reihen schlanker Bambusstämme, soweit das Auge reichte. Generationen von Bäumen bezeugten den Wandel der Zeiten mit der Deutlichkeit geschriebener Geschichte: lebensstarke Armeen reck- ten sich stolz, wo ihre gefallenen Kameraden lagen, und aus den in Humus zerfallenden Leibern drängten sich zarte Schösslinge ans Licht. In der Stille seines geheimnisvollen Dämmers, in dem man wie in einer Kirche unwillkürlich die Stimme dämpfte, spielte sich ein gewaltiger Kampf ab zwischen den Hunderten und Tausenden von Bäumen um ihren Platz am Licht, während die würgenden Lianen Lebende und Tote in einem unentwirrbaren Netz ineinander verstrickten. Aber noch immer waren wir unserm Ziel,demBongo, nicht näher gekommen. Schon waren zwei Wochen verstrichen, und die Dorobos hatten genug. Das war eine unerwartete Schwierigkeit, aber im Grunde waren sie auch keine bessern Spurenleser als Muthoka, einer der Kamba-Träger, der sich am Uaso so gut bewährt hatte, dass ihn B. nun zum Gewehrträger ausbildete. Die Dorobos konnten wir demnach verschmerzen, wenn sie uns nur «Rusapi», ihren Hund, zurückliessen. Nur mit Mühe brachten wir sie dazu, ihn uns für kurze Zeit zu überlassen. Bald sollten wir uns selbst von den Eigenschaften überzeugen, die ihn seinen Besitzern so wertvoll machten, dass sie ihn gegen keine Reich- tümer der Welt tauschen mochten. Und das kam so: B. war den ganzen Tag einer Spur gefolgt, als er zwischen den Stämmen einen rotbraunen 190 Schatten gewahrte. Bevor er Zeit fand, die Büchse hochzureissen, entpuppte sich der Schatten als die Flanke eines Bongo, der im gleichen Augenblick ver- schwand. Wie von einer Sehne geschnellt, war Rusapi hinter ihm her, wobei er Laut gab wie ein Hatzhund. B. folgte, und im nächsten Augenblick hatte sich der Bongo gewendet, kam hochflüchtig gerade auf ihn zu, fegte an ihm vorbei und verschwand im Gehölz. Ohne eine Möglichkeit zum Zielen drückte B. auf ihn ab und fehlte. Doch Rusapi war wieder hinterher, und bald tönte in der Ferne sein Standlaut. Es hielt schwer, ihm zu folgen; der Hang war so steil, dass B. ihn nur mit Hilfe der daraufwurzelnden Bäume erklimmen konnte. Ebenso steil war der Abstieg auf der gegen- überliegenden Seite. Doch da unten, nicht weit unter ihm, hatte sich der Bongo gestellt, das Haupt gesenkt, mit bebenden Flanken, das Auge flammend und blut- unterlaufen. Vor ihm, gerade ausser Reichweite, stand Rusapi und verbellte ihn, was seine Lunge hergab. B.’s Kugel brachte den Bongo in die Knie, aber er kam sofort wieder hoch und nahm mit gesenktem Gehörn an. Ein zweiter Schuss brachte ihn zur Strecke; er fiel seitwärts und glitt den Abhang hinab. Erst jetzt erkannte B., dass er gar nicht den Bullen vor sich hatte, dessen Spur er gefolgt war, sondern ein ausnahmsweise kräftiges weibliches Tier. Alles hatte sich so schnell und einfach abgespielt, dass wir gar nicht begreifen konnten, warum man soviel Aufhebens von den Schwierigkeiten der Bongojagd machte. Nachdem aber die erste Aufregung vorüber, das Gehörn sorgfältig eingeölt, die Haut zugerichtet und verpackt war, erschien uns das Ganze wie ein 191 Traum; wiederum war der Wald so ausgestorben und der Bongo so unerreichbar wie je zuvor. Tage und Wochen vergingen, ohne dass etwas ge- schah. Mit der Zeit aber sammelte B. seine Beobach- tungen. So fand er am Waldrand drei oder vier Wasser- stellen mit Salzlecken, die fast jede Nacht von Bongos aufgesucht wurden. Wenn es das Mondlicht irgendwie erlaubte, postierte er sich in einem als Ansitz ausge- worfenen Graben, nachdem er die bevorzugte Lecke zuvor mit Salz bestreut hatte. Aber seine Mühe wurde nie belohnt, und noch war das Rätsel ungelöst, wohin die Bongos sich verzogen, wenn sie den Tränkplatz verliessen. Die Spur führte zurück in den Wald, stets auf dem gleichen, gut angelegten Wechsel. Sie hielt sich meist auf den Kämmen, um ab und zu in ein Tälchen hinabzutauchen, Bäche zu überqueren und sich dann auf einem andern Kamm fortzusetzen. Aber nachher? Das Tageslicht währte nie lange genug, dass wir dies herausfinden konnten. Sicher war es, dass die Bongos jeden Tag grosse Strecken zurück- legten. B. hielt oft Spuren von neun bis zehn Meilen, ohne eine einzige Stelle zu finden, wo sie sich nieder- getan oder zur Äsung aufgehalten hätten. Mit jedem Tag rückte die Regenzeit näher, und wie um uns ihr Nahen zu verkünden, begann ein böiger Wind durch die Wälder zu pfeifen. Während wir eifrig die Spuren entzifferten, seufzte es in den Baumkronen über uns, und die Zweige schlugen mit hohlem, melancholischem ’Ton gegeneinander. Dem wider- strebenden Holz schienen sie Schreie zu entlocken, die wie Violintöne einen kleinen Satz in Moll oder gar ein ganzes, endlos wiederholtes Arpeggio wiedergaben. 192 In den gefiederten Kronen der Bambusstauden rauschte es wie eine Brandung, während ein Regen ihrer lan- zettförmigen Blätter den Boden wie mit einem Teppich belegte. Gerade dies erschwerte das Erkennen der Spur ausserordentlich; die Schalen des Bongo hinterliessen auf diesem weichen, elastischen Teppich nur den lei- sesten Eindruck, der zwar noch sichtbar blieb, solange Regen oder Tau ihn feucht erhielt, aber völlig ausge- löscht wurde, sobald die höhergestiegene Sonne die zerdrückten Blätter trocknete und glättete. Da die Erlegung des weiblichen Stücks eine Sache des Zufalls gewesen, konnte dasselbe auch mit einem Bullen geschehen, obwohl B. der Ansicht war, dass, wie beim Kudu, die alten Bongobullen sich an einsameren Örtlichkeiten aufhalten als die weiblichen Tiere und dementsprechend schwerer zu jagen seien. Darum war die Aussicht wohl am grössten, wenn man jeden Tag und von früh bis spät im Wald war, ob man nun einer. Spur folgte oder nicht. Dies brachte B. auf den Gedan- ken, wechselnde kleinere Lager zu beziehen. Es kam vor allem darauf an, dass er beim ersten Morgenlicht schon einer Fährte folgte. Das Lager in die Nähe einer Salzlecke zu verlegen, wäre unzweckmässig gewesen; ein Dutzend Menschen konnten unmöglich lange un- bemerkt bleiben, und die Feuer allein hätten unsere Anwesenheit verraten. Wir richteten uns daher so ein, dass ich die Aufsicht über das Hauptlager übernahm, während B. mit zwei Leuten und einem Trägerzelt oft zwei bis drei Tage unterwegs blieb. Wenn auch der Bongo für uns allmählich fast zu einem sagenhaften Bild verblasst war, und wenn er B. auch so manche harte Anstrengung kostete, so trübte 193 doch nichts den Frieden dieser Tage. Wir betrachteten das Lager stets als unser Heim; aber noch niemals hatten wir eine schönere Heimstatt als hier im Revier des Bongo, und wir waren ihm im Grunde genommen dankbar dafür, dass er uns so lange hier zurückhielt. Es kamen einige schöne Herbsttage, und wir fühlten uns auf unserm kleinen Plateau aller Sorgen der Welt enthoben. Schon lag des Morgens Reif in den Schatten der Täler, aber die sonnenwarme Luft duftete nach Heidekraut, und die Aberdare-Berge flimmerten im blauen Himmel. Dann kam die Sintflut über uns. Wir hatten schon empfindliche Nachtfröste gehabt, denn das Lager lag 3000 Meter über Meereshöhe, aber es war eine klare, trockene Kälte gewesen, während jetzt nasskalte Nebel- schwaden über uns hingen. Bald glich der Lagerplatz einem Sumpf, und der unaufhörliche, alles durchdrin- gende Regen liess uns daran zweifeln, ob wir je wieder trocken würden. Die Leute begannen über die Kälte zu klagen. Überhaupt kam mit der Zeit eine so ge- drückte Stimmung auf, dass die Sehnsucht nach Wärme und Sonnenschein beinahe stärker wurde als der Wunsch, den ewig unerreichbaren Bongo zu erbeuten. In dem nassen Laubboden waren die Spuren zwar deutlich genug zu sehen, aber es war mehr denn je eine Jagd mit der Zeit, denn immer wieder verwischte ein erneuter Regenguss die Fährte. An solchen Tagen herrschte ein fast nächtliches Dunkel im Wald. Nebel- “ fetzen wanden sich zwischen den Stämmen, und überall tropfte es mit dumpfem, eintönigem Aufklatschen. Unsere Aussichten konnten kaum trostloser sein. Nach sieben Wochen waren wir dem Bongo nicht 194 näher gekommen; die Leute waren nahe daran zu meutern, und B. fühlte, dass ihm ein Fieberanfall be- vorstand. Ich hatte mich schon resigniert mit dem einen er- legten Tier zufriedengegeben und machte Pläne, wie wir am schnellsten wieder nach Nairobi kamen. Halb- heiten aber waren nie B.’s Art gewesen, und als er sich zu mir setzte und bedachtsam eine Zigarette rollte, wusste ich, dass er entschlossen. war, um jeden Preis durchzuhalten. Und er hatte recht: jetzt die Flinte ins Korn zu werfen, war undenkbar. Der Bongo war eine Sache der Ausdauer und des Glücks. Wir durften nicht nachgeben, und wenn wir die ganze Regenzeit hier überstehen mussten. B. teilte den Leuten seinen Be- schluss mit, und wenn sie sich bis dahin aufsässig ge- zeigt hatten, in der Hoffnung, er werde sich erweichen lassen, so mussten wir anerkennen, dass sie sich der vollendeten Tatsache ohne weiteres, ja fast freudig unterwarfen. Schon dass wir uns zu einem Entschluss aufgerafft hatten, belebte unsere Zuversicht aufs neue. Nun konnten wir uns auch besser einrichten, neue Vorräte und vor allen Dingen mehr Wolldecken beschaffen, kurz, uns gegen die Unbilden der einbrechenden Regenzeit zweckmässig schützen. Die Leute mussten für sich ein grosses Schutzdach errichten, unter dem ihre Zelte Platz fanden, für den Koch eine Küche, und . für unsere Kuh (die wir von einem Kikuyuhäuptling gemietet hatten) einen Stall. Bald erfasste sie ein solcher Baueifer, dass im Nu ein kleines Dorf entstand. Jeder- mann wollte seine eigene Hütte haben und seinen Nach- barn mit einer noch längern Fahnenstange überbieten. 195 Die sehr bescheidene Fahne war nichts weiter als ein an eine vierzig Fuss hohe Bambusstange geknüpfter Fetzen von einem ausgedienten Hemd. Da schnellte die Aussage eines Eingeborenen aus einem nahen Kikuyukraal unsere Hoffnungen wieder in die Höhe: er berichtete, dass seine Maisernte von Bongos verwüstet und der Boden von Bongospuren zerpflügt sei. Bei Einbruch der Nacht war B. zur Stelle, das Nacht- visier an der Büchse, und den Mond im Rücken. Bald hörte er das Rascheln von Blättern und dann das gleich- mässig rupfende Geräusch des Äsens. Obwohl er so nahe war, dass er das Abreissen der saftigen Stengel, das leise Mahlen der Kiefer und das Schnauben der Tiere deutlich hörte, sah er nicht einmal einen Schatten, der sich bewegte. Und als der Tag anbrach, fand er die Spuren von Wasserböcken. So herb die Enttäuschung war, so befriedigte es uns andrerseits beinahe, dass der Bongo dadurch nichts von seinem sagenhaften Nimbus der Unerreichbarkeit ein- gebüsst hatte. Nicht lange danach bekam B., während er einem kleinen Rudel nachspürte, den Bullen zu Gesicht und hatte gerade noch Zeit, einen Schuss anzubringen; eines der Tiere blieb im Feuer, die übrigen wurden flüchtig. Beim Nähertreten fand B., dass er ein junges weibliches Tier erlegt hatte, es musste sich im letzten Augenblick vor den Bullen geschoben haben, dessen Blatt er aufs Korn genommen hatte; die Kugel war der Kuh in die Flanke gedrungen. Die Erlaubnis für den Abschuss eines weiblichen Bongo war eine ganz besondere Vergünstigung seitens 196 der Jagdbehörden gewesen, da sie sonst bedingungslos geschont werden. Dass wir nun zwei auf dem Gewissen hatten, war sehr schlimm; es blieb uns nichts übrig, als unser Missgeschick umgehend zu beichten und dem Wildhüter alle weitern Entscheidungen zu über- lassen. Wir fürchteten, dass wir nun auf den Bullen verzichten mussten. Aber die Götter zeigten sich gnädiger, als wir ver- dienten: wieder schien uns die Sonne, und wieder war der Bongo das ersehnte Ziel unserer täglichen Jagd- züge. Wenn wir ihn bis dahin mit allem Eifer gejagt hatten, so wiesen wir jetzt die Möglichkeit, ohne ihn die Berge zu verlassen, kurzerhand von uns. Wir malten uns den endlichen Triumph aus, wie wir nach Jahren mit wallendem weissem Haar und einem vom vielen Bücken unter den Bambusstauden gekrümmten Rückgrat von dannen ziehen würden. Aber so lange sollte es doch nicht dauern, denn nur wenige Tage verflossen, als das Unmögliche Tatsache wurde. Wie gewöhnlich hatte die einbrechende Nacht der Jagd ein Ende gesetzt. B. war den ganzen Tag der frischen Spur eines starken Bullen gefolgt, hatte den Ort bezeichnet und sie bei Tagesanbruch sofort wieder aufgenommen. Plötzlich bemerkte er, dass er der Spur entgegenging, statt ihr zu folgen; der Bongo musste demnach auf seiner Spur kehrt gemacht haben. Rusapi begann eifrig am Boden zu wittern. Noch nie waren die Aussichten besser gewesen, als sich die Spur mit der eines Waldschweins vermischte. Bis sie sich über ihre Richtung wieder klar waren, verrannen kostbare Minu- ten, und dann hörte die Spur des Bongo plötzlich auf; 197 kein verschobenes Blatt und kein geknicktes Zweig- lein, das irgendeinen Anhaltspunkt gegeben hätte. Immer war es dasselbe: die Spur liess sich stunden- lang halten, um dann entweder von einem Gewitter verwischt zu werden oder unvermittelt aufzuhören, als habe der Bongo Flügel bekommen. Weiterzugehen hatte kaum einen Zweck; dennoch untersuchte B. den Boden in einer Richtung, die ihm die wahrscheinlichste schien, und er war kaum fünfzig Meter weit gegangen, als er einen einzelnen Schalen- abdruck fand. Von hier ab war die Spur deutlich er- kennbar. Während B. und die Führer ihr alle Aufmerk- samkeit schenkten, war Rusapi unbemerkt verschwun- den, und plötzlich hallte sein Standlaut durch den Wald. B. bahnte sich so schnell er konnte einen Weg durch das dichte Unterholz, in der Richtung der willkommenen Laute. Unterwegs kamen ihm Bedenken, ob Rusapi nicht wieder Affen verbellte, wodurch er schon bei anderer Gelegenheit die Jagd verdorben hatte, und ob der Lärm den Bongo nicht schon veranlasst hätte, ein paar Meilen zwischen sich und seinen Verfolger zu legen. Kurz darauf bekam B. über eine Lichtung hinweg den Bongo für einen Augenblick zu Gesicht, gerade lange genug, um auf ihn abzudrücken. Der Bongo quittierte den Schuss und wurde prasselnd in das Ge- büsch flüchtig, das sich wie ein Vorhang hinter ihm schloss. B. fürchtete schon, dass er gefehlt, als Muthoka, der ihm vorangeeilt war, triumphierend ein gerötetes Blatt emporhob. Rusapi war dem Bongo mit hellem Geläute gefolgt, aber jetzt wurde es wieder verdächtig still. 198 B. blieb stehen, um zu lauschen. Kein Laut war zu hören als ein leiser Wind in den Zweigen und dann und wann das Fallen eines Blattes. B. eilte weiter, der Schweißspur nach und stiess so unvermittelt, dass er beinahe über ihn gestolpert wäre, auf den verendeten Bongo. Es war fast unfasslich: vor ihm lag endlich das uner- reichbare Wild, greifbar, noch lebenswarm; seine starke Witterung hing in der Luft, und:rot rann der Schweiss von seiner Flanke. Es war ein prachtvoller alter Bulle. Der Rumpf leuchtete zwischen den weissen Streifen rostrot, um über ein tiefes Kastanienbraun gegen die Hälsung hin glänzend schwarz zu werden, und sein Gehörn, zwei wuchtig geschwungene Spiralen, war mit bernstein- farbenen Enden gekrönt. Aber er war durchaus nicht die grazile und leicht- füssige Antilope — wie etwa das Kleine Kudu —, die wir uns vorgestellt hatten. Übrigens hätten wir dies schon aus mancherlei Zeichen seiner Spur schliessen können. Er war über die Baumstämme, die seinen Pfad versperrten, nicht im Sprung gesetzt, sondern hatte sie mit mächtigem Ruck seines gewaltigen Nackens emporgehoben, um unter ihnen hindurch zu passieren. Er war stämmig und gedrungen wie ein Büffel, seinen Vorderarm konnte man mit beiden Händen nicht um- spannen, die Sprunggelenke waren ungemein kräftig entwickelt, die Hälsung massiv wie eine Säule. Und doch, wieviel Anmut war in seinem kleinen, zierlich gesetzten Haupt, dem sanften Auge, den schön ge- schwungenen Nüstern, in den beweglichen Lauschern, die hundert feinste Tonschattierungen wahrzunehmen 199 vermochten, die dem menschlichen Ohr längst ent- gehen. Es wurde Mitternacht, bis B. sein Notlager am Tränk- platz erreichte, so dass ich die Nachricht erst am folgen- den Morgen erhielt. Mit möglichster Eile machte ich mich mit Mvanguno auf den Weg. Wir hatten lange genug Zeit gehabt, unsere Messer zu schärfen, und nun konnte Mvanguno es kaum erwarten, bis er sie an der begehrtesten Trophäe unseres Jagdunternehmens ansetzen konnte. Er legte unterwegs unter unablässi- gem Schwatzen eine solche Begeisterung an den Tag, dass ich den gewiegten Jäger, den selten etwas aus der Fassung bringt, in ihm kaum wiedererkannte. Bisher hatte er sich jedesmal, wenn wir ein Wild erlegten, einer noch bessern Trophäe zu erinnern gewusst, die gelegentlich eines frühern Jagdausfluges erbeutet wurde. Seine Beredsamkeit hätte B. wohl einigermassen erstaunt, hätte er zugehört: dass wenn der Bwana sich ein Ding in den Kopf gesetzt, er dann ausharre, bis er es bekomme und dass er, Mvanguno, bereit sei, ihn nach Uganda und bis an den Kongo zu begleiten, oder an jeden andern Ort im weiten Afrika! Mit der Erlegung des Bongo war unsere Aufgabe in den Wäldern der Aberdare-Berge noch nicht zu Ende, denn noch galt es, das Waldschwein zu erbeuten, an dem uns beinahe soviel lag wie am Bongo selbst. Es war die gleiche Jagdweise: tagelanges erfolgloses Spü- ren, und erst nach zahllosen Misserfolgen gelang es B., den ersten Keiler zu erlegen. Als Spürhund verwendeten wir diesmal «Major», denn Rusapi war von seinen Besitzern zurückgefor- 200 dert worden. Auch Major, ein schwarzer «Jock of the Bushveldt» (den wir von einem Ansiedler gekauft), war alt und schon grau um die Schnauze, aber mutig und ergeben. Major gab Standlaut, und als B. hinzu- eilte, konnte er im Schatten eines gestürzten Baumrie- sen die dunklen Umrisse des Keilers und seine weiss- schimmernden Gewehre erkennen. Die erste Kugel sass zu hoch und verletzte die Lunge, so dass er schau- migen Schweiss spie. Major fasste zu, aber im nächsten Augenblick hatte ihn der grosse Keiler im Bogen in die Luft geschleudert. B. sprang näher, um eine zweite Kugel anzubringen, doch der Keiler nahm ihn an. B. trat einige Schritte zurück, um zu laden, dabei ver- fing sich sein Fuss in einer Schlingpflanze, und im nächsten Augenblick lag er am Boden, der Keiler bei- nahe über ihm. Major allein rettete die Situation. Sein erneutes Zufassen lenkte den Keiler ab, der sich einen Augenblick besann, auf welchen seiner beiden Gegner er sich zuerst stürzen sollte. B. sprang auf und gab eine dritte Kugel auf ihn ab, die ihn niederstreckte. Das war nur die erste von vielen Gelegenheiten, da Major seinen unerschütterlichen Mut bewies. Er hatte sich uns nur ganz allmählich angeschlossen; den grauen Kopf griesgrämig abgewendet, hatte er alle un- sere Annäherungsversuche über sich ergehen lassen. Aber nachdem er sich endlich entschlossen hatte, stand er mit einer Anhänglichkeit und Treue zu uns, auf die es sich wohl lohnte, etwas gewartet zu haben. Als wir ihn erwarben, ahnten wir noch nichts von dem tapferen und liebenswerten Herzen, das in seiner Brust schlug. Ich will den Leser nicht mit einer ausführlichen Schilderung der Erbeutung von fünf Waldschweinen 201 ermüden, noch darauf eingehen, wie wir zwei Frisch- linge einfingen und zähmten und wie sie uns schliess- lich wieder wegliefen. Dagegen möchte ich erzählen, wie wir am letzten Tag unseres Bleibens im Wald wie- derum Bongos zu Gesicht bekamen. Um möglichst viel Zeit zu gewinnen, legten wir die erste Etappe, die durch wohlbekannte Waldgebiete führte, vor Tagesanbruch zurück. Wir machten uns um drei Uhr morgens bei Laternenschein auf den Weg und drangen tiefer ins Innere des Waldes als je zuvor. Hier konnten wir endlich feststellen, worin die eigentliche Äsung des Bongos besteht: unter den Bäu- men wuchert ein Busch*, der zehn bis zwölf Fuss hoch wird, mit nesselartigen Blättern und rötlichen Blatt- stielen. Hier fanden wir frische Spur und zahlreiche Wechsel. An einigen Stellen, an denen die Bongos sich niedergetan hatten, waren die Büsche zur Erde gedrückt. Wir waren noch ganz von diesen interessanten Fest- stellungen in Anspruch genommen, als Major Laut gab. Wir eilten zu ihm hin und fanden, dass er einen jungen Bongobullen gestellt hatte. Dieser richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Hund und beachtete uns nicht im geringsten, so dass wir uns bis auf wenige Schritte nähern konnten. Wir waren nahe genug, um sein zor- niges Schnauben zu hören, und zu sehen, dass die Iris seines Auges nicht dunkelbraun ist, wie man sie ge- wöhnlich darstellt, sondern gelb wie die des Löwen. Er bot ein Bild höchster Verlegenheit, wie er steif- beinig zurückwich, mit gekrümmtem Rückgrat und eingeklemmter Rute. Er benahm sich fast wie ein Hund, der von einem andern angefallen wird. Mit gesenktem * Mimulopsis Thomsonii 202 Haupt und funkelnden Lichtern lauerte er auf einen unbewachten Augenblick, in dem er Major aufspiessen und so das verhasste Geläute beenden konnte. Dann ein Schnauben und ein Ausfall gegen Major oder eine Kehrtwendung zur Flucht, Major wie ein Pfeil hinter- her, dabei ständig nach seinen Schenkeln beissend, bis der Bongo sich wieder stelite. So ging die Flucht sprungweise bergab, manchmal so steil, dass wir nur folgen konnten, indem wir flach auf dem Rücken hinabrutschten. Die sechs Filme unserer Kamera hatten wir alle be- lichtet und wünschten, wir hätten deren sechzig gehabt. Wir ahnten damals nicht, dass infolge des gedämpften Lichtes und des dichten Unterholzes auf den Bildern vom Bongo nichts zu sehen war. Endlich brachten wir Major dazu, von seinem Opfer abzulassen, und wir hielten eine kurze Rast. Wir befanden uns auf einer jener Lichtungen, wo der Bambuswald in respektvollem Umkreis vor einem Urwaldriesen zurückgewichen war; Farne bedeckten den Boden, und hoch über uns ragten die knorrigen Arme seines Geästes, zwischen denen der Himmel hin- durchblickte. Mochte der Wald melancholisch und still sein, diese Lichtungen strömten eine sorglose Fröh- lichkeit aus; hier sandte die Sonne ihre goldenen Pfeile herab, hier nickten Blumen, hier spielte eine Quelle plätschernd ihre Feenmusik über die moosigen Steine. Die Sonnenpfeile fielen nun schräg, und wir muss- ten zum Lager zurückkehren. Aber der Gedanke daran, dass wir all dies unverändert, unberührt zurückliessen, dass alles ewig bleiben würde, wie wir es geschaut, tröstete uns über die Wehmut des Abschieds hinweg. 203 Uganda, Victoria-See, Kivu-Vulkane (Mufumbiro-Kette) Über ein Jahr war verstrichen, seitdem wir nach dem Oberlauf des 'Tana aufgebrochen waren; die Tro- phäen hatten wir nach Hause geschickt, und da jetzt auch unsere stark mitgenommene Ausrüstung wieder instand gesetzt war, konnten wir uns wiederum auf die Reise begeben. Unsere Pläne hatten inzwischen Gestalt angenom- men, denn die Nachricht war eingetroffen, dass man uns den Abschuss eines weissen Nashorns gestattete. Das war mehr, als wir je zu hoffen gewagt; die wenigen in Afrika noch lebenden weissen Nashörner werden liebevoll behütet und geschont. Die Museumsleitung würde über eine so unverhoffte Zugabe entzückt sein. Seine Jagd würde uns an die Ufer des Weissen Nils bringen, und da wir im Semliki-Tal auch den Sing- Sing-Wasserbock jagen wollten, kamen wir dem Kongo nahe; damit bot sich eine vielleicht nie wiederkehrende Gelegenheit zur Jagd auf Gorilla und Okapi. Das Okapi hatte uns schon lange gelockt, einmal, weil der zum Teil noch unerforschte Wald von Ituri eine mächtige Anziehungskraft auf uns ausübte, dann auch, weil das Okapi eines der seltensten Tiere der Welt ist, hauptsächlich aber, weil man uns versicherte, dass nicht die geringste Aussicht bestehe, dass wir die Erlaubnis für den Abschuss erhielten. Ja, wir hatten schon jede Hoffnung aufgegeben, als wir nach Entebbe 204 kamen. Dort versprach uns aber Seine Exzellenz, Sir Geoffrey Archer (der uns schon die Abschusserlaubnis für das weisse Nashorn verschafft hatte), er wolle sich für uns-beidder belgischen Regierung verwenden. “ Wirklich, das Glück schien uns nicht zu verlassen. Bis die Antwort eintraf, machten wir einen Ausflug auf die Inseln des Victoria-Sees, um dort auf Situ- tunga-Antilopen zu jagen. Auch dabei hatten wir Glück, denn wir erhielten die Erlaubnis zu einem zwei- tägigen Aufenthalt auf der Insel Damba, die wegen Schlafkrankheit unbewohnt und infolgedessen absolu- tes Schongebiet ist. Auf den Sesseinseln, die sonst allein den Jägern zugänglich sind, wird der Situtunga auch von den Eingeborenen viel gejagt, er ist dement- sprechend selten. Die Jagd bot wenig Interessantes, besonders nicht für B., der den Situtunga schon in den Sümpfen des Bangweolo-Sees in Nord-Rhodesien gejagthatte. Dr. D. hatte ihm eine Situationskarte gezeichnet und ihm ge- sagt, er werde an einer bestimmten Stelle zu bestimm- ter Stunde auf Situtungas treffen, und genau so war es gekommen; ein Uhrwerk konnte nicht pünktlicher ablaufen. Aber es war doch nicht so einfach, in den zwei Tagen, die uns zur Verfügung standen, unsere Museumsgruppe zu bergen: wir waren in drei Booten ausgezogen, die gleich anfangs durch einen Sturm getrennt wurden; das Kanoe mit den zum Ausbalgen bestimmten Leuten fand uns erst wieder, als die Zeit um war. Wir selbst aber hatten nicht einmal einen Wetzstein bei uns, und während B. nach einem Bock spürte, arbeitete ich mit einem hoffnungslos stumpfen Messer an der Decke der erlegten Geiss. 