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ISLAND

VON

SEINER ERSTEN ENTDECKUNG

BIS ZUM

UNTERGANGE DES FREISTAATS

VON

Konrad Maurer.

München, christian kaiser.

1874.

3><,^.bsj ^.R.>H*^C.b

Das Recht der Ueberfetzung vorbehalten.

29 JUL1929

Druck von C. R. Sc hur Ich iu Müuchen.

VORWORT.

Das Buch, welches ich hiemit in die Welt entlaffe, ift rafch hingeworfen worden aus Anlafs des Jubelfeftes, welches die Infel Island in der Erinnerung an den taufendj ährigen Beftand ihrer Be- völkerung feiert. Es foll zunächft isländifchen Freunden beweifen, dafs der Ehrentag ihres Landes von mir theilnemend mitgefeiert wird, wenn mir auch die Verhältnifle nicht erlauben, an der Feft- feier im Lande felbft mich zu betheiligen j es foll aber auch deutfchen Lefern zeigen, wie reich uhd eigenthümlich die germanifche Volks- thümlichkeit im fernften Norden fich entfaltet, und welche reiche Blüthe fie dort felbft im Kampfe mit den härteften Bedingungen des äufseren Lebens getrieben hat.

Man wird der Schrift die Rafchheit ihrer Entftehung in mehr als einer Beziehung anfehen. Hätte ich die ganze Fülle der Ent- wicklung zumal des Rechtslebens, der wirthfchaftlichen Zuftände, endlich der geiftigen Cultur erfchöpfen, oder auch nur fiir das Mit- getheilte vollftändige Belege geben wollen, fo hätte ich ein Duzend von Bänden ftatt eines einzigen fchreiben muffen; in der Auswahl aber des Gebotenen, in der Begrenzung zumal der angeführten Beweisftellen mag mancher Verftofj^ gegen das Ebenmafs und manche Abweichung von dem einzuhaltenden Grundplane des Werkes begangen worden fein, welcher bei ruhigerer Ueberlegung und öfterer Ueberarbeitung hätte vermieden werden können. Aber man foll dem Buche hoffentlich auch anfehen, dafs es auf mehr als dreifsigjährigem Studium der isländifchen Rechts- und Gefchichts- quellen, fowie auf eigener Bekanntfchaft mit Land und Leuten ruht,

IV Vorwort.

und dafs es nicht rafch gedacht, wenn auch rafch gefchrieben ift, anfehen auch die innige Liebe zu dem isländifchen Volke, welche mir nicht am Wenigften an den Stellen die Feder gefuhrt hat, an welchen ich von Uebelftänden, fei es nun der Vorzeit oder der Gegenwart, zu fprechen hatte.

Auf Benützung und Anführung der neueren Litteratur über isländifche Gefchichte und Alterthümer habe ich Werth gelegt; umfomehr bedauere ich, dafs mir die vortreffliche ^Udsigt over den Norske Hiftorie« von J. E. Sars (Bd. I, Chriftiania, 1873) zu fpät zukam, als dafs ich deren VII. Abfchnitt »Islands Bebyggelse og aeldste Forfatning«, S. 175 196, noch hätte verwerthen können. Zu erwähnen wäre überdiefs auch noch ein Artikel des sera Arnijöt Ölafsson zu Baegisä »Um fjoröüngsdoma«, welchen die Zeitfchrift Vfkverji in Nr. 67, S. 93 des laufenden Jahrganges brachte, und welcher mir gleichfalls erft zugieng, nachdem der betreffende Abfchnitt meines Werkes bereits gedruckt war.

Mit einem herzlichen Grufse an alle isländifche Freunde entfende ich mein Buch in derfelben Stunde, in welcher in fämmtlichen Pfarr- kirchen der Infel der Dankgottesdienft für den während eines vollen Jahrtaufends dem Lande gewordenen göttlichen Schutz gehalten wird !

München, den 2. Auguft 1874.

Konrad Maurer.

INHALTSVERZEICHNISS.

Einleitung.

Seite

§ 1. Die Entdcckimg Islands 1 3

(Keine Steinzeit noch Bronzezeit auf Island; nicht die Thule der Alten; erfte Entdeckung durch die irifchen Kelten, S. 1 2; zweite Entdeckung durch die Nordleute; Einwanderung der Nordleute, und Flucht der Papar, S. 2—3.)

§2. Die BefchaffmliHt des Landes . 3-19

(Derzeitiger Zuiland des Landes, S. 1 8; keine Verfchlechterung des- felben in der gefchichtlichen Zeit nachweisbar, S. 8 10; Angaben der Quellen über die Befchaffenheit des Landes in der Vorzeit, S. 10 12, zumal deflfen Waldreichthum, S. 10 16, und Ackerbau, S. 16 18; Abt Arngn'ms Schilderung des Zuflandes im 14. Jahr- hundert, S. 18—19.)

§ 3. Die Befchaffenheit des einwandernden Volkes . . . 19 34

(DelTen Abkunft aus Norwegen, S. 19 20; die Zuüände Norwegens bis gegen das Ende des 8. Jahrhunderts, S. 20— 21 ; deren Ver- änderung feit diefer Zeit, S. 21 24; Berührungen mit fremden Völkern, S. 24 25; maffenhafte Auswanderung, zumal feit K. Haralds Auftreten, S. 25 27; bunte Mifchung der erden Bevölkerung Islands, zumal auch in religiöfer Hinficht, S. 27 32; Ausfichten ftir das zu begründende Staatswefen, S. 32 34.)

DER ISLÄNDISCHE FREISTAAT.

Abschnitt I. Die Geschichte des Freistaats. § 4. Die Bildung des Staats und feiner Verfaffung . . 35—68

(Dreitheilung des Stoffes, S. 35 36; ftaatlofer Anfangszudand, be- dingt durch die Art der Befitzname des Landes, S. 36 38; Bildung von Tempelgemeinden, S. 38 39, und ältefte Gellalt des Godords, S. 39 45; das Godord weder eine blofe Fortfetzung des nor- wegifchen KleinfiirAenthums, noch auf die Führerfchaft der einzelnen Einwandererhaufen oder die Art der Land esth eilung geftützt, S. 45 47; Anfönge einer Dingverfaffung, S. 48 49; Begründung eines Ge- fammtilaates durch die Ülfljötslög, S. 49—53; Ordnung der Bezirks- verfaffung, S. 53—57; Einfuhrung des fünften Gerichts, und Ab- fchaffung des Zweikampfs, S. 57—67; die Hafliöaskrä, S. 67—68.)

VI Inhalts- Verzcichnifs.

Seit«

§ 5. Die Einfuhrung des Chriße?ttfmms , und die Be- gründung der Kirclicnverfajfung 68—97

(Keltifche Papar und chriflliche Einwanderer, S. 69 70; Berühr- ungen mit dem Chriftenthume im Auslande, S. 70 71; Miffion des J»orvaldr viöförli und B. Friedrichs, S. 71—74; K. Ölafr Tryggvason, S. 74 75; Miffion des Stefnir {>orgilsson, S. 75 76, und Dankbrands, S. 76 78; gefetzliche Anname des Chriften- thums, S. 78 82; mangelhafte Befchaflenheit des Chriilenthums in der erden Zeit, S. 82 84; Sorge für den Bau von Kirchen, S. 84—86, und die Befchaflfung von Prieftern, S. 86—88; die Anfänge eines Episkopates, S. 68 90; B. Gizurs Wirkfamkeit für Gründung eines feilen Bifchofsfitzes zu Skdlholt, Einführung der Zehntlad, und Gründung eines zweiten Bisthumes zu Hölar, S. 90—93; Entftehung des älteren Chriaenrechtes, S. 93; die Grundzüge der älteren isländifchen Kirchenverfaffung, S. 93 97.)

§ 6. Der Untergang des Freißaats 98 141

(Die glücklichde Zeit des Freidaates, S. 98; die inneren Gründe feines Verfalles, und zwar insbefondere die mangelhafte Befchaffcn- heit der Godorde, welche deren Zerfplitterung fowohl als Ad- maffirung, und damit den Zerfall der gefammten Dingverfaffung ermöglichte, S. 99 107; dann der Zudand der Kirche, welcher zur Bildung einer nach Norwegen gravitirenden kirchlichen Parthei führte, S. 107 -118: äufsere Momente, und zwar insbefondere die früheren Anfchläge norwegifcher Könige auf Island, S. 1 18 120, die Stütze, welche ihnen ihre isländifchen Diendieute gewähren, S. 120 122, und welche ihnen der Klerus der Infel bietet, S. 122 125; die äufsere Gefchichte des Unterganges des Frei- daates, und zwar Snorri Sturluson's erder Rath, S. 125 126, ' Sturla Sighvatsson als des Königs Werkzeug, S. 126 127, dann Gizurr J»orvaldsson, S. 127—128, J»ör6r kakali, S. 128—131, Gizurr und ^jorgils skarbi, S. 131 133; veränderte Zudände im Lande, S. 133—134; Fall des J)orgils skaröi, S. 134—135; Gizurr als Jarl über Island gefetzt, und die endliche Unterwerfung des Landes, S. 135 138; die Rolle des norwegifchen Königs da- bei, S. 138-141.)

Abschnitt II. Die inneren Zustände des Freistaates

auf seinem Höhenpunkte.

§ 7. Der Staat 142—220

(Die Gliederung des Volks in Stände, und zwar die Unfreien, S. 143 144, die Schuldknechte, S. 144, die Freigelaffen en, S. 144 146, die freien Leute, und zumal die einfchichtigen Leute, S. 146—147, und Bettler, S. 147—148, die Häusler, die Grund- eigenthümer und die Landpächter, S. 148 149, die dingdeuer-

Inhalts-Verzeichnifs. VII

Seite Pflichtigen Bauern, S. 149-152, kein Adel, S. 152—154; die

Geächteten und die Fremden, S. 154. Die Bezirksverfaffung, und zwar die Landesviertel, S. 155 - 156, die Dingverbände und die Godorde, und die Jifngvist, S. 156 159. Die Dingverfamm- lungen, insbefondere die Zeit ihres Zufammentrittes, S. 160 162, die Dingpflicht, und die Dingfahrt, fowie die Kämpfe gelegentlich derfelben, S. 162-164; die Dingbuden, S. 164-166; Feftlich- keiten am Ding, S. 166 167; Jifnghelgi und J)inglausnir, S. 167 168; Dingfrieden, S. 169; )jfngvöllr, Jiingmark, pfngheimr, S. 169-171; Jjingsköp, S. 171; ferner die lögrkta, S. 172—174, die fjöröüngsdomar, S. 174—175, der fimtardomr, S. 175—176, und prestadömr, S. 176 177; die prestastefna; das lögberg, S. 177-178; die Frühlingsdinge, S. 178 180, und Herbftdinge, S. 180— 181; Kämpfe am Ding, S. 181— 186. Die Häuptlinge, und zwar zunächd die Coden; die flaatsrechtliche Natur ihrer Gewalt äufsert fich hinfichtlich ihrer Führung, S. 187 189; Ein- flufs der Goden auf die Gefchäfte der Dingverfammlungen, S. 189—90; Tempelpflege und Opferdienft, S. 191; richterliche und legislative Gewalt der Goden, S. 191 194; adminiftralive Gewalt, zumal Schutz der Rechtsordnung, S. 194 196; Handels- und Fremdenpolizei, S. 196 - 200; Wohlfahrtspolizei, S. 200—201: Vertretung ihrer einzelnen Dingleute, S. 201—208; Rundreifen uud Zufammenkünfte, S. 203 204; Rechte des Goden gegenüber feinen Dingleuten, S. 204—207; Einkünfte der Goden, S. 207 211. Ferner der Gef etzfprecher', S. 211-220.)

