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Inſel⸗Almanach auf das Jahr 1938

Im Inſel⸗Verlag zu Leipzig

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Kalendarium

Das Leben wohnt in jedem Sterne:

Er wandelt mit den andern gerne

Die ſelbſterwählte, reine Bahn;

Im innern Erdenball pulſie ren

Die Kräfte, die zur Nacht uns führen

Und wieder zu dem Tag heran. *

Goethe

A Januar

Neujahr Sonntag n. Neuj. Montag Dienstag Mittwoch Epiphanias Freitag Sonnabend

1. Sonntag n. Ep. Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

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2. Sonntag n. Ep. S

Montag Reichsgründung Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

3. Sonntag n. Ep. Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Nationale Erhebung Montag

Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

5. Sonntag n. Ep.

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Septuageſima

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Sexageſima Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Eſtomihi Montag

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Dienstag Mittwoch © Donnerstag Freitag Sonnabend Invokavit Montag Dienstag Mittwoch > Donnerstag Freitag Sonnabend

Heldengedenktag Montag Dienstag Mittwoch D Donnerstag Freitag Sonnabend Okuli

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Latare

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag ®

Freitag Sonnabend Judika

Montag

Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Palmarum Montag Dienstag Mittwoch Gruͤndonnerstag ® Karfreitag Sonnabend

Oſterſonntag Oſtermontag Dienstag Geburtstag

des Führers Donnerstag Freitag Sonnabend

Quaſimodogeniti Montag

Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 0

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Tag der Arbeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Jubilate Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Kantate Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Rogate Montag Dienstag Mittwoch Himmelfahrt Freitag Sonnabend Exaudi Montag Dienstag

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Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Pfingftfonntag 3

Pfingftmontag Dienstag

Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Fronleichnam Freitag Sonnabend

1. Sonntag n. Tr. Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

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Donnerstag Freitag Sonnabend 2. Advent Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

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1. Weihnachtstag 2. Weihnachtstag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Silveſter

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Reinhard Buchwald / Schiller als Freund und Lehrer

Nach ſeiner ſchweren Erkrankung hatte Schiller einen großen Teil des Jahres 1791 in Rudolſtadt, Karlsbad und Erfurt zugebracht. Anfang Oktober kehrte er nach Jena zurück.

Schon während ſeiner Krankheit hatte ſich gezeigt, welche Liebe er ſich bei der ſtudierenden Jugend erworben hatte, obwohl ihn die meiſten kaum anders als in ſeinen Vorleſungen kennen gelernt hatten. Jedoch von Anfang an muͤſſen dieſe jungen Menſchen an Schiller die menſchliche Würde geſpürt haben, auf der nun immer mehr feine allgemeine Volkstümlichkeit beruhte. Seine bloße Erſcheinung bewirkte - fo hat ein Schwelzer Student in feine Heimat geſchrieben daß man das übliche Trampeln und Scharren unterließ, ihn dafür ſchweigend empfing und am Schluſſe laut Beifall klatſchte. Seit ſeiner Erkrankung konnte ſich Schiller große Vorleſungen nicht mehr zumuten und hat nur einmal noch (im Winter 1792/93) ein fünfſtündiges Priva- fiffimum über Aſthetik in feiner Stube gehalten. Das mußte ihm die Teilnehmer auch perſönlich näher bringen. Vor allem aber diente ſeinem Bedürfnis nach einem täglichen Umgang mit geiſtig lebendigen Menſchen der offene Mittagstiſch, den ſeine „Hausjungfern“, die Schweſtern Schramm, für ihn einrich— teten. Dieſe Tafelrunde hat Schillers Leben in den Jahren ſeiner langſamen Erholung vor allem erheitert und bereichert. So liegt auf dieſer Zeit trotz aller Rückſchläge ſeiner Krankheit, beſonders eines ſchlimmen Rückfalls im Frühjahr 1792, der Glanz eines Frohſinns, der ſich bis zum ſtudentiſchen Ubermut ſteigern konnte; und ſo hat Schiller auch gerade jetzt ſeine eigentliche und ganz eigentümliche Wirkung auf einen Schüler- und Freundeskreis aus⸗ geuͤbt.

Lieſt man manche Erinnerungen, die Schillers junge Freunde von damals aufgezeichnet haben, ſo hat man den Eindruck, als habe er ſich jetzt, wo er ſich dem Leben wiedergeſchenkt fühlte und durch die däniſche Penſion die ſchwerſten Lebensſorgen von ihm ge: nommen waren, noch einmal demſelben ſtudentiſchen Uberſchwang hingegeben wie vor einem Jahrzehnt nach ſeiner Entlaſſung aus der Karlsſchule. Wir geben davon nur einiges wenige wieder.

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feiner Krankheit gerade nach Jena zuruͤckgeſehnt hat, weil er nur dort „im Umgang mit ſeinesgleichen und der Auswahl talentvoller junger Leute ſich ſelbſt mehr genießen“ könne.

Mit einem Herzen voll unendlicher Dankbarkeit haben alle die jungen Menſchen an die Tage zurückgedacht, die ſie damals in Schillers Umgebung verbrachten. „Sie Wohltäter meiner Seele!“ ſchreibt ihm der eine. Zwei andere machten 1791, während Schiller krankt in Rudolſtadt lag, miteinander eine Ferienreiſe von Jena nach Arnſtadt und berichteten ihm davon: „Sie können kaum glauben, wie wir uns oft in dem Gedanken an Sie und in Geſprächen von Ihnen fo ganz verloren, und wie wir fo ernſtlich das Liebſte ent: behren und hingeben wollten, um Sie wieder geſund zu wiſſen ...“ Und einer von dieſen in ſpäteren Jahren: Der Funke, den keine Zeit ganz auslöſchen konnte, ſei von Schiller in feine Seele ge: worfen worden. Derſelbe (es iſt der Maler Graß) wanderte drei Jahre nach Schillers Tod mit Caroline von Humboldt am Albaner See entlang; da erzählte ſie ihm, wie Schiller ſich ſeiner erinnert habe. Das erhöhte ihm alle feine Kräfte: „Eine Welt der Dich: tung trat mit funkelnden Bildern des lebendigſten Lebens aus mir hervor ... Eine neue reinere Jugend der Seele iſt zu mir herab: gekommen.“

Schiller hat fpäfer in den „Votiptafeln“ das Weſen des echten Lehrers in einer Reihe von Epigrammen geſchildert. Was er dort ausſprach, das war nicht bloße Forderung, fondern ſtolze Erfah: rung an ſich ſelbſt. Schon ſeit jener Zeit ſeiner Geneſung und ſeiner Kantbegeiſterung klang ihm dasſelbe in den Briefen ſeiner Freunde und Schüler entgegen, wenn ſie ihm im einzelnen zu ſchildern verſuchten, wodurch er ſo nachhaltig auf ſie gewirkt hatte. Immer war es zuerſt ſein lebendiges Beiſpiel, ſowohl als geiffiger Arbeiter wie als ſittliche Perſönlichkeit. Den einen es war der junge Friedrich von Hardenberg brachte er dazu, auch die nüchternen Aufgaben des Lebensberufs auf ſich zu nehmen und ſie durch eine würdige Auffaſſung zu adeln; andern machte er Mut zu künſtleriſchem Wagnis. „Sie wiſſen es ja,“ ſchrieb 1813 der Taſſo⸗ und Calderon:Überfeger Gries an Lotte, „mit welcher himmliſchen Güte er ein ſtrebendes Gemüt an ſich zu ziehen, auf: zumuntern, anzuregen wußte ... Wenn ich in meinen Beſtre⸗

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bungen nicht ganz unglücklich geweſen bin, fo habe ich es wahrlich ihm allein zu verdanken.“

Immer entſchied der erſte Eindruck und ſchuf ſofort ein lebens⸗ längliches Band von Achtung und Liebe. Im Frühjahr 1792 wurde ein junger Pfälzer Student durch einen Empfehlungsbrief bei Schiller eingeführt; ein Jahrzehnt ſpäter ſchrieb er darüber an ihn: „Jenes Gefühl der Andacht, womit ich, ein ſechzehnjähri— ger Knabe, zum erſten Male unter Ihre Augen getreten war, lebt noch jetzt voll und warm in meinem Herzen . .. Nie werde ich der Zeit vergeſſen, wo mir dieſes Glück zuteil ward. Der Gedanke, in wenig Augenblicken den Mann zu ſehen, zu hören, deſſen erhabene Geiſteswerke mein jugendliches Gemüt mit tiefſter Ehrfurcht er— füllt, deſſen Namen meine Lippen ſo oft mit Entzücken ausgeſpro— chen hatten, beengte meine Bruſt, aber wie ward mir, als ich durch Ihre herzgewinnende Freundlichkeit meine Beklemnung gelöſt, durch Ihre Herablaſſung mich erhoben fühlte! Nie verließ ich in der Folge Ihr Haus, zu welchem Sie mir gütig den Zutritt ver— gönnt hatten, ohne herzinnige Liebe; die Freude, die ich in Ihrer Nähe empfunden hatte, war mir Würze für die nächſten Tage und Wochen, und wenn mich das Gefühl meiner eigenen Unbedeu— tendheit befümmerte, wenn es mich unbeholfen und mutlos machte, ſo hielt ihm die Freude das Gegengewicht, mit der ich, ſooft ich Sie geſehen hatte, das ſchöne Wort des Bruders Martin im , Götz von Berlichingen“ in meinem Innern beſtätigt fühlte.“

Dieſelbe liebevolle Verehrung brachten alle auch Lotten entgegen. Sogar der Rheinländer B. Fiſchenich, der 1792 von Jena als Profeſſor der Rechtswiſſenſchaft nach Bonn ging, nannte ſie „Liebe Mutter“; fie war ganze zwei Jahre älter als er! Der junge Balte von Adlerskron verſicherte ihr: ſeine Natur ſei durch ihre Freundſchaft ganz anders geworden und die Wirkungskraft in ihm habe eine ganz andere Richtung erhalten. „Denn eben dieſes Glück“, fo ſchrieb er ein ander Mal, „bildete mich, weil kein Tag voriberging, wo nicht mein Herz und Verſtand Gelegenheit fanden, von Ihnen zu lernen.“ Und wieder in einem anderen Brief: „Die Freundſchaft, die Sie mir geſchenkt haben, fordert mich auf, ſelbſt an mir zu arbeiten, alles zu realiſieren nach dem Muſter, das Sie mir durch Ihre vortrefflichen Eigenſchaften gegeben haben.“

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Oder der baltiſche Theologieſtudent Karl Graß, der ſich damal entſchloß, ſeiner Neigung zur Malerei zu folgen: „Ich trage fi Sie eine unauslöſchliche Liebe in meinem Herzen .. Glauben © es mir, daß ich, wie nach einer Himmelserſcheinung, nach ein Wiederkehr Ihres Geiſtes zu mir mich ſehne . ..“ Alle jene Jüng linge hätten unterſchrieben, was der letzte treue Hausgenoſſe de Schillerhauſes, Heinrich Voß, ſpäter ausſprach: „Ihre Sreuni ſchaft iſt ſegenbringend, und wohl dem, der dieſes Segens genießt darf.“

Auch von ihr verraten manche Zeugniſſe im einzelnen, modur: ſie die Herzen gewann. 1798 treffen die Humboldts in Paris eine jungen Allgäuer, der zu der Jenaer Gemeinſchaft gehört hatt und er verſicherte ihr: „Ich habe nie ein ſittſameres Frauenzin mer geſehen.“ Caroline von Humboldt fügte, als fie das nach Jen meldete, hinzu: „O heilige Dezenz, ſo ſteht ſie Dir wohl immer zi Seite!“ „Die Dezenz“ war Schillers Scherzname für fie, abı wieviel Verehrung er hineinlegte, wiſſen wir aus Gedichten w „Würde der Frauen“. Jener Karl Graf dankte Lotten einm „für die gerade, offene und fo unbeſchreiblich wohltuende Weiſ mit der fie ihm geſchrieben habe“. Dazu muß Lotte eine gros naturliche Begabung befeffen haben, es allen bei ſich heimifch ; machen. Es ſei ihm gar nicht zumute geweſen wie in eine fremden Haufe, die freundliche Aufnahme habe das ganze 31 frauen feines Herzens rege gemacht, hat einer ihrer jungen Gaf erzählt. Und ein anderer von den Abenden in ihrem Hauſe: E etwas komme nicht wieder, wo Geiſt und Herz gleichviel B friedigung gefunden.

Auch das beobachteten fie, was fie für Schiller war. Das hab: ja in dieſen Jahren alle einſehen gelernt, die dem ſtillen Rude ſtädter Freifräulein zuerſt kritiſch gegenübergeſtanden hatten, d einen, weil ſie ihnen nicht bürgerlich, die andern, weil ſie ihn für Schiller nicht genial genug ſchien. Am ſchönſten bezeug aber auch dies jene jungen Menſchen, namentlich die, mele mit ihr an Schillers Krankenlager gemacht hatten. So abermc Karl Graß, als er in Italien die Nachricht von Schillers T erhalten hatte: „Ihre Seele, die ſeine Vertraute und der ſchö Troſt feines Lebens war ...“

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Ludovike Simanowiz: Schiller

Man müßte jedes diefer großen und kleinen Lebensſchickſale be: ſonders verfolgen, wenn man den Segen ganz erfaſſen wollte, der damals und oft genug auch ſpäter von Schiller und ſeinem Haus ausgegangen iſt. Wir werden uns mit kurzen Skizzen der drei Be⸗ deutendſten, deren Leben damals und wenig ſpäter durch ihn ihre Richtung empfing, begnügen müſſen: es ſind Novalis, Hölderlin und Wilhelm von Humboldt.

Aus Reinhard Buchwalds „Schiller“

*

Briefe des Feldmarſchalls Blücher

An Eiſenhart Stargard, 22. Juli 1810 Ritt meiſter von Eiſenhart, Blüchers früherer Adjutant, ſtand damals in Berlin. Am 19. Juli war die Königin Luiſe geſtorben. Liber Eiſenhart. Ich bin wie vom Blitz getroffen, der ſtolz der Weiber iſt alſo von der Erde geſchieden. Gott im Himell, ſie muß vor uns zu guht geweſen ſein. Schreiben ſie mich ia, allter Freind, ich bedarf auf Munterung und unterhaltung, es iſt doch unmöglich, daß einen ſtaht ſo vihl auf einander volgendes unglück treffen kann als den unſrigen. übrigens geben der Himmel, daß ſich alles, was ihr letzter Brief enthäld, beſtättiget, in meiner jetzigen ſtimmung iſt mich nichts liber als daß ich Erfahre, die Weld brenne an allen vihr Enden. Der Schönen Frau recht vihl Schönes. Immer der ſelbe Blücher

An Rüchel Berlin, den 27. Februar 1815 Mein verEhrungswürdiger Freund. Schon längſt würde ich das güffige Schreiben von 15. des v. Januars] beantwortet haben, wenn ich nicht hoffte, etwas wid): tiges zu erfahren und ihnen mittheilen zu können, aber ich habe darauf vergebens gewartet, und ſo iſt den der glohrreiche Fride

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[der erſte Pariſer Friede] und unſre Briliante Belohnung vor die auf Opfferungen und anſtrengung, die die nation ſo bider dahr⸗ gebracht, mit einmahl in der Zeitung erſchienen; ſie können wohl denken, welche ſenſation es hir gemagt, zu mahl, um das gericht verdaulig zu machen, eine ſauce darüber gegoſſen, die kein menſchen Schmecken will, den, wenn der Fride guht iſt, ſagen die leute, muß er ſo herausgeſtrichen werden? eine guhte Sache ſpricht vor ſich ſelbſt, und den ſollen diejenigen, die darüber traurig find, von ihre allten Brüder getrennt zu werden, doch bedenken, welche vortteile uns durch die neue zu theillung erwackſen. Würden 300,000 Pohlen und fo viehl Saxen, die uns haſſen, daß leiſten, waß unſre allten nie von uns getrennten brüder fo bereit: willig dahrbrachten; o ihr Politiqer, ihr ſeid ſchlechte Menſchen⸗ ferner. der guhte wiener Congreß gleicht einem Jahrmargt in einer kleinen ſtadt, wo ein jeder ſein vih hintreibt, es zu verkaufen oder zu vertauſchen; wihr haben einen tüchtigen Bollen hinge⸗ bracht und einen Schebigen ockſen eingetauſcht, ſagen die Ber⸗ liner. ich führ mein theill habe gleich meinen entſchluß genommen und meinen abſchid gefordert, erwahrte jeden tag die antwohrt und gehe den vor immer nach Schleſien, will Berlin und den Hof nicht wiederfeben. es iſt unerhört, wie man uns militairs behandelt; nach England hette man mich nicht genommen, wen der Regent nicht expreß darum geſchriben, und nach Wien nahm der König den Policeiminiſter mit. Der Herr von Kneſebeck iſt die einzige militair Perſon, die zu allen zu gezogen wird, und dieſer menſch iſt derjenige, der in Frankreich darauf beſtandt, daß wihr nach den Rein zurüf marſchiren und da Friden Schliſſen ſollten, und wen ichs nicht bei kaiſer alexander durchſetzte, ſo ſahen wir Pariß nicht; die einlage wirds beweiſen. 0

An Blücher-Altona

Hanape, d. 24te Juny 1815 Der Briefempfänger ift Blüchers Vetter, der Oberpräfident Graf Kon: rad Daniel von Blücher in Altona, in däniſchen Dienſten. glänzender wurde nie ein Sieg erfochten wie der, den wihr den 18 ten beſtritten haben... |

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Die preufifche armeeh und die von lord Wellington haben 400 Ca⸗ nonen erobert und die Feindlige armehh iſt vollig in auf loßung. Die Feſtung avenes [Avesnes] iſt, nachdem durch mein wurffge⸗ fhüß ein Pullwer⸗Magazin gezündet, zur Capitoulation gezwun⸗ gen worden, und heute hat ſich das Feſte Schloß Guiſe ergeben, Bonaparte iſt durch das Corps Le Guſlatiff [législatif] abgeſetzt, und der Generall Moraud hat mich gebehten, die Feindſehlig— keitten ein zu ſtellen; ſie begreiffen wohl, daß ich dieſes von der Hand gewieſen habe und zur antwohrt gegeben, Bonaparte Todt oder ſeine auß lifferung an mich und zu gleich die übergabe aller Veſtunken an der Maß und Sambre wehren die einzigen Condi— tionen, worunter ich die Feindſehligkeiten einſtellte. Mein march ginge ohne auff halt grade nach Parisß und wenn die Parisßer Napoleon nicht auß Lifferten oder Töteten, ſo würden ſie meine Rache als Eidbruchige erfahren. fie mögten an Moscau denken. noch heute breche ich gegen Parisß auf. ſo eben bringt man mich den Schlüſſel St. quenten. Maubeuge und Landreci werden in dieſen Tagen Fallen.

So wohl meine armeeh als die von Wellington haben vihl verloh: ren; in deßen Fihlen die brawen vor der menſchheit gröſter Sache.

An den König

24. Juni 1815 Ich bitte nun alleruntertänigſt die Diplomatiker anzuweiſen, daß ſie nicht wieder das verlieren, was der Soldat mit ſeinem Blute errungen hat. Dieſer Augenblick iſt der einzige und letzte, um Deutſchland gegen Frankreich zu ſichern. E. M. werden als Grün⸗ der von Deutſchlands Sicherheit verehrt werden, und auch wir werden die Früchte unfrer Anſtrengungen genießen, wenn wir nicht mehr nötig haben, immer mit gezücktem Schwerte dazuſtehn.

An ſeine Frau

Compiégne, 27. Juni 1815 Hier fig ich in dem Zimmer, wo Maria Luiſe ihre Hochzeits nacht zelebrierte. Man kann nichts Schöneres, nichts Angeneh⸗ meres ſehen als Compiögne; nur ſchade, daß ich morgen früh wieder von hier muß, denn in 3 Tage muß ich zu Paris ſein.

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Es iff möglich und höchſt wahrſcheinlich, daß Bonaparte mich und Lord Wellington ausgeliefert wird. Ich werde wohl nicht klüger handeln können, als ihm totſchießen laſſen; es geſchieht die Menſchheit dadurch ein Dienſt. In Paris hat ihm alles verlaſſen, und er wird gehaßt und verachtet: ich denke die Sache iſt ganz in kurzen hier zu Ende, und dann eile ich nach Haufe...

An ſeine Frau

St. Cloud, 3. Juli 1813 . . . In meinen letzten Brief ſagte ich, daß Du den nächſten aus Paris erhalten ſollſt; Du ſiehſt, daß ich Wort halte. Aber ich habe geſtern und heute wieder gegen 3000 Mann verloren; ich hoffe zu Gott, es ſollen die letzten in dieſen Kriege ſein; ich habe das Morden zum Überdruß fatt. Auf der Rückſeite desfelben Blattes: Menden, 4. Sali 185 Paris iſt mein. Das franzöſiſche Militär marſchiert hinter der Loire, und die Stadt wird mich übergeben. Die unbeſchreibliche Bravour und beſpielloſe Ausdauer meiner Truppen nebſt meinen eiſernen Willen verdanke ich alles. An Vorſtellungen und Lamen⸗ tieren über Entkräftung der Leute hat es nicht gefehlt; aber ich war taub und wußte aus Erfahrung, daß man die Früchte eines Sieges nur durch unausgeſetztes Verfolgen recht benutzen muß. Ich kann Dich heute nicht mehr ſchreiben; ich bin zu ſehr be— ſchäftigt und zu matt. Mach dieſen Brief gleich in Berlin bekannt. Gott fei gedankt, das Blutvergießen wird auf hören..

Aus den Briefen des Feldmarſchalls Blider in der Inſel⸗Bücherei

Goethe Dem Fürſten Blücher von Wahlſtatt die Seinigen

In Harren und Krieg, In Sturz und Sieg Bewußt und groß!

So riß er uns

Von Feinden los.

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Reinhold Schneider

Dem Andenken Lothars von Supplinburg (Geſtorben am 4. Dezember 1137)

Zwiſ chen den Herrſchern, die einer der drei großen Geſchlechter⸗ ketten des Mittelalters angehören, ſteht ein von der Nachwelt nur ſelten geehrter Kaiſer gleichſam als Begründer und Vollender der kurzen Geſchichte ſeines Hauſes; es iſt Lothar der Supplinburger, deſſen Geſchlecht in der braunſchweigiſchen Heimat unvermittelt aus dem Dunkel der Zeiten hervortritt, im Glanze der höchſten Krone aufleuchtet und mit dem Träger dieſer Krone endet. Kein königlicher Vorfahr bahnte dieſem Sachſenkaiſer den ſteilen Weg, und er ſollte, was er mit Umſicht und Beharrlichkeit und unter dem Beiſtand wunderbaren Glücks erworben hatte, keinem Sohne vererben können. Im Feuer der Jugend betraten die Königsſöhne das Münffer zu Aachen, um ſich unter der verpflichtenden Krone zu beugen; Lothar beſtieg als Sechziger den Stuhl Karls des Gro— ßen; und Reife und Einſicht, die Weisheit eines Vielerfahrenen, den es nicht mehr nach Streit und Siegeskränzen verlangt, ſon⸗ dern nach der Behauptung ſeines Anſehens und Auftrags, eines Mannes, der wohl nachzugeben und auf Rechte zu verzichten ver⸗ mag, ohne ſein Recht zu verlieren: dieſe Fähigkeiten, die im ſtür⸗ miſchen Ablauf der Kaiſergeſchichte vielleicht nicht immer zur wůnſchenswerten Auswirkung gelangten, kennzeichnen die wenigen Jahre, da Kaiſer Lothar herrſchte (1125-1137). Freilich find es auch Fähigkeiten, denen die Welt den Ruhm der Größe nicht ſo leicht zuerkennt wie wagemutiger Tatkraft; ſie mögen von den Zeitgenoſſen geſchätzt werden, verblaſſen aber um ſo raſcher in den Augen der Nachfahren, die ja meiſt, wenn fie in die Dämme⸗ rung des Geweſenen zurückblicken, nach hochragenden Denk⸗ mälern oder dem fortglimmenden Brandſchein der Schlachtfelder ſuchen. Aber was wäre gewonnen, wenn man Lothar den Sachſen einen „großen“ Kaiſer nennen wollte? Bedarf doch der Name des höchſten Fuͤrſten der Chriſtenheit keines Beiworts; iſt der Kai⸗ ſer ſeinem Amte gerecht geworden, ſo hat er ſich auch als ein hoher Menſch erwieſen; Beſſeres ließe ſich von ihm nicht ſagen,

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als daß er die Krone des Reiches getragen hat und ihrer würdig geweſen iſt.

Allein es ſcheint alles am Erben zu liegen; ein jeder Träger der Krone iſt ein Vorbereiter, der das Gut ſeiner Söhne verwaltet; kommt nun die Zeit nicht, der er diente, ſo wird auch ſein Tun hinfällig, und was er geſchaffen hat, ſinkt dem bald vergeſſenen Namen nach. Lothars ganzes Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, dem welfiſchen Bayernherzog Heinrich dem Stolzen, dem Gatten ſeiner einzigen Tochter Gertrud, die zähe aufgebaute ſächſiſche Hausmacht ſamt der Krone zu vererben; als der Kaiſer, ein der Welt und ihrer Laſten müder Mann, auf der beſchwerlichen Heimfahrt aus Italien in einem armen Bauernhauſe zu Breiten: wang in Tirol die Augen ſchloß, erhoben ſich die Feinde des Wel⸗ fen. Nach zwei Jahren verzehrenden Streites ſtarb der ſtolze, ehr— füchfige Herzog, und die höchſten Hoffnungen feines Geſchlechts ſanken mit ihm ins Grab, lang eh ſein Sohn, der Löwe, die Macht des Hauſes über dem Haupte Barbaroſſas aufs neue und vergeb⸗ lich zuſammenballen ſollte. Kaiſer Lothars Krone, die beſtimmt war, das Sachſenland wie in den Zeiten der Ottonen zu ſchmücken, fiel in den Staub; und wie ſo oft in der deutſchen Geſchichte die neuen Anfänge lieber gewagt wurden als der Fortbau an einem bereits gegründeten Werke, ſo ſollten auch jetzt die Grund⸗ ſteine des welfiſchen Kaiſertums aufgegeben und neue Grund— ſteine im Süden gelegt werden. Die Staufer, die ſich als Erben der Salier fühlten und deren Erwartungen durch die unvermittelte Wahl Lothars zu Mainz vernichtet worden waren, kehrten an ihren Platz zurück und begannen, unter Mühen und Fehlſchlägen ihre Vormacht zu befeſtigen, um fich endlich zum großartigſten An⸗ ſpruch zu erheben. Lothar ſollte als ein Geſcheiterter in die Ge⸗ ſchichte eingehen, den Welfen mit gewaltigem Beſitz den gefähr— lichen Traum von der Erneuerung des ſächſiſchen Kaiſertums, vom geſchichtlichen Vorrang des ſächſiſchen Stammes hinterlaſſend. Wohl hatte man ihn, namentlich in ſeiner Heimat, um ſeiner vielen und oft ſo glänzenden Kriegszüge willen geprieſen, die er mitten im Reiche und an der Nord-, Ofte und Weſtgrenze, im Lande der Frieſen wie vor dem Danewerk, jenſeits der Elbe im Slawenland und noch über das Eis der Oſtſee bis nach Rügen,

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die Inſel der Ranen, endlich zweimal über Alpen und Apennin bis tief ins Apuliſche geführt; wohl ſollte ihn das Volk noch loben und ſein Gedächtnis ehren, weil unter ſeiner Herrſchaft die Fel⸗ der reichere Frucht trugen als ſonſt in manchem Jahre und Bauern und Bürger ſich damals des Friedens erfreuten. Aber das Erſtrebte, die Kaiſermacht Heinrichs des Stolzen und feiner Nach⸗ fahren, ging unmittelbar nach dem Tode des Gründers verloren; und ſo wurde auch der Gründer vergeſſen.

Der Kaiſer, mit dem am Ende des ſtürmiſchen Jahrhunderts ſa— liſcher Herrſchaft eine neue Ara hätte anbrechen ſollen, iſt zum Schatten geworden in einem ſtrengeren Sinne als ſo mancher andere Träger der Krone. Denn wohl will es nicht leicht gelingen, ſich die Züge eines Konrads II., Heinrichs III. oder Heinrichs V. zu vergegenwärtigen, aber innerhalb der Reichsgeſchichte und des Jahrhunderts, das den Saliern wie den beiden andern großen Geſchlechtern von dem fo oft der Ungerechtigkeit geziehenen Schick: ſal gleichmäßig zugeteilt wurde, haben ſich dieſe Männer ihren feſten Standort in lebendiger Fortwirkung geſichert; und wer die Sprache ihrer Taten zu enträtſeln verſteht, der wird vielleicht auch ihre Geſichter erkennen im Geſtaltenzug der Vergangenheit; es ſind die leidenſchaftlichen, hochſinnigen, von dem Trieb nach Macht tief durchfurchten Züge der Salier. Lothar ſteht in einer Lücke, ſo als ſei es ſeine Beſtimmung geweſen, recht und ſchlecht die Pauſe auszufüllen, da das Volk gleichſam Atem ſchöpfte, um noch einmal, und nun unter der Führung der wohl glänzendſten Herrſcherreihe, um die ihm angemeſſene und doch unerreichbare Krone zu ſtreiten. Verſchleiert ſind die Züge des Supplinburgers, und auch die Schrift ſeiner Taten ward von der Zeit verwiſcht. Gegen den Staufer Friedrich von Schwaben war der ſechzig— jährige Sachſenherzog von der kirchlichen Partei und den ſäch⸗ ſiſchen Herren zum König ausgerufen worden; er kämpfte viele Jahre gegen Friedrich und ſeinen Bruder Konrad, bis dieſe ſich ihm unterwarfen; als Lothar ſtarb, folgte Konrad doch. Was war gewonnen? Waren dieſe zwölf Jahre nicht eine vergeblich ver: kämpfte Zeit, ein Verſuch, aufzuhalten, was doch kommen mußte, und Recht durch Unrecht zu hemmen; eine jener rückwärts ge⸗ richteten Windungen des Stromes? Doch wo wäre das Ziel

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der Geſchichte, wenn nicht in einem jeden ihrer Tage, in der Probe, die ein jeder Tag auf Volk und Herren macht! Sind ſie für die große Geſchichte entſchloſſen, die doch erſt dann beginnt, wenn das Überirdifche das Irdiſche bewegt? Sind fie es nicht?

Dieſe Frage war auch an den Supplinburger ergangen, und er hat ſie beantwortet; er hat ſich für die große Geſchichte entſchieden, deren Inhalt die Erſcheinung und Verbreitung des Ewigen in der Zeit iſt. Die Vorbilder der von ihm hochverehrten Sachſen— kaiſer gewannen im Augenblick ſeiner Krönung Macht über ihn, deſſen Vater doch nur ein kleiner Herr und dazu ein Aufrührer geweſen war. Der zum König Gewählte geriet in einen unver: ſöhnlichen Widerſpruch zu ſeinem bisherigen Leben; denn wie ſein gegen Kaiſer Heinrich IV. gefallener Vater, ſo hatte auch er ſeine ganze Kraft daran gewendet, die verhaßte ſaliſche Kaiſermacht zu bekämpfen und in dieſem Kampfe Land und Vaſallen an ſich zu reißen. Er gelobte als demütiger Büßer Verſöhnung und Treue und brach fein Gelöbnis; er (tite die päpſtliche Partei, weil fie gegen den Kaiſer war, und nur im Oſten trug er durch raſche Kriegszüge zur Vermehrung deutſchen Anſehens bei, freilich nicht als Diener des Kaiſers oder des Reiches, ſondern im Dienſte der gegen Oſten gewendeten ſächſiſchen Politik. Er war grau und faſt ſchon kriegs müde geworden als Emporer; er mochte freilich auch weiſe geworden ſein in dieſer Zeit als Zeuge der furchtbaren Schickſale, die Heinrich IV. und Heinrich V. unter der Laſt ihrer Schuld und der Bannflüche ſamt den Trümmern hoher Pläne dahinrafften. Nun, in ſpäten Jahren, wurde aus dem Auffäf: ſigen ein Bewahrer, aus dem Zänker ein Friedensſtifter, aus dem Treubrüchigen ein Lehnsherr, der Treue erwarten und fordern und Treubruch ebenſo ſchwer ahnden mußte, wie er an ihm ge= ahndet worden wäre, wenn ſeine verſtorbenen kaiſerlichen Herren eine ſtärkere und glücklichere Hand gehabt hätten. Er kannte ſich auf den Schleichwegen des Verrates aus und wußte gegen andere den Argwohn zu nähren, den er oft genug ſelbſt gerechtfertigt hatte. Er hatte ſich, um ſeiner Stammespolitik willen, kein Ge⸗ wiſſen daraus gemacht, den Zugriffen der Kirche Vorſchub zu leiſten als ein immer ſtreitluſtiger, ſcharfblickender Gegner des Kaiſers, der dieſen im Rücken bedrohte, ſobald er ſich nach Süden

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Schiller im Hofanzug

ter, neben dem Streiter den Gärtner und Pfleger feines Landes gelten zu laſſen. Lothar verſtand es, nicht nur die rechten Männer, ſondern die rechten Geſchlechter zu wählen und an der Stelle ein⸗ zupflanzen, wo ſie ihren Auftrag forterben konnten; er rief die tatkräftigen Grenzwächtergeſchlechter, die ſich während ſo langer Zeit bewähren ſollten, auf ihre Poſten: die Schauenburger in Holſtein, Askanier und Wettiner im Oſten, und er reichte den Zäh⸗ ringern im Südweſten die blutgetränkte burgundiſche Herzogs: fahne. Als der Kaiſer dem Askanier Albrecht dem Bären nach harter Dienſt⸗ und Probezeit die Altmark anvertraute, ſtiftete er einen Segen, der in dem armen Lande nie verſiegen ſollte. Aber eben um dieſes Landes willen bekämpfte Albrecht unmittelbar nach des Kaiſers Tod die Nachfolge des Welfen, der als Erbe Lothars und Herr zweier Herzogtümer, Bayerns und Sachſens, die neuaufſtrebende askaniſche Macht zu erſticken drohte. So ſollte Albrecht die liebſte Abſicht ſeines Lehnsherrn durchkreuzen, ſollte Lothar ſich ſelbſt den gefährlichen Feind feiner Sache wäh— len. Auch an jenen flüchtig aufblitzenden Triumphen, die den Na⸗ men des Reiches unter den Völkern erhöht haben, ohne ihm dauernden Gewinn zu bringen, war Lothars Regierung nicht arm: der Böhmenherzog war ſein treueſter Waffengefährte, in Halber⸗ ſtadt trug ihm der Sohn des Dänenkönigs das Schwert voraus, Ungarn und Polen ſchickten mit Geſchenken beladene Geſandte in die Altenburger Pfalz, des Kaiſers Schiedsſpruch in ihrem Thron⸗ ſtreit zu erbitten; zu Merſeburg beugte ſich der Polenherzog vor dem Kaiſer, die Zahlung lange rückſtändigen Tributs verſprechend und Pommern und Rügen von ihm zu Lehen nehmend; dann ſchritt der Pole ſeinem Lehnsherrn als Schwertträger voraus in den Dom. Und da alles Große und Erhebende, das ſich unter der Herrſchaft eines Königs begab, deſſen Namen verklärt, ſofern er ihm ſeinen Schutz angedeihen ließ, ſo trug auch das Werk des milden Pommernapoſtels Otto von Bamberg zum Ruhme Lo: thars bei; der Biſchof erſchien vor ſeiner zweiten Ausreiſe in das heidniſche Küſtenland in der Pfalz zu Merſeburg vor feinem Herrn; in Lothars Namen und geftüßf auf fein Anſehen, rief Biſchof Otto bald darauf die verſtörten Heiden im Pommernlande an das Taufbecken. Weniges mochte dem Kaiſer ſo am Herzen liegen

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wie die Errichtung des Kreuzes im Norden und Often; verſuchte er doch in Rom, dem Erzbistum Bremen ſeine alte geiſtliche Ho⸗ heit zu ſichern, ohne freilich mehr zu erreichen als die dokumen⸗ tariſche Beſtätigung in Wahrheit längſt eingebüßter Rechte.

Er ertrug beharrlich alle Beſchwerde feines Amtes, das den Sech⸗ ziger heimatlos gemacht hatte und ihn von Pfalz zu Pfalz, von Land zu Land trieb; nur die Not der Seele, die Heinrich IV. und Heinrich V. auf ſich luden, mag der bedächtige, fromme Supplin— burger gefürchtet haben: Lothar trat nicht in den Kampf mit dem Papſte ein, deſſen Folge der Bann geweſen wäre. Später ſollte es ihm zum Vorwurf gemacht werden, daß er die zwieſpäl— tige Papſtwahl des Jahres 1130 nicht nutzte, um ſich zum Rich— ter über den Nachfolger Petri aufzuwerfen; aber es lag nicht in des Supplinburgers Art, einen Anſpruch zu erheben, der wohl zum vorübergehenden Sieg, aber nie zu dauernder Ordnung hätte führen können. Er, der die Salier hatte ſcheitern ſehen, glaubte an die heilſame Macht eines Einverſtändniſſes, das ſich nicht im Grundſätzlichen, wohl aber im einzelnen Falle herſtellen ließ. So wurde mancher Biſchofsſitz nach ſeinem Willen beſetzt, ſollte er freilich auch manche Kränkung ſeines Willens erfahren. Doch wer mag die Macht wägen, die er tatſächlich beſaß, die geringen Mög— lichkeiten abſchätzen, die für ihn offen waren! Lag die größte Macht jener Zeit doch vielleicht nicht in den Händen der Gekrönten, ſon⸗ dern, als eine geiſtige Macht, in den Händen Bernhards, des Abtes von Clairvaux. Dem Rate Bernhards ſchloß ſich der König an; und man wird ihm ſchwerlich vorwerfen können, daß er damit die Wirklichkeit ſeiner Epoche verkannt habe. Lothar erhoffte wenig von hitziger Tat; er trug wohl das Schwert an der Seite, doch ſeit er Kaiſer war, entſchloß er ſich nicht leicht, es zu ziehen; Friede galt ihm mehr als Ruhm, Einverſtändnis mehr als Sieg; und er kehrte dankbar von einem Feldzug zurück, wenn es ihm gelungen war, ſein Anſehen zu behaupten, ohne Blut zu vergießen. So beſchied er ſich vor dem Danewerk mit der Huldigung des Dänenkönigs, ließ er ſich als einziger deutſcher König im Lateran die Krone Karls des Großen reichen, während der Gegenpapſt Anaklet in der Leoſtadt höhniſch trotzte. Lothars Krone war nicht von dem Glanze umſtrahlt, dem die Staufer als Männer küh⸗

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nerer und leidenſchaftlicherer, auf das Endgültige und Außerſte gerichteter Sinnesart nachtrachteten; aber Hoheit war dieſer Krone eigen, als ſie der Sterbende an einem Dezembertag des Jahres 1137 in einem Tiroler Bauernhauſe ſeinem welfiſchen Eidam übergab.

So dürfte ſeine Geſtalt wohl ſchattenhaft ſichtbar werden hinter dem Gewebe der Zeiten: die Geſtalt eines Mannes, der den Wi⸗ derſtand der Welt erfahren hat und durch ihn zur Einſicht gelangt iſt; eines frommen, zähen und geduldigen, doch hochſinnigen Sach⸗ walters, der ſich den Vätern verpflichtet fühlt und die Enkel ſich wieder verpflichten möchte, dem vielleicht der Segen an ſeinem Grabe begehrenswerter ſchien als das Loblied ſeiner Taten; eines Gründers, der ſich ſein Feld abgeſteckt hat in der Hoffnung, daß die Nachfahren den umſichtig erworbenen, ſorgſam geſicherten Beſitz erweitern würden. An ſeiner Seite erduldete eine Frau die Unruhe und Mühſal des Königslebens, der er wohl mehr zu verdanken hat, als die kargen Urkunden andeuten; Richenza aus dem reichen und kriegstüchtigen Stamme der Nordheim trug dem um vieles älteren Sachſenherzog ein reiches Erbe zu; ſie begleitete den greiſen Kaiſer auf ſeinen Zügen in der Glut des Südens, be⸗ ratend, vermittelnd und betend, um endlich dem Erſchöpften, der kaum noch die Paßſtraße über die winterlichen Alpen zurücklegen konnte, auch die Regierungsgeſchäfte abzunehmen.

An zwei Orten ſcheint der Schatten des Kaiſers noch zu haften: im fernſten Süden liegt der eine, im heimatlichen Norden der andere; ſie ſcheinen nichts miteinander gemein zu haben und deu⸗ ten doch gerade in ihrer Gegenſätzlichkeit die Beſtändigkeit und großartige Weite, Ausgangspunkt und Ziel dieſes Lebens an. Der Dom zu Königslutter, den Lothar ſich als Grabſtätte gruͤn⸗ dete, aber nicht mehr vollendet ſah, erhebt ſich über feiner engſten Heimat, den ſchweren Feldern an den Hängen des Elmwaldes, die noch immer, wie zu des Kaiſers Zeiten, reichen Segen tragen; um den wuchtigen, ehrwürdigen Dom, deſſen Eingang ſteinerne Löwen bewachen, fürmen ſich die Linden auf; unter dem Gewölbe des Langhauſes iſt das Kaiſergrab geborgen, auf deſſen umfriede⸗ ter Platte der Kaiſer im Panzer mit Zepter, Apfel und Schwert abgebildet iſt; Gattin und Eidam ruhen an ſeiner Seite. Freilich,

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wer mag fagen, ob das Steinbild noch einen Widerſchein feiner Züge trägt? Die Platte wurde ja längſt erneuert, und der Staub der Toten iſt verweht; aber ihr Gedächtnis dauert noch fort in dem einſamen abſeitigen Dom, wenn auch die Mönche längſt nicht mehr beten am Grabe des welfiſchen Kaiſertraums und der wunder⸗ ſame Kreuzgang draußen, der vielleicht nicht ſeinesgleichen hatte an Schönheit des Schmuckwerks und Feinheit der ſchlanken Säulen, verwaiſt und zertrümmert iſt.

Aber auch Montecaſſino, das uralte Reichskloſter vor dem ſüͤdlichen Apennin, bewahrt das Andenken an Kaiſer Lothar, ſeinen Schirm— herrn. Dort verweilte der Supplinburger in ſeinem letzten Herbſt, nachdem er verſucht hatte, dem unruhigen Süden eine höhere, dauernde Ordnung aufzuzwingen; ſchon mochten es die Einſich— tigen ahnen, daß dieſe gewaltige Anſtrengung, die Rechte des Reiches zu ſichern, vergeblich war, und daß hinter dem Herrſcher, der kaum Herren und Städte in Pflicht genommen, der mit letzter Kraft errichtete Bau wieder zuſammenſinken würde. Doch viel: leicht genoß der Kaiſer auf dem Berge des heiligen Benedikt in wenigen Raſttagen den Frieden, der die Ahnung des ewigen Frie— dens iſt. Jenſeits des ungeheuer weiträumigen, von wechſelnden Lichtern beſtrichenen Tals, in deſſen Tiefe ein ſchmaler Fluß die Bläue ſpiegelt, ſteigen die Bergwände hintereinander in immer großartigeren Umriſſen bis zu den fernſten Schneegipfeln auf. Am Fuße des Kloſterberges drängt ſich die kleine weiße Stadt in den Schatten, die Arena der Römer birgt ſich hinter Wein— ſtöcken und Olivenbäumen, von halber Höhe ſtarren Kaſtell und Fluchtmauer nieder. Auf dem Gipfel des Kloſterberges, von dem Fenſter des noch erhaltenen Turms, erblickte einſt der heilige Benedikt Gottes Welt in einem Sonnenſtrahle; vielleicht hat auch der Kaiſer in jenen Fruͤhherbſttagen, da ihn die Ahnung feines Todes ſchon befallen hatte, die überwundene Welt in jen⸗ ſeitigem Lichte geſchaut. Er lebte, als fei er der Abt des ehrwürdig⸗ ſten Kloſters der Chriſtenheit, durchſchritt nachts die Zellen, betete für die Toten und beſchenkte gemeinſam mit der Gattin die Armen, die ſich am Tore verſammelten. Die Fahne des Reiches wehte auf dem Kloſter; ſchweren Herzens, im Vorgefühl des nahenden Endes, ſchied der Kaiſer in Aquino von dem deutſchen Abt, den

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er eingeſetzt. Bald nach dem Abfchiede feines Herrn ſollte der Abt auf brennendes Land herabſchauen; aber das Kloſter bewahrte eine Urkunde des Kaiſers und ſein goldenes Siegel, deſſen Trüm⸗ mer es noch immer beſitzt; und noch im 17. Jahrhundert war die Erinnerung an den einſtigen Schirmherrn ſtark genug, um ihm ein Denkmal zu ſetzen. Im dritten Hof, dem oberſten der drei in herrlicher Freiheit ſich übereinander erhebenden, von Terraſſen umzogenen Höfe des Kloſters, ſteht Lothars Standbild neben denen Karls des Großen und des heiligen Kaiſers Heinrich.

Einſt, als in Königslutter Benediktiner am Grabe des Stifters und ſeiner Angehörigen beteten, war der Grabdom am Rande des deutſchen Laubwaldes mit dem Kloſter im füdlidyen Gebirge durch denſelben Dienſt, denſelben ſtrengen Glockenſchlag der Horen verbunden, die auch des Kaiſers Tage und Nächte einteil⸗ ten während ſeiner Raſt im Kloſter Benedikts; längſt ſind dieſe Bande gelöft, und doch wird der Wanderer, der ſich auf einer dieſer Höhen des Kaiſers erinnert, immer auch der andern gedenken müffen. Zwiſchen dem Stift im Sachſenlande, das Lothar auf dem Boden feiner Ahnen nahe der Supplinburg gründete, und dem fernen, von jenſeitigem Lichte berührten Kloſterberge iſt des Kaiſers Leben verlaufen; er ſuchte vor ſeiner zweiten Ausfahrt nach Italien feine künftige Ruheſtätte auf, und er kehrte als Toter dahin zurück, von wo er ausgegangen. Sein Leben war mühevoll und bewegt; er fehlte und durfte den Fehl wieder gut machen, ſoweit das Menſchen erlaubt iſt; er diente lange Zeit ſich ſelbſt, doch als er die höchſte Stufe irdiſcher Macht erreicht hatte, wurde er vom Reiche in den Dienſt genommen, der ſeine Altersjahre verzehrte. Er mag ein einfacher ſchlichter, vorſichtiger Mann geweſen ſein; keiner derer, um deren Grabſtein der magiſche Schimmer der Sage und des Ruhmes ſpielt. Dennoch ſah das Volk, als der Kaiſer mit dem Papſte Innozenz II. im Dome zu Bari weilte, eine himm⸗ liſche Krone im Scheine ſchwebender Kerzen ſich auf den Dom herabſenken; und wie das Städtlein Lutter ſich Königslutter nennen darf und gleichſam gekrönt worden iſt, als man den Kaiſer dort zur Ruhe bettete, ſo trägt auch das Land am Elmwalde noch immer in Geſtalt des dreitürmigen Domes die ſteinerne Krone ſeines Königs Lothar.

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Sophokles / Antigone und Ismene

Antigone

Ismene, Schweſter teures Haupt, mir blutsverwandt! Weißt du ein Unheil, uns vererbt von Oidipus,

Das Zeus, ſchon ſeit wir leben, nicht an uns erfüllt?

Da iſt kein Schmerzerleiden und kein Schickſalsſchlag

Und keine Schmach und keiner Schande Kränkung, nichts, Das ich in dein und meinem Unglück nicht geſehn.

Und jetzt, was iſt das wieder für ein Machtgebot,

Das allem Volk der Kriegsherr, heißt es, kundgetan? Weißt du davon vernahmſt du es? Oder ahnſt noch nicht, Daß unſern Lieben gleiches Los wie Feinden dräut?

Ismene

Zu mir drang keine Kunde mehr, Antigone,

Von unſern Lieben, tröſtliche nicht, noch traurige, Seit uns zwiefacher Brudermord an einem Tag, Uns beiden Schweſtern, beide Brüder hingerafft. Und ſeit nun abgezogen dieſe letzte Nacht

Die Streitmacht der Argeier, hört ich fürder nichts, Was glücklicher mich machte oder gramvoller.

Antigone

Ich dacht es wohl und führte darum dich zum Tor Heraus ins Freie, daß du ohne Lauſcher hörſt.

Is mene Was iſt? Die finſtre Braue zeigt, dich quält ein Wort.

Antigone

Gönnt Kreon unſern beiden Brüdern denn ein Grab

In Ehren - und nicht einem bloß, dem andern Schmach? Eteofles hab er, fagen fie, mit Fug und Recht

Als einen guten Bürger in der Erde Schoß

Geborgen, was ihm Ehre wirbt im Schattenreich;

Doch von Polyneikes elend umgekommnem Leib

Sei ausgerufen worden: niemand ſolle den

Begraben, noch beklagen auch, nein, unbeweint

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Und unbeſtattet ihn den Vögeln laſſen, die

Schon niederäugen, luͤſtern auf das reiche Mahl. Ja ſolches, ſprach man, hat der gute Kreon dir

Und mir - ich fag, auch mir! - großmächtig kundgetan,

Und kommt hieher noch, denen das, die's nicht gehört,

Recht klar zu machen, nimmt die Sache auch nicht leicht,

Als war es nichts - auf jeder Weigrung ſteht vielmehr

Der Tod als Strafe: Steinigung auf offnem Markt. So weißt du's nunmehr! Zeigen kannſt du ſchnell genug,

Ob du die Edelbürtge, ob entartet biſt. Ismene

Was könnt ich, arme Schweſter, wenn ſichs ſo verhält,

Daran noch hindern oder helfen, uns zum Heil? Antigone

Legſt du mit Hand an? - frage dich! - ſtehſt du mit ein? Ismene

Bei welchem Unterfangen? Woran denkſt du nur? Antigone ihre Hände hinweiſend

Hilfſt du den Leichnam heben mit vereinter Kraft? Ismene

Begraben willſt du ihn? - was Theben iſt verwehrt? Antigone

Ja, meinen und auch deinen leiblichen Bruder wenn

Du ſelbſt nicht magſt. Des Treubruchs ſoll mich niemand zeihn! Ismene

Ach, du Verwegne wenn es Kreon unterſagt? Antigone

Hat er doch, mich den Meinen zu entziehn, kein Recht! Ismene

O Schweſter, ach gedenke, wie der Vater uns Zugrunde ging, verhaßt, verrufen überall, Da er um ſelbſtenthüllter Greuel willen ſelbſt

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Sich beide Augen ausriß mit ſelbſteigner Hand;

Wie dann die Mutter anders noch genannt von ihm! Ihr ſchmachbedecktes Leben von ſich tat am Strang; Wie endlich beide Brüder ſich an einem Tag

In blutgem Zweikampf ihr gemeinſam Todeslos Auswirkten, kläglich, einer durch des andern Hand.

Und nun wir beiden ganz Verlaßnen - ſieh doch nur, Wie grauſig wir zugrund gehn, wenn wir, dem Geſetz Zum Trotz, mißachten eines Herrſchers Spruch und Macht. Vor allem laß uns einſehn, daß wir Frauen ſind Und nicht geſchaffen, gegen Männer vorzugehn;

Und weiter, daß wir, ſtreng beherrſcht von Stärkeren, Hierin gehorchen müffen und in Härtrem noch.

So will denn ich von denen in der Erde Schoß Nachſicht erflehen, da Gewalt mir dies verwehrt, Und will mich fügen denen, die am Steuer ſind; Denn handeln über Maß und Kraft, hat keinen Sinn!

Antigone Nicht drängen mag ich, möchte auch, ſelbſt wenn du nun Die Hand noch leihen wollteſt, deine Hülfe nicht. Zeige dich, wie du biſt! Ich bringe ihn allein Zu Grab. Muß ich dann ſterben, iſts ein ſchöner Tod. Geliebt für meinen frommen Frevel, darf ich ruhn Bei ihm dann, den ich liebte. Muß ich länger doch Denen da drunten wohlgefallen als der Welt! Dort ruh ich ja für immer. Du magſt, wenn du willſt, Entehren, was bei Göttern ſelbſt in Ehren ſteht. Ismene

Ich halt es minder nicht in Ehren; doch dem Staat Zuwiderhandeln, das liegt nicht in meinem Blut.

Antigone

So fchüße du das vor! Ich aber gehe jetzt

Und deck mit Erde den geliebten Bruder zu. Ismene

Ach, du Unſelge! - wie verzehrt mich Angſt um dich!

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Antigone Sei nicht um mich bang - ſichre du nur dein Geſchick!

Is mene Dann mindeſtens vertraue keinem Menſchen dies Vorhaben an - halt es geheim! - ich tu es auch.

Antigone

Ach, ſchrei es aus! Verhaßter macht dich mir nur noch Dein Schweigen tu es lieber dann gleich allen kund!

Ismene Zu ſchauerkalten Taten drängt dein heißes Herz!

Antigone Weil ich gefalle ſo, wem ich gefallen muß!

Ismene Wenn du's nur könnteſt! Du begehrſt Unmögliches.

Antigone Nun, wenn ichs wirklich nicht vermag - wird Ruhe fein.

Ismene Unmögliches erſtreben, taugt von Anfang nicht.

Antigone Wenn du ſo redeſt, wirſt du nur gehäßger mir, Bleibſt auch dem Toten ewig dann verhaßt - mit Recht. Ironiſch Laſſe du mich und meinen blinden Unverſtand Nur büßen dieſes Schaudervolle! Mir kann nichts So Schreckliches bevorſtehn wie unedler Tod!

Ismene

Geh denn, kannſt du nicht anders - unbeſonnen zwar, Doch wahrhaft lieb dem Bruder und der Schweſter lieb.

Antigone geht nach links aufs Feld hinaus. Ismene durch die linke Seitentür in den Palaſt. Der Chor zieht ein.

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Chor

Morgenſonne, fo ſtrahlend ſchön,

Wie du nimmer zuvor der hohn Siebentorigen Stadt erſchienſt:

O heut, endlich, flammteſt du auf, Gold' nes Auge des Tags, einher Wandelnd über des Stromes Wellen Scheuchteſt weißbeſchildeten Feind, Der von Argos prunkte heran,

Jach in die wildeſte raſendſte Flucht Fort mit hangenden Zügeln

Den Feind, der ſich für Polyneikes erhob

Im treit um den Thron, mit dräuendem Hohn, Der hellkreiſchend ſchon

Wie ein Adler herabſtieß auf unſer Land,

Von des Schildes ſchneeweißem Flügel gedeckt, Mit Roß und mit Troß

Und mähnenumflatterten Helmen!

Kreiſend über den Dächern ſchon, Mordbegierigen Muts umlechzt

Er den ſiebentorigen Mund

Und floh, eh noch unſeres Bluts

Sich erſättigen mocht ſein Haß,

Eh denn auch des Hephaiſtos Pechglut Unſern Kranz von Türmen ergriff.

Solch ein Schlachtgetümmel hub an Hinter dem Adler da hielt er nicht ſtand Dem Thebaniſchen Drachen.

Großſprechend Geprahl der Zunge iſt Zeus Von Herzen verhaßt! und wie er ſie ſo

In mächtigem Schwall heranſtrömen ſah, Hochfahrend, umklirrt von Waffen und Gold, Da fällte ſein Strahl den erſten, der ſchon

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Die Zinnen erflomm Und den Sieg⸗Ruf vom Wall ließ erſchallen.

Sauſenden Falls auf die hallende Walſtatt ſchlug er, Fackel in Händen, der wütend mit Sturmestoben Voller Hohn uns erſt angeſchnaubt,

Hohn und haſſendem Drohn

Ja, ihm ſchlugs anders aus;

Andern fiel auch anders ihr Los

Sanken dahin Ares, dem großen

Helfer im Wettkampf!

Sieben Führer ja, um ſieben Tore im Kampf

Mit der gleichen Zahl, laſſen Waffen und Wehr Als Trophäen für Zeus, den Wender der Schlacht. Zwei Unfelige nur - einem Vater entſtammt, Einer Mutter - die mit gleich wuchtigem Stoß Ihre Lanzen gekreuzt, ſie teilten zumal Gemeinſamen Todes Verhängnis.

Aber nun kam ja die glorreich erhabne Nika Strahlenden Lächelns zum wagenberühmten Theben. Laßt die Kriege vergeſſen ſein!

Allen Tempeln der Stadt,

Tanzend fromm, nächtelang,

Froh mit Geſang, ſtrömen wir zu!

Er, deſſen Tanz Theben erſchüttert,

Führe uns Bakchos!

Doch ſeht, dort kommt der König des Lands,

Des Menoikeus Sohn, unſer neuer Herr

Durch ein neues Geſchick, das im Wechſel des Glücks Ihm die Götter beſchert. Was wälzt er im Sinn, Daß er heute ſich ſchon zuſammenberief

Der Alteſten Rat,

Hieher durch den Herold uns ladend?

Sophokles / Didipus Der Chor

O war vom Schickſal vergönnt mir,

Frommer Reinheit freu zu fein, in Worten wie

In Werken, allzeit! Herrſchen doch Geſetze

Hochwandelnd in himmliſchen Höhn,

Atheriſchem Glanz entſtammte. Iſt Olympos

Ihr Vater doch; nimmer hat

Sie ſterblichen Mannes Kraft

Gezeugt; und nimmer wird ſie in Schlaf wiegen Vergeſſenheit; Denn in dieſen mächtig iſt Gott und nie alternd!

Hoffärtiger Sinn pflanzt Tyrannen!

Hoffart, hat ſie töricht übernommen ſich

Im Reichtum, der nicht frommt und der nicht fruchtet -

Und hob fie ſich höher als hoch,

In harmvollem Fall zur Strafe ſtürzt ſie abwärts,

Wo nimmer des Fußes Halt

Ihr haftet. - Doch ſoll zum Heil

Der Stadt ein ſchöner Wetteifer frei walten, das iſt mein Flehn. Und es ſei der Gott uns auf immer Herr und Hort!

Aber wer überheblich wandelt, ob im Wort nur, ob im Werk, Nicht ſcheut vor dem Unrecht, noch vor

Heiligtümern Ehrfurcht hegt

Hart packt ihn ein ſchlimmes Schickſal,

Seines üppigen Großtums Lohn,

So er nicht rechtlich-redlid) den Gewinn ſucht

Und ſich enthält der Freveltat.

Ja, unantaſtbar Heilges frevelnd anrührt.

Wie prahlte da noch ſolch ein Menſch, daß er die Bruſt Schirme vor der Götter Pfeilen?

Steht in Ehren ſolches Tun, wozu dann noch

Der heilige Chortanz?

Niemals wieder zum Heiligtum der Erdenmitte wall ich dann, Noch je zu dem Schrein von Abai Oder nach Olympos,

Wenn Götterwort nicht erfüllt wird,

Aufweisbar vor aller Welt.

Doch dir, Gewaltger - willſt du fo genannt fein - Allherrſcher Zeus, entgeh es nicht,

Noch deiner alles ahndenden ewgen Allmacht! Verhallt ja fdyon jener Spruch an Laios Götterſpruch! - für nichts geachtet.

Nirgend leuchtet Phoibos mehr im alten Glanz Die Gottesfurcht endet.

Aus den Tragödien des Sophokles, übertragen von Roman Woerner

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Muraſaki / Die neuen Frühjahrskleider

Aus dem japaniſchen Roman Die Geſchichte vom Prinzen Genji

Am Ende des Jahres fand die übliche Verteilung von Stoffen für Frühjahrskleider ſtatt, und Genji war entſchloſſen, daß die jüngſt Angekommene nicht das Gefühl haben ſollte, ſchlechter geſtellt zu fein als die vornehmſten Damen im Haufe. Aber er fürchtete, daß, ſo anmutig und bezaubernd ſie auch war, ihr Geſchmack in Kleidern notwendigerweiſe ein wenig bäuriſch fein müßte, und fo beſchloß er, ihr mit den Seidenſtoffen, die er ihr ſchenkte, auch eine Anzahl gewebter Kleider zu ſenden, damit fie allmählich den Übergang zu den Moden des Tages fände. Die Ehrendamen des Palaſtes, von denen eine jede beweiſen wollte, daß es nichts gab, was ſie nicht über die neueſten Formen von Mieder und Rock wußte, machten ſich mit ſolchem Eifer an die Arbeit, daß Genji, als ſie ihm die Erzeugniſſe ihres Fleißes zur Beſichtigung brachten, ausrief: „Ich fürchte, euer Eifer iſt übergroß geweſen. Wenn alle meine Ge— ſchenke in dieſem Maßſtab fein ſollen (und ich wünſche nicht, Eifer: ſucht hervorzurufen), dann werde ich es wahrhaftig nicht leicht haben.“ Mit dieſen Worten ließ er, was ſich in feinen Vorrats— räumen an feinen Stoffen fand, herbeiſchaffen. Und Muraſaki kam ihm mit vielen von den koſtbaren Gewändern zu Hilfe, die er

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ihr von Zeit zu Zeit für ihre eigene Kleiderkammer geſchenkt hatte. Sie alle wurden nun ausgebreitet und beſichtigt. Muraſaki hatte eine beſondere Begabung für ſolche Dinge, und es gab, wie Genji ſehr gut wußte, in der ganzen Welt keine Frau, die ihre Färbe⸗ mittel mit einem feineren Gefühl für Tönungen wählte. Kleid nach Kleid wurde nun friſch aus dem Klopfraum gebracht, und Genji wählte eins bald wegen ſeines wundervollen dunklen Rot, bald wegen eines ſeltſamen Muſters oder einer auffallenden Far— benmiſchung und ließ es beiſeite legen. „Dieſes dort in die Schach— tel, ganz am Ende“, ſagte er und händigte ein Kleid einer der Kammerfrauen ein, die neben den langen, ſchmalen Kleidertruhen ſtanden, oder: „Verſuche einmal dieſes hier in deiner Truhe.“ „Du ſcheinſt eine ſehr gerechte Verteilung vorzunehmen,“ fagte Mura— ſaki, „und ich bin überzeugt, daß niemand ſich gekränkt fühlen kann. Aber wenn ich einen Vorſchlag machen darf wäre es nicht beſſer, mehr daran zu denken, ob die Stoffe zu der Geſichtsfarbe der Empfäãngerinnen paffen werden, als ob fie in der Truhe hübſch aus: ſehn?“ „Ich weiß ganz genau, warum du das ſagſt“, erwiderte Genji lachend. „Du willſt, daß ich mich auf eine Erörterung der perſönlichen Reize einer jeden Dame einlaſſe, damit du erfährſt, in welchem Lichte ſie mir erſcheint. Aber ich werde den Spieß umkehren. Welcher immer von meinen Stoffen dir gefällt, den ſollſt du haben, und nach deiner Wahl werde ich wiſſen, wie du dich ſelbſt ſiehſt.“ „Ich habe nicht die geringſte Ahnung, wie ich ausſehe“, antwortete fie leicht erröfend. „Ich bin wohl auch der letzte Menſch in der Welt, der darüber befragt werden ſollte. Man ſieht ſich ſelbſt nie, außer im Spiegel...“

Nach vielem Hinundherreden wurden die Geſchenke wie folgt verteilt: Muraſaki ſelbſt erhielt ein Untergewand, außen gelb und innen geblümt, leicht gemuſtert mit den roten Pflaumenblüten⸗ zeichen ein Wunder neuzeitlicher Färberei. Das Kind aus Akaſhi bekam ein eng anliegendes langes Gewand, außen weiß, innen gelb, ganz überzogen mit einem durchſichtigen Überwurf aus ſchimmerndem rotem Flor. Der Dame aus dem Dorfe der fallen⸗ den Blumen ſchenkte er ein hellblaues Kleid mit einem eingeweb⸗ ten Muſter von Meermuſcheln. So herrlich das Kleid auch als ein Beiſpiel ſchwieriger Webarbeit war, wäre es doch zu hell im

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Ton geweſen, wenn nicht ein ziemlich ſchweres roſtrotes Vlies es bedeckt hätte.

Tamakatſura ſandte er unter andern Geſchenken ein eng anliegen⸗ des Gewand mit einem auf glattem rotem Hintergrund eingeweb⸗ ten Muſter von Berg⸗Kerria. Muraſaki ſchien kaum einen Blick darauf geworfen zu haben. Aber wie Genji richtig vermutete, verſuchte ſie die ganze Zeit, die Bedeutung dieſer Wahl zu er⸗ raten. Tamakatſura, ſo ſchloß ſie, ſah ebenſo wie ihr Vater To no Chujo zweifellos gut aus. Beſtimmt aber fehlte ihr feine Leb⸗ haftigkeit und Abenteuerluſt. Muraſaki hatte keine Ahnung, daß ſie auf irgendeine Weiſe verraten hatte, was in ihren Gedanken vorging, und war überrafdyf, als Genji auf einmal ſagte: „Zu guter Letzt verſagt dieſes Abſtimmen der Gewänder auf die Ge⸗ ſichtsfarbe völlig, und man ſchenkt faſt auf gut Glück. Ich kann nie etwas finden, was meinen huͤbſchen Freundinnen gerecht wird, oder etwas, was man nicht nur ungern an die häßlichen ver⸗ ſchwendete.“ Und dabei blickte er mit einem Lächeln auf das Ge⸗ ſchenk, das nun an Suyetſumu abgeſandt werden ſollte, ein Kleid, außen weiß und innen grün, ein ſogenanntes Weidengewebe mit einer eingearbeiteten geſchmackvollen chineſiſchen Weinranke. Der Dame von Akaſhi ſandte er ein weißes Unterkleid, auf dem man einen Zweig von Pflaumenblüten, hin und her fliegende Vögel und Schmetterlinge ſah, einigermaßen nach chineſiſcher Mode geſchnitten, mit einem ſehr ſchönen dunkelvioletten Futter. Auch dieſes entging Muraſakis aufmerkſamen Augen nicht, und ſie deutete es ſich dahin, daß die Nebenbuhlerin, über die Genji ſo leichthin zu ihr ſprach, in Wirklichkeit einen beträchtlichen Raum in ſeinen Gedanken einnahm.

An Utfufemi, die nunmehr eine Nonne geworden war, fandfe er einen grauen Mantel und dazu eine ſeiner eigenen Jacken, an die fie ſich, wie er wußte, erinnern würde jasmingeſprenkelt, mit Aufſchlägen von Höflingskarmeſin und rötlichbraunem Futter. In jeder Schachtel lag ein Brief, worin die Empfängerin gebeten wurde, ihm die Gunſt zu erweiſen, dieſe Gewänder während des Neujahrsfeſtes zu tragen. Er hatte ſich bei dieſem Geſchäft be⸗ trächtliche Mühe gegeben und konnte ſich nicht vorſtellen, daß irgendeines der Geſchenke mit einer üblen Aufnahme zu rechnen

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zu einem fo lächerlichen Erlebnis führen konnte, gab Anlaß zu ſehr beunruhigenden Erwägungen. „Es iſt nicht zum Lachen“, ſagte Genji. „Ihre Wendungen ‚chinefifches Kleid‘ und, verfärbt durch das Salz der Tränen“ verurſachten mir ein durch und durch unbehagliches Gefühl. Bei den Schriftſtellern vor einem oder zwei Menſchenaltern war jedes Kleid „chineſiſch“ und die Armel, gleichgültig, welcher Gelegenheit das Gedicht galt, ſtets von Tränen getränkt. Aber was iſts mit deinen und meinen Ge— dichten? Sind ſie nicht ganz genau ſo ſchlecht? Unſere ſtehenden Wendungen ſind vielleicht verſchieden von denen der Prinzeſſin, aber wir gebrauchen ſie ebenſoviel und verſchließen uns beim Schreiben eines Gedichts ebenſo der Sprache unſerer eigenen Zeit. Das gilt nicht nur für Dilettanten wie uns, ſondern auch für jene, deren ganzer Ruf auf ihrer vermeintlichen poetiſchen Begabung beruht. Stelle ſie dir nur bei Hoffeſtlichkeiten vor, mit ihrem ewigen madoi, madoi, „Ich gehe irre, ich gehe irre‘. Es iſt ein Wunder, daß ſie des Wortes nicht überdrüſſig werden. Vor gar nicht langer Zeit wurde adabito, ‚Treuloſe“, von feingebildeten Liebenden in jedem Gedicht, das ſie tauſchten, angewendet. Sie wandelten es in der dritten Zeile ab (der Treuloſen, von der Treu: loſen und ſo weiter) und gewannen ſo Zeit, ſich die letzte Verszeile auszudenken. Und fo werden wir alle es weitertreiben, hübſch zu: ſammengeflickte ,Poetifdye Ratgeber“ büffeln und, wenn wir eine genügende Anzahl von Phraſen unſerem Gedächtnis eingeprägt haben, fie bei der nächſten Gelegenheit hervorholen. Es iſt kein Verfahren, das zu großer Mannigfaltigkeit führt.

Aber wenn ſogar wir einer Abwechſ lung bedürfen, um wieviel mehr dann dieſe unglückliche Prinzeſſin, deren Bedenken ihr ver- bieten, irgendein Buch zu öffnen, ausgenommen dieſe altmodi— ſchen, auf unanſehnliches einheimiſches Papier geſchriebenen Sammlungen wohlbekannter Muſtergedichte, mit denen ihr Vater, der Prinz Hitachi, ſie vor langer Zeit vertraut machte. Von dieſen abgeſehn, ſcheinen der einzige Leſeſtoff, den er ihr geſtattete, die „Kernſtücke heimiſchen Ganges‘ geweſen zu fein. Unglüdfeliger: weiſe befteht diefes Buch faſt ganz aus „Fehlern, die zu vermei— den find‘. Und feine Androhungen und Einſchränkungen führten nur dahin, ihren natürlichen Mangel an gewandtem Ausdruck zu

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verſchlimmern. Nach einer folchen Ausbildung iſt es kein Wunder, daß ihre Schöpfungen etwas Abgetragenes haben.“

„Du biſt zu ſtreng“, entgegnete Muraſaki, ſich für die Prinzeſſin einſetzend. „Was immer du ſagen magſt, ſie hat es diesmal fertig gebracht, eine Antwort zu ſenden, und noch dazu unverzüglich. Bitte, laß mich eine Abſchrift ihres Gedichtes haben, damit ich ſie dem Kind aus Akaſhi zeigen kann. Auch ich beſaß einmal ſolche Bücher wie die ‚Kernſtücke der Dichtkunſt', aber ich weiß nicht, wo ſie hingeraten ſind. Wahrſcheinlich ſind die Würmer hinein— gekommen und ſie wurden weggeworfen. Ich glaube, daß jedem, der mit den alten Phraſenſammlungen nicht vertraut iſt, Suyet— ſumus Gedicht entzückend einfallsreich und neuartig erſcheinen muß. Laß uns verſuchen . ..“ „Tu nichts dergleichen“, unterbrach ſie Genji. „Ihre Bildung würde verdorben, wenn ſie ſich ernſthaft mit der Dichtkunſt zu beſchäftigen begänne. Es iſt ein anerkannter Grundſatz, daß eine Frau, wie ſehr ſie ſich auch für irgendeinen Zweig der Wiſſenſchaft oder Kunſt eignen mag, ſich hüten muß, davon Gebrauch zu machen. Denn es beſteht immer die Gefahr, daß ſie dadurch von ihren gewöhnlichen Pflichten und Beſchäfti— gungen ungebührlich abgelenkt werde. Sie muß gerade nur ſo viel von jedem Gegenſtand wiſſen, daß es von ihr nicht heißen kann, fie habe ihn völlig unbeachtet gelaſſen. Darüber hinaus gehen kann ſie aber nur auf die Gefahr hin, die Feſtung ihrer Keuſchheit zu unterminieren oder jene Anmut der Formen zu verlieren, ohne die keine Frau Ausſicht hat, zu gefallen.“

Aber während dieſer ganzen Zeit hatte er vergeſſen, daß Suye⸗ tſumus Brief ſelbſt eine Antwort erforderte. In der Tat enthielt, worauf Muraſaki hinwies, das Gedicht der Prinzeſſin eine ver: borgene Bedeutung, die als eine unmittelbare Bitte um weitere Tröſtung ausgelegt werden konnte. Es hätte ihm gar nicht ähn⸗ lich geſehn, ein ſolches Erſuchen unbeachtet zu laſſen, und da er fühlte, daß ſie kein ſehr anſpruchsvolles Vorbild gegeben hatte, warf er ſchnell die folgende Antwort hin: ‚Wenn hier von Herz: loſigkeit die Rede ſein kann, ſo doch nicht von der meinen, ſondern der deinen, da du davon ſprichſt, die Jacke zurückzuſenden, die, richtig getragen, Träume von Liebe bringt.“

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Max Mell / Der Wald

Haſt du einmal einen Standort gewählt, einen näheren oder einen ferneren, wo du den beſonnten Waldrand ganz vor dir haſt und die erſte Erhebung des anſteigenden Waldberges dazu, ſo biſt du ſchwer weiter zu bringen: ſo etwa beginnt ein ſommerliches Selbſt⸗ geſpräch. Es gibt viel zu ſchauen, und du willſt viel ſchauen: dazu biſt du an dieſem ſchönen Tag in den Wald gegangen; wir leben davon, Geſtalten zu ſuchen. Nicht lang, ſo fängſt du in deinem Be⸗ trachten denn auch zu ſpielen an, mit Vorſtellungen und, nach dei⸗ ner Weiſe, mit den dazugehörigen Worten, ſuchſt Ausdrucke für das, was du ſiehſt, bringſt es mit dem zuſammen, was du geſehen haſt, und findeſt ſo wie oft dein Vergnügen daran. Waldbäume wie die vor dir haſt du dein Leben lang immer wieder geſehen; aber was du an ihnen haſt und was du von ihnen weißt, haſt du noch nicht ausgeſagt und dich wohl nicht einmal genug um das Bild gekümmert, mit dem fie doch in dem Schatz deiner Vorſtel⸗ lungen ſtehn. Darüber fühlſt du dich auf einmal beſchämt: iſt nicht vielleicht eine Gelegenheit da, ein weniges von dieſer Schuld abzufragen? Ja, da mußt du dich aber ganz von neuem um die Waldbäume bekümmern. Solch ein Neubeginnen macht munter, und ſchon biſt du willig, von deiner Stelle aufzubrechen und ſachte in den Wald einzubiegen.

Noch find hier feine Randgebiete, der Baumbeſtand iſt abwechſ⸗ lungsreich und von Unterholz gefüllt, du kreuzeſt Wäſſerlein, die zu den Wieſen im Tal ſtreben, ſie ſind hier ſchon lebhafter und haben kleine Schluchten und Berglein ausgeformt, und über Farnkraut und Beerenlaub, über Böſchung und Erdhöhlung, die dir wohnlich dünkt, ſtehen ſie, Nadelbäume und Laubbäume, an den lichteren Plätzen in ganzer, noch nirgends am Wachstum geſchädigter Geſtalt. Du machſt dir klar, was jedem zuvörderſt eigen iſt und ihn auszeichnet, und ordneſt deine Augenerlebniſſe. Am Ende haſt du feſtgeſtellt, es finden ſich immer ein Laubbaum und ein Nadelbaum von ähnlichem Weſen. Da iſt alſo Buche und Fichte. Wie gegenſätzlich erſcheinen fie zunächſt! Die Buche brei- tet ihre Aſte in Schichten grünen Blattwerks aus, von der Fichte hängts feierlich wie Fahnen. Doch du haſt etwas anderes erſpäht:

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gemeinſam iſt ihren Trieben und jungen Aſten, nach außen zu weiſen, feurig fic) zückend die der Buche, mit ſtillem klarem Fingerzeig die der Fichte. Du wägſt die Worte und entſcheideſt dich dafür, als das Verwandte ihrer Baumgeſtalten anzuſehen: Luſt nach außen zu ſtreben. Bei Birke und Lärche: Luft ſich zu ver- ſchleiern. Bei Eiche und Kiefer: Luſt ſich zu ballen. Das ſiehſt du in Waldrand und Waldwand gewebt und biſt fröhlich gewillt, das, was du dir ſo zurechtlegſt, mit heimzunehmen ſo gut wie ſonſt einen Fund, den der Wald bietet.

Tiefer gegen den Kern des Bergzugs hin triffſt du vornehmlich Fichten an. Du betrachteſt die ſchweigſame Geſellſchaft in ihren Talaren. Mit dunkler Zeichnung legt der oberſte ins Licht ge— hobene Trieb vor den Himmel oder vor den fernen blauen Berg ein feines Kreuz. Welche Kraft, zum Licht zu ſtreben, in dieſem höchſten ſtarken geraden Trieb, aber ebenfo ſtark in denen dar: unter, vieren und fünfen, die als Aufgabe haben, ſich im Winkel zu ihm zu halten. Du gehſt längs des Abhangs, ein tiefer ſtehender junger Baum reicht dir ſeine Spitze herauf, du ſiehſt ſie dir wieder einmal an: oder geſtehe, haſt du ſie ſchon einmal aufmerkſam ge— nug betrachtet? Sie iſt ein Zepter. Zuhöchſt iſt es beſetzt mit einem Knauf, einem Neſtchen der jüngſten friſchgrünen Nadeln. Und mit ſolchen iſt der ganze ſtarke Griff ringsum beſetzt, ſie ſind hart und kriegeriſch und krümmen ſich leicht gegen den Schaft. Siehſt du näher hin, ſo findeſt du jede dieſer Nadeln von einem ſchmalen blaſſen Säulchen getragen, ſie hebt ſich davon mit einer kleinen gelenkartigen Erhöhung wie mit einem Luftſprung, bis zu der reicht die tiefer ſitzende Nadel, und ſo iſts eine ganze lange Zeile von unten bis oben, und ſolcher Zeilen gehen um das ganze Zepter. Die Nebenzeile verſchiebt immer die Folge, und indem ſo die benachbarten Nadeln tiefer oder höher anſetzen, ziehen ſie in gewundenem Anſtieg um den Schaft nach oben. Manchmal gibts einen Abſatz mitten in der ſteilen Flucht von hinanklettern⸗ den Nadeln, es ſieht aus wie eine eigenmächtige Raſt, die ſie ſich geſtatten: da ſitzt unter einer Nadel, der ſich ſogleich noch zwei kleine Nebenkrallen geſellen, ein braunes knoſpiges Knötchen, das wiederholt ſich einige Male bei der ganzen Wanderung um den ſchlanken Körper, und oben, gleichſam als Vorſpiel zum höchſten

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Knauf, ſammeln ſich mehrere. Das wird im nächſten Jahr fich auffalten zu einem Quirl von neuen Trieben und einen neuen jüngſten Sproß, ein neues Zepter aus dem Neſt der grünen Nadeln emporſenden: aus den Knöſpchen, die da rings um den Schaft mit angeſetzt find, brechen dann gleichfalls neue Seiten⸗ triebe, die vielleicht niemals groß werden, aber in ihrer Anzahl iſt das Wachstum geſichert. Du wirſt inne, daß in dieſer Geſtal— tung die Schönheit des Zepters liegt; eben darin, was den künf⸗ tigen Sinn der Teile vorausdeutet, es iſt alſo die Schönheit der Jugend. Sie iſt es, die dieſes Ragen des Triebes in die Himmels⸗ luft ſo ſtolz und frei macht. Und du vergleichſt den Wipfeltrieb erſt gern dem Zepter, da du fühlſt, wie Geſetzlichkeit hier waltet und Geſetzlichkeit ſein Sinn iſt.

Indeſſen, ruͤckſt du das einzelne betrachtete Stück an feine Stelle zurück und wendeſt den Blick nach dem Waldumkreis, ſiehſt Baum an Baum, Wipfel an Wipfel, da entſchwindet dir dieſer Vergleich. Du muſterſt den Zackenrand der Bäume vor dir und bemerkſt, wie wenige die Schönheit der Jugend behalten und dir noch ein: mal die Vorſtellung des Zepters erwecken könnten oder nur die der Kerze. Es gibt neben den ſchlanken und feinen ſchräggelegte und gekrümmte in nicht geringer Zahl, und du erſpähſt wohl gar einen und den andern, den eine Wucherung entſtellt. Wir ſehen ähnliche, ſcheinbar gleiche Lebensbedingungen, die Wipfel aber erzählen ſtumm von den Einzelloſen. Sie erzählen, und daß ſie er⸗ zählen, das macht den Wald. Das Wachstum der Bäume ſchließt ſich mit dem Daſein und dem Wachstum anderer Lebeweſen zu= ſammen, die ſich alle erkennen und die entſchloſſen ſind, einander zu brauchen. Wald iſt das Wort für ein Zuſammenleben, und wie die Willenskräfte der großen und der kleinen Weſen zu feiner Reibung aneinander kommen, das iſt es, was den Wald mehr ſein läßt als eine Menge Bäume, die mit Ziffern genannt werden kann. Auf jenem ſchlanken Wipfelzepter, das ich vorhin mit der Krücke meines Stockes zu mir bog, ſaß zwiſchen den grünen Na⸗ deln ein kleiner grünſpanfarbener Rüſſelkäfer. Erſt blieb er noch in ſeinem Tun dem ſaftigen Holz zugewendet, dann merkte er, daß etwas vor ſich ging, er legte ſich auf den Rücken und ſtellte ſich tot. Nach einer kleinen Friſt zappelte er mit den Beinchen,

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hielt dann wieder (till; zappelte wieder; zuletzt ließ er ſich fallen. Nun, ich hätte ihn eigentlich nicht ſtören wollen; obwohl es im Augenblick wenigſtens nicht geſchadet hat. Nahe dem Ort, wo er ertappt worden war, ſtand ein winziges klares Tröpfchen Harz. Die Finger, die ſich um den Schaft geſchloſſen, glänzen. Sie kleben und duften wunderbar vom herben, atemſtärkenden Harz. Der kleine Gierige hat es hervorgelockt, aber vielleicht iſt er gar nicht anders gierig als dieſer ſtarke Wipfelſchaft, der ſo ſchnurgerade nach dem Himmel zeigt. Kann ſein, daß dem nun beſtimmt iſt, ſpäterhin keiner von den ganz ſchönen zu ſein. Und kann ſein, daß es doch ganz gut iſt, wenn der Mann mit den Zahlen im Kopf durch den Wald geht, wenn er nur auch ſcharfe Augen hat. Am Ende aber: es iſt eben Wald. Vieles lebt da zuſammen, eines braucht das andere, und eines verbraucht das andere, wenn es kann; aber wir müſſen es ſchon glauben, daß von einem innerſten Kern auch ein Trachten ausſtrahlt, die Weſen aufeinander ab— zuſtimmen, daß einem jeden ſeine glückliche Friſt im Lichte ge— währt iſt.

Zwiſchen den Bäumen vor mir erſcheint eine Farbe, die dem Wald nicht ganz einheimiſch iſt und auf die ich zugehe. Ich ſtehe noch unter den Stämmen, und hart an ſie breitet ſich meergrün ein Ahrenfeld. Bis an den Waldboden, und es iſt ja Waldboden, auf dem es wächſt, dünn an manchen Stellen und mit kleinen Halmen; die ſchwarzen Baumſtuͤmpfe ſehen durch die grünen Schleier hin— durch; es iſt das Korn, das man im erſten Jahre anbaut, wo man die Stämme geſchlagen hat. Das trockene Reiſig iſt verbrannt worden, die Aſche gibt guten Grund für das Gedeihen der Brof: frucht. Mitten im Feld hat man eine große Lärche ſtehen laſſen, erſt hoch oben beginnt der Kranz ihrer lichten Aſte, und alle die Bäume rings um den Platz kehren die fuchsroten Schäfte ihrer Stämme heraus, denn fie find bloßgelegtes Waldinneres. Lieblich ſteht das Meergrün, das von den Spitzen der Ahren ein Schillern erhält, zu dem ernſten Dunkel, das aus der Walddämmerung äugt. Das iſt das Jahr, da macht der Waldwuchs der Brotfrucht Platz, da kommen die beiden zuſammen, einmal in Menſchengedenken geſchieht das, und es iſt wie ein großartiges Nachſinnen, mit dem das Antlitz der alten Fichte hier herabſieht. Die oberſten Zweige

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bewegt ein ſchwacher Wind, als rührte er an Fahnen von ſchwerem Stoff, die baumelnden Gewichte der dicht gedrängten Zapfen zerren daran, unten aber die vielen Halme ergreift es alle, ſie winken, ſie ſchaukeln, und indes dort nur noch über eine dicht⸗ hangende Aſtſtelle ein Rieſeln läuft, iſt es, als ſprächen ſie mit unzähligen leichten klingelnden Stimmchen durcheinander und fän⸗ den kein Aufhörens. Du ſtehſt vor dem Bild, wünſcheſt nur, was hier Reichtum heißen darf, recht und ganz zu faſſen, und fühlſt, wie ſehr du das liebſt, wie ſehr du das brauchſt.

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Rudolf Alexander Schröder / Pſalm

Wie ſoll ich dir nicht ewig danken, Nicht unabläſſig ſein entbrannt,

Zu brechen aus den Kerkerſchranken, Zu ſprengen meines Irrtums Wand?

Gehandelt oder mißgehandelt, Was blieb von all dem Hader mein? Du blickſt, da dünkt es umgewandelt Und wird, was es geweſen, dein.

Gedächt ichs? Nein, ich kanns nicht denken; Und doch gewahr ich und erfahr

Von Tag zu Tag das gleiche Schenken Und alles, alles wunderbar:

Seit du im Mutterleib vor Zeiten Mich unqausſprechlich angeblickt,

In mir die Kräfte zu bereiten, Dem Weg gemäß, dem Tag geſchickt.

Du! Weil ich dich verloren wähnte Und nicht gewußt, was mir geſchah,

Warſt du, der namenlos Erſehnte, Der Ohne Namen, ſelber da.

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Mein Bruder in des Elends Kammer Und in der Finſternis mein Gaſt, Der du aus hundertfältigem Jammer Mich neu und neu geboren haſt;

Erbarmen, das vorm ewigen Horte Der Gnaden niemals müde ward, Und Unterweiſung ohne Worte Im Augen-Blic der Gegenwart.

Und ob ich täglich neu verlerne Dein bündig Nein, dein heilig Ja, Noch weiß ich: meine fernſte Ferne Bleibt deiner nächſten Nähe nah.

Wohl irren irdiſche Gedanken; Doch einen halt ich ohne Wank: Wie ſollt ich dir nicht ewig danken? Auf Knien, auf beiden, Lob und Dank! Aus einem künftigen Werk

Gertrud von le Fort / Der Jungfrauenabend

Indeſſen wartete die Jungfer Erdmuth im Plögen⸗Haus auch noch immer auf Willigis Ahlemann, und ſchon neigte ſich der gol⸗ dene Oktobertag und es nahte die Stunde, die man den Jung⸗ frauenabend nennt das iſt der Abend vor der Hochzeit: da ver: ſammeln ſich die Freundinnen und Gefährtinnen noch einmal bei der ſchönen Jungfer Braut und nehmen ſie in ihre Mitte und ſpie⸗ len und ſingen mit ihr die frohen Lieder und Spiele ihrer Jugend. Das dauert wohl zwei Stunden. Wenn es dann ſieben Uhr ſchlägt, dann gehen ſie miteinander auf den Marktplatz hinaus, dorthin kommt der Bräutigam mit den Bräutigamsführern, und ſie tan⸗ zen miteinander den ſchönen Singetanz des Jungfrauenabends, der dauert eine Stunde. Alsdann müſſen ſie alle auseinander und

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ſchlafen geben, fo beſtimmt es die Ordnung des Rates für den Jungfrauenabend. Erdmuth ward es immer unruhiger und banger ums Herz, und ſie dachte: Wenn wir nun zum Tanz auf den Markt hinausgehen und Willigis iſt noch immer nicht da, und ich muß vor all meinen Geſpielinnen allein daſtehen wie heute morgen in der hohen Domkirche - was ſoll ich dann nur tun? Viel lieber möchte ich doch tot ſein!

Und da kam auch ſchon Ilſabe Fricken und meldete mit ihrer ſchril⸗ len Stimme: die Mägdlein ſeien alle zum Jungfrauenabend ver⸗ ſammelt, ſie möge doch zu ihnen hinunterkommen.

Da dachte Erdmuth abermals: Ich wollte doch viel lieber tot ſein als erleben, daß Willigis heute abend nicht kommt! Aber das kann ich ja wohl nicht erleben, das wird er mir doch nimmermehr antun!

Wie fie nun die Treppe hinunterging - die Ilſabe Fricken immer eine Stufe hinter ihr —, da kam ſie an der kleinen Tür vorüber, hinter der in ihrer Kindheit die Jungfer Itze gewohnt hatte, ihres Vaters ſelig ledige Schweſter. Erdmuth ſah ſie noch ganz deutlich vor ſich: eine ſteile alte Jungfer mit einem zugefchloffenen Ge— ſicht, immerdar in unſcheinbar anſtändiger Kleidung; derſelben war vor zwanzig Jahren der Bräutigam am Hochzeitstage aus⸗ geſprungen, weil da ein Geſchrei aufgekommen, Itze ſei eine Hexe: fie ſollte ſich felber ſchöner gemacht haben, denn fie geweſen das war Anno 12, als man zu Engeln bei Magdeburg die vielen Hexen ergriffen hatte.

Da dachte Erdmuth in ihrem Herzen: Aber ich bin doch keine Hexe, ich bin doch die ſchöne Erdmuth Plögen, es kann mir doch nicht ergehen wie meiner Muhme Itze!

Wie ſie nun die zweite Treppe hinabſtieg, kam ſie an der ſchweren Brauttruhe der Jungfer Engelke vorüber, ihres Großvaters ſelig ledige Schweſter, von der hatte ſie ſagen hören, ihr ſei der Bräu⸗ tigam am Hochzeitstag ausgefprungen, weil da ein Geſchrei ge- weſen, Engelke habe einem anderen Auglein gemacht. Alſo dachte die Jungfer Erdmuth in ihrem Herzen: Aber ich habe doch nie— mand Auglein gemacht, ich bin doch die ehrſame Erdmuth Plögen, es kann mir doch nicht ergehen wie meiner Muhme Engelke!

Und wie ſie nun die dritte Treppe hinunterſtieg und auf die Haus⸗

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diele kam, ſtand dort eine Dir offen, und hinter derfelben fab fie fchon den gedeckten Tiſch für die Brautſuppe, die ſollte fie morgen früh mit den Gäſten einnehmen, bevor man zur Trauung ging. Da prangte auf dem Tiſch der ſilberne Tafelaufſatz der Jungfer Regula, ihres Urgroßvaters ſelig ledige Schweſter, von der wußte man gar nichts mehr, als daß ſich überhaupt kein Freier an ſie herangewagt hatte, und ſo war der ſilberne Aufſatz dageblieben wie die Jungfer Regula und ſtand nun auf dem Tiſch des Plö— gen⸗Hauſes genau an der Stelle, wo er ſchon geſtanden hatte, als die Jungfer Engelke und die Jungfer Itze heiraten wollten.

Und da ſagte auch die Ilſabe Fricken noch: „Aber Erdmuth, es braucht dir doch nicht zu ergehen wie deinen Muhmen Itze und Engelke!“ Alſo war es der Jungfer Erdmuth, als ob ſie gar keine Hoffnung mehr habe, und ſie dachte: Vielleicht kommt Willigis überhaupt nicht wieder, und es ergeht mir wirklich wie meinen Muhmen Itze und Engelke!

Derweil ſaßen ihre Freundinnen in ihrem Jungfernſtübchen, in ihren ſteifen Tanzkleidern, die Kränzlein über den gekräuſelten Haaren, vor ſich Backwerk und Zuckerbrot die Hülle und Fülle, griffen aber nicht zu, ſondern ſteckten die Köpfe zuſammen. Erd: muth hörte beim Eintreten gerade, wie die eine ſagte, es ſei doch ſchon ſeit hundert Jahren keine Plögen-Jungfer mehr glücklich unter die Haube gekommen. Indem klatſchte die Ilſabe Fricken ſo haſtig in die Hände, da wurden die Schwätzerinnen rot, ſprangen auf und bildeten einen Kreis um die Jungfer Braut; dieſer aber ſchlug das Herz immer banger, und ſie konnte bei den frohen Spielen kaum mitſingen. So ging die erſte Stunde des Jung⸗ frauenabends dahin. Wie nun die zweite Stunde anhub und die Mädchen ſchon ſo ſehnſüchtig auf den Markt hinausäugten, ſtimmte die Ilſabe Fricken mit ihrer ſchrillen Stimme das ſchöne Singeſpiel von den zehn Jungfrauen an, das ſingt man die letzte Stunde vor dem Tanz. Da ſteht eine Jungfer auf und geht bin- aus auf den Marktplatz und ſchaut nach dem Bräutigam aus. Dann kommt fie wieder und klagt der Braut, daß er noch immer nicht da ſei, und fragt ſie, ob ſie denn noch warten könne. Da ant⸗ wortet ihr die Braut: „Ei Jungfer, die Liebe vermag alles.“ Dar⸗ auf geht die zweite Jungfer hinaus und kommt auch zurück und

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flagt der Brauf und fragt, wie fie es nur anfange, daß fie noch immer nicht ungeduldig werde. Da antwortet die Braut wieder: „Ei Jungfer, die Liebe vermag alles.“ Danach geht die dritte hin⸗ aus und die vierte und die fünfte und fo fort, und jede kommt wie⸗ der und wird von der Braut zur Geduldigkeit ermahnt, weil die Liebe doch alles vermöge. Das kam die Jungfer Erdmuth jedes⸗ mal ſo hart an zu ſagen und wurde ihr ſo bitterlich ſchwer, daß ſie faſt meinte, ſie bringe es nicht über die Lippen. Sie dachte in ihrem Herzen: Das iſt ja gar kein wirklich Spiel, das iſt ja ein falſches Spiel - die Liebe vermag gar nichts! Wenn ſie etwas vermöchte, dann könnte mir mein Bräutigam doch dieſe Stunde nicht antun, dann müßte er doch an mich denken! Oder meint etwa der Spruch, den ich hier ſagen muß, gar nicht die Liebe des Bräutigams, ſondern die Liebe der Braut? Dann hätte ich ja bis heute überhaupt nicht gewußt, was Liebe iſt! Das kann doch nimmermehr ſein!

Indeſſen waren die Jungfern abwechſelnd zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken getreten, ſo wollte es das Spiel: die zur Rechten ſtell⸗ ten die klugen Jungfrauen vor, die nahmen den Rat der Braut an und blieben wartend bei ihr ſtehen, und die zur Linken waren die törichten, die ſchuͤttelten den Kopf zu ihrem Rat und ſetzten ſich nieder und ſtellten ſich ſchlafend. Da dachte Erdmuth in ihrem Herzen: Ich möchte mich doch am liebſten zu den törichten geſellen, denn die haben wahrhaftig recht! Ich möchte die Augen zumachen und nichts mehr ſehen und hören! Ach, könnte ich mich doch hinter der Brauttruhe meiner Muhme Engelke verſtecken oder in der kleinen Kammer meiner Muhme Itze - dort fürchten ſich alle einzutreten, dort würde mich niemand ſuchen! Ach, wäre doch erſt die Reihe an mir, draußen Umſchau zu halten, dann könnte ich entfliehen!

Es war aber eben die Reihe an der kleinen Anna Guericke, und es dauerte fo merkwürdig lange, bis fie zurückkehrte. Das kam durch den jungen Ratsherrn Otto Guericke, ihren Vetter, den ſie draußen auf dem Marktplatz getroffen hatte. Denn im Rathaus warteten ſie doch auch noch immer auf Willigis Ahlemann. Wie er nun gar nicht kommen wollte, hatte ſchließlich einer gemeint, es ſei doch heute der Jungfrauenabend ſeiner Braut, vielleicht habe er

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nicht widerſtehen können, zuerſt bei ihr vorzuſprechen einem Bräutigam könne man das wohl zutrauen. Darauf war Otto Guericke gegangen, um im Plögen⸗Haus nach ihm zu fragen. Wie er nun vor ſeiner Baſe Anna ſtand mit ſeinem ſchmalen, küh⸗ nen Geſicht, ganz braun von der Sonne der Stadtwälle denn er war doch Bau⸗ und Schutzherr der Magdeburger Feſtungswerke —, da gefiel er ihr wieder einmal ſo gut, und ſie fing an, mit ihm zu ſcherzen: er möge doch ums Himmels willen eine Tour mit ihr tanzen, ſie vergehe ja bei dieſem trübſeligen Jungfernabend! Er erwiderte lachend - denn er ſcherzte felber gern mit Anna Gue- ricke , nein, er könne nicht mit ihr tanzen; denn ob fie es nun glau— ben wolle oder nicht, ſie ſpielten drüben auf dem Rathaus auch ein Spiel - er fei genau wie fie nur ausgeſchickt, Umſchau zu hal: ten, und müffe gleich zurückkehren.

Darauf ſie, unbändig kichernd: Ob das Spiel der Herren da drüben etwa das Spiel von den zehn Jungfrauen wäre?

Er, plötzlich ſehr ernſt: Es könne wohl ſein, daß dieſer Abend noch der Jungfrauenabend der Stadt Magdeburg werde. Da wollte fie ſich nun wieder vor Lachen ausfchüften.

Es waren aber außer Anna Guericke bereits alle Jungfrauen an Erdmuth vorübergegangen, und als jene nun endlich zurückkehrte, kam der Schluß. Da muß die Braut ſelbſt hinausgehen und nach dem Bräutigam Umfchau halten; der iff inzwiſchen mit feinen Ge- ſellen auf den Marktplatz gekommen, und fie kehrt froblid) ins Haus zurück und ruft den Mädchen zu: „Mein Bräutigam iſt da!“ Dann gehen die Jungfrauen zu ihrer Rechten mit ihr auf den Markt hinaus zum Tanz, die zu ihrer Linken aber bleiben zu⸗ rück und werden von den Bräutigamsfuͤhrern unter allerlei Scherz und Schabernack aufgeweckt - fo will es das Spiel.

Da dachte Erdmuth in ihrem Herzen: Wenn Willigis jetzt nicht kommt, und ich muß vor die Mädchen hintreten, allein, wie heute morgen in der hohen Domkirche, und muß ſprechen: „Mein Bräu⸗ tigam iſt nicht da” dann gehe ich zugrunde, dann kann ich nicht mehr warten, und dann kann ich auch nicht mehr vergeben, dann hat er mich zu ſchwer beleidigt! Ich bin doch die vielumworbene Erdmuth Plögen, das kann ich mir doch nicht antun laſſen!

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Indem ſchlug es fieben Uhr, und fie mußte hinausgehen. Wie fie nun die Türklinke in der Hand hielt, fühlte fie auf ihrem Nacken ganz deutlich das Brennen von all den neugierigen Jungfern⸗ augen, die ſpannten und paßten hinter ihr her, was denn nun in aller Welt werden ſolle. Sie floh förmlich vor ihnen hinaus auf die dunkle Diele. Dort ſprach ſie, abermals in ihrem Herzen: Jetzt gehe ich zugrunde! Wie ſoll ich denn dies nur aushalten? Wie haben es denn nur meine Muhmen Itze und Engelke ausge⸗ halten, daß ihr Bräutigam nicht kam?

Indem war ihr, als ſage eine Stimme neben ihr im Dunkeln: Der Stolz vermag alles! Es klang genau wie die Stimme ihrer Muhme ße, die war doch immer fo leiſe und faſt beſcheiden ge- weſen, obwohl ſich alle Leute beſtändig vor ihr gefürchtet hatten alſo überkam die Jungfer Erdmuth einen Augenblick lang auch fold) ein merkwürdiges Grauen in der Seele, zugleich aber fpürfe ſie in ihrem Blut die Muhme Itze wie ihre allernächſte und treueſte Verwandte. Und ſchon wurde ihr auch ſo wunderlich gerettet und geborgen zumut, als ob ſich alle Dinge, die fie geängſtigt und ge⸗ quält hatten, ſtracks verwandeln wollten, und als vermöge nun überhaupt nie mehr ein Menſch auf Erden ſie zu kränken und zu verletzen; ſie könne ſich ruhig ſchlafen legen, und ob Willigis komme oder nicht komme, das ſei ganz gleich! Sie ſprach bei ſich ſelber: Ja, nun bin ich hindurch! Nun brauche ich nicht mehr zu warten und zu verzeihen nun iff es vorüber: der Stolz vermag alles.

Aber indem fie das noch bei ſich ſprach, fühlte fie einen ganz neuen und viel tieferen Schmerz als zuvor, ſo, als ob nicht Willigis, ſon— dern ihr eigenes Herz einen tödlichen Schlag gegen ſie führe: es pochte fo ſchonungslos gegen ihre Bruſt, als wolle es darinnen mit Gewalt eine Tür aufſprengen. Sie ſprach bei ſich ſelber: Ich habe ja noch nie gewußt, daß ich Willigis ſo lieb habe, wie jetzt, da ich mich von ihm wenden will! Ich glaube wahrhaftig, der Spruch in dem Spiel hat dennoch die Liebe der Braut gemeint. Und nun wurde ihr abermals ſo wunderlich gerettet und geborgen zumut, als ob niemand auf der ganzen Welt ſie mehr kränken und ängſtigen könne; fie brauchte aber nicht mehr in Itzes kleine Ram- mer zu ſchluͤpfen, ſondern konnte in die große Liebe ihres eigenen

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Herzens flüchten die vermochte alles, auch das Bitterſte ſüß zu machen. Es ffürzfen ihr vor Bewegung die Tränen aus den Augen, als fie nun die Haustür öffnete und auf den Markt trat. Draußen war der frühe Mond des Herbſtabends bereits aufge⸗ gangen und breitete ſein Licht über die Erde aus, ſo ſanft, als ließe oben am Himmel eine ſtille, milde Frau ihren Schleier herunter- hängen; der hüllte nun alles ein wie auf den papiſtiſchen Bildern der Mantel der Jungfrau Maria. Da ſah die ganze Welt ſo wunderſam beruhigt und begüfigf aus, als ob hier noch niemals ein Menſchenkind geſtritten und getrotzt habe, oder als fei alles Streiten und Trotzen von dem zarten Himmelsſchleier hinwegge— wiſcht wie die Tränen von eines ungebärdigen Kindes Wangen. Es war plötzlich gar nichts mehr vorhanden als die ſüße Sanftmut der geduldigen Dinge in ihrer Tiefe, die lagen fo willig und ein: trächtig beiſammen: die kleinen klein und die großen groß, darüber der Schatten der beiden Kirchtürme von Sankt Johannis wie ein ſchweigender Lobpreis des Schöpfers. Es kam der Jungfer Erd— muth vor, als ob die ganze Welt ſelig geworden fei und fie fel- ber gehe durch ein Meer von lautloſer Seligkeit immerfort auf Willigis zu, den ſie doch weit und breit nicht zu erblicken vermochte. Es war, als werde alle Ferne zu Nähe, wie alle Bitterkeit zu Süße geworden war, oder als babe fie ſelbſt einen anderen Geiſt emp- fangen, der alles verwandelte und gleichſam neu erfchüfe, und fie ſprach bei ſich: Mir iſt, als hätte mich Willigis in dieſer Stunde zum erſten Male geküßt.

Da hörte ſie plötzlich einen Hufſchlag, der klang ſo hell, faſt ſilbern durch die Nacht wie der Aufſchlag eines Glockenhammers das mußte der Hufſchlag von Willigis Schimmel ſein, der hatte doch einen ganz anderen Hufſchlag als alle anderen Pferde! Und da ſah ſie ihn wirklich aus dem Straßendunkel hinter der Johannis⸗ kirche hervor auf den lichten Marktplatz ſprengen, als ob ſie den Reiter mit ihrer Liebe herbeigezogen habe! Und nun fo meinte fie mußte das Meer der Seligkeit, durch das fie auf ihn zukam, über ihm und ihr zuſammenſchlagen fie fühlte bereits feinen ſtillen Kuß auf ihrem Munde wie ein unverbrüchliches Siegel. Indem wieherte der Schimmel hell auf - der hatte fie bereits er⸗ kannt! Und dann hörte ſie, wie er ſcharrend ſich bäumte, als wolle

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er nicht weiter und der Reiter gäbe ihm die Sporen aber da ftob er auch ſchon an ihr vorüber zum Rathaus.

Wie ſie nun noch ganz betäubt ſtand, allein, gleichſam aus dem Meer der Seligkeit an einen nackten, öden Strand geworfen, nichts begreifend als dieſes: der Schimmel, nur der Schimmel hat mich erkannt —, da vernahm fie hinter ſich ein leiſes Wiſpern und Slüftern, und als fie zuſammenſchrak und den Kopf umwandte, fab fie in der offenen Tür des Plogen-Haufes die Jungfer Ilſabe Fricken und, auf den Zehen ſtehend, über ihre Schulter blickend, die kleine Anna Guericke. Und daneben ſtand Agnete Brauns und machte ihren großen Mund auf, und an den Fenſtern drückten die anderen Mädchen die Geſichter gegen die Scheiben und ſpannten und ſpähten nach ihr hin, und alle waren Zuſchauer geweſen, wie der Schimmel fie erkannt, aber der Reiter voruͤbergeſprengt war! Indem fuhr gleichſam die ganze holde Mondnacht vor ihren Augen in einen Abgrund hinunter, und alle Seligkeit war wie nie geweſen, und es gab nichts mehr als die böfen Mädchen unter der Tür des Plögen⸗Hauſes.

Derweil hatten ſich dieſe aber auch erſchrocken, als Erdmuth ſich ſo plötzlich umwandte, und Ilſabe Fricken ſagte ganz betreten: „Ach verzeih uns doch, Erdmuth, daß wir hier draußen ſtehen, aber wir wußten ja nicht, daß du noch immer auf Willigis warteſt.“ Und dann ſagte Anna Guerike: „Ja, verzeihe uns, aber wir ſelbſt konnten doch auch nicht länger auf Willigis warten.“

Da wurde Erdmuth ſo ſchwarz vor den Augen wie vorhin auf der dunklen Diele des Plögen⸗Hauſes, und fie ſagte es klang genau wie die Stimme ihrer Muhme Itze, die war nun plötzlich ihre allereigenſte Stimme geworden: „Habt ihr etwa auf Willigis gewartet? Ich warte gar nicht auf ihn - und nun will ich ſchlafen gehen, gute Nacht!“ Da ſprang der Ilſabe Fricken vor lauter Staunen die Klinke aus der Hand, und die Tür fiel ſo heftig ins Schloß, daß der Krach, laut hin über den ganzen Marktplatz hal⸗ lend, all die großen und kleinen Häuſer aus ihrem Frieden empor⸗ ſchreckte. Erdmuth fühlte plötzlich eine ſo tiefe Traurigkeit wie noch nie in ihrem Leben, ſo, als ſei auch in ihrem Inneren eine Tür zugefallen und ſie ſtehe nun gleichſam ausgeſchloſſen vor ihrem

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Kopf der ſchönen Madonna in Breslau

Um 1400

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eigenen Herzen und habe wirklich feine andere Zuflucht mehr als Itzes kleine Kammer. Sie lief, ohne ſich umzublicken, um das Haus herum auf die dunkle Diele und die Stiege hinauf. Die Kammer lag noch genau ſo, wie Itze ſie verlaſſen hatte: alles darinnen war ſo ordentlich aufgeräumt wie in einem echten Altjungfernſtübchen. Es war auch nicht das geringſte Unheim— liche oder Bedenkliche da zu erblicken etwa ein ſchwarzes Buch oder eine geheimnisvolle Phiole oder irgendein Zeichen an der Wand —, ſondern es gab hier nur ſolche Dinge, die der Menſch zu ſeiner Notdurft und Ordnung braucht. Es roch auch nicht nach Blumen, wie Itze fie doch hatte zaubern können - fo ſagte man -, ſondern es roch ein wenig muffig nach lange eingeſchloſſener Luft; das war wiederum ganz natürlich. Nur das Mondlicht, das durchs Fenſter fiel, ſah beunruhigend und ſonderbar verwirrt aus, nicht wie draußen in der duftigen Landſchaft, dem Schleier einer mil— den Frau ähnlich, ſondern es war bleich und doch grell, ſo, als ob es gar nicht das wirkliche, ſondern ein anderes, geſpenſtiſches Mondlicht ſei. Erdmuth konnte ſeinen Anblick kaum ertragen, und ſie dachte: Wenn ich nicht ſchnell die Augen zumache und alles vergeſſe, dann muß ich mich hier zu Tode weinen oder fürchten. Siewarf ſich auf Itzes leere Bettſtatt nieder, ſchloß die Augen und ſchlief ein. Aus dem Buch „Die Magdeburgiſche Hochzeit“

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Friedrich Hebbel / Proteus

Was oben und unten in Fülle und Kraft Die ewige Mutter erſchuf und erſchafft, Sie hat es in Formen, in ſteife, gehüllt, In ſtarrende Normen das Leben gefüllt.

Und wie's in den Formen auch brauſet und ziſcht, So bleibt es doch immer mit Erde gemiſcht, Nie kann ſichs entreißen der dumpfen Gewalt, Da wird es fo frübe, da wird es fo kalt.

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Doch mich hat fie nimmer gebannt in den Ring, Mit welchem ſie grauſam die Weſen umfing, Ich ſteige hinunter, ich ſteige empor,

Nach eignem Behagen im wirbelnden Chor.

Ich fchlürfe begierig aus jeglichem Sein Mit tiefem Entzücken den Honig hinein, An keines gebunden, muß jedes mir ſchnell Die Pforten entriegeln zum innerſten Quell.

Ich bins, der die Welle des Lebens bewegt, Der ihre gewaltigſte Strömung erregt, Und dann, was ſie innerlich eigen beſitzt, Enteilend, ins dürſtende Weltall verſpritzt.

Ha! oben in Wolken in bläulichem Glanz

Mit brauſenden Stürmen der ſchwindelnde Tanz! Als Blitz, dies Verflammen im nächtlichen Blau! Als Regen, dies Tränken der durſtigen Au!

Im Kelche der Blume, im farbigen, nun

Das ſtille Verſchließen, das liebliche Ruhn!

Und wenn ich entſteige der tauigen Gruft, Umſtrömt mich, entbunden, der glühendſte Duft!

O ſeliges Wohnen in Nachtigallbruſt! O ſüßes Zerrinnen in heimlichſter Luſt! Ich hauch ihr die Liebe ins klopfende Herz, ; Dann ſcheid ich, da ſingt fie in ewigem Schmerz.

In Seelen der Menſchen hinein und hinaus! Sie möchten mich feſſeln, o neckiſcher Strauß! Die fromme des Dichters nur iſts, die mich hält, Ihr geb ich ein volles Empfinden der Welt. Aus den „Deutſchen Gedichten“ in der Inſel⸗Bücherei

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Gudmundur Kamban entdecken im Jahre 1000 Amerika N Bord von

er don Kaufe Leifs Schiff waren jetzt drei Menſchen mehr, als liſche Ho Küng, nommen hatte: der Prieſter und zwei ſchot⸗ ießen af er, ein Mann und eine Frau, die Haig und Haigie Der König Be Hekja wurde das in feiner nordiſchen Form. gebracht md fi 5 diefe Hochländer von feiner Schottland-Reiſe mit: er die beide ie Leif zum Abſchied geſchenkt in der Meinung, daß "auf Grönland gut gebrauchen könnte. Sie zeichneten ele ihrer Landsleute, durch ihre Schnelläufer-Fähig— und wurden ‚die ohne Zwerchfell“ genannt, weil ſie's ſelbſt mit einem Pferde oder einem Fuchs aufnehmen jetzt re 6 ie waren ſehr ſchweigſam, obgleich ſie die Sprache wwe mag; gut verſtanden. Ihre Kleidung war merkwürdig und fe ſelber Aap beftand aus einem einzigen Kleidungsſtück, das dran, d aval nannten, einer Art Hemd, mit einer Kapuze me | rmellos und an den Seiten offen, zwiſchen den Beinen ie S 5 Kropf und eine Oſe zuſammengehalten. 6 Ei jener Zeit hatten ein feines Gefühl dafür, ob ein nid ee auf feinen Fahrten das Glück mit fic) hatte oder fol i 8 gab Schiffer, denen das Glück durch dick und dünn fe und andere, die das Unglück wie ein Tier zu jagen ſchien. tiffon ſegelte mit günſtigem Wind aus Norwegen ab. Am fen Abend ſah es ſo aus, als wollte der Wind zum raſenden turm auffriſchen. In der Nacht flaute er ab, und mit einem ſchwachen Wind achterlich von dwars ſegelten ſie über ein ſpiegel⸗ blankes Meer, bis ſie Island in Sicht bekamen, ganz wie auf der Überfahrt von Weſten her. Die Matroſen fingen ſchon an, barber zu ſpaßen: auf dem Schiff, auf dem Leif am Steuer ſäße, könnte niemandem etwas zuſtoßen, und fanden ſich gutgelaunt damit ab, daß ſie über zwei Wochen gebraucht hatten, um dieſe Strecke zurückzulegen. Bei Gegenwind oder dieſigem Wetter hätte es ja auch ebenſogut doppelt ſolange dauern können. Leif ſelber aber war ungeduldig und brannte darauf, daß endlich eine öftliche Stife einſetzte, ein guter Schiebewind. Südlich von Island ging kin Wunſch auch in Erfüllung, ja, mehr als das. Der Wind

Jländer

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fprang um, wehte hart aus Norden. Das war noch beffer. Der Kurs, den er jetzt einſchlug, hätte ſeinen Vater gefreut; denn Erik hatte ihn immer wieder vor dem Fahrwaſſergürtel füdlich der Gunbjörnſchären gewarnt und immer noch nicht verſtehen können, wie eigentlich alle ſeinen Gefahren entrannen.

Es war eine Luft, endlich einmal ſchäumendes Bugwaſſer zu ſehen, und dieſer Luſt gab Leif ſich hemmungslos hin. Nicht auszuhalten wars, zweimal hintereinander ein Weltmeer zu beſegeln und beide Male das Gefühl zu haben, man ſäße in einem Waſchtrog und ſchaukelte darin. Lieber zu weit nach Weſten kommen, wenn der friſche Wind aus Norden anhalten ſollte; und ſprang er wieder einmal um, dann konnten ſie jeden Wind, aus welcher Richtung er auch blaſen mochte, gebrauchen.

Als zehn Tage ſpäter Leif endlich bei ſich beſchloß, ſo hart wie nur irgend möglich am Winde zu halten, war er ſich vollkommen klar darüber, daß fie ſich weit ſüdlich von Grönland befinden muß⸗ ten und nicht unbeträchtlich weſtlich davon. Aber der Wind war hart, den weiten Weg aufzukreuzen eine langweilige Sache warum alſo nicht einfach ſegeln, ſolange dieſer Wind anhielt? Er genoß es, er liebte es. Jetzt erſt merkte man, daß man draußen auf dem wilden, weiten Meer war; ſolch eine Fahrt war es, von der er bei allem Umherplantſchen in den grönländiſchen Fahrwaſ⸗ ſern geträumt hatte. Sie ſollten ſehen, er erreichte Herjolfsnes in kürzerer Friſt als ſo mancher Kaufmann, der ſich Tage und Nächte lang aufkreuzend mit dem Grönlandmeer herumſchlug. Eine mutige Betrachtungsweiſe. Ein Mann, der das Meer um des Meeres willen liebte.

Und das taten Leifs junge Matroſen auch. Ein herrlicher Einfall, der da Leif gekommen war! fanden ſie. Das war doch eine andere Reiſe als die vorangegangene! Ein Abenteuer wars, Tag für Tag vor dem Winde einherzufliegen, nur, um in die entgegengeſetzte Richtung umzukehren, ſobald es einer anderen Ecke der Welt ge⸗ fiel. Der Wind mochte machen, was er wollte - aber das wollten auch ſie: ſich ganz ruhig ihm anvertrauen, bis er ſie heimtrug. Herrlich!

Für dies eine Mal wurde es ein luſtiger Wettſtreit in ſich verſtei⸗ fender Ausdauer. Sie alle waren ebenſo zäh wie der zäh aus

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Norden wehende Wind. Aber die Natur iſt ein behender Wider: ſacher und gebietet über vielerlei Anſchläge. Ein langer Zeitraum vollſtändiger Unſichtigkeit trat ein, bei Tag und bei Nacht. Sturm, raſtlos umlaufende Winde, die Tage grau in grau, meiſtens ſon⸗ nenlos, die Nächte pechſchwarz. Und bei dieſem wochenlangen blinden Umhertreiben auf See, dem ſie von jetzt an erbarmungslos ausgeſetzt waren zum Schluß insgeſamt ſechs Wochen lang, ſeit ihrer Abfahrt aus Norwegen -, fing jeder Tag damit an und endete jeder Tag damit, daß ſie ſich über die Richtung ihrer Fahrt heftig ſtritten. Am vierzigſten Tag meinten die meiſten unter ihnen einer günffigen Berechnung zuzuneigen, wenn fie ihren Kurs bei dem anfangs ſo ſteten, ſtarken Nordſturm im Durchſchnitt auf einen genau weſtlichen veranſchlagten. Aber Leif, der ſtolz darauf war, ein Schiff zu beſitzen, das härter am Winde und mit geringerer Abtrift zu ſegeln vermochte als jedes andere, das er kannte, ſagte ihnen, ſie könnten ſich auf ſein Wort verlaſſen: die ganze Zeit über hätten fie ein gut Stück nach Norden aufgewonnen. Kurs nach Oſten und nirgend anderswohin, behauptete er, ſobald ſie ſich nur erſt einmal vergewiſſern könnten.

Am nächſten Tage endlich brach die Sonne in vollem Glanze her— vor und ward mit erhobenen Armen gegrüßt. Der Wind kam aus Südweſten. Der Prieſter hielt einen Dankgottesdienſt. Keiner von ihnen vermochte ſich auch nur im entfernteſten eine Vorſtellung zu machen, wie lange Zeit ſie noch gebrauchen wür⸗ den, ehe fie Grönland erreichten, ſelbſt wenn dieſer günffige Wind ununterbrochen anhielt, aber jetzt galt es wieder zu ſegeln!

Eine blauſchwarze, ſternklare Mondſcheinnacht wölbte ſich über ihnen. Lange wars her, daß man ſo ſorgenlos hatte ſchlafen gehen können. Plötzlich da, noch vor Mitternacht, erſcholl ein dröhnen⸗ der Jubelruf vom Vorderſteven: Land! Kameraden, Land!

Der Matroſe, der es entdeckt hatte, konnte mit ſeiner Jubelbot⸗ ſchaft nicht ſchnell genug über die Hinderniſſe an Deck vorwärts kommen.

Land an Backbord! Ganz in der Nähe!

Dreißig hellwache Augen ſtarrten in den nächſten Minuten der Küfte entgegen, die ſich ganz deutlich gegen den leuchtenden Nacht⸗ himmel abhob.

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Land! Und fo nahe! Eine Landzunge! - Aber nirgends auch nur ein Schimmer der weißen Zinnen, die ſelbſt in viel tieferem Dunkel ihre runden oder zackigen Umriſſe gegen einen grönländiſchen Nachthimmel abzeichneten. Ein neues Land! Die Oſtküſte eines neuen Landes im Weſten!

Leif Erikſon ſtand inmitten ſeiner Mannen. In dieſen Augenblicken nicht ihr Führer, ſondern wie jeder andere der vierzehn: ſtumm auf dieſe ferne, feſte Erde blickend, auf das Land, das ihnen ver⸗ ſchwiegen und geheimnisvoll und zugleich offen und hingegeben ſeinen erſten Gruß in der Nacht entbot; einen Gruß laubreich wie⸗ gender Zweige im Wogen der Wälder bis ganz an den Strand hinunter, in des Mondes ſtrahlendem Schein; das Land, das ſie immer näher zu ſich zog, heran an ſeinen buchtenden Strand, hin zu ſeiner unwandelbaren Wacht unter den Sternen. Reglos lau⸗ ſchend ſtanden ſie alle, vergeblich lauſchend, vergeblich wie auf Bergeshöhen oder in einem weltverlorenen Heiligtum. Der Erd⸗ geruch, des Landes nächſtes Botenzeichen, löſte ihre Stille: Erd⸗ geruch von einer ſeltſamen, ungekannten, warmen Fülle fo ganz anders als draußen auf dem Meer aus nur ein paar Meilen Abſtand.

Die weichen Umriffe unter dem Leuchten des nächtlichen Himmels deuteten mehr denn auf Berge auf große, waldbeſtandene Höhen hin. Und nun fing man an, nach menſchlichen Behauſungen Ausſchau zu halten. Die mußte man in des Mondlichts faſt tag⸗ hellen Strahlen erſpähen können. Aber der Zufall hatte ſie hier zu einer waldreichen, augenſcheinlich unbewohnten Halbinſel ge⸗ führt, deren letzten Ausläufer ſie jetzt rundeten. Dwars von ihr fprang der Wind um, nach Suͤdoſt, und ſtand vom offenen Meer her. Leif war ſchnell entſchloſſen, dieſen Wind auszunutzen und die Nacht darauf zu verwenden, daß er die Bucht weſtlich von dem Nordufer der Halbinſel durchkreuzte. Wenn die ſich nicht allzu tief ins Land hinein erſtreckte und die Küſte dort bewohnt war, würde ſchon das Morgengrauen, bevor die Bucht ihr Ende hatte, neue Erlebniſſe bieten!

Sie fuhren die ganze Nacht hindurch und bis tief in den kommen⸗ den Tag hinein, ehe die tiefe Bucht ein Ende hatte. Ein Land, das zahlloſe Menſchen hätte ernähren können, und dabei nicht ein ein⸗

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ziges Haus! Unbewohntes Land? Leif war zurückhaltend in feinen Folgerungen. Er ließ Anker werfen, wollte aber mit dem An⸗ Land⸗Gehen noch warten.

Jeder von ihnen hatte die Überzeugung, daß dies eins der Länder ſein mußte, die Bjarni Herjolfſon vor vierzehn Jahren in Sicht bekommen hatte. Das vermehrte nur noch ihre wilde Unge— duld, die Planken zu verlaſſen. Schon war das Schiffsboot zu Waſſer gebracht, und Leif hatte ſeine liebe Not, die Leute zu— rückzuhalten. Nur der Prieſter war fo beſonnen wie der Führer des Schiffes.

Wir haben nicht ſolche Eile wie Bjarni, ſagte Leif. Aber falls hier Menſchen wohnen - wir kennen weder ihre Zahl noch ihre Waffen. Niemand geht von Bord, ehe es ganz hell geworden iſt und ich ſelber ins Boot ſteige.

Leif gebrauchte ſeine jungen Augen fleißig und wich in der nächſten Stunde nicht vom Hüttendeck. Vorläufig jedoch konnte er nichts anderes Lebendiges als Schwärme von Möwen und anderen See— vögeln über dem Strande gewahren. Die Landſchaft vor ihm be⸗ ſtand abwechſelnd aus Wäldern und freien Flächen, einem welligen Gelände, aber auch nicht ein Hirſch oder ein Wolf trat aus den Wäldern, und auf den offenen Feldern war ein Pferd oder ein Ochſe oder ein Schaf erſt recht nicht zu entdecken! Und hier gab es beſtimmt keine menſchlichen Behauſungen, wenn die nicht ver⸗ borgen in den Wäldern lagen. Fiſcher konnten hier nicht wohnen, oder auch die waren zum Winter weggezogen von hier, ohne ein Zeichen ihres Daſeins oder Wirkens zu hinterlaſſen. Kein Anlege⸗ platz, der auch nur die geringſte Spur einer menſchlichen Hand trug, kein Speicherhaus, kein Bootsſchuppen, nicht ein einziger Trockenplatz! Ein Adlerpaar kam aus der Tiefe des Landes ge: flogen, über die Wälder, über das Meer hinweg. Ein Schwarm von anderen Vögeln, großen, graubraunen, die er nicht kannte groß wie Ganfe , flog an einem Waldrand auf und verſchwand in einem anderen. Die Sonne ſtand ſtrahlend am Himmel, aber Leif wartete. Er trug die Verantwortung für feine Leute. Wenn es hier überhaupt Menſchen gab, dann ſollten ſie ſich ſeinen Augen zeigen. Der einen langen Stunde Ungeduld beſchwichtigte er damit, daß er der Beſatzung den Befehl gab, eine gemeinſame Mahlzeit für

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fie zu bereiten. Dann erſt ging er mit der geſamten Mannſchaft ins Boot.

Vom weißgelben Sandſtrand bis zum nächſten Gehölz war es nur einen Steinwurf weit. Sie ruderten das Boot zu einem ge⸗ eigneten Landeplatz, und vom Vorderſteven aus ſprang jeder der Männer an Land: jeder - deſſen erſte Bewegung auf der neuen Erde es war, ſich nach dem Meere umzudrehen, als wollte er ihm zurufen: Hier ſtehe ich! Sie ließen all ihre Sachen im Boot zurück, das ſie nur ein Stückchen über die Flutlinie zogen, und gingen miteinander landeinwärts, auf dem ganzen Weg am Rande des Waldes. Einige der Bäume erkannte Türk ſofort wieder. Hier wuchſen Eiche und Buche Seite an Seite, Bergahorn wechſelte ab mit Ulmen und Pinien, und auf dem erſten, kleinen Höhenzug, den ſie beſtiegen, wuchs ein ganzer Maßholderwald. Aber hier gab es auch Gewächſe, die er nie zuvor geſehen hatte: Rieſen⸗ bäume, die dem Ahorn ähnelten, deren dreigliedrige Blätter aber viel größer waren, und namentlich kleinere Gewächſe jeglicher Art, die zu beſtimmen ſeine Pflanzenkenntniſſe nicht ausreichten.

An dieſem erſten Tag reichte die Zeit nur für ein paar Stunden Aufenthalt in dem neuen Lande. Denn ſolange ſie die Umgebung noch nichs ausgekundſchaftet hatten, wollte Leif nach Anbruch der Dämmerung nichts aufs Spiel ſetzen. Sie verbrachten die Nacht an Bord, aber am nächſten Morgen waren ſie mit dem erſten Sonnenſtrahl auf den Beinen.

Ihre Morgenwanderung galt einem fremden Höhenzug.

Tiefer drinnen im Lande erhoben ſich höhere Berge, von denen man eine weite Ausſicht haben mußte, und nun befahl Leif ſeinen beiden ſchottiſchen Läufern, ſich dorthin aufzumachen, vorſichtig zu fein, aufmerkſam für alles: friſche Spuren oder alt⸗ eingetretene Pfade, ob ein Baum, der am Boden lag, ſelbſt ge⸗ ſtürzt oder abgehauen worden war, und vor allem, wenn fie die Berge erreicht: ob irgendwo Rauch aus der Tiefe aufſtieg. Sie follten ſich vorher ausgiebig ſtärken und noch bei Tageslicht um⸗ kehren.

Es war an einem der erſten Oktobertage, aber die Sonne brannte mit ſolcher Kraft, wie Leif und ſeine Leute ſie an irgendeinem Juli- oder Auguſttag in Norwegen nicht erlebt hatten.

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Hokuſai: Heulender Dorfhund

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Alle folgten Leifs ſtrengem Befehl, fic) nicht zu weit voneinander zu entfernen, alle, mit Ausnahme Türks. Immer wieder verloren ſie ihn aus den Augen, und jedesmal, wenn ſie ihn zurückgerufen hatten, erzählte er ihnen vom Pflanzenreichtum und beſchrieb ihn ſchier endlos, ohne daß fie davon auch nur das geringſte verſtan⸗ den. Schon an dieſem erſten Tag nach der Landung hatten ſie bei⸗ nahe genug damit zu tun, auf Türk aufzupaſſen. Zum. Schluß fürchtete Leif, daß ſie ihn in irgendeinem unwegſamen Waldes⸗ dickicht, wo er ihre Rufe nicht hörte, verlieren könnten. Aber nein, zurück kam er jedesmal, doch im nächſten Augenblick lief der alternde Mann ſchon wieder wie ein Geißlein davon oder nahm die Gelegenheit wahr, ſich heimlich von ihnen wegzuſtehlen, offen: bar viel zu neugierig, um ſich den Weiſungen ſeines Pflegeſohnes unterordnen zu können.

Plötzlich hörten ſie einen Schrei. Einen Schrei, ſo gellend, als ſchriee ein Kind, das zu Schaden gekommen iſt. Jeder der Männer in der Schar erſtarrte und blieb ſtehen, wie er grad ſtand, als ihn der Schrei erreichte.

Leif .. . Leif .. . L. e. i. f! ſchrie es, dreimal.

Türk! Was war ihm zugeſtoßen? War er überfallen worden? Der Ruf kam von jenſeits einer bewaldeten Anhöhe her, deren Rücken ſie juſt zuſtrebten. Alle zwölf rannten, ſo ſchnell ſie nur konnten, hinauf. Sie blickten in eine Talſenke, der gegenüber⸗ liegende Hang war in die brennende Glut der Mittagsſonne ge⸗ taucht. Nach dem anſtrengenden Lauf bei dieſer Hitze hätten ſie ihr Unterzeug auswringen können.

L. e. i. f! ſchrie Türk.

Und jetzt, da ſich der Abſtand verringert hatte, merkten ſie, daß ſeine Stimme von Jubel erfüllt war.

Kommt! kommt! kommt! rief er, ſchnell! kommt her!

Leif war der erſte, der ihn erreichte, die anderen folgten in den nächſten Sekunden.

Leif! Sieh, was ich gefunden habe! ſchrie Türk und hielt eine lichtgrüne Traube gegen die ſtrahlende Sonne.

Was iſt das?

Weintrauben ſind das!

Weintrauben ..

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Ja, Weintrauben! Sieh her, der ganze Abhang iſt voll davon! Keiner von den Männern, die herangeſtürzt kamen, hatte jemals Trauben geſehen, ſaftige Trauben an einem Weinſtock. Einige von ihnen aber kannten getrocknete Trauben, die braunrot und kleiner und ohne jegliche Ahnlichkeit mit dieſer Frucht waren. Pflegevater, ſagte Leif, glaubſt du nicht, daß du dich irrſt?

Ich mich irren? Ich? Wenns um Weintrauben geht? Ich, der ich ſie in meiner ganzen Kindheit und Jugend in Franken ge⸗ pflückt habe? Ich, wenns um Weintrauben geht? Und wenn ich blind wäre, den Geſchmack bekäme ich trotz allem heraus! Schmeck fie, pflüd fie, fie find ganz reif!

Die Nordländer machten ſich über die ſaftigen, von der Sonne durchglühten Trauben her wie ein Starenſchwarm über einen Kirſchbaum. Wo auf dem Abhang ein Baum oder ein Felsblock war, ſah man die Trauben groß und ſchwer herabhängen. Aber Türk klärte ſie auf, daß er noch viel größere Trauben als an dieſen wildwachſenden Weinſtöcken geſehen hätte; ſie würden unter ge⸗ regeltem Anbau größer.

Dieſe Bemerkung ließ bei Leif den Eindruck aufkommen, Türk wäre ſich vielleicht doch nicht ſo ganz ſicher, daß dieſe Frucht rich⸗ tiger Wein genannt werden konnte; er ſelber war von feinem Zweifel nicht abzubringen und gab ihm aufs neue Ausdruck: Pflegevater, hör, ich kann es nicht glauben. So weit nach Süden können wir nicht gekommen ſein.

Es iſt doch ein Jammer, daß unter uns nicht noch einer aus Deutſchland iſt, gab Türk zur Antwort. Der würde über euren Unglauben lachen. Aber ich werde euch ſchon zur Überzeugung bringen.

Leif jedoch beſtand bis auf weiteres auf ſeinem nordweſtlichen Kurs und Türk auf ſeinen Trauben.

Aus dem Roman „Ich ſeh ein großes ſchönes Land“

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Ernſt Bertram / Reimſprüche

Ale Bilder hangen längſt In den Himmeln wunderbar, Und der Sternenvogel iſt, Eh der erſte Vogel war.

Alle Worte ſchweigen lang In dem Himmel überzeit, Eh dein frühſtes Lied erklang, Singſt du ſeit der Ewigkeit.

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Du lernſt nur Eines wiſſen Auf dieſem äußern Pfade: All dieſe Herrlichkeiten Sind Bilder ohne Gnade.

Du lernſt nur Eines fühlen Im Irren deiner Wildnis: Die innigſte der Stunden Iſt Gnade ohne Bildnis.

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Wie immer noch einem jeden, Wird dir auch, was du wagſt: Alle Orakel reden

Die Sprache, darin du fragſt.

* Beginnt Geſetz zu ſingen, Erglänzen die Götter im Saal,

Denn der Seligen Speiſe Wird die tönende Zahl.

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Mitnehmen kannſt du nichts, Allein es folgt dir nach

Ein Schimmer jeden Lichts, Das aus dem Aug dir brach.

Vererben kannſt du nur

All andres wird ein Rauch - Von deinem Troſt die Spur, Von deiner Not den Hauch.

*

Bild war zuerſt und Bildnis ble ibt zuletzt. Zum Bilde Gottes waren wir geſetzt

Als weſſen Abbild werden wir zerfetzt?

Und weſſen Antlitz, keuchend und verhetzt

In ſo zerſprungenem Spiegel, ſind wir jetzt?

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Hans Caroſſa / Ankunft in München

Waren alle Apfelbäume ausgeſtorben und gãb es auf der ganzen Welt nur noch einen einzigen, nicht ſehr anſehnlichen Reinetten⸗ kern, was finge man mit ihm an? Sollte man ihn zerlegen, ihn mikroſkopiſch unterſuchen und der Nachwelt eine genaue Beſchrei⸗ bung von ihm aufbewahren? Oder ihn auf gut Glic in die Erde ſtecken, auch wenn recht geringe Hoffnung beſtünde, daß ein neuer Baum aus ihm wird? Eine ähnliche Frage ſtellten wir uns zu⸗ weilen bei dieſer Schilderung eines jugendlichen Lebens, das ein⸗ mal ſo da war und ſo gewiß nie wiederkommt, weil eben auch dieſe Art Menſch gewiſſermaßen im Ausſterben iſt. Künſtler haben uns zum Glück bewieſen, daß in der geiſtigen Welt beide Wege vereinbar ſind, und ſo wollen auch wir es verſuchen, wollen die Stoffe erkunden, aus denen ſich das Menſchengewächs aufbaute, möchten es aber noch lieber als lebendiges Bild unzerlegt in die Herzen der Freunde ſenken und hoffen, daß es dort Entwicklungen

erfahre. 68

Die Landeshaupfftadf, in der ich mich nunmehr zum Arzt aus⸗ bilden ſollte, war mir bisher nur aus der Überlieferung bekannt, beſonders der mütterlichen; dazu kam eine gewiſſe Vorſtellung, die das Wort Munchen durch feinen bloßen Klang erweckte. Etwas gnomenhaft in ſich Hineingehuſcheltes war darin, zugleich ein Ton wie leichter Wellenſchlag, und irgendwo im Hintergrunde wed): felfen bald luſtig, bald ſchauerlich die bunten Szenen jener efeu— kranzbemalten Münchener Bilderbücher, deren gereimte Texte man ſtellenweiſe ſchon auswendig wußte.

Die ſteigernde Art, mit der die Mutter von ihrer Vaterſtadt zu ſprechen pflegte, hatte dem Knaben die Empfindung eingegeben, als wohnten dort nur Glückliche und Geſcheite, denen das Aller— ſchwerſte leicht gelang. In ſolcher Träumerei bekräftigte mich der Veilchen⸗ und Maiglöckchenhauch, der unſere Münchener Tanten und Baſen umwehte, wenn ſie in Kading zu Beſuch waren. Denn obwohl ich die Tuben und Fläſchchen, denen fie dieſen Vor: zug verdankten, mit Augen ſah, ſo war ich doch treulich bereit, ihn ihrer natürlichen Haut zuzuſchreiben, und glaubte, eine Münch⸗ nerin könne nur wohlriechend fein. Im übrigen ſchwebte mir eine Ausleſe großer Männer vor, die, von liebenswerten Frauen be: gleitet, unter Siegestoren und in Glaspaläſten wandelten und jeden Ankömmling wohlwollend begrüßten. In heilig düſtern Kirchen aber brannte zwiſchen farbenreichen Glasfenſtern das Ewige Licht, und unterirdiſch, in ſilbernen Särgen, geliebt und unvergeflich, ſchliefen die toten Kurfürſten und Könige. Sogar die Beichtſtühle waren kleine Kapellen, aus denen geſchnitzte Engel ffiegen, und die Prieſter, die darin walteten, hatten ſicherlich die Macht, von den allergrößten Sünden loszuſprechen, die der Pfar⸗ ter von Kading nie und nimmer hätte vergeben können. Mitten in einem gewaltigen Stadtſchloß aber wachte Luitpold von Wit: telsbady, der weißbärtige Greis, deſſen Bild in allen Schulen und Wirtshäuſern des Landes hing. Als Kind hatte man ihn beneidet um das breite orangene Band, das quer über feinem blauen ſtern⸗ glänzenden Waffenrock lag; ſpäter lebte man in dem allgemeinen Vertrauen, zu dem er fein zweifelſüchtiges, ewig dem ertrunkenen König nachtrauerndes Volk allmählich erzogen hatte. Er nannte fid) nur Prinzregent und verwaltete ſelſtlos die Krone, deren wirk⸗

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licher Träger, unheilbarem Wahnſinn verfallen, in einem park⸗ umgebenen weißen Gebäude dahindämmerte. Daß zwei jugend⸗ liche zum Thron berechtigte Brüder bald nacheinander in Geiſtes⸗ umnachtung verſunken waren, darin wollte ſchon damals mancher ein Zeichen ſehen, als wären die Tage unſerer Könige gezählt. Uns aber fehlte der Sinn für trübe Wahrſagereien; wir emp⸗ fanden die traurige Heimſuchung als eine Art Familienunglück und redeten ungern darüber, doch vergaß die Mutter nie, an Lud⸗ wigs Todestag in ihrem ſchwarzen Seidenkleid zur Kirche zu gehen. Als der Mann aber, der mit ſtarken behutſamen Händen die Ge- ſchicke der Welt im Gleichgewicht hielt, galt uns der alte Bis⸗ marck, auch als er ſchon ſeines Amtes enthoben war. Oft klang ſein harter Name nordſtürmiſch in unſer windſtill beſchauliches Niederbayern herein, und der verſchloſſene, langſam kränkelnde Vater belebte ſich jedesmal kräftig, wenn auf den Gründer des Reiches die Sprache kam. In der Anerkennung ſeiner Verdienſte fanden ſich die Eltern ſtets zuſammen; wir beide, die Schweſter und ich, erkannten das früh, und fo manches Mal, wenn ſich inner⸗ halb der Familie Spannungen bilden wollten, ſpielten wir mit unſchuldig liſtigen Fragen den alten Kanzler ins Geſpräch hinein, immer mit gutem, ausgleichendem Erfolg.

Dem Vater war es ohnehin keine geringe Sorge, daß ich zuviel Goethe las; man könne auch in lauter Geiſt verſumpfen, meinte er und atmete auf, wenn ich mich über der Geſchichte der Befrei⸗ ungskriege betreffen ließ oder gar über der „Arztlichen Rund⸗ ſchau“, in welcher er ſeine neueſten mit Pilokarpin geheilten Fälle zu beſchreiben pflegte. Der verfeinerten Art, wie er Kranke be⸗ handelte, entſprach es wohl, daß er an Bismarck weniger die Ge⸗ waltnatur bewunderte als die Weisheit, die den unwägbaren Mächten des Völkerlebens entgegenkam. Hoch rechnete ers dem Alten an, daß er dem Lande Bayern ſeine beſonderen Rechte ließ und nach dem Kriege mit Frankreich den Gegner verſöhnlich zu ſtimmen ſtrebte. Ja, hier ging der ſtille beſinnliche Landarzt über den großen Staatsmann weit hinaus, und obwohl er wußte, daß ihm niemand zuſtimmen würde, ſo wiederholte er doch in allen politiſchen Unterhaltungen ſein Censeo, wir müßten uns mit den Franzoſen verbinden, das wäre die Rettung der Welt. Er konnte

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nie begreifen, warum es zwiſchen den Vertretern der Staaten anders zugehen ſollte als zwiſchen den einzelnen Menſchen, warum es dort als unweiſe und ſchändlich gilt, einem Gegner herzlich die Hand zu bieten. Hatte er feinen hintergründigen Tag, fo äußerte er wohl auch einmal, wir Bayern vertriigen uns doch neuerdings aufs allerbeſte mit den Preußen, da könne es nicht gar ſo ſchwierig ſein, auch mit den Nachbarn jenſeits des Rheins gut Freund zu werden. Dieſer Ausſpruch rief in der „Realen Taferne zum Hol: zernen Wirt“, wo die Kadinger Bürger an den Donnerstag— abenden zuſammenkamen, jedesmal unermeßliches Gelächter her— vor; heute aber würde er wohl gar nicht mehr verſtanden. Auch die Alteſten unter uns entſinnen ſich ja ſchwerlich einer Zeit, wo an manchen Münchener Häuſern Zettel hingen, die freundlich kundgaben, hier ſeien Zimmer zu vermieten, „auch an Preußen“. Der Mutter war es nach vielen Verſuchen geglückt, im Garten jene purpurbraunſamtene Fliegenragwurz zum Blühen zu brin— gen, die ſonſt in unſerer Gegend nicht gedieh, und zu Pfingſten überraſchte fie den Vater damit. Sogleich kam dieſem der Einfall, die ſchönſten Muſter der eigentümlichen Blumenart an den fürſt— lichen Greis nach Friedrichsruh zu ſchicken. Die Pflanzen wurden ſamt ihren Zwiebeln ausgegraben und ſorgfältig verpackt. Spät am Abend ſchrieb der Vater noch einen kurzen Brief, der dem Paket beigelegt wurde.

Wie ſooft, wenn ich den ernſten Mann einen Angelegenheiten hingegeben ſah, drängten ſich mir doppelt ſtark die meinigen auf. Ich bezog mein Kämmerchen und ſchrieb ein umfangreiches Ge- dicht ins Reine, deſſen erſte Faſſung ſeit langem in einem Schulheft lag. Am hellen Tag zwiſchen Hausaufgaben entſtanden, trug es dennoch den finſteren Titel „Nachtgedanken“. Die ſehnſüchtige Angſt einer Seele, die nach Unbekanntem drängt, aber das Ge⸗ wohnte nicht preisgeben will, ſuchte darin einen Ausdruck. Fritz Kaufmann, ein jüngerer Mitſchüler, der ſchon ſeltſam reife Stro⸗ phen ſchrieb, hatte mir nahegelegt, meine Verſe nach Berlin an Otto von Leixner zu ſchicken, dem er ein untrügliches Urteil zu⸗ traute. Dieſem Rat beſchloß ich nun zu folgen. Der Sohn hielt wie der Vater ſein Geſchriebenes geheim, und am nächſten Mor⸗ gen waren die beiden Sendungen fertig. Stefanie durfte das Flie⸗

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genblumenpäckchen ins Poſtamt hinüberfragen; ich begleitete fie, meinen Doppelbrief in der Taſche. Wir genoſſen es, daß der Herr Vorſtand Oho! ſagte, als er die Paketadreſſe las, taten aber gleichgültig, als gehörten die Beziehungen zum Haufe Bismarck nun einmal in unſer alltägliches Leben.

Wochen vergingen; die Schulen waren geſchloſſen, die bunten Letztlinge des Frühlings im Garten verblüht, als eines Morgens der Vater von einer nächtlichen Entbindung nach Hauſe kam, wo ſchon wieder Kranke auf ihn warteten. Während er im Wohn⸗ zimmer ſtehend fruͤhſtückte, fragte er, was die Poſt gebracht habe. „Nichts Beſonderes, nur etliche Druckſachen und einen Brief aus Friedrichsruh“, bemühte ſich die Mutter ganz nebenſächlich zu anf: worten, was ihr ſchlecht gelang. Und nun erlebten wir alle den froheſten Tag. Bismarcks freundliche Worte, die mehr noch den mitgeſandten Zeilen als den Blumen galten, ſie verjüngten den überwachten Vater im Augenblick. Die Art, wie er das wappen⸗ beprägte Briefblatt bald weglegte, bald wieder an ſich nahm, ſeh ich noch vor mir: ganz ähnlich hatte er einmal ein Stück Meteor⸗ eiſen betrachtet, das ihm aus dem Nachlaß eines Patienten ge⸗ ſchenkt worden war. Ihn, der viele zur Geneſung führen konnte, bis er ſelbſt ermüdbar und von Reizmitteln abhängig wurde, ihn erquickte der Widerhall, der von dem großen Zeitgenoſſen kam, auf lange hinaus. Übrigens hatte er damals bereits begonnen, ſich von den Seinigen ein wenig abzuwenden und ſich für feine Kranken aufzuſparen. Wollten wir ihn uns wieder ganz nahe bringen, ſo mußten wir uns ſchon irgendein Fieber oder wenigſtens einen Luftröhrenkatarrh zuziehen; dann freilich ließ er uns gleich ſeine volle Liebe fühlen. Bei ſo großem Fleiß hätte mancher ein anſehnliches Vermögen erworben; aber hiefür ſind Menſchen ſeiner Art nicht begabt. Sie gehen verſonnen im eignen Hauſe ein und aus und wiſchen die Zeichen nicht weg, die dann und wann ein Armer mit Kreide an die Zürpfoften ſchreibt, um es auch an⸗ dern mitzuteilen, daß hier ein guter Mann wohne.

Dem Sohne war ebenfalls ein Widerhall beſchieden geweſen; ſeine Nachtgedanken wurden in Berlin gut aufgenommen. Viel⸗ leicht entſprach es ihm nicht ganz, daß das befeuernde Lob in Er⸗ mahnungen überging, die weniger der Kunſt als der ſittlichen

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Lebensführung galten; diefe Zeilen las er nicht fo off wie die andern. „Behalten Sie die Alten in Ihrem Herzen“, fo ſchloß Otto von Leixner ſeinen Brief; „aber lernen Sie Ihre Zeit ſo ſchauen im Gemüte, wie jene die ihrige geſchaut haben! Graben Sie in ſich, ſuchen Sie Ihres Weſens Kern, aber überhaſten Sie nichts! Vermeiden Sie es, in dem nur Neuen die Löſung zu erblicken! Freuen Sie ſich Ihrer ſehnſuchtreichen Jugend; aber lernen Sie es, das Verlangen nach ſinnlichem Ausleben zu bändigen! Glau— ben Sie mir: jeder Funke Kraft, den Sie in ſich aufſammeln, wird die Wurzeln Ihrer Begabung nähren. Nicht predige ich Askeſe; jeder von uns muß durch Irrtum und Sünde zur Wahrheit; aber bewahren Sie fic), ſoviel Sie können, die Reinheit Ihres Gei— ſtes! Die erlöfende Kunſt darf keine verweibſte fein; einer mann- lichen, aus Kraft keuſchen, gehört die Zukunft.“

Der alterfahrene Mann, der im Berlin der neunziger Jahre lebte, hatte gewiß gute Gründe, fo zu mahnen und zu beſchwören; dem jungen Lehrling Goethes aber war das Weib noch ein Geheim— nis, es erregte ihm bald Furcht, bald Vertrauen, auf keinen Fall wollte er ſichs verdächtigen laſſen. Das Lob des keuſchen Lebens war ihm, ſeit er denken konnte, von Katheder und Kanzel herab verkündet worden; aus der Hauptſtadt des Reiches hatte er ſich etwas anderes erwartet, er wußte ſelbſt nicht, was. Immerhin hatte Leirner zugegeben, daß der Weg zur Wahrheit über die Sünde führe; dieſer Satz klang ihm tröſtlich, er wollte ihn als eine Art Notgroſchen in feinem Gedächtnis hinterlegen. Über: haupt lernte er aus dem Brief des fernen Weiſen immer beſſer das herauszuleſen, was er ſich wuͤnſchte, und trug ihn als Talis⸗ man immer bei ſich.

Vor dem Übergang zur Hochſchule wurde ich noch mitten in un⸗ ſerer ſtillen katholiſchen Gegend Zuſchauer einer Szene, die mir den Zeitgeiſt voraus zu fpüren gab, aber auch den ſtillen Triumph des Zeitloſen. Zwei Stunden von Kading entfernt liegt gegen die bayriſchen Waldberge hin der Flecken Pilgersdorf. Dort befand ſich der Arzt ſeit Jahren im Kriegszuſtand mit dem Pfarrer, der ihm zuerſt ein paar vertrauliche Mahnungen erteilt hatte, dann aber, als dieſe nichts fruchteten, von der Kanzel herab eine öffentliche; denn jener lebte mit einer Frau, die ihren Mann verlaſſen hatte,

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in bürgerlicher Ehe, ohne kirchlich gekraut zu fein. Der Doktor, ein maffiger vollbärtiger Erdgott, nahm die Rüge nicht an; feine Erwiderung war prompt: er erklärte für ſich und ſeine Familie feierlich den Austritt aus der Kirche und hielt auch künftig ſeine zahlreichen Kinder dem Religionsunterricht fern. Als nun der älteſte Sohn unheilbar erkrankte, bot ihm der Pfarrer ſeinen geiſtlichen Beiſtand an, wurde aber abgewieſen. Der Knabe ſtarb; der Arzt wünſchte keine kirchliche Beſtattung, ſondern berief einen Freidenker aus München, einen Schüler Haeckels, damit er am Grab einige Worte ſpreche. Mein Vater, der mit dem Pilgers⸗ dorfer Kollegen von der Schulzeit her befreundet war, empfing die Todesanzeige; für ihn war das Teilnehmen am Leichenbegäng⸗ nis unbedingte Pflicht, und weil die Mutter daheim blieb, ſo nahm er mich mit. Wir kamen mit unſerer Kaleſche ein wenig verſpätet an; der Trauerzug ſetzte ſich bereits in Bewegung. Ein Aufgebot von Gendarmen war aus Landau gekommen und be⸗ wachte die Friedhofſtraße, um Störungen zu verhindern. Es kam aber niemand in den Sinn, Unruhe zu ſtiften. Die Bevölkerung war ihrem rauhen, hitzigen, aber geſchickten Arzt nicht weniger gewogen als dem ſtreitbaren Prieſter, und wie bei anderen Be⸗ erdigungen folgten viele dem Sarg, während ländliche Muſikan⸗ ten ſchlecht und recht ihre klagenden Märſche blieſen. Ich brannte vor Neugier, den heidniſchen Redner zu ſehen, den ich mir in höllenfürſtlicher Schönheit, einem abtrünnigen Engel gleich, er⸗ wartete; ſtatt deſſen wurde er die Enttäuſchung des Tags. Daß er fein halbergrautes Haar in langen Locken trug und ſchwermůtig ſchüchtern durch eine frübe Brille ſah, ließ ich mir noch gefallen; aber der Arme war krank, er litt an einer Schwächung des Rückenmarks, wie mir der Vater nachträglich erklärte. Solang er ſchwieg, ſchien alles in Ordnung; kaum aber hatte er die Stimme erhoben, da ging ſeine Ergriffenheit in beide Kniee über; dieſe fingen zu zittern an, und je lebhafter er ſprach, um ſo mehr ſteigerte ſich dieſes Beben, das auch Schultern und Arme nicht in Ruhe ließ. Statt ſehen zu dürfen, wie er das Volk verwirrte, mußte man Angſt um ihn haben; er ſtand ſo dicht an der Grube, daß die Stiefelſpitzen ihren Rand überragten; wenn das Übel weiterwuchs, konnte er hineinfallen. So hafteten denn die Blicke

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der Pilgersdorfer befremdet und nicht ohne Wohlwollen an der leidenden Erſcheinung, die ſo eindringlich mahnte, dem alten Glauben doch lieber treu zu bleiben. Es lag auch nahe, ſie mit dem abweſenden Pfarrherrn zu vergleichen, der ein ſichtlich gott⸗ begünffigfer Mann war mit unternehmender Miene und ruhigen Gliedern, ein Mann, der im Hochſommer, bei drohendem Ge— witter, auch ſelbſt auf die Felder ging und mit gewaltigen Gabel— ſchwüngen Garben auf lud.

Immerhin hörte man ſich den Fremden ruhig an und hielt auch die mitgebrachten kreuzgeſchmückten Gebetbücher höflich geſchloſ— ſen, während er aus einem grauen Bändchen gereimte Strophen vorlas. Dieſe verkündeten auch durchaus nichts Böſes, und wer ſich eine Art Satansmeſſe erwartet hatte, kam nicht auf ſeine Koſten; denn da war nur die Rede von der All-Einheit, vom höch— ſten Weſen, von der Weltſeele und vom Hinübergehen in das Geheimnis der ewigen Weisheit, lauter ſanfte Wendungen, die niemand franffen.

Männer und Frauen waren auf dem Friedhof in zwei Scharen auseinander geordnet; ich ſtand auf der Männerſeite ganz vorn, der jungen Hofbäuerin von Wirnſing gegenüber, die mir mit ihren ſchwarzen Kopftuchflügeln einen Teil ihrer Genoſſinnen ver⸗ deckte. Sie nickte mit einem treuherzigen und etwas pfiffigen La- cheln meinem Vater zu, nicht ohne guten Grund, wie ich zufällig wußte. Fünf Kinder hatte er im Lauf der Jahre mit Hilfe ſeiner ſchauerlich gebogenen Zangen aus ihrem Schoß ans Licht ge— hoben, und alle fünf lebten. Sie kehrte jedoch gleich in ihren frau⸗ lichen Ernſt zuruck, und während fie verſonnen auf die Zitterkniee blickte, hörte ich ſie deutlich wiſpern: „Gegrüßt ſeiſt du, Maria, voll der Gnaden, der Herr iſt mit dir.“ Mein Platz war nahe der niedrigen Mauer; man ſah zwiſchen weißer Kirche und weißem Pfarrhof abgeerntetes Gelände; eine Schafherde weidete grau dahin, und während ſie ſich langſam verzog, erglühte die Ferne wie ein roter Feuerſee. Das waren ſpäte Mohnfelder; ſie ver⸗ rauchten bläulich gegen die Waldberge hin, die hier ſchon plaſti⸗ ſcher aus ihrem Dunſt hervortraten als in Kading. Welch erwär⸗ mende Schau! Man konnte ſich über den bäuerlichen Arzt ver⸗ wundern, der nicht zu merken ſchien, wie alle noch ſo hohe Ge⸗

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danklichkeit in dieſer Landſchaft klanglos blieb, da fie den Men⸗ ſchen keine Anſchauungen gab. Große Mutter und Mutter Got⸗ tes, hier waren ſie ſeit Jahrhunderten eins geworden; in jedem Herzen lebte das ergreifende Bild der Erdkreispatronin und ihres ernſt lächelnden, welterhaltenden Kindes. Unter ihrem blauen lich⸗ terdurchwobenen Mantel hatte alles Raum, Wald, Feld und Garten, die kleine Schwalbe, die im Stall ihr Neſt baute, ſo gut wie der Falke, der möglicherweiſe dazu beſtimmt war, fie zu ſchla— gen, und ſämtliche Menſchen, die Lebendigen wie die Toten.

Dem fremden Prediger waren wir dankbar, daß er ſeine Sache kurz machte; kaum eine Viertelſtunde dauerte die ganze Feier. Zuletzt warf jeder ſeine drei Schäuflein Erde auf den Sarg, wie es auch ſonſt gebräuchlich war; an Stelle des Weihwaſſerkeſſels aber ſtand ein Korb voller Herbſtblumen bereit. Das trotzige ver⸗ weinte Elternpaar zog Aſtern und Gaillardien heraus und warf ſie dem Sohn ins Grab. Die Verwandten taten desgleichen, auch der Vater und ich und ein paar andere Leute; den Bauern und Bäuerinnen genügte der herkömmliche Erdwurf. Jedes drückte den Trauernden die Hand; wir wurden im Doktorhauſe bewirtet und fuhren ſodann über das Dorf Ganacker nach Kading zuruck. Es war eine nachdenkliche Heimkehr; der Vater ſchwieg ſich über das Ereignis aus und brach nur einmal grollend los, weil man es verſäumt habe, den jungen Menſchen mit Pilokarpin zu be⸗ handeln. Ware das früh genug in den richtigen Doſen geſchehen, ſo hätte man ſich, meinte er, den heutigen Aufzug erſparen können.

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Im Oktober 1897 reiſte ich von Kading nach München. Zum erſten Mal verließ ich auf dem Landshuter Bahnhof den Perſo⸗ nenzug nicht, ſondern fuhr weiter und war noch kaum ein Stünd⸗ chen über Freiſing hinausgekommen, als ein Kind, zum offenen Fenſter hinauszeigend, rief: „Die Frauentürme!“ Da ſah ich die zwei kugeligen Kuppeln der berühmten Kathedrale. Der föhnige Tag zog wie eine unendliche Linſe die tiefblauen ſchneefleckigen Alpen ſo nahe heran, als träten die Berge in die Straßen herein.

Auf dem Bahnhofplatz traf ich einen rotbemützten Studenten, der in flehendem Ton eine vorbeigehende Kloſterfrau anſprach.

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Er mochte irgendeines heimiſchen Gebräus zuviel genoffen haben, beſaß aber noch genügende Geiſtesklarheit, um der Nonne feine Bedrängnis zu erläutern. Er habe einen Frühſchoppen mitgemacht und viele geziemende Streifen getrunken, fpüre übrigens keine ſchnöden Folgen davon, ſehe ſich nur leider außerſtande, ſeinen ihm entfallenen Spazierſtock eigenhändig aufzuheben. Gott im Himmel ſei Zeuge, daß er es mehrmals verſucht habe, er müffe aber für ſein Gleichgewicht fürchten und würde ihrer Heiligkeit lebenswierig dankbar ſein, wenn ſie dieſes Werk der chriſtlichen Karitas an ihm verüben wollte. Ein wuchtiger Stock mit präch— tigem Hirſchhorngriff lag auf dem Straßenpflaſter, und gern hätte ich meinerſeits den Wunſch des Jünglings erfüllt, zweifelte jedoch an meiner Berechtigung und wollte jedenfalls abwarten, wie ſich die geiſtliche Dame verhalten würde. Sie ging zunächſt, ſtark errötend, weiter, ohne den Kopf zu wenden, kehrte jedoch, da fie den Hilferuf als echt empfand, plötzlich um, bückte ſich, über: reichte dem Behinderten, ohne ihn anzuſehen, ſeinen Stock und eilte geſenkten Blickes weiter, von überſchwenglichen Dankes— worten gefolgt.

In der Auguſtenſtraße fand ich ſchnell das fünfunddreißigfte Haus, das heute noch ſo klein und einſtöckig zwiſchen hohen Gebäuden ſteht wie damals. In der Wohnung zur ebenen Erde erwartete mich Maria. Vierzig Jahre lang hatte ſie den Eltern der Mutter gedient; nun bezog ſie eine mäßige Rente und vermietete die guten Zimmer. Sie war mir immer als ein Schutzengel der Familie ge: ſchildert worden; das mußte ich mir jetzt vor Augen halten, um durch ihre äußere Erſcheinung nicht befremdet zu werden. Den großen ſchwarzen Augen entſtrömte freilich noch ein Seelenglanz; doch vernachläſſigte fie fich leider, und auf Wangen, Kinn und Oberlippe war ein anſehnlicher grauer Bart gewachſen, gegen den ſie offenbar nichts unternahm. Sie führte mich in die große Stube, die mich nun aufnehmen ſollte; hier hatten die Großeltern gewohnt, und in der fenſterloſen, durch Vorhänge verſchließbaren Bettniſche, meinem künftigen Schlafraum, waren ſie geſtorben. An einer Wand hing das jugendliche Bildnis des Großvaters; er war da noch ein ſchlanker Mann mit lockigem Haupt und ern⸗ ſtem Blick; Zylinderhut und Handſchuhe lagen neben ihm auf

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einem Tiſchchen. Der alten Dienerin kamen die Tränen, während fie mich vor die Bildtafel führte: „So ſah er aus, als er zu Lud⸗ wig dem Erſten ging. Beim Eintreten iſt ihm der Zylinderhut zu Boden gefallen; aber Seine Majeſtät hat es nicht zu bemerken geruht.“ Mir weckte die Erwähnung jenes Fürſten eine Leſebuch⸗ erinnerung, und ich fragte, ob er dem Großvater vielleicht von Goethe erzählt habe. Selten hatte mir etwas ſo gut gefallen wie die Schilderung jener beſchwerlichen Reiſe, die der Bayernkönig unternahm, um den greiſen Dichter in Weimar zu beſuchen, und weil ich mir unter einer Audienz noch eine Art Plauderſtunde vor⸗ ſtellte, ſo hielt ich es durchaus für wahrſcheinlich, daß dabei von der berühmten Zuſammenkunft die Rede war. „Schon möglich,“ ſagte Maria, „daß auch von Schiller und Goethe geſprochen wurde; der Herr Rat Voggenreiter war ein ſehr gebildeter Mann.“ Als ich ſie aber bat, ihr Gedächtnis doch ein bißchen anzuſtrengen, ſchmunzelte ſie in ihren Bart hinein, gab zu, die Audienz habe nur zwei Minuten gedauert, und ging in die Küche, um bald mit einem Teegedeck wiederzukommen; dann holte ſie auch noch einen Kuchen, deſſen Schaumdecke mit Stachelbeeren geſpickt war. Wenig Eindruck machte ihr mein Hinweis auf die Verabredung mit zwei Freunden, die mich zwiſchen fünf und ſechs Uhr im Kaffee⸗ haus Luitpold erwarteten. „Das iſt nicht weit“, ſagte ſie. „Sie biegen an der nächſten Ecke links in die Brienner Straße ein und gehen geradeaus. Es liegt auf der rechten Seite.“

Während ich und trank, brachte ſie ein ſchwarzes meſſingſchild⸗ beſchlagenes Photographiealbum und begann eine Ahnenlehre, die mir im Augenblick wenig willkommen war. Seit langem wo⸗ ben meine Stimmungen lebenwitternd in Geiſt und Zukunft hin; Fauſt und Antigone ſtanden mir näher als irgendein Urgroß⸗ vater, und arg verdreht wäre mir einer vorgekommen, der hätte beweiſen wollen, daß ich ohne die verwitterten und verknitterten Bauern: und Beamtengeſichter, die mich aus den Fenſterchen des Buches anblickten, gar nicht auf der Welt wäre. Maria aber er⸗ ließ mir nichts, und während ich mich in aller Stille wütend fragte, ob ich wohl, über alle Hochachtung hinweg, den Mut auf⸗ bringen würde, der treuen bärtigen Tyrannin am erſten Januar die Stube zu kündigen, nannte ſie alle die Bewohner der papiernen

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Kolumbarien beim Namen und berichtete mir ausführlich deren Erlebniſſe, auch wenn ich zuweilen einwarf, die Mutter habe dies alles oft erzählt.

Da ſaß in Rottaler Tracht mit dunklem Kopftuch die achtzig— jährige Katharina Voggenreiter; ſie hatte, als Napoleon über Paſſau nach Oſterreich zog, das Vieh von Seeſtetten gehütet und mit ihren zwölf Jahren einen guten Einfall gehabt, indem ſie die ſchönſten Rinder von der Heerſtraße weg in das abgelegene Setzen⸗ bachtal zuruͤcktrieb, damit fie nicht in die Hände der Franzoſen fielen.

Aus dem nächſten Fenſterchen ſah eine mehr ſtädtiſch anmutende Baſe. Von ihr wußte Maria nur zu berichten, auf welch unge— wöhnliche, aber einfache Weiſe ſie Ehefrau geworden war. Als geſchwiſterloſe Tochter eines Friedberger Notars galt ſie den Ihrigen von der Geburt an als ein Sorgenkind. Zu jener Zeit näm— lich waren die Notariate noch wie Thronfolgen in gewiſſen Fa— milien erblich, und ſo mußte nach dem frühen Tode beider Eltern das einträgliche Amt in fremde Hände fallen, wenn ſich das Kind nicht einen Juriſten erheiratete. Dazu bot aber die kleine Stadt keine Gelegenheit, und bald wußte ſich die Frau des Vormunds keinen Rat mehr, als dem Jungfräulein den Reiſekorb zu packen, es mit Weihwaſſer zu beſprengen und ihm einen Platz in der Poft: kutſche zu beſorgen, damit es draußen in der Welt ein rechtskun⸗ diges Mannsbild auftreibe. Die Kleine reiſte nicht weit. Am Abend kam fie in München an, wo fie nahe dem Dom zu Unferer Lieben Frau in dem einfachen Gaſthof abſtieg, aus welchem ſpäter das Weinhaus Kurz hervorgegangen iſt. Beim Abendeſſen fiel der Wirtin die einſame Pilgerin auf; ſie ſetzte ſich zu ihr an den Tiſch, fragte freundlich nach dem Reiſeziel und wußte bald alles. Nun führte fie die Ermuͤdete ſelbſt mit einem Kerzenlicht auf ihr Zimmer, empfahl ihr, zum heiligen Andreas zu beten, und riet ihr, ja nicht etwa ſchon in aller Frühe weiterzureiſen. In dem Gaſthof wohnte ſeit kurzem ein junger Gerichtsreferendar; dieſem erzählte ſie am anderen Morgen beim Kaffee den ganzen Verhalt und hatte gerade ihren Bericht beendet, als die Notariatserbin zum Srühffüc herunterkam. Wie es nun weiterging, wußte auch Maria nicht genau; jedenfalls vollzog ſich noch am gleichen Tage die

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Verlobung. Tags darauf begaben fidy die Brautleute in den Dom hinüber, um ſich betend unter den Schutz der Mutter Gottes zu ſtellen; dann fuhren ſie mit nächſter Poſt nach Friedberg. Uns Heutige mag befremden, daß die zwei jungen Menſchen es nicht für nötig hielten, erſt ihr Innenleben gegeneinander abzuſtim⸗ men, bevor fie die Heirat wagten; doch hat man nie gehört, daß dieſer Eheſtand mißglüͤckt wäre, wohl aber, daß viele Kinder aus ihm hervorgegangen ſind und daß die beiden Gatten miteinander ſehr alt wurden.

Dieſe kleinen Begebenheiten gefielen mir damals nicht ſo gut wie heute; ich fand ſie gar zu bürgerlich und war froh, als ein Hau⸗ ſierer die Erzählerin hinausklingelte und mir Gelegenheit gab, ſchleunig den Weg zum Café Luitpold anzutreten; doch ſandte mir Maria durch das offene Fenſter noch Ratſchläge nach: „Wenn Ihnen eine Equipage begegnet und Sie ſehen vorn auf dem Bock einen dunkelgrünen Mann mit weißem Federhut, ſo iſt das ein Leibjäger, und hinter ihm ſitzt Seine Königliche Hoheit, der Prinzregent. Sie müſſen dann ſtehen bleiben, den Hut ab⸗ nehmen und ſich verneigen.“

An der Ecke bog ich in die ruhige Brienner Straße ein, die bald in ganzer Breite von einem herrlichen Bauwerk unterbrochen war, und ehe ich noch das Ganze überblickte, wußte ich ſchon, wo ich mich befand. Ich ſtand vor dem berühmten helleniſchen Tor, deſſen Abbildung im Kadinger Pfarrhof hing, und zwiſchen ſeinen Säulen erſchienen auch ſchon die Tempel, zu denen es den Ein⸗ gang bildete. Während meiner Landshuter Zeit waren mir die Propyläen allmählich aus dem Sinn gekommen, bis im letzten Jahre der Lenker unſeres Gymnaſiums, der geſtrenge Max Rott⸗ manner, im bayriſchen Geſchichtsunterricht auf ſie zu ſprechen kam. Jener erſte Ludwig, der Verehrer Goethes, hatte am Tage nach ſeiner Abdankung die Mittel zu ihrer Erbauung geſtiftet und alſo die Liebloſigkeiten ſeiner Münchner, die ihm nach Kräften den Thron verleideten, höchft chriſtlich und höchſt königlich vergolten. Wer möchte nicht griechiſche und ſiziliſche Kinder beneiden, die zwiſchen den ſchönen Heiligtümern ihrer Ahnen zum Leben er⸗ wachen! Wir vergeſſen nur, daß Gewöhnung auch abſtumpft, und bedenken kaum, daß jene feierlich große Befremdung, mit welcher

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Juda Vom Weſtlettner des J

aumburger Doms

das Höchſte der Kimffe die Seele anrührt, uns Nordländer viel: leich mächtiger trifft als die nachgeborenen Einheimiſchen. Wir ſind auch meiſtens empfänglich genug, um ſchon durch den bloßen Begriff einer großen Architektur bewegt zu werden, und dazu be— dürfen wir nicht notwendig des Originals; es genügt auch die Nachahmung, fie mag noch fo abgeſchwächt fein. So wurde mir, als Meiſter Klenzes Hallenbau meinen Weg überragte, ein Schau: der voraus zuteil, den ich eigentlich erſt in Päſtum oder in Segeſta hätte erleben dürfen. Den lichten Marmorton, den die Kadinger Zeichnung ahnen ließ, zeigten übrigens die wirklichen Propyläen nicht mehr. Von Verwitterung und beizendem Bahnhofqualm waren ſie ſchon dunkelgrau und ⸗grün verfärbt, beſonders oben um die Nebenpforten herum, wo nur einzelne Stellen dank der herabrinnenden Feuchte weiß abſtachen, hängenden Eiszapfen ähnlich.

Es waren wenig Menſchen unterwegs; der Abend ließ die weſt— liche Vorderſeite des Baues in fahler Deutlichkeit leuchten; ein behelmter Schutzmann ſchritt hin und her. In mir erklang Ver— gangenheit; lang vergeſſene Bedenken des Kindes regten ſich, dem es unglaubhaft erſchienen war, daß ein Tor wie dieſes für Men: ſchen unſerer Tage gebaut ſei, und ein mutwilliges Hochgefühl gab mir ein, den Beamten zu fragen, ob es wohl erlaubt wäre, hindurchzugehen. Er kniff bedrohlich die Augen zuſammen, fand mein Ausſehen aber doch wohl harmlos genug, um an die Ernſt⸗ haftigkeit meiner Frage zu glauben. Er ermunterte mich ſogar, die hohen Stufen zu beſteigen, durch die man zu der Säulenhalle des Innenraums gelangt. „Spazierens nur umeinander und ſchaungs Ihnen alles gemütlich an! Es is der Müh wert“, ſagte er wohlwollend und entfernte ſich, um die Betrachtung nicht zu ffören.

Das Tor war durchſchritten, die Straße ging weiter; links und rechts, hinter herbſtlichen Raſenflächen, dämmerten die hellgrauen Tempel. Welche Gottheiten ſich darin verehren ließen, darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern; ohne Aufenthalt eilte ich wei⸗ fer, um die Freunde wiederzuſehen. Bald umfing mich der Kaffee⸗ palaft mit feinem herrlich ausgeſchmückten Raum, darin ſich die Schritte von ſelber verlangſamten. Alles war hier danach an⸗

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getan, dem Neuling vorzufpiegeln, er weile wirklich in einem Hei⸗ ligtum. In gläſernen Lilien glühten Fäden elektriſchen Lichts; das leuchtete weiter in ſchwarzen Marmorſäulen. Den bildergezierten Decken und Wänden galten die nächſten Blicke; da ſtand in gold⸗ umrahmtem Schneefeld ſplitternackt ein geflügeltes Kind, von Raben umkrächzt, das Geſichtchen zum Weinen verzogen; anders⸗ wo ruhten zwei Liebende auf Wolken; eine Hand hob über fie den grünen Kranz des Ruhms, als hätten ſie durch ihr Glück den größten Sieg errungen.

Die Freunde blieben noch aus; ich ſuchte ein freies Tiſchchen; aber nun hielt mir eine Seitenwand noch viel größere Gemälde entgegen. Es war ein ruhiges Daſein, ein Daſein ohne Wider⸗ ſtände, das hier in einfachen Szenen ſich erfüllte; doch ſchien ein größeres, bewegteres dahinter zu warten. Dunkelbraun vor oran⸗ genem Abendhimmel ſteht eine Barke, beſchnitzt mit kleinen Tier⸗ und Menſchenköpfen; ſie muß erſt angekommen ſein: leere Netze hängen feucht an den Waffen, und füdländifche Knaben fhütfen aus Weidenkörben die Gaben des Meeres auf den Ufer⸗ kies, breite goldäugige Fiſche, Rieſenkrebſe mit gelben und him⸗ melblauen Scheren, Muſcheln voll farbiger Schatten und Scheine. Am Fuß einer Marmorſtiege ſitzt ein dunkler Mann inmitten unendlicher Obſtfülle; ein weißes Tuch liegt auf ſeinem Kopf; aber es iſt von einem Band ſo zuſammengehalten, daß eine Art Hut ent⸗ ſteht. Der Mann hat eine dunkelgrüne Melone angeſchnitten; man ſieht ſchwarzviolette Kerne im lachsroten Fruchtfleiſch. Oben auf der Treppe aber ſteht eine junge Frau und überlegt, ob ſie herabſteigen foll; eine andere beugt ſich, abgewandt, mit auf: geffüßfen Ellenbogen über eine Brüffung und ſchaut nach einem Stückchen Leinwand hin, das aus bleichem Himmel in das Bild hineinragt; es iſt der Zipfel eines gelben Segels, und fo fühlt man auch hier das nie Geſehene, das Meer.

Nun aber lenkten lebende Frauen und Männer, die unter den Bil⸗ dern ſaßen, den Sinn auf ſich, doch nicht für lange; denn ſoweit ich ſah, wurden ſie alle an himmliſcher Anmut weit übertroffen von den jugendlichen, weiß und ſchwarz gekleideten Mädchen, die ihnen dienten. In dieſen ſah ich die wahren Walterinnen des Hau⸗ ſes; ihr leichter Gang, die Sicherheit, mit welcher ſie aus hohen

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filbernen Kannen erwunſchte Getränke in Porzellanſchalen goſ⸗ ſen, dies alles atmete den Geiſt vornehmer Gaſtlichkeit, einzig würdig der glanzvollen Stätte, die den Namen des Regenten trug. Als ich nach dem Preis von Kaffee und Hörnchen fragte, fand ich ihn ſehr gering und konnte nicht mehr glauben, daß dieſer wunderbare Betrieb auf ſeine Beſucher angewieſen ſei, bildete mir vielmehr ein, er nehme nur der Form wegen eine kleine Be: zahlung an. Leider gab es Gäſte, die nicht fühlten, wo fie ſich be: fanden. Mit den armſeligen Münzen, womit ſie den königlichen Aufenthalt vergüten zu können meinten, ſtießen ſie hart auf den ſchimmernden Marmor der Tiſchplatten und gaben dadurch jenen göttlichen Mädchen zu erkennen, wie ſehr ſie es eilig hatten, wie— der in die unfeſtliche Welt hinaus zu kommen. Eo ſtörten ſie die feierliche Stimmung des blau durchrauchten, wie von Gebeten durchſummten Raums, und wenn jene taktvoll den ſcharfen Ton überhörten, wagten fie ſogar, ihnen gebieteriſch böſe Worte zu: zuſchreien. Aber dergleichen Ungehörigkeiten achtete man hier nicht einmal eines Tadels wert; ja die Trägerinnen der ſilbernen Kannen, für Beleidigungen unnahbar, übertrieben ihre Großmut, indem ſie den Toren auch noch beim Ankleiden in ihre Mäntel hineinhalfen und ihnen nachriefen: Auf Wiederſehen!

Ich war indeſſen bemüht, für Arme und Beine die Haltung zu finden, die dem tempelhaften Raum gemäß wäre, bis ich merkte, daß es zum Ritual dieſer Gaſtlichkeit gehörte, manchmal eine Zei⸗ tung andächtig in der Hand zu halten, und die Hochblonde, die mich bediente, erriet meinen Wunſch; ſie eilte zu einem karuſſell⸗ artig drehbaren Geſtell, das mit vielen Tagesblättern und etlichen Zeitſchriften behangen war, wählte eine ſchwarze Mappe und legte ſie mir auf das Tiſchchen. Drei Hefte lagen loſe darin; auf gelbem Umſchlag, zwiſchen flammentragenden Pfeilern, ſtand als Titel: Die Geſellſchaft, herausgegeben von Michael Georg Con⸗ rad. Ich blätterte und las und las, und als endlich, ſehr verſpätet, Walter und Hugo kamen, da trafen ſie nicht mehr den nämlichen Menſchen, der zwei Stunden früher durch die Propyläen gegangen war. „Hinaus über das Geweſene!“ Dies war der Ton, auf den alle Gedichte, alle Abhandlungen der Zeitſchrift geſtimmt waren. Unerhörte Worte fand ich ausgeſprochen; es war die Rede von

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neuen Sinnen, neuen Gefühlen, von Liebe, die über Leichen tanzt, von der ſcheinheiligen Verlogenheit, in welcher die chriſtlich ent⸗ nervte Menſchheit ſeit beinah zweitauſend Jahren unſelig dahin⸗ ſieche, von den erlöſenden Wundern des nackten Weibes. Das Waſſer kann in einen trockenen Schwamm nicht gieriger ein- dringen, als die neuen Vorſtellungen von mir Beſitz ergriffen, und wenn auch, wie ſich ſpäter zeigte, tief innen eine undurchläſſige Schicht war, die manches nicht annahm, ſo warf ſich doch die Frage auf, ob mein Kadinger und Landshuter Leben denn über⸗ haupt ein Leben geweſen war. Der Vater hielt die Bismarck⸗Zeit für die beſte, glücklichſte, die Deutſchland je geſehen hatte; die neuen Geiſter waren anderer Meinung; ſie ſelber wollten ein goldenes Weltalter erſt heraufführen.

Am erregendſten war ein Bericht von Moeller⸗Bruck, der ver⸗ kündete, Richard Dehmel habe den Mittelpunkt der Welt in ſich entdeckt und Seelengebiete gefunden, die der Menſchheit von heute noch verſchloſſen ſeien. War je von Goethe, von Shakeſpeare, von Homer ſo geſprochen worden? Aber die Rühmungen klangen echt, und glühend echt, ins Tiefe mühlend, war Dehmels Gedicht von der Baſtardzeugung, das innerhalb des Aufſatzes abgedruckt war. Alles daran empfand ich als neu, vor allem das Grauſame, das zwiſchen den Geſchlechtern fiebert. Mein eigenes Leben wußte noch nichts davon; war es aber je vor meinen Augen hervor⸗ getreten, ſo hatte mir der Blick dafür gefehlt.

Beim Weiterblättern begegnete mir der Name Otto von Leiner ; ſchon griff ich nach dem koſtbaren Brief, der wohlverwahrt in meiner Taſche ſteckte; in ihm glaubte ich einen Ausweis zu haben, der mir den Ubertrift ins Reich der neuen Geiſter ſicherte; doch nur Sekunden währte die kühne Hoffnung. Der Schriftſteller, den Landshut hoch in Ehren hielt, hier war er als ein ſchwächlicher Salbaderer verworfen, und ſo glich der ſchöne Brief im Augen⸗ blick nur noch einem abgelaufenen Reiſepaß.

Verſuche ich mich nach vier Jahrzehnten in die Erregung jener Stunde zurückzuleben, fo wird mir erſt ganz bewußt, wie folgen⸗ reich ſie für das weitere Leben war. Dem Achtzehnjährigen, der noch alles Gedruckte für tief begründet hielt, mußten die neuen Bot⸗ ſchaften verführerifch klingen; er konnte ihnen alles entnehmen,

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was er ſich zuweilen wünſchte. Keine Verzichte, keine Entſagungen, keine beſonderen Leiſtungen wurden verlangt; unendlicher Genuß der Freiheit war Gebot. Wollte ſich aber dagegen dennoch ein Mißtrauen in der Seele regen, ſo wurde es beſchwichtigt von einer anderen Stimme, die den Aufruf zur Lebensluſt immerfort begleitete, von der Stimme des empörten Mitleids mit allen Armen und Entbehrenden des Volks. Tief wurde hinabgeleuchtet in die Dunkelheiten des geſellſchaftlichen Elends, die Befreiung und Beglüdung aller in drohendem Ton gefordert und als Viſion vorausverkündet. Ein Unerfahrener, der dies las, durfte ſich ſchon halb und halb als Miterlöſer aller Unterdrückten fühlen und um ſo beſſeren Gewiſſens das Recht auf irdiſche Freuden, die der ſtrenge Leixner widerriet, für ſich in Anſpruch nehmen.

Die Welt, in der wir aufgewachſen waren, ſtand noch im Bann der klaſſiſchen Erzieher; ſie lebte ſeeliſch, wenn man ſo ſagen will, von Zinſen. Das Grundvermögen, wenn ſie es auch nicht gerad vermehrte, fo griff fie es doch auch nicht wiſſentlich an. Da: gegen hatten die Männer, die in den gelben Heften ſchrieben, keine Furcht vor der Verſchwendung; ſie waren zuſehends bereit, auch von den Erbgütern zu zehren. Einer ſolchen Richtung ent— ſprach es auch, daß alles grell mit Namen genannt wurde, was uns noch immer als unnennbar galt. Im Elternhaus war der Verkehr vielleicht allzu ſchamhaft geweſen, und wie man ſchon über die Geiſteserkrankung der zwei königlichen Brüder im Ge: ſpräch ſchnell hinwegging, ſo breitete man auch Schweigen über die Vorgänge des geſchlechtlichen Lebens. Der Vater ſogar, der Arzt, litt unter Hemmungen, wenn er den Sohn aufklären wollte, was er doch für feine Pflicht hielt; dieſem aber widerſtrebte es, ihm entgegenzukommen und einzugeſtehen, daß er ſich aus den ſorglos herumliegenden Lehrbüchern der ärztlichen Kunſt ſchon einiger: maßen unterrichtet habe. Auch das Los der Unbemittelten hörte ich den Vater nie bereden; doch ebenſowenig verlor er ein Wort über die Dienſte, die er ihnen Tag um Tag unentgeltlich erwies.

Als die liebenswürdige Bedienerin wieder einmal an meinem Tiſch vorůberkam, ſagte ich ihr unumwunden, wie ſehr ich ihr Ein⸗ fühlungs vermögen bewundere, da fie mir gleich angeſehen, welche Zeitſchrift unter den vielen vorrätigen für mich die richtige war.

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Sie aber wies befcheiden Dank und Lob zuruck und ſprach von den gelben Heften auf eine Weiſe, als wäre nichts Beſonderes an ihnen. Wenn ich ſie ſo unterhaltlich fände, dürfte ich ſie auch mit⸗ nehmen, es leſe ſie ſonſt ſowieſo kein Menſch.

Endlich kamen die Freunde. „Was fehlt dir?“ fragte Hugo, wäh⸗ rend er ſein graues, ganz neues Herbſtmäntelchen auszog, „haſt am Ende ſchon die Großſtadt genoſſen? Du biſt ja ganz blaß.“ Ich deutete auf die Zeitſchrift: „Leſt einmal! Ihr werdet ſchauen.“ Hugo hatte ſich in den Ferien gut erholt, war jedoch nicht um einen Zoll gewachſen und behielt noch immer ſeine pfirſichflau⸗ migen Wangen; doch klang die Stimme männlicher. Mich zur Geduld bezähmend, ließ ich den Strom der erſten Mitteilungen porüberraufchen; dann ſchob ich Hugo die Doppelſeite der „Geſell⸗ ſchaft“ hin, auf welcher Dehmels Gedicht abgedruckt war. Miß⸗ trauiſch ließ er ſich ein; aber unverſehens ergriffen ihn die wüͤhlen⸗ den, keuchenden, ſtöhnenden Strophen. Auch er wechſelte die Farbe; ſein Atem ging noch ſchneller als ſonſt. Immer wieder zurücklefend, ſtützte er den Kopf in die Hand; ich ſah mit banger Genugtuung, wie der wilde neue Geiſt auch in dieſe klare zarte Seele hereinbrach. Auf einmal beugte ſich mutterlich die Kannen⸗ bringerin über ſeine Schulter, und nun kam es an den Tag, daß auch diefe Schöne, der ich ſoviel Weisheit zutraute, im Weſent⸗ lichen verſagte; denn fie hielt unſeren Freund für ein Kind. „Was kriegt denn der Kleine?“ fragte ſie zärtlich, „eine Torte vielleicht? Oder einen Mohrenkopf? Oder einen Schokolad mit Schlag— rahm?“ Ihr fehlte die Witterung dafür, daß hier einer ſaß, der das Reifezeugnis eines Gymnaſiums erworben hatte, einer, in dem die Dämonen des Jahrhunderts zu wühlen begannen. Zum Glück war Hugo längſt gewöhnt, ſeinen Unmut über ſolche Verken⸗ nungen unter Witzen zu verbergen, und als er den Sinn des weich⸗ lichen Gefrages begriffen hatte, verlangte er in rauhem Ton eine Braſilzigarre und ein Pilſener Bier. Jetzt erkannte die Mund⸗ ſchenkin ihre Torheit; ſie entſchuldigte ſich und war froh, daß Hugo ſich leicht beſchwichtigen ließ. In mir aber erloſch die bedingungs⸗ loſe Verehrung, die ich von Anfang an dem blonden Weib ge— widmet hatte; zugleich verlor der Prachtraum viel an Tempel⸗ haftigkeit.

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Auch Walter hatte eines der gelben Hefte zur Hand genommen. Das Gedicht konnte ihn im Augenblick nicht feſſeln; er ſparte ſichs für ein ander Mal und blätterte ſo lang, bis ihm ein Aufſatz über neue Muſik begegnete. Dieſen las er durch; dann drängte er wei— ter, zog ein Geldſtück heraus und warf es auf die Marmorplatte, daß es tanzte. Schon wollte ich dies ungehörig finden; aber ſchließlich iſt es nicht dasſelbe, ob man zornig den Stein mit einer Münze bearbeitet oder ob man ſie nur darüber hinkreiſeln läßt. Überdies wars ein Goldſtück; es gab einen edlen Klang. Das Gold hatte ſich noch nicht aus dem Volk zurückgezogen; auf Mil— lionen Wegen rieſelte der Fluß der kleinen glänzenden Scheiben durch alle Hände: jeder Knecht, jede Magd, jeder Schneeſchauf— ler, jeder kleine Miniſtrant konnte noch ſeinen Lohn in dem welt— gültigen Metall empfangen, das myſtiſche Deuter für einen ſon— nenverwandten Stoff erklären. Die Bedienerin überhörte auch keineswegs den reinen hellen Ton; lächelnd eilte ſie herbei, nahm unſere Bezahlung entgegen, ſagte „Nix für ungut!“ zu Hugo und bat uns, bald wiederzukommen. Walter legte das Heft in Die ſchwarze Mappe zurück, nicht ſehr befriedigt. In einer Großſtadt, meinte er kühl, werde allerhand geſchrieben und gedruckt; wo käme man hin, wenn man gleich am erſten Tag auf das nächſte beſte hereinfiele? Das wäre ja nicht anders, als wollte man jeden Wachtmeiſter, der eine neue Uniform anhabe, gleich für einen Generalfeldmarſchall halten. Aus einem künftigen Buche *

Konrad Weiß / Mathilde

Aus der König Heinrich-Ballade

Schaut unſer Blick Geſchichte an,

ſo bricht der Sinn wie Weib an Mann und fchiiftert, wie ein Vogelſchwarm das Herz umringt, ſo reich und arm,

und knoſpet ſchwerer ohne Ziel und will doch mehr und will noch viel und wird wie Tränen zwiſchen Tau und doch wie eine ſtarke Frau.

Man nennt ihn auch vom Vogelherd, der König war wohl wild und zahm, da fand er eine Fraue wert,

als er nach Herford freien kam.

Mathilde ſtill mit Werk und Buch, die Blume unter Nonnen hier, empfangend ihres Herrn Beſuch, wie wuchs der roten Wangen Zier

und war zu Lilien doch erbleicht

der ſtarken und der ſtillen Magd,

wie wenn der Jäger fängt und ſcheucht die Vögel, der im Schlachtfeld jagt.

Mathilde wurde ſein Gemahl,

ſie war aus Widukinds Geſchlecht, und Heinrich hob der Sachſen Recht zuhöchſt mit Kindern dieſer Wahl.

Doch wie ſie ihm begegnet war, blieb auch ihr Sinn gefangen ſchwer, ſooft er zog in blutger Schar,

da nahm ſie einen Schild ſich ber

und ſtreute Körner in ihm hin,

die Vögel flogen nach der Hand und Vögel ihr um Herz und Sinn, bis ſie den ſchweren Sinn gebannt.

Und kam auch jene andre Zeit,

da war ein Samstag, und der Tod lief König Heinrich zum Geleit, tat zu Memleben ihm Gebot.

Da flutet ſtill ihr Augenlicht,

doch ſtärker all der Sinngrund ſpielt, das Buch, das ſie in Händen hielt, empfing das ſinkende Geſicht.

Und da fie ihren Herrn begrub zu Quedlinburg vor dem Altar, ſooft ihr Sinn zu quellen hub, reicht ſie den Vögeln Futter dar.

Bis ſich das Herz gefangen gibt; ſo wird die Welt im Blicke ſtumm und kreiſt nur Waſſer um und um, das unfer Auge nicht mehr trübt.

Und wieder als ein Samstag war, ein Rüſttag allem ſchweren Sinn, da trat ſie aus der Frauen Schar und ſtarb zu König Heinrich hin.

Je mehr der Blick Geſchichte ſchaut, der Sinn wird immer mehr gewillt, und immer jünger wird das Bild und harrender die ſtille Braut.

So wird der Brautſinn aufgefriſcht durch Schwere, daß er nicht erliſcht, dann ſinkt das Haupt ins Buch hinein, und langſam wird das Bild zu Stein.

*

Friedrich Schnack / Löwenzahn

Das Löwenzahnlicht erhellte die Tage entſchwundener Kinderzeit. Ein kleiner Mund hat einſt im Mai in die Gloriole der Samen— krone geblaſen, das Licht verlöſchte. Die Jugend verflog wie die leichten Fallſchirme der Blume mit ihren ſchwebenden Gondeln. Man weiß nicht, wohin ſie gekommen iſt und wo alle die luftigen Fahrzeuge landeten. Viele Löwenzahnjahre find ſeitdem vergan⸗ gen, viele Sonnen über den Honighügel hinabgerollt in das Tal des Vergeſſens. Doch immer ſtrahlend blühen die Löwenzahn⸗ blumen. Der neue Frühling und Sommer entzündet die neuen

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Lampen. Gehören fie noch mir? Leuchten fie noch für mich? Sie werden wohl alle Sibylle zu eigen fein. Ihre löwenjunge Sonne ſteht hoch am Himmel.

Die Blume iſt gewöhnlich wie der Pfennig im Geldbeutel, aber golden gleich dem Dukaten. Der Juni iſt ein reicher Feldbeſitzer und Pflanzer: mit dem Gold des Löwenzahns bezahlt er den Pacht⸗ zins. In vergangenen Jahrzehnten, als noch die Poſtkutſchen auf den Landſtraßen rollten, das Poſthorn geblaſen wurde und die Hausfarbe der deutſchen Poſt Gelb war, ſagten die Landleute, im Frühjahr müffe das Feld wie ein Poſtkittel ausſehen, dann käme ein gutes Jahr!

Die Wieſe, wogengleich in den blauen Himmel emporſtürmend, iſt poſtkittelgelb. Ausgelaſſen blüht und prunkt der Löwenzahn. Kaum ſieht man das Gras, das Haar der Erde. Der glänzende Teppich, die Goldſchwelle vor dem Himmel, ſchimmert als = Glücksſtraße für Immen und Hummeln.

Wir duͤrfen die Wieſe nicht betreten, das Gras iſt heilig. So ver⸗ wandeln wir uns für einen Augenblick in Schmetterlinge und fliegen darüber.

Seliger Flug! Unter den Faltern liegt das gelbe Meer, alles ſieht chineſiſch aus. Es blüht das gelbe Reich der Mitte. Der gelbe Fluß ſtrömt, und Honigbäche ſtrudeln. |

Die Schmetterlinge ſchreiben verzückte Flügelſchriften in die Luft, und ihre Zeichen bedeuten: Lieber Löwenzahn! Sibylle wünſcht ſich tauſend Löwenzahnwieſen.

Die Tiefe antwortet. Verworren ſummend, brummt ein dunkel⸗ ſtimmiger Chor: Kommt kopfunter herunter in das Löwenzahn⸗ wunder!

Die Hummeln.

Sinkt, ertrinkt, die Lõwenzahnſonne blinkt! tönt es ſchwirrend.

Die Bienen.

Das laſſen ſich die Schmetterlinge nicht ein zweites Mal ſagen. Man fordert ſie auf, in die Wieſe zu kommen. Und ſie gleiten aus den Lüften.

Millionen gelber Geſichter ſchauen ihnen entgegen, das ganze Reich der gelben Mitte mit all ſeinen gelben Leuten, verſammelt zum Löwenzahnfeſt.

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Da finfen die Falter geblendet mitten hinein...

Nach dem Erwachen aus dem kleinen Löwenzahntraumbild ſitzen wir am Wieſenrain, und Sibylle bläſt eine Lampe, einen verblühten Löwenzahn, aus. Wie Rauch entſchweben die Seder: ſchirmchen. Vier find indes auf dem Lördenzahnboden verblieben. Die Löwenzahnuhr zeigt vier Uhr nachmittags.

Für Sibylle bedeutet es eine andere Zeit. Sie hat das Blumen: orakel befragt, und es hat ihr geantwortet. In vier Jahren werde ſie heiraten, meint ſie.

Dann wäre ſie einige Monate über neunzehn. Ein bißchen früh zur Ehe. Vielleicht. Beſtimmt wird ſie aber nicht lange darauf warten müſſen.

Möge ſie Glück in der Liebe haben, wenn es ihr auch nicht ge— lang, mit einem Atemſtoß alle die Lichtlein wegzublaſen!

Die Fallſchirme ſchweben auf und nieder, und ungehemmt rollt die Goldwoge gegen uns.

Warum heißt die prächtige Sonnenpflanze Löwenzahn? Der Name durfte aus Löwenländern kommen. Mit ihrem bäueriſchen, aus Viehländern ſtammenden Namen wird ſie Kuhblume genannt. Die Kühe freſſen das Kraut gerne und geben dann viel Milch. Das lange, friſchgrüne und ſaftige Blatt iſt zahnartig zerfetzt: das Gebiß des Löwen. Vermutlich haben die Arzte Arabiens, die ſchon in früheſter Zeit den Löwenzahn in ihren Heilſchatz auf— nahmen, ihr den Namen Löwenzahn gegeben. Sie kannten die Zähne des Löwen. Der kahlen Fruchtplatte wegen, einer Tonſur ähnlich, heißt die zu den Korbblütlern gehörende Blume auch Mönchshaupt, eine anfchauliche, doch wenig gebräuchliche Be— zeichnung. Noch viele andere, zum Teil recht derbe Namen führt die Pflanze. Der Löwenzahn hat ſie alle beſiegt.

Aus der im Gras büfchelig wachſenden, auf kahlem Boden teller⸗ artig ausgebreiteten Blattroſette, die auch im Winter treibt und grünt, erhebt ſich die glatte, luftgefüllte Röhre des blumen: gekrönten Schaftes. Die Blüte iſt ſonnenhaft, abends ſchließt ſich ihr Auge. Nektarſüß ſchmeckt ihr feiner Duft, bitter aber ihr Milchſaft.

Der Löwenzahn iſt eine Alltagspflanze und ein Schandfleck für vornehme Raſenflächen. Aber im Gewöhnlichen hält die Schöp⸗

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fung zuweilen hohe Gedanken und mächtige Eigenſchaften ver: borgen, die wie in einem Zauberſchlaf ruhen, bis ſie ein kundiger Geiſt aufweckt und befreit. Die Blume iſt lichtgeweiht. Ihr wurde die Kraft zuteil, gegen das Dunkel zu ſtehen. Krankheiten verdun⸗ keln das innere Licht. Wie wird es von neuem entbrannt? Wie dient der Löwenzahn, die ſolare Pflanze?

Schon in alter Zeit erkannte der ſchauende Sinn heilbegabter Menſchen eine natürliche Beziehung des bittern Saftes und der gelben Blumenfarbe zu Gelbſucht und Harngelb. Der Menſch richtete an die Pflanze die Frage: Wie weſeſt du in mir? Ahnungs⸗ voll wurde die Ahnlichkeit gedeutet: Bitteres war für Bitteres, Gelbes für Gelbes geſchaffen.

Der gallige Saft des Löwenzahns hat ſich als ein kraftvolles Mittel bei Erkrankung der Gallenwege, der Leber und Nieren bewährt und bei Gelbſucht erwieſen. Der Saft löſt, reinigt, ſcheidet aus, regt die ſtockende Galle zu vermehrter Abſonde⸗ rung an und klärt trübes Blut. Der flutende Kreislauf der Löwenzahnmilch, wird er nicht gleichſam im Kreislauf des Blutes geſpiegelt? Heilwirkend angewandt, ſenkt er erhöhten Blutdruck, erhöht er geſenkten. Er ermuntert die träg gewordenen Drüfen und bewegt Blut und Waſſer gleich Fluͤſſen und Bächen, die nicht länger geſtaut find. Die Röhre des Blüͤtenſchaftes iſt ein Gleichnis für die Röhren des Leibes: für Luftröhre, Darm, Gallenweg, Adern, Nieren und Harngefäße. Die ſonnenhafte Blüte ſtellt die Sonne des Geſichts dar, das Auge. Wie ſich abends das Auge zum Schlummer ſchließt, ſo tut ſich die Blume zu. In Auge und Blüte iſt der Wechſel von Tag und Nacht ausgedrückt, Licht und Finſternis. Weichen foll die Finſternis der Krankheit und anbre⸗ chen der Tag der Geſundheit. Auftun ſoll ſich das reine, geſunde Auge Augenwurzel fei der Löwenzahn! Die Volksheilkunde ver- wendete auch ehemals die Tinktur aus Wurzel und Saft dazu, entzündliche Augenkrankheiten zu heilen.

Mannigfaltig ſind die Tugenden der alltäglichen und reichen Pflanze; wahrſcheinlich ſind noch nicht alle ihre Kräfte erforſcht. Sie iſt eine benedeite Arznei. Preis ihr! Sie gehört zu den großen Wohltätern des Menſchen. Niemals werden ſich ihre Gaben er⸗ fchopfen. Noch am letzten Erdentag wird fie friſch fein und einem

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Kranken Linderung ſchenken. Ihr goldener Teppich wird dann wie je und je in den Ather emporrollen, aus dem der himmliſche Fruͤh— ling heraustritt. Und Sibylle, das ſelige Mädchen, wird zu ſeinen Füßen ſitzen, die Schmetterlingsflügel ausruhend gefaltet und eine wenzahnlampe in der Hand. Sie bläſt mit geſpitztem Mund anmutig in die Gloriole, und wie Nebelflöckchen verſchweben die Fallſchirme zu andern Sternen, wo es keinen Löwenzahn gibt. Keines der kleinen Lichtlein wird auf der Scheibe der Samenkrone zurückbleiben die Löwenzahnuhr iſt abgelaufen. Und indem ſich das kleine Wölkchen auflöſt, wird der Geſang der Bienen in den letzten wenzahnwieſen aufbraufen, und wie ein Schluchzen tönt die Sommerendweiſe: Trinkt, ihr Immen, trinkt, ehe die Löwen— zahnſonne ſinkt!

Und alle trinken noch einmal vom Honig der Erde.

Wie aber wird es mit mir ſein?

Ich befrage das Orakel des Löwenzahns und blafe eine Lampe aus. Die Rauchfederchen wirbeln davon, keines bleibt zurück. Die einen ziehen mit der Luftſtrömung, die andern ſinken zu Boden. Meine Blumenſcheibe iſt geleert, doch iſt ſie nicht ganz weiß. Sie zeigt eine ſchwärzliche Farbe, wie wenn die Lampe nicht rein ge— brannt hätte. Ihr Boden iſt berußt. Bedenklich! Ich käme nicht in den Himmel, verſichert Sibylle, die Scheibe betrachtend. Sie ſei nicht weiß und klar. Ein angedunkelter Fruchtboden ſei ein un⸗ günffiges Vorzeichen.

Ich Unſeliger! An meinem Fruchtboden werde ich erkannt werden. Nicht verwunderlich! Ich habe mich zu ſehr der irdiſchen Liebe ergeben. Auch bin ich mit einem Naturweſen befreundet, mit einer Blumenfee und Waſſernixe. Eine heidniſche Freundſchaft. Bekümmert betrachte ich die ausgelöſchte Lampe. Meine Flamme hätte klarer brennen ſollen. Mein Feuer war nicht ſtark, nicht gut genug. Ihm mangelte der hell anfachende Luftzug des Geiſtes. Dennoch ſchöpfe ich Hoffnung. Habe ich nicht die Erde geliebt, Gottes Werk, und habe ich nicht die Sonne verehrt und die Wolken gerne gehabt? Habe ich mich nicht zu dem kleinen Gras niedergebeugt, und neigte ich mich nicht demutsvoll und vertrauend zu den wilden Feldblumen? Habe ich nicht begriffen, welch ein hohes Meiſterſtück der Natur der Löwenzahn iff? Und habe ich

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nicht allen Hochmut bei den mächtigen und geiſtvollen Feldkräu⸗ tern abgelegt? Und war ich nicht froh, im früheſten Frühling das Leberblümchen zu erſchauen und in feiner blauen Blüte das Auge Gottes oder eines ſeiner Geiſter? Komm herein! wird ſicherlich der Herr zu mir ſagen, wenn ich einſt vor ſeiner Tür ſtehe, meine ausgeblaſene Lebenslampe in der Hand. Zwar halten die zünftigen Botaniker nichts von deinen Blumenbildern, und die echte Wiſſenſchaft kennt nicht deinen Namen. Du biſt auch ſonſt nicht gerühmt worden. Aber du haſt meine Blumen geliebt. Komm herein! Ich brauche einen ver⸗ ſtändigen Mann für die Himmelswieſen. Beſchreibe ihre Blumen und erforſche ihre Geheimniſſe! So wird er zu mir ſagen. Und ich werde zu den ewigen Feldblumen hineingehen.

Aus dem Buch „Sibylle und die Feldblumen“

*

Dante / Das Fegfeuer Zweiter Geſang

E⸗ rührte ſchon der Some lichter Rand Den Horizont, des Mittagskreis den Bogen Zum Scheitel über Zions Zinnen ſpannt; Und gegenüber ſtieg aus Ganges’ Wogen Die Nacht und kam, die Waage in der Hand, Die wachſend ſie verliert, heraufgezogen: Drum ſafranfarb bereits, wo ich nun ſtand, Vor Alter glänzt' Auroras holde Wange, Die weiß und roſenrot zuvor entbrannt. Wir ſtanden noch am Strande, wie wer lange Zuvor ſich ſeinen Weg bedenkt und geht Mit Wunſch und Willen, eh der Fuß im Gange: Und ſieh! Wie Mars oft, eh der Frühwind weht, Sank er im Weſt zum Meeresſpiegel nieder, Rotglühend hinter dichten Dünſten ſteht,

So ſtrahlte mir - a fab ichs einmal wieder! Ein Licht, und übers Meer hin flogs heran, Wie keine Schwinge ſchnellt ihr Fluggefieder.

Ich blickte fragend meinen Führer an,

Und als ich wieder drauf mein Auge richte, Schiens heller ſchon, und größer ward es dann.

Nun ſtrahlt' es beiderſeits in weißem Lichte Ich fab nicht, was - und auch am untern Rand Kam weißer Schimmer mählich zu Geſichte.

In Schweigen alleweil der Meiſter ſtand,

Bis in dem erſten Weiß ſich Flügel zeigen; Doch als er nun den Fergen recht erkannt,

Da rief er: „Eile dich in Staub zu neigen!

Sieh, Gottes Engel: falte deine Hände! Siehſt ſolche Boten nun herniederſteigen.

Sieh menſchlich Werkzeug ihn verſchmähn, als ſtände Kein Ruder ihm, kein ander Segel an Als nur ſein Flügelpaar zur fernſten Lände.

Schau, wie ſo ſteil ſich reckend himmelan,

Die Lüfte teilt das ewige Gefieder, Das nie, wie Erdenflaum, ſich wandeln kann!“

Nah kommend nun und näher ſtrahlt' er wieder, Des Himmels Slügelbote, lichtrer Helle,

Daß in der Näh ichs nicht ertrug und nieder

Mein Auge ſenkte. Und ſein Schifflein ſchnelle, Das leichte, ließ er ans Geſtade gleiten

Das furchte kaum mit ſeinem Kiel die Welle.

Auf ſeiner Stirn den Glanz der Seligkeiten,

Am Heck der gottgeſandte Schiffer ſtand, Und mehr denn hundert Seelen ihm zur Seiten.

„Da Iſrael zog aus Agyptenland“,

Den Lobpſalm ſangen ſie und bis zum Ende Mit einer Stimme alle miteinand. Noch hob er, ſegnend mit dem Kreuz, die Hände,

Drauf warf hinab zum Strand ſich Paar für Paar,

Und er ſtieß ab, raſch, wie er kam zur Lände.

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Die dort zurid am Lande blieb, die Schar Blickt in die Runde, landfremd wie mich däuchte, Wie wer da lauter Neues wird gewahr.

Rings ſchnellte Pfeile lichten Tags die Leuchte Des Himmels, die vom Mittagskreiſe grad Mit flammendem Geſchoß den Steinbock ſcheuchte:

Da hob zu uns die Stirne auf und bat Der neuen Pilger Schar: „So ihr imſtande, Zum Berg zu gehen weiſet uns den Pfad.“

Virgil darauf: „Ihr wähnet hierzulande Des Ortes wohl uns kundig? Juſt wie ihr Fremdlinge ſind wir ſelbſt an dieſem Strande;

Nur eben, eh ihr kamet, kamen wir:

Auf andren Wegen, rauh und ſtreng zu gehen, Daß Kurzweil uns bedünkt das Klimmen hier.“

Die Seelen, die an meines Odems Wehen Gewahrt, daß Lebenshauch mich noch durchdringt, Sie blieben blaß vor Staunen vor uns ſtehen;

Und wie den Boten, der den Olzweig bringt,

Um Kunde zu empfahn, in dichtem Schwalle,

Sich drängend ohne Scheu, das Volk umringt, So ſtarrten mir die heilsgewiſſen alle,

Die Seelen ins Geſicht, vergeſſend ſchier

Die Heiligung von ihrem Sündenfalle.

Und aus dem Schwarme ſah ich nahen mir So ſehnſuchtsvoll mich zu umfahn die eine, Daß gleichen Sehnens Drang mich zog zu ihr.

O Schemen, wirklich nur dem Augenſcheine! Dreimal mit Armen wollt ich ihn umfangen, Dreimal ſtatt ſeiner Bruſt drückt ich die meine.

Wohl malte Staunen ſich auf meinen Wangen; Drum lächelt er, dieweil er rückwärts wich, Und vorwärts drängend kam ich nachgegangen.

Von ihm zu laſſen, bat er ſänftiglich;

Da kannt ich ihn und bat ihn nach Gefallen Zu harren, Rede mir zu ſtehn, auf mich.

Und er: „Wie dort im Fleiſche du vor allen

Mir lieb, ſo lieb ich dich, von ihm befreit.

Gern wart ich. Doch warum willſt du hier wallen?“ „D mein Caſella, daß ich einſt bereit

Zur Wiederkehr, muß dieſen Gang ich wagen,“

Sagt ich, „doch was nahm dir ſo lange Zeit?“ Und er: „Nicht darf ich über Unbill klagen,

Wenn er, der aufnimmt, wen er will und wann,

Die Fahrt mir mehr als einmal abgeſchlagen: Sein Wollen hält gerechter Will in Bann.

Jetzt freilich nimmt er, ſeit drei Monden grade,

Jedweden, wer da will, in Frieden an. Auch mich, der damals harrte, zum Geſtade,

Wo Tibers Flut in Salz taucht, hingewandt,

Auch mich nahm jetzt er auf in ſeiner Gnade. Zur Münde dort er nun den Fittich ſpannt:

Dort ſammelt ſtets ſich, was beim letzten Gange

Nicht niederfährt zum acherontiſchen Strand.“ Und ich: „Wenn nicht die Luſt am Minneſange

Und ſeine Übung neue Pflicht dir wehrt,

Der oft mein Herz geſtillt mit feinem Klange, O tröſte meine Seele, die, beſchwert

Mit Fleiſch und Bein, gewagt hier einzudringen

Und ſich in ſolcher Bangigkeit verzehrt!“ „Minne, die ſpricht im Sinne ...“, fo zu fingen

Begann er da, holdſelig, daß ſeither

Im Innern mir die ſüßen Töne klingen. Der Meiſter, ich, der Pilger ganzes Heer,

Wir ſtanden freudevoll um ihn im Kreiſe,

Als läg uns ſonſten nichts am Herzen mehr; Andächtig lauſchten alle ſeiner Weiſe

Da ſieh, der Alte! „Säumige Seelen ihr,

Was ficht euch an?“ ſo rief der würdige Greiſe: „Was ſoll die Läſſigkeit, das Raſten mir?

Zum Berge, auf, der Hülle los zu werden,

Die Gott zu ſchaun dem Blicke wehret hier!“

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Wie Tauben auf der Weide, die in Herden Voll Ruhe Körner picken oder Saat, Still, ohne die gewohnten Trutzgebärden, Wie die, wenn irgend, was fie fuͤrchten, naht, Im Nu die Atzung laſſen, weil dem Drange Gewalt ein übermächtig Drängen tat: So ſah ich laſſen jene Schar vom Sange Und, wie wer flieht und weiß noch nicht wohin, Enteilen gleich, hinan zum Bergeshange. Nicht ſäumiger war unfrer Flucht Beginn. Aus Dantes Göttlicher Komödie, übertragen von Friedrich von Falkenhauſen

*

Ricarda Huch / Erinnerung

Ich freute mich auf Trieſt, namentlich auf das Meer, und als wir abends ankamen, verlangte ich trotz der fpäfen Stunde es noch zu ſehen. Sofort aber hatte ich den Eindruck, daß weder die Stadt noch das Meer meinen Erwartungen entſprachen. Trieſt hatte nicht das Monumentale, auf Schritt und Tritt das Auge durch Schönheit Beglückende, was den meiſten italieniſchen Städten, dagegen das Schäbige und Herabgekommene, was einzelnen von ihnen eigen iſt, was dort, verglichen mit den einſtigen Herrlich— keiten, tragiſch anmutet, hier verſtimmte. Und das Meer! Es war nicht das elementariſche Ungeheuer, das ich zu ſehen erwartete, es war wie die laufende Möwe, die vom dämoniſchen Räuber zur watſchelnden Ente geworden iſt; kriecheriſch duckte es ſich unter der druckenden Luft: Nur wenn die Bora blies, der heroiſche Wind von Trieſt, ſprang es wie in einem Freiheitsrauſch hoch auf in zackigen, ſchwarzblanken Wellen. Der ſonntägliche Spaziergang nach dem berühmten Schloß Miramar, der am Meer entlang führte, war für mich der Inbegriff der Langweile; die Wagen der reichen Trieſtiner, die im langſamen Tempo hintereinander fuhren, und die Fußgänger auf der ſtaubigen Straße ſchienen eine unvermeidliche, trübſelige Zeremonie auszuführen.