205 Es war eine abenteuerliche Bootsfahrt gewesen. Wir hatten wegen andauernder Gewitter erst in den frühen Morgenstunden abfahren können, waren jedoch gleich so durchnässt, und die Wellen gingen so hoch, dass wir wieder anlegen mussten. Wir blieben bei den Booten, gegen die die Wellen brandeten. Der Wind pfiff durch unsere durchnässten Kleider, und während wir warte- ten, erhellte das erste Tagesgrauen den Horizont über dem Sumpf und dem sturmgepeitschten See. Abzu- warten, bis sich der hohe Seegang gelegt, wäre aus- sichtslos gewesen, denn als die Sonne aufging, erhob sich der Wind mit erneuter Heftigkeit. Bis wir über die heftige Brandung hinaus waren, gab es einige kri- tische Augenblicke, aber einmal draussen, schaukelten die Boote verhältnismässig sicher auf den grossen Wogen auf und ab. Im gleichen Mass wie wir durch- nässt wurden, trocknete uns die Sonne wieder, und obwohl wir kaum genügend Platz fanden, um kauernd am Boden zu sitzen, übermannte uns unwiderstehlich der Schlaf. Der monotone Singsang der Ruderer und der rhythmische Schlag ihrer Trommel begleiteten uns bis in unsere Träume hinein. Als wir erwachten, hing der Himmel wie ein dunkler Saphir über uns, und die Sterne warfen ihr funkelndes Licht über den See. Noch immer sangen die Ruderer; es schien uns in unsern Booten, als hätten wir schon seit Tagen auf diesem riesigen See getrieben. Dabei kam uns Odysseus in den Sinn, und wir wurden von aufrichtiger Bewunderung für diesen Seehelden erfüllt. Noch lange nachdem wir die Mühseligkeiten dieser Fahrt vergessen hatten, klangen uns die Gesänge der Ruderer in den Ohren. 206 Erst sang ein Mann einige Worte in hohem Fal- sett, dann kam der tiefe, volltönende Refrain im Takt mit jedem ausholenden Schlag der Ruder, die uns un- serer Bestimmung näher brachten. — > zes: E: % Um Mitternacht erreichten wir die Insel Kome, und am Mittag des folgenden Tages legten wir auf Dumba an, an einem Platz, den die Eingeborenen Calliam- busi nennen. Vor uns dehnte sich das Grün des Waldes, und hinter uns lag der glitzernde See. Die Insel besteht fast nur aus Wald und Sumpf. Man hätte Tage darauf verwenden können, den Wald zu durchforschen, aber wir sahen nur wenig von ihm, denn unser Wild hielt sich in den Sumpfgebieten auf, und unsere Zeit war kurz bemessen. Als wir die Rückfahrt antraten, hatte sich der Sturm gelegt, die Boote blieben beisammen. Rhythmisch wie ein Pulsschlag tönte die Trommel durch die Finsternis. So mögen in längst vergessenen Tagen, als der Victo- riasee noch Legende war, die Kriegs-Kanoes in den Kampf gezogen sein. Als wir im Morgengrauen erwachten, leuchteten die grünen Ufer von Entebbe in den ersten Strahlen der Sonne auf, während die schlafende Wasserfläche noch in Nebel gehüllt lag. Entebbe blieb uns darum immer —z . 207 als ein lieblich grünes, im Morgentau schimmerndes Fleckchen Erde in Erinnerung. Lange Schlagschatten lagen über den Rasenflächen; das Sonnenlicht liess die Blumen in flammenden Farben aufleuchten, und zwi- schen den Bäumen hindurch blickte man weit auf den See hinaus. Der Hügel hinter «Government House», mit seiner Aussicht auf Lagunen und Bananenhaine hebt sich von der übrigen Insel ab. Von dort aus sieht man des Abends, wenn das Festland schwarz aus dem wellengekräuselten Silber steigt, wie Entebbe zuäusserst auf schmaler Landzunge erbaut ist, allseitig umschlos- sen von der Fläche des Sees. So bezaubert waren wir von Entebbe, dass es schon eines Okapi bedurfte, um uns fortzulocken. Gerade als wir Entebbe verliessen, türmten sich wie- der Gewitterwolken auf allen Seiten. Wir hofften, dass mit unserm Erfolg auf der Insel Damba — B. hatte eine schöne Gruppe von Situtunga-Antilopen erbeutet — unser Pech der letzten Woche aufgehört habe. Zwi- schen Nairobi und Kisumu war nämlich alles fehlge- schlagen: eine Woche der Jagd unterhalb Kijabe hatte uns nur einen Serval eingetragen, während wir in erster Linie einen guten Büffel brauchten; und eine weitere Woche verloren wir in Gilgil, wo B. vergeblich dem Nakuru-Hartebeest nachgestellt hatte. Aber unser Pech hielt an: entweder fanden wir gerade diejenige Wildart nicht, die wir suchten, oder B. schoss schlecht, oder es ging sonst etwas schief. So wurde eine Jagd auf Fluss- pferde an der Mündung des Katonga ein Fiasko, und da die Dampfbarkasse sogleich nach Entebbe zurück- kehren musste, und keines der Eingeborenenboote geräumig genug war, um eine Flusspferdhaut nach 208 Männlicher Leopard, Thiba-Fluss Bukukata zu schaffen, war es zwecklos, noch länger hierzubleiben. Es folgten zehn erfolglose Tage in Sanga, einem Sumpf an der Strasse von Masaka nach Mbarara, in welchem sich besonders kapitale Impalas aufhalten sollten. Aber es war nichts zu machen: wir hätten gerade so gut zehn Monate hierbleiben können, die Impalas schienen vor uns gefeit. B. erbeutete nach mancher anstrengenden Pürsche ein Stück des schwarzschwänzigen' Oribi, eine örtlich beschränkte Abart, die für das Museum von grossem Wert war. Am Tag, an dem er den Bock erlegte, kam der sehnlichst erwartete Drahtbericht, der uns die Jagdbewilligung für das Okapi erteilte. In Mbarara verloren wir endlose Zeit mit der An- werbung von Trägern für unsere Lasten — bis hierher hatten Regierungslastwagen die Transportfrage auf einfache Weise gelöst —, und als wir endlich einen Inder gewinnen konnten, uns nach Kabale zu fahren, schien wieder eine Wendung zum Bessern eintreten zu wollen. Zuerst galt es, die Steigung des Lotobo-Hügels zu überwinden, die so lang und steil ist, dass der Wagen abgeladen werden musste, um sie zu erklimmen. Von da ab stieg der Weg ständig an, Felsklippen auf der einen Seite, ein Gebirgsflüsschen zur andern, um schliesslich in das weite, grüne Tal von Kabale zu münden. Wieder war ein längerer Aufenthalt zur An- werbung von Trägern unvermeidlich, aber in Kabale vergassen wir beinahe unsere Ungeduld, weiterzu- kommen. Man hatte uns ein leerstehendes Haus über- lassen mit weissgetünchten Mauern unter breit aus- ladendem Dach. Schwalben flogen darin ein und aus, 209 über ein Beet von Rosen und Löwenmäulchen hinweg blickten wir auf die friedliche Hügellandschaft. Wir mussten bald einsehen, dass es keine so einfache Sache ist, nach Belgisch-Kongo hineinzukommen. Es gab da eine Menge anzuordnen und zu disponieren. Wir hatten nur vierzehn unserer eigenen Leute von Nairobi mitgebracht; Simba, B.’s Gewehrträger war neu dazugekommen, ebenso der Koch, und an die Stelle von Bokari war Abde getreten; nicht, weil unsere bisherigen Leute unzulänglich waren — wir liessen sie im Gegenteil nur ungern zurück —, aber wir mussten unsere Unkosten herabsetzen, wo es nur irgend anging. Die Boys hatten sich plötzlich in den Kopf gesetzt, der Kongo sei ein böser Ort, und B. konnte ihre Angst nur dadurch zerstreuen, dass er ihnen durch den District Commissioner offiziell er- klären liess, sie würden nicht aufgefressen, wenn sie sich da hinein wagten. Es war noch eine ärztliche Untersuchung der Leute erforderlich, die Dr. S. in liebenswürdiger Weise übernahm. Er führte uns nach- her durch die Schule und das Spital. Mit besonderem Stolz zeigte er uns den Operationssaal, der mit den modernsten Einrichtungen versehen war. All dies war auf der abgelegenen Station um so anerkennens- werter, als hier drei Jahre zuvor noch kein Stein auf dem andern gestanden hatte. Jetzt konnten wir unsere Pläne endgültig festlegen: zuerst sollte es an den Vulkanen vorbei nach Rutchuru gehen, und unterwegs wollten wir es auf dem Muha- vura mit der Gorilla- Jagd versuchen. Erhielten wir die Erlaubnis für Gorillas auch für Belgisch-Kongo, so würden wir noch den Distrikt von Kiwu aufsuchen, 210 von dort nach Kabari am Edward-See marschieren, uns nach Kasindi einschiffen und dann über Beni zum Urwald von Ituri-vordringen. Dann zurück nach Fort Portal und zum Semliki, und zu Schiff den Albert- see hinunter zum Nil, um das weisse Nashorn zu jagen. Dass die Gorillas von den belgischen Behörden streng behütet werden, war uns bekannt; in zehn Tagen soll- ten sich aber die Regierungsvertreter von Uganda und Belgisch-Kongo an der Grenze‘ treffen. Es war ver- einbart, dass wir uns dies Zusammentreffen zunutze machen durften, und wir hofften, dadurch, dass wir per- sönlich vorstellig wurden, die Erlaubnis zu erwirken. Der hinter Kabale stetig ansteigende Weg brachte uns auf einen Grat, von dem aus wir den Bunjonisee zu unsern Füssen liegen sahen. Die vielen Inselchen und Halbinseln seiner Ufer waren von düstern Bergen umschlossen, und unter dem wolkenverhängten Him- mel erinnerten sie uns so sehr an unsern eigenen See in Norwegen, dass wir beide den Eindruck hatten, wir hätten dies Bild schon manches Mal gesehen. Der Lagerplatz war auf dem gegenüberliegenden Ufer. Die Boote waren so klein, dass manche gerade nur einen Träger und seine Last fassen konnten und wir zusam- men eine kleine Flotte bildeten. Es ist bis heute noch nicht gelungen, die Tiefe. des Bunjonisees zu messen. Wohl wurden Lotversuche angestellt, aber stets er- reichte die Leine ihr Ende, bevor sie auf Grund kam. Daran mussten wir denken, als wir uns schon in der Mitte befanden, und da der Bootsrand des Kanoes, in dem unsere Gewehre verstaut waren, kaum einen Zoll über den Wasserspiegel ragte, hielten wir an, um seine Last besser zu verteilen. 211 Der Abend senkte einen so zauberischen Schleier über den See, dass wir wie im Traum über seine sche- menhafte Fläche glitten. Die fernen Berge verschwam- men im Dämmer, die nahen wurden zu körperlosen Schatten, und unsere Kanoes schossen wie schwarze Fische auf sie zu; dann tauchte eine Uferlinie mit dem Lager von Bufundi vor uns auf. B. war schon vor Sonnenaufgang in einem Einbaum auf dem See, er hoffte, einen krallenlosen Otter zu er- beuten. Er erlegte zwei Stück, aber sie sanken augen- blicklich, und vergeblich wartete er, dass sie wieder an die Oberfläche kämen. Enten gab es in grosser Zahl, aber sie hielten sich stets ausser Schussweite. Ge- trieben hätten sie zweifellos reiche Beute ergeben, doch auch durch vorsichtiges Anpürschen gelang es B., zwei Enten zu erlegen. Sie waren grösser als eine Krickente, grau und bronzefarbig, mit einem weissen Streifen über den Flügeln und Augen so rot wieRubine. Um uns ein paar Meilen Marsch zu ersparen, liessen wir uns quer über die Bucht rudern. Jetzt leuchtete die Sonne über diesem See, dessen Abgründe einst flammen- speiende Krater gewesen, die nun erloschen unter der unbewegten blauen Fläche ruhten. Die Berge spiegel- ten sich darin, und Seerosen öffneten der Morgensonne ihre goldenen Kelche. Bis Behungi waren es nur vier Stunden Marsch, aber es ging steil bergan und war recht anstrengend. Das Rasthaus ist wie ein Wachtturm auf einem Grat errichtet, von dem aus man mitten hinein in die Berg- welt blickt. Schwarze Streifen niedergebrannten Grases, die sich an der grünen Bergflanke hinaufzogen, erweck- ten den Eindruck von kaum erkalteten Lavaströmen. 212 Plötzlich enthüllte ein Riss in den Wolken weit hinter den Ketten der Vorberge die ragenden Häupter der drei Vulkane. Muhavüra, der erste, ist ein vollkommen regelmässiger Kegel, ein Sattel (den wir auf der Jagd nach den Gorillas würden erklimmen müssen), ver- bindet ihn mit dem zweiten, Mgahinga; der dritte, ein kühngezackter Gipfel, ist der Sabinio. Hinter diesen drei liegen noch vier oder fünf andere, darunter der Karissimbi, der so hoch ist, dass ewiger Schnee seinen Gipfel bedeckt. Schon hier hatten wir ein Gefühl, als liege Schnee in der Luft. Fröstelnd nach dem heissen Aufstieg kauer- ten wir auf dem Grat beieinander und blickten auf diesen ungeheuren Schauplatz vorzeitlicher Gewalten. Drohende Bergzacken wuchsen durch rauchgrauen Dunst; Seen funkelten in den Strahlen einer uns ver- borgenen Sonne wie poliertes Kupfer und als wären sie von innen erleuchtet. Es war ein so gewaltiger und ur- weltlicher Anblick, dass es uns kaum überrascht hätte, wenn plötzlich ein Dinosaurus vor uns aufgetaucht wäre. Es verstrich noch geraume Zeit, bis unsere Leute an- kamen. Unsere eigenen Träger waren vom Anstieg erschöpft, die Eingeborenen der Gegend aber schienen abgehärteter und zäher zu sein als Tiere, denn ganz unbekümmert um den schneidend kalten Wind streck- ten sie ihre schweissbedeckten und beinahe nackten Körper auf der Erde aus. Schon in Kenya hatten wir gehört, dass in den Bergen von Behungi Harvey’s Ducker vorkommen, und da- neben eine unbekannte schwarze Art. Wir beschlossen, ihnen hier zwei Tage zu opfern und waren schon beim 213 ersten Morgengrauen unterwegs. Durch Sümpfe und Hügel, Bambusdickicht und Busch pürschten wir nach ihnen, völlig umsonst; ausser einem einzigen und scheinbar allgegenwärtigen Buschbock fanden wir nicht das geringste Anzeichen von Wild. Es gab hier keine Wildwechsel, und man musste entweder den Viehpfaden folgen, die auch von den Eingeborenen viel benutzt werden, oder aber sich durch den undurchdringlichen Busch hindurcharbeiten. Als eine Folge der Kälte traten bei den Leuten schon die berüchtigten Veldt- Schwären auf, andere bekamen Fieber. B. machten die verlorene Zeit und die Nutzlosigkeit der Jagd in einer wildlosen Gegend ungeduldig, und wenn wir uns auch mit dem Gedanken trösteten, dass wir hier einen der wenigstbereisten Teile Afrikas sehen durften, so wirkte doch der Aufenthalt in dieser dunstigen Berglandschaft seltsam bedrückend. Wir streiften den Schmutz von Behungi endgültig von unseren Füssen und folgten — niedergeschlagen durch unsere Misserfolge — weiter dem unsinnigen Auf und Ab der Strasse. Die nächste Etappe brachte uns an den Fuss der Vul- kane und ein dreistündiger Aufstieg bis zum Lager- platz unterhalb des Bergsattels. Die Wolken waren vom Gipfel des Muhavura gewichen. Sie bildeten nun ein Nebelmeer zu unseren Füssen, das die Welt vor unseren Blicken verhüllte und uns allein liess mit dem düsteren Berg. Nun konnte endlich die Gorillajagd beginnen. Das Spüren nach dem Bongo im Bambuswald, die mühsame Jagd auf das Waldschwein, dem wir in seine eigenen Höhlen nachgekrochen, waren ein Kinderspiel gewesen 214 im Vergleich zur Jagd auf die Gorillas, an den Hängen eines Vulkans hinauf, der höher ist als die Jungfrau. Zugegeben, dies war die schwierigste Gegend, in der män sie jagen konnte, aber es war zu ungewiss, ob wir die Erlaubnis für den Kiwu-Distrikt bekommen würden, als dass wir uns jede andere Möglichkeit ent- gehen lassen wollten. Mit welch naiver Zuversicht folgten wir doch unse- ren drei Pygmäenführern an jenem ersten Tag! Berg- auf und bergab hackten wir unsern Weg den glitschigen Wildwechseln entlang durch verfilzten Bambus, klet- terten über verrottete Äste oder krochen auf allen Vie- ren in sumpfigem Schlamm. So dicht war der Urwald, dass sich auf eine Speereslänge eine ganze Armee hätte versteckt halten können, ohne sich uns zu verraten. Wir fanden Gorilla-«Hütten», bei welchen die Bam- busspitzen mit fast menschlichem Geschick zu Platt- formen oder Stockwerken verflochten waren — Schlaf- stellen für Mutter und Kind, fünf bis zehn Fuss über dem Boden. Man sagt, das Männchen schlafe darunter am Boden, den Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt, und halte Wache. Doch diese «Häuser» waren jetzt zerfallen und verlassen. Wir machten einen Frühstückshalt, und unsere klei- nen, freundlichen Pygmäen nahmen ihre Feuerstöck- chen aus den fettigen Bastbeuteln, die sie um den Hals trugen, und machten ein Feuer an. Es sieht so einfach aus, wie sie ihr Stöckchen zwischen den Handflächen quirlen, die Spitze gegen einen zweiten Stock am Boden gedrückt, und schon nach einer halben Minute steigt ein Räuchlein aus dem Holz auf. Aber wenn sie 215 uns auch zeigten, wie man es macht, und wir das Stöck- chen voller Eifer wirbelten: wir brachten es nie zur leisesten Rauchentwicklung. Diese Pygmäen (es waren nicht die echten Pyg- mäen des Ituri-Waldes, die noch etwas kleiner sind) waren faszinierende kleine Gesellen, mehr gnomenhaft als menschlich, und es war ein Jammer, dass uns keine Elfensprache zur Verfügung stand, um uns ihren ern- sten Mienen verständlich zu machen, die sie stirnrun- zelnd in noch ernstere Falten legten in ihrem Bemühen, uns zu verstehen. Auf dem Rückweg begegneten wir einem Trupp Pygmäenjäger, alle mit winzigen Pfeilen und Bogen bewaffnet, und ein jeder trug seine schwarze Tonpfeife mit gebogenem Pfeifenrohr. Unsere Führer stellten uns vor, und sie begannen eine lange Unterhaltung, die erst richtig im Schwung war, als wir uns schon eine Viertelmeile von ihnen entfernt hatten. Sie versprachen, für uns nach Gorillas Ausschau zu halten. Die folgenden Tage verliefen ergebnislos, wir waren von Pech verfolgt. Die Aussicht auf ein Zusammentref- fen zwischen uns und den Gorillas wurde immer un- wahrscheinlicher. Wenn wir auch von Jagdfieber ver- zehrt wurden, so konnten wir es körperlich nicht länger durchhalten. B. litt an Gelbsucht, ich war behindert durch Veldt-Schwären und begann die nassen Zweige zu hassen, die wie Reitpeitschen gegen meine blossen, wunden Knie schnellten. Einer nach dem andern der Schwarzen bekam Ma- laria, der Koch nicht ausgenommen. Nirgends gab es eine Stelle, die genügend eben war, um das Zelt aufzuschlagen, und es verging eine Woche, 216 bis wir Träger aus dem Tiefland rekrutieren konnten, um das Lager auf die windgeschützte Flanke des Bergs zu verlegen. _ Inzwischen mussten wir unter einem elenden Schutz- dach aus Gras kampieren, das wir unterhalb des Sattels errichtet hatten; ein eisiger Luftzug pfiff durch seine Bambuswände, die in dem nebligen Dämmerlicht ächzten und stöhnten. Die Wolldecken und die Blahe, mit denen wir die den Winden ausgesetzte Seite zu schützen versuchten, nützten nur wenig. Manchmal befürchteten wir, unser Refugium könnte unter der Wucht eines Hagelschauers ganz in sich zu- sammenfallen. Es war, als hätte ein böser Traum uns verbannt in ein nebliges Nichts zwischen ziehenden Wolken und der schwarzen Felswand des Muhavura. Muhavura! Schon der Name war prachtvoll und schrecklich wie das Grollen des Donners. Er hatte einen Klang wie ein Ruf zu den Waffen. Und doch, wie elend fühlten wir uns hier, wie innig sehnten wir uns nach dem warmen Sonnenschein des Tieflands. Fast hatten wir vergessen, wie es war, wenn man sich warm und trocken fühlte. In diesem bleichen Dämmer- licht und dem unheimlich heulenden Wind wurden wir von einer unbeschreiblichen Traurigkeit erfüllt, wie von kommendem Missgeschick. Die Zeit verging, bis eines Tages die Pygmäenjäger von sich hören liessen. Die Gorillas befanden sich an der anderen Seite des Berges. Nach all unserem Spüren auf längst verlassenen Fährten entflammte diese Nachricht unsere Hoffnung wie berauschender Wein. All unsere Not war ver- 217 gessen, als wir der Laterne und unserem Führer in den frühen Stunden vor Beginn der Morgendämmerung folgten. Er führte uns auf dem kürzesten Weg zu den Gorilla- «Häusern», und als der Himmel sich erhellte, löschten wir die Laterne und begannen unsern Weg knietief durch ihre «Gärten » zu bahnen — mit saftigem Kräuterwuchs bedeckte abschüssige Waldlichtungen, durch Pfade in rechteckige Stücke aufgeteilt, die fast so regelmässig sind wie Schrebergärten. Diese «Häuser» und «Gärten », so interessant sie vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sind, trugen nur dazu bei, meine Abneigung gegen die Gorillas zu erhöhen. Wer leugnet, dass Liebe und Jagd verwandte Pas- sionen sind, der hat selbst nie gejagt, hat nie selbst Stunden oder gar Tage auf die Verfolgung eines Stückes Wild aufgewendet. Er wird niemals verstehen, wie man eins wird mit eben diesem Wild, fast bis zu dem Punkt, wo man aus dem Jagenden selbst zum Gejagten wird. Aber auch wenn man fast alle Vögel und Tiere lieben und sich mit ihnen identifizieren kann, so wehrt man sich doch irgendwie dagegen, den Stamm der Affen in ihr unschuldiges Reich einzulassen. Ihre so menschlichen Augenlider und Fingernägel lassen auf menschenartige Gedankengänge schliessen, aber doch bestialischer und noch unerlöster Art. Die Gorillahäuser schienen den Keim menschlichen Denkens zu bergen, ihre Gärten zu betreten erfüllte mich mit Scham, als ob ich Privatrechte verletzte. Es wurde mir leicht, den haarsträubenden Erzählungen der Pygmäen Glauben zu schenken, nach denen die Gorillas ihre Verfolger beschleichen und in ihren mächtigen Armen erdrücken. 218 Bald kamen wir in einen ihrer Gärten, der schändlich geplündert war; die Pygmäen steckten ihre Zehen in den gelblichen Gorilla-Kot und erklärten grinsend, er sei noch warm. Wir folgten unserem Führer in eine so dichte Dschun- gel, dass wir nicht auf Armlänge vor uns sehen konnten und auf allen Vieren unter der Blättermasse hindurch wie durch einen grünen Tunnel steil bergan krochen. Angestrengt horchend klommen-wir durch das feuchte Dämmer empor. Dann und wann blickte der Führer auf uns zurück und wies auf einen gebrochenen Zweig oder ein abgerissenes Blatt. Es war kein Zweifel, dies- mal waren sie nicht weit. Der Tunnel stieg und stieg, beschrieb hier eine Schleife, ging dann wieder steil bergan wie eine Seil- bahn, und die Wände üppiger Vegetation auf beiden Seiten umschlossen einen durchdringenden Pilz- und Modergeruch wie in einem unterirdischen Laufgang. Ich hisste mich mit Händen und Fingernägeln zwischen den schlüpfrigen Wurzeln nach oben, so stumpf vor Erschöpfung, dass ich nur noch an B.’s Stiefel denken konnte, die sich vor mir in die Höhe arbeiteten, als plötzlich ein markerschütternder Schrei die Stille zer- riss. Er machte mir fast das Blut gerinnen. Der Führer kollerte kopfüber auf uns herab, und über ihm sahen wir gerade noch eine dunkle Gestalt im Laubgewirr verschwinden. «Ngajis», flüsterte der erschrockene Pygmäe und zählte an seinen Fingern die Zahl sechs ab. Das Blut hämmerte in unsern Schläfen, als wir wieder vorwärts krochen, jeden Augenblick einen weiteren der schrecklichen Schreie erwartend. 