§ 8. Die Kirche 220-278

(Die Organifation der Kirche, und zwar das Erzbisthum, S. 221—223. Der Episkopat, und zwar defl'en Träger, S. 221 —222; der Beftand der beiden Diöcefen, S. 223—224; die Amts- thiätgkeit der Bifchöfe, S. 224—232; ihr Anfehen, S. 232-236. Die Prieiler, insbefondere ihre pecuniäre Stellung, S. 236- 243, ihre Loslöfung von allen weltlichen Gefchäften, S. 2 3—244, Sorge für ihren Unterricht, S. 244 248, Gegenftände diefes Unterrichts, S. 248 251, Theilname des Klerus an der nationalen Bildung, S. 251—255. Klöaer auf Island, S. 255-259: Klofterfchulen, und litterarifche Thätigkeit der Regularen, S. 259—262. Das kirchliche Leben aufderinfel, insbefondere in Bezug auf den Glauben, S. 262— 264, Sitten und Gebräuche, S. 264— 268, mifs- liche Zuftände in Bezug auf Fleifchesvergehen, S. 268— 270, und Gewaltthaten, S. 270—276; Erklärung diefer Verwilderung, S. 276—278.)

§ 9. Die Gemeiiidc 278 322

(Die Gemeinde, wefenllich auf die Armenpflege befchränkt, S. 278—279; ihre Benennung, S. 279; territoriale Natur, S. 279—281. Das Syftem der Armenpflege, hinfichtlich der Be-

VIII Inhalts- Verzeichnifs.

Seite ftimmung der Verpflichteten, S. 281—286, der Zuführung,

S. 286—287, und der Art, wie dieLaft getragen wurde, S. 287—291.

Beihülfe zur Armenpflege, S. 291 294; die Gemeinde als Afse-

curanzgefellfchaft, S. 294 297; Mafsregeln gegen die Anhäufung

m

von Armen, S. 297 800, dann gegen Bettler und Landftreicher, S. 300 303. Organifation der Gemeinde, insbefondere die Ge- mein degenofl"en, S. 303—807, die Gemeindevorfteher, S. 807—309, die Gemeindeverfammlungen, S. 309 312, und die einzelnen GemeindegenolTen als folche, S. 312 315; Strafen wegen Ver- gehen gegen die Gemeindeordnung, S. 315 —316. Entftehung der isländifchen Gcmeindeverfafl"ung, S. 316 322).

§ 10. Die Vcrwandtfchaft 322-373

(Verwand tfchafisbezeichnungen, S. 823 =— 325. Organifation der Vcrwandtfchaft, insbefondere Bezeichnung und Berechnung ihrer Nähe, S. 325-329; die tölumenn, S. 329-332; bauggildi und nefgildi, S. 332—337; die .sakaukar, S. 337—339; die eptir- baugamenn, S. 339—340; ferner die Behandlung der Weiber, S. 340—349, und der unächten Geburt, S. 349—357; verwandt- fchaftsänliche Verhältnifl"e, nämlich Schwägerfchaft, S. 357—858, Gevatterfchaft, S. 358 3 9, endlich pflegfchaftliche Verbindungen, S. 359—363. Die Wirkfamkeit der Verwandtfchaft, im Allge- meinen, S. 363—365, dann in Bezug auf Erbrecht, S. 365—366, Vormundfchaft und Armenpflege, S. 366 367, Gefchlechtsvor- mundfchaft, S. 367—368, Blutklage, Wergeid u. dgl., S. 868—370, die Verwandtfchaft als Recufationsgrund, S. 370 371; gleich- zeitige oder fucceffive Wirkfamkeit der Verwandtfchaft, S. 871 373).

§ 11. Die Nachbarfchaft 373-392

(Allgemeine Bürgerpflichten und nachbarfchaftliche Pflichten, S. 373 374. Die lysfng vor Nachbarn, allenfalls mit einer ge- wiffen adliven Betheiligung diefer letzteren, S. 374 376; Schälz- ungen, S. 376—378; Thcilungen, S. 378—380; die Gefchworenen, S. 381—384, die Privatgerichte, S. 884—392).

§ 12. Die wirthfcliaftlichen Zußände 392—448

(Landproducle, nämlich, von Waldwirthfchaft und Ackerbau abgefeheh, Rindvieh, Ziegen, Schweine, keine Renthiere, aber Hühner und Gänfe, S. 393—895, Pferde, S. 395—398, und Schafe, S. 898; Umfang des Viehftandes, S. 398—402; Art des Betriebes, S. 402—407, Erzeugnifl"e der Viehzucht, S. 407— 409; kleinere Landnutzungen, zumal auch Jagd- und Süfswafferfifcherei, S. 409—412. Seeprodu^e, nämlich Fifchfang, S. 412— 414, Walfifchfang, S. 414—417, Seehunds- und Walrofsfang, S. 417—418; Treibholz und Wrack, S. 418 420; Vorwiegen der Landwirth- fchafl über die Fifcherei, S. 420—422. Der Handel, und zwar zunächd der inländifche; Wegwefen, Seetransport, einzelne Belege für den Betrieb des iuländifchen Handels, der doch unbedeutend

Inhalts- Verzeichnifs. IX

Seite -war, S. 422 425; der ausländifche Handel, zum Theil auf eigenen Schiffen betrieben, S. 426 428, wiewohl regelmäfsig nicht ge- werbsmäfsig, S. 428 430, war doch vorwiegend in der Hand von Ausländern, S.430; Art feines Betriebes, S. 430— 433. Das wirthfchaftliche Leben der Isländer, insbefondere die Anlage ihrer Höfe, S. 433 437; Vielheit der Befchäftigungen, und wirth- fchaftlicher Jahreskalender, S. 437—440; Dichtigkeit der Be- völkerung, und Vertheilung des Vermögens, S.440 447; Vergleich mit den Zuftänden der Gegenwart, S. 447 448).

§13. Die geißige Cultur und insbefondere die Litieratur 448 470

(Nationale Bildung neben der klerikalen; körperliche Uebiingen, Spiele und Tanz, S. 448 449; geiftige Fertigkeiten, zumal Dichtkunft und Sagenerzählung, Mufik, bildende Künde, S. 449 452; Rechtskunde, Genealogie und Menfchenkunde, S.452 453: Ar^neikunde, S.453 455; neuere Sprachen, Kalender- wefen, Sternkunde und Geographie, Brett- und Würfelfpiele, S. 455 : Künfle des K. Harald harbraöi und Rögnvald jarls, S. 455; Viel- feitigkeit der Bildung, deren Vortheile und Nachtheile, S. 465 457. Die isIändifcKe Litteratur; Ari frööi und ^öroddr Gamlason, S. 457 459; norwegifche Königsgefchichte, S. 459 462, an- fchliefsende Werke über Norwegen, die Orkneys und die Färöer, Schweden und Dänemark, S. 462; genealogifche Werke, dann Kirchengefchichte Islands, S. 462 463; tslendingasögur, S. 463 464; mythologifchfe und erdichtete Sagen, Legenden, aus- ländifche Kirchen- und Profangefchichte, fremde Ritterromane, Anualen, S. 464; Rechtsaufzeichnungen, S. 464—66; poetifche Litteratur, S. 466 467; Snorra-Edda, Schriften geiftlichen, geo- graphifchen, computiflifchen Inhalts, S. 467; Ueberlegenheit der isländifchen Litteratur über die norwegifche, S. 467 469).

S c h 1 u s s.

§ 14. Der Uebergang Islands unter die norwegifche

Herrfchaft 470-480

(Die Urkunden des Unterwerfungsvertrages, S. 470— 473; die Be- dingungen der Unterwerfung, S. 473—477; die Zuftände zunächft nach der Unterwerfung, S. 477; Einführung der Jämsföa und der Jönsbök, S. 477—478; neuer Streit mit der Kirche, S. 478; Heeresaufgebot und andere ütanlandsstefnur, S. 478; Widerftand gelegentlich der an K. Häkon Magnussen zu leidenden Huldig- ung, S. 478 479; Regalifirung des Handels, fchwere Landplagen, S, 479—80; Hoffnungen für die Zukunft, S. 480).

EINLEITUNG.

§ 1. Die Entdeckung Islands.

Im Norden von der grönländifchen See und im Süden vom atlantifchen Meere befpült, Amerika mehr als Europa zugehörig, und weit abfeits von allen und jeden Ländern älterer Bevölkerung, hat Island Jahrtaufende hindurch öde gelegen, von keinem Geo- graphen gekannt, ja von keines Menfchen Fufs betreten. Keine Spur von Ueberbleibfeln der Steinzeit ist auf der Infel nachgewiefen worden, während es doch an folchen in Norwegen fo wenig fehlt als in Dänemark oder in Schweden. Von einem Bronzealter ift auf Island ebenfowenig die Rede, obwohl auch von diefem Nor- wegen, wenn auch nur fehr vereinzelte, Ueberrefte aufzuweifen hat. Dafs endlich unter der »ultima Thulec der Claffiker nicht, wie man feit Dicuil, dann Adam von Bremen, Ari froöi und Saxo Grammaticus vielfach angenommen hatte, diefes, fondem ein viel weiter füdlich gelegenes Land zu verftehen fei, ift bereits von Arngrfmr frööi mit guten Gründen erwiefen worden, und darf heutzutage als eine feft- ftehende Thatfache bezeichnet werden i).