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Wir fliegen zuerft, es war im Spätherbſt, in einer Penſion ab. Als ich im Frühling von einer kleinen Reife zurückkehrte, über: raſchte mich mein Mann damit, daß er eine Wohnung gemietet und eingerichtet hatte, was er in ſo kurzer Zeit zuſtande bringen konnte, weil er bereits eine Anzahl Patienten hatte, die ſich be- eiferten, ihm gefällig zu ſein und zur Hand zu gehen. Sogar für eine Bedienung hatte er geſorgt: es war eine ältere Frau, die des Morgens kam und blieb, bis ſie nach Tiſch die Küche in Ordnung gebracht hatte. Sie hieß Fanny Calcina, war aber gewohnt, Gio— vanna genannt zu werden. Sie konnte einfache italieniſche Gerichte zubereiten, vor allem Riſotto und Polenta; ich hatte in Wien allerlei aufgeleſen, und ich zweifelte nicht, daß wir mit Hilfe von Kochbüchern das Beftmögliche hervorbringen würden. Ich beſaß aus meiner norddeutſchen Heimat die Davidis, eine weitherzige Seele, die mit zahlloſen Eiern und rieſigen Kalbskeulen wirtſchaf— tete, und das klaſſiſche Wiener Kochbuch, die Prats, das mir Max Kalbeck zum Abſchied geſchenkt hatte mit einem anmutigen Wid— mungsvers, in dem ſich alles auf Prats reimte. Wir hatten einen großen italieniſchen Herd mit offenem Feuer; während wir an dieſem tätig waren, pflegte mir Giovanna aus ihrem Leben zu er: zählen. Sie ſprach, wie es zuweilen Leute aus dem Volke tun, an— ſchaulich und bilderreich und mit ſichtlicher Luft am Wort. Sie konnte einen wohl an die Viehmännin mahnen, die den Brüdern Grimm einſt Märchen erzählte; aber die großartige Südlände— rin, die nicht ohne erſchreckende Härten war, unterſchied ſich doch auch wieder ſehr von der gemüfpollen deutſchen Frau. Giovanna hatte die ſchöne Gabe, das, was fie erlebte, in ruhiger, heller Seele aufzufangen, als hätten nicht inzwiſchen Gewitter und Stürme dieſen Spiegel verdunkelt. Ihr Mann hatte ſie mit ſechs oder ſieben kleinen Kindern verlaſſen, die ſie nun allein in mühſeliger Arbeit durchbringen mußte. Jetzt hatte ſie noch für den Jüngſten zu ſorgen, der an Krücken ging und durch und durch krank war. Er intereſſierte mich doppelt, weil er Riccardo hieß. Sie liebte ihn zärtlich und war glücklich, wenn ich ihr etwas gab, was fie ihm mitbringen konnte; trotzdem merkte ich, daß ſie im Grunde auf ſeinen Tod wartete, der ihn und ſie erlöſen würde. Was ſollte aus ihm werden, wenn ſie nicht mehr für ihn arbeiten konnte?

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Ich bewunderte diefe Frau, die mit Humor und großartiger Überlegenheit von den Leiden und Kämpfen ihres Lebens ſprach, als gingen fie fie perſönlich nichts an, und in der eine lebenslange Folge von Entbehrungen und Enttäuſchungen keine Bitterkeit erzeugt hatte. Freundlichkeit war ihr ſo eigen, daß ſie ihre Ge⸗ ſichtszůge geprägt hatte.

Im Sommer wurde es ſehr heiß. Da ich viel Bewegung gewöhnt war, ſtand ich früh auf und ging vor dem Frühſtück eine Stunde ſpazieren; ſpäter wäre es unmöglich geweſen. Zu Hauſe bei ge⸗ ſchloſſenen Läden war es leidlich. Man ſah durch die Sparren der Jalouſie die violetten Karſtberge; durch die ſiedende Luft drang kein Laut, außer daß zuweilen ein Verkäufer ſeine Ware ausrief: capuzzi! capuzzi! langgedehnt und ſchwermütig. Gegen Abend ſtellten wir uns zuweilen vorn auf einen Wagen der Trambahn und fuhren hin und her, um den durch die ſchnelle Fahrt erzeugten Luftzug zu genießen.

Für den Anfang September erwarteten wir die Geburt unſeres Kindes; in der zweiten Hälfte des Auguſt kam eine Freundin, die wie ich in Zürich ſtudiert hatte und noch als Aſſiſtentin dort tätig war, um mir während dieſer Zeit zur Seite zu ſtehen. Sie und mein Mann verſtanden ſich gleich ſehr gut, und da wir alle drei gern lachten, ging es luſtig zu, wenn wir zuſammen waren. Ein⸗ mal begegneten wir in unſerer ausgelaſſenen Stimmung dem Arzt, der mich betreute. Er war ein auffallend ſchöner Mann, männlich von Charakter und Erſcheinung. Er ſah uns etwas über⸗ raſcht an und glaubte ſich verpflichtet, mich aufzuſuchen und mir auf fhonende Weiſe zum Bewußtſein zu bringen, daß ich einer ernſten und nicht gefahrloſen Stunde entgegengehe. Wenn er annahm, daß wir ſehr unerfahren und ahnungslos waren, hatte er nicht unrecht; ich, ſechs Jahre älter als mein Mann und zehn Jahre älter als meine Freundin, hätte es am wenigſten fein fol: len; aber ich war zu ſorglos und unbekümmert, als daß ſeine Mahnung Eindruck auf mich gemacht hätte.

An einem der erſten Septembertage wurde bei Beratung des Speiſezettels der Wunſch nach Fiſchen ausgeſprochen. Wir aßen ſelten Fiſch, weil der Fiſchmarkt, wo er gekauft werden mußte, weit von unſerer Wohnung entfernt war; daher kam es, daß ich die

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italieniſchen oder ortsüblichen Namen für die verfchiedenen Fiſche nicht gut kannte. Ich entſchied mich für einen wohlſchmeckenden Fiſch, der, weil er ganz klein iſt, mit Kopf und Schwanz gegeſſen wird, und überlegte mir, daß ich etwa neun Stück auf die Perſon rechnen müffe. Als ich Giovanna auftrug, ſechsunddreißig Fiſche von dieſer Sorte zu bringen, auf deren Namen ich mich nicht mehr beſinne, ſah ſie mich etwas erſtaunt an, ſagte aber nichts, und ich beachtete es nicht. Ich hatte den Namen des Fiſches mit dem Namen eines anderen verwechſelt! Giovanna kam, ſechsund— dreißig voluminöſe Tiere ſchleppend, vom Markt zurück. Der Chimboraſſo von Fiſchen, der mittags vor uns aufgetürmt wurde, erregte großes Vergnügen. Mein Mann konnte aus einem un— ſcheinbaren Anlaß ein unendliches Feuerwerk von Witzen ſchlagen. Vor Jahren hatte ich in der Literaturſtunde von einem ſatiriſchen Dichter gehört, deſſen Hauptwerk dreißig Epigramme auf Herrn Wahls große Naſe waren; die fielen mir dabei ein. Ain Abend gingen wir, die Abkühlung der Nacht erhoffend, in den unſerer Wohnung gegenüberliegenden Giordino publico und aßen Eis. Wenn wir mitten in einem Geſpräch über entlegene Dinge waren, kam mein Mann mit einer überraſchenden Wendung wieder auf die ſechsunddreißig Fiſche und löſte durch die bloße Berührung des Wortes unſer Gelächter aus. Am folgenden Morgen meldete ſich das Kind; ich habe immer angenommen, es ſei ein Kind des

Lachens geweſen. *

Otto Freiherr von Taube / Septemberterzinen

Settembre, andiamo. E tempo di migrare. Gabriele d' Annunzio

September. Komm, denn es iff Zeit zu wandern. Die Felder ſtehn nicht mehr im dunſtigen Brand, In milder Klarheit dehnt ſich eins am andern.

In Klarheit weiſt die Straße durch das Land; Den Kronen, die ſie beiderſeits umſäumen,

Entfallen Früchte ſchon auf ihren Rand.

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Jetzt iſt das Gehn nicht Mühn. Es iſt ein Träumen, Ein felbftvergeffenes ganz gelöſtes Glück: Dies Schreiten unter fruchtbehangenen Bäumen.

Und kaum bewußt erhebſt du Stück für Stück, Das dir zu Füßen tropfte, zum Genießen Und wandelſt fort und ſchauſt niemals zurück.

Wozu auch rückſchaun? Wo du, hingewieſen Von deiner Bahn, nur Bäume ſchauſt und Licht Blau, ſeliges, über Ackern, über Wieſen;

Wo ein Gewölbe, blau, das niemals bricht Und ſtets ſich dehnt und mit dir weiterſchreitet, Dir Zuverſicht in deine Seele ſpricht,

Auch überm Wald ſchaut, der dich bald umbreitet, Auch, wo du jetzt aus ſeinem Schatten gehſt, Sich ſtrahlend über jenen Höhen weitet,

Auch überm Dorf ruht, drinnen du nun ſtehſt Und hinter Zäune, hinter Dornenhecken Verliebt doch neidlos in die Gärten ſpähſt

Nach Ranken, die bis zu den Dächern lecken, Nach Kronen - ſchon vergilbt - nach all der Flut Von Blumen, gold und roten Feuerflecken.

Und einem Flammenrauſche ohne Wut,

Nur mild und zart, erliegen Sinn und Denken. Go ſtehſt du da und fühlſt dich reif und gut Und biſt auf kurz gefeit und nicht zu kränken.

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Vinzenz Raimund Grüner

Umrißzeichnung zu Goethes Pandora in der Inſel- Bücherei

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Vinzenz Raimund Grüner Umrißzeichnung zu Goethes Pandora

Rainer Maria Rilke / Drei Briefe aus der Kriegszeit

An Thankmar Freiherrn von Münchhauſen

Am Tage Mariä Himmelfahrt 1914

115. Auguft) Mein lieber Thankmar,

Ihre Mutter hätte mir nichts Herzlicheres tun können, als mir dieſen Briefumſchlag ſchicken, in den ich nun ſchnell dieſen Gruß einſchließe, mit ein paar Gedichtzeilen aus den erſten Tagen dieſes ungeheueren Auguſt. Durch Hellingrath (der morgen als Freiwilliger einrückt) erfuhr ich ſchon von der ſchönen Möglichkeit für Sie, als Fahnenjunker an dem Handeln dieſes Weltjahrs teilzunehmen; niemand hats ſchwerer, als wer unhandelnd zurückbleibt: wird er überhaupt die übernächſte neue Zeit begreifen, die fo anders fein wird? Nun find Ihre unentſchloſſenen Pläne Ihnen durch ein ent: ſchloſſenes allgemeines Schickſal abgenommen worden ich kann mir vorſtellen, daß dies eine unvergeßliche Freude iſt, ſo mit einem in Einer Gewalt und Einem Gefühle zu ſein, beſon— ders nach den vielwilligen Zeiten, die uns alle längſt beirrt und er⸗ můdet haben. Ich bin in Geiſt und Herzen recht treu auf Ihrer Seite, Lieber,

Ihr Rilke

An Thankmar Freiherrn von Münchhauſen

3. Z. (höchſt vorläufig) Widenmayerſtraße 32 III, am 28. Juni 1915 Guter Freund,

das war mir herzlich, nach der Karte zu greifen, auf der ich endlich wieder Ihre Schrift erkannte! Gott ſei Dank, es geht Ihnen verhältnismäßig gut, der nicht zu eindringliche Eingriff des Schick⸗ ſals hat Ihnen einige Ruhe und Wochen des Beiſammenſeins mit Ihrer Mutter gebracht, das wird Ihnen Beiden güfig und

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ergiebig geworden fein in diefen, man möchte denken, Arges wie Gutes übertreibenden Zeiten.

Denn fo Gutes, wie Wiederſehen, muß eine Süßigkeit haben, die man ihm ſonſt nie zuzuſchreiben wüßte; das ungeheuere Unheil ſchafft eine neue Skala des Empfindens, da es ſo tief herunter⸗ reicht, ſteigt es auch weiter an, iſt es auch mehr, was man fühlt? Oder lieſt man nur einfach Fahrenheitſche Lebensgrade ab, ſtatt wie ſonſt Reaumur?

Unſereiner, Lieber, der ſo ganz Nichtkombattant geblieben iſt, hat viel Zeit zu zweifeln: es iſt wohl immer, ſagt ſich unſereiner, alles Elend da und alle Not bis zur äußerſten. Es iſt immer die ganze Not in Gebrauch unter den Menſchen, ſoviel da iſt, eine Konſtante, wie es auch eine Glückskonſtante gibt; nur die Ver⸗ teilungen wechſeln. Wer nicht gewußt hätte, daß es ſoviel Not gibt, an dem wärs jetzt, erſchüttert zu fein. Aber wer, wahrhaft Lebendiger, hat das nicht gewußt? Wunderbar freilich iſt die Sichtbarkeit des Ertragens, Hinnehmens, Leiſtens ſo großer Not auf allen Seiten, bei Allen. Größe kommt an den Tag, Stand⸗ haftigkeit, Stärke, ein zum⸗Leben⸗ſtehen quand-méme - -, aber wieviel in ſolchem Verhalten iſt Verbiſſenheit, iſt Verzweiflung, iſt (ſchon ſchon) Gewohnheit? Und kaum, daß ſo Großes ſich zeigt und bewährt, kann das irgend den Schmerz mindern, darüber, daß ſolches Wirrſal, ſolches Nicht-aus-und⸗ein-wiſſen, die ganze trübe Menſchenmache dieſes heraufgereizten Schickſals, daß genau dieſe Nichts⸗als⸗Heilloſigkeit nötig war, um Beweiſe von Herzhaftig- keit, Hingabe und Großheit zu erzwingen? Während wir, die Künſte, das Theater, in eben denſelben Menſchen nichts hervor- riefen, nichts zum Aufſtieg brachten, keinen zu verwandeln ver— mochten. Was iſt anderes unſer Metier, als Anläſſe zur Verände— rung rein und groß und frei hinzuſtellen, haben wir das fo ſchlecht, ſo halb, ſo wenig überzeugt und überzeugend getan? Das ijt Frage, das iff Schmerz ſeit bald einem Jahr, und Auf— gabe, daß mans gewaltiger täte, unerbittlicher. Wie?!

Lieber Thankmar, fo ſiehts bei mir aus, innen. Außerlich rüſt ich mich, aufs Land zu gehen, wenn ſich ein kleines Landhaus findet, wie ich es (für mich allein) ſuche; ſitze vorläufig hier in der Wob- nung von Bekannten (die aufs Land gegangen ſind) mit dem

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ſchönſten Picaſſo (den „Saltimbanques“), in dem fo viel Paris iſt, daß ich, für Augenblicke, vergeſſe.

Schreiben Sie mir wieder und ſagen Sie Ihrer guten Mutter alle meine Verehrung.

Ihr getreuer Rilke

An Gräfin Aline Dietrichſtein Chiemſee, Herren-Inſel, Schloßhotel, am 26. Juni 1917

Meine liebe Gräfin Aline,

es geht mir hier wie in München: daß immer wieder zu viele Be— kannte da find, die mich in Geſpräche ziehen —, bei der jetzt fo ge: ringen inneren Spannung reicht es dann kaum mehr zum Schrei— ben, in demſelben Maße, als ich in perſönlichem Umgang mit— teilſam ſein muß, nimmt meine Schreibfähigkeit ab: dies aber nur zur Erklärung, warum ich Ihnen nicht raſcher wieder ge— ſchrieben habe. Ich habe viel an Sie gedacht, das darf ich Ihnen verſichern, und manches Erfreuende gewiſſermaßen für Sie ge— ſehen, ſo geſtern das Eichhörnchen, das mitten in einem Garten— weg der großen Schloßterraſſe mir entgegenlief, immerzu, bis dicht vor meine Füße, erſt da überwog Verdacht und Befrem— dung ſeine Neugier und Abenteuerluſt, es bog quer durch den Raſen ab und nahm einen Umweg, - nun aber auch gleich einen extremen, nicht über die flache Erde, ſondern indem es feinen aus: weichenden Bogen hoch in die Aſte verlegte und nun von Baum zu Baum überſprang bis ins dichtere Gehölz hinein. Damit habe ich Ihnen nun auch gleich die ſchöne Terraſſe genannt, die vor dem ſogenannten „alten Schloß“, der früheren Auguſtinerabtei, mit einem leichten Schwung, wirklich wie ein hängender Garten eingerichtet iſt, drei Wege, der Fronte des Schloſſes parallel, der am Schloß entlang führende etwas, eine Spur nur, höher an— gelegt, dazwiſchen Raſenplätze und hellſtehende Platanen, das Ganze gegen den Lindenplatz, der jetzt Reſtaurationsgarten iſt, durch eine dichte Buchenkurtine abgeſchloſſen, ſo daß man, durch

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fie, wie in einen lichten Saal unter die Platanen tritt, keine Farbe als helles Grün und die grau und gelblich gefleckten Platanen⸗ ſtämme, nur am Rande des Schloſſes entlang ein Begonienband vor einer Reihe höherer Fuchſien: ſo haben Sie die Terraſſe, von deren äußerſtem Wege aus, über ein unter ihr gelegenes Wieſen⸗ land hin, man den See überſchaut, und in ihm die beiden Eilande, für die ich am Schluſſe meines letzten Briefes das richtige Gleich⸗ nis gefunden habe: wirklich fo medaillonhaft wehmuͤtig enthalten fie ſich ſelbſt dieſe beiden Inſelovale. Die Fraueninſel müffen Sie ſich viel kleiner vorſtellen, als dieſe hier mit ihren königlich auf- gepflegten Wäldern; von der Herreninſel müßte man ſagen, daß ihre hohen Bäume aus Stolz, vielleicht nicht ohne Trotz, ſo groß geworden ſind, das geſchonte Leben der Kloſterherren hat ſich in dieſen Buchen und Eſchen und Kiefern berechtigt und ſelbſtbewußt zum Himmel erhoben und ausgebreitet, während die berühmten Linden (fie blühen jetzt), die drüben auf dem Anger des Frauen⸗ kloſters ſtehen, aus Stille und Innigkeit durch die Jahrhunderte ſo groß geworden ſind. Die Herreninſel iſt ein einziger, jetzt ganz erſchloſſener Waldpark, die Inſel Frauenwörth, heute noch klö— ſterlich, trägt noch eine Welt der Einkehr mit vielen Mauern und Unzugänglichkeiten, in deren lichte reine Ordnung manchmal ein Gittertor zögernd erlaubten Einblick gewährt. Was ſonſt, im Freien, die Inſel bevölkert, ſind die kleinen Gewerkleute, Fiſcher, Zimmerer, Schloſſer und Gärtner, die ſeit immer im Kloſterver— hältnis ſtehen; die bilden mit ihren blumenüberladnen Gärtchen und neugierig befenſterten Häuschen eine offene Welllichkeit, die über die Natur hinüber, unmerklich in den verſchwiegenen und verheimlichten Bereich der Nonnen übergeht. Den Übergang bildet der blumige Kirchhof, am Kirchenweg rechts und links an⸗ gelegt; hinter einer Hecke ein nicht mehr für Gräber benutzter ſanfter Wieſenhang, an deſſen höchſter Stelle der uralte Glocken— turm ſich erhalten hat, alleinſtehend, zwiſchen ihm und der Kirche, drängt ein alter Holunderbuſch blühend herüber. Mit dem Turm iſt, ſo wie man ihn gewahrt, die kleine Inſel ſamt ihrer innigen Natur an die Vergangenheit geheftet, der Turm ſetzt Daten und löſt ſie alle wieder auf, indem er, ſeit er ſteht, Zeit und Schickſal hinausläutet über den See, als ob er die Sichtbarkeit aller hier

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aufgegebenen Leben in ſich zuſammenfaßte und immer wieder ihr Vergängliches unſichtbar, in der ſonoren Verwandlung der Töne, in den Raum hinübergäbe. Der Inhalt wie vieler Leben iſt in dieſem Läuten vergangen und zergeht drinnen in der Kirche in den verſchwebenden Stimmen immer anderer Frauen, die, vom Nonnenchor aus, gegen Altäre und Pfeiler und Wölbungen an— ſingen. Manchmal meint man, wenn man gegen Abend allein in der Kirche ſitzt, und der Abendſchein, der durch die beiden länd— lichen Gitterfenſter der hinterſten Kapelle hereinſtrahlt, richtet dort etwas wie eine Wohnung ein, man meint, es müſſe aus ſo vielen verſungenen Stimmen ein wiederum Sichtbares ſich niederſchlagen; geht man aber dann die Nebenſchiffe entlang und tritt in die Seitenkapellen ein, fo iſt [es] grade noch hell genug, daß man da und dort die Figur einer Abtiſſin, im Schriftrahmen des Grabſteines, erkennen kann, jeweils einer einzigen geſtrengen Frau, die dafür Zeugnis ablegt, daß es ihr gelungen iſt, in ihrer Geſtalt und in ihrem Gewand alle ihre Anvertrauten maßgebend zu vertreten und zu verſchweigen. Irgendwo auf den tiroliſchen Beſitzungen des Kloſters iſt der rote Marmor gebrochen wor— den, aus dem alle dieſe Grabmäler gebildet ſind, meiſtens die Abtiſſin ſelbſt darſtellend, überragt von der üppigen Spirale des hohen Stabes, in ihrer geſchloſſenen, herrſchenden Tracht, die in parallelen Falten hinunterweiſt, wo, zu ihren Füßen, ihr rühm⸗ liches Wappen neben dem alten Kloſterwappen ausgehauen er⸗ ſcheint, den zwei gekreuzten, in gewechſeltem Feld aufrecht ſtehen⸗ den Waſſerroſenblättern. Aber ſelbſt von den Regentinnen auf Frauenwörth: wie wenig hat ihr Tod ſo geſtaltet überdauern laſſen. Nur einige wichtigere oder vom Zufall geſchonte Steine find erhalten geblieben, während die Überlieferung, bis auf karo⸗ lingiſche Königstöchter zurück, zweiundfünfzig Abtiſſinnen zählt. Nach einer vorübergehenden Aufhebung des Kloſters im Jahre 1803 geht die erneute Reihe weiter, und denken Sie, daß nun dieſer lieblich entlegenen klöſterlichen Gemeinſchaft (ſeit 1913) eine Freiin von Eichendorff vorſteht, die Abtiſſin Maria Placida, eine Enkelin Eichendorffs.

Hab ich Ihnen irgendwie, Gräfin Aline, das gezeigte Oval aus: gefüllt? Ich zweifle, ob ſich einzeln Geſchautes in meinen Zeilen

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zum wirklichen Bild durchringt, es iſt, als ob die zerriſſene Zeit mir verwehrte, in mir die richtige Syntheſe herbeizuführen, - ich merke es auch in meinen Geſprächen und Gedanken, daß ich über⸗ all im Einzelnen ſtecken bleibe. Seien Sie alſo nachſichtig gegen meine nicht ſehr fähige Feder, wenn Ihnen dieſe Blätter nur einen Nachmittag verkürzen helfen und Bilder und Erinnerungen, vor allem aber die Verſprechungen künftiger Reifen und Eindrücke in Ihnen hervorbringen. Ja, nun darf ich Sie aber über das zweite Medaillon, die andere Inſel, die man von meinem Fenſter und von der Platanenterraſſe aus überſieht, nicht im Unklaren laffen: das iſt die Krautinſel, ſeit alters eine Gartendependance der Fraueninſel, auf der das Kloſter und die übrigen Bewohner ihre alten Anrechte auf Garten- und Gemüſeland weitererhalten haben. Man rudert von hier im Boot in zwanzig Minuten hin- über, ſchöner aber iſts hinüberzuſehen, beſonders am Abend, oder wenn ein Gewitter die beiden Inſeln drüben in dunkleren Konturen zuſammennimmt.

Ich bin nun vierzehn Tage hier draußen und muß vor dem Erſten in München zurück ſein, wo mir die Auflöſung meiner Wohnung unruhige Tage bereiten wird. Dort wird ſich dann auch enf- ſcheiden, welches Ausſehen mein Sommer bekommt, ob ich ihn in München, in einem proviſoriſchen Unterkommen, zubringe oder reiſen kann. Für den Ihren ſtehen ſicher die Pläne ſchon feſt, welche es auch ſeien, Sie werden ihn gewiß mit dem Recht der Geneſenden recht innig empfinden und erleben. Immer mit vielen Wünſchen zum Guten

Ihr aufrichtig ergebener Rilke

Aus Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921

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Annette von Droſte⸗Hülshoff / Durchwachte Nacht

Wie ſank die Sonne glüh und ſchwer, Und aus verſengter Welle dann

Wie wirbelte der Nebel Heer

Die ſternenloſe Nacht heran!

Ich höre ferne Schritte gehn

Die Uhr ſchlägt zehn.

Noch iſt nicht alles Leben eingenickt,

Der Schlafgemächer letzte Türen knarren; Vorſichtig in der Rinne Bauch gedrückt

Schlüpft noch der Iltis an des Giebels Sparren, Die ſchlummertrunkne Färſe murrend nickt,

Und fern im Stalle dröhnt des Roſſes Scharren, Sein müdes Schnauben, bis vom Mohn getränkt Es ſchlaff die regungsloſe Flanke ſenkt.

Betäubend gleitet Fliederhauch Durch meines Fenſters offnen Spalt, Und an der Scheibe grauem Rauch Der Zweige wimmelnd Neigen wallt. Matt bin ich, matt wie die Natur! Elf ſchlägt die Uhr.

O wunderliches Schlummerwachen, biſt

Der zartern Nerve Fluch du oder Segen?

's iſt eine Nacht, vom Taue wach geküßt,

Das Dunkel fühl ich kühl wie feinen Regen

An meine Wange gleiten, das Gerüſt

Des Vorhangs ſcheint ſich ſchaukelnd zu bewegen, Und dort das Wappen an der Decke Gips Schwimmt ſachte mit dem Schlängeln des Polyps.

Wie mir das Blut im Hirne zuckt! Am Göller geht Gekniſter um,

Im Pulte raſchelt es und ruckt, Als drehe ſich der Schlüſſel um,

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Und - horch, der Geiger hat gemacht! 's iſt Mitternacht.

War das ein Geiſterlaut? So ſchwach und leicht Wie kaum berührten Glaſes ſchwirrend Klingen, Und wieder wie verhaltnes Weinen ſteigt

Ein langer Klageton aus den Syringen, Gedämpfter, ſüßer nun, wie tränenfeucht

Und ſelig kämpft verſchämter Liebe Ringen; O Nachtigall, das iſt kein wacher Sang,

Iſt nur im Traum gelöſter Seele Drang.

Da kollerts nieder vom Geſtein!

Des Turmes morſche Trümmer fällt, Das Käuzlein knackt und huſtet drein;

Ein jäher Windesodem ſchwellt

Gezweig und Kronenſchmuck des Hains; Die Uhr ſchlägt eins.

Und drunten das Gewölke rollt und klimmt; Gleich einer Lampe aus dem Hünenmale Hervor des Mondes Silbergondel ſchwimmt, Verzitternd auf der Gaſſe blauem Stahle; An jedem Fliederblatt ein Fünkchen glimmt, Und hell gezeichnet von dem blaſſen Strahle Legt auf mein Lager ſich des Fenſters Bild, Vom ſchwanken Laubgewimmel überhüllt.

Jetzt möcht ich ſchlafen, ſchlafen gleich, Entſchlafen unterm Mondeshauch, Umſpielt vom flüffernden Gezweig, Im Blute Funken, Funk' im Strauch Und mir im Ohre Melodei;

Die Uhr ſchlägt zwei.

Und immer heller wird der ſüße Klang,

Das liebe Lachen; es beginnt zu ziehen

Gleich Bildern von Daguerre die Deck entlang, Die aufwärts ſteigen mit des Pfeiles Fliehen;

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Mir iff, als fel ich lichter Locken Hang, Gleich Feuerwürmern ſeh ich Augen glühen, Dann werden feucht ſie, werden blau und lind, Und mir zu Füßen ſitzt ein ſchönes Kind.

Es ſieht empor, ſo froh geſpannt,

Die Seele ſtrömend aus dem Blick;

Nun hebt es gaukelnd ſeine Hand,

Nun zieht es lachend fie zurück;

Und - horch, des Hahnes erſter Schrei! Die Uhr ſchlägt drei.

Wie bin ich aufgeſchreckt, o ſüßes Bild, Du biſt dahin, zerfloſſen mit dem Dunkel! Die unerfreulich graue Dämmrung quillt, Verloſchen iſt des Flieders Taugefunkel, Verroſtet ſteht des Mondes Silberſchild, Im Walde gleitet ängſtliches Gemunkel, Und meine Schwalbe an des Frieſes Saum Zirpt leiſe, leiſe auf im ſchweren Traum.

Der Tauben Schwärme kreiſen ſcheu, Wie trunken, in des Hofes Rund,

Und wieder gellt des Hahnes Schrei, Auf ſeiner Streue rückt der Hund,

Und langſam knarrt des Stalles Tür, Die Uhr ſchlägt vier.

Da flammts im Oſten auf, -o Morgenglut!

Sie ſteigt, ſie ſteigt, und mit dem erſten Strahle Strömt Wald und Heide vor Geſangesflut, Das Leben quillt aus ſchäumendem Pokale,

Es klirrt die Senſe, flattert Falkenbrut,

Im nahen Forſte ſchmettern Jagdſignale.

Und wie ein Gletſcher ſinkt der Träume Land Zerrinnend in des Horizontes Brand.

Aus dem Inſel⸗Band „Deutſche Gedichte“

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S. Salminen / Katrina

Katrina war die älteſte von drei Töchtern eines Bauern im nord- lichen Oſterbotten. Sie war die ſchönſte, die fröhlichſte und die ſtolzeſte der drei Schweſtern. Stark war ſie, jung, rank von Wuchs, und die Arbeit ſchien ihr ein Spiel zu ſein, ob es nun galt, Holz im Walde zu fällen, auf den Feldern zu pflügen und zu eggen oder da⸗ heim auf dem Hof zu ſpinnen und zu weben. Es war eine Freude, Katrina zu ſehen, wenn ſie an einem Winternachmittag mit einem Fuder Holz aus dem Walde heimkehrte und die Sonne hinter der ſchneebedeckten Weite verſank. Da ſaß ſie gemächlich auf der Fuhre, ihre Hände, die in leuchtendblauen, handgeſtrickten, wolle⸗ nen Fäuſtlingen ſteckten, hielten mit ſicherem Griff die Zügel, und die Füße in den prächtigen Langſchäftern ſchlugen keck den Takt zu dem fröhlichen Lied, das ſie ſang. Das Kleid und der Mantel aus dickem, handgewebtem Tuch ſchützten fie gegen die beißende Kälte, und ihre runden Wangen waren unter dem Kopftuch warm und rot wie Vogelbeeren. Die blauen Augen ſtrahlten vor Lebensluſt.

Es gab keinen heiratsfähigen Mann im Kirchſpiel, der nicht ſein Glück bei Katrina verſucht hatte. Ein jeder wollte ſie zu ſeinem Arbeitsgefährten, zu ſeiner Frau und zur Mutter ſeiner Kinder machen. Aber Katrina war jung und unbeſchwert, und noch hatte die Liebe ihr Herz nicht gefangen.

An einem Frühlingsabend begegnete ſie einem jungen Seemann, der mit ſeinen Kameraden von der Küſte hergekommen war. Die fremden Seeleute vertrieben ſich des Abends mit der Dorfjugend die Zeit. Und da ſchlug für Katrina die Schickſalsſtunde.

Es war eine helle Frühlingsnacht, als fie mit dem jungen Gee- mann durch die Felder wanderte. Ein durchſichtiger, verwunſchener Schleier lag über den Wieſen, und im Gras am Wegrand ſchnarrte der Wachtelkönig. Der junge Mann, Johan hieß er, ging mit fei- nem wiegenden Seemannsgang neben Katrina einher; ſeine blauen Augen lugten ſchelmiſch unter der hellen Haarſträhne hervor, die ihm ins Geſicht hing, er ſchwatzte und ſchwatzte, unbekümmert und in einer bezaubernd fremden Mundart.

Biſt du niemals irgendwo anders geweſen? fragte er. Du ſollteſt mal wegfahren und dir die Welt anſehen - nach Aland müßteſt du

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kommen. Da befämff du etwas anderes zu ſehen als diefe eintönige Ebene hier oben. Haſt du denn die nicht ſchon ſatt?

Ach nein, meinte Katrina unſicher.

Ich brächte es nicht fertig, mein ganzes Leben auf einem Fleck zu hocken. Ich müßte etwas von der Welt ſehen aus Abenteuerluſt, verſtehſt du? Nur deshalb fahren wir ja zur See. Glaub nicht, daß wir auf Aland keine Felder hätten! Oh, ſogar große, prachtvolle Bauernhöfe! Ich ſelbſt hab auch einen großen, ſchönen Hof, ein richtiges Herrenhaus: weiß geſtrichen, mit zwei Wohnungen und Balkons. Solch altmodiſche, niedrige Häuſer wie hier gibt es bei uns nicht. Unſere Häuſer ſehen mehr ſtädtiſchen Villen ähnlich. Ja, ich hätte es gar nicht nötig, zur See zu fahren, aber ich will mich ein bißchen umtun, das iſt das Ganze.

Und wer beſtellt die Felder?

Das beſorgen die Knechte. Und außerdem beſtellen die ſich auch beinahe von ſelbſt. Es wächſt ja alles wie Gras. Auf Aland haben wir halt ein anderes Klima, mußt du bedenken, nicht ſolch eins wie hier. Ihr habt wahrſcheinlich einen verdammt kalten Winter und ſehr viel Schnee?

Mitunter kommt es vor, daß wir einſchneien, aber kalt, finde ich, iſt es eigentlich nicht.

Ihr werdet eingeſchneit? Friert ihr dann nicht zuſchanden? Auf Aland iſt das anders. Bei uns fällt ſelten Schnee, aber dafür wächſt eben dort auch alles.

Hier wächſt auch alles. An Roggen und Kartoffeln iſt bei uns kein Mangel.

Roggen und Kartoffeln, haha! Was find Roggen und Kartof— feln! Nein, da lob ich mir ſchon Weizen, richtigen, echten, gold: gelben Weizen und Gemüſe und Obſt, Äpfel...

Apfel?

Natürlich, ſoviel du willſt!

Gibt es auf Aland wirklich Apfel? Katrina ſchien der Gedanke an die Apfel nicht aus dem Kopf zu wollen.

Natürlich gibt es Apfel bei uns. Ich hab ſelbſt einen großen Obſt⸗ garten. Jeden Morgen kannſt du hinausgehen und ſo viele, wie du nur Luft haft, aus dem taufeuchten Graſe auflefen fo viele, wie du Luft haſt: rote und gelbe und grüne und blaue Apfel..

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Blaue Apfel? ſtammelte Katrina verdutzt, aber jetzt war fie be- reits fähig, alles zu glauben.

Ja, ja, blaue Apfel, alle Sorten, alle Farben, ſagte der junge Mann, der bei ſeinem Erzählen in Schwung gekommen war und ſich nicht mehr aufhalten ließ...

Eine nagende Unruhe war über Katrina gekommen. Der Ort, an dem ſie ihre ſorgloſen dreiundzwanzig Jahre verlebt hatte, ſchien ihr unerträglich kümmerlich und ärmlich zu fein. Die Einförmig⸗ keit der Ebene machte ſie krank vor Langeweile. Die weiten, wo⸗ genden Roggenfelder und die dunkelgrünen, üppigen Kartoffel- äcker konnten ihre Augen nicht mehr erfreuen. Sie träumte von goldenen Weizenfeldern und duftenden Früchten Apfeln, vor allem, Apfeln, die dort, viel weiter im Süden, auf den paradieſi⸗

ſchen Alandinſeln gediehen. Sie fing an, auf die ſchwerfälligen, wortkargen Männer ihrer Heimat geringſchätzig herabzuſehen, und betrachtete ihre und ihrer Freundinnen Kleider mit Widerwillen. Jetzt erſt wurde ſie gewahr, wie klobig und geſchmacklos dieſe ſtei⸗ fen, handgewebten Sachen waren. Auf Aland war das anders. Die Männer dort waren weitgereiſt und gewandt und höflich und wußten ſich wie Herren zu benehmen, und die Frauen trugen hüb- ſche Kleider aus Stoffen, die in einer Fabrik gewebt waren. Dort war es auch nicht ſo kalt, daß ſie ſich der Kälte wegen wie Vogel⸗ ſcheuchen ausſtaffieren mußten.

Wider Erwarten hatten die Eltern gegen eine Heirat mit Johan nichts einzuwenden. Der Vater hatte von den reichen Aländern ge⸗ hört und gab gerne zu: Dort, tiefer im Süden, gedieh mancherlei, das hier, ſo hoch im Norden, nicht recht wuchs oder nicht reifte.

Die Mutter wußte von einer Bekannten zu erzählen, die einen Seemann aus Aland geheiratet hatte und ſpäter eine vornehme Frau geworden war. Vor langer Zeit war ſie wieder einmal nach Oſterbotten gekommen, und gar nicht zu beſchreiben, was für feine Kleider ſie da beſeſſen hatte. Zuſammen mit ihrem Mann, der Kapitän geworden war, hatte ſie auf Reiſen gehen können und ſogar London und Paris geſehen.

Katrinas Geſchwiſter verhehlten nicht, daß ſie die ältere Schweſter ein wenig um ihr Glück beneideten, und ſie und die Mutter woll⸗ ten Katrina nun mit einer anſehnlichen Brautausſteuer verſehen.

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Aber davon wollte fie nichts wiſſen. Johan verficherfe, das wäre nicht notwendig auf Aland benutzte man ganz andere Arten Leinen und andere Kleider. Außerdem blieb jetzt nicht mehr viel Zeit zum Spinnen und Weben. Das Schiff, auf dem ihr zukünf⸗ tiger Mann angemuſtert war, ſollte in wenigen Tagen nach Cü: den fahren - und fie mit. Katrinas Mutter war unzufrieden, daß fie ihrer Alteſten nicht die Ausſteuer mitgeben durfte, und der Vaz ter machte ein finſteres Geſicht. Denn was würden die Nachbarn ſagen, wenn feine älteſte Tochter eines Samstagsabends zum Pa: ſtor ging und ſich trauen ließ, ohne die geringſte Feſtlichkeit ſchlimmer als ein Kätnermädel, das gezwungen geweſen war, zu heiraten? Doch jetzt war Johan der einzige, auf den ſie hörte.

Auf der Reife nach Süden wehte ein friſcher, achterlicher Wind, und der kleine Schoner legte die Strecke in weniger als einer Woche zurück. Der Schiffer und die anderen Seeleute fanden es höchſt neuartig und vergnüglich, eine junge Braut an Bord zu haben. Sie hatten Johan eine Einzelkoje überlaſſen und alles ſo bübfch wie nur möglich gemacht. Johan nun, der wußte Katrina im Handumdrehen zu erklären, daß er etwas Beſſeres wäre als die anderen ‚&reife‘ an Bord. Und feine junge, verliebte Frau, die niemals vorher zur See gefahren war, glaubte ihm jedes Wort. Johan ſtammte von einer mittelgroßen Inſel öſtlich der ‚Seften Aland“, wie die Aländer die große Inſel nennen, um die herum die vielen Tauſend kleinen Inſeln, Holme und Schären verſtreut liegen. Dieſe Inſel, Lorsö, hat die Form eines Sterns mit vier Zacken vier Landzungen —, und auf jeder der vier Landzungen liegt ein kleines Dorf. In allen vier Dörfern zuſammen wohnten ungefähr fünf hundert Menſchen, und mitten auf der ffernförmigen Inſel ſtand die Kirche und ſpäterhin auch die Schule.

Am frühen Morgen eines Hochſommertages ging das Schiff in einer kleinen Bucht unter der weſtlichen Landzunge der Inſel vor Anker, und während der Schoner friſchen Proviant einnahm, ſollte Johan die Erlaubnis haben, ſeine junge Frau zu ihrem neuen Heim zu begleiten. Mit dem Schiffer und etlichen Männern von der Be⸗ ſatzung ruderten die beiden an Land: das kleine Boot wurde an einer Landungsbrücke aus roh zubehauenen Pfählen, die von dem felſigen

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Strand ins Waſſer hinausführte, vertäut, und dann blieben Johan und Katrina allein und fingen an, landeinwärts zu wandern. Anfangs ſchlängelte der Weg fic) auf dem ſchmalen Uferffreifen zwiſchen dem Waſſer und einem grauen Bergrücken entlang, aber ganz unvermutet bog er landeinwärts ab, und zu ſeinem Erſtaunen bekam der Fremde da etwas zu ſehen, was der ungaſtliche Strand gar nicht hatte erwarten laſſen. Die Hügel zur Rechten des Weges ſenkten ſich, und an Stelle der dürftigen, kleinen Kiefern, die man vom Waſſer aus ſah, wuchſen jetzt hohe, rankſtämmige Fichten und alte, bärtige Weißtannen, ein prächtiger, tiefer Nadelwald. Zur Linken ſchmiegte das Waſſer der Bucht ſich an einen ſtillen, flachen Grasſtrand, wo Binſen nahe dem Ufer Wurzel gefaßt hatten und weiter draußen ein dichter Schilfwald im Sommer⸗ wind wogte. Man ſah dort einen Landungsſteg, Boote und graue, ſtrohgedeckte Häuſer. Hinter dieſer kleinen, ſommerlich⸗ſchönen Bucht ragte, etwas weiter entfernt vom ſanft anſteigenden Ulfer, ein anderer, noch tieferer Tannenwald wie eine düſtere Mauer auf. Und am Abhang, vor dem dunklen Hintergrund des Waldes, ſtand ein kleines, rotes Haus mit weißen Fenſterpfoſten. Die beiden Wälder zogen ſich landeinwärts hin, aber das Tal zwiſchen ihnen weitete ſich und gab Raum für Felder und Wieſen. Ganz hinten im Tal war das Dorf noch eben zu er— kennen, und hinter dem Dorf zeichneten ſich die dunklen Umriſſe von weitgeſpreizten Windmühlenflügeln gegen die Bläue des Sommerhimmels ab.

Das war Bäfterby, und die beiden Wälder, die ſich wie zwei liebe⸗ volle Arme zu beiden Seiten um die, Sternodde' ſtreckten und das Dorf vor den rauhen Seewinden ſchützten, hießen der Norderhag und der Süderhag.

Katrina war ſchrecklich neugierig und ſehr geſpannt auf alles, was da kommen ſollte. Nicht ein Buſch oder ein Stein am Wegrand entging ihren forſchenden Blicken. Sie war ſchweigſam, zum erſten Mal hörte ſie Johans endloſem Wortſchwall nicht zu. Als der Mann kein Geſpräch in Gang zu bringen wußte, ſtimmte er ein Seemannslied an. Und im Zeitmaß des Liedes ſchlingerte er ſorg⸗ los und unbekümmert neben Katrina einher und ſchwang ihr win⸗ ziges Kleiderbuͤndel.

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Jetzt unterſchied man deutlicher in der Ferne die Häuſer des Dor: fes, die ſich von beiden Seiten her an den Weg drängten. Eine gute Kronslandſtraße iſt das, dachte Katrina bei ſich, doch eigent⸗ lich recht ſchmal!

Ja, das alſo iſt Väſterby! rief Johan mit einem Mal und ſang dann gleich weiter.

Katrina bekam hin und wieder ein altmodiſches, rotgeſtrichenes Gehöft zu Geſicht, das abſeits von der Landſtraße in einer Senke und halb verborgen von Bäumen und Büſchen lag. Hie und da, auf dem Gipfel einer Anhöhe, prunkten hellgeſtrichene, neumodi— ſche Anweſen. Ihr ſtand das Herz ſtill. Welches von denen ſollte ihr Heim werden? Dort, links vom Wege, ſtand ein ſchönes Haus mit zwei Wohnungen, und es beſaß auch Balkons, aber das war nicht weiß, ſondern gelb geſtrichen. Und Johan führte ſie weiter; alſo konnte es das nicht fein. Und dort ſah man ein ſtattliches, bell: graues Haus, von einem großen Obſtgarten umgeben - vielleicht war es das? Johan zeigte auf das ſchöne Anweſen, und Katrinas Wangen fingen ſchon an zu glühen, aber der Mann ſagte:

Dort wohnt Kapitän Nordkviſt, der König auf der Inſel hier. Er beſitzt den größten Hof und den Laden und hat eine Menge Schiffe auf Fahrt. Das iſt ein Kerl, ſage ich dir, mehrfacher Millionär. Er iſt auch der Reeder unferer „Frida“. Verdammich, er iſt der größte Reeder in ganz Finnland!

Er räuſperte ſich ſtolz, aber Katrinas Vermutungen zielten ſchon auf ein anderes hellgeſtrichenes Haus füdlic) des Weges ab. Jetzt zeigte Johan auf dieſes Haus und erklärte prahleriſch:

Da wohnt Kapitän Svensſon, auch ein Großbauer, und der gei⸗ zigſte Kerl in der Gemeinde.

Aha, ſagte Katrina.

Vornehm abſeits auf einem wunderbaren Hügel mit dem dunklen Norderhag als Hintergrund ſtand ein hübſches, hellgrünes Haus. Das iſt es, dachte Katrina, hoffentlich iſts das! Es iſt ſo hell, daß man es weiß nennen könnte, und Balkons trägt es auch. Sie wagte nicht, geradheraus danach zu fragen, und meinte nur wie beiläufig: Sieh, Johan, dort ſteht ein ſchönes Haus!

Ja, das dort, ſtimmte Johan zu, das iſt ein ſchönes Haus, dort wohnt Kapitän Engman. Land hat er nicht, aber eine Menge

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Geld. Hols der Teufel! Aber der Kerl iſt der geriſſenſte alte Schif⸗ fer, den es gibt.

Aha, meinte Katrina. Und wer wohnt in dem hübſchen Hof mit dem blauen Gatter dort? Der ſieht aus wie einer von unſeren Höfen daheim.

Ja, dort wohnt Kalle Seffer. Und mit einem Ton, als berichtete er von irgendeiner Heldentat, fügte er hinzu: Geffers find die die⸗ biſchſte und dreckigſte Bande im ganzen Dorf. So viel Läuſe, wie es in dieſen Häuſern dort gibt, haben auf deines Vaters Hof nicht Platz.

Himmel! rief Katrina. Aber wann kommen wir zu den Feldern? fragte ſie dann.

Zu den Feldern? An den meiſten ſind wir doch ſchon vorbei. Dieſe kleinen Fleckchen waren die Felder? Und warum ſind die denn mit ſo vielen Gattern abgeteilt?

Das muß ſo ſein. Siehſt du, jeder Bauer hat ſeine Oſterwieſe und feinen Weſteracker, feinen Norderanger und feine Süderwieſe. Wald haben wir, ſoviel wir nur brauchen können, deshalb können wir es uns erlauben, Einfriedungen zu machen.

Aha, meinte Katrina wieder. Sie hatte das Gefühl, als ſchrumpfte die Welt um ſie herum zuſammen und als würde alles ſehr viel enger und verwickelter.

Dicht am Wege ſtand ein kleines, rotes Haus mit weißen Eck⸗ pfoſten. Es war von einem Gärtchen umgeben, und auf einer Seite glaubte Katrina einen Schimmer vom Gemüſegarten er- haſchen zu können. Zum Wege hin ſtanden Sonnenblumen und Ringelblumen in voller Farbenpracht. Blühende Pelargonien leuch⸗ teten aus den kleinen Fenſtern, an denen luftige Gardinen im Winde flatterten. Langs dem rot und weiß geſtrichenen Zaun ſtanden fünf große, dicht belaubte Bäume und breiteten ihre Zweige über die Landſtraße aus.

Katrina blieb ſtehen und ſperrte ſprachlos die Augen auf. Apfel⸗ bäume. . flüſterte fie endlich.

Ja, gab Johan zur Antwort, das hier iſt Fruns, wie wir ſagen. Hier wohnt eine alte Paſtorswitwe. Gute Apfel hat ſie, das kannſt du mir glauben. Sieh, dort im Haus ſitzt ſie ſelbſt und lehrt Elvira Eriksdottir Schreiben. Tja, manche von den Bauern ſind feine

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Leute. Erkas Kleine kommt hierher und lernt Leſen und fogar Schreiben und Sticken, wie ein richtiges Kapitänsfräulein.

Und wo liegt Erkas?

Das liegt da hinten, der rote Bauernhof hinter Nordkviſts iſt es. Als Bauer taugt Eriksſon nicht viel, aber er hat die ſchönſte Frau auf ganz Aland.

Aha, meinte Katrina nur wieder. Sie fing an, müde zu werden, die Spannung nahm kein Ende. Wann würde Johan endlich ſagen: Dort wohnen wir?

Sie gelangten auf einen freien Platz mitten im Dorf, und Johan erklärte, das wäre der Markt, auf dem ſich an Sonntagen das ganze Dorf verſammelte.

Wirklich! rief Katrina aus.

Jawohl. Und der rote Bauernhof dort zur Rechten gehört Blom. Der junge Viktor Blom iſt der krummbeinigſte Kerl in der ganzen Gemeinde, und ſtottern tut er auch. Dort drüben iſt der Laden, das iſt Nordkviſts Unternehmen. Die Landſtraße bog nach Sü— den ab, und der Weg, dem ſie jetzt durchs Dorf folgten, war ſchmal und ſteinig. Ununterbrochen führte er bergan, und der Boden wurde trocken und mager, hie und da trat ſchon der nackte Fels zutage. Die Häuſer am Abhang waren klein und ärmlich.

Und wer wohnt hier? fragte Katrina.

Hier wohnen die Kätner.

Weiter und immer weiter führte er ſie. Jetzt umgab ſie beinahe überall nur noch der nackte Berg, und die niedrigen Katen ſahen armſelig aus. Auf den höchſten Anhöhen ſtanden die Windmühlen des Dorfes. Eine Elſter ſaß auf einem Mühlenflügel und lachte höhniſch. Katrina wurde das Herz ſchwer, aber immer noch er⸗ wartete ſie, daß durch ein Wunder ein großes, weißes Haus mit Balkons und einem Obſtgarten vor ihr auftauchen könnte. Mit einem Mal jedoch blieb ihr Mann vor einer der Katen ſtehen. Ja, da waren wir alſo! rief er mit feinem ſtolzeſten und fröhlichſten Geſicht und machte eine großartige Handbewegung.

Katrina blieb ſtehen; fie ſtarrte und ſtarrte .

Vor ihr eine niedrige Hütte, ungeſtrichen und ohne Bretterver⸗ ſchalung, windſchief an allen Ecken und Enden und mit einem vom Sturm zerzauſten Schindeldach. Sie ſtand hier auf der nackten

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Felshalde, es gab nicht eine Spur Grün um fie herum, ausgenom⸗ men ein paar Neſſeln, die in dem hinausgeworfenen Kehricht rund um die niedrige Treppe Wurzel geſchlagen und ſich auch zwiſchen ihren verfaulten Stufen hervorgezwängt hatten. Die Überrefte eines zerfallenen Gatters lagen auf dem Hang und zeigten, daß das Haus auch einmal eingezäunt geweſen war. Einen Stall oder Holzſchuppen ſchien es nicht zu geben, aber ein Abtritt ſtand da, ebenſo grau und verfallen wie die größere Hutte, und feine Tür hing ſchief an einem einzigen Scharnier. Katrinas Blicke richteten ſich wieder auf das Haus. Es hatte zwei kleine Fenſter mit uraltem, grünlichem Glas; eine von den Schei⸗ ben war entzwei und das Loch mit Lumpen verſtopft. In die Tür hatten Ratten an der Schwelle ein großes Loch genagt. Die junge Frau war ſtumm, wie vom Blitz geſchlagen; dann end⸗ lich kam ſie zu ſich und wandte ſich an ihren Mann. Sie maß ihn mit eiſigen Blicken, zeigte auf das Haus und ſagte höhniſch: Ach fo, das alſo iſt dein großes, weißes Haus mit Balkons und nach einem Blick über den Berghang und die Neſſelſtauden fügte ſie hinzu: . . . und dein Landbeſitz und deine Apfelbäume. Der Mann jedoch ließ ſich nicht aus der Faſſung bringen. In hel⸗ lem Staunen zog er die Brauen hoch. Mein großes, weißes Haus? Dann leuchtete es in ſeinem Geſicht auf, er begriff. Ach! ach ſo! Hahaha, aber du haſt ja doch wohl nicht alles geglaubt, was ich ſo ſchwatzte?

Aus dem ſchwediſch⸗finniſchen Roman „Katrina“,

übertragen von Edzard Schaper

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Jakob Böhme⸗Worte

Hat uns Gott Macht gegeben, feine Kinder zu werden und über die Welt zu herrſchen, warum nicht auch über den Fluch der Erde?

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Aues iſt Babel, was ſich miteinander beißet und um die Buch⸗ ſtaben zanket. Die Buchſtaben ſtehen alle in einer Wurzel, die iſt der Geiſt Gottes. Gleichwie die mancherlei Blumen alle in der

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Erde ſtehen und wachſen alle nebeneinander, keine beißt ſich mit der andern um die Farben, Geruch und Geſchmack; ſie laſſen die Erde und Sonne, ſowohl Regen und Wind, auch Hitze und Kälte mit ſich machen, was ſie wollen, ſie aber wachſen eine jede in ihrer Eſſenz und Eigenſchaft: alſo iſts auch mit den Kindern Gottes; ſie haben man⸗ cherlei Gaben und Erkenntnis, aber alles aus Einem Geiſte. Sie freuen ſich nebeneinander der großen Wunder Gottes und danken dem Höchſten in ſeiner Weisheit. Was ſollen ſie lange um den zanken, in dem ſie leben und ſind, deſſen Weſen ſie ſelber ſind?

Es iſt die größte Torheit in Babel, daß der Teufel hat die Welt um die Religion zankend gemacht, daß ſie um ſelbſtgemachte Mei— nung zanken, um die Buchſtaben; da doch in keiner Meinung das Reich Gottes ſtehet, ſondern in Kraft und der Liebe. Auch ſagte Chriſtus und ließ es ſeinen Jüngern zuletzt, ſie ſollten einander lieben; dabei würde jedermann erkennen, daß ſie ſeine Jünger waren, gleichwie er fie geliebet hätte. Wenn die Menſchen alſo ſehr nach der Liebe und Gerechtigkeit trachteten, als nach Mei— nungen: ſo wäre gar kein Streit auf Erden; wir lebten als Kin— der in unſerm Vater und bedurften keines Geſetzes noch Ordens. Denn mit keinem Geſetz wird Gott gedienet, allein mit Gehor— ſam. Die Geſetze ſind wegen der Böſen, die nicht der Liebe und der Gerechtigkeit wollen, die werden mit Geſetzen getrieben und gezwungen. Wir haben nur alle einen einzigen Orden, der iſt, daß wir dem Herrn aller Weſen ſtille halten und unſern Willen ihm ergeben, und laſſen ſeinen Geiſt in uns wirken, ſpielen und machen, was er will, und was er in uns wirket und offenbaret, das geben wir ihm wieder dar als ſeine Frucht.

So wir nun um die mancherlei Frucht, Gaben und Erkenntnis nicht zanketen, ſondern erkenneten uns untereinander als Kinder des Gei⸗ ſtes Gottes: was wollte uns richten? Lieget doch das Reich Gottes nicht an unſerm Wiſſen und Wähnen, ſondern in der Kraft. Wenn wir nicht halb ſoviel wüßten und wären viel kindlicher, hät⸗ ten aber nur einen brüderlichen Willen untereinander und lebten als Kinder Einer Mutter, als wie die Zweige an einem Baume, die alle von Einer Wurzel Saft nehmen: ſo wären wir viel heiliger. Das Wiſſen iſt nur zu dem Ende, daß wirs lernen, weil wir die göttliche Kraft verloren haben in Adam und ſind nun jetzt zum

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Böſen geneigt, daß wir es lernen erfennen, wie wir böfe Eigen: ſchaften in uns haben, und daß das Böſestun Gott nicht gefällt, damit wir mit dem Wiſſen lernen recht tun. So wir aber die Kraft Gottes in uns haben und begehren von allen Kräften recht zu tun und recht zu leben: ſo iſt das Wiſſen nur unſer Spiel, darin wir uns erfreuen. Denn das wahre Wiſſen iſt die Offenbarung des Geiſtes Gottes durch die ewige Weisheit; der weiß in ſeinen Kindern, was er will; er geußt ſeine Weisheit und Wunder durch ſeine Kinder aus, gleichwie die Erde die mancherlei Blumen. So wir nun im Geiſte Chriſti als demütige Kinder nebeneinander wohneten und er⸗ freuete ſich je einer des andern Gaben und Erkenntnis: wer wollte uns richten? Wer richtet die Vögel im Walde, die den Herrn aller Weſen mit mancherlei Stimme loben, ein jeder in ſeiner Eſſenz? Straft ſie auch der Geiſt Gottes, daß ſie nicht ihre Stim⸗ men in eine Harmonie führen? Gehet doch ihrer aller Hall aus ſeiner Kraft, und vor ihm ſpielen ſie. Darum ſind die Menſchen, die um die Wiſſenſchaft und um Gottes willen zanken und einander darum verachten, törichter denn die Vögel im Walde und die wilden Tiere, die keinen rechten Ver⸗ ſtand haben. Sie ſind vor dem heiligen Gott unnützer als die Wieſenblumen, welche doch dem Geiſt Gottes ſtille halten und laſſen die göttliche Weisheit und Kraft durch ſich offenbaren. Ja ſie ſind ärger denn die Diſteln und Dornen unter den ſchönen Blu⸗ men, welche doch ſtille ſtehen. Sie ſind als die räuberiſchen Tiere und Vögel im Walde, welche die andern Vögel vom Geſang und Lobe Gottes abſchrecken.

*

Träget doch eine Biene aus vielen Blumen Honig zuſammen, ob manche Blume gleich beſſer wäre als die andere; was fraget die Biene darnach? Sie nimmt, was ihr dienet. Sollte ſie darum ihren Stachel in die Blume ſtechen, ſo ſie des Saftes nicht möchte, wie der verächtliche Menſch tut? Man ſtreitet um die Hülſen, und den edeln Saft, der zum Leben dienet, läſſet man ſtehen. Was hilft mich die Wiſſenſchaft, ſo ich nicht darinnen lebe?

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Es iſt alles magiſch; was der Wille eines Dinges will, das emp⸗ fähet er. Eine Kröte nimmt nur Gift an ſich, wenn ſie gleich in der beſten Apotheke ſäße, desgleichen auch eine Schlange; jedes Ding nimmt nur feiner Eigenſchaft in ſich: und obs guter Eigen: ſchaft Weſen äße, ſo machets doch alles in ſich zu ſeiner Eigen— ſchaft. Obgleich eine Kröte Honig fräße, wird es doch in ihr zu Gift. Wie denn der Teufel ein Engel war; als er aber nichts Gutes wollte, ſo ward ihm ſein himmliſch Weſen doch zum Höllengift, und blieb ſein böſer Wille ein Mal böſe wie das andre.

Alſo iſt uns hoch zu betrachten unſer Leben, was wir wollen tun und fürhaben; wir haben Böſes und Gutes in uns: in welchem wir unſern Willen ſchöpfen, deſſen Eſſenz wird in uns rege; und ſolche Eigenſchaft ziehen wir auch von außen in uns. Wir haben beide Myſteria, Göttlich und Teufliſch, in uns, von beiden ewigen Wel— ten und auch der äußern Welt; was wir aus uns machen, das ſind wir; was wir in uns erwecken, das iſt in uns rege.

*

Su: Tun muß es fein, oder es gilt nicht!

*

Das Buch, da alle Heimlichkeit innen lieget, iſt der Menſch ſelber: er iſt ſelber das Buch des Weſens aller Weſen, dieweilen er die Gleichheit der Gottheit iſt. Das große Arkanum lieget in ihm, allein das Offenbaren gehöret dem Geiſte Gottes.

* Wer Gott findet, der findet alles mit und in ihm. Aus Jakob Böhmes Schriften, ausgewählt und herausgegeben von

Friedrich Schulze⸗Maizier *

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Felix Timmermans / Die geſtohlenen Edelſteine

Für die kleine Antonia

Als der weiße Winter geſchmolzen war und in Bächen und Flüſ⸗ fen dem Meere zutrieb, lag die Welt wieder kahl, dürr und ver⸗ laſſen da.

Da ſchickte der Herrgott den Lenz herab, um Wälder und Wieſen, Felder und Weiden wieder hübſch zu machen. Der Lenz, das iſt eine Schar von kleinen, lieblichen Mädchen, die ſehr ausgelaſſen und unerfahren ſind und immer nur ſpielen wollen. Deshalb wurden ſie mit ihrem Auftrag, die Welt zu ſchmücken, nicht gut fertig.

Aber Mutter Sonne kam ihnen zu Hilfe; mit ihrem Licht und ihrer Wärme hegte und pflegte ſie die zarten Blumen und die emp⸗ findlichen Pflänzchen, die die Lenzmädchen ſo unordentlich und leichtfertig an die Bäume und Sträucher gehängt und über Wäl⸗ der und Wieſen verſtreut hatten. Sonſt hätte man allerlei erleben können.

Als nun alles in ſchönſter Blüte ſtand, legten fic) die kleinen Fräu⸗ lein, müde geworden von ihrem Spiel und ihrem ausgelaſſenen Treiben, auf einer Wolke zum Schlafen nieder und überließen Mutter Sonne die ganze Arbeit.

Als es Abend wurde, hätte Mutter Sonne auch gern ein Auge zugetan, und ſo rief ſie ihren treuen Lehrbuben, den pausbäckigen Maarten Mond, damit er die ſchönen Blumen behüte und fie mit irgendeinem Spiel beſchäftige. Sobald Mutter Sonne in ihrer Schlafſtube war, rief Maarten Mond ſeinen alten Freund, Herrn Tau, den Diamantſchleifer, und bat ihn, die Blumen und Kräu⸗ ter mit ſeinen koſtbaren Edelſteinen zu verzieren.

„Herzlich gern“, ſagte der graue Herr Tau, und ſofort ging er daran, im Licht von Maarten Monds Geſicht die glänzenden Edelſteine zu verteilen.

Die Roſen im Garten des Schloſſes wollten die meiſten und auch die größten haben, und ſie bekamen ſie auch.

Dennoch weckte das nicht im geringſten den Neid der anderen Blumen. Für dieſe galten die ſtolzen Roſen als Emporkömm⸗ linge, die ſich an die Zeit nicht mehr erinnern, als ſie noch mit

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ihren ſiebenblättrigen Zweiglein - jetzt haben fie nur fünf, das erſcheint ihnen vornehmer und mit einem ſchlichten Blümchen irgendwo an einem einſamen Bach ſtanden. Jetzt wiſſen ſie nicht mehr wohin vor Vornehmheit, blähen ſich auf, verſehen ſich mit ſcharfen Sporen wie Hähne oder Ritter, tragen prahleriſch einen bunten Lockenkopf und tragen keine Scheu, ſich „Königin der Blu— men“ nennen zu laſſen. Da muß man ja lachen. Lauter anmaßen⸗ der Hochmut, denn ohne Hilfe der Menſchen, die ſie beſchneiden und pfropfen, fie anbinden und ſonſt was tun, wären fie nichts. Sobald der Gärtner, der Mann, der die Blumen immer anders haben will, ſie ein wenig verwahrloſt, kommt ihre wilde Natur wieder zum Vorſchein, und ſie können die Zeichen ihrer geringen Herkunft nicht verleugnen. Damm ſprießen unten am Stamm gleich wieder wilde Triebe mit ſieben Blättern und mit einer erbärm— lichen Blüte hervor. Ja, ja, wenn man ſo über Nacht plötzlich zu etwas kommt! Nein, da iſt es doch beſſer, meine ich, man bleibt, was man iſt, und blühf ſorglos, frei und unbekümmert in der guten, ungezwungenen Natur, wie einem nun einmal die Blätter gewachſen ſind. Nichts geht über eigene Schönheit!

Aber für den guten Herrn Tau galt eine Blume ſoviel wie die andere, wenn ſie nicht gerade aus Papier war, und jede erhielt ſo viele Juwelen, wie ſie nur haben wollte., Jedem nach ſeinem Ge— ſchmack!“ dachte er. Und fo ſchmückte er die Roſen im Garten, die Wieſen und die Blumen an den Flüſſen, und zog dann in den Wald. Auch hier hatte er allerhand zu tun. Bald waren die Farnkräuter und die Schlüſſelblumen, die Maßliebchen und die kleinen Lilien, jede nach Rang und Wunſch, mit den ſchönſten Edelſteinen, die man ſich denken kann, geziert. Maarten Mond goß fein filber: nes Licht darüber hin, und alle Edelſteine glänzten und funkelten in geheimnisvoller Schönheit, wie der Schmuck einer Märchen⸗ prinzeſſin.

„Mutter Sonne wird ſich freuen, wenn ſie morgen früh wach wird und alle ihre Lieblinge ſo herrlich geſchmückt vorfindet“, ſagte Maarten Mond zu Herrn Tau.

„Gern geſchehen, ſtets zu Dienſten“, erwiderte der alte Diamant⸗ ſchleifer und wollte gehen, aber er blieb ſtehen und ſchnupperte. „Was iſt das für ein feiner Duft?“ ſagte er.

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Er blickte um ſich, ſuchte, bückte ſich, und da bemerkte er im tiefen Schatten, zwiſchen Gras und Unkraut verſteckt, ein lilafarbenes Blümlein.

„Wer bift du?“ fragte Herr Tau, „biſt du nicht das Veilchen?“ „Jawohl, Herr,“ ſagte ein kleines Blümlein, „ich bin das Veil⸗ chen.“

„Ich wußte doch, daß mir noch etwas fehlte“, ſagte der Alte. „Dieſe ſchöne Farbe und der feine Duft! Man muß wirklich mit der Naſe am Boden herumkriechen, um dich zu finden. Weshalb haſt du dich ſo verſteckt, liebes kleines Ding?“

„Ach Herr,“ erklärte das Veilchen, „ich bin damals aufgeblüht am Karfreitag, als unſer Heiland am Kreuze ſtarb, deshalb trage ich ein lila Kleid, denn Lila iſt doch die Farbe der Trauer, und des⸗ halb verſtecke ich mich im Dunkeln und traure.“

„Das iſt ſehr ſchön und lieb von dir, Karfreitagsblümlein, aber du kannſt doch nicht ewig trauern, weil du ein lila Kleid trägſt. Und außerdem, haſt du vergeſſen, daß es nach Karfreitag auch ein Oſtern gab, an dem der Heiland wieder auferſtanden iſt?“ Ach nein, davon wußte das Veilchen nichts, und es lächelte freundlich, weil es jetzt nicht mehr zu trauern brauchte.

„Go iſt es recht, du haſt den herrlichſten Duft und die ſchönſte Farbe, und deshalb werde ich dich nun mit den ſchönſten Edel- ſteinen ſchmücken, die ich habe“, ſagte Herr Tau, der mit feiner roten Naſe genießeriſch das Veilchen beſchnupperte.

Der alte Diamantſchleifer holte aus der weißen Watte ſeiner Juwelenſchachtel die reinſten Edelſteine, die er je geſchliffen hatte. Er ſteckte dem Veilchen einen an jedes Ohr, und um das goldene Herzchen hängte er ein Kleeblatt aus drei glitzernden Steinen. Dann ſchob er Gras und Unkraut beiſeite, ſo daß ein milder Mondſtrahl ungehindert auf das Veilchen fallen konnte.

Wie herrlich, wie edel glitzerten und funkelten da die Edelſteine auf dem tief dunklen, violetten Samt!

Herr Tau war ſelber ganz überraſcht. Er wußte nicht, daß ſeine Steine ſo ſchön ſein konnten. Jetzt erſt fiel es ihm auf, und zu⸗ gleich empfand er ſeinen Beruf als den herrlichſten der Welt. Das Veilchen bebte vor Glück, als es ſich betrachtete. Auch alle Blumen und Kräuter waren voll Lob und Bewunderung. Sie

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reckten den Hals, um beffer ſehen zu können, und die eine flüfterte es der anderen zu, es raunte von Blume zu Blume, und auch die Worte des Herrn Tau wurden nicht vergeſſen.

Obwohl die ſtolzen Roſen das Veilchen mit eigenen Augen nicht ſahen, ſondern nur davon hörten, fo konnten fie es ſich doch gut vorſtellen. Sie platzten bald vor Neid und Eiferſucht, zogen vor— nehm ein Doppelkinn und zuckten verächtlich die Achſeln.

Als Herr Tau fortgegangen war, rief der geinütliche Maarten Mond, der dem Blumenvolk eine ganze Nacht lang gefällig ſein wollte, einige Nachtigallen, um die Blumen mit ihren ſchönen Liedern zu erfreuen. Sogleich kamen ein paar herangeflogen und hängten Girlanden von Klangperlen von Baum zu Baum.

Die Blumen wiegten ſich auf ihren Stengeln, neigten das Köpf— chen im Takte der Muſik. Es war ein ſo herrliches Spiel, daß der lauſchende Sternenhimmel ein ganzes Stück tiefer kam, um beſſer ſehen und hören zu können. Ja, einige Sterne ließen ſich ſogar vom Himmel fallen, damit ihnen nichts entginge.

Das Maßliebchen, das kecke Ding, zitterte in feinem Spitzen— röckchen wie die erſte Tänzerin eines Opernballettes, die Echlüf: ſelblumen läuteten mit ihren Glöckchen, die Butterblumen ringel— ten ſich auf und zu, und das Veilchen wiegte ſich hin und her und überließ ſich ganz der Seligkeit der Muſik und der Seligkeit feines Glückes.

Maarten Mond lachte, weil alles ſo ſchön und luſtig war. Nur die Roſen, die hörten, wie man ſich da unten vergnügte, freuten ſich nicht. Sie wiegten ſich nicht nach dem Sang der Nachtigall; für Schloßherrinnen war das nicht fein genug. Aber fie konnten auch nicht, denn ſie waren feſtgebunden an einem grün bemalten Stock. Sie ärgerten ſich, ſie konnten es nicht ertragen, daß das Veilchen ſo ſehr wegen ſeiner Schönheit und ſeines Schmuckes geprieſen wurde. Wären die Roſen frei geweſen, wie die Tiere, dann hätten ſie mit einer wahren Tigerwut das ganze lobende und bewundernde luſtige Geſindel in Fetzen zerriſſen, und von dem Veilchen wäre natürlich nichts mehr übrig geblieben. Während ſie ſo daſtanden und auf Rache ſannen, kam aus einem Maulwurfs⸗ loch auch in Schloßgärten gibt es Maulwurfslöcher - ein Erd⸗ männchen hervorgekrochen, das jetzt im Mondſchein auf Raub

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ausgehen wollte. Dieſe Erdmännchen find wahre Unholde, die nachts die Vogeleier austrinken, die Kirſchen von der Sonnen- ſeite anbeißen, Honig ſtibitzen und zum Spaß den jungen Vögeln den Hals umdrehen. Sie ſind ſehr ſchlau, grauſam, liſtig und eigenſinnig. Das Männchen reckte feine Glieder, gähnte und wollte gerade auf Raub ausgehen, als die Roſen es anredeten und ſag⸗ ten: „Guten Abend, Pirrewitje Kanditje, wir wiſſen von den Bienen, die aus unſerem Herzen die Süßigkeit ſammeln, wo der beſte Honig zu finden iſt; wir wiſſen von den Vögeln, die unferen herr— lichen Duft genießen, auf unſeren Zweigen tanzen und ſingen, in welchen Neſtern friſche Eier liegen ...“

„Und wo iſt das, ſchöne und edle Roſen?“ fragte Pirrewitje Kan⸗ ditje, der ſich wunderte und ſehr ſtolz war, weil die Roſen, die ihm ſonſt keinen Blick gönnten, ihn nun plötzlich anredeten.

Und die Roſen antworteten: „Das werden wir dir ſagen, wenn du für uns die Edelſteine des Veilchens aus dem Walde ſtehlen wirſt.“ „Sehr gern,“ ſagte Pirrewitje Kanditje, „da braucht ihr nicht lange zu warten“, und er trabte in den Wald hinein.

Plötzlich verſtummten die Nachtigallen, die Blumen wiegten und neigten ſich nicht mehr, aber das Veilchen, das mehr der Muſik gelauſcht hatte, die ſeinem goldenen Herzen entſtieg, als dem Ge⸗ ſang der Vögel, tanzte und wiegte ſich immer weiter und hörte nicht, wie das Erdmännchen ſich näherte, das Blumen und Vögel erſchreckt und zum Schweigen gebracht hatte.

Pirrewitje Kanditje ſah das Veilchen bei ſeinem luſtigen Treiben und war ſtarr vor Verwunderung von dem Funkeln der ſchönen Edelſteine. Da dachte das Erdmännchen: dieſe Steine verkaufe ich nicht den Roſen für ihr dummes Geſchwätz; ich verkaufe fie lieber für vieles Geld an unſere unterirdiſche Königin, denn fo ſchöne Edelſteine hat ſie noch nie geſehen.

Um in ihren Beſitz zu gelangen, mußte das Erdmännchen mit Liſt zu Werke gehen, denn es kannte die Freunde der Blumen, die ſeine eigenen Feinde waren, wie das Waſſer, die Bienen, die Vögel und die giftigen Düfte gewiſſer Blumen. Deshalb trat es freund⸗ lich und leiſe zu dem Veilchen und ſagte: „Ach, liebes Veilchen, wie biſt du fo ſchön! Ein ſchöneres Blümchen hab nie ich geſehn!“ „Oh,“ meinte das Veilchen, „das machen die ſchönen Edelſteine.“

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„Nein,“ ſagte Pirrewitje, „du machſt die Edelſteine (chon. Bei anderen Blumen wären ſie lange nicht ſo herrlich.“ Das Erd— männchen glaubte zu lügen, aber es ſprach die Wahrheit, und darin liegt der Sinn dieſer ganzen Geſchichte für den, der fie be- greifen will. Es ſagte noch viele liebe Dinge, die bei einer erſten Blumenliebe angebracht ſind: „Du biſt die Zierde des Waldes, dein Duft iſt wie ein Bote des Himmels, ſo daß du auch den an— deren das Leben zur Seligkeit machſt.“

Und wie jeder Menſch ſeine Schwächen hat, ſo hat auch jede Blume ihre Schwächen und hört ſich gerne loben, ſelbſt das be— ſcheidene Veilchen. Ihm wurde ganz weich ums Herz, und in einem Rauſch von Glück hörte es Pirrewitje zu, der ihm den Arm um das violette Köpfchen legte und ihm die Samtwangen ſtrei— chelte. Das Veilchen, das doch ſo wenig Freundſchaft gekannt hatte, war wie betäubt und legte ſein Köpfchen an Pirrewitjes Bruſt. In einem ſolchen Augenblick geſchah es, daß Pirrewitje, ganz geſchickt und ohne daß das Veilchen etwas merkte, dieſem den Edelſtein aus einem Ohr entwendete.

„Das wäre einer, dachte das Erdmännchen, gleich folgt der zweite.“ Wieder hob es die Hand zum anderen Ohr. Aber der treue Maar— ten Mond, der den Diebſtahl geſehn hatte, zog raſch eine Wolke vor ſein leuchtendes Geſicht, ſo daß Pirrewitje den Edelſtein nicht mehr ſah und deshalb dem Veilchen ins Auge ſtach.

„Au! Au!“ rief das Veilchen, denn es tat ſehr weh. Es erwachte aus ſeinem Glücksrauſch, bemerkte ſogleich, daß der Edelſtein aus ſeinem Ohr verſchwunden war, und rief: „Hilfe, mein ſchöner Ohrbrillant iſt fort!“

Pirrewitje Kanditje wurde ganz wild vor Habgier und wollte um jeden Preis auch die anderen Juwelen haben. Er riß dem Veilchen den anderen Brillanten aus dem Ohr und das ſchöne Kleeblatt vom Hals und machte ſich damit aus dem Staube. „Dieb! Dieb! Betrüger !” rief das Veilchen. „Freunde, haltet den Dieb! Pirrewitje hat die Edelſteine aus meinen Ohren und mein ſchönes Kleeblatt geſtohlen.“

Sofort riefen alle Blumen: „Haltet den Dieb, haltet den Dieb!“ Die Rofen, die das Geſchrei bis in den Schloßgarten gehört hat⸗ ten, lachten ſich ins Fäuſtchen. Jeder tat, was er konnte, um auf

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feine Art den Dieb aufzuhalten. Maarten Mond ließ fo raſch wie möglich ſein Licht wieder ſcheinen, aber alles ging viel ſchnel⸗ ler, als man es ſchreiben oder leſen könnte: die Brenneſſel richtete ſich auf, machte ſich breit und ſchickte ihr ſchärfſtes Gift zu den zackigen Zähnen, um jemand bei der geringſten Berührung auf den Tod zu vergiften, die Diſtel öffnete ihre Stachelarme, bereit, ſofort zuzugreifen. Gewiß hätten auch die Bienen geholfen, dieſen Honigdieb zu fangen, auch die Vögel hätten ſicher nichts lieber getan, als dem Eierdieb die Augen auszupicken, aber Vögel und Bienen ſchliefen. Von den kleineren Vögeln wachte nur die Nach⸗ tigall, und dieſe hatte wie alle Sängerinnen, ein viel zu weiches Herz, als daß ſie jemand etwas hätte zuleide tun oder gar Blut vergießen können. Den anderen Tieren war das Schickſal der Blumen gleichgültig, und die größeren Vögel, wie Eule und Nachtrabe, ließen alles ruhig geſchehen, denn es waren ja nicht ihre Neſter, aus denen Pirrewitje die Eier ſtahl. Dazu war er auch viel zu ängſtlich und zu feige, denn die hätten ihm bald das Fell ausgezogen wie einen Handſchuh.

Aber es war der Brombeerbuſch, dem die große Tat gelang, den kühnen Dieb feſtzuhalten. Geduldig ſaß er mit feinen dornenbe— waffneten Ranken da, die in zierlichen Schnörkeln und Arabesken zuſammengerollt waren, und wachte über ſeine jungen Früchte, aus denen ſpäter weiche, dunkelrote Beeren werden ſollten. Er entfaltete ſein Rankengewirr, bog ſeine verſchnörkelten Schlingen auseinander, reckte ſeine Zweige lang aus und flocht damit ein dichtes Netz, ſo daß ſelbſt eine Maus kaum noch hindurchkonnte. So machte ſich jeder Brombeerbuſch breit, bis er mit dem näch⸗ ſten verflochten und verſchlungen war und Pirrewitje Kanditje wie in einem Käfig gefangen ſaß.

„Gib die Juwelen her!“ riefen die Blumen einſtimmig. Sie taten es aus eigener Beſorgnis, denn was heute mit dem Veilchen ge⸗ ſchah, konnte morgen ihnen zuſtoßen.

„Nein!“ rief Pirrewitje Kanditje, verblendet durch feine Hab- gier; er betrachtete die Steine in feiner hohlen Hand, wie herr— lich ſie funkelten. Er würde ſie gewiß bei der unterirdiſchen Köni⸗ gin für einen hohen Preis loswerden. Die Brombeerbüfche zogen ihre Kreiſe noch dichter und feſter zuſammen. Pirrewitje rannte

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hin und ber, fal ſich umzingelt und gefangen. Er ſuchte nach einem Loch im Geftripp oder im Erdboden, aber wo eines por: handen war, da wurde es foforf von den dornigen Brombeer: ſträuchern verſperrt. Immer näher kamen die verſchlungenen Ranken. Sie würden ihn totdrücken, und bald würde er wie ein blutender Fetzen in den Dornen hängen. Die Blumen riefen: „Gib die Edelſteine zurück!“ Aber obwohl er den Tod vor Augen ſah, wollte er ſie nicht hergeben. So ein böſes und habgieriges Männlein war Pirrewitje Kanditje.

Die Blumen haben nun einmal eine zarte und weiche Mädchen— natur, und deshalb riefen ſie Maarten Mond zu: „Mach dein Licht aus, damit wir das ſchreckliche Geſchehen nicht zu ſehen brauchen!“

„Es wird ſchnell vorüber fein,” ſagte Maarten Mond, der gerade nicht zu den Schlaueſten gehörte, „ich werde Mutter Sonne raſch wecken, fie hat mehr Licht und alſo auch mehr Verſtand.“ Maar: ten Mond beeilte ſich, Mutter Sonne hinter der Erde zu rufen, aber kaum hatte er an die Tür ihrer Schlafſtube geklopft, da fündefe Mutter Sonne fic) am öſtlichen Fenſter ſchon mit bunten Fahnen und Lichtpfeilen an.

Pirrewitje, der die Sprache des Mondes und der Sonne nicht verſtand, freute ſich und lachte. „Es wird Tag, nun bin ich ge= rettet“, meinte er.

In roter Glut tauchte die Sonne nun hinter der Erde auf, und aus ihren goldenen Wolken erklang es wie ein Trompetenſchall: „Gib die Juwelen wieder her!“

„Nie!“ rief das Erdmännchen, das ſich die köſtlichen Edelſteine noch einmal betrachtete. Im ſtrahlenden Sonnenlicht erglänzten ſie wie kleine Sonnen, die unaufhörlich Strahlen in allen Farben des Regenbogens ausſenden.

„Ich kann dich mit dem dünnſten meiner Pfeile töten,“ rief die mächtige Mutter Sonne.

„Nein, nicht, nicht,“ flehten die Blumen, „denn dann verſchießen unſere Farben und verfliegt unſer Duft.“

Als Pirrewitje das hörte, bekam er wieder Mut. Mutter Sonne würde wohl auf die Blumen hören und ihn nicht töten. Und des⸗ halb rief er kühn: „Und ich gebe ſie doch nicht her!“

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‚Dann weiß ich einen anderen Rat‘, dachte Mutter Sonne. Sie wartete eine Weile, bis der habgierige Pirrewitje noch einmal die Edelſteine betrachten würde, und das dauerte nicht lange, denn gleich danach öffnete er wieder die Hand, um die Brillanten zu bewundern. Wie ſchön funkelten ſie, ihre Strahlen waren zuckendes Leben, es war eine Freude, ſie zu betrachten. Dieſe Gelegenheit nutzte die Sonne und ſchoß plötzlich einen ihrer geheim⸗ nispollen Strahlen in Pirrewitjes offene Hand. Und ſiehe da, die Steinchen rollten zuſammen und floſſen ineinander zu einem dicken Tropfen Waſſer.

„D weh, o weh,“ ſchrie das Männlein traurig und wütend zu⸗ gleich, „es iſt nur noch Waſſer, es iſt nur noch Waſſer, du böſe Sonne, du falſche Betrügerin.“ ;

Und die Blumen ſchüͤttelten fic) vor Lachen, fo daß mancher Edel⸗ ſtein aus ihren Kelchen fiel. Der Brombeerbuſch rollte ſeine Zweige wieder zuſammen, und Pirrewitje Kanditje konnte gehen. Er war ſo verzweifelt, daß er ſich vor Wut den Bart ausreißen wollte, aber er zog ſo heftig, daß er auch den Kopf mit abriß. Die Blumen fielen vor Schrecken und Entſetzen faſt in Ohn— macht.

Die Nachricht verbreitete ſich von Blume zu Blume, und ſie kam denn auch zu den Roſen. „Soſo, ſieh mal an“, ſagten die Roſen und taten, als wüßten ſie von nichts. „Uns geht das nichts an,“ ſagten fie hochmütig, „denn wir ſtehen im Garten des Schloſſes.“

Mutter Sonne rief raſch Herrn Tau, der vorſichtshalber die Edelſteine bis zur nächſten Nacht einſammeln mußte, damit ſie nicht von anderen Pirrewitjes oder gar von den Menſchen ge⸗ ſtohlen würden. Und Mutter Sonne ſagte noch: „Fortan werde ich die Edelſteine, mit denen du die Blumen geſchmückt haſt, jedem Dieb in ſeinen Händen zu Waſſer werden laſſen.“

Und wenn Mutter Sonne ſo etwas ſagt, ſo glaube mir, dann ge⸗ ſchieht es auch.

Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens

*

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Ludwig Chriſtoph Heinrich Holey Der Stern der Seelen Eine Phantaſie

Jenen freundlichen Stern, den Geſpielen der Abenddämmrung

Und Verkünder der Ruh, bewohnen die Seelen der Menſchen,

Eh der Allſchaffende ruft und die Seelen vom Schlummer er— wachen,

Vom halbwachenden Schlummer, den unter Blumen ſie ſchliefen.

Geuß durch die Wipfel des Hains, wo ich ſinge, ſchönſter der Sterne,

Hellres Licht! Dich beſchwebt ich in meiner ſchlummernden Kind— heit,

Und Jahrtauſende träumt ich in deinen Talen vorüber.

Süßes Gefühl der Erinnrung beſchleicht die Bewohner des Erd— balls,

Wenn ſie dich ſchaun; dein hellſtrömender Lichtglanz füllt ſie mit Wonne,

Alle lieben ſie dich, beſuchen den Hain, wo du funkelſt.

Aus dem Inſel⸗Band „Deutſche Gedichte“

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Karl Heinrich Waggerl / Freundſchaft mit Büchern

Aus meinem Kindesalter find mir zwei Bücher in dauernder Er: innerung geblieben, ein geiſtliches und ein weltliches. Das eine war das Gebetbuch meiner Mutter. An Sonntagen, wenn ich neben ihr im Kirchenſtuhl hockte und nach und nach alles verſuchte, was ſich mit bloßen Händen und Füßen gegen die Langeweile erfinden läßt, dann ſah die Mutter plötzlich zürnend auf mich nieder und gab mir das heilige Buch.

Sie hätte ſichtlich gern ein Kopfſtück vorausgeſchickt, aber das durfte ſie hier nicht tun, die Kirchenbank war eine Freiſtatt aller Sünder. So ſaß ich alſo beglückt und warm zwiſchen weiten Frauenröcken eingebettet, hielt das Buch auf meinem Schoß und blätterte darin. Schon der Druck war wunderlich genug, groß

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und verſchnörkelt, Gottes oder Chriſti Namen ſtanden immer rot dazwiſchen und füllten eine ganze Zeile aus. Ich buchſtabierte die ſeltſamen Anrufungen und Litaneien, darin die Mutter Gottes ein elfenbeinerner Turm genannt wird, ein goldenes Haus oder eine Arche, und fie nimmt es nicht übel. Vor allem aber betrach⸗ tete ich immer wieder die vielen loſen Bilder zwiſchen den Blät⸗ tern. Da gab es Andenken an Wallfahrten, die ſich meine gute Mutter für das Heil der Ihren auferlegt hatte, manche koſtbar bemalt oder mit Goldſtaub beſtreut, und andere, die man aus⸗ einander falten konnte, und dann kam Unſere Liebe Frau zum Vorſchein, ſchwarz von Angeſicht und ein wenig einer geſpren⸗ kelten Motte ähnlich. Auf etlichen Blättchen ſah man Heilige abgebildet, die wurden einem nach der Beichte mitgegeben, damit der Büßende nicht ganz ohne Troſt und Beiſtand blieb.

Am zahlreichſten aber waren die Sterbebilder. Ich fand unſere ganze jenſeitige Verwandtſchaft im Gebetbuch der Mutter ver⸗ ſammelt. Einige hatte ich ſelber bei Lebzeiten gekannt, dann waren ſie plötzlich verſchwunden, und eine Weile ſpäter tauchten ſie in dieſem Buche wieder auf. Viele aber waren mir ganz fremd, die Mutter nannte mir ihre Namen, wenn ich ſie auf dem Heimweg danach fragte, und manchmal knüpfte ſie auch ein mahnendes Wort daran. Der war liederlich, ſagte ſie, und deswegen ließ ihn Gott in den Wildbach fallen, merk dir das! Noch ſchlimmer ſtand es mit anderen, etwa mit unſerem Großvater, von dem die Sage ging, daß er als Bergführer eine Goldader entdeckt hatte, aber vorzeitig krank wurde und als der düffere Menſch, der er war, mit ſeinem Geheimnis zu Grabe ging! Manchmal, wenn ich ſommers um Beeren geſchickt wurde, nahm ich heimlich ſein Bild mit mir, des Glaubens, er werde es ſich doch nicht verſagen können, ein bißchen das Geſicht zu verziehen, wenn ich zufällig ſeinem Schatz auf die Spur käme. Aber das tat er nicht, er blieb verſchloſſen, ein unheimlicher Mann mit feinem ſchwarzen Wan⸗ genbart, Gott verzeihe ihm! Wir könnten alle in Freuden leben, wenn er nur rechtzeitig den Mund aufgetan hätte.

Das andere, das weltliche Buch, aber war der Kalender. Den kaufte der Vater im Spätherbſt auf dem großen Jahrmarkt, und wenn der dicke Band endlich erſtanden war und ſicher in

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heimlich hole ich mir ja noch immer Rat aus der Erinnerung, wenn mein eigener Witz verſagt und alle Weisheit, die auf Stelzen geht.

Um jene Zeit kamen auch andere Bücher in meine Hand, aber die meiſten waren mir viel weniger lieb. Denn zwiſchen der erſten Fibel und dem Leitfaden der Naturgeſchichte für die Oberſtufe ſenkte ſich immerfort Schulſtaub und Mühſal auf meine Kinder: welt herab. Die Mutter hätte es fuͤr ſündhaft gehalten, ein Buch zu kaufen, das nicht zum Lernen oder ſonſt für einen nützlichen Zweck taugte. Ich aber war um fo eifriger hinter allem Ge— druckten her, und beſonders die Ruhebänke auf den Promenaden hielt ich im Auge, weil vergeßliche Kurgäſte dort manchmal ihre Bücher liegen ließen. Brachte ich ſo einen Fund nach Hauſe, ſo verſchloß ihn die Mutter gleich in die Nählade, damit ich nicht daran verdürbe. Aber ich hatte das Buch ſchon längſt geleſen, weit ſchneller, als meine gute Mutter es für möglich hielt, und ſie wunderte ſich nicht wenig, daß ich ihr Fortgang und Ende gleichſam weisſagen konnte, wenn ihre eigene Neugier noch kaum über die erſten Seiten hinaus war.

Eine dieſer Geſchichten iſt mir ſchon damals vor allen lieb ge⸗ weſen, nämlich die des ſchiff brüchigen Robinfon. Das Buch gehörte dem Sohn des Doktors in der Nachbarſchaft, und weil es ihm ſtreng verboten war, mit uns Gaſſenkindern umzugehen, mußte ich meinen ganzen Scharfſinn daran wenden, bis ich dieſe Koſtbarkeit endlich durch einen recht anrüchigen Kunſtgriff beim Kugelſpiel an mich bringen konnte.

Ich beſaß den Band noch, als ich längſt den Kinderſtrümpfen entwachſen war und meine Jugend in den Schützenlöchern und Kavernen der Gebirgsfront begraben mußte. Irgendwo verlor ich dann das Buch auf den endloſen Märſchen oder in der traurigen Dämmerung der Gefangenſchaft, ich weiß es nicht mehr, damals verlor ich viel. Es geſellte ſich in dieſen Jahren ja auch manches andere Buch zu mir und wurde nicht eben wert gehalten, aber einige blieben mir doch dauernd, aus Zufall oder weil ſie mir wahrhaft teuer waren.

Später, als ich in die Stille geriet und mein Leben im Dorf einzurichten begann, fügte es ſich bei meinem Hang zum Hand⸗

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werk ganz von felbft, daß ich mich mehr und mehr auch mit dem Außeren des Buches befaßte, mit ſeiner dinglichen Geſtalt. Viele vergilbte Schwarten habe ich mühſam zerlegt, um den alten Meiſtern hinter ihre Schliche zu kommen. Ich ſah mit Bewunde— rung, wie ſie den Vorſatz falzten oder das Kaptal umſtachen und noch den Heftfaden kunſtvoll über die Bünde ſchlangen, obwohl das doch nie jemand zu Geſicht bekam. Schließlich lernte ich es auch, und daran habe ich noch immer meine Freude. Stehe am Schrank vor den ſchönen gewandeten Büchern, befühle das köſt— liche Leder, ſchlage eines und das andere auf und ſuche darin nach dem Wort, das mir lieb iſt. Und ſo wird es wohl auch bleiben: am liebſten binde ich Bücher, weniger gern leſe ich ſie, und am wenigſten mag ich ſie ſelber ſchreiben.

*

Briefe Hölderlins

An Neuffer

Jena, d. . . Nov. 94 Ich bin nun hier, wie Du ſiehſt, lieber Bruder! und ich habe Ur: ſache, mich darüber zu freuen, nicht ſowohl, weil ich hier bin, als weil mich mein Hierſein in dem Glauben beſtätiget, daß es uns leicht wird etwas durchzuſetzen, ſobald wir nur nicht ans Ziel ge: tragen ſein, ſondern mit eignen Füßen gehen wollen und es nicht achten, wenn zuweilen ein hartes Steinchen die Sohle drückt. Ich weiß gar wohl, daß es ein größer Ziel gibt, und größere Mühe, mehr Arbeit und mehr Gewinn; aber zu großen Dingen hat man in dieſer Welt auch ſelten mehr als kleine Beiſpiele. Ich habe jetzt den Kopf und das Herz voll von dem, was ich durch Denken und Dichten, auch von dem, was ich pflichtmäßig, durch Handeln, hinausführen möchte, letzteres natürlich nicht allein. Die Nähe der wahrhaft großen Geiſter und auch die Nähe wahrhaft großer ſelbſttätiger mutiger Herzen ſchlägt mich nieder und erhebt mich wechſelsweiſe, ich muß mir heraushelfen aus Dämmerung und Schlummer, halbentwickelte, halberſtorbne Kräfte ſanft und mit Gewalt wecken und bilden, wenn ich nicht am Ende zu einer trau⸗ rigen Reſignation meine Zuflucht nehmen ſoll, wo man ſich mit andern Unmündigen und Unmächtigen tröſtet, die Welt gehen läßt,

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wie fie geht, dem Untergange und Aufgange der Wahrheit und des Rechts, dem Blühen und Welken der Kunſt, dem Tod und Leben von allem, was den Menſchen, als Menſchen intereſſiert, wo man dem allem aus ſeinem Winkel mit Ruhe zuſieht, und wenns hoch kömmt, den Forderungen der Menſchheit ſeine negative Tugend entgegenſtellt. Lieber das Grab als dieſen Zuſtand! Und doch hab ich oft beinahe nichts anders im Proſpekt. Lieber alter Herzens⸗ freund! in ſolchen Augenblicken vermiß ich oft recht Deine Nähe, Deinen Troſt und das ſichtbare Beiſpiel Deiner Feſtigkeit. Ich weiß, daß auch, Dich zuweilen der Mut verläßt, ich weiß, daß es allgemeines Schickſal der Seelen iſt, die mehr, als tieriſche Be⸗ dürfniffe haben. Nur find die Grade verfchieden. Eine Stelle, die ich heute in dem Vorberichte zu den Wielandſchen ſämtlichen Wer⸗ ken zufällig anſah, brennt mir noch im Herzen. Es heißt da: die Muſe Wielands habe mit dem Anfange der deutſchen Dichtkunſt angefangen und ende mit ihrem Untergange! allerliebſt! Nenne mich einen Kindskopf! aber ſo was kann mir eine Woche verder⸗ ben. Sei's auch! Wenns ſein muß, ſo zerbrechen wir unſre un⸗ glücklichen Saitenſpiele und tun, was die Künftler träumten! Das ift mein Troſt. Nun auch was von hier. Fichte iſt jetzt die Seele von Jena. Und gottlob! daß ers iſt. Einen Mann von ſol⸗ cher Tiefe und Energie des Geiſtes kenn ich ſonſt nicht. In den ent⸗ legenſten Gebieten des menſchlichen Wiſſens die Prinzipien dieſes Wiſſens und mit ihnen die des Rechts aufzuſuchen und zu beſtim⸗ men und mit gleicher Kraft des Geiſtes die entlegenſten kühnſten Folgerungen aus dieſen Prinzipien zu denken und trotz der Gewalt der Finſternis ſie zu ſchreiben und vorzutragen, mit einem Feuer und einer Beſtimmtheit, deren Vereinigung mir Armem ohne dies Beiſpiel vielleicht ein unauflösliches Problem geſchienen hätte dies, lieber Neuffer! iſt doch gewiß viel und iſt gewiß nicht zu viel geſagt von dieſem Manne. Ich hör ihn alle Tage. Sprech ihn zuweilen. Auch bei Schiller war ich ſchon einige Male, das erſte Mal eben nicht mit Glück. Ich trat hinein, wurde freundlich be⸗ grüßt und bemerkte kaum im Hintergrunde einen Fremden, bei dem keine Miene, auch nachher lange kein Laut etwas Beſonders ahnden ließ. Schiller nannte mich ihm, nannt ihn auch mir, aber ich verſtand ſeinen Namen nicht. Kalt, faſt ohne einen Blick auf

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ihn begrüßt ich ihn und war einzig im Innern und Äußern mit Schillern beſchäftigt. Der Fremde ſprach lange kein Wort. Schil⸗ ler brachte die Thalia, wo ein Fragment von meinem Hyperion und mein Gedicht an das Schickſal gedruckt iſt, und gab es mir. Da Schiller ſich einen Augenblick darauf entfernte, nahm der Fremde das Journal vom Tiſche, wo ich ſtand, blätterte neben mir in dem Fragmente und ſprach kein Wort. Ich fühlt es, daß ich über und über rot wurde. Hätt ich gewußt, was ich jetzt weiß, ich wäre leichenblaß geworden. Er wandte ſich drauf zu mir, erkundigte (ſich) nach der Frau von Kalb, nach der Gegend und den Nachbarn unſeres Dorfs; und ich beantwortete das alles ſo einſilbig, als ich vielleicht ſelten gewohnt bin. Aber ich hatte ein: mal meine Unglüdsftunde. Schiller kam wieder, wir ſprachen über das Theater in Weimar, der Fremde ließ ein paar Worte fallen, die gewichtig genug waren, um mich etwas ahnden zu laſſen. Aber ich ahndete nichts. Der Maler Majer aus Weimar kam auch noch. Der Fremde unterhielt (ſich) über manches mit ihm. Aber ich ahn: dete nichts. Ich ging und erfuhr an demſelben Tage im Klub der Profeſſoren, was meinſt Du? daß Goethe dieſen Mittag bei Schiller geweſen ſei. Der Himmel helfe mir, mein Unglück und meine dummen Streiche gut zu machen, wenn ich nach Weimar komme. Nachher ſpeiſt ich bei Schiller zu Nacht, wo dieſer mich ſo viel möglich tröſtete, auch durch ſeine Heiterkeit, und ſeine Un— terhaltung, worin ſein ganzer koloſſaliſcher Geiſt erſchien, mich das Unheil, das mir das erſte Mal begegnete, vergeſſen ließ. Auch bei Niethammer bin ich zuweilen. Das nächſte Mal mehr von Jena. Schreibe mir itzt auch bald, lieber Bruder! Dein Hölderlin

Meine Adreſſe iſt: an —— im Vogtiſchen Garten.

An Neuffer

Frankfurt Hätt ich Dich doch bei mir, lieber Bruder! daß wir uns einmal wieder Freude machen könnten mit unſern Herzen. Die Buchſtaben find für die Freundſchaft, wie trübe Gefäße für goldnen Wein. Zur Not ſchimmert etwas durch, um ihn vom Waſſer zu unter⸗ ſcheiden, aber lieber ſieht man ihn doch im kriſtallnen Glaſe.

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Ich mode wiſſen, wie Dir's jetzt gerade geht. Ich wollt, es ginge Dir, wie mir. Ich bin in einer neuen Welt. Ich konnte wohl ſonſt glauben, ich wiſſe, was ſchön und gut ſei, aber ſeit ichs ſehe, möcht' ich lachen über all mein Wiſſen. Lieber Freund! es gibt ein Weſen auf der Welt, woran mein Geiſt Jahrtauſende verweilen kann und wird und dann noch ſehen, wie ſchuͤlerhaft all unſer Denken und Verſtehen vor der Natur ſich gegenüber findet. Lieblichkeit und Hoheit, und Ruh und Leben, und Geiſt und Gemüt und Geſtalt iſt ein ſeliges Eins in dieſem Weſen. Du kannſt mir glauben, auf mein Wort, daß ſelten ſo etwas geahnet und ſchwerlich wieder ge⸗ funden wird in dieſer Welt. Du weißt ja, wie ich war, wie mir Ge⸗ wöhnliches entleidet war, weißt ja, wie ich ohne Glauben lebte, wie ich ſo karg geworden war mit meinem Herzen, und darum ſo elend; konnt ich werden, wie ich jetzt bin, froh, wie ein Adler, wenn mir nicht dies, dies eine erſchienen wäre, und mir das Leben, das mir nichts mehr wert war, verjüngt, geſtärkt, erheitert, ver⸗ herrlicht hätte, mit ſeinem Frühlingslichte? Ich habe Augenblicke, wo all meine alten Sorgen mir ſo durchaus töricht ſcheinen, ſo un⸗ begreiflich, wie den Kindern.

Es iſt auch wirklich oft unmöglich, vor ihr an etwas Sterbliches zu denken, und eben deswegen läßt ſo wenig ſich von ihr ſagen. Vielleicht gelingt mirs hie und da, einen Teil ihres Weſens in einem glücklichen Zuge zu bezeichnen, und da ſoll Dir keiner unbe⸗ kannt bleiben. Aber es muß eine feſtliche durchaus ungeſtörte Stunde fein, wenn ich von ihr ſchreiben foll.

Daß ich jetzt lieber dichte als je, kannſt Du Dir denken. Du ſollſt auch bald wieder etwas von mir ſehen.

Was Du mir mitteilteſt, hat Dir herrlichen Lohn gewonnen. Sie hat es geleſen, hat ſich gefreut, hat geweint über Deine Klagen.

O fei glücklich, lieber Bruder! Ohne Freude kann die ewige Schön⸗ heit nicht recht in uns gedeihen. Großer Schmerz und große Luſt bildet den Menſchen am beſten. Aber das Schuſtersleben, wo man Tag für Tag auf ſeinem Stuhle ſitzt und treibt, was ſich im Schlafe treiben läßt, das bringt den Geiſt vor der Zeit ins Grab. Ich kann jetzt nicht ſchreiben. Ich muß warten, bis ich weniger mich glücklich und jugendlich fühle. Leb wohl, treuer, geprüfter, ewiglieber Freund! Könnt ich ans Herz Dich drücken! Das wäre

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jetzt die wahre Sprache für Dich und mich! Dein Hölderlin d. 10. Jun.

Ich reiſe heute noch nach Hamburg ab, wegen dem Kriege. Leb wohl, mein Bruder! Die Zeit drängt mich Ich ſchreibe, wo mög— lich, Dir bald wieder.

An Schiller Frankfurt, d. 30. Jun. 1798 Halten Sie es nicht für Unbeſcheidenheit, daß ich Ihnen wieder einige Gedichte zuſchicke, wenn ich ſchon mich zu der Hoffnung Ihres Beifalls nicht berechtigt finde. Soſehr ich von mancher Seite niedergedrückt bin, ſo ſehr auch mein eignes unparteiiſches Urteil mir die Zuverſicht nimmt, ſo kann ich es doch nicht über mich gewinnen, mich aus Furcht des Tadels von dem Manne zu entfernen, deſſen einzigen Geiſt ich fo tief fühle und deſſen Macht mir längſt vielleicht den Mut genommen hätte, wenn es nicht eben ſo große Luſt wäre, als es Schmerz iſt, Sie zu kennen. Sie durchſchauen den Menſchen ſo ganz. Es wäre deswegen grund— los und unnütz, vor Ihnen nicht wahr zu ſein. Sie wiſſen es ſelbſt, daß jeder große Mann den andern, die es nicht ſind, die Ruhe nimmt und daß nur unter Menſchen, die ſich gleichen, Gleichge— wicht und Unbefangenheit beſteht. Deswegen darf ich Ihnen wohl geſtehen, daß ich zuweilen in geheimem Kampfe mit Ihrem Genius bin, um meine Freiheit gegen ihn zu retten, und daß die Furcht, von Ihnen durch und durch beherrſcht zu werden, mich ſchon oft verhindert hat, mit Heiterkeit mich Ihnen zu nähern. Aber nie kann ich mich ganz aus Ihrer Sphäre entfernen; ich würde mir fold) einen Abfall ſchwerlich vergeben. Und das iſt auch gut; ſo⸗ lang ich noch in einiger Beziehung bin mit Ihnen, iſt es mir nicht möglich, ein gemeiner Menſch zu werden, und wenn ſchon der Übergang vom Gemeinen zum Vortrefflichen noch ſchlimmer iſt als das Gemeine ſelbſt, ſo will ich doch in dieſem Falle das Schlim⸗ mere wählen. Ihr wahrer Verehrer Hölderlin Aus den Briefen Hölderlins in der Inſel⸗Bücherei

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Anton Coolen / Der Einzug des Doktors

Niemals wurde man es im Dorf vergeſſen, wie Friſo van Taeke eingezogen war, als er ſich hier niederließ! Das war ja auch wahrhaft unvergeßlich! Mennoniten und Reformierte hatten ſich dabei über alle trennenden Meinungen hinweg gefunden und ein⸗ trächtiglich gefeiert bis ans Morgenrot.

Es war in jenen Tagen, als in Friesland die erfte Eiſenbahn ge: baut war, von Harlingen nach Leeuwaarden. Viel Menſchen kamen hin, um das neue Wunder, den erſten Zug, zu beſtaunen. Was für eine Zeit war das! Seit der Franzöſiſchen Revolution war es dem Lande ſehr gut gegangen, und ſo ſah man überall eitel

ſcheinung aus andern Welten, und tief erſchůttert lauſchte man dem aufregenden Bericht von ihrer Reiſe, von ihrer eigenen Ver⸗ wirrung und von der Angſt, die ihre armen Eltern um ſie auszu⸗

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Friſo van Taeke freute ſich gewiß auch und ganz befonders über allen Fortſchritt, denn er war ein vorurteilsfreier Mann. Er war zur Eiſenbahn hinausgeritten, und als nun der Zug vorüber⸗ brauſte, nahm er feinen hohen Hut ab und grüßte: „Salve vic- toria aetatis nostrae! Und er fühlte, wie der Wind ihm Haare und Brauen zauſte.

In eben jenen Tagen nun geſchah es, daß er in ſeinen neuen Wohnort zog. Mit dem Zug werde er kommen, ſo hatte er an— kündigen laſſen. Natürlich war das Unſinn und pure Wichtig— tuerei von dieſem Reiter, dieſem Freiherrn von Münchhauſen. Wie hätte er denn überhaupt mit dem Zuge kommen können? Das Dorf lag ja gar nicht an der Bahn! An Landwegen lag es und am Waſſer, an einem Kanal. Aber wie die Menſchen ſind: Da kam nun fo ein ſonderbarer Doktor, von dem fie ſchon mancherlei gehört hatten, und da glaubten ſie eben von vornherein an feinen ‚Zug‘, kamen hinaus, um dieſen Zug zu ſehen. Und Friſo van Taeke kam, ohne Dampf und ohne Technik, und ſeine Pferde waren nicht von Eifen. Vielleicht war er ein wenig aus dem Gleichgewicht gekommen durch die Eiſenbahn, durch den Umſturz der Zeit und den Wandel der Bildung. Denn er kam ſo närriſch und mit großem Tamtam daher wie die alten umherziehenden Wundärzfe, mit einem ganzen Heerbann! Zu ſeiten des Weges ſtanden die Menſchen und guckten. Sogar die Kühe waren neu— gierig an die Hecken ihrer Melkplätze gekommen. Die Bauern: wagen mußten den Weg frei machen für dieſe ungewöhnliche Karawane.

Vorneweg fuhr ein Bauernwagen, darauf ſtanden zwei Kerle, als Narren herausſtaffiert; ſie trugen ein Spruchband, darauf war etwas ſehr Erhabenes zu leſen, ein Wahlſpruch, der den Zug er⸗ öffnen ſollte: „Ich verbinde euch, Gott heilt euch!“ Aber hinter dieſen Kerlen mit dem Spruchband dampfte und qualmte es auf dem erſten Wagen, Rauchwolken kamen aus einem ſteilen Rohr, ein Küchenherd thronte hoch oben, und drei rotſchwarze Kobolde, drei Gnomen ſtanden davor und ſchürten das Feuer, das waren Friſo van Taekes kleine Söhne: Tjerk, Evert und Wobbe. Die Kohlen holten ſie von dem Wagen, der hinter ihnen fuhr, ſie

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wurden ihnen über die Pferde hin zugereicht, und halsbrecheriſch turnten die Jungen an Deichſel und Pferden entlang, um die herübergereichten Stücke faſſen zu können. Dann tanzten fie wie⸗ der vor ihrem Ofen. Sie machten das Türchen auf und beugten ſich zum Feuer, ihre ſchwarzen Geſichter waren purpurn in der roten Glut. Und hinter dem Kohlenwagen, in einer friefifchen Federkutſche, die ganz weiß und golden war und innen mit rotem Samt ausgeſchlagen, fuhren Friſo van Taeke und ſeine Frau. Nein, dieſer Doktor mit ſeinen weißen Brauen und dem roten Bart! Alle Leute mußten danach gucken. Wie ſonderbar er doch ausſah in der kurzen Kutte und dem hohen Hut; in der einen Hand trug er den Stab mit den beiden Schlangen des Askulap und in der andern die Leier von deſſen Vater Apoll, dem Gott der Dichter, der Moral und der Arzte. Aber gern legte er einmal die Symbole zu ſeinen Füßen nieder, um einen Pokal anzunehmen, den man ihm überreichte. Er ſtand auf und trank der Menge zu: „Fryslan böppe!‘“ Den Ruf kann auch der ſchweigſamſte Mann aus einem Frieſendorf nicht hören, ohne zu jauchzen und mitzurufen. Und wie herzlich hatte da auch die Frau Doktor mit eingeſtimmt! Freund⸗ lich war ſie und ein wenig verlegen, aber wohl auch von ihres Mannes Vergnügen an dieſem Unfug angeſteckt. Sie trug die frieſiſche Tracht, die goldene Kappe, deren Glanz gedämpft war durch die zarte Spitze der Haube. Wie funkelten die feinen Ohr⸗ gehänge zu beiden Seiten ihrer ebenmäßigen Stirn! Sie trug auch das ſpitzenbeſetzte Umſchlagetuch und eine Schnur ſchim— mernder Wachsperlen. Eine Spitzenſchuͤrze hatte fie über dem bunfgeblümten hellen Kleid und die ſilberne Bügeltafche auf dem Schoß. Sie war ganz rot geworden und ſchlug die Hände vors Geſicht. Aber dann trank ſie ſich Mut und Faſſung an für die überſchäumende Ausgelaſſenheit ihres Mannes. Sie ſchaute gen Himmel und mußte beinahe weinen über ihre ſchwarzen Jungen. Da riefen ſie ihr zu. Sie ſah auf. Sie ſah die rotgerandeten Augen in den ſchwarzen Jungengeſichtern, und wie die Lider ſo weiß darüber auf- und zuklappten. Die Kinder krähten: „Mutter! Mutter!“

Und ſie lachte unter ihren Tränen und ſtieß mit ihrem Manne an. Sie hatte ihre Faſſung wieder. Sie war blond unter der hellen

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Mütze, fie trug die heimatliche Feſtkleidung. Hinter ihr kam eine Kutſche mit einem Herold; in viel zu weiten Stiefeln, die um ſeine Beine ſchlotterten, ſtand er da und hatte einen breiten Federhut auf dem Kopf. Er trug die mit der Waſſerroſe gezierte Fahne, die bunt und prächtig flatterte, und wenn der Herold die gewaltige Flagge ſchwenkte, mußte die Frau Doktor den Kopf immer ein wenig eins ziehen. „Eala frya Fresena!“ Man fang, ſchüchtern noch und gedämpft, und ſo ſingend, wand ſich der Zug dahin in der Abend— fonne. Männerſtimmen fangen und Frauen, halblaut, es war ein wunderlicher Chor. Aber hinter der frieſiſchen Fahne kam dann die Muſikkapelle: Geigen, Becken und Trompeten, und die Muſi— kanten ſtimmten das Lied an, dem auch der ſchweigſamſte Frieſe vom Dorfe nicht widerſtehen kann. Alle Menſchen fielen ein, und jetzt ſangen ſie laut:

Frysk bloed tsjuch op,

Wol nou ris brüze en siede!

Frieſenblut, rauſche auf! Brauſe nun und walle!

Hinter den Muſikanten kamen dann noch viele zweiſpännige nied— rige Bauernwagen mit Möbeln und Hausrat, und auch ein Wagen mit der Apotheke, der war mit Bildern beklebt: Pracht⸗ voll ringelte ſich da die Schlange mit dem erſchröcklichen offenen Maul über der breiten Schale. Und ganz am Ende des Zuges kam die fliegende Gaſtwirtſchaft! Wagen mit Weinfäſſern, Wagen mit Biertonnen, Wagen mit Branntweinkrügen und Schiedamer, lauter Tonnen und Fäſſer, und die glatten Dauben dufteten in der Glut der Sonne. Nein, es war kein Wunder, daß die Leute ſo ausgelaſſen waren. Hurtige Hände griffen zu, ſchenkten ein, die gefüllten Gläſer gingen, wie die Eimer an einer Brandſtätte, von Hand zu Hand bis zu den erſten Wagen, wo die Narren ſtanden mit dem Spruchband vor dem rauchenden Herd. Oh, was für dicke graue Rauchwolken kamen da heraus! Manchmal verſchwan⸗ den die drei kleinen ſchwarzen Teufel ganz in den Schwaden und mußten furchtbar huſten. Auch die Zuſchauer am Wege wurden von den Männern auf den Getränkewagen nicht vergeſſen. Wer nur ein Glas hatte, kriegte es gefüllt. So ganz mit rechten Dingen ging das nun nicht mehr zu, wo hatten ſie alle nur ſo plötzlich die

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vielen Gläſer her, Becher, Kannen, Teetaſſen? „Auf den neuen Doktor!“ Als man das Dorf mit ſeinen ſtillen Häuſern und den zwei kleinen Holztürmen, dem der Mennoniten und dem der Re⸗ formierten, erreicht hatte, waren ſchon einige auf dem Deich zu: rüdgeblieben. Aber fie rafften ſich wieder vom Abhang auf und holten den Zug ein, wenigſtens dieſe fliegende Gaſtwirtſchaft! Denn es lag ihnen ja nichts daran, nun unbedingt an der Spitze des Ganzen zu marſchieren. Sie blieben beſcheiden hinten, bei ihren Wagen mit den Tonnen.

So kam der Zug in die Mitte des Dorfes, auf den Dorfplatz, eine Raſenfläche unter Ulmen. Hier ſtand das Gemeindehaus, und hier war auch die Doktorwohnung, eine zierliche Giebelfront mit einem ſauberen, von Ketten und Steinpfoſten begrenzten ge⸗ pflaſterten Sitzplatz davor, einem Balkon über der Tür. Neben dem Hauſe ſtanden, kleiner und mit breiten Toren, Kutſchhaus und Pferdeſtall. Das Feſt ging weiter. Wir wiſſen alle, daß die Frieſen zurückhaltende und ſchweigſame Menſchen ſind. Aber ſeht ſie einmal auf dem Eiſe! Dann erkennt ihr ſie nicht wieder. Dann haben ſie etwas vom Winde und von der Gewalt des Sturmes. Und waren ſie jetzt auch nicht gerade auf dem Eiſe, ſo hatten ſie doch dieſen plötzlichen, unerwarteten Schwung feſtlicher Freude und Bewegtheit, der fie mitriß. Vielleicht ſpürten fie auch wieder etwas von der verführeriſchen Unabhängigkeit, der verloren ge- gangenen tollen Unbezähmbarkeit in ihrem uralten Freibeuterblut. Im Handumdrehen war für die Muſikanten eine Eſtrade aus Tonnen und Brettern gebaut, und nun illuminierte man die Gie⸗ belfront unter den Ulmen mit Lampions, die Friſo van Taekes ſchwarze Söhne aus den mitgebrachten Körben zu Dutzenden, ja zu Hunderten austeilten. Das war ein prächtiges Bild, unter den ſommerlich belaubten Bäumen all die roten, orangefarbenen und violetten ſchwach ſchimmernden Lichter vor dem noch klaren Abend⸗ himmel! Sanft ſchwangen ſie im Grünen mit, und die perlenden Schnüre zogen ſich bis ans Doktorhaus. Über der offenen Tür, über den Fenſtern waren auch hier Lampions aufgehangen, und ihr ſanftes Widerbild ſchimmerte im glänzenden Spiegelglas der Fenſterſcheiben. An einem der Fenſter kamen auch die ſchwarzen

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Maſchiniſten über den Lampions zum Vorſchein, die Leute ſahen, wie die kleinen ſchwarzen Geſichter nahe an der milden Glut lachten. Paare tanzten, ſangen und küßten ſich, die Reformierten nahmen die Mennoniten wie Brüder auf. Der Geiſt der Ver⸗ brüderung ergriff alle Herzen. Über alten Haß hinweg trank man ſich begeiſtert zu. Feinde wurden zu Freunden. Sünder weinten vor Reue und Freude. Keiner hatte je einem andern etwas Böſes zu: gedacht, immer nur Gutes! Man mußte auch freigebig ſein und der Armen gedenken, man ſammelte Geld für ſie. Der Nachtwind ſang in den rauſchenden Kronen der hohen Ulmen. Doch der Sang von Bäumen und Wind ging unter im Lärm der Muſik und der ſingenden Stimmen. Da, mit einem Male, wurde die Eſtrade, auf der die Muſikanten ſaßen, kurz und klein geſchlagen. Aber es war keineswegs bös gemeint! Es war nur die hemmungsloſe Be— geiſterung von ein paar ganz Wildgewordenen, die ſich in bloßen Worten eben nicht mehr genügend austoben konnten. Über den Trümmern zerriß eine Kette von Lampions, ein paar gingen aus, andere loderten auf in klarer Flamme wie eine Fackel, die raſch zuſammenſank und ſchief und glimmend herabhing. Eine Eſtrade war nun nicht mehr da, aber man half ſich: die Muſikanten fan— den einen neuen Platz, auf dem Balkon und vor den Fenſtern der Doktorwohnung, das war auch viel prächtiger! Der Geiſtliche der Mennoniten kam und ereiferte ſich, was das hier für wilde Sitten wären! Er mußte zu dem neuen Doktor, er mußte ihn ſprechen! Man ſah, wie er ſich, blaß und verſtört, durch die Menge drängte und dann mit einem Sprung über die Schwelle im Haus verſchwand. Zwei Stunden {pater erſchien er wieder in der Feſt⸗ beleuchtung und bei der Muſik auf der Schwelle vor all den Men⸗ ſchen; Rock wie Weſte hatte er verkehrt angezogen, hier vorn und hinten, dort links und rechts vertauſcht! Um den Hals hing ihm ein Tau, daran vor ſeinen Knieen ein Fäßchen baumelte. In jeder Hand hielt er ein Weinglas hoch empor und ſang, eigenſinnig gegen die Muſikkapelle an, das Vivat aus ſeiner Studentenzeit. Man konnte es ſich nicht erklären. Dieſer Wiking da drinnen war ſicher ein Gaſtgeber von unwiderſtehlicher Liebenswüͤrdigkeit, oder vielleicht war der Pfarrer auch ſein alter Studienfreund? Erſt gegen vier Uhr in der Frühe zerſchmetterten die Muſikanten die

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Geigen gegenfeitig auf ihren Schädeln und zogen ab, einer hatte noch eine Violine als Halskragen um. Jetzt konnten ſie mittun bei der allgemeinen Ausgelaſſenheit da unten, dabei hatte man nun keine Muſik mehr nötig! O nein! Die Menſchen hatten ja Muſik, brauſende, inwendige Muſik, mehr als genug! Sie hörten alles und ſtimmten ſchallend ein im aufglimmenden Morgenrot, vor dem die Flämmchen in den Lampions mit immer kleineren Rucken kümmerlicher und blaffer wurden und mit einem letzten Aufflackern erloſchen.

Ja, die Wirte unter den rauchgeſchwärzten Deckenbalken wußten noch lange davon zu erzählen, ſie hatten es von alten Leuten, die dabei geweſen waren. In jener alten, barbariſchen Zeit verſtand man ſich noch darauf, Feſte zu feiern! Jetzt geht es in feineren Formen vor ſich.

Friſo van Taeke wird am andern Tage wohl nicht mehr als einen ſtummen Blick der Ernüchterung gehabt haben für die Hefe im geleerten Pokal. Als er an dieſem Nachmittag einmal hinausging, den Garten bei ſeinem Hauſe zu beſichtigen, erhob ſich ein Mann aus den Sträuchern. Das war der letzte der Feſtgenoſſen, von den Schritten des Doktors eben erſt geweckt. Friſo van Taeke grüßte den Mann kühl und ſah ihm nach, als er durch die Hintertür in den Flur ging und durch den vorderen Ausgang das Haus ver⸗ ließ. Friſo van Taeke ging zum Stall und Kutſchhaus. Hier ſtan⸗ den ein paar Männer bei einem Wirrwarr von Wagen, Kiſten und Hausrat. Friſo van Taeke ließ ſein Pferd ſatteln und ritt in ſeiner kurzen Mönchskutte, den hohen Hut auf dem Kopf, zum Dorf hinaus. Er ſetzte ruhig über Gräben und Hecken. Er wollte das Land kennen lernen, dieſes Land, in dem er ein beliebter und wegen ſeiner Tüchtigkeit geachteter Arzt werden ſollte, ein ſehr angeſehener Mann.

Aus dem Roman: „Die drei Brüder“

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Andreas Zeitler / Die Gartenernte

In der Nacht hatte es noch dünn und leiſe, aber anhaltend gereg⸗ net. Beim Morgengrauen dann war ein ungeſtümes Wehen über das finſtere Gewölk hergefallen und hatte es bald auseinander ges trieben. Nun leuchtete der reingefegte Himmel über dem Tal wieder ſo ſeidig blaßblau, ſo prangend und verheißungsvoll, wie er zu dieſer Jahreszeit in der kalten Frühe nur leuchten konnte. Die tannendunklen Waldhäupter des Gebirges deckten noch duftige, mattblaue oder grüngraue Schleier. Von den höchſten löſte die Sonne eben die volle, rötlichblonde Mähne, heiter machte ſie ſich ans Steigen, und das herbſtliche Land, das noch von Näſſe funkelte und das mütterliche Geſtirn mit unzähligen blanken Trop— fenaugen ſpiegelnd begruͤßte, verjüngte ſich mehr und mehr unter ihrem Licht. Die klare Luft war erfüllt von dem hellen Zwitſchern und Schnalzen der Stare, die ſich unruhig in dunklen Schwärmen über den ſattbraunen oder milchig grünen Fluchten der Acker auf und nieder warfen und zum Fluge rüſteten.

Regina ſtand unter den ufernahen Bäumen ihres Gartens und blickte über das Waſſer hinweg und zwei offenen Autobuſſen nach, die weit drüben auf der Straße neben der Eiſenbahn dicht hinter— einander dahineilten. Ihre prächtig glänzenden Karoſſerieen ſchoſ— fen rote Blitze herüber, und die Kleider der Schulklaſſen, die eng gepfercht darin ſaßen, flammten weiß. Ganz fern, wie ein mun— teres Vogelrufen aus großer Höhe, war das vergnügte Kreiſchen der kleinen Mädchen zu hören.

Habe fie es nicht vorausgeſagt, daß es heute ſchön werden würde, fragte ſie Käthe, die den Weg vom Hauſe herunterkam und lächelnd zwei leere Obſtſchwingen ins Gras ſetzte. Regen am Erntedanktag es fei auch nicht auszudenken! Verdürbe doch dann das große gemeinſame Feſt, das alle froh und dankbar machen ſolle.

Sie hob die Leiter auf, die vor ihr am Boden lag, und lehnte ſie mit kundigen Griffen in das Geäſt des nächſten Baumes. Käthe rüttelte zur Vorſicht kräftig daran, um ſich zu überzeugen, daß ſie auch wirklich feſt ſtand. Dann reichte ſie dem Mädchen einen kleinen, runden Pflückkorb, den man mit einem Eiſenhaken

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an die Leiterſproſſen hängen konnte, wo man ihn gerade brauchte. Behende ſtieg Regina bis hoch in den durchſonnten Wipfel hinauf, der die beſten ſpätreifen Apfel des Gartens trug. Das ſommer⸗ liche Unwetter hatte ihm keinen ſchweren Schaden zufügen können, weil das Haus damals mit ſeinem langen Dach gegen den Sturm einen gleich hohen Schutzwall bildete. Was in jener Nacht an den Zweigen geblieben war, ergab noch eine erfreuliche Ernte. Mit hübſchen roten Streifen geſchmückt, glänzten die gedrunge⸗ nen hellgelben Früchte überall lecker aus dem Laub, und die ge⸗ ſunde Farbe und der feine Glaſt ihrer Haut verhießen ein mürbes, wohlſchmeckendes Fleiſch. Regina ließ erſt noch ein Weilchen ver⸗ ſtreichen, ehe ſie mit dem Abnehmen begann. Sie ſtützte ſich auf die beiden Leiterholme und ſah andächtig um ſich. Das unbegreif⸗ liche Wunder des Lebens, das der Tod erbarmungslos vernichtete und doch auch wieder auf geheimnisvolle Weiſe nabrte, teilte ſich ihrem empfänglichen Herzen in der reichen Krone als ein leiſer Jubel mit, der vorübergehend die Glieder lähmte und ausgekoſtet fein wollte...

Käthe, die kein Leid zu verwinden hatte und alles noch mit den gleichen Augen anſah wie früher, machte ſich inzwiſchen unten ſchon emſig zu ſchaffen; an einer langen Stange ſchob ſie den eiſenfingerigen Rand eines aufgeſpreizten Leinwandſäckchens unter die niedergebogenen Aſte und riß damit ſäuberlich Apfel um Ap⸗ fel ab.

Sobald beide Schwingen gehäuft voll waren, fchüffete fie die Aus⸗ beute in einen Waſchkorb, der auf dem Steinplatz vorm Hauſe bereit ſtand, und Regina ſchleppte die Leiter zu einem anderen Baum.

„Muß es gerade der ſein?“ fragte die Alte etwas verwundert, als ſie mit den leeren Geflechten wieder durch das naſſe Gras zu ihr herunterwatete und ſah, daß der beſte Birnbaum diesmal der aus⸗ erwählte war.

Aber Regina ließ ſich nicht beirren. Ohne ein Wort der Entgeg⸗ nung klomm ſie lächelnd in die Höhe und warf ihr die erſte Birne zu, die ſie abbrach. Jene fing ſie geſchickt mit der vorgehaltenen Schürze auf und dankte ihr. Bevor fie hineinbiß, drehte fie bewun⸗ dernd die gewichtige Frucht auf den Fingerſpitzen vor den begehrlich

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blißenden Augen und meinte, daß ihr dieſe Sorte von allen, die fie in ihrem Leben verſucht habe, nun einmal die liebſte fei.

Ihr ſelber ſchmecke ſie nicht weniger, erwiderte Regina und ſenkte dabei den gefüllten Pflückkorb an einer Leine herab. Doch eben deshalb wollten ſie nicht auf die ganze Fülle erpicht ſein, ſondern einen Teil an Arme und Kranke ablaſſen.

Wie vorher bei den Apfeln, begnügte ſie ſich auch hier mit der Menge, die in die flachen Mulden hineinging, und verließ den Baum wieder, als in jeder gleich einem Schatze von erſtarrten Sonnentropfen ein gleißender Birnenberg ſtand.

Während Käthe die Birnen zu den Apfeln tat und durch eine auf: recht in den Waſchkorb geſtellte Pappe die einen von den anderen trennte, lud ſich Regina die Leiter auf die Schulter, raffte dazu noch den Pflücker vom Boden auf und trug die beiden Geräte an ihren Platz hinter dem Hühnerſtall zurück, wo ſie, gegen Sonne, Regen und Schnee hinreichend geſchützt, das Jahr über verwahrt wurden. Hernach begab ſie ſich von neuem in den Garten, und min waren es ihre Gemüſebeete, auf denen ſie erntete. Nicht an— ders als beim Obſt wählte ſie auch dort mit Bedacht das Schnitt— reife aus und häufte es in die zwei mitgebrachten Schwingen, die wiederum ihr Maß bildeten. Sie zog die dickſten Möhren aus der Erde, löſte die röteſten Tomaten von ihren Stielen und ſetzte an die prallſten Kohlrabiköpfe, den feſteſten Blumenkohl und das rundeſte Welſchkraut das Meſſer, und bald lag das Beſte bei— ſammen, das ihr bis zu dieſem Morgen zugewachſen war. Damit es recht friſch und appetitlich ausſähe, putzte ſie raſch das Un⸗ brauchbare weg und brauſte zuletzt alles noch unter der Waſſer⸗ leitung flüchtig ab.

Ihrem Vater war gleichfalls bei der feſttäglichen Morgenarbeit eine Aufgabe zugefallen. Im vorderen Garten hatte er inzwiſchen zuſammengeſucht, was er Blühendes noch an Büſchen und Stau— den entdecken konnte. Voller Stolz brachte er jetzt einen dicken, in der Morgenſonne taublank leuchtenden Strauß herbei, den er mit beiden Händen umſpannen mußte. Er breitete ihn behutſam auf dem Tiſche des Vorplatzes aus und humpelte dann wieder da- von, um noch zwei lange Tannengewinde zu holen, die bereits am Vorabend gebunden worden waren und während der Nacht

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auf der Regentonne gelegen hatten, damit fie ihre Friſche be⸗ hielten. Ehe er fie dort wegnahm, beſprühte er fie noch einmal reichlich und kam dann mit der tropfenden dunkelgrünen Bürde, aus der ihn beim Tragen der herbſtliche Bergwald würzig anroch, gerade zurecht; denn Regina und Käthe hatten nun das Gemüfe in einen zweiten Waſchkorb geſchichtet und wollten mit dem Aus⸗ ſchmucken beginnen.

Mit ein wenig Blumendraht und einem Reſt bunten Bandes war das bald bewerkſtelligt. Um den Rand der Körbe wurde das Tan⸗ nengewinde gelegt; in dieſes hinein flochten ſie aus Aſtern, ſpäten Nelken, Levkojen, letzten Gladiolen und Zinnien ein üppiges Mu⸗ ſter, das fie mit den flammenzüngigen Sternen und Bällen der Dahlien und Georginen vollendeten. Eine einzelne nachgekom⸗ mene Sonnenblume, die im laueren Strahlenbad der Nachſom⸗ mermittage bloß ein ſchmächtiges Haupt in die Höhe gereckt hatte, wollte mit ihrem ſtillen, warmen Licht nicht recht in die farben⸗ fpriihende Unruhe des Gewindes paffen, wo es von rahmweißen, lachsfarbigen, faſt ſchwarzen, ſchwefelgelben, korallenroten und blauvioletten Tupfen wimmelte; fie ließen fie auf ihrem rauh⸗ blättrigen Schafte luſtig ſchaukelnd wie das Tagesgeſtirn über den Apfeln und Birnen ſtehen. Als ſie fertig waren, nahmen ſich die Früchte und das Gemife noch einmal fo gut aus.

Sie gingen nun in die Küche, wo ſich für jeden noch etwas zum Heraustragen fand. Der Hauptmann nahm das Henkelkörbchen mit den Eiern, Regina bepackte ſich mit den Honiggläſern und einem der Brote, Käthe ergriff das andere; im Hinausgehen fiel ihr die Butte mit den Pflaumen ein, die in der Speiſekammer ver: geſſen worden war, ſie kehrte um und klemmte ſich auch dieſe noch unter den Arm. Man war ſich nicht gleich einig, wie man die Sachen unterbringen ſollte; zu guter Letzt entſchied Regina. Auf jeden Korb wurde obenauf ein Brot getan, die Eier und die Pflau⸗ men geſellte man dem Gemüfe, den Honig dem Obſt.

Aus der Erzählung „Fränkiſcher Sommer“

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Wilhelm Buſch / Der fliegende Froſch

Wenn einer, der mit Mühe kaum Gekrochen iſt auf einen Baum,

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Schon meint, daß er ein Vogel wär,

So irrt ſich der.

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Bücher aus dem nfel:Verlag

Mein Rat ift nicht, daß man ohne Unter: ſchied allerlei Bücher zuſammenraffe und nur an derer Menge denke. Ich wollte die Wahl darunter haben und mit rechtſchaffe⸗ nen Büchern meine Librerei verſorgen und

gelehrte Leute darüber zu Rate ziehen. *

Martin Luther

Neuerſcheinungen 1937

Die Preife beziehen fich, mo nichts anderes angegeben ift, auf den in Leinen gebundenen Band.

Böhme, Jakob: Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Fried⸗ tid) Schulze⸗Maizier. (Hausbücher der Ynfel.) IN 4.50 Die neue Böhme⸗Ausgabe will aus dem Geſamtwerk des „Philo- sophus teutonicus“ durch Auswahl des heute noch Lebendigen ein Bild des Menſchen darbieten und die Entwicklung des Philoſophen deutlich machen. Sie zeigt Böhmes fauſtiſches Bemühen um einen letzten Lebensſinn, ſeinen unerſchrockenen Blick in die Abgründe des Daſeins, der jeder kleinmüͤtigen Lebensverdüſterung zu trotzen wagt: Ritter zwiſchen Tod und Teufel.

Buchwald, Reinhard: Schiller. Zwei Bände. I. Der junge Schiller. II. Wanders und Meiſterjahre. Mit 14 Bildtafeln. M 15.—

Seit mehr als einem Menſchenalter iſt dies zum erſten Mal wieder eine umfaſſende Schiller⸗Biographie. Reinhard Buchwald hat zahl⸗ reiche neue Quellen erſchloſſen und dem Bildnis des Dichters viele neue Züge gegeben. Er hat aber vor allem auch einen neuen Weg der Lebensbeſchreibung beſchritten und Schillers Lebenslauf als Geſchichte ſeines Geiſtes geſtaltet. Bei alledem iſt ſein Werk kein gelehrtes Buch, ſondern eine allgemein verſtändliche feſſelnde Darſtellung, wohl das lebendigſte Schillerbuch, das die Geſtalt des Dichters in ihrer ganzen Größe vergegenwärtigt.

Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig. Eine Künftlerfahrt im Jahre 1773. 100 Bilder nach den Originalen der Staatlichen Akademie der Künſte in Berlin mit erläuterndem Text und einer Einführung von Wolfgang von Oettingen. Stammbuch⸗ Querformat in Schuber. M 4.50

Dies Werk gehört zu den reizvollſten Schöpfungen des berühmten Meiſters. Seine Zeichnungen geben uns das deutlichſte Bild der Danziger Geſellſchaft. Das entzückende Büchlein iſt ein ſchönes Sei⸗ tenſtück zu dem vor zwei Jahren erſchienenen „Reife, Zerſtreuungs⸗ und Troſtbüchlein“ Goethes.

Coolen, Anton: Die drei Brüder. Roman. Aus dem Niederländiſchen übertragen von Bruno Loets. M 5.—

Wie in ſeinen Romanen „Brabanter Volk“ und „Das Dorf am Fluß“ hat Anton Coolen auch hier wieder eine Reihe unvergeßlicher Geſtalten geſchaffen: den alten Landarzt Friſo van Taeke, ſeine Schweſter Frode und ſeine drei Söhne. Ländliches Idyll und tra⸗ giſche Erſchütterung ſind in einer bewegten Handlung verſchlungen

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von einem Erzähler, den man mit Recht in die Nachbarſchaft eines Hamſun geſtellt hat, der aber ſeinen eigenen Stil einer großen Fabulierkunſt hat.

Dantes Göttliche Komödie. Übertragen von Friedrich Freiherrn von Falkenhauſen. (733 Seiten.) M 7.50; in Leder M 14.—

Dantes Weltgedicht hat einen neuen Überſetzer gefunden, der bei ſtrenger Treue gegen den Gedankengehalt des Urbilds auch ſeine Bers: und Reimform gewahrt hat. Die neue Ausgabe bietet aus: führliche Erläuterungen und eine Einführung in die Ideenwelt der Dichtung. Wir glauben, daß mit dieſem Werk das gefdyaffen iſt, was das Ziel ſo vielfacher Bemühungen war: ein deutſcher Dante.

Flaubert, Gustave: Frau Bovary. (Bibliothek der Romane.) Me 3.50

Achtzig Jahre nach feinem Erſcheinen (1857) hat dieſer Roman nichts von ſeiner Kraft verloren. Mit der tiefen Durchleuchtung ſee— liſcher Vorgänge hat er die Haltung der pſychologiſchen Romane eingeleitet. Nach manchen Verirrungen auf dieſem Gebiet iſt es nun um ſo aufſchlußreicher und erfreulicher, dieſes Meiſterwerk wieder zu leſen, deſſen Größe in der zuchtvollen Geſtaltung liegt.

Die Geschichte vom Prinzen Genji, wie fie geſchrieben wurde um das Jahr Eintauſend unſerer Zeitrechnung von Muraſaki, genannt Shikibu, Hofdame der Kaiſerin von Japan. Zwei Bände (etwa 1200 Seiten). M 16.—

Das berühmte Romanwerk der klaſſiſchen Dichtung Japans er— zählt die Liebesgeſchichten des Prinzen Genji, eine bunte Kette von Abenteuern, die in der Schilderung durch eine Frau beſonders reiz— voll ſind, da ſie uns Einblick gibt in das intime Leben jener Zeit. Den Freunden großer epiſcher Dichtung und allen kulturgeſchichtlich intereſſierten Leſern bringen die beiden Bände die ſchönſte Unter: haltung für viele lange Abende.

Kamban, Gudmundur: Ich seh ein großes schönes Land. Roman. Aus dem Dänifchen übertragen von Edzard Schaper. IN 6.50

Wie in feinem Roman „Die Jungfrau auf Skalholt“ läßt der isländiſche Dichter auch hier eine Großzeit nordiſcher Vergangenheit lebendig werden. Er ſchildert die Fahrt der Isländer, die um das Jahr 1000 nach Grönland und von dort zur erſten Entdeckung Ameri⸗ kas führten. Neben den mutigen Wikingern ſtehen einige herrliche Frauengeſtalten. Den Hintergrund der figurenreichen Szenen bildet eine Welt, in der die alte Götterzeit und das Chriſtentum miteinander ringen. Ein großartiges Werk epiſcher Kunſt.

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. (Bibliothek der Romane.) M 3.50

Zum Ruhme dieſer humorvollen Erzählungen braucht gewiß nichts geſagt zu werden. Sooft man fie auch lieſt immer findet man neue Züge in dieſen Schweizer Porträts.

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le Fort, Gertrud von: Die Magdeburgische Hochzeit. Erzählung. M 5.50 In großen ſtarken Bildern ſchildert die Dichterin die tragiſche Situation Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg. Mit den ge⸗ ſchichtlichen Ereigniſſen iſt das Schickſal einer jungen Magdeburge⸗ rin verknüpft. Die Eroberung und Zerſtörung der Stadt, die ſchon in den zeifgenöffifchen Flugblättern mit grauſiger Poefie als „Hoch⸗ zeit“ bezeichnet wird, erſcheint als Jüngſter Tag und Weltgericht: aus dem Untergang erhebt ſich das Ewige in reiner Herrlichkeit.

Manesse. Bildtafeln aus der Maneſſiſchen Liederhandſchrift. Jedes Blatt in Umſchlag M 6.—

Zu den bisherigen acht Tafeln kommen jetzt zwei neue: Kaiſer Heinrich und Wolfram von Eſchenbach. Es ſind ſowohl wegen der dargeſtellten Perſönlichkeiten wie nach ihrem künſtleriſchen Wert zwei befonders ſchöne Blätter, die in ihrem Farbenreichtum einen herr: lichen Wandſchmuck bilden. Siehe auch Seite 174.

Meiner, Annemarie: Lob des Alters. Sprüche der Weisheit. Ge⸗ bunden M 2.50 Dieſes kleine Brevier der Lebensweisheit hat ſchnell viele Freunde gefunden. Gelaſſen und voll ernſter Faſſung, mit geſundem Men⸗ ſchenverſtand und auch humorvoll ſprechen hier Menſchen aller Zei⸗ ten vom Sinn des Alters. Es iſt ein rechtes Troftbüchlein, und wahr⸗ lich nicht nur für alte Leute. In ſeiner gefälligen Ausſtattung iſt es ein beſonders reizvolles Geſchenkwerk.

Mell, Max: Das Donauweibchen. Erzählungen und Märchen. M 5.-

Der öſterreichiſche Dichter, der vor kurzem mit dem Mozartpreis ausgezeichnet wurde, vereinigt in dieſem Bande ſeine erzählenden Dichtungen. Wie in ſeinen dramatiſchen Arbeiten, namentlich im „Apoſtelſpiel“, finden wir auch hier eine volkstümliche Kunſt, die aufs ſchönſte die große Überlieferung der öſterreichiſchen Erzähler aufnimmt und fortführt. Die Reihe der Legenden und Erzählungen wird eröffnet durch ein beſonders reizvolles Stück, den Umkreis von Geſchichten „Das Donauweibchen“. Den Beſchluß bilden die bezau- bernden „Paradiesmärchen“.

Mövius, Ruth: Rainer Maria Rilkes Stunden- Buch. Entſtehung und Gehalt. M 6.—

Indem die Verfaſſerin, mit dem Schaffen des Dichters ſehr ver⸗ traut, der Entſtehung des Stunden⸗Buches nachgeht und Rilkes An⸗ ſchauung von Gott und Welt entwickelt, gibt ſie uns einen tiefen Einblick in die Werkſtatt des Künſtlers. Das Buch erhält ſeine be⸗ ſondere Bedeutung für alle Rilke⸗Freunde durch zahlreiche hier zum erſten Mal veröffentlichte Mitteilungen aus den Handſchriften des Rilke⸗Archivs.

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Preetorius, Emil: Vom Wesen ostasiatischer Malerei. Mit einer Lichtdrucktafel. Gebunden M 3.-

Ausgehend von der Verwandtſchaft zwiſchen Malerei und Schreib⸗ kunſt des Oſtens, gibt Emil Preetorius Betrachtungen über den ſinnbildlichen Charakter chineſiſcher Bildwerke. Die kleine Studie leitet zum Verſtändnis öſtlicher Kunſt und Weltanſchauung. Im Druck der Leipziger Akademie bildet der Band eine ſchöne Gabe für Bůcherfreunde und Kunftliebhaber.

Rilke, Rainer Maria: Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. Her: ausgegeben von Ruth Sieber-Rilke und Carl Sieber. IN 7.-; in Halbleder M 9.-

Mit dieſem Band wird die Reihe der Brief-Veröffentlichungen zu einem vorläufigen Abſchluß gebracht. Er bildet in der Reihe den fünf— ten Band, der ſechſte (Briefe aus Muzot, 1921-1926) liegt bereits vor. Die neuen Briefe zeigen die Erſchütterung des Dichters durch den Krieg und ſeinen Weg zur Sammlung und Vorbereitung, deren Frucht die „Duineſer Elegien“ und die „Sonette an Orpheus“ wur— den. Der Band enthält wieder eine Reihe großer, auch in der Form des Briefes vollendeter Zeugniſſe des Menſchen und Künſtlers.

Salminen, S. Katrina. Roman. Aus dem Schwediſchen übertragen von Edzard Schaper. M 6.50

Dieſer große Roman einer jungen ſchwediſchen Dichterin iſt ein Hoheslied echten Frauentums. Die fröhliche Katrina läßt ſich durch die Verſprechungen eines luſtig ſchwadronierenden Seemanns ver: locken, ihm als feine Frau nach den Aland-Inſeln zu folgen. Aber ſtatt der verfprochenen Herrlichkeiten findet fie die elendeſte Hütte der Inſel als ihr Heim. Tapfer nimmt ſie den Kampf mit dem harten Leben auf und geht durch Glück und Elend ſicher ihren Weg. Die packende Geſchichte dieſes Lebens iſt wieder einmal im ſchönſten Sinne ein großes Frauenbuch.

Schnack, Friedrich: Sibylle und die Feldblumen. Mit 8 handkolo⸗ rierten Blumenbildern. M 6.—

Aus der ſchönen Stadt Freiburg im Breisgau wandert der Dichter mit der fünfzehnjährigen Sibylle hinaus in die Wieſen, Wälder und Felder, um mit ihr das Blumenjahr vom Schneeglöckchen bis zur Chriſtroſe und dem weihnachtlichen Miſtelzweig zu erleben. Aufs an⸗ mutigſte durchdringen ſich Landſchaftserlebnis und belehrende Schil⸗ derung. Es iſt recht ein Buch für Blumenfreunde und ſolche, die es werden wollen.

Schneider, Reinhold: Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supplinburg. M 5.—

Die Regierungszeit Kaiſer Lothars (1125-1137) iſt ein Jahrzehnt

deutſcher Geſchichte, in dem ſich viele wichtige Entſcheidungen an⸗

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bahnten. Reinhold Schneider ſchildert die Zeit in ihren Menſchen und den trüben geiſtigen Kräften und bietet wie in feinen früheren Werken eine feſſelnde Verbindung von geſchichtsphiloſophiſcher Pro⸗ blematik und dichteriſcher Darſtellung.

Sophokles: Tragödien. Übertragen von Roman Woerner. M 6.-

Die ſieben Tragödien des Sophokles erſcheinen hier in einer Über- tragung, die bemüht iſt, alle Schönheiten des Originals zu bewah⸗ ren. Es kam dem Überſetzer vor allem auch darauf an, die lautlichen Kunſtmittel aus dem Griechiſchen mit zu übernehmen, die zahlreichen gewollten Alliterationen, Reime und Gleichklänge. Dadurch erhält dieſer neue deutſche Sophokles neben allen früheren Verſuchen ſeine ganz beſondere Bedeutung.

Streuvels, Stijn: Der Flachsacker. Roman. Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens. (Dichter unferer Zeit.) M 3.75 Im Mittelpunkt dieſes Meiſterwerkes des flämiſchen Dichters ſteht der Großbauer Vermeulen, ein Herrſcher in ſeinem Reich, der auch dem eigenen Sohn nicht weichen will. Das Leben des Bauern, des Hofes und ſeiner Leute, die Feldarbeit im Wandel der Jahreszeiten, und die Natur ſelbſt in ihrer Größe und Unerbittlichkeit alles das, was ſeither ſo vielfach geſchildert worden iſt, hat hier bereits ſeine geradezu klaſſiſche Geſtaltung gefunden.

Swift, Jonathan: Gullivers Reisen. (Bibliothek der Romane.) IN 3.50 Gullivers Reifen find zumeift nur als Buch für die Jugend be: kannt. Und wer hätte nicht feine Freude an den Begegnungen mit den Heinen Leuten in Liliput und mit den Riefen in Brobdingnag. Aber erft dem Lefer des Ganzen erſchließt ſich der tiefere Sinn des Buches, die Problematik, die der Satiriker Swift mit wunderbarer Phantaſie behandelt hat.

Tolstoi, Leo: Anna Karenina. Roman in zwei Bänden. (Bibliothek der Romane.) M 7.—

Eines der großartigſten Romanwerke der Weltliteratur liegt hier wieder in vollſtändiger, neu durchgeſehener Ausgabe vor. Der Roman iſt mehr als eine Ehegeſchichte, er gibt ein Bild der ruſſiſchen Geſell⸗ ſchaft, deren Oberſchicht immer wieder die geſunde Natur des Volkes gegenübergeſtellt wird. Es iſt eine ganze Welt in dieſem Werk.

Deutsche Weihnachtslieder. In zweifarbigem Druck. Geb. M 1.80 Dieſes beſonders reizvolle Büchlein vereinigt unſere bekannteſten Weihnachtslieder, bearbeitet von Helmut Walcha für zweiſtimmigen Geſang oder Blockflöten (in C und F). Der Satz erfolgte unter der Leitung von Paul Koch, dem Sohne Rudolf Kochs, in der Werkſtatt des Hauſes zum Fürſteneck in Frankfurt am Main. Eine wahrhaft liebenswerte Weihnachtsgabe!

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Zeitler, Andreas: Fränkischer Sommer. Erzählung. M 4.-

Dieſes erſte Buch eines jungen deutſchen Erzählers führt den Lefer in die lichtgeſättigte, heitere und anmutige Landſchaft Oberfrankens. Wir erleben einen geſegneten Sommer deſſen letzte Entfaltung jedoch ein ſchweres Unwetter verhindert. Auch über Menſchen bricht Unglück herein; aber am Ende ſteht die Gewißheit, daß ſich das Grauſame doch wieder ins Liebreiche verwandelt, wenn wir uns nur ſtark erweiſen.

Die Jubiläumsbände der Inſel⸗Bücherei Jeder Band gebunden 80 Pfennig

Busch, Wilhelm: Hernach. Ein Bilderbuch mit Reimen. (Nr. 507) Carossa, Hans: Gedichte. Vom Dichter ausgewählt. (Nr. 300) Conrad, Joseph: Jugend. Erzählung. (Nr. 511)

Deutsche Gedichte. Ausgewählt von Katharina Kippenberg. (Nr. 512) Goethe: West-östlicher Divan. (Nr. 301)

Das kleine Buch der Greife. Einheimiſche Raubvögel. 24 farbige Bildtafeln nach alten Stichen. Mit einem Geleitwort von Otto

Sehringer. (Nr. 515)

Hokusai: Der ewige Berg Fujijama. 36 Bilder nach japanifchen Holzſchnitten. (Nr. 520)

Hölderlin: Briefe. Mit einem Nachwort von Adolf von Grolman. (Nr. 306)

Kierkegaard -Brevier. Herausgegeben von Peter Schäfer und Max Benſe. (Nr. 519)

Koch, Rudolf: Ein Deutscher. Kleine Schriften. (Nr. 304)

Kudrun. Dem alten Epos nacherzählt von Severin Rüttgers. (Nr. 509)

Mozart: Briefe. Mit einem Geleitwort von Max Mell. (Nr. 516)

Die Muttergottes. Deutſche Bildwerke. 48 Bildtafeln. (Nr. 517)

Die Bildwerke des Naumburger Doms. 44 Bildtafeln. Mit einem Geleitwort von Wilhelm Pinder. (Nr. 505)

Nietzsche, Friedrich: Vom Nutzen und Nachteil der Historie fiir das Leben. Mit einem Nachwort von Hans Freyer. (Nr. 523)

Das kleine Pilzbuch. 36 farbige Bildtafeln von Willi Harwerth. Geleitwort von Sandor Limbach und Friedrich Schnack. (Nr. 303)

Pindars Olympische Oden. Übertragen und eingeleitet von Franz Dornſeiff. (Nr. 513)

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Schaper, Edzard: Das Lied der Väter. Erzählung. (Nr. 514)

Schaumann, Ruth: Der Petersiliengarten. Ein Märchen. (Nr. 310)

Stifter, Adalbert: Der Heilige Abend. (Bergkriſtall.) Erzählung. (Nr. 518)

Timmermans, Felix: Beim Krabbenkocher. Erzählung. (Nr. 508)

Waggerl, Karl Heinrich: Kalendergeschichten. (Nr. 522)

Wagner, Richard: Die Meistersinger von Nürnberg. (Nr. goa)

Weiß, Konrad: Die kleine Schöpfung. Verſe mit Zeichnungen von Karl Cafpar. (Nr. 321)

Als Jubiläumsſchrift erſchien:

Die Insel - Bücherei 1912-1937. Gebunden 50 Pfennig. Mit Bei⸗ trägen von Rudolf G. Binding, Annemarie Meiner, Richard atte und Severin Rüttgers ſowie vollſtändigem Verzeichnis der Inſel⸗ Buͤcherei.

In neuer Geſtalt erſchienen folgende Inſel⸗Bände:

Arndt, Ernst Moritz: Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann. Die deutsche Wehrmannschaft. (Nr. 71)

Briefe des Feldmarschalls Blücher. (Nr. 357)

Goethe: Pandora. Ein Seftfpiel. Mit den vier Bildern der Original⸗ ausgabe. (Nr. 411)

Das Evangelium und die Briefe Sankt Johannis. Mit einem Nach⸗ wort von Adolf von Harnack. (Nr. 127)

Alte deutsche Liebeslieder. (Nr. 4)

Schwester Mechthild von Magdeburg: Gesichte. Dichtungen der deut⸗ ſchen Myſtik. (Nr. 404)

Plutarch: Das Leben des Themistokles. Übertragen und eingeleitet von Wilhelm Capelle. (Nr. 122)

Wernher der Gärtner: Meier Helmbrecht. Übertragen von Fritz Bergemann. (Nr. 304)

Das Inſelſchiff

Eine Zeitschrift für die Freunde des Insel Verlags. Achtzehnter Jahr⸗ gang. 4 Hefte. M 3.-; Einzelheft M 1.—

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Bis 1937 erfchienen:

Alteste deutsche Dichtungen. In gegenübergeftellter Urſprache und Übertragung. Herausgegeben von Karl Wolfskehl und Friedrich von der Leyen. Mit einem ausführlichen Nachwort. M 6.-

Arabische Märchen. Aus mündlicher Überlieferung geſammelt und übertragen von Enno Littmann. M 7.-

Bach, Johann Sebastian: Hohe Messe in H-Moll. Fakſimile-Aus⸗ gabe der Handſchrift in Lichtdruck. 500 numerierte Exemplare. In Halbpergament IN 60.-; in Ganzlederhandband M 80.—

Beethovens Briefe. In Auswahl herausgegeben von Albert Leitzmann. Mit 16 Bildtafeln. M 5.—

Bertram, Ernst: Deutsche Gestalten. Feſt⸗ und Gedenkreden. Me 6.— Inhalt: Bad) Klopſtock Goethe: Geſang und Geſetz; Geheim— nislehre; Sinnliche Überlieferung Schiller Norden und deutſche Romantik Beethoven Kleift - Stifter Möglichkeiten deutſcher Klaſſik.

Gedichte. In Halbpergament M 4.-

Griecheneiland. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Michaelsberg. Proſadichtung. IM 4.-

Das Nornenbuch. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Der Rhein. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Straßburg. Ein Gedichtkreis. In Pappband M 4.-

Wartburg. Spruchgedichte. In Halbpergament M 4.— Billinger, Richard: Sichel am Himmel. Gedichte. M 4.50 Blumenbuch: ſiehe unter Koch, Seite 173.

Die Blümlein des heiligen Franziskus von Assisi. Übertragen von Rudolf G. Binding. Mit 84 Initialen und Einbandzeichnung von Carl Weidemeyer⸗Worpswede. M 3.50

Burkhard, Arthur: Hans Burgkmair. Mit 117 Abbildungen. M 10.— Carolinens Leben in ihren Briefen. Auf Grund der von Erich Schmidt

beſorgten Geſamtausgabe in Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bildtafeln. M6. 30

Carossa, Hans: Eine Kindheit und Verwandlungen einer Jugend. Neue Ausgabe in einem Bande. M 5.- 8

Der Arzt Gion. Eine Erzählung. M 5.—

Tagebuch im Kriege. Wohlfeile Ausgabe des „Rumäniſchen Tage⸗ buds”. IN 3.-

167

Carossa, Hans: Führung und Geleit. Ein Lebensgedenkbuch. M 5.-

Geheimnisse des reifen Lebens. Aus den Aufzeichnungen Angermanns. M 5.50

Gedichte. IN 4.—

Buch des Dankes für Hans Carossa zum 15. Dezember 1928. Mit Beiträgen zeitgenöſſiſcher Dichter, zwei Lichtdrucktafeln und einer Lithographie. M 5.-

Cervantes: Don Quixote. Bollftändige deutſche Ausgabe, beſorgt von Konrad Thorer. Mit einem Eſſay von Turgenjeff und einem Nach⸗ wort von André Jolles. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1550 Seiten.) M 12.-; in Leder M 20.—

Claes, Ernest: Black. Die Geſchichte eines Hundes. Aus dem Flämi⸗ ſchen übertragen von Peter Mertens. M 3.80

Bruder Jakobus. Roman. Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens. M 5.50 Siehe auch Seite 179.

Clausewitz, Karl von: Vom Kriege. Bearbeitet und eingeleitet von Friedrich von Cochenhauſen. Uber 700 Seiten. M 6.50

Coolen, Anton: Brabanter Volk. Roman. Aus dem Niederländifchen übertragen von Eliſabeth und Felix Auguftin. Wt 5.—

Das Dorf am Fluß. Roman. Übertragen von Hermann W. Michael: fen. M 5.—

Cooper, Duff: Talleyrand. Übertragen von Karl Lerbs. Mit 5 Bild: tafeln. M7. 50

Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigen⸗ händigen Berichten Cortes’ an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522. Herausgegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit zwei Bild⸗ niſſen und einer Karte. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. (Maximilian von Mexiko.) Mit 4 Bildtafeln. M 7.50

Die trockene Trunkenheit. Urſprung, Kampf und Triumph des Rauchens. Mit 64 Bildtafeln. M 12.—

Der Zauberer von Hamburg und Monte Carlo. Mit 16 Bildtafeln. IM 8.—

Dante: Opera omnia. (In italieniſcher Sprache.) Enthaltend La Divina Commedia. Il Canzoniere. Vita Nuova. Il Convivio ſowie die lateiniſchen Schriften und Briefe. Mit einer Einleitung von Benedetto Croce. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bän⸗ den. (1080 Seiten.) M 10.—

168

Dehn, Fritz: Rainer Maria Rilke und sein Werk. Eine Deutung. IN 6.-

Deutsche Gedichte in Handschriften. Wiedergabe in Lichtdruck. Halb» pergamentband IT 8.50.

Deutsche Vergangenheit. Nach zeitgenöſſiſchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. Das Werk umfaßt 9 Bände mit je 16 Bild:

tafeln. Es beſteht aus zwei Abteilungen, der politiſchen und der kulturhiſtoriſchen Reihe. Vorzugspreis des geſamten Werkes 60.-

Die politiſche Reihe. Jeder Band M 7.50 Die Germanen in der Völkerwanderung Das Frankenreich - Die Sächsischen und Salischen Kaiser Die Hohenstaufen.

Die kulturhiſtoriſche Reihe. Jeder Band M 7.50

Klosterleben im deutschen Mittelalter Deutsches Geistesleben im Mittelalter Ordensritter und Kirchenfürsten Fürsten und Ritter Bauern, Bürger und Hansa.

Dickens, Charles: Martin Chuzzlewit. MS.- David Copperfield. M 8.- Der Raritätenladen. M 8.-

Oliver Twist und Weihnachtserzählungen. M 8.—

Die Bände enthalten zahlreiche Federzeichnungen aus den eng: liſchen Originalausgaben von Cruikſhank, Cattermole, H. K. Browne und anderen.

Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Mit der Abbildung einer Büſte und dem Fakſimile eines Briefes. M 3.50

Disteli: Abenteuer des berühmten Freiherrn von Münchhausen. Mit Lichtdrucken nach 16 Radierungen und 16 Zeichnungen von Martin Diſteli. Herausgegeben von Gottfried Wälchli. Einmalige Ausgabe in 800 Exemplaren. Halbpergamentband Mg. 30

Eichendorff, Joseph von: Werke. Ausgewählt und herausgegeben von Franz Schultz. Zwei Bande. (1080 Seiten.) M 6.—.

Elisabeth Charlotte Liselotte): Briefe der Herzogin Charlotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Helmolt. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Faesi, Robert: Das Antlitz der Erde. Gedichte. M 4.-

Fichte: Reden an die deutsche Nation. Revidierte Ausgabe mit einer Einleitung von Rudolf Eucken. M 2.50

169

Geese, Walter: Gottlieb Martin Klauer. Der Bildhauer Goethes. Mit 64 Bildtafeln. M 7.-

Goethe: Sämtliche Werke in siebzehn Bänden. Herausgegeben von Fritz Bergemann, Hans Gerhard Graf, Max Hecker, Gunther Ipſen, Kurt Jahn und Karl Schüddekopf. Ausgabe auf Dünndruckpapier in dunkelbraunem Leinen M 135.-; in rotbraunem Leder M 235.—

Die vollſtändigſte aller heutigen Goethe⸗Ausgaben. Der Text um⸗ faßt 15000 Seiten. Die Bände find auch einzeln in dunkelblauem Leinen ohne durchlaufende Bandbezeichnung unter folgenden Titeln lieferbar:

I. Romane und Novellen I. M 10.—

II. Romane und Novellen II (Wilhelm Meiſter). M 9.50

III. Autobiographiſche Schriften I (Dichtung und Wahrheit). M 8.—

IV. Autobiographiſche Schriften II. M 8.-

V. Autobiographiſche Schriften III. M 8.-

VI. Dramatiſche Dichtungen I (Kauft). M 5.-

VII. Dramatiſche Dichtungen II (vor der italieniſchen Reife entſtan⸗

den) M 9.—

VIII. Dramatiſche Dichtungen III (nach der italieniſchen Reiſe ent⸗ ftanden). M 10.—

IX. Kunſtſchriften I. M 8.—

X. Kunſtſchriften II. M 8.-

XI. Überfegungen und Bearbeitungen fremder Dichtungen. M g. 30

XII. Schriften zur Literatur⸗ und Kulturgeſchichte I. M 7.50

XIII. Schriften zur Literatur: und Kulturgeſchichte II. M 7.50

XIV-XV. Lyriſche und epiſche Dichtungen. 2 Bände. M 12.—

XVI-XVII. Naturwiſſenſchaftliche Schriften. Mit 48 zum großen Teil vielfarbigen Tafeln. 2 Bände. M 20.-

Ergänzungs bände in der Ausftattung der Gefamtausgabe:

Goethes Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1750 Sei⸗ ten.) M 18.-; in Leder M 30.—

Gespräche mit Eckermann. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Deibel. Vollſtändige Ausgabe in einem Bande auf Dünndruckpapier. (797 Seiten.) M 7.50; in Leder M 13.—

Goethes Gespräche ohne die Gespräche mit Eckermann. Ausgewählt von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier in einem Bande. (791 Seiten.) M 9.50; in Leder Nt 16.—

170

Goethes Werke in sechs Bänden (Der Volks-Goethe). 3900 Seiten. Im Auftrage der Goethe-Geſellſchaft herausgegeben von Erich Schmidt. Neu bearbeitet von Guſtav Roethe. IN 18.—

Goethe: Farbenlehre. Eingeleitet bon Gunther Ipſen. Mit 32 zum großen Teile vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Ausgabe auf Dünn: druckpapier in einem Bande. M 10.—

Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauft, Fragment (1790). Tragödie I. und II. Teil, Paralipomena. Ausgabe auf Dünn— druckpapier in einem Bande. (577 Seiten.) 3.50; in Leder M 6.50

Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1300 Seiten.) M 12.-; in Leder M' 20.-

Gedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. M 3.—

Naturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther Ipſen. Mit 48 zum großen Teil vielfarbigen Tafeln. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) Ni 20.-

Italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, ſeiner Freunde und Kunſtgenoſſen in 124 zum Teil farbigen Lichtdrucktafeln. Neu her:

ausgegeben vom Goethe-Nationalmuſeum (Folio.) In Halbleder M 50.-; in Leder M 80.-

Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben von Guſtav Roethe. IM 3.50

Goethes Briefwechsel mit Marianne von Willemer. Herausgegeben von Max Heder. Fünfte, verbeſſerte Auflage. Mit 10 Abbildungen auf Tafeln. M 7.50

Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln. M 4.50

Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriftlichen Nachlaſſes neu her— ausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und 2 Fakſi⸗ miles. M 7.50

Goethe im Bildnis. Mit 102 Bildtafeln. Herausgegeben und einge: leitet von Hans Wahl. M 5.— Siehe auch Seite 180.

Brüder Grimm: Märchen. Bollftändige Ausgabe in zwei Bänden. M' 9.-

Märchen. Auswahl in einem Bande. Mit acht handkolorierten Bild» tafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel. M 6.50

171

Hamburg. Das alte Hamburg. 154 Bildtafeln. Herausgegeben von Carl Schellenberg. M 9.50

Haslund- Christensen, Henning : Jabonah. Abenteuer in der Mongolei. Mit einem für die deutſche Ausgabe geſchriebenen Geleitwort von Sven Hedin. Aus dem Däniſchen übertragen von Helmut de Boor. Mit 118 Abbildungen und einer Karte. Ji 6.50

Haupt, Georg: Rudolf Koch der Schreiber. Mit 64 Bildtafeln und vielen Textabbildungen. M 8.50

Hebel, Johann Peter: Schatskästlein des rheinischen Hausfreundes. Druck der Mainzer Preffe in 1000 Exemplaren. In Halbleinen M 15.—

Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchstücke der Alt. sächsischen Genesis. Eingeleitet von Andreas Heusler. M 3.50

Hey-Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Bon Wilhelm Hey. Mit den Bildern von Otto Specter. M 2.50

Hofmannsthal, Hugo von: Die Gedichte und kleinen Dramen. M 5.-

Das Salzburger Große Welttheater. Geheftet IN 2.-; in Pappband M 2.50

Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier in einem Bande. (1043 Seiten.) M g9.-; in Leder M 15.—

Gesammelte Briefe. Eingeleitet von Ernft Bertram. M 6.-; in Leder M 12.—

Hyperion oder der Eremit in Griechenland. M 3. in Leder M 6.—

Ounoov exn. (lkıas Odvooeta) Homers Werke (Ilias und Odyſſee) im griechiſchen Urtext heraus: gegeben von Paul Cauer. Neue Ausgabe auf Dünndruckpapier. M 6.-

Homers Odyssee. Neu übertragen von Rudolf Alexander Schröder. M 4.50

Huch, Ricarda: Der große Krieg in Deutschland. Gekürzte Aus⸗ gabe. M 2.50. Bollftändige Ausgabe fiehe Seite 179.

Entpersönlichung. In Halbleinen M 4.75

Von den Königen und der Krone. Roman. In Halbleinen M 5.25

Luthers Glaube. Briefe an einen Freund. M 5.—

Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. M 5.—

Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil. M 6.-

Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter Teil. M 6.-

Der Sinn der Heiligen Schrift. In Halbleinen IN 5.—

Wallenstein. Eine Charakterſtudie. In Pappband M 3.25

172

Huch, Ricarda: Gesammelte Gedichte. M 6.75 Siehe auch Seite 179.

Humboldt, Wilhelm von: Die Brautbriefe Wilhelms und Karolinens von Humboldt. Herausgegeben und eingeleitet von Albert Leigmann. IM 6.50

Imerslund, Per: Das Land Noruega. Erlebniſſe in Mexiko. M 4.50

Jacobsen Jens Peter: Sämtliche Werke in einem Bande. Mit dem von A. Helfted 1885 radierten Porträt. Auf Dünndruckpapier. (877 Seiten.) M 8.50; in Leder M 15.—

Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts. Mit 136 Abbildungen. M 10.—

Kamban, Gudmundur : Die Jungfrau auf Skalholt. Roman. Deutſche Ausgabe von Edzard Schaper. M 7.50

Kant: Kritik der reinen Vernunft. Ausgabe auf Dünndruckpapier. (650 Seiten.) M 7.—

Kant - Aussprüche. Herausgegeben von Raoul Richter. M 3.50

Kassner, Rudolf: Das Buch der Gleichnisse. M 4.50

Die Moral der Musik. Aus den Briefen eines Muſikers. In Pappe M 4.—

Die Mythen der Seele. M 4.-

Physiognomik. Mit 45 Abbildungen. M 7.50

Das physiognomische Weltbild. M 7.50

Von der Einbildungskraft. IN 4.50

Katharina II. von Rußland: Memoiren. Herausgegeben und einge: leitet von Erich Böhme. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Kippenberg, Anton: Geschichten aus einer alten Hansestadt. M 3.80

Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke. Herausgegeben von Friedrich Michael. Ausgabe auf Dünndrudpapier in einem Band. (1187 Seiten.) M 9.-; in Leder M 13.—

Briefe. Herausgegeben von Friedrich Michael. M 3.50

Koch, Rudolf: Das AB C- Büchlein. In Pappband M 2.80; Vorzugs⸗ ausgabe: 100 Exemplare auf der Handpreſſe gedruckt im Haus zum Fürſteneck zu Frankfurt a. M. In Halbleder M 30.-

Das Blumenbuch. Zeichnungen von Rudolf Koch. In Holz geſchnit⸗ ten von Fritz Kredel. 250 Holzſchnitte im Format 23/ x 31½ cm. Druck der Mainzer Preſſe in 1000 Exemplaren. Die Handkolorierung beſorgte Emil Wöllner. Drei Teile. Gebunden M 80.-

Deutschland und angrenzende Gebiete. Eine Landkarte. In vielen Farben gedruckt. Größe: 163 * 120 cm. Unaufgezogen M 18.—; nach Landkartenart aufgezogen mit Stäben M 30.-

173

Koch, Rudolf: Die Weihnachtsgeschichte. Ein Blockbuch in zehn Holz⸗

ſchnitten. In Pappband M 1.80

Das Zeichenbuch. M 5.— Siehe auch Seite 179.

König. Gestalt und Seele. Das Werk des Malers Leo von König. 64 Bildtafeln. Mit einer Einführung von Reinhold Schneider. ME.-

Kühnemann, Eugen: Goethe. Zwei Bände. (1118 Seiten.) M 15.—

Lawrence, David Herbert: Liebende Frauen. Roman. M 6.-

Der Hengst St. Mawr. Roman. M 5.—

Der Marienkäfer. Nobellen. M 6.-

Der Regenbogen. Roman. M 6.-

Die gefiederte Schlange. Roman. M 6.-

Der Zigeuner und die Jungfrau. Novellen. M 6.-

Giehe aud) Geite 179.

Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe in sechs Bänden. Vollſtändige Eritifche Ausgabe, herausgegeben von Eduard Caſtle. M 40.—

Luthers Briefe. In Auswahl neu herausgegeben von Reinhard Buch⸗ wald. Mit 10 Bildtafeln. M 3.50

Acht Bildtafeln aus der Manessischen Liederhandschrift. Wieder: gabe in farbigem Lichtdruck in der Originalgröße (35½ x 25 cm). Herr Hartmann von Aue - König Konrad der Junge Graf Kraft von Toggenburg Herr Werner von Teufen Herr Walther von der Vogelweide Klingfor von Ungerlant (Der Sängerkrieg) Der Tannhäuſer Meifter Johannes Hadloub. Jedes Blatt M 6.-; die acht Blätter in Leinenmappe M 48.— Siehe auch Seite 162.

Mell, Max: Das Nachfolge Christi- Spiel. Geheftet M 2.50, in Papp⸗ band M 3.50

Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Geheftet M 2.50; in Pappband M 3.50

Das Spiel von den deutschen Ahnen. In Pappband IN 3.50

Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. M 10.—

Mottram, Ralph H.: Der „Spanische Pachthof“. Eine Roman: trilogie 1914 bis 1918. Mit einem Vorwort von John Gals- worthy. Übertragen von T. Francke. (720 Seiten.) M 8.50

Mozart: Wolfgang Amadeus Mozarts Leben in seinen Briefen und Berichten der Zeitgenossen. Herausgegeben von Albert Leitzmann. Mit 16 Bildtafeln und 2 Fakſimiles. M 7.—

Mühlberger, Josef: Die große Glut. Roman. M 5.50

Die Knaben und der Fluß. Erzählung. M 3.80

174

Der Nibelungen Not und Kudrun. Herausgegeben von Eduard Cie: vers. Ausgabe auf Dünndrudpapier. (624 Seiten.) N 6.-

Nietzsche, Friedrich: Briefe. Ausgewählt und peranededePen bon Richard Oebler. M 4.50

Novalis: Dichtungen. Herausgegeben von Franz Schultz. INT 4.50

Die Rache des jungen Meh oder Das Wunder der zweiten Pflaumen-

blüte. Aus dem Chinefifden übertragen von Franz Kuhn. In der Art chineſiſcher Blockbücher gebunden M 6.-

Die Räuber vom Liang schan Moor. Aus deni Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit 60 Holzſchnitten einer alten chineſiſchen Aus: gabe. (840 Seiten.) M 12.—

Rendl, Georg: Der Bienenroman. M 5.-

Renker, Armin: Das Buch vom Papier. Mit 46 Abbildungen in Lichtdruck, 4 Waſſerzeichentafeln, 13 Papierproben und 1 Karte. Neue Auflage. In Halbleinen M 10.—

Rilke, Rainer Maria: Gesammelte Werke in sechs Bänden. M 35.-; in Halbleder M 45.-

Ergänzungs bände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe:

Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. M 7.-; in Halbleder Mt g.—

Briefe und Tagebücher aus der Frühzeit. 1899-1902. M 7.-; in Halb leder M g.-

Briefe aus den Jahren 1906 bis 1907. M 7.-; in Halbleder IN g.- Briefe aus den Jahren 1907 bis 1914. M 7.-; in Halbleder WN g.- Briefe aus Muzot (1921-1926). M 7.-; in Halbleder M g.— Briefe an seinen Verleger (1906-19269. M 7.-; in Halbleder M 9.- Erste Gedichte. IN 5.-

Frühe Gedichte. M 5.-

~ Das Buch der Bilder. M 5.-

Neue Gedichte. M 5.-

Späte Gedichte. M 5.-

Duineser Elegien. M 3.-

Das Stunden- Buch. Enthaltend die drei Bücher: Vom mönchiſchen Leben Von der Pilgerſchaft Von der Armut und vom Tode. In Halbleinen M 3.-

Geschichten vom lieben Gott. M 4.50

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. M 5.—

Über Gott. Zwei Briefe. In Pappband M 2.-

Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M 7.-

175

Rilke-Bibliographie. Bearbeitet von Fritz Adolf Hünich. Erſter Teil: Das Werk des Lebenden. M 6.-

Sachs, Hans: Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit 52 Holzſchnitten nach Dürer, Beham u. a. Herausgegeben von Paul Merker und R. Buchwald. Zwei Bände. In Halbleinen M 10.— Kolorierte Ausgabe, in der ſämtliche Holzſchnitte mehrfarbig mit der Hand koloriert wurden, in Halbpergament M 16.-; in Schweins⸗ leder IN 30.-

Schaeffer, Albrecht: Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Menſchen aus der norddeutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Aus- gabe in zwei Bänden. (1400 Seiten.) M 15.—

_ Griechische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt. Zwei Bände. My 10.—

Josef Montfort. Roman. M 6.50

Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndrudpapier. M 6.50

Der göttliche Dulder. Dichtung. M 6.25

Parzival. Ein Bersroman in drei Kreifen. M 7.50

Gedichte aus den Jahren 1915 bis 1930. M 4.-

Schaper, Edzard: Die sterbende Kirche. Roman. M 6.-

Das Leben Jesu. M 6.50

Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. M 7.-

Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit 77 Bildtafeln. M 9.—

Holland. Mit 100 Bildtafeln. M 9.—

Italien. Tagebuch einer Reife. Mit 118 Bildtafeln. M 9.- -

Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. M 9.-

Der junge Tobias. Eine Jugend und ihre Umwelt. M 6.-

Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und ſein Werk. Mit 80 Bildtafeln. M 10.—

Schnack, Friedrich: Der erfrorene Engel. Roman eines Mädchens. Mt 5.—

Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das große und kleine Volk. Nt 4.—

Das Leben der Schmetterlinge. Naturdichtung. M 6.—

Der Lichtbogen. Falterlegenden. M 4.50

Die brennende Liebe. Roman der drei Lebensalter. M 6.- Eine neue Bearbeitung der drei ſchönſten Romane des Dichters: Beatus und Sabine Sebaſtian im Wald - Die Orgel des Himmels.

176

Schneider, Reinhold: Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reid). M 3.80 Inhalt: Der Wald Paderborn Speyer Bremen Langer: münde Nürnberg Rudolftadt Hohenzollern Oſtland.

Das Inselreich. Geſetz und Größe der britiſchen Macht. IM 8.50

Schopenhauer: Parerga und Paralipomena. Herausgegeben von Haus Henning. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1340 Cei: ten.) IN 10.—

Aphorismen zur Lebensweisheit. Taſchenausgabe. IT 3.50

Schröder, Rudolf Alexander: Der Wanderer und die Heimat. M 4.75 Mitte des Lebens. Geiſtliche Gedichte. M 5.— - Gedichte. M 6.-

Scott, Gabriel: Fant. Roman. In Verbindung mit dem Dichter bes forgte Übertragung aus dem Norwegiſchen von Edzard Schaper. M 5.50

Sieber, Carl: René Rilke. Die Jugend Rainer Maria Rilkes. Mit 5 Bildtafeln und einem Fakſimile. M 5.—

Sillanpää, Frans Eemil: Eines Mannes Weg. Roman. Aus dem Finniſchen übertragen von Rita Ohquift. M 5.-

Menschen in der Sommernacht. Roman. Aus dem Finniſchen über» tragen von Rita Ohquiſt. M 3.80 Siehe auch Seite 179.

Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle): Gesammelte Werke. Über: fragen von Arthur Schurig und Otto Freiherrn von Taube. Aus: gabe auf Dünndruckpapier in acht Bänden. (5200 Seiten.) M 55.— Als Einzelausgaben erſchienen:

Das Leben eines Sonderlings. Die autobiographiſchen Fragmente, ergänzt durch Briefftellen, Aufzeichnungen, Dokumente. Übertragen von Arthur Schurig. M 8.50

Von der Liebe. Übertragen von Arthur Schurig. M 7.—

Armance. Übertragen von Arthur Schurig. MN 5.—

Rot und Schwarz. Roman. Übertragen von Arthur Schurig. M 8.-

Lucien Leuwen. Roman. Übertragen von Otto Freiherrn von Taube. M 8.50

Zwölf Novellen. Übertragen von Arthur Schurig. M 7.- Inhalt: Erinnerungen eines italienifhen Edelmannes Vanina

Vanini Die Truhe Der Liebestrank Der Fluch - Die Fürſtin Campobaſſo Die Familie Cenci Vittoria Accoramboni Die Herzogin von Palliano - Die Abtiſſin von Caſtro Eine Kloſter⸗ tragddie Schweſter Scolaſtica.

177

Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle) : Gedanken, Meinungen, Ge» schichten aus den Büchern über Mozart, Rossini, Bonaparte, Lite: ratur, Länder und Leute. Übertragen von Arthur Schurig. M 8.- Siehe auch Seite 181.

Stifter, Adalbert: Werke in drei Bänden Volks- Stifter). Mit einer Einleitung von Adolf von Grolman. M 12.—

Die Ausgabe umfaßt die Erzählungen, Nachſommer und Witiko. Einzelausgaben ſiehe Seite 181.

Taube, Otto Freiherr von: Der verborgene Herbst. Roman. In Halb⸗ leinen Me 4.75

Die Löwenprankes. Roman. In Halbleinen M 4.50

Das Opferfest. Roman. M 6.—

Tausend und eine Nacht. Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtändige deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erſten Male aus dem arabiſchen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal. Auf Dünndrudpapier. (5120 Seiten.) M 50.-; in Leder M go.— Die Bände find auch einzeln. in Leinen je Mg. er: hältlich.

Siehe auch Seite 181.

Terry, Charles Sanford : Johann Sebastian Bach. Mit einem Geleit⸗ wort von Profeſſor D Dr. Karl Straube, Kantor zu St. Thomae. Neue Ausgabe. Mit einem Bildnis Bachs in Lichtdruck und 32 Bild⸗ tafeln. M 6.30

Tietze, Hans: Albrecht Altdorfer. Mit 127 Abbildungen. M 10.—

Timmermans, Felix: Bauernpsalm. Roman. Aus dem Flämiſchen von Peter Mertens. M 5.—

Pieter Bruegel. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens. M 6.-

Die Delphine. Eine Geſchichte aus der guten alten Zeit. Mit Zeich⸗ nungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens. M 5.-

- Franziskus. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens. M 5.-

Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. Übertragen von Peter Mertens. M 5.-

Siehe auch Seite 179.

Der Traum der Roten Kammer. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. (789 Seiten.) M 12.—

Tsudzumi, Tsuneyoshi: Japan, das Götterland. Herausgegeben vom Japan-Inſtitut, Berlin. M 6.-

Die Kunst Japans. Herausgegeben vom Japan-Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildungen. M 20.-

178

Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Mit 2 Bildniffen. M 6.50

Waggerl, Karl Heinrich: Schweres Blut. Roman. M 5.-

Das Jahr des Herrn. Roman. M 5.—

Mütter. Roman. M 5.-

Wagrainer Tagebuch. M 3.- Giehe aud) unten.

Walschap, Gerard: Heirat. Roman. Aus dem Flämiſchen übertragen bon Felix Auguftin. IN 4.50

Wilde, Oscar: Die Erzählungen und Märchen. Mit 10 Bildtafeln fo: wie Initialen, Titel⸗ und Einbandzeichnung von Heinrich Vogeler— Worpswede. In Halbleinen M 4.50

Wilhelmine Markgräfin von Bayreuth: Memoiren. Herausgegeben

und mit einem Nachwort verſehen von Annette Kolb. Mit 10 Bild- tafeln. M 6.50

Dichter unſerer Zeit Jeder Band in Leinen M 3.75

Claes, Ernest: Flachskopf. Mit einem Vorwort und Bildern von Felix Timmermans.

Huch, Ricarda: Der Dreißigjährige Krieg. Vollſtändige Ausgabe; Zwei Bände (1400 Seiten).

Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri.

Michael Unger. Roman.

Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis Kochs als Grenadier.

Lawrence, D. H.: Söhne und Liebhaber. Roman.

Sillanpää, Frans Eemil: Silja, die Magd. Roman.

Streuvels, Stijn: Der Flachsacker. Roman. Aus dem Flämiſchen neu übertragen von Peter Mertens.

Timmermans, Felix: Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnungen des Dichters.

- Pallieter. Roman. Mit Zeichnungen des Dichters.

Waggerl, Karl Heinrich: Brot. Roman. In diefer Reihe erſchien außerdem:

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geschichte einer glücklichen Gatten-

wahl. Roman. Mit chineſiſchen Holzſchnitten. Übertragen von Franz Kuhn.

179

Die Hausbücher der Inſel Jeder Band in Leinen M 4.50

Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für alt= modiſche Leute.

Böhme, Jakob: Schriften. Ausgewählt von Friedrich Schulze⸗Maizier.

Bürger, Gottfried August: Wunderbare Reisen des Freiherrn von Münchhausen. Mit den Holzſchnitten von Guſtad Doré.

Busch, Wilhelm: Aus alter Zeit. Mit vielen Handzeichnungen des Meiſters. Herausgegeben von Otto Nöldeke und Hans Balzer.

Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof- mannsthal. Die früher vierbändige Ausgabe jetzt in einem Bande. (1005 Seiten.)

Inhalt: Arnim: Der tolle Invalide - Brentano: Geſchichte vom braven Kaſperl und dem ſchönen Annerl Büchner: Lenz Droſte⸗ Hülshoff: Die Judenbuche Eichendorff: Taugenichts Fouqué: Undine Goethe: Novelle Gotthelf: Barthli, der Korber Grill— parzer: Der arme Spielmann - Hauff: Das kalte Herz - Fr. Hebbel: Aus meiner Jugend E. T. A. Hoffmann: Der Elementargeift- Bott: fried Keller: Spiegel, das Kätzchen Heinrich von Kleiſt: Das Erd: beben in Chili Eduard Mörike: Mozart auf der Reife nach Prag Jean Paul: Leben des vergnügten Schulmeiſterlein Maria Wuz in Auenthal Schiller: Der Geiſterſeher Sealsfield: Erzählung des Oberſten Morfe- Stifter: Der Hageſtolz Tieck: Der blonde Eckbert.

Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit einem erklärenden Anhang. (616 Seiten.)

Inhalt: Das Hildebrandslied Beowulf Walther und Hildegund Sigfrid und die Nibelunge Wieland der Schmied König Rother Der getreue Wolfdietrich König Dietrich von Bern Kudrun Der Nibelunge Not.

Deutsche Volksbücher. Herausgegeben von Severin Rüttgers.

Inhalt: Der hörnern Siegfried Die vier Haimonskinder Herzog Ernſt - Wigoleis Kaiſer Barbaroſſa Die ſchöne Meluſine Die geduldige Griſeldis Die ſchöne Magelona Hirlanda Fortunat Eulenſpiegel Die Schildbürger Doktor Fauſt.

Meister Eckharts Deutsche Predigten und Traktate. Neue Ausgabe. Herausgegeben von Friedrich Schulze-Maizier.

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg.

Hauff, Wilhelm: Märchen. Bollftändige Ausgabe.

Schwab: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige Ausgabe. Mit 96 Bildern von John Flaxman.

180

Stifter, Adalbert: Erzählungen.

Inhalt: Der Hochwald Abdias Brigitta - Der Hageſtolz - Der Waldfteig - Bunte Steine Nachkommenſchaften Die Sonnen⸗ finfternis am 8. Juli 1842.

Der Nachsommer. Roman.

- Witiko. Roman.

Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht.

Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und scine Kunst. Mit 192 Bildtafeln.

Die Bibliothek der Romane Jeder Band in Leinen M 3.50

Balzac, Honoré de: Verlorene Illusionen.

Coster, Charles de: Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Gin fröhliches Buch trotz Tod und Tränen. Übertragen von Albert Weſſelſki.

Defoe, Daniel: Robinson Crusoe. Nach der älteſten deutſchen Über: tragung. Nachwort von Severin Rüttgers.

Flaubert, Gustave: Frau Bovary. Roman. Übertragen von Arthur Schurig.

Fontane, Theodor: Effi Briest. Roman.

Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman.

Gotthelf, Jeremias: Wie Uli der Knecht glücklich wird. Nachwort von Paul Ernft.

Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Der abenteuerliche Simplizissimus. Nachwort von Reinhard Buchwald.

Jacobsen, Jens Peter: Niels Lyhne. Roman. Übertragen von Anka Matthieſen.

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich.

Die Leute von Seldwyla.

Lagerlöf, Selma: Gösta Berling. Erzählung aus dem alten Werms land. Übertragen von Mathilde Mann.

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Eine Gefchichte aus dem 10. Jahrhundert.

Stendhal, Friedrich von: Rot und Schwarz. 3eitbild von 1830. Über» tragen von Arthur Schurig.

Stevenson, R. L.: Die Schatzinsel. Übertragen von Karl Lerbs. Mit 46 Holzſchnitten von Hans Alexander Müller.

Swift, Jonathan: Gullivers Reisen.

Tolstoi, Leo: Anna Karenina. Roman in zwei Bänden (je 700 Seiten).

181

Inhalt

Kalendarium auf das Jahr 1938... 2... . 5 Reinhard Buchwald: Schiller als Freund und Lehrer 11 Briefe des Feldmarſchalls Blücher 17

Goethe: Dem Füͤrſten Blücher von Wahlſtatt die Geinigen .. 20 Reinhold Schneider: Dem Andenken Lothars von Supplinburg 21

Sophokles: Antigone und Ismene Oidipus ............. 31 Muraſaki: Die neuen Srühjahrslleider ........... 26-2. eee 38 Mor Mell der Wd dd 44 Rudolf Alexander Schröder: Pfalm.................. 48 Gertrud von le Fort: Der Jungfrauenabenndꝶ 49 Friedrich Hebbel: Proteuununn sss 57 Gudmundur Kamban: Isländer entdecken im Jahre 1000 c re 59 Ernft Bertram: Reimfpritde ...... 0... cece eee 67 Hans Caroſſa: Ankunft in Münden ............222.220.. 68 Konrad Weiß: Mathilde.............. 8 ER ENT 87 Friedrich Schnack: Lowengahn....... 2.6.6.6 eee ee 89 Dante: Das Fegfeuer. Zweiter Geſann xvdNNMNNxx 94 Ricarda Huch: Erinneruun uw % 98 Otto Freiherr von Taube: Septemberterzinen 101 Rainer Maria Rilke: Drei Briefe aus der Kriegszeit 105 Annette von Droſte-Hülshoff: Durchwachte Nacht 111 S. Galminen: Katrinna˖aaasasas . 114 Jakob Böhme-Wo rte n 122 Selir Timmermans: Die geſtohlenen Edelſteine 126 Ludwig Chriſtoph Heinrich Hölty: Der Stern der Seelen 135 Karl Heinrich Waggerl: Freundſchaft mit Büchern 135 Briefe Holderlniſss ie 139 Anton Coolen: Der Einzug des Doktors 144 Andreas Zeitler: Die Gartenernttkũe 151 Wilhelm Buſch: Der fliegende Froſ ga 155 Bůcher aus dem Ynfel-Berlag....... cece cece cee ecw eee 159

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Bilderverzeichnis

Ludovike Simanowiz: Schiller. Paſtellgemälde. Aus: Reinhard Buchwald, Schilte Schiller im Hofanzug. Scherenſchnitt. Aus: Reinhard Buchwald, r r ees Hokuſai: Der Fujijama unter dem Mond. Holzſchnitt. Aus: Hokuſai, Der ewige Berg Fujijama (Inſel⸗Bücherei Nr. 520) Kopf der ſchönen Madonna in Breslau. Um 1400. Aus: Die Muttergottes, deutſche Bildwerke aus fünf Jahrhunderten Juſel Bichei Ne Hokuſai: Heulender Dorfhund. Holzſchnitt. Aus: Hokuſai, Der ewige Berg Fujijama (Inſel⸗Büucherei Nr. 520) ........... Judas. Vom Weſtlettner des Naumburger Doms. Aus: Die Bildwerke des Naumburger Doms (Inſel-Bücherei Nr. 505). Vinzenz Raimund Grüner: Zwei Umrißzeichnungen zu Goethes

Pandora (Inſel⸗Bücherei Nr. 411. 103,

Daniel Chodowiecki: Die Oderfähre. Aus: Daniel Chodowiecki, Bon Berlin nad) Danziagegagge serene Daniel Chodowiecki: Porträtſitzung. Aus: Daniel Chodowiecki, Von Berlin nach Danziꝓ e PgUPPPPkH 3 Wilhelm Buſch: Der fliegende Froſch. Drei Zeichnungen aus: Hernach, ein Bilderbuch mit Reimen (Inſel⸗Bücherei Nr. 307)

56

155

183

Die Zeichnungen für Umſchlag und Kalendarium ſchuf Rudo Spemann

Gedruckt von Spamer in Leipzig

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Inſel-Almanach auf das Jahr 1939

Im Inſel⸗Verlag zu Leipzig

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Kalendarium

Wo aber Gefahr iſt, wächſt Das Rettende auch.

*

Hölderlin

Januar

Neujahr

Montag Dienstag Mittwoch

O Donnerstag Epiphanias Sonnabend

1. Sonntag n. Ep. Montag Dienstag Mittwoch

Donnerstag Freitag Sonnabend

2. Sonntag n. Ep. Montag Dienstag Reichsgründung Donnerstag

@ Freitag Sonnabend

3. Sonntag n. Ep. Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

4. Sonntag n. Ep. Tag der nationalen Erhebung] Dienstag

Februar

1 Mittwoch

2 Donnerstag

3 Freitag

4 & Sonnabend ©

5 Septuageſima

6 Montag

7 Dienstag

8 Mittwoch

9 Donnerstag 10 Freitag 11 Sonnabend 12 Sexageſima 13 Montag 14 Dienstag 15 Mittwoch 16 Donnerstag 17 Freitag 18 Sonnabend 19 @ Eſtomihi @ 20 Montag 21 Dienstag 22 Mittwoch 23 Donnerstag 24 Freitag 25 Sonnabend 26 Invokavit 27 3 Montag 3 28 Dienstag 29 30 31

ona uh QN

März

Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

Heldengedenktg. S

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Okuli Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Latare Montag Dienstag @ Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Judika Montag Dienstag 3 Mittwoch Donnerstag Freitag

April

Sonnabend Palmarum Montag

@ Dienstag Mittwoch Gründonnerstag Karfreitag Sonnabend Oſterſonntag Oſtermontag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Quafimodogeniti Montag Dienstag Mittwoch Des Führers Geburtstag Freitag Sonnabend Miſericordias Dom. Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Jubilate

1 Tag der Arbeit 2 Dienstag

3 S Mittwoch © 4 Donnerstag

5 Freitag

6 Sonnabend

7 Kantate

8 Montag

9 Dienstag 10 Mittwoch

11 Donnerstag 12 Freitag

13 Sonnabend 14 Rogate

15 Montag

16 Dienstag 17 Mittwoch 18 Himmelfahrt 19 O Freitag @ 20 Sonnabend 21 Exaudi 22 Montag 23 Dienstag 24 Mittwoch 25 Donnerstag 26 Freitag) 27 Sonnabend 28 Pfingſtſonntag 29 Pfingſtmontag 30 Dienstag 31 Mittwoch

Juni

Donnerstag Freitag © Sonnabend Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Fronleichnam Freitag Sonnabend 1. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 2. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 3 3. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag

Bar.

Juli Auguſt September © Sonnabend 1 Dienstag 1 Freitag 4. n. Trinitatis 2 Mittwoch 2 Sonnabend Montag 3 Donnerstag 3 13. n. Trinitatis Dienstag 4 Freitag 4 Montag Mittwoch 5 Sonnabend 5 Dienstag Donnerstag 6 9. n. Trinitatis 6 Mittwoch Freitag 7 Montag 7 Donnerstag Sonnabend 8 (Dienstag 8 Freitag

5. n. Trinitatis 9 Mittwoch Sonnabend Montag 10 Donnerstag 10 4. n. Trinitatis Dienstag 11 Freitag 11 Montag Mittwoch 12 Sonnabend 12 Dienstag Donnerstag 13 10. n. Trinitatis 13 Mittwoch Freitag 14 Montag 14 Donnerstag Sonnabend 15 @ Dienstag 15 Freitag @ 6. n. Trinitatis 16 Mittwoch 16 Sonnabend Montag 17 Donnerstag 17 15. n. Trinitatis Dienstag 18 Freitag 18 Montag Mittwoch 19 Sonnabend 19 Dienstag Donnerstag 20 11. n. Trinitatis 20 Mittwoch) Freitag 21 Montag? 21 Donnerstag Sonnabend 22 Dienstag 22 Freitag 3 7. n. Trinitatis 23 Mittwoch 23 Sonnabend Montag 24 Donnerstag 24 16. n. Trinitatis Dienstag 25 Freitag 25 Montag Mittwoch 26 Sonnabend 26 Dienstag Donnerstag 27 12. n. Trinitatis 27 Mittwoch Freitag 28 Montag 28 Donnerstag @ Sonnabend 29 & Dienstag S 29 Freitag 8. n. Trinitatis 30 Mittwoch 30 Sonnabend D Montag 31 Donnerstag 31

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Oktober

Erntedankfeſt Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag

Freitag Sonnabend

18. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

19. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag

> Freitag Sonnabend

20. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag

© Sonnabend 21. n. Trinitatis Montag Reformationsfeſt

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10

November

Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 22. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag

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10

11 @ Sonnabend @ 11 12 23. n. Trinitatis 12

13 Montag 13 14 Dienstag 14 15 Mittwoch 15 16 Donnerstag 16 17 Freitag 17 18 Sonnabend 18 1924. n. Trinitat.) 19 20 Montag 20 21 Dienstag 21 22 Bußtag 22 23 Donnerstag 23 24 Freitag 24 25 Sonnabend 25 26 © Totenfeſt @ 26 27 Montag 27 28 Dienstag 28 29 Mittwoch 29 30 Donnerstag 30 31 31

Dezember

Freitag Sonnabend

1. Advent Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

2. Advent @ Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

3. Advent Montag 3 Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

4. Advent

1. Weihnachtstag 2. Weihnachtstg. S Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Silveſter

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Rudolf G. Binding / Zwei Gedichte Mond und Trinker

Schlaf ein, o Mond,

ſchlaf ein auf meinem Becher.

Ich ſeh dir zu.

Ich ſeh dir zu, o Mond, - ein Zecher ſo ſtill wie du.

So ſtill wie du

mit dir und faſt geſtorben durchwandle ich ein nächtliches Bereich. Wir ſehn uns zu.

Du trinkſt aus meinem Becher:

und wir ſind gleich.

Sinkendes Jahr

Trifft dich noch immer wie je das feurige Gold des Oktober, reineres Licht über Ackern und zaubriſche Sonne des Himmels?

Atme nur. Trinke! Der Duft ausruhender Erde, dunkle Arome fallenden Laubs künden dir Wiederkehr.

Aber belüge dich nicht. Die Tiere gehn einzeln.

Stumm ſind die Vögel, verblüht iſt die Liebe der Blumen. Tod geht um und rührt alles Leben an.

Nur die Menſchen wagen ſich in das Beſtändige

ihrer Wünſche und unbekannter Beſtimmung.

Glaubſt du allein dich gefeit, du ewig Liebender?

Wiſſe: die Erde iſt herriſch. Der kältende Reif der Nacht, ein leiſes Weh im Herzen künden den Winter auch dir.

*

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Ernſt Moritz Arndt / Von Freiheit und Vaterland

Und es ſind elende und kalte Klügler aufgeſtanden, die ſpre⸗ chen in der Nichtigkeit ihrer Herzen:

Vaterland und Freiheit, leere Namen ohne Sinn, ſchöne Klänge, womit man die Einfältigen betört! Wo es dem Menſchen wohl⸗ geht, da iſt ſein Vaterland, wo er am wenigſten geplagt wird, da blüht ſeine Freiheit.

Dieſe ſind wie die dummen Tiere nur auf den Bauch und auf ſeine Gelüſte gerichtet und vernehmen nichts von dem Wehen des himmliſchen Geiſtes.

Sie graſen wie das Vieh nur die Speiſe des Tages, und was ihnen Wolluſt bringt, deucht ihnen das Einziggewiſſe.

Darum heckt Lüge in ihrem eitlen Geſchwätz, und die Strafe der Lüge brütet aus ihren Lehren.

Auch ein Tier liebet; ſolche Menſchen aber lieben nicht, die Got⸗ tes Ebenbild und das Siegel der göttlichen Vernunft nur äußer⸗ lich tragen.

Der Menſch aber ſoll lieben bis in den Tod und von ſeiner Liebe nimmer laſſen noch ſcheiden.

Das kann kein Tier, weil es leicht vergiſſet, und kein tieriſcher Menſch, weil ihm Genuß nur behagt.

Darum, o Menſch, haſt du dein Vaterland, ein heiliges Land, ein geliebtes Land, eine Erde, wonach deine Sehnſucht ewig dichtet und trachtet.

Wo dir Gottes Sonne zuerſt ſchien, wo dir die Sterne des Him⸗ mels zuerſt leuchteten, wo ſeine Blitze dir zuerſt ſeine Allmacht offenbarten und feine Sturmwinde dir mit heiligen Schrecken durch die Seele brauſeten, da iſt deine Liebe, da iſt dein Vaterland.

Wo das erſte Menſchenaug ſich liebend über deine Wiege neigte, wo deine Mutter dich zuerſt mit Freuden auf dem Schoße trug und dein Vater dir die Lehren der Weisheit ins Herz grub, da iſt deine Liebe, da iſt dein Vaterland.

Und ſeien es kahle Felſen und öde Inſeln, und wohne Armut und Mühe dort mit dir, du mußt das Land ewig lieb haben; denn du biſt ein Menſch und ſollſt nicht vergeſſen, ſondern be⸗ halten in deinem Herzen.

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Auch iſt die Freiheit kein leerer Traum und kein wüſter Wahn, ſondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz und die Gewiß⸗ heit, daß du vom Himmel ſtammeſt.

Da iſt Freiheit, wo du leben darfſt, wie es dem tapfern Herzen gefällt; wo du in den Sitten und Weiſen und Geſetzen deiner Väter leben darfſt; wo dich beglücket, was ſchon deinen Urelter— vater beglückte; wo keine fremden Henker über dich gebieten und keine fremden Treiber dich treiben, wie man das Vieh mit dem Stecken treibt.

Dieſes Vaterland und dieſe Freiheit ſind das Allerheiligſte auf Erden, ein Schatz, der eine unendliche Liebe und Treue in ſich verſchließt, das edelſte Gut, was ein guter Menſch auf Erden beſitzt und zu beſitzen begehrt.

Darum auch ſind ſie gemeinen Seelen ein Wahn und eine Tor⸗ heit allen, die für den Augenblick leben.

Aber die Tapfern heben ſie zum Himmel empor und wirken Wunder in dem Herzen der Einfältigen.

Auf denn, redlicher Deutſcher! Bete täglich zu Gott, daß er dir das Herz mit Stärke fülle und deine Seele entflamme mit Zu⸗ verſicht und Mut.

Daß keine Liebe dir heiliger ſei als die Liebe des Vaterlandes und keine Freude dir ſüßer als die Freude der Freiheit.

Damit du wiedergewinneſt, worum dich Verräter betrogen, und mit Blut erwerbeſt, was Toren verſäumten.

Denn der Sklav iſt ein liſtiges und geiziges Tier, und der

Menſch ohne Vaterland der unſeligſte von allen.

Aus dem „Katechismus für den deutſchen Kriegs- und Wehrmann' in der Inſel⸗Bücherei

*

Andreas Zeitler / Arbeit und Dichtung

Von den jungen Soldaten, die der Krieg von den Bänken der Schulſtuben und der Hörſäle als halbe Knaben hinwegholte und in das Grauen der Materialſchlacht warf, hat manch einer, wie wir aus den nachgelaſſenen Briefen und Tagebuchblättern der Gefallenen und aus dem Munde Heimgekehrter erfuhren,

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ein ſchmales Bändchen Homer, Goethe, Hölderlin oder Stifter bei ſich gehabt, um zuweilen in einer freien Stunde darin zu leſen und unter der ſcheinbar wahnwitzigen Herrſchaft des To⸗ des die freundliche, erhabene Geſtalt des Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wiſſen, daß dieſe Begegnungen kei⸗ nen früheren oder ſpäteren vergleichbar waren und ihnen un⸗ vergeßlich blieben. Es hat dieſer und jener von den Überleben- den nachher dankbar bezeugt, daß gerade damals, als nichts ge⸗ ringer geachtet zu werden und auch entbehrlicher zu ſein ſchien als eine erdichtete Geſtalt oder ein Vers, ſich ihm das Weſen der Dichtung als eine Leben ſpendende und bewahrende Kraft offenbart habe und er ſeit jener Zeit nun einiges in ſich trage, was er anders kaum gewonnen hätte und ſehr vermiſſen müßte, wenn er es nicht ſo, wie es zu ihm gelangt ſei, beſäße.

Wenn ſich das wahrhaftige, aus einem reinen, getreuen und unerſchrockenen Herzen kommende dichteriſche Wort im Kriege angeſichts des Todes und der Zerſtörung an dem einen oder anderen Menſchen aufs ſchönſte bewährte und ihn inmitten eines beiſpielloſen Geſchehens aufrecht erhielt, ja, nicht allein tröſtete und beſänftigte, ſondern ſogar über ſein bisheriges Da⸗ fein hinaushob und zu neuen Gewißheiten ſtärkte, kann es nicht anders ſein, als daß ſeine Wirkung auch in friedlichen Zeiten auf einen, der es zu empfangen vermag, eine gleiche, wenn nicht überhaupt größere und nachhaltigere iſt. Denn erſt in dem geordneten und maßvollen Leben, deſſen ruhiger Gang weitreichende Pläne und ſtetige Entwicklungen ermöglicht und das wir zu Unrecht leicht etwas abſchätzig den Alltag nennen, obwohl wir uns damit ſelber verkleinern, erfüllt der Menſch ſeine göttliche Sendung, die nicht das Töten oder Einreißen, ſondern das Erſchaffen, Aufbauen und Verwandeln zu ſeiner unterſcheidenden Aufgabe macht. Mit einem ſchöpferiſchen Drang, den er in der erleuchteten Stunde einer fernen, fernen Zeit einſt mit dem gleichen atemloſen Staunen an ſich wahrgenom⸗ men haben wird, mit dem ein Kind ſeine frühe Bildnerkraft entdeckt, einem Drang, dem das Erreichte, ſo mühevoll und zeitverſchlingend die Wege auch immer waren, niemals genügte, hat er ſich durch die Jahrtauſende hindurch von Stufe zu Stufe

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bewegt, von der unterften, wo er noch dem Tiere nicht unähn⸗ lich war, das raubend und flüchtig nach Nahrung umherſchweift, nur den Augenblick bewältigend und unabläſſig bedroht, bis zur höchſten, bis heute erklommenen, auf der, als Ergebnis ſei— ner, das Mannigfaltige zur Einheit zuſammenſchließenden ſchaf— fenden Kräfte, ſein Leben einem ungeheuren, vielfach geglie— derten und ineinander verſchränkten Gebäude gleicht, an wel— chem kein einziger, noch ſo geringer Stein den anderen als Ruhefläche oder als Laſt zu entbehren vermag und jedes wins zige Körnchen an den Spannungen der ganzen Maſſe teilhat. Er iſt als Bauer, Arbeiter, Seemann, Handwerker, Händler, Erfinder und Forſcher, als Soldat, Beamter und Staatsmann ohne Unterlaß tätig: ſeine Beſtimmung iſt die Arbeit. Dieſe jedoch, das wunderbare und ſchwere Schickſal täglichen Tuns und Förderns im hohen wie auch gemeinen Sinne, nichts an— deres, iſt der dauernde Gegenſtand der Dichtung aller Kultur— völker und beſonders, wie wir zu ſagen berechtigt ſind, der Deutſchen, und nicht etwa die menſchlichen Leidenſchaften, die manche, das Mittel mit dem Inhalt verwechſelnd, dafür halten.

In jeder Dichtung, und es verſteht ſich wohl von ſelbſt, daß mit dieſer Bezeichnung eben nur gemeint iſt, was, wie aus einem höchſten Auftrag entſtanden, ſtrengſtem Anſpruch gerade zu ge- nügen vermag, nicht alſo ein Erzeugnis der Phantaſie und Be- rechnung von der Art der heute in Maſſen verbreiteten Druck- werke, vollzieht es ſich gleichſam noch einmal, daß Gott ſein Geſchöpf aufrecht gehen heißt; wird das Wandeln mit erhobe- nem Haupte beglückt gefeiert, das die Vorausſetzungen der menſchlichen Tat in ſich birgt; und findet die ſchöpferiſche Kraft des Menſchen ihre Verkündigung und Verherrlichung. Denn was kann den Dichter, der die Gabe der reinen und demütigen Empfindung mit der des treffenden und feſtlichen Wortes ver⸗ eint, heftiger bewegen als ſeinesgleichen? Wohl iſt der Ather wunderbar und des Geſanges wert; wohl fährt die Sonne, das lebenerhaltende feurige Rad des Tages, herrlich im blauen Himmel und ſchmücken ewig erſchütternd die Geſtirne die Nacht; wohl kann einer bis in das hohe Greiſenalter hinein leben und ungeachtet der vortrefflichſten Eingebungen doch nicht mit der

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Mühe fertig werden, die Rube einer Landfchaft, die Entfaltung einer Blüte oder den Blick eines Tieres in der Sprache aus⸗ zudrücken: das lebendigſte, würdigſte, den Dichter am meiſten bedrängende Gleichnis des Unnennbaren iſt doch der Tätige! So träumt er, beredte Zeichen in der Erinnerung ſuchend, die Geſtalten, die wir kennen und lieben und die immer von neuem wiederkehren, mit wechſelndem Gewand, verändertem Geſicht und anderer Zunge, aber dem gleichen Herzen: den Jüngling, der ſich ungeduldig ſehnt, daß er ein Mann werde, ſchaffe und walte, oder der an dem zerbricht, was er ſich auferlegt fühlt; das Mädchen, das liebend zu ahnen beginnt, worin es mit ein⸗ beſchloſſen iſt; die Mutter, die mit ihren Kindern ihren Anteil daran hat; den Mann, den ſein Werk emporreißt, da er, nicht mehr ſchwankend, ſeine reifen Kräfte ſammelt; und den Greis, der die getane Arbeit überſchaut und geſegnet oder mißlungen findet.

Indem ſo der Dichter an dem ſchöpferiſchen Verlangen der Sterblichen Göttliches deutet und verklärt, die Allmacht in de⸗ ren beſtändig durch alle Kämpfe getragenen Zuverſicht verſinn⸗ bildlichend, deutet er zugleich dem Menſchen ſein eigenes Los. Er zeigt dem, der Eifer und Mut beſitzt, ſich ſeiner Obhut an⸗ heimzugeben, was der in vielen Schlingen des mühſeligen Le⸗ bens Verſtrickte und von der oft düſteren Strenge ſeines Ge⸗ ſchicks Verwirrte, unerleuchtet, mit den eigenen Augen nicht zu ſehen vermag, die unantaſtbare Schönheit der Ordnung, in die auch er einbegriffen iſt, zuſammen mit allem, was geatmet und gearbeitet hat und je atmen und arbeiten wird in fernſten Zei⸗ ten, wenn ſein Hirn und ſeine Hand längſt wieder der Erde zurückgegeben ſind, auch er, der kein großer Herr in fruchtbaren Ländern, kein kühner Baumeiſter, kein bedeutender Lehrer oder ſeuchenvertilgender Arzt, ſondern vielleicht nur ein beſcheidener Zwiſchenhändler, Handwerker oder Fabrikarbeiter iſt. Er führt den Letzten und Geringſten ſo gut wie den Erſten und Beſten aus dem kalten Schatten der Vereinzelung, der Sinnloſigkeit und Verzweiflung in den warmen Strahl einer frohſtimmenden Gemeinſchaft.

Wer freilich die Arbeit nicht achtet und in ihr nur eine läſtige

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Der Slasengel Plaſtik aus dem Bamberger Dom

Bürde erblickt, den wird keine Dichtung beglücken, der iſt es aber auch nicht wert, ihren köſtlichen Lohn zu finden; er möge, ein anderer Tantalus, dem überlaſſen bleiben, was ihn reizt: dem Verlogenen und künſtlich Hergerichteten, das, wenn es für den Augenblick auch ſättigt, ihn immer von neuem gierig macht und immer von neuem vom Leben trennt.

Stärker alſo als jene jungen Soldaten im Kriege, von denen am Anfang die Rede war, muß uns, die ſich nachdrücklicher und einhelliger als je eine Zeit oder ein Volk getan haben, zum ſchaffenden Menſchen, zur Arbeit bekennen, das dichteriſche Wort ergreifen und verwandeln.

*

David Friedrich Strauß Huttens Streit mit Erasmus

1522, 1523

Des Erasmus und des Verhältniſſes, in welchem Hutten zu ihm ſtand, haben wir im erſten Teile unferer Erzählung wie- derholt gedenken müſſen. Es war damals von ſeiten Huttens das der reinen Verehrung und Bewunderung des älteren Meiſters und Vorbildes; von ſeiten des Erasmus das des Wohlgefallens an einem begabten Jünger, gegen deſſen Hul⸗ digungen der Meiſter nicht unempfindlich iſt, deſſen Brauſen und ÜUberſchäumen er mit feiner Jugend, in Erwartung künf⸗ tiger Läuterung, entſchuldigt. Der Gegenſatz der Naturen war durch die Gemeinſamkeit des humaniſtiſchen Standpunktes ſcheinbar ausgeglichen: ſobald der eine von beiden dieſen ver⸗ ließ, während der andere auf demſelben verharrte, ſo mußte auch der Widerſtreit der Naturen zum Vorſchein kommen. Nun war aber Hutten während der letzten Jahre aus dem Huma⸗ niſten immer mehr zum Reformer geworden, während Eras⸗ mus Humaniſt blieb: unmöglich konnte ihm dieſer fortan in demſelben Lichte wie früher erſcheinen; an dem ſtrahlenden Vorbilde ſeiner Jugend mußten ihm jetzt mancherlei Flecken bemerklich werden.

