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Inſel-Almanach auf das Jahr 1939

Im Snfel-Verlag zu Leipzig

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Kalendarium

Wo aber Gefahr iſt, wächſt Das Rettende auch.

*

Hölderlin

222

Januar

Neujahr

Montag Dienstag Mittwoch

O Donnerstag Epiphanias Sonnabend

1. Sonntag n. Ep. Montag Dienstag Mittwoch

Donnerstag Freitag Sonnabend

2. Sonntag n. Ep. Montag Dienstag Reichsgründung Donnerstag

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Sonnabend

3. Sonntag n. Ep. Montag

Dienstag

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Freitag Sonnabend

4. Sonntag n. Ep. Tag der nationalen Erhebung] Dienstag

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Februar

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Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag

Sonnabend

Sexageſima Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

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Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Invokavit Montag) Dienstag

14 15 16 17 18

März

Mittwoch

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Heldengedenktg. @

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Okuli Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Lätare Montag Dienstag @ Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Judika Montag Dienstag 3 Mittwoch Donnerstag Freitag

April Juni Sonnabend 1 Tag der Arbeit 1 Donnerstag Palmarum 2 Dienstag 2 Freitag @

Montag 3 S Mittwoch 8 3 Sonnabend Dienstag 4 Donnerstag 4 Trinitatis

Mittwoch 5 Freitag 5 Montag Gründonnerstag 6 Sonnabend 6 Dienstag Karfreitag 7 Kantate 7 Mittwoch Sonnabend 8 Montag 8 Fronleichnam Oſter ſonntag 9 Dienstag 9 Freitag Oſtermontag 10 Mittwoch 10 Sonnabend

Dienstag 11 (Donnerstag 11 1. n. Trinitatis Mittwoch 12 Freitag 12 Montag Donnerstag 13 Sonnabend 13 Dienstag Freitag 14 Rogate 14 Mittwoch Sonnabend 15 Montag 15 Donnerstag Quaſimodogeniti 16 Dienstag 16 Freitag Montag 17 Mittwoch 17 Sonnabend Dienstag 18 Himmelfahrt 18 2. n. Trinitatis Mittwoch 19 @ Freitag @ 19 Montag Des Führers Geburtstag 20 Sonnabend 20 Dienstag Freitag 21 Exaudi 21 Mittwoch Sonnabend 22 Montag 22 Donnerstag Miſericordias Dom. 23 Dienstag 23 Freitag Montag 24 Mittwoch 24 Sonnabend) Dienstag 25 Donnerstag 25 3. n. Trinitatis Mittwoch 26 ) Freitag) 26 Montag Donnerstag 27 Sonnabend 27 Dienstag Freitag 28 Pfingſtſonntag 28 Mittwoch Sonnabend 29 Pfingſtmontag 29 Donnerstag Jubilate 30 Dienstag 30 Freitag 31 Mittwoch 31

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Juli

© Sonnabend 4. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

5. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

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3 7. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

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Auguft

Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 9. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 10. n. Trinitatis Montag Dienstag @ Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 11. n. Trinitatis Montag) Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 12. n. Trinitatis Montag © Dienstag @ Mittwoch Donnerstag

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September

Freitag Sonnabend

13. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

14. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

15. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch) Donnerstag Freitag Sonnabend

16. n. Trinitatis Montag

Dienstag

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Oktober

Erntedankfeſt Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag

Freitag Sonnabend

18. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

19. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

20. n. Trinitatis Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend 21. n. Trinitatis Montag Reformationsfeſt

1 2 3

4 Sonnabend 5 22. n. Trinitatis

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November

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Montag Dienstag Mittwoch

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10

11 @ Sonnabend @ 11 12 23.n. Trinitatis 12

13 Montag 13 14 Dienstag 14 15 Mittwoch 15 16 Donnerstag 16 17 Freitag 17 18 Sonnabend 18 1924. n. Trinitat.) 19 20 Montag 20 21 Dienstag 21 22 Bußtag 22 23 Donnerstag 23 24 Freitag 24 25 Sonnabend 25 26 © Totenfeſt S 26 27 Montag 27 28 Dienstag 28 29 Mittwoch 29 30 Donnerstag 30 31 31

Dezember

Freitag Sonnabend

1. Advent Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

2. Advent @ Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

3. Advent Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend

4. Advent

1. Weihnachtstag 2. Weihnachtstg. S Mittwoch Donnerstag Freitag Sonnabend Silveſter

—.

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Rudolf G. Binding / Zwei Gedichte Mond und Trinker

Schlaf ein, o Mond, ſchlaf ein auf meinem Becher. Ich ſeh dir zu. Ich fel dir zu, o Mond, - ein Zecher ſo ſtill wie du.

So ſtill wie du

mit dir und faſt geſtorben durchwandle ich ein nächtliches Bereich. Wir ſehn uns zu.

Du trinkſt aus meinem Becher:

und wir ſind gleich.

Sinkendes Jahr

Trifft dich noch immer wie je das feurige Gold des Oktober, reineres Licht über Ackern und zaubriſche Sonne des Himmels?

Atme nur. Trinke! Der Duft ausruhender Erde, dunkle Arome fallenden Laubs künden dir Wiederkehr.

Aber belüge dich nicht. Die Tiere gehn einzeln.

Stumm ſind die Vögel, verblüht iſt die Liebe der Blumen. Tod geht um und rührt alles Leben an.

Nur die Menſchen wagen ſich in das Beſtändige

ihrer Wünſche und unbekannter Beſtimmung.

Glaubſt du allein dich gefeit, du ewig Liebender?

Wiſſe: die Erde iſt herriſch.

Der kältende Reif der Nacht,

ein leiſes Weh im Herzen

künden den Winter auch dir. *

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Ernſt Moritz Arndt / Von Freiheit und Vaterland

Und es ſind elende und kalte Klügler aufgeſtanden, die ſpre⸗ chen in der Nichtigkeit ihrer Herzen:

Vaterland und Freiheit, leere Namen ohne Sinn, ſchöne Klänge, womit man die Einfältigen betört! Wo es dem Menſchen wohl⸗ geht, da iſt ſein Vaterland, wo er am wenigſten geplagt wird, da blüht ſeine Freiheit.

Dieſe ſind wie die dummen Tiere nur auf den Bauch und auf ſeine Gelüſte gerichtet und vernehmen nichts von dem Wehen des himmliſchen Geiſtes.

Sie graſen wie das Vieh nur die Speiſe des Tages, und was ihnen Wolluſt bringt, deucht ihnen das Einziggewiſſe.

Darum heckt Lüge in ihrem eitlen Geſchwätz, und die Strafe der Lüge brütet aus ihren Lehren.

Auch ein Tier liebet; ſolche Menſchen aber lieben nicht, die Got⸗ tes Ebenbild und das Siegel der göttlichen Vernunft nur äußer⸗ lich tragen.

Der Menſch aber ſoll lieben bis in den Tod und von ſeiner Liebe nimmer laſſen noch ſcheiden.

Das kann kein Tier, weil es leicht vergiſſet, und kein tieriſcher Menſch, weil ihm Genuß nur behagt.

Darum, o Menſch, haſt du dein Vaterland, ein heiliges Land, ein geliebtes Land, eine Erde, wonach deine Sehnſucht ewig dichtet und trachtet.

Wo dir Gottes Sonne zuerſt ſchien, wo dir die Sterne des Him⸗ mels zuerſt leuchteten, wo ſeine Blitze dir zuerſt ſeine Allmacht offenbarten und ſeine Sturmwinde dir mit heiligen Schrecken durch die Seele brauſeten, da iſt deine Liebe, da iſt dein Vaterland.

Wo das erſte Menſchenaug ſich liebend über deine Wiege neigte, wo deine Mutter dich zuerſt mit Freuden auf dem Schoße trug und dein Vater dir die Lehren der Weisheit ins Herz grub, da iſt deine Liebe, da iſt dein Vaterland.

Und ſeien es kahle Felſen und öde Inſeln, und wohne Armut und Mühe dort mit dir, du mußt das Land ewig lieb haben; denn du biſt ein Menſch und ſollſt nicht vergeſſen, ſondern be⸗ halten in deinem Herzen.

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Auch ift die Freiheit kein leerer Traum und kein wüſter Wahn, ſondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz und die Gewiß⸗ heit, daß du vom Himmel ſtammeſt.

Da iſt Freiheit, wo du leben darfſt, wie es dem tapfern Herzen gefällt; wo du in den Sitten und Weiſen und Geſetzen deiner Väter leben darfſt; wo dich beglücket, was ſchon deinen Urelter⸗ vater beglückte; wo keine fremden Henker über dich gebieten und keine fremden Treiber dich treiben, wie man das Vieh mit dem Stecken treibt.

Dieſes Vaterland und dieſe Freiheit ſind das Allerheiligſte auf Erden, ein Schatz, der eine unendliche Liebe und Treue in ſich verſchließt, das edelſte Gut, was ein guter Menſch auf Erden beſitzt und zu beſitzen begehrt.

Darum auch ſind ſie gemeinen Seelen ein Wahn und eine Tor⸗ heit allen, die für den Augenblick leben.

Aber die Tapfern heben ſie zum Himmel empor und wirken Wunder in dem Herzen der Einfältigen.

Auf denn, redlicher Deutſcher! Bete täglich zu Gott, daß er dir das Herz mit Stärke fülle und deine Seele entflamme mit Zu⸗ verſicht und Mut.

Daß keine Liebe dir heiliger ſei als die Liebe des Vaterlandes und keine Freude dir ſüßer als die Freude der Freiheit.

Damit du wiedergewinneſt, worum dich Verräter betrogen, und mit Blut erwerbeſt, was Toren verſäumten.

Denn der Sklav ift ein liſtiges und geiziges Tier, und der Menſch ohne Vaterland der unſeligſte von allen.

Aus dem „Katechismus für den deutſchen Kriegs⸗ und Wehrmann' in der Inſel⸗Bücherei

*

Andreas Zeitler / Arbeit und Dichtung

Von den jungen Soldaten, die der Krieg von den Bänken der Schulſtuben und der Hörſäle als halbe Knaben hinwegholte und in das Grauen der Materialſchlacht warf, hat manch einer, wie wir aus den nachgelaſſenen Briefen und Tagebuchblättern der Gefallenen und aus dem Munde Heimgekehrter erfuhren,

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ein fdymales Bändchen Homer, Goethe, Hölderlin oder Stifter bet fic) gehabt, um zuweilen in einer freien Stunde darin zu leſen und unter der ſcheinbar wahnwitzigen Herrſchaft des To⸗ des die freundliche, erhabene Geſtalt des Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wiſſen, daß dieſe Begegnungen kei⸗ nen früheren oder ſpäteren vergleichbar waren und ihnen un⸗ vergeßlich blieben. Es hat dieſer und jener von den Überleben- den nachher dankbar bezeugt, daß gerade damals, als nichts ge⸗ ringer geachtet zu werden und auch entbehrlicher zu ſein ſchien als eine erdichtete Geſtalt oder ein Vers, ſich ihm das Weſen der Dichtung als eine Leben ſpendende und bewahrende Kraft offenbart habe und er ſeit jener Zeit nun einiges in ſich trage, was er anders kaum gewonnen hätte und ſehr vermiſſen müßte, wenn er es nicht ſo, wie es zu ihm gelangt ſei, beſäße.

Wenn ſich das wahrhaſtige, aus einem reinen, getreuen und unerſchrockenen Herzen kommende dichteriſche Wort im Kriege angeſichts des Todes und der Zerſtörung an dem einen oder anderen Menſchen aufs ſchönſte bewährte und ihn inmitten eines beiſpielloſen Geſchehens aufrecht erhielt, ja, nicht allein tröſtete und beſänftigte, ſondern ſogar über ſein bisheriges Da⸗ ſein hinaushob und zu neuen Gewißheiten ſtärkte, kann es nicht anders ſein, als daß ſeine Wirkung auch in friedlichen Zeiten auf einen, der es zu empfangen vermag, eine gleiche, wenn nicht überhaupt größere und nachhaltigere iſt. Denn erſt in dem geordneten und maßvollen Leben, deſſen ruhiger Gang weitreichende Pläne und ſtetige Entwicklungen ermöglicht und das wir zu Unrecht leicht etwas abſchätzig den Alltag nennen, obwohl wir uns damit ſelber verkleinern, erfüllt der Menſch ſeine göttliche Sendung, die nicht das Töten oder Einreißen, ſondern das Erſchaffen, Aufbauen und Verwandeln zu ſeiner unterſcheidenden Aufgabe macht. Mit einem ſchöpferiſchen Drang, den er in der erleuchteten Stunde einer fernen, fernen Zeit einſt mit dem gleichen atemloſen Staunen an ſich wahrgenom⸗ men haben wird, mit dem ein Kind ſeine frühe Bildnerkraft entdeckt, einem Drang, dem das Erreichte, ſo mühevoll und zeitverſchlingend die Wege auch immer waren, niemals genügte, hat er ſich durch die Jahrtauſende hindurch von Stufe zu Stufe

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bewegt, von der unterften, wo er noch dem Tiere nicht unähn- lich war, das raubend und flüchtig nach Nahrung umherſchweiſt, nur den Augenblick bewältigend und unabläſſig bedroht, bis zur höchſten, bis heute erklommenen, auf der, als Ergebnis ſei⸗ ner, das Mannigfaltige zur Einheit zuſammenſchließenden ſchaf⸗ fenden Kräfte, ſein Leben einem ungeheuren, vielfach geglie⸗ derten und ineinander verſchränkten Gebäude gleicht, an wel⸗ chem kein einziger, noch ſo geringer Stein den anderen als Ruhefläche oder als Laft zu entbehren vermag und jedes win⸗ zige Körnchen an den Spannungen der ganzen Maſſe teilhat. Er iſt als Bauer, Arbeiter, Seemann, Handwerker, Händler, Erfinder und Forſcher, als Soldat, Beamter und Staatsmann ohne Unterlaß tätig: ſeine Beſtimmung iſt die Arbeit. Dieſe jedoch, das wunderbare und ſchwere Schickſal täglichen Tuns und Förderns im hohen wie auch gemeinen Sinne, nichts an⸗ deres, iſt der dauernde Gegenſtand der Dichtung aller Kultur⸗ völker und beſonders, wie wir zu ſagen berechtigt ſind, der Deutſchen, und nicht etwa die menſchlichen Leidenfchaften, die manche, das Mittel mit dem Inhalt verwechſelnd, dafür halten.

In jeder Dichtung, und es verſteht ſich wohl von ſelbſt, daß mit dieſer Bezeichnung eben nur gemeint iſt, was, wie aus einem höchſten Auftrag entſtanden, ſtrengſtem Anſpruch gerade zu ge⸗ nügen vermag, nicht alſo ein Erzeugnis der Phantaſie und Be⸗ rechnung von der Art der heute in Maſſen verbreiteten Druck⸗ werke, vollzieht es ſich gleichſam noch einmal, daß Gott ſein Geſchöpf aufrecht gehen heißt; wird das Wandeln mit erhobe⸗ nem Haupte beglückt gefeiert, das die Vorausſetzungen der menſchlichen Tat in ſich birgt; und findet die ſchöpferiſche Kraft des Menſchen ihre Verkündigung und Verherrlichung. Denn was kann den Dichter, der die Gabe der reinen und demütigen Empfindung mit der des treffenden und feſtlichen Wortes ver⸗ eint, heſtiger bewegen als ſeinesgleichen? Wohl iſt der Ather wunderbar und des Geſanges wert; wohl fährt die Sonne, das lebenerhaltende feurige Rad des Tages, herrlich im blauen Himmel und ſchmücken ewig erſchütternd die Geſtirne die Nacht; wohl kann einer bis in das hohe Greiſenalter hinein leben und ungeachtet der vortrefflichſten Eingebungen doch nicht mit der

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Mühe fertig werden, die Ruhe einer Landſchaft, die Entfaltung einer Blüte oder den Blick eines Tieres in der Sprache aus⸗ zudrücken: das lebendigſte, würdigſte, den Dichter am meiſten bedrängende Gleichnis des Unnennbaren iſt doch der Tätige! So träumt er, beredte Zeichen in der Erinnerung ſuchend, die Geſtalten, die wir kennen und lieben und die immer von neuem wiederkehren, mit wechſelndem Gewand, verändertem Geſicht und anderer Zunge, aber dem gleichen Herzen: den Jüngling, der ſich ungeduldig ſehnt, daß er ein Mann werde, ſchaffe und walte, oder der an dem zerbricht, was er ſich auferlegt fühlt; das Mädchen, das liebend zu ahnen beginnt, worin es mit ein⸗ beſchloſſen iſt; die Mutter, die mit ihren Kindern ihren Anteil daran hat; den Mann, den ſein Werk emporreißt, da er, nicht mehr ſchwankend, ſeine reifen Kräfte ſammelt; und den Greis, der die getane Arbeit überſchaut und geſegnet oder mißlungen findet.

Indem ſo der Dichter an dem ſchöpferiſchen Verlangen der Sterblichen Göttliches deutet und verklärt, die Allmacht in de⸗ ren beſtändig durch alle Kämpfe getragenen Zuverſicht verſinn⸗ bildlichend, deutet er zugleich dem Menſchen ſein eigenes Los. Er zeigt dem, der Eifer und Mut beſitzt, ſich ſeiner Obhut an⸗ heimzugeben, was der in vielen Schlingen des mühſeligen Le⸗ bens Verſtrickte und von der oft düſteren Strenge ſeines Ge⸗ ſchicks Verwirrte, unerleuchtet, mit den eigenen Augen nicht zu ſehen vermag, die unantaſtbare Schönheit der Ordnung, in die auch er einbegriffen iſt, zuſammen mit allem, was geatmet und gearbeitet hat und je atmen und arbeiten wird in fernſten Zei⸗ ten, wenn ſein Hirn und ſeine Hand längſt wieder der Erde zurückgegeben ſind, auch er, der kein großer Herr in fruchtbaren Ländern, kein kühner Baumeiſter, kein bedeutender Lehrer oder ſeuchenvertilgender Arzt, ſondern vielleicht nur ein beſcheidener Zwiſchenhändler, Handwerker oder Fabrikarbeiter iſt. Er führt den Letzten und Geringſten ſo gut wie den Erſten und Beſten aus dem kalten Schatten der Vereinzelung, der Sinnloſigkeit und Verzweiflung in den warmen Strahl einer frohſtimmenden Gemeinſchaſt.

Wer freilich die Arbeit nicht achtet und in ihr nur eine läſtige

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Der Slasengel Plaſtik aus dem Bamberger Dom

Bürde erblickt, den wird keine Dichtung beglücken, der ift es aber auch nicht wert, ihren köſtlichen Lohn zu finden; er möge, ein anderer Tantalus, dem überlaſſen bleiben, was ihn reizt: dem Verlogenen und künſtlich Hergerichteten, das, wenn es für den Augenblick auch ſättigt, ihn immer von neuem gierig macht und immer von neuem vom Leben trennt.

Stärker alſo als jene jungen Soldaten im Kriege, von denen am Anfang die Rede war, muß uns, die ſich nachdrücklicher und einhelliger als je eine Zeit oder ein Volk getan haben, zum ſchaffenden Menſchen, zur Arbeit bekennen, das dichteriſche Wort ergreifen und verwandeln.

*

David Friedrich Strauß Huttens Streit mit Erasmus

1522, 1523

Des Erasmus und des Verhältniſſes, in welchem Hutten zu ihm ſtand, haben wir im erſten Teile unſerer Erzählung wie⸗ derholt gedenken müſſen. Es war damals von ſeiten Huttens das der reinen Verehrung und Bewunderung des älteren Meiſters und Vorbildes; von ſeiten des Erasmus das des Wohlgefallens an einem begabten Jünger, gegen deſſen Hul⸗ digungen der Meiſter nicht unempfindlich iſt, deſſen Brauſen und Uberſchäumen er mit feiner Jugend, in Erwartung künf⸗ tiger Läuterung, entſchuldigt. Der Gegenſatz der Naturen war durch die Gemeinſamkeit des humaniſtiſchen Standpunktes ſcheinbar ausgeglichen: ſobald der eine von beiden dieſen ver⸗ ließ, während der andere auf demſelben verharrte, ſo mußte auch der Widerſtreit der Naturen zum Vorſchein kommen. Nun war aber Hutten während der letzten Jahre aus dem Huma⸗ niſten immer mehr zum Reformer geworden, während Eras⸗ mus Humaniſt blieb: unmöglich konnte ihm dieſer fortan in demſelben Lichte wie früher erſcheinen; an dem ſtrahlenden Vorbilde ſeiner Jugend mußten ihm jetzt mancherlei Flecken bemerklich werden.

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Vor allem haben wir uns bier, wo der denkwürdige Streit zwiſchen beiden Männern zu entwickeln iſt, mit der ganzen Größe und geſchichtlichen Bedeutung des Erasmus zu durch— dringen. Es iſt leicht geſagt, ihn in Vergleichung mit Luther ſeicht und ſchwach, im Verhältnis zu Hutten ſogar feig und zweideutig zu finden. Das waren die beiden Träger der ge⸗ ſchichtlichen Macht, die ihn ablöſte: in Vergleichung mit dieſer aber, ſolange eine Geſchichtsperiode im Aufſteigen begriffen iſt, erſcheint der Vorgänger regelmäßig im Nachteile. Ihm gerecht zu werden, müſſen wir rückwärts blicken, ihn mit demjenigen vergleichen, worauf er fußte, was er weiterbildete, in ſich zu⸗ ſammenfaßte. Da ſehen wir denn in Erasmus den lebendigen Inbegriff faſt alles deſſen, was, infolge der Wiedererweckung des Studiums der Alten, die Geiſter der abendländiſchen Na⸗ tionen ſeit mehr als hundert Jahren errungen hatten. Es wa⸗ ren dies nicht bloß Sprachkenntniſſe, nicht bloß Bildung des Stils, des Geſchmacks: ſondern damit hatte die ganze Geiſtes⸗ form einen freieren Wurf, einen feineren Strich bekommen. In dieſem umfaſſenden Sinne kann man ſagen, daß Erasmus der gebildetſte Mann ſeiner Zeit war.

Zugleich verſtand er ſeine Zeit, kannte ihre Bedürfniſſe und kam denſelben durch ſeine Schriften nach den verſchiedenſten Seiten hin entgegen. Seine kritiſchen Ausgaben von Klaſſikern und Kirchenvätern, ſeine Blumenleſen von Sprichwörtern, Gleichniſſen und Sentenzen, ſeine Uberſetzungen aus dem Grie⸗ chiſchen, ſeine Anweiſungen zum Studium überhaupt, zur wah⸗ ren Theologie, zum richtigen und eleganten Sprechen und Schreiben des Lateiniſchen, worin ſeine zahlreichen Briefe prak⸗ tiſche Muſter waren, kamen zur rechten Zeit und wirkten in den weiteſten Kreiſen. Seine griechiſch⸗lateiniſche Ausgabe des Neuen Teſtaments, die erſte gedruckte des griechiſchen Grundtextes, erſchien, dem Papſte Leo X. zugeeignet, ein Jahr vor dem An⸗ fangsjahre der Reformation. Seine Paraphraſen zu den neu⸗ teſtamentlichen Schriften folgten; wobei es ihn bezeichnet, daß er die zur Apokalppſe ſchuldig blieb. Sowenig er aber, wie fdyon früher bemerkt, Mpſtiſches in feiner Natur hatte, fo fehlte ihm darum der Sinn für praktiſche Religion, ſelbſt für

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ſittliche Askeſe keineswegs: wie feine Unterweiſung eines chriſt⸗ lichen Streiters, ſeine Schriften über das Gebet, den chriſt⸗ lichen Eheſtand und dergleichen zeigen. Überall dringt er in der Religion auf das Innere, die Geſinnung und Bedeutung, ohne welche ihm das Außere, die kirchliche Zeremonie, keinen Wert hat. Er verſpottet den Aberglauben des Volkes, die Un⸗ wiſſenheit und Barbarei der Geiſtlichen, insbeſondere der Mön⸗ che, den Aberwitz der Scholaſtik, klagt über die Plackereien der Saftengebote und wagt ſelbſt gegen die Herrſch⸗ und Habſucht des römiſchen Hofes manch freies Wort.

Alle Welt, die ganze menſchliche Geſellſchaft, unterwirft er in ſeinem Lob der Narrheit einer ironiſchen Muſterung. Hier tritt im Geſchmacke jener Zeit, der freilich nicht mehr der unſrige iſt, die perſonifizierte Torheit redend auf, rühmt ihre Verdienſte um die Menſchheit und lobt, indem ſie die verſchiedenen Stände nach der Reihe durchgeht, an den einzelnen gerade das, was an denſelben als Verkehrtheit zu rügen iſt; wobei ſie freilich oft genug aus der Rolle und aus dem verſtellten Lob in direk⸗ ten Tadel fällt. Die Schrift iſt bei Lebzeiten ihres Verfaſſers mindeſtens ſiebenundzwanzigmal aufgelegt worden.

Kaum mindern Beifall erhielten feine „Vertrauten Geſpräche', die, aus einer Anleitung zur lateiniſchen Konverſation, in den ſpätern Ausgaben zu einer Sammlung von Unterhaltungen wurden, in denen Erasmus bald Sitten oder Unſitten ſeiner Zeit ſchilderte, bald ſeine Anſichten über wichtige Fragen der Lebensweisheit oder der Religion niederlegte. Die Angabe des Inhalts von einigen dieſer Geſpräche wird die Denkart und Stellung des Erasmus am beſten deutlich machen. In dem Geſpräch „Die Leiche' werden zwei Sterbende geſchildert. Der eine, ein geweſener Kriegsmann, der viel ungerecht erworbenes Gut beſitzt, läßt ſämtliche Bettelorden holen, ſtirbt in der Fran⸗ ziskanerkutte und läßt ſich in der Kirche begraben, vermacht ſein ganzes Vermögen den Orden und zwingt Weib und Kin⸗ der, geiſtlich zu werden. Der andere, ein rechtſchaffener und verſtändiger Mann, ſtirbt ohne allen Prunk, im Vertrauen auf das Verdienſt Chriſti allein, vermacht den Klöſtern und den Armen, da er den letzteren im Leben nach Kräften Gutes

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getan, keinen Pfennig, nimmt zwar noch die letzte Slung und das Abendmahl, doch ohne Beichte, da ihm, wie er ſagt, kein Skrupel mehr in der Seele haftet. Dabei wird zugleich die Erbſchleicherei der Mönche, die Eiferſucht zwiſchen ihnen und den Pfarrern wie der verſchiedenen Orden untereinander, und deren rohe Sitten anſchaulich gemacht. In dem Geſpräche vom Fiſcheſſen wird unter anderem eine Geſchichte erzählt, wie einer in tödlicher Krankheit ſich weigerte, nach dem Rat ſeiner Arzte (wider ſein Gelübde) Eier⸗ und Milchſpeiſen zu eſſen, aber kei⸗ nen Anſtand nahm, eine Schuld durch einen Meineid abzu⸗ ſchwören. Im Schiffbruch, während die übrigen der eine dieſen, der andere jenen Heiligen anrufen, wendet ſich der verſtändige Sprecher geradezu an Gott ſelbſt, in der Überzeugung, daß kein anderer die Bitten der Menſchen ſchneller höre und lieber gewähre. In der Unterhaltung über das Wallfahrten ant⸗ wortet Menedemus dem Ogngius auf die Frage, ob er nicht auch die Pilgerfahrten, die ihm dieſer zuvor gerühmt, machen wolle: er mache ſeine Wallfahrten zu Hauſe ab. Nämlich ſo: er gehe in das Zimmer, um über die Sittſamkeit ſeiner Töchter zu wachen; von da in die Werkſtatt, um den Fleiß der Knechte und Mägde zu beaufſichtigen, und ſo da⸗ und dorthin, um das ganze Haus in Ordnung zu halten. Aber das würde, wendet der andere ein, wenn du zu ihm pilgern gingeſt, der heilige Jakobus für dich beſorgen. Die Heilige Schrift, entgegnet Me⸗ nedemus, heißt es mich ſelbſt beſorgen; daß ich es den Heiligen überlaſſen ſoll, finde ich nirgends vorgeſchrieben.

In dem Jahrzehnt, welches dem Auftreten Luthers voranging, ſtand der Ruhm des Erasmus auf ſeiner Höhe. Er galt für die erſte literariſche Größe des Abendlandes und war es auch. Von fern her reiſten aufſtrebende junge Männer wie ältere Gelehrte an ſeinen Wohnort und ſchätzten ſich glücklich, ſein Angeſicht geſehen zu haben. Weltliche und Kirchenfürſten bewarben ſich um ſeine Briefe und lohnten ſeine Zueignungen durch Ge⸗ ſchenke. Auf ſeinen Reiſen wurde er in den gebildeteren Städ⸗ ten wie ein Potentat empfangen: Deputationen erſchienen, hielten Anreden und überreichten Gedichte, die Obrigkeiten warteten auf und ſchickten Verehrungen. In bequemer Muße, ohne Amt,

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dem er immer auswich, feit 1516 mit dem Titel eines Rats König Karls von Spanien und einem Gehalte von vierhundert Florin, wozu noch etliche kleinere Penſionen hochgeſtellter Gön⸗ ner kamen (die freilich in der Weiſe jener geldarmen Zeit nicht ſelten ſtockten), lebte Erasmus, von ſeinen Reiſen nach Frankreich, Italien, England zurückgekehrt, erſt zu Löwen, dann zu Baſel, wo es ihm am wohlſten wurde, bis die Unruhen in⸗ folge der Reformation ihm den Aufenthalt verleideten und ihn zur Überfiedelung nach Freiburg bewogen.

Wie zu Luthers Auftreten der Handel Reuchlins gewiſſer⸗ maßen ein Vorſpiel war, ſo ließ ſich aus des Erasmus Ver⸗ halten bei dem letztern ſchon ungefähr abnehmen, wie er ſich zur Reformation ſtellen würde. Da der Streit ſich über den Talmud und andere Judenbücher entſpann, die dem Erasmus fremd, wo nicht widerwärtig waren, ſo konnte er in gewiſſem Sinne mit Wahrheit ſagen, daß ihn derſelbe nichts angehe. Dann war aber auch die Heftigkeit, mit welcher der Kampf von beiden Seiten geführt wurde, ſeiner Denkart und Natur zu⸗ wider. Er meinte, die Freunde der beſſern Studien ſollten mehr aufbauend als polemiſch zu Werke gehen, ſich lieber als Gäſte allmählich einſchmeicheln, als gewaltſam wie Feinde ein⸗ brechen. Bei dem kriegeriſchen Verhalten, das Reuchlins An⸗ hänger angenommen hatten, war es ihm unangenehm, daß Pirckheimer in ſeiner Schutzſchrift für denſelben auch ihn dem Verzeichnis der Reuchliniſten einverleibt hatte. Denn welcher gelehrte und rechtſchaffene Mann ſei ihm nicht hold, ſagte er; was er aber meinte, war, daß der Freund ihn auf keine Weiſe in einen Parteienſtreit hätte verflechten ſollen, da er auch hier, wie ſpäter bei der Lutheriſchen Tragödie, wie er es nannte, nur Zuſchauer, nicht Mitſpieler ſein wollte. In der Stille übrigens ſprach er dem Angefochtenen freundlich zu, in diplomatiſcher Form verwendete er ſich für ihn bei Papſt und Kardinälen, und als am 30. Juni 1522 Reuchlin durch den Tod dem Streit entrückt war, feierte er ihn in einer Apotheoſe, die er ſeinen Dialogen einverleibte. Ein von Tübingen kommender Schüler Reuchlins erzählt von dem Morgentraume oder viel⸗ mehr der Viſion, die ein frommer Franziskaner daſelbſt in

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Reuchlins Todesſtunde gehabt habe. Jenſeits einer Brücke, die über einen Bach führte, erblickte er eine herrliche Wieſe: auf die Brücke ſchritt Reuchlin zu in weißem, lichtem Gewande, hinter ihm ein ſchöner Flügelknabe, ſein guter Genius. Etliche ſchwarze Vögel, in der Größe von Geiern, verfolgten ihn mit Geſchrei; er aber wandte ſich um, ſchlug das Kreuz gegen ſie und hieß ſie weichen; was ſie taten mit Hinterlaſſung unbe⸗ ſchreiblichen Geſtankes. An der Brücke empfing ihn der ſprach⸗ gelehrte heilige Hieronymus, begrüßte ihn als Kollegen und brachte ihm ein Kleid, wie er ſelbſt eines anhatte, ganz mit Zungen in dreierlei Farben beſetzt, zur Andeutung der drei Sprachen, welche beide verſtanden. Die Wieſe und die Luft war mit Engeln angefüllt; auf einen Hügel, der ſich aus der Wieſe erhob, ſenkte ſich vom offenen Himmel eine Feuerſäule nieder, in dieſer ſtiegen die beiden Seligen, ſich umarmend, unter dem Geſang der Engelchöre empor. Der Erzähler und ſein Mitunterredner wollen nun den Entſchlafenen in das Ver⸗ zeichnis der Heiligen, dem heiligen Hieronymus zur Seite, ſetzen, ſein Bild in ihren Bibliotheken aufſtellen und ihn fort⸗ an als Schutzheiligen der Sprachgelehrſamkeit anrufen.

Als nun Luther auftrat, fehlte auch ihm von Anfang weder die Teilnahme des Erasmus noch ſein diplomatiſch empfehlendes Wort. Die vertrauliche Außerung auf Friedrichs des Weiſen Frage zu Köln, unmittelbar vor dem Wormſer Reichstage, Luther habe in zwei Stücken gefehlt, daß er dem Papſt an die Krone und den Mönchen an die Bäuche gegriffen, wirkte tief auf des Kurfürſten Gemüt und fiel ihm noch kurz vor ſeinem Tode wieder ein. An den Kardinal Albrecht von Mainz hatte Erasmus ſchon vorher über Luther einen ſehr günſtigen Bericht erſtattet, war aber auch äußerſt ungehalten geweſen, als Hut⸗ ten ſich beigehen ließ, den Brief ohne ſein Vorwiſſen drucken zu laſſen; wie er die zu Köln in gleichem Sinne geſchriebenen Axiomata dem Spalatin bald wieder abforderte, ohne doch da⸗ mit ihren Druck verhindern zu können. Vor allem begriff Eras⸗ mus ſehr wohl, daß Luther nicht ohne die dringendſte Veranlaſ⸗ jung aufgetreten fei. Es waren ja dieſelben Übelftände, über welche auch er ſelbſt bisher ſchon ſeine Klagen nicht zurück⸗

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gehalten hatte. Die Beſchwerung des chriſtlichen Volks durch Menſchenſatzungen; die Verdunkelung der Theologie durch ſcho⸗ laſtiſche Dogmen; die läſtige Übermacht der Bettelmönche; das Unweſen, das ſie mit der Beichte und dem Ablaß trieben; die Entartung der Predigt, in welcher, ſtatt von Chriſtus und chriſtlichem Leben, faſt nur noch von dem Papſt und ſeiner Machtvollkommenheit oder von kindiſchen erlogenen Mirakeln die Rede war; der mehr als jüdiſche Zeremonieendienſt, unter deſſen Drucke der lebendigen Frömmigkeit die Erſtickung drohte. Die ſchamloſe Übertreibung auf dieſer Seite veranlaßte Lu⸗ ther zum Widerſpruch und diente nach des Erasmus Urteil auch manchem Übermaß auf ſeiner Seite zur Entſchuldigung. Auf eine ehrliche Abſicht bei Luther ſchloß er ſchon daraus, daß es demſelben weder um Geld noch um Ehren zu tun war. Auch fand er, daß gerade die beſten Menſchen an Luthers Schriſten am wenigſten Anſtoß nahmen. Luther ſchien ihm (und das ſchrieb er an den Papſt ſelbſt) eine ſchöne Gabe zur asketiſchen, praktiſchen Schriftauslegung zu haben, welche in der damaligen Zeit über ſpitzfindigen ſcholaſtiſchen Fragen mehr als billig vernachläſſigt war. Er ſah in Luther ein tüchtiges Rüſtzeug zur Auffindung der Wahrheit, zur Wiederherſtellung evangeliſcher Freiheit, das nicht zerbrochen werden dürfe.

Gleich von Anfang jedoch hatte Erasmus in Luthers Schrif⸗ ten (von Perſon kannte er ihn nicht) etwas bemerkt, das ſeinem Weſen fremd, ja zuwider war. Es war das Scharfe und Herbe, die Heftigkeit und Leidenſchaft in denſelben, was ihn erſt be⸗ denklich machte, dann immer mehr abſtieß. Er ſah Aufruhr und Zwieſpalt als Folge eines ſo ſtürmiſchen Auftretens vor⸗ aus. Als daher Luther an ihn geſchrieben hatte, ermahnte er denſelben in ſeiner Antwort zur Mäßigkeit und Beſcheidenheit. Wie ſtatt deſſen Luther im Verlaufe ſeines Streites immer hef⸗ tiger und ſchonungsloſer wurde, trat Erasmus immer mehr von ihm zurück. Er wurde zweifelhaft, welch ein Geiſt den Mann treibe. Noch abgeſehen von dem Inhalte ſeiner Lehre, wie er fi) mehr und mehr entwickelte, fand Erasmus jedenfalls die Act, wie Luther zu Werke ging, zweckwidrig. Je mißliebiger an ſich ſchon das Geſchäft ſei, eingewurzelte Mißbräuche zu be⸗

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kämpfen, meinte er, in deſto milderer Form hätte es geſchehen müſſen. Wozu Schmähungen gegen diejenigen, welche es zu heilen galt? Wozu Übertreibungen, die Anſtoß erregen muß⸗ ten? Durchaus glaubte er die weiſe Okonomie, die Urbanität der Predigt zu vermiſſen, wie wir ſie in den Vorträgen Chriſti und Pauli finden. Zuweilen begriff er Luther als einen Arzt. den die tiefen Schäden der Zeit zu grauſamen Mitteln, zum Schneiden und Brennen nötigten; aber er fand die Mittel zum Teil ſchlimmer als die Krankheit. Für Erasmus war Streit und Krieg der Übel größtes: er wollte im Kolliſionsfalle lieber einen Teil der Wahrheit dahinten laſſen, als durch Behaup⸗ tung der ganzen den Frieden ſtören.

Von ſeinem Standpunkte aus ſchildert Erasmus Luthers Na⸗ turell und Art ganz treffend. Er fand in ihm des Peliden Zorn, der von Nachgeben nichts weiß. Habe er etwas zu be⸗ haupten unternommen, ſo werde er gleich hitzig und laſſe nicht ab, bis er die Sache auf die Spitze geſtellt habe. Erinnere man ihn, fo fei er fo weit entfernt, die Übertreibung zu mil⸗ dern, daß er ſie im Gegenteil noch weiter ſteigere. Daher die Paradoren in feiner Lehre, von denen Erasmus urteilte, daß ſie nur dazu dienen können, ſchädliche Mißverſtändniſſe zu veranlaſſen. Zu dieſen Paradoxen rechnete er gleich den Lu⸗ theriſchen Hauptſatz, daß der Menſch einzig durch den Glauben gerecht werde, ſeine Anſichten von dem freien Willen, den guten Werken und dergleichen mehr.

Nichts konnte mehr gegen den Sinn des Erasmus ſein, als daß Luther, wie es ihm ſchien, durch die Härte und Rückſichts⸗ loſigkeit ſeines Verfahrens die Machthaber von ſich zurückſtieß. Des Erasmus Idee war, im Einverſtändnis mit Papſt, Biſchöfen und Fürſten die Kirche zu reformieren, ihnen daher die bittere Pille ſo ſüß wie möglich einzuwickeln und lieber von der Strenge der Forderung etwas Namhaftes nachzulaſſen, als ſie zu Gegnern der Reform zu machen. So wünſchenswert es war, daß die Sache dieſen Gang nehmen möchte, ſo widerſprach es doch ſo ſehr aller bisherigen Erfahrung, daß nur die unüberwindliche Scheu vor jeder Gewaltſamkeit dem Erasmus, ſogar noch unter Kle⸗ mens VII., die Möglichkeit des Gelingens vorſpiegeln konnte.

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Was ihn aber gegen Luthers und feiner Anhänger Beginnen noch tiefer verſtimmte, war der Umftand, daß er gar bald die⸗ jenige Angelegenheit, die ihm vor allem am Herzen lag, die humaniſtiſche Bildung, darunter leiden ſah. Und zwar in dop⸗ pelter Art: indem teils manche frühere Gönner der letzteren, um der reformatoriſchen Bewegung willen, die ſie aus derſel⸗ ben hervorgegangen glaubten, ihr feind wurden; teils der re⸗ formatoriſche Eifer die humaniſtiſchen Beſtrebungen aus dem Mittelpunkte des Zeitintereſſes verdrängte. Des Erasmus Kla⸗ gen über den Haß, welchen Luther und deſſen Anhänger den beſſeren Studien zugezogen, nehmen kein Ende. Dagegen be⸗ müht er ſich zu zeigen, daß beiderlei Beſtrebungen einander gar nichts angehen; verſichert, daß ihm Luther perſönlich fremd ſei und viel zu wenig klaſſiſche Studien habe, um zu den Hu⸗ maniſten gerechnet werden zu können. Nichtsdeſtoweniger mach⸗ ten ihn feine Gegner für die ganze Reformationsbewegung verantwortlich. Die Bettelmönche predigten, Erasmus habe die Eier gelegt, Luther ſie ausgebrütet. Ja, erwiderte Erasmus, er habe ein Hühnerei gelegt, Luther aber einen ganz andern Vo⸗ gel herausgebracht. Wer bis an das Ufer vorwärts gegangen ſei, der könne doch nicht als Vorgänger desjenigen angeſehen werden, der ſich nun mitten in die Fluten ſtürze. Dem wider⸗ ſpricht es nur ſcheinbar, wenn Erasmus ein ander Mal, der Geringſchätzung gegenüber, mit welcher Luther und deſſen eifernde Anhänger ihn beiſeite ſchoben, die Überzeugung aus⸗ ſpricht, faſt alles, was Luther lehre, auch ſchon gelehrt zu ha⸗ ben, nur in milderer Form, ohne Schmähungen und Para⸗ doren. Darum ſträubte er ſich auch lange, gegen Luther auf⸗ zutreten: unter verſchiedenen Gründen doch auch deswegen, weil er fürchtete, mit Luthers Werk zugleich ſeine eigenen Saaten zu beſchädigen.

Immer ſtörender griff mittlerweile mit jedem ihrer Fortſchritte die Reformation in das Leben des Erasmus ein. Nicht allein daß er ſich mit einem Male von der erſten Stelle verdrängt, ja aus der erſten Reihe in die zweite zurückgeſchoben ſehen mußte. Sondern, indem die Anhänger der Reformation ihm zumuteten, mit ihnen Partei zu machen, die Gegner, ſich gegen

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dieſelbe zu erklären, und er keine von beiden Forderungen ers füllen mochte, fand er ſich zwiſchen zwei Feuern. Die einen ſchmähten ihn als feig, die andern hielten ihn für falſch und warfen ihm vor, daß er mit Luther unter einer Decke ſtecke. Er ſah alte Freundſchaften zertrennt, alles mit Streit und Zank, die bald in wilde Kämpfe ausbrachen, erfüllt; er betrachtete die Reformation als das Unglück ſeines Lebens und glaubte

eine allgemeine Verwilderung im Anzug. . Aus „Ulrich von Hutten'

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Briefe des Generalfeldmarſchalls von Moltke

An die Mutter Berlin, Weihnachtsabend 1830, 7 Uhr

Bei einer Umwälzung, an der Haß und Leidenſchaft unſtreitig einen größeren Anteil als Vernunft und Notwendigkeit haben, iſt es mir immer rätſelhaft geweſen, was zwei Völker, wie Bel⸗ gier und Holländer, die eines Urſprungs und eines Landes ſind und die ein ſchreckliches Schickſal ſo lange miteinander ge⸗ teilt haben, dann ſo gegeneinander erbittert haben kann, daß ein fünfzehnjähriger Friede ihre Verſchmelzung nicht vermochte. Ich habe die Erklärung in der Geſchichte beider Länder geſucht, indem ich ſie unter dieſem Geſichtspunkte insbeſondere prüfte, und was ich als wahr zu erkennen glaubte, habe ich in einer kleinen Broſchüre aufgeſetzt, die ich herauszugeben gedenke. Dieſe Arbeit hat meine Zeit ſehr in Anſpruch genommen, denn da ich vormittags bis 2 Uhr im Büro beſchäftigt bin und um 4 Uhr erſt vom Eſſen komme, abends auch viel aus bin, ſo blieb mir faſt nur die Nacht, und manchmal wohl, wenn Ihr ſchon, wie ich hoffe, gut geſchlafen habt, plagte ich mich mit den edelmögenden Herren Generalſtaaten herum, denn in einem ihrer ſchweinsledernen Quartanten, aus denen ich vorzüglich meine Gelehrſamkeit ſchöpfe, ſteht nicht nur, was die wackeren Niederländer durch drei Jahrhunderte getan, ſondern ſogar, was ſie geſprochen haben, und das iſt nicht wenig. Wirklich iſt der Mühe nicht wenig bei der Arbeit geweſen, und ich habe

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über tauſend Pagina in Quart und an viertaufend in Oktav durchgeleſen. Um einen allgemeinen Satz aufzuſtellen, mußte ich oft ganze Bände durchblättern, und am Ende nimmt der Leſer einen Satz über den Satz und lieſt ihn nicht. Schlimm⸗ ſtenfalls bleibt mir eine ziemlich gute Kenntnis des Landes und ſeiner Geſchichte, in welches leicht die Begebenheiten ein preußiſches Heer führen können.

An die Braut . Berlin, Sonntag abends, den 13. Februar [1842]

Mein Mariechen! Dein lieber Brief vom 10. kam geſtern an und erfreute mich ſehr, denn Du ſcheinſt heiter und zufrieden und haſt wohl vollauf zu tun mit Deiner Einrichtung. Nun ſind es nur noch zehn Wochen, dann biſt Du ganz mein eigenes, lie⸗ bes, kleines Frauchen. Geſtern abend beſuchte ich einen mei» ner Kameraden, den Rittmeiſter Oelrichs vom Generalſtabe, welcher auch ganz kürzlich geheiratet hat. Er iſt nicht jünger als ich und ſeine Frau nur zwei Jahre älter als Du und auch ſehr hübſch. Dieſe Leute werden Dir gewiß ſehr gefallen, ſie empfehlen ſich Dir unbekannterweiſe und bieten Rat und Bei⸗ ſtand, wenn Du es brauchſt. Ich wünſche mir recht die Zeit herbei, wenn wir auch ſo gemütlich beiſammen wohnen werden. Gott gebe ſeinen Segen dazu. Laß uns nur immer recht auf⸗ richtig miteinander ſein und ja niemals ſchmollen. Lieber wol⸗ len wir uns zanken und noch lieber ganz einig fein. Du haft wohl gemerkt, daß ich manchmal launiſch bin, dann laß mich nur laufen, ich komme Dir doch zurück. Ich will aber ſehen, daß ich mich beſſere. Von Dir wünſche ich freundliches und gleichmäßiges, womöglich heiteres temper, Nachgiebigkeit in Kleinigkeiten, Ordnung in der Haushaltung, Sauberkeit im Anzuge und vor allen Dingen, daß Du mich lieb behalteſt. Zwar trittſt Du ſehr jung in einen ganz neuen Kreis von Um⸗ gebungen, aber Dein guter Verſtand und vorzüglich die Treff⸗ lichkeit Deines Gemüts wird Dich ſehr bald den richtigen Takt im Verkehr mit anderen Menſchen lehren. Laß Dirs geſagt ſein, gute Marie, daß Freundlichkeit gegen jedermann die erſte

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Lebensregel ift, die uns manchen Kummer ſparen kann, und daß Du ſelbſt gegen die, welche Dir nicht gefallen, verbindlich fein kannſt, ohne falſch und unwahr zu werden. Die wahre Höflichkeit und der feinſte Weltton iſt die angeborene Freund⸗ lichkeit eines wohlwollenden Herzens. Bei mir hat eine ſchlechte Erziehung und eine Jugend voller Entbehrungen dies Gefühl oft erſtickt, öfter auch die Außerung desſelben zurückgedrängt, und ſo ſtehe ich da mit der angelernten, kalten, hochmütigen Höflichkeit, die ſelten jemand für ſich gewinnt. Du hingegen biſt jung und huͤbſch, wirſt, ſo Gott will, keine Entbehrung kennen lernen, jeder tritt Dir freundlich entgegen, ſo verſäume denn auch nicht, den Menſchen wieder freundlich zu begegnen und ſie zu gewinnen. Dazu gehört allerdings, daß Du ſprichſt. Es kommt gar nicht darauf an, etwas Geiſtreiches zu ſagen, ſondern womöglich etwas Verbindliches, und geht das nicht, wenigſtens fühlen zu machen, daß man etwas Ver⸗ bindliches ſagen möchte. Das Gezierte und Unwahre liegt Dir fern, es macht augenblicklich langweilig, denn nichts als die Wahrheit kann Teilnahme erwecken. Wirkliche Beſcheiden⸗ heit und Anſpruchsloſigkeit ſind der wahre Schutz gegen die Kränkungen und Zurückſetzungen in der großen Welt; ja, ich möchte behaupten, daß bei dieſen Eigenſchaften eine große Blö⸗ digkeit und Befangenheit nicht möglich iſt. Wenn wir nicht an⸗ ders ſcheinen wollen, als wir ſind, keine höhere Stellung uſur⸗ pieren wollen, als die uns zuſteht, ſo kann weder Rang noch Geburt, noch Menge und Glanz uns weſentlich außer Faſſung bringen. Wer aber in ſich ſelbſt nicht das Gefühl ſeiner Würde findet, ſondern ſie in der Meinung anderer ſuchen muß, der Klieſt ſtets in den Augen anderer Menſchen, wie jemand, der falſche Haare trägt, in jeden Spiegel ſieht, ob ſich auch nicht etwas verſchoben hat. Geſteh ichs doch, gute Marie, daß ich dieſe ſchönen Lehren von mir ſelbſt abſtrahiere. Mein ganzes Auftreten iſt nur eine mit Zuverſichtlichkeit und usage du monde übertünchte Blödigkeit. Die langjährige Unterdrückung, in welcher ich aufgewachſen, hat meinem Charakter unheilbare Wunden geſchlagen, mein Gemüt niedergedrückt und den guten, edlen Stolz geknickt. Spät erſt habe ich angefangen, aus mir

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felbft wieder aufzubauen, was umgeriſſen war, hilf Du mir fortan, mich zu beſſern. Dich ſelbſt aber möchte ich edler und beſſer, und das iſt gleichbedeutend mit glücklicher und zufrie⸗ dener, ſehen, als ich es werden kann. Sei daher beſcheiden und anſpruchlos, ſo wirſt Du ruhig und unbefangen ſein. Gerne werde ich es ſehen, wenn man Dir recht den Hof macht; ich habe auch nichts gegen ein bißchen Kokettieren. Je mehr Du gegen alle verbindlich biſt, je weniger wird man Dir nachſagen können, daß Du einzelne auszeichneft. Dafür mußt Du Dich in acht nehmen, denn die Männer ſuchen zu gefallen, erſt um zu gefallen, dann um ſich deſſen rühmen zu können, und Du wirſt in der Geſellſchaft weit mehr Witz als Güte finden. Es kann gar nicht ausbleiben, daß ich im Vergleich mit anderen Männern, die Du hier ſehen wirſt, ſehr oft zurückſtehen werde. Auf jedem Ball findeſt Du welche, die beſſer tanzen, die ele⸗ gantere Toilette machen, in jeder Geſellſchaft, die lebhafter ſprechen, die beſſerer Laune ſind als ich. Aber daß Du das fin⸗ deſt, hindert gar nicht, daß Du mich nicht doch lieber haben könnteſt als ſie alle, ſofern Du nur glaubſt, daß ich es beſſer mit Dir meine als alle dieſe. Nur dann erſt, wenn Du etwas haſt, was Du mir nicht erzählen könnteſt, dann ſei dadurch vor Dir ſelbſt und durch Dich ſelbſt gewarnt. Und nun gib mir einen Kuß, ſo will ich das Schulmeiſtern ſein laſſen.

Noch eins, liebe Marie, wenn Du ſchreibſt, ſo lies doch immer den Brief, den Du beantworteſt, noch einmal durch. Es ſind nicht bloß die Fragen, die beantwortet ſein wollen, ſondern es iſt gut, alle die Gegenſtände zu berühren, welche darin enthal⸗ ten ſind. Sonſt wird der Briefwechſel immer magerer, die ge⸗ genſeitigen Beziehungen ſchwinden, und man kommt bald da⸗ hin, ſich nur Wichtiges mitteilen zu wollen. Nun beſteht aber das Leben überhaupt nur aus wenig und ſelten Wichtigem. Die kleinen Beziehungen des Tages hingegen reihen ſich zu Stunden, Wochen und Monaten und machen am Ende das Le⸗ ben mit ſeinem Glück und Unglück aus. Darum iſt die münd⸗ liche Unterhaltung ſo viel beſſer als die ſchriftliche, weil man ſich das Unbedeutendſte ſagt und wenig findet, was zu ſchreiben der Mühe wert wäre

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An den Bruder Fritz Reims, den 6. September 1870

Ich glaube, ich ſchrieb Dir ſchon, daß mir der peinliche Auf⸗ trag geworden war, den franzöſiſchen Unterhändlern zu erklä⸗ ren, daß die ganze Armee Mac⸗Mahons kriegsgefangen ſei, und die näheren Bedingungen feſtzuſtellen. Dieſe Verhand⸗ lungen fanden von 12 bis 2 Uhr in der Nacht nach der Schlacht von Sedan ſtatt. Am folgenden Morgen ſollte General Wimp⸗ ffen, der für den verwundeten Mac⸗Mahon das Oberkommando übernommen, die definitive Beſchlußnahme überbringen, ſtatt deſſen kam der Kaiſer ſelbſt, mit dem ich nicht abſchließen konnte, da er tags zuvor dem König geſchrieben hatte: N' ayant pas pu mourir au milieu de mes troupes il ne me reste qu'à remettre mon épée entre les mains de Votre Majeste’, und folglich Gefangener war. Ich traf ihn in einer elenden Bauernſtube dicht hinter unſeren Vorpoſten in Erwartung einer Entrevue mit dem König, in voller Uniform auf einem hölzernen Stuhl ſitzend. Bei meinem Eintritt erhob er ſich und bat mich, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Auf die Vorſchläge, die er machte, konnte ich nur erwidern, daß nichts als die Ge⸗ fangennehmung der ganzen Armee zu erwarten ſtehe und daß, wenn dieſe nicht bis ſpäteſtens zehn Uhr einwillige, ich das Signal zur Wiederaufnahme des Feuers zu geben habe. „C'est bien dur!” ſeufzte er. Übrigens war er ruhig und völlig in fein Schickſal ergeben. Bald darauf wurde eine von uns entwor⸗ fene und überſetzte Kapitulation von dem unglücklichen Wimpffen ohne weiteres unterzeichnet. Er war vor zwei Ta⸗ gen erſt aus Afrika angekommen und wird einen ſchweren Stand gehabt haben der völlig aufgelöſten und furchtbar auf⸗ geregten Soldateska in Sedan gegenüber. Aber achtzig Feuer⸗ ſchlünde ſtanden dicht vor der Stadt und 150000 Mann hinter ihnen. Wimpffen hat Erlaubnis erhalten, nach Württemberg zu gehen, wo er Verwandte habe (ohne Zweifel gehört unſere Couſine Käthchen dazu); wie unſchuldig er auch an der gan⸗ zen Kataſtrophe iſt, man wird ihm feine Unterſchrift in Frank⸗ reich nie verzeihen.

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Übrigens hat er mir ſchriſtlich für die ſchonende Weiſe gedankt, mit welcher dieſe ſchmerzliche Verhandlung geführt worden ſei.

Am folgenden Morgen, bei ſtrömendem Regen, fuhr eine lange Wagenreihe, eskortiert durch eine Eskadron Totenkopf⸗Huſa⸗ ren, auf der Chauſſee nach Bouillon (in Belgien) durch Don⸗ chery. Graf Bismarck ſah auf der einen Seite der Straße, ich auf der anderen zum Fenſter hinaus, der abgedankte Impera⸗ tor grüßte, und ein Stück Weltgeſchichte war abgeſpielt.

Was nun in Frankreich werden wird, darauf iſt alles geſpannt, jedenfalls zunächſt eine Militärdiktatur. Inzwiſchen marſchieren

wir auf Paris. 5 Aus ‚Briefe des Generalfeldmarſchalls von Moltke' in der Inſel⸗Bücherei

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Friedrich Schiller / Die vier Weltalter

Wohl perlet im Glaſe der purpurne Wein, Wohl glänzen die Augen der Gäſte,

Es zeigt ſich der Sänger, er tritt herein, Zu dem Guten bringt er das Beſte;

Denn ohne die Leier im himmliſchen Saal Iſt die Freude gemein auch beim Nektarmahl.

Ihm gaben die Götter das reine Gemüt, Wo die Welt ſich, die ewige, ſpiegelt, Er hat alles geſehn, was auf Erden geſchieht Und was uns die Zukunft verſiegelt;

Er ſaß in der Götter urälteſtem Rat Und behorchte der Dinge geheimſte Saat.

Er breitet es luſtig und glänzend aus,

Das zuſammengefaltete Leben,

Zum Tempel ſchmückt er das irdiſche Haus, Ihm hat es die Muſe gegeben;

Kein Dach iſt ſo niedrig, keine Hütte ſo klein, Er führt einen Himmel voll Götter hinein.

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Und mie der erfindende Sohn des Zeus Auf des Schildes einfachem Runde

Die Erde, das Meer und den Sternenkreis Gebildet mit göttlicher Kunde,

So drückt er ein Bild des unendlichen All

In des Augenblicks flüchtig verrauſchenden Schall.

Er kommt aus dem kindlichen Alter der Welt, Wo die Völker ſich jugendlich freuten,

Er hat ſich, ein fröhlicher Wandrer, geſellt

Zu allen Geſchlechtern und Zeiten;

Vier Menſchenalter hat er geſehn

Und läßt ſie am fünften vorübergehn.

Erſt regierte Saturnus ſchlicht und gerecht, Da war es heute wie morgen,

Da lebten die Hirten, ein harmlos Geſchlecht, Und brauchten für gar nichts zu ſorgen;

Sie liebten, und taten weiter nichts mehr, Die Erde gab alles freiwillig her.

Drauf kam die Arbeit, der Kampf begann Mit Ungeheuern und Drachen,

Und die Helden fingen, die Herrſcher an, Und den Mächtigen ſuchten die Schwachen; Und der Streit zog in des Skamanders Feld,

Doch die Schönheit war immer der Gott der Welt.

Aus dem Kampf ging endlich der Sieg hervor, Und der Kraft entblühte die Milde,

Da ſangen die Muſen im himmliſchen Chor, Da erhuben ſich Göttergebilde;

Das Alter der göttlichen Phantaſie,

Es iſt verſchwunden, es kehret nie.

Die Götter ſanken vom Himmelsthron, Es ſtürzten die herrlichen Säulen,

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Peter Viſcher: Petrus

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Und geboren wurde der Jungfrau Sohn,

Die Gebrechen der Erde zu heilen;

Verbannt ward der Sinne flüchtige Luſt,

Und der Menſch griff denkend in ſeine Bruſt.

Und der eitle, der üppige Reiz entwich,

Der die frohe Jugendwelt zierte,

Der Mönch und die Nonne zergeißelten ſich, Und der eiſerne Ritter turnierte;

Doch war das Leben auch finſter und wild, So blieb doch die Liebe lieblich und mild.

Und einen heiligen keuſchen Altar Bewahrten ſich ſtille die Muſen:

Es lebte, was edel und ſittlich war,

In der Frauen züchtigem Buſen;

Die Flamme des Liedes entbrannte neu An der ſchönen Minne und Liebestreu.

Drum ſoll auch ein ewiges zartes Band Die Frauen, die Sänger umflechten, Sie wirken und weben Hand in Hand Den Gürtel des Schönen und Rechten. Geſang und Liebe in ſchönem Verein, Sie erhalten dem Leben den Jugendſchein. Aus Schillers Gedichten in der Inſel⸗Bücherei

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Rainer Maria Rilke / Uber den jungen Dichter

Immer noch zögernd, unter geliebten Erfahrungen überwie⸗ gende und geringere zu unterſcheiden, bin ich auf ganz vorläu⸗ fige Mittel beſchränkt, wenn ich das Weſen eines Dichters zu beſchreiben verſuche: dieſes ungeheuere und kindliche Weſen, welches (man faßt es nicht: wie) nicht allein in endgültigen großen Geſtalten früher aufkam, nein, ſich hier, neben uns, in dem Knaben vielleicht, der den großen Blick hebt und uns nicht ſieht, gerade zuſammenzieht, dieſes Weſen, das junge Herzen,

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in einer Zeit, da fie des geringfügigften Lebens noch unmäch⸗ tig find, überfällt, um fie mit Fähigkeiten und Beziehungen zu erfüllen, die fofort über alles Erwerbbare eines ganzen Da⸗ ſeins hinausgehn; ja, wer wäre imſtand, von dieſem Weſen ruhig zu reden? Wäre es noch an dem, daß es nicht mehr vor⸗ käme, daß wir es abſehen dürften an den Gedichten Homers, hinausgerückt, in ſeiner unwahrſcheinlichen Erſcheinung: wir würden es allmählich in eine Faſſung bringen, wir würden ihm Namen geben und Verlauf, wie den anderen Dingen der Vor⸗ zeit; denn was anderes als Vorzeit bricht aus in den mit ſol⸗ chen Gewalten beſtürzten Herzen? Hier unter uns, in dieſer vielfältig heutigen Stadt, in jenem redlich befchäftigten Haus, unter dem Lärm der Fahrzeuge und Fabriken und während die Zeitungen ausgerufen werden, geräumige Blätter bis an den Rand voll Ereignis, iſt plötzlich, wer weiß, alle Anſtrengung, aller Eifer, alle Kraft überwogen durch den Auftritt der Tita⸗ nen in einem unmündigen Innern. Nichts ſpricht dafür als die Kälte einer Knabenhand; nichts als ein erſchrocken zurückge⸗ nommener Außblick; nichts als die Teilnahmsloſigkeit dieſes jungen Menſchen, der mit ſeinen Brüdern nicht ſpricht und, ſo⸗ bald es geht, von den Mahlzeiten aufſteht, die ihn viel zu lang dem Urteil ſeiner Familie ausſtellen. Kaum daß er weiß, ob er noch zur Mutter gehört: ſo weit ſind alle Maße ſeines Fühlens verſchoben, ſeit dem Einbruch der Elemente in ſein unendliches Herz.

O ihr Mütter der Dichter. Ihr Lieblingsplätze der Götter, in deren Schooß ſchon muß das Unerhörte verabredet worden fein. Hörtet ihr Stimmen in der Tiefe eurer Empfängnis, oder ha⸗ ben die Göttlichen ſich nur mit Zeichen verſtändigt?

Ich weiß nicht, wie man das völlig Wunderbare einer Welt leugnen kann, in der die Zunahme des Berechneten die Vor⸗ räte deſſen, was über jedes Abſehn hinausgeht, noch gar nicht einmal angegriffen hat. Es iſt wahr, die Götter haben keine Gelegenheit verſchmäht, uns bloßzuſtellen: ſie ließen uns die großen Könige Agpptens aufdecken in ihren Grabkammern, und wir konnten ſie ſehen in ihren natürlichen Verweſungen, wie ihnen nichts erſpart geblieben war. Alle die äußerſten Lei⸗

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ftungen jener Bauwerke und Malereien haben zu nichts ge⸗ führt; hinter dem Qualm der Balſamküchen ward kein Him⸗ mel erheitert, und der tönernen Brote und Beiſchläferinnen hat ſich kein unterweltlicher Schwarm ſcheinbar bedient. Wer bedenkt, welche Fülle reinſter und gewaltigſter Vorſtellungen hier (und immer wieder) von den unbegreiflichen Weſen, an die ſie angewandt waren, abgelehnt und verleugnet worden iſt, wie möchte der nicht zittern für unſere größere Zukunft. Aber bedenke er auch, was das menſchliche Herz wäre, wenn außer⸗ halb ſeiner, draußen, an irgendeinem Platze der Welt Gewiß⸗ heit entſtünde; letzte Gewißheit. Wie es mit einem Schlage ſeine ganze in Jahrtauſenden angewachſene Spannung ver⸗ lire, eine zwar immer noch rühmliche Stelle bliebe, aber eine, von der man heimlich erzählte, was ſie vor Zeiten geweſen ſei. Denn wahrlich, auch die Größe der Götter hängt an ihrer Not: daran, daß ſie, was man ihnen auch für Gehäuſe behüte, nir⸗ gends in Sicherheit ſind als in unſerem Herzen. Dorthin ſtür⸗ zen ſie oft aus dem Schlaf mit noch ungeſonderten Plänen; dort kommen ſie ernſt und beratend zuſammen; dort wird ihr Beſchluß unaufhaltſam.

Was wollen alle Enttäuſchungen beſagen, alle unbefriedigten Grabſtätten, alle entkernten Tempel, wenn hier, neben mir, in einem auf einmal verfinſterten Jüngling Gott zur Beſinnung kommt.

Seine Eltern ſehen noch keine Zukunft für ihn, ſeine Lehrer glauben ſeiner Unluſt auf der Spur zu ſein, ſein eigener Geiſt macht ihm die Welt ungenau, und ſein Tod verſucht ſchon im⸗ mer an ihm, wo er am beſten zu brechen ſei: aber ſo groß iſt die Unüberlegtheit des Himmliſchen, daß es in dieſes unverläß⸗ liche Gefäß ſeine Ströme ergießt. Vor einer Stunde noch ver⸗ mochte der flüchtigſte Aufblick der Mutter dieſes Weſen zu um⸗ faſſen; nun ermäße ſie's nicht: und wenn ſie Auferſtehung und Engelſturz zuſammennimmt.

Wie aber kann ein neues Geſchöpf, das noch kaum ſeine eige⸗ nen Hände kennt, unerfahren in ſeiner Natur, Neuling in den gewöhnlichſten Wendungen ſeines Geiſtes, ſich bei fo unerhör—

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ter Anweſenheit einrichten? Wie foll es, das doch offenbar be- ſtimmt iſt, ſpäter von der präziſeſten Beſchaffenheit zu ſein, ſeine Ausbildung leiſten, zwiſchen Drohungen und Verwöhnungen, die beide feine unvorbereiteten Kräfte, bis zum letzten Aufgebot, überſteigen? Und nicht nur daß der Ausbruch der Größe in ſei⸗ nem Innern ihm die heroiſche Landſchaft ſeines Gefühls faſt ungangbar macht: in demſelben Maße, als dort ſeine Natur überhand nimmt, gewahrt er, aufblickend, mißtrauiſche Fragen, bittre Forderungen und Neugier in den bisher in Sicherheit geliebten Geſichtern. Dürfte doch ein Knabe in ſolcher Lage im⸗ mer noch fortgehn, hinaus, und ein Hirte fein. Dürfte er feine verwirrten inneren Gegenſtände in langen ſprachloſen Tagen und Nächten bereichern um den ſtaunend erfahrenen Raum; dürfte er die gedrängten Bilder in ſeiner Seele gleichſetzen dem verbreiteten Geſtirn. Ach, daß doch niemand ihm zuredete und niemand ihm widerſpräche. Wollt ihr wirklich Dieſen beſchäf⸗ tigen, dieſen maßlos in Anſpruch Genommenen, dem, vor der Zeit, ein unerſchöpfliches Weſen zu tun gibt?

Kann man ſich erklären, wie er befteht? Die ihn plötzlich be⸗ wohnende Macht findet Verkehr und Verwandtſchaft bei feiner, noch in allen Winkeln des Herzens zögernden, Kindheit; da zeigt es ſich erſt, nach was für ungeheueren Verhältniſſen hin dieſer äußerlich ſo unzulängliche Zuſtand innen offenſteht. Der unverhältnismäßige Geiſt, der im Bewußtſein des Jünglings nicht Platz hat, ſchwebt da über einer entwickelten Unterwelt voller Freuden und Furchtbarkeiten. Aus ihr allein, abſehend von der ganzen jenſeitig⸗ äußeren Kreatur, vermöchte er feine ge⸗ waltigen Abſichten zu beſtreiten. Aber da lockt es ihn auch ſchon, durch die rein leitenden Sinne des Ergriffenen mit der vorhan⸗ denen Welt zu verhandeln. Und wie er innen an das verborgen Mächtigſte ſeinen Anſchluß hat, ſo wird er im Sichtbaren ſchnell und genau von kleinen winkenden Anläſſen bedient: widerſpräche es doch der verſchwiegenen Natur, in dem Verſtändigten das Bedeutende anders als unſcheinbar aufzuregen.

Wer die frühen Kleiſtiſchen Briefe lieſt, dem wird, in demſelben Grade, als er dieſe in Gewittern ſich aufklärende Erſcheinung begreift, die Stelle nicht unwichtig ſein, die von dem Gewölb

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eines gewiſſen Tores in Würzburg handelt, einem der zeitig. ſten Eindrücke, an dem, leiſe berührt, die ſchon geſpannte Ge⸗ nialität ſich nach außen ſchlägt. Irgendein nachdenklicher Leſer Stifters (um noch ein Beiſpiel vorzuſtellen) könnte es bei ſich zur Vermutung bringen, daß dieſem dichteriſchen Erzähler ſein innerer Beruf in dem Augenblick unvermeidlich geworden ſei, da er, eines unvergeßlichen Tages, zuerſt durch ein Fernrohr einen duferft entlegenen Punkt der Landſchaft herbeizuziehen ſuchte und nun, in völlig beſtürzter Viſion, ein Flüchten von Räumen, von Wolken, von Gegenſtänden erfuhr, einen Schrecken von ſolchem Reichtum, daß in dieſen Sekunden ſein offen über⸗ raſchtes Gemüt Welt empfing, wie die Danae den ergoſſenen Zeus.

Es möchte am Ende jede dichteriſche Entſchloſſenheit an ſo ne⸗ benſächlichen Anläſſen unerwartet zu ſich gekommen ſein, nicht allein, da ſie zum erſten Mal ſich eines Temperamentes bemäch⸗ tigte, ſondern immer wieder, an jeder Wendung einer künſtle⸗ riſch ſich vollziehenden Natur.

Wer nennt euch alle, ihr Mitſchuldigen der Begeiſterung, die ihr nichts als Geräuſche ſeid, oder Glocken, die aufhören, oder wunderlich neue Vogelſtimmen im vernachläſſigten Gehölz. Oder Glanz, den ein aufgehendes Fenſter hinauswirft in den ſchwe⸗ benden Morgen; oder abſtürzendes Waſſer; oder Luft; oder Blicke. Zufällige Blicke Vorübergehender, Aufblicke von Frauen, die am Fenſter nähen, bis herunter zum unſäglich beſorgten Umſchaun hockender bemühter Hunde, fo nahe am Ausdruck der Schulkinder. Welche Verabredung, Größe hervorzurufen, geht durch den kleinlichſten Alltag. Vorgänge, ſo gleichgültig, daß ſie nicht imſtande wären, das nachgiebigſte Schickſal um ein Zehntauſendſtel zu verſchieben -, ſiehe: hier winken fie, und die göttliche Zeile tritt über ſie fort ins Ewige.

Gewiß wird der Dichter bei zunehmender Einſicht in ſeine grenzenloſen Aufgaben ſich an das Größte anſchließen; es wird ihn, wo er es findet, entzücken oder demütigen, nach ſeiner Willkür. Aber das Zeichen zum Aufſtand in ſeinem Herzen wird willig von einem Boten gegeben ſein, der nicht weiß, was er tut. Undenkbar iſt es für ihn, ſich von vornherein nach dem

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Großen auszurichten, da er ja gerade beftimmt ift, an ihm, fei- nem allgegenwärtigen Ziele, auf noch unbefchreiblid eigenen Wegen herauszutreten. Und wie, eigentlich, ſollte es ihm zuerſt kenntlich geworden ſein, da es in ſeiner urſprünglichen Umwelt vielleicht nur vermummt, ſich verſtellend oder verachtet vorkam, gleich jenem Heiligen, im Zwiſchenraum unter der Treppe woh⸗ nend? Läge es aber einmal vor ihm, offenkundig, in ſeiner ſi⸗ chern, auf uns nicht Rückſicht nehmenden Herrlichkeit, müßte er dann nicht wie Petrarca vor den zahlloſen Ausſichten des erſtiegenen Berges zurück in die Schluchten ſeiner Seele flüch⸗ ten, die, ob er ſie gleich nie erforſchen wird, ihm doch unaus⸗ ſprechlich näher gehn als jene zur Not erfahrbare Fremde. Erſchreckt im Innern durch das ferne Donnern des Gottes, von außen beſtürzt durch ein unaufhaltſames Ubermaf von Erſchei⸗ nung, hat der gewaltig Behandelte eben nur Raum, auf dem Streifen zwiſchen beiden Welten dazuſtehn, bis ihm, auf einmal, ein unbeteiligtes kleines Geſchehn ſeinen ungeheueren Zuſtand mit Unſchuld überflutet. Dieſes iſt der Augenblick, der in die Waage, auf deren einer Schale ſein von unendlichen Verant⸗ wortungen überladenes Herz ruht, zu erhaben beruhigter Gleiche, das große Gedicht legt.

Das große Gedicht. Wie ich es ſage, wird mir klar, daß ich es, bis vor kurzem, als ein durchaus Seiendes hingenommen habe, es jedem Verdacht der Entſtehung hochhin entziehend. Wäre mir ſelbſt der Urheber dahinter hervorgetreten, ich wüßte mir doch die Kraft nicht vorzuſtellen, die ſoviel Schweigen auf ein Mal gebrochen hat. Wie die Erbauer der Kathedralen, Samen⸗ körnern vergleichbar, ſofort aufgegangen waren, ohne Reſt, in Wachstum und Blüte, in dem ſchon wie von jeher geweſenen Daſtehn ihrer, aus ihnen nicht mehr erklärlichen Werke: ſo ſind mir die großen vergangenen und die gegenwärtigen Dichter rein unfaßlich geblieben, jeder einzelne erſetzt durch den Turm und die Glocke ſeines Herzes. Erſt ſeit eine nächſte, herauf und gleich ins Künftige drängende Jugend ihr eigenes Werden im Werden ihrer Gedichte nicht unbedeutend zur Geltung bringt, verſucht mein Blick, neben der Leiſtung, die Verhältniſſe des

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hervorbringenden Gemüts zu erkennen. Aber auch jetzt noch, da ich zugeben muß, daß Gedichte ſich bilden, bin ich weit entfernt, ſie für erfunden zu halten; vielmehr erſcheint es mir, als ob in der Seele des dichteriſch Ergriffenen eine geiſtige Prädispoſi⸗ tion heraustrete, die ſchon zwiſchen uns (wie ein unentdecktes Sternbild) geſpannt war.

Betrachtet man, was an ſchöner Verwirklichung ſchon jetzt für einige von denjenigen einſteht, die ihr drittes Jahrzehnt kürz⸗ lich angetreten haben, ſo könnte man faſt hoffen, ſie würden in kurzem alles, woran in den letzten dreißig Jahren unſere Be- wunderung groß geworden iſt, durch das Vollzieheriſche ihrer Arbeit zur Vorarbeit machen. Es müſſen, das iſt klar, die ver⸗ ſchiedenſten Umſtände ſich günſtig verabreden, damit ein ſolches entſchloſſenes Gelingen möglich ſei. Prüft man dieſe Umſtände, ſo ſind der äußeren ſo viele, daß man es am Ende aufgibt, bis zu den innerlichen vorzudringen. Die gereizte Neugier und un⸗ aufhörliche Findigkeit einer um hundert Hemmungen freieren Zeit dringt in alle Verſtecke des Geiſtes und hebt leicht auf ihren Fluten Gebilde hervor, die der Einzelne, in dem ſie haf⸗ teten, früher langſam und ſchwer zu Tage grub. Zu geübt im Einſehen, um ſich aufzuhalten, findet ſich dieſe Zeit plötzlich an Binnenſtellen, wo vielleicht noch keine, ohne göttlichen Vor⸗ wand, in voller Öffentlichkeit, geweſen war; überall eintretend, macht ſie die Werkſtätten zu Schauplätzen und hat nichts dage⸗ gen, in den Vorratskammern ihre Mahlzeiten zu halten. Sie mag im Recht ſein, denn ſie kommt aus der Zukunft. Sie be⸗ ſchäftigt uns in einer Weiſe, wie ſeit lange keine Zeit ihre An⸗ ſiedler beſchäftigt hat; ſie rückt und verſchiebt und räumt auf, je⸗ der von uns hat ihr viel zu verdanken. Und doch, wer hat ihr noch nicht, wenigſtens einen Augenblick, mit Mißtrauen zuge⸗ ſehen; ſich gefragt, ob es ihr wirklich um Fruchtbarkeit zu tun ſei oder nur um eine mechaniſch beſſere und erſchöpfendere Aus⸗ beutung der Seele? Sie verwirrt uns mit immer neuen Sicht⸗ barkeiten; aber wie vieles hat ſie uns ſchon hingeſtellt, wofür in unſerem Innern kein Fortſchritt entſprechend war? Nun will ich zwar annehmen, ſie böte zugleich der entſchloſſenen Jugend die unerwarteteſten Mittel, ihre reinſten inneren Wirklichkeiten

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nach und nach, ſichtbar, in genauen Gegenwerten auszuformen; ja, ich will glauben, ſie beſäße dieſe Mittel im höchſten Grade. Aber wie ich mich nun bereit halte, ihr, der Zeit, manchen neuen künſtleriſchen Gewinn zuzuſchreiben, ſchlägt mir die Bewunde⸗ rung über ſie hinüber, den immer, den auch hier wieder un⸗ begreiflichen Gedichten entgegen.

Wäre auch nicht Einer unter den jungen Dichtern, der ſich nicht freute, das Gewagte und Geſteigerte dieſer Tage für ſeine An⸗ ſchauung auszunutzen, ich würde doch nicht fürchten, daß ich das dichteriſche Weſen und ſeine Einrichtung in der inneren Natur zu ſchwer genommen habe. Alle Erleichterungen, wie eindring⸗ lich ſie ſein mögen, wirken nicht bis dorthin, wo das Schwere ſich freut, ſchwer zu ſein. Was kann ſchließlich die Lage desjeni⸗ gen verändern, der von früh auf beſtimmt iſt, in ſeinem Herzen das Außerſte aufzuregen, das die anderen in den ihren hinhalten und beſchwichtigen? Und welcher Friede wäre wohl für ihn zu ſchließen, wenn er, innen, unter dem Angriff ſeines Gottes ſteht.

*

Gudmundur Kamban / Der Herrſcher auf Skalholt

Das Leben auf dem großen Biſchofsſitz geht wieder ruhig fei- nen Gang, friedevoll, ſtill und glatt, wie man vom Meere ſagt, wenn es ſein Opfer verſchlungen hat. Der ganze Herbſt und Winter geht bei pflichteifriger Geſchäftigkeit dahin, ohne ſon⸗ derliche Begebenheiten zu bringen. Schon iſt man bis zur Mitte der Karwoche gelangt, bis zum Mittwochabend, und Oſtern ward gerade eingeläutet da mit einem Male wird Meiſter Brpn- jolfur in ſeinem Gemach mit einer Angelegenheit geſtört, die jählings den häuslichen Frieden und die Oſterſtille zerreißt und jede Seele auf Skalholt in das herzwunde Grauen vor Brand und Blut ſtürzt.

Der Schulmeiſter Oddur Enolfsjon betritt mit düſterem Geſicht das Biſchofsgemach und legt die Reſte eines kleinen Buches, deſſen Blätter aus dem Einband herausgefetzt und quer durch⸗ geriſſen ſind, vor Seine Herrlichkeit auf den Tiſch.

Die wurden dieſer Tage in der Schulhalle gefunden, ſagt er,

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in der Dede des Bettes, in dem Einar Gudmundsſon aus deem Straumfjord und Oddur Arnaſon aus Thorlaks⸗Hafn ſchlafen. Wie Ihr ſeht, Herr, ſind ſie mit grimmen und ungewöhnlichen characteribus bedeckt!

Bei den letzten Worten blickt der Biſchof jäh zum Schulmeiſter auf, und dann erſt fängt er langſam an, in den durcheinander geratenen Seitenreſten zu blättern. Runen und allerlei Figu⸗ renwerk unterbrechen hie und da den Wortlaut, es ſind nur vereinzelte Zeilen, die ſein Blick erhaſcht: Ad captandam fi- dem amicorum!, mit einem halben Seehundsherzen und dem Knochenſchild eines Seehaſen ... Davon, wie man die Weiber geil macht ... Davon, wie zu erfahren, ob ein Frauenzimmer noch unbefledt iſt ... Salomonsſiegel ... Fuchsrat, darin Thor und Odin zu beſchwören ſind, mit dreiundzwanzig Figuren. Mäuſerat, mit einer Menſchenrippe; den Teufel in Thors und Odins Namen zu beſchwören, mit einem Vers: Sator arepo Davon, wie man einen Menſchen in eines Hundes Geſtalt zu bannen vermag; dazu wird Johannis Evangelium gebraucht und Hic Deus dilexit etc. ſamt einer Figur ... Davon, wie man ein Mädchen zum Buhlen gewinnt

Brpnjolfur Sveinsſon lehnt ſich im Stuhl zurück, ſein Geſicht iſt ſo ernſt geworden wie das ſeines Schulmeiſters.

Setz dich, Oddur ... ſagt er. Wer hat dieſe Blätter gefunden? Einer von den Jungen, die in dem Bett ſchlafen, Herr; Oddur Arnaſon.

Hat er ſie dir gebracht?

Nein, Herr, er hat ſie nicht anrühren wollen. Er kam ſofort zu mir, und ich habe ſie dann aus der Decke hervorgezogen.

Es iſt nicht lange her, daß dies geſchrieben ward, ſcheint mir. Und wenn ich mich nicht täuſche, iſt es die Schulſchrift von Skalholt.

Ich erkenne in den Blättern jedenfalls die Hand Einar Gud⸗ mundsſons und Bjarni Bjarnaſons aus Heft im Önundarfjord. Aber es können ihrer auch mehr ſein. Alle Blätter ſind durch⸗ einander geraten.

Es ſind die Namen von zwei verheißungsvollen Schülern, Na⸗ 1 Wie man das Vertrauen ſeiner Freunde gewinnt.

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men der Söhne zweier angeſehener Männer, die der Schulmei- ſter genannt hat. Der Biſchof erhebt ſich. Ich möchte, ſagt er, daß du dieſe Blätter mitnimmſt und ſie mir ſobald wie möglich geordnet zurückbringſt; und führ dann auch Oddur Arnaſon zu mir.

Der Schulmeiſter hat das Gemach noch nicht verlaſſen, da fängt Meiſter Srynjolfur ſchon an, im Zimmer auf und ab zu mane dern, das iſt ſeine Gewohnheit, wenn ihm irgend etwas durch den Kopf geht. Aber ſo ernſt die Angelegenheit auch ſein mag: während ſie ſich abſpielt, an dieſem Abend und am Morgen des folgenden Tages, iſt er es, der ſie mit dem ruhigſten Ge⸗ müt verfolgt.

Brynjolfur Sveinsſons Einſtellung zu der wiſſenſchaftlichen Krankheit dieſes Jahrhunderts, dem Hexenwahn, iſt nicht nur eindeutig klar, ſondern rückt ſeine Denkart und ſein Weſen zu⸗ dem in ein ſo ſcharfes Licht, daß es für uns, die wir doch wün⸗ ſchen, dieſen Mann ſo kennen zu lernen, wie er war, wichtig wird. Er glaubte an Hexerei. Wie das ganze gelehrte Europa, jo betrachtete auch er „Hexenmeiſter wie andere Miſſetäter'. Aber der Hexenglaube war von ihm anempfunden und ihm nicht angeboren; er war ein Teil ſeiner Gelehrſamkeit und nicht ein Teil ſeines Weſens. Das hatte man gleich bei ſeiner Heim⸗ kehr als junger Biſchof bemerken können, und das merkte man ſpäter ſein ganzes Leben lang. Nach zwölf Jahren des Stu⸗ diums und Lehramts in Kopenhagen und Roskilde verfügte er bei ſeiner Heimkehr rechtſchaffen über alle Hexentheorieen ſeines Zeitalters, aber ſobald er ihre praktiſche Anwendung über⸗ wachen ſollte, empörte ſich ſeine Vernunft dawider. Es lag ihm ſo fern, ſich zu den Hexenverfolgungen nur gleichgültig zu ver⸗ halten, daß er immer wieder unerſchrocken diejenigen in Schutz nahm, die der Zauberei angeklagt waren. Ein Mann aus dem gemeinen Volk, Jon Gudmundsſon, der über ein ſo reiches, volkskundliches Wiſſen verfügte, daß er den Beinamen ‚der Ge⸗ lehrte' erhielt, und ſo beharrlich von den isländiſchen und dä⸗ niſchen Gerichten verfolgt wurde, daß er um des lieben Lebens willen nicht wagte, Profeſſor Ole Worm zu helfen, als der ihn bei den Vorarbeiten zu feiner Runenlehre um Rat bat - die⸗

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jen Mann hatte der junge Biſchof nicht nur vor dem Feuertod bewahrt, ſondern er forderte ihn ſogar auf, in ſeiner Volks⸗ tumsarbeit als Dichter fortzufahren, und unterſtützte ihn dazu mit Geld. Noch gefährlicher war das Auftreten des Biſchofs bei dem nächſten Fall von Zauberei, zu dem er von Amts wegen Stellung nehmen mußte und der gewiſſermaßen vor ſeinen Augen entſtanden war: damals wie diesmal in der Schule auf Skalholt, gerade um die Mitte des Jahrhunderts. Die Mehr⸗ zahl der Schüler hatte damals eine Eidgenoſſenſchaft begründet und auf dem Friedhof von Skalholt ein Geſpenſt beſchwören wollen. Die Jungen waren des Nachts dabei überraſcht wor⸗ den, wie ſie mitten in den ausſichtsreichſten Beſchwörungszau⸗ bereien an dem Grabe ſtanden. Es wäre verderblich geweſen, wenn der Biſchof das Vergehen der Jungen mit Stillſchweigen übergangen hätte, es war unmöglich, die Sache vor den Obrig⸗ keiten zu vertuſchen, und eine Untat ſchien es ihm, das eben heranwachſende Geſchlecht der Gebildeten des Landes dem Ge⸗ ſetz und den Gerichten zu überantworten. Entſchloſſen maßte Biſchof Brpnjolfur ſich die Königsgewalt in dieſer Sache an, ganz und gar auf ſeine Verantwortung. Er verhängte über die Jungen eine milde Strafe, ſehr ähnlich der, die er ſeinen Prie⸗ ſtern aufzuerlegen pflegte, wenn ſie Verfehlungen begangen hatten; die enthob er für kürzere Zeit ihres Amtes. Die ſträf⸗ lichen Scholaren nun teilte er in Gruppen ein und verwies in den darauf folgenden Wintern jeweils eine Gruppe für ein Jahr der Schule. Zu dieſer Maßnahme des Biſchofs ſchwieg der Vogt, ſchwieg der Lehnsherr, ſchwieg der König. Aber als man auf der Akademie in Kopenhagen davon hörte, verſtand man beſſer, warum ſo häufig von dem beliebten Konrektor von Ros⸗ kilde geſprochen ward.

Jetzt aber hatten die Zeiten ſich geändert. Im Laufe der drei⸗ zehn oder vierzehn Jahre, die ſeit jener Begebenheit verſtrichen waren, hatte der Hexenwahn auf Island ſeinen Gipfel erreicht. Die Krankheit, von der urſprünglich nur die Gelehrten gemar⸗ tert worden waren, hatte ſich nun unter dem gemeinen Volk ſo ſtark verbreitet, daß ſie förmlich eine Angſtſeuche geworden war. Die öffentliche Meinung hatte angefangen, den Tod zu fordern

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für jedweden, der auch nur unter dem Verdacht ftand, ein Zau⸗ berer zu fein. Brynjolfur Sveinsſon fand häufig gar keine Ge⸗ legenheit mehr, als Vermittler einzugreifen. Schon fällten die Sprengelvögte die Urteile daheim in ihren Sprengeln und lie⸗ ßen ihnen unverzüglich die Vollſtreckung folgen in dem Ver⸗ trauen, daß das Althing fie ſchon beſtätigen würde. Und das Althing beſtätigte die Urteile.

Wie wohl tut es da, zu gewahren, daß mitten in der Brandung blinder Leidenſchaften ſich die Vernunft des großen Kirchenherrn erhebt: gleich einem wegweiſenden Leuchtfeuer im Meere, un⸗ erſchüttert und unbezwungen von den Wogen, die gegen ſeine Grundfeſten rollen. Gerade in dieſen Jahren ſchrieb er an einen feiner Prieſter folgende Worte: „Ich weiß mir in ſolchen Fällen keinen beſſeren Rat, als im Namen des Herrn die mannigfachen Hinderniſſe zu überwinden, gleichviel, ob ſie nun der Menſchen Willen und Anſchlägen entſtammen oder der Zauberei und Hexenkünſten, und, der Furcht des Herrn inne, beides zu ver⸗ achten. Der Teufel ſchöpft hierzulande ſeine größte Macht dar⸗ aus, daß er ſo ſehr gefürchtet wird. Aber ſoviel von des Men⸗ ſchen Herz und Gemüt darauf verwandt wird, ihn zu fürchten, ſo viel wird der Gottesfurcht und dem rechten Glauben ent⸗ zogen... Unter anderem in dieſem Lande ift nach meiner Mei⸗ nung dies eine der Urſachen dafür, daß man dem Teufel für ſeine Bübereien noch mehr Raum gewährt, anſtatt zu erreichen, daß er verſchmähet wird- ſintemalen er ein hochfahrender Geiſt ift.’ Diesmal aber iſt Meiſter Brpnjolfur, während er in feinem Gemach auf und ab geht und auf den Schulmeiſter wartet, al⸗ les andere als ruhig. Die Angelegenheit iſt dem Biſchof gemel⸗ det worden. Diesmal werden weder die Obrigkeiten noch die öffentliche Meinung ſich mit ſeiner Milde zufrieden geben, ſich überhaupt zufrieden geben mit einer Entſcheidung von ihm. Er muß in dieſer Angelegenheit unverzüglich Klage erheben bei der weltlichen Macht. Und wird bewieſen, daß die beiden Schüler die Zauberregeln abgeſchrieben haben, dann iſt auch der Schei⸗ terhaufen für ſie entfacht.

Den Herrenmenſchen reizt es, Widerſtand zu leiſten. Und mit der isländiſchen Macht wollte er ſchon fertig werden, trotz al⸗

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lem, mit der däniſchen ebenfalls wenn nur nicht der erfte Mittelsmann, der wenig beliebte Vogt auf Beſſaſtadir, ein Schurke wäre! Aber an Thomas Nicolaiſen nagt allgemach ein Groll wider den mächtigen Biſchof von Skalholt. Jahr für Jahr hat ſich Meiſter Brpnjolfur, feiner allbekannten Gaſtfrei⸗ heit zum Trotz, mit neuen und immer wieder neuen, fo freimü⸗ tigen wie höflichen Entſchuldigungen geweigert, den Beſuch des Vogtes in ſeinem Haus zu empfangen, und jetzt endlich iſt dem Vogt der wahre Grund dafür aufgegangen: der Biſchof verach⸗ tet ihn. Zwar hält Thomas Nicolaiſen ſich gegenwärtig in Dä⸗ nemark auf, aber ob nun das

Der Schulmeiſter tritt ein, die hochnotpeinlichen Blätter in der Hand, und der Junge, der ſie fand, folgt ihm auf den Ferſen. Nach einem kurzen ſcharfen Verhör gibt der Biſchof den Jungen frei; er iſt ſchuldlos. Der Biſchof läutet nach ſeinem Glocken⸗ knaben und befiehlt dem Schulmeiſter, ihm die Schreibheſte der beiden verdächtigen Scholaren beſorgen zu laſſen. Dann gibt er Auftrag, den Domprieſter und den Adjunkt Sira Thordur Sveinsſon, der ſich immer noch in Skalholt aufhält, zu ihm zu bitten und endlich den biſchöflichen Schreiber, der ſich mit dem Schreibzeug an den Tiſch ſetzt. Im Beiſein dieſer ſechs Männer wird nun das kleine Heft unterſucht. Es beſteht aus achtzig Ar⸗ tikeln, von denen die erſten neunundfünfzig und die übrigen einundzwanzig jeweils die gleiche Handſchrift verraten. Ein Vergleich der beiden Handſchriften mit denen in den Schreib⸗ heſten ſchließt jeglichen Zweifel aus.

Seine Herrlichkeit ſitzt auf ſeinem Platz am Tiſch, und nun wird einer von den beiden Scholaren, Einar Gudmundsſon, vor die feierliche Verſammlung befohlen. Es iſt ein achtzehn⸗ jähriger, hübſcher, ein wenig verlegener Jüngling; ſogleich be⸗ merkt er, daß der Biſchof die Finger der linken Hand auf ein paar beſchriebene Blätter preßt, die vor ihm auf dem Tiſch lie⸗ gen, während er ſchweigend die Rechte erhebt, zum Zeichen, er möge näher zu ihm hintreten. Und kaum hat der junge Burſche fein Schreibheft erkannt, das hier neben den letzten aufgeſchla⸗ genen Seiten des Zauberbuches liegt, da drückt ſein Geſicht ein ſtummes Geſtändnis aus. Der Biſchof ſteht auf und faßt den

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Jungen unters Kinn. Seine Stimme ift der vollkommene Ge⸗ genſatz zu dem ſtechend⸗ſcharfen Blick, mit dem er den angeklagten Jungen betrachtet; beinahe milde iſt ſie, beinahe traurig. Einar, beginnt er, ſag uns, die wir hier verſammelt ſind, wann du dieſe Blätter, dieſe einundzwanzig von den achtzig des Bu⸗ ches, abgeſchrieben haſt und nach welcher Vorlage?

Dann ſetzt er ſich wieder, und der Junge ſtammelt ſein Ge⸗ ſtändnis. Hier auf Skalholt hat er ſie abgeſchrieben, im vorigen Winter, ſagt er, von Blättern, die Bjarni Bjarnaſon aus Heſt ihm geliehen hatte.

Waren die Blätter in Bjarnis Handſchrift beſchrieben?

Nein, die war älter.

Wozu ſchriebſt du dieſe Blätter ab?

Der Junge ſchweigt.

Zu gar nichts, Herr! antwortet er am Schluß einfältig.

Haſt du jemals einen Verſuch gemacht, dieſe ſchwarzen Künſte anzuwenden oder dich ſonſt irgendwie mit Zauberei abgegeben? Nein, Herr. f

Wiſſen noch andere als du und Bjarni etwas davon?

Nein, Herr.

Kennſt du noch jemand hier in der Schule, der ſich jetzt oder früher mit dergleichen abgegeben hat?

Nein, Herr.

Der Biſchof ſetzt das Verhör fort, aber als das Geſtändnis des Jungen erſchöpft zu ſein ſcheint, befiehlt er ihm, ſeine Ausſagen beim Schreiber mit ſeiner Unterſchrift zu beſtätigen. Er behält den Jungen im Zimmer und läßt nun ſeinen Kameraden her⸗ einholen.

Bjarni Bjarnaſon iſt ſicherer in ſeinem Auftreten, doch ohne im mindeſten den Eindruck zu erwecken, trotzig oder verwegen zu ſein. Er verbeugt ſich vor den Anweſenden mit einem Lächeln, das ihm gut ſteht, aber das ſofort verſchwindet, da er des voll⸗ ſtändigen Ausbleibens irgendeiner Erwiderung gewahr wird. Lies Einar Gudmundsſons Ausſagen vor! befiehlt der Biſchof dem Schreiber.

Mit ſtierem Blick betrachtet Bjarni Bjarnaſon während der Vorleſung den Biſchof, wie einen Feind. Später, beim Verhör,

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beftreitet er, Einar noch irgendwelche andere Blätter zum Ab⸗ ſchreiben geliehen zu haben, ſondern nur den Abſchnitt, zu deſ⸗ ſen Handſchrift Einar ſich bekannt hat. Einar dagegen bleibt bei ſeiner Ausſage.

Es gelingt dem Biſchof nicht, ihre Ausſagen in dieſer Hinſicht zur Übereinftimmung zu bringen. Im übrigen fagt Bjarni, er hätte das Buch vor drei Jahren im Weſtland abgeſchrieben, nach einer Vorlage, die Erlingur Ketilsſon aus dem Önundar- fjord gehörte.

Wo iſt dieſer Erlingur Ketilsſon jetzt?

Er iſt nach England gefahren, Herr.

Als der junge Burſche noch entſchiedener als ſein Kamerad be⸗ ſtritten hat, etwas von irgendwelchen Zaubereien unter den Schülern auf Skalholt zu wiſſen oder dieſes Buch anderen als Einar gezeigt zu haben, ſagt der Biſchof: Unterſchreib deine Ausſagen!

Während er das tut, erhebt der Biſchof fie, nimmt ein dickes, gedrucktes Buch zur Hand und legt es vor ſich auf den Tiſch. Er erklärt ihnen, eine wie ſchwere Pflicht ſie ihm aufgebürdet hätten mit ihrem Geſtändnis. Ihm bliebe nichts anderes übrig, als die Angelegenheit ungeſäumt dem Sprengelvogt und dem Amtmann zu übergeben und ſie auf die Folgen ihres Ver⸗ gehens in deren ganzer unausweichlicher Strenge hingumeifen. . Seiner leiſen und ſchmerzlich klingenden Stimme kann man es eher anmerken als ſeinen Worten: daß er hier ſitzt und ſie zum Tode vorbereitet. Zum Schluß aber zerſtreuen auch die Worte ſelbſt jedweden Zweifel. Er blättert in dem Buch, das vor ihm liegt, Chriſtian IV. Rezeß, und ſchlägt es beim achtundzwanzig⸗ ſten Kapitel auf, im zweiten Buch, Seite 311 bis 312: „Von denen Zauberern und ihren Mitwiffern.’ Und in einer Laut⸗ loſigkeit, die jäh hereingebrochener Finſternis gleicht, lieſt er den Abſchnitt, lieſt er ihn bis zu feinem Schluß: „.. während die, ſo ſich mit ſolchem Volke gemein machen und ſich unterſtehen, durch ihre Zauberei irgend etwas zuwege zu bringen, geftraft werden ſollen ohn Gnade durch Verluſt ihres Hauptes.“ Bjarni Bjarnaſon ſteht mitten im Zimmer, aufrecht, aber bleich, mit blutleerem Geſicht; erloſchenen Blickes ſtarrt er den Schrei⸗

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ber an, feinen Schulbruder, der dieſe Worte niederſchreibt. Da mit einem Male dringt von der Tür her wildes Schluchzen. Man ſieht nur, daß Einar Gudmundsſon dort ſteht und ſich an die Wand lehnt, um nicht umzuſinken. Aber jetzt gewinnt kein Ge⸗ danke, kein Gefühl mehr Klarheit. Etwas, was unſichtbar und unwägbar bleibt, erfüllt das Gemach mit ſeiner fürchterlichen Gegenwart: das Entſetzen erregende Grauen vor Brand und Blut.

Die Stimme des Biſchofs zerteilt es: Ihr beide ſeid hiermit der Schule verwieſen und packt euch ohne Zeugnis morgen von dannen, wie auch das Wetter ſein mag, doch nicht dem Abend entgegen; dabei will ichs bewenden laſſen. Geht zu Bett! Sobald die Jungen gegangen ſind, ſchickt der Biſchof einen Bo⸗ ten zum Obervogt und befiehlt ihm, die beiden Schüler für die Nacht bewachen zu laſſen. Bis zum nächſten Morgen ſoll er ihm für die beiden in jeder Hinſicht verantwortlich ſein. Schweigend hört Meifter Brpnjolfur feinen Amtswaltern zu, als die halb flüſternd die Angelegenheit erörtern, aber jede Er⸗ örterung endet nur dabei: Mit dem Geſtändnis der Schüler iſt auch das Todesurteil über ſie gefallen. Dann diktiert er den Brief an den Sprengelvogt Torfi Erlendsſon. Er fragt bei ihm an, ob er ihm die Blätter mit den Runen zuſchicken oder ob er ſie verwahren ſoll., Sintemalen hier vorbedacht ſein muß, wie in der Sache verfahren werden ſoll, weil es aufs Ende der Schulzeit zu geht und die Pferde eingetroffen, während diejeni⸗ gen, die in die Sache verwickelt, der Schule verwieſen worden find.’ Als ihm der Brief vorgeleſen wird, fügt er in einer Nach⸗ ſchrift hinzu: „Der eine von ihnen ſagt, er ſtünde in ſeinem neunzehnten Jahr, der andere im zwanzigſten. Gott bewahre uns und die Unſeren vor allem Böſen!'

Bald danach läutet es zur Abendmette. Die Zeugen können eben noch ihre Erklärung unterſchreiben; dann iſt es auch Zeit, in die Kirche zu gehen.

Noch bevor am Morgen des nächſten Tages, des Gründonners⸗ tages, jemand aufgeſtanden iſt, hat der Biſchof ſeinem Schrei⸗ ber den Brief an den Amtmann Sigurdur Jonsſon diktiert. Er möchte wiſſen, ob er die ſchriftlichen Beweismittel ihm oder dem

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Peter Viſcher: Leuchterweibchen

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Sprengelvogt ſchicken ſoll ‚oder warten, bis die däniſche Macht zu Lande gekommen iſt'. Die jungen Burſchen, zerſchlagen von ihren fürchterlichen Ahnungen in dieſer Nacht, werden herein⸗ gerufen, und man verlieſt die beiden Briefe des Biſchofs in ihrem Beiſein. Dann möchte der Biſchof allein mit ihnen ſein.

Er läßt die beiden ſich erſt auf die Schreiberbank ſetzen; dann ſpricht er mit ihnen.

Wie hieß der Mann, der dir das Buch geliehen hat, Bjarni? fragt er, allem Anſchein nach geiſtesabweſend.

Erlingur Ketilsſon, Herr.

Erlingur Ketilsſon, ſoſo ... wiederholt der Biſchof. Der kann von Glück ſagen, daß er in den Weſtfjorden daheim war. Dort tauchen holländiſche und engliſche Schiffe oftmals ſchon früh im Jahr auf und ſind bereits wieder von hinnen gefahren, bevor noch irgendeiner der Häfen offen iſt. Wo ſteckt er jetzt?

Er iſt nach England gefahren, Herr, antwortet Bjarni mit den⸗ ſelben Worten wie geſtern.

Nach England iſt er gefahren? Soſo ... Erlingur Ketilsſon, ja, ein kluger Mann! Iſt wahrſcheinlich ſpornſtreichs zu einem Schiff geritten...

Meiſter Brynjolfur ſpringt vom Stuhl auf.

Nun, hier iſt nicht Zeit, an andere zu denken! meint er. Es iſt meine Pflicht, euch ohne Säumen von hinnen zu weiſen. Eßt noch einen Happen, während eure Pferde geſattelt werden, denn heute nach der Meſſe werden meine beiden Briefe abgeſandt. Ich wünſche euch Gottes Schutz! Seid einander treu! Und nun weg von hier, in Jeſu Namen!

Er reicht den Jungen die Hand und merkt, daß ſie ſeine An⸗ deutung verſtanden haben. Dann ſitzt er einſam in ſeinem Ge⸗ mach. Aber es fällt ihm ſchwer, ſeine Gedanken zu ſammeln, er wartet darauf, daß ſie am Fenſter vorbeireiten. Endlich wird in der Ferne Hufſchlag vernehmbar, die beiden reiten hinter den Häuſern entlang. Und da, als der Biſchof den gehetzten Flucht⸗ ritt der Jungen aus Skalholt hört, verbirgt er ſein Angeſicht im Gebet. Acht Jahre ſind vergangen, ſeitdem die Worte, die er jetzt zu Gott flüſtert, zum erſten Male von ſeinen Lippen ka⸗ men, unmittelbar nachdem man ihm die Nachricht von der grauen⸗

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vollſten Herenverbrennung des Jahrhunderts überbrachte, das einzige Mal, da er nicht lateiniſch dichtete, ſondern in isländi⸗ ſcher Sprache. Über ein dunkles, verworrenes Geräuſch verhal⸗ lender Hufſchläge hinweg klingen ſeine Worte wie abgeriſſene, feſte und immer feſtere Griffe in eine volltönende Saite:

Laß Chriſti Krone

und Kreuzesqualen,

blutende Wunden

und Schmerzensbrände

ſtehn mitten zwiſchen

all unſeren Sünden

und Strafenshänden. g Dann richtet der Biſchof ſich auf und geht an ſeine Arbeit, ja, er geht. Er muß heute einen Prieſter weihen, ſeine Ordinations⸗ rede hat er fertig, aber geſtern abend beim Memorieren wurde er mit dieſer Angelegenheit geſtört, die keinen Aufſchub vertrug. Jetzt geht er im Zimmer auf und ab und ruft ſich die Rede ins Gedächtnis zurück; er ſpricht ſtets frei, und das hat er auch ſeit den erſten Amtsjahren als Biſchof bei ſeinen Prieſtern einge⸗ führt. ö Die Menge der Amtsgeſchäfte, die mit jedem Jahr wächſt, iſt noch nie ſo groß geweſen wie in dieſem Frühling. Aber in die⸗ ſem Frühling läßt der Biſchof auch in der Verwaltung ſeines Bistums einen tiefgreifenden Wechſel eintreten. Er trennt ſich von ſeinem Gutsverwalter, ſeinem Obervogt, ſeinem Untervogt und ihren Familien in beſtem Einvernehmen und fest in dieſe Amter junge unverheiratete Männer ein. Ja, noch mehr: ſeinen jungen Schreiber läßt er ziehen. Das ſind Maßnahmen, die Meiſter Srynjolfur ein volles Jahr erwogen hat. Er will ſich nicht mehr unausgeſetzt von Dingen, die ihn nichts angehen, ſtören, ärgern und vergrämen laſſen. Er will verſuchen, ob nicht ſein Inneres ruhiger wird, wenn er nicht mehr tagtäglich in ſeiner nächſten Umgebung auf ſo viele von den Menſchen an⸗ gewieſen iſt, die ihn unter ſeinem Unglück und ſeiner Schande die Kniee beugen ſahen. Allem Andrang der Amtsgeſchäfte zum Trotz verzichtet er dies⸗ mal doch nicht auf die Frühjahrsreiſe in ſein geliebtes Skor⸗

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radal. Aber er ift ſchon zurückgekehrt und ſeit einem vollen Monat wieder daheim, als er erfährt, daß der Vogt zu Lande gekommen iſt. Am folgenden Tage ſchickt er einen Mann nach Beſſaſtadir mit den Beweisſtücken in der Zauberei⸗Angelegen⸗ heit, den ſchickſalsſchwangeren Runenblättern. Er hat fie bis jest in Verwahrung gehalten, nach dem Rat des Sprengelvogtes und des Amtmanns, ‚mas derer beider Briefe bezeugen. Aber die zwei personae verwies ich ſogleich der Schule, wie mir rich⸗ tig zu ſein ſchien, und reiſten ſie ohn Zeugnis am nächſten Tage von hinnen. Nun, ſagt man, ſind ſie außer Landes gefahren. Mehr wußte ich in dieſem nicht zu unternehmen. Gott bewahre uns und alle Unſeren vor jeglichem Ungemach! Im Namen des Herrn. Amen.’

Aus „Der Herrſcher auf Skalholt'

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Konrad Weiß / Szenen aus dem Trauerſpiel „Konradin von Hohenſtaufen'

Jagdhörner; der junge Friedrich von Hfterreich allein

Friedrich von Ofterreid

Offne Zeiten, frühes Jahr!

Will mein armes Herz im weiten

Felde reiten oder ſtreiten,

ſingen und dann immerdar

Liebe leiden wie ein Mann!

Wann wird all der Winter gar? Vogel, wann?

Sprich, du lieber Augenblick! Will mit wonniglichen Schatten ſelbſt die Sonne ſich ermatten, ſchenke, Morgen, mir ein Stück heut ſchon, daß ich leben kann! Streit und Liebe geben Glück? Vogel, wann? Morgen dann!

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Stirb du, fo der Jäger ſpricht, Hinde, du ein Tier von vielen! Alſo muß ich weiter zielen, fröhlich ſein und bin es nicht. Jäger in dem großen Bann, jage, Jäger, frage nicht! Vogel, wann? Morgen dann! Immer wann?

Aus dem Walde ſtürmen, gefolgt von dem alten Volkmar von Kemnaten, und rufen als Echo

Der junge Konrad von Limpurg

Vogel, wann? Der junge Eiſoldsried

Morgen dann!

Konradin mit dem Falken auf der Fauſt Immer wann? * Ort: Augsburg; Zeit: Auguſt 1267. Szene: ein romaniſcher Kreuz⸗

gang, es iſt Nacht. Vier Wächter kommen aus den vier Seiten des Kreuzgangs und treten vor gegen die Mitte ſeines Hofes

Erſter Wächter

Vorne einwärts

Bald iſt die ſtille Nacht vorbei.

Zweiter Wächter Links

Der Traum hebt ſchon den dunklen Fuß.

Dritter Wächter Hinten

Seid wachſam ohne Überdruß!

Vierter Wächter | Rechts

Der Hahn rückt ſich zum Hahnenſchrei. 52

Erſter Wächter Der Hahn rückt ſich zum Hahnenſchrei.

Zweiter Wächter Seid wachſam ohne Uberdruß!

Dritter Wächter Der Traum hebt ſchon den dunklen Fuß.

Vierter Wächter Bald iſt die ſtille Nacht vorbei.

*

Erſter Wächter

Vorne

Der Sinn verſchläft, die Erde wacht.

Zweiter Wächter Links Horcht auf, ſo mahlt ein ſtiller Zorn.

Dritter Wächter Hinten Die Mühle mahlt das Lebenskorn.

Vierter Wächter Rechts Ein dunkler Trichter iſt die Nacht.

Erſter Wächter Ein dunkler Trichter iſt die Nacht.

Zweiter Wächter Die Mühle mahlt das Lebenskorn.

Dritter Wächter Horcht auf, ſo mahlt ein ſtiller Zorn.

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Vierter Wächter Der Sinn verſchläft, die Erde wacht.

*

Szene am Torre d' Aſtura mit dem Meer im Hintergrund; Friedrich von Ofterretd ſitzt allein vor dem Turm

Ofterreid Jäger, horch, der Kuckuck ſchreit! Nicht mit wonniglichen Schatten darf das junge Herz ermatten. Deine Stunde iſt bereit, und die Hinde ſteht im Bann. Junges Leben, offne Zeit!

Vogel, wann?

Streit und Liebe geben Glück.

Bald doch ſchenkſt du deinem Sohne,

Mutter, eine dunkle Krone.

Doch kein Jäger weicht zurück.

Liebe wars und Streit begann,

will das Herz nun Stück für Stück. Morgen dann!

Morgen ſpricht der Himmel: Nein!

Wo iſt Recht? wirſt du dann fragen.

Blut bricht aus zu hellen Tagen.

Singe, Herz, du weißt allein,

was dein Jäger tragen kann!

Blut iſt Recht und muß es ſein. Immer dann!

a

Gottfried Keller / Has Tanzlegendchen

Nach der Aufzeichnung des heiligen Gregorius war Muſa die Tänzerin unter den Heiligen. Guter Leute Kind, war ſie ein anmutvolles Jungfräulein, welches der Mutter Gottes fleißig

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diente, nur von einer Leidenſchaft bewegt, nämlich von einer unbezwinglichen Tanzluſt dermaßen, daß, wenn das Kind nicht betete, es unfehlbar tanzte. Und zwar auf jegliche Weiſe. Muſa tanzte mit ihren Geſpielinnen, mit Kindern, mit den Jüng⸗ lingen und auch allein; ſie tanzte in ihrem Kämmerchen, im Saale, in den Gärten und auf den Wieſen, und ſelbſt wenn ſie zum Altare ging, ſo war es mehr ein liebliches Tanzen als ein Gehen, und auf den glatten Marmorplatten vor der Kirchentüre verſäumte ſie nie, ſchnell ein Tänzchen zu probieren.

Ja, eines Tages, als ſie ſich allein in der Kirche befand, konnte ſie ſich nicht enthalten, vor dem Altar einige Figuren auszufüh⸗ ren und gewiſſermaßen der Jungfrau Maria ein niedliches Ge⸗ bet vorzutanzen. Sie vergaß ſich dabei ſo ſehr, daß ſie bloß zu träumen wähnte, als ſie ſah, wie ein ältlicher, aber ſchöner Herr ihr entgegentanzte und ihre Figuren ſo gewandt ergänzte, daß beide zuſammen den kunſtgerechteſten Tanz begingen. Der Herr trug ein purpurnes Königskleid, eine goldene Krone auf dem Kopf und einen glänzend ſchwarzen gelockten Bart, welcher vom Silberreif der Jahre wie von einem fernen Sternenſchein überhaucht war. Dazu ertönte eine Muſik vom Chore her, weil ein halbes Dutzend kleiner Engel auf der Brüſtung desſelben ſtand oder ſaß, die dicken runden Beinchen darüber hinunter⸗ hängen ließ und die verſchiedenen Inſtrumente handhabte oder blies. Dabei waren die Knirpſe ganz gemütlich und praktiſch und ließen ſich die Notenhefte von ebenſoviel ſteinernen En⸗ gelsbildern halten, welche ſich als Zierat auf dem Chorgeländer fanden; nur der Kleinſte, ein pausbäckiger Pfeifenbläſer, machte eine Ausnahme, indem er die Beine übereinanderſchlug und das Notenblatt mit den roſigen Zehen zu halten wußte. Auch war der am eifrigſten: die übrigen baumelten mit den Füßen, dehnten, bald dieſer, bald jener, kniſternd die Schwungfedern aus, daß die Farben derſelben ſchimmerten wie Taubenhälſe, und neckten einander während des Spieles.

Über alles dies fic) zu wundern, fand Muſa nicht Zeit, bis der Tanz beendigt war, der ziemlich lang dauerte; denn der luſtige Herr ſchien ſich dabei ſo wohl zu gefallen als die Jungfrau, welche im Himmel herumzuſpringen meinte. Allein als die

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Muſik aufhörte und Muſa hochaufatmend daſtand, fing fie erft an, ſich ordentlich zu fürchten, und ſah erſtaunt auf den Alten, der weder keuchte noch warm hatte und nun zu reden begann. Er gab ſich als David, den königlichen Ahnherrn der Jung⸗ frau Maria, zu erkennen und als deren Abgeſandten. Und er fragte ſie, ob ſie wohl Luſt hätte, die ewige Seligkeit in einem unaufhörlichen Freudentanze zu verbringen, einem Tanze, gegen welchen der ſoeben beendigte ein trübſeliges Schleichen zu nennen ſei.

Worauf ſie ſogleich erwiderte, ſie wüßte ſich nichts Beſſeres zu wünſchen! Worauf der ſelige König David wiederum ſagte: So habe ſie nichts anderes zu tun, als während ihrer irdiſchen Lebenstage aller Luſt und allem Tanze zu entſagen und ſich lediglich der Buße und den geiſtlichen Ubungen zu weihen, und zwar ohne Wanken und ohne allen Rückfall.

Dieſe Bedingung machte das Jungfräulein ſtutzig, und ſie ſagte: Alſo gänzlich müßte ſie auf das Tanzen verzichten? Und ſie zweifelte, ob denn auch im Himmel wirklich getanzt würde. Denn alles habe ſeine Zeit; dieſer Erdboden ſchiene ihr gut und zweckdienlich, um darauf zu tanzen, folglich würde der Himmel wohl andere Eigenſchaften haben, anſonſt ja der Tod ein überflüſſiges Ding wäre.

Allein David ſetzte ihr auseinander, wie ſehr ſie in dieſer Be⸗ ziehung im Irrtum ſei, und bewies ihr durch viele Bibelſtellen ſowie durch ſein eigenes Beiſpiel, daß das Tanzen allerdings eine geheiligte Beſchäftigung für Selige ſei. Jetzt aber erfor⸗ dere es einen raſchen Entſchluß, ja oder nein, ob ſie durch zeit⸗ liche Entſagung zur ewigen Freude eingehen wolle oder nicht; wolle ſie nicht, ſo gehe er weiter; denn man habe im Himmel noch einige Tänzerinnen vonnöten.

Muſa ſtand noch immer zweifelhaft und unſchlüſſig und ſpielte ängſtlich mit den Fingerſpitzen am Munde; es ſchien ihr zu hart, von Stund an nicht mehr zu tanzen um eines unbekann⸗ ten Lohnes willen.