Erft gegen Ende des achten Jahrhunderts fcheint die infel dem Menfchengefchlechte bekannt geworden zu fein; als deren erfte Entdecker und Befucher find aber die Kelten zu nennen, welche in der angegebenen Zeit noch im unbeftrittenen Befitze der an der Nord- und Westküste Schottlands gelegenen Infelgruppen fich be- fanden, und von denen einzelne Anachoreten fogar fchon bis nach Shetland und den Faeröern vorgedrungen waren. Ein irifcher Mönch, Dicuiius, berichtet in einem um das Jahr 825 gefchriebenen Werket),

1) Vgl. Karl MüUenhoff, Deutfche Alterthumskimde, Bd. I, S. 385—410.

2) De mensura orbis terrae, c«p. 7.

Maurer, iBlaud. 1

2 Die Entdeckung Islands.

dafs einige Kleriker feiner Bekanntfchaft ihm vor ungefähr 30 Jahren von einem Befuche erzählt hätten, welchen fie einer weit im Norden gelegenen Infel abgeftattet hätten, die er selber für die Thule des Plinius, des Solinus oder vielmehr feines Interpolators, und dergleichen mehr halten zu foUen meint. Von Anfang Februars bis Anfang Augusts wollten diese Männer auf der Insel geblieben fein, und ihre Angaben über den Sonnenstand fowohl als über die Temperatur des Meeres können darüber keinen Zweifel aufkommen laffen, dafs es Island ift, auf welches ihre Berichte fich bezogen. In der That laflen auch die Angaben vollkommen glaubwürdiger isländifcher Quellen erkennen, dafs einzelne Männer keltifcher Abkunft auf der Infel fogar ihren bleibenden Aufenthalt um ungefähr diefelbe Zeit genommen hatten ; aller Wahrfcheinlichkeit nach waren es indeflen nur einige wenige Einfiedler, welche fich die gröfsere Abgeschiedenheit des entlegenen Landes in änlicher Weife zu Nutze machen wollten, wie andere aus gleichen Gründen bereits vorher nachweisbar auch fchon die Faeröer aufgefucht hatten l).

Erfl um reichlich 70 Jahre fpäter wurde die Infel zum zweiten Male, diefsmal von Nordleuten, entdeckt, und erft von diefer ihrer zweiten Entdeckung ab datirt eigentlich deren Gefchichtc. Ein norwegifcher Vfkfng, Naddoör mit Namen, wurde zufällig nach derfelben verfchlagen, und gab ihr, durch einen ftarken Schneefall veranlafst, den Namen Snaeland, d. h. Schneeland. Wenig fpäter folgte Garöar Svavarson, ein Mann fchwedifcher Abkunft, aber auf Seeland angefeffen. Er umfegelte das Land, und ftellte dadurch feft, dafs daffelbe eine Infel fei; nach ihm wurde diefelbe fodann Garöarsholmr, d. h. das Inselchen Garöars, genannt. Als der dritte fcgelte fodann Flöki Vilgeröarson hinüber, ein norwegifcher Mann, in deffen Gefchichte gar mancherlei fagenhafte Züge fich einge- mifcht hefcen, und wohl ebendarum der einzige unter den Ent- deckern, deffen Namen die mündliche Ueberlieferung bis auf den heutigen Tag herab feflgehalten hat 2). Er gab der Infel von dem vielen Treibeife, mit welchem er einen Meerbufen auf derfelben an- gefüllt fand, den Namen, welchen diefelbe bis auf den heutigen Tag herunter trägt, den Namen Island, d. h. Eisland. Alle drei

1) Dicuilus ang. O.; die Belege aus der isländifchen LUteratur siehe in der übernächllen Note.

2) Vgl. meine Isländifche Volksfagen der Gegenwart, S. 216, fowie J6n Arnasun, Isleiizkar Jijöbsögur og ^efintyri, II, S. 75.

Die natürliche Befchaffenheit des Landes. 3

Entdeckungsfahrten, bezüglich deren die Berichte unferer verfchie- denen Quellen nur in wenig bedeutfamen Einzelnheiten von einander abweichen, müflen in die Jahre 860 70 fallen; nur um wenige Jahre später beginnt aber auch bereits eine maffenhafte Einwan- derung von Nordleuten nach der Infel, mit welcher diefe fofort ihre eigentlich gefchichtliche Zeit beginnt. An der Spitze diefer Ein- wanderung stand tngolfr Arnarson, ein angesehener Mann aus Nor- wegen, welcher nach einer vorgängigen Erforfchungsreife im Jahre 874 nach der Infel abgieng, um feinen bleibenden Aufenthalt auf derfelben zu nemen; durch einen eigenthümlichen Zufall gründete er feine Niederlaffung gerade an demfelben Orte, an welchem jetzt die Hauptftadt des Landes liegt, zu Reykjavik, oder wie die älteren Quellen fchreiben, Reykjarvfk. Rasch folgten diefem erften Anfiedler weitere Landsleute nach. Die wenigen Bewohner, auf welche man an einzelnen Punkten der Süd- und Oftküfte ftiefs, und welche n\an Papar, d. h. Pfaffen nannte, zogen fich fcheu von der Infel weg, weil fie mit dem fremden Heidenvolke Nichts zu fchaffen haben wollten; aus einzelnen Büchern, Glocken und Krummfläben, die fie zurückliefsen, fchlofs man hinterher, dafs fie irifcher Abkunft und chriftlichen Glaubens gewefen feien. Im Verlaufe von etwa 60 Jahren erhielt Island fodaiin feine volle nordifche Bevölkerung, foviel deren' das arme Land nur überhaupt zu ernähren im Stande warl).

§ 2. Die BeschafTenheit des Landes.

Sucht man fich die Befchaffenheit des Landes klar zu machen, in welchem die nordifchen Anfiedler einzogen, fo liegt es nahe, zunächft an den derzeitigen Zuftand deffelben fich zu halten, von dem ja von Vornherein zu vermuthen ift, dafs er fich während der letzten taufend Jahre kaum erheblich verändert haben werde. Dieser derzeitige Zulland des Landes läfst fich aber, foweit derfelbe auf die wirthfchaftliche Stellung der Bevölkerung herüberwirkt, fehr einfach feftftellen.

Ringsum von der See umgeben, hat Island allerdings bei Weitem kein fo rauhes Klima, als man zufolge feiner nördlichen Lage er-

1) Islendingabök, cap. 1, S. 4, und cap. 3, S. 6; Landndma, Prolog, und I, cap. 1—9, S. 23—39, dann V, cap. 15, S. 321; jüngere Olafs s. Tryggvasonar, cap. 110-17 (FMS., I, S. 233-42), und Flateyjarbök, I, S. 247-48, und 263—68; Sögubrot, (FMS., XI, S. 409-12); TheodoricuS Monachus, cap. 3; Breve Chrouicon Norvegiae, S. 7.

1*

4 nie Befchaffenheit <les Lande».

warten foUte, und wenigftens auf einen namhaften Theil der Infel wirken überdiefs auch noch die Meeresftrömungen günftig ein. Wäh- rend nämlich deren Nord- und Oftküfte dem von Spitzbergen her zwifchen Grönland und Island durchgehenden Polarftrom ausgefetzt ift, kehrt fich deren Süd- und Weftküfte dem Golfftrome zu, welcher zwifchen Island und Schottland feinen Weg nimmt. Von dem Treib- eife, welches den Norden und Often des Landes oft bis tief in den Sommer hinein mit fchweren Mafien blockirt hält, hat fomit deflen Süden und Werten nur wenig zu leiden; die mittlere Jahrestempe- ratur aber, welche zu Akreyri an der Nordküfte nur oR- beträgt, erhebt fich zu Reykjavik an d^r Südweftkürte bis auf -]- 3,3 R., fodafs fich auf einen Abftand von nur anderthalb Breitegraden eine Temperaturdifferenz von über 3 Wärmegraden ergiebt i). Indefien äufsert doch diefe warme Strömung fogar auf das fiidliche Island bei Weitem nicht diefelbe intenfive Wirkung, wie auf die Weftküfte Norwegens, welche fie mit ihrer vollen Kraft berührt, und am Nord- cap fteht demgemäfs die mittlere Jahrestemperatur (-f- 0,1 R.) um ein Geringes höher als zu Akreyri, welches Städtchen doch um volle 5 1/2 Breitegrade südlicher liegt als jenes. Dazu kommt, dafs die See, im Sommer wie im Winter temperirend wirkend, trotz aller Länge des arktifchen Tages doch felbft im Hochfommer die Wärme nicht fo weit anfteigen läfst, als diefs bei mehr Continental gelegenen Ländern der Fall zu fein pflegt, und dafs fomit die mittlere Sommerwärme, welche für die Entwicklung der Vegetation von fo hervorragender Bedeutung ift, fich für Island im Vergleiche mit an- deren Gegenden des gleichen Breitengrades fehr erheblich ungünftig ftellt. In Reykjavik beträgt diefelbe nur 9,6 R., und in Akreyri gar nur 6 R., fodafs alfo die mittlere Sommerwärme diefes letzteren Ortes nur eine wenig höhere ift als die des foweit nördlicher gele- genen Nordcaps(5,iO), und die des erfteren eine fehr beträchtlich niedrigere als die der nur wenig fiidlicher gelegenen Stadt Dront-

1) Ich entneme meine Temperaturangaben den Zusammenftellungen, welche der Adronom, Profeffor Schjellerup zu Kopenhagen, im isländifchen Kalender giebt. Meteorologifche Beobachtungen, welche der isländifche Landphyfikus Jon Jiorsteinsson vom 1. Januar 1823 bis 1. Augufl 1837 in Reykjavik anflellte, find unter dem Titel *Observationes meteorologica; in Islandia factoe a Thorsleusenio medico,« Kopenhagen 1839, veröffentlicht worden; andere Beobachtungen, guten- theils durch das tslenzka bökmcntaftlag veranlafst, liegen noch ungednickt. Vgl. übrigens auch Sartori us von Waltershausen, Phyfifch-geographifchc Skizze von Island (Göltingen 1847), S. 32—43.