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Vor allem haben wir uns hier, wo der denkwürdige Streit zwiſchen beiden Männern zu entwickeln iſt, mit der ganzen Größe und geſchichtlichen Bedeutung des Erasmus zu durch- dringen. Es iſt leicht geſagt, ihn in Vergleichung mit Luther ſeicht und ſchwach, im Verhältnis zu Hutten ſogar feig und zweideutig zu finden. Das waren die beiden Träger der ge⸗ ſchichtlichen Macht, die ihn ablöfte: in Vergleichung mit dieſer aber, ſolange eine Geſchichtsperiode im Auffteigen begriffen iſt, erſcheint der Vorgänger regelmäßig im Nachteile. Ihm gerecht zu werden, müſſen wir rückwärts blicken, ihn mit demjenigen vergleichen, worauf er fußte, was er weiterbildete, in ſich zu⸗ ſammenfaßte. Da ſehen wir denn in Erasmus den lebendigen Inbegriff faſt alles deſſen, was, infolge der Wiedererweckung des Studiums der Alten, die Geiſter der abendländiſchen Na⸗ tionen ſeit mehr als hundert Jahren errungen hatten. Es wa⸗ ren dies nicht bloß Sprachkenntniſſe, nicht bloß Bildung des Stils, des Geſchmacks: ſondern damit hatte die ganze Geiſtes⸗ form einen freieren Wurf, einen feineren Strich bekommen. In dieſem umfaſſenden Sinne kann man ſagen, daß Erasmus der gebildetſte Mann ſeiner Zeit war.

Zugleich verſtand er ſeine Zeit, kannte ihre Bedürfniſſe und kam denſelben durch ſeine Schriften nach den verſchiedenſten Seiten hin entgegen. Seine kritiſchen Ausgaben von Klaſſikern und Kirchenvätern, ſeine Blumenleſen von Sprichwörtern, Gleichniſſen und Sentenzen, feine Überjegungen aus dem Grie⸗ chiſchen, ſeine Anweiſungen zum Studium überhaupt, zur wah⸗ ren Theologie, zum richtigen und eleganten Sprechen und Schreiben des Lateiniſchen, worin ſeine zahlreichen Briefe prak⸗ tiſche Muſter waren, kamen zur rechten Zeit und wirkten in den weiteſten Kreiſen. Seine griechiſch⸗lateiniſche Ausgabe des Neuen Teſtaments, die erſte gedruckte des griechiſchen Grundtextes, erſchien, dem Papſte Leo X. zugeeignet, ein Jahr vor dem An⸗ fangsjahre der Reformation. Seine Paraphraſen zu den neu⸗ teſtamentlichen Schriften folgten; wobei es ihn bezeichnet, daß er die zur Apokalppſe ſchuldig blieb. Sowenig er aber, wie ſchon früher bemerkt, Myſtiſches in feiner Natur hatte, fo fehlte ihm darum der Sinn für praktiſche Religion, ſelbſt für

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fittliche Askeſe keineswegs: wie feine Unterweiſung eines chriſt⸗ lichen Streiters, ſeine Schriften über das Gebet, den chriſt⸗ lichen Eheſtand und dergleichen zeigen. Überall dringt er in der Religion auf das Innere, die Geſinnung und Bedeutung, ohne welche ihm das Äußere, die kirchliche Zeremonie, keinen Wert hat. Er verſpottet den Aberglauben des Volkes, die Un⸗ wiſſenheit und Barbarei der Geiſtlichen, insbeſondere der Mön⸗ che, den Aberwitz der Scholaſtik, klagt über die Plackereien der Faſtengebote und wagt ſelbſt gegen die Herrſch⸗ und Habſucht des römiſchen Hofes manch freies Wort.

Alle Welt, die ganze menſchliche Geſellſchaft, unterwirft er in ſeinem Lob der Narrheit einer ironiſchen Muſterung. Hier tritt im Geſchmacke jener Zeit, der freilich nicht mehr der unfrige iſt, die perfonifizierte Torheit redend auf, rühmt ihre Verdienſte um die Menſchheit und lobt, indem ſie die verſchiedenen Stände nach der Reihe durchgeht, an den einzelnen gerade das, was an denſelben als Verkehrtheit zu rügen iſt; wobei ſie freilich oft genug aus der Rolle und aus dem verſtellten Lob in direk⸗ ten Tadel fällt. Die Schrift iſt bei Lebzeiten ihres Verfaſſers mindeſtens ſiebenundzwanzigmal aufgelegt worden.

Kaum mindern Beifall erhielten feine „Vertrauten Geſpräche', die, aus einer Anleitung zur lateiniſchen Konverſation, in den ſpätern Ausgaben zu einer Sammlung von Unterhaltungen wurden, in denen Erasmus bald Sitten oder Unſitten ſeiner Zeit ſchilderte, bald ſeine Anſichten über wichtige Fragen der Lebensweisheit oder der Religion niederlegte. Die Angabe des Inhalts von einigen dieſer Geſpräche wird die Denkart und Stellung des Erasmus am beſten deutlich machen. In dem Geſpräch ‚Die Leiche? werden zwei Sterbende geſchildert. Der eine, ein geweſener Kriegsmann, der viel ungerecht erworbenes Gut beſitzt, läßt ſämtliche Bettelorden holen, ſtirbt in der Fran⸗ ziskanerkutte und läßt ſich in der Kirche begraben, vermacht ſein ganzes Vermögen den Orden und zwingt Weib und Kin⸗ der, geiſtlich zu werden. Der andere, ein rechtſchaffener und verſtändiger Mann, ſtirbt ohne allen Prunk, im Vertrauen auf das Verdienſt Chriſti allein, vermacht den Klöſtern und den Armen, da er den letzteren im Leben nach Kräften Gutes

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getan, keinen Pfennig, nimmt zwar noch die letzte Olung und das Abendmahl, doch ohne Beichte, da ihm, wie er ſagt, kein Skrupel mehr in der Seele haftet. Dabei wird zugleich die Erbſchleicherei der Mönche, die Eiferſucht zwiſchen ihnen und den Pfarrern wie der verſchiedenen Orden untereinander, und deren rohe Sitten anſchaulich gemacht. In dem Geſpräche vom Fiſcheſſen wird unter anderem eine Geſchichte erzählt, wie einer in tödlicher Krankheit ſich weigerte, nach dem Rat ſeiner Arzte (wider fein Gelübde) Eier- und Milchſpeiſen Zu eſſen, aber kei⸗ nen Anſtand nahm, eine Schuld durch einen Meineid abzu⸗ ſchwören. Im Schiffbruch, während die übrigen der eine dieſen, der andere jenen Heiligen anrufen, wendet ſich der verſtändige Sprecher geradezu an Gott felbft, in der Überzeugung, daß kein anderer die Bitten der Menſchen ſchneller höre und lieber gewähre. In der Unterhaltung über das Wallfahrten ant⸗ wortet Menedemus dem Ogpgius auf die Frage, ob er nicht auch die Pilgerfahrten, die ihm dieſer zuvor gerühmt, machen wolle: er mache ſeine Wallfahrten zu Hauſe ab. Nämlich ſo: er gehe in das Zimmer, um über die Sittſamkeit ſeiner Töchter zu wachen; von da in die Werkſtatt, um den Fleiß der Knechte und Mägde zu beaufſichtigen, und fo da⸗ und dorthin, um das ganze Haus in Ordnung zu halten. Aber das würde, wendet der andere ein, wenn du zu ihm pilgern gingeſt, der heilige Jakobus für dich beſorgen. Die Heilige Schrift, entgegnet Me⸗ nedemus, heißt es mich ſelbſt beſorgen; daß ich es den Heiligen überlaſſen ſoll, finde ich nirgends vorgeſchrieben.

In dem Jahrzehnt, welches dem Auftreten Luthers voranging, ſtand der Ruhm des Erasmus auf ſeiner Höhe. Er galt für die erſte literariſche Größe des Abendlandes und war es auch. Von fern her reiſten aufſtrebende junge Männer wie ältere Gelehrte an ſeinen Wohnort und ſchätzten ſich glücklich, ſein Angeſicht geſehen zu haben. Weltliche und Kirchenfürſten bewarben ſich um ſeine Briefe und lohnten ſeine Zueignungen durch Ge⸗ ſchenke. Auf ſeinen Reiſen wurde er in den gebildeteren Städ⸗ ten wie ein Potentat empfangen: Deputationen erſchienen, hielten Anreden und überreichten Gedichte, die Obrigkeiten warteten auf und ſchickten Verehrungen. In bequemer Muße, ohne Amt, 20

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dem er immer auswich, feit 1516 mit dem Titel eines Rats König Karls von Spanien und einem Gehalte von vierhundert Florin, wozu noch etliche kleinere Penſionen hochgeſtellter Gön— ner kamen (die freilich in der Weiſe jener geldarmen Zeit nicht ſelten ſtockten), lebte Erasmus, von ſeinen Reiſen nach Frankreich, Italien, England zurückgekehrt, erſt zu Löwen, dann zu Baſel, wo es ihm am wohlſten wurde, bis die Unruhen in» folge der Reformation ihm den Aufenthalt verleideten und ihn zur Überfiedelung nach Freiburg bewogen.

Wie zu Luthers Auftreten der Handel Reuchlins gewiſſer— maßen ein Vorſpiel war, ſo ließ ſich aus des Erasmus Ver— halten bei dem letztern ſchon ungefähr abnehmen, wie er ſich zur Reformation ſtellen würde. Da der Streit ſich über den Talmud und andere Judenbücher entſpann, die dem Erasmus fremd, wo nicht widerwärtig waren, ſo konnte er in gewiſſem Sinne mit Wahrheit ſagen, daß ihn derſelbe nichts angehe. Dann war aber auch die Heftigkeit, mit welcher der Kampf von beiden Seiten geführt wurde, feiner Denkart und Natur zu- wider. Er meinte, die Freunde der beſſern Studien ſollten mehr aufbauend als polemiſch zu Werke gehen, ſich lieber als Gäſte allmählich einſchmeicheln, als gewaltſam wie Feinde ein- brechen. Bei dem kriegeriſchen Verhalten, das Reuchlins An- hänger angenommen hatten, war es ihm unangenehm, daß Pirckheimer in ſeiner Schutzſchrift für denſelben auch ihn dem Verzeichnis der Reuchliniſten einverleibt hatte. Denn welcher gelehrte und rechtſchaffene Mann ſei ihm nicht hold, ſagte er; was er aber meinte, war, daß der Freund ihn auf keine Weiſe in einen Parteienſtreit hätte verflechten ſollen, da er auch hier, wie ſpäter bei der Lutheriſchen Tragödie, wie er es nannte, nur Zuſchauer, nicht Mitſpieler ſein wollte. In der Stille übrigens ſprach er dem Angefochtenen freundlich zu, in diplomatiſcher Form verwendete er ſich für ihn bei Papſt und Kardinälen, und als am 30. Juni 1522 Reuchlin durch den Tod dem Streit entrückt war, feierte er ihn in einer Apotheoſe, die er ſeinen Dialogen einverleibte. Ein von Tübingen kommender Schüler Reuchlins erzählt von dem Morgentraume oder viel⸗ mehr der Viſion, die ein frommer Franziskaner daſelbſt in

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Reuchlins Todesſtunde gehabt habe. Jenſeits einer Brücke, die über einen Bach führte, erblickte er eine herrliche Wieſe: auf die Brücke ſchritt Reuchlin zu in weißem, lichtem Gewande, hinter ihm ein ſchöner Flügelknabe, ſein guter Genius. Etliche ſchwarze Vögel, in der Größe von Geiern, verfolgten ihn mit Geſchrei; er aber wandte ſich um, ſchlug das Kreuz gegen ſie und hieß ſie weichen; was ſie taten mit Hinterlaſſung unbe⸗ ſchreiblichen Geſtankes. An der Brücke empfing ihn der ſprach⸗ gelehrte heilige Hieronpmus, begrüßte ihn als Kollegen und brachte ihm ein Kleid, wie er ſelbſt eines anhatte, ganz mit Zungen in dreierlei Farben beſetzt, zur Andeutung der drei Sprachen, welche beide verſtanden. Die Wieſe und die Luft war mit Engeln angefüllt; auf einen Hügel, der ſich aus der Wieſe erhob, ſenkte ſich vom offenen Himmel eine Feuerſäule nieder, in dieſer ſtiegen die beiden Seligen, ſich umarmend, unter dem Geſang der Engelchöre empor. Der Erzähler und ſein Mitunterredner wollen nun den Entſchlafenen in das Ver⸗ zeichnis der Heiligen, dem heiligen Hieronpmus zur Seite, ſetzen, ſein Bild in ihren Bibliotheken aufſtellen und ihn fort⸗ an als Schutzheiligen der Sprachgelehrſamkeit anrufen.

Als nun Luther auftrat, fehlte auch ihm von Anfang weder die Teilnahme des Erasmus noch ſein diplomatiſch empfehlendes Wort. Die vertrauliche Außerung auf Friedrichs des Weiſen Frage zu Köln, unmittelbar vor dem Wormſer Reichstage, Luther habe in zwei Stücken gefehlt, daß er dem Papſt an die Krone und den Mönchen an die Bäuche gegriffen, wirkte tief auf des Kurfürſten Gemüt und fiel ihm noch kurz vor ſeinem Tode wieder ein. An den Kardinal Albrecht von Mainz hatte Erasmus ſchon vorher über Luther einen ſehr günſtigen Bericht erſtattet, war aber auch äußerſt ungehalten geweſen, als Hut⸗ ten ſich beigehen ließ, den Brief ohne ſein Vorwiſſen drucken zu laſſen; wie er die zu Köln in gleichem Sinne geſchriebenen Axiomata dem Spalatin bald wieder abforderte, ohne doch da⸗ mit ihren Druck verhindern zu können. Vor allem begriff Eras. mus ſehr wohl, daß Luther nicht ohne die dringendſte Veranlaſ⸗ fung aufgetreten ſei. Es waren ja dieſelben Übelftände, über welche auch er ſelbſt bisher ſchon ſeine Klagen nicht zurück⸗

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gehalten hatte. Die Beſchwerung des chriſtlichen Volks durch Menſchenſatzungen; die Verdunkelung der Theologie durch ſcho— laſtiſche Dogmen; die läftige Ubermacht der Bettelmönche; das Unweſen, das ſie mit der Beichte und dem Ablaß trieben; die Entartung der Predigt, in welcher, ſtatt von Chriſtus und chriſtlichem Leben, faſt nur noch von dem Papſt und ſeiner Machtvollkommenheit oder von kindiſchen erlogenen Mirakeln die Rede war; der mehr als jüdiſche Zeremonieendienſt, unter deſſen Drucke der lebendigen Frömmigkeit die Erſtickung drohte. Die ſchamloſe Übertreibung auf dieſer Seite veranlaßte Lu— ther zum Widerſpruch und diente nach des Erasmus Urteil auch manchem Übermaß auf feiner Seite zur Entſchuldigung. Auf eine ehrliche Abſicht bei Luther ſchloß er ſchon daraus, daß es demſelben weder um Geld noch um Ehren zu tun war. Auch fand er, daß gerade die beſten Menſchen an Luthers Schriften am wenigſten Anſtoß nahmen. Luther ſchien ihm (und das ſchrieb er an den Papſt ſelbſt) eine ſchöne Gabe zur asketiſchen, praktiſchen Schriftauslegung zu haben, welche in der damaligen Zeit über ſpitzfindigen ſcholaſtiſchen Fragen mehr als billig vernachläſſigt war. Er ſah in Luther ein tüchtiges Rüſtzeug zur Auffindung der Wahrheit, zur Wiederherſtellung evangelifcher Freiheit, das nicht zerbrochen werden dürfe.

Gleich von Anfang jedoch hatte Erasmus in Luthers Schrif— ten (von Perſon kannte er ihn nicht) etwas bemerkt, das ſeinem Weſen fremd, ja zuwider war. Es war das Scharfe und Herbe, die Heftigkeit und Leidenſchaft in denſelben, was ihn erſt be⸗ denklich machte, dann immer mehr abſtieß. Er ſah Aufruhr und Zwieſpalt als Folge eines ſo ſtürmiſchen Auftretens vor⸗ aus. Als daher Luther an ihn geſchrieben hatte, ermahnte er denſelben in ſeiner Antwort zur Mäßigkeit und Beſcheidenheit. Wie ſtatt deſſen Luther im Verlaufe feines Streites immer hef— tiger und ſchonungsloſer wurde, trat Erasmus immer mehr von ihm zurück. Er wurde zweifelhaft, welch ein Geiſt den Mann treibe. Noch abgeſehen von dem Inhalte ſeiner Lehre, wie er ſich mehr und mehr entwickelte, fand Erasmus jedenfalls die Art, wie Luther zu Werke ging, zweckwidrig. Je mißliebiger an ſich ſchon das Geſchäft ſei, eingewurzelte Mißbräuche zu be⸗

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kämpfen, meinte er, in deſto milderer Form hätte es geſchehen müſſen. Wozu Schmähungen gegen diejenigen, welche es zu heilen galt? Wozu Übertreibungen, die Anſtoß erregen muß⸗ ten? Durchaus glaubte er die weiſe Okonomie, die Urbanität der Predigt zu vermiſſen, wie wir ſie in den Vorträgen Chriſti und Pauli finden. Zuweilen begriff er Luther als einen Arzt. den die tiefen Schäden der Zeit zu grauſamen Mitteln, zum Schneiden und Brennen nötigten; aber er fand die Mittel zum Teil ſchlimmer als die Krankheit. Für Erasmus war Streit und Krieg der Übel größtes: er wollte im Rollifionsfalle lieber einen Teil der Wahrheit dahinten laſſen, als durch Behaup⸗ tung der ganzen den Frieden ſtören.

Von ſeinem Standpunkte aus ſchildert Erasmus Luthers Na⸗ turell und Art ganz treffend. Er fand in ihm des Peliden Zorn, der von Nachgeben nichts weiß. Habe er etwas zu be⸗ haupten unternommen, ſo werde er gleich hitzig und laſſe nicht ab, bis er die Sache auf die Spitze geſtellt habe. Erinnere man ihn, fo ſei er fo weit entfernt, die Übertreibung zu mil⸗ dern, daß er ſie im Gegenteil noch weiter ſteigere. Daher die Paradoxen in feiner Lehre, von denen Erasmus urteilte, daß ſie nur dazu dienen können, ſchädliche Mißverſtändniſſe zu veranlaſſen. Zu dieſen Paradoxen rechnete er gleich den Lu⸗ theriſchen Hauptſatz, daß der Menſch einzig durch den Glauben gerecht werde, ſeine Anſichten von dem freien Willen, den guten Werken und dergleichen mehr.

Nichts konnte mehr gegen den Sinn des Erasmus ſein, als daß Luther, wie es ihm ſchien, durch die Härte und Rückſichts⸗ loſigkeit ſeines Verfahrens die Machthaber von ſich zurückſtieß. Des Erasmus Idee war, im Einverſtändnis mit Papſt, Biſchöfen und Fürſten die Kirche zu reformieren, ihnen daher die bittere Pille ſo ſüß wie möglich einzuwickeln und lieber von der Strenge der Forderung etwas Namhaſtes nachzulaſſen, als fie zu Gegnern der Reform zu machen. So wünſchenswert es war, daß die Sache dieſen Gang nehmen möchte, ſo widerſprach es doch ſo ſehr aller bisherigen Erfahrung, daß nur die unüberwindliche Scheu vor jeder Gewaltſamkeit dem Erasmus, ſogar noch unter Kle⸗ mens VII., die Möglichkeit des Gelingens vorſpiegeln konnte.

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Was ihn aber gegen Luthers und feiner Anhänger Beginnen noch tiefer verſtimmte, war der Umſtand, daß er gar bald die⸗ jenige Angelegenheit, die ihm vor allem am Herzen lag, die humaniſtiſche Bildung, darunter leiden ſah. Und zwar in dop⸗ pelter Art: indem teils manche frühere Gönner der letzteren, um der reformatoriſchen Bewegung willen, die ſie aus derſel⸗ ben hervorgegangen glaubten, ihr feind wurden; teils der re- formatoriſche Eifer die humaniſtiſchen Beſtrebungen aus dem Mittelpunkte des Zeitintereſſes verdrängte. Des Erasmus Kla- gen über den Haß, welchen Luther und deſſen Anhänger den beſſeren Studien zugezogen, nehmen kein Ende. Dagegen be— müht er ſich zu zeigen, daß beiderlei Beſtrebungen einander gar nichts angehen; verſichert, daß ihm Luther perſönlich fremd fei und viel zu wenig klaſſiſche Studien habe, um zu den Due maniſten gerechnet werden zu können. Nichtsdeſtoweniger mach— ten ihn ſeine Gegner für die ganze Reformationsbewegung verantwortlich. Die Bettelmönche predigten, Erasmus habe die Eier gelegt, Luther ſie ausgebrütet. Ja, erwiderte Erasmus, er habe ein Hühnerei gelegt, Luther aber einen ganz andern Vo⸗ gel herausgebracht. Wer bis an das Ufer vorwärts gegangen ſei, der könne doch nicht als Vorgänger desjenigen angeſehen werden, der ſich nun mitten in die Fluten ſtürze. Dem wider⸗ ſpricht es nur ſcheinbar, wenn Erasmus ein ander Mal, der Geringſchätzung gegenüber, mit welcher Luther und deſſen eifernde Anhänger ihn beiſeite ſchoben, die Uberzeugung aus⸗ ſpricht, faſt alles, was Luther lehre, auch ſchon gelehrt zu ha— ben, nur in milderer Form, ohne Schmähungen und Para- doren. Darum ſträubte er fi) auch lange, gegen Luther auf⸗ zutreten: unter verſchiedenen Gründen doch auch deswegen, weil er fürchtete, mit Luthers Werk zugleich ſeine eigenen Saaten zu beſchädigen.

Immer ſtörender griff mittlerweile mit jedem ihrer Fortſchritte die Reformation in das Leben des Erasmus ein. Nicht allein daß er ſich mit einem Male von der erſten Stelle verdrängt, ja aus der erſten Reihe in die zweite zurückgeſchoben ſehen mußte. Sondern, indem die Anhänger der Reformation ihm zumuteten, mit ihnen Partei zu machen, die Gegner, ſich gegen

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dieſelbe zu erklären, und er keine von beiden Forderungen er⸗ füllen mochte, fand er ſich zwiſchen zwei Feuern. Die einen ſchmähten ihn als feig, die andern hielten ihn für falſch und warfen ihm vor, daß er mit Luther unter einer Decke ſtecke. Er ſah alte Freundſchaften zertrennt, alles mit Streit und Zank, die bald in wilde Kämpfe ausbrachen, erfüllt; er betrachtete die Reformation als das Unglück ſeines Lebens und glaubte

eine allgemeine Verwilderung im Anzug. Aus „Ulrich von Hutten“

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Briefe des Generalfeldmarſchalls von Moltke

An die Mutter Berlin, Weihnachtsabend 1830, 7 Uhr

Bei einer Umwälzung, an der Haß und Leidenſchaft unſtreitig einen größeren Anteil als Vernunft und Notwendigkeit haben, iſt es mir immer rätſelhaft geweſen, was zwei Völker, wie Bel⸗ gier und Holländer, die eines Urſprungs und eines Landes ſind und die ein ſchreckliches Schickſal ſo lange miteinander ge⸗ teilt haben, dann ſo gegeneinander erbittert haben kann, daß ein fünfzehnjähriger Friede ihre Verſchmelzung nicht vermochte. Ich habe die Erklärung in der Geſchichte beider Länder geſucht, indem ich ſie unter dieſem Geſichtspunkte insbeſondere prüfte, und was ich als wahr zu erkennen glaubte, habe ich in einer kleinen Broſchüre aufgeſetzt, die ich herauszugeben gedenke. Dieſe Arbeit hat meine Zeit ſehr in Anſpruch genommen, denn da ich vormittags bis 2 Uhr im Büro beſchäftigt bin und um 4 Uhr erſt vom Eſſen komme, abends auch viel aus bin, ſo blieb mir faſt nur die Nacht, und manchmal wohl, wenn Ihr ſchon, wie ich hoffe, gut geſchlafen habt, plagte ich mich mit den edelmögenden Herren Generalftaaten herum, denn in einem ihrer ſchweinsledernen Quartanten, aus denen ich vorzüglich meine Gelehrſamkeit ſchöpfe, ſteht nicht nur, was die wackeren Niederländer durch drei Jahrhunderte getan, ſondern ſogar, was ſie geſprochen haben, und das iſt nicht wenig. Wirklich iſt der Mühe nicht wenig bei der Arbeit geweſen, und ich habe

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über taufend Pagina in Quart und an viertaufend in Oftan durchgeleſen. Um einen allgemeinen Gag aufzuftellen, mußte ich oft ganze Bände durchblättern, und am Ende nimmt der Lefer einen Satz über den Satz und lieſt ihn nicht. Schlimm- ſtenfalls bleibt mir eine ziemlich gute Kenntnis des Landes und ſeiner Geſchichte, in welches leicht die Begebenheiten ein preußiſches Heer führen können.

An die Braut Berlin, Sonntag abends, den 13. Februar (1842)

Mein Mariechen! Dein lieber Brief vom 10. kam geſtern an und erfreute mich ſehr, denn Du ſcheinſt heiter und zufrieden und haſt wohl vollauf zu tun mit Deiner Einrichtung. Nun ſind es nur noch zehn Wochen, dann biſt Du ganz mein eigenes, lies bes, kleines Frauchen. Geſtern abend beſuchte ich einen mei— ner Kameraden, den Rittmeiſter Oelrichs vom Generalſtabe, welcher auch ganz kürzlich geheiratet hat. Er iſt nicht jünger als ich und ſeine Frau nur zwei Jahre älter als Du und auch ſehr hübſch. Dieſe Leute werden Dir gewiß ſehr gefallen, ſie empfehlen ſich Dir unbekannterweiſe und bieten Rat und Bei- ſtand, wenn Du es brauchſt. Ich wünſche mir recht die Zeit herbei, wenn wir auch ſo gemütlich beiſammen wohnen werden. Gott gebe ſeinen Segen dazu. Laß uns nur immer recht auf- richtig miteinander fein und ja niemals ſchmollen. Lieber wol⸗ len wir uns zanken und noch lieber ganz einig fein. Du haft wohl gemerkt, daß ich manchmal launiſch bin, dann laß mich nur laufen, ich komme Dir doch zurück. Ich will aber ſehen, daß ich mich beflere. Von Dir wünſche ich freundliches und gleichmäßiges, womöglich heiteres temper, Nachgiebigkeit in Kleinigkeiten, Ordnung in der Haushaltung, Sauberkeit im Anzuge und vor allen Dingen, daß Du mich lieb behalteſt. Zwar trittſt Du ſehr jung in einen ganz neuen Kreis von Um⸗ gebungen, aber Dein guter Verſtand und vorzüglich die Treff- lichkeit Deines Gemüts wird Dich ſehr bald den richtigen Takt im Verkehr mit anderen Menſchen lehren. Laß Dirs geſagt ſein, gute Marie, daß Freundlichkeit gegen jedermann die erſte

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Lebensregel ift, die uns manchen Kummer ſparen kann, und daß Du ſelbſt gegen die, welche Dir nicht gefallen, verbindlich ſein kannſt, ohne falſch und unwahr zu werden. Die wahre. Höflichkeit und der feinſte Weltton iſt die angeborene Freund⸗ lichkeit eines wohlwollenden Herzens. Bei mir hat eine ſchlechte Erziehung und eine Jugend voller Entbehrungen dies Gefühl oft erſtickt, öfter auch die Außerung desſelben zurückgedrängt, und ſo ſtehe ich da mit der angelernten, kalten, hochmütigen Höflichkeit, die ſelten jemand für ſich gewinnt. Du hingegen biſt jung und hübſch, wirſt, ſo Gott will, keine Entbehrung kennen lernen, jeder tritt Dir freundlich entgegen, ſo verſäume denn auch nicht, den Menſchen wieder freundlich zu begegnen und ſie zu gewinnen. Dazu gehört allerdings, daß Du ſprichſt. Es kommt gar nicht darauf an, etwas Geiſtreiches zu ſagen, ſondern womöglich etwas Verbindliches, und geht das nicht, wenigſtens fühlen zu machen, daß man etwas Ver⸗ bindliches ſagen möchte. Das Gezierte und Unwahre liegt Dir fern, es macht augenblicklich langweilig, denn nichts als die Wahrheit kann Teilnahme erwecken. Wirkliche Beſcheiden⸗ heit und Anſpruchsloſigkeit ſind der wahre Schutz gegen die Kränkungen und Zurückſetzungen in der großen Welt; ja, ich möchte behaupten, daß bei dieſen Eigenſchaften eine große Blö⸗ digkeit und Befangenheit nicht möglich iſt. Wenn wir nicht an⸗ ders ſcheinen wollen, als wir ſind, keine höhere Stellung uſur⸗ pieren wollen, als die uns zuſteht, ſo kann weder Rang noch Geburt, noch Menge und Glanz uns weſentlich außer Faſſung bringen. Wer aber in ſich ſelbſt nicht das Gefühl ſeiner Würde findet, ſondern ſie in der Meinung anderer ſuchen muß, der lieſt ſtets in den Augen anderer Menſchen, wie jemand, der falſche Haare trägt, in jeden Spiegel ſieht, ob ſich auch nicht etwas verſchoben hat. Geſteh ichs doch, gute Marie, daß ich dieſe ſchönen Lehren von mir ſelbſt abſtrahiere. Mein ganzes Auftreten iſt nur eine mit Zuverſichtlichkeit und usage du monde übertünchte Blödigkeit. Die langjährige Unterdrückung, in welcher ich aufgewachſen, hat meinem Charakter unheilbare Wunden geſchlagen, mein Gemüt niedergedrückt und den guten, edlen Stolz geknickt. Spät erſt habe ich angefangen, aus mir

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ſelbſt wieder aufzubauen, was umgeriſſen war, hilf Du mir fortan, mich zu beſſern. Dich ſelbſt aber möchte ich edler und beſſer, und das iſt gleichbedeutend mit glücklicher und zufrie⸗ dener, ſehen, als ich es werden kann. Sei daher beſcheiden und anſpruchlos, ſo wirſt Du ruhig und unbefangen ſein. Gerne werde ich es ſehen, wenn man Dir recht den Hof macht; ich habe auch nichts gegen ein bißchen Kokettieren. Je mehr Du gegen alle verbindlich biſt, je weniger wird man Dir nachſagen können, daß Du einzelne auszeichneſt. Dafür mußt Du Dich in acht nehmen, denn die Männer ſuchen zu gefallen, erſt um zu gefallen, dann um ſich deſſen rühmen zu können, und Du wirſt in der Geſellſchaft weit mehr Witz als Güte finden. Es kann gar nicht ausbleiben, daß ich im Vergleich mit anderen Männern, die Du hier ſehen wirſt, ſehr oft zurückſtehen werde. Auf jedem Ball findeſt Du welche, die beſſer tanzen, die ele⸗ gantere Toilette machen, in jeder Geſellſchaft, die lebhafter ſprechen, die beſſerer Laune ſind als ich. Aber daß Du das fin⸗ deſt, hindert gar nicht, daß Du mich nicht doch lieber haben könnteſt als ſie alle, ſofern Du nur glaubſt, daß ich es beſſer mit Dir meine als alle dieſe. Nur dann erſt, wenn Du etwas haſt, was Du mir nicht erzählen könnteſt, dann ſei dadurch vor Dir ſelbſt und durch Dich ſelbſt gewarnt. Und nun gib mir einen Kuß, ſo will ich das Schulmeiſtern ſein laſſen.

Noch eins, liebe Marie, wenn Du ſchreibſt, ſo lies doch immer den Brief, den Du beantworteſt, noch einmal durch. Es ſind nicht bloß die Fragen, die beantwortet ſein wollen, ſondern es iſt gut, alle die Gegenſtände zu berühren, welche darin enthal⸗ ten ſind. Sonſt wird der Briefwechſel immer magerer, die ge⸗ genſeitigen Beziehungen ſchwinden, und man kommt bald da⸗ hin, ſich nur Wichtiges mitteilen zu wollen. Nun beſteht aber das Leben überhaupt nur aus wenig und ſelten Wichtigem. Die kleinen Beziehungen des Tages hingegen reihen ſich zu Stunden, Wochen und Monaten und machen am Ende das Le⸗ ben mit ſeinem Glück und Unglück aus. Darum iſt die münd⸗ liche Unterhaltung ſo viel beſſer als die ſchriftliche, weil man ſich das Unbedeutendſte ſagt und wenig findet, was zu ſchreiben der Mühe wert wäre

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An den Bruder Fritz Reims, den 6. September 1870

Ich glaube, ich ſchrieb Dir ſchon, daß mir der peinliche Auf⸗ trag geworden war, den franzöſiſchen Unterhändlern zu erklä⸗ ren, daß die ganze Armee Mac⸗Mahons kriegsgefangen ſei, und die näheren Bedingungen feſtzuſtellen. Dieſe Verhand⸗ lungen fanden von 12 bis 2 Uhr in der Nacht nach der Schlacht von Sedan ſtatt. Am folgenden Morgen ſollte General Wimp⸗ fren, der für den verwundeten Mac⸗Mahon das Oberkommando übernommen, die definitive Beſchlußnahme überbringen, ſtatt deſſen kam der Kaiſer ſelbſt, mit dem ich nicht abſchließen konnte, da er tags zuvor dem König geſchrieben hatte: N' ayant pas pu mourir au milieu de mes troupes il ne me reste qu’a remettre mon épée entre les mains de Votre Majeste’, und folglich Gefangener war. Ich traf ihn in einer elenden Bauernſtube dicht hinter unſeren Vorpoſten in Erwartung einer Entrevue mit dem König, in voller Uniform auf einem hölzernen Stuhl ſitzend. Bei meinem Eintritt erhob er ſich und bat mich, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Auf die Vorſchläge, die er machte, konnte ich nur erwidern, daß nichts als die Ge⸗ fangennehmung der ganzen Armee zu erwarten ſtehe und daß, wenn dieſe nicht bis ſpäteſtens zehn Uhr einwillige, ich das Signal zur Wiederaufnahme des Feuers zu geben habe. „C'est bien dur!” ſeufzte er. Übrigens war er ruhig und völlig in fein Schickſal ergeben. Bald darauf wurde eine von uns entwor⸗ fene und überſetzte Kapitulation von dem unglücklichen Wimpffen ohne weiteres unterzeichnet. Er war vor zwei Ta⸗ gen erſt aus Afrika angekommen und wird einen ſchweren Stand gehabt haben der völlig aufgelöſten und furchtbar auf⸗ geregten Soldateska in Sedan gegenüber. Aber achtzig Feuer⸗ ſchlünde ſtanden dicht vor der Stadt und 150000 Mann hinter ihnen. Wimpffen hat Erlaubnis erhalten, nach Württemberg zu gehen, wo er Verwandte habe (ohne Zweifel gehört unſere Couſine Käthchen dazu); wie unſchuldig er auch an der gan⸗ zen Kataſtrophe iſt, man wird ihm ſeine Unterſchrift in Frank⸗ reich nie verzeihen.

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Übrigens hat er mir fehriftlich für die ſchonende Weile gedankt, mit welcher dieſe ſchmerzliche Verhandlung geführt worden ſei.

Am folgenden Morgen, bei ſtrömendem Regen, fuhr eine lange Wagenreihe, eskortiert durch eine Eskadron Totenkopf-Huſa⸗ ren, auf der Chauſſee nach Bouillon (in Belgien) durch Don- cherp. Graf Bismarck ſah auf der einen Seite der Straße, ich auf der anderen zum Fenſter hinaus, der abgedankte Impera— tor grüßte, und ein Stück Weltgeſchichte war abgeſpielt.

Was nun in Frankreich werden wird, darauf iſt alles geſpannt, jedenfalls zunächſt eine Militärdiktatur. Inzwiſchen marſchieren

wir auf Paris. Aus „Briefe des Generalfeldmarſchalls von Moltke'

in der Inſel⸗Bücherei

* Friedrich Schiller / Die vier Weltalter

Wohl perlet im Glaſe der purpurne Wein, Wohl glänzen die Augen der Gäſte,

Es zeigt ſich der Sänger, er tritt herein, Zu dem Guten bringt er das Beſte;

Denn ohne die Leier im himmliſchen Saal Iſt die Freude gemein auch beim Nektarmahl.

Ihm gaben die Götter das reine Gemüt, Wo die Welt ſich, die ewige, ſpiegelt,

Er hat alles geſehn, was auf Erden geſchieht Und was uns die Zukunft verfiegelt;

Er ſaß in der Götter urälteſtem Rat

Und behorchte der Dinge geheimſte Saat.

Er breitet es luſtig und glänzend aus,

Das zuſammengefaltete Leben,

Zum Tempel ſchmückt er das irdiſche Haus, Ihm hat es die Muſe gegeben;

Kein Dach iſt ſo niedrig, keine Hütte ſo klein, Er führt einen Himmel voll Götter hinein.

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Und wie der erfindende Sohn des Zeus

Auf des Schildes einfachem Runde

Die Erde, das Meer und den Sternenkreis Gebildet mit göttlicher Kunde,

So drückt er ein Bild des unendlichen All

In des Augenblicks flüchtig verrauſchenden Schall.

Er kommt aus dem kindlichen Alter der Welt, Wo die Völker ſich jugendlich freuten,

Er hat ſich, ein fröhlicher Wandrer, geſellt

Zu allen Geſchlechtern und Zeiten;

Vier Menſchenalter hat er geſehn

Und läßt ſie am fünften vorübergehn.

Erſt regierte Saturnus ſchlicht und gerecht, Da war es heute wie morgen,

Da lebten die Hirten, ein harmlos Geſchlecht, Und brauchten für gar nichts zu ſorgen;

Sie liebten, und taten weiter nichts mehr, Die Erde gab alles freiwillig her.

Drauf kam die Arbeit, der Kampf begann

Mit Ungeheuern und Drachen,

Und die Helden fingen, die Herrſcher an,

Und den Mächtigen ſuchten die Schwachen;

Und der Streit zog in des Skamanders Feld, Doch die Schönheit war immer der Gott der Welt.

Aus dem Kampf ging endlich der Sieg hervor, Und der Kraft entblühte die Milde,

Da ſangen die Muſen im himmliſchen Chor, Da erhuben ſich Göttergebilde;

Das Alter der göttlichen Phantaſie,

Es iſt verſchwunden, es kehret nie.

Die Götter ſanken vom Himmelsthron, Es ſtürzten die herrlichen Säulen,

Petrus

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Und geboren wurde der Jungfrau Sohn,

Die Gebrechen der Erde zu heilen;

Verbannt ward der Sinne flüchtige Luſt,

Und der Menſch griff denkend in ſeine Bruſt.

Und der eitle, der üppige Reiz entwich,

Der die frohe Jugendwelt zierte,

Der Mönch und die Nonne zergeißelten ſich, Und der eiſerne Ritter turnierte;

Doch war das Leben auch finſter und wild, So blieb doch die Liebe lieblich und mild.

Und einen heiligen keuſchen Altar Bewahrten ſich ſtille die Muſen:

Es lebte, was edel und ſittlich war,

In der Frauen züchtigem Buſen;

Die Flamme des Liedes entbrannte neu An der ſchönen Minne und Liebestreu.

Drum ſoll auch ein ewiges zartes Band Die Frauen, die Sänger umflechten,

Sie wirken und weben Hand in Hand

Den Gürtel des Schönen und Rechten. Geſang und Liebe in ſchönem Verein,

Sie erhalten dem Leben den Jugendſchein.

Aus Schillers Gedichten in der Inſel⸗Bücherei

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Rainer Maria Rilke / Über den jungen Dichter

Immer noch zögernd, unter geliebten Erfahrungen überwie⸗ gende und geringere zu unterſcheiden, bin ich auf ganz vorläu⸗ fige Mittel beſchränkt, wenn ich das Weſen eines Dichters zu beſchreiben verſuche: dieſes ungeheuere und kindliche Weſen, welches (man faßt es nicht: wie) nicht allein in endgültigen großen Geſtalten früher aufkam, nein, ſich hier, neben uns, in dem Knaben vielleicht, der den großen Blick hebt und uns nicht ſieht, gerade zuſammenzieht, dieſes Weſen, das junge Herzen,

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in einer Zeit, da fie des geringfügigften Lebens noch unmäch⸗ tig ſind, überfällt, um ſie mit Fähigkeiten und Beziehungen zu erfüllen, die ſofort über alles Erwerbbare eines ganzen Da⸗ ſeins hinausgehn; ja, wer wäre imſtand, von dieſem Weſen ruhig zu reden? Wäre es noch an dem, daß es nicht mehr vor⸗ käme, daß wir es abſehen dürften an den Gedichten Homers, hinausgerückt, in ſeiner unwahrſcheinlichen Erſcheinung: wir würden es allmählich in eine Faſſung bringen, wir würden ihm Namen geben und Verlauf, wie den anderen Dingen der Vor⸗ zeit; denn was anderes als Vorzeit bricht aus in den mit ſol⸗ chen Gewalten beſtürzten Herzen? Hier unter uns, in dieſer vielfältig heutigen Stadt, in jenem redlich beſchäftigten Haus, unter dem Lärm der Fahrzeuge und Fabriken und während die Zeitungen ausgerufen werden, geräumige Blätter bis an den Rand voll Ereignis, iſt plötzlich, wer weiß, alle Anſtrengung, aller Eifer, alle Kraft überwogen durch den Auftritt der Tita⸗ nen in einem unmündigen Innern. Nichts ſpricht dafür als die Kälte einer Knabenhand; nichts als ein erſchrocken zurückge⸗ nommener Außblick; nichts als die Teilnahmsloſigkeit dieſes jungen Menſchen, der mit ſeinen Brüdern nicht ſpricht und, ſo⸗ bald es geht, von den Mahlzeiten aufſteht, die ihn viel zu lang dem Urteil ſeiner Familie ausſtellen. Kaum daß er weiß, ob er noch zur Mutter gehört: ſo weit ſind alle Maße ſeines Fühlens verſchoben, ſeit dem Einbruch der Elemente in ſein unendliches Herz. | O ihr Mütter der Dichter. Ihr Lieblingsplätze der Götter, in deren Schooß ſchon muß das Unerhörte verabredet worden ſein. Hörtet ihr Stimmen in der Tiefe eurer Empfängnis, oder ha⸗ ben die Göttlichen ſich nur mit Zeichen verſtändigt?

Ich weiß nicht, wie man das völlig Wunderbare einer Welt leugnen kann, in der die Zunahme des Berechneten die Vor⸗ räte deſſen, was über jedes Abſehn hinausgeht, noch gar nicht einmal angegriffen hat. Es iſt wahr, die Götter haben keine Gelegenheit verſchmäht, uns bloßzuſtellen: ſie ließen uns die großen Könige Ägyptens aufdecken in ihren Grabkammern, und wir konnten ſie ſehen in ihren natürlichen Verweſungen, wie ihnen nichts erſpart geblieben war. Alle die äußerſten Lei⸗

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ftungen jener Bauwerke und Malereien haben zu nichts ge- führt; hinter dem Qualm der Balſamküchen ward kein Him⸗ mel erheitert, und der tönernen Brote und Beiſchläferinnen hat ſich kein unterweltlicher Schwarm ſcheinbar bedient. Wer bedenkt, welche Fülle reinſter und gewaltigſter Vorſtellungen hier (und immer wieder) von den unbegreiflichen Weſen, an die ſie angewandt waren, abgelehnt und verleugnet worden iſt, wie möchte der nicht zittern für unſere größere Zukunft. Aber bedenke er auch, was das menſchliche Herz wäre, wenn außer— halb feiner, draußen, an irgendeinem Platze der Welt Gewiß⸗ heit entſtünde; letzte Gewißheit. Wie es mit einem Schlage ſeine ganze in Jahrtauſenden angewachſene Spannung ver— löre, eine zwar immer noch rühmliche Stelle bliebe, aber eine, von der man heimlich erzählte, was ſie vor Zeiten geweſen ſei. Denn wahrlich, auch die Größe der Götter hängt an ihrer Not: daran, daß fie, was man ihnen auch für Gehäuſe behüte, nir- gends in Sicherheit find als in unſerem Herzen. Dorthin ftür- zen ſie oft aus dem Schlaf mit noch ungeſonderten Plänen; dort kommen ſie ernſt und beratend zuſammen; dort wird ihr Beſchluß unaufhaltſam.

Was wollen alle Enttäuſchungen beſagen, alle unbefriedigten Grabſtätten, alle entkernten Tempel, wenn hier, neben mir, in einem auf einmal verfinſterten Jüngling Gott zur Beſinnung kommt.

Seine Eltern ſehen noch keine Zukunft für ihn, ſeine Lehrer glauben ſeiner Unluſt auf der Spur zu ſein, ſein eigener Geiſt macht ihm die Welt ungenau, und ſein Tod verſucht ſchon im⸗ mer an ihm, wo er am beſten zu brechen ſei: aber ſo groß iſt die Unüberlegtheit des Himmliſchen, daß es in dieſes unverläß⸗ liche Gefäß ſeine Ströme ergießt. Vor einer Stunde noch ver⸗ mochte der flüchtigſte Aufblick der Mutter dieſes Weſen zu um⸗ faſſen; nun ermäße ſie's nicht: und wenn ſie Auferſtehung und Engelſturz zuſammennimmt.

Wie aber kann ein neues Geſchöpf, das noch kaum ſeine eige⸗ nen Hände kennt, unerfahren in ſeiner Natur, Neuling in den gewöhnlichſten Wendungen ſeines Geiſtes, ſich bei ſo unerhör⸗

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ter Anweſenheit einrichten? Wie foll es, das doch offenbar be- ſtimmt iſt, ſpäter von der präziſeſten Beſchaffenheit zu ſein, ſeine Ausbildung leiſten, zwiſchen Drohungen und Verwöhnungen, die beide ſeine unvorbereiteten Kräſte, bis zum letzten Aufgebot, überſteigen? Und nicht nur daß der Ausbruch der Größe in ſei⸗ nem Innern ihm die heroiſche Landſchaft ſeines Gefühls faſt ungangbar macht: in demſelben Maße, als dort ſeine Natur überhand nimmt, gewahrt er, aufblickend, mißtrauiſche Fragen, bittre Forderungen und Neugier in den bisher in Sicherheit geliebten Geſichtern. Dürfte doch ein Knabe in ſolcher Lage im⸗ mer noch fortgehn, hinaus, und ein Hirte ſein. Dürfte er ſeine verwirrten inneren Gegenſtände in langen ſprachloſen Tagen und Nächten bereichern um den ſtaunend erfahrenen Raum; dürfte er die gedrängten Bilder in ſeiner Seele gleichſetzen dem verbreiteten Geſtirn. Ach, daß doch niemand ihm zuredete und niemand ihm widerſpräche. Wollt ihr wirklich Dieſen beſchäf⸗ tigen, dieſen maßlos in Anſpruch Genommenen, dem, vor der Zeit, ein unerſchöpfliches Weſen zu tun gibt?

Kann man ſich erklären, wie er beſteht? Die ihn plötzlich be⸗ wohnende Macht findet Verkehr und Verwandtſchaft bei feiner, noch in allen Winkeln des Herzens zögernden, Kindheit; da zeigt es ſich erſt, nach was für ungeheueren Verhältniſſen hin dieſer äußerlich ſo unzulängliche Zuſtand innen offenſteht. Der unverhältnismäßige Geiſt, der im Bewußtſein des Jünglings nicht Platz hat, ſchwebt da über einer entwickelten Unterwelt voller Freuden und Furchtbarkeiten. Aus ihr allein, abſehend von der ganzen jenſeitig⸗ äußeren Kreatur, vermöchte er ſeine ge⸗ waltigen Abſichten zu beſtreiten. Aber da lockt es ihn auch ſchon, durch die rein leitenden Sinne des Ergriffenen mit der vorhan⸗ denen Welt zu verhandeln. Und wie er innen an das verborgen Mächtigſte ſeinen Anſchluß hat, ſo wird er im Sichtbaren ſchnell und genau von kleinen winkenden Anläſſen bedient: widerſpräche es doch der verſchwiegenen Natur, in dem Verſtändigten das Bedeutende anders als unſcheinbar aufzuregen.

Wer die frühen Kleiſtiſchen Briefe lieſt, dem wird, in demſelben Grade, als er dieſe in Gewittern ſich aufklärende Erſcheinung begreift, die Stelle nicht unwichtig ſein, die von dem Gewölb

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eines gewiſſen Tores in Würzburg handelt, einem der zeitig- ſten Eindrücke, an dem, leiſe berührt, die ſchon geſpannte Ge⸗ nialität ſich nach außen ſchlägt. Irgendein nachdenklicher Leſer Stifters (um noch ein Beiſpiel vorzuſtellen) könnte es bei ſich zur Vermutung bringen, daß dieſem dichteriſchen Erzähler ſein innerer Beruf in dem Augenblick unvermeidlich geworden ſei, da er, eines unvergeßlichen Tages, zuerſt durch ein Fernrohr einen äußerſt entlegenen Punkt der Landſchaft herbeizuziehen ſuchte und nun, in völlig beſtürzter Viſion, ein Flüchten von Räumen, von Wolken, von Gegenſtänden erfuhr, einen Schrecken von ſolchem Reichtum, daß in dieſen Sekunden ſein offen über— raſchtes Gemüt Welt empfing, wie die Danae den ergoſſenen Zeus. N

Es möchte am Ende jede dichteriſche Entſchloſſenheit an ſo ne— benſächlichen Anläſſen unerwartet zu ſich gekommen ſein, nicht allein, da ſie zum erſten Mal ſich eines Temperamentes bemäch— tigte, ſondern immer wieder, an jeder Wendung einer künſtle⸗ riſch ſich vollziehenden Natur.

Wer nennt euch alle, ihr Mitſchuldigen der Begeiſterung, die ihr nichts als Geräuſche ſeid, oder Glocken, die aufhören, oder wunderlich neue Vogelſtimmen im vernachläſſigten Gehölz. Oder Glanz, den ein aufgehendes Fenſter hinauswirft in den ſchwe⸗ benden Morgen; oder abſtürzendes Waſſer; oder Luft; oder Blicke. Zufällige Blicke Vorübergehender, Aufblicke von Frauen, die am Fenſter nähen, bis herunter zum unſäglich beſorgten Umſchaun hockender bemühter Hunde, ſo nahe am Ausdruck der Schulkinder. Welche Verabredung, Größe hervorzurufen, geht durch den kleinlichſten Alltag. Vorgänge, ſo gleichgültig, daß ſie nicht imſtande wären, das nachgiebigſte Schickſal um ein Zehntauſendſtel zu verſchieben -, ſiehe: hier winken fie, und die göttliche Zeile tritt über ſie fort ins Ewige.

Gewiß wird der Dichter bei zunehmender Einſicht in ſeine grenzenloſen Aufgaben ſich an das Größte anſchließen; es wird ihn, wo er es findet, entzücken oder demütigen, nach ſeiner Willkür. Aber das Zeichen zum Aufſtand in ſeinem Herzen wird willig von einem Boten gegeben ſein, der nicht weiß, was er tut. Undenkbar iſt es für ihn, ſich von vornherein nach dem

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Großen auszurichten, da er ja gerade beſtimmt ift, an ihm, fei- nem allgegenwärtigen Ziele, auf noch unbeſchreiblich eigenen Wegen herauszutreten. Und wie, eigentlich, ſollte es ihm zuerſt kenntlich geworden ſein, da es in ſeiner urſprünglichen Umwelt vielleicht nur vermummt, ſich verſtellend oder verachtet vorkam, gleich jenem Heiligen, im Zwiſchenraum unter der Treppe woh⸗ nend? Läge es aber einmal vor ihm, offenkundig, in ſeiner ſi⸗ chern, auf uns nicht Rückſicht nehmenden Herrlichkeit, müßte er dann nicht wie Petrarca vor den zahlloſen Ausſichten des erſtiegenen Berges zurück in die Schluchten ſeiner Seele flüch⸗ ten, die, ob er ſie gleich nie erforſchen wird, ihm doch unaus⸗ ſprechlich näher gehn als jene zur Not erfahrbare Fremde. Erſchreckt im Innern durch das ferne Donnern des Gottes, von außen beſtürzt durch ein unaufhaltſames Übermaß von Erſchei⸗ nung, hat der gewaltig Behandelte eben nur Raum, auf dem Streifen zwiſchen beiden Welten dazuſtehn, bis ihm, auf einmal, ein unbeteiligtes kleines Geſchehn ſeinen ungeheueren Zuſtand mit Unſchuld überflutet. Dieſes iſt der Augenblick, der in die Waage, auf deren einer Schale ſein von unendlichen Verant⸗ wortungen überladenes Herz ruht, zu erhaben beruhigter Gleiche, das große Gedicht legt.

Das große Gedicht. Wie ich es ſage, wird mir klar, daß ich es, bis vor kurzem, als ein durchaus Seiendes hingenommen habe, es jedem Verdacht der Entſtehung hochhin entziehend. Wäre mir ſelbſt der Urheber dahinter hervorgetreten, ich wüßte mir doch die Kraft nicht vorzuſtellen, die ſoviel Schweigen auf ein Mal gebrochen hat. Wie die Erbauer der Kathedralen, Samen⸗ körnern vergleichbar, ſofort aufgegangen waren, ohne Reſt, in Wachstum und Blüte, in dem ſchon wie von jeher geweſenen Daſtehn ihrer, aus ihnen nicht mehr erklärlichen Werke: ſo ſind mir die großen vergangenen und die gegenwärtigen Dichter rein unfaßlich geblieben, jeder einzelne erſetzt durch den Turm und die Glocke ſeines Herzes. Erſt ſeit eine nächſte, herauf und gleich ins Künftige drängende Jugend ihr eigenes Werden im Werden ihrer Gedichte nicht unbedeutend zur Geltung bringt, verſucht mein Blick, neben der Leiſtung, die Verhältniſſe des

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hervorbringenden Gemüts zu erkennen. Aber auch jetzt noch, da ich zugeben muß, daß Gedichte ſich bilden, bin ich weit entfernt, ſie für erfunden zu halten; vielmehr erſcheint es mir, als ob in der Seele des dichteriſch Ergriffenen eine geiſtige Prädispofi- tion heraustrete, die ſchon zwiſchen uns (wie ein unentdecktes Sternbild) geſpannt war.

Betrachtet man, was an ſchöner Verwirklichung ſchon jetzt für einige von denjenigen einſteht, die ihr drittes Jahrzehnt kürz— lich angetreten haben, ſo könnte man faſt hoffen, ſie würden in kurzem alles, woran in den letzten dreißig Jahren unfere Be— wunderung groß geworden iſt, durch das Vollzieheriſche ihrer Arbeit zur Vorarbeit machen. Es müſſen, das iſt klar, die ver» ſchiedenſten Umſtände ſich günſtig verabreden, damit ein ſolches entſchloſſenes Gelingen möglich ſei. Prüft man dieſe Umſtände, ſo ſind der äußeren ſo viele, daß man es am Ende aufgibt, bis zu den innerlichen vorzudringen. Die gereizte Neugier und un— aufhörliche Findigkeit einer um hundert Hemmungen freieren Zeit dringt in alle Verſtecke des Geiſtes und hebt leicht auf ihren Fluten Gebilde hervor, die der Einzelne, in dem ſie haf— teten, früher langſam und ſchwer zu Tage grub. Zu geübt im Einſehen, um ſich aufzuhalten, findet ſich dieſe Zeit plötzlich an Binnenſtellen, wo vielleicht noch keine, ohne göttlichen Vor— wand, in voller Öffentlichkeit, geweſen war; überall eintretend, macht fie die Werkſtätten zu Schauplätzen und hat nichts dage⸗ gen, in den Vorratskammern ihre Mahlzeiten zu halten. Sie mag im Recht ſein, denn ſie kommt aus der Zukunft. Sie be⸗ ſchäftigt uns in einer Weiſe, wie ſeit lange keine Zeit ihre An⸗ ſiedler beſchäftigt hat; fie rückt und verſchiebt und räumt auf, je⸗ der von uns hat ihr viel zu verdanken. Und doch, wer hat ihr noch nicht, wenigſtens einen Augenblick, mit Mißtrauen zuge⸗ ſehen; ſich gefragt, ob es ihr wirklich um Fruchtbarkeit zu tun jet oder nur um eine mechanifch beſſere und erſchöpfendere Aus- beutung der Seele? Sie verwirrt uns mit immer neuen Sicht- barkeiten; aber wie vieles hat ſie uns ſchon hingeſtellt, wofür in unſerem Innern kein Fortſchritt entſprechend war? Nun will ich zwar annehmen, ſie böte zugleich der entſchloſſenen Jugend die unerwarteteſten Mittel, ihre reinſten inneren Wirklichkeiten

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nach und nach, ſichtbar, in genauen Gegenwerten auszuformen; ja, ich will glauben, ſie beſäße dieſe Mittel im höchſten Grade. Aber wie ich mich nun bereit halte, ihr, der Zeit, manchen neuen künſtleriſchen Gewinn zuzuſchreiben, ſchlägt mir die Bewunde⸗ rung über ſie hinüber, den immer, den auch hier wieder un⸗ begreiflichen Gedichten entgegen.

Wäre auch nicht Einer unter den jungen Dichtern, der ſich nicht freute, das Gewagte und Geſteigerte dieſer Tage für ſeine An⸗ ſchauung auszunutzen, ich würde doch nicht fürchten, daß ich das dichteriſche Weſen und ſeine Einrichtung in der innerel Natur zu ſchwer genommen habe. Alle Erleichterungen, wie eindring⸗ lich ſie ſein mögen, wirken nicht bis dorthin, wo das Schwere ſich freut, ſchwer zu ſein. Was kann ſchließlich die Lage desjeni⸗ gen verändern, der von früh auf beſtimmt iſt, in ſeinem Herzen das Außerſte aufzuregen, das die anderen in den ihren hinhalten und beſchwichtigen? Und welcher Friede wäre wohl für ihn zu ſchließen, wenn er, innen, unter dem Angriff ſeines Gottes ſteht.

*

Gudmundur Kamban Der Herrſcher auf Skalholt

Das Leben auf dem großen Biſchofsſitz geht wieder ruhig ſei⸗ nen Gang, friedevoll, ſtill und glatt, wie man vom Meere ſagt, wenn es ſein Opfer verſchlungen hat. Der ganze Herbſt und Winter geht bei pflichteifriger Geſchäftigkeit dahin, ohne ſon⸗ derliche Begebenheiten zu bringen. Schon iſt man bis zur Mitte der Karwoche gelangt, bis zum Mittwochabend, und Oſtern ward gerade eingeläutet da mit einem Male wird Meiſter Bryn⸗ jolfur in ſeinem Gemach mit einer Angelegenheit geſtört, die jählings den häuslichen Frieden und die Oſterſtille zerreißt und jede Seele auf Skalholt in das herzwunde Grauen vor Brand und Blut ſtürzt.

Der Schulmeiſter Oddur Epolfsſon betritt mit düſterem Geſicht das Biſchofsgemach und legt die Reſte eines kleinen Buches, deſſen Blätter aus dem Einband herausgefetzt und quer durch⸗ geriſſen ſind, vor Seine Herrlichkeit auf den Tiſch.

Die wurden dieſer Tage in der Schulhalle gefunden, ſagt er,

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in der Dede des Bettes, in dem Einar Gudmundsſon aus dem Straumfjord und Oddur Arnaſon aus Thorlaks⸗Hafn ſchlafen. Wie Ihr ſeht, Herr, find fie mit grimmen und ungewöhnlichen characteribus bedeckt!

Bei den letzten Worten blickt der Biſchof jäh zum Schulmeiſter auf, und dann erſt fängt er langſam an, in den durcheinander geratenen Seitenreſten zu blättern. Runen und allerlei Figu- renwerk unterbrechen hie und da den Wortlaut, es ſind nur vereinzelte Zeilen, die fein Blick erhaſcht: Ad captandam fi- dem amicorum!, mit einem halben Sechundsherzen und dem Knochenſchild eines Seehaſen ... Davon, wie man die Weiber geil macht ... Davon, wie zu erfahren, ob ein Frauenzimmer noch unbefledt iſt ... Salomonsſiegel .. . Fuchsrat, darin Thor und Odin zu beſchwören ſind, mit dreiundzwanzig Figuren. Mäuſerat, mit einer Menſchenrippe; den Teufel in Thors und Odins Namen zu beſchwören, mit einem Vers: Sator arepo... Davon, wie man einen Menſchen in eines Hundes Geſtalt zu bannen vermag; dazu wird Johannis Evangelium gebraucht und Hic Deus dilexit etc. ſamt einer Figur... Davon, wie man ein Mädchen zum Buhlen gewinnt

Brynjolfur Sveinsſon lehnt ſich im Stuhl zurück, fein Geſicht iſt ſo ernſt geworden wie das ſeines Schulmeiſters.

Setz dich, Oddur ... ſagt er. Wer hat dieſe Blätter gefunden? Einer von den Jungen, die in dem Bett ſchlafen, Herr; Oddur Arnaſon.

Hat er ſie dir gebracht?

Nein, Herr, er hat ſie nicht anrühren wollen. Er kam ſofort zu mir, und ich habe ſie dann aus der Decke hervorgezogen.

Es iſt nicht lange her, daß dies geſchrieben ward, ſcheint mir. Und wenn ich mich nicht täuſche, iſt es die Schulſchrift von Skalholt.

Ich erkenne in den Blättern jedenfalls die Hand Einar Gud⸗ mundsſons und Bjarni Bjarnaſons aus Heft im Onundarfjord. Aber es können ihrer auch mehr ſein. Alle Blätter ſind durch⸗ einander geraten.

Es ſind die Namen von zwei verheißungsvollen Schülern, Na⸗ 1 Wie man das Vertrauen ſeiner Freunde gewinnt.

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für jedweden, der auch nur unter dem Verdacht ftand, ein Zau⸗ berer zu fein. Brynjolfur Sveinsſon fand häufig gar keine Ge⸗ legenheit mehr, als Vermittler einzugreifen. Schon fällten die Sprengelvögte die Urteile daheim in ihren Sprengeln und lie⸗ ßen ihnen unverzüglich die Vollſtreckung folgen in dem Ver⸗ trauen, daß das Althing ſie ſchon beſtätigen würde. Und das Althing beſtätigte die Urteile.

Wie wohl tut es da, zu gewahren, daß mitten in der Brandung blinder Leidenſchaften ſich die Vernunft des großen Kirchenherrn erhebt: gleich einem wegweiſenden Leuchtfeuer im Meere, un⸗ erſchüttert und unbezwungen von den Wogen, die gegen ſeine Grundfeſten rollen. Gerade in dieſen Jahren ſchrieb er an einen feiner Prieſter folgende Worte: ‚Ich weiß mir in ſolchen Fällen keinen beſſeren Rat, als im Namen des Herrn die mannigfachen Hinderniſſe zu überwinden, gleichviel, ob ſie nun der Menſchen Willen und Anſchlägen entſtammen oder der Zauberei und Hexenkünſten, und, der Furcht des Herrn inne, beides zu ver⸗ achten. Der Teufel ſchöpft hierzulande ſeine größte Macht dar⸗ aus, daß er ſo ſehr gefürchtet wird. Aber ſoviel von des Men⸗ ſchen Herz und Gemüt darauf verwandt wird, ihn zu fürchten, ſo viel wird der Gottesfurcht und dem rechten Glauben ent⸗ zogen... Unter anderem in dieſem Lande iſt nach meiner Mei⸗ nung dies eine der Urſachen dafür, daß man dem Teufel für ſeine Bübereien noch mehr Raum gewährt, anſtatt zu erreichen, daß er verſchmähet wird - ſintemalen er ein hochfahrender Geiſt ift.’ Diesmal aber iſt Meiſter Brynjolfur, während er in ſeinem Gemach auf und ab geht und auf den Schulmeiſter wartet, al⸗ les andere als ruhig. Die Angelegenheit iſt dem Biſchof gemel⸗ det worden. Diesmal werden weder die Obrigkeiten noch die öffentliche Meinung ſich mit ſeiner Milde zufrieden geben, ſich überhaupt zufrieden geben mit einer Entſcheidung von ihm. Er muß in dieſer Angelegenheit unverzüglich Klage erheben bei der weltlichen Macht. Und wird bewieſen, daß die beiden Schüler die Zauberregeln abgeſchrieben haben, dann iſt auch der Schei⸗ terhaufen für ſie entfacht.

Den Herrenmenſchen reizt es, Widerſtand zu leiſten. Und mit der isländiſchen Macht wollte er ſchon fertig werden, trotz al⸗

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lem, mit der däniſchen ebenfalls wenn nur nicht der erſte Mittelsmann, der wenig beliebte Vogt auf Beſſaſtadir, ein Schurke wäre! Aber an Thomas Nicolaiſen nagt allgemach ein Groll wider den mächtigen Bifhof von Skalholt. Jahr für Jahr hat ſich Meiſter Brynjolfur, ſeiner allbekannten Gaſtfrei— heit zum Trotz, mit neuen und immer wieder neuen, ſo freimü— tigen wie höflichen Entſchuldigungen geweigert, den Beſuch des Vogtes in ſeinem Haus zu empfangen, und jetzt endlich iſt dem Vogt der wahre Grund dafür aufgegangen: der Biſchof verach— tet ihn. Zwar hält Thomas Nicolaiſen ſich gegenwärtig in Dä— nemark auf, aber ob nun das

Der Schulmeiſter tritt ein, die hochnotpeinlichen Blätter in der Hand, und der Junge, der ſie fand, folgt ihm auf den Ferſen. Nach einem kurzen ſcharfen Verhör gibt der Biſchof den Jungen frei; er iſt ſchuldlos. Der Biſchof läutet nach feinem Glocken— knaben und befiehlt dem Schulmeiſter, ihm die Schreibhefte der beiden verdächtigen Scholaren beſorgen zu laſſen. Dann gibt er Auftrag, den Domprieſter und den Adjunkt Sira Thordur Sveinsſon, der ſich immer noch in Skalholt aufhält, zu ihm zu bitten und endlich den biſchöflichen Schreiber, der ſich mit dem Schreibzeug an den Tiſch ſetzt. Im Beiſein dieſer ſechs Männer wird nun das kleine Heft unterſucht. Es beſteht aus achtzig Ar- tikeln, von denen die erſten neunundfünfzig und die übrigen einundzwanzig jeweils die gleiche Handſchrift verraten. Ein Vergleich der beiden Handſchriften mit denen in den Schreib⸗ heften ſchließt jeglichen Zweifel aus.

Seine Herrlichkeit ſitzt auf ſeinem Platz am Tiſch, und nun wird einer von den beiden Scholaren, Einar Gudmundsſon, vor die feierliche Verſammlung befohlen. Es iſt ein achtzehn⸗ jähriger, hübſcher, ein wenig verlegener Jüngling; ſogleich be- merkt er, daß der Biſchof die Finger der linken Hand auf ein paar beſchriebene Blätter preßt, die vor ihm auf dem Tiſch lie⸗ gen, während er ſchweigend die Rechte erhebt, zum Zeichen, er möge näher zu ihm hintreten. Und kaum hat der junge Burſche fein Schreibheſt erkannt, das hier neben den letzten aufgefchla- genen Seiten des Zauberbuches liegt, da drückt ſein Geſicht ein ſtummes Geſtändnis aus. Der Biſchof ſteht auf und faßt den

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Jungen unters Kinn. Seine Stimme ift der vollkommene Ge⸗ genſatz zu dem ſtechend⸗ſcharfen Blick, mit dem er den angeklagten Jungen betrachtet; beinahe milde iſt ſie, beinahe traurig. Einar, beginnt er, ſag uns, die wir hier verſammelt ſind, wann du dieſe Blätter, dieſe einundzwanzig von den achtzig des Bu⸗ ches, abgeſchrieben haſt und nach welcher Vorlage?

Dann ſetzt er ſich wieder, und der Junge ſtammelt ſein Ge⸗ ſtändnis. Hier auf Skalholt hat er ſie abgeſchrieben, im vorigen Winter, ſagt er, von Blättern, die Bjarni Bjarnaſon aus Heſt ihm geliehen hatte.

Waren die Blätter in Bjarnis Handſchrift beſchrieben?

Nein, die war älter.

Wozu ſchriebſt du dieſe Blätter ab?

Der Junge ſchweigt.

Zu gar nichts, Herr! antwortet er am Schluß einfältig.

Haſt du jemals einen Verſuch gemacht, dieſe ſchwarzen Künſte anzuwenden oder dich ſonſt irgendwie mit Zauberei abgegeben? Nein, Herr.

Wiſſen noch andere als du und Bjarni etwas davon?

Nein, Herr.

Kennſt du noch jemand hier in der Schule, der ſich jetzt oder früher mit dergleichen abgegeben hat?

Nein, Herr.

Der Biſchof ſetzt das Verhör fort, aber als das Geſtändnis des Jungen erſchöpft zu ſein ſcheint, befiehlt er ihm, ſeine Ausſagen beim Schreiber mit feiner Unterſchrift zu beſtätigen. Er behält den Jungen im Zimmer und läßt nun ſeinen Kameraden her⸗ einholen.

Bjarni Bjarnaſon iſt ſicherer in ſeinem Auftreten, doch ohne im mindeſten den Eindruck zu erwecken, trotzig oder verwegen zu ſein. Er verbeugt ſich vor den Anweſenden mit einem Lächeln, das ihm gut ſteht, aber das ſofort verſchwindet, da er des voll⸗ ſtändigen Ausbleibens irgendeiner Erwiderung gewahr wird. Lies Einar Gudmundsſons Ausſagen vor! befiehlt der Biſchof dem Schreiber.

Mit ſtierem Blick betrachtet Bjarni Bjarnaſon während der Vorleſung den Biſchof, wie einen Feind. Später, beim Verhör,

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beftreitet er, Einar noch irgendwelche andere Blätter zum Ab⸗ ſchreiben geliehen zu haben, ſondern nur den Abſchnitt, zu bef- ſen Handſchrift Einar ſich bekannt hat. Einar dagegen bleibt bei ſeiner Ausſage.

Es gelingt dem Biſchof nicht, ihre Ausſagen in dieſer Hinſicht zur Übereinftimmung zu bringen. Im übrigen ſagt Bjarni, er hätte das Buch vor drei Jahren im Weſtland abgeſchrieben, nach einer Vorlage, die Erlingur Ketilsſon aus dem Enundar- fjord gehörte.

Wo iſt dieſer Erlingur Ketilsſon jetzt?

Er iſt nach England gefahren, Herr.

Als der junge Burſche noch entſchiedener als ſein Kamerad be— ſtritten hat, etwas von irgendwelchen Zaubereien unter den Schülern auf Skalholt zu wiſſen oder dieſes Buch anderen als Einar gezeigt zu haben, ſagt der Biſchof: Unterſchreib deine Ausſagen!

Während er das tut, erhebt der Biſchof ſich, nimmt ein dickes, gedrucktes Buch zur Hand und legt es vor ſich auf den Tiſch. Er erklärt ihnen, eine wie ſchwere Pflicht ſie ihm aufgebürdet hätten mit ihrem Geſtändnis. Ihm bliebe nichts anderes übrig, als die Angelegenheit ungeſäumt dem Sprengelvogt und dem Amtmann zu übergeben und fie auf die Folgen ihres Ver⸗ gehens in deren ganzer unausweichlicher Strenge hinzuweiſen. Seiner leiſen und ſchmerzlich klingenden Stimme kann man es eher anmerken als ſeinen Worten: daß er hier ſitzt und ſie zum Tode vorbereitet. Zum Schluß aber zerſtreuen auch die Worte ſelbſt jedweden Zweifel. Er blättert in dem Buch, das vor ihm liegt, Chriſtian IV. Rezeß, und ſchlägt es beim achtundzwanzig⸗ ſten Kapitel auf, im zweiten Buch, Seite 311 bis 312: „Von denen Zauberern und ihren Mitwiffern.’ Und in einer Laut loſigkeit, die jäh hereingebrochener Finſternis gleicht, lieſt er den Abſchnitt, lieſt er ihn bis zu feinem Schluß: „.. während die, ſo ſich mit ſolchem Volke gemein machen und ſich unterſtehen, durch ihre Zauberei irgend etwas zuwege zu bringen, geſtraft werden follen ohn Gnade durch Verluſt ihres Hauptes.“ Bjarni Bjarnaſon ſteht mitten im Zimmer, aufrecht, aber bleich, mit blutleerem Geſicht; erloſchenen Blickes ſtarrt er den Schrei⸗

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ber an, feinen Schulbruder, der dieſe Worte niederfchreibt. Da mit einem Male dringt von der Tür her wildes Schluchzen. Man ſieht nur, daß Einar Gudmundsſon dort ſteht und ſich an die Wand lehnt, um nicht umzuſinken. Aber jetzt gewinnt kein Ge⸗ danke, kein Gefühl mehr Klarheit. Etwas, was unſichtbar und unwägbar bleibt, erfüllt das Gemach mit ſeiner fürchterlichen Gegenwart: das Entſetzen erregende Grauen vor Brand und Blut.

Die Stimme des Biſchofs zerteilt es: Ihr beide ſeid hiermit der Schule verwieſen und packt euch ohne Zeugnis morgen von dannen, wie auch das Wetter ſein mag, doch nicht dem Abend entgegen; dabei will ichs bewenden laſſen. Geht zu Bett! Sobald die Jungen gegangen ſind, ſchickt der Biſchof einen Bo⸗ ten zum Obervogt und befiehlt ihm, die beiden Schüler für die Nacht bewachen zu laſſen. Bis zum nächſten Morgen ſoll er ihm für die beiden in jeder Hinſicht verantwortlich ſein. Schweigend hört Meiſter Brynjolfur ſeinen Amtswaltern zu, als die halb flüſternd die Angelegenheit erörtern, aber jede Er⸗ örterung endet nur dabei: Mit dem Geſtändnis der Schüler iſt auch das Todesurteil über ſie gefallen. Dann diktiert er den Brief an den Sprengelvogt Torfi Erlendsſon. Er fragt bei ihm an, ob er ihm die Blätter mit den Runen zuſchicken oder ob er ſie verwahren ſoll., Sintemalen hier vorbedacht ſein muß, wie in der Sache verfahren werden ſoll, weil es aufs Ende der Schulzeit zu geht und die Pferde eingetroffen, während diejeni⸗ gen, die in die Sache verwickelt, der Schule verwieſen worden ſind. Als ihm der Brief vorgeleſen wird, fügt er in einer Nach⸗ ſchrift hinzu: „Der eine von ihnen fagt, er ſtünde in feinem neunzehnten Jahr, der andere im zwanzigſten. Gott bewahre uns und die Unſeren vor allem Böſen!'

Bald danach läutet es zur Abendmette. Die Zeugen können eben noch ihre Erklärung unterſchreiben; dann iſt es auch Zeit, in die Kirche zu gehen.

Noch bevor am Morgen des nächſten Tages, des Gründonners⸗ tages, jemand aufgeſtanden iſt, hat der Biſchof ſeinem Schrei⸗ ber den Brief an den Amtmann Sigurdur Jonsſon diktiert. Er möchte wiſſen, ob er die ſchriftlichen Beweismittel ihm oder dem

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Peter Viſcher: Leuchterweibchen

Sprengelvogt fdiden foll ‚oder warten, bis die däniſche Macht zu Lande gekommen iſt'. Die jungen Burſchen, zerſchlagen von ihren fürchterlichen Ahnungen in dieſer Nacht, werden herein⸗ gerufen, und man verlieſt die beiden Briefe des Biſchofs in ihrem Beiſein. Dann möchte der Biſchof allein mit ihnen ſein.

Er läßt die beiden ſich erſt auf die Schreiberbank ſetzen; dann ſpricht er mit ihnen.

Wie hieß der Mann, der dir das Buch geliehen hat, Bjarni? fragt er, allem Anſchein nach geiſtesabweſend.

Erlingur Ketilsſon, Herr.

Erlingur Ketilsſon, ſoſo ... wiederholt der Biſchof. Der kann von Glück ſagen, daß er in den Weſtfjorden daheim war. Dort tauchen holländiſche und engliſche Schiffe oftmals ſchon früh im Jahr auf und ſind bereits wieder von hinnen gefahren, bevor noch irgendeiner der Häfen offen iſt. Wo ſteckt er jetzt?

Er iſt nach England gefahren, Herr, antwortet Bjarni mit den⸗ ſelben Worten wie geſtern.

Nach England ift er gefahren? Soſo ... Erlingur Ketilsſon, ja, ein kluger Mann! Iſt wahrſcheinlich ſpornſtreichs zu einem Schiff geritten

Meiſter Srpnjolfur ſpringt vom Stuhl auf.

Nun, hier iſt nicht Zeit, an andere zu denken! meint er. Es iſt meine Pflicht, euch ohne Säumen von hinnen zu weiſen. Eßt noch einen Happen, während eure Pferde geſattelt werden, denn heute nach der Meſſe werden meine beiden Briefe abgeſandt. Ich wünſche euch Gottes Schutz! Seid einander treu! Und nun weg von hier, in Jeſu Namen!

Er reicht den Jungen die Hand und merkt, daß ſie ſeine An⸗ deutung verſtanden haben. Dann ſitzt er einſam in ſeinem Ge⸗ mach. Aber es fällt ihm ſchwer, ſeine Gedanken zu ſammeln, er wartet darauf, daß fie am Fenſter vorbeireiten. Endlich wird in der Ferne Hufſchlag vernehmbar, die beiden reiten hinter den Häuſern entlang. Und da, als der Biſchof den gehetzten Flucht⸗ ritt der Jungen aus Skalholt hört, verbirgt er ſein Angeſicht im Gebet. Acht Jahre ſind vergangen, ſeitdem die Worte, die er jetzt zu Gott flüſtert, zum erſten Male von ſeinen Lippen ka⸗ men, unmittelbar nachdem man ihm die Nachricht von der grauen⸗

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vollſten Herenverbrennung des Jahrhunderts überbrachte, das einzige Mal, da er nicht lateiniſch dichtete, ſondern in isländi⸗ ſcher Sprache. Über ein dunkles, verworrenes Geräuſch verhal⸗ lender Hufſchläge hinweg klingen ſeine Worte wie abgeriſſene, feſte und immer feſtere Griffe in eine volltönende Saite:

Laß Chriſti Krone

und Kreuzesqualen,

blutende Wunden

und Schmerzensbrände

ſtehn mitten zwiſchen

all unſeren Sünden

und Strafens händen. Dann richtet der Biſchof ſich auf und geht an ſeine Arbeit, ja, er geht. Er muß heute einen Prieſter weihen, feine Ordinations⸗ rede hat er fertig, aber geſtern abend beim Memorieren wurde er mit dieſer Angelegenheit geſtört, die keinen Aufſchub vertrug. Jetzt geht er im Zimmer auf und ab und ruft ſich die Rede ins Gedächtnis zurück; er ſpricht ſtets frei, und das hat er auch ſeit den erſten Amtsjahren als Biſchof bei ſeinen Prieſtern einge⸗ führt. ö Die Menge der Amtsgefchäfte, die mit jedem Jahr wächſt, iſt noch nie ſo groß geweſen wie in dieſem Frühling. Aber in die⸗ ſem Frühling läßt der Biſchof auch in der Verwaltung ſeines Bistums einen tiefgreifenden Wechſel eintreten. Er trennt ſich von ſeinem Gutsverwalter, ſeinem Obervogt, ſeinem Untervogt und ihren Familien in beſtem Einvernehmen und fest in dieſe Amter junge unverheiratete Männer ein. Ja, noch mehr: ſeinen jungen Schreiber läßt er ziehen. Das ſind Maßnahmen, die Meiſter Srynjolfur ein volles Jahr erwogen hat. Er will ſich nicht mehr unausgeſetzt von Dingen, die ihn nichts angehen, ſtören, ärgern und vergrämen laſſen. Er will verſuchen, ob nicht ſein Inneres ruhiger wird, wenn er nicht mehr tagtäglich in feiner nächſten Umgebung auf fo viele von den Menſchen ane gewieſen iſt, die ihn unter ſeinem Unglück und ſeiner Schande die Kniee beugen ſahen. Allem Andrang der Amtsgefchäfte zum Trotz verzichtet er dies⸗ mal doch nicht auf die Frühjahrsreiſe in fein geliebtes Skor⸗

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radal. Aber er ift ſchon zurückgekehrt und ſeit einem vollen Monat wieder daheim, als er erfährt, daß der Vogt zu Lande gekommen iſt. Am folgenden Tage ſchickt er einen Mann nach Beſſaſtadir mit den Beweisſtücken in der Zauberei-Angelegen- heit, den ſchickſalsſchwangeren Runenblättern. Er hat ſie bis jetzt in Verwahrung gehalten, nach dem Rat des Sprengelvogtes und des Amtmanns, ‚mas derer beider Briefe bezeugen. Aber die zwei personae verwies ich ſogleich der Schule, wie mir rich— tig zu ſein ſchien, und reiſten ſie ohn Zeugnis am nächſten Tage von hinnen. Nun, ſagt man, ſind ſie außer Landes gefahren. Mehr wußte ich in dieſem nicht zu unternehmen. Gott bewahre uns und alle Unſeren vor jeglichem Ungemach! Im Namen des Herrn. Amen.’

Aus ‚Der Herrſcher auf Skalholt'

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Konrad Weiß / Szenen aus dem Trauerſpiel „Konradin von Hohenſtaufen'

Jagdhörner; der junge Friedrich von Sſterreich allein Friedrich von Ofterreid

Offne Zeiten, frühes Jahr!

Will mein armes Herz im weiten

Felde reiten oder ſtreiten,

ſingen und dann immerdar

Liebe leiden wie ein Mann!

Wann wird all der Winter gar? Vogel, wann?

Sprich, du lieber Augenblick! Will mit wonniglichen Schatten ſelbſt die Sonne ſich ermatten, ſchenke, Morgen, mir ein Stück heut ſchon, daß ich leben kann! Streit und Liebe geben Glück? Vogel, wann? Morgen dann!

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Stirb bu, fo der Jäger ſpricht, Hinde, du ein Tier von vielen! Alſo muß ich weiter zielen, fröhlich ſein und bin es nicht. Jäger in dem großen Bann, jage, Jäger, frage nicht! Vogel, wann? Morgen dann! Immer wann?

Aus dem Walde ſtürmen, gefolgt von dem alten Volkmar von Kemnaten, und rufen als Echo Der junge Konrad von Limpurg

Vogel, wann? Der junge Eiſoldsried

Morgen dann!

Konradin mit dem Falken auf der Fauſt Immer wann? *

Ort: Augsburg; Zeit: Auguſt 1267. Szene: ein romaniſcher Kreuz⸗ gang, es iſt Nacht. Vier Wächter kommen aus den vier Seiten des Kreuzgangs und treten vor gegen die Mitte ſeines Hofes Erſter Wächter Vorne einwärts

Bald iſt die ſtille Nacht vorbei.

Zweiter Wächter Links

Der Traum hebt ſchon den dunklen Fuß.

Dritter Wächter Hinten

Seid wachſam ohne Überdruß!

Vierter Wächter Rechts Der Hahn rückt ſich zum Hahnenſchrei.

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Erſter Wächter Der Hahn rückt ſich zum Hahnenſchrei.

Zweiter Wächter Seid wachſam ohne Überdruß!

Dritter Wächter Der Traum hebt ſchon den dunklen Fuß.

Vierter Wächter Bald iſt die ſtille Nacht vorbei.

*

Erſter Wächter

Vorne

Der Sinn verſchläft, die Erde wacht.

Zweiter Wächter Links

Horcht auf, ſo mahlt ein ſtiller Zorn.

Dritter Wächter Hinten

Die Mühle mahlt das Lebenskorn.

Vierter Wächter Rechts Ein dunkler Trichter iſt die Nacht.

Erſter Wächter Ein dunkler Trichter iſt die Nacht.

Zweiter Wächter Die Mühle mahlt das Lebenskorn.

Dritter Wächter Horcht auf, ſo mahlt ein ſtiller Zorn.

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Vierter Wächter Der Sinn verſchläft, die Erde wacht.

*

Szene am Torre d' Aſtura mit dem Meer im Hintergrund; Friedrich von Öfterreich ſitzt allein vor dem Turm

Oſterreich Jäger, horch, der Kuckuck ſchreit! Nicht mit wonniglichen Schatten darf das junge Herz ermatten. Deine Stunde iſt bereit, und die Hinde ſteht im Bann. Junges Leben, offne Zeit!

Vogel, wann?

Streit und Liebe geben Glück.

Bald doch ſchenkſt du deinem Sohne,

Mutter, eine dunkle Krone.

Doch kein Jäger weicht zurück.

Liebe wars und Streit begann,

will das Herz nun Stück für Stück. Morgen dann!

Morgen ſpricht der Himmel: Nein!

Wo iſt Recht? wirſt du dann fragen.

Blut bricht aus zu hellen Tagen.

Singe, Herz, du weißt allein,

was dein Jäger tragen kann!

Blut iſt Recht und muß es ſein. Immer dann!

*

Gottfried Keller / Has Tanzlegendchen

Nach der Aufzeichnung des heiligen Gregorius war Muſa die Tänzerin unter den Heiligen. Guter Leute Kind, war ſie ein anmutvolles Jungfräulein, welches der Mutter Gottes fleißig

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diente, nur von einer Leidenſchaft bewegt, nämlich von einer unbezwinglichen Tanzluſt dermaßen, daß, wenn das Kind nicht betete, es unfehlbar tanzte. Und zwar auf jegliche Weiſe. Mula tanzte mit ihren Geſpielinnen, mit Kindern, mit den Jüng⸗ lingen und auch allein; ſie tanzte in ihrem Kämmerchen, im Saale, in den Gärten und auf den Wieſen, und ſelbſt wenn ſie zum Altare ging, ſo war es mehr ein liebliches Tanzen als ein Gehen, und auf den glatten Marmorplatten vor der Kirchentüre verſäumte ſie nie, ſchnell ein Tänzchen zu probieren.

Ja, eines Tages, als ſie ſich allein in der Kirche befand, konnte ſie ſich nicht enthalten, vor dem Altar einige Figuren auszufüh— ren und gewiſſermaßen der Jungfrau Maria ein niedliches Ge— bet vorzutanzen. Sie vergaß ſich dabei ſo ſehr, daß ſie bloß zu träumen wähnte, als ſie ſah, wie ein ältlicher, aber ſchöner Herr ihr entgegentanzte und ihre Figuren ſo gewandt ergänzte, daß beide zuſammen den kunſtgerechteſten Tanz begingen. Der Herr trug ein purpurnes Königskleid, eine goldene Krone auf dem Kopf und einen glänzend ſchwarzen gelockten Bart, welcher vom Silberreif der Jahre wie von einem fernen Sternenſchein überhaucht war. Dazu ertönte eine Muſik vom Chore her, weil ein halbes Dutzend kleiner Engel auf der Brüſtung desſelben ſtand oder ſaß, die dicken runden Beinchen darüber hinunter- hängen ließ und die verſchiedenen Inſtrumente handhabte oder blies. Dabei waren die Knirpſe ganz gemütlich und praktiſch und ließen ſich die Notenhefte von ebenſoviel ſteinernen En⸗ gelsbildern halten, welche ſich als Zierat auf dem Chorgeländer fanden; nur der Kleinſte, ein pausbäckiger Pfeifenbläſer, machte eine Ausnahme, indem er die Beine übereinanderſchlug und das Notenblatt mit den roſigen Zehen zu halten wußte. Auch war der am eifrigſten: die übrigen baumelten mit den Füßen, dehnten, bald dieſer, bald jener, kniſternd die Schwungfedern aus, daß die Farben derſelben ſchimmerten wie Taubenhälſe, und neckten einander während des Spieles.

Uber alles dies ſich zu wundern, fand Muſa nicht Zeit, bis der Tanz beendigt war, der ziemlich lang dauerte; denn der luſtige Herr ſchien ſich dabei ſo wohl zu gefallen als die Jungfrau, welche im Himmel herumzuſpringen meinte. Allein als die

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Muſik aufhörte und Muſa hodaufatmend daſtand, fing fie erft an, ſich ordentlich zu fürchten, und ſah erſtaunt auf den Alten, der weder keuchte noch warm hatte und nun zu reden begann. Er gab ſich als David, den königlichen Ahnherrn der Jung⸗ frau Maria, zu erkennen und als deren Abgeſandten. Und er fragte ſie, ob ſie wohl Luſt hätte, die ewige Seligkeit in einem unaufhörlichen Freudentanze zu verbringen, einem Tanze, gegen welchen der ſoeben beendigte ein trübſeliges Schleichen zu nennen ſei.

Worauf ſie ſogleich erwiderte, ſie wüßte ſich nichts Beſſeres zu wünſchen! Worauf der ſelige König David wiederum ſagte: So habe ſie nichts anderes zu tun, als während ihrer irdiſchen Lebenstage aller Luſt und allem Tanze zu entſagen und ſich lediglich der Buße und den geiſtlichen Ubungen zu weihen, und zwar ohne Wanken und ohne allen Rückfall.

Dieſe Bedingung machte das Jungfräulein ſtutzig, und ſie ſagte: Alſo gänzlich müßte ſie auf das Tanzen verzichten? Und ſie zweifelte, ob denn auch im Himmel wirklich getanzt würde. Denn alles habe ſeine Zeit; dieſer Erdboden ſchiene ihr gut und zweckdienlich, um darauf zu tanzen, folglich würde der Himmel wohl andere Eigenſchaften haben, anſonſt ja der Tod ein überflüſſiges Ding wäre.

Allein David ſetzte ihr auseinander, wie ſehr ſie in dieſer Be⸗ ziehung im Irrtum ſei, und bewies ihr durch viele Bibelſtellen ſowie durch ſein eigenes Beiſpiel, daß das Tanzen allerdings eine geheiligte Beſchäftigung für Selige ſei. Jetzt aber erfor⸗ dere es einen raſchen Entſchluß, ja oder nein, ob ſie durch zeit⸗ liche Entſagung zur ewigen Freude eingehen wolle oder nicht; wolle ſie nicht, ſo gehe er weiter; denn man habe im Himmel noch einige Tänzerinnen vonnöten.

Mufa ftand noch immer zweifelhaft und unſchlüſſig und ſpielte ängſtlich mit den Fingerſpitzen am Munde; es ſchien ihr zu hart, von Stund an nicht mehr zu tanzen um eines unbekann⸗ ten Lohnes willen.

Da winkte David, und plötzlich ſpielte die Muſik einige Takte einer ſo unerhört glückſeligen, überirdiſchen Tanzweiſe, daß dem Mädchen die Seele im Leibe hüpfte und alle Glieder zuckten;

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aber fie vermochte nicht eines zum Tanze zu regen, und fie merkte, daß ihr Leib viel zu ſchwer und ſtarr ſei für dieſe Weiſe. Voll Sehnſucht ſchlug ſie ihre Hand in diejenige des Königs und gelobte das, was er begehrte.

Auf einmal war er nicht mehr zu ſehen, und die mufizierenden Engel rauſchten, flatterten und drängten ſich durch ein offenes Kirchenfenſter davon, nachdem ſie in mutwilliger Kinderweiſe ihre zuſammengerollten Notenblätter den geduldigen Stein- engeln um die Backen geſchlagen hatten, daß es klatſchte. Aber Muſa ging andächtigen Schrittes nach Hauſe, jene himm⸗ liſche Melodie im Ohr tragend, und ließ ſich ein grobes Ge— wand anfertigen, legte alle Zierkleidung ab und zog jenes an. Zugleich baute ſie ſich im Hintergrunde des Gartens ihrer Eltern, wo ein dichter Schatten von Bäumen lagerte, eine Zelle, machte ein Bettchen von Moos darin und lebte dort von nun an abgeſchieden von ihren Hausgenoſſen als eine Büßerin und Heilige. Alle Zeit brachte ſie im Gebete zu, und öfter ſchlug ſie ſich mit einer Geißel; aber ihre härteſte Bußübung beſtand darin, die Glieder ſtill und ſteif zu halten; ſobald nur ein Ton erklang, das Zwitſchern eines Vogels oder das Rau⸗ ſchen der Blätter in der Luft, ſo zuckten ihre Füße und mein⸗ ten, ſie müßten tanzen.

Als dies unwillkürliche Zucken ſich nicht verlieren wollte, wel⸗ ches ſie zuweilen, ehe ſie ſich deſſen verſah, zu einem kleinen Sprung verleitete, ließ fie ſich die feinen Füßchen mit einer leich- ten Kette zuſammenſchmieden. Ihre Verwandten und Freunde wunderten ſich über die Umwandlung Tag und Nacht, freuten ſich über den Beſitz einer ſolchen Heiligen und hüteten die Einfiedelei unter den Bäumen wie einen Augapfel. Viele kamen, Rat und Fürbitte zu holen. Vorzüglich brachte man junge Mäd⸗ chen zu ihr, welche etwas unbeholfen auf den Füßen waren, da man bemerkt hatte, daß alle, welche fie berührt, alſobald leich- ten und anmutvollen Ganges wurden.

So brachte ſie drei Jahre in ihrer Klauſe zu; aber gegen das Ende des dritten Jahres war Muſa faſt ſo dünn und durchſich⸗ tig wie ein Sommerwölklein geworden. Sie lag beſtändig auf ihrem Bettchen von Moos und ſchaute voll Sehnſucht in den

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Himmel, und fie glaubte ſchon die goldenen Sohlen der Gee ligen durch das Blau hindurch tanzen und ſchleifen zu ſehen.

An einem rauhen Herbſttage endlich hieß es, die Heilige liege im Sterben. Sie hatte ſich das dunkle Bußkleid ausziehen und mit blendend weißen Hochzeitsgewändern bekleiden laſſen. So lag ſie mit gefalteten Händen und erwartete lächelnd die To⸗ desſtunde. Der ganze Garten war mit andächtigen Menſchen angefüllt, die Lüfte rauſchten, und die Blätter der Bäume ſan⸗ ken von allen Seiten hernieder. Aber unverſehens wandelte ſich das Wehen des Windes in Muſik, in allen Baumkronen ſchien dieſelbe zu ſpielen, und als die Leute emporſahen, ſiehe, da waren alle Zweige mit jungem Grün bekleidet, die Myr⸗ ten und Granaten blühten und dufteten, der Boden bedeckte ſich mit Blumen, und ein roſenfarbiger Schein lagerte ſich auf die weiße zarte Geſtalt der Sterbenden.

In dieſem Augenblicke gab ſie ihren Geiſt auf, die Kette an ihren Füßen ſprang mit einem hellen Klange entzwei, der Himmel tat ſich auf weit in der Runde, voll unendlichen Glanzes, und jedermann konnte hineinſehen. Da ſah man viel tauſend ſchöne Jungfern und junge Herren im höchſten Schein, tanzend im unabſehbaren Reigen. Ein herrlicher König fuhr auf einer Wolke, auf deren Rand eine kleine Extramuſik von ſechs Engelchen ſtand, ein wenig gegen die Erde und empfing die Geſtalt der ſeligen Muſa vor den Augen aller Anweſen⸗ den, die den Garten füllten. Man ſah noch, wie ſie in den offe⸗ nen Himmel ſprang und augenblicklich tanzend ſich in den tönenden und leuchtenden Reihen verlor.

Im Himmel war eben hoher Feſttag; an Feſttagen aber war es, was zwar vom heiligen Gregor von Nyſſa beſtritten, von demjenigen von Nazianz aber aufrecht gehalten wird, Sitte, die neun Muſen, die ſonſt in der Hölle ſaßen, einzuladen und in den Himmel zu laſſen, daß ſie da Aushülfe leiſteten. Sie bekamen gute Zehrung, mußten aber nach verrichteter Sache wieder an den andern Ort gehen.

Als nun die Tänze und Geſänge und alle Zeremonieen zu Ende und die himmliſchen Heerſcharen ſich zu Tiſche ſetzten, da wurde Muſa an den Tiſch gebracht, an welchem die neun Muſen be⸗

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dient wurden. Sie ſaßen faſt verſchüchtert zuſammengedrängt und blickten mit den feurigen ſchwarzen oder tiefblauen Augen um ſich. Die emſige Martha aus dem Evangelium ſorgte in eigener Perſon für fie, hatte ihre ſchönſte Küchenſchürze um- gebunden und einen zierlichen kleinen Rußfleck an dem weißen Kinn und nötigte den Muſen alles Gute freundlich auf. Aber erſt, als Muſa und auch die heilige Cäcilia und noch andere kunſterfahrene Frauen herbeikamen und die ſcheuen Pierinnen heiter begrüßten und ſich zu ihnen geſellten, da tauten ſie auf, wurden zutraulich, und es entfaltete ſich ein anmutig fröhliches Daſein in dem Frauenkreiſe. Muſa ſaß neben Terpſichore und Cäcilia zwiſchen Polyhpmnien und Euterpen, und alle hielten ſich bei den Händen. Nun kamen auch die kleinen Muſikbüb— chen und ſchmeichelten den ſchönen Frauen, um von den glän— zenden Früchten zu bekommen, die auf dem ambroſiſchen Tiſche ſtrahlten. König David ſelbſt kam und brachte einen goldenen Becher, aus dem alle tranken, daß holde Freude ſie erwärmte; er ging wohlgefällig um den Tiſch herum, nicht ohne der lieb— lichen Erato einen Augenblick das Kinn zu ſtreicheln im Vor» beigehen. Als es dergeſtalt hoch herging an dem Muſentiſch, erſchien ſogar Unſere Liebe Frau in all ihrer Schönheit und Güte, ſetzte ſich auf ein Stündchen zu den Muſen und küßte die hehre Urania unter ihrem Sternenkranze zärtlich auf den Mund, als ſie ihr beim Abſchiede zuflüſterte, ſie werde nicht ruhen, bis die Muſen für immer im Paradieſe bleiben könnten.

Es iſt freilich nicht ſo gekommen. Um ſich für die erwieſene Güte und Freundlichkeit dankbar zu erweiſen und ihren guten Willen zu zeigen, ratſchlagten die Muſen untereinander und übten in einem abgelegenen Winkel der Unterwelt einen Lobgeſang ein, dem ſie die Form der im Himmel üblichen feierlichen Choräle zu geben ſuchten. Sie teilten ſich in zwei Hälften von je vier Stimmen, über welche Urania eine Art Oberſtimme führte, und brachten ſo eine merkwürdige Art Vokalmuſik zuwege. Als nun der nächſte Feſttag im Himmel gefeiert wurde und die Muſen wieder ihren Dienſt taten, nahmen ſie einen für ihr Vorhaben günſtig ſcheinenden Augenblick wahr, ſtellten ſich zu⸗ ſammen auf und begannen ſänftlich ihren Geſang, der bald

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menſchlich gebunden. Hier wohnen heilende, gütige Götter, die ſich gern den Menſchen geſellen, Quellgötter vor allem, deren hell ſpringende Labunng im Sommer erquidt.

Von allen Mittelgebirgen Griechenlands iſt der Pelion heute wie einſt das reichſte an Waſſern und Wäldern. Er iſt kein Berg, ſondern ein ganzer Gebirgszug, der ſich gegen dreißig Kilometer lang über die Magneſiſche Halbinſel hinzieht.

Die alte Stadt der Argonauten liegt dort, wo ſich der Paga⸗ ſäiſche Golf am tiefſten gegen den Pelion buchtet. Von ihr und von den Städten ſpäterer Zeiten, Demetrias und Pagaſä, ſind nur ſpärliche Reſte erhalten. Aber in ihrem lehmigen Bo⸗ den bewahrten fie einen Schatz, der in ganz Hellas nicht ſeines⸗ gleichen hat: bunt leuchtende Fresken auf Stein, bemalte Grab⸗ ſtelen. Das kleine Muſeum außerhalb der Stadt hütet die er⸗ greifenden Trümmer. Da ſieht man Abſchiedsſzenen von er⸗ ſchütternder Wirkung, wie Menſchen einander für immer Lebe⸗ wohl ſagen. Ein feierlicher Ernſt entſtrahlt ihnen, den durch Schmerz ſchon jenſeitig Verklärten. Meiſt ſieht man ſie beim Abſchiedsmahl verſammelt, auf der einen Seite der Tote, auf der anderen die Lebenden. Ein Tiſch mit drei Füßen neben ihnen deutet den Hades an. Oder ein anderes Bild, das ſchönſte von allen: Die Tochter liegt vor dem Haus, tot, aber noch in der Haltung einer Lebenden, halb aufgerichtet, die Mutter ängſtlich bemüht, ihr zu helfen; der Vater, ſcheu aus der halb geöffneten Tür hinausſchauend, vor dem Unſagbaren erſtar⸗ rend. Alles in grünen und roten Tönen gehalten wie, gemiſcht aus Leichenfarbe und Rebenblut, in einem Licht, das wie Mon⸗ denſchein geiſtert. Iſt Elyſium nicht ſchon nah?

Wolos ſteht jetzt an der Stelle der alten Städte, reizvoll zwi⸗ ſchen Meer und Berge gelagert. Außer einer Moſchee aus tür⸗ kiſcher Zeit kann nichts den Blick feſſeln. Dieſer ſchweift unwill⸗ kürlich hinauf gegen die Hänge, die weißgeſprenkelt von Dör⸗ fern und einzeln ſtehenden Häuſern blinken. Gleich hinter der Stadt ſtaffelt ſich Ano⸗Wolos empor, dann höher hinauf, durch eine tiefe Schlucht getrennt, Makrinitſa und Portaria, die beide den Flächenraum einer großen Stadt bedecken, aber kaum ein paar hundert Einwohner haben, die weithin berühmten Som⸗

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merfriſchen des Pelion. Eine breite Autoſtraße führt hinauf, auf der die Wagen reicher Agypter ſauſen.

Wir ziehen es vor, die Höhe zu Fuß zu erſteigen. Aber die Sonne brennt grauſam. Wie kommen wir trotzdem hinauf? Man wandert in der Nacht. Wir haben panselinon, Vollmond. Noch glüht der Stein unter uns, aber es weht ſchon kühl her— ab. Und dann, in der Nähe der Schlucht, bläſt es kühl herauf. Hier treffen Berg⸗ und Meerwind zuſammen. Hell ſpringt ein Bächlein neben uns in die Schlucht. Die Griechen, mit denen ich wandere, ſtaunen: ein rauſchender Bach im Auguſt, wenn das Waſſer überall am koſtbarſten iſt! Es klingt heimatlich an mein Ohr, aber es iſt nicht wie zu Hauſe. Die heimiſchen Bäume fehlen; nur Platanen, Edelkaſtanien und Johannisbrotbäume ſind es, die im gleißenden Mondenlicht flüſtern. Aus unſeren Eichen iſt krüppeliges Geſtrüpp geworden, und zu den Füßen fehlt das wellige Gras. Von unten her ſchimmert der Golf in zauberiſcher Spiegelung, ein Märchen aus flüſſigem Silber.

In Portaria geht es hoch her, jetzt in der Saiſon. Am Haupt- platz ſchnarrt ein Grammophon, im grellen Licht der Bogen— lampen promeniert die elegante Welt. Es find Agppter, die den tiefen Kurs der Drachme ausnutzen und im Pelion einen Erſatz für die ferne und teuere Schweiz gefunden haben. Sie können auch in der Sommerfriſche die Geſchäfte nicht laſſen und bekritzeln die Marmorplatten des Cafés mit Zahlen. Manchen Frauen iſt es ſchon zu kühl, ſie tragen Mäntel, eine hat ſogar einen Pelz um die Schultern geſchlungen. Für mein Gefühl iſt die Luft angenehm lau. ,

Alle Hotels und Herbergen find überfüllt, wir finden keinen Platz. Nach langem Hinundherreden gibt es dennoch ein Zim⸗ mer, aber fündhaft teuer. Da machen wir nicht mit. Beinahe zwei Mark! Entſetzt lehnen wir ab und ſuchen uns ein kleines Café, wo uns der Wirt einige Decken aufbreitet und uns in der Stube ſchlafen läßt. Es geht alſo auch ſo. Am Morgen weckt uns ein ungewöhnliches Geräuſch. Ich laufe zum Fenſter. Wahrhaftig, es regnet, ein richtiger, ſtarker Regen wie bei uns. Der Wirt ift aufgeregt, in der Nacht hat es geblitzt und ge- donnert, das gab es ſeit Jahren nicht im Auguſt. Jetzt regnet

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es dünn und beharrlich, als ob wir in Salzburg wären. Müßig ſitzen wir unter dem Vordach und ſchauen den Tropfen zu, die von den Platanenblättern klatſchen. Nun wird es ſogar mir et⸗ was zu friſch. Die Griechen in meiner Geſellſchaft frieren und drängen ſich um ein Kohlenbecken.

Hoffentlich erfrieren die Agypter im Café nicht. Ich ſchlendere, in meinen Lodenmantel gehüllt, auf den Platz und ſehe ſie, phantaſtiſch vermummt, in den Kaffeehäuſern um winzige Feuerchen hocken. | Gegen Mittag ſchimmert durch die Kronen der Platanen der erſte blaue Streifen, der Regen hört auf. Sollen wir den gan⸗ zen Tag unter den feinen Leuten im Kaffeehaus verlungern? Nein, wir brechen auf, die Griechen zwar ängſtlich gegen den Himmel lugend und unheilvoll orakelnd. Aber das Wetter hält ſich, wenn auch ſchwere Wolken noch gefährlich über uns drohen. Wir weichen der neuen Autoſtraße aus und ziehen auf einem alten türkiſchen Maultierpfad weiter, einem Kalderimni aus glattgeſcheuerten Steinen. Mit gewöhnlichen Schuhen geht es ſich leicht auf ihm, ich aber trage noch meine ſchweren Nagel⸗ ſchuhe der Olpmpbeſteigung, in denen ich immer wieder aus⸗ gleite. Man muß ſich jeden Stein ausſuchen, auf den man den Fuß ſetzen will. Das macht müde und verdrießlich. Ich ſteige alſo neben dem Kalderimni empor, lieber durch dichtes Ge⸗ ſtrüpp und lehmige Lachen, an Johannisbrot⸗ und Maulbeer⸗ bäumen vorüber, unter denen verſchüchterte Herden auf die Wiederkehr der Sonne warten.

Nach etwa zwei Stunden ſind wir auf der Paßhöhe angelangt, wo ein modernes Sanatorium aus dichtem Buchengrün ber- vorſchaut. Von hier iſt es nur eine Stunde auf den Pelion⸗ gipfel. Zwar drohen noch immer tiefhängende Wolken, doch wir vertrauen den Winden, daß ſie das Firmament reinfegen werden.

Der Aufſtieg iſt ein Spaziergang durch niederes Buſchholz und Buchenhaine. Der eigentliche Gipfel iſt kahl, eine mäßig ge⸗ wölbte Kuppe. Wir lagern uns im Schatten feiner Steinppra- mide und blicken freudig erregt hinab. Da liegt der Golf tief unten mit ſeinen ſanft geſchwungenen Buchten und verblauen⸗

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Das Theater von Pergamon

den Vorgebirgen. Und nördlich eine andere Waſſerfläche, der See von Karla, den das Gewitter der Nacht zum Meer ume geſchaffen hat. Durch das Gegenlicht der tiefhängenden Wolken iſt alles malvenfarbig überglüht, mit einem ätheriſchen Hauch überflogen, der dünn die Konturen zeichnet wie auf einem japa- niſchen Wandſchirm. Doch blicke um dich! Da gewahrſt du ſchaurig geballte Wolkenkoloſſe, die wie Ungeheuer das fricd- liche Bild da unten bedrohen, Titanen, die gegen den klotzigen Oſſa ſtürmen, um von dort aus den Götterberg Olymp zu be— rennen.

Beim Abſtieg nach Oſten wechſelt das Bild. Während die weſt— liche Flanke nur verſtreut ſtehende Bäume trug, rauſchen jetzt unendliche Wälder tief unter uns bis an die blaue Agäis. Die Autoſtraße, die wir bald wieder antreffen, hört plötzlich im Urwald auf. Das Geld für den Bau iſt ausgegangen, wie das in Griechenland oft vorkommt. Die Reiſenden, die bis hierher fahren konnten, müſſen zu Fuß weiter. Aus einer aus Reiſig flüchtig erbauten Hütte tritt ein Mann, der uns ſein Maultier anbietet, aber wir ziehen es vor, zu Fuß weiterzuwandern, auf einem Kalderimni, der kein Ende nehmen will. Da ſpüren wir, daß wir recht hoch waren, in der Höhe des Rieſengebirges. Was uns von oben als gleichmäßig gewellter Urwald erſchien, iſt in ein Gerinnſel von Schluchten zerhackt. Es geht zehnmal hinauf und hinab. Es wird Abend und Nacht, und der Kalde⸗ rimni will nicht aufhören. Der Mond iſt von Wolken verhüllt, und das Sternenlicht dringt nicht durch das dichte Blätter⸗ gewirr. Bald ſtolpert der eine, bald der andere. Hätten wir doch das Maultier gemietet!

Da ſchlägt ein Hund an, wir ſind in Zagora, an dem Ziel des heutigen Tages. Aber vom erſten Haus bis auf den Dorfplatz iſt es noch eine Stunde. Ein ſchönes Hotel ſteht vor uns, aber es iſt geſperrt wegen Preistreiberei.

Auch Zagora hat als Sommerfriſche Hochbetrieb. Im Freien ſchlafen können wir nicht, es iſt zu kühl. So betteln wir von Haus zu Haus um Quartier für die Nacht: endlich nimmt ſich eine barmherzige Seele unſer an.

Zagora ift ein flamifder Name: Hinterbergen. Auch feine

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Kirche zeigt deutlich ſlawiſchen Einfluß: glaſterte Tonplatten, als Schmuck in die Wände eingelaſſen. In Serbien ſieht man dergleichen.

In der Nacht regnet es wieder, und Donnerſchläge erdröhnen. Doch der Morgen iſt hell, wir brechen bald auf, ziehen durch das Dorf und wandern gegen das Meer.

Und wieder geht es auf dem Katzenkopfſteig hinauf und herab. In den Schluchten toben die Waſſer in gurgelnden Strudeln und fallen ſchäumend ins Meer, das ſie kilometerweit gelb⸗ braun färben. Von moosüberkruſteten Felſen tropft es melo⸗ diſch, die Luft duftet würzig nach Erdreich und Grünem, und dunkle Grotten widerhallen von ſtürzenden Fluten. In einer von ihnen wohnte der heilkundige Kentaur Chiron, der den jungen Achill in der Arzneikunſt unterwies. Hier iſt jede der Millionen Pflanzen heilkräftig, Blüte, Wurzel und Frucht. Im raſchen Uberblick erkenne ich gelbe Meliſſen, Zinnkraut, Akelei, Rhabarber und wilden Safran. Ein jedes Blümlein iſt gut gegen irgendein Weh.

Hier heißt ein jedes Dorf nach einem Heiligen. Leben in ihnen vielleicht die heilenden Arzte des Pelion weiter? Im Dorfe des heiligen Demetrios machen wir Mittagsraſt im Schatten der alten Kirche. Eine zweite wird unweit gebaut, geſtiftet von einem in Amerika reichgewordenen Dorfgenoſſen. Hagios Di⸗ mitrios hat keine zwanzig Häuſer, wozu braucht es einen Dom im Zuckergußſtil?

In dieſem Dorf möchte ich über Nacht bleiben, doch die Grie⸗ chen in meiner Geſellſchaft ſind nervös und drängen weiter. Die Griechen von heute können das Naturerlebnis noch nicht geiſtig bewältigen. Der Sprung aus dem Mittelalter in die Neuzeit iſt für ſie zu ſchnell gekommen und hat ſie an allem unſicher gemacht. Sie ahnen bereits etwas von der löſenden Kraft der Berge, wagen es aber noch nicht, ſich ganz ihrem Geheimnis zu ergeben.

Dem Mehrheitsbeſchluß der Gefährten mich fügend, geht es nun weiter. Da geht auf einmal der Wald in einen Frucht⸗ garten über. Apfel mit roſigen Backen ſchaukeln über uns, Bir⸗ nen und Pfirſiche bieten ſich dar in ſchlaraffiſcher Fülle. Wir

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foften der Reihe nach alles durch. Schade, daß die Feigen und Nüſſe nicht reif ſind!

Wir dürfen nicht zu lange verweilen. Schon ſenkt ſich die Sonne und jagt uns aus dem Waldparadies. In Mureſi, dem nächſten Dorf, kann ich vor Übermüdung nicht weiter. Jetzt ſoll es noch fünf Stunden ſo weitergehen, in der Nacht, durch zahlloſe Schluchten hinauf und hinab. Die beiden Griechen in meiner Geſellſchaft müſſen morgen unbedingt in Wolos ſein, um das Schiff nach Athen zu erreichen, ihr Urlaub iſt zu Ende. Ich könne ja reiten, wenn ich ſchon zu müde ſei.

Wirklich wird für mich ein Maultier aufgetrieben. Ich ſteige auf, die anderen behängen es mit ihren Ruckſäcken und ziehen nun unbeſchwert hinter mir fürbaß. Das war alſo der Grund ihrer ſo treuen Anhänglichkeit! Und doch verdanke ich ihnen dadurch das zauberhafteſte Erlebnis, das ich jemals in Gricchens land hatte, einen Ritt über den Pelion im Mondenſchein. Noch liegen über dem Agäiſchen Meer verblaſſende Wölkchen, hauchdünne Luftgeſpinſte, in denen ſich das letzte Abendgold auflöſt. vom Saume des Horizontes zuckt ein Blinkfeuer, das muß die Inſel Skiathos fein. Dort, wo bald der Mond auf- ſteigen wird, glüht das Gedünſte des Meeres wie von einem Vulkan von unten her beftrablt.

Ein derber Schlag gegen den Kopf entreißt mich meiner Träu- merei. Beim Reiten in der Nacht muß man achtgeben, zumal wenn es wieder durch Schluchten geht, in denen die Aſte tief hängen. Ein ſolcher Aſt hat mich getroffen. Und dabei iſt es pechſchwarz ringsum. Wie das Tier da den Weg finden kann, iſt mir ein Rätſel, ich ſehe nicht die Hand vor dem Geſicht. Zu⸗ weilen fährt mir etwas kratzend über die Wange. Es ſind dies Platanenfrüchte, ſtachlige Kugeln, die wie Chriſtbaumſchmuck herabhängen. Dann wieder haſcht unten etwas nach meinen Beinen. Es ſind Wacholderzweige, die nach mir ſchlagen, deren ſpitze Nadeln bis in die Haut dringen.

Am Grunde der Schlucht ſchauert das Reittier wie vor einem Geſpenſt: hoch oben in einer Lichtung weht flutend ein über⸗ irdiſcher Schein, ein Waſſerfall, der im Mondlicht ſchimmert, bei ſeinem Zerſtäuben in flimmernde Schleier ſich löſend. Ein Bild,

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wie von Böcklin gemalt, aber mit Farben, die mit Mondlicht gemiſcht ſind.

Auch außerhalb der Schlucht ift es finſter, doch bald ſilbern die Kronen der Buchen. Noch eine Kehre und der Mond hängt voll unter uns, ſchwach gerötet, aber ſchon ſtark in ſeiner Strah⸗ lung, die wie aus einem Reflektor auf uns fällt. Die Wälder unter uns glänzen wie gegoſſenes Metall, das kriſtalliniſch ge⸗ rauht iſt, mit meſſerſcharfen Schatten der Schneiſen und Run⸗ ſen. Und überall Buchen, deren Stämme wie aus Erz getrieben erſcheinen.

Keiner ſpricht ein Wort, ſo ſehr ſind wir alle in den Zauber verſponnen, bis wir auf den Sattel gelangen. Da leuchtet zu unſerer Rechten ein anderes Meer auf, der Pagaſäiſche Golf, wie grünſilbernes Glas, gequert von dem breiten Schatten des Pelionmaſſivs. Wir halten an und ſaugen das berückende Bild in uns auf. Dort unten funkt das Feuer von Kap Angiſtri und Kap Trikeri. Und nahe, doch tief unter uns, ein damp⸗ fender Kohlenmeiler, der wie das rote Auge eines lauernden Drachen brandig gloſt. Der Mond, nunmehr rein und ſilbrig geworden, ſegelt immer höher hinauf, begleitet von flaumigen Wölkchen.

Der Maultiertreiber macht uns auf einen Steinhaufen auf⸗ merkſam, der ſich klotzig wie ein Hünengrab türmt. Iſt hier ein Held der Vorzeit begraben? Nein, es iſt ein anathema, erzählt er uns, ein Ort der Verfluchung. Jeder, der wie wir froh iſt, endlich die Höhe erklommen zu haben, wirft einen Stein hinter ſich, den Kalderimni verfluchend. Wir hätten allen Grund, es ebenſo zu tun, aber das zauberiſche Licht hat uns alle entgiftet. Kaum ſpüren wir noch die Ermüdung, der Körper wird ſchwerelos und leicht. So mögen ſich ſelige Gei⸗ ſter im Elyſium bewegen, ſelbſtvergeſſen und traumhaft, ver⸗ ſponnen in unbeſchreibliches Glück.

Wie eine Geiſterkarawane ziehen wir lautlos weiter. Da ſchnaubt auf einmal mein Tier, der Treiber ſpringt herbei und ſchlägt mit ſeinem Stock auf den Boden. Was iſt? An dem Stecken hebt er eine erſchlagene Schlange auf, eine Sand⸗ viper. Er reißt ihr das Maul auf und prüft, ob ſie ihr Gift ver⸗

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ſpritzt hat. Nein, das Maultier wurde nicht gebiſſen. Trotzdem pflückt er eine Handvoll Wacholderbeeren und gibt ſie ſeiner zorka zu freſſen. „Das iſt ein Heilmittel gegen alles”, jagt er und zerbeißt dabei ſelber einige grüne Körner.

Es iſt gegen Mitternacht. Das Mondlicht ſtrahlt ſo ſtark, daß es hypnotiſterend erſchlafft. Was vordem lieblicher Seelen— ſchein war, wird nun ſtrenge und hart. Oder es ſcheint mir nur ſo, da allmählich die Buchen und Wacholderbäume ver— ſchwinden und kahler Fels hervortritt. Nichts mildert mehr das betörende Licht.

Da endlich ein Gehege, das Dorf Miliäs kann nicht mehr weit fein. Aber noch iſt es eine Stunde bis in den Ort. Der Ab» ſtieg wird ſo ſteil, daß ich von meinem Reittier ſteige. Wir humpeln automatifd weiter. In Miliäs, um zwei Uhr nachts, trommeln wir den Wirt aus dem Bett. Zu eſſen gibt es nicht viel, nur Früchte, Käſe und Brot. Wir langen gierig zu und trinken den blutroten Pelionwein, bis uns die Augenlider im- mer ſchwerer werden und wir auf ein raſch zuſammengetragenes Lager fallen.

Als ich erwache, iſts ſtrahlender Tag. Ich bin allein, die Ge- fährten ſind mit dem Frühzug nach Wolos gefahren. Langſam ſchlendere ich durch das von ſtürzenden Bächen durchrauſchte Dorf. Das ſtechende Sonnenlicht ſchmerzt die Augen, ich muß in das Düſter der Dorfkirche flüchten, wo zahlloſe Heilige in ſtarren Ornaten mich rätſelhaft anblicken. Der Glanz ihrer verklärten Züge iſt wie der Widerſchein eines anderen un⸗ nennbaren Lichts.

Und da verſtehe ich auch die todſelige Heiterkeit der farbigen Stelen von Wolos, das myſtiſche Grün des Hintergrunds, das das gleiche iſt wie auf dieſen bpzantiniſchen Fresken: es iſt das Grün der Pelionbäume, wenn das Mondlicht durch ihre Kronen ſickert, die Farbe, die alles Irdiſche vergeſſen läßt, die

Farbe des Elyſiums. Aus dem Buche „Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern'

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Charles Alerander Eaftman An den Grenzen des Geifterlandes

Die Haltung des Indianers gegenüber dem Tode, dem Prüf- ſtein und Hintergrund des Lebens, ſtimmt ganz mit ſeinem Charakter und ſeiner Weltanſchauung überein. Der Tod hat für ihn keine Schrecken; er ſieht ihm gerade und ganz ruhig ins Auge, nur auf ein Ende in Ehren bedacht, das gleichſam ein letztes Geſchenk an ſeine Familie und ſeine Nachkommen ſein ſoll. Im Kampf ſucht er daher förmlich den Tod, würde es jedoch als entehrend anſehen, in einem privaten Streit getötet zu werden. Liegt jemand zu Haus im Sterben, ſo trägt man, wenn das Ende naht, ſein Bett ins Freie, damit ſein Geiſt un⸗ ter offenem Himmel entweichen kann.

Hiernach beunruhigt ihn am meiſten der Gedanke an den Ab⸗ ſchied von den Seinen, beſonders wenn er kleine Kinder hat, die er in Not zurücklaſſen muß. Bei ſeinem ſtarken Familien⸗ gefühl empfindet der Indianer tiefen Kummer um Verſtorbene, trotzdem er unbeirrbar an eine geiſtige Verbundenheit glaubt. Die äußeren Zeichen der Trauer um Tote ſind viel natürlicher und viel überzeugender als das korrekte und wohlgeordnete Schwarz der weißen Völker. Unſere Männer und Frauen lö⸗ ſen ihr Haar auf und ſchneiden es kürzer, je nach dem Grad der Verwandtſchaft mit dem Verſtorbenen oder ihrer Neigung zu ihm. Dieſem Gedanken der Aufopferung jeder perſönlichen Schönheit und jeden Schmuckes entſprechend, entfernen ſie auch von ihrer Kleidung die Verzierungen und Beſätze, ver⸗ kürzen ſie oder trennen ihr Gewand oder ihre Hülle in zwei Teile. Die Männer ſchwärzen ſich das Geſicht; Witwen oder Eltern, die ihr Kind verloren, reißen ſich bisweilen Arme und Beine auf, bis ſie ganz mit Blut bedeckt ſind. Völlig dem Schmerz hingegeben, haben ſie gar keinen Blick mehr für ihre irdiſchen Güter und ſchenken oft alles, was fie beſitzen, dem erſten beſten, ſelbſt ihre Betten und ihr Zelt. Die Totenklage dauert Tag und Nacht, bis zum Verſagen der Stimme; eine unheimliche, herzbrechende Muſik, die man mit dem keening der keltiſchen Totenklage verglichen hat.

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Die Beiſetzung fand bei den Indianern der Ebene in alter Zeit auf einem Pfahlgerüſt oder einer Plattform in den Aſten eines Baumes ſtatt, weil dies die einzige Möglichkeit war, den Leichnam vor wilden Tieren zu bewahren, da man keine Ge⸗ räte zum Ausheben eines ordentlichen Grabes beſaß. Vor der Aufbahrung wurde der Tote in ſeine beſten Kleider gehüllt und mit einigen Beſitzſtücken und Schmuckgegenſtänden in mehrere Gewänder eingewickelt, über die als dichter Abſchluß noch eine rohlederne Decke gebunden wurde. Der Leib einer jungen Frau oder eines Kriegers wurde zuweilen zum Zei— chen beſonderer Hochachtung ſchön ausgeſtattet in einem ganz neuen Zelt aufgebahrt. Neben ihm ſtellte man die üblichen Haushaltsgeräte ſowie eine Schale mit Speiſen auf. Nicht, daß man geglaubt hätte, der Geiſt könne ſie benutzen oder die Speiſen verzehren, es war nur ein letztes Ehrengeſchenk. Dann brach der ganze Stamm ſein Lager ab und entfernte ſich ein Stück Weges, um den Toten an einem Ehrenplatz in der Einſamkeit allein zu laſſen.

Eine geregelte Beiſetzungsfeier gab es nicht, obwohl man den Toten, wenn es ein Mann von Rang war, mehr oder weniger feierlich durch auserwählte Jünglinge oder bekannte Krieger zu ſeinem Ruheplatz tragen ließ. Es war Brauch, einen recht hohen Hügel mit weitem Ausblick als letzte Ruheſtätte für den Toten auszuſuchen. War der Mann im Kampf gefallen, ſo pflegte man ihn nach altem Herkommen in ſitzender Stellung gegen einen Baum oder Felſen zu lehnen, ſtets mit dem Geſicht zum Feinde, um ſeine unbeugſame Tapferkeit auch noch im Tode anzudeuten.

Ich erinnere mich an einen rührenden Brauch, der geübt wurde, um die Erinnerung an den Verſtorbenen in ſeinem ver⸗ waiſten Haus lebendig zu erhalten. Eine Haarlocke des ge⸗ liebten Toten wurde in ſchönes Kleidertuch gewickelt, in einen Stoff, wie er ihn wohl im Leben gern getragen hätte. Dieſes ſogenannte Geiſterbündel hängte man an einem Dreifuß auf, der den Ehrenplatz im Wigwam bekam. Bei jeder Mahlzeit wurde eine Schüſſel mit Eſſen daruntergeſtellt, und jemand von gleichem Geſchlecht und Alter wie der Verſtorbene mußte

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dann zur Teilnahme am Mahl eingeladen werden. Bei der erſten Wiederkehr des Todestages gaben die Verwandten ein öffentliches Feſt, die Kleidungsſtücke und andere Dinge wurden dabei verſchenkt, während man die Haarlocke feierlich in die Erde ſenkte.

Zweifelte auch der Indianer durchaus nicht an der Unſterblich⸗ keit des Geiſtes oder der Seele, ſo machte er ſich doch keine Gedanken darüber, wie es der Seele in einem künftigen Da⸗ ſein ergehen mochte. Die Vorſtellung von den ewigen Jagd⸗ gründen ſtammt aus neuerer Zeit und iſt wahrſcheinlich anders⸗ wo entlehnt oder von den Weißen erfunden. Der primitive In⸗ dianer begnügte ſich mit dem Glauben, daß die Seele, die das Große Geheimnis in den Menſchen gehaucht hatte, zu Ihm, der ſie gab, zurückkehrte und daß ſie nach ihrer Befreiung aus dem Körper überall ſei und die ganze Natur durchdringe; ja häufig, um die Lieben zu tröſten, nahe am Grabe oder um das Geiſterbündel ſchwebe und fähig ſei, Gebete zu hören. Der ent⸗ körperlichten Seele bewies man ſo hohe Ehrfurcht, daß man bei uns nicht einmal den Namen eines Verſtorbenen laut er⸗ wähnte. |

Es ift bekannt, daß der amerikaniſche Indianer gewiſſe ok⸗ kulte Kräfte entwickeln konnte, und obgleich in ſpäterer Zeit viele Schwindler auftraten (und man, bei der Eitelkeit und Schwäche der Menſchennatur, auch ſehr wohl vermuten darf, daß es in der alten Zeit ſchon ſolche Schwindler gab), haben wir verläßlich bezeugte Fälle von bemerkenswerten Weisſagun⸗ gen und anderen geheimnisvollen Fähigkeiten.

Ein Prophet bei den Sioux hatte das Erſcheinen des weißen Mannes volle fünfzig Jahre vor dem Ereignis ſelbſt voraus⸗ geſagt und ſogar ſeine Kleidung und ſeine Waffen genau be⸗ ſchrieben. Vor der Erfindung des Dampfſchiffs hatte ein an⸗ derer Prophet unſeres Volkes das „Feuerboot', das auf unſe⸗ rem mächtigen Strom, dem Miffiffippi, ſchwimmen werde, vor⸗ ausgeſagt. Das Datum ſeiner Prophezeiung wird durch den heute längſt ungebräuchlichen Ausdruck, den er wählte, be⸗ ſtätigt. Kein Zweifel: viele Prophezeiungen ſind den Wün⸗ ſchen neuerer Zeit entſprechend gefärbt worden, und fraglos

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find in der Übergangszeit falſche Propheten, Safire und Zau⸗ berer bei den Stämmen zu einer förmlichen Plage geworden. Dennoch lebten ſelbſt in dieſer Zeit einige Männer vom alten Schlage, denen man bis ins kleinſte unbedingt glaubte. Unter dieſen ragte hervor Ta-chänk-pee Hö-tank-a (Seine Kriegskeule ſpricht laut), der die Einzelheiten eines großen Feldzuges gegen die Odjibwes ein Jahr vorher verkündete. Es ſollten ſieben Treffen ſtattfinden, alle ſiegreich, bis auf das letzte, bei dem die Sioux, in einer ungünſtigen Stellung, vere nichtend geſchlagen werden würden. Alles ereignete ſich genau wie vorhergeſagt. Unſer Stamm überraſchte und tötete zahl— reiche Odjibwes in ihren Dörfern, wurde aber verfolgt und ſchlau in einen Hinterhalt gelockt, aus dem nur wenige lebend wieder entkamen. Dieſe erſtaunliche Prophezeiung war nicht die einzige von Ta-chänk-pee Hö-tank-a.

Ein anderer berühmter Medizinmann, der ein Alter von über hundert Jahren erreichte, wurde am Rum River während eines verzweifelten Kampfes gegen die Odjibmes geboren, in einem Augenblick, da den beteiligten Sioux die reſtloſe Vere nichtung drohte. Da hatte die Großmutter des Kindes mit den Worten: „Weil wir doch alle ſterben müſſen, ſoll er als Krie- ger im Felde zugrunde gehen!” ſeine Wiege auf den Kampf⸗ platz geſtellt, in die Nähe feines kämpfenden Oheims und ſei⸗ ner Großväter, denn einen Vater hatte das Kind nicht mehr. Als aber ein alter Mann das Neugeborene erblickte, befahl er den Frauen, es in Obhut zu nehmen. „Wir wiſſen nicht,” rief er, „wie wertvoll die Kraft ſelbſt eines einzigen Kriegers ine tem Volk eines Tages noch werden mag!”

Dieſer Knabe ſollte, nach verſchiedenen abergläubiſchen Deu⸗ tungen der Umſtände bei ſeiner Geburt, noch ein großer Mann werden. Im Alter von fünfundſiebzig Jahren jedenfalls rettete er einen Trupp Kämpfer vor völliger Vernichtung durch ihre uralten Feinde, indem er ganz plötzlich vor dem Anmarſch einer großen Schar feindlicher Krieger warnte, von dem er geträumt hatte. Man ſandte ſofort Späher aus und fällte Bäume für eine Verſchanzung, und noch in letzter Stunde gelang es, die Angriffe des gemeldeten Gegners abzuſchlagen. Fünf Jahre

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{pater bewahrte dieſer Mann wiederum feinen Stamm vor einem furchtbaren Gemetzel. Bei ihm kam keine Verwechſlung von Zahlen oder Zeichen vor wie bei Medizinmännern ge⸗ ringeren Grades; vielmehr waren ſeine Deutungen der Vor⸗ zeichen in jedem einzelnen Fall einwandfrei und richtig.

Der Vater von Little Crow, der Kleinen Krähe, jenem Häupt⸗ ling, der beim Minneſota⸗Maffaker im Jahre 1862 den Stamm führte, war ebenfalls ein Prophet von Rang. Eine ſeiner be⸗ deutſamen Vorausſagen machte er wenige Jahre vor ſeinem Tode, als er erklärte, er werde trotz ſeines hohen Alters noch einmal auf den Kriegspfad ziehen. Beim letzten Kriegsfeſt vor⸗ her verkündete er, daß drei Gegner getötet werden würden, zö⸗ gerte aber, offenbar ſehr bedrückt, mit ſeiner zweiten Voraus⸗ ſage: daß er auch zwei von den eigenen Kriegern verlieren werde. In der Tat wurden, wie er geſagt hatte, drei Odjibwes getötet, aber auch die beiden Söhne des alten Kampfpropheten wurden Opfer der Schlacht.

Eine ganze Reihe vertrauenswürdiger Männer, auch Chriſten, können die Wahrheit dieſer und ähnlicher Vorkommniſſe ver⸗ bürgen. Ich kann zwar nicht behaupten, daß ich ſie zu er⸗ klären vermöchte, weiß aber, daß unſer Volk beachtliche Fähig⸗ keiten der Konzentration und des ruhigen Denkens beſaß, und bilde mir manchmal ein, daß die enge Verbundenheit mit der Natur, wie ich ſie ſchilderte, den Geiſt für ungewöhnliche Ein⸗ drücke empfänglich hält und die Verbindung mit unſichtbaren Kräften ermöglicht. So beſaßen manche von uns die eigen⸗ artige Fähigkeit, die Lage eines Grabes gefühlsmäßig zu be⸗ ſtimmen; ſie behaupteten, vom Geiſt des Verſtorbenen eine Mitteilung bekommen zu haben. Zu dieſen Menſchen gehörte auch meine Großmutter. Immer, wenn wir in fremdem Ge⸗ biet unſer Lager aufſchlugen, ſuchten mein Bruder und ich ſoweit ich zurückdenken kann nach menſchlichen Gebeinen und fanden ſie auch, genau dort, wo nach den Ausſagen der alten Frau früher eine Begräbnisſtätte geweſen ſein ſollte oder ein einſamer Krieger geſtorben war. Selbſtverſtändlich waren die äußeren Merkmale der Grabſtätten längſt ausgelöſcht.

Ein Schotte würde gewiß ſagen, ſie habe das Zweite Geſicht

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befefjen, denn fie hatte auch andere auffallende Vorahnungen und empfing Warnungen, an die ich mich ſelbſt noch erinnern kann. So hörte ich einmal, wie ſie von einem ſeltſamen Ge⸗ fühl in ihrer Bruſt ſprach und erklärte, dieſes Gefühl melde ihr etwas Wichtiges von ihren fernen Kindern. Auch andere indianiſche Frauen wollen eine ſolche mahnende Stimme emp- funden haben, doch iſt mir keine bekannt, die dieſe Ahnungen ſo klar zum Ausdruck bringen konnte. Als wir einmal am Ma⸗ nitobaſee lagerten, erhielten wir die Nachricht, mein Oheim und ſeine Familie ſeien einige Wochen zuvor in einem zwei— hundert Meilen entfernten Fort ermordet worden. Als unſere ganze Sippe nun wehklagte und den Verluſt betrauerte, gebot meine Großmutter Schweigen. Ihr Sohn ſei auf dem Wege zu uns, und ſehr bald würden alle ihn ſehen. Wir hatten ge- wiß keinen Grund, die Wahrheit der ſchlimmen Nachricht zu bezweifeln, aber mein Oheim erſchien wahrhaftig zwei Tage nach ſeinem gemeldeten Tode in unſerem Lager.

Ein ander Mal ich war damals vierzehn Jahre alt hatte mein jüngſter Oheim, kurz nachdem wir Fort Ellis am Aſſini⸗ boinefluß verlaſſen hatten, einen ſchönen Platz für unſer Nacht⸗ lager ausgeſucht. Die Sonne war bereits untergegangen. Meine Großmutter wurde, ſcheinbar ohne jeden Grund, ſehr aufgeregt und weigerte ſich, ihr Zelt dort aufzuſchlagen. So zo⸗ gen wir denn, nicht gerade gern, weiter flußabwärts und la⸗ gerten in der Dunkelheit an einer abgelegenen Stelle. Tags darauf erfuhren wir, daß eine Familie, die uns folgte und auf dem anfangs von meinem Oheim vorgeſehenen Platz gelagert hatte, in der Nacht von einem Trupp ſtreifender Feinde über⸗ fallen und niedergemacht worden ſei. Dieſer Vorfall hinterließ bei unſerem Stamm tiefe Wirkung.

Viele Indianer glaubten, daß man mehr als einmal auf die Welt kommen könne, und manche behaupteten ſogar, über eine frühere Verkörperung genau Beſcheid zu wiſſen. Auch gab es einige, die Verbindungen mit einer „Zwillingsſeele' ſpürten, die in einem anderen Stamm oder Volk zur Welt gekommen war. Bei den Sioux lebte in der Mitte des vorigen Jahr- hunderts ein bekannter Kampfprophet, an den ſich die älteren

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Stammesgenoſſen noch erinnern können. Er behauptete in mittleren Jahren, er habe einen geiſtigen Bruder bei den Odjibwes, die ſeit jeher mit uns Sioux verfeindet waren. Er wußte ſogar den Kampftrupp zu bezeichnen, zu dem ſein Bru⸗ der gehörte, und ſagte, dieſer ſei ebenſo wie er Kriegsprophet bei ſeinem Stamm.

Auf einer Jagd an der Grenze zwiſchen den beiden Stämmen rief der Führer der Sioux eines Abends ſeine Krieger zuſam⸗ men und eröffnete ihnen feierlich, ſie würden bald einem gleich⸗ ſtarken Trupp jagender Odjibwes begegnen, den fein ‚Bruder im Geiſte' anführe. Er bat die jungen Krieger, diesmal auf Kampf mit dem feindlichen Stamm zu verzichten, da er jetzt mit ſeinem Bruder, den er noch nie von Angeſicht geſehen hatte, zum erſten Mal zuſammenträfe. „Ihr werdet ihn ſofort er⸗ kennen,“ ſagte der Prophet, „denn er wird nicht nur an Ge⸗ ſicht und Geſtalt mir gleichen, ſondern auch das gleiche Totem tragen und ſogar meine Kriegslieder ſingen!“

Späher wurden ausgeſchickt, die bald mit der Botſchaft von nahenden Feinden zurückkehrten. Darauf begaben ſich die füh⸗ renden Männer mit ihrer Friedenspfeife zum Lager der Odjib⸗ wes und ſchoſſen, ſobald ſie in die Nähe kamen, drei Salven ab, zum Zeichen ihrer friedlichen Abſichten. Nachdem in glei⸗ cher Weiſe geantwortet worden war, betraten ſie das Lager, der Prophet mit der Friedenspfeife voran. |

Und fiehe da: von drüben kam ihnen der Prophet der Fremden entgegen. Die Sioux waren über die große Ahnlichkeit der bei⸗ den Männer, die ſich da liebevoll umarmten, nicht wenig ver⸗ wundert.

Die Stämme beſchloſſen ſofort, für mehrere Tage ein gemein⸗ ſames Lager zu beziehen, und eines Abends veranſtalteten die Sioux ein „Feſt der Krieger', zu dem zahlreiche Odjibwes eingeladen wurden. Der Prophet bat ſeinen Zwillingsbruder, eins ſeiner heiligen Lieder zu ſingen, und wirklich: es war das Lied, das er ſelbſt immer auf den Lippen hatte! Damit war den Kriegern ein unwiderlegbarer Beweis der Gabe ihres Sehers erbracht.

Dies alſo iſt der Glaube, in dem ich aufgewachſen bin, dies

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find die geheimen Ideale, die im amerikaniſchen Indianer einen Charakter geformt haben, der ihn von den anderen Völ⸗ kern der Erde unterſcheidet. Seine Schlichtheit, ſeine Ehrfurcht, ſeine Tapferkeit und Geradheit müſſen für ſich ſelbſt zum Amerikaner von heute ſprechen, der das Erbe unſerer Heimat, unſerer Namen und unſerer Überlieferungen angetreten hat. Da uns nichts übrig blieb als die Erinnerung, fo laſſet wenig—

ſtens die Erinnerung gerecht ſein! Aus dem Inſel⸗Band ‚Die Seele des Indianers'

* Aus Stifters böhmiſcher Heimat

Adalbert Stifter, deſſen Werk der Infel-Verlag in einer neuen ſiebenbändigen Ausgabe herausgibt, iſt in dem böhmiſchen Marktflecken Oberplan geboren. Eine Schil— derung ſeiner Heimat gibt er zu Beginn ſeiner Erzäh— lung ‚Der beſchriebene Tännling'.

Wenn man die Karte des Herzogtumes Krumau anficht, wel- ches im ſüdlichen Böhmen liegt, ſo findet man in den dunkeln Stellen, welche die großen Wälder zwiſchen Böhmen und Bayern bedeuten, allerlei ſeltſame und wunderliche Namen eingeſchrie⸗ ben; zum Beiſpiele: ‚zum Hochficht', zum ſchwarzen Stocke', zur tiefen Lake', zur kalten Moldau' und dergleichen. Dieſe Namen bezeichnen aber nicht Ortſchaften oder gar Herbergen, die ſolche Schilder führen, ſondern ganz einfache Waldesſtellen, die hervorgehoben find, um gewiſſe Linien und Richtungen an⸗ zugeben, nach denen man in den weiten Forſten ohne Weg oder anderes Merkmal gehen könnte. Die Namen ſind von denjeni⸗ gen Leuten erfunden worden, welche am meiſten ohne Weg und Bezeichnung im Walde zu gehen pflegen, nämlich von Jägern und Schleichhändlern. Wie aber ſinnliche Menſchen, das heißt ſolche, deren Kräfte vorzugsweiſe auf die Anſchauung gerichtet ſein müſſen, ſchnell die bezeichnenden Eigenſchaften der Dinge finden, ſind auch dieſe Namen meiſtens von ſehr augenfälligen Gegenſtänden der Stellen genommen.

So heißt es auch in einem großen Flecke, der auf der Seite des

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böhmiſchen Landes liegt, ‚zum beſchriebenen Tännling'. Einen Tännling nennt man aber in der Gegend eine junge Tanne, die jedoch nicht größer ſein darf, als daß ſie noch ein Mann zu umfaſſen imſtande iſt. Wenn nun ein Wanderer wirklich zu der Stelle geht, auf welcher es zum beſchriebenen Tännling' heißt, ſo ſieht er dort allerdings eine Tanne ſtehen, aber dieſelbe iſt kein Tännling mehr, ſondern ein rieſenhaft großer und ſehr al⸗ ter Baum, der gewaltige Aſte, eine rauhe, aufgeworfene Rinde und mächtige, in die Erde eingreifende Wurzeln hat. An ſeinem Fuße liegen mehrere regelmäßige Steine, die wohl zufällig dort liegen mögen, die aber wie zum Sitzen hingelegt ſcheinen. Den Namen ‚befchrieben’ mag die Tanne von den vielen Herzen, Kreuzen, Namen und andern Zeichen erhalten haben, die in ihrem Stamme eingegraben ſind. Natürlich iſt ſie einmal ein Tännling geweſen, die Steine, an denen ſie ſtand, mochten zum Sitzen eingeladen und es mochte einmal einer ſeinen Namen oder ſonſt etwas in die feine Rinde eingeſchnitten haben. Die verharſchenden Zeichen haben einen andern angereizt, etwas dazuzuſchneiden, und ſo iſt es fortgegangen, und ſo iſt der Name und die Sitte geblieben. Der beſchriebene Tännling ſteht mit⸗ ten in dem ſtillen Walde, und die andern Tannen ſtehen tau⸗ ſendfach und unzählig um ihn herum. Oft mögen ſie noch grö⸗ ßer und mächtiger ſein als er. Der Wald, dem ſie angehören, iſt ein Teil jener dunkelnden, großen und ſtarken Waldungen, die über den ganzen emporgehobenen Landitrich gebreitet find, der ſich zwiſchen Böhmen und Bapern dahinzieht.

In dieſen Waldungen iſt auch da, wo ſie ſich gegen das öſter⸗ reichiſche Land hinziehen, ein helles, lichtes Tal geöffnet, von dem wir an der zweiten Stelle unſerer Geſchichte nach dem be⸗ ſchriebenen Tännling reden müſſen, weil ſich in ihm ein großer Teil von dem, was wir erzählen wollen, zugetragen hat. Das Tal iſt ſanft und breit, es iſt von Oſten gegen Weſten in das Waldland hineingeſchnitten und iſt faſt ganz von Bäumen ent⸗ blößt, weil man, da man die Wälder ausrottete, viel von dem Überfluffe der Bäume zu leiden hatte und von dem Grundſatze ausging, je weniger Bäume überblieben, deſto beſſer ſei es. In der Mitte des Tales iſt der Marktflecken Oberplan, der ſeine

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Wieſen und Felder um fich hat, in nicht großer Ferne auf die Waſſer der Moldau ſieht und in größerer mehrere herumge⸗ ſtreute Dörfer hat. Das Tal iſt ſelber wieder nicht eben, ſon⸗ dern hat größere und kleinere Erhöhungen. Die bedeutendſte iſt der Kreuzberg, der ſich gleich hinter Oberplan erhebt, von dem Walde, mit dem er einſtens bedeckt war, entblößt iſt und ſeinen Namen von dem blutroten Kreuze hat, das auf ſeinem Gipfel ſteht. Von ihm aus überſieht man das ganze Tal. Wenn man neben dem roten Kreuze ſteht, ſo hat man unter ſich die grauen Dächer von Oberplan, dann deſſen Felder und Wieſen, dann die glänzende Schlange der Moldau und die obbeſagten Dörfer. Sonſt ſieht man von dem Kreuzberge aus nichts; denn ringsum ſchließen den Blick die umgebenden blaulichen, däm— mernden Bänder des Böhmiſchen Waldes. Nur da, wo das Band am dünnſten ift, ſieht man doch manchmal auch noch et— was anderes. Wenn an einem Morgen Regen bevorſteht und die Luft ſo klar iſt, daß man die Dinge in keinem färbenden Dufte, ſondern in ihrer einfachen Natürlichkeit ſieht, ſo erblickt man zuweilen im Südoſt über der ſchmalſten Waldlinie die Noriſchen Alpen, ſo weit und märchenhaft draußen ſchwebend wie mattblaue, ſtarr gewordene Wolken. Gewöhnlich überzieht ſich an ſolchen Tagen gegen Mittag hin der ganze über dem Waldlande ſtehende Himmel mit einer ſtahlgrauen Wolken— decke und läßt nur über den Alpen einen glänzenden Strich zum Zeichen, daß in dem niedriger gelegenen Ofterreid) noch heiterer Sonnenſchein herrſcht. Am andern Tage rieſelt dann der feine, dichte Regen nieder und verhüllt nicht nur die Alpen, ſondern auch die umgebenden blauen Bänder des Waldes.

Aber nicht bloß wegen ſeiner Ausſicht kömmt der Kreuzberg in Betracht, ſondern es ſind auch noch mehrere Dinge auf ihm, die ihn den Oberplanern bedeutſam und merkwürdig machen.

An einer Stelle ſtehen Felſen hervor, auf die man einerſeits eben von dem Raſen hinzugehen kann und die andererſeits tief und ſteil abfallen, faſt viereckige Säulen bilden und am Fuße viele kleine Steine haben. Es iſt einmal eine Bäuerin geweſen, die wegen ihrer außerordentlichen Schönheit berühmt war. Sie

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trug immer Die Mild, die fie den fernen Arbeitern auf einer Wiefe zur Labung brachte, über den Kreuzberg. Weil fie aber den Worten eines Geiſtes kein Gehör gab, wurde fie von ihm auf ewige Zeiten verflucht oder, wie ſich die Bewohner der Ge⸗ gend ausdrücken, verwunſchen, daß an ihrer Stelle die ſelt⸗ ſamen Felſen hervorſtehen, die noch jetzt den Namen Milch⸗ bäuerin' führen. Die Säulen der Milchbäuerin ſind durch feine. aber deutlich unterſcheidbare Spalten geſchieden. Einige ſind höher, andere niederer. Sie ſind alle von oben ſo glatt und eben abgeſchnitten, daß man auf den niederen ſitzen und ſich an die höhern anlehnen kann. In der ſonnigen Tiefe unter der Milchbäuerin ſind die Pflanzbeete der Oberplaner, das ſind auf⸗ gelockerte Erdſtellen, in denen ſie im erſten Frühlinge die Pflänz⸗ chen des Weißkohles ziehen, um ſie ſpäter auf die gehörigen Acker zu verpflanzen. Warum die Leute dieſe von ihren Wohnungen ſo entlegene Stelle wählen, iſt unbekannt, nur iſt es ſeit Jahr⸗ hunderten ſo geweſen; befindet ſich etwas Eigentümliches in der Erde, oder iſt es nur die warme Lage des Bodens, der ſich ge⸗ gen Mittag hinabzieht, oder iſt es die Abhärtung, welche die Pflänzchen auf dem ſteinigen Grunde erhalten: genug, die Leute ſagen, ſie gedeihen von keiner Stelle weg ſo gut auf den Fel⸗ dern, wie von dieſer, und Verſuche, die man unten in Gärten gemacht hat, fielen ſchlecht aus, und die Setzlinge verkamen nachher auf den Ackern.

Nahe an der Milchbäuerin ſtehen zwei Häuschen auf dem Ra⸗ ſen. Sie ſind rund, ſchneeweiß und haben zwei runde, ſpitzige Schindeldächer. Sie haben keine Fenſter und Simſe, ſondern nur eine kleine Tür. Wenn man bei dieſer Tür hineinſchaut, ſo ſieht man keinen Fußboden, ſondern unten, durch den Kreis der Ummauerung eingefangen, ein ruhiges, klares Waſſer, das den Sand und den Kies ſeines Grundes ſo deutlich herauf⸗ ſchimmern läßt wie durch feines geſchliffenes Glas. Auf jedem der zwei Waſſerſpiegel ſchwimmt ein kleiner hölzerner Kübel, der einen langen Stiel hat, welcher bei der Tür herausragt, daß man ihn faſſen und ſich Waſſer heraufſchöpfen kann. Zwiſchen den zwei Häuschen ſteht eine ſehr alte und ſehr große Linde. Ihr Stamm iſt ſo mächtig, daß eine kleine Wohnung darin

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Platz hätte, und ihre mannsdicken Aſte gehen weit über die zwei ſpitzigen Schindeldächer hinaus.

Wieder nicht weit von den Häuschen, ſo daß man etwa mit zwei Steinwürfen hinreichen könnte, ſteht ein Kirchlein. Es iſt das Gnadenkirchlein der ſchmerzhaften Mutter Gottes ‚zum guten Waſſer', weil ein Bildnis der heiligen Jungfrau mit den Schwer— tern des Schmerzes im Herzen auf dem Hochaltare ſteht. Zwi— ſchen Oberplan und dem Kirchlein iſt ein junger Weg mit jun— gen Bäumen an den Seiten, ſo wie von dem Kirchlein zum Brunnenhäuschen ein breiter Sandweg mit alten, fdyattigen Linden iſt.

Außer den drei Dingen, der Milchbäuerin, den Brunnenhäus— chen und dem Kirchlein, iſt noch ein viertes, das die Aufmerk— ſamkeit auf ſich zieht. Es iſt ein alter Weg, der ein wenig unter— halb des Kirchleins ein Stück durch den Raſen dahingeht und dann aufhört, ohne zu etwas zu führen. Er iſt von alten, ge— hauenen Steinen gebaut, und an ſeinen Seiten ſtehen alte Linden; aber die Steine find ſchon eingeſunken und an mane chen Stellen in Unordnung geraten; die Bäume jedoch, obwohl fie fon manchen dürren Aft zum Himmel ſtrecken, haben noch ſo viel Lebenskraft bewahrt, daß ſie alle Jahre im Herbſte eine ganze Wucht von gelben Blättern auf die verwitternden und verkommenden Steine zu ihren Füßen fallen laſſen.

Wenn man das Kreuz auf dem Gipfel ausnimmt, ſo iſt nun nichts mehr auf dem Berge, das Merkwürdigkeit anſprechen könnte. Die oben erwähnten Bäume ſind die einzigen, die der Berg hat, fo wie der Felſen der Milchbäuerin der einzige be⸗ deutende iſt. Von Oberplan bis zu dem Kirchlein iſt der Berg mit feinem dichten Raſen bedeckt, der wie geſchoren ausſieht und an manchen Stellen den Granit und den ſteinigen Grieß des Grundes hervorſchauen läßt. Von dem Kirchlein bis zu dem Gipfel und von da nach Oſt, Nord und Weſt hinunter ſtehen dichte, rauhe, knorrige, aber einzelne Wacholderſtauden, zwi⸗ ſchen denen wieder der obengenannte Raſen iſt, aber auch man⸗ ches größere und gewaltigere Stück des verwitternden Granit- ſteines hervorragt.

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Ernft Bertram / Hrabanus Aus der Michaelsberger Handſchrift

Begegnungen ſind es, die über das Schickſal von Welten ent⸗ ſcheiden. Und wir alle leben von Einer heiligen Begegnung des Unterwegs.

Die Seelen werden zu einander geführt und von einander ge⸗ riſſen mit der Gewalt von Sternenbahnen.

Ahnen wir auch nichts, ſo ſchauern wir doch einen Augenblick vor dem was kommt. Eines der Weſen in uns ſpürt das Erd⸗ beben voraus und ſagt es den andern.

Es wollte mir oft ſo vorkommen, als ſei jeder von uns eine ganze Schar von Weſen, von denen die einen jung, andre älter, einige uralt ſein müßten.

Vielleicht ift unfre Seele in Wahrheit ein Vogelzug von vie⸗ len Seelen, auf der getroſten Fahrt in einen Weltſüden, den ſie nicht kennen und zu dem hin es ſie allmächtig zieht.

Das Leben iſt ein brennendes Haus, aus dem wir Narren Tand retten ſtatt eines Reſtes Ewigkeit.

Wir ſelber ſind uns ein unbekannteſtes Land; wenn wir es bereiſen, fallen wir am eheſten unter die Räuber.

Was hilft es zu faften, wenn unſre Gedanken mehr Blut flie- ßen laſſen als der Schlächter?

Schreckliche Geiſter ſteigen vor der Morgendämmrung aus je⸗ dem Spiegel. Es iſt die Zeit, da die Spiegel tödlich ſind.

Der ſelige Vogel iſt grauſam gegen den unſeligen. So ſind ſelber die Vögel rechte Chriſten.

Ich füttre einen Raben, den meine Brüder haſſen. Auch die Frommen brauchen etwas, was ſie dem andern nicht gönnen.

Die Dämonen hocken gern auf dem Kreuz.

Wem wir das meiſte Unrecht getan, dem zürnen wir am meiſten.

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Es verkleidet ſich die Schuld am liebften in den roten Mantel der Rache.

Wenn der Türke naht, glaubt die große Stadt an Gott.

Im Hauſe, das ein König beſuchte, bleibt der König immer zu Gaſt.

Die Frauen ſind treue Dienerinnen des Mondes. Möchten die Männer ſo getreue Krieger der Sonne werden.

Wer ſchreiben ſoll, ſchreibt auch in den Sand. In den Sand, darein auch alle Propheten geſchrieben haben.

Da ich im Fieber lag, glaubte ich Wundervolles zu wiſſen. Nun Geneſender erwachte ich zur klaren Armut: es iſt nur Einer, der weiß, und er iſt barmherzig, wenn er ſein Wiſſen nicht mitteilt.

Ich habe mein Buch verbrannt. Was hilft es, ein Stern hat es geleſen.

Meine Schäler ſpeiſte ich mit meinem Irrtum. Meine Wahr- heit läßt mich hungrig.

Lehre das Kind, als liefe kein Wolf im Wald.

Aber ſtärk es ſo, daß es ſich wehren kann und wehren wird, wenn der Wolf kommt.

Strenge iſt die Ehre, die wir dem Knaben zu erweiſen haben.

Jeder Schulmeiſter ſagt Ein Mal ein Wort, das Ein Schüler nie vergißt.

Aber er weiß um das Wort nicht und weiß nicht um den Schüler.

Von mißverſtandenen treuen Worten ſpeiſt ſich treue Jugend. Laßt ja die Kinder viel lachen, ſonſt werden ſie böſe im Alter. Kinder, die viel lachen, kämpfen auf der Seite der Engel.

Im Trotz der Jünglinge gewahren wir den Schöpfer am Werke.

Bilder kannſt du ſo wenig widerlegen wie Muſiken. Gegen eine Orgelwahrheit gibt es keinen Widerſpruch, gegen ein Bild keine Berufung.

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Wenn wir recht zuhören, vergeſſen wir den Mann an der Orgel.

In jedem Liebesliede ſingt ein Kind.

Wir können nur den Meiſtern glauben, die lachen können. Das Lachen der Meiſter iſt ihr Sieg über die Erde.

Wenn du dich opferſt, ſo ſieh zu, daß du dich nicht dem andern opferſt, ſondern dem, was über euch beiden iſt. Wenn unſer Geiſt will, wachſen den Löwen Flügel.

Mein Bruder Alchimiſt ſagt, daß auch die Steine auf Erlöſung warten.

Als der Geiſt Gottes über den Urwaſſern ſchwebte über⸗ dachte er da, ob er die Welt ſchaffen dürfe?

Indem wir uns freuen, geben wir unſerm Schöpfer ein leich⸗ teres Herz zurück.

Eiferſucht auf Gottes Liebe ſchuf den erſten Mord. Welches wird der Grund des letzten Mordes ſein?

Da ſie für den reichen Mann unſern Herrn malen kamen, ver⸗ barg der ſein Antlitz. Damit ſchenkte er die Gnade, ihn zu träumen.

Die meiſten verehren einen Kriſt, der niemals lachte daher die Scheiterhaufen.

Etwas im Heiland ſehnte ſich an das Kreuz.

Die Kncchtsgeſtalt ziemt jeder göttlichen Wahrheit.

Auch ſolche Wahrheit trägt wohl einmal den Purpurmantel aber dann find es die Kriegsknechte, die ihn ihr anlegen. Die Mütter Gottes werden von Mönchen gemalt.

Was hülfe es den Sternen, ſehnten ſie ſich aus ihrer ſchwin⸗ genden Einſamkeit? Ihre Bahn iſt ihre Liebe.

Im fernen Himmel gibt es auch dunkle Sonnen, die mächtig ſind. So gibt es dunkle Seelen, die da gewaltig wirken. Aber ein mögliches Licht, für künftige Tage, birgt ſich in beiden.

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Die wandernden Erzengel lieben graues Gewand. Du hältſt den Engel nicht auf, der hinweg will.

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Rudolf Kaſſner / Wiener Theater

Ich habe das europäiſche Theater von 1892 an in allen Haupte ſtädten erlebt, war wiederholt auch Zeuge ſo im Stil und Geiſt vollkommener Aufführungen wie jener Molieres im Theätre frangais oder im Théatre des Variétés mit der ſublimen Lavals» lière, die ſicherlich durch ihre ſpätere Konverſion zu den ergrei— fendſten Frauengeſtalten der Jahrhunderte gehört; ich ſaß in Moskau im Parkett, da Tolſtois ‚Lebender Leichnam’ in Gegen— wart der Hinterbliebenen des Dichters als eine Art Totenfeier von der Truppe Stanislawſkys zum erſten Male aufgeführt wurde, darin ſelbſt das durch alle anderen Darſtellungen des Moskauer Künſtlertheaters feſtgelegte Niveau überſchritten wur— de und neben welcher mir die deutſchen Aufführungen mit ihrer vielgerühmten Darſtellung des Helden nur ſchwer erträglich er— ſchienen. Das größte Theatererlebnis aber waren mir jene bei— den Schauſpieler, die ich für die größten meiner Zeit, dreiſt ge- ſprochen, für die größten aller Zeiten halte: Friedrich Mitter⸗ wurzer und Eleonora Duſe.

Ich habe ſie in allen ihren Rollen geſehen und will jetzt von ihnen in einer Weiſe reden, welche dem gegenwärtigen Goſchlecht vielleicht übertrieben, auf alle Fälle befremdend erſcheinen muß, die ich aber trotzdem vor dem Geiſt der geſamten Kunſt, wenn ich mir einen ſolchen jetzt vorſtellen darf, zu verantworten im⸗ ſtande bin. Beide, der Deutſche und die Italienerin, konnten nur in einer Epoche zur Geltung kommen und ihre Kunſt auf den denkbar höchſten Gipfel bringen, da Perſönlichkeit und Schauſpieler ſich gegenfeitig auf die eben bedachte Art heraus- forderten. Bisher war der Schauſpieler von der Perſönlichkeit und umgekehrt dieſe von jenem durch die geſellſchaftliche Ord— nung, durch eine das ganze Menſchenweſen erfaſſende Ortho— doxie der Sitte getrennt, hier und jetzt aber ſchlugen beide zu⸗ ſammen, einander durchdringend, und zwar dank der einzigen

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Genialität der beiden Schaufpieler, dank aber auch dem neuen Sinn, welcher durch ſie ihrer Kunſt verliehen wurde. Dazu war es in der Tat gekommen, zu dem neuen Sinn, wobei Sinn nichts anderes iſt oder ſein kann als die vollkommene Auflö⸗ ſung jener zwei Antinomieen des Wirklichen und des Scheins. Solange oder ſoweit nämlich zwiſchen den beiden Reichen oder Sphären oder Antinomieen des Wirklichen und des Scheins noch fo etwas wie Ordnung, Kaſte, Sitte und Orthodoxie da⸗ zwiſchenlag, konnte es nicht zu einer ſo reinen Sinnbildung kommen. Etwas mußte erſt ins Wanken kommen, etwas ſich ſeinem Ende nähern. Und in den neunziger Jahren mit ihrer uns heute fagenhaft erſcheinenden Sekurität war etwas ins Wanken gekommen und war zugleich etwas in Bildung begrif⸗ fen, doch ſo, daß Erſchütterung und Neugeſtaltung einander noch ſtörten. Störten und trübten in der ganzen übrigen Kunſt, in der Dichtung, in der Malerei, in der Skulptur. Und daneben mußte und durfte mir die Kunſt dieſer beiden einzigen Mimen als etwas viel Reineres, Schlackenloſeres erſcheinen, als etwas Vollkommenes und darum Göttliches, weil wir das ſchlechthin Vollkommene aus unſerem Menſchentum heraus nicht ſich ſel⸗ ber überlaſſen dürfen und dem Göttlichen gleichſetzen müſſen, welches Göttliche dann allein in der endgültigen Einigung, in der Ureinheit von Sein und Sinn erblickt werden muß. Mitterwurzer pflegte zu ſagen, er ſei mit ſeiner ganzen Kunſt, die ungefähr alle großen Rollen des europäiſchen Theaters, die tragiſchen ebenſogut wie die komiſchen, umfaßte, nichts ande⸗ res und nicht mehr als ſolche Gaukler, Feuer- und Schwert⸗ ſchlucker, wie man ſie noch in den neunziger Jahren in den Straßen Londons abends bei Fackelbeleuchtung ihre Künſte produzieren ſehen konnte, und nichts daneben oder darüber: kein Bürger, kein Gentleman, Hofrat, Staatsrat und weiß Gott was ſonſt noch. Er wollte zum Urſinn der Schauſpielkunſt durchdringen, und dank ſeinem Genie gelang ihm mehr: zum Urſinn der dramatiſchen Kunſt durchzudringen, will ſagen: zu den Verwandlungen des Dämons.

Ich gedenke feines Franz Moor in den ‚Räubern’. In der letz⸗ ten Szene begann Mitterwurzer plötzlich zu tanzen, in roten

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Stöckelſchuhen zu tanzen, raſend ſchnell, fo daß er ausſah, als dränge rotes Feuer aus den Sohlen und mengte ſich mit dem Feuer, das aus dem Zimmerboden des brennenden Schloſſes und aus den Wänden und Mauern zu lecken anfing. Franz Moor war nicht mehr der von der Höllenangſt gejagte böſe Menſch, ſondern der Teufel, der Dämon ſelber, er war es ganz und gar, bis zu den Fußſohlen herab, daraus das Höllenfeuer ſpitzte, Franz Moor hatte aufgehört, als Perſon zu exiſtieren, und wir im Parkett oder auf der Galerie waren nicht mehr Zu— ſchauer, ſondern Mitglieder einer Kultgemeinſchaft, welche der Verwandlung eines Dämons, deſſen Gaukelei beiwohnt.

Die Verwandlung hätte nicht vor ſich gehen können, wenn ir— gendwie ein Beiläufiges, eine Spur davon, vorhanden geweſen oder übrig geblieben wäre. Das Beiläufige, auch das, was et— wa in der Idee von der Boheme liegt oder damit zuſammen— geht, hat gefehlt, fehlt im Leben und Werk des Genies. Man könnte das Geniale damit definieren: Fehlen alles Beiläufi- gen, aller Beiläufigkeit.

Damit im Zuſammenhang ſteht dann auf wunderbare Weiſe das Parador, die Ironie im Leben des genialen Menſchen, welches Paradox und welche Ironie innerhalb einer Welt von Beiläufigkeiten gar nicht aufkommen können. In feiner Todes- ſtunde iſt es Mitterwurzer wie durch einen Gnadenakt des Schickſals gelungen, den Sinn ſeines ganzen Lebens: die Ano⸗ nymität des Dämoniſchen, aufzufangen und preiszugeben. Er hatte drei Wohnungen: bei ſeiner Frau, bei ſeiner Geliebten und in einem Zimmer des Reſidenzhotels in der Nähe des Burgtheaters. Dort erkrankte er eines Tages und mußte das Bett hüten. Nachts ſpürt er Durſt und greift ſtatt des Waſ⸗ ſerglaſes die Medizinflaſche und trinkt ſie aus. Zwiſchen dem an Gift Sterbenden und dem herbeigeholten Hotelarzt findet das folgende kurze Geſpräch ſtatt: Wie heißen Sie? Mitter⸗ wurzer. Was ſind Sie? Schauſpieler. Wo? Am Burgtheater. Worauf der Tod erfolgte.

Indem Mitterwurzer zum Urſinn ſeiner Kunſt ſtrebt und ihn, nichts ahnend, trifft, ging er nicht von irgendeiner Idee aus, vom Pathos des Allgemein⸗Menſchlichen, ſondern direkt vom

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Männlichen, von der zeugenden Kraft desſelben, vom Ge⸗ ſchlecht. Woraus ſich dann ergeben mußte, daß er ſich in den anderen verwandle, und zwar reſtlos: verwandle als Eindrin⸗ gender, daß es für ſeine Kunſt keinen anderen Weg gab als dieſen: den männlichen der Verwandlung. Während die Duſe das andere in ſich, das Theater in ihr Leben, in ihre eigene ungeheure Lebendigkeit verwandelt. Mitterwurzer brachte das ganze Leben auf die Bühne; wohin er trat, war Bühne, Brett, Sprungbrett, der Teppich darauf, nur Gott war für ihn nicht auf der Bühne. Wenn er, wie das täglich vorkam, in einer der Kirchen Wiens auf den Altarſtufen kniete, ſo war das dann nicht mehr Bühne. Auch indem er feſt an ein Wiederſehen nach dem Tode glaubte, hatte er ſich der Bühne entzogen.

Die Duſe war nicht fromm, ſie ſpielte nicht, ſondern ſie lebte auf der Bühne, als ob dieſe der einzige Raum wäre, worauf ſie, in welchen Rollen immer, ihr wahres Leben leben könnte. Und wenn in ihr Frömmigkeit war, ſo konnte dieſe in gar nichts anderem zum Ausdruck kommen als im wahren Leben einer Rolle. Wo anders hätte ſie fromm ſein können? In ihrem Le⸗ ben fehlte dementſprechend ganz und gar das Parador, die Ironie. Oder war das ihr Paradox, daß ſie außerhalb ihres Raumes, fern vom Volk, in der fremdeſten Fremde, weit, weit weg in einer grauslichen, rauchigen Stadt Amerikas ſtarb? Oder daß ſie die Schauſpielerei haßte? Oder daß ſie einmal zu einer gemeinſamen Freundin ungefähr ſo redete: Theater iſt Unfinn. Alles im Leben ift coucher avec quelqu'un qui vous aime et que vous aimez.

Auch in ihrer Kunſt fehlte alles Beiläufige oder war durch ſie alles Beiläufige für alle Ewigkeit getilgt. Und ſo allein konnte es auch hier zur Verwandlung kommen, zum Mythos, zur Auf- hebung des Gegenſatzes.

Ich gedenke ihres Spiels in ‚L’altro pericolo', einem franzöſi⸗ ſchen Boulevardſtück. Darin gab es eine Szene, vor welcher das Publikum aufhörte, Publikum zu ſein, ſondern einen ein⸗ zigen Körper bildete, indem buchſtäblich jeder dem, der ihm zu⸗ nächſt ſaß, körperlich näher zu kommen ſuchte, indem er an ihn heranrückte: um des einen ringförmig rieſigen Körpers willen,

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zu welchem die eine übermäßige, riefige Empfindung die Men⸗ ſchen jetzt zu ſchmieden ſchien. Die Szene iſt an ſich ſehr banal: Die Tochter beginnt zu ahnen, daß ihr Bräutigam der Ge— liebte der Mutter geweſen ſei. Die erſchrockenen, forſchenden Blicke wollen ſich zur entſcheidenden Frage verdichten. Die Mutter, von der Duſe geſpielt, will die Frage zurückdrängen, erſticken und ſchreit, indem fie ſich mit ihrem Leib auf die Toch— ter ſtürzt, dieſe mit ſich ſelber und mit der Hand den Mund zu— deckend: No, no, no, no.

Das war alles, und das iſt der größte Schrei, der im Leben je an mein Ohr gedrungen iſt; es war die Flamme eines Schreis, was da ausbrach. Und ſo kam Flamme zu Flamme, Feuer zu Feuer, denn auch das, was aus der Tochter aufzüngelte, Frage, Zweifel, Haß, war Flamme, war wie ein Feuer, plötzlich ſich entzündend, das einer damit löſchen will, daß er ſich darauf mit feinem Körper legt... So kam Flamme zu Flamme, Seele zu Seele, der Gegenſatz war aufgehoben. Wie in den Mythen.

Ich hatte alſo damals in Mitte der neunziger Jahre nicht nur das Glück, im ſelben Jahr und in derſelben Stadt den Mitter— wurzer und die Duſe ſpielen zu ſehen, die ſich, um das noch zu ſagen, fo wundervoll in ihrer Art ergänzten, wie fic) in indi- ſchen Mpthen göttliche Weſenheiten oder Prinzipien vom Ge— ſchlechtlichen her ergänzen oder wie in den über ganz Indien verſtreuten Lingamfiguren das Männliche und Weibliche in- einandergefügt ſind, ſondern es war mir auch die Gelegenheit geboten, die zwei größten Schauſpielerinnen: die Wolter und die Duſe, die oft am ſelben Abend jede in ihrem Theater in Wien fpielten, und damit zugleich die zwei Stile der Schau— ſpielkunſt zu vergleichen: den idealiſtiſchen und den realiſtiſchen, welche gerade damals einander ablöſten.

In Wien wurde unter den Theaterkundigen der Geſellſchaft und der Kritik das Stilproblem damit aufgeworfen, daß die Frage ein wenig zu naiv ſo geſtellt wurde, wer größer ſei: die Wolter oder die Duſe. Daß die Antwort verſchieden, und zwar von ſeiten der Älteren zugunſten der Wolter, von ſeiten der Jüngeren zugunſten der Duſe, ausfallen mußte, iſt nur zu be⸗

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greiflich. Ich möchte nach fo vielen Jahren nun meine Antwort ſo geben, daß damit auch ein Prinzipielles jeglicher Kunſt her⸗ vorgekehrt wird.

Für das Spiel der Wolter war es weſentlich, daß es erſtens einem Geſamtkörper eingefügt war, darin ſie ſelber immer nur als erſte unter Gleichen, als Chorführerin im beſten Falle, gel⸗ ten konnte, und daß zweitens in jener Welt, die ſich in ihrem Theater ſpiegeln ſollte, Ordnung und Rang gegeben waren, und zwar genau dieſelbe Ordnung, welche in der Wolter ſelber die Schauſpielerin von der geſellſchaftlichen Perſönlichkeit: Bür⸗ gerin, Gattin, Geliebte, zu trennen berufen war. Die Wolter war die größte Tragödin in der Ara des Liberalismus, welcher als Übergang vom Idealismus zum Realismus gelten kann und muß. Die Idee und Einzigkeit ihrer Darſtellung lag nun darin, daß ſie die Welt des Maßes, von welcher ſie ausging, am Gipfel oder am Ende mit einem ihr allein eigenen Reali- ſtiſchen, mit dem berühmten Schrei, aufriß. Dieſer ihr Schrei war Todesſchrei, der Schrei der Duſe hingegen war nicht To⸗ des⸗, ſondern Lebensſchrei, der Schrei einer neuen Geburt, der Schrei der Geburt in eine neue ſeeliſch⸗geiſtige Welt. Ich kann die Welten der beiden Künſtlerinnen nicht beſſer charakteriſie⸗ ren als damit, und es bedeutete ſchon etwas, daß dieſe beiden Schreie an das Ohr und in die Seele eines ſehr jungen und völlig unverſierten Menſchen dringen konnten und von ihm vernommen wurden.

Verſteht man mich, wenn ich ſage, daß die Wolter weſentlich Tragödin, die Duſe einfach Schauſpielerin war? Schauſpiele⸗ rin, die das Leben an ſich riß. Die mit ihrer Kunſt das Leben auftrank, aufhob. So daß am Schluſſe gar nicht mehr zu ent⸗ ſcheiden war, wo Kunſt anfange, Leben aufhöre, Kunſt aufhöre und Leben anfange. Die Wolter mußte aus dieſem Grunde mit der Rolle, mit dem Wert des ganzen Stückes wachſen. Die Duſe hingegen war in den ſchlechteſten Stücken am beſten und verſagte nur einmal ganz: als Kleopatra in Shakeſpeares Tra- gödie. Shakeſpeare gibt unter allen Bedingungen eine Welt mit unverſtellbaren, unverrückbaren Maßen. Es iſt ganz töricht, ihn maßlos zu nennen. Er iſt es ebenſowenig, wie die Natur

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oder die Welt der Geſtirne maßlos find. Maßloſigkeit liegt nur dort vor, wo Kunſt und Leben ſich aneinander verbrauchen. Und Maß kann aus dieſer Maßloſigkeit nur durch eine neue Geburt, aus einer ſolchen gewonnen werden.

Es gab damals allerhand Stile innerhalb der Schauſpielkunſt: den Verismus der meiſten italieniſchen Virtuoſen wie Novelli oder Zacconi, den puren Naturalismus, der in Berlin gepflegt wurde, aber wie jeder Naturalismus an ſeiner Armut zu⸗ grunde ging, und dann eben den Realismus der Duſe, der über ſich hinausführte in einen neuen Mythos, und zwar in den der Seele ſelber. Hier erweiſt die Duſe ihre Verwandtſchaft mit den großen Ruſſen wie Gogol, Doſtojewſki und Tolſtoi. Von dieſem neuen Mpthos, von Mythos überhaupt, war im Spiel der Wolter nichts, denn darin wurden und blieben die Götter— und die Menſchenwelt durch das Pathos geſchieden. Und eben- ſowenig wie die Duſe je hätte die Verſe des Anfangsmonologs der Iphigenie ſprechen können, ſo daß der Zuhörende zum er— ſten Mal fühlt und begreift, was und warum Verſe ſeien, würde die Wolter die Sätze der Gioconda des d' Annunzio im Ich» ten Akt ſo haben ſagen können, daß Rhetorik zur Dichtkunſt er— hoben und die Metapher, das Bild als die gegebene Sprache der ſich ewig aus ſich ſelbſt erneuernden Seele erſchien.

Es iſt viel über die Bedeutung des Wiener Theaters für Wien ſelbſt und für das alte Öfterreich geſchrieben worden. Es kann nicht geleugnet werden, daß im allgemeinen eine gewiſſe Be- ziehung zwiſchen dem Talent und der Liebe zum Theater und dem Talent oder der Unbegabung zur Politik beſteht. Mög⸗ licherweiſe gehen Theater und Politik bei den Italienern und Franzoſen beſſer zuſammen als bei den nordiſchen Völkern. Das England des ſpätviktorianiſchen Zeitalters hatte außeror⸗ dentliche Politiker und dilettantenhafte Schauſpieler, darunter den unleidlichen Virtuoſen Henri Irving, gezeitigt, deſſen Shy⸗ lock von den vielen, die ich geſehen, der ſchlechteſte war. Nach dem Weltkrieg ſcheint ſich hier das Verhältnis zugunſten der Schauſpieler verſchoben zu haben. So wie das Wiener Theater in meiner Jugend nun einmal war, find davon der Katholizis⸗ mus, der Hof, die Geſellſchaft nicht wegzudenken und mußte es

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einer Generation mie jener nad) dem Weltkrieg fremd werden. In der herrlichen Fidelio-Aufführung zum hundertſten Todes⸗ tage Beethovens unter Franz Schalk mit Lotte Lehmann in der Titelrolle ſehe ich den letzten Verſuch, an die große Tra⸗ dition des Wiener Theaters anzuknüpfen.

Aus Rudolf Kaſſners ‚Bud der Erinnerung’

*

Emily Bronte / Der erfte Beſuch

1801. Ich bin gerade von einem Beſuch bei meinem Gutsherrn zurückgekehrt dieſem einſamen Nachbarn, der mir zu ſchaffen machen wird.

Was für eine ſchöne Gegend! Ich glaube nicht, daß ich in ganz England meinen Wohnſitz an einer anderen Stelle hätte auf⸗ ſchlagen können, die ſo vollkommen abſeits vom Getriebe der Welt liegt. Ein rechtes Paradies für Menſchenfeinde; und Mr. Heathcliff und ich find das richtige Paar, um dieſe Ein⸗ ſamkeit miteinander zu teilen. Ein famoſer Burſche! Er ahnte wohl kaum, wie mein Herz ihm entgegenſchlug, als ich ſah, wie ſeine ſchwarzen Augen ſich bei meinem Näherreiten ſo abwei⸗ ſend unter den Brauen verbargen und wie ſeine Hände ſich in entſchiedenem Mißtrauen tiefer in ſein Wams vergruben, wäh⸗ rend ich meinen Namen nannte.

„Mr. Heathcliff?“ fragte ich.

Ein Nicken war die Antwort.

„Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter. Ich erlaube mir, nach mei⸗ ner Ankunft ſo bald wie möglich vorzuſprechen, und hoffe, daß Ihnen die Beharrlichkeit, mit der ich mich um Thruſheroß Grange beworben habe, nicht läſtig geworden iſt. Ich hörte geſtern, Sie hätten die Abſicht gehabt..

»Thruſheroß Grange gehört mir“, unterbrach er mich auffah— rend. „Ich erlaube niemand, mich zu beläſtigen, wenn ich es verhindern kann. Kommen Sie herein!“

Das ‚Kommen Sie herein’ wurde zwiſchen den Zähnen her⸗ ausgeſtoßen und hieß ſoviel wie: Geh zum Teufel. Selbſt die Gattertür, über die er ſich lehnte, machte keine freundliche Be⸗ wegung zu ſeinen Worten. Ich glaube, nur ein Umſtand bewog

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mich, die Einladung anzunehmen: mich feffelte ein Mann, der in noch ſtärkerem Maße zurückhaltend iſt als ich.

Als er ſah, daß mein Pferd die Bruſt gegen das Gatter drängte, ſtreckte er die Hand aus, um die Kette zu löſen, und ging dann mürriſch den Dammweg voraus. Beim Betreten des Hofraumes rief er: „Joſeph, nimm Mr. Lockwood das Pferd ab und bring Wein herauf.“

‚Dies wird wohl das ganze Geſinde fein’, überlegte ich, als ich dieſen zuſammenfaſſenden Befehl vernahm. „Kein Wunder, daß Gras zwiſchen dem Pflaſter wächſt und die Hecken nur von den Rindern geſtutzt werden.’

Joſeph war ein ältlicher, nein, ein alter Mann: vielleicht ſogar ſehr alt, obwohl geſund und ſehnig.

„Gott behüte!“ ſagte er grämlich und mißvergnügt vor ſich hin, während er mir mein Pferd abnahm, und blickte mir dabei ſo verdrießlich ins Geſicht, daß ich den mitleidigen Schluß zog, er bedürfe wohl göttlicher Hilfe, um fein Mittageſſen zu ver- dauen, und ſein frommer Stoßſeufzer könne ſich nicht auf meine unerwartete Ankunft beziehen.

„Wuthering Heights', Sturmhöhe, heißt Mr. Heathcliffs Beſitz— tum. Wuthering iſt ein trefflicher mundartlicher Ausdruck, um den Aufruhr der Lüfte zu beſchreiben, dem dieſer Ort bei ſtür— miſchem Wetter ausgeſetzt iſt. Sie müſſen hier oben zu allen Zeiten kräftig durchgeblaſen werden. Man kann ſich die Gewalt des Sturmes, der um die Ecke bläſt, recht vorſtellen, wenn man die paar ſchiefgewehten dürftigen Kiefern am Ende des Hau— ſes betrachtet und eine Reihe dürrer Dornbüſche ſieht, die alle ihre Arme nach einer Seite ſtrecken, als wollten ſie die Sonne um ein Almoſen bitten. Zum Glück hatte der Baumeiſter ein feſtes Haus hingeſetzt: die ſchmalen Fenſter ſind tief in die Mauer eingelaſſen und die Ecken durch große, vorſtehende Steine geſichert.

Bevor ich über die Schwelle ſchritt, verhielt ich, um eine Menge grotesker Schnitzereien zu bewundern, die verſchwenderiſch an der Vorderſeite und beſonders am Hauptportal angebracht wa⸗ ren. Über dieſem entdeckte ich mitten in einem Wirrwarr von zerbröckelnden Greifen und nackten, kleinen Putten die Jah⸗

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reszahl 1500 und den Namen Hareton Earnſhaw. Ich hätte gern ein paar Bemerkungen gemacht und den mürriſchen Eigen⸗ tümer um eine kurze Geſchichte des Hauſes gebeten, aber ſeine Haltung an der Tür ſchien meinen ſchleunigen Eintritt oder mein endgültiges Verſchwinden zu fordern, und ich hatte keine Luſt, ſeine Ungeduld zu ſteigern, bevor ich das Allerheiligſte beſichtigt hatte.

Eine Stufe führte ohne irgendwelchen Vorraum oder Durch⸗ gang in den Wohnraum der Familie, hierzulande ‚das Haus’ genannt. Es iſt gewöhnlich Küche und Empfangszimmer in einem, doch glaube ich, daß in Wuthering Heights die Küche in einen anderen Teil des Hauſes verbannt worden iſt; jeden⸗ falls vernahm ich Geplapper von Stimmen und Geklapper von Küchengeräten weiter innen im Hauſe. Auch bemerkte ich weder Anzeichen von Braten, Kochen oder Backen in der Nähe der rieſigen Feuerſtätte noch den Schimmer von kupfernen Bratpfannen und Zinndurchſchlägen an der Wand. Von einem Ende allerdings wurde der ſtarke Glanz des Lichtes und der Glut zurückgeworfen, und zwar von Reihen rieſiger Zinnſchüſ⸗ ſeln, die ſich zuſammen mit ſilbernen Krügen und Kannen auf einer gewaltigen Eichenanrichte reihenweiſe faſt bis zum Dach auftürmten. Dieſes war nie unterzimmert worden; unverhüllt zeigte ſich ſein ganzes Gerippe dem forſchenden Blick, bis auf die Stelle, wo es von einem hölzernen Gerüſt verborgen wur⸗ de, das mit Haferkuchen und Bergen von Rinds-, Hammel⸗ und Schweinskeulen beladen war. Über dem Kamin hingen mehrere alte Räuberflinten und ein paar Reiterpiſtolen, und auf dem Sims ſtanden - wohl als Schmuck - drei in grellen Farben bemalte Blechbüchſen. Der Fußboden war aus glattem weißem Stein; die hochlehnigen Stühle - ſchlicht in der Form waren grün geſtrichen; ein oder zwei ſchwere ſchwarze Lehnſtühle ſtanden im Schatten. Unter der Anrichte lag eine rieſige fahl⸗ braune Hühnerhündin, umgeben von einem Gewimmel quieken⸗ der Welpen, und in anderen Winkeln lagen noch mehr Hunde. Das Zimmer und die Einrichtung hätten zu einem ſchlichten Landwirt des Nordens gepaßt, zu einem Mann mit ſturem Geſichtsausdruck, deſſen kräftige Glieder ſich in Kniehoſen und

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Gamafden gut ausnehmen. Männer diefer Art, im Lehnſtuhl figend, den ſchäumenden Bierkrug vor fid) auf dem runden Tiſch, kann man im Umkreis von fünf oder ſechs Meilen über⸗ all in dieſen Bergen antreffen, wenn man ſie zur richtigen Zeit nach dem Mittagbrot aufſucht. Aber Mr. Heathcliff bildet einen merkwürdigen Gegenſatz zu feiner Behauſung und feinem Le— bensſtil. Seinem Ausſehen nach iſt er ein dunkelhäutiger Zi— geuner, der Kleidung und dem Gehaben nach ein vornehmer Mann, das heißt in der Art vornehm, wie viele Landjunker es find: vielleicht etwas ſchlampig, doch trotz der Vernachläſſi— gung nicht übel ausſehend, weil er ebenmäßig und gut gewach— ſen iſt und etwas mürriſch. Es iſt möglich, daß er bei man— chen Menſchen im Verdacht eines ungebildeten Hochmuts ſteht; ich fühle in mir eine verwandte Saite angerührt, die mir ſagt, daß dem nicht fo iſt. Mein Gefühl fagt mir: feine Zurückhal— tung entſpringt einer Abneigung gegen Gefühlsäußerungen und Freundlichkeitsbekundungen. Er wird gleicherweiſe im Ver— borgenen lieben und haſſen und wird es als eine Art von Un⸗ verſchämtheit erachten, wiedergeliebt oder ⸗gehaßt zu werden. Aber halt: ich laſſe zu ſehr die Zügel ſchießen: ich ſtatte ihn zu verſchwenderiſch mit meinen eigenen Charakterzügen aus. Viel⸗ leicht hat Mr. Heathcliff ganz andere Gründe dafür, feine Hand zu verſtecken, wenn er einen trifft, der ſeine Bekannt⸗ ſchaft ſucht, als die, die mich bewegen. Ich will hoffen, daß ich mit meiner Veranlagung einzeln daſtehe: Meine liebe Mutter pflegte zu ſagen, ich würde niemals ein gemütliches Heim ha⸗ ben, und erſt im letzten Sommer habe ich mich als e erwieſen, eines zu gründen.

Während ich einen Monat ſchönen Wetters an der See ver⸗ lebte, geriet ich in die Geſellſchaft eines bezaubernden Ge- ſchöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen, ſolange ſie mir keine Aufmerkſamkeit ſchenkte. Ich gab meiner Liebe nie mit Worten Ausdruck; doch wenn Blicke ſprechen können, hätte auch der ärgſte Dummkopf erraten, daß ich bis über beide Ohren verliebt war. Sie verſtand mich ſchließlich und erwi⸗ derte meine Augenſprache mit dem ſüßeſten Blick, den man ſich vorſtellen kann. Und was tat ich? Ich geſtehe es voller

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Scham ich zog mich, zu Eis erſtarrt, in mich ſelbſt zurück wie eine Schnecke, zog mich bei jedem Blick abgekühlter und weiter zurück, bis die arme Unſchuld ſchließlich anfing, ihren eigenen Sinnen zu mißtrauen und niedergeſchlagen und verwirrt - ihre Mutter überredete, die Zelte abzubrechen. Durch dieſe merk⸗ würdige Veranlagung bin ich in den Ruf vorſätzlicher Herzens kälte gekommen - wie unverdient, kann nur ich allein ermeſſen. Mein Wirt ging auf den Herdſitz zu ich nahm am entgegen⸗ geſetzten Ende Platz und füllte eine Pauſe des Schweigens mit dem Verſuch, die Hündin zu ſtreicheln, die ihre Kinderſtube verlaſſen hatte, wie ein Wolf von hinten an meine Beine heran⸗ geſchlichen war und ihre weißen Zähne zum Zuſchnappen bleckte. Mein Streicheln veranlaßte ein langgezogenes, tiefes Knurren. Auch Mr. Heathcliff knurrte. „Sie ſollten den Hund lieber in Ruhe laffen!” Er unterdrückte gröbere Gefühlsäußerungen durch ein Aufſtampfen mit dem Fuß. „Sie iſt nicht gewöhnt, geſtreichelt zu werden - fie iſt kein Spielhund.“ Dann, zu einer Seitentür tretend, rief er wieder: „Joſeph!“

Joſeph brummelte undeutlich in der Tiefe des Kellers, gab aber nicht zu verſtehen, daß er heraufkommen wollte, darum ſtieg ſein Herr zu ihm hinab und ließ mich allein mit der wil⸗ den Hündin und einem Paar grimmig zottiger Schäferhunde, die ſich mit ihr in die argwöhniſche Bewachung jeder meiner Bewegungen teilten. Da ich nicht darauf brannte, mit ihren Fängen in Berührung zu kommen, ſaß ich ſtill; aber weil ich mir einbildete, ſie würden ſtumme Beleidigungen kaum ver⸗ ſtehen, erlaubte ich mir unglücklicherweiſe, mit den Augen zu zwinkern und dem Trio Geſichter zu ſchneiden, und eine Gri⸗ maſſe brachte die Hundedame ſo auf, daß ſie plötzlich in Wut geriet und auf meine Kniee ſprang. Ich ſchleuderte ſie zurück und beeilte mich, den Tiſch zwiſchen uns zu bringen. Dieſer Vorgang brachte die ganze Meute auf die Beine. Ein halbes Dutzend vierfüßiger Furien, verſchieden in Alter und Größe, kam aus verborgenen Winkeln hervor bis in die Mitte des Raumes. Auf meine Stiefelabſätze und Rockſchöße hatten ſie es beſonders abgeſehen, und während ich die größeren An⸗ greifer, ſo gut es ging, mit dem Schüreiſen abwehrte, ſah ich

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Willi Harwerth: Hans im Glück

Er - wohl von der Erwägung ausgehend, daß es unklug wäre, einen guten Pächter zu beleidigen mäßigte ein wenig feine Art, die Wörter einzeln abgehackt hervorzuſtoßen, und leitete zu einem Gegenſtande über, von dem er annahm, daß er mich intereffierte einem Geſpräch über die Vorteile und Nach⸗ teile meines neuen Wohnortes. Ich fand ihn ſehr bewandert in den Dingen, die wir berührten, und bevor ich nach Hauſe ging, war ich ſo weit ermutigt, daß ich mich aus freien Stük⸗ ken für morgen wieder anſagte. Er wünſchte augenſcheinlich keine Wiederholung des Beſuchs; doch werde ich trotzdem hin⸗ gehen. Es iſt erſtaunlich, wie geſellig ich mir, mit ihm ver⸗

glichen, vorkomme. Aus dem Roman ‚Die Sturmhöhe',

übertragen von Grete Rambach *

Friedrich Schnack / Die Pfingſtroſe Ein Blumenſtück

Drei hochgeborene Blumenſchweſtern aus der begabten Familie der Hahnenfußgewächſe, der Ranunkeln, feiern im Jahreslauf hohe Feſte. Die Schönen heißen mit Namen Chriſtroſe oder Helleborus, Oſterblume oder Pulſatilla, Pfingſtroſe oder Päonie. Die eine begrüßt mit ihrem ſchneeweißen Blütenauge die Ge⸗ burt des Lichtes zur Weihnacht; ihre zartere Schweſter, die Pulſatilla, ſteigt aus dem Grabe, wenn das Leben zu Oſtern auferſteht; die dritte feiert die Ausgießung des Feuers und Weltgeiſtes zu Pfingſten. Weihnachtlich leuchtet die weiße Blu⸗ menfarbe, öſterlich die violette, pfingſtlich die rote. In mächtiger Stufung und Sendung brauſt das Licht und verwandelt im Gloriengang die Erde und ihre Geſchöpfe.

Die drei vornehmen Blumenſchweſtern ſind Höhenpflanzen. Hügel und Berge haben ſie geboren. Von Natur kalkhold, be⸗ ſiedeln ſie in der Wildnis Hänge, Kalke und Karſte, der Sonne nahe, von freien Lüften umflogen, die ihnen die Blütenſchöpfe und die gefingerten und gefiederten Blätter zauſen.

Sie kommen von oben und ſteigen in die Tiefe, der Hand des

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Gärtners fügſam, der fie in die Gärten hineinführt. Im Freien ſind ſie nicht gar häufig. Ein Hauch des Verſchwiegenen, der Einſamkeit und hohen Herkunft hängt ihnen an. Am meiſten iſt in unſerer Heimat noch die Pulſatilla, die märchenhafte Küchenſchelle, verbreitet. Ihr Blütenbecher gleicht beinahe einer Tulpenblüte. Ein ſilbriger Flaum überſamtet den koſtbaren Stoff der Küchenſchelle. Auf einigen Bergen in den Bayriſchen Alpen lebt die Chriſtroſe. Die Pfingſtroſe aber, ihre rote Schwe⸗ ſter, kommt bei uns zulande nicht wild vor: ſie wohnt auf den Bergen in Tirol, in Krain, im Karſt der Balkanländer. In der Verlaſſenheit und Ode der grauen Felſenlandſchaften er— glüht ihr feierliches Blumenherz. Es iſt ein Herz aus der Fremde. Aſiatiſche Glut brennt darin. Aus dem Fernen Oſten iſt dieſe alte Blume weſtwärts gezogen.

Die Pflanzen und Blumen wandern in der Welt. Wie alles, was da iſt, haben ſie ihre Schickſale. Von der Unruhe der Naturgewalten und der Unraſt des Menſchen ihrem Urſprung entführt, gewinnen ſie neue Orte und neue Liebe. Welches weſtliche Auge mag in grauer Vergangenheit am früheſten die Pfingſtroſe in ihrer Heimat erſchaut haben? Jenes Geſicht, das ſich ſtaunend über die Glühende ſenkte - ſicherlich war es von ihr geblendet wie vom Feuer eines üppigen Edelſteines. Trunken ruhte die Blume in ihrer eigenen Glut. Behutſam öff- nete die Hand, ein Geheimnis zu enthüllen, die zu einer Ku⸗ gel gewölbten Blumenblätter. Ergriffen ſpähte der Blick in ein herzrotes Inneres, wo die goldenen Staubgefäße erſchimmer⸗ ten, Kleinode im Kleinod. War es ein heidniſcher Prieſter? Dann weihte er gewiß die Blume ſeiner Lieblingsgöttin. Ein unbekannter Forſcher des Altertums, den ihre Schönheit er- zittern ließ? Ein berückter Soldat auf Kriegswegen, der ſich vornahm, die Blume, ſo er nicht unter ihr verbleichen mußte, als koſtbarſte Siegesbeute ſeiner mazedoniſchen Geliebten heim⸗ zubringen?

Schon in Sagenzeiten leuchtet ihr heiliges Rot. Vom ewigen Atem der Himmliſchen iſt die Pflanze umweht. Päon, der Hausarzt der Götter Griechenlands, dem zur Feier ſie den Na⸗ men Päonie erhielt, pflückte fie auf den Bergen Kleinaſiens

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weil felbft die Götter verderben, wenn nicht die Erde ihnen Kräfte leiht: er brachte ſie, deren Heilſamkeit er dank göttlichem Urwiſſen erkannte, in das unterweltliche Krankenzimmer Plu- tos, ſeines Patienten Wunden, die ihm von Herakles zugefügt waren, damit zu ſchließen. Später haben die antiken Arzte und Naturforſcher die mächtige Pflanze in ihren Schriften ge⸗ prieſen.

Wir wundern uns nicht darüber, auch wir ſind Schauende. Götter ſind luftig entrückt, Arzte in den Staub geſunken, die Blume blieb und brennt in unſern Land⸗ und Stadtgärten als Lichtgeſicht und irdiſches Pfingſtwunder. Wir haben ihre Früh⸗ lingsgeburt mit erlebt.

Eines Morgens, nach einem Tag ſachten Regens, durchbrach ein wunderliches Weſen die Erde. Rüttelte ſich ein käferbraunes Tier aus dem Schlaf? Es war ein kleiner runzeliger Kopf, in⸗ dianiſch rotbraun, dem rundum mehrere der gleichen Art nach⸗ drängten. Ungeſtüm erhoben ſie ſich und ſchauten neugierig über die Erdkrumen hinweg in den fröſtelnden Frühlingstag. Von Licht genährt, von der Erde geſpeiſt und der Feuchte getränkt, reckten ſich die Köpfe auf dünnen emporſprießenden Hälſen, deren Pflanzenhaut von Bluthaſelfarbe getönt und gebräunt war. Bald aber ließ ſich erkennen, daß es keine Köpfe waren, was die Erde durchſtoßen hatte, ſondern geballte Pflanzen⸗ fäuſte, von dünnen Stielen armgerade emporgehoben. Nach wenigen Tagen lockerte ſich die drohende Gebärde, die Fäuſte öffneten ſich und griffen fingernd nach dem fließenden Stoff der oberen Welt, in ſeine luftige, lichthaltige, ätheriſche Schicht. Die rötlichbraune Erdfarbe verlor ſich, grüne Blatthände ſpreiz⸗ ten ſich, und zwiſchen dem ausgefranſten Laub begannen auf fingerlangen Stielen grüne Murmeln zu ſchwellen kugelige Knoſpen.

Die gelbe Forſpthia hatte abgeblüht, der Flieder erſchimmerte ſehnſüchtig: auch für die Pfingſtroſe war die Zeit gekommen. Ihre Kugeln, von der Blühkraft geſprengt, platzten. Das himm⸗ liſche Feuer hatte ſeinen Funken in ſie geſenkt. Zwiſchen den grünen, dicht angepreßten Hüllblättern, die den Feuerkern der Knoſpenkugel umſchloſſen, prunkte plötzlich das überraſchende,

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ungebärdige Rot. Ein Blumenherz zerriß und blutete vor Freude.

Nun konnte ſich die Blüte nicht länger faſſen vor eigener Fülle und ſtrahlendem Gefühl. Sie pulſte und wogte aus ihrem glut— reichen Innern. Das feurige Werk, für das ſie ſich einſt im Dunkel der Erde gemüht und dann im Hellen vorbereitet hatte, war getan: die höchſte Lebensſtunde war angebrochen. Sie beging ſie mit Pracht und großem Ausdruck. Könnte ſie ſprechen und gäbe es Pflanzenworte: fie ſpräche ein geſättigtes dunkelrotes Wort von langem, getragenem Klang. So weit, ſo tief ihr Strahl in das Dickicht des Gartens hineinleuchtet, ſo weithin dränge ihr Wunderwort. Vielleicht ſpräche ſie ihren eigenen lateiniſchen Namen aus: Pä⸗o⸗nie ... oder das bäue⸗ . N bapriſch⸗öſterreichiſchen Namen: Große Prang.

Und wie a da prangte an ihrem runden, faftigen und wohl— habenden Buſch, waren mit ihr noch eine ganze Schar von Roſen aufgeblüht, ſatte, dichtgefüllte, ſchwellende Pfingſtroſen. Wir hatten ſie gezählt, insgeſamt waren es zwanzig Päonien, eine Pflanzenſchar von neunzehn großen Blumen, die wie präch— tige Gefährtinnen und Dienerinnen die zwanzigſte, die größte, umgaben, ihren Glanz zu mehren, ihre Schönheit durch neun— zehnfaches Feuer zu fteigern...

Die Blume iſt der vornehmſte Wohnſitz des irdiſchen Geiſtes: ihre Geſtalt iſt vollkommen. In die Päonie iſt er, gekleidet in reichen Blatt⸗ und Blütenſtoff, vor allem prächtig und feſtlich eingezogen. Doch blieb er nicht allein. Zu ihm ſenkte ſich der Pfingſtgeiſt herab, der Flammenfürſt des Athers. Durch das Geäder der Pflanze ſich ergießend, hauſt er in ihrem Herzen, ihrer heiligen Stätte. Die Pfingſtroſe iſt ſeine auserwählte Verkündigerin. Und wenn einſt in nahenden Tagen die Blüte ihre Blumenblätter zu Boden ſinken läßt, im Verglühen zer- fallend, werden die roten Blätter wie feurige Zungen und Flämmchen ſeine Gegenwart und Herrlichkeit noch im Erlöſchen

bezeugen. Aus einem künftigen Gartenbuch des Dichters

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Achim von Akerman / Zwei Gedichte Lied der Liebenden

Das Kornfeld, in dem wir ein Neſt baun, Iſt mir und dir ein Haus;

Wir wollen es nicht zu feſt baun,

Denn ſchon im nächſten Frühgraun

Treibt uns der Bauer heraus.

Wir werden von nun an zu zweit ſein Und ſind in der Nacht ganz allein. Die Halme werden mein Kleid ſein, Und du wirſt für mich bereit ſein Wir ſchlafen zuſammen ein.

Der Himmel, ſo warm und ſo fernklar, Die Ahren wachſen darein;

Nun ſind wir Erde und Sternſchar Und wogende Felder was fern war, Sinkt über uns herein.

Der Wildling

Iſt er nicht vom Stamm der Pferde? Wie er ſich im Laufe wiegt,

Seinen Fuß umſtäubt die Erde

Und ſein Haar im Winde fliegt,

Und die Bräune ſeines Leibes, Seiner Flanken Muskelſpiel!

Nein, er iſt nicht Sohn des Weibes. Stute, die dem Pan gefiel,

Warf ihn in der Maienfrühe, Und nun trabt er durch die Welt; Mancher jagte ihn mit Mühe, Immer iſt er ihm entſchnellt;

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Hengſtkraft feine Luft erhöhte - Einmal nur ftand er gezähmt: Eines Haines Binſenflöte Hat den ſchnellen Fuß gelähmt. Aus dem Buch ‚Die Stunde vor Tag’ *

K. H. Waggerl / Der Engel

Ich war zehn Jahre alt, als mir der Engel Johanna erſchien. Einen Sommer lang umſchwebte er mich, ein fremdartiges Weſen in meiner ärmlichen Kinderwelt, unirdiſch zart und im— mer in eine Wolke von Duft gehüllt. Nie wieder im Leben iſt mir ein Geſchöpf begegnet, das ſo balſamiſch duftete. Später freilich ſtürzte auch dieſer Engel aus dem Himmel meiner Kna— benträume, aber als er mir entſchwand, hatte er doch wieder allen Glanz ſeiner geheimnisvollen Erſcheinung um ſich. Ein ein— ziges Mal küßte er mich auf die fieberfeuchte Wange, und dann entſchwand er mir, ſo war es. Und ich weiß noch heute vor allen anderen Sterblichen, wie ein Engel küßt und lächelt und duftet. Der Engel Johanna erſchien mir mitten in der Schlacht. Ich lag in der ſtaubdurchwölkten Schulſtube rücklings über der Bank, mein Todfeind kniete auf meiner Bruſt, und ich hatte eigentlich nicht mehr viel von dieſem Leben zu erwarten. Die Luft wurde mir knapp, ein letztes Mal drehte ich die Augen über mich, und da ſah ich plötzlich den Engel, weiß gewandet und gleichſam ſchwebend hinter mir, und ſeine Augen blickten voll milder Trauer auf mich herab. Der Atem verſagte mir vollends, denn ich dachte, ich ſei vielleicht unverſehens geſtor⸗ ben und da ſtünde ſchon mein Schutzengel, der, ſoviel ich wußte verpflichtet war, mich nach meinem Hinſcheiden ins Jen⸗ ſeits zu begleiten.

Aber auch mein Widerſacher hatte die gleiche Erſcheinung, wir entwirrten eilig den Knäuel unſerer Gliedmaßen, und erſt, als wir endlich keuchend in den Bänken hockten, wandte ſich der Engel ſchweigend von uns ab. Wir ſahen mit Staunen, wie er auf das Podium ſtieg und ſich hinter dem kanzelartigen Ge⸗

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ftell auf den Stuhl ſetzte, auf eben den Stuhl, von dem ein paar Tage zuvor der Schnapsteufel unſeren alten Lehrer weg⸗ geholt hatte.

Der war ein ſeltſam zornmütiger Mann geweſen. Jeden Mor⸗ gen, ehe er ſein wunderliches Tagwerk begann, ordnete er auf dem Tiſch vor ſich eine Reihe von Gegenſtänden, ſeinen leder⸗ nen Tabaksbeutel, das Feuerzeug, die kurze Pfeife und etliche andere Dinge, die nach der Jahreszeit wechſelten, Fichtenzapfen im Sommer, Pflaumenkerne im Winter. Das waren Wurfge⸗ ſchoſſe, im Lauf des Tages ſchleuderte er ſie mit der Geſchick⸗ lichkeit eines Kunſtſchützen nach unſeren Köpfen, wenn er uns aufrufen oder ermahnen wollte. Oft genug reichte ſein Vorrat nicht aus, er mußte hinterherſchicken, was irgend in der Nähe greifbar war, Kreide und Schwamm, bis er zuletzt hilflos und aller Lehrmittel entblößt den Kopf in die Arme legte und ein⸗ ſchlief. Denn niemals verließ er ſeinen Thron, er war zuwenig ſicher auf den Beinen.

Der Engel aber hielt es anders, der ſchoß nicht mit Pflaumen⸗ kernen, ſondern mit ſanften Blicken. Ich heiße Johanna, ſagte er nach einer Weile bänglicher Stille, es war über uns weg⸗ geſagt wie eine Verkündigung, wie aus der Wolke geſprochen. Hernach begann der Engel uns der Reihe nach aufzurufen. Dabei blätterte er in einem kleinen Buch und ſchrieb unſere Namen hinein, mit bedeutſamem Schweigen, als hielte er ein geheimnisvolles Gericht ab und ſchiede auf das bloße An⸗ ſehen hin die Sünder von den Frommen. Ich ſah bekümmert, daß mein Name ganz hinten zu ſtehen kam, und alſo war ich wohl von Anfang an verworfen und verdammt. Nebenbei ge⸗ ſagt, in jener Zeit hatte ich ohnehin alle Hoffnung auf mein Seelenheil begraben. Ich war vorher ſehr fromm geweſen, aber je nachdrücklicher uns der eifernde Kaplan die Laſter der Welt vor Augen führte, deſto deutlicher erkannte ich, daß mir von allen ſieben Todſünden nicht eine fremd war, auch keine von den himmelſchreienden, die nur der Papſt ſelber noch zur Not und mit aller Gewalt zu tilgen vermag. So gab ich es denn ſchließlich ganz auf, um den Himmel zu ringen, und beſchloß, mir wenigſtens die Hölle redlich zu verdienen.

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Es währte auch gar nicht lang, bis ich mit dem Engel Johanna in Händel geriet. Damals hatte ich ein hübſches Spiel erfunden, das man beliebig oft wiederholen konnte. Ich ſteckte den Feder⸗ ſtiel ſo unter das Pult, daß er ein heftig ſchnarrendes Geräuſch erzeugte, wenn man ihn auf gewiſſe Weiſe anſtieß. Unſer al» ter Lehrer fuhr dann auf und fragte verſtört: Was iſt das? Ich erhob mich, zeigte zum Fenſter hinaus und antwortete ernſt: Das iſt ein Specht!

Richtig, ſagte der Lehrer jedesmal erſtaunt und zugleich be— friedigt. Aber der Engel Johanna wußte offenbar in der Welt des Geflügelten beſſer Beſcheid, denn als ich aufſtand, um auch ihm meinen wunderbaren Vogel zu zeigen, ſchwebte er zürnend herab und gab mir eine ſo irdiſche Ohrfeige, daß ich ſogleich wieder zu ſitzen kam. Was aber dann geſchah, werde ich zeit— lebens nicht vergeſſen. Der Engel ging mit weggeſtreckter Hand zum Waſchbecken, goß Waſſer ein und wuſch ſich, und dieſer un- gewöhnliche Vorgang erſchütterte mich ſo, daß ich hemmungs— los zu weinen anfing. Der Engel meinte natürlich, ich hätte irgendeinen Leibſchaden davongetragen, aber das war es nicht, eine Maulſchelle machte mir gar nichts aus. Ich verſtehe ſelber nur dunkel, was mir eigentlich ſo zu Herzen ging, am meiſten vielleicht doch die bittere Erfahrung, daß ein feiner Menſch ſich waſchen muß, wenn er meinesgleichen anrührt.

Von dieſer Zeit an ſpürte ich einen ſonderbaren Drang, mich bemerkbar zu machen. Ich meldete mich auf jede Frage, aber gewöhnlich wußte ich gar nichts zu antworten, wenn ich auf— gerufen wurde, und dann ließ ich mich in ſeliger Verwirrung einen Dummkopf ſchelten. Eine Weile ſpäter heckte ich doch wieder etwas Neues aus, um das Zauberweſen an mich zu locken. Der Engel Johanna hatte die Gewohnheit, bei einem und dem andern ſtehen zu bleiben, wenn er unſere Arbeit in den Heften überwachen wollte, und weil er ein wenig kurz— ſichtig war, wie es die meiſten Engel zu ſein ſcheinen, die hier auf Erden zu tun haben, beugte er ſich dabei tief über den Schreiber. So malte ich denn Großes und Kleines, Geſchnör⸗ keltes und Gekleckſtes in mein Heft. Es währte nie lang, bis der Engel heranſchwebte, und während er mein Machwerk be-

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trachtete, ſchmiegte ich mich ſchauernd und glückſelig in feine Umarmung. Ungewollt verhalf mir dabei der Engel Johanna zu Einſichten, die mich vollends verwirrten. Bis dahin hatte ich geglaubt, gewiſſe Eigenheiten an der äußeren Erſcheinung der Frauen ſeien nur ihrer Kleidung zuzuſchreiben, und nun entdeckte ich, daß da leibhaftig unter Spitzen verborgen lag, was meine ſittenſtrenge Mutter mir immer als Einbildung zuchtloſer Malersleute erklärt hatte, ſooft mir etwas dergleichen an Bildern aufgefallen war. Ich weiß nicht, ob ich heute die Augen ſchlöſſe, wenn ſich wieder ein Engel über mich beugte, um nachzuſehen, ob mir das Schreiben immer noch nicht beſſer von der Hand geht. Heute trauen mir die Engel ſehr zu Un⸗ recht weniger als damals.

Ich hütete mein Geheimnis und genoß es mit beklommenem Herzen, und dabei verlor ich mich mehr und mehr in der Ver⸗ worrenheit meiner Gefühle, ich fing an, dem Engel Johanna auch in der freien Zeit nachzuſtellen. Stundenlang ſchlich ich auf den Promenaden hinter ihm her, oder ich lauerte irgendwo und grüßte vernehmlich, ohne doch jemals mehr als ein flüch⸗ tiges Erſtaunen zu ernten, wenn ich den Weg flink unterlief und eine Strecke weiter von neuem auftauchte.

An ſchönen Abenden ſpielte die Muſik für die Badegäſte auf dem Platz. Da ſaß dann auch der Engel Johanna vorn in der erſten Reihe, hübſch angetan, feiner als die feinſten Leute, mit Spitzenhandſchuhen, die nur bis zur halben Hand reichten und die Finger frei ließen. Wenn ein Stück zu Ende war, klatſchte der Engel, nicht grob und laut wie die andern, ſondern unhör⸗ bar mit einer zierlichen, gleichſam bittenden Gebärde. Der Ka⸗ pellmeiſter verneigte ſich dann eigens vor ihr, er warf ſeine ſchwarze Locke zurück und legte den Taktſtock weg, als ſei er nun erſt ganz zufrieden.

Ich mochte den Kapellmeiſter nicht leiden, denn er war unſer Zimmerherr. Seinetwegen ſtopfte die Mutter den Sommer über die ganze Familie in die Küche, damit er in unſerer Schlafſtube wohnen konnte. Aber ſie ſagte ſelber, daß er ein leichter Vogel ſei, ein Windmacher, wenn nicht etwas noch Schlimmeres. Ich haßte ihn vor allem, weil er den Mann mit

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der Baßgeige fo ſchlecht behandelte. Neben dem hatte ich näm- lich meinen Platz, nicht, weil mir das, was er ſpielte, beſonders gut gefiel, ſondern weil dieſer Mann ſo erbarmungswürdig viel zu tun hatte. Das Herz tat mir weh, wenn ich ihn ſo ver— zweifelt arbeiten ſah, auf und ab an ſeinem Geigenungetüm, der helle Schweiß glänzte ihm auf der Stirn. Und er war doch ſo willig, nur ſelten gönnte er ſich ein paar Augenblicke Ruhe. Aber nein, der Kapellmeiſter ließ ihn nicht zu Atem kommen, gleich ſtach er wieder mit ſeinem Taktſtock nach ihm, und der Arme mußte ſich von neuem ins Zeug legen. Und dabei ſtand er ganz hinten, kein Menſch beachtete ihn. Ach, ich wünſchte ſo ſehr, der Engel möchte einmal herkommen und ſehen, wem ei— gentlich der Beifall gebührte. Denn was der Mann mit der Locke zum beſten gab, war wirklich nur Windmacherei.