Da winkte David, und plötzlich ſpielte die Muſik einige Takte einer ſo unerhört glückſeligen, überirdiſchen Tanzweiſe, daß dem Mädchen die Seele im Leibe hüpfte und alle Glieder zuckten;

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aber fie vermochte nicht eines zum Tanze zu regen, und fie merkte, daß ihr Leib viel zu ſchwer und ſtarr fei für dieſe Weife. Voll Sehnſucht ſchlug fie ihre Hand in diejenige des Königs und gelobte das, was er begehrte.

Auf einmal war er nicht mehr zu ſehen, und die muſizierenden Engel rauſchten, flatterten und drängten ſich durch ein offenes Kirchenfenſter davon, nachdem ſie in mutwilliger Kinderweiſe ihre zuſammengerollten Notenblätter den geduldigen Stein⸗ engeln um die Backen geſchlagen hatten, daß es klatſchte.

Aber Muſa ging andächtigen Schrittes nach Hauſe, jene himm⸗ liſche Melodie im Ohr tragend, und ließ ſich ein grobes Ge⸗ wand anfertigen, legte alle Zierkleidung ab und zog jenes an. Zugleich baute ſie ſich im Hintergrunde des Gartens ihrer Eltern, wo ein dichter Schatten von Bäumen lagerte, eine Zelle, machte ein Bettchen von Moos darin und lebte dort von nun an abgeſchieden von ihren Hausgenoſſen als eine Büßerin und Heilige. Alle Zeit brachte ſie im Gebete zu, und öfter ſchlug ſie ſich mit einer Geißel; aber ihre härteſte Bußübung beſtand darin, die Glieder ſtill und ſteif zu halten; ſobald nur ein Ton erklang, das Zwitſchern eines Vogels oder das Rau⸗ ſchen der Blätter in der Luft, ſo zuckten ihre Füße und mein⸗ ten, ſie müßten tanzen.

Als dies unwillkürliche Zucken ſich nicht verlieren wollte, wel⸗ ches ſie zuweilen, ehe ſie ſich deſſen verſah, zu einem kleinen Sprung verleitete, ließ ſie ſich die feinen Füßchen mit einer leich⸗ ten Kette zuſammenſchmieden. Ihre Verwandten und Freunde wunderten ſich über die Umwandlung Tag und Nacht, freuten ſich über den Beſitz einer ſolchen Heiligen und hüteten die Einſiedelei unter den Bäumen wie einen Augapfel. Viele kamen, Rat und Fürbitte zu holen. Vorzüglich brachte man junge Mäd⸗ chen zu ihr, welche etwas unbeholfen auf den Füßen waren, da man bemerkt hatte, daß alle, welche ſie berührt, alſobald leich⸗ ten und anmutvollen Ganges wurden.

So brachte ſie drei Jahre in ihrer Klauſe zu; aber gegen das Ende des dritten Jahres war Muſa faſt ſo dünn und durchſich⸗ tig wie ein Sommerwölklein geworden. Sie lag beſtändig auf ihrem Bettchen von Moos und ſchaute voll Sehnſucht in den

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Himmel, und fie glaubte ſchon die goldenen Sohlen der Se⸗ ligen durch das Blau hindurch tanzen und ſchleifen zu ſehen. An einem rauhen Herbſttage endlich hieß es, die Heilige liege im Sterben. Sie hatte ſich das dunkle Bußkleid ausziehen und mit blendend weißen Hochzeitsgewändern bekleiden laſſen. So lag ſie mit gefalteten Händen und erwartete lächelnd die To⸗ desſtunde. Der ganze Garten war mit andächtigen Menſchen angefüllt, die Lüfte rauſchten, und die Blätter der Bäume ſan⸗ ken von allen Seiten hernieder. Aber unverſehens wandelte ſich das Wehen des Windes in Muſik, in allen Baumkronen ſchien dieſelbe zu ſpielen, und als die Leute emporſahen, ſiehe, da waren alle Zweige mit jungem Grün bekleidet, die Myr⸗ ten und Granaten blühten und dufteten, der Boden bedeckte ſich mit Blumen, und ein roſenfarbiger Schein lagerte ſich auf die weiße zarte Geſtalt der Sterbenden.

In dieſem Augenblicke gab ſie ihren Geiſt auf, die Kette an ihren Füßen ſprang mit einem hellen Klange entzwei, der Himmel tat ſich auf weit in der Runde, voll unendlichen Glanzes, und jedermann konnte hineinſehen. Da ſah man viel tauſend ſchöne Jungfern und junge Herren im höchſten Schein, tanzend im unabſehbaren Reigen. Ein herrlicher König fuhr auf einer Wolke, auf deren Rand eine kleine Extramuſik von ſechs Engelchen ſtand, ein wenig gegen die Erde und empfing die Geſtalt der ſeligen Muſa vor den Augen aller Anweſen⸗ den, die den Garten füllten. Man ſah noch, wie ſie in den offe⸗ nen Himmel ſprang und augenblicklich tanzend ſich in den tönenden und leuchtenden Reihen verlor.

Im Himmel war eben hoher Feſttag; an Feſttagen aber war es, was zwar vom heiligen Gregor von Nyſſa beſtritten, von demjenigen von Nazianz aber aufrecht gehalten wird, Sitte, die neun Muſen, die ſonſt in der Hölle ſaßen, einzuladen und in den Himmel zu laſſen, daß ſie da Aushülfe leiſteten. Sie bekamen gute Zehrung, mußten aber nach verrichteter Sache wieder an den andern Ort gehen.

Als nun die Tänze und Geſänge und alle Zeremonieen zu Ende und die himmliſchen Heerſcharen ſich zu Tiſche ſetzten, da wurde Muſa an den Tiſch gebracht, an welchem die neun Muſen be⸗

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dient wurden. Sie ſaßen faft verſchüchtert zuſammengedrängt und blickten mit den feurigen ſchwarzen oder tiefblauen Augen um ſich. Die emſige Martha aus dem Evangelium ſorgte in eigener Perſon für ſie, hatte ihre ſchönſte Küchenſchürze um⸗ gebunden und einen zierlichen kleinen Rußfleck an dem weißen Kinn und nötigte den Muſen alles Gute freundlich auf. Aber erſt, als Muſa und auch die heilige Cäcilia und noch andere kunſterfahrene Frauen herbeikamen und die ſcheuen Pierinnen heiter begrüßten und fic) zu ihnen gefellten, da tauten fie auf, wurden zutraulich, und es entfaltete ſich ein anmutig fröhliches Daſein in dem Frauenkreiſe. Muſa ſaß neben Terpſichore und Cäcilia zwiſchen Polyhymnien und Euterpen, und alle hielten ſich bei den Händen. Nun kamen auch die kleinen Muſikbüb⸗ chen und ſchmeichelten den ſchönen Frauen, um von den glän⸗ zenden Früchten zu bekommen, die auf dem ambroſiſchen Tiſche ſtrahlten. König David ſelbſt kam und brachte einen goldenen Becher, aus dem alle tranken, daß holde Freude ſie erwärmte; er ging wohlgefällig um den Tiſch herum, nicht ohne der lieb⸗ lichen Erato einen Augenblick das Kinn zu ſtreicheln im Vor⸗ beigehen. Als es dergeſtalt hoch herging an dem Muſentiſch, erſchien ſogar Unſere Liebe Frau in all ihrer Schönheit und Güte, ſetzte ſich auf ein Stündchen zu den Muſen und küßte die hehre Urania unter ihrem Sternenkranze zärtlich auf den Mund, als ſie ihr beim Abſchiede zuflüſterte, ſie werde nicht ruhen, bis die Muſen für immer im Paradieſe bleiben könnten.

Es iſt freilich nicht ſo gekommen. Um ſich für die erwieſene Güte und Freundlichkeit dankbar zu erweiſen und ihren guten Willen zu zeigen, ratſchlagten die Muſen untereinander und übten in einem abgelegenen Winkel der Unterwelt einen Lobgeſang ein, dem ſie die Form der im Himmel üblichen feierlichen Choräle zu geben ſuchten. Sie teilten ſich in zwei Hälften von je vier Stimmen, über welche Urania eine Art Oberſtimme führte, und brachten ſo eine merkwürdige Art Vokalmuſik zuwege. Als nun der nächſte Feſttag im Himmel gefeiert wurde und die Muſen wieder ihren Dienſt taten, nahmen ſie einen für ihr Vorhaben günſtig ſcheinenden Augenblick wahr, ſtellten ſich zu⸗ ſammen auf und begannen ſänftlich ihren Geſang, der bald

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gar mächtig anſchwellte. Aber in dieſen Räumen klang er ſo düſter, ja faſt trotzig und rauh, und dabei ſo ſehnſuchtsſchwer und klagend, daß erſt eine erſchrockene Stille waltete, dann aber alles Volk von Erdenleid und Heimweh ergriffen wurde und in ein allgemeines Weinen ausbrach. Ein unendliches Seufzen rauſchte durch die Himmel; beſtürzt eilten alle Alteſten und Propheten herbei, indeſſen die Muſen in ihrer guten Meinung immer lauter und melancholiſcher ſan⸗ gen und das ganze Paradies mit allen Erzvätern, Alteſten und Propheten, alles, was je auf grüner Wieſe gegangen oder ge⸗ legen, außer Faſſung geriet. Endlich aber kam die allerhöchſte Trinität ſelber heran, um zum Rechten zu ſehen und die eifrigen Muſen mit einem lang hinrollenden Donnerſchlage zum Schweigen zu bringen. Da kehrten Ruhe und Gleichmut in den Himmel zurück; aber die armen neun Schweſtern mußten ihn verlaſſen und durften ihn ſeither nicht wieder betreten.

Aus Gottfried Kellers

Geſammelten Werken in vier Bänden *

Gertrud von le Fort / Gefang aus den Bergen

Wußt ich denn um die Sonne, bevor ich hier oben Ausgeſetzt ward am ſtrahlenden Ufer des Athers, Im überwältigten Auge

Immer und immer dieſen leuchtenden Schmerz, Als läutre in meinen Augen ſchäumendes Feuer Alle Nächte der Erde!

Unbändiger Glanz,

Ungeblendeter,

Jauchzender Ausbruch der Allmacht,

Des brauſenden Anfangs

Erſtgeborenes Kind und alleiniger Erbe:

Durch Jahrmillionen ſtrahlſt du

Das göttliche Schöpfungswort

Das erſte - das letzte das einzig⸗ ewige wider: „Es werde Licht!’

*

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Aber ergreifend ift am Abend

Der Untergang des Gebirges,

Wenn ſich die Felſengipfel, die herrſchergewaltgen, Langſam von ihren glühenden Thronen erheben, Stillen Hauptes, als ſchwänden ſie feierlich⸗willig Den ſchaurigen Schatten entgegen

Hinab in die nächtlichen Schluchten - - -

Dann kommt die zaubriſche Stunde

Des unbekannten Lichts:

Da iſt es, als kehre die Sonne

Noch einmal zurück, aber in Mond verwandelt

Doch ſcheint weder Sonne noch Mond,

Sondern es ſcheinen plötzlich von ſilbernen Thronen herab Wieder die ragenden Gipfel:

Unirdiſch leuchtend wie aus dem Jenſeits der Räume

In der durchgeiſtigten Nacht Gehen die Toten auf wie die unſterblichen Sterne.

*

Franz Spunda / Nächtlicher Ritt über den Pelion

Wenn wir auf Bergesgipfel ſteigen, fo iſt es vor allem der Raufd der Freiheit, der uns hinauftreibt, dem ſtickigen Ge⸗ dünſte der Stadt zu entfliehen und die Bruſt im reinen Ather zu baden. Auch der gotiſche Menſch ſtrebte hinauf, blieb aber im geſchloſſenen Raum und ging nicht weiter, als ihn das Herz trug. Doch unſer Auftrieb iſt fauſtiſch, kein Gipfel genügt uns, immer gibt es einen Berg, der noch höher ragt.

Ganz anders der Grieche; er kannte das Maß, das auch den wildeſten Drang befänftigt. Ihn trieb es hinauf wie uns, doch war er auf dem Gipfel, ſo trat ihm ein Gott entgegen und beruhigte ſein Herz. Alle antiken Berge find alſo elyſiſche Hei⸗ ligtümer, ein jedes einer beſonderen Beſtimmung geweiht. Nur die höchſten Gipfel, der Olpmp und der Parnaß, rücken ins unbegreiflich Erhabene empor, aber die mittleren Berge ſind

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menſchlich gebunden. Hier wohnen heilende, gütige Götter, die ſich gern den Menſchen geſellen, Quellgötter vor allem, deren hell ſpringende Labunng im Sommer erquidt.

Von allen Mittelgebirgen Griechenlands iſt der Pelion heute wie einſt das reichſte an Waſſern und Wäldern. Er iſt kein Berg, ſondern ein ganzer Gebirgszug, der ſich gegen dreißig Kilometer lang über die Magneſiſche Halbinſel hinzieht.

Die alte Stadt der Argonauten liegt dort, wo ſich der Paga⸗ ſäiſche Golf am tiefſten gegen den Pelion buchtet. Von ihr und von den Städten ſpäterer Zeiten, Demetrias und Pagaſä, ſind nur ſpärliche Reſte erhalten. Aber in ihrem lehmigen Bo⸗ den bewahrten ſie einen Schatz, der in ganz Hellas nicht ſeines⸗ gleichen hat: bunt leuchtende Fresken auf Stein, bemalte Grab⸗ ſtelen. Das kleine Muſeum außerhalb der Stadt hütet die er⸗ greifenden Trümmer. Da ſieht man Abſchiedsſzenen von er⸗ ſchütternder Wirkung, wie Menſchen einander für immer Lebe⸗ wohl ſagen. Ein feierlicher Ernſt entſtrahlt ihnen, den durch Schmerz ſchon jenſeitig Verklärten. Meiſt ſieht man ſie beim Abſchiedsmahl verſammelt, auf der einen Seite der Tote, auf der anderen die Lebenden. Ein Tiſch mit drei Füßen neben ihnen deutet den Hades an. Oder ein anderes Bild, das ſchönſte von allen: Die Tochter liegt vor dem Haus, tot, aber noch in der Haltung einer Lebenden, halb aufgerichtet, die Mutter ängſtlich bemüht, ihr zu helfen; der Vater, ſcheu aus der halb geöffneten Tür hinausſchauend, vor dem Unſagbaren erſtar⸗ rend. Alles in grünen und roten Tönen gehalten wie, gemiſcht aus Leichenfarbe und Rebenblut, in einem Licht, das wie Mon⸗ denſchein geiſtert. Iſt Elyſium nicht ſchon nah?

Wolos ſteht jetzt an der Stelle der alten Städte, reizvoll zwi⸗ ſchen Meer und Berge gelagert. Außer einer Moſchee aus tür⸗ kiſcher Zeit kann nichts den Blick feſſeln. Dieſer ſchweift unwill⸗ kürlich hinauf gegen die Hänge, die weißgeſprenkelt von Dör- fern und einzeln ſtehenden Häuſern blinken. Gleich hinter der Stadt ſtaffelt ſich Ano⸗Wolos empor, dann höher hinauf, durch eine tiefe Schlucht getrennt, Makrinitſa und Portaria, die beide den Flächenraum einer großen Stadt bedecken, aber kaum ein paar hundert Einwohner haben, die weithin berühmten Som⸗

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merfriſchen des Pelion. Eine breite Autoſtraße führt hinauf, auf der die Wagen reicher Agppter faufen.

Wir ziehen es vor, die Höhe zu Fuß zu erſteigen. Aber die Sonne brennt grauſam. Wie kommen wir trotzdem hinauf? Man wandert in der Nacht. Wir haben panselinon, Vollmond. Noch glüht der Stein unter uns, aber es weht ſchon kühl her⸗ ab. Und dann, in der Nähe der Schlucht, bläſt es kühl herauf. Hier treffen Berg⸗ und Meerwind zuſammen. Hell ſpringt ein Bächlein neben uns in die Schlucht. Die Griechen, mit denen ich wandere, ſtaunen: ein rauſchender Bach im Auguſt, wenn das Waſſer überall am koſtbarſten iſt! Es klingt heimatlich an mein Ohr, aber es iſt nicht wie zu Hauſe. Die heimiſchen Bäume fehlen; nur Platanen, Edelkaſtanien und Johannisbrotbäume ſind es, die im gleißenden Mondenlicht flüſtern. Aus unſeren Eichen iſt krüppeliges Geſtrüpp geworden, und zu den Füßen fehlt das wellige Gras. Von unten her ſchimmert der Golf in zauberiſcher Spiegelung, ein Märchen aus flüſſigem Silber.

In Portaria geht es hoch her, jetzt in der Saiſon. Am Haupt⸗ platz ſchnarrt ein Grammophon, im grellen Licht der Bogen⸗ lampen promeniert die elegante Welt. Es find Agypter, die den tiefen Kurs der Drachme ausnutzen und im Pelion einen Erſatz für die ferne und teuere Schweiz gefunden haben. Sie können auch in der Sommerfriſche die Geſchäfte nicht laſſen und bekritzeln die Marmorplatten des Cafés mit Zahlen. Manchen Frauen iſt es ſchon zu kühl, ſie tragen Mäntel, eine hat ſogar einen Pelz um die Schultern geſchlungen. Für mein Gefühl iſt die Luft angenehm lau.

Alle Hotels und Herbergen ſind überfüllt, wir finden keinen Platz. Nach langem Hinundherreden gibt es dennoch ein Zim⸗ mer, aber ſündhaft teuer. Da machen wir nicht mit. Beinahe zwei Mark! Entſetzt lehnen wir ab und ſuchen uns ein kleines Café, wo uns der Wirt einige Decken aufbreitet und uns in der Stube ſchlafen läßt. Es geht alſo auch ſo. Am Morgen weckt uns ein ungewöhnliches Geräuſch. Ich laufe zum Fenſter. Wahrhaftig, es regnet, ein richtiger, ſtarker Regen wie bei uns. Der Wirt iſt aufgeregt, in der Nacht hat es geblitzt und ge⸗ donnert, das gab es ſeit Jahren nicht im Auguſt. Jetzt regnet

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es dünn und beharrlich, als ob wir in Salzburg wären. Müßig ſitzen wir unter dem Vordach und ſchauen den Tropfen zu, die von den Platanenblättern klatſchen. Nun wird es ſogar mir et⸗ was zu friſch. Die Griechen in meiner Geſellſchaſt frieren und drängen ſich um ein Kohlenbecken.

Hoffentlich erfrieren die Agppter im Café nicht. Ich ſchlendere, in meinen Lodenmantel gehüllt, auf den Platz und ſehe ſie, phantaſtiſch vermummt, in den Kaffeehäuſern um winzige Feuerchen hocken.

Gegen Mittag ſchimmert durch die Kronen der Platanen der erſte blaue Streifen, der Regen hört auf. Sollen wir den gan⸗ zen Tag unter den feinen Leuten im Kaffeehaus verlungern? Nein, wir brechen auf, die Griechen zwar ängſtlich gegen den Himmel lugend und unheilvoll orakelnd. Aber das Wetter hält ſich, wenn auch ſchwere Wolken noch gefährlich über uns drohen. Wir weichen der neuen Autoſtraße aus und ziehen auf einem alten türkiſchen Maultierpfad weiter, einem Kalderimni aus glattgeſcheuerten Steinen. Mit gewöhnlichen Schuhen geht es ſich leicht auf ihm, ich aber trage noch meine ſchweren Nagel⸗ ſchuhe der Olympbeſteigung, in denen ich immer wieder aus⸗ gleite. Man muß ſich jeden Stein ausſuchen, auf den man den Fuß ſetzen will. Das macht müde und verdrießlich. Ich ſteige alſo neben dem Kalderimni empor, lieber durch dichtes Ge⸗ ſtrüpp und lehmige Lachen, an Johannisbrot⸗ und Maulbeer⸗ bäumen vorüber, unter denen verſchüchterte Herden auf die Wiederkehr der Sonne warten.

Nach etwa zwei Stunden ſind wir auf der Paßhöhe angelangt, wo ein modernes Sanatorium aus dichtem Buchengrün her⸗ vorſchaut. Von hier iſt es nur eine Stunde auf den Pelion- gipfel. Zwar drohen noch immer tiefhängende Wolken, doch wir vertrauen den Winden, daß ſie das Firmament reinfegen werden.

Der Aufftieg ift ein Spaziergang durch niederes Buſchholz und Buchenhaine. Der eigentliche Gipfel iſt kahl, eine mäßig ge⸗ wölbte Kuppe. Wir lagern uns im Schatten ſeiner Steinppra⸗ mide und blicken freudig erregt hinab. Da liegt der Golf tief unten mit ſeinen ſanft geſchwungenen Buchten und verblauen⸗

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Das Theater von Pergamon

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den Vorgebirgen. Und nördlich eine andere Waſſerfläche, der See von Karla, den das Gewitter der Nacht zum Meer um⸗ geſchaffen hat. Durch das Gegenlicht der tiefhängenden Wolken iſt alles malvenfarbig überglüht, mit einem ätheriſchen Hauch überflogen, der dünn die Konturen zeichnet wie auf einem japa⸗ niſchen Wandſchirm. Doch blicke um dich! Da gewahrſt du ſchaurig geballte Wolkenkoloſſe, die wie Ungeheuer das fried⸗ liche Bild da unten bedrohen, Titanen, die gegen den klotzigen Oſſa ſtürmen, um von dort aus den Götterberg Olymp zu be⸗ tennen. |

Beim Abſtieg nach Often wechſelt das Bild. Während die weſt⸗ liche Flanke nur verſtreut ſtehende Bäume trug, rauſchen jetzt unendliche Wälder tief unter uns bis an die blaue Agäis. Die Autoſtraße, die wir bald wieder antreffen, hört plötzlich im Urwald auf. Das Geld für den Bau iſt ausgegangen, wie das in Griechenland oft vorkommt. Die Reiſenden, die bis hierher fahren konnten, müſſen zu Fuß weiter. Aus einer aus Reiſig flüchtig erbauten Hütte tritt ein Mann, der uns ſein Maultier anbietet, aber wir ziehen es vor, zu Fuß weiterzuwandern, auf einem Kalderimni, der kein Ende nehmen will. Da ſpüren wir, daß wir recht hoch waren, in der Höhe des Rieſengebirges. Was uns von oben als gleichmäßig gewellter Urwald erſchien, iſt in ein Gerinnſel von Schluchten zerhackt. Es geht zehnmal hinauf und hinab. Es wird Abend und Nacht, und der Kalde⸗ timni will nicht aufhören. Der Mond iſt von Wolken verhüllt, und das Sternenlicht dringt nicht durch das dichte Blätter⸗ gewirr. Bald ſtolpert der eine, bald der andere. Hätten wir doch das Maultier gemietet!

Da ſchlägt ein Hund an, wir ſind in Zagora, an dem Ziel des heutigen Tages. Aber vom erſten Haus bis auf den Dorfplatz iſt es noch eine Stunde. Ein ſchönes Hotel ſteht vor uns, aber es iſt geſperrt wegen Preistreiberei.

Auch Zagora hat als Sommerfriſche Hochbetrieb. Im Freien ſchlafen können wir nicht, es iſt zu kühl. So betteln wir von Haus zu Haus um Quartier für die Nacht: endlich nimmt ſich eine barmherzige Seele unſer an.

Zagora iſt ein ſlawiſcher Name: Hinterbergen. Auch feine

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Kirche zeigt deutlich ſlawiſchen Einfluß: glaſierte Tonplatten, als Schmuck in die Wände eingelaſſen. In Serbien ſieht man dergleichen.

In der Nacht regnet es wieder, und Donnerſchläge erdröhnen. Doch der Morgen iſt hell, wir brechen bald auf, ziehen durch das Dorf und wandern gegen das Meer.

Und wieder geht es auf dem Katzenkopfſteig hinauf und herab. In den Schluchten toben die Waſſer in gurgelnden Strudeln und fallen ſchäumend ins Meer, das ſie kilometerweit gelb⸗ braun färben. Von moosüberkruſteten Felſen tropft es melo⸗ diſch, die Luft duftet würzig nach Erdreich und Grünem, und dunkle Grotten widerhallen von ſtürzenden Fluten. In einer von ihnen wohnte der heilkundige Kentaur Chiron, der den jungen Achill in der Arzneikunſt unterwies. Hier iſt jede der Millionen Pflanzen heilkräftig, Blüte, Wurzel und Frucht. Im raſchen Überblick erkenne ich gelbe Meliſſen, Zinnkraut, Akelei, Rhabarber und wilden Safran. Ein jedes Blümlein iſt gut gegen irgendein Weh.

Hier heißt ein jedes Dorf nach einem Heiligen. Leben in ihnen vielleicht die heilenden Arzte des Pelion weiter? Im Dorfe des heiligen Demetrios machen wir Mittagsraſt im Schatten der alten Kirche. Eine zweite wird unweit gebaut, geſtiftet von einem in Amerika reichgewordenen Dorfgenoſſen. Hagios Di⸗ mitrios hat keine zwanzig Häuſer, wozu braucht es einen Dom im Zudergußftil?

In dieſem Dorf möchte ich über Nacht bleiben, doch die Grie⸗ chen in meiner Geſellſchaft ſind nervös und drängen weiter. Die Griechen von heute können das Naturerlebnis noch nicht geiſtig bewältigen. Der Sprung aus dem Mittelalter in die Neuzeit iſt für ſie zu ſchnell gekommen und hat ſie an allem unſicher gemacht. Sie ahnen bereits etwas von der löſenden Kraft der Berge, wagen es aber noch nicht, ſich ganz ihrem Geheimnis zu ergeben.

Dem Mehrheitsbeſchluß der Gefährten mich fügend, geht es nun weiter. Da geht auf einmal der Wald in einen Frucht⸗ garten über. Apfel mit roſigen Backen ſchaukeln über uns, Bir⸗ nen und Pfirſiche bieten ſich dar in ſchlaraffiſcher Fülle. Wir

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foften der Reihe nach alles durch. Schade, daß die Feigen und Nüſſe nicht reif ſind!

Wir dürfen nicht zu lange verweilen. Schon ſenkt ſich die Sonne und jagt uns aus dem Waldparadies. In Mureſi, dem nächſten Dorf, kann ich vor Übermüdung nicht weiter. Jetzt ſoll es noch fünf Stunden ſo weitergehen, in der Nacht, durch zahlloſe Schluchten hinauf und hinab. Die beiden Griechen in meiner Geſellſchaft müſſen morgen unbedingt in Wolos ſein, um das Schiff nach Athen zu erreichen, ihr Urlaub iſt zu Ende. Ich könne ja reiten, wenn ich ſchon zu müde ſei.

Wirklich wird für mich ein Maultier aufgetrieben. Ich ſteige auf, die anderen behängen es mit ihren Ruckſäcken und ziehen nun unbeſchwert hinter mir fürbaß. Das war alſo der Grund ihrer ſo treuen Anhänglichkeit! Und doch verdanke ich ihnen dadurch das zauberhafteſte Erlebnis, das ich jemals in Griechen⸗ land hatte, einen Ritt über den Pelion im Mondenſchein.

Noch liegen über dem Agäiſchen Meer verblaſſende Wölkchen, hauchdünne Luftgeſpinſte, in denen ſich das letzte Abendgold auflöſt. Vom Saume des Horizontes zuckt ein Blinkfeuer, das muß die Inſel Skiathos ſein. Dort, wo bald der Mond auf⸗ ſteigen wird, glüht das Gedünſte des Meeres wie von einem Vulkan von unten her beſtrahlt.

Ein derber Schlag gegen den Kopf entreißt mich meiner Träu⸗ merei. Beim Reiten in der Nacht muß man achtgeben, zumal wenn es wieder durch Schluchten geht, in denen die Aſte tief hängen. Ein ſolcher Aſt hat mich getroffen. Und dabei iſt es pechſchwarz ringsum. Wie das Tier da den Weg finden kann, iſt mir ein Rätſel, ich ſehe nicht die Hand vor dem Geſicht. Zu⸗ weilen fährt mir etwas kratzend über die Wange. Es ſind dies Platanenfrüchte, ſtachlige Kugeln, die wie Chriſtbaumſchmuck herabhängen. Dann wieder haſcht unten etwas nach meinen Beinen. Es ſind Wacholderzweige, die nach mir ſchlagen, deren ſpitze Nadeln bis in die Haut dringen.

Am Grunde der Schlucht ſchauert das Reittier wie vor einem Geſpenſt: hoch oben in einer Lichtung weht flutend ein über⸗ irdiſcher Schein, ein Waſſerfall, der im Mondlicht ſchimmert, bei ſeinem Zerſtäuben in flimmernde Schleier ſich löſend. Ein Bild,

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wie von Böcklin gemalt, aber mit Farben, die mit Mondlicht gemiſcht ſind.

Auch außerhalb der Schlucht iſt es finſter, doch bald ſilbern die Kronen der Buchen. Noch eine Kehre und der Mond hängt voll unter uns, ſchwach gerötet, aber ſchon ſtark in feiner Strah— lung, die wie aus einem Reflektor auf uns fällt. Die Wälder unter uns glänzen wie gegoſſenes Metall, das kriſtalliniſch ge⸗ rauht iſt, mit meſſerſcharfen Schatten der Schneiſen und Run⸗ ſen. Und überall Buchen, deren Stämme wie aus Erz getrieben erſcheinen.

Keiner ſpricht ein Wort, ſo ſehr ſind wir alle in den Zauber verſponnen, bis wir auf den Sattel gelangen. Da leuchtet zu unſerer Rechten ein anderes Meer auf, der Pagaſäiſche Golf, wie grünſilbernes Glas, gequert von dem breiten Schatten des Pelionmaſſivs. Wir halten an und ſaugen das berüdende Bild in uns auf. Dort unten funkt das Feuer von Kap Angiſtri und Kap Trikeri. Und nahe, doch tief unter uns, ein damp⸗ fender Kohlenmeiler, der wie das rote Auge eines lauernden Drachen brandig gloſt. Der Mond, nunmehr rein und ſilbrig geworden, ſegelt immer höher hinauf, begleitet von flaumigen Wölkchen.

Der Maultiertreiber macht uns auf einen Steinhaufen auf⸗ merkſam, der ſich klotzig wie ein Hünengrab türmt. Iſt hier ein Held der Vorzeit begraben? Nein, es iſt ein anathema, erzählt er uns, ein Ort der Verfluchung. Jeder, der wie wir froh iſt, endlich die Höhe erklommen zu haben, wirft einen Stein hinter ſich, den Kalderimni verfluchend. Wir hätten allen Grund, es ebenſo zu tun, aber das zauberiſche Licht hat uns alle entgiftet. Kaum ſpüren wir noch die Ermüdung, der Körper wird ſchwerelos und leicht. So mögen ſich ſelige Gei- ſter im Elpſium bewegen, ſelbſtvergeſſen und traumhaft, ver⸗ ſponnen in unbeſchreibliches Glück.

Wie eine Geiſterkarawane ziehen wir lautlos weiter. Da ſchnaubt auf einmal mein Tier, der Treiber ſpringt herbei und ſchlägt mit ſeinem Stock auf den Boden. Was iſt? An dem Stecken hebt er eine erſchlagene Schlange auf, eine Sand⸗ viper. Er reißt ihr das Maul auf und prüft, ob ſie ihr Gift ver⸗

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ſpritzt hat. Nein, das Maultier wurde nicht gebiſſen. Trotzdem pflückt er eine Handvoll Wacholderbeeren und gibt ſie ſeiner zorka zu freſſen. „Das iſt ein Heilmittel gegen alles“, ſagt er und zerbeißt dabei ſelber einige grüne Körner.

Es iſt gegen Mitternacht. Das Mondlicht ſtrahlt ſo ſtark, daß es hypnotiſierend erſchlafft. Was vordem lieblicher Seelen⸗ ſchein war, wird nun ſtrenge und hart. Oder es ſcheint mir nur ſo, da allmählich die Buchen und Wacholderbäume ver⸗ ſchwinden und kahler Fels hervortritt. Nichts mildert mehr das betörende Licht. f

Da endlich ein Gehege, das Dorf Miliäs kann nicht mehr weit ſein. Aber noch iſt es eine Stunde bis in den Ort. Der Ab⸗ ſtieg wird ſo ſteil, daß ich von meinem Reittier ſteige. Wir humpeln automatiſch weiter. In Miliäs, um zwei Uhr nachts, trommeln wir den Wirt aus dem Bett. Zu eſſen gibt es nicht viel, nur Früchte, Käſe und Brot. Wir langen gierig zu und trinken den blutroten Pelionwein, bis uns die Augenlider im⸗ mer ſchwerer werden und wir auf ein raſch zuſammengetragenes Lager fallen.

Als ich erwache, iſts ſtrahlender Tag. Ich bin allein, die Ge⸗ fährten ſind mit dem Frühzug nach Wolos gefahren. Langſam ſchlendere ich durch das von ſtürzenden Bächen durchrauſchte Dorf. Das ſtechende Sonnenlicht ſchmerzt die Augen, ich muß in das Düſter der Dorfkirche flüchten, wo zahlloſe Heilige in ſtarren Ornaten mich rätſelhaft anblicken. Der Glanz ihrer verklärten Züge iſt wie der Widerſchein eines anderen un⸗ nennbaren Lichts.

Und da verſtehe ich auch die todſelige Heiterkeit der farbigen Stelen von Wolos, das myſtiſche Grün des Hintergrunds, das das gleiche iſt wie auf dieſen byzantinifchen Fresken: es iſt das Grün der Pelionbäume, wenn das Mondlicht durch ihre Kronen ſickert, die Farbe, die alles Irdiſche vergeſſen läßt, die

Farbe des Elyſtums. Aus dem Buche „Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern’

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Charles Alerander Eaftman An den Grenzen des Geifterlandes

Die Haltung des Indianers gegenüber dem Tode, dem Prüf⸗ ſtein und Hintergrund des Lebens, ſtimmt ganz mit ſeinem Charakter und ſeiner Weltanſchauung überein. Der Tod hat für ihn keine Schrecken; er ſieht ihm gerade und ganz ruhig ins Auge, nur auf ein Ende in Ehren bedacht, das gleichſam ein letztes Geſchenk an ſeine Familie und ſeine Nachkommen ſein ſoll. Im Kampf ſucht er daher förmlich den Tod, würde es jedoch als entehrend anſehen, in einem privaten Streit getötet zu werden. Liegt jemand zu Haus im Sterben, ſo trägt man, wenn das Ende naht, ſein Bett ins Freie, damit ſein Geiſt un⸗ ter offenem Himmel entweichen kann.

Hiernach beunruhigt ihn am meiſten der Gedanke an den Ab⸗ ſchied von den Seinen, beſonders wenn er kleine Kinder hat, die er in Not zurücklaſſen muß. Bei ſeinem ſtarken Familien⸗ gefühl empfindet der Indianer tiefen Kummer um Verſtorbene, trotzdem er unbeirrbar an eine geiſtige Verbundenheit glaubt. Die äußeren Zeichen der Trauer um Tote ſind viel natürlicher und viel überzeugender als das korrekte und wohlgeordnete Schwarz der weißen Völker. Unſere Männer und Frauen lö⸗ ſen ihr Haar auf und ſchneiden es kürzer, je nach dem Grad der Verwandtſchaft mit dem Verſtorbenen oder ihrer Neigung zu ihm. Dieſem Gedanken der Aufopferung jeder perſönlichen Schönheit und jeden Schmuckes entſprechend, entfernen ſie auch von ihrer Kleidung die Verzierungen und Beſätze, ver⸗ kürzen ſie oder trennen ihr Gewand oder ihre Hülle in zwei Teile. Die Männer ſchwärzen ſich das Geſicht; Witwen oder Eltern, die ihr Kind verloren, reißen ſich bisweilen Arme und Beine auf, bis ſie ganz mit Blut bedeckt ſind. Völlig dem Schmerz hingegeben, haben ſie gar keinen Blick mehr für ihre irdiſchen Güter und ſchenken oft alles, was ſie beſitzen, dem erſten beſten, ſelbſt ihre Betten und ihr Zelt. Die Totenklage dauert Tag und Nacht, bis zum Verſagen der Stimme; eine unheimliche, herzbrechende Muſik, die man mit dem keening der keltiſchen Totenklage verglichen hat.

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Die Beiſetzung fand bei den Indianern der Ebene in alter Zeit auf einem Pfahlgerüſt oder einer Plattform in den Aſten eines Baumes ſtatt, weil dies die einzige Möglichkeit war, den Leichnam vor wilden Tieren zu bewahren, da man keine Ge⸗ tite zum Ausheben eines ordentlichen Grabes beſaß. Vor der Aufbahrung wurde der Tote in ſeine beſten Kleider gehüllt und mit einigen Beſitzſtücken und Schmuckgegenſtänden in mehrere Gewänder eingewickelt, über die als dichter Abſchluß noch eine rohlederne Decke gebunden wurde. Der Leib einer jungen Frau oder eines Kriegers wurde zuweilen zum Zei⸗ chen beſonderer Hochachtung ſchön ausgeſtattet in einem ganz neuen Zelt aufgebahrt. Neben ihm ſtellte man die üblichen Haushaltsgeräte ſowie eine Schale mit Speiſen auf. Nicht, daß man geglaubt hätte, der Geiſt könne ſie benutzen oder die Speiſen verzehren, es war nur ein letztes Ehrengeſchenk. Dann brach der ganze Stamm ſein Lager ab und entfernte ſich ein Stück Weges, um den Toten an einem Ehrenplatz in der Einſamkeit allein zu laſſen.

Eine geregelte Beiſetzungsfeier gab es nicht, obwohl man den Toten, wenn es ein Mann von Rang war, mehr oder weniger feierlich durch auserwählte Jünglinge oder bekannte Krieger zu ſeinem Ruheplatz tragen ließ. Es war Brauch, einen recht hohen Hügel mit weitem Ausblick als letzte Ruheſtätte für den Toten auszuſuchen. War der Mann im Kampf gefallen, ſo pflegte man ihn nach altem Herkommen in ſitzender Stellung gegen einen Baum oder Felſen zu lehnen, ſtets mit dem Geſicht zum Feinde, um ſeine unbeugſame Tapferkeit auch noch im Tode anzudeuten.

Ich erinnere mich an einen rührenden Brauch, der geübt wurde, um die Erinnerung an den Verſtorbenen in ſeinem ver⸗ waiſten Haus lebendig zu erhalten. Eine Haarlocke des ge⸗ liebten Toten wurde in ſchönes Kleidertuch gewickelt, in einen Stoff, wie er ihn wohl im Leben gern getragen hätte. Dieſes ſogenannte Geiſterbündel hängte man an einem Dreifuß auf, der den Ehrenplatz im Wigwam bekam. Bei jeder Mahlzeit wurde eine Schüſſel mit Eſſen daruntergeſtellt, und jemand von gleichem Geſchlecht und Alter wie der Verſtorbene mußte

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dann zur Teilnahme am Mahl eingeladen werden. Bei der erſten Wiederkehr des Todestages gaben die Verwandten ein öffentliches Feſt, die Kleidungsſtücke und andere Dinge wurden dabei verſchenkt, während man die Haarlocke feierlich in die Erde ſenkte.

Zweifelte auch der Indianer durchaus nicht an der Unſterblich⸗ keit des Geiſtes oder der Seele, ſo machte er ſich doch keine Gedanken darüber, wie es der Seele in einem künftigen Da⸗ ſein ergehen mochte. Die Vorſtellung von den ewigen Jagd⸗ gründen ſtammt aus neuerer Zeit und iſt wahrſcheinlich anders⸗ wo entlehnt oder von den Weißen erfunden. Der primitive In⸗ dianer begnügte ſich mit dem Glauben, daß die Seele, die das Große Geheimnis in den Menſchen gehaucht hatte, zu Ihm, der ſie gab, zurückkehrte und daß ſie nach ihrer Befreiung aus dem Körper überall ſei und die ganze Natur durchdringe; ja häufig, um die Lieben zu tröſten, nahe am Grabe oder um das Geiſterbündel ſchwebe und fähig ſei, Gebete zu hören. Der ent⸗ körperlichten Seele bewies man ſo hohe Ehrfurcht, daß man bei uns nicht einmal den Namen eines Verſtorbenen laut er⸗ wähnte.

Es iſt bekannt, daß der amerikaniſche Indianer gewiſſe ok⸗ kulte Kräfte entwickeln konnte, und obgleich in ſpäterer Zeit viele Schwindler auftraten (und man, bei der Eitelkeit und Schwäche der Menſchennatur, auch ſehr wohl vermuten darf, daß es in der alten Zeit ſchon ſolche Schwindler gab), haben wir verläßlich bezeugte Fälle von bemerkenswerten Weisſagun⸗ gen und anderen geheimnisvollen Fähigkeiten.

Ein Prophet bei den Sioux hatte das Erſcheinen des weißen Mannes volle fünfzig Jahre vor dem Ereignis ſelbſt voraus⸗ geſagt und ſogar ſeine Kleidung und ſeine Waffen genau be⸗ ſchrieben. Vor der Erfindung des Dampfſchiffs hatte ein an⸗ derer Prophet unſeres Volkes das ,Feuerboot’, das auf unſe⸗ rem mächtigen Strom, dem Miſſiſſippi, ſchwimmen werde, vor⸗ ausgeſagt. Das Datum ſeiner Prophezeiung wird durch den heute längſt ungebräuchlichen Ausdruck, den er wählte, be⸗ ſtätigt. Kein Zweifel: viele Prophezeiungen ſind den Wün⸗ ſchen neuerer Zeit entſprechend gefärbt worden, und fraglos

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find in der Übergangszeit falfhe Propheten, Fakire und Zau⸗ berer bei den Stämmen zu einer förmlichen Plage geworden. Dennoch lebten ſelbſt in dieſer Zeit einige Männer vom alten Schlage, denen man bis ins kleinſte unbedingt glaubte.

Unter dieſen ragte hervor Ta-chänk-pee Hö-tank-a (Seine Kriegskeule ſpricht laut), der die Einzelheiten eines großen Feldzuges gegen die Odjibwes ein Jahr vorher verkündete. Es ſollten ſieben Treffen ſtattfinden, alle ſiegreich, bis auf das letzte, bei dem die Sioux, in einer ungünſtigen Stellung, ver⸗ nichtend geſchlagen werden würden. Alles ereignete ſich genau wie vorhergeſagt. Unſer Stamm überraſchte und tötete zahl⸗ reiche Odjibwes in ihren Dörfern, wurde aber verfolgt und ſchlau in einen Hinterhalt gelockt, aus dem nur wenige lebend wieder entkamen. Dieſe erſtaunliche Prophezeiung war nicht die einzige von Ta-chänk-pee Ho-tank-a,

Ein anderer berühmter Medizinmann, der ein Alter von über hundert Jahren erreichte, wurde am Rum River während eines verzweifelten Kampfes gegen die Odjibwes geboren, in einem Augenblick, da den beteiligten Sioux die reſtloſe Ver⸗ nichtung drohte. Da hatte die Großmutter des Kindes mit den Worten: „Weil wir doch alle ſterben müſſen, ſoll er als Krie⸗ ger im Felde zugrunde gehen!” ſeine Wiege auf den Kampf⸗ platz geſtellt, in die Nähe ſeines kämpfenden Oheims und ſei⸗ ner Großväter, denn einen Vater hatte das Kind nicht mehr. Als aber ein alter Mann das Neugeborene erblickte, befahl er den Frauen, es in Obhut zu nehmen. „Wir wiſſen nicht,” rief er, „wie wertvoll die Kraft ſelbſt eines einzigen Kriegers unſe⸗ rem Volk eines Tages noch werden mag!“

Dieſer Knabe ſollte, nach verſchiedenen abergläubiſchen Deu⸗ tungen der Umſtände bei ſeiner Geburt, noch ein großer Mann werden. Im Alter von fünfundſiebzig Jahren jedenfalls rettete er einen Trupp Kämpfer vor völliger Vernichtung durch ihre uralten Feinde, indem er ganz plötzlich vor dem Anmarſch einer großen Schar feindlicher Krieger warnte, von dem er geträumt hatte. Man ſandte ſofort Späher aus und fällte Bäume für eine Verſchanzung, und noch in letzter Stunde gelang es, die Angriffe des gemeldeten Gegners abzuſchlagen. Fünf Jahre

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{pater bewahrte dieſer Mann wiederum feinen Stamm vor einem furchtbaren Gemetzel. Bei ihm kam keine Verwechſlung von Zahlen oder Zeichen vor wie bei Medizinmännern ge⸗ ringeren Grades; vielmehr waren ſeine Deutungen der Vor⸗ zeichen in jedem einzelnen Fall einwandfrei und richtig.

Der Vater von Little Crow, der Kleinen Krähe, jenem Häupt⸗ ling, der beim Minneſota⸗Maſſaker im Jahre 1862 den Stamm führte, war ebenfalls ein Prophet von Rang. Eine ſeiner be⸗ deutſamen Vorausſagen machte er wenige Jahre vor ſeinem Tode, als er erklärte, er werde trotz ſeines hohen Alters noch einmal auf den Kriegspfad ziehen. Beim letzten Kriegsfeſt vor⸗ her verkündete er, daß drei Gegner getötet werden würden, zö⸗ gerte aber, offenbar ſehr bedrückt, mit ſeiner zweiten Voraus⸗ ſage: daß er auch zwei von den eigenen Kriegern verlieren werde. In der Tat wurden, wie er geſagt hatte, drei Odjibwes getötet, aber auch die beiden Söhne des alten Kampfpropheten wurden Opfer der Schlacht.

Eine ganze Reihe vertrauenswürdiger Männer, auch Chriſten, können die Wahrheit dieſer und ähnlicher Vorkommniſſe ver⸗ bürgen. Ich kann zwar nicht behaupten, daß ich ſie zu er⸗ klären vermöchte, weiß aber, daß unſer Volk beachtliche Fähig⸗ keiten der Konzentration und des ruhigen Denkens beſaß, und bilde mir manchmal ein, daß die enge Verbundenheit mit der Natur, wie ich ſie ſchilderte, den Geiſt für ungewöhnliche Ein⸗ drücke empfänglich hält und die Verbindung mit unſichtbaren Kräften ermöglicht. So beſaßen manche von uns die eigen⸗ artige Fähigkeit, die Lage eines Grabes gefühlsmäßig zu be⸗ ſtimmen; ſie behaupteten, vom Geiſt des Verſtorbenen eine Mitteilung bekommen zu haben. Zu dieſen Menſchen gehörte auch meine Großmutter. Immer, wenn wir in fremdem Ge⸗ biet unſer Lager aufſchlugen, ſuchten mein Bruder und ich ſoweit ich zurückdenken kann nach menſchlichen Gebeinen und fanden ſie auch, genau dort, wo nach den Ausſagen der alten Frau früher eine Begräbnisſtätte geweſen ſein ſollte oder ein einſamer Krieger geſtorben war. Selbſtverſtändlich waren die äußeren Merkmale der Grabſtätten längſt ausgelöſcht.

Ein Schotte würde gewiß ſagen, ſie habe das Zweite Geſicht

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befeffen, denn fie hatte auch andere auffallende Vorahnungen und empfing Warnungen, an die ich mich ſelbſt noch erinnern kann. So hörte ich einmal, wie ſie von einem ſeltſamen Ge⸗ fühl in ihrer Bruſt ſprach und erklärte, dieſes Gefühl melde ihr etwas Wichtiges von ihren fernen Kindern. Auch andere indianiſche Frauen wollen eine ſolche mahnende Stimme emp⸗ funden haben, doch iſt mir keine bekannt, die dieſe Ahnungen ſo klar zum Ausdruck bringen konnte. Als wir einmal am Ma⸗ nitobaſee lagerten, erhielten wir die Nachricht, mein Oheim und ſeine Familie ſeien einige Wochen zuvor in einem zwei⸗ hundert Meilen entfernten Fort ermordet worden. Als unſere ganze Sippe nun wehklagte und den Verluſt betrauerte, gebot meine Großmutter Schweigen. Ihr Sohn ſei auf dem Wege zu uns, und ſehr bald würden alle ihn ſehen. Wir hatten ge⸗ wiß keinen Grund, die Wahrheit der ſchlimmen Nachricht zu bezweifeln, aber mein Oheim erſchien wahrhaftig zwei Tage nach ſeinem gemeldeten Tode in unſerem Lager.

Ein ander Mal ich war damals vierzehn Jahre alt hatte mein jüngſter Oheim, kurz nachdem wir Fort Ellis am Aſſini⸗ boinefluß verlaſſen hatten, einen ſchönen Platz für unſer Nacht⸗ lager ausgeſucht. Die Sonne war bereits untergegangen. Meine Großmutter wurde, ſcheinbar ohne jeden Grund, ſehr aufgeregt und weigerte ſich, ihr Zelt dort aufzuſchlagen. So zo⸗ gen wir denn, nicht gerade gern, weiter flußabwärts und la⸗ gerten in der Dunkelheit an einer abgelegenen Stelle. Tags darauf erfuhren wir, daß eine Familie, die uns folgte und auf dem anfangs von meinem Oheim vorgeſehenen Platz gelagert hatte, in der Nacht von einem Trupp ſtreifender Feinde über⸗ fallen und niedergemacht worden ſei. Dieſer Vorfall hinterließ bei unſerem Stamm tiefe Wirkung.

Viele Indianer glaubten, daß man mehr als einmal auf die Welt kommen könne, und manche behaupteten ſogar, über eine frühere Verkörperung genau Beſcheid zu wiſſen. Auch gab es einige, die Verbindungen mit einer ‚Zwillingsſeele' ſpürten, die in einem anderen Stamm oder Volk zur Welt gekommen war. Bei den Sioux lebte in der Mitte des vorigen Jahr⸗ hunderts ein bekannter Kampfprophet, an den ſich die älteren

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Stammesgenoſſen noch erinnern können. Er behauptete in mittleren Jahren, er habe einen geiſtigen Bruder bei den Odjibwes, die ſeit jeher mit uns Sioux verfeindet waren. Er wußte ſogar den Kampftrupp zu bezeichnen, zu dem ſein Bru⸗ der gehörte, und ſagte, dieſer ſei ebenſo wie er Kriegsprophet bei ſeinem Stamm.

Auf einer Jagd an der Grenze zwiſchen den beiden Stämmen rief der Führer der Sioux eines Abends ſeine Krieger zuſam⸗ men und eröffnete ihnen feierlich, ſie würden bald einem gleich⸗ ſtarken Trupp jagender Odjibwes begegnen, den fein ‚Bruder im Geiſte' anführe. Er bat die jungen Krieger, diesmal auf Kampf mit dem feindlichen Stamm zu verzichten, da er jetzt mit ſeinem Bruder, den er noch nie von Angeſicht geſehen hatte, zum erſten Mal zuſammenträfe. „Ihr werdet ihn ſofort er⸗ kennen, ſagte der Prophet, „denn er wird nicht nur an Gee ſicht und Geſtalt mir gleichen, ſondern auch das gleiche Totem tragen und ſogar meine Kriegslieder ſingen!“

Späher wurden ausgeſchickt, die bald mit der Botſchaft von nahenden Feinden zurückkehrten. Darauf begaben ſich die füh⸗ renden Männer mit ihrer Friedenspfeife zum Lager der Odjib⸗ wes und ſchoſſen, ſobald ſie in die Nähe kamen, drei Salven ab, zum Zeichen ihrer friedlichen Abſichten. Nachdem in glei⸗ cher Weiſe geantwortet worden war, betraten ſie das Lager, der Prophet mit der Friedenspfeife voran.

Und ſiehe da: von drüben kam ihnen der Prophet der Fremden entgegen. Die Sioux waren über die große Ahnlichkeit der bei⸗ den Männer, die ſich da liebevoll umarmten, nicht wenig ver⸗ wundert.

Die Stämme beſchloſſen ſofort, für mehrere Tage ein gemein⸗ ſames Lager zu beziehen, und eines Abends veranſtalteten die Sioux ein ,Feft der Krieger’, zu dem zahlreiche Odjibwes eingeladen wurden. Der Prophet bat ſeinen Zwillingsbruder, eins ſeiner heiligen Lieder zu ſingen, und wirklich: es war das Lied, das er ſelbſt immer auf den Lippen hatte! Damit war den Kriegern ein unwiderlegbarer Beweis der Gabe ihres Sehers erbracht.

Dies alſo iſt der Glaube, in dem ich aufgewachſen bin, dies

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find die geheimen Ideale, die im amerikaniſchen Indianer einen Charakter geformt haben, der ihn von den anderen Völ⸗ kern der Erde unterſcheidet. Seine Schlichtheit, ſeine Ehrfurcht, ſeine Tapferkeit und Geradheit müſſen für ſich ſelbſt zum Amerikaner von heute ſprechen, der das Erbe unſerer Heimat, unſerer Namen und unſerer Überlieferungen angetreten hat. Da uns nichts übrig blieb als die Erinnerung, ſo laſſet wenig⸗ ſtens die Erinnerung gerecht ſein!

Aus dem Infel-Band ‚Die Seele des Indianers'

* Aus Stifters böhmiſcher Heimat

Adalbert Stifter, deſſen Werk der Inſel⸗Verlag in einer neuen ſiebenbändigen Ausgabe herausgibt, iſt in dem böhmiſchen Marktflecken Oberplan geboren. Eine Schil⸗ derung ſeiner Heimat gibt er zu Beginn ſeiner Erzäh⸗ lung ‚Der beſchriebene Tännling'.

Wenn man die Karte des Herzogtumes Krumau anſieht, wel- ches im ſüdlichen Böhmen liegt, ſo findet man in den dunkeln Stellen, welche die großen Wälder zwiſchen Böhmen und Bapern bedeuten, allerlei ſeltſame und wunderliche Namen eingeſchrie⸗ ben; zum Beiſpiele: zum Hochficht', ‚zum ſchwarzen Stocke', zur tiefen Lake', ‚zur kalten Moldau’ und dergleichen. Dieſe Namen bezeichnen aber nicht Ortſchaften oder gar Herbergen, die ſolche Schilder führen, ſondern ganz einfache Waldesſtellen, die hervorgehoben ſind, um gewiſſe Linien und Richtungen an⸗ zugeben, nach denen man in den weiten Forſten ohne Weg oder anderes Merkmal gehen könnte. Die Namen ſind von denjeni⸗ gen Leuten erfunden worden, welche am meiſten ohne Weg und Bezeichnung im Walde zu gehen pflegen, nämlich von Jägern und Schleichhändlern. Wie aber ſinnliche Menſchen, das heißt ſolche, deren Kräfte vorzugsweiſe auf die Anſchauung gerichtet ſein müſſen, ſchnell die bezeichnenden Eigenſchaften der Dinge finden, ſind auch dieſe Namen meiſtens von ſehr augenfälligen Gegenſtänden der Stellen genommen.

So heißt es auch in einem großen Flecke, der auf der Seite des

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böhmiſchen Landes liegt, ‚zum befchriebenen Tännling'. Einen Tännling nennt man aber in der Gegend eine junge Tanne, die jedoch nicht größer ſein darf, als daß ſie noch ein Mann zu umfaſſen imſtande iſt. Wenn nun ein Wanderer wirklich zu der Stelle geht, auf welcher es zum beſchriebenen Tännling' heißt, ſo ſieht er dort allerdings eine Tanne ſtehen, aber dieſelbe iſt kein Tännling mehr, ſondern ein rieſenhaft großer und ſehr al⸗ ter Baum, der gewaltige Aſte, eine rauhe, aufgeworfene Rinde und mächtige, in die Erde eingreifende Wurzeln hat. An ſeinem Fuße liegen mehrere regelmäßige Steine, die wohl zufällig dort liegen mögen, die aber wie zum Sitzen hingelegt ſcheinen. Den Namen beſchrieben' mag die Tanne von den vielen Herzen, Kreuzen, Namen und andern Zeichen erhalten haben, die in ihrem Stamme eingegraben ſind. Natürlich iſt ſie einmal ein Tännling geweſen, die Steine, an denen ſie ſtand, mochten zum Sitzen eingeladen und es mochte einmal einer ſeinen Namen oder ſonſt etwas in die feine Rinde eingeſchnitten haben. Die verharſchenden Zeichen haben einen andern angereizt, etwas dazuzuſchneiden, und ſo iſt es fortgegangen, und ſo iſt der Name und die Sitte geblieben. Der beſchriebene Tännling ſteht mit⸗ ten in dem ſtillen Walde, und die andern Tannen ſtehen tau⸗ ſendfach und unzählig um ihn herum. Oſt mögen ſie noch grö⸗ ßer und mächtiger ſein als er. Der Wald, dem ſie angehören, iſt ein Teil jener dunkelnden, großen und ſtarken Waldungen, die über den ganzen emporgehobenen Landſtrich gebreitet find, der ſich zwiſchen Böhmen und Bapern dahinzieht.

In dieſen Waldungen iſt auch da, wo ſie ſich gegen das öſter⸗ reichiſche Land hinziehen, ein helles, lichtes Tal geöffnet, von dem wir an der zweiten Stelle unſerer Geſchichte nach dem be⸗ ſchriebenen Tännling reden müſſen, weil ſich in ihm ein großer Teil von dem, was wir erzählen wollen, zugetragen hat. Das Tal iſt ſanft und breit, es iſt von Oſten gegen Weſten in das Walbland hineingeſchnitten und iſt faſt ganz von Bäumen ent⸗ blößt, weil man, da man die Wälder ausrottete, viel von dem Überfluffe der Bäume zu leiden hatte und von dem Grundſatze ausging, je weniger Bäume überblieben, deſto beſſer ſei es. In der Mitte des Tales iſt der Marktflecken Oberplan, der ſeine

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Wieſen und Felder um fic) hat, in nicht großer Ferne auf die Waſſer der Moldau ſieht und in größerer mehrere herumge⸗ ſtreute Dörfer hat. Das Tal iſt ſelber wieder nicht eben, ſon⸗ dern hat größere und kleinere Erhöhungen. Die bedeutendſte iſt der Kreuzberg, der ſich gleich hinter Oberplan erhebt, von dem Walde, mit dem er einſtens bedeckt war, entblößt iſt und ſeinen Namen von dem blutroten Kreuze hat, das auf ſeinem Gipfel ſteht. Von ihm aus überſieht man das ganze Tal. Wenn man neben dem roten Kreuze ſteht, ſo hat man unter ſich die grauen Dächer von Oberplan, dann deſſen Felder und Wieſen, dann die glänzende Schlange der Moldau und die obbeſagten Dörfer. Sonſt ſieht man von dem Kreuzberge aus nichts; denn ringsum ſchließen den Blick die umgebenden blaulichen, däm⸗ mernden Bänder des Böhmiſchen Waldes. Nur da, wo das Band am dünnſten iſt, ſieht man doch manchmal auch noch et⸗ was anderes. Wenn an einem Morgen Regen bevorſteht und die Luft ſo klar iſt, daß man die Dinge in keinem färbenden Dufte, ſondern in ihrer einfachen Natürlichkeit ſieht, ſo erblickt man zuweilen im Südoſt über der ſchmalſten Waldlinie die Noriſchen Alpen, ſo weit und märchenhaft draußen ſchwebend wie mattblaue, ſtarr gewordene Wolken. Gewöhnlich überzieht ſich an ſolchen Tagen gegen Mittag hin der ganze über dem Waldlande ſtehende Himmel mit einer ſtahlgrauen Wolken⸗ decke und läßt nur über den Alpen einen glänzenden Strich zum Zeichen, daß in dem niedriger gelegenen Ofterreid) noch heiterer Sonnenſchein herrſcht. Am andern Tage rieſelt dann der feine, dichte Regen nieder und verhüllt nicht nur die Alpen, ſondern auch die umgebenden blauen Bänder des Waldes.

Aber nicht bloß wegen ſeiner Ausſicht kömmt der Kreuzberg in Betracht, ſondern es ſind auch noch mehrere Dinge auf ihm, die ihn den Oberplanern bedeutſam und merkwürdig machen.

An einer Stelle ſtehen Felſen hervor, auf die man einerſeits eben von dem Raſen hinzugehen kann und die andererſeits tief und ſteil abfallen, faſt viereckige Säulen bilden und am Fuße diele kleine Steine haben. Es iſt einmal eine Bäuerin geweſen, die wegen ihrer außerordentlichen Schönheit berühmt war. Sie

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trug immer die Milch, die fie den fernen Arbeitern auf einer Wieſe zur Labung brachte, über den Kreuzberg. Weil ſie aber den Worten eines Geiſtes kein Gehör gab, wurde ſie von ihm auf ewige Zeiten verflucht oder, wie ſich die Bewohner der Ge⸗ gend ausdrücken, verwunſchen, daß an ihrer Stelle die ſelt⸗ ſamen Felſen hervorſtehen, die noch jetzt den Namen Milch⸗ bäuerin' führen. Die Säulen der Milchbäuerin ſind durch feine. aber deutlich unterſcheidbare Spalten geſchieden. Einige ſind höher, andere niederer. Sie ſind alle von oben ſo glatt und eben abgeſchnitten, daß man auf den niederen ſitzen und ſich an die höhern anlehnen kann. In der ſonnigen Tiefe unter der Milchbäuerin find die Pflanzbeete der Oberplaner, das find auf- gelockerte Erdſtellen, in denen ſie im erſten Frühlinge die Pflänz⸗ chen des Weißkohles ziehen, um ſie ſpäter auf die gehörigen Acker zu verpflanzen. Warum die Leute dieſe von ihren Wohnungen ſo entlegene Stelle wählen, iſt unbekannt, nur iſt es ſeit Jahr⸗ hunderten ſo geweſen; befindet ſich etwas Eigentümliches in der Erde, oder iſt es nur die warme Lage des Bodens, der ſich ge⸗ gen Mittag hinabzieht, oder iſt es die Abhärtung, welche die Pflänzchen auf dem ſteinigen Grunde erhalten: genug, die Leute ſagen, ſie gedeihen von keiner Stelle weg ſo gut auf den Fel⸗ dern, wie von dieſer, und Verſuche, die man unten in Gärten gemacht hat, fielen ſchlecht aus, und die Setzlinge verkamen nachher auf den Ackern.

Nahe an der Milchbäuerin ſtehen zwei Häuschen auf dem Ra⸗ ſen. Sie ſind rund, ſchneeweiß und haben zwei runde, ſpitzige Schindeldächer. Sie haben keine Fenſter und Simſe, ſondern nur eine kleine Tür. Wenn man bei dieſer Tür hineinſchaut, ſo ſieht man keinen Fußboden, ſondern unten, durch den Kreis der Ummauerung eingefangen, ein ruhiges, klares Waſſer, das den Sand und den Kies ſeines Grundes ſo deutlich herauf⸗ ſchimmern läßt wie durch feines geſchliffenes Glas. Auf jedem der zwei Waſſerſpiegel ſchwimmt ein kleiner hölzerner Kübel, der einen langen Stiel hat, welcher bei der Tür herausragt, daß

man ihn faſſen und ſich Waſſer heraufſchöpfen kann. Zwiſchen

den zwei Häuschen ſteht eine ſehr alte und ſehr große Linde. Ihr Stamm iſt ſo mächtig, daß eine kleine Wohnung darin

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Willi Harwerth: Hans im Glück

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Platz hätte, und ihre mannsdicken Afte gehen weit über die zwei ſpitzigen Schindeldächer hinaus.

Wieder nicht weit von den Häuschen, ſo daß man etwa mit zwei Steinwürfen hinreichen könnte, ſteht ein Kirchlein. Es iſt das Gnadenkirchlein der ſchmerzhaften Mutter Gottes zum guten Waſſer', weil ein Bildnis der heiligen Jungfrau mit den Schwer⸗ tern des Schmerzes im Herzen auf dem Hochaltare ſteht. Zwi⸗ ſchen Oberplan und dem Kirchlein iſt ein junger Weg mit jun⸗ gen Bäumen an den Seiten, ſo wie von dem Kirchlein zum Brunnenhäuschen ein breiter Sandweg mit alten, ſchattigen Linden iſt.

Außer den drei Dingen, der Milchbäuerin, den Brunnenhäus⸗ chen und dem Kirchlein, iſt noch ein viertes, das die Aufmerk⸗ ſamkeit auf ſich zieht. Es iſt ein alter Weg, der ein wenig unter⸗ halb des Kirchleins ein Stück durch den Raſen dahingeht und dann aufhört, ohne zu etwas zu führen. Er iſt von alten, ge⸗ hauenen Steinen gebaut, und an ſeinen Seiten ſtehen alte Linden; aber die Steine find ſchon eingeſunken und an man⸗ chen Stellen in Unordnung geraten; die Bäume jedoch, obwohl fie ſchon manchen dürren Aft zum Himmel ſtrecken, haben noch ſo viel Lebenskraft bewahrt, daß ſie alle Jahre im Herbſte eine ganze Wucht von gelben Blättern auf die verwitternden und verkommenden Steine zu ihren Füßen fallen laſſen.

Wenn man das Kreuz auf dem Gipfel ausnimmt, ſo iſt nun nichts mehr auf dem Berge, das Merkwürdigkeit anſprechen könnte. Die oben erwähnten Bäume ſind die einzigen, die der Berg hat, ſo wie der Felſen der Milchbäuerin der einzige be⸗ deutende iſt. Von Oberplan bis zu dem Kirchlein iſt der Berg mit feinem dichten Raſen bedeckt, der wie geſchoren ausſieht und an manchen Stellen den Granit und den ſteinigen Grieß des Grundes hervorſchauen läßt. Von dem Kirchlein bis zu dem Gipfel und von da nach Oſt, Nord und Weſt hinunter ſtehen dichte, rauhe, knorrige, aber einzelne Wacholderſtauden, zwi⸗ ſchen denen wieder der obengenannte Raſen iſt, aber auch man⸗ ches größere und gewaltigere Stück des verwitternden Granit⸗ ſteines hervorragt.

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beberoornus-unddfagt es den andern.

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90 556% ar von Weſen, von denen die einen jung, andre älter, e einige uralt ſein müßten.

Vielleicht ift unfre Seele in Wahrheit ein Vogelzug von vie- len Seelen, auf der getroften Fahrt in einen Weltſüden, den fie nicht kennen und zu dem hin es fie allmächtig zieht.

Das Leben iſt ein brennendes Haus, aus dem wir Narren Tand retten ſtatt eines Reſtes Ewigkeit.

Wir ſelber ſind uns ein unbekannteſtes Land; wenn wir es bereiſen, fallen wir am eheſten unter die Räuber.

Was hilft es zu faſten, wenn unſre Gedanken mehr Blut flie⸗ ßen laſſen als der Schlächter?

Schreckliche Geiſter ſteigen vor der Morgendämmrung aus je⸗ dem Spiegel. Es iſt die Zeit, da die Spiegel tödlich ſind.

Der ſelige Vogel iſt grauſam gegen den unſeligen. So ſind ſelber die Vögel rechte Chriſten.

Ich füttre einen Raben, den meine Brüder haſſen. Auch die Frommen brauchen etwas, was ſie dem andern nicht gönnen.

Die Dämonen hocken gern auf dem Kreuz.

Wem wir das meiſte Unrecht getan, dem zürnen wir am meiſten.

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Es verkleidet fic) die Schuld am liebften in den roten Mantel der Rache.

Wenn der Türke naht, glaubt die große Stadt an Gott.

Im Hauſe, das ein König beſuchte, bleibt der König immer zu Gaſt.

Die Frauen ſind treue Dienerinnen des Mondes. Möchten die Männer ſo getreue Krieger der Sonne werden.

Wer ſchreiben ſoll, ſchreibt auch in den Sand. In den Sand, darein auch alle Propheten geſchrieben haben.

Da ich im Fieber lag, glaubte ich Wundervolles zu wiſſen. Nun Geneſender erwachte ich zur klaren Armut: es iſt nur Einer, der weiß, und er iſt barmherzig, wenn er ſein Wiſſen nicht mitteilt.

Ich habe mein Buch verbrannt. Was hilft es, ein Stern hat es geleſen.

Meine Schüler ſpeiſte ich mit meinem Irrtum. Meine Wahr⸗ heit läßt mich hungrig.

Lehre das Kind, als liefe kein Wolf im Wald.

Aber ſtärk es ſo, daß es ſich wehren kann und wehren wird, wenn der Wolf kommt.

Strenge iſt die Ehre, die wir dem Knaben zu erweiſen haben.

Jeder Schulmeiſter ſagt Ein Mal ein Wort, das Ein Schüler nie vergißt.

Aber er weiß um das Wort nicht und weiß nicht um den Schüler.

Von mißverſtandenen treuen Worten ſpeiſt ſich treue Jugend. Laßt ja die Kinder viel lachen, ſonſt werden ſie böſe im Alter. Kinder, die viel lachen, kämpfen auf der Seite der Engel.

Im Trotz der Jünglinge gewahren wir den Schöpfer am Werke. Bilder kannſt du ſo wenig widerlegen wie Muſiken. Gegen eine Orgelwahrheit gibt es keinen Widerſpruch, gegen ein Bild keine Berufung.

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Wenn wir recht zuhören, vergeſſen wir den Mann an Der Orgel.

In jedem Liebesliede ſingt ein Kind.

Wir können nur den Meiſtern glauben, die lachen können. Das Lachen der Meiſter iſt ihr Sieg über die Erde.

Wenn du dich opferſt, ſo ſieh zu, daß du dich nicht dem andern opferſt, ſondern dem, was über euch beiden iſt. Wenn unſer Geiſt will, wachſen den Löwen Flügel.

Mein Bruder Alchimiſt ſagt, daß auch die Steine auf Erlöſung warten. f

Als der Geiſt Gottes über den Urwaſſern ſchwebte über⸗ dachte er da, ob er die Welt ſchaffen dürfe?

Indem wir uns freuen, geben wir unſerm Schöpfer ein leich⸗ teres Herz zurück.

Eiferſucht auf Gottes Liebe ſchuf den erſten Mord. Welches wird der Grund des letzten Mordes ſein?

Da ſie für den reichen Mann unſern Herrn malen kamen, ver⸗ barg der ſein Antlitz. Damit ſchenkte er die Gnade, ihn zu träumen.

Die meiſten verehren einen Kriſt, der niemals lachte daher die Scheiterhaufen.

Etwas im Heiland ſehnte ſich an das Kreuz.

Die Knechtsgeſtalt ziemt jeder göttlichen Wahrheit.

Auch ſolche Wahrheit trägt wohl einmal den Purpurmantel aber dann ſind es die Kriegsknechte, die ihn ihr anlegen. Die Mütter Gottes werden von Mönchen gemalt.

Was hülfe es den Sternen, ſehnten ſie ſich aus ihrer ſchwin⸗ genden Einſamkeit? Ihre Bahn iſt ihre Liebe. Im fernen Himmel gibt es auch dunkle Sonnen, die mächtig

ſind. So gibt es dunkle Seelen, die da gewaltig wirken. Aber ein mögliches Licht, für künftige Tage, birgt ſich in beiden.

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Die wandernden Erzengel lieben graues Gewand. Du hältſt den Engel nicht auf, der hinweg will.

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Rudolf Kaſſner / Wiener Theater

Ich habe das europäiſche Theater von 1892 an in allen Haupt⸗ ſtädten erlebt, war wiederholt auch Zeuge ſo im Stil und Geiſt vollkommener Aufführungen wie jener Molieres im Theätre frangais oder im Théatre des Variétés mit der ſublimen Laval- liere, die ſicherlich durch ihre ſpätere Konverſion zu den ergrei⸗ fendſten Frauengeſtalten der Jahrhunderte gehört; ich ſaß in Moskau im Parkett, da Tolſtois ‚Lebender Leichnam' in Gegen⸗ wart der Hinterbliebenen des Dichters als eine Art Totenfeier von der Truppe Stanislawſkys zum erſten Male aufgeführt wurde, darin ſelbſt das durch alle anderen Darſtellungen des Moskauer Künſtlertheaters feſtgelegte Niveau überſchritten wur⸗ de und neben welcher mir die deutſchen Aufführungen mit ihrer vielgerühmten Darſtellung des Helden nur ſchwer erträglich er⸗ ſchienen. Das größte Theatererlebnis aber waren mir jene bei⸗ den Schauſpieler, die ich für die größten meiner Zeit, dreiſt ge⸗ ſprochen, für die größten aller Zeiten halte: Friedrich Mitter⸗ wurzer und Eleonora Duſe.

Ich habe ſie in allen ihren Rollen geſehen und will jetzt von ihnen in einer Weiſe reden, welche dem gegenwärtigen Geſchlecht vielleicht übertrieben, auf alle Fälle befremdend erſcheinen muß, die ich aber trotzdem vor dem Geiſt der geſamten Kunſt, wenn ich mir einen ſolchen jetzt vorſtellen darf, zu verantworten im⸗ ſtande bin. Beide, der Deutſche und die Italienerin, konnten nur in einer Epoche zur Geltung kommen und ihre Kunſt auf den denkbar höchſten Gipfel bringen, da Perſönlichkeit und Schauſpieler ſich gegenſeitig auf die eben bedachte Art heraus⸗ forderten. Bisher war der Schauſpieler von der Perſönlichkeit und umgekehrt dieſe von jenem durch die geſellſchaftliche Ord— nung, durch eine das ganze Menſchenweſen erfaſſende Ortho⸗ dorie der Sitte getrennt, hier und jetzt aber ſchlugen beide zu⸗ ſammen, einander durchdringend, und zwar dank der einzigen

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Genialität der beiden Schaufpieler, dank aber auch dem neuen Sinn, welcher durch ſie ihrer Kunſt verliehen wurde. Dazu war es in der Tat gekommen, zu dem neuen Sinn, wobei Sinn nichts anderes iſt oder ſein kann als die vollkommene Auflö⸗ ſung jener zwei Antinomieen des Wirklichen und des Scheins. Solange oder ſoweit nämlich zwiſchen den beiden Reichen oder Sphären oder Antinomieen des Wirklichen und des Scheins noch ſo etwas wie Ordnung, Kaſte, Sitte und Orthodoxie da⸗ zwiſchenlag, konnte es nicht zu einer ſo reinen Sinnbildung kommen. Etwas mußte erſt ins Wanken kommen, etwas ſich ſeinem Ende nähern. Und in den neunziger Jahren mit ihrer uns heute fagenhaft erſcheinenden Sekurität war etwas ins Wanken gekommen und war zugleich etwas in Bildung begrif⸗ fen, doch ſo, daß Erſchütterung und Neugeſtaltung einander noch ſtörten. Störten und trübten in der ganzen übrigen Kunſt, in der Dichtung, in der Malerei, in der Skulptur. Und daneben mußte und durfte mir die Kunſt dieſer beiden einzigen Mimen als etwas viel Reineres, Schlackenloſeres erſcheinen, als etwas Vollkommenes und darum Göttliches, weil wir das ſchlechthin Vollkommene aus unſerem Menſchentum heraus nicht ſich ſel⸗ ber überlaſſen dürfen und dem Göttlichen gleichſetzen müſſen, welches Göttliche dann allein in der endgültigen Einigung, in der Ureinheit von Sein und Sinn erblickt werden muß. Mitterwurzer pflegte zu ſagen, er ſei mit ſeiner ganzen Kunſt, die ungefähr alle großen Rollen des europäiſchen Theaters, die tragiſchen ebenſogut wie die komiſchen, umfaßte, nichts ande⸗ res und nicht mehr als ſolche Gaukler, Feuer⸗ und Schwert⸗ ſchlucker, wie man ſie noch in den neunziger Jahren in den Straßen Londons abends bei Fackelbeleuchtung ihre Künſte produzieren ſehen konnte, und nichts daneben oder darüber: kein Bürger, kein Gentleman, Hofrat, Staatsrat und weiß Gott was ſonſt noch. Er wollte zum Urſinn der Schauſpielkunſt durchdringen, und dank ſeinem Genie gelang ihm mehr: zum Urſinn der dramatiſchen Kunſt durchzudringen, will ſagen: zu den Verwandlungen des Dämons.

Ich gedenke feines Franz Moor in den ‚Räubern’. In der letz⸗ ten Szene begann Mitterwurzer plötzlich zu tanzen, in roten

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Stöckelſchuhen zu tanzen, raſend ſchnell, fo daß er, auslhhy ls dränge rotes Feuer aus den Sohlen und mengterſich mich dem Feuer, das aus dem Zimmerboden des brengandendSchloffes und aus den Wänden und Mauern zu ledinsanfinh. gta Moor war nicht mehr der von der Höllenangſtugsjagte Hohe Menſch, ſondern der Teufel, der Dämon felber} eri masdes gan und gar, bis zu den Fußſohlen herab, daraus dds2Hitherlfeuar ſpitzte, Franz Moor hatte aufgehört, als Perſow zu EAſtizren und wir im Parkett oder auf der Galerie waren nichtrmahrige ſchauer, ſondern Mitglieder einer Kultgemeinſchaftzütselcht dar Verwandlung eines Dämons, deſſen Gaukelei beitechnt⸗ bai Die Verwandlung hätte nicht vor ſich gehen können vonn hir gendwie ein Beiläufiges, eine Spur davon, vorhandew geweſso oder übrig geblieben wäre. Das Beiläufige, auch das u s <P wa in der Idee von der Boheme liegt oder damit i~Afavsdnane geht, hat gefehlt, fehlt im Leben und Werk des Geoides Man könnte das Geniale damit definieren: Fehlen alles: Beildnfit gen, aller Beiläufigkeit. 18 1197 460 Damit im Zuſammenhang ſteht dann auf wunderbae Meile das Paradox, die Ironie im Leben des genialen Merſchen welches Paradox und welche Ironie innerhalb einer Welttorn Beiläufigkeiten gar nicht aufkommen können. In ſeiner Kode; ſtunde iſt es Mitterwurzer wie durch einen Gnadenalt des Schickſals gelungen, den Sinn feines ganzen Lebeng ie Nach nymität des Dämoniſchen, aufzufangen und preiszugebend Ex hatte drei Wohnungen: bei feiner Frau, bei feiner Beliahten und in einem Zimmer des Reſidenzhotels in der Nähe des Burgtheaters. Dort erkrankte er eines Tages und mußtabdes Bett hüten. Nachts ſpürt er Durſt und greift ftatt des Wuf⸗ ſerglaſes die Medizinflaſche und trinkt fie aus. Qwifhenmen an Gift Sterbenden und dem herbeigeholten Hotelarzt finde das folgende kurze Geſpräch ftatt: Wie heißen Sie? Mittel wurzer. Was find Sie? Schauspieler. Wo? Am Burgthaateęn. Worauf der Tod erfolgte. tT end Indem Mitterwurzer zum Urſinn feiner Kunſt ftrebt undrihn, nichts ahnend, trifft, ging er nicht von irgendeiner Ideeſchüs, vom Pathos des Allgemein⸗Menſchlichen, ſondern direkt: mom

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Männlichen, von der zeugenden Kraft desjelben, vom Ge⸗ ſchlecht. Woraus ſich dann ergeben mußte, daß er ſich in den anderen verwandle, und zwar reſtlos: verwandle als Eindrin⸗ gender, daß es für ſeine Kunſt keinen anderen Weg gab als dieſen: den männlichen der Verwandlung. Während die Duſe das andere in ſich, das Theater in ihr Leben, in ihre eigene ungeheure Lebendigkeit verwandelt. Mitterwurzer brachte das ganze Leben auf die Bühne; wohin er trat, war Bühne, Brett, Sprungbrett, der Teppich darauf, nur Gott war für ihn nicht auf der Bühne. Wenn er, wie das täglich vorkam, in einer der Kirchen Wiens auf den Altarſtufen kniete, ſo war das dann nicht mehr Bühne. Auch indem er feſt an ein Wiederſehen nach dem Tode glaubte, hatte er ſich der Bühne entzogen.

Die Duſe war nicht fromm, ſie ſpielte nicht, ſondern ſie lebte auf der Bühne, als ob dieſe der einzige Raum wäre, worauf ſie, in welchen Rollen immer, ihr wahres Leben leben könnte. Und wenn in ihr Frömmigkeit war, ſo konnte dieſe in gar nichts anderem zum Ausdruck kommen als im wahren Leben einer Rolle. Wo anders hätte ſie fromm ſein können? In ihrem Le⸗ ben fehlte dementſprechend ganz und gar das Parador, die Ironie. Oder war das ihr Paradox, daß fie außerhalb ihres Raumes, fern vom Volk, in der fremdeſten Fremde, weit, weit weg in einer grauslichen, rauchigen Stadt Amerikas ſtarb? Oder daß ſie die Schauſpielerei haßte? Oder daß ſie einmal zu einer gemeinſamen Freundin ungefähr ſo redete: Theater iſt Unſinn. Alles im Leben iſt coucher avec quelqu'un qui vous aime et que vous aimez.

Auch in ihrer Kunſt fehlte alles Beiläufige oder war durch ſie alles Beiläufige für alle Ewigkeit getilgt. Und ſo allein konnte es auch hier zur Verwandlung kommen, zum Mpthos, zur Auf⸗ hebung des Gegenſatzes.

Ich gedenke ihres Spiels in ,L’altro pericolo’, einem franzöſi⸗ ſchen Boulevardſtück. Darin gab es eine Szene, vor welcher das Publikum aufhörte, Publikum zu ſein, ſondern einen ein⸗ zigen Körper bildete, indem buchſtäblich jeder dem, der ihm zu⸗ nächſt ſaß, körperlich näher zu kommen ſuchte, indem er an ihn heranrückte: um des einen ringförmig rieſigen Körpers willen,

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zu welchem die eine übermäßige, riefige Empfindung die Men⸗ ſchen jetzt zu ſchmieden ſchien. Die Szene iſt an ſich ſehr banal: Die Tochter beginnt zu ahnen, daß ihr Bräutigam der Ge⸗ liebte der Mutter geweſen fei. Die erſchrockenen, forſchenden Blicke wollen ſich zur entſcheidenden Frage verdichten. Die Mutter, von der Duſe geſpielt, will die Frage zurückdrängen, erſticken und ſchreit, indem ſie ſich mit ihrem Leib auf die Toch⸗ ter ſtürzt, dieſe mit ſich ſelber und mit der Hand den Mund zu⸗ deckend: No, no, no, no.

Das war alles, und das iſt der größte Schrei, der im Leben je an mein Ohr gedrungen iſt; es war die Flamme eines Schreis, was da ausbrach. Und ſo kam Flamme zu Flamme, Feuer zu Feuer, denn auch das, was aus der Tochter aufzüngelte, Frage, Zweifel, Haß, war Flamme, war wie ein Feuer, plötzlich ſich entzündend, das einer damit löſchen will, daß er ſich darauf mit feinem Körper legt... So kam Flamme zu Flamme, Seele zu Seele, der Gegenſatz war aufgehoben. Wie in den Mythen.

Ich hatte alſo damals in Mitte der neunziger Jahre nicht nur das Glück, im ſelben Jahr und in derſelben Stadt den Mitter- wurzer und die Duſe ſpielen zu ſehen, die ſich, um das noch zu ſagen, ſo wundervoll in ihrer Art ergänzten, wie ſich in indi⸗ [hen Mythen göttliche Weſenheiten oder Prinzipien vom Ge⸗ ſchlechtlichen her ergänzen oder wie in den über ganz Indien verſtreuten Lingamfiguren das Männliche und Weibliche in⸗ einandergefügt ſind, ſondern es war mir auch die Gelegenheit geboten, die zwei größten Schauſpielerinnen: die Wolter und die Duſe, die oft am ſelben Abend jede in ihrem Theater in Wien ſpielten, und damit zugleich die zwei Stile der Schau⸗ ſpielkunſt zu vergleichen: den idealiſtiſchen und den realiſtiſchen, welche gerade damals einander ablöſten.

In Wien wurde unter den Theaterkundigen der Geſellſchaft und der Kritik das Stilproblem damit aufgeworfen, daß die Frage ein wenig zu naiv ſo geſtellt wurde, wer größer ſei: die Wolter oder die Duſe. Daß die Antwort verſchieden, und zwar von ſeiten der Alteren zugunſten der Wolter, von ſeiten der Jüngeren zugunſten der Duſe, ausfallen mußte, iſt nur zu be⸗

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greiflich. Ich möchte nach fo vielen Jahren nun meine Antwort ſo geben, daß damit auch ein Prinzipielles jeglicher Kunſt her⸗ vorgekehrt wird.

Für das Spiel der Wolter war es weſentlich, daß es erſtens einem Geſamtkörper eingefügt war, darin ſie ſelber immer nur als erſte unter Gleichen, als Chorführerin im beſten Falle, gel⸗ ten konnte, und daß zweitens in jener Welt, die ſich in ihrem Theater ſpiegeln ſollte, Ordnung und Rang gegeben waren, und zwar genau dieſelbe Ordnung, welche in der Wolter ſelber die Schauſpielerin von der geſellſchaftlichen Perſönlichkeit: Bür⸗ gerin, Gattin, Geliebte, zu trennen berufen war. Die Wolter war die größte Tragödin in der Ara des Liberalismus, welcher als Übergang vom Idealismus zum Realismus gelten kann und muß. Die Idee und Einzigkeit ihrer Darſtellung lag nun darin, daß ſie die Welt des Maßes, von welcher ſie ausging, am Gipfel oder am Ende mit einem ihr allein eigenen Reali⸗ ſtiſchen, mit dem berühmten Schrei, aufriß. Dieſer ihr Schrei war Todesſchrei, der Schrei der Duſe hingegen war nicht To⸗ des⸗, ſondern Lebensſchrei, der Schrei einer neuen Geburt, der Schrei der Geburt in eine neue ſeeliſch⸗geiſtige Welt. Ich kann die Welten der beiden Künſtlerinnen nicht beſſer charakteriſie⸗ ren als damit, und es bedeutete ſchon etwas, daß dieſe beiden Schreie an das Ohr und in die Seele eines ſehr jungen und völlig unverſierten Menſchen dringen konnten und von ihm vernommen wurden.

Verſteht man mich, wenn ich ſage, daß die Wolter weſentlich Tragödin, die Duſe einfach Schauſpielerin war? Schauſpiele⸗ rin, die das Leben an ſich riß. Die mit ihrer Kunſt das Leben auftrank, aufhob. So daß am Schluſſe gar nicht mehr zu ent⸗ ſcheiden war, wo Kunſt anfange, Leben aufhöre, Kunſt aufhöre und Leben anfange. Die Wolter mußte aus dieſem Grunde mit der Rolle, mit dem Wert des ganzen Stückes wachſen. Die Duſe hingegen war in den ſchlechteſten Stücken am beſten und verſagte nur einmal ganz: als Kleopatra in Shakeſpeares Tra⸗ gödie. Shakeſpeare gibt unter allen Bedingungen eine Welt mit unverſtellbaren, unverrückbaren Maßen. Es iſt ganz töricht, ihn maßlos zu nennen. Er iſt es ebenſowenig, wie die Natur

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oder die Welt der Geſtirne maßlos find. Maßloſigkeit liegt nur dort vor, wo Kunſt und Leben ſich aneinander verbrauchen. Und Maß kann aus dieſer Maßloſigkeit nur durch eine neue Geburt, aus einer ſolchen gewonnen werden.

Es gab damals allerhand Stile innerhalb der Schauſpielkunſt: den Verismus der meiſten italieniſchen Virtuoſen wie Novelli oder Zacconi, den puren Naturalismus, der in Berlin gepflegt wurde, aber wie jeder Naturalismus an ſeiner Armut zu⸗ grunde ging, und dann eben den Realismus der Duſe, der über fid hinausführte in einen neuen Mythos, und zwar in den der Seele ſelber. Hier erweiſt die Duſe ihre Verwandtſchaft mit den großen Ruſſen wie Gogol, Doſtojewſki und Tolſtoi. Von dieſem neuen Mythos, von Mythos überhaupt, war im Spiel der Wolter nichts, denn darin wurden und blieben die Götter⸗ und die Menſchenwelt durch das Pathos geſchieden. Und eben⸗ ſowenig wie die Duſe je hätte die Verſe des Anfangsmonologs der Iphigenie ſprechen können, ſo daß der Zuhörende zum er⸗ ſten Mal fühlt und begreift, was und warum Verſe ſeien, würde die Wolter die Sätze der Gioconda des d' Annunzio im letz⸗ ten Akt ſo haben ſagen können, daß Rhetorik zur Dichtkunſt er⸗ hoben und die Metapher, das Bild als die gegebene Sprache der ſich ewig aus ſich ſelbſt erneuernden Seele erſchien.

Es iſt viel über die Bedeutung des Wiener Theaters für Wien ſelbſt und für das alte Ofterreid) geſchrieben worden. Es kann nicht geleugnet werden, daß im allgemeinen eine gewiſſe Be⸗ ziehung zwiſchen dem Talent und der Liebe zum Theater und dem Talent oder der Unbegabung zur Politik beſteht. Mög⸗ licherweiſe gehen Theater und Politik bei den Italienern und Franzoſen beſſer zuſammen als bei den nordiſchen Völkern. Das England des ſpätviktorianiſchen Zeitalters hatte außeror⸗ dentliche Politiker und dilettantenhafte Schauſpieler, darunter den unleidlichen Virtuoſen Henri Irving, gezeitigt, deſſen Shy⸗ lock von den vielen, die ich geſehen, der ſchlechteſte war. Nach dem Weltkrieg ſcheint ſich hier das Verhältnis zugunſten der Schauspieler verſchoben zu haben. So wie das Wiener Theater in meiner Jugend nun einmal war, ſind davon der Katholizis⸗ mus, der Hof, die Geſellſchaft nicht wegzudenken und mußte es

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einer Generation wie jener nach dem Weltkrieg fremd werden. In der herrlichen Fidelio-Aufführung zum hundertſten Todes⸗ tage Beethovens unter Franz Schalk mit Lotte Lehmann in der Titelrolle ſehe ich den letzten Verſuch, an die große Tra⸗ dition des Wiener Theaters anzuknüpfen.

Aus Rudolf Kaſſners „Buch der Erinnerung’

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Emily Sronte / Her erfte Sefud

1801. Ich bin gerade von einem Beſuch bet meinem Gutsherrn zurückgekehrt dieſem einſamen Nachbarn, der mir zu ſchaffen machen wird.

Was für eine ſchöne Gegend! Ich glaube nicht, daß ich in ganz England meinen Wohnſitz an einer anderen Stelle hätte auf⸗ ſchlagen können, die ſo vollkommen abſeits vom Getriebe der Welt liegt. Ein rechtes Paradies für Menſchenfeinde; und Mr. Heathcliff und ich find das richtige Paar, um dieſe Ein⸗ ſamkeit miteinander zu teilen. Ein famoſer Burſche! Er ahnte wohl kaum, wie mein Herz ihm entgegenſchlug, als ich ſah, wie feine ſchwarzen Augen ſich bei meinem Näherreiten ſo abwei⸗ ſend unter den Brauen verbargen und wie ſeine Hände ſich in entſchiedenem Mißtrauen tiefer in ſein Wams vergruben, wäh⸗ rend ich meinen Namen nannte.

„Mr. Heathcliff?“ fragte ich.

Ein Nicken war die Antwort.

„Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter. Ich erlaube mir, nach mei⸗ ner Ankunft ſo bald wie möglich vorzuſprechen, und hoffe, daß Ihnen die Beharrlichkeit, mit der ich mich um Thruſheroß Grange beworben habe, nicht läſtig geworden iſt. Ich hörte geſtern, Sie hätten die Abſicht gehabt..

„Thruſheroß Grange gehört mir”, unterbrach er mich auffah⸗ rend. „Ich erlaube niemand, mich zu beläſtigen, wenn ich es verhindern kann. Kommen Sie herein!“

Das „Kommen Sie herein' wurde zwiſchen den Zähnen her⸗ ausgeſtoßen und hieß ſoviel wie: Geh zum Teufel. Selbſt die Gattertür, über die er ſich lehnte, machte keine freundliche Be⸗ wegung zu ſeinen Worten. Ich glaube, nur ein Umſtand bewog

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mich, die Einladung anzunehmen: mich feffelte ein Mann, der in noch ſtärkerem Maße zurückhaltend iſt als ich. |

Als er ſah, daß mein Pferd die Bruſt gegen das Gatter drängte, ſtreckte er die Hand aus, um die Kette zu löſen, und ging dann mürriſch den Dammweg voraus. Beim Betreten des Hofraumes rief er: „Joſeph, nimm Mr. Lockwood das Pferd ab und bring Wein herauf.“

Dies wird wohl das ganze Geſinde ſein', überlegte ich, als ich dieſen zuſammenfaſſenden Befehl vernahm. ‚Kein Wunder, daß Gras zwiſchen dem Pflaſter wächſt und die Hecken nur von den Rindern geſtutzt werden.’

Joſeph war ein ältlicher, nein, ein alter Mann: vielleicht ſogar ſehr alt, obwohl geſund und ſehnig.

„Gott behüte!“ ſagte er grämlich und mißvergnügt vor ſich hin, während er mir mein Pferd abnahm, und blickte mir dabei ſo verdrießlich ins Geſicht, daß ich den mitleidigen Schluß zog, er bedürfe wohl göttlicher Hilfe, um ſein Mittageſſen zu ver⸗ dauen, und ſein frommer Stoßſeufzer könne ſich nicht auf meine unerwartete Ankunft beziehen.

„Wuthering Heights’, Sturmhöhe, heißt Mr. Heathcliffs Beſitz⸗ tum. Wuthering iſt ein trefflicher mundartlicher Ausdruck, um den Aufruhr der Lüfte zu beſchreiben, dem dieſer Ort bei ſtür⸗ miſchem Wetter ausgeſetzt iſt. Sie müſſen hier oben zu allen Zeiten kräftig durchgeblaſen werden. Man kann ſich die Gewalt des Sturmes, der um die Ecke bläſt, recht vorſtellen, wenn man die paar ſchiefgewehten dürftigen Kiefern am Ende des Hau⸗ ſes betrachtet und eine Reihe dürrer Dornbüſche ſieht, die alle ihre Arme nach einer Seite ſtrecken, als wollten ſie die Sonne um ein Almoſen bitten. Zum Glück hatte der Baumeiſter ein feſtes Haus hingeſetzt: die ſchmalen Fenſter ſind tief in die Mauer eingelaſſen und die Ecken durch große, vorſtehende Steine geſichert.

Bevor ich über die Schwelle ſchritt, verhielt ich, um eine Menge grotesker Schnitzereien zu bewundern, die verſchwenderiſch an der Vorderſeite und beſonders am Hauptportal angebracht wa⸗ ren. Uber dieſem entdeckte ich mitten in einem Wirrwarr von zerbröckelnden Greifen und nackten, kleinen Putten die Jah⸗

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reszahl 1500 und den Namen Hareton Earnſhaw. Ich hätte gern ein paar Bemerkungen gemacht und den mürriſchen Eigen⸗ tümer um eine kurze Geſchichte des Hauſes gebeten, aber ſeine Haltung an der Tür ſchien meinen ſchleunigen Eintritt oder mein endgültiges Verſchwinden zu fordern, und ich hatte keine Luſt, ſeine Ungeduld zu ſteigern, bevor ich das Allerheiligſte beſichtigt hatte.

Eine Stufe führte ohne irgendwelchen Vorraum oder Durch⸗ gang in den Wohnraum der Familie, hierzulande ‚das Haus’ genannt. Es iſt gewöhnlich Küche und Empfangszimmer in einem, doch glaube ich, daß in Wuthering Heights die Küche in einen anderen Teil des Hauſes verbannt worden iſt; jeden⸗ falls vernahm ich Geplapper von Stimmen und Geklapper von Küchengeräten weiter innen im Hauſe. Auch bemerkte ich weder Anzeichen von Braten, Kochen oder Backen in der Nähe der rieſigen Feuerſtätte noch den Schimmer von kupfernen Bratpfannen und Zinndurchſchlägen an der Wand. Von einem Ende allerdings wurde der ſtarke Glanz des Lichtes und der Glut zurückgeworfen, und zwar von Reihen rieſiger Zinnſchüſ⸗ ſeln, die ſich zuſammen mit ſilbernen Krügen und Kannen auf einer gewaltigen Eichenanrichte reihenweiſe faſt bis zum Dach auftürmten. Dieſes war nie unterzimmert worden; unverhüllt zeigte ſich ſein ganzes Gerippe dem forſchenden Blick, bis auf die Stelle, wo es von einem hölzernen Gerüſt verborgen wur⸗ de, das mit Haferkuchen und Bergen von Rinds⸗, Hammel⸗ und Schweinskeulen beladen war. Uber dem Kamin hingen mehrere alte Räuberflinten und ein paar Reiterpiſtolen, und auf dem Sims ftanden - wohl als Schmuck - drei in grellen Farben bemalte Blechbüchſen. Der Fußboden war aus glattem weißem Stein; die hochlehnigen Stühle - ſchlicht in der Form - waren grün geſtrichen; ein oder zwei ſchwere ſchwarze Lehnſtühle ſtanden im Schatten. Unter der Anrichte lag eine rieſige fabl- braune Hühnerhündin, umgeben von einem Gewimmel quieken⸗ der Welpen, und in anderen Winkeln lagen noch mehr Hunde. Das Zimmer und die Einrichtung hätten zu einem ſchlichten Landwirt des Nordens gepaßt, zu einem Mann mit ſturem Geſichtsausdruck, deſſen kräftige Glieder ſich in Kniehoſen und

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Gamaſchen gut ausnehmen. Männer dieſer Art, im Lehnſtuhl ſitzend, den ſchäumenden Bierkrug vor ſich auf dem runden Tiſch, kann man im Umkreis von fünf oder ſechs Meilen über⸗ all in dieſen Bergen antreffen, wenn man ſie zur richtigen Zeit nach dem Mittagbrot aufſucht. Aber Mr. Heathcliff bildet einen merkwürdigen Gegenſatz zu ſeiner Behauſung und ſeinem Le⸗ bensſtil. Seinem Ausſehen nach iſt er ein dunkelhäutiger Zi⸗ geuner, der Kleidung und dem Gehaben nach ein vornehmer Mann, das heißt in der Art vornehm, wie viele Landjunker es ſind: vielleicht etwas ſchlampig, doch trotz der Vernachläſſi⸗ gung nicht übel ausſehend, weil er ebenmäßig und gut gewach⸗ ſen iſt und etwas mürriſch. Es iſt möglich, daß er bei man⸗ chen Menſchen im Verdacht eines ungebildeten Hochmuts ſteht; ich fühle in mir eine verwandte Saite angerührt, die mir ſagt, daß dem nicht ſo iſt. Mein Gefühl ſagt mir: ſeine Zurückhal⸗ tung entſpringt einer Abneigung gegen Gefühlsäußerungen und Freundlichkeitsbekundungen. Er wird gleicherweiſe im Ver⸗ borgenen lieben und haſſen und wird es als eine Art von Un⸗ verſchämtheit erachten, wiedergeliebt oder ⸗gehaßt zu werden. Aber halt: ich laſſe zu ſehr die Zügel ſchießen: ich ſtatte ihn zu verſchwenderiſch mit meinen eigenen Charakterzügen aus. Viel⸗ leicht hat Mr. Heathcliff ganz andere Gründe dafür, ſeine Hand zu verſtecken, wenn er einen trifft, der ſeine Bekannt⸗ ſchaft ſucht, als die, die mich bewegen. Ich will hoffen, daß ich mit meiner Veranlagung einzeln daſtehe: Meine liebe Mutter pflegte zu ſagen, ich würde niemals ein gemütliches Heim ha⸗ ben, und erſt im letzten Sommer habe ich mich als e erwieſen, eines zu gründen.

Während ich einen Monat ſchönen Wetters an der See ver⸗ lebte, geriet ich in die Geſellſchaft eines bezaubernden Ge⸗ ſchöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen, ſolange ſie mir keine Aufmerkſamkeit ſchenkte. Ich gab meiner Liebe nie mit Worten Ausdruck; doch wenn Blicke ſprechen können, hätte auch der ärgſte Dummkopf erraten, daß ich bis über beide Ohren verliebt war. Sie verſtand mich ſchließlich und erwi⸗ derte meine Augenſprache mit dem ſüßeſten Blick, den man ſich vorſtellen kann. Und was tat ich? Ich geſtehe es voller

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Scham ich zog mich, zu Eis erſtarrt, in mich felbft zurück wie eine Schnecke, zog mich bei jedem Blick abgekühlter und weiter zurück, bis die arme Unſchuld ſchließlich anfing, ihren eigenen Sinnen zu mißtrauen und niedergeſchlagen und verwirrt ihre Mutter überredete, die Zelte abzubrechen. Durch dieſe merk⸗ würdige Veranlagung bin ich in den Ruf vorſätzlicher Herzens⸗ kälte gekommen - wie unverdient, kann nur ich allein ermeſſen. Mein Wirt ging auf den Herdſitz zu ich nahm am entgegen⸗ geſetzten Ende Platz und füllte eine Pauſe des Schweigens mit dem Verſuch, die Hündin zu ſtreicheln, die ihre Kinderſtube verlaſſen hatte, wie ein Wolf von hinten an meine Beine heran⸗ geſchlichen war und ihre weißen Zähne zum Zuſchnappen bleckte. Mein Streicheln veranlaßte ein langgezogenes, tiefes Knurren. Auch Mr. Heathcliff knurrte. „Sie ſollten den Hund lieber in Ruhe laſſen!“ Er unterdrückte gröbere Gefühlsäußerungen durch ein Aufſtampfen mit dem Fuß. „Sie iſt nicht gewöhnt, geſtreichelt zu werden ſie iſt kein Spielhund.“ Dann, zu einer Seitentür tretend, rief er wieder: „Joſeph!“

Joſeph brummelte undeutlich in der Tiefe des Kellers, gab aber nicht zu verſtehen, daß er heraufkommen wollte, darum ſtieg ſein Herr zu ihm hinab und ließ mich allein mit der wil⸗ den Hündin und einem Paar grimmig zottiger Schäferhunde, die ſich mit ihr in die argwöhniſche Bewachung jeder meiner Bewegungen teilten. Da ich nicht darauf brannte, mit ihren Fängen in Berührung zu kommen, ſaß ich ſtill; aber weil ich mir einbildete, ſie würden ſtumme Beleidigungen kaum ver⸗ ſtehen, erlaubte ich mir unglücklicherweiſe, mit den Augen zu zwinkern und dem Trio Geſichter zu ſchneiden, und eine Gri⸗ maſſe brachte die Hundedame ſo auf, daß ſie plötzlich in Wut geriet und auf meine Kniee ſprang. Ich ſchleuderte ſie zurück und beeilte mich, den Tiſch zwiſchen uns zu bringen. Dieſer Vorgang brachte die ganze Meute auf die Beine. Ein halbes Dutzend vierfüßiger Furien, verſchieden in Alter und Größe, kam aus verborgenen Winkeln hervor bis in die Mitte des Raumes. Auf meine Stiefelabſätze und Rockſchöße hatten ſie es beſonders abgeſehen, und während ich die größeren An⸗ greifer, ſo gut es ging, mit dem Schüreiſen abwehrte, ſah ich

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Willi Harwerth: Hans im Glück

mich gezwungen, laut nach jemand im Haus um Hilfe zu ru⸗ fen, um den Frieden wieder herzuſtellen.

Mr. Heathcliff und fein Knecht ſtiegen die Kellertreppe mit aufreizender Ruhe herauf; ich glaube nicht, daß fie ſich um eine Sekunde ſchneller bewegten als ſonſt, obwohl am Herd⸗ platz ein wahres Unwetter von Toben und Kläffen war. Zum Glück hatte eine Bewohnerin der Küche mehr Eile: eine leb⸗ hafte Frauensperſon mit aufgeſchürztem Kleid, nackten Armen und feuererhitzten Wangen ſtürzte, eine Bratpfanne ſchwin⸗ gend, mitten unter uns und gebrauchte dieſe Waffe und ihre Zunge ſo erfolgreich, daß der Sturm ſich wie durch Zauber legte und ſie allein bewegt blieb wie die See nach einem Un⸗ wetter, als ihr Herr den Schauplatz betrat.

„»Was zum Teufel iſt hier los?” fragte er und blickte mich in einer Weiſe an, die ich nach dieſer ungaſtlichen Behandlung ſchlecht ertragen konnte.

„Was zum Teufel? Allerdings!“ brummte ich. „Die Schweine⸗ herde in der Bibel war ſicherlich von keinem ſchlimmeren Geiſt beſeſſen als Ihre Tiere hier. Geradeſogut könnten Sie einen Fremden mit einer Tigerbrut allein laſſen.“

„Sie tun keinem etwas zuleide, der nichts anfaßt”, bemerkte er, während er die Flaſche vor mich hinſtellte und den verſchobe⸗ nen Tiſch zurechtrückte. „Die Hunde ſind in ihrem Recht, wenn ſie wachſam ſind. Nehmen Sie ein Glas Wein?“

„Nein, danke.“

»Sie ſind doch nicht gebiſſen worden?“

„Wenn ich es wäre, hätte ich dem Beißer einen Denkzettel gegeben. Heathcliffs Geſicht entſpannte ſich in einem Grinſen.

„Na, na,“ ſagte er, „Sie ſind aufgeregt, Mr. Lockwood. Hier, trinken Sie ein Glas Wein. Gäſte ſind in dieſem Hauſe ſo ſelten, daß ich und meine Hunde das gebe ich zu kaum wiſſen, wie man ſie empfängt. Zum Wohl, Mr. Lockwood!“

Ich verbeugte mich und trank ihm zu; denn ich ſah ein, daß es töricht wäre, wegen des ſchlechten Betragens dieſes Hunde⸗ volks zu ſchmollen. Überdies hatte ich keine Luft, dem Manne Gelegenheit zu geben, ſich weiter über mich luſtig zu machen, zumal er in der Stimmung dazu war.

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Er - wohl von der Erwägung ausgehend, daß es unflug wäre, einen guten Pächter zu beleidigen mäßigte ein wenig ſeine Art, die Wörter einzeln abgehackt hervorzuſtoßen, und leitete zu einem Gegenſtande über, von dem er annahm, daß er mich intereffierte einem Geſpräch über die Vorteile und Nach⸗ teile meines neuen Wohnortes. Ich fand ihn ſehr bewandert in den Dingen, die wir berührten, und bevor ich nach Hauſe ging, war ich ſo weit ermutigt, daß ich mich aus freien Stük⸗ ken für morgen wieder anſagte. Er wünſchte augenſcheinlich keine Wiederholung des Beſuchs; doch werde ich trotzdem hin⸗ gehen. Es iſt erſtaunlich, wie geſellig ich mir, mit ihm ver⸗

glichen, vorkomme. | Aus dem Roman ‚Die Sturmhöhe',

Übertragen von Grete Rambad *

Friedrich Schnack / Die Pfingftrofe Ein Blumenſtück

Drei hochgeborene Blumenſchweſtern aus der begabten Familie der Hahnenfußgewächſe, der Ranunkeln, feiern im Jahreslauf hohe Feſte. Die Schönen heißen mit Namen Chriſtroſe oder Helleborus, Oſterblume oder Pulſatilla, Pfingſtroſe oder Päonie. Die eine begrüßt mit ihrem ſchneeweißen Blütenauge die Ge⸗ burt des Lichtes zur Weihnacht; ihre zartere Schweſter, die Pulſatilla, ſteigt aus dem Grabe, wenn das Leben zu Oſtern auferſteht; die dritte feiert die Ausgießung des Feuers und Weltgeiſtes zu Pfingſten. Weihnachtlich leuchtet die weiße Blu⸗ menfarbe, öſterlich die violette, pfingſtlich die rote. In mächtiger Stufung und Sendung brauſt das Licht und verwandelt im Gloriengang die Erde und ihre Geſchöpfe.

Die drei vornehmen Blumenſchweſtern ſind Höhenpflanzen. Hügel und Berge haben ſie geboren. Von Natur kalkhold, be⸗ ſiedeln ſie in der Wildnis Hänge, Kalke und Karſte, der Sonne nahe, von freien Lüften umflogen, die ihnen die Blütenſchöpfe und die gefingerten und gefiederten Blätter zauſen.

Sie kommen von oben und ſteigen in die Tiefe, der Hand des

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Gärtners fügſam, der fie in die Gärten hineinführt. Im Freien ſind ſie nicht gar häufig. Ein Hauch des Verſchwiegenen, der Einſamkeit und hohen Herkunft hängt ihnen an. Am meiſten iſt in unſerer Heimat noch die Pulſatilla, die märchenhafte Küchenſchelle, verbreitet. Ihr Blütenbecher gleicht beinahe einer Tulpenblüte. Ein ſilbriger Flaum überſamtet den koſtbaren Stoff der Küchenſchelle. Auf einigen Bergen in den Bapriſchen Alpen lebt die Chriſtroſe. Die Pfingſtroſe aber, ihre rote Schwe⸗ ſter, kommt bei uns zulande nicht wild vor: ſie wohnt auf den Bergen in Tirol, in Krain, im Karſt der Balkanländer. In der Verlaſſenheit und Ode der grauen Felſenlandſchaften er⸗ glüht ihr feierliches Blumenherz. Es iſt ein Herz aus der Fremde. Aſiatiſche Glut brennt darin. Aus dem Fernen Oſten iſt dieſe alte Blume weſtwärts gezogen.

Die Pflanzen und Blumen wandern in der Welt. Wie alles, was da iſt, haben ſie ihre Schickſale. Von der Unruhe der Naturgewalten und der Unraſt des Menſchen ihrem Urſprung entführt, gewinnen ſie neue Orte und neue Liebe. Welches weſtliche Auge mag in grauer Vergangenheit am früheſten die Pfingſtroſe in ihrer Heimat erſchaut haben? Jenes Geſicht, das ſich ſtaunend über die Glühende ſenkte - ſicherlich war es von ihr geblendet wie vom Feuer eines üppigen Edelſteines. Trunken ruhte die Blume in ihrer eigenen Glut. Behutſam öff⸗ nete die Hand, ein Geheimnis zu enthüllen, die zu einer Ku⸗ gel gewölbten Blumenblätter. Ergriffen ſpähte der Blick in ein herzrotes Inneres, wo die goldenen Staubgefäße erſchimmer⸗ ten, Kleinode im Kleinod. War es ein heidniſcher Prieſter? Dann weihte er gewiß die Blume ſeiner Lieblingsgöttin. Ein unbekannter Forſcher des Altertums, den ihre Schönheit er⸗ zittern ließ? Ein berückter Soldat auf Kriegswegen, der ſich vornahm, die Blume, ſo er nicht unter ihr verbleichen mußte, als koſtbarſte Siegesbeute ſeiner mazedoniſchen Geliebten heim⸗ zubringen?

Schon in Sagenzeiten leuchtet ihr heiliges Rot. Vom ewigen Atem der Himmliſchen iſt die Pflanze umweht. Päon, der Hausarzt der Götter Griechenlands, dem zur Feier ſie den Na⸗ men Päonie erhielt, pflückte fie auf den Bergen Kleinaſiens

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weil felbft die Götter verderben, wenn nicht die Erde ihnen Kräfte leiht: er brachte ſie, deren Heilſamkeit er dank göttlichem

Urwiſſen erkannte, in das unterweltliche Krankenzimmer Plu⸗

tos, ſeines Patienten Wunden, die ihm von Herakles zugefügt waren, damit zu ſchließen. Später haben die antiken Arzte und Naturforſcher die mächtige Pflanze in ihren Schriften ges prieſen.

Wir wundern uns nicht darüber, auch wir ſind Schauende. Götter ſind luftig entrückt, Arzte in den Staub geſunken, die Blume blieb und brennt in unſern Land⸗ und Stadtgärten als Lichtgeſicht und irdiſches Pfingſtwunder. Wir haben ihre Früh⸗ lingsgeburt mit erlebt.

Eines Morgens, nach einem Tag ſachten Regens, durchbrach ein wunderliches Weſen die Erde. Rüttelte ſich ein käferbraunes Tier aus dem Schlaf? Es war ein kleiner runzeliger Kopf, in⸗ dianiſch rotbraun, dem rundum mehrere der gleichen Art nach⸗

drängten. Ungeſtüm erhoben ſie ſich und ſchauten neugierig über

die Erdkrumen hinweg in den fröſtelnden Frühlingstag. Von Licht genährt, von der Erde geſpeiſt und der Feuchte getränkt, reckten ſich die Köpfe auf dünnen emporſprießenden Hälſen, deren Pflanzenhaut von Bluthaſelfarbe getönt und gebräunt war. Bald aber ließ ſich erkennen, daß es keine Köpfe waren, was die Erde durchſtoßen hatte, ſondern geballte Pflanzen⸗ fäuſte, von dünnen Stielen armgerade emporgehoben. Nach wenigen Tagen lockerte ſich die drohende Gebärde, die Fäuſte öffneten ſich und griffen fingernd nach dem fließenden Stoff der oberen Welt, in ſeine luftige, lichthaltige, ätheriſche Schicht. Die rötlichbraune Erdfarbe verlor fic), grüne Blatthände ſpreiz⸗ ten ſich, und zwiſchen dem ausgefranſten Laub begannen auf fingerlangen Stielen grüne Murmeln zu ſchwellen kugelige Knoſpen. |

Die gelbe Forſpthia hatte abgeblüht, der Flieder erſchimmerte

ſehnſüchtig: auch für die Pfingſtroſe war die Zeit gekommen. Ihre Kugeln, von der Blühkraft geſprengt, platzten. Das himm⸗

liſche Feuer hatte ſeinen Funken in ſie geſenkt. Zwiſchen den grünen, dicht angepreßten Hüllblättern, die den Feuerkern der Knoſpenkugel umſchloſſen, prunkte plötzlich das überraſchende,

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ungebärdige Rot. Ein Blumenherz zerriß und blutete vor Freude.

Nun konnte ſich die Blüte nicht länger faſſen vor eigener Fülle und ſtrahlendem Gefühl. Sie pulſte und wogte aus ihrem glut⸗ reichen Innern. Das feurige Werk, für das ſie ſich einſt im Dunkel der Erde gemüht und dann im Hellen vorbereitet hatte, war getan: die höchſte Lebensſtunde war angebrochen. Sie beging ſie mit Pracht und großem Ausdruck. Könnte ſie ſprechen und gäbe es Pflanzenworte: ſie ſpräche ein geſättigtes dunkelrotes Wort von langem, getragenem Klang. So weit, ſo tief ihr Strahl in das Dickicht des Gartens hineinleuchtet, ſo weithin dränge ihr Wunderwort. Vielleicht ſpräche ſie ihren eigenen lateiniſchen Namen aus: Pä⸗o⸗ nie... oder das bäue⸗ riſche Blumenwort, ihren bapriſch⸗öſterreichiſchen Namen: Große Prang... |

Und mie fie da prangte an ihrem runden, faftigen und wohl⸗ habenden Buſch, waren mit ihr noch eine ganze Schar von Roſen aufgeblüht, ſatte, dichtgefüllte, ſchwellende Pfingſtroſen. Wir hatten ſie gezählt, insgeſamt waren es zwanzig Päonien, eine Pflanzenſchar von neunzehn großen Blumen, die wie präch⸗ tige Gefährtinnen und Dienerinnen die zwanzigſte, die größte, umgaben, ihren Glanz zu mehren, ihre Schönheit durch neun⸗ zehnfaches Feuer zu fteigern...

Die Blume iſt der vornehmſte Wohnſtitz des irdiſchen Geiſtes: ihre Geſtalt iſt vollkommen. In die Päonie iſt er, gekleidet in reichen Blatt⸗ und Blütenſtoff, vor allem prächtig und feſtlich eingezogen. Doch blieb er nicht allein. Zu ihm ſenkte ſich der Pfingſtgeiſt herab, der Flammenfürſt des Athers. Durch das Geäder der Pflanze ſich ergießend, hauſt er in ihrem Herzen, ihrer heiligen Stätte. Die Pfingſtroſe iſt ſeine auserwählte Verkündigerin. Und wenn einſt in nahenden Tagen die Blüte ihre Blumenblätter zu Boden ſinken läßt, im Verglühen zer⸗ fallend, werden die roten Blätter wie feurige Zungen und Flämmchen ſeine Gegenwart und Herrlichkeit noch im Erlöſchen

bezeugen. Aus einem künftigen Gartenbuch des Dichters

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Achim von Akerman / Zwei Gedichte Lied der Liebenden

Das Kornfeld, in dem wir ein Neſt baun, Iſt mir und dir ein Haus;

Wir wollen es nicht zu feſt baun,

Denn ſchon im nächſten Frühgraun

Treibt uns der Bauer heraus.

Wir werden von nun an zu zweit ſein Und ſind in der Nacht ganz allein. Die Halme werden mein Kleid ſein, Und du wirſt für mich bereit ſein Wir ſchlafen zuſammen ein.

Der Himmel, ſo warm und ſo fernklar, Die Ähren wachſen darein;

Nun ſind wir Erde und Sternſchar Und wogende Felder was fern war, Sinkt über uns herein.

Der Wildling

Iſt er nicht vom Stamm der Pferde? Wie er ſich im Laufe wiegt,

Seinen Fuß umſtäubt die Erde

Und ſein Haar im Winde fliegt,

Und die Bräune ſeines Leibes, Seiner Flanken Muskelſpiel!