Die Dtifcliaffenhcit des Landes. 5

heim (12O). Die allzeit vorherrschende grofse Feuchtigkeit der Luft fowohl als eines grofsen Theilcs des Bodens wirkt ferner auch ihrer- feits erkältend auf die Pflanzenwelt ein, und die fchweren Wiitde, welche, oft zu den verheerendften Stürmen anfchwellend, fall un- unterbrochen über die Infel hinbraufen, legen dem Gedeihen der Vegetation, und zumal dem Baumwuchfe auf derfelben weitere, fchwerc Hinderniffe in den Weg. Berückfichtigt man zu Allem dem noch die lange Dauer des Winters, welche fogar in Reykjavik noch in der erften Hälfte des Mai's die Temperatur auf 5 6 Grade unter Null herabfinken, und bereits in der zweiten Hälfte Septem- bers wieder ganz regelmäfsig harte Fröfte einfallen läfst, fo begreift fich leicht, wie wenig günftig Alles in Allem genommen die klima- tifchen Verhältnifse Islands für den Anbau des Landes fich erweifen. Weiterhin find aber auch die Erhebungs- und Bodenverhältnifse der Infel ganz und gar nicht dazu angethan, die Ungunft des Klimas zu mildern. Das Innere des Landes bildet ein gewölbtes, 360 600 mr. hohes Plateau, aus welchem einzelne, maffige Berggruppen zu einer ungleich beträchtlicheren Höhe anfteigen, wie denn der höchftc Punkt der Infel, der Öraefajökull, fich bis zu 1 860 mr. erhebt. Die Schneegrenze erreicht andererfeits nur knapp die Höhe von 900 mr., und ungeheuere Gletfcher und Eisfelder bedecken in Folge defTen einen beträchtlichen Theil der Infel; der ausgedehntefte unter allen Eisbergen Islands, der VatnajökuU oder Klofajökull im Südoften des I^andes, erftreckt fich allein bereits über einen Flächen räum von ungefähr 150 Q-Meilen. Die Formation der Gebirge ferner ift eine fehr einförmige, foferne Trachyte, Trappe, vulkanifche Tuffe, dann Laven der verfchiedenften Entftehungszeiten und Zufammen- fetzungen ziemlich die einzigen auftretenden Felsarten find. In füd- licher gelegenen Gegenden pflegen diefe Gefteine rafch mit dem üppigften Pflanzenwuchfe fich zu bekleiden ; auf Island aber, wo das zu ihrer Verwitterung erforderliche Mafs von Wärme fehlt, bilden diefelben gutentheils nur ausgedehnte Steinwüften, deren gröfste, das Ödäöahraun im Nordoften der Infel, eine Fläche von mehr als 50 O-Meilen bedeckt. Selbft nach Jahrhunderten will fich auf diefen öden Felsbergen kaum ein dürftiger Anflug von Heidekraut, Zwerg- weiden oder Heidel- und Rauschbeerenbüfchen einfinden ; um Nichts ertragfähiger aber find die ausgedehnten Ablagerungen von Sand- und Kiesgeröüe, welche zumal an den Mündungen der mächtigen Gletfcherftröme vorkommen, oder die weithin reichenden Torfmoore, von welchen zumal die Niderungen des Landes, nicht feiten aber

6 Uic DefchafTcnhcil des Landes.

auch ziemlich bedeutende Hochebenen, crflillt find. Nur da, wo am Fufse fteil abfallender Felskämme ein schmales Vorland fich der Meeresküfte entlang zieht, oder wo gewaltige Bergftröme bei längerem Laufe aus Gletfchergrus und Sandgefchieben ein der Vegetation zugänglicheres Schwemmland abgefetzt haben, dann etwa auch in windgefchützten Bergthälern, deren Abhänge der fommer- lichen Sonnenwärme einen günftigeren Spielraum bieten, pflegt fich eine reichlichere Grasdecke zu bilden, die dann freilich an kräftigen Kräutern und üppigem Grün mit den heften unferer Alpenweiden fich meffen darf; an folchen Stellen findet fich fogar hin und wider auch wohl ein fogenannter Wald ein, d. h. ein zumeift i 2, in Ausnamsfällen fogar bis zu 5 6 mr. hohes Birken- oder Weiden- gebüfch, unter welches fich ganz vereinzelt da und dort etwa auch ein Wachholderftrauch oder ein Vogelbeerbäumchen mifcht. Nahezu der vierte Theil des Landes ift unter folchen Umftänden vollkommen öde, und mehr als ein Drittel deffelben befitzt nur. eine fo geringe Ertragsfähigkeit, dafs es nur eben noch für das den Sommer über wildlaufende Schafvieh als Weide benützt werden kann; eine aus- giebigere und zugleich geregeltere Benützung vertragen dagegen nicht einmal volle zwei Fünftel der Infel i). Aber sogar die Cultur- fähigkeit diefes letzteren Theiles der Bodenfläche ift nur eine fehr befchränkte. Während man in Norwegen Weitzen bis zum 64 0, Haber bis zum 68 1/2 0, Roggen bis zum 69 0, und Gerfte gar bis zum 70 0 baut 2), will auf Island der Anbau von Komfrüchten über- haupt nicht, oder doch nicht in irgendwie nennenswerthem Umfange gelingen; der Gemüfebau ift auf ein überaus dürftiges Mafs be- fchränkt, und auch Kartoffeln werden mit einigermafsen günftigerem Erfolge nur in einigen wenigen, ganz befonders günftig gelegenen Bezirken gezogen. Auf die Viehwirthfchaft ficht fich fomit der isländifche Bauer, foweit er überhaupt Landwirth ift, fogut wie aus- fchliefslich angewiefen, und wenn zwar bezüglich ihrer der vortreff- liche Graswuchs in einem guten Theile des Landes nicht zu unter-

1) Ich entneme diefe Angaben einem Auffatze des Lehrers der Lateinfchule zu Reykjavik, Hall dör Gu6niundarson, in den Skyrslur um landshagi d tslandi, Bd. I, S. 104 7. Freilich beziehen fich diefelben nur auf den derzeitigen Zulland des Landes, und fchliefsen fomit die Möglichkeit nicht fchlechthin aus, dafs etwas mehr Land culturfähig fein könnte, als wirklich cultivirt ift.

2) Vgl. Schübeier, über die geographifche Verbreitung der Obftbäume und beerentragenden Gefträuche in Norwegen, S. 13 (1857); vgl. übrigens auch deffelben Verfaffers: Culturpflanzen Norwegens (1862).

Uli; BcfchalTenheil des Landes. 7

fchätzcndc Vorthcile bietet, fo ift doch auch ihr Betrieb ein gar fehr mühevoller, da derfelbe durch die Nothwendigkeit, für die Ent- wäflerung allzu feuchter, und für die Düngung allzu magerer, fowie für die Umzäunung aller und jeder zu regelrechter Heugewinnung beftimmter Wiesen zu forgen, durch die Schwierigkeit ferner des Einbringens des Heues, welche zumeift nur auf Pferdesrücken ge- fchehen kann, und dergleichen mehr eine Menge befchwerlicher Arbeiten auferlegt. Neben der Viehzucht, welche fich heutzutage nur allzu ausfchliefslich dem Schafviehe zuwendet, und die Rind- viehzucht mehr als gut ift vernachläffigt, bildet die Fifcherei, in füfsem wie in falzigem Waffer betrieben, fammt dem an fie fich anfchliefsenden Seehundsfange einen zweiten, kaum minder ergiebigen Nahrungszweig des isländifchen Volkes; die grofsen Fifchzeiten zu- mal, möge es fich nun um Dorfch-, Härings- oder Haififchfang handeln, verfammeln regelmäfsig ganze Schaaren Volks aus dem inneren Lande fowohl als von der Küfte an den ergiebigeren Fifchereiplätzen. Die Bewirthfchaftung der Vogelberge mit ihren Erträgniflen an Eiern und Federn, die Jagd auf Füchse, Schnee- hühner und fo mancherlei Waffervögel, das Bergen des Treibholzes und der hin und wider an den Strand treibenden Seethiere, das Sammeln des isländifchen Moofes und mancher anderer wilder Kräuter, und dergleichen mehr geben für nicht wenige Gegenden einen mehr oder minder fchwer in*s Gewicht fallenden Beitrag zu der bäuerlichen Wirthfchaft ab, wogegen die induftrielle Produ6tion fich wefentlich auf die Verarbeitung der felbftgezogenen Schafwolle zu gröberen Artikeln, fowie auf den Betrieb einiger weniger, und wenig ausgiebiger Schwefelgruben befchränkt. Das gegenwärtig zwifchen den beiden Nahrungszweigen beftehendc numerifche Ver- hältnifs ergeben folgende der officiellen Statiftik entnommene Ziffern i). Im Frühjahr 1853 hatte man das auf der Infel gehaltene Rindvieh auf 23,663, das Schafvieh auf 516,853, und die Pferde auf 40,485 Stück angefchlagen, wogegen für das Frühjahr 1869, das letzte für welches mir officielle Nachweife zu Gebote ftehen, hiefür die Ziffern 18,342 dann 356,701, und 30,835 eintreten; an Schiffen und Booten dagegen hatte man im erften Jahre 3506, im letztern dagegen 3180 gezählt, wobei freilich zu berückfichtigen ift, dafs die Zahl der ge- deckten . Schiffe im letztern Jahre um 36 höher fich belief als im erfteren. Der zwifchen beiden Jahren in Mitte liegende fehr erheb-

1) Skxrülur um landshagi, V, S. 80 -98.

g Die Bcfcliafrunlieil des Landes.

liehe Rückfehritt ift gröfstenthcils auf eine verheerende Sehafseuche zurückzuführen, welche vom Jahre 1856 ab die Infel heimfuchtc und ihrem Wohlftande den empfindliehften Schaden that, wefshalb denn auch die Ziffern des Jahres 1853 den normalen Zuftändcn näher kommen mögen als die des Jahres 1869; immerhin gewähren auch fie ein wenig glänzendes Bild der Cultur- und Ertragsfähigkeit des Landes, von welcher denn auch eine Folge ifl, dafs daffelbc auf einem Flächenraume von über 1850 n -Meilen nach der offi- eiellen Volkszählung vom i. Oetober 1870 nur eine Einwohnerzahl von 69,763 Seelen ernährte i).

Eine andere Frage ift nun freilich die, ob die natürlichen und wirthfchaftliehen Zuftände, in welchen Island fich gegenwärtig be- findet, auch bereits zu der Zeit gleicherweife vorhanden gewefen feien, in welcher fich die nordifche Einv/anderung dahin vollzog, und es fehlt nicht* an Stimmen, welche diefe Frage fehr entfehieden verneinen. Zumal isländifeherfeits pflegt gar \'ielfach behauptet zu werden, dafs in der Vorzeit das Klima und die Bo- denbefchaffenheit der Infel ungleich milder und für den Anbau günftiger gewefen fei, als jetzt, und die Bedeutung, welche diefer Streitfrage für das richtige Verftändnifs der isländifchen Gefehichtc innewohnt, fordert fchlechterdings eme Prüfung der Begründung jener Einwürfe 2).