219 Verwundete Büffel, die uns im Sumpf aufgelauert, hatten mich nie mit annähernd gleichem, atembeneh- mendem Gefühl der Unsicherheit erfüllt wie diese be- haarten, halbmenschlichen Wesen, die auf Armeslänge hinter dem Blättervorhang lauerten. Wäre es ihnen ein- gefallen, uns anzugreifen, wir wären in unserm Tunnel wie Kaninchen im Bau gefangen gewesen. Auf diese kurze Distanz war es B. hier unmöglich, einen Schuss abzugeben; wenn wir nicht die Gorillas in sichtigerem Gelände trafen, war nicht die geringste Aussicht auf Erfolg. In diesem Augenblick barst ein zweiter gellender Schrei unmittelbar neben uns. Wäh- rend wir geduckt warteten, erscholl rings um uns ein wildes Trommeln, das klang, als ob Riesenhunde ihre Behänge schüttelten; die Gorillas trommelten in ihrer Wut mit den Fäusten auf ihrer Brust. Wiederum brachen sie aus. Nichts war zu hören ausser dem eintönigen Tropfen des Regens und dem Klopfen unserer Herzen. Das Gelände wurde immer schwieriger. Wir mussten uns acht und neun Fuss an Ästen emporziehen, die über senkrechte Felsen hingen. Darnach führten die Spuren einen Fall von 30 Fuss hinab, so dass wir glaubten, die Gorillas hätten ihre Taktik geändert und seien talwärts gegangen. Wir folgten ihrer mutmasslichen Richtung auf einem Um- weg, verloren dadurch einen Teil unseres schwer er- kämpften Aufstiegs und mussten entdecken, dass sie sich dem Gipfel zugewandt hatten. Nach zwei Stunden geduldigen Spurenlesens und mühseliger Kletterei gelangten wir über den Bambus- gürtel hinaus in samtene Bestände von Riesen-Sene- cionen. Endlich waren wir wieder im Freien, konnten 220 frische Luft atmen, aufrecht stehen und um uns blicken. Beim Absuchen dieses grünen, von Nebelschwaden teilweise verschleierten Meers verriet uns ein plötz- liches silbernes Aufleuchten von Blattunterseiten, dass die Gorillas uns wieder zuerst entdeckt und sich ver- zogen hatten. Wir schlichen gebückt zwischen scharfen Felsen und wollblättrigen Stauden vor. Aber sie ver- liessen das Dickicht und wandten sich mit einem Wut- geschrei nach dem Rand der Schlucht. Wir rannten ihnen nach, so schnell wir konnten, die Augen ständig auf ihre auf- und niedertauchenden Köpfe und mächti- gen Arme geheftet. Sie liefen aufrecht und schwangen sich mit den Armen über die Felsen. Wenn wir sie jetzt auch sahen, so waren sie doch weit ausser Schussweite. Als wir den Felskamm erreichten, über den hinweg sie verschwunden waren, konnten wir es nicht glauben, dass irgendein Wesen, es wäre denn mit Flügeln be- gabt, einen solchen Weg für seine Flucht wählenkonnte. Wir schauten in einen Abgrund, Hunderte von Fuss tief, an dessen Steilwand nur hier und da ein verkrüp- pelter Busch wuchs. Und da sahen wir sie auch schon wieder, diese stahlharten Menschenaffen, wie sie sich an der gegenüberliegenden Wand hochschwangen. Ihre Akrobatik und Kraft verschlug uns fast den Atem und erfüllte uns mit Neid und Bewunderung. Ihnen hier zu folgen kam gar nicht in Frage. Das Tageslicht hielt noch zwei Stunden an. Soviel Zeit und mehr brauchten wir, um zu den « Gärten» zurück- zugelangen. Dort zündeten wir wieder die Laterne an und stolperten todmüde zum Lager zurück. Die Gorillas waren viel zu klug, einen weiteren sol- chen Tag zu riskieren und verliessen den Berg. Am 221 Ende einer Reihe erfolgloser Jagdtage gelangten wir zur Überzeugung, dass sie auf den Sabinio hinüberge- wechselt waren, in belgisches Gebiet, wohin wir ihnen nicht folgen konnten. Unsere Niederlage war um so bitterer, als wir schon so nahe am Ziel gewesen. Und doch, wenn ich daran dachte, dass ich kalten Blutes einem dieser menschen- ähnlichen Giganten hätte die Haut abziehen müssen, dann war meine Bitterkeit mit ein wenig Dankbarkeit versüsst, und ich packte Messer und Stahl nicht ohne Erleichterung wieder fort. Wir machten dann noch auf Harvey’s Schopfanti- lope und den kleinen Bergelefanten Jagd, aber ohne jeden Erfolg. Was wir hier auch unternahmen, schlug fehl. Eine Ersteigung des Muhavura selbst bot eine letzte Möglichkeit für einen, wenn auch anders gearteten Erfolg. Seitdem wir Behungi verlassen, hatte B. ihn durch sein Fernglas studiert, und es lockte uns beide, die Be- steigung zu versuchen. Vom Sattel aus war es aussichts- los. Mitglieder einer schwedischen Expedition hatten von dort einen vergeblichen Vorstoss unternommen; ein überhängender Fels nahe dem Gipfel konnte nicht erstiegen werden, und sie waren der Ansicht, dass er die Ersteigung ringsum verunmögliche. In Kabale hatten wir ausserdem gehört, dass der Berg noch nie erstiegen worden sei. War auch wenig mit einer Besteigung ge- wonnen, so wollten wir uns doch die Genugtuung ver- schaffen, wenigstens einen Erfolg verzeichnen zu kön- nen. Wir versahen uns mit einem Trägerzelt, einem Seil und Proviant für zwei Tage und marschierten los. 222 B. beabsichtigte, den Berg von der dem Sattel gegen- überliegenden Seite zu nehmen. Es ist dies die von Behungi aus sichtbare Ostflanke. Der Führer wusste, dass ein Teil des Aufstieges keine Schwierigkeiten bot, und wir hatten uns schon durch das Fernglas über- zeugt, dass ihn dort kein Bambuswald erschwerte. Wir brauchten viele Stunden, um den Berg zu um- gehen, wobei wir einem irritierenden Negerpfad folg- ten, der bergauf und bergab und dabei ständig vom Muhavura weg gegen die Ebene zu unserer Rechten führte. Zu unserem Schaden mussten wir aber bald erfahren, dass es kein Vorteil war, wenn wir uns dicht am Berg hielten, denn seine Flanke ist von tiefen Schluchten zerrissen, die wir umgehen mussten. Wir kamen durch weite Pflanzungen von Bohnen und Erbsen, die in voller Blüte standen und die Luft mit ihrem süssen Duft erfüllten. Unterwegs fand ich, halb in der Erde vergraben, einen Schädel, den ich zuerst für einen Gorillaschädel hielt. Wir fanden aber, dass er vor vielleicht fünfzig Jahren einer Pygmäen- frau angehört haben musste. Er war seltsam geformt, die fliehende Stirne schmal und platt, und der Raum, den das Gesicht einnahm, verhältnismässig sehr klein. Der Aufstieg war steil; der hartgebrannte Boden und das Lavageröll gaben dem Fuss wenig Halt, so dass wir es zu keinem gleichmässigen Tempo brachten. Aber nach zwei Stunden harter Arbeit hatten wir doch eine ziemliche Höhe über der Ebene erreicht. Bäume, die uns als unerreichbare Merkpunkte erschienen waren, lagen unter uns, und bevor der Abend hereinbrach, waren wir auf der düstern Schulter angelangt, zu wel- cher wir den ganzen Tag über aufgeblickt hatten. 223 Dort fanden wir eine kleine, geschützte Senkung. Wacholderstauden, die sich zypressengleich von den ziehenden Nebelfetzen abhoben, lieferten das Feuer- holz, und so schlugen wir hier unser Lager auf. Wir häuften die abgeschnittenen Büschel rings um das Trägerzelt und machten es auf diese Weise gemütlich und unsichtbar wie ein Wachtelnest. Dann hefteten wir Decken über das Zelt, die es warm hielten und vor dem bitterkalten Wind schützten. Als wir am frühen Morgen aufbrachen, hüllte uns der Wind in dichte Nebelschwaden, so dass wir weder nach oben noch nach unten Sicht hatten. Wir waren beständig ausser Atem und litten unter der Kälte. Nach dreistündigem Klettern machten wir halt auf der windgeschützten Seite eines Grates. Riesen-Senecionen und Lobelien gediehen hier in üppiger Fülle, und die abgestorbenen Stengel mit ihren geschwärzten Blütendolden erinnerten so sehr an grosse Raketen, dass sie gleich die Annehmlichkeiten eines lodernden Feuers in uns wachriefen. Aber der schwere Nebel hatte alles mit einem grauen Schleier kleiner Tröpfchen überzogen, so dass wir kein trockenes Zweig- lein fanden. Allmählich begann uns die Kälte zu schüt- teln, wir gaben fast die Hoffnung auf, je wieder aus diesem traurigen Nebel herauszukommen. Unsere Boys hatten vor Kälte so steife Finger, dass sie es nicht fertig- brachten, ein Streichholz anzuzünden. Auf einmal fiel uns das Paraffin in unserer Sturmlaterne ein, und in wenigen Augenblicken hatten wir zwei Feuer im Gang und eine Rauchentwicklung, die nichts zu wünschen übrig liess. Das Brennmaterial roch eigentümlich nach verbrannten Filmen oder Leim. Das Feuer erweckte 224 Rhino-Camp Weisses Nashorn, Be unsere erstarrten Lebensgeister wundersam, noch mehr aber das heisse Essen, das der Koch im Handumdrehen bereit hatte. Wir mussten alle Gegenstände mit den Händen festhalten und uns selbst mit den Füssen sichern, um nicht abzurutschen, denn wenn etwas hinunterfiel, so fiel es unwiederbringlich in den gäh- nenden Abgrund. Endlich teilten sich die Nebel, und die Sonne be- schien uns mit wärmender Strahlenflut. Einen Augen- blick sahen wir den Grat vor uns, darüber eine Fels- wand, die uns eine Kletterpartie in Aussicht stellte. Wir mussten die vorübergehende Aufhellung so gut wie möglich ausnutzen und machten uns unverzüglich auf den Weg, denn noch hatten wir keine Ahnung von der Art der Hindernisse, die zwischen uns und dem Gipfel lagen. Die vorbeiziehenden Nebelschwaden schlossen sich zuweilen so dicht, dass sie unsern Weg in Dämmer hüllten. Wir schätzten die Entfernung bis zum Gipfel noch auf zwei bis drei Stunden, aber nach kaum einer halben Stunde gelangten wir auf ebenen Grund, und vor uns lag ein kleiner Kratersee: der Gipfel war erreicht, und so unvermittelt war es gelungen, dass wir fast vergas- sen, uns darüber zu freuen. Die ganze Ersteigung war lediglich eine Sache der Ausdauer, keinesfalls aber der besonderen Berggewandtheit gewesen. Im Grunde waren wir es zufrieden, dass wir das Ende schon er- reicht hatten, während wir uns noch fragten, ob wir wohl das Schlimmste hinter uns hatten; für eine Erst- besteigung schien es aber lächerlich einfach. Aus dem umherliegenden Geröll bauten wir ein vier Fuss hohes Steinmännchen. Um den Bau zu vollenden, 225 umging ich auf der Suche nach kleineren Steinen den Kratersee, dabei stiess ich auf drei oder vier Felsstücke, die wie von Menschenhand aufeinandergeschichtet lagen. Ich rief zu B. hinüber, dass wir scheinbar doch nicht die ersten hier oben seien. Als ich die Steine be- rührte, fielen sie in sich zusammen, dabei gab es einen hohlen, metallischen Klang, und ich fand darunter eine alte rostige Blechbüchse, die eine mit Grünspan über- zogene, zerfressene Schrotpatrone — belgischen Ur- sprungs! — enthielt. Die Sache wurde spannend: neben unserer Enttäuschung stellte sich die Hoffnung ein, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Hatte der Eigentümer dieser von der Zeit zernagten Patrone den Muhavura schon vor einem halben Jahrhundert er- stiegen? Doch als wir das Stück Papier darin entfaltet, stand darauf zu lesen: «Mission Ge&ologique* de la Banque de Bruxelles, le 17 novembre 1922.» Gezeichnet: «HELURE. BOLIE. » B. schrieb nun unsere Namen auf ein zweites Blatt und fügte hinzu: «Mit unserm alten Hund Major, 5. Aug. 1924», und wir steckten die beiden Dokumente zu- sammen in eine verschraubbare Flasche und brachten sie in dem Steinmännchen unter. Wir schritten rings um den Gipfel, strengten unsere Augen an und hofften vergeblich, dass sich der Nebel nur einen Augenblick hebe, um uns eine der schönsten *) Erst später erfuhren wir, dass der Muhavura einige Jahre zuvor von Dr. D. aus Entebbe erstmalig bestiegen wurde. 226 Aussichten zu enthüllen, welche die Erde bietet. Denn unter uns dehnten sich mächtige Seen und Ebenen, und über die benachbarten Vulkane hinweg, die schein- bar in Kniehöhe um uns ragten, musste man in den Kongo bis nach Kiwu oder bis zurück nach Kabale blicken können. Dahinter der Edwardsee mit dem Ruwenzori auf der einen und dem Victoriasee auf der andern Seite. Wie klein und fern musste von hier oben die Welt erscheinen, der wir entstiegen waren... Aber wir sahen nichts von alledem. Erst gegen Abend verzog sich das Gewölk, aber da waren wir schon wieder in die Ebene hinabgestiegen. 227 Kongo — Edwardsee Zwei 'Tagesmärsche brachten uns an die Grenze von Belgisch-Kongo, und am dritten Tag trafen wir in Ruchuru ein. Unser Weg hatte sich zuerst zwischen kleinen Vul- kanen hindurchgewunden, die grösstenteils schach- brettartig vom Fuss bis zum Gipfel bebaut waren. Die viereckigen Felder waren zum Teil so steil, dass sie sich wie Fenster in einem Schloss ausnahmen. Dann führte uns der Weg bergauf zwischen blühenden Ger- berakazien, an Papyrussümpfen und Waldrändern vor- bei, über Anhöhen, von denen man in Täler blickte, die sich mit ihren ins Blaugrüne spielenden Schattierungen wie kühle Seen ausnahmen. Eine Meile vor Ruchuru gerieten wir in ein so hef- tiges Gewitter, dass wir von Kopf bis zu Fuss durchnässt dort ankamen. Alle unsere Vorräte waren so durch- tränkt, als seien sie in den Fluss gefallen. Fünfzig Pfund Zucker waren in Sirup verwandelt, das Mehl in Teig, die Streichhölzer aufgelöst, und Salz, Seife, Rosinen und Zwiebeln schwammen in einer Brühe. Aber was das Schlimmste war: die Patronen und Filme hatten gelitten. Um unsern Gorilla-Freipass war es schlecht bestellt. Man gab uns indessen den Rat, ihn von der Heimat aus zu erwirken, die Absage hier sei nur eine Formalität gewesen. B. kabelte also an das Museum. Es würden mindestens zehn Tage vergehen, bis die Antwort ein- 228 traf, wir konnten uns aber eine solche Verspätung kaum mehr leisten, denn die Regenzeit stand unmittel- bar bevor, und der Wald von Ituri ist selbst in der besten Jahreszeit kein bekömmlicher Aufenthalt. Es heisst, dass man zwei Wochen lang darin marschieren könne, ohne je einen Sonnenstrahl zu sehen. Und nun sassen wir hier fest, kaum zwei Tagereisen von Kiwu entfernt, das selbst für afrikanische Begriffe abgelegen ist, denn man kann es nur in wochenlangen Märschen erreichen, gleichgültig, woher man kommt. Wieviel abgelegener würde es sein, wenn wir erst wieder in Europa waren. Die Gorillas waren dort häufig, und das Gelände lange nicht so schwierig wie am Muhavura. Sobald wir den Jagdpass besassen, waren sie uns so gut wie sicher. Ein Gorillapaar wäre von grossem wissenschaftlichem Wert für unsere Sammlung, und die Schwierigkeiten, die man uns machte, bestärkten nur unsern Vorsatz. Noch einmal wurden unsere Leute, und diesmal auch wir, auf Tuberkulose untersucht. Dass man uns nach den Leistungen, die wir hinter uns hatten, noch verdächtigen konnte, von einer so verzehrenden Krank- heit befallen zu sein, schien uns einigermassen lächer- lich. Aber auch das war eine Formalität. Ebenso die Liste, die wir von unsern bescheidenen Habseligkeiten anfertigen mussten und der erstaunlich hohe Zoll, der darauf gesetzt war, sowie die Ausweiskarten, die man uns ausstellte — unsere Pässe wurden für ungenügend befunden — und das Einbrennen einer hässlichen «47» auf alle unsere Gewehrkolben*). *) Wenn wir auch damals sehr aufgebracht waren über das bürokratische Schneckentempo und über die Verspätung der 229 Aber alle diese Formalitäten konnten die zehn Tage Wartezeit nicht ausfüllen, und so beschlossen wir einen Marsch an die Ufer des Edwardsees, wo die Löwen besonders zahlreich sein sollten. Man warnte uns zwar vor dieser als gefährlich und unheilbringend verschrie- nen Gegend, einer Wüste und einer Brutstätte für Spirillenfieber. Noch keine Safari hatte sich hinein- gewagt, ohne dort einen Mann zu verlieren. Auf all dies war unsere Antwort nur: «Absit omen», und bald zogen wir wieder in die sonnige Steppe hinein. Unsere Kongo-Träger teilten augenscheinlich die schlechte Meinung über das Land, denn in Maiahivi, unserm zweiten Lagerplatz, desertierten sie bis auf den letzten Mann, noch ehe sie die erste Löhnung erhalten hatten. Es war eine trübselige Gesellschaft gewesen, ohne den mindesten Respekt vor dem Weissen, gleich- zeitig aber in steter Furcht. Dass letzteres der Fall war, fanden wir erst heraus, als wir eine andere Mann- schaft anwarben, die versicherte, sie werde bei uns bleiben, «wenn sie nicht geprügelt würden». Um sie noch sicherer in der Hand zu haben, nahm ihnen Mvan- guno heimlich ihre Taschen weg. Jeder Träger trug nämlich eine Tasche aus der Haut einer Moor-Antilope Kabelnachricht, die uns in arge Verlegenheit gebracht, so trug doch niemand Schuld daran, und die Regierungsbeamten in Ruchuru bezeigten uns die herzlichste Gastfreundschaft und Zuvorkommenheit. Erst viele Jahre später — und ganz zufällig — erfuhr ich von der grossen Mühe, die sich Monsieur Dubuisson gemacht hatte, um mir weitere Formalitäten zu ersparen, die mich gezwungen hätten, noch einmal nach Ruchuru zurückzukehren, und ich benütze diese Gelegenheit, ihm meinen besonderen Dank aus- zusprechen. 230 um den Hals — die Vorderbeine wurden als Trag- riemen daran gelassen —, in der sich seine gesamte Habe befand, die aus etwas Tabak, einer zerkauten Pfeife und einem Stück gedörrten Fleisches bestand. Wir begegneten zahlreichen Rudeln von Moor-Anti- lopen. B. musste aber sechs Böcke erlegen, bevor er ein unversehrtes Stück erbeutete. Alle andern hatten wundgescheuerte Stellen unter den Lauschern, die sie als Museumsstücke wertlos machten. Beim Riedbock sind diese kahlen Stellen normal, nicht aber bei der Moor-Antilope. Im Verhältnis zu ihrer Grösse ist die Moor-Antilope das zählebigste Wild, das wir ange- troffen. Selbst ihre Haut besitzt die Zähigkeit von Kaut- schuk. Sie erreicht die Schulterhöhe der Impala, wird aber zehn Zoll längerund gegen fünfzig Pfund schwerer. Bald nachdem wir dem zwischen Palmen glitzernden Ruchuru den Rücken gekehrt, stiessen wir auf eine Löwenspur. Wir lagerten an dieser Stelle, und B. machte sich sogleich daran, einen Köder zu beschaffen. Nachdem ich die Haut der Moor-Antilope gereinigt und die Schnitte zusammengenäht hatte, unternahm ich auf eigene Faust eine Pürsche in der Umgegend. Ich versuchte, ein Rudel Moor-Antilopen zu beschleichen, kehrte aber nach ein paar Meilen vergeblicher Jagd um. Um ja nicht irre zu gehen, hatte ich mir vorher einen Baum in der Nähe des Lagers gemerkt, der aussah, wie aus der Arche-Noah-Spielzeugschachtel meiner Kind- heit entnommen. B. hatte zuerst eine weibliche Moor-Antilope krank- geschossen. Sie wurde auf ein Schilfgebüsch zu flüch- tig, Major dicht hinterher. Sie hatte die Deckung schon beinahe erreicht, als ein zweites Tier, das B. zuerst als 231 Wildschwein ansprach, sich durch das Schilfgras auf einen davorliegenden Busch zu bewegte. Als die flüchtige Antilope den Busch passierte, wurde sie von dem Tier mit mächtigem Sprung niedergerissen. B. konnte gerade noch erkennen, dass es sich um einen Löwen handelte. Major, der nun ebenfalls bei dem Busch angelangt war, stutzte und kehrte zu B. zurück. Als B. an die Stelle gelangte, war weder von dem Löwen, noch von der Antilope etwas zu sehen. Major setzte nur noch zögernd und mit gesträubtem Nacken einen Fuss vor den andern, und plötzlich sah sich B., als er um einen Busch bog, drei Löwen gegenüber, die im Begriff waren, die Beute zu verzehren. Im gleichen Augenblick hatten sie Major eräugt und setzten in das Dickicht. B. hatte gerade noch Zeit für eine Kugel auf den zunächststehenden Löwen. Es war ein schöner Blattschuss, und die Träger brachten die Beute im Tri- umph ins Lager zurück. Der Löwe war das beste Mittel, um die Misserfolge der letzten zehn Wochen vergessen zu machen, alle freuten sich darüber. Sicherlich bedeutete seine Erle- gung den Auftakt zu einer glücklicheren Periode. Wir setzten unsern Marsch fort bis nach Mukunda, einem Fischerdorf am Ufer des Sees, das uns seit Ru- churu als das ideale Löwenrevier geschildert wurde. Der «Mwami» des Dorfes jedoch, den wir ausfragten, schien davon keine Ahnung zu haben. Er wiederholte das Wort «Simba», als höre er es zum ersten Mal in seinem Leben und schüttelte den Kopf; Löwen gab es anscheinend nicht in diesem Teil von Afrika. Wir zogen weiter in der Richtung eines Waldrandes, der in der Ferne sichtbar war. Ringsum pfadlose Wild- 232 nis, wir mussten unsern Weg mühsam durch schilf- überwucherte, ausgetrocknete Bachbette bahnen. Die Sonne brannte auf uns herab; keiner unserer Leute kannte sich hier aus, aber alle waren darin einig, dass es kein Wasser gebe. Wir schickten den Führer mit unserer Feldflasche zurück, und während wir geduldig warteten, löschten die Träger ihren Durst aus ihren mitgeführten Calebassen. Endlich näherten wir uns dem Punkt, an dem der Wald in Schilf überging, als ein willkommenes Rauschen an unsere Ohren drang. War es nur das Rauschen des Windes im Schilf, oder war es der Wellenschlag des Seeufers ? Unsere Müdigkeit war vergessen, und wir be- schleunigten unsern Schritt, um zu sehen, was hinter der Schilfwand lag, als im Gras dicht neben uns ein Löwe flüchtig wurde. Ein gelber Schatten, und schon war er im Schilf verschwunden. Wir postierten uns am Rand des Schilfs, während Simba die Stelle umging, um ihn uns zuzutreiben. Plötzlich setzte eine Löwin ins Freie. B. ib Feuer, und sie schlug ein Rad wie ein Hase. Unglaublich, die augenblickliche Wirkung dieser einzigen Kugel! Eine Sekunde später richtete sie sich jedoch auf, und im selben Augenblick nahm sie uns blitzschnell an. Mit offenem Rachen und fauchend hätte sie uns beinahe er- reicht, als ein zweiter Schuss sie dicht vor unsern Füs- sen zur Strecke brachte. Muthoka, der Wasser holen gegangen war, hatte meine Büchse bei sich, und mir blieb nichts übrig, als stillzustehen. So hatte sich jede Bewegung der Löwin in mein Gehirn wie mit Flammen eingegraben: wie sie den Bruchteil einer Sekunde gezögert hatte, bevor sie 233 uns annahm, wie sie, die Lauscher flach am Kopf, die Augen sprühend, uns entgegenstürzte. Kein glattes Katzenfell, überhaupt nichts Katzenartiges war an diesem Angriff. Mir schien, als ob sie über und über von Fängen und Krallen starrte. Während sie noch verendend am Boden rollte, brach eine zweite Löwin aus dem Schilf, doch sie flüchtete zurück, bevor B. feuern konnte. Die erlegte Löwin war ein altes Tier, dessen Fangzähne nur noch abgenützte Höcker waren. B. meinte, sie mochte wohl einer der Menschenfresser gewesen sein, von denen wir gehört hatten; dies hätte auch ihre Furchtlosigkeit erklärt. Andererseits mochte sie uns auch angegriffen haben, weil wir schon so nahe waren, als sie die erste Kugel empfing. Kein Wunder, dass wir — wie wohl auch der Leser — während dieses Intermezzos all unser Interesse am See vergessen hatten, denn es war wirklich der See, und noch nie war uns Wasser so verlockend erschienen. B. erlegte ein Flusspferd als Fleisch für dieLeute, aber wenn wir erwarteten, dass sie über den Anblick von so viel «Nyama» (Fleisch) entzückt seien, so sahen wir uns enttäuscht. Das Flusspferd war auf einer Sandbank gestrandet, kaum hundert Meter vom Ufer, aber keiner der Träger getraute sich ins Wasser, und als wir unsere eigenen Leute — dieselben, die den angeschwollenen Uaso durchschwommen hatten — dazu aufforderten, weigerten auch sie sich, in diesen spiegelglatten See zu waten, der völlig frei von Krokodilen ist. Endlich konnten wir Saidi an seinem Ehrgefühl packen, so dass er sich ein Herz nahm und zögernd hineinwatete. Um den andern Mut zu machen, wateten auch wir hinaus 234 und entdeckten, dass das Wasser nicht abgründig tief war, sondern uns nur bis an die Hüften reichte. Da be- gannen auch die Leute, Geschmack an dem Unterneh- men zu finden, und mit einem «Heave-ho!»-Gesang zogen sie den Kadaver aufs Ufer. B. liess einen Teilals Köder festpflöcken und da- neben einen Ansitz errichten. Um Mitternacht. sollte ich ihn mit einigen Boys und einer Laterne dort ab- holen. Die Nacht war pechschwatz, und überall hörte ich Löwen knurren; plötzlich stürmte etwas, das tiefe Kehllaute von sich gab wie ein Löwe, auf uns zu. Es war zwar nur ein Flusspferd, immerhin schlotterten mir die Knie, und es verschlug mir den Atem. Ehrliche, regelrechte physische Angst ist doch ein wundervolles Gefühl! Jeden Tag zogen wir ein paar Meilen am Seeufer ent- lang und jagten im angrenzenden Waldgürtel. Im Wald, der zum grossen Teil aus Euphorbien besteht, erbeutete B. eine Geschirr- Antilope. Sie ist kleiner und zierlicher als der gemeine Buschbock, mit vielen Streifen und Flecken gezeichnet und von gelblicherer Farbe. Es war ein grosser Tag für Major, der sie nach langer, hartnäckiger Hatz in einer Dickung verbellte. Als B. zur Stelle kam, nahm die Antilope den Hund mit gesenktem Haupt an, verfehlte ihn und stürmte weiter, auf B. zu. Es ist erstaunlich, wie hartnäckig sich selbst ein so schwaches Wild wie der Buschbock zur Wehr setzt, wenn es in die Enge getrieben wird. Ein angeschossener Uganda-Kob (Moor-Antilope) hatte sich ganz ähnlich verhalten. B. hatte keine Patronen übrig, und der nur leicht krankgeschossene Kob wurde von Major im 235 offenen Gelände verbellt. Es war eine groteske Situa- tion. Die Antilope hatte jeden Gedanken an Flucht auf- gegeben. Vor ihr, fast zwischen ihren Vorderläufen, sass Major, von der Hatz erschöpft, mit lang heraus- hängender Zunge, und wir standen ringsum, fürch- teten uns, sie anzupacken, und hatten keine Waffe, um ihr den Rest zu geben. Endlich versuchte Simba, eines der Hörner zu fassen, worauf der Kob mit ge- senktem Haupt auf den verblüfften Simba losfuhr, der bei dem plötzlichen Stoss in seine Leibesmitte wie ein wohlerzogener Kegel der Länge nach auf den Rücken fiel. Im nächsten Augenblick hatte der Kob seine Aufmerksamkeit meiner Wenigkeit zugewandt, und es fehlte nicht viel, dass ich Simbas Schicksal teilte. Diesen hatte übrigens das Attentat auf seine Person nicht aus der Ruhe gebracht; er erhob sich mit be- leidigter Miene und untersuchte sich gleichmütig auf etwaige Schäden. Unterdessen war über den Kob eine blinde Wut gekommen, die seltsam mit dem sonst so sanften Tier kontrastierte. Er machte verschiedene Ausfälle gegen Major, den er auch einmal erwischte; ein Haarbüschel Majors blieb an einem Horn hängen. Der ungleiche Kampf endete damit, dass B. einen Hinterlauf zu fassen bekam, während Muthoka und ich gleichzeitig die Hörner ergriffen; im Nu war er am Boden und «gechingert » (geschächtet). In diesen Tagen brachten die Boys eine junge Gin- sterkatze ein. Sie war so klein, dass ihre Augen noch ge- schlossen waren, aber sie nahm die Flasche ohne Um- stände und gedieh prächtig. Kasaia flocht ein Trag- körbchen für sie, und da sie stündlich, Tag und Nacht, genährt werden musste, trug ich das Körbchen be- 236 ständig mit mir, ob wir nun nach Büffeln spürten oder auf Löwen ansassen; und ein dankbareres Schosstier kann man sich nicht vorstellen. Als wir am frühen Morgen unsern Köder inspizier- ten, sahen wir gerade noch einen sich entfernenden Löwen. Auf einer kleinen Anhöhe verhoffte er und sicherte nach uns zurück. B. gab Feuer, und die Kugel fand ihren Weg durch das Hirn und zum Auge heraus, so dass der Löwe, wo er stand, in sich zusammen- klappte. Es war der schönste schwarzmähnige Löwe, den wir angetroffen, und die kohlschwarzen Lauscher und besonders seine schwarzen Sprunggelenke gaben ihm ein majestätisches Aussehen. Wir wendeten fast den ganzen Tag an das Präparieren der Haut, und als wir damit fertig waren, schlug B. einen Spaziergang ans Seeufer vor, um mir gleichzeitig Gelegenheit zu geben, mit der 416er-Büchse ein Flusspferd zu schiessen. Wir sassen in unserm Schilfversteck mit Flusspferden rings um uns her; einzelne ragten wie Felsblöcke halb über das flache Wasser hinaus. Einmal gab es Stampfen und Geplantsch im Wasser, begleitet von einem Trom- peten wie von Elefanten, als zwei Flusspferde miteinan- der kämpften. Dann versank wieder alles in der lässigen Stille des Nachmittags. Die Flusspferde gähnten und gaben schlaftrunkene Töne von sich — eine Art von dröhnendem, innerlichem Wiehern. Scharen von Vögeln sammelten sich am Ufer, und in den seichten Stellen spielten Fische, deren Rückenflossen über den Wasser- spiegel ragten. Träumend lappten kleine goldgrau- schimmernde Wellchen an das Ufer, die Umrisse der Berge im Westen verschwammen in Duft, ein Eis- vogel schwebte gegen das Sonnenlicht. 