Nein, er iſt nicht Sohn des Weibes. Stute, die dem Pan gefiel,

Warf ihn in der Maienfrühe, Und nun trabt er durch die Welt; Mancher jagte ihn mit Mühe, Immer iſt er ihm entſchnellt;

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Hengſtkraft feine Luft erhöhte Einmal nur ftand er gezähmt: Eines Haines Binſenflöte Hat den ſchnellen Fuß gelähmt. Aus dem Buch ‚Die Stunde vor Tag’ *

K. H. Waggerl / Der Engel

Ich war zehn Jahre alt, als mir der Engel Johanna erſchien. Einen Sommer lang umſchwebte er mich, ein fremdartiges Weſen in meiner ärmlichen Kinderwelt, unirdiſch zart und im⸗ mer in eine Wolke von Duft gehüllt. Nie wieder im Leben iſt mir ein Geſchöpf begegnet, das ſo balſamiſch duftete. Später freilich ſtürzte auch dieſer Engel aus dem Himmel meiner Kna⸗ benträume, aber als er mir entſchwand, hatte er doch wieder allen Glanz ſeiner geheimnisvollen Erſcheinung um ſich. Ein ein⸗ ziges Mal küßte er mich auf die fieberfeuchte Wange, und dann entſchwand er mir, ſo war es. Und ich weiß noch heute vor allen anderen Sterblichen, wie ein Engel küßt und lächelt und duftet. Der Engel Johanna erſchien mir mitten in der Schlacht. Ich lag in der ſtaubdurchwölkten Schulſtube rücklings über der Bank, mein Todfeind kniete auf meiner Bruſt, und ich hatte eigentlich nicht mehr viel von dieſem Leben zu erwarten. Die Luft wurde mir knapp, ein letztes Mal drehte ich die Augen über mich, und da fal ich plötzlich den Engel, weiß gewandet und gleichſam ſchwebend hinter mir, und ſeine Augen blickten voll milder Trauer auf mich herab. Der Atem verſagte mir vollends, denn ich dachte, ich ſei vielleicht unverſehens geſtor⸗ ben und da ſtünde ſchon mein Schutzengel, der, ſoviel ich wußte. verpflichtet war, mich nach meinem Hinſcheiden ins Gene ſeits zu begleiten.

Aber auch mein Widerſacher hatte die gleiche Erſcheinung, wir entwirrten eilig den Knäuel unſerer Gliedmaßen, und erſt, als wir endlich keuchend in den Bänken hockten, wandte ſich der Engel ſchweigend von uns ab. Wir ſahen mit Staunen, wie er auf das Podium ſtieg und ſich hinter dem kanzelartigen Ge⸗

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ftell auf den Stuhl feßte, auf eben den Stuhl, von dem ein paar Tage zuvor der Schnapsteufel unferen alten Lehrer weg⸗ geholt hatte.

Der war ein ſeltſam zornmütiger Mann geweſen. Jeden Mor⸗ gen, ehe er ſein wunderliches Tagwerk begann, ordnete er auf dem Tiſch vor ſich eine Reihe von Gegenſtänden, ſeinen leder⸗ nen Tabaksbeutel, das Feuerzeug, die kurze Pfeife und etliche andere Dinge, die nach der Jahreszeit wechſelten, Fichtenzapfen im Sommer, Pflaumenkerne im Winter. Das waren Wurfge⸗ ſchoſſe, im Lauf des Tages ſchleuderte er ſie mit der Geſchick⸗ lichkeit eines Kunſtſchützen nach unſeren Köpfen, wenn er uns aufrufen oder ermahnen wollte. Oft genug reichte ſein Vorrat nicht aus, er mußte hinterherſchicken, was irgend in der Nähe greifbar war, Kreide und Schwamm, bis er zuletzt hilflos und aller Lehrmittel entblößt den Kopf in die Arme legte und ein⸗ ſchlief. Denn niemals verließ er ſeinen Thron, er war zuwenig ſicher auf den Beinen.

Der Engel aber hielt es anders, der ſchoß nicht mit Pflaumen⸗ kernen, ſondern mit ſanften Blicken. Ich heiße Johanna, ſagte er nach einer Weile bänglicher Stille, es war über uns weg⸗ geſagt wie eine Verkündigung, wie aus der Wolke geſprochen. Hernach begann der Engel uns der Reihe nach aufzurufen. Dabei blätterte er in einem kleinen Buch und ſchrieb unſere Namen hinein, mit bedeutſamem Schweigen, als hielte er ein geheimnisvolles Gericht ab und ſchiede auf das bloße An⸗ ſehen hin die Sünder von den Frommen. Ich ſah bekümmert, daß mein Name ganz hinten zu ſtehen kam, und alſo war ich wohl von Anfang an verworfen und verdammt. Nebenbei ge⸗ ſagt, in jener Zeit hatte ich ohnehin alle Hoffnung auf mein Seelenheil begraben. Ich war vorher ſehr fromm geweſen, aber je nachdrücklicher uns der eifernde Kaplan die Laſter der Welt vor Augen führte, deſto deutlicher erkannte ich, daß mir von allen ſieben Todſünden nicht eine fremd war, auch keine von den himmelſchreienden, die nur der Papſt ſelber noch zur Not und mit aller Gewalt zu tilgen vermag. So gab ich es denn ſchließlich ganz auf, um den Himmel zu ringen, und beſchloß, mir wenigſtens die Hölle redlich zu verdienen.

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Es währte auch gar nicht lang, bis ich mit dem Engel Johanna in Händel geriet. Damals hatte ich ein hübſches Spiel erfunden, das man beliebig oft wiederholen konnte. Ich ſteckte den Feder⸗ ſtiel fo unter das Pult, daß er ein heftig ſchnarrendes Geräuſch erzeugte, wenn man ihn auf gewiſſe Weiſe anſtieß. Unſer al⸗ ter Lehrer fuhr dann auf und fragte verſtört: Was iſt das? Ich erhob mich, zeigte zum Fenſter hinaus und antwortete ernſt: Das iſt ein Specht! |

Richtig, ſagte der Lehrer jedesmal erſtaunt und zugleich be- friedigt. Aber der Engel Johanna wußte offenbar in der Welt des Geflügelten beſſer Beſcheid, denn als ich aufſtand, um auch ihm meinen wunderbaren Vogel zu zeigen, ſchwebte er zürnend herab und gab mir eine ſo irdiſche Ohrfeige, daß ich ſogleich wieder zu ſitzen kam. Was aber dann geſchah, werde ich zeit⸗ lebens nicht vergeſſen. Der Engel ging mit weggeſtreckter Hand zum Waſchbecken, goß Waſſer ein und wuſch ſich, und dieſer un⸗ gewöhnliche Vorgang erſchütterte mich ſo, daß ich hemmungs⸗ los zu weinen anfing. Der Engel meinte natürlich, ich hätte irgendeinen Leibſchaden davongetragen, aber das war es nicht, eine Maulſchelle machte mir gar nichts aus. Ich verſtehe ſelber nur dunkel, was mir eigentlich ſo zu Herzen ging, am meiſten vielleicht doch die bittere Erfahrung, daß ein feiner Menſch ſich waſchen muß, wenn er meinesgleichen anrührt.

Von dieſer Zeit an ſpürte ich einen ſonderbaren Drang, mich bemerkbar zu machen. Ich meldete mich auf jede Frage, aber gewöhnlich wußte ich gar nichts zu antworten, wenn ich auf- gerufen wurde, und dann ließ ich mich in ſeliger Verwirrung einen Dummkopf ſchelten. Eine Weile ſpäter heckte ich doch wieder etwas Neues aus, um das Zauberweſen an mich zu locken. Der Engel Johanna hatte die Gewohnheit, bei einem und dem andern ſtehen zu bleiben, wenn er unſere Arbeit in den Heften überwachen wollte, und weil er ein wenig kurz⸗ ſichtig war, wie es die meiſten Engel zu fein ſcheinen, die hier auf Erden zu tun haben, beugte er ſich dabei tief über den Schreiber. So malte ich denn Großes und Kleines, Geſchnör⸗ keltes und Gekleckſtes in mein Heft. Es währte nie lang, bis der Engel heranſchwebte, und während er mein Machwerk be⸗

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trachtete, ſchmiegte ich mich ſchauernd und glüdfelig in feine Umarmung. Ungewollt verhalf mir dabei der Engel Johanna zu Einſichten, die mich vollends verwirrten. Bis dahin hatte ich geglaubt, gewiſſe Eigenheiten an der äußeren Erſcheinung der Frauen ſeien nur ihrer Kleidung zuzuſchreiben, und nun entdeckte ich, daß da leibhaftig unter Spitzen verborgen lag, was meine ſittenſtrenge Mutter mir immer als Einbildung zuchtloſer Malersleute erklärt hatte, ſooft mir etwas dergleichen an Bildern aufgefallen war. Ich weiß nicht, ob ich heute die Augen ſchlöſſe, wenn ſich wieder ein Engel über mich beugte, um nachzuſehen, ob mir das Schreiben immer noch nicht beſſer von der Hand geht. Heute trauen mir die Engel ſehr zu Un⸗ recht weniger als damals.

Ich hütete mein Geheimnis und genoß es mit beklommenem Herzen, und dabei verlor ich mich mehr und mehr in der Ver⸗ worrenheit meiner Gefühle, ich fing an, dem Engel Johanna auch in der freien Zeit nachzuſtellen. Stundenlang ſchlich ich auf den Promenaden hinter ihm her, oder ich lauerte irgendwo und grüßte vernehmlich, ohne doch jemals mehr als ein flüch⸗ tiges Erſtaunen zu ernten, wenn ich den Weg flink unterlief und eine Strecke weiter von neuem auftauchte.

An ſchönen Abenden ſpielte die Muſik für die Badegäſte auf dem Platz. Da ſaß dann auch der Engel Johanna vorn in der erſten Reihe, hübſch angetan, feiner als die feinſten Leute, mit Spitzenhandſchuhen, die nur bis zur halben Hand reichten und die Finger frei ließen. Wenn ein Stück zu Ende war, klatſchte der Engel, nicht grob und laut wie die andern, ſondern unhör⸗ bar mit einer zierlichen, gleichſam bittenden Gebärde. Der Ka⸗ pellmeiſter verneigte ſich dann eigens vor ihr, er warf ſeine ſchwarze Locke zurück und legte den Taktſtock weg, als ſei er nun erſt ganz zufrieden.

Ich mochte den Kapellmeiſter nicht leiden, denn er war unſer Zimmerherr. Seinetwegen ſtopfte die Mutter den Sommer über die ganze Familie in die Küche, damit er in unſerer Schlafſtube wohnen konnte. Aber ſie ſagte ſelber, daß er ein leichter Vogel ſei, ein Windmacher, wenn nicht etwas noch Schlimmeres. Ich haßte ihn vor allem, weil er den Mann mit

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der Baßgeige fo ſchlecht behandelte. Neben dem hatte ich näm⸗ lich meinen Platz, nicht, weil mir das, was er ſpielte, beſonders gut gefiel, ſondern weil dieſer Mann ſo erbarmungswürdig viel zu tun hatte. Das Herz tat mir weh, wenn ich ihn ſo ver⸗ zweifelt arbeiten ſah, auf und ab an ſeinem Geigenungetüm, der helle Schweiß glänzte ihm auf der Stirn. Und er war doch ſo willig, nur ſelten gönnte er ſich ein paar Augenblicke Ruhe. Aber nein, der Kapellmeiſter ließ ihn nicht zu Atem kommen, gleich ſtach er wieder mit ſeinem Taktſtock nach ihm, und der Arme mußte ſich von neuem ins Zeug legen. Und dabei ſtand er ganz hinten, kein Menſch beachtete ihn. Ach, ich wünſchte ſo ſehr, der Engel möchte einmal herkommen und ſehen, wem ei⸗ gentlich der Beifall gebührte. Denn was der Mann mit der Locke zum beſten gab, war wirklich nur Windmacherei.

Aber offenbar ziehen auch Engel die gelockten Häupter den kahlen vor, mein Freund blieb mißachtet, und wir mußten beide mit anſehen, wie der Kapellmeiſter, ſobald die Muſik zu Ende war, herbeigeſchwänzelt kam und den Engel entführte. Dem Baßgeiger ging es nicht weiter nahe, er legte ſeine Geige in den Sarg und tröſtete ſich mit einem Glas Bier. Ich aber ließ das Paar nicht aus den Augen, mochten ſeine Wege noch ſo verſchlungen und abſeitig ſein. Wilder Groll ſaß mir in der Bruſt, ein unklarer ſchmerzender Zorn. Nicht, daß ich etwa ſel⸗ ber neben dem Engel hätte hergehen mögen, mir wäre doch kein Wort aus der Kehle gekommen. Nein, aber daß der Ka⸗ pellmeiſter ſchwatzen und vertraulich tun durfte, das war wider⸗ lich und aufregend zugleich. Einmal lachte der Engel ſo ſehr, daß er ſich verſchluckte. Der Kapellmeiſter klopfte ihm auf den Rücken, und weil das nicht gleich half, umſchlang er den En⸗ gel und nahm ihn völlig in die Arme. Da litt ich es nicht mehr, ich ſchickte einen meſſerſcharfen Pfiff zwiſchen den Bäu⸗ men heraus. Damals konnte ich großartig pfeifen mit Hilfe einer Zahnlücke, die ich leider nicht mehr beſitze.

Die beiden fuhren auseinander und ſahen ſich um und gingen ſittſam weiter. Genug für dieſes Mal. Ich mußte eilig nach Hauſe laufen, damit die Prügel, die mich dort erwarteten, nicht gar zu ſehr anwuchſen.

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Aber Pfiffe aus dem Wald konnten den Kapellmeifter nicht viel anfechten. Er war ein betriebſamer Mann, nun nagelte er einen Zettel an die Haustür, auf dem zu leſen ftand, er fei Konzertmeiſter, und wer Luſt hätte, könne bei ihm das Geigen⸗ ſpiel erlernen. Eine neue Gaukelei, und doch gab es Leute, die ſich betören ließen, auch der Engel ging ihm auf den Leim. Er trug zwar keinen Geigenkaſten unterm Arm wie die andern jungen Damen, aber der Engel war ja auch ein Anfänger mehr. Vielleicht wollte er nur noch einige beſonders ſchwere Kunſtſtücke lernen, und das gelang ihm nicht, es war rein zum Verzweifeln. Auch der Kapellmeiſter verlor die Geduld, man konnte ihn durch die Wände ſchelten hören, und einmal ſah ich, wie der Engel weinend aus der Tür ſchlüpfte. Als ich die Mut⸗ ter danach fragte, fuhr ſie mich heftig an. Ich ſollte lieber Gott bitten, daß er mich dereinſt ein ehrbares Handwerk lernen ließe. Ja, ich wollte auch tauſendmal lieber ein Baßgeiger wer⸗ den und mir das Brot rechtſchaffen verdienen. Am andern Morgen ſchrieb ich es auf die große Schultafel, daß der Ka⸗ pellmeiſter ein Windmacher ſei, es war, wenn ſchon nicht recht⸗ geſchrieben, ſo doch wahrgeſprochen.

Gefaßt wartete ich auf die Ohrfeige, die ich dafür bekommen mußte, ich hatte mich ſogar vorher gewaſchen, damit der Engel diesmal keine Mühe hätte. Aber es geſchah mir nichts, der En⸗ gel errötete nur und ſah einmal forſchend nach mir hin, und dann löſchte er meine Inſchrift wieder von der Tafel. Erſt ſpä⸗ ter ſtrich mir der Engel einmal im Vorbeigehen mit der Hand übers Haar, ich fühlte es überraſcht und beglückt.

Der Sommer ſchritt voran und die Ferien begannen, ich mußte dem Vater auf dem Zimmerplatz helfen. Das war immer meine ſchönſte Zeit geweſen. Ich durfte auf den langen Hölzern reiten, die damals noch alle von Hand behauen wurden, oder ich hielt die Farbſchnur, wenn der Vater die Kanten anriß, und ich hatte auch einen Lederſchurz umgebunden wie ein richtiger Zimmergeſell. In dieſem Jahr aber war mein Meiſter nicht mit mir zufrieden. Was iſt das mit dir? fragte der Vater wohl in ſeiner gerubi- gen Art, wenn ich ihm die Suppe kalt auf den Werkplatz brachte, treibſt du dich herum?

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Nun, ich konnte ihm nicht fagen, daß ich den Topf unterwegs hinter einen Buſch geſtellt hatte und weggelaufen war, um nach dem Engel auszuſchauen.

Aber ich ſuchte tagelang vergeblich. Auch bei der Abendmuſik ſaß eine fremde Dame auf dem Stuhl in der erſten Reihe, vor ihr verbeugte ſich der Kapellmeiſter jetzt, es machte ihm nichts aus. Ich haßte ihn abgründig, oh, wären ſeine Leute nur nicht ſo geduldig geweſen, wäre der Baßgeiger nur ein einziges Mal vorn hingetreten und hätte den Leuten gezeigt, wer hier eigent⸗ lich die Muſik machte.

Eines Mittags aber, als ich mit dem Eßkorb am Arm nach Hauſe ſchlenderte, ſaß der Engel Johanna auf einer Bank am Weg. Er rief mich an, ob ich etwas für ihn beſorgen möchte, einen Brief. Den ſollte ich dem Herrn zuſtellen, der bei uns wohnte. Aber nur ihm ſelbſt, und wenn ich ihn etwa nicht träfe, dann ſollte ich den Brief gleich wieder zurückbringen.

Ob ich das tun wolle, fragte der Engel, ach ja, ich hätte dem Teufel perſönlich eine Botſchaft ins Haus getragen, falls der Engel vielleicht noch mehr ſo anrüchiger Bekanntſchaften hatte. Als ich beim Kapellmeiſter eintrat, ſtand er vor dem Spiegel und beſtäubte ſich aus einer Flaſche.

Hier ſei ein Brief für den Herrn, ſagte ich.

So? ſagte er, gib ihn her!

Da hielt er das roſenfarbene Kleinod in der Hand, drehte es um und um und roch daran wie ein Affe, und dann warf er es auf ſein Bett.

Es iſt gut, ſagte der Kapellmeiſter und nickte mir zu, als be⸗ käme er jeden Tag Briefe von Engeln, aber er gab mir doch ein Nickelſtück aus ſeiner Weſtentaſche.

Ich ſtahl mich aus dem Hauſe und lief in den Park zurück, um den Hergang zu berichten.

Nein, der Kapellmeiſter las den Brief nicht gleich, er legte ihn auf das Bett, es fet ſchon gut, ſagte er. Aber es lagen noch mehr Briefe dort, fügte ich zum Troſt hinzu, weil der Engel mit einem Mal ſo blaß und vergrämt ausſah, vielleicht lieſt er ſie dann alle mitſammen. Das war freilich bloß erfunden, es half auch nicht viel. Der Engel ſagte kein Wort mehr, er ſtand

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plötzlich auf und ging fort. Mich ſelber kam es bitter traurig an, als ich ihn ſo den Weg entlang gehen ſah, ganz langſam und ein wenig ſchwankend, einmal trat der Engel ſogar in den Graben und kam beinahe zu Fall. Gewiß war er krank, oder er hatte ſonſt einen argen Kummer zu leiden, wer konnte das wiſſen?

Ich ging bedrückt zu meiner Arbeit auf den Zimmerplatz, unter⸗ wegs aber ſchleuderte ich das Nickelſtück in den Weiher, daß es weithin über das Waſſer hüpfte.

In der folgenden Woche geſchah allerlei Seltſames. Der Ka⸗ pellmeiſter packte den Koffer und reiſte ab, obwohl der Som⸗ mer ja noch lange währte. Tags darauf kam der Wachtmeiſter und durchſuchte Kiſten und Kaſten in unſerer Schlafkammer, und die Mutter jagte mich aus der Tür, als ich mich auch ins Geſpräch miſchen wollte. Am gleichen Abend erzählte der Vater bei Tiſch, die junge Lehrerin ſei in den Fiſchteich ge⸗ ſprungen, man habe ſie aber noch herausziehen und retten können.

Dieſer Vorfall erſchreckte mich furchtbar, ganz plötzlich und zum erſten Mal in meinem Leben hatte ich ein ahnendes Geſicht von der dunklen Gewalt des Schickſals, das geheimnisvoll zwiſchen den Menſchen wirkt und ſie unverſehens überfällt und gnadenlos vernichtet. Von Stund an brach eine Krankheit, die ſchon eine Weile in mir geſteckt haben mochte, heftig hervor. Ich mußte in das Spital gebracht werden. Die Mutter wehrte ſich verzweifelt dagegen, aber ſchließlich gab ſie doch nach und zog mit mir, des feſten Glaubens, daß wir nun beide ſtürben und verdürben. Wann immer ich aus meinem Fieberſchlaf er⸗ wachte, fand ich die Mutter neben dem Bett, ſie ſaß wohl Tag und Nacht auf dem harten Stuhl, und ihre hohle Hand lag über meiner Stirn, wie man ein ſchwaches Flämmchen hütet, damit es nicht erliſcht. Ich wurde ſehr von ſchreckhaften Träu⸗ men geplagt. Oft lag ich halb wach und ſah alles genau, das unbewegte Geſicht der Mutter, die nüchternen Wände meiner Krankenſtube, aber draußen rauſchte wildes Waſſer, und der Engel Johanna ſtand am Fenſter und winkte herein und rief mir zu, er ſpränge jetzt in den Teich, um das Goldſtück zu ho⸗

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len, das ich hineingeworfen hatte. Ich ſchrie dann laut und verlangte ſtürmiſch, der Engel ſollte hereinkommen, damit ich ihm ſagen könne, es ſei nur ein Groſchen geweſen und den fände niemand wieder.

In dieſen Wochen ging es mir hart ans Leben. Eines Mor⸗ gens aber, nach der ſchlimmſten Nacht, trat der Engel leib⸗ haftig in das Zimmer. Vielleicht erſchien er ungeheißen, viel⸗ leicht beſtand auch längſt ein ſtilles Einverſtändnis zwiſchen den beiden Frauen. Weiß gekleidet und himmelſchön ſchwebte der Engel an mein Bett und beugte ſich herab, ich ſah ſeine Augen wie große blaue Lichter über mir, und dann küßte er mich, mir war es unbeſchreiblich weh und luſtvoll zugleich.

Es währte nicht lang. Die Mutter, aufrecht und ſtreng, wie ſie ſich immer hielt, meine Mutter nahm den weinenden Engel an ſich und führte ihn wieder hinaus.

Nein, erklärte ſie ſpäter auf mein ängſtliches Fragen, ſie kommt nicht wieder. Gott ſtraft den Leichtſinn, ſagte die Mutter ernſt.

x Bettina Seipp Pompeji

In unſeren Tagen nun dahinzugehen unter ſüdlich brennender Sonne durch die langen geraden Straßen Pompejis, mit den träumeriſchen Brunnenbecken an den Kreuzungen, oder durch enge, maleriſch gebogene Seitengäßchen, wo phaliſche Zeichen längſt entſchwundene Seelen einſt zur Luſt aufforderten; da⸗ hinzugehen, das antike Pflaſter beſchreitend mit den wunder⸗ ſam berührenden Räderſpuren, die die Wagen einer ſeit Jahr⸗ tauſenden vergangenen Welt dort hinterlaſſen haben, dasſelbe Pflaſter, dieſelben immer wiederkehrenden Schrittſteine, die ſchon Cicero, Salluſt, Panſa und Diomed betreten haben; fic) treiben zu laſſen durch das Straßenwirrſal dieſer ergreifend beredten Stadt des Schweigens, in die überall die herrlich ſchöne Landſchaft hereinblickt, farbenzarte Berge rundum, das ferne Meer und der rauchende Vulkan; kurz, von der unnenn⸗ baren Gewalt des Ortes tief angerührt, heute noch zu ſehen, was ein Pompejaner zu Titus' Zeiten auch ſah, das erzeugt

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einen in dieſer Form nie zuvor gekannten und lange nad) haltenden Zuſtand des Entrücktſeins vom Tage.

Gleich das Betreten der verſchütteten Stadt durch die lange, dämmerige Wölbung der Porta Marina vermittelt Eindrücke von bezwingender Weihe. Es iſt das Gebiet der Tempel und des Forums, aus dem es duftet von wilden Blumen, würzigen Pflanzen und dem ſüßen Ruch der weißen Kleeblüte. Wer könnte unberührt die Säulen des Apollotempels und die Ge⸗ ſtalt des Sonnengottes ſelber ſehen, wie ſie im Morgenlicht von dem duftig blauen Hintergrund des Veſuvs ſich abheben? Oder wer empfindungslos das Bild des hochgelegenen Jupiter⸗ tempels mit der ihm vorgelagerten, vielſtufigen Treppe am nordweſtlichen Ende des weiträumigen Forums betrachten, da es gleichermaßen abgeſchloſſen wird von der über dem Tempel ruhenden Feierlichkeit des erhabenen Kegels, deſſen weißwol⸗ kige Dampffahne, vom frommen Glanz der Frühe verklärt, die mahnende Stimme des Gottes ſelbſt zu ſein ſcheint? Wer, fort⸗ ſchreitend, in den Häuſern, die mehrfach das Augenblicksbild eines plötzlich und unerbittlich ſtehen gebliebenen Lebens ge⸗ ben, dies hingegangene Leben belauſchen, ohne auf das innigſte erfaßt zu ſein? Wer auch könnte ſich dem hemmenden Gefühl von etwas Unerlaubtem entziehen, in die ehedem gehüteten, eigenſten Geheimniſſe ſolchen dahingegangenen Lebens einzu⸗ dringen, mit wunderſamer, menſchlich rührender Gewalt ſeinen Geiſt und Atem verſpürend, wenn er Räume betritt, in die da⸗ zumal vom Hausherrn nur einige wenige, ſeiner Luſt verbun⸗ dene Perſonen zugelaſſen waren? Von erſchütternder Wirkung aber find die Opfer ſelbſt beredteſte Zeugen des tragiſchen Endes der Stadt —, wie man ſie auf der Flucht begriffen in Häuſern und Straßen fand. Vom Tode überraſcht und bitter hart angefaßt, wie ihre ſchmerzlichen Mienen, die zuſammen⸗ gebiſſenen Zähne und gekrampften Hände genugſam verraten, ſieht man hier keine ſchon leblos erſtarrten Mumien, ſondern in Stellung und Gebärden bezwingend feſtgehaltene Ster- bende, deren ſprechende Todesqual nur mit Schaudern erkannt wird. Auch ſpricht ſich darin, wie die einzelnen Menſchen in die letzten, furchtbaren Augenblicke ſich fanden, auf unerhörte Weiſe

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4 —— Ene

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Fresken aus der Caſa de

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ihre verſchiedene Weſensart aus. Da zeigt ſich die heftige Ver⸗ zweiflung eines reichen, nur an Befehlsgabe gewöhnten Man⸗ nes oder die ſtille, rührende Ergebenheit eines jungen Mäd⸗ chens, das ſich zuſammengekauert an die Mutter ſchmiegt. Oder man erblickt eine ganze Familie, die ſich, nach der Flucht durch unterirdiſche Gänge, im entlegenſten, geborgenſten Raum des Hauſes angſtvoll verſammelte und doch in dieſem letzten Schutz⸗ winkel, eng umklammert, dem Tod erlag.

Unter dem ſtarken Willen des Duce ſind die ſeit 1911 wieder aufgenommenen Ausgrabungen in Pompeji rüſtig vorwärts⸗ geſchritten, ſo daß der heutige Beſucher die verſchüttete Stadt, von der etwa drei Fünftel wieder im Lichte ſtehen, noch um vieles ergänzt und lebensvoller bereichert ſieht. Zudem iſt man bei der bewunderungswürdigen Freilegung des letzten, wieder erſtandenen Teiles, der Via dell' Abbondanza, mit der äußer⸗ ſten, ehrfurchtsvollen Vorſicht, Sorgfalt und mit unübertreff⸗ lichem Ausgrabungs⸗, Erhaltungs⸗ und Ergänzungsverfahren vorgegangen. Im Gegenſatz zu früherer Gepflogenheit blei⸗ ben jetzt Wandfresken, Moſaiken, Möbel, künſtleriſche und nütz⸗ liche Geräte, mit einem Wort alle Funde, ſelbſt die von dem Verhängnis überraſchten Hausbewohner, an Ort und Stelle, was die bezwingende Vermittlungskraft der Häuſer natur⸗ gemäß ungemein erhöht. Nur der koſtbare Silberſchatz an Tiſch⸗ geräten, in hundertundſiebzehn Stücken, der, als der größte bisher gemachte derartige Fund, im Dezember 1930 im Haus des Mänander geborgen wurde, oder die vier ſilbernen Tafel⸗ geſtalten, unverfrorene Darreicher von Naſchwerk, aus dem Haus des Epheben, wie ferner beſonders wertvoller Schmuck machten eine Ausnahme. Solche Dinge kommen der Sicherheit wegen ins Muſeum von Neapel.

Dieſer neu wieder ans Licht getretene Teil iſt das in den letz⸗ ten Jahren der blühenden Handelsſtadt gebaute Geſchäftsvier⸗ tel Pompejis. Es folgen faſt ununterbrochen Verkaufsläden. Da ſieht man Bäckereien mit mächtigem Ofen und den Ku⸗ chenformen, Trinkſtellen, ‚Bars’ für warme und kalte Ge⸗ tränke mit wohlerhaltenen marmorbunten Schanktiſchen, Werk⸗ ſtätten von Tuchfärbern, Walkereien, Arbeitsräume von Filz⸗

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berftellern, von Sandalenmachern, von Kunſtſchmieden mit Bronzegeſtellen, Lampen, künſtleriſchen Gegenſtänden, von Zimmerern und Schloſſern. An die faſt unglaubhaft erhaltene Stuckbekleidung vieler Hausmauern ſieht man, in volkstümlich ungekünſtelter Art dargeſtellt, handwerkliche Tätigkeit und La⸗ denauftritte oder die Bilder von Laren und Gottheiten gemalt, am häufigſten den Handelsgott Merkur und, ſiegend verherr⸗ licht, die große Schutzgöttin Venus, daneben jegliche andere, harmlos verkörperte heilige Zeichen, unter deren Kraft und be⸗ ſonderen Schutz der Kaufmann, Herſteller oder Handwerker ſein Gewerbe ſtellte. Höchſt freimütig befinden ſich darunter auch zu wiederholten Malen große Priaposdarſtellungen, die, wie hieraus erſichtlich wird, nicht immer und nicht an jeder Stelle anſtößigen Sinn hatten, ſondern die dem unbeſchwerten Pompejaner, der ja unter ganz anderen Vorſtellungen und Ge⸗ ſetzen lebte als die heutigen und gar die nordiſchen Beſucher der Veſupſtadt, wohl als Sinnbild der Lebensfreude, Geſund⸗ heit und Fruchtbarkeit, des im natürlichen Süden immer ge⸗ wünſchten Kinderſegens, glück⸗ und heilbringend geweſen fein mögen, wie es noch dem heutigen Italiener, namentlich dem ſüdlichen, das unvermeidliche Horn contro il malocchio, gegen den böſen Blick, oder irgendeine porta fortuna iſt. Seltſam lebensvoll berühren in dieſem Viertel ferner die getreuen Gipsabdrücke der zuweilen großartigen, ſehr hohen zweiflüge⸗ ligen Türen mit dem daran wieder angebrachten Bronzeſchmuck. Türen, die entweder infolge der Eile der Flucht und der ſchon ſtörend angehäuften Maſſe der Lapilli halboffen ſtehen blieben oder ängſtlich und notdürftig, in der Hoffnung, daß man ja bald wieder zurück ſein würde, verrammelt wurden. Zudem offenbart ſich in den vielen Wandinſchriften dieſes neu aus⸗ gegrabenen Bezirks, die hier beſſer erhalten find als zuvor, auf geradezu unerhörte Art Weſen, Fühlen, Denken, der ganze Geiſteszuſtand, Sitten, Gebräuche, überhaupt, alles in allem genommen, das Leben und die Beſchaffenheit der Menſchen vor faſt zweitauſend Jahren. Vorzüglich geſchieht das durch die den Mauern eingekritzelten, winzig kleinen Mitteilungen, die des⸗ halb entſtanden, weil das teure und ſeltene Schreibzeug, Pa⸗

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pprus und Wachstafeln, nur ftaatlihen und edleren Zwecken zu dienen pflegte. Dieſe geritzten Infchriften, graffiti genannt, bezeugen den Wirt und den Ladeninhaber, den Geſchäfts⸗ mann, ja ſelbſt den Beſitzer des Spielhauſes, der ſein Ein⸗ kommen und die Schulden ſeiner Kunden auf dieſe Weiſe auf⸗ zeichnete, ſie bezeugen den Liebenden und die Geliebte, den Schuljungen, den Müßiggänger, der ſich die Zeit vertreibt, wie auch den Beſucher freier Mädchen und verſchwiegener Gäßchen auf die unmittelbarſte Weiſe. An Schenken ſieht man immer wieder ſchreieriſche Wahlaufrufe oder Ankündigungen von Vor⸗ ſtellungen im Amphitheater, die ebenſo wie der Beſuch des Schauſpiels zu den Leidenſchaften der Pompejaner gehörten. Die Stadt beſaß nicht weniger als drei Theater, deren noch er- haltene Räumlichkeiten ſtimmungsvoll erfüllt ſind und einen tiefen Eindruck hinterlaſſen. Was aber außerdem in dieſem neu aufgedeckten Viertel Pompejis, der Via dell' Abbondanza, be⸗ ſondere Bedeutung hat, iſt der Umſtand, daß hier das bis dahin vorwiegend einheitliche Patrizierhaus ſich bereits anſchickt, in ein Geſchäftshaus oder gar Mietshaus überzugehen. Zumindeſt werden einige Bauten ſchon von mehreren, wenn auch wahr- ſcheinlich noch untereinander verwandten Familien bewohnt. Bei fortlaufender Entwicklung wären hier gewiß, wie ein hal⸗ bes Jahrhundert ſpäter in Oſtia, mehrſtöckige Mietshäuſer, die Vorboten der heutigen, anzutreffen geweſen. Denn ſchon ge⸗ winnen in dieſer Zone Straße und Bauten dadurch ein abwei⸗ chendes, beachtenswertes Ausſehen, daß faſt jedes Haus ein oberes Stockwerk entweder ſchon fertig aufweiſt das iſt das häufigere oder andeutet, da es im Begriff war zu entſtehen. Auch fallen hier, neben den immer vielfältiger aus den Haus⸗ wänden heraustretenden Balkonen, die merkwürdig über die Straße hinausragenden Vorbauten auf, die dem Bewohner und Beſitzer, bei der um ſich greifenden Menſchenzunahme und dementſprechender notwendiger Platzbeſchränkung, mit Erſpar⸗ nis an teuer gewordenem Grund und Boden dennoch den ge- wünſchten Raum boten und die zugleich den Eingang zu den unteren Läden wie die davor zur Schau und zum Verkauf aus⸗ geſtellten Waren gegen Regen und Sonne ſchützten. Weiter-

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hin erhöht ſich das Leben dieſer Häuſer ſehr durch die vielfach vortrefflich erhaltenen, gemauerten Ruhebänke der triclinia (Speiſezimmer), die eine deutliche Vorſtellung von dem Vor⸗

gang des Mahles geben. Das gilt etwa für das Triklinium in der Casa del Moralista, einem Zweifamilienhaus, wo auf die ſchwarzen Wände mit weißer Schrift ſittenſtrenge Tiſchregelnn und Gebote des Hausherrn an feine Gäſte gemalt find, deſſen

Engherzigkeit in Pompeji beſonders unangebracht berührt. Die ſtaunenerregend gut erhaltene Vorderſeite eines Hauſes mit

feiner, zart gekehlter Stuckfront, die unglaubhaft farbenfriſchen

Wandgemälde im Hauſe eines Prieſters darunter beſonders

„Paris vor Helena’, wo ſich das Rot, Gelb und Grün an Leuchtkraft geradezu überbieten —, das Haus des Epheben, fo - genannt nach dem hier gefundenen herrlichen Knaben aus

Bronze, der im Garten beim Sommertriklinium als Lichtträ⸗ ger ſtand, das Haus des Epheben mit den ſehr edlen Fuß⸗

böden, die Einlagen ſeltenſter bunter Marmorſtücke aufweiſen :

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beſonders rührend hier das Opfer der Kataſtrophe: ein jun-

ger Sklave, der ſich mit einem Körbchen Eßvorrat hatte retten

wollen —, weiterhin die bedeutende Casa del Criptoportico mit

zieren Stuckreſten und reichen Malereien, wie das große, vo⸗ nehme Haus des adligen Römers Lorejus Tiburtinus das ſind nur einige hauptſächliche von den vielen Eindrücken, die

auch in dieſem Teil das Gemüt beſtürmen. Das letztgenannte

Haus zeichnet ſich beſonders durch ſeine kunſtvollen Garten⸗

anlagen und Kühlung ſpendenden Waſſerſpiele aus, ſein höchſt einladendes Sommertriklinium, durch eine Terraſſe mit wohl⸗ tuendem Blick auf das ſchöne Land und freskengeſchmückte Ge⸗

mächer mit Darſtellungen der Ilias. Ein Raum mit beſtricken⸗

der Kleinmalerei und blumenbunten Reſten der Decke, die ſtuckverzierte Felder hatte, feſſelt vornehmlich. Die meiſtge⸗

nannte all dieſer bewunderungswürdigen Ausgrabungsarbei⸗ ten iſt das Haus des Mänander, ſo bezeichnet nach einem hier angetroffenen, großen Wandbildnis des Dichters Mänander

auf leuchtend goldenem Grund. Hier fand man in einer Holz⸗

kiſte in unterirdiſchem Raum den ſchon erwähnten, koſtbaren Silberſchatz. Es iſt ſehr weiträumig wenn auch lange nicht fo

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wie im altausgegrabenen Teil Pompejis etwa das großartige ſamnitiſche Haus des Panſa oder die vornehme Casa del Fauno, wo man den tanzenden Faun aus Bronze, dieſes frohe Märchen - jetzt im Neapler Muſeum —, und das berühmte Fußbodenmoſaik der ebendort ausgeſtellten Alexanderſchlacht fand. Das ausgedehnte Gebiet dieſes Baues mit ſeinem gan⸗ zen Anhang von Ställen, Geſinderäumen und Wirtſchaſtshal⸗ len, in denen die zahlreichen Ackerbaugeräte, Schaufeln, Hak⸗ ken, Rechen, Sicheln, Senſen und Karren von bedeutendem Land⸗ und Feldbeſitz reden, läßt auf einen reichen Herrn ſchlie⸗ ßen. Im weißen Marmoratrium leuchtet eine große, lapislazuli⸗ blau überroſtete Bronzeſchale. Dieſes Haus des Mänander, ſorgfältig bewahrt und ergänzt, hat ein Periftpl mit gemalter, etwa ein Meter hoher Umgangsbrüſtung, welche die Säulen unterbrechen. Um deſſen Geviert, darinnen ein hübſcher Garten iſt, liegen ſtattliche Nebenräume, unter ihnen das größte Tri⸗ klinium von Pompeji. Nichts aber kommt hier der lebendigen Heimeligkeit und Anmut eines ganz unwahrſcheinlich gut er⸗ haltenen, grünwandigen Baderaumes mit gewölbter, rillen⸗ artig gekehlter Decke gleich. Ausgeſucht fein und genießeriſch, mit zierlichſtem Stuckwerk und reizenden Malereien waſſer⸗ ſpritzender Frauen in kleinem Niſchenhalbrund, ſcheint dies Schmuckſtück von einem Bad geſtern noch benutzt worden zu fein, fo ſpürt man feinen Beſitzer. Der Fußboden erglänzt von Meeresweſen im Moſaik. Im angemeſſen perſönlichen, engen Zugang zu dieſem unverſehrten kleinen Wunderraum zeigt die Schwelle auf weißem Grund ſchwarz eingelegt einen luſtigen, eilfertig herbeirennenden Mohren in unbekleidetem, äußerſt übermütigem Zuſtand, wie er in phalliſchen Gefäßen Wohl⸗ gerüche herbeibringt.

Die Via dell' Abbondanza führt zum römiſchen Amphitheater. Ebendort, an dem weiten Platz dieſes mächtigen Baues find die allerneueſten Ausgrabungen erfolgt und noch in vollem Gange. Alle Zugangstore von rotem Backſtein zu der Raum⸗ freiheit um die rieſige Arena herum wurden ſamt der Mauer freigelegt und wieder hergeſtellt. Gerade ſcheint man ganz nahebei, nach den Ausmaßen und den vorhandenen Säulen zu

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ſchließen, ein Stadion zu finden. Das Eindrücklichſte beim Rundgang oben auf dem von Kornfeldern umwogten Gebäude iſt aber der Blick in die beglückende Landſchaft, die als gewal⸗ tige Ellipſe der Natur die des Theaters mit duftig farbigen Bergen, fernem Meer und fruchtbaren lieblichen Fluren umgibt.

So ungemein packend nun, allein ſchon durch ihre kulturge⸗ ſchichtliche Bedeutung, die neuen Freilegungen auch ſind, ſo ſoll Ihnen doch geſagt ſein, da einige Wichtigtuer ſchon ſich ver⸗ anlaßt fühlen, über den letztgemachten Ausgrabungen die frü⸗ heren als geringer zu bezeichnen, daß dieſe Häuſer der Via dell' Abbondanza ein Geſchäftsviertel! in Wahrheit doch wohl ſchwerlich einen ſolchen künſtleriſchen Genuß verſchaffen und ein ſolches Wohlgefühl erregen können, wie es den Be⸗ ſucher bis heute immer noch in dem gemäldereichen Haus der liebesſeligen Vettier durchſtrömt, wenn er dort in dem großen Raum am Periſtyl angeleuchtet wird von dem Rot der Wände und beglückt von der Zier und launigen Kurzweil der geflügel⸗ ten Eroten auf ſchwarzgrundigem Streifen. Die lebensvollen und heiter geſehenen Kleinen tummeln ſich da beim Trocknen von aufgeſchnürten Tomaten, Rennen mit zartgelenkigen Dam⸗ hirſchen, wobei es Zügelriſſe und Stürze gibt, und bei jed⸗ weden kindlichen Verrichtungen und Spielen mit einem ſo be⸗ zaubernden Liebreiz und ſolcher hinreißenden Leichtigkeit in Zeichnung und Farbe, daß man fic) wie fortgetragen fühlt. Ferner kommt vom Standpunkt des reinen Kunſtgenuſſes kaum ein anderes Gebäude in Pompeji der vorſtädtiſchen Patrizier⸗ villa Casa dei Misteri gleich. Zu einem kleinen Teil ſchon frü⸗ her freigelegt, wurde ſie in den Jahren 1929 und 1930 ganz erforſcht, und heute gibt ſie ein vollkommenes, äußerſt reiches, belehrendes Bild. Ihr großer Schatz jedoch, das höchſt wert⸗ volle Zeugnis antiker Malerei und Religion, ſind, wie Ihnen ja ſehr wohl bekannt, die Darſtellungen der geheimnisvollen, dunklen, dionpſiſchen Weihen in großen Wandmalereien, die an den vier Wänden entlang eine fortlaufende Handlung vor⸗ führen. Zunächſt beſticht wiederum und ſtärker noch als zuvor das berühmte pompejaniſche Rot, weil es hier, ganz friſch und wohlerhalten, in ſinnlicher Freudigkeit unwiderſtehlich lebens⸗

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bejahend von den Mauern ftrahlt. Es liegt in ihm die ganze Wonne und Leidenſchaft, der Glanz und die Heiterkeit ſüd⸗ lichen Lebens. Vor dieſem Hintergrund ſpielt ſich der diony⸗ ſiſche Kult ab, bewegen ſich die faſt lebensgroßen Geſtalten, de⸗ ren tiefe, ſchickſalhafte Blicke und gebannte Mienen, deren herr⸗ liche Glieder und Bewegungen durch das Rot, aus dem ſie hervortreten, und ein kräftiges Grün, auf dem die Füße ſtehen, an Schönheit und Einprägſamkeit noch gewinnen. Die aus⸗ drucksvolle, ſtarke Gebärde der im Vorwärtsſchreiten betroffen Innehaltenden, erſtarrt Stehenden, deren durchſichtiges Ge⸗ wand die aphroditiſchen Formen betörend verrät, wie die nackte, fleiſchleuchtende Tanzende, die dem Beſchauer den Rücken zu⸗ wendet, ſind, einmal geſehen, nicht mehr zu vergeſſen.

Dieſes Haus liegt etwas abſeits, aber der Weg dorthin iſt ein ſo würdiger Auftakt zu den myſtiſchen dionyſiſchen Fresken, daß er gern gegangen wird. Er führt durch die zypreſſenbeſtandene, irisumblühte Gräberſtraße, deren zu Herzen gehende Feierlich⸗ keit unvergeſſen bleibt. Ehemals war das zugleich die Verbin⸗ dungsſtrecke von Pompeji nach Herkulanum. Am Haus des Diomed vorbei, durch Reben und duftende, blühende Orangen⸗ pflanzungen, jung wogende Fluren und Kornfelder fortſchrei⸗ tend, gelangt man, tief bewegt vom Nachklang all des Er⸗ lebens in der ausgegrabenen, geiſterhaſt zeugenden Stadt und von dem holden Wachstum um ſie herum, zu ihrem kultiſch und künſtleriſch höchſten Schatz, der Vorſtadtvilla Casa dei Misteri.

Aus dem Buch „Neapel und Sizilien als Land der Griechen erlebt'

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Reinhold Schneider / Der Stein des Magiers

Sanfte Töne hört ich tönen wie aus ſeinem Grabe da Dacht ich feiner letzten Worte: „Spielt mir die Harmonika.“ Juſtinus Kerner Seit der Gaſt aus Weinsberg auf der Meersburg wohnte,

ſchwebten nachts aus dem offenen Fenſter ſeines dunklen Zim⸗

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mers die ſeltſamen wehmütig ſehnſüchtigen Töne feines ein- fachen Inſtrumentes, mit denen ſich ſeine ſummende Stimme vermiſchte. Der Geſang, der nur das Echo eines Geſanges zu ſein ſchien, umwehte die ungefügen Türme, er verlor ſich über den Rebenhügeln, die ringsum anſtiegen, oder er ließ ſich über den See hinaustragen, wo er wie Geiſterlaut hallte und ver⸗ hallte. Für dieſes Spiel ſchien der Gaſt, der Arzt und Dichter Juſtinus Kerner, ſo manche Stunde ſchöner abendlicher Geſel⸗ ligkeit gerne zu opfern; ohne die Maultrommel oder das Brummeiſen, erklärte er ſeinem greiſen Gaſtgeber, dem Frei⸗ herrn von Laßberg, könne er nun einmal ſeit früher Jugend nicht leben. Wie er als Dichter in einem langen Leben nichts zuſtande gebracht habe als ein paar einfältige Lieder nach der Weiſe des Volkes, ſo bringe er auch als Muſikant nicht mehr als ein jeder Bauernflegel fertig; nur brummen könne er, nicht ſingen. Und er ſchien an den derben Namen ſeines geliebten Inſtrumentes einen beſonderen Gefallen zu haben, vielleicht weil ſie ſo gar nicht zu den jenſeitig ſchmerzlichen Lauten paß⸗ ten, die er ihm entlockte.

Juſtinus Kerner genoß als Gaſt die ihm gerne eingeräumte Freiheit; er war es gewohnt, daß ſein Haus in Weinsberg ſamt dem Anbau und dem alten Turm im Garten voller Gäſte ſteckte, deren jeder das Leben führte, das ihm behagte. Nun erhob er denſelben Anſpruch. Schon am Morgen nach ſeiner Ankunft war er über die hochgewölbte Brücke in das Städt⸗ chen hinausgetappt zur Beſorgnis ſeiner Tochter Marie, die ihm noch ein Stück nachlief. Aber er wurde heftig: „Acht Ta⸗ ge', ſchimpfte er auf ſchwäbiſch, „ſind wir von Weinsberg fort, und in der' ganzen Zeit habe ich nichts von meinen Freunden gehört. Du weißt, in meine Poſtſachen laß ich mir nicht hin⸗ einreden, auch nicht von meinem Legationsrat und geheimen Archivar.“ Das Mädchen ſenkte den hellen Kopf: „Aber deine Augen, Vater!“ „Meine Augen! Meine Augen! Die Freude macht ſie hell. Wenn ich Briefe von meinen Freunden be⸗ komme, werden meine Augen wieder gut. Die Freude macht ſie geſund.“ „Nur die Tränen”, fagte er auf einmal, ſich um⸗ wendend und vom Ende der Brücke hinunterblickend auf das

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ſtillſtehende Rad der Schloßmühle und die tief hinabfallenden Stufen, „verderben das Augenlicht. Damit ftieg der breite, ein wenig ſchwerfällige Mann, auf ſeinen Stock geſtützt und umweht von dem langen Haare und dem weiten dunklen Man⸗ tel, die ſchmale Gaſſe hinauf in das Städtchen.

Und bei dieſem Entſchluß war es auch geblieben. Sobald Poſt⸗ ſendungen zu erwarten waren, holte Kerner ſie ſelbſt ab; glück⸗ lich kam er mit dem Päckchen zurück. Freilich wollte die Hand, die ſich immer ſchon in abſonderlichen Schnörkeln und man⸗ cherlei Abſchweifungen gefallen hatte, ohne die ſtrenge Aufſicht der Augen nicht mehr zurecht kommen; dann gelangte der Le⸗ gationsrat und Archivar wieder zu Anſehen und ſchrieb in klarſter Schrift die vielen Briefe an Träger bekannter und un⸗ bekannter Namen, an Fürſten und Handwerksleute, Gelehrte und Sänger, Leidende und Bittende, die Kerner alle in dem⸗ ſelben Herzenston anredete. Aber ebenſo gern wie er ſeine Briefe anſagte, wanderte der Dichter allein durch das wunder⸗ liche Städtchen, deſſen zwei mächtige Schlöſſer den Häuſern nur wenig und nicht gerade den beſten Platz zwiſchen dem See⸗ ufer und den ſteilen Weinbergen übrig gelaſſen hatten. Er kehrte gerne in einer der dämmrigen Wirtsſtuben ein; hinter den geſchloſſenen Läden, durch die nur ein Flimmern drang, ſchien ihm wohl zu ſein. Wenn er das rotleuchtende Glas an die Lippen hob, glühten die Augen, die draußen im Sonnen⸗ licht des Hochſommers von grauen Schleiern überſponnen ſchie⸗ nen, von einem geheimnisvollen inneren Licht; die Glut über⸗ lief die Wirtstochter wie der Widerſchein eines plötzlich auf⸗ geſchürten Feuers, ſo daß ſie die Blicke ſenkte. Aber der ſon⸗ derbare Gaſt ſprach ein paar Verſe, die von unheimlicher Wehmut bebten, ſo daß Hund und Katze, die ihm ſtets zuliefen, ſobald er das Zimmer betrat, ſich enger an ihn drückten.

Oft ging er durch das Tor und zwiſchen den reifenden Feldern zum Friedhof hinauf, deſſen Kreuze ſich auf der Höhe unter dunklen Laubkronen ſcharten. Oft auch bog er vom Rathauſe in die krumme Vorburggaſſe. Dort pflegte er vor einem alter⸗ tümlichen Hauſe ſtehen zu bleiben, zu deſſen ſchmaler Tür ein

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paar ausgetretene Stufen führten und über deſſen Speicher⸗ fenſter ein Kran weit vorragte; die Kinder ſammelten ſich ſcheu um ihn, während er zu den halbblinden Fenſtern hinaufſah und Worte murmelte, von denen niemand ſich denken konnte, an wen ſie gerichtet waren. Dann und wann trat er auch in dieſes Haus oder in andere Häuſer ein; doch erzählte er ſeiner Tochter faſt niemals von ſolchen Streifzügen, viel lieber ſprach er von Zufälligem, das ihm begegnet war. So brachte er ein⸗ mal aus einem verſtaubten Gelaß des Schloſſes eine aus luft⸗ dichtem Stoffe gefertigte, zuſammengeklappte Weltkugel ſamt dem dazu gehörenden Blaſebalg herauf. Er blies ſie auf und ließ ſie wieder zuſammenfallen und wurde dieſes Spiels ebenſowenig müde wie der Scherze, die er damit verband: Nun ſei es mit der Welt bald zu Ende, die Luft gehe ihr aus; aber er wolle ihr noch einmal aufhelfen, ſei doch nichts leichter als das. Sie brauche ja nur Luft und Wind, nichts Gediegenes; und wer die Backen recht voll nehme, der ſei ihr Mann und könne die plattgedrückte Erde wieder in Form bringen und den Bewohnern der Alten wie der Neuen Welt die Angſt vor dem Untergange, die ihnen ſchon bedenklich lange in den Knochen ſitze, austreiben. Damit brachte er die bunte Kugel faſt zum Platzen; er ſchloß die Offnung und ſcheuchte die Welt vor ſich her durch das Zimmer, wobei er tat, als wolle er ein ver⸗ ängſtigtes Huhn in den Stall treiben, ſo daß das Mädchen ſich ausſchütten wollte vor Lachen; dann öffnete er die Tür und beförderte die Welt mit einem derben Schlag die gewundenen Stufen hinunter.

Von ſolchen Scherzen konnte er unvermittelt in die tiefſte Weh⸗ mut zurückſinken; namentlich in den Briefen an ſeine Vertrau⸗ ten, die ihm das junge Mädchen aufzeichnete, klagte er über ſein trauriges Leben, dem alles Licht fehlte, ſeit erſt ſein Bru⸗ der und dann ſein über alles geliebtes Weib von ihm gegan⸗ gen ſeien. Einmal, noch in den erſten Tagen des Aufenthaltes, hatte der Schloßherr verſucht, anzudeuten, wie bitter ihn der Verluſt ſchmerze, den Kerner erlitten, und wie ſehr er hoffe, daß der verehrte Gaſt auf der Meersburg Troſt finde, aber Marie hatte den alten Freiherrn ſo flehentlich, mit zuſammen⸗

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gepreßten Händen, angeſehen, daß dieſer verlegen, ja faſt be- ſchämt abbrach und ſchließlich noch ein paar Worte von dem Frieden und der Hilfe hinzufügte, die ihm, nach einem kaum verwindlichen Schmerze, hier geſchenkt worden ſeien.

Als fie wieder allein waren, pries Kerner die Rüdficht feines Gaſtgebers; niemals verſuche der Freiherr ſich in das Leben eines andern einzudrängen, niemals verſage er dem Freunde jene auszeichnende Achtung, die vielleicht nur er, der Ritter ſelbſt, verdiene. „Er kann ein Gleiches von uns erwarten,“ ſetzte Kerner hinzu, „rühre ihm nie Erinnerungen auf! Die Menſchen wollen viel wiſſen von ſeinen Beziehungen zu der vor langem verſtorbenen Fürſtin; es heißt ſogar, er ſei heim⸗ lich mit ihr vermählt geweſen. Ich weiß es nicht. Aber wo wir das Walten eines Schickſals ſpüren, ſollten wir Achtung ha⸗ ben.“ So kamen ſich die beiden Männer näher; immer länger verweilte Kerner im Bereich des Schloßherrn, den Waffen⸗ ſälen und der Bibliothek. Dann ſchritt ihm der hochgewachſene ritterliche Greis im ſchlichten Jägerkleide leicht hinkenden Schrittes voraus durch den Wehrgang; ein Unfall, den Laß⸗ berg vor vielen Jahren erlitten, ſchien ſeine Geſtalt eher ge⸗ ſtrafft als gebeugt zu haben. Das bunte Licht ehrwürdiger Scheiben, das die vom See widerſtrahlende Helligkeit noch verſtärkte, glitt über die beiden Männer und verzauberte das ſonderbare Geräte, das die Halle anfüllte. Sie blieben an dem Brunnen ſtehen, der einſt den Armen Wee Wein ge⸗ ſpendet hatte.

„Warum“, fragte der Freiherr, „haben ſich die Menſchen die Brunnen der alten Zeit verſchüttet, die ihnen einſt zum Segen gefloſſen find?” Kerner hatte ſich auf den Rand des eingetrock⸗ neten Beckens geſetzt und beugte ſich über ſeinen Stock, wie es ſeine Gewohnheit war. „Nicht nur die Brunnen der alten Zeit find tot,” rief er ausbrechend, „auch unſer eigenes Leben vers ſiegt, und unſere eigenen Toten laſſen uns allein. Ach, was ſoll ein Herz auf der Welt, das ſchwer iſt von Liebe und dieſe Liebe verſchenken möchte und niemanden mehr findet, der ſie annimmt! Geſchieht da nicht ein Riß im Weltbau, wenn die Liebe abreißt und allein zurückbleibt und ihr kein Zeichen wird

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aus der andern Welt?” „Das fagt der Mann, antwortete Laßberg, „der tiefer als alle andern in jene Welt geblickt hat?“ „Nicht in die hellen Regionen, ſondern in die dunk⸗ len“, erwiderte Kerner ſchmerzvoll; „die Liebe wohnt ſo hoch oben, daß dieſe blinden Augen ſie nicht mehr erreichen. Er ſah brennenden Blicks in das farbige Dämmer des Wehr⸗ gangs, als wolle er ſich zwingen, Unſichtbares wahrzunehmen. „Der Seuſe vom Kloſter drüben am andern Ufer hat es wohl erfahren: ‚Alldiemeil Lieb bei Lieb iſt, weiß lieb Lieb nicht, wie lieb Lieb iſt wenn aber Lieb von Lieb ſcheidet, weiß Lieb wohl, wie lieb Lieb mar!” Kerner ſtand ſeufzend auf und folgte dem Freiherrn in die Bibliothek.

„Hier“, ſagte Laßberg, eine aufkommende Bewegung nur halb verbergend, „liegt der edelſte Wein, den unſer Volk gekeltert hat. Und wer wollte hier noch ſagen, daß die Toten uns allein gelaſſen hätten!“ Er zog einen handſchriftlichen Band hervor und blätterte ihn auf: „Wie das lebt und hervorquillt!“ rief er, ſich tief über die ſteifen Blätter beugend, „wie das duftet! Die Worte atmen alle noch, keins iſt abgeſtorben; aus einer ſolchen Schrift weht uns der Geiſt der Zeiten noch mächtig an, da das Edle mitten im Volke wurzelte und alle das Edle er⸗ kannten und ihm nadtradteten! Aber man muß das ſpüren, man muß den Hauch einatmen! Und die Sprache, die wir heute ſprechen, faßt auch den Geiſt dieſer Zeiten nicht. Das Aleman⸗ niſche iſt ihnen näher, es iſt ſtärkeren Herzens. Es iſt auch mehr Heiliges darin. Und wenn gar die Menſchen mit der Druckerpreſſe kommen, ſo quetſchen ſie das lebendige Leben zu⸗ ſammen wie unſere Naturforſcher die Wieſenblumen im Her⸗ barium. Nein! Das will geſchrieben ſein, Zug um Zug, Punkt um Punkt!“ Kerner war an ein Schreibepult getreten: „Hier iſt es geſchrieben!“ rief er freudig, „und wie kräftig und klar!“ Er ſchlug neben dem geöffneten Band einen zweiten und drit⸗ ten auf, die dieſelbe männlich⸗altertümliche Handſchrift zeigten. Laßberg wandte ſich erſchrocken um: „Sehen Sie das nicht an! Sprechen Sie nicht davon! Das iſt nur der Zeitvertreib eines alten Jägers, der ſeine letzten Jahre lieber am Ofen verbringt als im Walde!“ „Nein!“ antwortete der Dichter feuchten

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Auges, „das ift eine große Arbeit, ein großer Dienft, den Sie uns allen und den vergangenen Zeiten leiften!”

Die Freude färbte die Wangen des alten Edelmanns, aber er zog ſeinen Gaſt von dem Pulte weg. „Kommen Sie, ich habe Ihnen Wichtigeres zu zeigen!” In dem anſtoßenden Bücher⸗ gewölbe entnahm Laßberg einem Fache ein Pergament, das an ſchwarzgelbem Bande ein Siegel trug. „Ich weiß doch, daß Sie hier in Meersburg auf den Spuren eines ſonderbaren, von Mit⸗ und Nachwelt hart mißhandelten Mannes gehen. Sie wollen nicht davon ſprechen, vielleicht nur: noch nicht. Aber ſehen Sie, was ich hier habe!“ Kerner entfaltete erregt das Dokument: „Das Doktordiplom des alten Mesmer!“ rief er aus, aufs höchſte überraſcht, „erteilt im Namen Ihrer Apoſto⸗ liſchen Majeſtät, der Kaiſerin Maria Thereſia, zu Wien! Und wie ehrenvoll für den viel geſchmähten Doktor!“ „Ich mache es Ihnen zum Geſchenk, vielleicht ermutigt es Sie, dem Alten weiter nachzuforſchen. Ich habe ihn vor mehr als vierzig Jah⸗ ren noch geſehen, da er abſeits der Welt in Frauenfeld lebte. Den furchtbaren Abſturz ſeines äußeren Lebens hatte er über⸗ wunden, ja, er ſchien ihn kaum erſchüttert zu haben. Eine wun⸗ derbare geſammelte Kraft ging von ihm aus wie vom Elemente. Seine Seele war, glaube ich, in vollkommener Ruhe. Die Menſchen hielten ihn für geheimnisvoll; vielleicht war ers nicht. Er war nur ganz feſt, ganz klar, reine in ſich gegrün⸗ dete Natur; darum konnte er wohl auch auf die Natur zurück⸗ wirken. Weichen Sie nicht von ihm, er wird Sie nicht un⸗ belohnt laſſen. Auch der Arzt kann ja des Arztes bedürfen, und was iſt alle Heilkunſt, wenn ſie die Seele nicht ins Gleich⸗ gewicht fest!” „Ja, erwiderte Kerner, „in dieſem Sinne iſt er ein Arzt geweſen; aus dem Ganzen ſtellte er den Einklang wieder her, der im einzelnen geſtört worden war. Und das Ganze iſt ja unendlich viel mehr als unſer irdiſches Leben.“ Wohl ſchien der Dichter noch mehr als ſonſt ſeinen Gedanken nachzuhängen, als er dem Schloßherrn wieder in das Wohn⸗ gemach gefolgt war, doch ſprach er nicht mehr von dem einſt viel gerühmten und viel geläſterten Manne, deſſen Doktor⸗ diplom er in der Taſche trug. Erſt als Laßberg die Fächer öff⸗

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nete, die feine Kameenſammlung enthielten, nahm Kerner wie⸗ der lebhaften Anteil. In den Steinen walte eine Kraft, er⸗ klärte er, die er unmittelbar ſpüre; ſte ſei auf ihn, als einen an die Erde gebundenen, ja am liebſten ſich auf der Erde la⸗ gernden Menſchen von viel größerer Wirkung als Kunſtwert und Arbeit, die er achte und verehre, ohne von ihnen gefangen zu werden. Halb auf dem Ruhebett neben dem Tiſche liegend, neigte er ſich über die Käſten, während der Freiherr, auf⸗ recht neben ihm ſtehend, auf das eine oder andere Stück hin⸗ wies. Da begegneten ſich die Blicke des Dichters und die Hand Laßbergs über demſelben Stein, als habe dieſer fie an⸗ gezogen oder als habe der Blick des Dichters die ſchmale Greiſenhand gelenkt. Der Schloßherr nahm die Kamee her⸗ aus und reichte ſie ſeinem Gaſt: „Dieſes Stück habe ich auf eine ſo merkwürdige Art bekommen, daß ich es gar nicht als mein Eigentum anſehen kann. Wollen Sie mir die Freude machen und es als ein Andenken annehmen? Ein Jude brachte die Kamee vor langen Jahren einmal aufs Schloß; wahr⸗ ſcheinlich hatte er ſie aus dem zugehörigen Ring gebrochen und dieſen nach ſeinem Goldwerte verkauft. Daß die Arbeit nicht antik iſt, wußte er wohl; ein Italiener wird die Kamee geſchnitten haben. Aber ich nahm ſie ihm ab; es ſind Platos Züge, und ihn ſoll man ja nicht abweiſen, wenn er einem ins Haus getragen wird.“

Kerner hörte kaum zu; er hielt den Stein auf der flachen Hand und hauchte ihn ſachte an: „Nun tut er, als lebe er nicht, und doch iſt er wie einer jener goldgrünen Käfer, die ſich tot ſtellen, ſobald ſie gefunden werden. Aber die Dinge, die wir tot nennen, fordern nur Geduld; ihr Leben währt tau⸗ ſendmal länger als das unſre, und es kommt ihnen auf ein paar Jahre Schlafs nicht an. Ich will ihn mit mir tragen, vielleicht erwecke ich ihn, und er ſagt mir, woher er gekom⸗ men ift.”

Noch lange danach wehten die Klänge der Maultrommel über den mondbeglänzten See; die Nacht zog ſo hell über die höchſte Höhe des Sommers wie ein dämmriger Tag. Am an⸗ dern Morgen tat Kerner, als ſei er eigens nach Meersburg

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gereiſt, um dicke Tintenkleckſe in die Mitte weißer Blätter zu ſetzen, das Papier zuſammenzufalten, zu ſtreichen und dann wieder aufzuklappen und ſich an den abſonderlichen oder er⸗ ſchreckenden Gebilden zu weiden. Manche belachte er; andere flößten ihn Entfegen ein; die merkwürdigſten legte er zurück, um ſie mit nachdenklichen oder ſpottenden Verſen zu verſehen und an ſeine Freunde zu ſchicken. Seiner Tochter war nicht ganz wohl bei dieſer Beſchäftigung; ſie ſchien einen unheim⸗ lichen verborgenen Ernſt hinter ihr zu wittern. „Warum mußt du nur all dieſe dunklen Geiſter aufrufen, Vater? Laß ſie doch im Tintenfaß!“ „Störe mir meine Wiſſenſchaft nicht! Denn eine eigene Wiſſenſchaft iſt die Kleckſographie, und ich werde als ihr Begründer in die Geiſtesgeſchichte eingehen. Freilich verſtehen ſich nur die darauf, die Scherz und Ernſt als die zwei Seiten der einen Sache und des einen Geheimniſſes be⸗ greifen. Schau, wie dieſer da mit böſen Augen hervorglotzt, ordentlich erbittert darüber, daß ich ihn erwiſcht habe! Aber er iſt nun abkonterfeit und ſoll uns nicht mehr davonfliegen!“ Er beſchwerte das Blatt mit einem Stein. „Ja, du biſt ans Licht geflogen und mußt darin aushalten, wie weh's auch tut. Je reiner das Schwarz der Tinte iſt, um ſo beſſer gelingts. Iſts nicht wichtig, zu wiſſen, was ſich alles im Finſtern tummelt? Mein Gott, der macht mir ſelber Angſt mit ſeinen ſteilen, ge⸗ wundenen Hörnern und mit Klauen beſetzten Flügeln! Die Kleckſographie iſt der Elementarunterricht in der Dämonen⸗ lehre. Wenn die Menſchen wüßten, von welchem Gelichter ſie umgeben find! Darum”, fügte er hinzu, wieder ein Blatt zu⸗ ſammenpreſſend, „hilft es den Herrſchaften nichts; ſie müſſen heraus; ſie müſſen ſich ſelber abbilden in ihrer ganzen Scheuß⸗ lichkeit“

„Mein Himmel!“ rief er plötzlich, den Stoß wegſchiebend und aufſtehend, „könnten wir nur das Licht ebenſo abbilden wie die Finſternis! Könnten wir die Bilder der Engel auffangen! Aber wie? Nur das Dunkle hat Umriß und Geſtalt, und das Oben und Unten ſind voneinander losgeriſſen. Keine Leiter führt mehr hinauf. Kein Engel will uns tragen.” Er nahm ſeinen Mantel um und ging zur Tür: „Ich will dem alten

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Mesmer wieder nachgehn. Vielleicht begegne ich ihm doch noch.“ Umſtändlich ſtieg er die Treppe hinunter; Marie blieb am Fenſter ſtehen und hörte, wie er unten, in dem engen bun⸗ ten Schloßgärtchen, die Magd anſprach: „Heute nacht habe ich ihn geſehen, den Turmgeiſt! Er hat einen Bart wie der Elch⸗ kopf im Wehrgang und einen langen haarigen Wickelſchwanz!“ Sein ſchwerer Schritt und das Aufklopfen des Stockes hallten durch das Torhaus.

In den folgenden Tagen wurde des Dichters Stimmung ruhi⸗ ger. Er ſaß oft an dem von Weinlaub überhangenen Fenſter und fühlte beglückt auf den halbgeſchloſſenen Augen den Schein des vom See ausgeſtrahlten Lichtes. „Die Schneegipfel hin⸗ ter dem See”, fagte er einmal, „ſehe ich freilich nicht mehr. Es iſt zu viel Trauer durch mein Herz und über meine Augen ge⸗ gangen. Aber in meinem Innern wachſen die Gipfel ſachte, und die doch immer geliebte Erde reicht wieder in den Him⸗ mel.” Marie fühlte ſich an vergangene Jahre erinnert, da die Eltern noch nebeneinander die überreiche Mühe und den Se⸗ gen ihres Lebens trugen; auch damals, mitten im friedevollen Glück des ſich ausſtrömenden Herzens, lag die Trauer in der Seele des Dichters, aber ſie gehörte zu ihm wie der Reſonanz⸗ boden zum Inſtrument; ſie war keine Laſt, ſondern ſein inner⸗ ſtes Eigentum, und das ſchien ſie in den letzten Tagen wieder geworden zu ſein, wenngleich die Sehnſucht viel ſtärker in ihm war als früher. So verging dieſe Zeit in vollkommener Klar⸗ heit; es war, als ob der Herbſt die ſommerlich glühenden Re⸗ benhügel ſchon geſtreift hätte, in deren Gängen dann und wann in den Abendſtunden die hohe Geſtalt des Freiherrn ſich zeigte; das Haupt von einer eng anliegenden Kappe geſchützt, mit lang wallendem Barte und, wie immer, die Schlüſſel ſei⸗ ner Burg mit ſich tragend, prüfte Laßberg die reifenden Trau⸗ ben. Kerner machte ſich indeſſen viel im Städtchen zu ſchaffen und kam einmal mit einem großen Paket beladen über die Schloßbrücke. Doch machte er ein Geheimnis daraus, in das er nur Marie bei verſchloſſener Tür einweihte.

Am Abend vor der Abreiſe ſaßen die Gäſte mit dem Schloß⸗ herrn im Wohngemach; das Fenſter ſtand offen, und die Ufer⸗

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höhen ſchienen befreit aufzuatmen nach der Sonnenlaſt des Ta⸗ ges, der See ſpielte noch in opalenem Licht. „Ich habe ſo viel empfangen auf der Meersburg,” begann Kerner, „daß ich gar nicht weiß, wie ich danken ſoll. Das Beſte hab ich aufgeſpart, und ich glaube, unſer verehrter Schloßherr weiß ſelber nicht, wie er mich beſchenkt hat. Henn”, fuhr er fort, wieder in die gewohnte, halb liegende Stellung zurückfallend, „als ich her⸗ kam, war ich ja ein tiefgebeugter, tief unglücklicher Mann, der aus ſeiner Schmerzenswelt keinen Pfad fand in die höhere Welt der Verklärten. Dort oben wußte ich alles, was meinem Herzen teuer war, was ich liebte und verehrte; hier unten, wo mein Erdgewicht mich feſthält, war ich allein. Eine dicke Wol⸗ kenſchicht hatte ſich zwiſchen die zwei Teile der Welt geſchoben; kein Strahl drang herab, kein Seufzer hinauf.

Und doch wohnten wir hier unter lauter ehrwürdigen Schat⸗ ten, wie in einem Totenreiche. Denn der alte König Dagobert hat noch Inſitzrecht in ſeinem Turme; und wenn es wahr iſt, was ich glauben möchte, daß diejenigen, die am heißeſten Un⸗ erreichtes gewünſcht haben, noch oft auf die Erde wiederkehren, bis endlich der Wunſch ſtirbt nach ihrem Leibe, ſo hat ſich viel⸗ leicht auch der Knabe Konradin noch nicht von dem Fenſter ge⸗ loft, an dem er geftanden haben ſoll. Sah er doch von hier auf die Gipfel hinüber, vor denen das begehrte Reich ſeiner Väter lag und der Tod ihn erwartete. Und auch die Biſchöfe, deren Gebeine man in der Kirche wieder zuſammenſucht, mögen noch an dem alten Fürſtenſitze hangen und kleben. Und wer würde es wagen, die Dichterin anzurufen, die hier Unausdenkbares in ihrem Herzen begrub! Webte ſie doch ihr Lebtag in einem Zwiſchenreich, von dem wir nicht wiſſen, unter welchem Geſetze es ſteht!

Aber all dieſe Schatten hatten keinen Troſt für mich, der ich die Trauer um den verlorenen Teil meines Herzens mit mir herumſchleppte. Auch gibt es ja ein Leiden der Geiſterwelt, das noch herber iſt als das Leiden des Fleiſches; und wer an ihm teilhat, dem mögen ſich wohl die Tage verdunkeln. Endlich war ich um eines Schattens willen gekommen. Jahr um Jahr hat es mich zu dem alten Mesmer gezogen, der nicht ein Arzt

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war aus dem Studium, fondern aus bem Wiffen und der Ahnung und vor allem aus der Kraft des Herzens, die erft den rechten Arzt macht. Die Zeiten haben an ihm geſündigt; ich wollte verſuchen, dieſe Schuld zu verringern, nicht indem ich ihn lobte deſſen würde ich mich ſchämen —, aber indem ich einfach jagte, was er war. Einen beſſern Dienſt können wir ja einem verehrten Menſchen nicht erweiſen, als zu ſagen, was er geweſen iſt. So bin ich hinauf zu ſeinem Grab gewandert. Als ich durchs Tor des Friedhofs ging, flog ein Vogel auf und dicht an mir vorüber. Ich legte mich auf eine der drei Stufen des ſonderbaren, tiefſinnigen Denkmals, das Freunde dem Viel⸗ verkannten unter den Armen des großen Friedhofskreuzes ge⸗ ſetzt haben. Dieſe Freunde ſind wohl dahin; und die Nachwelt hat ihr Werk mißhandelt, den Stein verletzt und Dornen dar⸗ über wuchern laſſen; doch Gottes Auge leuchtet noch über Mes⸗ mers Namen, und auch die heiligen Kreiſe der Geſtirne ſind noch zu erkennen, die über dem Erdendaſein walten.

Dort verweilte ich lange, des Toten und ſeiner Lehre von dem wunderbaren Einklang alles Geſchaffenen gedenkend. Von den Gräbern der vor kurzem Verſtorbenen wehten ſchwarze Schleier, und ein weißer wehte vom Grabkreuz einer Jung⸗ frau. Fern unten ſoll man den See leuchten ſehen. Ich blickte zu dem Kreuze auf. Ich wäre ſo dankbar für ein Zeichen ge⸗ weſen. Aber ich wartete und wartete. Dann ging ich endlich.“ Kerner ſchwieg ſeufzend; das Zimmer hatte ſich verdunkelt. Marie entzündete ein Licht und blendete es auf einen Wink des Freiherrn jorg’ältig gegen den Dichter ab; dieſer hatte fein Geſicht mit der Hand beſchattet, die er nur langſam ſinken ließ.

„Nun verſuchte ich es auf den irdiſchen Wegen des Verſtorbe⸗ nen. Wie mächtig hatte mich oft das Verlangen bewegt, daß ich ihm hätte begegnen und von ihm lernen dürfen! Wenn ich nun vor ſeinem alten Hauſe in der Vorburggaſſe ſtand, vor das ich um vierzig Jahre zu ſpät gekommen war, ſo konnte ich wohl glauben, er lebe da oben ſein ſtilles Leben, jenſeits der Zeit, die ihn zu Wien und darauf zu Paris ſo mächtig emporgehoben hatte, um ihn wieder zurückzuſchleudern in dieſen Erdenwinkel

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feiner Väter. Denn daß der hochberühmte Mann im Alter hierher zurückgekehrt war, wo ſeine Väter Jäger und Fiſcher des Biſchofs von Konſtanz geweſen, und daß er an dieſer Enge der dürftigen, von Kindern und Fuhrwerken belebten Gaſſe hinter dem Schloß genug hatte, nachdem er Zeuge allen Glan⸗ zes und allen Unheils ſeiner Zeit geweſen war, dies ſchien mir am wunderbarſten. Er ſelber hätte freilich geſagt: Was willſt du und was wunderſt du dich? Das iſt der See; der hat die Kraft der Sonne und des Alls in ſich geſammelt und ſie mei⸗ nen ſchlichten Vätern und mir geſchenkt. Und dieſe Kraft habe ich den Menſchen in den großen Städten bringen wollen, die hinſterben wie vom See ausgeworfene Fiſche; mit ihr wollte ich ſie zurückführen aus ihrem verdorbenen Leben in das unver⸗ welkliche Leben der Schöpfung. Meinſt du, ich ſei in den Städ⸗ ten nicht geblieben, der ich war? Wie hätte ich ſonſt gewirkt? So konnte ich, nachdem ich des Geldes und Gutes, des Hauſes und Glanzes und ſogar meines Namens ledig geworden war, leicht heimkehren. Ich bin ja, was ich war, und der See iſt der See meiner Kindheit und meiner Väter, und die großen Kräfte ſchlummern in ihm und wirken in mir; und wenn ich Staub ſein werde, ſo werden ſie weiter wirken, und es iſt ein Leben und Weben über die Gräber hinaus.

Ja,“ fuhr Kerner leidenſchaftlich hingegeben fort, „faſt konnte ich ihn ſehen, wie er kräftiger Geſtalt und weißen Hauptes aus der Haustür kam er mußte ſich ein wenig bücken und ſei⸗ nen kleinen Einſpänner beſtieg und darin zum Seeufer hin⸗ unterrollte; wie er dort einen Kahn betrat, um nach der Mainau hinüberzurudern. Sobald er ſich der Inſel näherte, flogen ihm die Kanarienvögel entgegen, die dort, umgeben vom weiten Waſſer und gehalten von der milden Sonne, frei wie die Sperlinge niſteten. Sie ſetzten ſich auf ſeine Schultern und den breitkrempigen Hut, während er zwiſchen den Roſen⸗ büſchen auf und nieder ſchritt, und folgten ſeinem Kahne noch ein gutes Stück auf der Fahrt nach Radolfszell. Wie ihn auf dem Eiland die Vögel erwartet hatten, ſo am Stadtufer die Kranken. Er beſtrich leiſe ihre Stirnen und ſchmerzenden Glie⸗ der mit feiner Hand, die der verborgenen Kräfte mächtig war;

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er ſprach ihnen Troſt zu, oder er verſetzte fie, leiſe ſummend, in Schlaf, aus dem ſie gekräftigt wie nach einem Bade erwachten. Entgelt wollte er nicht; was er habe, ſei ihm geſchenkt worden, und er wolle es weiterſchenken, ſagte er, am Abend wieder die Ruder ergreifend und hinausfahrend.

Ich konnte ihn auch in vergangenen Zeiten ſeines Lebens ſehen. So, wie er zu Paris, während die Revolution ſchon her⸗ aufgärte, in dem dämmrigen Spiegelſaale ſeines Hauſes ſtand und die Glocken ſeiner Glasharmonika ſingend berührte er bediente ſich freilich eines edleren Inſtrumentes als ich, aber es freut mich doch, daß er es auf ähnliche Weiſe behandelte wie ich das meine und die Noten verſchmähte. Draußen barſt die Ordnung der Rieſenſtadt auseinander, aber er war gefaßt und ſtill, ein Spender guter Kräfte, den die aufgeregte Zeit freilich nicht mehr dulden wollte. Und oft muß ich mich fragen, wie es ihn berührt haben mag, daß Napoleon, der böſe Herr und die leibhaftige Erſcheinung dieſer Zeit, nach dem ruſſiſchen Aben⸗ teuer im bittern Winter hierher an das Seeufer verſchlagen wurde, wo der Arzt im Frieden des Alterns und Wohltuns lebte.

So ſah ich ihn wohl mit dem innern Auge; man kann ja auch mit der Herzgrube ſehen und ſogar leſen, mögen unſere Ge⸗ lehrten mir das glauben oder nicht. Denn der Menſch iſt nicht allein auf die Sinne angewieſen; der ganze Menſch iſt Sinn. Und ich ſtieg in den Häuſern herum und fragte die Alten nach ihm aus. Der hatte ihn noch aus dem Fenſter ſchauen ſehen, jenem hatte er ſeine Schmerzen genommen; oder die alte Wartfrau wußte, daß ſein Kanarienvogel ihn morgens weckte und ihm den Zucker in den Kaffee warf. In allem, was ich von ihm hörte, erkannte ich die Spur eines wunderbar hellen Men⸗ ſchen von jener höheren Art, die ich immer herzlich gern ver⸗ ehrt habe. Hell waren feine Augen; auch ſchwere phyſiſche Übel, an denen er litt, verdunkelten ſeine Miene nicht; hell war ſelbſt die Stunde ſeines Todes, da er der Erde ihren Zoll an Schmerz bezahlt hatte und bat, einen ſeiner Freunde zu holen, daß dieſer ihm auf der Glasharmonika ſpiele. Doch war er ſchon eingeſchlafen, als der Freund kam. Denn er hatte die

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Klänge der ewigen Harmonie im Ohre und ließ ſich lächelnd von ihnen hinübertragen.

Aber ich ſuchte ja mehr; ich bin von den Leidenden einer, die aus der Tiefe empor wollen und gerade darum nach dem Ein⸗ klang trachten, weil ihr Herz zerriſſen iſt. Und dann machte mir die Frage zu ſchaffen, wie der Alte wohl das Kreuz be⸗ trachtet hätte, das neben ſeinem ſonderbaren chriſtlich⸗unchriſt⸗ lichen Denkſtein ſteht und dieſen hoch überragt. Und doch ſprach er wahr und drückte Gottes Werke aus, als er das har⸗ moniſche Zuſammenwirken aller Kräfte, des Oben und Unten, der Geſtirne und Menſchen lehrte. Die Schöpfung will ja ver⸗ klärt werden in ihrer ganzen Fülle; dieſe Verklärung iſt ihr verheißen, ſeit der Herr ſie betreten hat; und in deren Lichte ſah der Tote von Meersburg Gottes Welt. Vieles, was er ſonſt gedacht und geſchrieben, hat ſeine Zeit ihm aufgenötigt, die einem jeden die Laſt ihrer Irrtümer und Sünden aufpackt. Doch im Innerſten hatte er recht; er wollte der verklärenden Ordnung dienen, die er erkannt hatte.

Nur mir ſelbſt war die Welt in Stücke gegangen, in der er gelebt hatte und geftorben war. Sie freilich“, Kerner wandte ſich lächelnd an Laßberg, „können Heilige anrufen und finden faſt an einem jeden Punkte der Erde eine heilige Spur und einen Pfad, der hinüberführt. Ich kann mir nicht denken, daß wider Gottes Willen iſt, was aus der Andacht des Herzens ge⸗ ſchieht, und es fällt mir wahrlich nicht ſchwer, vor der Mutter des Herrn die Kniee zu beugen. Aber doch iſt es mir verwehrt, ſolche Hilfe anzurufen. Darum daß ich es nur geſtehe flehte ich den alten Mesmer wie einen Schutzpatron an. Er ſollte noch als Schatten eintreten für ſeine Lehre. Da ſchenk⸗ ten Sie mir ſein Doktordiplom und am Abend desſelben Ta⸗ ges jenen Stein. Die Dinge regten mein Gemüt mächtig an, wiewohl ſie ja nichts miteinander zu tun hatten. Bald darauf forſchte ich einen Verwandten Mesmers aus. Es iſt ein Maler, und ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen oder gar einmal in ſeiner beſcheidenen Behauſung geweſen ſind.

Wunderbar iſt es ja ſchon, daß ein Maler hier lebt. Denn was könnte er zu tun finden, außer daß er einmal für eines der

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Klöſter am See einen Heiligen malen oder auffriſchen darf! So malt er denn auch ſeine Heiligen, und er tut es mit Liebe, die den Menſchen über fic) ſelbſt hinaustrggt und darum das Geheimnis der Kunſt iſt. Soll ſie doch ein Höheres ſichtbar

machen, auf daß es uns ergreife und hinaufziehe. Das ſagte ich

dem Meiſter auch; und er ſprach mir aus dem Herzen, als er meinte: wer zu Gottes Lob ſinge, dürfe den Schnabel auftun,

ſei ſeine Stimme auch noch ſo ſchwach. Auch male er lieber ein

Bild zur Erquidung einer einzigen ſchlichten Seele als zum Augenſchmauſe der Tauſend, die ſich durch die Kunſthäuſer der Großſtädte drängen. Ich fragte nach Andenken an den alten Mesmer, und der Maler wies auf einen Lehnſtuhl in der Fenſterniſche, ein behagliches Stück; es ſtammte aus den Zei⸗ ten, da die Handwerker noch wußten, wie der Menſch am be⸗ quemſten ſitzt oder liegt. Auch Mesmers Meerrohr fand ſich noch, mit dem er die Kräfte ausſandte. Aber ich bin zu alt, um einen ſo mächtigen Zauberſtab noch zu gebrauchen.“

Dann zog der Meiſter etwas ſehr Schönes hervor. „Sehen Sie hier.“ Kerner nahm eine Doſe aus der Taſche und reichte ſie dem Freiherrn: „Es iſt wohl eine franzöſiſche Arbeit; ein Ver⸗ ehrer Mesmers, der deſſen Lehre ſehr gut verſtanden haben muß, hat ſie ihm vielleicht in den Zeiten des Ruhmes ge⸗ ſchenkt. Sie ſehen die Himmelskugel mit ihren Sternen über der Erdkugel ſchweben; eine Kette verbindet das Oben mit dem Unten, und hier auf der Erdkugel verkündet ein Genius mit Poſaunenſchall den Namen deſſen, der den wohltätigen Einklang alles Geſchaffenen den Menſchen wieder verkündet hat.

Mir war, fuhr Kerner lebhaft fort, während Laßberg im Schein der Lampe die Doſe betrachtete,, als ſollte ich in dieſem Bilde ſehen, was ich ſo ſehnſüchtig zu ſchauen begehrt hatte. Doch war der Maler nicht zu bewegen, mir die Doſe zu über⸗ lafjen, und ich verſtand ihn nur allzu gut. Er lieh fie mir, da⸗ mit ich ſie zeigen könne. Ein Andenken müſſe ich aber haben, ſagte ich; und ſchon dachte ich daran, das Ungetüm von einem Lehnſtuhl nach Weinsberg ſchaffen zu laſſen, da bemerkte ich,

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daß hinter einem Vorhang noch Bilder aufgeftapelt waren. Ich

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lief hin und ſchlug den Vorhang zurück. Da - ſah mich der Alte ſelber an.“ Marie war aufgeſtanden und hatte mit Hilfe eines Dieners ein in Lebensgröße ausgeführtes Bildnis her⸗ eingetragen; ſie ſtellten es im Hintergrunde des Zimmers auf den Boden, mit dem Rücken gegen einen Seſſel, ſo daß das volle Licht der Lampe darauffiel. Laßberg betrachtete erſtaunt das weiße Haar und volle Geſicht eines im höchſten Alter noch blühenden Greiſes. „So ſteht er vor mir,” rief er, „aus der Zeit, da ich ihn in der Schweiz ſah. Wie unähnlich ſind die Kupfer, die man von ihm verbreitet hat!“

„Ja,“ ſagte Kerner, „wie ſehr hat man fein Bild verfälſcht. Wer wollte es wagen, dieſen Mann dem Geſchlechte Caglioſtros zu⸗ zuzählen? Seine Kraft war die Kraft der Natur, der allum⸗ faſſenden, des Himmels und der Erde. Das Bild iſt freilich nicht von unſerm Meiſter, und ich konnte es ohne große Mühe erwerben. Unſer Meiſter hätte vielleicht auch das Geheimnis nicht ausdrücken können, das ſich unter der Schlichtheit des Bildes birgt. Sehen Sie die verhaltene, unheimliche Feſtig⸗ keit der Gebärde, des Blickes; es iſt die Feſtigkeit eines Man⸗ nes, dem die Dinge williger als andern zu gehorchen ſcheinen. Aber bemerken Sie nicht etwas ganz Beſonderes an dem Bil⸗ de?” Laßberg betrachtete ſchweigend die Züge, die lebendiger zu werden ſchienen, je länger das Licht der Lampe auf ihnen lag. „Siehſt dul“ redete Kerner triumphierend feine Tochter an, „nicht ich allein bin blind, auch die ſcharfen Augen des alten Jägermeiſters finds. Und doch”, fuhr er ſehr ernſten Tones fort, „find wir hier auf der Meersburg, wo die große Dichterin Annette gewohnt hat, und oben ſteht noch das Hausgeräte, mit dem ſie umgegangen iſt. Auch ihre Augen waren ſchwach, aber wohl weniger noch vom Leid als von Geſichten. Sie erfühlte die Geſchichte der fremdeſten Dinge, die in ihrem Zimmer wa⸗ ten, ohne daß ein Menſch ihr fagte, woher fie ſtammten. Wir er⸗ fühlen ſie nicht; wir müſſen alles mühſam ausforſchen. Schauen Sie mir einmal zu!” Kerner zog die Ramee aus der Taſche, ging auf das Bild zu und hielt den Stein neben den Stein an einem Ringe Mesmers; ſie glichen einander völlig. „Das hat Marie entdeckt, als ich das Bild herbeibrachte. Aber ich

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war damit nicht zufrieden, lief wieder zu dem Maler und be- drängte ihn um Schriftſtücke des Verſtorbenen. Hier iſt das Verzeichnis ſeines Nachlaſſes; in ihm iſt die Doſe angeführt und dann ‚Ein goldener Ring mit einer Antike, Plato’. Denn der Ring, ſo erfuhr ich nun, war einem Förſter zugefallen; die⸗ fer verkaufte ihn fofort...”

„An den Juden, fiel Laßberg ein, „der das Gold verhandelte und mir den Stein brachte.“ „Und darum”, ſagte der Dich⸗ ter, einen Ring aus der Taſche nehmend, „habe ich dieſen Ring anfertigen laſſen, wie der Tote ihn trug. Und nun', er fügte die Kamee in den Ring und ſteckte ihn an ſeinen Finger, „trage ich Mesmers Ring; das Bild und der Stein ſind zuſammen⸗ gekommen. Ich vermag es nicht anders zu glauben, er hat ſie mir geſandt. Und ſo wie ſich dieſe Dinge zuſammenfügen, die ja doch nur armſelige Zeichen ſind, ein paar Holzſtückchen auf dem Strom, ſo fügt ſich alles zuſammen in dem gewaltigen Kreislauf, der das Unten und Oben, das Diesſeits und Jen⸗ ſeits verbindet. Die Toten bleiben uns nah; und wenn wir ſie recht innig bitten, ſo geben ſie uns vielleicht auch ein Zeichen.

Ich mußte noch einmal zum Grabe. Und als ich wieder auf den Stufen unter dem Kreuze ſaß, da fühlte ich mich nicht mehr ausgeſtoßen aus dem Reich der Verklärten. Die Schleier weh⸗ ten mir zu; ich vernahm im ſtillen Innern Worte der Dichterin, die ja nicht weit von dem großen Wohltäter den Jüngſten Tag erwartet. Ob das nicht ihr Leiden war, daß ſie auf Erden ſchon den Morgenſchein wahrgenommen hat, der menſchlichen Augen ſo wehe tut? Ich fühlte ganz deutlich die liebende Nähe meines Weibes; und da war mir, als ob aus dem überwucher⸗ ten, mißhandelten Grabe leiſe Töne kämen und der Alte an die gläſernen Glocken der ewigen Harmonie rührte und ihr Tönen mit ſummender Stimme begleitete. Und ich fühlte keine Grenzen, keinen Widerſpruch mehr; das Band der ewigen Liebe reichte herab, und die Toten waren ſtill geſchart um un⸗ ſern Herrn. Denn Mesmer hatte wohl nicht den richtigen Na⸗ men für die Kraft, die er meinte: es iſt die Liebe, die von oben niederſteigt.“

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Laßberg ſah bewegt auf: „Nicht nur Sie felbft haben Troſt ge- funden. Sie ſchenken ihn auch mir.“ Mit der ruhigen Feſtigkeit des Arztes, der auch die fdymerzhaftefte Wunde zu berühren vermag, antwortete Kerner, den Blick auf ein Frauenbildnis richtend, das neben dem Schloßherrn hing: „Die Seelen, die einander erleſen ſind, verlieren ſich nimmer. Und die für uns erleſen waren, warten auf uns. Wer weiß, wie nahe wir ihnen ſind. Haben wir nur die Liebe gehütet in unſerm Herzen, ſo werden wir einander finden.“

Das junge Mädchen wagte das Schweigen der Männer, denen das Bildnis wie ein vertrauter Dritter gegenüberſtand, nicht zu unterbrechen. Endlich erhob ſich Laßberg und ging ans Fen⸗ ſter. „Die Nacht“, ſagte er, „iſt ſchon vorüber, fo hell iſt es über den Bergen; und es hat doch kaum erſt Mitternacht ge⸗ ſchlagen“

Am andern Morgen reiſten die Gäſte ab. Der Wagen ſtand auf der Schloßbrücke; das ſorgfältig umwickelte Bild Mesmers war ſchon aufgeladen. Am Tore bat Kerner um einen Ab⸗ ſchiedstrunk. Er hob das dunkel glühende Glas an die Lippen und grüßte den See, das Schloß und die Weinhügel: „Und wenn wir den Wein nicht mehr trinken ſollten, der heute reiſt, fo wollen wir doch dankbar fein für dieſen Herbſt!' Damit ſtieg er ein, Marie folgte; ſie hielt mit der Linken das Bild Mesmers und winkte mit der Rechten dem unter dem Tore ſtehenden Schloßherrn zu, während der Dichter barhäuptig, mit halbgeſchloſſenen Augen, dem Licht ſich zuwandte, das ſich noch immer in ungetrübter Fülle in den See ergoß und aus dieſem widerſtrahlte.

*

Ulrich von Hutten / Ich habs gewagt

Ich habs gewagt mit Sinnen!

Und trag des noch kein Reu;

Mag ich nit drangewinnen, Noch muß man? ſpüren Treu.

1 mit Bewußtſein 2 So muß man doch.

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Darmit ich mein:

Nit eim allein,

Wenn man es wollt erkennen, Dem Land zu gut,

Wiewohl man tut

Ein Pfaffenfeind mich nennen.

Da laß ich jeden liegen!

Und reden, was er will.

Hätt Wahrheit ich geſchwiegen, Mir wären Hulder viel.

Nun hab ichs gſagt,

Bin drumb verjagt,

Das klag ich allen Frummen. Wiewohl noch ich

Nit weiter flich?,

Vielleicht werd wiederkummen.

Umb Gnad will ich nit bitten, Dieweil ich bin ohn Schuld. Ich hätt das Recht erlitten“, So hindert Ungeduld,

Daß man mich nit

Nach altem Sitt

Zu Ghör hat kummen laſſen. Vielleicht wills Gott,

Und zwingt ſie Not,

Zu handlen dieſer maßen.

Nun iſt oft dieſer gleichen Geſchehen auch hievor, Daß einer von den Reichen Ein gutes Spiel verlor. Oft großer Flamm

Von Fünklin kam;

1 lügen 2 flieh - mich gern einem richterlichen Urteilsſpruch unter worfen.

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Wer weiß, ob ichs werd rächen! Staht ſchon im Lauf“,

So ſetz ich drauf:

Muß gahn oder brechen!

Darneben mich zu tröſten Mit gutem Gwiſſen hab', Daß keiner von den Böſten Mir Ehr mag brechen ab, Noch ſagen, daß

Uff einig Maß

Ich anders ſei gegangen Dann Ehren nach,

Hab dieſe Sach

In gutem angefangen.

Will nun ihr ſelbs nit raten Dies frumme Nation,

Ihrs Schadens ſich ergatten?, Als ich vermahnet han,

So iſt mir leid.

Hiemit ich ſcheid,

Will mengen baß die Karten. Bin unverzagt,

Ich habs gewagt

Und will des Ends erwarten.

Ob dann mir nach tut denken“ Der Kurtifanen® Lift:

Ein Herz laßt fid nit kränken, Das rechter Meinung iſt!

Ich weiß noch viel,

Mölln auch ins Spiel“,

Die Sache fängt ſchon an zu laufen.

: kann ich mich mit dem Bewußtſein tröften, daß...

e ſich erholen, fic) für den erlittenen Schaden Genugtuung verſchaffen. 4nachſtellen 5 Pfründenjäger.

Ich kenne noch viele, die ſich am Kampf beteiligen wollen.

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Und ſolltens drüber ſterben: Auf, Landsknecht gut Und Reuters Mut, Laßt Hutten nit verderben! Aus „Hutten der Deutſche' in der Inſel⸗Bücherei

K

Hans Caroſſa / Lehrer der Hochſchule

In den aufgewühlten Monaten des erſten Semeſters war es doch immer wieder der Unterricht, von dem Beruhigung kam. Die Lehrer der Hochſchulen galten noch als nahezu unfehlbar, und in dem akademiſchen Getrampel, womit wir ſie bei ihrem Eintreten in den Hörſaal zu begrüßen pflegten, ſpürte man zu⸗ weilen, daß Menſchenfüße viel Herzlichkeit zum Ausdruck brin⸗ gen können. Erfreulich nüchtern, ganz undämoniſch war die Luft in jenen kahlen Räumen, wo alles der Erkenntnis des Wirk⸗ lichen diente.

Karl Goebel, der ſpäter den großen botaniſchen Garten in Nymphenburg ſchuf, lehrte an den Winterabenden nach fünf Uhr die Pflanzenkunde. Von der Sagenhaftigkeit ſeiner Welt⸗ reiſen umwittert, ſtand der ſchlanke breitbärtige Mann in dem überhellen warmen Saal zwiſchen den duftenden grünen Ge⸗ wächſen, deren Entwicklungen und Verwandtſchaften er uns anſchaulich machte. Im jahrelangen Umgang mit der Pflanzen⸗ welt war ſein Geſicht ſehr ſanft geworden, und hatte man ſich an eine gewiſſe Eintönigkeit ſeines Vortrags gewöhnt, jo emp- fand man ihn dankbar als den Ordner eines unendlichen Stoffs. Wenige hatten damals ein ſo freies Auge für die ewi⸗ gen, zur Kunſt hinweiſenden Formen der Natur, und es ent⸗ ſprach ſeiner Art, in der Schönheit der Geſchöpfe den Ausdruck des Zweckvollen zu ſehen.

Gegen Ende des Halbjahrs kam immer eine Stunde, da Goe⸗ bels tiefem Ernſt eine wahrhaft kindliche Liebenswürdigkeit entwuchs und eine Art Ferienſtimmung das Auditorium erfüllte. Das war die Stunde, in der er die Gattung der Bromelia- zeen behandelte und Ananas sativus nicht nur mit Worten be⸗

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ſchrieb, ſondern auch in ausgeſuchten Muſtern zeigte und vere teilte. Wenn wir eintrafen und auf dem großen Tiſch die lan⸗ gen Reihen der faſt kopfgroßen orangefarbenen Früchte mit den metallgrünen Blätterſchöpfen erblickten, ſo wußten wir, was be⸗ vorſtand, und das Getrampel, womit wir alsdann den pflan⸗ zenkundigen Mann empfingen, ging ins Wütende, bis er lä⸗ chelnd abwinkte. Wie ein Heckenzaun aber trennte uns von dem ſaftigen Genuſſe noch ein ausführlicher Vortrag, dem wir zu⸗ letzt entnahmen, die Ananasfrucht ſei, wiſſenſchaftlich betrachtet, nur eine Scheinfrucht, was unſere Begierde nicht verminderte. Und ſchon hatte der Diener begonnen, die ſchönen Gebilde zu zerſchneiden und die Schnitze auf Teller zu legen, die nun her⸗ umgereicht wurden, während ihr Wohlgeruch den Saal erfüllte. Im Grund war das Ganze nur ein ſpmboliſcher Vorgang und der Biſſen, der auf den einzelnen traf, winzig klein; doch leer ging niemand aus, und jeder fühlte ſich von dem verehrten Lehrer perſönlich zu einem Abendmahl eingeladen, jeder ſchlürfte andächtig ſeinen Schnitz.

Auch im chemiſchen Inſtitut an der Areisſtraße war uns ein aufregendes Erlebnis beſchieden, wenn Adolf von Baeyer, der Kenner der irdiſchen Stoffe, vor unſeren Augen einen Diaman⸗ ten verbrannte. Dieſer Lehrer ſtand im höchſten Ruhm; ſeit langem war er geadelt, auch gehörte er zu den ſeltenen Men⸗ ſchen, denen man ſogar den Reichtum bewundernd verzeiht. Verdankte er ihn doch, wie man hörte, nicht irgendwelcher Hei⸗ rat oder Erbſchaft, ſondern einer alchimiſtiſchen Großtat, der Entdeckung des künſtlichen Indigos, und obendrein waren die näheren Umſtände dieſes folgenreichen Fundes von abſonder⸗ lichen, vergnüglichen Legenden umgeben. Es erhöhte ſehr un⸗ ſere Selbſtachtung, daß ein ſolcher Stolz des Landes mehrmals in der Woche ſich dazu herbeiließ, früh zu uns zu kommen und uns das Abe ſeiner Wiſſenſchaft beizubringen, und wenn er nun gar einen echten Diamanten in Licht aufgehen ließ, um uns die reine Kohlenſtoffnatur des edelſten Steins zu bewei⸗ ſen, die wir ihm auch ſo geglaubt hätten, ſo nahm dies jeder wie eine Auszeichnung hin.

Ich beſuchte das Baeper⸗Kolleg regelmäßig auch in der Faſchings⸗

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zeit, in der die meiſten Hörer, von Maskenbällen geſchwächt, ausblieben, und erntete dann jedesmal einen Anerkennungs⸗ blick des Meiſters, der mich übrigens bei ſeinen leuchtenden, kniſternden, rauchenden und farbenwechſelnden Verſuchen zu⸗ weilen an Onkel Georg, den Zauberer, erinnerte. Nie vergeſ⸗ ſen konnte ich ſeine ſtaunende, faſt ſorgenvolle Miene, als mich einmal Erkrankung tagelang ferngehalten hatte. Auch du, Bru⸗ tus? fragten ſeine großen blauen Augen vaterſtreng, und ich ſchwor mir, fortan pünktlich zu kommen, auch mit hohem Fieber; ja zeitweiſe nährte ich den Wunſch, mich für immer dieſer Wiſſen⸗ ſchaft zu widmen, von welcher viele ſagten, ihr gehöre die Zukunft. Was die Phyſik angeht, ſo wurde ſie damals noch in der Uni⸗ verſität gelehrt. In dieſer ſah ich die Hochburg des unbeding⸗ ten Geiſtes, und hier hatten wir Mediziner eigentlich nichts zu ſuchen; aber gerade dieſes Ausgeſchloſſenſein konnte mich manch⸗ mal reizen, an dem alten Phyſiker Lommel reſpektvoll vorüber zu Lipps, dem Philoſophen, oder zu Iwan von Müller, dem Lehrer der alten Sprachen, zu gehen. Schließlich aber wurde mir der tägliche Umweg überhaupt läſtig, und ich fand mich da⸗ mit ab, mir mein Wiſſen nur noch in jenen äußeren empiriſchen Bezirken zu erwerben, die den künftigen Arzten vorbehalten waren. Die Phyſikſtunde zu ſchwänzen, machte mir übrigens auch aus anderen Gründen keine Gewiſſenspein. Lommel hatte das Licht erforſcht, wunderbare Entdeckungen waren ihm dabei geglückt, er bereitete Wilhelm Röntgen, dem Strahlenfinder, den Weg. Nun aber kränkelte er und ſprach mit ſo ſchwacher Stimme, daß mir die Hälfte feiner Ausführungen verloren ging. Außerdem hatte ein Vetter Hugos, während er ſelbſt noch auf der höheren Schulbank ſaß, einen ſo feinen Leitfaden jener Wiſſenſchaft verfaßt, daß es ſchlechterdings unmöglich war, in der Prüfung durchzufallen, wenn man ſich die kurzen Fragen und Antworten des dünnen Büchleins einprägte., Phyſik leicht gemacht' hätte man dieſen Katechismus nennen können; die Studenten nahmen auch gleich den Vorteil wahr, die Auf⸗ lagen jagten ſich und verſtärkten ſehr das Taſchengeld des jun⸗ gen Mannes, der den Text immer wieder den neueſten Theo⸗ rieen anpaßte.

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Faſt nie dagegen wurde das Kolleg Richard von Hertwigs, des Zoologen, verſäumt; es hatte den vornehmſten Stil. Keine Sonderreize hoben ſich hier vom ſteten Gang des Unterrichts ab; der klare Vortrag war Anziehung genug. Der Wunderwelt jener kleinſten Lebeweſen, die man gerade noch als Tiere be⸗ zeichnen kann, galt Hertwigs Vorliebe; oft hätte man ihm den älteren Goethe als Hörer gewünſcht, und wenn er von der Verwandlungsfähigkeit der Geſchöpfe ſprach, fühlte man ſich wirklich an die Metamorphoſe der Pflanzen erinnert. Las man aber dann zu Hauſe nach, ſo ſpürte man freilich, daß eine an⸗ dere Zeit angebrochen war. Goethe ließ auch noch in ſeinen be⸗ ſtimmteſten Mitteilungen das Geheimnis durchfühlen, das alle Naturen umſchauert; er ſprach von den Kreaturen ſo, wie ein weiſer großer Bruder von ſeinen dumpferen Geſchwiſtern be⸗ richten mag, deren Entwicklungen er liebreich verfolgt und auf Erinnerungsblättern feſtgehalten hat. Gewaltſamer Erkundun⸗ gen enthielt er ſich, und ſchwerlich hätte es ihm zugeſagt, ein Tier bei lebendigem Leibe zu zerſchneiden, um ihm hinter ſeine inneren Einrichtungen zu kommen. Mittlerweile aber war al⸗ les genauer, kühler, ſchärfer, ordnungsmäßiger geworden; die Erkenntniſſe kamen nicht mehr aus der Schau der wachträu⸗ menden Seele, ſondern aus dem ſpähenden Verſtand; oben⸗ drein wirkten die Lehrer im öffentlichen Dienſt, und als Be⸗ auftragte des Staates forſchten ſie von Tag zu Tag unermüd⸗ lich weiter. Sie taten dies auf die ſachlichſte, ehrlichſte, freimü⸗ tigſte Weiſe und gelangten zu ungeheuren Ergebniſſen; dabei ſtieg ihr Anſehen um ſo höher, je mehr ſie ſich perſönlich in den Hintergrund ſtellten.

Mich konnten in jenen Jahren hohe Titel noch völlig bezau⸗ bern, da ich ſie wörtlich nahm, und es vertiefte meine Ehrfurcht vor den neuen Lehrern, daß faſt alle, wie Goethe, Geheimräte waren; ich traute ihnen ein Wiſſen zu, als wären ſie wirklich im geheimen Rate der Weltſchöpfung zugezogen worden. Eine Frage freilich, die mir damals viel im Kopf herumging, wurde auch von den Geheimräten nicht beantwortet, obwohl gerade ihre Vorleſungen ſie mir täglich aufdrängten, die erſte und letzte der Fragen: Wie iſt das Leben auf unſere Erde gekommen?

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Wir vernahmen, es hätten fic) alle Geſchöpfe aus einer Zelle entwickelt, aus niedrigen Formen ſeien immer höhere hervorge⸗ gangen. Damit mußten wir uns abfinden; aber jene Urzelle, wie war ſie entſtanden? Die Erde war einſtmals doch ein feuerflüſſiger Ball geweſen; in ſolcher Hitze hätte alles Eiweiß zerſtört werden müſſen, und da jedes organiſche Sein an Ei⸗ weiß gebunden ift, fo wurde erſt nach der Abkühlung tier- und pflanzenhaftes Leben möglich. Die Vorſtellung, es könne ſich Organiſches durch Urzeugung aus dem Unorganiſchen entwik⸗ keln, wies Hertwig ſelbſt als töricht zurück; wie aber war es zugegangen? Träumte man einſam über dieſen Rätſeln, ſo empfand man in ſeltenen Stunden das Leben wieder wie in Kindheitstagen als ein Anfangloſes, Ewiges. Es mußte behei⸗ matet ſein in einem Reich, dem weder Hitze noch Froſt etwas anhaben konnte, ſo wie auch der wildeſte Orkan den zarten Lichtſtrahl nicht zu zerſtören, ja nicht einmal zu beugen ver⸗ mag. Und als es irdiſch wurde, da wich es der Siedeglut aus, hielt ſich ſtets am äußerſten Saum. Eine Grenze war hier, eine ſchmale ſchwebende Zone, wo es beſtehen konnte; dies paßte zu der alltäglichen Erfahrung, daß es ein immer Gefährdetes iſt. Auch heute gedeiht es ja nur auf der dünnen Rinde der Ku⸗ gel, nicht in ihrem ſchweren, blinden, heißen Innern, das im⸗ mer an ihm zieht, aber auch nicht in der eiſigen Ferne des Athers, nach der es ſich ſehnt. Himmelskräſte hatten teil an ihm; es konnte nicht nur aus dem Sichtbaren wachſen. Daß der Ein⸗ gang zu jener anderen Sphäre in ihm ſelber verborgen ſein könnte, dies allerdings war ein Gedanke, der uns damals noch ganz fern lag; wir wußten nichts von Kant, auch nichts von Swedenborg und ſeiner Gefolgſchaft. Wer uns geſagt hätte, daß alles Gerede von der Urzeugung ewig hinter der Wahr⸗ heit zurückbleiben werde, ja daß nur ein engelhafter, ein mit⸗ vollziehender Geiſt zu erfahren vermöchte, wie das uns Wahr⸗ nehmbare aus dem nicht Wahrnehmbaren hervorgeht, den hät- ten wir nicht verſtanden.

An einem der letzten Oktobertage beſuchte ich zum erſten Male die Anatomie. Eine Stunde ſollte hier täglich der Lehre gewid⸗ met ſein; zwei weitere gehörten den Ubungen an der Leiche. Es

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war noch die alte Anſtalt an der Schillerſtraße; ich ging zu Fuß, von Abwehr und Neugier durchwechſelt. Dem Vater zür⸗ nend, der mich zu ſo fremdartigen Erfahrungen hinzwang, war ich doch ſchon im voraus auf ſie ſtolz; keinesfalls wollte ich Ekel oder Grauen an mich herankommen laſſen. Um eine Viertel⸗ ſtunde zu früh erreichte ich das olivbraune Gebäude; doch hat⸗ ten ſich bereits zwei andere Studenten eingefunden, anſchei⸗ nend keine Neulinge. Sie unterhielten ſich mit einem weißbe⸗ kittelten Mann und gingen einer Stiege zu, die hinunter führte; ich vermutete, daß es der Leichenkeller war. Auf einmal hörte ich ſagen: „Die Herren treffens gut; heute früh iſt einer geköpft worden. Um zehn Uhr kann er hier fein.” „Es kommt wohl ſelten vor?” fragte der eine Student. - „In manchem Jahr gar nicht“, antwortete der Weißkittel und öffnete die Tür zu dem Keller, der eigentlich keiner war, da er von drei Seiten durch große Fenſter Licht empfing. Ich begrüßte die Gruppe und nannte meinen Namen; der Führende ſtellte ſich vor als Anatomiediener Haas.

Augenſcheinlich war hier erſte Pflicht, ſich unbewegt und kalt zu zeigen; ſo tat auch ich, als wäre ich an weit Schlimmeres ge⸗ wöhnt. Die beiden Kollegen hatten es leicht; ſie ſteckten ſich, wie ſie ſagten, Zigarren ins Geſicht; ſo konnten ſie die unver⸗ wirrbar überlegene Haltung des rauchenden Mannes anneh⸗ men, indeſſen ich, mit keinerlei Tabak verſehen, auf mein eige⸗ nes Gleichgewicht angewieſen blieb. Wir ſtanden vor einem Selbſtmörder, dem die verwunderlich dünne, unter ſchwarz⸗ grünen Schwellungen halbverborgene Schnur noch nicht vom Halſe geſchnitten war; Kiefernadeln lagen auf den Augen, dürre Blätter in den Schlüſſelbeingruben. Die zwei Studenten zwangen ſich zu Witzen und umwölkten den ſtillen Mann mit Qualm. Andere Leichen warteten in rohen Särgen; manchmal nahm der Diener einen Deckel ab und gab Erklärungen. Wäh⸗ rend ich jedes anwehende Grauen abwies, wurde mir doch auf einmal ſchwindlig. Es waren jedoch weniger die ſehr entſtellten Geſichter, die mich innerlich bedrängten, als die anderen, die den freundlichen Schein des Lebens bewahrten. Ich hielt mich abſeits, um in einem unbewachten Augenblick nach oben zurück⸗

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kehren zu können. Dieſen Vorſatz verſchleiernd, blieb ich dann und wann ſtehen und hob ſchließlich von einem Sarge den Dek⸗ kel hoch, hatte aber Mühe, ihn nicht fallen zu laſſen: ein junges Weib ſtarrte mit weit offenen todestrüben Augen durch mich

hindurch ins Leere. Wieder einmal, in dieſem Augenblick, N wollte die Kindheit aufſteigen mit jener feierlichen Stimmung,

zu welcher der Anblick der lichterumſtellten Aufgebahrten die Seele erheben konnte, mit ihrer Sorge um ein künftiges Le⸗ ben, die ſogar den Mumienarm nicht ausſchloß, und nun lernte

man ſo viele kennen, die zu jener ehrbaren, blumenbekränzten a

Leichenwelt keinen Zutritt hatten. Ungeſchmückt, ungeſegnet ging eine ewige Totenwanderung durch die Anatomie; auch das Sterben war ins Wertloſe verweht, - wer wollte noch an Auf⸗ erſtehungen glauben? Die jugendliche Weibsgeſtalt wies keine Krankheitsſpuren auf; auch deutete nichts auf gewaltſames Ende. Das Haar war dicht und ſchwarz; die Augen ſchienen einen Reſt von Blickkraft zu bewahren. Ein Zug von Unter⸗ würfigkeit zeichnete das Antlitz; es hatte wohl auch im Leben keinen ſonderlich ſtarken Ausdruck beſeſſen. Dies war nun der erſte weibliche Leib, den ich in vollkommener Nacktheit ſah, und es war der Leib einer Verweſenden. Vor kurzem hatte ſie ge⸗ wiß noch manchem gefallen und nun doch keinen gefunden, der für ein ſchlichtes Begräbnis aufkam; nicht einmal die Augen waren zugedrückt. Einſt hatte die gute Kadinger Wirtin der er⸗ ſtochenen Frau Schmerold dieſen letzten Dienſt erwieſen, ſchon mahnte mich etwas, ihrem Beiſpiel zu folgen; aber jetzt blickten die anderen herüber, und gleich empfand ich meine Anwand⸗ lung als unerlaubt. Als wäre nichts Beſonderes zu ſehen, ließ ich den Deckel nieder und ging in das anatomiſche Theater hin⸗ auf. Hier waren die Sitzreihen in anſteigenden Halbkreiſen ge⸗ ordnet, von Gängen radial durchſchnitten; überall ſaßen ſchon Studenten, zartwangige und bärtige, um den Geheimrat Rückert zu hören. Einige plauderten; viele laſen den Simpliziſſimus. Als

der Diener die Tür öffnete, durch die der Profeſſor gleich ein- f

treten mußte, ging ein Rauſchen durch den hohen Saal, hervor⸗

gebracht von dem vielfachen Zuſammenfalten des beliebten Witz⸗

blattes; dann folgte der ſtaubaufwirbelnde Begrüßungstumult. 146

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Ich verſprach mir nichts Erhebendes von dieſer Stunde, durfte mich aber bekehren; denn hier wehte kein Vergängnishauch. Der Vortrag ſtand vielmehr im Zeichen eines Wortes, das uns lebenstraulich in die Lehre von der Zergliederungskunſt ein⸗ führte, eines ungemein deutſchen und Goethiſchen Wortes, das auch der Vater oft gebrauchte: Rückert ſprach von den Gewe⸗ ben. Er tat es mit Anſchauungskraft und hatte ſtets farbige Kreiden zur Hand, um dem geſprochenen Text auf einer gro⸗ ßen Tafel nachzuhelfen. Gewebe, das waren alſo Verbindun⸗ gen gleichartiger Zellen; aus ihnen bauten ſich die Organe auf, ſogar das Blut konnte man als ein Gewebe aus zahlloſen Zellen betrachten, die durch eine Flüſſigkeit vereint und zugleich auseinandergehalten wurden. Wer den unendlichen Weberin⸗ nen die Aufträge gab, wußte niemand; ein umfaſſender Gott⸗ geiſt waltete wohl zeugeriſch durch alles, in der Ausführung aber ſpürte man ein zutiefſt Mütterliches, das nach verborge⸗ nem Plan Mpriaden Zellen zu immer neuen Gebilden hervor⸗ wirkte. Es verfuhr dabei mit unerſchöpflicher Geduld; die Vor⸗ ratskammern mußten überreich gefüllt ſein, und wie viele Stücke der Weberin auch mißlangen, ſie begann unermüdlich neue. So vereilte die Stunde im Glück des Begreifens, und als ich ſpäter, im Präparierſaal, abermals zu Leichen kam, war ich gegen Grauen und Schwindel ſchon geſchützt. Es konnte leicht glänzendere Sprecher geben als Rückert; aber ſein Ernſt, ſeine Gegenſtandsfreude ließen mich nachwirkend fühlen, wie ſehr es zum Daſein des Mannes gehört, gewiſſe Eindrücke auf ſich be⸗ ruhen zu laſſen und ſich treulich in den Dienſt einer Lehre zu ſtellen. Wenn der zum Heilen Berufene ſich durch die ſchreck⸗ lichen Spiegelbilder fremder Untergänge aus dem Gleichgewicht ſcheuchen läßt, ſo nützt er niemand; er darf nur ſeinen Auftrag ſehen auf die Gefahr hin, daß er dem nicht Eingeweihten un⸗ menſchlich erſcheine. Im Alter der Halbreife kann ſich der Be⸗ ginn dieſer Einſicht ſehr zyniſch äußern; das iſt nur Notwehr gegen die verſtörende Drohung und Lockung des Chaos.