Da mufs nun zunächft unzweifelhaft zugegeben werden, dafs palaeontologifche Funde eine Flora von Föhren, Eichen und Buchen nicht nur, fondern fogar von Ulmen, Pappeln, Nufsbäumen und Platanen felbft für Nordgrönland bezeugen, während für Island überdiefs auch noch das Vorkommen von Ahorn- und Tulpenbäumen feftgeftellt ift 3). Aber derartige Zeugniffe beziehen fich auf eine Zeit, welche unermefslich weit hinter allem Beginne unferer Ge- fehichte zurückliegt, auf diefelbe Zeit nämlich, in welcher bei uns in Deutfchland die üppigften Lorbeer- und Feigenwaldungen grünten, mit Palmenhainen hin und wider untermifeht, und von Heerden von Elephanten, Nashörnern und Affen durchftreift; für unfere Frage können demnach fie in keiner Weife in Betracht kommen. Halten

1) Kbenda, S. 296.

2) Vgl. die Andeutungen, welche ich gelegenllicli in der Oermaniä, Bd. XIV, S. 98 100, über den Gegenllaud gemacht habe.

3) Vgl. Oswald Hcer's Vortrag: Ueber die Polarländer (Zürich 1867): Aus- führlicheres in deffen Foffiler Flora der Polarländer (ebenda 1868).

Die Bcfchaffenhcit des Landes. 9

uir uns dagegen an die gefchichtlich verfolgbarc Zeit, fo kann allerdings nicht bezweifelt werden, dafs durch vulkanifche Aus- brüche, Bei^fchlipfe, Aenderungen im Laufe einzelner Gewäffer, heftige Stürme, welche da und dort dem Boden feine ohnehin nur dünne Humusdecke entführten, oder durch andere änliche Un- glücksfälle gar mancher Bezirk der Infel fchweren Schaden ge- litten, oder felbft feine Culturfähigkeit auf die Dauer bleibend ein- gebüfst haben mag. Von dem zehnten Jahrhundert herab, in welchem der Hof »f Hripi« durch das fich bildende Borgarhraun verfchüttet wurde i), der Hof zu Dynskögar in gleicher Weife durch Erdfeuer zerftört^) und der im Geitdale durch einen Bergschlipf zu Grunde gerichtet wurde 3), während durch das Ausbrechen der Jökulsä der öde Sölheimafandr fich bildete*), bis herab zu dem Ausbruche der Kötlugjä im Sommer des Jahres 1860, durch welchen der Hof zu Höföabrekka fammt mehreren benachbarten Höfen be- fchädigt wurde, fehlt es in der That nicht an Belegen für derartige VorkommnifTc. Aber fo fchwer diefelbcn auch auf den zunächft von ihnen Betroffenen laftcn mochten, fo blieben doch derartige Befchädigungen ftets nur localer Natur; auf die Befchaffenheit des Landes im Ganzen waren fie nicht im Stande irgend welchen Ein- flufs zu äufsem, und alle diejenigen Momente, welche diefer letzteren ihr derzeitiges Gepräge verleihen, der geognoftifche Bau Islands nämlich und feine Höhenverhältniffe, die nördliche Lage des Landes mit den durch fie bedingten langen Wintern, der Einflufs ferner, welchen die umgebende See auf deffen Temperatur- und Feuchtig- keitsverhältniffe übt, haben während des letzten Jahrtaufends, alfo der für uns allein in Betracht kommenden Zeit, keine irgendwie bemerkbare Umwandlung erlitten. Allerdings hat man fich auf die fortfchreitende Vereifung Grönlands berufen, und aus ihr auf eine Veränderung fchliefsen wollen, welche in der Richtung des Golfllromes eingetreten fei, und welche hinwiderum erkältend auf das Klima Islands habe wirken muffen; aber dem Glauben an jene allmälige Vereifung Grönlands während der letzten Jahrhunderte ift jeder Halt entzogen, feitdem Henrich Peter von Eggers in feiner Preisfchrift »Om Grönlands Öfterbygds fände Beliggenhed« den

1) Landndma, II, cap. 5, S. 78.

2) Ebenda, IV, cap. 12, S. 269.

3) Ebenda, IV, cap. 3, S. 245, und etwas abweichend Hrafnkels s., S. 3.

4) Landndma, IV, cap. 5, S. 251, Anm. 18.

l^i<J Bcschaflfenhcil des Landes.

Beweis geführt hat 1), dafs die alte grönländifche Eystribygö nicht auf der fchon in der alten Zeit unzugänglichen Oftküfte, fondern auf der Südweftküfte Grönlands, alfo im jetzigen Diftrifle von Ju- lianehaab, gelegen war. Capitän Wilhelm Auguft Graah's Ent- deckungsreifen (1828 31) haben die Ergebniffe, welche Eggers aus einer unbefangenen Prüfung der älteren Quellen gewonnen hatte, fchlagend beftätigt^j; eben damit find aber auch die Folgerungen hinfällig geworden, welche man aus der angeblichen Bewohnbarkeit und Zugänglichkeit Oftgrönlands vom zehnten bis fünfzehnten Jahr- hunderte hatte ziehen wollen. »Eine Abname der mittleren Tem- peratur und eine Verfchlechterung des Klimas im Laufe hiftorifcher Zeiten ift daher gewifs da um fo weniger anzunemen, wo noch gegenwärtig die allergünftigften Verhältniffe, die man nur bei der einmal gegebenen geographifchen Lage erwarten darf, vorhanden find 3). c Um Nichts befler find aber auch diejenigen Bcweife, welche man aus den Angaben der Gefchichtsqucllcn über die Na- turbefchafifcnheit Islands und über die wirthfchaftlichen Zuftändc feiner Bewohner in der Vorzeit ziehen zu foUen glaubte. Diefelben zeigen, richtig vcrftanden, durchaus ein Spiegelbild der derzeitigen Verhältniffe, und foweit fich in einzelnen Beziehungen etwa Ab- weichungen ergeben, läfst fich leicht darthun, dafs diefelben, von rein localen Unglücksfällen abgefehen, lediglich auf die verkehrte Wirthfchaft der Menfchen, nicht auf irgend welche ungünftige Um- geftaltung der Naturbedingungen zurückzuführen find. Richtig ift allerdings, dafs die Infel auf ihre erften Entdecker im Ganzen einen nicht ungünftigen Eindruck gemacht zu haben fcheint. Von-Naddod fowohl als von Garöar wird ausdrücklich erzählt, dafs fie diefelbc bei ihrer Heimkehr fehr gelobt hätten, und nicht minder wird be- richtet, dafs von Flöki's Genoflen wenigftens der eine feines Rüh- mens kein Ende wufste^); nicht minder finden wir auch in den folgenden Jahrzehnten noch widerholt des guten Gerüchtes gedacht, welches über die Infel in Norwegen gieng, wie denn auch nur unter diefer Vorausfetzung der rafche Verlauf erklärlich wird, welchen

1) In den Landhuusholdn. Selsk. Skriftcr, IV, S. 239-320 (1792).

2) Undersögelses-Reise til Öftkysten af Grönland. Efter Kongelig Bcfaling udfort i Aarene 1828—31, af W. A. Graah (Kopenhagen, 1832); hieher gehört zumal S. 161-90.

3) So Sartorius von Waltershaufen, ang. O., S. 43.

4) Landndma, I, cap. 1, S. 26 und 28; cap. 2, S. 30—31.

Die BcfchafTenheit des Landes. H

die Bevölkerung derfclben fofort nam i). Aber doch ift auch nicht minder richtig, dafs es von Anfang an bereits auch ganz und gar nicht an gegentheiligen Stimmen fehlte. Flöki felbft z. B. war Nichts weniger als gut auf Island zu fprechen, und jenem lobenden Ge- noffen trugen feine übertriebenen Schilderungen einen Spitznamen ein : man nannte ihn törölf Butter, weil er gefagt hatte, auf Island fei die Weide fo fett, dafs von jedem Grashalme Butter träufele; Onundr trifötr konnte fich nicht ohne fchmerzliches Gefühl feiner guten Aecker in Norwegen erinnern, die er nun mit den öden Felfen der Strandasysla vertaufchen foUte^), und ein Knecht Ingolfs äufsert fich bitter genug über die Landfchaft Suörnes, in welcher fein Herr fich niederlaflen wollte 3), und dergleichen mehr. Die Namen Snae- land und Island, welche der Infel von ihren erften Entdeckern bei- gelegt wurden, weifen ficherlich ebenfalls nicht gerade auf eine be- fondere Milde des Klimas hin, und es fehlt nicht an Angaben über bcftimmtc, einzelne Vorkommniffe, welche den aus dem Namen gezogenen Schlufs beftätigen. Bereits Dicuils Gewährsmänner fan- den eine Tagreife nordwärts der Infel die See gefroren, und Floki felbft traff noch im Frühjahre den Isafjörö mit Eis erfüllt; am Hünavatn im Vatnsdale ftiefs Ingimundr gamli auf eine Eisbärinn mit ihren Jungen*), und ein paar andere Anfiedler wurden auf der Melrakkasl^tta von einem Eisbären getödtet 5), lauter Thatfachen, welche auf klimatifche Verhältniffe ganz derfelben Art hindeuten, wie fie Island noch bis auf den heutigen Tag herab zeigt. Wenn uns ferner gelegentlich ausgefprochen wird, was -es war, was die Leute an dem Lande zu loben fanden, fo werden ganz diefelben Dinge genannt, welche auch jetzt noch in wirthfchaftlicher Bezieh- ung dcfTen ftarke Seiten find 6). Gerühmt wird regelmäfsig der treffliche Graswuchs; wenn dabei gelegentlich noch befonders her- vorgehoben wird, dafs fich das Vieh auch den Winter über auf der Weide halten könne, ohne der Stallfütterung zu bedürfen, fo

1) Vgl, z. B. Eyrbyggja, cap. 3, S. 5; I.axda^la, cap. 2, S. 4; Eigla, cap. 28, S. 56 und 58, cap. 29, S. 58 und 59; Vatnsdala, cap. 10, S. 20, und cap. 15, S. 26 und dergleichen mehr.

2) Grettla, cap. 9, S. 14.

3) Landnäma, I, cap. 8, S. 37.

4) Vatnsdaela, cap. 16, S. 26.

5) Landnäma, III, cap. 20, S. 235.

6) Vgl. die in vorftehendcr Anmerkung 1 angeführten Stellen.