Aber offenbar ziehen auch Engel die gelockten Häupter den kahlen vor, mein Freund blieb mißachtet, und wir mußten beide mit anſehen, wie der Kapellmeiſter, ſobald die Muſik zu Ende war, herbeigeſchwänzelt kam und den Engel entführte. Dem Baßgeiger ging es nicht weiter nahe, er legte ſeine Geige in den Sarg und tröſtete ſich mit einem Glas Bier. Ich aber ließ das Paar nicht aus den Augen, mochten ſeine Wege noch ſo verſchlungen und abſeitig ſein. Wilder Groll ſaß mir in der Bruſt, ein unklarer ſchmerzender Zorn. Nicht, daß ich etwa fel- ber neben dem Engel hätte hergehen mögen, mir wäre doch kein Wort aus der Kehle gekommen. Nein, aber daß der Ka⸗ pellmeiſter ſchwatzen und vertraulich tun durfte, das war wider⸗ lich und aufregend zugleich. Einmal lachte der Engel ſo ſehr, daß er ſich verſchluckte. Der Kapellmeiſter klopfte ihm auf den Rücken, und weil das nicht gleich half, umſchlang er den En⸗ gel und nahm ihn völlig in die Arme. Da litt ich es nicht mehr, ich ſchickte einen meſſerſcharfen Pfiff zwiſchen den Bäu⸗ men heraus. Damals konnte ich großartig pfeifen mit Hilfe einer Zahnlücke, die ich leider nicht mehr beſitze.

Die beiden fuhren auseinander und ſahen ſich um und gingen ſittſam weiter. Genug für dieſes Mal. Ich mußte eilig nach Hauſe laufen, damit die Prügel, die mich dort erwarteten, nicht gar zu ſehr anwuchſen.

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Aber Pfiffe aus dem Wald konnten den Kapellmeiſter nicht viel anfechten. Er war ein betriebſamer Mann, nun nagelte er einen Zettel an die Haustür, auf dem zu leſen ſtand, er ſei Konzertmeiſter, und wer Luſt hätte, könne bei ihm das Geigen⸗ ſpiel erlernen. Eine neue Gaukelei, und doch gab es Leute, die ſich betören ließen, auch der Engel ging ihm auf den Leim. Er trug zwar keinen Geigenkaſten unterm Arm wie die andern jungen Damen, aber der Engel war ja auch ein Anfänger mehr. Vielleicht wollte er nur noch einige beſonders ſchwere Kunſtſtücke lernen, und das gelang ihm nicht, es war rein zum Verzweifeln. Auch der Kapellmeiſter verlor die Geduld, man konnte ihn durch die Wände ſchelten hören, und einmal ſah ich, wie der Engel weinend aus der Tür ſchlüpfte. Als ich die Mut⸗ ter danach fragte, fuhr fie mich heftig an. Ich ſollte lieber Gott bitten, daß er mich dereinſt ein ehrbares Handwerk lernen ließe. Ja, ich wollte auch tauſendmal lieber ein Baßgeiger wer⸗ den und mir das Brot rechtſchaffen verdienen. Am andern Morgen ſchrieb ich es auf die große Schultafel, daß der Ka⸗ pellmeiſter ein Windmacher ſei, es war, wenn ſchon nicht recht⸗ geſchrieben, ſo doch wahrgeſprochen.

Gefaßt wartete ich auf die Ohrfeige, die ich dafür bekommen mußte, ich hatte mich ſogar vorher gewaſchen, damit der Engel diesmal keine Mühe hätte. Aber es geſchah mir nichts, der En⸗ gel errötete nur und ſah einmal forſchend nach mir hin, und dann löſchte er meine Inſchrift wieder von der Tafel. Erſt ſpä⸗ ter ſtrich mir der Engel einmal im Vorbeigehen mit der Hand übers Haar, ich fühlte es überraſcht und beglückt.

Der Sommer ſchritt voran und die Ferien begannen, ich mußte dem Vater auf dem Zimmerplatz helfen. Das war immer meine ſchönſte Zeit geweſen. Ich durfte auf den langen Hölzern reiten, die damals noch alle von Hand behauen wurden, oder ich hielt die Farbſchnur, wenn der Vater die Kanten anriß, und ich hatte auch einen Lederſchurz umgebunden wie ein richtiger Zimmergeſell. In dieſem Jahr aber war mein Meiſter nicht mit mir zufrieden. Was iſt das mit dir? fragte der Vater wohl in ſeiner geruhi⸗ gen Art, wenn ich ihm die Suppe kalt auf den Werkplatz brachte, treibft du dich herum?

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Nun, ich konnte ihm nicht jagen, daß ich den Topf unterwegs hinter einen Buſch geſtellt hatte und weggelaufen war, um nach dem Engel auszuſchauen.

Aber ich ſuchte tagelang vergeblich. Auch bei der Abendmuſik ſaß eine fremde Dame auf dem Stuhl in der erſten Reihe, vor ihr verbeugte ſich der Kapellmeiſter jetzt, es machte ihm nichts aus. Ich haßte ihn abgründig, oh, wären ſeine Leute nur nicht ſo geduldig geweſen, wäre der Baßgeiger nur ein einziges Mal vorn hingetreten und hätte den Leuten gezeigt, wer hier eigent— lich die Muſik machte.

Eines Mittags aber, als ich mit dem Eßkorb am Arm nach Hauſe ſchlenderte, ſaß der Engel Johanna auf einer Bank am Weg. Er rief mich an, ob ich etwas für ihn beſorgen möchte, einen Brief. Den ſollte ich dem Herrn zuſtellen, der bei uns wohnte. Aber nur ihm ſelbſt, und wenn ich ihn etwa nicht träfe, dann ſollte ich den Brief gleich wieder zurückbringen.

Ob ich das tun wolle, fragte der Engel, ach ja, ich hätte dem Teufel perſönlich eine Botſchaft ins Haus getragen, falls der Engel vielleicht noch mehr ſo anrüchiger Bekanntſchaften hatte. Als ich beim Kapellmeiſter eintrat, ſtand er vor dem Spiegel und beſtäubte ſich aus einer Flaſche.

Hier ſei ein Brief für den Herrn, ſagte ich.

Sp? ſagte er, gib ihn her!

Da hielt er das roſenfarbene Kleinod in der Hand, drehte es um und um und roch daran wie ein Affe, und dann warf er es auf ſein Bett.

Es iſt gut, ſagte der Kapellmeiſter und nickte mir zu, als be⸗ käme er jeden Tag Briefe von Engeln, aber er gab mir doch ein Nickelſtück aus ſeiner Weſtentaſche.

Ich ſtahl mich aus dem Hauſe und lief in den Park zurück, um den Hergang zu berichten.

Nein, der Kapellmeiſter las den Brief nicht gleich, er legte ihn auf das Bett, es ſei ſchon gut, ſagte er. Aber es lagen noch mehr Briefe dort, fügte ich zum Troſt hinzu, weil der Engel mit einem Mal ſo blaß und vergrämt ausſah, vielleicht lieſt er ſie dann alle mitſammen. Das war freilich bloß erfunden, es half auch nicht viel. Der Engel ſagte kein Wort mehr, er ſtand

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plötzlich auf und ging fort. Mich felber kam es bitter traurig an, als ich ihn ſo den Weg entlang gehen ſah, ganz langſam und ein wenig ſchwankend, einmal trat der Engel ſogar in den Graben und kam beinahe zu Fall. Gewiß war er krank, oder er hatte ſonſt einen argen Kummer zu leiden, wer konnte das wiſſen?

Ich ging bedrückt zu meiner Arbeit auf den Zimmerplatz, unter⸗ wegs aber ſchleuderte ich das Nickelſtück in den Weiher, daß es weithin über das Waſſer hüpfte.

In der folgenden Woche geſchah allerlei Seltſames. Der Ka⸗ pellmeiſter packte den Koffer und reiſte ab, obwohl der Som⸗ mer ja noch lange währte. Tags darauf kam der Wachtmeiſter und durchſuchte Kiſten und Kaſten in unſerer Schlafkammer, und die Mutter jagte mich aus der Tür, als ich mich auch ins Geſpräch miſchen wollte. Am gleichen Abend erzählte der Vater bei Tiſch, die junge Lehrerin ſei in den Fiſchteich ge⸗ ſprungen, man habe ſie aber noch herausziehen und retten können.

Dieſer Vorfall erſchreckte mich furchtbar, ganz plötzlich und zum erſten Mal in meinem Leben hatte ich ein ahnendes Geſicht von der dunklen Gewalt des Schickſals, das geheimnisvoll zwiſchen den Menſchen wirkt und ſie unverſehens überfällt und gnadenlos vernichtet. Von Stund an brach eine Krankheit, die ſchon eine Weile in mir geſteckt haben mochte, heftig hervor. Ich mußte in das Spital gebracht werden. Die Mutter wehrte ſich verzweifelt dagegen, aber ſchließlich gab ſie doch nach und zog mit mir, des feſten Glaubens, daß wir nun beide ſtürben und verdürben. Wann immer ich aus meinem Fieberſchlaf er⸗ wachte, fand ich die Mutter neben dem Bett, ſie ſaß wohl Tag und Nacht auf dem harten Stuhl, und ihre hohle Hand lag über meiner Stirn, wie man ein ſchwaches Flämmchen hütet, damit es nicht erliſcht. Ich wurde ſehr von ſchreckhaften Träu⸗ men geplagt. Oft lag ich halb wach und ſah alles genau, das unbewegte Geſicht der Mutter, die nüchternen Wände meiner Krankenſtube, aber draußen rauſchte wildes Waſſer, und der Engel Johanna ſtand am Fenſter und winkte herein und rief mir zu, er ſpränge jetzt in den Teich, um das Goldſtück zu ho⸗

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len, das ich hineingeworfen hatte. Ich ſchrie dann laut und verlangte ſtürmiſch, der Engel ſollte hereinkommen, damit ich ihm ſagen könne, es ſei nur ein Groſchen geweſen und den fände niemand wieder.

In dieſen Wochen ging es mir hart ans Leben. Eines Mor⸗ gens aber, nach der ſchlimmſten Nacht, trat der Engel leib- haftig in das Zimmer. Vielleicht erſchien er ungeheißen, viel- leicht beſtand auch längſt ein ſtilles Einverſtändnis zwiſchen den beiden Frauen. Weiß gekleidet und himmelſchön ſchwebte der Engel an mein Bett und beugte ſich herab, ich ſah ſeine Augen wie große blaue Lichter über mir, und dann küßte er mich, mir war es unbeſchreiblich weh und luſtvoll zugleich.

Es währte nicht lang. Die Mutter, aufrecht und ſtreng, wie ſie ſich immer hielt, meine Mutter nahm den weinenden Engel an ſich und führte ihn wieder hinaus.

Nein, erklärte ſie ſpäter auf mein ängſtliches Fragen, ſie kommt nicht wieder. Gott ſtraft den Leichtſinn, ſagte die Mutter ernſt.

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Bettina Seipp / Pompeji

In unferen Tagen nun dahinzugehen unter ſüdlich brennender Sonne durch die langen geraden Straßen Pompejis, mit den träumeriſchen Brunnenbecken an den Kreuzungen, oder durch enge, maleriſch gebogene Seitengäßchen, wo phaliſche Zeichen längſt entſchwundene Seelen einſt zur Luſt aufforderten; da⸗ hinzugehen, das antike Pflaſter beſchreitend mit den wunder⸗ ſam berührenden Räderſpuren, die die Wagen einer ſeit Jahr⸗ tauſenden vergangenen Welt dort hinterlaſſen haben, dasſelbe Pflaſter, dieſelben immer wiederkehrenden Schrittſteine, die fhon Cicero, Salluſt, Panſa und Diomed betreten haben; ſich treiben zu laſſen durch das Straßenwirrſal dieſer ergreifend beredten Stadt des Schweigens, in die überall die herrlich ſchöne Landſchaft hereinblickt, farbenzarte Berge rundum, das ferne Meer und der rauchende Vulkan; kurz, von der unnenn⸗ baren Gewalt des Ortes tief angerührt, heute noch zu ſehen, was ein Pompejaner zu Titus' Zeiten auch ſah, das erzeugt

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einen in dieſer Form nie zuvor gekannten und lange nad) haltenden Zuſtand des Entrücktſeins vom Tage.

Gleich das Betreten der verſchütteten Stadt durch die lange, dämmerige Wölbung der Porta Marina vermittelt Eindrücke von bezwingender Weihe. Es iſt das Gebiet der Tempel und des Forums, aus dem es duftet von wilden Blumen, würzigen Pflanzen und dem ſüßen Ruch der weißen Kleeblüte. Wer könnte unberührt die Säulen des Apollotempels und die Ge⸗ ſtalt des Sonnengottes ſelber ſehen, wie ſie im Morgenlicht von dem duftig blauen Hintergrund des Veſuvs fic) abheben? Oder wer empfindungslos das Bild des hochgelegenen Jupiter⸗ tempels mit der ihm vorgelagerten, vielſtufigen Treppe am nordweſtlichen Ende des weiträumigen Forums betrachten, da es gleichermaßen abgeſchloſſen wird von der über dem Tempel ruhenden Feierlichkeit des erhabenen Kegels, deſſen weißwol⸗ kige Dampffahne, vom frommen Glanz der Frühe verklärt, die mahnende Stimme des Gottes ſelbſt zu ſein ſcheint? Wer, fort⸗ ſchreitend, in den Häuſern, die mehrfach das Augenblicksbild eines plötzlich und unerbittlich ſtehen gebliebenen Lebens ge⸗ ben, dies hingegangene Leben belauſchen, ohne auf das innigſte erfaßt zu ſein? Wer auch könnte ſich dem hemmenden Gefühl von etwas Unerlaubtem entziehen, in die ehedem gehüteten, eigenſten Geheimniſſe ſolchen dahingegangenen Lebens einzu⸗ dringen, mit wunderſamer, menſchlich rührender Gewalt ſeinen Geiſt und Atem verſpürend, wenn er Räume betritt, in die da⸗ zumal vom Hausherrn nur einige wenige, ſeiner Luſt verbun⸗ dene Perſonen zugelaſſen waren? Von erſchütternder Wirkung aber find die Opfer ſelbſt beredtefte Zeugen des tragiſchen Endes der Stadt —, wie man ſie auf der Flucht begriffen in Häuſern und Straßen fand. Vom Tode überraſcht und bitter hart angefaßt, wie ihre ſchmerzlichen Mienen, die zuſammen⸗ gebiſſenen Zähne und gekrampften Hände genugſam verraten, ſieht man hier keine ſchon leblos erſtarrten Mumien, ſondern in Stellung und Gebärden bezwingend feſtgehaltene Ster⸗ bende, deren ſprechende Todesqual nur mit Schaudern erkannt wird. Auch ſpricht ſich darin, wie die einzelnen Menſchen in die letzten, furchtbaren Augenblicke ſich fanden, auf unerhörte Weiſe

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ihre verſchiedene Weſensart aus. Da zeigt fic) die heftige Ver⸗ zweiflung eines reichen, nur an Befehlsgabe gewöhnten Man- nes oder die ſtille, rührende Ergebenheit eines jungen Mäd⸗ chens, das ſich zuſammengekauert an die Mutter ſchmiegt. Oder man erblickt eine ganze Familie, die ſich, nach der Flucht durch unterirdiſche Gänge, im entlegenſten, geborgenſten Raum des Hauſes angſtvoll verſammelte und doch in dieſem letzten Schutz— winkel, eng umklammert, dem Tod erlag.

Unter dem ftarfen Willen des Duce find die ſeit 1911 wieder aufgenommenen Ausgrabungen in Pompeji rüſtig vorwärts— geſchritten, ſo daß der heutige Beſucher die verſchüttete Stadt, von der etwa drei Fünftel wieder im Lichte ſtehen, noch um vieles ergänzt und lebensvoller bereichert ſieht. Zudem iſt man bei der bewunderungswürdigen Freilegung des letzten, wieder erſtandenen Teiles, der Via dell' Abbondanza, mit der äußer— ſten, ehrfurchtsvollen Vorſicht, Sorgfalt und mit uniibertreff- lichem Ausgrabungs⸗, Erhaltungs- und Ergänzungsverfahren vorgegangen. Im Gegenſatz zu früherer Gepflogenheit blei— ben jetzt Wandfresken, Moſaiken, Möbel, künſtleriſche und nütz⸗ liche Geräte, mit einem Wort alle Funde, ſelbſt die von dem Verhängnis überraſchten Hausbewohner, an Ort und Stelle, was die bezwingende Vermittlungskraft der Häuſer natur⸗ gemäß ungemein erhöht. Nur der koſtbare Silberſchatz an Tiſch⸗ geräten, in hundertundſiebzehn Stücken, der, als der größte bisher gemachte derartige Fund, im Dezember 1930 im Haus des Mänander geborgen wurde, oder die vier ſilbernen Tafel⸗ geſtalten, unverfrorene Darreicher von Naſchwerk, aus dem Haus des Epheben, wie ferner beſonders wertvoller Schmuck machten eine Ausnahme. Solche Dinge kommen der Sicherheit wegen ins Muſeum von Neapel.

Dieſer neu wieder ans Licht getretene Teil iſt das in den letz⸗ ten Jahren der blühenden Handelsſtadt gebaute Geſchäftsvier⸗ tel Pompejis. Es folgen faſt ununterbrochen Verkaufsläden. Da ſieht man Bäckereien mit mächtigem Ofen und den Ku⸗ chenformen, Trinkſtellen, Bars’ für warme und kalte Ge⸗ tränke mit wohlerhaltenen marmorbunten Schanktiſchen, Werk⸗ ſtätten von Tuchfärbern, Walkereien, Arbeitsräume von Filz⸗

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herſtellern, von Sandalenmachern, von Kunſtſchmieden mit Bronzegeſtellen, Lampen, künſtleriſchen Gegenſtänden, von Zimmerern und Schloſſern. An die faſt unglaubhaft erhaltene Stuckbekleidung vieler Hausmauern ſieht man, in volkstümlich ungekünſtelter Art dargeſtellt, handwerkliche Tätigkeit und La⸗ denauftritte oder die Bilder von Laren und Gottheiten gemalt, am häufigſten den Handelsgott Merkur und, ſiegend verherr⸗ licht, die große Schutzgöttin Venus, daneben jegliche andere, harmlos verkörperte heilige Zeichen, unter deren Kraft und be⸗ ſonderen Schutz der Kaufmann, Herſteller oder Handwerker ſein Gewerbe ſtellte. Höchſt freimütig befinden ſich darunter auch zu wiederholten Malen große Priaposdarſtellungen, die, wie hieraus erſichtlich wird, nicht immer und nicht an jeder Stelle anſtößigen Sinn hatten, ſondern die dem unbeſchwerten Pompejaner, der ja unter ganz anderen Vorſtellungen und Ge⸗ ſetzen lebte als die heutigen und gar die nordiſchen Beſucher der Vefuvftadt, wohl als Sinnbild der Lebensfreude, Geſund⸗ heit und Fruchtbarkeit, des im natürlichen Süden immer ge⸗ wünſchten Kinderſegens, glück⸗ und heilbringend geweſen ſein mögen, wie es noch dem heutigen Italiener, namentlich dem ſüdlichen, das unvermeidliche Horn contro il malocchio, gegen den böſen Blick, oder irgendeine porta fortuna iſt. Seltſam lebensvoll berühren in dieſem Viertel ferner die getreuen Gipsabdrücke der zuweilen großartigen, ſehr hohen zweiflüge⸗ ligen Türen mit dem daran wieder angebrachten Bronzeſchmuck. Türen, die entweder infolge der Eile der Flucht und der ſchon ſtörend angehäuften Maſſe der Lapilli halboffen ſtehen blieben oder ängſtlich und notdürftig, in der Hoffnung, daß man ja bald wieder zurück ſein würde, verrammelt wurden. Zudem offenbart ſich in den vielen Wandinſchriften dieſes neu aus⸗ gegrabenen Bezirks, die hier beſſer erhalten ſind als zuvor, auf geradezu unerhörte Art Weſen, Fühlen, Denken, der ganze Geiſteszuſtand, Sitten, Gebräuche, überhaupt, alles in allem genommen, das Leben und die Beſchaffenheit der Menſchen vor faft zweitauſend Jahren. Vorzüglich geſchieht das durch die den Mauern eingekritzelten, winzig kleinen Mitteilungen, die des⸗ halb entſtanden, weil das teure und ſeltene Schreibzeug, Pa⸗

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pprus und Wachstafeln, nur ftaatlihen und edleren Zwecken zu dienen pflegte. Dieſe geritzten Inſchriften, graffiti genannt, bezeugen den Wirt und den Ladeninhaber, den Geſchäfts— mann, ja ſelbſt den Beſitzer des Spielhauſes, der fein Ein- kommen und die Schulden ſeiner Kunden auf dieſe Weiſe auf— zeichnete, ſie bezeugen den Liebenden und die Geliebte, den Schuljungen, den Müßiggänger, der ſich die Zeit vertreibt, wie auch den Beſucher freier Mädchen und verſchwiegener Gäßchen auf die unmittelbarſte Weiſe. An Schenken ſieht man immer wieder ſchreieriſche Wahlaufrufe oder Ankündigungen von Vor— ſtellungen im Amphitheater, die ebenſo wie der Beſuch des Schauſpiels zu den Leidenſchaften der Pompejaner gehörten. Die Stadt beſaß nicht weniger als drei Theater, deren noch er— haltene Räumlichkeiten ſtimmungsvoll erfüllt ſind und einen tiefen Eindruck hinterlaſſen. Was aber außerdem in dieſem neu aufgedeckten Viertel Pompejis, der Via dell' Abbondanza, be» ſondere Bedeutung hat, iſt der Umſtand, daß hier das bis dahin vorwiegend einheitliche Patrizierhaus ſich bereits anſchickt, in ein Geſchäftshaus oder gar Mietshaus überzugehen. Zumindeſt werden einige Bauten ſchon von mehreren, wenn auch wahr— ſcheinlich noch untereinander verwandten Familien bewohnt. Bei fortlaufender Entwicklung wären hier gewiß, wie ein hal» bes Jahrhundert ſpäter in Oſtia, mehrſtöckige Mietshäuſer, die Vorboten der heutigen, anzutreffen geweſen. Denn ſchon ge— winnen in dieſer Zone Straße und Bauten dadurch ein abwei— chendes, beachtenswertes Ausſehen, daß faſt jedes Haus ein oberes Stockwerk entweder ſchon fertig aufweiſt das iſt das häufigere oder andeutet, da es im Begriff war zu entſtehen. Auch fallen hier, neben den immer vielfältiger aus den Haus⸗ wänden heraustretenden Balkonen, die merkwürdig über die Straße hinausragenden Vorbauten auf, die dem Bewohner und Beſitzer, bei der um ſich greifenden Menſchenzunahme und dementſprechender notwendiger Platzbeſchränkung, mit Erſpar⸗ nis an teuer gewordenem Grund und Boden dennoch den ge— wünſchten Raum boten und die zugleich den Eingang zu den unteren Läden wie die davor zur Schau und zum Verkauf aus- geſtellten Waren gegen Regen und Sonne ſchützten. Weiter-

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hin erhöht ſich das Leben dieſer Häuſer ſehr durch die vielfach vortrefflich erhaltenen, gemauerten Ruhebänke der triclinia (Speiſezimmer), die eine deutliche Vorſtellung von dem Vor⸗ gang des Mahles geben. Das gilt etwa für das Triklinium in der Casa del Moralista, einem Zweifamilienhaus, wo auf die ſchwarzen Wände mit weißer Schriſt ſittenſtrenge Tiſchregeln und Gebote des Hausherrn an ſeine Gäſte gemalt ſind, deſſen Engherzigkeit in Pompeji beſonders unangebracht berührt. Die ſtaunenerregend gut erhaltene Vorderſeite eines Hauſes mit feiner, zart gekehlter Stuckfront, die unglaubhaft farbenfriſchen Wandgemälde im Haufe eines Prieſters darunter beſonders ‚Paris vor Helena’, wo ſich das Rot, Gelb und Grün an Leuchtkraft geradezu überbieten -, das Haus des Epheben, fo genannt nach dem hier gefundenen herrlichen Knaben aus Bronze, der im Garten beim Sommertriklinium als Lichtträ⸗ ger ſtand, das Haus des Epheben mit den ſehr edlen Fuß⸗ böden, die Einlagen ſeltenſter bunter Marmorſtücke aufweiſen beſonders rührend hier das Opfer der Kataſtrophe: ein jun⸗ ger Sklave, der ſich mit einem Körbchen Eßvorrat hatte retten wollen —, weiterhin die bedeutende Casa del Criptoportico mit zieren Stuckreſten und reichen Malereien, wie das große, vor⸗ nehme Haus des adligen Römers Lorejus Tiburtinus das ſind nur einige hauptſächliche von den vielen Eindrücken, die auch in dieſem Teil das Gemüt beſtürmen. Das letztgenannte Haus zeichnet ſich beſonders durch ſeine kunſtvollen Garten⸗ anlagen und Kühlung ſpendenden Waſſerſpiele aus, ſein höchſt einladendes Sommertriklinium, durch eine Terraſſe mit wohl⸗ tuendem Blick auf das ſchöne Land und freskengeſchmückte Ge⸗ mächer mit Darſtellungen der Ilias. Ein Raum mit beſtricken⸗ der Kleinmalerei und blumenbunten Reſten der Decke, die ſtuckverzierte Felder hatte, feſſelt vornehmlich. Die meiſtge⸗ nannte all dieſer bewunderungswürdigen Ausgrabungsarbei⸗ ten iſt das Haus des Mänander, ſo bezeichnet nach einem hier angetroffenen, großen Wandbildnis des Dichters Mänander auf leuchtend goldenem Grund. Hier fand man in einer Holz⸗ kiſte in unterirdiſchem Raum den ſchon erwähnten, koſtbaren Silberſchatz. Es ift ſehr weiträumig wenn auch lange nicht fo

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wie im altausgegrabenen Zeil Pompejis etwa das großartige ſamnitiſche Haus des Panſa oder die vornehme Casa del Fauno, wo man den tanzenden Faun aus Bronze, dieſes frohe Märchen jetzt im Neapler Muſeum —, und das berühmte Fußbodenmoſaik der ebendort ausgeſtellten Alexanderſchlacht fand. Das ausgedehnte Gebiet dieſes Baues mit feinem gan— zen Anhang von Ställen, Geſinderäumen und Wirtſchaftshal— len, in denen die zahlreichen Ackerbaugeräte, Schaufeln, Hake ken, Rechen, Sicheln, Senſen und Karren von bedeutendem Land⸗ und Feldbeſitz reden, läßt auf einen reichen Herrn ſchlie— ßen. Im weißen Marmoratrium leuchtet eine große, lapislazuli- blau überroſtete Bronzeſchale. Dieſes Haus des Mänander, ſorgfältig bewahrt und ergänzt, hat ein Periſtyl mit gemalter, etwa ein Meter hoher Umgangsbrüſtung, welche die Säulen unterbrechen. Um deſſen Geviert, darinnen ein hübſcher Garten iſt, liegen ſtattliche Nebenräume, unter ihnen das größte Tri⸗ klinium von Pompeji. Nichts aber kommt hier der lebendigen Heimeligkeit und Anmut eines ganz unwahrſcheinlich gut er— haltenen, grünwandigen Baderaumes mit gewölbter, rillen- artig gekehlter Decke gleich. Ausgeſucht fein und genießeriſch, mit zierlichſtem Stuckwerk und reizenden Malereien waſſer⸗ ſpritzender Frauen in kleinem Niſchenhalbrund, ſcheint dies Schmuckſtück von einem Bad geſtern noch benutzt worden zu ſein, ſo ſpürt man ſeinen Beſitzer. Der Fußboden erglänzt von Meeresweſen im Moſaik. Im angemeſſen perſönlichen, engen Zugang zu dieſem unverſehrten kleinen Wunderraum zeigt die Schwelle auf weißem Grund ſchwarz eingelegt einen luſtigen, eilfertig herbeirennenden Mohren in unbekleidetem, äußerſt übermütigem Zuſtand, wie er in phalliſchen Gefäßen Wohl⸗ gerüche herbeibringt. |

Die Via dell' Abbondanza führt zum römischen Amphitheater. Ebendort, an dem weiten Platz dieſes mächtigen Baues ſind die allerneueſten Ausgrabungen erfolgt und noch in vollem Gange. Alle Zugangstore von rotem Backſtein zu der Raum⸗ freiheit um die rieſige Arena herum wurden ſamt der Mauer freigelegt und wieder hergeſtellt. Gerade ſcheint man ganz nahebei, nach den Ausmaßen und den vorhandenen Säulen zu

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ſchließen, ein Stadion zu finden. Das Eindrücklichſte beim Rundgang oben auf dem von Kornfeldern umwogten Gebäude iſt aber der Blick in die beglückende Landſchaft, die als gewal⸗ tige Ellipſe der Natur die des Theaters mit duftig farbigen Bergen, fernem Meer und fruchtbaren lieblichen Fluren umgibt.

So ungemein packend nun, allein ſchon durch ihre kulturge⸗ ſchichtliche Bedeutung, die neuen Freilegungen auch ſind, ſo ſoll Ihnen doch geſagt ſein, da einige Wichtigtuer ſchon ſich ver⸗ anlaßt fühlen, über den letztgemachten Ausgrabungen die frü⸗ heren als geringer zu bezeichnen, daß dieſe Häuſer der Via dell Abbondanza ein Geſchäftsviertel! in Wahrheit doch wohl ſchwerlich einen ſolchen künſtleriſchen Genuß verſchaffen und ein ſolches Wohlgefühl erregen können, wie es den Be⸗ ſucher bis heute immer noch in dem gemäldereichen Haus der liebesſeligen Vettier durchſtrömt, wenn er dort in dem großen Raum am Periſtyl angeleuchtet wird von dem Rot der Wände und beglückt von der Zier und launigen Kurzweil der geflügel⸗ ten Eroten auf ſchwarzgrundigem Streifen. Die lebens vollen und heiter geſehenen Kleinen tummeln ſich da beim Trocknen von aufgeſchnürten Tomaten, Rennen mit zartgelenkigen Dam⸗ hirſchen, wobei es Zügelriſſe und Stürze gibt, und bei jed⸗ weden kindlichen Verrichtungen und Spielen mit einem ſo be⸗ zaubernden Liebreiz und ſolcher hinreißenden Leichtigkeit in Zeichnung und Farbe, daß man ſich wie fortgetragen fühlt. Ferner kommt vom Standpunkt des reinen Kunſtgenuſſes kaum ein anderes Gebäude in Pompeji der vorſtädtiſchen Patrizier⸗ villa Casa dei Misteri gleich. Zu einem kleinen Teil ſchon frü⸗ her freigelegt, wurde ſie in den Jahren 1929 und 1930 ganz erforſcht, und heute gibt ſie ein vollkommenes, äußerſt reiches, belehrendes Bild. Ihr großer Schatz jedoch, das höchſt wert⸗ volle Zeugnis antiker Malerei und Religion, ſind, wie Ihnen ja ſehr wohl bekannt, die Darſtellungen der geheimnisvollen, dunklen, dionpſiſchen Weihen in großen Wandmalereien, die an den vier Wänden entlang eine fortlaufende Handlung vor⸗ führen. Zunächſt beſticht wiederum und ſtärker noch als zuvor das berühmte pompejaniſche Rot, weil es hier, ganz friſch und wohlerhalten, in ſinnlicher Freudigkeit unwiderſtehlich lebens⸗

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bejahend von den Mauern ſtrahlt. Es liegt in ihm die ganze Wonne und Leidenſchaft, der Glanz und die Heiterkeit ſüd— lichen Lebens. Vor dieſem Hintergrund ſpielt ſich der dionp— ſiſche Kult ab, bewegen ſich die faft lebensgroßen Geſtalten, de— ren tiefe, ſchickſalhafte Blicke und gebannte Mienen, deren herr— liche Glieder und Bewegungen durch das Rot, aus dem ſie hervortreten, und ein kräftiges Grün, auf dem die Füße ſtehen, an Schönheit und Einprägſamkeit noch gewinnen. Die aus— drucksvolle, ſtarke Gebärde der im Vorwärtsſchreiten betroffen Innehaltenden, erſtarrt Stehenden, deren durchſichtiges Gee wand die aphroditiſchen Formen betörend verrät, wie die nackte, fleiſchleuchtende Tanzende, die dem Beſchauer den Rücken zu— wendet, ſind, einmal geſehen, nicht mehr zu vergeſſen.

Dieſes Haus liegt etwas abſeits, aber der Weg dorthin iſt ein ſo würdiger Auftakt zu den myſtiſchen dionpſiſchen Fresken, daß er gern gegangen wird. Er führt durch die zypreſſenbeſtandene, irisumblühte Gräberſtraße, deren zu Herzen gehende Feierlich— keit unvergeſſen bleibt. Ehemals war das zugleich die Verbin— dungsſtrecke von Pompeji nach Herkulanum. Am Haus des Diomed vorbei, durch Reben und duftende, blühende Orangen— pflanzungen, jung wogende Fluren und Kornfelder fortſchrei— tend, gelangt man, tief bewegt vom Nachklang all des Er- lebens in der ausgegrabenen, geiſterhaft zeugenden Stadt und von dem holden Wachstum um fie herum, zu ihrem kultiſch und künſtleriſch höchſten Schatz, der Vorſtadtvilla Casa dei

Misteri. Aus dem Buch „Neapel und Sizilien als Land der Griechen erlebt'

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Reinhold Schneider / Der Stein des Magiers

Sanfte Töne hört ich tönen wie aus ſeinem Grabe - da Dacht ich feiner letzten Worte: „Spielt mir die Harmonika.“ Juſtinus Kerner Seit der Gaſt aus Weinsberg auf der Meersburg wohnte,

ſchwebten nachts aus dem offenen Fenſter ſeines dunklen Zim⸗ 119

mers die ſeltſamen wehmütig ſehnſüchtigen Töne feines ein⸗ fachen Inſtrumentes, mit denen ſich ſeine ſummende Stimme vermiſchte. Der Geſang, der nur das Echo eines Geſanges zu ſein ſchien, umwehte die ungefügen Türme, er verlor ſich über den Rebenhügeln, die ringsum anſtiegen, oder er ließ ſich über den See hinaustragen, wo er wie Geiſterlaut hallte und ver⸗ hallte. Für dieſes Spiel ſchien der Gaſt, der Arzt und Dichter Juſtinus Kerner, fo manche Stunde ſchöner abendlicher Gefel- ligkeit gerne zu opfern; ohne die Maultrommel oder das Brummeiſen, erklärte er ſeinem greiſen Gaſtgeber, dem Frei⸗ herrn von Laßberg, könne er nun einmal ſeit früher Jugend nicht leben. Wie er als Dichter in einem langen Leben nichts zuſtande gebracht habe als ein paar einfältige Lieder nach der Weiſe des Volkes, ſo bringe er auch als Muſikant nicht mehr als ein jeder Bauernflegel fertig; nur brummen könne er, nicht ſingen. Und er ſchien an den derben Namen ſeines geliebten Inſtrumentes einen beſonderen Gefallen zu haben, vielleicht weil ſie ſo gar nicht zu den jenſeitig ſchmerzlichen Lauten paß⸗ ten, die er ihm entlockte.

Juſtinus Kerner genoß als Gaſt die ihm gerne eingeräumte Freiheit; er war es gewohnt, daß ſein Haus in Weinsberg ſamt dem Anbau und dem alten Turm im Garten voller Gäſte ſteckte, deren jeder das Leben führte, das ihm behagte. Nun erhob er denſelben Anſpruch. Schon am Morgen nach ſeiner Ankunft war er über die hochgewölbte Brücke in das Städt⸗ chen hinausgetappt zur Beſorgnis ſeiner Tochter Marie, die ihm noch ein Stück nachlief. Aber er wurde heftig: „Acht Ta⸗ ge”, ſchimpfte er auf ſchwäbiſch, „ind wir von Weinsberg fort, und in der ganzen Zeit habe ich nichts von meinen Freunden gehört. Du weißt, in meine Poſtſachen laß ich mir nicht hin⸗ einreden, auch nicht von meinem Legationsrat und geheimen Archivar.“ Das Mädchen ſenkte den hellen Kopf: „Aber deine Augen, Vater!“ „Meine Augen! Meine Augen! Die Freude macht ſie hell. Wenn ich Briefe von meinen Freunden be⸗ komme, werden meine Augen wieder gut. Die Freude macht ſie geſund.“ „Nur die Tränen“, ſagte er auf einmal, ſich um⸗ wendend und vom Ende der Brücke hinunterblickend auf das

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ſtillſtehende Rad der Schloßmühle und die tief hinabfallenden Stufen, „verderben das Augenlicht.“ Damit ſtieg der breite, ein wenig ſchwerfällige Mann, auf ſeinen Stock geſtützt und umweht von dem langen Haare und dem weiten dunklen Mane tel, die ſchmale Gaſſe hinauf in das Städtchen.

Und bei dieſem Entſchluß war es auch geblieben. Sobald Poft- ſendungen zu erwarten waren, holte Kerner ſie ſelbſt ab; glück— lich kam er mit dem Päckchen zurück. Freilich wollte die Hand, die ſich immer ſchon in abſonderlichen Schnörkeln und man— cherlei Abſchweifungen gefallen hatte, ohne die ſtrenge Auſſicht der Augen nicht mehr zurecht kommen; dann gelangte der Le— gationsrat und Archivar wieder zu Anſehen und ſchrieb in klarſter Schrift die vielen Briefe an Träger bekannter und un— bekannter Namen, an Fürſten und Handwerksleute, Gelehrte und Sänger, Leidende und Bittende, die Kerner alle in dem— ſelben Herzenston anredete. Aber ebenſo gern wie er ſeine Briefe anſagte, wanderte der Dichter allein durch das wunder— liche Städtchen, deſſen zwei mächtige Schlöſſer den Häuſern nur wenig und nicht gerade den beſten Platz zwiſchen dem See— ufer und den ſteilen Weinbergen übrig gelaſſen hatten. Er kehrte gerne in einer der dämmrigen Wirtsſtuben ein; hinter den geſchloſſenen Läden, durch die nur ein Flimmern drang, ſchien ihm wohl zu ſein. Wenn er das rotleuchtende Glas an die Lippen hob, glühten die Augen, die draußen im Sonnen⸗ licht des Hochſommers von grauen Schleiern überſponnen ſchie⸗ nen, von einem geheimnisvollen inneren Licht; die Glut über- lief die Wirtstochter wie der Widerſchein eines plötzlich auf⸗ geſchürten Feuers, ſo daß ſie die Blicke ſenkte. Aber der ſon⸗ derbare Gaſt ſprach ein paar Verſe, die von unheimlicher Wehmut bebten, ſo daß Hund und Katze, die ihm ſtets zuliefen, ſobald er das Zimmer betrat, ſich enger an ihn drückten.

Oft ging er durch das Tor und zwiſchen den reifenden Feldern zum Friedhof hinauf, deſſen Kreuze ſich auf der Höhe unter dunklen Laubkronen ſcharten. Oft auch bog er vom Rathauſe in die krumme Vorburggaſſe. Dort pflegte er vor einem alter⸗ tümlichen Hauſe ſtehen zu bleiben, zu deſſen ſchmaler Tür ein

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paar ausgetretene Stufen führten und über deſſen Speicher⸗ fenſter ein Kran weit vorragte; die Kinder ſammelten ſich ſcheu um ihn, während er zu den halbblinden Fenſtern hinaufſah und Worte murmelte, von denen niemand ſich denken konnte, an wen ſie gerichtet waren. Dann und wann trat er auch in dieſes Haus oder in andere Häuſer ein; doch erzählte er ſeiner Tochter faſt niemals von ſolchen Streifzügen, viel lieber ſprach er von Zufälligem, das ihm begegnet war. So brachte er ein⸗ mal aus einem verſtaubten Gelaß des Schloſſes eine aus luft⸗ dichtem Stoffe gefertigte, zuſammengeklappte Weltkugel ſamt dem dazu gehörenden Blaſebalg herauf. Er blies ſie auf und ließ ſie wieder zuſammenfallen und wurde dieſes Spiels ebenſowenig müde wie der Scherze, die er damit verband: Nun ſei es mit der Welt bald zu Ende, die Luft gehe ihr aus; aber er wolle ihr noch einmal aufhelfen, ſei doch nichts leichter als das. Sie brauche ja nur Luft und Wind, nichts Gediegenes; und wer die Backen recht voll nehme, der ſei ihr Mann und könne die plattgedrückte Erde wieder in Form bringen und den Bewohnern der Alten wie der Neuen Welt die Angſt vor dem Untergange, die ihnen ſchon bedenklich lange in den Knochen ſitze, austreiben. Damit brachte er die bunte Kugel faſt zum Platzen; er ſchloß die Offnung und ſcheuchte die Welt vor ſich her durch das Zimmer, wobei er tat, als wolle er ein ver⸗ ängſtigtes Huhn in den Stall treiben, ſo daß das Mädchen ſich ausſchütten wollte vor Lachen; dann öffnete er die Tür und beförderte die Welt mit einem derben Schlag die gewundenen Stufen hinunter. |

Von ſolchen Scherzen konnte er unvermittelt in die tieffte Weh⸗ mut zurückſinken; namentlich in den Briefen an feine Vertrau- ten, die ihm das junge Mädchen aufzeichnete, klagte er über ſein trauriges Leben, dem alles Licht fehlte, ſeit erſt ſein Bru⸗ der und dann ſein über alles geliebtes Weib von ihm gegan⸗ gen ſeien. Einmal, noch in den erſten Tagen des Aufenthaltes, hatte der Schloßherr verſucht, anzudeuten, wie bitter ihn der Verluſt ſchmerze, den Kerner erlitten, und wie ſehr er hoffe, daß der verehrte Gaſt auf der Meersburg Troſt finde, aber Marie hatte den alten Freiherrn fo flehentlich, mit zuſammen⸗

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gepreßten Händen, angeſehen, daß dieſer verlegen, ja faft be- ſchämt abbrach und ſchließlich noch ein paar Worte von dem Frieden und der Hilfe hinzufügte, die ihm, nach einem kaum verwindlichen Schmerze, hier geſchenkt worden ſeien.

Als fie wieder allein waren, pries Kerner die Rückſicht ſeines Gaſtgebers; niemals verſuche der Freiherr ſich in das Leben eines andern einzudrängen, niemals verſage er dem Freunde jene auszeichnende Achtung, die vielleicht nur er, der Ritter ſelbſt, verdiene. „Er kann ein Gleiches von uns erwarten,“ ſetzte Kerner hinzu, „rühre ihm nie Erinnerungen auf! Die Menſchen wollen viel wiſſen von ſeinen Beziehungen zu der vor langem verſtorbenen Fürſtin; es heißt fogar, er fei heim lich mit ihr vermählt geweſen. Ich weiß es nicht. Aber wo wir das Walten eines Schickſals ſpüren, ſollten wir Achtung ha— ben.” So kamen ſich die beiden Männer näher; immer länger verweilte Kerner im Bereich des Schloßherrn, den Waffen— ſälen und der Bibliothek. Dann ſchritt ihm der hochgewachſene ritterliche Greis im ſchlichten Jägerkleide leicht hinkenden Schrittes voraus durch den Wehrgang; ein Unfall, den Laß— berg vor vielen Jahren erlitten, ſchien ſeine Geſtalt eher ge— ſtrafft als gebeugt zu haben. Das bunte Licht ehrwürdiger Scheiben, das die vom See widerſtrahlende Helligkeit noch verſtärkte, glitt über die beiden Männer und verzauberte das ſonderbare Geräte, das die Halle anfüllte. Sie blieben an dem Brunnen ſtehen, der einſt den Armen Meersburgs Wein ge- ſpendet hatte.

„Warum', fragte der Freiherr, „haben ſich die Menſchen die Brunnen der alten Zeit verſchüttet, die ihnen einſt zum Segen gefloſſen find?” Kerner hatte ſich auf den Rand des eingetrock— neten Beckens geſetzt und beugte ſich über ſeinen Stock, wie es ſeine Gewohnheit war. „Nicht nur die Brunnen der alten Zeit find tot, rief er ausbrechend, „auch unſer eigenes Leben ver⸗ ſiegt, und unſere eigenen Toten laſſen uns allein. Ach, was ſoll ein Herz auf der Welt, das ſchwer iſt von Liebe und dieſe Liebe verſchenken möchte und niemanden mehr findet, der ſie annimmt! Geſchieht da nicht ein Riß im Weltbau, wenn die Liebe abreißt und allein zurückbleibt und ihr kein Zeichen wird

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aus der andern Welt?” „Das fagt der Mann, antwortete Laßberg, „der tiefer als alle andern in jene Welt geblickt hat?“ „Nicht in die hellen Regionen, ſondern in die dunk⸗ len”, erwiderte Kerner ſchmerzvoll; „die Liebe wohnt fo hoch oben, daß dieſe blinden Augen ſie nicht mehr erreichen. Er ſah brennenden Blicks in das farbige Dämmer des Wehr⸗ gangs, als wolle er ſich zwingen, Unſichtbares wahrzunehmen. „Der Seuſe vom Kloſter drüben am andern Ufer hat es wohl erfahren: ‚Alldieweil Lieb bei Lieb iſt, weiß lieb Lieb nicht, wie lieb Lieb iſt wenn aber Lieb von Lieb ſcheidet, weiß Lieb wohl, wie lieb Lieb war!“ Kerner ſtand ſeufzend auf und folgte dem Freiherrn in die Bibliothek.

„Hier“, ſagte Laßberg, eine aufkommende Bewegung nur halb verbergend, „liegt der edelſte Wein, den unſer Volk gekeltert hat. Und wer wollte hier noch ſagen, daß die Toten uns allein gelaſſen hätten!” Er zog einen handſchriftlichen Band hervor und blätterte ihn auf: „Wie das lebt und hervorquillt!“ rief er, ſich tief über die ſteifen Blätter beugend, „wie das duftet! Die Worte atmen alle noch, keins iſt abgeſtorben; aus einer ſolchen Schrift weht uns der Geiſt der Zeiten noch mächtig an, da das Edle mitten im Volke wurzelte und alle das Edle er⸗ kannten und ihm nachtrachteten! Aber man muß das ſpüren, man muß den Hauch einatmen! Und die Sprache, die wir heute ſprechen, faßt auch den Geiſt dieſer Zeiten nicht. Das Aleman⸗ niſche iſt ihnen näher, es iſt ſtärkeren Herzens. Es iſt auch mehr Heiliges darin. Und wenn gar die Menſchen mit der Druckerpreſſe kommen, ſo quetſchen ſie das lebendige Leben zu⸗ ſammen wie unſere Naturforſcher die Wieſenblumen im Her⸗ barium. Nein! Das will geſchrieben fein, Zug um Zug, Punkt um Punkt!“ Kerner war an ein Schreibepult getreten: „Hier ift es geſchrieben!“ rief er freudig, „und wie kräftig und klar!“ Er ſchlug neben dem geöffneten Band einen zweiten und drit⸗ ten auf, die dieſelbe männlich⸗altertümliche Handſchrift zeigten. Laßberg wandte ſich erſchrocken um: „Sehen Sie das nicht an! Sprechen Sie nicht davon! Das iſt nur der Zeitvertreib eines alten Jägers, der ſeine letzten Jahre lieber am Ofen verbringt als im Walde!“ „Nein!“ antwortete der Dichter feuchten

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Auges, „das ift eine große Arbeit, ein großer Dienit, den Sie uns allen und den vergangenen Zeiten leiften!”

Die Freude färbte die Wangen des alten Edelmanns, aber er zog ſeinen Gaſt von dem Pulte weg. „Kommen Sie, ich habe Ihnen Wichtigeres zu zeigen!“ In dem anſtoßenden Bücher— gewölbe entnahm Laßberg einem Fache ein Pergament, das an ſchwarzgelbem Bande ein Siegel trug. „Ich weiß doch, daß Sie hier in Meersburg auf den Spuren eines ſonderbaren, von Mit- und Nachwelt hart mißhandelten Mannes gehen. Sie wollen nicht davon ſprechen, vielleicht nur: noch nicht. Aber ſehen Sie, was ich hier habe!“ Kerner entfaltete erregt das Dokument: „Das Doktordiplom des alten Mesmer!“ rief er aus, aufs höchſte überraſcht, „erteilt im Namen Ihrer Apoſto— liſchen Majeſtät, der Kaiſerin Maria Thereſia, zu Wien! Und wie ehrenvoll für den viel geſchmähten Doktor!“ „Ich mache es Ihnen zum Geſchenk, vielleicht ermutigt es Sie, dem Alten weiter nachzuforſchen. Ich habe ihn vor mehr als vierzig Jah— ren noch geſehen, da er abſeits der Welt in Frauenfeld lebte. Den furchtbaren Abſturz ſeines äußeren Lebens hatte er über— wunden, ja, er ſchien ihn kaum erſchüttert zu haben. Eine wun⸗ derbare geſammelte Kraft ging von ihm aus wie vom Elemente. Seine Seele war, glaube ich, in vollkommener Ruhe. Die Menſchen hielten ihn für geheimnisvoll; vielleicht war ers nicht. Er war nur ganz feſt, ganz klar, reine in ſich gegrün⸗ dete Natur; darum konnte er wohl auch auf die Natur zurüd- wirken. Weichen Sie nicht von ihm, er wird Sie nicht un- belohnt laſſen. Auch der Arzt kann ja des Arztes bedürfen, und was iſt alle Heilkunſt, wenn fie die Seele nicht ins Gleich- gewicht fest!” „Ja,“ erwiderte Kerner, „in dieſem Sinne ift er ein Arzt geweſen; aus dem Ganzen ſtellte er den Einklang wieder her, der im einzelnen geſtört worden war. Und das Ganze iſt ja unendlich viel mehr als unſer irdiſches Leben.“ Wohl ſchien der Dichter noch mehr als ſonſt ſeinen Gedanken nachzuhängen, als er dem Schloßherrn wieder in das Wohn⸗ gemach gefolgt war, doch ſprach er nicht mehr von dem einſt viel gerühmten und viel geläſterten Manne, deſſen Doktor⸗ diplom er in der Taſche trug. Erſt als Laßberg die Fächer öff⸗

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nete, die feine Kameenſammlung enthielten, nahm Kerner wie⸗ der lebhaften Anteil. In den Steinen walte eine Kraft, er⸗ klärte er, die er unmittelbar ſpüre; ſie ſei auf ihn, als einen an die Erde gebundenen, ja am liebſten ſich auf der Erde la⸗ gernden Menſchen von viel größerer Wirkung als Kunſtwert und Arbeit, die er achte und verehre, ohne von ihnen gefangen zu werden. Halb auf dem Ruhebett neben dem Tiſche liegend, neigte er ſich über die Käſten, während der Freiherr, auf⸗ recht neben ihm ſtehend, auf das eine oder andere Stück hin⸗ wies. Da begegneten ſich die Blicke des Dichters und die Hand Laßbergs über demſelben Stein, als habe dieſer ſie an⸗ gezogen oder als habe der Blick des Dichters die ſchmale Greiſenhand gelenkt. Der Schloßherr nahm die Kamee her⸗ aus und reichte ſie ſeinem Gaſt: „Dieſes Stück habe ich auf eine ſo merkwürdige Art bekommen, daß ich es gar nicht als mein Eigentum anſehen kann. Wollen Sie mir die Freude machen und es als ein Andenken annehmen? Ein Jude brachte die Kamee vor langen Jahren einmal aufs Schloß; wahr⸗ ſcheinlich hatte er ſie aus dem zugehörigen Ring gebrochen und dieſen nach ſeinem Goldwerte verkauft. Daß die Arbeit nicht antik iſt, wußte er wohl; ein Italiener wird die Kamee geſchnitten haben. Aber ich nahm ſie ihm ab; es ſind Platos Züge, und ihn ſoll man ja nicht abweiſen, wenn er einem ins Haus getragen wird.“

Kerner hörte kaum zu; er hielt den Stein auf der flachen Hand und hauchte ihn ſachte an: „Nun tut er, als lebe er nicht, und doch iſt er wie einer jener goldgrünen Käfer, die ſich tot ſtellen, ſobald ſie gefunden werden. Aber die Dinge, die wir tot nennen, fordern nur Geduld; ihr Leben währt tau⸗ ſendmal länger als das unſre, und es kommt ihnen auf ein paar Jahre Schlafs nicht an. Ich will ihn mit mir tragen, vielleicht erwecke ich ihn, und er ſagt mir, woher er gekom⸗ men ift.”

Noch lange danach wehten die Klänge der Maultrommel über den mondbeglänzten See; die Nacht zog ſo hell über die höchſte Höhe des Sommers wie ein dämmriger Tag. Am ane dern Morgen tat Kerner, als ſei er eigens nach Meersburg

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gereift, um dicke Tintenkleckſe in die Mitte weißer Blätter zu ſetzen, das Papier zuſammenzufalten, zu ſtreichen und dann wieder aufzuklappen und ſich an den abſonderlichen oder er- ſchreckenden Gebilden zu weiden. Manche belachte er; andere flößten ihm Entſetzen ein; die merkwürdigſten legte er zurück, um ſie mit nachdenklichen oder ſpottenden Verſen zu verſehen und an ſeine Freunde zu ſchicken. Seiner Tochter war nicht ganz wohl bei dieſer Beſchäftigung; ſie ſchien einen unheim— lichen verborgenen Ernſt hinter ihr zu wittern. „Warum mußt du nur all dieſe dunklen Geiſter aufrufen, Vater? Laß ſie doch im Zintenfaß!” „Störe mir meine Wiſſenſchaft nicht! Denn eine eigene Wiſſenſchaft iſt die Kleckſographie, und ich werde als ihr Begründer in die Geiſtesgeſchichte eingehen. Freilich verſtehen ſich nur die darauf, die Scherz und Ernſt als die zwei Seiten der einen Sache und des einen Geheimniſſes be— greifen. Schau, wie dieſer da mit böſen Augen Hervorglost, ordentlich erbittert darüber, daß ich ihn erwiſcht habe! Aber er iſt nun abfonterfeit und ſoll uns nicht mehr davonfliegen!“ Er beſchwerte das Blatt mit einem Stein. „Ja, du biſt ans Licht geflogen und mußt darin aushalten, wie weh's auch tut. Je reiner das Schwarz der Tinte iſt, um ſo beſſer gelingts. Iſts nicht wichtig, zu wiſſen, was ſich alles im Finſtern tummelt? Mein Gott, der macht mir ſelber Angſt mit feinen ſteilen, gee wundenen Hörnern und mit Klauen beſetzten Flügeln! Die Kleckſographie iſt der Elementarunterricht in der Dämonen⸗ lehre. Wenn die Menſchen wüßten, von welchem Gelichter fie umgeben find! Darum”, fügte er hinzu, wieder ein Blatt zu- ſammenpreſſend, „hilft es den Herrſchaften nichts; ſie müſſen heraus; fie müſſen ſich ſelber abbilden in ihrer ganzen Scheuß⸗ lichkeit.

„Mein Himmel!“ rief er plötzlich, den Stoß wegſchiebend und aufſtehend, „könnten wir nur das Licht ebenſo abbilden wie die Finſternis! Könnten wir die Bilder der Engel auffangen! Aber wie? Nur das Dunkle hat Umriß und Geſtalt, und das Oben und Unten ſind voneinander losgeriſſen. Keine Leiter führt mehr hinauf. Kein Engel will uns tragen.“ Er nahm ſeinen Mantel um und ging zur Tür: „Ich will dem alten

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Mesmer wieder nachgehn. Vielleicht begegne ich ihm doch noch.“ Umſtändlich ſtieg er die Treppe hinunter; Marie blieb am Fenſter ſtehen und hörte, wie er unten, in dem engen bun⸗ ten Schloßgärtchen, die Magd anſprach: „Heute nacht habe ich ihn geſehen, den Turmgeiſt! Er hat einen Bart wie der Eldy- kopf im Wehrgang und einen langen haarigen Wickelſchwanz!“ Sein ſchwerer Schritt und das Aufklopfen des Stockes hallten durch das Torhaus.

In den folgenden Tagen wurde des Dichters Stimmung ruhi⸗ ger. Er ſaß oft an dem von Weinlaub überhangenen Fenſter und fühlte beglückt auf den halbgeſchloſſenen Augen den Schein des vom See ausgeſtrahlten Lichtes. „Die Schneegipfel hin⸗ ter dem Gee”, ſagte er einmal,, ſehe ich freilich nicht mehr. Es iſt zu viel Trauer durch mein Herz und über meine Augen ge⸗ gangen. Aber in meinem Innern wachſen die Gipfel ſachte, und die doch immer geliebte Erde reicht wieder in den Him⸗ mel.“ Marie fühlte ſich an vergangene Jahre erinnert, da die Eltern noch nebeneinander die überreiche Mühe und den Se⸗ gen ihres Lebens trugen; auch damals, mitten im friedevollen Glück des ſich ausſtrömenden Herzens, lag die Trauer in der Seele des Dichters, aber ſie gehörte zu ihm wie der Reſonanz⸗ boden zum Inſtrument; ſie war keine Laſt, ſondern ſein inner⸗ ſtes Eigentum, und das ſchien ſie in den letzten Tagen wieder geworden zu ſein, wenngleich die Sehnſucht viel ſtärker in ihm war als früher. So verging dieſe Zeit in vollkommener Klar⸗ heit; es war, als ob der Herbſt die ſommerlich glühenden Re⸗ benhügel ſchon geſtreift hätte, in deren Gängen dann und wann in den Abendſtunden die hohe Geſtalt des Freiherrn ſich zeigte; das Haupt von einer eng anliegenden Kappe geſchützt, mit lang wallendem Barte und, wie immer, die Schlüſſel ſei⸗ ner Burg mit ſich tragend, prüfte Laßberg die reifenden Trau⸗ ben. Kerner machte ſich indeſſen viel im Städtchen zu ſchaffen und kam einmal mit einem großen Paket beladen über die Schloßbrücke. Doch machte er ein Geheimnis daraus, in das er nur Marie bei verſchloſſener Tür einweihte.

Am Abend vor der Abreiſe ſaßen die Gäſte mit dem Schloß⸗ herrn im Wohngemach; das Fenſter ſtand offen, und die Ufer⸗

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höhen ſchienen befreit aufzuatmen nach der Sonnenlaſt des Ta⸗ ges, der See ſpielte noch in opalenem Licht. „Ich habe ſo viel empfangen auf der Meersburg,” begann Kerner, „daß ich gar nicht weiß, wie ich danken ſoll. Das Beſte hab ich aufgeſpart, und ich glaube, unſer verehrter Schloßherr weiß ſelber nicht, wie er mich beſchenkt hat. Denn”, fuhr er fort, wieder in die gewohnte, halb liegende Stellung zurüdfallend, als ich her— kam, war ich ja ein tiefgebeugter, tief unglücklicher Mann, der aus ſeiner Schmerzenswelt keinen Pfad fand in die höhere Welt der Verklärten. Dort oben wußte ich alles, was meinem Herzen teuer war, was ich liebte und verehrte; hier unten, wo mein Erdgewicht mich feſthält, war ich allein. Eine dicke Wol- kenſchicht hatte ſich zwiſchen die zwei Teile der Welt geſchoben; kein Strahl drang herab, kein Seufzer hinauf.

Und doch wohnten wir hier unter lauter ehrwürdigen Schat— ten, wie in einem Totenreiche. Denn der alte König Dagobert hat noch Inſitzrecht in ſeinem Turme; und wenn es wahr iſt, was ich glauben möchte, daß diejenigen, die am heißeſten Un⸗ erreichtes gewünſcht haben, noch oft auf die Erde wiederkehren, bis endlich der Wunſch ſtirbt nach ihrem Leibe, jo hat fic) vicl- leicht auch der Knabe Konradin noch nicht von dem Fenſter ge— loft, an dem er geftanden haben ſoll. Sah er doch von hier auf die Gipfel hinüber, vor denen das begehrte Reich ſeiner Väter lag und der Tod ihn erwartete. Und auch die Biſchöfe, deren Gebeine man in der Kirche wieder zuſammenſucht, mögen noch an dem alten Fürſtenſitze hangen und kleben. Und wer würde es wagen, die Dichterin anzurufen, die hier Unausdenkbares in ihrem Herzen begrub! Webte ſie doch ihr Lebtag in einem Zwiſchenreich, von dem wir nicht wiſſen, unter welchem Geſetze es ſteht!

Aber all dieſe Schatten hatten keinen Troſt für mich, der ich die Trauer um den verlorenen Teil meines Herzens mit mir herumſchleppte. Auch gibt es ja ein Leiden der Geiſterwelt, das noch herber iſt als das Leiden des Fleiſches; und wer an ihm teilhat, dem mögen ſich wohl die Tage verdunkeln. Endlich war ich um eines Schattens willen gekommen. Jahr um Jahr hat es mich zu dem alten Mesmer gezogen, der nicht ein Arzt

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war aus dem Studium, ſondern aus dem Willen und der Ahnung und vor allem aus der Kraft des Herzens, die erſt den rechten Arzt macht. Die Zeiten haben an ihm geſündigt; ich wollte verſuchen, dieſe Schuld zu verringern, nicht indem ich ihn lobte deſſen würde ich mich ſchämen —, aber indem ich einfach ſagte, was er war. Einen beſſern Dienſt können wir ja einem verehrten Menſchen nicht erweiſen, als zu ſagen, was er geweſen iſt. So bin ich hinauf zu ſeinem Grab gewandert. Als ich durchs Tor des Friedhofs ging, flog ein Vogel auf und dicht an mir vorüber. Ich legte mich auf eine der drei Stufen des ſonderbaren, tieffinnigen Denkmals, das Freunde dem Viel⸗ verkannten unter den Armen des großen Friedhofskreuzes ge⸗ ſetzt haben. Dieſe Freunde ſind wohl dahin; und die Nachwelt hat ihr Werk mißhandelt, den Stein verletzt und Dornen dar⸗ über wuchern laſſen; doch Gottes Auge leuchtet noch über Mes⸗ mers Namen, und auch die heiligen Kreiſe der Geſtirne ſind noch zu erkennen, die über dem Erdendaſein walten.

Dort verweilte ich lange, des Toten und ſeiner Lehre von dem wunderbaren Einklang alles Geſchaffenen gedenkend. Von den Gräbern der vor kurzem Verſtorbenen wehten ſchwarze Schleier, und ein weißer wehte vom Grabkreuz einer Junge frau. Fern unten ſoll man den See leuchten ſehen. Ich blickte zu dem Kreuze auf. Ich wäre ſo dankbar für ein Zeichen ge⸗ weſen. Aber ich wartete und wartete. Dann ging ich endlich.“ Kerner ſchwieg ſeufzend; das Zimmer hatte ſich verdunkelt. Marie entzündete ein Licht und blendete es auf einen Wink des Freiherrn ſorgſältig gegen den Dichter ab; dieſer hatte fein Geſicht mit der Hand beſchattet, die er nur langſam ſinken ließ.

„Nun verſuchte ich es auf den irdiſchen Wegen des Verſtorbe⸗ nen. Wie mächtig hatte mich oft das Verlangen bewegt, daß ich ihm hätte begegnen und von ihm lernen dürfen! Wenn ich nun vor ſeinem alten Hauſe in der Vorburggaſſe ſtand, vor das ich um vierzig Jahre zu ſpät gekommen war, ſo konnte ich wohl glauben, er lebe da oben ſein ſtilles Leben, jenſeits der Zeit, die ihn zu Wien und darauf zu Paris ſo mächtig emporgehoben hatte, um ihn wieder zurückzuſchleudern in dieſen Erdenwinkel

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feiner Väter. Denn daß der hochberühmte Mann im Alter hierher zurückgekehrt war, wo ſeine Väter Jäger und Fiſcher des Biſchofs von Konſtanz geweſen, und daß er an dieſer Enge der dürftigen, von Kindern und Fuhrwerken belebten Gaſſe hinter dem Schloß genug hatte, nachdem er Zeuge allen Glan— zes und allen Unheils ſeiner Zeit geweſen war, dies ſchien mir am wunderbarſten. Er ſelber hätte freilich geſagt: Was willſt du und was wunderſt du dich? Das iſt der See; der hat die Kraft der Sonne und des Alls in ſich geſammelt und ſie mei— nen ſchlichten Vätern und mir geſchenkt. Und dieſe Kraft habe ich den Menſchen in den großen Städten bringen wollen, die hinſterben wie vom See ausgeworfene Fiſche; mit ihr wollte ich fie zurückführen aus ihrem verdorbenen Leben in das unver— welkliche Leben der Schöpfung. Meinſt du, ich fei in den Städ— ten nicht geblieben, der ich war? Wie hätte ich ſonſt gewirkt? So konnte ich, nachdem ich des Geldes und Gutes, des Hauſes und Glanzes und ſogar meines Namens ledig geworden war, leicht heimkehren. Ich bin ja, was ich war, und der See iſt der See meiner Kindheit und meiner Väter, und die großen Kräfte ſchlummern in ihm und wirken in mir; und wenn ich Staub ſein werde, ſo werden ſie weiter wirken, und es iſt ein Leben und Weben über die Gräber hinaus.

Ja,“ fuhr Kerner leidenſchaftlich hingegeben fort, „faſt konnte ich ihn ſehen, wie er kräftiger Geſtalt und weißen Hauptes aus der Haustür kam er mußte ſich ein wenig bücken und ſei⸗ nen kleinen Einſpänner beſtieg und darin zum Seeufer hin⸗ unterrollte; wie er dort einen Kahn betrat, um nach der Mainau hinüberzurudern. Sobald er ſich der Inſel näherte, flogen ihm die Kanarienvögel entgegen, die dort, umgeben vom weiten Waſſer und gehalten von der milden Sonne, frei wie die Sperlinge niſteten. Sie ſetzten ſich auf ſeine Schultern und den breitkrempigen Hut, während er zwiſchen den Roſen⸗ büſchen auf und nieder ſchritt, und folgten ſeinem Kahne noch ein gutes Stück auf der Fahrt nach Radolfszell. Wie ihn auf dem Eiland die Vögel erwartet hatten, ſo am Stadtufer die Kranken. Er beſtrich leiſe ihre Stirnen und ſchmerzenden Glie⸗ der mit ſeiner Hand, die der verborgenen Kräfte mächtig war;

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er ſprach ihnen Troſt zu, oder er verſetzte fie, leife ſummend, in Schlaf, aus dem ſie gekräftigt wie nach einem Bade erwachten. Entgelt wollte er nicht; was er habe, ſei ihm geſchenkt worden, und er wolle es weiterſchenken, ſagte er, am Abend wieder die Ruder ergreifend und hinausfahrend.

Ich konnte ihn auch in vergangenen Zeiten ſeines Lebens ſehen. So, wie er zu Paris, während die Revolution ſchon her⸗ aufgärte, in dem dämmrigen Spiegelſaale ſeines Hauſes ſtand und die Glocken feiner Glasharmonika ſingend berührte er bediente ſich freilich eines edleren Inſtrumentes als ich, aber es freut mich doch, daß er es auf ähnliche Weiſe behandelte wie ich das meine und die Noten verſchmähte. Draußen barſt die Ordnung der Rieſenſtadt auseinander, aber er war gefaßt und ſtill, ein Spender guter Kräfte, den die aufgeregte Zeit freilich nicht mehr dulden wollte. Und oft muß ich mich fragen, wie es ihn berührt haben mag, daß Napoleon, der böſe Herr und die leibhaftige Erſcheinung dieſer Zeit, nach dem ruſſiſchen Aben⸗ teuer im bittern Winter hierher an das Seeufer verſchlagen wurde, wo der Arzt im Frieden des Alterns und Wohltuns lebte.

So ſah ich ihn wohl mit dem innern Auge; man kann ja auch mit der Herzgrube ſehen - und ſogar leſen, mögen unſere Ge⸗ lehrten mir das glauben oder nicht. Denn der Menſch iſt nicht allein auf die Sinne angewieſen; der ganze Menſch iſt Sinn. Und ich ſtieg in den Häuſern herum und fragte die Alten nach ihm aus. Der hatte ihn noch aus dem Fenſter ſchauen ſehen, jenem hatte er ſeine Schmerzen genommen; oder die alte Wartfrau wußte, daß ſein Kanarienvogel ihn morgens weckte und ihm den Zucker in den Kaffee warf. In allem, was ich von ihm hörte, erkannte ich die Spur eines wunderbar hellen Men⸗ ſchen von jener höheren Art, die ich immer herzlich gern ver⸗ ehrt habe. Hell waren ſeine Augen; auch ſchwere phyſiſche Ubel, an denen er litt, verdunkelten ſeine Miene nicht; hell war ſelbſt die Stunde ſeines Todes, da er der Erde ihren Zoll an Schmerz bezahlt hatte und bat, einen ſeiner Freunde zu holen, daß dieſer ihm auf der Glasharmonika ſpiele. Doch war er ſchon eingeſchlafen, als der Freund kam. Denn er hatte die

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Klänge der ewigen Harmonie im Ohre und ließ ſich lächelnd von ihnen hinübertragen.

Aber ich ſuchte ja mehr; ich bin von den Leidenden einer, die aus der Tiefe empor wollen und gerade darum nach dem Ein- klang trachten, weil ihr Herz zerriſſen iſt. Und dann machte mir die Frage zu ſchaffen, wie der Alte wohl das Kreuz be— trachtet hätte, das neben feinem ſonderbaren chriſtlich-unchriſt— lichen Denkſtein ſteht und dieſen hoch überragt. Und doch ſprach er wahr und drückte Gottes Werke aus, als er das har— moniſche Zuſammenwirken aller Kräfte, des Oben und Unten, der Geſtirne und Menſchen lehrte. Die Schöpfung will ja ver— klärt werden in ihrer ganzen Fülle; dieſe Verklärung iſt ihr verheißen, ſeit der Herr ſie betreten hat; und in deren Lichte ſah der Tote von Meersburg Gottes Welt. Vieles, was er ſonſt gedacht und geſchrieben, hat ſeine Zeit ihm aufgenötigt, die einem jeden die Laſt ihrer Irrtümer und Sünden aufpackt. Doch im Innerſten hatte er recht; er wollte der verklärenden Ordnung dienen, die er erkannt hatte.

Nur mir ſelbſt war die Welt in Stücke gegangen, in der er gelebt hatte und geftorben war. Sie freilich“, Kerner wandte ſich lächelnd an Laßberg, „können Heilige anrufen und finden faſt an einem jeden Punkte der Erde eine heilige Spur und einen Pfad, der hinüberführt. Ich kann mir nicht denken, daß wider Gottes Willen iſt, was aus der Andacht des Herzens ge- ſchieht, und es fällt mir wahrlich nicht ſchwer, vor der Mutter des Herrn die Kniee zu beugen. Aber doch iſt es mir verwehrt, ſolche Hilfe anzurufen. Darum daß ich es nur geſtehe flehte ich den alten Mesmer wie einen Schutzpatron an. Er ſollte noch als Schatten eintreten für feine Lehre. Da ſchenk— ten Sie mir fein Doktordiplom und am Abend desſelben Ta⸗ ges jenen Stein. Die Dinge regten mein Gemüt mächtig an, wiewohl ſie ja nichts miteinander zu tun hatten. Bald darauf forſchte ich einen Verwandten Mesmers aus. Es iſt ein Maler, und ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen oder gar einmal in ſeiner beſcheidenen Behauſung geweſen ſind.

Wunderbar iſt es ja ſchon, daß ein Maler hier lebt. Denn was könnte er zu tun finden, außer daß er einmal für eines der

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Klöfter am See einen Heiligen malen oder auffriſchen darf! So malt er denn auch ſeine Heiligen, und er tut es mit Liebe, die den Menſchen über ſich ſelbſt hinausträgt und darum das Geheimnis der Kunſt iſt. Soll ſie doch ein Höheres ſichtbar machen, auf daß es uns ergreife und hinaufziehe. Das ſagte ich dem Meiſter auch; und er ſprach mir aus dem Herzen, als er meinte: wer zu Gottes Lob ſinge, dürfe den Schnabel auftun, ſei ſeine Stimme auch noch ſo ſchwach. Auch male er lieber ein Bild zur Erquickung einer einzigen ſchlichten Seele als zum Augenſchmauſe der Tauſend, die ſich durch die Kunſthäuſer der Großſtädte drängen. Ich fragte nach Andenken an den alten Mesmer, und der Maler wies auf einen Lehnſtuhl in der Fenſterniſche, ein behagliches Stück; es ſtammte aus den Zei⸗ ten, da die Handwerker noch wußten, wie der Menſch am be⸗ quemſten ſitzt oder liegt. Auch Mesmers Meerrohr fand ſich noch, mit dem er die Kräfte ausſandte. Aber ich bin zu alt, um einen ſo mächtigen Zauberſtab noch zu gebrauchen.“

Dann zog der Meifter etwas ſehr Schönes hervor. „Sehen Sie hier.“ Kerner nahm eine Doſe aus der Taſche und reichte ſie dem Freiherrn: „Es iſt wohl eine franzöſiſche Arbeit; ein Ver⸗ ehrer Mesmers, der deſſen Lehre ſehr gut verſtanden haben muß, hat ſie ihm vielleicht in den Zeiten des Ruhmes ge⸗ ſchenkt. Sie ſehen die Himmelskugel mit ihren Sternen über der Erdkugel ſchweben; eine Kette verbindet das Oben mit dem Unten, und hier auf der Erdkugel verkündet ein Genius mit Poſaunenſchall den Namen deſſen, der den wohltätigen Einklang alles Geſchaffenen den Menſchen wieder verkündet hat.

Mir war, fuhr Kerner lebhaft fort, während Laßberg im Schein der Lampe die Doſe betrachtete, „als ſollte ich in dieſem Bilde ſehen, was ich ſo ſehnſüchtig zu ſchauen begehrt hatte. Doch war der Maler nicht zu bewegen, mir die Doſe zu über⸗ laſſen, und ich verſtand ihn nur allzu gut. Er lieh ſie mir, da⸗ mit ich ſie zeigen könne. Ein Andenken müſſe ich aber haben, ſagte ich; und ſchon dachte ich daran, das Ungetüm von einem Lehnſtuhl nach Weinsberg ſchaffen zu laſſen, da bemerkte ich, daß hinter einem Vorhang noch Bilder aufgeſtapelt waren. Ich

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lief hin und ſchlug den Vorhang zurück. Da - ſah mich der Alte ſelber an.“ Marie war aufgeſtanden und hatte mit Hilfe eines Dieners ein in Lebensgröße ausgeführtes Bildnis her— eingetragen; ſie ſtellten es im Hintergrunde des Zimmers auf den Boden, mit dem Rücken gegen einen Seſſel, ſo daß das volle Licht der Lampe darauffiel. Laßberg betrachtete erſtaunt das weiße Haar und volle Geſicht eines im höchſten Alter noch blühenden Greiſes. „So ſteht er vor mir,” rief er, „aus der Zeit, da ich ihn in der Schweiz ſah. Wie unähnlich ſind die Kupfer, die man von ihm verbreitet hat!“

„Ja, ſagte Kerner,, wie ſehr hat man fein Bild verfälſcht. Wer wollte es wagen, dieſen Mann dem Geſchlechte Caglioſtros zu— zuzählen? Seine Kraft war die Kraft der Natur, der allume faſſenden, des Himmels und der Erde. Das Bild iſt freilich nicht von unſerm Meiſter, und ich konnte es ohne große Mühe erwerben. Unſer Meiſter hätte vielleicht auch das Geheimnis nicht ausdrücken können, das ſich unter der Schlichtheit des Bildes birgt. Sehen Sie die verhaltene, unheimliche Feftig- keit der Gebärde, des Blickes; es iſt die Feſtigkeit eines Man⸗ nes, dem die Dinge williger als andern zu gehorchen ſcheinen. Aber bemerken Sie nicht etwas ganz Beſonderes an dem Bil- de?“ Laßberg betrachtete ſchweigend die Züge, die lebendiger zu werden ſchienen, je länger das Licht der Lampe auf ihnen lag. „Siehſt du!“ redete Kerner triumphierend feine Tochter an, „nicht ich allein bin blind, auch die ſcharfen Augen des alten Jägermeiſters finds. Und doch“, fuhr er ſehr ernſten Tones fort, „ſind wir hier auf der Meersburg, wo die große Dichterin Annette gewohnt hat, und oben ſteht noch das Hausgeräte, mit dem ſie umgegangen iſt. Auch ihre Augen waren ſchwach, aber wohl weniger noch vom Leid als von Geſichten. Sie erfühlte die Geſchichte der fremdeſten Dinge, die in ihrem Zimmer wa⸗ ren, ohne daß ein Menſch ihr ſagte, woher ſie ſtammten. Wir er⸗ fühlen ſie nicht; wir müſſen alles mühſam ausforſchen. Schauen Sie mir einmal zu!“ Kerner zog die Kamee aus der Taſche, ging auf das Bild zu und hielt den Stein neben den Stein an einem Ringe Mesmers; ſie glichen einander völlig. „Das hat Marie entdeckt, als ich das Bild herbeibrachte. Aber ich

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war damit nicht zufrieden, lief wieder zu dem Maler und be- drängte ihn um Schriftftüde des Verſtorbenen. Hier ift das Verzeichnis ſeines Nachlaſſes; in ihm iſt die Doſe angeführt und dann Ein goldener Ring mit einer Antike, Plato'. Denn der Ring, ſo erfuhr ich nun, war einem Förſter zugefallen; die⸗ jer verkaufte ihn ſofort ..

„An den Juden, fiel Laßberg ein, „der das Gold verhandelte und mir den Stein brachte.“ „Und darum”, fagte der Dich⸗ ter, einen Ring aus der Taſche nehmend, „habe ich dieſen Ring anfertigen laſſen, wie der Tote ihn trug. Und nun“, er fügte die Kamee in den Ring und ſteckte ihn an feinen Finger, „trage ich Mesmers Ring; das Bild und der Stein ſind zuſammen⸗ gekommen. Ich vermag es nicht anders zu glauben, er hat ſie mir geſandt. Und ſo wie ſich dieſe Dinge zuſammenfügen, die ja doch nur armſelige Zeichen ſind, ein paar Holzſtückchen auf dem Strom, ſo fügt ſich alles zuſammen in dem gewaltigen Kreislauf, der das Unten und Oben, das Diesſeits und Jen⸗ ſeits verbindet. Die Toten bleiben uns nah; und wenn wir ſie recht innig bitten, ſo geben ſie uns vielleicht auch ein Zeichen.

Ich mußte noch einmal zum Grabe. Und als ich wieder auf den Stufen unter dem Kreuze ſaß, da fühlte ich mich nicht mehr ausgeſtoßen aus dem Reich der Verklärten. Die Schleier weh⸗ ten mir zu; ich vernahm im ſtillen Innern Worte der Dichterin, die ja nicht weit von dem großen Wohltäter den Jüngſten Tag erwartet. Ob das nicht ihr Leiden war, daß ſie auf Erden ſchon den Morgenſchein wahrgenommen hat, der menſchlichen Augen ſo wehe tut? Ich fühlte ganz deutlich die liebende Nähe meines Weibes; und da war mir, als ob aus dem überwucher⸗ ten, mißhandelten Grabe leiſe Töne kämen und der Alte an die gläſernen Glocken der ewigen Harmonie rührte und ihr Tönen mit ſummender Stimme begleitete. Und ich fühlte keine Grenzen, keinen Widerſpruch mehr; das Band der ewigen Liebe reichte herab, und die Toten waren ſtill geſchart um un⸗ ſern Herrn. Denn Mesmer hatte wohl nicht den richtigen Na⸗ men für die Kraft, die er meinte: es iſt die Liebe, die von oben niederſteigt.“

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Laßberg ſah bewegt auf: „Nicht nur Sie ſelbſt haben Troſt ge- funden. Sie ſchenken ihn auch mir.“ Mit der ruhigen Feſtigkeit des Arztes, der auch die ſchmerzhafteſte Wunde zu berühren vermag, antwortete Kerner, den Blick auf ein Frauenbildnis richtend, das neben dem Schloßherrn hing: „Die Seelen, die einander erleſen ſind, verlieren ſich nimmer. Und die für uns erleſen waren, warten auf uns. Wer weiß, wie nahe wir ihnen ſind. Haben wir nur die Liebe gehütet in unſerm Herzen, ſo werden wir einander finden.“

Das junge Mädchen wagte das Schweigen der Männer, denen das Bildnis wie ein vertrauter Dritter gegenüberſtand, nicht zu unterbrechen. Endlich erhob ſich Laßberg und ging ans Fen— ſter. „Die Nacht“, ſagte er, „iſt ſchon vorüber, ſo hell iſt es über den Bergen; und es hat doch kaum erſt Mitternacht ge— ſchlagen.“

Am andern Morgen reiſten die Gäſte ab. Der Wagen ſtand auf der Schloßbrücke; das ſorgfältig umwickelte Bild Mesmers war fdon aufgeladen. Am Tore bat Kerner um einen Abs ſchiedstrunk. Er hob das dunkel glühende Glas an die Lippen und grüßte den See, das Schloß und die Weinhügel: „Und wenn wir den Wein nicht mehr trinken ſollten, der heute reift, jo wollen wir doch dankbar fein für dieſen Herbſt!“ Damit ſtieg er ein, Marie folgte; ſie hielt mit der Linken das Bild Mesmers und winkte mit der Rechten dem unter dem Tore ſtehenden Schloßherrn zu, während der Dichter barhäuptig, mit halbgeſchloſſenen Augen, dem Licht ſich zuwandte, das ſich noch immer in ungetrübter Fülle in den See ergoß und aus dieſem

widerſtrahlte. *

Ulrich von Hutten / Ich habs gewagt

Ich habs gewagt mit Sinnen! Und trag des noch kein Reu; Mag ich nit drangewinnen, Noch muß man? ſpüren Treu.

1 mit Bewußtſein 2 So muß man doch.

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Darmit ich mein:

Nit eim allein,

Wenn man es wollt erkennen, Dem Land zu gut,

Wiewohl man tut

Ein Pfaffenfeind mich nennen.

Da laß ich jeden liegen!

Und reden, was er will.

Hätt Wahrheit ich geſchwiegen, Mir wären Hulder viel.

Nun hab ichs gſagt,

Bin drumb verjagt,

Das klag ich allen Frummen. Wiewohl noch ich

Nit weiter flich“,

Vielleicht werd wiederkummen.

Umb Gnad will ich nit bitten, Dieweil ich bin ohn Schuld. Ich hätt das Recht erlitten“, So hindert Ungeduld,

Daß man mich nit

Nach altem Sitt

Zu Ghoͤr hat kummen laſſen. Vielleicht wills Gott,

Und zwingt ſie Not,

Zu handlen dieſer maßen.

Nun iſt oft dieſer gleichen Geſchehen auch hievor, Daß einer von den Reichen Ein gutes Spiel verlor. Oft großer Flamm

Von Fünklin kam;

lügen - 2 flieh mich gern einem richterlichen Urteilsſpruch unter⸗

worfen.

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Wer weiß, ob ichs werd rächen! Staht fdon im Lauf“,

So ſetz ich drauf:

Muß gahn oder brechen!

Darneben mich zu tröſten Mit gutem Gwiſſen hab’, Daß keiner von den Böſten Mir Ehr mag brechen ab, Noch ſagen, daß

Uff einig Maß

Ich anders ſei gegangen Dann Ehren nach,

Hab dieſe Sach

In gutem angefangen.

Will nun ihr ſelbs nit raten Dies frumme Nation,

Ihrs Schadens ſich ergatten?, Als ich vermahnet han,

So iſt mir leid.

Hiemit ich ſcheid,

Will mengen baß die Karten. Bin unverzagt,

Ich habs gewagt

Und will des Ends erwarten.

Ob dann mir nach tut denken“ Der Kurtifanen® Lift:

Ein Herz laßt ſich nit kränken, Das rechter Meinung iſt!

Ich weiß noch viel,

Wölln auch ins Spiel“,

1 Die Sache fängt ſchon an zu laufen.

2 kann ich mich mit dem Bewußtſein tröften, daß...

3 ſich erholen, ſich für den erlittenen Schaden Genugtuung verſchaffen. 4 nachſtellen -— 5 Pfründenjäger.

6 Ich kenne noch viele, die ſich am Kampf beteiligen wollen.

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Und ſolltens drüber fterben: Auf, Landsknecht gut Und Reuters Mut,

Laßt Hutten nit verderben! Aus „Hutten der Deutſche' in der Inſel⸗Bücherei

Hans Caroſſa / Lehrer der Hochſchule

In den aufgewühlten Monaten des erſten Semeſters war es doch immer wieder der Unterricht, von dem Beruhigung kam. Die Lehrer der Hochſchulen galten noch als nahezu unfehlbar, und in dem akademiſchen Getrampel, womit wir ſie bei ihrem Eintreten in den Hörſaal zu begrüßen pflegten, ſpürte man zu⸗ weilen, daß Menſchenfüße viel Herzlichkeit zum Ausdruck brin⸗ gen können. Erfreulich nüchtern, ganz undämoniſch war die Luft in jenen kahlen Räumen, wo alles der Erkenntnis des Wirk⸗ lichen diente.

Karl Goebel, der ſpäter den großen botaniſchen Garten in Nymphenburg ſchuf, lehrte an den Winterabenden nach fünf Uhr die Pflanzenkunde. Von der Sagenhaftigkeit ſeiner Welt⸗ reiſen umwittert, ſtand der ſchlanke breitbärtige Mann in dem überhellen warmen Saal zwiſchen den duftenden grünen Ge⸗ wächſen, deren Entwicklungen und Verwandtſchaften er uns anſchaulich machte. Im jahrelangen Umgang mit der Pflanzen⸗ welt war fein Geſicht ſehr ſanft geworden, und hatte man ſich an eine gewiſſe Eintönigkeit ſeines Vortrags gewöhnt, ſo emp⸗ fand man ihn dankbar als den Ordner eines unendlichen Stoffs. Wenige hatten damals ein ſo freies Auge für die ewi⸗ gen, zur Kunſt hinweiſenden Formen der Natur, und es ent⸗ ſprach ſeiner Art, in der Schönheit der Geſchöpfe den Ausdruck des Zweckvollen zu ſehen.

Gegen Ende des Halbjahrs kam immer eine Stunde, da Goe⸗ bels tiefem Ernſt eine wahrhaft kindliche Liebenswürdigkeit entwuchs und eine Art Ferienſtimmung das Auditorium erfüllte. Das war die Stunde, in der er die Gattung der Bromelia⸗ zeen behandelte und Ananas sativus nicht nur mit Worten be⸗

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ſchrieb, ſondern auch in ausgeſuchten Muſtern zeigte und ver- teilte. Wenn wir eintrafen und auf dem großen Tiſch die lan⸗ gen Reihen der faſt kopfgroßen orangefarbenen Früchte mit den metallgrünen Blätterſchöpfen erblickten, ſo wußten wir, was be— vorſtand, und das Getrampel, womit wir alsdann den pflan- zenkundigen Mann empfingen, ging ins Wütende, bis er lä— chelnd abwinkte. Wie ein Heckenzaun aber trennte uns von dem ſaftigen Genuſſe noch ein ausführlicher Vortrag, dem wir zu— letzt entnahmen, die Ananasfrucht fei, wiſſenſchaftlich betrachtet, nur eine Scheinfrucht, was unſere Begierde nicht verminderte. Und ſchon hatte der Diener begonnen, die ſchönen Gebilde zu zerſchneiden und die Schnitze auf Teller zu legen, die nun her— umgereicht wurden, während ihr Wohlgeruch den Saal erfüllte. Im Grund war das Ganze nur ein ſymboliſcher Vorgang und der Biſſen, der auf den einzelnen traf, winzig klein; doch leer ging niemand aus, und jeder fühlte ſich von dem verehrten Lehrer perſönlich zu einem Abendmahl eingeladen, jeder ſchlürfte andächtig ſeinen Schnitz.

Auch im chemiſchen Inſtitut an der Areisſtraße war uns ein aufregendes Erlebnis beſchieden, wenn Adolf von Baeyer, der Kenner der irdiſchen Stoffe, vor unſeren Augen einen Diaman- ten verbrannte. Dieſer Lehrer ſtand im höchſten Ruhm; ſeit langem war er geadelt, auch gehörte er zu den ſeltenen Men⸗ ſchen, denen man ſogar den Reichtum bewundernd verzeiht. Verdankte er ihn doch, wie man hörte, nicht irgendwelcher Hei- rat oder Erbſchaft, ſondern einer alchimiſtiſchen Großtat, der Entdeckung des künſtlichen Indigos, und obendrein waren die näheren Umſtände dieſes folgenreichen Fundes von abjonder- lichen, vergnüglichen Legenden umgeben. Es erhöhte ſehr un- ſere Selbſtachtung, daß ein ſolcher Stolz des Landes mehrmals in der Woche ſich dazu herbeiließ, früh zu uns zu kommen und uns das Abe feiner Wiſſenſchaft beizubringen, und wenn er nun gar einen echten Diamanten in Licht aufgehen ließ, um uns die reine Kohlenſtoffnatur des edelſten Steins zu bemei- ſen, die wir ihm auch ſo geglaubt hätten, ſo nahm dies jeder wie eine Auszeichnung hin.

Ich beſuchte das Baeper⸗Kolleg regelmäßig auch in der Faſchings⸗

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zeit, in der die meiften Hörer, von Maskenbällen geſchwächt, ausblieben, und erntete dann jedesmal einen Anerkennungs⸗ blick des Meiſters, der mich übrigens bei ſeinen leuchtenden, kniſternden, rauchenden und farbenwechſelnden Verſuchen zu⸗ weilen an Onkel Georg, den Zauberer, erinnerte. Nie vergeſ⸗ ſen konnte ich ſeine ſtaunende, faſt ſorgenvolle Miene, als mich einmal Erkrankung tagelang ferngehalten hatte. Auch du, Bru⸗ tus? fragten ſeine großen blauen Augen vaterſtreng, und ich ſchwor mir, fortan pünktlich zu kommen, auch mit hohem Fieber; ja zeitweiſe nährte ich den Wunſch, mich für immer dieſer Wiſſen⸗ ſchaft zu widmen, von welcher viele ſagten, ihr gehöre die Zukunft.

Was die Phyſik angeht, ſo wurde ſie damals noch in der Uni⸗ verfität gelehrt. In dieſer ſah ich die Hochburg des unbeding⸗ ten Geiſtes, und hier hatten wir Mediziner eigentlich nichts zu ſuchen; aber gerade dieſes Ausgeſchloſſenſein konnte mich manch⸗ mal reizen, an dem alten Phpſiker Lommel reſpektvoll vorüber zu Lipps, dem Philoſophen, oder zu Swan von Müller, dem Lehrer der alten Sprachen, zu gehen. Schließlich aber wurde mir der tägliche Umweg überhaupt läſtig, und ich fand mich da⸗ mit ab, mir mein Wiſſen nur noch in jenen äußeren empiriſchen Bezirken zu erwerben, die den künftigen Arzten vorbehalten waren. Die Phyſikſtunde zu ſchwänzen, machte mir übrigens auch aus anderen Gründen keine Gewiſſenspein. Lommel hatte das Licht erforſcht, wunderbare Entdeckungen waren ihm dabei geglückt, er bereitete Wilhelm Röntgen, dem Strahlenfinder, den Weg. Nun aber kränkelte er und ſprach mit ſo ſchwacher Stimme, daß mir die Hälfte ſeiner Ausführungen verloren ging. Außerdem hatte ein Vetter Hugos, während er ſelbſt noch auf der höheren Schulbank ſaß, einen ſo feinen Leitfaden jener Wiſſenſchaft verfaßt, daß es ſchlechterdings unmöglich war, in der Prüfung durchzufallen, wenn man ſich die kurzen Fragen und Antworten des dünnen Büchleins einprägte., Phpſik leicht gemacht' hätte man dieſen Katechismus nennen können; die Studenten nahmen auch gleich den Vorteil wahr, die Auf⸗ lagen jagten ſich und verſtärkten ſehr das Taſchengeld des jun⸗ gen Mannes, der den Text immer wieder den neueſten Theo⸗ rieen anpaßte.

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Faſt nie dagegen wurde das Kolleg Richard von Hertwigs, des Zoologen, verſäumt; es hatte den vornehmſten Stil. Keine Sonderreize hoben ſich hier vom ſteten Gang des Unterrichts ab; der klare Vortrag war Anziehung genug. Der Wunderwelt jener kleinſten Lebeweſen, die man gerade noch als Tiere be— zeichnen kann, galt Hertwigs Vorliebe; oft hätte man ihm den älteren Goethe als Hörer gewünſcht, und wenn er von der Verwandlungsfähigkeit der Geſchöpfe ſprach, fühlte man ſich wirklich an die Metamorphoſe der Pflanzen erinnert. Las man aber dann zu Hauſe nach, ſo ſpürte man freilich, daß eine an— dere Zeit angebrochen war. Goethe ließ auch noch in ſeinen be— ſtimmteſten Mitteilungen das Geheimnis durchfühlen, das alle Naturen umſchauert; er ſprach von den Kreaturen ſo, wie ein weiſer großer Bruder von ſeinen dumpferen Geſchwiſtern be— richten mag, deren Entwicklungen er liebreich verfolgt und auf Erinnerungsblättern feſtgehalten hat. Gewaltſamer Erkundun— gen enthielt er ſich, und ſchwerlich hätte es ihm zugeſagt, ein Tier bei lebendigem Leibe zu zerſchneiden, um ihm hinter ſeine inneren Einrichtungen zu kommen. Mittlerweile aber war ale les genauer, kühler, ſchärfer, ordnungsmäßiger geworden; die Erkenntniſſe kamen nicht mehr aus der Schau der wachträu— menden Seele, ſondern aus dem ſpähenden Verſtand; oben⸗ drein wirkten die Lehrer im öffentlichen Dienſt, und als Bee auftragte des Staates forſchten fie von Tag zu Tag unermüd— lich weiter. Sie taten dies auf die ſachlichſte, ehrlichſte, freimü⸗ tigſte Weiſe und gelangten zu ungeheuren Ergebniſſen; dabei ſtieg ihr Anſehen um ſo höher, je mehr ſie ſich perſönlich in den Hintergrund ſtellten.

Mich konnten in jenen Jahren hohe Titel noch völlig bezau- bern, da ich ſie wörtlich nahm, und es vertiefte meine Ehrfurcht vor den neuen Lehrern, daß faſt alle, wie Goethe, Geheimräte waren; ich traute ihnen ein Wiſſen zu, als wären ſie wirklich im geheimen Rate der Weltſchöpfung zugezogen worden. Eine Frage freilich, die mir damals viel im Kopf herumging, wurde auch von den Geheimräten nicht beantwortet, obwohl gerade ihre Vorleſungen ſie mir täglich aufdrängten, die erſte und letzte der Fragen: Wie iſt das Leben auf unſere Erde gekommen?

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Wir vernahmen, es hätten ſich alle Geſchöpfe aus einer Zelle entwickelt, aus niedrigen Formen ſeien immer höhere hervorge⸗ gangen. Damit mußten wir uns abfinden; aber jene Urzelle, wie war ſie entſtanden? Die Erde war einſtmals doch ein feuerflüſſiger Ball geweſen; in ſolcher Hitze hätte alles Eiweiß zerftört werden müſſen, und da jedes organiſche Sein an Ei⸗ weiß gebunden iſt, ſo wurde erſt nach der Abkühlung tier⸗ und pflanzenhaftes Leben möglich. Die Vorſtellung, es könne ſich Organiſches durch Urzeugung aus dem Unorganiſchen entwik⸗ keln, wies Hertwig ſelbſt als töricht zurück; wie aber war es zugegangen? Träumte man einſam über dieſen Rätſeln, ſo empfand man in ſeltenen Stunden das Leben wieder wie in Kindheitstagen als ein Anfangloſes, Ewiges. Es mußte behei⸗ matet ſein in einem Reich, dem weder Hitze noch Froſt etwas anhaben konnte, ſo wie auch der wildeſte Orkan den zarten Lichtſtrahl nicht zu zerſtören, ja nicht einmal zu beugen ver⸗ mag. Und als es irdiſch wurde, da wich es der Siedeglut aus, hielt ſich ſtets am äußerſten Saum. Eine Grenze war hier, eine ſchmale ſchwebende Zone, wo es beſtehen konnte; dies paßte zu der alltäglichen Erfahrung, daß es ein immer Gefährdetes iſt. Auch heute gedeiht es ja nur auf der dünnen Rinde der Ku⸗ gel, nicht in ihrem ſchweren, blinden, heißen Innern, das im⸗ mer an ihm zieht, aber auch nicht in der eiſigen Ferne des Athers, nach der es ſich ſehnt. Himmelskräfte hatten teil an ihm; es konnte nicht nur aus dem Sichtbaren wachſen. Daß der Ein⸗ gang zu jener anderen Sphäre in ihm ſelber verborgen ſein könnte, dies allerdings war ein Gedanke, der uns damals noch ganz fern lag; wir wußten nichts von Kant, auch nichts von Swedenborg und ſeiner Gefolgſchaft. Wer uns geſagt hätte, daß alles Gerede von der Urzeugung ewig hinter der Wahr⸗ heit zurückbleiben werde, ja daß nur ein engelhafter, ein mit⸗ vollziehender Geiſt zu erfahren vermöchte, wie das uns Wahr⸗ nehmbare aus dem nicht Wahrnehmbaren hervorgeht, den hät⸗ ten wir nicht verſtanden.

An einem der letzten Oktobertage beſuchte ich zum erſten Male die Anatomie. Eine Stunde ſollte hier täglich der Lehre gewid⸗ met ſein; zwei weitere gehörten den Übungen an der Leiche. Es

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war noch die alte Anſtalt an der Schillerſtraße; ich ging zu Fuß, von Abwehr und Neugier durchwechſelt. Dem Vater zür⸗ nend, der mich zu ſo fremdartigen Erfahrungen hinzwang, war ich doch ſchon im voraus auf ſie ſtolz; keinesfalls wollte ich Ekel oder Grauen an mich herankommen laſſen. Um eine Viertel- ſtunde zu früh erreichte ich das olivbraune Gebäude; doch hat⸗ ten ſich bereits zwei andere Studenten eingefunden, anſchei⸗ nend keine Neulinge. Sie unterhielten ſich mit einem weißbe⸗ kittelten Mann und gingen einer Stiege zu, die hinunter führte; ich vermutete, daß es der Leichenkeller war. Auf einmal hörte ich ſagen: „Die Herren treffens gut; heute früh iſt einer geköpft worden. Um zehn Uhr kann er bier fein.” „Es kommt wohl ſelten vor?” fragte der eine Student. - „In manchem Jahr gar nicht“, antwortete der Weißkittel und öffnete die Tür zu dem Keller, der eigentlich keiner war, da er von drei Seiten durch große Fenſter Licht empfing. Ich begrüßte die Gruppe und nannte meinen Namen; der Führende ſtellte ſich vor als Anatomiediener Haas.

Augenſcheinlich war hier erſte Pflicht, ſich unbewegt und kalt zu zeigen; fo tat auch ich, als wäre ich an weit Schlimmeres ge⸗ wöhnt. Die beiden Kollegen hatten es leicht; ſie ſteckten ſich, wie ſie ſagten, Zigarren ins Geſicht; ſo konnten ſie die unver⸗ wirrbar überlegene Haltung des rauchenden Mannes anneh⸗ men, indeſſen ich, mit keinerlei Tabak verſehen, auf mein eige⸗ nes Gleichgewicht angewieſen blieb. Wir ſtanden vor einem Selbſtmörder, dem die verwunderlich dünne, unter ſchwarz⸗ grünen Schwellungen halbverborgene Schnur noch nicht vom Halſe geſchnitten war; Kiefernadeln lagen auf den Augen, dürre Blätter in den Schlüſſelbeingruben. Die zwei Studenten zwangen ſich zu Witzen und umwölkten den ſtillen Mann mit Qualm. Andere Leichen warteten in rohen Särgen; manchmal nahm der Diener einen Deckel ab und gab Erklärungen. Wäh⸗ rend ich jedes anwehende Grauen abwies, wurde mir doch auf einmal ſchwindlig. Es waren jedoch weniger die ſehr entſtellten Geſichter, die mich innerlich bedrängten, als die anderen, die den freundlichen Schein des Lebens bewahrten. Ich hielt mich abſeits, um in einem unbewachten Augenblick nach oben zurück⸗

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kehren zu können. Dieſen Vorſatz verſchleiernd, blieb ich dann und wann ſtehen und hob ſchließlich von einem Sarge den Dek⸗ kel hoch, hatte aber Mühe, ihn nicht fallen zu laſſen: ein junges Weib ſtarrte mit weit offenen todestrüben Augen durch mich hindurch ins Leere. Wieder einmal, in dieſem Augenblick, wollte die Kindheit aufſteigen mit jener feierlichen Stimmung, zu welcher der Anblick der lichterumſtellten Aufgebahrten die Seele erheben konnte, mit ihrer Sorge um ein künftiges Le⸗ ben, die ſogar den Mumienarm nicht ausſchloß, und nun lernte man ſo viele kennen, die zu jener ehrbaren, blumenbekränzten Leichenwelt keinen Zutritt hatten. Ungeſchmückt, ungeſegnet ging eine ewige Totenwanderung durch die Anatomie; auch das Sterben war ins Wertloſe verweht, - wer wollte noch an Auf⸗ erſtehungen glauben? Die jugendliche Weibsgeſtalt wies keine Krankheitsſpuren auf; auch deutete nichts auf gewaltſames Ende. Das Haar war dicht und ſchwarz; die Augen ſchienen einen Reſt von Blickkraft zu bewahren. Ein Zug von Unter⸗ würfigkeit zeichnete das Antlitz; es hatte wohl auch im Leben keinen ſonderlich ſtarken Ausdruck beſeſſen. Dies war nun der erſte weibliche Leib, den ich in vollkommener Nacktheit ſah, und es war der Leib einer Verweſenden. Vor kurzem hatte ſie ge⸗ wiß noch manchem gefallen und nun doch keinen gefunden, der für ein ſchlichtes Begräbnis aufkam; nicht einmal die Augen waren zugedrückt. Einſt hatte die gute Kadinger Wirtin der er⸗ ſtochenen Frau Schmerold dieſen letzten Dienſt erwieſen, ſchon mahnte mich etwas, ihrem Beiſpiel zu folgen; aber jetzt blickten die anderen herüber, und gleich empfand ich meine Anwand⸗ lung als unerlaubt. Als wäre nichts Beſonderes zu ſehen, ließ ich den Deckel nieder und ging in das anatomiſche Theater hin⸗ auf. Hier waren die Sitzreihen in anſteigenden Halbkreiſen ge⸗ ordnet, von Gängen radial durchſchnitten; überall ſaßen ſchon Studenten, zartwangige und bärtige, um den Geheimrat Rückert zu hören. Einige plauderten; viele laſen den Simpliziſſimus. Als der Diener die Tür öffnete, durch die der Profeſſor gleich ein⸗ treten mußte, ging ein Rauſchen durch den hohen Saal, hervor⸗ gebracht von dem vielfachen Zuſammenfalten des beliebten Witz⸗ blattes; dann folgte der ſtaubaufwirbelnde Begrüßungstumult.

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Ich verſprach mir nichts Erhebendes von dieſer Stunde, durfte mich aber bekehren; denn hier wehte kein Vergängnishauch. Der Vortrag ſtand vielmehr im Zeichen eines Wortes, das uns lebenstraulich in die Lehre von der Zergliederungskunſt ein⸗ führte, eines ungemein deutſchen und Goethiſchen Wortes, das auch der Vater oft gebrauchte: Rückert ſprach von den Gewe⸗ ben. Er tat es mit Anſchauungskraft und hatte ſtets farbige Kreiden zur Hand, um dem geſprochenen Text auf einer gro- ßen Tafel nachzuhelfen. Gewebe, das waren alſo Verbindun⸗ gen gleichartiger Zellen; aus ihnen bauten ſich die Organe auf, ſogar das Blut konnte man als ein Gewebe aus zahlloſen Zellen betrachten, die durch eine Flüſſigkeit vereint und zugleich auseinandergehalten wurden. Wer den unendlichen Weberin⸗ nen die Aufträge gab, wußte niemand; ein umfaſſender Gott- geiſt waltete wohl zeugeriſch durch alles, in der Ausführung aber ſpürte man ein zutiefſt Mütterliches, das nach verborge- nem Plan Mpriaden Zellen zu immer neuen Gebilden hervor— wirkte. Es verfuhr dabei mit unerſchöpflicher Geduld; die Vor— ratskammern mußten überreich gefüllt ſein, und wie viele Stücke der Weberin auch mißlangen, ſie begann unermüdlich neue. So vereilte die Stunde im Glück des Begreifens, und als ich ſpäter, im Präparierſaal, abermals zu Leichen kam, war ich gegen Grauen und Schwindel ſchon geſchützt. Es konnte leicht glänzendere Sprecher geben als Rückert; aber ſein Ernſt, ſeine Gegenſtandsfreude ließen mich nachwirkend fühlen, wie ſehr es zum Daſein des Mannes gehört, gewiſſe Eindrücke auf ſich be⸗ ruhen zu laſſen und ſich treulich in den Dienſt einer Lehre zu ſtellen. Wenn der zum Heilen Berufene ſich durch die ſchreck— lichen Spiegelbilder fremder Untergänge aus dem Gleichgewicht ſcheuchen läßt, ſo nützt er niemand; er darf nur ſeinen Auftrag ſehen auf die Gefahr hin, daß er dem nicht Eingeweihten un⸗ menſchlich erſcheine. Im Alter der Halbreife kann ſich der Be⸗ ginn dieſer Einſicht ſehr zyniſch äußern; das iſt nur Notwehr gegen die verſtörende Drohung und Lockung des Chaos.

Es gab an dieſem Tage noch nichts Ernſtliches zu tun; man empfing allgemeine Weiſungen, ſchrieb ſich auf, was man an Inſtrumenten brauchte, und hatte Zeit, ſich umzuſehen. Fahle

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Sonne lag auf dem wuchtigen Rumpf des Enthaupteten; ihn umringte ein Schülerkreis, in welchem ſich auch ein hochge⸗ wachſenes rötlichblondes Mädchen befand, und die Gegen⸗ wart dieſes einzigen lebendigen Weibes veränderte die Stim⸗ mung des Raums. Blonder noch als ſie war der junge Lehrer, der im ſchwarzen Arbeitsmantel vor der Leiche ſtand und mit gedämpfter Stimme Erläuterungen gab. Man ſah ſeinen Hö⸗ rern an, daß ſie nicht Arzte werden wollten; ſie unterſchieden ſich deutlich von uns. Schon ihre Kleidung war ſorgloſer; einige trugen braune Samtjacken, keiner einen Präparierkittel. Ein Kamerad ſagte, der Dozent ſei Doktor Mollier, er erteile wöchentlich zweimal den Künſtlern Anatomie-Unterridt. Jetzt erkannte ich einen Landshuter Schulgenoſſen, den Maler Willi Geiger, deſſen großes Talent ſchon damals Aufſehen erregte. Er nickte mir zu, achtete aber gleich wieder auf Molliers leb⸗ haft⸗leiſe Rede. Mir war beim Anblick der abgeſonderten klei⸗ nen Schar, als umgäbe mich der Gewahrſam eines fremden Willens und als ſähe ich nun auf einmal nah Verwandte, die aber gar nicht auf den Gedanken kamen, mich befreien zu wollen.

Mollier war nicht mit Meſſer und Federzange verſehen; er ließ den Toten unverſehrt, unterrichtete nur mit Wort und Ge⸗ bärde. Einmal bat er die hohe Blonde, näherzutreten; dann nahm er ihre lange feine Hand und hielt ſie vergleichend neben die haarige Pranke des Gerichteten. Sie ließ es geſchehen, ohne zu erröten oder zu erbleichen, ganz dem Sinne der Er⸗ klärung hingegeben. Dies war nun wieder eine von den klei⸗ nen Szenen, die mir unvergeßlich wurden; ein Gefühl er⸗ wachte, als wäre von den Toten des Hauſes keiner mehr allein. Wie eine Seelenführerin ſtand die ernſte Jugendliche an dem Fenſter, durch welches in ſteigender Sonne die vollen weißen Trauben reifer Schneebeeren goldrötlich hereinſchimmerten; das Geſchick der Leichen trat in ein mildes neues Licht. Sie waren ein Stand mit eigenen Pflichten und Rechten geworden; ja in⸗ dem ſie ihre Auflöſung nicht wie andere den Elementen, ſon⸗ dern den Dienern der Erkenntnis und der Schönheit anheim⸗ gaben, entrückten ſie ſich in ein höheres Reich, wo ſie keiner

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brennenden Kerzen, keiner Blumenzier und keiner zärtlichen Gebräuche mehr bedurſten.

Mollier ſprach zu gedämpft, als daß ich ihn verſtehen konnte; doch begriff ich, daß er ſeine Schüler am Leibe des Menſchen Dinge ſehen lehrte, die wir nicht wahrnahmen. Auf Eingriffe verzichteten dieſe Lerner; fie fanden auf der Oberfläche Koft- bares genug für ihr Werk und für den Ruhm, auf den fie hoff⸗ ten. Mollier fuhr fort, ihnen Blick um Blick zu öffnen, und wo für unſereinen nur nackte Haut war, ja wo man ſich ein wenig jenem Kinde verwandt fühlte, das des Kaiſers neue Kleider nicht ſah, da machten ſie Augen, als hätten ſie Perlen und Rubine entdeckt. Meine mediziniſchen Kameraden nahmen dies fen Anatomie⸗Unterricht nicht ernſt; fie hielten es für einzig ehrenhaft, mit Pinzetten und Skalpellen im Bergwerk der Vergängnis zu ſchürfen, mühſam und vom Leichengift wie von Grubengaſen bedroht. Aus dem werdenden Buch

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Max Mell / Günther und die kleine Schwedin

Dieſen Sommer lang war der kleine Wieſenweg, der vom Dorf herauf an die Berglehne und ins Grüne geht, bei weitem mehr belebt als in früheren Jahren. Am Eingang zum Wald ſteht ein hölzernes Sommerhaus; es iſt ſauber und freundlich, aber ſo klein, daß wir uns nur ſchwer vorſtellen konnten, wie ſie denn alle Platz darin hätten, die im Juli angerückt kamen: eine Fa⸗ milie, in der es nicht weniger als vier Söhne gab, nur der jüngſte, zehnjährige war noch klein, die anderen hoch aufgeſchoſ⸗ ſen, alle mit feinen aufgeweckten, blonden Geſichtern, in denen man forſchen konnte, was ſie dem Vater und was der Mut⸗ ter verdankten. Sie war eine ſtattliche Erſcheinung guten tiro⸗ liſchen Angeſichts; der Vater, ein hoher Beamter mit bedeuten⸗ der Bildung, kam wenigſtens gelegentlich für kürzere Zeitab⸗ ſchnitte zu den Seinen. Die vier Burſchen waren vortrefflich erzogen, alle geſund und fröhlich, alle hatten Vorliebe für die Tonkunſt, und die Begabung des älteſten, des neunzehnjähri⸗ gen, hatte ſich bereits auch als ſo ungewöhnlich gezeigt und ſich

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in ihm bereits fo fehr entfaltet, daß er in ihr feinen Beruf zu ſuchen entſchloſſen war. Die Hornbrille, die er fo wie fein jüng⸗ ſter Bruder trug, gab ihm einen mild gelehrtenhaften Zug und täuſchte nicht über ſeinen Blick nach innen; Günther, der jüngſte, ſtrahlte durch ſeine Gläſer alle Welt an mit blauen Kinderaugen. Über feinem Geſicht lag noch der volle Schimmer der Frühe; vom Anſatz des kurz gehaltenen Kopfhaares ſchob ſich heller Flaum in reizender Heeresordnung gegen die Augen⸗ brauen, dann von den Schläfen herab die Wangen entlang und vom Hals herüber zum Kinn, eine kaum ſchnell zu über⸗ ſehende Anordnung, deren lichter kindlicher Glanz den Blick entzückte. Als der jüngſte hieß er auch Mädi, die anderen hat⸗ ten kräftigere Spitznamen. Er wurde, eben als der jüngſte, das eine Mal verhätſchelt und das andere Mal hart angelaſſen, wohl auch zu Tränen gebracht, nämlich wenn man ihm körper⸗ liche Leiſtungen oder Püffe zudachte, die den älteren unterein⸗ ander ganz verſtändlich waren, ihm aber noch über ſein Auf⸗ faſſungsvermögen gingen. Das war eine etwas rauhe Art der Erziehung, und da ſie meiſtens im Schwimmbad vor ſich ging, hatte ſie etwas von ſpartaniſcher oder ſonſt auf unbedingte Er⸗ tüchtigung des Körpers abzielender Art. Die beiden mittleren Brüder, die ohne Hornbrille, erſchienen gegenwärtig als die derbſten der vier; ſie wandelten eben durch ihre Flegeljahre, oft in einer Haltung mit gekrümmt herabhängenden Armen, wie man ſie von Abbildungen der Urmenſchen kennt, pflegten ſich mit fernhin gellenden Schreien und Pfiffen zu verſtändigen und waren jederzeit bereit, einen munteren Streich zu begehen, aber doch auch eine Gefälligkeit zu erweiſen. Ihnen gegenüber wirkte der älteſte weltabgewandt, der jüngſte aber ſo, wie ein kleiner roſiger Profeſſor in einem Kinderballett dargeſtellt würde. Er war übrigens keineswegs ſchüchtern; er hatte viel⸗ mehr eine Geſprächigkeit mitbekommen, die ihm in der Schule wiederholt Rügen zuzog. Es brodelte in ihm geradezu vor Eifer, die Dinge, die ihn beſchäftigten, auszuſagen, und als wir nun als Nachbarn an unſerem Waldabhang öfters zuſammen⸗ kamen, hielt er nicht lange zurück mit dem, was ihn beſonders feſſelte. Das war die Eiſenbahn, waren die Einrichtungen des

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Verkehrs. Er beſchränkte aber feine Aufmerkſamkeit nicht auf die Züge, die unſer ſchmales Waldtal durchrauſchten, ſondern ſie galt allen Strecken und nicht nur etwa denen unſeres Hei⸗ matlandes; es war ja klein genug, ſo daß ſich die Frage nach den Anſchlüſſen von ſelber ſtellte. Der amtliche Fahrplan gab denn auch Auskünfte und verkündigte unterm Strich noch mit raſch ſpringenden Zeitziffern Florenz und Rom, Köln und Oſt⸗ ende, Prag und Warſchau. An den Landesgrenzen fanden ſich ferner die fremdſprachigen Bezeichnungen für bekannte deutſche Ortsnamen wie für Eger, Bodenbach oder Preßburg. Die be- herrſchte er bereits und bemerkte liſtig, wenn ihm beim Buch— ſtabenſpiel ein Ortsname fehle, der mit V anfing, da er Veo nedig oder Villach natürlich bei den anderen Mitſpielern vor- ausſetzen müſſe, ſo brauche er bloß Velenice aufzuſchreiben, das nähme ihm gewiß niemand anderer vorweg. Ich wies ihn dar— auf zurecht und meinte, dieſer Ort käme für ihn als deutſchen Knaben nur beim Buchſtaben G für Gmünd in Betracht und er müßte die Frage eher unbeantwortet laſſen, als in eine fremde Sprache gehen; das ſah er dann ein. Als ich ankam, ſagte er mir, er habe mein Eintreffen mit Ungeduld erwartet, weil er von mir Aufklärung über eine ihm dunkle Bezeichnung erhoffe. Es hatte ihm jemand, der vom Süden kam, den italie⸗ niſchen Fahrplan geſchenkt; und da fand er bei gewiſſen Zügen den Zuſatz ‚mist’, und er konnte ſich nicht erklären, was dieſe Bezeichnung, der etwas Herabſetzendes anhaftete, heißen ſollte. Ich hatte das Vergnügen, ihn über den ‚treno misto’, den ge⸗ miſchten Zug, unterrichten und ſo ſeine Kenntniſſe erweitern zu können. Sprach aber nun jemand die Vermutung aus, daß er vielleicht einmal ſeinen Beruf bei der Eiſenbahn finden werde, ſo zeigte ſich, daß er andere Pläne hatte: er wollte ſich der Erd⸗ kunde widmen und fie etwa künftig lehren; mit kindlicher Wich⸗ tigkeit ftellte er dies als fein Ziel hin. Das alfo war Günther.

In dieſen Sommertagen kündigte ſich ein Beſuch bei uns an, eine Familie aus Schweden, mit der ſich nach einer gelegent⸗ lichen Begegnung ein Verkehr aus der Ferne angeſponnen hatte. Das Oberhaupt der Familie war ein angeſehener Arzt und Profeſſor, er bereifte Sfterreid) und Ungarn, vornehmlich

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um einige nambafte Anftalten zu befichtigen, aber aud) um fei- ner Frau und feinem Töchterchen Länder und Städte zu zei⸗ gen. Sie kamen an, das Ehepaar gewann uns neuerlich ſo⸗ gleich mit ſeinem lebhaften Weſen, beide waren der deutſchen Sprache ſehr wohl mächtig. Wir boten ihnen einen großen Raum im Hauſe an, das Fräulein möge nur entſchuldigen, daß wir ihm kein geſondertes Zimmer anbieten könnten. Die Mut⸗ ter erwiderte: „Oh, für Marp Ann wäre es nur eine Strafe, wenn wir es hier anders halten müßten als bisher auf der Reiſe und ſie nicht mit uns zuſammen wäre.“ Marp Ann horchte, was ihre Mutter von ihr ſagte. Sie ſprach nichts, ſie ſtand langgliedrig und ſchmal da in ihrer ſchottiſchen Bluſe und dem grauen Reiſeröckchen, mit einem unbewußt ſpähenden Aus⸗ druck in den Augen; die Schatten unter den Brauen und die gerade Naſe zeichneten die Kreuzform in ihr kleines Geſicht. Es war ein ernſter Hauch darüber gebreitet; es erſtand darin keine Bereitſchaft zu einem Lächeln, wenn man mit ihr ſprach, und es fehlte etwas an Farbe darin, ſo daß man wohl daran denken mochte, daß ſie eben ein Geſchöpf war, welches in der Mitter⸗ nachtsſonne aufgewachſen war. Jedoch ebenſo durſte man den⸗ ken, daß eine beſtimmte gefeierte Art ſchwediſcher Frauenſchön⸗ heit keine unbedingte Seltenheit ſei. Dies wird ja manchmal verſichert, und Marp Anns liebliche Kindhaſtigkeit ſchien es ſchon heute zu beſtätigen. Sie hörte einem mit Höflichkeit zu und antwortete durch geraume Weile nicht, ſie brachte erſt die kleine Anſtrengung hinter ſich, die gehörten Worte ſtill zu über⸗ ſetzen, hierauf überlegte ſie raſch den Satz, mit dem ſie deutſch antworten konnte, dann erſt ſagte fie: „Ja.“ Sie hatte es ja ſchwer; ſie war vierzehn und ſcheu, und ſie hatte ſich in der fremden Sprache zurechtzufinden. Ihr Händedruck aber war ſportlich und feſt. Das alſo war Marp Ann.

Man beſichtigte das Haus und den Obſtgarten, ließ ſich den Blick auf die Berghäupter erklären und ging ein kleines Stück den Waldgraben hinan, um Alpenveilchen zu pflücken. Am Abend kamen unſere Nachbarn, guckten die Fremden an, ſaßen ein wenig und gingen wieder. Am andern Tag traf ſich das junge Volk im Bad. Günther war belehrt worden, daß er ſich

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dem ſchwediſchen Mädchen gegenüber als Ritter zu zeigen habe. Bei ſeinen nächſtälteren Brüdern hätte ein ſolcher Vorſchlag ja nur Hohngelächter hervorgerufen. Als ſich Mary Ann, im Bademantel, auf das Geländer ſtützte und ins grüne Waſſer ſah, tauchte Günther wie ein junger Flußgott auf, das Waſſer ſtrömte ihm übers Geſicht und von feinen Lippen, und er klet⸗ terte herauf. Er lehnte ſich in feiner Schwimmhoſe neben Mary Ann und ſah wie ſie in das Waſſer hinab; ſeine gebräunte Haut beſtand aus unzähligen Stellen, die alle zitterten. Er ſprach nichts. Dann erſtürmte er die Höhe des Sprungbretts und machte ſeinen doppelten Kopfſprung ins Waſſer vor. Als er ihn wiederholt hatte, ging Mary Ann ins Waſſer und zeigte, wie ſie darin auf dem Kopf ſtehen konnte. Dann ging ſie heraus, nahm den Bademantel um und ſetzte ſich auf die Bank zu den Erwachſenen neben ihre Mutter. Dieſe erzählte, wie ſie manchmal am Strand daheim, wenn ſie nach ihren Kin— dern Ausſchau hielte, gerade die vier Paar Sohlen in ſchöner ſteiler Ordnung aus der Flut ragen ſehe.

Am Nachmittag beſuchten die Gäſte die Höhlen, die einen Kalkſteinriegel des Murtales in großer Ausdehnung durch— ziehen und die mit dem Wagen unſchwer zu erreichen waren. Zum Abendeſſen waren ſie wieder da, es waren auch unſere Nachbarn geladen, und ſo war es ein großer feſtlicher Tiſch. An dem Ende, wo die Jugend ſaß, war er angeftüdelt, und das er- gab vielleicht eine Enge, aber es war immer deutlicher wahrzu⸗ nehmen, daß es die Stimmung dortſelbſt nicht beeinträchtigte. Wenigſtens die drei Brüder gelangten untereinander zu breit⸗ ſpuriger Luſtigkeit. Günther freilich ſah angeſtrengt durch ſeine Brillen über den Tiſch hin und ſchien durch ſeine Tiſchnachba⸗ rin in große Verlegenheit geſetzt. Er tat den Mund nur auf, wenn es ſeinen Brüdern galt und wenn er einen Biſſen in den Mund ſteckte. Manchmal wendete er ſich beunruhigt zu Marp Ann, die neben ihm in anmutigem und aufmerkſamem Ernſt aß; aber es blieb beim Anlauf, und er zog ſich wieder zurück. Wir ſprachen über das, was unſere Gäſte dieſer Tage geſehen hatten, und über beſtimmte Eigenheiten des Landes und ſeiner Bevölkerung, und ſie verglichen ſie mit denen in ihrer Heimat.

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Es fehlte auch nicht die Frage nach den Frauen Schwedens, die Weltruf beſitzen, nach der beſtaunten Königin der Flimmerlein⸗ wand und nach der Dichterin, deren mütterlicher Erzählungs⸗ kunſt man nur warmen Herzens gedenken kann. Da war die Rede auf die Dichtung gekommen, und der Profeſſor nannte Verner von Heidenſtam, den er ſehr hoch hielt, und freute ſich zu erfahren, daß man ihn bei uns kannte und wußte, wie er König Karl den Zwölften und ſeine Krieger verherrlicht hat. Jemand fragte, ob denn nicht auch ſchon unter den früheſten Königen, die den Namen des kühnen Heerführers trugen, ähn⸗ lich bedeutende Männer geweſen. Der Profeſſor zögerte mit der Antwort; ſein Lächeln war erſt verlegen, dann verſchmitzt, und er erzählte, daß es die erſten ſechs Karle nie gegeben habe, ſie waren die ehrgeizige Fabelei eines alten Geſchichtſchreibers; als man dies aufdeckte, war es zu ſpät, die Zählung richtigzuſtel⸗ len. Niemand in unſerer Runde hatte dies gewußt, doch war man zu nachſichtiger Beurteilung des Vergehens und ſeiner Folgen geneigt. Die jungen Leute am andern Tiſchende inzwi⸗ ſchen waren auf Geſchichten aus dem abgelaufenen Schuljahr gekommen und gaben Proben von mißglückten Überſetzungen aus dem Lateiniſchen zum beſten. Günther, ſorgenvollen Ge⸗ ſichts, beteiligte ſich hieran wenig, um ſo mehr derjenige ſeiner Brüder, der an Marp Anns anderer Seite ſaß und ſich aus dem Zuſammenhang mit ihnen nicht zu löſen wünſchte. Der äl⸗ teſte fagte einen Satz, den fie lateiniſch geben ſollten: ‚Als mein Mann geſtorben war, reiſte ich nach Rom.’ Nach einigen Unſicherheiten, die den Schluß auf reichliche Sommerfreuden erlaubten, einigten fie ſich auf den Wortlaut: ‚Marito meo mortuo Romam profectus sum.’ Er beftritt, daß das richtig ſei, ſie fanden aber nicht, wo der Fehler ſitze. Endlich klärte er ſie auf, daß es heißen müſſe: profecta sum, denn nur ein weib⸗ liches Weſen konnte ſo ſprechen. Er erzählte, ein Geiſtlicher, zu dem ſie, Schüler und Schülerinnen, des Kirchengeſangs halber kamen, habe es ihnen aufgegeben, und ſie hätten den⸗ ſelben Fehler gemacht; aber natürlich, die Mädchen hätten zu⸗ letzt das Richtige gefunden. Die Burſchen lachten laut. Ja, ihnen fehlte es nicht an Unterhaltung. Aber die junge Dame,

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die da unter ihnen fab? Die Aufgabe, die Günther zugefallen war, war zu groß für ihn. Fand ſeine Gewiſſenhaftigkeit nicht doch endlich das Wort, das er an ſie richten konnte? Er ſpitzte den Mund, vielleicht hatte er jetzt etwas? Aber es verging wie⸗ der. Man hatte bisher mit dem Eſſen zu tun gehabt, und dieſer Umſtand beſaß entſchieden aufſchiebende Wirkung. Nun aber wurden die Teller weggenommen und für den Nachtiſch ge— wechſelt; nun freilich galt es zu zeigen, daß man ſich zu bench- men wußte. Der Zufall wollte es, daß das Gewirre der Tiſch— geſpräche gerade etwas abklang, und in dieſer kleinen Pauſe war die Stimme Günthers zu vernehmen, der ſich leicht errö— tend zu ſeiner Nachbarin wandte: „Ich habe einen alten ſchwe— diſchen Fahrplan.“ Eifer und Befriedigung ſtanden noch in ſeinem Geſicht, als ſich die Wirkung dieſer ſeiner Mitteilung äußerte. Marp Ann hatte ſeinen Worten mit der ganzen Auf— merkſamkeit gelauſcht, zu der ſie die fremde Sprache nötigte und die ihr ihre Höflichkeit eingab. Und dann auf einmal lä- chelte fie, und es war zum erſten Male. Sie hatte uns freund» lich angeſehen, und wir durften annehmen, daß fie nicht ungern bei uns war. Jedoch gelächelt hatte fie noch nicht. Sie ſah Gün⸗ ther an, und es war etwas in dieſem Blick, wie man einen von oben bis unten mißt, aber in unſagbarer Erheiterung. Und wahrhaftig, in ihren Wangen zeigten ſich Grübchen! Ach, hatte man nicht der Mitternachtsſonne Schuld beigemeſſen, wenn etwas Verſchattetes in dieſem kindlichen Geſichtchen war? Sie brauchte es nur, um dieſe Grübchen darin verborgen zu halten und dann mit bezauberndem Reiz ſiegen zu laſſen!

Das war die Entdeckung für die, welche fürſorglich den jungen Gaſt ein wenig im Auge behielten. An Günthers Mitteilung ſpann ſich das Geſpräch allerdings nicht weiter. Marp Ann zeigte nur, daß ſie ſie zur Kenntnis genommen habe. Günther aber hatte ſich unſtreitig brav gehalten und ſicher auch die An⸗ erkennung ſeiner Dame errungen. Denn wir ſahen nachher, wie herzlich der Händedruck war, mit dem ſich Mary Ann von ihm verabſchiedete.

Es iſt Herbſt geworden, ein weiter Raum von Stille ſpannt ſich von den Gipfeln der Berge herab übers Tal, licht ſcheinen

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die gelb gewordenen Lärchen und Birken in die Fenſter, und dem Einſamen ſcheint ſein Schritt auf der knarrenden Holz⸗ treppe des Hauſes überlaut. Da kommen wohl ſolche kleine Rückerinnerungen, man lächelt, und einmal findet ſich richtig die Stunde, in der man ſie aufſchreibt. Iſt es nicht, als ob man damit den einen Gedanken verſcheuchen möchte, der ſich in die⸗ fen Tagen allzu leicht einftellt: warum man ſich denn vom Sommer immer ſoviel Glückhaſtes erwartet und warum man an ſeinem Ende immer das Gefühl hat, daß er einem abermals etwas ſchuldig geblieben iſt. Ach, was iſt das für eine Frage! Keine, die wir in der Kinderzeit, in der Jugend geſtellt haben!

Aus einem ſteiriſchen Tagebuch

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Katharina Kippenberg / Aus Rilkes Leben

Im Winter 1910 machte er eine Reife nach Tunis, Algier und Agypten; aber beſſer als in der Wirklichkeit gelang ihm die Fahrt nach dem Wunderlande zweimal im Geiſte, das erſte Mal, als er ſeine Frau in Gedanken begleitete, das zweite Mal hinterher als ein den wirklichen Erlebniſſen Nach⸗Denkender. Denn un⸗ ter den Verhältniſſen, in denen er ſich befand, konnte er auf die großen Dinge nicht ſo eingehen, wie er gewünſcht hätte. Wohnen hätte man bei ihnen mögen, rief er aus, und er konnte ſie nur für einen ſpäteren Genuß einſammeln wie Ap⸗ fel unter dem Baume. Da ſind ſie denn auch tauſendfach frucht⸗ bar geworden bis in die Elegien und Sonette hinein.

In Paris lernte er im Dezember 1909 gleichzeitig die Fürſtin Marie von Thurn und Taxis und Madame de Naailles ken⸗ nen. Die Bekanntſchaft mit der erſteren ſollte große Folgen für ihn haben, die mit der letzteren gar keine, und gerade deshalb iſt ſie bemerkenswert. Die Marquiſe de Noailles kam in den Salon der Fürſtin Taxis geſtürzt und auf den Dichter zu mit der Frage: Qu'est- ce que vous pensez de la vie et de la mort? - In den Tauſendundein Nächten lieſt man öfters, daß Männer vor dem Liebreiz der mandeläugigen Schönen auf der Stelle in eine tiefe Ohnmacht gefallen ſeien. So ähnlich, in die Lebens⸗

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form der germaniſchen Raſſe übertragen, muß der Eindruck ge⸗ weſen ſein, den der Gaſt von der Dichterin empfing.

Er fab fie jedoch nicht wieder, und nur durch das ſchöne Profa- ſtück, die Bücher der Liebenden', das ſtatt einiger Seiten ur⸗ ſprünglich ein ganzes Buch werden follte, und durch die Über- ſetzung ihrer Verſe huldigte er ihr. Rilke ſchilderte bei ſeinem erſten oder zweiten Beſuch in Leipzig dieſen Auftritt mit lebhaf— ten Geſten und ebenſolchem Mienenſpiel, mit einem von Erin— nerung durchſtrahlten, von Selbſtironie ſchalkhaft durchblitzten, lachenden Geſicht, um ſchließlich mit dem mehr gerufenen als geſprochenen Wort: er hätte ſie nicht wiederſehen wollen, denn er wäre daran zugrunde gegangen, wegzuſtürzen, als würde er in einem letzten Wellenſchlag zur Türe hinausgetragen, der Be— wegung, die die Marquiſe ſeinerzeit in den Salon der Fürſtin Taxis hineintrieb. Jetzt find Briefe von Rilke an Anna de Noail⸗ les veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß er ihr doch einen Beſuch hat machen wollen. Gewiß ijt er da aber nur einer augen» blicklichen Verſuchung erlegen und im Grunde froh geweſen, daß äußere Umſtände ihn vor dieſem Sündenfall, der feinem cigent- lichen Willen entgegen war, bewahrt hatten. Das iſt ein ſtarkes neues Beiſpiel für ſeinen Glaubensſatz, der Dichter müßte ſich vom Leben zurückziehen, auf das wir meinen ſoviel Wert legen zu müſſen und um deſſentwillen uns das Erlebnis wichtig erſcheint. Die Begegnung mit der Fürſtin Taxis aber ſetzte ſich in eine Freundſchaft bis zum Tode fort, und auch der Fürſt ſtand Rilke wohlwollend freundſchaftlich gegenüber. In ihrem Kreiſe, in den er mit großer Wärme aufgenommen wurde, lernte er auch Ru⸗ dolf Kaſſner kennen, um defjen ‚Elemente der menſchlichen Größe’ er ſich dann zuerſt nachdenklich bemühte wie ſpäter um ſeine anderen Schriſten.

Fürſtin Marie Taxis hatte lebhafte geiſtige Intereſſen; ſie über⸗ ſetzte aus dem Deutſchen in das Italieniſche und umgekehrt, ja ſie hat ſich ſogar an der erſten Elegie verſucht. Sie muß einen ſtarken Stil in ihrem Weſen gehabt haben; ihre Sicherheit im Geſchmack und in der Beurteilung von Kunſtdingen, ihre Sprachbegabung und großzügigen Lebensformen deuten dar⸗ auf hin, daß ſie aus einem Blut heraus handelte, das ihren

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Kindern durch Generationen Erworbenes als angeborene Mit- tel für ein kultiviertes Leben in die Wiege legte. Gerade dies liebte Rilke. Auch muß ihr etwas Mütterliches eigen geweſen ſein, das ihn anzog und was entbehren zu müſſen er nie ver⸗ ſchmerzt hat. Ihr konnte er auch von Marthe erzählen.

Rilke war Rekonvaleſzent des Malte Laurids, wie er ſich aus⸗ drückte. Er hatte ſeither nur den Kentauer von Maurice de Guérin und den Sermon der heiligen Magdalena überſetzt. Für den nächſten Winter (den des Jahres 1912) hatte er al⸗ lerlei Pläne. München, Biarritz, Toledo wurden erwogen. Da ſie um ſeinen Wunſch nach Zurückgezogenheit wußte, bot die Fürſtin ihm ihr Schloß Duino an der adriatiſchen Küſte als Aufenthalt an. Er kannte es von einem längeren Beſuche dort, bald nachdem er ſeine Beſitzer kennen gelernt hatte. Es war eine alte, burgartige Feſte, vor deren Mauern das Meer rauſchte und um die die Stürme im Winter gewaltig tobten. Vom Dezember an war er da wirklich allein, im Januar ſchrieb er die erſte Ele⸗ gie nieder, wobei der Versanfang ‚Wer, wenn ich ſchriee, ihm wie von einer fremden Stimme plötzlich zugerufen war. Als ein Nebenwerk hat Rilke das Marien⸗Leben' bezeichnet, das er auch in dieſem Winter ſchuf und auf das er immer wenig Wert legte. Es war als die Einlöſung eines alten, mit Heinrich Vogeler verabredeten Planes entſtanden, wonach es eine Beglei⸗ tung zu Zeichnungen von dieſem ſein ſollte. Nun ſchwebten ihm italieniſche Bilder und vor allem ruſſiſche Ikonen dabei vor. Das band ihn an eine Ausdrucksweiſe, die er ſchon überholt zu haben meinte; und ſo kam es wohl, daß er dieſe liebliche Gedichtfolge nicht ganz als ſelbſtändiges Werk von ſich gelten laſſen wollte. Rilke las hier Goethe mit immer vermehrter Bewunderung, ſeine Italieniſche Reiſe, die Kampagne in Frankreich. Er las die Kammerſpiele von Strindberg, und er ſchrieb viele ſeiner für Geiſt und Herz gleich bedeutenden Briefe.

Das Klima mit dem häufigen Schirokko bekam ihm aber nicht; er fühlte ſich ſo erſchöpft wie erregt, allerhand Beängſtigungen wurden derart groß, daß er ſich mit Lou Andreas-Salome be⸗ riet, ob wohl eine pſychoanalptiſche Behandlung zu empfehlen wäre. Schließlich aber lehnte er ſie ab mit den herrlichen Wor⸗

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ten, fein Daſein, von deſſen Wunderbarkeit er wie von nichts ergriffen fei, wäre von Rettung zu Rettung dennoch fortge⸗ ſchritten, gleichſam immer durch das härteſte Geſtein. Welcher Arzt der Welt hätte ſich auch wohl berufen fühlen dürfen, die Schrift Gottes in dieſer Seele zu deuten oder gar den Verſuch zu machen, ſie zu korrigieren.

Von Duino aus fuhr er nach Venedig, wo Eleonora Dufe ſich aufhielt. Er hatte fie in Berlin in Ibſens ‚Rosmersholm’ ge— ſehen und immer leidenſchaftlich gewünſcht, ſie kennen zu lernen. „Das Bildnis’ entſtand nach dieſem großen Eindruck. Seine Jugenddichtung, die „Weiße Fürſtin', hatte er ihr einſt gewid— met. In Rodins Namen hatte er einmal an ſie geſchrieben, und Rodin hatte ihn eine eigene Nachſchrift anfügen laſſen, wie man ein Kind zu ſeinem Spaß auf das Pferd ſetzt, das man eben ſel— ber geritten hat. Hier nun wurde ſein Wunſch auf die leichteſte Art erfüllt. Er wohnte in der Wohnung der Fürſtin Taxis im Palazzo Valmarano. Da konnte er die Duſe empfangen, und er war bei ihr jeden Abend willkommen. Er hat oft geſagt, ihre Größe, ihr Sinn und Geſetz beſtünden darin, daß ſie keine, eben keine Schauſpielerin wäre, in der Bedeutung alſo etwa, daß das Leben und alle Schwere, die fie in ihm fand, unmittel- bar aus ihr herausflutete, als beinahe nebenſächlichen Anlaß die Figuren gebrauchend, in denen ſie auf der Bühne ſtand. Sollte ſie nun auch keine Schauſpielerin ſein, in dieſem beſonderen Sinne nicht, ſo war ſie doch von einem ungeheuren Theater immer umgeben und ſtand in einem Tumult von Leidenſchaften, Wünſchen, Szenen und Szenenwechſeln. Um keinen Theſpis⸗ karren konnte es bunter hergehen. Aber die bewegteſten Auf- tritte ſtellte ſie ſelbſt her. Jetzt eben wollte eine Freundin ſie durch ein für ſie ſelbſt geſchriebenes Stück der Bühne wieder⸗ gewinnen, von der ſie ſich gerade abgewendet hatte. Rilke wurde in die Konflikte, die ſich im Zuſammenhang damit ent⸗ wickelt hatten, hineingezogen. Die Senſibilität der Duſe war maßlos. Nach einer Stunde, ſchilderte er, hatte ſie ein neu be⸗ zogenes Zimmer umgewohnt und verwohnt mit ſeinen Möbeln, ebenſo gründlich, wie ſie die Menſchen verbrauchte. Wie ein Chriſtophorus ging ſie die Treppen hinauf, um auf der oberſten

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Stufe vor Weltſchmerz zuſammenzubrechen. Rilke, der, nur in rückſichtsvollerer Form, gewiß ebenſo fenfibel war wie die große Künſtlerin, zitterte bis in den letzten Nerv mit ihr mit und er⸗ ſchöpfte ſich darin. Dennoch fühlte er durch alle Unbequemlich⸗ keiten des Umgangs die für ihn unvergleichliche Frau, die ein⸗ zige, die zeigen konnte, was ſie war und fühlte, ohne durch die Umſetzung in eine Objektivität davon etwas zu verlieren. Plötzlich fuhren ſie alle auseinander, die Duſe nach Norden, die Freundin nach Süden, Rilke nach Duino, um im Oktober dar⸗ auf ſeine ſpaniſche Reiſe anzutreten. Aber noch ein Jahr nachher ſchrieb er an Helene von Noſtitz und ſpäter noch drängender und angſtvoller an den Baron Schep, ob man nicht Mittel und Wege finden könne, der Duſe in Deutſchland eine Bühne zur Verfügung zu ſtellen, um ein einziges, ein letztes Mal noch ſie zu einer großen Leiſtung aufzurufen und noch einmal den Menſchen das Wunder ihrer Kunſt und ihres Menſchentums zu zeigen.

Toledo zog ihn {don ſeit langem an, ſchon um der Grecos wil⸗ len, und man möchte nicht unerwähnt laſſen, daß auch die Un⸗ bekannte einen gewiſſen Anteil daran hatte, da ſie ihn in den in Duino veranſtalteten Sitzungen dorthin gewieſen hatte. Was er dort ſchaute, übertraf noch ſeine Erwartungen. In einer kahlen Landſchaft auf einem Felſen gelegen, ſtieg die Stadt zum Himmel auf, ein Abgrund, ein ſilberglänzender Fluß, eine Brücke, Türme, Kirchen, Bögen, Paläſte, Mauern und wieder eine Brücke, unter dem allen in trocken glühenden Farben die Ebene lag, ſo türmt Rilke dieſes Toledo vor uns auf, dichtet es, malt es, und kann doch nur dieſen ungeheuren Eindrücken gegenüber ſeine Zuflucht zu den Engeln finden, mit denen er ſeit dem Beginn der Duineſer Elegien fo nah umging. Ach, da wir Hilfe von Menſchen erharrten; ſtiegen Engel lautlos, mit einem Schritte hinüber, über das liegende Herz.“

Die Kühnheit dieſer landſchaftlichen und baulichen Formen mag geholfen haben, dieſe Weſen in ſeiner Vorſtellung zu vollen⸗ den, die göttliche und menſchliche Kräfte gleichermaßen perſo⸗ nifizieren. Greco ſchien ihm jetzt nur als ein Teil dieſes großen Gebildes, das Toledo hieß. Vier Wochen blieb er dort, dann

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Rainer Maria Rilke in Rippoldsau 1913

Erſcheinen, wie Rilke fand, unübertrefflich gut übertragen hatte, war er nahe befreundet. Als dieſer nun die Abſicht ausſprach, den Cornet zu überſetzen, ſagte Rilke ihm mit einem der hellſten ſei⸗ ner Briefe zu und erzählte ihm in ſeiner Antwort, wie er dieſes jugendliche Gedicht in einer einzigen Nacht ſtürmiſch auf das Papier geworfen habe, in der eilig dahinziehende Wolken den Rhythmus in ihm geweckt hatten: ‚reiten, reiten’. Er las Goethe und las Hölderlin, in der neuen Ausgabe von Norbert von Hellingrath, und Caroline Schelling, die er rühmt in der Art, wie er Elizabeth Browning und Louize Labe hätte rüh⸗ men können. Die Sonette der Louize Labé, einer Lponeſerin aus dem 16. Jahrhundert, die leidenſchaftliche Liebesgedichte ſind, überſetzte er zum Teil kurz vor dem Kriege, zum Teil ein paar Jahre ſpäter.

Da aber kam die Stunde, in der die Elegien in ihm aufſtehen wollten, in der er, was unerlöſt in ihm lag, ſich löſen fühlte und er erleben mußte, daß dieſer Auftrieb gelähmt und gehemmt wurde. Der Dichter hat ſchwer daran getragen. Er war wie er⸗ blindet für die Welt, teilnahmslos und kalt. In Aſſiſt, wohin er flüchtete, bedeutete ihm die Herrlichkeit, bedeutete ihm der heilige Franz nichts, gar nichts. Jetzt war es mit den Elegien für lange Zeit zu Ende. Er hatte einen Flug in das Leben ge⸗ wagt, und eine Hand aus einer höheren Ordnung hatte, wie es ſchien, ihn hart zurückgeriſſen. Das Gedicht ‚Wendung’ zeigt. einen erſchütterten Menſchen. Für den Aufſatz ‚Puppen’, der in dieſer Zeit geſchrieben wurde, muß man ſchon zu den Außerun⸗ gen über ſeine Militärzeit zurückgehen, um einen ähnlich bitte⸗ ren Zug zu finden. Die Puppe, die Larve, die, wie er es anſah, das Gefühl ſtets verkehrt, in ſchweren Lagen aber vollends im Stich läßt, war das feinem Zuſtand entſprechende Symbol. Wahr⸗ ſcheinlich hat auch Marthe ihm dieſe Zeit nicht erleichtern können. Dieſes Mädchen Marthe hatte er eines Tages in einem ärm⸗ lichen Viertel in Paris auf der Straße dahergehen ſehen, ſtarr vor ſich hinblickend, langſam, wie unter einer ungeheueren Laſt. Eine ſo tiefe Verzweiflung war in ihrem blaſſen Geſicht ausge⸗ drückt, daß es ihn durchzuckte: hier iſt ein Menſch, der vor dem Außerſten ſteht, hier muß ein Retter kommen. Und in der Tat,

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das junge Mädchen, hungernd, arbeitslos, hätte keinen Ausweg mehr gewußt, wenn Rilke nicht eingegriffen hätte. Als er ſie dazu gebracht hatte, ſich auszuſprechen, und ſie kennen lernte, beſtätigte ſich ſein erſter Eindruck. Sie war ein echtes Kind des Volkes, wunderbar urſprünglich, geſund, unbeherrſcht und wild, daß man ſie ſich in der Franzöſiſchen Revolution auf den Barrikaden hätte denken können, dabei aber begabt mit einer erſtaunlichen menſch— lichen Weite und Tiefe, mit Zartgefühl und Takt. Sie war früh— reif und unſchuldig zugleich, vom Elend verhärtet und doch aller Weichheit offen. Sie hatte ſo viel Verſtändnis für ſeine Gedichte, daß er ſie ihr alle vorleſen konnte, ihr mit am liebſten, wie er ſagte; er gab ihr Bücher wie die Marceline Desbordes-Valmores in die Hand, und ſie konnte ſich an ihnen freuen, wie ſie überhaupt begabt für Freude war. Sie hat eine Spur Genialität, ſagte er von ihr. Was der junge Arbeiter in dem, Brief eines Arbeiters' von ſeiner Freundin erzählte, ſie hätte ſich Gott vorgeſtellt wie eine Art Patron, den ſie ſo ſehr fürchtete, ja als den Erzpatron, ſtammt von Marthe, und daß Gott einen in den Kirchen in Ruhe läßt und nichts verlangt, hat gewiß Rilke ſelbſt ſie gelehrt, als er ſie auf einem ihrer Streifzüge durch Paris in die Kathedrale von Notre⸗Dame führte.

Als er ſie einmal beſuchte, holte ſie vom Fußende ihres Bet⸗ tes etwas hervor und hielt es ihm voll Stolz unter die Augen. „Ca pousse,” rief fie aufgeregt, „ea pousse.” Es war ein Topf mit einer Hpazinthenzwiebel, die ſie mit der Wärme ihrer Füße zum Blühen bringen wollte. Wenn ſie allein war, ſo ſetzte er ſich gern zu ihr in ihre Stube und ſah ihrem ſtillen Hantieren am Nähkorb zu, weil dieſes trauliche und anſpruchs⸗ loſe Tun ihn beſchwichtigte. Er fühlte ſich nie im Umgang mit ihr beſchwert. „Wie wenig bedeutet ein Menſch im Leben des anderen!” ſagte er einmal mit traurigem Blick. Doch in ſolchen Begegnungen, in denen die Menſchen ſich mit einer naturhaf⸗ ten Selbſtverſtändlichkeit gaben und ihm weitherzig Raum lie⸗ ßen für ſich ſelber, bedeuteten ſie ihm dennoch viel.

Marthe hat ihm nach dem Kriege wundervoll gerecht und ein⸗ ſichtig geſchrieben, er ſah ſie in der Schweiz und in Paris wie⸗ der. Ihr wollte er aus Leipzig ein Andenken mitbringen, ein

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kleines goldenes Kettchen, aber ein altes, wie es früher mit der Hand in der Werkſtatt gemacht wurde, etwa von einem Gold⸗ ſchmiedegeſellen, der von ſeinem ſtillen Fenſterplatz in den Gar⸗ ten der Meiſterin ſah, mit den ſchönen Blumenbeeten und der Laube aus Pfeifenkraut, ein Kettchen, das fein ziſeliert in zärt⸗ licher Rundung ſich um den Hals ſchmiegen würde. Wir ſuch⸗ ten viele Antiquitätenläden auf, ſolche, in denen die Möbel, geputzt und geſchniegelt und glänzend poliert, nach ihrer Rang⸗ ordnung ſtanden, die beſte Kommode in das beſte Licht gerückt, die alte Zuckerdoſe auf einem Spitzendeckchen auf einen kleinen ſpiegelnden Tiſch geſtellt; alle Gegenſtände korrekt mit den Ru⸗ nen verſehen, von denen ihre künftige Heimat ſo oft abhängt. Rilke freilich zog dieſen Läden die alten verſtaubten vor, in denen die Möbel wie ein Gerümpel waren und die Spuren ihrer Schickſale trugen, zerſchunden, abgeſtoßen, halb zerbrochen; dort Tiſche, die ihre Beine in die Luft ſtreckten, neben alten Blaſebälgen, Uhren, erblindeten Spiegeln, chineſiſchen Tee⸗ kannen ftanden, fie, die Sachen geworden waren, aber, von liebevollem Auge entdeckt, wieder zu Dingen werden konnten. Zu ihnen gehörte der ſchlurfende Schritt eines alten Mannes in Hausſchuhen, der die Gegenſtände aus ſo vielen Häuſern und Schickſalen zuſammengetragen hatte, dann aber ſeltſam paſſiv fie fic) ſelber verkaufen ließ, ja beinahe beleidigt ſchien, wenn man ſich näher nach ihnen erkundigte. In der Art, wie Rilke ſeinen Wunſch ausſprach, war die Freude enthalten, die er über das Kettchen haben würde, die Freude aber auch des einfachen Mädchens, das ſich mit Gold vielleicht zum erſten Mal ſchmücken durfte. Er trug ihn mit fo ſeelenvoller Innig⸗ keit vor und mit einem ſolchen Zutrauen, ſogleich das wärmſte Verſtändnis zu finden, daß eigentlich jeder dieſer Händler, den wir angingen, den größten Eifer hätte bezeigen müſſen, wenig⸗ ſtens nach dem Gewünſchten zu ſuchen. Doch kein einziger nahm wahr, was ihm mit dieſer Stimme und mit dieſem Blick ge⸗ ſchenkt wurde und welch koſtbares Körnchen Menſchentums ein großer Dichter hier für ihn abbrach; es fiel wie durch ein zu grobes Sieb achtlos zur Seite.

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Bücher aus dem Inſel-Verlag

Die Sprache iſt der Spiegel einer Nation; wenn wir in dieſen Spiegel ſchauen, ſo kommt uns ein großes, treffliches Bild von uns ſelbſt

daraus entgegen.

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Friedrich Schiller

Neuerſcheinungen 1938

Die Preiſe beziehen ſich, wo nichts anderes angegeben ift, auf den in Leinen gebundenen Band

Akerman, Achim von: Die Stunde vor Tag. Gedichte. M 4.-

Die Verſe des jungen baltiſchen Dichters haben den ganzen Reiz eines Beginnens, eines Ahnens und Aufbruchs, wie es der Titel verheißt.

Bertram, Ernst: Sprüche aus dem Buch Arja. Gebunden M 2.50 Der Band vereinigt Sprüche in Proſa und Spruchgedichte. Sie enthalten, in der bildkräftigen Sprache des Dichters, Gedanken je⸗ ner urtümlich deutſchen Welt, die im Michaelsberg ihr Spmbol fand.

Boland, Bridget: Die Wildgänse. Roman. Aus dem Engliſchen über⸗

tragen von Karl⸗Ulrich von Hutten. M 6.— Wildgänſe nannte man die Irländer, die im 18. Jahrhundert als Söldner nach Frankreich in die ‚Iriſche Brigade‘ kamen. In dieſe abenteuerreiche Welt führt das Erſtlingswerk der vierundzwanzig⸗ jährigen iriſchen Dichterin, ein Roman in Briefform, ein ſehr männliches Buch, für deſſen kraſtvoll jugendlichen Schwung man ſich raſch begeiſtern wird.

Bronte, Emily: Die Sturmhöhe. Roman. Aus dem Engliſchen über⸗ tragen von Grete Rambach. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Das berühmte Werk der engliſchen Romantik (1847 zuerſt erſchie⸗ nen) iſt in Deutſchland ſo gut wie unbekannt geblieben. So wird es mit feiner leidenſchaſtlich bewegten Handlung, mit den phan⸗ taſtiſchen Bildern aus der düſteren Moorlandſchaſt Porkſhires als eine literariſche Entdeckung wirken.

Carossa, Hans: Gesammelte Gedichte. M 4.-

Die neue Ausgabe der Gedichte bringt als Zuwachs ‚Die Flucht‘, ‚An das Ungeborene“ und „Lebenstag“.

Carossa, Hans: Wirkungen Goethes in der Gegenwazt. Eine Rede. Kartoniert M 1.80 Die Rede, die Hans Caroffa auf der diesjährigen Tagung der Goethe-Geſellſchaft hielt, tft ein Stück Lebensbericht, beginnend mit der Erzählung von der früheſten Begegnung mit Goethes Dichtun⸗ gen, gipfelnd in der Zuverſicht, daß unſere Zeit, keineswegs goethe⸗ fremd, den ſtärkſten Auswirkungen des Genius erſt entgegengehe.

Dehn, Fritz: Das Gespräch vom Tode. Gebunden M 3.-

Dionpſiſche Lebensbejahung und prieſterliche Weisheit, theoſophi⸗ ſches Grübeln, dichteriſche Verklärung und herber Realismus des

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Mannes der Praxis begegnen fic in dieſem ‚Endgeſpräch“ beim Aufbruch vom Gaſtmahl des Lebens.

Goethe: Sämtliche Werke. Welt-Goethe-Ausgabe der Gutenbergſtadt Mainz und des Goethe- und Schiller⸗Archivs zu Weimar. Heraus- gegeben von Anton Kippenberg, Julius Peterſen und Hans Wahl. 50 Bände mit Regiſterbänden. Jeder Band M 10.—, in Halbleder M 14.—. Bisher erſchienen die Bände:

5. Weſt⸗öſtlicher Divan mit den Noten und Abhandlungen. Her— ausgegeben von Konrad Burdach.

6. Epen und Kantaten. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf.

7. Gotz von Berlichingen. Herausgegeben von Hans Wahl.

12. und 13. Urfauſt; Fauſt, ein Fragment; Fauſt I und Fauſt II.

Herausgegeben von Max Hecker.

Die Welt⸗Gocthe⸗-Ausgabe will die endgültige Form der Texte bringen, auf Grund der Arbeitserfahrungen des Goethe- und Schil— ler⸗Archivs. Sie wird neben den Dichtungen auch alle wiſſenſchaft— lichen Schriften Goethes umfaſſen, darüber hinaus aber auch Teile aus Tagebüchern und Briefen berückſichtigen, die als Beſtandteile von Goethes Schaffen ſozuſagen ſeinem Werk zugehören. Die Aus— gabe wird auf der Mainzer Preſſe in der Fichte-Fraktur gedruckt. Es ſollen jährlich etwa fünf Bände erſcheinen, ſo daß die Ausgabe zum 200. Geburtstag Goethes 1949 abgeſchloſſen vorliegt.

Goethe: Iphigenie. Erſtmalige Fakſimile-Wiedergabe der Handſchrift Goethes. Mit einem Nachwort von Hans Wahl. In Schuber M 18.- Zum erſten Mal wird hier die Handſchrift wiedergegeben, die uns in ihren unterſchiedlichen Tinten das getreue Bild vom Schaffen des Dichters während ſeines Aufenthaltes in Italien bietet. Einer unſerer ſchönſten Fakſimile⸗Drucke.

Hoffmann, E. T. A.: Die Elixiere des Teufels. (Bibliothek der Ro⸗ mane.) M 3.50 Das Motiv der Seelenſpaltung und des Doppelgängertums bewegt die künſtleriſch verſchlungene Handlung des Romans, in dem die kühne Phantaſie E. T. A. Hoffmanns wie in kaum einem anderen Werk mit den Nachtſeiten der menſchlichen Natur ihr unheimlich— großartiges Spiel getrieben hat.

Kamban, Gudmundur: Der Herrscher auf Skalholt. Roman. Übertra- gen von Edzard Schaper. M 7.50 Der Roman ‚Die Jungfrau auf Skalholt“ hat den isländiſchen Dichter bei uns bekannt gemacht. Der vorliegende zweite Teil bringt das großartige Skalholt⸗Epos zum Abſchluß. Im Mittel- punkt ſteht der Biſchof, der immer tiefer in die Einſamkeit hinein⸗ wächſt und den unauslöſchlichen Haß gegen den ‚Verführer“ der Tochter mit in die Ewigkeit hinübernimmt.

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Kassner, Rudolf: Buch der Erinnerung. St 7.-

Rudolf Kaſſner, der im Herbſt 1938 fünfundſechzig Jahre alt wird, gibt in lebendiger Schilderung Erinnerungen an die Begegnung mit Menſchen ſeiner Zeit: Stefan George, Wedekind, Dilthep, Her⸗ man Grimm, Houſton Stewart Chamberlain, Mitterwurzer und die Duſe, Rainer Maria Rilke und die Fürſtin Taxis, und Erinne⸗ rungen von Reiſen in Spanien, Afrika und Indien. Den Beſchluß bilden Briefe von H. St. Chamberlain.

Kassner, Rudolf: Der Gottmensch. Eſſaps. M 4.50 Der Band umfaßt folgende dichteriſche Eſſaps: Die Wiederkehr (Brief vom Beſuch der Platoniſchen Akademie in Alexandrien), Servet (Ein Geſpräch über Macht und Liebe), Der Weg Dionp⸗ fos und Chriſtus, Julian Gleichnis der Seele, Ein Totengeſpräch (zwiſchen den Seelen Ludwigs XIV. und Boſſuets im Fegefeuer).

Keller, Gottfried: Gesammelte Werke. Vier Bände. Neue Ausgabe M 20.-; in Halbleder M 28.- Die neue Ausgabe enthält als Zuwachs eine erweiterte Nachleſe der Gedichte, ferner Aufſätze, darunter die ſchönen Außerungen Kel⸗ lers zu den Werken ſeines großen Landsmannes Jeremias Gotthelf.

Kippenberg, Katharina: Rainer Maria Rilke. Neue erweiterte Aus⸗ gabe. Mit 12 Bildtafeln. M 7.50 Das vor drei Jahren erſtmals erſchienene Werk hat im Biographi⸗ ſchen wie in der Betrachtung der Werke eine ganz weſentliche Er⸗ weiterung erfahren. Zahlreiche unveröffentlichte Briefe konnten be⸗ nutzt werden, um auf weite Strecken den Lebensgang des Dichters zu erhellen.

Koch, Rudolf: Das Münster zu Straßburg. In Holz geſchnitten von

Fritz Kredel und Liſa Hampe. 80:135 cm, Gedruckt durch die Dru⸗ gulin⸗Preſſe zu Leipzig. In Pappſchatulle M 12.- Rudolf Koch hat in einigen Architekturblättern ſein ſtarkes Emp⸗ finden für die Große von Werken der Baukunſt offenbart. Das be⸗ deutendſte Blatt legen wir hier vor - ſchönſte Huldigung für das geniale Werk Meiſter Erwins von Steinbach. Das Blatt bildet einen herrlichen Wandſchmuck.

le Fort, Gertrud von: Die Magdeburgische Hochzeit. Erzählung.

M 5.50

In großen ſtarken Bildern ſchildert die Dichterin die tragiſche Si⸗ tuation Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg. Mit den geſchicht⸗ lichen Ereigniſſen iſt das Schickſal einer jungen Magdeburgerin verknüpft. Die Eroberung der Stadt, ſchon in den zeitgenöſſiſchen Flugblättern mit grauſiger Poeſie als „Hochzeit“ bezeichnet, erſcheint als Jüngſter Tag und Weltgericht: aus dem Untergang erhebt ſich das Ewige in reiner Herrlichkeit.

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Meyer, Conrad Ferdinand: Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeſchichte. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Der große hiſtoriſch⸗politiſche Roman des Schweizer Dichters iſt auch heute noch, als was ihn Theodor Storm dem Freunde Gottfried Keller gegenüber rühmend bezeichnete: eine grandioſe Leiſtung.

Mörike, Eduard: Werke. Mit einem Geleitwort von Friedrich Lud⸗

wig Barthel. Zwei Bände auf Dünndruckpapier. M 12.-; in Leder M 20.- Die Ausgabe enthält die Gedichte nach Mörikes Ausgabe letzter Hand, mit einer Nachleſe, aus der nur das allzu Zeitgebundene ausgeſchieden iſt, die Anakreon⸗Ubertragungen, die Erzählungen und Märchen, den Roman Maler Nolten“ in ſeiner erſten Faſſung und das ſchöͤne Nachwort des Dichters Friedrich Ludwig Barthel.

Rilke, Rainer Maria: Ausgewählte Werke. Zwei Bände. Mt 12.-; in Halbleder M 18.- Die ſechsbändige Ausgabe der Werke Rilkes tft vergriffen. An thre Stelle tritt die vorliegende Ausgabe von zwei umfangreichen Bän— den, die alle Hauptwerke vollſtändig bringt, dazu eine Auswahl aus den Späten Gedichten und kleinere ſorgfältig ausgewählte Proſawerke, zum Teil aus dem Nachlaß. Die Ausgabe bietet, in- dem ſie das Weſentliche bringt, ein um ſo geſchloſſeneres Bild vom Schaffen des Dichters.

Schnack, Friedrich: Gesammelte Gedichte. M 5.— In den Gedichten erklingen rein und ſtark die Töne aus der frän⸗ kiſchen Heimat des Dichters und aus zauberhafter Tropenwelt, nungsvoll rühren die ſchönſten Strophen an das Geheimnis in aller Natur.

Schnack, Friedrich: Klick und der Goldschatz. Ein heiterer Roman. M 5.— Friedrich Schnacks reizender Roman „Klick aus dem Spielzeugladen“ erhält hier ſeine in ſich abgeſchloſſene Fortſetzung: Die bunte Ge⸗ ſtaltenwelt rund um den kleinen Klick aus der Dresdner Weber⸗ gaſſe findet ſich zu neuen Abenteuern heiterer und beſinnlicher Art zuſammen und unterhält uns aufs beſte.

Schneider, Reinhold: Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Kon⸗ quiſtadorenzeit. M 5.- Vor dem Indienrat des greifen Kaiſers Karl prallen die Gegen⸗ ſätze der Meinungen über Ziel und Mittel des ſpaniſchen Regi⸗ ments in Amerika hart aufeinander. Der Dichter in Reinhold Schneider hat an dieſen Szenen nicht geringeren Anteil als der Hiſtoriker: ſein neues Buch lieſt ſich wie eine hiſtoriſche Erzählung großen Stils.

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Seipp, Bettina: Neapel und Sizilien als Land der Griechen erlebt. Mit 46 Bildtafeln. M 6.50 Eine deutſche Frau, tief ergriffen und erfüllt vom Weſen des alten Hellas, führt uns von Neapel und den denkwürdigen Stätten ſei⸗ nes Golfs nach Päſtum und weiter zur Homeriſchen Inſel Sizi⸗ lien, nach Taormina, Sprakus, Enna, Agrigent, Selinunt und Se⸗ geſta. Eine Begeiſterte, die fich zugleich als eine ſachkundige Führe⸗ rin erweiſt, ſchrieb dieſes Buch.

Spunda, Franz: Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern. Mit 64 Bildtafeln. M 12.- Auf ſieben Reiſen hat Franz Spunda die griechiſche Welt erlebt. Antikes ſteht neben Modernem, das Reiſeerlebnis unſerer Tage neben der Beſchwöͤͤrung der alten Götter. Es iſt ein Buch der far⸗ benreichen Szenen griechiſchen Lebens und zugleich ein Buch der Be⸗ ſinnung auf die geiſtigen Mächte, die Griechenland der Welt gab.

Stendhal, Friedrich von: Die Kartause von Parma. Übertragen von Arthur Schurig. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Neben ‚Rot und Schwarz' tritt mit der ‚Kartauſe“ das zweite Hauptwerk Stendhals in die „Bibliothek der Romane“ neben Julian fein geiftiger Bruder Fabrizzio, auch er die Verkörperung des ungeſtillten Tatendranges ſeines Dichters.

Stifter, Adalbert: Werke in sieben Bänden. Mit einer Einleitung von Max Mell. Jeder Band M 6.-; in Leder M 10.— Bisher erſchien: Studien: Zwei Bände. M 12.—; in Leder M 20.- (Die Bände werden auch als Einzelausgabe ohne Bandzahl geliefert.) Unſere endgültige Stiſter⸗Ausgabe, die im Jahre 1939 vollſtändig vorliegen ſoll, umfaßt: Studien, Bunte Steine und andere Erzäh⸗ lungen, Der Nachſommer, Witiko, Kleine Schriften, Briefe und Geſpräche.

Strauß, David Friedrich: Ulrich von Hutten. Herausgegeben von Otto Clemen. Neue Ausgabe. Mit 24 Bildtafeln. M 8.50 Stärker als je ſteht die Geſtalt Ulrich von Huttens, dieſes Man⸗ nes, ‚der den Deutſchen zuerſt den Weg zur Nation wies“, heute im Vordergrund unſeres geſchichtlichen Intereſſes. Die Lebens⸗ geſchichte von Strauß iſt in ihrer wiſſenſchaftlichen Gründlichkeit und ihrer meiſterhaften Darſtellung noch immer unübertroffen.

Timmermans, Felix: Das Licht in der Laterne. Neue und alte Ge⸗ ſchichten. Mit Zeichnungen des Dichters. (Dichter unſerer Zeit.) M 3.75 Das herrliche Geſchichtenbuch Felle Timmermans’ tft um einige neue Stücke ſeiner einfallsreichen Fabulierkunſt erweitert worden,

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darunter Koſtbarkeiten wie ‚Perlamuna‘ und ‚Rabe Hans‘; auch die Zeichenfeder des Malerpoeten hat wieder ihr Beſtes getan, uns die kurioſen Dinge auf drollige Art vor Augen zu bringen.

Verhaeren, Emile: Die Abendstunden. Übertragen von Eva Mars terſteig. Gedruckt in einer Auflage von tauſend Exemplaren von der Albert Eggebrecht-Preſſe in Mainz. Gebunden M 2.80 In dieſen Verſen iſt die Schwermut der Reife und des Abſchieds, die Stille des Abends, das Ausruhen und die Gewißheit einer Zuflucht, und inmitten aller Entſagung das ftrablende Bekenntnis zur Sonne, zur Helle, die das Werk des Dichters geſegnet hat.

Walschap, Gerard: Der Mann, der das Gute wollte. Roman. Aus dem Flämiſchen übertragen von Bruno Locts. M 5.50 In feiner packenden, raſch fortſchreitenden Art erzählt der junge flämiſche Dichter die Geſchichte des Mannes, der von Jugend an kein Unrecht in der Welt dulden will, der ſich allen Widerſtänden zum Trotz durchſetzt. Ein Roman, in dem man bis in alle Einzel» züge der ſpannenden Handlung den echten Erzähler ſpürt.

Deutsche Weihnachtslieder. Neue Ausgabe in mehrfarbigem Druck. Gebunden M 1.80 Das kleine Liederbuch hat im vergangenen Jahre viele Menſchen erfreut. Es war ſchon nach kurzer Zeit vergriffen. Die neue Aus» gabe zeichnet ſich gegenüber dem erſten Druck durch die mehrfarbi— gen Zierſtücke aus.

Weiß, Konrad: Konradin von Hohenstaufen. Ein Trauerſpiel. M 4.- Das Schickſal der tragiſchen Jünglingsfigur der deutſchen Geſchichte wird in dieſer Dichtung durch Traum und Sinnſpiel und die ſinn⸗ bildlichen Geftalten über ein bloßes Abbild der Wirklichkeit hin- ausgehoben in eine große Viſion.

Die neuen Bände der Inſel⸗Bücherei

Jeder Band gebunden 80 Pfennig

Die Bildwerke des Bamberger Doms. 46 Bildtafeln. Mit einem Ge⸗ leitwort von Karl Gröber. (Nr. 140)

Coolen, Anton: Weihnachten in Brabant. Drei Erzählungen. (Nr. 531)

Eastman, Charles Alexander (Ohipeſa): Die Seele des Indianers. (Nr. 536)

Das kleine Buch der Edelsteine. In vielen Farben. Zeichnungen von Hans Lang. Geleitwort von Friedrich Schnack. (Nr. 54)

Hans im Glück. Märchen der Brüder Grimm. Ein buntes Bilder- buch von Willi Harwerth, geſchrieben von Martin Hermersdorf. (Nr. 530)

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Holbein, Hans: Bildnisse. 24 farbige Handzeichnungen. Mit einem Geleitwort von Wilhelm Waesoldt. (Nr. 95)

Hutten der Deutsche. Gedichte. Aus der Türkenrede. Arminius. (Nr. 526)

Keller, Gottfried: Briefe. (Nr. 528)

La Rochefoucauld: Betrachtungen oder Moralische Sentenzen und Maximen. Mit einem Geleitwort von Wilhelm Weigand. (Nr. 537)

Latinische Gärten. Ausgewählt von Karl Preiſendanz. (Nr. 259)

Le Fort, Gertrud von: Die Opfer flamme. Novelle. (Nr. 533)

Luther-Brevier: Geſtaltet und eingeleitet von Friedrich Schulze⸗ Maizier (Nr. 527)

Briefe des Generalfeldmarschalls Graf Helmuth von Moltke. Ausge- wählt und mit einer Einführung herausgegeben von Friedrich von Cochenhauſen. (Nr. 535)

Ritter, Johann Wilhelm: Fragmente. Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich von der Lepen. (Nr. 532)

Schiller, Friedrich: Gedichte. Ausgewählt von Katharina Kippen⸗ berg. (Nr. 525)

Sillanpää, Frans, Eemil: Die kleine Tellervo. Finniſche Geſtalten. (Nr. 524)

‚Thukydides: Die Rede des Perikles für die Gefallenen. Deutſch von Rudolf G. Binding. Druck der Mainzer Preffe. (Nr. 368)

Vischer, Peter: Das Sebaldusgrab zu Nürnberg. 44 Bildtafeln. Herausgegeben von Herbert Küas. (Nr. 330)

Wackenroder, Wilhelm Heinrich und Ludwig Tieck: Herzens- ergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Mit einem Nach⸗ wort von Rudolf Bach. (Nr. 534)

In neuer Geſtalt erſchienen folgende Bände: Goethe: Pandora. Mit vier Umrißzeichnungen von Vinzenz Raimund Grüner. (Nr. 411) Hölty, Ludwig Heinrich Christoph: Gedichte, (Str. 245) Kinderlieder und Reime aus des Knaben Wunderhorn. Neue Aus- gabe mit einem Anhang. (Nr. 60) Die schöne Magelona. Dem deutſchen Volksbuch nacherzählt von Se⸗ verin Rüttgers. Mit Holzſchnitten der Ausgabe von 1595. (Nr. 408)

Die Saga vom Freysgoden Hrafnkel. Aus dem Altisländiſchen über⸗ tragen von Helmut de Boor. (Nr. 29)

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Zeitgenöſſiſche Dichter

Die mit IB. bezeichneten Werke find Bände der Inſel⸗Bücherei Jeder dieſer Bände koſtet gebunden 80 Pfennig

Ernst Bertram, 1884 in Elberfeld geboren. Literarhiſtoriker an der Univerſität Köln. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Straßburg. Ein Gedichtkreis. Gebunden M 4.- Der Rhein. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Das Nornenbuch. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Wartburg. Spruchgedichte. In Halbpergament M 4.— Griecheneiland. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Deutsche Gestalten. Bach / Klopſtock / Goethe / Schiller / Norden und deutſche Romantik / Beethoven / Kleiſt / Stifter / Möglich— keit deutſcher Klaſſik. M 6.— Michaelsberg. Proſadichtung. M 4.— Sprüche aus dem Buch Arja. Gebunden M 2.50 Von deutschem Schicksal. (IB. Nr. 430) Von der Freiheit des Wortes. (IB. Nr. 485)

Martin Beheim-Schwarzbach. 1900 in Hamburg geboren, wo er als Schriftſteller lebt. Die Michaelskinder. Roman. M 6.- Die Herren der Erde. Roman. M 5.50 Der Gläubiger. Roman. M 5.- Das Buch vom Schach. Eine Darſtellung und Anweiſung für die Freunde des Spiels. (IB. Nr. 460)

Hans Carossa. 1878 in Tölz an der Ifar geboren, Sohn eines Arz- tes, wurde auch ſelbſt Arzt wie ſchon ein Vorfahr zur Zeit der Napoleoniſchen Kriege. Erweckend und verwandelnd wirkten auf ihn die Jahre des Weltkriegs, den er als Bataillonsarzt bei einem Infanterie⸗Regiment an verſchiedenen Fronten erlebte. Der Dichter wohnt bei Paſſau. Gesammelte Gedichte. M 4.- Eine Kindheit und Verwandlungen einer Jugend. M 5.- Tagebuch im Kriege. M 3.- Der Arzt Gion. Eine Erzählung. M 5.— Führung und Geleit. Ein Lebensgedenkbuch. M 5.- Geheimnisse des reifen Lebens. M 5.50

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Hans Carossa: Wirkungen Goethes in der Gegenwart. Eine Rede. Kart. M 1.80 Die Schicksale Doktor Bürgers. Die Flucht. (IB. Nr. 334) Gedichte. Vom Dichter ausgewählt. (IB. Nr. 500)

Ernest Claes. 1885 in Sichem bei Löwen geboren als Sohn einer alten Brabanter Bauernfamilie. Er kam zunächſt als Lehrling in eine Kloſterdruckerei, beſuchte dann Gpmnaſium und Univerfität und lebt jetzt als Beamter bei der belgiſchen Kammer in Brüſſel. Flachskopf. Mit einem Vorwort und Bildern von Felix Timmer⸗ mans. M 3.75 Black. Die Geſchichte eines Hundes. M 3.80 Bruder Jakobus. Roman. M 5.50 Hannes Raps. Eine Landſtreichergeſchichte. Mit Zeichnungen von Felir Timmermans. (3B. Nr. 429)

Die Heiligen von Sichem. Mit 12 ganzſeitigen Zeichnungen von Felix Timmermans. (3B. Nr. 483)

Anton Coolen. 1897 in dem Dorf Wplre (in der niederländiſchen Provinz Limburg) geboren. Er war eine Zeit lang als Journaliſt tätig, zog ſich aber dann in ſein geliebtes Nord⸗Brabant zurück, um ganz ſeiner Dichtung zu leben.

Brabanter Volk. Roman M 5.—

Das Dorf am Fluß. Roman M 5.—

Die drei Brüder. Roman M 5.—

Weihnachten in Brabant. Drei Erzählungen. (JB. Nr. 531)

Robert Faesi. 1883 in Zürich geboren, wo er als Literarhiſtoriker an der Univerſität wirkt. Das Antlitz der Erde. Gedichte. M. 4.—

Hugo von Hofmannsthal. Lebte von 1874 bis 1929. Die Gedichte und kleinen Dramen. M. 5- Das Salzburger Große Welttheater. Gebunden M 2.50 Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen. (JB. Nr. 8) Der Tor und der Tod. Ein dramatiſches Gedicht. (JB. Nr. 28) Das kleine Welttheater oder die Glücklichen. (38, Nr. 78) Alkestis. Trauerſpiel nach Euripides. (IB. Nr. 134) Gedichte. (33, Nr. 461) Reden und Aufsätze. (IB. Nr. 339)

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Ricarda Huch. 1864 in Braunſchweig geboren. Sie kam zmeiund- zwanzigjährig nach Zürich, um Geſchichte zu ſtudieren, und begann alsbald mit der Veröffentlichung erzählender und darſtellender Werke. Die Dichterin lebt in Jena.

Michael Unger. Roman. M 3.75

Von den Königen und der Krone. Roman. In Halbleinen M 5.25 Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil. M 6.—

Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter Teil. M 6.-

Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. M 5.—

Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. M 3.75 Der Dreißig jährige Krieg. Zwei Bände. M 7.50

Der große Krieg in Deutschland. Gekürzte Ausgabe. M 2.50 Gesammelte Gedichte. M 6.75

Liebesgedichte. (IB. Nr. 22)

Wonnebald Pück. Erzählung. (IB. Str. 58)

Der letzte Sommer. Erzählung. (IB. Nr. 172)

Das Judengrab / Bimbos Seelenwanderungen. (IB. Nr. 193) Fra Celeste. Erzählung. (IB. Nr. 405)

Gottfried Keller. (3B. Nr. 113)

Quellen des Lebens. (IB. Nr. 469)

Per Imerslund. 1912 geboren in Oslo, ftammt aus einem alten Bauerngeſchlecht Hedemarkens. Er verlebte feine Jugend in Deutſch— land, war von 1927 bis 1931 in Mexiko und ſchuf, in ſeine Heimat Norwegen zurückgekehrt, das erſte Arbeitsdienſtlager in Storelv— dalla. Sein Erſtlingswerk hat er deutſch geſchrieben.

Das Land Noruega. Erlebniſſe in Mexiko. M 4.50

Gudmundur Kamban. 1888 in Alftanes auf Island geboren. Er ftudterte in Kopenhagen, lebte dann von 1915 bis 1917 in New Pork und widmete ſich nach feiner Rückkehr der Bühne als Spiel- leiter. Seit einiger Zeit lebt Kamban in Deutſchland.

Die Jungfrau auf Skalholt. Roman. M 7.50 Der Herrscher auf Skalholt. Roman. M 7.50 Ich seh ein großes schönes Land. Roman. M 6.50

Werner Kortwich. 1898 in Berlin geboren, wo er als Schriftſteller lebt. Friesennot. Erzählung. (IB. Str. 447)

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David Herbert Lawrence. Lebte von 1885 bis 1930. Der Regenbogen. Roman. M 6.- Söhne und Liebhaber. Roman. M 3.75 Liebende Frauen. Roman. M 6.- Die gefiederte Schlange. Roman. M 6.- Die Frau, die davonritt. Novelle. (IB. Nr. 419) Frohe Geister Eine englische Familie. Novellen. (IB. Nr. 428) Der Fuchs. Novelle. (IB. Nr. 384)

Max Mell. 1882 in Marburg an der Drau geboren. Er wuchs in Wien auf, ſtudierte Germaniſtik, machte den Krieg an der ruſſi⸗ ſchen Front mit und lebt ſeither in Wien.

Das Donauweibchen. Erzählungen und Märchen. M 5.-

Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Gebunden M 3.50 Das Spiel von den deutschen Ahnen. Gebunden M 3.50

Das Nachfolge Christi- Spiel. Gebunden M 3.50

Das Apostels piel. (IB. Nr. 167)

Barbara Naderer. Novelle. (IB. Nr. 261)

Ein altes deutsches Weihnachtsspiel. (3S. Nr. 418)

Otto Nebelthau. 1894 in Bremen geboren. Lebt am Bodenſee. Der Ritt nach Canossa. Hiſtoriſcher Roman. M 6.- Mein Gemüsegarten. (IB. Nr. 456) Mein Obstgarten. (IB. Nr. 470)

Christian Morgenstern. Lebte von 1871 bis 1914. Alle Galgenlieder. (Galgenlieder, Palmſtröm, Palma Kunkel, Ging⸗ ganz.) M 3.50 Über die Galgenlieder. M 3.- Melancholie. Gedichte. Gebunden M 2.50 Klein Irmchen. Ein Kinderliederbuch. Mit Zeichnungen von Jo⸗ ſua L. Gampp. Gebunden M 4.—

Rainer Maria Rilke. Lebte von 1875 bis 1926. Ausgewählte Werke in zwei Bänden. M 12.-; in Halbleder M 18.- Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. M 7.-; in Halbleder M9- Briefe und Tagebücher aus der Frühzeit 1899 bis 1902. Briefe aus den Jahren 1906 bis 1907.

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Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. Briefe aus Muzot (1921-1926). Briefe an seinen Verleger (1906-1926). Jeder der Briefbände M7.-; in Halbleder N9.-

Das Stunden- Buch. In Halbleinen M 3.-

Erste Gedichte. M 5.—

Frühe Gedichte. M 5.—

Neue Gedichte. M 5.-

Das Buch der Bilder. M 5.—

Duineser Elegien. M 3.-

Späte Gedichte. M 5.-

Geschichten vom lieben Gott. M 4.50

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. M 5.50 Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. NM 7.-

Über Gott. Zwei Briefe. Gebunden M 2.-

Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. (JB. Nr. l) Requiem. (IB. Nr. 30)

Das Marien- Leben. Gedichte. (IB. Nr. 43)

Die Sonette an Orpheus. (IB. Nr. 115)

Ausgewählte Gedichte. (IB. Nr. 400)

Der ausgewählten Gedichte anderer Teil. (JB. Nr. 480) Vierundzwanzig Sonette der Louize Labé. (IB. Nr. 222)

Sonette aus dem Portugiesischen der Elizabeth Barrett-Browning. (3B. Nr. 252)

Michelangelo-Übertragungen. (IB. Nr. 496)

Briefe an einen jungen Dichter. (IB. Nr. 406)

Briefe an eine junge Frau. (3B. Nr. 409)

Portugiesische Briefe (Die Briefe der Marianna Alcoforado) (JB. Nr. 74)

Sally Salminen. 1906 im Kirchſpiel Vaͤrdö auf den Alandsinſeln als Tochter eines Schiffers geboren. Kam von der Schule als Ver⸗ käuferin nach Stockholm, 1930 als Hausangeſtellte nach den Ver⸗ einigten Staaten. Dort ſchrieb fie ihren erſten Roman ‚Katrina‘, der beim Wettbewerb eines ſchwediſch⸗finniſchen Verlags mit dem erſten Preis ausgezeichnet und in alle Weltſprachen überſetzt wurde. Die Dichterin lebt jetzt wieder in ihrer Heimat.

Katrina. Roman. Aus dem Schwediſchen übertragen von Edzard Schaper. M 6.50

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Albrecht Schaeffer. 1885 in Elbing geboren. Er wuchs in Hannover auf und empfing entſcheidende Eindrücke von der niederſächſiſchen Landſchaft. Später fiedelte er ſich in Süddeutfchland an; er lebt in N am Chiemſee. Von ſeinen zahlreichen Werken nennen wir:

Josef Montfort. Roman. M 6.50

Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Menſchen aus der nord⸗ deutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Ausgabe in zwei Bänden. M15.—

Der göttliche Dulder. Dichtung. M 6.25

Parzival. Ein Versroman. M 7.50

Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndruckpapier. M 6.50

Griechische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt. Zwei Bände. Je M5.-

Gedichte aus den Jahren 1915 bis 1930. M 4.-

Die Sage von Odysseus. (IB. Nr. 87)

Nachtschatten. Novellen. (IB. Nr. 179)

Der Reiter mit dem Mandelbaum. Legende. (JB. Nr. 220)

Der Raub der Persefone. (IB. Nr. 311)

Edzard Schaper. 1908 in Oſtrowo, Provinz Poſen, geboren, als Sohn niederdeutſcher Eltern (Vater aus Hannover, Mutter aus Oſtfriesland). Bewegtes Leben: Muſiker, Schauſpieler, Gärtner, fährt dann zur See und lebt längere Zeit in Skandinavien, jetzt in Eſtland.

Die sterbende Kirche. Roman. M 6.—

Das Leben Jesu. M 6.50

Die Arche, die Schiff bruch erlitt. Novelle. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Müller. (JB. Nr. 471)

Das Lied der Väter. Erzählung. (JB. Nr. 514)

Friedrich Schnack. 1888 in Rieneck, Unterfranken, geboren. Er verlebte ſeine Jugend in Franken, in der Landſchaft von Rhön, Speſſart, Frankenwald, in den Wein⸗, Obſt⸗ und Korngegenden von Aſchaffenburg, Würzburg und Bamberg. Ehe er ſich der Dich⸗ tung zuwandte, war er zehn Jahre in Handel, Wirtſchaft und In⸗ duſtrie tätig. Er lebt in Überlingen am Bodenſee.

Gesammelte Gedichte. M 5.- Das Zauberauto. Liebesroman. M 4.50 Das Leben der Schmetterlinge. Staturdidtung. M 6.-

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Friedrich Schnack: Goldgräber in Franken. Abenteuerroman. M 4.50 Der Lichtbogen. Galterlegenden. M 4.50 Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das große und kleine Volk. M 4- Klick und der Goldschatz. Heiterer Roman. M 5.— Der erfrorene Engel. Roman eines Mädchens. M 5.- Die brennende Liebe. Roman der drei Lebensalter. Beatus und Sabine / Sebaſtian im Wald / Die Orgel des Himmels. M 6.— Sibylle und die Feldblumen. Mit 8 handkolorierten Blumenbil- dern. M 6.- Land ohne Tränen. (OB. Nr. 450) Geschichten aus Heimat und Welt. (JB. Nr. 498)

Reinhold Schneider. 1903 in Baden⸗Baden als Sohn einer alten Badener Familie geboren, empfing ſtarke und entſcheidende Ein- drücke von Reifen im Süden, beſonders in Portugal und Spanien. Lebt in Freiburg i. Br. Von feinen Werken erſchienen im Infel- Verlag:

Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. Inhalt: Der Wald Paderborn Speper Bremen Tangermünde Nürnberg Rudolſtadt Hohenzollern Oftland. M 3.80

Das Inselreich. Geſetz und Größe der britiſchen Macht. M 8.50 Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supp⸗ linburg. M5.—

Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquiſtadorenzeit. M 5.-

Gabriel Scott. 1874 in Leith (Schottland) als Norweger geboren. Er lebt in Tromöen bei Arendal.

Fant. Roman. Aus dem Schwediſchen übertragen von Edzard Scha⸗ per. M 5.50

Frans Eemil Sillanpää. 1888 in Hämeentyprö (Finnland) geboren. Er ſtudierte einige Jahre in Helſingfors, kehrte dann aber in feine ländliche Heimat zurück und begann ſeit 1916 das Land und die Menſchen in Romanen zu ſchildern. Er lebt in Helſingfors.

Silja, die Magd. Roman. M 3.75

Eines Mannes Weg. Roman. M 5.-

Menschen in der Sommernacht. Roman. M 3.80

Die kleine Tellervo. Finniſche Geſtalten. (IB. Nr. 524)

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Otto Freiherr von Taube. 1879 in Reval geboren, ftammt aus einem sbeermeifterliden’ Geſchlecht der eſtländiſchen Ritterſchaſt. Er emp⸗ fing ſeine Bildung in Kaſſel und Weimar und an deutſchen Uni⸗ verfitäten. Seit 1910 als freier Schriſtſteller tätig, ſchuf er neben eigenen Werken zahlreiche Uberſetzungen. Er lebt in Gauting (Ober⸗ bapern).

Der verborgene Herbst. Roman. In Halbleinen M 4.75 Die Léwenprankes, Roman. In Halbleinen M 4.50 Das Opferfest. Roman. M 6.-

Felix Timmermans. 1886 in Lter bei Antwerpen geboren als Sohn eines Spitzenhändlers. Er erhielt einfache Schulbildung, fühlte ſich aber frühzeitig zur Kunſt hingezogen, wollte Maler werden und beſuchte die Kunſtakademie. Aber ungewollt wurde er ein Maler des Wortes: wie ſein großer Landsmann Pieter Bruegel ſchildert er das flämiſche Volk in ſeiner ganzen überſchäumenden Lebens⸗ fülle. Er lebt in ſeiner kleinen Vaterſtadt Lier.

Das Jesuskind in Flandern. M 3.75

Pallieter. M 3.75

Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. M 5.-

Pieter Bruegel. Roman. M 3.75

Die Delphine. Eine Geſchichte aus der guten alten Zeit. M 5.- Franziskus. M 5.—

Bauernpsalm. Roman. M 5.—

Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten. M 3.75 Die sehr schönen Stunden von Jungfer Symforosa, dem Beginchen. Erzählung. (IB. Nr. 308)

Das Triptychon von den Heiligen Drei Königen. (IB. Nr. 362) Aus dem schönen Lier. (IB. Str. 401)

Sankt Nikolaus in Not und andere Erzählungen. (IB. Nr. 420) Beim Krabbenkocher. Erzählung. (JB. Nr. 508)

Paul Valéry. 1871 geboren in Cette am Mittelmeer. Nachdem er früh mit Gedichten hervorgetreten war, ſchwieg er zwanzig Jahre und veröffentlichte dann ſeit 1917 Gedichte, philoſophiſche Dialoge und Eſſaps. 1925 wurde er Mitglied der franzöſiſchen Akademie.

Herr Teste. In Halbleinen M 4.-

Karl Heinrich Waggerl. 1897 in Bad Gaſtein geboren als Sohn eines Zimmermanns, der aus einem alten Bauerngeſchlecht ſtammte. Er

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beſuchte die Stadtſchule und das Lehrerſeminar, wurde im Krieg an der italieniſchen Front Offizier, geriet in Gefangenſchaft und er⸗ krankte ſchwer, ſo daß er den Lehrerberuf aufgeben mußte. Er lebt in Wagrain im Salzkammergut.

Brot. Roman. M 3.75

Schweres Blut. Roman. M 5.—

Das Jahr des Herrn. Roman. M 3.75

Mütter. Roman. M 5.-

Wagrainer Tagebuch. Mt 3.-

Du und Angela. Erzählungen. (ZB. Nr. 204)

Das Wiesenbuch. Mit 16 Scherenſchnitten des Dichters. (JB. Nr. 420) Kalendergeschichten. (IB. Nr. 522

Gerard Walschap. 1898 in Londerzeel bei Brüſſel geboren als Sohn eines Bauern. Er lebt in Antwerpen. Heirat. Roman. M 4.50 Der Mann, der das Gute wollte. Roman. M 5.50

Andreas Zeitler.1906 in Leipzig geboren, von feinen Vorfahren ber der fränkiſchen Landſchaſt verbunden, in der fein erſtes Buch ſpielt. Er lebt in Leipzig.

Fränkischer Sommer. Erzählung. M 4.—

Goethe Goethe:

Sämtliche Werke in ſiebzehn Bänden. Herausgegeben von Fritz Bergemann, Hans Gerhard Gräf, Max Hecker, Gunther Ipſen, Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Ausgabe auf Dünndruckpapier M 135.-; in Leder M 235.-

Die vollſtändigſte aller heutigen Goethe⸗Ausgaben. Der Text um- faßt 15 000 Seiten.

Die Bände dieſer Ausgabe werden auch einzeln in dunkelblauem Leinen mit aufgedruckten Untertiteln geliefert.

Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe:

Goethes Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1750 Sets ten.) M 18.-; in Leder M 30.-

Gespräche mit Eckermann. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Deibel. Vollſtändige Ausgabe in einem Bande auf Dünndruck⸗ papier. (797 Seiten.) M 7.50; in Leder M 13.—

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Goethe: Goethes Gespräche ohne die Geſpräche mit Eckermann. Ausgewählt von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ausgabe auf Dünn⸗ ne in einem Bande. (791 Seiten.) M 9.50; in Leber 16.-

Goethes Werke in ſechs Bänden. (Der Volks⸗Goethe. 3900 Seiten.)

Im Auftrage der Goethe-Befellfhaft herausgegeben von Erich

as Neu bearbeitet von Guſtav Roethe. M 18.-; in Halbleder 28.—

Dichtung und Wahrheit. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. (831 Seiten.) M 8.—

Farbenlehre. Eingeleitet von Gunther Ipſen. Mit 32 zum großen Teile vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier in einem Bande. M 10.—

Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauſt, Fragment (1790) Tra⸗ gödie I. und II. Teil, Paralipomena. Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier in einem Bande. (577 Seiten.) M 3.50; in Leder M 6.50

Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1300 Seiten.) M 12.-; in Leder M 20.-

Gedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Max Hecker. M 3.75

Italienische Reise. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. (590 Seiten.) M 6.—

Wilhelm Meister. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1020 Seiten.) M 9.50

Naturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther Ip⸗ ſen. Mit 48 zum großen Teil vielfarbigen Tafeln. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) M 20.—

Dreißig Handzeichnungen Goethes. Fakſimile⸗Ausgabe in farbigem Lichtdruck. Herausgegeben von Hans Wahl. 300 numerierte Erem- plare. In Leinenmappe M 225.—

Italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, ſeiner Freunde und Kunſtgenoſſen in 124 zum Teil farbigen Lichtdrucktafeln. Neu herausgegeben vom Goethe-Nationalmuſeum (Folio). In Halb⸗ leder M 50.-; in Leder M 80.—

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Goethe: Goethes Reise-, Zerstreuungs- und Trostbüchlein. 36 zum großen Teil farbige Bilder. Ausgewählt und herausgegeben von Hans Wahl. Stammbuch⸗Querformat in Schuber M 4.50

Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben und eingeleitet von Guſtav Roethe. M 3.50

Briefe an Charlotte von Stein. Neue, vollſtändige Ausgabe, auf Grund der Handſchriften herausgegeben von Julius Peterſen. Vier Bände. M 12.-

Briefwechsel mit Marianne von Willemer. Herausgegeben von Max Hecker. Fünfte, verbeſſerte Auflage. Mit 10 Abbildungen. M 7.50

Der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Im Auftrage des Goethe» und Schiller-Archivs nach den Handſchriften herausgege— ben von Max Hecker. Drei Bände. M 18.—

Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln. M 4.50

Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriſtlichen Nachlaſſes neu her— ausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und 2 Fak- ſimiles. M 7.50

Goethe im Bildnis. Mit 102 Bildtafeln. Herausgegeben und einge» leitet von Hans Wahl. M 5.—

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg. M 4.50

Deutſche Klaſſiker und Geſamtausgaben

Eichendorff, Joseph von: Werke. Ausgewählt und herausgegeben von Franz Schultz. Zwei Bände. (1080 Seiten.) M 6.—

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl in einem Bande. Mit acht handkolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel. M 6.50 Märchen. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden. M9.-

Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchſtücke der Altſächſiſchen Ge⸗ neſis. Eingeleitet von Andreas Heusler. M 3.50

Hey-Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Von Wilhelm Hep. Mit den Bil⸗ dern von Otto Speckter. M 2.50

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Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Ausgabe auf Dünndrudpapter in einem Bande. (1043 Seiten.) M9.-; in Leder M 15.- Gesammelte Briefe. Eingeleitet von Ernſt Bertram. M6.-; in Leder M 12.- Keller, Gottfried: ſiehe Seite 168, 172 Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Band. (1187 Seiten.) M9.-; in Leder M15.— Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe in sechs Bänden. Vollſtändige kri⸗ tiſche Ausgabe, herausgegeben von Eduard Caſtle. M 40.- Mörike, Eduard: ſiehe Seite 169 i

Der Nibelunge Not und Kudrun | Herausgegeben von Eduard Sievers. Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier. (624 Seiten.) M 6.—

Novalis:

Dichtungen. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Schultz. M 4.50

Sachs, Hans:

Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit 52 Holzſchnit⸗ ten nach Dürer, Beham u. a. Herausgegeben von Paul Merker und Reinhard Buchwald. Zwei Bände. In Halbleinen M 10.— Kolorierte Ausgabe, in der ſämtliche Holzſchnitte mehrfarbig mit der Hand koloriert wurden, in Halbpergament M 16.-; in Schweinsleder M 30.-

Schiller:

Sämtliche Werke in sieben Bänden. Taſchenausgabe auf Dünn⸗ druckpapier (4900 Seiten) M 45.-; in Leder M 80.-

Stifter, Adalbert:

Werke in sieben Bänden (in Vorbereitung). Siehe Seite 170 Werke in drei Bänden (Volks⸗Stifter). Mit einer Einleitung von Adolf von Grolman. M 12.—

Die Ausgabe umfaßt die Erzählungen, Nachſommer und Witiko.

E Weltliteratur

Don Quixote. Vollſtändige deutſche Ausgabe, beſorgt von Kon⸗ rad Thorer. Mit einem Eſſap von Turgenjew und einem Nach⸗ wort von André Jolles. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1550 Seiten.) M 12.-; in Leder M 20.-

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Dante: Opera omnia. (In italieniſcher Sprache.) Enthaltend La Divina Commedia. Il Canzoniere. Vita Nuova. Il Convivio ſowie die lateiniſchen Schriften und Briefe. Mit einer Einleitung von Bene— detto Croce. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1080 Seiten.) M 10.—

Dantes Göttliche Komödie Deutſch von Friedrich Freiherrn von Falkenhauſen. (733 Seiten.) M 7.50; in Leder M 14.—

Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Übertragen von Bernhard Jolles. Mit 20 Bildtafeln. M 4.50

Ounpov ey. (LG r, Homers Werke (Ilias und Odpſſee) im griechiſchen Urtext heraus— gegeben von Paul Cauer. Neue Ausgabe auf Dünndruckpapier. M 6.—

Jacobsen, Jens Peter: Sämtliche Werke in einem Bande. Mit dem von A. Helſted 1885 radierten Porträt. Auf Dünndrudpapier. (877 Seiten.) M 8.50; in Leder M 15.-

Sophokles: Tragödien. Übertragen von Roman Woerner. M6.-; in Leder M 12.-

Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle): Gesammelte Werke. Übertragen von Arthur Schurig und Otto Frei» herrn von Taube. Ausgabe auf Dünndruckpapier in acht Bänden. (5200 Seiten.) M 55.—

Orient und Ferner Oſten

Tausendundeine Nacht Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtändige deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erſten Male aus dem ara- biſchen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertra⸗ gen von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmanns⸗ thal. Auf Dünndruckpapier. (5120 Seiten.) M50.-; in Leder M 90.- Die Bände find auch einzeln, in Leinen je M9.- erhältlich. Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In einem Bande Mt 4.50

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geſchichte einer glücklichen Gatten⸗ wahl. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit Bil⸗ dern nach alten chineſiſchen Holzſchnitten. M 3.75

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Die Rache des jungen Meh oder Das Wunder der zweiten Pflaumen⸗ blüte. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. In der Art chineſiſcher Blockbücher gebunden. M 6.—

Die Räuber vom Liang schan Moor Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit 60 Holz⸗ ſchnitten einer alten chineſiſchen Ausgabe. (840 Seiten.) M 12.-

Der Traum der Roten Kammer Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. (789 Seiten.) M 12.-

Die Geschichte vom Prinzen Genji wie ſie geſchrieben wurde um das Jahr Eintauſend unſerer Zeit⸗ rechnung von Muraſaki, genannt Shikibu, Hofdame der Kai⸗ ſerin von Japan. Zwei Bände. (1200 Seiten.) M 16.-

Tsudzumi, Tsuneyoshi: Japan, das Götterland. Herausgegeben vom Japan⸗Inſtitut, Ber⸗ lin. M6.-

Die Kunst Japans. Herausgegeben vom Japan⸗Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildungen. M 20.—

Preetorius, Emil: Vom Wesen ostasiatischer Malerei. Ein Vortrag. Mit einer Licht⸗ drucktafel. Gebunden M 3.-

Briefe, Erinnerungen, Lebensgeſchichte

Arnim, Bettina von:

Die Günderode. Eingeleitet von Heinz Amelung. M 5.-

Bertram, Ernst: Deutsche Gestalten. Feſt⸗ und Gedenkreden. M 6.- Inhalt: Bach Klopſtock Goethe: Geſang und Geſetz; Geheim⸗ nislehre; Sinnliche Überlieferung - Schiller Norden und deutſche Romantik Beethoven Kleiſt Stifter Möglichkeiten deut⸗ ſcher Klaſſik.

Buchwald, Reinhard: Schiller. Zwei Bände. I. Der junge Schiller. II. Wander⸗ und Meiſterjahre. Mit 14 Bildtafeln. M 15.-

Carolinens Leben in ihren Briefen Auf Grund der von Erich Schmidt beſorgten Geſamtausgabe in Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

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Corti, Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. (Maximilian von Mexiko.) Mit 4 Bild- tafeln. M 7.50

Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Mit der Abbildung einer Büſte und dem Fakſimile eines Briefes. M 3.50

Droysen, Joh. Gust.: Das Leben des Feldmarschalls Grafen Yorck von Wartenburg. Zwei Bände. Mit 8 Bildniſſen in Lichtdruck und 8 Karten. M 10.-

Elisabeth Charlotte (Liselotte): Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Helmolt. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50 Haupt, Georg: Rudolf Koch der Schreiber. Mit 64 Bildtafeln und vielen Abbil- dungen im Text. M 8.50

Humboldt, Wilhelm von: Die Brautbriefe Wilhelms und Karolinens von Humboldt. Heraus- gegeben und eingeleitet von Albert Leitzmann. M 6.50 Briefe an eine Freundin. (Charlotte Diede.) In Auswahl here ausgegeben von Albert Leitzmann. M 3.50

Katharina II. von Rußland: Memoiren. Herausgegeben und eingeleitet von Erich Boehme. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Kerner, Justinus und fein Münchener Freundeskreis. Eine Sammlung von Briefen. Herausgegeben von Franz Pocci. Mit 8 Bildtafeln. M 8.-

Kippenberg, Anton: Geschichten aus einer alten Hansestadt. M 3.80

Kippenberg, Katharina: Rainer Maria Rilke. Siehe Seite 168

Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Kühnemann, Eugen: Goethe. Zwei Bände. (1118 Seiten.) M 15.-

Luthers Briefe In Auswahl neu herausgegeben von Reinhard Buchwald. Mit 10 Bildtafeln. M 3.50

187

Mosart: Wolfgang Amadeus Mozarts Leben in feinen Briefen und Berich⸗ ten der Zeitgenoffen. Herausgegeben von Albert Leigmann. Mit 16 Bildtafeln und 2 Fakſimiles. M 7.- Nietzsche, Friedrich: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Richard Oehler. M 4.50 Briefe an Peter Gast. Herausgegeben von Peter Gaft. M 6.— Briefe an Mutter und Schwester. Herausgegeben von Eliſabeth Förſter⸗Nietzſche. Mit 3 Bildniſſen in Lichtdruck. M 7.- Briefwechsel mit Erwin Rohde. Herausgegeben von Eliſabeth Foͤr⸗ ſter⸗Nietzſche und Fritz Scholl. In Halbleinen M 6.- Scheffler, Karl: Der junge Tobias. Eine Jugend und ihre Umwelt. M 6.- Schneider, Eduard: Eleonora Duse. Erinnerungen, Betrachtungen und Briefe. Mit 7 Abbildungen und einem Fakſimile. M 6.- Schurig, Arthur: Wolfgang Amade Mozart. Sein Leben, feine Perfönlichkeit, fein Werk. Mit 41 Bildtafeln und 3 Fakſimiles. Zwei Bände. M 14.- Terry, Charles Sanford: Johann Sebastian Bach. Mit einem Geleitwort von Profeſſor D Dr. Karl Straube, Kantor zu Sankt Thomae. Neue Ausgabe. Mit einem Bildnis Bachs in Lichtdruck und 32 Bildtafeln. M 6.50 Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt und eingeleitet von Wil⸗ helm Weigand. Mit 2 Bildniſſen. M 6.50 Wilhelmine Markgräfin von Bayreuth: Memoiren. Mit 10 Bildtafeln. M 6.50

Geſchichte und Naturgeſchichte Bessell, Georg: Bremen. Die Geſchichte einer deutſchen Stadt. M5.-

Clausewitz, Karl von: Vom Kriege. Bearbeitet und eingeleitet von Friedrich von Cochen⸗ hauſen. M 6.50

Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig. Eine Künſtlerfahrt im Jahre 1773. 100 Bilder nach den Originalen der Staatlichen Akademie der Künſte in Berlin mit erläuterndem Text und einer Einführung von Wolfgang von Oettingen. Stammbuch⸗Querformat in Schuber M 4.50

188

Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigenhändigen Berichten Cortes' an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522. Herausgegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit zwei Bildniſſen und einer Karte. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die trockene Trunkenheit. Urſprung, Kampf und Triumph des Rauchens. Mit 64 Bildtafeln. M 12.- Der Zauberer von Homburg und Monte Carlo. Mit 16 Bildtafeln. M 8.-

Deutsche Vergangenheit Nach zeitgenöſſiſchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. Das Werk umfaßt 9 Bände mit je 16 Bildtafeln. Es beſteht aus zwei Abteilungen, der politiſchen und der kulturhiſtoriſchen Reihe. Vorzugspreis des geſamten Werkes M 60.—, der einzelnen Bände M 7.50 Die politiſche Reihe Die Germanen in der Völkerwanderung - Das Frankenreich - Die Sächsischen und Salischen Kaiser Die Hohenstaufen. Die kulturhiſtoriſche Reihe Klosterleben im deutschen Mittelalter - Deutsches Geistesleben im Mittelalter - Ordensritter und Kirchenfürsten - Fürsten und Ritter - Bauern, Bürger und Hansa.

Fichte: Reden an die deutsche Nation. Revidierte Ausgabe mit einer Ein» leitung von Rudolf Euden. M 2.50

Das alte Hamburg Mit 154 Bildtafeln. Herausgegeben von Carl Schellenberg. Dt 9.50

Renker, Armin: Das Buch vom Papier. Mit 46 Abbildungen in Lichtdruck, 4 Waſ⸗ an 13 Papierproben und 1 Karte. In Halbleinen Scheffler, Karl: Holland. Mit 100 Bildtafeln. M9.- Italien. Tagebuch einer Reife. Mit 118 Bildtafeln. M 9.- Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. M 9.—

Schneider, Reinhold: Das Inselreich. Geſetz und Größe der britiſchen Macht. M 8.50 Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supp⸗ linburg. M 5.—

189

Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. M 3.80

Inhalt: Der Wald Paderborn Speyer Bremen Tanger⸗

münde Nürnberg Rudolſtadt Hohenzollern Oſtland. Spunda, Franz:

Der heilige Berg Athos. Landihaft und Legende. Mit 40 Bildtafeln.

M8- iloſophi Eu Philoſophie

Kritik der reinen Vernunft. Ausgabe auf Dünndrudpapier. (650 Seiten.) M 7.-

Kant-Aussprüche. Herausgegeben von Raoul Richter. M 3.50 Kassner, Rudolf: Das Buch der Gleichnisse. M 4.50 Die Chimäre. Der Aussätzige. Gebunden M 3.— Von der Einbildungskraft. M 4.50 Der indische Gedanke. Von den Elementen der menschlichen Größe. Gebunden M 3.- Englische Dichter. Gebunden M 4.50 Essays. Gebunden M 4.50 Die Grundlagen der Physiognomik. M 4.- Die Moral der Musik. Aus den Briefen an einen Muſiker. Ge⸗ bunden M 4.— Die Mythen der Seele. M 4.— Das physiognomische Weltbild. M 7.50 Der Tod und die Maske. Gebunden M 3.- Die Verwandlung. Phpſiognomiſche Studien. M 4.50 Zahl und Gesicht. Nebſt einer Einleitung: Der Umriß einer uni⸗ verſalen Phpſiognomik. M 5.50 Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Mit Erläuterungen und einem Nach⸗ wort. M 3.—

Kunſt Allesch, Johannes von: Michael Pacher. Mit 113 MEN M 10.- Beenken, Hermann: Bildhauer des vierzehnten Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben. Mit 150 Abbildungen. M 10.— Burkhard, Arthur: Hans Burgkmair. Mit 117 Abbildungen. M 10.—

190

Geese, Walter: Gottlieb Martin Klauer. Der Bildhauer Goethes. Mit 64 Bild- tafeln. M7.—

Gerstenberg, Kurt: Hans Mulischer. Mit 175 Abbildungen. M 10.-

Grisebach, August: Karl Friedrich Schinkel. Mit 110 Abbildungen. M 10.-

Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts. Mit 136 Ab- bildungen. M 10.—

Koch, Rudolf: Das ABC-Büchlein. Gebunden M 2.80 Vorzugsausgabe: 100 Exemplare auf der Handpreſſe gedruckt im Haus zum Fürſteneck zu Frankfurt a. M. In Halbleder M 30.— Das Blumenbuch. Zeichnungen von Rudolf Koch. In Holz geſchnit— ten von Fritz Kredel. 250 Holzſchnitte im Format 23 31 cm. Druck der Mainzer Preſſe in 1000 Exemplaren. Die Handkolorie— rung beſorgte Emil Wöllner. Drei Teile. In Pappbänden M 80.- Die Weihnachtsgeschichte. Ein Blockbuch in 10 Holzſchnitten. Gee bunden M 1.80 Das Zeichenbuch. M 5.- Das kleine Blumenbuch (IB. Nr. 281), Ein Deutscher (JB. Nr. 504) und Häusliches Leben (3B. Nr. 124)

Koch, Rudolf, und Fritz Kredel: Karte von Deutschland und angrenzenden Gebieten. Vielfarbige Wiedergabe im Format 120 & 163 cm. Unaufgezogen M 18.-; auf Leinwand mit zwei Rundſtäben M 30.-

König, Leo von: Gestalt und Seele. Das Werk des Malers. Mit 64 Bildtafeln und einer Einleitung von Reinhold Schneider. M 8.-

Lanckoronska, M., und Richard Oehler: Die Buchillustration des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Oster- reich und der Schweiz. Drei Bände mit 212 Lichtdrucktafeln. Gee bunden M 75.-; in Halbleder M 90.-

Acht Bildtafeln aus der Manessischen Liederhandschrift. Wieder- gabe in farbigem Lichtdruck in der Originalgröße (35/25 cm), Inhalt: 1. Kaiſer Heinrich 2. König Konrad der Junge 3. Walther von der Vogelweide 4. Graf Kraft von Toggen- burg - 5. Wolfram von Eſchenbach 6. Meiſter Johannes Had⸗

191

loub 7. Der Tannhäuſer 8. Klingſor von Ungarland. In Lei- nenmappe M 48.-; jedes Blatt auch einzeln in Umſchlag M 6.— Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. M 10.— Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M 7.- Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. M 7.- Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit 77 Bildtafeln. M9.- Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und ſein Werk. Mit 80 Bild⸗ tafeln. M 10.- Tietze, Hans: Albrecht Altdorfer. Mit 127 Abbildungen. M 10.— Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und feine Kunſt. Mit 192 Bild⸗ tafeln. Dt 4.50 Weinberger, Martin: Wolfgang Huber. Mit 135 Abbildungen. M 10.-

Die wohlfeilen Reihen des Infel-Verlags

Dichter unſerer Zeit Jeder Band in Leinen M 3.75 Claes, Ernest: Flachskopf. Ein heiterer Roman aus Flandern. Mit einem Vor⸗ wort und Bildern von Felix Timmermans. Huch, Ricarda: Der Dreißigjährige Krieg. Vollſtändige Ausgabe in ai Bänden. Michael Unger. Roman. Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis Kochs als Grenadier.

Lawrence, D. H.: Söhne und Liebhaber. Roman.

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Mumelter, Hubert:

Oswalt und Sabina. Zwei ohne Gnade. Roman. Sillanpää, Frans Eemil:

Silja, die Magd. Roman. Streuvels, Stijn:

Der Flachsacker. Roman.

Timmermans, Felix:

Pieter Bruegel. Roman.

Das Jesuskind in Flandern.

Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten.

Pallieter. Roman.

Alle vier Werke mit Zeichnungen des Dichters. Waggerl, Karl Heinrich:

Brot. Roman.

Das Jahr des Herrn. Roman.

Die Bibliothek der Romane Jeder Band in Leinen M 3.50

Balzac, Honoré de: Verlorene Illusionen. Bronte, Emily: Die Sturmhöhe.

Coster, Charles de: Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Ein fröhliches Buch trotz Tod und Tränen.

Defoe, Daniel: Robinson Crusoe. Nach der älteften deutſchen Übertragung. Nach⸗ wort von Severin Rüttgers.

Flaubert, Gustave: Frau Bovary. Roman. Fontane, Theodor: Effi Briest. Roman. Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman.

Gotthelf, Jeremias: Wie Uli der Knecht glücklich wird. Nachwort von Paul Ernit.

Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Der abenteuerliche Simplizissimus. Nachwort von Wolfgang Kapfer.

Hoffmann, E. T. A.: Die Elixiere des Teufels. Jacobsen, Jens Peter: Niels Lyhne. Roman.

193

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Die Leute von Seldwyla.

Lagerlöf, Selma: Gösta Berling. Erzählungen aus dem alten Wermland.

Meyer, Conrad Ferdinand: Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeſchichte.

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Eine Geſchichte aus dem 10. Jahrhundert.