Es gab an dieſem Tage noch nichts Ernſtliches zu tun; man empfing allgemeine Weiſungen, ſchrieb ſich auf, was man an Inſtrumenten brauchte, und hatte Zeit, ſich umzuſehen. Fahle

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Sonne lag auf dem wuchtigen Rumpf des Enthaupteten; ihn umringte ein Schülerkreis, in welchem ſich auch ein hochge⸗ wachſenes rötlichblondes Mädchen befand, und die Gegen⸗ wart dieſes einzigen lebendigen Weibes veränderte die Stim⸗ mung des Raums. Blonder noch als fie war der junge Lehrer, der im ſchwarzen Arbeitsmantel vor der Leiche ſtand und mit gedämpfter Stimme Erläuterungen gab. Man ſah ſeinen Hö⸗ rern an, daß ſie nicht Arzte werden wollten; ſie unterſchieden ſich deutlich von uns. Schon ihre Kleidung war ſorgloſer; einige trugen braune Samtjaden, keiner einen Präparierkittel. Ein Kamerad ſagte, der Dozent ſei Doktor Mollier, er erteile wöchentlich zweimal den Künſtlern Anatomie⸗Unterricht. Jetzt erkannte ich einen Landshuter Schulgenoſſen, den Maler Willi Geiger, deſſen großes Talent ſchon damals Aufſehen erregte. Er nickte mir zu, achtete aber gleich wieder auf Molliers leb⸗ haft⸗leiſe Rede. Mir war beim Anblick der abgeſonderten klei⸗ nen Schar, als umgäbe mich der Gewahrſam eines fremden Willens und als ſähe ich nun auf einmal nah Verwandte, die aber gar nicht auf den Gedanken kamen, mich befreien zu wollen.

Mollier war nicht mit Meſſer und Federzange verſehen; er ließ den Toten unverſehrt, unterrichtete nur mit Wort und Ge⸗ bärde. Einmal bat er die hohe Blonde, näherzutreten; dann nahm er ihre lange feine Hand und hielt ſie vergleichend neben die haarige Pranke des Gerichteten. Sie ließ es geſchehen, ohne zu erröten oder zu erbleichen, ganz dem Sinne der Er⸗ klärung hingegeben. Dies war nun wieder eine von den klei⸗ nen Szenen, die mir unvergeßlich wurden; ein Gefühl er⸗ wachte, als wäre von den Toten des Hauſes keiner mehr allein. Wie eine Seelenführerin ſtand die ernſte Jugendliche an dem Fenſter, durch welches in ſteigender Sonne die vollen weißen Trauben reifer Schneebeeren goldrötlich hereinſchimmerten; das Geſchick der Leichen trat in ein mildes neues Licht. Sie waren ein Stand mit eigenen Pflichten und Rechten geworden; ja in⸗ dem ſie ihre Auflöſung nicht wie andere den Elementen, ſon⸗ dern den Dienern der Erkenntnis und der Schönheit anheim⸗ gaben, entrückten ſie ſich in ein höheres Reich, wo ſie keiner

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brennenden Kerzen, keiner Blumenzier und keiner zärtlichen Gebräuche mehr bedurſten.

Mollier ſprach zu gedämpft, als daß ich ihn verſtehen konnte; doch begriff ich, daß er ſeine Schüler am Leibe des Menſchen Dinge ſehen lehrte, die wir nicht wahrnahmen. Auf Eingriffe verzichteten dieſe Lerner; ſie fanden auf der Oberfläche Koſt⸗ bares genug für ihr Werk und für den Ruhm, auf den fie hoff- ten. Mollier fuhr fort, ihnen Blick um Blick zu öffnen, und wo für unſereinen nur nackte Haut war, ja wo man ſich ein wenig jenem Kinde verwandt fühlte, das des Kaiſers neue Kleider nicht ſah, da machten fie Augen, als hätten fie Perlen und Rubine entdeckt. Meine mediziniſchen Kameraden nahmen die⸗ ſen Anatomie⸗Unterricht nicht ernſt; ſie hielten es für einzig ehrenhaft, mit Pinzetten und Skalpellen im Bergwerk der Vergängnis zu ſchürfen, mühſam und vom Leichengift wie von Grubengaſen bedroht. Aus dem werdenden Buch

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Max Mell / Günther und die kleine Schwedin

Dieſen Sommer lang war der kleine Wieſenweg, der vom Dorf herauf an die Berglehne und ins Grüne geht, bei weitem mehr belebt als in früheren Jahren. Am Eingang zum Wald ſteht ein hölzernes Sommerhaus; es iſt ſauber und freundlich, aber ſo klein, daß wir uns nur ſchwer vorſtellen konnten, wie ſie denn alle Platz darin hätten, die im Juli angerückt kamen: eine Fa⸗ milie, in der es nicht weniger als vier Söhne gab, nur der jüngſte, zehnjährige war noch klein, die anderen hoch aufgeſchoſ⸗ ſen, alle mit feinen aufgeweckten, blonden Geſichtern, in denen man forſchen konnte, was ſie dem Vater und was der Mut⸗ ter verdankten. Sie war eine ſtattliche Erſcheinung guten tiro⸗ lichen Angeſichts; der Vater, ein hoher Beamter mit bedeuten⸗ der Bildung, kam wenigſtens gelegentlich für kürzere Zeitab⸗ ſchnitte zu den Seinen. Die vier Burſchen waren vortrefflich erzogen, alle geſund und fröhlich, alle hatten Vorliebe für die Tonkunſt, und die Begabung des älteſten, des neunzehnjähri⸗ gen, hatte ſich bereits auch als ſo ungewöhnlich gezeigt und ſich

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in ihm bereits fo ſehr entfaltet, daß er in ihr feinen Beruf zu ſuchen entſchloſſen war. Die Hornbrille, die er ſo wie ſein jüng⸗ ſter Bruder trug, gab ihm einen mild gelehrtenhaften Zug und täuſchte nicht über ſeinen Blick nach innen; Günther, der jüngſte, ſtrahlte durch ſeine Gläſer alle Welt an mit blauen Kinderaugen. Uber ſeinem Geſicht lag noch der volle Schimmer der Frühe; vom Anſatz des kurz gehaltenen Kopfhaares ſchob ſich heller Flaum in reizender Heeresordnung gegen die Augen⸗ brauen, dann von den Schläfen herab die Wangen entlang und vom Hals herüber zum Kinn, eine kaum ſchnell zu über⸗ ſehende Anordnung, deren lichter kindlicher Glanz den Blick entzückte. Als der jüngſte hieß er auch Mädi, die anderen hat⸗ ten kräftigere Spitznamen. Er wurde, eben als der jüngſte, das eine Mal verhätſchelt und das andere Mal hart angelaſſen, wohl auch zu Tränen gebracht, nämlich wenn man ihm körper⸗ liche Leiſtungen oder Püffe zudachte, die den älteren unterein⸗ ander ganz verſtändlich waren, ihm aber noch über ſein Auf⸗ faſſungsvermögen gingen. Das war eine etwas rauhe Art der Erziehung, und da ſie meiſtens im Schwimmbad vor ſich ging, hatte ſie etwas von ſpartaniſcher oder ſonſt auf unbedingte Er⸗ tüchtigung des Körpers abzielender Art. Die beiden mittleren Brüder, die ohne Hornbrille, erſchienen gegenwärtig als die derbſten der vier; ſie wandelten eben durch ihre Flegeljahre, oſt in einer Haltung mit gekrümmt herabhängenden Armen, wie man ſie von Abbildungen der Urmenſchen kennt, pflegten ſich mit fernhin gellenden Schreien und Pfiffen zu verſtändigen und waren jederzeit bereit, einen munteren Streich zu begehen, aber doch auch eine Gefälligkeit zu erweiſen. Ihnen gegenüber wirkte der älteſte weltabgewandt, der jüngſte aber ſo, wie ein kleiner roſiger Profeſſor in einem Kinderballett dargeſtellt würde. Er war übrigens keineswegs ſchüchtern; er hatte viel⸗ mehr eine Geſprächigkeit mitbekommen, die ihm in der Schule wiederholt Rügen zuzog. Es brodelte in ihm geradezu vor Eifer, die Dinge, die ihn beſchäftigten, auszuſagen, und als wir nun als Nachbarn an unſerem Waldabhang öfters zuſammen⸗

kamen, hielt er nicht lange zurück mit dem, was ihn beſonders feſſelte. Das war die Eiſenbahn, waren die Einrichtungen des

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Verkehrs. Er beſchränkte aber feine Aufmerkſamkeit nicht auf die Züge, die unſer ſchmales Waldtal durchrauſchten, ſondern ſie galt allen Strecken und nicht nur etwa denen unſeres Hei⸗ matlandes; es war ja klein genug, ſo daß ſich die Frage nach den Anſchlüſſen von ſelber ſtellte. Der amtliche Fahrplan gab denn auch Auskünfte und verkündigte unterm Strich noch mit raſch ſpringenden Zeitziffern Florenz und Rom, Köln und Oſt⸗ ende, Prag und Warſchau. An den Landesgrenzen fanden ſich ferner die fremdſprachigen Bezeichnungen für bekannte deutſche Ortsnamen wie für Eger, Bodenbach oder Preßburg. Die be⸗ herrſchte er bereits und bemerkte liſtig, wenn ihm beim Buch⸗ ſtabenſpiel ein Ortsname fehle, der mit V anfing, da er Ve⸗ nedig oder Villach natürlich bei den anderen Mitſpielern vor⸗ ausſetzen müſſe, ſo brauche er bloß Velenice aufzuſchreiben, das nähme ihm gewiß niemand anderer vorweg. Ich wies ihn dar⸗ auf zurecht und meinte, dieſer Ort käme für ihn als deutſchen Knaben nur beim Buchſtaben G fiir Gmünd in Betracht und er müßte die Frage eher unbeantwortet laſſen, als in eine fremde Sprache gehen; das ſah er dann ein. Als ich ankam, ſagte er mir, er habe mein Eintreffen mit Ungeduld erwartet, weil er von mir Aufklärung über eine ihm dunkle Bezeichnung erhoffe. Es hatte ihm jemand, der vom Süden kam, den italie⸗ niſchen Fahrplan geſchenkt; und da fand er bei gewiſſen Zügen den Zuſatz , mist', und er konnte fic) nicht erklären, was dieſe Bezeichnung, der etwas Herabſetzendes anhaftete, heißen ſollte. Ich hatte das Vergnügen, ihn über den ,treno misto', den ge⸗ miſchten Zug, unterrichten und ſo ſeine Kenntniſſe erweitern zu können. Sprach aber nun jemand die Vermutung aus, daß er vielleicht einmal ſeinen Beruf bei der Eiſenbahn finden werde, ſo zeigte ſich, daß er andere Pläne hatte: er wollte ſich der Erd⸗ kunde widmen und ſie etwa künftig lehren; mit kindlicher Wich⸗ tigkeit ſtellte er dies als fein Ziel hin. - Das alſo war Günther. In dieſen Sommertagen kündigte ſich ein Beſuch bei uns an, eine Familie aus Schweden, mit der ſich nach einer gelegent⸗ lichen Begegnung ein Verkehr aus der Ferne angeſponnen hatte. Das Oberhaupt der Familie war ein angeſehener Arzt und Profeſſor, er bereiſte Oſterreich und Ungarn, vornehmlich

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um einige namhafte Anftalten zu befichtigen, aber auch um ſei⸗ ner Frau und ſeinem Töchterchen Länder und Städte zu zei⸗ gen. Sie kamen an, das Ehepaar gewann uns neuerlich ſo⸗ gleich mit ſeinem lebhaften Weſen, beide waren der deutſchen Sprache ſehr wohl mächtig. Wir boten ihnen einen großen Raum im Hauſe an, das Fräulein möge nur entſchuldigen, daß wir ihm kein geſondertes Zimmer anbieten könnten. Die Mut⸗ ter erwiderte: „Oh, für Marp Ann wäre es nur eine Strafe, wenn wir es hier anders halten müßten als bisher auf der Reiſe und ſie nicht mit uns zuſammen wäre. Mary Ann horchte, was ihre Mutter von ihr ſagte. Sie ſprach nichts, ſie ſtand langgliedrig und ſchmal da in ihrer ſchottiſchen Bluſe und dem grauen Reiſeröckchen, mit einem unbewußt ſpähenden Aus⸗ druck in den Augen; die Schatten unter den Brauen und die gerade Naſe zeichneten die Kreuzform in ihr kleines Geſicht. Es war ein ernſter Hauch darüber gebreitet; es erſtand darin keine Bereitſchaft zu einem Lächeln, wenn man mit ihr ſprach, und es fehlte etwas an Farbe darin, ſo daß man wohl daran denken mochte, daß ſie eben ein Geſchöpf war, welches in der Mitter⸗ nachtsſonne aufgewachſen war. Jedoch ebenſo durfte man den⸗ ken, daß eine beſtimmte gefeierte Art ſchwediſcher Frauenſchön⸗ heit keine unbedingte Seltenheit ſei. Dies wird ja manchmal verſichert, und Marp Anns liebliche Kindhaftigkeit ſchien es ſchon heute zu beſtätigen. Sie hörte einem mit Höflichkeit zu und antwortete durch geraume Weile nicht, ſie brachte erſt die kleine Anſtrengung hinter ſich, die gehörten Worte ſtill zu über⸗ ſetzen, hierauf überlegte ſie raſch den Satz, mit dem ſie deutſch antworten konnte, dann erſt ſagte ſie: „Ja.“ Sie hatte es ja ſchwer; ſie war vierzehn und ſcheu, und ſie hatte ſich in der fremden Sprache zurechtzufinden. Ihr Händedruck aber war ſportlich und feſt. Das alſo war Mary Ann. |

Man befichtigte das Haus und den Obſtgarten, ließ ſich den Blick auf die Berghäupter erklären und ging ein kleines Stück den Waldgraben hinan, um Alpenveilchen zu pflücken. Am Abend kamen unſere Nachbarn, guckten die Fremden an, ſaßen ein wenig und gingen wieder. Am andern Tag traf ſich das junge Volk im Bad. Günther war belehrt worden, daß er ſich

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dem ſchwediſchen Mädchen gegenüber als Ritter zu zeigen habe. Bei ſeinen nächſtälteren Brüdern hätte ein ſolcher Vorſchlag ja nur Hohngelächter hervorgerufen. Als ſich Marp Ann, im Bademantel, auf das Geländer ſtützte und ins grüne Waſſer ſah, tauchte Günther wie ein junger Flußgott auf, das Waſſer ſtrömte ihm übers Geſicht und von ſeinen Lippen, und er klet⸗ terte herauf. Er lehnte ſich in ſeiner Schwimmhoſe neben Mary Ann und ſah wie ſie in das Waſſer hinab; ſeine gebräunte Haut beſtand aus unzähligen Stellen, die alle zitterten. Er ſprach nichts. Dann erſtürmte er die Höhe des Sprungbretts und machte ſeinen doppelten Kopfſprung ins Waſſer vor. Als er ihn wiederholt hatte, ging Marp Ann ins Waſſer und zeigte, wie ſie darin auf dem Kopf ſtehen konnte. Dann ging ſie heraus, nahm den Bademantel um und ſetzte ſich auf die Bank zu den Erwachſenen neben ihre Mutter. Dieſe erzählte, wie ſie manchmal am Strand daheim, wenn ſie nach ihren Kin⸗ dern Ausſchau hielte, gerade die vier Paar Sohlen in ſchöner ſteiler Ordnung aus der Flut ragen ſehe.

Am Nachmittag beſuchten die Gäſte die Höhlen, die einen Kalkſteinriegel des Murtales in großer Ausdehnung durch⸗ ziehen und die mit dem Wagen unſchwer zu erreichen waren. Zum Abendeſſen waren ſie wieder da, es waren auch unſere Nachbarn geladen, und ſo war es ein großer feſtlicher Tiſch. An dem Ende, wo die Jugend ſaß, war er angeſtückelt, und das er⸗ gab vielleicht eine Enge, aber es war immer deutlicher wahrzu⸗ nehmen, daß es die Stimmung dortſelbſt nicht beeinträchtigte. Wenigſtens die drei Brüder gelangten untereinander zu breit⸗ ſpuriger Luſtigkeit. Günther freilich ſah angeſtrengt durch ſeine Brillen über den Tiſch hin und ſchien durch ſeine Tiſchnachba⸗ rin in große Verlegenheit geſetzt. Er tat den Mund nur auf, wenn es ſeinen Brüdern galt und wenn er einen Biſſen in den Mund ſteckte. Manchmal wendete er ſich beunruhigt zu Mary Ann, die neben ihm in anmutigem und aufmerkſamem Ernſt aß; aber es blieb beim Anlauf, und er zog ſich wieder zurück. Wir ſprachen über das, was unſere Gäſte dieſer Tage geſehen hatten, und über beſtimmte Eigenheiten des Landes und ſeiner Bevölkerung, und ſie verglichen ſie mit denen in ihrer Heimat.

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Es fehlte auch nicht die Frage nach den Frauen Schwedens, die Weltruf beſitzen, nach der beſtaunten Königin der Flimmerlein⸗ wand und nach der Dichterin, deren mütterlicher Erzählungs⸗ kunſt man nur warmen Herzens gedenken kann. Da war die Rede auf die Dichtung gekommen, und der Profeſſor nannte Verner von Heidenſtam, den er ſehr hoch hielt, und freute ſich zu erfahren, daß man ihn bei uns kannte und wußte, wie er König Karl den Zwölften und ſeine Krieger verherrlicht hat. Jemand fragte, ob denn nicht auch ſchon unter den früheſten Königen, die den Namen des kühnen Heerführers trugen, ähn⸗ lich bedeutende Männer geweſen. Der Profeſſor zögerte mit der Antwort; ſein Lächeln war erſt verlegen, dann verſchmitzt, und er erzählte, daß es die erſten ſechs Karle nie gegeben habe, ſie waren die ehrgeizige Fabelei eines alten Geſchichtſchreibers; als man dies aufdeckte, war es zu ſpät, die Zählung richtigzuſtel⸗ len. Niemand in unſerer Runde hatte dies gewußt, doch war man zu nachſichtiger Beurteilung des Vergehens und ſeiner Folgen geneigt. Die jungen Leute am andern Tiſchende inzwi⸗ ſchen waren auf Geſchichten aus dem abgelaufenen Schuljahr gekommen und gaben Proben von mißglückten Überjegungen aus dem Lateiniſchen zum beſten. Günther, ſorgenvollen Ge⸗ ſichts, beteiligte ſich hieran wenig, um ſo mehr derjenige ſeiner Brüder, der an Marp Anns anderer Seite ſaß und ſich aus dem Zuſammenhang mit ihnen nicht zu löſen wünſchte. Der äl⸗ teſte ſagte einen Satz, den fie lateiniſch geben ſollten: ‚Als mein Mann geſtorben war, reiſte ich nach Rom.' Nach einigen Unſicherheiten, die den Schluß auf reichliche Sommerfreuden erlaubten, einigten fie fi) auf den Wortlaut: ‚Marito meo mortuo Romam profectus sum.’ Er beftritt, daß das richtig jei, fie fanden aber nicht, wo der Fehler fige. Endlich klärte er ſie auf, daß es heißen müſſe: profecta sum, denn nur ein weib⸗ liches Weſen konnte ſo ſprechen. Er erzählte, ein Geiſtlicher, zu dem ſie, Schüler und Schülerinnen, des Kirchengeſangs halber kamen, habe es ihnen aufgegeben, und ſie hätten den⸗ ſelben Fehler gemacht; aber natürlich, die Mädchen hätten zu⸗ letzt das Richtige gefunden. Die Burſchen lachten laut. Ja, ihnen fehlte es nicht an Unterhaltung. Aber die junge Dame,

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die da unter ihnen fab? Die Aufgabe, die Günther zugefallen war, war zu groß für ihn. Fand ſeine Gewiſſenhaftigkeit nicht doch endlich das Wort, das er an ſie richten konnte? Er ſpitzte den Mund, vielleicht hatte er jetzt etwas? Aber es verging wie⸗ der. Man hatte bisher mit dem Eſſen zu tun gehabt, und dieſer Umſtand beſaß entſchieden aufſchiebende Wirkung. Nun aber wurden die Teller weggenommen und für den Nachtiſch ge⸗ wechſelt; nun freilich galt es zu zeigen, daß man ſich zu beneh⸗ men wußte. Der Zufall wollte es, daß das Gewirre der Tiſch⸗ geſpräche gerade etwas abklang, und in dieſer kleinen Pauſe war die Stimme Günthers zu vernehmen, der ſich leicht errö⸗ tend zu ſeiner Nachbarin wandte: „Ich habe einen alten ſchwe⸗ diſchen Fahrplan.“ Eifer und Befriedigung ſtanden noch in ſeinem Geſicht, als ſich die Wirkung dieſer ſeiner Mitteilung äußerte. Marp Ann hatte ſeinen Worten mit der ganzen Auf⸗ merkſamkeit gelauſcht, zu der ſie die fremde Sprache nötigte und die ihr ihre Höflichkeit eingab. Und dann auf einmal lä⸗ chelte ſie, und es war zum erſten Male. Sie hatte uns freund⸗ lich angeſehen, und wir durften annehmen, daß ſie nicht ungern bei uns war. Jedoch gelächelt hatte ſie noch nicht. Sie ſah Gün⸗ ther an, und es war etwas in dieſem Blick, wie man einen von oben bis unten mißt, aber in unſagbarer Erheiterung. Und wahrhaftig, in ihren Wangen zeigten ſich Grübchen! Ach, hatte man nicht der Mitternachtsſonne Schuld beigemeſſen, wenn etwas Verſchattetes in dieſem kindlichen Geſichtchen war? Sie brauchte es nur, um dieſe Grübchen darin verborgen zu halten und dann mit bezauberndem Reiz ſiegen zu laſſen!

Das war die Entdeckung für die, welche fürſorglich den jungen Gaſt ein wenig im Auge behielten. An Günthers Mitteilung ſpann ſich das Geſpräch allerdings nicht weiter. Marp Ann zeigte nur, daß ſie ſie zur Kenntnis genommen habe. Günther aber hatte ſich unſtreitig brav gehalten und ſicher auch die An⸗ erkennung ſeiner Dame errungen. Denn wir ſahen nachher, wie herzlich der Händedruck war, mit dem ſich Mary Ann von ihm verabſchiedete.

—Es iſt Herbſt geworden, ein weiter Raum von Stille ſpannt ſich von den Gipfeln der Berge herab übers Tal, licht ſcheinen

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die gelb gewordenen Lärchen und Birken in die Fenſter, und dem Einſamen ſcheint fein Schritt auf der knarrenden Holz treppe des Hauſes überlaut. Da kommen wohl ſolche kleine Rückerinnerungen, man lächelt, und einmal findet ſich richtig die Stunde, in der man ſie aufſchreibt. Iſt es nicht, als ob man damit den einen Gedanken verſcheuchen möchte, der ſich in die⸗ fen Tagen allzu leicht einftellt: warum man fic) denn vom Sommer immer ſoviel Glückhaftes erwartet und warum man an ſeinem Ende immer das Gefühl hat, daß er einem abermals etwas ſchuldig geblieben iſt. Ach, was iſt das für eine Frage! Keine, die wir in der Kinderzeit, in der Jugend geſtellt haben! Aus einem ſteiriſchen Tagebuch **

Katharina Kippenberg / Aus Rilkes Leben

Im Winter 1910 machte er eine Reiſe nach Tunis, Algier und Agypten; aber beſſer als in der Wirklichkeit gelang ihm die Fahrt nach dem Wunderlande zweimal am Geiſte, das erſte Mal, als er ſeine Frau in Gedanken begleitete, das zweite Mal hinterher als ein den wirklichen Erlebniſſen Nach⸗Denkender. Denn un⸗ ter den Verhältniſſen, in denen er ſich befand, konnte er auf die großen Dinge nicht ſo eingehen, wie er gewünſcht hätte. Wohnen hätte man bei ihnen mögen, rief er aus, und er konnte fie nur für einen fpäteren Genuß einſammeln wie Ap- fel unter dem Baume. Da ſind ſie denn auch tauſendfach frucht⸗ bar geworden bis in die Elegien und Sonette hinein.

In Paris lernte er im Dezember 1909 gleichzeitig die Fürſtin Marie von Thurn und Taxis und Madame de Naailles ken⸗ nen. Die Bekanntſchaft mit der erſteren ſollte große Folgen für ihn haben, die mit der letzteren gar keine, und gerade deshalb iſt ſie bemerkenswert. Die Marquiſe de Noailles kam in den Salon der Fürſtin Taxis geſtürzt und auf den Dichter zu mit der Frage: Qu’est-ce que vous pensez de la vie et de la mort? - In den Tauſendundein Nächten lieſt man öfters, daß Männer vor dem Liebreiz der mandeläugigen Schönen auf der Stelle in eine tiefe Ohnmacht gefallen ſeien. So ähnlich, in die Lebens⸗

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form der germaniſchen Raſſe übertragen, muß der Eindruck ge⸗ weſen ſein, den der Gaſt von der Dichterin empfing.

Er ſah ſie jedoch nicht wieder, und nur durch das ſchöne Proſa⸗ ſtück, die „Bücher der Liebenden’, das ftatt einiger Seiten ur⸗ ſprünglich ein ganzes Buch werden ſollte, und durch die Über- ſetzung ihrer Verſe huldigte er ihr. Rilke ſchilderte bei ſeinem erſten oder zweiten Beſuch in Leipzig dieſen Auftritt mit lebhaf⸗ ten Geſten und ebenſolchem Mienenſpiel, mit einem von Erin⸗ nerung durchſtrahlten, von Selbſtironie ſchalkhaft durchblitzten, lachenden Geſicht, um ſchließlich mit dem mehr gerufenen als geſprochenen Wort: er hätte ſie nicht wiederſehen wollen, denn er wäre daran zugrunde gegangen, wegzuſtürzen, als würde er in einem letzten Wellenſchlag zur Türe hinausgetragen, der Be⸗ wegung, die die Marquiſe ſeinerzeit in den Salon der Fürſtin Taxis hineintrieb. Jetzt find Briefe von Rilke an Anna de Noail⸗ les veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß er ihr doch einen Beſuch hat machen wollen. Gewiß iſt er da aber nur einer augen⸗ blicklichen Verſuchung erlegen und im Grunde froh geweſen, daß äußere Umſtände ihn vor dieſem Sündenfall, der feinem eigent⸗ lichen Willen entgegen war, bewahrt hatten. Das iſt ein ſtarkes neues Beiſpiel für ſeinen Glaubensſatz, der Dichter müßte ſich vom Leben zurückziehen, auf das wir meinen ſoviel Wert legen zu müſſen und um deſſentwillen uns das Erlebnis wichtig erſcheint. Die Begegnung mit der Fürftin Taxis aber fette ſich in eine Freundſchaft bis zum Tode fort, und auch der Fürſt ſtand Rilke wohlwollend freundſchaftlich gegenüber. In ihrem Kreiſe, in den er mit großer Wärme aufgenommen wurde, lernte er auch Ru⸗ dolf Kaſſner kennen, um deſſen, Elemente der menſchlichen Größe’ er ſich dann zuerſt nachdenklich bemühte wie ſpäter um ſeine anderen Schriften.

Fürſtin Marie Taxis hatte lebhaſte geiſtige Intereſſen; ſie über⸗ ſetzte aus dem Deutſchen in das Italieniſche und umgekehrt, ja ſie hat ſich ſogar an der erſten Elegie verſucht. Sie muß einen ſtarken Stil in ihrem Weſen gehabt haben; ihre Sicherheit im Geſchmack und in der Beurteilung von Kunſtdingen, ihre Sprachbegabung und großzügigen Lebensformen deuten dar⸗ auf hin, daß ſie aus einem Blut heraus handelte, das ihren

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Kindern durch Generationen Erworbenes als angeborene Mit⸗ tel für ein kultiviertes Leben in die Wiege legte. Gerade dies liebte Rilke. Auch muß ihr etwas Mütterliches eigen geweſen ſein, das ihn anzog und was entbehren zu müſſen er nie ver⸗ ſchmerzt hat. Ihr konnte er auch von Marthe erzählen.

Rilke war Rekonvaleſzent des Malte Laurids, wie er ſich aus⸗ drückte. Er hatte ſeither nur den Kentauer von Maurice de Guérin und den Sermon der heiligen Magdalena überſetzt. Für den nächſten Winter (den des Jahres 1912) hatte er al⸗ lerlei Pläne. München, Biarritz, Toledo wurden erwogen. Da ſie um ſeinen Wunſch nach Zurückgezogenheit wußte, bot die Fürſtin ihm ihr Schloß Duino an der adriatiſchen Küſte als Aufenthalt an. Er kannte es von einem längeren Beſuche dort, bald nachdem er ſeine Beſitzer kennen gelernt hatte. Es war eine alte, burgartige Feſte, vor deren Mauern das Meer rauſchte und um die die Stürme im Winter gewaltig tobten. Vom Dezember an war er da wirklich allein, im Januar ſchrieb er die erſte Ele⸗ gie nieder, wobei der Versanfang ‚Wer, wenn ich ſchriee, ihm wie von einer fremden Stimme plötzlich zugerufen war. Als ein Nebenwerk hat Rilke das ‚Marien⸗Leben' bezeichnet, das er auch in dieſem Winter ſchuf und auf das er immer wenig Wert legte. Es war als die Einlöſung eines alten, mit Heinrich Vogeler verabredeten Planes entſtanden, wonach es eine Beglei⸗ tung zu Zeichnungen von dieſem ſein ſollte. Nun ſchwebten ihm italieniſche Bilder und vor allem ruſſiſche Ikonen dabei vor. Das band ihn an eine Ausdrucksweiſe, die er ſchon überholt zu haben meinte; und ſo kam es wohl, daß er dieſe liebliche Gedichtfolge nicht ganz als ſelbſtändiges Werk von ſich gelten laſſen wollte. Rilke las hier Goethe mit immer vermehrter Bewunderung, ſeine Italieniſche Reiſe, die Kampagne in Frankreich. Er las die Kammerſpiele von Strindberg, und er ſchrieb viele ſeiner für Geiſt und Herz gleich bedeutenden Briefe.

Das Klima mit dem häufigen Schirokko bekam ihm aber nicht; er fühlte ſich ſo erſchöpft wie erregt, allerhand Beängſtigungen wurden derart groß, daß er ſich mit Lou Andreas-Salome be» riet, ob wohl eine pſpchoanalptiſche Behandlung zu empfehlen wäre. Schließlich aber lehnte er ſie ab mit den herrlichen Wor⸗

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ten, fein Dafein, von deffen Wunderbarkeit er wie von nichts ergriffen fei, wäre von Rettung zu Rettung dennoch fortge- ſchritten, gleichſam immer durch das härteſte Geſtein. Welcher Arzt der Welt hätte ſich auch wohl berufen fühlen dürfen, die Schrift Gottes in dieſer Seele zu deuten oder gar den Verſuch zu machen, ſie zu korrigieren.

Von Duino aus fuhr er nach Venedig, wo Eleonora Duſe ſich aufhielt. Er hatte ſie in Berlin in Ibſens „Rosmersholm' ge⸗ ſehen und immer leidenſchaftlich gewünſcht, ſie kennen zu lernen. Das Bildnis' entſtand nach dieſem großen Eindruck. Seine Jugenddichtung, die „Weiße Fürſtin', hatte er ihr einſt gewid⸗ met. In Rodins Namen hatte er einmal an ſie geſchrieben, und Rodin hatte ihn eine eigene Nachſchriſt anfügen laſſen, wie man ein Kind zu ſeinem Spaß auf das Pferd ſetzt, das man eben ſel⸗ ber geritten hat. Hier nun wurde ſein Wunſch auf die leichteſte Art erfüllt. Er wohnte in der Wohnung der Fürſtin Taxis im Palazzo Valmarano. Da konnte er die Duſe empfangen, und er war bei ihr jeden Abend willkommen. Er hat oft geſagt, ihre Größe, ihr Sinn und Geſetz beſtünden darin, daß ſie keine, eben keine Schauſpielerin wäre, in der Bedeutung alſo etwa, daß das Leben und alle Schwere, die ſie in ihm fand, unmittel⸗ bar aus ihr herausflutete, als beinahe nebenſächlichen Anlaß die Figuren gebrauchend, in denen ſie auf der Bühne ſtand. Sollte ſie nun auch keine Schauſpielerin ſein, in dieſem beſonderen Sinne nicht, ſo war ſie doch von einem ungeheuren Theater immer umgeben und ſtand in einem Tumult von Leidenſchaſten, Wünſchen, Szenen und Szenenwechſeln. Um keinen Theſpis⸗ karren konnte es bunter hergehen. Aber die bewegteſten Auf⸗ tritte ſtellte ſie ſelbſt her. Jetzt eben wollte eine Freundin ſie durch ein für ſie ſelbſt geſchriebenes Stück der Bühne wieder⸗ gewinnen, von der ſie ſich gerade abgewendet hatte. Rilke wurde in die Konflikte, die ſich im Zuſammenhang damit ent⸗ wickelt hatten, hineingezogen. Die Senſibilität der Duſe war maßlos. Nach einer Stunde, ſchilderte er, hatte ſie ein neu be⸗ zogenes Zimmer umgewohnt und verwohnt mit ſeinen Möbeln, ebenſo gründlich, wie ſie die Menſchen verbrauchte. Wie ein Chriſtophorus ging fie die Treppen hinauf, um auf der oberften

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Stufe vor Weltſchmerz zuſammenzubrechen. Rilke, Der, nur in rückſichtsvollerer Form, gewiß ebenſo ſenſibel war wie die große Künſtlerin, zitterte bis in den letzten Nerv mit ihr mit und er⸗ ſchöpfte ſich darin. Dennoch fühlte er durch alle Unbequemlich⸗ keiten des Umgangs die für ihn unvergleichliche Frau, die ein⸗ zige, die zeigen konnte, was ſie war und fühlte, ohne durch die Umſetzung in eine Objektivität davon etwas zu verlieren. Plötzlich fuhren ſie alle auseinander, die Duſe nach Norden, die Freundin nach Süden, Rilke nach Duino, um im Oktober dar⸗ auf ſeine ſpaniſche Reiſe anzutreten. Aber noch ein Jahr nachher ſchrieb er an Helene von Noſtitz und ſpäter noch drängender und angſtvoller an den Baron Schep, ob man nicht Mittel und Wege finden könne, der Duſe in Deutſchland eine Bühne zur Verfügung zu ſtellen, um ein einziges, ein letztes Mal noch ſie zu einer großen Leiſtung aufzurufen und noch einmal den Menſchen das Wunder ihrer Kunſt und ihres Menſchentums zu zeigen.

Toledo zog ihn ſchon ſeit langem an, ſchon um der Grecos wil⸗ len, und man möchte nicht unerwähnt laſſen, daß auch die Un⸗ bekannte einen gewiſſen Anteil daran hatte, da ſie ihn in den in Duino veranſtalteten Sitzungen dorthin gewieſen hatte. Was er dort ſchaute, übertraf noch ſeine Erwartungen. In einer kahlen Landſchaft auf einem Felſen gelegen, ſtieg die Stadt zum Himmel auf, ein Abgrund, ein ſilberglänzender Fluß, eine Brücke, Türme, Kirchen, Bögen, Paläfte, Mauern und wieder eine Brücke, unter dem allen in trocken glühenden Farben die Ebene lag, ſo türmt Rilke dieſes Toledo vor uns auf, dichtet es, malt es, und kann doch nur dieſen ungeheuren Eindrücken gegenüber ſeine Zuflucht zu den Engeln finden, mit denen er ſeit dem Beginn der Duineſer Elegien fo nah umging. , Ach, da wir Hilfe von Menſchen erharrten; ſtiegen Engel lautlos, mit einem Schritte hinüber, über das liegende Herz.“

Die Kühnheit dieſer landſchaſtlichen und baulichen Formen mag geholfen haben, dieſe Weſen in ſeiner Vorſtellung zu vollen⸗ den, die göttliche und menſchliche Kräfte gleichermaßen perſo⸗ nifizieren. Greco ſchien ihm jetzt nur als ein Teil dieſes großen Gebildes, das Toledo hieß. Vier Wochen blieb er dort, dann

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Rainer Maria Rille in Rippoldsau 1913

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ging er weiter ſüdlich nach Ronda, das ihm fo ſehr gefiel, wie ihm Cordoba mißfallen hatte. Doch er ſchreibt ſehr unglückliche Briefe auch von dort an die Fürſtin Taxis und an Lou Andreas⸗ Salomé, die wie kaum andere Einblicke in eines Künſtlers Laſt und Luſt gewähren, denn ſie offenbaren, überſetzt in die Kla⸗ gen über ſchlechtes Befinden, trübſelige Stimmung und innere Störungen, die Sorge, nicht auf das von außen Empfangene mit einem Gegenſtoß von innen antworten zu können und mit Ebenbürtigem in ſeinen Mitteln ihm zu begegnen. Er meinte es nicht zu können und konnte es im Augenblick in der Tat nicht, denn die Fortſetzung der Elegie blieb aus, und die großen Gedichte der ‚Spanifchen Trilogie', der ‚Höllenfahrt' und an⸗ dere waren wohl herrliche Früchte dieſer Reiſe, aber nicht die, die er wollte. Burg, Stadt und Landſchaft lagen in ewig un⸗ verminderter Größe. Er verübelte es ſich bei ihrem Anblick bei⸗ nahe, daß der Menſch immer nur ſo kurz in einer Hochlage ſei⸗ ner Perſon verharren kann. Als junger unſicherer Menſch hatte er in bezug auf Lou Andreas-Salome in fein Florenzer Tagebuch geſchrieben: „Ich haßte dich wie etwas zu Großes. Wenn man zu dieſem Haß Liebe hinzuſetzt, ſo iſt damit vielleicht ſeine Stimmung in Spanien bezeichnet.

Von Spanien reiſte er zunächſt es war im Februar 1913 nach Paris zurück, dann in den Schwarzwald, nach Göttingen, an die Oſtſee, nach Leipzig, Berlin und München, nach Heller⸗ au zur Aufführung von Claudels ‚L’Annonciation faite A Ma- rie', und in das Rieſengebirge und wieder nach Paris. Die mei⸗ ſten Aufenthalte waren wohl nur die größeren oder kleineren Gehäuſe für feine innere Unruhe. Schon früher hatte er ge⸗ klagt, daß Paris ſich ſo ſehr amerikaniſtere, jetzt greift es ihn beſonders von dieſer Seite aus an. Er iſt faſt immer allein, ge⸗ quält wehrte er alle Beſuche ab. Der Winter war ſchlecht, trübe und regneriſch. Er wünſchte ſich - wie lange follte er noch dar⸗ auf warten - ein kleines Haus auf dem Lande, in einer ftillen Wohnlichkeit, wo ein ebenſo ſtiller Menſch ihm ſelbſtlos dienen würde. Unterdeſſen beſchäftigten ihn Uberſetzungen der Sonette von Michelangelo und L' Enfant prodigue’ von André Gide. Mit Gide, der ja ſchon Teile des Malte Laurids bald nach ſeinem

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Erſcheinen, wie Rilke fand, unübertrefflich gut übertragen hatte, war er nahe befreundet. Als dieſer nun die Abſicht ausſprach, den Cornet zu überſetzen, ſagte Rilke ihm mit einem der hellſten ſei⸗ ner Briefe zu und erzählte ihm in ſeiner Antwort, wie er dieſes jugendliche Gedicht in einer einzigen Nacht ſtürmiſch auf das Papier geworfen habe, in der eilig dahinziehende Wolken den Rhythmus in ihm geweckt hatten: ‚reiten, reiten’. Er las Goethe und las Hölderlin, in der neuen Ausgabe von Norbert von Hellingrath, und Caroline Schelling, die er rühmt in der Art, wie er Elizabeth Browning und Louize Labe hätte rüh⸗ men können. Die Sonette der Louize Labé, einer Lponeſerin aus dem 16. Jahrhundert, die leidenſchaſtliche Liebesgedichte ſind, überſetzte er zum Teil kurz vor dem Kriege, zum Teil ein paar Jahre ſpäter.

Da aber kam die Stunde, in der die Elegien in ihm aufſtehen wollten, in der er, was unerlöſt in ihm lag, ſich löſen fühlte und er erleben mußte, daß dieſer Auftrieb gelähmt und gehemmt wurde. Der Dichter hat ſchwer daran getragen. Er war wie er⸗ blindet für die Welt, teilnahmslos und kalt. In Aſſiſt, wohin er flüchtete, bedeutete ihm die Herrlichkeit, bedeutete ihm der heilige Franz nichts, gar nichts. Jetzt war es mit den Elegien für lange Zeit zu Ende. Er hatte einen Flug in das Leben ge⸗ wagt, und eine Hand aus einer höheren Ordnung hatte, wie es ſchien, ihn hart zurückgeriſſen. Das Gedicht „Wendung' zeigt einen erſchütterten Menſchen. Für den Aufſatz ,Puppen’, der in dieſer Zeit geſchrieben wurde, muß man ſchon zu den Außerun⸗ gen über ſeine Militärzeit zurückgehen, um einen ähnlich bitte⸗ ren Zug zu finden. Die Puppe, die Larve, die, wie er es anſah, das Gefühl ſtets verkehrt, in ſchweren Lagen aber vollends im Stich läßt, war das ſeinem Zuſtand entſprechende Symbol. Wahr⸗ ſcheinlich hat auch Marthe ihm dieſe Zeit nicht erleichtern können. Dieſes Mädchen Marthe hatte er eines Tages in einem ärm⸗ lichen Viertel in Paris auf der Straße dahergehen ſehen, ſtarr vor ſich hinblickend, langſam, wie unter einer ungeheueren Laſt. Eine ſo tiefe Verzweiflung war in ihrem blaſſen Geſicht ausge⸗ drückt, daß es ihn durchzuckte: hier iſt ein Menſch, der vor dem Außerſten ſteht, hier muß ein Retter kommen. Und in der Tat,

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das junge Mädchen, hungernd, arbeitslos, hatte keinen Ausweg mehr gewußt, wenn Rilke nicht eingegriffen hätte. Als er ſie dazu gebracht hatte, ſich auszuſprechen, und ſie kennen lernte, beſtätigte ſich ſein erſter Eindruck. Sie war ein echtes Kind des Volkes, wunderbar urſprünglich, geſund, unbeherrſcht und wild, daß man ſie ſich in der Franzöſiſchen Revolution auf den Barrikaden hätte denken können, dabei aber begabt mit einer erſtaunlichen menſch⸗ lichen Weite und Tiefe, mit Zartgefühl und Takt. Sie war früh⸗ reif und unſchuldig zugleich, vom Elend verhärtet und doch aller Weichheit offen. Sie hatte ſo viel Verſtändnis für ſeine Gedichte, daß er ſie ihr alle vorleſen konnte, ihr mit am liebſten, wie er ſagte; er gab ihr Bücher wie die Marceline Desbordes⸗Valmores in die Hand, und ſie konnte ſich an ihnen freuen, wie ſie überhaupt begabt für Freude war. Sie hat eine Spur Genialität, ſagte er von ihr. Was der junge Arbeiter in dem ‚Brief eines Arbeiters' von feiner Freundin erzählte, ſie hätte ſich Gott vorgeſtellt wie eine Art Patron, den ſie ſo ſehr fürchtete, ja als den Erzpatron, ſtammt von Marthe, und daß Gott einen in den Kirchen in Ruhe läßt und nichts verlangt, hat gewiß Rilke ſelbſt ſie gelehrt, als er ſie auf einem ihrer Streifzüge durch Paris in die Kathedrale von Notre⸗Dame führte.

Als er ſie einmal beſuchte, holte fie vom Fußende ihres Bet⸗ tes etwas hervor und hielt es ihm voll Stolz unter die Augen. „Ga pousse, rief fie aufgeregt, „ga pousse.” Es war ein Topf mit einer Hpazinthenzwiebel, die ſie mit der Wärme ihrer Füße zum Blühen bringen wollte. Wenn fie allein war, fo ſetzte er ſich gern zu ihr in ihre Stube und ſah ihrem ſtillen Hantieren am Nähkorb zu, weil dieſes trauliche und anſpruchs⸗ loſe Tun ihn beſchwichtigte. Er fühlte ſich nie im Umgang mit ihr beſchwert. „Wie wenig bedeutet ein Menſch im Leben des anderen!“ ſagte er einmal mit traurigem Blick. Doch in ſolchen Begegnungen, in denen die Menſchen ſich mit einer naturhaf⸗ ten Selbſtverſtändlichkeit gaben und ihm weitherzig Raum lies ßen für ſich felber, bedeuteten fie ihm dennoch viel.

Marthe hat ihm nach dem Kriege wundervoll gerecht und ein⸗ ſichtig geſchrieben, er ſah ſie in der Schweiz und in Paris wie⸗ der. Ihr wollte er aus Leipzig ein Andenken mitbringen, ein

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kleines goldenes Kettchen, aber ein altes, wie es früher mit der Hand in der Werkſtatt gemacht wurde, etwa von einem Gold⸗ ſchmiedegeſellen, der von ſeinem ſtillen Fenſterplatz in den Gar⸗ ten der Meiſterin ſah, mit den ſchönen Blumenbeeten und der Laube aus Pfeifenkraut, ein Kettchen, das fein ziſeliert in zärt⸗ licher Rundung ſich um den Hals ſchmiegen würde. Wir ſuch⸗ ten viele Antiquitätenläden auf, ſolche, in denen die Möbel, geputzt und geſchniegelt und glänzend poliert, nach ihrer Rang⸗ ordnung ſtanden, die beſte Kommode in das beſte Licht gerückt, die alte Zuckerdoſe auf einem Spitzendeckchen auf einen kleinen ſpiegelnden Tiſch geſtellt; alle Gegenſtände korrekt mit den Ru⸗ nen verſehen, von denen ihre künftige Heimat ſo oft abhängt. Rilke freilich zog dieſen Läden die alten verſtaubten vor, in denen die Möbel wie ein Gerümpel waren und die Spuren ihrer Schickſale trugen, zerſchunden, abgeſtoßen, halb zerbrochen; dort Tiſche, die ihre Beine in die Luft ſtreckten, neben alten Blaſebälgen, Uhren, erblindeten Spiegeln, chineſiſchen Tee⸗ kannen ſtanden, fie, die Sachen geworden waren, aber, von liebevollem Auge entdeckt, wieder zu Dingen werden konnten. Zu ihnen gehörte der ſchlurfende Schritt eines alten Mannes in Hausſchuhen, der die Gegenſtände aus ſo vielen Häuſern und Schickſalen zuſammengetragen hatte, dann aber ſeltſam paffiv fie ſich ſelber verkaufen ließ, ja beinahe beleidigt ſchien, wenn man ſich näher nach ihnen erkundigte. In der Art, wie Rilke ſeinen Wunſch ausſprach, war die Freude enthalten, die er über das Kettchen haben würde, die Freude aber auch des einfachen Mädchens, das ſich mit Gold vielleicht zum erſten Mal ſchmücken durfte. Er trug ihn mit fo feclenvoller Innig- keit vor und mit einem ſolchen Zutrauen, ſogleich das wärmſte Verſtändnis zu finden, daß eigentlich jeder dieſer Händler, den wir angingen, den größten Eifer hätte bezeigen müſſen, wenig⸗ ſtens nach dem Gewünſchten zu ſuchen. Doch kein einziger nahm wahr, was ihm mit dieſer Stimme und mit dieſem Blick ge⸗ ſchenkt wurde und welch koſtbares Körnchen Menſchentums ein großer Dichter hier für ihn abbrach; es fiel wie durch ein zu grobes Sieb achtlos zur Seite. *

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Bücher aus dem Inſel-Verlag

Die Sprache iſt der Spiegel einer Nation; wenn wir in dieſen Spiegel ſchauen, ſo kommt uns ein großes, treffliches Bild von uns ſelbſt | daraus entgegen.

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Friedrich Schiller

Neuerſcheinungen 1938

Die Preiſe beziehen ſich, wo nichts anderes angegeben ift, auf den in Leinen gebundenen Band

Akerman, Achim von: Die Stunde vor Tag. Gedichte. M 4.— Die Verſe des jungen baltiſchen Dichters haben den ganzen Reiz eines Beginnens, eines Ahnens und Aufbruchs, wie es der Titel verheißt.

Bertram, Ernst: Sprüche aus dem Buch Arja. Gebunden M 2.50

Der Band vereinigt Sprüche in Proſa und Spruchgedichte. Sie enthalten, in der bildkräftigen Sprache des Dichters, Gedanken je⸗

ner urtümlich deutſchen Welt, die im Michaelsberg ihr Spmbol fand. . Boland, Bridget: Die Wildgänse. Roman. Aus dem Engliſchen über⸗

tragen von Karl⸗Ulrich von Hutten. M 6.-

Wildgänſe nannte man die Irländer, die im 18. Jahrhundert als Söldner nach Frankreich in die ‚Iriſche Brigade‘ kamen. In dieſe abenteuerreiche Welt führt das Erſtlingswerk der vierundzwanzig '

jährigen iriſchen Dichterin, ein Roman in Briefform, ein ſehr männliches Buch, für deſſen kraſtvoll jugendlichen Schwung man ſich raſch begeiſtern wird.

Bronte, Emily: Die Sturmhöhe. Roman. Aus dem Engliſchen über⸗ tragen von Grete Rambach. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Das berühmte Werk der engliſchen Romantik (1847 zuerſt erſchie⸗

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nen) ift in Deutſchland fo gut wie unbekannt geblieben. So wird

es mit ſeiner leidenſchaftlich bewegten Handlung, mit den phan⸗ taſtiſchen Bildern aus der düſteren Moorlandſchaft Yorkſhires als eine literariſche Entdeckung wirken.

Carossa, Hans: Gesammelte Gedichte. M 4.- Die neue Ausgabe der Gedichte bringt als Zuwachs ‚Die Flucht“, „An das Ungeborene“ und „Lebenstag“.

Carossa, Hans: Wirkungen Goethes in der Gegenwart. Eine Rede. Kartoniert M 1.80 Die Rede, die Hans Caroſſa auf der diesjährigen Tagung der Goethe⸗Geſellſchaft hielt, iſt ein Stück Lebensbericht, beginnend mit der Erzählung von der früheſten Begegnung mit Goethes Dichtun⸗ gen, gipfelnd in der Zuverſicht, daß unſere Zeit, keineswegs goethe⸗ fremd, den ſtärkſten Auswirkungen des Genius erſt entgegengehe.

Dehn, Fritz: Das Gespräch vom Tode. Gebunden M 3.—

Dionpſiſche Lebensbejahung und prieſterliche Weisheit, theoſophi⸗ ſches Grübeln, dichteriſche Verklärung und herber Realismus des

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Mannes der Praxis begegnen fih in dieſem ‚Endgeſpräch“ beim Aufbruch vom Gaſtmahl des Lebens.

Goethe: Sämtliche Werke. Welt⸗Goethe⸗Ausgabe der Gutenbergſtadt Mainz und des Goethe⸗ und Schiller⸗ Archivs zu Weimar. Heraus⸗ gegeben von Anton Kippenberg, Julius Peterſen und Hans Wahl. 50 Bände mit Regiſterbänden. Jeder Band M 10.—, in Halbleder M 14.-. Bisher erſchienen die Bände:

5. Weſt⸗öſtlicher Divan mit den Noten und Abhandlungen. Her⸗ ausgegeben von Konrad Burdach.

6. Epen und Kantaten. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf.

7. Götz von Berlichingen. Herausgegeben von Hans Wahl.

12. und 13. Urfauſt; Fauſt, ein Fragment; Fauſt J und Fauſt II.

Herausgegeben von Max Hecker.

Die Welt⸗Goethe⸗Ausgabe will die endgültige Form der Texte bringen, auf Grund der Arbeitserfahrungen des Goethe⸗ und Schil⸗ ler⸗Archivs. Sie wird neben den Dichtungen auch alle wiſſenſchaſt⸗ lichen Schriften Goethes umfaſſen, darüber hinaus aber auch Teile aus Tagebüchern und Briefen berückſichtigen, die als Beſtandteile von Goethes Schaffen ſozuſagen feinem Werk zugehören. Die Aus⸗ gabe wird auf der Mainzer Preſſe in der Fichte⸗Fraktur gedruckt. Es ſollen jährlich etwa fünf Bände erſcheinen, ſo daß die Ausgabe zum 200. Geburtstag Goethes 1949 abgeſchloſſen vorliegt.

Goethe: Iphigenie. Erſtmalige Fakſimile⸗Wiedergabe der Handſchrift Goethes. Mit einem Nachwort von Hans Wahl. In Schuber M 18.- Zum erſten Mal wird hier die Handſchrift wiedergegeben, die uns in ihren unterſchiedlichen Tinten das getreue Bild vom Schaffen des Dichters während ſeines Aufenthaltes in Italien bietet. Einer unſerer ſchönſten Fakſtmile⸗Drucke.

Hoffmann, E. T. A.: Die Elixiere des Teufels. (Bibliothek der Ro⸗ mame.) M 3.50 Das Motiv der Seelenſpaltung und des Doppelgängertums bewegt die künſtleriſch verſchlungene Handlung des Romans, in dem die kühne Phantaſie E. T. A. Hoffmanns wie in kaum einem anderen Werk mit den Nachtſeiten der menſchlichen Natur ihr unheimlich⸗ großartiges Spiel getrieben hat.

Kamban, Gudmundur: Der Herrscher auf Skalholt. Roman. Ubertra⸗ gen von Edzard Schaper. M 7.50 Der Roman ‚Die Jungfrau auf Skalholt“ hat den isländiſchen Dichter bei uns bekannt gemacht. Der vorliegende zweite Teil bringt das großartige Skalholt⸗Epos zum Abſchluß. Im Mittel⸗ punkt ſteht der Biſchof, der immer tiefer in die Einſamkeit hinein⸗ wächſt und den unauslöſchlichen Haß gegen den „Verführer“ der Tochter mit in die Ewigkeit hinübernimmt.

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Kassner, Rudolf: Buch der Erinnerung. St 7.-

Rudolf Kaffner, der im Herbſt 1938 fünfundſechzig Jahre alt wird, gibt in lebendiger Schilderung Erinnerungen an die Begegnung mit Menſchen ſeiner Zeit: Stefan George, Wedekind, Dilthep, Her⸗ man Grimm, Houſton Stewart Chamberlain, Mitterwurzer und die Duſe, Rainer Maria Rilke und die Fürſtin Taxis, und Erinne⸗ rungen von Reiſen in Spanien, Afrika und Indien. Den Beſchluß bilden Briefe von H. St. Chamberlain.

Kassner, Rudolf: Der Gottmensch. Eſſaps. M 4.50 Der Band umfaßt folgende dichteriſche Eſſaps: Die Wiederkehr (Brief vom Beſuch der Platoniſchen Akademie in Alexandrien), Servet (Ein Geſpräch über Macht und Liebe), Der Weg - Dionp⸗ ſos und Chriſtus, Julian Gleichnis der Seele, Ein Totengeſpräch (wiſchen den Seelen Ludwigs XIV. und Boſſuets im Fegefeuer).

Keller, Gottfried: Gesammelte Werke. Vier Bände. Neue Ausgabe M 20.-; in Halbleder M 28.- Die neue Ausgabe enthält als Zuwachs eine erweiterte Nachleſe der Gedichte, ferner Aufſätze, darunter die ſchönen Außerungen Kel⸗ lers zu den Werken ſeines großen Landsmannes Jeremias Gotthelf.

Kippenberg, Katharina: Rainer Maria Rilke. Neue erweiterte Aus⸗ gabe. Mit 12 Bildtafeln. M 7.50 Das vor drei Jahren erſtmals erſchienene Werk hat im Biographi⸗ ſchen wie in der Betrachtung der Werke eine ganz weſentliche Er⸗ weiterung erfahren. Zahlreiche unveröffentlichte Briefe konnten be⸗ nutzt werden, um auf weite Strecken den Lebensgang des Dichters zu erhellen.

Koch, Rudolf: Das Münster zu Straßburg. In Holz geſchnitten von

Fritz Kredel und Liſa Hampe. 80:135 cm. Gedruckt durch die Dru⸗ gulin⸗Preſſe zu Leipzig. In Pappſchatulle M 12.- Rudolf Koch hat in einigen Architekturblättern ſein ſtarkes Emp⸗ finden für die Größe von Werken der Baukunſt offenbart. Das be⸗ deutendſte Blatt legen wir hier vor - ſchönſte Huldigung für das geniale Werk Meiſter Erwins von Steinbach. Das Blatt bildet einen herrlichen Wandſchmuck.

le Fort. Gertrud von: Die Magdeburgische Hochzeit. Erzählung.

M 5.50

In großen ſtarken Bildern ſchildert die Dichterin die tragiſche Si⸗ tuation Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg. Mit den geſchicht⸗ lichen Ereigniſſen iſt das Schickſal einer jungen Magdeburgerin verknüpft. Die Eroberung der Stadt, ſchon in den zeitgenöſſiſchen Flugblättern mit grauſiger Poeſie als „Hochzeit“ bezeichnet, erſcheint als Jüngſter Tag und Weltgericht: aus dem Untergang erhebt ſich das Ewige in reiner Herrlichkeit.

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Meyer, Conrad Ferdinand: Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeſchichte. (Bibliothek der Romane.) Mt 3.50 Der große hiſtoriſch⸗politiſche Roman des Schweizer Dichters iſt auch heute noch, als was ihn Theodor Storm dem Freunde Gottfried Keller gegenüber rühmend bezeichnete: eine grandioſe Leiſtung.

Mörike, Eduard: Werke. Mit einem Geleitwort von Friedrich Lud⸗

ei Barthel. Zwei Bände auf Dünndruckpapier. M 12.-; in Leder 20.—

Die Ausgabe enthält die Gedichte nach Moͤrikes Ausgabe letzter Hand, mit einer Nachleſe, aus der nur das allzu Zeitgebundene ausgeſchieden iſt, die Anakreon⸗Ubertragungen, die Erzählungen und Märchen, den Roman ‚Maler Nolten“ in feiner erſten Faſſung und das ſchöne Nachwort des Dichters Friedrich Ludwig Barthel.

Rilke, Rainer Maria: Ausgewählte Werke. Zwei Bände. M 12.-; in Halbleder M 18.- Die ſechsbändige Ausgabe der Werke Rilkes tft vergriffen. An thre Stelle tritt die vorliegende Ausgabe von zwei umfangreichen Bän⸗ den, die alle Hauptwerke vollſtändig bringt, dazu eine Auswahl aus den Späten Gedichten und kleinere ſorgfältig ausgewählte Proſawerke, zum Teil aus dem Nachlaß. Die Ausgabe bietet, in⸗ dem ſie das Weſentliche bringt, ein um ſo geſchloſſeneres Bild vom Schaffen des Dichters.

Schnack, Friedrich: Gesammelte Gedichte. M 5.- . In den Gedichten erklingen rein und ſtark die Töne aus der frän-

15 en Heimat des Dichters und aus zauberhafter Tropenwelt, m rühren die ſchönſten Strophen an das Geheimnis in

oe. : N Klick und der Goldschatz. Ein heiterer Roman. M 5.— Friedrich Schnacks reizender Roman „Klick aus dem Spielzeugladen“ erhält hier ſeine in ſich abgeſchloſſene Fortſetzung: Die bunte Ge⸗ ſtaltenwelt rund um den kleinen Klick aus der Dresdner Weber⸗ gaſſe findet ſich zu neuen Abenteuern heiterer und beſinnlicher Art zuſammen und unterhält uns aufs beſte.

Schneider, Reinhold: Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Kon⸗ quiſtadorenzeit. M 5.- Vor dem Indienrat des greiſen Kaiſers Karl prallen die Gegen⸗ ſätze der Meinungen über Ziel und Mittel des ſpaniſchen Regi⸗ ments in Amerika hart aufeinander. Der Dichter in Reinhold Schneider hat an dieſen Szenen nicht geringeren Anteil als der Hiſtoriker: ſein neues Buch lieſt ſich wie eine hiſtoriſche Erzählung großen Stils.

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Seipp, Bettina: Neapel und Sizilien - als Land der Griechen erlebt. Mit 46 Bildtafeln. M 6.50 Eine deutſche Frau, tief ergriffen und erfüllt vom Weſen des alten Hellas, führt uns von Neapel und den denkwürdigen Stätten ſei⸗ nes Golfs nach Päſtum und weiter zur Homeriſchen Inſel Sizi⸗ lien, nach Taormina, Sprakus, Enna, Agrigent, Selinunt und Se⸗ geſta. Eine Begeiſterte, die ſich zugleich als eine ſachkundige Führe⸗ rin erweiſt, ſchrieb dieſes Buch.

Spunda, Franz: Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern. Mit 64 Bildtafeln. M 12.- Auf ſieben Reiſen hat Franz Spunda die griechiſche Welt erlebt. Antikes ſteht neben Modernem, das Reiſeerlebnis unſerer Tage neben der Beſchwörung der alten Götter. Es iſt ein Buch der far- benreichen Szenen griechiſchen Lebens und zugleich ein Buch der Be⸗ ſinnung auf die geiſtigen Mächte, die Griechenland der Welt gab.

Stendhal, Friedrich von: Die Kartause von Parma. Ubertragen von Arthur Schurig. (Bibliothek der Romane.) M 3.50 Neben ‚Rot und Schwarz“ tritt mit der „Kartauſe“ das zweite Hauptwerk Stendhals in die ‚Bibliothek der Romane“ neben Julian ſein geiſtiger Bruder Fabrizzio, auch er die Verkörperung des ungeſtillten Tatendranges ſeines Dichters.

Stifter, Adalbert: Werke in sieben Bänden. Mit einer Einleitung von Max Mell. Jeder Band M 6.-; in Leder M 10.— Bisher erſchien: Studien: Zwei Bände. M12.-; in Leder M 20.- (Die Bände werden auch als Einzelausgabe ohne Bandzahl geliefert.) Unſere endgültige Stiſter⸗Ausgabe, die im Jahre 1939 vollſtändig vorliegen ſoll, umfaßt: Studien, Bunte Steine und andere Erzäh⸗ lungen, Der Nachſommer, Witiko, Kleine Schriften, Briefe und Geſpräche.

Strauß, David Friedrich: Ulrich von Hutten. Herausgegeben von Otto Clemen. Neue Ausgabe. Mit 24 Bildtafeln. M 8.50 Stärker als je ſteht die Geſtalt Ulrich von Huttens, dieſes Man⸗ nes, ‚der den Deutſchen zuerſt den Weg zur Nation wies“, heute im Vordergrund unſeres geſchichtlichen Intereſſes. Die Lebens⸗ geſchichte von Strauß iſt in ihrer wiſſenſchaftlichen Gründlichkeit und ihrer meiſterhaften Darſtellung noch immer unübertroffen.

Timmermans, Felix: Das Licht in der Laterne. Neue und alte Ge⸗ ae Mit Zeichnungen des Dichters. (Dichter unſerer Zeit.)

3.75

Das herrliche Geſchichtenbuch Felir Timmermans’ iſt um einige neue Stücke ſeiner einfallsreichen Fabulierkunſt erweitert worden,

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darunter Koſtbarkeiten wie ‚Perlamuna‘ und ‚Rabe Hans‘; auch die Zeichenfeder des Malerpoeten hat wieder ihr Beſtes getan, uns die kurioſen Dinge auf drollige Art vor Augen zu bringen.

Verhaeren, Emile: Die Abendstunden. Übertragen von Eva Mar⸗ terſteig. Gedruckt in einer Auflage von tauſend Exemplaren von der Albert Eggebrecht⸗Preſſe in Mainz. Gebunden M 2.80 In dieſen Verſen iſt die Schwermut der Reife und des Abſchieds, die Stille des Abends, das Ausruhen und die Gewißheit einer Zuflucht, und inmitten aller Entſagung das ſtrahlende Bekenntnis zur Sonne, zur Helle, die das Werk des Dichters geſegnet hat.

Walschap, Gerard: Der Mann, der das Gute wollte. Roman. Aus dem Flämiſchen übertragen von Bruno Loets. M 5.50 In feiner packenden, raſch fortſchreitenden Art erzählt der junge flämiſche Dichter die Geſchichte des Mannes, der von Jugend an kein Unrecht in der Welt dulden will, der ſich allen Widerſtänden zum Trotz durchſetzt. Ein Roman, in dem man bis in alle Einzel⸗ züge der ſpannenden Handlung den echten Erzähler ſpürt.

Deutsche Weihnachtslieder. Neue Ausgabe in mehrfarbigem Druck. Gebunden M 1.80 Das kleine Liederbuch hat im vergangenen Jahre viele Menſchen erfreut. Es war ſchon nach kurzer Zeit vergriffen. Die neue Aus⸗ gabe zeichnet ſich gegenüber dem erſten Druck durch die mehrfarbi⸗ gen Zierſtücke aus.

Weiß, Konrad: Konradin von Hohenstaufen. Ein Trauerſpiel. M 4.- Das Schickſal der tragiſchen Jünglingsfigur der deutſchen Geſchichte wird in dieſer Dichtung durch Traum und Sinnſpiel und die ſinn⸗ bildlichen Geſtalten über ein bloßes Abbild der Wirklichkeit hin⸗ ausgehoben in eine große Viſion.

Die neuen Bände der Inſel⸗Bücherei Jeder Band gebunden 80 Pfennig

Die Bildwerke des Bamberger Doms. 46 Bildtafeln. Mit einem Ge⸗ leitwort von Karl Gröber. (Nr. 140)

Coolen, Anton: Weihnachten in Brabant. Drei Erzählungen. (Nr. 531)

Eastman, Charles Alexander (Ohipeſa): Die Seele des Indianers. (Nr. 536)

Das kleine Buch der Edelsteine. In vielen Farben. Zeichnungen von Hans Lang. Geleitwort von Friedrich Schnack. (Nr. 54)

Hans im Glück. Märchen der Brüder Grimm. Ein buntes Bilder⸗ buch von Willi Harwerth, geſchrieben von Martin Hermersdorf. (Nr. 530)

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Holbein, Hans: Bildnisse. 24 farbige Handzeichnungen. Mit einem Geleitwort von Wilhelm Waetzoldt. (Nr. 95)

Hutten der Deutsche. Gedichte. Aus der Türkenrede. Arminius. (Nr. 526)

Keller, Gottfried: Briefe. (Nr. 528)

La Rochefoucauld: Betrachtungen oder Moralische Sentenzen und Maximen. Mit einem Geleitwort von Wilhelm Weigand. (Nr. 537)

Latinische Gärten. Ausgewählt von Karl Preiſendanz. (Nr. 259)

Le Fort, Gertrud von: Die Opferflamme. Novelle. (Nr. 533)

Luther-Brevier: Geftaltet und eingeleitet von Friedrich Schulze⸗ Maizier (Nr. 527)

Briefe des Generalfeldmarschalls Graf Helmuth von Moltke. Ausge- wählt und mit einer Einführung herausgegeben von Friedrich von Cochenhauſen. (Nr. 535)

Ritter, Johann Wilhelm: Fragmente. Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich von der Lepen. (Nr. 532)

Schiller, Friedrich: Gedichte. Ausgewählt von Katharina Kippen⸗ berg. (Nr. 525)

Sillanpää, Frans, Eemil: Die kleine Tellervo. Finniſche Geſtalten. (Nr. 524)

Thukydides: Die Rede des Perikles für die Gefallenen. Deutſch von Rudolf G. Binding. Druck der Mainzer Preſſe. (Nr. 368)

Vischer, Peter: Das Sebaldusgrab zu Nürnberg. 44 Bildtafeln. Herausgegeben von Herbert Küas. (Nr. 330)

Wackenroder, Wilhelm Heinrich und Ludwig Tieck: Herzens- ergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Mit einem Nach⸗ wort von Rudolf Bach. (Nr. 534)

In neuer Geſtalt erſchienen folgende Bände: Goethe: Pandora. Mit vier Umrißzeichnungen von Vinzenz Raimund Grüner. (Nr. 411) Hölty, Ludwig Heinrich Christoph: Gedichte. (Nr. 245) Kinderlieder und Reime aus des Knaben Wunderhorn. Neue Aus- gabe mit einem Anhang. (Nr. 60) Die schöne Magelona. Dem deutſchen Volksbuch nacherzählt von Se⸗ verin Rüttgers. Mit Holzſchnitten der Ausgabe von 1595. (Nr. 408) Die Saga vom Freysgoden Hrafnkel. Aus dem Altisländifchen über- tragen von Helmut de Voor. (Nr. 29)

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Zeitgenöſſiſche Dichter

Die mit IB. bezeichneten Werke find Bände der Inſel⸗Bücherei Jeder dieſer Bände koſtet gebunden 80 Pfennig

Ernst Bertrum, 1884 in Elberfeld geboren. Literarhiſtoriker an der Univerſität Köln. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Straßburg. Ein Gedichtkreis. Gebunden M 4.— Der Rhein. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Das Nornenbuch. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Wartburg. Spruchgedichte. In Halbpergament M 4.— Griecheneiland. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Deutsche Gestalten. Bach / Klopſtock / Goethe / Schiller / Norden und deutſche Romantik / Beethoven / Kleiſt / Stifter / Moͤglich⸗ keit deutſcher Klaſſik. M 6.- | Michaelsberg. Proſadichtung. Dt 4.- Sprüche aus dem Buch Arja. Gebunden M 2.50 Von deutschem Schicksal. (IB. Nr. 430) Von der Freiheit des Wortes. (IB. Nr. 485)

Martin Beheim-Schwarzbach. 1900 in Hamburg geboren, wo er als Schriftſteller lebt. Die Michaelskinder. Roman. M 6.- Die Herren der Erde. Roman. M 5.50 Der Gläubiger. Roman. M 5.— Das Buch vom Schach. Eine Darſtellung und Anwetfung für die Freunde des Spiels. (JB. Nr. 460)

Hans Carossa. 1878 in Tölz an der Iſar geboren, Sohn eines Arz⸗ tes, wurde auch ſelbſt Arzt wie ſchon ein Vorfahr zur Zeit der Napoleoniſchen Kriege. Erweckend und verwandelnd wirkten auf ihn die Jahre des Weltkriegs, den er als Bataillonsarzt bei einem Infanterie⸗Regiment an verſchiedenen Fronten erlebte. Der Dichter wohnt bei Paſſau.

Gesammelte Gedichte. M 4.-

Eine Kindheit und Verwandlungen einer Jugend. M 5.- Tagebuch im Kriege. M 3.—

Der Arzt Gion. Eine Erzählung. M 5.—

Führung und Geleit. Ein Lebensgedenkbuch. M 5.— Geheimnisse des reifen Lebens. M 5.50

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Hans Carossa: Wirkungen Goethes in der Gegenwart. Eine Rede. Kart. M 1.80 Die Schicksale Doktor Bürgers. Die Flucht. (IB. Nr. 334) Gedichte. Vom Dichter ausgewählt. (JB. Nr. 500)

Ernest Claes. 1885 in Sichem bei Löwen geboren als Sohn einer alten Brabanter Bauernfamilie. Er kam zunächſt als Lehrling in eine Kloſterdruckerei, beſuchte dann Gpmnaſium und Untverfitat und lebt jetzt als Beamter bei der belgiſchen Kammer in Brüſſel. Flachs kopf. Mit einem Vorwort und Bildern von Felix Timmer⸗ mans. M 3.75 Black. Die Geſchichte eines Hundes. M 3.80 Bruder Jakobus. Roman. M 5.50 Hannes Raps. Eine Landſtreichergeſchichte. Mit Zeichnungen von Felix Timmermans. (IB. Nr. 429)

Die Heiligen von Sichem. Mit 12 ganzſeitigen Zeichnungen von Felix Timmermans, (IB. Nr. 483)

Anton Coolen. 1897 in dem Dorf Wplre (in der niederländiſchen Provinz Limburg) geboren. Er war eine Zeit lang als Journaliſt tätig, zog ſich aber dann in ſein geliebtes Nord⸗Brabant zurück, um ganz ſeiner Dichtung zu leben.

Brabanter Volk. Roman M 5.—

Das Dorf am Fluß. Roman M 5.—

Die drei Brüder. Roman M 5.—

Weihnachten in Brabant. Drei Erzählungen. (IB. Nr. 531)

Robert Faesi. 1883 in Zürich geboren, wo er als Literarhiſtoriker an der Univerſität wirkt. Das Antlitz der Erde. Gedichte. M. 4.—

Hugo von Hofmannsthal. Lebte von 1874 bis 1929, Die Gedichte und kleinen Dramen. M. 5- Das Salzburger Große Welttheater. Gebunden M 2.50 Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen. (IB. Nr. 8) Der Tor und der Tod. Ein dramatiſches Gedicht. (JB. Nr. 28) Das kleine Welttheater oder die Glücklichen. (IB. Nr. 78) Alkestis. Trauerſpiel nach Euripides. (JB. Nr. 134) Gedichte. (IB. Nr. 461) Reden und Aufsätze. (IB. Nr. 339)

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Ricarda Huch. 1864 in Braunſchweig geboren. Sie kam zweiund⸗ zwanzigjährig nach Zürich, um Geſchichte zu ſtudieren, und begann alsbald mit der Veröffentlichung erzählender und darſtellender Werke. Die Dichterin lebt in Jena.

Michael Unger. Roman. M 3.75

Von den Königen und der Krone. Roman. In Halbleinen M 5.25 Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil. M 6.-

Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter Teil. M6.—

Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. M 5.-

Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. M 3.75 Der Dreißigjährige Krieg. Zwei Bände. M 7.50

Der große Krieg in Deutschland. Gekürzte Ausgabe. M 2.50 Gesammelte Gedichte. M 6.75

Liebesgedichte. (38. Nr. 22)

Wonnebald Pück. Erzählung. (IB. Nr. 58)

Der letzte Sommer. Erzählung. (JB. Nr. 172)

Das Judengrab / Bimbos Seelenwanderungen. (IB. Nr. 193) Fra Celeste. Erzählung. (IB. Nr. 405)

Gottfried Keller. (IB. Nr. 113)

Quellen des Lebens. (IB. Nr. 469)

Per Imerslund. 1912 geboren in Oslo, ftammt aus einem alten Bauerngeſchlecht Hedemarkens. Er verlebte feine Jugend in Deutſch⸗ land, war von 1927 bis 1931 in Mexiko und ſchuf, in ſeine Heimat Norwegen zurückgekehrt, das erſte Arbeitsdienſtlager in Storelv⸗ dalla. Sein Erſtlingswerk hat er deutſch geſchrieben.

Das Land Noruega. Erlebniſſe in Mexiko. M 4.50

Gudmundur Kamban. 1888 in Alftanes auf Island geboren. Er ſtudierte in Kopenhagen, lebte dann von 1915 bis 1917 in New Pork und widmete ſich nach feiner Rückkehr der Bühne als Spiel⸗ leiter. Seit einiger Zeit lebt Kamban in Deutſchland.

Die Jungfrau auf Skalholt. Roman. M 7.50 Der Herrscher auf Skalholt. Roman. M 7.50 Ich seh ein großes schönes Land. Roman. M 6.50

ne Kortwich. 1898 in Berlin geboren, wo er als Schriſtſteller ebt. Friesennot. Erzählung. (IB. Nr. 447)

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David Herbert Lawrence. Lebte von 1885 bis 1930. Der Regenbogen. Roman. M 6.- Söhne und Liebhaber. Roman. M 3.75 Liebende Frauen. Roman. M 6.- Die gefiederte Schlange. Roman. M 6.- Die Frau, die davonritt. Novelle. (IB. Nr. 419) Frohe Geister Eine englische Familie. Novellen. (IB. Nr. 428) Der Fuchs. Novelle. (IB. Nr. 384)

Max Mell. 1882 in Marburg an der Drau geboren. Er wuchs in Wien auf, ſtudierte Germaniſtik, machte den Krieg an der ruſſt⸗ ſchen Front mit und lebt ſeither in Wien.

Das Donauweibchen. Erzählungen und Märchen. M 5.—

Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Gebunden M 3.50 Das Spiel von den deutschen Ahnen. Gebunden M 3.50

Das Nachfolge Christi- Spiel. Gebunden M 3.50

Das Apostels piel. (JB. Nr. 167)

Barbara Naderer. Novelle. (IB, Nr. 261)

Ein altes deutsches Weihnachtsspiel. (JB. Nr. 418)

Otto Nebelthau. 1894 in Bremen geboren. Lebt am Bodenſee. Der Ritt nach Canossa. Hiſtoriſcher Roman. M 6.— Mein Gemüsegarten. (ID. Nr. 456) Mein Obstgarten. (IB. Nr. 470)

Christian Morgenstern. Lebte von 1871 bis 1914. Alle Galgenlieder. (Galgenlieder, Palmſtröm, Palma Kunkel, Ging⸗ ganz.) M 3.50 Uber die Galgenlieder. M 3.- Melancholie. Gedichte. Gebunden M 2.50 Klein Irmchen. Ein Kinderliederbuch. Mit Zeichnungen von Jo⸗ ſua L. Gampp. Gebunden M 4.—

Rainer Maria Rilke. Lebte von 1875 bis 1926. Ausgewählte Werke in zwei Banden. M 12.-; in Halbleder M 18.— Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. M 7.-; in Halbleder M 9.— Briefe und Tagebiicher aus der Frühzeit 1899 bis 1902. Briefe aus den Jahren 1906 bis 1907.

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Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921. Briefe aus Muzot (1921-1926). Briefe an seinen Verleger (1906-1926). Jeder der Briefbände M7.-; in Halbleder M9.-

Das Stunden- Buch. In Halbleinen M 3.-

Erste Gedichte. M 5.—

Frühe Gedichte. M5.—

Neue Gedichte. M 5.—

Das Buch der Bilder. M 5.—

Duineser Elegien. M 3.-

Späte Gedichte. M 5.—

Geschichten vom lieben Gott. M 4.50

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. M 5.50 Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M 7.-

Uber Gott. Zwei Briefe. Gebunden M 2.—

Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. (JB. Nr. l) Requiem. (JB. Nr. 30)

Das Marien-Leben. Gedichte. (JB. Nr. 43)

Die Sonette an Orpheus. (IB. Nr. 115)

Ausgewählte Gedichte. (IB. Nr. 400)

Der ausgewählten Gedichte anderer Teil. (JB. Nr. 480) Vierundzwanzig Sonette der Louize Labe. (IB. Nr. 222) Sonette aus dem Portugiesischen der Elizabeth PTAC ETDS: (IB. Str. 252) |

Michelangelo-Übertragungen. (IB. Nr. 496)

Briefe an einen jungen Dichter. (IB. Nr. 406)

Briefe an eine junge Frau. (IB. Nr. 409)

Portugiesische Briefe (Die Briefe der Marianna Alcoforado) (JB. Nr. 74)

Sally Salminen. 1906 im Kirchſpiel Vardsd auf den Alandsinſeln als Tochter eines Schiffers geboren. Kam von der Schule als Ver⸗ käuferin nach Stockholm, 1930 als Hausangeſtellte nach den Ver⸗ einigten Staaten. Dort ſchrieb fle ihren erſten Roman ‚Katrina‘, der beim Wettbewerb eines ſchwediſch⸗finniſchen Verlags mit dem erſten Preis ausgezeichnet und in alle Weltſprachen überſetzt wurde. Die Dichterin lebt jetzt wieder in ihrer Heimat.

Katrina. Roman. Aus dem Schwediſchen übertragen von Edzard Schaper. M 6.50

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Albrecht Schaeffer. 1885 in Elbing geboren. Er wuchs in Hannover auf und empfing entſcheidende Eindrücke von der niederſächſiſchen Landſchaft. Später ſiedelte er ſich in Süddeutſchland an; er lebt in Rimſting am Chiemſee. Von ſeinen zahlreichen Werken nennen wir:

Josef Montfort. Roman. M 6.50

Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Menſchen aus der nord⸗ deutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Ausgabe in zwei Bänden. M 15.-

Der göttliche Dulder. Dichtung. M 6.25

Parzival. Ein Versroman. M 7.50

Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndruckpapier. M 6.50

Griechische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt. Zwei Bände. Je M5.-

Gedichte aus den Jahren 1915 bis 1930. M 4.—

Die Sage von Odysseus. (IB. Nr. 87)

Nachtschatten. Novellen. (IB. Str. 179)

Der Reiter mit dem Mandelbaum. Legende. (IB. Nr. 229)

Der Raub der Persefone. (JB. Nr. 311)

Edzard Schaper. 1908 in Oftrowo, Provinz Pofen, geboren, als Sohn niederdeutſcher Eltern (Vater aus Hannover, Mutter aus Oſtfriesland). Bewegtes Leben: Muſiker, Schauspieler, Gärtner, fährt dann zur See und lebt längere Zeit in Skandinavien, jetzt in Eſtland.

Die sterbende Kirche. Roman. M 6.—

Das Leben Jesu. M 6.50

Die Arche, die Schiffbruch erlitt. Novelle. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Müller. (JB. Nr. 471)

Das Lied der Vater. Erzählung. (IB. Nr. 514)

Friedrich Schnack. 1888 in Rieneck, Unterfranken, geboren. Er verlebte feine Jugend in Franken, in der Landſchaft von Rhön, Speſſart, Frankenwald, in den Wein⸗, Obſt⸗ und Korngegenden von Aſchaffenburg, Würzburg und Bamberg. Ehe er ſich der Dich⸗ tung zuwandte, war er zehn Jahre in Handel, Wirtſchaft und In⸗ duſtrie tätig. Er lebt in Uberlingen am Bodenſee.

Gesammelte Gedichte. M 5.~ Das Zauberauto. Liebesroman. M 4.50 Das Leben der Schmetterlinge. Naturdichtung. M 6.—

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Friedrich Schnack: Goldgräber in Franken. Abenteuerroman. M 4.50 Der Lichtbogen. Falterlegenden. M 4.50 Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das große und kleine Volk. M 4.— Klick und der Goldschatz. Heiterer Roman. M 5.— Der erfrorene Engel. Roman eines Mädchens. M 5.- Die brennende Liebe. Roman der drei Lebensalter. Beatus und Sabine / Sebaſtian im Wald / Die Orgel des Himmels. M 6.- Sibylle und die Feldblumen. Mit 8 handkolorierten Blumenbil⸗ dern. M 6.— Land ohne Tränen. (IB. Nr. 459) Geschichten aus Heimat und Welt. (JB. Nr. 498)

Reinhold Schneider. 1903 in Baden-Baden als Sohn einer alten Badener Familie geboren, empfing ſtarke und entſcheidende Ein⸗ drücke von Reiſen im Süden, beſonders in Portugal und Spanien. Lebt in Freiburg i. Br. Von ſeinen Werken erſchienen im Inſel⸗ Verlag:

Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. Inhalt: Der Wald Paderborn Speper Bremen Tangermünde Nürnberg Rudolſtadt Hohenzollern Oſtland. M 3.80

Das Inselreich. Geſetz und Größe der britiſchen Macht. M 8.50 Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaſt Lothars von Supp⸗ linburg. M 5.—

Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquiſtadorenzeit. M 5.—

Gabriel Scott. 1874 in Leith (Schottland) als Norweger geboren. Er lebt in Tromden bei Arendal.

Fant. Roman. Aus dem Schwediſchen übertragen von Edzard Scha⸗ per. M 5.50

Frans Eemil Sillanpää. 1888 in Hämeenkprö (Finnland) geboren. Er ſtudierte einige Jahre in Helſingfors, kehrte dann aber in ſeine ländliche Heimat zurück und begann ſeit 1916 das Land und die Menſchen in Romanen zu ſchildern. Er lebt in Helſingfors.

Silja, die Magd. Roman. M 3.75

Eines Mannes Weg. Roman. M 5.—

Menschen in der Sommernacht. Roman. M 3.80

Die kleine Tellervo. Finniſche Geſtalten. (JB. Nr. 524)

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Otto Freiherr von Taube. 1879 in Reval geboren, ftammt aus einem sheermeifterliden’ Geſchlecht der eftländifchen Ritterſchaſt. Er emp⸗ fing ſeine Bildung in Kaſſel und Weimar und an deutſchen Uni⸗ verſitäten. Seit 1910 als freier Schriftſteller tätig, ſchuf er neben eigenen Werken zahlreiche Uberſetzungen. Er lebt in Gauting (Ober⸗ bapern).

Der verborgene Herbst. Roman. In Halbleinen M 4.75 Die Léwenprankes. Roman. In Halbleinen M 4.50 Das Opfer fest. Roman. M 6.-

Felix Timmermans. 1886 in Lier bei Antwerpen geboren als Sohn eines Spitzenhändlers. Er erhielt einfache Schulbildung, fühlte ſich aber frühzeitig zur Kunſt hingezogen, wollte Maler werden und beſuchte die Kunſtakademie. Aber ungewollt wurde er ein Maler des Wortes: wie ſein großer Landsmann Pieter Bruegel ſchildert er das flämiſche Volk in ſeiner ganzen überſchäumenden Lebens⸗ fülle. Er lebt in ſeiner kleinen Vaterſtadt Lier.

Das Jesuskind in Flandern. M 3.75

Pallieter. M 3.75

Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. M 5.—

Pieter Bruegel. Roman. M 3.75

Die Delphine. Eine Geſchichte aus der guten alten Zeit. M5.- Franziskus. M 5.—

Bauernpsalm. Roman. M 5.—

Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten. M 3.75 Die sehr schönen Stunden von Jungfer Symforosa, dem Beginchen. Erzählung. (IB. Nr. 308)

Das Triptychon von den Heiligen Drei Königen. (IB. Nr. 362) Aus dem schönen Lier. (IB. Nr. 401)

Sankt Nikolaus in Not und andere Erzählungen. (JB. Nr. 420) Beim Krabbenkocher. Erzählung. (IB. Nr. 508)

Paul Valéry. 1871 geboren in Cette am Mittelmeer. Nachdem er früh

mit Gedichten hervorgetreten war, ſchwieg er zwanzig Jahre und veröffentlichte dann ſeit 1917 Gedichte, philoſophiſche Dialoge und Eſſaps. 1925 wurde er Mitglied der franzöſiſchen Akademie.

Herr Teste. In Halbleinen M 4.—

Karl Heinrich Waggerl. 1897 in Bad Gaſtein geboren als Sohn eines Zimmermanns, der aus einem alten Bauerngeſchlecht ſtammte. Er

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beſuchte die Stadtſchule und das Lehrerſeminar, wurde im Krieg an der italieniſchen Front Offizier, geriet in Gefangenſchaft und er⸗ krankte ſchwer, ſo daß er den Lehrerberuf aufgeben mußte. Er lebt in Wagrain im Salzkammergut.

Brot. Roman. M 3.75

Schweres Blut. Roman. M 5.—

Das Jahr des Herrn. Roman. M 3.75

Mütter. Roman. M5.—

Wagrainer Tagebuch. M 3.-

Du und Angela. Erzählungen. (IB. Nr. 204)

Das Wiesenbuch. Mit 16 Scherenſchnitten des Dichters. (JB. Nr. 426) Kalendergeschichten. (JB. Nr. 522)

Gerard Walschap. 1898 in Londerzeel bei Brüffel geboren als Sohn eines Bauern. Er lebt in Antwerpen. Heirat. Roman. M 4.50 Der Mann, der das Gute wollte. Roman. M 5.50

Andreas Zeitler.1906 in Leipzig geboren, von feinen Vorfahren ber der fränkiſchen Landſchaft verbunden, in der fein erftes Buch e Er lebt in Leipzig.

Fränkischer Sommer. Erzählung. M 4.—

Goethe Goethe:

Sämtliche Werke in ſiebzehn Bänden. Herausgegeben von Fritz Bergemann, Hans Gerhard Gräf, Max Hecker, Gunther Ipſen, Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Ausgabe auf Dünndruckpapier M 135.-; in Leder M 235.-

Die vollſtändigſte aller heutigen Goethe⸗Ausgaben. Der Text ume faßt 15 000 Seiten.

Die Bände dieſer Ausgabe werden auch einzeln in dunkelblauem Leinen mit aufgedruckten Untertiteln geliefert.

Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe:

Goethes Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1750 Sei⸗ ten.) M 18.-; in Leder M 30.—

Gespräche mit Eckermann. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Deibel. Vollſtändige Ausgabe in einem Bande auf Dünndruck⸗ papier. (797 Seiten.) M 7.50; in Leder M 13.—

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Goethe: Goethes Gespräche ohne die Geſpräche mit Eckermann. Ausgewählt von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ausgabe auf Dünn⸗ 5 in einem Bande. (791 Seiten.) M 9.50; in Leder 16.—

Goethes Werke in ſechs Bänden. (Der Volks⸗Goethe. 3900 Seiten.)

Im Auftrage der Goethe⸗Geſellſchaſt herausgegeben von Erich

0 Neu bearbeitet von Guſtav Roethe. M 18.-; in Halbleder 28.—

Dichtung und Wahrheit. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. (831 Seiten.) M 8.-

Farbenlehre. Eingeleitet von Gunther Ipſen. Mit 32 zum großen Teile vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier in einem Bande. M 10.—

Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauſt, Fragment (1790) Tra⸗ gödie I. und II. Teil, Paralipomena. Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier in einem Bande. (577 Seiten.) M 3.50; in Leder M 6.50

Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1300 Seiten.) M 12.-; in Leder M 20.—

Gedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Mar Hecker. M 3.75

Italienische Reise. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. (590 Seiten.) M 6.-

Wilhelm Meister. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1020 Seiten.) M 9.50

Naturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther Ip fen. Mit 48 zum großen Teil vielfarbigen Tafeln. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) M 20.-

Dreißig Handzeichnungen Goethes. Fakſimile⸗Ausgabe in farbigem Lichtdruck. Herausgegeben von Hans Wahl. 300 numerierte Exem⸗ plare. In Leinenmappe M 225.—

Italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, ſeiner Freunde und Kunſtgenoſſen in 124 zum Teil farbigen Lichtdrucktafeln. Neu herausgegeben vom Goethe⸗Nationalmuſeum (Folio). In Halb⸗ leder M 50.-; in Leder M 80.—

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Goethe: Goethes Reise-, Zerstreuungs- und Trostbüchlein. 36 zum großen Teil farbige Bilder. Ausgewählt und herausgegeben von Hans Wahl. Stammbuch⸗ Querformat in Schuber M 4.50

Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben und eingeleitet von Guſtav Roethe. M 3.50

Briefe an Charlotte von Stein. Neue, vollſtändige Ausgabe, auf Grund der Handſchriften herausgegeben von Julius Peterſen. Vier Bände. M 12.—

Briefwechsel mit Marianne von Willemer. Herausgegeben von Max Hecker. Fünfte, verbeſſerte Auflage. Mit 10 Abbildungen. M 7.50

Der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Im Auftrage des Goethe- und Schiller⸗Archivs nach den Handſchriften herausgege⸗ ben von Max Hecker. Drei Bände. M 18.-

Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln. M 4.50

Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriſtlichen Nachlaſſes neu her⸗ ausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und 2 Fak⸗ ſimiles. M 7.50

Goethe im Bildnis. Mit 102 Bildtafeln. Herausgegeben und einge⸗ leitet von Hans Wahl. M 5.—

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg. M 4.50

Deutſche Klaſſiker und Geſamtausgaben

Eichendorff, Joseph von: Werke. Ausgewählt und herausgegeben von Franz Schultz. Zwei Bände. (1080 Seiten.) M 6.-

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl in einem Bande. Mit acht handkolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel. M 6.50 Märchen. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden. M9.-

Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchſtücke der Altſächſiſchen Ge⸗ neſis. Eingeleitet von Andreas Heusler. M 3.50

Hey-Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Von Wilhelm Hep. Mit den Bil⸗ dern von Otto Speckter. M 2.50

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Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1043 Seiten.) M9.-; in Leder M 15.- Gesammelte Briefe. Eingeleitet von Ernſt Bertram. M6.-; in Leder M 12.-

Keller, Gottfried: fiche Seite 168, 172

Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke. Ausgabe auf Dünndruckpapier in einem Band. (1187 Seiten.) M9.-; in Leder M 15.-

Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe in sechs Bänden. Vollſtändige kri⸗ tiſche Ausgabe, herausgegeben von Eduard Caſtle. M 40.—

Mörike, Eduard: ſiehe Seite 169

Der Nibelunge Not und Kudrun Herausgegeben von Eduard Sievers. Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier. (624 Seiten.) M 6.—

Novalis: Dichtungen. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Schultz. M 4.50

Sachs, Hans: Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit 52 Holzſchnit⸗ ten nach Dürer, Beham u. a. Herausgegeben von Paul Merker und Reinhard Buchwald. Zwei Bände. In Halbleinen M 10.- Kolorierte Ausgabe, in der ſämtliche Holzſchnitte mehrfarbig mit der Hand koloriert wurden, in Halbpergament M 16.-; in Schweinsleder M 30.-

Schiller: Sämtliche Werke in sieben Banden. Taſchenausgabe auf Dünn⸗ druckpapier (4900 Seiten) M 45.—; in Leder M 80.—

Stifter, Adalbert: . Werke in sieben Bänden (in Vorbereitung). Siehe Seite 170 Werke in drei Bänden (Volks⸗Stifter). Mit einer Einleitung von Adolf von Grolman. M 12.- Die Ausgabe umfaßt die Erzählungen, Nachſommer und Witiko.

ET Weltliteratur

Don Quixote. Vollſtändige deutſche Ausgabe, beſorgt von Kon rad Thorer. Mit einem Effap von Turgenjew und einem Nach⸗ wort von André Jolles. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1550 Seiten.) M 12.—; in Leder M 20.—

184

Dante: Opera omnia. (In italieniſcher Sprache.) Enthaltend La Divina Commedia. Il Canzoniere, Vita Nuova. Il Convivio ſowie die lateiniſchen Schriften und Briefe. Mit einer Einleitung von Bene⸗ detto Croce. Ausgabe auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1080 Seiten.) M 10.—

Dantes Göttliche Komödie Deutſch von Friedrich Freiherrn von Falkenhauſen. (733 Seiten.) M 7.50; in Leder M 14.—

Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Übertragen von Bernhard Jolles. Mit 20 Bildtafeln. M 4.50

Ounpov ety. (Lua Odvecea) Homers Werke (Ilias und Odpſſee) im griechiſchen Urtext heraus- gegeben von Paul Cauer. Neue Ausgabe auf Dünndruckpapier. M 6.—

Jacobsen, Jens Peter: Sämtliche Perke in einem Bande. Mit dem von A. Helſted 1885 radierten Porträt. Auf Dünndruckpapier. (877 Seiten.) M 8.50; in Leder M15.—

Sophokles: ö Tragödien. Übertragen von Roman Woerner. M6.-; in Leder M 12.-

Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle): Gesammelte Werke. Übertragen von Arthur Schurig und Otto Fret- herrn von Taube. Ausgabe auf Dünndruckpapier in acht Bänden. (5200 Seiten.) M 55.—

Orient und Ferner Oſten

Tausendundeine Nacht Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtändige deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erſten Male aus dem ara⸗ biſchen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertra⸗ gen von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmanns⸗ thal, Auf Dünndruckpapier. (5120 Seiten.) M 50.—; in Leder M 90.— Die Bände find auch einzeln, in Leinen je M9.- erhältlich. Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In einem Bande M 4.50

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geſchichte einer glücklichen Gatten⸗ wahl. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit Bil⸗ dern nach alten chineſiſchen Holzſchnitten. M 3.75

185

Die Rache des jungen Meh oder Das Wunder der zweiten Pflaumen blüte. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. In der Art chineſiſcher Blockbücher gebunden. M 6.-

Die Räuber vom Liang schan Moor

Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit 60 Holy ſchnitten einer alten chineſiſchen Ausgabe. (840 Seiten.) M 12.-

Der Traum der Roten Kammer

Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. (789 Seiten) M 12.-

Die Geschichte vom Prinzen Genji wie ſie geſchrieben wurde um das Jahr Eintauſend unſerer Zeit⸗

rechnung von Muraſaki, genannt Shikibu, Hofdame der Kai⸗ ſerin von Japan. Zwei Bände. (1200 Seiten.) M 16.—

Tsudzumi, Tsune yoshi: Japan, das Götterland. Herausgegeben vom Japan⸗Inſtitut, Ber⸗ lin. M6.— Die Kunst Japans. Herausgegeben vom Japan-⸗Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildungen. M 20.—

Preetorius, Emil: Vom Pesen ostasiatischer Malerei. Ein Vortrag. Mit einer Licht⸗ drucktafel. Gebunden M 3.—

Briefe, Erinnerungen, Lebensgeſchichte

Arnim, Bettina von:

Die Günderode. Eingeleitet von Heinz Amelung. M 5.—

Bertram, Ernst: Deutsche Gestalten. Feſt⸗ und Gedenkreden. M 6.- Inhalt: Bach Klopſtock Goethe: Geſang und Geſetz; Geheim⸗ nislehre; Sinnliche Überlieferung Schiller Norden und deutſche Romantik Beethoven Kleiſt Stifter Möglichkeiten deut⸗ ſcher Klaſſik.

Buchwald, Reinhard: Schiller. Zwei Bände. I. Der junge Schiller. II. Wanders und Meiſterjahre. Mit 14 Bildtafeln. M 15.-

Carolinens Leben in ihren Briefen Auf Grund der von Erich Schmidt beſorgten Geſamtausgabe in

Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

186

Corti, Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. (Maximilian von Mexiko.) Mit 4 Bild- tafeln. M 7.50

Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Mit der Abbildung einer Büſte und dem Fakſimile eines Briefes. M 3.50

Droysen, Joh. Gust. : Das Leben des Feldmarschalls Grafen Yorck von Wartenburg. Zwei Bände. Mit 8 Bildniſſen in Lichtdruck und 8 Karten. M 10.-

Elisabeth Charlotte (Liselotte): Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Helmolt. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50 Haupt, Georg: Rudolf Koch der Schreiber. Mit 64 Bildtafeln und vielen Abbil⸗ dungen im Text. M 8.50

Humboldt, Wilhelm von: Die Brautbriefe Wilhelms und Karolinens von Humboldt. Heraus- gegeben und eingeleitet von Albert Leitzmann. M 6.50 Briefe an eine Freundin. (Charlotte Diede.) In Auswahl her⸗ ausgegeben von Albert Leitzmann. M 3.50

Katharina II. von Rußland: Memoiren. Herausgegeben und eingeleitet von Erich Boehme. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Kerner, Justinus und ſein Münchener Freundeskreis. Eine Sammlung von Briefen. Herausgegeben von Franz Pocci. Mit 8 Bildtafeln. M 8.—

Kippenberg, Anton: Geschichten aus einer alten Hansestadt. M 3.80

Kippenberg, Katharina: Rainer Maria Rilke. Siehe Seite 168

Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Kiihnemann, Eugen:

Goethe. Zwei Bande. (1118 Seiten.) M 15.—

Luthers Briefe In Auswahl neu herausgegeben von Reinhard Buchwald. Mit 10 Bildtafeln. M 3.50

187

Mosart: Wolfgang Amadeus Mozarts Leben in feinen Briefen und Berich⸗ ten der Zeitgenoſſen. Herausgegeben von Albert ee Mit 16 Bildtafeln und 2 Fakſimiles. M7.—

Nietzsche, Friedrich: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben von Richard Oehler. M 4.50 Briefe an Peter Gast. Herausgegeben von Peter Gaſt. M 6.— Briefe an Mutter und Schwester. Herausgegeben von Eliſabeth Förſter⸗Nietzſche. Mit 3 Bildniſſen in Lichtdruck. M 7.— Briefwechsel mit Erwin Rohde. Herausgegeben von Eliſabeth För- ſter⸗Nietzſche und Fritz Schöll. In Halbleinen M 6.-

Scheffler, Karl: Der junge Tobias. Eine Jugend und thre Ummelt. M 6.- Schneider, Eduard: Eleonora Duse. Erinnerungen, Betrachtungen und Briefe. Mit 7 Abbildungen und einem Falfimile. M 6.— Schurig, Arthur: Wolfgang Amade Mozart. Sein Leben, ſeine Perſönlichkeit, fein Werk. Mit 41 Bildtafeln und 3 Fakſimiles. Zwei Bände. M 14.— Terry, Charles Sanford: Johann Sebastian Bach. Mit einem Geleitwort von Profeſſor D Dr. Karl Straube, Kantor zu Sankt Thomae. Neue Ausgabe. Mit einem Bildnis Bachs in Lichtdruck und 32 Bildtafeln. M 6.50 Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt und eingeleitet von Wil⸗ helm Weigand. Mit 2 Bildniſſen. M 6.50 Wilhelmine Markgräfin von Bayreuth: Memoiren. Mit 10 Bildtafeln. M 6.50

Geſchichte und Naturgeſchichte

Bessell, Georg: Bremen. Die Geſchichte einer deutſchen Stadt. M 5.—

Clausewitz, Karl von: Vom Kriege. Bearbeitet und eingeleitet von Friedrich von Cochen⸗ hauſen. M 6.50

Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig. Eine Künſtlerfahrt im Jahre 1773. 100 Bilder nach den Originalen der Staatlichen Akademie ber Künſte in Berlin mit erläuterndem Text und einer Einführung von Wolfgang von Oettingen. Stammbuch⸗ Querformat in b M 4.50

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Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigenhändigen Berichten Cortes? an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522. Herausgegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit zwei Bildniſſen und einer Karte. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die trockene Trunkenheit. Urſprung, Kampf und Triumph des Rauchens. Mit 64 Bildtafeln. M 12.- Der Zauberer von Homburg und Monte Carlo. Mit 16 Bildtafeln. M 8.—

Deutsche Vergangenheit Nach zeitgenöſſiſchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. Das Werk umfaßt 9 Bände mit je 16 Bildtafeln. Es beſteht aus zwei Abteilungen, der politiſchen und der kulturhiſtoriſchen Reihe. Vorzugspreis des geſamten Werkes M 60.-, der einzelnen Bände M 7.50 Die politiſche Reihe Die Germanen in der Völkerwanderung - Das Frankenreich Die Sächsischen und Salischen Kaiser Die Hohenstaufen. Die kulturhiſtoriſche Reihe Klosterleben im deutschen Mittelalter Deutsches Geistesleben im Mittelalter Ordensritter und Kirchenfürsten - Fürsten und Ritter Bauern, Bürger und Hansa.

Fichte: Reden an die deutsche Nation. Revidierte Ausgabe mit einer Ein» leitung von Rudolf Eucken. M 2.50 Das alte Humburg Mit 154 Bildtafeln. Herausgegeben von Carl Schellenberg. M 9.50 Renker, Armin: Das Buch vom Papier. Mit 46 Abbildungen in Lichtdruck, 4 Waf- ſerzeichentafeln, 13 Papierproben und 1 Karte. In Halbleinen M 10.— Scheffler, Karl: Holland. Mit 100 Bildtafeln. Mt 9.- Italien. Tagebuch einer Reiſe. Mit 118 Bildtafeln. M9.- Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. M9.-

Schneider, Reinhold: Das Inselreich. Geſetz und Größe der britiſchen Macht. M 8.50 Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supp⸗ linburg. M5.-

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Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. M 3.80

Inhalt: Der Wald Paderborn Speper Bremen Tanger⸗ ‘miinde Nürnberg Rudolſtadt Hohenzollern Oſtland. Spunda, Franz:

Der heilige Berg Athos. Landſchaſt und Legende. Mit 40 Bildtafeln.

M 8.— Philoſophie Kant:

Kritik der reinen Vernunft. Ausgabe auf Dünndruckpapier. (650 Seiten.) M7.—

Kant- Aussprüche. Herausgegeben von Raoul Richter. M 3.50 Kassner, Rudolf: Das Buch der Gleichnisse. M 4.50 Die Chimäre. Der Aussätzige. Gebunden M 3.- Von der Einbildungskraft. M 4.50 Der indische Gedanke. Von den Elementen der menschlichen Größe. Gebunden M 3.- Englische Dichter. Bebunden M 4.50 Essays. Gebunden M 4.50 Die Grundlagen der Physiognomik. M 4.- Die Moral der Musik. Aus den Briefen an einen Muſiker. Ge bunden M 4.— Die Mythen der Seele. M 4.— Das physiognomische Weltbild. M 7.50 Der Tod und die Maske. Gebunden M 3.— Die Verwandlung. Phyſiognomiſche Studien. M 4.50 Zahl und Gesicht. Nebſt einer Einleitung: Der Umriß einer uni⸗ verſalen Phpfiognomif. M 5.50 Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Mit Erläuterungen und einem Nad wort. M3.-

Kunft Allesch, Johannes von: Michael Pacher. Mit 113 Abbildungen. Mt 10.— Beenken, Hermann: | Bildhauer des vierzehnten Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben. Mit 150 Abbildungen. M 10.- Burkhard, Arthur: Hans Burgkmair. Mit 117 Abbildungen. M 10.—

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Geese, Walter: Gottlieb Martin Klauer. Der Bildhauer Goethes. Mit 64 Bild- tafeln. M7.—

Gerstenberg, Kurt: Hans Mulischer. Mit 175 Abbildungen. M 10.-

Grisebach, August: Karl Friedrich Schinkel. Mit 110 Abbildungen. M 10.-

Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts. Mit 136 Ab⸗ bildungen. Dt 10.—

Koch, Rudolf: Das ABC-Biichlein. Gebunden M 2.80 Vorzugsausgabe: 100 Exemplare auf der Handpreſſe gedruckt im Haus zum Fürſteneck zu Frankfurt a. M. In Halbleder M 30.— Das Blumenbuch. Zeichnungen von Rudolf Koch. In Holz geſchnit⸗ ten von Fritz Kredel. 250 Holzſchnitte im Format 23/31 cm. Druck der Mainzer Preſſe in 1000 Exemplaren. Die Handkolorie⸗ rung beſorgte Emil Wöllner. Drei Teile. In Pappbänden M 80.- Die Weihnachtsgeschichte. Ein Blockbuch in 10 Holzſchnitten. Ge⸗ bunden M 1.80 Das Zeichenbuch. M 5.- Das kleine Blumenbuch (3B. Nr. 281), Ein Deutscher (JB. Nr. 504) und Häusliches Leben (JB. Nr. 124)

Koch, Rudolf, und Fritz Kredel: Karte von Deutschland und angrenzenden Gebieten. Vielfarbige Wiedergabe im Format 120 & 163 cm. Unaufgezogen M 18.-; auf Leinwand mit zwei Rundſtäben M 30.-

König, Leo von: Gestalt und Seele. Das Werk des Malers. Mit 64 Bildtafeln und einer Einleitung von Reinhold Schneider. M 8.—

Lanckoronska, M., und Richard Oehler: Die Buchillustration des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Oster- reich und der Schweiz. Drei Bände mit 212 Lichtdrucktafeln. Ge⸗ bunden M 75.-; in Halbleder M 90.-

Acht Bildtafeln aus der Manessischen Liederhandschrift. Wieder⸗ gabe in farbigem Lichtdruck in der Originalgröße (35/5 cm), Inhalt: 1. Kaiſer Heinrich 2. König Konrad der Junge 3. Walther von der Vogelweide 4. Graf Kraft von Toggen⸗ burg - 5. Wolfram von Eſchenbach 6. Meiſter Johannes Had⸗

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loub - 7. Der Tannhäuſer 8. Klingfor von Ungarland. In Lei- nenmappe M 48.-; jedes Blatt auch einzeln in Umſchlag M 6.-

Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. M 10.—

Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M7.—

Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. M 7.- Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit 77 Bildtafeln. M 9.-

Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und fein Werk. Mit 80 Bild- tafeln. M 10.—

Tietze, Hans: Albrecht Altdorfer. Mit 127 Abbildungen. M 10.-

Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und ſeine Kunſt. Mit 192 Bild⸗ tafeln. M 4.50

Weinberger, Martin: Wolfgang Huber. Mit 135 Abbildungen. M 10.-

Die wohlfeilen Reihen des Inſel-Verlags

Dichter unſerer Zeit Jeder Band in Leinen M 3.75 Claes, Ernest: Flachskopf. Ein heiterer Roman aus Flandern. Mit einem Vor⸗ wort und Bildern von Felix Timmermans. Huch, Ricarda: Der Dreißig jährige Krieg. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden. Michael Unger. Roman. Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman.

Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis Kochs als Grenadier.

Lawrence, D. H.: Söhne und Liebhaber. Roman.

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Mumelter, Hubert: Oswalt und Sabina. Zwei obne Gnade. Roman,

Sillanrää, Frans Eemil: Silja, die Magd. Roman. Streuvels, Stijn: Der Flachsacker. Roman.

Timmermans, Felix: Pieter Bruegel. Roman. Das Jesuskind in Flandern. Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten. Pallieter. Roman. Alle vier Werke mit Zeichnungen des Dichters.

Waggerl, Karl Heinrich: Brot. Roman. Das Jahr des Herrn. Roman.

Die Bibliothek der Romane Jeder Band in Leinen M 3.50

Balzac, Honoré de: Verlorene Illusionen. Bronte, Emily: Die Sturmhöhe.

Coster, Charles de: Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Ein fröhliches Buch trotz Tod und Tränen.

Defoe, Daniel: Robinson Crusoe. Nach der älteften deutſchen Übertragung. Nach⸗ wort von Severin Rüttgers.

Flaubert, Gustave: Frau Bovary. Roman. Fontane, Theodor: Effi Briest. Roman. Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Ein Roman.

Gotthelf, Jeremias: Wie Uli der Knecht glücklich wird. Nachwort von Paul Ernft.

Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Der abenteuerliche Simplizissimus. Nachwort von Wolfgang Kapſer.

Hoffmann, E. T. A.: Die Eliæiere des Teufels. Jacobsen, Jens Peter: Niels Lyhne. Roman.

193

Keller, Gottfried: Der griine Heinrich. Die Leute von Seldwyla.

Lagerlof, Selma: Gösta Berling. Erzählungen aus dem alten Wermland.

Meyer, Conrad Ferdinand: Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeſchichte.

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Eine Geſchichte aus dem 10. Jahrhundert.

Stendhal, Friedrich ron:

Rot und Schwarz. Zeitbild von 1830. Die Kartause von Parma.

Stevenson, R. L.: Die Schatzinsel. Mit vielen Holzſchnitten von Hans Alexander Müller.

Swift, Jonathan: Gullivers Reisen.

Tolstoi, Leo: Anna Karenina. Roman in zwei Bänden (je 700 Seiten).

Die Hausbiicer der Infel Jeder Band in Leinen M 4.50

Beethovens Briefe. Ausgewählt von Albert Leitzmann. Mit 16 Bildtafeln.

Böhme, Jakob: Schriften. Ausgewählt von Friedrich Schulze⸗Maizier. Mit einem Bildnis Boͤhmes.

Bürger, Gottfried August: Wunderbare Reisen des Freiherrn von Münchhausen. Mit den Hol} ſchnitten von G. Dore. Großquart. Gebunden.

Busch, Wilhelm: Aus alter Zeit. Mit vielen Handzeichnungen des Meiſters. Her⸗ ausgegeben von Otto Nöldeke und Hans Balzer.

Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von

Hofmannsthal. Die früher vierbändige Ausgabe jetzt in einem Bande. (1005 Seiten.)

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Inhalt: Arnim: Der tolle Invalide Brentano: Geſchichte vom braven Kaſperl und dem ſchönen Annerl Büchner: Lenz - Drofte- Hülshoff: Die Judenbuche Eichendorff: Taugenichts Fouque: Undine Goethe: Novelle Gotthelf: Barthli, der Korber Grillparzer: Der arme Spielmann Hauff: Das kalte Herz - Fr. Hebbel: Aus meiner Jugend E. T. A. Hoffmann: Der Elemen⸗ targeiſt Gottfried Keller: Spiegel, das Kätzchen Heinrich von Kleiſt: Das Erdbeben in Chili - Eduard Mörike: Mozart auf der Reiſe nach Prag Jean Paul: Leben des vergnügten Schulmei⸗ ſterlein Maria Wuz in Auenthal Schiller: Der Geiſterſeher Sealsfield: Erzählung des Oberſten Morſe Stifter: Der Hage⸗ ſtolz Tieck: Der blonde Eckbert.

Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers.

Inhalt: Das Hildebrandslied Beowulf Walther und Hilde⸗ gund Sigfrid und die Nibelunge Wieland der Schmied Kö⸗ nig Rother Der getreue Wolfdietrich König Dietrich von Bern Kudrun - Der Nibelunge Not.

Deutsche Volksbücher. Herausgegeben von Severin Rüttgers.

Der Band enthält: Der hörnern Siegfried Die vier Haimons⸗ kinder Herzog Ernſt Wigoleis Kaiſer Barbaroſſa Die ſchöne Meluſine Die geduldige Griſeldis Die ſchöne Magelona Hirlanda Fortunat Eulenſpiegel Die Schildbürger Doktor Fauft.

Meister Eckhart:

Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben von Friedrich Schulze⸗Maizier.

Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Mit 20 Bildtafeln.

Goethe und seine Pelt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg.

Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln.

Schwab, Gustav: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige Ausgabe mit 96 Zeichnungen von J. Flaxman. (1020 Seiten.)

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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Roman. Witiko. Mit einer Einleitung von Adolf von Grolman. Ungekürzt. (930 Seiten.)

Erzählungen. (900 Seiten.) Der Band enthält: Hochwald Ab⸗ dias Brigitta Hageſtolz Waldſteig Bunte Steine - Nachkommenſchaſten Sonnenfinſternis.

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In einem Bande.

Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und feine Kunſt. Mit 192 Bildtafeln.

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Inhalt

Kalendarium auf das Jahr 1939 ...... cece 5 Rudolf G. Binding: Zwei Gedichte q 11 Ernſt Moritz Arndt: Von Freiheit und Vaterland 12 Andreas Zeitler: Arbeit und Dichtung ½ñ. 13 David Friedrich Strauß: Huttens Streit mit Erasmus 1522: 1523 unse iota naa ew Ae Ola a eee eles es 17 Briefe des Generalfeldmarſchalls von Moltke 26 Friedrich Schiller: Die vier Weltalten&n 31 Rainer Maria Rilke: Über den jungen Dichter 33 Gudmundur Kamban: Der Herrſcher auf Skalholt 40 Konrad Weiß: Szenen aus dem Trauerſpiel „Konradin von , serien 51 Gottfried Keller: Das Tanglegendden ............. eee 54 Gertrud von le Fort: Geſang aus den Bergen 60 Franz Spunda: Nächtlicher Ritt über den Pelion ......... 61 Charles Alexander Eaſtman: An den Grenzen des Geiſter⸗ Chi ͤͤ ⁵ĩðſ Rees eee ts 70 Aus Stifters bohmiſcher Heimaiil “dd... 77 Ernſt Bertram: Hrabanuuun s 82 Rudolf Kaſſner: Wiener Theateõrrr“ ccc 85 Emilp Bronte: Der erſte Beſuuounn E ewes 92 Friedrich Schnack: Die Pfingſtrorr eck 98 Achim von Akerman: Zwei Gedicht«knk»nsns 0. . 102 K. H. Waggerl: Der Engel 103 Bettina Seipp: Pompee . 111 Reinhold Schneider: Der Stein des Magiers 119 Ulrich von Hutten: Ich habs gewagt.. 137 Hans Caroſſa: Lehrer der Hochſchubrtleõ ee eee 140 Max Mell: Günther und die kleine Schwedin 149 Katharina Kippenberg: Aus Rilkes Leben 156 Bücher aus dem Inſel⸗Verla UmUUUmt “q 165

Die Bilder

Der Blasengel. Plaſtik aus dem Bamberger Dom. Aus: Die

Bildwerke des Bamberger Doms (Inſel⸗Bücherei Nr. 140)

Peter Viſcher: Petrus. Aus: Das Sebaldusgrab zu Nürnberg (Inſel⸗Bücherei Nr. 33où!ũ!aç . Peter Viſcher: Leuchterweibchen. Aus: Das Sebaldusgrab zu Nürnberg (Inſel⸗Bücherei Nr. 3300õnu⸗:²ͤ⸗jꝛʒꝛꝛrr eee wees Das Theater von Pergamon. Aus: Franz Spunda: Griechen⸗ land, Fahrten zu den alten Göttern Willi Harwerth: Zwei Bilder zu Hans im Glück. Aus: Brüder Grimm: Hans im Glück (Inſel⸗Bücherei Nr. 530) 80, Pompeji: Fresken aus der Caſa dei Miſteri. Aus: Bettina Seipp: Neapel und Sizilien, als Land der Griechen erlebt ..