12 ^^^ BcfclialTenheil des Landes.

ift auch diefs Nichts, was nicht auch heutigen Tages noch von fo manchen gefchützteren Lagen auf der Infel fich fagen läfst. Freilich geht dabei heutzutage das Schafvieh maffenhaft zu Grunde, wenn bei fchwerem Schneefalle, welcher ihm das Herausfeharren des Futters auf der Weide unmöglich macht, von dem Befitzer nicht mit Stallfütterung nachgeholfen werden kann; aber auch von Floki wird bereits erzählt, dafs er feinen ganzen Viehftand während eines Winters, den er auf der Infel zubrachte, darüber einbüfste, dafs seine Leute über dem allzu eifrigen Betriebe der Fifcherei verßLumt hatten, rechtzeitig für einen genügenden Vorrath an Heu zu forgen l). Nicht minder wird der reiche Ertrag der Fifcherei hervorgehoben. Unter den Flufsfifchen werden zumal die Laxe, und neben ihnen allenfalls auch noch die Forellen erwähnt 2), wie denn auch der Name Örriöaä neben dem weit häufigeren Laxä für Bäche vor- kommt; von Secfifchen wird zumal der Dorfch genannt, welcher noch jetzt ein Hauptcrträgnifs des isländifch'^n Meeres bildet, und zwar feltencr unter diefem feinem Namen 3), als unter der Bezeich- nung skreiö, d. h. Zugfifch*), dann der Walfifch, welcher da- mals, von menfchlicher Verfolgung noch unbeirrt, fich furchtlos unter der isländifchen Küfte herumtummelte. Nebenbei wird allen- falls auch noch des ergiebigen Seehundsfanges gedacht, fowie der Vogelbcrgc, oder wider des vielfach vorhandenen Treibholzes; fogar des Seetanges (söl), welcher heutzutage noch im Weftlande gerne gegeflen wird ^), der wilden Beeren und der Angelikaftauden (hvannir), welche man noch jetzt in den Bergen zu fammeln pflegt ö), und nach welchen nicht wenige Ortsnamen auf der Infel gebildet find, wird in den Gefchichtsquellcn wie in den Rechtsbüchern nicht vcr- geffcn, obwohl diefs immerhin nur für einzelne Bezirke des Landes erhebliche Gegenftände find. AuflTäliig bleibt dem gegenüber aller- dings, dafs einerfeits an fehr vielen Stellen der Waldreichthum des

1) Landnania, I, cap. 2, S. 30.

2) Letztere z. B. in der Landn«*ima, V, cap. 12, S. 313:' ein Forellennel^, Gisla s. Sürssonar, II, S. 104;

3) Z. B.Kgsbk, § 211, S. 125, dann auch in dem Namen des |>urskafjö^^r.

4) Z. B. Eyrbyggja, cap. 53, S. 99: cap. 54, S. 99; cap. 63, S. 115: Gretlla, cap. 42, S. 98: Njdla, cap. 11, S. 18, u. dgl. m.

5) Kgsbk, g 186, S. 94; Eigla, cap. 81, S. 196; Sturlünga, I, cap. 12, S. 18, und II, cap. 11, S. 56.

6) Kgsbk, ang. O.; Flbk, II, S. 159 (Föftbnc6ras.).

Die RefchafTenheit des Landes. 13

Landes in der Vorzeit mit befonderem Nachdruck hervorgehoben wird, und dafs andererfefts auch eine lange -Reihe unverwerflicher Zeugniffe dafür fpricht, dafs vordem in diefem in weit gröfserem Umfange Getreide gebaut wurde als diefs gegenwärtig der Fall ift; indeflen dürfte doch auch hieraus ein Schlufs auf eine mildere Be- fchaffenheit des isländifchen Klimas zur Zeit der Einwanderung fich keineswegs ziehen laffen. Allerdings fagt fchon der alte Ari, dafs zu der Zeit, da die erften Einwanderer kamen, Island be- waldet gewefen fei von den Bergen bis zum Strande i), und änliche Angaben widerholen fich noch in gar manchen anderen Quellen; aber es kann nicht fchwer halten, alle diefc Zeugniffe auf ihren wahren Werth zurückzuführen. Zunächft ift nämlich darauf Ge- wicht zu legen, dafs nicht der geringfte Anhaltspunkt für die An- name geboten ift, dafs jemals Bäume anderer Gattungen auf der Infel gewachfen feien, als welche diefelbe noch heutiges Tages trägt. Wenn die, völlig unzuverläfTige, Svarfdajla von einem Eichbaume wifTen will, der im Svarfaöardale gewachfen und zum Bau eines Schiffes verwendet worden fei 2), fo liegt diefer ihrer Angabe augen- fcheinlich nur eine ganz willkürliche Deutung der Ortsnamen Eiki- brekka, Eikisfk zu Grunde; eikjbezeichnet nämlich im Isländifchen fchlechthin den Baum, wie denn gelegentlich der Ausdruck fogar von Bäumen gebraucht wird, auf welchen Aepfel wachfen^), und eiki wird, in der Dichterfprache wenigflens, theils in demfelben Sinne gebraucht, theils aber auch für das, aus Holz gezimmerte, Schiff als Bezeichnung verwendet, welches fonfl als eikja, ja auch wohl als eik bezeichnet wird*), und es kann demnach recht wohl auch diefe letztere Bedeutung dem Worte in jenen Ortsnamen zu- kommen. Wenn ferner ein paar Höfe im Eyjafjörör, auf Grfmsey, und dergleichen mehr den Namen Grenivfk tragen, fo ifl zwar diefer Name unzweifelhaft von grön, grani, d. h. Nadelholz, abzu- leiten, aber darum doch nicht aus demfelben auf ein früheres Wachfen von Tannen oder Fichten in der Nähe jener Oertlich- keiten zu fchliefsen, fondern weit eher an das Antreiben von Fich- tenftämmcn aus den dichten Waldungen Sibiriens zu denken, wie

1) tslendiugabök, cap. 1, S. 4; Landndma, I, cap. 1, S. 25^.

2) Svarfdiela, cap. 12, S. 141 -42.

8) Jömsvikfnga s., cap. 8, S. 9 und 12.

4) Vgl. Sveinbjörn Egilsson, Frit/.ner, GuÖbrand Vigfilsscm, h. v.

14 I^ic Befchaffenheit des Landes.

denn das Vorgebirge Grenitr^snes (Nesgranatre) in Weftisland er- wiefenermafsen wirklich von einem mächtfgen Treibholzftücke feinen Namen erhielt l). Weiterhin haben wir aber auch ebenfowenig irgend- welchen Grund anzunemen, dass der Baumwuchs auf der Infel innerhalb der gefchichtlichen Zeit jemals ein erheblich kräftigerer gewefen fei, als er diefs jetzt ift. Wenn 'in den Rechtsbüchern des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts von den Nutzungen die Rede ift, welche der Pächter von Land aus dem zu diefem gehörigen Walde von Rechtswegen ziehen darf2), fo wird nur von dem Be- züge von Nutzholz gefprochen, welches man zur Herftellung neuer Hausgeräthe oder zur Ausbeflerung der alten verwenden wollte, und felbft in diefem Falle foUte das neugefertigte Geräthe dem Lande verbleiben, wenn der Pächter abzog ; von dem Bezüge ferner von Reifig zur Herftellung von Miftbefen, und von Reifen zum Binden von Fäflern und Gefchirren; von dem Bezüge von AftJiolz zum Brennen von Kohlen für die Schmiede und das Dengeln der Senfen; endlich von dem Bezüge von Brennholz, welcher jedoch regelmäfsig auf den Fall befchränkt fein foUte, da es an Torf auf dem Lande fehlte und das Brennen von Holz auf dem Hofe über- haupt üblich war. Allerdings, wird dem gegenüber hin und wider auch von der Verwendung von Holz zum Hausbaue gefprochen, welches aus einheimifchem Walde genommen war 3); aber es wird dabei auch wohl bemerkt, dafs neben demfelben auch noch Treib- holz, oder vom Auslande her eingeführtes Zimmerholz verwendet worden fei 4), und in weitaus den meiften Fällen ift nur von diefem letzteren die Rede, wie denn insbefondere auch die Rechtsbücher der Venvendung des Treibholzes zum Hausbau fowohl als zur An- fertigung oder Ausbeflerung von Hausgeräthen Erwähnung thunö). Von einem aus isländifchem Holze gezimmerten Seefchiffe aber ift vollends nur ein einziges Mal in einer verläfsigen Quelle die Rede 6), während eine zweite Stelle, welche man etwa hieher beziehen möchte,

1) Landudma, II, cap. 23, S. 131; Gfsla s. Sürssonar, II, S. 140. Aenlich erklärt fich der Name des Furu^]ö^^r im Nordweften nach Egijcrt Olafsson, Reife igjcimem Island, S. 504.

2) Kgsbk, ? 220, S. 137 und 188; vgl. auch Arfa J.., cap. 17, S. 220— 21. 8) Z. B. Arfa J»., ang. ü.; Eyrbyggja, cap. 85, S. 63.

4) Z. B. LaxdKla, cap. 24, S. 96; Vigaglüma, cap. 19, S. 368.

5) Kgsbk, g 122, S. 233, i 220, S. 138.

6) Land n am a, l, cap. 14. Ö. 17.

Die Befchaffenheit des Landes. 15

nur von einem auf Island gezimmerten Schiffe fpricht, ohne anzu- geben, woher das zu feinem Baue verbrauchte Holz genommen worden fei i) ; aber felbft fiir jenen einzigen Fall fleht nicht feft, welcher Art und Gröfse das Fahrzeug gewefen fei, und wir wiffen ja, mit wie geringen Schiffen die alten Nordleute in See giengen. Im Jahre 1189 kam ein Schiff aus Grönland nach Island, mit einer Bemannung von 14 Köpfen, welches nur mit hölzernen Steften ge- nagelt, und mit Thierfehnen gebunden war 2); zu einem folchen mochte wohl auch geringeres Bauholz taugen. Man fieht aus der- artigen Angaben, dafs das im Inlande gewachfene Holz nur zu fehr untergeordneten Zwecken, und immer nur nebenbei verwendet wer- den konnte, während die grofse Maffe des Nutz- und Zimmerholzes, foweit das Treibholz nicht ausreichen wollte, aus Norwegen bezogen werden mufste, und man fieht auch aus der Sorgfalt, mit welcher felbft diefe geringeren Waldnutzungen rechtlich geregelt waren, welchen hohen Werth man fogar ihnen beilegen zu muffen glaubte; mit der Anname, dafs in jenen Zeiten ein guter Theil der Infel mit Hochwald beftanden gewefen fei, find derartige Notizen fchlcch- terdings unvereinbar. Nun pflegt man freilich auf Island vielfach geltend zu machen, dafs man in Torfmooren fowohl als in aufge- fchwemmtem Lande noch jetzt nicht feiten Baumftämme finde von weit gröfserer Dicke, als welche die Bäume derzeit zu erreichen pflegen; indeffen ift hiegegen zu bemerken, dafs man auch bereits in den Zeiten der erften Einwanderer mit dem Ausgraben derartiger Klötze (fauskagröptr) fich befchäftigte 3), und demnach doch wohl fchon damals im Falle war, auf diefelben Werth zu legen, dafs aber überdiefs nach bekannter Erfahrung Baumftämme hart am Boden oder auch unter dem Boden felbft im hohen Norden recht wohl eine ansehnliche Dicke gewinnen können, ohne doch darum zu einem entfprechend hohen Wachsthume zu gelangen. Nur Eines wird etwa aus diefen Ueberreften, und jedenfalls aus den oben er- wähnten gefchichtlichen Zeugniffen mit einiger Sicherheit fich folgern laffen, nämlich die Thatfache, dafs zu einer Zeit, in welcher der Menfch noch nicht feine zerftörende Hand an diefelben gelegt hatte, die isländifchen Waldungen fowohl , gröfserer Ausbreitung als un-

1) Kristni s., cap. 9, S. 17.