Stendhal, Friedrick von: Rot und Schwarz. Zeitbild von 1830. Die Kartause von Parma.

Stevenson, R. L.: Die Schatzinsel. Mit vielen Holzſchnitten von Hans Alexander Müller.

Swift, Jonathan: Gullivers Reisen.

Tolstoi, Leo: | Anna Karenina. Roman in zwei Bänden (je 700 Seiten). )

Die Hausbücher der Infel Jeder Band in Leinen M 4.50

Beethovens Briefe. Ausgewählt von Albert Leitzmann. Mit 16 Bildtafeln.

Böhme, Jakob: Schriften. Ausgewählt von Friedrich Schulze⸗Maizier. Mit einem Bildnis Boͤhmes.

Bürger, Gottfried August: Wunderbare Reisen des Freiherrn von Münchhausen. Mit den Holz⸗ ſchnitten von G. Dore. Großquart. Gebunden.

Busch, Wilhelm: Aus alter Zeit. Mit vielen Handzeichnungen des Meiſters. Her⸗ ausgegeben von Otto Nöldefe und Hans Balzer.

2 ee

Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal. Die früher vierbändige Ausgabe jetzt in einem Bande. (1005 Seiten.)

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Inhalt: Arnim: Der tolle Invalide Brentano: Geſchichte vom braven Kaſperl und dem ſchönen Annerl Büchner: Lenz - Drofte- Hülshoff: Die Judenbuche Eichendorff: Taugenichts Fouque: Undine Goethe: Novelle Gotthelf: Barthli, der Korber Grillparzer: Der arme Spielmann Hauff: Das kalte Herz Fr. Hebbel: Aus meiner Jugend E. T. A. Hoffmann: Der Elemens targeift Gottfried Keller: Spiegel, das Kätzchen Heinrich von Kleiſt: Das Erdbeben in Chili Eduard Mörike: Mozart auf der Reife nach Prag Jean Paul: Leben des vergnügten Echulmeie ſterlein Maria Wuz in Auenthal Schiller: Der Geiſterſeher Sealsfield: Erzählung des Oberſten Morſe Stifter: Der Hage- ſtolz Tieck: Der blonde Eckbert.

Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers.

Inhalt: Das Hildebrandslied Beowulf Walther und Hilde— gund Sigfrid und die Nibelunge Wieland der Schmied - Kö- nig Rother Der getreue Wolfdietrich König Dietrich von Bern Kudrun Der Nibelunge Not.

Deutsche Volksbücher. Herausgegeben von Severin Rüttgers.

Der Band enthält: Der hörnern Siegfried Die vier Haimons⸗ kinder Herzog Ernſt Wigoleis Kaiſer Barbaroſſa Die ſchöne Meluſine Die geduldige Griſeldis Die ſchöne Magelona Hirlanda Fortunat Eulenſpiegel Die Schildbürger Doktor Fauſt.

Meister Ecichart:

Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben von Friedrich Schulze⸗Maizier.

Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Mit 20 Bildtafeln.

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg.

Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln.

Schwab, Gustav:

Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige Ausgabe mit 96 Zeichnungen von J. Flaxman. (1020 Seiten.)

195

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Roman. Witiko. Mit einer Einleitung von Adolf von Grolman. Ungekürzt. (930 Seiten.) Erzählungen. (900 Seiten.) Der Band enthält: Hochwald Ab⸗ dias Brigitta Hageſtolz Waldſteig Bunte Steine Nachkommenſchaſten Sonnenfinfternis.

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In einem Bande.

Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und feine Kunſt. Mit 192 Bildtafeln.

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Inhalt

Kalendarium auf das Jahr 19 —d/—“ẽ ee eee eee 5 Rudolf G. Binding: Zwei Gedicht UU] .. 11 Ernſt Moritz Arndt: Von Freiheit und Vaterland 12 Andreas Zeitler: Arbeit und Dichtun—ↄ 13 David Friedrich Strauß: Huttens Streit mit Erasmus iir; ]ꝛ⁊ͥ».ĩ//m·mm ð L 17 Briefe des Generalfeldmarſchalls von Moltke 26 Friedrich Schiller: Die vier Weltalter ................. 31 Rainer Maria Rilke: Über den jungen Didter .......... 33 Gudmundur Kamban: Der Herrſcher auf Skalholt ....... 40 Konrad Weiß: Szenen aus dem Trauerſpiel ,‚Konradin von DOVER AUC ee nee oiewetsees 51 Gottfried Keller: Das Tanzlegendche nn 54 Gertrud von le Fort: Geſang aus den Bergen. .. 60 Franz Spunda: Nächtlicher Ritt über den Pelion ......... 61 Charles Alexander Eaftman: An den Grenzen des Geiſter— 68... TK ea 70 Aus Stifters boͤhmiſcher HeimalW ““ eee ewes 77 Ernſt Bertram: Hrabann- q 7 777 ee 82 Rudolf Kaſſner: Wiener Theater. 85 Emilp Bronte: Der erſte Beſuchhhh h veces 92 Friedrich Schnack: Die Pfingſtro ee 98 Achim von Akerman: Zwei Gedichten 102 K. H. Waggerl: Der Engel ꝶũ4 103 Betting Seipp Pomp: 111 Reinhold Schneider: Der Stein des Magiers 119 Ulrich von Hutten: Ich habs gewanlũeteett.t.. 137 Hans Caroſſa: Lehrer der Hochſchubth g... 140 Max Mell: Günther und die kleine Schwed'in 140 Katharina Kippenberg: Aus Rilkes Lebe·e nnn 156 Bücher aus dem Inſel⸗Ver la; sss ̃ 165

Die Bilder

Der Blasengel. Plaſtik aus dem Bamberger Dom. Aus: Die Bildwerke des Bamberger Doms (Inſel⸗Bücherei Nr. 140)

Peter Viſcher: Petrus. Aus: Das Sebaldusgrab zu Nürnberg (Inſel⸗Bücherei Nr. 33o)h́ͥv uiii Zt Peter Viſcher: Leuchterweibchen. Aus: Das Sebaldusgrab zu Nürnberg (Inſel⸗Bücherei Nr. 33o00õͥʒ; Das Theater von Pergamon. Aus: Franz Spunda: Griechen⸗ land, Fahrten zu den alten Götterꝶnnn ee eee Willi Harwerth: Zwei Bilder zu Hans im Glück. Aus: Brüder Grimm: Hans im Glück (Inſel⸗Bücherei Nr. 530) 80, Pompeji: Fresken aus der Caſa dei Miſteri. Aus: Bettina Seipp: Neapel und Sizilien, als Land der Griechen erlebt ..

Rainer Maria Rilke in Rippoldsau im Schwarzwald, 1913. Aus: Katharina Kippenberg: Rainer Maria Riljʒtf,e

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Den Umſchlag zeichnete Fritz Kredel

Gedruckt in der Offizin Haag⸗Drugulin zu Leipzig

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G. 23. 9. 1938

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Inſel⸗Almanach auf das Jahr

1940

Im Onfel-Berlag zu Leipzig

Kalendarium

Große Gedanken und ein reines Herz, das

iſts, was wir uns von Gott erbitten ſollten.

*

W DEW’?

JANUAR FEBRUAR MARZ 1 Neujahr 1 Donnerstag 1 Freitag 2 Dienstag | 2 §reitag 2 Sonnabend 3 Mittwoch 3 Sonnabend 4 Donnerstag 3 Latare 5 Freitag 4 Eſtomihi 4 Montag 6 Epiphanias 5 Montag 5 Dienstag 6 Dienstag 6 Mittwoch 7 1. Sonnt. n. Ep. 7 Mittwoch 7 Donnerstag 8 Montag 8 Donnerstag @ | 8 Freitag 9 Dienstag @ | 9 §reitag 9 Sonnabend © 10 Mittwoch 10 Sonnabend 11 Donnerstag 10 en 12 Freitag 11 Invokavit a 5 13 Sonnabend 12 Montag 12 ee 13 Dienstag 13 D aoe 14 2. Sonnt. n. Ep. 14 Mittwoch 14 er ag 15 Montag 15 Donnerstag 15 Greitag 16 Dienstag 16 Freitag > 16 Sonnabend 17 Mittwoch 17 Sonnabend 17 Palmarum 3 18 Reichsgründung 18 Montag 19 Freitag 18 Reminiſzere 19 Dienstag 20 Sonnabend 19 Montag 20 Mittwoch ei Dienstag 21 Gründonnerstag 21 Septuageſima 21 Mittwoch 22 Karfreita 22 Montag 22 Donnerstag 23 in & 23 Dienstag 23 Freitag D 24 Mittwoch & | 24 Sonnabend 24 Oſterſonntag 25 Donnerstag 25 Oſtermontag 26 Freitag 25 Okuli 26 Dienstag 27 Sonnabend 26 Montag 27 Mittwoch 27 Dienstag 28 Donnerstag 28 Geragefima 28 Mittwoch 29 Freitag

29 Montag

30 Tag d. nat. Erheb.

31 Mittwoch

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31 Quaſimodogen.

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APRIL MAI JUNI 1 Montag 1 Tag der Arbeit 1 Sonnabend 2 Dienstag 2 Himmelfahrt 3 Mittwoch 3 Freitag 2 2. n. Trinitatis 4 Donnerstag 4 Sonnabend 3 Montag 5 Freitag 4 Dienstag 6 Sonnabend 5 Exaudi 5 Mittwoch 6 Montag 6 Donnerstag 7 Miſeric. Dom. @ | 7 Dienstag © | 7 Freitag 8 Montag 8 Mittwoch 8 Sonnabend 9 Dienstag 9 Donnerstag 10 Mittwoch 10 Freitag 9 3. n. Trinitatis 11 Donnerstag 11 Sonnabend 10 Montag 12 Freitag 11 Dienstag 13 Sonnabend 12 Pfingſtſonntag 12 Mittwoch 13 Pfingſtmontag 13 Donnerstag? 14 Jubilate 14 Dienstag > | 14 Freitag 15 Montag I | 15 Mittwoch 15 Sonnabend 16 Dienstag 16 Donnerstag 17 Mittwoch 17 Freitag 16 4. n. Trinitatis 18 Donnerstag 18 Sonnabend 17 Montag 19 Freitag 18 Dienstag 20 Des Führers 19 Trinitatis 19 Mittwoch Geburtstag 20 Montag 20 Donnerstag 21 Kantate 21 Dienstag @ | a1 Freitag 22 Montag @ | 22 Mittwoch 22 Sonnabend 23 Dienstag 23 Fronleichnam 24 Mittwoch 24 Freitag 23 5.n. Trinitatis 25 Donnerstag 25 Sonnabend 24 Montag 26 Freitag 25 Dienstag 27 Sonnabend 26 1. n. Trinitatis 26 Mittwoch 27 Montag 27 Donnerstag 28 Rogate 28 Dienstag 28 Freitag 29 Montag | 29 Mittwoch | 29 Gonnabend 30 Dienstag 30 Donnerstag

31 Freitag 30 6. n. Trinitatis

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28 10. n. Trinitatis 29 Montag

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OKTOBER NOVEMBER DEZEMBER I Dienstag Freitag 1 1. Advent 2 Mittwoch 2 Sonnabend 2 Montag 3 Donnerstag 3 Dienstag 4 Freitag 3 Reformationsfeft | 4 Mittwoch

5 Sonnabend

6 Erntedanktag

7 Montag

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13 21. n. Trinitatis 14 Montag

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20 22. n. Trinitatis 21 Montag

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24 Donnerstag 25 Freitag

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27 23. n. Trinitatis 28 Montag

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9 Gedenktag f. d. Ge— fallenen d. Beweg.

10 25. n. Trinitatis 11 Montag

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15 Freitag D 16 Sonnabend

17 26. n. Trinitatis 18 Montag

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20 Bußtag

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24 Totenſonntag 25 Montag

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5 Donnerstag 6 Freitag > 7 Sonnabend

8 2. Advent

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15 3. Advent 16 Montag

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22 4. Advent 23 Montag

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25 1. Weihnachtst. 26 2. Weihnachtst. 27 Freitag

28 Sonnabend

29 Sonntag n. W. 30 Montag 31 Gilvefter

Joſeph von Eichendorff / In Danzig

Dunkle Giebel, hohe Fenſter, Türme tief aus Nebeln ſehn, Bleiche Statuen wie Geſpenſter Lautlos an den Türen ſtehn.

Träumeriſch der Mond drauf ſcheinet, Dem die Stadt gar wohl gefällt,

Als läg zauberhaft verſteinet Drunten eine Märchenwelt.

Ringseher durch das tiefe Lauſchen, Über alle Häuſer weit,

Nur des Meeres fernes Rauſchen - Wunderbare Einſamkeit!

Und der Türmer wie vor Jahren Singet ein uraltes Lied:

Wolle Gott den Schiffer wahren, Der bei Nacht vorüberzieht!

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Aus: Die deutſchen Lande im Gedicht (Inſel⸗Bücherei)

Erich Brandenburg / Kolonialpolitik und Kriegsſchuld

Wir haben einen weiten, windungsreichen Weg durchmeſſen. Blicken wir von dem erreichten Punkte noch einmal auf das Ganze zurück.

Überfchauen wir die deutſche Politik ſeit Bismarcks Sturz im großen, ſo laſſen ſich, glaube ich, zwei Perioden klar vonein⸗ ander ſondern. Die erſte endigt mit dem Scheitern der deutſch⸗ engliſchen und der deutſch-ruſſiſchen Bündnisverhandlungen, alſo etwa mit dem Jahre 1905, die zweite beginnt mit der Bil⸗ dung der Entente, alſo 1907; dazwiſchen liegt eine kurze, aber wichtige Zeit der Neugruppierung.

Die erſte dieſer Perioden iſt gegenüber der Bismarckſchen Zeit gekennzeichnet durch das viel ſtärkere Hervortreten des Motivs der kolonialen Expanſion, eine notwendige Folge der mächtigen weltwirtſchaftlichen Entwicklung. Die rein europäifche Orien⸗ tierung der deutſchen Politik hort auf, die , weltpolitiſche“ Ein⸗ ſtellung beginnt. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß unter den gänzlich veränderten Verhältniſſen die rein kontinentale Einſtellung der früheren Periode für unſere Politik nicht beibehalten werden konnte. Bismarck ſelbſt wurde ſich dieſer Erkenntnis gewiß nicht verſchloſſen haben, wie ja bereits ſeine Wendung zur Kolonial⸗ politik in den achtziger Jahren erkennen läßt. Aber ebenſowenig iſt daran zu zweifeln, daß für ihn die Sicherung unferer euro: päiſchen Stellung immer das oberfte Ziel geblieben fein würde und daß er dem Gewinn neuen Beſitzes in fernen Erdteilen nie⸗ mals einen entſcheidenden Einfluß auf unſere Geſamtpolitik ein⸗ geräumt haben würde. Es galt, mit größter Vorſicht und Be: harrlichkeit unſere weltpolitiſche Stellung auszubauen, ohne die Sicherheit des Reiches ſelbſt zu gefährden. Das war um ſo ſchwieriger, als die Aufteilung der Erde ſeit den achtziger Jah⸗

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ren ein ſehr ſchnelles Tempo angenommen hatte, als infolge: deſſen das Streben, von dem noch verfügbaren Reſt möglichſt viel zu erhalten, bei allen Kolonialmächten bis ins Krankhafte geſteigert war und daher mit jeder eigenen Erwerbung neue Reibungs- und Konfliktsmöglichkeiten geſchaffen wurden. Bismarck hatte bereits erkannt, daß der Ausbau unſeres Ko: lonialreiches ohne ſchwere Gefahren für uns ſelbſt nur dann möglich fei, wenn wir in dauernder freundſchaftlicher Kühlung mit der größten See- und Kolonialmacht, mit England, blie: ben. Die Lage in Europa war bedenklich genug. Der alte Gegenſatz zu Frankreich war durch die ruſſiſch-franzöſiſche An— näherung ſtärker als je zu einer dauernden Gefahrenquelle ge— worden; der öſterreichiſch-ruſſiſche Gegenſatz im Nahen Orient konnte jeden Augenblick zum Zuſammenſtoß führen und mußte dann Deutſchland und Frankreich auf den Plan rufen. Solange ein ſolcher Konflikt auf Europa beſchränkt blieb, konnten wir im Verein mit den übrigen Dreibundmächten ſeinem Austrag mit Zuverſicht entgegenſehen. Wenn aber ein dauernder welt— politiſcher Gegenſatz zu England hinzutrat und das Inſelreich auf die Seite unſerer Gegner trieb, wurde die Gefahr ins Un— endliche vergrößert, zumal da dann auch Italiens Mitwirkung an unſerer Seite höchſt unwahrſcheinlich wurde.

Im Geiſte von Bismarcks Politik hätte es gelegen, den Ausbau unſeres Kolonialreiches nach einem feſten, begrenzten Plan und im Einverſtändnis mit England zu betreiben und jeden einzelnen Schritt dazu von der allgemeinen politiſchen Lage abhängig zu machen. Auch würde bei der Erweiterung unſeres Macht- und Intereſſenkreiſes und der dadurch erhöhten Reibungsgefahr der rechtzeitige Ausbau eines neuen, nicht mehr rein europäiſchen Bündnisſyſtems zur Sicherung gegen weltpolitiſche Gefahren ein Gebot der Vorſicht geweſen ſein. Unſeren Staatslenkern ſtand aber in der Zeit nach Bismarcks Entlaſſung kein beſtimm⸗ ter Plan, etwa der Gedanke eines geſchloſſenen Kolonialreiches in irgendeinem Teile der Welt, vor Augen; ſie hatten vielmehr nur das allgemeine Beſtreben, bei der Teilung der Erdober⸗ fläche unter die großen Mächte nicht zu kurz zu kommen, über⸗ all auch etwas zu gewinnen, wo andere etwas bekämen. Ge⸗

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rade dadurch wurden immer neue Reibungsflächen gefchaffen, gerade dadurch wurde ein allgemeines Unbehagen erzeugt, ein Gefühl der Unſicherheit über Deutſchlands letzte Abſichten, die niemals greifbar erſchienen und die man ſich als uferlos und gefährlich vorſtellte. Der Gedanke der Kompenſationspolitik, deſſen Hauptvertreter Herr von Holſtein war, führte zu immer neuen mehr oder minder heftigen Auseinanderſetzungen mit England, Frankreich und Rußland.

Die Geſamtlage war anfangs für Deutſchland günftig. Der ruſſiſch⸗franzöſiſche Zweibund und das britiſche Weltreich ſtan⸗ den ſich in allen Teilen der Welt feindlich gegenüber. Beide Gruppen umwarben uns, und wir konnten uns nicht nur als gegen augenblickliche Gefahren geſichert, ſondern zeitweiſe faſt als Schiedsrichter der Welt betrachten. An der Spitze des Drei⸗ bundes ſtellten wir einen dritten ebenbürfigen Machtfaktor dar. Dies Gefühl ſteigerte unſer Selbſtbewußtſein und ließ uns manchmal im Ton unſerer Sprache und in der Art unſeres Vor⸗ gehens die Grenzen der Vorſicht und des Taktes überfchreiten; wir reizten dadurch häufig die Empfindlichkeit der anderen, ohne daß ein wichtiges Lebensintereſſe oder ein großes, wert⸗ volles Streitobjekt dies gerechtfertigt hätte. Kür gute Dienſte verlangten wir ſtets durch Gegenleiſtungen bezahlt zu werden, die gerade wegen ihrer verhältnismäßigen Geringfügigkeit die Verſtimmung nicht lohnten, die ſie erzeugten.

Eine Verbindung der beiden Mächtegruppen gegen uns hielten wir für unmoglich und glaubten die vorteilhafte Mittelſtellung zwiſchen beiden behaupten und zur Erlangung kleiner Vorteile ausnutzen zu können. Die engliſchen Annäherungsverſuche be⸗ antworteten wir mit der Aufſtellung von Bedingungen, die dem Inſelreich als unannehmbar erſchienen. Wir glaubten, man werde wiederkommen, wenn man ſich jenſeits des Kanals überzeugt habe, daß die Opfer für eine Verſtändigung mit Frankreich und Rußland zu groß ſeien. Statt deſſen vertrugen ſich Frankreich und England auf unſere Koſten.

Auf der anderen Seite lockte der Gedanke des Kontinental⸗ bundes gegen England. Als die britiſchen Staatsmänner ſich Frankreich zu nähern begannen und Rußland im ſchweren

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Kampfe in Dftafien ftand, ſuchten wir diefe andere Möglich: keit durch den Björkövertrag zu verwirklichen, in der Hoff: nung, daß Frankreich ſich freiwillig oder gezwungen dieſem Bunde werde anſchließen müſſen. Aber Rußland wich alsbald nach dem Friedensſchluß mit Japan der Erfüllung dieſer un: angenehmen Verpflichtung aus, um das vorteilhafte Verhält— nis zu Frankreich nicht aufs Spiel zu ſetzen. Das endgültige Mißlingen der oſtaſiatiſchen Eroberungspolitik lenkte die Blicke der ruſſiſchen Staatsmänner wieder auf Vorderaſien und die Balkanhalbinſel zurück; infolgedeſſen trat Rußlands alter Gegenſatz zu Oſterreich-Ulngarn und das mit ihm verbündete Deutſche Reich wieder ſcharf hervor. Immer ſtärker wurde in Petersburg die Empfindung, daß man am Balkan ſeine Ziele nur in Verbindung mit den Weſtmächten werde erreichen können.

Die Zeit der Pendelpolitik war damit für Deutſchland end— gültig vorüber. Wir hatten es verſäumt, in der Zeit, da man uns brauchte, ein näheres Verhältnis zu England zu gewinnen, und zu ſpät erkannt, daß der Gedanke des Kontinentalbundes eine Utopie war.

Nun geſchah, was wir für unmöglich gehalten hatten: Ruß— land und England verſtändigten ſich ebenfalls über ihre alten Streitfragen, und wir ftanden ſeit 1907 nicht mehr zwei ein⸗ ander feindlichen Gruppen, ſondern dem immer fefter werden: den Block der „Entente“ gegenüber. Damit begann die zweite Periode.

Wir ſtanden jetzt unter dem Druck der Erkenntnis, daß wir in die Defenſive gedrängt ſeien. Wir erfuhren es in Marokko und in den Balkanfragen. Wir hätten vielleicht die Entente noch zerſprengen können, wenn wir auf die Flottenverſtändigung eingegangen wären, die England wünſchte. Wir taten es nicht, weil wir der politiſchen Haltung Englands auch dann nicht ſicher zu fein glaubten und uns ein wichtiges Verteidigungs⸗ mittel nicht ſchwächen laſſen wollten. Wir hielten aber trotz der veränderten Weltlage an dem alten Kompenſationsgedan⸗ ken feſt, der nun ſehr viel ſchwerer als früher durchzuführen war. Wir ſuchten zuweilen das aufſteigende Gefühl der Gefahr

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unferer Lage durch große Worte und den Hinweis auf unfere ſtarke Rüſtung zu übertäuben und erweckten dadurch wieder nur Verdacht und Mißtrauen.

Auch der Dreibund ſelbſt begann ſich langſam zu lockern. Ita⸗ lien hatte ſich allmählich den Franzoſen genähert und wollte unter keinen Umſtänden in Gegenſatz zu England geraten. Es hielt für ſeine kolonialen Ziele in Nordafrika die Unterſtützung der Entente für wichtiger als die des Dreibundes. Auch Rumä⸗ nien wurde immer unſicherer. Angeſichts unſerer wachſenden Iſolierung blieb das Bündnis mit Oſterreich das letzte Boll⸗ werk unſerer Stellung. Je ſtärker man in Wien merkte, daß wir nichts mehr fürchteten, als auch den letzten Bundesgenoſſen zu verlieren, deſto ſtärker ſuchte man dieſe günftige Lage für die eigenen Balkanpläne auszunutzen. Wir wagten nicht, Oſter⸗ reich die Rückendeckung zu verſagen, ſelbſt wenn es gehandelt hatte, ohne uns zu fragen, ja ſogar, wenn wir ſein Verhalten mißbilligten. So deckten wir 1908 und 190g das von uns nicht gebilligte Vorgehen in Bosnien und verſchlechterten dadurch unſer Verhältnis zu Rußland. Auch während der Balkankriege wirkten wir zwar in einzelnen Fällen zurückhaltend, vertraten aber doch in den wichtigſten Fragen den Standpunkt der Hof: burg. Die Leitung des Dreibundes glitt mehr und mehr nach Wien, was um fo verhängnisvoller war, als die öſterreichiſche Politik in den Balkanfragen unſicher und taſtend war, ſich ganz von der Furcht vor der zerſetzenden Wirkung der großſerbiſchen Agitation und dem Bedürfnis nach Augenblickserfolgen leiten ließ und in der Anbahnung eines Bündniſſes mit Bulgarien unter Feſthaltung Rumäniens ein unerreichbares Ziel verfolgte.

Die Mordtat von Serajewo löfte in Wien den Plan zur end⸗ gültigen Abrechnung mit Serbien aus. Man meinte, nur durch die exemplariſche Züchtigung des gefährlichen Nachbarn die be⸗ drohte Exiſtenz der Monarchie retten und der Welt den Be⸗ weis ihrer Daſeinskraft geben zu können. Wir glaubten, Oſter⸗ reich nicht zurückhalten zu dürfen, und hofften, mit den alten Mitteln das Eingreifen Rußlands verhindern zu können. Wir unterſchätzten die darin liegende Gefahr und ſtanden daneben unter dem Druck der Vorſtellung, wenn die große Ausein⸗

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anderſetzung doch einmal kommen müffe, fei es vielleicht beſſer, ſie komme jetzt und aus dieſem Anlaſſe. So gerieten wir in eine Lage, aus der es nach unſerem vergeblichen Verſuche, Öfter: reich im letzten Augenblick noch zum Einlenken zu bringen, kei⸗ nen Ausweg mehr gab als den Krieg.

Man kann der deutſchen Politik dieſer Jahre viele Vorwürfe machen. Man kann ſie der Kurzſichtigkeit, der Planloſigkeit, des Mangels an Vorſicht und pſychologiſchem Verſtändnis für das Weſen der anderen zeihen, man kann ihr Schwanken und ihr plötzliches Zufahren, etwa in der Marokkofrage, tadeln; aber das wird niemand mit Grund behaupten können, daß fie in irgendeinem Zeitpunkt den Krieg gewollt oder auf ihn hin— gearbeitet habe. Wenn Deutſchland den Krieg gewünſcht hätte, ſo wäre kein günſtigerer Zeitpunkt dafür zu finden geweſen als die Jahre während des Ruſſiſch-Japaniſchen Krieges und nach demſelben. Damals war Rußland aktionsunfähig, Frankreich und England mangelhaft gerüftet, die Entente erſt im Werden begriffen. Hätten wir einen Präventivkrieg führen wollen, fo wären damals und noch bis 1909 alle Chancen auf unferer Seite geweſen. Der Generalſtab hat pflichtgemäß darauf auf— merkſam gemacht. Unſere Regierung hat dieſe Möglichkeit nie ernſtlich erwogen und noch 1909, als man in Oſterreich den Einmarſch in Serbien in Betracht zog, immer im Sinne des Friedens gewirkt. Vielleicht wäre es richtiger geweſen, damals ſcharf zuzugreifen, aber man wollte es nicht, weil man den Frieden nicht ohne Not brechen wollte. Unſere Politik war trotz allen großen Worten im Grunde eher zu ängftlidy und zu fried- liebend als zu kriegeriſch. Wir wollten auch niemals auf Koſten anderer gewinnen, ſondern immer nur neben ihnen und mit ihnen an der Aufteilung der Erde teilnehmen.

Kann man das gleiche von den anderen beteiligten Mächten ſagen?

Am eheſten noch von England. Auch in England hat niemand eigentlich den Krieg gewollt. Die in Deutſchland verbreitete Anſicht, als habe Großbritannien den Kampf geführt, um un⸗ ſere immer gefährlicher werdende wirtſchaftliche Konkurrenz gewaltſam niederzuſchlagen, iſt ſchwerlich begründet. Aber man

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Keller, Gottfried: Der ; Die Leute von Seldı Lagerlöf, Selma: 4 Gösta Berling. Erzähl Meyer, Conrad Ferdina Jürg Jenatsch. Eine Scheffel, Joseph Victor : Ekkehard. Eine Geli Stendhal, Friedrich von: Rot und Schwarz. Zeit Die Kartause von Parr

Stevenson, R. L.: Die Schatzinsel. Mit Müller.

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Beethovens Briefe. q Ausgewählt von Albert X

Böhme, Jakob: Schriften. Ausgewählt vo Bildnis Böhmes.

Bürger, Gottfried August: Wunderbare Reisen des Frei ſchnitten von G. Doré. Gro

Busch, Wilhelm: Aus alter Zeit. Mit vielen ausgegeben von Otto Nölde

Deutsche Erzähler. Ausgewe

Hofmannsthal. Die früher Bande. (1005 Seiten.)

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nächſte Zeit eine Hegemonie Frank⸗ die für England mindeſtens ebenſo was ein Sieg Deutſchlands hätte Orjt Deutſchlands Wiedererſtarken in Lage beſeitigt und das Gleichge⸗ hat aber auch ſofort in England utfchen Hegemonie in Europa mie: mit die Gefahr eines Zuſammen⸗

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fürchtete jenſeits des Kanals unſere wachſende polififche und militäriſche Macht, fühlte durch das Anwachſen unferer Schlachtflotte die eigene Seeherrſchaft und Sicherheit bedroht und traute uns die Abſicht zu, uns der Hegemonie auf dem europäifchen Kontinent zu bemächtigen. Um ſich gegen ſolche Möglichkeiten zu ſichern und uns nicht zu einer dauernden ſchiedsrichterlichen Stellung gelangen zu laſſen, ſchuf man die Entente, nachdem das Bündnis mit Deutſchland geſcheitert war. Sie ſollte nach der Abſicht der engliſchen Staatsmänner ein Mittel zur Erhaltung des Gleichgewichts ſein, ſollte Deutſch⸗ lands Macht und Ehrgeiz in Schranken halten, war aber aller Wahrſcheinlichkeit nach anfangs nicht als ein Kriegsinſtru⸗ ment gedacht. Allerdings unterſchätzte man in London wohl von Anfang an die Gefahr, die in der Zerteilung Europas in zwei feindliche Bündniſſe lag. Als man ſie erkannte, ſuchte man die Fühlung mit Deutſchland wiederherzuſtellen, ohne indeſſen die Entente aufzugeben, ein Art Stellung über den Parteien zu⸗ rückzugewinnen. Aber man hatte ſich ſchon zu eng an die an⸗ dere Gruppe gebunden und beſaß nicht die Macht, die Politik der Verbündeten ganz in den erwünſchten Bahnen zu halten. Da man der Überzeugung war, daß in einem Kampfe ohne Englands Beteiligung Deutſchland ſiegen und Herr des Kon⸗ tinents werden würde, mußte man, wenn der Krieg nicht zu verhindern war, an der Seite Frankreichs und Rußlands ſtehen, wenn man nicht gerade die Lage entſtehen laſſen wollte, zu deren Verhinderung die Entente geſchloſſen war. So war auch England ſchließlich von den Entfchlüffen feiner Verbündeten ab: hängig geworden, ohne es zu wollen und ohne ſie ganz klar zu durchſchauen. Daß Grey ſich perſönlich an die Ententepolitik gebunden fühlte, war natürlich von großer Bedeutung. Aber er hätte im entſcheidenden Augenblick geſtürzt werden können. Die Entſchlüſſe Englands hingen nicht allein an ſeiner Perſon; ſie waren durch die Konſequenzen der bisherigen Politik und die Furcht vor einer deutſchen Machtſteigerung diktiert. So weit⸗ blickend war auch die engliſche Politik nicht, daß ſie die Gefahren einer ferneren Zukunft ſchon deutlich geſehen hätte. Die Nieder⸗ werfung Deutſchlands und der Zuſammenbruch Rußlands und

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Oſterreichs ſchufen für die nächſte Zeit eine Hegemonie Frank: reichs auf dem Kontinent, die für England mindeſtens ebenſo unangenehm war wie alles, was ein Sieg Deutſchlands hätte zur Folge haben können. Erſt Deutſchlands Wiedererſtarken in den letzten Jahren hat dieſe Lage beſeitigt und das Bleichge: wicht wiederhergeſtellt. Sie hat aber auch ſofort in England die alte Furcht vor einer deutſchen Hegemonie in Europa tie: der erwachen laſſen und damit die Gefahr eines Zuſammen— ſtoßes erneuert.

Ganz anders ſtand es mit Frankreich und Rußland. Ich zweifle nicht daran, daß auch in dieſen beiden Ländern die große Maſſe der Bevölkerung friedliebend war. In den regierenden Kreiſen gab es in Paris wie in Petersburg zwei Parteien; die eine wollte den Frieden, wenn er irgend mit Ehren zu erhalten ſei, die andere den Krieg. In Frankreich konnte ſie an den nie er— loſchenen Revanchegedanken anknüpfen; ſie fand hier ihre ſchärfſten Vorkämpfer an Delcaſſé und Poincaré. Sie erlangte ſeit den Zuſammenſtößen mit Deutſchland in Marokko und ſeit der Begründung der Entente immer ſtärkeren Einfluß und ſchließlich, ſeit Poincaré an der Spitze ſtand, die eigent⸗ liche Führung. In Rußland war der Zar das Haupt der Friedenspartei; die Kriegspartei war lange ohne eigentlichen Führer. Weite militäriſche Kreiſe und alles, was dem Pan— ſlawismus zuneigte, ftüßfe in Petersburg die Kriegspartei. Sie fand an Iſwolſki nach deſſen perſönlicher Niederlage in der bosniſchen Kriſe einen eifrigen Förderer; als Botſchafter in Paris geriet der eitle und rachſüchtige Mann ganz in den Bannkreis der Gruppe Delcafjes und Poincarés und leiſtete ihr durch ſeinen Einfluß die wichtigſten Dienſte. Seine Berichte aus Paris zeigen jedem, der nicht durch Vorurteile verblendet iſt, aufs deutlichſte, wie vorſichtig und raffiniert zugleich Iſwolſki mit Poincaré im Bunde den Krieg vorbereitete. Aufs geſchick⸗ teſte verſtand er, widerſtrebende Elemente, wie den franzöſi⸗ ſchen Vertreter in Petersburg, Georges Louis, zu beſeitigen, die Preſſe zu bearbeiten und zu beſtechen und die unerſättliche Eitel⸗ keit Poincarés zu benutzen. Man kann höchſtens darüber im Zweifel ſein, wer von beiden mehr der geſchobene, wer der

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ſchiebende Teil war. Ihr enges Zuſammenwirken ſteht außer Frage. Iſwolſki kann nicht oft genug wiederholen, welches Glück es ſei, daß gerade Poincaré an der Spitze Frankreichs ſtehe und nicht irgendein weniger zuverläſſiger und gewandter Politiker.

Soweit man von einer Schuld einzelner Perſönlichkeiten am Weltkriege reden kann, ſind es dieſe Männer, die ſie trifft. In langjähriger, zäher und zielbewußter Arbeit haben ſie den Boden vorbereitet, ſtets vorſichtig darauf bedacht, nach außen hin ihre wahren Ziele nicht vorzeitig hervortreten zu laſſen, ſon⸗ dern den Augenblick abzuwarten, in dem die Rüſtung vollendet ſei und da eine der gegneriſchen Mächte durch eine Unvorſichtig⸗ keit die Möglichkeit gewähre, ſie als den angreifenden Teil hin⸗ zuſtellen. Denn das war nötig, ſowohl um die Meinung der Maſſen in den eigenen Ländern zu gewinnen als mit Rückſicht auf England, deſſen vorſichtige Regierung und deſſen fried⸗ liebendes Volk. Die Ziele aber, die dieſe Gruppen verfolgten, waren ohne Krieg überhaupt nicht zu erreichen. Die Franzoſen wollten den Deutſchen Elſaß⸗Lothringen entreißen; die Ruſſen wollten ſich den Weg zur Beherrſchung des Balkans und der Meerengen öffnen, wollten die unter deutſcher, öſterreichiſcher und türkiſcher Herrſchaft ſtehenden Slawen aus den bisherigen Staatsverbänden löfen und ihrem Machtkreiſe eingliedern. Sie waren es, die erobern, die auf fremde Koſten gewinnen woll⸗ ten, nicht Deutſchland.

Die geſchickte und ſkrupelloſe Minierarbeit dieſer verhältnis⸗ mäßig kleinen Gruppen hat den Weltkrieg vorbereitet. Ihre Führer ſind vor den furchtbaren Konſequenzen eines ſolchen Völkerringens nicht zurückgeſchreckt, weil fie ohne das ihre Ziele nicht erreichen konnten. Sie haben ſchon während der Balkankriege auf die Gelegenheit gewartet und ſie im Juli 1914 freudig ergriffen. Ihr Werk war die ruſſiſche Mobil⸗ machung, die den Krieg zur unmittelbaren Folge hatte.

Wir beſaßen leider keinen Staatsmann, der dieſen ſchlauen und ſkrupelloſen Diplomaten gewachſen war. Oſterreich-⸗Ungarns Furcht vor den Gefahren, mit denen das Anwachſen der natio⸗ naliſtiſchen Strömungen im Güdoften fein Weiterbeſtehen be⸗

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drohte, und Deutſchlands ängſtliche Rüdfichtnahme auf den letzten Verbündeten haben ihnen den Anlaß geboten, den ſie brauchten und mit Meiſterſchaft benutzten.

Ich habe mich mit allen dieſen Betrachtungen abſichtlich auf das Gebiet der unmittelbaren Urſachen verknüpfung beſchränkt. Indeſſen kann ich dieſes Buch nicht ſchließen, ohne noch einmal kurz auf die tieferen Gründe der großen Weltkataſtrophe hin: zuweiſen.

Die ſeit etwa 1880 einſetzende ſchnelle Aufteilung Afrikas und der Südſee unter die europäiſchen Großmächte hatte eine Atmo— ſphäre ftarfer politiſcher Spannung geſchaffen. Dieſe erhitzte ſich noch mehr, als ſeit 1895 der Aufteilungsprozeß auch Oſt— afien und das Gebiet der Türkei ergreifen zu wollen ſchien. Go: lange noch verfügbares Land vorhanden war, konnte eine Politik der Kompenſationen als Ventil dienen und die Ex— ploſion verhüten. Je geringer der verfügbare Raum war, deſto ſchwerer und geräuſchvoller funktionierte dies Ventil. Das Eingreifen Amerikas in Oſtaſien und das Heranwachſen Jaz pans zur Großmacht ſchloſſen den ganzen Oſten Aſiens für lange Zeit praktiſch von der Aufteilung aus. Afrika war ſchon 1900 verteilt bis auf Marokko und Abeffinien. Der ganze Kon⸗ kurrenzkampf der Mächte konzentrierte ſich nun auf Marokko und das Türkiſche Reich.

Hinter dieſen weltpolitiſchen und kolonialen Gegenfägen ſtanden ſtarke wirtſchaftliche Intereſſen der führenden Induſtrie⸗ und Handelsvölker. Jedes von ihnen war beſtrebt, fi) möglichſt große Abſatzgebiete für ſeine Waren, möglichſt ergiebige Be⸗ zugsquellen für wichtige Rohprodukte und Betätigungsfelder für ſein Kapital durch politiſche Machtmittel zu ſichern. Neben dieſen neuen weltpolitiſchen Streitfragen blieben aber die altüberlieferten Gegenfäge zwiſchen den Mächten des Feſt⸗ landes beſtehen. Zu ihnen gehörten in erſter Linie die alte deutſch⸗ franzöſiſche Rivalität, deren Symbol ſchließlich Elſaß-Lothrin⸗ gen geworden war, und das Ringen zwiſchen Rußland und Oſterreich⸗Ungarn um den leitenden Einfluß auf dem Balkan. Aber dieſen europäifchen Gegenſätzen lag zuletzt noch eine tiefere

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Schwierigkeit zugrunde. Es war die im Laufe des letzten Jahr⸗ hunderts entſtandene Unſtimmigkeit zwiſchen den altüberliefer⸗ ten oder durch Verträge feſtgeſtellten Staatsgrenzen und dem ſeit der Franzöſiſchen Revolution mit ſiegreicher Gewalt ſich durchſetzenden Nationalitätenprinzip. Weder im Often Europas noch auf dem Balkan noch zwiſchen Frankreich und Deutſch⸗ land entſprachen die Staatsgrenzen den Grenzen des Volks⸗ tums und der Sprache. Oſterreich⸗-Ungarn und die Türkei waren Staatsgebilde, die aus einer vergangenen Entwicklungs⸗ epoche ſtammten. Sie waren ohne jede Rückſicht auf die Na⸗ tionalität und den Willen der in ihnen zuſammengeſchloſſenen Menſchen geſchaffen worden und erhielten ſich nur mühſam durch die Schwerkraft des einmal Beſtehenden. Auch Deutſch⸗ land beherrſchte im Nordoſten weite Gebiete fremden Volks⸗ tums und hatte 1871 Teile des franzöſiſchen Sprachgebietes in ſein Reich hineingezogen, wenn es auch ſeinem Charakter und der weitaus größfen Zahl feiner Bewohner nach ein natio⸗ nales Staatsweſen war.

Wenn das Nationalifätenprinzip die Grundlage des europä⸗ iſchen Staatslebens blieb - und es hatte an Macht und Bedeu⸗ tung in den letzten Jahrzehnten nur immer zugenommen , muß- ten die anachroniſtiſchen Staatsgebilde älterer Herkunft zerſetzt und ſchließlich zerteilt werden. Kein Menſch konnte ſie vor dieſem Schickſal retten. Indem Deutſchland unter Verkennung dieſer Zuſammenhänge ſeine Geſchicke gerade mit denen Oſter⸗ reich⸗Ungarns verband und lange Zeit für die Erhaltung und Stärkung der Türkei eintrat, beging es den - vom entwicklungs⸗ geſchichtlichen Standpunkt aus geſehen - ſchwerſten und ver⸗ hängnisvollſten Fehler. Es kettete feine ſtrotzende und frifche nationale Kraft an das Schickſal morſcher, zum Untergange reifer Überbleibfel einer entſchwundenen Zeit und wurde da⸗ durch in ihre Kataſtrophe mit hineingeriſſen. Allerdings ge⸗ hörte die Erhaltung der Donaumonarchie als eines Dammes gegen die ſlawiſche Überflutung des ganzen europäiſchen Süd⸗ oſtens unter ruſſiſcher Führung mit zu den Traditionen aus Bismarcks Schule. Aber wie oft hatte gerade Bismarck davor gewarnt, uns für die Ausdehnung des öſterreichiſchen Einfluſſes

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auf der Balkanhalbinſel ins Feuer jagen zu laſſen; und gerade das haben wir getan. In feinen ‚Gedanken und Erinnerungen‘ hat Bismarck geſagt: ‚Der Dreibund iſt eine ſtrategiſche Stel⸗ lung, welche angeſichts der zur Zeit feines Abſchluſſes drohen— den Gefahren ratſam und unter den obwaltenden Verhältniſſen zu erreichen war; ...e8 wäre unweiſe, ihn als ſichere Grund: lage für alle Möglichkeiten betrachten zu wollen, durch die in Zukunft die Verhältniſſe, Bedürfniſſe und Stimmungen ver— ändert werden können, unter denen er zuftande gebracht wurde.. Er dispenſiert nicht von dem Toujours en vedette!‘ Und ſchon in der Denkſchrift für den damaligen Prinzen Wilhelm vom 9. Mai 1888 führt er aus, wenn wir unſere Beziehungen zu Rußland abbrächen und Oſterreich unſere alleinige Stütze gegen Rußland und Frankreich bleibe, ſo werde die habsburgiſche Monarchie einen ähnlichen Einfluß auf das Deutſche Reich gewinnen, wie wir ihn 1866 beſeitigt hätten. „Die Sicherheit unſerer Beziehungen zum öſterreichiſchen Staate beruht zum größten Teil auf der Möglichkeit, daß wir, wenn Oſterreich uns unbillige Zumutungen macht, uns auch mit Rußland ver— ſtändigen können.“ Indem unſere Staatsmänner die Notwen⸗ digkeit des Dreibundes und der Erhaltung der Donaumonarchie zu einem unantaſtbaren Dogma erſtarren ließen, handelten ſie durchaus dem Geiſte Bismarcks und jeder geſunden Politik zu⸗ wider und beraubten fic) der notwendigen Bewegungsfreiheit in der Ausgeſtaltung unſeres Bündnisſyſtems.

Unter den ſeit 1879 völlig veränderten Verhältniſſen wäre es der zukunftsreichere und wahrſcheinlich, wenn auch unter Schwierigkeiten, ebenfalls gangbare Weg geweſen, unter Ab: ſtoßung aller für die Behauptung einer geſchloſſenen und ver⸗ teidigungsfähigen Grenze nicht unbedingt notwendigen Volks⸗ teile fremder Herkunft die deutſchen Volksgenoſſen des Donau⸗ ſtaates an das Deutſche Reich heranzuziehen und ihm dadurch nicht nur eine ausgedehntere, ſondern vor allen Dingen eine feſtere, weil auf der Einheit des Volkstums beruhende Grund⸗ lage zu geben.

Dies iſt der Weg, den wir nach einer ſchweren zwanzigjährigen Prüfungszeit, in deren Verlauf unſer Reich mehr als einmal

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in feinem Fortbeſtehen bedroht war, unter Adolf Hitlers Füͤh⸗ rung wirklich eingeſchlagen haben. In unglaublich kurzer Zeit iſt es gelungen, die Volksgenoſſen in Oſterreich und den Alpen⸗ und Sudetenländern unſerem Reiche einzugliedern und deſſen militärifche und wirtſchaftliche Kraft, die nach dem Frieden von Verſailles völlig zerbrochen ſchien, wiederherzuſtellen. Wir haben das Vertrauen, daß es uns gelingen wird, das Errungene zu behaupten und Deutſchlands Einheit und Unabhängigkeit auf unerſchütterliche Grundlagen zu ſtellen, wenn die alten Gegner noch einmal verſuchen ſollten, es in die frühere Ohn⸗ macht und Zerriſſenheit zurückzufchleudern.

Aus dem Werk „Von Bismarck zum Weltkrieg“

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Philipp Otto Runge / Briefe Goethe an Runge:

Weimar, den 10. November 1806

Ihre ſo angenehme als reichliche Sendung, mein werteſter Herr Runge, kam in ſehr bewegten Augenblicken in der erſten Hälfte des Oktobers bei mir an und verſchaffte mir eine ſehr reine Freude: denn ſchon für einen Strauß würde ich dankbar geweſen ſein. So umgeben Sie mich aber mit einem ganzen Garten, mit dem ich ſoeben nebſt Ihren vier Kupfertafeln und Ihrem Bilde ein Zimmer auszieren wollte, als der unglück⸗ liche Vierzehnte bei uns einbrach. Zwar iſt in meinem Hauſe nichts zerſtört; aber die Luft, feine Umgebung erfreulicher zu machen, kehrt erſt langſam zurück. Ihre Blumen ſind alle wohlerhalten, und es iſt mir eine angenehme Empfindung, durch die Freude an dieſen bedeutenden und gefälligen Pro: duktionen eine frühere Epoche an eine ſpätere, die durch einen ungeheuren Riß [gemeint ift Jena und Auerftedf] voneinander getrennt ſcheinen, wieder anzuknüpfen. Sie erlauben, daß wir auch von dieſer Arbeit in unſerm Neujahrsprogramm eine freundliche Erwähnung tun. Mögen Sie mir, wenn Sie dieſen

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Brief erhalten, bald ſagen, wie Sie ſich befinden und was Sie zunächſt vorhaben, ſo wird es mir ſehr angenehm ſein. Zu⸗ gleich wünſchte ich Nachricht, inwiefern Ihre vier Kupfer: blätter im Handel ſind, wo und um welchen Preis man ſie haben könnte. Es iſt bei mir ſchon deshalb einige Male Nach⸗ frage geweſen. Mich Ihrem Andenken beſtens empfehlend

Goethe

Runge an Goethe: Wolgaſt, den 4. Dezember 1806

Ihren werten Brief empfing ich uͤber Hamburg, weſſen ich mir in dieſer Zeit nicht verſehen hatte. Es iſt mir eine ſehr angenehme Empfindung, Sie durch eine Kleinigkeit zu einer ruhigeren Stimmung geführt zu haben, wenigſtens dadurch die Veranlaſſung zu ſolcher geweſen zu ſein.

Es war für uns nicht mehr zu riskieren, nach Hamburg ab— zureiſen; wir ſind alſo noch auf einige Zeit hier. Es freut mich nun, da wir doch auch mehr, wie ſchon geſchehen, von dem Kriege werden zu leiden erhalten, zur Stütze meiner El— tern und Geſchwiſter hier zu ſein; wie leicht iſt der Wohlſtand einer zahlreichen und blühenden Familie, vielleicht in wenig Tagen, in die drückendſte Armut verwandelt! Sie können ſich vorſtellen, da unſre zerſtreute Familie allenthalben ein hartes Los trifft und treffen wird, wie ich, der ich durch die Großmut derſelben fonft frei für die Kunſt und wieder für alle leben konnte, indem ein Beſtreben uns alle verband, mich nun eben⸗ ſoſehr für ſie hingeben muß; da mich alſo jetzt die Sorge für die Exiſtenz des Ganzen ebenſoſehr beſchäftigt wie die ganze Familie, ſo muß ich auf Zeiten hin die Kunſtausübungen bei⸗ ſeite ſetzen, um für die Erhaltung und den Erwerb der nächſten Bedürfniſſe zu ſorgen. Da ich auch nicht einmal wiſſen kann, ob dieſer Brief Sie trifft oder ob es mir möglich ſein wird, vorerſt wieder an Sie zu ſchreiben, ſo bitte ich Sie, wenigſtens unter Ihren nächſten Umgebungen mich nicht ganz zu ver⸗ geſſen, und ſollten Sie in ruhige Lagen kommen, ſich auch ein⸗

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mal zu erinnern, daß ich mich von Herzen beftrebt habe, mich für den lebendigen Einfluß der himmliſchen Kunſt tätig zu zei⸗ gen; unterdeſſen werde ich für mich, wenn Gott es will, voll⸗ kommen auf alle Wirkung reſignieren, in dem gewiſſen Glau⸗ ben, wenigſtens als ſtiller Zuſchauer unter den Geiſtern der Künſtler zu ſitzen oder wie eine erdrüdte Pflanze noch wenig⸗ ſtens zu der Gattung zu gehören. Ich halte mich indes von dem Schickſal noch nicht für überwunden und werde alles zuſam⸗ menhalten, um mich des Unterliegens zu erwehren.

Ich wünſche von Herzen, daß Sie ſich wohl befinden und daß ich ſo glücklich ſein möge, bald wieder etwas von Ihnen zu hören. So mögen denn die trüben Tage, nachdem ſie über⸗ ftanden find, mich mit großer Freude zu einer Tätigkeit zurüͤck⸗ führen, die für mich der einzige Wunſch geweſen iſt!

Ich empfehle mich Ihrem Andenken.

Runge an den Maler Klinkowſtröm:

Hamburg 1809/10 Ich arbeite jetzt ſehr eifrig an meinem großen Bilde (dem Morgen); ich habe den Grund angelegt, fo bogenförmig AN von Weiß in ein rötliches Grau; hierüber werde ich nun dünn die Luft auftragen fo = in horizontal gradlinigten Ab: ſtufungen in der eigentlichen Luftfarbe, damit die Wölbung der Untermalung noch mitwirkend bleibt. Alles, was ſich aus der Helligkeit heraus nach vorne zu hinzieht, werde ich erſt grau in grau anlegen und bei der Ubermalung die Farbe hineinſpielen. Die ganze Behandlung iſt mir ſehr klar, und deswegen arbeite ich, während der Grund trocknet, daran, die hinteren ins Licht hineinkommenden Figuren in recht guter Gruppierung und Be⸗ leuchtung mit ſchwarzer und weißer Kreide mir aufzuzeichnen, womit ich nun meiſt zu Ende bin; dann gehe ich auf ſelbige Weiſe in der Zwiſchenzeit an den Rahmen. Es iſt eine ſehr große und ſchwierige Arbeit, jedoch liegt mir die Totalität des Bildes jetzt ſo ſehr im Sinn, daß mich dieſes nicht zweifeln oder verzagen macht, und ich fühle alle einzelnen Studien jetzt aufs neue wie ein einziges Ganzes, wodurch die Stellung und

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Zeichnung aller Figuren freier und breiter geworden. Ich werde ſehr ſparſam mit den Farben umgehen und zuerſt nur vorzüglich den Totaleffekt im Auge haben.

Du glaubſt mit mir an eine neue Richtung, welche die Kunſt nimmt, eine neue Blüte, welche ſie treiben wird; werden wir etwas anderes und Höheres tun können, als dieſe neue Ten— denz, ſoviel wir davon ahnen, zu fuchen? Und das wirkliche Leben, das grade im Gebrauch iſt, ſoll und muß es nicht zu— letzt dieſe Blumen gebären? Und wie können wir die Sache be— wirken, betreiben, als wenn wir in die Wirkſamkeit des Tages eingehen?

Es freut mich ungemein, daß Du an dem Jardin des plantes ſo viel Gefallen findeſt; ich bitte Dich, die bemerkenswerteſten Formen nicht bloß zu ſehen, ſondern, wenn Du es irgend kannſt, die architektoniſche Feſtigkeit und Form der Pflanze aufzuſuchen und Dir zu notieren. Die Naivität der Kompoſi— tion ift oft bewundernswürdig, und ich für mein Teil glaube, daß es, um ſich in Verzierungen immer reizend zu bewegen, ganz notwendig iſt, einige Einſicht in botaniſche Formen zu haben; wenn eine Darſtellung aus noch ſo vielerlei Gegenſtän— den zuſammengeſetzt werden kann, fo iſt die eigentliche Total— form doch ein Gewächs.

Ich überzeuge mich immer mehr, je deutlicher mir die Form einer Optik für die Malerei wird, wie es in der Natur des Sehens ſelbſt liegt, daß die Kunſt ſo weit verfallen und gar zugrunde gegangen iſt und notwendig noch mehr gehen wird, ehe eine beſſere und gewaltigere Kunſt erſcheint.

Es wird die Nation ebenſowenig eine Kunſtblüte aus bloßer Tradition hervorbringen, wie die Mutter ein Kind gebären wird, ohne es in ihrem Schoß getragen zu haben.

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Mir ift oft recht beklommen zumute, daß ich fo allein bin. Könnte ich es auf irgendeine Weiſe, die mir als Wunſch nur bekannt iſt, dahin bringen, etwa zehn junge Leute von verſchie⸗ dener Art, ihre Studien zu betreiben, anzuleiten! Ich glaube, daß ſich ſehr viel Schönes und Gutes hervorbringen ließe. Wenn man die verſchiedenen Arbeiten in der Verzierungskunſt an drei verſchiedene Talente austeilte und ſelbſt erſt die Idee hergegeben hätte, müßte man ſehr viel ſchaffen können. Es ge⸗ hört nach meiner Einſicht aber durchaus eine vereinigte prak⸗ tiſche Arbeit dazu. Der erſte Arbeiter müßte die Verhältniſſe und Perſpektiv recht verſtehen und eine geiſtvolle Anſicht da⸗ von haben, der zweite die Formen der Blumen und Geſtalten in ihrer freieſten Bewegung wie in ihrem ruhigſten Zuſtande ſtudiert haben, der dritte die Verhältniſſe der Farben und die Handhabung derſelben recht verſtehen. Nimm nun im kleinen und im großen immer dieſe Folge an: erſt Architektur, dann Plaſtik, dann Malerei, was ließe ſich, im ganzen wie im ein⸗ zelnen angewandt, mit ſolchen Leuten machen, wenn man ſo junge Gemüter in eine Idee vereinigen könnte! Und warum ſollte es nicht möglich ſein; und was kann es anders heißen,

daß Raffael funfzig junge Leute für ſich durch ganz Italien

und Sizilien hat reiſen laſſen? Wenn ich nur wüßte, wie man dieſe Einſicht dem Publikum beibrächte! Getan muß es wer⸗ den, ſonſt geſchieht nichts.

Aus Runges Briefen in der Inſel⸗Bücherei

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Eberhard Meckel / Im Juni

Wie vieles iſt noch zu erwarten, ſo manches, es iſt ſchon verblüht, wir ſtehen in unſerem Garten,

der voll in dem Lichte glüht.

Dort rötet am Gtrauch ſich die Beere, da gilbt ſchon zu zeitig ein Blatt

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es kennt ja ein jeder die Leere, der weiß, was die Fülle hat.

Wir ſehen das Aſternkraut kommen, noch denken der Aſtern wir nicht, wenn feurig im Herbſte ſie glommen;

ſie ſchatten noch nicht das Geſicht.

Zu raffen, verſchwenden, zu praſſen, dazu gibt die Stunde ſich her;

ſich leicht in ihr treiben zu laſſen, nicht fällt es dem Herzen ſchwer.

Bis bitter ſich dieſen Gewalten vermiſcht unſer warnender Sinn: Wir können die Tage nicht halten und fliehen mit ihnen hin.

Doch endet bei Obſtbaum und Rebe dann unſre beklommene Flucht

Hier hält ſich das Jahr noch in Schwebe und reift in die köſtlichſte Frucht.

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Joſeph von Eichendorff / Die Univerſität

Die damaligen Univerſitäten hatten überhaupt noch ein durch⸗ aus fremdes Ausſehen, als lägen ſie außer der Welt. Man konnte kaum etwas Maleriſcheres ſehen als dieſe phantaſtiſchen Studententrachten, ihre ſangreichen Wanderzüge in der Um⸗ gebung, die nächtlichen Ständchen unter den Fenſtern imagi⸗ närer Liebchen; dazu das beſtändige Klirren von Sporen und Rapieren auf allen Straßen, die ſchönen jugendlichen Geſtal⸗ ten zu Roß, und alles bewaffnet und kampfbereit wie ein luſti⸗ ges Kriegslager oder ein permanenter Mummenſchanz. Alles

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dies aber kam erft zu rechter Blüte und Bedeutſamkeit, wo die Natur, die, ewig jung, auch am getreueſten zu der Jugend hält, ſelber mitdichtend ſtudieren half. Wo, wie zum Beiſpiel in Heidel⸗ berg, der Waldhauch von den Bergen erfriſchend durch die Stra⸗ ßen ging und nachts die Brunnen auf den ſtillen Plätzen rauſch⸗ ten und in dem Blütenmeer der Gärten rings die Nachtigallen ſchlugen, mitten zwiſchen Burgen und Erinnerungen einer gro⸗ ßen Vergangenheit; da atmete auch der Student freier auf und ſchämte vor der ernſten Sagenwelt ſich der kleinlichen Brot⸗ jägerei und der kindiſchen Brutalität. Wie großartig im Ver⸗ gleich mit anderen Studentengelagen war namentlich der Hei⸗ delberger Kommers, hoch über der Stadt auf der Altane des halbverfallenen Burgſchloſſes, wenn rings die Täler abendlich verſunken und von dem Schloſſe nun der Widerſchein der Fak⸗ keln die Stadt, den Neckar und die drauf hingleitenden Nachen beleuchtete, die freudigen Burſchenlieder dann wie ein Früh⸗ lingsgruß durch die fraumerifche Stille hinzogen und Wald und Neckar wunderbar mitfangen. - Go war das ganze Studenten⸗ weſen eigentlich ein wildſchönes Märchen, dem gegenüber die übrige Menſchheit, die altklug den Maßſtab des gewöhnlichen Lebens daran legte, notwendig, wie Sancho Panſa neben Don Quijote, philiſterhaft und lächerlich erſcheinen mußte

So war in der Tat auf den Univerſitäten eine gewiſſe mittel⸗ alterliche Ritterlichkeit niemals völlig ausgegangen und ſelbſt in jener Verzerrung und Profanation noch erkennbar. Unter allen dieſen Jünglingen aber bildeten die eigentlichen, die literariſchen Romantiker wiederum eine ganz beſondere Sekte

Der Geiſt einer gewiſſen Bildungsphaſe läßt ſich nicht auf⸗ heben, wie eine Univerſität. Was wir vorhin als das Charakte⸗ riſtiſche jener Periode bezeichnet: die Oppoſition der jungen Romantik gegen die alte Proſa, war keineswegs auf Halle be⸗ ſchränkt, ſondern ging wie ein unſichtbarer Frühlingsſturm all: mählich wachſend durch ganz Deutſchland. Insbeſondere aber gab es dazumal in Heidelberg einen tiefen, nachhaltenden Klang. Heidelberg iſt ſelbſt eine prächtige Romantik; da umſchlingt der

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Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, und erzählen Burgen und Wälder ein wunder: bares Märchen der Vorzeit, als gäbe es nichts Gemeines auf der Welt. Solch gewaltige Szenerie konnte zu allen Zeiten nicht verfehlen, die Stimmung der Jugend zu erhöhen und von den Feſſeln eines pedantiſchen Komments zu befrein; die Stu— denten tranken leichten Wein anſtatt des ſchweren Bieres und waren fröhlicher und geſitteter zugleich als in Halle. Aber es trat grade damals in Heidelberg noch eine ganz beſondere Macht hinzu, um jene glückliche Stimmung zu vertiefen. Es hauſte dort ein einſiedleriſcher Zauberer, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft mit ſeinen magiſchen Kreiſen um— ſchreibend - das war Görres.

Es iſt unglaublich, welche Gewalt dieſer Mann, damals ſelbſt noch jung und unberühmt, über alle Jugend, die irgend geiſtig mit ihm in Berührung kam, nach allen Richtungen hin aus— übte. Und dieſe geheimnisvolle Gewalt lag lediglich in der Großartigkeit ſeines Charakters, in der wahrhaft brennenden Liebe zur Wahrheit und einem unverwüſtlichen Freiheitsge— fühl, womit er die einmal erkannte Wahrheit gegen offene und verkappte Feinde und falſche Freunde rückſichtslos auf Tod und Leben verteidigte; denn alles Halbe war ihm tödlich ver— haßt, ja unmöglich, er wollte die ganze Wahrheit. Wenn Gott noch in unſerer Zeit einzelne mit prophetiſcher Gabe begnadigt, ſo war Görres ein Prophet, in Bildern denkend und überall auf den höchſten Zinnen der wildbewegten Zeit weisſagend, mahnend und züchtigend, auch darin den Propheten vergleich: bar, daß das „Steiniget ihn!‘ häufig genug über ihn ausge: rufen wurde. Drüben in Frankreich hatte er bei den Banketten der bluttriefenden Revolution, hier in den Kongreßſälen der politiſchen Weltweiſen das Menetekel kühn an die Wand ge⸗ ſchrieben und konnte ſich nur durch raſche Flucht vor Kerker und Banden retten, oft monatelang arm und heimatlos umher⸗ irrend. - Seine äußere Erſcheinung erinnerte einigermaßen an Steffens und war doch wieder grundverſchieden. Steffens hatte bei aller Tüchtigkeit etwas Theatraliſches, während Görres, ohne es zu wollen oder auch nur zu wiſſen, ſchlicht und bis zum

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Extrem ſelbſt die unſchuldigſten Mittel des Effekts verſchmähte. Sein durchaus freier Vortrag war monoton, faſt wie fernes Meeresrauſchen ſchwellend und ſinkend, aber durch dieſes ein⸗ förmige Gemurmel leuchteten zwei wunderbare Augen und zuck⸗ ten Gedankenblitze beſtändig hin und wider; es war wie ein prächtiges nächtliches Gewitter, hier verhüllte Abgründe, dort neue, ungeahnte Landſchaften plötzlich aufdeckend, und überall gewaltig, weckend und zündend fürs ganze Leben.

Neben ihm ſtanden zwei Freunde und Kampfgenoſſen: Achim von Arnim und Clemens Brentano, welche ſich zur ſelben Zeit nach mancherlei Wanderzügen in Heidelberg niedergelaſ⸗ fen hatten. Sie bewohnten im „Faulpelz“, einer ehrbaren, aber obſkuren Kneipe am Schloßberg, einen großen, luftigen Saal, deſſen ſechs Fenſter mit der Ausſicht über Stadt und Land die herrlichſten Wandgemälde, das herüberfunkelnde Zifferblatt des Kirchturms ihre Stockuhr vorſtellte; ſonſt war wenig von Pracht oder Hausgerät darin zu bemerken. Beide verhielten ſich zu Görres eigentlich wie fahrende Schüler zum Meiſter, unter⸗ einander aber wie ein ſeltſames Ehepaar, wovon der ruhige mild⸗ernſte Arnim den Mann, der ewig bewegliche Brentano den weiblichen Part machte. Arnim gehörte zu den ſeltenen Dichternaturen, die, wie Goethe, ihre poetiſche Weltanſicht jederzeit von der Wirklichkeit zu ſondern wiſſen und daher be⸗ ſonnen über dem Leben ſtehen und dieſes frei als ein Kunſt⸗ werk behandeln. Den lebhafteren Brentano dagegen riß eine übermächtige Phantaſie beſtändig hin, die Poeſie ins Leben zu miſchen, was denn häufig eine Konfuſion und Verwickelungen gab, aus welchen Arnim den unruhigen Freund durch Rat und Tat zu löſen hatte. Auch äußerlich zeigte ſich der große Unter⸗ ſchied. Achim von Arnim war von hohem Wuchs und ſo auf⸗ fallender männlicher Schönheit, daß eine geiſtreiche Dame einſt bei ſeinem Anblick und Namen in das begeiſterte Wortſpiel: „Ach im Arm ihm' ausbrach; während Bettina, welcher, wie ſie ſelber ſagt, eigentlich alle Menſchen närriſch vorkamen, da⸗ mals an ihren Bruder Clemens ſchrieb: ‚Der Arnim ſieht doch königlich aus, er iſt nicht in der Welt zum zweiten Mal.“ - Das letztere konnte man zwar auch von Brentano, nur in ganz an⸗

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derer Beziehung ſagen. Während Arnims Weſen etwas wohl— tuend Beſchwichtigendes hatte, war Brentano durchaus auf— regend; jener erſchien im vollſten Sinne des Wortes wie ein Dichter, Brentano dagegen ſelber wie ein Gedicht, das, nach Art der Volkslieder, oft unbeſchreiblich rührend, plötzlich und ohne ſichtbaren Übergang in ſein Gegenteil umſchlug und ſich beſtändig in überraſchenden Sprüngen bewegte. Der Grundton war eigentlich eine tiefe, faſt weiche Sentimentalität, die er aber gründlich verachtete, eine eingeborene Genialität, die er ſelbſt keineswegs reſpektierte und auch von andern nicht reſpek— tiert wiſſen wollte. Und dieſer unverſöhnliche Kampf mit dem eigenen Dämon war die eigentliche Geſchichte ſeines Lebens und Dichtens und erzeugte in ihm jenen unbändigen Witz, der jede verborgene Narrheit der Welt inſtinktartig aufſpürte und niemals unterlaſſen konnte, jedem Toren, der ſich weiſe dünkte, die ihm gebührende Schellenkappe aufzuſtülpen und ſich ſomit überall ingrimmige Feinde zu erwecken. Klein, gewandt und ſüdlichen Ausdrucks, mit wunderbar ſchönen, faſt geiſterhaften Augen, war er wahrhaft zauberiſch, wenn er ſelbſtkomponierte Lieder oft aus dem Stegreif zur Gitarre ſang. Dies tat er am liebſten in Görres' einſamer Klauſe, wo die Freunde allabend— lich einzuſprechen pflegten; und man könnte ſchwerlich einen ergötzlicheren Gegenſatz der damals florierenden äſthetiſchen Tees erſinnen als dieſe Abendunterhaltungen, häufig ohne Licht und brauchbare Stühle, bis tief in die Nacht hinein: wie da die dreie alles Große und Bedeutende, das je die Welt bewegt hat, in ihre belebenden Kreiſe zogen und mitten in dem Wetter— leuchten tiefſinniger Geſpräche Brentano mit feinem witzſprü— henden Feuerwerk dazwiſchenfuhr, das dann gewöhnlich in ein ſchallendes Gelächter zerplatzte.

Aus dem „Buch; deutſcher Dichtung“

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Aus des Knaben Wunderhorn / Ablöſung

Kuckuck hat ſich zu tot gefallen

An einer hohlen Weiden,

Wer ſoll uns dieſen Sommer lang Die Zeit und Weil vertreiben?

Ei, das ſoll tun Frau Nachtigall, Die ſitzt auf grünem Zweige,

Sie ſingt und ſpringt, iſt allzeit froh, Wenn andre Vögel ſchweigen.

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Friedrich Schnack / Cornelia

Das Mädchen Cornelia, die Tochter des Apothekers Bürglin, war im Alter von fünf Jahren dem Tode nahe. Mit der Krank⸗ heit war etwas Geheimnisvolles in ihr Weſen gedrungen und lange nicht wieder gewichen. Nach der Geneſung nannte ſie ſich gerne Belladonna oder auch Bella, der ſeltſame Klang ge⸗ fiel ihr. |

Das Mädchen fpielte an jenem Tag, der ihr beinahe zum Ber: hängnis geworden wäre, mit Freundinnen in einem Bauern: haus in der Nachbarſchaft. Die Eltern wohnten in einem klei⸗ nen Ort im badiſchen Hinterland, wo der Vater ſeine Apotheke betrieb. Im Stall bei den Tieren, wohin ſich Cornelia ver⸗ ſteckte, fand fie einen Zweig mit ſchwärzlichen Beeren. Sie hielt die Früchte für Schwarzkirſchen und davon.

Bald machte ſich eine ſonderbare Wirkung der genaſchten Bee⸗ ren geltend. Wie trunken taumelte das Kind nach Hauſe, die Mutter durch unbändige Lachluſt und wirre Reden erſchreckend. Cornelia war wie verhext. Zuerſt meinte Frau Bürglin, Ar⸗ beiter von einem in der Nähe entſtehenden Bau hätten ihr Töchterchen aus der Bierflaſche trinken laſſen. Dann fiel ihr ein, daß ſich Zigeuner im Ort aufhielten, und die neugierigen Kinder hatten ſich bei den Scherenſchleifern getummelt. Mög⸗ licherweiſe hatten dieſe dem kleinen Mädchen Zigeuneriſches zu eſſen gegeben.

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Der Apotheker hatte mit feinen Ausforſchungen und Unter: ſuchungen nicht mehr Erfolg als ſeine Frau: das Töchterchen war gänzlich ausgewechſelt, der kindliche Geiſt wie verzerrt und fladernd. Dieſer Zuſtand verſetzte den Apotheker in größte Beftürzung. In feiner anfänglichen Ratloſigkeit wurde er durch den Hinweis auf die Zigeuner auf eine Spur gebracht, deren Verfolgung einige Zeit koſtete. Wie die Erkundungen ergaben, waren die Scherenſchleifer bereits am geſtrigen Nachmittag ab— gezogen. Was aber mochte mit dem Kind geſchehen ſein? Die Mutter hatte es zu Bett gebracht, wo es nun fiebernd lag, an der Bettdecke zupfte und ſcharrte und ſich in Krämpfen krümmte. Der Blick war glänzend weit aufgeriſſen, die Pupille groß und von glühender Schwärze erfüllt.

Der Apotheker ſchickte nach dem Arzt. Doch war dieſer, der einzige in dem abgelegenen kleinen Ort, vor einer Viertelſtunde weggefahren, um in einem entfernten Dorf einem Kind ins Leben zu verhelfen. Ein unpaſſender Zeitpunkt fürwahr, da hier ein Kind in Todesnot lag. So mußte denn der Apotheker verſuchen, ſeinem Töchterchen beizuſtehen, wie ſeine Bemühun— gen auch immer ausgehen mochten. Das Herz der Kranken häm— merte hart und heftig, im Mund brannte quälende Trocken— heit, das Schlucken gelang nur noch mühſam.

Nun gefaßt und wieder ruhig überlegend, fügte der Vater die verſchiedenen Anzeichen zu einem Krankheitsbild. Zweifellos hatte man es mit einer Vergiftung zu tun. Welcher Art aber? Er gab raſch ein Brechmittel. Nach erfolgter Wirkung fand er die ſchwärzlichen Fruchthüllen von Beeren. Die Mutter meinte, es ſeien Vogelbeeren. Der Vater aber erkannte das Gift: „Zoll: kirſche! Belladonna!“ flüſterte er entſetzt.

Stöhnend ſank die Mutter am Bett des Kindes in die Kniee, das ſinnlos ſcharrende und zupfende Händchen zu halten. Sie ſtammelte ein paar beruhigende Worte. Den Apotheker aber erfüllte plötzlich in all der ſchmerzlichen Beſorgnis eine wunder⸗ ſame Klarheit und Befriedigung. Wie ein Vorgefühl des Sie— ges über die brennende Gewalt war dieſe Empfindung. War auch ein großer Teil des Giftes ausgeſchieden, ſo raſte dennoch der Dämon immer heftiger im Körper des Kindes, Zuckungen

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und Krämpfe dauerten an, Fieber und unerfrägliches Glühen ſteigerten ſich.

Der Vater glaubte des Schlüſſels gewiß zu ſein, mit dem er den Nachtſchatten wegſchließen und dem irrenden Lebenslicht wieder Einlaß und Ruhe verſchaffen könne. In ſeiner kleinen Offizin hatte er, was er brauchte: die Belladonna⸗Tinktur, den aus Wurzel und Kraut der Tollkirſche bereiteten Auszug. Er gab ein paar Tropfen davon in ein mit Waſſer gefülltes Trink⸗ glas und reichte die Verdünnung dem Kind: Gift wider Gift. Die Heilkraft der Belladonna, leiſe und mächtig, griff den Nachtſchatten an. Allmählich löſte fie die Umſtrickung, beſänf⸗ tigte das Fieber und dämpfte das Wüten. Das Kind verfiel in Schlaf. Doch blieben die vergrößerten Augenſterne, als beſtände auch im Schlummer die Verzückung, die glanzende Fremdheit des Erlebniſſes. In der Obhut des Arztes, der ſich am Abend, als das Dorfkind geboren war, einfand, verloren ſich endlich auch die letzten Schauer des Giftes, des Zornes der Tollwurz und wölfiſchen Beere Cornelia erwachte aus ſchmerzhaftem Traum, der ihren Geiſt bis an die Grenze des Lebens gehetzt hatte.

Und nun erfuhren auch die Eltern, was eigentlich geſchehen war. Der Vater begab ſich daraufhin zum Nachbarn, um ihm das fahrläffige Umgehen mit dem Tollkirſchenzweig vorzu⸗ halten, und vernahm zu ſeiner Verwunderung, daß die Bäuerin den Aft gegen die in der Gegend herrſchende Maul- und Klauen: ſeuche aus dem Wald in den Stall geholt hatte. Sie ſchrieb dem Kraut abwehrende Kräfte wider die Seuche zu. Das Mittel habe ſie von ihrem Vater, der es von ſeinem Vater wußte, und ſie ſchwor Stein und Bein darauf, daß es ſich noch ſtets in Seuchenzeiten bewährt habe, ihr Vieh fei auch diesmal ver⸗ ſchont geblieben. Aber nur ungern rede ſie von ihrem Mittel, ſie müſſe es nun einmal tun, da ſich der unglückſelige Zufall ereignet habe - der Herr Apotheker dürfe fie denn auch ruhig auslachen und abergläubiſch ſchelten.

Der Apotheker lachte jedoch nicht. Sollte die Giftpflanze, über⸗ legte er, auch ein unſtoffliches Heilvermögen beſitzen? Dann ginge es in der Tat um die Kraft allerwinzigſter Pflanzenteil⸗ chen, um eine homöopathiſche Verdünnung bis zu Duft und

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Blattgeruch. Er erinnerte fich zugleich eines Berichtes, wonach Hahnemann, der Begründer der homöopathiſchen Heiltveife, mit dem Duft aus einem Fläſchchen einem jungen Mädchen geholfen hatte. Dieſes war in einer Geſellſchaft von den heftig— ſten Zahnſchmerzen befallen worden. Hahnemann ließ das Mäd— chen einmal an dem Fläſchchen riechen, das einige weiße Körn— chen enthielt, und ſogleich verſtärkten ſich die Schmerzen bis zum Raſendwerden. Nach einer Viertelſtunde aber waren ſie völlig verſchwunden. Der Duft hatte ſie verjagt. Daran dachte der Apotheker - und lachte nicht über die Frau, die mit ihrem Zweig vielleicht nichts Dummes getan hatte, doch leichtſinnig umgegangen war.

Wie es auch ſei! ſchloß er das Geſpräch: Segen könne zum Unſegen werden, und Unvorſichtigkeit und Gedankenloſigkeit ſeien wahrſcheinlich nicht geringere Ubel als Viehſeuchen. Heil und Gefahr ſeien gleichſam Prägungen auf derſelben Münze, das obere Bild bedeute Leben, das untere den Tod. Und beinahe ſei ſeinem Kind das untere, das dunkle Bild zugeloſt worden. Möge ihnen dieſer Vorfall eine Lehre ſein, damit ihr Lebens— zweig für die Kühe nicht eines Tages zu einem Todeszweig für Kinder werde!

Cornelia hatte ſich ſpäter manchmal die Geſchichte ihrer Er— krankung erzählen laſſen und ſich dabei vorgeſtellt, wie ſie wohl mit ſtarren, fremden und ſchwarz glänzenden Augen ausgeſehen hatte. Sie bildete ſich ſogar eine Zeit lang ein, von dem dunkeln Feuer der Tollkirſche, das ſie im Blut fiebernd entfacht, ſei ein Funke in ihrem ſchwarz glänzenden Blick verblieben, und als ſie gar noch in Büchern las, die Damen von Venedig machten mit dem Schönheitswaſſer der Tollkirſche ihre Augen groß und ſchmachtend, benützten den Seim der Beere zur Hautpflege und färbten ſich mit dem Roſenſaft des Fruchtfleiſches die Wangen rot, tat ſich die Schwärmerin auf die gefährliche Bekanntſchaft mit der Giftpflanze viel zugute. Die Tollkirſche war in jenem Alter für fie, da fie ſich Bella und Belladonna Bürglin nannte, eine beilig:unbeilige Pflanze, zu der es fie oft heimlich in den Wald hinzog.

In ſpäteren Jahren dann, als der Name Cornelia den alten

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Glanz wiedergewonnen hatte, erbat fie ſich vom Vater die Pflanzenbücher mit den ſteifen Holzſchnitten und den bunt aus⸗ gemalten Kupferſtichen und ſtopfte ſich voll mit Pflanzenkram, mit Richtigem und Übertriebenem und mit allerlei Nachrichten über die betäubende Familie der Nachtſchatten, die fo viele Tote auf dem Gewiſſen hat, Menſchen, Hühner, Hunde und Vögel, alleſamt durch ihre Gifte umgekommen, und ſie liebte nichts mehr als die krauſen, erfabelten Zutaten der toten Büder: ſchreiber.

Ihre Vorliebe für die gefährliche Pflanzenſippe entſprach ihrer Neigung zu Entlegenem. Schon bald nach der Erkrankung hat⸗ ten die Eltern dieſe Vorliebe bemerkt, die ſich mit den Jahren verſtärkte, ſo daß ſich Cornelia, den abſeitigen Nachtſchatten gleich, am liebſten allein hielt. Die Eltern ließen ſie gewähren, da ſie einſahen, nichts dagegen ausrichten zu können. Es würde ſich verwachſen, meinte der Vater. Sie ſei ſein kleiner Nacht⸗ ſchatten, ſein Tollwürzchen! ſagte er im Scherz. Cornelia ſam⸗ melte Bilſenkraut für die Apotheke, auch die Pflanze Bitterſüß, die den ſchönen und eigentümlichen lateiniſchen Namen Dulca⸗ mara hat, ein dunkles, feierliches Wort - fie merkte ſich, daß dreißig Beeren davon einer Dogge in weniger als drei Stun⸗ den den Tod geben. Bilſenkraut aber hieß Hennentod, weil es für das Geflügel tödlich iſt; die feinfühligen Mäuſe aber fliehen ſchon den bloßen Geruch der ihnen verhaßten Pflanze. Auch ſuchte Cornelia in der ganzen Gegend nach der Judenkirſche, einem andern Nachtſchattengewächs: dieſe feiert den Herbſt mit zinnoberroten Lampions, in denen die runde, gelbrötliche Beere die Lampe erſetzt. Im Umkreis des kleinen Ortes kannte das ſeltſame Mädchen bald alle Stellen, wo die Solanazeen, die Nachtſchatten, wuchſen. Auf einem Schuttanger, dem Raſtort durchziehender Zigeuner und Keſſelflicker, wohnte das Bilſen⸗ kraut, die truͤbe, erdig gelb glühende Pflanze, deren Blüte ver: dächtig und wie in ſich feindſelig geduckt ausſieht: die Blumen⸗ krone iſt blutig geädert, und der Schlund glüht ſchwül dunkel⸗ rot. Sie verriet dem Mädchen eine geheimnisvolle Herkunft: Zigeuner hatten die Samenkörner aus dem fernen Aſien mitge⸗ bracht und in Cornelias Heimat ausgeſtreut. Die Fahrenden

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trieben mit Kraut und Saft ſchändliche Gaukeleien und be- trogen damit Leichtgläubige. Mit Bilſenkraut machten ſie Wet— ter oder gaben wenigſtens vor, es zu tun, gleich den ſchwarzen Medizinmännern Afrikas, und ſie beſchworen Geiſter an Kreuz— wegen und Kellerlöchern, wo es nach Kartoffeln dumpf und nach aufbewahrten Apfeln weinig ſüß roch.

Auch nahmen ſie zu ihren Teufeleien den grimmen Stechapfel, der am Wegrand bei den Kartoffelbüſchen ſeine weiße, zip— felig gefaltete Becherblüte ſtrahlend auftut und die Finſternis des Todes im Herzen trägt. Platzte ſeine reif gewordene ge— ſtachelte Kaſtanienſchale, ließen die Vagabunden die ſchwarzen Samenkörner geſchwind in ihre Zigeunertaſchen rieſeln, um die Kerne hernach am Feuer zu röſten. Der ſcharfe Rauch ver— ſcheuchte, wie ſie geheimnisvoll ſagten, die Weggeſpenſter oder ſchwadete fie herbei, fo man nicht reichlich Almoſen gäbe - und es war wunders genug, wenn ſtatt der Geiſter und Almoſen Poliziſten, Gemeindediener oder Landgendarmen erſchienen, die von den Geiſterbeſchwörern Gewerbeſcheine forderten oder die Läſtigen gar nach dem nächſten Ort abſchoben. Vor abgelege— nen Bauerngehöften indes hatten es die magiſchen Landſtrei— cher leichter mit ihren Spielen und Verſprechungen: die Hexen— ſalben verkauften ſie angeführten Bauernweibern, deren Kühe vor Milchſchaden und die Hühner vor Eierverzauberung zu be— wahren. In das Geſchmelze hatten die Landſtreuner den Gift— ſtoff des Bilſenkrauts geträufelt, der die Sinne betäubt und dem mit der Salbe Beſtrichenen den Wahn erweckt, er fahre durch die Lüfte oder genieße Luſtbarkeiten.

Nach ſolchen Ausſchweifungen hatte aber Cornelia kein Ver— langen. Sie las und hörte davon die Nachricht berührte ſie nicht ſonderlich. Mehr als Zigeuner und Leute galten ihr die Pflanzen. Der Vater lenkte mit Bedächtigkeit die Neigung ſei— ner Tochter, von den heilſamen Giften führte er fie zu den uns giftigen Heilkräutern.

An freien Sonntagen durchwanderte er mit ihr Wälder und Wieſen. Aus der kleinen Landapotheke des Hauſes am Markt⸗ platz gingen ſie miteinander in die große Landapotheke der Na⸗ tur. Reich und umſichtig war dieſe ausgeſtattet. Wieſen, Acker,

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Auen und Gehölze, Bachufer und Hänge, Wälder und Berge waren ihre Abteilungen. Herr der Offizin war die Sonne. Sie miſchte die Elemente und befeuerte mit Hitze die geheimen Ge⸗ fäße des Lebens. Sie kochte Säfte, reifte Seime, ſott Ole und filterte Auszüge. Der Regen war ihr erſter Gehilfe, der Wind ihr zweiter. Die Luft wehte und arbeitete als ihr fächelnder Blaſebalg, Trockner und Verdunſter. Den Nachtdienſt in der Naturapotheke verſah der Mond. Werkſtätte, Sand⸗ und Waſſerbad, Schmelztiegel, Mörſer und jegliches Gerät aber war die Erde.

Und Vater und Tochter, Apotheker und Pflanzenfreundin, wa⸗ ren die glücklichen Augenzeugen des Weltwerkes. Wie die Jah⸗ reszeiten floſſen, ſo ſtrömten die Kräuter herbei. Rieſige Men⸗ gen von Heilgut wurden benötigt, Waſſerfälle von Aufgüfjen bereitet. Unter der Erde gab es Abnehmer genug; die Wurzeln und ihr verſponnenes Gefaſer.

„Gleich Menſch und Tier“, ſagte der Apotheker, „erhält ſich auch die Pflanze von der Pflanze. Ohne Auszüge und Abſude, ohne Tinkturen und Tees, die der Regen aus gärenden Kräu⸗ tern ausfiltert, vermag ſie auf die Dauer nicht geſund und fruchtbar zu bleiben. Und auch die heilkräftigen Giftſtoffe von Berg und Tal dienen ihr als verdünnte Eſſenzen zum Aufbau und Wachstum, zur Wiedergeburt und zum Daſein. Die Heil: pflanze und das ihr eingeborene Pflanzenheil ſind und bleiben“, ſchloß er, „das Heil aller Welt!“

Aus dem neuen Buch „Cornelia und die Heilkräuter‘

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Aus des Knaben Wunderhorn / Verſpätung

Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterb ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir ſäen geſchwind.

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Und als das Korn gefäef war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterb ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir ernten geſchwind.

Und als das Korn geerntet war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterbe ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir dreſchen geſchwind.

Und als das Korn gedroſchen war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterbe ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir mahlen geſchwind.

Und als das Korn gemahlen war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterbe ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir backen geſchwind. Und als das Brot gebacken war, Lag das Kind ſchon auf der Bahr.

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung“

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Arthur Schopenhauer / Von dem, was einer vorftellt .

Dieſes, alfo unſer Daſein in der Meinung anderer, wird, in- folge einer beſondern Schwäche unfrer Natur, durchgängig viel zu hoch angeſchlagen; obgleich ſchon die leichteſte Beſinnung lehren könnte, daß es, an ſich ſelbſt, für unſer Glück, unweſent⸗ lich iſt. Es iſt demnach kaum erklärlich, wie ſehr jeder Menſch ſich innerlich freut, ſooft er Zeichen der günftigen Meinung anderer merkt und ſeiner Eitelkeit irgendwie geſchmeichelt wird. So unqausbleiblich wie die Katze ſpinnt, wenn man ſie ſtreichelt, malt ſüße Wonne ſich auf das Geſicht des Menſchen, den man lobt, und zwar in dem Felde ſeiner Prätenſion, ſei das Lob auch handgreiflich lügenhaft. Oft tröſten ihn, über reales Un⸗ glück, oder über die Kargheit, mit der für ihn die beiden, bis hierher abgehandelten Hauptquellen unſeres Glückes fließen, die Zeichen des fremden Beifalls: und, umgekehrt, iſt es zum Er⸗ ſtaunen, wie ſehr jede Verletzung ſeines Ehrgeizes, in irgend⸗ einem Sinne, Grad, oder Verhältnis, jede Geringſchätzung, Zurückſetzung, Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und oft tief ſchmerzt. Sofern auf dieſer Eigenſchaft das Gefühl der Ehre beruht, mag ſie für das Wohlverhalten vieler, als Surrogat ihrer Moralität, von erſprießlichen Folgen ſein; aber auf das eigene Glück des Menſchen, zunächft auf die dieſem fo weſenk⸗ liche Gemuütsruhe und Unabhängigkeit, wirkt fie mehr ſtörend und nachteilig als förderlich ein. Daher iſt es, von unſerm Ge⸗ ſichtspunkt aus, ratſam, ihr Schranken zu ſetzen und, mittels gehöriger Überlegung und richtiger Abſchäͤtzung des Wertes der Güter, jene große Empfindlichkeit gegen die fremde Meinung möglichſt zu mäßigen, ſowohl da, wo ihr geſchmeichelt wird, als da, wo ihr wehe geſchieht: denn beides hängt am ſelben Faden. Außerdem bleibt man der Sklave fremder Meinung und frem⸗ den Bedunkens:

Sic leve, sic parvum est, animum quod laudis avarum Subruit ac reficit.

Demnach wird eine richtige Abſchätzung des Wertes deſſen, was man in und für ſich ſelbſt iſt, gegen das, was man bloß in

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den Augen anderer ift, zu unſerm Glücke viel beitragen. Zum erſteren gehört die ganze Ausfüllung der Zeit unſers eigenen Daſeins, der innere Gehalt desſelben, mithin alle die Güter, welche unter den Titeln ,was einer ift‘ und ‚mas einer hat“ von uns in Betrachtung genommen worden ſind. Denn der Ort, in welchem alles dieſes ſeine Wirkungsſphäre hat, iſt das eigene Bewußtſein. Hingegen iſt der Ort deſſen, was wir für andere ſind, das fremde Bewußtſein: es iſt die Vorſtellung, unter welcher wir darin erſcheinen, nebſt den Begriffen, die auf dieſe angewandt werden.! Dies nun iſt etwas, das unmittel— bar gar nicht für uns vorhanden iſt, ſondern bloß mittelbar, nämlich ſofern das Betragen der andern gegen uns dadurch beſtimmt wird. Und auch dieſes ſelbſt kommt eigentlich nur in Betracht, ſofern es Einfluß hat auf irgend etwas, wodurch das, was wir in und für uns ſelbſt find, modifiziert werden kann. Außerdem iſt ja, was in einem fremden Bewußtſein vorgeht, als ſolches, für uns gleichgültig, und auch wir werden allmählich gleichgültig dagegen werden, wenn wir von der Oberflächlich— keit und Futilität der Gedanken, von der Beſchränktheit der Begriffe, von der Kleinlichkeit der Geſinnung, von der Ver— kehrtheit der Meinungen und von der Anzahl der Irrtümer in den allermeiſten Köpfen eine hinlängliche Kenntnis erlangen, und dazu aus eigener Erfahrung lernen, mit welcher Gering— ſchätzung gelegentlich von jedem geredet wird, ſobald man ihn nicht zu fürchten hat, oder glaubt, es komme ihm nicht zu Ohren; insbeſondere aber, nachdem wir einmal angehört haben, wie vom größten Manne ein halbes Dutzend Schafsköpfe mit Weg— werfung ſpricht. Wir werden dann einſehen, daß, wer auf die Meinung der Menſchen einen großen Wert legt, ihnen zuviel Ehre erzeigt.

Jedenfalls iſt der auf eine kümmerliche Reſſource hingewieſen, der ſein Glück nicht in den beiden, bereits abgehandelten Klaſſen von Güfern findet, ſondern es in dieſer dritten ſuchen muß, alfo 1 Die höchſten Stände, in ihrem Glanz, in ihrer Pracht und Prunk und Herrlichkeit und Repräſentation jeder Art können ſagen: unſer Gluck liegt ganz außerhalb unſerer ſelbſt: fein Ort find die Köpfe anderer.

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nicht in dem, was er wirklich, ſondern in dem, was er in der fremden Vorſtellung iſt. Denn überhaupt iſt die Baſis unſers Weſens und folglich auch unſers Glücks unſere animaliſche Natur. Daher iſt für unſere Wohlfahrt Geſundheit das Weſent⸗ lichſte, nächſt dieſer aber die Mittel zu unſerer Erhaltung, alſo ein ſorgenfreies Auskommen. Ehre, Glanz, Rang, Ruhm, ſo⸗ viel Wert auch mancher darauf legen mag, können mit jenen weſentlichen Gütern nicht kompetieren, noch ſie erſetzen: viel: mehr würden ſie, erforderlichenfalls, unbedenklich für jene hin⸗ gegeben werden. Dieſerwegen wird es zu unſerm Glücke bei⸗ tragen, wenn wir beizeiten die ſimple Einſicht erlangen, daß jeder zunächſt und wirklich in ſeiner eigenen Haut lebt, nicht aber in der Meinung anderer, und daß demnach unſer realer und perſönlicher Zuſtand, wie er durch Geſundheit, Tempera⸗ ment, Fähigkeiten, Einkommen, Weib, Kind, Freunde, Wobhn- ort uſw. beſtimmt wird, für unſer Glück hundertmal wichtiger ift, als was es andern beliebt, aus ung zu machen. Der entgegen⸗ geſetzte Wahn macht unglücklich. Wird mit Emphaſe ausge⸗ rufen ‚übers Leben geht noch die Ehre‘, fo beſagt dies eigent⸗ lich: ‚Dafein und Wohlſein find nichts; ſondern was die andern von uns denken, das iſt die Sache.“ Allenfalls kann der Aus⸗ ſpruch als eine Hyperbel gelten, der die proſaiſche Wahrheit zugrunde liegt, daß zu unſerm Fortkommen und Beſtehn unter Menſchen die Ehre, das heißt die Meinung derſelben von uns, oft unumgänglich nötig iſt; worauf ich weiterhin zurückkom⸗ men werde. Wenn man hingegen ſieht, wie faſt alles, wonach Menſchen ihr Leben lang, mit raſtloſer Anſtrengung und unter tauſend Gefahren und Mühſeligkeiten, unermüdlich ſtreben, zum letzten Zwecke hat, ſich dadurch in der Meinung anderer zu erhöhen, indem nämlich nicht nur Amter, Titel und Orden, ſondern auch Reichtum, und ſelbſt Wiſſenſchaft! und Kunſt, im Grunde und hauptſächlich deshalb angeſtrebt werden, und der größere Reſpekt anderer das letzte Ziel iſt, darauf man hin⸗ arbeitet; ſo beweiſt dies leider nur die Größe der menſchlichen Torheit. Viel zuviel Wert auf die Meinung anderer zu legen, iſt ein allgemein herrſchender Irrwahn: mag er nun in unſerer

1 Scire tuum nihil est, nisi te scire hoc sciat alter.

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Natur felbft wurzeln, oder infolge der Geſellſchaft und Zivili— ſation entſtanden ſein; jedenfalls übt er auf unſer geſamtes Tun und Laſſen einen ganz übermäßigen und unſerm Glücke feindlichen Einfluß aus, den wir verfolgen können, von da an, wo er ſich in der ängſtlichen und ſklaviſchen Rückſicht auf das qu'en dira-t-on zeigt, bis dahin, wo er den Dolch des Virgi— nius in das Herz ſeiner Tochter ſtößt, oder den Menſchen ver— leitet, für den Nachruhm Ruhe, Reichtum und Geſundheit, ja, das Leben zu opfern. Dieſer Wahn bietet allerdings dem, der die Menſchen zu beherrſchen oder ſonſt zu lenken hat, eine be— queme Handhabe dar; weshalb in jeder Art von Menſchen— dreſſierungskunſt die Weiſung, das Ehrgefühl rege zu erhalten und zu ſchärfen, eine Hauptſtelle einnimmt: aber in Hinſicht auf das eigene Glück des Menſchen, welches hier unſere Ab— ſicht iſt, verhält die Sache ſich ganz anders, und iſt vielmehr davon abzumahnen, daß man nicht zu viel Wert auf die Mei— nung anderer lege. Wenn es, wie die tägliche Erfahrung lehrt, dennoch geſchieht, wenn die meiſten Menſchen gerade auf die Meinung anderer von ihnen den höchſten Wert legen und es ihnen darum mehr zu tun iſt, als um das, was, weil es in ihrem eigenen Bewußtſein vorgeht, unmittelbar für ſie vorhanden iſt; wenn demnach, mittels Umkehrung der natürlichen Ord— nung, ihnen jenes der reale, dieſes der bloß ideale Teil ihres Daſeins zu ſein ſcheint, wenn ſie alſo das Abgeleitete und Se— kundäre zur Hauptſache machen und ihnen mehr das Bild ihres Weſens im Kopfe anderer, als dieſes Weſen ſelbſt am Herzen liegt; ſo iſt dieſe unmittelbare Wertſchätzung deſſen, was für uns unmittelbar gar nicht vorhanden iſt, diejenige Torheit, welche man Eitelkeit, vanitas, genannt hat, um dadurch das Leere und Gehaltloſe dieſes Strebens zu bezeichnen. Auch iſt aus dem Obigen leicht einzuſehen, daß ſie zum Vergeſſen des Zwecks über die Mittel gehört, fo gut wie der Geiz.

Aus den ‚Aphorismen zur Lebensweisheit“

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Hans Caroſſa / Wanderung

Bis gegen Tittling unterſchied ſich die Landſchaft nicht von der unfrigen, nur daß mehr freies Geſtein umherlag. Mitten im ſchönſten Obſtgarten konnte ein Granitblock ſtehen; zuweilen ſah man einen Acker mit niedrigen Mauern aus aufgeſchich— teten Felsbrocken umgeben.

Bald fielen mir die feineren, ſchärferen Farben der Pflanzen⸗ welt auf. Die Kartoffelfelder blühten in einem leuchtenden Lila; die Schafgarbe war nicht mehr bräunlich bleich wie drunten im Donautal, ſondern rein rötlich. Auch die Feldſkabioſe war tie⸗ fer violett geworden, und aus Geſteinsritzen reckten ſich dornige Stauden, deren Blüte aus zwei weißen und zwei roten Lippen beſtand.

Ich ging anfangs zu ſchnell und war am Abend wund gelaufen; in der Dämmerung kam ich vor eine graue Burg, übernachtete daneben im Gaſthaus zur Waldlaterne und ſchlief in den Tag hinein. Der hohe viereckige Bau war die Saldenburg, die im Jahre 1744 von Panduren zerſtört und ſpäter neu aufgebaut worden iſt. An Ritterſaal und Kemenate hab ich keine Erinne⸗ rung mehr, wohl aber an den Efeubaum, deſſen ſtarker Stamm an der ſüdöſtlichen Mauer wurzelte. Seine weithin ausge: ſandten Aſte umwanden, überkreuzten und verknoteten ſich wie Schlangen, und ſeine dichte Belaubung umarmte bis zum Dach empor das graue Gebäude. Etwa zweihundert Schritte hinter dieſer Burg fand ich in der erſten Frühe einen natürlichen ge⸗ raden Gang zwiſchen zwei Felswänden. Er wird nicht ebenſo großartig geweſen ſein, wie ihn das Gedächtnis ausgebaut hat; immerhin ift es ein ſeltſamer Ort, und wer ihn dereinſt in ge- ſpenſtergläubiger Zeit zur Dämmerſtunde durchſchreiten mußte, konnte wohl Erſcheinungen haben. Ich ging einige Male hin und her, fühlte mich abgeſondert in Sicherheitsahnung und ſah für Augenblicke das Leben vor mir liegen wie ein Spiel. |

Der wunde Fuß war geheilt; ich wanderte lüffig weiter hinein in das Land der ſpäten, kargen Ernten, der halb verborgenen Steinbrüche zwiſchen alten Wäldern, in das Gebiet umſchilfter

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ſchwarzer Flüſſe, die Treibholz fragen und in dunklen Muſcheln trübe Perlen zeitigen.

Etwas Merkwürdiges brachte dieſer zweite Tag; ich erfuhr durch Anſchauung, daß es noch Menſchen gibt, welche an eine Hölle nach dem Tode glauben und aus Furcht vor ihr wahre Höllenqualen erdulden.

In einem Wieſentale ſtand wie vergeſſen eine Pflugſchar; kein Menſch, kein Tier war weit und breit zu ſehen. Bald aber führte der Weg über eine Höhe, die den ſchönſten Rundblick verſprach; ich ging einem ſtarken Geländer entlang, hinter dem zwei Stuten mit ihren Fohlen weideten, und wußte nun, daß gleich ein Gehöft kommen würde. Breitlaubige Eichen ſtütz— ten in Abſtänden die weite Umzäunung; ein ziegelgedecktes Häus— chen ſtand im Garten, kapellenhaft, aber mit rauchendem Ka— min, dies mußte der Backofen ſein. Ein Tümpel war bedeckt mit der Moſaikhaut grasgrüner Waſſerlinſe, daneben ragte zypreſſenſchmal ein hoher Wacholder. Junge Obſtbäume waren durch dreieckige Lattenverſchläge gegen Tiere geſchützt; zwiſchen ihnen ſtanden Sonnenblumen und ſenkten ſchwer die gelb um— flammten Schalen.

Ein junger Menſch ging vor mir her, der mich bekannt an— mutete, halb Geiſtlicher, halb Bauer. Die nackten Füße ſteckten in Sandalen; er hatte keinen Rock an, nur eine Weſte; über dieſer aber einen Theologenkragen, außerdem einen ſchwarzen Strohhut. Über der Schulter trug er läſſig die Senſe; aus der Hoſentaſche ſtand ein Wetzſtein. Er drehte ſich um, da war es der Danninger, ein Schulfreund aus der Landshuter Zeit. Sei— nem Vater gehörte der Hof; er ſelbſt verbrachte hier die Uni⸗ verſitätsferien und half in der Landwirtſchaft. Gaſtfreundlich zog er mich in das Haus, das nach alter Art gebaut war, mit zwei Holzaltanen übereinander, beide voll blühender Nelken. Die Mutter kam zur Begrüßung und lud mich ein, in der Stube zu raſten. Sie ſchnitt ein Stück Brot ab und brachte Milch in einem grünen Topf, der ſich vor Kälte beſchlug.

Während wir uns über einſtige Lehrer und Mitſchüler unter: hielten, hörten wir Schritte von der Stiege herein; die Bäuerin bekam eine ſorgenvolle, der Freund eine verlegene Miene; er

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flüfterfe haſtig, dies fei der Vater, er wolle jeden Fremden ſehen und brächte dann allerlei ſeltſame Fragen daher. Seit dem Winter leide er an Tiefſinnigkeit, er fürchte ſich vor Tod und Ewigem Feuer, ich ſolle nur ja nichts verlauten laſſen, was ihn ängſtigen könne. „Gib ihm aber zu verſtehen, daß du an Gott glaubſt!“ murmelte er noch, während ſchon der Alte die Tür öffnete.

Iſt es der Inbegriff der Höllenſtrafen, daß der Seele die An⸗ ſchauung des ewigen Lichtes verſagt wird, ſo mußte dieſer noch immer ſtattliche Greis mitten in der Verdammnis wohnen. Furcht vor einem Jenſeits hat es wahrſcheinlich immer ge- geben; ſogar die germaniſche Vorzeit kannte Strafräume: Hel, die Todesgöttin, hatte eine lichte und eine dunkle Seite, je nad): dem ſie lohnte oder ſtrafte; dieſem Alten aber kehrte ſie gewiß die finſtere zu. In den welken Zügen verbarg ſich der Gram; die umrunzelten Augen hatten etwas Uberbelles, jedoch mit einem Hintergrunde voller Nacht, und all dies wurde durch einen kräf— tigen Adamsapfel ſtark hervorgehoben. Ich ſtand auf und grüßte ihn ehrerbietig. Er gab mir ſchlaff die Hand, hieß mich weiter⸗ eſſen und hörte teilnahmslos unſeren Geſprächen zu, bis auf einen Mitfchüler die Rede kam, der vor einiger Zeit im Kar⸗ wendel abgeftürzf war, da trat ein trauriges Leben in das arme Geſicht. „Hab davon gehört“, ſagte er, und dann, nach einem Seufzer: „Wia's eahm ebber geh werd drent in der andern Welt?“ (Wie es ihm wohl gehen wird drüben in der anderen Welt?)

Zwiſchen Hugo, Walther und mir waren Teufel und Hölle ſeit einiger Zeit nur noch Redewendungen, zum Scherzen und Fluchen geeignet, und wenn wir von Sünde hörten, fo dachten wir zunächſt immer nur an jenes Bild vom Stuck, das der alte Lehrer als höchſte Leiſtung der neuen Kunſt geprieſen hatte. Dantes Inferno bannte mich immer aufs neue mit ſchauer⸗ licher Kraft; doch lag mir der Gedanke fern, dergleichen pein⸗ liche Gerichte könnten auch uns dereinſt erwarten. Jetzt aber, wie ein Weſen, das man für ausgeſtorben hielt, ſtand mir auf einmal die Angſt vor ewiger ſchmerzvoller Fremdnis in leib⸗ hafter Geſtalt vor Augen. Die beſten Witze gingen da in Rauch

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Griechenmünze aus Sizilien

auf, und wenn ich meine nächſten Beruhigungsgründe hervor: ſuchte, ſo waren ſie doch nur ein Wortgeſäuſel gegen die Qual in dem alten Antlitz; ja man durfte ſich in acht nehmen, daß man nicht ſelbſt in die alte Kinderfurcht verſiel, in die man ſich doch eigentlich zurückverſetzen mußte, um eine überzeugende Ant: wort zu finden. „Alſo aufs Arztgeſchäft arbeiteſt hin?“ rief der Bauer, - „ſchön, ſchön. Aber ihr Arzte glaubts ja nicht, daß es was gibt, - wie, oder bift du ein anderer? Oh, es gibt was, es gibt was, es gibt was ...“ Ich wollte mirs leicht machen und ſprach von des Herrgotts unerſchöpflicher Gnade und Güte; dergleichen aber hatte er wohl von ſeinem geiſtlichen Sohn be— reits bis zum Überdruß gehört. „Warum nachher Heulen und Zähneknirſchen?“ ſchrie er, mit der Fauſt auf den Tiſch ſchla— gend, und ſah durchs Fenſter in den Himmel, wo jetzt vor grel— ler Helle ſchwarze Flöckchen trieben. Voll Spannung ſahen Mutter und Sohn zu mir herüber; ſie hofften, daß ich was Kräftigeres wüßte, und miſchten ſich nicht ins Geſpräch.

Ich nahm mich zuſammen, und nun lohnte ſichs, daß ich in die— ſem Jahr unglaublich viel geleſen hatte, Aufſätze in Zeitſchrif— ten, Goethe, Schopenhauer, Nietzſche und von Zeit zu Zeit immer wieder einmal die Geſchichte Jeſu von Theodor Keim, die jahrelang unbeachtet unter Onkel Ottos Büchernachlaß in Kading geſtanden hatte, ein ſchmaler, mit Stockflecken durch— ſetzter Band, aus dem die irdiſche Perſönlichkeit des Heilands mit allen ihren menſchlichen Bängniſſen und Zweifeln ſo le— bensklar hervorleuchtete wie aus keinem anderen Werk. Auch der Prometheus bot jetzt aus der Ferne ſeinen Beiſtand an, und faſt mehr noch half mir die Mutter; denn ſie, die ſelbſt oft Schwermutszeiten überwinden mußte, fand ſtets einen fröft: lichen Zuſpruch für die Bedrücktheit fremder Seelen. So mel⸗ deten ſich verſchiedene Stimmen, um durch die meinige zu ſpre⸗ chen und den Leidenden wenigſtens für eine kleine Weile zu be: ruhigen. Ich ließ Milde Milde ſein und fragte ihn zunächſt ganz trocken, ob er ſichs vielleicht jemals verlangt habe, auf dieſe Welt zu kommen, oder ob er ohne feine Zuſtimmung ge— boren worden fei. Er verſtand mich ſofort; Gedankengänge die: ſer Art ſind ja ſolchen Menſchen vertraut. Grimmig lachend

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ſchüttelte er den Kopf: „J hab mir wahrhaftig des Gſpiel net eing' richt.“ „Ich mir auch nicht“, ſagte ich. „Alle tappen wir ungefragt ins Leben herein, die einen mit einer guten Veranla⸗ gung, die anderen mit einer ſchlechten. Einer hat brave, wohl⸗ häbige Eltern; der wächſt auf in Zucht, geſchützt vor Ungezie⸗ fer; ſein Blick iſt ihm nie durch Sorgen verſtellt; er ſieht ſei⸗ nen Stern und geht ihm nach. Die Eltern eines andern ſind arme getretene Leute; der Vater zeugt ihm eine Wut ins Ge⸗ blüte hinein, die reift mit ihm und führt ihm ſeine Hände, da müſſen ſie ſündigen. Wie ſolls der Burſche anſtellen, daß ihm nicht immer wieder Lumpereien durch ſeinen dummen Kopf gehen? Wie will er ſich ſelber entkommen? Vielleicht entdecken wirs mit der Zeit, wie ſein kranker Drang zu heilen wäre, und auf alle Fälle ſchützen wir uns vor ihm. Aber Gott, der allbe⸗ denkende Gott!“

In dieſem Augenblick ſchob ſich ein wahrhaft bezauberndes Kind zur Küchentüre herein. Es wurde vorgeſtellt als die Zenzi, die jüngfte Enkelin; mit einer Hand hielt fie eine Schürze voll fri⸗ ſcher Blätter, mit der andern ein ſchwarzes Kaninchen, das ihr den Kopf auf die Schulter legte. Grüßend ſetzte ſie ſich auf die Bank, nahm das Tier auf die Kniee und ſchob ihm ein Löwen⸗ zahnblatt zwiſchen die Lippen, die es gleich erfaßten und, un⸗ abläſſig mümmelnd, nach innen zogen, wie man einen Stoff in die Nähmaſchine ſchiebt. Eigentlich glaubte man dieſer Zenzi ſchon da und dort begegnet zu fein; fie wich wenig von einer gewiſſen blauäugigen und blonden Grundform ab, die den Wald in ſeinem bayeriſchen Teil beherrſcht; doch wars, als wollte ſich dieſe veredeln in ihr. Woher doch nahm die geplagte dumpfe Bauernwelt den Seelenſtoff zu fo feinen Zügen, zu dieſer ver⸗ ſonnenen Heiterkeit? Der verdüſterte Alte nur ſchien die Helle, die von dem Mädchen ausging, nicht zu fpüren; vielleicht wollte er auch das kindliche Ohr vor unſerem Geſpräch bewahren; er ſchickte die Zenzi in die Küche zurück. Mich aber überkam nun erſt ein wahrer Rederauſch. Ja, Gott, ungefähr in dieſem Sinne ging es weiter, der allbedenkende, allbewirkende Gott, der das Unendliche in ſich einſchließt, dieſer größte Geiſt ſollte zugleich der boshafteſte ſein? Ihm traut ihr zu, er habe nichts Geſchei⸗

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teres zu fun, als fold) ein unglückliches Geſchöpf in alle Ewig⸗ keit zu ſchinden? Soll eine Hornis ewig dafür gequält werden, daß ihr für ihr kurzes Leben ein Stachel gewachſen iſt? Und wie käme uns ein Bildhauer vor, der die Plaſtik, die er ſelbſt verhauen hat, unaufhörlich prügeln wollte? Merkt ihr denn gar nicht, was für eine Gottesläſterung ihr begeht?

Der Theologe lächelte ein gemiſchtes Lächeln; meine Kraft— phraſen gingen ihm vielleicht zu weit und auch nicht weit genug; doch konnten ſie ihm ſchwerlich unwillkommen ſein.

„Der is net dumm“, ſagte der Bauer und deutete auf mich, während er ſeinen Sohn triumphierend anſah; doch ließ ihn der Schwachſinn nicht los: „Aber die Todſünden? Und die himmel— ſchreienden? Wie ſtehts damit?“ Während er dieſe kitzlige Frage ſtellte, kehrte die Zenzi zurück, diesmal ohne Kaninchen, ſetzte ſich wieder auf ihren Platz und wurde dort geduldet. Meine Sicherheit wuchs im Anhauch ihres Weſens, und bevor ich nur recht zum Nachdenken kam, ſagte ich aufs Geratewohl, mit Be: ſtimmtheit: „Solche Sünden begehen Sie nicht, Herr Dannin— ger, und wenn Sie's täten, fo wären fie ungültig.” —-Verwun— dert blickte der Bauer auf: „Ungültig, ungültig, - ja gibts denn fo mas?” „Ja, völlig ungültig. Denn dann wärs ja ein Zeichen, daß Ihr Kopf nicht in Ordnung iſt.“ Mit großen Schritten, erregt vor ſich hinpfeifend, ging er auf und ab, indeſſen der Sohn eine kleine Einſchränkung für nötig hielt und ſchüchtern erinnerte, für jede Sünde fei doch Bereuen gut, man könne da= mit nie zuviel tun. Ich ſah zur Enkelin hinüber und mußte be⸗ merken, daß meine Weisheit auf ſie nicht ſo wirkte, wie ich mir einbildete; irgend etwas an meiner Sprechart ſchien ſie ſehr zu beluſtigen; ſie kämpfte mit einem innerlichen Lachen, das ſich ſchließlich nicht mehr verbergen ließ; ſo wartete ſie nicht ab, bis man fie hinausbefahl, ſondern ging von felber in die Küche zurück.

Der Alte aber blieb dicht vor mir ſtehen: „An Gott glaubſt du alſo?“ rief er und klopfte mir auf die Schulter. Ich meinte noch ein übriges tun zu müſſen und verwies darauf, mehr den Schulfreund anſehend, man habe doch in den erſten chriſtlichen Jahrhunderten die Furcht vor Höllenſtrafen kaum gekannt, zu

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tief fei man beglückt geweſen vom Licht der neuen Lehre, um irgendwelcher Angſtlichkeit anheimzufallen, jeder habe gewußt, er werde Ruhe finden für ſeine Seele, und wers nicht mehr wiſſe, der ſei eben krank. „Ja krank, da könnteſt recht haben.“ Der Alte erheiterte ſich, und unſere weiteren Worte fielen wahrſcheinlich ſchon unbe⸗ merkt in ihn hinein wie Sternſchnuppen in Tageshelle. Er nahm eine leere Weizenähre vom Fenſterbrett, gab ſie mir in die Hand und ließ mich raten, wie viele Körner ſie enthalten habe. Ich meinte vierzig; er ſagte ſiebzig und weidete ſich an meiner Verwunderung. Als die Bäuerin in die Küche ging, folgte er ihr; es gab ein gedämpftes Geſpräch, dem zu entneh⸗ men war, daß ich zum Übernachten eingeladen und am Abend mit einem gebratenen Huhn bewirtet werden ſollte.

Bei dieſem kleinen Feſtmahl ſaß die ganze Familie um den Tiſch, auch Knecht und Mägde; doch nahm keines ein Stückchen von dem Gebratenen an; denn es war Freitag und nur für den Wanderer das kirchliche Fleiſchverbot aufgehoben. Zuletzt wur⸗ den viele Vaterunſer gebetet, und faſt ſchauerlich klang es, als am Ende der Bauer für ſich allein mit lauter Stimme ein kur⸗ zes gereimtes Gebet an die heilige Barbara herunterſagte, das die Bitte um eine ſelige Sterbeſtunde ausſprach.

Am nächſten Morgen erhob ich mich fo früh wie die Dienft- boten. Das Gewittrige des Vorabends war verſchwunden; über dem Dreiſeſſelgebirge ſtieg das Licht in einen klaren Tag hin⸗ auf. Mein Denken eilte mir weit voraus zu der überall ge⸗ nannten bäuerlichen Dichterin, der Drang zum Weiterwandern war unbezwinglich. Recht zweifelhaft ſchien mir mein geſtriger Heilverſuch, und was ich vorgebracht, nicht mehr ganz wahr. Begründen konnte ich mir dieſe Empfindung nicht; aber ſie war wohl im Recht.

Spinozas Lehre, daß, wer Gott liebe, von ihm nicht Gegen: liebe fordern dürfe, wird nur den allerwenigſten in Fleiſch und Blut übergehen; faſt alle Frommen meinen, Gott vermöge auf menſchliche Weiſe den einzelnen zu lieben, und überſehen, daß er dann freilich ebenſo fähig ſein müßte, ihn zu haſſen. Dies konnte die letzte Wahrheit nicht ſein; aber wie ſtand es dann?

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Indiſchen Weiſen mag der Glaube genugfun, Tod und Geburt eines Menſchen bedeute für Gott nicht mehr und nicht weniger, als wenn von den Trillionen Gewebszellen, die unſern Körper aufbauen, eine alte vergeht und eine neue nachwächſt; aber was wäre dem tüchtigen, werkfreudigen Mann mit einer ſo durchgekochten Weisheit gedient? Was hatte etwa der alte ver: quälte Danninger davon, wenn man ihm Gott als das über: legenſte Weſen hinſtellte, dem es gar nicht der Mühe wert war, von den guten und ſchlechten Taten eines Waldbäuerleins Kennt— nis zu nehmen? Der wirkende, kämpfende Menſch muß davon durchdrungen ſein, daß ſein inbrünſtiger Anruf den Ewigen be— wegen und zur Bundesgenoſſenſchaft verpflichten könne, wohne er nun über Sternen oder in der eigenen Bruſt. Solche Fragen und Antworten gingen mir aber nur als dämmrige Halbgefühle durch den Sinn; ſie durchzudenken und auszuſprechen fehlte mir die Reife, und ich wünſchte nur, ſobald wie möglich aus der Nähe des Gepeinigten zu entkommen.

Am Brunnen mich waſchend, ſah ich mit Beſchämung die Ge— därme und blutnaſſen Federn des verſpeiſten Gockels um den Steintrog herumliegen; aber da kam die Zenzi und brachte ein friſches Handtuch. Sie ſagte, der Großvater ſchlafe noch, zum erſten Male ſeit Wochen habe er die ganze Nacht ruhig im Bette gelegen, ſtatt im Hauſe herumzugeiſtern, ich ſolle doch ja noch den Tag über bleiben. Mein Vorſatz war aber feſt; ich begründete ihn, ſo gut es ging, lud mir den Ruckſack auf, den ich auch während des Frühſtücks nicht abnahm, und ließ mich weder von der Mutter noch vom Sohn zum Aufſchub überreden.

Kaum eine Viertelſtunde aber war ich in die Morgengegend hineingegangen, da hörte ich Hufſchlag und lautes Rufen hin— ter mir. Auf mähnenflatterndem Schimmel jagte mir der geiſt⸗ liche Schulfreund nach, ſtieg ab und meldete, der Vater ſei ganz guter Laune in die Stube heruntergekommen, nur habe er leider geſtern ein paar Kleinigkeiten zu fragen vergeſſen, die ihm ſchon lange zu ſchaffen machten. Herzlich dankbar wäre er für eine kurze Auskunft, wie es denn mit unſeres Herrgotts All: macht eigentlich ſtünde, ob es nachgewieſen wäre, daß er ſtär—

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fer fei als der Satan. Der junge Gottgelehrte lachte verzwei⸗ felt. „Was jagen wir ihm nur in drei Teufels Namen?“ fuhrs ihm heraus; aber ſchon, erſchrocken über die Entgleiſung, drückte er ſich zwei Finger auf die Lippen. Dann bekannte er verdrieß⸗ lich, es ſei nicht das erſte Mal, daß ihm dieſe ſpitzfindige Frage geſtellt werde. An Gottes Liebe und Barmherzigkeit wolle der Alte gerne glauben; aber was helfe die, wenn ſchließ⸗ lich der andere, der Schwarze, das letzte Wort habe.

Wir ſetzten uns auf einen Feldrain, zündeten Zigaretten an und beratſchlagten. Die Vorſtellung, Gott laſſe den Teufel inner⸗ halb gewiſſer Grenzen in der Welt gewähren, um fie in Ga- rung und Bewegung zu erhalten, iſt jedem Fauſt⸗Leſer geläu⸗ fig; aber dieſes Argument ſchien dem Schulgenoſſen unver⸗ wendbar. Nach manchem Hin und Her einigten wir uns auf eine Formel, die annehmlich klang. Den Wortlaut weiß ich nicht mehr; ſie lief darauf hinaus, daß der Höllenkönig über einen Menſchen, der den Weg zu Gott gehen wolle, überhaupt keine Gewalt habe. Wenn er gar ſo mächtig wäre, ſo ſtünden ja längft weder Sonne noch Mond noch Sterne mehr am Him⸗ mel; denn nur durch göttliche Kraft und Liebe werde das Welt⸗ all bewahrt und ewig erneuert; der Böſe könne nichts aufbauen und nichts zum Erblühen bringen, er habe nur die Zerſtörung im Sinn, nicht nur die Zerſtörung der Seelen, ſondern der gan- zen ſchönen Welt.

Ich äußerte Zweifel, ob ſolch ein Gedankengang dem Vater nicht zu ſchwierig wäre; aber der Sohn war zuverſichtlicher ge: worden: „Der Alte muß was zu knabbern haben“, meinte er. Mittlerweile hatte der Schimmel Gras gerupft; nun biß er ſeinen Herrn ſänftlich in den Arm, zur Heimkehr mahnend. Mich verfolgte ein Gedanke, der ſich ſchon am Anfang gemel⸗ det hatte; es war nur nicht ganz leicht, ihn taktvoll vorzubrin⸗ gen. Schließlich fragte ich geradezu, wie es denn ſonſt beſtellt wäre mit dem Herrn Vater, ob er vielleicht allerhand auf dem Gewiſſen habe. Der geiſtliche Sohn nahm das nicht übel, ver⸗ ſicherte aber, der Vater ſei ſtets ein rechtlicher Menſch, freilich auch ein Tüftler und Sinnierer geweſen. „Ja wenn er ein Lump wär, täten wir uns leichter“, ſetzte er hinzu und hatte

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recht. Abermals wurde er nachdenklich, und während er ſchon den Schimmel beſtieg, rief er noch einmal meinen Scharfſinn an: „So einen kurzen kräftigen Satz wenn du noch wüßteſt! Er dürfte auch dunkel klingen, meinethalben ſogar mit einem Fremd— wörterl darin. Er ift da fo eigen; was er durch und durch ver: ſtehen kann, das hilft ihm nicht lang.“ Beim Anhören dieſer Worte wars, als lächelte mir der alte penſionierte Lehrer vom botaniſchen Garten, der ſo ſehr ſeinem Karma vertraute, luſtig zu; ein jäher Übermut gab mir die rechte Antwort ein: „Grüß den Vater ſchön! Sag ihm, ich hab ſeine Hände genau betrachtet und gleich geſehen, daß er ein gutes Karma hat. Es kann ihm nichts fehlen, weder in dieſer Welt noch in der andern. Er darf ſich in alle Ewigkeit getroſt auf fein Karma verlaſſen.“ - „Karma, Karma,“ wiederholte der Theologe, „davon höre ich zum erſten Mal.“

„Es iſt was Indiſches“, wollte ich noch erklären; aber ſchon war keiner von uns mehr fähig, ernſt zu bleiben; wir lachten laut hinaus, verließen das Thema und ſprachen dann noch eine Weile von anderen Sachen. Der Jugend wird es niemand ver— argen, wenn fie ſich über VBerdüfterungen der Väter beluſtigt; ſie weiß nur nicht, welchen Blindheiten ſie möglicherweiſe ſelbſt entgegengeht.

Noch in der nämlichen Stunde ſollte ich eine Probe davon lie— fern. Wir drückten uns abermals die Hände; der Schimmel trug den Freund galoppierend heimwärts, ich aber trabte Waldfir- chen zu in den erglühenden Tag hinein.

Zwiſchen hohen Ginſterſträuchen, die Schatten verhießen, hielt ich bald eine kurze Raſt und freute mich ſtärker des Ziels. Ein deutliches leiſes Geräuſch fiel mir auf, das ich irgendwelchen Inſekten zuſchrieb. Es verſchärfte ſich aber; ein unabläſſiges feines Knallen, Kniſtern und Knipſen war um mich herum, als ob Elfchenheere aus unſichtbaren winzigen Geſchützen aufein— ander feuerten, und manchmal fühlte ich mich ſelbſt am Ohr und im Nacken getroffen. Jetzt war es klar, daß das Geſprühe vom Ginſter ausging. Längſt abgeblüht, ſtrotzte dieſer von ſchwarzen Schoten, die nun, unter dem Sonnenprall, nach und nach auffprangen und ihren Samenüberfluß weithin verſchnell⸗

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ten. An dieſer Stelle ſah ich zum letzten Mal das einfame Ge: höft. Umſchattet von ſeinen Bäumen, von Blumen umſchmiegt, bon treuem Fleiß umhegt, ſtand es auf feiner Anhöhe, wie tau⸗ ſend andere ſtehen. Unvergeßlich konnte es nur werden, weil dort ein Menſch in Höllenflammen duldete, die vermutlich erſt in dem gefürchteten Grab erloſchen ſind. Beim Weiterwandern ſtieg es mir doch in den Kopf, daß mich der junge Danninger für einen bedeutenden Seelenarzt hielt; ich empfand bei jedem Schritt mehr Hochachtung vor mir. Als aber nun die Gelegen- heit kam, wahrhaft menſchliche Einſicht zu bewähren, da ent: ſprach den weiſen Reden des Vortags kein weiſes Handeln, und der Teufel, über den ich den ſelbſtquäleriſchen Bauern fo fal- bungsvoll zu beruhigen wußte, ſprang unverſehens aus mir ſelber heraus.

Von einem Seitenpfade her ſtieß ein alter Landſtreicher zu mir, und ehe ich ihn nur recht zu Geſicht bekam, nahm ichs ihm ſchon übel, daß er befehleriſch rief, ich ſolle warten. „Biſt auch auf der Walz? Gehn mir miteinander!“ ſagte er dann und wollte auch gleich mein Wanderziel wiſſen, da wuchs mein Wi⸗ derſtand. „Ich geh der Naſe nach“, erwiderte ich gereizt, konnte ihn aber dadurch nicht vertreiben. „Das tu ich auch“, ſagte er lachend und fragte, ob ich keine übrige Zigarre hätte. Rauch⸗ waren anzubieten, ja aufzudrängen, war ich ſonſt ſtets bereit; jetzt aber unterſchlug ich dem armen Kerl die würzigen Stum⸗ pen, die noch im Ruckſack lagen, und ließ merken, daß ich ihn los haben wollte. Er bewahrte ſeine Ruhe, geſtand mir aber offen, daß er mich überſchätzt habe. „Wenn einer ſo großartig dahinſtürmt, als könnt man mit ihm Pferde ſtehlen gehen, dann denkt man, der hat Kameradſchaft im Leib. Aber man trägt keine Röllchen, und da iſt man für den feinen Herrn halt nur ein Prolet.“ Er ſpielte damit auf eine Mode an, die wir heute lächerlich finden; es gehörte damals zum Anzug, daß man, um ein immer friſches Hemd vorzutäuſchen, kurze Röhren aus hart geſtärkter Leinwand um die Handgelenke trug. Dies war ein⸗ mal eingeführt; ſogar die Herren Profeſſoren Rückert und Mollier pflegten, wenn fie zur Übung an die Leiche traten, erſt ihre Hände aus jenen Manſchetten genannten Gebilden zu

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zwängen und dieſe behuffam beiſeite zu ftellen. Ich beſchleu— nigte meinen Gang und hoffte, der läſtige Begleiter werde zu— rückbleiben müſſen; er hielt jedoch rüſtig Schritt und erging ſich in dunklen Weisſagungen, die nicht gerade mir, aber dem Bürgertum ſchlechthin galten. Für mich hatte das Wort Bir: ger noch den ehernen Klang des civis romanus; er aber ge— brauchte es als Schimpfnamen und prophezeite dieſer ganzen Menſchengattung den Untergang. „Ich ſeh finſter“, mit die— ſen drei Wörtchen ſchloß er jeden Satz. Leider ließ mich in je— nen Minuten der Humor im Stich, der beſte Schutz gegen Zu— dringlichkeit; auch entging mir ganz, wie lohnend es doch ge— weſen wäre, in das Leben des verbitterten Mannes etwas tie— fer hineinzuſchauen; ich fand nicht zu mir ſelber und ließ das Böſe reifen. Langſam gehend betrachtete ich ihn mit Sorgen— miene und ſagte dann, ich wüßte wohl die richtigen Antworten, wolle ihn aber nicht erzürnen; wer ein wenig Erfahrung habe, ſehe ja von weitem, daß er an übermäßig hohem Blutdruck leide, da könnte jede große Aufregung einen Schlaganfall her— vorrufen, das wäre unverantwortlich. Er lachte laut und ſchwur, er fei ein Eiſerner und nehme es heute noch mit einem Dutzend ſolcher Kletzen auf, wie ich eine ſei; aber das Geprahle half ihm nicht lang, mein Gift war eingedrungen, die Wangen unter den wäßrigen Falten der Augenlider wurden ſchlaff und gelb; er verſtummte nach und nach. Auf einmal blieb er zurück und über— ließ mich einem heftigen Kampf der Gefühle. Noch wollte ich gleichmütig weitergehen und hielt mir bekannte Nietzſcheworte vor, die das Mitleid als verwerflich erklären; doch regte ſich ſchon eine ſtille Einſicht, wie ſehr es dem Sinne dieſer Wande— rung widerſprach, wenn ich ſie mit Feindſchaft belud. Ich wandte mich um, da ſaß er am Feldrain, der Arme, das Ge— ſicht in die Hände gedrückt. Und nun gewann er von Sekunde zu Sekunde an Wirklichkeit, während ich ſelbſt mir ſchemenhaft wurde. Ich ſah ihn nun erſt, das wirre graue Haar, den mü— den Rücken. Am oberſten Knopf ſeines Röckchens hing ein kur— zes Lederband, das nach unten in eine blecherne Klammer aus— lief, und dieſe trug ſeinen alten Hut; er hielt das wohl für feiner, als wenn er ihn aufgeſetzt hätte.

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Ihn zu verſöhnen, war nicht ganz leicht. Ich ließ mich neben ihm nieder und fragte vorwurfsvoll, ob er denn meine Tratzerei wirklich ernſt genommen habe; jeder nicht Stockblinde müſſe doch den Typ des langlebigen Menſchen in ihm erkennen. Er verharrte in ſeiner gebrochenen Haltung und antwortete nicht. „Es läßt mir keine Ruhe,“ fuhr ich fort, „ich muß noch einmal den Ruckſack durchſuchen, vielleicht finden ſich doch noch ein paar gute Zigarren darin; die wollen wir aber mit Andacht rauchen!“ Auch dieſe Ausſicht ſtimmte ihn nicht ſogleich um. Die braunen Stumpen lagen ſchon eine Weile auf ſeinem Knie, als er endlich die Hände vom Geſicht nahm. - „Ich war zu Gro- ßem berufen“, ſagte er düfter, in tadelloſem Schriftdeutſch, ohne mich anzuſehen, und, nach einer Pauſe, mit erhobener Stimme: „Ein König hat mich mit Gold beſchenkt!“ Über einer ſolchen Aufſchneiderei wollte mich ſchon wieder der Zorn an⸗ packen; doch ſiehe, er hatte nicht gelogen, und nun ſollte mich ſchon wieder der Schatten des unſeligen Ludwig ſtreifen, von dem erſt neulich im Elternhaus die Rede geweſen. Die Heimat des alten Handwerksburſchen war Leoni am Starnberger See, und als einſtmals der König, aus dem Gebirg zurückkehrend, ſpät an einem Samstagabend in Schloß Berg eintraf und ſich zur Sonntagsfrühmeſſe anmeldete, da hatte er ſein ſchönes, koſtbar verziertes Gebetbuch in Seeshaupt zurüuckgelaſſen. Es gab noch keinen Fernſprecher und kein Fahrrad; Joachim aber, ſo hieß mein Wandergeſelle, der damals ein junger Burſche war, erbot ſich, den See nachts zu umreiten und das Miſſale zu holen. Am Morgen lag es in der Schloßkapelle auf dem Betſtuhl des Königs; dieſer fragte nach dem Überbringer und belohnte ihn mit einem Zehnmarkſtück.

Einem ſolchen Bericht konnte man die Anerkennung nicht ver⸗ weigern. Was die Mutter erzählte, hatte ſie nur von andern erfahren oder in der Zeitung geleſen. Der Fremde aber, mochte er ſein, wer er wollte, hatte den ſeltſamen König mit Augen geſehen und ihm einen Dienſt erwieſen, o gewiß hatte er noch jene gewitterhafte Verdichtung irdiſcher Atmoſphäre geſpürt, die ſich um Herrſchende ſammelt. Könige einer harten Zeit, wie ſie Shakeſpeare zur Erſcheinung bringt, ſie leben ſtets in einer

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Hochſpannung von Macht und Gefahr; daher find ihre Näch— ſten immer nur der höchſten Huld gewärtig oder der Vernich— tung. „Im Zirkel, der eines Königs ſterblich Haupt umgibt, hält feinen Hof der Tod‘, hören wir Richard den Zweiten ſagen, dem ſeine Krone entgleitet. Ludwig aber hatte, faſt noch ein Kind, den Thron ſeines kleinen Landes in einer Epoche jäher Übergänge beſtiegen. Seinem hohen Willen nach noch König eines heldiſchen Jahrhunderts, geriet er mitten in eine verbür— gerlichte, von der Nützlichkeit beſtimmte Welt hinein, die ihn zwar ärgern und anwidern, aber ſein Leben ſo wenig bedrohen konnte wie er das ihre. Kleine Aufgaben mußte er verachten; vor gefährlich große ſah er ſich nicht geſtellt, wäre ihnen wohl auch nicht gewachſen geweſen. Unausgleichbar war der Zwie— ſpalt zwiſchen unwillkommener Gegenwart und feierlich könig— lichem Traum. Der überſtolzen Seele blieb nur der Weg in prunkverbrämte Einſamkeit, die ihn langſam aus dem Leben hinauslockte ins ewig Freie. Solche Könige ſind keine Führer; das Volk aber erliegt dem Zauber der edlen, herrlich leidenden Geſtalt und nimmt ſie in ſeine Träume auf.

Ja, es lag jetzt ein Glanz auf dem grauen Landſtreicher, und gern hätte auch ich mich ein wenig fürſtlich gegen ihn bewährt. Im Geiſt überſchlug ich meine beſcheidene Barſchaft und mußte erkennen, daß eine halbe Mark das allerhöchſte war, was ich ihm bieten konnte. „Geld iſt Dreck“, ſagte er, beſpuckte die Münze abergläubiſch dreimal, damit ſie weitere Tageseinnah— men nach ſich zöge, und ſteckte ſie ein. Ich hoffte, er werde noch manches erzählen; jetzt aber war er es, der meine Geſellſchaft entbehren konnte. Bis zum nächſten Wirtshaus gingen wir noch zuſammen; dort hielt er nach dem Schrecken, den ich ihm eingejagt, eine Stärkung für notwendig und ließ mich in Frie— den weiterziehen.

Staubſchleier dämpften die grünen Gegenden, durch welche die heiße Vormittagswanderung weiterging; der Mund wurde trocken, und hochwillkommen war eine unverhoffte Stätte der Erquickung, ein verlaſſener Steinbruch. An einem Höhenzuge, nicht weit von dem Dörfchen Prag, tat er ſich auf; doch konnte man ihn leicht überſehen; denn eine hopfendurchflochtene Hecke

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verbarg und verwehrte den Zugang. Ich bemerkte gerade noch die ſteilen, ganz ebenen Gneisflächen, deren Zeichnung ſtellen⸗ weiſe an Vogelgefieder erinnerte. Ein Humusfell hing von oben Darüber her; noch grünten Bäumchen und Sträucher darauf, alle leider dem Untergang geweiht; nackt ſtanden die Wurzeln ins Leere. Durch die Hecke fand ſich ein Schlupf, und hinter ihr war nun der laubverkleidete Boden bis ins Geſtein hinan rot überfüpfelt von Erdbeeren, deren Reife hier erſt im Spät⸗ ſommer eintritt, während ſie drunten an der Donau ſchon im Juli zu Ende geht.

Aus einem werdenden Buch

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Johann Peter Hebel / Das Spinnlein

Nai, lueget doch das Spinnli a,

wie's zarti Fäde zwirne cha!

Bas Gvatter, mainſch, chaſch's au n efo? De wirſch mer's, trau i, bliibe loo.

Es macht's ſo ſubtil un ſo nett;

i wott nit, i's z'haſple hätt.

Wo het's die fiini Riifte gnoo,

by wellem Maiſter hechle loo?

Mainſch, wemme's müßt, wohl menggi Frau, ſi wär ſo gſcheit un holti au!

Jetz lueg me, wie's fy Füeßli ſetzt

un d' Armel ſtreift un d' Finger netzt!

Es zieht e lange Faden uus:

es ſpinnt e Bruck ans Nochbers Huus; es baut e Landſtrooß in der Luft; morn hangt ſi ſcho voll Morgeduft;

es baut e Fueßweg nebedra,

's iſch, es ehne dure cha.

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Es ſpinnt un wandlet uf un ab,

potz faufig, im Galopp un Trab!

Jetz goht's ringum, was heſch, was giſch! Sihſch, wie ne Ringli worden iſch?

Jetz ſchießt's die zarte Fäden ii;

wird's öbbe folle gewobe fii?

Es iſch verſtuunt, es haltet ſtill,

es waiß nit recht, wo 's ane will.

's goht weger zruck, i ſih's em a,

's mueß näumis Rechts vergeſſe ha. „Zwor“, denkt es, ‚fell preſſiert jo nit; i halt mi nummen uf dermit.“

Es ſpinnt un webt un het kai Raſt, fo gliichlig, me verluegt fi faſt.

Un 's Pfarers Chriſtof het no gſait, 's ſeig jede Fade zemmeglait.

Es mueß ain gueti Auge ha,

wer's zählen un erchenne cha.

Jetz putzt es ſyni Händli ab;

es ſtoht un haut der Faden ab.

Jetz ſitzt es in fy Summerhuus

un luegt die lange Strooßen uus.

Es fait: „Me baut fi halber z'tot,

doch freut's ain au, wenn 's Hüüsli ſtoht.“

In freie Lüfte wogt un ſchwankt's, un an der liebe Sunne hangt's;

fi fehiint em frei dur d'Bainli dur, un 's iſch em wohl. In Feld un Flur ſiht 's Mückli tanze jung un faiß; 's denkt by n em felber: „Hätt i ais!

O Tierli, wie heſch mi verzückt! Wie biſch ſo chlai un doch ſo gſchickt! Wer het di au die Sache glehrt?

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Denkwohl, der, two n is alli nabrt, mit milde Händen alle gift. Bis z' friden! Er vergißt di nit.

Do chunnt e Fliege; nai, wie dumm! Si rennt em ſchier gar 's Hůüsli um. Si ſchreit un winſlet Weh un Ach. Du arme Chetzer heſch dy Sach! Heſch kaini Auge by der gha?

Was göhn di üüſi Sachen a?

Lueg, 's Spinnli merkt's enandernoo: es zuckt un ſpringt un het ſi ſcho.

Es denkt: „J ha viil Arbet gha;

jetz mueß i au ne Brotis ha!‘

J ſag's jo: der, wo alle gift,

wenn's Zyt iſch, er vergißt ain nit.

Aus den , Allemanniſchen Gedichten“ (Inſel⸗Bücherei) *

Felix Timmermans / Der Marquis und der Ungar

An einem Sonntag im Jahre 1789 in Mecheln, als das Hochamt in der Sankt Rombauts⸗Kirche zu Ende war, ſchlen⸗ derten die Leute, vom ſchönen Wetter verlockt, länger als ge⸗ wöhnlich auf dem großen Marktplatz umher oder ſaßen ge: mütlich vor den Kneipen beiſammen.

Ein Major des öſterreichiſch-ungariſchen Heeres, ein grauer Marquis aus Wien, ein unſcheinbares kleines Männlein, ſaß mit einigen Freunden auf dem Balkon ſeines Hauſes bei einem Glas Rheinwein.

Sie verfolgten gerade mit den Augen ein Fräulein, auf das der Marquis ſie aufmerkſam gemacht hatte, das mit einem großen Roſenhut, mit vielen Spitzen und Bändern geſchmückt, ſtolz durch die Menge ſpazierte. Der Marquis hatte ſie ſeinen

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Freunden gegenüber für feine Nichte Alice ausgegeben. Aber fie wußten Beſcheid. Sie war eine kleine Tänzerin aus Brüſſel, für die er in Mecheln ein paar Zimmer gemietet hatte. Sie zwinkerte ſchelmiſch ihrem ſogenannten Onkel zu. Plötzlich blieb ſie ſtehen, wagte ſich keinen Schritt weiter, ſchlug die Hände vor die Bruſt und blickte verzweifelt und hilflos auf den Saum ihres Kleides, auf zwei ſchwarze Bänder, die hinterher— ſchleiften.

„Sie wird krank“, rief der Marquis mit piepſender Stimme. „Sie iſt nicht krank, Monſeigneur,“ ſagte ein junger Offizier, „ihr Strumpf iſt gerutſcht.“

„Was kann man da machen? Wie könnte man ihr helfen? Was für eine ſcheußliche Lage für das Kind! Seht, die Leute lachen ſchon.“ Er kratzte fic) an feiner ſeidenen Perücke. Die Leute lachten, vor allem die Patrioten, die wußten, daß ſie eine „Feige“ war, eine Kaiſertreue.

Der Marquis fluchte wie ein Fuͤhrknecht, was man von einem ſo zarten Männlein nicht erwartet hätte. Sie hierherein zu rufen, ging natürlich nicht, denn die Frau Marquiſe wußte nichts von einer Nichte.

„Geht, helft ihr, bringt ſie in eine Gaſtwirtſchaft, ſchnell. Es gehört ſich nicht, daß ein Fräulein allein eine Gaſtwirtſchaft betritt.“

Damals war das noch nicht Mode.

Ein paar junge Offiziere ſprangen auf und liefen ſchnell zur Tür, aber es war nicht mehr nötig.

Zwei Huſaren gingen gerade an dem Nichtchen vorbei. Einer von ihnen war Stefan Hernad, der Ungar. Er bemerkte ihre ſchwierige Lage, grüßte, kniete nieder, hob ihr Kleid hoch und band geſchickt, als hätte er das ſchon öfter getan, mit den bei: den Bändern kreuzweiſe den weißen gerutſchten Strumpf tie: der feſt. Sie reichte ihm die Roſe, eine dunkelrote Roſe, die an ihrer Spitzenbluſe ſteckte. Sie ſagte ihm ein paar freundliche Worte, lachte dann herausfordernd ihren Onkel an und zeigte ihm flüchfig ihr ſpitzes Zuͤnglein.

Nun aber geriet der Herr Marquis zur Beluſtigung ſeiner Freunde in eine heftige Wut. „Dieſer wilde Ungar, dieſer Zi⸗

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geunerburſche, das ift fo richtig etwas für ihn. Er wagt es, den Strumpf meiner lieben Nichte aufzubinden, öffentlich, unter meinen Augen, unter Ihren Augen! Wenn er glaubt, ſie verführen zu können, dann hat er ſich ſehr geirrt. Und die Roſe ſoll er mir auch zurückgeben. Selbſt wenn ich dafür die ganze Stadt Mecheln unter Feuer nehmen müßte. Ich habe die Ro⸗ fen nicht etwa aus Brüffel kommen laſſen, um den erften beſten Schornſteinfeger damit zu ſchmücken.“

Er hätte gewiß noch weiter getobt, aber da kam die Frau Mar⸗ quiſe mit ihren drei Töchtern herein, und er begann ſofort zu erzählen, von irgendeinem Feldzug, den er mitgemacht hatte. Da gerade von Roſen die Rede war, knüpfte er daran an und rief: „Dieſer Italiener hatte weiße Roſen auf ſeinem Hut., Ich mache rote Roſen daraus, ſchrie ich ihm zu, ‚und ich ſpaltete ihm den Schädel.“ Die Frau Marquiſe zwinkerte ſeinen Freun⸗ den zu.

Als am nächſten Tag die Reitertruppe von den Morgenübun⸗ gen zur Stadt zurückkehrte, ritt der Marquis neben Stefan. Natürlich ſprachen ſie über den gerutſchten Strumpf.

„Auf alle Fälle,“ ſagte der Marquis, „es war ſehr freundlich von dir und für meine kleine Nichte gewiß ein Glück, aber ...“ „Das Glück iſt ganz auf meiner Seite, Monſeigneur. Man hat nur ſelten eine ſolche Gelegenheit, ein ſchönes Frauenbein zu ſehen ...“

„Und was hat ſie geſagt?“

„Bis mir der andere Strumpf rutſcht.“

Der Marquis wurde grün vor Neid, aber mit dem unſchul⸗ digſten Geſicht der Welt fragte er: „Und die Roſe?“

„Ein Blatt habe ich in einem Gedichtband aufgehoben, denn ich bin ein leidenſchaftlicher Sammler von Erinnerungen, und den Reſt für zwei Küſſe an eine Fleiſcherstochter verkauft. Roſen ſoll man nicht billig abgeben, Monſeigneur.“

„So, ſo. Du wirſt es noch weit bringen. Du biſt jung und tapfer ... aber du ſollteſt vorſichtig fein.”

„Monſeigneur meint wohl, ich ſolle keinen gerutſchten Strumpf mehr feſtbinden, keine Roſen mehr annehmen? Nein, dann

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bleibe ich noch lieber ein gewöhnlicher Soldat mit einem Lieb: chen an jedem Finger.“

Wo blieb nun die Beſchießung der Stadt wegen dieſer koſt— baren Roſe?

Der Marquis war innerlich wütend, konnte jedoch feinem Ärger nicht Luft machen, denn trotz ſeiner Macht, ſeinem Rang und ſeinem Reichtum fühlte er ſich lächerlich, ſchwach und eifer— ſüchtig auf die Freimütigkeit dieſes tollen Ungarn, der mit dem Leben, mit Liebe und Tod ſpielte. Der Marquis dachte: mor— gen liegt Alice vielleicht ſchon in Stefans raſchen Armen. Über: morgen vielleicht eine meiner Töchter, ſolche Naturen wagen und erobern alles und laſſen alles zerſtört und zerbrochen hinter fi) liegen., Solche Augen! Welche Frau könnte ihnen rider: ſtehen?“ dachte der Marquis.

„Vorſicht, Monſeigneur,“ meinte Stefan, „das kennen wir nicht. Ich werde Euch etwas erzählen. Mein Geſchlecht war reich, nicht an Titeln, Geld oder anderem Beſitz, den man am nächſten Tage verlieren kann, ſondern reich an ſeinem Blut. Einer meiner fernen Ahnen hatte einmal einer reichen Frau, die ſehr gelehrt war und die Geheimniſſe der Natur kannte, einen großen Dienſt erwieſen. Um ihn zu belohnen, nahm ſie einen Tropfen Feuer von der aufgehenden Sonne auf die Spitze einer Nadel und ſtach ihm damit in eine Ader. Dieſer Tropfen Sonne ſitzt nun in unſerem Blut. Er iſt unſer Reich— tum, er glüht in unſerem Herzen. Sobald er jedoch wieder wach und lebendig wird, wirkt er Wunder. Dann fürchten wir weder Tod noch Teufel.“

„Ein Menſch ſoll ſich beherrſchen und ſich nicht von Märchen leiten laſſen“, ſagte der Marquis ein wenig giftig.

„Wir werden beherrſcht. Ich weiß nicht, wohin mich Gott führt, wohl aber weiß ich, daß er mich führt. Und dieſer Trop⸗ fen Sonne unſerer Natur wird ihm dabei helfen.“

„Nicht philoſophieren“, ſagte der Marquis lächelnd, froh, daß das Geſpräch eine andere Wendung bekam. Er wagte nicht, böſe zu ſein, denn er fürchtete, daß er neben dieſem jugendlichen Eroberer nur eine traurige Figur abgeben könnte. So wollte er ſich auf ſeine angeborene Schlauheit verlaſſen. Er wußte nur

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das eine, daß er fo ſchnell wie möglich verſuchen mußte, die: ſen verteufelten Ungarn los zu werden. „Du haſt dich ſchließlich ſehr liebenswürdig benommen,“ ſagte er hämiſch, „ich danke dir. Du wirſt von mir hören.“

Der Marquis ritt wieder nach vorn. Tatſächlich hörte Stefan von ihm. Vierzehn Tage ſpäter wurde er befördert zum Kapi⸗ fan der Garniſon in Nivesdonck, einem ſtillen befeſtigten Städtchen mit vielen Brauereien, irgendwo an der Nethe. Und von dem Marquis erhielt er außerdem noch eine ſchöne Porzellanpfeife. Stefan hatte kaum ſein „Vielen Dank, Mon⸗ ſeigneur“ über die Lippen gebracht, da fiel ſie, natürlich ver⸗ ſehentlich, zu Boden und zerbrach.

Aus dem werdenden Buch „Familienchronik

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Benno Papentrigk / Moſelfahrt

Es nahet ſich der Morgen ſacht, Vergeſſen ſei, was Sorgen macht, Die Bücher laßt und andern Wahn, Nun hebet ſich das Wandern an!

Die Sonne treibt im Dämmerlicht Die weißen Wolkenlämmer dicht, Und weiter es und weiter hellt, - Wie biſt du reich und heiter, Welt! Kaum daß das Auge, traumerregt, Den ſommergrünen Raum erträgt. Es grüßt der weite, ebne Gau,

Die goldne, gottgegebne Au.

Da ſteigt, an einem Wieſenrand, Empor die erſte Rieſenwand; Verfallner Schlöſſer Mauern triſt Der ſpäte Blick mit Trauern mißt.

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Manch Fräulein, um den Ritter bang, Die Hände droben biffer rang;

Sie winkte von den Zinnen hoch

Ihm nach, wenn er von hinnen zog. Im Tal die Moſel flimmernd ſchießt, Sie kräuſelt ihre Wellen heiter

Und eilet froh im Hellen weiter,

Bis in den Rhein ſie ſchimmernd fließt.

Und Reben rechts und Reben links,

Es iſt das grünſte Leben rings.

Am Stock die Beeren prunken trächtig, Sie glühn, vom Feuer trunken, prächtig, Sankt Kilian, ſchür den Sonnenbrand, Verwandl' in einen Bronnen Sand!

O wirf auf Laus und Wurm den Stein, Bewahr vor Froſt und Sturm den Wein, Bis Traube man an Traube legt,

Die er in ſeinem Laube trägt,

Und fröhlich durch die Gaſſe fährt

Den Moſt, der bald im Faſſe gärt.

O Heilger, denken wolln wir dein

Beim Winzerfeſt, das wir dir weihn!

Sieh da, ſieh hier der Weine Ort! Sprichſt du es aus, das eine Wort: Der Name ſchon, ſo wunderrein, Dir mundet wie ein runder Wein! Ein Schild verrät die Schenken bald, Drin Lachen von den Bänken ſchallt; Hier kehret gern der Wandrer ein, Uns aber lockt ein andrer Wein, Schon ſehn wir ferne winken Trier, Dort raſten und dort trinken wir. Es ſoll der Moſel Sonnenwein Uns Inbegriff der Wonnen ſein! Aus „Benno Papentrigk's Schüͤttelreimen“

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Joſeph Görres / Die teutſchen Volksbücher

Jede junge Zeit, wenn ſie geboren wird, findet ihre Wiege mit den Gaben umſtellt, die die Weiſen aus dem Morgen und dem Mittag und dem Abendlande ihr gebracht; der Lebensgeiſt, der nur im Beſten kräftig wohnt, bewahrt auch eben das Beſte nur vor dem Verderben, wie nur geiſtreicher Wein den Wechſel der Jahre überdauert; und ſo gewinnt die Kunſt und jedes menſch⸗ liche Bemühen feſten Beſitz, und die Erde gewinnt ein Leben und in ihm eine Geſchichte und ein Gedächtnis der Vergangen⸗ heit. So muß das Schlechte, nachdem es abermals und un⸗ zablige Male wiedergekehrt, doch endlich ſterben; denn der Teu⸗ fel iſt nicht unſterblich, wohl aber Gott in uns, und wie unſer beſtes innerſtes Weſen unvergänglich iſt, ſo iſt auch, was der Genius in dieſem Heiligtum gebildet, unverwüſtlich, und auch nicht die Gedanken ſterben, wenn einmal echtes geſundes Leben in ihnen lebte. Viele Zeiten ſind vor uns geweſen, um zwei Zeichen hat die Geſchichte den Tierkreis zurückweichen ſehen in langſam zögernder Bewegung, und auf die vierte Morgen⸗ ſtunde deutet der Zeiger an der großen Sternenuhr, der in einem Menſchenalter nur um zwei Minuten rückt. Wie der Tau fallend ſich in die Berge zieht und dort zum Strom zuſam⸗ menrinnt, und wie die Ströme dann wieder als Tau auf in Lüfte ſteigen, ſo ſind die Generationen vor uns ins Grab hinabgeſtie⸗ gen und verjüngt wieder aus den Gräbern auferſtanden; aber ehe ſie der Verwandlung ſich hingegeben, ehe ſie die Grabes⸗ lampe gezündet, haben fie dem Erze, dem Steine und dem Bud): ſtaben anvertraut, was ſie gelebt, gebildet, errungen und erfah⸗ ren; eine dunkle Ahndung ergreift uns mit wunderbarer Ge⸗ walt, wenn wir den geheimen Sinn zu entziffern uns beſtreben: es iſt, als ob unſere Erinnerung ihre Mutter gefunden hätte; es iſt, als ob die Sterne wieder uns erſchienen, die in der Dunkel⸗ heit geleuchtet, als unſere Kindheit aus der Nacht hervorgegan⸗ gen war; wir haben den Geiſt in uns geſogen, ſo will es im innerſten Gemüt uns dünken, der jene Züge formte, wir ſelber haben ſie uns ſelber zum Andenken in den Stein gegründet, es iſt unſere eigene dunkele, verſchleierte Vergangenheit, die uns

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begrüßt; die Aurora des jungen Tages fiehf die Abendröte des vergangenen noch am weſtlichen Himmel ſtehen. Das iſt der wunderſame Zauber, den das Alte übt, tiefer noch als das An⸗ denken unſerer Kindheit regt es uns; wie die ferne Zukunft im Schoße des Weibes dunkel ſich und ſchweigend regt, ſo liegt auch die Ahndung der Vergangenheit wie ein verborgener Keim in uns, den die Geſchichte erſt befruchten muß, und das alte Leben durchbricht in ihr des Grabes Schranken und erſcheint wie ein abgeſchiedner Geiſt dem neuen Leben, und das alte Leben iſt ein Schatten nur, der unten im Hades wohnt, die Seele aber wohnt oben in der Gegenwart und kämpft raſch und tätig fort. Alle aber drängt die innere bildende Kraft ſie weiter, oben in der Blüte wohnt ewig neu die Jugend, unten aber an der Wurzel arbeiten ſtumm und ſtill die unterirdiſchen Naturen, und das Alter ziehen ſie zu ſich nieder und zerreiben zu neuem Lebensſafte, was ſich ſelber nicht mehr erhalten mag. Darin liegt der Grund der religiöfen Gefühle, die das Altertum in uns erweckt; auf dem Grabeshügel der Vergangenheit wer— den wir geboren; wie eine Feuerflamme iſt das Leben durch die Erde durchgeſchlagen, aber die Tiefe nur gibt der Flamme Nah— rung, und unten wohnt in dunkler Höhle die Sibylle und hütet die Mumien, die zur Ruhe gegangen ſind, und ſendet die an— dern hinauf, die aufs neue in des Lebens Kreiſe treten, und läutet die Totenglocke, die dumpf aus der Tiefe den Geſchlech— tern ruft, die niederſteigen ſollen in das nächtlich dunkle Reich.

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung‘

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Jakob Böhme / Aus ſeinen Schriften

In Gottes Geheimnis hats keine Doktores, ſondern nur Schüler. Vierzig Fragen von der Seele Ich trage in meinem Wiſſen nicht erſt Buchſtaben zuſammen aus vielen Büchern; ſondern ich habe den Buchſtaben in mir: liegt doch Himmel und Erde mit allem Weſen, dazu Gott ſelber,

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im Menſchen. Soll er denn in dem Budye nicht dürfen leſen, das er ſelber ift? Wenn ich gleich kein ander Buch hätte als nur mein Buch, das ich ſelber bin, ſo hab ich Bücher genug; liegt doch die ganze Bibel in mir. So ich Chriſti Geiſt habe, was darf ich denn mehr Bucher? Soll ich wider das zanken, das außer mir iſt, ehe ich lerne kennen, was in mir iſt? So ich mich ſelber leſe, ſo leſe ich in Gottes Buch, und ihr, meine Brüder, ſeid alle meine Buch⸗ ftaben, die ich in mir leſe; denn mein Gemüt und Wille findet euch in mir. Ich wünſche von Herzen, daß ihr mich auch fin⸗ def... Aber ihr ſeid trunken und gehet irre und ſuchet den Schlüſſel zum Buch und zanket um den Schlüſſel. Ein jeder ſpricht: ich habe den Schlüſſel; und keiner will ſein eigen Lebens⸗ buch aufſchließen. Es hätte ein jeder den Schlüſſel zu Gott in ſich, ſuchte er ihn nur am rechten Orte. Aber ihr wollet lieber zanken, als daß ihr den Schlüſſel in euch ſuchet; darum ſeid ihr blind alle, die ihr zanket; ihr gehet nur als vor einem Spiegel ſuchen. Warum gehet ihr nicht ins Zentrum? Mit ſolchem Suchen findet ihr den Schlüſſel nicht, ſeid gleich gelehrt, als ihr wollet: es hilft nichts.

Zweite Schutzſchrift wider Balthaſar Tilke

Es iſt alles magiſch; was der Wille eines Dinges will, das empfähet er: eine Kröte nimmt nur Gift an ſich, wenn fie gleich in der beſten Apotheke fäße, desgleichen auch eine Schlange; ein jedes Ding nimmt nur ſeiner Eigenſchaft in ſich: und obs guter Eigenſchaft Weſen äße, ſo machets doch alles in ſich zu ſeiner Eigenſchaft. Obgleich eine Kröte Honig fräße, wird es doch in ihr zu Gift. Wie denn der Teufel ein Engel war; als er aber nichts Gutes wollte, ſo ward ihm ſein himmliſch Weſen doch zum Höllengift und blieb fein böſer Wille einmal böſe wie das andre.

Alſo iſt uns hoch zu betrachten unſer Leben, was wir wollen tun und fürhaben; wir haben Böſes und Gutes in uns: in welchem wir unſern Willen ſchöpfen, deſſen Eſſenz wird in uns rege; und ſolche Eigenſchaft ziehen wir auch von außen in uns. Wir haben beide Myſteria, Göttlich und Teufliſch, in uns, von

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beiden ewigen Welten und auch der äußern Welt; was wir aus uns machen, das ſind wir; was wir in uns erwecken, das iſt in uns rege. Führen wir uns zum Guten, ſo hilft uns Got— tes Geiſt; führen wir uns aber zum Böſen, fo hilft uns Gottes Grimm und Zorn. Was wir wollen, deſſen Eigenſchaft kriegen wir einen Führer und dahinein führen wir uns. Iſts doch nicht der Gottheit Wille, daß wir verderben, ſondern ſeines Zorns und unſer eigen Wille.

Alſo verſtehen wir, wie ein Leben verderbe, wie aus Gutem ein Böſes werde und aus Böſem ein Gutes, wenn ſich der Wille

umwendet. Von ſechs theoſophiſchen Punkten

Es wird alles von dieſer Welt vergehen. Die Erde wird ver— ſchmelzen, alle Felſen und Elementa, und wird nur das bleiben, das Gott haben wollte, um welches willen er dieſe Welt hat

geſchaffen. Vierzig Fragen von der Seele

Dieſer Welt Weſen ſtehet im Böſen und Guten, und mag eines ohne das andere nicht fein; aber das ift das große Übel dieſer Welt, daß das Böſe das Gute überwiegt, daß der Zorn ſtärker darinnen iſt als die Liebe: und ſolches aus Urſachen der Sünde des Teufels und der Menſchen, welche die Natur durch die falſche Begierde erreget haben, daß ſie mächtig im Grimme qualifiziert als ein Gift im Leibe.

Sonſten, fo die Natur in ihren Geſtälten, in gleichem Ge- wichte, in der Eigenſchaft ſtünde in gleicher Konkordanz, ſo wäre eine Eigenſchaft vor der andern nicht offenbar; es wäre Hitze und Kälte in gleichem Gewichte in der Qualifizierung, ſo wäre das Paradeis noch auf Erden; und obs nicht außer dem Menſchen ware, fo wäre es aber im Menſchen. So feine Eigen: ſchaften im gleichen Gewichte ſtünden, fo wäre er unzerbrech⸗ lich und unſterblich.

Das iſt der Tod und Elend der Menſchen und aller Kreaturen, daß die Eigenſchaften ſtreitig und eine jede in ſich ſelber er: hebend und in eigenem Willen qualifizierend iſt, davon Krank⸗ heit und Wehe entſtehet. Mysterium magnum

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Adalbert Stifter / Der Prater

Wenige Hauptſtädte in der Welt dürften fo ein Ding auf: zuweiſen haben wie wir unſern Prater. Iſt es ein Park? „Nein.“ Iſt es eine Wieſe? „Nein.“ ft es ein Garten? „Nein.“ Ein Wald? „Nein. Eine Luſtanſtalt? „Nein.“ Was denn? Alles dies zuſammengenommen. Im Oſten der Stadt Wien liegt eine bedeutende Donauinſel, urſprünglich ein Auland, wie ſo viele Inſeln der Donau, wo ſie Flachland durchſtrömt, aber im Laufe der Zeit zu einem reizenden Gemiſche geworden von Wieſe und Wald, von Park und Tummelplatz, von menſchen⸗ wimmelndem Spazierplan und ſtillſter Einſamkeit, von lärmen⸗ dem Kneipegarten und ruhigem Haine. Viele Wiener mag es geben, die die Reize und Schönheiten ihres Praters nicht kennen, wenn er auch noch ſo beſucht iſt; denn ſo betäubend das Gewimmel an einigen Stellen, beſonders zu gewiſſen Zeiten iſt, ſo einſam, wie in der größten Einöde, iſt es an andern, ſo daß man wähnen ſollte, wenn man dieſe Wieſen und Gehölze entlang ſchritte, müſſe man eher zu einer artigen Meierei ge⸗ langen als zu der rieſenhaften Reſidenz einer großen Monar⸗ chie; -aber gerade die rieſenhafte Reſidenz braucht einen rieſen⸗ haften Garten, in den ſie ihre Bevölkerung ausgießt und doch noch Teile genug leer läßt für den einſamen Wandler und Be: obachter - und wohl uns, daß wir den Prater haben. Der Wie⸗ ner weiß das ſehr gut, und wird er auch zuweilen etwas un= dankbar gegen ſeinen Prater, wie zum Beiſpiel in den heißen Sommermonaten, ſo iſt er zu andern Zeiten demſelben deſto überſchwenglicher zugetan, zum Beiſpiel im Frühling, und na⸗ mentlich an beſtimmten Tagen, wo es bon ton iſt, in den Pra⸗ ter zu fahren, und wer dies nicht kann, wenigſtens zu gehen. Der erſte und zweite Mai ſind ſolche Tage, dann auch noch der Oſtermontag und Pfingſten. Einen ſolchen Pratertag denke dir nun, entfernter Leſer, und folge mir im Geiſte dahin, und laß dir auf dieſem Papiere deuten, was wir ſehen.

Es iſt der erſte Mai, etwas nach vier Uhr nachmittags, und gerade auch Sonntag und der heiterſte Himmel.

Wir gehen über die Ferdinandsbrücke in die Vorſtadt Leopold⸗

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ſtadt und wenden uns gleich rechts gegen die Jägerzeile, die zum Prater führt; die ganze ſchöne ungemein breite Straße iſt bedeckt mit einem ſchwarzen Strome von Menſchen, ſo dicht wellend, daß, wenn man jemanden ſagte, er bekomme ein Her— zogtum unter der Bedingung, daß er die ganze Straße entlang gehe und an keinen Menſchen ſtreife, er ſich dasſelbe nicht ver— dienen könnte. Mitten in dieſem Menſchenſtrome, wie Schiffe im Treibeiſe, gehen die Wagen, meiſt langſam, oft aufge— halten und zu vielen Minuten lang ganz ſtilleſtehend, oft aber, wenn die Wagenlinie Luft bekommt, aneinander hinfliegend wie glänzende Phantome an der ruhiger wandelnden Menge der Zuſchauer. Hie und da hervorragend aus dem Meere der Fuß— gänger, bald hin, bald her der Wagenreihe vorüber, hüpfen die Geſtalten der Reiter, und die meiſt prachtvollen Häuſer die— ſer Straße ſtehen zu beiden Seiten ruhevoll aus dem ſchieben— den Menſchengewimmel empor, und ihre Fenſter und Balkone find beſetzt mit unzähligen Zuſchauern, um den glänzenden Strom unter ihren Augen vorüberfluten zu ſehen und ſich an Pracht und Schimmer und Flitter zu ergötzen; meiſt ſind es Damen, die, in alle Farben gekleidet, in dies Frühlingstreiben ſelber wie leibhaftige blühende Frühlingsgeſträuche von den Fenſtern herniederſchauen. Man ſollte meinen, die ganze Stadt ſei um dreiviertel auf vier Uhr närriſch geworden und wandle nun in ihrer fixen Idee da gerade dieſe Straße hinab, und du und ich, geliebter Fremdling, wandeln auch mit. Dort durch den Staub herauf von der Offnung der Straße blicken ſchon die hohen Bäume des Praters, dem wir alle zuſtrömen, als würde dort das ewige Heil ausgeteilt. Endlich iſt die lange Jägerzeile doch zu Ende, und die Straßen fahren wie in einem Sterne auseinander, und der Menſchenknäuel lüftet ſich. Fähnlein auf hohen Stangen wehen und weiſen dem Wanderer verſchiedene Wege; das zu unſerer Linken trägt auf ſeiner flatternden Zunge hoch in den Lüften den Namen „Ferdinands-Nordbahn', und wirklich fliegen auch Wagen, dicht mit Menſchen beſetzt, dem links ſtehenden Gebäude des Bahnhofes zu, wo ſchon die Feuer— roſſe pfeifend und ſchnaubend ſtehen, um eine endlofe Wagen: reihe hinaus in das Marchfeld oder gar nach Brünn zu führen,

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das durch die Schnelligkeit diefer Roffe zu einer unferer Bor: ſtädte geworden iſt. - Das mittlere Fähnlein weiſt zur Schwimm⸗ ſchule, die auch heute ihr Eröffnungsfeſt feiert, - das dritte trägt den Namen „Nador“ oder ‚Sophie‘ oder einen andern, und ein gewaltiger Arm weiſt die Zufahrt zu dem Dampfſchiffe; weiter rechts auf dem Raſenplatz ſtehen die hölzernen Hütten der Menagerieen, und auf rieſengroßen Leinwanden ſind die Ungeheuer noch fürchterlicher gemacht, als ſie ſelbſt drinnen zu ſchauen ſind, und dieſe Gemälde und dies exotiſche Schreien und Pfeifen und Girren und Brüllen im Innern lockt die Leute, daß vor dem Eingange ſtets ein dichtes Gedränge iſt und in den glänzenden Blicken der Kinder und der Landmädchen ſich ſchon das lebhafte Verlangen malt, zu ſehen, was denn drinnen iſt. Auf dem Raſenplatze ſtehen auch noch Buden mit Früchten und Gebäcke, ein Kroate mit Schwamm und Feuerſteinen, ein Mann mit Spazierſtöcken und einer mit einem Leierkaſten und einem Hund darauf, der gar aufrecht ſtehen und mit dem Schwerte in ſeiner Pfote ſchultern kann. Aber all dieſen Din⸗ gen vorüber geht der hauptſächliche Menſchenſtrom in die ſo⸗ genannte Hauptallee hinein; denn dort iſt heute die höchſte und hohe und niederſte Wiener Welt zu ſehen - mas an Pracht der Kleider, der Equipagen und Dienerſchaft nur immer Laune und Reichtum erſinnen konnten, iſt heute in der Hauptallee zu ſehen. Zu beiden Seiten ſind ſchattige Alleen, eine für die Fußgänger, die andere für die Reiter; mitten in der Straße fahren die vie⸗ len faufend Wagen, einer hart an dem andern, der Sicherheit wegen auf einer Seite hinab, auf der andern hinauf, und die⸗ ſen Kreis machen viele oft mehrmals, um zu ſehen und geſehen zu werden, - das iſt denn nun eigentlich der Ort, wo ſich augen⸗ betäubend Farbe an Farbe drängt, Reiz auf Reiz, Pracht auf Pracht, Maſſe an Maſſe, Bewegung auf Bewegung, ſo daß dem ſchwindelt, der es nicht gewohnt iſt. Zu beiden Seiten der Straße ſtehen dicht gedrängt die Zuſchauer, und hinter ihren Rücken wogt der bunte Strom der Spaziergänger, während in der Mitte Wagen an Wagen rollt, eine glänzende, ſchimmernde Linie, wohl über eine halbe Meile lang. Dort ſchwebt in ihrem Wagen, der ſo leicht wie ein Luftſchiff geht, die Dame des

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höchſten Standes vorüber, prachtvoll einfach gekleidet, mit me: nigen, aber koſtbaren Schmuckſtücken geziert, gleich hinter ihr die Familie eines reichen Bürgers, dort ein Wagen voll fröh: licher Kinder, die ihres Staunens und Jubelns kein Ende fin— den über die Pracht, die ſie umſchwebt, hier kommt ein Mann, ganz allein in ſeinem Wagen ſtehend und mit den vier unver— gleichlichen Pferden zum erſten Male paradierend; jetzt ſpren— gen Reiter vorüber und grüßen in einen Wagen, aus dem die ſchönſten Antlitze entgegennicken, dort ſitzt ein einſamer alter Mann in ſeiner ſchweren Karoſſe, er iſt in feines Schwarz ge— kleidet und trägt viele winzig kleine Kreuzlein auf ſeiner Bruſt, dann kommt ein Fiaker mit ſeligen Kaufmannsdienern oder Studenten- dann andere und wieder andre, und vor den Augen tanzt es dir vorüber, als wollte es ſich nie erſchöpfen und aus Glanz und Schimmer wieder Glanz und Schimmer quellen, und wie es auch ſo treibt und wallt und quillt, ſo ſiehſt du doch dort ein Schauſpiel, wie es nur der Prater bieten kann; ganz nahe an der geputzten Menge ſteht ein Hirſch, das ſtattliche Geweih zurückhaltend und mit den dummklugen Augen in das Gewühl glotzend; er hat es wohl oft geſehen, aber ſo toll nicht wie heute, darum ſchaut er auch einige Augenblicke und geht dann wieder abſeits in ſeine Auen zurück; auch von den Menſchen wundert ſich keiner, denn ſie wiſſen es ja, der Prater iſt für die Hirſche und Spaziergänger. Und fort flutet es und fort- und wie auch die Pracht der Gewänder, die Schönheit der Pferde und Wagen, das Wallen der Federn, das Blitzen der Geſchmeide dein Auge blenden, ſo taucht doch, und nicht ſelten geſchieht es, in dem Gewimmel oft ein Antlitz auf, das alles vergeſſen macht, wie es in ſeiner ſanften Schönheit deinem Auge vorüberſchwimmt, daß du ihm gerne nachſchaueſt und es dir öfter iſt, als wäreſt du ärmer, da es vorüber. Warte nur, Wien iſt fo dürffig nicht an Frauenſchön⸗ heit, es kömmt vielleicht bald wieder ein gleiches oder gar noch ein ſchöneres. Sieh, was reißt dort alles die Hüte ab die ganze Linie entlang? Sechs Schimmel ziehen einen ſchönen Wagen - mer fit darinnen? Der Kaiſer und die Kaiſerin. Du wun⸗ derſt dich? Haſt du dies in Paris nicht geſehen? Hier grüßt man und ſtaunt nicht, daß ſie wie Private unter Privaten fah⸗

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ren; man ift es gewohnt, und fie wiſſen, daß fie im dichteſten Volksgedränge fo ficher find wie in ihrem Palafte. - Schau, auch der Held von Aſpern ift da; ſiehſt du, jener ſchwarze Mann iſt es, der mit einem andern in der Reitallee geht und den alle grüßen - und warte nur, gewiß ſehen wir auch noch an⸗ dere aus dem hohen Haufe, wie fie das heutige Vergnügen tei⸗ len und mitgenießen. Dort fährt er hinab, der Sechsſpänner, und fügt ſich in die heutige Wagenordnung ebenſo wie dieſer Fiaker, der eben mit feinen zwei mühſeligen Braunen vorüber⸗ keucht.

Doch laß uns nun die Allee hinabgehen und dann auch ſeit⸗ wärts, um zu ſehen, was der Prater noch zu bieten hat außer dieſer ſinnbetörenden Flut von Geſichtern, Kleidern und Equi⸗ pagen. Aber wie wir immer tiefer und tiefer hinabkommen, iſt es, als würde es immer ärger; der Knäuel wird dichter und ruhiger. Links am Wege ſtehen Reſtaurationshäuſer, die ſo⸗ genannten Praterkaffeehäuſer; aus ihnen erſchallt Muſik; un⸗ ter den Bäumen ſtehen viele tauſend Seſſel, überwuchert mit geputztem Menſchengeſtrüppe, - das redet, das lacht, das brauſt, das klingelt an die Gläſer, ruft nach Kellner und Marqueur und borüber den Augen auf und ab haſpelt ſich dasſelbe Ziehen und Rollen der glänzenden Wagen, und ſo weit das Auge ſchaut, iſt es, als nehme die Allee kein Ende.

So wie ſich hier die gewähltere Geſellſchaft treibt, ſo treibt ſich weiter links das eigentliche Volk. Ihm iſt aber bloßes Spa⸗ zierengehen oder Fahren weitaus nicht genug, ſondern es ver⸗ langt nach reelleren Freuden, und dieſe nun ſind rings und überall ausgebreitet. Trete hier links heraus aus dem Strome der Hauptallee - ein großer Raſenplatz, mit uralten Bäumen beſetzt, nimmt uns auf, und auf ihm herumgeſtreut liegen alle die Anſtalten zum Vergnügen des Volkes; da ſind alle mög⸗ lichen Kosmo⸗, Panoz, Dioramen; alles, was je berühmt war, ſteht von Wachs in jener Hütte. Einer läßt ſich ſehen, weil er zu groß, ein anderer, weil er zu klein iſt; einer frißt Feuer, ein anderer ſpeit Seidenbänder, und auf der Bruſt eines dritten wird wie auf einem Amboß ſchrecklich gehämmert, und darunter ſchallt das Klopfen und Klingeln des Wurſtls, der in ſeiner

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hohen ſchmalen Bude eben wieder fein neues Spiel beginnt; dort um die Kneipe herum ſchießt der dichte Salpeter der Trink⸗ gäſte an, ſo faſt, daß man meint, die arme Hütte könne ſich inmitten der Leute nicht ruͤhren. Einer oder zwei ragen über die andern empor und ſpielen Szenen von einer Bühne herab, die geprieſen und belacht werden, auf der andern Seite des Bau: mes deklamiert einer, und der Harfeniſt reißt wütige Töne auf den Saiten, um mit dem Geſange ſeiner Begleiterin durchzu— dringen, und dicht neben ihm werden Limonien und Pfeifen ausgeſpielt, während von etwas ferner die ſchwachen Töne eines Leierkaſtens herüberklingen, und mit den Gläſern wird geklopft, und es wird gerufen, und Spaziergänger und Zu— ſchauer winden ſich durch das Wirrſal - und wendeſt du dich ab, ſo ſteht dort unter noch größeren Bäumen wieder eine ſolche Kneipe und rechts wieder eine und weiter ab wieder eine - und überall ift dasſelbe Bild oder noch ein lebhafteres - und eine Muſik ſchallt durch die Zweige, fie heißt nicht umſonſt die tür— kiſche - die große Trommel eilt und tummelt ſich, und ein Ge— ſchimmer iſt darunter, als wäre eine Meſſingbude närriſch ge— worden, und zu dem Geſchwirre fliegen Reiter in einem Kreiſe auf hölzernen Roſſen herum und ſtoßen Türkenköpfe herab und anderes. Da freut ſich nicht nur der Knabe des fliegenden Kreiſes, ſondern auch der Handwerksgeſelle hat ſeine Geliebte hergebracht, und ſie prangt in einem der kreiſenden Wagen, und er ſticht Türken - und die genug haben, oder denen übel gewor⸗ den iſt, gehen fort, und neue Gäſte ſteigen ein, und mit neuer Kraft erſchwingt ſich die Trommel und der Kreiſel, und wäh— rend des Augenblickes, da ſie ſtill war, ſcholl durch die Bäume herüber von einer andern ſolchen Reiterei diefelbe Muſik. Dort auf mehreren Schaukeln werden ganze Frachten von Menſchen geſchaukelt, daß die Stricke knarren und ſich die Bäume biegen. Andere werden wie echtes Garn abgehaſpelt, und zwei Lie: bende geraten in Zwieſpalt, da ſie ſchon, er aber noch nicht nach Haufe gehen will. - Du befindeft dich, fremder Lefer, wie es hier beſchrieben, mitten in dem ſogenannten Wurſtelpra— ter, der ſeinen Namen von dem Hanswurſt hat, der aber ſchon längſt geſtorben iſt. War der Glanz und Prunk in der Haupt⸗

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allee, der fich doch vergleichungsweiſe ruhig vor deinen Augen entfaltete, ſchon denſelben betäubend, ſo iſt es zwar hier nichts weniger als auf Glänzen und Prunken abgeſehen, aber wenn du dieſes Elementes nicht gewohnt biſt oder mächtig werden kannſt, ſo zerrüttet es dir die Vernunft, und ich kannte einen ernſthaften Herrn mit ſchwachen Nerven, der hielt ſich den Kopf, weil er behauptete, er fühle es, wie ihm die Knochen auseinandergehen aber ſieh! das ijt echte geſunde Volksluſt, die ſich das Volk ſelber gibt und die ihm wohl bekommt; laß ſie trollen und jubeln, und mitunter derb; denn dieſe da brau⸗ chen den Wein der Freude etwas ſtark und ſauer, weil er die ganze folgende dumpfe Arbeitszeit nachhalten muß, die ſie zu überftehen haben, bis wieder ein Feſt kommt wie das heutige - darum freut ſich auch der Arbeiter wochenlang darauf, und er ließe es nicht aus, er läge denn auf dem Sterbebette - und ich denke, da ſchon ein guter Teil der Menſchen dazu verurteilt iſt, namentlich in der Stadt, ſeine meiſte Lebenszeit in dumpfen engen Werkſtätten zuzubringen mit einem dumpfen engen Geiſte, ſo darf man es ihm wohl gönnen, ja, man ſoll ihn dazu er⸗ muntern, daß er auch einmal ſein Auge auftue, ſeine Seele er⸗ weitere und Luft und Freude walten laſſe. - Iſt dem Krittler dieſe Luft und Freude nicht zuftändig oder zu roh, fo bedaure er lieber, ſtatt zu ſchelten, daß eben die Lage des Mannes ihm nicht erlaubte, ſich in ſeiner Jugend ſo heranzubilden, daß ihm höhere Freude munde. Zerſtöre ihm nicht die Luft, o Krittler, mit deinem eſſigſauren äſthetiſchen Geſichte; geh lieber weg - oder bleib ſtehen, ſie ſchauen dich ohnehin nicht an. Ein luſti⸗ ges Volk iſt auch ein gutes Volk, und das wiſſen wir hier am Donauſtrande recht wohl, und es freut uns, daß es gerade bei uns ſo iſt, und Arbeit und Luſt, und Luſt und Arbeit, das miſcht ſich ſo bei dem Wiener, daß du nicht weißt, iſt das eine oder das andre die Hauptſache - es mögens wohl beide fein du kennſt es ja, das luſtige Volk der Fajaken, immer iſt Sonn⸗ tag, ‚es dreht ſich immer der Braten am Spieß'.

Weile noch einige Augenblicke hier, du weißt, Wien iſt die Stadt der Muſik - daher auch hier Muſik genug: fürkifche, der Leiermann, der Harfeniſt und Bänkelſänger, ſchwärmeriſche

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Handwerksgeſellen mit Gitarren, dort zwei Jungfrauen, die eine Romanze abſingen, ewig um eine Quint voneinander ab⸗ ſtehend wie zwei parallele Linien - heimkehrende Freundſchafts— ketten, die den Rinaldo Rinaldini fingen - hie und da in den Händen eines Knaben eine Harmonika - - und nun kommen auch noch die Zigeuner, ſeltſame ſtarre Geſellen, ein Traum aus einer urfrühen Zeit der Weltgeſchichte, übrig gebliebne Ge— ſtalten, unberührt von der Gegenwart; darum wirſt du gleich hören, wie fie, und wären fie (chon ein Menſchenleben lang im Prater geſeſſen, dennoch unberührt von dem Geiſt und der Weiſe unſerer Töne ihr uraltes Klingen anheben, feurig melan— choliſch, wie ihr Auge, und phantaſtiſch verworren hinſchlür— fend, wie der Faden ihrer Geſchichte durch die andern Schick— fale der Welt - und in den höher ziehenden Tönen ihrer Geige iſt ein Klagen und Trotzen, daß es mir immer unheimlich wer— den will, mich aber dennoch nicht fortläßt von dieſer eigen— tümlich exotiſchen Poeſie. Dazu, ſieh nur einmal den an, der die erſte Violine ſtreicht, und den, der das Zymbal ſchlägt, wie der eine den Bogen führt und zieht, faſt graziös, wie ein Virtuoſe, und wie der andere die Klöppel handhabt, und beide ſo ernſt und faſt traurig das Weiß der Augen vordrehen aus den tiefbraunen Geſichtern - und wie es auch lärmt und wogt und muſiziert ringsherum, ſo macht ſich ihre Muſik doch Platz - als ein fremdes Element und ſchreit und ſingt aus der andern heraus, erkennbar auf ſo weit, als man überhaupt noch Töne vernehmen kann.

Sie werden immer toller und toller und ſtreichen und ſtreichen, daß die Töne wie Raketenſtreifen ſteigen. - Jetzt iſt der Wirr— warr erſt vollendet, der Menſchen werden immer mehr, auch Equipagen kommen, um zuzuſchauen; der Wein beginnt zu wirken; ſingende Stimmen erheben ſich hier und dort nur zwei Gäſte ſind ganz ſtill und freundlich: die liebe Abend— ſonne, die ihr Licht durch den rötlichen Staub und um alle Menſchenantlitze gießt, und die zarten Laubknoſpen auf den rieſenhaften Bäumen, die die laue Lenzluft empfinden und ſich ſtündlich wohler fühlen und größer werden.

Laß uns noch weiter abwärts gehen - ſiehſt du, wie groß unfer

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Prater, unſer Wiener Garten ift - ſchon längft hörſt du keine Muſik mehr, kein Rollen der wirklich mehr als tauſend Wa⸗ gen, die in der Hauptallee fahren - die laute hohe Woge der Menſchenluſt hat dich entlaſſen, und hier iſt es bereits ſo ein⸗ ſam wie in einer abgelegenen Waldwieſe. Laß uns am Saume des Waſſers fortgehen. Auf jener Inſel weidet ruhig ein Hirſch, und die vielen Spuren im Lehmboden des Ufers zeigen, wie fie oft herdenweiſe hinüͤbergehen; noch weiter draußen an der Spitze der bebuſchten Inſel ſteht eine Rinderherde, und es iſt, als hörte man einzelne Klänge ihrer Glocken über das Waſſer herüberſchlagen, aber es iſt Täuſchung; die Donau iſt hier ſo breit, daß die Tiere nur wie kleine verſchiedenfarbige Lämmer herüberſchauen. Wie wohltuend und ſanft iſt die Stille und die weiche Frühlingslandſchaft auf das Getümmel, das wir eben verlaſſen haben! Faſt kein Menſch mehr ſtört uns hier, und jener einzelne Fiſcher, der den erſten Mai dadurch feiert, daß er mit einer unerhört langen Rute unbeweglich am Waf- ſer ſteht, iſt eher eine zur Landſchaft gehörige Staffage als eine Störung. Immer weiter führt unſer Weg abwärts, und jener ferne glänzende Turm, der über die Auen herüberblickt, bezeichnet ſchon ein Dorf, das über eine Meile unterhalb Wiens liegt, Ebersdorf. Hier ſtehſt du am Geſtade der ganzen vollen Donau, und dort, wo jene Mühlen ſich drehen, die ſogenann⸗ ten Kaiſermühlen, da iſt der Platz, an dem die Dampfboote landen, die ſtromabwärts gehen, und weiter hinab wird es immer ländlicher und einſamer. Es iſt ſeltſam, daß man ſo viele Wiener über die Stadt klagen hört und wie es ſo ſchön und herrlich um einen Spaziergang auf dem Lande fei - und in einer Nähe wie keine Hauptſtadt haben ſie einen Park voll reizender Abwechſelung, und ſo wenige beſuchen ihn; und gerade die ſchönſten, weil natürlichſten Stellen ſind am aller⸗ wenigſten beſucht. Wir wandern nun auf ſchmalen Pfaden durch Gebüſche, treten jetzt auf Wieſen heraus, mit großen ſchönen Bäumen beſetzt: die Abendſonne ſtreift mit roten Fä⸗ den durch Laub und Zweige, und die Amſel und der Fink ſchlagen ihr friſches Lied; der Haſe läuft durch das Gras; von der großen Stadt iſt nicht ein Pünktchen ſichtbar, und

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Adalbert Stifter: Wiener Streichmacher

es wird uns ſchwer zu glauben, daß wir noch vor einer halben Stunde im dichteſten Gewühle waren. - Dieſe Rüſtern und Silberpappeln, den Lieblingsbaum der Donauinfeln, würdeſt du wohl kaum irgendwo anders in ſolcher Größe und Statt— lichkeit antreffen als hier, wo er fo gefchont wird, daß man keinen ſchlägt, als bis er geſtorben iſt, ſo daß er ſich aus— breiten und entwickeln kann und in dieſem lockern und fetten Boden bis zur Grenze ſeines höchſten Alters gedeihen mag. Der Wiener liebt aber auch dieſen ſchönen rieſengroßen breit— kronigen Baum ſeiner Heimat gar ſehr, und ich würde es keinem raten, daß er in Gegenwart von Spaziergängern einen dieſer Bäume beſchädigte. Da ſie auf dem auserleſenen Boden vereinzelt ſtehen, ſo ſind ſie dem Städter ein wahres Kleinod geworden; der Spaziergänger geht von Schatten zu Schatten, der Meditierende, der Grübler, der Philoſoph, der Leſefreund ſetzt ſich an dem Stamme nieder und verſinkt in ſeine Gedanken oder in ſein Buch; der ermüdete Arbeiter und der Tagedieb ſchlummern im Schatten; zu ihnen geſellt ſich der wüſte Geſelle, der die geſtrige Orgie ausſchlafen muß; ſo geht der Wandler an allen vorüber und ſtört ſie nicht weiter; der Künſtler ſitzt mit ſeiner Mappe auf ſeinem nie— dern Feldſtuhle und zeichnet oder malt einen Baum oder eine Gruppe; und es wird wohl kaum ein einziges Portefeuille ſo— wohl des Künſtlers als des Anfängers in Wien geben, in welchem ſich nicht ,Partieen aus dem Prater“ befänden, und da tritt denn gerne der neugierige Wandrer oder die Dame, die ſich, ihren Wagen abſeits warten laſſend, eben auf dem Rafen ergeht, an den Rücken des Malers heran und ſchaut ihm auf ſein Blatt, ob er denn den prächtig ſchönen Baum auch ſo prächtig auf ſeine Tafel zu bringen vermag; ſie gehen vorüber, und andere kommen, aber der Maler malt fort, die Schläfer ſchlafen, die Grübler grübeln fort die Kindsmagd kommt und breitet ihr blütenweißes Leinenzeug auf den Raſen und ſetzt ihre Kleinen in die Sonne und Luft oder an den Stamm eines Baumes; indes iſt aber Sonnen⸗ ſchein und Himmelsbläue, und ein Weſtlüftchen, das über die heiße Stadt gekommen war, wundert ſich hier, daß es friſches

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Waldgrün getroffen hat, und blättert gerne in den Zweigen der Silberpappel.

Solche ſtille feierliche Zeit im Prater iſt meiſtens an ſchönen Frühlings- und Sommervormittagen und tiefer unten, wo ſein ſtädtiſcher Zuſchnitt aufhört.

Aber, lieber Fremdling, laß uns nun wieder umkehren auf unſerer empfindſamen Wanderung und gleich jenen einzelnen Paaren und Wallern wieder das Menſchengewühl und end⸗ lich die Stadt ſuchen; denn ſieh, die Maiſonne iſt bereits im Untergehen und gießt Blendung und feurigen Rauch um jene Höhen, wo Döbling und Grinzing und Nußdorf liegen und die beiden Schweſterſchlöſſer auf dem Leopolds⸗ und Kahlen⸗ berge, und ſo dir etwa der Abendtau und die Nachtfeuchte des Praters ein Übel zuzöge, ſo wäre es mir ſehr unlieb, da ich es doch eigentlich bin, der dich herabgeführt und in dieſe ent⸗ fernte Einſamkeit verlockt hat. Aber fei getroſt, dort ſehen wir ſchon Wagen, die bis zum Luſthauſe fahren, das auf der Inſelſpitze am Waſſer liegt, und weiter aufwärts werden ſie immer mehr, und ſchon hören wir wieder die Muſik der Kaf⸗ feehäuſer und endlich auch die aus dem Circus gymnasticus ſchallen, dasſelbe Auf- und Abhaſpeln der Wagen und des Glanzes und Pompes in der Hauptallee; dasſelbe betörende und verwirrende Klingen und Schmettern aus dem Wurſtl⸗ prater herüber; dasſelbe Wogen und Wallen der Menge, wie wir es verlaſſen, daß du dich ermüdet ordentlich wegſehnſt aus dieſem Menſchenknäuel und daß du meinſt, es müſſen ja alle Bewohner von Wien hier ſein oder im Herabgehen begriffen - aber ſieh zu, wir gehen die ewig lange Allee hinauf, geblendet von der Abendröte, die in unſer Geſicht ſtrahlt; jetzt ſtehen wir wieder an der Jägerzeile, und du ſiehſt ſie vollgepfropft von Menſchen, die faſt alle hinauf gehen - eine Maſſe dunkler Geſtalten, die vor deinem geblendeten Auge in Staub und Abendröte ſchwimmen, während die Sen: ſter an der Seite eine Reihe von goldnen Blitzen werfen. Er⸗ müdet und betäubt und zerſchlagen langen wir endlich von die⸗ ſer Partie an, die wir mit ſolchem Ergötzen begonnen haben, beide eine und dieſelbe Sehnſucht empfindend fie ſoll auch be⸗

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friedigt werden, komm mit mir; in einem kühlen luftigen Zim: mer meiner Gartenwohnung wartet meine Gattin auf uns und hat ſchon auf den gedeckten Tiſch geſtellt, was uns not tut: eine bekannte Wiener Lieblingsſpeiſe, gebackene Hühner mit dem zarteſten Salate, und ein nicht gar beſcheidenes Fläſch— chen alten Nußberger. Erquicke dich, rede noch eines mit uns, und dann geh zu Bette, aber hab acht, daß dich nicht Träume wecken und du dich etwa mit dem Bette im wahnſinnigen Menſchenkreiſel gedreht findeſt oder in demſelben als einer gewaltig lächerlichen Equipage im Prater auf und ab ſchwimmſt, etwa gar im Hemde, was dich ſehr kränken würde.

Gute Nacht. Aus dem ſechſten Band von Stifters Geſammelten Werken

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Schiller / Pompeji und Herkulanum

Welches Wunder begibt ſich? Wir flehten um trinkbare Quellen, Erde, dich an, und was ſendet dein Schoß uns herauf! Lebt es im Abgrund auch? Wohnt unter der Lava verborgen Noch ein neues Geſchlecht? Kehrt das entflohne zurück? Griechen! Römer! O kommt! O ſeht, das alte Pompeji Findet ſich wieder, aufs neu bauet ſich Herkules' Stadt. Giebel an Giebel ſteigt, der räumige Portikus öffnet Seine Hallen, o eilt, ihn zu beleben, herbei! Aufgetan iſt das weite Theater, es ſtürze durch ſeine Sieben Mündungen ſich flutend die Menge herein. Mimen, wo bleibt ihr? Hervor! Das bereitete Opfer vollende Atreus Sohn, dem Oreſt folge der grauſende Chor! Wohin führet der Bogen des Siegs? Erkennt ihr das Forum? Was für Geſtalten ſind das auf dem kuruliſchen Stuhl? Traget, Liktoren, die Beile voran! Den Seſſel beſteige Richtend der Prätor, der Zeug trete, der Kläger vor ihn. Reinliche Gaſſen breiten ſich aus, mit erhöhetem Pflaſter Ziehet der ſchmälere Weg neben den Häuſern ſich hin.

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Schützend ſpringen die Dächer hervor, die zierlichen Zimmer Reihn um den einſamen Hof heimlich und traulich ſich her. Offnet die Läden geſchwind und die lange verſchütteten Türen, In die ſchaudrigte Nacht falle der luſtige Tag! Siehe, wie rings um den Rand die netten Bänke ſich dehnen, Wie von buntem Geſtein ſchimmernd das Eſtrich ſich hebt! Friſch noch erglänzt die Wand von heiter brennenden Farben Wo iſt der Künftler? Er warf eben den Pinſel hinweg. Schwellender Früchte voll und lieblich geordneter Blumen Faſſet der muntre Feſton reizende Bildungen ein. Mit beladenem Korb ſchlüpft hier ein Amor vorüber, Emſige Genien dort keltern den purpurnen Wein, Hoch auf ſpringt die Barchantin im Tanz, dort ruhet fie ſchlummernd, Und der lauſchende Faun hat ſich nicht ſatt noch geſehn. Flüchtig tummelt ſie hier den raſchen Zentauren, auf einem Knie nur ſchwebend, und treibt friſch mit dem Thyrſus ihn an. Knaben! Was ſäumt ihr? Herbei! Da ſtehn noch die ſchönen Geſchirre. Friſch, ihr Mädchen, und ſchöpft in den etruriſchen Krug! Steht nicht der Dreifuß hier auf ſchön geflügelten Sphinxen? Schüret das Feuer! Geſchwind, Sklaven! Beſtellet den Herd! Kauft, hier geb ich euch Münzen, vom mächtigen Titus gepräget, Auch noch die Waage liegt hier, ſehet, es fehlt kein Gewicht. Stecket das brennende Licht auf den zierlich gebildeten Leuchter, Und mit glänzendem Ol fülle die Lampe ſich an. Was verwahret dies Käſtchen? O ſeht, was der Bräutigam

ſendet, Mädchen! Spangen von Gold, glänzende Paſten zum Schmuck! Führet die Braut in das duftende Bad, hier ſtehn noch die Salben,

Schminke find ich noch hier in dem gehöhlten Kriſtall. Aber wo bleiben die Männer? die Alten? Im ernſten Muſeum Liegt noch ein köſtlicher Schatz ſeltener Rollen gehäuft. Griffel findet ihr hier zum Schreiben, wächſerne Tafeln, Nichts iſt verloren, getreu hat es die Erde bewahrt.

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Auch die Penaten, fie ftellen ſich ein, es finden fic alle Götter wieder - warum bleiben die Prieſter nur aus? Den Caduceus ſchwingt der zierlich geſchenkelte Hermes, Und die Victoria fliegt leicht aus der haltenden Hand. Die Altäre, ſie ſtehen noch da, o kommet, o zündet Lang ſchon entbehrte der Gott zündet die Opfer ihm an! Aus Schillers Werken in drei Bänden

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Gertrud von le Fort / Die Tochter Farinatas

Wenige Monate nach dem Sturz König Manfreds, des Hohenſtaufen, als die verbannten Häupter der Florentiner Wel— fen in ihre Heimat zurückkehrten - fo wie nach der Schlacht von Montalperto die verbannten Gibellinenhäupter dorthin zurückgekehrt waren —, alſo jedermann erkennen mußte, daß der fürchterliche Endkampf dieſer mit jenen unausweichlich heran— nahte, unternahm der herrſchende Popolo von Florenz einen letzten verzweifelten Verſuch, dieſem ſchauerlichen Ringen ſei— ner großen Geſchlechter zuvorzukommen und die feindlichen Parteien buchſtäblich zu Paaren zu treiben. Der Rat der Sechs— unddreißig verfügte: alle jene mächtigen Familien, die ſeit mehr denn einem Menſchenalter gegenſeitig ihr Blut in Strömen vergoſſen hatten, die ſollten jetzt die Ströme ihres Blutes miteinander miſchen und vermählen. Es wurde befohlen, in die Ehe zu treten: einem Sohn der Buondelmonti mit einer Toch— ter der Adimari, einer Tochter der Lamberti mit einem Sohn der Ubaldini, einem Strinati mit einer della Toſa, einer Uguc⸗ cione mit einem Scolari und ſo fort, immer einer Gibellinin mit einem Welfen und einer Welfin mit einem Gibellinen. Alſo ſollte gleichſam über die ganze Stadt hin ein Netz von Brücken geſchlagen werden, von einer mörderiſchen Turmſpitze zur anderen und von Kaſtell zu Kaſtell und von Wehrbruſt zu Wehrbruſt, und überall, wo bisher die Steingewitter der gro— ßen Schleudermaſchinen niedergepraſſelt waren, da ſollten nun die ſanften Friedensküſſe herabtauen, und auf den Treppen zu den ſchaurigen Verlieſen, wo man ſich am Röcheln ſterbender

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Feinde berauſcht hatte, da ſollten künftighin die kleinen Kinder der verſchwägerten Sippen Verſtecken ſpielen.

Die zornig widerſtrebenden Geſchlechter ſuchten einzuwenden: ihre jungen, unvermählten Söhne lägen auf den Schlachtfel⸗ dern begraben, und das Braufvermögen ihrer Töchter habe man in Kriegsgerät verwandeln müfjen - fie brächten keine Paare auf, die ſich dem Alter und der Mitgift nach zuſammen⸗ fügten. Der Rat der Sechsunddreißig erwiderte: die großen Geſchlechter befänden ſich da offenbar in einem Irrtum. Es gehe hier nicht um die klägliche Wohlfahrt und den Fortbeſtand der einzelnen Geſchlechter - alfo um die Hochzeit ihrer Söhne und Töchter und wie dieſelben ſich dem Alter und der Mitgift nach zuſammenfügten -, ſondern es gehe um den Fortbeſtand der Stadt: es gehe um die Hochzeit von Florenz, des welfi⸗ ſchen mit dem gibelliniſchen, und allein zu dieſer Hochzeit ſeien die Geſchlechter eingeladen worden. Wer der Einladung nicht Folge leiſte, deſſen Türme ſollten der Zerſtörung und deſſen Güter der Beſchlagnahmung verfallen, ſein Name ſolle in das Buch der Verbannten eingetragen werden und der Name ſei⸗ ner Kinder in das der künftig zu Verbannenden, desgleichen feine namenloſen Kindeskinder - alles unwiderruflich auf ewige Zeiten. Alſo mußten ſich ja die Geſchlechter zähneknirſchend darein ſchicken, dem verhaßten Popolo Gehorſam zu leiſten und die erzwungenen Eheverträge aufzuſtellen.

Nur die welfiſchen Cavalcanti, die ſich mit den gibelliniſchen Uberti verſchwägern ſollten, gaben noch der Hoffnung Aus: druck wiewohl nur in der Stille unter ihresgleichen —, daß man ihnen ſchwerlich werde beikommen können. Denn für die Cavalcanti lagen die Dinge wirklich ſo, wie die anderen nur vorgaben: ihre ganze unvermählte Jugend beſtand in einem kleinen, noch dem Kindesalter angehörigen Knaben mit Namen Guido. Den Überti aber war ausdrücklich befohlen worden, als beſonders koſtbares Pfand der Eintracht Bice in die Ehe zu geben, die Tochter des großen Farinata, der vor ſechs Jahren in der blutigen Schlacht bei Montalperto die verbannten Florentiner Gibellinen zum Siege über ihre Vaterſtadt ge⸗ führt hatte. - Bice aber ftand ſchon in der hohen Blüte ihrer

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Mädchenjahre. Cavalcante Cavalcanti, der Vater des kleinen Guido, freute ſich bereits auf das Hohngelächter, mit dem die gaffende Menge die Überti, aber auch den Rat der Sechsund— dreißig überſchütten würde, wenn ſie ihn, dieſes Kind an der Hand, die Treppe zum Bargello emporfteigen ſähe - dorthin waren die Geſchlechter entboten worden, um die Eheverträge vor den Notaren zu unterzeichnen und öffentlich zu beſchwören. Aber auch die Überti bereiteten ſich auf das Gelächter der Gaf— fenden vor - mit verhaltener Wut, denn fie glaubten, daß man ihnen durch das kindliche Alter des kleinen Cavalcanti eine be— ſondere Demütigung zugedacht habe, um ihnen darzutun, daß der große Farinata ſeit zwei Jahren tot fei. Und die Uberti waren doch der Meinung geweſen, Farinata werde über ſeinen Tod hinaus zu Florenz leben und herrſchen, denn Florenz ſelber lebte doch nur durch den großen Farinata, der allein hatte es vom Untergang gerettet, eben damals nach der blutigen Schlacht bei Montalperto im Kriegsrat zu Empoli, als die vereinigten Sieger die Gibellinen von Florenz, Piſa und Siena, dazu die Ritter König Manfreds einmütig beſchloſſen hatten, die überwundene Stadt dem Erdboden gleich zu machen, damit endlich Ruhe und ein gibelliniſches Toskana werde auf ewige Zeiten.

Von dem Tage zu Empoli ſprach man zu Florenz dieſes: Bei Montalperto haben die Welfen vor Farinatas Schwert er— zittern müſſen, aber zu Empoli ſind die Gibellinen vor ſeinem Herzen erzittert; bei Montalperto hat er feine Feinde, zu Em: poli aber hat er ſeine eigenen Kampf- und Sieggenoſſen ver— nichtend geſchlagen - er ganz allein gegen alle ſtehend, nur mit feinem Herzen! Denn das muß fürchterlich geweſen fein, als der große Farinata ſie da plötzlich mit ſeinem losbrechenden Herzen überfallen hat - das muß viel fürchterlicher geweſen ſein als ſein losbrechendes Schwert! Was ein Schwert iſt und was ein ſolches vermag, das wußten ſie alle, die zu Empoli verſammelt ſaßen mit einem Schwert hätte man keinen von ihnen ungeſtraft überfallen und erſchrecken können —, da hätten ſie nur ihre eigenen Schwerter zu ziehen brauchen, um ſich zu

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ſchützen! Aber was es um ein Herz ift, um die unverſehrte Liebe zu der eigenen Vaterſtadt, das wußte keiner von ihnen mehr fie hatten ſich doch alle in den fürchterlichen Kämpfen längft ihrer Herzen entwöhnt, ſie erkannten doch ihre Vaterſtädte gar nicht mehr als Vaterſtädte fie erkannten nur darin die Parte Guelfa oder die Parte Ghibellina! Da war der große Farinata zu Empoli wahrlich in der Übermacht geweſen.

Zwar, im Anfang ſollen ſie ſich noch gewehrt und ihn von allen Seiten angeſchrieen haben: ob er etwa die Greuel ver: geſſen wolle, die da in dem tief geſunkenen Florenz an Gibel⸗ linen verübt worden ſeien - die ſcheußlichen Gefängniſſe, darin ihre Freunde und Genoſſen geſchmachtet hätten, und den grau⸗ ſamen Tod des Schiatuzzo Uberti, und die ſchändliche Hinrich: tung des Uberfo Caini, und daß man ihnen ihre Türme und Wohnſtätten in Trümmer gelegt und ſie als Geächtete in die Verbannung gejagt habe; ja, daß man ſogar ihre Toten aus den Grüften gezerrt, weil ſie um des Herrn Kaiſers Friedrich willen im Banne verſtorben und nicht würdig feien, an bei- liger Stätte zu ruhen?! Und einige von den Rufenden es waren doch die übermüfigen Sieger, und der Übermuf macht ja die Leute immer fo kindiſch-einfältig —, einige von den Rufenden ſollen auch gelacht haben, ſo als glaubten ſie, daß Farinata ſich vielleicht nur einen Scherz mit ihnen erlaube der gewaltige Farinata, in der größten Stunde ſeines Lebens, da er ſich vor Schmerz um feine Vaterſtadt ſchüͤttelte! - Aber dieſe Lachenden ſind eilend ernſt geworden. Denn da hat ſie auf einmal ſolch ein fremder, ſonderbarer Blick getroffen nicht jener gefähr⸗ liche Blick, den der große Farinata haben konnte, wenn ihm jemand im Wege ſtand - den Blick kannten fie alle, aber dieſer Blick war ihnen unbekannt: der beſtürzte ſie, der machte ſie faſſungslos und hilflos, ſo als würden ſie nackend ausgezogen und enterbt und entadelt fie kamen ſich plötzlich fo bettelarm vor wie ſolche, die am Straßenrand geboren ſind und nirgends eine Heimat haben. Und ſie waren doch noch eben große, reiche, hochgeborene Herren geweſen!

Es hat ſich dann nur noch eine einzige Stimme hervorgewagt, leiſe, aber drohend, als beſchreibe ſie bei heiterem Himmel das

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Grollen eines fernen Gewitters: ob ſich alfo Meſſer Farinata damit einverſtanden erkläre, daß er und die Seinen in drei Jahren oder in fünf Jahren oder vielleicht auch erſt in zehn Jahren wiederum von zertrümmerten Wohnſtätten und Tür— men hinweg in die Verbannung gejagt würden? Und ob er ſich damit abfinden könne, daß man ſeine Söhne und Enkel einſt, wie den Überto Caini, aufs Blutgerüſt ſchaffe? Und ob er es darauf ankommen laſſe, daß er ſelbſt nach ſeinem Tode aus dem Grab hervorgezerrt und ſeine Aſche in den Arno geſtreut werde? Und darauf müſſe er es eben ankommen laſſen, wenn er jetzt nicht einwillige, dieſe unheilvolle Stadt bis auf den Grund zu vernichten, denn das Blatt könne ſich doch wieder wenden, und die Welfen könnten ihre Macht zurückgewinnen, und er ſelber werde auch dereinſt im Banne ſterben wie alle, die dem Geſchlecht des Herrn Kaiſers Friedrich anhingen.

Farinata ſoll dann erwidert haben: Ja, darauf laſſe er es an— kommen, und damit fei er einverftanden. Lieber wolle er mit den Seinen noch einmal als Geächteter von ſeiner Vaterſtadt verſtoßen werden, als daß er feine Vaterſtadt verſtoße. Lieber ſollten ſeine Söhne und Enkel auf dem Blutgerüſt enden, als daß er feine Vaterſtadt zum Tode verurteile. Lieber wolle er mit ſeinem ganzen Geſchlecht untergehen, als daß Florenz unter— gehe! Und zu dieſem Worte ſtehe er noch über ſeinen Tod hin— aus: lieber ſolle man einſt ſeine Aſche aus dem Grabe reißen, als daß er der Heimat das Grab grabe und es alſo überhaupt keine Heimat mehr auf Erden gebe! - Und dann hat Farinata plötzlich nicht mehr weitergeſprochen, ſondern es iſt den Ver— ſammelten zu Empoli geweſen, als würden ſeine Worte plötz— lich fortgeſchwemmt und ertränken da vor ihrer aller Augen in einem glänzenden, mächtigen und männlichen Strom, der aus ſeinen Augen hervorbrach und der auch ihre eigenen Worte hinwegzuſchwemmen drohte wie die ſeinen. Sie vermochten nichts mehr hervorzubringen als dieſes: „Meſſer Farinata, Ihr habt uns alle überwunden, und wir müſſen uns beugen. Tut mit Eurer Vaterſtadt, wie es Euch gefällt wir haben hier kein Recht, das Urteil zu ſprechen, denn wir haben keine Vater— ſtadt wie Ihr.“ Alſo ift an dieſem Tage zu Empoli das be:

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ſiegte Florenz vor dem Untergang errettet worden ohne einen einzigen Schwertſtreich, allein durch das große Herz des großen Farinata.

Die bleiche Wut ſtand den Überti noch im Angeſicht geſchrieben, als ſie vom Bargello zurückkamen. Zwar das Gelächter der Menge war ausgeblieben, denn der Popolo, wenn er zur Herr⸗ ſchaft gelangt, nimmt ſich doch immer todernſt, und wenn er noch fo lächerliche Sprüche tut über ſich ſelbſt lachen können nur die großen Herren ſich leiſten. Im Bargello gelacht, laut und verächtlich, gemeinſam, wiewohl haßerfüllt, hatten nur die Cavalcanti und die Uberti ſelber beim Unterzeichnen des Ehe⸗ vertrags. Und nun ſtand derſelbe da und war öffentlich be⸗ ſchworen, und nun mußten fie es der Braut ſagen - das hatten fie aus guten Gründen bis zuletzt verſchoben. -

Bice weilte wieder einmal an der Gruft ihres Vaters zu Santa Reparata daher ſuchten fie nach ihrer Mutter Adaletta. Sie fanden ſie in ihrem kleinen abſeitigen Wohngemach, in das ſie ſich ſo oft mit gerungenen Händen geflüchtet hatte, wenn die ſchweren Steingewitter der großen Schleudermaſchinen über den Zürmen von Florenz müfeten. Es war niemand bei ihr als ihr jüngſter Sohn, der kleine Conticino, von dem jeder immer meinte, er könne ja wohl nur ihr Enkel ſein. Zwar, Adaletta war bei ſeiner Geburt nach Jahren noch nicht alt geweſen, aber der Geſchlechterkrieg zu Florenz war alt geweſen, und das In⸗ terdikt, das ſchon zum fünften Mal über der Stadt lag, und der Bann, der ihren Gemahl um des Herrn Kaiſers Friedrich willen getroffen hatte - alfo war es Adaletta oftmals geweſen, als habe ſie der große Farinata, da er ſie als junge Frau in ſein Haus führte, gleichſam in die Hölle geführt. Denn Ada⸗ letta war in ihrer Jugend ſo fromm geweſen, daß ſie faſt vor Grauen vor dem allem zu vergehen gemeint - es hatte fie fo tief empört, daß die Männer hart und grauſam miteinander wa⸗ ren und daß niemand Frieden machen wollte und ſich ſelbſt die Kirche unverſöhnlich zeigte. Das hatte ſie von ihr und den Men⸗ ſchen fortgetrieben, das hatte fie in Zorn und Auflehnung ver— ſetzt, das hatte ſie immer wieder verurteilt, und darüber war

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ihrem Antlitz alle Weichheit und Schönheit verſchwunden, wie von einer bitteren Lauge weggewaſchen. Man hätte meinen können, alle Jahre ihres Lebens zählten doppelt und dreifach - bis zum Tode ihres Gatten. Von dem Tode ihres Gatten an aber zählte kein einziges Jahr mehr, ſondern wenn man Ada— letta jetzt ſah, ſo mußte man an ein Gebäude denken, in dem niemand mehr wohnt, ſo verfallen und leer, als wolle es bei der geringſten Erſchütterung einſtürzen. Es ſtürzte aber nicht ein, denn es war keinerlei Erſchütterung ausgeſetzt Adaletta bewegte jetzt nicht einmal mehr der Gedanke an die Ewigkeit. Denn ihr Gemahl, der große Farinata, war doch im Banne geſtorben, alſo hätte ihn ja Adaletta zum zweiten Mal in der Hölle ſuchen müſſen, wenn anders es ein ewiges Leben gab! Das konnte ſie nicht über ſich gewinnen, da hätte ſie vor Schmerz bei lebendigem Leibe zu verbrennen gemeint - und fie war doch ſchon in der Hölle dieſes Lebens halb verbrannt ge— weſen! So hatte ſie ſich nicht mehr anders zu helfen vermocht als durch das Sakrament der Ketzer, die „Tröſtung“ der Pata— rener, die in der Verſicherung beſteht, daß es kein ewiges Leben gibt. Vor dem Empfang dieſer, Tröſtung' hatte fie gemeint, daß ſie ihr wohltun werde, aber nach dem Empfang war es nur, als ob alle Dinge plotzlich ihren Sinn verloren hätten, und wenn fie ehedem zu verbrennen gemeint, fo fror fie nun beſtändig. Sie blieb auch jetzt ganz kühl und unberührt, als ihre Söhne ihr ſag— ten, der Rat der Sechsunddreißig habe die Gibellinen gezwun— gen, Ehepakte mit den welfiſchen Geſchlechtern zu unterzeichnen, und auch Bice folle nach denſelben vermählt werden; fie ſchrak nur ein wenig zuſammen, weil Conticino, der am Boden hockte, plötzlich wie ein kleines Raubtier empor- und auf ſeine Brüder zuſprang. Die ſtießen ſich lachend an, indeſſen ſagte Adaletta gleichmütig: dem Befehl könne man ja nachkommen, weil doch Bices Vater nicht mehr am Leben ſei. Dieſer nämlich hatte niemals davon wiſſen wollen, ſeine Tochter Bice zu vermählen, ſondern immer, wenn ihm eine Ehe für ſie vorgeſchlagen wor— den, dann hatte der Entſchloſſene die Sache zögernd hin und her gewendet, dann war der Freund dem Freunde unzugänglich geworden dann hatte der große, edle Farinata jenen gefähr⸗

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lichen Blick bekommen, den er haben konnte, wenn ihm jemand im Wege ſtand. Alſo wagte ſchließlich niemand mehr um Bice zu werben, weil jedermann begriff, daß er ſich nicht von ihr zu trennen vermochte da hätte man wahrhaftig meinen können, der große Farinata ſei ein ganz Einſamer, keinem zugehörig außer dieſer Tochter, und er beſaß doch viele Kinder, und ſeit Empoli umjubelte ihn ganz Florenz!