Rainer Maria Rilke in Rippoldsau im Schwarzwald, 1913. Aus: Katharina Kippenberg: Rainer Maria Riljʒrfʒ ee

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Den Umſchlag zeichnete Fritz Kredel

Gedruckt in der Offizin Haag⸗Drugulin zu Leipzig

G. 23. 9. 1938

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Digitized by Google

Inſel⸗Almanach auf das Jahr 1940

Im Inſel⸗Verlag zu Leipzig

Ralendarium

Große Gedanken und ein reines Herz, das

iſts, was wir uns von Gott erbitten follten.

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JANUAR FEBRUAR MÄRZ ı Neujahr 1 Donnerstag 1 Freitag 2 Dienstag | Freitag 2 Sonnabend 3 Mittwoch 3 Sonnabend 4 Donnerstag 3 Lätare 5 Freitag 4 Eſtomihi 4 Montag 6 Epiphanias 5 Montag 5 Dienstag 6 Dienstag 6 Mittwoch 7 1. Sonnt. n. Ep. 7 Mittwoch 7 Donnerstag 8 Montag 8 Donnerstag 8 Freitag 9 Dienstag 9 Freitag 9 Sonnabend 10 Mittwo 10 Sonnabend = 5 9 10 Heldengedenktag 12 Freitag 11 Invokavit = Montag 13 Sonnabend 12 Montag > Dienstag 13 Dienstag 13 Mittwoch 14 2. Sonnt. n. Ep. 14 Mittwoch 14 Donnerstag 15 Montag 15 Donnerstag 15 Freitag 16 Dienstag 16 Freitag 16 Sonnabend

17 Mittwoch 7 18 Reichsgruͤndung 19 Freitag

20 Sonnabend

21 Septuageſima 22 Montag

23 Dienstag

24 Mittwoch © 25 Donnerstag

26 Freitag

27 Sonnabend

28 Sexageſima 29 Montag

30 Tag d. nat. Erheb.

31 Mittwoch

17 Sonnabend

18 Reminiſzere 19 Montag 20 Dienstag 21 Mittwoch 22 Donnerstag 23 Freitag

24 Sonnabend

25 Okuli

26 Montag 27 Dienstag 28 Mittwoch 29 Donnerstag

17 Palmarum 18 Montag

19 Dienstag

20 Mittwoch

21 Gruͤndonnerstag 22 Karfreitag

23 Sonnabend @

24 Oſterſonntag 25 Oſter montag 26 Dienstag

27 Mittwoch

28 Donnerstag

29 Freitag

30 Sonnabend

31 Quaſimodogen.

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APRIL MAI JUNI ı Montag 1 Tag der Arbeit 1 Sonnabend 2 Dienstag 2 Himmelfahrt 3 Mittwoch 3 Freitag 2 2. n. Trinitatis 4 Donnerstag 4 Sonnabend 3 Montag 5 Freitag 4 Dienstag 6 Sonnabend 5 Exaudi 5 Mittwoch 6 Montag 6 Donnerstag 7 Miſeric. Dom. @ 7 Dienstag @| 7 §treitag 8 Montag 8 Mittwoch 8 Sonnabend 9 Dienstag 9 Donnerstag 10 Mittwoch 10 Freitag 9 3. n. Trinitatis 11 Donnerstag 11 Sonnabend 10 Montag 12 Freitag 11 Dienstag 13 Sonnabend 12 Pfingſtſonntag 12 Mittwoch 13 Pfingſtmontag 13 Donnerstag) 14 Jubilate 14 Dienstag > | 14 Freitag 15 Montag > | 15 Mittwoch 15 Sonnabend 16 Dienstag 16 Donnerstag 17 Mittwoch 17 Freitag 16 4. n. Trinitatis 18 Donnerstag 18 Sonnabend 17 Montag 19 Freitag 18 Dienstag 20 Des Führers 19 Trinitatis 19 Mittwoch © Geburtstag | 20 Montag 20 Donnerstag 21 Kantate 21 Dienstag @ | 21 Freitag 22 Montag @ | 22 Mittwoch 22 Sonnabend 23 Dienstag 23 Fronleichnam 24 Mittwoch 24 Freitag 23 5. n. Trinitatis 25 Donnerstag 25 Sonnabend 24 Montag 26 Freitag 25 Dienstag 27 Sonnabend 26 1. n. Trinitatis 26 Mittwoch 27 Montag 27 Donnerstag 28 Rogate 28 Dienstag 28 Freitag 29 Montag | 29 Mittwoch | 29 Sonnabend 30 Dienstag 30 Donnerstag

31 Freitag 30 6. n. Trinitatis

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JULI AUGUST SEPTEMBER 1 Montag 1 Donnerstag I 14. n. Trinitatis 2 Dienstag 2 Freitag 2 Montag © 3 Mittwoch 3 Sonnabend @ | 3 Dienstag 4 Donnerstag 4 Mittwoch 5 Freitag 4 11. n. Trinitatis] 5 Donnerstag 6 Sonnabend 5 Montag 6 Freitag 6 Dienstag 7 Sonnabend 7 7. n. Trinitatis 7 Mittwoch 8 Montag 8 Donnerstag 8 16. n. Trinitatis) 9 Dienstag 9 Freitag 9 Montag 10 Mittwoch 10 Sonnabend 3 | 10 Dienstag 11 Donnerstag 11 Mittwoch 12 Freitag II 12. n. Trinitatis 12 Donnerstag 13 Sonnabend 12 Montag 13 Freitag 13 Dienstag 14 Sonnabend 14 8. n. Trinitatis 14 Mittwoch 15 Montag 15 Donnerstag 15 17. n. Trinitatis 16 Dienstag 16 Freitag 16 Montag D 17 Mittwoch 17 Sonnabend © | 17 Dienstag 18 Donnerstag 18 Mittwoch 19 Freitag @ | 18 13. n. Trinitatis | 19 Donnerstag 20 Sonnabend 19 Montag 20 Freitag 20 Dienstag 21 Sonnabend 21 g. n. Trinitatis 21 Mittwoch 22 Montag 22 Donnerstag 22 18. n. Trinitatis 23 Dienstag 23 Freitag 23 Montag 24 Mittwoch 24 Sonnabend 24 Dienstag 25 Donnerstag 25 Mittwoch 26 Freitag 25 14. n. Trinitatis 26 Donnerstag 27 Sonnabend 26 Montag | 27 Freitag

28 10. n. Trinitatis 29 Montag

30 Dienstag

31 Mittwoch

27 Dienstag 28 Mittwoch 29 Donnerstag 30 Freitag

31 Sonnabend

28 Sonnabend

29 19. n. Trinitatis 30 Montag

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OKTOBER NOVEMBER DEZEMBER I Dienstag Freitag 1 1. Advent 2 Mittwoch 2 Sonnabend 2 Montag 3 Donnerstag 3 Dienstag 4 Freitag 3 Reformationsfeſt 4 Mittwoch 5 Sonnabend 4 Montag 5 Donnerstag 5 Dienstag 6 Freitag ? 6 Erntedanktag 6 Mittwoch > | 7 Sonnabend 7 Montag 7 Donnerstag 8 Dienstag >| 8 Freitag 8 2. Advent 9 Mittwoch 9 Gedenktag f. d. Ge 9 Montag 10 Donnerstag fallenen d. Beweg. 10 Dienstag 11 Freitag 11 Mittwoch 12 Sonnabend 10 24. n. Trinitatis 12 Donnerstag 11 Montag 13 Freitag 13 21. n. Trinitatis 12 Dienstag 14 Sonnabend D 14 Montag 13 Mittwoch 15 Dienstag 14 Donnerstag 15 3. Advent 16 Mittwoch @ | 15 Freitag @ | 16 Montag 17 Donnerstag 16 Gonnabend 17 Dienstag 18 Freitag 18 Mittwoch 19 Sonnabend 17 26. n. Trinitatis 19 Donnerstag 18 Montag 20 Freitag 20 22. n. Trinitatis | 19 Dienstag 21 Sonnabend 21 Montag 20 Bußtag 22 Dienstag 21 Donnerstag 22 4. Advent 23 Mittwoch 22 Freitag | 23 Montag 24 Donnerstag | 23 Sonnabend 24 Dienstag 25 Freitag 25 1. Weihnachtst.

26 Sonnabend

27 23. n. Trinitatis 28 Montag

29 Dienstag

30 Mittwoch 0 31 Donnerstag

24 Totenſonntag 25 Montag

26 Dienstag

27 Mittwoch

28 Donnerstag

29 Freitag @ 30 Sonnabend

26 2. Weihnachtst.

27 Freitag 28 Sonnabend

29 Sonntag n. W. 30 Montag 31 Silveſter

Joſeph von Eichendorff / In Danzig

Dunkle Giebel, hohe Fenſter, Türme tief aus Nebeln ſehn, Bleiche Statuen wie Geſpenſter Lautlos an den Türen ſtehn.

Träumeriſch der Mond drauf ſcheinet, Dem die Stadt gar wohl gefällt,

Als läg zauberhaft verſteinet Drunten eine Märchenwelt.

Ringsher durch das tiefe Lauſchen, Über alle Häuſer weit,

Nur des Meeres fernes Rauſchen Wunderbare Einſamkeit!

Und der Türmer wie vor Jahren Singet ein uraltes Lied:

Wolle Gott den Schiffer wahren, Der bei Nacht vorüͤberzieht!

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Aus: Die deutſchen Lande im Gedicht (Inſel⸗Bücherei)

Erich Brandenburg / Kolonialpolitik und Kriegsſchuld

Wir haben einen weiten, windungsreichen Weg durchmeſſen. Blicken wir von dem erreichten Punkte noch einmal auf das Ganze zurück.

Überſchauen wir die deutſche Politik ſeit Bismarcks Sturz im großen, ſo laſſen ſich, glaube ich, zwei Perioden klar vonein⸗ ander ſondern. Die erſte endigt mit dem Scheitern der deutſch⸗ engliſchen und der deutſch⸗ruſſiſchen Bündnisverhandlungen, alfo etwa mit dem Jahre 1905, die zweite beginnt mit der Bil⸗ dung der Entente, alſo 1907; dazwiſchen liegt eine kurze, aber wichtige Zeit der Neugruppierung.

Die erſte dieſer Perioden iſt gegenüber der Bismarckſchen Zeit gekennzeichnet durch das viel ſtärkere Hervortreten des Motivs der kolonialen Expanſion, eine notwendige Folge der mächtigen weltwirtſchaftlichen Entwicklung. Die rein europäifche Orien⸗ tierung der deutſchen Politik hört auf, die, weltpolitiſche“ Ein⸗ ſtellung beginnt. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß unter den gänzlich veränderten Verhältniſſen die rein kontinentale Einſtellung der früheren Periode fiir unſere Politik nicht beibehalten werden konnte. Bismarck ſelbſt würde ſich dieſer Erkenntnis gewiß nicht verſchloſſen haben, wie ja bereits feine Wendung zur Kolonial- politik in den achtziger Jahren erkennen läßt. Aber ebenſowenig iſt daran zu zweifeln, daß für ihn die Sicherung unſerer euro- päiſchen Stellung immer das oberſte Ziel geblieben ſein würde und daß er dem Gewinn neuen Beſitzes in fernen Erdteilen nie⸗ mals einen entſcheidenden Einfluß auf unſere Geſamtpolitik ein⸗ geräumt haben würde. Es galt, mit größter Vorſicht und Be⸗ harrlichkeit unſere weltpolitiſche Stellung auszubauen, ohne die Sicherheit des Reiches ſelbſt zu gefährden. Das war um ſo ſchwieriger, als die Aufteilung der Erde ſeit den achtziger Jah⸗

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ren ein ſehr ſchnelles Tempo angenommen hatte, als infolge: deſſen das Streben, von dem noch verfügbaren Reſt möglichſt viel zu erhalten, bei allen Kolonialmächten bis ins Krankhafte geſteigert war und daher mit jeder eigenen Erwerbung neue Reibungs⸗ und Konfliktsmöglichkeiten geſchaffen wurden. Bismarck hatte bereits erkannt, daß der Ausbau unſeres Ko⸗ lonialreiches ohne ſchwere Gefahren für uns ſelbſt nur dann möglich ſei, wenn wir in dauernder freundſchaftlicher Fühlung mit der größten See⸗ und Kolonialmacht, mit England, blie⸗ ben. Die Lage in Europa war bedenklich genug. Der alte Gegenſatz zu Frankreich war durch die ruſſiſch⸗franzöſiſche An⸗ näherung ſtärker als je zu einer dauernden Gefahrenquelle ge- worden; der öſterreichiſch⸗ruſſiſche Gegenſatz im Nahen Orient konnte jeden Augenblick zum Zuſammenſtoß führen und mußte dann Deutſchland und Frankreich auf den Plan rufen. Solange ein ſolcher Konflikt auf Europa beſchränkt blieb, konnten wir im Verein mit den übrigen Dreibundmächten ſeinem Austrag mit Zuverſicht entgegenſehen. Wenn aber ein dauernder welt⸗ politiſcher Gegenſatz zu England hinzutrat und das Inſelreich auf die Seite unſerer Gegner trieb, wurde die Gefahr ins Un⸗ endliche vergrößert, zumal da dann auch Italiens Mitwirkung an unſerer Seite höchſt unwahrſcheinlich wurde.

Im Geiſte von Bismarcks Politik hätte es gelegen, den Ausbau unſeres Kolonialreiches nach einem feſten, begrenzten Plan und im Einverſtändnis mit England zu betreiben und jeden einzelnen Schritt dazu von der allgemeinen politiſchen Lage abhängig zu machen. Auch würde bei der Erweiterung unſeres Macht⸗ und Intereſſenkreiſes und der dadurch erhöhten Reibungsgefahr der rechtzeitige Ausbau eines neuen, nicht mehr rein europäiſchen Bündnisſyſtems zur Sicherung gegen weltpolitiſche Gefahren ein Gebot der Vorſicht geweſen ſein. Unſeren Staatslenkern ſtand aber in der Zeit nach Bismarcks Entlaſſung kein beſtimm⸗ ter Plan, etwa der Gedanke eines geſchloſſenen Kolonialreiches in irgendeinem Teile der Welt, vor Augen; ſie hatten vielmehr nur das allgemeine Beſtreben, bei der Teilung der Erdober⸗ fläche unter die großen Mächte nicht zu kurz zu kommen, über⸗ all auch etwas zu gewinnen, wo andere etwas bekämen. Ge⸗

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rade dadurch wurden immer neue Reibungsflächen gefchaffen, gerade dadurch wurde ein allgemeines Unbehagen erzeugt, ein Gefühl der Unſicherheit über Deutſchlands letzte Abſichten, die niemals greifbar erſchienen und die man ſich als uferlos und gefährlich vorſtellte. Der Gedanke der Kompenſationspolitik, deſſen Hauptvertreter Herr von Holſtein war, führte zu immer neuen mehr oder minder heftigen Auseinanderſetzungen mit England, Frankreich und Rußland.

Die Geſamtlage war anfangs für Deutſchland günſtig. Der ruſſiſch⸗franzöſiſche Zweibund und das britiſche Weltreich ſtan⸗ den ſich in allen Teilen der Welt feindlich gegenüber. Beide Gruppen umwarben uns, und wir konnten uns nicht nur als gegen augenblickliche Gefahren geſichert, ſondern zeitweiſe faſt als Schiedsrichter der Welt betrachten. An der Spitze des Drei⸗ bundes ſtellten wir einen dritten ebenbürtigen Machtfaktor dar. Dies Gefühl ſteigerte unſer Selbſtbewußtſein und ließ uns manchmal im Ton unſerer Sprache und in der Art unſeres Vor⸗ gehens die Grenzen der Vorſicht und des Taktes überſchreiten; wir reizten dadurch häufig die Empfindlichkeit der anderen, ohne daß ein wichtiges Lebensintereſſe oder ein großes, wert⸗ volles Streitobjekt dies gerechtfertigt hätte. Für gute Dienſte verlangten wir ſtets durch Gegenleiſtungen bezahlt zu werden, die gerade wegen ihrer verhältnismäßigen Geringfügigkeit die Verſtimmung nicht lohnten, die ſie erzeugten.

Eine Verbindung der beiden Mächtegruppen gegen uns hielten wir für unmoglich und glaubten die vorteilhafte Mittelſtellung zwiſchen beiden behaupten und zur Erlangung kleiner Vorteile ausnutzen zu können. Die engliſchen Annäherungsverſuche be⸗ antworteten wir mit der Aufſtellung von Bedingungen, die dem Inſelreich als unannehmbar erſchienen. Wir glaubten, man werde wiederkommen, wenn man ſich jenſeits des Kanals überzeugt habe, daß die Opfer für eine Verſtändigung mit Frankreich und Rußland zu groß ſeien. Statt deſſen vertrugen ſich Frankreich und England auf unſere Koſten.

Auf der anderen Seite lockte der Gedanke des Kontinental⸗ bundes gegen England. Als die britiſchen Staatsmänner ſich Frankreich zu nähern begannen und Rußland im ſchweren

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Kampfe in Oſtaſien ftand, ſuchten wir diefe andere Möglich: keit durch den Björkövertrag zu verwirklichen, in der Hoff: nung, daß Frankreich ſich freiwillig oder gezwungen dieſem Bunde werde anſchließen müſſen. Aber Rußland wich alsbald nach dem Friedensſchluß mit Japan der Erfüllung dieſer un⸗ angenehmen Verpflichtung aus, um das vorteilhafte Verhält⸗ nis zu Frankreich nicht aufs Spiel zu ſetzen. Das endgültige Mißlingen der oſtaſiatiſchen Eroberungspolitik lenkte die Blicke der ruſſiſchen Staatsmänner wieder auf Vorderaſien und die Balkanhalbinſel zurück; infolgedeſſen trat Rußlands alter Gegenſatz zu Oſterreich⸗Ungarn und das mit ihm verbündete Deutſche Reich wieder ſcharf hervor. Immer ſtärker wurde in Petersburg die Empfindung, daß man am Balkan ſeine Ziele nur in Verbindung mit den Weſtmächten werde erreichen können.

Die Zeit der Pendelpolitik war damit für Deutſchland end⸗ gültig vorüber. Wir hatten es verſäumt, in der Zeit, da man uns brauchte, ein näheres Verhältnis zu England zu gewinnen, und zu ſpät erkannt, daß der Gedanke des Kontinentalbundes eine Utopie war.

Nun geſchah, was wir für unmöglich gehalten hatten: Ruß⸗ land und England verſtändigten ſich ebenfalls über ihre alten Streitfragen, und wir ftanden- ſeit 1907 nicht mehr zwei ein⸗ ander feindlichen Gruppen, ſondern dem immer feſter werden⸗ den Block der „Entente“ gegenüber. Damit begann die zweite Periode.

Wir ſtanden jetzt unter dem Druck der Erkenntnis, daß wir in die Defenfive gedrängt ſeien. Wir erfuhren es in Marokko und in den Balkanfragen. Wir hätten vielleicht die Entente noch zerſprengen können, wenn wir auf die Flottenverſtändigung eingegangen wären, die England wünſchte. Wir taten es nicht, weil wir der politiſchen Haltung Englands auch dann nicht ſicher zu ſein glaubten und uns ein wichtiges Verteidigungs⸗ mittel nicht ſchwächen laſſen wollten. Wir hielten aber trotz der veränderten Weltlage an dem alten Kompenſationsgedan⸗ ken feſt, der nun ſehr viel ſchwerer als früher durchzuführen war. Wir ſuchten zuweilen das aufſteigende Gefühl der Gefahr

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unſerer Lage durch große Worte und den Hinweis auf unfere ſtarke Rüftung zu überfäuben und erweckten dadurch wieder nur Verdacht und Mißtrauen.

Auch der Dreibund ſelbſt begann ſich langſam zu lockern. Ita⸗ lien hatte ſich allmählich den Franzoſen genähert und wollte unter keinen Umſtänden in Gegenſatz zu England geraten. Es hielt für feine kolonialen Ziele in Nordafrika die Unterſtützung der Entente für wichtiger als die des Dreibundes. Auch Rumä⸗ nien wurde immer unſicherer. Angeſichts unſerer wachſenden Iſolierung blieb das Bündnis mit Oſterreich das letzte Boll⸗ werk unſerer Stellung. Je ſtärker man in Wien merkte, daß wir nichts mehr fürchteten, als auch den letzten Bundesgenoſſen zu verlieren, deſto ſtärker ſuchte man dieſe günftige Lage für die eigenen Balkanpläne auszunutzen. Wir wagten nicht, Oſter⸗ reich die Rückendeckung zu verſagen, ſelbſt wenn es gehandelt hatte, ohne uns zu fragen, ja ſogar, wenn wir ſein Verhalten mißbilligten. So deckten wir 1908 und 1gog das von uns nicht gebilligte Vorgehen in Bosnien und verſchlechterten dadurch unſer Verhältnis zu Rußland. Auch während der Balkankriege wirkten wir zwar in einzelnen Fällen zurückhaltend, vertraten aber doch in den wichtigſten Fragen den Standpunkt der Hof⸗ burg. Die Leitung des Dreibundes glitt mehr und mehr nach Wien, was um ſo verhängnisvoller war, als die öſterreichiſche Politik in den Balkanfragen unſicher und taſtend war, ſich ganz von der Furcht vor der zerſetzenden Wirkung der großſerbiſchen Agitation und dem Bedürfnis nach Augenblickserfolgen leiten ließ und in der Anbahnung eines Bündniſſes mit Bulgarien unter Feſthaltung Rumäniens ein unerreichbares Ziel verfolgte.

Die Mordtat von Serajewo löſte in Wien den Plan zur end⸗ gültigen Abrechnung mit Serbien aus. Man meinte, nur durch die exemplariſche Züchtigung des gefährlichen Nachbarn die be⸗ drohte Exiſtenz der Monarchie retten und der Welt den Be⸗ weis ihrer Daſeinskraft geben zu können. Wir glaubten, Oſter⸗ reich nicht zurückhalten zu dürfen, und hofften, mit den alten Mitteln das Eingreifen Rußlands verhindern zu können. Wir unterſchätzten die darin liegende Gefahr und ſtanden daneben unter dem Druck der Vorſtellung, wenn die große Ausein⸗

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anderſetzung doch einmal kommen müffe, fei es vielleicht beſſer, ſie komme jetzt und aus dieſem Anlaſſe. So gerieten wir in eine Lage, aus der es nach unſerem vergeblichen Verſuche, Oſter⸗ reich im letzten Augenblick noch zum Einlenken zu bringen, kei⸗ nen Ausweg mehr gab als den Krieg.

Man kann der deutſchen Politik dieſer Jahre viele Vorwürfe machen. Man kann ſie der Kurzſichtigkeit, der Planloſigkeit, des Mangels an Vorſicht und pſychologiſchem Verſtändnis für das Weſen der anderen zeihen, man kann ihr Schwanken und ihr plötzliches Zufahren, etwa in der Marokkofrage, tadeln; aber das wird niemand mit Grund behaupten können, daß ſie in irgendeinem Zeitpunkt den Krieg gewollt oder auf ihn hin⸗ gearbeitet habe. Wenn Deutſchland den Krieg gewünſcht hätte, fo wäre kein günftigerer Zeitpunkt dafür zu finden geweſen als die Jahre während des Ruſſiſch⸗Japaniſchen Krieges und nach demſelben. Damals war Rußland aktionsunfähig, Frankreich und England mangelhaft gerüftet, die Entente erft im Werden begriffen. Hätten wir einen Präventivkrieg führen wollen, ſo wären damals und noch bis 1909 alle Chancen auf unſerer Seite geweſen. Der Generalſtab hat pflichtgemäß darauf auf⸗ merkſam gemacht. Unſere Regierung hat dieſe Möglichkeit nie ernſtlich erwogen und noch 1909, als man in Oſterreich den Einmarſch in Serbien in Betracht zog, immer im Sinne des. Friedens gewirkt. Vielleicht wäre es richtiger geweſen, damals ſcharf zuzugreifen, aber man wollte es nicht, weil man den Frieden nicht ohne Not brechen wollte. Unſere Politik war trotz allen großen Worten im Grunde eher zu ängſtlich und zu fried- liebend als zu kriegeriſch. Wir wollten auch niemals auf Koſten anderer gewinnen, ſondern immer nur neben ihnen und mit ihnen an der Aufteilung der Erde teilnehmen.

Kann man das gleiche von den anderen beteiligten Mächten fagen ?

Am eheſten noch von England. Auch in England hat niemand eigentlich den Krieg gewollt. Die in Deutſchland verbreitete Anſicht, als habe Großbritannien den Kampf geführt, um un⸗ ſere immer gefährlicher werdende wirtſchaftliche Konkurrenz gewaltſam niederzuſchlagen, iſt ſchwerlich begründet. Aber man

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fürchtete jenfeits des Kanals unſere wachſende politiſche und militäriſche Macht, fühlte durch das Anwachſen unſerer Schlachtflotte die eigene Seeherrſchaft und Sicherheit bedroht und traute uns die Abſicht zu, uns der Hegemonie auf dem europäiſchen Kontinent zu bemächtigen. Um ſich gegen ſolche Möglichkeiten zu ſichern und uns nicht zu einer dauernden ſchiedsrichterlichen Stellung gelangen zu laſſen, ſchuf man die Entente, nachdem das Bündnis mit Deutſchland geſcheitert war. Sie ſollte nach der Abſicht der engliſchen Staatsmänner ein Mittel zur Erhaltung des Gleichgewichts fein, ſollte Deutſch⸗ lands Macht und Ehrgeiz in Schranken halten, war aber aller Wahrſcheinlichkeit nach anfangs nicht als ein Kriegsinſtru⸗ ment gedacht. Allerdings unterſchätzte man in London wohl von Anfang an die Gefahr, die in der Zerteilung Europas in zwei feindliche Bündniſſe lag. Als man ſie erkannte, ſuchte man die Fühlung mit Deutſchland wiederherzuſtellen, ohne indeſſen die Entente aufzugeben, ein Art Stellung über den Parteien zu⸗ rückzugewinnen. Aber man hatte ſich {chon zu eng an die an⸗ dere Gruppe gebunden und beſaß nicht die Macht, die Politik der Verbündeten ganz in den erwünſchten Bahnen zu halten. Da man der Überzeugung war, daß in einem Kampfe ohne Englands Beteiligung Deutſchland ſiegen und Herr des Kon— tinents werden würde, mußte man, wenn der Krieg nicht zu verhindern war, an der Seite Frankreichs und Rußlands ſtehen, wenn man nicht gerade die Lage entſtehen laſſen wollte, zu deren Verhinderung die Entente geſchloſſen war. So war auch England ſchließlich von den Entſchlüſſen ſeiner Verbündeten ab⸗ hängig geworden, ohne es zu wollen und ohne ſie ganz klar zu durchſchauen. Daß Grey ſich perſönlich an die Ententepolitik gebunden fühlte, war natürlich von großer Bedeutung. Aber er hätte im entſcheidenden Augenblick geſtürzt werden können. Die Entſchlüſſe Englands hingen nicht allein an ſeiner Perſon; ſie waren durch die Konſequenzen der bisherigen Politik und die Furcht vor einer deutſchen Machtſteigerung diktiert. So weit⸗ blickend war auch die engliſche Politik nicht, daß ſie die Gefahren einer ferneren Zukunft ſchon deutlich geſehen hätte. Die Nieder⸗ werfung Deutſchlands und der Zuſammenbruch Rußlands und

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Oſterreichs ſchufen für die nächſte Zeit eine Hegemonie Frank⸗ reichs auf dem Kontinent, die für England mindeſtens ebenſo unangenehm war wie alles, was ein Sieg Deutſchlands hätte zur Folge haben können. Erſt Deutſchlands Wiedererſtarken in den letzten Jahren hat dieſe Lage beſeitigt und das Gleichge⸗ wicht wiederhergeſtellt. Sie hat aber auch ſofort in England die alte Furcht vor einer deutſchen Hegemonie in Europa wie⸗ der erwachen laſſen und damit die Gefahr eines Zuſammen⸗ ſtoßes erneuert.

Ganz anders ſtand es mit Frankreich und Rußland. Ich zweifle nicht daran, daß auch in dieſen beiden Ländern die große Maſſe der Bevölkerung friedliebend war. In den regierenden Kreiſen gab es in Paris wie in Petersburg zwei Parteien; die eine wollte den Frieden, wenn er irgend mit Ehren zu erhalten ſei, die andere den Krieg. In Frankreich konnte ſie an den nie er⸗ loſchenen Revanchegedanken anknüpfen; ſie fand hier ihre ſchärfſten Vorkämpfer an Delcaffé und Poincaré. Sie erlangte ſeit den Zuſammenſtößen mit Deutſchland in Marokko und ſeit der Begründung der Entente immer ſtärkeren Einfluß und ſchließlich, ſeit Poincaré an der Spitze ſtand, die eigent⸗ liche Führung. In Rußland war der Zar das Haupt der Friedenspartei; die Kriegspartei war lange ohne eigentlichen Führer. Weite militäriſche Kreiſe und alles, was dem Pan- ſlawismus zuneigte, ſtützte in Petersburg die Kriegspartei. Sie fand an Iſwolſki nach deſſen perſönlicher Niederlage in der bosniſchen Kriſe einen eifrigen Förderer; als Botſchafter in Paris geriet der eitle und rachſüchtige Mann ganz in den Bannkreis der Gruppe Delcafjes und Poincarés und leiſtete ihr durch ſeinen Einfluß die wichtigſten Dienſte. Seine Berichte aus Paris zeigen jedem, der nicht durch Vorurteile verblendet iſt, aufs deutlichſte, wie vorſichtig und raffiniert zugleich Iſwolſki mit Poincaré im Bunde den Krieg vorbereitete. Aufs geſchick⸗ teſte verſtand er, widerſtrebende Elemente, wie den franzöſi⸗ ſchen Vertreter in Petersburg, Georges Louis, zu beſeitigen, die Preſſe zu bearbeiten und zu beſtechen und die unerſättliche Eitel⸗ keit Poincarés zu benutzen. Man kann höchſtens darüber im Zweifel ſein, wer von beiden mehr der geſchobene, wer der

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ſchiebende Teil war. Ihr enges Zuſammenwirken ſteht außer Frage. Iſwolſki kann nicht oft genug wiederholen, welches Glück es ſei, daß gerade Poincaré an der Spitze Frankreichs ſtehe und nicht irgendein weniger zuverläſſiger und gewandter Politiker.

Soweit man von einer Schuld einzelner Perſönlichkeiten am Weltkriege reden kann, ſind es dieſe Männer, die ſie trifft. In langjähriger, zäher und zielbewußter Arbeit haben ſie den Boden vorbereitet, ſtets vorſichtig darauf bedacht, nach außen hin ihre wahren Ziele nicht vorzeitig hervortreten zu laſſen, ſon⸗ dern den Augenblick abzuwarten, in dem die Rüſtung vollendet ſei und da eine der gegneriſchen Mächte durch eine Unvorſichtig⸗ keit die Möglichkeit gewähre, ſie als den angreifenden Teil hin⸗ zuſtellen. Denn das war nötig, ſowohl um die Meinung der Maſſen in den eigenen Ländern zu gewinnen als mit Rückſicht auf England, deſſen vorſichtige Regierung und deſſen fried⸗ liebendes Volk. Die Ziele aber, die dieſe Gruppen verfolgten, waren ohne Krieg überhaupt nicht zu erreichen. Die Franzoſen wollten den Deutſchen Elſaß⸗Lothringen entreißen; die Ruſſen wollten ſich den Weg zur Beherrſchung des Balkans und der Meerengen öffnen, wollten die unter deutſcher, öſterreichiſcher und türkiſcher Herrſchaft ſtehenden Slawen aus den bisherigen Staatsverbänden löſen und ihrem Machtkreiſe eingliedern. Sie waren es, die erobern, die auf fremde Koſten gewinnen woll⸗ ten, nicht Deutſchland.

Die geſchickte und ſkrupelloſe Minierarbeit dieſer verhältnis⸗ mäßig kleinen Gruppen hat den Weltkrieg vorbereitet. Ihre Führer ſind vor den furchtbaren Konſequenzen eines ſolchen Völkerringens nicht zurückgeſchreckt, weil ſie ohne das ihre Ziele nicht erreichen konnten. Sie haben ſchon während der Balkankriege auf die Gelegenheit gewartet und ſie im Juli 1914 freudig ergriffen. Ihr Werk war die ruſſiſche Mobil⸗ machung, die den Krieg zur unmittelbaren Folge hatte.

Wir beſaßen leider keinen Staatsmann, der dieſen ſchlauen und ſkrupelloſen Diplomaten gewachſen war. Oſterreich⸗Ungarns Furcht vor den Gefahren, mit denen das Anwachſen der natio⸗ naliſtiſchen Strömungen im Südoſten fein Weiterbeſtehen be⸗

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drohte, und Deutſchlands ängſtliche Rückſichtnahme auf den letzten Verbündeten haben ihnen den Anlaß geboten, den ſie brauchten und mit Meiſterſchaft bemutzten.

Ich habe mich mit allen dieſen Betrachtungen abſichtlich auf das Gebiet der unmittelbaren Urſachenverknüpfung beſchränkt. Indeſſen kann ich dieſes Buch nicht ſchließen, ohne noch einmal kurz auf die tieferen Gründe der großen Weltkataſtrophe hin⸗ zuweiſen.

Die ſeit etwa 1880 einſetzende ſchnelle Aufteilung Afrikas und der Südſee unter die europäifchen Großmächte hatte eine Atmo⸗ ſphäre ſtarker politiſcher Spannung geſchaffen. Dieſe erhitzte ſich noch mehr, als ſeit 1895 der Aufteilungsprozeß auch Oſt⸗ aſien und das Gebiet der Türkei ergreifen zu wollen ſchien. So⸗ lange noch verfügbares Land vorhanden war, konnte eine Politik der Kompenſationen als Ventil dienen und die Ex⸗ plofion verhüten. Je geringer der verfügbare Raum war, deſto ſchwerer und geraͤuſchvoller funktionierte dies Ventil. Das Eingreifen Amerikas in Oſtaſien und das Heranwachſen Ja⸗ pans zur Großmacht ſchloſſen den ganzen Often Aſiens fir lange Zeit praktiſch von der Aufteilung aus. Afrika war ſchon 1900 verteilt bis auf Marokko und Abeſſinien. Der ganze Kon⸗ kurrenzkampf der Mächte konzentrierte ſich nun auf Marokko und das Türkiſche Reich.

Hinter dieſen weltpolitiſchen und kolonialen Gegenſätzen ſtanden ſtarke wirtſchaftliche Intereſſen der führenden Induſtrie⸗ und Handelsvölker. Jedes von ihnen war beſtrebt, ſich möglichft große Abſatzgebiete für ſeine Waren, moͤglichſt ergiebige Be⸗ zugsquellen für wichtige Rohprodukte und Betätigungsfelder für fein Kapital durch politiſche Machtmittel zu ſichern. Neben dieſen neuen weltpolitiſchen Streitfragen blieben aber die alfüberlieferfen Gegenſätze zwiſchen den Mächten des Feſt⸗ landes beſtehen. Zu ihnen gehörten in erſter Linie die alte deutſch⸗ franzoͤſiſche Rivalität, deren Symbol ſchließlich Elſaß⸗Lothrin⸗ gen geworden war, und das Ringen zwiſchen Rußland und Oſterreich⸗Ungarn um den leitenden Einfluß auf dem Balkan. Aber dieſen europäifchen Gegenfägen lag zuletzt noch eine tiefere

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Schwierigkeit zugrunde. Es war die im Laufe des letzten Jahr⸗ hunderts entſtandene Unſtimmigkeit zwiſchen den altüberliefer⸗ ten oder durch Verträge feſtgeſtellten Staatsgrenzen und dem ſeit der Franzöſiſchen Revolution mit ſiegreicher Gewalt ſich durchſetzenden Nationalitätenprinzip. Weder im Oſten Europas noch auf dem Balkan noch zwiſchen Frankreich und Deutſch⸗ land entſprachen die Staatsgrenzen den Grenzen des Volks⸗ tums und der Sprache. Oſterreich⸗Ungarn und die Türkei waren Staatsgebilde, die aus einer vergangenen Entwicklungs⸗ epoche ſtammten. Sie waren ohne jede Rückſicht auf die Na⸗ tionalität und den Willen der in ihnen zuſammengeſchloſſenen Menſchen geſchaffen worden und erhielten ſich nur mühſam durch die Schwerkraft des einmal Beſtehenden. Auch Deutſch⸗ land beherrſchte im Nordoſten weite Gebiete fremden Volks⸗ tums und hatte 1871 Teile des franzöſiſchen Sprachgebietes in ſein Reich hineingezogen, wenn es auch ſeinem Charakter und der weitaus größten Zahl ſeiner Bewohner nach ein natio⸗ nales Staatsweſen war.

Wenn das Nationalitätenprinzip die Grundlage des europä⸗ iſchen Staatslebens blieb - und es hatte an Macht und Bedeu: tung in den letzten Jahrzehnten nur immer zugenommen , muß⸗ ten die anachroniſtiſchen Staatsgebilde älterer Herkunft zerſetzt und ſchließlich zerteilt werden. Kein Menſch konnte ſie vor dieſem Schickſal retten. Indem Deutſchland unter Verkennung dieſer Zuſammenhänge ſeine Geſchicke gerade mit denen Oſter⸗ reich⸗Ungarns verband und lange Zeit für die Erhaltung und Stärkung der Türkei eintrat, beging es den - vom entwicklungs⸗ geſchichtlichen Standpunkt aus geſehen ſchwerſten und ver⸗ hängnisvollſten Fehler. Es kettete feine ſtrotzende und friſche nationale Kraft an das Schickſal morſcher, zum Untergange reifer Uberbleibfel einer entſchwundenen Zeit und wurde da⸗ durch in ihre Kataſtrophe mit hineingeriſſen. Allerdings ge⸗ hörte die Erhaltung der Donaumonarchie als eines Dammes gegen die ſlawiſche Überflutung des ganzen europäiſchen Süd⸗ oſtens unter ruſſiſcher Führung mit zu den Traditionen aus Bismarcks Schule. Aber wie oft hatte gerade Bismarck davor gewarnt, uns für die Ausdehnung des öſterreichiſchen Einfluſſes

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auf der Balkanhalbinſel ins Feuer jagen zu laſſen; und gerade das haben wir getan. In feinen Gedanken und Erinnerungen‘ hat Bismarck geſagt: ‚Der Dreibund ift eine ſtrategiſche Stel⸗ lung, welche angeſichts der zur Zeit ſeines Abſchluſſes drohen⸗ den Gefahren ratſam und unter den obwaltenden Verhältniſſen zu erreichen war; ...e8 wäre unweiſe, ihn als ſichere Grund: lage für alle Möglichkeiten betrachten zu wollen, durch die in Zukunft die Verhältniſſe, Bedürfniſſe und Stimmungen ver⸗ ändert werden können, unter denen er zuſtande gebracht wurde... Er dispenſiert nicht von dem Toujours en vedette!‘ Und ſchon in der Denkſchrift für den damaligen Prinzen Wilhelm vom 9. Mai 1888 führt er aus, wenn wir unſere Beziehungen zu Rußland abbrächen und Oſterreich unſere alleinige Stütze gegen Rußland und Frankreich bleibe, ſo werde die habsburgiſche Monarchie einen ähnlichen Einfluß auf das Deutſche Reich gewinnen, wie wir ihn 1866 beſeitigt hätten. „Die Sicherheit unſerer Beziehungen zum öſterreichiſchen Staate beruht zum größten Teil auf der Möglichkeit, daß wir, wenn Oſterreich uns unbillige Zumutungen macht, uns auch mit Rußland ver⸗ ſtändigen können. Indem unſere Staatsmänner die Notwen⸗ digkeit des Dreibundes und der Erhaltung der Donaumonarchie zu einem unantaſtbaren Dogma erſtarren ließen, handelten ſie durchaus dem Geiſte Bismarcks und jeder geſunden Politik zu⸗ wider und beraubten fic) der notwendigen Bewegungsfreiheit in der Ausgeſtaltung unſeres Bündnisſyſtems.

Unter den ſeit 1879 völlig veränderten Verhältniſſen wäre es der zukunftsreichere und wahrſcheinlich, wenn auch unter Schwierigkeiten, ebenfalls gangbare Weg geweſen, unter Ab⸗ ſtoßung aller für die Behauptung einer geſchloſſenen und ver⸗ teidigungsfähigen Grenze nicht unbedingt notwendigen Volks⸗ teile fremder Herkunft die deutſchen Volksgenoſſen des Donau⸗ ſtaates an das Deutſche Reich heranzuziehen und ihm dadurch nicht nur eine ausgedehntere, ſondern vor allen Dingen eine feſtere, weil auf der Einheit des Volkstums beruhende Grund- lage zu geben.

Dies iſt der Weg, den wir nach einer ſchweren zwanzigjährigen Prüfungszeit, in deren Verlauf unſer Reich mehr als einmal

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in feinem Fortbeſtehen bedroht war, unter Adolf Hitlers Füh⸗ rung wirklich eingeſchlagen haben. In unglaublich kurzer Zeit iſt es gelungen, die Volksgenoſſen in Oſterreich und den Alpen⸗ und Sudetenländern unſerem Reiche einzugliedern und deſſen militäriſche und wirtſchaftliche Kraft, die nach dem Frieden von Verſailles völlig zerbrochen ſchien, wiederherzuſtellen. Wir haben das Vertrauen, daß es uns gelingen wird, das Errungene zu behaupten und Deutſchlands Einheit und Unabhängigkeit auf unerſchütterliche Grundlagen zu ſtellen, wenn die alten Gegner noch einmal verſuchen ſollten, es in die frühere Ohn⸗ macht und Zerriſſenheit zurückzuſchleudern.

Aus dem Werk „Von Bismarck zum Weltkrieg

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Philipp Otto Runge / Briefe Goethe an Runge:

Weimar, den 10. November 1806

Ihre ſo angenehme als reichliche Sendung, mein werteſter Herr Runge, kam in ſehr bewegten Augenblicken in der erſten Hälfte des Oktobers bei mir an und verſchaffte mir eine ſehr reine Freude: denn ſchon für einen Strauß würde ich dankbar geweſen ſein. So umgeben Sie mich aber mit einem ganzen Garten, mit dem ich ſoeben nebſt Ihren vier Kupfertafeln und Ihrem Bilde ein Zimmer auszieren wollte, als der unglück⸗ liche Vierzehnte bei uns einbrach. Zwar iſt in meinem Hauſe nichts zerſtört; aber die Luft, feine Umgebung erfreulicher zu machen, kehrt erſt langſam zurück. Ihre Blumen ſind alle wohlerhalten, und es iſt mir eine angenehme Empfindung, durch die Freude an dieſen bedeutenden und gefälligen Pro⸗ duktionen eine frühere Epoche an eine ſpätere, die durch einen ungeheuren Riß [gemeint ift Jena und Auerſtedt] voneinander getrennt ſcheinen, wieder anzuknüpfen. Sie erlauben, daß wir auch von dieſer Arbeit in unſerm Neujahrsprogramm eine freundliche Erwähnung tun. Mögen Sie mir, wenn Sie dieſen

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Brief erhalten, bald fagen, wie Gie fid) befinden und was Gie zunächſt vorhaben, fo wird es mir ſehr angenehm fein. Zu⸗ gleich wünſchte ich Nachricht, inwiefern Ihre vier Kupfer⸗ blätter im Handel ſind, wo und um welchen Preis man ſie haben könnte. Es iſt bei mir ſchon deshalb einige Male Nach⸗ frage geweſen. Mich Ihrem Andenken beſtens empfehlend

Goethe

Runge an Goethe: Wolgaſt, den 4. Dezember 1806

Ihren werten Brief empfing ich über Hamburg, weſſen ich mir in dieſer Zeit nicht verſehen hatte. Es iſt mir eine ſehr angenehme Empfindung, Sie durch eine Kleinigkeit zu einer ruhigeren Stimmung geführt zu haben, wenigſtens dadurch die Veranlaſſung zu ſolcher geweſen zu ſein.

Es war für uns nicht mehr zu riskieren, nach Hamburg ab⸗ zureiſen; wir ſind alſo noch auf einige Zeit hier. Es freut mich nun, da wir doch auch mehr, wie ſchon geſchehen, von dem Kriege werden zu leiden erhalten, zur Stütze meiner El⸗ tern und Geſchwiſter hier zu ſein; wie leicht iſt der Wohlſtand einer zahlreichen und blühenden Familie, vielleicht in wenig Tagen, in die drückendſte Armut verwandelt! Sie können fic vorſtellen, da unſre zerſtreute Familie allenthalben ein hartes Los trifft und treffen wird, wie ich, der ich durch die Großmut derſelben ſonſt frei für die Kunſt und wieder für alle leben konnte, indem ein Beſtreben uns alle verband, mich nun eben⸗ ſoſehr für ſie hingeben muß; da mich alſo jetzt die Sorge für die Exiſtenz des Ganzen ebenſoſehr beſchäftigt wie die ganze Familie, ſo muß ich auf Zeiten hin die Kunſtausübungen bei⸗ ſeite ſetzen, um für die Erhaltung und den Erwerb der nächſten Bedürfniffe zu ſorgen. Da ich auch nicht einmal wiſſen kann, ob dieſer Brief Sie trifft oder ob es mir möglich ſein wird, vorerſt wieder an Sie zu ſchreiben, ſo bitte ich Sie, wenigſtens unter Ihren nächſten Umgebungen mich nicht ganz zu ver⸗ geſſen, und ſollten Sie in ruhige Lagen kommen, ſich auch ein⸗

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mal zu erinnern, daß ich mid) von Herzen beftrebt habe, mid) für den lebendigen Einfluß der himmliſchen Kunſt tätig zu zei: gen; - unterdeſſen werde ich für mich, wenn Gott es will, voll: kommen auf alle Wirkung reſignieren, in dem gewiſſen Glau⸗ ben, wenigſtens als ſtiller Zuſchauer unter den Geiſtern der Künſtler zu ſitzen oder wie eine erdrückte Pflanze noch wenig⸗ ſtens zu der Gattung zu gehören. Ich halte mich indes von dem Schickſal noch nicht für überwunden und werde alles zuſam⸗ menhalten, um mich des Unterliegens zu erwehren.

Ich wünſche von Herzen, daß Sie ſich wohl befinden und daß ich fo glücklich fein möge, bald wieder etwas von Ihnen zu hören. So mögen denn die trüben Tage, nachdem fie über: ſtanden find, mich mit großer Freude zu einer Tätigkeit zurück⸗ führen, die für mich der einzige Wunſch geweſen iſt!

Ich empfehle mich Ihrem Andenken.

Runge an den Maler Klinkowſtröm:

Hamburg 1809/10 Ich arbeite jetzt ſehr eifrig an meinem großen Bilde (dem Morgen); ich habe den Grund angelegt, fo bogenförmig AN von Weiß in ein rötliches Grau; hierüber werde ich nun dünn die Luft auftragen fo = in horizontal gradlinigten Ab⸗ ſtufungen in der eigentlichen Luftfarbe, damit die Wölbung der Untermalung noch mitwirkend bleibt. Alles, was ſich aus der Helligkeit heraus nach vorne zu hinzieht, werde ich erſt grau in grau anlegen und bei der Übermalung die Farbe hineinſpielen. Die ganze Behandlung iſt mir ſehr klar, und deswegen arbeite ich, während der Grund trocknet, daran, die hinteren ins Licht hineinkommenden Figuren in recht guter Gruppierung und Be⸗ leuchtung mit ſchwarzer und weißer Kreide mir aufzuzeichnen, womit ich nun meiſt zu Ende bin; dann gehe ich auf ſelbige Weiſe in der Zwiſchenzeit an den Rahmen. Es iſt eine ſehr große und ſchwierige Arbeit, jedoch liegt mir die Totalität des Bildes jetzt ſo ſehr im Sinn, daß mich dieſes nicht zweifeln oder verzagen macht, und ich fühle alle einzelnen Studien jetzt aufs neue wie ein einziges Ganzes, wodurch die Stellung und

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Zeichnung aller Figuren freier und breiter geworden. Ich werde ſehr ſparſam mit den Farben umgehen und zuerſt nur vorzüglich den Totaleffekt im Auge haben.

Du glaubſt mit mir an eine neue Richtung, welche die Kunſt nimmt, eine neue Blüte, welche fie treiben wird; werden wir etwas anderes und Höheres tun können, als dieſe neue Ten⸗ denz, fobiel wir davon ahnen, zu ſuchen? Und das wirkliche Leben, das grade im Gebrauch iſt, ſoll und muß es nicht zu⸗ letzt dieſe Blumen gebären? Und wie können wir die Sache be- wirken, betreiben, als wenn wir in die Wirkſamkeit des Tages eingehen?

Es freut mich ungemein, daß Du an dem Jardin des plantes ſo viel Gefallen findeſt; ich bitte Dich, die bemerkenswerteſten Formen nicht bloß zu ſehen, ſondern, wenn Du es irgend kannſt, die architektoniſche Feſtigkeit und Form der Pflanze aufzuſuchen und Dir zu notieren. Die Naivität der Kompoſi⸗ tion iſt oft bewundernswürdig, und ich für mein Teil glaube, daß es, um ſich in Verzierungen immer reizend zu bewegen, ganz notwendig iſt, einige Einſicht in botaniſche Formen zu haben; wenn eine Darſtellung aus noch ſo vielerlei Gegenſtän⸗ den zuſammengeſetzt werden kann, ſo iſt die eigentliche Total⸗ form doch ein Gewächs.

Ich überzeuge mich immer mehr, je deutlicher mir die Form einer Optik für die Malerei wird, wie es in der Natur des Sehens ſelbſt liegt, daß die Kunſt ſo weit verfallen und gar zugrunde gegangen iſt und notwendig noch mehr gehen wird, ehe eine beſſere und gewaltigere Kunſt erſcheint.

Es wird die Nation ebenſowenig eine Kunſtblüte aus bloßer Tradition hervorbringen, wie die Mutter ein Kind gebären wird, ohne es in ihrem Schoß getragen zu haben.

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Mir ift oft recht beklommen zumute, daß ich fo allein bin. Könnte ich es auf irgendeine Weiſe, die mir als Wunſch nur bekannt iſt, dahin bringen, etwa zehn junge Leute von verſchie⸗ dener Art, ihre Studien zu betreiben, anzuleiten! Ich glaube, daß ſich ſehr viel Schönes und Gutes hervorbringen ließe. Wenn man die verſchiedenen Arbeiten in der Verzierungskunſt an drei verſchiedene Talente austeilte und ſelbſt erſt die Idee hergegeben hätte, müßte man ſehr viel ſchaffen können. Es ge⸗ hört nach meiner Einſicht aber durchaus eine vereinigte prak⸗ tiſche Arbeit dazu. Der erſte Arbeiter müßte die Verhältniſſe und Perſpektiv recht verſtehen und eine geiſtvolle Anſicht da⸗ von haben, der zweite die Formen der Blumen und Geſtalten in ihrer freieſten Bewegung wie in ihrem ruhigſten Zuſtande ſtudiert haben, der dritte die Verhältniſſe der Farben und die Handhabung derſelben recht verſtehen. Nimm nun im kleinen und im großen immer dieſe Folge an: erſt Architektur, dann Plaſtik, dann Malerei, was ließe ſich, im ganzen wie im ein⸗ zelnen angewandt, mit ſolchen Leuten machen, wenn man ſo junge Gemüter in eine Idee vereinigen könnte! Und warum ſollte es nicht möglich ſein; und was kann es anders heißen, daß Raffael funfzig junge Leute für ſich durch ganz Italien und Sizilien hat reiſen laſſen? Wenn ich nur wüßte, wie man dieſe Einſicht dem Publikum beibrächte! Getan muß es wer⸗ den, ſonſt geſchieht nichts.

Aus Runges Briefen in der Inſel⸗Bücherei

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Eberhard Meckel / Im Juni

Wie vieles iſt noch zu erwarten, ſo manches, es iſt ſchon verblüht, wir ſtehen in unſerem Garten,

der voll in dem Lichte glüht.

Dort rötet am Strauch ſich die Beere, da gilbt ſchon zu zeitig ein Blatt -

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es Fennf ja ein jeder die Leere, der weiß, was die Fülle hat.

Wir ſehen das Aſternkraut kommen, noch denken der Aſtern wir nicht, wenn feurig im Herbſte ſie glommen;

ſie ſchatten noch nicht das Geſicht.

Zu raffen, verſchwenden, zu praſſen, dazu gibt die Stunde ſich her;

ſich leicht in ihr treiben zu laſſen, nicht fällt es dem Herzen ſchwer.

Bis bitter ſich dieſen Gewalten vermiſcht unſer warnender Sinn: Wir können die Tage nicht halten und fliehen mit ihnen hin.

Doch endet bei Obſtbaum und Rebe dann unſre beklommene Flucht

Hier hält ſich das Jahr noch in Schwebe und reift in die köſtlichſte Frucht.

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Joſeph von Eichendorff / Die Univerſität

Die damaligen Univerfifäfen hatten überhaupt noch ein durch⸗ aus fremdes Ausſehen, als lägen ſie außer der Welt. Man konnte kaum etwas Maleriſcheres ſehen als dieſe phantaſtiſchen Studententrachten, ihre ſangreichen Wanderzüge in der Um⸗ gebung, die nächtlichen Ständchen unter den Fenſtern imagi⸗ närer Liebchen; dazu das beſtändige Klirren von Sporen und Rapieren auf allen Straßen, die ſchönen jugendlichen Geſtal⸗ ten zu Roß, und alles bewaffnet und kampfbereit wie ein luſti⸗ ges Kriegslager oder ein permanenter Mummenſchanz. Alles

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dies aber kam erft zu rechter Blüte und Bedeutſamkeit, wo die Natur, die, ewig jung, auch am getreueſten zu der Jugend hält, ſelber mitdichtend ſtudieren half. Wo, wie zum Beiſpiel in Heidel⸗ berg, der Waldhauch von den Bergen erfriſchend durch die Stra⸗ ßen ging und nachts die Brunnen auf den ſtillen Plätzen rauſch⸗ ten und in dem Blütenmeer der Gärten rings die Nachtigallen ſchlugen, mitten zwiſchen Burgen und Erinnerungen einer gro⸗ ßen Vergangenheit; da atmete auch der Student freier auf und ſchämte vor der ernſten Sagenwelt ſich der kleinlichen Brot: jägerei und der kindiſchen Brutalität. Wie großartig im Ver⸗ gleich mit anderen Studentengelagen war namentlich der Hei: delberger Kommers, hoch über der Stadt auf der Altane des halbverfallenen Burgſchloſſes, wenn rings die Täler abendlich verſunken und von dem Schloſſe nun der Widerſchein der Fa: keln die Stadt, den Neckar und die drauf hingleitenden Nachen beleuchtete, die freudigen Burſchenlieder dann wie ein Früh⸗ lingsgruß durch die träumeriſche Stille hinzogen und Wald und Neckar wunderbar mitſangen. So war das ganze Studenten⸗ weſen eigentlich ein wildſchönes Märchen, dem gegenüber die übrige Menſchheit, die altklug den Maßſtab des gewöhnlichen Lebens daran legte, notwendig, wie Sancho Panſa neben Don Quijote, philiſterhaft und lächerlich erſcheinen mußte.

So war in der Tat auf den Univerſitäten eine gewiſſe mittel: alterliche Ritterlichkeit niemals völlig ausgegangen und ſelbſt in jener Verzerrung und Profanation noch erkennbar. Unter allen dieſen Jünglingen aber bildeten die eigentlichen, die literariſchen Romantiker wiederum eine ganz beſondere Sekte

Der Geiſt einer gewiſſen Bildungsphaſe läßt ſich nicht auf heben, wie eine Univerſität. Was wir vorhin als das Charakte⸗ riſtiſche jener Periode bezeichnet: die Oppoſition der jungen Romantik gegen die alte Proſa, war keineswegs auf Halle be⸗ ſchränkt, ſondern ging wie ein unſichtbarer Frühlingsſturm all: mählich wachſend durch ganz Deutſchland. Insbeſondere aber gab es dazumal in Heidelberg einen tiefen, nachhaltenden Klang. Heidelberg iſt ſelbſt eine prächtige Romantik; da umſchlingt der

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Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, und erzählen Burgen und Wälder ein wunder⸗ bares Märchen der Vorzeit, als gäbe es nichts Gemeines auf der Welt. Solch gewaltige Szenerie konnte zu allen Zeiten nicht verfehlen, die Stimmung der Jugend zu erhöhen und von den Feſſeln eines pedantiſchen Komments zu befrein; die Stu⸗ denten tranken leichten Wein anſtatt des ſchweren Bieres und waren fröhlicher und geſitteter zugleich als in Halle. Aber es trat grade damals in Heidelberg noch eine ganz beſondere Macht hinzu, um jene glückliche Stimmung zu vertiefen. Es hauſte dort ein einſiedleriſcher Zauberer, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft mit ſeinen magiſchen Kreiſen um⸗ ſchreibend - das war Görres.

Es iſt unglaublich, welche Gewalt dieſer Mann, damals ſelbſt noch jung und unberühmt, über alle Jugend, die irgend geiſtig mit ihm in Berührung kam, nach allen Richtungen hin aus⸗ übte. Und dieſe geheimnisvolle Gewalt lag lediglich in der Großartigkeit ſeines Charakters, in der wahrhaft brennenden Liebe zur Wahrheit und einem unverwüſtlichen Freiheitsge⸗ fühl, womit er die einmal erkannte Wahrheit gegen offene und verkappte Feinde und falſche Freunde rückſichtslos auf Tod und Leben verteidigte; denn alles Halbe war ihm tödlich ver⸗ haßt, ja unmöglich, er wollte die ganze Wahrheit. Wenn Gott noch in unſerer Zeit einzelne mit prophetiſcher Gabe begnadigt, ſo war Görres ein Prophet, in Bildern denkend und überall auf den höchſten Zinnen der wildbewegten Zeit weisſagend, mahnend und züchtigend, auch darin den Propheten vergleich⸗ bar, daß das „Steiniget ihn!“ häufig genug über ihn ausge⸗ rufen wurde. Drüben in Frankreich hatte er bei den Banketten der bluttriefenden Revolution, hier in den Kongreßſälen der politiſchen Weltweiſen das Menetekel kühn an die Wand ge⸗ ſchrieben und konnte ſich nur durch raſche Flucht vor Kerker und Banden retten, oft monatelang arm und heimatlos umher⸗ irrend. - Seine äußere Erſcheinung erinnerte einigermaßen an Steffens und war doch wieder grundverſchieden. Steffens hatte bei aller Tüchtigkeit etwas Theatraliſches, während Görres, ohne es zu wollen oder auch nur zu wiſſen, ſchlicht und bis zum

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Extrem ſelbſt die unſchuldigſten Mittel des Effekts verſchmähte. Sein durchaus freier Vortrag war monoton, faſt wie fernes Meeresrauſchen ſchwellend und ſinkend, aber durch dieſes ein⸗ förmige Gemurmel leuchteten zwei wunderbare Augen und zuck⸗ ten Gedankenblitze beſtändig hin und wider; es war wie ein prächtiges nächtliches Gewitter, hier verhüllte Abgründe, dort neue, ungeahnte Landſchaften plötzlich aufdeckend, und überall gewaltig, weckend und zündend fürs ganze Leben.

Neben ihm ſtanden zwei Freunde und Kampfgenoſſen: Achim von Arnim und Clemens Brentano, welche ſich zur ſelben Zeit nach mancherlei Wanderzügen in Heidelberg niedergelaſ⸗ fen hatten. Sie bewohnten im ‚Saulpelz‘, einer ehrbaren, aber obſkuren Kneipe am Schloßberg, einen großen, luftigen Saal, deſſen ſechs Fenſter mit der Ausſicht über Stadt und Land die herrlichſten Wandgemälde, das herüberfunfelnde Zifferblatt des Kirchturms ihre Stockuhr vorſtellte; ſonſt war wenig von Pracht oder Hausgeräf darin zu bemerken. Beide verhielten ſich zu Görres eigentlich wie fahrende Schüler zum Meiſter, unter⸗ einander aber wie ein ſeltſames Ehepaar, wovon der ruhige mild⸗ernſte Arnim den Mann, der ewig bewegliche Brentano den weiblichen Part machte. Arnim gehörte zu den ſeltenen Dichternaturen, die, wie Goethe, ihre poetiſche Weltanſicht jederzeit von der Wirklichkeit zu ſondern wiſſen und daher be⸗ ſonnen über dem Leben ſtehen und dieſes frei als ein Kunſt⸗ werk behandeln. Den lebhafteren Brentano dagegen riß eine übermächtige Phantaſie beſtändig hin, die Poeſie ins Leben zu miſchen, was denn häufig eine Konfuſion und Verwickelungen gab, aus welchen Arnim den unruhigen Freund durch Rat und Tat zu löſen hatte. Auch äußerlich zeigte ſich der große Unter⸗ ſchied. Achim von Arnim war von hohem Wuchs und ſo auf⸗ fallender männlicher Schönheit, daß eine geiſtreiche Dame einſt bei ſeinem Anblick und Namen in das begeiſterte Wortſpiel: „Ach im Arm ihm“ ausbrach; während Bettina, welcher, wie ſie ſelber ſagt, eigentlich alle Menſchen närriſch vorkamen, da⸗ mals an ihren Bruder Clemens ſchrieb: ‚Der Arnim ſieht doch königlich aus, er ift nicht in der Welt zum zweiten Mal.“ - Das letztere konnte man zwar auch von Brentano, nur in ganz an⸗

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derer Beziehung jagen. Während Arnims Weſen etwas wohl: fuend Beſchwichtigendes hatte, war Brentano durchaus auf: regend; jener erſchien im vollſten Sinne des Wortes wie ein Dichter, Brentano dagegen ſelber wie ein Gedicht, das, nach Art der Volkslieder, oft unbeſchreiblich rührend, plötzlich und ohne ſichtbaren Übergang in fein Gegenteil umſchlug und ſich beſtändig in überraſchenden Sprüngen bewegte. Der Grundton war eigentlich eine tiefe, faſt weiche Sentimentalität, die er aber gründlich verachtete, eine eingeborene Genialität, die er ſelbſt keineswegs reſpektierte und auch von andern nicht reſpek⸗ tiert wiſſen wollte. Und dieſer unverſöhnliche Kampf mit dem eigenen Dämon war die eigentliche Geſchichte ſeines Lebens und Dichtens und erzeugte in ihm jenen unbändigen Witz, der jede verborgene Narrheit der Welt inſtinktartig auffpürte und niemals unterlaſſen konnte, jedem Toren, der ſich weiſe dünkte, die ihm gebührende Schellenkappe aufzuſtülpen und ſich ſomit überall ingrimmige Feinde zu erwecken. Klein, gewandt und ſuͤdlichen Ausdrucks, mit wunderbar ſchönen, faſt geiſterhaften Augen, war er wahrhaft zauberiſch, wenn er ſelbſtkomponierte Lieder oft aus dem Stegreif zur Gitarre ſang. Dies tat er am liebften in Görres' einſamer Klauſe, wo die Freunde allabend- lich einzuſprechen pflegten; und man könnte ſchwerlich einen ergötzlicheren Gegenſatz der damals florierenden äſthetiſchen Tees erſinnen als dieſe Abendunterhaltungen, häufig ohne Licht und brauchbare Stühle, bis tief in die Nacht hinein: wie da die dreie alles Große und Bedeutende, das je die Welt bewegt hat, in ihre belebenden Kreiſe zogen und mitten in dem Wetter⸗ leuchten tiefſinniger Geſpräche Brentano mit feinem witzſprü⸗ henden Feuerwerk dazwiſchenfuhr, das dann gewöhnlich in ein ſchallendes Gelächter zerplatzte.

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung

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Aus des Knaben Wunderhorn / Ablöſung

Kuckuck hat ſich zu tot gefallen

An einer hohlen Weiden,

Wer ſoll uns dieſen Sommer lang Die Zeit und Weil vertreiben?

Ei, das ſoll tun Frau Nachtigall, Die ſitzt auf grünem Zweige,

Sie ſingt und ſpringt, iſt allzeit froh, Wenn andre Vögel ſchweigen.

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Friedrich Schnack / Cornelia

Das Mädchen Cornelia, die Tochter des Apothekers Bürglin, war im Alter von fünf Jahren dem Tode nahe. Mit der Krank⸗ heit war etwas Geheimnisvolles in ihr Weſen gedrungen und lange nicht wieder gewichen. Nach der Geneſung nannte ſie ſich gerne Belladonna oder auch Bella, der ſeltſame Klang ge⸗ fiel ihr.

Das Mädchen ſpielte an jenem Tag, der ihr beinahe zum Ver⸗ hängnis geworden wäre, mit Freundinnen in einem Bauern: haus in der Nachbarſchaft. Die Eltern wohnten in einem klei⸗ nen Ort im badiſchen Hinterland, wo der Vater ſeine Apotheke betrieb. Im Stall bei den Tieren, wohin ſich Cornelia ver: ſteckte, fand fie einen Zweig mit ſchwärzlichen Beeren. Sie hielt die Früchte für Schwarzkirſchen und davon.

Bald machte fic) eine ſonderbare Wirkung der genaſchten Bee: ren geltend. Wie trunken taumelte das Kind nach Hauſe, die Mutter durch unbändige Lachluſt und wirre Reden erſchreckend. Cornelia war wie verhext. Zuerſt meinte Frau Bürglin, Ar⸗ beiter von einem in der Nähe entſtehenden Bau hätten ihr Töchterchen aus der Bierflaſche trinken laſſen. Dann fiel ihr ein, daß ſich Zigeuner im Ort aufhielten, und die neugierigen Kinder hatten ſich bei den Scherenſchleifern getummelt. Mög⸗ licherweiſe hatten dieſe dem kleinen Mädchen Zigeuneriſches zu eſſen gegeben.

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Der Apotheker hatte mit feinen Ausforſchungen und Unter: ſuchungen nicht mehr Erfolg als ſeine Frau: das Töchterchen war gänzlich ausgewechſelt, der kindliche Geiſt wie verzerrt und flackernd. Dieſer Zuſtand verſetzte den Apotheker in größte Beftürzung. In feiner anfänglichen Ratloſigkeit wurde er durch den Hinweis auf die Zigeuner auf eine Spur gebracht, deren Verfolgung einige Zeit koſtete. Wie die Erkundungen ergaben, waren die Scherenſchleifer bereits am geſtrigen Nachmittag ab⸗ gezogen. Was aber mochte mit dem Kind geſchehen ſein? Die Mutter hatte es zu Bett gebracht, wo es nun fiebernd lag, an der Bettdecke zupfte und ſcharrte und ſich in Krämpfen krümmte. Der Blick war glänzend weit aufgeriſſen, die Pupille groß und von glühender Schwarze erfüllt.

Der Apotheker ſchickte nach dem Arzt. Doch war dieſer, der einzige in dem abgelegenen kleinen Ort, vor einer Viertelſtunde weggefahren, um in einem entfernten Dorf einem Kind ins Leben zu verhelfen. Ein unpaſſender Zeitpunkt fürwahr, da hier ein Kind in Todesnot lag. So mußte denn der Apotheker berfuchen, feinem Töchterchen beizuſtehen, wie feine Bemühun⸗ gen auch immer ausgehen mochten. Das Herz der Kranken häm⸗ merte hart und heftig, im Mund brannte quälende Trocken- heit, das Schlucken gelang nur noch mühſam.

Nun gefaßt und wieder ruhig überlegend, fügte der Vater die verſchiedenen Anzeichen zu einem Krankheitsbild. Zweifellos hatte man es mit einer Vergiftung zu tun. Welcher Art aber? Er gab raſch ein Brechmittel. Nach erfolgter Wirkung fand er die ſchwärzlichen Fruchthüllen von Beeren. Die Mutter meinte, es ſeien Vogelbeeren. Der Vater aber erkannte das Gift: „Toll⸗ kirſche! Belladonna!“ flifterte er entſetzt.

Stöhnend ſank die Mutter am Bett des Kindes in die Kniee, das ſinnlos ſcharrende und zupfende Händchen zu halten. Sie ſtammelte ein paar beruhigende Worte. Den Apotheker aber erfüllte plötzlich in all der ſchmerzlichen Beſorgnis eine wunder⸗ ſame Klarheit und Befriedigung. Wie ein Vorgefühl des Sie⸗ ges über die brennende Gewalt war dieſe Empfindung. War auch ein großer Teil des Giftes ausgeſchieden, ſo raſte dennoch der Dämon immer heftiger im Körper des Kindes, Zuckungen

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und Krämpfe dauerten an, Fieber und unerträgliches Glühen ſteigerten ſich. | Der Vater glaubte des Schlüſſels gewiß zu fein, mit dem er den Nachtſchatten wegſchließen und dem irrenden Lebenslicht wieder Einlaß und Ruhe verſchaffen könne. In ſeiner kleinen Offizin hatte er, was er brauchte: die Belladonna⸗Tinktur, den aus Wurzel und Kraut der Tollkirſche bereiteten Auszug. Er gab ein paar Tropfen davon in ein mit Waſſer gefülltes Trink⸗ glas und reichte die Verdünnung dem Kind: Gift wider Gift. Die Heilkraft der Belladonna, leiſe und mächtig, griff den Nachtſchatten an. Allmählich löſte fie die Umſtrickung, befänf: tigte das Fieber und dämpfte das Wüten. Das Kind verfiel in Schlaf. Doch blieben die vergrößerten Augenſterne, als beſtände auch im Schlummer die Verzückung, die glänzende Fremdheit des Erlebniſſes. In der Obhut des Arztes, der ſich am Abend, als das Dorfkind geboren war, einfand, verloren ſich endlich auch die letzten Schauer des Giftes, des Zornes der Tollwurz und wölfiſchen Beere Cornelia erwachte aus ſchmerzhaftem Traum, der ihren Geiſt bis an die Grenze des Lebens gehetzt hatte. Und nun erfuhren auch die Eltern, was eigentlich geſchehen war. Der Vater begab ſich daraufhin zum Nachbarn, um ihm das fahrläſſige Umgehen mit dem Tollkirſchenzweig vorzu⸗ halten, und vernahm zu ſeiner Verwunderung, daß die Bäuerin den Aft gegen die in der Gegend herrſchende Maul- und Klauen: ſeuche aus dem Wald in den Stall geholt hatte. Sie ſchrieb dem Kraut abwehrende Kräfte wider die Seuche zu. Das Mittel habe ſie von ihrem Vater, der es von ſeinem Vater wußte, und ſie ſchwor Stein und Bein darauf, daß es ſich noch ſtets in Seuchenzeiten bewährt habe, ihr Vieh ſei auch diesmal ver⸗ ſchont geblieben. Aber nur ungern rede ſie von ihrem Mittel, fie müffe es nun einmal tun, da ſich der unglückſelige Zufall ereignet habe - der Herr Apotheker dürfe fie denn auch ruhig auslachen und abergläubiſch ſchelten.

Der Apotheker lachte jedoch nicht. Sollte die Giftpflanze, über: legte er, auch ein unſtoffliches Heilvermögen beſitzen? Dann ginge es in der Tat um die Kraft allerwinzigſter Pflanzenteil⸗ chen, um eine homöopathiſche Verdünnung bis zu Duft und

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Blattgeruch. Er erinnerte fic) zugleich eines Berichtes, wonach Hahnemann, der Begründer der homöopathiſchen Heilweiſe, mit dem Duft aus einem Fläſchchen einem jungen Mädchen geholfen hatte. Dieſes war in einer Geſellſchaft von den heftig⸗ ſten Zahnſchmerzen befallen worden. Hahnemann ließ das Mäd⸗ chen einmal an dem Fläſchchen riechen, das einige weiße Körn⸗ chen enthielt, und ſogleich verſtärkten ſich die Schmerzen bis zum Raſendwerden. Nach einer Viertelſtunde aber waren ſie völlig verſchwunden. Der Duft hatte fie verjagt. Daran dachte der Apotheker und lachte nicht über die Frau, die mit ihrem Zweig vielleicht nichts Dummes getan hatte, doch leichtſinnig umgegangen war.

Wie es auch ſei! ſchloß er das Geſpräch: Segen könne zum Unſegen werden, und Unvorſichtigkeit und Gedankenloſigkeit ſeien wahrſcheinlich nicht geringere Übel als Viehſeuchen. Heil und Gefahr ſeien gleichſam Prägungen auf derſelben Münze, das obere Bild bedeute Leben, das untere den Tod. Und beinahe ſei ſeinem Kind das untere, das dunkle Bild zugeloſt worden. Möge ihnen dieſer Vorfall eine Lehre ſein, damit ihr Lebens⸗ zweig für die Kühe nicht eines Tages zu einem Todeszweig für Kinder werde!

Cornelia hatte fid) ſpäter manchmal die Geſchichte ihrer Er⸗ krankung erzählen laſſen und ſich dabei vorgeſtellt, wie ſie wohl mit ſtarren, fremden und ſchwarz glänzenden Augen ausgeſehen hatte. Sie bildete ſich ſogar eine Zeit lang ein, von dem dunkeln Feuer der Tollkirſche, das ſie im Blut fiebernd entfacht, ſei ein Funke in ihrem ſchwarz glänzenden Blick verblieben, und als ſie gar noch in Büchern las, die Damen von Venedig machten mit dem Schönheitswaſſer der Tollkirſche ihre Augen groß und ſchmachtend, benützten den Seim der Beere zur Hautpflege und färbten ſich mit dem Roſenſaft des Fruchtfleiſches die Wangen rot, tat ſich die Schwärmerin auf die gefährliche Bekanntſchaft mit der Giftpflanze viel zugute. Die Tollkirſche war in jenem Alter für ſie, da ſie ſich Bella und Belladonna Bürglin nannte, eine heilig⸗unheilige Pflanze, zu der es ſie oft heimlich in den Wald hinzog.

In ſpäteren Jahren dann, als der Name Cornelia den alten

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Glanz wiedergewonnen hatte, erbat fie fid) vom Vater die Pflanzenbücher mit den ſteifen Holzſchnitten und den bunt aus⸗ gemalten Kupferſtichen und ſtopfte ſich voll mit Pflanzenkram, mit Richtigem und Übertriebenem und mit allerlei Nachrichten über die betäubende Familie der Nachtſchatten, die ſo viele Tote auf dem Gewiſſen hat, Menſchen, Hühner, Hunde und Vögel, alleſamt durch ihre Gifte umgekommen, und ſie liebte nichts mehr als die krauſen, erfabelten Zutaten der toten Bücher⸗ ſchreiber.

Ihre Vorliebe fuͤr die gefährliche Pflanzenſippe entſprach ihrer Neigung zu Entlegenem. Schon bald nach der Erkrankung hat⸗ ten die Eltern dieſe Vorliebe bemerkt, die ſich mit den Jahren verſtärkte, ſo daß ſich Cornelia, den abſeitigen Nachtſchatten gleich, am liebſten allein hielt. Die Eltern ließen ſie gewähren, da fie einſahen, nichts dagegen ausrichten zu können. Es wuͤrde ſich verwachſen, meinte der Vater. Sie ſei ſein kleiner Nacht⸗ ſchatten, fein Tollwürzchen! ſagte er im Scherz. Cornelia ſam⸗ melte Bilſenkraut für die Apotheke, auch die Pflanze Bitterſüß, die den fchönen und eigentümlichen lateiniſchen Namen Dulca⸗ mara hat, ein dunkles, feierliches Wort - fie merkte ſich, daß dreißig Beeren davon einer Dogge in weniger als drei Stun⸗ den den Tod geben. Bilſenkraut aber hieß Hennentod, weil es für das Geflügel tödlich iſt; die feinfühligen Mäuſe aber fliehen ſchon den bloßen Geruch der ihnen verhaßten Pflanze. Auch ſuchte Cornelia in der ganzen Gegend nach der Judenkirſche, einem andern Nachtſchattengewächs: dieſe feiert den Herbſt mit zinnoberroten Lampions, in denen die runde, gelbrötliche Beere die Lampe erſetzt. Im Umkreis des kleinen Ortes kannte das ſeltſame Mädchen bald alle Stellen, wo die Solanazeen, die Nachtſchatten, wuchſen. Auf einem Schuttanger, dem Raſtort durchziehender Zigeuner und Keſſelflicker, wohnte das Bilſen⸗ kraut, die trübe, erdig gelb glühende Pflanze, deren Blüfe ver: dächtig und wie in ſich feindſelig geduckt ausſieht: die Blumen⸗ krone iſt blutig geädert, und der Schlund glüht ſchwül dunkel⸗ rot. Sie verriet dem Mädchen eine geheimnisvolle Herkunft: Zigeuner hatten die Samenkörner aus dem fernen Aſien mitge⸗ bracht und in Cornelias Heimat ausgeſtreut. Die Fahrenden

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trieben mit Kraut und Saft ſchändliche Gaukeleien und be: trogen damit Leichtgläubige. Mit Bilſenkraut machten ſie Wet⸗ ter oder gaben wenigſtens vor, es zu tun, gleich den ſchwarzen Medizinmännern Afrikas, und ſie beſchworen Geiſter an Kreuz⸗ wegen und Kellerlöchern, wo es nach Kartoffeln dumpf und nach aufbewahrten Äpfeln weinig ſüß roch.

Auch nahmen ſie zu ihren Teufeleien den grimmen Stechapfel, der am Wegrand bei den Kartoffelbüſchen feine weiße, zip: felig gefaltete Becherblüte ſtrahlend auftut und die Finſternis des Todes im Herzen trägt. Platzte ſeine reif gewordene ge⸗ ſtachelte Kaſtanienſchale, ließen die Vagabunden die ſchwarzen Samenkörner geſchwind in ihre Zigeunertaſchen rieſeln, um die Kerne hernach am Feuer zu röſten. Der ſcharfe Rauch ver⸗ ſcheuchte, wie ſie geheimnisvoll ſagten, die Weggeſpenſter oder ſchwadete fie herbei, fo man nicht reichlich Almoſen gäbe - und es war wunders genug, wenn ſtatt der Geiſter und Almoſen Poliziſten, Gemeindediener oder Landgendarmen erſchienen, die von den Geiſterbeſchwörern Gewerbeſcheine forderten oder die Läſtigen gar nach dem nächſten Ort abſchoben. Vor abgelege⸗ nen Bauerngehöften indes hatten es die magiſchen Landſtrei⸗ cher leichter mit ihren Spielen und Verſprechungen: die Hexen⸗ ſalben verkauften ſie angeführten Bauernweibern, deren Kühe vor Milchſchaden und die Hühner vor Eierverzauberung zu be⸗ wahren. In das Geſchmelze hatten die Landſtreuner den Gift⸗ ſtoff des Bilſenkrauts geträufelt, der die Sinne betäubt und dem mit der Salbe Beſtrichenen den Wahn erweckt, er fahre durch die Lüfte oder genieße Luſtbarkeiten.

Nach ſolchen Ausſchweifungen hatte aber Cornelia kein Ver: langen. Sie las und hörte davon - die Nachricht berührte fie nicht ſonderlich. Mehr als Zigeuner und Leute galten ihr die Pflanzen. Der Vater lenkte mit Bedächtigkeit die Neigung ſei⸗ ner Tochter, von den heilſamen Giften führte er fie zu den un giftigen Heilkräutern. |

An freien Sonntagen durchwanderte er mit ihr Wälder und Wieſen. Aus der kleinen Landapotheke des Hauſes am Markt⸗ platz gingen ſie miteinander in die große Landapotheke der Na⸗ tur. Reich und umſichtig war dieſe ausgeſtattet. Wieſen, Acker,

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Auen und Gehölze, Bachufer und Hänge, Wälder und Berge waren ihre Abteilungen. Herr der Offizin war die Sonne. Sie miſchte die Elemente und befeuerte mit Hitze die geheimen Ge⸗ fäße des Lebens. Sie kochte Säfte, reifte Seime, ſott Ole und filterte Auszüge. Der Regen war ihr erſter Gehilfe, der Wind ihr zweiter. Die Luft wehte und arbeitete als ihr fächelnder Blaſebalg, Trockner und Verdunſter. Den Nachtdienſt in der Naturapotheke verſah der Mond. Werkſtätte, Sand⸗ und Waſſerbad, Schmelztiegel, Mörſer und jegliches Gerät aber war die Erde.

Und Vater und Tochter, Apotheker und Pflanzenfreundin, wa⸗ ren die glücklichen Augenzeugen des Weltwerkes. Wie die Jah⸗ reszeiten floſſen, ſo ſtrömten die Kräuter herbei. Rieſige Men⸗ gen von Heilgut wurden benötigt, Waſſerfälle von Aufgüſſen bereitet. Unter der Erde gab es Abnehmer genug; die Wurzeln und ihr verſponnenes Gefaſer.

„Gleich Menſch und Tier“, ſagte der Apotheker, „erhält ſich auch die Pflanze von der Pflanze. Ohne Auszüge und Abſude, ohne Tinkturen und Tees, die der Regen aus gärenden Kräu⸗ tern ausfiltert, vermag ſie auf die Dauer nicht geſund und fruchtbar zu bleiben. Und auch die heilkräftigen Giftſtoffe von Berg und Tal dienen ihr als verdünnte Eſſenzen zum Aufbau und Wachstum, zur Wiedergeburt und zum Daſein. Die Heil⸗ pflanze und das ihr eingeborene Pflanzenheil ſind und bleiben“, ſchloß er, „das Heil aller Welt!“

Aus dem neuen Buch „Cornelia und die Heilkräuter‘

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Aus des Knaben Wunderhorn / Verſpätung

Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterb ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir ſäen geſchwind.

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Und als das Korn geſäet war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterb ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir ernten geſchwind.

Und als das Korn geerntet war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterbe ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir dreſchen geſchwind.

Und als das Korn gedroſchen war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterbe ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir mahlen geſchwind.

Und als das Korn gemahlen war, Rief das Kind noch immerdar: Mutter, ach Mutter! es hungert mich, Gib mir Brot, ſonſt ſterbe ich. Warte nur, mein liebes Kind! Morgen wollen wir backen geſchwind. Und als das Brot gebacken war, Lag das Kind ſchon auf der Bahr.

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung“

*K

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Arthur Schopenhauer / Von dem, was einer vorſtellt

Dieſes, alſo unſer Daſein in der Meinung anderer, wird, in⸗ folge einer beſondern Schwäche unfrer Natur, durchgängig viel zu hoch angeſchlagen; obgleich ſchon die leichteſte Beſinnung lehren könnte, daß es, an ſich ſelbſt, fir unſer Glück, unweſent⸗ lich iſt. Es iſt demnach kaum erklärlich, wie ſehr jeder Menſch ſich innerlich freut, ſooft er Zeichen der günſtigen Meinung anderer merkt und ſeiner Eitelkeit irgendwie geſchmeichelt wird. So unausbleiblid) wie die Katze ſpinnt, wenn man ſie ſtreichelt, malt ſüße Wonne ſich auf das Geſicht des Menſchen, den man lobt, und zwar in dem Felde ſeiner Prätenſion, ſei das Lob auch handgreiflich lügenhaft. Oft tröſten ihn, über reales Un⸗ glück, oder über die Kargheit, mit der für ihn die beiden, bis hierher abgehandelten Hauptquellen unſeres Glückes fließen, die Zeichen des fremden Beifalls: und, umgekehrt, iſt es zum Gr- ſtaunen, wie ſehr jede Verletzung ſeines Ehrgeizes, in irgend⸗ einem Sinne, Grad, oder Verhältnis, jede Geringſchätzung, Zurückſetzung, Nichtachtung ihn unfehlbar kränkt und oft tief ſchmerzt. Sofern auf dieſer Eigenſchaft das Gefühl der Ehre beruht, mag ſie für das Wohlverhalten vieler, als Surrogat ihrer Moralität, von erſprießlichen Folgen ſein; aber auf das eigene Glück des Menſchen, zunächſt auf die dieſem ſo weſent⸗ liche Gemütsruhe und Unabhängigkeit, wirkt ſie mehr ſtörend und nachteilig als forderlich ein. Daher iſt es, von unſerm Ge⸗ ſichtspunkt aus, ratſam, ihr Schranken zu ſetzen und, mittels gehöriger Überlegung und richtiger Abſchätzung des Wertes der Güter, jene große Empfindlichkeit gegen die fremde Meinung möglichft zu mäßigen, ſowohl da, wo ihr geſchmeichelt wird, als da, wo ihr wehe geſchieht: denn beides hängt am ſelben Faden. Außerdem bleibt man der Sklave fremder Meinung und frem⸗ den Bedünkens:

Sic leve, sic parvum est, animum quod laudis avarum Subruit ac reficit.

Demnach wird eine richtige Abſchätzung des Wertes deſſen, was man in und für ſich ſelbſt iſt, gegen das, was man bloß in

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den Augen anderer ift, zu unſerm Glücke viel beitragen. Zum erſteren gehört die ganze Ausfüllung der Zeit unſers eigenen Daſeins, der innere Gehalt desſelben, mithin alle die Güter, welche unter den Titeln „was einer ift‘ und ‚mas einer hat“ von uns in Betrachtung genommen worden ſind. Denn der Ort, in welchem alles dieſes ſeine Wirkungsſphäre hat, iſt das eigene Bewußtſein. Hingegen iſt der Ort deſſen, was wir für andere ſind, das fremde Bewußtſein: es iſt die Vorſtellung, unter welcher wir darin erſcheinen, nebſt den Begriffen, die auf dieſe angewandt werden.! Dies nun iſt etwas, das unmittel⸗ bar gar nicht für uns vorhanden iſt, ſondern bloß mittelbar, nämlich ſofern das Betragen der andern gegen uns dadurch beſtimmt wird. Und auch dieſes ſelbſt kommt eigentlich nur in Betracht, ſofern es Einfluß hat auf irgend etwas, wodurch das, was wir in und für uns ſelbſt ſind, modifiziert werden kann. Außerdem iſt ja, was in einem fremden Bewußtſein vorgeht, als ſolches, für uns gleichgültig, und auch wir werden allmählich gleichgültig dagegen werden, wenn wir von der Dberfläcdhlidy: keit und Futilität der Gedanken, von der Beſchränktheit der Begriffe, von der Kleinlichkeit der Geſinnung, von der Ver⸗ kehrtheit der Meinungen und von der Anzahl der Irrtümer in den allermeiſten Köpfen eine hinlängliche Kenntnis erlangen, und dazu aus eigener Erfahrung lernen, mit welcher Gering⸗ ſchätzung gelegentlich von jedem geredet wird, ſobald man ihn nicht zu fürchten hat, oder glaubt, es komme ihm nicht zu Ohren; insbeſondere aber, nachdem wir einmal angehört haben, wie vom größten Manne ein halbes Dutzend Schafsköpfe mit Weg⸗ werfung ſpricht. Wir werden dann einſehen, daß, wer auf die Meinung der Menſchen einen großen Wert legt, ihnen zuviel Ehre erzeigt.

Jedenfalls iſt der auf eine kümmerliche Reſſource hingewieſen, der ſein Glück nicht in den beiden, bereits abgehandelten Klaſſen von Gütern findet, ſondern es in dieſer dritten ſuchen muß, alfo 1 Die höchſten Stände, in ihrem Glanz, in ihrer Pracht und Prunk und Herrlichkeit und Repräſentation jeder Art können ſagen: unſer Glück liegt ganz außerhalb unſerer ſelbſt: ſein Ort ſind die Köpfe anderer.

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nicht in dem, was er wirklich, fondern in dem, was er in der fremden Vorſtellung ift. Denn überhaupt ijt die Baſis unfers Weſens und folglich auch unſers Glücks unſere animaliſche Natur. Daher iſt fir unſere Wohlfahrt Geſundheit das Weſent⸗ lichſte, nächſt dieſer aber die Mittel zu unſerer Erhaltung, alſo ein ſorgenfreies Auskommen. Ehre, Glanz, Rang, Ruhm, ſo⸗ viel Wert auch mancher darauf legen mag, können mit jenen weſentlichen Gütern nicht kompetieren, noch ſie erſetzen: viel⸗ mehr würden ſie, erforderlichenfalls, unbedenklich für jene hin⸗ gegeben werden. Dieſerwegen wird es zu unſerm Glücke bei⸗ tragen, wenn wir beizeiten die ſimple Einſicht erlangen, daß jeder zunächſt und wirklich in ſeiner eigenen Haut lebt, nicht aber in der Meinung anderer, und daß demnach unſer realer und perſönlicher Zuſtand, wie er durch Geſundheit, Tempera⸗ ment, Fähigkeiten, Einkommen, Weib, Kind, Freunde, Wohn⸗ ort uſw. beſtimmt wird, für unſer Glück hundertmal wichtiger iſt, als was es andern beliebt, aus uns zu machen. Der entgegen⸗ geſetzte Wahn macht unglücklich. Wird mit Emphaſe ausge⸗ rufen ‚übers Leben geht noch die Ehre‘, fo beſagt dies eigent⸗ lich: ‚Dafein und Wohlſein find nichts; ſondern was die andern von uns denken, das ift die Sache.“ Allenfalls kann der Aus: ſpruch als eine Hyperbel gelten, der die proſaiſche Wahrheit zugrunde liegt, daß zu unſerm Fortkommen und Beſtehn unter Menſchen die Ehre, das heißt die Meinung derſelben von uns, oft unumgänglich nötig iſt; worauf ich weiterhin zurückkom⸗ men werde. Wenn man hingegen ſieht, wie faſt alles, wonach Menſchen ihr Leben lang, mit raſtloſer Anſtrengung und unter tauſend Gefahren und Mühſeligkeiten, unermüdlich ſtreben, zum letzten Zwecke hat, ſich dadurch in der Meinung anderer zu erhöhen, indem nämlich nicht nur Amter, Titel und Orden, ſondern auch Reichtum, und ſelbſt Wiſſenſchaft! und Kunſt, im Grunde und hauptſächlich deshalb angeſtrebt werden, und der größere Reſpekt anderer das letzte Ziel iſt, darauf man hin⸗ arbeitet; ſo beweiſt dies leider nur die Größe der menſchlichen Torheit. Viel zuviel Wert auf die Meinung anderer zu legen, iſt ein allgemein herrſchender Irrwahn: mag er nun in unſerer

1 Scire tuum nihil est, nisi te scire hoc sciat alter.

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Natur felbft wurzeln, oder infolge der Geſellſchaft und Zivili⸗ fation entftanden fein; jedenfalls übf er auf unfer gefamtes Tun und Laſſen einen ganz übermäßigen und unferm Glücke feindlichen Einfluß aus, den wir verfolgen können, von da an, wo er ſich in der ängſtlichen und ſklaviſchen Rückſicht auf das qu'en dira-t-on zeigt, bis dahin, wo er den Dolch des Virgi⸗ nius in das Herz ſeiner Tochter ſtößt, oder den Menſchen ver⸗ leitet, für den Nachruhm Ruhe, Reichtum und Geſundheit, ja, das Leben zu opfern. Dieſer Wahn bietet allerdings dem, der die Menſchen zu beherrſchen oder ſonſt zu lenken hat, eine be⸗ queme Handhabe dar; weshalb in jeder Art von Menſchen⸗ dreſſierungskunſt die Weiſung, das Ehrgefühl rege zu erhalten und zu ſchärfen, eine Hauptſtelle einnimmt: aber in Hinſicht auf das eigene Glück des Menſchen, welches hier unſere Ab⸗ ſicht iſt, verhält die Sache ſich ganz anders, und iſt vielmehr davon abzumahnen, daß man nicht zu viel Wert auf die Mei⸗ nung anderer lege. Wenn es, wie die tägliche Erfahrung lehrt, dennoch geſchieht, wenn die meiſten Menſchen gerade auf die Meinung anderer von ihnen den höchſten Wert legen und es ihnen darum mehr zu tun iſt, als um das, was, weil es in ihrem eigenen Bewußtſein vorgeht, unmittelbar für ſie vorhanden iſt; wenn demnach, mittels Umkehrung der natürlichen Ord— nung, ihnen jenes der reale, dieſes der bloß ideale Teil ihres Daſeins zu fein ſcheint, wenn fie alſo das Abgeleitete und Se— kundäre zur Hauptſache machen und ihnen mehr das Bild ihres Weſens im Kopfe anderer, als dieſes Weſen ſelbſt am Herzen liegt; ſo iſt dieſe unmittelbare Wertſchätzung deſſen, was für uns unmittelbar gar nicht vorhanden iſt, diejenige Torheit, welche man Eitelkeit, vanitas, genannt hat, um dadurch das Leere und Gehaltloſe dieſes Strebens zu bezeichnen. Auch iſt aus dem Obigen leicht einzuſehen, daß ſie zum Vergeſſen des Zwecks liber die Mittel gehört, fo gut wie der Geiz.

Aus den ‚Aphorismen zur Lebensweisheit“

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Hans Caroſſa / Wanderung

Bis gegen Tittling unterſchied ſich die Landſchaft nicht von der unſrigen, nur daß mehr freies Geſtein umherlag. Mitten im ſchönſten Obſtgarten konnte ein Granitblock ſtehen; zuweilen ſah man einen Acker mit niedrigen Mauern aus aufgeſchich⸗ teten Felsbrocken umgeben.

Bald fielen mir die feineren, ſchärferen Farben der Pflanzen⸗ welt auf. Die Kartoffelfelder blühten in einem leuchtenden Lila; die Schafgarbe war nicht mehr bräunlich bleich wie drunten im Donautal, ſondern rein rötlich. Auch die Feldſkabioſe war fie: fer violett geworden, und aus Geſteinsritzen reckten ſich dornige Stauden, deren Blüte aus zwei weißen und zwei roten Lippen beſtand.

Ich ging anfangs zu ſchnell und war am Abend wund gelaufen; in der Dämmerung kam ich vor eine graue Burg, übernachtete daneben im Gaſthaus zur Waldlaterne und ſchlief in den Tag hinein. Der hohe viereckige Bau war die Saldenburg, die im Jahre 1744 von Panduren zerſtört und ſpäter neu aufgebaut worden iſt. An Ritterſaal und Kemenate hab ich keine Erinne⸗ rung mehr, wohl aber an den Efeubaum, deſſen ſtarker Stamm an der ſüdöſtlichen Mauer wurzelte. Seine weithin ausge⸗ ſandten Afte umwanden, überkreuzten und verknoteten ſich wie Schlangen, und ſeine dichte Belaubung umarmte bis zum Dach empor das graue Gebäude. Etwa zweihundert Schritte hinter dieſer Burg fand ich in der erſten Frühe einen natürlichen ge⸗ raden Gang zwiſchen zwei Felswänden. Er wird nicht ebenſo großartig geweſen ſein, wie ihn das Gedächtnis ausgebaut hat; immerhin iſt es ein ſeltſamer Ort, und wer ihn dereinſt in ge ſpenſtergläubiger Zeit zur Dämmerſtunde durchſchreiten mußte, konnte wohl Erſcheinungen haben. Ich ging einige Male hin und her, fühlte mich abgeſondert in Sicherheitsahnung und ſah für Augenblicke das Leben vor mir liegen wie ein Spiel.

Der wunde Fuß war geheilt; ich wanderte lüftig weiter hinein in das Land der ſpäten, kargen Ernten, der halb verborgenen Steinbrüche zwiſchen alten Wäldern, in das Gebiet umſchilfter

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ſchwarzer Slüffe, die Treibholz fragen und in dunklen Muſcheln trübe Perlen zeitigen.

Etwas Merkwürdiges brachte dieſer zweite Tag; ich erfuhr durch Anſchauung, daß es noch Menſchen gibt, welche an eine Hölle nach dem Tode glauben und aus Furcht vor ihr wahre Höllenqualen erdulden.

In einem Wieſentale ſtand wie vergeſſen eine Pflugſchar; kein Menſch, kein Tier war weit und breit zu ſehen. Bald aber führte der Weg über eine Höhe, die den ſchönſten Rundblick verſprach; ich ging einem ſtarken Geländer entlang, hinter dem zwei Stuten mit ihren Fohlen weideten, und wußte nun, daß gleich ein Gehöft kommen würde. Breitlaubige Eichen ſtütz⸗ ten in Abſtänden die weite Umzäunung; ein ziegelgedecktes Häus⸗ chen ſtand im Garten, kapellenhaft, aber mit rauchendem Ka⸗ min, dies mußte der Backofen fein. Ein Tümpel war bedeckt mit der Moſaikhaut grasgrüner Waſſerlinſe, daneben ragte zypreſſenſchmal ein hoher Wacholder. Junge Obſtbäume waren durch dreieckige Lattenverſchläge gegen Tiere geſchützt; zwiſchen ihnen ſtanden Sonnenblumen und ſenkten ſchwer die gelb um⸗ flammten Schalen. | Ein junger Menſch ging vor mir her, der mich bekannt an⸗ mutete, halb Geiſtlicher, halb Bauer. Die nackten Füße ſteckten in Sandalen; er hatte keinen Rock an, nur eine Weſte; über dieſer aber einen Theologenkragen, außerdem einen ſchwarzen Strohhut. Uber der Schulter trug er läſſig die Senſe; aus der Hoſentaſche ſtand ein Wetzſtein. Er drehte ſich um, da war es der Danninger, ein Schulfreund aus der Landshuter Zeit. Sei⸗ nem Vater gehörte der Hof; er ſelbſt verbrachte hier die Uni⸗ verſitätsferien und half in der Landwirtſchaft. Gaſtfreundlich zog er mich in das Haus, das nach alter Art gebaut war, mit zwei Holzaltanen übereinander, beide voll blühender Nelken. Die Mutter kam zur Begrüßung und lud mich ein, in der Stube zu raſten. Sie ſchnitt ein Stück Brot ab und brachte Milch in einem grünen Topf, der ſich vor Kälte beſchlug.

Während wir uns über einſtige Lehrer und Mitſchüler unter⸗ hielten, hörten wir Schritte von der Stiege herein; die Bäuerin bekam eine ſorgenvolle, der Freund eine verlegene Miene; er

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flüfterfe haſtig, dies fei der Vater, er wolle jeden Fremden ſehen und brächte dann allerlei ſeltſame Fragen daher. Seit dem Winter leide er an Tiefſinnigkeit, er fürchte ſich vor Tod und Ewigem Feuer, ich ſolle nur ja nichts verlauten laſſen, was ihn ängſtigen könne. „Gib ihm aber zu verſtehen, daß du an Gott glaubſt!“ murmelte er noch, während ſchon der Alte die Tür öffnete.

Iſt es der Inbegriff der Höllenſtrafen, daß der Seele die An⸗ ſchauung des ewigen Lichtes verſagt wird, ſo mußte dieſer noch immer ſtattliche Greis mitten in der Verdammnis wohnen. Furcht vor einem Jenſeits hat es wahrſcheinlich immer ge⸗ geben; ſogar die germaniſche Vorzeit kannte Strafräume: Hel, die Todesgöͤttin, hatte eine lichte und eine dunkle Seite, je nad): dem ſie lohnte oder ſtrafte; dieſem Alten aber kehrte ſie gewiß die finſtere zu. In den welken Zügen verbarg ſich der Gram; die umrunzelten Augen hatten etwas Überhelles, jedoch mit einem Hintergrunde voller Nacht, und all dies wurde durch einen kräf⸗ tigen Adamsapfel ſtark hervorgehoben. Ich ftand auf und grüßte ihn ehrerbietig. Er gab mir ſchlaff die Hand, hieß mich weiter⸗ eſſen und hörte teilnahmslos unſeren Geſprächen zu, bis auf einen Mitſchüler die Rede kam, der vor einiger Zeit im Kar⸗ wendel abgeſtürzt war, da trat ein trauriges Leben in das arme Geſicht. „Hab davon gehört“, ſagte er, und dann, nach einem Seufzer: „Wia's eahm ebber geh werd drent in der andern Welt?“ (Wie es ihm wohl gehen wird drüben in der anderen Welt?)

Zwiſchen Hugo, Walther und mir waren Teufel und Hölle ſeit einiger Zeit nur noch Redewendungen, zum Scherzen und Fluchen geeignet, und wenn wir von Sünde hörten, ſo dachten wir zunächſt immer nur an jenes Bild vom Stuck, das der alte Lehrer als höchſte Leiſtung der neuen Kunſt geprieſen hatte. Dantes Inferno bannte mich immer aufs neue mit ſchauer⸗ licher Kraft; doch lag mir der Gedanke fern, dergleichen pein⸗ liche Gerichte könnten auch uns dereinſt erwarten. Jetzt aber, wie ein Weſen, das man fir ausgeſtorben hielt, ſtand mir auf einmal die Angſt vor ewiger ſchmerzvoller Fremdnis in leib⸗ hafter Geſtalt vor Augen. Die beſten Witze gingen da in Rauch

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Griechenmünze aus Sizilien

auf, und wenn ich meine nächften Beruhigungsgründe hervor⸗ ſuchte, ſo waren ſie doch nur ein Wortgeſäuſel gegen die Qual in dem alten Antlitz; ja man durfte ſich in acht nehmen, daß man nicht ſelbſt in die alte Kinderfurcht verfiel, in die man ſich doch eigentlich zurückverſetzen mußte, um eine überzeugende Ant⸗ wort zu finden. „Alſo aufs Arztgeſchäft arbeiteſt hin?“ rief der Bauer, - „ſchön, ſchön. Aber ihr Arzte glaubts ja nicht, daß es was gibt, - wie, oder biſt du ein anderer? Oh, es gibt was, es gibt was, es gibt was...“ Ich wollte mirs leicht machen und ſprach von des Herrgotts unerſchöpflicher Gnade und Güte; dergleichen aber hatte er wohl von ſeinem geiſtlichen Sohn be⸗ reits bis zum Überdruß gehört. „Warum nachher Heulen und Zähneknirſchen?“ ſchrie er, mit der Fauſt auf den Tiſch ſchla⸗ gend, und ſah durchs Fenſter in den Himmel, wo jetzt vor grel⸗ ler Helle ſchwarze Flöckchen trieben. Voll Spannung ſahen Mutter und Sohn zu mir herüber; ſie hofften, daß ich was Kräftigeres wüßte, und miſchten ſich nicht ins Geſpräch.

Ich nahm mich zuſammen, und nun lohnte ſichs, daß ich in die⸗ fem Jahr unglaublich viel gelefen hatte, Aufſätze in Zeitfchrif: ten, Goethe, Schopenhauer, Nietzſche und von Zeit zu Zeit immer wieder einmal die Geſchichte Jeſu von Theodor Keim, die jahrelang unbeachtet unter Onkel Ottos Büchernachlaß in Kading geſtanden hatte, ein ſchmaler, mit Stockflecken durch⸗ ſetzter Band, aus dem die irdiſche Perſönlichkeit des Heilands mit allen ihren menſchlichen Bängniſſen und Zweifeln fo le: bensklar hervorleuchtete wie aus keinem anderen Werk. Auch der Prometheus bot jetzt aus der Ferne ſeinen Beiſtand an, und faſt mehr noch half mir die Mutter; denn ſie, die ſelbſt oft Schwermutszeiten überwinden mußte, fand ſtets einen tröſt⸗ lichen Zuſpruch für die Bedrücktheit fremder Seelen. So mel⸗ deten ſich verſchiedene Stimmen, um durch die meinige zu ſpre⸗ chen und den Leidenden wenigſtens für eine kleine Weile zu be⸗ ruhigen. Ich ließ Milde Milde ſein und fragte ihn zunächſt ganz trocken, ob er ſichs vielleicht jemals verlangt habe, auf dieſe Welt zu kommen, oder ob er ohne ſeine Zuſtimmung ge⸗ boren worden ſei. Er verſtand mich ſofort; Gedankengänge die⸗ ſer Art ſind ja ſolchen Menſchen vertraut. Grimmig lachend

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ſchüttelte er den Kopf: „J hab mir wahrhaftig des Gſpiel net eing' richt.“ „Ich mir auch nicht“, ſagte ich. „Alle tappen wir ungefragt ins Leben herein, die einen mit einer guten Veranla⸗ gung, die anderen mit einer ſchlechten. Einer hat brave, wohl⸗ häbige Eltern; der wächſt auf in Zucht, geſchützt vor Ungezie⸗ fer; fein Blick ift ihm nie durch Sorgen verſtellt; er ſieht fei- nen Stern und geht ihm nach. Die Eltern eines andern ſind arme getretene Leute; der Vater zeugt ihm eine Wut ins Ge⸗ blüte hinein, die reift mit ihm und führt ihm ſeine Hände, da müſſen ſie ſündigen. Wie ſolls der Burſche anſtellen, daß ihm nicht immer wieder Lumpereien durch ſeinen dummen Kopf gehen? Wie will er ſich ſelber entkommen? Vielleicht entdecken wirs mit der Zeit, wie ſein kranker Drang zu heilen wäre, und auf alle Fälle ſchützen wir uns vor ihm. Aber Gott, der allbe⸗ denkende Gott!“

In dieſem Augenblick ſchob ſich ein wahrhaft bezauberndes Kind zur Küchentüre herein. Es wurde vorgeſtellt als die Zenzi, die jüngſte Enkelin; mit einer Hand hielt ſie eine Schürze voll fri⸗ ſcher Blätter, mit der andern ein ſchwarzes Kaninchen, das ihr den Kopf auf die Schulter legte. Grüßend ſetzte ſie ſich auf die Bank, nahm das Tier auf die Kniee und ſchob ihm ein Löwen⸗ zahnblatt zwiſchen die Lippen, die es gleich erfaßten und, un⸗ abläfjig mümmelnd, nach innen zogen, wie man einen Stoff in die Nähmaſchine ſchiebt. Eigentlich glaubte man dieſer Zenzi ſchon da und dort begegnet zu ſein; ſie wich wenig von einer gewiſſen blaudugigen und blonden Grundform ab, die den Wald in ſeinem bayeriſchen Teil beherrſcht; doch wars, als wollte ſich dieſe veredeln in ihr. Woher doch nahm die geplagte dumpfe Bauernwelt den Seelenſtoff zu fo feinen Zügen, zu dieſer ber: ſonnenen Heiterkeit? Der verdüſterte Alte nur ſchien die Helle, die von dem Mädchen ausging, nicht zu fpüren; vielleicht wollte er auch das kindliche Ohr vor unſerem Geſpräch bewahren; er ſchickte die Zenzi in die Küche zurück. Mich aber überkam nun erſt ein wahrer Rederauſch. Ja, Gott, ungefähr in dieſem Sinne ging es weiter, der allbedenkende, allbewirkende Gott, der das Unendliche in ſich einſchließt, dieſer größte Geiſt ſollte zugleich der boshafteſte ſein? Ihm traut ihr zu, er habe nichts Geſchei⸗

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teres zu fun, als fold) ein unglückliches Geſchöpf in alle Ewig⸗ keit zu ſchinden? Soll eine Hornis ewig dafür gequält werden, daß ihr für ihr kurzes Leben ein Stachel gewachſen iſt? Und wie käme uns ein Bildhauer vor, der die Plaſtik, die er ſelbſt verhauen hat, unaufhörlich prügeln wollte? Merkt ihr denn gar nicht, was für eine Gottesläſterung ihr begeht?

Der Theologe lächelte ein gemiſchtes Lächeln; meine Kraft⸗ phraſen gingen ihm vielleicht zu weit und auch nicht weit genug; doch konnten ſie ihm ſchwerlich unwillkommen ſein.

„Der is net dumm“, ſagte der Bauer und deutete auf mich, während er ſeinen Sohn triumphierend anſah; doch ließ ihn der Schwachſinn nicht los: „Aber die Todſünden? Und die himmel⸗ ſchreienden? Wie ſtehts damit?“ Während er dieſe kitzlige Frage ſtellte, kehrte die Zenzi zurück, diesmal ohne Kaninchen, ſetzte ſich wieder auf ihren Platz und wurde dort geduldet. Meine Sicherheit wuchs im Anhauch ihres Weſens, und bevor ich nur recht zum Nachdenken kam, ſagte ich aufs Geratewohl, mit Be⸗ ſtimmtheit: „Solche Sünden begehen Sie nicht, Herr Dannin⸗ ger, und wenn Sie's täten, fo wären fie ungültig.“ —-Verwun⸗ dert blickte der Bauer auf: „Ungültig, ungültig, ja gibts denn fo was?! „Ja, völlig ungültig. Denn dann wärs ja ein Zeichen, daß Ihr Kopf nicht in Ordnung iſt.“ Mit großen Schritten, erregt vor ſich hinpfeifend, ging er auf und ab, indeſſen der Sohn eine kleine Einſchränkung für nötig hielt und ſchüchtern erinnerte, für jede Sünde fei doch Bereuen gut, man könne da⸗ mit nie zuviel fun. Ich ſah zur Enkelin hinüber und mußte be- merken, daß meine Weisheit auf ſie nicht ſo wirkte, wie ich mir einbildete; irgend etwas an meiner Sprechart ſchien ſie ſehr zu beluſtigen; ſie kämpfte mit einem innerlichen Lachen, das ſich ſchließlich nicht mehr verbergen ließ; ſo wartete ſie nicht ab, bis man ſie hinausbefahl, ſondern ging von ſelber in die Küche zurück.

Der Alte aber blieb dicht vor mir ftehen: „An Gott glaubft du alſo?“ rief er und klopfte mir auf die Schulter. Ich meinte noch ein übriges tun zu müſſen und verwies darauf, mehr den Schulfreund anſehend, man habe doch in den erſten chriſtlichen Jahrhunderten die Furcht vor Höllenſtrafen kaum gekannt, zu

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tief fei man beglückt geweſen vom Licht der neuen Lehre, um irgendwelcher Angſtlichkeit anheimzufallen, jeder habe gewußt, er werde Ruhe finden für ſeine Seele, und wers nicht mehr wiſſe, der ſei eben krank.

„Ja krank, da könnteſt recht haben.“ Der Alte erheiterte ſich, und unſere weiteren Worte fielen wahrſcheinlich ſchon unbe: merkt in ihn hinein wie Sternſchnuppen in Tageshelle. Er nahm eine leere Weizenähre vom Fenſterbrett, gab ſie mir in die Hand und ließ mich raten, wie viele Körner ſie enthalten habe. Ich meinte vierzig; er ſagte ſiebzig und weidete ſich an meiner Verwunderung. Als die Bäuerin in die Küche ging, folgte er ihr; es gab ein gedämpftes Geſpräch, dem zu entneh⸗ men war, daß ich zum Übernachten eingeladen und am Abend mit einem gebratenen Huhn bewirtet werden ſollte.

Bei dieſem kleinen Feſtmahl ſaß die ganze Familie um den Tiſch, auch Knecht und Mägde; doch nahm keines ein Stückchen von dem Gebratenen an; denn es war Freitag und nur für den Wanderer das kirchliche Fleiſchverbot aufgehoben. Zuletzt wur⸗ den viele Vaterunſer gebetet, und faſt ſchauerlich klang es, als am Ende der Bauer für ſich allein mit lauter Stimme ein kur⸗ zes gereimtes Gebet an die heilige Barbara herunterſagte, das die Bitte um eine ſelige Sterbeſtunde ausſprach.

Am nächſten Morgen erhob ich mich ſo früh wie die Dienſt⸗ boten. Das Gewittrige des Vorabends war verſchwundenz über dem Dreiſeſſelgebirge ſtieg das Licht in einen klaren Tag hin: auf. Mein Denken eilte mir weit voraus zu der überall ge: nannten bäuerlichen Dichterin, der Drang zum Weiterwandern war unbezwinglich. Recht zweifelhaft ſchien mir mein geſtriger Heilverſuch, und was ich vorgebracht, nicht mehr ganz wahr. Begründen konnte ich mir dieſe Empfindung nicht; aber ſie war wohl im Recht.

Spinozas Lehre, daß, wer Gott liebe, von ihm nicht Gegen⸗ liebe fordern dürfe, wird nur den allerwenigſten in Fleiſch und Blut übergehen; faſt alle Frommen meinen, Gott vermöge auf menſchliche Weiſe den einzelnen zu lieben, und überfehen, daß er dann freilich ebenſo fähig ſein müßte, ihn zu haſſen. Dies konnte die letzte Wahrheit nicht ſein; aber wie ſtand es dann?

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Indiſchen Weiſen mag der Glaube genugtun, Tod und Geburt eines Menſchen bedeute für Gott nicht mehr und nicht weniger, als wenn von den Trillionen Gewebszellen, die unſern Körper aufbauen, eine alte vergeht und eine neue nachwächſt; aber was wäre dem tüchtigen, werkfreudigen Mann mit einer ſo durchgekochten Weisheit gedient? Was hatte etwa der alte ver⸗ quälte Danninger davon, wenn man ihm Gott als das über⸗ legenſte Weſen hinſtellte, dem es gar nicht der Mühe wert war, von den guten und ſchlechten Taten eines Waldbäuerleins Kennt⸗ nis zu nehmen? Der wirkende, kämpfende Menſch muß davon durchdrungen ſein, daß ſein inbrünſtiger Anruf den Ewigen be⸗ wegen und zur Bundesgenoſſenſchaft verpflichten könne, wohne er nun über Sternen oder in der eigenen Bruſt. Solche Fragen und Antworten gingen mir aber nur als dämmrige Halbgefühle durch den Sinn; ſie durchzudenken und auszuſprechen fehlte mir die Reife, und ich wünſchte nur, ſobald wie möglich aus der Nähe des Gepeinigten zu entkommen.

Am Brunnen mich waſchend, ſah ich mit Beſchämung die Ge⸗ därme und blutnaſſen Federn des verſpeiſten Gockels um den Steintrog herumliegen; aber da kam die Zenzi und brachte ein friſches Handtuch. Sie ſagte, der Großvater ſchlafe noch, zum erſten Male ſeit Wochen habe er die ganze Nacht ruhig im Bette gelegen, ſtatt im Hauſe herumzugeiſtern, ich ſolle doch ja noch den Tag über bleiben. Mein Vorſatz war aber feſt; ich begründete ihn, ſo gut es ging, lud mir den Ruckſack auf, den ich auch während des Frühſtücks nicht abnahm, und ließ mich weder von der Mutter noch vom Sohn zum Aufſchub überreden.

Kaum eine Viertelſtunde aber war ich in die Morgengegend hineingegangen, da hörte ich Hufſchlag und lautes Rufen hin⸗ fer mir. Auf mähnenflatterndem Schimmel jagte mir der geiſt⸗ liche Schulfreund nach, ſtieg ab und meldete, der Vater ſei ganz guter Laune in die Stube heruntergekommen, nur habe er leider geſtern ein paar Kleinigkeiten zu fragen vergeſſen, die ihm ſchon lange zu ſchaffen machten. Herzlich dankbar wäre er für eine kurze Auskunft, wie es denn mit unſeres Herrgotts All⸗ macht eigentlich ſtünde, ob es nachgewieſen wäre, daß er ſtär⸗

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ker fei als der Satan. Der junge Gottgelehrte lachte verzmei: felt. „Was ſagen wir ihm nur in drei Teufels Namen?“ fuhrs ihm heraus; aber ſchon, erſchrocken über die Entgleiſung, drückte er ſich zwei Finger auf die Lippen. Dann bekannte er verdrieß⸗ lich, es ſei nicht das erſte Mal, daß ihm dieſe ſpitzfindige Frage geſtellt werde. An Gottes Liebe und Barmherzigkeit wolle der Alte gerne glauben; aber was helfe die, wenn ſchließ⸗ lich der andere, der Schwarze, das letzte Wort habe.

Wir ſetzten uns auf einen Feldrain, zündeten Zigaretten an und beratſchlagten. Die Vorſtellung, Gott laſſe den Teufel inner⸗ halb gewiſſer Grenzen in der Welt gewähren, um ſie in Gä⸗ rung und Bewegung zu erhalten, iſt jedem Gauft-Lefer geläu⸗ fig; aber dieſes Argument ſchien dem Schulgenoſſen unver⸗ wendbar. Nach manchem Hin und Her einigten wir uns auf eine Formel, die annehmlich klang. Den Wortlaut weiß ich nicht mehr; ſie lief darauf hinaus, daß der Höllenkönig über einen Menſchen, der den Weg zu Gott gehen wolle, überhaupt keine Gewalt habe. Wenn er gar fo mächtig wäre, fo ftünden ja längſt weder Sonne noch Mond noch Sterne mehr am Him: mel; denn nur durch göttliche Kraft und Liebe werde das Welt⸗ all bewahrt und ewig erneuert; der Böſe könne nichts aufbauen und nichts zum Erblühen bringen, er habe nur die Zerſtörung im Sinn, nicht nur die Zerſtörung der Seelen, ſondern der gan: zen ſchönen Welt.