2] Islenzkir Anndlar, h. a.

3) Landndma, V. cap. 9, S. 303; Floamanna s., cap 5, S. 123: vgl. auch Kgbsk, i 99, H. 111.

Die licfchaffenheit des Landes.

geftörteren Wachsthumes fich erfreut haben mögen als diefs in fpäterer Zeit der Fall war, ganz \vie der Ertrag des Strandes an Treibholz ein ungleich gröfserer gewefen fein mufs, folange das feit Jahrhunderten angefammelte Gut noch unangegriffen beifammen lag; an eine Aenderung des Klimas dagegen, durch welche der fpecififche Charakter des isländifchen Waldes eine Umwandlung erfahren hätte, ift in alle Weite nicht zu denken i). Ganz änlich wie mit den An- gaben der Quellen über den Waldwuchs fteht es aber auch mit ihren Berichten über den Betrieb des Ackerbaues auf Island 2). Allerdings wird uns bereits von Hjörleif, dem Bundbruder Ingolfs erzählt, wie er feine Sklaven gezwungen habe bei Hjörleifshöföi den Pflug zu ziehen 3), und aus wenig fpäterer Zeit wird uns be- richtet, wie Skallagrimr zu Akrar in der Myrasysla, GuUf^örir auf Flatey, t>orvaldr Osvffsson auf den Bjarneyjar, Gunnarr Hämundarson bei HHöarendi, Höskuldr Hvitanessgoöi bei Ossabaer, ^örör Kol- beinsson auf einer Infel in der Hitarä Saatland hattet), dafs am Anfange des zehnten Jahrhunderts Kjallakr zu Kjallaksstaöir mit Geirmundr heljarskinn über ein auf den Skarösströnd gelegenes Stück Ackerland ftritt^), und dafs am Schlufse deffelben Jahrhun- derts Gefchick zum Ackerbau als gefuchte Eigfenfchaft eines Bauern- knechtes galt 6), dafs wider in etwas fpäterer Zeit Guömundr Arason die Aecker eines Bauern zu Skümsstaöir im Südlande weihte 7), und Bifchof Magnus Gizurarson auf den Hof zu Gufunes einen Mehlzins legte 8); in den kirkjumäldagar, d. h. Stiftungsbriefen für einzelne Kirchen im Lande, werden öfter theils Zinfe an Korn-

1) In der That hat bereits Eggert Olafsson in der Reife igjennem Island, I, S. 233 34, und öfter hervorgehoben, dafs nur durch die Schuld der Einwohner der isländifche Wald herabgekommen fei; ein einzelnes Beifpiel von Waldverwüftung habe ich in der Germania, Bd. VII, S. 246 mitgetheilt.

2) Vgl. des Jon Snorrason Tractatus historico-physicus de agricultura Islan- dorum (Kopenhagen, 1757), zumal S. 10 27, und des Baldviu Einarsson Auf- fatz Um akuryrkju, im Armann d aljjingi, II, S. G6 12G (Kopenhagen, 1839).

3) Landndma, I, cap. 6, S. 35.

4) Eigla, cap. 29, S. 68—59; Gullj»öris s., cap. 10, S. 58; Njala, cap. 9, S. 16; cap. 53, S. 82, und dazu cap. 67, S. 102, und cap. 76, 8. 112: cap. 112, S. 170; Bjarnar s. Ilftdcxlakappa, S. 22.

r>) Landndma, II, cap. 20, S. 125.

6) Njdla, cap. 36, S. 54.

7) Gubmundar bps. s., cap. 36, S. 466.

8) Sturhin ga, IV, cap. 21, S. 46.

Die Befchaffenheit des Landes. '['J

fruchten oder an Mehl, theils auch Befitzungen von Ackerland er- wähnt 1), und auch in den Rechtsbüchern ift oft gen^ug von Aeckern die Rede, fei es nun, dafs deren Theilung *'^), oder der auf ihnen angerichtete Viehfehaden 3), und dergleichen befprochen, oder dafs ihrer nur beiläufig in einer Formel Erwähnung gcthan werde*). Ganz abgefehen alfo von der langen Reihe von Ortsnamen wie Akr, Akrar, Akranes, Akratünga, Akrafjall, Akreyri, Akreyjar, Akrholt, Akrtraöir, und dergleichen mehr wird der Betrieb des Ackerbaues auf der Infel auch durch unmittelbare Ausfagen der verläfsigften Quellen vollkommen genügend bezeugt; ja aus dem Namen des Linakradals, welchen bereits die Landnäma nennt, möchte man fogar auf den gelegentlichen Betrieb des Flachsbaues fchliefsen. Aber doch hören wir auf der andern Seite auch, dafs es als etwas durchaus Ungewöhnliches galt, wenn ein einzelner, ganz befonders günftig gelegener Acker Jahr für Jahr feinen ficheren Ertrag lieferte &), und wir können hieraus fchliefsen, dafs es auch bezüglich der Brauch- barkeit des Landes für den Fruchtbau in der älteren Zeit auf der Infel nicht viel anders ftand als heutzutage, nämlich fo, dafs an wohlgefchützten Orten der Bau von Körnerfrüchten allerdings mög- lich, aber freilich wegen des fehr häufig fehlfchlagenden Ertrages kaum jemals recht lohnend ift. Wenn demnach zwar unleugbar der Feldbau vordem in weit gröfserer Ausdehnung betrieben worden ift als jetzt, wo deflen Betrieb im Grunde nur als eine Liebhaberei einzelner gröfserer Grundbefitzer zu betrachten ift, fo müflen doch die Gründe diefer Erfcheinung ganz anderswo gefucht werden als in einer Veränderung des Klimas oder der BodenbefchafTenheit. Gar mancher unter den erften Einwanderern mochte wohl den Frucht- bau, an welchen er von feiner Heimath her gewöhnt war, in viel weiterem Umfange verfucht haben als in welchem er fich hinterher durchfuhrbar und nutzbringend erwies. Die gröfsere Umficht und der angeftrengtere Fleifs, welchen man vordem, wie der Landes- cultur überhaupt, fo auch insbefondere diefem Zweige derfelbcn zu-

1) Diplom. Island., I, Nr. 61, S. 272: akigcrN; Nr. 62, S. 273, und Nr. 135, S. 522, ebenfo; Nr. 68, S. 280: salds sir(>i nic^rfiirt: Nr. 103, S. 403: akrlönd. Andere Belege giebt Jon Snorrason.

2) Kgsbk, ? 197, S. 106. * 3) Ebenda, § 200, S. 112.

4) Ebenda, § 2, S. 12; ? 48, S. 84; g 62, S. 112, u. f. w.

5) Vigaglüma, cap. 7, S. 340; Slurlünga, I, cap. 13, 8. 23. Manror, IkUiiü. ^

]ft Die Beschaffenheit des Landes.

gewandt zu haben fcheint, .mag in einzelnen Fällen die Aecker auch wirklich zu einem höheren Ertrage gebracht haben, als welchen fie gegenwärtig abwerfen. Die ungleich fchwierigere Zufuhr vom Aus- lande her mufste überdiefs felbft einen geringeren Ertrag der eige- nen Landwirthfchaft noch lohnend erfcheinen lafTen, während jetzt der fo fehr erleichterten Concurrenz der fremden Einfuhr gegenüber der Betrieb anderer Wirthfchaftszweige fich ungleich vortheilhafter erweift. Auf eine Veränderung in der natürlichen Befchaffenheit des Landes ift das Zurückgehen des Ackerbaues auf Island jeden- falls nicht zurückzuführen, und überdiefs haben wir uns den Um- fang feines Betriebes auch fchon für die Vorzeit nicht fo grofs vor- zuftellen, dafs er uns die Isländer als ein wefentlich Feldwirthfchaft treibendes Volk erfcheinen liefse.

Zu allem Ueberflufse find wir übrigens auf die Schlüfse nicht einmal befchränkt, welche wir aus dem bisher vorgefiihrten Materialc zu ziehen im Stande find. Einer Lebensbefchreibung des Bifchofs Guömundr Arason, welche er um das Jahr 1350 verfafste, fchickte nämlich der Abt Arngn'mr von ^ingeyrar eine kurze Be- fchreibung Islands voraus, welche hinreichend merkwürdig ift, um hier mitgetheilt werden zu muffen ^). Nachdem derfelbe erwähnt hat, dafs Guömund ^'m dem Lande, welches die Bücher Thile heifsen, die Nordleute aber Island nennen c gewefen fei, fährt er fort: »Man kann auch wohl fagen, dafs diefs der richtige Name fei für diefe Infel, denn Eis giebt es da genug, zu Waffer wie zu Land. Auf der See liegen folche Maffen von Treibeis, dafs fie mit ihrer unermefslichen Ausdehnung genügen um das nördliche Meer zu füllen, auf den Hochgebirgen des Landes aber fo un- fchmelzbare Gletfcher von übermäfsiger Höhe und Weite, dafs es denjenigen unglaublich vorkommen wird, welche in entfernten Lan- den geboren find. Aus diefen Berggletfchern rinnt gelegentlich ein reiffender Strom mit aufserordentlichem Getöfe heraus, und mit dem wüfteften Geftank, fo dafs davon die Vögel in der Luft fterben und die Menfchen und Thiere auf der Erde 2). Andere Berge giebt es

1) Gu^mundar bps. s. eptir Arngrim äböta, cap, 2, S. 5.