Das hatte alle immer ſehr verwundert, daß Farinata ſo an ſeiner Tochter Bice hing, denn dieſe ſelber fragte gar nicht viel nach ihrem Vater Bice fragte nur nach ihrem kleinen Bruder Conticino, dem war fie fo zärtlich zugetan, als ob fie feine junge Mutter wäre, und ſo nannte ſie ja Conticino auch zum Unter⸗ ſchied von Adaletta, die er ſeine alte Mutter nannte. Neben Conticino aber galten höchftens noch bei ihr die jungen Hünd⸗ chen und Kätzchen, die ſie aus der ganzen Turmgenoſſenſchaft zuſammenſchleppte und verſteckte, um ſie vor dem Erſäuftwer⸗ den zu retten, oder auch die armen kleinen Obſtbäume, die ſie den Guaſtatori ihres Vaters für ihr Gärtchen abbettelte, wenn fie wieder einmal ausziehen mußten, um die Blüfe oder Ernte auf den Feldern eines feindlichen Geſchlechtes zu verwüſten Bice mußte doch, fo ſchien es, immer etwas haben zum Behüten und Pflegen, gerade ſo wie ihres Vaters verſtorbene Mutter, die gute Frau Gualdrada, die ſo viele Kinder gehabt und alle jo zärtlich geliebt hatte - am zärtlichſten immer das, das am meiſten bedroht war.

Von der guten Frau Gualdrada weiß man dieſes: da ſie ver⸗ nahm, daß der Bann auf den Herrn Kaiſer Friedrich und alle, die ihm anhingen, gefallen war alſo auch auf ihren Sohn, den großen Farinata -, dieſer fürchterliche Bann, darinnen es von den Gebannten heißt:, verflucht ſeien alle Glieder ihres Lei⸗ bes, verflucht ſeien ihre Haupthaare, verflucht ſeien ihre Füße und ihre Sohlen, verflucht ſei die Frucht ihres Leibes und die Frucht ihrer Felder, verflucht ſeien ihre Häuſer, verflucht ſei ihr Eingang und Ausgang, ſie ſeien verdammt mit dem Teufel und feinen Engeln und mit den Verdammten im ewigen Feuer —‘, da ſie alſo dieſen fürchterlichen Bann vernahm, da ſprach ſie:

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„Der Herr Papft hat alles verflucht, was meinem Sohn zu eigen iſt, nur nicht ſein erſtes und eigenſtes Eigentum, den Schoß und das Herz feiner Mutter - alſo ſollen dieſe auch fein letztes Eigentum bleiben. Ich will Tag und Nacht für den Herrn Papft beten, daß er ſich erbarmt und meinen Sohn vom Banne löft, wenn er ihn aber nicht löſt, dann will ich in meiner eigenen Todesſtunde Chriſtus, den Herrn, bitten, wenn anders er mir die Seligkeit zugedacht hat - daß ich um eben dieſer Seligkeit willen meinen Sohn in ſeiner Todesſtunde abholen und in die Hölle begleiten darf.“

Inzwiſchen fragte Adaletta ihre Söhne, wem denn Bice ver— mählt werden ſolle. Alſo war es ja den Brüdern Überti auf einmal, als ſchnüre ihnen eine unſichtbare Hand die Kehle zu— ſammen, daß ſie kein Wort hervorbringen konnten. Sie blick— ten verlegen zur Seite - da fielen ihre Augen auf ihren kleinen Bruder Conticino, der ſtand da noch immer wie ein junges, aufgeſchrecktes Raubtier vor ihnen genau fo groß wie Guido Cavalcanti!

Sie fuhren plötzlich auf ihn los: er ſolle ſich fortmachen. Hier würden die Geſchäfte großer Leute verhandelt und nicht die von kleinen Kindern wie er —. Sie brachen jählings ab, denn da fuhr ſchon wieder dieſe unſichtbare Hand nach ihrer Kehle. Allein ſie ſchüttelten ſie zornig ab und fielen mit Stimmen— getümmel über den Rat der Sechsunddreißig her: es ſei nicht ihre, ſondern deſſen Schuld, wenn fie ſich dieſen elenden Caval— canti verſchwägern müßten man habe ihnen alle Macht ent: riſſen! Das komme eben davon her, daß ihr Vater die unbeil- volle Stadt Florenz dereinſt geſchont habe! Aber bei Gott, wenn ſie ſelber je wieder zur Herrſchaft gelangten, dann ſolle es anders ausgehen als zu Empoli, dann ſolle hier kein Stein auf dem anderen bleiben!

Bei dem Namen Cavalcanti hatte Adaletta ihr verblichenes Geſicht ein wenig erhoben, ſo als fange da ein faſt ertaub— tes Ohr einen fernen Laut auf. Sie ſagte: „Aber bei den Cavalcanti iſt doch kein Sohn vorhanden außer dem Knaben Guido.“

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Indem ſchrie Conticino laut auf und ftürzfe nun ein wild ge⸗ wordenes kleines Raubtier aus dem Gemach. Sie bemerkten das aber nicht, ſondern ſie ſtarrten entſetzt auf ihre Mutter Adaletta, die ſah plötzlich aus wie eine Tote, die aus dem Grabe zurückkehrt, um wieder bei den Lebendigen zu wohnen: ſie be⸗ wegte die Hände, als wolle ſie ſie ringen, wie einſt, wenn die Steingewitter der großen Schleudermaſchinen über Florenz wüteten. Unwillkürlich traten fie einige Schritte zuruck, denn ihre Mutter hatte früher oft fo zornig werden können, wenn ſie in Verzweiflung geriet.

Und ſchon rang Adaletta wirklich die Hände und rief unauf- hörlich: „Ach, die arme Bice! Die Armſte - die Allerärmſte!“ Sie verſtummten nun gänzlich.

Schließlich brachte einer mühſam hervor: „Mutter, es wird für Bice nicht ſo ſchlimm ſein, wie es für andere wäre, denn ſie hat doch immer die kleinen Kinder fo gern gehabt.“

Indem ſprang Adaletta auf und ſchrie ihn an: „Ihr verfluchten Männer, daß euch doch die Hölle verſchlänge! Immer müßt ihr ſtreiten, und nun ihr ſtreiten ſolltet, weicht ihr feige zurück: alles, was ihr beginnt, führt zum Tode, und ihr merkt es nicht einmal! Wahrlich, man ſollte euch ...“ Sie ſchlug ihm plötzlich ſchallend ins Geſicht.

Bice ſaß derweil immer noch zu Santa Reparata an der Gruft ihres Vaters und ſann über ſeinen Tod nach.

Von dem Tode des großen Farinata hat man viele Jahre ſpä⸗ ter zu Florenz geſprochen:

Da Farinata im Sterben lag - mutterſeelenallein, weil es doch allen ſo furchtbar grauſte vor dem im Banne Sterbenden —, da iſt plötzlich die gute Frau Gualdrada hereingekommen und hat ſich an ſein Lager geſetzt und ihre Hände über ihm gefaltet bis zum letzten Atemzug. Danach iſt ſie aufgeſtanden und mit ihm in die Hölle gegangen. Dort ſitzt ſie nun an ſeinem Flam⸗ menſarg und bewacht feinen gluͤhenden Schlaf. Dante Alighieri, als er Farinata daſelbſt erblickte, ſoll auch fie erblickt haben er hat nur nicht aufzuſchreiben gewagt, daß ſelbſt in der Hölle noch Gnade iſt, wenn auch nur eine einzige Seele aus Liebe hineingeht.

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Bice weilte feit dem Tod ihres Vaters täglich zu Santa Repa⸗ rata, aber nun die Welfen wieder in Florenz waren, vermochte fie ſich kaum von dieſer Stätte loszureißen - es war ihr, als müſſe ſie die Gruft ihres Vaters bewachen. Denn es drang jetzt oft ein ſonderbares Rieſeln und Rinnen aus den alten Mauern, als fließe und ſchieße ein unterirdiſcher Strom leiſe, aber ſchnell wie die wandelhafte Zeit zwiſchen den grauen Säulen hindurch, gerade auf das Grabmal ihres Vaters zu. Über dieſem ſtand in Stein geſchrieben: „Hier ruht am Herzen ſeiner Vaterſtadt der, deſſen Herz die Rettung ſeiner Vater— ſtadt war, Manente degli Uberti, genannt Farinata, er fei un: vergeſſen in Ewigkeit. Amen.“ Der Spruch ſchien tröſtlich zu leſen, und er war doch in Stein geſchrieben einen ſteinernen Spruch kann niemand wieder auslöſchen; allein das ſonderbare Rieſeln in den Mauern wollte nicht verſtummen. Denn die Kirche Santa Reparata war ſchon alt, und es hieß, man werde ſie abbrechen und einen neuen Dom erbauen. Der Gedanke flößte Bice Angſt ein, der erinnerte ſie daran, wie man in ihrer Kindheit die Häuſer und Türme ihres Vaters abgebrochen und ihn in die Verbannung geſtoßen hatte. Würde man wohl ſeinen Sarg in den neuen Dom tragen, oder würden das die Welfen nicht erlauben? Die Welfen waren doch nun wieder in der Stadt, und ihr Vater war im Banne der Kirche geſtorben wie alle, die dem Geſchlecht des Herrn Kaiſers Friedrich anhingen, und wie König Manfred, den man zu Benevent aus ſeinem Grab geriſſen hatte, denn die Gebannten dürfen doch kein ehr— liches Grab haben —— Bice ſah ſich entſetzt um.

In dem ganzen weiten Schiff der Kirche war alles ſo unheim— lich ſtill und verödet, als ob das Interdikt, das man nun der Welfen wegen aufgehoben hatte, noch immer über der Stadt läge: niemand ließ ſich blicken, der zu Hilfe kommen konnte. Und der Tote ſelbſt war doch ganz hilflos, der lag da unter dem ſchweren Deckel ſeines Sarkophags, ſo ohnmächtig, wie eben nur die Toten find —. Was ſollte diefer Tote wohl be- ginnen, wenn hier etwas Schreckliches geſchähe? Und es konnte hier doch etwas Schreckliches geſchehen! Das erſchütterte Bice immer ſo tief, daß ihr Vater da ſo hilflos liegen mußte; das er⸗

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innerfe fie fo ſchmerzhaft daran, wie fie fic) früher immer gegen feine Kraft gewehrt hatte - fo als ſtehe ihr dieſe dort im Wege, wo fie mit allen Fibern ihres Lebens hinſtrebte und es war doch gar nicht ſeine Kraft geweſen! Aber das hatte ſie niemals verſtehen können, ſondern immer, wenn er ihre Hände in den ſeinen gehalten, dann hatte ſie ſich trotzig an die Hände ſeiner Guaſtatori erinnert, wie ſie die Wurzeln der armen Obſtbäum⸗ chen ausriſſen, und wenn er ſie um ihre kleinen Wünſche be⸗ fragt, dann hatte ſie ſich ſtumm hinter dem einen verſchanzt, den er nicht verſtehen wollte, und wenn die anderen ihn ge⸗ prieſen, daß er einſt zu Empoli die Vaterſtadt gerettet habe, dann hatte ſie in ihrem Inneren aufbegehrt: aber bei Montal⸗ perio hat er feine Vaterſtadt aufs Haupt geſchlagen! Das war wunderlich und ſchrecklich zwiſchen ihm und ihr geweſen! Ihre Brüder hatten manchmal zu ihr geſagt: „Weißt du auch, daß du unſeren Vater gerade ſo anblickſt, wie er deine Freier? Du haſt ſeine gefährlichen Augen, man könnte meinen, daß er in dir ſein eigenes Bildnis liebe, und du biſt doch gar nicht ſein Bildnis, du gleichſt doch feiner Mutter Gualdrada!“ - Ja, wahrhaftig, das war wunderlich und ſchrecklich geweſen.

Aber dann zuletzt, da war auf einmal alles ganz anders gewor⸗ den, da hatte ſie ſich nicht mehr ſeiner Kraft zu erwehren brau⸗ chen, ſondern da hatte ſie um ſeine Kraft gerungen; da war ihr kein entwurzeltes Bäumchen mehr eingefallen, ſondern ſeine Wurzeln hatten qualvoll bloßgelegen da war alles um: gekehrt geweſen als bisher, ſo als ob ſie ſeine Nähe, wie er einſt die ihre, niemand gönne Tag und Nacht an feinem Krankenbette ſitzend, darauf er nun hingeſtreckt lag, die eiſernen Arme fo ſchwach, das mächtige Haupt fo unmächtig, wie bei einem kleinen Kinde, das ſich noch nicht ſelber aufzurichten ver⸗ mag —: ja, da hatte fie ihn fo zärtlich gepflegt und fo innig ge⸗ liebt wie ſonſt nur den kleinen Conticino, wenn er mit dem Namen ſeiner Mutter nach ihr rief! Und den Mutternamen hatte auch der große Farinata ausgerufen, ganz zuletzt in jenen ſchauerlichen Augenblicken, als alle ſich in namenloſem Grauen aus dem Zimmer drängten, weil er noch in ſeiner Todesnot die Abſolution verſchmäht hatte, um der heißen Treue willen gegen

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gefchaffen für ein unabhängiges Gemeinweſen; und wie die Menſchen es ſich hier eingerichtet haben, beſtätigt dem Ankom⸗ menden dieſe Anſchauung ſchnell. Er erfährt die Stimmung, als käme er in eine Hauptſtadt; freilich ohne je ſagen zu können, ſie iſt hier oder da: denn wenn er meint, nun ſehe er ſie, greife er ſie, iſt ihm das Bild ſchon wieder entwunden: überall blickt die Natur hervor, als wolle ſie in reizender Art unterbrechen und darauf aufmerkſam machen, wie ſehr ſie menſchliches Pla⸗ nen angeregt, ihm aber auch die Aufgaben geſtellt habe. Ver⸗ ſicherte jemand, daß ein großer Baukünſtler des 17. oder 18. Jahrhunderts aus dieſem Ort hervorgegangen ſei und an den Formen dieſes Landes feinen Sinn geſchult habe, fo be- griffe man das wohl und fände manches erklärt, was das Ver⸗ weilen in dieſem Raum ſo unbeſchwerlich, ſo angenehm macht und weswegen man immer wieder darauf geführt wird, ſeinen Maßen nachzudenken. Sie haben etwas, was die künſtleriſche Empfindung anrührt und ein erſt noch unbeſtimmtes heiteres Gefühl für dieſes Land wachruft.

Drei grüne Hochflächen laſſen die Bergtrümmer in das Tal zu den mehrfachen Waſſerläufen herab; fie find ebenſo viele Büh⸗ nen, jede beſonders geſtaltet; und erſcheinen ſie von den Felſen⸗ maſſen der Gebirge als glänzenden Hintergründen abgeſchloſſen, ſo falten dieſe, ſowie man ihnen nachforſcht, ſich unaufhörlich in ſich ſelbſt zurück und öffnen neue Bühnen, ob ihre Fläche nun durch einen See ausgefüllt iſt oder nicht, bis vor dem gebieteri⸗ ſchen Abſchluß durch eine letzte rieſenhafte Mauer. Dies erfährt man von der Begrenzung nach Norden, alſo gegen das Donau⸗ land. Gegen den Süden ſucht das Auge eigentlich immerfort die ſchöne kriſtallene Bühne, das Eisfeld, in niederem Rahmen aus dunklem Stein eingelaſſen, das dem Gipfelkranz der höch⸗ ſten Erhebung in dieſem Rund, des Dachſteins, unmittelbar vorgelagert iſt. So bieten ſich nördlich die Bühnen in der Tal⸗ tiefe gefällig, einladend, weich, ſüdlich die eine hohe, hinaufge⸗ hobene, göttlich-unwirtliche.

Ich betrachte - und betrachtete fo oft! von einem der lieblich⸗ ſten und gaſtlichſten, dabei beherrſchenden Punkte des ganzen Talkeſſels, von den Wieſen und Wegen des Ramgutes; es

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liegt, ein wohlerhaltener vornehmer Bau aus dem 15. Jahr: hundert, mit ſchönem hohem Schindeldach, auf einer der drei grünen Bühnen; ſie heißt Obertreſſen und läßt alle drei über— ſchauen. Auf ausgedehnten Flächen, denen mooſige Senkungen nicht fehlen, tragen ſie vereinzelte Gruppen von Häuschen, da— zwiſchen etwa ein Heiligtum, und Waldſtücke; in dieſe ſind allenthalben bewachſene Trümmer des Kalkgeſteins geſät, und ſie ſprechen eine Wildheit und Einſamkeit aus, die die feinen weißen Kieswege unmittelbar daneben verleugnen. Ihre Bän— der ziehen weitum durch das Grün; manchmal ſenken ſie ſich ſteil zum Lauf der ſtarken, ſtürmiſchen Alpenwäſſer, welche aus den Seen kommen, und dort, in den Faltungen, ſammeln ſich in langen Zeilen die Baulichkeiten des Badeortes, nützen jedes Plätzchen aus, doch niemals ohne Bequemlichkeit, klimmen manchmal die Hänge empor und laſſen doch deren Form, die mit der Feinheit und Glätte angewehten Schnees vergleichbar iſt, unverſehrt.

Die umſchließenden Berggeſtalten halten, eben durch die vor— geſchobenen grünen Hochflächen, ſehr verſchiedene Entfernun— gen und wirken mit dem Reiz einer Geſellſchaft, die ſich einge— funden, deren jedes einzelne Mitglied von beſonderem Weſen iſt und damit eine Erwartung erregt. Sie lieben entſchiedene For— men, und nicht zufällig ſcheint es, daß der eine formloſe Berg, der Sandling, am weiteſten weggerückt bleibt und damit zu— gleich als ſein Amt ausübt: auch dem Himmel ſein Recht zu laſſen. Der Beſchauer wird ſich nicht ohne einige Uberraſchung klar werden, daß es eigentlich die Gerade iſt, die in dieſer zackigen und trümmergroßen Bergumgebung zur Geltung zu kommen ſucht, gleichſam als träte ſie immer wieder zu unbeſtimmt blei⸗ benden Verſuchen an. Gegen die öſtliche, die ſteiriſche Seite hin erſcheint ſie am regelmäßigſten, und den Ausblick dorthin könnte man ſich allenfalls auch andernorts geboten denken. Hier wie⸗ derholen bewaldete Berge gewiß ſechs- oder ſiebenmal in man: cherlei Größen die ſimple Form des Ameiſenhügels; ſcheinbar ſind ſie untereinander nicht verbunden und haben doch die heitere Beziehung zueinander, als wären ſie alle gleich wichtige und gleich berechtigte Verſuche eines und desſelben Dings. Ihnen

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gegenüber ift es eine Einmaligkeit, die der gewaltige Saarſtein aufweiſt: er iſt in dieſem Tal anweſend wie ein raubtierähn⸗ liches Lebeweſen mit langen Flanken und wilden Gliedern. Er zeigt neben einem lang hingewölbten Rücken ein Paar rieſiger, in ungeknickter Schräge aufſtrebender Zähne, der eine ſchärfer, der andere ſtumpfer, beide aber mit ihrer pfeilerhaften Wucht und mit dem Reiz ihrer Unähnlichkeit das Auge immer wieder bannend. Hier iſt es der Umriß, der die Gerade bietet; der gleich rieſige Nachbar bietet ſie ſanfter und maleriſcher, weil ſie in der inneren, zutage liegenden Formung des Geſteins auftritt. Ich meine die große ungefüge Maſſe des „Zinkens“, der als Bor: berg des Dachſteins, wie ein Schild, den der Eisrieſe zu ſeinen Füßen aufſtützt, den Blick nach Süden für viele Stellen des Tals allein für ſich in Anſpruch nimmt. Nach dem Tale ſenkt er ſich zuunterſt mit einer ſchroffen, vorwiegend waldbeſetzten Abfahrt, feine oberen Teile aber weiſen im Geſtein fchräge, nach dem Saarſtein zu aufgeſtellte Schichtenlinien: reiche, oft: mals wiederholte Bänder, dunkel im Dunklen, mit ihrer Rich⸗ tung nach oben einen großartigen, nun zur Erſtarrung berur- teilten Willen ankündigend, deſſen Ziel, nicht erſichtlich noch ahnbar, in den ungeheuren plumpen Körper des Berges hinab⸗ geſunken ſcheint.

Vollends die Ruhe, die eine Berggeſtalt nur aufweiſen kann, zeigt der Loſer. Seine Raſt ſcheint tieriſch wie die eines Wieder⸗ käuers, eine gelaſſene Wehrloſigkeit iſt in ihm, in der er ſich von Gewittern und Stürmen überfallen, umklammern und wie zu Mißhandlungen einhüllen läßt. Wie ſehr er einem ruinen⸗ haften Zuſtand hingegeben iſt, drücken ohne weiteres die wun⸗ derbaren waagrechten Linien ſeines hellen Kalkkörpers aus: er iſt von ſauber geſchichtetem Aufbau, aber in zwei große Trüm⸗ mer zerfallen, der eine Teil nach rechts, der andere nach links gebogen; die Rüden, die fie einander zukehren, überhaucht din: ner Pflanzenwuchs, der eine Teil will nichts vom andern wiſ— ſen, nur jene Linien der Geſteinsſchichtung ſtreben zueinander, ſetzen ſich, die weit klaffende Stelle überfpringend, fort und hal⸗ ten an einer Einheit feſt, die vor unausdenkbaren Zeiten dahin⸗ gegangen. Wie die anderen Berge dieſes Umkreiſes in der Er—

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regung ihrer ſtarr gewordenen Maſſen: ihrem leidenſchaft— geprägten Angeſicht gegenüber liegt dieſe Berggeſtalt des Loſers als ein ſchlummernder Wächter da, nichts von Gefahr iſt an ſeiner ſonnigen und luftigen Wildheit und Einfalt, er iſt ganz Frieden, und es iſt eine Art Vertrauen, mit dem ihn der Blick, der hier überall beſchäftigte und angeregte, ſucht von den friede— vollen Fluren.

Weinland

Ganz aus der Welt ſcheint es mir hier; ganz ihr entrückt iſt das Häuschen in den ſteiriſchen Weinbergen, wohin mich Freunde zu kommen baten, und es iſt ganz das, was ſie mir verheißen haben. Der Gedanke an dieſen kleinen Beſitz erfriſcht und be— flügelt ihnen ihre Woche in der Stadt, und ſie achten der Ent— fernung nicht und nicht der Mühe, mit der ſie die Dinge des Bedarfs heraufſchleppen auf ihre Höhe, um ſich das Behagen des Aufenthaltes allmählich zu gründen und zu ſichern. Der An— kömmling legt den Ruckſack ab, fühlt die leichte Briſe gut auf der erhitzten Wange, am ländlichen Tiſch läßt er ſich nieder, und die Blicke auf das kleine niedere Haus, auf Blumen, Grün und Reben und in eine Umgebung, die nichts davon Unter— ſchiedenes vorweiſt, bekräftigen dieſes Wohlgefühl: ganz aus der Welt iſt es hier.

Dieſes Gefühl hat ſich freilich auf dem Weg hierher ſchon ein: ſtellen müffen, und noch nicht mit dem vollen Behagen, welches nun das Ziel ſchenkt; hat man doch nicht einmal ganz leicht hierhergefunden zu dem einen unter den zahlreichen auf den Höhen verſtreuten Häuſern. Ein Abſchnitt des Weges um den andern nahm die Zeichen der Welt hinweg. Zuerſt eine Stunde Bahnfahrt von der Stadt. Dann von dem kleinen munteren Marktflecken eine Stunde Fußwanderung in ein Seitental, in ein Dorf, wo es immerhin noch Kaufläden, Arzt und Poſtamt gibt. Nun noch eine weitere Stunde in dieſe Hügelwelt hinein. Die Fahrſtraße bleibt im Tal; dort ziehen die Fuhrleute, ein paar Wirtshäuſer für ſie gibt es dort, aber ſonſt wohnt man drunten nicht. Man wohnt auf den Bergen, in den Weingärten, im Licht. Langwierig winden ſich die lehmigen Karrenwege in

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die Höhen, off gehts wieder hinunter und noch einmal hinauf; keine Ortſchaften ſind hier, nur weit gedehnte Gemeinden von Einzelhöfen. Man hört aus einiger Ferne das erſte Windrad: wie horcht man auf, es iſt eine neue Sprache, von der zu wiſ⸗ ſen man hierher gekommen iſt. In einem Waldſtückchen, durch das man emporklimmt, berührt das Auge der nicht gewohnte Anblick der Edelkaſtanie. Mit plötzlicher Freude fühlt man das Verſprechen von Sonne und Himmelsblau, das ſie gibt; auf dem lorbeerhaften Glanz ihrer ſtarken graden Blätter mit der feinen Haifiſchzähnung ſcheint es zu ſtehen. Und ſchon taucht man aus dem Grün zu den hellen und heiteren Räumen der Hügel: faſt mit jedem Schritt wandeln ſie ſich und als ob ſich der eine immer beſſer beſchaffen erweiſen wolle als der andere. Zuletzt, faft wäre man am Ziel vorbeigegangen: ein Wiefen: pfad, unter Obſtbäumen: da ſind wir. Das Haus an den Ab⸗ hang angelehnt, kleine Fenſter mit roten Vorhänglein und ein Bänkchen vor der Haustür. Eine Holzlage, ein Gemuͤſegarten; die Quelle nicht ganz nahe beim Haus, aber auf bequemem Weg zu erreichen, ſo daß das Waſſerholen ein Genuß wird. Und eine Stille: ganz aus der Welt. Da fängt das Windrad aus dem Weinberg an: hart, gellend ſchlägt Holz auf Holz, es will einwenden, daß hier gar kein ſo auserwählt ſtiller Winkel ift, und was es in aller Welt gibt, die Wache vor der Begehr⸗ lichkeit des andern, den Kampf um den Biſſen, gibt es auch hier. Indeſſen der Luftzug legt ſich wieder; es hat nur ſeine Laune gezeigt, hat nur geſtrampelt, hält ſchon ſtille.

Jedoch dann kommt man allmählich wirklich ab von dem Ge— danken: ganz aus der Welt. Das Windrad ſchweigt, und was da ſtumm um einen in der Sonne gebreitet liegt, das beginnt zu ſprechen, und wieviel weiß es zu fagen, welch eine Gefellig- keit iſt das, wie reich, wie vielfältig, wie anmutig! Nicht abzu⸗ zählen ſind die Hügel, mit denen ſich der Bergzug rings um unſern Platz zu Tale wellt, mit denen es dahinter wieder auf: ſteigt; wie mit den vielen Teilen eines endlos aufklappbaren Bilderbuches iſt die Welt ringsherum aufgeſchlagen. Man wird nie fertig werden mit dem unendlichen Stoff, der da zu ſehen iſt. Zunächſt hat jeder dieſer bebauten Hügel, die ſich anein⸗

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anderketten, ein anderes Geſicht, und ein jedes hat feinen be: ſonderen Ausdruck. Da iſt eine Kuppe breit, und das Haus dar⸗ auf friedet ſich behaglich mit Obſtbäumen ein. Der nächſte Hü— gel iſt ernſten, ja feierlichen Anblicks: mit ſeinem Föhrenbeſtand ift er erhoben wie ein kleines Golgatha, eine Sandwand fallt ſcharf ab in den Schatten, erſt davor iſt die Bauernwirtſchaft. Ein anderer trägt wahrhaftig eine Krone: eine ganz heitere, blanke: nicht anders ſteht die gerade Hausgeſtalt auf ihm, die Fenſter glänzen, Pappeln überwachen das Dach. Wieder ein anderer zeigt unſerm Blick nichts als die kahle Rundung, die voller Weinſtöcke ſteht: man fühlt es wohlig, wie das in der Sonne liegt. Ein anderes Haus wieder wendet ſich, als läge es auf einer Landzunge im Meere, ganz der Ferne zu. Unausfoft: bar vollends bleibt, wie jeder Hügel ſeine Form ausſchwingt und zum nächſten findet, ihm eine kleine leuchtende Kapelle an die Wegbiegung entgegenſchickt, wie eine kleine Baum- oder Buſchzeile oder ein Maisfeld die natürliche Form des Bodens im einzelnen betont und verziert; ſo tun auch die Weingärten, ſtückweiſe an die Abhänge verteilt, überall: fie legen das Nu: ſter hin, das ſich aus den regelmäßigen Reihen der Weinſtöcke ergibt; die Form des Bodens wellt es, ſchneidet es zu, begrenzt es, bringt reizvollen Gegenſatz heran: der dunkelſte Farbton iſt dann ein ungebändigtes Waldſtück, das eine Furche füllt, wo ein Waſſerlauf gehen mag, die Wipfel begleiten es abwärts, dorthin würde die Rebe nicht mitgehen, und nur der hohe Wuchs der Fichten und Buchen weiß ſich ihr entgegenzuſtrecken.

Alle Weltgegenden voll von Schaubarkeiten: denn hinter den nahen Hügeln folgen die ferneren; hoch gelegene, weiß leuchtende Kirchen geben dem Umkreis ſeine Abſchnitte; ein ungeteilter lang geſtreckter Bergrücken ſenkt ſich dahinter der Ebene zu, über ihm, fchon weiter in den Dämmer entrückt, ein anderer mit gewaltigerer Maſſe, und drüber noch, eckiger, wie etwas ferne Umgeworfenes, Berge des Oberlandes, die wilden, deren Anblick man hier gar nicht erwartet hätte. Aus der Welt? Wie hatte man unrecht! Man fühlt mit weiterer Bruſt, man iſt mit⸗ ten darauf. Es iſt ihr Glanz, der auf allen Höhen und Tiefen betörend ſchimmert; und der Weinſtock ringt ihn der Erde ab.

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Wo der Weinſtock ift, ift die Welt. Das Zeichen der Menſchen⸗ hand trägt er überall erkennbar. Er bedarf ihrer ohne Unter⸗ laß, die lockere Krume des Bodens ſpricht es aus und die Rebſchnur, die ſeidenglänzenden Stecken und die bläuliche Farbe, die ſeine Blätter zum Schutz ſeiner Geſundheit befleckt; und die Ordnung, mit der ſich ein überhängender Wipfel an den an⸗ deren, als müßte das kühne Gebäude zuſammenbrechen, mit jüngſtem zartem Blatte reiht. Seine Betreuung koſtet ſo viel Muͤhe wie nichts anderes, nicht die Brotfrucht, nicht der Honig, nicht die Milch. Das Muhſeligſte knüpft er an feine Lebens⸗ geſchichte und das Freudigſte. Das Freudigſte, das er fo reich⸗ lich ſpendet, daß darüber das Mühſelige aus dem Gedächtnis ſchwindet oder als überſtanden nicht mehr gilt. Wo die Traube iſt, iſt Welt; nicht umſonſt iſt ſie die Wiege für die Luſt der Welt. Ein Laubengang, in dem die Trauben hängen - erſt recht ihre Anweſenheit zu entdecken, mit freudigem Schreck zu ent⸗ decken welch ein Gemach! Wie nach den köſtlichſten Wand— malereien auf alter Palazzodecke muß man fort und fort ſchauen, will man die verborgenen und beſchatteten finden, will verſtehen, wie jede anders ſchön iſt, anders hängt, andere Fülle zeigt, anders die Blätter hinter ſich läßt, die ſie bedeckten, an⸗ ders die prall gewordenen betauten Beeren aneinanderpreßt mit einem Ausdruck voll Unſchuld und voll Willen, der manch⸗ mal wie ein Tierblick zu berühren ſcheint, denn ſo viel warmes Leben iſt in ihr. In der Rebenwand vor mir laſſen die Lagen der Blätter Lücken, die Farbe der Ferne blaut hinein: gleich zarter Hauch liegt über den Beeren wie über den geſtuften Reihen der Hügel, die Kopfwendung iſt luſtvoll, mit der man den einen Blick mit dem andern vertauſcht, aber man wird nicht wählen und nicht vergleichen, man wird für das Land, für ſeine Nähe wie ſeine Ferne, nur das eine ſtille Wort wiſſen: Habe Dank!

Das Windrad, im Weingarten neu aufgerichtet, weit vielglied⸗ riger und kunſtreicher, als man ſich ſo ein Ding vorſtellt, mußte freilich nach kurzer Tätigkeit, die es mit dem Eifer eines böſen Geiſtes verſehen hatte, abgeſtellt werden. Denn der Stille, die man geſucht, tat es doch einigen Eintrag, und wenn der Wind

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nicht nachließ, fo gefährdete es die Nachtruhe. Das Einftellen war eine beſondere Leiſtung der jungen Hausfrau, die, obzwar felber an den Lärmmacher ſchon gewöhnt, ſich in ihren Turn— anzug warf und geübt, gertenſchlank und ſonnengebräunt wie eine Zigeunerin, die Stange erkletterte. Das Sprechen der entfernteren Windräder aber tönte ſehr anmufend herüber, manche waren höchſt klangvoll, die Stille fang mit ihren Stimmen. Es gab keine Glocken; kein Uhrenſchlagen; kein Rufen von Kraftwagen; und nur in tiefer Nachtſtille konnte man ver— ſöhnten Gemüts ganz ferne Züge rauſchen hören. Aber lag nicht doch etwas von Sehnſucht auch wieder in dieſem Horchen? Und dann, bei vollem Sonnenglanz, in dieſem Schauen nach der völlig aufgetanen, reichgeſtaltigen Ferne? Ich kam an dem angebundenen Windrad vorbei. Es knurrte in ſeinen Banden. Es wollte im Wind ſein und ihm nachgeben und ihn ausrufen, es begriff nicht, wie man es quälen konnte, da hier der An— ſpruch und das Recht beſtünde, die Zunge gelöſt zu haben. Über den Wieſenpfad kam barfuß, lautlos, der Nachbar und brachte eine Flaſche gelben Weines.

Aus dem ‚Steiriſchen Lobgefang‘

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Edgar Dacqué / Sprüche Verhüllter Sinn

Der recht das Leben lebt, des Herz iſt leid und wund; Das wahre Sein trägt ſtets den Schmerz im Untergrund.

Die Entſchleierung

Zwei Wege gibts, Natur den Schleier wegzuheben: Der eine führt ins Nichts, der andre hin zum Leben. Verhärtetem Gemüt und trockenem Verſtand Erſcheint ein drehend Rad an einem endlos Band. Doch nahſt in Ehrfurcht du und friſchen Herzens ihr, Strahlt ſie lebendgen Sinn in ſtiller Keuſchheit dir.

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Wer iſt dein Schutz?

Das iſt gar große Qual, fo wie ein Füͤrſt zu leben, Geſchützt von äußrer Macht, von Häſchern ſtets umgeben. Ach, ſprich doch nicht ſo fern vom Mächtgen dieſer Welt: Du biſts und biſt in dir von Teufeln ſtets umſtellt.

Begrenzte Welt Was du geſtaltet ſiehſt, iſt noch nicht die Natur; Unzählbar Weſen gibts; dir offenbart ſich nur, Was du nach deinem Sinn und Fühlen kannſt erleben Wie könnt in Gott es je ein End des Schaffens geben!

Schöpfung im Nichts Im Anfang war das Wort, Gott ſelber war das Wort; Das brach ins Daſein auf und zeugte fort und fort. Nichts, was im Daſein weſt, iſt ohne es gemacht, Es hat o ſtaunt!- den Schöpfer ſelbſt hervorgebracht. Die Gottheit war das Nichts; erſt als das Wort gebar Den ewgen Gottesſohn, Gott Schöpfer, Vater war.

Gott bejaht nur

Gott ſtöret nie und nichts, läßt allem ſeinen Lauf; Wüßt er ein Nein und Nicht, hört' alles Weſen auf.

Der Menſch iſt ewiges Urbild

Da zielt die Schöpfung hin, daß Gott den Menſchen fände; Und was dies wirken könnt, erſchufen ſeine Hände. Da alles war geſchehn, erhob er aus dem Tier Die menſchliche Geſtalt, gab ſeinen Odem ihr. Auf dieſes Urbild ging der ganzen Schöpfung Sinn: So war der Menſch das Ziel und ſo der Anbeginn. Aus dem Spruchbuch ‚Das Bildnis Gottes“ *

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Edzard Schaper / Feldgericht

Lis die fünf Offiziere ſich dem Rentamt näherten, darin die Sitzung des Feldgerichts ſtattfinden ſollte, fiel ihnen auf, wie un— gleich belebter die Gegend um das frei an einem faſt kreisrun— den Platz gelegene große Gebäude war als etwa der Marktplatz, den ſie eben überſchritten hatten. Die ſpärliche Beleuchtung in den Straßen und der armſelige Lichtſchein, der aus den Fen— ſtern der Häuſer ſickerte, vervielfachten die Finſternis der Nacht, wenn auch von der friſchen Schneedecke ein Leuchten ausging. Ungehindert von Vorhängen aber flutete Licht aus all den großen Fenſtern der Rentei in ihrem zweiten Stockwerk, und weil auch in den Gefängniszellen zu ebener Erde Licht brannte und Licht auf allen Treppen und Gängen des großen Hauſes, deſſen Hauptportal, von zwei Ulanen bewacht, weit offen ſtand, wurde der Platz, in deſſen Mitte die Schneedecke fich völlig unberührt erhalten hatte, fo ſtark erhellt, daß man gewahren konnte, wie nicht nur einzelne Menſchen und murmelnde Grup— pen im Gänſemarſch auf den ſchmalen, eben erſt ausgetretenen Pfaden dem erleuchteten Hauſe zuſtrebten, ſondern wie auch in dunkleren Winkeln dort, wo Häuſer angrenzten, Grüppchen von eng ſich aneinander drückenden Leuten ſtanden, flüſternd und tuſchelnd, aus jedem Lichtſtrahl fliehend, und hier und da ein finſter wachender Einzelgänger, der ſichs ſogar verſagt hatte zu rauchen, damit nicht das glühende Pünktchen des Tabak— brandes ihn und ſeinen Standort vorzeitig verriete.

Dieſe Anteilnahme an dem, was gleich beginnen ſollte, ſchien dem Rittmeiſter von Ovelacker entbehrlich, und deshalb gab er gleich beim Betreten des Gerichtsgebäudes dem Wachtmeiſter, der die Poſten vor den Zellen und vor dem Portal und auch die Eskorte, unter der die Gefangenen vorgeführt werden ſoll— ten, befehligte, die Weiſung, daß der Platz abzuſperren wäre und nur Anwohner ihn betreten dürften. Unter Straßenkund— gebungen und Aufläufen wollte er die Feldgerichtsſitzung nicht abhalten.

Er ging mit ſeinen Offizieren in den großen Saal hinauf, der den meiſten noch unbekannt war, und nach flüchtiger Überſchau,

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ob alles fo eingerichtet worden wäre, wie ers gewünſcht, zog er ſich mit ihnen in ein angrenzendes Zimmer zurück, das er ihnen als Beratungsort vorbehalten hatte. Abgeſehen davon, daß man ihn mit etlichen Stühlen mehr verſehen, weil hier für gewöhnlich während der Amtsſtunden nur zwei für die zwei Schreibtiſche und die beiden Beamten an ihnen vonnöten ſchie⸗ nen, war dieſer Raum unverändert geblieben.

Der Kornett Kofljaninow bemerkte, als er feinen Mantel aus: zog, zu dem Leutnant Maklakow, der Saal ſähe wie eine Sek⸗ tenkirche aus. Der lange, mit grünem Filz bedeckte Richter⸗ tiſch, an den fünf Stühle geſchoben waren, die Bankreihen vor ihm für die Angeklagten, die ihren Richtern von Angeſicht zu Angeſicht gegenüberſitzen mußten, und endlich die Bänke zur Rechten und zur Linken vor den Langwänden des Raumes für die Zeugen, er hätte ſogleich an eine Kirche denken müſſen, zum mindeſten an eins der Sektenbethäuſer, in denen leichtfaß⸗ liche Auslegungen für die geiſtig Armen verabreicht wurden. Der Leutnant Maklakow war nicht ſehr angetan von dieſer Be⸗ merkung. Ihm war die Kehle ſeltſam trocken. Als er den Man⸗ tel abgelegt hatte und ſich umſah, ungewiß, was jetzt geſchehen ſollte, fragte er ſich, ob er tatſächlich der einzige unter ihnen wäre, der zum erſten Mal in ſeinem Leben zum Richter wurde. Er meinte: nein; für den Leutnant Möller und den Kornett Koſljaninow war es beſtimmt auch das erſte Mal; ob für den Rittmeiſter und den Oberleutnant Charuſin, wußte er nicht zu entſcheiden.

Die Burſchen waren im Hotel geblieben. Es meldeten ſich jetzt drei Ulanen, die der Wachtmeiſter den Offizieren als Ordon⸗ nanzen hinaufbeordert hatte. Ihnen wurden Plätze an der Stirnwand des Saales, in der Ecke unter dem Heiligenbild, angewieſen. Dort hatten ſie auf ihre Aufträge zu warten. Die Offiziere waren mittlerweile alle fertig geworden; eine von den Ordonnanzen bekam den Befehl, die Schließung des Por⸗ tals zu veranlaſſen, das nur noch für verſpätete Zeugen ge⸗ öffnet werden ſollte, und die ſchon wartenden Zeugen in den Saal zu beſtellen. Als letzte ſollten die Gefangenen herein— geführt werden. Zu ihrer Bewachung während der Sitzung

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hatten zehn Ulanen Befehl erhalten. Sie ſtanden zu beiden Seiten der Bankreihen, mit geladenem Gewehr, und auch für ihre Ablöſung war Vorſorge getroffen. An den Schmalſeiten des großen Tiſches, hinter dem die Richter ſaßen, war Platz für je einen der Schreiber, die die wichtigſten Ergebniſſe der Unter: ſuchung und die Beſchlüſſe des Gerichtes aufzeichnen ſollten. Der Oberleutnant Pjotr Sergejewitſch Charuſin war der erſte, der, zwiſchen den Schreibtiſchen und Aktenſchränken umher— wandernd, ſich eine Zigarette anzündete; der Kornett Koflja: ninow tat es ihm nach, jedoch nicht, ohne zuvor ein leiſes: Er— lauben Sie? an den Rittmeiſter gerichtet zu haben, dem er, als er ein zerſtreutes, gewährendes Nicken zur Antwort erhielt, ſogleich ſein ſilbernes Behältnis hinſtreckte. Und bald rauchten ſie alle, die fünf Offiziere, auf und ab ſchlendernd, Charuſin am Fenſter ſtehend, Möller dem Anſchein nach in eine Ausgabe des „Reichsanzeigers' vertieft, die er auf dem Schreibtiſch eines der Beamten gefunden. Es fiel kaum ein Wort. Nach einer Weile trat der Rittmeiſter ans Fenſter zu Charuſin, der dort immer noch in tiefem Ernſt ſtand und mit der Linken ſein dünnes Bärtchen zwirbelte, indes die Rechte dann und wann ſelbſt— vergeſſen die Zigarette an die Lippen führte. Beinahe wortlos machte der Oberleutnant ihn auf den Lichtſektor eines Leucht— turms aufmerkſam, der irgendwo weit vor ihnen ſtand. Die Lichtquelle blieb verborgen, nur der fächerförmige Strahl ward unaufhörlich in die Finſternis geſät. Überdem war der Schein der beiden Tiſchlampen in dem kleinen Zimmer immer rötlicher geworden, die Hitze über den Lampenzylindern wirbelte immer dichtere Schwaden blauen Rauches empor. Niemand ſprach. Hin und wieder nur hob einer der Offiziere lauſchend den Kopf. Im Saal begann es zu ſcharren und zu hüſteln. Die Zeugen wurden hereingeführt und auf die ihnen beſtimmten Bänke ge: wieſen. Der Leutnant Möller durfte ſtolz ſein auf die ſtattliche Schar von Mitwiſſern, die er ermittelt hatte, Männer und Frauen, die linkiſch und furchtſam über das Parkett zu ihren Sitzen ſchlichen, die Frauen in dicken Kopftüchern, die ſie auch hier im Saal ſo wenig ablegen wollten wie ihr Kleid.

Ein Entſetzen kroch ihnen allen ins Herz beim Anblick des grü—

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nen Tiſches und der noch leeren Bänke vor ihm. Mit trockenen, heißen Augen ſtarrten ſie vor ſich hin, längſt voller Reue, daß ſie im erſten Schreck bei der Ankunft der Soldaten etwas ge⸗ ſagt hatten, was ſie ſpäter hierher gezwungen hatte. Die Män⸗ ner drehten ihre Pelzmützen in den Händen und ſtarrten zu Boden. Wenn auch irgendein Beherzterer unter ihnen einmal dem Nachbarn etwas ins Ohr flüſterte, dem fehlte es an Mut zu antworten. Es war ja Krieg! Und Krieg bedeutete für ſie immer, daß ſogleich geſchoſſen wurde. Vielleicht war es auch verboten, daß fie miteinander ſprachen? Und doch, - fie gruben ihre Zähne in die Unterlippe -, und doch: ſchlimm war es, hier zu ſein, aber um wieviel ſchlimmer, nach Hauſe fahren zu müſ⸗ ſen! Sie ſaßen reglos; ſelbſt ihre Hände, die eben noch die Mütze gedreht hatten, rundherum, rundherum am abgegriffenen Rand, an dem der Pelz wie von der Räude ausgegangen war, ſelbſt ihre Hände hielten inne, alles an ihnen lähmte die Angſt vor dem, was nun folgen würde: hier im Saal, zu Haus in der Gemeinde, wo Racheboten von Geſinde zu Geſinde ſchlichen, einmal mit der Flinte, ein ander Mal mit der Petroleumflaſche, um die Verratenen an ihren Verrätern zu rächen. Warum aber hatten ſie das nicht früher bedacht und ihre Zungen in acht ge⸗ nommen? So getan, als wüßten ſie nichts? Ja, warum! Alles an ihnen lähmte die Angſt. Nur ihr Herz ſchlug weiter zum Zerſpringen, ihr Atem ging wie ein Keuchen, und insgeheim ſchwor ſich ein jeder: Ich ſage nichts mehr!

Die Bänke, die man für die Zeugen beſtimmt hatte, waren ſchon längſt gedrängt voll. Auf der vorderſten ſaß der alte Koiri⸗Bauer. Er war ſpäter gekommen als die meiſten, aber er hatte ſich einen Platz auf der vorderſten Bank erobert und eigenſinnig darauf beſtanden: er müßte hier vorn ſitzen, auf dieſem Platz und keinem anderen, dieſem, ja dieſem, deſſen Eigentümer er beharrlich an der Schulter zupfte: aufſtehen möge er, aufſtehen und ihm den Platz überlafjen. Er war ohne Scheu, der Alte, daß man irgend etwas an ſeinem Gehaben mißfällig aufnehmen könnte.

Drei hat er zu verlieren, drei Söhne, ſeine einzigen Kinder, die Erben des Hofes! war es manchem durch den Kopf gegangen,

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und endlich war auch der Eigentümer des begehrten Platzes aufgeſtanden und auf eine der Bänke weiter hinten gerückt. Mochte er da ſitzen, der Koiri-Jaan, vielleicht richtete er dort vorn auf der erſten Bank mehr für ſeine drei angeklagten Söhne aus als von einer der hinterſten!

Und da ſaß er nun, der alte Bauer! Stöhnend hatte er ſich hingeſetzt. Seine rotgeäderten, hornigen Augäpfel ſtarrten in die leeren Bankreihen vor dem grünen Tiſch. Sein Mund ſtand halb offen, der graue Bart verbarg es. Er atmete einen raſſeln— den, pfeifenden Atem, wie unter einer ſchweren Laſt, wenn er ſie aus der Mühle getragen, ſaß da wie gefroren, die Ellen— bogen auf die Schenkel geſtützt, regungslos. Es war ganz ſtill im Saal bis auf ein vereinzeltes Hüſteln; ſo ſtill, daß man es hören konnte, wenn irgend jemand würgend ſeinen Speichel herunterſchluckte. Selbſt der Krüger vom niedergebrannten Karroſilm-⸗Krug, der mit vieren oder fünfen von den Seinen gekommen war und eingeſchnürt in ſeinen beſten Staat, den er aus der Feuersbrunſt gerettet, neben dem Alten ſaß, - ſelbſt der Krüger, der anfangs noch manchmal mit ſeinem Nachbarn zur Linken getuſchelt hatte, ſagte nichts mehr und ſchwitzte in ſtiller Erwartung.

Mit einem Mal aber begann der alte Koiri-Bauer ſeine Stie— fel vorzuſchieben, als ſuchte er einen feſten Stand, weil er gleich aufſpringen müßte, und zog ſie wieder ſcharrend zurück, um ſie gleich danach abermals vorzuſchieben. Seine Rechte, eine ſchwere, tiefbraune Hand mit dickem, blauem Adergeflecht auf dem Rücken und tief eingewachſenen, faft unkenntlichen Nä⸗ geln fing an, über das Knie zu ſtreichen, unabläſſig, hin und her, hin und her. Manchmal krümmten die Finger ſich und ſchienen ſich in den Pelz krallen zu wollen, aber gleich ließen ſie wieder los und ſtrichen weiter. Und da erſt, lange nach ihm hörten die anderen das Geräuſch von ferne: die Schritte, viele, viele Schritte, das Schlagen ſchwerer Türen, das Kreiſchen eiſerner Gitter, . .. und dann, treppauf, näher und immer näher kommend, das Getrappel vieler Füße, ein Schleifen und Schar⸗ ren über die Kalkſteinflieſen der Treppenabſätze, geleitet von klirrenden Stiefelſchritten, taktfeſt, ſo, wie eine drängende,

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frappelnde Herde von ruhigen Hirtenſchritten eingehegt wird; näher und näher, ganz ſtumm, nur Schritte, nur Scharren, nur Schleifen; kein Wort, kein eigener freier Wille, nichts, gar nichts; nur Gang, Gang über Treppen und Gänge, zum Ge⸗ richt

Das war ſo grauſig, daß den meiſten der kalte Schweiß aus⸗ brach; die Hände klammerten ſich feucht um die Kniee. Manche Geſichter hoben ſich, manche Augen ſpähten nach der großen Tür, die meiſten Köpfe aber duckten ſich, ihre Augen ſahen gar nichts, den Weibern ſchwammen ſie in Tränen. Nur der feiſte Krüger blickte geradeaus, als hätte er nichts gehört. Da erſchien der erſte Ulan der Eskorte in der Türöffnung am Ende des Saales. Und hinter ihm kamen fie...

Mit zitternden Knieen reckte der alte Koiri ſich, verſuchte gar aufzuſtehen, erhob ſich auch um ein paar Zoll, ſank aber wie⸗ der zurück auf die Bank. Das Kinn fiel ihm kraftlos hinunter, ſein Mund klaffte auf, alles unſichtbar für ſeine Nachbarn in dem ſtruppigen Bart, der ſich ſträubte und zitterte. Seine Zunge wanderte fortwährend über die riſſigen, ausgedörrten Lippen, das Geſicht glühte ihm hier in der Wärme, und die kraftloſen Hände griffen und griffen, wie bei einem Sterbenden, ins Leere hinein. Neben ihm ſchaute der Krüger auf die Schar, die in die Bankreihen ſchlich, bis mit einem Mal ein heiſeres Röcheln die Bruſt des Alten neben ihm ſprengte. Der Koiri⸗Bauer hatte ſeine drei gefunden! Die Augen gingen ihm über, eine tiefe Ermattung ſchien ihn zu überkommen, unſäglich glücklich, daß ſie lebten, daß ſie noch lebten! hockte er da auf der Bank und ſchien immer wieder einmal aufſtehen zu wollen, um ſich zu ihnen zu ſchleppen.

Je vier in einer Reihe wurden ſie hereingeführt.

Die Männer in der Zeugenbank rieben ſich die Augen, als müß- ten ſie ſich wie beim Erwachen das Schlafkorn aus ihnen wi⸗ ſchen. Die Frauen atmeten tief auf und ſenkten den Blick. Und nicht nur fie gewahrten das, - auch jedem anderen, der fie fab, wäre der ſtumme Zug durch mehr als nur durch die Augen ge— gangen. Es war die Erbärmlichkeit ſelbſt, die da über das matt ſpiegelnde Parkett zu den Bänken ſchlich, um an den Wacht

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Bıtuvg ur uch aBuvz arg : πtỹůjj, 06 J2Luvg

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haltenden Ulanen vorbei auf die Plätze zu rücken: Mann um Mann, ſo, wie er gefangen genommen worden war, ſo ſchmutzig, wie die Ulanenlanze ihn gefällt hatte, unter dicken, angegrauten Verbänden die Wunden, die er davongetragen, fahl von der luftleeren Enge des Gefängniſſes, von Schlaf— loſigkeit und ſchmaler Ration, ſo zerlumpt, wie ihn das heim— liche Lager im Stroh und die Pürſch durchs Geſtrüpp auf ſei— nen Raubzügen, fo geduckt und gedemütigt, wie ihn die Ein— ſicht, zu der er mittlerweile fähig geweſen, hatte werden laſſen! Manche freilich, die ſchlichen nicht, ſondern gingen, gingen ſicher und ſelbſtbewußt, ſchneller als die anderen zu den Bänken; andere aber, es waren in Wirklichkeit nur drei, gingen, als wären ſie müde von einem ſchweren Tagwerk. Sie hielten ſich eng beieinander, einmal gar legte der eine von ihnen dem an— deren eine Hand auf die Schulter, als ob er ihm bedeuten wollte: dieſe Bank hier wäre es, hier müßten ſie hinein.

Unter dem hellen Lampenlicht in dem großen Saal, zwiſchen den reinlichen Wänden und den eingedunkelten großen Bildern daran, auf dem ſpiegelnden Parkett ſahen die Geſtalten doppelt verwahrloſt aus, aber ſo manchem der Männer und vielen der Frauen auf den Zeugenbänken wirbelte bei ihrem Anblick eine Erinnerung durch den Kopf: das brennende Gutshaus, der funkenſtiebende Stall, der grölende Menſchenhaufe, der durch die Haupttür des Herrenhauſes in die Halle geſtürzt war, die torkelnden Geſtalten, die beladen mit Sachen aus dem Haus herausgerannt kamen, als die Flammen zum Dach hinaus— ſchlugen; Fäuſte, Armbinden mit einem roten Stempel, Fla— ſchen, die aus den Jackentaſchen lugten, wilde Reden, Hohn— gelächter, wie man es der alten Ziege und ihrem Böcklein ein— getränkt, der Gutsherrin und dem Jungherrn ... Die Erinne— rung wurde vielen ſo wach, daß ihnen der Atem ſtockte wie da— mals, weil heute der Schein der Lampen wieder ſo rötlich auf die Geſichter fiel wie von einem Brand; weil die Haare derer dort auf den Bänken ſo ſtruppig und verwildert waren wie bei den Kerlen am Abend; weil die Hemdkragen ihnen heute ſo weit offen ſtanden wie damals auch und weil bei ihnen auch heute wieder blaue Ranken von grimmigen Tätowierungen dort ſicht—

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bar wurden, wo das Hemd fic) verſchob, weil die Gefichker ... die Geſichter ... O Gott! würden fie es ſagen müſſen? Wirk⸗ lich ſagen müſſen? ... Der kleine Schwarze dort hatte erzählt, wie er der Herrin einen Fußtritt verſetzt hatte, daß ſie der Länge lang hinſtürzte, um nicht wieder aufzuſtehen, und der letzte in der dritten Bank, der große Sommerſproſſige mit dem flachshellen Haar - ein Waggontiſchler aus Reval wäre er, hatte er erzählt -, der war zu den anderen gelaufen gekommen und hatte ſie gefragt, ob ſie es auch einmal mit einer Deut⸗ ſchen verſuchen wollten, vielleicht wäre es gar eine von blauem Blut, der Baron hier ſollte in dieſer Beziehung ganz tüchtig ge⸗ weſen ſein, wie er gehört. Er hätte ſie da drüben im Wagen⸗ ſchuppen eingeſperrt, wahrſcheinlich wäre es eine Lehrerin oder dergleichen. Wer da wollte, dem würde er den Schlüſſel zum Schuppen geben, nur koſte der Spaß drei Rubel Entree.

Ob ſie das würde ſagen müſſen? Oder konnte ſie ſo tun, als wäre dieſer Wolf ihr nie über den Weg gelaufen? Die arme Lydia aber ſaß nun zu Haus und heulte ſich die Augen aus und hatte das Fieber bekommen und ſonſt noch manches, wovon man unter Chriſtenmenſchen gar nicht reden konnte; zwölf Ru⸗ bel hatte der Kerl mit ihr verdient, ohne daß ſie ſich hatte weh⸗ ren können! Und da ſollte man ſchweigen? Nichts ſagen? So tun, als wüßte man nichts? Hatte der kleine Schwarze etwa ein Recht gehabt, die Frau zu mißhandeln? Die Frau - das ließ ſich auch nicht verſchweigen -, die Frau hatte ihr geholfen, als ſie im erſten Wochenbett lag. Jawohl, die Baronin, ihr, der Unefoa-Liine! Und ſpäter hatte fie ihre Kinder vom Tode errettet, als ſie an den Maſern daniederlagen und es beinahe ſchon zu fpäf war. Und als ihr Juhan damals mit der Leppiko⸗ Witwe anbandeln wollte, hatte ſie ihm den Kopf gewaſchen, ihm gut zugeredet und ihn wieder zu ſeiner angetrauten Frau geſchickt. Das alles ließ ſich nicht vergeſſen. Allerdings, die Barone waren nun einmal Barone, und richtig war es nicht, daß ſie die Herren hier waren. Was hatten ihre Mutter und ihre Großmutter ihr ſo alles erzählt aus der langen Zeit der Tränen! Wie die Teufel waren die Herren geweſen, hart und habgierig, die richtigen Schinder! Ein Wunder, daß es jetzt

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überhaupt noch andere Menſchen als die Deutſchen und die Halbdeutſchen gab! Die Tidenküllſche Frau aber... Nafür: lich, fie würde ihren Kindern nicht erzählen können, was Mut: ter und Großmutter einmal ihr erzählt hatten. Alſo konnte ſie dem Gericht doch etwas ſagen, nicht? Eine gute Tat brachte Lohn, das ſollte die Tidenküllſche Frau jetzt merken, wenn ſie auch {chon tot war. Und fie felber - vielleicht konnte fie ihren Lohn noch bei Lebzeiten ernten?

Mittlerweile hatte auch der Krüger vom abgebrannten Kar— roſilm⸗Krug einen ÜUberſchlag gemacht, ruhig wie am Ende eines Markttages, wenn viele Leute auf den Straßen geweſen waren, über die Kaſſe ſeines Schanktiſches. Fünf von den Mordbrennern erkannte er wieder, fünf ganz beſtimmt, und zum Glück war auch der Illuſti-Jüri unter den fünfen, dort auf der vorderſten Bank, dieſer großſpurige Hund!

Dem Illuſti⸗Jüri, dem konnte man es heute eintränken! dachte ein anderer. Erſt einem das Mädchen abſpenſtig zu machen und es hinterher in der Schande ſitzen zu laſſen und obendrein mit Haſenſchrot zu antworten, wenn man ihm ſagte, was für ein Schuft er wäre ...! Gerade ſah er herüber. Ja, mochte er nur Korinthen ſchwitzen vor Angſt! Jetzt ..

Jetzt traten die Richter ein. Eins - zwei - drei - - fünf Offi: ziere. Und zwei Schreiber. Wie? Was war denn? Ach ſo, auf: ſtehen ſollte man, wenn ſie kamen, ſo war das Knuffen und Puffen gemeint.

Der Karroſilm⸗Krüger ſtand ehrfürchtig auf. Dort kam der hohe Offizier, der ihn fo freundlich angehört hatte. Er hatte mit der größten Bereitwilligkeit auch eine tiefe Verbeugung, wie vor dem heiligſten Heiligenbild, der Muttergottes in Kur⸗ rende, gemacht, aber ſchon ohne den Bückling perlte ihm der Schweiß aus dem fettigen Haar die niedrige Stirn hinab, ſo gut angezogen, ſo geſpannt war er in der ſteifen Hemdbruſt und in ſeinem Rachedurſt, daß die Brandſtifter endlich büßen möchten.

Die Offiziere waren an den Tiſch getreten, der Rittmeiſter zu dem hohen Stuhl in der Mitte, Pjotr Sergejewitſch Charuſin ihm zur Rechten, zu feiner Linken der Leutnant Wladimir Kar:

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lowitſch Möller; Maklakow und der Kornett Koſljaninow biel: ten die Flügel beſetzt. An den Schmalſeiten des Tiſches rich⸗ teten die Schreiber ſich ein, breiteten das Papier aus, griffen zu den Stiften, zogen ſich die Tiſchlampen vor ihrem Platz näher heran. Und mit den Offizieren ſetzten fich alle wieder. Nur die Wachen um das Geviert der Gefangenenbänke blieben ſtehen. Jetzt erſt trug eine der Ordonnanzen aus dem Nebenzimmer, aus dem die Offiziere gekommen waren, ein Tiſchchen herein, auf dem etliche Gegenſtände lagen. Was es war, blieb den meiſten verborgen, denn der Ulan ſtellte das Tiſchchen hinter die Richter, ſo, daß der Rittmeiſter oder der Leutnant Möller nach hinten greifen mußten, wenn ſie etwas brauchten. Der Leutnant wandte ſich um und ſchien die Gegenſtände noch ein⸗ mal zu muſtern, ob auch nichts fehlte von all dem, was zumeiſt er ſelber hinter den Namen der Gefangenenliſte vermerkt hatte: eine Photographie, die eine kriegeriſch ausgerüftefe Mi⸗ liztruppe der Aufſtändiſchen und in ihren Reihen viele von den Geſichtern zeigte, die jetzt den Richtern zugewandt waren, gol⸗ dene Uhren mit Zetteln daran, wem ſie einſt zu Recht gehört hatten und bei wem man ſie in den letzten Tagen gefunden, Waffen und Fahnen und endlich, obenauf, ein graues Leinen⸗ ſäckchen, das prall gefüllt war und ſo ſchwer wog, als ent⸗ hielte es Gold, nur Gold. Aber das meiſte von dem, was die Liſten hinter den Namen vermerkten, hätte auf dieſem Tiſchchen keinen Platz gefunden. Der große Saal wäre mindeſtens zur Hälfte gefüllt worden, wenn man in ihm aufgehäuft hätte, was auf Rücken, auf Karren und Wagen bei Nacht und Feuer⸗ ſchein in die ländlichen Höfe verſchleppt worden war. Dazu hatte das Feuer ein ganzes Haus, ſo groß wie dieſes hier, ver⸗ nichtet, einen Beſitz, den viele Geſchlechter zuſammengetragen hatten, unſichtbare Güter, die unwiederbringlich verloren wa⸗ ren. Konnten dagegen die Pferde und Wagen zählen, die die Sieger über die Bande erbeutet hatten, oder die Säbel und Dolche, die Revolver und Gewehre, die Kriegskaſſen und Flug⸗ blätter, das ſilberne Tafelgeſchirr, das ſich ſtückweiſe in Hoſen⸗ und Manteltaſchen und Schulterſäcken gefunden hatte, eine ſchmutzige rote Fahne hie und da, der plumpe Stempel eines

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Revolutionstribunals, der (chon das Schickſal Ungezählter ent: ſchieden? Fünfundachtzig Herrenhäuſer waren in Livland nie— dergebrannt worden, fünfundvierzig in Kurland, vierundfiinf- zig in Eſtland! Und wieviel Scheunen und Ställe und Bren— nereien! Wieviel argloſe Tiere waren zu Tode gefoltert wor— den, nur weil ſie Deutſchen gehörten! Wie viele Kirchen waren geſchändet worden, wie viele Paftoren und Gutsherren, wie viele Soldaten und Offiziere erfchoffen, erſtochen, zerfleiſcht . . .! Aber wieviel lettiſche oder eſtniſche Bauern hatten auch mit einem Flintenſchuß durchs Fenſter büßen müſſen, daß ſie ihren Herren anhingen oder nur im Verdacht ſtanden, zu ihnen zu halten: all die ‚grauen Barone“, beinahe verhaßter als die Ba: rone ſelbſt! Wie viele Geſinde mit ihrem Stroh- oder Schindel— dach waren wie Fackeln verlodert, indes ihre Bewohner, halb von Sinnen vor Angſt, ſich im Qualm gegen die verſperrten Türen und Fenſter geworfen und ein Entrinnen geſucht hatten, das man ihnen unmöglich gemacht, bis ſie, vom Rauch erſtickt, unter dem zuſammenſtürzenden Gebälk ihres Hauſes verbrann— ten!

Die Richter hinter dem Tiſch und die Schreiber, die Zeugen auf ihren Bänken und die Angeklagten, die Ordonnanzen in der Ecke unter dem Heiligenbild, die wie zu Standbildern er— ſtarrten Ulanen um das Geviert in der Mitte des Saales, Sekunden oder nur den Bruchteil einer Sekunde lang war alles totenſtill und unbeweglich, als wartete man noch auf etwas oder als wäre ſie alle, die vielen Menſchen, eine Scheu angekommen, in die gefahrvollen Beziehungen zueinander zu treten, die hier das Geſetz des irdiſchen Rechtes gebot: ſich nie wieder verein— bar voneinander zu ſcheiden, für manchen vielleicht über den Tod hinaus, und im Leben noch eben dieſes Recht anerkennend, das ihnen den Tod beſtimmen konnte. Dieſes in den Augen der Angeklagten ſeit einiger Zeit ſoundſo oft gereinigte, gerechter gewordene Recht, wenn es, von freiheitsliebenden ruſſiſchen Richtern oder Richtern aus ihrem eigenen Volk geſprochen, ſolche Kämpfer wie ſie für den Mord an einem Deutſchen nur zu einer kurzen Freiheitsſtrafe oder für Raub und Branodftif- tung nur zu polizeilicher Haft verurteilt hatte, weil man darin

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nur einen öffentlichen Unfug‘ zu beftrafen für nötig befunden. Dieſes geſchändete, erniedrigte, von beſtechlichen oder insgeheim mit den Aufrührern liebäugelnden Richtern ſoundſo oft ver⸗ hurte Recht, empfanden die fünf Offiziere. Dieſes Recht, das feine Hoheit aus göttlichem oder vermeintlich göttlichem Auf: trag in politiſchen Plänen verloren hatte, und dazu ſeine Würde, das aber, wenn auch nicht in zurückgewonnener Hoheit und Würde, ſo doch in voller Strenge den Taten dieſer vierund⸗ dreißig Gefangenen anzulegen ein Befehl des Oberkomman⸗ dierenden dem Rittmeiſter noch vor wenigen Stunden geboten hatte. Es war nicht das Recht, das ſonſt von Richtern und Staatsanwälten und einer Heerſchar von Beamten durch dick⸗ leibige Aktenbündel gezerrt wurde, bis es zu einem Schemen geworden war und, bedrängt von unzähligen politiſchen Knif⸗ fen und Pfiffen und geheimen ehrloſen Pflichten, keinerlei An: ſpruch mehr darauf erheben konnte, ein Maß für das Tun und Laſſen der Menſchen zu ſein. Es war ein Recht, das ſich ſchnell und aktenfremd gegen jeden Übeltäter richtete, ſo, wie ein waches Gewiſſen ſich gegen den auflehnt, der es beleidigt; ein Recht ohne Rückſichten, ein Recht der Ehre gegen Ehrloſe, ein Recht, das nicht in Anſchauungen davon wurzelte, was der Menſch im Frieden ſeinem Mitmenſchen ſchuldet, ſondern ein Recht, das wie mit dem Geißelhieb der Furien trifft, ein Recht, das als düſteres Geſetz den Zeiten entſteigt, da der Menſch und der Friede nichts gelten: das Kriegsrecht.

Es gab keine Berufung gegen ſeinen Spruch, mochte er auf Tod, auf Rutenhiebe oder auf die Verbannung nach Sibirien lauten; und war auch der Zar der Statthalter Gottes im Heiligen Ruſſiſchen Reiche, in deſſen Macht es ſtand, ſelig zu ſprechen oder zu verfluchen bis ins letzte Aon -: Es war das Recht der ſchuldbeladenen Erde, in deſſen Spruch der Irrtum geſät iſt und in deſſen Wirken die Schuld, unter der alles Le⸗ bendige leidet.

Im Namen des Zaren eröffnete der Rittmeiſter Graf von Ovelacker die nächtliche Sitzung.

Aus einem kommenden Roman

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Achim von Arnim / Letzter Brief eines Freiwilligen

Lieber Freund! Das Leben iſt mir durch die Güte des Arztes aufgekündigt, ich muß leider ziehen, aber nichts würde mich ſo ſchmerzlich gekränkt haben, als wenn er mich mit guten Hoff— nungen aus der Welt hinausgelogen hätte. Er hat noch mehr Güte gegen mich, er will auch dieſen Brief an dich befördern, der kein Abſchied von dir werden ſoll, weil ich den längſt von dir genommen habe, ſondern mein Vermächtnis, ein Angeden— ken von allem dem, was ich in den letzten Stunden gedacht habe; wer verlangt von einem Angedenken, daß es viel wert ſei, wenn es nur wert gehalten wird. Du weißt, daß auch mich eine politiſche Meinung den Waſſen zugeführt hat; unter den Waffen aber fand ich mein Vaterland und mein Volk, das ich fo lange vermißt und vergebens geſucht hatte. Nun wundre ich mich, wie ich mit meinen genügſamen Brüdern alles vergeſſen habe, was ich einſt gedacht. Die Notdurft hat uns miteinander auch geiſtig in Reih und Glied geſtellt, ich habe viel gelernt, ich wünſche, daß fie brauchen können, was fie von mir gelernt haben. Alles andere, warum ich mich ſonſt liebte, was ich als wahr und herrlich mit der Inbrunſt meines Geiſtes geboren, mag ihnen vielleicht unverſtanden bleiben, aber untergehen wird es nicht, es klingt wider in der ganzen Welt, auch ohne Worte, ſo wie auch mich eine Stimme von jenſeit ruft, die ich nicht nennen kann. Von dem allen ſage ich auch dir kein Wort, ſon— dern ich ſpreche vom nächſten Nützlichen über meine tägliche Erfahrung. Täglich ſollte es geſagt werden, daß nur darum ſo viel Falſchheit und Verkehrtheit in der Welt fei, weil die Men— ſchen ſich ſcheuen, ihre Überzeugung wahr und frei auszuſpre— chen; in folchen Zeiten, wie die unſern, überzeugt ſich der Wahr⸗ heitsliebende recht, wieviel Unbeſtimmtes, Unausgemachtes, wie— viel Nachgeſprochnes oder bloß Geſprochnes in der Welt gilt, wie ſich der ernſte Menſch in den bedeutendſten Zweifeln ohne Troſt und Rat ganz auf ſich zurückgeworfen fühlt; und wie wenig der einzelne ſei, das fühlt ſich nur lebendig im Gebet und in der Schlacht. Darum ehre den Widerſpruch höher als die Zuſtimmung, meide vor allem die Heimlichkeitskrämereien,

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befonders wo vom Geſchicke der Völker die Rede. Das abficht: liche Geheimnis hat nur im praktiſchen Leben ſeine Anwendung; wo aber noch ſo viel Undurchdringlichkeit und Geheimnisvolles wie in Meinungen anzutreffen iſt, da kann nicht laut genug darüber verhandelt werden. Wer ſeiner Meinung die Offent⸗ lichkeit ſchädlich glaubt, der kann von ihrer innern Verderblich⸗ keit überzeugt ſein, es muß aber an den Tag kommen, welcher Geiſt quält und zerſtört und welcher beſeligt und beſeelt. - Bon denen, die wir gehört haben, find mir die ÜUberklugen beſonders verhaßt geworden, denen alles ſchon beſtimmt und abgelaufen ift, weil fie von nichts mehr mit der friſchen vielfachen Be— ſtimmbarkeit des Lebens ergriffen werden, die in der ganzen Zeitgeſchichte nur das leſen, was ſie zum Beweiſe ihrer Voraus⸗ ſetzungen brauchen können, die alle unendlichen Weltgeſchicke aus einer armſeligen Regel herleiten möchten. Solche Leute kamen leicht auf den Einfall, das Volk bearbeiten zu wollen, nämlich durch kleine Liſten es von dem überreden, nicht über: zeugen zu wollen, was ſie bequem finden zu glauben und zu tun. Zwar bleibt es gewöhnlich dabei, daß das Volk ſie über die unnütze Mühe verlacht, manchmal geht es aber ſchlimmer ab für einen von beiden oder für beide; daher kommt es, daß ſolche Leute in raſcher Abwechſelung ganze Völker in einem Augenblicke aufgeben, in anderm die unnützeſten Wunder von ihnen erwarten. Sie berühren ſich in ihrer Willkürlichkeit mit gewiſſen enthuſiaſtiſchen Syſtemmachern, die eine eigne Ge⸗ ſchichte ſich ſchaffen oder auch gar keine brauchen, ſondern Na⸗ tionen nach ihren Wünſchen vorhanden glauben und über Gott zornig werden, wenn es nicht zutrifft. Dieſe Syſtematiker möch⸗ ten gern ohne nähere Betrachtung alles Herrliche der einzelnen deutſchen Völker einem hohlen Wortideale von Deutſchland auf: opfern, wie es nie vorhanden geweſen iſt und wie es nie ent⸗ ſtehen kann, da alles, was für ein Volk beſtehen ſoll, ſeine zähen Wurzeln aus einer unendlichen Vergangenheit, alſo in ſich ſelbſt und in ſeiner allgemeinen Geſchichte, nicht aber aus einem Menſchen oder aus einem fremden nachzubildenden Muſterlande treibt und ernährt. Nur ein guter Preuße, Bayer, Oſterreicher uſw. wird auch ein guter Deutſcher im höchſten

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Sinne des Wortes werden, jedes von dieſen Völkern hat fein Gutes, aber ſie gehören alle zum Heil des Ganzen, jedes mag ſeiner ruhmvollen Zeit wohlgedenken, aber nicht um damit gegenwärtige Schwäche zu decken, ſondern daß jedes an ſeiner Stelle das Seine tue; wehe jedem, das nur klug iſt, dem andern die Gefahr aufzuwälzen, wehe jedem, der klug geweſen und nichts getan hat, denn er hat ſeine Zeit verloren! Die Zeit wird aber vor allem mächtig auftreten, nicht umſonſt wird ſo viel von der Zeit geſprochen, jede Tat bedarf nicht nur der rechten Stunde, ſondern auch des rechten Augenblicks zu ihrer Geburt und darum ſteter Geiſtesgegenwart, dieſe Stunde zu ahnden, den Augenblick zu benutzen. Freiheit von Leiden und Freuden bedarf jetzt ein Held, der alle führen ſoll, ein Leben im Ganzen, eine Ergebenheit in den Tod. Das alles fordert dieſe Zeit, und dieſe letzte Ergebenheit iſt mir allein von allem geworden, ich ſterbe unberühmt, aber nicht unnütz, ich habe gelebt für das Ganze, bald lebe ich mit ihm. Gott vergißt keinen in ſeiner letz— ten Not, der das Vaterlandes Not nicht vergeſſen hat, - ich hätte dir noch viel zu ſagen - lebe wohl, ſterbe frei und willig, - ich rufe mit Guſtav Adolf: Der allmächtige Gott wird nicht weniger leben, wenn ich ſterbe!

Aus dem Buch deutſcher Dichtung“

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Reinhold Schneider / Sonett

Wenn ferner ſchon des Mittags ſchlimmer Brand Und Weg und Wünſche gleiten ſachte nieder, Erſcheinen uns der Toten Bilder wieder,

Als kehrten wir in wohlvertrautes Land.

Und wunderbar! So rührte keine Hand Wie nun ihr Blick an die verweinten Lider, So innig klang kein Wort im Herzen wider Als ihr verwehtes, das uns wiederfand.

Und treulich ſchließen fie verborgne Kreiſe; Die uns im Leben ſchützend aufgenommen, Sie wirken uns mit neuer Kraft entgegen;

Zu lang entbehrte Freude rührt uns leiſe, Geſichter ſchimmern, und die Schatten kommen, Und Liebe führt uns heim auf dunklen Wegen.

Aus den ‚Öonetten‘

Annette von Droſte⸗Hülshoff / Bilder aus Weſtfalen

Wir haben ſchon früher von dem überaus friedlichen Ein⸗ drucke eines münſteriſchen Gehöftes geſprochen. In den Som— mermonaten, wo das Vieh im Feld iſt, vernimmſt du keinen Laut außer dem Bellen des ſich an ſeiner Kette abzappelnden Hofhundes und, wenn du dicht an der offenen Haustür her⸗ ſchreiteſt, dem leiſen Zirpen der in den Mauerneſſeln aus: und einfchlüpfeuden Küchlein und dem gemeſſenen Pendelſchwung der Uhr, mit deſſen Gewichten ein paar junge Kätzchen ſpielen; - die im Garten jäfenden Frauen ſitzen fo ſtill gekauert, daß du ſie nicht ahnſt, wenn ein zufälliger Blick über den Hagen ſie dir nicht verrät - die ſchönen ſchwermütigen Volksballaden, an denen dieſe Gegend überreich iſt, hörſt du etwa nur auf einer nächtlichen Wanderung durch das Schnurren der Spinn⸗ räder, wenn die blöden Mädchen ſich vor jedem Ohre geſichert glauben. Auch auf dem Felde kannſt du im Gefühl der tief— ſten Einſamkeit gelaſſen fortträumen, bis ein zufälliges Räu⸗ ſpern oder das Schnauben eines Pferdes dir verrät, daß der Schatten, in den du ſoeben trittſt, von einem halbbeladenen Erntewagen geworfen wird und du mitten durch zwanzig Ar— beiter geſchritten biſt, die ſich weiter nicht wundern, daß der ‚nachdenfende Herr‘ ihr Hutabnehmen nicht beachtet hat, da er nach ihrer Meinung , andächtig“ iſt, das heißt, den Roſenkranz

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aus dem Gedächtniſſe herſagt. - Diefe Ruhe und Eintönigkeit, die aus dem Innern hervorgehen, verbreiten ſich auch über alle Lebensverhältniſſe. - Die Toten werden mäßig betrauert, aber nie vergeſſen, und alten Leuten treten noch Tränen in die Augen, wenn fie von ihren verftorbenen Eltern reden. An den Eheſchlüſſen hat frühere Neigung nur ſelten teil; Verwandte und achtbare Freunde empfehlen ihre Lieblinge einander, und das Fürwort des Geachtetſten gibt in der Regel den Ausſchlag fo kommt es, daß manches Ehepaar fic) vor der Kopulation kaum einmal geſehen hat, und unter der franzöſiſchen Regie— rung kam nicht ſelten der lächerliche Fall vor, daß Sponſen, die meilenweit hergetrabt waren, um für ihre Bräute die nötigen Scheine bei der Behörde zu löſen, weder Vor- noch Zunamen derjenigen anzugeben wußten, die ſie in der nächſten Woche zu heiraten gedachten, und ſich höchlich wunderten, daß die Be— zeichnung als Magd oder Nichte irgendeines angeſehenen Ge— meindegliedes nicht hinreichend gefunden wurde. Daß unter dieſen Umſtänden die möglichſt große Anzahl der Anträge noch ehrenvoller und für den Ruf entſcheidender iſt als anderwärts, begreift ſich, und wir ſelbſt wohnten der Trauung eines wahren Kleinodes von Brautpaare bei, wo der Bräutigam unter acht— undzwanzigen, die Braut unter zweiunddreißigen gewählt hatte. Trotz der vorläufigen Verhandlung iſt jedoch ſelbſt der Glän— zendſte hier ſeines Erfolges nicht ſicher, da die Ehrbarkeit ein beſtimmtes Eingehen auf die Anträge des Brautwerbers ver— bietet, und jetzt beginnt die Aufgabe des Freiers. Er tritt an einem Nachmittage in das Haus der Geſuchten, und zwar jedes⸗ mal unter dem Vorwande, feine Pfeife anzuzuͤnden - die Haus: frau fest ihm einen Stuhl und fchürf ſchweigend die Glut auf, dann knüpft fie ein gleichgülfiges Geſpräch an vom Wetter, den Kornfrüchten uſw. und nimmt unterdeſſen eine Pfanne vom Geſimſe, die ſie ſorgfältig ſcheuert und über die Kohlen hängt. Jetzt ift der entſcheidende Augenblick gekommen. Sieht der Freier die Vorbereitungen zu einem Pfannkuchen, ſo zieht er ſeine dicke ſilberne Uhr hervor und behauptet, ſich nicht länger aufhalten zu können; werden aber Speckſchnitzel und Eier in die Pfanne gelegt, ſo rückt er kühnlich mit ſeinem Antrage heraus,

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die jungen Leute wechſeln die ‚Treue‘, nämlich ein Paar alter Schaumünzen, und der Handel iſt geſchloſſen.

Einige Tage vor der Hochzeit macht der Gaſtbitter mit ellen- langem Spruche ſeine Runde, oft meilenweit, da hier, wie bei den Schotten, das verwandte Blut bis in das entfernteſte Glied und bis zum Armſten hinab geachtet wird. - Nächſt dieſem dür: fen vor allem die ſogenannten Nachbarn nicht übergangen wer⸗ den, drei oder vier Familien nämlich, die vielleicht eine halbe Meile entfernt wohnen, aber in uralten Gemeinderegiſtern, aus den Zeiten einer noch viel ſparſameren Bevölkerung, als „Nachbarn“ verzeichnet ſtehen und, gleich Prinzen von Geblüt bor den näheren Seiten verbindungen, fo auch ihre Rechte und Verpflichtungen vor den vielleicht erſt ſeit ein paar hundert Jahren Näherwohnenden wahren. Am Tage vor der Hod): zeit findet der ,Gabenabend‘ ſtatt - eine freundliche Sitte, um den jungen Anfängern über die ſchwerſte Zeit wegzuhelfen. Abends, wenn es bereits ſtark dämmert, tritt eine Magd nach der anderen ins Haus, ſetzt mit den Worten: ‚Gruß von un⸗ ferer Frau“ einen mit weißem Tuch verdeckten Korb auf den Tiſch und entfernt ſich ſofort; dieſer enthält die Gabe: Eier, Butter, Geflügel, Schinken je nach den Kräften eines jeden —, und die Geſchenke fallen oft, wenn das Brautpaar unbemittelt iſt, ſo reichlich aus, daß dieſes um den nächſten Wintervorrat nicht forgen darf. - Eine liebenswürdige, das Volk bezeichnende Höflichkeit des Herzens verbietet die Überbringung der Gabe durch ein Familienmitglied; wer keine Magd hat, ſchickt ein fremdes Kind. Um Hochzeitsmorgen, etwa um acht, beſteigt die Braut den mit einer weißen, goldflinkernden Fahne geſchmück⸗ ten Wagen, der ihre Ausſteuer enthält; - ſie ſitzt allein zwiſchen ihren Schätzen, im beſten Staate, aber ohne befonderes Ab: zeichen, und weint aufs jämmerlichſte; auch die auf dem fol⸗ genden Wagen gruppierten Brautjungfern und Nachbarinnen beobachten eine ernſte, verſchämte Haltung, während die auf dicken Ackergäulen nebenher trabenden Burſche durch Huf: ſchwenken und hier und dort ein ſchwerfälliges Juchhei ihre Lu- ſtigkeit auszudrücken ſuchen und zuweilen eine alte blindgeladene Flinte knallen laſſen. - Erſt vor der Pfarrkirche findet ſich der

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Bräutigam mit feinem Gefolge ein, beſteigt aber nach der Trauung nicht den Wagen der Braut, ſondern trabt als ein: ziger Fußgänger nebenher bis zur Tür ſeines Hauſes, wo die junge Frau von der Schwiegermutter empfangen und mit einem „Gott ſegne deinen Ein- und Ausgang“ feierlich über die Schwelle geleitet wird. - Lebt die Mutter nicht mehr, fo ver: tritt der Pfarrer ihre Stelle oder, wenn er zufällig gegenwär— tig iſt, der Gutsherr, was für eine ſehr glückliche Vorbedeutung gehalten wird, die den Neuvermählten und ihren Nachkommen den ungeſtörten Genuß des Hofes ſichert, nach dem Spruche: „Wen die Herrſchaft einleitet, den leitet ſie nicht wieder her— aus.“ Während dieſer Zeremonie ſchlüpft der Bräutigam in ſeine Kammer und erſcheint alsbald in Kamiſol, Zipfelmütze und Küchenſchürze. In dieſem Aufzuge muß er an ſeinem Ehren— tage den Gäſten aufwarten, nimmt auch keinen Teil am Hoch— zeitsmahle, ſondern ſteht, mit dem Teller unterm Arme, hinter der Braut, die ihrerſeits keinen Finger rührt und ſich wie eine Prinzeſſin bedienen läßt. Nach Tiſche beginnen auf der Tenne die althergebrachten Tänze: ‚Der halbe Mond,, Der Schuſter— tanz“, „Hinten im Garten“, manche mit den anmutigſten Ver— ſchlingungen. Das Orcheſter beſteht aus einer oder zwei Gei— gen und einer invaliden Baßgeige, die der Schweinehirt oder Pferdeknecht aus dem Stegreif ſtreicht. ft das Publikum ſehr muſikliebend, ſo kommen noch wohl ein paar Topfdeckel hinzu und eine Kornſchwinge, die abwechſelnd von den Gäſten mit einem Spane aus Leibeskräften wider den Strich gekratzt wird. Nimmt man hiezu das Gebrüll und Kettengeklirr des Viehes, das erſchrocken an ſeinen Ständen ſtampft, ſo wird man zugeben, daß die unerſchütterliche Gravität der Tänzer mindeſtens nicht dem Mangel an aufregendem Geräuſche zu— zuſchreiben iſt. Hier und dort läßt wohl ein Burſche ein Juchhei los, was aber ſo einſam klingt wie ein Eulenſchrei in einer Sturmnacht. - Bier wird mäßig getrunken, Branntwein noch mäßiger, aber ſiedender Kaffee „zur Abkühlung“ in ganzen Strömen, und mindeſtens ſieben blanke Zinnkeſſel ſind in ſteter Bewegung. Zwiſchen dem Tanzen verſchwindet die Braut von Zeit zu Zeit und kehrt allemal in einem anderen Anzuge zurück,

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fo viel ihr deren zu Gebote ſtehen, vom Trauſtaate an bis zum gewöhnlichen Sonntagsputze, in dem ſie ſich noch ſtattlich ge⸗ nug ausnimmt, in der damaſtenen Kappe mit breiter Gold⸗ treſſe, dem ſchweren Seidenhalstuche und einem ſo impoſanten Körperumfange, als ihn mindeſtens vier Tuchröcke übereinan⸗ der hervorbringen können. Sobald die Hängeuhr in der Küche Mitternacht geſchlagen hat, ſieht man die Frauen ſich von ihren Bänken erheben und miteinander flüſtern; gleichzeitig drängt ſich das junge Volk zuſammen, nimmt die Braut in ſeine Mitte und beginnt einen äußerſt künſtlichen Schneckentanz, deſſen Zweck iſt, in raſchem Durcheinanderwimmeln immer eine vierfache Mauer um die Braut zu erhalten, denn jetzt gilts den Kampf zwiſchen Ehe und Jungfrauſchaft. - Sowie die Frauen anrüden, wird der Tanz lebhafter, die Verſchlingungen bunter, die Frauen ſuchen von allen Seiten in den Kreis zu dringen, die Junggeſellen durch vorgeſchobene Paare fie wegzudrängen; die Parteien erhitzen ſich, immer raſcher wirbelt die Muſik, immer enger zieht ſich die Spirallinie, Arme und Kniee werden zu Hilfe genommen, die Burſche glühen wie Ofen, die ehriür: digen Matronen triefen von Schweiß, und man hat Beiſpiele, daß die Sonne über dem unentſchiedenen Kampfe aufgegangen iſt; endlich hat eine Veteranin, die ſchon einige zwanzig Bräute in den Eheſtand gezerrt hat, ihre Beute gepackt; plötzlich ver⸗ ſtummt die Muſik, der Kreis ſtäubt auseinander, und alles ſtrömt den Siegerinnen und der weinenden Braut nach, die jetzt zum letzten Mal umgekleidet und mit Anlegung der fraulichen Stirnbinde ſymboliſch von ihrem Mädchentum geſchieden wird ein Ehrendienſt, welcher den (ſogenannten) Nachbarinnen zuſteht, dem ſich aber jede anweſende Ehefrau, die Gattin des Gutsherrn nicht ausgenommen, durch irgendeine kleine Dienſt⸗ leiſtung, Darreichung einer Nadel oder eines Bandes, ane ſchließt. Dann erſcheint die Braut noch einmal in reinlicher Hauskleidung und Hemdärmeln, gleichſam eine bezwungene und fortan zum Dienen willige Brunhildis, greift aber dennoch nach ihres Mannes bereit liegendem Hute und ſetzt ihn auf; die Frauen tun desgleichen, und zwar jede den Hut ihres eigenen Mannes, den er ihr ſelbſt ehrerbietig reicht, und eine ſtattliche

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Frauenmenuett beſchließt die Feier und gibt zugleich die Bor: bedeutung eines ehrenhaften, fleißigen, friedlichen Eheſtandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß ſie am Hochzeitstage ihres Mannes Hut getragen. Noch bleibt den Gäſten, bevor ſie ſich zerſtreuen, eine ſeltſame Aufgabe: der Bräutigam iſt näm— lich während der Menuett unſichtbar geworden, er hat ſich verſteckt, offenbar aus Furcht vor der behuteten Braut, und das ganze Haus wird umgekehrt, ihn zu ſuchen; man ſchaut in und unter die Betten, raſchelt im Stroh und Heu umher, durch— ſtöbert ſogar den Garten, bis endlich jemand in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quaſt ſeiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchenſchürze entdeckt, wo er dann ſofort gefaßt und mit gleicher Gewalt und viel weniger Anſtand als ſeine ſchöne Hälfte der Brautkammer zugeſchleppt wird.

Bei Begräbniſſen fällt wenig Ungewöhnliches vor, außer daß der Tod eines Hausvaters ſeinen Bienen angeſagt werden muß, wenn nicht binnen Jahresfriſt alle Stöcke abzehren und ver— ziehen ſollen, weshalb, ſobald der Verſcheidende den letzten Odemzug getan, ſofort der Gefaßteſte unter den Anweſenden an den Stand geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich ſpricht: „Einen Gruß von der Frau, der Herr iſt tof‘, worauf die Bienen ſich chriſtlich in ihr Leid finden und ihren Geſchäften nach wie vor obliegen. Die Leichenwacht, die in Stille und Ges bet abgehalten wird, iſt eine Pflicht jener entfernten Nachbarn, ſo wie das Leichenmahl ihr Recht, und ſie ſorgen mit dafür, daß der Tote ein feines Hemd erhält, recht viele ſchwarze Schlei⸗— fen und einen recht flimmernden Kranz und Strauß von Spie— geln, Rauſchgold und künſtlichen Blumen, da er unfehlbar am Jüngſten Tage in demſelben Aufzuge erſcheinen wird, wo ſie dann Lob und Tadel mit den Hinterlaſſenen zu teilen haben. Der Münſterländer iſt überhaupt ſehr abergläubiſch, fein Aber: glaube aber ſo harmlos wie er ſelber. Von Zauberkünſten weiß er nichts, von Hexen und böſen Geiſtern wenig, obwohl er ſich ſehr vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß dieſer wenig Veranlaſſung finde, im Münſterlande umzugehen. Die häufi⸗ gen Geſpenſter in Moor, Heide und Wald ſind arme Seelen aus dem Fegefeuer, deren täglich in vielen tauſend Roſenkrän⸗

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zen gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da man zu be⸗ merken glaubt, daß die ‚Sonntagsfpinnerin‘ ihre blutigen Arme immer ſeltener aus dem Gebüſche ſtreckt, der , diebiſche Torf: gräber‘ nicht halb fo kläglich mehr im Moore ächzt und poll: ends der ‚Eopflofe Geiger‘ feinen Sitz auf dem Waldſtege gänzlich verlaſſen zu haben ſcheint. Von den ebenfalls häufigen Hausgeiſtern in Schlöſſern und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar, aber auch nicht ſchlimm, und glaubt, daß mit ihrem völligen Verſchwinden die Familie des Beſitzers ausfter- ben oder verarmen werde. Dieſe beſitzen weder die häuslichen Geſchicklichkeiten noch die Tücke anderer Kobolde, ſondern ſind einſamer, träumeriſcher Natur, ſchreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen Gedanken langſam und ſchweigend an irgendeiner verſpäteten Milchmagd oder einem Kinde vorüber und ſind ohne Zweifel echte Münſterländer, da man kein Beiſpiel hat, daß ſie jemand beſchädigt oder abſichtlich erſchreckt hätten. Man unterſcheidet fie in „Timphüte“ und ‚Langhüte“. Die erfteren kleine runzlige Männchen, in altmodiſcher Tracht, mit eis: grauem Barte und dreieckigem Hütchen; die anderen über⸗ natürlich lang und hager, mit langem Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß der Timphut beſtimmten Segen bringt, der Langhut dagegen nur Unglück zu verhüten ſucht. Zuweilen halten ſie nur in den Umgebungen, den Alleen des Schloſſes, dem Wald- und Wieſengrunde des Hofes ihre philo— ſophiſchen Spaziergänge; gewöhnlich haben fie jedoch außer: dem einen Speicher oder eine wüſte Bodenkammer inne, wo man ſie zuweilen nachts auf und ab gehen oder einen knarren⸗ den Haſpel langſam umdrehen hört. Bei Feuersbrünſten hat man den Hausgeiſt ſchon ernſthaft aus den Flammen ſchreiten und einen Feldweg einſchlagen ſehen, um nie wiederzukehren, und es war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die Familie bei dem Neubau in einige Verlegenheit und Schulden geraten werde.

Größere Aufmerkſamkeit als dieſes verdient das ſogenannte „Vorgeſicht', ein bis zum Schauen oder mindeſtens deutlichen Hören geſteigertes Ahnungsvermögen, ganz dem Second sight der Hochſchotten ähnlich und hier ſo gewöhnlich, daß, obwohl

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Tilman Riemenſchneider: Engel der Verkündigung

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Diefer Geſichte verzeichnet, und es iſt höchft anziehend, fie mit manchem ſpäteren entſprechenden Begebniſſe zu vergleichen. Der minder Begabte und nicht bis zum Schauen Geſteigerte ‚hört‘ - er hört den dumpfen Hammerſchlag auf dem Sarg⸗ deckel und das Rollen des Leichenwagens, hört den Waffen⸗ lärm, das Wirbeln der Trommeln, das Trappeln der Roſſe und den gleichförmigen Tritt der marſchierenden Kolonnen. Er hört das Geſchrei der Verunglückten und an Tür oder Fenſter⸗ laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder ſeinen Nachfolger zur Hilfe auffordern wird. - Der Nichtbegabte ſteht neben dem Vorſchauer und ahnt nichts, während die Pferde im Stalle ängſtlich ſchnauben und ſchlagen und der Hund, jämmerlich heu⸗ lend, mit eingeklemmtem Schweife ſeinem Herrn zwiſchen die Beine kriecht. - Die Gabe foll ſich jedoch übertragen, wenn ein Nebenſtehender dem Vorgucker über die linke Schulter ſieht, wo er zwar für dieſes Mal nichts bemerkt, fortan aber für den anderen die nächtliche Schau halten muß. - Wir ſagen dies faſt ungern, da dieſer Zuſatz einem unleugbaren und höchſt merk⸗ würdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrüdt. Wir haben den Münſterländer früher furchtſam genannt; den⸗ noch erträgt er den eben berührten Verkehr mit der überſinn⸗ lichen Welt mit vieler Ruhe, wie überall feine Furchtſamkeit ſich nicht auf paffive Zuſtände erſtreckt. - Gänzlich abgeneigt, ſich ungeſetzlichen Handlungen anzuſchließen, kommt ihm doch an Mut, ja Hartnäckigkeit des Duldens für das, was ihm recht ſcheint, keiner gleich, und ein geiſtreicher Mann verglich dieſes Volk einmal mit den Hindus, die, als man ihnen ihre religiöſen und bürgerlichen Rechte ſchmälern wollte, ſich zu vielen Tau⸗ ſenden verſammelten und, auf den Grund gehockt, mit verhüll⸗ ten Häuptern ſtandhaft den Hungertod erwarteten. Diefer Vergleich hat ſich mitunter als ſehr treffend erwieſen.

Unter der franzöſiſchen Regierung, wo Eltern und, nachdem dieſe ausgeplündert waren, auch Geſchwiſter mit ihren Hab: ſeligkeiten für diejenigen einſtehen mußten, die ſich der Militär: pflicht entzogen hatten, haben ſich zuweilen alle Zweige eines Stammes, ohne Rückſicht auf ihre unmündigen Kinder, zuerſt bis zum letzten Heller exequieren und dann bis aufs Hemd aus⸗

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pfänden laſſen, ohne daß es einem eingefallen wäre, dem Vers ſteckten nur mit einem Worte den Wunſch zu äußern, daß er aus ſeinem Bretterverſchlage oder Heuſchober hervorkriechen möge, und ſo verhaßt, ja entſetzlich jedem damals der Kriegs— dienſt war, dem manche fogar durch freiwillige Verſtümme— lung, zum Beiſpiel Abhacken eines Fingers, zu entgehen ſuch— ten, ſo häufig trat doch der Fall ein, daß ein Bruder ſich für den anderen ſtellte, wenn er dachte, dieſer werde den Strapazen erliegen, er aber möge noch mit dem Leben davonkommen. Kurz, der Münſterländer beſitzt den Mut der Liebe und einer unter dem Schein des Phlegmas verſteckten ſchwärmeriſchen Religioſität, ſo wie er überhaupt durch Eigenſchaften des Her— zens erſetzt, was ihm an Geiſtesſchärfe abgeht, und der Fremde verläßt mit Teilnahme ein Volk, was ihn zwar vielleicht mit— unter langweilte, deſſen häusliche Tugenden ihm aber immer Achtung einflößen und zuweilen ihn tief gerührt haben. —Müſ— ſen wir noch hinzufügen, daß alles bisher Geſagte nur das Landvolk angeht? ich glaube, nein; Städter find ſich ja über: all gleich, Kleinſtädter wie Großſtädter. Oder, daß alle dieſe Zuſtände am Verlöſchen ſind und nach vierzig Jahren viel— leicht wenig mehr davon anzutreffen ſein möchte? Auch leider nein, es geht ja überall ſo!

Aus Annette von Droſte⸗Hülshoffs Sämtlichen Werken

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Rainer Maria Rilke / Drei Gedichte

Da dich das geflügelte Entzuͤcken über manchen frühen Abgrund trug, baue jetzt der unerhörten Brücken kühn berechenbaren Bug.

Wunder iſt nicht nur im unerklärten Überftehen der Gefahr;

erſt in einer klaren reingewährten Leiſtung wird das Wunder wunderbar.

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Mitzuwirken iſt nicht Überhebung an dem unbeſchreiblichen Bezug, immer inniger wird die Verwebung, nur Getragenſein iſt nicht genug.

Deine ausgeübten Kräfte ſpanne, bis ſie reichen, zwiſchen zwein Widerſprüchen .. Denn im Manne will der Gott beraten ſein. N

Die Frucht

Das ſtieg zu ihr aus Erde, ſtieg und ſtieg, und war verſchwiegen in dem ſtillen Stamme und wurde in der klaren Blüte Flamme,

bis es ſich wiederum verſchwieg.

Und fruchtete durch eines Sommers Länge in dem bei Nacht und Tag bemühten Baum, und kannte ſich als kommendes Gedränge wider den teilnahmsvollen Raum.

Und wenn es jetzt im rundenden Ovale mit ſeiner vollgewordnen Ruhe prunkt, ſtürzt es, verzichtend, innen in der Schale zurück in ſeinen Mittelpunkt.

Stimme eines Armen An der Hand des Engels

Mitte im Gerichte, Vater, ich verzichte:

Was ich ſeh, erreicht

nicht, was ich immer wußte: die rauſchende Herrlichkeit aller meiner Verluſte.

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Weißt du denn, wie weit meine Gefühle waren, wenn ich in deinen klaren irdiſchen Nächten ſtumm ſaß vor dem Nachtaſyle? Hunde gingen herum

um meine großen Gefühle. Meines Herzens Vermögen nahm unendlich zu

unter den Brückenbögen. Und der Schnee im Schuh, er zerging mir lind,

wie die Tränen zergehen einem getröſteten Kind.

Aus Rainer Maria Rilkes Ausgewählten Werken

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Jean Paul / Des Luftſchiffers Giannozzo Seebuch

Wunderbarer Tag! Hell ziehen ſchon die ſchimmernden Schwei— zergebirge mit ihren Tiefen und Zinnen vor mir heran und ſchüt— ten den Rhein weg; aber hinter mir wachſen eilig die Gewitter— wolken in den Himmel herauf und ſchweigen grimmig; die Lüfte gehen immer langſamer und bewegen mich kaum.

Jetzt regt ſich nichts mehr. Vor welcher Welt ſchweb ich ſtill! Vor mir donnert der Rhein, hinter mir das Wetter - die Stadt Gottes mit unzähligen glänzenden Türmen liegt vor mir tief in der Ferne ſtehen auf ewigen Tempeln weiße helle Götter— bilder, und der hohe König der Götter, der Montblanc, und der auf die tiefe Erde herabgeworfene Rhein ſteigt als ein weißer Rieſengeiſt wieder auf und hat den himmliſchen Regen: bogen um und ſchwebt ſilbern und leicht.

Was iſt das? Kommt mein Schickſal? Scharrt der ſchwarze Hahn? Ich wollte mich jetzt tiefer ſenken vor die herrliche, auf der alten ruhende neue Welt; aber ich konnte nicht; die Verbindung zwiſchen den Lufthähnen iſt durch das ſchnelle Auf:

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reißen in der Schlacht zertrennt; ich kann mich bloß, wenn ich nicht durch Windſtöße eine Alpe erreiche, eh mich das Gewitter ergreift, durch das Aufſchlitzen der Kugel erretten.

Jetzt trägt mich ein Windſtoß ganz nahe vor die göttliche Glanz⸗ welt. Aber ſchon arbeiten die Wolken lauter als der Strom, die ſchwarze Wolkenſchlange hinter mir ringelt ſich auseinander und ziſcht und ſchillert (chon neben mir im Oſten. - Der Sonnen⸗ wagen geht ſchon tief im Erdenſtaube. Wie fliegen die Gold⸗ adler der Flammen überall, um die Sonne, um die Eiskuppeln, um den zerknirſchten Rhein und um die geiſtige Wolke, und ruhen mit aufgeſchlagenen Flügeln an grünen Alpen aus. Ich glaube, ich ſoll heute ſterben, das große Gewitter wird mich faſſen. So ſterb ich gern, Verhüllter über mir; vor dem An⸗ geſicht der Berge und der Sonne und des gewölbten Blaues weicht gern mein Geiſt aus der einklemmenden Hütte und fliegt in den weiten, freien Tempel. Ich drücke die ſonnenrote Stunde und die gebirgige Welt noch tief ins brauſende Herz, und dann zerbrech es, woran es will.

O wie ſchön! In Morgen rauſchen Donner und Fluten, und auf ihnen hängt ſtatt des Regenbogens ein großes, ſtilles Far⸗ benrad, ein flammiger Ring der Ewigkeit aus Juwelen. - Die warme, ſanfte Sonne glimmt nicht weit von den Gewitterzak⸗ Een. - Noch fonnen die goldgrünen Alpen ihre Bruſt, und herr: lich arbeiten die Lichter und die Nächte in den aufeinander ge⸗ worfnen Welten der Schweiz durcheinander; Städte ſind unter Wolken, Gletſcher voll Glut, Abgründe voll Dampf, Wälder finſter, und Blitze, Abendſtrahlen, Schnee, Tropfen, Wolken, Regenbogen bewohnen zugleich den unendlichen Kreis.

Jetzt gähnet ein Wolkenrachen vor der Sonne; noch feb ich einen Sennenhirten mit dem Alphorn, deſſen Töne nicht herüberrei⸗ chen, am purpurnen Abhang unter weißen Rindern, und ein Hirtenknabe trinkt an feiner Ziege den Abendtrank. - Wie lebt ihr ſtill im Sturme des Seins! O die ſchwarze Wolke friſſet an der Sonne! - Das erhabne Land wird ein Kirchhof von Rie⸗ ſengräbern, und nur die weißen, hohen Epitaphien der Gletſcher glänzen noch durch. -

Ich bin geſchieden von der Welt - die unendliche Wetterwolke

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überdeckt die Schweiz und alles - unter dem ſchwarzen Leiden: tuch regnet es laut unten auf der Erde - es blitzt lange nicht und zögert fürchterlich. Sterne quellen oben heraus, und mir iſt, als ſchwämmen ihre matten Spiegelbilder als ſilberne Flocken auf dem düſtern Grund. - Ha! der Wind kehret um und treibt mich mitten über die ſtumme, gefüllte Mine, deren Lunte ſchon glimmt. Wie düfter! Ach, unter der Wolke werden noch Berg: ſpitzen in ſanftem goldnen Abendſcheine ſtehen.

Kein Blitz, nur Schwüle! - Aber ich merke, die Wolke zieht mich zu ſich. Ach! jetzt wölbt ſich auf einmal zuſehends ein zweites Gewitter über mir; beide ſchlagen dann gegeneinander, und eines greift mich, jetzt verſteh ichs.

Bis auf die letzte Schlagminute ſchreib ich, vielleicht wird mein Tagebuch nicht zerſchmettert.

Nun geraten ſchon die Enden der Gewitter aneinander und ſchlagen ſich. - Wie höllenſchwül! - Oho! jetzt riß es meinen Charonskahn in den brauenden Qualm hinab! - Ich ſehe nicht mehr. - Was iſt das Leben - die feigen hockenden Menſchen drunten ſingen jetzt gewiß zu Gott, und die Erbärmlichen wer— den gewiß jeden vermahnen bei meinem Leichnam. - Wie es hin: auf und hinab ſchlägt. - In Wörlitz war mein letzter Tag, das ahnte ich ja Himmel! der heutige Traum hat ja mich und mein Ende klar geträumt; er ſoll auch ganz wahr werden, und ich will jetzt mit meinem Poſthörnchen wütig ins Wetter blaſen, wie ihr Mozart drunten im Don Juan, und den Heuchlern auf dem Boden den Anbruch des Jüngſten Tages weismachen

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung“

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Gebrüder Grimm / Das Hirtenbüblein

Es war einmal ein Hirtenbüblein, das war wegen ſeiner wei⸗ fen Antworten, die es auf alle Fragen gab, weit und breit be: rühmt. Der König des Landes hörte auch davon, glaubte es nicht und ließ das Bübchen kommen. Da ſprach er zu ihm: „Kannſt du mir auf drei Fragen, die ich dir vorlegen will, Ant⸗

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wort geben, fo will id) did) anſehen wie mein eigen Kind, und du ſollſt bei mir in meinem königlichen Schloß wohnen.“ Sprach das Büblein: „Wie lauten die drei Fragen?“ Der König ſagte: „Die erſte lautet, wieviel Tropfen Waſſer ſind in dem Welt⸗ meer?“ Das Hirtenbüblein antwortete: „Herr König, laßt alle Flüſſe auf der Erde verſtopfen, damit kein Tröpflein mehr daraus ins Meer läuft, das ich nicht erſt gezählt habe, ſo will ich Euch ſagen, wieviel Tropfen im Meer ſind.“ Sprach der König: „Die andere Frage lautet, wieviel Sterne ſtehen am Himmel?“ Das Hirtenbüblein ſagte: „Gebt mir einen großen Bogen weiß Papier“, und dann machte es mit der Feder ſo viel feine Punkte darauf, daß ſie kaum zu ſehen und faſt gar nicht zu zählen waren und einem die Augen vergingen, wenn man darauf blickte. Darauf ſprach es: „So viele Sterne ſtehen am Himmel als hier Punkte auf dem Papier, zählt ſie nur.“ Aber niemand war dazu imſtand. Sprach der König: „Die dritte Frage lautet, wieviel Sekunden hat die Ewigkeit?“ Da ſagte das Hirtenbüblein: „In Hinterpommern liegt der De⸗ mantberg, der hat eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite und eine Stunde in die Tiefe; dahin kommt alle hundert Jahre ein Vöglein und wetzt fein Schnäblein daran, und wenn der ganze Berg abgewetzt iſt, dann iſt die erſte Sekunde von der Ewigkeit vorbei.“

Sprach der König: „Du haſt die drei Fragen aufgelöſt wie ein Weiſer und ſollſt fortan bei mir in meinem königlichen Schloſſe wohnen, und ich will dich anſehen wie mein eigenes Kind.“

Aus dem Buch deutſcher Dichtung

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Erneſt Claes / Der alte Dover

Der alte Pover ſteht vor der Tür ſeines Gartenhäuschens. Er hat wieder ſeine Gartenſchürze umgetan, die ſo lange Jahre feiern mußte, die lederne Taſche mit den Nägeln und der Gar⸗ tenſchere hängt ihm auf der linken Hüfte, er hat einen Weiden⸗ büſchel in der Hand. Und ſo ſteht Pover da, ſchweigend blickt

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er vor ſich hin und denkt anfcheinend an Dinge, mit denen er nicht fertig werden kann. Er wendet ſich ein paarmal um nach der Tür, um Zelia etwas zu ſagen, bedenkt aber noch rechtzeitig, daß er ſchon ſo oft dasſelbe geſagt oder gefragt hat. Und als er dann doch einen Schritt auf das Haus zugeht und beginnt: „Zeliq ...“, da erinnert er ſich wieder, daß Zelia nicht da iſt, daß er ſie fortgehen ſah, um für die Ziegen Gras zu ſchneiden am Rand des Grabens. So ſchüttelt Pover ſeinen grauen Kopf, murmelt ein unverſtändliches Wort und weiß ſich nicht zu helfen.

Seit einigen Wochen lebt der alte Pover in einem Glück, das er ſich fuͤr ſeine alten Tage nicht mehr zu erhoffen wagte, ſo daß ſein Geſicht ganz verjüngt ausſieht und in ſeinen guten Augen ein Glanz liegt, daß er mit einem Male viel ſtraffer und rüſtiger erſcheint. Nein, das hätte Pover ſich doch niemals träumen laſſen, daß er auf ſeine alten Tage das frühere Leben noch auf den Waſing wiederkehren ſähe! Er hatte ſich allmählich damit abgefunden, daß es aus ſei mit den Herren van Berdelaer, daß Herr Lutz van Berdelaer - fein kleiner Lutz von früher! - nach ſeines Vaters Tode wohl in der Stadt bleiben und das Waſing— haus ſamt Garten und allem dann auch Peter Coene gehören wrde. Pover hatte ſich wehmütig an dieſen Gedanken gewöhnt und wartete in ſeinem Gartenhäuschen geduldig, bis der Tod ihn holen würde. Jeden Tag ging er die Wege des verwilderten Gartens auf und ab, blieb hier einen Augenblick ſtehen, zupfte dort ein Zweiglein ab, und dann murmelte er laut unverſtänd— liche Worte. Es wurde Pover mit der Zeit auch gleichgültig, was aus dem Garten würde, den er ſo lange Jahre gepflegt hatte. Und dann war an jenem Märzmorgen Herr Lutz in das Gar— tenhaus gekommen, als Pover gerade im Begriff ſtand, ſeinen Gang durch den Garten anzutreten. Herr Lutz hatte ihm freund— lich guten Tag gewünſcht und die Hand geſchüttelt.

„Pover,“ hatte Herr Lutz lachend gefragt, „weißt du noch, da— mals, als ich dir im Garten helfen durfte?“

„Dh, ob ich das noch weiß, Herr Lutz!“ hatte Pover geantwor⸗ tet, und feine Augen hatten geleuchtet bei der ſchönen Erinne- rung, „ob ich das noch weiß! Ich könnte Ihnen noch alle Blumen

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zeigen, die ich für Sie gepflanzt habe, als Sie erft fo groß wa⸗ ren.“ Und Pover hielt ſeine Hand in der Höhe der Tiſchplatte. „Aber du haſt mich auch oft wilde Schößlinge und tote Sträu⸗ cher pflanzen laſſen, Dover, weißt du das noch?“ Und Herr Lutz lachte dabei ſo herzlich und klopfte Pover ſo vertraulich und liebevoll auf die Schulter, daß der alte Mann in tiefſter Seele gerührt war. Vor ſeinem inneren Auge ſtiegen die Bilder aus vergangenen Jahren auf, und mit einem Male ſagte er, was er damals ſo oft geſagt hatte: „Ei, ei, mein kleiner Lutz!“ Zelia wurde ein wenig verlegen über dieſe Vertraulichkeit, aber Herr van Berdelaer lachte im Gegenteil noch herzlicher.

„Und jetzt will ich dir einmal etwas ſagen, Pover,“ meinte er, während er auf dem Stuhl am Tiſche Platz nahm, „wir werden im Frühjahr wieder auf den Waſing ziehen, für immer.“

Da war Pover ſo erſtaunt geweſen, daß er eine Weile regungs⸗ los vor ſich hingeblickt und nichts zu ſagen gewußt hatte. Dann fragte er mit unſicherer Stimme, als glaube er nicht ganz rich⸗ fig verſtanden zu haben: „Sie wollen auf dem Waſing woh⸗ nen, Herr Lutz? Iſt das gewißlich wahr? ... Bleiben Sie denn nicht in der Stadt?“

Pover hatte wohl ſchon gehört, daß die junge Frau van Bercke⸗ laer, die mit Herrn Lutz einmal das Landhaus noch vor ihrer Hochzeit beſucht hatte, reich wäre, und er hatte deshalb im ſtil⸗ len gehofft, daß er für den Reſt feiner Tage in feinem Garten: häuschen bleiben könnte. Nach dem, was er erfahren hatte, war es ihm auch als ziemlich ſicher erſchienen, daß das junge Paar ſein Heim in der Stadt aufſchlagen würde. Und jetzt mußte er mit einmal hören, daß Herr Lutz für immer ... nein, das konnte Dover nicht glauben! Und Zelia blickte ebenſo ungläubig in das Herdfeuer.

Dann begann Lutz zu erzählen: Die junge Frau van Berckelaer wolle im Waſinghaus leben, er ſelbſt brauche nur an einigen Tagen der Woche in der Stadt zu ſein, und bald würden die Arbeiter kommen, um alles herzurichten, zu ſtreichen und auszubeſſern. Pover hörte, die Hände flach auf den Knieen, zu, faſt genau ſo, wie er am Sonntag der Predigt des Pfarrers zu lauſchen pflegte. Und je mehr Herr Lutz erzählt hatte, deſto

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mehr war Pover davon überzeugt worden, daß die gute alte Zeit doch noch einmal wiederkommen würde.

Da war in Povers Herz ein fo unſagbares Olid geſtrömt, daß er einen Augenblick nicht wußte, wie er ſich verhalten, was er mit ſeinen Händen anfangen ſollte. Er hatte zitternd ſein ſchwar— zes Pfeifchen geſtopft, und ſeine Finger bebten ſo heftig, daß er das Streichholz nicht genau über den Tabak halten konnte. Faſt unwillig ſagte er zu Zelia: „Mein Tabak iſt wieder viel zu feucht!“ Er wäre am liebſten ſogleich aufgeſtanden und durch den Garten gegangen.

„In einigen Wochen ſind wir alſo wieder im alten Haus, Po— ber ... und . . . du ſorgſt für den Garten, nicht wahr?“ Da mußte Pover wahrhaftig gewaltſam an ſich halten, um Herrn Lutz - feinen kleinen Lutz nicht an fein Herz zu drücken. Er legte fein Pfeifchen auf die Fenſterbank zurück, ſpielte mit den Fingern am Tiſchrand, und ihm war zumute, als wollte ein Schluchzen aus feiner Kehle brechen. Warum war Zelia nun auch gerade hinausgegangen, ſo daß er nichts zu ihr ſagen konnte?

„Ja, gewiß, Herr Lutz, gewiß, e... ich werde ...“

„Und nimm dir nur einen Knecht, Pover, wenn es nötig ſein ſollte, und ich helfe dir ſpäter natürlich auch, wie früher, aber diesmal läßt du mich nicht wieder wilde Schößlinge pflanzen, nicht wahr, Pover?“

Lachend hatte er ihm noch einmal die Hand gedrückt und war gegangen, die Tür hinter ſich zuziehend, ohne daß der alte Mann daran gedacht hätte, ihn bis an die Straße zu geleiten. Ja, Pover vergaß in dieſem Augenblick alles! Er ſtand ganz berftörf neben dem Tiſch und blinzelte, ſah die Wände der Stube an, eine nach der andern, ob ſich nicht etwas Wunderbares im Haus ereignet hätte, dann den Stuhl, auf dem ſoeben der Herr van Berckelaer geſeſſen hatte. Aber als er Zelia mit den Eimern klappern hörte und dieſe mit einem zufriedenen „Wer hätte das gedacht, nicht wahr, Vater?“ hereinkam und durch die Stube ging, wurde alles wieder ſonnenklar und wirklich. Pover er⸗ widerte nichts. Er ging plötzlich auf den braunen Kleiderſchrank zu und begann in der Ecke zwiſchen Wand und Schrank etwas

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unter der alten Werktagskleidung zu ſuchen, die dort an ein paar Nägeln hing. „Suchſt du etwas, Vater?“ fragte Zelia verwundert. „Allerdings,“ antwortete er, in einem Ton, der unzufrieden klingen ſollte, um ſeine Freude zu verbergen, „ja, wo haſt du denn meine Gartenſchürze wieder hingehängt?“ „Deine Gartenſchürze? Jeſſesmaria!“ Zelia machte große Augen. Tat ihr Vater nicht gerade, als hätte er dieſe Garten⸗ fchiirze dort vor einer Stunde hingehängt, wo er ſie doch ſeit Jahren nicht mehr gebraucht hatte? „Deine Gartenſchürze?!“ „Nun ja, meine Gartenſchürze!“ Jetzt klang Povers Stimme faſt böſe. „Was ſonſt als meine Gartenſchürze! Oder glaubſt du am Ende, ich wollte den Garten ſo liegen laſſen, wie er jetzt daliegt, wenn in einem Monat der Herr Lutz mit der jungen Frau hier ankommt? Glaubſt du das etwa?“ Ja, da war in feiner Stimme ein fo drollig-böſer Klang. Das war Povers Art, ſeine Zufriedenheit zu äußern. Eine kindliche Freude erfüllte ihn, und er wäre verlegen geworden vor Zelia, wenn er dieſer Freude nicht durch eine ſcheinbare Brummigkeit hätte Luft machen dürfen. Und das wußte Zelia ſehr gut. „Du haſt natürlich nicht gehört, wie Herr Lutz ſagte, der Gar⸗ ten müßte in Ordnung ſein, Zelia, und da gibt es eine Menge zu tun, zu beſchneiden und zu verpflanzen, und es wird allmäh⸗ lich höchſte Zeit ...“ Zelia ſah den Vater an. Schon lange hatte der alte Mann nicht mehr ſo munter geſprochen, ſich ſo für etwas begeiſtert. Und ſie erriet in ihrem ſchlichten Sinn, daß ihr Vater in all den ſtillen Jahren, die er, in ſich gekehrt, mit ihr in dem Gar⸗ tenhäuschen verbracht hatte, auf einen Tag wie dieſen ge⸗ hofft haben mußte. Sie ging ſogleich in ihre Kammer, um die blaue, ſorgſam gebügelte Gartenſchürze zu holen, und Pover machte die Bänder los, warf ſich das eine über die Schultern und band das andere auf ſeinem Rücken feſt. Das konnte er noch gut. Das Blau war ein wenig verſchoſſen, vorn war ein großer Flicken zu ſehen, und die Falten waren vom langen Lie⸗ gen ſo feſt geworden, daß die Schürze in ſteifen Vierecken an ihm herabhing.

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Und ohne noch etwas zu ſagen, als begäbe er ſich an feine ge: wohnte alltägliche Arbeit, ohne einen Blick auf Zelia, die ihn anſah, als hätte ſie den Vater noch niemals in dieſer Schürze geſehen, ging Pover in den Verſchlag neben der Stube, wo alle Gartengeräte von früher beiſammen ftanden. Er nahm feine Ledertaſche vom Haken, in der die Hippe und die Gartenſchere, das Okuliermeſſer und die Baumſäge nebſt einem Knäuel Bind— faden ſtaken, und hing ſie über die Schulter.

Aus dem Roman ‚Donkelhof und Waſinghaus'

*

Konrad Weiß / Gedichte Wanderer im Herbſt

Aus rauchenden Bächen lichtverklärt, zitternd von Tau,

aufgetan zu unendlicher Schau, opfert die Erde, was ihr beſchert.

Willig und heiter zugewandt dem lebendigen Spiel,

läßt der Wanderer ab vom Ziel, ſtill im Herzen, bevor er ahnt:

er bleibt, je weiter die Ernte zehrt,

zuletzt allein

zwiſchen Himmel und Erde im offenen Schrein, ehe das Land zur Ruhe kehrt.

Schwarze Erde hebt empor,

was in Säften ſtärker fror,

vor Gräfern rauh und Halmen ſteif nieder fiel im erſten Reif.

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Wehend was dem Himmel gleicht, wird im Boden wurzelleicht,

ſchirmt ſeinen Ort und dauert dann, fallend löſt es ſeinen Bann.

Der in Säften ſtärker friert, je mehr die Erde ihn gebiert, der aus der Grube ſpät bereit neigt über in verlorne Zeit,

der mit offnen Augen irrt,

wie der Wuchs zur Erde wird, welk und gebrochen hingeſtreckt, blind beperlt die Grube deckt,

ehe ihm das Haupt ſich neigt, größer ſich die Erde zeigt,

bis Ahnung aus der Bläue nickt, weiter als das Auge blickt.

Mittten im Baum

zittert ein einziges Blatt;

ſeliger Raum,

daß meine Seele nicht Stätte hat!

Wohin ſie eilt,

findet ſie ſich am Ziel,

wo ſie verweilt,

iſt ihr weilender Hauch zuviel.

Bittere Luſt

kommt erſt wie leiſe Luft heran, flieht durch die Bruſt,

daß ich die Erde nicht laſſen kann.

*

Durchs Fenſter

Der Gärtner trägt eilends ein Bäumlein mit Wurzeln, mit Wucht kommt der Regen.

Tauch unter, ſchau über, wie die Knoſpen ſich fangen; er ſcheidet im Zorne.

Aus Perlen ſchon ſelten durch glänzende Aſte nachblickt ihm die Sonne.

Wo ſteht nun das Bäumelein? Blank Himmel und Erde, nur Tropfen im Fenſter. Aus dem „Sinnreich der Erde“

Ernſt Moritz Arndt / Verſuch in vergleichender Völkergeſchichte

Lobe ich das nordiſche Volk und ſein Leben zu ſehr? Was Lob! Es iſt eben ein Glück, eine ſchönſte Gabe Gottes, welche Gott dem germaniſchen Menſchen überhaupt verliehen hat, dieſes geiſtig auflodernde, auffliegende, in alle Natur und alles Leben überfließende Gemüt, wo Gefühl, Gedanke, Verſtändnis in eins zuſammenrinnen. Es iſt ja nicht allein des Dänen und Schweden, es iſt auch unſer Erbe; nur daß es hier im Norden heller herausklingt und herausſprudelt und wonnevoller und entzückter erſcheint, wohl auch wegen der großen Gegenſätze der Naturdinge und der Jahreszeiten und des überraſchenden und plötzlichen Wechſels, der hier mehr erſcheint als weiter im Süden und eben durch feine Plötzlichkeit die Menſchen mäd): tiger ergreift und fortreißt, auch wohl der vielen wunderbaren

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Luftſpiegelungen und Lichterſcheinungen wegen, welche der Nor: den zeigt und wovon ſchon zu Tacitus Ohren die Sage geklun⸗ gen war. | Dieſer ruhige feſte Norden, diefer freundliche, gaftliche, ehren⸗ feſte Menſch hat ſeine gewaltigen Zeiten gehabt, deren Klänge zugleich erſchreckend und bezaubernd noch zu uns herunter tönen. Wo iſt der Normann nicht geſungen und geklungen, der unbe⸗ zwingliche Rieſe mit dem gewaltigen Schwert und der kurzen Streitaxt, der vom 8. bis 10. Jahrhundert das Schrecken der Völker war? und die Schweden der Guſtave und der Wittels⸗ bachiſchen Karle? Doch auch über ſie und ihre Taten hat die Stille, nicht die Vergeſſenheit ihre Flügel geſenkt; die Nordi⸗ ſchen haben endlich durch eigene Schuld, indem Skandinavien durch inneren Neid und Haß ſich gegenſeitig zerriſſen, die Mos⸗ kowiten groß gemacht und vor ihnen, die ſie weiland verachteten, zittern lernen und ihre reichſten, ſchönſten Lande an der öſtlichen Oſtſee an ſie verlieren müſſen. Jetzt ſeit dem jüngſten Men⸗ ſchenalter beginnen fie wieder mit Sehnſucht und Reue der alten Zeiten des Ruhms und der Macht zu gedenken und mit Beſon⸗ nenheit auf ihre Zuſtände und auf die Zuſtände der Welt zu blicken. Nicht bloß, daß die Völker, um mit den Franzoſen zu reden, im Aufmarſch ſtehen und im Vorſchreiten ſind, ſondern der Norden hat ſich ſeit dem letzten halben Jahrhundert an Menſchenkraft und Menſchenmenge außerordentlich geſtärkt und erinnert ſich mit ſtiller Würde wieder ſeiner alten glor⸗ reichen Degentage. Dieſen Gedanken hat er freilich nie ganz ver⸗ loren gehabt; es iſt unglaublich, welch ein ſtiller Stolz, ein von den früheſten Vätern überlieferter Stolz auf das Außerordent⸗ liche und Ungeheure der Vorzeit in der Bruſt jedes Bauern in Norwegen und Schweden lebt. Es iſt ein ſolches Gedächtnis der Väter ein Glück, deſſen ein Volk, das frei ſein und die Heiligtümer ſeines Daſeins auf Leben und Tod verteidigen will, nicht entbehren kann.

Gen Norden, gen unſern Norden alſo müſſen wir ſchauen. Die verſtändigen und edleren Dänen und Schweden ſchauen auf uns. Sie ſind durch alle natürlichſten Vorteile und Bande, durch Lage, Bildung, Verwandtſchaft, Religion, durch den gemein⸗

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Goethe: Blick aus Knebels Fenſter in Jena

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ſamen Feind, der unfer beider Grenzen belauert und den Ger: manen die ganze Oſtſee entreißen möchte, unfre gebornen Bun: desgenoſſen. Dänemark iſt es doppelt durch ſeine deutſchen Land— ſchaften; es muß Freundſchaft mit uns ſuchen und darf keinen Hader vom Zaun brechen. Wir Mächtigeren wohnen an ſeiner verwundlichſten Seite; es kann ſeine lange Halbinſel, es kann ſeine Inſeln gegen uns nicht ſchützen. Alſo Verwandtſchaft, Neigung, Liebe und Not gebieten hier Bündnis.

Dunkle Zukunft, hoffnungsvolle Zukunft, du wirſt vieles an— ders bringen und anders geſtalten, als wir meinen und wün— ſchen; aber eines wiſſen wir, und in dieſer Gewißheit können wir fröhlich unſre alten Augen ſchließen: Deutſchland iſt wie— der erwacht, es wird einem fröhlichen, ſonnigen Morgen und Mittag entgegenwandeln, und die Nacht feiner Tage wird die

fernſte ſein. Aus dem „Buch deutſcher Dichtung‘

*

Hans Friedrich Blunck / Knecht Ruprecht

Einmal, ſo im Mittwinter, als der Wilde Jäger unterwegs war, verlor ein Tier aus ſeinem Gefolge die Eiſen, ſein Reiter mußte mit Pferd und Hund zurückbleiben und verirrte ſich, als er den wilden Zug einholen wollte.

Lange ſuchte er. Endlich ſtieß er auf die Hütte einer armen Witwe; die hauſte mit ihren Kindern mitten im Wald. Und der Reiter, ein alter, graubärtiger Geſelle, warf die Tür auf, trat mit dem Hund ein, der auch gleich die Kinder anfuhr, daß eines von ihnen niederſtürzte, und verlangte zu eſſen und zu trinken. Die arme Frau erſchrak ſehr. Sie fragte nicht nach dem Namen noch nach dem Woher und Wohin, brachte haſtig, was gerade auf dem Herd ſtand, und wollte den Gaft zufriedenſtellen. Und der und trank, ſtreckte die Beine von ſich, lehnte ſich müde gegen die Wand und verſuchte, auf der Bank einzuſchlafen. Da ſtörte ihn etwas. Die Frau hatte ein Lichtlein auf den Tiſch der Kinder geſtellt; das flammte und kniſterte, ſo daß es dem

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Reitknecht in den Augen weh tat. Er ſchloß die Lider, aber der Glanz ſchien hindurch, er war ſeiner wohl ungewohnt nach den grauen Tagen in Regen und Sturm.

Er ſagte deshalb barſch zu der Frau: „Löſch das Licht aus! Siehſt du nicht, daß ich ſchlafen will?“ Aber die Mutter ſchüt⸗ telte den Kopf, und obſchon ſie viel Furcht hatte, widerſprach ſie und ſagte: „Löſchen darf ich es nicht; es winkt der himm⸗ liſchen Frau Gode, damit das Sonnenlicht wiederkommt und der Winter vorüͤbergeht.“

Gegen ſolchen hohen Namen wagte der Knecht nichts zu ſagen, er wußte, daß ſein Herr Tag um Tag nach ihr, die ihn trägt, Ausſchau hielt. Er brummte deshalb nur, wendete den Kopf ab und verſuchte wieder zu ſchlafen.

Es gelang ihm noch nicht, die Kleinen ſaßen um den Tiſch und ſangen leiſe. Da verlangte er rauh, das Singen ſolle unter⸗ bleiben. Aber die Frau verbot den Kindern die kleinen Stim⸗ men nicht, obwohl ſie nun doppelt Furcht hatte.

„Hörſt du denn nicht,“ fragte ſie, „daß es ein Lied zur Weih⸗ nacht iſt? Ach, wie käme die himmliſche Frau zu uns, wenn wir ſie nicht mit dem Singen der Kinder riefen!“

Wieder wagte der Knecht nicht, hart zu antworten. Als das Weib indes hinging und die Tür ein wenig öffnete, obwohl kleine Flocken hereintanzten und der Wind den Rauch vom Herd zu Wirbeln trieb, geriet der Reiter außer ſich: „Was haſt du jetzt vor? Du weißt, daß ich friere und ſchlafen will!“

Die Frau antwortete ſanft: „Die Himmliſche muß doch die Kin⸗ der hören und das Licht ſehen, fie könnte ſonſt vorübergehen!“ Als der Knecht nun ſo viel von der hörte, die ſein Herr auf lan⸗ gen, langen Ritten vergeblich ſuchte, wunderte er ſich. Er blin⸗ zelte ſogar nach der Tuͤrſpalte, ob am Ende wirklich eine Fremde vorbeikäme, aber er ſah nur das Geſicht der Mutter, das voll Hoffnung hinausſchaute. Da wurde er bedrängt in ſeinem Herzen und wollte ſeine Rauheit an den Kindern gutmachen. Und weil er das eine, das ſein Hund umgeworfen hatte, noch bluten ſah, ſtand er auf, trat hinzu und ſtrich ihm über die Wunde. Gleich hörte das Rinnen auf, er vermochte es ja.

Die Kinder aber, die, als er nahe kam, vor Furcht die Köpfe

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niedergebeugt hatten, ohne im Singen aufzuhören, ſahen, daß der fremde Mann es gut meinte, und faßten Vertrauen zu ihm. Und eines, das großen Hunger hatte, fragte, ob es nicht etwas Brot haben dürfe.

Da brach er von dem Laib, den ihm die Frau hingeſtellt hatte, er gab ſich ſogar die Mühe und beſprach das Brot, ſo daß es ſüß wie Kuchen ſchmeckte. Und weil das Lied jetzt wirklich zu Ende war, trauten ſich die Kinder näher zu dem wilden Knecht; ein kleines Mädchen zeigte ihm ein Pferdchen, dem fehlten Kopf und Schwanz. „Oh, wenn es weiter nichts iſt!“ lachte der Mann und ging daran, beides wieder anzuflicken. Während— des dachte er heimlich an ſeinen Herrn, der auch in der heiligen Weihnacht die Menſchen beſchenkt, und ſah auf die Mutter, die ihm zuſchaute und deren Augen glänzten, wie ſolches Licht ge— wiß nur von der himmliſchen Frau Antlitz kommt. Da gefiel es ihm, eifriger zu helfen, und als ein Knabe einen Hund haben wollte, knetete er ihm gleich einen, der wahrhaft laufen und bellen konnte.

Wie ſchrieen und hüpften die Kinder da und wollten bald alle ein Spielzeug. Der Knecht mußte ſeine Finger ſchon fleißig ge— brauchen; ein Geſchenk nach dem andern ſprang daraus her— vor: Puppen und Bälle zum Werfen für die Mädchen, Wagen und Reitersleute für die Jungen, und ich weiß nicht was alles. Und je mehr die Kinder lachten und je dankbarer die Frau ihm zuſah, um ſo eilfertiger wurde der Mann. Als er einen Apfel fand, den das arme Weib verwahrt hatte, machte er gleich einen Tiſch voller Apfel daraus, und als das kleinſte Kind ihm zwei taube Nüſſe zeigte, mit denen es ſpielte, da wußte er es ſo ein⸗ zurichten, daß ein Beutel davon in der Kammer ſtand. Denn wenn er auch nur ein Knecht des Wohljägers - des Wilden Jägers - war, fo wußte er doch mit allerhand guten Künſten Beſcheid.

Wie der Mann nun mitten im Werk war, kam draußen noch einmal eine furchtbare ©turmbo näher. Und gerade als die Frau ſich nun doch zu fürchten begann und die Tür ſchließen wollte, ſprang die krachend auf, der Wohljäger trat über die Schwelle und hinter ihm ein allmächtiges Gedränge von hohen

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Herren und holden und unholden Gefellen. Die begannen dröh⸗ nend zu lachen, als ſie den alten Reiter mitten unter den Kin⸗ dern ſahen, das Spielzeug in der Hand. „Was tuſt du hier?“ murrte auch der Wilde Jäger. Der Knecht, der eben noch froh geweſen war, ſeinen Herrn wiederzuſehen, merkte erſchrocken, daß er ſich verantworten ſollte. „Ach,“ ſagte er, „das iſt ſchwer zu erklären. Seht, Herr,“ und es {chien ihm wirklich, als fei er um deswillen geblieben - „ſeht, die Kinder ſangen die himmliſche Frau herbei; wie mich dünkt, für uns alle. Man ſollte ſolches Singen nicht gering achten und es belohnen.“ „Er war ſo gut zu den Kindern“, ſagte die Witwe fürbittend und ſtreckte die Hände aus. Der Wohljäger ſah fie an, aber es war zugleich, als ſchaute er über alles hinweg. Dann wandte er ſich ſeufzend dem Reiter zu. „So bleib noch,“ befahl er, „und geh auch in die andern Häuſer und laß alle Kinder ſingen. Vielleicht, daß ſie, die wir ſuchen, ſich doch raſcher zu uns wendet, wenn ſie es hört.“ Da freute ſich der Knecht - Ruprecht hieß er und ift dem auch gehorſam gefolgt. Und er geht noch heute jährlich durch alle Häuſer, um die guten ſingenden Kindlein zu beſchenken. Aber auf Griesgrame und Beſſerwiſſer, auf Faulpelze und Hage⸗ ſtolze läßt er Rute und Plagen fallen. Denn er iſt ein alter Reiter und fackelt nicht lange.

Aus: Das Geſtühl der Alten (Inſel⸗Bücherei)

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Wilhelm Müller / Der Wegweiſer

Was vermeid ich denn die Wege, Wo die andren Wandrer gehn, Suche mir verſteckte Stege

Durch verſchneite Felſenhöhn?

Habe ja doch nichts begangen, Daß ich Menſchen ſollte ſcheun -

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Welch ein törichtes Verlangen Treibt mich in die Wüſten ein?

Weiſer ſtehen auf den Straßen, Weiſen auf die Städte zu, Und ich wandre fonder Maßen, Ohne Ruh, und ſuche Ruh.

Einen Weiſer ſeh ich ſtehen Unverrückt vor meinem Blick; Eine Straße muß ich gehen, Die noch keiner ging zurück. Aus dem „Buch deutſcher Dichtung‘

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Karl Heinrich Waggerl / Aus der Heimat

Ich möchte gern einmal etwas von dem Land erzählen, in dem ich daheim bin, von meinen Landsleuten alſo und von ihrer Lebensart. Etliches aus dem nächſten Umkreis meines Daſeins, anderes aus einer ſehr fernen Zeit, Bilder, die mir ſelber fremd ſind und doch auch wieder beglückend vertraut.

Denn ich lebe gewiſſermaßen ein zweites Mal, ich war ein Kind, dann ſtarb ich im Kriege und fing als ein anderer Menſch ein völlig neues Leben an. So mag denn vieles weit hergeholt ſchei— nen und abſonderlich klingen oder gar nicht zur Sache gehörend, aber das iſt vielleicht kein Schaden. Denn jedes Bild rundet ſich vom Rande her.

Mit meiner Mutter fange ich an. Sie war Näherin, in ihren beſten Jahren die einzige im ganzen Tal, die ſich noch darauf verſtand, einen Miederleib richtig zu nähen und alles, was zur alten Tracht gehörte. Dieſem Umſtand verdanke ich ſelber einige Kenntniſſe in der Schneiderkunſt. Und ſoviel ich davon auch wie: der vergeſſen habe, ich kann mir doch heute zuweilen noch den Spaß erlauben, die Weibsleute bei ihren Einkäufen auf dem

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Jahrmarkt zu beraten, was die Güte des Tuches betrifft oder die Machart eines Uberrockes.

Die Mutter hatte ihr Handwerk freilich nicht ordentlich erlernt. Aber wie ſie alles im Leben beherzt und entſchloſſen angriff, ſo nähte fie eben auch, was in unſerem dürftigen Hausweſen nöfig war, einen Kittel für mich, ein Sonntagshemd für den Vater oder eine Schürze für fie felbft. Hemd und Schürze waren aus einerlei billigem Zeug geſchnitten, und dennoch hatte jedes Stück, das der Mutter aus der Hand ging, etwas Beſonderes an ſich. Ihr bewegliches und erfinderiſches Weſen war nie mit dem Ge⸗ wöhnlichen zufrieden. Darum konnte der Vater beim Kirchgang eine gefältelte Hemdbruſt ſehen laſſen, wie es keine in der gan⸗ zen Gemeinde gab, und die Krauſe am Schürzenlaß der Mutter war ein Mirakel für die Nachbarin. Die wollte nun auch ſo eine Schürze haben, aus Seide, verſteht ſich. Aber Seide oder Kattun, am Ende machte es der Verſtand, den Gott auf ſeine Weiſe verteilt, zum Glück für die armen Leute. Die Mutter konnte ja nicht in Muſterbüchern nachſchlagen und nichts auf dem Zeichenbrett entwerfen, ſie mußte ſich alles in ihrem Kopf ausdenken. Und wenn ſie auch mich mageren Däumling manch⸗ mal auf den Tiſch ſetzte, um einen Halskragen oder eine Buſen⸗ ſchleife an mir zurecht zu ſtecken, ſo hatte ſie doch keine richtige Hilfe daran, meine äußere Erſcheinung war ſchon damals nicht das Beſte an mir. Der Vater ließ ſich noch weniger gebrau⸗ chen, denn in dieſem ruhig-ernſten Mann ſteckte ein heimlicher Drang zu kindiſchen Späßen. Wenn er abends einmal in die Schürze der Nachbarin ſchlüpfen ſollte, gleich war er die dicke Nachbarin ſelber und blähte ſich auf, und das brachte die Mut⸗ ter zur Raſerei. Denn im Grunde haßte ſie die Arbeit am Näh⸗ tiſch. Manchmal geſchah es, daß ſie plötzlich alles hinwarf und einfach fortlief, irgendwo hinauf in die Berge oder auf eine Alm, die Bauerntochter. Dann ſaß der Vater einen Abend lang mit mir allein bei ſchmaler Koſt zu Hauſe, wir wußten ſchon Beſcheid. Am andern Tag kam die Mutter zurück, ſchweigſam und ein bißchen beſchämt nahm ſie ihr Tagwerk wieder auf. Wohlverſtanden: eine Schwierigkeit anzupacken, einem Einfall nachzutrachten, dem konnte ſie nie widerſtehen. Aber daß es

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dann fo lange währte, Stich um Stich, den ganzen Tag in der engen Stube, das ging ihr gegen die Natur, gegen ihren un— bändigen Trieb nach Freiheit und Bewegung. Etwas erfinden und etwas machen iſt eben zweierlei, und vielleicht will die ganze Welt nur deshalb nicht recht ins Lot kommen, weil den lieben Gott ſelber die Arbeit daran ſchon längſt verdrießt. Jedenfalls, ſogar der Pfarrer ſelber hätte einen Talar für die Feiertage bei der Mutter beſtellen können, er wäre nicht ſchlech— ter bedient worden als etwas ſein Mesner, dem unſere Werk— ſtatt eigentlich ihren Ruf in der ganzen Gegend verdankte. Der Messner trat eines Abends in die Stube, mit zwei Roß— decken und einer Schafkeule unterm Arm. Er gehörte zu unſe— rer weitläufigen Vetternſchaft, und die Mutter hielt große Stücke auf ihn, weil es doch immerhin wertvoll war, einen Ver— wandten unter dem Geſinde des Herrn zu haben. Und nun ſetzte der Mesner ſein umſtändliches Anliegen auseinander. Er käme allmählich in die anfälligen Jahre, meinte er, in denen man das Knieen auf dem Kirchenpflaſter und die Zugluft in der Glocken— kammer ſchlecht vertrüge, von den Verſehgängen gar nicht zu reden, ſeit die Leute die verdammte Gewohnheit angenommen hätten, immer bei Nacht und Unwetter zu ſterben. Und darum habe ihm die Vorſehung dieſe beiden Roßdecken für einen mar: men Rock zugewendet und die Schafkeule auch, die wolle er aber als Machlohn dreingeben.

Männergewand zu nähen gehört zum Schwierigſten in der gan— zen Schneiderkunſt, ich weiß das aus Erfahrung, denn ich habe mich auch darin verſucht. Als ich im Felde diente, beſchloß ich einmal, mir ſelber eine neue Hoſe zu machen. Ich dachte, wenn ich von der alten das Beſte nähme und meinen Mantel unten herum abſchnitte, bliebe mir genug Zeug dazu. Das wohl, aber der Schnitt geriet mir ſchlecht, und die Näherei auch, zuletzt be⸗ ſaß ich nur noch ein paar Streifen Tuch für Gamaſchen und ſtatt des Mantels eine kurze Jacke, an der zu beiden Seiten das weiße Taſchenfutter baumelte, eine wunderliche Tracht für einen kaiſerlichen Fähnrich.

Die Mutter freilich kämpfte mit anderen Schwierigkeiten. Der Mesner war nicht ſehr ebenmäßig gebaut, ſondern ſchief und

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budlig vom vielen Verneigen und Kreuzeſchlagen oder wovon ſonſt die Diener des Herrn alle krumm geraten, obwohl er ſie doch auch gerade erſchaffen hat. Was aber das Anliegen be⸗ traf, mit dem Gott ſeinen Knecht zu meiner Mutter ſchickte, ſo waren freilich die Lilien auf dem Felde leichter zu kleiden als die⸗ ſer verwachſene Mesner. Der Vater entwarf zwar ſofort einen Riß mit ſeinem Zimmermannsblei, aber es wurde doch nur eine Art Dachſtuhl daraus, nicht zu gebrauchen. Nein, die Mutter behalf ſich lieber ſelber, und nach einigen gewittrigen Tagen war der Rock auch wirklich fertig, man konnte ihn gleich einem Panzer in die Ecke ſtellen. Der Mesner, meinte der Vater, werde darin hängen wie der Schwengel in der Glocke.

Er kam denn auch zum Samstagabend und ſchloff in ſein Ge⸗ häuſe, ſchnaufend ſchüttelte er ſich darin zurecht. Als er aber merkte, daß er alle Gliedmaßen gebrauchen konnte, war er zu⸗ frieden und ging davon, eine rieſige Schildkröte kroch die Gaſſe hinunter.

Wegen dieſes Meiſterſtückes geriet ſpäter unſere ganze Familie in langwierige Händel mit der Sippſchaft des Schneiders, der nach dem Urteil meiner ſtreitbaren Mutter überhaupt der wi⸗ derwärtigſte unter ihren vielen Feinden war, ſeit fie ihn in der Jugend als Brautwerber ausgeſchlagen hatte. Gottlob, daß ſie dieſem Unglück entkam, es hätte ja auch mich gewiſſermaßen das Leben gekoſtet.

Aber alle Feindſchaft und Tücke konnten den Ruhm der Mut⸗ ter nicht mehr ſchmälern, die Leute liefen ihr ſchon von weit her zu. Es half dem Schneider gar nichts mehr, daß er die Mutter und den Mesner zuletzt auch noch vor das Gericht ſchleppte. Der Richter war ein verſtändiger Mann, er meinte, es ſeien beide Teile genug geſtraft, die Mutter, weil ſie den Rock nähen und der Mesner, weil er ihn tragen mußte. Ich aber nahm furchtbare Rache an dem Unhold, ich zog mit meiner Schleuder aus und ſchoß ihm ein Dutzend Kampferkugeln in ſeine Bienen⸗ ſtöcke.

Damals trug das Bauernvolk noch gern die alte Tracht, ein anderes Feſtgewand kannte man gar nicht. Heute iſt es auch in den entlegenſten Tälern nicht mehr ſo. Ich denke oft darüber

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nach, was die Leute wohl bewog, ein Beſitztum preiszugeben, das ſo viele Geſchlechter vorher einander treu überliefert hatten. Sie ſind doch auch ſonſt nicht anders geworden, nicht beweg— licher und aufgeſchloſſener dem Neuen gegenüber. Ein Vorteil beim Düngen, ein beſſeres Gerät, auch jetzt noch braucht es viele Jahre, bis endlich einer von den harten Köpfen den Argwohn überwindet, daß das Beſſere gar nicht immer auch ein Vorteil ſein müſſe.

Und es iſt gut ſo, denn wäre es anders, ſo gäbe es wahrſchein— lich längſt keine Bauern mehr, wenigſtens keine Bergbauern. Der Bauer hierzulande kann nicht heute ſo und morgen anders denken oder arbeiten oder wirtſchaften. Sein Tagwerk erhält den Antrieb gleichſam aus derſelben Kraftquelle, die das Ganze der Natur bewegt. Darum läuft es auch im gleichen Zeitmaß ab, mit der gleichen unveränderlichen Stetigkeit.

Der Bauer ſät ſein Korn in den Acker, aber dann iſt es ſeiner Pfiffigkeit entzogen, er kann es nicht wachſen laſſen, wie er will. Sonne und Regen wirken darauf ein und auch ſonſt alle geheimen Mächte, die das Lebendige beherrſchen, Schickſal. Es kann im Juli ſchon ſchwer vom Halm hängen, der Hagel kann es in die Erde ſchlagen, da helfen keine Kniffe.

Vielleicht habe ich unrecht mit meinen rückſtändigen Anſichten. Aber wenn ich einen Bauern plötzlich mit einer neuartigen Ma— ſchine fuhrwerken ſehe, dann muß ich manchmal an die Gebets— mühlen denken, die ein ſchlauer Mönch in Tibet erfunden hat. Es iſt dem Bauern gewiß zu gönnen, daß die Maſchine für ihn pflügt, wie den Mönchen, daß fie nicht mehr ſelber beten müf: ſen. Aber wie, wenn es insgeheim gerade darauf ankäme? Zäune flicken iſt zum Beiſpiel nicht angenehmer als Heuwen— den, warum, zum Teufel, gibt es keine Zaunflickmaſchinen? Am Ende trachtet der Bauer gar nicht mehr dem Segen der Arbeit nach, wie er ihn verdiene, ſondern der Arbeit ſelber, wie er ſie loswürde.

Ich meine ja nicht, daß der Bauer die ganze Laſt ſeines Tag— werks unbedingt auf dem eigenen Buckel tragen müſſe. Es iſt ſchon recht, wenn ſich die gefcheifen Leute in der Stadt auch für ihn die Köpfe zerbrechen. Aber die fremde Hilfe wird ihm zum

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Verderben, fobald fie die natürliche und notwendige Ordnung feines Lebens zerſtört. Es kann doch auch nicht irgendwer ge- laufen kommen und auf einem Bauernhof zu leben anfangen. Der Hof in der Einöde hat ſich in langer Zeit ſelber die Men⸗ ſchen geformt, die er braucht.

Arbeit tut ja nicht weh, ſo iſt es doch nicht, daß jemals ein ge⸗ ſunder Menſch an ſeiner redlichen Arbeit zugrunde ginge. Aber Hunger tut weh, an der Unzufriedenheit geht er zugrunde. Wenn man den Bauern in ſeinem Weſen verändert, wenn man ihm einredet, daß nur ein bequemes Leben ſchön und lebenswert ſei, dann darf ſich niemand wundern, daß er die Schinderei ſatt bekommt und davonläuft.

Warum räumt der Bauer ſeinen guten Hausrat auf den Dach⸗ boden und ſtellt ſich dafür den lackierten Schund aus den Fa⸗ briken in die Stube? Warum trägt er die alte Tracht nicht mehr und kauft ſein Gewand im Laden von der Stange? Nun, was den Hausrat betrifft, ſo will ich einmal übertreiben und ſagen, daß es das, was wir Bauernkunſt nennen, für den Bauern ſelber gar nicht gibt. Wenn er früher eine Truhe brauchte oder eine Brotſchuͤſſel, dann ging er zum Handwerker ins Dorf, und der machte ihm das Ding nach ſeinem Verſtand. Der Tiſchler war auch ein rechter Kerl, darum geriet ihm die Truhe ohne viel Rechnerei nach Maß und Form, er bemalte ſie, wie es herkömmlich war, und das alles ſpricht uns an, weil es ſo unverkennbar echt iſt, ſo einfältig und urſprünglich. Aber der Bauer ſelber machte ſich keine ſolchen Gedanken. Ihm war die Truhe recht, bis ihm beigebracht wurde, daß er etwas Ahn⸗ liches weitaus billiger haben konnte. Empfindſamkeit, Schwär⸗ merei ftünden dem Bauern ſchlecht an, er iſt hart und nüchtern, er hat für jedes Ding nur einen Maßſtab: wieviel Nutzen es ihm bringt oder wieviel Arbeit es ihn koſtet. Eine neuartige Senſe zu kaufen, das würde er ſich überlegen, die müßte er zu⸗ erſt beim Nachbarn geſehen haben. Aber das Glasbild an der Stubenwand, das heilige Herz Jeſu läßt er ſich willig gegen einen Oldruck abtauſchen. Daran liegt ihm nichts, ein papiere⸗ nes Herz Jeſu iſt ſo gut wie ein gläſernes, beſſer ſogar, weil auch die Heilige Familie koſtenlos mit darauf gedruckt iſt.

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Ich habe off verſucht, mich in einen ſolchen Handel zu miſchen. Es half nichts, wir redeten aneinander vorbei. Lauter Geſchwätz. Erkläre einer mit dürren und genauen Worten, was das iſt: Schund, Kitſch. Ich weiß es nicht. Ich ſpüre nur, daß mir da— vor zum Speien übel wird. Aber wahrſcheinlich kann ich eben deshalb auch kein Bergbauer ſein.

Und das alles wäre auch gar nicht wichtig, wenn es nicht doch, mit vielem anderen zuſammen, in den Weſenskern des bäuri— ſchen Menſchen träfe. In einem Städter kann ſich das Weltbild, das Lebensgefühl wandeln, das ſchadet nicht, die Welt, in der er lebt, iſt ſelber unſtet und veränderlich. Aber Geſetz und Form des bäuriſchen Daſeins ſind unlösbar verknüpft mit dem ewigen Gleichmaß der Natur.

Ich verſtand in der Kinderzeit gar nicht, warum ſich die Mut— ter ſo erzürnte, als die Bäuerinnen allmählich anfingen, ſtäd— tiſche Jacken zur Seidenſchürze und zum Trachtenhut zu tragen. Es dauerte lange, bis ſie ſich endlich des Verdienſtes wegen da— mit abfand, den Leuten ihren Willen zu tun. Und ſpäter, als es längſt keinen Miederrock mehr zu nähen gab, übte ſie ihre Kunſt noch für ſich allein und kleidete Puppen an, richtig mit dem ſtei— fen Unterzeug und dem Franſentuch und bis ins kleinſte getreu. Mir freilich lag nichts an dieſem Puppenkram. Die Mutter beklagte es oft, daß ich ihr gewiſſermaßen von Anfang an miß— raten war, weil ſie ſeinerzeit eigentlich vorhatte, ein Mädchen zur Welt zu bringen, etwas Sanfteres, das nicht ſo ſchnell in ſeine wilde Zeit hineinwüchſe. Aber ich geriet leider in jeder Hin— ſicht dem Vater nach, und, was am ärgerlichſten war, er half mir auch noch heimlich bei meinen Streichen. Kaum drehte die Mutter einmal den Rücken, gleich ſaß ich an der Nähmaſchine und quälte das klapprige Weſen mit meinen waghalſigen Ein— fällen. Sie mußte eine Seilbahn antreiben, einen Aufzug, mit dem man nützliche Dinge, Kieſelſteine und Fichtenzapfen vom Anger herauf bis in unſere Dachſtube befördern konnte. Und wer hatte die Schnur dazu geſtiftet, das Geſtell gebaut, die Rollen abgedreht? Der Vater nahm es ſchweigend auf ſich, wenn die Mutter klagte, fie wiſſe wirklich nicht, wofür fie Gott außer mit einem närriſchen Mann auch noch mit einem ver:

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rückten Kind geftraft habe. Hinterher fagfe er uns beiden zum Troſt, daß erfinderiſche Köpfe anfangs immer verkannt würden. Die Maſchine nähte allerdings nicht mehr, und wir wurden ſo lange auf Waſſer und Brot geſetzt, bis ſie wieder zu brauchen war. Der Vater überließ es mir, Rat zu ſchaffen, und ich machte mich unverzagt und auf gutes Glüd an die Arbeit. Manchmal genügte es, die Maſchine bloß ein bißchen zu fchüffeln, ein an⸗ deres Mal mußte man ihr den ganzen Bauch ausräumen, und dann blieb einem gewöhnlich ein Bolzen übrig oder eine Feder, die nirgends mehr hineinpaßte. Aber darauf kam es dem launi⸗ ſchen Geſchöpf auch gar nicht an. Plötzlich lief es eben doch wieder und kaute willig an ſeinem Faden.

Zu uns in die Werkſtatt kamen zumeiſt nur die geringeren Leute, die Mägde oder die heimlichen Kunden, ihre Liebhaber. War aber irgendwo bei einem reichen Bauern eine Hochzeit im Gange, ſo wurde die Mutter auf Stör ins Haus genommen, damit ſie die Ausſtattung nähte, vor allem die Tracht der Braut. Denn bei dieſer Arbeit war viel Geheimnisvolles zu beachten, wenn es der jungen Frau nicht ſpäter zum Unheil werden ſollte.

Wir blieben zwar nur über Tag auf dem Hof, dennoch nahm die Mutter jeden Morgen umſtändlich Abſchied von ihrem Haus: weſen, es lag ja allein bei Gott, ob wir uns abends alle fröh⸗ lich wiederſahen. Sie bekreuzte ſich und mich und den Vater und alles, was ihr teuer war. Dann wurde die Nähmaſchine auf den Schiebkarren geladen, ein Korb mit dem Werkzeug kam dazu und obenauf ein ſeltſames einbeiniges Weſen, die Kleider⸗ büſte. Die Mutter hatte ſie ſelber genäht und kunſtvoll mit Heu ausgeſtopft. Eine Göttin der fraulichen Fülle, aber doch ein bißchen unheimlich anzuſchauen, weil ihr der Vater ſtatt des Kopfes eine gläſerne Gartenkugel auf den Hals gekittet hatte. So trug die Hohlköpfige alles in wunderlicher Verzerrung nach außen zur Schau, was man ſonſt im Innern verbirgt, aber das, meinte der Vater, ſei bei vielen Weiberköpfen ſo.

Die Mutter ſchob den Karren, und ich mußte nebenher gehen und das Ganze im Gleichgewicht halten. Es war manchmal ein muͤh⸗ ſeliges Fuhrwerk die ſteilen Wege hinauf. Für mich freilich gab es nichts Schöneres, beſonders zur Sommerzeit, wenn einem die

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leidige Schule nicht mehr den Tag verderben konnte. Die Mutter war der Meinung, ich ſollte mich mehr an die Buttermilch und an die Krapfen halten und endlich ein wenig Speck anſetzen, ſtatt mich von früh bis ſpät herumzutreiben. Aber ſolche Gelegenhei— ten, in den Bauch zu ſparen, habe ich leider zeitlebens verſäumt. Ach, mir wird noch heute warm ums Herz, wenn ich an dieſe Zeit denke, und es iſt doch nur noch ein blaſſer Widerſchein der paradieſiſchen Glückſeligkeit, die ich damals genoß. In den drangvollen Tagen der Heuernte, wenn wir ſchon beim erſten Licht des Morgens unterwegs waren, ſtanden überall die Mäher breitbeinig in den Wieſen, es roch nach Tau und Gras, und die Vögel waren auch betrunken von der herben Süße dieſes Duf— tes, ſie ſtiegen hoch auf und ſangen, Gelernte und Ungelernte durcheinander. Dann und wann hielt einer von den Mähern inne, er betrachtete unſer ſeltſames Gefährt und rief etwas her— über. Aber die Mutter blieb keinem die Antwort ſchuldig, und was ſie ſagte, war von einer ſolchen Art, daß der Läſterer nichts mehr zu erwidern wußte. Er ſtellte betroffen ſeine Senſe auf, griff an die Hüfte nach dem Kumpf und ſchärfte das Blatt, und das war wiederum freudig anzuhören, dieſer ſilbern ſingende Klang über die Felder hin. Dazu der weite Himmel zu Häup— ten der Berge und unten das Tal noch im Zwielicht, aber weit entfernt. Man mußte die Hände um den Mund legen und einen Ruf hinunterſchicken, vielleicht hörte ihn der Vater, wenn er jetzt zu ſeinem Werkplatz ging.

Später am Tage durfte ich die Jauſenmilch auf die Wieſe fra: gen oder kühlen Moſt im irdenen Krug. Die Hofkinder liefen alle mit, der Hund auch, er mochte nicht länger vor der Tür liegen und ſich über die albernen Hühner ärgern.

Köſtlich war es, mit den Mannsleuten im Zaunſchatten zu ruhen und ihren ſparſamen Reden zuzuhören, den kurzen Opa: ßen, wenn nun das Weibsvolk anrückte, um das Heu auszu⸗ breiten und zu wenden. Oh, mähen zu können, daß ſogar der Großknecht weit zurüdbliebe, ſtark zu fein, braun gebrannt, eine haarige Bruſt zu haben, das war damals für mich das Nußerſte, was ein Menſch im Leben erreichen konnte. Aber leider, nicht alle Knabenwünſche hat mir das Leben erfüllt.

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Zum Heuen gehört auch ein tüchtiger Wetterguß, der brachte am ſchläfrigen Nachmittag wieder Schwung in die Arbeit. Man fpürte es ſchon lange vorher in allen Knochen, unmerk⸗ lich verglomm die ſchwelende Hitze über den Feldern. Wolken zogen herauf, federweiße zuerſt, dann regenträchtige mit dunk⸗ len Bäuchen. Plötzlich war auch der Wind wieder da, den Tag über ſchlief er pflichtvergeſſen in den Hecken, aber jetzt ſah er die Gelegenheit, der alte Widerſacher weiblicher Ehrbarkeit, und die Mägde hatten Not, ihre fliegenden Röcke zu bändigen. Warme Schatten überflogen uns, irgendwo am nahen Rand des Himmels zuckte es feurig auf, und ſchon war der Donner zu hören, das dumpfe Räderrollen vom Wagen des wurfge⸗ waltigen Gottes. Keine Zeit mehr zu verlieren, ſogar die Mut⸗ ter in der Nähſtube ließ die Nadel ſtecken und kam mit einem Rechen auf die Wieſe gelaufen.

Jetzt fuhr der Jungknecht mit dem Geſpann heraus, auch die Gäule waren ungeduldig und ſtiegen erregt im Geſchirr. Sogar ein Knirps wie ich zählte nun für einen vollen Mann. Ich mußte auf den Wagen klettern und das Fuder machen, und davon hing viel ab, das wäre des Teufels, wenn es ſchlecht ge⸗ tiefe und man würfe zuletzt noch um! Nebenher zu beiden Sei⸗ ten gingen die Knechte und reichten mir ungeheure Ballen Heu auf der Holzgabel zu. Haushoch wuchs das Fuder, und dabei wollte der Heuſegen kein Ende nehmen. Lang ſchon war der letzte Sonnenfleck im Tal erloſchen, Regenkühle wehte heran, unmöglich, daß wir auch den letzten Wagen noch trocken unter Dach brachten.

Aber es gelang eben doch. Das hätte ſich damals auch der ge⸗ ringſte Knecht nicht nachſagen laſſen, daß ſeinetwegen eine Zeile Heu verdorben ſei.

Nachher ſaßen wir alle in der Stube beiſammen, die Kinder drückten ſich in den Schoß der Frauen, die ganze Welt verſank in aſchgrauer Düfternis. Schäumendes Waſſer ſchlug gegen die Fenſter, furchtbar, wenn das grelle Licht der Blitze in die Stube ſprang, und der Donner ſchlug ſchmetternd darein, es war un⸗ gewiß, ob das Haus nicht längſt wie eine Arche auf unendlichen Meeresfluten ſchwamm.

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Aber dann kam der Bauer herein, er ftreiffe das Waſſer aus dem fchüfferen Haar und ſetzte ſich hin und nahm auch eins von den Kindern zwiſchen die Kniee. Grobes Wetter, ſagte er wohl, helf uns Gott. Und mit einem Mal war alles nicht mehr ſo ſchlimm. Der Hausvater vermochte zwar auch nicht die Blitze zu bannen oder den Hagel zu beſchwören, dennoch, er war wie— der unter uns; es geht vorüber, ſagte er.

Das iſt ſchon ſo: nur ein erfülltes Leben gibt dem Menſchen wirklich Wert und Feſtigkeit und Rundung in ſeinem Weſen, nicht Bildung oder Wiſſen oder feine Lebensart und was wir ſonſt noch für wichtig halten. Wie oft ſaß ich mit Freunden bei— ſammen und ſtritt die halbe Nacht mit ihnen, wir führten hitzige Reden über Gott und alle Dinge, und am Ende gingen wir un— zufrieden und ungetröſtet wieder auseinander, wir waren nicht weiſer geworden, nicht ſtärker und nicht beſſer. Aber ich kann immer einmal abends über die Felder laufen, mit meiner Un— ruhe im Leibe. Vielleicht iſt dann auch der Nachbar noch unter— wegs, ich lehne mich eine Weile an ſeinen Zaun und rede mit ihm. Was er ſagt, iſt durchaus keine Offenbarung für mich, er hat Sorgen mit dem Korn, eine Kuh wird kalben, darauf läßt ſich nichts Geiſtvolles erwidern. Und doch, es rührt mich an, da redet kein hohler Mund, ſondern ein ganzer Menſch aus der Fülle und Breite ſeiner Welt. Mit einem Mal bin ich nicht mehr ſo ver— zagt, ich gehe heim und nehme auch meine Arbeit wieder auf. Mir wird oft bang, wenn ich zu ſehen meine, wie dieſer Men— ſchenſchlag langſam mürbe wird und abſtirbt. Es iſt mir dann, als ſei mein Volk an ſeiner Wurzel krank. Und ich laufe umher auf den Höfen und forſche in den Geſichtern, ob ſie noch den Bildern gleichen, die ich mir aus der Kinderzeit bewahrt habe. Ja, damals gab es noch prächtige Leute in den weltfernen Tä— lern meiner Heimat. Da lebte noch der Vater Röck, ſo uralt, daß ihm feine eigene Jugend nur vom Hörenſagen bekannt war. An drei Frauen erinnerte er ſich, jede war einſichtig ge: weſen und hatte ſich zum Sterben gelegt, als ihre Zeit um war, ſie löſten ſich der Reihe nach gleichſam in lauter Kinder auf. Und darum hieß der alte Röck für jedermann in der ganzen Gegend einfach der Vater.

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Zu meiner Zeit freilich war fein hitziges Blut ſchon lange aus⸗ gekühlt. Das Alter hatte die rieſige Geſtalt zuſammengekrümmt, und vollends ſein Geſicht war nur noch ein wunderliches Ge⸗ bilde aus Falten und Furchen und Auswüchſen, da und dort mit weißen Haarbüſcheln beſtanden, es ſchien ein reiner Glücksfall zu ſein, daß ihm wenigſtens Naſe und Kinn noch ungefähr auf dem richtigen Fleck ſaßen.

Nein, der Kopf taugte nicht mehr viel, aber die Beine hielten noch ſtand. Den ganzen Tag hinkte er auf dem Hof umher und beklopfte alles mit ſeinem Stock, das Mauerwerk und das ſchwarze Gebälk. Oft liefen wir Kinder hinter ihm her und frag⸗ ten ihn aus: was tuſt du da, Vater, ſuchſt du einen Schatz? Vielleicht auch das. Aber vor allem wollte er ſich überzeugen, ob das Ganze noch verläßlich ſtand. Der Krieg bricht bald wie⸗ der aus, ſagte er, die Kroaten kommen.

Der Rödhof war ein feſtes, burgähnliches Gebäude. Im Keller: gewölbe gegen das Tal hin lagen noch die alten Kugelbüchſen auf den Schießſcharten, und an dieſen urzeitlichen Prügeln hatte der Vater Röck ſeine Freude. Er rieb die Läufe blank und ölte die Schlöſſer und prüfte den Anſchlag, und wo immer in der Gegend eine ahnungsloſe Kuh auf der Weide ſtand, er konnte ſie jederzeit haarſcharf aufs Korn nehmen. Denn der Vater Röck verſtand mehr vom Kriegs handwerk als die jungen Dächſe, er hatte unterm Kaiſer gedient und einen Feldzug mit⸗ gemacht.

Das beſchrieb er großartig, wie alſo die Jäger über ein ebenes Feld hin in die große Schlacht rückten, nach der Schnur aus⸗ gerichtet und Horn und Trommel dabei, und gegenüber lag der Feind in einem verdammten Gemäuer und ſchoß heraus wie nach der Scheibe, aber da wich keiner. Wo einer fiel, trat der Hintermann in die Lücke.

Einen Bäckergeſellen neben dem Vater, ſeinen beſten Kame⸗ raden, den warf es auch um, aber im Todeskrampf rollte er ihm unter die Beine und verbiß ſich in ſeiner Wade. Kein Wun⸗ der, daß die Front ein wenig aus der Ordnung kam, als der Tod den Flügelmann am Stiefel feſthielt! Was aber tat der Hauptmann? Er ſprang zornrot heraus im Pulverrauch und

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Se c . 1.

Georg Kolbe: Große Knieende (Teilanſicht

Die Magd verpfänden, aber das bedeute auch nicht viel, fie brauche nur darauf zu achten, daß ſie unterwegs auf dem Kirch⸗ gang nichts verlöre, kein Nägelchen vom Schuh und kein Fäd⸗ chen vom Kleid, nicht das geringſte.

Nun, es gab ſchon manche ihre Tugend für weniger hin, dar⸗ um beſann ſich auch die Magd nicht lang und ſchlug ein. Dem Teufel freilich wurde die Arbeit bald ſauer. Es ſaßen ja genug Schneider in der Hölle, aber keine ſolchen, die eine Brauttracht zu nähen verſtanden. Die büßten alle ihre Sünden ſchon bei Lebzeiten ab. So blieb dem Leibhaftigen nichts übrig, er mußte ſelber ans Werk gehen. Nächtelang ſaß er und ſtach ſich die Klauen wund, und doch war dem eitlen Mädchen nichts gut genug, immer noch fehlte ein Säumchen oder eine Krauſe hier und dort. Und als endlich gar kein Wunſch mehr offen blieb, war ihr doch der Hut zu niedrig, nein, er ſollte wenigſtens um zwei Zoll höher ſein als der höchſte Hut im ganzen Tal. Gut, auch das noch. Nun war alles zur Hochzeit bereit, aber als die Magd den koſtbaren Brautſchmuck anlegte, überkam ſie doch ein Grauſen, da verging ihr der Hochmut. War der Weg nicht zu ſteinig für ihre ſilberbeſchlagenen Schuhe, blies der Wind nicht zu heftig in das Franſentuch? So wunderſchön war ſie anzuſchauen, als ſie nun blaß und in ſich gekehrt im Braut⸗ zug ging, daß es ein jedes Weſen rühren mußte, nur die Wei⸗ ber ausgenommen, die ziſchten vor Neid. Aber die Steine leg⸗ ten ſich flach in den Weg, damit die Braut kein Nägelchen vom Schuh verlöre, der Wind hielt den Atem an, damit er ihr kein Fädchen vom Halstuch wehte. Und alles wäre gut abgelaufen, hätte ſich nicht plötzlich wieder der alte Hochmut im Herzen der armen Magd geregt, als ſie die feindſeligen Nachbarinnen un⸗ term Kirchentore warten ſah. Gleich vergaß ſie alle Vorſicht, ſtolz und hochaufgerichtet wollte ſie durch die Gaſſe der Bosheit gehen. Aber der Hut, verſteht ihr, der Hut war um zwei Zoll zu hoch! Er ſtreifte oben an den Türbalken und fiel und war nicht aufzuhalten. Und da half kein Stoßgebet mehr, von der Kirchenſchwelle weg holte die Magd der Teufel. Mit einem Mal ſah der Bräutigam nichts mehr neben ſich als ein gelbes Wölkchen Rauch.

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Man ſollte meinen, diefes ſchreckliche Strafgericht hätte allen eitlen Frauenzimmern eine Warnung ſein müſſen. Aber nein, ſie tragen ſeither nur die Hüte niedriger und binden ſie hinten mit breiten Bändern feſt, ſonſt iſt alles beim alten geblieben. Jedenfalls, ſo wurde mir die Geſchichte erzählt. Wenn ſie nicht wahr iſt, dann bleibt immer noch zu erklären, warum ſich hie und da die bäuriſche Tracht in Einzelheiten plötzlich änderte, obwohl ſie doch ſonſt unbeirrbar einer ſehr langſamen Entwick— lung folgte.

Erfahrene Leute, die ich deswegen um Rat fragte, gaben ſich Mühe, mir das Rätſel zu erklären. Jemand meinte ſogar, dieſes Phänomen ſei vielleicht den Mutationen vergleichbar, ſprung— haften Veränderungen, mit deren Hilfe die Natur auch ſonſt gern die Gelehrten ärgert. Aber mir iſt das zu ſchwierig. Da will ich doch lieber glauben, daß die Sache mit dem Teufel zu— ſammenhängt. Überall, wo Menſchen miteinander leben und wo ſie in ihrem Schickſal etwas Gemeinſames, Verbindendes fühlen, kann ſich auch eine Tracht entwickeln. Denn es liegt wohl das Bedürfnis tief im Weſen des Menſchen, ſinnfällig auszudrücken, daß er in eine Gemeinſchaft gehört. Einmal kam die einigende Kraft etwa aus der Arbeit, und ſo mochten die Berufstrachten entſtanden ſein, die Trachten der Zünfte in den Städten oder auch die Uniform einer Dorfmuſik, eines Schüt— zenvereines, weil es eben wohltut und einen Menſchen anſehn— licher macht, wenn er zeigen kann, daß er Freuden und Sorgen mit Gleichgeſinnten teilt. Selbſt die Kutten der Mönche und die Hauben der Nonnen ſind eigentlich nur Zeichen dafür, daß dieſe Leute übereingekommen find, dem lieben Gott auf eine be: ſonders ſeltſame Weiſe beſchwerlich zu ſein.

Und ſo muß ſich wohl auch die eigentliche Tracht, wie das Brauchtum überhaupt, auf etwas zurückführen laſſen, was den Menſchen eines ganzen Landſtriches über alle Unterſchiede des Berufes und des Standes hinweg gemeinſam iſt. Ich möchte es mit einem ungefähren Wort das Lebensgefühl nennen. Dieſes Gefühl wächſt aus der natürlichen Ordnung des Geſchehens, einer ſtrengen Ordnung, die das Daſein des einzelnen nicht durch⸗ aus nach feiner Willkür, ſondern nach geheimen Geſetzen ab:

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laufen läßt. Geburt und Tod und was den Menſchen dazwi⸗ ſchen noch ankommt, ſein ganzes Schickſal, das alles iſt in dieſe Ordnung eingewoben. Sie erſt gibt dem Leben Sinn und Feſtigkeit.

Ich will nicht etwa ſagen, daß der Bauer ſelber ſolchen Gedan⸗ ken nachhängt, er denkt gar nicht fo bewußt und uͤberwach, aber in der Art, wie er ſich tragt, wie er feine Feſte feiert oder feinen Glauben bekennt, drückt ſich doch eine Ahnung von dieſen Yu: ſammenhängen aus.

Wandelt ſich nun das Lebensgefühl des bäuriſchen Menſchen, nimmt ſeine Lebenshaltung, wie es früher ſchon zuweilen ge⸗ ſchah, durch fremde Einflüffe neue Formen an, dann hat das Brauchtum ſeinen Sinn verloren, dann trägt er eben auch die alte Tracht nicht mehr.

Das iſt zu beklagen, gewiß, wir andern beklagen es, weil wir an dieſen ſchönen und ehrwürdigen Dingen unſer Gefallen haben. Aber ob das genug iſt? Ob man überhaupt etwas Gewachſenes künſtlich am Leben erhalten kann, wenn ihm einmal der näh⸗ rende Boden entzogen wurde, auf dem es wuchs?

Man hört neuerdings viel von Verſuchen, die alte Tracht wie⸗ der zu pflegen oder gar zu erneuern. Dawider mag ich nur un⸗ gern etwas einwenden, im Gegenteil, ich bemühe mich auf meine Weiſe ja auch darum. Aber ich muß mir eingeſtehen, daß ich zuweilen Gründe und Folgen verwechſle. Früher dachte ich et⸗ wa, es müſſe doch ein Antrieb für die Bäuerinnen fein, ſich wie⸗ der in der hergebrachten Art zu kleiden, wenn ſie ſähen, daß auch die Frau des Doktors oder des Lehrers es nicht verſchmähte, die gleiche Tracht zu tragen. Aber das war ein Irrtum. Der Landmenſch empfindet doch manchmal feiner, als wir es ihm zu⸗ trauen. Man ſage was immer, die Frau des Doktors hat gar kein inneres Recht, ſich wie eine Bäuerin anzuziehen. Noch in meiner Jugend wäre das ganz unſchicklich geweſen. Heute frei⸗ lich macht ihr niemand mehr dieſes Vergnügen ſtreitig. Man muß ja auch zugeben, daß die Doktorsfrau im Miederrock weit⸗ aus hübſcher ausſieht als die Bauerndirn, die nun auch etwas Beſonderes tun will und ihrerſeits nach der Mode geht. Am Ende aber läuft das ganze Weibervolk im Dorf in einer wun⸗

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derlichen Verkleidung herum, man weiß gar nicht mehr immer: muß man einer nun die Hand küſſen oder braucht man bloß den Hut zu rücken.

Nein, das konnte der rechte Weg nicht ſein. Was tut der Deutſche, überlegte ich mir, wenn er etwas pflegen und hochhalten will? Er gründet einen Verein. Alſo gründeten auch wir eine Trach— tengeſellſchaft. Anfangs war es uns langweilig, immer bloß ſchön angetan um einen Tiſch zu ſitzen, lauter junge fröhliche Leute. Auch die Schützen hocken ja nicht nur wegen ihrer Uni— form im Wirtshaus, ſondern ſie hatten ein Vereinsziel, das ihnen der Obmann jährlich einmal in einer großartigen Rede vor Augen hielt. Alſo pflegten wir neben der Tracht noch die Geſelligkeit, Geſang und Tanz, und das ließ ſich ſchon beſſer an. Unſer Verein hieß „Edelweiß“, nicht etwa, weil dieſe koſt— bare Blume auch Gefahr lief, ihre alte Tracht zu vergeſſen, ſondern weil wir damit ausdrücken wollten, wie hoch unſere Ideale einzuſchätzen waren.

Allmählich wuchs unſer Anſehen in der Gemeinde, wir galten bei Feſten und Umzügen nicht weniger als die Schützen oder die Veteranen. Aber meine Erwartung, es würden allmählich auch andere wieder daran Gefallen finden, ſelber die Tracht zu tragen, dieſe heimliche Hoffnung erfüllte ſich nicht.

Das ſei ſchon recht, ſagten die Leute, und dazu hätte man ja die: ſen Verein, daß er das Alte in Ehren hielte.

Und nun denke ich von neuem darüber nach, was ich wohl an— ſtellen muß, um dieſes ſtörriſche Volk doch noch auf meinen Leim zu locken. Ja, wenn ich jemand fände, der ſo viel Bier und Güßmein bezahlen kann, daß es für ein ganzes Dorf reichte! Vielleicht hätte ich dann bald alle in meinem Verein, und das Übel wäre behoben.

Aber vielleicht brauchte ich gar nicht ſo ängſtlich zu ſein, nur ein wenig geduldiger und einſichtiger. Wer weiß, wohin es führte, wenn alles in der Welt nach unſerem Verſtand abliefe! Wie oft trauern wir etwas Verlorenem nach oder meinen es mie: dergewinnen zu müſſen und überſehen dabei, wieviel Neues uns indeſſen zugewachſen iſt. Ein wenig gleiche ich mit meinen Be⸗ mühungen dem alten Major, der einmal in meiner Nachbar⸗

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ſchaft wohnte und der, weil fein Apfelbaum im Garten nicht mehr tragen wollte, jeden Herbſt ein Schock roter Apfel an die Zweige knüpfte, aus Zorn oder aus Kummer, ich weiß es nicht. Dem ſagte ich auch, er täte beſſer, den Baum richtig zu pflegen und zu wäſſern, dann beſänne er ſich wohl von ſelber wieder und trüge ſich, wie es ihm von Natur anſtand. Aber das half nichts, der Mann war närrifch. Ich kann nicht beurteilen, wie ſich das alles anderswo verhält, aber ich glaube, hierzulande wäre wenig getan, wenn man die Leute wirklich ſo weit brächte, daß ſie die äußeren Formen ihrer Lebensführung bewahrten oder aus der Vergangenheit herübernähmen. In Wahrheit haben ſie ganz andere Sorgen. Blüht der Bauernſtand aber von neuem auf, geſund und ſelbſt⸗ bewußt, dann werden auch ſeine alten Weſenszeichen wieder ſichtbar erſcheinen, oder er wird Kraft genug haben, neue zu prägen.

*

Goethe / Iphigenie

Wie man den König an dem Übermaß

Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig ſcheinen, Was Tauſenden ſchon Reichtum iſt, ſo kennt Man euch, ihr Götter, an geſparten, lang Und weiſe zubereiteten Geſchenken.

Denn ihr allein wißt, was uns frommen kann, Und ſchaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes Abends Stern- und Nebelhülle Die Ausſicht uns verdeckt. Gelaſſen hört

Ihr unſer Flehn, das um Beſchleunigung Euch kindiſch bittet; aber eure Hand

Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte; Und wehe dem, der, ungeduldig ſie

Ertrotzend, ſaure Speiſe ſich zum Tod

Genießt.

Bücher aus dem Inſel⸗-Verlag

Du haſt, o Deutſchland, dir den Erdenkreis verbunden, indem dein kluger Geiſt die Druckerei erfunden: Ein Werk, dergleichen nie war bei der alten Welt,

ſo dem an Nutzbarkeit die Gegenwaage hält. **

Martin Opitz

Neuerſcheinungen 1939

Der Preis bezieht ſich, wo nichts anderes angegeben iſt, auf den in Leinen gebundenen Band.

Ackerknecht, Erwin: Gottfried Keller. Geſchichte feines Lebens. Mit 16 Bildtafeln. M 8.50 In einer klaren, raſch fortſchreitenden Darſtellung zeigt dieſe Lebens⸗ geſchichte den harten Weg eines Mannes, der den Aufgaben ſeiner Zeit und ſeines Volkes mit allen Kräften ſeines redlichen, ehrfurchts⸗ vollen und gütigen Weſens gerecht zu werden ſuchte und darin vor:

bildlich erſcheint.

Bertram, Ernst: Hrabanus. Aus der Michaelsberger Handſchrift. (Sprüche in Profa.) Gebunden M 3.- Ein Seitenſtück zu den „Sprüchen aus dem Buch Arja‘. Gedan⸗ ken in dichteriſcher Form. Ein Brevier zur Selbſtbeſinnung.

Brandenburg, Erich: Von Bismarck zum Weltkrieg. M 14.- Das zuerft im Jahre 1923 erſchienene, heute ſchon klaſſiſche Werk ſchildert in einer jedem Leſer verſtändlichen Sprache die Vorgeſchichte des Weltkrieges und damit auch die Vorausſetzungen für das heutige Weltgeſchehen, zu dem es zahlreiche überrafchende Parallelen bietet.

Das Buch deutscher Dichtung. Herausgegeben von Ernſt Bertram, Auguſt Langen und Friedrich von der Leyen. Sechs Bände. Jeder Band M 7.-

Bisher liegen vor:

Band 1: Das frühe und das hohe Mittelalter

Band 2: Die Zeit der Romantik

Nach jahrelanger ſorgſamſter Vorbereitung beginnt ein Werk zu erſcheinen, das die deutſche Dichtung von den älteſten Denkmälern bis zur jüngſten Jahrhundertwende umfaſſen wird. Es iſt ein Leſe⸗ buch, das die ſchönſten und jeweils bezeichnendſten Stücke aus den Dichtungen darbietet, in den erſten Bänden in Urtext und Über⸗ tragung. Mit zwei Bilderbänden und zwei Briefbänden wird ſich das Werk zu einer Geſamtſchau deutſchen Geiſteslebens runden.

Büchner, Georg: Werke und Briefe. Herausgegeben von Fritz Berg e⸗ mann. Dritte, vermehrte Auflage. Auf Dünndruckpapier. M6. 30

Die neue Auflage bringt wertvolle Ergänzungen durch Briefe von und an Büchner.

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Claes, Ernest: Donkelhof und Wasinghaus. Roman. Aus dem Fla: mifchen übertragen von Bruno Loets. M 6.-

Mit der ganzen Fabulierfreude, die wir bei dem flämiſchen Dichter ſeit feinem ‚Flachskopf' kennen und lieben, erzählt er von dem alten Groll, der ſich bei den Bauern des Donkelhofs gegen die Herren des Waſinghauſes forterbt. Endlich aber löſt ſich die Spannung durch die Ehe der Kinder. Im Mittelpunkt des ſchönen Romans ſteht Her— mann Coene, das kleine Maantje, recht ein Geſchöpf der großen Liebe des Dichters.

Coster, Charles de: Die Hochzeitsreise. Roman. (Bibliothek der Ro: mane.) Me 3.50 Der berühmte Liebesroman des Uilenſpiegel-Dichters, der in der geizigen und eiferſüchtigen Schwiegermutter Roosje eine feiner aller—

beſten Geſtalten geſchaffen hat.

Dacqué, Edgar: Das Bildnis Gottes. M 4.50

Ein Cpruchbrevier, für beſinnliche Stunden in der Art des ‚Cheru— biniſchen Wandersmanns', eine in ernſtem Ringen geſchaffene My— ſtik des Herzens.

Dickens, Charles: David Copperfield. Roman. Vollſtändige Auss gabe. (1107 Seiten.) Mit 40 Bildern nach Phiz. M 5.-

Eine Geschichte aus zwei Städten. Mit 16 Bildern nach Phiz. M 5.—

Die Pickwickier. Roman. Vollſtändige Ausgabe. (1010 Seiten.) Mit 43 Bildern nach R. Seymour, Buß und Phiz. M 5.— Wir erneuern und erweitern unſere Dickens-Ausgabe und bringen neben ‚David Copperfield“ und den ‚Pickwickiern“ zunächſt den Roz man, der zur Zeit der Franzöſiſchen Revolution in Paris und London ſpielt. Die Bilder, die den beſonderen Reiz diefer Ausgabe aus: machen, wurden für alle Bände nach den beſten Vorlagen der alten Originalausgaben neu hergeftellt.

Droste-Hülshoff, Annette von: Sämtliche Werke. Herausgegeben von

Wolfgang Kanfer. Auf Dünndrudpapier in einem Band. (990 ©.) M' 9.- Immer klarer und höher erhebt fid) aus der Fülle der Erfchei: nungen des 19. Jahrhunderts die Geſtalt der Dichterin, deren Werk wir hier in einem Band vereinigen. Unſere Ausgabe bietet über die bisherige kritiſche Ausgabe hinaus den gültigen Text.

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Fontane, Theodor: Der Stechlin. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Fontanes letzter Roman ift feine reiffte und reichſte Dichtung. Um die prachtvolle Geſtalt des alten Herrn von Stechlin ſteht eine Fülle von Figuren, die mit der ganzen Fontaneſchen Porträtkunſt, mit all ſeinem Humor gezeichnet ſind.

Meckel, Eberhard: Durch die Jahre. Gedichte. M 3.— Aus dem Boden ſeiner alemanniſchen Heimat hat der Dichter die beſten Kräfte fuͤr ſein Schaffen gewonnen, von dem dieſe reife Ernte der Gedichte ſchönſtes Zeugnis ablegt.

Mell, Max: Steirischer Lobgesang. M 4.50 Erzählungen von eigenartigen Menſchenſchickſalen, von Landſchaft und Tieren, Bilder aus dem Volksleben, namentlich von den alten köſtlichen Volksſchauſpielen, ſind vereinigt zum Lob des ſteiriſchen Landes, dem die Liebe des Dichters gehört.

Benno Papentrigk’s Schüttelreime. Gebunden IN 2.50 Das bisher nur in Privatdrucken für Freunde vorliegende Werk er: ſcheint hier in neuer Geſtalt. Der Schüttelreim ift in diefen Dich⸗ tungen nicht um ſeiner ſelbſt willen da, ſondern Ausdrucksmittel einer heiter⸗ernſten Gedankenlyrik.

Rilke, Rainer Maria: Briefe. Band 1: 1892 bis 1904: Band 2: 1904 bis 1907; Band 3: 1907 bis 1914. Je M 7.-; in Halbleder M g.- An Stelle der vergriffenen Bände treten dieſe drei neu bearbei- teten, die auch manchen wertvollen Zuwachs bringen.

Gesammelte Briefe in sechs Bänden. Mit einer Einleitung von Dieter Baſſermann. M 40. -; in Halbleder M 50.— Dieſe Ausgabe umfaßt die drei eben genannten Bände, dazu die Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921, Briefe aus Muzot und Briefe an ſeinen Verleger.

Schiller, Friedrich von: Werke in drei Bänden. (Der Volks⸗Schillei.) Herausgegeben von Reinhard Buchwald. (1400 Seiten.) M 14.— In drei Bänden - Der junge Schiller / Gedanke und Gedicht / Die klaſſiſchen Dramen bietet die Ausgabe neben allen Hauptwerken eine umfangreiche Ausleſe aus dem Gedankengut des Philoſophen und Geſchichtsſchreibers Schiller, ſo daß der Leſer hier dem ganzen Schiller begegnet. Die Ausgabe iſt ein Seitenſtück zu unſerem Volks⸗ Goethe.

Schnack, Friedrich: Cornelia und die Heilkräuter. Mit 8 handkolo⸗ rierten Pflanzenbildern. M 6.-

Neben Sibylle, mit der uns Schnack zu den Feldblumen führte,

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tritt als ebenſo anmutige Begleiterin zu den Heilkraͤutern Cornelia, die Tochter eines Apothekers in Überlingen. Durch einen kleinen Ro» man aufs beſte unterhalten, erfahren wir, was Wiſſenſchaft und Volkskunde von den Heilkräutern zu ſagen haben.

Schneider, Reinhold: Corneilles Ethos in der Ära Ludwigs XIV. Eine Studie. Gebunden IN 3.- Reinhold Schneider leitet zum Verſtändnis Corneilles, indem er ſeine Dramen als Geſchichtsdokumente betrachtet, als Ausdruck der beſtimmten Haltung des Menſchen ſeiner Ara.

Sonette. Gebunden M 3.-

Dieſe formvollendeten Sonette, erfüllt vom Erleben vieler Jahre, erſchließen Weſen und Welt des Menſchen Reinhold Schneider.

Seals field, Charles (Karl Anton Postl): Das Kajütenbuch. (Biblio: thek der Romane.) NT 3.50 Der aus Mähren nach Amerika ausgewanderte deutſche Dichter gab in dieſem Werk ein Abenteuerbuch, das es an Friſche und Span— nung mit Cooper aufnehmen kann. Es iſt die klaſſiſche deutſche Dich— tung aus dem Wilden Weſten.

Stifter, Adalbert: Werke in sieben Bänden. Mit einer Einleitung von Max Mell und einem Porträt in Lichtdruck nach einem Gemälde von Bartholomäus Szeèkelyi. Textreviſion von Max Etefl. Jeder Band M e 6.—

Bisher liegen vor: Band 1/2: Studien. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden. Band 4: Der Nachſommer.

Band 6: Kleine Schriften. Mit g Bildtafeln in Lichtdruck.

Der ſechſte Band unſerer kritiſch durchgeſehenen Ausgabe ver— einigt mit den Bildern ‚Aus dem alten Wien‘ alle größeren Aufſätze Stifters, die für die Kenntnis des Menſchen, Künſtlers und Päd: agogen wichtig find. Die Bände werden auch einzeln ohne Band: ziffer geliefert. Die Einzelausgabe des erſten Bandes enthält nicht die Einleitung von Max Mell und das Porträt.

Weiß, Konrad: Das Sinnreich der Erde. Gedichte. Gebunden M 4.—

Konrad Weiß beſchwört in diefen Gedichten Stimmungen und Ge- ſichte und erweiſt ſich wiederum als ein Meiſter bildhafter Sprache.

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Die neuen Bände der Inſel⸗Bücherei Jeder Band gebunden 80 Pfennig

Arnim, Achim von: Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. Mit Bildern von Fritz Kredel. (Nr. 541)

Bethge, Hans: Lieder des Hafıs. Nachdichtungen. (Nr. 542)

Blunck, Hans Friedrich: Gestühl der Alten. Sagen. (Nr. 538)

Béhme-Brevier. Herausgegeben von Friedrich Schulze⸗Maizier (Nr. 551)

Brehm, Alfred: Das deutsche Wild. Mit einem Nachwort von Heinz Graupner. (Nr. 549)

Condivi: Das Leben des Michelangelo Buonarroti. Herausgegeben von Robert Diehl. (Nr. 554)

Die deutschen Lande im Gedicht. (Nr. 553)

Dürer, Albrecht: Aus dem Gebetbuch Kaiser Maximilians. 24 far: bige Blätter. Mit einem Geleitwort von Karlheinz Reiffinger.

(Nr. 550) Ebner-Eschenbach, Marie von: Aphorismen. (Nr. 543)

Goethe: Handzeichnungen. 24 farbige Blätter. Mit einem Geleit: wort von Hans Wahl. Querformat. (Nr. 555)

Goethe, Katharina Elisabeth. Briefe der Frau Rat Goethe. Heraus: gegeben von Rudolf Bach. (Nr. 544)

Die schönsten Griechenmünzen Siziliens. 48 Bildtafeln. Geleitwort von Max Hirmer. (Nr. 559)

Gunnlaug. Die Saga vom Skalden Gunnlaug Schlangenzunge. Aus dem Alt⸗Isländiſchen übertragen von Helmut de Boor. (Nr. 546)

Kolbe, Georg: Bildwerke. 43 Bildtafeln. Herausgegeben von Richard Graul. (Nr. 422)

Mell, Max: Adalbert Stifter. (Nr. 539)

Michelangelo: Sibyllen und Propheten. 24 Bilder nach den Fresken in der Sixtiniſchen Kapelle. In vielen Farben. Mit einem Geleit- wort von Bettina Seipp. (Nr. 165)

Tilman Riemenschneider im Taubertal. 47 Bilder. Mit einem Ge: leitwort von Kurt Gerſtenberg. (Nr. 545)

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Runge, Philipp Otto: Briefe. Herausgegeben von Hans Egon Ger: lach. (Nr. 556)

Schnack, Friedrich: Das Waldkind. Roman. (Nr. 552) Schneider, Reinhold: Elisabeth Tarakanow. Erzählung. (Nr. 540)

Schopenhauer, Arthur: Betrachtungen über die menschliche Seele und ihren Ausdruck. (Nr. 558)

Tacitus: Germania. Übertragen und herausgegeben von Johannes

Bühler. Mit einer Karte. (Nr. 77)

Timmermans, Feliæ: Ich sah Cäcilie kommen. Erzählung. Aus dem

Flämiſchen übertragen von Peter Mertens. (Nr. 547)

In neuer Geſtalt erſchienen folgende Bände:

Hebel, Johann Peter: Alemannische Gedichte. Ausgewählt und her— ausgegeben von Eberhard Meckel. (Nr. 67)

Hippokrates: Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Karl Sudhoff. (Nr. 151)

Kalidasa: Sakuntala. Drama. Mit einem Nachwort von Hermann Weller. (Nr. 346)

Machiavelli: Mensch und Staat. Herausgegeben von Matthias Jonasſon. (Nr. 240)

Platen, August Graf von: Gedichte. Ausgewählt und herausgegeben von Ernſt Bertram. (Nr. 305)

Serbische Volkslieder. (Nr. 197)

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Zeitgenöſſiſche Dichter Die mit JB. bezeichneten Werke ſind Bände der Inſel⸗Bücherei. Jeder dieſer Bände koſtet gebunden 80 Pfennig.

Achim von Akerman. 1909 geboren. Die Stunde vor Tag. Gedichte. M 4.- Ernst Bertram. 1884 in Elberfeld geboren. Literarhiſtoriker an der Univerſität Köln. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Straßburg. Ein Gedichtkreis. Gebunden M 4.— Der Rhein. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Das Nornenbuch. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Wartburg. Spruchgedichte. In Halbpergament M 4.— Griecheneiland. Gedichte. In Halbpergament M 4.—

Deutsche Gestalten. Bach / Klopſtock / Goethe / Schiller / Norden und deutſche Romantik / Beethoven / Kleiſt / Stifter / Möglich⸗ keiten deutſcher Klaſſik. M 6.-

Michaelsberg. Proſadichtung. M 4.— Sprüche aus dem Buch Arja. Gebunden M 2.50

Hrabanus. Aus der Michaelsberger Handſchrift. (Sprüche in Proſa.) Gebunden M 3.-

Von deutschem Schicksal. (Gedichte.) (JB. Nr. 430) Von der Freiheit des Wortes. (JB. Nr. 485)

Bridget Boland. Iriſche Dichterin. Ihr Erſtlingswerk: Die Wildgänse. Roman. M 6.-

Hans Carossa. 1878 in Tölz an der Iſar geboren, Sohn eines Arztes, wurde auch felbft Arzt wie ſchon ein Vorfahr zur Zeit der Napoleoni⸗ ſchen Kriege. Der Dichter wohnt bei Paſſau.

Gesammelte Gedichte. M 4.— Eine Kindheit und Verwandlungen einer Jugend. M 5.- Tagebuch im Kriege. (Rumäniſches Tagebuch.) M 3.—

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Hans Carossa: Der Arzt Gion. Eine Erzählung. M 5.- Führung und Geleit. Ein Lebensgedenkbuch. IN 5.—

Geheimnisse des reifen Lebens. Aus den Aufzeichnungen Anger» manns. M 5.50

Wirkungen Goethes in der Gegenwart. Eine Rede. Kartoniert M 1.80 Die Schicksale Doktor Bürgers. Die Flucht. (IB. Nr. 334) Gedichte. Vom Dichter ausgewählt. (JB. Nr. 500)

Ernest Claes. 1885 in Sichem bei Löwen geboren als Sohn einer alten Brabanter Bauernfamilie. Er kam zunächſt als Lehrling in eine Kloſterdruckerei, beſuchte dann Gymnaſium und Univerſität und lebt jetzt als Beamter bei der belgiſchen Kammer in Brüſſel.

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Flachskopf. Die Geſchichte einer Jugend. Mit einem Vorwort und Bildern von Felix Timmermans. M 3.75

Black. Die Geſchichte eines Hundes. M 3.80 Bruder Jakobus. Roman. M 5.50 Donkelhof und Wasinghaus. Roman. M 6.-

Hannes Raps. Eine Landſtreichergeſchichte. Mit Zeichnungen von Selir Timmermans. (JB. Nr. 429)

Die Heiligen von Sichem. Mit 12 ganzſeitigen Zeichnungen von Felix Timmermans. (JB. Nr. 483)

Anton Coolen. 1897 in dem Dorf Wylre (in der niederländiſchen Provinz Limburg) geboren. Er war eine Zeit lang als Journaliſt tätig, zog ſich aber dann in fein geliebtes Nordbrabant zuruck, um ganz ſeiner Dichtung zu leben.

Brabanter Volk. Roman. M 5.—

Das Dorf am Fluß. Roman. M 5.-

Die drei Brüder. Roman. M 5.-

Weihnachten in Brabant. Drei Erzählungen. (JB. Nr. 531)

Robert Faesi. 1883 in Zürich geboren, wo er als Literarhiſtoriker an der Univerſität wirkt.

Das Antlitz der Erde. Gedichte. M 4.—

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Hugo von Hofmannsthal. Lebte von 1874 bis 1929. Die Gedichte und kleinen Dramen. JM 5.- Das Salzburger große Welttheater. Gebunden M 2.50 Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen. (JB. Nr. 8) Der Tor und der Tod. Ein dramatiſches Gedicht. (JB. Nr. 28) Das kleine Welttheater oder die Glücklichen. (JB. Nr. 78) Alkestis. Trauerſpiel nach Euripides. (JB. Nr. 134) Gedichte. (JB. Nr. 461) Reden und Aufsätze. (JB. Nr. 339)

Ricarda Huch. 1864 in Braunſchweig geboren. Sie kam zweiund⸗ zwanzigjährig nach Zürich, um Geſchichte zu ftudieren, und begann alsbald mit der Veröffentlichung erzählender und darſtellender Werke. Die Dichterin lebt in Jena.

Michael Unger. Roman. M 3.75

Von den Königen und der Krone. Roman. In Halbleinen IM 5.25 Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erfter Teil. M 3.75 |

Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter Teil. M 3.75

Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. M 5.-

Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. M 3.75 Der große Krieg in Deutschland. Gekürzte Ausgabe. M 2.50 Gesammelte Gedichte. M 6.75

Liebesgedichte. (JB. Nr. 22)

Wonnebald Pück. Erzählung. (JB. Nr. 58)

Der letzte Sommer. Erzählung. (JB. Nr. 172)

Das Judengrab. Bimbos Seelenwanderungen. (JB. Nr. 193) Fra Celeste. Erzählung. (JB. Nr. 405)

Gottfried Keller. (JB. Nr. 113)

Quellen des Lebens. (JB. Nr. 469)

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Per Imerslund. 1912 in Oslo geboren, ſtammt aus einem alten Bauerngeſchlecht Hedemarkens. Er verlebte ſeine Jugend in Deutſch⸗ land und war von 1927 bis 1931 in Mexiko. Sein Erſtlingswerk hat er deutſch geſchrieben.

Das Land Noruega. Erlebniſſe in Mexiko. M 4.50 176

Gudmundur Kamban. 1888 in Alftanes auf Island geboren. Er (tus dierte in Kopenhagen, lebte dann von 1915 bis 1917 in New York und widmete ſich nach ſeiner Rückkehr der Bühne als Spielleiter. Seit einiger Zeit lebt Kamban in Deutſchland.

Die Jungfrau auf Skalholt. Roman. M 7.50 Der Herrscher auf Skalholt. Roman. M 7.50 Ich seh ein großes schönes Land. Roman. M 6.50

Gertrud von le Fort. 1876 in Minden geboren, lebt in Baierbrunn im

Iſartal. Die Magdeburgische Hochzeit. Erzählung. M 5.50 Die Opferflamme. Erzählung. (OSB. Nr. 333) Eberhard Meckel. 1907 in Freiburg im Breisgau geboren, lebt in Schöneiche in der Mark. Durch die Jahre. Gedichte. M 4.- Max Mell. 1882 in Marburg an der Drau geboren. Er wuchs in

Wien auf, ſtudierte Germaniſtik, machte den Krieg an der ruſſiſchen Front mit und lebt ſeither in Wien und in Pernegg (Steiermark).

Das Donauweibchen. Erzählungen und Märchen. M 5.— Steirischer Lobgesang. M 4.50

Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Gebunden M 3.50 Das Spiel von den deutschen Ahnen. Gebunden M 3.50

Das Nachfolge Christi- Spiel. Gebunden M 3.50

Das A postelspiel. (JB. Nr. 167)

Barbara Naderer. Nobelle. (JB. Nr. 261)

Ein altes deutsches Weihnachtsspiel. (SD. Nr. 418)

Adalbert Stifter. (JB. Nr. 539)

Christian Morgenstern. Lebte von 1871 bis 1914.

Alle Galgenlieder. (Galgenlieder, Palmſtröm, Palma Kunkel, Ging: ganz.) M 3.75

Uber die Galgenlieder. M 3.-

Melancholie. Gedichte. Gebunden M 2.50

Klein Irmchen. Ein Kinderliederbuch. Mit Zeichnungen von Jo— fua Leander Gampp. Gebunden M 4.-

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Otto Nebelthau. 1894 in Bremen geboren. Lebt in München. Der Ritt nach Canossa. Hiftorifcher Roman. M 6.- Mein Gemüsegarten. (JB. Nr. 456)

Mein Obstgarten. (JB. Nr. 470)

Rainer Maria Rilke. Lebte von 1875 bis 1926. Ausgewählte Werke in zwei Banden. M 12.-; in Halbleder M 18.—

Gesammelte Briefe in sechs Bänden. Mit einer Einleitung von Dieter Baſſermann. M 40.-; Halbleder M z0.-

Einzelausgaben der Brief bände:

Briefe aus den Jahren 1892 bis 1904. Briefe aus den Jahren 1904 bis 1907. Briefe aus den Jahren 1907 bis 1914. Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. Briefe aus Muzot (1921-1926).

Briefe an seinen Verleger (1906-1926). Jeder der Briefbände M 7.-; in Halbleder M 9.- Das Stunden- Buch. In Halbleinen M 3.- Erste Gedichte. M 5.-

Frühe Gedichte. M 5.-

Neue Gedichte. M 5.-

Das Buch der Bilder. M 5.-

Duineser Elegien. M 3.-

Späte Gedichte. M 5.-

Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. M 7.-; in Halbleder IM g.-

Geschichten vom lieben Gott. M 4.50

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. M 5.50

Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M 7.-

DieWeisevon Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. (SB. Nr. 1)

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Rainer Maria Rilke: Requiem. (JB. Nr. 30) Das Marien-Leben. Gedichte. (JB. Nr. 43) Die Sonette an Orpheus. (JB. Nr. 115) Ausgewählte Gedichte. (IB. Nr. 400) Der ausgewählten Gedichte anderer Teil. (JB. Nr. 480) Vierundzwanzig Sonette der Louize Labé. (JB. Nr. 222)

Sonette aus dem Portugiesischen der Elizabeth Barrett- Browning.

(JB. Nr. 252)

Michelangelo-Übertragungen. (IB. Nr. 406) Briefe an einen jungen Dichter. (JB. Nr. 406) Briefe an eine junge Frau. (JB. Nr. 409)

Portugiesische Briefe (Die Briefe der Marianna Alcoforado). (JB. Nr. 74)

Albrecht Schaeffer. 1885 in Elbing geboren. Er wuchs in Hannover auf und empfing entſcheidende Eindrücke von der niederſächſiſchen Landſchaft. Später ſiedelte er ſich in Süddeutſchland an: er lebt in Rimſting am Chiemſee. Von ſeinen zahlreichen Werken nennen wir:

Josef Montfort. Roman. M 6.50

Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Menſchen aus der Nord: deutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Ausgabe in zwei Bänden. M 15.—

Der göttliche Dulder. Dichtung. M 6.25 Parzival. Ein Versroman. M 7.50

Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndruckpapier. M 6.50

Griechische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt. Zwei Bände. M 10.—

Gedichte aus den Jahren 1915 bis 1930. M 4.-

Die Sage von Odysseus. (JB. Nr. 87)

Nachtschatten. Novellen. (JB. Nr. 179)

Der Reiter mit dem Mandelbaum. Legende. (JB. Nr. 229) Der Raub der Persefone. (JB. Nr. 311)

179

Edzard Schaper. 1908 in Oſtrowo, Proving Pofen, geboren als Sohn niederdeutſcher Eltern (Vater aus Hannover, Mutter aus Oſtfries⸗ land). Bewegtes Leben: Muſiker, Schauſpieler, Gärtner, fährt dann zur See und lebt längere Zeit in Skandinavien, jetzt in Eſtland.

Das Leben Jesu. M 6.50

Die Arche, die Schiff bruch erlitt. Novelle. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Müller. (JB. Nr. 471)

Das Lied der Väter. Erzählung. (JB. Nr. 514)

Friedrich Schnack. 1888 in Rieneck, Unterfranken, geboren. Er verlebte ſeine Jugend in Franken, in der Landſchaft von Rhön, Speſſart, Frankenwald, in den Wein⸗, Obſt⸗ und Korngegenden von Aſchaffenburg, Würzburg und Bamberg. Ehe er ſich der Dichtung zuwandte, war er zehn Jahre in Handel, Wirtſchaft und Induſtrie tätig. Er lebt in Überlingen am Bodenſee.

Gesammelte Gedichte. M 5.-

Das Zauberauto. Liebesroman. M 4.50

Das Leben der Schmetterlinge. Naturdichtung. M 6.— Goldgräber in Franken. Abenteuerroman. M 4.50 Der Lichtbogen. Salterlegenden. M 4.50 |

Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das große und kleine Volk. M 4.-

Klick und der Goldschatz. Heiterer Roman. M 5.— Der erfrorene Engel. Roman eines Mädchens. M 5.—

Die brennende Liebe. Roman der drei Lebensalter. Beatus und Sabine / Sebaſtian im Wald / Die Orgel des Himmels. M 6.-

Sibylle und die Feldblumen. Mit 8 handkolorierten Blumenbil⸗ dern. M 6.-

Cornelia und die Heilkräuter. Mit 8 handkolorierten Pflanzenbil⸗ dern. M 6.-

Land ohne Tränen. (JB. Nr. 459) Geschichten aus Heimat und Welt. (JB. Nr. 498) Das Waldkind. Roman. (JB. Nr. 552)

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Reinhold Schneider. 1903 in Baden-Baden als Sohn einer alten Badener Familie geboren, empfing ſtarke und entſcheidende Cins drücke von Reiſen im Süden, beſonders in Portugal und Spanien. Lebt in Freiburg i. Br. Von ſeinen Werken erſchienen im Inſel— Verlag:

Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. Inhalt:

Der Wald Paderborn Speyer Bremen Tangermünde Nürnberg Rudolſtadt Hohenzollern Oſtland. NT 3.80

Das Inselreich. Geſetz und Größe der britiſchen Macht. IN 8.50 Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Eupps linburg. NT 5.-

Las Casas vor Karl J. Szenen aus der Konquiſtadorenzeit. NT 5.-

Corneilles Ethos in der Ara Ludwigs XIV. Eine Studie. Ge: bunden IN 3.-

Sonette. Gebunden IN 3.- Elisabeth Tarakanow. Erzählung. (JB. Nr. 340)

Gabriel Scott. 1874 in Leith (Schottland) als Norweger geboren. Er lebt in Tromöen bei Arendal.

Fant. Roman. Aus dem Schwediſchen übertragen von Edzard Scha— per. M. 5.50

Otto Freiherr von Taube. 1879 in Reval geboren, ſtammt aus einem ‚„heermeifterlichen‘ Geſchlecht der eſtländiſchen Ritterſchaft. Er emp: fing feine Bildung in Kaſſel und Weimar und an deutſchen Uni— verſitäten. Seit 1910 als freier Schriftſteller tätig, ſchuf er neben eigenen Werken zahlreiche Überfegungen. Er lebt in Gauting (Ober: bayern).

Der verborgene Herbst. Roman. In Halbleinen M 4.75 Die Löwenprankes. Roman. In Halbleinen M 4.50 Das Opferfest. Roman. M 6.-

Felix Timmermans. 1886 in Lier bei Antwerpen geboren als Sohn eines Spitzenhändlers. Er erhielt einfache Schulbildung, fühlte ſich aber frühzeitig zur Kunſt hingezogen, wollte Maler werden und beſuchte die Kunſtakademie. Aber ungewollt wurde er ein Maler des Wortes: Wie ſein großer Landsmann Pieter Bruegel ſchildert er das flämiſche Volk in ſeiner ganzen überſchäumenden Lebens— fülle. Er lebt in ſeiner kleinen Vaterſtadt Lier.