Ich äußerte Zweifel, ob ſolch ein Gedankengang dem Vater nicht zu ſchwierig wäre; aber der Sohn war zuverſichtlicher ge⸗ worden: „Der Alte muß was zu knabbern haben“, meinte er. Mittlerweile hatte der Schimmel Gras gerupft; nun biß er ſeinen Herrn ſänftlich in den Arm, zur Heimkehr mahnend. Mich verfolgte ein Gedanke, der ſich ſchon am Anfang gemel: det hatte; es war nur nicht ganz leicht, ihn taktvoll vorzubrin⸗ gen. Schließlich fragte ich geradezu, wie es denn ſonſt beſtellt wäre mit dem Herrn Vater, ob er vielleicht allerhand auf dem Gewiſſen habe. Der geiſtliche Sohn nahm das nicht übel, ver⸗ ſicherte aber, der Vater ſei ſtets ein rechtlicher Menſch, freilich auch ein Tüftler und Sinnierer geweſen. „Ja wenn er ein Lump wär, täten wir uns leichter“, ſetzte er hinzu und hatte

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recht. Abermals wurde er nachdenklich, und während er ſchon den Schimmel beſtieg, rief er noch einmal meinen Scharfſinn an: „So einen kurzen kräftigen Satz wenn du noch wüßteſt! Er durfte auch dunkel klingen, meinethalben ſogar mit einem Fremd⸗ wörterl darin. Er iſt da ſo eigen; was er durch und durch ver⸗ ſtehen kann, das hilft ihm nicht lang.“ Beim Anhören dieſer Worte wars, als lächelte mir der alte penſionierte Lehrer vom botaniſchen Garten, der ſo ſehr ſeinem Karma vertraute, luſtig zu; ein jäher Übermut gab mir die rechte Antwort ein: „Grüß den Vater ſchön! Sag ihm, ich hab ſeine Hände genau betrachtet und gleich geſehen, daß er ein gutes Karma hat. Es kann ihm nichts fehlen, weder in dieſer Welt noch in der andern. Er darf fic) in alle Ewigkeit getroſt auf fein Karma verlaſſen. „Karma, Karma,“ wiederholte der Theologe, „davon höre ich zum erſten Mal.“

„Es iſt was Indiſches“, wollte ich noch erklaren; aber ſchon war keiner von uns mehr fähig, ernſt zu bleiben; wir lachten laut hinaus, verließen das Thema und ſprachen dann noch eine Weile von anderen Sachen. Der Jugend wird es niemand ber- argen, wenn fie ſich über Berdüfterungen der Väter beluſtigt; ſie weiß nur nicht, welchen Blindheiten ſie möglicherweiſe ſelbſt entgegengeht.

Noch in der nämlichen Stunde ſollte ich eine Probe davon lie: fern. Wir drückten uns abermals die Hände; der Schimmel trug den Freund galoppierend heimwärts, ich aber trabte Waldkir⸗ chen zu in den erglühenden Tag hinein.

Zwiſchen hohen Ginſterſträuchen, die Schatten verhießen, hielt ich bald eine kurze Raſt und freute mich ſtärker des Ziels. Ein deutliches leiſes Geräuſch fiel mir auf, das ich irgendwelchen Inſekten zuſchrieb. Es verſchärfte ſich aber; ein unabläſſiges feines Knallen, Kniſtern und Knipſen war um mich herum, als ob Elfchenheere aus unſichtbaren winzigen Geſchützen aufein⸗ ander feuerten, und manchmal fühlte ich mich ſelbſt am Ohr und im Nacken getroffen. Jetzt war es klar, daß das Geſprühe vom Ginſter ausging. Längſt abgeblüht, ſtrotzte dieſer von ſchwarzen Schoten, die nun, unter dem Sonnenprall, nach und nach aufſprangen und ihren Samenüberfluß weithin verſchnell⸗

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ten. An dieſer Stelle ſah ich zum letzten Mal das einſame Ge: höft. Umſchattet von ſeinen Bäumen, von Blumen umſchmiegt, von treuem Fleiß umhegt, ſtand es auf ſeiner Anhöhe, wie tau⸗ ſend andere ſtehen. Unvergeßlich konnte es nur werden, weil dort ein Menſch in Höllenflammen duldete, die vermutlich erſt in dem gefürchteten Grab erloſchen ſind. Beim Weiterwandern ſtieg es mir doch in den Kopf, daß mich der junge Danninger für einen bedeutenden Seelenarzt hielt; ich empfand bei jedem Schritt mehr Hochachtung vor mir. Als aber nun die Gelegen⸗ heit kam, wahrhaft menſchliche Einſicht zu bewähren, da ent⸗ ſprach den weiſen Reden des Vortags kein weiſes Handeln, und der Teufel, über den ich den ſelbſtquäleriſchen Bauern fo fal: bungsvoll zu beruhigen wußte, ſprang unverſehens aus mir ſelber heraus.

Von einem Seitenpfade her ſtieß ein alter Landſtreicher zu mir, und ehe ich ihn nur recht zu Geſicht bekam, nahm ichs ihm ſchon übel, daß er befehleriſch rief, ich ſolle warten. „Biſt auch auf der Walz? Gehn mir miteinander!“ ſagte er dann und wollte auch gleich mein Wanderziel wiſſen, da wuchs mein Wi⸗ derſtand. „Ich geh der Naſe nach“, erwiderte ich gereizt, konnte ihn aber dadurch nicht vertreiben. „Das tu ich auch“, ſagte er lachend und fragte, ob ich keine übrige Zigarre hätte. Randy waren anzubieten, ja aufzudrängen, war ich ſonſt ſtets bereit; jetzt aber unterſchlug ich dem armen Kerl die würzigen Stum⸗ pen, die noch im Ruckſack lagen, und ließ merken, daß ich ihn los haben wollte. Er bewahrte ſeine Ruhe, geſtand mir aber offen, daß er mich überſchätzt habe. „Wenn einer ſo großartig dahinſtürmt, als könnt man mit ihm Pferde ſtehlen gehen, dann denkt man, der hat Kameradſchaft im Leib. Aber man fragt keine Röllchen, und da iſt man für den feinen Herrn halt nur ein Prolet.“ Er ſpielte damit auf eine Mode an, die wir heute lächerlich finden; es gehörte damals zum Anzug, daß man, um ein immer friſches Hemd vorzutäuſchen, kurze Röhren aus hart geſtärkter Leinwand um die Handgelenke trug. Dies war ein⸗ mal eingeführt; ſogar die Herren Profeſſoren Rückert und Mollier pflegten, wenn ſie zur Übung an die Leiche traten, erſt ihre Hände aus jenen Manſchetten genannten Gebilden zu

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zwängen und dieſe behutſam beiſeite zu ftellen. Ich beſchleu⸗ nigte meinen Gang und hoffte, der läſtige Begleiter werde zu⸗ rückbleiben müſſen; er hielt jedoch rüſtig Schritt und erging ſich in dunklen Weisſagungen, die nicht gerade mir, aber dem Bürgertum ſchlechthin galten. Für mich hatte das Wort Bür⸗ ger noch den ehernen Klang des civis romanus; er aber ge⸗ brauchte es als Schimpfnamen und prophezeite dieſer ganzen Menſchengattung den Untergang. „Ich ſeh finſter“, mit die⸗ ſen drei Wörtchen ſchloß er jeden Satz. Leider ließ mich in je⸗ nen Minuten der Humor im Stich, der beſte Schutz gegen Yu: dringlichkeit; auch entging mir ganz, wie lohnend es doch ge: weſen wäre, in das Leben des verbitterten Mannes etwas tie⸗ fer hineinzuſchauen; ich fand nicht zu mir ſelber und ließ das Böſe reifen. Langſam gehend betrachtete ich ihn mit Sorgen⸗ miene und ſagte dann, ich wußte wohl die richtigen Antworten, wolle ihn aber nicht erzürnen; wer ein wenig Erfahrung habe, ſehe ja von weitem, daß er an übermäßig hohem Blutdruck leide, da könnte jede große Aufregung einen Schlaganfall her⸗ vorrufen, das wäre unverantwortlich. Er lachte laut und ſchwur, er ſei ein Eiſerner und nehme es heute noch mit einem Dutzend ſolcher Kletzen auf, wie ich eine ſei; aber das Geprahle half ihm nicht lang, mein Gift war eingedrungen, die Wangen unter den wäßrigen Falten der Augenlider wurden ſchlaff und gelb; er verſtummte nach und nach. Auf einmal blieb er zurück und über: ließ mich einem heftigen Kampf der Gefühle. Noch wollte ich gleichmütig weitergehen und hielt mir bekannte Nietzſcheworte vor, die das Mitleid als verwerflich erklären; doch regte ſich ſchon eine ſtille Einſicht, wie ſehr es dem Sinne dieſer Wande⸗ rung widerſprach, wenn ich ſie mit Feindſchaft belud. Ich wandte mich um, da ſaß er am Feldrain, der Arme, das Ge⸗ ſicht in die Hände gedrückt. Und nun gewann er von Sekunde zu Sekunde an Wirklichkeit, während ich ſelbſt mir ſchemenhaft wurde. Ich ſah ihn nun erſt, das wirre graue Haar, den muͤ⸗ den Rücken. Am oberſten Knopf feines Röckchens hing ein Fur: zes Lederband, das nach unten in eine blecherne Klammer aus⸗ lief, und dieſe trug ſeinen alten Hut; er hielt das wohl für feiner, als wenn er ihn aufgeſetzt hätte.

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Ihn zu verſöhnen, war nicht ganz leicht. Ich ließ mich neben ihm nieder und fragte vorwurfsvoll, ob er denn meine Tratzerei wirklich ernſt genommen habe; jeder nicht Stockblinde muͤſſe doch den Typ des langlebigen Menſchen in ihm erkennen. Er verharrte in ſeiner gebrochenen Haltung und antwortete nicht. „Es läßt mir keine Ruhe,“ fuhr ich fort, „ich muß noch einmal den Ruckſack durchſuchen, vielleicht finden ſich doch noch ein paar gute Zigarren darin; die wollen wir aber mit Andacht rauchen!“ Auch dieſe Ausſicht ſtimmte ihn nicht ſogleich um. Die braunen Stumpen lagen ſchon eine Weile auf feinem Knie, als er endlich die Hände vom Geſicht nahm. „Ich war zu Gro⸗ ßem berufen“, ſagte er düſter, in tadelloſem Schriftdeutſch, ohne mich anzuſehen, und, nach einer Pauſe, mit erhobener Stimme: „Ein König hat mich mit Gold beſchenkt!“ Über einer ſolchen Aufſchneiderei wollte mich ſchon wieder der Zorn an: packen; doch ſiehe, er hatte nicht gelogen, und nun ſollte mich ſchon wieder der Schatten des unſeligen Ludwig ſtreifen, von dem erſt neulich im Elternhaus die Rede geweſen. Die Heimat des alten Handwerksburſchen war Leoni am Starnberger See, und als einſtmals der König, aus dem Gebirg zurückkehrend, ſpät an einem Samstagabend in Schloß Berg eintraf und ſich zur Sonntagsfrühmeſſe anmeldete, da hatte er ſein ſchönes, koſtbar verziertes Gebetbuch in Seeshaupt zurückgelaſſen. Es gab noch keinen Fernſprecher und kein Fahrrad; Joachim aber, ſo hieß mein Wandergeſelle, der damals ein junger Burſche war, erbot ſich, den See nachts zu umreiten und das Miſſale zu holen. Am Morgen lag es in der Schloßkapelle auf dem Betſtuhl des Königs; dieſer fragte nach dem Überbringer und belohnte ihn mit einem Zehnmarkſtück.

Einem ſolchen Bericht konnte man die Anerkennung nicht ver: weigern. Was die Mutter erzählte, hatte ſie nur von andern erfahren oder in der Zeitung geleſen. Der Fremde aber, mochte er ſein, wer er wollte, hatte den ſeltſamen König mit Augen geſehen und ihm einen Dienſt erwieſen, o gewiß hatte er noch jene gewitterhafte Verdichtung irdiſcher Atmoſphäre geſpürt, die ſich um Herrſchende ſammelt. Könige einer harten Zeit, wie ſie Shakeſpeare zur Erſcheinung bringt, ſie leben ſtets in einer

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Hochſpannung von Macht und Gefahr; daher find ihre Näch⸗ ſten immer nur der höchſten Huld gewärtig oder der Vernich- tung. „Im Zirkel, der eines Königs ſterblich Haupt umgibt, hält feinen Hof der Lod‘, hören wir Richard den Zweiten ſagen, dem ſeine Krone entgleitet. Ludwig aber hatte, faſt noch ein Kind, den Thron ſeines kleinen Landes in einer Epoche jäher Übergänge beſtiegen. Seinem hohen Willen nach noch König eines heldiſchen Jahrhunderts, geriet er mitten in eine verbür⸗ gerlichte, von der Nützlichkeit beſtimmte Welt hinein, die ihn zwar ärgern und anwidern, aber ſein Leben ſo wenig bedrohen konnte wie er das ihre. Kleine Aufgaben mußte er verachten; vor gefährlich große ſah er ſich nicht geſtellt, wäre ihnen wohl auch nicht gewachſen geweſen. Unausgleichbar war der Zwie⸗ ſpalt zwiſchen un willkommener Gegenwart und feierlich könig⸗ lichem Traum. Der überſtolzen Seele blieb nur der Weg in prunkverbrämte Einſamkeit, die ihn langſam aus dem Leben hinauslockte ins ewig Freie. Solche Könige ſind keine Führer; das Volk aber erliegt dem Zauber der edlen, herrlich leidenden Geſtalt und nimmt ſie in ſeine Träume auf.

Ja, es lag jetzt ein Glanz auf dem grauen Landſtreicher, und gern hätte auch ich mich ein wenig fürſtlich gegen ihn bewährt. Im Geiſt überſchlug ich meine beſcheidene Barſchaft und mußte erkennen, daß eine halbe Mark das allerhöchſte war, was ich ihm bieten konnte. „Geld iſt Dreck“, ſagte er, beſpuckte die Münze abergläubiſch dreimal, damit fie weitere Tageseinnah⸗ men nach ſich zöge, und ſteckte ſie ein. Ich hoffte, er werde noch manches erzählen; jetzt aber war er es, der meine Geſellſchaft entbehren konnte. Bis zum nächſten Wirtshaus gingen wir noch zuſammen; dort hielt er nach dem Schrecken, den ich ihm eingejagt, eine Stärkung für notwendig und ließ mich in Frie⸗ den weiterziehen.

Staubſchleier dämpften die grünen Gegenden, durch welche die heiße Vormittagswanderung weiterging; der Mund wurde trocken, und hochwillkommen war eine unverhoffte Stätte der Erquickung, ein verlaſſener Steinbruch. An einem Höhenzuge, nicht weit von dem Dörfchen Prag, tat er ſich auf; doch konnte man ihn leicht überſehen; denn eine hopfendurchflochtene Hecke

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verbarg und verwehrte den Zugang. Ich bemerkte gerade noch die ſteilen, ganz ebenen Gneisflächen, deren Zeichnung ſtellen⸗ weiſe an Vogelgefieder erinnerte. Ein Humusfell hing von oben darüber her; noch grünten Bäumchen und Sträucher darauf, alle leider dem Untergang geweiht; nackt ſtanden die Wurzeln ins Leere. Durch die Hecke fand ſich ein Schlupf, und hinter ihr war nun der laubverkleidete Boden bis ins Geſtein hinan rot überfüpfelt von Erdbeeren, deren Reife hier erft im Spät⸗ ſommer eintritt, während fie drunten an der Donau ſchon im Juli zu Ende geht.

Aus einem werdenden Buch

Johann Peter Hebel / Das Spinnlein

Nai, lueget doch das Spinnli a,

wie's zarti Fäde zwirne cha!

Bas Gvatter, mainſch, chaſch's au n efo? De wirſch mer's, trau i, bliibe loo.

Es macht's ſo ſubtil un ſo nett;

i wott nit, i's z'haſple hätt.

Wo het's die fiini Riiſte gnoo,

by wellem Maiſter hechle loo?

Mainſch, wemme's wüßt, wohl menggi Frau, ſi wär ſo gſcheit un holti au!

Jetz lueg me, wie's ſy Füeßli ſetzt

un d' Armel ſtreift un d' Finger netzt!

Es zieht e lange Faden uus:

es ſpinnt e Bruck ans Nochbers Huus; es baut e Landſtrooß in der Luft; morn hangt ſi ſcho voll Morgeduft;

es baut e Fueßweg nebedra,

's iſch, es ehne dure cha.

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Es fpinnt un wandlet uf un ab,

pog tauſig, im Galopp un Drab! -

Jetz goht's ringum, was heſch, was giſch! Sihſch, wie ne Ringli worden iſch?

Jetz ſchießt's die zarte Fäden ii;

wird's öbbe ſolle gewobe fii?

Es iſch verſtuunt, es haltet ſtill,

es waiß nit recht, wo 's ane will.

s goht weger zruck, i ſih's em a,

's mueß näumis Rechts vergeſſe ha. „Zwor', denkt eg, ‚fell preſſiert jo nit; i halt mi nummen uf dermit.

Es ſpinnt un webt un het kai Raſt, ſo gliichlig, me verluegt ſi faſt.

Un 's Pfarers Chriſtof het no gſait, 's ſeig jede Fade zemmeglait.

Es mueß ain gueti Auge ha,

wer's zählen un erchenne cha.

Jetz putzt es ſyni Händli ab;

es ſtoht un haut der Faden ab.

Jetz ſitzt es in fy Summerhuus

un luegt die lange Strooßen uus.

Es ſait: „Me baut ſi halber z'tot,

doch freut's ain au, wenn 's Hüüsli ftohf.‘

In freie Lüfte wogt un ſchwankt's, un an der liebe Sunne hangt's;

fi ſchiint em frei dur d'Bainli dur, un 's iſch em wohl. In Feld un Flur ſiht 's Mückli tanze jung un faiß; 's denkt by n em ſelber: „Hätt i ais!

O Tierli, wie heſch mi verzückt! Wie biſch ſo chlai un doch ſo gſchickt! Wer het di au die Sache glehrt?

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Denkwohl, der, too n is alli nährt, mit milde Händen alle gitt. Bis z'friden! Er vergißt di nit.

Do chunnt e Fliege; nai, wie dumm! Si rennt em ſchier gar 's Hüüsli um. Si ſchreit un winſlet Weh un Ach. Du arme Chetzer heſch dy Sach! Heſch kaini Auge by der gha?

Was göhn di üüſi Sachen a?

Lueg, 's Spinnli merkt's enandernoo: es zuckt un ſpringt un het ſi ſcho.

Es denkt: „J ha vil Arbet gha;

jetz mueß i au ne Brotis ha!

I ſag's jo: der, wo alle gitt,

wenn's Zyt iſch, er vergißt ain nit.

Aus den Allemanniſchen Gedichten“

(Inſel⸗ Bücherei) *

Felix Timmermans / Der Marquis und der Ungar

An einem Sonntag im Jahre 1789 in Mecheln, als das Hochamt in der Sankt Rombauts⸗Kirche zu Ende war, ſchlen⸗ derten die Leute, vom ſchönen Wetter verlockt, länger als ge: wöhnlich auf dem großen Marktplatz umher oder fafen ge: mütlich vor den Kneipen beiſammen.

Ein Major des öſterreichiſch-ungariſchen Heeres, ein grauer Marquis aus Wien, ein unſcheinbares kleines Männlein, ſaß mit einigen Freunden auf dem Balkon ſeines Hauſes bei einem Glas Rheinwein.

Sie verfolgten gerade mit den Augen ein Fräulein, auf das der Marquis ſie aufmerkſam gemacht hatte, das mit einem großen Roſenhut, mit vielen Spitzen und Bändern geſchmückt, ſtolz durch die Menge ſpazierte. Der Marquis hatte ſie ſeinen

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Freunden gegenüber für feine Nichte Alice ausgegeben. Aber fie wußten Beſcheid. Sie war eine kleine Tänzerin aus Brüffel, für die er in Mecheln ein paar Zimmer gemietet hatte. Sie zwinkerte ſchelmiſch ihrem ſogenannten Onkel zu. Plötzlich blieb ſie ſtehen, wagte ſich keinen Schritt weiter, ſchlug die Hände vor die Bruſt und blickte verzweifelt und hilflos auf den Saum ihres Kleides, auf zwei ſchwarze Bänder, die hinterher⸗ ſchleiften.

„Sie wird krank“, rief der Marquis mit piepſender Stimme. „Sie iſt nicht krank, Monſeigneur,“ ſagte ein junger Offizier, „ihr Strumpf iſt gerutſcht.“

„Was kann man da machen? Wie könnte man ihr helfen? Was fir eine ſcheußliche Lage für das Kind! Seht, die Leute lachen ſchon.“ Er kratzte ſich an ſeiner ſeidenen Perücke. Die Leute lachten, vor allem die Patrioten, die wußten, daß ſie eine „Feige“ war, eine Kaiſertreue.

Der Marquis fluchte wie ein Fuhrknecht, was man von einem ſo zarten Männlein nicht erwartet hätte. Sie hierherein zu rufen, ging natürlich nicht, denn die Frau Marquiſe wußte nichts von einer Nichte.

„Geht, helft ihr, bringt ſie in eine Gaſtwirtſchaft, ſchnell. Es gehört ſich nicht, daß ein Fräulein allein eine Gaſtwirtſchaft betritt.“

Damals war das noch nicht Mode.

Ein paar junge Offiziere ſprangen auf und liefen ſchnell zur Tür, aber es war nicht mehr nötig.

Zwei Huſaren gingen gerade an dem Nichtchen vorbei. Einer von ihnen war Stefan Hernad, der Ungar. Er bemerkte ihre ſchwierige Lage, grüßte, kniete nieder, hob ihr Kleid hoch und band geſchickt, als hätte er das ſchon öfter getan, mit den bei⸗ den Bändern kreuzweiſe den weißen gerutſchten Strumpf wie⸗ der feſt. Sie reichte ihm die Roſe, eine dunkelrote Roſe, die an ihrer Spitzenbluſe ſteckte. Sie ſagte ihm ein paar freundliche Worte, lachte dann herausfordernd ihren Onkel an und zeigte ihm flüchtig ihr ſpitzes Zünglein.

Nun aber geriet der Herr Marquis zur Beluſtigung ſeiner Freunde in eine heftige Wut. „Dieſer wilde Ungar, dieſer Zi⸗

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geunerburfche, das ift fo richtig etwas für ihn. Er wagt es, den Strumpf meiner lieben Nichte aufzubinden, öffentlich, unter meinen Augen, unter Ihren Augen! Wenn er glaubt, ſie verführen zu können, dann hat er ſich ſehr geirrt. Und die Roſe ſoll er mir auch zurückgeben. Selbſt wenn ich dafür die ganze Stadt Mecheln unter Feuer nehmen müßte. Ich habe die Ro⸗ ſen nicht etwa aus Brüſſel kommen laſſen, um den erſten heſten Schornſteinfeger damit zu ſchmücken.“

Er hätte gewiß noch weiter getobt, aber da kam die Frau Mar⸗ quiſe mit ihren drei Töchtern herein, und er begann ſofort zu erzählen, von irgendeinem Feldzug, den er mitgemacht hatte. Da gerade von Roſen die Rede war, knüpfte er daran an und rief: „Dieſer Italiener hatte weiße Roſen auf ſeinem Hut., Ich mache rote Roſen daraus, ſchrie ich ihm zu, ‚und ich ſpaltete ihm den Schädel.“ Die Frau Marquiſe zwinkerte feinen Sreun: den zu.

Als am nächſten Tag die Reitertruppe von den Morgenübun⸗ gen zur Stadt zurückkehrte, ritt der Marquis neben Stefan. Natürlich ſprachen ſie über den gerutſchten Strumpf.

„Auf alle Fälle,“ ſagte der Marquis, „es war ſehr freundlich von dir und für meine kleine Nichte gewiß ein Glück, aber...” „Das Glück iſt ganz auf meiner Seite, Monſeigneur. Man hat nur ſelten eine ſolche Gelegenheit, ein ſchönes Frauenbein zu ſehen ..“

„Und was hat ſie geſagt?“

„Bis mir der andere Strumpf rutſcht.“

Der Marquis wurde grün vor Neid, aber mit dem unſchul⸗ digſten Geſicht der Welt fragte er: „Und die Roſe?“

„Ein Blatt habe ich in einem Gedichtband aufgehoben, denn ich bin ein leidenſchaftlicher Sammler von Erinnerungen, und den Reſt für zwei Küſſe an eine Fleiſcherstochter verkauft. Roſen ſoll man nicht billig abgeben, Monſeigneur.“

„So, ſo. Du wirſt es noch weit bringen. Du biſt jung und tapfer ... aber du ſollteſt vorſichtig fein.”

„Monſeigneur meint wohl, ich ſolle keinen gerutſchten Strumpf mehr feſtbinden, keine Roſen mehr annehmen? Nein, dann

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bleibe ich noch lieber ein gewöhnlicher Soldat mit einem Lieb: chen an jedem Finger.“

Wo blieb nun die Beſchießung der Stadt wegen dieſer koſt⸗ baren Rofe?

Der Marquis war innerlich wuͤtend, konnte jedoch feinem Ärger nicht Luft machen, denn trotz ſeiner Macht, ſeinem Rang und ſeinem Reichtum fühlte er ſich lächerlich, ſchwach und eifer⸗ ſüchtig auf die Freimütigkeit dieſes tollen Ungarn, der mit dem Leben, mit Liebe und Tod ſpielte. Der Marquis dachte: mor⸗ gen liegt Alice vielleicht ſchon in Stefans raſchen Armen. Über⸗ morgen vielleicht eine meiner Töchter, ſolche Naturen wagen und erobern alles und laſſen alles zerſtört und zerbrochen hinter ſich liegen., Solche Augen! Welche Frau könnte ihnen wider⸗ ſtehen?“ dachte der Marquis.

„Vorſicht, Monſeigneur,“ meinte Stefan, „das kennen wir nicht. Ich werde Euch etwas erzählen. Mein Geſchlecht war reich, nicht an Titeln, Geld oder anderem Beſitz, den man am nächſten Tage verlieren kann, ſondern reich an ſeinem Blut. Einer meiner fernen Ahnen hatte einmal einer reichen Frau, die ſehr gelehrt war und die Geheimniſſe der Natur kannte, einen großen Dienſt erwieſen. Um ihn zu belohnen, nahm ſie einen Tropfen Feuer von der aufgehenden Sonne auf die Spitze einer Nadel und ſtach ihm damit in eine Ader. Dieſer Tropfen Sonne ſitzt nun in unſerem Blut. Er ift unſer Reid: tum, er glüht in unſerem Herzen. Sobald er jedoch wieder wach und lebendig wird, wirkt er Wunder. Dann fürchten wir weder Tod noch Teufel.“

„Ein Menſch ſoll ſich beherrſchen und ſich nicht von Märchen leiten laſſen“, ſagte der Marquis ein wenig giftig.

„Wir werden beherrſcht. Ich weiß nicht, wohin mich Gott führt, wohl aber weiß ich, daß er mich führt. Und dieſer Trop⸗ fen Sonne unſerer Natur wird ihm dabei helfen.“

„Nicht philoſophieren“, ſagte der Marquis lächelnd, froh, daß das Geſpräch eine andere Wendung bekam. Er wagte nicht, böſe zu ſein, denn er fürchtete, daß er neben dieſem jugendlichen Eroberer nur eine traurige Figur abgeben könnte. So wollte er ſich auf ſeine angeborene Schlauheit verlaſſen. Er wußte nur

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das eine, daß er fo fehnell wie möglich verſuchen mußte, die: fen verteufelten Ungarn los zu werden. „Du haſt dich ſchließlich ſehr liebenswürdig benommen,“ ſagte er hämiſch, „ich danke dir. Du wirſt von mir hören.“

Der Marquis ritt wieder nach vorn. Tatſächlich hörte Stefan von ihm. Vierzehn Tage ſpäter wurde er befördert zum Kapi: tän der Garniſon in Nivesdonck, einem ſtillen befeſtigten Städtchen mit vielen Brauereien, irgendwo an der Nethe. Und von dem Marquis erhielt er außerdem noch eine ſchöne Porzellanpfeife. Stefan hatte kaum fein „Vielen Dank, Mon: ſeigneur“ über die Lippen gebracht, da fiel ſie, natürlich ver⸗ ſehentlich, zu Boden und zerbrach.

Aus dem werdenden Buch „Familienchronik

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Benno Papentrigk / Moſelfahrt

Es nahet ſich der Morgen ſacht, Vergeſſen ſei, was Sorgen macht, Die Bücher laßt und andern Wahn, Nun hebet ſich das Wandern an!

Die Sonne treibt im Dämmerlicht Die weißen Wolkenlämmer dicht, Und weiter es und weiter hellt, - Wie biſt du reich und heiter, Welt! Kaum daß das Auge, traumerregt, Den ſommergrünen Raum erträgt. Es grüßt der weite, ebne Gau,

Die goldne, gottgegebne Au.

Da ſteigt, an einem Wieſenrand, Empor die erſte Rieſenwand; Verfallner Schlöſſer Mauern triſt Der ſpäte Blick mit Trauern mißt.

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Manch Fräulein, um den Ritter bang, Die Hände droben bitter rang;

Sie winkte von den Zinnen hoch

Ihm nach, wenn er von hinnen zog. Im Tal die Moſel flimmernd ſchießt, Sie kräuſelt ihre Wellen heiter

Und eilet froh im Hellen weiter,

Bis in den Rhein ſie ſchimmernd fließt.

Und Reben rechts und Reben links, -

Es iſt das grünſte Leben rings.

Am Stock die Beeren prunken trächtig, Sie glühn, vom Feuer trunken, prächtig, Sankt Kilian, ſchür den Sonnenbrand, Verwandl' in einen Bronnen Sand!

O wirf auf Laus und Wurm den Stein, Bewahr vor Froſt und Sturm den Wein, Bis Traube man an Traube legt,

Die er in ſeinem Laube trägt,

Und fröhlich durch die Gaſſe fährt

Den Moſt, der bald im Faſſe gärt.

O Heilger, denken wolln wir dein

Beim Winzerfeſt, das wir dir weihn!

Sieh da, ſieh hier der Weine Ort! Sprichſt du es aus, das eine Wort: Der Name ſchon, ſo wunderrein, Dir mundet wie ein runder Wein! Ein Schild verrät die Schenken bald, Drin Lachen von den Bänken ſchallt; Hier kehret gern der Wandrer ein, Uns aber lockt ein andrer Wein, Schon ſehn wir ferne winken Trier, Dort raſten und dort trinken wir. Es ſoll der Moſel Sonnenwein Uns Inbegriff der Wonnen ſein! Aus „Benno Papentrigk's Schüttelreimen“

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Joſeph Görres / Die teutſchen Volksbücher

Jede junge Zeit, wenn ſie geboren wird, findet ihre Wiege mit den Gaben umſtellt, die die Weiſen aus dem Morgen und dem Mittag und dem Abendlande ihr gebracht; der Lebensgeiſt, der nur im Beſten kraͤftig wohnt, bewahrt auch eben das Beſte nur vor dem Verderben, wie nur geiſtreicher Wein den Wechſel der Jahre überdauert; und ſo gewinnt die Kunſt und jedes menſch⸗ liche Bemühen feſten Beſitz, und die Erde gewinnt ein Leben und in ihm eine Geſchichte und ein Gedächtnis der Vergangen⸗ heit. So muß das Schlechte, nachdem es abermals und un⸗ zählige Male wiedergekehrt, doch endlich ſterben; denn der Teu⸗ fel iſt nicht unſterblich, wohl aber Gott in uns, und wie unſer beſtes innerſtes Weſen unvergänglich iſt, fo iſt auch, was der Genius in dieſem Heiligtum gebildet, unverwüſtlich, und auch nicht die Gedanken ſterben, wenn einmal echtes geſundes Leben in ihnen lebte. Viele Zeiten ſind vor uns geweſen, um zwei Zeichen hat die Geſchichte den Tierkreis zurückweichen ſehen in langſam zögernder Bewegung, und auf die vierte Morgen⸗ ſtunde deutet der Zeiger an der großen Sternenuhr, der in einem Menſchenalter nur um zwei Minuten rückt. Wie der Tau fallend ſich in die Berge zieht und dort zum Strom zuſam⸗ menrinnt, und wie die Ströme dann wieder als Tau auf in Lüfte ſteigen, ſo ſind die Generationen vor uns ins Grab hinabgeſtie⸗ gen und verjüngt wieder aus den Gräbern auferſtanden; aber ehe ſie der Verwandlung ſich hingegeben, ehe ſie die Grabes⸗ lampe gezündet, haben ſie dem Erze, dem Steine und dem Buch⸗ ſtaben anvertraut, was ſie gelebt, gebildet, errungen und erfah⸗ ren; eine dunkle Ahndung ergreift uns mit wunderbarer Ge⸗ walt, wenn wir den geheimen Sinn zu entziffern uns beſtreben: es iſt, als ob unſere Erinnerung ihre Mutter gefunden hätte; es iſt, als ob die Sterne wieder uns erſchienen, die in der Dunkel⸗ heit geleuchtet, als unſere Kindheit aus der Nacht hervorgegan⸗ gen war; wir haben den Geiſt in uns geſogen, ſo will es im innerſten Gemüt uns dünken, der jene Züge formte, wir ſelber haben ſie uns ſelber zum Andenken in den Stein gegründet, es iſt unſere eigene dunkele, verſchleierte Vergangenheit, die uns

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begrüßt; die Aurora des jungen Tages ſieht die Abendröte des vergangenen noch am weſtlichen Himmel ſtehen. Das iſt der wunderſame Zauber, den das Alte übt, tiefer noch als das An⸗ denken unſerer Kindheit regt es uns; wie die ferne Zukunft im Schoße des Weibes dunkel fic) und ſchweigend regt, fo liegt auch die Ahndung der Vergangenheit wie ein verborgener Keim in uns, den die Geſchichte erſt befruchten muß, und das alte Leben durchbricht in ihr des Grabes Schranken und erſcheint wie ein abgeſchiedner Geiſt dem neuen Leben, und das alte Leben iſt ein Schatten nur, der unten im Hades wohnt, die Seele aber wohnt oben in der Gegenwart und kämpft raſch und tätig fort. Alle aber drängt die innere bildende Kraft ſie weiter, oben in der Blüte wohnt ewig neu die Jugend, unten aber an der Wurzel arbeiten ſtumm und ſtill die unterirdiſchen Naturen, und das Alter ziehen ſie zu ſich nieder und zerreiben zu neuem Lebensſafte, was ſich ſelber nicht mehr erhalten mag. Darin liegt der Grund der religiöfen Gefühle, die das Altertum in uns erweckt; auf dem Grabeshügel der Vergangenheit mer: den wir geboren; wie eine Feuerflamme iſt das Leben durch die Erde durchgeſchlagen, aber die Tiefe nur gibt der Flamme Nah⸗ rung, und unten wohnt in dunkler Höhle die Sibylle und hütet die Mumien, die zur Ruhe gegangen find, und ſendet die an⸗ dern hinauf, die aufs neue in des Lebens Kreiſe treten, und läutet die Totenglocke, die dumpf aus der Tiefe den Gefdylech- tern ruft, die niederſteigen ſollen in das nächtlich dunkle Reich.

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung‘

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Jakob Böhme / Aus ſeinen Schriften

In Gottes Geheimnis hats keine Doktores, ſondern nur Schüler. Vierzig Fragen von der Seele Ich trage in meinem Wiſſen nicht erſt Buchſtaben zuſammen aus vielen Büchern; ſondern ich habe den Buchſtaben in mir: liegt doch Himmel und Erde mit allem Weſen, dazu Gott ſelber,

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im Menſchen. Soll er denn in dem Buche nicht dürfen leſen, das er ſelber ift? Wenn ich gleich kein ander Buch hätte als nur mein Buch, das ich ſelber bin, ſo hab ich Bücher genug; liegt doch die ganze Bibel in mir. So ich Chriſti Geiſt habe, was darf ich denn mehr Bücher? Soll ich wider das zanken, das außer mir iſt, ehe ich lerne kennen, was in mir iſt? So ich mich ſelber leſe, ſo leſe ich in Gottes Buch, und ihr, meine Brüder, feid alle meine Buch⸗ ſtaben, die ich in mir lefe; denn mein Gemüt und Wille findet euch in mir. Ich wünſche von Herzen, daß ihr mich auch fin⸗ def... Aber ihr ſeid trunken und gehet irre und ſuchet den Schlüſſel zum Buch und zanket um den Schlüſſel. Ein jeder ſpricht: ich habe den Schlüſſel; und keiner will ſein eigen Lebens⸗ buch aufſchließen. Es hätte ein jeder den Schlüſſel zu Gott in ſich, ſuchte er ihn nur am rechten Orte. Aber ihr wollet lieber zanken, als daß ihr den Schlüſſel in euch ſuchet; darum ſeid ihr blind alle, die ihr zanket; ihr gehet nur als vor einem Spiegel ſuchen. Warum gehet ihr nicht ins Zentrum? Mit ſolchem Suchen findet ihr den Schlüſſel nicht, ſeid gleich gelehrt, als ihr wollet: es hilft nichts.

Zweite Schutzſchrift wider Balthaſar Tilke

Es iſt alles magiſch; was der Wille eines Dinges will, das empfähet er: eine Kröte nimmt nur Gift an ſich, wenn ſie gleich in der beſten Apotheke ſäße, desgleichen auch eine Schlange; ein jedes Ding nimmt nur ſeiner Eigenſchaft in ſich: und obs guter Eigenſchaft Weſen äße, fo machets doch alles in ſich zu feiner Eigenſchaft. Obgleich eine Kröfe Honig fräße, wird es doch in ihr zu Gift. Wie denn der Teufel ein Engel war; als er aber nichts Gutes wollte, ſo ward ihm ſein himmliſch Weſen doch zum Höllengift und blieb ſein böſer Wille einmal böſe wie das andre.

Alſo iſt uns hoch zu betrachten unſer Leben, was wir wollen tun und fürhaben; wir haben Böſes und Gutes in uns: in welchem wir unſern Willen ſchöpfen, deſſen Eſſenz wird in uns rege; und ſolche Eigenſchaft ziehen wir auch von außen in uns. Wir haben beide Myſteria, Göttlich und Teufliſch, in uns, von

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beiden ewigen Welten und auch der äußern Welt; was wir aus uns machen, das ſind wir; was wir in uns erwecken, das iſt in uns rege. Führen wir uns zum Guten, ſo hilft uns Got⸗ tes Geiſt; führen wir uns aber zum Böſen, ſo hilft uns Gottes Grimm und Zorn. Was wir wollen, deſſen Eigenſchaft kriegen wir einen Führer und dabinein führen wir uns. Iſts doch nicht der Gottheit Wille, daß wir verderben, ſondern ſeines Zorns und unſer eigen Wille. |

Alſo verſtehen wir, wie ein Leben verderbe, wie aus Gutem ein Böſes werde und aus Böſem ein Gutes, wenn ſich der Wille

umwendet. Von ſechs theoſophiſchen Punkten

Cs wird alles von dieſer Welt vergehen. Die Erde wird ver⸗ ſchmelzen, alle Felſen und Elementa, und wird nur das bleiben, das Gott haben wollte, um welches willen er dieſe Welt hat

geſchaffen. Vierzig Fragen von der Seele

Dieſer Welt Weſen ſtehet im Böſen und Guten, und mag eines ohne das andere nicht ſein; aber das iſt das große Ubel dieſer Welt, daß das Böſe das Gute überwiegt, daß der Zorn ſtärker darinnen iſt als die Liebe: und ſolches aus Urſachen der Sünde des Teufels und der Menſchen, welche die Natur durch die falſche Begierde erreget haben, daß ſie mächtig im Grimme qualifiziert als ein Gift im Leibe.

Sonſten, ſo die Natur in ihren Geſtälten, in gleichem Ge⸗ wichte, in der Eigenſchaft ſtünde in gleicher Konkordanz, ſo wäre eine Eigenſchaft vor der andern nicht offenbar; es wäre Hitze und Kälte in gleichem Gewichte in der Qualifizierung, ſo wäre das Paradeis noch auf Erden; und obs nicht außer dem Menſchen wäre, ſo wäre es aber im Menſchen. So ſeine Eigen⸗ ſchaften im gleichen Gewichte ſtünden, ſo wäre er unzerbrech⸗ lich und unſterblich.

Das iſt der Tod und Elend der Menſchen und aller Kreaturen, daß die Eigenſchaften ſtreitig und eine jede in ſich ſelber er⸗ hebend und in eigenem Willen qualifizierend iſt, davon Krank⸗ heit und Wehe entſtehet. Mysterium magnum

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Adalbert Stifter / Der Prater

Wenige Hauptſtädte in der Welt dürften ſo ein Ding auf⸗ zuweiſen haben wie wir unſern Prater. Iſt es ein Park? „Nein.“ ft es eine Wieſe? ‚Nein.‘ ft es ein Garten? ‚Nein.‘ Ein Wald? „Nein.“ Eine Luſtanſtalt? „Nein.“ Was denn? Alles dies zuſammengenommen. Im Oſten der Stadt Wien liegt eine bedeutende Donauinſel, urſprünglich ein Auland, wie fo viele Inſeln der Donau, wo fie Flachland durchſtrömt, aber im Laufe der Zeit zu einem reizenden Gemiſche geworden von Wieſe und Wald, von Park und Tummelplatz, von menſchen⸗ wimmelndem Spazierplan und ſtillſter Einſamkeit, von lärmen⸗ dem Kneipegarten und ruhigem Haine. Viele Wiener mag es geben, die die Reize und Schönheiten ihres Praters nicht kennen, wenn er auch noch ſo beſucht iſt; denn ſo betäubend das Gewimmel an einigen Stellen, beſonders zu gewiſſen Zeiten iſt, ſo einſam, wie in der größten Einöde, iſt es an andern, ſo daß man wähnen ſollte, wenn man dieſe Wieſen und Gehölze entlang ſchritte, muſſe man eher zu einer artigen Meierei ge⸗ langen als zu der rieſenhaften Reſidenz einer großen Monar⸗ chie; -aber gerade die rieſenhafte Reſidenz braucht einen riefen: haften Garten, in den ſie ihre Bevölkerung ausgießt und doch noch Teile genug leer läßt für den einſamen Wandler und Be⸗ obachter - und wohl uns, daß wir den Prater haben. Der Wie ner weiß das ſehr gut, und wird er auch zuweilen etwas un⸗ dankbar gegen ſeinen Prater, wie zum Beiſpiel in den heißen Sommermonaten, ſo iſt er zu andern Zeiten demſelben deſto überſchwenglicher zugetan, zum Beifpiel im Frühling, und na⸗ mentlich an beſtimmten Tagen, wo es bon ton iſt, in den Pra⸗ ter zu fahren, und wer dies nicht kann, wenigſtens zu gehen. Der erſte und zweite Mai ſind ſolche Tage, dann auch noch der Oftermontag und Pfingſten. Einen ſolchen Pratertag denke dir nun, entfernter Leſer, und folge mir im Geiſte dahin, und laß dir auf dieſem Papiere deuten, was wir ſehen.

Es iſt der erſte Mai, etwas nach vier Uhr nachmittags, und gerade auch Sonntag und der heiterſte Himmel.

Wir gehen über die Ferdinandsbrücke in die Vorſtadt Leopold⸗

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ſtadt und wenden uns gleich rechts gegen die Jägerzeile, die zum Prater führt; die ganze ſchöne ungemein breite Straße iſt bedeckt mit einem ſchwarzen Strome von Menſchen, ſo dicht wellend, daß, wenn man jemanden ſagte, er bekomme ein Her⸗ zogtum unter der Bedingung, daß er die ganze Straße entlang gehe und an keinen Menſchen ſtreife, er ſich dasſelbe nicht ver⸗ dienen könnte. Mitten in dieſem Menſchenſtrome, wie Schiffe im Treibeiſe, gehen die Wagen, meiſt langſam, oft aufge- halten und zu vielen Minuten lang ganz ſtilleſtehend, oft aber, wenn die Wagenlinie Luft bekommt, aneinander hinfliegend wie glänzende Phantome an der ruhiger wandelnden Menge der Zuſchauer. Hie und da hervorragend aus dem Meere der Fuß⸗ gänger, bald hin, bald her der Wagenreihe vorüber, hüpfen die Geſtalten der Reiter, und die meiſt prachtvollen Häuſer die⸗ fer Straße ſtehen zu beiden Seiten ruhevoll aus dem ſchieben— den Menſchengewimmel empor, und ihre Fenſter und Balkone ſind beſetzt mit unzähligen Zuſchauern, um den glänzenden Strom unter ihren Augen vorüberfluten zu ſehen und ſich an Pracht und Schimmer und Flitter zu ergötzen; meiſt ſind es Damen, die, in alle Farben gekleidet, in dies Frühlingstreiben ſelber wie leibhaftige blühende Frühlingsgeſträuche von den Fenſtern herniederſchauen. Man ſollte meinen, die ganze Stadt ſei um dreiviertel auf vier Uhr närriſch geworden und wandle nun in ihrer fixen Idee da gerade dieſe Straße hinab, und du und ich, geliebter Fremdling, wandeln auch mit. Dort durch den Staub herauf von der Offnung der Straße blicken ſchon die hohen Bäume des Praters, dem wir alle zuſtrömen, als würde dort das ewige Heil ausgeteilt. Endlich iſt die lange Jägerzeile doch zu Ende, und die Straßen fahren wie in einem Sterne auseinander, und der Menſchenknäuel lüftet ſich. Fähnlein auf hohen Stangen wehen und weiſen dem Wanderer verſchiedene Wege; das zu unſerer Linken trägt auf feiner flatternden Zunge hoch in den Lüften den Namen „Ferdinands⸗Nordbahn“, und wirklich fliegen auch Wagen, dicht mit Menſchen beſetzt, dem links ſtehenden Gebäude des Bahnhofes zu, wo ſchon die Feuer⸗ roſſe pfeifend und ſchnaubend ſtehen, um eine endlofe Wagen⸗ reihe hinaus in das Marchfeld oder gar nach Brünn zu führen,

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das durch die Schnelligkeit dieſer Roſſe zu einer unferer Vor⸗ ſtädte geworden ift. - Das mittlere Faͤhnlein weiſt zur Schwimm⸗ ſchule, die auch heute ihr Eröffnungsfeſt feiert, - das dritte trägt den Namen „Nador“ oder ‚Sophie‘ oder einen andern, und ein gewaltiger Arm weiſt die Zufahrt zu dem Dampfſchiffe; weiter rechts auf dem Raſenplatz ſtehen die hölzernen Hütten der Menagerieen, und auf rieſengroßen Leinwanden ſind die Ungeheuer noch fürchterlicher gemacht, als ſie ſelbſt drinnen zu ſchauen ſind, und dieſe Gemälde und dies exotiſche Schreien und Pfeifen und Girren und Brüllen im Innern lockt die Leute, daß vor dem Eingange ſtets ein dichtes Gedränge iſt und in den glänzenden Blicken der Kinder und der Landmädchen ſich ſchon das lebhafte Verlangen malt, zu ſehen, was denn drinnen iſt. Auf dem Raſenplatze ſtehen auch noch Buden mit Früchten und Gebäcke, ein Kroate mit Schwamm und Feuerſteinen, ein Mann mit Spazierſtöcken und einer mit einem Leierkaſten und einem Hund darauf, der gar aufrecht ſtehen und mit dem Schwerte in feiner Pfote ſchultern kann. Aber all dieſen Din⸗ gen boriiber geht der hauptſächliche Menſchenſtrom in die ſo⸗ genannte Hauptallee hinein; denn dort iſt heute die höchſte und hohe und niederſte Wiener Welt zu ſehen - was an Pracht der Kleider, der Equipagen und Dienerſchaft nur immer Laune und Reichtum erſinnen konnten, iſt heute in der Hauptallee zu ſehen. Zu beiden Seiten ſind ſchattige Alleen, eine für die Fußgänger, die andere für die Reiter; mitten in der Straße fahren die vie⸗ len tauſend Wagen, einer hart an dem andern, der Sicherheit wegen auf einer Seite hinab, auf der andern hinauf, und die: ſen Kreis machen viele oft mehrmals, um zu ſehen und geſehen zu werden, - das iſt denn nun eigentlich der Ort, wo ſich augen⸗ betäubend Farbe an Farbe drängt, Reiz auf Reiz, Pracht auf Pracht, Maſſe an Maſſe, Bewegung auf Bewegung, ſo daß dem ſchwindelt, der es nicht gewohnt iſt. Zu beiden Seiten der Straße ſtehen dicht gedrängt die Zuſchauer, und hinter ihren Rücken wogt der bunte Strom der Spaziergänger, während in der Mitte Wagen an Wagen rollt, eine glänzende, ſchimmernde Linie, wohl über eine halbe Meile lang. Dort ſchwebt in ihrem Wagen, der ſo leicht wie ein Luftſchiff geht, die Dame des

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höchſten Standes vorüber, prachtvoll einfach gekleidet, mit we⸗ nigen, aber koſtbaren Schmuckſtücken geziert, gleich hinter ihr die Familie eines reichen Bürgers, dort ein Wagen voll fröh: licher Kinder, die ihres Staunens und Jubelns kein Ende fin⸗ den über die Pracht, die ſie umſchwebt, hier kommt ein Mann, ganz allein in ſeinem Wagen ſtehend und mit den vier unver⸗ gleichlichen Pferden zum erſten Male paradierend; jetzt ſpren⸗ gen Reiter vorüber und grüßen in einen Wagen, aus dem die ſchönſten Antlitze entgegennicken, dort ſitzt ein einſamer alter Mann in ſeiner ſchweren Karoſſe, er iſt in feines Schwarz ge⸗ kleidet und trägt viele winzig kleine Kreuzlein auf ſeiner Bruſt, dann kommt ein Fiaker mit ſeligen Kaufmannsdienern oder Studenten dann andere und wieder andre, und vor den Augen tanzt es dir vorüber, als wollte es ſich nie erſchöpfen und aus Glanz und Schimmer wieder Glanz und Schimmer quellen, und wie es auch ſo treibt und wallt und quillt, ſo ſiehſt du doch dort ein Schauſpiel, wie es nur der Prater bieten kann; ganz nahe an der geputzten Menge ſteht ein Hirſch, das ſtattliche Geweih zurückhaltend und mit den dummklugen Augen in das Gewühl glotzend; er hat es wohl oft geſehen, aber fo foll nicht wie heute, darum ſchaut er auch einige Augenblicke und geht dann wieder abſeits in ſeine Auen zurück; auch von den Menſchen wundert ſich keiner, denn ſie wiſſen es ja, der Prater iſt für die Hirſche und Spaziergänger. Und fort flutet es und fort- und wie auch die Pracht der Gewänder, die Schönheit der Pferde und Wagen, das Wallen der Federn, das Blitzen der Geſchmeide dein Auge blenden, ſo taucht doch, und nicht ſelten geſchieht es, in dem Gewimmel oft ein Antlitz auf, das alles vergeſſen macht, wie es in ſeiner ſanften Schönheit deinem Auge vorüberſchwimmt, daß du ihm gerne nachſchaueſt und es dir öfter iſt, als wäreſt du ärmer, da es vorüber. Warte nur, Wien iſt fo dürftig nicht an Frauenſchön⸗ heit, es kömmt vielleicht bald wieder ein gleiches oder gar noch ein ſchöneres. Sieh, was reißt dort alles die Hüte ab die ganze Linie entlang? Sechs Schimmel ziehen einen ſchönen Wagen wer ſitzt darinnen? Der Kaiſer und die Kaiſerin. Ou wun⸗ derſt dich? Haſt du dies in Paris nicht geſehen? Hier grüßt man und ſtaunt nicht, daß ſie wie Private unter Privaten fah⸗

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ren; man ift es gewohnt, und fie wiſſen, daß fie im dichteſten Volksgedränge fo ſicher find wie in ihrem Palafte. Schau, auch der Held von Aſpern iſt da; ſiehſt du, jener ſchwarze Mann iſt es, der mit einem andern in der Reitallee geht und den alle grüßen - und warte nur, gewiß ſehen wir auch noch an⸗ dere aus dem hohen Haufe, wie fie das heutige Bergnügen fei: len und mitgenießen. Dort fährt er hinab, der Sechsſpänner, und fügt ſich in die heutige Wagenordnung ebenſo wie dieſer Fiaker, der eben mit ſeinen zwei mühſeligen Braunen vorüber⸗ keucht.

Doch laß uns nun die Allee hinabgehen und dann auch ſeit⸗ wärts, um zu ſehen, was der Prater noch zu bieten hat außer dieſer ſinnbetörenden Flut von Geſichtern, Kleidern und Equi- pagen. Aber wie wir immer tiefer und tiefer hinabkommen, iſt es, als würde es immer ärger; der Knäuel wird dichter und ruhiger. Links am Wege ſtehen Reſtaurationshäuſer, die fo: genannten Praterkaffeehäuſer; aus ihnen erſchallt Muſik; un⸗ ter den Bäumen ſtehen viele tauſend Seſſel, überwuchert mit geputztem Menſchengeſtrüppe, - das redet, das lacht, das brauſt, das klingelt an die Gläſer, ruft nach Kellner und Marqueur - und vorüber den Augen auf und ab haſpelt ſich dasſelbe Ziehen und Rollen der glänzenden Wagen, und ſo weit das Auge ſchaut, iſt es, als nehme die Allee kein Ende.

So wie ſich hier die gewähltere Geſellſchaft treibt, ſo treibt ſich weiter links das eigentliche Volk. Ihm ift aber bloßes Spa⸗ zierengehen oder Fahren weitaus nicht genug, ſondern es ver⸗ langt nach reelleren Freuden, und dieſe nun ſind rings und überall ausgebreitet. Trete hier links heraus aus dem Strome der Hauptallee - ein großer Raſenplatz, mit uralten Bäumen beſetzt, nimmt uns auf, und auf ihm herumgeſtreut liegen alle die Anſtalten zum Vergnügen des Volkes; da find alle mög- lichen Kosmo⸗, Pano⸗, Dioramen; alles, was je berühmt war, ſteht von Wachs in jener Hütte. Einer läßt ſich ſehen, weil er zu groß, ein anderer, weil er zu klein iſt; einer frißt Feuer, ein anderer ſpeit Seidenbänder, und auf der Bruſt eines dritten wird wie auf einem Amboß ſchrecklich gehämmert, und darunter ſchallt das Klopfen und Klingeln des Wurſtls, der in ſeiner

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hohen ſchmalen Bude eben wieder fein neues Spiel beginnt; dort um die Kneipe herum ſchießt der dichte Salpeter der Trink⸗ gäſte an, ſo faſt, daß man meint, die arme Hütte könne ſich inmitten der Leute nicht rühren. Einer oder zwei ragen über die andern empor und ſpielen Szenen von einer Bühne herab, die geprieſen und belacht werden, auf der andern Seite des Bau⸗ mes deklamiert einer, und der Harfeniſt reißt wütige Töne auf den Saiten, um mit dem Geſange ſeiner Begleiterin durchzu⸗ dringen, und dicht neben ihm werden Limonien und Pfeifen ausgeſpielt, während von etwas ferner die ſchwachen Töne eines Leierkaſtens herüberklingen, und mit den Gläſern wird geklopft, und es wird gerufen, und Spaziergänger und Zu⸗ ſchauer winden ſich durch das Wirrſal und wendeſt du dich ab, ſo ſteht dort unter noch größeren Bäumen wieder eine ſolche Kneipe und rechts wieder eine und weiter ab wieder eine - und überall ift dasſelbe Bild oder noch ein lebhafteres - und eine Muſik ſchallt durch die Zweige, fie heißt nicht umſonſt die tür⸗ kiſche die große Trommel eilt und tummelt ſich, und ein Ge⸗ ſchimmer iſt darunter, als wäre eine Meſſingbude närriſch ge- worden, und zu dem Geſchwirre fliegen Reiter in einem Kreiſe auf hölzernen Roſſen herum und ſtoßen Türkenköpfe herab und anderes. Da freut ſich nicht nur der Knabe des fliegenden Kreiſes, ſondern auch der Handwerksgeſelle hat ſeine Geliebte hergebracht, und ſie prangt in einem der kreiſenden Wagen, und er ſticht Türken - und die genug haben, oder denen übel gewor⸗ den iſt, gehen fort, und neue Gäſte ſteigen ein, und mit neuer Kraft erſchwingt ſich die Trommel und der Kreiſel, und wäh⸗ rend des Augenblickes, da ſie ſtill war, ſcholl durch die Bäume herüber von einer andern ſolchen Reiterei dieſelbe Muſik. Dort auf mehreren Schaukeln werden ganze Frachten von Menſchen geſchaukelt, daß die Stricke knarren und ſich die Bäume biegen. Andere werden wie echtes Garn abgehaſpelt, und zwei Lie⸗ bende geraten in Zwieſpalt, da ſie ſchon, er aber noch nicht nach Haufe gehen will. - Du befindeſt dich, fremder Lefer, wie es hier beſchrieben, mitten in dem ſogenannten Wurſtelpra⸗ ter, der ſeinen Namen von dem Hanswurſt hat, der aber ſchon längſt geſtorben iſt. War der Glanz und Prunk in der Haupt⸗

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allee, der ſich doch vergleichungsweiſe ruhig vor deinen Augen entfaltete, {chon denſelben betäubend, fo ift es zwar hier nichts weniger als auf Glänzen und Prunken abgeſehen, aber wenn du dieſes Elementes nicht gewohnt biſt oder mächtig werden kannſt, ſo zerrüttet es dir die Vernunft, und ich kannte einen ernſthaften Herrn mit ſchwachen Nerven, der hielt ſich den Kopf, weil er behauptete, er fühle es, wie ihm die Knochen auseinandergehen - aber ſieh! das iſt echte geſunde Volksluſt, die ſich das Volk ſelber gibt und die ihm wohl bekommt; laß ſie trollen und jubeln, und mitunter derb; denn dieſe da brau⸗ chen den Wein der Freude etwas ſtark und ſauer, weil er die ganze folgende dumpfe Arbeitszeit nachhalten muß, die ſie zu überftehen haben, bis wieder ein Feſt kommt wie das heutige - darum freut ſich auch der Arbeiter wochenlang darauf, und er ließe es nicht aus, er läge denn auf dem Sterbebette und ich denke, da ſchon ein guter Teil der Menſchen dazu verurteilt iſt, namentlich in der Stadt, ſeine meiſte Lebenszeit in dumpfen engen Werkſtätten zuzubringen mit einem dumpfen engen Geiſte, ſo darf man es ihm wohl gönnen, ja, man ſoll ihn dazu er⸗ muntern, daß er auch einmal ſein Auge auftue, ſeine Seele er⸗ weitere und Luft und Freude walten laſſe. - ft dem Krittler dieſe Luſt und Freude nicht zuſtändig oder zu roh, ſo bedaure er lieber, ſtatt zu ſchelten, daß eben die Lage des Mannes ihm nicht erlaubte, ſich in ſeiner Jugend ſo heranzubilden, daß ihm höhere Freude munde. - Zerſtöre ihm nicht die Luft, o Krittler, mit deinem eſſigſauren äfthetifchen Geſichte; geh lieber weg - oder bleib ſtehen, ſie ſchauen dich ohnehin nicht an. Ein luſti⸗ ges Volk iſt auch ein gutes Volk, und das wiſſen wir hier am Donauſtrande recht wohl, und es freut uns, daß es gerade bei uns ſo iſt, und Arbeit und Luſt, und Luſt und Arbeit, das miſcht ſich ſo bei dem Wiener, daß du nicht weißt, iſt das eine oder das andre die Hauptſache es mögens wohl beide fein du kennſt es ja, das luſtige Volk der Fajaken, immer iſt Sonn⸗ tag, ‚es dreht fic) immer der Braten am Spieß'.

Weile noch einige Augenblicke hier, du weißt, Wien iſt die Stadt der Muſik - daher auch hier Muſik genug: türkiſche, der Leiermann, der Harfeniſt und Bänkelſänger, ſchwärmeriſche

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Handwerksgeſellen mit Gitarren, dort zwei Jungfrauen, die eine Romanze abſingen, ewig um eine Quint voneinander ab⸗ ſtehend wie zwei parallele Linien - heimkehrende Freundſchafts⸗ ketten, die den Rinaldo Rinaldini fingen hie und da in den Händen eines Knaben eine Harmonika —— und nun kommen auch noch die Zigeuner, ſeltſame ſtarre Geſellen, ein Traum aus einer urfrühen Zeit der Weltgeſchichte, übrig gebliebne Ge⸗ ſtalten, unberührt von der Gegenwart; darum wirſt du gleich hören, wie ſie, und wären ſie ſchon ein Menſchenleben lang im Prater geſeſſen, dennoch unberührt von dem Geiſt und der Weiſe unſerer Töne ihr uraltes Klingen anheben, feurig melan⸗ choliſch, wie ihr Auge, und phantaſtiſch verworren hinſchlür⸗ fend, wie der Faden ihrer Geſchichte durch die andern Schick⸗ fale der Welt - und in den höher ziehenden Tönen ihrer Geige iſt ein Klagen und Trotzen, daß es mir immer unheimlich wer⸗ den will, mich aber dennoch nicht fortläßt von dieſer eigen⸗ tümlich exotiſchen Poeſie. Dazu, ſieh nur einmal den an, der die erſte Violine ſtreicht, und den, der das Zymbal ſchlägt, wie der eine den Bogen führt und zieht, faſt graziös, wie ein Virtuoſe, und wie der andere die Klöppel handhabt, und beide ſo ernſt und faſt traurig das Weiß der Augen vordrehen aus den tiefbraunen Geſichtern - und wie es auch lärmt und wogt und muſiziert ringsherum, ſo macht ſich ihre Muſik doch Platz - als ein fremdes Element und ſchreit und ſingt aus der andern heraus, erkennbar auf ſo weit, als man überhaupt noch Töne vernehmen kann.

Sie werden immer toller und toller und ſtreichen und ſtreichen, daß die Töne wie Raketenſtreifen ſteigen. Jetzt ift der Wirr⸗ warr erſt vollendet, der Menſchen werden immer mehr, auch Equipagen kommen, um zuzuſchauen; der Wein beginnt zu wirken; ſingende Stimmen erheben ſich hier und dort nur zwei Gäſte ſind ganz ſtill und freundlich: die liebe Abend⸗ ſonne, die ihr Licht durch den rötlichen Staub und um alle Menſchenantlitze gießt, und die zarten Laubknoſpen auf den rieſenhaften Bäumen, die die laue Lenzluft empfinden und ſich ſtündlich wohler fühlen und größer werden.

Laß uns noch weiter abwärts gehen - ſiehſt du, wie groß unſer

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Prater, unfer Wiener Garten iſt - ſchon längſt hörſt du keine Muſik mehr, kein Rollen der wirklich mehr als tauſend Wa- gen, die in der Hauptallee fahren - die laute hohe Woge der Menſchenluſt hat dich entlaſſen, und hier iſt es bereits ſo ein⸗ ſam wie in einer abgelegenen Waldwieſe. Laß uns am Saume des Waſſers fortgehen. Auf jener Inſel weidet ruhig ein Hirſch, und die vielen Spuren im Lehmboden des Ufers zeigen, wie fie oft herdenweiſe hinuͤbergehen; noch weiter draußen an der Spitze der bebuſchten Inſel ſteht eine Rinderherde, und es iſt, als hörte man einzelne Klänge ihrer Glocken über das Waſſer herüberſchlagen, aber es iſt. Täuſchung; die Donau iſt hier ſo breit, daß die Tiere nur wie kleine verſchiedenfarbige Lämmer herüberſchauen. Wie wohltuend und ſanft iſt die Stille und die weiche Frühlingslandſchaft auf das Getümmel, das wir eben verlaſſen haben! Faſt kein Menſch mehr ſtört uns hier, und jener einzelne Fiſcher, der den erſten Mai dadurch feiert, daß er mit einer unerhört langen Rute unbeweglich am Waſ—⸗ ſer ſteht, iſt eher eine zur Landſchaft gehörige Staffage als eine Störung. Immer weiter führt unſer Weg abwärts, und jener ferne glänzende Turm, der über die Auen herüberblickt, bezeichnet ſchon ein Dorf, das über eine Meile unterhalb Wiens liegt, Ebersdorf. Hier ſtehſt du am Geſtade der ganzen vollen Donau, und dort, wo jene Mühlen ſich drehen, die ſogenann⸗ ten Kaiſermühlen, da iſt der Platz, an dem die Dampfboote landen, die ſtromabwärts gehen, und weiter hinab wird es immer ländlicher und einſamer. Es iſt ſeltſam, daß man ſo viele Wiener über die Stadt klagen hört und wie es ſo ſchön und herrlich um einen Spaziergang auf dem Lande fei und in einer Nähe wie keine Hauptſtadt haben ſie einen Park voll. reizender Abwechſelung, und ſo wenige beſuchen ihn; und gerade die ſchönſten, weil natürlichſten Stellen find am aller: wenigſten beſucht. Wir wandern nun auf ſchmalen Pfaden durch Gebüſche, treten jetzt auf Wieſen heraus, mit großen ſchönen Bäumen beſetzt: die Abendſonne ſtreift mit roten Fäã⸗ den durch Laub und Zweige, und die Amſel und der Fink ſchlagen ihr friſches Lied; der Haſe läuft durch das Gras; von der großen Stadt iſt nicht ein Pünktchen ſichtbar, und

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Adalbert Stifter: Wiener Streichmacher

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es wird uns ſchwer zu glauben, daß wir noch vor einer halben Stunde im dichteſten Gewühle waren. Dieſe Rüſtern und Silberpappeln, den Lieblingsbaum der Donauinſeln, würdeſt du wohl kaum irgendwo anders in ſolcher Größe und Statt⸗ lichkeit antreffen als hier, wo er fo gefchonf wird, daß man keinen ſchlägt, als bis er geſtorben iſt, fo daß er ſich aus⸗ breiten und entwickeln kann und in dieſem lockern und fetten Boden bis zur Grenze ſeines höchſten Alters gedeihen mag. Der Wiener liebt aber auch dieſen ſchönen rieſengroßen breit⸗ kronigen Baum ſeiner Heimat gar ſehr, und ich würde es keinem raten, daß er in Gegenwart von Spaziergängern einen dieſer Bäume beſchädigte. Da ſie auf dem auserleſenen Boden vereinzelt ſtehen, ſo ſind ſie dem Städter ein wahres Kleinod geworden; der Spaziergänger geht von Schatten zu Schatten, der Meditierende, der Grübler, der Philoſoph, der Leſefreund ſetzt ſich an dem Stamme nieder und verſinkt in ſeine Gedanken oder in ſein Buch; der ermüdete Arbeiter und der Tagedieb ſchlummern im Schatten; zu ihnen geſellt ſich der wüſte Geſelle, der die geſtrige Orgie ausſchlafen muß; ſo geht der Wandler an allen vorüber und ſtört ſie nicht weiter; der Künſtler ſitzt mit ſeiner Mappe auf ſeinem nie⸗ dern Feldſtuhle und zeichnet oder malt einen Baum oder eine Gruppe; und es wird wohl kaum ein einziges Portefeuille ſo⸗ wohl des Künſtlers als des Anfängers in Wien geben, in welchem ſich nicht „Partieen aus dem Prater“ befänden, und da tritt denn gerne der neugierige Wandrer oder die Dame, die ſich, ihren Wagen abſeits warten laſſend, eben auf dem Raſen ergeht, an den Rücken des Malers heran und ſchaut ihm auf fein Blatt, ob er denn den prächtig ſchönen Baum auch jo prächtig auf feine Tafel zu bringen vermag; - fie gehen vorüber, und andere kommen, aber der Maler malt fort, die Schläfer ſchlafen, die Grübler grübeln fort die Kindsmagd kommt und breitet ihr blütenweißes Leinenzeug auf den Raſen und ſetzt ihre Kleinen in die Sonne und Luft oder an den Stamm eines Baumes; indes iſt aber Sonnen⸗ ſchein und Himmelsbläue, und ein Weſtlüftchen, das über die heiße Stadt gekommen war, wundert ſich hier, daß es friſches

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Waldgrün getroffen hat, und blättert gerne in den Zweigen der Silberpappel.

Solche ſtille feierliche Zeit im Prater iſt meiſtens an ſchönen Frühlings- und Sommervormiitagen und tiefer unten, wo ſein ſtädtiſcher Zuſchnitt aufhört.

Aber, lieber Fremdling, laß uns nun wieder umkehren auf unſerer empfindſamen Wanderung und gleich jenen einzelnen Paaren und Wallern wieder das Menſchengewühl und end⸗ lich die Stadt ſuchen; denn ſieh, die Maiſonne iſt bereits im Untergehen und gießt Blendung und feurigen Rauch um jene Höhen, wo Döbling und Grinzing und Nußdorf liegen und die beiden Schweſterſchlöſſer auf dem Leopolds- und Kahlen⸗ berge, und ſo dir etwa der Abendtau und die Nachtfeuchte des Praters ein Übel zuzöge, ſo wäre es mir ſehr unlieb, da ich es doch eigentlich bin, der dich herabgeführt und in dieſe ent: fernte Einſamkeit verlockt hat. Aber ſei getroſt, dort ſehen wir ſchon Wagen, die bis zum Luſthauſe fahren, das auf der Inſelſpitze am Waſſer liegt, und weiter aufwärts werden ſie immer mehr, und ſchon hören wir wieder die Muſik der Kaf— feehäuſer und endlich auch die aus dem Circus gymnasticus ſchallen, dasſelbe Auf- und Abhaſpeln der Wagen und des Glanzes und Pompes in der Hauptallee; dasſelbe betörende und verwirrende Klingen und Schmettern aus dem Wurſtl⸗ prater herüber; dasſelbe Wogen und Wallen der Menge, wie wir es verlaſſen, daß du dich ermüdet ordentlich wegſehnſt aus dieſem Menſchenknäuel und daß du meinſt, es müſſen ja alle Bewohner von Wien hier ſein oder im Herabgehen begriffen aber ſieh zu, wir gehen die ewig lange Allee hinauf, geblendet von der Abendröte, die in unſer Geſicht ſtrahlt; jetzt ſtehen wir wieder an der Jägerzeile, und du ſiehſt ſie vollgepfropft von Menſchen, die faſt alle hinauf gehen - eine Maſſe dunkler Geſtalten, die vor deinem geblendeten Auge in Staub und Abendröte ſchwimmen, während die Fen— ſter an der Seite eine Reihe von goldnen Blitzen werfen. Er: müdet und betäubt und zerſchlagen langen wir endlich von die ſer Partie an, die wir mit ſolchem Ergötzen begonnen haben, beide eine und dieſelbe Sehnſucht empfindend - fie ſoll auch be:

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friedigt werden, komm mit mir; in einem kühlen luftigen Zim⸗ mer meiner Gartenwohnung wartet meine Gattin auf uns und hat ſchon auf den gedeckten Tiſch geſtellt, was uns not tut: eine bekannte Wiener Lieblingsſpeiſe, gebackene Hühner mit dem zarteſten Salate, und ein nicht gar beſcheidenes Fläſch⸗ chen alten Nußberger. Erquicke dich, rede noch eines mit uns, und dann geh zu Bette, aber hab acht, daß dich nicht Träume wecken und du dich etwa mit dem Bette im wahnſinnigen Menſchenkreiſel gedreht findeſt oder in demſelben als einer gewaltig lächerlichen Equipage im Prater auf und ab ſchrwimmſt, etwa gar im Hemde, was dich ſehr kränken würde. Gute Nacht.

Aus dem ſechſten Band von Stifters Geſammelten Werken

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Schiller / Pompeji und Herkulanum

Welches Wunder begibt ſich? Wir flehten um trinkbare Quellen, Erde, dich an, und was ſendet dein Schoß uns herauf! Lebt es im Abgrund auch? Wohnt unter der Lava verborgen Noch ein neues Geſchlecht? Kehrt das entflohne zurück? Griechen! Römer! O kommt! O ſeht, das alte Pompeji Findet fic) wieder, aufs neu bauet ſich Herkules Stadt. Giebel an Giebel ſteigt, der räumige Portikus öffnet Seine Hallen, o eilt, ihn zu beleben, herbei! Aufgetan iſt das weite Theater, es ſtürze durch ſeine Sieben Mündungen ſich flutend die Menge herein. Mimen, wo bleibt ihr? Hervor! Das bereitete Opfer vollende Atreus Sohn, dem Dreft folge der grauſende Chor! Wohin führet der Bogen des Siegs? Erkennt ihr das Forum? Was für Geſtalten ſind das auf dem kuruliſchen Stuhl? Traget, Liktoren, die Beile voran! Den Seſſel beſteige Richtend der Prätor, der Zeug trete, der Kläger vor ihn. Reinliche Gaſſen breiten ſich aus, mit erhöhetem Pflaſter Ziehet der ſchmälere Weg neben den Häuſern ſich hin.

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Schützend ſpringen die Dächer hervor, die zierlichen Zimmer Reihn um den einſamen Hof heimlich und traulich ſich her.

Offnet die Läden geſchwind und die lange verſchuͤtteten Türen, In die ſchaudrigte Nacht falle der luſtige Tag!

Siehe, wie rings um den Rand die netten Bänke ſich dehnen, Wie von buntem Geſtein ſchimmernd das Eſtrich ſich hebt!

Friſch noch erglänzt die Wand von heiter brennenden Farben- Wo ift der Künftler? Er warf eben den Pinſel hinweg.

Schwellender Fruͤchte voll und lieblich geordneter Blumen Faſſet der muntre Feſton reizende Bildungen ein.

Mit beladenem Korb ſchlüpft hier ein Amor vorüber, Emſige Genien dort keltern den purpurnen Wein,

Hoch auf ſpringt die Bacchantin im Tanz, dort ruhet ſie

ſchlummernd,

Und der lauſchende Faun hat ſich nicht ſatt noch geſehn.

Flüchtig tummelt ſie hier den raſchen Zentauren, auf einem Knie nur ſchwebend, und treibt friſch mit dem Thyrſus ihn an.

Knaben! Was ſäumt ihr? Herbei! Da ſtehn noch die ſchönen

Geſchirre.

Friſch, ihr Mädchen, und ſchöpft in den etruriſchen Krug!

Steht nicht der Dreifuß hier auf ſchön geflügelten Sphinxen? Schüret das Feuer! Geſchwind, Sklaven! Beſtellet den Herd!

Kauft, hier geb ich euch Münzen, vom mächtigen Titus gepräget, Auch noch die Waage liegt hier, ſehet, es fehlt kein Gewicht.

Stecket das brennende Licht auf den zierlich gebildeten Leuchter, Und mit glänzendem Ol fülle die Lampe ſich an.

Was verwahret dies Käſtchen? O ſeht, was der Bräutigam

ſendet, Mädchen! Spangen von Gold, glänzende Paſten zum Schmuck! Führet die Braut in das duftende Bad, hier ſtehn noch die Salben,

Schminke find ich noch hier in dem gehöhlten Kriſtall. Aber wo bleiben die Männer? die Alten? Im ernſten Muſeum Liegt noch ein köſtlicher Schatz ſeltener Rollen gehäuft. Griffel findet ihr hier zum Schreiben, wächſerne Tafeln, Nichts iſt verloren, getreu hat es die Erde bewahrt.

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Auch die Penaten, fie ftellen ſich ein, es finden ſich alle Götter wieder warum bleiben die Priefter nur aus? Den Caduceus ſchwingt der zierlich geſchenkelte Hermes, Und die Victoria fliegt leicht aus der haltenden Hand. Die Altäre, ſie ſtehen noch da, o kommet, o zündet Lang ſchon entbehrte der Gott - zündet die Opfer ihm an! Aus Schillers Werken in drei Bänden

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Gertrud von le Fort / Die Tochter Farinatas

Wenige Monate nach dem Sturz König Manfreds, des Hohenſtaufen, als die verbannten Häupter der Florentiner Wel⸗ fen in ihre Heimat zurückkehrten - fo wie nach der Schlacht von Montalperto die verbannten Gibellinenhäupter dorthin zurückgekehrt waren —, alfo jedermann erkennen mußte, daß der fürchterliche Endkampf dieſer mit jenen unausweichlich heran⸗ nahte, unternahm der herrſchende Popolo von Florenz einen letzten verzweifelten Verſuch, dieſem ſchauerlichen Ringen ſei⸗ ner großen Geſchlechter zuvorzukommen und die feindlichen Parteien buchſtäblich zu Paaren zu treiben. Der Rat der Sechs⸗ unddreißig verfügte: alle jene mächtigen Familien, die ſeit mehr denn einem Menſchenalter gegenſeitig ihr Blut in Strömen vergoſſen hatten, die ſollten jetzt die Ströme ihres Blutes miteinander miſchen und vermählen. Es wurde befohlen, in die Ehe zu treten: einem Sohn der Buondelmonti mit einer Toch⸗ ter der Adimari, einer Tochter der Lamberti mit einem Sohn der Ubaldini, einem Strinati mit einer della Toſa, einer Ugue- cione mit einem Scolari und ſo fort, immer einer Gibellinin mit einem Welfen und einer Welfin mit einem Gibellinen. Alſo ſollte gleichſam über die ganze Stadt hin ein Netz von Brücken geſchlagen werden, von einer mörderiſchen Turmſpitze zur anderen und von Kaſtell zu Kaſtell und von Wehrbruſt zu Wehrbruſt, und überall, wo bisher die Steingewitter der gro⸗ ßen Schleudermaſchinen niedergepraſſelt waren, da ſollten nun die ſanften Friedensküſſe herabtauen, und auf den Treppen zu den ſchaurigen Verlieſen, wo man ſich am Röcheln ſterbender

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Feinde berauſcht hatte, da follten kuünftighin die kleinen Kinder der verſchwägerten Sippen Verſtecken ſpielen.

Die zornig widerſtrebenden Geſchlechter ſuchten einzuwenden: ihre jungen, unvermählten Söhne lägen auf den Schlachtfel⸗ dern begraben, und das Graufvermogen ihrer Töchter habe man in Kriegsgerät verwandeln müſſen - fie brächten keine Paare auf, die ſich dem Alter und der Mitgift nach zuſammen⸗ fügten. Der Rat der Sechsunddreißig erwiderte: die großen Geſchlechter befänden ſich da offenbar in einem Irrtum. Es gehe hier nicht um die klägliche Wohlfahrt und den Fortbeſtand der einzelnen Geſchlechter - alſo um die Hochzeit ihrer Söhne und Töchter und wie dieſelben ſich dem Alter und der Mitgift nach zuſammenfügten -, ſondern es gehe um den Fortbeſtand der Stadt: es gehe um die Hochzeit von Florenz, des welfi⸗ ſchen mit dem gibelliniſchen, und allein zu dieſer Hochzeit ſeien die Geſchlechter eingeladen worden. Wer der Einladung nicht Folge leiſte, deſſen Türme ſollten der Zerſtörung und deſſen Güter der Beſchlagnahmung verfallen, ſein Name ſolle in das Buch der Verbannten eingetragen werden und der Name ſei⸗ ner Kinder in das der künftig zu Verbannenden, desgleichen feine namenlofen Kindeskinder - alles unwiderruflich auf ewige Zeiten. Alſo mußten ſich ja die Geſchlechter zähneknirſchend darein ſchicken, dem verhaßten Popolo Gehorſam zu leiſten und die erzwungenen Eheverträge aufzuſtellen.

Nur die welfiſchen Cavalcanti, die ſich mit den gibelliniſchen Überti verſchwägern ſollten, gaben noch der Hoffnung Aus⸗ druck wiewohl nur in der Stille unter ihresgleichen —, daß man ihnen ſchwerlich werde beikommen können. Denn für die Cavalcanti lagen die Dinge wirklich ſo, wie die anderen nur vorgaben: ihre ganze unvermählte Jugend beſtand in einem kleinen, noch dem Kindesalter angehörigen Knaben mit Namen Guido. Den Überti aber war ausdrücklich befohlen worden, als beſonders koſtbares Pfand der Eintracht Bice in die Ehe zu geben, die Tochter des großen Farinata, der vor ſechs Jahren in der blutigen Schlacht bei Montalperto die verbannten Florentiner Gibellinen zum Siege über ihre Vaterſtadt ge— führt hatte. - Bice aber ftand ſchon in der hohen Blüte ihrer

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Mädchenjahre. Cavalcante Cavalcanti, der Vater des kleinen Guido, freute ſich bereits auf das Hohngelächter, mit dem die gaffende Menge die Uberti, aber auch den Rat der Sechsund⸗ dreißig überſchütten würde, wenn fie ihn, dieſes Kind an der Hand, die Treppe zum Bargello emporfteigen ſähe - dorthin waren die Geſchlechter entboten worden, um die Eheverträge vor den Notaren zu unterzeichnen und öffentlich zu beſchwöͤren. Aber auch die Uberti bereiteten ſich auf das Gelächter der Gaf⸗ fenden vor - mit verhaltener Wut, denn fie glaubten, daß man ihnen durch das kindliche Alter des kleinen Cavalcanti eine be⸗ ſondere Demütigung zugedacht habe, um ihnen darzutun, daß der große Farinata feit zwei Jahren fot fei. Und die Uberti waren doch der Meinung geweſen, Farinata werde über feinen Tod hinaus zu Florenz leben und herrſchen, denn Florenz ſelber lebte doch nur durch den großen Farinata, der allein hatte es vom Untergang gerettet, eben damals nach der blutigen Schlacht bei Montalperto im Kriegsrat zu Empoli, als die vereinigten Sieger die Gibellinen von Florenz, Piſa und Siena, dazu die Ritter König Manfreds - einmütig beſchloſſen hatten, die überwundene Stadt dem Erdboden gleich zu machen, damit endlich Ruhe und ein gibelliniſches Toskana werde auf ewige Zeiten.

Von dem Tage zu Empoli ſprach man zu Florenz dieſes: Bei Montalperto haben die Welfen vor Farinatas Schwert er⸗ zittern müſſen, aber zu Empoli ſind die Gibellinen vor ſeinem Herzen erzittert; bei Montalperto hat er ſeine Feinde, zu Em⸗ poli aber hat er ſeine eigenen Kampf- und Sieggenoſſen ver⸗ nichtend geſchlagen - er ganz allein gegen alle ſtehend, nur mit ſeinem Herzen! Denn das muß fürchterlich geweſen ſein, als der große Farinata ſie da plötzlich mit ſeinem losbrechenden Herzen überfallen hat das muß viel fürchterlicher geweſen ſein als ſein losbrechendes Schwert! Was ein Schwert iſt und was ein ſolches vermag, das wußten ſie alle, die zu Empoli verſammelt faßen mit einem Schwert hätte man keinen von ihnen ungeſtraft überfallen und erſchrecken können —, da hätten ſie nur ihre eigenen Schwerter zu ziehen brauchen, um ſich zu

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fhüßen! Aber was es um ein Herz iſt, um die unverſehrte Liebe zu der eigenen Vaterſtadt, das wußte keiner von ihnen mehr ſie hatten ſich doch alle in den fürchterlichen Kämpfen längſt ihrer Herzen entwöhnt, ſie erkannten doch ihre Vaterſtädte gar nicht mehr als Vaterſtädte fie erkannten nur darin die Parte Guelfa oder die Parte Ghibellina! Da war der große Farinata zu Empoli wahrlich in der Übermacht geweſen.

Zwar, im Anfang ſollen ſie ſich noch gewehrt und ihn von allen Seiten angeſchrieen haben: ob er etwa die Greuel per: geſſen wolle, die da in dem tief geſunkenen Florenz an Gibel⸗ linen verübt worden ſeien - die ſcheußlichen Gefängniſſe, darin ihre Freunde und Genoſſen geſchmachtet hätten, und den grau⸗ ſamen Tod des Schiatuzzo Uberti, und die ſchändliche Hinrich⸗ tung des ÜUberto Caini, und daß man ihnen ihre Türme und Wohnſtätten in Trümmer gelegt und ſie als Geächtete in die Verbannung gejagt habe; ja, daß man ſogar ihre Toten aus den Grüften gezerrt, weil ſie um des Herrn Kaiſers Friedrich willen im Banne verſtorben und nicht würdig ſeien, an hei⸗ liger Stätte zu ruben?! - Und einige von den Rufenden es waren doch die übermütigen Sieger, und der Ubermut macht ja die Leute immer fo kindiſch⸗einfältig —, einige von den Rufenden ſollen auch gelacht haben, ſo als glaubten ſie, daß Farinata ſich vielleicht nur einen Scherz mit ihnen erlaube - der gewaltige Farinata, in der größten Stunde ſeines Lebens, da er ſich vor Schmerz um feine Vaterſtadt ſchüttelte! Aber dieſe Lachenden ſind eilend ernſt geworden. Denn da hat ſie auf einmal ſolch ein fremder, ſonderbarer Blick getroffen nicht jener gefähr⸗ liche Blick, den der große Farinata haben konnte, wenn ihm jemand im Wege ſtand - den Blick kannten fie alle, aber dieſer Blick war ihnen unbekannt: der beſtürzte ſie, der machte ſie faſſungslos und hilflos, fo als würden fie nackend ausgezogen und enterbt und entadelt fie kamen ſich plötzlich fo bettelarm vor wie ſolche, die am Straßenrand geboren ſind und nirgends eine Heimat haben. Und ſie waren doch noch eben große, reiche, hochgeborene Herren geweſen!

Es hat ſich dann nur noch eine einzige Stimme hervorgewagt, leiſe, aber drohend, als beſchreibe ſie bei heiterem Himmel das

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Grollen eines fernen Gewitters: ob ſich alfo Meſſer Farinata damit einverſtanden erkläre, daß er und die Seinen in drei Jahren oder in fünf Jahren oder vielleicht auch erſt in zehn Jahren wiederum von zertrümmerten Wohnſtätten und Tür⸗ men hinweg in die Verbannung gejagt würden? Und ob er fic) damit abfinden könne, daß man ſeine Söhne und Enkel einſt, wie den Uberfo Caini, aufs Blutgerüft ſchaffe? Und ob er es darauf ankommen laſſe, daß er ſelbſt nach ſeinem Tode aus dem Grab hervorgezerrt und ſeine Aſche in den Arno geſtreut werde? Und darauf müſſe er es eben ankommen laſſen, wenn er jetzt nicht einwillige, dieſe unheilvolle Stadt bis auf den Grund zu vernichten, denn das Blatt könne ſich doch wieder wenden, und die Welfen könnten ihre Macht zurückgewinnen, und er ſelber werde auch dereinſt im Banne ſterben wie alle, die dem Geſchlecht des Herrn Kaiſers Friedrich anhingen.

Farinata ſoll dann erwidert haben: Ja, darauf laſſe er es an⸗ kommen, und damit ſei er einverſtanden. Lieber wolle er mit den Seinen noch einmal als Geächteter von ſeiner Vaterſtadt verſtoßen werden, als daß er ſeine Vaterſtadt verſtoße. Lieber ſollten feine Söhne und Enkel auf dem Blufgerüft enden, als daß er ſeine Vaterſtadt zum Tode verurteile. Lieber wolle er mit ſeinem ganzen Geſchlecht untergehen, als daß Florenz unter⸗ gehe! Und zu dieſem Worte ſtehe er noch über ſeinen Tod hin⸗ aus: lieber ſolle man einſt ſeine Aſche aus dem Grabe reißen, als daß er der Heimat das Grab grabe und es alſo überhaupt keine Heimat mehr auf Erden gebe! - Und dann hat Farinata plötzlich nicht mehr weitergeſprochen, ſondern es iſt den Ver⸗ ſammelten zu Empoli geweſen, als würden ſeine Worte plötz⸗ lich fortgeſchwemmt und ertränken da vor ihrer aller Augen in einem glänzenden, mächtigen und männlichen Strom, der aus ſeinen Augen hervorbrach und der auch ihre eigenen Worte hinwegzuſchwemmen drohte wie die ſeinen. Sie vermochten nichts mehr hervorzubringen als dieſes: „Meſſer Farinata, Ihr habt uns alle überwunden, und wir müſſen uns beugen. Tut mit Eurer Vaterſtadt, wie es Euch gefällt - wir haben hier kein Recht, das Urteil zu ſprechen, denn wir haben keine Vater⸗ ſtadt wie Ihr.“ Alſo ift an dieſem Tage zu Empoli das be⸗

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ſiegte Florenz vor dem Untergang errettet worden ohne einen einzigen Schwertſtreich, allein durch das große Herz des großen Farinata.

Die bleiche Wut ſtand den Überti noch im Angeſicht geſchrieben, als ſie vom Bargello zurückkamen. Zwar das Gelächter der Menge war ausgeblieben, denn der Popolo, wenn er zur Herr⸗ ſchaft gelangt, nimmt ſich doch immer todernſt, und wenn er noch fo lächerliche Sprüche tut - über ſich ſelbſt lachen können nur die großen Herren ſich leiſten. Im Bargello gelacht, laut und verächtlich, gemeinſam, wiewohl haßerfüllt, hatten nur die Cavalcanti und die Uberti ſelber beim Unterzeichnen des Ehe⸗ vertrags. Und nun ſtand derſelbe da und war öffentlich be⸗ ſchworen, und nun mußten fie es der Braut ſagen - das hatten fie aus guten Gründen bis zuletzt verſchoben. -

Bice weilte wieder einmal an der Gruft ihres Vaters zu Santa Reparata daher ſuchten fie nach ihrer Mutter Adaletta. Sie fanden ſie in ihrem kleinen abſeitigen Wohngemach, in das ſie ſich ſo oft mit gerungenen Händen geflüchtet hatte, wenn die ſchweren Steingewitter der großen Schleudermaſchinen über den Türmen von Florenz wüteten. Es war niemand bei ihr als ihr jüngſter Sohn, der kleine Conticino, von dem jeder immer meinte, er könne ja wohl nur ihr Enkel ſein. Zwar, Adaletta war bei ſeiner Geburt nach Jahren noch nicht alt geweſen, aber der Geſchlechterkrieg zu Florenz war alt geweſen, und das In⸗ terdikt, das ſchon zum fünften Mal über der Stadt lag, und der Bann, der ihren Gemahl um des Herrn Kaiſers Friedrich willen getroffen hatte - alſo war es Adaletta oftmals geweſen, als habe ſie der große Farinata, da er ſie als junge Frau in ſein Haus führte, gleichſam in die Hölle geführt. Denn Ada⸗ letta war in ihrer Jugend ſo fromm geweſen, daß ſie faſt vor Grauen vor dem allem zu vergehen gemeint - es hatte fie fo tief empört, daß die Männer hart und grauſam miteinander wa⸗ ren und daß niemand Frieden machen wollte und ſich ſelbſt die Kirche unverſöhnlich zeigte. Das hatte ſie von ihr und den Men⸗ ſchen fortgetrieben, das hatte ſie in Zorn und Auflehnung ver⸗ ſetzt, das hatte ſie immer wieder verurteilt, und darüber war

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ihrem Antlitz alle Weichheit und Schönheit verſchwunden, wie von einer bitteren Lauge weggewaſchen. Man hätte meinen können, alle Jahre ihres Lebens zählten doppelt und dreifach bis zum Tode ihres Gatten. Von dem Tode ihres Gatten an aber zählte kein einziges Jahr mehr, ſondern wenn man Ada⸗ letta jetzt ſah, ſo mußte man an ein Gebäude denken, in dem niemand mehr wohnt, ſo verfallen und leer, als wolle es bei der geringſten Erſchütterung einſtürzen. Es ſtürzte aber nicht ein, denn es war keinerlei Erſchütterung ausgeſetzt Adaletta bewegte jetzt nicht einmal mehr der Gedanke an die Ewigkeit. Denn ihr Gemahl, der große Farinata, war doch im Banne geſtorben, alſo hätte ihn ja Adaletta zum zweiten Mal in der Hölle ſuchen müſſen, wenn anders es ein ewiges Leben gab! Das konnte ſie nicht über ſich gewinnen, da hätte ſie vor Schmerz bei lebendigem Leibe zu verbrennen gemeint - und fie war doch ſchon in der Hölle dieſes Lebens halb verbrannt ge- weſen! So hatte ſie ſich nicht mehr anders zu helfen vermocht als durch das Sakrament der Ketzer, die ‚Tröſtung“ der Pata⸗ rener, die in der Verſicherung beſteht, daß es kein ewiges Leben gibt. Vor dem Empfang dieſer, Tröſtung“ hatte ſie gemeint, daß ſie ihr wohltun werde, aber nach dem Empfang war es nur, als ob alle Dinge plötzlich ihren Sinn verloren hätten, und wenn ſie ehedem zu verbrennen gemeint, fo fror fie nun beftändig. Sie blieb auch jetzt ganz kühl und unberührt, als ihre Söhne ihr ſag⸗ ten, der Rat der Sechsunddreißig habe die Gibellinen gezwun⸗ gen, Ehepakte mit den welfiſchen Geſchlechtern zu unterzeichnen, und auch Bice ſolle nach denſelben vermählt werden; fie ſchrak nur ein wenig zuſammen, weil Conticino, der am Boden hockte, plötzlich wie ein kleines Raubtier empor- und auf feine Brüder zuſprang. Die ſtießen ſich lachend an, indeſſen ſagte Adaletta gleichmütig: dem Befehl könne man ja nachkommen, weil doch Bices Vater nicht mehr am Leben ſei. Dieſer nämlich hatte niemals davon wiſſen wollen, ſeine Tochter Bice zu vermählen, ſondern immer, wenn ihm eine Ehe für fie vorgeſchlagen wor: den, dann hatte der Entſchloſſene die Sache zögernd hin und her gewendet, dann war der Freund dem Freunde unzugänglich geworden dann hatte der große, edle Farinata jenen gefähr⸗

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lichen Blick bekommen, den er haben konnte, wenn ihm jemand im Wege ſtand. Alſo wagte ſchließlich niemand mehr um Bice zu werben, weil jedermann begriff, daß er ſich nicht von ihr zu trennen vermochte da hätte man wahrhaftig meinen können, der große Farinata fei ein ganz Einſamer, keinem zugehörig außer dieſer Tochter, und er beſaß doch viele Kinder, und ſeit Empoli umjubelte ihn ganz Florenz!

Das hatte alle immer ſehr verwundert, daß Farinata ſo an ſeiner Tochter Bice hing, denn dieſe ſelber fragte gar nicht viel nach ihrem Vater Bice fragte nur nach ihrem kleinen Bruder Conticino, dem war ſie ſo zärtlich zugetan, als ob ſie ſeine junge Mutter wäre, und ſo nannte ſie ja Conticino auch zum Unter⸗ ſchied von Adaletta, die er ſeine alte Mutter nannte. Neben Conticino aber galten höchftens noch bei ihr die jungen Hünd⸗ chen und Kätzchen, die ſie aus der ganzen Turmgenoſſenſchaft zuſammenſchleppte und verſteckte, um ſie vor dem Erſäuftwer⸗ den zu retten, oder auch die armen kleinen Obſtbäume, die ſie den Guaſtatori ihres Vaters für ihr Gärtchen abbettelte, wenn fie wieder einmal ausziehen mußten, um die Blüte oder Ernte auf den Feldern eines feindlichen Geſchlechtes zu verwüſten Bice mußte doch, fo ſchien es, immer etwas haben zum Behüten und Pflegen, gerade ſo wie ihres Vaters verſtorbene Mutter, die gute Frau Gualdrada, die ſo viele Kinder gehabt und alle jo zärtlich geliebt hatte - am zärtlichſten immer das, das am meiſten bedroht war.

Von der guten Frau Gualdrada weiß man dieſes: da ſie ver⸗ nahm, daß der Bann auf den Herrn Kaiſer Friedrich und alle, die ihm anhingen, gefallen war alfo auch auf ihren Sohn, den großen Farinata -, dieſer fürchterliche Bann, darinnen es von den Gebannten heißt: , verflucht ſeien alle Glieder ihres Lei: bes, verflucht ſeien ihre Haupthaare, verflucht ſeien ihre Füße und ihre Sohlen, verflucht ſei die Frucht ihres Leibes und die Frucht ihrer Felder, verflucht ſeien ihre Häuſer, verflucht ſei ihr Eingang und Ausgang, ſie ſeien verdammt mit dem Teufel und feinen Engeln und mit den Verdammten im ewigen Feuer —, da ſie alſo dieſen fürchterlichen Bann vernahm, da ſprach ſie:

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„Der Herr Papft hat alles verflucht, was meinem Sohn zu eigen iſt, nur nicht ſein erſtes und eigenſtes Eigentum, den Schoß und das Herz feiner Mutter - alfo ſollen dieſe auch fein letztes Eigentum bleiben. Ich will Tag und Nacht für den Herrn Papſt beten, daß er ſich erbarmt und meinen Sohn vom Banne löſt, wenn er ihn aber nicht löſt, dann will ich in meiner eigenen Todesſtunde Chriſtus, den Herrn, bitten, wenn anders er mir die Seligkeit zugedacht hat - daß ich um eben dieſer Seligkeit willen meinen Sohn in ſeiner Todesſtunde abholen und in die Hölle begleiten darf.“

Inzwiſchen fragte Adaletta ihre Söhne, wem denn Bice ver⸗ mählt werden ſolle. Alſo war es ja den Brüdern Überti auf einmal, als ſchnüre ihnen eine unſichtbare Hand die Kehle zu⸗ ſammen, daß ſie kein Wort hervorbringen konnten. Sie blick⸗ ten verlegen zur Seite - da fielen ihre Augen auf ihren kleinen Bruder Conticino, der ſtand da noch immer wie ein junges, aufgeſchrecktes Raubtier vor ihnen genau fo groß wie Guido Cavalcanti!

Sie fuhren plötzlich auf ihn los: er ſolle ſich fortmachen. Hier würden die Geſchäfte großer Leute verhandelt und nicht die von kleinen Kindern wie er —. Sie brachen jählings ab, denn da fuhr ſchon wieder dieſe unſichtbare Hand nach ihrer Kehle. Allein ſie ſchüttelten ſie zornig ab und fielen mit Stimmen⸗ getümmel über den Rat der Sechsunddreißig her: es ſei nicht ihre, ſondern deſſen Schuld, wenn ſie ſich dieſen elenden Caval⸗ canti verſchwägern müßten man habe ihnen alle Macht ent⸗ riſſen! Das komme eben davon her, daß ihr Vater die unheil⸗ volle Stadt Florenz dereinſt geſchont habe! Aber bei Gott, wenn ſie ſelber je wieder zur Herrſchaft gelangten, dann ſolle es anders ausgehen als zu Empoli, dann ſolle hier kein Stein auf dem anderen bleiben!

Bei dem Namen Cavalcanti hatte Adaletta ihr verblichenes Geſicht ein wenig erhoben, fo als fange da ein faſt erfaub- tes Ohr einen fernen Laut auf. Sie ſagte: „Aber bei den Cavalcanti iſt doch kein Sohn vorhanden außer dem Knaben Guido.“

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Indem ſchrie Conticino laut auf und ſtürzte num ein wild ge- wordenes kleines Raubtier aus dem Gemach. Sie bemerkten das aber nicht, ſondern ſie ſtarrten entſetzt auf ihre Mutter Adaletta, die ſah plötzlich aus wie eine Tote, die aus dem Grabe zurückkehrt, um wieder bei den Lebendigen zu wohnen: ſie be⸗ wegte die Hände, als wolle ſie ſie ringen, wie einſt, wenn die Steingewitter der großen Schleudermaſchinen über Florenz wüteten. Unwillkürlich traten ſie einige Schritte zurück, denn ihre Mutter hatte früher oft ſo zornig werden können, wenn ſie in Verzweiflung geriet.

Und ſchon rang Adaletta wirklich die Hände und rief unauf⸗ hörlich: „Ach, die arme Bice! Die Armſte - die Allerärmſte!“ Sie verſtummten nun gänzlich.

Schließlich brachte einer mühſam hervor: „Mutter, es wird für Bice nicht ſo ſchlimm ſein, wie es für andere wäre, denn ſie hat doch immer die kleinen Kinder fo gern gehabt.“

Indem ſprang Adaletta auf und ſchrie ihn an: Ohr verfluchten Männer, daß euch doch die Hölle verſchlänge! Immer müßt ihr ſtreiten, und nun ihr ſtreiten ſolltet, weicht ihr feige zurück: alles, was ihr beginnt, führt zum Tode, und ihr merkt es nicht einmal! Wahrlich, man follte euch ...“ Sie ſchlug ihm plötzlich ſchallend ins Geſicht.

Bice ſaß derweil immer noch zu Santa Reparata an der Gruft ihres Vaters und ſann über ſeinen Tod nach.

Von dem Tode des großen Farinata hat man viele Jahre ſpä⸗ ter zu Florenz geſprochen:

Da Farinata im Sterben lag mutterſeelenallein, weil es doch allen fo furchtbar grauſte vor dem im Banne Sterbenden —, da iſt plötzlich die gute Frau Gualdrada hereingekommen und hat ſich an ſein Lager geſetzt und ihre Hände über ihm gefaltet bis zum letzten Atemzug. Danach iſt ſie aufgeſtanden und mit ihm in die Hölle gegangen. Dort ſitzt ſie nun an ſeinem Flam⸗ menſarg und bewacht ſeinen glühenden Schlaf. Dante Alighieri, als er Farinata daſelbſt erblickte, ſoll auch fie erblickt haben - er hat nur nicht aufzuſchreiben gewagt, daß ſelbſt in der Hölle noch Gnade iſt, wenn one nur eine einzige Seele aus Liebe hineingeht.

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Bice weilte feit dem Tod ihres Vaters täglich zu Santa Repa⸗ rata, aber nun die Welfen wieder in Florenz waren, vermochte fie fi) kaum von dieſer Stätte loszureißen es war ihr, als müſſe ſie die Gruft ihres Vaters bewachen. Denn es drang jetzt oft ein ſonderbares Rieſeln und Rinnen aus den alten Mauern, als fließe und ſchieße ein unterirdiſcher Strom leiſe, aber ſchnell wie die wandelhafte Zeit zwiſchen den grauen Säulen hindurch, gerade auf das Grabmal ihres Vaters zu. Über dieſem ſtand in Stein geſchrieben: „Hier ruht am Herzen ſeiner Vaterſtadt der, deſſen Herz die Rettung ſeiner Vater⸗ ſtadt war, Manente degli Uberti, genannt Farinata, er fei un⸗ vergeſſen in Ewigkeit. Amen.‘ Der Spruch ſchien tröſtlich zu leſen, und er war doch in Stein geſchrieben einen ſteinernen Spruch kann niemand wieder auslöſchen; allein das ſonderbare Rieſeln in den Mauern wollte nicht verſtummen. Denn die Kirche Santa Reparata war ſchon alt, und es hieß, man werde fie abbrechen und einen neuen Dom erbauen. Der Gedanke flößfe Bice Angſt ein, der erinnerte ſie daran, wie man in ihrer Kindheit die Häuſer und Türme ihres Vaters abgebrochen und ihn in die Verbannung geſtoßen hatte. Würde man wohl ſeinen Sarg in den neuen Dom tragen, oder würden das die Welfen nicht erlauben? Die Welfen waren doch nun wieder in der Stadt, und ihr Vater war im Banne der Kirche geſtorben wie alle, die dem Geſchlecht des Herrn Kaiſers Friedrich anhingen, und wie König Manfred, den man zu Benevent aus ſeinem Grab geriſſen hatte, denn die Gebannten dürfen doch kein ehr: liches Grab haben —— Bice ſah fic) entſetzt um.

In dem ganzen weiten Schiff der Kirche war alles ſo unheim⸗ lich ſtill und verödet, als ob das Interdikt, das man nun der Welfen wegen aufgehoben hatte, noch immer über der Stadt läge: niemand ließ ſich blicken, der zu Hilfe kommen konnte. Und der Tote ſelbſt war doch ganz hilflos, der lag da unter dem ſchweren Deckel ſeines Sarkophags, ſo ohnmächtig, wie eben nur die Toten find —. Was ſollte dieſer Tote wohl be: ginnen, wenn hier etwas Schreckliches geſchähe? Und es konnte hier doch etwas Schreckliches geſchehen! Das erfchütterfe Bice immer ſo tief, daß ihr Vater da ſo hilflos liegen mußte; das er⸗

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innerfe fie fo ſchmerzhaft daran, wie fie ſich früher immer gegen feine Kraft gewehrt hatte - fo als ſtehe ihr dieſe dort im Wege, wo fie mit allen Fibern ihres Lebens hinſtrebte und es war doch gar nicht ſeine Kraft geweſen! Aber das hatte ſie niemals verſtehen können, ſondern immer, wenn er ihre Hände in den ſeinen gehalten, dann hatte ſie ſich trotzig an die Hände ſeiner Guaſtatori erinnert, wie ſie die Wurzeln der armen Obſtbäum⸗ chen ausriſſen, und wenn er ſie um ihre kleinen Wünſche be⸗ fragt, dann hatte ſie ſich ſtumm hinter dem einen verſchanzt, den er nicht verſtehen wollte, und wenn die anderen ihn ge⸗ prieſen, daß er einſt zu Empoli die Vaterſtadt gerettet habe, dann hatte ſie in ihrem Inneren aufbegehrt: aber bei Montal⸗ perio hat er ſeine Vaterſtadt aufs Haupt geſchlagen! Das war wunderlich und ſchrecklich zwiſchen ihm und ihr geweſen! Ihre Brüder hatten manchmal zu ihr geſagt: „Weißt du auch, daß du unſeren Vater gerade ſo anblickſt, wie er deine Freier? Du haſt ſeine gefährlichen Augen, man könnte meinen, daß er in dir ſein eigenes Bildnis liebe, und du biſt doch gar nicht ſein Bildnis, du gleichſt doch feiner Mutter Gualdrada!“ Ja, wahrhaftig, das war wunderlich und ſchrecklich geweſen.

Aber dann zuletzt, da war auf einmal alles ganz anders gewor⸗ den, da hatte ſie ſich nicht mehr ſeiner Kraft zu erwehren brau⸗ chen, ſondern da hatte ſie um ſeine Kraft gerungen; da war ihr kein entwurzeltes Bäumchen mehr eingefallen, ſondern ſeine Wurzeln hatten qualvoll bloßgelegen da war alles um⸗ gekehrt geweſen als bisher, ſo als ob ſie ſeine Nähe, wie er einſt die ihre, niemand gönne Tag und Nacht an ſeinem Krankenbette ſitzend, darauf er nun hingeſtreckt lag, die eiſernen Arme ſo ſchwach, das mächtige Haupt ſo unmächtig, wie bei einem kleinen Kinde, das ſich noch nicht ſelber aufzurichten ver⸗ mag —: ja, da hatte fie ihn fo zärtlich gepflegt und fo innig ge⸗ liebt wie ſonſt nur den kleinen Conticino, wenn er mit dem Namen ſeiner Mutter nach ihr rief! Und den Mutternamen hatte auch der große Farinata ausgerufen, ganz zuletzt in jenen ſchauerlichen Augenblicken, als alle ſich in namenloſem Grauen aus dem Zimmer drängten, weil er noch in ſeiner Todesnot die Abſolution verſchmäht hatte, um der heißen Treue willen gegen

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das gebannte Geſchlecht des Herrn Kaiſers Friedrich zu aller: letzt, als ſchon das Geſinde draußen laut zu jammern anhob, daß ſein großer edler Herr, im Banne verſcheidend, nun zur Hölle fahre da war plötzlich durch das Todesröcheln hindurch der Muttername aus dem Mund des Sterbenden gedrungen, daß es Bice wie Schuppen von den Augen gefallen war und ſie, ihren Vater zum letzten Mal erblickend, ihn gleichſam zum erſten Mal erblickt hatte: den gewaltigen Farinata, der alle ſeine Feinde bei Montalperto aufs Haupt geſchlagen und doch immer wieder ſo wehrlos geweſen war wie bei Empoli, den ungeheuren Stürmen ſeines Herzens preisgegeben, die hatten ihn über alle anderen empor⸗, aber auch von allen fortgewir⸗ belt, daß er nun fo einſam und verlaſſen ſterben mußte wie ein Tier in der ſtumpfen Wildnis. Alſo hatte Bice ihn in ſeiner letzten Not mit ihrer Liebe umſchlungen, als ſei ſie bereit, ihn durch den Tod hindurch bis in die Hölle zu begleiten. - Da war der große Farinata ſo ſanft und friedlich verſchieden wie in den Armen der guten Frau Gualdrada.

Aus einem werdenden Buch

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Max Mell / Steiriſche Landſchaften Gebirgskranz um Auſſee

Dieſer ſchöne Gau, dieſer grüne Talkeſſel, den die großen Berggeſtalten im Kreis umgeben, reizt bei jedem Beſuch von neuem, ſich in genießendem Betrachten die Gliederung klarzu⸗ machen, die ihm die Natur gegeben hat. Der Blick iſt um⸗ ſchränkt, an keiner Stelle iſt ihm das Land offen, aber er fühlt ſich nicht eingeengt, denn die Maße dieſer Geſtalten beun— ruhigen nicht, es iſt, als ob das großartige Denkmal eines Werdens gelaſſen zum Beſchauen hingeſtellt wäre; des nie ausſetzenden Werdens, das wie in aller Landſchaft, wie in allem Lebendigen, gleichſam als ſeine leiſe Arbeit zu ahnen bleibt. Abgetrennt, entrückt, ein Stückchen Landes für ſich, mit ſeinen ſchmalen klemmenden Zugängen erſcheint dieſer Talgrund wie

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geſchaffen für ein unabhängiges Gemeinweſen; und wie die Menſchen es ſich hier eingerichtet haben, beſtätigt dem Ankom⸗ menden dieſe Anſchauung ſchnell. Er erfährt die Stimmung, als käme er in eine Hauptſtadt; freilich ohne je ſagen zu können, ſie iſt hier oder da: denn wenn er meint, nun ſehe er ſie, greife er fie, ift ihm das Bild ſchon wieder entwunden: überall blickt die Natur hervor, als wolle ſie in reizender Art unterbrechen und darauf aufmerkſam machen, wie ſehr fie menſchliches Pla: nen angeregt, ihm aber auch die Aufgaben geſtellt habe. Ver⸗ ſicherte jemand, daß ein großer Baukünſtler des 17. oder 18. Jahrhunderts aus dieſem Ort hervorgegangen ſei und an den Formen dieſes Landes feinen Sinn geſchult habe, fo be: griffe man das wohl und fände manches erklärt, was das Ver⸗ weilen in dieſem Raum ſo unbeſchwerlich, ſo angenehm macht und weswegen man immer wieder darauf geführt wird, ſeinen Maßen nachzudenken. Sie haben etwas, was die künſtleriſche Empfindung anrührt und ein erſt noch unbeſtimmtes heiteres Gefühl für dieſes Land wachruft.

Drei grüne Hochflächen laſſen die Bergtruͤmmer in das Tal zu den mehrfachen Waſſerläufen herab; fie ſind ebenſo viele Buͤh⸗ nen, jede beſonders geſtaltet; und erſcheinen ſie von den Felſen⸗ maſſen der Gebirge als glänzenden Hintergründen abgeſchloſſen, ſo falten dieſe, ſowie man ihnen nachforſcht, ſich unaufhörlich in ſich ſelbſt zurück und öffnen neue Bühnen, ob ihre Fläche nun durch einen See ausgefüllt iſt oder nicht, bis vor dem gebieteri⸗ ſchen Abſchluß durch eine letzte rieſenhafte Mauer. Dies erfährt man von der Begrenzung nach Norden, alſo gegen das Donau⸗ land. Gegen den Süden ſucht das Auge eigentlich immerfort die ſchöne kriſtallene Bühne, das Eisfeld, in niederem Rahmen aus dunklem Stein eingelaſſen, das dem Gipfelkranz der hod): ſten Erhebung in dieſem Rund, des Dachſteins, unmittelbar vorgelagert iſt. So bieten ſich nördlich die Bühnen in der Tal: tiefe gefällig, einladend, weich, ſüdlich die eine hohe, hinaufge⸗ hobene, göttlich⸗ unwirtliche.

Ich betrachte - und betrachtete fo oft! von einem der lieblich⸗ ſten und gaſtlichſten, dabei beherrſchenden Punkte des ganzen Talkeſſels, von den Wieſen und Wegen des Ramgutes; es

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liegt, ein wohlerhaltener vornehmer Bau aus dem 15. Jahr⸗ hundert, mit ſchönem hohem Schindeldach, auf einer der drei grünen Bühnen; ſie heißt Obertreſſen und läßt alle drei über⸗ ſchauen. Auf ausgedehnten Flächen, denen mooſige Senkungen nicht fehlen, tragen ſie vereinzelte Gruppen von Häuschen, da⸗ zwiſchen etwa ein Heiligtum, und Waldſtücke; in dieſe ſind allenthalben bewachſene Trümmer des Kalkgeſteins geſät, und ſie ſprechen eine Wildheit und Einſamkeit aus, die die feinen weißen Kieswege unmittelbar daneben verleugnen. Ihre Bän⸗ der ziehen weitum durch das Grün; manchmal ſenken ſie ſich ſteil zum Lauf der ſtarken, ſtürmiſchen Alpenwäſſer, welche aus den Seen kommen, und dort, in den Faltungen, ſammeln ſich in langen Zeilen die Baulichkeiten des Badeortes, nützen jedes Plätzchen aus, doch niemals ohne Bequemlichkeit, klimmen manchmal die Hänge empor und laſſen doch deren Form, die mit der Feinheit und Glätte angewehten Schnees vergleichbar iſt, unverſehrt.

Die umſchließenden Berggeſtalten halten, eben durch die vor⸗ geſchobenen grünen Hochflächen, ſehr verſchiedene Entfernun⸗ gen und wirken mit dem Reiz einer Geſellſchaft, die ſich einge⸗ funden, deren jedes einzelne Mitglied von beſonderem Weſen iſt und damit eine Erwartung erregt. Sie lieben entſchiedene For⸗ men, und nicht zufällig ſcheint es, daß der eine formloſe Berg, der Sandling, am weiteſten weggerückt bleibt und damit zu⸗ gleich als ſein Amt ausübt: auch dem Himmel ſein Recht zu laſſen. Der Beſchauer wird ſich nicht ohne einige Überrafchung klar werden, daß es eigentlich die Gerade iſt, die in dieſer zackigen und trümmergroßen Bergumgebung zur Geltung zu kommen ſucht, gleichſam als träte ſie immer wieder zu unbeſtimmt blei⸗ benden Verſuchen an. Gegen die öſtliche, die ſteiriſche Seite hin erſcheint ſie am regelmäßigſten, und den Ausblick dorthin könnte man ſich allenfalls auch andernorts geboten denken. Hier wie⸗ derholen bewaldete Berge gewiß ſechs⸗ oder ſiebenmal in man: cherlei Größen die ſimple Form des Ameiſenhügels; ſcheinbar ſind ſie untereinander nicht verbunden und haben doch die heitere Beziehung zueinander, als wären ſie alle gleich wichtige und gleich berechtigte Verſuche eines und desſelben Dings. Ihnen

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gegenüber ift es eine Einmaligkeit, die der gewaltige Saarſtein aufweiſt: er ift in dieſem Tal anweſend wie ein raubtierähn: liches Lebeweſen mit langen Flanken und wilden Gliedern. Er zeigt neben einem lang hingewölbten Rücken ein Paar rieſiger, in ungeknickter Schräge aufſtrebender Zähne, der eine ſchärfer, der andere ſtumpfer, beide aber mit ihrer pfeilerhaften Wucht und mit dem Reiz ihrer Unähnlichkeit das Auge immer wieder bannend. Hier iſt es der Umriß, der die Gerade bietet; der gleich rieſige Nachbar bietet ſie ſanfter und maleriſcher, weil ſie in der inneren, zutage liegenden Formung des Geſteins auftritt. Ich meine die große ungefüge Maſſe des „Zinkens“, der als Bor: berg des Dachſteins, wie ein Schild, den der Eisrieſe zu ſeinen Füßen aufſtützt, den Blick nach Süden für viele Stellen des Tals allein für ſich in Anſpruch nimmt. Nach dem Tale ſenkt er ſich zuunterſt mit einer ſchroffen, vorwiegend waldbeſetzten Abfahrt, ſeine oberen Teile aber weiſen im Geſtein ſchräge, nach dem Saarſtein zu aufgeſtellte Schichtenlinien: reiche, oft: mals wiederholte Bänder, dunkel im Dunklen, mit ihrer Rich⸗ tung nach oben einen großartigen, nun zur Erſtarrung verur⸗ teilten Willen ankündigend, deſſen Ziel, nicht erſichtlich noch ahnbar, in den ungeheuren plumpen Körper des Berges hinab⸗ geſunken ſcheint.

Vollends die Ruhe, die eine Berggeſtalt nur aufweiſen kann, zeigt der Loſer. Seine Raſt ſcheint tieriſch wie die eines Wieder⸗ käuers, eine gelaſſene Wehrloſigkeit iſt in ihm, in der er ſich von Gewittern und Stürmen überfallen, umklammern und wie zu Mißhandlungen einhüllen läßt. Wie ſehr er einem ruinen⸗ haften Zuſtand hingegeben iſt, drücken ohne weiteres die wun⸗ derbaren waagrechten Linien ſeines hellen Kalkkörpers aus: er iſt von ſauber geſchichtetem Aufbau, aber in zwei große Trüm⸗ mer zerfallen, der eine Teil nach rechts, der andere nach links gebogen; die Rücken, die fie einander zukehren, überhaucht dün⸗ ner Pflanzenwuchs, der eine Teil will nichts vom andern wiſ⸗ ſen, nur jene Linien der Geſteinsſchichtung ſtreben zueinander, ſetzen fich, die weit klaffende Stelle überſpringend, fort und bal: ten an einer Einheit feſt, die vor unausdenkbaren Zeiten dahin⸗ gegangen. Wie die anderen Berge dieſes Umkreiſes in der Er

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regung ihrer ſtarr gewordenen Maſſen: ihrem leidenſchaft⸗ geprägten Angeſicht gegenüber liegt dieſe Berggeſtalt des Lofers als ein ſchlummernder Wächter da, nichts von Gefahr iſt an ſeiner ſonnigen und luftigen Wildheit und Einfalt, er iſt ganz Frieden, und es iſt eine Art Vertrauen, mit dem ihn der Blick, der hier überall beſchäftigte und angeregte, ſucht von den friede⸗ vollen Fluren.