237 Diesen Frieden durch Gewehrschüsse zu stören, war eine Entweihung, aber merkwürdigerweise nahm kei- nes der Tiere davon Notiz. Und warum sollten sie auch? Jahrtausende hindurch war es hier so gewesen: die vorsintflutlichen Flusspferde, die vertrauten Was- servögel und dieser in der Sonne glitzernde See. Hier in dieser friedfertigen Einsamkeit lernte man begreifen, dass Ewigkeit nicht notwendig die Folge ungezählter Zeitalter bedeuten muss, sondern ebensogut, ja noch hundertmal sinnfälliger, im Farbenspiel eines Sonnen- unterganges oder einer Dämmerung oder in dem ruhi- gen Umriss der unwandelbaren Berge zum Ausdruck kommen kann. Und zu verstehen, dass wir nicht ein unendlich kleiner, von Raum und Zeit begrenzter Funke sind, sondern ein Teil von Himmel und Erde und allen Elementen, dass unsere Seele so weit ist wie die grossen Fernen, in alles hineingegeben, das hiesse, die wahre Freiheit zu erfassen. Als wir uns am nächsten Morgen dem Köder näher- ten, bemerkten wir eine Löwin, die im Gras aufgerichtet nach uns äugte. Sie verschwand, aber als wir ihr nacheilten, bekamen wir sie und noch zwei andere Löwinnen wieder zu Gesicht. Bald schlossen sich ihnen noch mehrere an, sie schienen von allen Seiten aus der Erde zu wachsen. Wir zählten insgesamt acht Stück. Sie trollten sich ge- mächlich, indem sie bald ausschritten, bald in Trab verfielen, und wir rannten ihnen nach, so schnell wir konnten. Doch obgleich sie sich nicht zu beeilen schie- nen, wurde die Entfernung zwischen ihnen und uns immer grösser. Als eine alte Löwin, die den Rückzug zu decken schien, etwas zurückblieb, legte B. auf sie an. 238 Sie mochte, als sie uns innehalten sah, geglaubt haben, dass wir erst jetzt gewahr geworden, wen wir verfolgten, und dass es an der Zeit sei, uns einzuschüch- tern. Jedenfalls machte sie halt und wandte sich osten- tativ gegen uns. Im gleichen Augenblick erhielt sie die Kugel. Sie strauchelte und fiel dumpf knurrend auf die Seite. Obwohl ein stattliches Exemplar, war ihr Fell von Narben bedeckt, und an der Rute fehlte die schwarze Quaste. Sie war vollständig vollgefressen; in ihrem Magen fanden wir beinahe einen ganzen Topi. Es wäre zwecklos gewesen, in dieser Gegend wieder- um einen Köder auszulegen; er hätte bestimmt wieder die sieben Löwinnen angelockt, von denen keine den Abschuss verlohnte. Wir zogen daher weiter land- einwärts und schlugen unser Lager auf einer Terrasse auf, die den Isashafluss beherrscht. Die Köder hatten in der Nacht keine Beachtung ge- funden; als wir im Morgendämmer ins Lager zurück- kehrten, bekamen wir einige Topis zu Gesicht. Da wir wieder Wildbret brauchten, pürschte sich B. an, während ich weiterging, als sei nichts geschehen, um ihre Wachsamkeit zu täuschen. Am Rand der Terrasse rastete ich, um zu warten. Die Sonne erhob sich gerade über dem Horizont, eine blutrote Scheibe. Einen Au- genblick schien sie reglos frei zu schweben, gleichsam, um sich für ihr bevorstehendes Tagewerk zu sammeln. Dann schoss sie, aufwärtssteigend, ihre leuchtenden Strahlenbündel über die erwachende Erde hinweg. Ganz versunken in die Herrlichkeit dieses Schauspiels erträumte ich mir, dass ich ihr heute als erste gegen- übertrete und von ihr heischen dürfe, sie möge für diesen einzigen Tag die Welt glücklich machen.‘ Ich 239 dachte dabei mehr an das Getümmel der Städte als an die Welt, die sich vor meinen Füssen breitete. Dies war ohnehin ein gelobtes Land, diese reizvolle Wüste, die gerade zum Leben erwachte, deren Schattenberge plötzlich Gestalt annahmen, während die Baumkronen sich noch wie Inseln über perlfarbige Nebel erhoben. In der nächsten Nacht erwachten wir an einem un- heimlichen Stöhnen, das hin und wieder in einem schrecklichen Aufschrei gipfelte. B. stand auf, um nach- zusehen, was die Ursache sei, und fand Hamesi bei seinem Zelteingang sitzen, fassungslos jammernd, dass er entsetzliche Schmerzen leide und sterben müsse. Die Boys berichteten, er habe eine riesige Fleischmahl- zeit verschlungen, und so erregte er mit seinem fürch- terlichen Lärm eher unsern Widerwillen als unser Mit- leid. Wir wussten nicht, wie ihm helfen, denn er konnte keine Medizin bei sich behalten. Beständiges Auflegen von heissen Kompressen verschaffte ihm etwas Er- leichterung, am nächsten Abend schien sein Zustand viel besser, und er schlief ein, so dass wir schon glaubten, er werde sich schnell erholen. Aber schon während der Nacht kam Abde mit dem Bericht, Ha- mesi sei tot. Am frühen Morgen schaufelten die Boys sein Grab, und als es bereit war, riefen sie uns. Ich weiss nicht, ob schon viele Weisse bei mohammedanischen Beerdi- gungs-Zeremonien zugegen gewesen und sie beschrie- ben haben; wir fassten es jedenfalls als ein Zeichen grossen Vertrauens auf, dass wir aufgefordert wurden, dem Begräbnis beizuwohnen. Die Riten waren von einer rührend ernsthaften Ein- fachheit. Nachdem der Leichnam Hamesis in die Grube 240 gesenkt worden, überdachten die Boys ihn und die beiden noch im Grab arbeitenden Leute mit einer Decke. Dann reichten sie ihnen ungefähr fünfzig fuss- lange Stücke Holz, Grasbüschel, ein paar Steine und Erdklumpen, die Muthoka mit Wasser geknetet hatte. Darnach wurde die Decke entfernt und das Grab mit Erde gefüllt. Die ganze Zeremonie wurde von einem Chorgesang in Moll begleitet, geführt von einem Vor- sänger, der zwei Worte, die wie: «Byam Mohamed» klangen, vorsang. Als ein lockerer Hügel sich über dem Grab wölbte, kniete Jim an seiner Seite nieder und legte seinen Arm darüber; der Koch ergriff ihn auf der andern Seite bei der Hand und zog ihn auf dem Grab hin und her. Dann schüttete er Wasser auf die so eingeebnete Fläche und wiederholte einige Worte. Zum Schluss wurde ein Zweig als Grabmal in das gegen Osten gerichtete Kopfende gesteckt. Die unerwartete Plötzlichkeit dieses Geschehnisses bestürzte uns. B. war den ganzen Tag gedrückt, und er machte sich Vorwürfe, dass er sich des Kranken nicht gründlicher angenommen hatte. Gerne hätte er eine Sektion veranlasst, aber im Umkreis von fünf Tagesmärschen gab es keinen Arzt. Hamesi hatte Flusspferdfleisch gegessen, auf das es geregnet hatte, doch alle seine Kameraden hatten dasselbe getan. So war die einzig plausible Erklärung, dass er ein beson- ders verdorbenes Stück erwischt hatte und die Todes- ursache also eine Ptomain-Vergiftung war. Dieser Todesfall in unserer Mitte warf einen Schat- ten auf das Lager, und wir beschlossen, die gedrückte Stimmung durch einen langen Marsch in eine andere Gegend zu mildern. 241 B. war am nächsten Morgen schon früh unterwegs, um einen Köder für Löwen zu erbeuten. Auf dem Rückweg zum Lager wurde er einer Büffelherde an- sichtig, die friedlich auf der ungedeckten Ebene äste. Er hatte sich bis auf Schussweite herangepürscht und war gerade daran, sich in eine bequemere Stellung zu bringen, als er zu seiner Seite eine Bewegung mehr fühlte als sah, die ihn umschauen liess. Er sah gerade noch die gelbe Schulter eines Löwen verschwinden. Im nächsten Augenblick flüsterte Muthoka: «Simba». Und da, mitten in der offenen Steppe, lauerten drei Löwinnen den Büffeln auf. Noch hatten sie B. nicht be- merkt, der gemächlich eine von ihnen aufs Korn nahm und feuerte. Die einzige Deckung in dem offenen Ge- lände war der Busch, den B. sich selbst ausersehen hatte, und die Löwin kam geradewegs in langen Fluch- ten auf ihn zu. Sie gewahrte B. erst, als sie nur wenige Meter von ihm entfernt war, worauf sie zur Seite schnellte und in dem Gestrüpp verschwand. Der Schuss hatte die Büffel misstrauisch gemacht; sie standen dicht zusammengedrängt und sicherten nach allen Richtungen. B. gab eine Kugel auf einen Bullen ab, der nun ebenfalls in gestrecktem Galopp auf ihn zujagte. Es sah aus wie ein Angriff, in Wirk- lichkeit war es ihm — wie vorher der Löwin, nur darum zu tun, die nächste Deckung zu erreichen. B. folgte und stiess im Dickicht unvermittelt auf den Bullen, der ihm den Spiegel zukehrte. B. hatte nur noch ein Vollmantelgeschoss übrig, und als sich der Büffel im gleichen Augenblick herumwarf und ihn annahm, gab er Feuer. Wieder wendete sich das Tier und suchte krachend durch das Dickicht das Weite. 242 \ Unterdessen war die Löwin verendet. Nachdem B. sie abgestreift hatte (merkwürdigerweise fehlte auch ihr die Schweifquaste), kehrte B. zum Lager zurück, um die schwere Büchse zu holen. Es gab voraussicht- lich eine interessante Nachsuche wie damals im Tinga- Tinga, bei der auch ich mitgeholfen. Ich wäre gerne wieder mitgekommen, B. sagte aber, es sei ein gefähr- liches Gelände, und je weniger Verfolger, desto besser. Ich machte mich daher an die Beatbeitung der Löwen- decke und war noch lange nach Sonnenuntergang beim Schein des Lagerfeuers damit beschäftigt. Endlich kam B. zurück. Er war der Spur einige Stun- den gefolgt, als Major aus seinem Halsband schlüpfte und mit hellern Geläute davonschoss. Fast gleichzeitig stürmte der Büffel durch das Unterholz heran. Es war unmöglich festzustellen, woher er sich näherte, und ebenso unmöglich, seinem Ansturm auszuweichen, denn der Busch war ausser dem Wechsel der Büffel un- durchdringlich. Schon erbost über seine Wunde, stei- gerte der Hund die Wut des Büffels aufs äusserste. Er schnaubte durch das Dickicht auf der Suche nach seinen Verfolgern, um seinen Zorn an ihnen auszu- lassen. Nur wenige Meter fegte er an B. vorüber, aber das Schilf stand so dicht, dass er nur einen Augenblick sichtbar wurde, als er schon vorüber war. B. riss die schwere Büchse herum und brannte ihm eine 416er aufs Blatt. Es war ein Schuss zur rechten Zeit, denn der Büffel hatte Kasaia schon beinahe erreicht, ja, er war ihm so nahe, dass B. ihn schon zwischen den aus- ladenden Hörnern sah. Es war eine für alle Beteiligten gleich gefährliche Situation gewesen, und B. gelobte sich, nie mehr im 243 Dickicht die Suche nach einem krankgeschossenen Büffel zu riskieren. Ich wünschte, er möchte Wort halten, denn unter solchen Umständen war jeder Schritt mit Lebensgefahr verbunden. Aber man gerät in solche Situationen, ehe man es sich versieht, und dann bleibt nichts übrig, als durchzuhalten. Der erlegte Büffel lag ein gutes Stück vom Lager ent- fernt. B. schlug darum vor, dass ich, während er ihn am nächsten Morgen aufsuchte, mit Kasaia zusammen den Topi-Köder übernehmen solle, um auch einmal Gelegenheit zu haben, einen Löwen zu erlegen. Vor Aufregung über diese Aussicht konnte ich kaum schlafen. Wir gingen miteinander, bis sich unsere Wege trennten. Ich war noch nicht weit gekommen, als ich ein halbes Dutzend Eingeborener sah, die über dieEbene daherspazierten, ausgerechnet in der Nähe des Köders. Sie drückten sich, bevor ich mit ihnen sprechen konnte, aber augenscheinlich patrouillierten sie hier mit der Absicht, die Raubtiere fernzuhalten, um nachher von B. den Köder für sich zu erbetteln. Mit meiner Löwen- jagd war es damit aus. Die Eingeborenen dieser Gegend waren durchwegs eine primitive Gesellschaft. Auch unsere hier angeworbenen Träger machten uns zu schaf- fen, sie schienen sich nur unter Zwang wohl zu fühlen. Die belgischen Safaris scheinen ihre Trophäen zu ver- schachern, denn einer der hiesigen Träger fragte mich, während ich an der Löwenhaut arbeitete, ob ich sie ihm für drei Francs (siebzig Cents) verkaufen wolle. Ich sagte, der Bwana verlange gewiss nicht mehr als 1.50 Francs, aber er lachte nicht einmal über meinen Scherz. Wenn wir es bis hierher als unnötigen Luxus be- trachtet hatten, vierzehn Boys aus dem fernen Nairobi 244 mitzubringen, so sahen wir bald ein, dass wir ohne sie im Kongo nicht weit gekommen wären. Unsere Leute freuten sich königlich über die Er- legung der Löwin und des Büffels, und Kasaia spielte wieder einmal fröhlich auf seiner Geige. B. sagte ganz richtig, dass mit möglichst viel Abwechslung die Leute keine Gelegenheit hätten, sich über Hamesis Tod schwarze Gedanken zu machen. Er gab ihnen einen freien Nachmittag und verteilte Angelhaken, denn es ging ihnen nichts über den Fischfang. Die Tragödie des armen Hamesi hatte viel dazu beigetragen, uns enger aneinander zu schliessen. Sie waren uns nur un- gern in den Kongo gefolgt und hätten allen Grund ge- habt, uns dies jetzt fühlen zu lassen; aber nie hatten sie rücksichtsvollere Fügsamkeit gezeigt als gerade jetzt. Der Verlust eines Mannes ist für jede Safari ein harter Schlag, besonders wenn die Leute, wie die unseren, schon seit eineinhalb Jahren zusammenarbeiteten und sich beinahe als eine grosse Familie betrachten. Bei Anbruch des nächsten Tages inspizierten wir wieder unsere Köder, und diesmal fand ich bei meinem Köder einen Löwen. Aber schon entfernte er sich in einem fördernden Galopp, und als er einmal ausser Sicht war, verriet der hartgedörrte Boden nicht die Richtung, welche er genommen. Ich drückte durch den Busch, aber nur Federwild kam hoch und — ein plötzliches Knacken — ein Riedbock. Allein auf mich angewiesen, fand ich die Löwenjagd entschieden an- regender, und ich brannte darauf, in Erfahrung zu bringen, ob ich mich wirklich so kaltblütig dabei be- nehmen würde, wie ich es mir vorstellte. 245 Da B.’s Köder keinen Besuch erhalten hatte, wollten wir es am nächsten Tag nochmals mit meinem Löwen versuchen. Das war aber nicht so einfach, denn er hatte den Topi schlau in einen Busch geschleppt, der isoliert auf einer Anhöhe das Lager überragte. Von keiner Seite war es möglich, gedeckt heranzukommen; Mond- licht gab es zur Zeit auch nicht, und so planten wir, in einer Boma in der Nähe des Köders zu schlafen, um beim ersten Büchsenlicht bereit zu sein. Am Tage war der Ansitz zwanzig Minuten vom Lager entfernt, da wir ihn aber erst bei völliger Dunkelheit aufsuchen wollten, peilte ihn B. so genau wie möglich mit seinem Kompass an. Als wir uns auf den Weg machten, lastete die Dunkelheit wie eine erstickende Decke über uns. Wir stolperten beständig über Termitenhügel und konsultierten alle paar Schritte den mit Leuchtziffer- blatt versehenen Kompass. Viele Stunden schienen darüber zu vergehen. Vögel gingen mit flatternden Schwingen unter unsern Füssen hoch, aufgestörte Riedböcke klagten schrill, Laute, die uns jedesmal zu- sammenfahren liessen. Endlich stiessen wir auf die Boma und mussten entdecken, dass unser Feldzugsplan gänzlich missraten war. Unsere Absicht war gewesen, den Köder unberührt daliegen zu lassen, wo ihn der Löwe gefunden, so dass er ihn, ohne Verdacht zu schöpfen, wieder aufsuchen und eine ausgiebige Mahl- zeit halten würde. Dann war die Wahrscheinlichkeit gross, dass er sich bis zum Morgen in der Nähe aufhielt. Unsere Leute hatten aber stets den Köder in nächster Nähe der Boma festgepflöckt, und so hatten sie es auch diesmal gehalten. Daran war jetzt nichts mehr zu än- dern, und wir zündeten die Laterne an. 246 Vom Köder war wenig mehr als die Rippen und der Hals übrig, und der Sand wies frische Spuren auf. Kaum hatten uns die Boys mit Dornenzweigen ein- gehegt, als sie uns schon zuraunten, sie hörten Löwen bei der Mahlzeit. Wir krochen wieder heraus, B. zu- vorderst, dann Kasaia mit der Sturmlaterne auf dem Kopf, dahinter Muthoka und ich, und bald sahen wir uns drei glühenden Augenpaaren gegenüber. Es schien ein tollkühnes Unterfangen, drei gereizte Löwen bei ihrer Mahlzeit zu stören und einen Schuss beim flak- kernden Licht einer Sturmlaterne zu riskieren, aber es kam nicht dazu, denn im gleichen Augenblick ver- schwanden die Augen. Wir fanden die Reste des Kö- ders und schleppten ihn bis dicht an die Boma. Wieder in unserem Versteck, die Büchsenläufe durch die Zweige gerichtet, hatten wir noch nicht so lange gewartet, bis die flackernde Laterne der Boys im Dun- kel verschwunden war, als wir einen Löwen knurrend den Köder anspringen hörten. Seine Umrisse zeichne- ten sich gegen den von einem Grasfeuer erhellten Him- mel ab, aber er schnellte ins Dunkel zurück, bevor wir zum Schiessen kamen. Nach unsern Erfahrungen am obern Tana war es fast unverständlich, dass Löwen sich so unbekümmert benehmen konnten. Sie umgaben uns auf allen Seiten, und stundenlang konnten wir ihnen zuhören, wie sie Knochen zermalmten und zersplitterten, oft so nahe, dass sie die Zweige buchstäblich gegen uns drückten. Wir befanden uns zwar in völliger Sicherheit, waren aber unfähig, etwas zu unternehmen, denn, wenn uns auch nur eine dünne Scheidewand von Dornenzweigen trennte, sehen konnten wir nichts. 247 Nach einiger Zeit bewegte sich ein Schatten an uns vorüber, und wir gaben Feuer. Er sank mit einem merkwürdig hundeähnlichen Gewinsel zu Boden — eine Hyäne. Die Moskitos summten und sangen in hungrigen Scharen um uns, dass die Luft wie vom Klang vieler Violinsaiten vibrierte. Unerträglicher noch war ihr Blutdurst, und da wir zur Unbeweglichkeit verurteilt waren, freuten wir uns beinahe, als sich die Löwen end- lich entfernten. Am nächsten Morgen kam Bericht, dass eine Ele- fantenherde in der Nähe sei. B. brach sogleich auf, um Jagd auf sie zu machen, während ich die Safari über den Isasha-Fluss führte. Er bildet die Grenze zwischen Belgisch-Kongo und Uganda, und wir fanden auf der andern Seite einen grossen Kraal mit vielen Hütten, Schafen, Ziegen, jungen Hunden, Kindern, getrock- neten Fischen und den unvermeidlichen Bananen- bäumen. Die Eingeborenen waren sehr freundlich; es war überraschend, wie das Überschreiten eines kleinen schmutzigen Wasserlaufs einen solchen Unterschied im Benehmen der Eingeborenen hervorrufen konnte. Die Elefanten enttäuschten uns. B. stiess in einem Wald auf sie, eine Herde von sieben Stück, der Leit- bulle ein mächtiger Geselle, aber mit schwach ent- wickelten Stosszähnen. Sie bewegten sich äsend unter dem Wind vorwärts. Dabei vollführten sie einen ziem- lichen Lärm, und B. erriet ihre Nähe zuerst an den weit- hin hörbaren kollernden Verdauungsgeräuschen. Er beobachtete sie eine Weile, wie sie sich mit Sand be- stäubten, dann und wann ein übermütiges Kalb mit klatschendem Rüsselschlag zurechtwiesen und in ge- 248 mütlichem Tempo über den sonnengesprenkelten Wald- boden wanderten. Später erlegte er einen Büffel, mit dem er ein ähn- liches Erlebnis hatte wie mit dem letzten: weidwund- geschossen, wurde er in so dichten Busch hinein flüchtig, dass B. ihn dreimal hochbrachte, bevor er ihn zu Gesicht bekam. Nun gab es wieder Fleisch für die Träger. Als es aber am folgenden Tag eingebracht wurde, erklärte Abde, es sei schon verdorben und dürfe nicht mehr genossen werden. Es war noch keine zwölf Stunden alt und hatte während der ganzen Zeit im Schatten gelegen, so dass Abdes Einspruch ungerechtfertigt schien. Aber keiner von uns war damals darauf aus, Experimente in dieser Richtung zu wagen; die geringste Magenverstimmung jagte uns einen Schreck in die Glieder, und mein Boy Kisima weinte heisse Tränen über einen ganz unbedeu- tenden Fieberanfall, überzeugt, dass er das Br nicht mehr erleben werde. Da die Träger damit beschäftigt waren, das Wildbret einzubringen, hatten wir einen Tag für uns, den wirdazu benützten, unsere ’Trophäen zu etikettieren und zu- sammenzupacken. Wir waren gerade dabei, die Schädel der Löwen in Arsenik zu waschen, als ein uniformierter Askari mit einem Militärgewehr, Fez und riesigem, aufgedrehtem Schnurrbart auf der Bildfläche erschien, mit der augenscheinlichen Absicht, uns als belgische Wilddiebe in flagranti zu verhaften. B. kam ihm aber zuvor, indem er sogleich bemerkte, wie sehr er sich freue, das Land unter so vorzüglicher Polizeiaufsicht zu sehen. Als sich der Hüter des Gesetzes überzeugt, dass wir keineswegs «Birigeegees» (Belgier) waren, 249 und uns einige nützliche Winke über die Gegend und den Wildbestand gegeben hatte, überreichte B. ihm ein Bakschisch, worauf er die Hacken zusammenschlug und höchst befriedigt seines Weges zog. Bei dieser Gelegen- heit konnten wir Simba verabschieden, der nun in Gesellschaft des Askaris in seine Heimat zurückkehrte. Wie jemand auf den sonderbaren Gedanken gekommen, ihn ausgerechnet «Simba» zu taufen, war uns stets unerfindlich geblieben, denn etwas weniger Löwen- mässiges als ihn konnte man sich schwerlich vor- stellen. Seit zehn Tagen hatte er sich jeder Dienstlei- stung entzogen und führte nun alle seine Leiden auf die Begegnung mit dem unhöflichen Kob vor drei Wochen zurück. Am folgenden Tag schlugen wir uns eine Weile mit undurchdringlichem Elefantengras herum und hielten dann wieder auf den Fluss zu. Wir gelangten dabei zu einer Art natürlichem Baumgarten aus immergrünen Bäumen, aus blendender Sonne schritten wir unver- mittelt in seinen kühlen Schatten. Behaglich streckten wir uns unter dem dichten Blätterdach, in dem der Wind rauschte, und hatten schon Visionen von einem erfrischenden Tee, als Muthoka meldete, er habe so- eben einen Büffel gesehen. B. griff unverzüglich zur Büchse und kam bald nach kurzer, erfolgreicher Jagd zurück. Diesmal war das Wildbret unleugbar frisch. Der erste Schuss war fehl- gegangen und der Büffel in eine Dickung flüchtig ge- worden, die in einer Biegung des Flusses lag. Der Büffel hatte von hier aus wahrscheinlich das gegen- überliegende Ufer gewinnen wollen, woran ihn aber die steile Uferböschung hinderte. Infolgedessen wurde 250 er in dem Flussknie wie in einer Falle gefangen, an deren Ende B. sich postierte, während er seine Beglei- ter nach dem andern Ende schickte, damit der Büffel Wind von ihnen bekommen sollte. Er kam in voller Flucht heran, so dass seine tiefgestreckte Rückenlinie kaum über demnicht vielmehr als kniehohen Gras sicht- bar wurde. Wie ein grauer Streifen sauste er an B. vorüber, den Wedel steif aufgerichtet. Eine Kugel legte ihn in vollem Lauf um, als er gerade ins Dickicht zu tauchen drohte. Die Hälfte des Kadavers verwendeten wir als Köder und blieben die ganze Nacht im Ansitz, doch hörten wir die Löwen nur in weiter Ferne, während Hyänen sich an dem Aase gütlich taten. Erst hatte sich nur eine einzelne vorsichtig, unter beständigem Sichern nach allen Seiten, genähert. Während sie über dem Kadaver stand, mit erhobenem Haupt, die Lauscher aufmerksam vorgestreckt, hatte sie ihr übliches schleichend-feiges Aussehen abgelegt. Es gesellten sich ihr drei weitere Hyänen zu, und als sie einmal mit ihrer Mahlzeit begon- nen hatten und die Haut herunterrissen, dass es sich anhörte wie das Zerreissen von Segeltuch, liessen sie sich durch keinen Lärm, den wir verführten, stören. Wohl verhofften sie ständig, aber ihre Ängstlichkeit galt nicht uns, sondern den Löwen, und wir konnten sie nur vertreiben, wenn wir Löwenknurren nachahmten. In der folgenden Nacht erlegte B. einen kapitalen Leoparden. Seine Kühnheit war erstaunlich: B.’s Büchse versagte beim ersten Schuss, und beim Wiederladen ist ein metallisches Knacken nicht zu vermeiden. Der zweite Schuss ging fehl, aber wieder kehrte der Leo- pard zum Köder zurück. 251 B. hatte schon lange vergebens nach einer gutge- hörnten Moor-Antilope gesucht, doch in dieser Gegend schienen sie es nur zu einer schwachen Kopfzier zu bringen. Er folgte gerade einem krankgeschossenen Bock, als er sich unvermutet vier Büffeln gegenüber sah. Zeit zum Überlegen oder gar zum Wechseln der Büchse gab es nicht mehr; er feuerte auf das zunächst- stehende Tier, worauf alle zusammen kehrt machten und die Flucht ergriffen. Hierauf nahm er die Suche nach der Antilope wieder auf, bis er an die Böschung des Flusses kam. Von ihrer Höhe aus konnte er die Antilope erkennen, wie sie ge- duckt unmittelbar am Ufer verhoffte. Eine Kugel ins Rückgrat tötete sie augenblicklich, doch mit einer letzten gewaltigen Flucht verschwand sie im Wasser. Wäre der Fluss nicht frei von Krokodilen gewesen, so hätte man darauf schwören mögen, dass ein Kroko- dil die Antilope unter die Oberfläche gezogen. Das Wasser wallte blutrot auf, zog weite Ringe, und schon hatte die öligglatte Strömung alles verwischt. Die Boys suchten mit langen Bambusstangen nach ihr, wobei sie bis zur Brust im Wasser standen, aber obwohl sie Löcher von sieben bis acht Fuss Tiefe sondierten, blieb die Antilope verschwunden. Am nächsten Tag suchten wir die Ufer ab und fanden das Tier in einer Bucht etwa eine Meile flussabwärts. Kurz vorher hatte B. noch mit dem angeschossenen Büffel die gefährlichste Begegnung seines Jägerlebens gehabt. Kaum hatte er ihn in seinem Wundbett fest- gestellt, als ihn der Büffel wie ein wahrer Wirbelsturm annahm. B. sah schon die drohenden Hörner unter sich und hatte gerade noch Zeit, sich zur Seite zu werfen. 