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Felix Timmermans: Das Jesuskind in Flandern. M 3.75 Pallieter. Roman. M 3.75 Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. M 5.- Pieter Bruegel. Roman. M 3.75 Die Delphine. Eine Geſchichte aus der guten alten Zeit. M 5.— Franziskus. M 5.- Bauernpsalm. Roman. M 5.— Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten. M 3.75 Die sehr schönen Stunden von Jung fer Symforosa, dem Beginchen. Erzählung. (JB. Nr. 308) Das Triptychon von den Heiligen Drei Königen. (JB. Nr. 362) Aus dem schönen Lier. (JB. Nr. 401) Sankt Nikolaus in Not und andere Erzählungen. (3B. Nr. 420) Beim Krabbenkocher. Erzählung. (JB. Nr. 508) Ich sah Cäcilie kommen. Erzählung. (JB. Nr. 347)

Karl Heinrich Waggerl. 1897 in Bad Gaftein geboren als Sohn eines Zimmermanns, der aus einem alten Bauerngeſchlecht ſtammte. Er beſuchte die Stadtſchule und das Lehrerſeminar, wurde im Krieg an der italieniſchen Front Offizier, geriet in Gefangenſchaft und er⸗ krankte ſchwer, ſo daß er den Lehrerberuf aufgeben mußte. Er lebt in Wagrain im Salzkammergut.

Brot. Roman. M 3.75

Schweres Blut. Roman. M 5.-

Das Jahr des Herrn. Roman. N 3.75

Mütter. Roman. M 5.-

Wagrainer Tagebuch. M 3.-

Du und Angela. Erzählungen. (IB. Nr. 204)

Das Wiesenbuch. Mit 16 Scherenſchnitten des Dichters. (JB. Nr. 426) Kalendergeschichten. (JB. Nr. 522)

Gerard Walschap. 1898 in Londerzeel bei Brüſſel geboren als Sohn eines Bauern. Er lebt in Antwerpen.

Heirat. Roman. M 4.50 Der Mann, der das Gute wollte. Roman. M 5.50

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Konrad Weiß. 1880 in Rauenbregingen (Württemberg) geboren, war lange Zeit an der Zeitſchrift ‚Hochland‘ tätig und lebt als Kunſt— ſchriftleiter in München.

Konradin von Hohenstau fen. Ein Trauerfpiel. M 4.- Das Sinnreich der Erde. Gedichte. Gebunden IN 4.-

Die kleine Schöpfung. (Versdichtung.) Mit Zeichnungen von Karl Caspar. (JB. Nr. 521)

Andreas Zeitler. 1906 in Leipzig geboren, von ſeinen Vorfahren her der fränkiſchen Landſchaft verbunden, in der ſein erſtes Buch ſpielt. Er lebt in Leipzig.

Fränkischer Sommer. Erzählung. M 4.—

Goethe

Sämtliche Werke in ſiebzehn Bänden. Herausgegeben von Fritz Bergemann, Hans Gerhard Gräf. Max Hecker, Gunther Ipſen, Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Auf Dünndruckpapier NM 135.- Die vollſtändigſte aller heutigen Goethe-Ausgaben. Der Text um: faßt 15000 Seiten.

Die Bände dieſer Ausgabe werden auch einzeln in dunkelblauem Leinen mit aufgedruckten Untertiteln geliefert. Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe:

Goethes Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1750 Seiten.) M 18.—

Gespräche mit Eckermann. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Deibel. Vollſtändige Ausgabe in einem Bande auf Dünndruck— papier. (797 Seiten.) M 7.50

Goethes Gespräche ohne die Geſpräche mit Eckermann. Ausgewählt von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (791 Seiten.) Me 9.50

Sämtliche Werke. Welt⸗Goethe⸗Ausgabe der Gutenbergſtadt Mainz und des Goethe⸗ und Schiller⸗Archivs zu Weimar. Herausgegeben von Anton Kippenberg, Julius Peterſen und Hans Wahl. Gedruckt auf der Mainzer Preſſe. 50 Bände mit Regiſterbänden. Jeder Band M 10.-; in Halbleder M 14.—

Bisher erſchienen: Band 5. Der Weft-dftlide Divan. Mit den Noten und Abhandlungen. Herausgegeben von Konrad Burdach. Band 6. Epen und Kantaten. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Band 7. Götz von Berlichingen. Herausgegeben von Hans Wahl.

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Goethe:

Band 12 und 13. Urfauft; Fauſt, ein Fragment; Fauſt I und Kauft II. Herausgegeben von Max Hecker. Band 16. Die Leiden des jungen Werthers. 1774. Die Leiden des jungen Werther. 1787. Briefe aus der Schweiz. Herausgegeben von Fritz Adolf Hünich.

Goethes Werke in ſechs Bänden. (Der Volks⸗Goethe.) Im Auftrage der Goethe⸗Geſellſchaft herausgegeben von Erich Schmidt. Neu be⸗ arbeitet von Guſtav Roethe. (3900 Seiten.) M 18.-; in Halb: leder M 28.-

Dichtung und Wahrheit. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (831 Seiten.) M 8.—

Pest - östlicher Divan. Vollſtändige Ausgabe (mit den Noten und Abhandlungen). M 3.50

Farbenlehre. Eingeleitet von Gunther Ipſen. Mit 32 zum großen Teile vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Ausgabe auf Dünndrud: papier in einem Bande. M 10.—

Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauſt, Fragment (1790), Tra⸗ gödie I. und II. Teil, Paralipomena. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (577 Seiten.) M 3.50

Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1300 Sei⸗ ten.) M 12.—

Gedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Mar Hecker. M 3.75

Italienische Reise. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (590 Sei⸗ ten.) IN 6.-

Wilhelm Meister. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1020 Geis ten.) Mg. 30 Naturwis senschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther Ip:

ſen. Mit 48 zum großen Teil vielfarbigen Tafeln. Auf Dünn⸗ druckpapier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) M 20.-

Die Wahlverwandischaften. Roman. M 3.50

Dreißig Handzeichnungen Goethes. Sakfimile- Ausgabe in farbigem Lichtdruck. Herausgegeben von Hans Wahl. 300 numerierte Crem: plare. In Leinenmappe M 225.—

Iphigenie. Erſtmalige Fakſimile-Wiedergabe der Handſchrift Goethes. Mit einem Nachwort von Hans Wahl. Gebunden, in Schuber M 18.—

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Goetke:

Italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, feiner Freunde und Kunſtgenoſſen in 124 zum Teil farbigen Lichtdrucktafeln. Neu herausgegeben vom Goethe-Nationalmuſeum (Folio). In Halb— leder M 50.-

Reise-, Zerstreuungs- und Trostbiichlein. 36 zum großen Teil far: bige Bilder. Ausgewählt und herausgegeben von Hans Wahl. Stammbuch-Querformat in Schuber NT 4.30

Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben und eingeleitet von Guſtav Roethe. Me 3.30

Briefe an Charlotte von Stein. Neue, vollſtändige Ausgabe, auf Grund der Handſchriften herausgegeben von Julius Peterſen. Vier Bände. N 12.—

Briefwechsel mit Marianne von Willemer. Herausgegeben von Max Hecker. Fünfte, verbejjerte Auflage. Mit 10 Abbildungen. IN 7.50

Der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Im Auftrage des Goethe- und Schiller-Archivs nach den Handſchriften herausgegeben von Max Hecker. Drei Bände. M 18.-

Die Briefe der Frau Rath Goet!:e. Geſammelt und herausgegeben von Albert Köſter. Zwei Bande. NTg.-

Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln. Wi 4.50

Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriftlichen Nachlaſſes neu her: ausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und 2 Fak— ſimiles. IN 7.50

Goethe im Bildnis. Mit 102 Bildtafeln. Herausgegeben und einge: leitet von Hans Wahl. M 5.-

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg. M 4.50

Deutſche Klaſſiker und Geſamtausgaben

Büchner, Georg: Werke und Briefe. Herausgegeben von Fritz Berges mann. Dritte, vermehrte Auflage. M 6.50

Eichendorff, Joseph von: Werke. Ausgewählt und herausgegeben von Franz Schultz. Zwei Bände. (1080 Seiten.) M 6.-

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Droste-Hülshoff, Annette von: Sämtliche Werke. Siehe Seite 169.

Deutsche Gedichte in Handschriften. Wiedergabe in Lichtdruck. In Halbpergament mit Schuber. M 8.50

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl in einem Bande. Mit 8 hands kolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel. M 4.50

Märchen. Vollſtändige Ausgabe in zwei Banden. M 9.-

Hauff, Wilhelm: Märchen. Vollſtändige Ausgabe in einem Band. M 4.50

Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchſtücke der Alt⸗ ſächſiſchen Geneſis. Eingeleitet von Andreas Heusler. M 3.50

Hey-Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Von Wilhelm Hey. Mit den Bildern von Otto Speckter. M 2.50

Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1043 Seiten.) M g.—

Gesammelte Briefe. Eingeleitet von Ernſt Bertram. M 6.—

Kant: Sämtliche Werke. Sechs Bände auf Dünndruckpapier. M 45.-

Kritik der reinen Vernunft. Ausgabe auf Dünndruckpapier. (650 Seiten.) M 7.-

Keller, Gottfried: Gesammelte Werke. Bier Bände. M 20.-; in Halb: leder M 28.—

Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke: Auf Dünndruckpapier in einem Band. (1187 Seiten.) M g.-

Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe in sechs Bänden. Vollſtändige Eritifche Ausgabe, herausgegeben von Eduard Caſtle. M 40.-

Mörike, Eduard: Werke. Mit einem Geleitwort von Friedrich Ludwig Barthel. Zwei Bände auf Dünndruckpapier. (1340 Seiten.) M 12.—

Der Nibelunge Not und Kudrun. Herausgegeben von Eduard Sie⸗ vers. Auf Dünndruckpapier. (624 Seiten.) M 6.—

Novalis: Dichtungen. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Schultz. M 4.50

Sachs, Hans: Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit 32 Holzſchnitten nach Dürer, Beham u. a. Herausgegeben von Paul Merker und Reinhard Buchwald. Zwei Bande. In Halbleinen M10. Kolorierte Ausgabe, in der ſämtliche Holzſchnitte mehrfarbig mit der Hand koloriert wurden, in Halbpergament M 16.-

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Schiller: Sämtliche Werke in sieben Bänden. Auf Dünndruckpapier (4900 Seiten) IN 45.-; in Leder M 80.—

Werke in drei Bänden. Siehe Seite 170. Stifter, Adalbert: Werke in sieben Bänden. Eiche Eeite 171.

Werke in drei Bänden (Der Bolks:Etifter). Mit einer Einleitung von Adolf von Grolman. N 12.- Die Ausgabe umfaßt die Erzählungen, Nachſommer und Witiko.

Storm, Theodor: Sämtliche Werke in drei Bänden. M 18.—

Deutsche Weihnachtslieder. Bearbeitet von Helmut Walcha. Mit Vignetten von Willi Harwerth. Mehrfarbiger Druck. Geb. NT 1.80.

Weltliteratur

Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. Übertragen von Albert Wef: ſelſki. Vollſtändige Ausgabe auf Dünndruckpapier. M 7.50

Cervantes: Don Quixote. Bollftändige deutſche Ausgabe, beforgt von Konrad Thorer. Mit einem Eſſay von Turgenjew und einem Mad): wort von André Jolles. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1550 Seiten.) M 12.—

Dante: Opera omnia. (In italieniſcher Sprache.) Enthaltend La Di- vina Commedia. Il Can oniere. \ ita Nuova. II onvivio ſowie die lateiniſchen Schriften und Briefe. Mit einer Einleitung von Bene— detto Croce. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1080 Seiten.) M 10.—

Dantes Göttliche Komödie. Deutſch von Friedrich Freiherrn von Sal: kenhauſen. (733 Seiten.) M 7.50

Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Über⸗ tragen von Bernhard Jolles. Mit 20 Bildtafeln. M 4.50

Ounpov erm (rac, Odvocein). Homers Werke (Ilias und Dönffee). Im griechiſchen Urtext herausgegeben von Paul Sauer. Auf Dünn⸗ druckpapier. M 6.—

Jacobsen, Jens Peter: Sämtliche Werke in einem Bande. Mit dem von A. Helſted 1885 radierten Porträt. Auf Dünndruckpapier. (877 Seiten.) M 8.50

Sophokles: Tragödien. Übertragen von Roman Woerner. M 6.—

Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle): Gesammelte Werke. Über: tragen von Arthur Schurig und Otto Freiherrn von Taube. Auf Dünndruckpapier in acht Bänden. (5200 Seiten.) M 55.-

187

Orient und Ferner Often

Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtändige deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erften Male aus dem ara: biſchen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal. Auf Dünndruckpapier. (3120 Seiten.) M 50.-

Die Bände find auch einzeln, je M g.-, erhältlich.

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In einem

Bande M 4.50

Arabische Märchen. Aus mündlicher Überlieferung gefammelt und übertragen von Enno Littmann. M 7.-

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geſchichte einer glücklichen Gatten⸗ wahl. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit Bil⸗ dern nach alten chineſiſchen Holzſchnitten. M 3.75

Kin Ping Meh oder Die abenteuerliche Geſchichte von Hſi Men und ſeinen ſechs Frauen. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. (920 Seiten.) M 14.-

Die Räuber vom Liang schan Moor. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit 60 Holzſchnitten einer alten chineſiſchen Aus⸗ gabe. (840 Seiten.) M 12.—

Der Traum der Roten Kammer. Aus dem Chinefifchen übertragen von Franz Kuhn. (789 Seiten.) M 12.-

Die Geschichte vom Prinzen Genji, wie fie geſchrieben wurde um das Jahr Eintauſend unſerer Zeitrechnung von Muraſaki, genannt Shikibu, Hofdame der Kaiſerin von Japan. Zwei Bände. (1200 Eei: ten.) M 16.—

Tsudzumi, Tsune yoshi: Japan, das Götterland. Herausgegeben vom Japan-⸗Inſtitut, Berlin. M 6.—

Die Kunst Japans. Herausgegeben vom Japan-Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildungen. M 20.—

Briefe, Erinnerungen, Lebensgeſchichte

Arnim, Bettina von: Die Giinderode. Eingeleitet von Heinz Amelung. M 5.—

Bertram, Ernst: Deutsche Gestalten. M 6.- Inhalt: Bach Klopſtock Goethe: Gefang und Geſetz: Geheim— nislehre; Sinnliche Überlieferung Schiller - Norden und deutſche Romantik Beethoven Kleiſt Stifter Möglichkeiten deutſcher Klaſſik.

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Buchwald, Reinhard: Schiller. Zwei Bände. I. Der junge Schiller. II. Wander: und Meifterjahre. Mit 14 Bildtafeln. MN 15.-

Carolinens Leben in ihren Briefen. Auf Grund der von Erich Schmidt beforgten Geſamtausgabe in Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. (Maximilian

von Mexpiko.) Mit 4 Bildtafeln. M 7.50

Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Mit der Abbildung einer Büfte und dem Fakſimile eines Briefes. M 3.50

Droysen, Joh. Gust. Das Leben des Feldmarschalls Grafen Yorck von Wartenburg. Zwei Bände. Mit 8 Bildniſſen in Lichtdruck und 8 Karten. M 10.-

Elisabeth Charlotte (Liselotte von der Pfa'z): Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Helmolt. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Haupt, Georg: Rudolf Koch der Schreiber. Mit 64 Bildtafeln und vielen Abbildungen im Text. M 8.50

Humboldt, Wilhelm von: Die Brautbriefe Wilhelms und Karolinens von Humboldt. Herausgegeben und eingeleitet von Albert Leis: mann. Il 6.50

Briefe an eine Freundin. (Charlotte Diede.) In Auswahl heraus» gegeben von Albert Leitzmann. M 3.50

Kassner, Rudolf: Buch der Erinnerung. M 7.—

Katharina II. von Rußland: Memoiren. Herausgegeben und eingelei⸗ tet von Erich Boehme. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Kerner. Justinus Kerner und sein Münchener Freundeskreis. Eine Sammlung von Briefen. Herausgegeben von Franz Pocci. Mit 8 Bildtafeln. M 8.-

Kippenberg, Anton: Geschichten aus einer alten Hansestadt. M 3.80

Kippenberg, Katharina: Rainer Maria Rilke. Neue, erweiterte Aus» gabe. Mit 12 Bildtafeln. M 7.50

Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Kühnemann, Eugen: Goethe. Zwei Bände. (1118 Seiten.) M 15.- Luthers Briefe. In Auswahl neu herausgegeben von Reinhard Bud): wald. Mit 10 Bildtafeln. M 3.50

189

Nietzsche, Friedrich: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Richard Oebler. M 4.50

Briefe an Peter Gast. Herausgegeben von Peter Gaſt. M 6.-

Briefe an Mutter und Schwester. Herausgegeben von Eliſabeth Förſter⸗Nietzſche. Mit 3 Bildniffen in Lichtdruck. M 7.—

Briefwechsel mit Erwin Rohde. Herausgegeben von Eliſabeth För⸗ ſter⸗Nietzſche und Fritz Schöll. In Halbleinen M 6.—

Scheffler, Karl: Der junge Tobias. Eine Jugend und ihre Umwelt. M 6.—

Schneider, Eduard: Eleonora Duse. Erinnerungen, Betrachtungen und Briefe. Mit 7 Abbildungen und einem Fakſimile. M 6.—

Schurig, Arthur: Wolfgang Amade Mozart. Sein Leben, feine Per⸗ fönlichkeit, fein Werk. Mit 41 Bildtafeln und 3 Fakſimiles. Zwei Bände. M 14.-

Strauß, David Friedrich: Ulrich von Hutten. Herausgegeben von Otto Clemen. Neue Ausgabe. Mit 24 Bildtafeln. M 8.50 .

Terry, Charles Sanford: Johann Sebastian Bach. Mit einem Geleit⸗ wort von Karl Straube, Kantor zu Sankt Thomae. Neue Ausgabe. Mit einem Bildnis Bachs in Lichtdruck und 32 Bildtafeln. M 6.50

Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Mit 2 Bildniſſen. M 6.50

Geſchichte und Kulturgeſchichte Bessell, Georg: Bremen. Die Geſchichte einer deutſchen Stadt. M 5.— Brandenburg, Erich: Von Bismarck zum Weltkrieg. Siehe Seite 168.

Clausewitz, Karl von: Vom Kriege. Bearbeitet und eingeleitet von

Friedrich von Cochenhauſen. M 6.50

Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigenhändi⸗ gen Berichten Cortes’ an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522. Heraus⸗ gegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit 2 Bildniſſen und einer Karte. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die trockene Trunkenheit. Urſprung, Kampf und Triumph des Rauchens. Mit 64 Bildtafeln. M 12.—

Der Zauberer von Homburg und Monte Carlo. (Geſchichte der Spielbanken.) Mit 16 Bildtafeln. M 8.-

190

Deutsche Vergangenheit. Nach zeitgenöfjifchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. Das Werk umfaßt neun Bände mit je 16 Bild: tafeln. Es beſteht aus zwei Abteilungen, der politiſchen und der Ful: turhiſtoriſchen Reihe. Vorzugspreis des geſamten Werkes M 60.-, der einzelnen Bände M 7.50

Die politiſche Reihe

Die Germanen in der Völkerwanderung Das Frankenreich Die Sächsischen und Salischen Kaiser Die Hohenstaufen.

Die kulturhiſtoriſche Reihe Klosterleben im deutschen Mittelalter - Deutsches Geistesleben im

Mittelalter - Ordensritter und Kirchenfürsten - Fürsten und Ritter Bauern, Bürger und Hansa.

Das alte Hamburg. Mit 134 Bildtafeln. Herausgegeben von Carl Schellenberg. Ni g. 30

Renker, Armin: Das Buch vom Papier. Mit 46 Abbildungen in Lichtdruck, 4 Waſſerzeichentafeln, 13 Papierproben und einer Karte. In Halbleinen Nt 10.—

Schneider, Reinhold: Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supplinburg. M 5.-

Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. M 3.80 Inhalt: Der Wald Paderborn Speyer Bremen Tanger— münde Nürnberg Rudolſtadt Hohenzollern Oſtland.

Reiſen und Abenteuer

Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig. Eine Künſtlerfahrt im Jahre 1773. 100 Bilder nach den Originalen der Staatlichen Akademie der Künſte in Berlin mit erläuterndem Text und einer Ein— führung von Wolfgang von Oettingen. Stammbuch-Querformat, in Schuber M 4.50

Haslund-Christensen, Henning: Jabonah. Abenteuer in der longo: lei. Mit einem für die deutſche Ausgabe geſchriebenen Geleitwort von Sven Hedin. Aus dem Däniſchen übertragen von Helmut de Boor. Mit 77 Abbildungen und 2 Karten. M 6.50

Reisinger, Ernst: Griechenland. Schilderung deutſcher Reiſender. Mit go Bildtafeln. In Halbleinen M 7.-

Scheffler, Karl: Holland. Mit 100 Bildtafeln. IN g.— Italien. Tagebuch einer Reife. Mit 118 Bildtafeln. M 9.— Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. M 9.—

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Seipp, Bettina: Neapel und Sizilien als Land der Griechen erlebt. Mit 46 Bildtafeln. M 6.50

Spunda, Franz: Der heilige Berg Athos. Landfchaft und Legende. Mit 40 Bildtafeln. M 8.-

Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern. Mit 64 Bildtafeln. M 12.—

Philos ophie

Kant: Kritik der reinen Vernunft. Auf Dünndrudpapier. (650 Sei⸗ ten.) M 7.-

- Kant-Ausspriiche. Herausgegeben von Raoul Richter. M 3.50 Kassner, Rudolf: Das Buch der Gleichnisse. M 4.50

Die Chimäre. Der Aussätzige. Gebunden M 3.-

Von der Einbildungskraft. M 4.50

Der indische Gedanke. Von den Elementen der menschlichen Größe. Gebunden M 3.-

Englische Dichter. Gebunden IN 4.50

Essays. Gebunden M 4.50

Der Gottmensch. Eſſays. IM 4.50

Die Grundlagen der Physiognomik. M 4.-

Die Moral der Musik. Aus den Briefen an einen Muſiker. Ge⸗ bunden M 4.-

Die Mythen der Seele. M 4.-

Das physiognomische Weltbild. M 7.50

Der Tod und die Maske. Gebunden M 3.-

Die Verwandlung. Phyſiognomiſche Studien. M 4.50

Zahl und Gesicht. Nebſt einer Einleitung: Der Umriß einer uni⸗ berfalen Phyſiognomik. IN 5.50

Meiner, Annemarie: Lob des Alters. Sprüche der Weisheit. Ge: bunden Mt 2.50

Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Mit Erläuterungen und einem Nachwort. M 3.-

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Kunſt

Allesch, Johannes von: Michael Pacher. Mit 113 Abbildungen. NM 10.—

Beenken, Hermann: Bildhauer des vierzehnten Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben. Mit 150 Abbildungen. NT 10.-

Burkhard, Arthur: Hans Burgkmair. Mit 117 Abbildungen. M 10.-

Geese, Walter: Gottlieb Martin Klauer. Der Bildhauer Goethes. Mit 64 Bildtafeln. M 7.-

Gerstenberg, Kurt: Hans Multscher. Mit 175 Abbildungen. NT 10.-

Grisebach, August: Karl Friedrich Schinkel. Mit 110 Abbildungen. M 10.-

Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts. Mit 136 Abbildungen. NT 10.—

Koch, Rudolf: Das ABC-Büchlein. Gebunden IN 2.80 Vorzugsausgabe: 100 Exemplare auf der Handpreſſe gedruckt im Haus zum Fürſteneck zu Frankfurt a. M. In Halbleder M 30.-

Das Blumenbuch. Zeichnungen von Rudolf Koch. In Holz geſchnit— ten von Fritz Kredel. 240 Holzſchnitte im Format 23 * 31 cm. Druck der Mainzer Preſſe in 1000 Exemplaren. Die Handkolorie— rung beſorgte Emil Wöllner. Drei Teile. In Pappbänden M 80.-

Karte von Deutschland und angrenzenden Gebieten. Bielfarbige Wiedergabe im Format 120% 163 cm. Unaufgezogen N 18.-; auf Leinwand mit zwei Rundftäben Me 30.-

Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Das Münster zu Straßburg. In Holz geſchnitten von Fritz Kredel und Liſa Hampe. 80 * 135 em. Gedruckt durch die Drugulin-Preſſe zu Leipzig. In Pappſchatulle M 12.—

Die Weihnachtsgeschichte. Ein Blockbuch in 10 Holzſchnitten. Ge⸗ bunden M 1.80

Das Zeichenbuch. M 5.-

Das kleine Blumenbuch (JB. Nr. 281), Ein Deutscher (JB. Nr. 504) und Häuslich es Leben (JB. Nr. 124)

König, Leo von: Gestalt und Seele. Das Werk des Malers. Mit 64 Bildtafeln und einer Einleitung von Reinhold Schneider. M 8.—

Lanckoronska, M., und Richard Oehler: Die Buchillustration des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Drei Bände mit 212 Lichtdrucktafeln. Gebunden M 75.-; in Halb» leder M go.—

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Zwölf Bildtafeln aus der Manessischen Liederhandschrift. Wieder⸗

gabe in vielfarbigem Lichtdruck in der Originalgröße (35 14x 25 cm). In Leinenmappe IN 60.- Inhalt: 1. Kaiſer Heinrich 2. König Konrad der Junge 3. Wal: ther von der Vogelweide 4. Graf Kraft von Toggenburg 5. Wolf: ram von Eſchenbach 6. Meifter Johannes Hadloub - 7. Der Tann⸗ häuſer 8. Klingfor von Ungarland 9. Hartmann von Aue - 10. Werner von Teufen 11. Kriſtan von Hameln 12. von Sunegge. Jedes Blatt auch einzeln in Umſchlag M 6.—

Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. M 10.— Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M 7.— Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. M 7.—

Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit 77 Bildtafeln. M 9.—

Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und ſein Werk. Mit 80 Bildtafeln. M 10.—

Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und feine Kunſt. Mit 192 Bildtafeln. IN 4.50

Weinberger, Martin: Wolfgang Huber. Mit 135 Abbildungen. M 10.—

Die Drucke der Drugulin-Preffe

Platons Phaidros. Übertragen von Rudolf Kaſſner. Erſter Hand

preſſendruck der Drugulin⸗Preſſe zu Leipzig. 300 Stücke auf hand: geſchöpftem Büttenpapier. In Interimsband M 30.— Mit dieſem koſtbaren Band hat die neu begründete Drugulin⸗Preſſe ihre Arbeit begonnen. Der Handpreſſendruck war in Deutſchland in der letzten Zeit faſt ganz ausgeſtorben. So wird das Erſcheinen dieſes langſam gereiften Druckes den Bücherfreunden ein freudiges Ereignis ſein. Zum erſten Male wurde dafür verwandt der Mittel⸗ grad der Marathon⸗Antiqua, den Rudolf Koch noch ſelbſt ge: ſchnitten hat. Initial⸗ und Titelſchrift find von E. R. Weiß.

Zwei kleine Drucke der Drugulin- Presse:

Karl Heinrich Waggerl: Freundschaft mit Büchern. 300 Gtücke. IM 2.—

Dita Waggerl: Gedichte. 300 Stücke. IN 3.—

Verzeichniſſe der bisher vorliegenden Einblattdrucke der Drugulin⸗ Preſſe ſtehen zur Verfügung.

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Die Bibliothek der Romane Jeder Band in Leinen M 3.50

Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen.

Emily Bronté: Die Sturmhöhe. Übertragen von Grete Rambach.

Charles de Coster: Die Hochzeitsreise. Übertragen von Albert Weſ— ſelſki.

Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Ein fröhliches Buch trotz Tod und Tränen. Übertragen von Albert Weſſelſki.

Daniel Defoe: Robinson Crusoe. Nach der älteften deutſchen Übertra⸗ gung. Nachwort von Severin Rüttgers.

Gustave Flaubert: Frau Bovary. Ilbertragen von Arthur Schurig. Theodor Fontane: Effi Briest.

Der Stechlin.

Goethe: Die Wahlverwandtschaften.

Jeremias Gotthelf: Wie Uli der Knecht glücklich wird. Ulrfaſſung. Nachwort von Paul Ernft.

Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplizissimus. Mit einer Zeit: tafel und einem Nachwort von Wolfgang Kayſer.

E. T. A. Hoffmann: Die Eli xiere des Teufels.

Jens Peter Jacobsen: Niels Lyhne. Übertragen von Anka Matthieſen. Gottfried Keller: Der grüne Heinrich.

Die Leute von Seldwyla. Erzählungen.

Selma Lagerlöf: Gösta Berling. Erzählungen aus dem alten Werm⸗ land. Übertragen von Mathilde Mann.

Conrad Ferdinand Meyer: Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeſchichte.

Joseph Victor von Scheffel: Ekkehard. Eine Geſchichte aus dem 10. Jahrhundert.

Charles Sealsfield (Karl Anton Postl): Das Kajütenbuch.

Friedrich von Stendhal: Rot und Schwarz. Zeitbild von 1830. Uber: fragen von Arthur Schurig.

Die Kartause von Parma. Übertragen von Arthur Schurig.

Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel. Übertragen von Karl Lerbs. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Müller.

Jonathan Swift: Gullivers Reisen. Nachwort von André Jolles. Leo Tolstoi: Anna Karenina. Übertragen von H. Röhl. Zwei Bände.

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Dichter unferer Zeit Jeder Band in Leinen MN 3.75

Ernest Claes: Flachskopf. Mit einem Vorwort und Zeichnungen von Felix Timmermans. Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens.

Ricarda Huch: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. Die Verteidigung Roms. (Des Garibaldi⸗Romans erſter Teil)

Der Kampf um Rom. (Des Garibaldi⸗Romans zweiter Teil) Michael Unger. Roman.

Rudolf Koch: Kriegserlebnisse. Mit einem Gelbftbildnis.

Christian Morgenstern: Alle Galgenlieder.

Hubert Mumelter: Oswalt und Sabina. (Zwei ohne Gnade.) Roman.

Stijn Streuvels: Der Flachsacker. Roman. Aus dem Flämiſchen über: tragen von Peter Mertens.

Feliæ Timmermans: Pieter Bruegel. Roman. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens.

Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnungen des Dichters. Uber: tragen von Anton Kippenberg.

Das Licht in der Laterne. Neue und alte Erzählungen. Mit Zeich⸗ nungen des Dichters.

Pallieter. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Anna Valeton⸗Hoos.

Karl Heinrich Waggerl: Brot. Roman. Das Jahr des Herrn. Roman.

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geſchichte einer glücklichen Gatten: wahl. Mit alten chineſiſchen Holzſchnitten.

Die Hausbücher der Inſel Jeder Band in Leinen M 4.50

Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für alt: modiſche Leute. Pappband.

Beethoven: Briefe. In Auswahl herausgegeben von Albert Leitzmann. Mit 16 Bildtafeln.

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Jakob Böhme: Ausgewählte Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Friedrich Schulze-Maizier. Mit einer Bildtafel.

Gottfried August Bürger: Wunderbare Reisen des Freiherrn von Münchhausen. Mit Holzſchnitten von Guſtave Dore. Großquart. Pappband.

Wilhelm Busch: Aus alter Zeit. Mit vielen Handzeichnungen des Meiſters. Herausgegeben von Otto Nöldeke und Hans Balzer.

Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof— mannsthal. (1005 Seiten.)

Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Eeverin Rüttgers. Mit einem erklärenden Anhang. (616 Seiten.)

Deutsche Volksbücher. Herausgegeben von Severin Rüttgers. (650 Seiten.)

Meister Eckhart: Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben von Friedrich Schulze-Maizier.

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg.

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl mit 8 handkolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel.

Wilhelm Hauff: Märchen. Vollſtändige Ausgabe. Mit Holzſchnitt— initialen von Fritz Fiſcher.

Gustav Schwab: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige Aus» gabe in einem Bande mit 96 Bildern von John Slarınan. (1020

Seiten.)

Adalbert Stifter: Witiko. Mit einer Einleitung von Adolf von Grol— man. Ungekürzt. (930 Seiten.)

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht.

Emil Waldmann: Albrecht Dürer. Sein Leben und seine Kunst. Mit 192 Bildtafeln.

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Kals nnn ⁵ð 5 Joſeph von Eichendorff: In Danzig. 11 Erich Brandenburg: Kolonialpolitik und Kriegsſchuld 12 Philipp Otto Runge: Briefuee——.1ꝗ 24 Eberhard Meckel: Im Junuů . eee 28 Joſeph von Eichendorff: Die Univerfitat.............. 29 Aus des Knaben Wunderhorn: Ablöfung ............. 34 Friedrich Schnack: Corneli—wꝑ Vll eee 34 Aus des Knaben Wunderhorn: Verſpätunn g 40 Arthur Schopenhauer: Von dem, was einer vorſtellt ... 42 Hans Ca roſſa: Wanderung eee ee 46 Johann Peter Hebel: Das Spinn lein 60 Selir Timmermans: Der Marquis und der Ungar 62 Benno Papentrigk: Moſelfahre UU! d 66 Joſeph Görres: Die teutſchen Volks buchen. 68 Jakob Böhme: Aus feinen Schriften. 69 Adalbert Stifter: Der Pratenrnrnnr q nk 72 Schiller: Pompeji und Herkulanuꝶnmngnn eee ee 83 Gertrud von le Fort: Die Tochter Farinatass 85 Max Mell: Steiriſche Landſchaftemnnn nnn. 97 Edgar Dacqué: Sprüche. 105 Edzard Schaper: Feldgericht ........ ccc cece eee ee eee 107 Achim von Arnim: Letzter Brief eines Freiwilligen 119 Reinhold Schneider: Sonett kk 121 Annette von Droſte-Hülshoff: Bilder aus Weftfalen... 122 Rainer Maria Rilke: Drei Gedichtek 131 Jean Paul: Des Luftſchiffers Giannozzo See buch 133 Gebrüder Grimm: Das Hirtenbüb lein 135 Erneft Claes: Der alte Pover......... cc ee ee eee ee eee 136 Konrad Weiß Gedichte 141 Ernſt Moritz Arndt: Verſuch in vergleichender Völkergeſchichte 143 Hans Friedrich Blunck: Knecht Rupre che 145 Wilhelm Müller: Der Wegmweifer .......... cee eee 148 Karl Heinrich Waggerl: Aus der Heimat ............. 149 Goethe: hien ee 166 Bic ] v lan 167

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Die Bilder

Daniel Chodowiecki: Der Leuchtturm bei Weichſelmünde. Aus: Daniel Chodowiecki, Von Berlin nach Danzig Griechenmünze von Selinontion um 410. Aus: Die ſchönſten Griechenmünzen Siziliens (Inſel-Bücherei Nr. 559) ....... Wiener Streichmacher. Aus: Adalbert Stifters Geſammelten Werken, ſechſter Band, Kleine Schriften. Stahlſtich von Karl Ttablinedht eg Giͤj—— ese elas aesen Gottfried Keller: Oſſianiſche Landſchaft. Aus: Erwin Ackerknecht, Gottfried Keller. Geſchichte feines Leben k! Daniel Chodowiecki: Auf dem Wege zur Heiliggeiſtgaſſe (An— ſicht der Langen Gaſſe in Danzig). Aus: Daniel Chodowiecki, Von ein Nady ß Tilman Riemenſchneider: Engel der Verkündigung. Aus: Til— man Riemenſchneider im Taubertal (Inſel-Bücherei Nr. 545) Goethe: Blick aus Knebels Fenſter in Jena. Aus: Goethe, Handzeichnungen (Inſel-Bücherei Nr. 555) Ew. Georg Kolbe: Große Knieende. Aus: Georg Kolbe, Bildwerke (Ssnjel dere RRR. ð er

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Den Umſchlag zeichnete Walter Tiemann

Gedruckt von Poeſchel & Trept

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Inſel-Almanach auf das Jahr 1941

Im Snfel-Verlag zu Leipzig

Kalendarium

Eurer Kinder Land ſollt ihr lieben: dieſe Liebe fei euer neuer Adel, das unents deckte, im fernſten Meere! Nach ihm heiße ich eure Segel ſuchen und ſuchen!

Friedrich Nietzſche

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Ernft Bertram / Knabenmorgenchöre auf dem Münſter

Eine dunkle Stimme

Hüter, iſt die Nacht bald hin? Beben wir im Weltenfroſt? Ach, wo bleibt es, unſer Licht?

Wächter, ſchläfſt du wohl den Tod? Sind die Knaben ganz allein? Habet acht! Da loſch ein Stern!

Blickt auf! Über dem Totenſtrom

Bereitet euch! überm ſchwarzen Wald Geiſtern ſeh ich junges Licht

Die Nacht iſt hin.

Drei Clare Stimmen

Den Morgen zu verkünden Sind wir auf kalter Wacht, Dem Tag uns zu verbünden Mahnt uns die harte Nacht.

Dem Vater Gott in Treue Stehn wir auf kühnſtem Stein: Auf daß ſein Volk ſich neue, Wie dort der große Rhein.

Vom Sohne zu erflehen Knien wir im hohen Rund Ein Schöpfergeiſteswehen Herab für unſern Bund.

Knabenhochchor, zwiechörig

Vor dem Licht der Frühe Geloben wir:

Immer Gewandelte wandern Nach droben wir.

Unſres älteften Erbes Walten wir,

Einſt auf befreitem Grunde Alten wir.

Der Geiſterſchlacht bereiten Die Waffen wir,

Wahre Enkelheimat Schaffen wir.

Knabentiefchor, zwiechörig

Derer im Schatten da unten Gedenken wir:

Alle guten Gräber Beſchenken wir.

Fremdgeiſterzwangnis Enden wir,

Gewalt und Not, die Wenden wir.

Dem erkannten Gebot Nicht wanken wir,

All unſern Ahnen Danken wir.

Zwei Stimmen vom Turm

Hinaufgeſchaut!

Da oben entzündet ſich

Im rot aufzückenden Strahl Roſe und Kreuz.

Hinaufgelobt!

Nach droben vollende ſich Der ungeſtümere Schrei Zum Turmchoral.

Hinaufgehorcht!

Da drüben ſingen im Chor Die Geiſter kommender Welt: Bereitet uns!

Jünglingsvorchor

Ewige Herrlichkeit des Werks, Abglanz aller Schöpfertat, Anblick deiner Lohe wird Brachen Schollen Feuerſaat.

Hohe Meiſterſchaft des Turms, Gleichnis aller heiligen Brunſt, Wieder holſt du uns vom Stern Demut gotteswürdiger Kunſt.

Vier ſtarke Stimmen

Gott gab das Mutterwort, Daß wir vernehmen,

Was er zu keinem ſonſt Als uns will reden.

Gott gab den Vaterlaut, Daß wir bekennen,

Was nur in unſerm Geiſt Will auferbrennen.

Gott gab uns Knaben Glut, Daß wir geloben:

Wir wahren unſer Wort,

Es iſt von droben.

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Jünglingschor mit Grundgeſang im Choral

Komm du in unſre Schar, Heiliger Wille der Welt, Geiſt der Begeiſtrung, herab!

Jüngende Flamme, komm, Glühe du heiliger Unſern ſuchenden Geiſt!

Komm an alternde Statt,

Die zu jüngen ſich ſehnt,

Heiliger ſtrahle der Turm

In der Sonne, die dort

Unſerm Singen ſich hebt, Auferbau ſich die Welt

Aus dem Ewigen Jüngling Geiſt!

Knaben⸗ und Jünglings⸗Allchor mit hindurchziehendem Grundgeſang

Knaben Die Sonne kommt herauf! Ehre ſei Gott in der Höhe! Jünglinge Vom Turm ſteigt nun hinab. Ehre ſei Gott in den Tiefen.

Knaben Und Friede auf Erden ſtrahlt Von unſern Stirnen Den Menſchen guten Willens In allen Landen!

Jünglinge Und Friede in der Erde Den treuen Toten, Im Menſchenwahn gefallen Guten Willens.

Alle Ehre fei den Toten Nach treuem Kampfe, Ehre ſei den Duldern In grauen Gaſſen, Gott aber Vater führt Die treue Jugend Vorbei den Glocken Immer turmauf, Neu ihn zu ſingen

In der Höhe. Aus Ernſt Bertram: Straßburg Ein Gedichtkreis, geſchrieben im Jahre 1919

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Edgar Dacquéè / Der Bruch des Paradieſes

Ein Weſenszug der Schöpfung, die im Anfang durch und durch lebendige Schöpfung iſt, iſt die innere, man möchte ſagen ſitt— liche Freiheit zum Ja als dem ſchlechthin Guten. Denn Gottes Weſen und Wort iſt das Ja der Schöpfung und iſt zugleich Selbſtbejahung deſſen, als den er ſich erkannt. Aber die Selbſt— bejahung Gottes iſt nicht ein Sichſelbſtſuchen im abgegrenzten Sinn, ſondern iſt die Bejahung des ſchlechthin Guten. So wie Gott, der Schöpfer, in voller innerer Freiheit den verneinenden Geiſt mitten in ſeine Schöpfung ſtellt, ſozuſagen als Paladin an ſeinen Thron, weil erſt in dieſem ſeinem Nein das Ja der Schöpfung völlig wird und ſich als Ja erkennt, ſo gibt er den erſchaffenen geiſtigen und urnaturhaften Weſenheiten in ihre innerſte Daſeinsſubſtanz das Nein mit hinein. Denn erſt da⸗ durch werden ſie ein voll umriſſenes Ja. Das Nein iſt zur demi⸗ urgiſchen Schöpfung fo notwendig wie das Ja, es ſteht in fruch⸗ tender Polarität zu ihm. Man muß, um ſolches zu faſſen, das verſtandlich Widerſpruchsvolle in einer übergeordneten leben⸗ digen Einheit ſehen; nur im wahren Lebendigen iſt das Wider⸗ ſpruchsvolle gelöſt, und Gottes Urſchöpfung iſt das wahre Le⸗ bendige.

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Wo wir Menſchen dem unſer Werk Verneinenden begegnen, miifjen wir es ausfchließen, es verfolgen, es zu vernichten ſuchen. Aber unſer Werk iſt ja auch nie das letzte unbe⸗dingte Ja, denn wir ſelbſt ſind eingegrenztes Geſchöpf und haben nicht die letzte, höchſte Allgewalt, um das Verneinende ſelbſt als das unſer Werk Bejahende zu ſehen und wirken zu laſſen. Gottes, des Schöpfers, Schaffen aber iſt ſo unbe⸗dingt, daß in ſeinem Werk, auch wo er den Verneiner ſetzt, alles ein bejahendes Leben bleibt. Und eben das iſt die unendliche ‚fittliche Freiheit“ in Gottes Werk. Denn er iſt kein Geſetzgeber von außen her, ſon⸗ dern ſein Werk iſt zugleich ſein Leben und ſeine Ordnung. Sein Leben aber iſt außer Frage und kann nicht durch die Verneinung in ſeiner unbe⸗dingten Grundlage berührt werden. So war von Anfang an der Verneiner nach Gottes Ratſchluß da und diente ihm vor ſeinem Angeſicht.

Aber der ſchöne Engel mit dem Glanz aus Gottes Angeſicht er⸗ kennt in ſeinem dienenden Nein eben dieſes Nein als Freiheit zum eigenen Willen. Er ſpürt in der Verneinung als ſolcher ſein eigenes, von Gott loslösbares Weſen. Er verſelbſtändigt ſich ſelbſterkennend im Geiſt als Geiſt, er löſt ſich aus der Bin⸗ dung, er wird, wörtlich, abſoluter Geiſt. Das iſt Abwendung von Gottes Willen, Abkehr aus der Gott dienenden Stellung in Gottes Angeſicht. War die Verneinung zuerſt mit hereingenom⸗ men in die vollendete Schöpfung, ſo trat ſie jetzt heraus, nahm ſich als ſelbſtändiges Eigenprinzip und verneinte die Schöpfung nichtmehr um des großen Ja, ſondern um des eigenen los⸗ gelöſten Neines willen. So geſchah es, daß die Verneinung Eigenwille gegen Gottes Schöpfung wurde. Sie ſtrahlte nicht⸗ mehr das Licht unmittelbar aus Gottes Angeſicht in die Schöp⸗ fung zurück zu deren Verherrlichung, ſondern ſetzte ſich, als eigene weſenloſe Geiſtgeſtalt, zu ihr in ausſchließenden Gegen⸗ ſatz. Sie war nichtmehr lebenswahr mit eingeſchloſſen in die Schöpfung. So ward ihr eigenes Angeſicht Nachtſeite der Schöp⸗ fung. Da aber das Nein aus Gott geſetzt war, ſo war es Licht; jetzt aber nach der Wendung kaltes, leeres Licht, das ſelbſt Nacht bleibt, auch wenn es leuchtet. Auch hier iſt das Widerſpruchs⸗ volle in ſich wahr.

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Der Engel mit der Dornenkrone aus dem Straßburger Münſter

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So hat der Widerſacher, der Nichtſeinſollende den urſprüng⸗ lichen Sinn ſeines Weſens in der Schöpfung verkehrt und trach⸗ tet, die Schöpfung ſelbſt in dieſe Verkehrung hineinzuwenden. Eben dieſer Abwendung, dieſer Abwendigkeit nun läßt Gott ihren Lauf. Denn weil Gott weſensmäßig nur bejaht und in ihm das Nein keine ſelbſtändige Weſenheit iſt, ſo bejaht er dieſe Abwendigkeit, indem er ihr dieſen ihren Lauf in ihr Nichts läßt. Er überläßt ihr dieſe Freiheit, die nie eine Erfüllung, ſondern nur eine Selbſtdarſtellung als völlige Leerheit erfahren wird. Das Verneinende wird, weil die Schöpfung das von Gott aus ſeiner Selbſterkenntnis Gewollte, alſo grundſätzlich Gute iſt, durch ſeine Abwendigkeit das ſchlechthin Böſe, eben die abſolute, die losgelöſte Verneinung von Gottes Ja. So ſchließt ſich das Grundſätzlich⸗Verneinende von ſelbſt aus dem ſchöpferiſchen Ja Gottes, womit er alle Kreatur hegt, aus. Es wird das Gegen— teil des Schöpferbildes, verzerrt dieſes, wird fo die Fratze Gots tes, des Schöpfers. Es iſt jedesmal, wo es in die Erſcheinung tritt, verzerrtes Gegenbild zum Schöpfungs-⸗Ja, auch wo es Lichtbringer iſt und Schönheit und Vollendung ſpiegelt.

Gott will mit ſeinem Wort ſtets in den Kreaturen leben, und ſie ſollen ſein Wort ſelbſt leben; er will, daß ſie für ihn zeugen, ſie ſollen ihm zugewandt fein, nach innen ihm leben. Der Vers neiner ſucht gleichfalls ſich in der Kreatur, aber nur, um in ihr als der erſchaffenen Wirklichkeit mit ſeinem Selbſtſein ent⸗ leerend und gottabwendig da zu ſein. Er gibt ſich auch, wie Gott ſich gibt; aber wenn das Geſchöpf fic) ihm öffnet und er eingeht, ſo bedeutet ſein Einfluß Vernichtung von Gottes reinem Wort in der Kreatur. Er gibt wie Gott, aber ſein Geben iſt falſcher Schein. Er bringt Licht, er iſt Lichtbringer; aber ſein Licht iſt gleißend kalt, hat nicht die bejahende, hegende Wärme des Got⸗ teslichtes. Er erfüllt nicht, ſondern entleert, zerſtört. Er hat Ord⸗ nung und Plan, wo es der Verneinung dient; der iſt Unord⸗ nung und ſchafft Chaos, wo es der Zerſtörung des Wortes Got⸗ tes dient. Er will ſchließlich ſich ſelbſt in der Schöpfung an Gottes Stelle ſetzen, will Gott ſelbſt auslöſchen - unbedingte Verneinung ins letzte. Da aber Gott das ſchlechthin Seiende iſt, ſo wird er ſchließlich Gott ſelbſt vernichten wollen, um zuletzt,

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wenn es fo würde, ſich felbft in ewiger leerer Verneinung zu finden, wo nichtsmehr zu verneinen und alles weſenlos iſt: der Herr des Nichtmehr⸗Seienden. Das aber iſt letzte Sinnloſigkeit, und ſo erſcheint der Erzböſe zuletzt doch als der Dumme im tief⸗ ſten metaphpſiſchen Sinn. Als im Urgeiſterreich dieſe Weſens⸗ wendung geſchehen war, da begann der ‚Raub an der Schöp⸗ fung“ durch den gefallenen abgewendeten Geiſt, den gefallenen ſchönen Engel. Im Uranfang, als das unberührte Menſchen⸗ urbild noch in ſeiner vollen paradieſiſchen Geiſtleiblichkeit ſtand, ſich unmittelbar als Ebenbild des Schöpfers ſah und erlebte, ihm völlig zugewandt und ge⸗hörſam war, den Garten im An⸗ geſicht Gottes bebaute und ſich daraus nährte, wußte es un⸗ mittelbar aus dem Blick Gottes die ihm zukommende Wahrheit und den lebendigen Sinn der Schöpfung. So lebte es ſeine ihm von Gott geſetzte Weſenheit. Es wußte, wie es aus Gott lebte und nur aus Gott. Es wußte zu unterſcheiden die Welt der Geiſter, der Engel, die Urnatur und ihre Kräfte, in deren Mitte und mit denen es wirkte. Denn es war ja von Gott in den Garten Eden als Bebauer und Walter geſetzt, ihn zu be⸗ pflanzen, es ſtand inmitten der unverſehrten Natur; es ſollte, wie der Mpthus ſagt, den Geſchöpfen ihren Namen geben, das heißt ihr Weſen öffnen zur Geſtaltung im paradieſiſchen Leben. So war das Urmenſchenweſen unſchuldig, erging ſich im Schöpfer⸗ garten nach Gottes Willen. Gott ſprach den Menſchen an, der Menſch antwortete als das Du⸗Ebenbild. Er war im Urſtand ſei⸗ ner himmliſchen Geiſtleiblichkeit gehörſam dem inneren Lebensge⸗ bot, dem Wort, das ihm unmittelbar aus Gottes Odem zufloß. Aber der Menſch ward müde, in ſeiner androgpnen Einſamkeit ſo Gott gegenüberzuſtehen. Und Gott ſprach: „Es iſt dem Men⸗ ſchen nicht gut, daß er allein fei; ich will ihm eine Gebilfin geben.” Gehilfin zu was? Um mit ihr in lebendiger Polarität ihn in feiner Tätigkeit und feinem Dienen und ‚Zeugen‘ für Gott zu erweitern, wachſen zu laſſen. Es ging eine Verwand⸗ lung vor ſich: Adam ſank in einen Schlaf, den Gott über ihn kommen ließ. Und als er daraus erwachte, ſtand in geiſtleib⸗ lichem Daſein das Weib Hevah dem Mann Adam gegenüber, aus dem ſie herausgetreten war.

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Noch waren fie völlig in dem Erfüllungszuftand ihres gegen⸗ ſeitigen Beiſammenſeins und Miteinanderlebens, da ſie im lebendigen Blick auf Gott und im ungehemmten Strom ſeines Daſeins, der ungehemmt auf ſie ausging, ſtanden. Das war der Augenblick, da Gott ſelbſt die Ehe in ihrem wahren, unverſehr⸗ ten Urbild geſetzt und an ihnen vollzogen hatte. Jedes von ihnen hatte das voll erfüllende Du ſich gegenüber, ungebrochen, ſo wie Gott, deſſen Ebenbild ſie auch darin waren, ſein erſtes Du in der Sophia, in der lebendig mit ihm ſein Wort ſchaffen⸗ den Weisheit ſeiner Selbſterkenntnis ſich gegenüber hatte. Noch ſtanden ſie völlig in der paradieſiſchen Natur; es war erſt das Vorſpiel zur großen Tragödie, die folgte. Denn nun wußte der Menſch um ein neues, nichtmehr Gott allein bedeutendes Gegen— über. Aber noch das muß feſtgehalten werden fab ſich der Menſch in geiſtleiblicher Klarheit und Unverſehrtheit, noch war es gottgewollt geweſen, was geſchehen war; noch ſah der Menſch die Mannigfalt der gottgeſchaffenen Weſen in ihrem inneren unverſehrten Zuſammenhang und ſtand ſo auch mit der Schöpfung noch in ungebrochener Wechſelbeziehung. Dennoch waren ihm die Weſenheiten der Schöpfung jetzt ſchon an ſich erkennbare Einzelkräfte geworden. Denn auch im Menſchen hatte ſich ja der Blick auf ſein eigenes Gegenüber aufgetan, das nun wechſelweiſe als anderes Weſen nichtmehr ſchlechthin in innerer, ſondern auch in äußerer polarer Zweiung ſich gegenſeitig gegen⸗ überſtand. So wuchs als erſte Frucht eine gegenſeitige Selbſt⸗ erkenntnis hervor, es ergab ſich die äußere Geſtaltung der Ge⸗ ſchlechter.

Und damit war ſchon eine Not entſtanden. Denn nun können beide nichtmehr nur als androgynes Eines im Angeſicht Gottes ineinander wirken und ‚zeugen‘, fie müſſen zugleich, nach außen ſchauend, umeinander kreiſen. Denn um ihr Gott⸗Ebenbild darzuleben, müßten fie noch volle androgyne Einheit geblieben ſein. So war die Ermüdung, wie es Jakob Böhme ſo tiefgrün⸗ dig auftut, doch ſchon bei aller noch paradieſiſchen Verklärtheit der erſte Schritt zur Abwendung von Gott geweſen, der erſte Schritt zum Sonderungs⸗ oder Sündenfall durch die Selbſt⸗ erkenntnis. Noch iſt es nicht das Begehren zueinander, ohne auf

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Gott zu blicken, noch nicht Eros und Dämonie. Aber Hevah war die ſchöne Gegengeſtalt geworden, die unbewußt und voller Un⸗ ſchuld Adam locken mußte zur Rückkehr in die geiſtleibliche andro⸗ gpne Einheit und Wiedervereinigung. Immerhin, auch das war Gottes Wille: Gott hatte eben die Zweiung im Schlaf des Adam vollzogen, und auf dieſem Wege ſollte die weitere Ent⸗ faltung des Menſchen und der Schöpfung vor ſich gehen. Und es iſt wohl anzunehmen, auch wenn es der Mpthus ſelbſt nicht deutlich ſagt, daß in der übrigen Natur des Paradieſes Ent⸗ ſprechendes vor ſich gegangen war. Wie wir von ſeiner Erſchaffung her wiſſen, hatte der Menſch Anteil am Urnaturreich und deſſen Kräften, denn er war natur⸗ geſchaffen; und er hatte Anteil am Geiſterreich, denn ihm war Gottes Odem eingegeben. So beſtand er aus allen Potenzen und urſeelenhaften Kräften der Natur, die er in ſich trug und zu einem Ganzen vereinte. Man denke es nicht quantitativ, ſon⸗ dern qualitätsmäßig; aber mit der Qualitas, mit dem Weſen, hatte er eben das Ganze. Er war weder nur Natur noch nur Geiſt, ſondern vereinigte und verſtand beides in ſich ſelbſt. So war er einzig und allein jenes Weſen der Schöpfung, das in der nun einſetzenden paradieſiſchen Entfaltung eben der Lebens⸗ mittelpunkt dieſer Entfaltung ſein und die gegenſeitige Durch⸗ dringung von Geiſt und Urnatur bewirken ſollte. Das wäre der paradieſiſche Gang der Entwicklung geworden. Darum allein war der Menſch jene Pforte, durch die der Verneiner Eingang finden konnte und mußte, wollte er zerſtörend in die geſamte Schöpfung eindringen.

Aus Edgar Dacqué: Die Urgeſtalt

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Annette von Droſte⸗Hüͤlshoff / Zwei Briefe An Profeſſor Schlüter in Eppishauſen in der Schweiz Den 9. November 1835 Nein, es iſt zu arg, wie ich mit Ihnen verfahre, mein frommer, geliebter Freund, aber ich will Ihnen ſagen, wie es derweil zu⸗ gegangen iſt, dann iſt meine Entſchuldigung gemacht. Vorerſt

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war ich acht Tage lang bei Thurns! (bin aber ſchon feit feds Tagen zurück), dann, doch dort müſſen Sie vorläufig noch ver⸗ weilen, dort ſind mir ein paar artige Begebenheiten zugeſtoßen; was ich ſonſt noch zu meinem Vorteil zu ſagen habe, ſoll ſchon noch kommen; ich habe auf dieſem Gute (Berg) eben wie hier die meiſte Zeit am Fenſter zugebracht, man ſieht die Alpen wie auf unſerm Rebhügel. Dort ſah ich zuerſt das Alpenglühen, nämlich dieſes Brennen im dunklen Roſenrot beim Sonnen⸗ auf⸗ und ⸗untergange, was fie glühendem Eiſen gleich macht und, ſo häufig die Dichter damit um ſich werfen, doch nur bei der ſelten zutreffenden Vereinigung gewiſſer Wolkenlagen und Beſchaffenheit der Luft ſtattfindet. Eine dunkel lagernde Wol⸗ kenmaſſe, in der ſich die Sonnenſtrahlen brechen, gehört allemal mit dazu, aber noch ſonſt vieles. Nun hören Sie, ich ſah, daß eine tüchtige Regenbank in Nordweſt ſtand, und behielt deſto unverrückter meine lieben Alpen im Auge, die noch zum Greifen hell vor mir lagen; die Sonne, zum Untergang bereit, ſtand dem Gewölk nah und gab eine ſeltſam gebrochene, aber reizende Beleuchtung. Ich ſah nach den Bergen, die recht hell glänzten, aber weiß wie gewöhnlich, als wenn die Sonne ſonſt auf den Schnee ſcheint - hatte kein Arg aus einer allmählich lebhafte⸗ ren gelblichen, dann rötlichen Färbung, bis ſie mit einem Male anfing, ſich zu ſteigern, roſenrot, dunkelrot, blaurot, immer ſchneller, immer tiefer; ich war außer mir, ich hätte in die Knie ſinken mögen, ich war allein und mochte niemand rufen aus Furcht, etwas zu verſäumen. Nun zogen die Wolken an das Ge⸗ birge, die feurigen Inſeln ſchwammen in einem ſchwarzen Meere; jetzt ſtieg das Gewölk, alles ward finſter ich machte mein Fen⸗ ſter zu, ſteckte den Kopf in die Sofapolſter und mochte vorläufig nichts anderes ſehen noch hören.

Ein anders Mal ſah ich eine Schneewolke über die Alpen ziehn, während wir hellen Sonnenſchein hatten; ſie ſchleifte ſich wie ein ſchleppendes Gewand von Gipfel zu Gipfel, nahm jeden Berg einzeln unter ihren Mantel und ließ ihn bis zum Fuße weiß zurück; ſie zog mit unglaublicher Schnelligkeit in einer hal⸗

1 Sn der Familie des Grafen Theodor von Thurn⸗Valſaſſina auf dem nahe gelegenen Schloß Berg.

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ben Stunde viele Meilen weit, es nahm ſich vortrefflich aus. Sie ſehen, die Schweizernatur macht mitunter die Honneurs ihres Landes ſehr artig und führt ergötzliche Nationalſchauſpiele auf für die Fremden an den Fenſtern. Nun noch ein liebliches kleines Abenteuer vom Schloſſe Berg, ganz anderer Art, wobei mir beinah angenehm ſchauerlich zumute wurde, in Beziehung auf einen recht gut geſchriebenen Geiſterroman „Der Über- zählige“, den ich erſt vor einigen Tagen geleſen und in dem eine ähnliche Szene ſtattfindet. Alſo - ſchon tönt die Glocke Mit⸗ ternacht; nein, ſo ſpät war es nicht, aber doch etwa half eilf, wir ſaßen nach dem Abendeſſen noch beiſammen, der alte Graf Thurn, ſeine Schweſter Emilie, ſeine Tochter Emma und ich. Vor uns auf dem Tiſche lagen allerlei alte Sächelchen, mit denen der gute Papa Thurn mich ſoeben beſchenkt hatte; ein Calatrava⸗Orden, derſelbe, deſſen Kopie auf einem mehr als hundertjährigen Familiengemälde vorkam; eine Bügeltaſche mit Schloß und Kette, ſtark genug, einen jungen Ochſen anzu⸗ legen. Die Taſche ſelbſt von ſchwerer Seide, drein gewirkt auf Gold das ältefte Thurniſche Wappen, aus jener Zeit, wo fie noch unter dem Namen de la Torre Mailand beherrſchten, be⸗ vor ſie den Viscontis weichen mußten; ein ſehr ſchön gemaltes kleines Bild und dergleichen mehr. Alles kam aus Schiebladen, die vielleicht ſeit ſechzig Jahren nicht geöffnet waren, der Mo⸗ dergeruch verbreitete ſich im ganzen Zimmer, und mir war faſt, als berühre ich die wunderbar konſervierten Glieder der Ver⸗ ſtorbenen. Der alte Graf hielt ein ſchlichtes Kiſtchen von Elfen⸗ bein in der Hand, aus dem noch allerlei zum Vorſchein kam; endlich war es leer. Nun, ſagte er, damit Sie die kleinen Dinger nicht verlieren, ſo ſchenke ich Ihnen das Kiſtchen dazu; es iſt zwar weder etwas Schönes noch Merkwürdiges daran; indeſſen mag es doch ein paar hundert Jahre alt ſein, ich wenigſtens habe es ſchon über vierzig Jahre; als ich ein Kind war, hatte es mein Vater, und ich erinnere mich, daß er ſagte, er habe es von ſeinem Großvater, der es ihm auch ſchon als ein altes Kiſtchen mit ich weiß nicht was drinne gegeben habe; ſo können Sie es auch unter die Antiquitäten rechnen. Hierbei ſchlug er den Deckel ſo feſt zu, daß ich gleich nachher ihn nicht aufzubringen ver⸗

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mochte; ich meiftere und drücke dran, eigentlich nur zum Zeit- vertreibe; mit einem Male fliegt es gewaltſam auf, und zwei wunderſchöne Miniaturbilder liegen vor mir, das eine im Deckel, das andere gegenüber im Grunde des Kiſtchens. Emma und ich hatten uns, in der Erinnerung an den ‚Überzähligen‘, beide er⸗ ſchreckt, daß wir blaß geworden waren; weniger entſetzt, aber mehr verwundert waren die beiden Geſchwiſter, die mit Gewiß⸗ heit ſagen konnten, daß ſeit wenigſtens hundertdreißig Jahren niemand mehr um das Daſein dieſer Gemälde gewußt hatte. Der alte Graf, dem das Kiſtchen früherhin zwanzig Jahre als Bonbonniere gedient, ſah aus, als glaube er an Hexen. Es fand ſich, daß ich mit meinem ungeſchickten Meiſtern und Brechen die Feder getroffen, welche den Schieber vor den Gemälden be— wegte. Die Bilder ſtellen zwei vollkommen erhaltene Porträts dar, einen jungen Mann und ein Mädchen, beide im Alter von etwa ſechzehn Jahren, beide von großer Schönheit und einander fo ähnlich, daß man fic für Geſchwiſter, wo nicht gar für Qwil- linge halten muß...

Das Kiſtchen iſt mir geblieben, und ich betrachte es bis jetzt täglich mit den ſeltſamſten Gefühlen. Mein Gott! was iſt die Zeit! was iſt ehemals, jetzt und dereinſt! (ich meine, irdiſch gerechnet)... Hier im Hauſe (bei ihrem Schwager, dem Freiherrn von Laß⸗ berg) gibts ganze Ladungen von Minneliedern und drunter mehrere ſtarke Hefte mit den Melodien dazu, aber nicht ein ſo ſchönes als ‚Der grüne Rod‘ oder ſelbſt feine Geſellen, die übrige Garderobe. Mein Schwager lebt in nichts anderm, und erſt jetzt wird mir die ſeltſame Orthographie ſeiner Briefe klar. Er hat ſich in der Tat im ſchriftlichen Stile unſrer heutigen Redeformen teilweiſe entwöhnt, ich glaube unwillkürlich, und man trifft überall auf Spuren des Nibelungenliedes, des Lo⸗ hengrin, des Eggenliedes uſw. Häufig lieſt er des Abends eine Stunde lang vor, ‚von Helden lobebären, von grozer Arebeit‘ und was dahin gehört. Ich vernehme mit Rührung, wie der Lohengrin in ſeinem Schwanenkahne den Rhein hinunter ab⸗ fährt, der Kaiſer dann ‚pellet ſam ein Rint vor Weinen, da der Lohengrine abe gink', des Ritters Gemahlin ohnmächtig wird und, die Zähn fie ihr uffbrachen mit einem Klotze“. Ja, ja, laſſen

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Sie nur recht tiefe Seufzer fahren, daß Ihnen das alles ver- loren geht! Aber wahrlich, wären Sie hier, keine Silbe ſollte Ihnen erlaſſen werden, Sie ſollten Leid und Freud mit mir teilen, wie es einem getreuen Freunde zukommt, dafür ſtehe ich Ihnen. Ubrigens, ohne Scherz geredet, iſt mein Schwager der beſte Mann von der Welt; ſeine Liebe zu meiner Schweſter iſt ſo groß und von ſolcher Art, wie kein menſchliches mangelhaftes Weſen ſie fordern, aber dennoch das Herz ſie geben kann, und übrigens iſt er angenehm, geiſtreich, ſehr gelehrt, kurz, ihm fehlt nichts, ſondern er hat nur etwas zuviel, nämlich zuviel Manuſkripte und Inkunabeln und zuviel Luft, fie vorzuleſen; gegen uns, die Mutter und mich, iſt er die Aufmerkſamkeit jelbft...

Ich wollte, Sie wären bei uns, Schlüter, das ift mein Morgen⸗ und mein Abendſeufzer. Daß Sie mir fehlen würden, und zwar ſehr, wußte ich voraus, aber ich rechnete doch auf irgendein Weſen, deſſen Beſchäftigungen, Anſichten und Geſchmack dem meinigen einigermaßen entſprächen; aber außer den Thurnſchen Damen betritt kein Frauenzimmer dies Haus, nur Männer von einem Schlage, Altertümler, die in meines Schwagers muffi⸗ gen Manuſkripten wühlen möchten, ſehr gelehrte, ſehr geachtete, ja ſehr berühmte Leute in ihrem Fach; aber, aber, langweilig wie der bittere Tod, ſchimmlig, roſtig, proſaiſch wie eine Pferde⸗ bürſte; verhärtete Verächter aller neueren Kunſt und Literatur. Mir iſt zuweilen, als wandle ich zwiſchen trocknen Bohnenhülſen und höre nichts als das dürre Rappeln und Kniſtern um mich her, und ſolche Patrone können nicht enden; vier Stunden muß man mit ihnen zu Tiſch ſitzen, und unaufhörlich wird das leere Stroh gedroſchen. Nein, Schlüter, ich bin gewiß nicht unbillig und verachte keine Wiſſenſchaft, weil ſie mir fremd iſt, aber dieſes Feld iſt zu beſchränkt und abgegraſt, das Diſtelfreſſen kann nicht ausbleiben. Was zum Henker iſt daran gelegen, ob vor dreihundert Jahren der unbedeutende Prior eines Kloſters, was nie in der Geſchichte vorkömmt, Ottwin oder Godwin ge⸗ heißen, und doch ſehe ich, daß dergleichen Dinge viel graue Haare und bittre Herzen machen.

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Der Weltgerichtsengel aus dem Straßburger Münfter

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Den 19. ... Heute iſt mein Namenstag, Sie denken wohl nicht daran oder vielmehr wiſſen es nicht, weil man mich Annette nennt, mein eigentlicher Name ift aber Eliſabeth - Anna Eliſabeth , und aus dem Anna hat man Annette gemacht. Ich wollte, Sie wüß⸗ ten dieſes heute, gewiß würden Sie für mich beten. Gedenken Sie wohl der Vereinbarung, die wir getroffen für die letzte Abendſtunde? Ich habe es nicht vergeſſen; wo können ſich Freunde auch beſſer begrüßen als vor Gott, es liegt eine große Freude darin. Hören Sie, beſtes Herz, ich habe geſtern recht ungeduldig und ungezogen geſchrieben über brave, kenntnisreiche Leute, deren Beſchäftigungen nie ſchädlich und gewiß oft nützlich ſind. Wie manche gerechten Anſprüche mögen dadurch ins Helle ge— ſtellt, wie manche Ungerechtigkeit entkräftet worden ſein! Wer ſich ſcheut, die Spreu zu durchſuchen, der wird das drin verſchüt— tete Korn nicht finden. Mein Münzenſammeln iſt für andre ebenſo langweilig und kann nie nützlich in die Gegenwart eine greifen. NB. Ich kann nicht verſchweigen, daß mein Schwager mir heute ſehr ſchöne Silbermünzen geſchenkt hat, eine herrliche, große, vollkommen erhaltene griechiſche von Mazedonien und zehn römiſche Konſularmünzen ... Das Papier hat fein Ende erreicht. Grüßen Sie die lieben Ihrigen tauſendmal von mir, den Vater, den Onkel Fritz, die liebe, liebe Mutter und mein Herzens⸗Thereschen zweitauſendmal, und laßt mich alleſamt Euer Gemüt für mich geſtimmt ſo wiederfinden, wie ich es ver⸗ laſſen habe. Nicht wahr, wir kennen uns zu gut, als daß Entfer⸗ nung ſchaden könnte, nicht wahr, Schlüter? Ihre Annette Drofte-Hülshoff

Aus: Annette von Oroſte in ihren Briefen. Inſel⸗Bücherei Nr. 312 *

Du Turm aber ſtehe, als ein Zeuge, daß wir dunkel fühlen, was wir waren vor dieſer Zeit, und daß wir noch ringen nach

unendlichem Ziel. Johannes, der fahrende Schüler, in Straßburg Aus Clemens Brentano: Die Chronika des fahrenden Schülers

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Hans Caroſſa / Leidende Welt

Einer Unterhaltung in Hertwigs Kolleg entnahm ich, es hätte keine ſonderliche Schwierigkeit, ſchon jetzt ab und zu in der Kli⸗ nik für innere Krankheiten zu hoſpitieren, man müſſe nur auf alle Fälle ſeinen Studentenausweis bei ſich tragen. Ich erfaßte den Wink und ſchmuggelte mich ſchon am nächſten Vormittag in den Hörſaal ein. Der Beſuch war ſo ſtark, daß ein einzelner Gaſt nicht auffiel. Ich legte ein Heft vor mich hin und nahm einen Stift in die Hand, verhielt mich überhaupt, als gehörte ich hierher. Ein Zweifel regte ſich im letzten Augenblick, ob es wohl ratſam ſei, Eindrücke vorwegzunehmen, die einer höheren Stufe zugedacht waren; aber das Leben fragt uns ja auch nicht, ob wir auf dieſe oder jene Begebenheit gefaßt ſind.

Der Geheimrat bereitete uns auf eine ſehr ſeltene Krankheit, aber auch auf deren ungewöhnliche Heilung vor. Ein fünfzehn⸗ jähriges Landmädchen hatte vor zwei Jahren, man wußte nicht, aus welchem Anlaß, die Sprache verloren. Viele Heilmittel wurden vergeblich verſucht; das Kind blieb ſtumm, obgleich weder Kehlkopf noch Stimmbänder beſchädigt waren. Man mußte auf eine Art ſeeliſcher Lähmung ſchließen, und dieſe ſollte nun durch ſuggeſtive Einwirkung geheilt werden. Von ſolchen Dingen hatten damals nur wenige Kenntnis; die meiſten taten fie lächelnd ab, auch die anweſenden Studenten bedurften der Aufklärung. Wir wurden gebeten, den größten Ernſt zu be⸗ wahren, damit in der Seele des gläubigen jungen Weſens kein Zweifel erwache. Lächelnd kam ſie gegangen im geſtreiften Krankenkleid, bis fie der vielen Zuſchauer anſichtig wurde, da ſchrak fie zurück, wandte ſich aber dann mit einem Aufblid des Vertrauens dem Profeſſor zu, der ſie beruhigte. Er ſtellte ihr einfache Fragen, die fie leicht mit Gebärden beantworten konnte; hierauf mußte ein Schüler den Kehlkopf beſpiegeln und neuerdings deſſen Unverletztheit beweiſen. Nunmehr erläuterte Bauer in lateiniſcher Sprache den Krankheitsfall und verkün⸗ dete zuletzt in klarem Deutſch, die Patientin werde am Mon⸗ tag früh um acht Uhr mit Elektrizität behandelt und ſogleich geheilt werden.

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Zunächſt aber erwartete uns ein anderer Ausdruck beſchädigter Natur. Im Bette lag ein Mann, an welchem nichts auffallend war, als daß er einen Eisbeutel auf dem Kopfe trug. Der Pro- feſſor bat ihn um Auskünfte; die Antworten kamen langſam, aber nicht undeutlich. Tag und Ort der Geburt, Namen der Eltern und Geſchwiſter, Zeit der Verheiratung, alles wurde richtig an⸗ gegeben. Allmählich näherten ſich die Fragen der Gegenwart; ſchließlich follte der Kranke ſagen, ob er vielleicht vor feds Wo⸗ chen ein Haus gekauft habe, ob ihm ein Kind geſtorben ſei, ob er den Beſuch eines Neffen aus Argentinien erwarte. Lächelnd verneinte er dieſes alles; er begriff nicht, was man von ihm wollte. Als aber der Vortragende nun, zu den Hörern gewandt, berichtete, die Erkrankung habe mit kurzdauernder Bewußtloſig⸗ keit und mit einer leichten Lähmung des linken Armes begon⸗ nen, da befiel ihn ein Weinen, das den ganzen Körper ſchüttelte, jedoch bald wieder nachließ, und ſpäter, bei der Beſprechung, als der Mann ſchon entfernt war, erfuhren wir, daß dieſes un- gehemmte Weinen, bei dem ich mir ſelber kaum die Tränen ver⸗ hielt, nicht etwa der Ausdruck eines beſonders weichen Gemütes war, ſondern durchaus zum Krankheitsbild gehörte. Ja wie man einen Automaten in Gang bringt, indem man das paſ⸗ ſende Geldſtück einwirft, ſo kann man in jedem Menſchen, der vor kurzem einen Schlaganfall erlitten hat, das wilde Schluch⸗ zen auslöſen, ſobald man in ſeiner Gegenwart den Beginn der Krankheit beſpricht. Das Außerordentliche des Falles lag an⸗ derswo. Der Leidende erinnerte ſich bis in die erſte Kindheit zurück an viele Einzelheiten ſeines Lebens; nur was in den zwei Monaten geſchehen war, die dem Inſult vorausgingen, war vollkommen aus ſeinem Denken getilgt. Er hatte wirklich in die⸗ ſer Zeit ein Haus erworben, ſogar den Kaufvertrag mit großer Klugheit aufgeſetzt, ein Töchterchen war an Scharlach geſtorben, der Neffe kündigte ſeine Reiſe an; von all dieſem wußte er nichts mehr. Man ſagte uns, es habe ſich aus einer morſch ge⸗ wordenen Ader Blut in ſein Gehirn ergoſſen und jene Zellen vernichtet, wo die entſprechenden Erinnerungsbilder aufbewahrt lagen; noch aber wußte ich zu wenig von Anatomie, um dieſen Vorgang einzuſehen; mir blieb nur ein Schauder, und zum

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erften Mal glaubte ich zu fühlen, was das heißt: vergeſſen, ver⸗ geſſen. Keiner von uns kann beſtehen, wenn er nicht alltäglich ſeiner Lebensnahrung ein wenig Lethe zuſetzt; aber dieſer Mann hatte davon ein übergroßes Maß auf einmal getrunken. Der Einblick in ſo wunderſame Schickſale entfachte in mir ein wah⸗ res Fieber; vor allem verfolgten mich Zweifel, ob am Montag das Wunder an dem ſtummen Mädchen gelingen werde.

Nach zehn Uhr verließ ich die Klinik und ſchlug den Weg zum Bapriſchen Landtag ein, wo mich die zwei Freunde erwarteten. Es war Walther, der eifrige Juriſt, der ſich ſeit einiger Zeit Skrupel darüber machte, daß wir uns gar zu wenig um An⸗ gelegenheiten des öffentlichen Lebens kümmerten, wozu wir doch ein Recht hätten, und meinte, wir müßten vor allem einmal die vom Volk erwählten Männer bei ihrer Arbeit beobachten. Wir beiden andern hatten uns erſt nach einigem Zögern entſchloſſen; da jedoch nicht von einer Pflicht, ſondern von einem Recht die Rede war, ſo ſahen wir ſchließlich ein, daß man von einem ſol⸗ chen Gebrauch machen müſſe, und wollten alſo die heutige Sit⸗ zung der Abgeordneten beſuchen. Mich lenkte dabei ein eigenes Motiv, das ich für mich behielt. Wie man als Kind für ſein Leben gern einmal einen Leoparden oder einen Alligator an⸗ ſchauen möchte, ſo hegte ich ſeit Jahren den Wunſch, einen So⸗ zialdemokraten zu ſehen. Dieſe ſonderbaren Menſchen, die ſich weder aus dem lieben Gott noch aus dem Königshaus noch aus dem Bismarck etwas machten und die Welt, in der es mir ſo gut gefiel, durchaus anders haben wollten, ſie waren mir ſtets als der Inbegriff aller Gefährlichkeit geſchildert worden. Als ich aber nun ihrer Gruppe anſichtig wurde, ging es mir un⸗ gefähr ſo wie in der Schule mit den Bildern der Bibliſchen Ge⸗ ſchichte, wo die Böſen auch nicht viel anders ausſahen als die Guten, ſo daß ich ihnen Brillen anzeichnen mußte, um ſie kennt⸗ lich zu machen. Nein, dieſe Sozialdemokraten verbargen ihre Furchtbarkeit unter bürgerlichen Masken; ſie unterſchieden ſich wenig von Liberalen oder Konſervativen, machten Notizen und geſtatteten ſich manchmal einen Zwiſchenruf. Einer, in dunk⸗ lem, hochgeſchloſſenem Rock, hob ſich asketiſch vornehm ab; dies war der Herr von Vollmar, adeliger Führer einer Partei, die

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den Adel verwarf; das fei ein feiner Kerl, flüfterte Walther, ſogar ſeine Gegner achteten ihn.

Wir hatten es nicht gut getroffen; keiner von den Gefährlichen ergriff das Wort; dagegen ſprach unermüdlich ein anderer, und mit dieſem wußten wir wenig anzufangen. Es war der Doktor Orterer, das Haupt der bapriſchen Zentrumspartei, ein gelblich⸗ bleicher Mann mit unzufriedenem Blick, in einem fahl wollenen, viel zu weiten Straßenanzug. Seine Stimme war hell, faft ſchneidend, ſeine Ausdrucksweiſe ungemein gewandt und ſelten ohne Heftigkeit. Einmal zürnte er den Juſtizminiſter an, einen Herrn von ſichtlich guter Raſſe, der zu unſerer Genugtuung den Anwurf keiner Erwiderung würdigte. Orterer galt als fähiger Kopf; wir wußten es und hörten eine gute Weile zu, wie er Verwaltungsangelegenheiten beſprach; doch verſtanden wir gar zu wenig davon, und als wir merkten, daß alles bisher Gehörte erſt Einleitung war, ſahen wir uns bittend und gewährend an und ſchlichen hinaus.

„Da ſieht mans, daß es eine Seele gibt”, ſagte Hugo, als ich ihm von dem kranken Mann erzählte, der ſich an kein Ereignis der jüngſtvergangenen Zeit erinnerte, während ihm Geſchehniſſe aus dem vierten oder fünften Lebensjahr noch gegenwärtig waren, und als ich mich verwundert zeigte, ſuchte mir der Freund begreiflich zu machen, wie er es meinte. Der Schlaganfall be⸗ deutete ihm nichts; dieſen nannte er nur eine grobe Verände⸗ rung in einem längſt grob gewordenen Organ. Dagegen be⸗ wegte ihn auf einmal wie das größte Wunder, was wir doch alle wiſſen, daß ein Menſch ſein Leben lang Stunden der Kind⸗ heit im Gedächtnis behält. „Glaubſt du, fragte er, „daß ein Fünfzigjähriger noch die nämlichen Zellen im Gewebe des Groß⸗ hirns hat wie in feiner Knabenzeit?” Ich erwiderte, das fei uns möglich, keine Zelle irgendeines Organgewebes bleibe beſtehen, jede vergehe nach einiger Zeit und werde durch eine neue er⸗ ſetzt, die ſich ebenfalls bald verbrauche. „Iſt das nicht Beweis genug?” triumphierte Hugo. „Nach Meinung der Materialiſten ſind alle Erinnerungsbilder an dieſe Hirnzellen gebunden. Wäre das wahr, fo müßten fie mit ihnen vergehen. Sie tun es aber nicht, ſondern bleiben, und zwar beſonders die Bilder aus jenen

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allererften Jahren, wo die Eindrücke noch mit der Seele auf- genommen werden. Wie erklären ſich das die Gehirnanatomen?” Hier gab es und gibt es nun in der Tat für den Verſtand nichts zu erklären; hier fühlt jeder nicht ganz im Irdiſchen Be⸗ fangene den Grenzbereich einer höheren Heimat. „Ich meine natürlich die obere Seele, ſetzte Hugo hinzu, „nicht die untere, die bloß den Leib zuſammenhält.“ „Wie leicht hätte es fein können, daß man nicht geboren worden wäre!“ ſagte tiefſinnig Walther, und wir lachten und knöpften unſere Frühjahrsmäntel auf. Über den Münchner Straßen glänzte der letzte Tag des April; an den Ecken zwiſchen roſenroten Tulpen und goldenen Mimoſen ſaßen die Blumenfrauen. Vor der Feldherrnhalle ſtreute ein Vater ſeinem Töchterchen Hanfkörner auf Mütze und Schultern; auch die ausgeſtreckten Hände wurden gefüllt, und bald war das ganze Kind, ſogar ſein Geſichtchen, von Tauben zugeflügelt. Jemand öffnete gerade eine Tür der Theatiner⸗ kirche, und purpurn glühend, aus heilig dunkler Mitte, grüßte das Ewige Licht voll Ruhe heraus zu den raſtloſen Söhnen der Zeit.

Ein Jahrhundert ging zu Ende, und was hatte alles in ihm Raum gefunden! Ein zittriges Männlein trippelt vorüber, wäh⸗ rend wir die ſchöne Ludwigſtraße hinabſchlendern; Leute drehen ſich nach ihm um, und jemand ſagt: „Den müßt ihr euch an⸗ ſchauen; der hat noch den alten Goethe geſehen. Taten und Untergang Napoleons, der ſpäte Beethoven, Dramen Schil⸗ lers, Kleiſts und Hebbels, die Dichtungen der Hölderlin und Novalis, der Eichendorff und Mörike und anderer lpriſcher Ge⸗ nien, Nachſommer und Grüner Heinrich, die Weltbetrachtungen Hegels und Schopenhauers, die Muſikdramen Verdis und Wag⸗ ners, die großen neuen Schriftſteller und Künſtler Frankreichs, die Erzähler Rußlands und des Nordens, die Erfindung des Lichtbildes, die rieſige Erweiterung der Naturerkenntnis, die Umſpannung der Erde mit Eiſenbahnen, die Zähmung elektri⸗ ſcher Kräfte und deren Verwandlungen, die Gründung des Deutſchen Reiches, die Stiftung der Genfer Konvention, der Aufſtieg der ärztlichen Kunſt und der Chemie, die Entdeckung alldurchdringender Strahlen, dieſes alles gehörte mit einer Fülle

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anderer ebenbürtiger Erſcheinungen und Leiftungen dem ein- zigen Säkulum an. Stolz und Freude durchdrang die Leben⸗ digen; ſelig prieſen ſie ſich, in dieſer Zeit der Zeiten zu atmen, allen Fluch glaubten ſie von der Welt genommen. Der Erdgeiſt aber hat zwei Angeſichte, und ſchon ſtanden dieſem glänzenden Jahrhundert ſeine Ankläger und Entlarver auf. Es waren kei⸗ neswegs die Schwachen oder die Feigen, in denen Furcht er⸗ wachte; gerade die Kühnen, Adleräugigen begannen zu reden wie Kaſſandra. Sie ſahen, wie unter den ungeheuren Ergeb» niſſen techniſchen Fleißes und unter der Entfaltung der Macht- dämonie die tieferen Anlagen des menſchlichen Geſchlechtes ver- kümmerten, ja wie ein Unerſetzliches verloren ging: die freie, vom Urſprung her beflügelte Seele, das edle Maß, die Ehr- furcht vor dem Unſagbaren, die ſchöpferiſche Trauer, die ver- jüngenden Träume, die Schönheit. Mit dem Immer⸗ſchneller⸗ Werden ging eine ſonderbare Verflachung Hand in Hand; in allen Kreiſen der Bevölkerung lebten einzelne, die das fühlten und den überſchwenglichen Angeboten des Zeitalters mißtrau- ten. Rührend einfältig waren oftmals die Formen der Abwehr. Man hörte von angeſehenen alten Geſchäftshäuſern, die ſich weigerten, Fernſprecher in ihren Kontoren anbringen zu laſſen, von Kranken, die ſich mit Wurzeln und Kräutern behalfen, um nicht den vortrefflichen Impfſtoffen der Neuzeit ihre Geneſung verdanken zu müſſen, von Dichtern, die ihre Verſe mit der Hand und nicht mit der Maſchine ſchrieben, von Leuten, die lieber mit Pferd und Wagen von München nach Innsbruck fuhren als mit dem Schnellzug. Man lächelte über die Eigenſinnigen, die ſo taten, als könnte es auf dem eingeſchlagenen Weg noch eine Umkehr geben; aber man liebte ſie, wie man immer jene ſchmerz⸗ lich liebt, die auf verlorenen Poſten ſtehen.

Nein, es gab keine Umkehr! Die Entfernungen zwiſchen den Wohnſtätten wurden wohl täglich geringer, aber die Seelen kamen ſich nicht näher. Es war, als wiche der Himmel von den Völkern zurück; ein dunkler Geiſt ſpiegelte jedem Götterzukunft vor und ſtreute ſchwarze Saat. Eine ſonderbare Angſt beſchlich die Menſchen; ſie begannen einander als Zerrbilder zu ſehen. Aus Angſt wuchs Haß, aus Haß Vernichtungsluſt. Unmöglich

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konnten wir Zwanzigjährigen dieſe Wandlungen und ihre Folgen überblicken; wir vernahmen die warnenden Prophetieen, hielten ſie jedoch für ſchöne Dichtungen und freuten uns daran, ſo wie ſich im Gebirg die Kinder an dem plötzlichen Erſcheinen der Schneefinken freuen, da ſie nicht wiſſen, daß dieſe den verhee⸗ renden Sturm ankündigen. Immerhin ahnten auch wir, wieviel jetzt auf Echtheit und freien Blick ankam. Darum begrüßten wir dankbar jede urſtändige Phantaſie, jeden Dichter, der mit einem eigenen Ton unſere Seele zum Beben brachte, jeden Maler, der uns neue Schatten zeigte und neues Licht, aber auch jeden Deuter, der uns das Alte tiefer ſehen lehrte. Wurde manches Gegenwärtige zu hoch geprieſen, ſo hatte niemand Schaden da⸗ von; die Zeit pflegt Uberſchätzungen bald zu regeln. Daß wir in unſerem bildſamſten Alter an Geiſter gerieten, welche die Er⸗ gründung aller irdiſchen Luſt zur Daſeinspflicht erhoben, emp⸗ fanden wir wohl ſelbſt als Gefahr, und vielleicht glaubten wir ihr zu begegnen, indem wir bisweilen dem Weſen der Politik auf die Spur kommen wollten.

Den Beſuch im Bapriſchen Landtag haben wir nicht wiederholt; doch blieb mein Wunſch beſtehen, jene Partei, in welcher viele die Geſellſchaft der Zukunft ſahen, durch Anſchauung kennen zu lernen. Der folgende Tag war Sonntag und erſter Mai, und ohne jemand ins Vertrauen zu ziehen, fuhr ich allein ins Iſar⸗ tal hinaus nach Holzapfelskreuth, wo die Sozialdemokraten ihre Maifeier abhielten.

An der Kaſſe waren die Eintrittskarten ſchon ausverkauft; aber man zahlte einen kleinen Betrag und durfte nun einen rot um⸗ wundenen, mit Inſchriften verſehenen Bogen aus Fichtengezweig durchſchreiten. Langſam ging ich weiter, das Gefühl der Um⸗ friedung ſtimmte zum Vertrauen; ein junger Menſch hofft ja in jedem neuen Kreiſe den Wunderſchlüſſel zu finden, der eine beſ⸗ ſere Welt eröffnet.

Vor allem konnte man nicht überſehen, daß der Platz gut ge⸗ wählt war. Zwiſchen Laub⸗ und Nadelgehölzen dehnten Sich weite Lichtungen, und auf deren größter war die Tribüne er⸗ richtet. Hier ſchwang hinter einer rot verhangenen Kanzel die Freiheitsgöttin ihre Fackel; daneben ragten die gipſernen Stand⸗

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bilder berühmter Revolutionäre. Leider hatte das Feſt feine Höhe ſchon überfchritten, die großen Reden waren am Vormit⸗ tag gehalten worden; ich nahm mir aber vor, ſie in der Zeitung nachzuleſen. Gegenwärtig ſpielte eine Muſikkapelle, und zwiſchen Bierſchenken, Wurſtbuden, Heringsbratereien und Zuckerläden, die unter Tannen und Birken aufgebaut waren, freuten ſich die Maſſen des Trinkens und Schmauſens. Wenn die Bläſer ſchwie⸗ gen, hörte man die klagend verſpielten Weiſen eines Orgel- drehers, auf deſſen Bruſt ein Täfelchen anzeigte, daß er blind war. Man achtete wenig auf ihn; ſelten fiel eine Münze in ſein Meſſingſchüſſelchen. Um ſo rührender war der Anblick eines klei⸗ nen Mädchens, das zwar kein Geld zu ſpenden hatte, aber da— für ein Sträußchen Feldblumen auf den tönenden Kaſten legte. Auch dieſe menſchlich zarte Szene ſchien keiner der Feiernden zu bemerken, die mir jetzt in Scharen entgegenkamen.

Es war nur eine Farbe, nicht ein Zeichen, wodurch die Menge ſich als Einheit bekundete. Kein Kind ging ohne rotes Fähn⸗ chen; junge Burſchen hatten die Hüte mit Wimpeln umſteckt, und ſo weit ich ſehen konnte, ging ich als einziger ohne rote Halsbinde. Da und dort fiel ich ſchon auf; doch dafür gab es Abhilfe. Nicht weit vom Eingang, auf einem langen Tiſche, wurden ganze Schober von hochroten wachspapierenen Roſen feilgehalten, mit feinem Draht an Buchsbüſchelchen gebunden. Verkäuferin war eine welke Frau von müder Haltung; neben ihr, auf einem Hocker, ſaß ihr weißgekleidetes Töchterchen, eben⸗ falls kränklich ausſehend, im braunen Haar den weißen Kranz des Kommunionkindes, an der Bruſt die proletariſche rote Blume, und verzehrte eine ſogenannte Prinzregententorte, deren letzte Bröſelchen es mit den Fingerſpitzen vom Teller ſtippte. Das ſchwarze Gebetbuch, worauf in goldener Schrift ‚Lob Gottes“ ſtand, und die mit Heiligenbildchen verzierte Kerze lagen auf dem Tiſch bei den käuflichen Büſcheln. Die Kleine hatte ihren erſten Kommuniontag, und weil niemand in der Wohnung war, verbrachte ſie ihn heraußen im Freien mit ihrer Mutter. Da ſie mich lachen ſah, lachte ſie auch und war ganz einverſtanden, als ich verſprach, ihr auf dem Rückweg etwas mitzubringen. Ich er⸗ kundigte mich bei der Frau, ob Vollmar anweſend fei; fie ſagte,

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dieſen Herrn kenne fie nicht, und ich ſetzte meinen Rundgang fort. Jemand drückte mir für zehn Pfennige den Text der Ar⸗ beiter⸗Marſeillaiſe in die Hand, und ſchon unterſchied ich mich nicht mehr gar zu ſehr von den Genoſſen.

Ich wollte nichts trinken und unbemerkt wie unter einer Nebel⸗ kappe dahinſchlendern, um gut auf alles achten zu können; doch erfuhr ich nicht viel Neues. Die Muſikantenſchar ſtieg mit ihren Inſtrumenten von der Tribüne herab; ein Sängerchor zog auf, man hörte die alten, gemütvollen Lieder, die auch an den Feſten der Bürger erſchollen. Später folgten Turner, und man mußte ihre Zucht bewundern; was ſie vorführten, beſonders im Ge⸗ räteturnen, übertraf den Durchſchnitt weit, und doch waren es Männer, die nur in abgeſparten Stunden die Schulung ihrer Muskeln betreiben konnten. Aus der Ferne kam wieder die traurige Weiſe der Drehorgel; das Kind fiel mir ein, das den Blinden ſtatt mit Geld mit Blumen belohnt hatte, und ohne Vorſatz verſuchte ich die kleine Szene rhpthmiſch feſtzuhalten. Da ich auf Reim und Ausſchmückung völlig verzichtete, gelang es leicht; ich ſagte die anſpruchsloſen Verſe ein paarmal vor mich hin und nahm mir vor, ſie zu Hauſe niederzuſchreiben, als mich eine Stimme der Beſchaulichkeit entriß. „Wie kommſt denn du herein?“ Es war der Ludwig Seidl, ein ehemaliger Kadin⸗ ger Mitſchüler, der mich anrief, derſelbe, der einſt, nach unſerem kindlichen Wettrennen, den Buben einiger Nachbardörfer den Krieg hatte erklären und aus Kading die Hauptſtadt machen wollen, derſelbe auch, der ſich ſpäter für einen hübſchen Säbel mein Weihnachtskrippchen eintauſchte. Er ſaß im Schmuck einer mohnroten Kragenſchleife mit einem jungen Mädchen an fich⸗ tenem Tiſch vor einem Glaſe Bier, lud mich ein, bei ihnen Platz zu nehmen, und ſtellte ſie mir vor als ſeine Braut. Immer war er mir eine liebenswerte Erinnerung geweſen, und ſchon die erſte Geſprächsminute beſtätigte wieder einmal, wie vorbeſtimmt, wie unwiderruflich ein Individuum iſt. Er ſtammte von armen Eltern ab; doch war in ſeiner Haltung etwas Hochgemutes, Ge⸗ meſſenes, das auch in der Rede hervortrat. Nie war er unter meinen ſpöttiſchen Kadinger Feinden geweſen, und bei Kampf⸗ ſpielen benahm er ſich ſo ritterlich, daß er dadurch öfters zu

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Schaden kam. Zunächſt nun enthielt er ſich aller Fragen, ſoſehr ihn auch meine Anweſenheit erſtaunte. Wir ſprachen von der Vergangenheit; er deutete auf ſeinen linken Arm: „Den hat mir dein Herr Vater eingerichtet, als er gebrochen war.“ Er er⸗ zählte ſeinen einfachen Lebenslauf, wie er Mechaniker gewor⸗ den fei, erſt Lehrling, dann Geſelle; nun habe er günſtige Aus⸗ ſichten, dürfe ſogar hoffen, eines Tages ſelbſtändig zu werden und ſich eine eigene kleine Fabrik zu gründen. Wenn auf Ka- ding die Rede kam, ſo merkte ich freilich, wie dort für ihn alles überholt und veraltet war. Ich gab einiges aus Anatomie und Klinik zum beſten, und ſo zwängte ſich die Unterhaltung fort, bis eben doch das Eigentliche bei ihm durchbrach. „Es freut mich, daß du dich ein wenig nach uns umfchauft,” ſagte er,, die meiſten ſtudierten Herren ſind ſich ja zu fein dazu. Sie wollens nicht wahrhaben, daß überall in der Welt, wo ſich was Tüch— tigs ändert, jene ſchmutzigen kleinen Mannsbilder am Werk ſind, die man Arbeiter heißt.“ Ein ſolches Wort würde heute niemandem abſonderlich klingen; mir war es damals neu, ja verletzend; ich hatte mir immer, etwas unklar, vorgeſtellt, es ſei der Geiſt, der alles erneuere. In dieſem Sinne gab ich ihm auch zurück; der Arbeiter, ſagte ich, könne doch nur ausführen, was irgendein Erfinder in ſeiner ſtillen Zelle ſich zurechtgedacht habe. Der Ludwig war weit entfernt, mich kränken zu wollen oder Streit zu ſuchen. „Da haft du nicht unrecht,“ erwiderte er nach⸗ giebig, „aber gerade deshalb ſollten die Geiſtigen mit uns mar⸗ ſchieren und nicht gegen uns. Auch dieſe Forderung war da⸗ mals nicht jedem ſo ſelbſtverſtändlich wie heute; immerhin ſpürte ich, daß hier eine Hauptfrage berührt war, und als der einſtige Mitſchüler in faſt werbendem Ton hinzuſetzte: „Ich weiß ja nicht, wie du zur Arbeiterbewegung ftehft”, da erfüllte mich nur noch der Wunſch, ihm etwas zuliebe zu ſagen. Leider tat ich es auf ungeſchickte Weiſe, indem ich den Boden des nüchternen Ge⸗ ſprächs verließ und jenes grollende Gedicht Richard Dehmels zum beſten gab, das unter dem Titel, Der Arbeitsmann erſchie⸗ nen war und einer Grundempfindung der Epoche mit großarti⸗ ger Sprachwucht Ausdruck verlieh., Nur Zeit!‘ - mit dieſem Auf⸗ ſchrei endete jede Strophe, und das Ganze rief es der Menſch⸗

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heit hohn⸗ und ſchmerzvoll in die Seele, dem Werktätigen fehle heute nichts als eben nur Zeit, um frei, ſchön und kühn zu ſein. Dieſes Gedicht war damals vielen bekannt; die einen liebten, die andern haßten es, und niemand ahnte, wie nah die Jahre waren, wo es ungültig wurde, weil Aufträge mangelten und dem Manne der Arbeit nur allzuviel Zeit verblieb.

Die beiden hörten höflich zu; die Braut, mit aufgeſtütztem Kopf, ſtarrte zwiſchen uns beiden hindurch auf irgendeinen Punkt, Stirn und Umgebung der Augen ſtreng zuſammengezogen, als täten ihr alle Eingeweide weh vor lauter Aufmerken. Ludwig Seidl aber meinte ſchließlich, das wäre recht ſtimmungsvoll, nur eben doch mehr für Gebildete, mit Verſen könne man dem Are beiter nicht helfen; ich hätte am Vormittag den Bebel hören müſſen, das ſei ein Mann. Dem Guten entging es ganz, wie ſehr die Ablehnung des Dichters mich verletzte; aber was konnte ich ihm erwidern? Anſichten, zu denen wir durch eigenes Er⸗ leben und Nachdenken gelangt ſind, ſprechen wir meiſtens ruhig und behutſam aus; dagegen werden Meinungen, die man irgend⸗ woher als fertige übernommen hat, faſt immer mit unduldſamer Heftigkeit verfochten und aufgedrängt. So war ich ſchon im Be⸗ griffe, wild loszuſchmähen und den alten Bebel, von dem ich doch eigentlich nichts wußte, als den Unheilſtifter zu bezeichnen, für den ihn der Vater hielt, als den Mann, dem eine einſeitige Lehre über Glück und Größe des Vaterlandes gehe; aber jetzt nahmen die Züge des Genoſſen auf einmal wieder jene Sanft⸗ heit an, die mir von Kading her ſo freundlich bekannt war. Ich konnte damals noch nicht wiſſen, daß die Revolutionäre mit den ſanften Geſichtern oftmals die unerbittlichſten ſind, und ließ, im Nu verſöhnt, alle böſen Worte ungeſagt, ſprach nur allgemein von neuen Strömungen und prophezeite das Heraufkommen eines Reiches der Geiſter. Er lächelte: „Zuerſt muß das Volk Brot haben.“ Sehr gedämpft ſprach er das aus, antwortete auch durchaus maßvoll, als ich fragte, ob er denn unter Volk nur die Arbeiter verſtünde, ließ es zu keiner Auseinanderſetzung kom⸗ men. Ja, wie wir mitten im heftigſten Wortwechſel augenblick⸗ lich duldſam und vorſichtig werden, wenn wir am Gegner Zei⸗ chen geiſtiger Störung wahrzunehmen glauben, ſo ſchien er zu

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jeder Schonung entſchloſſen, feit ich meinen Teil an der polis tiſchen Unterhaltung mit Verſen beſtritten hatte. Er lenkte das Geſpräch in die neutrale Kindheitswelt zurück, wobei er mir mit der Bemerkung ſchmeichelte, er habe immer eine ſozialiſtiſche Ader in mir verſpürt. „Etwas gar zu knapp hat dich deine Frau Mutter gehalten,“ fuhr er fort, „und wir ärmeren Buben waren oft beſſer mit Taſchengeld verſehen als du; aber du haſt dir zu helfen gewußt, wenn Not am Mann mar, haft dich vor keinem Dienſt gefdycut.” Er ſpielte damit auf ein recht harmloſes Ere lebnis an, das, genau genommen, ganz und gar nicht her- paßte und von mir längſt vergeſſen war. Es gehörte nun ein- mal zu den Überzeugungen meiner Mutter, man ſolle einem jungen Menſchen ſo wenig Geld wie möglich in die Hand geben, und als einmal Geiſtliche und Lehrer der Umgebung einen Sommerausflug nach Dingolfing unternahmen, woran ſich auch größere Schüler beteiligen durften, da bekam ich nur ein paar Pfennige mit. Die Geſelligkeit zog ſich aber bis zum Abend hin, und während andere gewiſſensruhig Bier und alle möglichen Eßbarkeiten nachbeſtellten, bewies mir eine kleine Kopfrech— nung, daß meine Barſchaft ſchon aufgezehrt war. Indeſſen ich jedoch über einem Ausweg brütete, regte ſich bei geiſtlichen und weltlichen Herren die Luſt zum Kegelſchieben; doch war wegen der Erntearbeiten kein Kegelbub aufzutreiben. Sofort erbot ich mich, ihn zu erſetzen. Man mochte ſich darüber wundern, nahm es aber an und lobte meine Gefälligkeit. Ich überwachte ſorg⸗ fältig die Bahn, ſtellte die umgelegten Kegel wieder auf, ſandte die Kugeln in ihrer hölzernen Rinne zurück, erhob das übliche Triumphgeheul, wenn ein Kranz geſchoben wurde, alſo der Kö⸗ nig als einziger ſtehen blieb, und ließ mir nach jedem Spiel mit abwehrender Miene von der beſiegten Partei den fälligen Lohn aufdrängen. Nach und nach ſammelte ſich eine Summe an, wie ſie mein Beutelchen noch nie umſchloſſen hatte, und ich konnte, heimgekehrt, ſogar der Mutter eine Mark ſchenken, die ſie kei⸗ neswegs zurückwies.

Eigentlich wurde ich nicht gern an die Geſchichte erinnert, die ſeinerzeit von manchem falſch aufgefaßt und auch von Ludwig nicht ganz richtig erzählt wurde. Immerhin brachte ſie einen

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anderen Ton in die Unterhaltung, und was eine Wohltat war: die Braut, die bisher übermäßig ernſt und verquält, als müßte fie das Welträtſel löſen, vor ſich hinfinniert hatte, fie lachte laut hinaus und bekam dabei ein anderes, ein entſchieden hübſches Geſicht. „Und Ihre Frau Mutter hat wirklich die Mark angenom⸗ men?” fragte fie und verſtand mich wahrſcheinlich nicht ganz, als. ich ihr zu erklären ſuchte, inwiefern das für mich eine Freude und warum es durchaus erzieheriſch war. Sie zählte kaum acht⸗ zehn Jahre, und nicht nur ihr Kleid mutete ländlich an; auch ihr rundlicher Kopf mit dem in der Mitte geteilten Haar, der vor⸗ gewölbten, etwas rauhen Stirne und den roten Backen war der eines geſunden Bauernmädchens. Weit eher hätte eine echte Kornblume an ihre ſtarke Bruſt gepaßt als die papierene Flam⸗ menblume des Aufruhrs. Jetzt ſagte ſie ihrem Bräutigam etwas ins Ohr, einen Wunſch, den er an mich weitergeben ſollte. „Sie iſt nämlich ein bißl ſchöngeiſtig veranlagt“, ſagte er mit nach⸗ ſichtigem Lächeln, ſo als handelte ſichs um einen kleinen körper⸗ lichen Fehler, „und hat noch von der Schule her ein Album mit Gedichten; da möchte fie halt gern auch das von dem wie heißt er nur? ach ja, von dem Dehmel drin haben. Schreib ihrs doch einmal ab, wenn du Zeit haft!” „O, das kann gleich geſchehen !“ Ich zog Papier und Stift hervor und fing zu kritzeln an. Sie ſah mir zu, nicht mit Liebesblicken, aber doch ſo ernſt und freundlich, daß ich ein wenig Feuer fing. Von Se⸗ kunde zu Sekunde gefiel ſie mir beſſer; ſchon konnte ich glauben, ſie gehöre in gewiſſem Sinne zu mir; zugleich geſtand ich mir ganz ruhig ein, daß ich ſie wohl nie wieder ſehen würde, fühlte aber doch den Drang, ihr etwas mitzugeben, was ich für leben⸗ dig hielt; ſie brauchte ja nicht zu erfahren, daß es von mir war. „Ich weiß noch ein anderes Gedicht von Dehmel, ſagte ich, „auf der zweiten Seite ift noch Raum dafür”, und ließ dem ‚Arbeitsmann‘ die ſehr unbekümmerten Verſe folgen, die mir eben der blinde Orgeldreher und die kleine Blumenſpenderin eingegeben hatten. Jetzt aber ſtrich der Abendwind von den Eisgipfeln der Alpen herab; mir fiel das Kommunionkind ein, ich nahm Abſchied von den beiden. Der Ludwig begleitete mich eine Strecke. „Wenn du in Kading meine Mutter triffft, erzähl

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ihr nicht zuviel! Sie hängt noch an der alten Zeit und würde ſich grämen, wenn ſie wüßte, wo ich jetzt ſtehe. Zu ſeiner Be⸗ ruhigung konnte ich ihm ſagen, Kading werde bald nur noch Vergangenheit für mich ſein. Im letzten Brief des Vaters war von einer Überfiedelung nach Paſſau die Rede geweſen; doch wollte man, um einen Übergang zu haben, die ſchönen Monate in dem alten kleinen Hof am Donauſtrand verbringen. Schon das bevorſtehende Pfingſtfeſt ſollte in der wunderreichen Strom⸗ landſchaft gefeiert werden, die mir nun allerdings in der Phan⸗ taſie eine beinah drohende Ausſicht zeigte; denn jetzt begann ich vorzufühlen, was mir mit Kadings himmelweiten Getreidefel- dern verloren ging, mit dem ſonnigen Marktplatz und mit dem verſteckten Garten, an den ich nur zu denken brauchte, um gleich einen Geruch von Reſeden, Bohnenkraut und feuchter Erde in der Naſe zu haben. Zwiſchen ſteilen, düſteren Felſenufern wür⸗ den wir nun im Sommer wohnen, wo die Leute ſchon ein wenig anders ſprachen, wo die Sonne ſpäter kam und früher ging, wo nachts die Käuzchen klagten und öfters ein Kind ertrank. Wenn ich freilich an Amalie dachte, ſo trat wieder die Seele hinter Granit und Flut, und alles wurde goldenes Eigentum. Ein Mädchen wie ſie gab es nicht in Kading.

Der Genoſſe horchte auf, als ich ihm die weißgrauen, ſchiffe⸗ gefährdenden Klippen des Kachlets beſchrieb; er wollte wiſſen, woher dieſer Name komme, und zufällig konnte ich ihm Aus⸗ kunft geben. Kachlet, das iſt ein verdorbenes Wort; der ur⸗ ſprüngliche Name hat G'hachlet gelautet, und dieſer leitet ſich her von gehächelt, womit gemeint war: von Felſen ſtachelig wie eine Flachshechel.

In einer Bude erhielt ich gerade noch das letzte goldverhüllte, an rotem Seidenband hängende Schokoladeherz. Blaſſe Mutter und blaſſes Kind hatten ihre Arme auf den Wachsroſentiſch gee legt und ihre ſchlafſchweren Häupter in die Ellenbeugen gebet⸗ tet; ſo ruhten die beiden unter dem Schutz eines braunen Lodenumhangs, und die Kleine ließ ſich, ohne aufzuwachen, das goldene Herz um ihr mageres Hälslein binden.

Am folgenden Morgen war der Zudrang in die Klinik un⸗ geheuer und meine Furcht vor Zurückweiſung größer als je;

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doch wurde in dieſer Hörermaſſe ein Unberechtigter noch weniger bemerkt als ſonſt. Ich hoffte, das liebe ſtumme Mädchen werde gleich erſcheinen; doch wurde mir vorher noch eine neue düſtere Schau in menſchliches Leiden zugenötigt. Oft waren mir Blinde begegnet, erſt geſtern der Orgeldreher, und bei der Baſe Lena ging ich ein und aus; ich ſah ſolche Schickſale als gottgegeben an und grübelte nicht über ſie. Nun aber ſollte ich an einem tragiſchen Fall etwas von den Gefährdungen des Augenlichtes erfahren. Eine Potenz aus fremdem Naturbereich war hier im Gefolge des Eros als böſer Zufall aufgetreten. Ein junger Kanzleigehilfe lernt eine hübſche Verkäuferin kennen; ſie iſt das erſte Weib, durch welches er die Liebe ganz erlebt. Sie aber hat ſchon einem andern angehört und von dieſem eine Krankheit er⸗ worben, deren Übertragbarkeit damals nicht jedem Laien jo be⸗ kannt war wie heute. Unwiſſend lenkt ſie dem zweiten Geliebten die Verderbnis zu; ſein Vertrauen zu ihr iſt aber unbegrenzt und mindert ſich auch nicht, als er die erſten Unheilszeichen be⸗ merkt. Da dieſe ſchmerzlos auftreten, ruft er keinen Arzt; ſie ſchwinden auch wieder, und er glaubt ſich geneſen. Die feindliche Macht aber wartet nur auf ihre Stunde; nach ſieben Wochen iſt ſie gerüſtet, und während ſie alle anderen Organe verſchont, greift ſie mit ganzer Schärfe den Sehnerv an. Es gibt keine Anwendung, durch welche ſich das zerſtörte Gewebe wiederher⸗ ſtellen ließe: der junge Menſch iſt erblindet für immer.

Wir erfuhren dieſen Verlauf bereits, ehe wir den Armen zu ſehen bekamen; große Stille empfing ihn, man hörte nur das feine Schaben der hundert Federn, die das Wiſſenswerte des ungewöhnlichen Falles in ſchwarzen Heften feſthielten. Ich ſel⸗ ber dachte nicht an Schreiben; was ſich mir für immer ein⸗ brannte, hätte ich vergeblich zu ſchildern verſucht, es war das Verhalten des Kranken. Einen Anblick der Verzweiflung, der innerſten Auflehnung hatte ich erwartet; aber nichts dergleichen war in den Zügen des furchtbar Getroffenen zu finden, einzig Demut und Hoffnung. Nachdem er ſchon wieder entfernt war, hörten wir noch einige Bemerkungen über ſein Leiden und über die Art, wie er es trug. Da vergaßen die Federn zu ſchaben; hier gab es auch nichts aufzuzeichnen. Den Unerfahrenen hätte

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niemand überzeugen können, daß Erkrankung und Liebe in einem Zuſammenhang ſtünden, und wie er feſt an die Wieder⸗ kehr der Sehkraft glaubte, ſo zweifelte er auch nicht an dem un⸗ endlichen Wert feiner Geliebten, duldete kein gegen fie gerich⸗ tetes Wort.

Nun aber, mit hellem Hoffnungsblick, von einer jungen Barm⸗ herzigen Schweſter geleitet, kam die liebliche Stumme herein, und die ſorgfältig vorbereitete Heilung vollzog ſich in Minuten. Leider war mir durch eine dichte Reihe von Praktikanten die Szene verſtellt; ich ſah nur noch, wie das Kind auf einem Stuhle Platz nahm, und hörte nach einer Weile den Profeſſor nicht be— ſonders laut, aber deutlich rufen: „Wach auf! Und wenn du einen Wunſch haſt, ſo ſag ihn uns!“ Worauf ein Stimmchen ohne Zögern erwiderte: „Braune Schnürſtieferl hätt ich gern.“ Man wollte die Geneſene, die nun, ihr Glück begreifend, zu weinen anfing, noch nicht durch längere Geſpräche ermüden und entließ ſie bald, worauf noch ein kurzer belehrender Vortrag folgte.

Das waren die vorzeitigen Beſuche bei Geheimrat Bauers Kranken. Solang ich in dem kliniſchen Theater ſaß, ließ ich ein» fach Bild um Bild an mir vorüberziehen, ohne mir die Unheil» baren ſtreng von den Heilbaren zu ſondern. Das rauhgläſerne Gewölbe ſchimmerte himmelbläulich über den einen wie über den andern, durch die hohen Glasfenſter legten ſich die gleichen Sonnenſtrahlen auf alle herein, und die gleichen hilfreichen Hände bemühten ſich um ſie; ſo konnte man ſie wohl als zuſam⸗ mengehörig empfinden. In den folgenden Tagen aber waren es vor allem die ſchlimmen Fälle, die mich bewegten; ſie begleite⸗ ten mich bis in den Traum hinein, und da ſie ſo leuchtkräftig in mir lebten, waren ſie für mich keine verlorenen Fälle, eher große, ſchaurige Rätſel, deren Löſung ich mir von der Zukunft erhoffte. Vorerſt verſuchte ſich das jugendliche Denken vergeb⸗ lich an ihnen, und bald ließen ſie mich nur fühlen, wie ſehr ich ſelbſt noch Zufällen ausgeſetzt war. Nach und nach traten ſie hinter dem anmutigen Mädchen zurück, dem nach zwei Jah⸗ ren völliger Stummheit ſeine Sprache zurückgegeben wurde. Dies war durch eine Art frommer Täuſchung geſchehen, aber

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immerhin durch ein Mittel, das man als ein geiſtiges aner- kennen mußte; und ſtellte man ſich nun ein ſolches Geſchick als ſein eigenes vor, dann traute man ſich zu, man würde nach ſo langem, langem Schweigen mit dem geſprochenen Wort ſehr andächtig umgehen. Ja in dieſer einen geglückten Heilung ſchie⸗ nen mir Tauſende von Geneſungen verbürgt; hier war eine regenbogenleichte Brücke geſchlagen zu dem ſchöneren, freieren, bedeutenderen Daſein, dem ſich jedes Herz, oft ohne es zu

wiſſen, entgegenſehnt. Aus Hans Caroſſa: Geſchichte einer Jugend

*

Hans Jüngſt / Achill unter den Weibern

Erſter Akt Ein Gemach im Palaft des Lpkomedes

Achill (auf und ab, ſteht, geht, in ungeduldiger Erwartung. Es wird an die Tür geklopft. Achill eilt, ſchiebt den Riegel zurück). Lpkomedes (indem Achill die Tür öffnet): Du ſchließt dich ein, Udeiſa? (Er iſt hereingekommen. Betroffen:) Wer biſt du -? Achill: Sieh mich an! Lpkomedes: Wenn nicht dein rätſelvolles Lächeln wäre von fern erinnerſt du mich an ein Antlitz, das ich bis jetzt nur ernſt geſehen habe. An welches, wüßt ich nicht. Ich kenne im Palaſte jedermann. Auf Skyros, bis in die fernſten Schluchten unſrer Berge, wird kaum ein Ziegenhirte ſein, den ich nicht ſah. Achill: Wirſt du verzeihen, König Lpkomedes? Lpkomedes: Ans Wunderliche ſoll ich mich gewöhnen, ſcheints ſeit geſtern. Brauch jedenfalls iſts nicht, in fremde Häuſer einzuſchleichen und ſich abzuriegeln.

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Achill: Du darfſt nicht zürnen. Lpkomedes: Ich kann es kaum, je mehr ich dich betrachte. Achill: Dann hab ich halb gewonnen! Und nutze deine günſtge Laune raſch und beichte: Ich habe dich beſtohlen. Lykomedes: Du klagſt dich an und lächelſt immer noch? Achill: Das Lächeln wird uns bald vergeben... Nein, König. Eingeſchlichen bin ich nicht. Und glaubſt du an ein Wunder es iſt dasſelbe dann, von dem ganz Skyros ſeit geſtern widerhallt . . . Errätſt du nichts —? Lykomedes: Ich dachte doch, hier dieſe Frau zu finden, die... Achill: . . die fi Udeiſa nennt, die Niemand, emporgetaucht wie Anadyomene und an den Strand geworfen. Die du gekleidet und beherbergt haſt, die Fremde, die dieſe Nacht mit deinen beiden Töchtern in einem Schlafgemach geruht und die in dieſer ſtillen Morgenfrühe dich bat, hierher zu kommen. Zu der du kamſt, ſoeben. Die dir den Riegel öffnete... Lykomedes: Vor der ich ſtehe! War ich blind? Und die ſich einen Mummenſchanz erlaubt —? Achill: Von Mummenſchanz und Maskennarretei war geſtern mehr im Schwang als heute, zweifle nicht. In dieſer Truhe, der ich den Deckel lupfte, fand ich Mannsgewänder, weiß, neu geſchichtet, Winterfleiß der Frauen. Das war ein Fund, nach dem mich längſt gelüſtet! Das ſchlichteſte Gewand entnahm ich mir. Mir fehlt nur noch ein Schwert! Mein Weiberkleid liegt dort. Lykomedes: Wer biſt du —7 frag ich wieder, mit Zweifel und nicht ohne Grauen jetzt. Achill: Nicht ſo! Ich ſtehe hier, wie ſichs geziemt. Ich bin kein Weib, Ihr irrt. Ich bin Achill,

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des Königs Peleus Sohn in Phtia auf Agina. Noch geſtern trennte uns das Meer. Lpkomedes (nach einer Pauſe): Achill, - wenn du es biſt . . . Verzeih. Doch dies iſt viel. Du ſchmückſt dich mit dem Namen einer Briechenhoffnung ... Er ſteht dir an, ich geb es zu. Allein... Achill, ich hab zwei Töchter Deidameia, dem beſten Mann auf Skpros anverlobt, und auf der Schwelle zwiſchen Kind und Jungfrau Hermione. Wir gaben dir zur Nacht ein Lager in beider Schlafgemach. Du nahmſt es an.

Achill: Ja. Und ich ſchwöre dir... Lpkom.: Verſchwende keinen Schwur. Ich kenne meine Töchter, und du - du biſt Achill. Achill: b Ich danke dir! Und wenn du einen brauchſt, der für dich ſtirbt ich bin Achill. Lpkomedes: Wir wollen leben, denk ich. Damit wirs können, erkläre du den Irrtum, dies Verhängnis es kann nichts andres ſein. Was weiterhin geſchieht, beſchließen wir hernach. Wir tragen es gemeinſam. Achill: Nicht anders hab ichs mir gewünſcht! Lpkomedes: Zwar - was am Meeresſtrande fie erlebt, davon ſprach Deidameia geſtern abend mir manches hin und her. Doch ihre Worte blieben hingeſtammelt, vom Ungefähr verworrener Gefühle wie Binſenrohr geſchaukelt. Du hielteſt ganz zurück - erklärlich, du warſt der Ohnmacht näher als dem wachen Leben. Sprich jetzt! Vielleicht, es rundet alles ſich zum Bilde. Setz dich hierher. (Sie ſitzen.)

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Achill: - Wie golden weht die Luft herein, wie mild... Lpkomedes: Du lächelſt wieder -? Gut. Achill: Der wartet auf mit Märchen, wirſt du ſagen!

Der Milchbart, mir, dem lebenlang Erfahrnen! Epkomedes: Das wirſt du noch entdecken:

Je mehr du ſiehſt und weißt von dieſer Welt,

je williger lernſt du an Märchen glauben.

Getröſte dich dem vielerfahrnen Blick

verrät der Milchbart doch den künftgen Helden...

Da ſtrahlt er! Und errötet wieder wie ein Madden...

Wie ſollten Märchen nicht zu Taten führen?

Die größten Taten find am tiefſten Märchen ... Achill: Wann iſt es denn geweſen?

Gerechnet, nüchtern: geſtern.

Mir iſt, es war im Anfang aller Dinge.

Ich lag an einem fremden Strand,

und nackt, und wußt es nicht ...

Viel eher hätte ich gemeint: in einer Wiege.

Ich machte meine Augen auf.

Hoch über mir, azurn gewölbt, der Himmel.

Und näher, nahe über mir, zwei Augen,

des Himmels Blau noch blauer in ſich faffend...

O Lykomedes,

ich ſah zum erſten Male in die Welt!

Geboren werden bei bewußten Sinnen -

das gibt es, und das habe ich erfahren.

In Luſt geſchiehts, die unerſättlich einen Schmerz

in ſich hereinreißt,

und er verwandelt ſich in neue Luſt. Lpkomedes: Das iſt das Zeichen aller Erdenwonne . Achill: Mein dieſe ſchien mir göttlich: ohne

Beginn und Ende.

Und war doch kurz,

ſo jäh und kurz wie die Bewegung,

mit der das Mädchen, über mich geneigt,

erſchrocken nun, weil ich erwache,

den Blick wegwendet und ſich aufrecht ſtellt.

Lpkomedes: Und das war Deidameia —? Armes Kind! Achill: Sie wars. Du weißt es. Ich ſichere dir zu: dies muß dich niemals härmen, in alle Zukunft nicht. | Ihr keuſcher Mädchenſinn blieb unverletzt. Wars irgend anders ein Schwert beſitz ich nicht —: ich hätte an der Schwelle des Palaftes, als du mir gaſtfreundlich entgegenkamſt, das deine von der Seite weggeriſſen und, ſtatt dir meinen erſten Gruß zu bieten, mein Blut zu deinen Füßen hingeſchüttet! Ein ſolches Opfer, König, blieb erſpart. Denn über meine Hüften jetzt, wie ich erſchaudre, gewahre ich ein Frauenkleid gebreitet ich war vor Deidameias Blick verhüllt.

Lpkomedes: Sie war am Strand, zu waſchen. Da fand ſie dich. Sie ſelbſt hat dir die Blöße zugedeckt. Achill: Doch blinden Blickes! Vor ihre Augen preßte ſie das Kleid, das ſie dem Hilfsbedürftgen brachte, und zögerte heran und taſtete mit Füßen, bis ſie die Hülle niederfallen ließ. Lykomedes: So ſagt ſie. Achill: Lpkomedes, Du haſt mir einen Schwur zurückgewieſen, weil du ſie kennſt. Und hätte Deidameia je gelitten, daß man in ihre Kammer mich gebettet? Lykomedes: Ich ſahs - du gingſt zu ihr hinein —. Sie lehnt an ihrer Tür. Sie ſpreizt die Hand. War es in Abwehr? Sie atmet ſchwer. Sie will kann fie nicht ſprechen? Heut frag ich mich. Ich wußte geſtern nicht, was ich jetzt weiß. N

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Achill: Nein, Lpkomedes, nein! Um deiner Herzensruhe willen: höre weiter! Wie ich vom Boden mich erhebe, das Kleid mir um die Schultern raffe, ſo daß es langhin ausfließt, und hinter der Enteilenden: „Führ mich zu Menſchen!“ rufe ſo ſteht ſie, ſonder Zaudern, wendet ſich, ich ſchreite ihr entgegen, und ſie wartet, reicht mir die Hand: „Gegrüßt ſei, fremde Schweſter!“ Und fügt hinzu: „Ich lief für dich um Hilfe, vielleicht warſt du verletzt. O gut, du biſt es nicht! Komm mit mir, Schweſter!“

Lpkom.: Das bürgt. Dies iſt ein arglos ungeſpieltes Zeugnis...

Gewiß, ich wills verſtehen:

Als ſie das Kleid dir hingeworfen hatte

und nun dein Haupt, im Sande ruhend, ſah,

die Schönheit deiner Züge kann verwirren,

und dazu regte ſich geheim leicht iſts zu denken

in Deidameias zartem Sinn ein Widerſtreben,

ſie müſſe das gerettete Geſchöpf

als hilflos überraſchten Mann erkennen

ſo glitt ihr Wunſch von ſelbſt in die Erfüllung,

fie ſah in dir ein Weib, ich kanns verftehen... Achill: Verwürfe nicht die Einſicht jeden Zweifel,

ſelbſt blinden Glauben ſchenk ich dieſer Frau,

auf ihre Stirne hin und auf ihr Auge.

Und ſo war ich im Recht, daß ichs vermied,

die unbefangne Sicherheit zu ſtören,

aus der fie lebt ich durfte mich nicht weigern,

das Schlafgemach der Schweſtern zu betreten.

Stieg ihr auch nur ein Schatten Argwohn auf,

war ſie der Scham des Zweifels preisgegeben!

Für ihre Reinheit wagte ich die Caufdung...

Der Frauen Seele iſt mir ein Geheimnis.

Wenn etwa ich vor einem Blick erglühe,

rührt es mich ahnungsvoll.

Und ift das Herz der Frau, wie ichs von fern erſpüre, ſo iſt es leicht verletzt. Hat ſich das Grauen einmal eingeniftet... Lpkomedes: Genug. Und... (er reicht Achill die Hand) . .. fei mir Freund! Wir finden Zeit für manches gute Wort. Nur leider für freiere Geſelligkeit ſind wir gehemmt. Denn da du Weiberkleider tragen mußt auf Slpros... Das bleibt dir nicht erſpart, der Mädchen wegen. Udeiſa bleibt vor ihnen unentlarvt. Achill: Und bei den Göttern bricht Gelächter aus ſo laut, daß wir es hören —, weil ſie den Enkel Zeus' tagaus, tagein als Mädchen unter Mädchen trippeln fehen... Stell mir ein Schiff! Schick mich in meine Heimat! Lpkomedes: Dazu wird Rat gefunden. Gern hielte ich dich hier, für immer. Ich ſehe keinen Weg. Du darfſt nicht länger in der Lüge bleiben und ſei's in der barmherzigſten —, als es der Zwang gebietet. Achill: Und auch nicht länger fern der Heimat, Lykomedes! (Es wird an die Tür geklopft.) Lpkomedes: Wer will herein? Bleibt draußen! (Zur Tür. Schiebt den Riegel vor.) Am beſten iſts, wir kerkern uns hier ein. Achill: Die Schmach! Lykomedes (lächelt): Ich teile fie mit dir... Du mußt noch viel berichten. Was ich bisher vernahm, iſt nur ein Teil vom Wunder deines Hierſeins. Achill: Das ganze Wunder iſt noch wunderbarer. Lpkomedes: Ich bin gefaßt die Springflut geſtern hat mich vorbereitet. Wenn die Natur die feſtgefügten Kreiſe, die ihrem Lauf geſetzt find, nicht mehr achtet wohin gerät der Menſch?

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Griechenmünze aus Sizilien Sprakus. Um 445 v. Chr.

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Achill: Die Springflut - ja! Lpkomedes: Aus ebnem Meere bäumte ſie ſich auf, kein Luftzug regte ſich. Seit Menſchentagen ward dies nicht erlebt... Und da ich, Freund, zur Not an eines, nicht aber an zwei Wunder glauben mag: es wird die Springflut und Udeiſas Kommen ein einzges Wunder nur geweſen ſein.

Achill: Die Springflut hat mich an den Strand geworfen!

Ich danke dir jetzt hab ich alles wieder!

O Thetis, dunkle Mutter!

Vergib mir, König, doch dies ift fo grauſam ... Lpkomedes: Bleibe ruhig! Achill: Ich quälte mich die Nacht hindurch. Vergebens.

Ich rief es nicht zurück. Mein Hirn war leer von Bildern.

Ich war zerſchlagen, müde, müde

und wollt es dennoch finden: Wie kamſt du hierher?

Mein Stöhnen wühlt ich in die Decke ein,

ich mußte ſonſt den Schlaf der Mädchen ſtören.

Zwar Deidameia, manchmal, regte fi...

Lpkomedes: Wie -? Deidameia?

Achill: Oder ihre Schweſter .. Und früh am Morgen, heute, wars noch wüfter: Ich wußte kaum, um was ich mich gemartert. Doch nun - du gabſt den Zauberſchlüſſel mir, jetzt ſeh ich alles klar!

Die Springflut packte mich..

Ich ſtand am heimatlichen Strand Agina... Ich ſpreche dir verworren. Du mußt wiſſen: Mein Vater Peleus rief zu einem Waffenzug. Hpläos, den Piraten, galts zu ſchlagen,

der Jahr und Tag Aginas Küſten brandſchatzt. Die beſten Myrmidonen wählte Peleus.

Und mich mich, Lpkomedes, rief

ſein königliches Wort an ihre Spitze,

verhieß mir erſten Kampf und erſten Sieg!

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Entfinne, König, dich der eignen Jugend,

als man dir Schwert und Lanze reichte

nicht wie bisher auf ausgemeßner Bahn

im Wettſtreit gegen Freunde ſie zu führen

Krieg war die Loſung, männermordender,

vorm aufgeſperrten Schlund des Höllenhundes! Der Ahnen leiſe angewelkter Ruhm

ſoll grün um deine junge Stirne ſproſſen bewähre, daß du ihrer würdig biſt!

Gedenkſt du, König? Fühle meinen Rauſch!

Zeus ſelber ſah auf mich herab, ob auch ſein Blut, ſeit Aakos den Herzquell unſeres Geſchlechtes nährend, in meinen Adern nicht verdorben ſei ...

Es war am hohen Mittag.

Ich ſtand vom Mahle auf, das mir, dem künftgen Feldherrn, der Vater feſtlich zugerüſtet hatte.

Ich war trunken.

Vom Weine nicht.

Und doch berauſcht, tief trunken, überrauſcht

von einer Tat noch nicht, vom Duft nur ihrer Nähe. Es trieb mich in die Einſamkeit, ans Meer,

zur Wohnung meiner dunklen Mutter Thetis... Ich habe, wiſſend, meine Mutter nie geſehen;

als ich ein Säugling war, verließ ſie uns.

Ich kenne nur ihr Meer

ich ſuche es in jeder Lebensſtunde,

in der ein Menſch an feine Mutter denkt.

So jetzt.

Ich warf die Kleider ab. Ich ſchritt ins heilge Waſſer. Und als es mir bis an die Hüften rührte,

hob ich die Arme auf zur dunklen Mutter

Sie hat mich nicht erhört!

Lykomedes: Du bateſt fie um was? | Achill: Um Sieg und Ruhm.

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Und ſei es um den Preis des frühen Todes! Aus Hans Jüngſt: Achill unter den Weibern. Schauſpiel

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Machiavelli Das Schickſal macht die Menſchen blind, wenn es nicht will, daß ſie ſich ſeinen Plänen widerſetzen

Wenn man den Lauf der menſchlichen Dinge genau betrachtet, ſo ſieht man oft Umſtände eintreten und Ereigniſſe kommen, denen der Himmel durchaus nicht vorgebeugt haben wollte. Wenn aber dies Rom widerfuhr, wo fo viel Tapferkeit, Reli- gion und Ordnung herrſchte, ſo iſt es kein Wunder, daß es in einer Stadt oder in einem Lande viel häufiger vorkommt, die dieſer Vorzüge entbehren. Die Gewalt des Himmels über die menſchlichen Dinge hat Livius an dem Beiſpiel Roms ausführ- lich und mit treffenden Worten bewieſen. Da der Himmel, ſagt er, zu irgendeinem Zwecke wollte, daß die Römer ſeine Macht erkennen ſollten, ließ er zuerſt jene Fabier, die als Geſandte zu den Galliern gingen, einen Fehler begehen und dadurch die— ſes Volk zum Kriege mit Rom anreizen. Dann fügte er es ſo, daß zur Abwendung der Folgen dieſes Krieges nichts geſchah, was des römiſchen Volkes würdig war. Vorher war nach ſeinem Willen Camillus, der einzige Helfer in ſo großer Not, nach Ardea ins Exil geſchickt worden. Als dann die Gallier gegen die Stadt anrückten, durften dieſelben Römer, die gegen den An⸗ griff der Volsker und anderer angrenzender Feinde oft einen Diktator ernannt hatten, gegen die nahenden Gallier keinen Diktator ernennen. Die Auswahl der Soldaten wurde in ge- ringer Zahl und ohne beſondere Sorgfalt vorgenommen; im Ergreifen der Waffen waren ſie ſo läſſig, daß ſie den Galliern kaum bis an den Fluß Allia, zehn Meilen von Rom, entgegen⸗ rücken konnten. Hier ſchlugen die Tribunen das Lager ohne irgendeine herkömmliche Vorſichtsmaßregel auf; ſie wählten den Ort nicht aus, umgaben ſich weder mit Gräben noch Paliſaden und bedienten ſich weder menſchlicher noch göttlicher Sicherheits- mittel. In der Schlachtordnung ſtellten ſie die Scharen dünn und ſchwach auf, ſo daß weder Soldaten noch Feldherren ſich der römifchen Kriegszucht im geringſten würdig zeigten. Hierauf wurde ohne Blutvergießen gefochten, denn alles floh, ohne den Angriff abzuwarten; der größere Zeil lief nach Veji, die übri⸗

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gen zogen ſich nach Rom zurück, wo fie, ohne ihre Häuſer aud) nur zu betreten, auf das Kapitol rannten. Der Senat dachte nicht an die Verteidigung Roms, ſchloß nicht einmal die Tore und floh zum Teil, zum Teil ſchloß er ſich mit den anderen ins Kapitol ein. Nur bei der Verteidigung dieſer Burg verſtanden ſie es, einige nicht ſinnloſe Maßregeln zu ergreifen; denn ſie überfüllten ſie nicht mit unnützen Leuten, brachten ſo viel Ge⸗ treide wie möglich hinein, um die Belagerung aushalten zu können, und der unnütze Schwarm von Greiſen, Weibern und Kindern floh zum größeren Teile in die benachbarten Städte, der Reſt blieb in Rom den Galliern zur Beute. Wer die Be⸗ richte von den früheren Taten dieſes Volkes während ſo vieler Jahre geleſen hat und dann die eben geſchilderten Begeben⸗ heiten erfährt, wird kaum glauben können, daß es ſich um ein und dasſelbe Volk handele. Livius ſchließt ſeine Darſtellung mit den Worten: Adeo obcoecat animos fortuna, cum vim suam ingruentem refringi non vult i.

Nichts Wahreres gibt es als dieſen Schluß. Deswegen verdie⸗ nen auch die Menſchen, die in großem Unglück oder Glück leben, weniger Tadel oder Lob. Größtenteils wird man ſie zu ihrem Sturze oder ihrer Größe auf einer Bahn geführt ſehen, die ihnen der Himmel vorgezeichnet hat, indem er ihnen die Ge⸗ legenheit zu ausgezeichneter Tat ſchenkte oder entzog. Will in⸗ deſſen das Schickſal große Dinge ausführen, ſo wählt es einen Mann von ſo viel Geiſt und Verdienſt aus, daß er die Gelegen⸗ heiten, die es ihm darbietet, erkennt. Ebenſo, wenn es große Umwälzungen hervorbringen will, ſchiebt es Männer vor, die den Zuſammenbruch des Beſtehenden beſchleunigen. Wäre ein Mann da der ſich ſeinen Beſchlüſſen in den Weg ſtellen könnte, ſo würde es ihn töten oder jeder Möglichkeit, etwas Heilſames zu tun, berauben ... Zur Beſtätigung des Geſagten wäre man⸗ ches neuere Beiſpiel anzuführen, allein ich halte es für über⸗ flüſſig, da das gegebene jeden befriedigen kann. Wohl aber be⸗ haupte ich von neuem, daß es eine unumſtößliche, von der ganzen Geſchichte bezeugte Wahrheit iſt, daß die Menſchen das

1 So verblendet das Schickſal die Geifter, wenn es nicht will, daß feine einbrechende Gewalt gehemmt werden ſoll.

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Schickſal unterftügen, nicht aber ſich ihm widerſetzen können. Sie können ſeine Fäden zuſammenweben, nicht ſie zerreißen. Sie dürfen ſich indes nie ſelbſt aufgeben. Da ſie die Zwecke der Göttin nicht kennen und Fortuna auf krummen und unbekann⸗ ten Pfaden wandelt, ſo ſollen ſie immer hoffen und hoffend in keiner Lage, in keiner Not noch Mühſal ſich ſelbſt verlieren. Aus Machiavelli: Menſch und Staat. Inſel⸗Bücherei Nr. 240

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Reinhold Schneider / Der Sklave des Velazquez

Das Vorzimmer des Turmgemachs im Alkazar zu Madrid, das dem Schloßmarſchall und Hofmaler Velazquez als Arbeits- raum diente, war nur noch von ſpärlichem Lichte erhellt; ein ſchwerer Vorhang, der keinen Lichtſchimmer und keinen Laut durchließ, trennte es von der anſtoßenden Werkſtatt, und auch die auf die Gänge des Schloſſes führende Tür war von einem dunklen, nicht ganz ſo ſchweren Vorhang verſchloſſen; das Fen⸗ ſter lag hoch und fing nicht den Sonnenſchein ſelbſt, ſondern nur deſſen Widerſchein auf, der auf den Fenſtern eines benach⸗ barten Turmes brannte; die Front des Schloſſes mußte um dieſe Stunde im vollen reinen Abendglanz liegen. Aber Juan Pareja, der Sklave des Meiſters, war es gewohnt, im Halb- dämmer zu arbeiten; und er hatte es gelernt, ſelbſt im matten Licht der Kerze ſeine geliebten Farben zu miſchen und mit ver⸗ doppelter Sorgfalt aufzutragen; ihn machten Stunden wie dieſe glücklich, da er wußte, der Meiſter würde ihn nicht rufen, weil die eigene Arbeit ſeine ganze Hingabe verlangte: Velazquez hatte ſeinen Sklaven angewieſen, auch die dringendſten Anfor⸗ derungen, die das von Menſchen erfüllte Schloß ſtellen ſollte, abzuweiſen; und nachdem Pareja der Reihe nach einige Edel⸗ leute und Pagen beharrlich zurückgeſchickt hatte, war es ſtill ge⸗ worden. Des Königs Gemächer und das ſie umflutende Men⸗ ſchengetriebe waren weit entfernt; hier waltete das Geſetz un⸗ ermüdlicher, inbrünſtiger Arbeit; und wie ſo oft ſchon ſchien dem Sklaven auch jetzt aus dem anſtoßenden Raum, wo der Meiſter

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vor einer feiner großen Tafeln ftand, eine mächtig bewegende Kraft herüberzuſtrömen.

Ohne die Beſorgnis, die ihn ſonſt meiſt erfüllte, hatte der Sklave ſeine Leinwand hervorgeholt und zu arbeiten begonnen; er mußte ſich mit leiſe ſchmerzenden Augen über das Bild beu⸗ gen und dann wieder zurücktreten; das Spiel des tiefen Däm⸗ mers mit dem Lichte begab ſich im Raume wie auf dem Bild- werk; es war, als wolle das Dämmer ſelbſt dem Maler die Farben miſchen, aus denen ſich ſeine Geſtalten bildeten. Wieder rang er um die Begebenheit, die ihm vor allem am Herzen lag: er wollte darſtellen, wie der Herr leiſe eintrat in das Haus des Zöllners Matthäus und, plötzlich vor dem Arbeitstiſche erſchei⸗ nend, den Zöllner aus der Alltäglichkeit ſeines Tuns hinüber⸗ rief in ein größeres, gereinigtes Leben; noch hielt Matthäus, der das Gewand eines ſpaniſchen Herrn trug, ein Blatt in den Händen, ihm gegenüber ſaßen zwei Amtsträger, der eine ſchrieb, der andere zählte das aufgehäufte Geld, doch der Herr ſtand ſchon neben ihnen im gedämpften Lichte des gegenüberliegen⸗ den hohen Fenſters, und nun begab ſich die Entſcheidung. Aber da ſpürte Pareja die Gegenwart eines Menſchen im Raume und blickte fi um; erſchrocken fab er in das bleiche, müde Geſicht des Königs. Pareja fiel auf die Kniee und ſuchte eine Entſchul⸗ digung vorzubringen: er wiſſe wohl, daß es ihm, als einem Sklaven, nicht zieme, zu malen; er bitte um Vergebung. Aber des Königs Blicke glitten langſam prüfend über das Bild; nun ſchien er zur Linken, unter dem Fenſter, Parejas von krauſem, üppigem Haar umwallten Kopf, die dicken Lippen, die ſtarke Naſe und die vorquellenden, von der Arbeit angegriffenen Glutaugen zu erkennen; der Anſchein eines Lächelns lief über die erſchlafften Züge: „Das iſt gut,” ſagte er leife, „und nicht ganz in unſerer, mehr in der italieniſchen Art. Ich habe einen Maler entdeckt.“

Die Furcht war in dem Sklaven jedoch ſtärker als die Freude; er wies ſelbſt auf das Selbſtbildnis am Rande des Bildes und zeigte dann auf ſein gelbes Miſchlingsgeſicht: „Ich darf ja nicht malen; der Meiſter würde es mir nicht vergeben. Philipp wollte etwas ſagen; aber dann widerſtrebte es ihm doch, den

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Bann des Schweigens zu durchbrechen; fo legte er nur den Fin⸗ ger auf die Lippen, indem er Pareja auf eine gütig beruhigende Weiſe zulächelte; dann ging er der Werkſtatt ſeines Hofmalers zu. Pareja raffte angeſtrengt und eilig den Vorhang; die Sonne flutete über das Geſicht des Monarchen, das, mit tief eingeſunkenen Augen und dem ſtarren, aufſtrebenden Bart, im grellen Lichte faſt einer Totenmaske glich. Es wurde wieder dunkel im Vorgemach, aber der Sklave vermochte nicht mehr zu arbeiten; er verſteckte ſein Bild und ging in der größten Er— regung, von verwegenen Hoffnungen, Zweifeln und Befürch— tungen bewegt, lange Zeit auf und ab, bis der Vorhang, von dem ſtarken Arm des Meiſters gehalten, ſich wieder auftat und der König hindurchſchritt. Auch jetzt legte er den Finger an die Lippen; müden Schrittes verlor er ſich in dem unendlich ſchei— nenden Gang des Schloſſes, während die Schatten der Fenſter— niſchen und die Lichtbündel der Pfeiler über ihn hinſtrichen. Bald darauf ging Velazquez ſinnend gebeugten Hauptes durch den Vorraum; erſt an der Tür wandte er ſich um und beauf— tragte Pareja, am nächſten Morgen zu ſehr früher Stunde die Farben bereit zu halten; der Sklave wußte, ſein Meiſter wollte den kühlblauen, von leichtem Gewölke durchflogenen Himmel malen, der fic) über der Felſenlandſchaft des heiligen Einſied— lers Paulus auftat.

Noch immer hörte Pareja das Lob des wortkargen Königs in den Ohren tönen, während er ſein Bild wieder vornahm und beim Scheine der Kerzen die unzählige Male unterbrochene Arbeit fortſetzte; aber er hatte erſt wenige lange erwogene Pin⸗ ſelſtriche getan, als er hörte, wie ſich auf dem Gange raſche Kinderſchritte näherten, die mit ſonderbarer Entſchiedenheit auf⸗ traten; jetzt ſah er ein Männlein, das einen rieſigen, hoch⸗ geſchlagenen Hut trug, ſich mit dem Türvorhang abplagen; es war der „Vetter“, der Zwerg des Königs. „Ich habe eine Be⸗ ſtellung an dich“, ſagte der Zwerg, indem er auf einen Stuhl neben der Staffelei ſtieg; „du mögeſt dein Bild in die Werk⸗ ſtatt des Meiſters ſtellen, ſo daß dieſer es nicht ſofort bemerkt.“ Pareja erſchrak heftig: „Mein Bild in die Werkſtatt des Don Diego? Dort hat es wirklich nichts zu ſuchen. Wie könnte ich das

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wagen? Dort ift kein Platz für mein Bild.” „Das haft du nicht zu beſtimmen, ſondern der König”, erwiderte der Zwerg gebiete⸗ riſch, und ſein viel zu kleines Geſicht nahm einen männlichen Ausdruck an. „Du mußt wiſſen, fuhr er gnädiger fort, „es lohnt ſich, mit mir zu ſprechen; denn mit mir ſpricht der König, der auch gegen die Granden ſtumm iſt. Wir Zwerge haben ſo manches zerrüttete Leben wieder eingerichtet. Wir ſind nicht ſo viel wie Menſchen, aber mehr als Hunde, und das bedeutet keine Herabſetzung. Für Hunde haben die Mächtigen echte Güte; uns ſchenkt man Vertrauen. Und wenn ich heute nacht mit dem König allein ſein werde, ſo kann es wohl ſein, daß er mich um eine Meinung fragt oder daß ich ihm dies und jenes er⸗ zählen ſoll. Warum nicht auch von dir? Kurzum, wie lange biſt du ſchon bei deinem Meiſter, und wann haſt du angefangen zu malen?” Dabei richtete er ſich, fo gut es ging, auf feinem Stuhle auf und betrachtete mit kühl muſternden Blicken die Leinwand. „Was meinem König gefällt, das wird deinem Meiſter auch ge⸗ fallen müſſen. Wo hat er dich gefunden?” „Das war vor zehn Jahren in Rom, erwiderte Pareja, der nun doch die Erleich⸗ terung fühlte, ſprechen zu dürfen, „ich bin als der Knecht eines ſpaniſchen Herrn nach Rom gekommen. Ich bin ja Mulatte, aber, wie ich hoffe, ein guter Chriſt. Damals ſollte der Meiſter den Heiligen Vater malen, doch die Weltgeſchäfte hatten ihn lange abgezogen von der Kunſt. Und wenn du zwei Tage den Pinſel nicht in der Hand gehalten haſt, ſo wirſt du fühlen, wie ſeine geheime Kraft und ſeine Sicherheit nachlaſſen und er nicht mehr ſpürt, was du in den Fingern und im Herzen haſt. Auch war der Heilige Vater wegen feiner ſonderbaren Gefichtsfarbe berühmt; er war, wie ich ſpäter fand, nicht helleren Tones als ich. Da ſah mich der Meiſter eines Tages im Troß meines Herrn auf der Gaſſe, und er muß in dieſem Augenblick ein Bild von mir empfangen haben. Ich ſehe ihn noch, wie er ſtarr ſtehen blieb mitten im Menſchengewirre und wie feine Augen aufleuch⸗ teten. Zum erſten Mal war ich, ohne es noch zu wiſſen, Zeuge dieſes großen Geheimniſſes, daß ein Ding der Welt ſeine Seele entzündete und in ihrem Feuer ein Bild vor ihm ſtand wie das Antlitz im Dornbuſch, - wenn man Heiliges zum Vergleich ge⸗

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brauchen dürfte, was ja nicht erlaubt iſt. Ich folgte ihm in ein Zimmer, das er als Werkſtatt eingerichtet hatte; dort bekleidete er mich mit einem prächtigen Mantel mit weißem Kragen; dann begann er zu arbeiten. Lange wagte ich nicht auf die Leinwand zu ſehen; als ich ſie endlich mit den Augen ſtreifte, erſchrak ich, denn ich erkannte mich gleichſam in einem fremden Geſicht. Er malte ja nicht mich, ſondern das Bild, das er geſehen; aber die⸗ ſes Bild hatte er von mir empfangen. Und vielleicht, weil ſein Inneres ſchon dem großen Herrn zugewendet war, den er dar— ſtellen ſollte, gab er mir ein ſtolzes, herriſches Anſehen. Für mein Geſicht miſchte er die Farben, mit denen er ſpäter das Ge⸗ ſicht des Heiligen Vaters malen ſollte; feine Hand wurde mies der leicht und ſicher; und das Bewußtſein, daß ich ihm auf dieſe Weiſe dienen durfte, ließ mich vielleicht wirklich ſo ſtolz werden, wie er mich geſehen. War er mit der Arbeit fertig, ſo ſuchte ich ihm, da er gerade keinen Diener hatte, beim Aufräumen und beim Waſchen der Pinſel zu helfen; ich kam ſchon, eh er begann, und bereitete dieſes und jenes vor. Ach, der Duft der Farben und der Leinwand! Du kannſt dir nicht denken, mit welcher Freude ich die Pinſel in die Hand nahm, den Farbtiſch zurecht— ſchob; eine jede Berührung mit dem Geräte ging mir wie Feuer durch den Leib. Ach, die große Stille, wenn der Pinſel eintaucht und das ſchwere, farbige Dämmerlicht auf die Leinwand fließt! Der Meiſter ſchien meine Freude zu ſpüren und erhandelte mich von meinem bisherigen Herrn; ſeitdem habe ich die Farben ge⸗ rieben zu manchem Bilde, das der König liebt und das die Welt bewundert, und ich habe Stunden erlebt, von denen die Men⸗ ſchen ſich nichts träumen laſſen. Du mußt wiſſen,“ fagte er nach langem Zögern ſehr leiſe, „dann verwandelt ſich das Geſicht des Meiſters, und es gibt für ihn von der ganzen Welt nur zwei Dinge: das Bild in ihm und das Bild, das vor ihm entſteht.“

Der ‚Better‘ hatte mit ernften Augen zugehört. „Wir beide”, ſagte er, „wiſſen Geheimniſſe. Denn es iſt ein großes Geheim⸗ nis, wenn des Königs Herz ſich aufſchließt oder wenn er um Mitternacht aufſteht, um zu beten.” „Tut er das oft?” „Faſt eine jede Nacht. Niemand leidet in Spanien wie er. Denn er ſieht viel Kommendes. Er meint, das Unglück fahre auf allen

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Straßen daher, und es geſchähe durch feine Schuld. Er hatte andere Tage; nun aber fühlt er ſein Land wie ſeinen Leib; und es muß ihm ſein, als wolle man ihm die Glieder aus den Ge⸗ lenken reißen. Seitdem iſt ſein Herz, das immer weich geweſen, noch milder geworden, und er möchte ſich jedem Leide zuneigen, das er am Wege ſieht. Er iſt feiner Kronen müde.” „Ich glaube, erwiderte Pareja traurig, „auch der Meiſter wird müde. Eh er das letzte Bild begann, das den Abt Antonius darſtellen ſoll, wie er den heiligen Einſiedler Paulus beſucht, zögerte er ſehr lange; ich bemerkte es wohl, wie er einen Tag um den andern verſtreichen ließ, weil er die volle Kraft nicht fühlte. Dann malte er wunderbar leicht. Aber es iſt, als ob ihm das Bild geſchenkt würde für ſeine lebenslange Mühe, als ob er es nicht mehr erarbeitete wie all die andern, ſondern es nur noch empfinge. „Nun, dann wird auch ſein Herz mild wer⸗ den, und du hätteſt ihm dein Bild zeigen können. „Nie hätte ich das gedurft. Ich bin ja unfrei, ein leibeigener Sklave; die Kunſt aber iſt frei. Du weißt nicht, wie ſtolz der Meiſter iſt.“ Aber der „Vetter“ lächelte nur: „Dann iſt er noch nicht ſo weit wie der König; denn der König iſt demütig.“

Pareja ſeufzte: „Ach, warum habe ich nur auͤgefangen zu ma⸗ len! Aber je länger ich ihm zuſah, um ſo mehr glaubte ich zu können. Und wie ich es wagte, mich in einem kleinen Bilde zu verſuchen, da fing ich erſt an, wirklich zu lernen. Und nun be⸗ gann ich, den Meiſter zu verſtehen. Denn die Geſetze ſeiner Kunſt ſind verborgen und ſtrömen durch ſeine Bilder wie eine unterirdiſche Waſſerader, die eine Wieſe aufgrünen läßt. Die Menſchen ſpüren wohl, daß die Geſetze wirken, aber wie die Ge⸗ ſetze wirken, das wiſſen die Menſchen nicht. Das ſuchte ich zu ergründen, und da ging die große Freude auf mich über, die der Meiſter empfinden muß, wenn er vor ſeinen Tafeln ſteht. Wie ein Raum Geſtalt wird aus Schatten und Licht, und wie der Menſch darin ſteht, im dichten Gewebe der Helligkeit und Däm⸗ mernis, das lernte ich ahnen; und nun erſt lernte ich auf den Menſchen achten und auf die überreiche Sprache ſeines Geſichts und ſeiner Gebärde. Nun erſt wurden mir die Dinge geſchenkt. Dahinter aber liegt das Große, das Weite und Kühne, die

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Welt felbft in ihrer Ordnung, die der Künftler geſchaut und erfahren haben muß, wenn ſeine Geſtalten beſtehen ſollen; dort⸗ hin reiche ich nicht; das weiß ich wohl. Auch die Freiheit liegt dahinter, die ich nicht habe. Mich trieb es nur, einen Anfang zu machen. Aber als der Meiſter mich einmal über einem Blatte antraf - es war hier an dieſer Stelle, unvermutet ſtand er hinter mir, mit vor Erregung zuckendem Geſicht —, wurde er heftig, wie ich ihn noch nie geſehen: ‚Treibe dein Handwerk, nicht meines! herrſchte er mich an; , meinſt du, es gehörten nur Finger und Augen zur Kunft?‘ Und doch zieht es mich über- mächtig zu ihr hin; aber all mein Streben wird mir vergällt, wenn er mir zürnt.“ „Um in folder Not zu helfen,“ ſagte der Zwerg, „bedarf es des Königs; ihr ſelbſt findet euch da nicht heraus.“ Damit ließ er ſich von feinem Stuhle zur Erde nieder: „Gehſt du nicht mit?” „Nein,“ erwiderte Dareja, „ich ſchlafe hier. Wenn ich nicht den Geruch der Farben und des Öls und der Leinwand um mich habe, bin ich nicht zu Hauſe.“ Der Zwerg ging, und Pareja überlegte lange, ob er ſein Bild in Don Die— gos Werkſtatt hinübertragen und an welcher Stelle er es unterbringen ſolle; aber dann entſchloß er ſich, es erſt am ane dern Morgen zu tun. Er ſchob ſeine Staffelei zur Wand zurück und ſtreckte ſich darunter auf einem Teppich aus.

Am andern Tage ftand der König lange vor dem eben voll- endeten Bilde, das die heiligen Greiſe Antonius und Paulus in einem vielgewundenen Felſentale darſtellte; ein Rabe brachte das Brot, und Paulus erhob ergriffen dankend die Hände; Vergangenheit und Zukunft verwoben ſich im ſeitlichen Hinter⸗ grunde; vergeblich ſuchte der Teufel den heiligen Abt auf ſei⸗ nem Wege zum Einſiedler in die Irre zu führen; weiter vorn ſcharrten Löwen das Grab des Eremiten, und Antonius kniete betend neben dem Toten. „Du haſt den Frieden gemalt”, ſagte der König endlich. „So wünſchte man ſich zu ſterben. Die beiden heiligen Männer tragen keine Laſt mehr als die der Sehnſucht. Alles iſt licht geworden, und faſt meine ich, du wäreſt noch ein⸗ mal ein anderer geworden über dieſem Bild. Wo ſind die Waf⸗ fen, die koſtbaren Kleider, die kühnen Gebärden? Das alles tut hier nicht mehr not.“ Philipp ließ den Blick durch den hohen

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Raum ſchweifen, deſſen mächtige Fenſter von Licht erfüllt waren, und bemerkte an der Seitenwand unter Bildern, die in einem Regale aufgeſtapelt waren, ein ungewohntes Format. „Was enthältſt du mir vor?” fragte er mit leiſem Erſtaunen, „ich glaubte doch alle deine Bilder zu kennen; aber dies iſt mir fremd.” Velazquez eilte hinzu, zog das Bild vor und wandte es um; in der ausgeglichenen Helle der Werkſtatt wirkten die tie⸗ fen Schatten und Lichter, die heimlich glühenden Farben nur um fo mächtiger. Philipp lächelte: „Dies iſt gut, aber es iſt doch deine Weiſe nicht. Ich will dirs geſtehen. Ich überraſchte geſtern deinen Knecht, als er daran arbeitete.“

Glut ſchoß in die bleichen, vollen Wangen des Künftlers. „Pa⸗ reja? Er wagt es, zu malen, und wagt, ſeine Bilder vor Eure Augen zu bringen? Ein Sklave?“ , Aber ſiehſt du nicht, daß er eine Gabe empfangen hat, die nicht die eines Sklaven iſt? - „Verzeiht. Wenn die Hände eines Leibeigenen nach der Kunſt greifen, ſo muß er ſie entweihen. Ihr habt mir die höchſte Aus⸗ zeichnung erwieſen, die Ihr mir noch gewähren konntet, und mich zum Ritter des Santiago⸗Ordens gemacht. Damit habt Ihr nicht mich geehrt - der ich ſolche Ehre nicht verdiene —, ſon⸗ dern die Kunſt. Und nun ſoll ein Sklave dieſe Kunſt ausüben und ſie wieder in den Staub hinabziehen, aus dem ich ſie mit heißer Mühe hob? Nun, da ich ſelbſt am Ende ſtehe und mein Gut vielleicht bald nicht mehr werde verwalten können?“ Der König ging auf den Künſtler zu, der, mit der heftigſten Er⸗ regung ringend, noch neben dem Bilde ſtand. Nun legte Phi⸗ lipp dem Meiſter die Hand auf die Schulter: „Warum ſo hef⸗ tig, Don Diego, der du doch ſo lange geduldig warſt? Was haſt du zu verlieren? Alles, was du geſchaffen haſt, iſt dein und wird dein bleiben; die Nachwelt wird es dir nicht nehmen. Du haſt dir ein Reich geſchaffen durch lange Jahre, erfüllt von Prieſtern und Kriegern, von Fürſten und Bettlern; das Bild des Herrn iſt darin errichtet, und weite, fremde Landſchaften dämmern hinter den Menſchen, und die Bilder der Heiligen neigen ſich herab. Du biſt ein König, Don Diego, ein großer König, und wirſt es bleiben. Du regierſt ein unvergängliches Reich. Was meinſt du wohl, was ich ſelber bin?” Er ſprach ganz leiſe, jo daß

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es niemand als der neben ihm Stehende hätte vernehmen kön⸗ nen: „Ich bin auch ein König, nach dem Willen Gottes, aber nicht auf ſo lange Zeit wie du. Mein Reich zerbröckelt, mein Name verblaßt. Im Oſten und im Weſten erheben ſich die Völ⸗ ker, und das Glück meiner Waffen dauert nur auf deinen Bil⸗ dern fort. Ich war läſſig in der Zeit, die ich mit gläubiger Tat⸗ kraft hätte erfüllen ſollen. Nun kommt das Gericht. Niemand wagt es mir zu ſagen. Aber deſſen bedarfs nicht; denn ich weiß es, und es iſt zu ſpät. Mein Gewiſſen hat meinem Leben ſchweigend zugeſehen; da ich zu Ende bin, klagt es mich an. Du kannſt dieſe Pein nicht kennen, denn du haſt dein Reich gemehrt bis zu dieſem Tage; ich habe das meine vergeudet. Und du willſt nicht einen geringen Teil abgeben von deinem Reiche? Sichft du, Pareja war ein Sklave, als du ihn fandeft, und fein Bildnis diente dir zur Ubung für das Bildnis des Papſtes. Er iſt aber mehr. Vielleicht haft du nur an dein Bild gedacht, damals in Rom, als du ihn malteſt, und nicht einmal an das Bild Parejas, ſondern an das des Papſtes. Aber, ſiehſt du, er hat eine Seele, und dieſe Seele will ſprechen; er will doch zeigen, wie ein Menſch aus der Gefangenſchaft feines Dienſtes heraus- gerufen wird in den Bereich des Höheren, der das Licht trägt. Du ſelbſt, Don Diego, haſt dieſe Seele erweckt und gerufen; hier in dieſem Raume hat ſich das für ſie begeben, was auf dem Bilde, wie mir ſcheint, mit rühmlichen Mitteln, ausgeführt iſt; und nun willſt du dieſe Seele gefangen halten?“ Vielleicht hatte der König noch nie ſo lange geſprochen. Velazquez hörte erſchüttert das Bekenntnis an: „Es iſt wahr,“ ſagte er mit gee ſenktem Haupte, faſt zu ſich ſelber ſprechend, „ich habe nie an dieſe Seele gedacht. Nur - all meine Kunſt hat deinem Ruhme ge⸗ dient; für dich habe ich meine Bilder erſonnen; deine Hoheit und deinen verhüllten Schmerz und dein königliches Fremdſein in der Welt, den Glanz und die Macht deiner Waffen, die Luft, die du geatmet, und den Widerſchein deiner königlichen Seele auf den Männern und Frauen deines Hofs wollte ich abbilden für die Nachwelt; und daß die Kunſt nun von einem Knechte geübt werden ſoll, das muß einen Mann kränken, der nur das reinſte Streben für ihrer würdig hielt.” „So rufe deinen Knecht.“

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Pareja fam und fiel neben dem Bilde dem König zu Füßen. „Da du dies gemalt haft,” ſagte der König, „fo biſt du frei. Aber wer im Innern einer höhern Ordnung angehört, der ſoll auch im äußeren Leben in einer höheren Ordnung ſtehen; das, was Gott in die Seelen der Menſchen gelegt hat, ſoll ſichtbar werden oder ſich wenigſtens durch ein Zeichen andeuten, damit die Menſchen es achten lernen. Darum will ich dir einen adligen Namen geben.” Er berührte ſachte mit dem Degen die Schulter Parejas; dieſer wagte das Haupt nicht zu erheben, durch deſſen krauſes Haar ſich ſchon graue Fäden zogen. Endlich ſtand der Befreite auf; Glück und Verwirrung bekämpften ſich auf ſeinem dunkelfarbigen Geſicht und in den hilfloſen Augen; er wandte ſich an feinen Meiſter und ſuchte nach Worten, bis Velazquez auf ihn zutrat und ihm die Hand reichte. Pareja ergriff ſie ſtürmiſch: „Verſtoße mich nicht. Und laſſe mich dir weiter dienen wie bis⸗ her. Es iſt ja derſelbe große Dienſt, in dem dein ganzes Leben hin⸗ ging. Und auch wenn ich male, will ich nur dienen wie du.” „So wars mir doch einmal vergönnt, einen zerbrochenen Ring wie⸗ der zuſammenzufügen“, ſagte der König vor ſich hin; er blieb vor dem Bild des Eremiten noch eine Weile ſtehen, und Trauer ſchien in ſeinen Augen heraufzudunkeln; dann verließ er den Raum. Von da an hoffte Juan de Pareja ſeinem Meiſter als freier Mann denſelben Dienſt zu leiſten, den er bisher als Sklave ge⸗ tan. Aber bald darauf trat der König die mühereiche Reiſe in die Pprenäen an, die des Schloßmarſchalls letzte Kraft ver⸗ zehrte; als Totgeglaubter kehrte Velazquez heim, und nicht lange nach ſeiner Heimkehr ſchied er für immer von ſeinem Werk. Nach wenigen Jahren folgte der König dem Künſtler, dem er als Herrſcher ſeinen beſten Ruhm zu verdanken hatte. Pareja beſtrebte ſich fortan mit heißer Mühe, doch mit wechſelndem Glück, ſeine Aufgabe zu erfüllen; aber vielleicht hat ihm ſeine Kunſt keine hellere Stunde eingetragen als die ſeiner Frei⸗ werdung, da er einen Blick tun durfte in das Herz ſeines Kö⸗ nigs und dieſer ihm mit der reinen Kraft ſeines Menſchentums die Verzeihung des Meiſters erwirkte.

Aus einem künftigen Bude

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Aus alter deutſcher Dichtung

Boppe / Ritterſpiegel

Sich, ritter wert, an dine hohe werdekeit,

und kleide dinen lip mit eren kleit,

ſit daz dir iſt ere unde pris gewidemet;

pflig ſchiltes ambtes ſchone und ere ſwertes ſegen, wis fridebaere in felden, welden und uf wegen, wirp ſo, daz unrecht ſtruchen vor dir bidemet;

milt unde manheit fi din hort,

biut helfe gerne witwen unde weiſen,

wirp hie nach priſe und ſchazze dort,

und la dich nicht an eren finden heiſen;

du tugende dich in alle wis,

la dich in werder wibe dienſte ſchouwen,

halt hoch gelopten ritters pris,

ſo daz dich priſen hoch geborne frouwen;

erbarme, warheit, kiuſche, ſchame mit dir ſin umbehelſet: tuoſtu daz, werder ritter wis,

ſo wirt din pris,

din rilich lop, din werder name in eren wis gefelſet.

Der Kanzler / Fuchs und Rabe

Ein fuchs z'einem rappen ſprach,

der hoch uf einem boume ſaz

unt truog ein kaeſe in ſinem ſnabel: „her rappe, ir ſint gar kluoc,

So ſchoenen vogel ich nie geſach,

nie lerche, noch galander baz

geſanc, danne ir; ſus ich nicht zabel, ich hort’ ez gerne genuoc.”

Sich: Sieh. - ſchone: auf fhöne, geziemende Art.- fridebaere: friedſam. - wirp fo: ſtrebe dahin. - ſtruchen: Straucheln. - bidemet: erbebt. - heiſen: unvollkommen. umbehelſet: umbalft. - rilich: herrlich. - gefelfet: felſenfeſt gemacht. - galander: Haubenlerche. ſus ich nicht zabel: fo möchte ich ſicherlich.

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Der rappe, bur den falfchen pris,

mit luter ftimme im finen fang erborte!

des fiel der kaeſe im under'z ris,

in krift' der fuchs, den ſang er gerne horte. ſus gebent guot toerſcher herren vil,

dur falſchez lop, dur ſmeichen, liegen, triegen: wol fueget den affen toren ſpil,

ez gebent die narren gerne ir guot den giegen.

Heinrich von Mügeln / Der koſende Eſel

Hivor ein herre zoch ein kleines hundelin. es ſprang uf in und tet im ſiner libe ſchin: er ſtreichet es und gab im ſiner ſpiſe.

Der efel ſprach: „du wilt oud) triben ſolche lift: ſind das du nutzer und ouch baz geborn biſt, wer weiz ob im gefalle dine mife.” f

Eins tages er den herren ſach:

er ſprang uf in und ſnapte im nach dem munde. die torheit ungelucke rach:

do er ſich glichen wolde dem hunde,

der herre rief die diner an,

das ſi in machten von dem eſel frie.

im wart do ſlege vil getan.

er ſprach: „verfluchet fi die eſelie!

ich miſſefalle, ſich ich wol, damit ich wolde behagen: min herre der engibt mir nicht

durch ſolche ſchicht.“

ein oder ſin in giticheit muz ſchanden borden tragen.

erborte: erhob. - ri8: Reis, Baum. krift': ergriff raſch. ſmeichen: Schmeicheln. fueget: ziemt.- giegen: Gecken.—- tet libe ſchin: zeigte Liebe. find das: da doch. nutzer: nützlicher. ungelude rad: rächte ſich durch Unglück. damit: womit. ſchicht: Geſchichte, Sache. oder: Oder, Dummer. - giticheit: Gier. - ſchanden bor⸗ den: der Schande Bürden.

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IJuapit pißtotalandiiheronimi ad, inum de omnibus

plerebant. Gera miılla neceſſiruda £- 2x glunno mpulaca-qin non utili⸗ tas ru familiaris . pũtia tantum mon · li dula 2 palpãs adulacd . [rd Det timoꝝ . diuinan ſctinturarũ fudia canciliant. Iegimꝰ in uetetibʒ hiſtarijs.quoſdã luſttaſſe ꝑuinci ai. nougs adijſſe las. maria rahi. ut cas quos er libris nouttant:coꝛã

Probe aus Johannes Gutenbergs 42 zeiliger Bibel

Aus den Meifterliedern der Kolmarer Handſchrift

Ich lac eins nachts in ſlafes git, mir was in minem muote

wie daz ſo minniclichen bluote ein boum von hoher art.

der truoc ſo dann uf ſiner fart zwelf eſte in wünniclicher zucht. Da von er wol behaget mir,

er het in ſiner huote

wol zwei und fünfzic neſter guote, uz den nie keinez wart

ez enhet doch ſiben vogel zart. daz wunder ducht mich ungenucht. Mir iſt der vogel orden worden wol kunt und ouch ir leben,

wie got in allen hat gegeben iclichem ſinen namen. f

do ſach ich in des nachtes klamen da ſiben vogel kleben.

ſwer ſinne habe und wiſez leben, der rate mir des boumes trucht.

Den boum ich dir beſcheiden ſol mit alſo guoten ſachen.

den kan ich anders nicht gemachen wan daz er iſt daz jar,

in dem wir fülen offenbar

in tugende und mit eren leben. Merk ob ich künne erkennen wol waz die zwelf eſte ſachen,

daz uz den ſelben got wil machen ſo gar an alle far

zwelf manot, die ſtent in dem jar,

bluote: blühte. - wart: geboren ward. - ungenudt: unmäßig. - klamen: Klammern, Feſſeln. - trudt: Laft, Frucht. - beſcheiden: erklären. - guoten ſachen: guten Grün⸗ den. - gar an alle far: ganz einfach.

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die uns beſcheiden ſint gegeben. Alſo ich nu geſwinde finde

hie ouch der vogel art,

wie daz dem jar gegeben wart zwo unde fünfzic wochen

die zuo den neſterm ſint geſprochen dar inne die vogel zart,

die menſchen, leben hoher art

und dar inn als die vogel kleben.

Hugo von Trimberg / Die Boten des Todes

Nu hoert ein gelichnüſſe, nicht für war: Ein frouwe eines nachtes ein kint gebar, Daz wart getoufet. Nu het ir man Einen gaſt behalten, den rief er an, Daz er des kindes tote würde

Und hülfe im von der ſorgen bürde. Diz tet der gaſt. Do daz geſchach,

Der wirt ze ſinem gevatern ſprach: „Gevater, ſagt mir wer ir ſit,

Daz ich iuch fürbaz alle zit

Baz denne ander liute erkenne, Swenne ich iuch vor mir hoere nenne!“ Er ſprach: „Gevater, ich bin'z der Tot, Der manige angeſt unde not

In der werlde hat gemacht

Und noch machet tac und nacht!“

„Eva, lieber gevater min,

So fült ir mir genedic fin

Und lat mid) lange uf erden leben!” „Des wil ich iu min triuwe geben,” Sprach er, „vil lieber gevater min, Daz ich iu manic botelin

gelichnüſſe: Gleichnis. - nicht für war: nicht als Wirklichkeit. - tote: Pate. - fürbaz: ferner. - botelin: kleinen Boten.

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Vor wil ſenden e denne ich kum; Da von fit froelich und ouch frum!” Mit der rede er von im fuor.

Der man lebte ſit, biz manic fluor In dem lande wart abe geſniten. Do wart er ſiech. Nach ſinen ſiten Kom der tot und ſtuont für in

Und ſprach: „Wol dan, gevater, ich bin Her kumen daz ir mit mir fart!“ „We, wie habt ir denne bewart Juwer gelübde, daz ir tatet mir?“ Er ſprach: „Gevater, wizzet ir:

Do eincz iuch in die ſiten ſtach

Und do ir ſprachet: ‚ame mir, ach, We mir, we, waz fol diz fin?‘

Seht, daz was min botelin!

Do iu diu oren begonden diezen Und diu ougen über fliezen

Und gein der ſunnen tunkel ſin,

Do ſande ich iu zwei botelin.

Do iu die zene taten we

Und iuch der huoſte mer twanc denne e Und ſwinde gemüete in wonte bi, Do ſande ich iu boten dri.

Do iu diu bein nicht waren fnel Und do ſich rimpfende wart daz fel Und do diu ſtimme iu heiſer wart Und do iu grauwende wart der bart, Do ſande ich iu vier botelin. Gevater, ich han die triuwe min Vil wol an iu behalten!

Lat got der ſele walten

Und ſcheidet iuch von diſem libe,

Ich enlaze iuch langer nicht hie blibe!”

Aus dem Buch deutſcher Dichtung, Zweiter Band

vor: zuvor. frum: brav, gut. - fluor: Saatfeld. - bewart: gehalten. - diezen: brauſen, faufen. fminbe gemüete: böſe Launen. rimpfende: runzelnd; runglig. fel: Haut.

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Rainer Maria Rilke / Brief an Auguſt Sauer

Paris, am 11. Januar 1914 17 Rue Campagne-Premiére XIV®

Verehrteſter Herr und Freund,

es iſt mir wirklich recht, daß wenigſtens wieder eine Bitte bei mir vorkommt (dieſer mein unermüdlicher, unbeſcheiden ausge⸗ nutzter Anlaß zu Ihnen), ſo kann ich ſie doch gleich zum Vor⸗ wand nehmen, Ihnen und Ihrer verehrten Frau im noch an⸗ fangenden Jahr Grüße und Wünſche darzubringen: möge es Ihnen ein reiches und erfreuliches werden, in der Arbeit ſowohl als im Erleben, an dem es ja liegt, den Boden zu miſchen, aus dem die Leiftung und ihre Freudigkeit ſich erheben möchte. Was meine diesmalige Bitte angeht, ſo muß ich ihr ein paar An⸗ merkungen voraus geben.

Seit meinem vorigen Winter iſt mir Stifter zu einem ganz eigenen Gegenſtand der Liebe und der Erbauung geworden: nie werd ichs vergeſſen, wie ich dort, im ſüdlichen Spanien, von einem unerklärlichen Gefühl der Fremdheit gleichſam von allen Seiten angefallen, die ausgeſprochenſte Not empfand, mich zu etwas Vertraulichem zu retten; wie mir zu ſolchem Beiſtand kein Buch techt eigentlich auszureichen ſchien; wie ich mir ſchließ⸗ lich, aus den Bänden, die der Inſel⸗Verlag mir nach und nach zugeſendet hatte, die ſchöne Sammlung ‚Deutfhe Erzähler“ in meine Abende vornahm und, mich damit einlaſſend, auch wirk⸗ lich einen freundlichen Umgang vorausſah, der mir die nächſten Wochen mildern und innerlich aneignen dürfte; wie ich aber dann plötzlich, eines ſolchen Abends, meinem kleinen Kamin⸗ feuer gegenüber, von dem unvergleichlichen Gegenbild“ in den ‚Dageftolzen‘ hineingeriſſen wurde und nun auf einer ſolchen Neigung meines Weſens dieſen Blättern zuſtürzte, daß ich ge⸗ wiſſermaßen ganz in ihrer Strömung mündete und aufging —. Worauf es wirklich Stifter wurde, der mich Abend für Abend den Einflüſſen einer mich großartig überholenden Natur ent⸗ zog, um mir in ſeiner verhältnismäßigen Welt reine Unterkunft und geſchützte Erfreuung zu bieten. Ich hatte mir (wiederum vom Inſel⸗Verlag) die, Studien kommen laſſen, ſie beſchäftigten

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mich lange. Und nun, genau ein Jahr ſpäter, ſchickt mir ein Be⸗ kannter aus London den „Nachſommer' (in der alten Ausgabe von 1857, Deft, bei Guſtav Heckenaſt -, der erften?), und ob» gleich dieſes weitläufige, ganz der Länge nach entſponnene Werk nicht die Hinreißung gewiſſer Seiten in den ‚Studien‘ mit ſich bringt, ſo hab ich doch auch ihm ſo viel Faſſung zu verdanken, daß ich den deutlichſten Antrieb fühle, Stifters weitere Werke zu beſitzen und die Bekanntſchaft mit dem übrigen nicht den Zu⸗ fällen zu überlaſſen, die ſich auf Jahresabſtände einzurichten ſcheinen. Mir wäre nun vor allem um die ‚Briefe‘ (mit einer Lebensbeſchreibung drei Bände, Peſt 1869) zu tun und um die beiden Bände der , Bunten Steine‘ (1853 ebendort); nur ſchrieb mir mein Londoner Freund, daß dieſe alten Ausgaben mehr und mehr zu den Seltenheiten gehören. Nun ſchlage ich geſtern zur Orientierung Meyers Konverſationslexikon auf und finde, zu meiner Freude, dort vermerkt, daß die Geſellſchaft zur Förde— rung deutſcher Wiſſenſchaft, Kunſt und Literatur in Böhmen mit der Herausgabe von Stifters Sämtlichen Werken beſchäftigt ſei. Und daraus entſpringt nun die durch dieſe lange Vorgeſchichte verhaltene Bitte: mir zu ſchreiben, verehrter Freund, ob dieſe Edition tatſächlich im Gange oder gar abgeſchloſſen ſei. Ob eine Möglichkeit für mich beſtünde, ſie, etwa mittels Teilzahlungen, zu erwerben. Zwar geb ich darüber den Wunſch, alte Exem⸗ plare aufzutreiben, nicht völlig auf; aber es dürfte ſich ihm ja nur ſchwer und vielleicht ſehr langſam nachkommen laſſen. Dann, geſtehe ich offen, verlockt mich zum Beſitz jener neuen Ausgabe auch die Vermutung, daß ihre Anlage auf Ihrer Sorgfalt und Erfahrung beruhe, ja am Ende ſogar (da Stifter, wie ich nicht zweifle, auch Ihnen ganz beſonders zu Herzen reicht) durch Sie mit einer eindringlichen Einführung verſehen worden iſt.

Irr ich mich, oder iſt er wirklich eine der wenigen künſtleriſchen Erſcheinungen, die uns dafür entgelten und darüber tröſten, daß es Ofterreid, dem eine eigentliche Durchdringung feiner Be⸗ ſtandteile in keinem Sinne beſchieden war, zu einer ihm eige⸗ nen Sprache nicht hat bringen dürfen? Je älter ich werde, je ſchmerzlicher führe ich dieſen negativ vorgezeichneten Poſten mit, er ſteht gleichſam als Schuldübertrag auf jeder neuen Seite

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meiner Leiftungen obenan. Innerhalb der Sprache, deren ich mich nun bediene, aufgewachſen, war ich gleichwohl in der Lage, ſie zehnmal aufzugeben, da ich ſie mir doch außerhalb aller Spracherinnerungen, ja mit Unterdrückung derſelben aufzurich⸗ ten hatte. Die unſelige Berührung von Sprachkörpern, die ſich gegenſeitig unbekömmlich ſind, hat ja in unſeren Ländern dieſes fortwährende Schlechtwerden der Sprachränder zur Folge, aus dem ſich weiter herausſtellt, daß, wer etwa in Prag aufgewach⸗ ſen iſt, von früh auf mit ſo verdorbenen Sprechabfällen unter⸗ halten wurde, daß er ſpäter für alles Zeitigſte und Zärtlichſte, was ihm iſt beigebracht worden, eine Abneigung, ja eine Art Scham zu entwickeln ſich nicht verwehren kann. Stifter, in der reineren Verfaſſung des Böhmerwaldes, mag dieſe verhäng⸗ nisvolle Nachbarſchaft einer gegenſätzlichen Sprachwelt weniger wahrgenommen haben, und ſo kam er, naiv, dahin, ſich aus An⸗ geſtammtem und Erfahrenem ein Deutſch bereit zu machen, das ich, wenn irgend eines, als Gſterreichiſch anſprechen möchte, ſoweit es nicht eben eine Eigenſchaft und Eigenheit Stifters iſt und nichts anderes als das. Erſtaunlich iſt aber die Stärke der Gültigkeit, mit der es ſich durchſetzt, auch wo es nur im perſönlichſten Bedürfnis ſeinen Urſprung hat, für das in der Beſchränkung ſo weite Erlebnis dieſes Geiſtes die lautere Glei⸗ chung aufzuſtellen. Wenn man, nach der einen Seite hin, den Dichter daran ermeſſen mag, wie weit ſein Ausdruck auch noch den unzugänglichſten Verhältniſſen ſeiner Seele entgegenkommt, ſo wird man Stifter zu den, in dieſem Verſtande, glücklichſten und ſomit auch größten Erſcheinungen zu rechnen haben... Mich am Rande der achten Seite antreffend, ſchließe ich eilig Bitten, Berichte und Fragen mit dem alten Schlußſtück aus Dankbarkeit und Verehrung, das ich nie wiederhole, ohne es neu zu bilden und Zug für Zug nachzufühlen.

Ihr Rilke

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Carl Buftav Carus / Hamlet Das Entwicklungsgeſetz dieſer Tragödie

Eine fo merkwürdige Erſcheinung wie der ‚Hamlet‘ ſollte man nie an ſich vorübergehen laſſen, ohne auszuſagen und aufzu⸗ zeichnen, wie ſie auf uns gewirkt hat; denn bleibt auch die Er⸗ ſcheinung an ſich ſtets dieſelbe, ſo bleiben wir nicht dieſelben, und die Art, wie wir gerade ein Werk ſolcher Natur angeſchaut haben, wird uns immer gewiſſermaßen ein Zeichen und Doku- ment unſres damaligen Entwicklungs- und Bildungszuſtandes fein können. Für diesmal hat mich beſonders der große orga- niſche Gang des Ganzen erfaßt und beſchäftigt. Gewiß, es liegt eine höchſt klare Naturnotwendigkeit in dem Fortſchreiten dieſer Ereigniſſe. Wie an der aufſchießenden Pflanze das erſte, une ſcheinbare Samenkorn die dunkle Erde birgt, ſo daß wir nur durch das Hervortreten der Keimblätter von ihm erfahren, ſo liegt die Handlung, welche den Keim des Stücks enthält, der Mord von Hamlets Vater, außerhalb der Grenzen des Stücks, und wie das Samenkorn auch längere Zeit in der Erde ruhen muß, ehe der Keim hervordringt, ſo iſt ſeit jenem Morde ſchon ein Monat vergangen, bevor die Handlung des Stücks bee ginnt. Da öffnet nun wirklich die Gruft ihre Marmorkiefern, der Geiſt des Ermordeten dringt als der Keim der dramatiſchen Pflanze herauf, immer reicher entfalten ſich Szenen und Cha- raktere bis zur Darſtellung des Schauſpiels im Schauſpiel,

welche Epoche man ganz eigentlich die Blütenzeit des Stücks nennen darf. Wirklich, wie in der Blüte die Idee der geſamten Pflanze ſich wiederholt und wie, wenn die Blüte ſich entwickelt hat, das Abſterben der Pflanze oder mindeſtens der zur Blüte gehörigen Pflanzenteile notwendig und unmittelbar erfolgen muß, fo auch hier. Das von Hamlet veranſtaltete Schauſpiel führt noch einmal den grimmigen Mord, welchen wir das Samen⸗ korn des Stücks genannt haben, herauf; ganz ſo wiederholt und erzeugt in der Blüte ſich wieder das Samenkorn, aus welchem die ganze Pflanze hervorging. Der Geiſt des Ermordeten ſchrei⸗ tet, wie am Beginn des Stücks nach dem wirklichen Mord, ſo hier nach dem künſtlich widergeſpiegelten, über die Bühne, und

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nun erſt ift alles klar und erkannt, damit aber auch gerichtet und unrettbar einer frühern oder ſpätern Vergeltung und Voll⸗ ſtreckung anheimgegeben. Die aufſprühende Kraft des höchſten Blütenlebens verkörpert ſich hier im Hamlet; feurig, ſcharf und entſchieden tritt er ſelbſt als Richter ſeiner Mutter hervor, und nirgends erſcheint er wie auf dieſer Stelle in ſolcher Macht und Entſchloſſenheit. Nicht wie gewöhnlich, ‚von des Gedankens Bläſſe angekränkelt', verliert er ſich in Worten, ſondern er redet, wie er felbft ſagt, Dolche, und fein Benehmen ift ‚voll Mark und Nachdruck. Sogleich aber und ganz fo, wie die Blume ſchon bei ihrem vollen erſten Erſchließen auch gewiſſe Hüllen (ſo etwa der Mohn die Kelchſchuppen) abſtößt, fällt auch in dieſer Szene das erfte abgelebte Blatt der dramatiſchen Blüte der Polonius. Ihm folgt bald nach das zarteſte Blumenblatt Ophelia - ſo fallen wirklich bei faſt allen Blüten die Blumenblätter vor den Staubfäden -, bis denn endlich auch die wichtigſten innern Teile der dramatiſchen Blüte, die erſten handelnden Perſonen,

Fragt man nun endlich, inwiefern ein ſolcher Vergleich nützen könne, und frage ich mich ſelbſt, warum er mir beim Überhören des Stücks ſo ganz ungeſucht gekommen ſei, ſo muß ich nur aus⸗ ſprechen, daß es deshalb ſei, weil er mir aufs neue bewährt, daß das organiſche Bildungsprinzip, welches in der Schöpfung or- ganiſcher Naturen durch den Weltgeiſt herrſcht, ewig kein ande⸗ res ſein könne als das, was auch in den Schöpfungen echter poetiſcher Werke durch den menſchlichen Genius ſich bewährt, und immer werden wir uns daher gefördert finden, wenn wir auch in dem Kunſtwerke wie im Natuxwerke das Geſetz ſeiner Bildung uns möglichft deutlich vergegenwärtigen können. Hat doch das Beſtreben, ein ſolches Entwicklungsgeſetz genauer zu erkennen und immer lebendiger in mich aufzunehmen, ſeit lan⸗ gem ein weſentliches Ziel meiner Beſtrebungen ausgemacht, und muß ich es doch eben darum mit Freude erfaſſen, wenn auch im Kunſtwerk ein ſolches Geſetz mir mehr und mehr vernehm⸗ bar geworden iſt.

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€8 wird vielleicht dem Lefer nicht unintereffant fein, wenn er mit der hier gegebenen Betrachtung des ‚Hamlet‘ die Worte vergleichen will, welche Tieck einſt über dasſelbe Stück bei Gelegenheit meines Aufſatzes über den „Lear“ mitgeteilt hat. Tieck hält ſich dort beſonders an den retardierenden Charakter des ganzen Stücks, fo wie ich beim „Lear“ gezeigt hatte, daß da alles auf Übereilung beruhe. Gewiß, die Stücke Shake⸗ ſpeares eignen ſich ganz beſonders dazu, ſie von dieſem orga⸗ niſchen Standpunkt aus zu betrachten. Und ſo habe ich denn ſchon früher auch nicht umhin gekonnt, bei dem ‚Macbeth‘ zu⸗

weilen an den eigentlichen Gang einer Krankheitsentwicklung

zu denken. Iſt es nicht, als ob man dort die Einimpfung eines Peſtgiftes vor ſich hätte? Der zweideutige Ruf der Schickſals— weiber fällt in die brütende Seele des Kriegers wie ein eiter—

machendes Gift in den von Säften ſtrotzenden Organismus;

gleich darauf entſteht die Gärung im Gemüt wie die Entzün- dung auf die Einimpfung, die Gärung erzeugt die Unglückstat, wie die Entzündung die Eiterbeule hervorruft, und von da an gießt ſich nun das Fieber durch alle kurz zuvor noch ſo geſunden Säfte, immer weiter raſet die Krankheit, bis in Wahnſinn und Tod alles endigt. Ein trauriges Bild eines unzulänglichen, einer ſchweren Verſuchung leicht erliegenden Geiſtes.

Aus Carl Guſtav Carus: Gedanken über große Kunſt. Inſel⸗Bücherei Nr. 96

* Friedrich Georg Jünger / Die Pfauen

Plötzlich durchdringen Den lautloſen Garten Scharf wie Metalle Die mittagsharten Schreie der Pfauen.

Hervor aus den Büſchen Seh ich ſie ſchreiten,

Seh ich ſie nicken,

Mit ſtolzen Tritten

Sich ſpreizen und breiten.

*

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Sie kommen mit Schleppen, Kommen mit Schleiern. Sie neigen ſich, kreiſen, Sie fegen die Erde Mit blauen Leiern.

Wie Herolde find fie. Es iſt, als ob ſie

Das Grüne entzünden, Der fremden Götter Ankunft verkünden:

Indra, Indrani

Und Wiſchnu in Fiſchform Und Prajapati,

Die ſchöne Parwati

Des Himalaja.

Der Götter Maja

Erfüllt den Garten

Mit hellem Scheine, Belebt die Waſſer, Durchdringt die Steine.

Mich faßt ein Lachen, Da unaufhörlich

Sie Blendwerk fügen Und im Verwandeln Das Auge trügen.

Sie nahn, verſchwinden Und geben Zeichen. Doch was ſie verbergen, Iſt nicht zu finden, Nicht zu erreichen.

Bald groß, bald winzig Sind mir die Dinge, Die glänzenden, glatten. Im hellſten Lichte Stehn rote Schatten.

Es gleißt und flimmert Der heiße Garten.

Im dunkelblauen Prachtkleid der Pfauen Sind tauſend Augen.

Im Lichte bäumt ſich Starr wie ein Fächer Der Pfau zum Tanze. Was er an Schmuck hat, Dreht ſich zum Kranze.

Er ſchlägt ſein Rad auf Und bringt die ſtarken Federn zum Schwirren, Daß ſie wie Stäbe Von Gittern erklirren.

Über der grauen,

Der unſcheinbaren Gefährtin ſchwebt er. Den Schweif, den blauen, Dreht er und hebt er.

Er ſtellt zur Schau ihr Seines Geſchlechtes Kronen und Kränze, Treibt wie ein Krieger Die ſchönen Tänze.

Die Luſt durchdringt mich, Gleich ihm im Tanze Mich hoch zu ſchwingen, Die nackten Frauen

Feſt zu umſchlingen.

Ich höre die Götter

Im Ather lachen,

Diademe und Spangen. Es ſchüttelt, es ſchwingt ſich Der König der Schlangen.

Die Kobra⸗Hauben Heben im Licht fie, Blähen im Wind ſie, Auf Pfauen und Tigern Reiten geſchwind ſie,

Indra, Indrani

Und Wiſchnu in Fiſchform Und Prajapati,

Die ſchöne Parwati

Des Himalaja.

*

Johannes Mon / Das Kugelſpiel

Im letzten Sommer mußte ich einmal die Nacht hindurch in der Eiſenbahn fahren. Ich ſuchte mich wach zu halten, denn ich ſaß in der Mitte der Bank und hatte ſtatt eines erquickenden Schlafes jenen quälenden Zuſtand fortgeſetzten Einnickens und Auf⸗ wachens zu erwarten. Ich ſchaute in die Landſchaft hinaus. Dann, als es ganz dunkel geworden war, nahm ich cin Buch vor. Schließlich kam ich mit dem mir gegenüber ſitzenden Men⸗ ſchen ins Geſpräch. Er ſagte, auch er ſuche den Schlaf zu ver⸗ treiben; man müſſe dabei auf der Hut ſein; denn ſchon ein ein⸗ maliges, kurzes Nachgeben verwirre die Sinne und mache für die übrige Nacht jede Beſchäftigung unmöglich. Wir kamen bald auf ferner liegende Dinge. Inzwiſchen hatten die Fahrtgenoſſen das Licht ausgedreht, und wir ſaßen im Dunkeln. Hie und da, wenn wir an größeren Bahnhöfen vorbeifuhren, erhellte ſich der Raum. Der matte Schein der hoch über unſerem Wagen ſchwebenden Bogenlampen, dazu das Rattern der Räder über die Weichen erinnerte mich plötzlich an eine lange Reiſe, die ich in meiner früheſten Kindheit mitgemacht hatte: Unſere alte Kinderfrau ſaß am Fenſter, den blauen Frühſtückskorb auf dem Schoß, neben ſich meinen Bruder, der ſie zum Erzählen ermun⸗ terte; der Schein der Bahnhofsampeln fuhr in gleichmäßigen Abſtänden über ſie hinweg.

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Ich erzählte es dem anderen. Er fagte: „Auch ich erlebe es an mir, daß Gefühle und Stimmungen viele Jahre hindurch die Geſtalt nicht verlieren, in der ſie zum erſten Male auftauchten, und daß ſie immer wieder Bruchſtücke aus alter Zeit ins Be⸗ wußtſein bringen: Vor einigen Wochen iſt mir ein Ereignis aus meinem dritten Lebensjahr in ſolcher Weiſe, freilich durch einen noch viel ſeltſameren Anlaß, ins Gedächtnis zurückgekommen. Mein älterer Bruder hatte zu Weihnachten ein neues Spiele zeug bekommen. Heute ſieht man es ſelten. Es war ein höl— zerner Becher, an deſſen Fuß eine Schnur hing mit einer dicken Kugel an ihrem Ende. Mein Bruder ſchwang den Becher hin . und her, riß dabei die Kugel in die Höhe und ſuchte ſie mit der ihr knapp angepaßten Schale aufzufangen. Das brachte in mein ſtilles Leben immer wieder Augenblicke des Schreckens, in denen ich atemlos den Lauf der Kugel verfolgte, in der Angft, fie könnte an dem Becherrand vorbeiſtürzen, was mir als etwas Furchtbares erſchien. Dann klatſchte der Ball in der Schale auf, und es war alles wie zuvor. Nur ein Gefühl der Benommen— heit und Verwunderung blieb zurück.

Als in dieſem Frühjahr mein friedlicher Lebenslauf durch ein paar flüchtige Worte unverſehens einer hoffnungsloſen Zukunft entgegenzueilen ſchien und gleich darauf wieder in feiner ge- wohnten Bahn ging, als fei nichts geſchehen, kam das alte Gee fühl der Benommenheit und des Staunens in mir hoch und brachte die Kugel und den Holzbecher in mein Gedächtnis zu— rück.

Ich bat ihn, wenn es ihm nicht ſchwer falle, mir davon zu er⸗ zählen. Er ſagte: „Wenn ich Ihnen das erzählen ſoll, ſo muß ich vieles erzählen; denn um die Gefahr zu verſtehen, die mir drohte, müſſen Sie wiſſen, was mir mein bisheriges Leben be⸗ deutete und wie ſtill und friedlich es war.“ Ich ſagte, er ſolle nur anfangen, es würde mir nicht zu lange werden. Er ſchaute zu den Schläfern in den Ecken hin und fing mit leiſerer Stimme zu ſprechen an:

„Ich bin Lehrer an einer Dorfſchule. Es iſt mein erſter Poſten, in einem abgelegenen Tal in den Oſtalpen, eine Tagereiſe von meiner Heimatſtadt entfernt. Aber er iſt mir durch beſondere

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Umſtände ans Herz gewachſen: Als ich die Lehrerprüfung ab- legte, ſtarb mein Vater und ließ meine Mutter mit zwei kleinen Geſchwiſtern ſo arm zurück, daß ſie nun alle von mir abhingen. Meine Bewerbungen um eine Stelle blieben lange erfolglos. Denn ich war mit vielen anderen zugleich fertig geworden. Zu⸗ dem beſaß ich keine guten Zeugniſſe, weil unſere reichlichen Mittel zu Lebzeiten meines Vaters mich verlockt hatten, meinen Lerneifer zur Erlangung einer allgemeineren Bildung zu ver⸗ wenden. In der Wartezeit ſchmolz unſer Geldvorrat zuſammen. Schließlich gab ich ſchweren Herzens die Hoffnung auf und nahm eine laufend bezahlte Arbeit an; es war ein Vertreter⸗ poſten in unſerer Stadt, ich mußte von Wohnung zu Wohnung gehen und ein neuartiges Gerät für den Haushalt feilbieten. Ein halbes Jahr darauf erhielt ich meine jetzige Stelle, den Hilfslehrerpoſten in Brandberg, zugewieſen.

Es würde zu weit führen, Ihnen mehr als nur andeutungs⸗ weiſe von Brandberg zu erzählen. Ich habe in den letzten Jah⸗ ren in meinen freien Stunden zu ſchreiben begonnen und werde ſpäter einmal, wenn ich Muße dazu finde, verſuchen, unſer Leben dort ausführlich zu ſchildern und damit ein wenig meine Dankbarkeit und meine Liebe zu dem Orte zu beweiſen.

Es ſind nun fünf Jahre her, ſeit ich mit meiner Mutter und den Geſchwiſtern nach Brandberg überſiedelte. Ich befand mich da⸗ mals in der glücklichſten Stimmung, ja ich war mir meines Glückes in einer faſt ſchmerzlichen Weiſe bewußt und wurde auch ſpäter ein leiſes Schwindelgefühl nicht los, denn ich wußte, daß jeder unrechte Tritt, jedes Schwanken mich von dem ſchma⸗ len Steg, auf dem ich mit den Meinen vorwärts ging, wieder herunterſtürzen konnte.

Wir bekamen ein leerſtehendes Bauernhaus zugewieſen, deſſen Felder von einem Nachbarn mitbewirtſchaftet wurden. Im oberen Stockwerk waren drei Kammern. In die eine zog ich mit mei⸗ nem kleinen Bruder, in die andere meine Mutter mit der Schweſter, in der dritten wohnte die Magd. Unten hatten wir eine große Stube, die von der Küche aus geheizt wurde. Hinter der Küchenwand ſtampfte und ſchnaubte das Vieh des Nach⸗ barn. Vor der Haustür war meiner Mutter ein kleiner, hoch⸗

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umzäunter Garten überlaffen, in dem fie mit den Kindern viel arbeitete. Der Hof lag außerhalb des Dorfes, und ich hatte jeden Morgen mit meinen Geſchwiſtern, die ich nun mitunter⸗ richtete, eine halbe Stunde bis zum Schulhaus zu gehen, erſt durch den Wald ins Tal hinunter, dann durch Felder und Wieſen.

Die erſten vier Jahre war ich allein und mußte acht Jahrgänge miteinander unterrichten. Da auf dieſe Weiſe die geſamte Dorf— jugend in meiner Schulſtube ſaß, war ich ſchnell in der Gegend bekannt, wurde auf meinen Spaziergängen von allen Seiten angeſprochen und in die Häuſer gebeten. Auch mußte ich häufig bei Streitigkeiten als Vermittler, bei Schwierigkeiten mit den Amtern als Ratgeber und Briefſteller aushelfen. So kamen bald viele Menſchen zu uns. Nicht nur meine eigenen Beſucher, meift ſprangen cin paar Kinder ums Haus, welche die Geſchwi⸗ ſter aus dem Dorfe mitgebracht hatten.

Wohl nahm mir das alles viel Zeit und Sammlung, andern» teils half es, zugleich mit meiner Freude an der Zufrieden» heit und Kräftigung der Meinen, die Schwierigkeiten ertragen, welche die übergroße Arbeit und ein äußerſt knappes Gehalt be» reiteten. Als mir vor Jahresfriſt das Gehalt erhöht und bald darauf ein Hauptlehrer eingeſetzt wurde, der die vier oberen Jahrgänge übernahm, ſchien auch mein letzter, größter Wunſch erfüllbar zu ſein, ein Mädchen aus unſerer Stadt, mit dem ich von Kind auf heimlich verſprochen war, zur Frau zu nehmen.“ Nun hielt der Zug. Der Lärm und das grelle Licht ließen mei⸗ nen Begleiter verſtummen. Ich ſah, daß zwei von unſeren Fahrt⸗ genoſſen nicht ſchliefen, ſondern aufmerkſam zuhörten; aber ich behielt es für mich, denn ich wollte den Erzähler nicht ſtören. Als wir den Bahnhof verlaſſen hatten, fuhr er fort: „Eines Abends nun, im vergangenen Winter, als ich aus dem Schul⸗ haus trat, kam der Hauptlehrer ein junger, unverheirateter Mann wie ih an die Türe und bat mich, ihn in feine Woh⸗ nung zu begleiten. Da meine Mutter zu Hauſe mit dem Eſſen wartete und er auf der entgegengeſetzten Seite des Dorfes wohnte, lehnte ich ab. Doch er ſagte, ich täte ihm damit einen Gefallen, er habe etwas auf dem Herzen, was er erklären wolle.

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So gab ich nach und ſchickte den Bruder und die Schmeiter voraus. Auf dem Wege ſchwieg er. Als wir zu ihm ins Haus kamen, fing er an, von gleichgültigen Dingen zu reden. Ich hatte das Zimmer ſeit dem Tage ſeiner Ankunft nicht geſehen denn wir waren nicht vertraut geworden und bemerkte auf dem Tiſch das Bild eines mir unbekannten jungen Mädchens. Davor lag eine Piſtole. Während wir ſprachen, ergriff er ſie und begann damit zu ſpielen. Erſt ließ er ſie von der einen Hand in die andere fallen, dann zielte er im Zimmer umher, auf die Uhr, das Bild, auf mich, ſchließlich auf die eigene Bruſt. Mein Warnungsruf kam zu ſpät. Schon krachte der Schuß. Ich ſprang vor, um den Lehrer aufzufangen, doch er blieb aufrecht ſtehen. Mit einem Male wurde er blaß und verlangte zu trin⸗ ken. Ich legte ihn auf das Bett, gab ihm Waſſer und ſchickte nach dem Arzt. Als ich ihm ſeinen Leichtſinn vorwarf, ſagte er ſchwer atmend: ‚Es iſt mir Ernſt geweſen. Während der ärzt⸗ lichen Unterſuchung war ich nicht zugegen, denn ich mußte Ver⸗ bandzeug holen und das Krankenauto aus der nächſten Stadt beſtellen. Als ich zurückkam, erklärte der Arzt, die Kugel ſei dicht am Herzen vorbeigegangen, der Verunglückte befinde ſich außer Lebensgefahr. Nun ging ich nach Hauſe und erzählte meiner Mutter den Vorfall. Wir waren beide voller Mitleid, aber ruhig.

Jetzt komme ich endlich zu dem Erlebnis, um deſſentwillen ich Ihnen dieſe Geſchichte erzähle: Zwei Tage nach dem Unglück gab mir ein ſchulfreier Nachmittag die Möglichkeit, den Haupt⸗ lehrer in der Stadt zu beſuchen. Er lag mit drei anderen Kran⸗ ken in einem Zimmer und hatte ſeine Eltern und zwei Schwe⸗ ſtern bei ſich. Sie ſaßen ſchweigend um das Bett und begrüßten mich kaum. Nur der Vater ſtand auf, nahm mich beiſeite und ſagte: „Ich glaube, mein Sohn wird alles auf ſich nehmen.“ Mir war das nicht verſtändlich, aber ich glaubte, es hinge mit der Vorgeſchichte des Unglücks zuſammen, und wandte mich dem Kranken zu. Die Familie rückte nicht auf die Seite, und ich mußte über ihre Köpfe hinweg mit ihm ſprechen. Auf die Frage nach ſeinem Befinden antwortete er, es ginge beſſer, doch habe er von Zeit zu Zeit ſtarke Schmerzen. Dann ſchwieg er. Ich

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Adalbert Stifter Olgemälde von Bartholomäus Szekelpi

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ſagte, in der Schule fet alles geregelt und für vier Wochen ein Erſatzlehrer angefordert. Da er nicht antwortete und eine be⸗ klemmende Stille herrſchte, nahm ich Abſchied. Die Mutter ging bis an die Türe mit und ſagte leiſe: „Ich bin erſtaunt, daß Sie meinem Sohn kein einziges Wort der Reue und Abbitte geſagt haben.“ Ich ſchaute in ihr ſtrenges Geſicht, und auf einmal ver⸗ ſtand ich ihre Worte und auch die des Vaters: Sie hielten mich für den Mörder.

Ich hätte nun reden ſollen, aber in mir war eine ſolche Vere wirrung, daß ich davonging, um mit meinen Gedanken allein zu ſein. Von meiner Heimreiſe weiß ich nichts mehr, denn Ver— wunderung, Sorge um die Meinen und Entrüſtung hielten mich ununterbrochen gefangen. Wie kam der Hauptlehrer dazu, mich zu bezichtigen? Was würde jetzt geſchehen? Wie ſollte ich mich wehren?

Als ich in Brandberg ankam, war es Nacht. Doch ich begab mich gleich zu dem Hauſe des Arztes. Vielleicht hatte er, der einzige Menſch, der bald nach dem Unglück hinzugekommen war, von dem Hauptlehrer noch die Wahrheit gehört! Ich traf ihn ſchon zu Bett und mußte ihn wecken. Er ſagte, er wiſſe die Umſtände der Tat nur von mir; er habe von dem anderen trotz wieder⸗ holter Fragen keine Antwort erhalten. Ich ging nun wieder auf die Straße, ſperrte das Schulhaus auf und fing an, die Hefte für den nächſten Morgen durchzuſehen. Doch nach kurzer Zeit ließ ich die Arbeit liegen, lief hinaus und wanderte zwiſchen den Feldern auf und ab. Schließlich machte ich mich auf den Heim⸗ weg.

Im Lichtſchein unſeres Hauseingangs erblickte ich meine Mut⸗ ter. Neben ihr ſtand zu meiner Verwunderung der Arzt. Er erklärte mir, ein Krankenbeſuch führe ihn zufällig vorbei. Als meine Mutter uns nach einer Weile allein ließ, ſagte er: „Ich bin Ihnen nachgegangen. Was Sie mir vorhin erzählten, will mir nicht aus dem Kopf, und ich möchte Sie warnen. Ihre Lage iſt ernſt. Da der Hauptlehrer Sie nun einmal bezichtigt hat, wird er es ſchwerlich zurücknehmen, und ſeine Eltern, die in Ihnen einen böſen und verſtockten Menſchen zu ſehen glauben, werden es nicht für ſich behalten. Sie haben aber für Ihre Unſchuld

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keine Zeugen! Das Günſtigſte, was Sie vor Gericht erwartet, iſt ein Freiſpruch mangels Beweiſen, und das allein genügt, um Ihre Stellung als Lehrer zu vernichten.‘ Der Arzt hielt inne, er ſchien auf eine Antwort zu warten. Doch ich konnte nicht ſprechen. Er drückte mir nun zum Abſchied die Hand und fügte hinzu: „Bereiten Sie Ihre Mutter noch heute vor; morgen früh iſt es dazu vielleicht ſchon zu ſpät.“

Als der Arzt mich verlaſſen hatte, befand ich mich in einem Zu— ſtand, den ich nicht vergeſſen werde. Es war bedrängender als alles, was ich in der Kindheit und als junger Menſch erlebt hatte, weil die Anweſenheit der Geſchwiſter und meine Lehrer⸗ pflichten mich zwangen, das gewöhnliche Leben weiter zu führen. Ich ging ins Haus, ſetzte mich zu der Mutter in die Stube und erzählte ihr, was geſchehen war. Dann ſtieg ich in die Kammer hinauf. Während ich mich zwang, ruhig im Bett zu liegen, um meinen kleinen Bruder nicht zu wecken, gingen die Gedanken mit furchtbarer Eile und Wildheit durch mich hindurch. Kam ich hin und wieder zu mir, dann hörte ich das ſorgloſe Atmen des ſchlafenden Bruders, und alles fing von neuem an. Um fünf Uhr ſtand ich auf und arbeitete in der Stube für den Unterricht. Um ſechs Uhr hörte ich wie immer meine Mutter im Hauſe hin und her gehen und das Anzündholz im Herde knallen und kniſtern. Dann kamen die Geſchwiſter herunter. Um ſieben Uhr machten wir uns auf den Weg. Die Hand der kleinen Schwe⸗ ſter, die wie immer die meine feſthielt, brannte mich wie Feuer. Als wir die Dorfſtraße erreichten und zwiſchen den Höfen hin⸗ durchgingen, grüßten die Bewohner herüber oder riefen uns etwas Freundliches zu. Ich dachte mir: ‚Wie lange werden ſie das noch tun?‘ Als ich das Schulzimmer betrat, ſahen die Schü- ler mich voll Erwartung und Zutrauen an. Aber ich wußte, daß ſie binnen kurzem an mir irre werden und mich für einen böſen und falſchen Menſchen halten würden. Es war mir dabei nicht um mich ſelbſt zu tun, ſondern ich dachte an die argloſen Brand- berger Kinder, deren Vertrauen in mich und in das Gute und Wahre, das ich ihnen zu lehren verſucht hatte, in Mißtrauen und Furcht verwandelt werden ſollte. Während ich ſprach, hörte ich auf die Tritte draußen im Flur. Näherten ſie ſich der Türe,

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dann hielt ich den Atem an. Gegen Mittag glaubte ich die Un⸗ gewißheit nicht mehr ertragen zu können. Ich beſchloß, den Hauptlehrer zur Rede zu ſtellen, und ging, als die Schule zu Ende war, nicht nach Hauſe, ſondern machte mich wieder in die Stadt auf.

Als ich vor der Türe des Kranken anlangte, blieb ich eine Weile ſtehen und überlegte, was ich ſagen ſollte. Dann nahm ich alle Kraft zuſammen und trat in das Zimmer.

Der Hauptlehrer war allein. Er winkte mich an fein Bett her- an, griff nach meiner Hand und ſprach: Ich habe geſtern alles gehört, was meine Eltern zu Ihnen ſagten, und weiß, warum Sie kommen. Können Sie mir verzeihen? Können Sie mir je⸗ mals verzeihen? Hören Sie mich an! Ein Mädchen aus meiner Heimat, das ich liebe, iſt mir untreu geworden und liebt einen anderen. Ich hörte es vor einer Woche und wollte mich um— bringen. Aber als ich abends in mein einſames Zimmer kam, hatte ich nicht die Kraft dazu. Ich glaubte, es würde mir leichter fallen, wenn ich einen Menſchen bei mir hätte, und bat Sie zwei Tage darauf, zu mir ins Haus zu kommen. Was dort geſchah, wiſſen Sie. Als ich nach dem Unglück in die Stadt gebracht wurde, fand ich meine Familie vor. Ich wollte alles erzählen; aber die Verzweiflung über die mißlungene Tat und der kör⸗ perliche Schmerz nahmen mir den Mut, meinen alten Eltern die Wahrheit zu ſagen, und ich ſchwieg. Meine Mutter, die mich für den edelſten und beſten Menſchen hält und mir das, was wirk⸗ lich geſchehen war, nicht zutraute, glaubte, ich wolle damit einen anderen decken. Sie ſagte: ‚Ich kenne dich! Du ſchweigſt, um den Hilfslehrer zu ſchonen!“ Und dann wieder: „‚Geſtehe es nur ein! Er gönnte dir die Stelle nicht! Er hat auf dich geſchoſſen!“ Ich war zu feig, um zu widerſprechen, und trieb ſie dadurch immer weiter in dieſe Gedanken hinein. Es waren die erbärm⸗ lichſten Stunden meines Lebens. Aber heute ſind mir die Kräfte wiedergekommen. Ich habe alles erklärt, und die Meinen bren⸗ nen darauf, Sie zu ſehen und Ihnen Abbitte zu leiften.‘

Als der Hauptlehrer geendet hatte und als mir nun auf einmal alles, was die Nacht und den Morgen über geweſen war, hin⸗ wegſchwand, da kam das alte Gefühl der Benommenheit und

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des Staunens aus der Kindheit in mir hoch. Es war mir, als hörte ich die Kugel in dem Becher aufſchlagen.“ Der Erzähler verſtummte. Inzwiſchen war es in unſerem Wagen etwas heller geworden. Die vierte Stunde nach Mitternacht hatte eben begonnen, und ſchon kündigte ein rötlicher Schim⸗ mer über der Ebene die Sonne an. Ich dachte darüber nach, was meinen Fahrtgenoſſen wohl während der Schulzeit auf eine ſo weite Reiſe geführt habe, und fürchtete im ſtillen, die Gefahr ſei vielleicht noch nicht vorbei. Ich fragte ihn: „Iſt nun auch alles genau jo wie zuvor? So wie beim Kugelfpiel?” Er ſagte: „Nein. Eines iſt anders geworden: Ich habe Vertrauen zur Zu⸗ kunft gefaßt und fahre heute in meine Vaterſtadt, um mir das Mädchen, von dem ich Ihnen erzählte, zur Frau zu nehmen.“ Wir lehnten uns zurück und ſchwiegen. Nach einer Weile tauch⸗ ten Lichter auf, und wir hielten in einer großen Stadt. Mein Fahrtgenoſſe erhob ſich und ſagte, er ſei am Ziel. Er nahm Ab⸗ ſchied von mir und verließ den Zug.

Aus Johannes Mop: Das Kugelſpiel. Erzählungen

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Karl von Clauſewitz / Vom Kriege

Einfluß des politiſchen Zwecks auf das kriegeriſche Ziel

Niemals wird man ſehen, daß ein Staat, der in der Sache eines andern auftritt, dieſe ſo ernſthaft nimmt wie ſeine eigene. Eine mäßige Hilfsarmee wird abgefandt; iſt fie nicht glücklich, fo ſieht man die Sache ziemlich als abgemacht an und ſucht ſo wohlfeil als möglich herauszukommen.