Weinland

Ganz aus der Welt ſcheint es mir hier; ganz ihr entrückt iſt das Häuschen in den ſteiriſchen Weinbergen, wohin mich Freunde zu kommen baten, und es iſt ganz das, was ſie mir verheißen haben. Der Gedanke an dieſen kleinen Beſitz erfriſcht und be⸗ flügelt ihnen ihre Woche in der Stadt, und fie achten der Ent: fernung nicht und nicht der Mühe, mit der ſie die Dinge des Bedarfs heraufſchleppen auf ihre Höhe, um ſich das Behagen des Aufenthaltes allmählich zu gründen und zu ſichern. Der An⸗ kömmling legt den Ruckſack ab, fühlt die leichte Briſe gut auf der erhitzten Wange, am ländlichen Tiſch läßt er ſich nieder, und die Blicke auf das kleine niedere Haus, auf Blumen, Grün und Reben und in eine Umgebung, die nichts davon Unter⸗ ſchiedenes vorweiſt, bekräftigen dieſes Wohlgefühl: ganz aus der Welt iſt es hier.

Dieſes Gefühl hat ſich freilich auf dem Weg hierher ſchon ein— ſtellen miifjen, und noch nicht mit dem vollen Behagen, welches nun das Ziel ſchenkt; hat man doch nicht einmal ganz leicht hierhergefunden zu dem einen unter den zahlreichen auf den Höhen verſtreuten Häuſern. Ein Abſchnitt des Weges um den andern nahm die Zeichen der Welt hinweg. Zuerſt eine Stunde Bahnfahrt von der Stadt. Dann von dem kleinen munteren Marktflecken eine Stunde Fußwanderung in ein Seitental, in ein Dorf, wo es immerhin noch Kaufläden, Arzt und Poſtamt gibt. Nun noch eine weitere Stunde in dieſe Hügelwelt hinein. Die Fahrſtraße bleibt im Tal; dort ziehen die Fuhrleute, ein paar Wirtshäuſer für fie gibt es dort, aber ſonſt wohnt man drunten nicht. Man wohnt auf den Bergen, in den Weingärten, im Licht. Langwierig winden ſich die lehmigen Karrenwege in

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die Höhen, oft gehts wieder hinunter und noch einmal hinauf; keine Ortſchaften ſind hier, nur weit gedehnte Gemeinden von Einzelhöfen. Man hört aus einiger Ferne das erſte Windrad: wie horcht man auf, es ift eine neue Sprache, von der zu twif- ſen man hierher gekommen iſt. In einem Waldſtückchen, durch das man emporklimmt, berührt das Auge der nicht gewohnte Anblick der Edelkaſtanie. Mit plötzlicher Freude fühlt man das Verſprechen von Sonne und Himmelsblau, das ſie gibt; auf dem lorbeerhaften Glanz ihrer ſtarken graden Blätter mit der feinen Haifiſchzähnung ſcheint es zu ſtehen. Und ſchon taucht man aus dem Grün zu den hellen und heiteren Räumen der Hügel: faſt mit jedem Schritt wandeln ſie ſich und als ob ſich der eine immer beſſer beſchaffen erweiſen wolle als der andere. Zuletzt, faſt wäre man am Ziel vorbeigegangen: ein Wiefen: pfad, unter Obſtbäumen: da find wir. Das Haus an den Ab: hang angelehnt, kleine Fenſter mit roten Vorhänglein und ein Bänkchen vor der Haustür. Eine Holzlage, ein Gemüſegarten; die Quelle nicht ganz nahe beim Haus, aber auf bequemem Weg zu erreichen, ſo daß das Waſſerholen ein Genuß wird. Und eine Stille: ganz aus der Welt. Da fängt das Windrad aus dem Weinberg an: hart, gellend ſchlägt Holz auf Holz, es will einwenden, daß hier gar kein ſo auserwählt ſtiller Winkel iſt, und was es in aller Welt gibt, die Wache vor der Begehr⸗ lichkeit des andern, den Kampf um den Biſſen, gibt es auch hier. Indeſſen der Luftzug legt ſich wieder; es hat nur ſeine Laune gezeigt, hat nur geſtrampelt, halt {chon ſtille.

Jedoch dann kommt man allmählich wirklich ab von dem Ge: danken: ganz aus der Welt. Das Windrad ſchweigt, und was da ſtumm um einen in der Sonne gebreitet liegt, das beginnt zu ſprechen, und wieviel weiß es zu ſagen, welch eine Geſellig⸗ keit iſt das, wie reich, wie vielfältig, wie anmutig! Nicht abzu⸗ zählen ſind die Hügel, mit denen ſich der Bergzug rings um unſern Platz zu Tale wellt, mit denen es dahinter wieder auf: ſteigt; wie mit den vielen Teilen eines endlos aufklappbaren Bilderbuches iſt die Welt ringsherum aufgeſchlagen. Man wird nie fertig werden mit dem unendlichen Stoff, der da zu ſehen iſt. Zunächſt hat jeder dieſer bebauten Hügel, die ſich anein⸗

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anderketten, ein anderes Geſicht, und ein jedes hat feinen be⸗ ſonderen Ausdruck. Da iſt eine Kuppe breit, und das Haus dar⸗ auf friedet ſich behaglich mit Obſtbäumen ein. Der nächfte Hü⸗ gel iſt ernſten, ja feierlichen Anblicks: mit ſeinem Föhrenbeſtand iſt er erhoben wie ein kleines Golgatha, eine Sandwand fällt ſcharf ab in den Schatten, erſt davor iſt die Bauernwirtſchaft. Ein anderer trägt wahrhaftig eine Krone: eine ganz heitere, blanke: nicht anders ſteht die gerade Hausgeſtalt auf ihm, die Fenſter glänzen, Pappeln überwachen das Dach. Wieder ein anderer zeigt unſerm Blick nichts als die kahle Rundung, die voller Weinſtöcke ſteht: man fühlt es wohlig, wie das in der Sonne liegt. Ein anderes Haus wieder wendet ſich, als läge es auf einer Landzunge im Meere, ganz der Ferne zu. Unauskoſt⸗ bar vollends bleibt, wie jeder Hügel ſeine Form ausſchwingt und zum nächſten findet, ihm eine kleine leuchtende Kapelle an die Wegbiegung entgegenſchickt, wie eine kleine Baum- oder Buſchzeile oder ein Maisfeld die natürliche Form des Bodens im einzelnen betont und verziert; ſo tun auch die Weingärten, ſtückweiſe an die Abhänge verteilt, überall: fie legen das Mu⸗ ſter hin, das ſich aus den regelmäßigen Reihen der Weinſtöcke ergibt; die Form des Bodens wellt es, ſchneidet es zu, begrenzt es, bringt reizvollen Gegenſatz heran: der dunkelſte Farbton iſt Dann ein ungebändigtes Waldſtück, das eine Furche füllt, wo ein Waſſerlauf gehen mag, die Wipfel begleiten es abwärts, dorthin würde die Rebe nicht mitgehen, und nur der hohe Wuchs der Fichten und Buchen weiß ſich ihr entgegenzuſtrecken.

Alle Weltgegenden voll von Schaubarkeiten: denn hinter den nahen Hügeln folgen die ferneren; hoch gelegene, weiß leuchtende Kirchen geben dem Umkreis ſeine Abſchnitte; ein ungeteilter lang geſtreckter Bergrücken ſenkt ſich dahinter der Ebene zu, über ihm, ſchon weiter in den Dämmer entrückt, ein anderer mit gewaltigerer Maſſe, und drüber noch, eckiger, wie etwas ferne Umgeworfenes, Berge des Oberlandes, die wilden, deren Anblick man hier gar nicht erwartet hätte. Aus der Welt? Wie hatte man unrecht! Man fühlt mit weiterer Bruſt, man iſt mit⸗ ten darauf. Es iſt ihr Glanz, der auf allen Höhen und Tiefen betörend ſchimmert; und der Weinſtock ringt ihn der Erde ab.

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Wo der Weinſtock ift, ift die Welt. Das Zeichen der Menſchen⸗ hand trägt er überall erkennbar. Er bedarf ihrer ohne Unter⸗ laß, die lockere Krume des Bodens ſpricht es aus und die Rebſchnur, die ſeidenglänzenden Stecken und die bläuliche Farbe, die ſeine Blätter zum Schutz ſeiner Geſundheit befleckt; und die Ordnung, mit der ſich ein überhängender Wipfel an den an⸗ deren, als müßte das kühne Gebäude zuſammenbrechen, mit jüngſtem zartem Blatte reiht. Seine Betreuung koſtet ſo viel Mühe wie nichts anderes, nicht die Brotfrucht, nicht der Honig, nicht die Milch. Das Mühſeligſte knüpft er an ſeine Lebens⸗ geſchichte und das Freudigſte. Das Freudigſte, das er fo reich⸗ lid) ſpendet, daß darüber das Mühſelige aus dem Gedächtnis ſchwindet oder als überſtanden nicht mehr gilt. Wo die Traube iſt, iſt Welt; nicht umſonſt iſt ſie die Wiege für die Luſt der Welt. Ein Laubengang, in dem die Trauben hängen - erſt recht ihre Anweſenheit zu entdecken, mit freudigem Schreck zu ent⸗ decken welch ein Gemach! Wie nach den köſtlichſten Wand⸗ malereien auf alter Palazzodecke muß man fort und fort ſchauen, will man die verborgenen und beſchatteten finden, will berftehen, wie jede anders ſchön iſt, anders hängt, andere Fülle zeigt, anders die Blätter hinter ſich läßt, die ſie bedeckten, an⸗ ders die prall gewordenen betauten Beeren aneinanderpreßt mit einem Ausdruck voll Unſchuld und voll Willen, der manch⸗ mal wie ein Tierblick zu berühren ſcheint, denn ſo viel warmes Leben iſt in ihr. In der Rebenwand vor mir laſſen die Lagen der Blätter Lücken, die Farbe der Ferne blaut hinein: gleich zarter Hauch liegt über den Beeren wie über den geſtuften Reihen der Hügel, die Kopfwendung iſt luſtvoll, mit der man den einen Blick mit dem andern vertauſcht, aber man wird nicht wählen und nicht vergleichen, man wird für das Land, für ſeine Nähe wie ſeine Ferne, nur das eine ſtille Wort wiſſen: Habe Dank!

Das Windrad, im Weingarten neu aufgerichtet, weit vielglied⸗ riger und kunſtreicher, als man ſich ſo ein Ding vorſtellt, mußte freilich nach kurzer Tätigkeit, die es mit dem Eifer eines böſen Geiſtes verſehen hatte, abgeſtellt werden. Denn der Stille, die man geſucht, tat es doch einigen Eintrag, und wenn der Wind

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nicht nachließ, fo gefährdete es die Nachtruhe. Das Einftellen war eine beſondere Leiſtung der jungen Hausfrau, die, obzwar ſelber an den Lärmmacher ſchon gewöhnt, ſich in ihren Turn⸗ anzug warf und geübt, gertenſchlank und ſonnengebräunt wie eine Zigeunerin, die Stange erkletterte. Das Sprechen der entfernteren Windräder aber tönte ſehr anmutend herüber, manche waren höchſt klangvoll, die Stille ſang mit ihren Stimmen. Es gab keine Glocken; kein Uhrenſchlagen; kein Rufen von Kraftwagen; und nur in tiefer Nachtſtille konnte man ver⸗ ſöhnten Gemüts ganz ferne Züge rauſchen hören. Aber lag nicht doch etwas von Sehnſucht auch wieder in dieſem Horchen? Und dann, bei vollem Sonnenglanz, in dieſem Schauen nach der völlig aufgetanen, reichgeſtaltigen Ferne? Ich kam an dem angebundenen Windrad vorbei. Es knurrte in ſeinen Banden. Es wollte im Wind ſein und ihm nachgeben und ihn ausrufen, es begriff nicht, wie man es quälen konnte, da hier der An ſpruch und das Recht beſtünde, die Zunge gelöſt zu haben. Uber den Wieſenpfad kam barfuß, lautlos, der Nachbar und brachte eine Flaſche gelben Weines.

Aus dem „Steiriſchen Lobgefang‘

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Edgar Dacqué / Sprüche Verhüllter Sinn

Der recht das Leben lebt, des Herz iſt leid und wund; Das wahre Sein trägt ſtets den Schmerz im Untergrund.

Die Entſchleierung

Zwei Wege gibts, Natur den Schleier wegzuheben: Der eine führt ins Nichts, der andre hin zum Leben. Verhärtetem Gemüt und trockenem Verſtand Erſcheint ein drehend Rad an einem endlos Band. Doch nahſt in Ehrfurcht du und friſchen Herzens ihr, Strahlt ſie lebendgen Sinn in ſtiller Keuſchheit dir.

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Wer ift dein Schuß?

Das ift gar große Qual, fo wie ein Fürſt zu leben, Geſchützt von äußrer Macht, von Häſchern ſtets umgeben. Ach, ſprich doch nicht fo fern vom Mächtgen dieſer Welt: Du biſts und biſt in dir von Teufeln ſtets umſtellt.

Begrenzte Welt Was du geſtaltet ſiehſt, iſt noch nicht die Natur; Unzählbar Weſen gibts; dir offenbart ſich nur, Was du nach deinem Sinn und Fühlen kannſt erleben - Wie könnt in Gott es je ein End des Schaffens geben!

Schöpfung im Nichts Im Anfang war das Wort, Gott ſelber war das Wort; Das brach ins Daſein auf und zeugte fort und fort. Nichts, was im Daſein weſt, iſt ohne es gemacht, Es bat - o ſtaunt! - den Schöpfer ſelbſt hervorgebracht. Die Gottheit war das Nichts; erſt als das Wort gebar Den ewgen Gottesſohn, Gott Schöpfer, Vater war.

Gott bejaht nur

Gott ſtöret nie und nichts, läßt allem ſeinen Lauf; Wüßt er ein Nein und Nicht, hört' alles Weſen auf.

Der Menſch iſt ewiges Urbild

Da zielt die Schöpfung hin, daß Gott den Menſchen fände; Und was dies wirken könnt, erſchufen ſeine Hände. Da alles war geſchehn, erhob er aus dem Tier Die menſchliche Geſtalt, gab ſeinen Odem ihr. Auf dieſes Urbild ging der ganzen Schöpfung Sinn: So war der Menſch das Ziel und ſo der Anbeginn.

Aus dem Spruchbuch ‚Das Bildnis Gottes

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Edzard Schaper / Feldgericht

Vis die fünf Offiziere ſich dem Rentamt näherten, darin die Sitzung des Feldgerichts ſtattfinden ſollte, fiel ihnen auf, wie un⸗ gleich belebter die Gegend um das frei an einem faſt kreisrun⸗ den Platz gelegene große Gebäude war als etwa der Marktplatz, den ſie eben überſchritten hatten. Die ſpärliche Beleuchtung in den Straßen und der armſelige Lichtſchein, der aus den Fen⸗ ſtern der Haufer ſickerte, vervielfachten die Finſternis der Nacht, wenn auch von der friſchen Schneedecke ein Leuchten ausging. Ungehindert von Vorhängen aber flutete Licht aus all den großen Fenſtern der Rentei in ihrem zweiten Stockwerk, und weil auch in den Gefängniszellen zu ebener Erde Licht brannte und Licht auf allen Treppen und Gängen des großen Hauſes, deſſen Hauptportal, von zwei Ulanen bewacht, weit offen ſtand, wurde der Platz, in deſſen Mitte die Schneedecke ſich völlig unberührt erhalten hatte, ſo ſtark erhellt, daß man gewahren konnte, wie nicht nur einzelne Menſchen und murmelnde Grup⸗ pen im Gänſemarſch auf den ſchmalen, eben erſt ausgetretenen Pfaden dem erleuchteten Hauſe zuſtrebten, ſondern wie auch in dunkleren Winkeln dort, wo Häuſer angrenzten, Grüppchen von eng ſich aneinander drückenden Leuten ſtanden, flüfternd und tuſchelnd, aus jedem Lichtſtrahl fliehend, und hier und da ein finſter wachender Einzelgänger, der ſichs ſogar verſagt hatte zu rauchen, damit nicht das glühende Pünktchen des Tabak⸗ brandes ihn und ſeinen Standort vorzeitig verriete.

Dieſe Anteilnahme an dem, was gleich beginnen ſollte, ſchien dem Rittmeiſter von Ovelacker entbehrlich, und deshalb gab er gleich beim Betreten des Gerichtsgebäudes dem Wachtmeiſter, der die Poſten vor den Zellen und vor dem Portal und auch die Eskorte, unter der die Gefangenen vorgeführt werden foll- ten, befehligte, die Weiſung, daß der Platz abzuſperren wäre und nur Anwohner ihn betreten dürften. Unter Straßenkund⸗ gebungen und Aufläufen wollte er die Feldgerichtsſitzung nicht abhalten.

Er ging mit ſeinen Offizieren in den großen Saal hinauf, der den meiften noch unbekannt war, und nach flüchtiger Überfchau,

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ob alles fo eingerichtet worden wäre, wie ers gemwünfchf, zog er ſich mit ihnen in ein angrenzendes Zimmer zurück, das er ihnen als Beratungsort vorbehalten hatte. Abgeſehen davon, daß man ihn mit etlichen Stühlen mehr verſehen, weil hier fir gewöhnlich während der Amtsſtunden nur zwei für die zwei Schreibtiſche und die beiden Beamten an ihnen vonnöten ſchie⸗ nen, war dieſer Raum unverändert geblieben.

Der Kornett Koſljaninow bemerkte, als er feinen Mantel aus zog, zu dem Leutnant Maklakow, der Saal ſähe wie eine Sek⸗ tenkirche aus. Der lange, mit grünem Filz bedeckte Richter: tiſch, an den fünf Stühle geſchoben waren, die Bankreihen vor ihm für die Angeklagten, die ihren Richtern von Angeſicht zu Angeſicht gegenüberſitzen mußten, und endlich die Bänke zur Rechten und zur Linken vor den Langwänden des Raumes für die Zeugen, - er hätte ſogleich an eine Kirche denken müſſen, zum mindeſten an eins der Sektenbethäuſer, in denen leichtfaß- liche Auslegungen für die geiſtig Armen verabreicht wurden. Der Leutnant Maklakow war nicht ſehr angetan von dieſer Be⸗ merkung. Ihm war die Kehle ſeltſam trocken. Als er den Man⸗ tel abgelegt hatte und ſich umſah, ungewiß, was jetzt geſchehen ſollte, fragte er ſich, ob er tatſächlich der einzige unter ihnen wäre, der zum erſten Mal in ſeinem Leben zum Richter wurde. Er meinte: nein; für den Leutnant Möller und den Kornett Koſljaninow war es beſtimmt auch das erſte Mal; ob für den Rittmeiſter und den Oberleutnant Charuſin, wußte er nicht zu entſcheiden.

Die Burſchen waren im Hotel geblieben. Es meldeten ſich jetzt drei Ulanen, die der Wachtmeiſter den Offizieren als Ordon⸗ nanzen hinaufbeordert hatte. Ihnen wurden Plätze an der Stirnwand des Saales, in der Ecke unter dem Heiligenbild, angewieſen. Dort hatten ſie auf ihre Aufträge zu warten. Die Offiziere waren mittlerweile alle fertig geworden; eine von den Ordonnanzen bekam den Befehl, die Schließung des Por⸗ tals zu veranlaſſen, das nur noch für verſpätete Zeugen ge⸗ öffnet werden ſollte, und die ſchon wartenden Zeugen in den Saal zu beſtellen. Als letzte ſollten die Gefangenen herein: geführt werden. Zu ihrer Bewachung während der Sitzung

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hatten zehn Ulanen Befehl erhalten. Sie ftanden zu beiden Seiten der Bankreihen, mit geladenem Gewehr, und auch für ihre Ablöſung war Vorſorge getroffen. An den Schmalſeiten des großen Tiſches, hinter dem die Richter ſaßen, war Platz für je einen der Schreiber, die die wichtigſten Ergebniſſe der Unter⸗ ſuchung und die Beſchlüſſe des Gerichtes aufzeichnen ſollten. Der Oberleutnant Pjotr Sergejewitſch Charuſin war der erſte, der, zwiſchen den Schreibtiſchen und Aktenſchränken umher⸗ wandernd, ſich eine Zigarette anzündete; der Kornett Koflja⸗ ninow tat es ihm nach, jedoch nicht, ohne zuvor ein leiſes: Er⸗ lauben Sie? an den Rittmeiſter gerichtet zu haben, dem er, als er ein zerſtreutes, gewährendes Nicken zur Antwort erhielt, ſogleich ſein ſilbernes Behältnis hinſtreckte. Und bald rauchten ſie alle, die fünf Offiziere, auf und ab ſchlendernd, Charuſin am Fenſter ſtehend, Möller dem Anſchein nach in eine Ausgabe des „Reichsanzeigers' vertieft, die er auf dem Schreibtiſch eines der Beamten gefunden. Es fiel kaum ein Wort. Nach einer Weile trat der Rittmeiſter ans Fenſter zu Charuſin, der dort immer noch in tiefem Ernſt ſtand und mit der Linken ſein dünnes Bärtchen zwirbelte, indes die Rechte dann und wann ſelbſt⸗ vergeſſen die Zigarette an die Lippen führte. Beinahe wortlos machte der Oberleutnant ihn auf den Lichtſektor eines Leucht⸗ turms aufmerkſam, der irgendwo weit vor ihnen ſtand. Die Lichtquelle blieb verborgen, nur der fächerförmige Strahl ward unaufhörlich in die Finſternis geſät. Uberdem war der Schein der beiden Tiſchlampen in dem kleinen Zimmer immer rötlicher geworden, die Hitze über den Lampenzylindern wirbelte immer dichtere Schwaden blauen Rauches empor. Niemand ſprach. Hin und wieder nur hob einer der Offiziere lauſchend den Kopf. Im Saal begann es zu ſcharren und zu hüſteln. Die Zeugen wurden hereingeführt und auf die ihnen beſtimmten Bänke ge⸗ wieſen. Der Leutnant Möller durfte ſtolz ſein auf die ſtattliche Schar von Mittwiſſern, die er ermittelt hatte, Männer und Frauen, die linkiſch und furchtſam über das Parkett zu ihren Sitzen ſchlichen, die Frauen in dicken Kopftüchern, die ſie auch hier im Saal ſo wenig ablegen wollten wie ihr Kleid.

Ein Entſetzen kroch ihnen allen ins Herz beim Anblick des grii-

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nen Lifches und der noch leeren Bänke vor ihm. Mit trockenen, heißen Augen ſtarrten ſie vor ſich hin, längſt voller Reue, daß ſie im erſten Schreck bei der Ankunft der Soldaten etwas ge⸗ ſagt hatten, was ſie ſpäter hierher gezwungen hatte. Die Män⸗ ner drehten ihre Pelzmützen in den Händen und ſtarrten zu Boden. Wenn auch irgendein Beherzterer unter ihnen einmal dem Nachbarn etwas ins Ohr flüfterte, dem fehlte es an Mut zu antworten. Es war ja Krieg! Und Krieg bedeutete für ſie immer, daß ſogleich geſchoſſen wurde. Vielleicht war es auch verboten, daß fie miteinander ſprachen? Und doch, - fie gruben ihre Zähne in die Unterlippe -, und doch: ſchlimm war es, hier zu fein, aber um wieviel ſchlimmer, nach Haufe fahren zu müf: ſen! Sie ſaßen reglos; ſelbſt ihre Hände, die eben noch die Mütze gedreht hatten, rundherum, rundherum am abgegriffenen Rand, an dem der Pelz wie von der Räude ausgegangen war, ſelbſt ihre Hände hielten inne, alles an ihnen lähmte die Angſt vor dem, was nun folgen würde: hier im Saal, zu Haus in der Gemeinde, wo Racheboten von Geſinde zu Geſinde ſchlichen, einmal mit der Flinte, ein ander Mal mit der Petroleumflaſche, um die Verratenen an ihren Verrätern zu rächen. Warum aber hatten fie das nicht früher bedacht und ihre Zungen in acht ge: nommen? So getan, als wüßten ſie nichts? Ja, warum! Alles an ihnen lähmte die Angſt. Nur ihr Herz ſchlug weiter zum Zerſpringen, ihr Atem ging wie ein Keuchen, und insgeheim ſchwor ſich ein jeder: Ich ſage nichts mehr!

Die Bänke, die man für die Zeugen beſtimmt hatte, waren ſchon längſt gedrängt voll. Auf der vorderſten ſaß der alte Koiri⸗Bauer. Er war ſpäter gekommen als die meiſten, aber er hatte ſich einen Platz auf der vorderſten Bank erobert und eigenſinnig darauf beſtanden: er müßte hier vorn ſitzen, auf dieſem Platz und keinem anderen, dieſem, ja dieſem, deſſen Eigentümer er beharrlich an der Schulter zupfte: aufſtehen möge er, aufſtehen und ihm den Platz überlaſſen. Er war ohne Scheu, der Alte, daß man irgend etwas an ſeinem Gehaben mißfällig aufnehmen könnte. | Drei hat er zu verlieren, drei Söhne, feine einzigen Kinder, die Erben des Hofes! war es manchem durch den Kopf gegangen,

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und endlich war auch der Eigentümer des begehrten Platzes aufgeſtanden und auf eine der Bänke weiter hinten gerückt. Mochte er da ſitzen, der Koiri⸗Jaan, vielleicht richtete er dort vorn auf der erſten Bank mehr für ſeine drei angeklagten Söhne aus als von einer der hinterſten!

Und da ſaß er nun, der alte Bauer! Stöhnend hatte er ſich hingeſetzt. Seine rotgeäderten, hornigen Augäpfel ſtarrten in die leeren Bankreihen vor dem grünen Tiſch. Sein Mund ſtand halb offen, der graue Bart verbarg es. Er atmete einen raſſeln⸗ den, pfeifenden Atem, wie unter einer ſchweren Laſt, wenn er ſie aus der Mühle getragen, ſaß da wie gefroren, die Ellen⸗ bogen auf die Schenkel geſtützt, regungslos. Es war ganz ſtill im Saal bis auf ein vereinzeltes Hüſteln; ſo ſtill, daß man es hören konnte, wenn irgend jemand würgend feinen Speichel herunterſchluckte. Selbſt der Krüger vom niedergebrannten Karroſilm⸗Krug, der mit vieren oder fünfen von den Seinen gekommen war und eingeſchnürt in ſeinen beſten Staat, den er aus der Feuersbrunſt gerettet, neben dem Alten ſaß, - ſelbſt der Krüger, der anfangs noch manchmal mit ſeinem Nachbarn zur Linken getuſchelt hatte, ſagte nichts mehr und ſchwitzte in ſtiller Erwartung.

Mit einem Mal aber begann der alte Roiri-Bauer feine Stie⸗ fel vorzuſchieben, als ſuchte er einen feſten Stand, weil er gleich aufſpringen müßte, und zog ſie wieder ſcharrend zurück, um ſie gleich danach abermals vorzuſchieben. Seine Rechte, eine ſchwere, tiefbraune Hand mit dickem, blauem Adergeflecht auf dem Rücken und tief eingewachſenen, faſt unkenntlichen Nä⸗ geln fing an, über das Knie zu ſtreichen, unabläſſig, hin und her, hin und her. Manchmal krümmten die Finger ſich und ſchienen ſich in den Pelz krallen zu wollen, aber gleich ließen ſie wieder los und ſtrichen weiter. Und da erſt, lange nach ihm hörten die anderen das Geräuſch von ferne: die Schritte, viele, viele Schritte, das Schlagen ſchwerer Türen, das Kreiſchen eiſerner Gitter, ... und dann, treppauf, näher und immer näher kommend, das Getrappel vieler Füße, ein Schleifen und Schar⸗ ren über die Kalkſteinflieſen der Treppenabſätze, geleitet von klirrenden Stiefelſchritten, taktfeſt, ſo, wie eine drängende,

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frappelnde Herde von ruhigen Hirtenſchritten eingehegt wird; näher und näher, ganz ſtumm, nur Schritte, nur Scharren, nur Schleifen; kein Wort, kein eigener freier Wille, nichts, gar nichts; nur Gang, Gang über Treppen und Gänge, zum Ge⸗ richt

Das war ſo grauſig, daß den meiſten der kalte Schweiß aus⸗ brach; die Hände klammerten ſich feucht um die Kniee. Manche Geſichter hoben ſich, manche Augen ſpähten nach der großen Tür, die meiſten Köpfe aber duckten ſich, ihre Augen ſahen gar nichts, den Weibern ſchwammen ſie in Tränen. Nur der feiſte Krüger blickte geradeaus, als hätte er nichts gehört. Da erſchien der erſte Ulan der Eskorte in der Türöffnung am Ende des Saales. Und hinter ihm kamen fie...

Mit zitternden Knieen reckte der alte Koiri ſich, verſuchte gar aufzuſtehen, erhob ſich auch um ein paar Zoll, ſank aber wie⸗ der zurück auf die Bank. Das Kinn fiel ihm kraftlos hinunter, ſein Mund klaffte auf, alles unſichtbar für ſeine Nachbarn in dem ſtruppigen Bart, der ſich ſträubte und zitterte. Seine Zunge wanderte fortwährend über die riſſigen, ausgedörrten Lippen, das Geſicht glühte ihm hier in der Wärme, und die kraftloſen Hände griffen und griffen, wie bei einem Sterbenden, ins Leere hinein. Neben ihm ſchaute der Krüger auf die Schar, die in die Bankreihen ſchlich, bis mit einem Mal ein heiſeres Röcheln die Bruſt des Alten neben ihm ſprengte. Der Koiri⸗Bauer hatte ſeine drei gefunden! Die Augen gingen ihm über, eine tiefe Ermattung ſchien ihn zu überkommen, unſäglich glücklich, daß ſie lebten, daß ſie noch lebten! hockte er da auf der Bank und ſchien immer wieder einmal aufſtehen zu wollen, um ſich zu ihnen zu ſchleppen.

Je vier in einer Reihe wurden ſie hereingeführt.

Die Männer in der Zeugenbank rieben ſich die Augen, als müß- ten ſie ſich wie beim Erwachen das Schlafkorn aus ihnen wi⸗ ſchen. Die Frauen atmeten tief auf und ſenkten den Blick. Und nicht nur fie gewahrten das, auch jedem anderen, der fie fab, wäre der ſtumme Zug durch mehr als nur durch die Augen ge⸗ gangen. Es war die Erbärmlichkeit ſelbſt, die da über das matt ſpiegelnde Parkett zu den Bänken ſchlich, um an den Wacht

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fe in Danzig

Daniel Chodowiecki: Die Lange Ga

haltenden Ulanen vorbei auf die Plätze zu rücken: Mann um Mann, ſo, wie er gefangen genommen worden war, ſo ſchmutzig, wie die Ulanenlanze ihn gefällt hatte, unter dicken, angegrauten Verbänden die Wunden, die er davongetragen, fahl von der luftleeren Enge des Gefängniſſes, von Schlaf— loſigkeit und ſchmaler Ration, ſo zerlumpt, wie ihn das heim⸗ liche Lager im Stroh und die Pürſch durchs Geſtrüpp auf ſei⸗ nen Raubzügen, ſo geduckt und gedemütigt, wie ihn die Ein⸗ ſicht, zu der er mittlerweile fähig geweſen, hatte werden laſſen! Manche freilich, die ſchlichen nicht, ſondern gingen, gingen ſicher und ſelbſtbewußt, ſchneller als die anderen zu den Bänken; andere aber, es waren in Wirklichkeit nur drei, gingen, als wũren ſie müde von einem ſchweren Tagwerk. Sie hielten ſich eng beieinander, einmal gar legte der eine von ihnen dem an⸗ deren eine Hand auf die Schulter, als ob er ihm bedeuten wollte: dieſe Bank hier wäre es, hier müßten ſie hinein.

Unter dem hellen Lampenlicht in dem großen Saal, zwiſchen den reinlichen Wänden und den eingedunkelten großen Bildern daran, auf dem ſpiegelnden Parkett ſahen die Geſtalten doppelt verwahrloſt aus, aber ſo manchem der Männer und vielen der Frauen auf den Zeugenbänken wirbelte bei ihrem Anblick eine Erinnerung durch den Kopf: das brennende Gutshaus, der funkenſtiebende Stall, der grölende Menſchenhaufe, der durch die Haupttür des Herrenhauſes in die Halle geſtürzt war, die torkelnden Geſtalten, die beladen mit Sachen aus dem Haus herausgerannt kamen, als die Flammen zum Dach hinaus⸗ ſchlugen; Fäuſte, Armbinden mit einem roten Stempel, Fla⸗ ſchen, die aus den Jackentaſchen lugten, wilde Reden, Hohn⸗ gelächter, wie man es der alten Ziege und ihrem Böcklein ein⸗ getränkt, der Gutsherrin und dem Jungherrn ... Die Erinne⸗ rung wurde vielen ſo wach, daß ihnen der Atem ſtockte wie da⸗ mals, weil heute der Schein der Lampen wieder ſo rötlich auf die Geſichter fiel wie von einem Brand; weil die Haare derer dort auf den Bänken ſo ſtruppig und verwildert waren wie bei den Kerlen am Abend; weil die Hemdkragen ihnen heute ſo weit offen ſtanden wie damals auch und weil bei ihnen auch heute wieder blaue Ranken von grimmigen Tätowierungen dort ſicht⸗

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bar wurden, wo das Hemd fich verſchob, weil die Gefichter .. die Geſichter ... O Gott! würden fie es ſagen müſſen? Wirk⸗ lich ſagen müſſen? ... Der kleine Schwarze dort hatte erzählt, wie er der Herrin einen Fußtritt verſetzt hatte, daß ſie der Länge lang hinſtürzte, um nicht wieder aufzuſtehen, und der letzte in der dritten Bank, der große Sommerſproſſige mit dem flachshellen Haar - ein Waggontiſchler aus Reval wäre er, hatte er erzählt -, der war zu den anderen gelaufen gekommen und hatte ſie gefragt, ob ſie es auch einmal mit einer Deut⸗ ſchen verſuchen wollten, vielleicht wäre es gar eine von blauem Blut, der Baron hier ſollte in dieſer Beziehung ganz tüchtig ge⸗ weſen fein, wie er gehört. Er hätte fie da drüben im Wagen: ſchuppen eingeſperrt, wahrſcheinlich wäre es eine Lehrerin oder dergleichen. Wer da wollte, dem würde er den Schlüſſel zum Schuppen geben, nur koſte der Spaß drei Rubel Entree...

Ob ſie das würde ſagen müſſen? Oder konnte ſie ſo tun, als wäre dieſer Wolf ihr nie über den Weg gelaufen? Die arme Lydia aber ſaß nun zu Haus und heulte ſich die Augen aus und hatte das Fieber bekommen und ſonſt noch manches, wovon man unter Chriſtenmenſchen gar nicht reden konnte; zwölf Ru⸗ bel hatte der Kerl mit ihr verdient, ohne daß ſie ſich hatte weh⸗ ren können! Und da ſollte man ſchweigen? Nichts ſagen? So tun, als wüßte man nichts? Hatte der kleine Schwarze etwa ein Recht gehabt, die Frau zu mißhandeln? Die Frau - das ließ ſich auch nicht verſchweigen -, die Frau hatte ihr geholfen, als ſie im erſten Wochenbett lag. Jawohl, die Baronin, ihr, der Lluefoa-Liine! Und ſpäter hatte fie ihre Kinder vom Tode errettet, als ſie an den Maſern daniederlagen und es beinahe ſchon zu {pdt war. Und als ihr Juhan damals mit der Leppiko⸗ Witwe anbandeln wollte, hatte ſie ihm den Kopf gewaſchen, ihm gut zugeredet und ihn wieder zu ſeiner angetrauten Frau geſchickt. Das alles ließ ſich nicht vergeſſen. Allerdings, die Barone waren nun einmal Barone, und richtig war es nicht, daß ſie die Herren hier waren. Was hatten ihre Mutter und ihre Großmutter ihr ſo alles erzählt aus der langen Zeit der Tränen! Wie die Teufel waren die Herren geweſen, hart und habgierig, die richtigen Schinder! Ein Wunder, daß es jetzt

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überhaupt noch andere Menſchen als die Deutſchen und die Halbdeutſchen gab! Die Tidenküllſche Frau aber... Natür⸗ lich, ſie würde ihren Kindern nicht erzählen können, was Mut⸗ ter und Großmutter einmal ihr erzählt hatten. Alſo konnte ſie dem Gericht doch etwas ſagen, nicht? Eine gute Tat brachte Lohn, das ſollte die Tidenküllſche Frau jetzt merken, wenn ſie auch ſchon fof war. Und fie felber vielleicht konnte fie ihren Lohn noch bei Lebzeiten ernten?

Mittlerweile hatte auch der Krüger vom abgebrannten Kar: roſilm⸗Krug einen Überſchlag gemacht, ruhig wie am Ende eines Markttages, wenn viele Leute auf den Straßen geweſen waren, über die Kaſſe ſeines Schanktiſches. Fünf von den Mordbrennern erkannte er wieder, fünf ganz beſtimmt, und zum Glück war auch der Illuſti⸗Jüri unter den fünfen, dort auf der vorderſten Bank, dieſer großſpurige Hund!

Dem Illuſti⸗Jüri, dem konnte man es heute eintränken! dachte ein anderer. Erſt einem das Mädchen abſpenſtig zu machen und es hinterher in der Schande ſitzen zu laſſen und obendrein mit Haſenſchrot zu antworten, wenn man ihm ſagte, was für ein Schuft er wäre ...! Gerade ſah er herüber. Ja, mochte er nur Korinthen ſchwitzen vor Angſt! Jetzt

Jetzt traten die Richter ein. Eins - zwei - drei - - fünf Offi⸗ ziere. Und zwei Schreiber. Wie? Was war denn? Ach ſo, auf— ſtehen ſollte man, wenn ſie kamen, ſo war das Knuffen und Puffen gemeint.

Der Karroſilm⸗Krüger ſtand ehrfürchtig auf. Dort kam der hohe Offizier, der ihn ſo freundlich angehört hatte. Er hätte mit der größten Bereitwilligkeit auch eine tiefe Verbeugung, wie vor dem heiligſten Heiligenbild, der Muttergottes in Kur⸗ remäe, gemacht, aber ſchon ohne den Bückling perlte ihm der Schweiß aus dem fettigen Haar die niedrige Stirn hinab, ſo gut angezogen, ſo geſpannt war er in der ſteifen Hemdbruſt und in ſeinem Rachedurſt, daß die Brandſtifter endlich büßen möchten.

Die Offiziere waren an den Tiſch getreten, der Rittmeifter zu dem hohen Stuhl in der Mitte, Pjotr Sergejewitſch Charuſin ihm zur Rechten, zu feiner Linken der Leutnant Wladimir Kar:

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lowitſch Möller; Maklakow und der Kornett Koſljaninow biel: ten die Flügel beſetzt. An den Schmalſeiten des Tiſches rich: teten die Schreiber ſich ein, breiteten das Papier aus, griffen zu den Stiften, zogen ſich die Tiſchlampen vor ihrem Platz näher heran. Und mit den Offizieren ſetzten ſich alle wieder. Nur die Wachen um das Geviert der Gefangenenbänke blieben ſtehen. Jetzt erſt trug eine der Ordonnanzen aus dem Nebenzimmer, aus dem die Offiziere gekommen waren, ein Tiſchchen herein, auf dem etliche Gegenſtände lagen. Was es war, blieb den meiſten verborgen, denn der Ulan ſtellte das Tiſchchen hinter die Richter, ſo, daß der Rittmeiſter oder der Leutnant Möller nach hinten greifen mußten, wenn ſie etwas brauchten. Der Leutnant wandte ſich um und ſchien die Gegenſtände noch ein: mal zu muſtern, ob auch nichts fehlte von all dem, was zumeiſt er ſelber hinter den Namen der Gefangenenliſte vermerkt hatte: eine Photographie, die eine kriegeriſch ausgerüftefe Mi: liztruppe der Aufſtändiſchen und in ihren Reihen viele von den Geſichtern zeigte, die jetzt den Richtern zugewandt waren, gol⸗ dene Uhren mit Zetteln daran, wem ſie einſt zu Recht gehört hatten und bei wem man ſie in den letzten Tagen gefunden, Waffen und Fahnen und endlich, obenauf, ein graues Leinen⸗ ſäckchen, das prall gefüllt war und ſo ſchwer wog, als ent⸗ hielte es Gold, nur Gold. Aber das meiſte von dem, was die Liſten hinter den Namen vermerkten, hätte auf dieſem Tiſchchen keinen Platz gefunden. Der große Saal wäre mindeſtens zur Hälfte gefüllt worden, wenn man in ihm aufgehäuft hätte, was auf Rücken, auf Karren und Wagen bei Nacht und Feuer⸗ ſchein in die ländlichen Höfe verſchleppt worden war. Dazu hatte das Feuer ein ganzes Haus, ſo groß wie dieſes hier, ver⸗ nichtet, einen Beſitz, den viele Geſchlechter zuſammengetragen hatten, unſichtbare Güter, die unwiederbringlich verloren wa⸗ ren. Konnten dagegen die Pferde und Wagen zählen, die die Sieger über die Bande erbeutet hatten, oder die Säbel und Dolche, die Revolver und Gewehre, die Kriegskaſſen und Flug⸗ blätter, das ſilberne Tafelgeſchirr, das ſich ſtückweiſe in Hofen- und Manteltaſchen und Schulterſäcken gefunden hatte, eine ſchmutzige rote Fahne hie und da, der plumpe Stempel eines

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Revolutionstribunals, der (chon das Schickſal Ungezählter ent: ſchieden? Fünfundachtzig Herrenhäuſer waren in Livland nie⸗ dergebrannt worden, fünfundvierzig in Kurland, vierundfünf⸗ zig in Eſtland! Und wieviel Scheunen und Ställe und Bren⸗ nereien! Wieviel argloſe Tiere waren zu Tode gefoltert wor⸗ den, nur weil ſie Deutſchen gehörten! Wie viele Kirchen waren geſchändet worden, wie viele Paſtoren und Gutsherren, wie viele Soldaten und Offiziere erſchoſſen, erſtochen, zerfleiſcht ... Aber wieviel lettiſche oder eſtniſche Bauern hatten auch mit einem Flintenſchuß durchs Fenſter büßen müſſen, daß ſie ihren Herren anhingen oder nur im Verdacht ſtanden, zu ihnen zu halten: all die, grauen Barone‘, beinahe verhaßter als die Ba⸗ rone felbft! Wie viele Geſinde mit ihrem Stroh- oder Schindel⸗ dach waren wie Fackeln verlodert, indes ihre Bewohner, halb von Sinnen vor Angſt, ſich im Qualm gegen die verſperrten Türen und Fenſter geworfen und ein Entrinnen geſucht hatten, das man ihnen unmöglich gemacht, bis fie, vom Rauch erſtickt, unter dem zuſammenſtürzenden Gebälk ihres Hauſes verbrann⸗ ten!

Die Richter hinter dem Tiſch und die Schreiber, die Zeugen auf ihren Bänken und die Angeklagten, die Ordonnanzen in der Ecke unter dem Heiligenbild, die wie zu Standbildern er⸗ ſtarrten Ulanen um das Geviert in der Mitte des Saales, Sekunden oder nur den Bruchteil einer Sekunde lang war alles totenſtill und unbeweglich, als wartete man noch auf etwas oder als wäre ſie alle, die vielen Menſchen, eine Scheu angekommen, in die gefahrvollen Beziehungen zueinander zu treten, die hier das Geſetz des irdiſchen Rechtes gebot: ſich nie wieder verein⸗ bar voneinander zu ſcheiden, für manchen vielleicht über den Tod hinaus, und im Leben noch eben dieſes Recht anerkennend, das ihnen den Tod beſtimmen konnte. Dieſes in den Augen der Angeklagten ſeit einiger Zeit ſoundſo oft gereinigte, gerechter gewordene Recht, wenn es, von freiheitsliebenden ruſſiſchen Richtern oder Richtern aus ihrem eigenen Volk geſprochen, ſolche Kämpfer wie ſie für den Mord an einem Deutſchen nur zu einer kurzen Freiheitsſtrafe oder für Raub und Brandftif: tung nur zu polizeilicher Haft verurteilt hatte, weil man darin

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nur einen ‚öffentlichen Unfug‘ zu beftrafen für nöfig befunden. Diefes geſchändete, erniedrigte, von beſtechlichen oder insgeheim mit den Aufrührern liebäugelnden Richtern ſoundſo oft ver: hurte Recht, empfanden die fünf Offiziere. Dieſes Recht, das ſeine Hoheit aus göttlichem oder vermeintlich göttlichem Auf— trag in politiſchen Plänen verloren hatte, und dazu feine Wurde, das aber, wenn auch nicht in zurückgewonnener Hoheit und Würde, fo doch in voller Strenge den Taten dieſer vierund— dreißig Gefangenen anzulegen ein Befehl des Oberkomman⸗ dierenden dem Rittmeiſter noch vor wenigen Stunden geboten hatte. Es war nicht das Recht, das ſonſt von Richtern und Staatsanwälten und einer Heerſchar von Beamten durch dick⸗ leibige Aktenbündel gezerrt wurde, bis es zu einem Schemen geworden war und, bedrängt von unzähligen politiſchen Knif— fen und Pfiffen und geheimen ehrloſen Pflichten, keinerlei An⸗ ſpruch mehr darauf erheben konnte, ein Maß für das Tun und Laſſen der Menſchen zu ſein. Es war ein Recht, das ſich ſchnell und aktenfremd gegen jeden Übeltäter richtete, ſo, wie ein waches Gewiſſen ſich gegen den auflehnt, der es beleidigt; ein Recht ohne Rückſichten, ein Recht der Ehre gegen Ehrloſe, ein Recht, das nicht in Anſchauungen davon wurzelte, was der Menſch im Frieden ſeinem Mitmenſchen ſchuldet, ſondern ein Recht, das wie mit dem Geißelhieb der Furien trifft, ein Recht, das als düfteres Geſetz den Zeiten entſteigt, da der Menſch und der Friede nichts gelten: das Kriegsrecht.

Es gab keine Berufung gegen ſeinen Spruch, mochte er auf Tod, auf Rutenhiebe oder auf die Verbannung nach Sibirien lauten; und war auch der Zar der Statthalter Gottes im Heiligen Ruſſiſchen Reiche, in deſſen Macht es ſtand, ſelig zu ſprechen oder zu verfluchen bis ins letzte Aon =: Es war das Recht der ſchuldbeladenen Erde, in deſſen Spruch der Irrtum geſät iſt und in deſſen Wirken die Schuld, unter der alles Le: bendige leidet.

Im Namen des Zaren eröffnete der Rittmeiſter Graf von Ovelacker die nächtliche Sitzung.

Aus einem kommenden Roman *

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Achim von Arnim / Letzter Brief eines Freiwilligen

Lieber Freund! Das Leben iſt mir durch die Güte des Arztes aufgekündigt, ich muß leider ziehen, aber nichts würde mich fo ſchmerzlich gekränkt haben, als wenn er mich mit guten Hoff⸗ nungen aus der Welt hinausgelogen hätte. Er hat noch mehr Güte gegen mich, er will auch dieſen Brief an dich befördern, der kein Abſchied von dir werden ſoll, weil ich den längſt von dir genommen habe, ſondern mein Vermächtnis, ein Angeden⸗ ken von allem dem, was ich in den letzten Stunden gedacht habe; wer verlangt von einem Angedenken, daß es viel wert ſei, wenn es nur wert gehalten wird. Du weißt, daß auch mich eine politiſche Meinung den Waffen zugeführt hat; unter den Waffen aber fand ich mein Vaterland und mein Volk, das ich ſo lange vermißt und vergebens geſucht hatte. Nun wundre ich mich, wie ich mit meinen genügſamen Brüdern alles vergeſſen habe, was ich einſt gedacht. Die Notdurft hat uns miteinander auch geiſtig in Reih und Glied geſtellt, ich habe viel gelernt, ich wünfcye, daß fie brauchen können, was fie von mir gelernt haben. Alles andere, warum ich mich ſonſt liebte, was ich als wahr und herrlich mit der Inbrunſt meines Geiſtes geboren, mag ihnen vielleicht unverſtanden bleiben, aber untergehen wird es nicht, es klingt wider in der ganzen Welt, auch ohne Worte, ſo wie auch mich eine Stimme von jenſeit ruft, die ich nicht nennen kann. Von dem allen ſage ich auch dir kein Wort, ſon— dern ich ſpreche vom nächſten Nützlichen über meine tägliche Erfahrung. Täglich ſollte es geſagt werden, daß nur darum ſo biel Falſchheit und Verkehrtheit in der Welt ſei, weil die Men⸗ ſchen ſich ſcheuen, ihre Überzeugung wahr und frei auszuſpre⸗ chen; in ſolchen Zeiten, wie die unſern, überzeugt ſich der Wahr⸗ heitsliebende recht, wieviel Unbeſtimmtes, Unausgemachtes, wie⸗ viel Nachgeſprochnes oder bloß Geſprochnes in der Welt gilt, wie ſich der ernſte Menſch in den bedeutendſten Zweifeln ohne Troſt und Rat ganz auf ſich zurückgeworfen fühlt; und wie wenig der einzelne ſei, das fühlt ſich nur lebendig im Gebet und in der Schlacht. Darum ehre den Widerſpruch höher als die Zuſtimmung, meide vor allem die Heimlichkeitskrämereien,

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befonders wo pom Geſchicke der Völker die Rede. Das abfidht: liche Geheimnis hat nur im praftifchen Leben feine Anwendung; wo aber noch ſo viel Undurchdringlichkeit und Geheimnisvolles wie in Meinungen anzutreffen iſt, da kann nicht laut genug darüber verhandelt werden. Wer ſeiner Meinung die Offent: lichkeit ſchädlich glaubt, der kann von ihrer innern Verderblich⸗ keit überzeugt ſein, es muß aber an den Tag kommen, welcher Geiſt quält und zerſtört und welcher beſeligt und beſeelt. - Bon denen, die wir gehört haben, find mir die Überflugen beſonders verhaßt geworden, denen alles ſchon beſtimmt und abgelaufen iſt, weil ſie von nichts mehr mit der friſchen vielfachen Be⸗ ſtimmbarkeit des Lebens ergriffen werden, die in der ganzen Zeitgeſchichte nur das leſen, was ſie zum Beweiſe ihrer Voraus⸗ ſetzungen brauchen können, die alle unendlichen Weltgeſchicke aus einer armſeligen Regel herleiten möchten. Solche Leute kamen leicht auf den Einfall, das Volk bearbeiten zu wollen, nämlich durch kleine Liſten es von dem überreden, nicht über⸗ zeugen zu wollen, was ſie bequem finden zu glauben und zu tun. Zwar bleibt es gewöhnlich dabei, daß das Volk ſie über die unnütze Mühe verlacht, manchmal geht es aber ſchlimmer ab für einen von beiden oder für beide; daher kommt es, daß ſolche Leute in raſcher Abwechſelung ganze Völker in einem Augenblicke aufgeben, in anderm die unnützeſten Wunder von ihnen erwarten. Sie berühren ſich in ihrer Willkürlichkeit mit gewiſſen enthuſiaſtiſchen Syſtemmachern, die eine eigne Ge: ſchichte ſich ſchaffen oder auch gar keine brauchen, ſondern Na: tionen nach ihren Wünſchen vorhanden glauben und über Gott zornig werden, wenn es nicht zutrifft. Dieſe Syſtematiker mod: ten gern ohne nähere Betrachtung alles Herrliche der einzelnen deutſchen Völker einem hohlen Wortideale von Deutſchland auf— opfern, wie es nie vorhanden geweſen iſt und wie es nie ent: ſtehen kann, da alles, was für ein Volk beſtehen ſoll, ſeine zähen Wurzeln aus einer unendlichen Vergangenheit, alſo in ſich ſelbſt und in ſeiner allgemeinen Geſchichte, nicht aber aus einem Menſchen oder aus einem fremden nadhzubildenden Muſterlande treibt und ernährt. Nur ein guter Preuße, Bayer, Oſterreicher uſw. wird auch ein guter Deutſcher im höchſten

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Sinne des Wortes werden, jedes von dieſen Völkern hat fein Gutes, aber ſie gehören alle zum Heil des Ganzen, jedes mag ſeiner ruhmvollen Zeit wohlgedenken, aber nicht um damit gegenwärtige Schwäche zu decken, ſondern daß jedes an ſeiner Stelle das Seine tue; wehe jedem, das nur klug iſt, dem andern die Gefahr aufzuwälzen, wehe jedem, der klug geweſen und nichts getan hat, denn er hat ſeine Zeit verloren! Die Zeit wird aber vor allem mächtig auftreten, nicht umſonſt wird ſo viel von der Zeit geſprochen, jede Tat bedarf nicht nur der rechten Stunde, ſondern auch des rechten Augenblicks zu ihrer Geburt und darum ſteter Geiſtesgegenwart, dieſe Stunde zu ahnden, den Augenblick zu benutzen. Freiheit von Leiden und Freuden bedarf jetzt ein Held, der alle führen ſoll, ein Leben im Ganzen, eine Ergebenheit in den Tod. Das alles fordert dieſe Zeit, und dieſe letzte Ergebenheit iſt mir allein von allem geworden, ich ſterbe unberühmt, aber nicht unnütz, ich habe gelebt für das Ganze, bald lebe ich mit ihm. Gott vergißt keinen in ſeiner letz⸗ ten Not, der das Vaterlandes Not nicht vergeſſen hat, - ich hätte dir noch viel zu ſagen - lebe wohl, ſterbe frei und willig, - ich rufe mit Guſtav Adolf: Der allmächtige Gott wird nicht weniger leben, wenn ich ſterbe!

Aus dem , Bud) deutfder Dichtung!

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Reinhold Schneider / Sonett

Wenn ferner ſchon des Mittags ſchlimmer Brand Und Weg und Wünſche gleiten ſachte nieder, Erſcheinen uns der Toten Bilder wieder,

Als kehrten wir in wohlvertrautes Land.

Und wunderbar! So rührte keine Hand Wie nun ihr Blick an die verweinten Lider, So innig klang kein Wort im Herzen wider Als ihr verwehtes, das uns wiederfand.

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Und treulich ſchließen fie verborgne Kreiſe; Die uns im Leben ſchützend aufgenommen, Sie wirken uns mit neuer Kraft entgegen;

Zu lang entbehrte Freude rührt uns leiſe, Geſichter ſchimmern, und die Schatten kommen, Und Liebe führt uns heim auf dunklen Wegen.

Aus den „Sonetten

Annette von Droſte⸗Hülshoff / Bilder aus Weftfalen

Wir haben ſchon früher von dem überaus friedlichen Ein⸗ drucke eines münſteriſchen Gehöftes geſprochen. In den Som⸗ mermonaten, wo das Vieh im Feld iſt, vernimmſt du keinen Laut außer dem Bellen des ſich an ſeiner Kette abzappelnden Hofhundes und, wenn du dicht an der offenen Haustür her⸗ ſchreiteſt, dem leiſen Zirpen der in den Mauerneſſeln aus- und einſchlüpfenden Küchlein und dem gemeſſenen Pendelſchwung der Uhr, mit deſſen Gewichten ein paar junge Kätzchen ſpielen; die im Garten jätenden Frauen ſitzen fo ſtill gekauert, daß du ſie nicht ahnſt, wenn ein zufälliger Blick über den Hagen ſie dir nicht verrät - die ſchönen ſchwermütigen Volksballaden, an denen dieſe Gegend überreich iſt, hörſt du etwa nur auf einer nächtlichen Wanderung durch das Schnurren der Spinn⸗ räder, wenn die blöden Mädchen fic) vor jedem Ohre geficert glauben. Auch auf dem Felde kannſt du im Gefühl der tief⸗ ſten Einſamkeit gelaſſen fortträumen, bis ein zufälliges Räu⸗ ſpern oder das Schnauben eines Pferdes dir verrät, daß der Schatten, in den du ſoeben trittſt, von einem halbbeladenen Erntewagen geworfen wird und du mitten durch zwanzig Ar: beiter geſchritten biſt, die ſich weiter nicht wundern, daß der ‚nachdenfende Herr‘ ihr Hutabnehmen nicht beachtet hat, da er nach ihrer Meinung ‚andächtig“ iſt, das heißt, den Roſenkranz

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aus dem Gedächtniſſe herſagt. - Dieſe Ruhe und Eintönigkeit, die aus dem Innern hervorgehen, verbreiten ſich auch über alle Lebensverhältniſſe. Die Toten werden mäßig betrauert, aber nie vergeſſen, und alten Leuten treten noch Tränen in die Augen, wenn ſie von ihren verſtorbenen Eltern reden. An den Eheſchlüſſen hat frühere Neigung nur ſelten teil; Verwandte und achtbare Freunde empfehlen ihre Lieblinge einander, und das Fürwort des Geachtetſten gibt in der Regel den Ausſchlag - fo kommt es, daß manches Ehepaar ſich vor der Kopulation kaum einmal geſehen hat, und unter der franzöſiſchen Regie⸗ rung kam nicht ſelten der lächerliche Fall vor, daß Sponſen, die meilenweit hergetrabt waren, um für ihre Bräute die nötigen Scheine bei der Behörde zu löſen, weder Vor- noch Zunamen derjenigen anzugeben wußten, die ſie in der nächſten Woche zu heiraten gedachten, und ſich höchlich wunderten, daß die Be: zeichnung als Magd oder Nichte irgendeines angeſehenen Ge— meindegliedes nicht hinreichend gefunden wurde. Daß unter dieſen Umſtänden die möglichſt große Anzahl der Anträge noch ehrenvoller und für den Ruf entſcheidender iſt als anderwärts, begreift ſich, und wir ſelbſt wohnten der Trauung eines wahren Kleinodes von Brautpaare bei, wo der Bräutigam unter acht⸗ undzwanzigen, die Braut unter zweiunddreißigen gewählt hatte. Trotz der vorläufigen Verhandlung iſt jedoch ſelbſt der Glän⸗ zendſte hier ſeines Erfolges nicht ſicher, da die Ehrbarkeit ein beſtimmtes Eingehen auf die Anträge des Brautwerbers ver: bietet, und jetzt beginnt die Aufgabe des Freiers. Er tritt an einem Nachmittage in das Haus der Geſuchten, und zwar jedes⸗ mal unter dem Vorwande, feine Pfeife anzuzünden - die Haus: frau ſetzt ihm einen Stuhl und ſchürt ſchweigend die Glut auf, dann knüpft ſie ein gleichgültiges Geſpräch an vom Wetter, den Kornfrüchten uſw. und nimmt unterdeſſen eine Pfanne vom Geſimſe, die ſie ſorgfältig ſcheuert und über die Kohlen hängt. Jetzt iſt der entſcheidende Augenblick gekommen. Sieht der Freier die Vorbereitungen zu einem Pfannkuchen, ſo zieht er ſeine dicke ſilberne Uhr hervor und behauptet, ſich nicht länger aufhalten zu können; werden aber Speckſchnitzel und Eier in die Pfanne gelegt, ſo rückt er kühnlich mit ſeinem Antrage heraus,

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die jungen Leute wechſeln die ‚Treue‘, nämlich ein Paar alter Schaumünzen, und der Handel iſt geſchloſſen.

Einige Tage vor der Hochzeit macht der Gaſtbitter mit ellen⸗ langem Spruche ſeine Runde, oft meilenweit, da hier, wie bei den Schotten, das verwandte Blut bis in das entfernteſte Glied und bis zum Armſten hinab geachtet wird. - Nächft dieſem dür- fen vor allem die ſogenannten Nachbarn nicht übergangen wer⸗ den, drei oder vier Familien nämlich, die vielleicht eine halbe Meile entfernt wohnen, aber in uralten Gemeinderegiſtern, aus den Zeiten einer noch viel ſparſameren Bevölkerung, als „Nachbarn“ verzeichnet ſtehen und, gleich Prinzen von Geblüt vor den näheren Seiten verbindungen, fo auch ihre Rechte und Verpflichtungen vor den vielleicht erſt ſeit ein paar hundert Jahren Näherwohnenden wahren. Am Tage vor der Hoch⸗ zeit findet der , Gabenabend“ ſtatt - eine freundliche Sitte, um den jungen Anfängern über die ſchwerſte Zeit wegzuhelfen. Abends, wenn es bereits ſtark dämmert, tritt eine Magd nach der anderen ins Haus, ſetzt mit den Worten: „Gruß von un: ſerer Frau“ einen mit weißem Tuch verdeckten Korb auf den Tiſch und entfernt ſich ſofort; dieſer enthält die Gabe: Eier, Butter, Geflügel, Schinken je nach den Kräften eines jeden —, und die Geſchenke fallen oft, wenn das Brautpaar unbemittelt iſt, ſo reichlich aus, daß dieſes um den nächſten Wintervorrat nicht ſorgen darf. - Eine liebenswürdige, das Volk bezeichnende Höflichkeit des Herzens verbietet die Überbringung der Gabe durch ein Familienmitglied; wer keine Magd hat, ſchickt ein fremdes Kind. Am Hochzeitsmorgen, etwa um acht, beſteigt die Braut den mit einer weißen, goldflinkernden Fahne geſchmück⸗ ten Wagen, der ihre Ausſteuer enthält; - fie ſitzt allein zwiſchen ihren Schätzen, im beſten Staate, aber ohne beſonderes Ab— zeichen, und weint aufs jämmerlichſte; auch die auf dem fol⸗ genden Wagen gruppierten Brautjungfern und Nachbarinnen beobachten eine ernſte, verſchämte Haltung, während die auf dicken Ackergäulen nebenher trabenden Burſche durch Hut⸗ ſchwenken und hier und dort ein ſchwerfälliges Juchhei ihre Lu— ſtigkeit auszudrücken ſuchen und zuweilen eine alte blindgeladene Flinte knallen laſſen. Erſt vor der Pfarrkirche findet ſich der

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Bräutigam mit feinem Gefolge ein, beſteigt aber nach der Trauung nicht den Wagen der Braut, ſondern trabt als ein⸗ ziger Fußgänger nebenher bis zur Tür ſeines Hauſes, wo die junge Frau von der Schwiegermutter empfangen und mit einem „Gott ſegne deinen Cine und Ausgang‘ feierlich über die Schwelle geleitet wird. - Lebt die Mutter nicht mehr, fo ver: tritt der Pfarrer ihre Stelle oder, wenn er zufällig gegenwär⸗ tig iſt, der Gutsherr, was für eine ſehr glückliche Vorbedeutung gehalten wird, die den Neuvermählten und ihren Nachkommen den ungeſtörten Genuß des Hofes ſichert, nach dem Spruche: „Wen die Herrſchaft einleitet, den leitet ſie nicht wieder her⸗ aus.‘ Während dieſer Zeremonie ſchlüpft der Bräutigam in ſeine Kammer und erſcheint alsbald in Kamiſol, Zipfelmütze und Küchenſchürze. In dieſem Aufzuge muß er an ſeinem Ehren⸗ tage den Gäſten aufwarten, nimmt auch keinen Teil am Hoch⸗ zeitsmahle, ſondern ſteht, mit dem Teller unterm Arme, hinter der Braut, die ihrerſeits keinen Finger rührt und ſich wie eine Prinzeſſin bedienen läßt. Nach Tiſche beginnen auf der Tenne die althergebrachten Tänze: ‚Der halbe Mond,, Der Schuſter⸗ fanz‘, „Hinten im Garten“, manche mit den anmutigſten Ber: ſchlingungen. Das Orcheſter beſteht aus einer oder zwei Gei⸗ gen und einer invaliden Baßgeige, die der Schweinehirt oder Pferdeknecht aus dem Stegreif ſtreicht. Hit das Publikum ſehr muſikliebend, ſo kommen noch wohl ein paar Topfdeckel hinzu und eine Kornſchwinge, die abwechſelnd von den Gäſten mit einem Spane aus Leibeskräften wider den Strich gekratzt wird. Nimmt man hiezu das Gebrüll und Kettengeklirr des Viehes, das erſchrocken an ſeinen Ständen ſtampft, ſo wird man zugeben, daß die unerſchütterliche Gravität der Tänzer mindeſtens nicht dem Mangel an aufregendem Geräuſche zu: zu ſchreiben iſt. Hier und dort läßt wohl ein Burſche ein Juchhei los, was aber ſo einſam klingt wie ein Eulenſchrei in einer Sturmnacht. Bier wird mäßig getrunken, Branntwein noch mäßiger, aber ſiedender Kaffee „zur Abkühlung“ in ganzen Strömen, und mindeſtens ſieben blanke Zinnkeſſel ſind in ſteter Bewegung. Zwiſchen dem Tanzen verſchwindet die Braut von Zeit zu Zeit und kehrt allemal in einem anderen Anzuge zurück,

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fo biel ihr deren zu Gebote ſtehen, vom Trauſtaate an bis zum gewöhnlichen Sonntagsputze, in dem fie ſich noch ſtattlich ge- nug ausnimmt, in der damaſtenen Kappe mit breiter Gold: treſſe, dem ſchweren Seidenhalstuche und einem ſo impoſanten Körperumfange, als ihn mindeſtens vier Tuchröcke übereinan- der hervorbringen können. Sobald die Hängeuhr in der Küche Mitternacht geſchlagen hat, ſieht man die Frauen ſich von ihren Bänken erheben und miteinander flüftern; gleichzeitig drängt ſich das junge Volk zuſammen, nimmt die Braut in ſeine Mitte und beginnt einen äußerſt künſtlichen Schneckentanz, deſſen Zweck iſt, in raſchem Durcheinanderwimmeln immer eine vierfache Mauer um die Braut zu erhalten, denn jetzt gilts den Kampf zwiſchen Ehe und Jungfrauſchaft. Sowie die Frauen anrücken, wird der Tanz lebhafter, die Verſchlingungen bunter, die Frauen ſuchen von allen Seiten in den Kreis zu dringen, die Junggeſellen durch vorgeſchobene Paare fie wegzudrängenz die Parteien erhitzen ſich, immer raſcher wirbelt die Muſik, immer enger zieht ſich die Spirallinie, Arme und Kniee werden zu Hilfe genommen, die Burſche glühen wie Ofen, die ehrwuͤr— digen Matronen triefen von Schweiß, und man hat Beiſpiele, daß die Sonne über dem unentſchiedenen Kampfe aufgegangen iſt; endlich hat eine Veteranin, die ſchon einige zwanzig Bräute in den Eheſtand gezerrt hat, ihre Beute gepackt; plötzlich ver⸗ ſtummt die Muſik, der Kreis ſtäubt auseinander, und alles ſtrömt den Siegerinnen und der weinenden Braut nach, die jetzt zum letzten Mal umgekleidet und mit Anlegung der fraulichen Stirnbinde ſymboliſch von ihrem Mädchentum geſchieden wird ein Ehrendienſt, welcher den (ſogenannten) Nachbarinnen zuſteht, dem ſich aber jede anweſende Ehefrau, die Gattin des Gutsherrn nicht ausgenommen, durch irgendeine kleine Dienſt⸗ leiftung, Darreichung einer Nadel oder eines Bandes, an ſchließt. Dann erſcheint die Braut noch einmal in reinlicher Hauskleidung und Hemdärmeln, gleichſam eine bezwungene und fortan zum Dienen willige Brunhildis, greift aber dennoch nach ihres Mannes bereit liegendem Hute und ſetzt ihn auf; die Frauen tun desgleichen, und zwar jede den Hut ihres eigenen Mannes, den er ihr felbft ehrerbietig reicht, und eine ſtattliche

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Frauenmenuett beſchließt die Feier und gibt zugleich die Bor: bedeutung eines ehrenhaften, fleißigen, friedlichen Eheſtandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß ſie am Hochzeitstage ihres Mannes Hut getragen. Noch bleibt den Gäſten, bevor ſie ſich zerſtreuen, eine ſeltſame Aufgabe: der Bräutigam iſt näm⸗ lich während der Menuett unſichtbar geworden, er hat ſich verſteckt, offenbar aus Furcht vor der behuteten Braut, und das ganze Haus wird umgekehrt, ihn zu ſuchen; man ſchaut in und unter die Betten, raſchelt im Stroh und Heu umher, durch— ſtöbert ſogar den Garten, bis endlich jemand in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quaſt ſeiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchenſchürze entdeckt, wo er dann ſofort gefaßt und mit gleicher Gewalt und viel weniger Anſtand als ſeine ſchöne Hälfte der Brautkammer zugeſchleppt wird.

Bei Begräbniſſen fällt wenig Ungewöhnliches vor, außer daß der Tod eines Hausvaters feinen Bienen angeſagt werden muß, wenn nicht binnen Jahresfriſt alle Stöcke abzehren und ver⸗ ziehen ſollen, weshalb, ſobald der Verſcheidende den letzten Odemzug getan, ſofort der Gefaßteſte unter den Anweſenden an den Stand geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich ſpricht: ‚Einen Gruß von der Frau, der Herr iſt tot“, worauf die Bienen ſich chriſtlich in ihr Leid finden und ihren Geſchäften nach wie vor obliegen. Die Leichenwacht, die in Stille und Ge- bet abgehalten wird, iſt eine Pflicht jener entfernten Nachbarn, ſo wie das Leichenmahl ihr Recht, und ſie ſorgen mit dafür, daß der Tote ein feines Hemd erhält, recht viele ſchwarze Schlei⸗ fen und einen recht flimmernden Kranz und Strauß von Spie— geln, Rauſchgold und künſtlichen Blumen, da er unfehlbar am Jüngſten Tage in demfelben Aufzuge erſcheinen wird, wo fie dann Lob und Tadel mit den Hinterlaſſenen zu teilen haben. Der Münſterländer iſt überhaupt ſehr abergläubiſch, ſein Aber⸗ glaube aber ſo harmlos wie er ſelber. Von Zauberkünſten weiß er nichts, von Hexen und böſen Geiſtern wenig, obwohl er ſich ſehr vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß dieſer wenig Veranlaſſung finde, im Münſterlande umzugehen. Die häufi⸗ gen Geſpenſter in Moor, Heide und Wald ſind arme Seelen aus dem Fegefeuer, deren täglich in vielen tauſend Nofenfran-

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zen gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da man zu be: merken glaubt, daß die ‚Sonnfagsfpinnerin‘ ihre blutigen Arme immer felfener aus dem Gebüſche ſtreckt, der ‚diebifche Torf: gräber‘ nicht halb fo kläglich mehr im Moore ächzt und voll ends der ,fopflofe Geiger“ feinen Sitz auf dem Waldſtege gänzlich verlaſſen zu haben ſcheint. Von den ebenfalls häufigen Hausgeiſtern in Schlöſſern und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar, aber auch nicht ſchlimm, und glaubt, daß mit ihrem völligen Verſchwinden die Familie des Beſitzers ausſter⸗ ben oder verarmen werde. Dieſe beſitzen weder die häuslichen Geſchicklichkeiten noch die Tücke anderer Kobolde, ſondern ſind einſamer, träumeriſcher Natur, ſchreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen Gedanken langſam und ſchweigend an irgendeiner verſpäteten Milchmagd oder einem Kinde vorüber und ſind ohne Zweifel echte Münſterländer, da man kein Beiſpiel hat, daß ſie jemand beſchädigt oder abſichtlich erſchreckt hätten. Man unterſcheidet fie in „Timphüte“ und ‚Langhüte“. Die erſteren kleine runzlige Männchen, in altmodiſcher Tracht, mit eis⸗ grauem Barte und dreieckigem Hütchen; die anderen über⸗ natürlich lang und hager, mit langem Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß der Timphut beſtimmten Segen bringt, der Langhut dagegen nur Unglück zu verhüten ſucht. Zuweilen halten ſie nur in den Umgebungen, den Alleen des Schloſſes, dem Wald: und Wieſengrunde des Hofes ihre philo⸗ ſophiſchen Spaziergänge; gewöhnlich haben ſie jedoch außer⸗ dem einen Speicher oder eine wüſte Bodenkammer inne, wo man ſie zuweilen nachts auf und ab gehen oder einen knarren⸗ den Haſpel langſam umdrehen hört. Bei Feuersbrünſten hat man den Hausgeiſt ſchon ernſthaft aus den Flammen ſchreiten und einen Feldweg einſchlagen ſehen, um nie wiederzukehren, und es war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die Familie bei dem Neubau in einige Verlegenheit und Schulden geraten werde.

Größere Aufmerkſamkeit als dieſes verdienk das ſogenannte ‚Borgeficht‘, ein bis zum Schauen oder mindeſtens deutlichen Hören geſteigertes Ahnungsvermögen, ganz dem Second sight der Hochſchotten ähnlich und hier ſo gewöhnlich, daß, obwohl

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igung

und

Engel der Verkü

der

Tilman Riemenſchnei

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die Gabe als eine höchſt ungluͤckliche eher geheim gehalten wird, man doch überall auf noforifd) damit Behaftete trifft und im Grunde faſt kein Eingeborener ſich gänzlich davon freiſprechen dürfte. Der Vorſchauer (Vorgucker) im höheren Grade iſt auch äußerlich kenntlich an ſeinem hellblonden Haare, dem gei⸗ ſterhaften Blitze der waſſerblauen Augen und einer blaſſen oder überzarfen Geſichtsfarbe; übrigens ift er meiſtens geſund und im gewöhnlichen Leben häufig beſchränkt und ohne eine Spur bon Uberfpannung. Seine Gabe überkommt ihn zu jeder Ta⸗ geszeit, am häufigſten jedoch in Mondnächten, wo er plötzlich erwacht und von fieberiſcher Unruhe ins Freie oder ans Fen⸗ ſter getrieben wird; dieſer Drang iſt ſo ſtark, daß ihm kaum jemand widerſteht, obwohl jeder weiß, daß das Übel durch Nachgeben bis zum Unerträglichen, zum völligen Entbehren der Nachtruhe geſteigert wird; wogegen fortgeſetzter Wider⸗ ſtand es allmählich abnehmen und endlich gänzlich verſchwinden läßt. - Der Vorſchauer fieht Leichenzüge - lange Heeresfolon- nen und Kämpfe er ſieht deutlich den Pulverrauch und die Bewegungen der Fechtenden, beſchreibt genau ihre fremden Uniformen und Waffen, hört ſogar Worte in fremder Sprache, die er verſtümmelt wiedergibt und die vielleicht erſt lange nach ſeinem Tode auf demſelben Fleck wirklich geſprochen werden. Auch unbedeutende Begebenheiten muß der Vorſchauer unter gleicher Beängſtigung ſehen, zum Beiſpiel einen Erntewagen, der nach vielleicht zwanzig Jahren auf dieſem Hofe umfallen wird; er beſchreibt genau die Geſtalt und Kleidung der jetzt noch ungeborenen Dienſtboten, die ihn aufzurichten ſuchen; die Ab⸗ zeichen des Fohlens oder Kalbes, das erſchreckt zur Seite ſpringt und in eine jetzt noch nicht vorhandene Lehmgrube fällt uſw. Napoleon grollte noch in der Kriegsſchule zu Brienne mit ſei⸗ nem beengten Geſchicke, als das Volk ſchon von ,filbernen Rei: fern‘ ſprach, mit ſilbernen Kugeln auf den Köpfen, von denen ‚ein langer, ſchwarzer Pferdeſchweif' flatterte, ſowie von wun⸗ derlich aufgeputztem Geſindel, das auf ‚Pferden wie Katzen“ (ein üblicher Ausdruck für kleine knollige Roſſe) über Hecken und Zäune fliege, in der Hand eine lange Stange mit eiſernem Stachel daran. - Ein längſt verſtorbener Gutsbeſitzer hat viele

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dieſer Geſichte verzeichnet, und es iſt höchſt anziehend, fie mit manchem ſpäteren entſprechenden Begebniſſe zu vergleichen. Der minder Begabte und nicht bis zum Schauen Geſteigerte hört“ - er hört den dumpfen Hammerſchlag auf dem Gary: deckel und das Rollen des Leichenwagens, hört den Waffen⸗ lärm, das Wirbeln der Trommeln, das Trappeln der Roſſe und den gleichförmigen Tritt der marſchierenden Kolonnen. - Er hört das Geſchrei der Verunglückten und an Tür oder Fenſter⸗ laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder ſeinen Nachfolger zur Hilfe auffordern wird. - Der Nichtbegabte ſteht neben dem Vorſchauer und ahnt nichts, während die Pferde im Stalle ängſtlich ſchnauben und ſchlagen und der Hund, jämmerlich heu: lend, mit eingeklemmtem Schweife ſeinem Herrn zwiſchen die Beine kriecht. - Die Gabe ſoll ſich jedoch übertragen, wenn ein Nebenſtehender dem Vorgucker über die linke Schulter ſieht, wo er zwar für dieſes Mal nichts bemerkt, fortan aber für den anderen die nächtliche Schau halten muß. - Wir ſagen dies faſt ungern, da dieſer Zuſatz einem unleugbaren und höchſt merk⸗ würdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrüdt. - Wir haben den Münſterländer früher furchtſam genannt; den⸗ noch erträgt er den eben berührten Verkehr mit der überfinn- lichen Welt mit vieler Ruhe, wie überall ſeine Furchtſamkeit ſich nicht auf paffive Zuſtände erſtreckt. Gänzlich abgeneigt, ſich ungeſetzlichen Handlungen anzuſchließen, kommt ihm doch an Mut, ja Hartnäckigkeit des Duldens für das, was ihm recht ſcheint, keiner gleich, und ein geiſtreicher Mann verglich dieſes Volk einmal mit den Hindus, die, als man ihnen ihre religiöſen und bürgerlichen Rechte ſchmälern wollte, ſich zu vielen Tau⸗ ſenden verſammelten und, auf den Grund gehockt, mit verhüll⸗ ten Häuptern ſtandhaft den Hungertod erwarteten. Dieſer Vergleich hat ſich mitunter als ſehr treffend erwieſen.

Unter der franzöſiſchen Regierung, wo Eltern und, nachdem dieſe ausgeplündert waren, auch Geſchwiſter mit ihren Hab⸗ ſeligkeiten für diejenigen einſtehen mußten, die ſich der Militär⸗ pflicht entzogen hatten, haben ſich zuweilen alle Zweige eines Stammes, ohne Rückſicht auf ihre unmündigen Kinder, zuerſt bis zum letzten Heller exequieren und dann bis aufs Hemd aus⸗

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pfänden laſſen, ohne daß es einem eingefallen wäre, dem Ber: ſteckten nur mit einem Worte den Wunſch zu äußern, daß er aus ſeinem Bretterverſchlage oder Heuſchober hervorkriechen möge, und ſo verhaßt, ja entſetzlich jedem damals der Kriegs⸗ dienſt war, dem manche ſogar durch freiwillige Verſtümme⸗ lung, zum Beiſpiel Abhacken eines Fingers, zu entgehen ſuch⸗ ten, ſo häufig trat doch der Fall ein, daß ein Bruder ſich für den anderen ſtellte, wenn er dachte, dieſer werde den Strapazen erliegen, er aber möge noch mit dem Leben davonkommen. Kurz, der Münſterländer beſitzt den Mut der Liebe und einer unter dem Schein des Phlegmas verſteckten ſchwärmeriſchen Religiofitat, fo wie er überhaupt durch Eigenſchaften des Her: zens erſetzt, was ihm an Geiſtesſchärfe abgeht, und der Fremde verläßt mit Teilnahme ein Volk, was ihn zwar vielleicht mit⸗ unter langweilte, deſſen häusliche Tugenden ihm aber immer Achtung einflößen und zuweilen ihn tief gerührt haben. Müſ⸗ fen wir noch hinzufügen, daß alles bisher Geſagte nur das Landvolk angeht? - ich glaube, nein; Städter find ſich ja über⸗ all gleich, Kleinſtädter wie Großſtädter. Oder, daß alle dieſe Zuſtände am Verlöſchen find und nach vierzig Jahren viel⸗ leicht wenig mehr davon anzutreffen ſein möchte? Auch leider nein, es geht ja überall ſo!

Aus Annette von Drofte-Hülshoffs Sämtlichen Werken

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Rainer Maria Rilke / Drei Gedichte

Da dich das geflügelte Entzücken über manchen frühen Abgrund trug, baue jetzt der unerhörten Brücken kühn berechenbaren Bug.

Wunder iſt nicht nur im unerklärten Überftehen der Gefahr;

erſt in einer klaren reingewährten Leiſtung wird das Wunder wunderbar.

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Mitzuwirken ift nicht Uberhebung an dem unbeſchreiblichen Bezug, immer inniger wird die Verwebung, nur Getragenſein iſt nicht genug.

Deine ausgeübten Kräfte ſpanne, bis ſie reichen, zwiſchen zwein Widerſprüchen .. Denn im Manne will der Gott beraten ſein.

Die Frucht

Das ſtieg zu ihr aus Erde, ſtieg und ſtieg, und war verſchwiegen in dem ſtillen Stamme und wurde in der klaren Blüte Flamme,

bis es ſich wiederum verſchwieg.

Und fruchtete durch eines Sommers Länge in dem bei Nacht und Tag bemühten Baum, und kannte ſich als kommendes Gedränge wider den teilnahmsvollen Raum.

Und wenn es jetzt im rundenden Ovale mit ſeiner vollgewordnen Ruhe prunkt, ſtürzt es, verzichtend, innen in der Schale zurück in ſeinen Mittelpunkt.

Stimme eines Armen An der Hand des Engels

Mitte im Gerichte, Vater, ich verzichte:

Was ich ſeh, erreicht

nicht, was ich immer wußte: die rauſchende Herrlichkeit aller meiner Verluſte.

Weißt du denn, wie weit meine Gefühle waren, wenn ich in deinen klaren irdiſchen Nächten ſtumm ſaß vor dem Nachtaſyle? Hunde gingen herum

um meine großen Gefühle. Meines Herzens Vermögen nahm unendlich zu

unter den Brückenbögen. Und der Schnee im Schuh, er zerging mir lind,

wie die Tränen zergehen einem gefröftefen Kind.

Aus Rainer Maria Rilkes Ausgervählten Werfen

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Jean Paul / Des Luftſchiffers Giannozzo Seebuch

Wunderbarer Tag! Hell ziehen ſchon die ſchimmernden Schwei⸗ zergebirge mit ihren Tiefen und Zinnen vor mir heran und ſchüt⸗ ten den Rhein weg; aber hinter mir wachſen eilig die Gewitter⸗ wolken in den Himmel herauf und ſchweigen grimmig; die Lüfte gehen immer langſamer und bewegen mich kaum.

Jetzt regt ſich nichts mehr. Vor welcher Welt ſchweb ich ſtill! Vor mir donnert der Rhein, hinter mir das Wetter - die Stadt Gottes mit unzähligen glänzenden Türmen liegt vor mir - tief in der Ferne ſtehen auf ewigen Tempeln weiße helle Gotter- bilder, und der hohe König der Götter, der Montblanc, und der auf die tiefe Erde herabgeworfene Rhein ſteigt als ein weißer Rieſengeiſt wieder auf und hat den himmliſchen Regen⸗ bogen um und ſchwebt ſilbern und leicht.

Was iſt das? Kommt mein Schickſal? Scharrt der ſchwarze Hahn? Ich wollte mich jetzt tiefer ſenken vor die herrliche, auf der alten ruhende neue Welt; aber ich konnte nicht; die Verbindung zwiſchen den Lufthähnen iſt durch das ſchnelle Auf:

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reißen in der Schlacht zertrennt; ich kann mich bloß, wenn ich nicht durch Windſtöße eine Alpe erreiche, eh mich das Gewitter ergreift, durch das Aufſchlitzen der Kugel erretten.

Jetzt trägt mich ein Windſtoß ganz nahe vor die göttliche Glanz⸗ welt. Aber ſchon arbeiten die Wolken lauter als der Strom, die ſchwarze Wolkenſchlange hinter mir ringelt ſich auseinander und ziſcht und ſchillert ſchon neben mir im Often. - Der Sonnen⸗ wagen geht ſchon tief im Erdenſtaube. Wie fliegen die Gold⸗ adler der Flammen überall, um die Sonne, um die Eiskuppeln, um den zerknirſchten Rhein und um die geiſtige Wolke, und ruhen mit aufgeſchlagenen Flügeln an grünen Alpen aus. - Ich glaube, ich ſoll heute ſterben, das große Gewitter wird mich faſſen. So ſterb ich gern, Verhüllter über mir; vor dem An⸗ geſicht der Berge und der Sonne und des gewölbten Blaues weicht gern mein Geiſt aus der einklemmenden Hütte und fliegt in den weiten, freien Tempel. Ich drücke die ſonnenrote Stunde und die gebirgige Welt noch tief ins brauſende Herz, und dann zerbrech es, woran es will.

O wie ſchön! In Morgen rauſchen Donner und Fluten, und auf ihnen hängt ſtatt des Regenbogens ein großes, ſtilles Far⸗ benrad, ein flammiger Ring der Ewigkeit aus Juwelen. Die warme, ſanfte Sonne glimmt nicht weit von den Gewitterzak⸗ fen. - Noch ſonnen die goldgrünen Alpen ihre Bruſt, und herr⸗ lich arbeiten die Lichter und die Nächte in den aufeinander ge: worfnen Welten der Schweiz durcheinander; Städte ſind unter Wolken, Gletſcher voll Glut, Abgründe voll Dampf, Wälder finſter, und Blitze, Abendſtrahlen, Schnee, Tropfen, Wolken, Regenbogen bewohnen zugleich den unendlichen Kreis.

Jetzt gähnet ein Wolkenrachen vor der Sonne; noch ſeh ich einen Sennenhirten mit dem Alphorn, deſſen Töne nicht herüberrei⸗ chen, am purpurnen Abhang unter weißen Rindern, und ein Hirtenknabe trinkt an feiner Ziege den Abendtrank. Wie lebt ihr ſtill im Sturme des Seins! O die ſchwarze Wolke friſſet an der Sonne! Das erhabne Land wird ein Kirchhof von Rie⸗ ſengräbern, und nur die weißen, hohen Epitaphien der Gletſcher glänzen noch durch. -

Ich bin gefchieden von der Welt - die unendliche Wetterwolke

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überdeckt die Schweiz und alles - unter dem ſchwarzen Leichen tuch regnet es laut unten auf der Erde - es blitzt lange nicht und zögert fürchterlich. Sterne quellen oben heraus, und mir ift, als ſchwämmen ihre matten Spiegelbilder als ſilberne Flocken auf dem düftern Grund. - Ha! der Wind kehret um und treibt mich mitten über die ſtumme, gefüllte Mine, deren Lunte ſchon glimmt. Wie düſter! Ach, unter der Wolke werden noch Berg⸗ ſpitzen in ſanftem goldnen Abendſcheine ſtehen.

Kein Blitz, nur Schwüle! Aber ich merke, die Wolke zieht mich zu ſich. Ach! jetzt wölbt ſich auf einmal zuſehends ein zweites Gewitter über mir; beide ſchlagen dann gegeneinander, und eines greift mich, jetzt verſteh ichs.

Bis auf die letzte Schlagminute ſchreib ich, vielleicht wird mein Tagebuch nicht zerſchmettert.

Nun geraten {chon die Enden der Gewitter aneinander und ſchlagen ſich. Wie höllenſchwül! Obo! jetzt riß es meinen Charonskahn in den brauenden Qualm hinab! - Ich ſehe nicht mehr. - Was iſt das Leben - die feigen hockenden Menſchen drunten ſingen jetzt gewiß zu Gott, und die Erbärmlichen wer⸗ den gewiß jeden vermahnen bei meinem Leichnam. - Wie es hin⸗ auf und hinab ſchlägt. In Wörlitz war mein letzter Tag, das ahnte ich ja Himmel! der heutige Traum hat ja mich und mein Ende klar geträumt; er ſoll auch ganz wahr werden, und ich will jetzt mit meinem Poſthörnchen wütig ins Wetter blaſen, wie ihr Mozart drunten im Don Juan, und den Heuchlern auf dem Boden den Anbruch des Jüngſten Tages weismachen

Aus dem ‚Buch deutſcher Dichtung

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Gebrüder Grimm / Das Hirtenbüblein

Es war einmal ein Hirtenbüblein, das war wegen ſeiner wei⸗ ſen Antworten, die es auf alle Fragen gab, weit und breit be⸗ rühmt. Der König des Landes hörte auch davon, glaubte es nicht und ließ das Bübchen kommen. Da ſprach er zu ihm: „Kannſt du mir auf drei Fragen, die ich dir vorlegen will, Ant⸗

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wort geben, fo will id) dich anſehen wie mein eigen Kind, und du ſollſt bei mir in meinem königlichen Schloß wohnen.“ Sprach das Büblein: „Wie lauten die drei Fragen?“ Der König ſagte: „Die erſte lautet, wieviel Tropfen Waſſer ſind in dem Welt⸗ meer?“ Das Hirtenbüblein antwortete: „Herr König, laßt alle Flüſſe auf der Erde verſtopfen, damit kein Tröpflein mehr daraus ins Meer läuft, das ich nicht erſt gezählt habe, ſo will ich Euch ſagen, wieviel Tropfen im Meer ſind.“ Sprach der König: „Die andere Frage lautet, wieviel Sterne ſtehen am Himmel?“ Das Hirtenbüblein ſagte: „Gebt mir einen großen Bogen weiß Papier“, und dann machte es mit der Feder ſo viel feine Punkte darauf, daß ſie kaum zu ſehen und faſt gar nicht zu zählen waren und einem die Augen vergingen, wenn man darauf blickte. Darauf ſprach es: „So viele Sterne ſtehen am Himmel als hier Punkte auf dem Papier, zählt ſie nur.“ Aber niemand war dazu imſtand. Sprach der König: „Die dritte Frage lautet, wieviel Sekunden hat die Ewigkeit?“ Da ſagte das Hirtenbüblein: „In Hinterpommern liegt der De⸗ mantberg, der hat eine Stunde in die Höhe, eine Stunde in die Breite und eine Stunde in die Tiefe; dahin kommt alle hundert Jahre ein Vöglein und wetzt ſein Schnäblein daran, und wenn der ganze Berg abgewetzt iſt, dann iſt die erſte Sekunde von der Ewigkeit vorbei.“

Sprach der König: „Du haſt die drei Fragen aufgelöſt wie ein Weiſer und ſollſt fortan bei mir in meinem königlichen Schloſſe wohnen, und ich will dich anſehen wie mein eigenes Kind.“

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung

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Erneſt Claes / Der alte Pover

Der alte Pover ſteht vor der Tür ſeines Gartenhäuschens. Er hat wieder ſeine Gartenſchürze umgetan, die ſo lange Jahre feiern mußte, die lederne Taſche mit den Nägeln und der Gar⸗ tenſchere hängt ihm auf der linken Hüfte, er hat einen Weiden⸗ büſchel in der Hand. Und ſo ſteht Pover da, ſchweigend blickt

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er bor fic) hin und denkt anſcheinend an Dinge, mit denen er nicht fertig werden kann. Er wendet ſich ein paarmal um nach der Tur, um Zelia etwas zu fagen, bedenkt aber noch rechtzeitig, daß er ſchon ſo oft dasſelbe geſagt oder gefragt hat. Und als er dann doch einen Schritt auf das Haus zugeht und beginnt: „Zelia ...“, da erinnert er ſich wieder, daß Zelia nicht da iſt, daß er ſie fortgehen ſah, um für die Ziegen Gras zu ſchneiden am Rand des Grabens. So ſchüttelt Pover ſeinen grauen Kopf, murmelt ein unverſtändliches Wort und weiß ſich nicht zu helfen.

Seit einigen Wochen lebt der alte Pover in einem Glück, das er ſich für ſeine alten Tage nicht mehr zu erhoffen wagte, ſo daß ſein Geſicht ganz verjüngt ausſieht und in ſeinen guten Augen ein Glanz liegt, daß er mit einem Male viel ſtraffer und rüftiger erſcheint. Nein, das hätte Pover ſich doch niemals träumen laſſen, daß er auf ſeine alten Tage das frühere Leben noch auf den Waſing wiederkehren ſähe! Er hatte ſich allmählich damit abgefunden, daß es aus ſei mit den Herren van Berckelaer, daß Herr Lutz van Berdelaer - fein kleiner Lutz von früher! - nach ſeines Vaters Tode wohl in der Stadt bleiben und das Waſing⸗ haus ſamt Garten und allem dann auch Peter Coene gehören wurde. Dover hatte ſich wehmuͤtig an dieſen Gedanken gewöhnt und wartete in ſeinem Gartenhäuschen geduldig, bis der Tod ihn holen würde. Jeden Tag ging er die Wege des verwilderten Gartens auf und ab, blieb hier einen Augenblick ſtehen, zupfte dort ein Zweiglein ab, und dann murmelte er laut unverſtänd⸗ liche Worte. Es wurde Pover mit der Zeit auch gleichgültig, was aus dem Garten würde, den er ſo lange Jahre gepflegt hatte. Und dann war an jenem Märzmorgen Herr Lutz in das Gar⸗ tenhaus gekommen, als Pover gerade im Begriff ſtand, ſeinen Gang durch den Garten anzutreten. Herr Lutz hatte ihm freund⸗ lich guten Tag gewünſcht und die Hand geſchüttelt. „Pover,“ hatte Herr Lutz lachend gefragt, „weißt du noch, da⸗ mals, als ich dir im Garten helfen durfte?“

„Dh, ob ich das noch weiß, Herr Lutz!“ hatte Pover geantwor⸗ tet, und feine Augen hatten geleuchtet bei der ſchönen Erinne- rung, „ob ich das noch weiß! Ich könnte Ihnen noch alle Blumen

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zeigen, die ich für Sie gepflanzt habe, als Sie erft fo groß wa⸗ ren.“ Und Pover hielt ſeine Hand in der Höhe der Tiſchplatte. „Aber du haſt mich auch oft wilde Schößlinge und tote Sträu⸗ cher pflanzen laſſen, Pover, weißt du das noch?“ Und Herr Lutz lachte dabei ſo herzlich und klopfte Pover ſo vertraulich und liebevoll auf die Schulter, daß der alte Mann in tiefſter Seele gerührt war. Vor ſeinem inneren Auge ſtiegen die Bilder aus vergangenen Jahren auf, und mit einem Male ſagte er, was er damals ſo oft geſagt hatte: „Ei, ei, mein kleiner Lutz!“ Zelia wurde ein wenig verlegen über dieſe Vertraulichkeit, aber Herr van Berdelaer lachte im Gegenteil noch herzlicher.

„Und jetzt will ich dir einmal etwas ſagen, Pover,“ meinte er, während er auf dem Stuhl am Tiſche Platz nahm, „wir werden im Frühjahr wieder auf den Waſing ziehen, für immer.“

Da war Pover ſo erſtaunt geweſen, daß er eine Weile regungs⸗ los vor ſich hingeblickt und nichts zu ſagen gewußt hatte. Dann fragte er mit unſicherer Stimme, als glaube er nicht ganz rich⸗ tig verſtanden zu haben: „Sie wollen auf dem Waſing woh⸗ nen, Herr Lutz? ft das gewißlich wahr? ... Bleiben Sie denn nicht in der Stadt?“

Pover hatte wohl ſchon gehört, daß die junge Frau van Bercke⸗ laer, die mit Herrn Lutz einmal das Landhaus noch vor ihrer Hochzeit beſucht hatte, reich wäre, und er hatte deshalb im ſtil⸗ len gehofft, daß er für den Reſt ſeiner Tage in ſeinem Garten⸗ häuschen bleiben könnte. Nach dem, was er erfahren hatte, war es ihm auch als ziemlich ſicher erſchienen, daß das junge Paar ſein Heim in der Stadt aufſchlagen würde. Und jetzt mußte er mit einmal hören, daß Herr Lutz für immer ... nein, das konnte Pover nicht glauben! Und Zelia blickte ebenſo ungläubig in das Herdfeuer.

Dann begann Lutz zu erzählen: Die junge Frau van Berckelaer wolle im Waſinghaus leben, er ſelbſt brauche nur an einigen Tagen der Woche in der Stadt zu ſein, und bald würden die Arbeiter kommen, um alles herzurichten, zu ſtreichen und auszubeſſern. Pover hörte, die Hände flach auf den Knieen, zu, faſt genau ſo, wie er am Sonntag der Predigt des Pfarrers zu lauſchen pflegte. Und je mehr Herr Lutz erzählt hatte, deſto

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mehr war Dover davon überzeugt worden, daß die gute alte Zeit doch noch einmal wiederkommen würde.

Da war in Povers Herz ein ſo unſagbares Glück geſtrömt, daß er einen Augenblick nicht wußte, wie er ſich verhalten, was er mit ſeinen Händen anfangen ſollte. Er hatte zitternd ſein ſchwar⸗ zes Pfeifchen geſtopft, und ſeine Finger bebten ſo heftig, daß er das Streichholz nicht genau über den Tabak halten konnte. Faſt unwillig ſagte er zu Zelia: „Mein Tabak iſt wieder viel zu feucht!“ Er wäre am liebſten ſogleich aufgeſtanden und durch den Garten gegangen.

„In einigen Wochen find wir alſo wieder im alten Haus, Po- ber ... und... du ſorgſt für den Garten, nicht wahr?“ Da mußte Pover wahrhaftig gewaltſam an ſich halten, um Herrn Lutz feinen kleinen Lutz nicht an fein Herz zu drücken. Er legte ſein Pfeifchen auf die Fenſterbank zurück, ſpielte mit den Fingern am Tiſchrand, und ihm war zumute, als wollte ein Schluchzen aus ſeiner Kehle brechen. Warum war Zelia nun auch gerade hinausgegangen, ſo daß er nichts zu ihr ſagen konnte?

„Ja, gewiß, Herr Lutz, gewiß, e... ich werde ...“

„Und nimm dir nur einen Knecht, Pover, wenn es nötig ſein ſollte, und ich helfe dir ſpäter natürlich auch, wie früher, aber diesmal läßt du mich nicht wieder wilde Schößlinge pflanzen, nicht wahr, Pover?“

Lachend hatte er ihm noch einmal die Hand gedrückt und war gegangen, die Tür hinter ſich zuziehend, ohne daß der alte Mann daran gedacht hätte, ihn bis an die Straße zu geleiten. Ja, Pover vergaß in dieſem Augenblick alles! Er ſtand ganz verſtört neben dem Tiſch und blinzelte, ſah die Wände der Stube an, eine nach der andern, ob ſich nicht etwas Wunderbares im Haus ereignet hätte, dann den Stuhl, auf dem ſoeben der Herr van Berckelaer geſeſſen hatte. Aber als er Zelia mit den Eimern klappern hörte und dieſe mit einem zufriedenen „Wer hätte das gedacht, nicht wahr, Vater?“ hereinkam und durch die Stube ging, wurde alles wieder ſonnenklar und wirklich. Pover er⸗ widerte nichts. Er ging plötzlich auf den braunen Kleiderſchrank zu und begann in der Ecke zwiſchen Wand und Schrank etwas

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unter der alten Werktagskleidung zu fuchen, die dort an ein paar Nägeln hing.

„Suchſt du etwas, Vater?“ fragte Zelia verwundert. „Allerdings,“ antwortete er, in einem Ton, der unzufrieden klingen ſollte, um ſeine Freude zu verbergen, „ja, wo haſt du denn meine Gartenſchürze wieder hingehängt?“

„Deine Gartenſchürze? Jeſſesmaria!“ Zelia machte große Augen. Tat ihr Vater nicht gerade, als hätte er dieſe Garten⸗ ſchürze dort vor einer Stunde hingehängt, wo er ſie doch feit Jahren nicht mehr gebraucht hatte? „Deine Gartenſchürze?!“ „Nun ja, meine Gartenſchürze!“ Jetzt klang Povers Stimme faſt böſe. „Was ſonſt als meine Gartenſchürze! Oder glaubſt du am Ende, ich wollte den Garten ſo liegen laſſen, wie er jetzt daliegt, wenn in einem Monat der Herr Lutz mit der jungen Frau hier ankommt? Glaubſt du das etwa?“

Ja, da war in feiner Stimme ein fo drollig:böfer Klang. Das war Povers Art, ſeine Zufriedenheit zu äußern. Eine kindliche Freude erfüllte ihn, und er wäre verlegen geworden vor Zelia, wenn er dieſer Freude nicht durch eine ſcheinbare Brummigkeit hätte Luft machen dürfen. Und das wußte Zelia ſehr gut. „Du haſt natürlich nicht gehört, wie Herr Lutz ſagte, der Gar⸗ ten müßte in Ordnung ſein, Zelia, und da gibt es eine Menge zu tun, zu beſchneiden und zu verpflanzen, und es wird allmäh⸗ lich höchſte Zeit ...“

Zelia ſah den Vater an. Schon lange hatte der alte Mann nicht mehr fo munter geſprochen, ſich fo für etwas begeiſtert. Und ſie erriet in ihrem ſchlichten Sinn, daß ihr Vater in all den ſtillen Jahren, die er, in ſich gekehrt, mit ihr in dem Gar⸗ tenhäuschen verbracht hatte, auf einen Tag wie dieſen ge⸗ hofft haben mußte. Sie ging ſogleich in ihre Kammer, um die blaue, ſorgſam gebügelte Gartenſchürze zu holen, und Pover machte die Bänder los, warf ſich das eine über die Schultern und band das andere auf ſeinem Rücken feſt. Das konnte er noch gut. Das Blau war ein wenig verſchoſſen, vorn war ein großer Flicken zu ſehen, und die Falten waren vom langen Lie⸗ gen ſo feſt geworden, daß die Schürze in ſteifen Vierecken an ihm herabhing.

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Und ohne noch etwas zu ſagen, als begäbe er ſich an feine ge⸗ wohnte alltägliche Arbeit, ohne einen Blick auf Zelia, die ihn anſah, als hätte ſie den Vater noch niemals in dieſer Schürze geſehen, ging Pover in den Verſchlag neben der Stube, wo alle Gartengeräte von früher beiſammen ſtanden. Er nahm ſeine Ledertaſche vom Haken, in der die Hippe und die Gartenſchere, das Okuliermeſſer und die Baumſäge nebſt einem Knäuel Bind⸗ faden ſtaken, und hing ſie über die Schulter.

Aus dem Roman ,Donkelhof und Wafinghaus‘

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Konrad Weiß / Gedichte Wanderer im Herbſt

Aus rauchenden Bächen lichtverklärt, zitternd von Tau,

aufgetan zu unendlicher Schau, opfert die Erde, was ihr beſchert.

Willig und heiter zugewandt dem lebendigen Spiel,

läßt der Wanderer ab vom Ziel, ſtill im Herzen, bevor er ahnt:

er bleibt, je weiter die Ernte zehrt,

zuletzt allein

ztwiſchen Himmel und Erde im offenen Schrein, ehe das Land zur Ruhe kehrt.

Schwarze Erde hebt empor,

was in Säften ftärfer fror,

vor Gräſern rauh und Halmen ſteif nieder fiel im erſten Reif.

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Wehend was dem Himmel gleicht, wird im Boden wurzelleicht,

ſchirmt ſeinen Ort und dauert dann, fallend löſt es ſeinen Bann.

Der in Säften ſtärker friert, je mehr die Erde ihn gebiert, der aus der Grube {pat bereit neigt über in verlorne Zeit,

der mit offnen Augen irrt,

wie der Wuchs zur Erde wird, welk und gebrochen hingeſtreckt, blind beperlt die Grube deckt,

ehe ihm das Haupt ſich neigt, größer ſich die Erde zeigt,

bis Ahnung aus der Bläue nickt, weiter als das Auge blickt.

Mitten im Baum

zittert ein einziges Blatt;

ſeliger Raum,

daß meine Seele nicht Stätte hat!

Wohin ſie eilt,

findet ſie ſich am Ziel,

wo ſie verweilt,

iſt ihr weilender Hauch zuviel.

Bittere Luſt

kommt erſt wie leiſe Luft heran, flieht durch die Bruſt,

daß ich die Erde nicht laſſen kann.

*

Durchs Fenſter

Der Gärtner trägt eilends ein Bäumlein mit Wurzeln, mit Wucht kommt der Regen.

Tauch unter, ſchau über, wie die Knoſpen ſich fangen; er ſcheidet im Zorne.

Aus Perlen fchon ſelten durch glänzende Aſte nachblickt ihm die Sonne.

Wo ſteht nun das Bäumelein? Blank Himmel und Erde, nur Tropfen im Fenſter. Aus dem „Sinnreich der Erde‘ *

Ernſt Moritz Arndt / Verſuch in vergleichender Völkergeſchichte

Lobe ich das nordiſche Volk und ſein Leben zu ſehr? Was Lob! Es iſt eben ein Glück, eine ſchönſte Gabe Gottes, welche Gott dem germaniſchen Menſchen überhaupt verliehen hat, dieſes geiſtig auflodernde, auffliegende, in alle Natur und alles Leben überfließende Gemüt, wo Gefühl, Gedanke, Verſtändnis in eins zuſammenrinnen. Es iſt ja nicht allein des Dänen und Schweden, es iſt auch unſer Erbe; nur daß es hier im Norden heller herausklingt und herausſprudelt und wonnevoller und entzückter erſcheint, wohl auch wegen der großen Gegenſätze der Naturdinge und der Jahreszeiten und des überraſchenden und plötzlichen Wechſels, der hier mehr erſcheint als weiter im Süden und eben durch feine Plötzlichkeit die Menſchen mäd): tiger ergreift und fortreißt, auch wohl der vielen wunderbaren

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Luftſpiegelungen und Lichterſcheinungen wegen, welche der Tor: den zeigt und wovon ſchon zu Tacitus Ohren die Sage geklun⸗ gen war.

Dieſer ruhige feſte Norden, dieſer freundliche, gaſtliche, ehren⸗ feſte Menſch hat ſeine gewaltigen Zeiten gehabt, deren Klänge zugleich erſchreckend und bezaubernd noch zu uns herunter tönen. Wo iſt der Normann nicht geſungen und geklungen, der unbe⸗ zwingliche Rieſe mit dem gewaltigen Schwert und der kurzen Streitaxt, der vom 8. bis 10. Jahrhundert das Schrecken der Völker war? und die Schweden der Guſtave und der Wittels⸗ bachiſchen Karle? Doch auch über ſie und ihre Taten hat die Stille, nicht die Vergeſſenheit ihre Flügel geſenkt; die Nordi⸗ ſchen haben endlich durch eigene Schuld, indem Skandinavien durch inneren Neid und Haß ſich gegenſeitig zerriſſen, die Mos⸗ kowiten groß gemacht und vor ihnen, die ſie weiland verachteten, zittern lernen und ihre reichſten, ſchönſten Lande an der öſtlichen Oſtſee an ſie verlieren müſſen. Jetzt ſeit dem jüngſten Men⸗ ſchenalter beginnen ſie wieder mit Sehnſucht und Reue der alten Zeiten des Ruhms und der Macht zu gedenken und mit Beſon⸗ nenheit auf ihre Zuſtände und auf die Zuſtände der Welt zu blicken. Nicht bloß, daß die Völker, um mit den Franzoſen zu reden, im Aufmarſch ſtehen und im Vorſchreiten ſind, ſondern der Norden hat ſich ſeit dem letzten halben Jahrhundert an Menſchenkraft und Menſchenmenge außerordentlich geſtärkt und erinnert ſich mit ſtiller Würde wieder ſeiner alten glor⸗ reichen Degentage. Dieſen Gedanken hat er freilich nie ganz ver⸗ loren gehabt; es iſt unglaublich, welch ein ſtiller Stolz, ein von den früheſten Vätern überlieferter Stolz auf das Außerordent⸗ liche und Ungeheure der Vorzeit in der Bruſt jedes Bauern in Norwegen und Schweden lebt. Es iſt ein ſolches Gedächtnis der Väter ein Glück, deſſen ein Volk, das frei ſein und die Heiligtümer ſeines Daſeins auf Leben und Tod verteidigen will, nicht entbehren kann.

Gen Norden, gen unſern Norden alſo muͤſſen wir ſchauen. Die verſtändigen und edleren Dänen und Schweden ſchauen auf uns. Sie ſind durch alle natürlichſten Vorteile und Bande, durch Lage, Bildung, Verwandtſchaft, Religion, durch den gemein⸗

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Goethe: Blick aus Knebels Fenſter in Jena

famen Feind, der unſer beider Grenzen belauerf und den Ger: manen die ganze Oſtſee enfreißen möchte, unſre gebornen Bun: desgenoſſen. Dänemark iſt es doppelt durch ſeine deutſchen Land- ſchaften; es muß Freundſchaft mit uns ſuchen und darf keinen Hader vom Zaun brechen. Wir Mächfigeren wohnen an feiner verwundlichſten Seite; es kann ſeine lange Halbinſel, es kann ſeine Inſeln gegen uns nicht ſchützen. Alſo Verwandtſchaft, Neigung, Liebe und Not gebieten hier Bündnis. Dunkle Zukunft, hoffnungsvolle Zukunft, du wirſt vieles an⸗ ders bringen und anders geſtalten, als wir meinen und wün⸗ ſchen; aber eines wiſſen wir, und in dieſer Gewißheit können wir fröhlich unſre alten Augen ſchließen: Deutſchland iſt wie⸗ der erwacht, es wird einem fröhlichen, ſonnigen Morgen und Mittag entgegenwandeln, und die Nacht ſeiner Tage wird die fernſte ſein.

Aus dem „Buch deutſcher Dichtung“

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Hans Friedrich Blunck / Knecht Ruprecht

Einmal, ſo im Mittwinter, als der Wilde Jäger unterwegs war, verlor ein Tier aus ſeinem Gefolge die Eiſen, ſein Reiter mußte mit Pferd und Hund zurückbleiben und verirrte ſich, als er den wilden Zug einholen wollte.

Lange ſuchte er. Endlich ſtieß er auf die Hütte einer armen Witwe; die hauſte mit ihren Kindern mitten im Wald. Und der Reiter, ein alter, graubärtiger Geſelle, warf die Tür auf, trat mit dem Hund ein, der auch gleich die Kinder anfuhr, daß eines von ihnen niederſtürzte, und verlangte zu eſſen und zu trinken. Die arme Frau erſchrak ſehr. Sie fragte nicht nach dem Namen noch nach dem Woher und Wohin, brachte haſtig, was gerade auf dem Herd ſtand, und wollte den Gaſt zufriedenſtellen. Und der und trank, ſtreckte die Beine von ſich, lehnte fic) müde gegen die Wand und verſuchte, auf der Bank einzuſchlafen.

Da ſtörte ihn etwas. Die Frau hatte ein Lichtlein auf den Tiſch der Kinder geſtellt; das flammte und kniſterte, ſo daß es dem

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Reitknecht in den Augen weh tat. Er ſchloß die Lider, aber der Glanz ſchien hindurch, er war ſeiner wohl ungewohnt nach den grauen Tagen in Regen und Sturm.

Er ſagte deshalb barſch zu der Frau: „Löſch das Licht aus! Siehſt du nicht, daß ich ſchlafen will?“ Aber die Mutter ſchüt⸗ telte den Kopf, und obſchon ſie viel Furcht hatte, widerſprach ſie und ſagte: „Löſchen darf ich es nicht; es winkt der himm⸗ liſchen Frau Gode, damit das Sonnenlicht wiederkommt und der Winter vorübergeht.“

Gegen ſolchen hohen Namen wagte der Knecht nichts zu ſagen, er wußte, daß ſein Herr Tag um Tag nach ihr, die ihn trägt, Ausſchau hielt. Er brummte deshalb nur, wendete den Kopf ab und verſuchte wieder zu ſchlafen.

Es gelang ihm noch nicht, die Kleinen ſaßen um den Tiſch und ſangen leiſe. Da verlangte er rauh, das Singen ſolle unter⸗ bleiben. Aber die Frau verbot den Kindern die kleinen Stim⸗ men nicht, obwohl ſie nun doppelt Furcht hatte.

„Hörſt du denn nicht,“ fragte ſie, „daß es ein Lied zur Weih⸗ nacht iſt? Ach, wie käme die himmliſche Frau zu uns, wenn wir ſie nicht mit dem Singen der Kinder riefen!“

Wieder wagte der Knecht nicht, hart zu antworten. Als das Weib indes hinging und die Tür ein wenig öffnete, obwohl kleine Flocken hereintanzten und der Wind den Rauch vom Herd zu Wirbeln trieb, geriet der Reiter außer ſich: „Was haſt du jetzt vor? Du weißt, daß ich friere und ſchlafen will!“

Die Frau antwortete ſanft: „Die Himmliſche muß doch die Kin: der hören und das Licht ſehen, ſie könnte ſonſt vorübergehen!“ Als der Knecht nun ſo viel von der hörte, die ſein Herr auf lan⸗ gen, langen Ritten vergeblich ſuchte, wunderte er ſich. Er blin⸗ zelte ſogar nach der Türſpalte, ob am Ende wirklich eine Fremde vorbeikäme, aber er ſah nur das Geſicht der Mutter, das voll Hoffnung hinausſchaute. Da wurde er bedrängt in ſeinem Herzen und wollte ſeine Rauheit an den Kindern gutmachen. Und weil er das eine, das ſein Hund umgeworfen hatte, noch bluten ſah, ſtand er auf, trat hinzu und ſtrich ihm über die Wunde. Gleich hörte das Rinnen auf, er vermochte es ja.

Die Kinder aber, die, als er nahe kam, vor Furcht die Köpfe

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niedergebeugt hatten, ohne im Singen aufzuhören, ſahen, daß der fremde Mann es gut meinte, und faßten Vertrauen zu ihm. Und eines, das großen Hunger hatte, fragte, ob es nicht etwas Brot haben dürfe.

Da brach er von dem Laib, den ihm die Frau hingeſtellt hatte, er gab ſich ſogar die Mühe und beſprach das Brot, ſo daß es ſüß wie Kuchen ſchmeckte. Und weil das Lied jetzt wirklich zu Ende war, trauten ſich die Kinder näher zu dem wilden Knecht; ein kleines Mädchen zeigte ihm ein Pferdchen, dem fehlten Kopf und Schwanz. „Oh, wenn es weiter nichts iſt!“ lachte der Mann und ging daran, beides wieder anzuflicken. Während⸗ des dachte er heimlich an ſeinen Herrn, der auch in der heiligen Weihnacht die Menſchen beſchenkt, und ſah auf die Mutter, die ihm zuſchaute und deren Augen glänzten, wie ſolches Licht ge⸗ wiß nur von der himmliſchen Frau Antlitz kommt. Da geſiel es ihm, eifriger zu helfen, und als ein Knabe einen Hund haben wollte, knetete er ihm gleich einen, der wahrhaft laufen und bellen konnte.

Wie ſchrieen und hipften die Kinder da und wollten bald alle ein Spielzeug. Der Knecht mußte ſeine Finger ſchon fleißig ge⸗ brauchen; ein Geſchenk nach dem andern ſprang daraus her⸗ vor: Puppen und Bälle zum Werfen für die Mädchen, Wagen und Reitersleute für die Jungen, und ich weiß nicht was alles. Und je mehr die Kinder lachten und je dankbarer die Frau ihm zuſah, um ſo eilfertiger wurde der Mann. Als er einen Apfel fand, den das arme Weib verwahrt hatte, machte er gleich einen Tiſch voller Apfel daraus, und als das kleinſte Kind ihm zwei taube Nüſſe zeigte, mit denen es ſpielte, da wußte er es fo ein⸗ zurichten, daß ein Beutel davon in der Kammer ſtand. Denn wenn er auch nur ein Knecht des Wohljägers - des Wilden Jägers war, fo wußte er doch mit allerhand guten Künſten Beſcheid.

Wie der Mann nun mitten im Werk war, kam draußen noch einmal eine furchtbare Sturmbö näher. Und gerade als die Frau ſich nun doch zu fürchten begann und die Tür ſchließen wollte, ſprang die krachend auf, der Wohljäger trat über die Schwelle und hinter ihm ein allmächtiges Gedränge von hohen

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Herren und holden und unholden Gefellen. Die begannen dröh⸗ nend zu lachen, als ſie den alten Reiter mitten unter den Kin⸗ dern ſahen, das Spielzeug in der Hand.

„Was tuſt du hier?“ murrte auch der Wilde Jäger.

Der Knecht, der eben noch froh geweſen war, ſeinen Herrn wiederzuſehen, merkte erſchrocken, daß er ſich verantworten ſollte. „Ach,“ ſagte er, „das iſt ſchwer zu erklären. Seht, Herr,“ und es ſchien ihm wirklich, als fei er um deswillen geblieben - „ſeht, die Kinder ſangen die himmliſche Frau herbei; wie mich dunkt, für uns alle. Man ſollte ſolches Singen nicht gering achten und es belohnen.“

„Er war ſo gut zu den Kindern“, ſagte die Witwe fürbittend und ſtreckte die Hände aus.