252 Der Büffel donnerte vorüber, und kaum war die Spitze seines Horns um weniger als einen Zoll an B. vorbei- gesaust, als er schon gewahr wurde, dass er seinen Feind verfehlt. Die Gewalt seines Ansturms verhinderte ihn aber anzuhalten oder abzubiegen. Als er sich endlich zum Stehen gebracht, witterte er zögernd, um B. aus- findig zu machen, der diesen Augenblick wahrnahm und ihm eine Kugel in den Spiegel jagte, die ihn kra- chend zu Fall brachte. Augenblicklich war er wieder auf den Läufen, warf sich schnaubend vor Wut herum und hätte noch einmal B. um ein Haar erwischt, wenn sich nicht der tapfere kleine Major eingesetzt und die Aufmerksamkeit des Büffels auf sich gelenkt hätte, wo- durch B. Zeit zum Feuern bekam. Zugleich krachte auch die 318er, die Muthoka trug, glücklicherweise weit vom Ziel, denn hätte er nur einigermassen gezielt, dann hätte er von seinem Standort aus B., der vor dem Büffel stand, zuerst treffen müssen. Eine weitere Kugel gab dem Büffel den. Rest. Er fiel schwer auf die Seite, und die beiden Boys, die bei seinem ersten Angriff Reissaus genommen hatten, fan- den sich wieder ein. Er war ein mächtiger Kämpe, mit Narben übersät, darunter eine, die von einer Gewehr- kugel zu stammen schien. Es war ein rühmlicher Kampf gewesen, und als B. zurückkam, zog ihm das ganze Lager entgegen und salutierte. Als er mir aber den Hergang erzählte, brachte ich kaum ein Wort hervor, der nachträgliche Schreck hatte mich fast krank gemacht. Wir zogen nun nach Kinyonza, einem kleinen Platz am Uganda-Ufer des Flusses. Dort hofften wir, von unserer erwarteten Kabel-Nachricht zu hören, denn 253 aus den zehn Tagen waren inzwischen drei Wochen geworden. Die kongolesischen Träger waren anschei- nend noch ungeduldiger als wir, denn als Ndezi in unser Lager kam, wurden sie bei ihm vorstellig, sie wollten sogleich in ihre Heimat zurückkehren, wobei sie mit keinem Wort erwähnten, dass sie sich für einen ganzen Monat bei uns verpflichtet hatten. Ndezi war der Häuptling aller Häuptlinge und augenscheinlich ein kleiner König in seinem Land, und es sah bedenk- lich danach aus, als sollten wir unsere Träger endgültig verlieren, besonders als B. zur Eröffnung der Zusam- menkunft seine Königliche Hoheit gehörig zur Rede stellte, weil er nicht «Guten Morgen» gesagt hatte. Tiefgekränkt stolzierte Ndezi mit seinem Tropenhelm und Malakkarohr vom Platz. Als wir ihn endlich zur Rückkehr bewogen hatten, schmollte er wie ein unge- zogenes Kind und weigerte sich, auch nur ein Wort zu sprechen. Aber niemand konnte sich lange B.’s gewin- nendem Wesen entziehen, und bevor das Palaver aus war, schüttelten sie sich die Hände, und das Ende war, dass Ndezi sich für unsere Sache mit Begeisterung ins Zeug legte. Der Anführer der Träger gab schliesslich zu, dass sie sich für die Dauer eines Monats verpflichtet hatten, und er rechtfertigte seine Widersetzlichkeit, indem er angab, er habe geglaubt, wir seien schon zwei Monate unterwegs, so dass er dafür unsere Sympathie zugleich mit unserer Absolution verdiene. Kinyonza war eine typische Löwengegend, in einer welligen Ebene, in der es von Kob- und Topi-Rudeln wimmelte. Ein nächtlicher Ansitz am Köder verlief ergebnislos. Der Vollmond warf scharfe Schlagschatten, die Löwen 254 brüllten, wie wir es noch nie zuvor gehört, aber sie fanden unsern Köder nicht. Es mussten gegen zehn Löwen gewesen sein, die gleichzeitig ihre Stimmen erhoben, ein dröhnendes und eindrucksvolles Konzert wie das Schlagen von 'Trom- meln und Pauken. Am nächsten Tag ging B. daran, eine Plattform in einem Baum zu errichten, der ungefähr in der Gegend stand, wo wir die Löwen hatten brüllen hören, wäh- rend ich auf der andern Seite des Flusses einen Köder zu erbeuten suchte. Ich hatte es auf ein Rudel von Wasserböcken abge- sehen, aber immer, wenn ich mich ihnen näherte, ver- riet ein Rudel von Kobs meinen Standort, und das Ende war, dass die Wasserböcke in einem Dickicht ver- schwanden. In der Luft hing ein schwerer, durchdrin- gender Büffelgestank, und etwas weiter entfernt war sie von dem Kadaver eines Elefanten verpestet. Die Stoss- zähne des Tieres fehlten, und wir konnten feststellen, dass es mit einem Wurfspeer getötet worden war. Die Zahl der um das Aas versammelten Geier und Marabus ging in viele Hunderte. Als wir sie aufstörten, verdun- kelten sie den Himmel. Ich schlug eine neue Richtung ein und stiess wie- der auf ein Rudel Wasserböcke. Diesmal liess ich beim Anpürschen keine Vorsichtsmassregel ausser acht und kroch mit der List einer Schlange über die Stop- peln, immer aber in voller Sicht einer Antilope. End- lich fand ich in einem Busch Deckung und pürschte mich darin auf Schussweite an einen kapitalen Bock heran (er schien wirklich ein Rekordbulle, denn seine Hauptzier ragte so hoch, dass er sich darunter ganz 255 klein ausnahm), als zwei Schüsse fielen. Die Wasser- böcke warfen die Häupter hoch und machten sich wie auf Kommando aus dem Staub. Ich fand keine Gelegen- heit, auf den Bock abzukommen, fehlte ein weibliches Tier, traf-aber ein zweites. Kasaia kam mit Major herbeigerannt, und eine wilde Hetzjagd setzte ein. Ich folgte Majors hellem Geläute so rasch ich konnte, jeden Augenblick gewärtig, die gestellte Antilope zu finden; ich wusste nicht, dass sich der Wasserbock nicht verbellen lässt. Die Jagd führte in so dichten Busch, dass wir stellenweise auf allen Vieren kriechen mussten, aber die Schweißspur wurde immer reichlicher. Wir kamen in Eifer, ich achtete gar nicht darauf, wie die Stunden verrannen, und als wir aus dem Dickicht traten, sah ich mit Schrecken, dass die Sonne schon am Untergehen war. Und ich hatte doch B. versprochen, zwischen drei und vier Uhr zurück zu sein, um zeitig mit ihm zum Ansitz zu gehen. Wir bezeichneten die Stelle, an der wir die Suche abgebro- chen, und eilten durch die einbrechende Dämmerung zurück. Im Laufen sagte ich mir beständig: wenn ich doch nur für meine Verspätung eine bessere Entschul- digung hätte als vier Weichmantelgeschosse, um nichts als einen Wasserbock weidwund zu schiessen. B. er- legte seine Köder stets mit einem einzigen Vollmantel- geschoss. Im Grunde war ich aber über meinen Wasser- bock mindestens so stolz wie die meisten Jäger auf einen Bongo. Ich kam lange nach B. ins Lager zurück. Er war es gewesen, der bei seiner Rückkehr die beiden Schüsse, die meine Wasserböcke vergrämt, als Signalschüsse für mich abgegeben hatte. 256 Während ich unsere kostbare Munition verschwen- dete, hatte er zwei Löwen erlegt. Er hatte sich gerade einen Baum auf seine Eignung für eine Plattform be- sehen, als Löwen aus dem darunter wachsenden Ge- büsch hervorsprangen. Den ersten streckte er nieder und wollte eben auf den zweiten abkommen, der unter- dessen im hohen Gras flüchtig geworden war, als ein dritter Löwe keine drei Meter vor ihm ausdemGestrüpp setzte. B. feuerte auf ihn aus Notwehr, während der zweite dadurch entkam. Der erste war ein mächtiges Tier mit goldener Mähne, auch war er ganz ungewöhn- lich fett. Es wuchsen nur wenige Bäume verstreut in der Ebene, und das Dickicht unter ihrem breiten Blätter- dach bot in weitem Umkreis das einzige gute Versteck für Löwen. Am folgenden Tag trieben wir sie syste- matisch durch, B. auf der einen und ich auf derandern Seite postiert, während die Leute mit Speeren bewaffnet durch das Gebüsch drückten. Es war eine nerven- kitzelnde Treibjagd, auch wenn uns dabei kein Löwe vor die Büchse kam. Bei einer systematischen Löwen- jagd glänzt der Löwe meist durch Abwesenheit, und man trifft ihn gewöhnlich dann, wenn man ihn am wenigsten erwartet. Hinter dem Plateau dehnt sich eine ähnliche Ebene bis zum Lutungwe-Fluss, aber sie ist bewohnt, und Eingeborene, die wir befragten, schilderten sie als gänzlich wildarm. Hier aber waren wir unzweifelhaft am richtigen Ort, die Eingeborenen beider angrenzen- der Landstriche waren darüber einer Meinung. Es war das erste Mal, dass wir eine solche Einstimmigkeit er- lebten, denn wenn man sich sonst auf die Aussagen 257 von Schwarzen verlässt, liegt das wildreichste Gebiet stets etwas weiter voraus, oder man hat es soeben hinter sich gelassen. Die Erlegung der beiden Löwen vergrämte indessen die übrigen, und da wir wieder Löwengebrüll von der Kongoseite her vernahmen, verlegten wir das Lager auf das gegenüberliegende Ufer zurück. Ich brannte darauf, B. zu meinem Rekord-Wasser- bock zu führen. Wir suchten ihn vergeblich. B. fehlte eine weibliche Geschirr-Antilope, die er zur Vervoll- ständigung des Paares für das Museum haben wollte, aber dicht beim Lager erlegte er noch einen Büffel, der als Köder herhalten musste. Als B. sich in der Frühe dem Köder näherte, sah er einen Löwen, der sich in einiger Entfernung davon niedergetan hatte. Im unsichern Büchsenlicht der Morgendämmerung ging B.’s Kugel zu tief in den Brustkorb, der Löwe setzte mit mächtiger Flucht über die Böschung hinab. Angeschossen und vollgeschla- gen wie er war, sprang er den 82 Fuss hohen Steil- hang hinunter und berührte ihn nur einmal. B. bekam ihn nach langer Suche durch dorniges Gestrüpp zu Gesicht und zerschmetterte ihm mit einer Kugel den Hinterlauf. Die Verletzung behinderte den Löwen so, dass er in eine Felsspalte fiel, die er passieren wollte. Der Spalt war ı5 Fuss tief, eng und steil wie ein Kamin, eine wahre Fallgrube. Der Löwe war ausser- stande, sich herauszuarbeiten, und der Anblick der über ihm stehenden Gestalt brachte ihn in einen Paro- xysmus der Wut. Er warf sich mit Wucht an die Wände des Felsspalts, von dem seine Pranken die Erde herabrissen und brüllte, dass der Boden zitterte. B. 258 warf einen Klumpen Erde hinab. Der Löwe warf sich rasch wie der Blitz darauf und zerfetzte ihn mit Pran- kenschlägen zu Atomen. Es war so dunkel und eng am Boden der Grube, dass es schwerhielt, einen Fangschuss anzubringen, und noch schwieriger wurde es, als der Löwe B.’s Blicken ganz entschwand, indem er sich in eine Unterhöhlung der Felswand zurückzog. Sein anhaltendes dröhnen- des Knurren tönte wie ein Echo aus der Unterwelt. Um ihn aus seinem Versteck auszuräuchern, liessen die Boys ein brennendes Grasbündel an einer langen Stange bis an die Höhlenöffnung hinab. Mit einem wütenden Schlag seiner Pranke riss er es sogleich in Fetzen. Bei einem zweiten Hieb kamen sein Kopf und seine Schulter zum Vorschein, und B., der mit der Büchse bereit stand, sandte ihm eine Kugel in den Nacken. Es hielt schon schwer, in die Höhle hinabzusteigen, ganz unmöglich aber war es, den Löwen herauszu- ziehen, so dass B. ihn in dem engen Loch, das nicht einmal genügte, den Kadaver auszustrecken, mit Muthoka zusammen ausbalgen musste. Der Boden der Höhle war infolge eines Regengusses mit Schlamm angefüllt, und als das Fell, verkrustet von Blut und Schlamm, im Lager ankam, schien es kaum mehr zu retten zu sein. Doch alle Leute griffen an, und zuletzt bürstete ich den getrockneten Schlamm ab und kämm- te die Mähne, bis sie trocken war. Als ich die letzte Hand angelegt hatte, meinte B., sie sei «so schön wie ein von Ward präpariertes Fell». Der Unterschied zwischen den Löwen aus Uganda und denen des Kongo fiel uns auf. Es ist merkwürdig, 259 dass der kleine Isasha-Fluss eine so scharfe Trennungs- linie bildet. Vielleicht ist es nur ein Zufall unserer Jagderfahrungen, aber wir fanden die Löwen auf dem Uganda-Ufer durchwegs gross, mit enorm entwickelter Schwarte und goldener Mähne, während uns die Löwen auf der Kongoseite als kleiner, feingliedriger und schwarzgemähnt auffielen*. Wir konnten uns nicht erklären, warum das Wild in dieser Gegend, die selbst von den Eingeborenen ge- mieden wird, so ausserordentlich scheu war. Die Ur- sache dafür fanden wir, als wir einmal einem weissen Kob nachspürten — einem Albino —, den wir in einem Rudel von über hundert Muttertieren gesehen hatten, und der für das Museum Interesse haben mochte — und ein Pack jagender Wildhunde antrafen. Sie hetzten einige Topis und holten langsam aber stetig auf. Der Leithund gab dabei ein tiefes, tönendes Geläute von sich; dann verschwand die wilde Jagd hinter einem Höhenzug. Die Wildhunde verursachen grossen Schaden unter dem Wildbestand. Sie sollen ihr einmal erwähltes Opfer gelegentlich zwei Tage lang ununterbrochen verfolgen und so furchtlos sein, dass sie mitunter gar einen Büffel oder Löwen stellen und reissen. Sie sehen den Hunden der Eingeborenen ähnlich und sind wie sie meist räudig. *) In einer der Besprechungen des englischen Originals dieses Buches wurde kritisiert, B. habe eine unnötige Zahl von Löwen erlegt. Es sei darum hier erwähnt, dass die Trophäen, gerade wegen ihrer grossen Zahl, welche die individuellen Ab- weichungen erkennen lässt, einen wissenschaftlichen Wert be- sitzen und inzwischen einer Reihe anderer europäischen Museen zu Studienzwecken geliehen wurden. 260 Einst überraschten wir ein Pack auf einem Stein- Kopje in der Athi-Steppe, zwei der Hunde liefen gegen uns zu und bellten auf uns herab wie Wachthunde. Als wir von unserer Begegnung mit den wilden Hunden zurückkehrten, erblickten wir in der Ferne zum ersten Mal den Ruwenzori. Er erhob sich über die Wolken weit hinter dem See, die zackigen Flanken von einem schneeigen Zwillingsgipfel gekrönt. Die Däm- merung hatte die Vulkangruppe und die Berge des Kongos schon verschlungen, als nur noch sein Gipfel, den Tag überdauernd, in blendender Weisse vor den glutroten Abendwolken ragte. Wir hatten dem Isasha den Rücken gekehrt und zogen wiederum auf den See zu. B. erlegte zwei Kobs. Nach- dem er den zweiten geschossen hatte, sah er Geier auf den ersten herniedersausen und kehrte nochmals zu- rück, um ihn mit Zweigen zuzudecken. Beim Näher- kommen fiel ihm auf, dass sich die Aasvögel nicht auf die Beute selbst niedergelassen hatten, sondern in der Nähe beisammenhockten und ängstlich die Hälse reck- ten. B. pürschte sich näher, konnte aber nichts Ver- dächtiges erkennen als drei braune Streifen, die er an- fänglich für Grasbüschel hielt. Plötzlich begannen sie sich zu bewegen, und B. sah drei Löwen vor sich. Die Löwin hob den Kopf, als wollte sie ihren Gefähr- ten ein Zeichen geben, ihr zu folgen. Das Junge ge- horchte, während ihr Gemahl nur aufblickte und dann ruhig mit seiner Mahlzeit fortfuhr. B. feuerte erst auf ihn, dann auf die inzwischen flüchtig gewordene Löwin. Die Kugel musste getroffen haben, denn sie änderte ihre Richtung und lahmte stark. B. gab dem Löwen den Fangschuss und nahm dann die Spur der Löwin 261 auf, die in einem Halbkreis zwei Meilen weit führte. Die Spur war schwer zu halten, denn sie wies fast keinen Schweiss auf. Endlich gewahrte B. die Löwin in einem ausgetrockneten Bachbett inmitten eines Wäldchens. Vorerst sah er nur die dunklen Spitzen ihrer Lauscher; er näherte sich geräuschlos, bis ein knackender Zweig ihr seine Anwesenheit verriet. Als sie das Haupt nach ihm hob, zielte er nach der Gurgel und zerschmetterte ihr den Kiefer. Sie schleppte sich tiefer in die Büsche, wo sie sich ruhig verhielt, und die Boys erklärten sie für verendet. Als B. aber näher trat, erhob sie ihre fauchende Stimme mit erneuter Wut, und erst ein weiterer Schuss brachte sie zum Schweigen. Am Abend erbat sich Saidi die Erlaubnis für ein besonders feierliches Camubi (Löwentanz), um den siebzehnten Löwen gebührend zu würdigen. Bald tanzten alle unsere Boys um die lodernden Feuer. Die Gesichter mit Asche geweisst und mit Laubwerk ge- schmückt, schwangen sie Eimer und Kochtöpfe, wobei sie den alten Löwengesang anstimmten, der uns im Lauf der Zeit so vertraut geworden, dem zu lauschen wir aber nie müde wurden. Saidi, der den sterbenden Löwen darstellte, sang den Text unter mächtigem Knurren, Brüllen und Stampfen, während die übrigen, mit Feuerbränden bewaffnet, einen Angriff auf ihn mimten und am Ende jeder Strophe im Chor «Camiso » sangen. Wir konnten nie herausbringen, was das Wort Camiso zu bedeuten hatte, aber immer endete das Fest mit drei Hochrufen und damit, dass B. von Jim die «Debi-a-Rupees» (Kasse) holen liess und ein Bak- schisch verteilte. 262 Der Löwentanz brachte uns die schönen vergangenen Tage am obern Tana in Erinnerung und damit so viel von unserer frühern Unternehmungslust, dass wir noch pläneschmiedend an der glimmenden Asche sassen, als schon der Orion am westlichen Himmel leuchtete. Wir hatten in Ruchuru Vorräte und Munition für nur drei Wochen mitgenommen — wir hofften ja auf dem Weg zur Gorilla- Jagd in Kiwu dort wieder vor- beizukommen — und hatten es fertiggebracht, sechs Wochen damit auszukommen, so dass wir den Boten, der endlich mit dem erwarteten Kabelbericht eintraf, nun doppelt willkommen hiessen. Wir wagten kaum zu atmen, als wir das Schriftstück umdrehten, um seine Botschaft zu lesen. Sie lautete aber: «Autorisation enfin refusee.» Da wir jetzt über unser Schicksal in bezug auf die Gorillajagd Bescheid wussten, konnten wir endlich einen neuen Plan festlegen. Am liebsten hätten wir uns ohne Säumen nach Kasindi und von da in den Wald von Ituri begeben. Wäre der Kabelbericht nur wenige Tage früher eingetroffen, dann wäre dies noch mög- lich gewesen. Nun hatten wir aber keine andere Wahl, als wiederum zwei Wochen zu warten, bis das nächste Boot nach Kasindi fällig war. Was sollten wir aber mit diesen zwei Wochen an- fangen? Weder hier noch in der nähern Umgebung gab es eine Wildart, die für die Sammlung noch in Frage kam. B. wollte mir Gelegenheit geben, meinen ersten Löwen zu erlegen, und günstigere Bedingungen als in dem nahen Wild-Reservat, in dem es von Löwen nur so wimmelte, konnte man für diesen Zweck kaum 263 antreffen. Der einzige Haken daran war, dass man keine Köder auslegen konnte. Aber da das Reservat so nahe war, entschieden wir uns doch dafür, die Zeit, bis das Boot und der erwartete Proviant eintrafen, dort zu verbringen. Ein langer, heisser Marsch brachte uns nach Kabari. Schon damals war es ein wichtiger Platz und wird an Bedeutung noch gewinnen. Wenn einmal eine Strasse nach Kasindi und dem anderen Ende des Edward-Sees gebaut ist, wird es zu einem der Handelstore in den Kongo werden. Jetzt bestand Kaban nur aus einer Handvoll elender Hütten, die inmitten einer baumlosen Ebene in der Sonne brieten. Wir hatten gehofft, dort Posho zu fin- den, aber es war nicht ein Krümchen zu haben. Und, schlimmer noch, ich las von meinem blossen Bein eine der gefürchteten Spirillumzecken. Wir hatten gehört, dass Spirillumfieber dauernde Blindheit und sogar den Tod zur Folge haben kann, und tatsächlich erfuhr ich später, dass die Gattin eines belgischen Beamten, der in der Nähe kampierte, wenige Tage nach unserer Durchreise daran gestorben war. Wir hielten uns daher nicht länger in Kabari auf und zogen augenblicklich weiter an den Ruchuru- Fluss. Der Mvami hatte nach Kanoes geschickt, um uns über den Fluss zu bringen, aber es waren keine er- schienen; irgendwie hatte sich das Gerücht verbreitet, Kasindi sei unser Ziel, was einer Odyssee von mehreren Wochen gleichgekommen wäre. Wir gingen darum stromaufwärts bis zu unserm alten Lagerplatz (dem Ort mit dem Baum aus Noahs Arche, bei dem B. seinen 264 ersten Kongo-Löwen geschossen hatte) und wateten dort zum anderen Ufer hinüber. Das Wasser reichte uns bis zur Brust, und die Strömung war ziemlich reissend. Ich leerte darum meine Taschen und schwamm hinüber. In der Nähe, kaum weiter entfernt, als die Länge eines Schwimmbassins beträgt, hielten sich ein halbes Dutzend Flusspferde auf. Die Versuchung, zu ihnen hinzuschwimmen, war gross. B. verbot es mir aber sehr energisch, denn sie waren imstande, auch wenn es nur aus purer Ängst geschah, einen Menschen in Stücke zu reissen. Viel nützlicher sei es, wenn ich sie im Bilde festhalten würde. Zusammen mit der den Fluss überschreitenden Safari photographiert, konnte man den Gegensatz zu andern, vielbesuchten Jagd- gründen nicht besser veranschaulichen. Unterwegs nach dem Ruindi, einem Fluss, der parallel mit dem Ruchuru und fast unmittelbar am Fuss der Kongokette entlangfliesst, sahen wir kreisende Raub- vögel. Wir wichen vom Weg ab, um nachzusehen, was sie anzog, als aus einem Busch in der Nähe eine Löwin flüchtig wurde. B. streckte sie in voller Flucht nieder; ein eindrucksvoller Schuss, denn das mächtige Raubtier hatte unaufhaltbargeschienen in seiner Flucht. Die Löwin war von solcher Grösse, dass B. sie zuerst für einen mähnenlosen Löwen gehalten hatte. Wir untersuchten ihr Versteck und fanden darin einen weiblichen Kob, den sie aber nicht angeschnitten hatte. Dicht daneben aber lag ein noch ungeborenes Kitz, sauber aus der Eihaut gelöst und mit abgebissenem Kopf. Die kaltblütige Sicherheit, mit der die Löwin diese Operation bewerkstelligte, machte mich um so mehr betroffen, als sie selbst trächtig war. 265 Die Antilope lieferte indessen den erwünschten Köder, und nicht weit davon fanden wir einen noch lebenden Kob in einer Fallgrube. Die Träger entdeck- ten ausserdem noch vier Topis und einen weitern Kob, alle in Fallen gleicher Bauart; nun hatten wir Köder im Überfluss, ohne das Gesetz übertreten zu haben. Der Mvami von Katana, einem kleinen Kraal, stattete uns einen Besuch ab —, der Hut schien auf seinem Kopf festgewachsen — um uns mit dem Selbst- bewusstsein eines untadeligen Hüters des Gesetzes zu bedeuten, dass wir uns in einem Wild-Reservat befän- den, in dem die Jagd verboten sei. Er wurde sehr klein und bescheiden, als er entdeckte, wieviel wir von seinen Fangmethoden wussten. Die Fallgruben sind lange, schmale, ungefähr acht Fuss tiefe Gruben, die sich nach unten verjüngen. Die Opfer werden darin durch die Wucht ihres Falles solchermassen festgekeilt, dass es schwerhält, sie heraus zu bekommen. Diese Fangart ist um so grau- samer, als die Eingeborenen die Gruben nicht regel- mässig untersuchen. Einer der Topis war fast nur noch ein von Haut überzogenes Skelett, aber noch am Leben, ein anderer schon verludert. Die Fallgruben sind mit grossem Geschick angelegt, oft zwanzig nebeneinan- der und die meisten unverdeckt, so dass das Wild die verblendeten Gruben für Durchgänge zwischen den offenen Gruben hält. Löwen brüllten, als kaum der Abend dämmerte, und wir hatten für den folgenden Tag eine grosse Löwenjagd geplant. Falls die ausgelegten Köder sie nicht locken sollten, wollten wir die Schilfbestände durchdrücken; da bekam ich einen Fieberanfall. Ein 266 Trost blieb mir dafür, dass ich zurückbleiben musste: ich konnte das Fell der Löwin im Auge behalten. Eine Krähe sass über mir im Baum, und ihr rauhes, unheimliches Krächzen verfolgte mich den ganzen Tag bis in meine Fieberträume wie eine Stimme des Unheils. Als B. zurückkam und ich hörte, wie er Jim Wasser holen hiess, sprang ich mit plötzlich wachem Angstgefühl auf und rief: «Ist etwas geschehen?» B. antwortete: «Diesmal hat der Löwe mich erwischt», und mit diesen Worten trat er ins Zelt. Die Kleider hingen in Fetzen an ihm herunter, Blut rann überall von ihm, ausser von seinem leichenblassen Gesicht. Er war über zwei Stunden gelaufen und war fast unfähig zu sprechen. So geschwächt war er, dass ich ihn nach jedem frischen Verband ausruhen lassen musste; aber er war fest entschlossen, jetzt nicht ohnmächtig zu werden, er sagte, er habe doch den ganzen Weg dagegen an- kämpfen können. Auch mir wurde so schwach, dass ich hinausgehen und, die Hände an den Stamm des Dornbaums gestützt, um Kraft ringen musste. Ich brauchte beinahe drei Stunden zum Verbinden, denn tiefe Risse liefen von den Hüften abwärts an bei- den Beinen hinunter, an denen das Muskelfleisch in Streifen herausgerissen war, und ich war ausserstande, das Blut zu stillen. Doch er trug es, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Er sprach mir dann und wann Mut zu und versicherte mir, er fühle keinen Schmerz. Aber als er mich die scharfen Permanganatkristalle in seine Wunden streuen und die zerfetzten Gewebe- teile wegschneiden liess, musste er unbedingt Qualen erleiden. 