Es iſt in der europäiſchen Politik hergebracht, daß die Staaten ſich in Schutz⸗ und Trutzbündniſſen zu gegenſeitigem Beiſtand verpflichten, aber nicht ſo, als wenn der eine das Intereſſe und die Feindſchaft des andern teilen ſollte, ſondern indem ſie ſich einander ohne Rückſicht auf den Gegenſtand des Krieges und

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die Anſtrengungen des Gegners im voraus eine beftimmte, gee wöhnlich ſehr mäßige Kriegsmacht zuſagen. Bei einem ſolchen Akt der Bundesgenoſſenſchaft betrachtet ſich der Bundesgenoſſe mit dem Gegner nicht in einem eigentlichen Kriege begriffen, der notwendig mit einer Kriegserklärung anfangen und mit einem Friedensſchluß endigen müßte. Aber auch dieſer Begriff beſteht nirgends mit einiger Schärfe, und der Gebrauch ſchwankt hin und her.

Die Sache würde eine Art von innerem Zuſammenhang haben und die Theorie des Krieges dabei weniger in Verlegenheit kommen, wenn dieſe zugeſagte Hilfe von 10000, 20000 oder 30000 Mann dem im Kriege begriffenen Staate völlig über- laſſen würde, ſo daß er ſie nach ſeinem Bedürfnis brauchen könnte; alsdann wäre fie wie eine gemietete Truppe zu be— trachten. Allein davon iſt der Gebrauch weit entfernt. Gewöhn— lich haben die Hilfstruppen ihren eigenen Feldherrn, der nur von ſeinem Hofe abhängt und dem dieſer ein Ziel ſteckt, wie es ſich mit der Halbheit ſeiner Abſichten am beſten verträgt.

Aber ſelbſt dann, wenn zwei Staaten wirklich gegen einen drit- ten Krieg führen, fo betrachten fie dieſen doch nicht immer gleich mäßig als einen Feind, welchen ſie vernichten müſſen, damit er ſie nicht vernichte, ſondern die Angelegenheit wird oft wie ein Handelsgeſchäft abgemacht; ein jeder legt nach Verhältnis der Gefahr, die er zu beſtehen, und der Vorteile, die er zu erwarten hat, eine Aktie von 30000 bis 40000 Mann ein und tut, als könne er nichts als dieſe dabei verlieren.

Dieſer Geſichtspunkt findet nicht bloß dann ſtatt, wenn ein Staat dem andern in einer Angelegenheit beiſpringt, die ihm ziemlich fremd iſt; ſondern ſelbſt dann, wenn beide ein gemeinſames gro⸗ ßes Intereſſe haben, kann es ohne diplomatiſchen Rückhalt nicht abgehen, und die Unterhandelnden pflegen ſich nur zu einem geringen traktatenmäßigen Beiſtand zu verſtehen, um ihre übri⸗ gen kriegeriſchen Kräfte nach den beſonderen Rückſichten zu ge⸗ brauchen, zu welchen die Politik etwa führen könnte.

Dieſe Art, den Bündniskrieg zu betrachten, war ganz allgemein und hat nur in der neueſten Zeit, wo die äußerſte Gefahr die Gemüter in die natürlichen Wege hineintrieb (wie gegen Bo⸗

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naparte) und wo ſchrankenloſe Gewalt fie hineinzwang (wie unter Bonaparte), der natürlichen weichen müſſen. Sie war eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und Friede ſind im Grunde Begriffe, die keiner Gradation fähig find; aber nichts⸗ deſtoweniger war ſie kein bloßes diplomatiſches Herkommen, über welches ſich die Vernunft hinwegſetzen konnte, ſondern tief in der natürlichen Beſchränktheit und Schwäche des Menſchen begründet.

Endlich hat auch im allein geführten Kriege die politiſche Veran⸗ laſſung desſelben einen mächtigen Einfluß auf ſeine Führung. Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, ſo begnügen wir uns, durch den Krieg nur ein geringes Äquivalent zu ge⸗ winnen, und dazu glauben wir mit mäßigen Anſtrengungen ge⸗ langen zu können. Ungefähr ebenſo ſchließt der Gegner. Findet nun der eine oder der andere, daß er ſich in ſeiner Rechnung geirrt hat, daß er dem Feinde nicht, wie er gewollt, um etwas überlegen, ſondern daß er vielmehr ſchwächer iſt, ſo fehlt es doch in dem Augenblick gewöhnlich an Geld und allen andern Mitteln, es fehlt an hinreichendem moraliſchem Anſtoß zu grö⸗ ßerer Energie; man behilft ſich alſo, wie man kann, hofft von der Zukunft günſtige Ereigniſſe, wenn man auch gar kein Recht dazu hat, und der Krieg ſchleppt ſich unterdeſſen wie ein ſiecher Körper kraftlos fort.

So geſchieht es, daß die Wechſelwirkung, das Überbieten, das Gewaltſame und Unaufhaltſame des Krieges ſich in der Sta⸗ gnation ſchwacher Motive verlieren und daß beide Parteien ſich in ſehr verkleinerten Kreiſen mit einer Art von Sicherheit be⸗ wegen.

Läßt man dieſen Einfluß des politiſchen Zwecks auf den Krieg einmal zu, wie man ihn denn zulaſſen muß, ſo gibt es keine Grenze mehr, und man muß ſich gefallen laſſen, auch zu ſolchen Kriegen herunterzuſteigen, die in bloßer Bedrohung des Geg⸗ ners und in Unterhandeln beſtehen.

Daß ſich die Theorie des Krieges, wenn ſie eine philoſophiſche Überlegung fein und bleiben will, hier in Verlegenheit befindet, iſt klar. Alles, was in dem Begriff des Krieges Notwendiges liegt, ſcheint vor ihr zu fliehen, und fie iſt in Gefahr, jedes Stütz⸗

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punktes zu entbehren. Aber es zeigt ſich bald der natürliche Ausweg. Je mehr ein ermäßigendes Prinzip in den kriegeriſchen Akt kommt, oder vielmehr: je ſchwächer die Motive des Han⸗ delns werden, um ſo mehr geht das Handeln in ein Leiden über, um ſo weniger trägt ſich zu, um ſo weniger bedarf es leitender Grundſätze. Die ganze Kriegskunſt verwandelt ſich in bloße Vorſicht, und dieſe wird hauptſächlich darauf gerichtet ſein, daß das ſchwankende Gleichgewicht nicht plötzlich zu unſerem Nach— teil umſchlage und der halbe Krieg ſich in einen ganzen ver- wandle. ö

Der Krieg iſt ein Inſtrument der Politik

Nachdem wir uns bis jetzt, bei dem Zwieſpalt, in dem die Natur des Krieges mit anderen Intereſſen des einzelnen Menſchen und des geſellſchaftlichen Verbandes ſteht, bald nach der einen, bald nach der andern Seite haben umſehen müſſen, um keines dieſer entgegengeſetzten Elemente zu vernachläſſigen, ein Zwie⸗ ſpalt, der in dem Menſchen ſelbſt begründet iſt und den der philoſophiſche Verſtand alſo nicht löſen kann, wollen wir nun diejenige Einheit ſuchen, zu welcher ſich im praktiſchen Leben dieſe widerſprechenden Elemente verbinden, indem ſie ſich teil⸗ weiſe gegenſeitig neutraliſieren. Wir würden dieſe Einheit gleich von vornherein aufgeſtellt haben, wenn es nicht notwendig ge⸗ weſen wäre, eben jene Widerſprüche recht deutlich hervorzuheben und die verſchiedenen Elemente auch getrennt zu betrachten. Dieſe Einheit nun iſt der Begriff, daß der Krieg nur ein Teil des politiſchen Verkehrs ſei, alſo durchaus nichts Selbſtän⸗ diges.

Man weiß freilich, daß der Krieg nur durch den politiſchen Ver⸗ kehr der Regierungen und der Völker hervorgerufen wird; aber gewöhnlich denkt man ſich die Sache ſo, daß mit ihm jener Ver⸗ kehr aufhöre und ein ganz anderer Zuſtand eintrete, welcher nur ſeinen eigenen Geſetzen unterworfen ſei.

Wir behaupten dagegen: Der Krieg iſt nichts als eine Fort⸗ ſetzung des politiſchen Verkehrs mit Einmiſchung anderer Mit⸗

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tel. Wir jagen: mit Einmiſchung anderer Mittel, um damit zu- gleich zu behaupten, daß dieſer politifche Verkehr durch den Krieg ſelbſt nicht aufhört, nicht in etwas ganz anderes verwandelt wird, ſondern daß er in ſeinem Weſen fortbeſteht, wie auch die Mittel geſtaltet ſein mögen, deren er ſich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegeriſchen Ereigniſſe fortlaufen und an welche ſie gebunden ſind, nur ſeine Lineamente ſind, die ſich zwiſchen den Krieg durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie wäre es anders denkbar? Hören denn je mit den diploma⸗ 'tiſchen Noten die politiſchen Verhältniſſe verſchiedener Völker und Regierungen auf? Iſt nicht der Krieg bloß eine andere Art von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich ſeine eigene Grammatik, aber nicht ſeine eigene Logik.

Hiernach kann der Krieg niemals von dem politiſchen Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung irgendwo geſchieht, werden gewiſſermaßen alle Fäden des Verhältniſſes zerriſſen, und es entſteht ein ſinn⸗ und zweckloſes Ding.

Dieſe Vorſtellungsart würde ſelbſt dann unentbehrlich ſein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene Element der Feindſchaft wäre, denn alle die Gegenſtände, auf welchen er ruht und die ſeine Hauptrichtungen beſtimmen: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderſeitige Bundesgenoſſen, gegenſeitiger Volks⸗ und Regierungscharakter uſw., wie wir ſie im erſten Ka⸗ pitel des erſten Buches aufgezählt haben, ſind ſie nicht politiſcher Natur, und hängen ſie nicht mit dem ganzen politiſchen Verkehr jo genau zuſammen, daß es unmöglich ift, fie davon zu trennen? Aber dieſe Vorſtellungsart wird doppelt unentbehrlich, wenn wir bedenken, daß der wirkliche Krieg kein ſo konſequentes, auf das Nußerſte gerichtetes Beſtreben iſt, wie er feinem Begriff nach ſein ſollte, ſondern ein Halbding, ein Widerſpruch in ſich; daß er als ſolcher nicht ſeinen eigenen Geſetzen folgen kann, ſondern als Teil eines andern Ganzen betrachtet werden muß, und dieſes Ganze iſt die Politik.

Die Politik weicht, indem ſie ſich des Krieges bedient, allen ſtrengen Folgerungen aus, welche aus ſeiner Natur hervorgehen, bekümmert ſich wenig um die endlichen Möglichkeiten und hält ſich nur an die nächſten Wahrſcheinlichkeiten. Kommt dadurch

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Friedrich Schiller

Büſte von Johann Heinrich Dannecker

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viel Ungewißheit in den ganzen Handel, wird er alſo zu einer Art von Spiel, ſo hegt die Politik eines jeden Kabinetts zu ſich das Vertrauen, es dem Gegner in Gewandtheit und Scarf- ſicht bei dieſem Spiel zuvorzutun.

So macht alſo die Politik aus dem alles überwältigenden Ele⸗ ment des Krieges ein bloßes Inſtrument; aus dem furchtbaren Schlachtſchwert, welches mit beiden Händen und ganzer Leibes- kraft aufgehoben ſein will, um damit einmal und nicht mehr zu— zuſchlagen, einen leichten handlichen Degen, der zuweilen ſelbſt zum Rapier wird und mit dem ſie Stöße, Finten und Paraden abwechſeln läßt.

So löſen ſich die Widerſprüche, in welche der Krieg den von Natur furchtſamen Menſchen verwickelt, wenn man dies für eine Löſung gelten laſſen will.

Gehört der Krieg der Politik an, fo wird er ihren Charakter an- nehmen. Sobald ſie großartiger und mächtiger wird, ſo wird es auch der Krieg, und das kann bis zu der Höhe ſteigen, auf wel— cher der Krieg zu ſeiner abſoluten Geſtalt gelangt.

Wir haben alſo bei dieſer Vorſtellungsart nicht nötig, den Krieg in dieſer Geſtalt aus den Augen zu verlieren; vielmehr muß fortwährend ſein Bild im Hintergrunde ſchweben.

Nur durch dieſe Vorſtellungsart wird der Krieg wieder zur Ein« heit, nur mit ihr kann man alle Kriege als Dinge einer Art betrachten, und nur durch ſie wird dem Urteil der rechte und genaue Stand- und Geſichtspunkt gegeben, aus welchem die großen Entwürfe hervorgehen und beurteilt werden ſollen. Freilich dringt das politiſche Element nicht tief in die Einzel⸗ heiten des Krieges hinunter, man ſtellt keine Vedetten und führt keine Patrouille nach politiſchen Rückſichten, aber deſto entſchiedener iſt der Einfluß dieſes Elements bei dem Entwurf zum ganzen Kriege, zum Feldzuge und oft ſelbſt zur Schlacht. Wir haben uns deshalb auch nicht beeilt, dieſen Geſichtspunkt gleich anfangs aufzuſtellen. Bei den einzelnen Gegenſtänden würde es uns wenig genützt, dagegen unſere Aufmerkſamkeit gewiſſermaßen zerſtreut haben; bei dem Kriegs- und Feldzugs⸗ plan iſt er unentbehrlich.

Es iſt überhaupt nichts ſo wichtig im Leben, als genau den

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Standpunkt zu ermitteln, aus welchem die Dinge aufgefaßt und beurteilt werden müſſen, und dann an dieſem feſtzuhalten; denn nur von einem Standpunkte aus können wir die Maſſe der Er⸗ ſcheinungen in ihrer Einheit auffaſſen, und nur die Einheit des Standpunktes kann uns vor Widerſprüchen ſichern.

Wenn alſo auch bei Kriegsentwürfen der zwei⸗ und mehrfache Standpunkt nicht zuläſſig iſt, von dem aus die Dinge angeſehen werden können, jetzt mit dem Auge des Soldaten, jetzt mit dem des Adminiſtrators, jetzt mit dem des Politikers uſw., ſo fragt es ſich nun, ob es denn notwendig die Politik iſt, der ſich alles übrige unterordnen muß.

Daß die Politik alle Intereſſen der inneren Verwaltung, auch die der Menſchlichkeit und was ſonſt der philoſophiſche Verſtand zur Sprache bringen könnte, in ſich vereinigt und ausgleicht, wird vorausgeſetzt, denn die Politik iſt ja nichts an ſich, ſondern ein bloßer Sachwalter aller dieſer Intereſſen gegen andere Staaten. Daß ſie eine falſche Richtung haben, dem Ehrgeiz, dem Privatintereſſe, der Eitelkeit der Regierenden vorzugsweiſe dienen kann, gehört nicht hierher; denn in keinem Fall iſt es die Kriegskunſt, welche als ihr Präzeptor betrachtet werden kann, und wir können hier die Politik nur als Repräſentantin aller Intereſſen der ganzen Geſellſchaft betrachten.

Die Frage bleibt alſo nur, ob bei Kriegsentwürfen der politiſche Standpunkt dem rein militäriſchen (wenn ein ſolcher überhaupt denkbar wäre) weichen, d. h. ganz verſchwinden, oder ſich ihm unterordnen oder ob er der herrſchende bleiben und der militä- riſche ihm untergeordnet werden miiffe.

Daß der politiſche Geſichtspunkt mit dem Beginne des Krieges ganz aufhören ſollte, würde nur denkbar ſein, wenn die Kriege Kämpfe auf Leben und Tod aus bloßer Feindſchaft wären; wie ſie ſind, ſind ſie, wie wir oben gezeigt haben, nichts als Auße⸗ rungen der Politik ſelbſt. Das Unterordnen des politiſchen Ge⸗ ſichtspunktes unter den militäriſchen wäre widerſinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt; ſie iſt die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Inſtrument, und nicht umgekehrt. Es bleibt alſo nur das Unterordnen des militäriſchen Geſichtspunktes unter den politiſchen moglich.

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Denken wir an die Natur des wirklichen Krieges, erinnern wir uns des im dritten Kapitel dieſes Buches Geſagten, daß jeder Krieg vor allen Dingen nach der Wahrſcheinlichkeit ſeines Cha⸗ rakters und ſeiner Hauptumriſſe aufgefaßt werden ſoll, wie ſie ſich aus den politiſchen Größen und Verhältniſſen ergeben, und daß oft, ja wir können in unſern Tagen wohl behaupten, mei⸗ ſtens der Krieg wie ein organiſches Ganzes betrachtet werden muß, von dem ſich die einzelnen Glieder nicht abſondern laſſen, wo alſo jede einzelne Tätigkeit mit dem Ganzen zuſammen— ſtrömen und aus der Idee dieſes Ganzen hervorgehen muß, ſo wird es uns vollkommen gewiß und klar, daß der oberſte Stand» punkt für die Leitung des Krieges, von dem die Hauptlinien ausgehen, kein anderer als der der Politik ſein könne. Von dieſem Standpunkt aus gehen die Entwürfe wie aus einem Guß hervor, das Auffaſſen und Beurteilen wird leichter, natür— licher, die Überzeugung kräftiger, die Motive befriedigender und die Geſchichte verſtändlicher. Von dieſem Standpunkt aus liegt ein Streit zwiſchen den poli- tiſchen und kriegeriſchen Intereſſen wenigſtens nicht mehr in der Natur der Sache und iſt alſo da, wo er eintritt, nur als eine Unvollkommenheit der Einſicht zu betrachten. Daß die Politik an den Krieg Forderungen macht, die er nicht leiſten kann, wäre gegen die Vorausſetzung, daß ſie das Inſtrument kenne, welches ſie gebrauchen will, alſo gegen eine natürliche, ganz unerläß⸗ liche Vorausſetzung. Beurteilt ſie aber den Verlauf der kriege⸗ riſchen Ereigniſſe richtig, ſo iſt es ganz ihre Sache und kann nur die ihrige ſein, zu beſtimmen, welche Ereigniſſe und welche Rich⸗ tung der Begebenheiten dem Ziele des Krieges entſprechen. Mit einem Wort, die Kriegskunſt auf ihrem höchſten Stand⸗ punkte wird zur Politik, aber freilich einer Politik, die ſtatt No⸗ ten zu ſchreiben Schlachten liefert.

Aus Karl von Clauſewitz: Vom Kriege

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Edzard Schaper / Der Henker

Der Roman ſpielt in den baltiſchen Provinzen Rußlands in den Jahren 1905 und 1906,

Die düſtere Glorie ein Nichts war es, ein Raunen, ein Geflüſter, eine Erinnerung, eine Furcht, eine Lüge, aber eine Macht über die Herzen, wie einſt die Schwarze Sotnja eine Macht geweſen war; ein Geſpenſt, für deſſen Nichtſein niemand einſtehen wollte, ein Wahn, der zwiſchen ſeinen Wächtern am hell⸗ lichten Tag hindurchging, eine Finſternis, die die Wachen mit Blindheit ſchlug und die Klugen mit Torheit, allgegen⸗ wärtig und immer bei ihm, den ſie umgab, mit dem ſie wuchs, der ſie auf geheimnisvolle Weiſe am Leben erhielt, ſo, als zehre das Geſpenſt von ſeinem Herzblut in ſeiner Einſamkeit, daß es allgegenwärtig die dämmerigen Kammern betreten könnte, die rauchigen Badſtuben, die qualmenden Riegen, daß es um die Wiegen der Unmündigen ſtehen, am Stroh der Sterbenden ausharren könnte. Und es war, als hätte er hierher kommen müſſen, wo er ſich dieſe düſtere Glorie erworben im dunkelſten Monat des vergangenen Jahres, damit ſie ſich füllen und meh⸗ ren könnte, damit er ihr die abgründige Dichte gäbe mit ſeinem Daſein unter der Sonne dieſes Landes und ſo den Gegenſatz zu anderen Glorien dartäte: dieſen faſt unausdenklichen Gegen⸗ ſatz, nach dem dort, wo auf Bildern von Seligen und Ver⸗ ehrungswürdigen ein Sonnenreif ſtrahlte, bei ihm ein finſteres geballtes Nichts als das Sinnbild ſeiner Unſeligkeit und ſeiner Ferne vom Geliebtſein gähnte. Was ſich vor etlichen Jahren in einem anderen Lande auf einen einzigen Menſchen gehäuft hatte: in Finnland auf ſeinen Gou⸗ verneur Bobrikow, ſchien ſich in dieſem Kirchſpiel mit ſeinen viertauſend Seelen dem Gutsherrn von Droſtenholm anhaf⸗ ten zu wollen, und ſchon gab es Menſchen, denen gewiß war, der Droſtenholmſche Herr würde einmal das Los Bobrikows teilen, der vor noch nicht zwei Jahren von einem, den man einen nordiſchen Tell pries, niedergeſtreckt worden war. Noch fehlte dieſem Kirchſpiel ſein Tell, aber ebenſo gewiß, wie die düſtere Glorie deſſen, von dem man bald überall als von dem „Henker“ ſprach, ihren Schatten in die benachbarten Kirchſpiele,

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in den ganzen Kreis, ja in das Land werfen würde, fo gewiß würde irgendwo auch der aufſtehen, der über den einſtigen Richter ein kurzes Gericht hielt. Wer eigentlich den Namen Henker ausgedacht hatte, wußte niemand. Er war wie mit dem Winterwind gekommen, wie ein Same, der in Kälte und Fin⸗ ſternis reift, und jetzt, da es Frühling wurde, begann er Wurzel zu ſchlagen. Von dem Gutsherrn auf Droſtenholm ohne jede nähere Erklärung als von dem Henker zu ſprechen, galt als ein Zeichen, an dem aufrechte Patrioten und Sozialiſten ſich er— kannten. Und es dauerte nicht lange, da brach der ſchrullige Doktor eine Reihe von alten Beziehungen ſchroff ab, ohne Rüd- ſicht darauf, ob er damit alte Patienten verlor. Er hatte von dieſen Menſchen gehört, was er niemals geglaubt hatte hören zu müſſen: Deutſche, Deutſche im Kirchſpiel hatten der Ein- fachheit halber, wie fie ſich lahm entſchuldigten vom Dro— ſtenholmſchen Herrn als von dem Henker geſprochen. Sein Name wäre ihnen noch nicht ſo geläufig, alle Welt ſagte ja Henker

„Der Henker im Jahre 1905: Nikolai „Graf“ von Ovelader‘, ftand unter einer Poſtkarte mit einem Bild des Droftenholm- ſchen Herrn, die von weiß Gott woher gekommen war und reißenden Abſatz beim Volke fand. Der Verwalter war der erſte, der fie aufſtöberte. Der alte Juhan, fein bewährter Kundſchafter, hatte ſie ihm eines Nachts zugeſteckt. Ein Bild des Gutsherrn, unanzweifelbar: der Herr, der Graf (wie ſehr auch der Aufdruck der Karte, der das Wort Graf in An- führungszeichen ſetzte, an der Echtheit und Rechtmäßigkeit ſei⸗ nes Titels zu zweifeln ſchien), aber auf dieſer Poſtkarte war er doch nur ein finſterer, bleicher, müde ausſehender Verbrecher, von dem eine Polizei ſich drei Bilder hergeſtellt: eins, das ihn von vorn, und zwei andere, die ihn von rechts und links im Profil zeigten. Das düſterſte, auf dem er den Beſchauer ane ftarrte, war ein Rätſel, wie! zur Verbreitung gelangt. Zehn Kopeken koſtete die Karte, ein märchenhaftes Geſchäft! rechnete der Verwalter ſich aus, denn der alte Juhan hatte ihm verſichert, jeder beſäße das Bild, und nicht nur hier auf dem Gut! Solcherart war das Mahnmal, das man dem Henker

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mit der düſteren Glorie errichtete. Das Geſpenſt, das ihm in ſeinen einſamſten Stunden das Herzblut ausſog, trat hinter das allgegenwärtige Bild und lieh ihm Leben.

Das Merkwürdige aber war, daß die Gerüchte, die unter dem Volk im Schwange waren, ſich fortwährend vermehrten. Und nicht nur ſo, wie aus einem Vorfall bald Vorfälle geworden waren, ſondern vermehrt um Einzelheiten, die in irgendwelchen Kleinigkeiten auf die Kenntnis der Wahrheit und der Wirk⸗ lichkeit hindeuteten. Die trübe Quelle, aus der dieſer Redefluß entſprang, lag irgendwo im Bereich des wahren Sachverhalts, und erſt die vielen Windungen, die das Gerede von Schenke zu Schenke und von Hof zu Hof nahm, brachten Abweichungen ins Reich der Schauerphantafie, darin die Gottheit des Pa⸗ triotismus einträchtig neben der des Sozialismus regierte. Wer aber war es, der den wahren Sachverhalt kannte und ihn um eine ſo billige Wirkung veräußerte? Niemand wußte das, ja die wenigſten wußten, daß ſie in hundert Lügen eine Wahrheit berichteten. Sie waren da, im ganzen Umkreis, von irgend⸗ woher, ſo unerklärlich und ſo ſicher, wie die Stimme des Ge⸗ wiſſens in einer Bruſt zu mahnen anfängt, ſo, wie eine Schuld gegen den Schuldigen zeugt. Doch wenn der Henker auf Dro⸗ ſtenholm der Schuldige oder der Schuldner war wo gab es ſeinen Gläubiger? War ſein Gläubiger nur das körperloſe Recht, das ſich gegen den richtete, der es beleidigt? War es der Patriotismus, der den verfolgte, der ihn zu erſticken verſucht? War es der Sozialismus, der ſich an dem rächte, der gewillt ſchien, ihm die alte Feudalität entgegenzuſtellen und Kugeln und Bajonette als ihre Diener? Waren es die Toten, die jetzt in ihrem Maſſengrab unfern der Kreisſtadt ruhten, unter täglich friſch auf den Hügel gebreiteten Blumen, weil niemand von der Obrigkeit das noch verwehren zu wollen ſchien? Oder waren es die Trauernden, die ſie auf der Welt hinterlaſſen, die Mütter und Väter, die Kinder, die Frauen, die Geſchwiſter und Bräute? Wer war ſein Gläubiger? War es etwa jener alte Bauer auf ſeinem verfallenden Geſinde, der bei den Leuten beinahe ebenſooft als der Heimgeſuchte erwähnt ward wie ſein Heimſucher auf dem Gut, auf dem man ſich jetzt anſchickte, alle Verheerungen des

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Revolutionsſturmes auszubeflern? Irgendwie ſuchte ein jeder das Herz der Finſternis, das die dunklen Maren wie mit puljen- den Schlägen durch die Hütten und Schenken und durch die nun verſtohlen bewohnten Wälder trieb und nicht nur die Mären, nein, mehr: ein unfaßbares Schaudern, wenn nur das Wort ‚der Henker“ oder der Name feines Gutes fiel. Den mei⸗ ſten ſchien es ſo, als wäre das Herz der Finſternis der alte Koiri, der eine Unterſuchungshaft nach der Ermordung des Krügers noch ſonderlicher verlaſſen hatte, als er ſie angetreten! Denn verglich man all die Mären und Andeutungen und Vee richte, die ſich von Hof zu Hof ſpannen, einem Spinnwebennetz, dann war das verödete Geſinde des Alten die Mitte, von der aus alle Fäden geknüpft wurden, und all die Mären und Be- richte und das unfaßliche Schaudern, alles bezog ſich auf die drei Söhne, die ſeinem Hof geraubt worden waren. Ebenſo wie die wenigen, die zum Henker hielten, es zum mindeſten als eine ſinnloſe Ungerechtigkeit empfanden, daß einem Offizier aus der Ausübung ſeiner Pflicht ein Vorwurf gemacht wurde, ſo ſahen es etliche unter all den vielen, die gegen den Henker ſtanden, als eine Ungerechtigkeit an, daß ſoviel von jenen drei Söhnen des Koiri⸗Bauern geredet wurde und daß all die anderen, die der Henker umgebracht, darob beinahe der Vergeſſenheit anheim fielen. Um das Gedenken der drei aber wob ſich nun einmal ſchon die lichte Glorie von Jugend und Unſchuld und Arglofig- keit. Das Opfer, das zwei von ihnen mit ihrem Leben und einer mit ſeiner Freiheit gebracht, ward nicht ſo ſehr von poli⸗ tiſchen Köpfen mit Bewunderung erwogen wie von liebenden Herzen beklagt und beweint. Und je lichter die drei den Ge⸗ denkenden erſchienen, um ſo finſterer war der, deſſen Befehl ſie dem Leben und der Liebe geraubt. Auch dieſe Liebe ſchlug ſich noch zum Haß gegen den Henker, der ſie mit Unfruchtbarkeit geſchlagen, und die Herzensbeweiſe, die das Leben ſeinen Ge⸗ liebten unaufhörlich zu geben verſucht, verkehrten ſich in die arg⸗ liſtige Saat, die der Haß auch in die geringſte offene Gelegen⸗ heit ſtreut, auf daß ſie dort im verborgenen keime und jählings das Feld des Lebens verdürbe, wie in der Heiligen Schrift der Böſe über Nacht die Diſteln ſät.

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Wie mit ben vielen Lügenmärchen und dem einen wahren Gad verhalt, der ihnen zugrunde lag, ging es auch mit dem Bild des Verhaßten. Neunundneunzigfach war belegbar, daß der finſter ſtarrende Verbrecher der Poſtkarte nicht den Gutsherrn von Droſtenholm darſtellte, im hundertſten ſtimmte das Bild mit der angeprangerten Wirklichkeit überein. Das hatte ja auch ſchon der Verwalter empfunden, als er die Karte zum erſten Male jab: es war der Herr und war es doch nicht. Wenn er es nun aber war: woher ſtammte dieſe Photographie, die der heimlichen Druckerei als Vorlage gedient hatte? Gab es im Kriegs⸗ oder Juſtizminiſterium irgendeinen beſtechlichen Be⸗ amten eſtniſcher oder lettiſcher Abkunft, der ſie verkauft oder aus Patriotismus entwendet hatte? Durfte man aber voraus⸗ ſetzen, daß die Miniſterien oder höhere Kommandos von jedem jungen Rittmeiſter Bilder beſaßen? Nein. Dann blieb nur noch die Vermutung übrig, daß die Photographie im Polizei⸗ departement aus einem alten, ungültig gewordenen Paß aus⸗ geſchnitten war. Wie auch immer es ſich verhielt auf Ver⸗ räterwegen war das Bild in die Druckerei gelangt. Doch konnte das Bild noch zu einer anderen Überlegung führen. Es war gar nicht ausgeſchloſſen, daß der finſtere Menſch auf ihm ein ganz anderer war, einer, der nur große Abnlichkeit mit dem Grafen von Ovelacker beſaß. Wer aber hatte dann ſo richtig zu beurteilen vermocht, ob der Dargeſtellte ähnlich ge⸗ nug war, den Betrug mit ihm wagen zu können, wenn auch die Leichtgläubigkeit das Volk ſo willfährig zur Täuſchung machte? Es mußte doch jemand ſein, der ihn gut genug kannte. Und endlich: Was bezweckte das Erſcheinen dieſer höhniſchen Poſt⸗ karte jetzt, da der Graf hier wohnte und aller Vorausſicht nach oft genug leibhaftig zu ſehen ſein würde, ebenfalls oft ge⸗ nug, um ſein Bild als Entſtellung oder Fälſchung darzutun? Gewiß, die Poſtkarte kam auch ſolchen, die ihn wahrſcheinlich nie in ihrem Leben von Angeſicht zu Angeſicht ſehen würden, in die Hände, aber konnte das überallhin dringende Hören⸗ ſagen dann nicht auch die Vorſtellungen, die man ſich nach der Karte von ihm gemacht hatte, Lügen ſtrafen? Es mußten Kenner der Maſſe mit einer geradezu ungeheuerlichen Verachtung für

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die Wahrheit fein, die das Erſcheinen des Bildes ins Werk ge- ſetzt hatten. War aber nun das Bild ein Steckbrief, an dem jeder Meuchelmörder ſein künftiges Opfer kennen lernen ſollte? Ein Mahnmal, um dem großen Haß, der Rachſucht, den Trotz⸗ gelüſten, die überall lauerten, einen Anhalt zu ſchaffen?

Wie es ſich auch damit verhielt, es war eine traurige Weihe, die der Herr auf Droſtenholm erhielt, und eine finſtere Würde, in die nur Haß und Abſcheu zu erheben vermögen. Ein nieder⸗ trächtiger Ruhm ſpann ſich um ihn, der all ſeinen künftigen Tagen vorauseilen zu wollen ſchien, um, was er Argloſes tat, in Argliſt zu verkehren, ſeine Freundlichkeit in Abgefeimtheit, ſeine Liebe in Falſchheit, ſein Mühen in Ränkeſinnen, ſeine Ruhe in Unraft und fein Recht, wo auch immer er es geltend machte, in Schuld. In allem, was er tat und ließ, in ſeinem ganzen Leben wuchs ihm zu Häupten ein zweiter Graf von Ovelacker auf, ſo etwas wie ein düſterer Doppelgänger, der Ovelacker, den zu fürchten man die Kinder lehrte: der Henker! Jedes Lippenpaar trug etwas von der Abſcheulichkeit zuſam⸗ men, die er im Laufe der Zeit annahm; und je unſichtbarer und einſamer der Gutsherr auf Droſtenholm wurde, um ſo ſicht⸗ barer erhob ſich vor dem ganzen Land der Henker und teilte ſich allen bereitwillig in ſeiner Abſcheulichkeit mit. Ja ſchon jetzt hätte man vermuten können, daß der Henker viel länger leben würde als das Menſchenleben, das ſeine Schrecklichkeit einem ganzen Volke beſchert hatte, den Aufbegehrenden unter ihm zu einem fortwährenden Anſporn. Ließ man ihn vielleicht deshalb auch am Leben? Wußten jene meiſterhaften Kenner der Maſſe, daß der, von dem das aufreizende Zerrbild ſich nährte, nicht durch ihre Schuld aus der Erſcheinung zurücktreten durfte, wenn das Bild von ihm, das im Volke lebte, unverblaßt weiter ſeine Wirkung erfüllen ſollte? Daß die politiſche Realität hinter dem Namen, der Henker“ eine wenn auch noch ſo verſchiedene zweite Realität in einem ſtillen Gutsherrn beſaß, - das allein verrich⸗ tete das Wunder! Alſo geſchah das Seltſame, daß man, um weiter haſſen und weiter Haß ſäen zu können, das Verhaßteſte, was es zu dieſer Zeit gab, an ſeinem Leben ſchonte. Der Henker ſollte die Hefe ſein, mit der all die patriotiſchen oder ſoziali⸗

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ſtiſchen Eigenbrötler ihren zähen Teig, der nicht fo recht auf- ging, zum Steigen bringen wollten. Haß erhielt ihn am Leben, ſo ſeltſam das anmuten durfte, und da konnte es der Liebe eine hohe Pflicht ſein, ihn ſterben zu laſſen: den Henker oder den, der den Henker leben machte. Wie bald aber ſchon ſollte er ſelbſt die Sehnſucht verſpüren, auslöſchen und namenlos wer⸗ den zu dürfen, um in einem anderen Herzen von neuem ge⸗ boren zu werden!

So fuhr Ovelacker erſt nach Walliſaar zu dem Herrn von Re⸗ chenberg und dann nach Langenkreutz zu dem von Parenbeck; die beiden Güter lagen im äußerſten Zipfel von Eſtland, der bier ins Livländiſche hineinging. Der Herr von Rechenberg auf Walliſaar, einem Gut von neuneinhalb Haken, nordöſtlich von Droſtenholm gelegen, war ein rotbluſtiger, kraftvoller Mann in mittleren Jahren, mit einer geborenen Lohde zur Frau und einer Schar prächtiger Kinder, ein bekannt guter Landwirt und im geſicherten Beſitz von Anſchauungen, die, wie es aus ſeiner Unbekümmertheit ſchien, ſelten ein quälendes Fragen an- gekommen war. Seine hellblauen Augen verrieten Gemüt und Humor; die Felder waren der einzige Ort, wo er mit einer ge⸗ wiſſen grübleriſchen Langſamkeit ſprach. Im Hauſe hörte man ihn meiſtens als einen gutgelaunten Herbergsvater. Er machte nicht viel Weſens aus ſich und kam mit ſeinen Leuten gut aus, aber hinter der ſcheinbaren Formloſigkeit und Ungezwungen⸗ heit, mit der er auftrat, lauerte für einen, der ihn allzu leicht⸗ hin nahm, ein nicht zu bezwingender Anſpruch auf Formen, weil er ein überaus ſtarkes Bewußtſein von der Vergangenheit ſeiner Familie beſaß. Dieſem Anſpruch konnte eine Seite von dem Weſen ſeines Beſuchers mehr als Genüge tun; die andere aber nein, der Gutsherr auf Walliſaar hätte den Wert der Formen rühmen dürfen, die auf eine fo verbindlich⸗un verbindende Art das Vertrauen einſparten, das ſich nicht ſogleich einſtellen wollte. Jenſeits der Formen vermochte er mit dem neuen Nach⸗ barn vorerſt gar nichts anzufangen, und mit einem auskömm⸗ lichen Maß Wirklichkeitsſinn, wie er es beſaß, verſpürte er auch nicht ſonderlich viel Verlangen danach. Er hatte dafür die verſchiedenſten Gründe. Einen von ihnen vertraute er noch am

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felben Tage telephoniſch feinem nächſten Nachbarn an. Poli- tiſch wäre er eine ungeheure Belaftung, bekannte er dem fernen Hörer von feinem Beſucher, aber er legte in dieſes Bekenntnis nicht mehr als eine nüchterne Einſchätzung, ſo, wie er auch ſeine Felder abritt und vom Stand der Saaten im Frühjahr eine vorſichtige Einſchätzung für die Ernteausſichten vornahm. Eine ungeheure Belaſtung, in jeder Hinſicht, aber vorerſt müßte man ja doch auch für dieſe Laſt einſtehen, anders ginge es nicht. Er wäre nur geſpannt, wie der Nachbar ſich jetzt mit den Leuten abfinden würde oder, richtiger geſagt, wie die Leute ſich mit ihm. Seine Ausſichten wären trübe genug. Es ſollte ſchon Poſt— karten mit ſeinem Bilde geben, hätte er gehört. Wie? Der Nachbar hätte ſchon eine als Corpus delicti zu Geſicht be— kommen? Wie fie wäre? Gemein, das ließe ſich denken ... So ging die Rede durch den Telephondraht nordoſtwärts, und wie die Drähte ſich in viele Nebenlinien verzweigten, zu dieſem und zu jenem Gut, ſo vervielfachte die Rede ſich und übertrug ſich weiter, über die Fernen und Nähen hinweg, über Pferde- rücken auf den Feldern, wo die Hofherren mit ihren Söhnen den Stand der Saaten prüften, über Tiſche hinweg an Kaffee- tafeln, wo die Nachbarſchaft der Damen ſich als Wiſſensquelle bewährte, weiter und immer weiter ſo weit der Ruf des Beſuches reichte. Es wurden Worte der Zuneigung zu ihm und ſeiner Strenge laut und Worte voll tüftelnder Bedenken, wie ſich ſeine Anweſenheit und Zugehörigkeit zum Korps und dem beſitzlichen Stand auswirken könnte. Ob er den Haß nicht noch mehr ſchüren würde, da es nun ſo herauskam, als hätte eben doch nicht ein ruſſiſcher Offizier die Strafen verhängt, ſondern ein deutſcher Landedelmann? Mit Mühe und Not wäre doch eben erſt der Verdacht beſeitigt, als hätten Deutſche die Zu⸗ treiber vor die Flinten abgegeben

Da aber war der Graf von Ovelacker ſchon bei ſeinem Nach⸗ barn im Südoſten geweſen, dem Herrn von Parenbeck, einem kugeligen, ſchnaufenden alten Herrn, der eine Vorliebe für die Hiſtorie beſaß und im Kreiſe bekannt war ob ſeiner lodernden Verehrung für den deutſchen Kanzler Bismarck, ob ſeines ſprü⸗ henden Witzes, der den ſehr beleibten, aber ebenſo behenden

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alten Herrn mit dem ſchneeweißen Schnurrbart im burgunder⸗ roten Geſicht ausſehen ließ wie eine pralle Rakete, die jeden Augenblick platzen konnte, weil in den Augen ſchon das Feuer glomm, und ob feiner ſtrengen Kirchenfrömmigkeit. Berühmt im ganzen Kirchſpiel waren ſeine winterlichen Leſeabende, an denen er mit rollender Stimme und Blitze ſprühenden Augen (bei denen die Dienerſchaft im Lächeln das Fürchten ankam) den Seinen und den zahlreichen Gäſten Dichtungen Schillers vortrug, den er über alles liebte, oder an denen mit verteilten Rollen ‚Egmont‘ geleſen ward, ja in einem langen, froſtwüti⸗ gen Winter der ganze „Wallenſtein“. Ihm und ſeiner Fröm⸗ migkeit hätte Ovelacker gern das Patronat überlaſſen. Aber davon war zwiſchen ihnen gar nicht die Rede. Sie ſprachen nur von dem Aufgebot waffentüchtiger Männer, das der Hof für den Schutz der Gottesdienſte ſtellen konnte, und der alte Herr wollte der erſte ſein, ſeinen Paſtor zu ſchirmen. Unvermittelt dann, wie ſein Weſen trotz der Jahre gar keine Schritte, ſon⸗ dern nur Sprünge zu kennen ſchien, unvermittelt dann be⸗ gann er ſich bei Ovelacker nach deſſen Leben zu erkundigen. Mit der glühenden Erregung, die an ſeinen Vortrag von Ge⸗ dichten denken ließ, erging er ſich über die ungeheuerlichen Be⸗ ſchuldigungen, denen der Graf durch die politiſche Hetze aus⸗ geſetzt wäre. Er war ſo erregt und beredt, daß der, der hier⸗ über doch wohl am eheſten hätte etwas ſagen dürfen, ſtill und beſchämt zu Boden ſah. Nur der alte Herr ſprach, ein Selbſt⸗ geſpräch der Empörung, ſeines Rechtsbewußtſeins, ſeines Ge⸗ meinſchaftsgefühls - einer vielleicht etwas gewalttätigen väter⸗ lichen Liebe zu dem viel Jüngeren, den er unverſehens an den Armen gepackt hielt, ihn beſchwörend: er möge auf ihn in allen Tagen rechnen! Seine ſehr viel mehr zurückhaltende Frau ver⸗ leugnete ſich bei dieſen Worten in ihren Blicken; ſie ſchaute drein, als wäre ſie taub. Hernach aber lächelte ſie dem Be⸗ ſucher ſo freundlich zu, daß er ihrer Zuſtimmung zu den Be⸗ teuerungen des Hofherrn gewiß ſein durfte. Sie war wohl nur ſo teilnahmslos erſchienen, weil die heftige Offenheit des alten Herrn all ihr gemeinfam gewordenes Temperament aufge⸗ zehrt hatte. Der älteſte Sohn des Hauſes und Erbe des Hofes,

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der fpäter hinzukam, ſchien von allem, was feinen Vater ein⸗ prägſam machte, enterbt, und dem Beſucher brachte er nur die kühle Gelaſſenheit eines Gleichaltrigen, aber hier im Lande um ſo vieles Alteren entgegen. Es hätte dieſes und manches anderen Hinweiſes auf eine Ent- fernung nicht bedurft. Während Ovelacker zu ſeinen Nachbarn gefahren war und weiter zu ihnen fuhr, fiel er dennoch in ein unſägliches Alleinſein. Eine Huldigung an ihn als einen Vere kannten und einen Märtyrer des Rechts, wie liebenswürdig ſie auch ergehen mochte, ſchaffte ihm ſo wenig Nähe zu den Men⸗ ſchen wie das nüchterne Abwägen, was er, politiſch betrachtet, darſtellte und was man ihm als einem Glied der Ritterſchaft und des beſitzlichen Standes ſchuldig war. Immer erhob ſich etwas dazwiſchen: zwiſchen dem Märtyrer und ſeinen Verehrern und zwiſchen dem Edelmann und ſeinen Standesgenoſſen, eine Daſeinsfrage über dem ſchwindelerregenden Abgrunde des Nichtſeins; nicht eine politiſche Frage, wie der von Rechenberg meinte, und auch keine nur menſchliche, wie es der von Paren«- beck zu erkennen gegeben hatte. Welche? Pjotr Sergejewitſch Charuſin hätte vielleicht, nachdenklich vor ſich hin blickend und ſeinen Bart zwirbelnd, angeregt: ‚Eine Frage der Ehre?“ Und Wladimir Karlowitſch Möller wäre, wie ſchon einmal um Mitternacht, ausgebrochen: ‚Einer Ehre ohne Ge— wiſſen? Eines Gewiſſens ohne Ehre?“ und hätte dann angefügt, was er dem Oberleutnant auch damals erſt Wochen ſpäter wie beiläufig geſagt hatte: Der Glaube daran, daß das Ehrgefühl ein Erſatz für Gott ſei, iſt ein Aberglaube. Der alte Notar in der Stadt meinte mit einem verlorenen Lä⸗ cheln, das ſtets auf ſeinem Geſicht erſchien, wenn er bemüht war, irgend etwas ſehr behutſam auszuſprechen: Genügt hier die Entſcheidung zwiſchen Recht und Unrecht nach der gängigen Formel? Dann kämen wir beiläufig zur Schuld und zur Un⸗ ſchuld. Wo aber würde Schuld beſtimmt? Im Gewiſſen. Gut. Und wo die Unſchuld? Vielleicht in einer Erlöſung. Der Erlöfte aber iſt nur ein Entſchuldigter, nicht ein Unſchuldiger. Unſchul⸗ dige gibt es nicht, jedes Leben hat ſeine eingeborene Schuld.

ö Aus Edgar Schaper: Der Henker. Roman

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Max Mell / Was mit dem Baum der Erkenntnis geſchah

Ein Paradiesmärchen

Der Baum, unter dem die Eltern der Menſchheit im Paradieſe wandelten und von deſſen Frucht ſie nach dem Wort des Herrn nicht eſſen ſollten: das war, ſo habt ihr gehört und geleſen, der Baum der Erkenntnis des Guten und des Böſen. Aber was das wohl für ein Baum eigentlich geweſen ſein mag, fragt ihr, nach der Art ſeiner Blätter und Blüten? Alle Gefchopfe find aus dem Garten hervorgegangen und haben die Erde erfüllt. Weiß nie⸗ mand von dem Baum, von der Frucht?

Im Morgenland, aus dem die Kunde vom Garten des Para⸗ dieſes zu uns gekommen iſt, gibt es mancherlei Völker und Zun⸗ gen, und vielfach geteilt haben ſich die Nachrichten von dem früheſten Wiſſen, das ſie gemeinſam hatten. Vom Paradieſe er⸗ zählen fie alle, und bei einem dieſer Menſchenſtämme weiß man auch von dem Baum, und ich habe es erfahren und kann es euch ſagen. 5

Nur das erſte Menſchenpaar hat den Baum geſehen, und von ſeiner Frucht hat kein Weſen nach ihm genoſſen. Denn als ſie, Adam und Eva, dem Wort des Herrn ungehorſam waren und aus dem Garten ausgetrieben wurden, da ging eine große Ver⸗ änderung an dem Baum vor ſich. Er rauſchte ſo gewaltig auf wie nie zuvor; denn die Fittiche des Engels ſtrichen über ihn hin. Aber es war zum letzten Male, daß er rauſchte. Das Ge⸗ heimnis war ihm genommen, aus dem er lebte, und er vermochte ſich nicht mehr ſo dem Himmel entgegenzuhalten, wie ihn der Ruf des Schöpfers getrieben und die Seligkeit, die den ganzen Garten erfüllt hatte. Die Einheit der Weſen war geftört, und es traf ihn ins Mark, daß ſeine Frucht es geweſen, an der es ſich vollzog. Er konnte die Menge des Saftes, aus der er ſeine Geſtalt baute und ernährte, nicht mehr aus dem Boden des Gartens ziehen; der Stamm magerte ab und zog ſich zuſammen, die Aſte wurden dünn und legten ſich halb ausgetrocknet an ihn, aber noch hielten ſie ihre Früchte hoch, als wollten ſie ſie retten.

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Der Baum verkrüppelte und wurde klein, und wäre die Schlange nicht längſt auf ihrem Bauche davongegangen, ſo hätte ſie ſich an einem ſo ſchwachen Halm gar nicht mehr halten können. Der aber war deſſen gewärtig, daß der Herr kommen würde, ihn ausreißen und als unbrauchbar über die Mauer werfen, dort- hin, wo nun auch das Menſchenpaar war.

Und ſo geſchah es. Der Herr kam und ſah das verkleinerte Pflanzenweſen an, das aus dem Baum geworden war. Da rührte ihn der Anblick, und er ſprach „Da du dich alſo kränkſt um den Garten, ſo ſollſt du des Lebens nicht verluſtig gehen. Zogſt du die Luſt des Menſchen zu ſündigen an, ſo ſammle auch die Härte ein, die ſein Leben künftig haben wird. Diene und hilf ihm! Und in den Augenblicken, da ihn aus deiner gewan— delten ſchwachen Geſtalt ein reines Gefühl einnimmt, verſöhne ich mich ihm und bin wieder bei ihm.“

Damit hob der Herr das Gewächs aus der Erde und warf es mit rieſigem Schwung über die Mauer des Gartens. Seine Früchte fielen dabei herab und ſtreuten ſich überallhin auf die Erde, die dem Menſchen zum Wohnſitz angewieſen war. Sie keimten und ſchlugen Wurzel und gediehen und trugen wieder Frucht. Und ſeit damals hat der Menſch das Getreide. Und ſeit damals kommt es auch vor, daß einem beim Anblick der Felder, die uns Brot tragen, wohl die Augen feucht werden. So einen fragt dann (aber nur, wenn ihr ſeht, daß ihr gewiß nicht läſtig fallt, und lüftet den Hut dabei): was er vom lieben Gott denkt.

Chriſtian Morgenſtern / Die Heulboje

Heulboje heult in wilder Nacht.

O Meer, was biſt du aufgewacht, mondtolle Fenriswölfin!

Was ſchüttelſt du dein ſchaumig Fell und ſträubſt die Haare, phosphorgrell, ums zage Menſchenſchifflein?

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Wo treibft du, Mutter, mit ihm bin, Wermutter, Wölfin, die verſchlingt ihr eigen Kind im Zorne?

O Heulen wüſt - auf einmal ſtumm: Jetzt wendeſt du den Nacken um - da glänzt die Boje.

Ein tauchend Faß, an Ketten tief. „Ich wars, die eurem Schlummer rief: Habt acht, hier gehts zur Hölle!“ Nun liegt es hinten weit im Schaum - und winſelnd trabt mit uns im Traum weiter die dunkle Wölfin. Aus Chriftian Morgenftern: Zeit und Ewigkeit. Inſel⸗Bücherei Nr. 112

K

Friedrich Schnack / Das Traubenhaus

Corvinus, der Gärtner, iſt ein Freund krachender Apfel, wie⸗ wohl er andere Früchte nicht geringer achtet; Joſepha, ſeine Tochter, liebt am meiſten die ſaftigen Birnen; Frau Corvinus aber, die ſich der frieſiſche Mann von einer Gartenbauausſtel⸗ lung in Würzburg heimgeholt hat, Frau Corvinus liebt die Weintrauben. Die Rebe iſt das Sinnbild ihrer ſchönen Heimat, und im Traubenſaft goldet die Süße und der Geiſt Mainfran⸗ kens. Auch in Mitteldeutſchland, ihrer neuen Heimat, wollte ſie auf die Rebe nicht verzichten und am liebſten eine am Haus haben als gaſtlichen Zweig. Corvinus ſetzte ihr zuliebe gleich zwei Stöcke, eine weiße und eine blaue Traube, aber an die Südwand konnte er ſie nicht heften, die Triebe wären mit den Aprikoſenzweigen in Streit geraten und nichts dient den Früchten und Ernten im Garten ſo ſehr wie ein friedliches, ver⸗ trägliches und geräumiges Beieinanderſein, die gute Nachbar⸗ ſchaft, die nicht erlaubt, daß ſich das eine auf Koſten des andern breit mache. Deshalb baute er unter dem Mittelfenſter der Süd- wand ein mannshohes Glashaus zur Aufnahme der Weinftöde und pflanzte dieſe, nach geeigneter Vorbereitung des Bodens,

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hinein. Es ift ein Kalthaus, verſteht ſich, doch in der beften Sonne gelegen, und deshalb iſt es nicht erftaunlich, daß dieſe Hausreben auch in kalten Jahren volle, ſüße Trauben ſchenken. Die langen Ranken werden im Raum hin und her gezogen, auf der einen Seite hängen die vollen blauen Trauben, auf der andern die ſchweren weißen: das ſieht aus, als wenn rieſige Tropfen geballter Beeren niedertröffen Segen des Herbſtes. Auf der linken Seite iſt eine Tür, und oft kann man Frau Corvinus in dieſem gläſernen Weinberg ſehen, wenn fic, aus. ruhend von der Arbeit, auf einem Stuhl unter den Reben ſitzt, in der milden Traubenſonne gleichſam oder vielleicht gar, in geheimer Vorſtellung, im väterlichen Weinberg in Franken am Nikolausberg.

Zum Bedauern der lebhaften Fränkin iſt die blaue Traube keine Muskatellerſorte. Den Muskatgeſchmack der Beere mag ſie gern. Ihr Vater hatte an ſeinem Weinberghäuschen in der prallen Sonne den ‚Schwarzen Weihrauch“ gezogen, eine ſchwarze, ſüße, aromatiſche Beere von Muskatgeſchmack. Frau Corvinus träumte gern, auch die ſchwarze ſpaniſche Muskadine in ihrem Glashaus zu pflegen, aber als der Verſuch gemacht wurde, mißglückte er. Mitteldeutſchland, wo Corvinus lebt, und wenn es nur ein kleines Fleckchen ſeines Erdbodens unter einem Glasdach iſt mag nicht Spanien ſpielen, und ſo war es auch mit jener ſchwar⸗ zen, glutvollen Schönen nichts, deren Größe, Pracht und Fein⸗ geſchmack unvergeßlich iſt. Corvinus hielt ſich bald an das Be⸗ währte und Angepaßte: er wählte den ‚Blauen Portugiefer‘. Dieſe Traube iſt ſchwarzblau, die Beere überreift ein graublauer Hauch. Wenn auch Beere und Traube nur klein ſind oder höch⸗ ſtens mittelgroß, ſo mundet doch der etwas dünne, hellrote, ſüße Fruchtſaft vortrefflich, auch reift die Traube ſchon im Sep⸗ tember. Mit ihr bietet ſich der Weingott bereits im Frühherbſt dar. In zweiter und würdigerer, in holderer und edlerer Geſtalt erſcheint er als Spätleſe im Oktober: dann iſt die weiße Traube reif zur Ernte. Und dieſer Weingott trägt den Namen „Weißer Gutedel“.

Die Gutedel werden als Tafeltrauben begehrt, ſie ſtammen aus Frankreich, wo ſie Chaſſelas oder Notre⸗Dame genannt werden.

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Die kreidige Champagne ift ihre Heimat. Der Weiße Gutedel, auch Gelber Gutedel benamt, hat bei uns zuweilen auch den Namen Pariſer Gutedel. Seine Traube iſt groß, ebenſo die runde und fleiſchig dickſchalige Beere, doch iſt der Bau der Traube locker, gleichſam zottig. Ihr herausberſtender Saft ſchmeckt ſüß, iſt von angenehmer Würzigkeit. Zudem hat ſie die Eigenſchaft, ziemlich lange haltbar zu ſein. Und hier darf das Geheimnis verraten werden, wonach Frau Corvinus verfährt, um die Gut⸗ edeltraube lange aufzubewahren. Hat ſie nur wenig Trauben geerntet, macht ſie nicht viel Umſtände: ſie ſucht die beſten und bärteften aus, entfernt die angeſtoßenen und geplatzten Beeren, legt die Trauben auf ein reines, trockenes Brett, ftülpt Gläſer oder Blumentöpfe darüber und bedeckt das Ganze vollkommen mit Sand, um den Zutritt von Luft zu verhindern. War die Ernte reichlicher und will ſie noch um Oſtern friſche Trauben eſſen, verfährt ſie anders: ſie verſchafft ſich Holzaſche, ſiebt ſie durch ein Haarſieb und rührt ſie mit Waſſer zu einem dünnen Brei. Die vorbereiteten Trauben tunkt ſie wiederholt ein, bis die Farbe der Beeren nicht mehr erkennbar iſt. Hierauf werden die Trau⸗ ben getrocknet und ſchichtweiſe in einen Kaſten mit ſtrohtrocke⸗ nem Häckſel gelegt. Der Kaſten wird feſt verſchloſſen und weg⸗ geſtellt. Im Nachwinter und zum Frühling nimmt die Hausfrau die Trauben heraus, ſpült die Aſchenſchicht ab und N die Frucht auf den Tiſch.

Der blaue und der weiße Weingott ihres Glashauſes mögen ihr die Traubenlegende ihrer fränkiſchen Heimat mit Saft und Süße einflößen. Dort ſteht in den Weinbergen das Steinbild des hei⸗ ligen Urban, des Schirmherrn der Trauben. Er war Biſchof und verſteckte ſich bei einer Chriſtenverfolgung in den Rebzeilen eines Weinbergs. Zum ewigen Dank ſchützt er nun die Trauben vor Hagel und den Wein im Keller vor dem Kahmigwerden. Aber auch ein Heiliger kann nicht überall zugleich ſein, und des⸗ halb hagelt es leider manchmal doch in die Weinberge.

In der Erinnerung von Frau Corvinus erglänzen und ſchim⸗ mern die Weinberge ihres Vaters mit goldenem Laub und paradieſiſchen Trauben. Die Weinjahre ihrer Jugend und Mäd⸗ chenzeit waren hohe Jahre. Der Traubenſaft floß in Strömen.

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Waſchkörbe voll Trauben wurden zum Eſſen ins Haus getragen. Von den roten Trauben hatte der Vater den Portugieſer, aber auch den Burgunder, den Clävner, eine engbeerige Traube, deren Beeren rund, klein, ſchwarz und von ſüßem, gewürzhaftem Geſchmack ſind. Er hatte aber auch Reben vom Gutedel und vom Traminer auf ſeinem Traubenhang, von dem man auf den Main hinunterſah, den Mainflößern mit den Blicken folgte oder dem Mainſchlepper. Die ſüßen Traminerbeeren hat ſie nicht vergeſſen; fie ſtammen aus Tramin, einem Dorf im Etſch— tal. Und wie war es wohl mit dem ‚Sfterreicher Grünen Spl— vaner‘, den die Abtei Ebrach nach Franken gebracht hat und der dort ſo heimiſch geworden iſt, daß er in andern deutſchen Weinbauländern Franke genannt wird? Seine dicht ſitzenden Beeren ſind grün, auf der Sonnenſeite bräunlich geſprenkelt. Die Haut iſt etwas härtlich, aber der Geſchmack ausnehmend gut und ſüß. Die Traube reift früh, man kann ſie ſchon im September von der Rebe wegſtibitzen.

Die Sylvanertraube mundete Frau Corvinus köſtlicher als der fürſtliche Riesling, der ſo wandlungsfähige Weingott, der alle Weinkenner bezaubert. Im väterlichen Weinberg nahm er, als Hauptſatz, die meiſten Rebzeilen in Anſpruch. Er will viel Sonne. Hundert Tage Sonnenſchein braucht die Rebe, um einen ebdel- reifen Wein ſpenden zu können. Die Traube kann nicht genug braten und ſchmoren, ſo wie ein Volksſpruch ſagt: Der Rebe und der Geiß wird es nie zu heiß. Aber der Riesling iſt keine Tafeltraube; er reift ſpät und bleibt am beſten bis zur Edelfäule am Stock. Seine herrlichen Kräfte entfaltet er erſt als ausgebil⸗ deter Wein im Glas des Zechers.

Wenn die letzten Feuer des Herbſtes lodern, durchbrauſen ge⸗ heime Stürme die Beeren. Während des Sommers hat ſich in den ſchimmernden Kugeln Säure geſammelt, die wird nun zau⸗ berhaft unter dem Kuß der Sonne zur Süße gezwungen. Und dieſe Kraft der himmliſchen Verführung iſt ſo ſtark und un⸗ widerſtehlich, daß auch das Innere der Blätter davon ergriffen wird. In ihren feinen Gefäßen hat ſich Stärkemehl aufgeſpei⸗ chert. Das verwandelt ſich nun plötzlich in Zucker, und dieſer bricht auf, um in die Beeren zu fließen, in das Gehäuſe des

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Saftes, den gläſern ſchillernden Tempel des Weingottes. Und beide, der blaue und der rote, werden gut, würzig, blutreich und ſüß. Und Frau Corvinus hat recht, wenn ſie beim Pflücken der Trauben ihrer Tochter Joſepha das volle Körbchen reicht und dazu lächelnd ſpricht:

Der ſchönſte Wein, von dem ich weiß, läßt ſich den roten heißen. Und einen ſchönſten weiß ich noch, den nennet man den weißen. Aus einem künftigen Buch

Joſeph von Eichendorff / Gedicht

Wo treues Wollen, redlich Streben Und rechten Sinn der Rechte ſpürt, Das muß die Seele ihm erheben, Das hat mich jedesmal gerührt.

Das Reich des Glaubens iſt geendet, Zerſtört die alte Herrlichkeit, Die Schönheit weinend abgewendet, So gnadenlos iſt unſre Zeit.

O Einfalt gut in frommen Herzen, Du züchtig ſchöne Gottesbraut!

Dich ſchlugen ſie mit frechen Scherzen, Weil dir vor ihrer Klugheit graut.

Wo findſt du nun ein Haus, vertrieben, Wo man dir deine Wunder läßt,

Das treue Tun, das ſchöne Lieben,

Des Lebens fromm vergnüglich Feſt?

Wo findeſt du den alten Garten, Dein Spielzeug, wunderbares Kind,

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Der Sterne heilge Redensarten, Das Morgenrot, den frifhen Wind?

Wie hat die Sonne ſchön geſchienen! Nun iſt ſo alt und ſchwach die Zeit;

Wie ſtehſt ſo jung du unter ihnen,

Wie wird mein Herz mir ſtark und weit!

Der Dichter kann nicht mit verarmen; Wenn alles um ihn her zerfällt,

Hebt ihn ein göttliches Erbarmen Der Dichter iſt das Herz der Welt.

Den blöden Willen aller Weſen, Im Irdiſchen des Herren Spur, Soll er durch Liebeskraft erlöſen, Der ſchöne Liebling der Natur.

Drum hat ihm Gott das Wort gegeben, Das kühn der Dunkelſte benennt,

Den frommen Ernſt im reichen Leben, Die Freudigkeit, die keiner kennt.

Da ſoll er ſingen frei auf Erden, In Luſt und Not auf Gott vertraun, Daß aller Herzen freier werden, Eratmend in die Klänge ſchaun.

Der Ehre ſei er recht zum Horte, Der Schande leucht er ins Geſicht! Viel Wunderkraft iſt in dem Worte, Das hell aus reinem Herzen bricht.

Vor Eitelkeit ſoll er vor allen Streng hüten ſein unſchuldges Herz, Im Falſchen nimmer ſich gefallen, Um eitel Witz und blanken Scherz.

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D laßt unedle Mühe fahren,

O klinget, gleißt und ſpielet nicht Mit Licht und Gnad, ſo ihr erfahren, Zur Sünde macht ihr das Gedicht!

Den lieben Gott laß in dir walten, Aus friſcher Bruſt nur treulich ſing! Was wahr in dir, wird ſich geſtalten, Das andre iſt erbärmlich Ding.

Den Morgen ſeh ich ferne ſcheinen, Die Ströme ziehn im grünen Grund, Mir iſt ſo wohl! - die's ehrlich meinen, Die grüß ich all aus Herzensgrund! Aus Eichendorffs Werken in zwei Bänden

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Gertrud von le Fort / Das Gericht des Meeres

Bei der Überfahrt der königlichen Schiffe nach Cornwall, als der wütende Sturm, mit dem man anfangs gekämpft hatte, ur⸗ plötzlich von einer lautloſen Windſtille erſtickt wurde, erkrankte der kleine Prinz an einer höchſt ſonderbaren Krankheit nie⸗ mand hatte ſie bei einem Kinde ſo zarten Alters je beobachtet. Während das Meer tiefer und tiefer in der Betäubung eines bleiernen Schlummers zu verſinken ſchien, wurde dieſes arme kleine Weſen von einer völligen Schlummerloſigkeit ergriffen. Vergeblich ſang ihm ſeine Amme die gewohnten Wiegenlieder vor, vergeblich bot ſie ihm die Bruſt dar, an der es ſonſt wohlig zu entſchlummern pflegte; es verweigerte die gewohnte Nah⸗ rung, einzig nach der ſüßen Milch des Schlafes verlangend, die ihm niemand zu gewähren vermochte; und während die weit ge⸗ öffneten Augen ſeines blaſſen, feierlichen Geſichtchens immer größer wurden, ſchwand der kleine Körper dahin wie verzehrt von dem ungeſtillten Hunger dieſer übergroßen, überwachen Augen, Die ſich auch nicht eine einzige Sekunde ſchließen wollten. Die Arzte an Bord des königlichen Schiffes wußten ſich keinen Rat;

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die Küſte der Normandie, von der man ausgeſegelt war, ers ſchien ebenſo hoffnungslos unerreichbar wie die von Cornwall, der man zuſtrebte - es rührte ſich ja noch kein Lüftchen in den ſchlaffen Segeln. Schließlich, als der Zuſtand des Kindes im⸗ mer beunruhigender wurde, faßte ſich die Umgebung des er⸗ lauchten Elternpaares ein Herz und erinnerte daran, daß eines der königlichen Geleitſchiffe die Geiſel Anne de Vitré an Bord führe, von der ihr Landsmann Budoc behaupte, ſie gehöre zu denen, die noch das bretoniſche Schlummerlied ſingen könnten. König Johann erſchrak bei dieſem Vorſchlag er fürchtete fic, Anne de Vitré rufen zu laſſen, denn er dachte an ſeinen letzten Einfall bei den Bretonen, an ihre verbrannten Städte und zer— ſtampften Felder, vor allem aber dachte er an ihren jungen Her— zog, den er bei jenem Einfall geraubt und zu Rouen mit eigner Hand ermordet hatte. Er erwiderte daher, er wiſſe längſt, die Bretonen ſeien immer noch heidniſche Zauberer, er ſelber ſei ein guter Chriſt und wolle nichts mit ihren Schlummerliedern zu tun haben. Der kleine Prinz fuhr alſo fort, an ſeinen über⸗ großen, überwachen Augen hinzuſchwinden, ebenſo wie das Meer fortfuhr, unbeweglich zu ſchlafen. Allein nach etlichen weiteren Tagen, als ſich König Johann vor den offenen Augen ſeines Kindes in das Schiff des Seneſchalls geflüchtet hatte, ließ die verzweifelte Königin Budoc rufen und befahl ihm, eine ihrer Kammerfrauen nächtlicherweiſe zu der Bretonin zu rudern. Anne de Vitré war noch nicht zur Ruhe gegangen, ſondern ſie ſaß an Bord ihres Schiffes unter dem offenen Sternenzelt des Himmels und befragte das Meer, ſo wie man es in ihrer Hei⸗ mat zu befragen pflegte, wenn man ſich nicht mehr zu raten wußte. Das gab Anne ein ſo tiefes gläubiges Vertrauen, daß ſie ſich an das Meer wenden konnte, das gab ihr eine ſolche Zu⸗ verſicht, wie ihr Herz ſie ſchon lange nicht mehr gekannt hatte; in Rouen war ſie ſich immer hilflos vorgekommen, da war ihr alles bang und ungewiß erſchienen, aber ſeit ſie auf dem Meere war, da fühlte ſie ſich wie auf feſtem Boden. Denn im Lande gibt es Wälder und Höhlen, da gibt es finſtre Schlöſſer mit ſchaurigen Verlieſen, da können ſich die böſen Geheimniſſe leicht verbergen aber auf dem Meer werden alle Dinge offenbar.

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Anne dachte an die Gerichtstage in ihrer Heimat, mie ſich die Menſchen da dem Meere anvertraut und ſeinem Urteil unter⸗ ſtellt hatten, und wie das Meer die Schuldigen erkannt und bei ſich behalten und die Unſchuldigen an Land geſetzt und ſich nie⸗ mals geirrt hatte. Denn das Meer war doch nicht wie die kleinen, kurzſichtigen Menſchen, das Meer war Gottes vornehmſtes und gewaltigſtes Geſchöpf, es kam ſeiner Allmacht am nächſten, es grenzte ſchon an feinen Himmel es war faſt wie Gott. Das Meer mußte man befragen, wenn man Gottes Stimme zu ver⸗ nehmen hoffte; und welche Stimme konnte Anne de Vitré denn noch zu vernehmen hoffen außer der ſeinen? Die Menſchen wichen ja doch alle ſcheu vor ihr zurück und hüllten ſich in un⸗ durchdringliches Schweigen, ſooft ſie nach dem jungen Herzog ihres Volkes forſchte es war, als ob fein Name ihnen ganz entfallen wäre. Und Anne de Vitré hatte doch ein Recht, nach ihm zu fragen, denn um ihres jungen Herzogs willen war ſie dieſem fremden König ausgeliefert worden. Sie war die Bür⸗ gin für den Lehenseid, den ihm jener abgerungen. Für ihn hatte ſie die Heimat verlaſſen müſſen, die treuen Eltern und die zärt⸗ lichen Geſchwiſter, alle Lieblichkeiten ihres kargen Landes. Wenn ſie nicht von ihrem Volke fortgegangen wäre, dann hätte er fort⸗ gehen müſſen; und ein Herzog darf doch nicht von ſeinem Volke gehen: ſo hatte es der Vater ihr beim Abſchied eingeprägt, und ſo hatte Anne es ihm in ihrem Inneren nachgeſprochen, immer wieder, jeden Tag aufs neue, ſonſt wäre ſie doch bei den Briten vor Verlaſſenheit und Einſamkeit geſtorben. Allein ſie hatte bei den Briten leben können; denn wenn ſie für ihres Volkes jun⸗ gen Herzog in die Fremde gegangen war, dann war er doch für fie in der Heimat geblieben wenn fie für ihn gefangen fein mußte, dann hatte er für ſie die Freiheit: er war ihr Daheim⸗ fein, er war ihre Freiheit, - ihr eigentliches Leben, das war gar nicht hier bei dieſem fremden, harten Volke, ihr eigentliches Leben war das Leben ihres jungen Herzogs - nach dieſem ihrem eigentlichen Leben mußte Anne doch fragen dürfen! Und wenn die Menſchen ihr nicht Antwort gaben, das Meer würde ihr die Antwort nicht verweigern das Meer war gerecht, das Meer war faſt wie Gott. Anne de Vitré lauſchte.

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Joſeph von Eichendorff

Steinzeichnung von Franz Kugler

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lich hatte fie erlernt. Anne folgte alfo ſtumm. Aber wie fie nun ihm gegenüber in dem kleinen Nachen ſaß, dicht über dem Waſ⸗ ſer, ganz nahe dem tiefen, klaren, allwiſſenden Auge des Meeres, da war es ihr auf einmal, als fange er mit ihr im Dunkeln ein geheimnisvolles Geſpräch an, nicht mit der Stimme ſeines Mun⸗ des, ſondern mit der Stimme ſeines Blutes, dieſes uralten kel⸗ tiſchen Blutes, das in ihrer beider Adern floß, tief wie die ſchönen Brunnen ihrer Heimat und dunkel wie die Wälder des Zau⸗ berers Merlin und ſchwermütig wie die rauſchenden Felſenküſten, wo die Todesfrau den untergehenden Schiffern das Wiegenlied ihrer Mütter ins Ohr raunt. Es war ihr, als blicke ſie durch Budocs Augen hindurch, die ſie doch im Dunkeln gar nicht ſehen konnte, in den Abgrund einer wandelloſen Treue hinab, nicht in die zarte, edle Treue ihrer eignen Liebe, ſondern in die Treue des Haſſes, die wilde, verſchlagene, die ſich nicht ſcheut, dem Feinde den Verräter vorzuſpielen, um ihn deſto ſicherer zu ver⸗ raten. Anne fühlte, daß in ihnen beiden der gleiche Schmerz zitterte, ſie meinte jeden Augenblick nun auch die Stimme ſeines Mundes vernehmen zu müſſen, die von ihrer beider jungem Herzog ſprach. Allein das durfte Budoc wohl vor der Kammer⸗ frau nicht wagen - es war ja ſo erſchreckend ftill hier auf dem Meer, als könne man das leiſeſte Flüſtern bis zum Horizont hin vernehmen.

Erſt als das Boot leiſe klatſchend bei dem Bug des königlichen Schiffes lag und die Kammerfrau bereits an Bord geſtiegen war, näherte er ſein dunkles Geſicht dem ihren und hauchte ihr ins Ohr: „Der Herzog iſt tot. Der König ſelber war ſein Mörder, das Meer hat ihn gerichtet, und du... du... Du...” Es war, als wenn ein unbändiger Triumph ihm das Wort verſchlüge. Er hob fie mit feinen nackten Armen auf - fie wußte einen Augen⸗ blick lang nicht, wollte er fie wie einen Jubelſchrei der Rache emporſchleudern oder ins Meer werfen —, aber da hatte er ſie ſchon an Bord niedergeſetzt.

Anne war noch völlig betäubt, als ſie das Zelt des königlichen Schiffes betrat. Es war dämmrig darunter, nur vom Eingang her, wo man das Segeltuch an zwei geſchnitzten Pfeilern auf⸗ gebunden hatte, ſchimmerte das Meer herein, weiß wie Sterne.

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Die junge Königin ſtand zierlich und ſteil aufgerichtet, aber ihr kleines, nichtiges Geſicht unter der goldnen Flügelhaube war verweint; ſie ſprach haſtig und faſt ängſtlich auf Anne ein. Man hätte meinen können, ſie denke wie jene an die Ermordung des jungen Herzogs, allein ſie dachte nur an die Geneſung ihres kleinen Sohnes. Anne verſtand fie nicht. Budocs Worte klaagen wie Geläut in ihren Ohren. Sie merkte kaum, daß die Königin zu ihr ſprach. Aber dann vernahm fie wieder Budocs Stimme: „Anne be Vitré,” ſagte er, „die Frau Königin will wiſſen, ob du dich getrauſt, ihrem kranken Kinde das bretoniſche Schlum— merlied zu ſingen.“

Anne verſtand Budot ebenſowenig, wie ſie die junge Königin verſtanden hatte. Es war ihr nur, als rede er auf einmal in der Sprache jener, obwohl er doch in ihrer eigenen geredet hatte. Sie gab keine Antwort.

Die hohen Augenbrauen der jungen Königin zuckten ein wenig, es ſah faſt aus, als wolle ſie Anne drohen. Aber dann wurde ihr kleines, nichtiges Geſicht ganz hilflos. Sie riß die goldene Kette von ihrem Halſe und ſtreifte ſie Anne über, ſie neſtelte ihre Armgehänge los und bot ſie ihr dar, ſie küßte Anne auf beide Wangen. Anne fühlte das Gewicht der Ketten und Span— gen an ihren Gliedern, ſie ſpürte auf ihrem Geſicht die Feuch— tigkeit der Tränen, aber fie begriff noch immer nichts. Budoc ſtand indeſſen ruhig da und wartete, ſein dunkles, verſchloſſenes Geſicht erſchien ganz teilnahmslos.

Die Königin wandte ſich jetzt wieder an ihn. „Ach, Budoc,“ ſchluchzte ſie, „ich glaube, Anne hat das Lied vergeſſen - bitte fie doch, daß fic ſich beſinnt - bitte fie doch - fie verſteht ja meine Sprache nicht!“

„Anne de Vitré,” fagte Budoc, „die Frau Königin ängftigt ſich, du könnteſt das Lied vergeſſen haben; aber ich weiß, du haſt es nicht vergeſſen; du warſt ſchon ziemlich groß, als deine Mutter an der Wiege deines kleinen Bruders Alain ſang, der hernach im Meer ertrunken iſt ich entſinne mich deiner damals nod) ganz genau: du lagſt in dem unteren Stock des alten Truhen⸗ betts und ſangeſt immer mit wie ein Vögelchen aus dem Neſt hervor, bis du einſchliefſt.“

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Anne ſchwieg, obwohl fie Budoc jetzt verftanden hatte; die Trä⸗ nen ftiegen ihr in die Augen: Wie konnte Budoc denn nur glau⸗ ben, ſie würde dem Kind des königlichen Mörders das Wiegen⸗ lied ſingen, das ſüße Wiegenlied, das ihre Mutter ihrem kleinen Bruder Alain geſungen hatte! War Budoc etwa dennoch ein Verräter? Ihr kindliches Geſicht wurde ganz hart und unerbitt⸗ lich die junge Königin betrachtete es mit Entſetzen, fie fab jetzt aus wie irgendeine arme Frau aus dem Volke, die um ein Almoſen bettelt: „O Gott, fie will meinem Kind nicht fingen,” jammerte fie, „fie will nicht! Ach, Budot, ſprich doch noch einmal mit ihr, rede ihr zu, ſage ihr, daß fie ſich erbarmen foll!”

„Anne, fagte Budoc, „du haft jetzt verſtanden, was die Frau Königin meint, aber du haſt noch nicht verſtanden, was ich meine: Du willſt dem Kinde das Wiegenlied nicht ſingen, weil es das Kind des königlichen Mörders iſt, allein du kannſt ihm gerade deshalb ſingen. Denke doch noch einmal an deinen klei⸗ nen Bruder Alain, der hernach im Meer ertrunken iſt du weißt doch, allen, die im Meer ertrinken, ſingt die Todesfrau das Lied, das fie ihren Müttern an der Wiege abgelauſcht hat - es iſt dasſelbe Lied, Anne, ganz dasſelbe. Wem man den An⸗ fang ſingt, der ſchläft ein, und wem man zu Ende ſingt, der wacht nie mehr auf: Du mußt dem Kinde der Frau Königin zu Ende fingen! Du weißt den Anfang wenn man den Anfang weiß, dann weiß man auch das Ende Wiege und Woge ſind eins. Haft du nun endlich verſtanden, daß du... Du... du...” Es war, als komme wieder jener leiſe Jubellaut in ſeine Stimme, der ihm die Worte verſchlug. Aber jetzt hatte Anne verſtanden: das Meer hatte geantwortet, das Meer hatte gerichtet, das Meer verlangte dieſes Kind wahrlich, das Meer war gerecht, das Meer war faſt wie Gott! - Sie verharrte einen Augenblick lang ganz ſtill wie eine Betende. Dann ſtreifte ſie die Ketten und Spangen der Königin langſam von ihren Gliedern, trat an die Brüſtung des Schiffes und warf fie ins Meer - ihr Geſicht war weiß und unbeweglich ſtill wie dieſes. Ohne die Königin anzu⸗ blicken, die Augen immer nur dem Meere zugewandt, ſagte ſie:

„Ich werde das Wiegenlied ſingen.“ Aus einem werdenden Buch

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Rudolf Bach / Der Tempel von Segefta Ein Tagebuchblatt

25. April. Bald hinter Alcamo, bei einer fallenden Biegung der Straße, die der Wagen in weichem Schwung durchmaß, erſchien, noch fern, jenſeits des breiten ſtaubiggrünen Tals, in halber Höhe undeutlich von der Bergwand ſich abhebend, der Tempel von Segeſta. Mir begann das Herz zu klopfen es war der erſte wirkliche Gruß Griechenlands, den ich empfing. Nur ganz kurz blieb das heilige Bauwerk ſichtbar, dann entzog es ſich wieder dem Blick, und erſt nachdem wir ausgeſtiegen waren und an der häßlichen Wärterbude vorbei über einen plattenbelegten Weg zwiſchen wuchernd blühendem wildem Fen— chel langſam den Hügel erſtiegen hatten, ſtand uns der Tempel mit ſeiner öſtlichen Stirnſeite, erſehnt, erwartet, gewußt und dennoch überwältigend, in der ſchweigenden Kraft unmittel— baren Daſeins plötzlich gegenüber. Er iſt, wie man weiß, nicht fertig geworden. Noch zeigen die Treppenſtufen die ſteinernen Zapfen für den Transport, die Säulen ſind nicht kanneliert, der Boden im Innern blieb un— geebnet, nie wurde die Cella errichtet, die das Bild des Gottes bergen ſollte; nur ein Gehäuſe iſt ſo entſtanden. Wind und Wetter haben das Unvollendete nicht geſchont und dem weichen, bräunlichgelb ſchimmernden Kalkſtein ſchlimm zugeſetzt, Teile des Gebälks und einige Säulen mußten mit Eiſenbändern vor der Zerſtörung bewahrt werden. Aber das find doch nur Schram⸗ men auf der poröſen Schale, die Grundform iſt wunderbar er- halten. In der klaren Schönheit ewiger, einfachſter Zahlenver- hältniſſe, ihrer geheimnisvollen Bezüge und jener leiſen, aber entſcheidenden Abweichungen von der meßbaren Norm, die das Schöpferiſche kennzeichnen, erhebt ſich das ernſte, lichte Werk als der edelſte Triumph des ordnenden, geſtaltenden Gedankens in- mitten der öden Berglandſchaft, die Gregorovius tragiſch nennt, die uns heute indes, unter einem ſtillgrauen Himmel gleich⸗ mütig⸗gewaltig hingebreitet, zu epiſchem Ausdruck geſänftigt ſchien., Der Wind ſauſte in den Säulen wie in einem Walde,

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und Raubvögel ſchwebten ſchreiend über dem Gebälk.“ Goethe

ſchrieb dies faſt auf den Tag genau vor hundertzweiundfünfzig

Jahren, und ſo war es auch jetzt: wieder ſtanden Turmfalken

rüttelnd in der Höhe, um das ſtumm verwitternde Gebäude

tönte die kühl⸗ warme Luft traumhaft glitten die Zeiten in⸗

einander.

Hart hinter dem Tempelbezirk iſt weſtlich eine tiefe Schlucht

eingeriſſen, mit Kakteengebüſch und Kräutern bewachſen, im

Grunde fließt ein ſpärlicher Faden Waſſers, jenſeits breiten ſich

Weidenhänge unter kahlen Felsgraten, eine primitive Almhütte,

aus rohen Blöcken gefügt, lagert auf ſanft geneigter Wieſe. Ein

Mann, winzig in der rieſigen Umgebung, zwei Eimer an einem

Holzbügel über der Schulter tragend, ſtieg den jähen Schlucht⸗

hang nieder, ſchwach klang Geläut weidender Ziegenherden -

wenn ich die Augen ſchloß, nur den bimmelnden Ton hörte und

das Wehen im Geſicht verſpürte, war ich für Augenblicke weit fort in die bapriſche Heimat entrückt.

Später ritt ich auf einem Pferde, das mir ein junger Sizilianer mit unwiderſtehlich freundlicher Zudringlichkeit angeboten hatte, auf den Berg hinüber, der einſt die Stadt getragen hat und auf deſſen Gipfel das kleine, erhaltene antike Theater liegt. Weit umher entfaltet ſich von dort aus die Gegend: über die zerfallene Bühne hinweg ſtreift der Blick bis Caſtellamare, den Hafen des alten Segeſta, und bis zum Meer, von dem ein

matt blinkender Streifen ſichtbar iſt; landeinwärts heben ſich die gegeneinander geneigten, einſam⸗ fruchtbaren Felderbreiten, näher herauf ſind enge Klüfte voller Geröll in die Hänge ge⸗

riſſen, und in ungeheurem Halbkreis ziehen die Gebirge mit ihren weitgeſchwungenen, manchmal ſich überſchneidenden Kamm⸗ linien am Himmel entlang, wie eine einzige, ane und abſchwel⸗ lende Melodie.

Der Tempel, in ſchräger Tiefe, wirkt von hier oben als ein zier⸗ lich⸗feſtes, genau gearbeitetes Steingerüſt; längerem Betrachten wird es ergreifend deutlich, wie großartig er dem unbedingten, durch nichts abgelenkten Anſpruch dieſer herben, verlaſſenen Landſchaft Widerpart hält. Allerdings zeigt ſich auch nun erſt, welch einen unvergleichlichen Platz der unbekannte Erbauer ihm

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zugewieſen hat. Es ift der ſchönſte, der ſinnvoll⸗notwendige, der einzig mögliche. Wie der Hügel mit reiner Schwellung aus dem aufwärts ſtreichenden Tal ſich erhebt, wie er zwiſchen dem Stadt» berg und dem kahlen Gebirgsſtock im Weſten mitteninne liegt, im gerechten, weder zu großen noch zu geringen Abſtand und durch die ihn bogenförmig umziehende Schlucht entſchieden ab— geſetzt, wie er in dem groß flutenden Auf und Nieder der Um- gebung ein Gegründetes, zugleich ſchwebend Verharrendes be— deutet, eine ſacht in ſich geſpannte Fläche, einen auswägenden Stillſtand, wie der Tempel dieſe verborgenen Eigenſchaften durch ſein Vorhandenſein erſt entbindet, ſichtbar macht, ſie gleichſam zum Sprechen bringt, und wie der Hügel es dem Bau, den er trägt, wiederum damit vergilt, daß er ihn zum offenbar— geheimen Schwerpunkt der Landſchaft macht dies hat die Selbſtverſtändlichkeit des Vollkommenen. Mit Worten läßt ſich derlei nur unzulänglich andeuten, dem ſchauenden Gefühl aber teilt es ſich als reine Beglückung mit, wie es einſt dem wach— ſten und empfindlichſten ſchaffenden Gefühl entſprungen war. Paniſche Stunde. Unvergeßbar für immer, was jetzt in faſt willenlos träumender Empfängnis und einem keimenden Vor— gefühl verklärter Erinnerung erlebt wird: das verſchleierte Licht, das brütende Verharren der Erde, das unmerkliche Fortrücken der Schatten im Getrümmer, die geiſterhafte Gegenwart einer tief in ſich verſunkenen Trauer... Immer wieder ſchoſſen die hellgrünen und gelben Echſen aus Ritzen und Spalten hervor dieſe kleinen geſchwinden Naturgeiſter der ſüdlichen Welt; das leiſe Geraſchel im Gras, das Niederrollen eines winzigen Stein- chens tönte im Brunnen einer unausmeßbaren Stille. Drunten aber ſtand der herrliche Tempel, als harre er noch immer der Vollendung, die ihm doch niemals mehr beſchieden ſein kann. Denn das Hirn, das ihn erſonnen, die Hände, die an ihm ge⸗ baut haben, ſind längſt zu Staub zerfallen; auch der Gott wird nicht mehr bei ihm einkehren, hat er doch ſelber das Land ver- laſſen und iſt mit ſeinesgleichen zurückgetaucht in den Schoß der unaufhörlichen Verwandlungen.

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Erneft Claes / Wie Vater der Mutter vorlas

Am Abend aber las mein Vater der Mutter das Buch ‚Der Rekrut‘ vor. Die Mutter konnte weder leſen noch ſchreiben, und ſie war auch immer ſo ausgekommen, ſagte ſie. Sobald es dun⸗ kel wurde, ſaß ſie in der großen Stube beim Ofen, die Petro⸗ leumlampe aus weißem Porzellan mit dem grünen Schirm dar⸗ über ſtand auf dem Tiſch, und daneben waren Vaters Pfeife und das Buch ſchon bereit gelegt. Der Löwener Ofen mit dem langen, flachen Rohr, auf dem ein Topf oder ein Waſſerkeſſel leiſe ſummte, erfüllte die Stube mit wohliger Wärme, und durch das herzförmige Luftloch unter dem Feuerherd fiel auf den Fußboden ein kleiner roter Lichtfleck. Die Mutter wartete. Hinter dem Tiſch, in eine Ecke neben dem Kleiderſchrank ver⸗ krochen, hockte ich, machte mich ſo klein wie nur möglich, den Kopf andächtig über meine Bibliſche Geſchichte gebeugt, von einem beiſpielloſen Eifer erfüllt, meine ‚Aufgaben zu lernen‘, und wartete ebenſo ungeduldig auf den Vater wie die Mutter. Wenn dieſer dann allzu lange wegblieb, wurde die Mutter un⸗ ruhig, ſtopfte ſelbſt mit tatkräftigen Fingern die Pfeife, rutſchte auf ihrem Stuhl hin und her, fachte das Feuer an und ſagte ſchließlich: „Er weiß, daß ich das lange Warten nicht vertragen kann! .. . Junge, fieh mal raſch nach, wo der Vater bleibt!” Das war ein Befehl, der ſowohl dem Vater wie mir galt. Ich flitzte hinaus und rannte zur Scheune oder in den Garten, wo der Vater noch bei der Arbeit war. „Vater, die Mutter läßt fragen, ob du auf der Stelle zum Leſen kommſt!“ Der Vater fühlte ſich dadurch in ſeinem tiefſten Innern geſchmeichelt, aber er antwortete dennoch: „Die Mutter denkt wohl, daß ich weiter nichts zu tun habe?” Er tat ein wenig wichtig. Und als er dann hereinkam, ging das ſo furchtbar langſam, ſo in aller Ruhe, er mußte erſt noch die Hände waſchen, im Stall nachſehen, etwas ſuchen, was er gar nicht brauchte. Endlich ſaß er auf ſeinem Stuhl, griff zunächſt nach der Pfeife und ſteckte ſie in den Mund. Sofort ſchob die Mutter einen Hanfſtengel durch das Luftloch des Ofens ins Feuer, zog ihn mit einer großen Flamme zurück und ſetzte Vaters Pfeife in Brand. Ein paarmal paffte

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er mit ſchmatzenden Lippen und meinte dann: „Viel zu feſt ge- ftopft!... Dab, pah!... Sie zieht nicht!...“ Die Mutter wollte das nicht glauben, fie hielt den brennenden Hanfſtengel auf— recht in der Hand und wartete. Darauf kratzte der Vater mit einem Haſenbeinknöchel den Tabak aus der Pfeife in die linke Hand, führte bedächtig einen Grashalm durch den Stiel, ſtopfte die Pfeife dann ſelbſt, aber alles ſo ruhig und langſam, daß die Mutter, während ſie ihm zum zweiten Mal den brennenden Hanfſtengel vor die Pfeife hielt, mißbilligend ſeufzte: „So ein Mann!. . . So ein Mann! . .. Eine arme Frau hat es wahr— haftig nicht leicht!“ Dann nahm der Vater das Buch, öffnete es, wo er am Abend vorher das Blatt mit einem Eſelsohr ver— ſehen hatte, und gleich zeigte die Mutter mit dem Finger: „Da haſt du geſtern abend irgendwo aufgehört.“ Und Vater las. Ich hockte in meiner Ecke am Kleiderſchrank, faſt hinter ſeinem Rücken, und muckſte mich nicht. Den Kopf zwiſchen den Händen, ſtarrte ich unentwegt in meine Bibliſche Geſchichte, auf Daniel in der Löwengrube, auf die drei Männer im glühenden Ofen oder auf irgendeine traurige Geſtalt aus jener traurigen Zeit. Aber meine beiden Ohren waren bei dem, was der Vater vor— las, und meine Augen blickten durch die Finger mehr auf Va— ters Geſicht als auf den Propheten Daniel.

Mein Vater las genau ſo, wie es zu den Büchern von Hendrik Conſcience paßte, in ruhigem, gleichmäßigem Ton. Es ſtanden viele hohe, ſchöne Worte darin, die wir in unſerem Dorf nicht gebrauchten, aber wir verſtanden ſie dennoch oder errieten ihren Sinn. Diefe gelehrten Worte mußten daſtehen, die Gee ſtalten des Buches mußten ſo ſprechen, ſonſt wäre die Geſchichte viel weniger ſchön geweſen. Nie geriet mein Vater dabei ins Stocken, nirgends kam eine Zeile darin vor, über die man lange nachdenken mußte, nein, alles war ſonnenklar und ein⸗ fach, die Männer und Frauen waren ſo, wie Vater und Mut⸗ ter fie haben wollten, gut oder ſchlecht, man mußte hindurch⸗ ſchauen können, keine ſeeliſchen Widerſprüche und Rätſel, die man doch nicht begreifen konnte. In der gleichmäßigen Stimme des Vaters lag etwas Feierliches, das ihn über ſeine gewöhn⸗ liche Tätigkeit im Hauſe und unter den Menſchen hinaushob.

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Sein Geſicht beugte ſich über das Buch, auf feiner Stirn liefen von oben nach unten zwei Runzeln, ſeine Augen blickten ernſt, geſpannt, und die Pfeife hatte er auf den Tiſch gelegt. Ich be⸗ trachtete ſein Geſicht mit großer Liebe, er war dann etwas mehr als mein alltäglicher Vater. Seine ſchöne Stimme verriet kei⸗ nerlei Haſt, keinen ſtürmiſchen Drang, bald zu erfahren, wie es ausgehen würde, er las langſam, Satz für Satz, ſo wie er mit zwei Jahre vorher Geſchichten erzählt hatte, als wir beide krank waren.

Mit irgendeiner Näh⸗ oder Stopfarbeit in den Händen, ſaß die Mutter unmittelbar vor ihm und hörte mit einer Aufmerkſam⸗ keit zu, die ſich von nichts und niemand ſtören ließ. Nach einer Weile ruhte die Näharbeit auf ihrem Schoß, und ihre Blicke hingen an Vaters Geſicht. Sie zog ihm förmlich mit den Augen die Worte aus dem Mund. Aber ſie war durchaus keine ſchweig⸗ ſame Zuhörerin. Während der Vater las, machte die Mutter laut ihren Gefühlen Luft und äußerte ihre Meinung über die Helden des Buches. Fortwährend hieß es: „Ah!... Haha! Hatte ich mir doch gedacht! ... So ein Schuft! .. . Da ſteckt etwas dahinter! ... Das hatte ich von dem erwartet ... O je, o je!... Wenn ich dieſen Schurken jemals in die Finger kriege! .. . je nach der Empfindung, die das Buch bei ihr aus⸗ löfte. Mitunter wurde es dem Vater zuviel, dann klappte er das Buch zu, warf es auf den Tiſch und brummte: „Wenn du nun noch einmal ein einziges Wort ſagſt, dann leſe ich, Himmel⸗ donnerwetter, nie und nimmer mehr!” Schon griff feine Hand nach der Pfeife, und die Mutter hielt ihm bereits den brennen⸗ den Hanfſtengel hin, denn für den Vater war das eine Ge⸗ legenheit, wieder einmal zu rauchen. Inzwiſchen aber bekam er die richtige Antwort: „Was! Eine Mutter darf wohl im eige⸗ nen Hauſe nicht mehr ihre Meinung jagen?” Nach einigen Zügen und nachdem er vergeblich verſucht hatte, gleichzeitig zu rauchen und zu leſen, wurde die Pfeife wieder auf den Tiſch gelegt, der Vater las weiter, und die Mutter machte in lauten Ausrufen ihrem Herzen Luft: „Hat man denn je fo etwas gehört! ... Ich bin neugierig, was daraus werden ſoll ...“ Schwieg fie eine ganze Weile, indem fie ſich mit Ge⸗

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walt beherrſchte, dann wurde der Vater unruhig, er begann zu ſtocken.

„Findeſt du es vielleicht nicht ſchön?“

„Warum?“

„Ich meine nur, ... weil du nichts ſagſt.“

Wenn der Vater aufhörte, ſtand ſie immer ungern von ihrem Stuhl auf. Sie brannte vor Neugier, zu erfahren, was aus den Leuten werden ſollte.

„Kannſt du nicht hinten im Buch einmal nachſehen, wie es aus— geht?“

„Nein,“ ſagte der Vater, „du ſollſt nicht ſo neugierig ſein.“ „Aber .. . wenn die arme Frau noch lange fo gequält und ges martert wird, dann iſt das kein gutes Buch. Unſer Herrgott kann ſo etwas nicht zulaſſen.“

Für Vater und Mutter war alles, was ſie laſen, echt und wirk— lich geſchehen. Die Mutter wandte außerdem alles, was in den Büchern ſtand, fortwährend auf ihr eigenes Leben und ihre Umgebung an. Wenn der Vater eine Seite vorlas, wo ein Mann zu feiner Frau mit allerlei „zärtlichen und freundlichen Worten“ ſprach, fait als wären fic noch in den Flitterwochen und wie das nur in Büchern vorkommt, warf meine Mutter ihm plötzlich einen prüfenden Blick zu, ſtieß ihn ans Knie und ſchmunzelte: „Ich kenne Männer, die für ihre Frau nicht immer ein ſo gutes Herz haben.“ Der Vater überhörte das. Las er et— was von einem grauſamen Unmenſchen, daß einem die Haare zu Berge ſtiegen, dann konnte die Mutter die Hände in die Hüften ſtemmen und drohend erklären: „Das follte nur eine mal einer in meinem Hauſe verſuchen!“

Die Mutter erlebte dieſe ſchönen Geſchichten ſo innig mit, daß ſie manchmal mitten in der Arbeit ſtehen blieb und zu ihren Töchtern ſagte: „Kinder, Kinder, was gibt es doch ſchlechte Männer auf der Welt! Laßt uns ein Vaterunſer beten!“ Wore auf Jo und Liſa ſich erſchrocken anguckten, denn ſie dachten, daß die Mutter damit ihre Freier meinte. Und abends ſpät, als alle im Bett waren und die Stille das Haus erfüllte, habe ich - die Schlafkammer der Eltern lag der unſeren ſchräg gegenüber, und nachts ſtanden alle Türen offen die Mutter den Vater oft fragen

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hören: „Aber dieſer Ludwig, du weißt ſchon, war der aus dem andern Buch, oder war der...” Die arme Mutter wurde oft nicht mehr klug daraus. Der Menſchen, an deren Schickſal ſie lebhaft Anteil nahm, wurden ſo viele, daß ſie den einen mit dem andern verwechſelte. Und dann begann der Vater, der nie irre wurde, in der Stille und im Dunkeln von neuem zu erzäh⸗ len. In unſerer Kammer ſteckte ich leiſe den Kopf aus dem Bett und lauſchte, ſolange ich Vaters Stimme hörte.

In den Wintermonaten wurden jeden Abend nach dem Effen der Roſenkranz und die Litanei Unſerer Lieben Frau gebetet. Vater ſelbſt betete vor. Das war ein Teil des Tages, gegen den niemand etwas einzuwenden hatte, und jeder konnte unter⸗ deſſen die Arbeit fortſetzen, mit der er gerade beſchäftigt war. Nach der Litanei folgte eine lange Kette von Vaterunſern und ‚Begrüßt ſeiſt du, Maria‘ für Großmütter und Großväter, Tanten und Onkel, von denen wir viele nicht einmal gekannt hatten und die höchſtwahrſcheinlich alle längſt in den Himmel hineingebetet worden waren. Es begann mit Vaters Familie, und als erſter in der Reihe kam der ſelige Onkel Wilhelm, dann folgte Mutters Familie. Nun betete die Mutter ſelbſt vor, und zwar in einem Ton, der deutlich zu verſtehen gab, daß ihre verſtorbenen Verwandten ebenſogut wie die des Vaters auf die ewige Seligkeit ein Anrecht hätten. Ihre Mutter war außerdem zweimal verheiratet geweſen, ein anderes Mitglied der Familie war ſchon zum dritten Male Witwer, und für deſſen letzte Frau, die wir nicht gut hatten leiden können, beteten wir ein wenig leiſer als für die beiden erſten, jedesmal ein Vaterunſer und ein „Gegrüßt ſeiſt du, Maria“. Es ſchien kein Ende nehmen zu wol⸗ len. Wir gingen nach Teſtelt zum Begräbnis irgendeines On⸗ kels, und als wir den Friedhof verließen, flüſterte Hein: „Das gibt heute abend wieder ein Vaterunſer mehr.“ In dieſem Win⸗ ter nun hatte der Vater ‚Baas Ganſendonck vorgelefen, und am Schluß, wo Karl zurückkehrt, gerade als das arme Lieschen zu Grabe getragen wird, hatte die Mutter leiſe geweint. Mit einer vor Rührung faſt erſtickten Stimme hatte der Vater ge⸗ meint: „Mußt du deshalb nun heulen?“ Und an dieſem Abend, nach der Reihe der üblichen Vaterunſer, als Hein ſchon die

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Hand erhob, um das Zeichen des Kreuzes zu machen, ſagte die Mutter plötzlich: „Wir wollen auch noch ein Vaterunſer beten für Lieschen von Baas Ganjendond .. . Vater unſer, der du biſt im Himmel...” Nachher fragte unſer Franz: „Wer iſt denn jetzt ſchon wieder geſtorben?“ Ich wußte es, und für keine Tante und für keinen Onkel habe ich mit fo viel Inbrunft gee betet wie für Lieschen. Für viele Geſtalten aus den Büchern von Hendrik Conſcience haben meine Mutter und ich gebetet.

Auch Mutters Brille ſpielte beim Vorleſen eine Rolle. Jedes Jahr kaufte fie eine neue Brille, nicht eine teure aus dem Bril— lenladen in Dieſt, ſondern eine vom Brillenmann, von dem Mann mit dem Kaſten, wie er bei uns hieß. Das war ein Hauſierer, der ein paarmal im Jahr durch die Dörfer zog und in einer ſchwarzen Kiſte, die er auf dem Rücken trug, allerlei Bedarfsgegenſtände mitbrachte, die die Leute auf dem Lande gebrauchen konnten. Wir kannten ihn ſeit Jahren. Gewöhnlich trat er ein, wenn wir beim Mittageſſen waren, ſtellte ſeinen Kaſten auf den Fußboden, ſchlug den Deckel auf, ſetzte ſich zu uns an den Tiſch und ſagte: „Ich darf wohl ein Tellerchen Suppe miteſſen, Bäuerin?“ Er war ein ſtiller, freundlicher Mann. Von ſeinem geöffneten Kaſten iſt mir am ſtärkſten der liebliche Duft feiner Seifen, der daraus aufſtieg, in der Erinne- rung geblieben. Daheim wurde für jegliche Wäſche, auch fürs Geſicht, nur weiche grüne Seife gebraucht. Hinter Mutters Rücken kauften meine Schweſtern wohl ab und zu ein Stück feine Seife, das ſie dann irgendwo verſteckten. Es war ihnen darum zu tun, am Sonntag, wenn der Liebſte kam, angenehm zu duften. Der Kaſten des Händlers enthielt ferner Nadeln und Zwirn, Briefpapier und Umſchläge, Roſenkränze und Ge⸗ betbücher, Haken und Gſen, Schuhbänder, das Gebet Kaiſer Karls, Tropfen gegen Zahnweh, Haarlemer Gl gegen alle Schmerzen, Brillen und vieles andere. Von dem Haarlemer Ol hatte der Mann einen großen Vorrat, denn jeder Bauer kaufte das gegen Krankheiten von Menſch und Vieh. Wenn alle Tees, die unſere Mutter zubereitete, nicht mehr halfen, be⸗ kamen wir einen Schuß Haarlemer Öl in einem Becher abge⸗ rahmter Milch, und das war ſchlimmer als Tiſſens⸗Tee. Von

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dieſem Hauſterer alfo kaufte die Mutter jedes Jahr eine neue Brille. Er gab ihr mit gelehrten Worten zu verſtehen, daß ſie wieder ein Jahr älter geworden wäre, daß ihre Augen um ein Jahr ſchwächer geworden wären und ſie nun eine entſprechend ſtärkere Brille brauchte. Er hatte ſolche für alle Lebzeiten und für alle Augen. Die Mutter glaubte dem Mann aufs Wort, ſagte ja und nein, und wenn er ſie auf dieſes oder jenes auf⸗ merkſam machte, was das Sehen betraf, dann ſtimmte das mit ihren eigenen Erfahrungen genau überein. Sie verſuchte eine Brille nach der andern, betrachtete dann den Strumpf, den ſie in der Hand hielt, ob ſie die Maſchen deutlich erkennen konnte, denn das war das Kennzeichen für eine gute Brille, und als der Krämer endlich ſagte: „Sehen Sie, Bäuerin, das iſt nach meiner Meinung die Brille, die für Ihre Augen paßt“, nun ja, dann war das ſo, die Mutter ſah beſſer damit als mit der vom vorigen Jahr, ſie holte ihren grauen Geldbeutel hervor und zahlte zwanzig Cent. Es waren, glaube ich, alles die gleichen Brillen, nur mit dem einen Unterſchied, daß die Gläſer der neuen Brille nicht ſo ſchmutzig waren wie die der alten. Brauchte die Mutter nun eine Brille, um zu nähen, zu ſtop⸗ fen oder ihr Geld zu zählen? Sie ſah alles, was im Hauſe und im Hof geſchah, auch ohne Brille. Wenn ſie am Sonntagnach⸗ mittag ihren großen Söhnen das Taſchengeld auszahlte, ge⸗ ſchah es mitunter, daß ſie anſtatt eines halben Franken einen halben Nickelgroſchen auf den Tiſch legte, verſehentlich natür⸗ lich, und wenn Hein oder Ludwig dieſen lächerlichen halben Groſchen mit dem Finger zurückſchoben und meinten: „Nein, Mutter, das geht nicht!“, dann rieb fie fic) die Augen, be trachtete das Geldſtück aus nächſter Nähe, ob es vielleicht doch nicht.. . und klagte: „Ja, Kinder, wenn ich meine Brille nicht auf babe!”

Wir Kleinen waren dabei, wenn die Brille ausgeſucht wurde, verſuchten fie auch der Reihe nach und redeten der Mutter tiid- tig zu, die neue Brille ſofort zu kaufen. Das mußte ſie doch auch ſehen, daß die neue Brille viel ſchöner war als die alte. Nicht weil wir um Mutters Augen beſorgt waren, taten wir das, aber wenn die neue Brille gekauft wurde, bekamen wir die alte. Und

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eine Brille im Beſitz eines Schuljungen ... Stellt euch das vor! Seht ihr, wie er heimlich davonſchleicht, die Straße bin- unterrennt und, ſobald die elterliche Wohnung außer Sicht iſt, die Brille aufſetzt? Er zieht die Mütze ein wenig ſchiefer und tiefer über das weiße Haar, ſchiebt die Hände forſch in die Ho- ſentaſchen wie ein Erwachſener und macht ſich ſo auf den Weg zur Schule. Er denkt, daß er nun ein ernſteres Geſicht machen muß, weil er eine Brille trägt. Bekannte und Nachbarn, die ihm begegnen, ſehen ihn neugierig an, ‚ob er es auch ift‘. Er macht eine Miene faſt wie ein Bettler, der Vaterunſer herunter— leiert, während die Prozeſſion vorüberzieht. Das dauert bis... Dort ſtehen ſeine Kameraden, Peer, Jef, Tiſt, Guſt, und war— ten auf ihn. Sie gaffen ihn ſtumm an, als er ſich ihnen nähert. „Was haſt denn du da auf?“

„Na, eine Brille! Oder haſt du keine Augen?“

„Und kannſt bu... kannſt du damit ſehen?“

„Natürlich.“

„Und wo haſt du die geklaut?“

„Das geht dich nichts an!“

„O du Großmaul!“

Gleich iſt eine Rauferei im Gange, ſie hauen ſich, daß die Haare fliegen, warum, das wiſſen ſie nicht, aber es iſt jedenfalls keine Art, plötzlich mit einer Brille daherzukommen, ohne daß Tiſt oder Guſt davon gewußt haben. Das am ſchlimmſten zugerich— tete Opfer dieſer Balgerei iſt die Brille. Aber ſelbſt mit einer kaputten Brille kann ein Junge ſich in der Schule, hinter dem Rücken des Lehrers, noch ſtundenlang beſchäftigen. Man muß nur wiſſen, wie man es macht, darauf kommt es an.

Beim Stopfen oder Nähen ſetzte aber die Mutter durchaus nicht immer ihre Brille auf. Mitunter war es das Licht der Lampe, das gerade auf ihr ſchlechtes Auge fiel oder die Stopfnadel zu ſehr glänzen ließ, oder es war die Farbe des Strumpfes, ſo daß es, offen geſagt, ohne Brille leichter ging. Aber ſobald der Vater fid) zum Vorleſen hingeſetzt hatte und die Mutter einen Strumpf zu ſtopfen begann, konnte ſie ihre Brille nicht entbeh⸗ ren, und ſie verſtand dann alles, was der Vater vorlas, viel beſſer.

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Es iſt bas deutlichſte und ſchönſte Bild von Vater und Mutter, das ich durchs Leben mitgetragen habe, wie ſie ſo Abend für Abend einander gegenüberſaßen, neben dem altmodiſchen Herd und im Schein der Lampe, und wie Vater der Mutter vorlas aus den Büchern von Hendrik Conſcience. Noch ſehe ich das feine, zarte Geſicht der Mutter, andächtig lauſchend, und den ernſten Zug um Vaters Mund, und noch höre ich ſeine Stimme. Ein ſtarkes und ſchönes Geſchlecht lebte in dieſen beiden Men⸗ ſchen fort. Ganz in ſich gekehrt konnte mein altehrwürdiger, kluger Vater mitunter mitten in der Arbeit ſinnend einhalten und dann plötzlich etwas ſagen, worauf niemand antwortete, aber worüber jeder, der es hörte, lange nachdenken mußte. Und meine Mutter war die Tochter jenes ſonderbaren Herrenbauern Tiſt Lemmens, der mit einem hohen Hut auf dem Kopf zu Pferd über ſeine Felder ritt; deſſen ſtarken Geiſt und ſtolze, herriſche Natur hatte ſie geerbt. Zwei gute Menſchen, deren in⸗ neres Leben glücklich und ruhig verlief und die ſtets vor allem daran dachten, ihren elterlichen Pflichten zu genügen. Sie machten nicht viel Worte über das, was getan werden mußte oder was hinter ihnen lag, nebeneinander und miteinander widmeten ſie ſich ganz der Arbeit und der Sorge des Augenblicks. Es war des Vaters höchſtes Gebot den Kindern gegenüber, daß ſie die Mutter ehren und ihr gehorchen ſollten. Jeden Morgen nahmen ſie Lieb und Leid des kommenden Tages wie einen zeitloſen Teil des Lebens auf ſich, und jeden Abend ſchloſſen ſie in frommer Ergebung die Tore des Lichtes wieder zu. Nichts, keine Freude und kein Kummer, konnte ihnen dieſes ruhige, be⸗ ſonnene und unermeßliche Gleichgewicht zerſtören, das ihre größte Kraft war und aus ihrem Weſen wie ein beſtändiger Segen über alles und alle ausſtrahlte. Sie glaubten an Gott, feſt und fromm, mit einem Glauben, der ebenſo unerſchütter⸗ lich war wie der Grund, auf dem ſie ihr Haus gebaut hatten. Und wo menſchliche Mittel nicht mehr ausreichten, vertrauten ſie ganz und gelaſſen auf Gott. Die Gedanken, von denen ſie ſich leiten ließen, drangen über die Grenzen des Lebens hin⸗ aus, ſie gehörten der Ewigkeit, weil die Eltern wußten, daß das letzte Ziel für all ihr Tun und Trachten die Ewigkeit war, weil

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Zeichnung zu Goethes Novelle Von Willp Widmann

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alles, was ihre Augen in Gottes großer Welt ſahen und was ihre Ohren hörten, ſelbſt die Schmerzen und Freuden der Men⸗ ſchen, ſeinen Urſprung hatte im ewigen Vater.

So haben ſie gelebt bis zu ihrer letzten Stunde.

Der Vater der Mutter vorleſend, ſo ſehe ich die beiden immer

noch vor mir. Aus Erneſt Claes' neuem Buch ‚Tugend‘ Aus dem Flämiſchen übertragen von peter Mertens

Eberhard Meckel / Die Glocken

In den Türmen, im Geſtühle droben, frei von heimatlicher Luft umfangen,

zu den Wetterkammern hoch erhoben, ſtill und wartend unſre Glocken hangen.

Wenn die Winde föhnig ſie umſingen,

in dem Joche wiegen ſie ſich leiſe,

an den Erzleib will der Klöppel ſchwingen, ihn zu wecken nach gewohnter Weiſe.

Bis dann eines Nachts im vollen Sturme es gelingt, die Münder all erwachen, ein metalliſch Leben wird im Turme, im Gebälke hört mans ſtöhnen, krachen

Und dann ſprechen ſie von ganz alleine,

alle wunderbar und rings im Chore,

Echo weckend längs am Oberrheine

dröhnts im Schlaf den Menſchen dumpf im Ohre.

Wie ſie frommer Sinn dereinſt gegoſſen, aus der Zeiten Dämmer, Trübſal, Morden, Wechſelglück und Schaffen unverdroſſen find fie Stimme unſres Lands geworden.

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Unſres Alemannenlandes Stimme, eine helle, laute, orgeldunkle,

daß der alte Glaube nicht verglimme, daß das alte Feuer glühe, funkle.

Nicht dem Beter ſind ſie nun Willkomme, nicht den Gott, um den man ſtreitet, rufen ehern ſie jetzt an und holen Fromme in die Münſter vor die Altarſtufen

Nein, ſie läuten heut dem Alten Gotte, der unzeitlich über allem wandelt

und dem man in Lehre und im Spotte nichts von ſeinem Weſen abgehandelt.

Der in Wäldern lebt, im Ginſterbühle, neblig das Gewand, voll Farn die Haare, und aus ſeiner Quellenkammern Kühle rinnen ruhlos unſres Grundes Jahre.

Der da atmet in des Schneewinds Singen und vorüberpfauchet unbeſchrieen;

wer zu hören weiß, dem widerklingen

alle unſre alten Melodieen.

Der im Rebſtock wohnet und im Schimmer unſrer Hügel lagert in der Sonnen,

und im Weingrund ſchläfernd hat er immer in den Traum des Manns ſich fortgeſponnen.

Der da ſchilfig hockt im Altgewäſſer zwiſchen Ried und Moor in öder Runde; leert er mit dem Volk die prallen Fäſſer, lacht er trunken in den Rauſch der Stunde.

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Der in ebnen, fatten Felderſtreifen, in der kargen Krume ſteiler Lehnen leiſe mithilft an dem Wachſen, Reifen, das wir aus der Arbeit uns erſehnen.

Der da, in der Hand die Goldne Waage, wiegt das Herz mit unſeren Gewalten,

daß zumeiſt, nach früher Tat und Sage,

Werk und Traum nur ſchwer die Mitte halten.

Der in allem Lauten, Zarten, Stillen, Urgeheimen, aus der Kraft erleſen,

kund tut ſeinen großen Plan und Willen, welche bilden unſres Stammes Weſen.

Der da in dem Räſen, Schweren, Derben unſre Art durchgeiſtet und erſchaffet,

die Verſchloßnen, Ernſten, Heitren, Herben, alemanniſch Volk, zuſammenraffet

Herrlich gelten ihm die Glocken alle, und er hat ſie wiederum vernommen, wie ſchon oft, wenn ſie mit ihrem Schalle nächtlich rufend ſo zu ihm gekommen.

Und er hebt ſich als ein Wächterſchatten über unſre Heimat, ſchlafbegraben

mit den Städten, Dörfern, Tälern, Matten. Denn er bleibt der Hüter ihrer Gaben.

Doch er ſegnet nicht. Er weiß es lange: Wenn die Glocken ſolche Zeichen geben, wird das Land aus ihrem reinen Klange, was auch fei, in feiner Fülle leben...

*

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Katharina Kippenberg / Glück am Morgen

Agathe fuhr aus dem Schlaf auf, es war noch beinahe dunkel im Zimmer, doch ſchimmerte ſchon ſo viel Licht, daß die Möbel größer, als ſie waren, und wie auseinanderfließend in weichen Umriſſen ſich von der Wand abhoben und der goldene Bilder⸗ rahmen gegenüber dem Fenſter anfing zu glänzen. Die Amſel ließ hin und wieder ein paar Töne fallen, die einſam in der Stille liegen blieben. Die junge Frau wartete, daß es heller würde; drei Uhr ſchlug es. Sie würde doch nicht wieder ein⸗ ſchlafen, ſo ſtand ſie auf und kleidete ſich an, von der Frühe er⸗ regt, während das Licht nun raſch das Zimmer ausfüllte und die Vögel draußen munter wurden. Das Ankleiden war genuß⸗ reich; es war belebend, ſich die Flechten glatt und ſtramm um den Kopf zu legen; es war ſchön, im Spiegel Freude an ſich ſelber zu haben. Was für Verheißungen hatte er für ſie bereit! Sie blühte wie ein Roſenbuſch, ſie ſtand im ſommerlichſten Alter, es war Juni in ihrem Leben. Jetzt noch, noch jetzt, durchfuhr es ſie, noch einige Jahre iſt es dir geliehen und öffnet dir die Her⸗ zen. Tauch ein in tiefſte Gegenwart. Und wie ſoll er mich heute ſehen? Im blauen Kleid. Sie öffnete den Schrank, und die Hitze vom Tage vorher, ſo darin aufbewahrt wie ein Andenken in einem Schmuckkaſten, wehte ihr als kleiner eigenwilliger Sommer entgegen. Nun ging ſie das Treppenhaus hinunter. Feierlich war es, weiß und ſtill, verſchlafen hingen die Vor⸗ hänge herab und lag der Teppich da. Sie hakte den Riegel auf, ſchlug die ſchwere Holztür zurück und ſtand auf der Veranda. Das war der Morgen. Das Licht hatte ſich ſchon der Luft be⸗ mächtigt und Wärme hineingegoſſen, ſie ſchwoll, in Wirbeln ſtieg die Kühle auf und warf ſich gegen die Strahlen des jungen Tages. Dieſe drängten gegen die Bäume und Büſche und an die Blumen, und herbe und ſüße Wohlgerüche dampften aus ihren Kelchen. Noch hielt ſich eine ſchwarze Dunkelheit unter den Bäumen, welche ſich aber bei der Kaſtanie unten in blaue Luft auflöſte, während oben die Blätter ſchon blank im Licht lagen. Uber den Roſen funkelte es glänzend; die dunkelroten waren ſo viel ſtärker von Farbe als die mattgrünen Blätter

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ihres Strauches, daß fie ihn für das Auge ganz auslöſchten und es ausſah, als flögen bunte Bälle in der Luft. Der volle Chor der Vögel hatte ſich erhoben. Die Amſel haſtete aufgeregt über den Weg, und der trauliche Zilpzalp ließ ſich von der Dachrinne hören. Agathe ſtand mit offener Seele wie eine Schale, das Wirken und Weben des Gartens in feiner Morgenſtunde auf- zunehmen. Sie ließ ſich vom Licht füllen und fühlte ſich mit ihm immer höher emporgezogen. Nun ſtieg die Sonne über den grü— nen Horizont der Bäume und traf fie mit einem ſcharſen Strahl. Da war es getan. Ein leuchtender Glanz breitete ſich über den Garten, wie ein Lächeln über die Züge eines Siegers, und eine warme Stille befiel ihn. Agathe fühlte mit einem Male eine große Müdigkeit, ſie legte ſich auf das Ruhebett der Veranda, um den Schlaf nachzuholen, den ſie verſäumt hatte. Da ging die Tür auf, und ihr Kind trat heraus, im hellgrünen Kleidchen, noch ohne den Gürtel, die Haare ſorgfältig gebürſtet, doch mit nackten Beinchen. Es hatte einen kleinen roſaſeidenen Arbeits— beutel am Arm. Es war aufgeſtanden, eine Handarbeit für die Schule fertigzumachen, und die Freude über den löblichen Vor— ſatz lag auf ſeinem Geſicht. Es ſetzte ſich zur Seite der Mutter. Du mußt hübſch ſtille ſein, ſagte dieſe und fiel in einen lieblichen Schlaf. War es ein Schlaf? Ein goldenes Netz vielmehr, das fie umſpann und immer himmliſcher verſtrickte. Nur kamen wie⸗ der und wieder Löcher hinein. Einmal riß eine Vogelſtimme ſie auf, öfter die Stimme ihres Kindes, das das Plaudern nicht laſſen konnte; dann tat ſich der feine Schleier auseinander, durch den ſie in das Wachſein wie in eine Täuſchung blickte, während das weiche Wegſinken und Fluten um ſie her ihr als die echte Wirklichkeit erſchien. Endlich aber wurde das wohlige Geſpinſt um ſie ſo dünn, daß die Schläferin ſich ſchon ermun⸗ terte, als das Kind das Nähetui zuklappte, in das es ſein Scher⸗ chen geſteckt hatte. Es ſaß wie mütterlich da, und ſie fühlte ſich in ſeiner Nähe geborgen. Nun wollen wir aber zum Frühſtück gehen, ſagte Agathe. Vor dem Fenſter des Speiſezimmers ſtand ein großer Fliederbuſch, der ſo reich blühte, daß man ihn um dieſes kurzen Feſtes willen ſtehen ließ, ob er auch das Zimmer ein wenig beſchattete. Um aber ſein Leben vollends zu retten,

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hatte er in dieſem Jahr in der Gabelung feiner Zweige einem Buchfinkenpaar Wohnung gewährt, und der Tiſch im Aſt wurde ebenſo eifrig beſtellt wie der im Eßzimmer. Wenn der Wind es wollte, ſchwebte das Neſt dicht an das Fenſter heran, und man ſah, wie das Finkenweibchen die Bruſt dehnte, um ſich recht feſt in das Neſt einzuſpannen und nun wohlig auf und ab tragen zu laſſen. Je heller draußen die Sonne ſchien, deſto grüner wurde es im Zimmer. Die Bäume wiſchten Schatten an die Wände, eine heimliche Atmoſphäre breitete ſich darin aus, das Porzellan und das Silber ſchimmerten.

Agathe ſteckte drei rote Lichter auf den Kuchen, der rund und freundlich in der Mitte des Tiſches ſtand, ein wahrer Pracht⸗ kuchen, unten ſattbraun, in ſchrägen Riefen ſich durch alle ver⸗ wandten Töne bis zum goldigen Gelb hindurchſpielend und be⸗ haglich über den Tiſch duftend. Sie umlegte ihn mit Blumen und ſteckte eine kecke Tulpe in ſeine hohle Mitte, und auch die Teller der Gedecke wurden bekränzt. Da kam Hermann, der Freund. Er wohnte nur einige Häuſer entfernt von dem ihren und liebte es, bisweilen am erſten Frühſtück teilzunehmen. Es ſprach ſich ſo klar und geſund am Morgen, es war oft hinter⸗ her, als hätte man, durch eine feſtliche Girlande hindurchſchrei⸗ tend, den Tag betreten. Heute war nun der dritte Geburtstag ihrer Freundſchaft. Das Kind hatte feine Taſſe Milch ausge⸗ trunken und ſtand auf. Es legte, auf die Zehen ſich erhebend, einen Brocken von ſeinem Stück Kuchen auf die ſchräge Mauer vor dem Fenſter, ließ ſich den Schulranzen von der Mutter ein⸗ haken, nachdem dieſe nachgeſehen, ob das Leſebuch und die Schiefertafel für die heutigen Stunden darin wären, und hüpfte davon.

Agathe, ſagte Hermann, ich werbe um Sie nun bald ſo lange wie Jakob um ſeine Rahel. Ich habe das vollſte Verſtändnis dafür, daß Sie nach den Erſchütterungen, die Sie durchlebt haben, zögern, eine neue Bindung einzugehen. Eine Scheidung iſt allemal ein blutiger Vorgang. Man mag mit ſo viel Scho⸗ nung gegenſeitig verfahren, wie man will, es iſt ein Ausein⸗ anderreißen eines Organismus, wie ſchlecht er auch zuſammen⸗ gewachſen ſein mochte. Es geht dabei nicht ohne Wunden und

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Verletzungen, ohne das ſchmerzhafteſte Zerſchneiden von Herz⸗ faſern ab. Dieſe ſollten erſt heilen, und Sie wollten ein Menſch für ſich wieder werden vollkommen begreife ich es —, aber, teuere Frau, ſind Sie das nicht ſchon längſt wieder geworden? Ich fürchte, der Grund Ihres Zögerns liegt woanders, liegt in mir. Es iſt wahr, daß, als wir uns kennen lernten, ich mich in der unglücklichſten Lage befand; der gegenſeitige Kummer hat uns ja zuſammengeführt, und er machte mich nicht eben anzie- hender.

Denken Sie noch an die Bank vor dem Brunnenhauſe? Ich wußte ja längſt, daß es nur eine Höflichkeit der Arzte war, mir dieſe Kur zu verordnen, und ein freundlicher Betrug, mich vielleicht doch noch vor dem Schickſal zu bewahren, den geliebten Dienſt aufzugeben. Ich wählte einen altmodiſchen kleinen Badeort, wo ich allein ſein würde mit vielen alten Damen, die meiſt zu zweien waren und die den ganzen Winter ſchon auf die ſonnige Bank gewartet hatten, auf der ſie hier ſitzen würden mit dem glatt gefalteten Plaid mit alten Damen, abgegangenen Ma- joren und Gerichtsbeamten im Ruheſtand. Erinnern Sie ſich noch des wunderlichen mittleren Beamten, der morgens zur Brunnenpromenade immer mit den Abzeichen ſeiner Vereine und feiner Verdienſte auf dem ſchwarzen Rock erſchien? Sche— men und Schatten ſchon verlebter Leben waren dies alles, nur noch ſeine blutloſen abſtrakten Zeichen. Wir aber, Agathe, wir ſtanden im lodernden Feuer des Unglücks. In uns brannten die Flammen, die das einſt Angebetete verzehrten, und wir rangen damit, unſere Erlebniſſe auch nur zu begreifen. Ein Menſch kommt, ſagte es in mir, als Sie in den Kurſaal traten, und vom erſten Augenblick an eilten wir innerlich aufeinander zu. Lächeln Sie nicht, liebe Freundin, und noch weniger leugnen Sie es, es war ſo. Die Waſſer des Brunnens konnten mein Leiden nicht heilen, aber eine heilkräftigere Quelle ſprang für mich in dieſem Orte auf.

Freilich, ſagte Agathe, es war eine Geſellſchaft von einem der Nebentiſche des Lebens, die ſich da aufhielt, aber dennoch konnte fie uns nicht bedrücken, denn der Genius loci war ſtärker als fie. Fürſtlich war er und herrſchaftlich und vermochte ſeine Herkunft

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aus heiterer Lebensfreude nicht zu verleugnen. Das weiße Em- pire der Kurhäuſer, die grüne Anmut der alten Parkanlagen ſiegte über alle enge Kleinbürgerlichkeit, und in dem Kurſaal gar mit ſeinen ſchönen Proportionen, ſeinem Schwung und Schimmer, den vielen Fenſtern und goldenen Spiegeln ſah man mehr die vergangene elegante Geſellſchaft, die zuzeiten heiße Nächte durch an den Spieltiſchen ſaß, als die gegenwärtige, die mit den Hühnern zu Bett ging. Und die Terraſſe vor dem Brunnenhaus. Am Abend wurde es verriegelt, und niemand von den Kurgäſten hielt ſich mehr dort auf. Von ſeiner weißen Mauer beſchützt, war der Platz, wo wir ſaßen, köſtlich abge⸗ ſchloſſen und heimelig. Er war den ganzen Tag der Sonne aus⸗ geſetzt geweſen, ſie hauchte noch aus den Steinen wie aus dem blühenden Oleander zu ſeiten der Türen und aus den altväter⸗ lichen Teppichbeeten zu unſeren Füßen. Der Heliotrop duftete. Man fühlte ſich geborgen wie in einer Laube, und doch war der blaue Himmel das Dach. Golden hörte die Dämmerung des Tages auf, und ſilbern fing die der Nacht an.

Ja, ſagte Hermann, da durfte ich Ihnen meine Geſchichte er⸗ zählen, die Sie natürlich längſt kannten, ſie war ja in unſeren Kreiſen übergenug beſprochen worden; aber Sie taten, als wäre ſie Ihnen neu. Damals verfluchte ich es, daß die Kugel, die mich traf, nicht ein wenig tiefer ſaß. Heute wünſchte ich mir, ſie wäre zur Seite gegangen. Und auch das wiſſen Sie längſt, ſagte er leiſer, daß mein Herz lange nicht mehr an dem beteiligt war, was die Ehre der Hand zu tun befohlen hatte. In meiner Not mißbrauchte ich dann Ihr mildes Verſtändnis, ich nutzte Ihr bereitwilliges Eingehen aus. Ja ich maßte mir an, Ihre Ge⸗ bulb durch allerlei Widerſpruch, durch Ironie und Mißverſtehen zu prüfen, doch entſchuldige ich dies am leichteſten vor mir ſelber, denn im Grunde geſchah es, weil ich den Triumph genoß, den Ihre Güte und Seelenſchönheit über mich davontrug, ich genoß es, daß Sie immer wieder ſiegten. Ich war häßlich, damit Sie um ſo herrlicher erſchienen. Doch war ich auch leider in echter Art unmutig. Ich ſchwieg, wo ich hätte reden ſollen, und redete, wo ich beſſer geſchwiegen hätte. Durch Unmut aber wird oft mehr verdorben als durch wirkliche Vergehen. Fragen Sie

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Frauen, die lieben. Aber Sie, Heilbringerin, Freundin, Sie entwendeten mir meinen Unmut und ſchlugen das ganze lume pige und ſchäbige Geſindel in die Flucht, das ſich an das cigent- liche Unglück anhängt: die Verzagtheit, Verſtimmtheit, den Zweifel, den Mißmut, die Gereiztheit und kriechende Bitterkeit. Ein einziges Wort von Ihnen, und Sie wendeten mein Selbſt um, ja Sie entriſſen mir, was im Grunde nicht zu mir gehört, ſondern dem fremden Bedränger, der dem Vergrämten eine verkehrte Welt vorlügen will. Ich weiß nicht, wie Sie es ver— mochten, mich mit Ihrer Weſensart zu durchdringen, aber es iſt geſchehen, und ich glaube auch verſprechen zu können, daß Ihr Werk dauert. Haben Sie ſo wenig Vertrauen zu ihm? Zaube— rin, wer lehrte Sie Ihre Kunſt?

Hermann, ſagte Agathe mit geſenktem Blick und ein wenig ver— träumter Stimme, die Kirche nimmt eigentlich ganz für ſich allein das Recht in Anſpruch, Erweckungen und Erleuchtungen zu er— fahren. Da gibt es die gewaltigen Entrückungen und Verzückun— gen, die die ſieben Himmel öffnen, da gibt es die Erdſtöße der Erkenntnis, die den Menſchen bis auf den Grund durchzittern; Chriſtus und die Heiligen haben ihrer erlebt. Da gibt es, was man Schickſalsſchläge des Geiſtes nennen könnte, ſo tiefen Lei— des voll ſind die Folgen, die ihre Offenbarungen für den Er— wählten haben. Aber ihnen iſt doch nicht allein dieſe Gnade zu— teil geworden, unſere Dichter haben ſie doch ebenſo viel und ebenſo ſtark erfahren und auch die Philoſophen. Von den hohen Graden abwärts iſt die Welt voll von Erweckungen, ſie bietet ſie in überſchwenglicher Fülle und immer neuer Geſtalt an, und ſie bedient ſich jedes, auch des beſcheidenſten Mittels dabei. Der Atem des Weltgeiſtes weht überall. Kleine Schweſtern ſind es der großen Viſionen.

Auf Ihre Frage kann ich Ihnen antworten, ſie freut mich. Zu deutlich iſt mir das blitzartige Licht im Gedächtnis, das mich durchfuhr, als ich las, was ich Ihnen ... Doch erſt muß ich von einem Gewitterregen ſprechen, dem eigentlichen Anlaß zu allem. Bei einem ſchönen Sommeraufenthalt im Gebirge überraſchte mich auf einem Ausflug ein Unwetter. Zuerſt ſtellte ich mich unter eine Buche und ſah lange bei Blitz und Donner die Trop⸗

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fen hochauf von der Erde ſpringen. Als es gar nicht beffer

wurde, eilte ich in eine Förſterei in der Nähe, bei der die Poſt

vorbeifuhr, die mich nach meinem Gaſthauſe zurückbringen

konnte. Ich wurde in die Wohnſtube geführt, in der der Förſter

Pfeife rauchend am Fenſter ſaß, offenbar von ſeinem Tagewerke

ausruhend. Die Förſterin nahm meinen ganz durchnäßten Man⸗

tel zum Trocknen in die Küche, von wo man es leiſe klappern

und hantieren hörte. Ich redete den Förſter mehrmals an, aber ſeltſam, alles, was ich ſagte, klang geziert und flach und ganz

überflüſſig. Es war, als ob man den Bäumen im Walde oder einem Reh etwas Verbindliches ſagen wollte. Ich ſchwieg dann bald und ließ in einer leichten Befangenheit meinen Blick über das Zimmer gehen. Über dem weit ausladenden Sofa war ein Bord angebracht, auf dem ſpmmetriſch gegeneinander geordnet ſechs graue Krüge aus Steingut ſtanden, zwiſchen zweien lag ein ziemlich dickleibiges Buch und daneben eine Brille. Gewiß wurde aus dem Buche abends vorgeleſen. Das ſind ſchöne Ge⸗ ſchichten, ſagte der Förſter, der mir mit dem Blick gefolgt war, empfehlend. Ich nahm es zur Hand und blätterte darin. Es war eine Sammlung einzelner Erzählungen, in einer altmodiſch ſchwerfälligen Schrift gedruckt auf graulichem Papier. Aufs Ge⸗ ratewohl herausgegriffen las ich eine. Da hörte man das Tuten der Poſt, die Förſterin kam mit meinem Mantel gelaufen und ſagte, ich müßte mich jetzt raſch fertigmachen, der Autobus hielte nur kurz. So kam es, daß ich nicht einmal den Titel des Buches erfuhr und nicht, was ſonſt noch darin ſtand. Aber am Abend, der wunderbar milde mit ſüßer, gereinigter Luft kam und wo der Mond wie aus klarem Geſicht lächelte, ging ich einen Weg auf und ab, der in ſeinem hellen Schein lag und auf dem die Blätter der Birken in ſcharfen Schatten abgezeichnet leiſe durch⸗ einander zitterten. Da dachte ich an das, was ich am Nachmittag geleſen hatte, und wie die Knoſpe einer Fuchfie faſt hörbar auf- ſpringt, ſo ſprang in mir mit fühlbarem Stoß die Weisheit auf, die die Erzählung unausgeſprochen enthielt hören Sie, lieber Hermann -: jeden Menſchen fo zu behandeln, als wäre er der, der er ſein möchte, als das Ebenbild Gottes, das in ihm ver⸗ borgen iſt und das er ja doch liebt. Eine gute Tat iſt oft nur

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dadurch hervorgerufen worden, daß man fie jemandem gue traut.

Ich ſchreibe Ihnen die kleine Geſchichte auf, wenn Sie wollen. Sie hat ſonſt mit der Ihrigen nicht die geringſte Ahnlichkeit. Von zwei Knaben iſt die Rede, Franz wurde der eine genannt, der unbewußt in wunderbarer Weiſe an dem anderen tut, was ich, eben durch ihn belehrt, Ihnen gegenüber bewußter tat. In der Geſchichte handelt es ſich um eine Lüge, die einen Menſchen für ſein ganzes Leben hätte belaſten können, bei Ihnen ja nur um Bitterkeit und eine mögliche Verhärtung des Gemüts, wie Sie ſagten. Aber das Heilmittel zur Verhütung des Unheils war das gleiche, und, lieber Hermann, tauſendfältig war mein Lohn für ſeine Anwendung.

Den letzten Satz aber, ſetzte ſie mit einem ſehr anmutigen und ſchalkhaften Lächeln hinzu, den allerletzten Satz leſen Sie bitte ſehr aufmerkſam. Er iſt die Antwort auf das, was Sie mir von Ihrer inneren Entwicklung nach dem Bruch in Ihrem Leben ſagten.

Schreiben Sie bald, ſagte er, ihr warmen Blickes in die Augen

ſehend, ſchreiben Sie noch heute, und ging.

Wie eine Biene flog Agathe umher, den Hausſtand zu beſorgen, und aus jedem Gerät, das ſie anfaßte, aus jeder Verrichtung, die ſie übte, ſog ſie ſich Süßigkeit. Im Keller ſtand die Milch in grauer Tonſchale, ſchon bedeckt mit fetter Sahne, lagen die Eier, lag die glänzende Butter in kühlende Blätter eingehüllt. Was für mütterliche Kräfte, empfand fie dankbar, umgaben fie über- all, die Kuh, die Henne waren tätig für ihr und ihres Kindes Wohl. Schon in ſchöner Glasſchale geſchichtet lagen die Erd— beeren für den Mittagstiſch, die junge Frühlingserde duftete aus ihnen, ſie glühten wie ein Kunkelglas in dem Lichtſtrahl auf, der aus dem Gitterfenſter auf fie fiel. Im Haufe überhaupt ſtrömte es von milden und gütigen Gewalten auf ſie zu. In der Küche ſummte der Waſſerkeſſel, bald würde es im Herde für ſie flackern, in den Pfannen für ſie brodeln und brietzeln, in den Tiegeln ſchmoren, da würde auf Umwegen die Sonne aus dem Spinat dampfen, die Sonne gebraten werden in der ſpritzenden Butter, die Sonne ſich unmittelbar ſchmecken laſſen in der ſüßen

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Frucht. Welch ein tägliches frommes Opferfeft und welch täg⸗ liche Anbetung des Geſtirns! In den oberen Räumen aber ſprach das Haus mehr zur Seele. Wenn Agathe an ihren Bücher- ſchränken vorbeiging, ſo riefen die Namen auf den bunten Rücken fie an, und es ſtreifte fie ein Hauch des Geiſtes, der ihr vielleicht die Reihe eines Gedichts zuführte oder gar die Geſtalt eines Dichters, und ſie ſtand und ließ ſich ſegnen. Da blickten Ge⸗ ſichter vom Schreibtiſch zu ihr her, geliebte und beweinte, trö⸗ ſtend und ermutigend jetzt aus der Entrücktheit ihrer Voll⸗ endung. Roſen dufteten bis an ihr Herz; ſie fühlte ſich in einen Kreislauf von lauter Güte und Lindheit einbezogen, und noch ſchöner ſollte es werden: einen anderen ſollte ſie daran teil⸗ nehmen laſſen dürfen, in einen anderen ihre Freude ſchütten, von einem anderen allen Sinn für ihr Tun empfangen. O Glück, Glück am ganzen Tag, Glück für das ganze Leben! Doch jetzt raſch mit Papier und Bleiſtift in den Garten, an den Roſen vorbei in die Laube, es hatten ſie ja zwei Augen gebeten. Hinten ſah ſie das geſtreifte Waſchkleid der Köchin auftauchen. Es würde doch niemand kommen? Nein, die Köchin bückte ſich bei den Karotten und bückte ſich bei dem übrigen Gemüſe und den Kräutern, um ſie für den Mittagstiſch zu ſchneiden. Umweht vom Sommer, aufgenommen in die Natur, einig mit ſich und ihnen ſchrieb Agathe nieder, was die Er⸗ innerung ihr bot, einiges genau nach dem Buch, anderes in ihrer eigenen Art wiedergebend, ganz wörtlich das, was ihr ſo wichtig geworden., Die Geſchichte einer Rettung‘ hatte wohl die Uberſchrift gelautet.

Zwei Jünglinge, die jahrelang dieſelben Klaſſen einer Schule beſuchten und ſogar eine Zeit lang nebeneinander ſaßen, hatten dennoch eine ſeltſame Abneigung gegeneinander. Beide hatten ihre Freunde, und ſie mit ihren Gruppen teilten die Schüler⸗ ſchaft wie in zwei Heerlager. Es iſt wahr, daß Franz die ſanfte⸗ ren, geſetzteren Naturen auf ſeiner Seite hatte, Otto die revo⸗ lutionäreren, wilderen. Otto nannte Franz und die Seinen Tugendbolde und Schwächlinge und zeigte ihnen eine kalte Ver⸗ achtung. Franz ſagte Otto Unwahrhaftigkeit, Argliſt und Bos⸗

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heit nach. Zu offenen Streitereien kam es nie mehr, feit fie aus den Jahren heraus waren, da die beiden Parteien in den Pau- ſen im Schulhof erbittert rauften und rangen. Dafür aber hatte ſich eine ſchwelende Feindſeligkeit in vielerlei Formen bei ihnen entwickelt. Gab Franz eine falſche Antwort oder verſagte Otto, ſo kicherte es ſchadenfroh von allen Plätzen der Gegenpartei, oder es wurden die Deckel der in die Pulte eingelaſſenen Tinten⸗ fäſſer leiſe und höhniſch auf- und zugeklappt und was dergleichen ſchülerhafte Radycafte mehr waren. Nun traf es ſich, daß die Eltern der beiden Knaben, ohne von den gegenſeitigen Plänen zu wiſſen, in einem Jahr auf die gleiche Sommerfriſche verfielen, und natürlich, da ſie an die Ferien gebunden waren, würde die Reiſe auch zu derſelben Zeit angetreten werden. Beide Eltern nahmen ihre Söhne, jeder den fremden mit Lob und freundlichen Worten ihrer Sympathie bedenkend, vorher ins Gebet. Sie ver— langten ein tadelloſes Betragen gegeneinander und erwarteten, daß nicht der geringſte Mißton durch ſie hervorgerufen würde. Es ſei nur ein einziger größerer Gaſthof in dem ſtillen, kleinen Bergdorf am Rande des Sees, und es wäre unvermeidlich und übrigens auch zu wünſchen, daß die Familien freundſchaftlich mit— einander verkehrten. Die Elternpaare ſtanden ebenſo wie Ottos und Franz' jüngere Geſchwiſter auf durchaus freundſchaftlichem Fuß. Wirklich fiel auch nichts vor, was den Frieden des reizen» den Aufenthaltes hätte ſtören können. Man unternahm gemein- ſame Ausflüge, plauderte von Tiſch zu Tiſch bei den Mahlzeiten in der glasbedeckten Veranda und ging in der Abendkühle zu- ſammen den Wieſenweg am Ufer auf und ab. Eines Morgens kam es zur Sprache, daß Franz und Otto beide Luſt hatten, nach Tiſche auf dem See zu rudern. So ſchlenderten ſie denn zur verabredeten Zeit, einer immer ein kleines Stück hinter dem anderen, ſchweigend zur Bootsſtelle am See, auf dem ein heißer Nachmittag brütete. Die Hitze war ungeheuer, ſie flim⸗ merte auf dem Waſſerſpiegel und lag in blauweißlichen Schleiern über den Ufern, während die Berge dahinter ziemlich ſcharfe, tintenfarbige Umriſſe zeigten. Wenn man die eiſernen Reifen der Ruder berührte, ſo brannten ſie wie glühendes Feuer. Die Knaben ruderten langſam. In dem erſchlafften Zuſtand, der ſie

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träumeriſch machte, und zu nichts anderem geneigt, als mit dem fortzufahren, was ſie gerade taten, waren ſie nach und nach ein großes Stück auf den See hinausgefahren und hatten nicht be⸗ merkt, daß ſich der Charakter von Luft und Waſſer vollſtändig verändert hatte: aus weißlichem Dunſt war grauer geworden, die Berge waren hinter Nebeln faſt verſchwunden, und am Him⸗ mel bildeten ſich plötzlich dunkle Wolken. Nur die Hitze war ge⸗ blieben, ja ſie war noch ſtechender jetzt, obwohl man die Sonne kaum mehr ſah. Plötzlich fuhr ein ſcharfer Windſtoß in die Wel⸗ len. Die Knaben wollten umkehren, aber damit ging es nun nicht ſo ſchnell; ſie waren keine gewandten Ruderer, und ehe ſie das Boot nur umgedreht hatten, war bereits ein Unwetter im Gange. Das ſteigerte ſich binnen erſtaunlich kurzer Zeit zu un⸗ erhörter Heftigkeit. Otto verlor ſein Ruder, Franz bald darauf das zweite. Sie waren den Wellen, die ſich weiße Kronen auf⸗ geſetzt hatten und ſie wie plötzlich frei gewordene hölliſche Dä⸗ monen tückiſch anziſchten, nicht gewachſen. Entſetzt ſahen ſie ſich nach Rettung um. In der Ferne gewahrten ſie ein Boot, dem ſie zuſchrieen und mit Taſchentüchern zuwinkten, ſonſt aber klam⸗ merten ſie ſich an die Ruderbänke und ließen ſich mit ſchnee⸗ weißen Geſichtern und angſtvoll aufgeriſſenen Augen zwiſchen Berg und Tal auf und ab ſchleudern. Die Rettungsgürtel um! rief Otto, und wirklich gelang es ihm, ſie unter der Kielbank hervorzuzerren, Franz einen zuzuwerfen und ſich ſelbſt den an⸗ deren umzuſchnallen. Du kannſt beſſer ſchwimmen, brachte Franz zähneklappernd hervor, du wirſt dich retten. Franz vermochte in ſeiner Angſt den Schwimmgürtel nicht richtig zu befeſtigen, denn als das Boot nun wirklich kenterte und die beiden Jünglinge mit den Wellen rangen, löſte er ſich und wurde von ihm fort⸗ geſchwemmt. Da ſah er, wie Otto nach dem ſeinen die Arme ausſtreckte, den er auch nicht mehr umhatte, Franz etwas zu⸗ ſchrie, was dieſer nicht verſtand, und wie gleich darauf das ret⸗ tende Gerät von einer Welle ihm zugetragen wurde, an das er ſich anklammerte. Er verlor dann die Beſinnung. Beide Knaben wurden gerettet! Vom Motorboot aus hatte man ſie geſehen und fiſchte ſie noch eben rechtzeitig aus dem Waſſer. Bei Otto waren die Wiederbelebungsverſuche ſchwieriger geweſen, er hatte mehr

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Waſſer geſchluckt. Als er aufwachte, lag er in feinem Bett im Gaſthof, Feldſträuße ftanden in reicher Fülle im Zimmer, durch die vorgezogenen Gardinen ſchimmerte es milde, er wußte nicht, war es Morgen- oder Abenddämmerung. Wie erſtaunte er aber, als bald darauf Franz vorſichtig ſich bewegend in das Zimmer kam und, tränenüberſtrömt vor ſeinem Bett niederknieend, vor Schluchzen kaum verſtändlich immer wieder die Worte hervor— ſtieß: Du guter Menſch, du guter Menſch, du biſt ein ganz guter Menſch. Schamhaft ſtotterte er es heraus; das erſte Mal kam dergleichen aus ſeinem Knabenmunde, ſo wie die Erwachſenen, was er empfand, es ausgeſprochen hatten, und er fühlte mit einem glücklichen Schreck, daß er dabei an eine Tiefe in ſich rührte, von der er bis dahin noch nichts gewußt hatte. Noch ſchwach und wie von einem Traum umfangen, wurde Otto doch ſo viel klar, daß Franz ihm als ſeinem Lebensretter dankte, der in höchſter Gefahr ſeinen Rettungsgürtel ſo von ſich geſtoßen, daß er Franz zuſchwimmen mußte. Tränen ſickerten aus des Kranken Augen, als Franz dies vorbrachte, während er vor— läufig ganz ſtill lag. Nach einer Zeit ſtreckte er die Hand aus und ſtrich mit einer ſcheuen Liebkoſung über den Scheitel des noch immer vor ihm Knieenden, die dieſer wie eine heilige Seg— nung hinnahm. Etwas ſpäter wurde Franz dann von der halb ſich öffnenden Tür aus zugewinkt, Otto bedürfe der Ruhe. Die- ſer lag inzwiſchen in einem Zuſtande überirdiſcher Entrückung ſtill da. Die Worte, die er gehört, ſchwangen wie ein ſüßes Lied in ihm nach, und er fab ſich wie im Traum die Handlung voll» bringen, die jener ihm beigelegt hatte. Er opferte dem anderen die Handhabe feiner Rettung, er opferte fic) welch eine Tat, welch eine Größe! Aber plötzlich fuhr es wie ein Stich durch ihn hindurch. Es war ja nicht wahr, er hatte für ſich ſelbſt nach dem Schwimmgürtel gegriffen, hatte etwas geſchrieen, etwa, daß ſein Gürtel fortſchwämme, daß er ertränke, er wußte nicht mehr, was. Dieſer Gürtel war dann auf Franz zugetrieben worden, ohne das geringſte Zutun von ſeiner Seite. Franz' überſtrömender Dank, ſeine Lobpreiſung und Bewunderung galten einer Lüge. Aber was wurde ihm mit dieſer Lüge geſchenkt! Er war ein Held, war mit einem Schlage weit über ſeine Kameraden empor⸗

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gehoben, er wurde für immer zum edelften Menſchen geſtempelt, für ſein ganzes künftiges Leben hatte er einen Vorſprung ge⸗ wonnen. Schon jetzt hatte er empfunden, daß die ſchweigend um ihn bemühte Mutter, daß der Vater, die er beide wie durch einen Traumſchleier um ſich walten ſah, ihn neben der Liebe mit Re⸗ ſpekt, ja faſt mit einer Zärtlichkeit voll Verehrung behandelten. Nie würde jemand die Wahrheit aufdecken, nie ihn jemand des Trugs beſchuldigen können. Er brauchte nicht einmal groß mit dem Munde weiter zu lügen, er brauchte nur anzudeuten, daß über dieſe todesnahen Stunden ihm zu reden ſchwer wäre, und jeder würde feine Zurückhaltung ehren, ja fie als Beſcheidenheit werten.

Aber Franz hatte ihn einen guten Menſchen genannt.

Einen ganzen Tag, an dem er ſich ſchonungsbedürftiger gab, als er noch war, und eine ganze Nacht lag Otto mit ſich im Kampf. Welche Enttäuſchung würde die Aufdeckung des wirklichen Sach⸗ verhalts für Franz ſein, beſonders aber für ſeine Eltern. Sollte er dieſen den Stolz auf ihren Sohn rauben. Nein, das konnte er nicht über das Herz bringen. Er wollte ihnen den Glauben nicht nehmen, aber dennoch und um viel, viel mehr, als ſonſt geſchehen wäre, ſich ihrer würdig erzeigen. Dieſer Glaube würde ihn ſo verpflichten, daß er nie etwas Böſes mehr zu tun fähig wäre. Franz würde ſein beſter Freund werden. Er mußte zu⸗ geben, er hatte ſich in vieler Weiſe ihm gegenüber etwas vor⸗ zuwerfen, er hatte ihn mit Kälte behandelt und wohl gewußt, daß er ſich manchmal gekränkter gebärdete, als eigentlich nötig war; er hatte ihm durch Spott und Verachtung bei den anderen geſchadet. Der unerſättliche Gläubiger nun, die Stimme in ſei⸗ nem Innern, die ſtets an die Verſchuldung mahnen würde, die⸗ fer geheime und höchſt mächtige Erzieher, der ihn demütigte durch das Wiſſen um die Wahrheit und ihn ſtolz machte durch das Leben im Wahnbilde, er würde ihn ſo läutern und empor⸗ ziehen, wie vielleicht niemals geſchehen wäre, wenn er die Hel⸗ dentat wirklich vollbracht hätte, auf der ſich dann doch recht be⸗ quem faſt ein Leben lang ausruhen ließe.

Aber Franz hatte ihn einen guten Menſchen genannt.

Er lag ſo, bis die Morgendämmerung erſt weißfahl, dann bläu⸗

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lid) in das Zimmer drang und es endlich mit einem Strahl rofae roten Lichts ganz übergoß. Da hatte Otto mit einem Male fei- nen Entſchluß gefaßt. Er legte ſich auf die Seite und ſchlief noch ein paar Stunden ſüß und feſt. Dann ließ er Franz rufen. Franz, ſagte er, du biſt einem Irrtum erlegen, ich habe dir nicht den Rettungsgürtel zugeworfen, ich habe nicht an deine Ret- tung gedacht, ich habe mich nicht geopfert, ich habe nur die meine im Auge gehabt; und er erzählte ihm die ganze Wahrheit. Franz wurde blaß. Aber, ſtotterte er, ich ſah doch, wie du... - Du haſt in der Erregung oder vielleicht auch ſchon in der Ermat— tung falſch geſehen, erwiderte Otto, ich griff für mich nach dem Schwimmgürtel. Wie ſchade, entfuhr es Franz, und es wiſſen ſchon alle, alle bewundern dich. Deine Mutter hat vor Freude geweint und dich einen Helden genannt, meine Eltern warten Stunde um Stunde darauf, dir danken zu können, niemand ſpricht von etwas anderem hier im ganzen Ort. Franz, ſagte Otto und nahm ſeine Hand, indem es über ſein Geſicht zuckte, ich möchte, daß du ihnen ſagſt, wie es ſich wirklich zugetragen hat. Es entſtand eine Pauſe, dann kniete Franz wieder am Bett nieder und ſagte: Jetzt biſt du erſt recht ein guter Menſch.

Die letzten Worte wollte Agathe beſonders hervorheben und fing an, ſie bedächtig zu malen. Da ſchwebte langſam ein Blatt von einem Baum herab, traf ſie an der Stirn und fiel neben ihr zu Boden. Als Kind ſchon hatte ſie gelernt, daß ein Blatt, das einen im Fallen berührt, Glück bedeutet, daß dieſe Ausſicht ſich aber noch bedeutend verſtärkt, wenn man es in die Luft bläſt. So hob fie es auf es war ein helles Lindenblatt, fie freute ſich an feiner von vielen Adern durchzogenen Herzform und blies es von ſich. Es fiel auf die letzte Seite ihres Schrift⸗ ſtücks nieder. Sie ſchrieb zu Ende, ſchloß das grüne Blatt in den Bogen, indem ſie ihn zuſammenfaltete, ein und ging durch den Garten, der in der heißen Mittagsſonne wie ein ſchlafender Hofhund dalag, in das Haus.

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Ricarda Huch / Einem Helden

Der du gekämpft und überwunden, Nun löſe ſich auf deiner Bruſt das Erz; Der Sterne Licht, dem du entſchwunden, Umflute kühl dein ſtillgewordnes Herz.

Das ſchwere Korn, die trunkne Rebe,

Vorüber du in atemloſer Schlacht!

In Duftgewölken denn umſchwebe,

O Held, dich Schlummernden der Dom der Nacht.

Dir trug kein heimatlich Geläute

Auf Taubenſchwingen Feierabend zu,

Dir ward ſtatt Sieg, Triumph und Beute Ein dunkler Kranz und tiefe, tiefſte Ruh.

Der du gerungen bis ans Ende,

Weckt dich dereinſt Drommetenaufgebot, Gegürtet mit dem Schwerte wende Das neue Antlitz ſtolz ins Morgenrot.

Aus Ricarda Huch: Geſammelte Gedichte

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Bücher aus dem Infel-Verlag

Ein ſchönes Buch nicht wieder leſen, weil man es ſchon geleſen bat, das iſt, als ob man einen teuren Freund nicht wieder beſuchen würde, weil man ihn ſchon kennt. Übrigens - cin gutes Buch, einen guten Freund, die lernt man nicht aus. Ein weiſes Buch iſt ebenſo unergründlich wie ein großes Men— ſchenherz.

Marie von Ebner⸗Eſchenbach

Neuerſcheinungen 1940

Der Preis bezieht ſich, wo nichts anderes angegeben ift, auf den in Leinen gebundenen Band.

Coolen, Anton: Das Wirtshaus zur Zwietracht. Roman. Aus dem Nie derländiſchen übertragen von Bruno Loets. M 6.- Im Wirtshaus laufen die Schickſalsfäden eines figurenreichen Welt theaters zuſammen. Hier treffen wir Menſchen aller Schichten, hier wird Hochzeit gefeiert und Verſtsigerung abgehalten, und es er- ſteht ein Abbild des Lebens, geſchaffen von einem Dichter, der das Herbe und Bitterſte nicht ſcheut, um deſto ſtrahlender die Liebe und das ewige Wunder des Werdens triumphieren zu laſſen.

Das Buch deutscher Dichtung. Herausgegeben von Ernſt Bertram, Auguſt Langen und Friedrich v. der Lepen. Sechs Bände. Jeder Band M 7.—

Band 1: Frühes und hohes Mittelalter.

Band 2: Das ſpäte Mittelalter. Beide herausgegeben von Fried⸗ rich v. der Lepen.

Band 5: Die Zeit der Romantik. Herausgegeben von Ernſt Bertram und Auguſt Langen.

Dieſes durch viele Jahre ſorgſam vorbereitete Werk wird die deutſche Dichtung in Vers und Proſa von den älteſten Denkmälern bis zur letzten Jahrhundertwende umfaſſen. Es iſt ein Leſebuch, das die ſchönſten und bezeichnendſten Stücke aus den Dichtungen dar⸗ bietet. Zu den ſechs Textbänden kommen zwei Bildbände. Es ſchließen ſich an: zwei Bände Deutſche Briefe‘, ein Band Deutſche Reden und Rufe‘ und ein Band Deutſche Geſpräche“.

Dacqué, Edgar: Die Urgestalt. Der Schöpfungsmpthus neu erzählt. Pappband M 5.- Das Ewige, das wir nicht unmittelbar zu nennen vermögen, ſucht in mpthenbaften Spmbolen nach Ausdruck. Dacqué ſpricht von dem Mpthus, den wir alle mehr oder weniger bewußt in uns tragen, vom Mpthus einer einſt unverſehrten Schöpfung, von dem Para⸗ dies und ſeinem Verluſt. Das Buch führt den Leſer auf den Gipfel der Erkenntnis, an den Fuß des dort aufragenden Kreuzes.

Eichendorff, Joseph von: Werke in zwei Bänden. (1480 Seiten. ) Geleit⸗ wort von Rudolf Bach. Mit einem Titelbild in Lichtdruck. M 12.- Die Ausgabe umfaßt das dichteriſche Werk: Gedichte, Erzählungen, die beiden Romane „Ahnung und Gegenwart! und Dichter und ihre Geſellen“, das Luſtſpiel Die Freier“ und autobiographiſche Schriften. Bachs ſchönes Geleitwort öffnet uns den Blick für die Tiefen im Weſen des Dichters, aus denen jene Kräfte ſtrömen, die Eichendorffs Kunſt fo weit über alles nur Idplliſche hinausheben.

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Goethe: Faust. Geſamtausgabe. Auf Dünndruckpapier. M 4.-

Die Ausgabe, in hundertfünfzigtauſend Exemplaren verbreitet, enthielt bisher: Urfauſt, Fragment (1790), Tragödie I. und II. Teil, Paralipomena. Die neue Auflage, deren Text ſorgfältig durch— geſehen ijt, bringt die Paralipomena erweitert und in neuer Ane ordnung, Goethes Äußerungen über den Fauſt und ein Wortregiſter aller fremdſprachigen Ausdrücke und Wörter, die zu verſtehen Schwierigkeiten bereitet.

Jünger, Friedrich Georg: Der Missouri. Gedichte. Pappband M 3.50 Herrſchte in früheren Gedichten Jüngers das Feuer, die belebende Flamme, ſo ſtehen die Verſe jetzt im Zeichen des großen Stromes. Von einem neuen, fließenden Rhpthmus getragen, beglückt uns abermals der ganze Reichtum von Bildern und Gedanken dieſes männlichen Sprechers unſerer Zeit.

Jüngst, Hans: Achill unter den H eibern. Schauſpiel. Pappband M 3.50 Das Drama behandelt jene vortrojaniſche Geſchichte der Achilles— ſage, nach der Achills Mutter Thetis ihren Sohn in Weiberröcken an den Strand der Inſel Skpros bringt, wo er die Königstochter Deidameia liebt. Das große Erbe unſeres klaſſiſchen Dramas iſt hier aus eigener Kraft bereichert worden.

Le Sage, Alain René: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Das Werk des Franzoſen, der ſich des ſpaniſchen Milieus bedient, um ſeinen Landsleuten einen Spiegel ihres Lebens vorzuhalten, ſteht am Anfang der Abenteurerromane. Mit ſeinen räuberiſchen Überfällen und gefahrvollen Liebſchaften iſt es ein Buch, das durch die Fabulierfreude des Dichters den Leſer gewinnt und feſthält.

Moy, Johannes: Das Kugelspiel. Erzählungen. M 3.80 Ein neuer Erzähler tritt hier mit einem Geſchichtenbuch hervor, das eine urſprüngliche Erzählernatur erkennen läßt. Thematiſch ume faſſen die Geſchichten Abenteuer, Liebesgeſchichte, Kindererlebnis einen vielfarbigen Ausſchnitt des Lebens. Der Ton des Vortrags aber iſt der des Dichters, der noch dem einfachen Wort einen tief nachhallenden Klang für unſer Herz zu geben vermag.

Schaper, Edzard: Der Henker. Roman. M 7.50

Auf dem Hintergrund des Aufſtandes in den Oſtſeeprovinzen 1905 behandelt Schaper den ſeeliſchen Konflikt eines ruſſiſchen Offiziers deutſcher Abkunft, der in einem ermordeten Gutsherrn einen Ver⸗ wandten findet und nun als Rächer erſcheint, wo er Richter ſein will. Der breit angelegte, gleichwohl dramatiſch bewegte Roman packt gleichermaßen durch Stoff und Geſtaltung und erweiſt von neuem den jungen Dichter als Epiker von hohem Rang.

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Schiller, Friedrich von: Werke in drei Bänden. (Der Volks⸗Schil⸗

ler.) Herausgegeben von Reinhard Buchwald. (1400 Seiten.) M 14.— Neben allen Hauptwerken bietet die Ausgabe eine umfangreiche Ausleſe aus dem Gedankengut des Philoſophen und Geſchichts⸗ ſchreibers Schiller, ſo daß der Leſer hier dem ganzen Schiller begegnet. An Stelle der üblichen Klaſſikerausgabe tritt hier ein lebendiges Leſebuch, das den Dichter nicht leicht“ machen, ſondern in all ſeiner Tiefe für unſere Zeit neu gewinnen will.

Schnack, Friedrich: Der glückselige Gärtner. Mit 8 handkolorierten Pflanzenbildern von Luiſe Albrecht⸗Hoff. M 6.- Das neue Buch zeigt den Dichter der ,Sibplle’ und Cornelia“ auf der Höhe ſeiner beſonderen Kunſt, einen kleinen Roman mit an⸗ mutiger Belehrung, diesmal über Gemüſegärtnerei, zu verbinden. Mit dem Lob der Gemüſekultur erhalten wir ein Loblied Main⸗ frankens, in deſſen Landſchaft ſich Gärtner und Köchin, Maler und Schloß fräulein finden.

Schneider, Reinhold: Macht und Gnade. Geſtalten, Bilder und Werte in der Geſchichte. M 6.- Die geſammelten Aufſätze geben Zeugnis vom Ringen eines Man⸗ nes, der in unſerer Zeit den ewigen Kräften in der Geſchichte nach⸗ ſpürt. Sie ſind, wie das ganze Schaffen Schneiders, durch das chriſtliche Ethos beſtimmt. Das gibt ihnen, bei aller Vielfalt der Themen aus deutſcher, ſpaniſcher und engliſcher Geſchichte, aus Dich⸗ tung und Kunſt, eine unbeirrbar feſte Haltung.

Schunke, Ilse: Leben und Werk des kursächsischen Hof buchbinders

Jakob Krause. Herausgegeben im Auftrag des Heimatwerks Sachſen. Mit 30 Bildtafeln. Etwa M 10.- Die Einbände Jakob Krauſes, der 1585 in Dresden ſtarb, gehören zu den großartigſten Leiſtungen des deutſchen Kunſthand werks aller Zeiten. Die Monographie gibt ein Bild ſeines Lebens und Schaf⸗ fens im Rahmen ſeiner Zeit; die Tafeln zeigen Einbände Krauſes, ſeiner Vorläufer und Zeitgenoſſen.

Srbik, Heinrich Ritter von: Goethe und das Reich. Kartoniert M 1.80 Der Vortrag, den der bedeutende Hiftorifer im Mat 1939 vor der Goethe⸗Geſellſchaft in Weimar gehalten hat, bildet ein wertvolles Glied in der Reihe von Studien, die Goethes fo oft umitrittene Haltung zu den politiſchen Vorgängen ſeiner Zeit zu klären ſuchen.

Stifter, Adalbert: Gesammelte Werke in sieben Banden. Mit einer Ein- leitung von Max Mell. Textreviſton von Max Stefl. Auf Dünn⸗ druckpapier. Jeder Band M 6.—. Neu erſchienen:

Band 5: Witiko. Band 6: Kleine Schriften. Mit 9 Bildtafeln in Lichtdruck.

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Unfere Ausgabe bietet den von neuem kritiſch durchgeſehenen Text unter ſorgfältiger Berückſichtigung der Eigenart Stifters. Der ſechſte Band vereinigt mit den Bildern ‚Aus dem alten Wien‘ alle größeren Aufſätze Stifters, die für die Kenntnis des Menſchen, Künſtlers und Pädagogen wichtig ſind.

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Nietzſche hat Stifters „Nachſommer“ unter den wenigen Büchern genannt, die er als „Schatz der deutſchen Proſa“ gelten laſſen wollte. Wir nehmen das Werk in der Textgeſtalt unſerer Geſamt— ausgabe in die ‚Bibliothek der Romane‘ auf, in der es die deutſche Dichtung neben Goethe und Keller am würdigſten vertritt.

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Deutsche Dichter der Gegenwart. Erſte Reihe. Sechs Bände in Leinen in Kaſſette M 16.— Inhalt: Rudolf G. Binding: Die Geige. Hans Friedrich Blunck: Die große Fahrt. Hans Caroſſa: Eine Kindheit und Verwand— lungen einer Jugend. Hans Grimm: Der Richter in der Karu. Ricarda Huch: Michael Unger. Carl Rothe: Olivia. Die Bände ſind in Antiqua geſetzt, ſie werden nur geſchloſſen und nur nach dem Ausland geliefert.

Die neuen Bände der Inſel-Bücherei Jeder Band gebunden 80 Pfennig

Carus, Carl Gustav: Gedanken über große Kunst. Herausgegeben von Paul Stöcklein. (Nr. 96)

Condivi, Ascanio: Das Leben des Michelangelo Buonarroti. Über» tragen von Robert Diehl. Mit einer Bildtafel. (Nr. 554)

Annette von Droste in ihren Briefen. Eine Auswahl von Levin L. Schücking. (Nr. 312)

Goethe: Novelle. Mit Zeichnungen von Willp Widmann. (Nr. 296)

Goethe: Handzeichnungen. 24 farbige Blätter. Mit einem Geleit⸗ wort von Hans Wahl. Querformat. (Nr. 555)

Die schönsten Griechenmiinzen Siziliens. 48 Bildtafeln. Geleitwort von Max Hirmer. (Nr. 559)

Guérin, Maurice de: Der Kentauer. Übertragen von Rainer Maria Rilke. Geſetzt aus Rudolf Kochs Marathon-Antiqua von der Drugulin⸗Preſſe. (Nr. 548)

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Hebel, Johann Peter: Alemannische Gedichte. Herausgegeben von Eberhard Meckel. (Nr. 67)

Hölderlin, Friedrich: Hyperion. Roman. (Nr. 93)

Kleukens, Christian Heinrich: Die Kunst der Letter. Mit 48 Bild- tafeln. (Nr. 557)

Machiavelli: Mensch und Staat. Herausgegeben von Matthias Jo⸗ nasſon. (Nr. 240)

Morgenstern, Christian: Zeit und Ewigkeit. Gedichte. (Nr. 112)

Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Mit einem Nachwort von Richard Oehler. (Nr. 146)

Platen, August Graf von: Gedichte: Auswahl und Nachwort von Ernſt Bertram. (Nr. 305)

Runge, Philipp Otto: Briefe. Auswahl und Nachwort von Hans Egon Gerlach. (Nr. 556)

Streuvels, Stijn: Die Ernte. Erzählung. Aus dem Flämiſchen über- tragen von Peter Mertens. (Nr. 214)

Tacitus: Germania. Übertragen und herausgegeben von Johannes Bühler. (Nr. 77)

Verga, Giovanni: Sizilianische Geschichten. Berechtigte Übertragung aus dem Italieniſchen von Bettina Seipp. (Nr. 178)

Die Drucke der Drugulin⸗Preſſe

Platons Phaidros. Übertragen von Rudolf Kaſſner. Erſter Hand⸗ preſſendruck der Drugulin⸗Preſſe zu Leipzig. 300 Stücke auf hand⸗ geſchöpftem Büttenpapier. In Interimsband M 50.-

Mit dieſem koſtbaren Band hat die neu gegründete Drugulin⸗Preſſe ihre Arbeit begonnen. Der Handpreſſendruck war in Deutſchland in der letzten Zeit faſt ganz ausgeſtorben. So wird das Erſcheinen dieſes langſam gereiften Druckes den Bücherfreunden ein freudiges Ereignis ſein. Zum erſten Male wurde dafür verwandt der Mit⸗ telgrad der Marathon⸗Antiqua, den Rudolf Koch noch ſelbſt ge⸗ ſchnitten hat. Initial⸗ und Titelſchrift find von E. R. Weiß.

Verzeichniſſe der bisher vorliegenden Einblattdrucke der Drugulin⸗ Preſſe ſtehen zur Verfügung.

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Zeitgenöſſiſche Dichter

Die mit IB. bezeichneten Werke find Binde der Infel-Bücheret. Jeder dieſer Bände koſtet gebunden 80 Pfennig.

Aker man, Achim von: Die Stunde vor Tag. Gedichte. M 4.—

Bertram, Ernst: Gedichte. In Halbpergament M 4.— Straßburg. Ein Gedichtkreis. Pappband M 4.— Der Rhein. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Das Nornenbuch. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Wartburg. Spruchgedichte. In Halbpergament M 4.— Griecheneiland. Gedichte. In Halbpergament M 4.-

Deutsche Gestalten. Bach. Klopſtock. Goethe. Schiller. Norden und deutſche Romantik. Beethoven. Kleiſt. Stifter. Möglichkeiten deut— ſcher Klaſſik. M o.-

Michaelsberg. Proſadichtung M 4.— Sprüche aus dem Buch Arja. Pappband M 2.50

Hrabanus. Aus der Michaelsberger Handſchrift. (Sprüche in Proſa.) Pappband M 3.—

Von deutschem Schicksal. Gedichte. (IB. Nr. 430)

Von der Freiheit des Wortes. (JB. Nr. 485) Boland, Bridget: Die Wildgänse. Roman. M 6.-

Das großartige Erſtlingswerk einer iriſchen Dichterin. Carossa, Hans: Gesammelte Gedichte. M 4.-

Eine Kindheit und Verwandlungen einer Jugend. M 5.-

Tagebuch im Kriege. Rumäniſches Tagebuch. M 3.-

Der Arzt Gion. Eine Erzählung. M 5.-

Führung und Geleit. Ein Lebensgedenkbuch. M 5.-

Geheimnisse des reifen Lebens. Aus den Aufzeichnungen Anger⸗ manns. M 5.50

Wirkungen Goethes in der Gegenwart. Eine Rede. Kartoniert M 1.80 Die Schicksale Doktor Bürgers. Die Flucht. (38. Nr. 334) Gedichte. Vom Dichter ausgewählt. (IB. Nr. 500)

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Claes, Ernest: Flachskopf. Die Geſchichte einer Jugend. Mit einem Vorwort und mit Zeichnungen von Felle Timmermans. M 3.75

Bruder Jakobus. Roman. M 5.50 Donkelhof und Wasinghaus. Roman. M 6.—

Hannes Raps. Eine Landftreichergefchichte. Mit 10 ganzſeitigen Zeichnungen von Felle Timmermans. (3B. Nr. 429)

Die Heiligen von Sichem. Mit 12 ganzſeitigen Zeichnungen von Felix Timmermans. (JB. Nr. 483)

Coolen, Anton: Brabanter Volk. Roman. M 5.- Das Dorf am Fluß. Roman. M 5.- Die drei Brüder. Roman. M 5.- Das Wirtshaus zur Zwietracht. Roman. M 6.-. (Siehe Seite 148) Weihnachten in Brabant. Drei Erzählungen. (JB. Nr. 531)

Faesi, Robert: Das Antlitz der Erde. Gedichte. M 4.-

Hofmannsthal, Hugo von: Die Gedichte und kleinen Dramen. M 5.- Das Salzburger große Welttheater. Pappband M 2.50 Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen. (3B. Nr. 8) Der Tor und der Tod. Ein dramatiſches Gedicht. (IB. Nr. 28) Das kleine Welttheater oder Die Glücklichen. (38. Nr. 78) Alkestis. Trauerſpiel nach Euripides. (JB. Nr. 134) Gedichte. (IB. Nr. 461) Reden und Aufsätze. (IB. Nr. 339)

Huch, Ricarda: Michael Unger. Roman. M 3.75 Von den Königen und der Krone. Roman. In Halbleinen M 5.25

Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil. M 3.75

Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter Teil. M 3.75

Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. M 5.-

Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. M 3.75 Der große Krieg in Deutschland. Gefiirgte Ausgabe. M 2.50 Gesammelte Gedichte. M 6.75

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Huch, Ricarda: Liebesgedichte. (JB. Nr. 22) Lebenslauf des heiligen Wonnebald Pück. Erzählung. (IB. Nr. 58) Der letzte Sommer. Erzählung. (JB. Nr. 172) Das Judengrab. Aus Bimbos Seelenwanderungen. (IB. Nr. 193)

Fra Celeste. Erzählung. (IB. Nr. 405) Gottfried Keller. (JB. Nr. 113) Quellen des Lebens. (JB. Nr. 469) Imerslund, Per: Das Land Noruega. Erlebniſſe in Mexiko. M 4.50 Jünger, Friedrich Georg: Der Missouri. Gedichte. Pappband M 3.50. (Eiche Seite 149) Jüngst, Hans: Achill unter den Peibern. Schauſpiel. Pappband M 3.50. (Siehe Seite 149) Kamban, Gudmundur: Die Jungfrau auf Skalholt, Roman. M 7.50 Der Herrscher auf Skalholt. Roman. M 7.50 Ich seh ein großes schönes Land. Roman. M 6.50

le Fort, Gertrud von: Die Magdeburgische Hochzeit. Erzählung. M 5.50 Die Opferflamme. Erzählung. (IB. Nr. 533) Meckel, Eberhard: Durch die Jahre. Gedichte. M 4.—

Mell, Max: Das Donauweibchen. Erzählungen und Märchen. M 5.- Steirischer Lobgesang. M 4.50 Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Pappband M 3.50 Das Spiel von den deutschen Ahnen. Pappband M 3.50 Das Nachfolge Christi- Spiel. Pappband M 3.50 Das Apostels piel. (38. Nr. 167) Ein altes deutsches Weihnachtsspiel. (IB. Nr. 418) Barbara Naderer. Novelle. (JB. Nr. 261) Adalbert Stifter. (JB. Nr. 539) Morgenstern, Christian: Alle Galgenlieder. Galgenlieder, Palm- ſtröm, Palma Kunkel, Gingganz. M 3.75 Über die Galgenlieder. M 3.—

155

Morgenstern, Christian: Zeit und Ewigkeit. Gedichte. (IB. Nr. 112)

Moy, Johannes: Das Kugelspiel. Erzählungen. M 3.80. (Siehe Seite 149)

Mumelter, Hubert: Oswalt und Sabina. Zwei ohne Gnade. Roman. M 3.75

Nebelthau, Otto: Der Ritt nach Canossa. Hiſtoriſcher Roman. M 6.- Mein Gemüsegarten. (JB. Nr. 456) Mein Obstgarten. (38. Nr. 470) Benno Papentrigk’s Schüttelreime. Pappband M 2.50 Rilke, Rainer Maria: Ausgewählte Werke in zwei Bänden. M 12.-, in Halbleder M18. Gesammelte Briefe in sechs Bänden. Mit einer Einleitung von Dieter Baſſermann. M 40.- Einzelausgaben der Briefbände: Briefe aus den Jahren 1892 bis 1904. Briefe aus den Jahren 1904 bis 1907. Briefe aus den Jahren 1907 bis 1914. Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. Briefe aus Muzot (1921-1926). Briefe an seinen Verleger (1906-1926). Jeder der Briefbände M 7.-

Das Stunden- Buch. In Halbleinen M 3.-

Frühe Gedichte. M 5.-

Neue Gedichte. M 5.—

Das Buch der Bilder. M 5.—

Duineser Elegien. M 3.—

Späte Gedichte. M 5.- | Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. M 7.— Geschichten vom lieben Gott. M 4.50 | Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. M 5.50

156

Rilke, Rainer Maria: Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. (IB. Nr. 1) Requiem. (33. Nr. 30) Das Marien-Leben. Gedichte. (IB. Nr. 43) Die Sonette an Orpheus. (JB. Nr. 115) Ausgewählte Gedichte. (JB. Nr. 400) Der ausgewählten Gedichte anderer Teil. (IB. Nr. 480)

Sonette aus dem Portugiesischen der Elizabeth Barrett- Browning.

(IB. Nr. 252)

Guérin, Der Kentauer. Übertragen. (33. Nr. 548)

Die vierundzwanzig Sonette der Louize Labe. (JB. Nr. 222) Dichtungen des Michelangelo. Übertragungen. (IB. Nr. 496) Briefe an einen jungen Dichter. (JB. Nr. 406)

Briefe an eine junge Frau. (IB. Nr. 409)

Portugiesische Briefe. Die Briefe der Marianna Alcoforado. (IB. Nr. 74)

Schaeffer, Albrecht: Josef Montfort. Roman. M 6.50

Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Menſchen aus der nord» deutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Ausgabe in zwei Bän- den. M 15.-

Der göttliche Dulder. Dichtung. M 6.25 Parzival. Ein Versroman. M 7.50

Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndruckpapier. M 6.50

Grieckische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt. Zwei Bände. M 10.—

Gedichte aus den Jahren 1915 bis 1930. Mt 4.-

Die Sage von Odysseus. (IB. Nr. 87)

Der Reiter mit dem Mandelbaum. Legende. (3B. Nr. 229) Schaper, Edzard: Die sterbende Kirche. Roman. M 3.75

Das Leben Jesu. M. 6.50 .

Der Henker. Roman. M. 7.50. (Siehe Seite 149)

157

Schaper, Edzard:

Die Arche, die Schiffbruch erlitt. Novelle. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Müller. (3B. Nr. 471)

Das Lied der Väter. Erzählung. (IB. Nr. 514)

Schnack, Friedrich: Gesammelte Gedichte. Tt 5.- Das Zauberauto. Liebesroman. M 4.50 Das Leben der Schmetterlinge. Naturdichtung. M 6.- Goldgräber in Franken. Abenteuerroman. M 4.50 Der Lichtbogen. Falterlegenden. M 4.50

Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das große und kleine Volk. M 4-

Klick und der Goldschatz. Heiterer Roman. M 5.— Der erfrorene Engel. Roman eines Mädchens. M 5.—

Die brennende Liebe. Roman der drei Lebensalter: Beatus und Sabine. Sebaſtian im Wald. Die Orgel des Himmels. M 6.-

Sibylle und die Feldblumen. Mit 8 handkolorierten Blumenbildern. M 6.-

Cornelia und die Heilkräuter. Mit 8 handkolorierten Pflanzen⸗ bildern. M 6.—

Der glückselige Gärtner. Mit 8 handkolorierten Pflanzenbildern von Luiſe Albrecht⸗Hoff. M. 6.—. (Siehe Seite 150)

Land ohne Tränen. (3B. Nr. 459) Geschichten aus Heimat und Welt. (3B. Nr. 498) Das Waldkind. Roman. (3B. Nr. 552) Schneider, Reinhold: Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt

ins Reich. Inhalt: Der Wald. Paderborn. Speper. Bremen. Tan⸗ germünde. Nürnberg. Rudolſtadt. Hohenzollern. Oſtland. M. 3.80

Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Sup⸗ plinburg. Dt 5.-

Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquiſtadorenzeit. M 5.-

Corneilles Ethos in der Ära Ludwigs XIV. Eine Studie. Papp⸗ band M 3.-

Sonette. Pappband M 3.-

Macht und Gnade. Geſtalten, Bilder und Werte in der Ge⸗ ſchichte. M 6.-. (Siehe Seite 150)

Elisabeth Tarakanow. Erzählung. (IB. Nr. 540) 158

ae FR 3 ‘a

Scott, Gabriel: Fant. Roman. M 5.50

Streuvels, Stijn: Der Flachsacker. Roman. M 3.75 Der Arbeiter. Erzählung. (IB. Nr. 468) Die Ernte. Erzählung. (IB. Nr. 214) Taube, Otto Freiherr von: Der verborgene Herbst. Roman. In Halb- einen M 4.75 Die Löwenprankes. Roman. In Halbleinen M 4.50 Das Opferfest. Roman. M 6.-

Timmermans, Felix: Das Jesuskind in Flandern. M 3.75 Pallieter. Roman. M 3.75 Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. M 5.- Pieter Bruegel. Roman. M 3.75 Franziskus. M 5.- Bauernpsalm. Roman. M 5.- Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten. M 3.75

Die sehr schönen Stunden von Jungfer Symforosa, dem Beginchen. Erzählung. (IB. Nr. 308)

Das Triptychon von den Heiligen Drei Königen. (IB. Nr. 362) Aus dem schönen Lier. (ZB. Nr. 401)

Sankt Nikolaus in Not und andere Erzählungen. (IB. Nr. 420) Beim Krabbenkocher. Erzählung. (IB. Nr. 508)

Ich sah Cäcilie kommen. Erzählung. (IB. Nr. 547)

Timmermans, Felix, und Anton Thiry: Die Elfenbeinflöte. Eclt- fame Geſchichten aus dem Beginenhof. Mit Zeichnungen von Felix Timmermans. (IB. Nr. 205)

Waggerl, Karl Heinrich: Brot. Roman. M 3.75 Schweres Blut. Roman. M 5.- Das Jahr des Herrn. Roman. M 3.75 Mütter. Roman. M 5.— Wagrainer Tagebuch. M 3.- Du und Angela. Erzählungen. (IB. Nr. 204) DasWiesenbuch. Mit 16 Scherenſchnitten des Dichters. (IB. Nr. 426) Kalendergeschichten. (IB. Nr. 522)

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Walschap, Gerard: Heirat. Roman. M 4.50 Der Mann, der das Gute wollte. Roman. M 5.50

Weiß, Konrad: Konradin von Hohenstaufen. Ein Trauerſpiel. M4.- Das Sinnreich der Erde. Gedichte. Gebunden M 4.-

Die kleine Schöpfung. Versdichtung. Mit Zeichnungen von Karl Caspar. (JB. Nr. 521)

Zeitler, Andreas: Fränkischer Sommer. Erzählung. M 4.-

Goethe

Werke. Welt-Goethe-Ausgabe der Gutenbergſtadt Mainz und des

Goethe und Schiller⸗Archivs zu Weimar. Herausgegeben von Anton Kippenberg, Julius Peterſen und Hans Wahl. Gedruckt auf der Mainzer Preſſe. 50 Bände mit Regiſterbänden. Jeder Band M 10.—, in Halbleder M 14.— Bisher erſchienen: Band 1: Gedichte I. Herausgegeben von Max Hecker. Band 5: Der Weſt⸗öſtliche Divan. Mit den Noten und Abhandlungen. Herausgegeben von Konrad Bur dach. Band 6: Epen und Kantaten. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Band 7: Götz von Berlichingen. Herausgegeben von Hans Wahl. Band 12 und 13: Urfauſt; Fauſt, ein Fragment; Fauſt J und Fauſt II. Heraus gegeben von Max Hecker. Band 16: Die Leiden des jungen Werthers. 1774. Die Leiden des jungen Werther. 1787. Briefe aus der Schweiz. Herausgegeben von Fritz Adolf Hünich. Band 22: Die Wahl⸗ verwandtſchaften. Erzählungen. Herausgegeben von Johannes Hoffmeiſter.

Goethes Werke in sechs Bänden. (Der Volks⸗Goethe.) Im Auftrage der Goethe⸗Geſellſchaft herausgegeben von Erich Schmidt. Neu bearbeitet von Guſtav Roethe. (3900 Seiten.) M 18.-

Dichtung und Wahrheit. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (831 Seiten.) M 8.-

Farbenlehre. Eingeleitet von Gunther Spfen. Mit 32 zum großen Teile vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Ausgabe. Auf Dünndrud- papier in einem Bande. M 10.—

Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauft, Fragment (1790), Tra- gödie I. und II. Teil, Paralipomena, Goethe über den Fauſt, Wör⸗ terverzeichnis. Auf Dünndrudpapier in einem Bande. (648 Seiten.) M 4.—. (Siehe Seite 149)

160

oethe:

sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1300 Sei⸗ ten.) M 12.—

sedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Max Hecker. M 3.75

talienische Reise. Auf Dünndrudpapier in einem Bande. (590 Sei⸗ ten.) M 6.-

Vilhelm Meister. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1020 Sei⸗ ten.) M 9.50

Vaturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther Ip- jen. Mit 48 zum großen Teil vielfarbigen Tafeln. Auf Dünndruck— papier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) M 20.—

die Wahlverwandtschaften. Roman. M 3.50

dreißig Handzeichnungen Goethes. Fakſimile-Ausgabe in farbigem Lichtdruck. Herausgegeben von Hans Wahl. 300 numerierte Ereme plare. In Leinenmappe M 225.—

"phigenie. Erſtmalige Fakſimile-Ausgabe der Handſchrift Goethes. Mit einem Nachwort von Hans Wahl. Pappband. In Schuber M 18.—

Reise-, Zerstreuungs- und Trostbiichlein. 36 zum großen Teil fare bige Bilder. Ausgewählt und herausgegeben von Hans Wahl. Stammbuch⸗ Querformat. In Schuber M 4.50

Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben und eingeleitet von Guſtav Roethe. M 3.50

Briefe an Charlotte von Stein. Neue, vollſtändige Ausgabe, auf Grund der Handſchriften herausgegeben von Julius Peterſen. Vier Bände. M 12.—

3riefwechsel mit Marianne von Willemer. Herausgegeben von Max Hecker. Fünfte, verbeſſerte Auflage. Mit 10 Abbildungen. M 7.50

Yer Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Im Auftrage des Goethe und Schiller⸗Archivs nach den Handſchriften herausgegeben von Max Hecker. Drei Bände. M 18.-

die Briefe der Frau Rath Goethe. Geſammelt und herausgegeben von Albert Köfter. Zwei Bände. M 9.-

161

Goethe: Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln. M 4.50

Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriftlichen Nachlaſſes neu her⸗ ausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und 2 Fak⸗ ſimiles. M 7.50

Goethe im Bildnis. Mit 102 Bildtafeln. Herausgegeben und einge⸗ leitet von Hans Wahl. M 5.-

Deutſche Klaſſiker und Geſamtausgaben

Das Buch deutscher Dichtung. Herausgegeben von Ernſt Bertram, Auguſt Langen und Friedrich v. der Lepen. Sechs Bände. Jeder Band M 7.-. (Siehe Seite 148)

Büchner, Georg: Werke und Briefe. Herausgegeben von Fritz Berge⸗ mann. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. M 6.50

Eichendorff, Joseph von: Werke in zwei Bänden. Mit einem Ge⸗ leitwort von Rudolf Bach und einem Titelbild in Lichtdruck. Auf Dünndruckpapier. (1480 Seiten.) M 12.-. (Siehe Seite 148)

Droste-Hülshoff, Annette von: Sämtliche Werke. Herausgegeben von eo Kapſer. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (990 S.) 9.—

Deutsche Gedichte in Handschriften. Wiedergabe in Lichtdruck. In Halbpergament in Schuber M 8.50

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl in einem Bande. Mit 8 hand⸗ kolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel. M 4.50

Hauff, Wilhelm: Märchen. Vollſtändige Ausgabe in einem Bande. Mit Holzſchnittinitialen von Fritz Fiſcher. M 4.50

Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchſtuͤcke der Alt · ſächſiſchen Geneſis. Eingeleitet von Andreas Heusler. M 3.50

Hey-Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Von Wilhelm Hep. Mit den Bildern von Dtto Spedter. M 2.50

Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Auf SE in einem Bande. (1043 Seiten.) M 9.-

Gesammelte Briefe. Eingeleitet von Ernft Bertram. M 6.- 162

Kant: Sämtliche Werke. Sechs Bände auf Dünndruckpapier. M 45.-

Kritik der reinen Vernunft. Auf Dünndruckpapier. (650 Seiten.) DM 7.—

Keller, Gottfried: Gesammelte Werke in vier Banden. M 20.-

Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1187 Seiten.) M 9.-

Morike, Eduard: Werke in zwei Bänden. Mit einem Geleitwort von Ludwig Friedrich Barthel. Auf Dünndruckpapier. (1340 Seiten.) M 12.-

Der Nibelunge Not und Kudrun. Herausgegeben von Eduard Sie— vers. Auf Dünndrudpapier. (024 Seiten.) M 6.—

Novalis: Dichtungen. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Schultz. M 4.50

Sachs, Hans: Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit 52 handkolorierten Holzſchnitten nach Dürer, Beham u. a. Heraus— gegeben von paul Merker und Reinhard Buchwald. Zwei Bände. In Halbpergament M 16.-

Schiller: Sämtliche Werke in sieben Banden. Auf Dünndruckpapier. (4900 Seiten.) M 45.—

Werke in drei Bänden. (Der Volks⸗Schiller.) Herausgegeben von Reinhard Buchwald. (1400 Seiten.) M 14.—. (Siehe Seite 150)

Stifter, Adalbert: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Mit einer Ein- leitung von Max Mell und einem Bildnis in Lichtdrud nach einem Gemälde von Bartholomäus Szekelpi. Textreviſion von Max Stefl. Auf Dünndruckpapier. Jeder Band M 6.—. (Siehe Seite 150)

Bisher liegen vor:

Band 1/2: Studien. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden. Band 4: Der Nachſommer.

Band 5: Witiko.

Band 6: Kleine Schriften. Mit 9 Bildtafeln in Lichtdruck.

Die Bände werden auch einzeln ohne Bandziffer geliefert. Die Einzelausgabe des erſten Bandes enthält nicht die Einleitung von Max Mell und das Bildnis.

Storm, Theodor: Sämtliche Werke in drei Bänden. M 18.-

163

Weltliteratur

Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. Übertragen von Albert Weſ⸗ ſelſki. Vollſtändige Ausgabe. Auf Dünndruckpapier. M 7.50

Cervantes: Don Quixote. Vollſtändige deutſche Ausgabe, beſorgt von Konrad Thorer. Mit einem Eſſap von Turgenjew und einem Nach⸗ wort von Andre Jolles. Zwei Bände auf Dünndruckpapier. (1550 Seiten.) M 12.—

Dante: Opera omnia. (In italieniſcher Sprache.) Enthaltend La Di- vina Commedia. Il Canzoniere. Vita Nuova. Il Convivio forte die lateiniſchen Schriften und Briefe. Mit einer Einleitung von Bene⸗ a Croce. Zwei Bände auf Dünndruckpapier. (1080 Seiten.)

10.—

Dantes Göttliche Komödie. Deutſch von Friedrich Freiherrn von Fal⸗ kenhauſen. Mit einer Einführung und ausführlichen Erläuterungen. (733 Seiten.) M 7.50

Ounoov enn Ilias, Oòvoceia). Homers Werke. (Ilias und Odpſſee.) Im griechiſchen Urtext herausgegeben von Paul Cauer. Auf Dünn⸗ druckpapier. M 6.—

Sophokles: Tragödien. Übertragen von Roman Woerner. M 6.-

Orient und Ferner Oſten

Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtãndige deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erften Male aus dem ara- biſchen Urtext der Kalkuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal. Auf Dünndruckpapier. (5120 Seiten.) M 50.-

Die Bände find auch einzeln erhältlich, je M 9.—

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In einem Bande. M 4.50

Arabische Märchen. Aus mündlicher Überlieferung geſammelt und übertragen von Enno Littmann. M 7.-

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geschichte einer glücklichen Gai - tenwahl. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit Bildern nach alten chineſiſchen Holzſchnitten. M 3.75

Die Räuber vom Liang schan Moor. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit 60 Holzſchnitten einer alten chineſiſchen Aus⸗ gabe. (840 Seiten.) M 12.—

164

Der Traum der roten Kammer. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. (789 Seiten.) M 12.-

Die Geschichte vom Prinzen Genji, wie ſie geſchrieben wurde um das Jahr Eintauſend unſerer Zeitrechnung von Muraſaki, genannt Shikibu, Hofdame der Kaiſerin von Japan. Zwei Bände. (1200 Seiten.) M 16.-

Tsudzumi, Tsunevoshi: Japan, das Götterland. Herausgegeben vom Japan-Inftitut, Berlin. M 6.-

Die Kunst Japans. Herausgegeben vom Japan-Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildungen. M 20.-

Briefe, Erinnerungen, Lebensgeſchichte

Ackerknecht, Erwin: Gottfried Keller. Geſchichte feines Lebens. Mit 16 Bildtafeln. M 8.50

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Eingeleitet von Heinz Amelung. M 5.—

Bertram, Ernst: Deutsche Gestalten. M 6.— Inhalt: Bach. Klopſtock. Goethe: Geſang und Geſetz; Geheimnis— lehre; Sinnliche Überlieferung. Schiller. Norden und deutſche Roe mantik. Beethoven. Kleiſt. Stifter. Möglichkeiten deutſcher Klaſſik.

Buchwald, Reinhard: Schiller. Zwei Bände. I. Der junge Schiller. II. Wanders und Meiſterjahre. Mit 14 Bildtafeln. M 15.—

Carolinens Leben in ihren Briefen. Auf Grund der von Erich Schmidt beſorgten Geſamtausgabe in Auswahl herausgegeben von Rein» hard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Corti. Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. Maximilian von Mexiko. Mit 4 Bildtafeln. M 7.50

Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Mit der Abbildung einer Büſte und dem Fakſimile eines Briefes. M 3.50

Droysen, Joh. Gust. Das Leben des Feldmarschalls Grafen Yorck von Wartenburg. Zwei Bände. Mit 8 Bildniſſen in Lichtdruck und 8 Karten. M 10.-

165

Elisabeth Charlotte (Liselotte von der Pfalz): Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Helmolt. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Haupt, Georg: Rudolf Koch, der Schreiber. Mit 64 Bildtafeln und vielen Abbildungen im Text. M 8.50

Humboldt, Wilhelm von: Briefe an eine Freundin. Charlotte Diede. In Auswahl herausgegeben von Albert Leitzmann. M 3.50

Kassner, Rudolf: Buch der Erinnerung. M 7.-

Kerner. Justinus Kerner und sein Münchener Freundeskreis. Eine Sammlung von Briefen. Herausgegeben von Franz Pocci. Mit 8 Bildtafeln. M 8.—

Kippenberg, Anton: Geschichten aus einer alten Hansestadt. M 3.80

Kippenberg, Katharina: Rainer Maria Rilke. Neue, erweiterte Aus⸗ gabe. Mit 12 Bildtafeln. M 7.50

Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Kühnemann, Eugen: Goethe. Zwei Bände. (1118 Seiten.) M 15.-

Luthers Briefe. In Auswahl neu herausgegeben von Reinhard Buch⸗ wald. Mit 10 Bildtafeln. M 3.50

Nietzsche, Friedrich: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Richard Oehler. M 4.50

Briefe an Peter Gast. Herausgegeben von Peter Gaſt. M 6.-

Briefe an Mutter und Schwester. Herausgegeben von Eliſabeth Förſter⸗Nietzſche. Mit 3 Bildniffen in Lichtdruck. M 7.-

Briefwechsel mit Erwin Rohde. Herausgegeben von Eliſabeth För- ſter⸗Nietzſche und Fritz Schöll. In Halbleinen M 6.—

Scheffler, Karl: Der junge Tobias. Eine Jugend und ihre Umwelt. M 6.—

Schneider, Eduard: Eleonora Duse. Erinnerungen, Betrachtungen und Briefe. Mit 7 Abbildungen und einem Galfimile. M 6.-

Schurig, Arthur: Wolfgang Amade Mozart. Sein Leben, ſeine Per- fönlichkeit, fein Werk. Mit 41 Bildtafeln und 3 Fakſimiles. Zwei Bände. M 14.—

166

Strauß, David Friedrich: Ulrich von Hutten. Herausgegeben von Otto Clemen. Neue Ausgabe. Mit 24 Bildtafeln. M 8.50

Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Mit 2 Bildniſſen. M 6.50

Geſchichte und Kulturgeſchichte

Bessell, Georg: Bremen. Die Geſchichte einer deutſchen Stadt. M5.- Brandenburg, Erich: Von Bismarck zum Weltkrieg. M 14.-

Clausewitz, Karl von: Vom Kriege. Bearbeitet und eingeleitet von Friedrich von Cochenhauſen. M 6.50

Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigenhän- digen Berichten Cortes' an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522. Herausgegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit 2 Bild— niſſen und einer Karte. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die trockene Trunkenheit. Urſprung, Kampf und Triumph des Rauchens. Mit 64 Bildtafeln. M 12.—

Der Zauberer von Homburg und Monte Carlo. Geſchichte der Spielbanken. Mit 16 Bildtafeln. M 8.-

Deutsche Vergangenheit. Nach zeitgenöſſiſchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. Das Werk umfaßt neun Bände mit je 16 Bildtafeln. Es beſteht aus zwei Abteilungen, der politiſchen und der kulturhiſtoriſchen Reihe. Vorzugspreis des geſamten Werkes M 60.-, der einzelnen Bände M 7.50

Die politiſche Reihe:

Die Germanen in der Völkerwanderung. Das Frankenreich. Die

Sächsischen und Salischen Kaiser. Die Hohenstaufen.

Die kulturhiſtoriſche Reihe:

Klosterleben im deutschen Mittelalter. Deutsches Geistesleben im Mittelalter. Ordensritter und Kirchenfürsten. Fürsten und Rit- ter. Bauern, Bürger und Hansa.

Das alte Hamburg. Mit 154 Bildtafeln. Herausgegeben von Carl Schellenberg. M 9.50

Renker, Armin: Das Buch vom Papier. Mit 46 Abbildungen in Lichtdruck, 4 Waſſerzeichentafeln, 13 Papierproben und einer Karte. In Halbleinen M 10.-

167

Schneider, Reinhold: Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supplinburg. M 5.-

Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. Inhalt: Der Wald. Paderborn. Speper. Bremen. Tangermünde. Nürnberg. Rubolftadt. Hohenzollern. Oſtland. M 3.80

Reifen und Abenteuer

Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig. Eine Künſtler fahrt im Jahre 1773. 100 Bilder nach den Originalen der Staatlichen Akademie der Künſte in Berlin mit erläuterndem Text und einer Einführung von Wolfgang von Oettingen. Stammbuch⸗Querfor⸗ mat. In Schuber M 4.50

Haslund-· Christensen, Henning: Jabonah. Abenteuer in der Mon- golei. Mit einem für die deutſche Ausgabe geſchriebenen Geleitwort von Sven Hedin. Aus dem Däniſchen übertragen von Helmut de Boor. Mit 77 Abbildungen und 2 Karten. M 6.50

Reisinger, Ernst: Griechenland. Schilderungen deutſcher Reiſender. Mit 90 Bildtafeln. In Halbleinen M 7.-

Scheffler, Karl: Holland. Mit 100 Bildtafeln. M 9.- Italien. Tagebuch einer Reiſe. Mit“ 118 Bildtafeln. M 9.- Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. M 9.-

Seipp, Bettina: Neapel und Sizilien als Land der Griechen erlebt. Mit 46 Bildtafeln. M 6.50

Spunda, Franz: Der heilige Berg Athos. Landſchaft und Legende. Mit 40 Bildtafeln. M 8.-

Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern. Mit 64 Bildtafeln. M 12.—

Philoſophie Dacqué, Edgar: Das Bildnis Gottes. (Ein Spruchbrevier.) M 4.50

Die Urgestalt. Der Schöpfungsmpthus neu erzählt. Pappband M 5.—. (Siehe Seite 148)

Kant: Kritik der reinen Vernunft. Auf Dünndruckpapier. (650 Sei⸗ ten.) M 7.—

Kassner, Rudolf: Das Buch der Gleicknisse. M 4.50 Die Chimäre. Der Aussätzige. Pappband M 3.- Von der Einbildungskraft. M 4.50

168

Kassner, Rudolf:

Der indische Gedanke. Von den Elementen der menschlichen Größe. Pappband M 3.-

Englische Dichter. Pappband M 4.50 Essays. Pappband M 4.50

Der Gottmensch. Eſſaps. M 4.50

Die Grundlagen der Physiognomik. M 4.-

Die Moral der Musik. Aus den Briefen an einen Muſiker. Papp⸗ band M 4.-

Die Mythen der Seele. M 4.— Das phys iognomische Welibild. M 7.50 Die Verwandlung. Phyſiognomiſche Studien. M 4.50

Zahl und Gesicht. Nebſt einer Einleitung: Der Umriß einer uni⸗ verſalen Phpſiognomik. M 5.50

Meiner, Annemarie: Lob des Alters. Sprüche der Weisheit. Papp⸗ band M 2.50

Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Mit Erläuterungen und einem Nachwort. M 3.—

Kunſt und Muſik

Allesch, Johannes von: Michael Pacher. Mit 113 Abbildungen. M 10.-

Beenken, Hermann: Bildhauer des vierzehnten Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben. Mit 150 Abbildungen. M 10.-

Burkhard, Arthur: Hans Burgkmair. Mit 117 Abbildungen. M 10.-

Geese, Walter: Gottlieb Martin Klauer. Der Bildhauer Boethes. Mit 64 Bildtafeln. M 7.-

Gerstenberg, Kurt: Hans Multscher. Mit 175 Abbildungen. M 10.—

Grisebach, August: Karl Friedrich Schinkel. Mit 110 Abbildungen. M 10.-

Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts. Mit 136 Abbildungen. Mt 10.-

169

Koch, Rudolf: Das ABC- Büchlein. Pappband M 2.80 Vorzugsausgabe: 100 Exemplare auf der Handpreſſe gedruckt im Haus zum Fürſteneck zu Frankfurt a. M. In Halbleder M 30.-

Karte von Deutschland und angrenzenden Gebieten. Vielfarbige Wiedergabe im Format 120 & 163 cm. Unaufgezogen M 18.-, auf Leinwand mit zwei Rundſtäben M 30.—

Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Das Münster zu Straßburg. In Holz geſchnitten von Fritz Kredel und Liſa Hampe. 80x 135 cm. Gedruckt von der Drugulin⸗Preſſe zu Leipzig. In Pappſchatulle M 12.-

Das Zeichenbuch. M 5.-

Das kleine Blumenbuch (3%. Nr. 281), Ein Deutscher (B. Nr. 504) und Häusliches Leben (3B. Nr. 124)

König, Leo von: Gestalt und Seele. Das Werk des Malers. Mit 64 Bildtafeln und einer Einleitung von Reinhold Schneider. M 8.-

Zwölf Bildtafeln aus der Manessischen Liederhandschrift. Wieder-

gabe in vielfarbigem Lichtdruck in der Originalgröße (35½ X25 cm). In Leinenmappe M 60.- Inhalt: 1. Kaiſer Heinrich. 2. König Konrad der Junge. 3. Wal⸗ ther von der Vogelweide. 4. Graf Kraft von Toggenburg. 5. Wolf⸗ ram von Eſchenbach. 6. Meiſter Johannes Hadloub. 7. Der Tann⸗ häuſer. 8. Klingſor von Ungarland. 9. Hartmann von Aue. 10. Werner von Teufen. 11. Kriſtan von Hameln. 12. von Su⸗ negge. Jedes Blatt auch einzeln in Umſchlag M 6.-

Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. M 10.-

Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. M. 7.—

Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit 77 Bildtafeln. M 9.-

Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und ſein Werk. Mit 80 Bildtafeln. M 10.—

Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und feine Kunſt. Mit 192 Bildtafeln. M 4.50

Deutsche Weihnachtslieder. Bearbeitet von Helmut Walcha. Mit Vignetten von Willi Harwerth. Mehrfarbiger Druck. Ppbd. M 1.80

Weinberger, Martin: Wolfgang Huber. Mit 135 Abbildungen. M 10.- 170

Die Bibliothek der Romane Jeder Band in Leinen M 3.50

Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen. Emily Bronté: Die Sturmhöhe. Übertragen von Grete Rambach.

Charles De Coster: Die Hochzeitsreise. Übertragen von Albert Weſ⸗ ſelſki.

Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Ein fröhliches Buch trotz Tod und Tränen. Übertragen von Albert Weſſelſki.

Daniel Defoe: Robinson Crusoe. Nach der älteſten deutſchen Ubertrae gung. Nachwort von Severin Rüttgers.

Gustave Flaubert: Frau Bovary. Übertragen von Arthur Schurig. Theodor Fontane: Effi Briest.

Der Stechlin. Goethe: Die Wahlverwandtschaften.

Jeremias Gotthelf: Wie Uli der Knecht glücklich wird. Urfaffung. Nachwort von Paul Ernit.

Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplizissimus. Mit einer Zeit- tafel und einem Nachwort von Wolfgang Kapſer.

E. T. A. Hoffmann: Die Eli xiere des Teufels. Jens Peter Jacobsen: Niels Lyhne. Übertragen von Anka Matthieſen.

Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Die Leute von Seldwyla. Erzählungen.

Selma Lagerlöf: Gösta Berling. Erzählung aus dem alten Werm- land. Übertragen von Mathilde Mann.

Alain René Le Sage: Die Geschichte des Gil Blas von Santillana. (Siehe Seite 149)

Conrad Ferdinand Meyer: Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeſchichte.

Joseph Victor von Scheffel: Ekkehard. Eine Geſchichte aus dem zehnten Jahrhundert.

Charles Seals field (Karl Anton Postl): Das Kajütenbuch. 171

Friedrich von Stendhal: Rot und Schwarz. Zeitbild von 1830. Uber⸗ tragen von Arthur Schurig.

Die Kartause von Parma. Ubertragen von Arthur Schurig.

Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel. Übertragen von Karl Lerbs. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Müller.

Adalbert Stifter: Der Nachsommer. (Siehe Seite 151) Jonathan Swift: Gullivers Reisen. Nachwort von André Jolles. Leo Tolstoi: Anna Karenina. Übertragen von H. Röhl. Zwei Bände.

Dichter unſerer Zeit Jeder Band in Leinen M 3.75 Ernest Claes: Flachskopf. Mit einem Vorwort und mit Zeichnungen

von Felix Timmermans. Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens.

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geschichte einer glücklichen Gatten- wahl. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit Bildern nach alten chineſiſchen Holzſchnitten.

Ricarda Huch: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil. Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter Teil. Michael Unger. Roman.

Rudolf Koch: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis.

Christian Morgenstern: Alle Galgenlieder. Hubert Mumelter: Oswalt und Sabina. Zwei ohne Gnade. Roman. Edzard Schaper: Die sterbende Kirche. Roman.

Stijn Streuvels: Der Flachsacker. Roman. Aus dem Flämiſchen über tragen von Peter Mertens.

Felix Timmermans: Pieter Bruegel. Roman. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens.

Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnungen des Dichters. Uber⸗ tragen von Anton Kippenberg.

172

Felix Timmermans:

Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten. Mit Zeich⸗ nungen des Dichters.

Pallieter. Roman. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Anna Valeton-Hoos.

Karl Heinrich Waggerl: Brot. Roman. Das Jahr des Herrn. Roman.

Die Hausbücher der Infel Jeder Band in Leinen M 4.50

Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für alt- modiſche Leute. Pappband.

Beethoven: Brieſe. In Auswahl herausgegeben von Albert Leitzmann. Mit 16 Bildtafeln.

Jakob Böhme: Ausgewählte Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Friedrich Schulze-Maizier. Mit einer Bildtafel.

Gottfried August Bürger: Wunderbare Reisen des Freiherrn von Münchhausen. Mit Holzſchnitten von Guſtave Doré. Großquart. Pappband.

Wilhelm Busch: Aus alter Zeit. Märchen, Sagen und Volkslieder. Mit vielen Handzeichnungen des Meiſters. Herausgegeben von Otto Nöldeke und Hans Balzer.

Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof- mannsthal. (1005 Seiten.)

Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit einem erklärenden Anhang. (616 Seiten.)

Deutsche Volksbücher. Herausgegeben von Severin Rüttgers. (650 Seiten.)

Meister Eckhart: Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben von Friedrich Schulze⸗Maizier.

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg.

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl. Mit 8 handkolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel.

173

Wilhelm Hauff: Märchen. Bollftändige Ausgabe in einem Bande. Mit Holzſchnittinitialen von Fritz Fiſcher.

Gustav Schwab: Sagen des klassischen Altertums. Bollftändige Aus- gabe in einem Bande. Mit 96 Bildern von John Flaxman. (1020 Seiten.)

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht.

Emil Waldmann: Albrecht Dürer. Gein Leben und feine Kunſt. Mit 192 Bildtafeln.

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Snbalt

Kalendarium auf das Jahr 191441 U 5 Ernſt Bertram: Knabenmorgenchöre auf dem Münſter .. . . ... 11 Edgar Dacqué: Der Bruch des Paradieſese 15 Annette von Droſte-Hülshoff: Zwei Briefe :U 20 Clemens Brentano: Du Turm aber ſtehe Uw UU Uw L. 25 Hans Caroſſa: Leidende Welle U eee eee 26 Hans Jünaſt: Achill unter den Weibern 42 Machiavelli: Das Schickſal macht die Menſchen blind .. . . .... 51 Reinhold Schneider: Der Sklave des Velagquez............ 53 Aus alter deutſcher Dichtung æꝑꝑ?D ß ÜflzI᷑ eee 63 Rainer Maria Rilke: Brief an Auguſt Sauer 68 Carl Guſtav Carus: „Hamlet DULi MW 71 Friedrich Georg Jünger: Die Pfau sss 0. 73 Johannes Mop: Das Kugelſpiel D: : eee 76 Karl von Clauſewitz: Vom Kriege U 84 Edzard Schaper Der Henke ei 92 Max Mell: Was mit dem Baum der Erkenntnis geſchah ..... 102 Chriftian Morgenſtern: Die Heulbo UU eee eee 103 Friedrich Schnack: Das Trauben hass 104 Joſeph von Eichendorff: Gedicht 108 Gertrud von le Fort: Das Gericht des Meeres 110 Rudolf Bach: Der Tempel von Segeſtaͤ· U Vi 117 Erneſt Claes: Wie Vater der Mutter vor las 120 Eberhard Meckel: Die Gloden ...... eee eee eee ees 129 Katharina Kippenberg: Glück am Morgen 132 Ricarda Huch: Einem Helde nns. 146 Bücher aus dem Inſel⸗Ver lass 147

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Die Bilder

Der Engel mit der Dornenkrone vom Engelpfeiler im Straß⸗ Bürger Münſe nen., daeden 16

Der Weltgerichtsengel vom Engelpfeiler im Straßburger Münſter. Aus Hans Jantzen: Deutſche Bildhauer des dreizehnten Jahr⸗ andes tiree 24

Griechenmünze aus Sizilien. Sprakus. Um 445 v. Chr. Aus: Die ſchönſten Griechenmünzen Siziliens. Inſel⸗ Bücherei Nr. 559. 48

Probe aus Johann Gutenbergs 42zeiliger Bibel. Aus Chri⸗ ſtian Heinrich Kleukens: Die Kunſt der Letter. Inſel⸗Bücherei

)J)! . Ä]7!V....ẽ beer scoes 64 Adalbert Stifter. Ölgemälde von Bartholomäus Szekelpi. Aus Stifters Geſammelten Werken in ſieben Banden 80 Friedrich Schiller. Büſte von Johann Heinrich Dannecker. Aus Schillers Werken in drei Banden 88 Joſeph von Eichendorff. Steinzeichnung von Franz Kugler. Aus Eichendorffs Werken in zwei Bände˙erenndnnnn 112 Zeichnung zu Goethes Novelle. Von Willy Widmann. Infel- Bücher mm; 128

Den Umſchlag und das Kalendarium zeichnete Emil Preetorius

Gedruckt von Spamer in Leipzig

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