Der Wohljäger ſah ſie an, aber es war zugleich, als ſchaute er fiber alles hinweg. Dann wandte er ſich ſeufzend dem Reiter zu. „So bleib noch,“ befahl er, „und geh auch in die andern Häuſer und laß alle Kinder ſingen. Vielleicht, daß ſie, die wir ſuchen, ſich doch raſcher zu uns wendet, wenn ſie es hört.“

Da freute ſich der Knecht - Ruprecht hieß er - und iſt dem auch gehorſam gefolgt. Und er geht noch heute jährlich durch alle Häuſer, um die guten ſingenden Kindlein zu beſchenken. Aber auf Griesgrame und Beſſerwiſſer, auf Faulpelze und Hage⸗ ſtolze läßt er Rute und Plagen fallen. Denn er iſt ein alter Reiter und fackelt nicht lange.

Aus: Das Geſtühl der Alten (Sasel. Bücher)

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Wilhelm Müller / Der Wegweiſer

Was vermeid ich denn die Wege, Wo die andren Wandrer gehn, Suche mir verſteckte Stege

Durch verſchneite Felſenhöhn?

Habe ja doch nichts begangen, Daß ich Menſchen ſollte ſcheun

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Welch ein törichtes Verlangen Treibt mich in die Wüften ein? N ö Weiſer ſtehen auf den Straßen, Weiſen auf die Städte zu,

Und ich wandre ſonder Maßen, Ohne Ruh, und ſuche Ruh.

Einen Weiſer ſeh ich ſtehen Unverrückt vor meinem Blick; Eine Straße muß ich gehen, Die noch keiner ging zurück. Aus dem „Buch deutſcher Dichtung“

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Karl Heinrich Waggerl / Aus der Heimat

Ich möchte gern einmal etwas von dem Land erzählen, in dem ich daheim bin, von meinen Landsleuten alſo und von ihrer Lebensart. Etliches aus dem nächſten Umkreis meines Daſeins, anderes aus einer ſehr fernen Zeit, Bilder, die mir ſelber fremd ſind und doch auch wieder beglückend vertraut.

Denn ich lebe gewiſſermaßen ein zweites Mal, ich war ein Kind, dann ſtarb ich im Kriege und fing als ein anderer Menſch ein völlig neues Leben an. So mag denn vieles weit hergeholt fchei: nen und abſonderlich klingen oder gar nicht zur Sache gehörend, aber das iſt vielleicht kein Schaden. Denn jedes Bild rundet ſich vom Rande her.

Mit meiner Mutter fange ich an. Sie war Näherin, in ihren beſten Jahren die einzige im ganzen Tal, die ſich noch darauf verſtand, einen Miederleib richtig zu nähen und alles, was zur alten Tracht gehörte. Dieſem Umſtand verdanke ich ſelber einige Kenntniſſe in der Schneiderkunſt. Und ſoviel ich davon auch wie— der vergeſſen habe, ich kann mir doch heute zuweilen noch den Spaß erlauben, die Weibsleute bei ihren Einkäufen auf dem

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Jahrmarkt zu beraten, was die Güte des Tuches betrifft oder die Machart eines Uberrockes.

Die Mutter hatte ihr Handwerk freilich nicht ordentlich erlernt. Aber wie ſie alles im Leben beherzt und entſchloſſen angriff, ſo nähte ſie eben auch, was in unſerem dürftigen Hausweſen nötig war, einen Kittel für mich, ein Sonntagshemd fir den Vater oder eine Schürze für fie ſelbſt. Hemd und Schürze waren aus einerlei billigem Zeug geſchnitten, und dennoch hatte jedes Stück, das der Mutter aus der Hand ging, etwas Beſonderes an ſich. Ihr bewegliches und erfinderiſches Weſen war nie mit dem Ge⸗ wöhnlichen zufrieden. Darum konnte der Vater beim Kirchgang eine gefältelte Hemdbruſt ſehen laſſen, wie es keine in der gan⸗ zen Gemeinde gab, und die Krauſe am Schürzenlatz der Mutter war ein Mirakel für die Nachbarin. Die wollte nun auch ſo eine Schürze haben, aus Seide, verſteht ſich. Aber Seide oder Kattun, am Ende machte es der Verſtand, den Gott auf ſeine Weiſe verteilt, zum Glück für die armen Leute. Die Mutter konnte ja nicht in Muſterbüchern nachſchlagen und nichts auf dem Zeichenbrett entwerfen, ſie mußte ſich alles in ihrem Kopf ausdenken. Und wenn ſie auch mich mageren Däumling manch⸗ mal auf den Tiſch ſetzte, um einen Halskragen oder eine Buſen⸗ ſchleife an mir zurecht zu ſtecken, ſo hatte ſie doch keine richtige Hilfe daran, meine äußere Erſcheinung war ſchon damals nicht das Beſte an mir. Der Vater ließ ſich noch weniger gebrau- chen, denn in dieſem ruhig⸗ernſten Mann ſteckte ein heimlicher Drang zu kindiſchen Späßen. Wenn er abends einmal in die Schürze der Nachbarin ſchlüpfen ſollte, gleich war er die dicke Nachbarin ſelber und blähte ſich auf, und das brachte die Mut⸗ ter zur Raſerei. Denn im Grunde haßte ſie die Arbeit am Näh⸗ tiſch. Manchmal geſchah es, daß ſie plötzlich alles hinwarf und einfach fortlief, irgendwo hinauf in die Berge oder auf eine Alm, die Bauerntochter. Dann ſaß der Vater einen Abend lang mit mir allein bei ſchmaler Koſt zu Hauſe, wir wußten ſchon Beſcheid. Am andern Tag kam die Mutter zurück, ſchweigſam und ein bißchen beſchämt nahm ſie ihr Tagwerk wieder auf. Wohlverſtanden: eine Schwierigkeit anzupacken, einem Einfall nachzutrachten, dem konnte ſie nie widerſtehen. Aber daß es

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dann fo lange währte, Stich um Stich, den ganzen Tag in der engen Stube, das ging ihr gegen die Natur, gegen ihren un⸗ bändigen Trieb nach Freiheit und Bewegung. Etwas erfinden und etwas machen iſt eben zweierlei, und vielleicht will die ganze Welt nur deshalb nicht recht ins Lot kommen, weil den lieben Gott ſelber die Arbeit daran ſchon längſt verdrießt. Jedenfalls, ſogar der Pfarrer ſelber hätte einen Talar für die Feiertage bei der Mutter beſtellen können, er wäre nicht ſchlech⸗ ter bedient worden als etwas ſein Mesner, dem unſere Werk⸗ ſtatt eigentlich ihren Ruf in der ganzen Gegend verdankte. Der Messner trat eines Abends in die Stube, mit zwei Roß⸗ decken und einer Schafkeule unterm Arm. Er gehörte zu unſe⸗ rer weitläufigen Vetternſchaft, und die Mutter hielt große Stücke auf ihn, weil es doch immerhin wertvoll war, einen Ver⸗ wandten unter dem Geſinde des Herrn zu haben. Und nun feßfe der Mesner ſein umſtändliches Anliegen auseinander. Er käme allmählich in die anfälligen Jahre, meinte er, in denen man das Knieen auf dem Kirchenpflaſter und die Zugluft in der Glocken⸗ kammer ſchlecht verfrüge, von den Verſehgängen gar nicht zu reden, ſeit die Leute die verdammte Gewohnheit angenommen hätten, immer bei Nacht und Unwetter zu ſterben. Und darum habe ihm die Vorſehung dieſe beiden Roßdecken für einen war⸗ men Rock zugewendet und die Schafkeule auch, die wolle er aber als Machlohn dreingeben.

Männergewand zu nähen gehört zum Schwierigſten in der gan⸗ zen Schneiderkunſt, ich weiß das aus Erfahrung, denn ich habe mich auch darin verſucht. Als ich im Felde diente, beſchloß ich einmal, mir ſelber eine neue Hoſe zu machen. Ich dachte, wenn ich von der alten das Beſte nähme und meinen Mantel unten herum abſchnitte, bliebe mir genug Zeug dazu. Das wohl, aber der Schnitt geriet mir ſchlecht, und die Näherei auch, zuletzt be⸗ ſaß ich nur noch ein paar Streifen Tuch für Gamaſchen und ſtatt des Mantels eine kurze Jacke, an der zu beiden Seiten das weiße Taſchenfutter baumelte, eine wunderliche Tracht für einen kaiſerlichen Fähnrich.

Die Mutter freilich kämpfte mit anderen Schwierigkeiten. Der Mesner war nicht ſehr ebenmäßig gebaut, ſondern ſchief und

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bucklig vom vielen Verneigen und Kreuzeſchlagen oder wovon ſonſt die Diener des Herrn alle krumm geraten, obwohl er ſie doch auch gerade erſchaffen hat. Was aber das Anliegen be⸗ traf, mit dem Gott ſeinen Knecht zu meiner Mutter ſchickte, ſo waren freilich die Lilien auf dem Felde leichter zu kleiden als die⸗ ſer verwachſene Mesner. Der Vater entwarf zwar ſofort einen Riß mit ſeinem Zimmermannsblei, aber es wurde doch nur eine Art Dachſtuhl daraus, nicht zu gebrauchen. Nein, die Mutter behalf ſich lieber ſelber, und nach einigen gewittrigen Tagen war der Rock auch wirklich fertig, man konnte ihn gleich einem Panzer in die Ecke ſtellen. Der Mesner, meinte der Vater, werde darin hängen wie der Schwengel in der Glocke.

Er kam denn auch zum Samstagabend und ſchloff in fein Ge: häuſe, ſchnaufend ſchüttelte er ſich darin zurecht. Als er aber merkte, daß er alle Gliedmaßen gebrauchen konnte, war er zu⸗ frieden und ging davon, eine rieſige Schildkröte kroch die Gaſſe hinunter.

Wegen dieſes Meiſterſtückes geriet ſpäter unſere ganze Familie in langwierige Händel mit der Sippſchaft des Schneiders, der nach dem Urteil meiner ſtreitbaren Mutter überhaupt der mi: derwärtigſte unter ihren vielen Feinden war, ſeit ſie ihn in der Jugend als Brautwerber ausgeſchlagen hatte. Gottlob, daß ſie dieſem Unglück entkam, es hätte ja auch mich gewiſſermaßen das Leben gekoſtet.

Aber alle Feindſchaft und Tücke konnten den Ruhm der Mut⸗ ter nicht mehr ſchmälern, die Leute liefen ihr ſchon von weit her zu. Es half dem Schneider gar nichts mehr, daß er die Mutter und den Mesner zuletzt auch noch vor das Gericht ſchleppte. Der Richter war ein verſtändiger Mann, er meinte, es ſeien beide Teile genug geſtraft, die Mutter, weil ſie den Rock nähen und der Mesner, weil er ihn tragen mußte. Ich aber nahm furchtbare Rache an dem Unhold, ich zog mit meiner Schleuder aus und ſchoß ihm ein Dutzend Kampferkugeln in ſeine Bienen⸗ ſtöcke.

Damals trug das Bauernvolk noch gern die alte Tracht, ein anderes Feſtgewand kannte man gar nicht. Heute iſt es auch in den entlegenſten Tälern nicht mehr ſo. Ich denke oft darüber

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nach, was die Leute wohl bewog, ein Beſitztum preiszugeben, das ſo viele Geſchlechter vorher einander treu überliefert hatten. Sie ſind doch auch ſonſt nicht anders geworden, nicht beweg⸗ licher und aufgeſchloſſener dem Neuen gegenüber. Ein Vorteil beim Düngen, ein beſſeres Gerät, auch jetzt noch braucht es viele Jahre, bis endlich einer von den harten Köpfen den Argwohn überwindet, daß das Beſſere gar nicht immer auch ein Vorteil ſein müſſe.

Und es iſt gut ſo, denn wäre es anders, ſo gäbe es wahrſchein⸗ lich längſt keine Bauern mehr, wenigſtens keine Bergbauern. Der Bauer hierzulande kann nicht heute ſo und morgen anders denken oder arbeiten oder wirtſchaften. Sein Tagwerk erhält den Antrieb gleichſam aus derſelben Kraftquelle, die das Ganze der Natur bewegt. Darum läuft es auch im gleichen Zeitmaß ab, mit der gleichen unveränderlichen Stetigkeit.

Der Bauer ſät ſein Korn in den Acker, aber dann iſt es ſeiner Pfiffigkeit entzogen, er kann es nicht wachſen laſſen, wie er will. Sonne und Regen wirken darauf ein und auch ſonſt alle geheimen Mächte, die das Lebendige beherrſchen, Schickſal. Es kann im Juli ſchon ſchwer vom Halm hängen, der Hagel kann es in die Erde ſchlagen, da helfen keine Kniffe.

Vielleicht habe ich unrecht mit meinen rückſtändigen Anſichten. Aber wenn ich einen Bauern plötzlich mit einer neuartigen Ma⸗ ſchine fuhrwerken ſehe, dann muß ich manchmal an die Gebets⸗ mühlen denken, die ein ſchlauer Mönch in Tibet erfunden hat. Es iſt dem Bauern gewiß zu gönnen, daß die Maſchine für ihn pflügf, wie den Mönchen, daß fie nicht mehr felber beten müſ⸗ ſen. Aber wie, wenn es insgeheim gerade darauf ankäme? Zäune flicken ijt zum Beiſpiel nicht angenehmer als Heuwen⸗ den, warum, zum Teufel, gibt es keine Zaunflickmaſchinen? Am Ende trachtet der Bauer gar nicht mehr dem Segen der Arbeit nach, wie er ihn verdiene, ſondern der Arbeit ſelber, wie er ſie los würde.

Ich meine ja nicht, daß der Bauer die ganze Laſt ſeines Tag⸗ werks unbedingt auf dem eigenen Buckel tragen müſſe. Es iſt ſchon recht, wenn ſich die geſcheiten Leute in der Stadt auch fir ihn die Köpfe zerbrechen. Aber die fremde Hilfe wird ihm zum

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Verderben, fobald fie die nafürliche und notwendige Ordnung ſeines Lebens zerſtört. Es kann doch auch nicht irgendwer ge⸗ laufen kommen und auf einem Bauernhof zu leben anfangen. Der Hof in der Einöde hat ſich in langer Zeit ſelber die Men⸗ ſchen geformt, die er braucht.

Arbeit tut ja nicht weh, fo iſt es doch nicht, daß jemals ein ge: ſunder Menſch an ſeiner redlichen Arbeit zugrunde ginge. Aber Hunger tut weh, an der Unzufriedenheit geht er zugrunde. Wenn man den Bauern in ſeinem Weſen verändert, wenn man ihm einredet, daß nur ein bequemes Leben ſchön und lebenswert ſei, dann darf ſich niemand wundern, daß er die Schinderei ſatt bekommt und davonläuft.

Warum räumt der Bauer ſeinen guten Hausrat auf den Dach⸗ boden und ſtellt ſich dafür den lackierten Schund aus den Fa⸗ briken in die Stube? Warum trägt er die alte Tracht nicht mehr und kauft ſein Gewand im Laden von der Stange? Nun, was den Hausrat betrifft, fo will ich einmal übertreiben und ſagen, daß es das, was wir Bauernkunſt nennen, für den Bauern ſelber gar nicht gibt. Wenn er früher eine Truhe brauchte oder eine Brotfchüffel, dann ging er zum Handwerker ins Dorf, und der machte ihm das Ding nach ſeinem Verſtand. Der Tiſchler war auch ein rechter Kerl, darum geriet ihm die Truhe ohne viel Rechnerei nach Maß und Form, er bemalte ſie, wie es herkömmlich war, und das alles ſpricht uns an, weil es fo unverkennbar echt iſt, ſo einfältig und urſprünglich. Aber der Bauer ſelber machte ſich keine ſolchen Gedanken. Ihm war die Truhe recht, bis ihm beigebracht wurde, daß er etwas Ahn: liches weitaus billiger haben konnte. Empfindſamkeit, Schwär⸗ merei ftünden dem Bauern ſchlecht an, er ift hart und nüchtern, er hat für jedes Ding nur einen Maßſtab: wieviel Nutzen es ihm bringt oder wieviel Arbeit es ihn koſtet. Eine neuartige Senſe zu kaufen, das würde er ſich überlegen, die mußte er zu⸗ erſt beim Nachbarn geſehen haben. Aber das Glasbild an der Stubenwand, das heilige Herz Jeſu läßt er ſich willig gegen einen Oldruck abtauſchen. Daran liegt ihm nichts, ein papiere⸗ nes Herz Jeſu iſt ſo gut wie ein gläſernes, beſſer ſogar, weil auch die Heilige Familie koſtenlos mit darauf gedruckt iſt.

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Ich habe oft verſucht, mich in einen ſolchen Handel zu mifchen. Es half nichts, wir redeten aneinander vorbei. Lauter Geſchwätz. Erkläre einer mit dürren und genauen Worten, was das iſt: Schund, Kitſch. Ich weiß es nicht. Ich ſpüre nur, daß mir da⸗ vor zum Speien übel wird. Aber wahrſcheinlich kann ich eben deshalb auch kein Bergbauer ſein.

Und das alles wäre auch gar nicht wichtig, wenn es nicht doch, mit vielem anderen zuſammen, in den Weſenskern des bäuri⸗ ſchen Menſchen träfe. In einem Städter kann ſich das Weltbild, das Lebensgefühl wandeln, das ſchadet nicht, die Welt, in der er lebt, iſt ſelber unſtet und veränderlich. Aber Geſetz und Form des bäuriſchen Daſeins ſind unlösbar verknüpft mit dem ewigen Gleichmaß der Natur.

Ich verſtand in der Kinderzeit gar nicht, warum ſich die Mut⸗ fer fo erzürnte, als die Bäuerinnen allmählich anfingen, {tad- tiſche Jacken zur Seidenſchürze und zum Trachtenhut zu tragen. Es dauerte lange, bis ſie ſich endlich des Verdienſtes wegen da⸗ mit abfand, den Leuten ihren Willen zu tun. Und ſpäter, als es längſt keinen Miederrock mehr zu nähen gab, übte ſie ihre Kunſt noch für ſich allein und kleidete Puppen an, richtig mit dem ſtei⸗ fen Unterzeug und dem Franſentuch und bis ins kleinſte getreu. Mir freilich lag nichts an dieſem Puppenkram. Die Mutter beklagte es oft, daß ich ihr gewiſſermaßen von Anfang an miß— raten war, weil ſie ſeinerzeit eigentlich vorhatte, ein Mädchen zur Welt zu bringen, etwas Sanfteres, das nicht ſo ſchnell in ſeine wilde Zeit hineinwüchſe. Aber ich geriet leider in jeder Hin⸗ ſicht dem Vater nach, und, was am ärgerlichſten war, er half mir auch noch heimlich bei meinen Streichen. Kaum drehte die Mutter einmal den Rücken, gleich ſaß ich an der Nähmaſchine und quälte das klapprige Weſen mit meinen waghalſigen Ein⸗ fällen. Sie mußte eine Seilbahn antreiben, einen Aufzug, mit dem man nützliche Dinge, Kieſelſteine und Fichtenzapfen vom Anger herauf bis in unſere Dachſtube befördern konnte. Und wer hatte die Schnur dazu geſtiftet, das Geſtell gebaut, die Rollen abgedreht? Der Vater nahm es ſchweigend auf ſich, wenn die Mutter klagte, fie wiſſe wirklich nicht, wofür fie Gott außer mit einem närriſchen Mann auch noch mit einem ver:

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rückten Kind geftraft habe. Hinterher ſagte er uns beiden zum Troſt, daß erfinderiſche Köpfe anfangs immer verkannt würden. Die Maſchine nähte allerdings nicht mehr, und wir wurden ſo lange auf Waſſer und Brot geſetzt, bis ſie wieder zu brauchen war. Der Vater überließ es mir, Rat zu ſchaffen, und ich machte mich unverzagt und auf gutes Glück an die Arbeit. Manchmal genügte es, die Maſchine bloß ein bißchen zu ſchütteln, ein an⸗ deres Mal mußte man ihr den ganzen Bauch ausräumen, und dann blieb einem gewöhnlich ein Bolzen übrig oder eine Feder, die nirgends mehr hineinpaßte. Aber darauf kam es dem launi⸗ ſchen Geſchöpf auch gar nicht an. Plötzlich lief es eben doch wieder und kaute willig an ſeinem Faden.

Zu uns in die Werkſtatt kamen zumeiſt nur die geringeren Leute, die Mägde oder die heimlichen Kunden, ihre Liebhaber. War aber irgendwo bei einem reichen Bauern eine Hochzeit im Gange, ſo wurde die Mutter auf Stör ins Haus genommen, damit ſie die Ausſtattung nähte, vor allem die Tracht der Braut. Denn bei dieſer Arbeit war viel Geheimnisvolles zu beachten, wenn es der jungen Frau nicht ſpäter zum Unheil werden ſollte.

Wir blieben zwar nur über Tag auf dem Hof, dennoch nahm die Mutter jeden Morgen umſtändlich Abſchied von ihrem Haus: weſen, es lag ja allein bei Gott, ob wir uns abends alle fröh⸗ lich wie derſahen. Sie bekreuzte ſich und mich und den Vater und alles, was ihr teuer war. Dann wurde die Nähmaſchine auf den Schiebkarren geladen, ein Korb mit dem Werkzeug kam dazu und obenauf ein ſeltſames einbeiniges Weſen, die Kleider⸗ büfte. Die Mutter hatte fie ſelber genäht und kunſtvoll mit Heu ausgeſtopft. Eine Göttin der fraulichen Fülle, aber doch ein bißchen unheimlich anzuſchauen, weil ihr der Vater ſtatt des Kopfes eine gläſerne Gartenkugel auf den Hals gekittet hatte. So trug die Hohlköpfige alles in wunderlicher Verzerrung nach außen zur Schau, was man ſonſt im Innern verbirgt, aber das, meinte der Vater, ſei bei vielen Weiberköpfen ſo.

Die Mutter ſchob den Karren, und ich mußte nebenher gehen und das Ganze im Gleichgewicht halten. Es war manchmal ein müh⸗ ſeliges Fuhrwerk die ſteilen Wege hinauf. Für mich freilich gab es nichts Schöneres, beſonders zur Sommerzeit, wenn einem die

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leidige Schule nicht mehr den Tag verderben konnte. Die Mutter war der Meinung, ich ſollte mich mehr an die Buttermilch und an die Krapfen halten und endlich ein wenig Speck anſetzen, ſtatt mich von früh bis ſpät herumzutreiben. Aber ſolche Gelegenhei⸗ ten, in den Bauch zu ſparen, habe ich leider zeitlebens verſäumt. Ach, mir wird noch heute warm ums Herz, wenn ich an dieſe Zeit denke, und es iſt doch nur noch ein blaſſer Widerſchein der paradieſiſchen Glückſeligkeit, die ich damals genoß. In den drangvollen Tagen der Heuernte, wenn wir ſchon beim erſten Licht des Morgens unterwegs waren, ſtanden überall die Mäher breitbeinig in den Wieſen, es roch nach Tau und Gras, und die Vögel waren auch betrunken von der herben Süße dieſes Duf⸗ tes, ſie ſtiegen hoch auf und ſangen, Gelernte und Ungelernte durcheinander. Dann und wann hielt einer von den Mähern inne, er betrachtete unſer ſeltſames Gefährt und rief etwas her⸗ über. Aber die Mutter blieb keinem die Antwort ſchuldig, und was ſie ſagte, war von einer ſolchen Art, daß der Läſterer nichts mehr zu erwidern wußte. Er ſtellte betroffen ſeine Senſe auf, griff an die Hüfte nach dem Kumpf und ſchärfte das Blatt, und das war wiederum freudig anzuhören, dieſer ſilbern ſingende Klang über die Felder hin. Dazu der weite Himmel zu Häup⸗ ten der Berge und unten das Tal noch im Zwielicht, aber weit entfernt. Man mußte die Hände um den Mund legen und einen Ruf hinunterſchicken, vielleicht hörte ihn der Vater, wenn er jetzt zu ſeinem Werkplatz ging.

Später am Tage durfte ich die Jauſenmilch auf die Wieſe tra⸗ gen oder kühlen Moſt im irdenen Krug. Die Hofkinder liefen alle mit, der Hund auch, er mochte nicht länger vor der Tür liegen und ſich über die albernen Hühner ärgern.

Köſtlich war es, mit den Mannsleuten im Zaunſchatten zu ruhen und ihren ſparſamen Reden zuzuhören, den kurzen Spä⸗ ßen, wenn nun das Weibsvolk anrückte, um das Heu auszu⸗ breiten und zu wenden. Oh, mähen zu können, daß ſogar der Großknecht weit zurückbliebe, ſtark zu ſein, braun gebrannt, eine haarige Bruſt zu haben, das war damals für mich das Auferfte, was ein Menſch im Leben erreichen konnte. Aber leider, nicht alle Knabenwünſche hat mir das Leben erfüllt.

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Zum Heuen gehört auch ein tüchtiger Wetterguß, der brachte am ſchläfrigen Nachmittag wieder Schwung in die Arbeit. Man ſpürte es ſchon lange vorher in allen Knochen, unmerk⸗ lich verglomm die ſchwelende Hitze über den Feldern. Wolken zogen herauf, federweiße zuerſt, dann regenträchtige mit dunk⸗ len Bäuchen. Plötzlich war auch der Wind wieder da, den Tag über ſchlief er pflichtvergeſſen in den Hecken, aber jetzt fab er die Gelegenheit, der alte Widerſacher weiblicher Ehrbarkeit, und die Mägde hatten Not, ihre fliegenden Röcke zu bändigen. Warme Schatten überflogen uns, irgendwo am nahen Rand des Himmels zuckte es feurig auf, und ſchon war der Donner zu hören, das dumpfe Räderrollen vom Wagen des wurfge⸗ waltigen Gottes. Keine Zeit mehr zu verlieren, ſogar die Mut⸗ ter in der Nähſtube ließ die Nadel ſtecken und kam mit einem Rechen auf die Wieſe gelaufen.

Jetzt fuhr der Jungknecht mit dem Geſpann heraus, auch die Gäule waren ungeduldig und ſtiegen erregt im Geſchirr. Sogar ein Knirps wie ich zählte nun für einen vollen Mann. Ich mußte auf den Wagen klettern und das Fuder machen, und davon hing viel ab, das wäre des Teufels, wenn es ſchlecht ge⸗ riete und man würfe zuletzt noch um! Nebenher zu beiden Sei⸗ ten gingen die Knechte und reichten mir ungeheure Ballen Heu auf der Holzgabel zu. Haushoch wuchs das Fuder, und dabei wollte der Heuſegen kein Ende nehmen. Lang ſchon war der letzte Sonnenfleck im Tal erloſchen, Regenkühle wehte heran, unmöglich, daß wir auch den letzten Wagen noch trocken unter Dach brachten.

Aber es gelang eben doch. Das hätte ſich damals auch der ge⸗ ringſte Knecht nicht nachſagen laſſen, daß ſeinetwegen eine Zeile Heu verdorben ſei.

Nachher ſaßen wir alle in der Stube beiſammen, die Kinder drückten ſich in den Schoß der Frauen, die ganze Welt verſank in aſchgrauer Düſternis. Schäumendes Waſſer ſchlug gegen die Fenſter, furchtbar, wenn das grelle Licht der Blitze in die Stube ſprang, und der Donner ſchlug ſchmetternd darein, es war un: gewiß, ob das Haus nicht längſt wie eine Arche auf unendlichen Meeresfluten ſchwamm.

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Aber dann kam der Bauer herein, er ftreifte das Waſſer aus dem ſchuͤtteren Haar und ſetzte ſich hin und nahm auch eins von den Kindern zwiſchen die Kniee. Grobes Wetter, ſagte er wohl, helf uns Gott. Und mit einem Mal war alles nicht mehr ſo ſchlimm. Der Hausvater vermochte zwar auch nicht die Blitze zu bannen oder den Hagel zu beſchwören, dennoch, er war wie⸗ der unter uns; es geht vorüber, ſagte er.

Das iſt ſchon ſo: nur ein erfülltes Leben gibt dem Menſchen wirklich Wert und Feſtigkeit und Rundung in ſeinem Weſen, nicht Bildung oder Wiſſen oder feine Lebensart und was wir ſonſt noch fiir wichtig halten. Wie oft ſaß ich mit Freunden bei⸗ ſammen und ſtritt die halbe Nacht mit ihnen, wir führten hitzige Reden über Gott und alle Dinge, und am Ende gingen wir un⸗ zufrieden und ungetröſtet wieder auseinander, wir waren nicht weiſer geworden, nicht ſtärker und nicht beſſer. Aber ich kann immer einmal abends über die Felder laufen, mit meiner Un⸗ ruhe im Leibe. Vielleicht iſt dann auch der Nachbar noch unter⸗ wegs, ich lehne mich eine Weile an ſeinen Zaun und rede mit ihm. Was er ſagt, iſt durchaus keine Offenbarung für mich, er hat Sorgen mit dem Korn, eine Kuh wird kalben, darauf läßt ſich nichts Geiſtvolles erwidern. Und doch, es rührt mich an, da redet kein hohler Mund, ſondern ein ganzer Menſch aus der Fülle und Breite ſeiner Welt. Mit einem Mal bin ich nicht mehr ſo ver⸗ zagt, ich gehe heim und nehme auch meine Arbeit wieder auf. Mir wird oft bang, wenn ich zu ſehen meine, wie dieſer Men: ſchenſchlag langſam mürbe wird und abſtirbt. Es iſt mir dann, als ſei mein Volk an ſeiner Wurzel krank. Und ich laufe umher auf den Höfen und forſche in den Geſichtern, ob ſie noch den Bildern gleichen, die ich mir aus der Kinderzeit bewahrt habe. Ja, damals gab es noch prächtige Leute in den weltfernen Tä⸗ lern meiner Heimat. Da lebte noch der Vater Röck, ſo uralt, daß ihm ſeine eigene Jugend nur vom Hörenſagen bekannt war. An drei Frauen erinnerte er ſich, jede war einſichtig ge: weſen und hatte ſich zum Sterben gelegt, als ihre Zeit um war, ſie löſten ſich der Reihe nach gleichſam in lauter Kinder auf. Und darum hieß der alte Röck für jedermann in der ganzen Gegend einfach der Vater.

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Zu meiner Zeit freilich war fein hitziges Blut ſchon lange aus: gekühlt. Das Alter hatte die riefige Geſtalt zuſammengekrümmt, und vollends ſein Geſicht war nur noch ein wunderliches Ge⸗ bilde aus Falten und Furchen und Auswüchſen, da und dort mit weißen Haarbüſcheln beſtanden, es ſchien ein reiner Glücksfall zu ſein, daß ihm wenigſtens Naſe und Kinn noch ungefähr auf dem richtigen Fleck ſaßen. |

Nein, der Kopf taugte nicht mehr viel, aber die Beine hielten noch ſtand. Den ganzen Tag hinkte er auf dem Hof umher und beklopfte alles mit ſeinem Stock, das Mauerwerk und das ſchwarze Gebälk. Oft liefen wir Kinder hinter ihm her und frag⸗ ten ihn aus: was tuſt du da, Vater, ſuchſt du einen Schatz? Vielleicht auch das. Aber vor allem wollte er ſich überzeugen, ob das Ganze noch verläßlich ſtand. Der Krieg bricht bald wie⸗ der aus, ſagte er, die Kroaten kommen.

Der Röͤckhof war ein feftes, burgähnliches Gebäude. Im Seller: gewölbe gegen das Tal hin lagen noch die alten Kugelbüchſen auf den Schießſcharten, und an dieſen urzeitlichen Prügeln hatte der Vater Röck ſeine Freude. Er rieb die Läufe blank und ölte die Schlöſſer und prüfte den Anſchlag, und wo immer in der Gegend eine ahnungsloſe Kuh auf der Weide ſtand, er konnte ſie jederzeit haarſcharf aufs Korn nehmen. Denn der Vater Röck verſtand mehr vom Kriegshandwerk als die jungen Dächſe, er hatte unterm Kaiſer gedient und einen Feldzug mit⸗ gemacht.

Das beſchrieb er großartig, wie alſo die Jäger über ein ebenes Feld hin in die große Schlacht rückten, nach der Schnur aus⸗ gerichtet und Horn und Trommel dabei, und gegenüber lag der Feind in einem verdammten Gemäuer und ſchoß heraus wie nach der Scheibe, aber da wich keiner. Wo einer fiel, trat der Hintermann in die Lücke.

Einen Bäckergeſellen neben dem Vater, ſeinen beſten Stame: raden, den warf es auch um, aber im Todeskrampf rollte er ihm unter die Beine und verbiß fic) in feiner Wade. Kein Wun⸗ der, daß die Front ein wenig aus der Ordnung kam, als der Tod den Flügelmann am Stiefel feſthielt! Was aber tat der Hauptmann? Er ſprang zornrot heraus im Pulverrauch und

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Georg Kolbe: Große Knieende (Teilanſicht

ſchwang den Säbel, - der linke Flügel, ſchrie er, der linke Flü⸗ gel hängt!

Daraufhin tat der Bäckergeſell auch gleich ſeine Schuldigkeit und ſtarb auf dem Fleck.

Manchmal führte uns der Vater Röck dieſe wunderbare Be⸗ gebenheit leibhaftig vor. Er ließ die ganze Kinderſchar ins Ge⸗ fecht rücken, und dann ſprang er als Hauptmann heraus und beſchwor das Verhängnis am Flügel mit feinem Stock. Aber nicht immer glückte es ihm, die Schlacht zu retten. Zuweilen endete alles vorzeitig mit einer Balgerei, wenn mich der Nach⸗ bar gar zu arg ins Bein gebiſſen hatte.

Der Vater Röck trug noch die älteſte Tracht, an Werktagen zur wollenen Joppe eine lange Lederhoſe, die angenähten Stie⸗ felröhren unten offen und die Naht herauf mit einem Silber⸗ ſtreifen verziert, als ſei ihm eine Schnecke über den Hintern gekrochen. Feiertags kam noch der grüne, langſchößige Haftel⸗ rock dazu und beim Kirchgang ein hoher Hut, der früher auch zur Frauentracht gehörte.

Warum nun heutzutage die Weiberhüte nur noch drei Finger hoch ſind, das hat einen beſonderen Grund.

Man muß wiſſen, daß es einmal eine Magd im Tale gab, die bildfchon und bettelarm war, aber auch überaus ſtolz, wie denn, wo Schönheit und Armut beiſammen wachſen, der Teufel nicht ungern die Hoffart dazuſät. Lange ſtand der Magd kein Freier an, und als ſich endlich der rechte fand, half es auch nicht viel, denn er war ſelber nur ein armer Knecht.

Aber eher wollte fie ihr Seelenheil verlieren, ſagte die hochmütige Braut, als in einem ſchlechten Kittel zur Hochzeit gehen.

Dieſe frevelhafte Rede kam dem Teufel zu Ohren. Er putzte ſich alſo ſauber und beſprengte ſich mit Roſenwaſſer, damit er nicht nach Schwefel ſtänke, und dann machte er Beſuch bei der Braut, um ihr einen Handel anzutragen. Er wollte ihr ein Brautgewand zuſtande bringen, ſo prächtig, wie noch keine Hochzeiterin eines getragen habe. Alles aus beſter Seide, ver⸗ ſteht ſich, er arbeite ſonſt nur für die vornehmſte Kundſchaft. Und das Ganze ſollte beinahe gar nichts foften, nur ein kleines Pfand bate er fic) aus, der Ordnung halber. Ihre Seele müfje

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die Magd verpfänden, aber das bedeute auch nicht viel, fie brauche nur darauf zu achten, daß ſie unterwegs auf dem Kirch⸗ gang nichts verlöre, kein Nägelchen vom Schuh und kein Fäd⸗ chen vom Kleid, nicht das geringſte.

Nun, es gab ſchon manche ihre Tugend für weniger hin, dar⸗ um beſann ſich auch die Magd nicht lang und ſchlug ein. Dem Teufel freilich wurde die Arbeit bald ſauer. Es ſaßen ja genug Schneider in der Hölle, aber keine ſolchen, die eine Brauttracht zu nähen verſtanden. Die büßten alle ihre Sünden ſchon bei Lebzeiten ab. So blieb dem Leibhaftigen nichts übrig, er mußte ſelber ans Werk gehen. Nächtelang ſaß er und ſtach fic) die Klauen wund, und doch war dem eitlen Mädchen nichts gut genug, immer noch fehlte ein Säumchen oder eine Krauſe hier und dort. Und als endlich gar kein Wunſch mehr offen blieb, war ihr doch der Hut zu niedrig, nein, er ſollte wenigſtens um zwei Zoll höher ſein als der höchſte Hut im ganzen Tal. Gut, auch das noch. Nun war alles zur Hochzeit bereit, aber als die Magd den koſtbaren Brautſchmuck anlegte, überkam fie doch ein Grauſen, da verging ihr der Hochmut. War der Weg nicht zu ſteinig für ihre ſilberbeſchlagenen Schuhe, blies der Wind nicht zu heftig in das Franſentuch? So wunderſchön war ſie anzuſchauen, als ſie nun blaß und in ſich gekehrt im Braut⸗ zug ging, daß es ein jedes Weſen rühren mußte, nur die Wei⸗ ber ausgenommen, die ziſchten vor Neid. Aber die Steine leg⸗ fen fic) flach in den Weg, damit die Braut kein Nägelchen vom Schuh verlöre, der Wind hielt den Atem an, damit er ihr kein Fädchen vom Halstuch wehte. Und alles wäre gut abgelaufen, hätte ſich nicht plötzlich wieder der alte Hochmut im Herzen der armen Magd geregt, als ſie die feindſeligen Nachbarinnen un⸗ term Kirchentore warten ſah. Gleich vergaß ſie alle Vorſicht, ſtolz und hochaufgerichtet wollte ſie durch die Gaſſe der Bosheit gehen. Aber der Hut, verſteht ihr, der Hut war um zwei Zoll zu hoch! Er ſtreifte oben an den Türbalken und fiel und war nicht aufzuhalten. Und da half kein Stoßgebet mehr, von der Kirchenſchwelle weg holte die Magd der Teufel. Mit einem Mal ſah der Bräutigam nichts mehr neben ſich als ein gelbes Wölkchen Rauch.

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Man follte meinen, diefes ſchreckliche Strafgericht hätte allen eitlen Frauenzimmern eine Warnung fein müſſen. Aber nein, fie tragen ſeither nur die Hüte niedriger und binden fie hinten mit breiten Bändern feſt, ſonſt iſt alles beim alten geblieben. Jedenfalls, ſo wurde mir die Geſchichte erzählt. Wenn ſie nicht wahr iſt, dann bleibt immer noch zu erklären, warum ſich hie und da die bäuriſche Tracht in Einzelheiten plötzlich änderte, obwohl fie doch ſonſt unbeirrbar einer ſehr langſamen Entwick⸗ lung folgte.

Erfahrene Leute, die ich deswegen um Rat fragte, gaben ſich Mühe, mir das Rätſel zu erklären. Jemand meinte ſogar, dieſes Phänomen ſei vielleicht den Mutationen vergleichbar, ſprung⸗ haften Veränderungen, mit deren Hilfe die Natur auch ſonſt gern die Gelehrten ärgert. Aber mir iſt das zu ſchwierig. Da will ich doch lieber glauben, daß die Sache mit dem Teufel zu⸗ ſammenhängt. Überall, wo Menſchen miteinander leben und wo ſie in ihrem Schickſal etwas Gemeinſames, Verbindendes fühlen, kann ſich auch eine Tracht entwickeln. Denn es liegt wohl das Bedürfuis tief im Weſen des Menſchen, finnfällig auszudrücken, daß er in eine Gemeinſchaft gehört. Einmal kam die einigende Kraft etwa aus der Arbeit, und ſo mochten die Berufstrachten entſtanden ſein, die Trachten der Zünfte in den Städten oder auch die Uniform einer Dorfmuſik, eines Schüt⸗ zenvereines, weil es eben wohltut und einen Menſchen anfehn- licher macht, wenn er zeigen kann, daß er Freuden und Sorgen mit Gleichgeſinnten teilt. Selbſt die Kutten der Mönche und die Hauben der Nonnen find eigentlich nur Zeichen dafür, daß dieſe Leute übereingekommen ſind, dem lieben Gott auf eine be⸗ ſonders ſeltſame Weiſe beſchwerlich zu ſein.

Und ſo muß ſich wohl auch die eigentliche Tracht, wie das Brauchtum überhaupt, auf etwas zurückführen laſſen, was den Menſchen eines ganzen Landſtriches über alle Unterſchiede des Berufes und des Standes hinweg gemeinſam ift. Ich möchte es mit einem ungefähren Wort das Lebensgefühl nennen. Dieſes Gefühl wächſt aus der natürlichen Ordnung des Geſchehens, einer ſtrengen Ordnung, die das Daſein des einzelnen nicht durch⸗ aus nach ſeiner Willkür, ſondern nach geheimen Geſetzen ab-

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laufen läßt. Geburt und Tod und was den Menſchen dazwi⸗ ſchen noch ankommt, ſein ganzes Schickſal, das alles iſt in dieſe Ordnung eingewoben. Sie erſt gibt dem Leben Sinn und Feſtigkeit.

Ich will nicht etwa ſagen, daß der Bauer ſelber ſolchen Gedan⸗ fen nachhängt, er denkt gar nicht fo bewußt und üũberwach, aber in der Art, wie er ſich trägt, wie er ſeine Feſte feiert oder ſeinen Glauben bekennt, drückt ſich doch eine Ahnung von dieſen Zu: ſammenhängen aus.

Wandelt ſich nun das Lebensgefühl des bäuriſchen Menſchen, nimmt ſeine Lebenshaltung, wie es früher ſchon zuweilen ge⸗ ſchah, durch fremde Einflüſſe neue Formen an, dann hat das Brauchtum ſeinen Sinn verloren, dann trägt er eben auch die alte Tracht nicht mehr.

Das iſt zu beklagen, gewiß, wir andern beklagen es, weil wir an dieſen ſchönen und ehrwürdigen Dingen unſer Gefallen haben. Aber ob das genug iſt? Ob man überhaupt etwas Gewachſenes künſtlich am Leben erhalten kann, wenn ihm einmal der näh⸗ rende Boden entzogen wurde, auf dem es wuchs?

Man hört neuerdings viel von Verſuchen, die alte Tracht wie⸗ der zu pflegen oder gar zu erneuern. Dawider mag ich nur un⸗ gern etwas einwenden, im Gegenteil, ich bemühe mich auf meine Weiſe ja auch darum. Aber ich muß mir eingeſtehen, daß ich zuweilen Gründe und Folgen verwechſle. Früher dachte ich et⸗ wa, es müfje doch ein Antrieb für die Bäuerinnen fein, ſich wie der in der hergebrachten Art zu kleiden, wenn ſie ſähen, daß auch die Frau des Doktors oder des Lehrers es nicht verfchmähte, die gleiche Tracht zu tragen. Aber das war ein Irrtum. Der Landmenſch empfindet doch manchmal feiner, als wir es ihm zu⸗ trauen. Man ſage was immer, die Frau des Doktors hat gar kein inneres Recht, ſich wie eine Bäuerin anzuziehen. Noch in meiner Jugend wäre das ganz unſchicklich geweſen. Heute frei⸗ lich macht ihr niemand mehr dieſes Vergnügen ſtreitig. Man muß ja auch zugeben, daß die Doktorsfrau im Miederrock weit⸗ aus hübfcher ausſieht als die Bauerndirn, die nun auch etwas Beſonderes tun will und ihrerſeits nach der Mode geht. Am Ende aber läuft das ganze Weibervolk im Dorf in einer run:

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derlichen Verkleidung herum, man weiß gar nicht mehr immer: muß man einer nun die Hand küſſen oder braucht man bloß den Hut zu rücken.

Nein, das konnte der rechte Weg nicht ſein. Was tut der Deutſche, überlegte ich mir, wenn er etwas pflegen und hochhalten will? Er gründet einen Verein. Alſo gründeten auch wir eine Trach⸗ tengeſellſchaft. Anfangs war es uns langweilig, immer bloß ſchön angetan um einen Tiſch zu ſitzen, lauter junge fröhliche Leute. Auch die Schützen hocken ja nicht nur wegen ihrer Uni⸗ form im Wirtshaus, ſondern ſie hatten ein Vereinsziel, das ihnen der Obmann jährlich einmal in einer großartigen Rede vor Augen hielt. Alſo pflegten wir neben der Tracht noch die Geſelligkeit, Geſang und Tanz, und das ließ ſich ſchon beſſer an. Unſer Verein hieß ‚Edelweiß‘, nicht etwa, weil dieſe Foft- bare Blume auch Gefahr lief, ihre alte Tracht zu vergeſſen, ſondern weil wir damit ausdrücken wollten, wie hoch unſere Ideale einzuſchätzen waren.

Allmählich wuchs unſer Anſehen in der Gemeinde, wir galten bei Feſten und Umzügen nicht weniger als die Schützen oder die Veteranen. Aber meine Erwartung, es würden allmählich auch andere wieder daran Gefallen finden, ſelber die Tracht zu tragen, dieſe heimliche Hoffnung erfüllte ſich nicht.

Das ſei ſchon recht, ſagten die Leute, und dazu hätte man ja die⸗ ſen Verein, daß er das Alte in Ehren hielte.

Und nun denke ich von neuem darüber nach, was ich wohl an⸗ ſtellen muß, um dieſes ſtörriſche Volk doch noch auf meinen Leim zu locken. Ja, wenn ich jemand fände, der ſo viel Bier und Süßwein bezahlen kann, daß es für ein ganzes Dorf reichte! Vielleicht hätte ich dann bald alle in meinem Verein, und das Übel wäre behoben.

Aber vielleicht brauchte ich gar nicht ſo ängſtlich zu ſein, nur ein wenig geduldiger und einſichtiger. Wer weiß, wohin es führte, wenn alles in der Welt nach unſerem Verſtand abliefe! Wie oft trauern wir etwas Verlorenem nach oder meinen es wie⸗ dergewinnen zu müſſen und überſehen dabei, wieviel Neues uns indeſſen zugewachſen iſt. Ein wenig gleiche ich mit meinen Be⸗ mühungen dem alten Major, der einmal in meiner Nachbar⸗

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ſchaft wohnte und der, weil fein Apfelbaum im Garten nich mehr tragen wollte, jeden Herbſt ein Schock roter Apfel an die Zweige knüpfte, aus Zorn oder aus Kummer, ich weiß es nicht. Dem ſagte ich auch, er täte beſſer, den Baum richtig zu pflegen und zu wäſſern, dann beſänne er ſich wohl von ſelber wieder und trüge ſich, wie es ihm von Natur anſtand. Aber das half nichts, der Mann war närriſch. Ich kann nicht beurteilen, wie ſich das alles anderswo verhält, aber ich glaube, hierzulande wäre wenig getan, wenn man die Leute wirklich ſo weit brächte, daß ſie die äußeren Formen ihrer Lebensführung bewahrten oder aus der Vergangenheit herübernähmen. In Wahrheit haben fie ganz andere Sorgen. Bluht der Bauernſtand aber von neuem auf, geſund und felbft bewußt, dann werden auch ſeine alten Weſenszeichen wieder ſichtbar erfcheinen, oder er wird Kraft genug haben, neue zu prägen.

*

Goethe / Iphigenie

Wie man den König an dem Übermaß

Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig ſcheinen, Was Tauſenden ſchon Reichtum iſt, ſo kennt Man euch, ihr Götter, an geſparten, lang Und weiſe zubereiteten Geſchenken.

Denn ihr allein wißt, was uns frommen kann, Und ſchaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes Abends Stern- und Nebelhülle Die Ausſicht uns verdeckt. Gelaſſen hört

Ihr unſer Flehn, das um Beſchleunigung Euch kindiſch bittet; aber eure Hand

Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte; Und wehe dem, der, ungeduldig ſie

Ertrotzend, ſaure Speiſe ſich zum Tod Genießt.

Bücher aus dem Inſel⸗Verlag

Du haſt, o Deutſchland, dir den Erdenkreis verbunden, indem dein kluger Geiſt die Druckerei erfunden:

Ein Werk, dergleichen nie war bei der alten Welt,

ſo dem an Nutzbarkeit die Gegenwaage hält.

*

Martin Opitz

Neuerſcheinungen 1939

Der Preis bezieht ſich, wo nichts anderes angegeben iſt, auf den in Leinen gebundenen Band.

Ackerknecht, Erwin: Gottfried Keller. Geſchichte feines Lebens. Mit 16 Bildtafeln. M 8.50 In einer klaren, raſch fortſchreitenden Darſtellung zeigt dieſe Lebens⸗ geſchichte den harten Weg eines Mannes, der den Aufgaben ſeiner Zeit und feines Volkes mit allen Kräften feines redlichen, ehrfurchts⸗ vollen und gütigen Weſens gerecht zu werden ſuchte und darin vor⸗

bildlich erſcheint.

Bertram, Ernst: Hrabanus. Aus der Michaelsberger Handſchrift. (Sprüche in Profa.) Gebunden M 3.- Ein Seitenſtück zu den ‚Sprüchen aus dem Buch Arja‘. Gedan⸗ ken in dichteriſcher Form. Ein Brevier zur Selbſtbeſinnung.

Brandenburg, Erich: Von Bismarck zum Weltkrieg. M 14.- Das zuerft im Jahre 1923 erſchienene, heute ſchon klaſſiſche Werk ſchildert in einer jedem Lefer verſtändlichen Sprache die Vorgeſchichte des Weltkrieges und damit auch die Vorausſetzungen für das heutige Weltgeſchehen, zu dem es zahlreiche überraſchende Parallelen bietet.

Das Buch deutscher Dichtung. Herausgegeben von Ernſt Bertram, Auguſt Langen und Friedrich von der Leyen. Sechs Bände. Jeder Band M 7.-

Bisher liegen vor: Band 1: Das frühe und das hohe Mittelalter Band 2: Die Zeit der Romantik

Nach jahrelanger ſorgſamſter Vorbereitung beginnt ein Werk zu erſcheinen, das die deutſche Dichtung von den älteſten Denkmälern bis zur jüngſten Jahrhundertwende umfaſſen wird. Es iſt ein Leſe⸗ buch, das die ſchönſten und jeweils bezeichnendſten Stücke aus den Dichtungen darbietet, in den erſten Bänden in Urtext und Über: tragung. Mit zwei Bilderbänden und zwei Briefbänden wird ſich das Werk zu einer Geſamtſchau deutſchen Geiſteslebens runden.

Büchner, Georg: Werke und Briefe. Herausgegeben von Fritz Berge: mann. Dritte, vermehrte Auflage. Auf Dünndruckpapier. M 6.50

Die neue Auflage bringt wertvolle Ergänzungen durch Briefe von und an Büchner.

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Claes, Ernest: Donkelhof und Wasinghaus. Roman. Aus dem Flas mifchen übertragen von Bruno Loets. M 6.-

Mit der ganzen Fabulierfreude, die wir bei dem flämiſchen Dichter feit feinem ,‚Flachskopf' kennen und lieben, erzählt er von dem alten Groll, der ſich bei den Bauern des Donkelhofs gegen die Herren des Waſinghauſes forterbt. Endlich aber löſt ſich die Spannung durch die Ehe der Kinder. Im Mittelpunkt des ſchönen Romans ſteht Her⸗ mann Coene, das kleine Maantje, recht ein Geſchöpf der großen Liebe des Dichters.

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Dickens, Charles: David Copperfield. Roman. Vollſtändige Aus⸗ gabe. (1107 Seiten.) Mit 40 Bildern nach Phiz. M 5.-

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Die Pickwickier. Roman. Vollſtändige Ausgabe. (1010 Seiten.) Mit 43 Bildern nach R. Seymour, Buß und Phiz. M 5.— Wir erneuern und erweitern unſere Dickens⸗Ausgabe und bringen neben ‚David Copperfield“ und den ‚Pickwickiern“ zunächſt den Ro⸗ man, der zur Zeit der Franzöſiſchen Revolution in Paris und London ſpielt. Die Bilder, die den beſonderen Reiz dieſer Ausgabe aus: machen, wurden für alle Bände nach den beſten Vorlagen der alten Originalausgaben neu hergeſtellt.

Droste-Hülshoff, Annette von: Sämtliche Werke. Herausgegeben von

Wolfgang Kayſer. Auf Dünndrudpapier in einem Band. (990 S.) M 9.— Immer klarer und höher erhebt ſich aus der Fülle der Erſchei⸗ nungen des 19. Jahrhunderts die Geſtalt der Dichterin, deren Werk wir hier in einem Band vereinigen. Unſere Ausgabe bietet über die bisherige kritiſche Ausgabe hinaus den gültigen Text.

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Meckel, Eberhard: Durch die Jahre. Gedichte. M 3.—

Aus dem Boden ſeiner alemanniſchen Heimat hat der Dichter die

beſten Kräfte für ſein Schaffen gewonnen, von dem dieſe reife Ernte der Gedichte ſchönſtes Zeugnis ablegt.

Mell, Max: Steirischer Lobgesang. M 4.50 Erzählungen von eigenartigen Menſchenſchickſalen, von Landſchaft und Tieren, Bilder aus dem Volksleben, namentlich von den alten köſtlichen Volksſchauſpielen, ſind vereinigt zum Lob des ſteiriſchen Landes, dem die Liebe des Dichters gehört.

Benno Papentrigk’s Schiittelreime. Gebunden M 2.50 Das bisher nur in Privatdruden für Freunde vorliegende Werk er: ſcheint hier in neuer Geſtalt. Der Schüttelreim iſt in dieſen Dich⸗ tungen nicht um ſeiner ſelbſt willen da, ſondern Ausdrucksmittel einer heiter⸗ernſten Gedankenlyrik.

Rilke, Rainer Maria: Briefe. Band 1: 1892 bis 1904; Band 2: 1904 bis 1907; Band 3: 1907 bis 1914. Je M 7.-; in Halbleder M 9.— An Stelle der vergriffenen Bände treten dieſe drei neu bearbei⸗ teten, die auch manchen wertvollen Zuwachs bringen.

Gesammelte Briefe in sechs Bänden. Mit einer Einleitung von Dieter Baſſermann. M 40.-; in Halbleder M 50.- Dieſe Ausgabe umfaßt die drei eben genannten Bände, dazu die Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921, Briefe aus Muzot und Briefe an ſeinen Verleger.

Schiller, Friedrich von: Werke in drei Bänden. (Der Volks-⸗Schillei.) Herausgegeben von Reinhard Buchwald. (1400 Seiten.) M 14. In drei Bänden Der junge Schiller / Gedanke und Gedicht / Die klaſſiſchen Dramen bietet die Ausgabe neben allen Hauptwerken eine umfangreiche Ausleſe aus dem Gedankengut des Philoſophen und Geſchichtsſchreibers Schiller, ſo daß der Leſer hier dem ganzen Schiller begegnet. Die Ausgabe iſt ein Geitenftüd zu unſerem Volks: Goethe.

Schnack, Friedrich: Cornelia und die Heilkräuter. Mit 8 handkolo⸗ rierten Pflanzenbildern. M 6.—

Neben Sibylle, mit der uns Schnack zu den Feldblumen führte,

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tritt als ebenſo anmutige Begleiterin zu den Heilkräutern Cornelia, die Tochter eines Apothekers in Überlingen. Durch einen kleinen Ro: man aufs beſte unterhalten, erfahren wir, was Wiſſenſchaft und Volkskunde von den Heilkräutern zu ſagen haben.

Schneider, Reinhold: Corneilles Ethos in der Ara Ludwigs XIV. Eine Studie. Gebunden M 3.- Reinhold Schneider leitet zum Verſtändnis Corneilles, indem er ſeine Dramen als Geſchichtsdokumente betrachtet, als Ausdruck der beſtimmten Haltung des Menſchen ſeiner Ara.

Sonette. Gebunden M 3.-

Dieſe formvollendeten Sonette, erfüllt vom Erleben vieler Jahre, erſchließen Weſen und Welt des Menſchen Reinhold Schneider.

Sealsfield, Charles (Karl Anton Postl): Das Kajütenbuch. (Biblio- thek der Romane.) M 3.50 Der aus Mähren nach Amerika ausgewanderte deutſche Dichter gab in dieſem Werk ein Abenteuerbuch, das es an Friſche und Span⸗ nung mit Cooper aufnehmen kann. Es iſt die klaſſiſche deutſche Dich⸗ tung aus dem Wilden Weſten.

Stifter, Adalbert: Werke in sieben Banden. Mit einer Einleitung von Max Mell und einem Porträt in Lichtdruck nach einem Gemälde von Bartholomäus Szèkelyi. Textreviſion von Max Stefl. Jeder Band M 6.-

Bisher liegen vor: Band 1/2: Studien. Vollſtändige Ausgabe in zwei Bänden. Band 4: Der Nachſommer.

Band 6: Kleine Schriften. Mit 9 Bildtafeln in Lichtdruck.

Der ſechſte Band unſerer kritiſch durchgeſehenen Ausgabe ver- einigt mit den Bildern ‚Aus dem alten Wien alle größeren Aufſätze Stifters, die für die Kenntnis des Menſchen, Künſtlers und Päd⸗ agogen wichtig find. Die Bände werden auch einzeln ohne Band: ziffer geliefert. Die Einzelausgabe des erſten Bandes enthält nicht die Einleitung von Max Mell und das Porträt.

Weiß, Konrad: Das Sinnreich der Erde. Gedichte. Gebunden M 4.—

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Die neuen Bände der Inſel-Bücherei Jeder Band gebunden 80 Pfennig

Arnim, Achim von: Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. Mit Bildern von Fritz Kredel. (Nr. 541)

Bethge, Hans: Lieder des Hafis. Nachdichtungen. (Nr. 542) Blunck, Hans Friedrich: Gestühl der Alten. Sagen. (Nr. 538)

Böhme-Brevier. Herausgegeben von Friedrich Schulze⸗Maizier (Nr. 551)

Brehm, Alfred: Das deutsche Pild. Mit einem Nachwort von Heinz Graupner. (Nr. 549)

Condivi: Das Leben des Michelangelo Buonarroti. Herausgegeben von Robert Diehl. (Nr. 554)

Die deutschen Lande im Gedicht. (Nr. 353)

Dürer, Albrecht: Aus dem Gebetbuch Kaiser Maximilians. 24 far: bige Blätter. Mit einem Geleitwort von Karlheinz Reiffinger. (Nr. 550)

Ebner - Eschenback, Marie von: Aphorismen. (Nr. 543)

Goethe: Handzeichnungen. 24 farbige Blätter. Mit einem Geleit⸗ wort von Hans Wahl. Querformat. (Nr. 555)

Goethe, Katharina Elisabeth. Briefe der Frau Rat Goethe. Heraus: gegeben von Rudolf Bach. (Nr. 544)

Die schönsten Griechenmünzen Siziliens. 48 Bildtafeln. Geleitwort von Max Hirmer. (Nr. 559)

Gunnlaug. Die Saga vom Skalden Gunnlaug Schlangenzunge. Aus dem Alt⸗Isländiſchen übertragen von Helmut de Boor. (Nr. 546)

Kolbe, Georg: Bildwerke. 43 Bildtafeln. Herausgegeben von Richard Graul. (Nr. 422)

Mell, Max: Adalbert Stifter. (Nr. 339)

Michelangelo: Sibyllen und Propheten. 24 Bilder nach den Fresken in der Sixtiniſchen Kapelle. In vielen Farben. Mit einem Geleit⸗ wort von Bettina Seipp. (Nr. 165)

Tilman Riemenschneider im Taubertal. 47 Bilder. Mit einem Ge⸗ leitwort von Kurt Gerſtenberg. (Nr. 445)

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Runge, Philipp Otto: Briefe. Herausgegeben von Hans Egon Ger: lach. (Nr. 556)

Schnack, Friedrich: Das Waldkind. Roman. (Nr. 552) Schneider, Reinhold: Elisabeth Tarakanow. Erzählung. (Nr. 540)

Schopenhauer, Arthur: Betrachtungen iiber die menschliche Seele und ihren Ausdruck. (Nr. 558)

Tacitus: Germania. Übertragen und herausgegeben von Johannes Bühler. Mit einer Karte. (Nr. 77)

Timmermans, Felix: Ich sah Cäcilie kommen. Erzählung. Aus dem Slämifchen übertragen von Peter Mertens. (Nr. 547)

In neuer Geſtalt erſchienen folgende Bände:

Hebel, Johann Peter: Alemannische Gedichte. Ausgewählt und her⸗ ausgegeben von Eberhard Meckel. (Nr. 67)

Hippokrates: Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Karl Sudhoff. (Nr. 151)

Kalidasa: Sakuntala. Drama. Mit einem Nachwort von Hermann Weller. (Nr. 346)

Machiavelli: Mensch und Staat. Herausgegeben von Matthias Jonasſon. (Nr. 240)

Platen, August Graf von: Gedichte. Ausgewählt und herausgegeben bon Ernſt Bertram. (Nr. 305)

Serbische Volkslieder. (Nr. 197)

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Zeitgenöſſiſche Dichter Die mit JB. bezeichneten Werke find Bände der Inſel-⸗Bücherei. Jeder dieſer Bände koſtet gebunden 80 Pfennig.

Achim von Akerman. 1909 geboren. Die Stunde vor Tag. Gedichte. M 4.—

Ernst Bertram. 1884 in Elberfeld geboren. Literarhiſtoriker an der Univerſität Köln. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Straßburg. Ein Gedichtkreis. Gebunden M 4.— Der Rhein. Gedichte. In Halbpergament M 4.- Das Nornenbuch. Gedichte. In Halbpergament M 4.— Wartburg. Spruchgedichte. In Halbpergament M 4.- Griecheneiland. Gedichte. In Halbpergament M 4.—

Deutsche Gestalten. Bach / Klopſtock / Goethe / Schiller / Norden und deutſche Romantik / Beethoven / Kleiſt / Stifter / Möglich⸗ keiten deutſcher Klaſſik. M 6.-

Michaelsberg. Proſadichtung. M 4.— Sprüche aus dem Buch Arja. Gebunden M 2.50

Hrabanus. Aus der Michaelsberger Handſchrift. (Sprüche in Profa.) Gebunden M 3.-

Von deutschem Schicksal. (Gedichte.) (JB. Nr. 430) Von der Freiheit des Wortes. (JB. Nr. 485)

Bridget Boland. Iriſche Dichterin. Ihr Erſtlingswerk: Die Wildgänse. Roman. M 6.-

Hans Carossa. 1878 in Tölz an der Iſar geboren, Sohn eines Arztes, wurde aud) felbft Arzt wie ſchon ein Vorfahr zur Zeit der Napoleoni⸗ ſchen Kriege. Der Dichter wohnt bei Paſſau.

Gesammelte Gedichte. M 4.- Eine Kindheit und Verwandlungen einer Jugend. M 3.— Tagebuch im Kriege. (Rumäniſches Tagebuch.) M 3.—

174

Hans Carossa: Der Arzt Gion. Eine Erzählung. M 5.— Führung und Geleit. Ein Lebensgedenkbuch. M 5.—

Geheimnisse des reifen Lebens. Aus den Aufzeichnungen Anger⸗ manns. M 5.50

Wirkungen Goethes in der Gegenwart. Eine Rede. Kartoniert M 1.80 Die Schicksale Doktor Bürgers. Die Flucht. (JB. Nr. 334) Gedichte. Vom Dichter ausgewählt. (JB. Nr. 500)

Ernest Claes. 1885 in Sichem bei Löwen geboren als Sohn einer alten Brabanter Bauernfamilie. Er kam zunächſt als Lehrling in eine Kloſterdruckerei, beſuchte dann Gymnaſium und Univerſität und lebt jetzt als Beamter bei der belgiſchen Kammer in Brüſſel.

Flachskopf. Die Geſchichte einer Jugend. Mit einem Vorwort und Bildern von Felix Timmermans. M 3.75

Black. Die Geſchichte eines Hundes. M 3.80 Bruder Jakobus. Roman. M 5.50 Donkelhof und Wasinghaus. Roman. M 6.-

Hannes Raps. Eine Landſtreichergeſchichte. Mit Zeichnungen von Felix Timmermans. (JB. Nr. 429)

Die Heiligen von Sichem. Mit 12 ganzſeitigen Zeichnungen von Felix Timmermans. (JB. Nr. 483)

Anton Coolen. 1897 in dem Dorf Wylre (in der niederländiſchen Provinz Limburg) geboren. Er war eine Zeit lang als Journaliſt tätig, zog ſich aber dann in fein geliebtes Nordbrabant zuruck, um ganz ſeiner Dichtung zu leben.

Brabanter Volk. Roman. M 5.—

Das Dorf am Fluß. Roman. M 5.—

Die drei Brüder. Roman. M 5.-

Weihnachten in Brabant. Drei Erzählungen. (JB. Nr. 331)

Robert Faesi. 1883 in Zürich geboren, wo er als Literarhiſtoriker an der Univerſität wirkt.

Das Antlitz der Erde. Gedichte. M 4.— 175

Hugo von Hofmannsthal. Lebte von 1874 bis 1929. Die Gedichte und kleinen Dramen. M 5.— Das Salzburger große Welttheater. Gebunden M 2.50 Der Tod des Tizian. Idylle. Zwei Dichtungen. (JB. Nr. 8) Der Tor und der Tod. Ein dramatiſches Gedicht. (JB. Nr. 28) Das kleine Welttheater oder die Gliicklichen. (JB. Nr. 78) Alkestis. Trauerſpiel nach Euripides. (JB. Nr. 134) Gedichte. (JB. Nr. 461) Reden und Aufsätze. (JB. Nr. 339)

Ricarda Huch. 1864 in Braunſchweig geboren. Sie kam zweiund⸗ zwanzigjährig nach Zürich, um Geſchichte zu ftudieren, und begann alsbald mit der Veröffentlichung erzählender und darſtellender Werke. Die Dichterin lebt in Jena.

Michael Unger. Roman. M 3.75

Von den Königen und der Krone. Roman. In Halbleinen M 5.25 Die Verteidigung Roms. Der Geſchichten von Garibaldi erſter Teil. IN 3.75

Der Kampf um Rom. Der Geſchichten von Garibaldi zweiter Teil. M 3.75

Menschen und Schicksale aus dem Risorgimento. IN 5.-

Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. M 3.75 Der große Krieg in Deutschland. ®ekirzte Ausgabe. M 2.50 Gesammelte Gedichte. M 6.75

Liebesgedichte. (SB. Nr. 22)

Wonnebald Pück. Erzählung. (JB. Nr. 58)

Der letzte Sommer. Erzählung. (JB. Nr. 172)

Das Judengrab. Bimbos Seelenwanderungen. (JB. Nr. 193) Fra Celeste. Erzählung. (JB. Nr. 405)

Gottfried Keller. (JB. Nr. 113)

Quellen des Lebens. (SB. Nr. 469)

Per Imerslund. 1912 in Oslo geboren, ſtammt aus einem alten Bauerngeſchlecht Hedemarkens. Er verlebte ſeine Jugend in Deutſch⸗ land und war von 1927 bis 1931 in Mexiko. Sein Erſtlingswerk hat er deutſch geſchrieben.

Das Land Noruega. Erlebniſſe in Mexiko. M 4.50 176

Gudmundur Kamban. 1888 in Alftanes auf Island geboren. Er ftu- dierte in Kopenhagen, lebte dann von 1915 bis 1917 in New York und widmete ſich nach ſeiner Rückkehr der Bühne als Spielleiter. Seit einiger Zeit lebt Kamban in Deutſchland.

Die Jungfrau auf Skalholt. Roman. M 7.50 Der Herrscher auf Skalholt. Roman. M 7.50 Ich seh ein großes schönes Land. Roman. IN 6.50

Gertrud von le Fort. 1876 in Minden geboren, lebt in Baierbrunn im Iſartal.

Die Magdeburgische Hochzeit. Erzählung. M 5.50 Die Opfer flamme. Erzählung. (JB. Nr. 533) Eberhard Meckel. 1907 in Freiburg im Breisgau geboren, lebt in Schöneiche in der Mark. Durch die Jahre. Gedichte. M 4.— Max Mell. 1882 in Marburg an der Drau geboren. Er wuchs in

Wien auf, ſtudierte Germaniſtik, machte den Krieg an der ruſſiſchen Front mit und lebt ſeither in Wien und in Pernegg (Steiermark).

Das Donauweibchen. Erzählungen und Märchen. M 5.— Steirischer Lobgesang. M 4.50

Die Sieben gegen Theben. Dramatiſche Dichtung. Gebunden M 3.50 Das Spiel von den deutschen Ahnen. Gebunden M 3.50

Das Nachfolge Christi-Spiel. Gebunden M 3.50

Das A postelspiel. (JB. Nr. 167)

Barbara Naderer. Novelle. (JB. Nr. 261)

Ein altes deutsches Weihnachtsspiel. (JB. Nr. 418)

Adalbert Stifter. (JB. Nr. 339)

Christian Morgenstern. Lebte bon 1871 bis 1914.

Alle Galgenlieder. (Galgenlieder, Palmſtröm, Palma Kunkel, Ging⸗ ganz.) M 3.75

Über die Galgenlieder. M 3.-

Melancholie. Gedichte. Gebunden IN 2.50

Klein Irmchen. Ein Kinderliederbuch. Mit Zeichnungen von Jo⸗ ſua Leander Gampp. Gebunden M 4.-

177

Otto Nebelthau. 1894 in Bremen geboren. Lebt in München. Der Ritt nach Canossa. Hiſtoriſcher Roman. M 6.- Mein Gemüsegarten. (JB. Nr. 456)

Mein Obstgarten. (JB. Nr. 470)

Rainer Maria Rilke. Lebte bon 1875 bis 1926. Ausgewählte Werke in zwei Bänden. M 12.—; in Halbleder M 18.—

Gesammelte Briefe in sechs Bänden. Mit einer Einleitung von Dieter Baffermann. IN 40.-; Halbleder M 50.—

Einzelausgaben der Briefbände:

Briefe aus den Jahren 1892 bis 1904.

Briefe aus den Jahren 1904 bis 1907.

Briefe aus den Jahren 1907 bis 1914.

Briefe aus den Jahren 1914 bis 1921.

Briefe aus Muzot (1921-1926).

Briefe an seinen Verleger (1906-1926).

Jeder der Briefbande M 7.-; in Halbleder M g.-

Das Stunden- Buch. In Halbleinen IN 3.-

Erste Gedichte. M 5.—

Frühe Gedichte. M 5.-

Neue Gedichte. M 5.—

Das Buch der Bilder. M 5.-

Duineser Elegien. NM 3.-

Späte Gedichte. M 5.-

Erzählungen und Skizzen aus der Frühzeit. M 7.-; in Halbleder Mg.-

Geschichten vom lieben Gott. M 4.50

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. M 5.50 Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M 7.-

DieWeise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke. (JB. Nr. i)

178

Rainer Maria Rilke: Requiem. (JB. Nr. 30) Das Marien-Leben. Gedichte. (JB. Nr. 43) Die Sonette an Orpheus. (JB. Nr. 115) Ausgewählte Gedichte. (JB. Nr. 400) Der ausgewählten Gedichte anderer Teil. (SB. Nr. 480) Vierundzwanzig Sonette der Loulze Labé. (JB. Nr. 222)

Sonette aus dem Portugiesischen der Elizabeth Barrett- Browning. (JB. Nr. 232)

Michelangelo-Übertragungen. (JB. Nr. 496) Briefe an einen jungen Dichter. (JB. Nr. 406) Briefe an eine junge Frau. (JB. Nr. 409)

Portugiesische Briefe (Die Briefe der Marianna Alcoforado). (JB. Nr. 74)

Albrecht Schaeffer. 1885 in Elbing geboren. Er wuchs in Hannover auf und empfing entſcheidende Eindrücke von der niederſächſiſchen Landſchaft. Später fiedelte er ſich in Süddeutſchland an; er lebt in Rimſting am Chiemſee. Von feinen zahlreichen Werken nennen wir:

Josef Montfort. Roman. M 6.50

Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Menſchen aus der Nord: deutſchen Tiefebene in neun Büchern. Neue Ausgabe in zwei Bänden. M 15.-

Der göttliche Dulder. Dichtung. M 6.25 Parzival. Ein Versroman. M 7.50

Das Prisma. Novellen und Erzählungen. Auf Dünndruckpapier. M 6.50

Griechische Heldensagen. Nach den alten Quellen neu erzählt. Zwei Bände. M 10.—

Gedichte aus den Jahren 1915 bis 1930. IN 4.—

Die Sage von Odysseus. (JB. Nr. 87)

Nachtschatten. Nobellen. (JB. Nr. 179)

Der Reiter mit dem Mandelbaum. Legende. (JB. Nr. 229) Der Raub der Persefone. (JB. Nr. 311)

179

Edzard Schaper. 1908 in Oſtrowo, Proving Poſen, geboren als Sohn niederdeutſcher Eltern (Vater aus Hannover, Mutter aus Oſtfries⸗ land). Bewegtes Leben: Muſiker, Schauſpieler, Gärtner, fährt dann zur See und lebt längere Zeit in Skandinavien, jetzt in Eſtland.

Das Leben Jesu. M 6.50

Die Arche, die Schiffbruch erlitt. Novelle. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Müller. (JB. Nr. 471)

Das Lied der Vater. Erzählung. (JB. Nr. 514)

Friedrich Schnack. 1888 in Rieneck, Unterfranken, geboren. Er verlebte ſeine Jugend in Franken, in der Landſchaft von Rhön, Speſſart, Frankenwald, in den Wein⸗, Obſt⸗ und Korngegenden von Aſchaffenburg, Würzburg und Bamberg. Ehe er ſich der Dichtung zuwandte, war er zehn Jahre in Handel, Wirtſchaft und Induſtrie tätig. Er lebt in Überlingen am Bodenſee.

Gesammelte Gedichte. M 5.-

Das Zauberauto. Liebesroman. M 4.50

Das Leben der Schmetterlinge. Naturdichtung. M 6.- Goldgräber in Franken. Abenteuerroman. IN 4.50 Der Lichtbogen. Falterlegenden. M 4.50

Klick aus dem Spielzeugladen. Roman für das große und kleine Volk. M 4.—

Klick und der Goldschatz. Heiterer Roman. M 5.— Der erfrorene Engel. Roman eines Mädchens. M 5.-

Die brennende Liebe. Roman der drei Lebensalter. Beatus und Sabine / Sebaſtian im Wald / Die Orgel des Himmels. M 6.-

Sibylle und die Feldblumen. Mit 8 handkolorierten Blumenbil⸗ dern. M 6.—

Cornelia und die Heilkräuter. Mit 8 handkolorierten Pflanzenbil⸗ dern. M 6.—

Land ohne Tränen. (JB. Nr. 459) Geschichten aus Heimat und Welt. (JB. Nr. 498) Das Waldkind. Roman. (JB. Nr. 552)

180

Reinhold Schneider. 1903 in Baden-Baden als Sohn einer alten Badener Familie geboren, empfing ſtarke und entſcheidende Cin: drücke von Reiſen im Süden, beſonders in Portugal und Spanien. Lebt in Freiburg i. Br. Von ſeinen Werken erſchienen im Inſel⸗ Verlag:

Auf Pegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. Inhalt: Der Wald Paderborn Speyer Bremen Tangermünde Nürnberg Rudolſtadt Hohenzollern Oftland. M 3.80

Das Inselreick. Geſetz und Größe der britiſchen Macht. M 8.50 Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supp⸗ linburg. M 5.—

Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquiſtadorenzeit. M 5.—

Corneilles Ethos in der Ara Ludwigs XIV. Eine Studie. Ge: bunden M 3.-

Sonette. Gebunden M 3.- Elisabeth Tarakanow. Erzählung. (JB. Nr. 340)

Gabriel Scott. 1874 in Leith (Schottland) als Norweger geboren. Er lebt in Tromöen bei Arendal.

Fant. Roman. Aus dem Schwediſchen übertragen von Edzard Scha⸗ per. M. 5.50

Otto Freiherr von Taube. 1879 in Reval geboren, ftammf aus einem ‚heermeiſterlichen“ Geſchlecht der eſtländiſchen Ritterſchaft. Er emp: fing ſeine Bildung in Kaſſel und Weimar und an deutſchen Uni⸗ verſitäten. Seit 1910 als freier Schriftſteller tätig, ſchuf er neben eigenen Werken zahlreiche Überfegungen. Er lebt in Gauting (Ober: bayern).

Der verborgene Herbst. Roman. In Halbleinen M 4.75 Die Léwenprankes. Roman. In Halbleinen M 4.50 Das Opferfest. Roman. M 6.—

Felix Timmermans. 1886 in Lier bei Antwerpen geboren als Sohn eines Spitzenhändlers. Er erhielt einfache Schulbildung, fühlte ſich aber frühzeitig zur Kunſt hingezogen, wollte Maler werden und beſuchte die Kunſtakademie. Aber ungewollt wurde er ein Maler des Wortes: Wie ſein großer Landsmann Pieter Bruegel ſchildert er das flämiſche Volk in ſeiner ganzen überſchäumenden Lebens⸗ fülle. Er lebt in ſeiner kleinen Vaterſtadt Lier.

181

Felix Timmermans: Das Jesuskind in Flandern. M 3.75 Pallieter. Roman. M 3.75 Der Pfarrer vom blühenden Weinberg. Roman. M 5.— Pieter Bruegel. Roman. M 3.75 Die Delphine. Eine Geſchichte aus der guten alten Zeit. M 5.- Franziskus. M 5.— Bauernpsalm. Roman. M 5.- Das Licht in der Laterne. Neue und alte Geſchichten. M 3.75 Die sehr schönen Stunden von Jung fer Symforosa, dem Beginchen. Erzählung. (JB. Nr. 308) Das Triptychon von den Heiligen Drei Königen. (JB. Nr. 362) Aus dem schönen Lier. (JB. Nr. 401) Sankt Nikolaus in Not und andere Erzählungen. (JB. Nr. 420) Beim Krabben kocher. Erzählung. (JB. Nr. 508) Ich sah Cacilie kommen. Erzählung. (JB. Nr. 547)

Karl Heinrich Waggerl. 1897 in Bad Gaftein geboren als Sohn eines Zimmermanns, der aus einem alten Bauerngeſchlecht ſtammte. Er beſuchte die Stadtſchule und das Lehrerſeminar, wurde im Krieg an der italieniſchen Front Offizier, geriet in Gefangenſchaft und er: krankte ſchwer, ſo daß er den Lehrerberuf aufgeben mußte. Er lebt in Wagrain im Salzkammergut.

Brot. Roman. M 3.75

Schweres Blut. Roman. M 5.—

Das Jahr des Herrn. Roman. M 3.75

Mütter. Roman. N 5.-

Wagrainer Tagebuch. M 3.-

Du und Angela. Erzählungen. (JB. Nr. 204)

DasWiesenbuch. Mit 16 Scherenſchnitten des Dichters. (JB. Nr. 426) Kalendergeschichten. (JB. Nr. 522)

Gerard Walschap. 1898 in Londerzeel bei Brüſſel geboren als Sohn eines Bauern. Er lebt in Antwerpen.

Heirat. Roman. M 4.50 Der Mann, der das Gute wollte. Roman. IM 5.50

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Konrad Weiß. 1880 in Rauenbretzingen (Württemberg) geboren, war lange Zeit an der Zeitſchrift „Hochland“ tätig und lebt als Kunſt⸗ ſchriftleiter in München.

Konradin von Hohenstaufen. Ein Trauerſpiel. M 4.— Das Sinnreic der Erde. Gedichte. Gebunden M 4.-

Die kleine Schépfung. (Versdichtung.) Mit Zeichnungen von Karl Caspar. (JB. Nr. 521)

Andreas Zeitler. 1906 in Leipzig geboren, von ſeinen Vorfahren her der fränkiſchen Landſchaft verbunden, in der ſein erſtes Buch ſpielt. Er lebt in Leipzig.

Fränkischer Sommer. Erzählung. M 4.-

Goethe

Sämtliche Perke in ſiebzehn Bänden. Herausgegeben von Fritz Bergemann, Hans Gerhard Graf, Max Hecker, Gunther Ipſen, Kurt Jahn und Carl Schüddekopf. Auf Dünndruckpapier Nt 135.- Die vollſtändigſte aller heutigen Goethe-Ausgaben. Der Text um: faßt 15000 Seiten.

Die Bände dieſer Ausgabe werden auch einzeln in dunkelblauem Leinen mit aufgedruckten Untertiteln geliefert. Ergänzungsbände in der Ausſtattung der Geſamtausgabe:

Goethes Briefe und Tagebücher. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1750 Seiten.) M 18.—

Gespräche mit Eckermann. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Deibel. Vollſtändige Ausgabe in einem Bande auf Dünndruck⸗ papier. (797 Seiten.) M 7.30

Goethes Gespräche ohne die Geſpräche mit Eckermann. Ausgewählt von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Auf Dünndrudpapier in einem Bande. (791 Seiten.) M 9.50

Sämtliche Werke. Welt⸗Goethe⸗Ausgabe der Gutenbergſtadt Mainz und des Goethe: und Schiller⸗Archivs zu Weimar. Herausgegeben von Anton Kippenberg, Julius Peterſen und Hans Wahl. Gedruckt auf der Mainzer Preſſe. 50 Bände mit Regiſterbänden. Jeder Band M 10. -; in Halbleder M 14.-

Bisher erſchienen: Band 5. Der Weſt⸗öſtliche Divan. Mit den Noten und Abhandlungen. Herausgegeben von Konrad Burdach. Band 6. Epen und Kantaten. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Band 7. Götz von Berlichingen. Herausgegeben von Hans Wahl.

5 183

Goethe:

Band 12 und 13. Urfauſt; Kauft, ein Fragment: Fauſt I und Fauſt II. Herausgegeben von Mar Heder. Band 16. Die Leiden des jungen Werthers. 1774. Die Leiden des jungen Werther. 1787. Briefe aus der Schweiz. Herausgegeben von Fritz Adolf Hünich.

Goethes Werke in ſechs Bänden. (Der Volks⸗Goethe.) Im Auftrage der Goethe⸗Geſellſchaft herausgegeben von Erich Schmidt. Neu be⸗ arbeitet von Guſtar Roethe. (3900 Seiten.) M 18. -; in Halb: leder M 28.-

Dichtung und Wahrheit. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (831 Seiten.) M 8.—

West-éstlicher Divan. Vollſtändige Ausgabe (mit den Noten und Abhandlungen). M 3.50

Farbenlehre. Eingeleitet von Gunther Ipſen. Mit 32 zum großen Teile vielfarbigen Tafeln. Vollſtändige Ausgabe auf Dünndruck⸗ papier in einem Bande. M 10.—

Faust. Geſamtausgabe. Enthaltend Urfauſt, Fragment (1790), Tra⸗ gödie I. und II. Teil, Paralipomena. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (577 Seiten.) M 3.50

Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Hans Gerhard Gräf. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1300 Gei⸗ ten.) M 12.—

Gedichte. Auswahl in zeitlicher Folge. Herausgegeben von Mar Hecker. M 3.75

Italienische Reise. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (590 Cei- ten.) M 6.-

Wilhelm Meister. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1020 Eei: ten.) Mg. 50

Naturwissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Gunther Ip⸗ ſen. Mit 48 zum großen Teil vielfarbigen Tafeln. Auf Dünn⸗ druckpapier in zwei Bänden. (1583 Seiten.) M 20.—

Die Wahlverwandischaften. Roman. M 3.50 Dreißig Handzeichnungen Goethes. Saffimile- Ausgabe in farbigem

Lichtdruck. Herausgegeben von Hans Wahl. 300 numerierte Crem: plare. In Leinenmappe M 225.—

Iphigenie. Erſtmalige Fakſimile-⸗Wiedergabe der Handſchrift Goethes. Mit einem Nachwort von Hans Wahl. Gebunden, in Schuber M 18.—

184

Goethe:

Italienische Reise. Mit den Zeichnungen Goethes, feiner Freunde und Kunſtgenoſſen in 124 zum Teil farbigen Lichtdrucktafeln. Neu herausgegeben vom Goethe⸗Nationalmuſeum (Folio). In Halb⸗ leder M 50.-

Reise-, Zerstreuungs- und Trostbiichlein. 36 zum großen Teil far⸗ bige Bilder. Ausgewählt und herausgegeben von Hans Wahl. Stammbuch⸗Querformat in Schuber M 4.50

Die Briefe des jungen Goethe. Herausgegeben und eingeleitet von Guſtab Roethe. M 3.50

Briefe an Charlotte von Stein. Neue, vollſtändige Ausgabe, auf Grund der Handſchriften herausgegeben von Julius Peterſen. Vier Bande. M 12.—

Briefwechsel mit Marianne von Willemer. Herausgegeben von Max Hecker. Fünfte, verbefferte Auflage. Mit 10 Abbildungen. M 7.50

Der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Im Auftrage des Goethe: und Schiller⸗Archivs nach den Handſchriften herausgegeben von Max Hecker. Drei Bände. M 18.—

Die Briefe der Frau Rath Goethe. Geſammelt und herausgegeben von Albert Köſter. Zwei Bände. M g.—

Briefe von Goethes Mutter. Ausgewählt und eingeleitet von Albert Köſter. Mit 16 Bildtafeln. M 4.50

Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handſchriftlichen Nachlaſſes neu her⸗ ausgegeben von Fritz Bergemann. Mit 17 Bildtafeln und 2 Fak⸗ ſimiles. IN 7.50

Goethe im Bildnis. Mit 102 Bildtafeln. Herausgegeben und einge: leitet von Hans Wahl. M 5.—

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg. M 4.50

Deutſche Klaſſiker und Geſamtausgaben

Büchner, Georg: Werke und Briefe. Herausgegeben von Fritz Berge: mann. Dritte, vermehrte Auflage. M 6.50

Eichendorff, Joseph von: Werke. Ausgewählt und herausgegeben von Franz Schultz. Zwei Bände. (1080 Seiten.) M 6.—

185

Droste-Hülshoff, Annette von: Sämtliche Werke. Siehe Seite 169.

Deutsche Gedichte in Handschriften. Wiedergabe in Lichtdruck. In Halbpergament mit Schuber. M 8.50

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl in einem Bande. Mit 8 hands kolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel. M 4.50

Märchen. Vollſtändige Ausgabe in zwei Banden. M g.—

Hauff. Wilhelm: Märchen. Vollſtändige Ausgabe in einem Band. M 4.50

Der Heliand in Simrocks Übertragung und die Bruchſtücke der Alt: ſächſiſchen Geneſis. Eingeleitet von Andreas Heusler. M 3.50

Hey-Speckter: Hundert Fabeln für Kinder. Von Wilhelm Hey. Mit den Bildern von Otto Speckter. M 2.50

Hölderlin, Friedrich: Sämtliche Werke. Auf Dünndruckpapier in einem Bande. (1043 Seiten.) M g.-

Gesammelte Briefe. Eingeleitet von Ernſt Bertram. M 6.—

Kant: Sämtliche Werke. Sechs Bände auf Dünndruckpapier. M 45.-

- Kritik der reinen Vernunft. Ausgabe auf Dünndruckpapier. (650 Seiten.) M 7.- \

Keller, Gottfried: Gesammelte Werke. Bier Bände. M 20.-; in Halb: leder M' 28.-

Kleist, Heinrich von: Sämtliche Werke: Auf Dünndruckpapier in einem Band. (1187 Seiten.) M g.-

Lenau, Nikolaus: Sämtliche Werke und Briefe in sechs Bänden. Bollftandige kritiſche Ausgabe, herausgegeben von Eduard Caſtle. M 40.-

Mörike, Eduard: Werke. Mit einem Geleitwort von Friedrich Ludwig Barthel. Zwei Bände auf Dünndruckpapier. (1340 Seiten.) M 12.—

Der Nibelunge Not und Kudrun. Herausgegeben von Eduard Sie⸗ vers. Auf Dünndruckpapier. (624 Seiten.) M 6.-

Novalis: Dichtungen. Herausgegeben und eingeleitet von Franz Schultz. M 4.50

Sachs, Hans: Ausgewählte Werke. (Gedichte und Dramen.) Mit 52 Holzſchnitten nach Dürer, Beham u. a. Herausgegeben von Paul Merker und Reinhard Buchwald. Zwei Bande. In Halbleinen M10. Kolorierte Ausgabe, in der ſämtliche Holzſchnitte mehrfarbig mit der Hand koloriert wurden, in Halbpergament M 16.—

186

Schiller: Sämtliche Werke in sieben Bänden. Auf Dünndruckpapier (4900 Seiten) M 45.-; in Leder IN 80.—

Werke in drei Bänden. Siehe Seite 170. Stifter, Adalbert: Werke in sieben Bänden. Siehe Seite 171.

Werke in drei Bänden (Der Volks⸗Stifter). Mit einer Einleitung pon Adolf von Grolman. M 12.- Die Ausgabe umfaßt die Erzählungen, Nachſommer und Witiko.

Storm, Theodor: Sämtliche Werke in drei Bänden. M 18.—

Deutsche Weihnachtslieder. Bearbeitet von Helmut Walcha. Mit Vignetten von Willi Harwerth. Mehrfarbiger Druck. Geb. M 1.80.

Weltliteratur

Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. Übertragen von Albert Weſ⸗ ſelſki. Vollſtändige Ausgabe auf Dünndruckpapier. M 7.50

Cervantes: Don Quixote. Vollſtändige deutſche Ausgabe, beſorgt von Konrad Thorer. Mit einem Eſſay von Turgenjew und einem Nach— wort von André Jolles. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1550 Seiten.) M 12.—

Dante: Opera omnia. (In italieniſcher Sprache.) Enthaltend La Di- vina Commedia. !l Can oniere. Vita Nuova. !] Convivio ſowie die lateiniſchen Schriften und Briefe. Mit einer Einleitung von Bene⸗ detto Croce. Auf Dünndruckpapier in zwei Bänden. (1080 Seiten.) Me 10.—

Dantes Göttliche Komödie. Deutſch von Friedrich Freiherrn von Sal: kenhauſen. (733 Seiten.) M 7.50

Gobineau, Arthur Graf: Die Renaissance. Hiſtoriſche Szenen. Uber: tragen von Bernhard Tolles. Mit 20 Bildtafeln. M 4.50

Ounpou enn (Dias, VG) . Homers Werke (Ilias und Odyſſee). Im griechiſchen Urtext herausgegeben von Paul Cauer. Auf Dünn⸗ druckpapier. M 6.-

Jacobsen, Jens Peter: Sämtliche Werke in einem Bande. Mit dem von A. Helſted 1885 radierten Porträt. Auf Dünndruckpapier. (877 Seiten.) M 8.50

Sophokles: Tragödien. Übertragen von Roman Woerner. M 6.—

Stendhal, Friedrich von (Henri Beyle): Gesammelte Werke. Über: tragen von Arthur Schurig und Otto Freiherrn von Taube. Auf Dünndruckpapier in acht Bänden. (5200 Seiten.) M 55.-

187

Orient und Ferner Offer

Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Vollſtändige deutſche Ausgabe in ſechs Bänden. Zum erften Male aus dem ara: biſchen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen von Enno Littmann. Eingeleitet von Hugo von Hofmannsthal. Auf Dünndruckpapier. (3120 Seiten.) M 50.-

Die Bände find auch einzeln, je M g.-, erhältlich.

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In einem Bande M 4.50

Arabische Märchen. Aus mündlicher Überlieferung geſammelt und übertragen von Enno Littmann. M 7.-

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geſchichte einer glücklichen Gatten⸗ wahl. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit Bil⸗ dern nach alten chineſiſchen Holzſchnitten. M 3.75

Kin Ping Meh oder Die abenteuerliche Geſchichte von Hſi Men und ſeinen ſechs Frauen. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. (920 Seiten.) M 14.—

Die Räuber vom Liang schan Moor. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. Mit 60 Holzſchnitten einer alten chineſiſchen Aus⸗ gabe. (840 Seiten.) M 12.—

Der Traum der Roten Kammer. Aus dem Chineſiſchen übertragen von Franz Kuhn. (789 Seiten.) M 12.—

Die Geschichte vom Prinzen Genji, wie ſie geſchrieben wurde um das Jahr Eintauſend unferer Zeitrechnung von Muraſaki, genannt Shikibu, Hofdame der Kaiſerin von Japan. Zwei Bände. (1200 Geis ten.) M 16.—

Tsudzumi, Tsuneyoshi: Japan, das Götterland. Herausgegeben vom Sapan-Jnftitut, Berlin. M 6.-

Die Kunst Japans. Herausgegeben vom Japan-Inſtitut, Berlin. Mit 8 farbigen Tafeln und 127 Abbildungen. M 20.—

Briefe, Erinnerungen, Lebensgeſchichte

Arnim, Bettina von: Die Giinderode. Eingeleitet bon Heinz Amelung. M 5.—

Bertram, Ernst: Deutsche Gestalten. M 6.- Inhalt: Bach Klopſtock Goethe: Geſang und Gefeg; Geheim⸗ nislehre; Sinnliche Überlieferung Schiller Norden und deutſche Romantik Beethoven Kleiſt Stifter Möglichkeiten deutſcher Klaſſik.

188

Buchwald, Reinhard: Schiller. Zwei Bände. I. Der junge Schiller. II. Wander: und Meiſterjahre. Mit 14 Bildtafeln. M 15.-

Carolinens Leben in ihren Briefen. Auf Grund der von Erich Schmidt beſorgten Geſamtausgabe in Auswahl herausgegeben von Reinhard Buchwald, eingeleitet von Ricarda Huch. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die Tragödie eines Kaisers. (Maximilian von Mexiko.) Mit 4 Bildtafeln. M 7.50

Die Briefe der Diotima an Hölderlin. Mit der Abbildung einer Bůſte und dem Fakſimile eines Briefes. M 3.50

Droysen, Joh. Gust.: Das Leben des Feldmarschalls Grafen Yorck von Partenburg. Zwei Bände. Mit 8 Bildniſſen in Lichtdruck und 8 Karten. M 10.—

Elisabeth Charlotte (Liselotte von der Pfalz): Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans. Ausgewählt und eingeleitet von Hans F. Helmolt. Mit 16 Bildtafeln. M 6.50

Haupt, Georg: Rudolf Koch der Schreiber. Mit 64 Bildtafeln und vielen Abbildungen im Text. M 8.50

Humboldt, Wilhelm von: Die Brautbriefe Wilhelms und Karolinens von Humboldt. Herausgegeben und eingeleitet von Albert Leitz⸗ mann. M 6.50

Briefe an eine Freundin. (Charlotte Diede.) In Auswahl heraus» gegeben von Albert Leitzmann. M 3.50

Kassner, Rudolf: Buch der Erinnerung. M 7.-

Katharina II. von Rußland: Memoiren. Herausgegeben und eingelei- tet von Erich Boehme. Mit 16 Bildtafeln. IN 6.50

Kerner. Justinus Kerner und sein Münchener Freundeskreis. Eine Sammlung von Briefen. Herausgegeben von Franz Pocci. Mit 8 Bildtafeln. M 8.—

Kippenberg, Anton: Geschichten aus einer alten Hansestadt. M 3.80

Kippenberg, Katharina: Rainer Maria Rilke. Neue, erweiterte Aus⸗ gabe. Mit 12 Bildtafeln. IN 7.50

Koch, Rudolf: Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Kühnemann, Eugen: Goethe. Zwei Bände. (1118 Seiten.) M 15.-

Luthers Briefe. In Auswahl neu herausgegeben von Reinhard Bud): wald. Mit 10 Bildtafeln. NT 3.50

189

Nietzsche, Friedrich: Briefe. Ausgewählt und herausgegeben bon Richard Oehler. Ni 4.50

Briefe an Peter Gast. Herausgegeben von Peter Gaſt. M 6.—

Briefe an Mutter und Schwester. Herausgegeben von Eliſabeth Förſter⸗Nietzſche. Mit 3 Bildniſſen in Lichtdruck. M 7.-

Briefwechsel mit Erwin Rohde. Herausgegeben von Eliſabeth För⸗ ſter⸗Nietzſche und Fritz Scholl. In Halbleinen M 6.—

Scheffler, Karl: Der junge Tobias. Eine Jugend und ihre Umwelt. M 6.—

Schneider, Eduard: Eleonora Duse. Erinnerungen, Betrachtungen und Briefe. Mit 7 Abbildungen und einem Fakſimile. M 6.-

Schurig, Arthur: Wolfgang Amade Mozart. Sein Leben, ſeine Per⸗ ſönlichkeit, ſein Werk. Mit 41 Bildtafeln und 3 Fakſimiles. Zwei Bände. M 14.—

Strauß, David Friedrich: Ulrich von Hutten. Herausgegeben von Otto Clemen. Neue Ausgabe. Mit 24 Bildtafeln. M 8.50

Terry, Charles Sanford: Johann Sebastian Bach. Mit einem Geleit⸗ wort von Karl Straube, Kantor zu Sankt Thomae. Neue Ausgabe. Mit einem Bildnis Bachs in Lichtdruck und 32 Bildtafeln. IN 6.50

Villers, Alexander von: Briefe eines Unbekannten. Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Weigand. Mit 2 Bildniſſen. M 6.50

Geſchichte und Kulturgeſchichte

Bessell, Georg: Bremen. Die Geſchichte einer deutſchen Stadt. M 3.— Brandenburg, Erich: Von Bismarck zum Weltkrieg. Siehe Seite 168.

Clausewitz, Karl von: Vom Kriege. Bearbeitet und eingeleitet von

Friedrich von Cochenhauſen. M 6.50

Cortes, Ferdinand: Die Eroberung von Mexiko. Mit den eigenhändi⸗ gen Berichten Cortes’ an Kaiſer Karl V. von 1520 und 1522. Heraus⸗ gegeben und eingeleitet von Arthur Schurig. Mit 2 Bildniſſen und einer Karte. M 6.50

Corti, Egon Caesar Conte: Die trockene Trunkenheit. Urſprung, Kampf und Triumph des Rauchens. Mit 64 Bildtafeln. IN 12.-

Der Zauberer von Homburg und Monte Carlo. (Geſchichte der Spielbanken.) Mit 16 Bildtafeln. M 8.—

*

190

Deutsche Vergangenheit. Nach zeitgenöſſiſchen Quellen herausgegeben von Johannes Bühler. Das Werk umfaßt neun Bände mit je 16 Bild⸗ tafeln. Es beſteht aus zwei Abteilungen, der politiſchen und der kul⸗ turhiſtoriſchen Reihe. Vorzugspreis des geſamten Werkes M 60.-, der einzelnen Bände M 7.50

Die politiſche Reihe

Die Germanen in der Völkerwanderung Das Frankenreich Die Sächsischen und Salischen Kaiser Die Hohenstaufen.

Die kulturhiſtoriſche Reihe Klosterleben im deutschen Mittelalter Deutsches Geistesleben im

Mittelalter Ordensritter und Kirchenfürsten— Fürsten und Ritter Bauern, Bürger und Hansa.

Das alte Hamburg. Mit 154 Bildtafeln. Herausgegeben von Carl Schellenberg. M 9.50

Renker, Armin: Das Buch vom Papier. Mit 46 Abbildungen in Lichtdruck, 4 Waſſerzeichentafeln, 13 Papierproben und einer Karte. In Halbleinen M 10.—

Schneider, Reinhold: Kaiser Lothars Krone. Leben und Herrſchaft Lothars von Supplinburg. M 5.-

Auf Wegen deutscher Geschichte. Eine Fahrt ins Reich. M 3.80 Inhalt: Der Wald Paderborn Speyer Bremen Tanger⸗ münde Nürnberg Rudolftadt Hohenzollern Oſtland.

Reiſen und Abenteuer

Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig. Eine Künſtlerfahrt im Jahre 1773. 100 Bilder nach den Originalen der Staatlichen Akademie der Künſte in Berlin mit erläuterndem Text und einer Ein⸗ führung von Wolfgang von Oettingen. Stammbuch⸗Querformat, in Schuber M 4.50

Haslund - Christensen, Henning: Jabonah. Abenteuer in der Mongo⸗ lei. Mit einem für die deutſche Ausgabe geſchriebenen Geleitwort von Spen Hedin. Aus dem Däniſchen übertragen von Helmut de Boor. Mit 77 Abbildungen und 2 Karten. M 6.50

Reisinger, Ernst: Griechenland. Schilderung deutſcher Reiſender. Mit go Bildtafeln. In Halbleinen M 7.-

Scheffler, Karl: Holland. Mit 100 Bildtafeln. M g.— Italien. Tagebuch einer Reife. Mit 118 Bildtafeln. M g.— Paris. Notizen. Mit 87 Bildtafeln. M g.—

191

Seipp, Bettina: Neapel und Sizilien als Land der Griechen erlebt. Mit 46 Bildtafeln. M 6.50

Spunda, Franz: Der heilige Berg Athos. Landſchaft und Legende. Mit 40 Bildtafeln. M 8.-

Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern. Mit 64 Bildtafeln. M 12.—

Philoſophie

Kant: Kritik der reinen Vernunft. Auf Dünndruckpapier. (650 Cei- ten.) M 7.-

Kant - Aussprüche. Herausgegeben von Raoul Richter. M 3.50 Kassner, Rudolf: Das Buch der Gleichnisse. M 4.50

Die Chimäre. Der Aussätzige. Gebunden M 3.-

Von der Einbildungskraft. M 4.50

Der indische Gedanke. Von den Elementen der menschlichen Größe. Gebunden M 3.-

Englische Dichter. Gebunden M 4.50

Essays. Gebunden M 4.50

Der Gottmensch. Eſſays. M 4.50

Die Grundlagen der Physiognomik. M 4.—

Die Moral der Musik. Aus den Briefen an einen Muſiker. Ge: bunden M 4.-

Die Mythen der Seele. M 4.-

Das physiognomische Weltbild. Ill 7.50

Der Tod und die Maske. Gebunden IM 3.-

Die Verwandlung. Phyſiognomiſche Studien. M 4.50

Zahl und Gesicht. Nebſt einer Einleitung: Der Umriß einer uni: verfalen Phyſiognomik. IM 5.50

Meiner, Annemarie: Lob des Alters. Sprüche der Weisheit. Ge: bunden Jt 2.50

Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit. Mit Erläuterungen und einem Nachwort. M 3.—

192

Kunſt

Allesch, Johannes von: Michael Pacher. Mit 113 Abbildungen. M 10.—

Beenken, Hermann: Bildhauer des vierzehnten Jahrhunderts am Rhein und in Schwaben. Mit 150 Abbildungen. M 10.—

Burkhard, Arthur: Hans Burgkmair. Mit 117 Abbildungen. M 10.—

Geese, Walter: Gottlieb Martin Klauer. Der Bildhauer Goethes. Mit 64 Bildtafeln. M 7.-

Gerstenberg, Kurt: Hans Multscher. Mit 175 Abbildungen. IM 10.—

Grisebach, August: Karl Friedrich Schinkel. Mit 110 Abbildungen. M 10.—

Jantzen, Hans: Deutsche Bildhauer des dreizehnten Jahrhunderts. Mit 136 Abbildungen. M 10.—

Koch, Rudolf: Das ABC-Büchlein. Gebunden IN 2.80 Vorzugsausgabe: 100 Exemplare auf der Handpreffe gedruckt im Haus zum Fürſteneck zu Frankfurt a. M. In Halbleder M 30.-

Das Blumenbuch. Zeichnungen von Rudolf Koch. In Holz geſchnit⸗ ten von Fritz Kredel. 250 Holzſchnitte im Format 23 ½ * 31 ½ cm. Druck der Mainzer Preſſe in 1000 Exemplaren. Die Handkolorie⸗ rung beſorgte Emil Wöllner. Drei Teile. In Pappbanden M 80.-

Karte von Deutschland und angrenzenden Gebieten. Vielfarbige Wiedergabe im Format 120 163 cm. Unaufgezogen M 18.-; auf Leinwand mit zwei Rundftäben IM 30.-

Die Kriegserlebnisse des Grenadiers Rudolf Koch. Mit einem Selbſtbildnis des Meiſters. M 3.75

Das Münster zu Straßburg. In Holz geſchnitten von Fritz Kredel und Liſa Hampe. 80* 135 em. Gedruckt durch die Drugulin⸗Preſſe zu Leipzig. In Pappſchatulle M 12.—

Die Peihnachtsgeschichte. Ein Blockbuch in 10 Holzſchnitten. Ge⸗ bunden IN 1.80

Das Zeichenbuch. M 5.-

Das kleine Blumenbuch (JB. Nr. 281), Ein Deutscher (IB. Nr. 504) und Häusliches Leben (JB. Nr. 124)

König, Leo von: Gestalt und Seele. Das Werk des Malers. Mit 64 Bildtafeln und einer Einleitung von Reinhold Schneider. M 8.-

Lanckoronska, M., und Richard Oehler: Die Buchillustration des 18. Jahrhunderts in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Drei Bände mit 212 Lichtdrucktafeln. Gebunden M 75.-; in Halb: leder IN go.—

193

Zwölf Bildtafeln aus der Manessischen Liederhandschrift. Wieder⸗

gabe in vielfarbigem Lichtdruck in der Originalgröße (35 72 * 25 cm). In Leinenmappe M 60.- Inhalt: 1. Kaiſer Heinrich 2. König Konrad der Junge 3. Wal: ther von der Vogelweide 4. Graf Kraft von Toggenburg 5. Wolf⸗ ram bon Eſchenbach 6. Meiſter Johannes Hadloub 7. Der Tann: häuſer 8. Klingſor von Ungarland - 9. Hartmann von Aue 10. Werner von Teufen 11. Kriftan von Hameln 12. von Sunegge. Jedes Blatt auch einzeln in Umſchlag M 6.—

Meller, Simon: Peter Vischer. Mit 145 Abbildungen. IN 10.— Rilke, Rainer Maria: Auguste Rodin. Mit 96 Bildtafeln. M 7.- Scheffler, Karl: Der Geist der Gotik. Mit 100 Bildtafeln. M 7.-

Deutsche Maler und Zeichner im neunzehnten Jahrhundert. Mit 77 Bildtafeln. M g.—

Schmidt, Paul Ferdinand: Philipp Otto Runge. Sein Leben und ſein Werk. Mit 80 Bildtafeln. M 10.—

Waldmann, Emil: Albrecht Dürer. Sein Leben und ſeine Kunſt. Mit 192 Bildtafeln. M 4.50 Weinberger, Martin: Wolfgang Huber. Mit 135 Abbildungen. M 10.—

Die Drucke der Drugulin-Preſſe

Platons Phaidros. Übertragen von Rudolf Kaſſner. Erſter Hands

preſſendruck der Drugulin⸗Preſſe zu Leipzig. 300 Stücke auf hand⸗ geſchöpftem Büttenpapier. In Interimsband M 30.— Mit dieſem koſtbaren Band hat die neu begründete Drugulin-Preſſe ihre Arbeit begonnen. Der Handpreſſendruck war in Deutſchland in der letzten Zeit faſt ganz ausgeſtorben. So wird das Erſcheinen dieſes langſam gereiften Druckes den Bücherfreunden ein freudiges Ereignis ſein. Zum erſten Male wurde dafür verwandt der Mittel⸗ grad der Marathon-⸗Antiqua, den Rudolf Koch noch ſelbſt ge: ſchnitten hat. Initial» und Titelſchrift find von E. R. Weiß.

Zwei kleine Drucke der Drugulin- Presse:

Karl Heinrich Waggerl: Freundschaft mit Büchern. 300 Stüde. It 2.-

Dita Waggerl: Gedichte. 300 Stücke. M 3.—

Verzeichniſſe der bisher vorliegenden Einblattdrucke der Drugulin⸗ Preſſe ſtehen zur Verfügung.

194

Die Bibliothek der Romane Jeder Band in Leinen M 3.50

Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen. Emily Bronté: Die Sturmhéhe. Übertragen bon Grete Rambach.

Charles de Coster: Die Hochzeitsreise. Übertragen von Albert Weſ⸗ ſelſki.

Uilenspiegel und Lamme Goedzak. Ein fröhliches Buch trotz Tod und Tränen. Übertragen von Albert Weſſelſki.

Daniel Defoe: Robinson Crusoe. Nach der älteften deutſchen Übertra⸗ gung. Nachwort von Severin Rüttgers.

Gustave Flaubert: Frau Bovary. Übertragen von Arthur Schurig. Theodor Fontane: Effi Briest.

Der Stechlin.

Goethe: Die Wahlverwandtschaften.

Jeremias Gotthelf: Wie Uli der Knecht glücklich wird. Urfaſſung. Nachwort von Paul Ernft.

Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplizissimus. Mit einer Zeit⸗ tafel und einem Nachwort von Wolfgang Kanfer.

E. T. A. Hoffmann: Die Elixiere des Teufels.

Jens Peter Jacobsen: Niels Lyhne. Übertragen von Anka Matthieſen. Gottfried Keller: Der grüne Heinrich.

Die Leute von Seldwyla. Erzählungen.

Selma Lagerléf: Gösta Berling. Erzählungen aus dem alten Werm⸗ land. Übertragen von Mathilde Mann.

Conrad Ferdinand Meyer: Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeſchichte.

Joseph Victor von Scheffel: Ekkehard. Eine Geſchichte aus dem 10. Jahrhundert.

Charles Sealsfield (Karl Anton Postl): Das Kajütenbuch.

Friedrich von Stendhal: Rot und Schwarz. Zeitbild von 1830. Über⸗ tragen von Arthur Schurig.

Die Kartause von Parma. Übertragen von Arthur Schurig.

Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel. Ubertragen von Karl Lerbs. Mit Holzſchnitten von Hans Alexander Wüller.

Jonathan Swift: Gullivers Reisen. Nachwort von André Jolles. Leo Tolstoi: Anna Karenina. Übertragen von H. Röhl. Zwei Bande.

195

Dichter unferer Zeit Jeder Band in Leinen M 3.75

Ernest Claes: Flachskopf. Mit einem Vorwort und Zeichnungen von Felix Timmermans. Aus dem Flämiſchen übertragen von Peter Mertens.

Ricarda Huch: Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri. Roman. Die Verteidigung Roms. (Des Garibaldi⸗Romans erfter Teil) Der Kampf um Rom. (Des Garibaldi⸗Romans zweiter Teil)

Michael Unger. Roman.

Rudolf Koch: Kriegserlebnisse. Mit einem Selbſtbildnis.

Christian Morgenstern: Alle Galgenlieder.

Hubert Mumelter: Oswalt und Sabina. (Zwei ohne Gnade.) Roman.

Stijn Streuvels: Der Flachsacker. Roman. Aus dem Slämifchen über: tragen von Peter Mertens.

Felix Timmermans: Pieter Bruegel. Roman. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Peter Mertens.

Das Jesuskind in Flandern. Mit Zeichnungen des Dichters. Über: tragen von Anton Kippenberg.

Das Licht in der Laterne. Neue und alte Erzählungen. Mit Zeich⸗ nungen des Dichters.

Pallieter. Mit Zeichnungen des Dichters. Übertragen von Anna Valeton⸗Hoos.

Karl Heinrich Waggerl: Brot. Roman. Das Jahr des Herrn. Roman.

Eisherz und Edeljaspis oder Die Geſchichte einer glücklichen Gatten⸗ wahl. Mit alten chineſiſchen Holzſchnitten.

Die Hausbücher der Inſel Jeder Band in Leinen M 4.50

Als der Großvater die Großmutter nahm. Ein Liederbuch für alt: moiifche Leute. Pappband.

Beethoven: Briefe. In Auswahl herausgegeben von Albert Leitzmann. Mit 16 Bildtafeln.

196

Jakob Böhme: Ausgewählte Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Friedrich Schulze⸗Maizier. Mit einer Bildtafel.

Gottfried August Bürger: Wunderbare Reisen des Freiherrn von Münchhausen. Mit . von Guſtabe Doré. Großquart. Pappband.

Wilhelm Busch: Aus alter Zeit. Mit vielen Handzeichnungen des Meiſters. Herausgegeben von Otto Nöldeke und Hans Balzer.

Deutsche Erzähler. Ausgewählt und eingeleitet von Hugo von Hof: mannsthal. (1005 Seiten.)

Deutsche Heldensagen. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Mit einem erklärenden Anhang. (616 Seiten.)

Deutsche Volksbiicher. Herausgegeben von Severin Rüttgers. (650 Seiten.)

Meister Eckhart: Deutsche Predigten und Traktate. Herausgegeben von Friedrich Schulze⸗Maizier.

Goethe und seine Welt in 580 Bildern. Herausgegeben von Hans Wahl und Anton Kippenberg.

Brüder Grimm: Märchen. Auswahl mit 8 handkolorierten Bildtafeln und vielen Holzſchnitten von Fritz Kredel.

Wilhelm Hauff: Märchen. Vollſtändige Ausgabe. Mit Holzſchnitt⸗ initialen von Fritz Fiſcher.

Gustav Schwab: Sagen des klassischen Altertums. Vollſtändige Aus⸗ gabe in einem Bande mit 96 Bildern von John Flaxman. (1020 Seiten.)

Adalbert Stifter: Pitiko. Mit einer Einleitung von Adolf von Grol⸗ man. Ungekürzt. (930 Seiten.)

Die schönsten Geschichten aus Tausendundeiner Nacht.

Emil Waldmann: Albrecht Dürer. Sein Leben und seine Kunst. Mit 192 Bildtafeln.

197

Kalendar; ð 3 Joſeph von Eichendorff: In Danzig. 11 Erich Brandenburg: Kolonialpolitik und Kriegsfculd..... 12 Philipp Otto Runge: Brief. ——ꝛo„. eee eee 24 Eberhard Meckel: Im Junnn nue. eee 28 Joſeph von Eichendorff: Die Univerſitſtiʒùt⁴d a 29 Aus des Knaben Wunderhorn: Ablöfung ............. 34 Friedrich Schnack: Corneli—PUPUl l eee 34 Aus des Knaben Wunderhorn: Verſpätunn g 4⁰ Arthur Schopenhauer: Von dem, was einer vorftellt.... 42 Hans Ca roſſa: Wanderunn g eee eee ee 46 Johann Peter Hebel: Das Spinn lein 60 Selir Timmermans: Der Marquis und der Ungar....... 62 Benno Papentrigk: Moſelfahre UU U—ꝛ 7“. 66 Joſeph Görres: Die teutſchen Volksbüche nn 68 Jakob Böhme: Aus feinen Schriften ................... 69 Adalbert Stifter: Der Prater 79 Schiller: Pompeji und Herfulanum ...............2 0000: 83 Gertrud von le Fort: Die Tochter Farinafas........... 85 Max Mell: Steiriſche Landfhaften .............. eee eee 97 Edgar Dacqué: Sprucheeue kk ü eee BR 105 . Edzard Schaper: Feldögericht ....... ccc cece 107 Achim von Arnim: Letzter Brief eines Freiwilligen 119 Reinhold Schneider: Sonett 121 Annette von Droſte-Hülshoff: Bilder aus Weſtfalen .. . 122 Rainer Maria Rilke: Drei Gedichteck l 131 Jean Paul: Des Luftſchiffers Giannozzo See buch 133 Gebrüder Grimm: Das Hirtenbübleiun ns 135 Erneſt Claes: Der alte Pover........... ccc cece ee eee 136 Konrad Weiß: Gedicht 141 Ernſt Moritz Arndt: Verſuch in vergleichender Völkergeſchichte 143 Hans Friedrich Blunck: Knecht Ruprechenetttt 145 Wilhelm Müller: Der Wegweiſennrnrnrnnrnrn 145 Karl Heinrich Waggerl: Aus der Heimat ............. 149 Goethe: Iphigenie:: 28:2. u es 166 Düdherverzeihnie nun a 167

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Die Bilder

Daniel Chodowiecki: Der Leuchtturm bei Weichfelmünde. Aus: Daniel Chodowiecki, Von Berlin nach Danzig Griechenmünze von Selinontion um 410. Aus: Die ſchönſten Griechenmünzen Siziliens (Inſel⸗Bücherei Nr. 559999 Wiener Streichmacher. Aus Adalbert Stifters Geſammelten Werken, ſechſter Band, Kleine Schriften. Stahlſtich von Karl Mahlknecht nach W. BBhhnBnnUmU Gottfried Keller: Oſſianiſche Landſchaft. Aus: Erwin Ackerknecht, Gottfried Keller. Geſchichte feines Lebe enn. Daniel Chodowiecki: Auf dem Wege zur Heiliggeiſtgaſſe (An⸗ ſicht der Langen Gaſſe in Danzig). Aus: Daniel Chodowiecki, Von Berlin nad) DanziiidmdzgaJ . q Tilman Riemenſchneider: Engel der Verkündigung. Aus: Til⸗ man Riemenſchneider im Taubertal (Inſel⸗Bücherei Nr. 545) Goethe: Blick aus Knebels Fenſter in Jena. Aus: Goethe, Handzeichnungen (Inſel⸗Bücherei Nr. 55500ĩ:ʒüXĩ .

Georg Kolbe: Große Knieende. Aus: Georg Kolbe, Bildwerke

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Den Umſchlag zeichnete Walter Tiemann

Gedruckt von Poeſchel & Trepte in Leipzig

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250,3

DATE DUE

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STANFORD UNIVERSITY LIBRARIES

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