267 Während ich B. so quälte, konnte ich mich nicht enthalten zu rufen: «Dieses Scheusal von einem Löwen!» B. wollte dies nicht wahrhaben und bestand darauf, dass er einem Gegner, der seinen Kampf ritter- lich bis zum bittern Ende gekämpft, nur Achtung zollen könne. Dann fragte er, ob die Leute ihn schon eingebracht, und ich musste gehen, ihn mir anzusehen. Als ich zurückkam, sagte ich, es sei der königlichste aller Löwen, die er je erlegt. B. freute sich darüber und legte mir ans Herz, dass wir seine Haut unbedingt retten müssten. Wir befanden uns acht bis neun Tagereisen von Kabale entfernt. Ich schickte daher augenblicklich einen Eilboten nach Ruchuru, um den dortigen Arzt zu bitten, so schnell wie möglich zu kommen. Wenn'’es mir gelang, die Wunden vier bis fünf Tage lang sauber zu halten, konnte der Arzt inzwischen eingetroffen sein. Als ich am nächsten Tag Bs. rechten Arm ver- band, besah er ihn kritisch und sagte: «Kannst du ihn mir wohl retten ?» Er war vom Ellbogen bis hinab zur Hand aufgerissen, so tief, dass der Knochen freilag, und die Hand selbst war innen und aussen zerfetzt. Und doch, ich war überzeugt, wir würden sie retten, und wir durften keinen Augenblick daran zweifeln! Mit unsäglicher Anstrengung beherrschte er sich; einmal schaute er mich voller Mitleid an, dass es mir einen Stich ins Herz gab, und sagte: «Eigentlich bist du es, die wir pflegen sollten ». Doch schon, als die Sonne sank, starrten seine ge- brochenen Augen an mir vorüber... Abde wollte wissen, was ich zu tun gedenke. Er und Muthoka begannen die Büchsen wegzuräumen. Ich 268 fragte, warum. Abde antwortete, damit ich mich nicht erschiesse, Ich befahl ihm, sie an ihrem Ort zu belassen und sagte, es gebe vieles zu tun. Aber es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Zorn riss mich aus meiner stumpfen Betäubung. So stand es also: sie oder ich! Es durfte kein Zweifel aufkommen, wer hier der Herr war. Ich musste an B.’s Stelle getreten sein und die Füh- rung übernehmen, ehe sie zur Besinnung kamen. Ich bedeutete Abde, dass wir B. am folgenden Tag begraben und tags darauf nach Kabale aufbrechen würden. Darauf schrieb ich dem Arzt ab und dann nach Kasindi, um die Post zurückzurufen, die nach Kasindi abgegangen war. Kasindi? Das Wort klang vertraut, und ich fragte Abde, ob es der Name des Flusses sei, bei dem wir kampiert. Mein Verstand war aus der Bahn geworfen, und ich rang und rang und konnte ihn nicht ins alte Gleichgewicht bringen. Die ganze Nacht hindurch hielt ich Wache, die Hyänen schlichen sich so nahe, dass ich, neben B.’s Bett am Boden sitzend, ihre Lauscher sich gegen den Sternenhimmel abheben sah; Major bellte in einem fort bis zum Morgen. Morgengrauen! Die leichte, fröstelnde Brise, welche die Lichter der Sterne ausbläst, die all- mähliche Aufhellung des Firmaments, das Erwachen der Vögel — ein Morgengrauen wie hundert andere, die wir zusammen erlebt hatten — das war das Un- fassliche. Einen ganzen Tag dauerte das Schaufeln des Grabes in dieser metallharten Erde, der nur mit einer Axt beizukommen war. Ich arbeitete an der Haut des Lö- wen, ohne aufzusehen, denn schon hatte Fäulnis ein- gesetzt, und er unter allen Löwen musste gerettet wer- 269 den. Aber es half mir: es hielt mich vom Zelt zurück, in dem der Hauch des Todes herrschte, in dem mein Blick unwiderstehlich die Gestalt suchen musste, die sich unter dem Tuch abzeichnete, die gefalteten Hände wie ein kleiner Hügel über der Brust. Die Leute kamen zurück, bereit, die Bahre fortzu- tragen. Die Berge flimmerten im violetten Dunst. Kleine Wölkchen schwebten vor ihnen wie einSchwarm weisser Vögel. Ein paar Topis hoben ihre Köpfe und äugten zu uns herüber; es war gerade die Stunde, da B. zur Büchse griff und wir noch miteinander einen kurzen Pürschgang machten. Während ich hinter der kleinen Prozession herging, hatte ich nur den einen Gedanken: «Wie schön, wie wunderschön ». Der Schlaf mied mich auch in der folgenden Nacht. Erinnerung war erstarrt, gleichzeitig aber wirbelten und jagten sich meine Gedanken, dass ich meinte, wahnsinnig zu werden. Darin lag Gefahr, wenn ich mich nicht fest in die Hand bekam, und zwar sogleich. Zwei Nächte war ich ohne Schlaf geblieben und drei Tage beinahe ohne Nahrung; ich musste entschluss- fähig werden, oder es wurde mir zur physischen Un- möglichkeit, die Safari zurückzubringen. Darauf kam es jetzt an, und mit allem andern konnte ich nachher fertig werden. Ich versuchte jetzt, mein fieberndes Gehirn zu beruhigen, indem ich mir vorstellte, ich wandere durch endlose, friedliche Waldpfade und durch blumige Wiesen, bis ich in tiefen, traumlosen Schlaf versank. Freudig wie sonst war mein erstes Erwachen, und erst, als ich die verpackten Gewehrfutterale und B.’s Tropenhelm erblickte, schlug es wieder wie eine schwarze Woge über mir zusammen. 270 Steine gab es nicht in dieser Gegend; Kasaia fällte darum einen Dornbaum, und während die Safari sich zum Aufbruch rüstete, zimmerten wir ein Kreuz. Ich weiss nicht, wie lange wir uns abmühten, rostige Nägel in das grüne Holz zu treiben. Ich konnte keine Inschrift hinterlassen, die den Unbilden der Zeit lange widerstehen würde, und es fielen mir nur die Shake- speare’schen Zeilen ein: «Fear no more the heat o” the sun, Nor the furious winter’s rages, Thou thy worldly task hast done, Home art gone, and ta’en thy wages. » Nun blieb mir nichts übrig, als den Ort der Einsam- keit preiszugeben. Ich blickte um mich, war er wirklich preisgegeben? Die Sonne schien, der Baum spendete kühlen Schatten, und die kleinen Lerchen stiegen mit surrenden Schwingen in den Morgen. Nichts hatte sich im Grunde geändert; alles nahm seinen Lauf wie gewöhnlich. Dieser Gedanke hob mich und gab mir Trost auf den Weg: der Geist der blauen Ferne würde diese Stätte treulich behüten und sie in seinen lächeln- den Frieden schliessen. Ich kam vom Pfad, der zum Fluss führte, ab, und hätte wohl schwerlich die Furt gefunden, wäre nicht der Baum aus Noahs Arche dabeigestanden, dessen ich mich noch erinnerte. Heller Sonnenschein lag über der schweigenden Wildnis, aber für mich war es finstere Nacht. Wenn ich strauchelte, beschämte und ermutigte mich die Erinnerung, wie B. sich jene zwei Stunden hatte zum Lager schleppen müssen. Ich litt ja an nichts Schlim- merem als an Fieber, und ich zwang mich dazu, Auf- 271 nahmen von den Topis zu machen, um mir zu bewei- sen, dass meine Umgebung völlig normal und wirklich sei. Im Fieberwahn sah ich die Dinge wie durch einen Schleier, und noch immer hatte ich das Gefühl, nichts sei greifbar, und ich werde erwachen, um mich zu über- zeugen, dass ich nur geträumt. Wieder schwamm ich über den Fluss, und nachdem ich Abde erklärt, wir würden am Nachmittag zu un- serm alten Lagerplatz zurückkehren (wo wir wenige Tage zuvor dem Löwen-Tanz zugesehen hatten), über- holte ich die Trophäen und legte mich schlafen. Es waren sieben oder acht Meilen Marsch. Ich jagte während der ganzen Strecke und noch ein Stück dar- über hinaus, mit dem Versuch, Fleisch für die Leute zu beschaffen. Eine Sendung Posho, die wir von Ru- churu her erwarteten, war nicht eingetroffen. Die Trä- ger hatten zwar noch einen kleinen Vorrat, meine eige- nen Leute aber besassen keinen Happen mehr. Nie in meinem Leben hatte ich wirklich Wild erlegt, so be- schäftigte mich unterwegs beständig die Sorge, ob ich wohl imstande sei, für das nötige Fleisch aufzukommen. Wieder begegneten wir jagenden Hyänenhunden, und das Wild war sehr scheu. Endlich bekamen wir ein Rudel Topis zu Gesicht, gerade an einer Stelle, an der B. ein Topi als Löwen- Köder für mich erlegt hatte. Sie ästen im offenen Ge- lände, es war unmöglich, näherzukommen. Ich lehnte mich gegen einen Termitenhügel und stellte das Visier auf 2oo Meter ein. Zu meinem Erstaunen sass die Kugel. Eine Kuh sonderte sich von dem Rudel ab, Major war sogleich hinter ihr her, doch bald gab er die Jagd auf und kehrte zurück. 272 Kobherde am Ruindi-Fluss Wasserloch im Semliki-Tal Ich setzte mich verzweifelt auf den Boden, denn schon brach die Nacht herein, und die Nahrungsfrage war noch nicht gelöst. Da bemerkte ich einen einzelnen Kob, dessen Fell sich hell gegen die Dämmerung ab- zeichnete. Ich zielte mit der grössten Sorgfalt, starrte ihm krampfhaft auf das Blatt und drückte ab. Deutlich hörte ich den Einschlag der Kugel, und er jagte heftig zeichnend davon. Die Boys liessen Major von der Leine, aber er nahm zuerst eine falsche Spur auf, und wieder glaubte ich alles verloren. Doch plötzlich hörten wir ihn Laut geben. So schnell wir konnten, folgten wir den willkommenen Tönen. Der Kob hatte sich gestellt. Wir ergriffen ihn beim Gehörn und fingen ihn ab. Ich konnte mein Glück kaum fassen und weinte vor Dankbarkeit. Die Boys weideten das Tier flink aus und zerlegten es; Major erhielt seinen Anteil auf der Stelle, denn ohne ihn hätten wir den Kob nie bekommen. Dann beluden wir uns mit dem Rest, ohne das kleinste Stückchen zurückzulassen. Unterdessen war es stockfinster geworden, ein Ge- witter prasselte auf uns hernieder, und wir wanderten endlos lange auf der Suche nach dem Lager umher. Endlich Rufe und vom Feuer beleuchtete Baum- kronen. Ich verlor kein Wort über den Kob, aber als ich durch das Lager schritt, konnte ich es deutlich fühlen: ich hatte einen guten Eindruck gemacht. Noch nie hatte ich für die Leute gejagt, aber das musste jetzt gerade so selbstverständlich sein, als ob B. es für sie getan. Für sie musste alles in gewohnter Weise weitergehen, so dass ihnen gar nicht zum Bewusstsein kam, was eigentlich geschehen war. 273 Wenn der erbeutete Kob wohl nur einen Glücksfall bedeutete, so bewirkte er doch, dass ich meine bis- herige Unsicherheit verlor. War meine Schiessfertigkeit erwiesen, so konnte ich ja B.’s Werk zu Ende führen. Ihn hätte nichts daran hindern können, zu vollenden, was er begonnen; musste mit dem Tod unbedingt alles aufhören ? Nein, das musste es nicht und durfte es nicht! Wenn es dennoch weitergehen konnte, dann war ja diese niederdrückende Machtlosigkeit vor dem Tod über- wunden. Und wenn es mir gelang, ohne die Hilfe Aus- senstehender auszukommen, dann war es noch immer sein eigenes Werk. Von diesem Entschluss erfüllt, schlief ich ein, er- wachte aber plötzlich wieder an dem Glanz eines schimmernden Lichtstreifens über mir. Zwei kleine, schlanke Flügelchen, ungefähr 4 Zoll breit, flatterten hin und her, während der Lichtstreifen ruhig leuchtete. Es erschien mir als ein segnender Gruss von B.’s auf- steigender Seele, und ich betete inbrünstig, seine Jagd- erfahrung und seine Treffsicherheit möchten auf mich übergehen. Nachdem ich gelobt, sein Werk zu vollen- den und die Karawane heil zurückzubringen, als ich um Vergebung allen Unrechts, das ich je getan, und um Segen gebeten hatte, senkte sich das Licht näher auf mich herab, breitete sich weiter aus und ver- schwand. Es war das letzte Lebewohl. Aber es war auch die Gewähr, dass wir das gleiche Ziel erstrebten. Ich konnte wieder in die Zukunft schauen. Am nächsten Tag kamen wir an dem Lagerplatz vor- über, da der schwarzmähnige Löwe über den Felsrand 274 gesprungen und in die Spalte gefallen war. Die Asche unserer Feuer und alles übrige fanden wir noch un- berührt vor. Wir hielten uns aber nicht auf, sondern setzten unsern Marsch ohne Unterbruch bis Kinyonza am jenseitigen Ufer des Isasha fort. Wild kam uns nicht zu Gesicht, und so hatte ich Zeit, im Gehen über meine Lage nachzudenken. Das Nahe- liegendste war wohl, dass ich so schnell wie möglich in zivilisiertere Gegenden zurückkehite; wenn ich in der Wildnis blieb und mit der Jagd fortfuhr, setzte ich mich unweigerlich der schärfsten Kritik aus. Aber durfte mich das kümmern ? Vor allen Dingen lag mir die Vollendung der Sammlung — B.’s Vermächtnis — am Herzen. Hatte ich das Land einmal hinter mir, dann gab es kein Zurück mehr; ich musste also meinen Entschluss jetzt fassen: die Sache weiterführen und fest an den endlichen Erfolg glauben, bis ich tatsächlich geschlagen war. Mein erster Schritt war ein Brief an Mr. E. in Kabale mit der Bitte, die Nachricht von dem Geschehnis zu unterdrücken. Ich wollte selbst brieflich davon Mittei- lung machen und fürchtete, dass es durch Kabel weiter- berichtet würde, wenn die Nachricht vor mir in Kam- pala eintraf. Gegen Abend unternahm ich einen Pürschgang, um Fleisch für die Leute zu beschaffen und mich gleich- zeitig für die morgige Jagd auf Wasserböcke einzu- schiessen. Ich nahm Muthoka mit mir. Als wir das Lager hinter uns gelassen, musste er mir berichten, was er von der Begegnung mit dem Löwen wusste. Die ausgelegten Köder waren scheinbar nur von Hyänen besucht worden, und B. war schon unterwegs 275 nach dem Schilfdickicht, als er — es war acht Uhr morgens — einen Löwen brüllen hörte. B. war nur von Muthoka und dem Koch begleitet. Die beiden zün- deten das Schilf an, und B. postierte sich am Rand. Als ein Schuss fiel, kamen sie herbei und erfuhren von B., dass ein Löwe, zwei Löwinnen und zwei Löwenjunge ausgebrochen seien, dass er den Löwen angeschossen, worauf er sich wieder in das Schilf zurück verzogen habe. Sie nahmen sogleich die Schweißspur auf und brachten ihn zweimal hoch, ohne ihn aber zu Gesicht zu bekommen. Beim dritten Mal sprang der Löwe un- vermittelt aus dem Dickicht, erhob sich auf die Hinter- läufe und warf sich auf B.; dann wurde er wieder flüchtig. B. hatte noch nicht eine Schramme abbekom- men, wie er mir noch selbst erzählt hatte. Erst als er sich aufrichtete und nochmals feuerte, wirbelte der Löwe herum, warf sich voller Wut auf ihn und zer- riss ihn mit seinen Pranken. B. lag wehrlos unter dem Löwen, brachte es aber noch fertig, die Mündung der Büchse unter seinen Kiefer zu schieben und abzufeuern. Die Krallen hatten sich im Todeskampf geschlossen, so dass B. sie sich einzeln aus dem Fleisch reissen musste, bevor er sich erheben konnte. Muthoka wollte zum Lager laufen, um Leute zu holen, die B. zurück- tragen konnten, aber B. verschmähte es. Er wusste, dass ich es dann erfahren würde, und das wollte er ver- meiden. Das war mir noch gar nicht in den Sinn ge- kommen; mir hatte B. gesagt, er sei zu Fuss gegangen, um zu verhüten, dass seine Wunden steif würden. Und nun erfuhr ich, dass er sich meinetwegen gezwun- gen hatte, dem Sterben nahe, unter der glühenden Sonne zwei ganze Stunden zum Lager zurückzugehen. 276 Indem mir Muthoka alle diese Einzelheiten berich- tete, waren wir bis zur Ebene gelangt, wo wir einen Büffel äsen sahen. Muthoka rannte zurück, um die schwere Büchse zu holen, und unterdessen tat sich der Büffel nieder, wodurch er fast unsichtbar wurde. Ich umging ihn im Bogen in der Hoffnung, dass er wieder hochkomme, aber er schien keine Notiz von mir zu nehmen, obwohl er mich bemerkt haben musste. Ich nahm ihn aufs Korn, so genau die schlechte Sicht es gestattete. Auf den Schuss sprang er auf, fiel nach vorne und schlug ein vollständiges Rad, so dass seine Hinterläufe im Halbkreis durch die Luft fuhren. Es glich so sehr einem Zirkustrick, dass ich nur staunte und zusah, statt ihm eine zweite Kugel zu geben. Er kam wieder hoch und wurde nun in donnerndem Galopp auf die Dickung zu flüchtig. Es war schon zu dunkel geworden, um die Verfolgung aufzunehmen. Jetzt verstand ich, voll Mitteilungsbedürfnis über die Begegnung, wie es B. zumute gewesen, als er seine zwei Löwen erlegt hatte und mich nicht im Lager vor- fand, weil ich mich auf den Wasserbock eingelassen hatte. Wie angebracht es gewesen, die Nachsuche auf den folgenden Morgen zu verschieben, sahen wir, als eine starke Schweißspur hinter einem Busch verriet, dass uns der Büffel dort aufgelauert und uns unbedingt überrascht hätte. Darnach führte die Spur durch so dichten Busch, dass wir stellenweise auf allen Vieren kriechen mussten. Regen hatte sie verwaschen, und andere Büffelspuren kreuzten sie; doch konnten wir sie halten, solange sie Schweiss aufwies. Als aber auch dies aufhörte, mussten wir sie aufgeben. 277 Wir wateten darauf durch den Fluss, um nach Sing- Sing-Wasserböcken zu spüren. Nach einiger Zeit be- merkten wir die Enden eines Gehörns und pürschten uns näher. Es war ein Rudel von Wasserböcken, das sich hier niedergetan hatte. Zwischen den Halmen hin- durch war es unmöglich, die Gehörne auf ihre Stärke anzusprechen, und ich zögerte so lange, bis sie von uns Wind bekamen und flüchtig wurden. Wir holten sie wieder ein, und ich legte auf ein weibliches Tier an. Es stürzte im Feuer, erwies sich aber bei näherem Zusehen als ein junger Bock, dessen Gehörn eine Länge von kaum vier Zoll hatte. Dennoch streifte ich ihn ab in der Annahme, dass ein so wenig entwickeltes Exemplar die Gruppe anschaulich ergän- zen würde, um den Unterschied in der Färbung auf- zuzeigen; die Härung war braungelb gefärbt. Es war mir unverständlich, dass sich am entgegenge- setzten Blatt ein Ausschuss befand, bis ich entdeckte, dass Muthoka das Magazin für den Büffel mit Vollmantel- geschossen geladen und vergessen hatte, sie auszu- wechseln. Ich konnte deshalb von Glück reden, dass mir ein so schön gezirkelter Blattschuss gelungen war, der das Herz durchbohtrte; sonst hätte ich wahrschein- lich wieder das Nachsehen gehabt. Als ich am nächsten Morgen zur Jagd aufbrach, kam uns ein Eingeborener entgegen, der schwärzeste Neger, den ich je gesehen. Schon von weitem sah die von Kopf bis zu Fuss schwarze Gestalt wie ein Un- glücksrabe aus. Als er näher kam, sah ich, dass er in schwarze Tücher gehüllt war und schwarzen Trauerflor um den Kopf gewunden hatte. Er brachte Briefe für mich aus Ruchuru, die mich aufforderten, unverzüglich 278 dorthin zurückzukehren; doch stellte sich heraus, dass sich dies vermeiden liess. Die Wasserböcke hatten die Dickungen aufgesucht, und jedesmal, wenn wir uns näherten, hörten wir sie flüchtig werden, ohne sie je zu Gesicht zu bekommen; überdies sprang der Wind ganz unberechenbar um. Als wir auf die Böschung stiegen, um Ausschau zu halten, sahen wir einen Büffel ungedeckt auf einer Lichtung stehen. Sein Gehörn war schwach, und Fleisch brauchten wir auch nicht, so wünschte ich inbrünstig, er möchte wieder im Dickicht verschwinden. Aber er rührte sich nicht, und die Boys waren überzeugt, dass ich Angst habe. Das war eine gefährliche Meinung, die ich nicht in ihren Köpfen aufkommen lassen durfte. Ich sagte deshalb, ich wolle es mit ihm versuchen. Unten zwischen den Büschen kamen wir etwas aus der Richtung und waren früher, als wir geschätzt, in seiner Nähe, so dass er uns zuerst eräugte. Es war ein ziemlich unheimlicher Augenblick, als das schwarze Untier regungslos mit ausgebreiteten Lauschern da- stand, und ich hätte allerlei dafür gegeben, wenn ich hätte weitergehen dürfen. Ich lehnte mich kniend an einen Termitenhügel, der sich über das Gras erhob, und legte an. Im gleichen Augenblick duckte der Büffel den Kopf, der Schweif flog in die Höhe, und prasselnd und splitternd schob er durch das Dickicht ab. Ich war gleichzeitig sehr er- leichtert und schwer enttäuscht. Wir waren aber noch nicht weit gekommen, als Mu- thoka mir wiederum die schwere Büchse reichte und «Mboko» flüsterte. Wieder eräugte der Büffel uns, warf sichernd das Haupt empor. Das hohe Gras liess 279 nur einen Schuss im Stehen zu, und es vergingen einige Sekunden, bis ich die schwere 416er ruhig im Anschlag hatte. Der Büffel strauchelte, dann kam er wieder hoch und wurde im Galopp flüchtig. Wir fanden wenig Schweiss, wenn auch genug, um die Spur aufzunehmen. Bis sie in dichten Busch führte, hielten wir sie, dann lehnte ich es ab, ihr zu folgen. Die Boys waren natürlich verblüfft, dass ich solchermassen versagte, und ich sank an jenem Tag in ihrer Achtung, auch wenn ich ihnen erklärte, es gebe erst wichtigere Dinge zu erledigen, und wenn die Trophäen alle nach- gesehen seien, bliebe noch genügend Zeit, dem Büffel nach Herzenslust nachzuspüren. Das war keine glänzende Leistung, den zweiten Büf- fel weidwund im Busch zurückzulassen, ohne auch nur den Versuch zu machen, ihn von seinen Schmerzen zu erlösen. Es war gerade das, was B., der nie ein ange- schossenes Wild seinem Schicksal überliess, stets un- nachsichtlich verurteilt hatte. Am gleichen Abend bot sich mir noch eine Gelegen- heit, die Waagschale zu meinen Gunsten zu heben, als einer der Boys die Nachricht brachte, er habe einen Wasserbock am jenseitigen Ufer gesehen. Ich pürschte mich durch das hohe Gras heran und konnte einen Bock und zwei weibliche Tiere unterscheiden. Sie be- gannen sich zu trollen, und als sie verhofften, um nach mir zu sichern, gab ich Feuer. Dabei beging ich den Fehler, durch die Grasspitzen zu schiessen. B. hatte mir schon oft gesagt, dass die Kugel durch Grashalme in der Nähe der Mündung leicht abgelenkt werde; wie dem auch sei, ich fehlte. Nun kroch ich durch das Gras auf den einzigen Busch zu, um ihn als Deckung zu 280 benützen, als ein Rudel von Kobs — wohl dasselbe, das mich schon an dem bewussten Nachmittag gestört hatte — pfeifende Warnsignale ausstiess und damit die Wasserböcke endgültig vergrämte. Den Kobs aber konnte ich mich auf die Entfernung eines Steinwurfes nähern, bevor sie sich dazu bequemten, ihrerseits das Weite zu suchen. Noch immer hoffte ich, die Ehre des Tages retten zu können, aber obwohl ich die Wasserböcke noch zweimal zu Gesicht bekam, stets waren sie die Schlaue- ren, und als es dunkelte, kehrte ich unverrichteter Dinge wieder über die Furt zurück. Nach einem Miss- erfolg wird Ermüdung plötzlich doppelt fühlbar; immerhin bewirkte er, dass ich jetzt felsenfest ent- schlossen war, so lange hier zu bleiben, bis ich meine Wasserböcke hatte. In der Nacht schwoll der Fluss gewaltig an, riss die Brücke fort und machte die Furt unpassierbar. Auf unserer Seite war mir ein Standort von Wasserböcken nur in der Nähe eines früheren Lagerplatzes, etliche Meilen von hier, bekannt. Ich versah mich also mit Proviant für einen Tag, denn ich beabsichtigte, erst in der Nacht bei Mondlicht zurückzukehren. Während ich durch die Morgendämmerung über die schweigende, tauschimmernde Steppe dahinschritt, sarın ich darüber nach, ob es wohl möglich sei, diesen grossen, alles umfassenden Frieden in Worte zu klei- den. Eine Harmonie von Form und Farbe umgab mich wie Musik, und ich fühlte mich eingeschlossen in eine unendliche Liebe, die von den Bäumen, dem Himmel, ja, von dem Erdboden, den ich beschritt, ausströmte. Es war ein beseligendes Gefühl, über sich hinaus zu 281 wachsen auf den Schwingen der Erkenntnis, so dass man unbewegt wie ein Baum oder ein Berg über den Ereignissen der Welt stand, innig verbunden mit der Natur und nicht mehr ihr Gegenspiel. So träumte ich vor mich hin, als der vor mir gehende Muthoka einen plötzlichen Sprung zur Seite machte und ich im Weiterschreiten um ein Haar auf eine Python getreten wäre, die lang über den Pfad gestreckt lag. Die Leute schnalzten vor Schreck mit der Zunge, behaupteten, sie sei sehr giftig und verlangten, dass ich sie erlege. Doch ich hatte eine Vorahnung, dass mir dies kein Glück bringen werde und behauptete, wir würden niemals unseres grossen Bullen habhaft wer- den, wenn wir sie töteten. Muthoka nahm diesen Aus- spruch so wörtlich, dass er bei der Schlange Wache stand und jeden aufforderte, sie in weitem Bogen zu umgehen. Unterwegs stiessen wir auf frische Elefantenspur. Wir waren noch nicht weit gekommen, als uns ein Krachen und Knacken aufschreckte und ein Büffel uns unvermittelt annahm. Es kam so plötzlich, dass mein Gehirn wie gelähmt war. Instinktiv tastete meine Hand nach hinten, doch sie fasste ins Leere, und als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, dass die Leute Reissaus ge- nommen hatten. Zu meinem Glück bog der Büffel gute sieben Gänge vor mir zur Seite. In diesem Augen- blick liessen die Boys Major von der Leine, der nun kläffend an mir vorbeifuhr. Das jagte mir einen neuen Schrecken ein, denn ich fürchtete, es könne den Büffel zu einem erneuten Angriff reizen. Aber Major kam bald zurück, und der Büffel blieb verschwunden. So war die Sache noch glimpflich abgelaufen, und die Boys 282 kamen beschämt zurück. Sie hatten geglaubt, es sei ein Elefant gewesen. Wahrscheinlich hatten wir dem Büffel einen grösse- ren Schrecken eingejagt als er uns, aber im Weiter- gehen fragte ich mich unwillkürlich, was wohl die dritte Überraschung sein werde. Wir fanden schliesslich die Wasserböcke, aber das Anpürschen wurde durch zwei Umstände erschwert: den ständig umspringenden Wind und ein Rudel miss- trauischer Kobs. Am Ende blieb nur noch ein Wasser- bock übrig. Muthoka behauptete, es sei ein weibliches Tier, und da meine Ansprüche bescheiden geworden waren, gab ich Feuer. Sie machte nur einige Fluchten mit gespreizten Hinterläufen, dann brach sie zusam- men. Ich rannte hinter ihr her, voller Angst, sie möchte doch noch entkommen. Aber sie war bereits verendet, nur entpuppte sie sich bei näherer Betrachtung wieder als ein junger Bock. Während die Leute den Bock zerteilten, setzte ich mich in den Schatten eines Baumes und versuchte, mich philosophisch über mein Pech zu trösten. B. war es oft genug ebenso ergangen, wenn er es auf ein be- stimmtes Stück Wild abgesehen hatte. Noch waren wir nicht weit gekommen, als ich wieder zwei Wasserböcke, die unter einer Baumgruppe stan- den, gewahrte. Ich gab den Leuten ein Zeichen, gerade- aus weiterzugehen und kehrte selbst um. Die Wasser- böcke äugten misstrauisch zu mir herüber. Der eine trug ein langes, stolzgeschweiftes Gehörn. Noch war die Schussdistanz sehr gross, aber ich wollte nicht mehr riskieren, ihn wieder aus den Augen zu verlieren. Ich nahm ihn also aufs Korn, zielte so sorgfältig wie 283 möglich und gab Feuer. Zu meiner Freude hörte ich den Einschlag der Kugel, die Leute kamen zurück, und wir nahmen die Spur auf. Wir fanden reichlich Schweiss am Anschuss und bekamen ihn auch bald zu Gesicht, aber er wurde wieder flüchtig, bevor ich einen zweiten Schuss anbringen konnte. Als wir ihn wieder einholten, zerschmetterte ihm meine Kugel einen Hinterlauf. Dann aber verzog er sich in immer dichteres Gebüsch — dasselbe verwachsene Gestrüpp, das den Büffeln so zusagt —, und meine Hoffnung schwand. Er bewegte sich unter dem Wind und wurde jedes- mal flüchtig, bevor wir auf Schussweite heran waren. Dreimal brach er aus, ohne dass wir ihn zu Gesicht bekamen. Nur die starke Schweißspur gab uns immer wieder Hoffnung, versiegte sie, dann mussten wir uns als geschlagen bekennen. Doch plötzlich blieb Muthoka stehen und deutete unter die Zweige; dort lag der Bock — verendet. Wie in einem Traum legte ich das Bandmass an sein Gehörn. Seine Dimensionen waren nicht ausserordent- lich, aber recht gut; es war ein alter Bursche, dessen Decke schon stark ins Blaue spielte. Er war im Unter- holz in eine Art Mulde gestürzt, mit den zwei Leuten, die ich bei mir hatte, konnte ich ihn nicht herausziehen. Wir massen ihn und balgten ihn ab, so wie er lag, und kamen erst nach Einbruch der Nacht ins Lager zurück. Die Leute erklärten einmütig, es sei ein ungewöhn- lich grosser Bock, und legten eine Begeisterung an den Tag, als sei es wirklich eine seltene Trophäe. Mvan- guno zählte die Ringe an seinem Gehörn und behaup- tete, er müsse mindestens achtundzwanzig Jahre alt sein. 284 Überhaupt verhielten sich die Leute bewunderungs- würdig, immer waren sie willig und guter Dinge, nie war ein Wort der Ermunterung nötig, denn sie waren mit dem gleichen Feuereifer bei der Arbeit wie ich selbst. Der Koch setzte mir als Überraschung Fische vor, die er am Nachmittag gefangen hatte, und eine noch grössere Überraschung wartete meiner: sie hatten den zweiten Büffel verendet aufgefunden. Die Leute hatten Raubvögel über ihm kreisen gesehen, und nun bargen sie das Wildbret und brachten den Kopf ein. Inzwischen hatten sie auch eine neue Brücke gebaut, und am nächsten Morgen gingen wir über den Fluss, um nochmals Jagd auf Wasserböcke zu machen. Wir pürschten den ganzen Tag vergeblich, schon liess uns die Dämmerung umkehren, als Kasaia plötz- lich stehenblieb: ein einzelner weiblicher Wasserbock kam vor dem Wind gerade auf uns zu. Auf meinen Schuss preschte das Tier auf einen Gebüschstreifen zu. Ich rannte hinterher, und von einer Anhöhe herab sah ich, wie es sich am Boden wälzte. Als ich hinzutrat, war es schon verendet. Auch diesmal ein altes, kapitales Stück mit einer Decke, die ebenso blau schimmerte wie die des Bockes. B. pflegte zu sagen, das wahre Vergnügen liege in der Jagd selbst, mit der Erlegung des Wildes sei die Freude vorbei. Dennoch war ich es zufrieden, die müh- selige Jagd auf dieses Wasserbockpaar hinter mir zu haben. Zusammen mit dem jungen Bock würden sie eine prächtige Gruppe bilden, an der auch B. seine Freude gehabt hätte. Ihre Erbeutung war mir schon darum eine besondere Befriedigung, weil B. sie schon lange erlegt hätte, wenn ich ihm nicht immer wieder 285 vorgehalten, wir müssten in Rücksicht auf das Okapi mit dem Konservierungsmittel haushalten. Am folgenden Tag schickte ich meine Leute aus, um nach Büffeln zu spüren. Als es aber Nachmittag wurde, ohne dass sie zurückkehrten, unternahm ich einen Pürschgang nach einem Platz, wo B. vor einiger Zeit einen weiblichen Buschbock gefehlt hatte. Nun ist gerade der Buschbock eine Wildart von so unbe- rechenbaren Gewohnheiten, dass es ein ziemlich un- logisches Beginnen war, die gleiche Örtlichkeit wieder aufzusuchen mit der Absicht, das gleiche Stück Wild zu erlegen. Mein eigentlicher Beweggrund war auch die Tatsache, dass ich es nicht länger im Lager aushielt. Es war drückend heiss, und die Leute glaubten so wenig an einen Erfolg wie ich, als Kasaia der Treiber- linie entlanggelaufen kam, um mir zu melden, er habe den Buschbock gesehen. Ich pürschte mich zurück und konnte gerade die rost- rote Decke durch das Gezweige schimmern sehen. Eine Bewegung gab mir Aufschluss über die Stellung des Tieres, und ich gab auf gut Glück Feuer. Statt des erhofften Einschlags hörte ich aber die Kugel durch die Luft singen und machte mir Vorwürfe, dass ich nicht bessere Sicht abgewartet hatte; es lohnte sich wohl kaum, nachzusehen. Major zerrte jedoch so un- geduldig an der Leine, dass wir uns seiner Führung überliessen, und bald fanden wir zu unserm Erstaunen eine Schweißspur. Ein Dutzend Schritte weiter lag der Buschbock, verendet! Das Vollmantelgeschoss (ein Halbmantelgeschoss hätte die Decke zu stark beschä- digt) hatte das Blatt beidseitig glatt durchschlagen und nach dem Ausschuss gesungen. 286 Ich traute meinen Augen kaum, dass diese zarte, goldbraune Kreatur nun vor mir im Sande lag, die Läufe mit den zierlichen Schalen wie in Ruhestellung halb unter sich gezogen; selbst die Boys schauten eini- germassen verwundert drein. B. würde es nie für möglich gehalten haben, dass ich allein den Buschbock so meisterlich zur Strecke brin- gen könnte, und auch ich war überzeugt, dass hier mehr als meine Geschicklichkeit im Spiel war. Allnächtlich wanderte ich zu einem Baum ausser Sicht- und Hörweite des Lagers, und dort, in der weiten Stille der mondbeglänzten Ebene kniete ich und betete zu Gott um seinen Beistand. Indem ich mich ganz in seine Hand begab, verlor ich alle Furcht. Immer deut- licher fühlte ich die Gegenwart einer Macht, die mich beschützte, mir Kraft einflösste und die mir eines nach dem anderen der Tiere in die Hände gab, um die ich betete. Ohne diese geheimnisvolle Macht hätte ich nichts erreicht, und ich musste ständig daran denken, dass meine Erfolge mit meinem Ich nichts zu tun hatten. Diese drei Wochen, allein draussen, waren mir ein so tiefes seelisches Erlebnis, dass ich über der Materie zu schweben schien, gleichsam gebadet in schimmern- dem Licht. Die überirdische Schönheit und Weltentrücktheit erweckten mich zum wahren Bewusstsein der Wirk- lichkeit, neben der dieses Leben nur ein Schatten ist und ein Traum. Es war etwas, das sich über den Glau- ben erhob, denn eine Liebe, die über alle Vorstellungs- kraft ging, schloss mich ein in die Einheit des Alls. Es war, als sei ich meinem Schutzengel von Angesicht 287 zu Angesicht begegnet, und er habe mich unter seine Fittiche genommen. Die Büffeljagd war über Nacht besprochen worden: Abde sollte die schwere Büchse tragen, denn wenn er auch für gewöhnlich nur die Aufsicht über die Leute führte, so war er doch ein erprobter Gewehrträger. Wir waren noch nicht eine Stunde unterwegs, als wir die Büffelherde zu Gesicht bekamen. Das Gelände er- leichterte das Anpürschen. Abdes Stiefel aber knarrten so fürchterlich, dass ich überzeugt war, sie würden alles verderben. Nichts dergleichen geschah jedoch, die Büffel ästen völlig vertraut, die Köpfe ständig an der Erde. Kein Laut, als das regelmässige Abzerren des Grases oder ab und zu das Husten eines der Tiere war zu hören, genau die gleichen Laute wie die einer Vieh- herde im Morgennebel auf einer Weide in der Heimat. Ich richtete mich vorsichtig auf und liess mir von Abde eine starke Kuh zeigen. Er deutete auf ein vom Schlamm ganz hellgefärbtes Tier. Ich kroch noch wei- ter vorwärts in der Hoffnung, einen Termitenhügel zu erreichen, gegen den ich mich sitzend lehnen konnte, doch das Gras war zu hoch; ich musste wohl oder übel im Stehen feuern. Die Kuh bot mir gerade ihre Flanke, und auf meinen Schuss versank sie im Gras, während die übrigen die Häupter aufwarfen, einen Augenblick verhofften und dann davongaloppierten. Im Gras blieb alles still, wir wussten, die Kuh war verendet; aber ich fürchtete noch immer, einen jungen Bullen oder nur eine schwache Kuh auf der Strecke zu finden. Die Boys jedoch versicherten, sie sei enorm, und sie schüttelten mir die Hände und riefen: «Good luck». 288 wort wi Nachtbild in der ostafrikanischen Steppe, Hyänenhunde links, Tüptelhyäne nhyäne am gefallenen Zebra Berr r nd Vivienr n Wattenwyl Das Gehörn war nicht viel wert, aber die Haut war alles, was wir zu der kapitalen Kopftrophäe brauchten, die B. am Tinga-Tinga bei Embu erbeutet hatte. Ich hatte das Blatt anvisiert, aber die Kugel hatte ihr Ziel um mehrere Zoll verfehlt und war mitten durch den Hals gegangen, so dass ich ihre sofort tödliche Wirkung nur meinem Glück zuschreiben konnte. Das Tier war mit einem geburtsreifen Kalb trächtig, und auch das war ein besonderer Glücksfall, denn es war uns auf der ganzen Reise nicht gelungen, unsere Büffel- gruppe durch ein Kalb zu vervollständigen, da wir nie eines zu Gesicht bekommen hatten. Am Abend versammelte ich die Leute um mich. Ich rief ihnen ins Gedächtnis, wie lange wir schon mitein- ander an der Sammlung gearbeitet hatten, erinnerte sie an die Mühen, die uns der Elefant, die Giraffe, das Hunter’s Hartebeest und der Bongo gekostet, und an die neunzehn Löwen. Sie wussten, noch fehlten das Okapi und das weisse Nashorn, und nun legte ich ihnen eine Frage vor — für mich hing alles von ihrer Antwort ab —: wollten sie mit mir gehen, oder wollten sie nach Nairobi zurückkehren ? Während meiner ganzen Rede hatten sie mir beifällig zugestimmt; als ich aber zu dieser verhängnisvollen Frage kam, wappnete ich mich gegen die Möglichkeit einer stillschweigenden Absage. Aber nicht Schweigen, sondern einmütiges Freudengeschrei antwortete mir. Nichts kann die gehobene Stimmung beschreiben, in die mich dieses Vertrauensvotum brachte, das mir Gefolgschaft versprach, wohin ich sie auch führen würde, «durch Feuer und Wasser, bis ans Ende der Welt». 289 Da wir nun alle Lücken in unserer Sammlung aus- gefüllt hatten, war mir jetzt sehr daran gelegen, so rasch als möglich nach Kabale zu kommen. Dieser Besuch war nun einmal nicht zu umgehen, und je früher ich ihn hinter mir hatte, desto besser. Vor allem galt es keine Zeit mehr zu verlieren, denn bald begann über dem Wald von Ituri die Regenzeit. Auf der Karte sah ich, dass wir noch fünf bis sechs Tagesmärsche von Kabale entfernt waren; aber meine Ungeduld für den Aufbruch erlitt einen Dämpfer durch das Einsetzen von Regenwetter. Die Feuchtigkeit ge- fährdete die Haut der Büffelkuh, die stündlich un- brauchbar zu werden drohte. Das Büffelkalb und sogar die Wasserböcke begannen gleichfalls zu verderben. Noch schlimmer wurde es, als das letzte Restchen des Konservierungsmittels aufgebraucht war. Da brachte Mvanguno den Regenmann. Er schien uralt und war nicht viel grösser als die Pygmäen von Muhavura. Er trug einen Stab, an dessen Ende ein Büschel von Kräutern festgebunden war und mit dem er den Himmel bedrohte. Er begleitete uns dann den halben Weg bis Kabale, bis die Häute ge- trocknet und verpackt waren, sang unterwegs in regel- mässigen Zwischenräumen seine Beschwörungen und pfiff seltsam durch die Zähne. Die Leute glaubten be- dingungslos an seine Unfehlbarkeit, und wenn die sich auch nicht gerade erwies, so schien er doch be- merkenswerte Kräfte zu besitzen. Ich erinnere mich, wie an einem Nachmittag ein Sturm über uns herauf- zog und ich aus dem Zelt stürzte, um die Häute unter Dach zu bringen. Mvanguno erklärte meine Sorge für überflüssig, denn der Regenmann sei an der Arbeit. 290 Vielleicht war es ein Zufall, tatsächlich sah ich aber mit eigenen Augen, wie der Sturm sich teilte und zu beiden Seiten vorüberzog. Das ganze Land umher sprühte unter dem Wolkenbruch, nur der schmale Streifen, auf dem das Lager stand, blieb trocken. Wie wünschte ich, wir hätten den Regenmann früher getroffen; B. wäre über seine Person wie über seine Gabe entzückt gewesen. Der erste Marsch brachte uns bis Ruanga, wo es besonders starke Wasserböcke geben sollte, und da ich hoffte, den erlegten Bock durch einen noch bessern zu ersetzen, unternahm ich eine letzte Pürsche. Sie verlief indessen ergebnislos. Als ich zurückkam, hatten Mvanguno und Saidi Fieber, und was noch unerfreu- licher war, Franzisko war ohne Erlaubnis fortgeblie- ben und nicht zur Stelle um seine Last aufzunehmen, als die Safari aufbrach. Das war ein ernster Verstoss. Ich liess ihm die Wahl zwischen zehn Hieben oder einer Meldung beim D.C. in Kabale. Die Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten musste ich ihm offen lassen, denn der «Kiboko » ist ungesetzlich, jeder Eingeborene hat das Recht, gegen seine Anwendung Klage zu füh- ren. Der arme Franzisko liess meine Rede geduldig wie ein Lamm über sich ergehen und sagte, er wolle jede Strafe auf sich nehmen, die ich über ihn verhänge. Ich rief also die Leute zusammen, erklärte ihnen, wes- halb Franzisko die Peitsche verdient habe, und Abde holte mit Widerstreben den Kiboko. Mein Entscheid rief eine nur schlecht verhehlte Mißstimmung hervor. Franzisko selbst schien sich am wenigsten dagegen aufzulehnen, denn er entkleidete sich, ohne ein Wort 291 zu verlieren, und ertrug seine zehn Streiche wie ein Mann. Ich hatte einen solchen Strafvollzug noch nie gesehen, denn bei den ganz seltenen Anlässen, die sie notwendig machten, hatte ich mich ausser Hörweite entfernt. B. aber hatte ihnen stets beiwohnen müssen, und so beaufsichtigte auch ich ihn mit so strenger Miene wie möglich. Man darf solche Strafverfügungen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Eingeborene haben einen aus- geprägten Sinn für Gerechtigkeit, und so sehr sie ungerechte Bestrafung nachtragen können, so sehr ver- achten sie den, der zu strafen unterlässt, wo Strafe am Platz ist. Den ganzen Abend hindurch sann ich über die Sache nach, ob ich sie wohl richtig angepackt. Der nächste Morgen zerstreute aber alle meine Zweifel, denn im Lager herrschte ein beinahe militärischer Geist. Wir waren zuletzt schnell vorwärtsgekommen, dann verloren wir einen Tag, weil ich wieder heftiges Fie- ber bekam. Auch am folgenden Tag konnte ich mich nur bis Nakisheni schleppen. Kisima hatte unter- wegs unser Ginsterkätzchen verloren, und ich musste die halbe Wegstrecke zurückgehen, um es zu suchen. Nakisheni erreichte ich nur dank dem dortigen Mvami, der mir eine «Machiela»* entgegenschickte. Ich nahm sie dankbar an, viel zu erschöpft, um darnach zu fragen, ob sie vielleicht verlaust sein könnte, und versank in Fieberdelirien. Aber nie fühlt man sich besser in Form als nach einem Fieberanfall, und wir holten die verlorene Zeit schnell wieder ein. Der Mvami hatte für frische Träger an jedem Lagerplatz vorgesorgt, und wir machten acht- *) Tragstuhl 292 und neunstündige Tagesmärsche, bis wir nach Kabale kamen. Dort hielten wir uns nur einen Tag auf und hatten alle Hände voll zu tun. Die Vorräte mussten ergänzt und verpackt, das Zelt und die Ausrüstung über Land nach Fort Portal geschickt werden, um dort für den Vorstoss nach Semliki und dem Wald von Ituri zu unserer Verfügung zu sein. Ein schwerer Stein fiel mir vom Herzen, als ich end- lich von Dr.S. ein fachmännisches Urteil zu hören bekam und nun die Gewissheit hatte, dass ich für B. alles getan, was Menschenkräfte tun konnten. Denn in der Einsamkeit der letzten drei Wochen hatte mich stets der Gedanke verfolgt, ob die Dinge nicht eine andere Wendung genommen, wenn ich mehr Erfah- rung besessen hätte. Aber seine Verwundung war so schwer gewesen, dass der Körper von Beginn an nicht die Kraft besass, gegen das Gift anzukämpfen, und als ich die Wunden nach seiner ersten schmerzensreichen Nacht neu ver- band, hatten sie schon alles Gefühl verloren. Schon damals schien mir, die ich selbst an Fieberdelirien litt, dass dies ein schlechtes Zeichen sei. Dr. S. war davon überzeugt, dass B., selbst wenn er zehn Minuten nach seiner Verwundung ins Spital gebracht worden wäre, statt diese quälenden zwei Stunden in der glühenden Sonne zu gehen, gleichwohl nicht mehr zu retten ge- wesen wäre. Was mein Fieber betraf, das in regelmässigen Ab- ständen wiederkam und mit heftigen Augenschmerzen verbunden war, so handelte es sich nach Dr. S.’s Dia- gnose richtig um Spirillenfieber. Mit seiner Kenntnis 293 über das Wesen dieser Krankheit, die grosse Schonung und sorgfältige Pflege erfordert, konnte er kaum ver- stehen, dass ich all die Wochen anstrengender Jagd und langer Märsche hatte aushalten und überleben können. Wenn ich daran zurückdenke, so ist es mir ein Be- weis dafür, dass, wenn die Not es verlangt, Geist und Wille die Materie so beherrschen können, dass der Körper nur noch ihr Werkzeug ist. In viel stärkerem Mass hatte doch B. dies bewiesen, als er — mit kaum einem Muskel oder einer Sehne heil in seinen Beinen — noch zwei volle Stunden ging; dabei hatte er später, als keine Anstrengung mehr nötig war, nicht einmal mehr die Kraft besessen, seine Beine zu bewegen, um die Schmerzen zu lindern. Während der zwei trübseligen Tage der Rückfahrt im Kraftwagen und während der noch trübseligeren Tage in Kampala brachte mir die Erinnerung an diesen letzten Marsch nach Kabale Trost wie ein Leitstern in schwarzer Nacht. Die Morgensonne hatte sich über den Hügeln er- hoben, die sanften Linien verschwammen im Licht- meer und senkten sich gegen das Tal, dessen wogende Nebel von Regenbogen schimmerten. Der Frühwind trug den Hahnenschrei und die Stimmen der Hirten an mein Ohr und schüttelte den Tau von den Zweigen. Selbst der Staub und das grelle Sonnenlicht, die Gleichgültigkeit fremder Gesichter in Kampala, konn- ten diesen zarten Visionen nichts anhaben. Sie waren wie ein unsichtbares Band, eine Verheissung, dass sie den, der sich zu diesen Dingen wahrhaft bekennt, nimmer im Stich lassen, dass die Blaue Ferne durch alles hindurch auf mich warte. 294 Alle Nachrichten waren so gründlich unterdrückt worden, dass ich sie als erste der Bank und der African Mercantile überbringen musste. Ich hatte noch nicht daran gedacht, dass mir daraus Schwierigkeiten erwachsen könnten, wenn ich Geld abheben wollte. Jetzt bedeutete man mir, dass ich weder Geld abheben noch mein Anrecht auf das Geld beweisen könne. Das war zwar nur eine Frage der For- malität, ihre Lösung war einfach. Ich brauchte nur nach Hause zu kabeln; aber gerade das wollte ich ver- meiden. In Kabale war meine Absicht, die Expedition allein zu Ende zu führen, durchwegs auf Mitgefühl gestossen; hier hielt man mich offensichtlich für ver- rückt. Ziemlich sicher würde man daheim den gleichen Standpunkt einnehmen, und ein Kabel könnte leicht den Erfolg haben, dass man mich an der Weiterfüh- rung hinderte. Ausserdem wollte ich mein Vorhaben aus eigener Kraft zu Ende führen, und das Schlimmste wäre mir gewesen, um Hilfe zu bitten. Nachdem aber die Rückfahrt für die Leute auf dem Regierungs-Transportwagen bezahlt war, blieben mir kaum noch ein bis zwei Silberschillinge übrig; noch waren aber dreissig Pfund für Wagenmiete zu bezahlen, und dazu kam die Hotelrechnung. Das Kabel schien doch der einzige Ausweg, als die Bank plötzlich ein Einsehen hatte und sich erbot, mir 100 £ zu leihen. Es ist fast nicht zu glauben, welch wunderbare Macht in 100 £ verborgen liegt! Alles schien mir wie durch Zauberkraft verwandelt. Sogar der Staub zu meinen Füssen war Gold, und ich fühlte mich jetzt so geborgen und gesichert, dass ich es sofort mit fünfzig Kampalas und Imperial-Hotels aufgenommen hätte. 295 Was das Wichtigste war: die Trophäen befanden sich in sicherer Verwahrung bei der African Mercantile Co., der Leiter der Firma nahm sich persönlich ihrer an. Schon wurden nach ihren Massen mit Zinkblech aus- geschlagene Kisten angefertigt, noch im Lauf dieser Woche sollten sie verladen werden. Als ich darüber Gewissheit besass, hielt es mich keinen Tag länger in Kampala. Ich konnte nun an Lady Archer telephonieren. Sie lud mich sofort ein, nach Entebbe zu kommen. Etwas schüchtern erklärte ich ihr, dass ich fünfundzwanzig Trägerlasten mit mir habe, einen Hund und eine gefleckte Ginsterkatze; auch schien es mir nicht gerade angezeigt, meine dreizehn Leute unbeaufsichtigt in Kampala zurückzulassen. Lady Archer liess meine Einwände nicht gelten, ich solle nur kommen und alles mitbringen. Sie hatte noch keine Ahnung von dem, was geschehen war, bis ich in einem schwarzen Kleid bei ihr erschien. Wie.schnell war dann alles vergessen, dieses Ge- dränge von Schwarzen, diese Ansammlung von Men- schen, das endlose Gewirr von Strassen und Well- blechdächern, die Kaufläden, in denen ich meine Ein- käufe gemacht, getreulich gefolgt von Major, der jeden eingeborenen Hund befehdete und jedermann zwischen die Beine geriet. Unter dem Blätterdach der schönen Bäume yon Entebbe versank die Erinnerung an all den Staub und an meine Mutlosigkeit, als seien sie nie gewesen. Vielleicht war es nur der plötzliche Gegen- satz, aber dieser erste Nachmittag im «Government House» steht noch heute wie eine glückliche Vision vor meinen Augen. War es das Gefühl wohliger Ge- borgenheit oder der Gegensatz zwischen der dürren 296 Öde ringsum, die nur von dem melancholischen Schrei der Fischadler widerhallte, und diesem Garten mit sei- nem kühlen, stillen Schatten, dem grünen Rasen und den freundlichen Menschen unter seinen Bäumen ? Ich war hierher gekommen mit der festen Absicht, meine Pläne gegen alle und jede Opposition durchzu- setzen und fand nichts als freundliches Entgegenkom- men und Verständnis; das war vielleicht der grösste Gegensatz. 297 Das Semliki-Tal und der Weisse Nil Erst an einem Nachmittag gegen Ende November, als die Abendsonne die Vorberge des Ruwenzori ver- goldete und die ungeheure Tiefebene von Semliki sich zu meinen Füssen weitete, konnte ich ganz daran glauben, dass dieser letzte Jagdzug greifbare Wirk- lichkeit geworden war. Ich stieg die Böschung hinab in das weite Tal, in dem die Bäume, die Erde, ja selbst die Steine Leben zu atmen schienen. Das Gurren der Turteltauben verschmolz mit der Stille rings um mich her, und jetzt erst erfasste ich, dass ich wieder zurück durfte in die geliebte Wildnis. Aber erst, als die Nacht hereingebrochen war, als der altgewohnte Gesang der Grillen zu ertönen begann, und als sich mein Zelt wiederum unter dem sternenbesäten Himmel spannte, wurde mir ganz bewusst, wieviel Dank ich der gütigen Hilfe und wohlwollenden Unterstützung schuldig war, ohne die ich es nimmermehr hätte durchsetzen können, meine selbstgesteckte Aufgabe zu Ende zu führen. Auf den Ituri-Wald hatte ich allerdings verzichten müssen; das schwerwiegendste Argument dagegen war, dass er nicht auf britischem Gebiet lag. Die Erbeutung des weissen Nashorns war allein schon eine gewaltige Aufgabe. Ich hatte unbeirrt daran festgehalten, dass ich sie bewältigen könne, aber jetzt, da die formalen Schwierigkeiten beseitigt waren und nur diejenigen übrigblieben, die in der Natur des Unternehmens lagen, schien das Unternehmen plötzlich 298 gewaltig zu wachsen. Denn jetzt handelte es sich nicht mehr um die Sammlung allein, bei der es niemanden als mich kümmerte, ob es gelang oder nicht. Diesmal ging es um mehr: von allen Seiten war ich unterstützt worden, bis zu einem gewissen Grade glaubte man an mich, und so war ich doppelt und dreifach zum Erfolg verpflichtet. Es war keinerlei Gefahr dabei, denn es gibt kaum ein harmloseres Wesen als das weisse Nashorn und kaum ein Wild, das leichter über den Haufen zu schiessen ist. Die Schwierigkeit lag darin, ein kapitales Stück aus- findig zu machen und noch mehr, die ganze Haut zu bergen, die dicker ist als die des Elefanten. Schon vor Monaten hatte man uns auf die grossen Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, das Lostrennen des Horns allein sollte einen ganzen Tag erfordern. Ähnlich wie beim Elefanten war die Bergung der Haut eine Frage rascher Arbeit. Das Klima war hier denkbar ungünstig, denn im Niltal herrschte eine feuchte Hitze, wie in den Lo- riansümpfen zur Regenzeit. Meine Leute aber waren mit Leib und Seele bei der Sache, und so war schon vieles gewonnen. Bis dahin aber hatte ich noch beinahe zwei Wochen Zeit, um im Semliki-Tal einen guten Wasserbock zu erbeuten. Captain S., der jeden Fussbreit in diesem Distrikt kannte, hatte mir den Standort der besten Böcke am Ufer eines kleinen Flusslaufs, dem Dura, genau be- schrieben und mir sogar einen ungefähren Situations- plan aufgezeichnet; wenn es mir also nicht gelang, ihn zu erbeuten, so war mangelnde Kenntnis der Örtlich- keit sicherlich nicht die Ursache. Andererseits konnte ich kaum eine ungünstigere Jahreszeit gewählt haben. 299 Das Gras war noch zu grün, um zu brennen, und doch schon so hoch, dass es uns stellenweise über den Kopf reichte. In einer solchen Dschungel, konnte es passie- ren, dass man auf fünf Meter an einem Rekordbock vorbeispazierte, ohne eine Ahnung von seiner Nähe zu haben. Man konnte geradesogut im Dunkeln jagen wie zwischen diesen undurchdringlichen Graswänden, über die man nur hin und wieder Ausblick hatte, wenn man auf einen Baum kletterte. Mindestens zweimal wären wir buchstäblich über Büffel gestolpert, wenn Kuh- reiher (die fast stets die Büffel begleiten) nicht Alarm geschlagen hätten. Mein Spezialjagdschein gab mir das Anrecht auf zwei Wasserböcke, aber schon am dritten Tag hatte ich mir die eine Möglichkeit für einen davon verdorben. Das war so gekommen: Nach einem langen Marsch schlugen wir das Lager an einer Wasserstelle auf. Die Boys hatten einen Bock gesichtet, dessen Spur wir so- gleich aufnahmen, ohne ihn aber einzuholen. Kurz vor Sonnenuntergang sahen wir ihn gegen die Wasser- stelle zurückwechseln. Ich postierte mich an seinem Wechsel und hatte ihn bald auf Schussweite vor mir. Sein Gehörn liess mich vor Aufregung zittern, aber — leider — traf die Kugel nur zu gut, denn das Gehörn, das 32 Zoll zu überbieten schien, mass keine Finger- breite mehr als 28 Zoll. Um mir die letzte Chance nicht nochmals zu ver- derben, war ich jetzt entschlossen, die Ufer des Dura systematisch abzusuchen, bis mein Aufenthalt dem Ende zuging, und dann erst auf den stärksten Bock Jagd zu machen, den ich unterdessen beobachtet. Aber 300 es war eine ermüdende Beschäftigung und besonders für meine Leute entmutigend, denn, hatten wir nach stundenlanger Pürsche ein Rudel gefunden, und ich sah kein wirklich befriedigendes Gehörn darunter, dann half nichts, ich wendete mich konsequent ab, um weiter zu suchen. Nicht genug damit, ehe 24 Stunden um waren, zeigten sich bei mir dysenterieartige Erscheinungen, die wohl auf das stark salzhaltige Wasser des Dura zurück- zuführen waren. Es war mir bald klar, dass ich unter diesen Umständen über kurz oder lang auf den zweiten Wasserbock verzichten musste. Als ich darum eines Morgens, drei Tage ehe das Schiff fällig war, schon mindestens acht recht gute Böcke ausgeschieden hatte und einen einzelnen Bock antraf, von dem die Boys ver- sicherten, er sei stärker als alle bisher gesehenen, be- schloss ich, meine Karte auf ihn zu setzen. Seine Verfolgung hielt uns so sehr in Atem, dass auch ich mich allmählich dafür begeisterte. Endlich, als er zwischen zwei Büschen ungedeckt verhoffte und die Sonne sein kühngeschweiftes Gehörn beleuchtete, ver- liessen mich die letzten Zweifel, und ich gab Feuer. Aber — das angelegte Bandmass ergab nicht mehr und nicht weniger als 30!/, Zoll. Selbstvorwürfe nützten nun nichts mehr; ich ver- schob sie auf später. Vorläufig stellte ich mich, als sei ich ganz zufrieden, um das Entzücken der Leute nicht allzusehr zu dämpfen, sie hatten sich ja mit nie ver- sagender Geduld für ihn ins Zeug gelegt, während vieler Tage, die uns wie ebenso viele Wochen vorkamen. Als ich die Gehörnmasse der beiden Böcke mit dem am Kinyonza erbeuteten Bock verglich, fielen mir 301 charakteristische Unterschiede auf: Der Bock vom Kin- yonza hatte eine um beinahe sechs Zoll grössere Schul- terhöhe. Die Kobs (Moorantilopen) hingegen scheinen im Semliki-Tal grösser zu sein als am Kongo. Da sie überdies um Seher und Lauscher eine deutliche weisse Zeichnung aufwiesen, erlegte ich ein Paar. Die Schul- terhöhe des Bocks übertraf die der grössten Stücke vom Kongo um drei Zoll. Die Stunde vor Sonnenuntergang war mir immer die liebste Tageszeit; dann griff ich zur Schrotflinte und wanderte ohne Begleitung in den Busch, um etwa noch ein Perlhuhn zu erlegen. Einmal begegnete ich dabei einem Wasserbock ; nur wenige Meter voneinander ent- fernt hielten wir an und beäugten uns gegenseitig. In der Abendsonne glänzte er kupferrot. Dann senkte er wieder beruhigt den Kopf und fuhr fort, zu äsen, als wüsste er, dass er nichts von mir zu befürchten habe. In meiner Einsamkeit waren solche Manifestationen des Zutrauens ein süsser Trost; es war, als ob die Natur mich als zugehörig betrachtete, ja mehr noch, als zuge- hörig anerkannte. Und mit diesem Wissen um meine Zugehörigkeit fühlte ich mich geborgen. Zwischen dem Semliki und Rhino-Camp unterbrach die «Baker» ihre Fahrt in Butiaba, einem kleinen Hafen- ort am Ufer des Albertsees, am äussersten Ende einer öden, sandigen Landzunge. Eine ganze lange Woche musste ich dort warten. Weder Träger noch Proviant waren hier aufzutreiben, und damit gab es keine Mög- lichkeit, der eigenen Trübsal zu entrinnen. Übrigens konnte ich von Glück sagen, dass ich über- haupt bis hierher gekommen war: in meinem Tagebuch hatte ich dem November gedankenlos 31 Tage gege- 302 ben und entdeckte erst in letzter Stunde, dass ich nun mit meiner Zeitrechnung um einen Tag zurück war. Es war drei Uhr nachmittags, als ich ganz zufällig meinen Irrtum an einem Kalender auf der Rückseite eines Schreibblocks bemerkte. Vom Lager bis zum Ufer des Sees war es noch ein guter Tagesmarsch. Sofort brachen wir auf und kamen kurz nach Sonnen- untergang nach Ntoroko, und bei Tagesanbruch lief die «Baker» ein. Hätten wir sie verfehlt, dann wäre aus dem weissen Nashorn nichts geworden, denn wir hätten nochmals zwei Wochen verloren, und der Jagd- pass erlosch Ende des Jahres — ein etwas teures Lehr- geld, um sich zu merken, dass der November nur dreis- sig Tage zählt. In diesem halbzivilisierten Nest war es mir nicht möglich, mein Zelt aufzuschlagen, ich musste in einem Rasthaus Quartier nehmen. Hier fand ich nichts ande- res zu tun als die Wasservögel am Seeufer zu beob- achten und mich darin zu versuchen, die unbeschreib- lich schönen Sonnenuntergänge zu malen, bis der Regierungsbeamte sich meiner erbarmte und mir ein Kanoe mit Ruderern zur Verfügung stellte. Nun ver- brachte ich Tag und Nacht mit erfolgloser Jagd auf Flusspferde. Vernünftigerweise hätte ich diese Woche zu gründlichem Ausruhen benutzen sollen, aber ich konnte keine innere Ruhe finden, und ausserdem hoffte ichhier unsern Misserfolg vom Viktoriasee wettzumachen. Des Nachts, wenn der Mond auf den See herab- schaute und die Kongoberge in unendlicher Ferne wie ein silberner Schleier über dem Horizont ruhten, erhob sich das rhythmische Schlagen der Negertrommeln. Immerfort dröhnte ihr pulsierender Schlag, und ferne 303 Stimmen hoben und senkten sich in steter Wieder- holung einer so wilden, unheimlichen und seltsam traurigen Melodie, dass ich fast wahnsinnig wurde vor Trübsinn. Nicht nur meine kleine Ginsterkatze hatte ich zurück- lassen müssen, auch Major, mein treuer Gefährte, war nicht mehr bei mir, ein Verlust, der meine Einsamkeit hundertfach fühlbar machte. Ich hatte mich im letzten Augenblick überreden lassen, ihn nach Entebbe zurückzuschicken, wegen der Ansteckungsgefahr durch die Tsetse-Fliege im Sem- liki-Tal. Noch heute bereue ich bitter, dass ich dieses Risiko nicht auf mich genommen hatte. Denn während ich ihn jeden Tag in der Wildnis mehr vermisste, lag er — wie ich später erfuhr — von früh bis spät in Government House vor der Tür und wartete auf mein Kommen. Er schien taub für alles, was um ihn vorging und sprang nur auf, wenn er glaubte, meine Schritte zu hören, um dann, enttäuscht, kläglich aufzuheulen. Einen Monat später sollte Lady Archer ihn auf ihrer Reise nach dem Sudan selbst zu mir nach Rhino-Camp bringen. Im Durcheinander der Abreise aber ver- schwand Major. Vielleicht wollte er mich suchen gehen? Er wurde bald darauf gefunden, zerrissen und blutig, nach einer Beisserei mit sechs Eingeborenen- hunden, die zusammen über ihn hergefallen waren; vielleicht hatte er geglaubt, er verteidige mich gegen sie? Er hatte nicht nachgegeben, sein tapferes altes Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen. Auch die Woche in Butiaba ging schliesslich vor- über, und nach achtzehnstündiger Fahrt legte die «Ba- ker» unter den Bäumen von Rhino-Camp an. 304 Mehr als je sehnte ich mich nach der freien Wildnis, und ich hätte mich am liebsten sogleich zur nächsten Wasserstelle aufgemacht. Aber im Innern gab es kein Wasser, und so blieb mir keine Wahl, als das Zelt bei dem Rasthaus unmittelbar am Fluss aufzuschlagen. Captain W., der zu meinem Schutz hierher beordert wurde, eröffnete mir dies gleich bei meiner Ankunft. Er war beauftragt, in Rhino-Camp zu bleiben, hin das weisse Nashorn glücklich erlegt war. Wäre ich allein gewesen, dann hätte ich, dem Bei- spiel B.’s folgend, meine Zeit wenn nötig bis zur Syl- vesternacht ausgenützt, um mir ein möglichst starkes Exemplar zu sichern. Aber ich war ja nicht allein, und es war undenkbar, dass ich mit einem Begleiter, der nicht das geringste Interesse an meinen Plänen haben konnte, Tag für Tag auszog, unbekümmert um die verrinnende Zeit. Hätte ich es so gehalten, dann würde mein Nashorn zweifellos noch heute durch die Dschun- gel streifen. So aber hatte die Jagd nach drei Tagen schon ihr Ende erreicht, und ich war überaus dankbar für alle Hilfe, die mir zuteil wurde, denn ich machte mir jetzt ständig Sorge darüber, ob ich weiteren Anstrengungen noch gewachsen sei. Ich hätte die Schmach kaum über- lebt, mich in letzter Stunde für geschlagen erklären zu müssen, nur weil ich mich körperlich nicht auf derHöhe fühlte, jetzt, nachdem ich so viele und so grosse Schwie- rigkeiten überwunden hatte. Das Gras stand hier ebenso hoch wie im Semliki- Tal, und da wir nach zwei Pürschgängen einsahen, dass wir unter diesen Umständen kaum je ein Nashorn zu Gesicht bekommen würden, setzten wir es in Brand. 305 Glücklicherweise war es schon trocken genug, und bald verbreitete sich der Widerschein des Steppen- feuers über den nächtlichen Himmel. Darnach war die Gegend in eine verkohlte Steppe verwandelt, jeder Tritt wirbelte Wolken von Asche auf. Aber man konnte wenigstens sehen. Bei klarem Sternenlicht brachen wir auf — unver- gesslich ist mir der herbe Geruch der taufeuchten Asche —, und als der Osten sich zu röten begann, waren wir an der Stelle angelangt, an der wir zuletzt eine Nashornspur gesehen. Die Leute verteilten sich, um die Umgegend abzusuchen, aber die Sonne stand schon hoch am Himmel, und Tau und Morgenfrische waren lange dahin, bis eine Meldung eintraf. «Wieder ein Tag verloren», dachte ich, doch schliesslich konnte ich nicht erwarten, dass ein weisses Nashorn ohne harte Anstrengungen zu erbeuten sei. Wir hatten übrigens schon zwei oder drei Bullen zu Gesicht bekommen, aber als zu schwache Stücke ausgeschieden. Doch nun kamen die Askaris zurück und meldeten, dass sie ganz in der Nähe ein äsendes Nashorn gesehen hätten. Der Wind war unbeständig, denn es war zu jener Tageszeit, da er unentschlossen abwechselnd aus allen Himmelsrichtungen bläst. Dreimal zwang er uns um- zukehren, und als wir die bezeichnete Stelle endlich erreichten, war von dem Nashorn nichts mehr zu sehen als seine sich entfernende Spur in der Asche. Mittag war schon vorüber, als wir drei Nashörner im Schatten einiger Bäume erblickten, eine Kuh mit Kalb und einen Bullen nicht weit dahinter. Wieder galt es zu entscheiden, ob das Horn die erhoffte Länge habe. Als er das Haupt hob, ein schwarzes Profil gegen das 306 grelle Licht der Steppe, sah es riesig aus, unter einem andern Winkel unbedeutend, dann wieder liess seine kühngebogene Linie mein Herz schneller schlagen. Ich hob das 30-Zoll-Mass in die Höhe, das S. E. der Gouverneur mir für eine annähernde Schätzung emp- fohlen hatte, aber noch immer konnte ich mich nicht entschliessen. Captain W. bezweifelte, dass es das er- forderliche Mass erreichte, während die Leute es für riesig erklärten. Das taten sie aber steis, und sie hatten ja noch nie vorher ein weisses Nashorn gesehen. Schliesslich vertauschte ich die Büchse mit der Kamera und pürschte mich näher heran. Doch das Nashorn eräugte mich und wurde flüchtig, ich hinterher, um noch eine Aufnahme zu erhaschen, bis ich bei einem Busch beinahe in die Kuh mit dem Kalb rannte, und alle drei verschwanden in einer Wolke von Asche und Staub. Wir waren noch nicht weit gekommen, als wir wieder auf einen Bullen stiessen, dessen Horn diesmal einstimmig für kapital befunden wurde. Das hier noch hohe Gras erforderte einen Schuss im Stehen. Während wir uns vorsichtig anpürschten, wo- bei das Nashorn unruhig zu werden begann, kamen mir hundert Bedenken, ob ich nicht noch zuwarten sollte. Ich zögerte noch, als Muthoka flüsterte, das Nas- horn sei im Begriff, sich zur Flucht zu wenden. Jetzt oder nie! Liess ich auch diesen Bullen gehen, so waren mir wieder endlose Strapazen gewiss, und würden wir wohl wieder einem annähernd so starken Bullen be- gegnen? Es war wohl, weil ich meines Entschlusses nicht ganz sicher war, denn als ich abdrückte, fehlte ich dieses riesige, nicht zu verfehlende Ziel. 307 Er warf sich herum und polterte davon, in wenigen Augenblicken würde er mir endgültig verloren sein. Ich nahm mich also zusammen und schickte ihm eine Kugel nach. Er hielt in seiner Flucht inne und gab mir Zeit, mich zu nähern. Ich kauerte auf die Erde, zielte lange und sorgfältig auf die Mitte der Brust und gab Feuer. In einem letzten wilden Anlauf donnerte er vorüber, und dabei schien mir sein Horn kaum noch einen Fuss lang. Das benahm mir alle Lust, auch nur hinzugehen, um ihn aus der Nähe zu besehen. Da er indessen jetzt verendet vor mir lag, war das Nächstliegende, mit dem Abhäuten zu beginnen. Im übrigen war es interessant, ein weisses Nashorn aus der Nähe zu betrachten, denn sein merkwürdig breites Maul, dem die Greiflippe fehlt, die grossen, mit schwarzen Borsten befransten Lauscher gaben ihm ein dem gewöhnlichen schwarzen Nashorn recht un- ähnliches Aussehen, von dem es auch eine etwas hellere Färbung unterschied. Nach den Aufregungen der Jagd war mir das Hantieren mit dem Bandmass stets besonders langweilig erschienen; in diesem Fall mussten wir den Kadaver unterhöhlen, um seinen Lei- besumfang zu messen. Es brauchte zehn Askaris, um den ungefügen Kör- per auf den Rücken zu wälzen und ihn so im Gleich- gewicht zu halten, während ich darauf kletterte und die nötigen Schnitte zog. Muthoka hatte die Klinge ge- schärft wie ein Rasiermesser, und das war auch not- wendig, denn sogar am Bauch war die Haut fast einen Zoll dick. Als die Leute zum Abhäuten eintrafen, waren wir schon ein gutes Stück vorwärtsgekommen, aber das 308 Loslösen des Horns war eine schwere Aufgabe, und die Sonne ging unter, während wir noch immer daran schnitten und hackten. Ein Trupp von Wegarbeitern, die sich für das Wildbret interessierten, kam uns sehr gelegen. Sie zimmerten eine Art Rost, dreissig Mann luden die Last auf ihre Schultern und brachten sie so ins Lager ein. Als wir den Rückweg antraten, war es wiederum im Sternenlicht, aber selbst nach einem bescheidenen Er- folg ist auch eine späte Heimkehr ein kleines Fest und lässt keinen Gedanken an Müdigkeit aufkommen. Ein um ein paar Zoll längeres oder kürzeres Horn ändert nichts an der mühseligen Arbeit des Abbalgens, und ich hatte schon lange Bedenken gehabt, ob nur vier erfahrene Leute sie bewältigen konnten. Nun musste noch die ganze Haut dünngeschabt werden. Ein Dutzend ansässiger Eingeborener wurden zugezogen, so dass zwanzig Mann damit beschäftigt waren; wir arbeiteten den ganzen Tag von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends. Es war eine harte, anstren- gende Arbeit, aber was machte das? Der Augenblick, an dem wir an der Trophäe des weissen Nashorns arbeiten konnten, war während vieler Wochen der Gipfel all meiner Wünsche gewesen. Am folgenden Tag sollten S. E. der Gouverneur und Lady Archer auf der Fahrt nach dem Sudan an Rhino-Camp vorbeikommen. Captain W. liess durch seine Askaris Berge von Papyrus-Stauden holen, und wir unterhielten uns den ganzen Morgen damit, das Lager auszuschmücken. Über den Ehrensitzen brachten wir ein Wappenschild an, mit einem schreitenden weissen Nashorn, darunter das Motto: «White is 309 might». Über den Landungssteg hängte ich ein Tuch, worauf ein aus weissem Kattun ausgeschnittenes Nas- horn prangte und darunter das Wort: CAMP. Dieses Nashorn war mit blossem Auge auf weite Entfernung sichtbar und schloss jede Möglichkeit aus, dass die «Baker» versehentlich an Rhino-Camp vorüberfuhr. Das andere Nashorn lag auf einer Plattform unter den Bäumen ausgebreitet, und schnell gab ich dem Horn noch eine letzte Politur. Erde und Schmutz hatte ich mit Wasser und Seife abgeschrubbt und es dann mit Vaseline eingerieben. Dies brachte einen so schönen Bernsteinglanz hervor, dass man wirklich versucht war, es zu bewundern — wäre es nur um drei Zoll länger gewesen. Mir bangte etwas vor dem Augen- blick, da ich diese 28 Zoll eingestehen musste, denn der Gouverneur hatte ausdrücklich betont, dass eine Tro- phäe unter 30 Zoll nicht in Frage kommen dürfe; ich fürchtete, er möchte bedauern, sich meinetwegen solche Mühe gegeben zu haben, wenn ich nichts Besseres zu- wege brachte. Als Seine Excellenz nun doch nicht so enttäuscht dreinschaute, wie ich befürchtete, das Horn sogar sehr schön fand und seine breite Basis bewunderte, war mein erstes, in «Ward’s Records» nachzuschlagen, denn an diesen Trost hatte ich nicht gedacht. Die «Baker» setzte ihre Reise fort, Captain W. kehrte nach Arua zurück, und mir blieben noch zehn Tage in Rhino-Camp. Während der ganzen Jagdreise, bereits in den ersten Tagen, hatte mir oft geträumt, sie sei schon zu Ende, aber ich war immer wieder erwacht mit dem Blick auf den umgekehrten V-förmigen Ausschnitt von blauem 310 Himmel unter dem grünen Zeltdach. So freudig stimmte mich dann solches Erwachen, dass ich jedes- mal hätte hinauslaufen mögen, um der aufgehenden Sonne meinen Gruss zuzujubeln. Nun aber wurde aus dem Traum bald Wirklichkeit, und mein Erwachen würde umschlossen sein von vier Wänden, fern der freien Natur. Jede Stunde brachte mich dem Tag näher, an dem ich mich von ihrer heilenden und szgnenden Gegen- wart losreissen und allein mit meinem tiefen Schmerz wieder zurückkehren musste in die Einöde der Zivi- lisation. Jetzt kam mir erst zum Bewusstsein, wieviel ich dem weissen Nashorn verdankte, denn bis dahin hatte es sich wie ein mächtiger Berg vor das Ende geschoben. Meine Erschöpfung äusserte sich in einem so ungeheu- ren Schlafbedürfnis, dass mir nur übrig blieb, entweder dauernd zu arbeiten oder auf immer in Schlaf zu sin- ken. Doch noch hier half mir das Nashorn, Gedanken an die Zukunft, vor der mir graute, zu verdrängen, denn seine Haut drohte zu verderben, und ich hatte soviel Sorge und Arbeit damit, sie zu schaben, mit Chemikalien zu behandeln und zu überwachen, dass mir keine Zeit blieb, meinen Gedanken nachzuhängen. In diesen letzten Tagen unterlag ich mehr und mehr dem Zauber des Nil. Stundenlang konnte ich in seine langsam und ruhig ziehenden Fluten schauen, bis mein ganzes Wesen mit dem tiefen und doch zielbe- wussten Frieden seiner Strömung eins zu sein schien. Ausgestreckt lag ich neben dem Fluss, wie man an Lethes Ufern liegen mag, im Schauen die Gedanken befreit, in erlöstes Vergessen getaucht. 311 Er glitt so friedlich vorüber, ohne Hast und Rast, auf seinen Wogen trieben schaukelnd die kleinen Nil- pflanzen* vorbei und verschwanden in der Ferne. Man mochte sitzen und seinem Lauf nachträumen, stunden- lang oder durch tausend Jahre hindurch, der Strom war an sich schon ein Symbol der Zeit. Spiegelte sein Lauf nicht die ganze Entwicklung wieder? Hier, nahe seinem Ursprung, sind seine Ufer wild und unberührt, seine Anwohner so primitiv wie der erste Mensch, und an seinem Ende, nachdem er Wüsten durchmessen, spiegeln sich Brücken und mächtige Kulturen vieler Epochen in seinen Wassern. Wie die Eingeborenen, die am Ufer sitzend über ihn hinblickten, schien die- ser Strom Sinnbild einer unerschütterlichen Geduld, einer Geduld, die schliesslich alles zu überwinden ver- mag. Es ist dieselbe Geduld, die dem Neuling über- all entgegentritt, eine aufreizende Apathie und fühl- lose Gleichgültigkeit, ein Fatalismus, der einen in Wut zu versetzen vermag. Und doch liegt hier vielleicht das Geheimnis: Afrika ist zu mächtig für etwas so Brüchiges wie die Ungeduld, und unsere Stärke liegt nicht darin, unsern eigenen Willen dagegen zu stem- men, sondern uns einzufügen. Was mich in all den Monaten des Jagens immer wieder beeindruckte, das war der stoische Mut des Wildes; stets kämpfte es bis zum letzten, keine Schmerzempfindung dämpfte je seinen Lebensmut, nichts brach ihn als der Tod selbst. Auch die Leute waren Stoiker. Zugegeben, sie hatten hundert Fehler, mangelnde Geduld durfte man ihnen jedoch nicht vor- werfen. *) Nile cabbages (Pistia stratiotes). 312 Der Tag war gekommen, an dem sie die Rückreise nach Nairobi antreten mussten. Da kam jeder einzelne zu mir und bat mich, ihn bei der nächsten Safari wieder mitzunehmen. Das war Musik in meinen Ohren, und ich machte mich daran, die Fleischmesser einzufetten und sorglich in die Werkzeugkiste zu packen, nicht damit die «African Mercantile» nach Belieben darüber verfüge, sondern sie mir aufbewahre. Es war fast Mitternacht, als die «Baker» wiederum anlegte. Ich war der Finsternis dankbar, denn vor dem Abschiednehmen war mir gar nicht recht geheuer. Noch dankbarer war ich dem alten Mvanguno, der einen hartnäckigen Streit um einen Kochtopf vom Zaun brach, auf den er alleiniges Recht beanspruchte trotz allen Argumenten, die Abde gegen ihn ins Feld führte. Das gemahnte so sehr an alte Zeiten, dass der Abschiedsschmerz für den Augenblick vergessen war. Und schliesslich endete der Zauber der «Blauen Ferne» ja nicht mit dem Verlassen von Rhino-Camp. Die Strecke von Nimule nach Rejaf, die ohnehin nie von Touristen heimgesucht wird, war zu dieser Jahreszeit so verlassen, wie ich es mir nur wünschen konnte, nie begegnete ich einem Weissen. Nur einmal, am Neu- jahrstag, überholte mich ein Missionar auf seinem Fahr- rad und bedauerte mich, weil ich zu Fuss gehen musste. Ich konnte es ihm nicht erklären, aber nicht um alle Fahrräder der Welt hätte ich auf einen Schritt dieser letzten Wanderung verzichten mögen. Es war ein herrlicher, anstrengender Marsch, denn die «Baker» hatte sich verspätet, das Schiff in Rejaf aber nicht, so dass mir nur noch sechs Tage blieben, um diese 96 Mei- len zurückzulegen. 313 Ich befand mich jetzt im Sudan, in glühender Wüsten- hitze, und marschierte nur in der Nacht. Wild gab es wenig, aber ich liebte diese einsame, steinige Strasse, über der jeden Morgen die Sonne in feuriger Pracht aufging, während der Wind in Orgeltönen zwischen den Felsblöcken brauste. Die letzte Etappe war die schönste von allen, denn während die Sterne noch funkelten, rollte eine alte, wohlbekannte Musik, die machtvolle Stimme eines brüllenden Löwen über die Ebene. Wieder und wieder erschütterte ihr Donner das Schweigen und verlor sich dann ausklingend unter dem Himmel. Dann stieg leise aus grauen Nebeln die Dämmerung herauf, ein leichter Wind erhob sich und wirbelte die dürren Blätter am Boden auf, während die erste Morgenröte ihre hauch- zarten Farben über die Wüste legte. In Rejaf gab es alle Hände voll zu tun: Einfuhr- scheine für die Gewehre waren auszufertigen, Geld musste gewechselt, Zoll bezahlt werden. Aber ich war glücklich über diese Ablenkung, die mir weniger Zeit liess, über das andere nachzudenken — über den Ver- kauf des Zeltes und der Ausrüstung und all der Dinge, die mir so vertraut geworden waren. Ich muss es dem Leser gestehen, dass ich im letzten Augenblick die Säge wieder auspackte und die Zeltstange unter der Fassung entzweisägte. Es war das Stämmchen, das wir im Wald von Meru geschnitten hatten. Jetzt musste ich auch Jim und den Koch entlassen, die mich bis zum letzten Tag der Safari begleitet hatten, und schliesslich kam der Dampfer in Sicht. Es war zwischen ihm und mir ein Wettrennen gewesen, das ich gewonnen hatte. Bis zuletzt hatte ich noch gehofft, 314 seine Ankunft würde irgendwie verhindert, aber jede Drehung seiner Schaufelräder, ja selbst die Strömung schienen sich gegen diese Hoffnung zu verschwören. Und es war gut so, denn so gerne ich die ganze Jagdreise noch einmal unternommen, meine Kräfte hätten kaum noch für einen Tagesmarsch gereicht. Wir lichteten die Anker erst in der Nacht, so blieb mir noch Zeit, den Berg von Rejaf zu besteigen. Um seinen Gipfel kreisten die Weihe, und die granitenen Zacken glimmten im Abenddämmer. Unter mir dehnte sich der Nil von Horizont zu Horizont, und die Erde wölbte sich unter dem Himmel, soweit das Auge reichte. Hier und da verstreut ein Hügel, eine Gruppe von Büschen und eine gewundene Strasse. Wohin mochte sie führen? Irgendwohin in die untergehende Sonne hinein oder dem Morgen entgegen, wie alle Strassen in Afrika. Glücklich, wer auf ihnen wandern darf. 315 164 930 . „ ae i ” [ A an } Aa en rn ne 2, PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY m. nn nennen innen Ko un m SK Wattenwyl, Vivienne von 31 In blaue Fernen W3715 BioMed RE = _