2) Von dem Fülaloekr, oder wie er fpäter zumeifl genannt wurde, der Jökulsa a Solheimasandi, (Landndma, IV, cap. 5, S. 250 51, und cap. 13, S. 273), berichten ernfthafte Reifende wie Eggert Olafsson, S. 797 98, Ebenezer llenderson, Iceland, I, S. 526, Paijkull, En Sommar pa Island, S. 64 5, u. dgl. m., wirklich folch üblen (ieruch, wenn auch das von deften tödtlichcr Wirkung Herichtete felliftverrtändlich auf Uebertreibung beruht.

Die Befchaffenheit des einwandernden Volkes. 19

in diefem Lande, welche fürchterliches Feuer auswerfen, mit fchwerem Ausfchleudern von Steinen, fo dafs man den Lärm und das Getöfe über das ganze Land hin hört, fo weit als man i68 Seemeilen rechnet herumzufegeln gerade aus von einem Vorgebirge zum andern; dabei kann diefes Schrecknifs von fo grofser Finfternifs vor dem Winde begleitet fein, dafs man im Hochfommer zur Mit- tagszeit feine eigenen Hände nicht unterfcheiden kann. Zu diefen Seltfamkeiten kommt noch, dafs im Meere felbft, eine Seemeile (viku sjäfar) fudlich vom Lande, durch ausbrechendes Feuer ein grofser Berg entftanden ift, während ein anderer dafür verfank, welcher vorher auf diefclbe W,eife entftanden wat. Siedende Quellen und Schwefel giebt es da genug. Wald giebt es da keinen, aufser Birken, und auch diefe nur geringen Wuchfes. Korn wächft an einigen wenigen Stellen im Süden des Landes, jedoch ausfchliefs- lich Gerfte. In der See gefangene Fifche und die Produkte der Viehwirthfchaft bilden dort die gemeinhin übliche Speife. Diefe Infel liegt fo nördlich unter dem Zodiacus, dafs ihr niedriger (? nörd- licher ?) gelegener Theil an einigen Stellen während eines Monats oder länger, am Ende Geminorum und Anfange Cancri, beftändigen Tag mit hellem Sonnenfcheine hat. In der Winterszeit aber, wenn die Sonne in Capricornu ift, fteht fie wenig über 4 Stunden des natür- lichen Tags über dem Hemifphärium diefes Landes, wenn auch weder Berge noch Wolken fie hemmen. Das Land ift vorzugsweife längs der See bewohnt, und läuft am Schmälften aus auf feiner Oftfeite und Weftfeite.c Man fieht, diefe Schildenmg entfpricht, wenn man von einigen wenigen naiven Uebertreibungen abfieht, ganz genau den derzeitigen Zuftänden der Infel, und ift demnach für die zweite Hälfte des hier in Betracht kommenden Jahrtaufends der unveränderte Beftand diefer letzteren durch ein in jeder Hin- ficht claffifches Zeugnifs vollkommen fichergeftellt; hinfichtlich der crften Hälfte diefes Zeitraumes aber fehlt uns wenigftens jeder quellenmäfsige Anhaltspunkt für die Anname einer durchgreifenden Umgeftaltung der natürlichen Befchaffenheit des Landes, während die hier allein möglichen Schlüfle aus zerftreuteren Quellenangaben umgekehrt auf wefentlich daflTelbe Ergebnifs hinausführen.

§ 3. Die Beschaffenheit des einwandernden Volkes.

Norwegifcher Abkunft waren im Grofsen und Ganzen die Leute, welche nach Island hinüberwanderten, wenn fie auch keineswegs

2*

20 l^*c Befchaflfenheit des ciiiwandernclen Volkes.

alle unmittelbar von Norwegen aus ihren Weg dahin namen; die Zuflände alfo, welche Norwegen am Schluffe des neunten und am Anfange des zehnten Jahrhunderts zeigte, muffen mafsgebend werden, wenn es gilt, den nationalen Charakter der erften Bevölkerung der Infel, fowie deren überkommene Einrichtungen in Bezug auf Staat, Recht, Sitte und Religion fich zur Erkenntnifs zu bringen. Diefe Zuftände aber waren in der hier in Betracht kommenden Zeit in einer ebenfo eigenthümlichen als fchwer aufzu- hellenden Krifis begriffen.

Bis gegen das Ende des achten Jahrhunderts herab fcheinen die Verhältniffe in Norwegen ziemlich deffelben Schlages gewefen zu fein, wie diejenigen, welche Tacitus bei unferen deut- fchen Stämmen kennen lernte und fchildcrte. Das Gefammtvolk zerfiel zunächfl in eine anfehnliche Zahl ganz kleiner Staaten (fylki), welche unter einander zumeift in gar keiner, im heften Falle aber wcnigftens nur in einer fehr lofen Verbindung ftanden, und welche felbft wider in eine Anzahl kleiner Gaue (h^röö) fich theilten, deren jeder ' mit weitgehender Selbftftändigkeit fich felber regierte. Die Leitung der einzelnen Gaue lag in der Hand einzelner Häuptlinge (hcrsar), wogegen ein an der Spitze des gefammten Volklandcs ftehender Fürft (fylkir) theils überhaupt nicht vorhanden gewefen zu fein, theils wenigftens nur eine fehr wenig befeftigte Stellung eingenommen zu haben fcheint; aus den Angehörigen beftimmter edler Gefchlechter (jarlar) fcheinen dabei diefe Häuptlinge hervor- gegangen zu fein, und den Königsnamen angenommen zu haben, wenn es gelang, die Würde bleibend an ein einzelnes Haus zu knüpfen. Gaukönige und Volklandskönige find hiernach zu unter- fcheiden (h^raöskonüngar; fylkiskonüngar), von denen die erfteren, wenn fie den letzteren unterthan waren, auch wohl als tributpflich- tige Könige (skattkonüngar) bezeichnet werden mochten ^). Als ein kräftiges Gegengewicht gegen eine fei es nun allzu ariftokratifchc oder allzu monarchifche Geftaltung des Staatswefens diente aber diefen Häuptlingen gegenüber eine fehr felbftbewufste Haltung der

1) Ich trete damit der AuffalTung der neueren noruegifchen Hifloriker ent- gegen, welche das Königthuni vom Hersenthume fcheiden, und auf eine Art von (iefolgsführerthum zurückführen wollen. Vgl über die Streitfrage, welche für diefen Ort ohne giofse Bedeutung ift, meine Anzeige der nachgelaffcnen Schriften K. Keyfer's in der Kritifchen Viertcljahre^fchrift für (icfct/gchung und RechtswifTen- fchaft, Ud. X, S. 370-74.

Die Befchaffenheit des einwandernden Volkes. 21

häufig zufamnieiitretenden Gau- und Landsgemeinden (heraösjjing; fylkist^ing), dann auch, foweit Völkerbündnifle dauernder Art fich bereits gebildet hatten, der zahlreich befchickten Bundestage (lög- |>ing; auch wohl alsherjar^fng) ; auf ihnen allen pflegte der ange- fehcnere Theil der Bauerfchaft das grofse Wort zu führen, und fic war es, welche in Fragen der Gefetzgebung oder Politik die ent- fcheidende Stimme abgab, und bei gerichtlichen Verhandlungen das Urtheil fällte. Die Ausdehnung und geringe Fruchtbarkeit des Landes bedingte dabei eine grofse Zerftreutheit der Wohnftätten, und fieberte eben damit jedem Einzelnen ein grofses Mafs freiefter Bewegung, und den kleineren wie gröfseren Kreifen innerhalb des Volksganzen den möglichften Grad 'der ungehemmteften Selbft- regicrung, während die Kleinheit der ftaatlichen VerhältniHe und das Vorwiegen der Landwirthfchaft über alle anderen Nahrungs- zweige zugleich keine allzu grofse Verfchiedenhcit der Stände, oder auch nur des Vermögensbefitzes aufkommen liefs. Die Religion der Nordleute endlich war eine zugleich nationale und nicht geoffen- barte. Keine Priefterkafte fchob fich bei ihnen zwifchen das Volk und feine Götter in die Mitte, keine Geheimlehre fchied eine wiffende ClaflTe von einer nicht wifTenden. Die gefammte Götterlehre war vielmehr jedem Einzelnen aus dem Volke gleichmäfsig zugänglich, und der gefammte Cultus ftand mit deffen übrigem häuslichem wie ftaatlichem Treiben in engfler Verbindung; die Familienfefte und die Volksverfammlungcn bildeten zugleich die Opferfcfte, bei welchen der Häuptling des Bezirks im einen, der Hausvater aber oder der Gefchlechtsältefte im andern Falle den Vollzug der religiöfen Ge- bräuche zu leiten hatte. Der Nationalcharakter aber des Volkes ireftaltetc fich unter dem concurrirenden Einflufse diefer beftimmcn- den Momente fehr eigenthümlich. Eine gewifle trotzige Selbftherr- lichkeit der auf ihrem freien Eigen gefeffenen Bauerfchaft, eine unbeugfame Zähigkeit im Fefthalten an den ererbten Anfchau- ungen und Rechten, endlich jene harte, tapfere Sinnesart, wie fie das ftete Ringen mit einer rauhen Natur und mit den taufenderlei Gefahren erzeugt, mit denen Meer und Gebirge Tag für Tag feine Bewohner bedroht, das find die hervorftechendften Züge in dem Charakterbilde, welches uns die altnordifchen Quellen von den Leuten ihrer eigenen Vorzeit entwerfen.

Seit dem Ende etwa des achten Jahrhunderts hatte fich nun aber eine durchgreifende Veränderung jener fchlichten Zu- ftände der alterten Zeit angebahnt. Verworrene Sagen wiflen von

22 l^ie Befchaffenheil des einwandernden Volkes.

gewaltigen innern Kämpfen zu erzählen, welche, durch die Herrsch- fucht einzelner Häuptlinge veranlafst, zur Bildung umfaffcnderer Reiche führten. Der ftreng gefchichtliche Werth dicfcr Berichte ift allerdings recht fehr angreifbar, und dürften die Könige Haraldr hilditönn und Sigurör hringr, dann Ragnar loöbrok und deffen Söhne kaum mit viel höherem Rechte als hiftorifche Perfönlichkeiten be- trachtet werden, als diefs etwa bei Hrolfr kraki und Aöils, Ivarr viöfaömi oder Frööi hinn friösami zuläfsig wäre ; aber doch kann die Thatfache nicht beftritten werden, dafs die von den auf fie bezüg- lichen Sagen angedeutete Bewegung um die Mitte des neunten Jahrhunderts, mit welcher ein helleres Licht für die Gefchichte Nor- wegens anbricht, bereits im .vollften Gange war. Die Umwälzungen nämlich, zu welchen diefelbe führte, und die Erfchütterungen, von welchen fie begleitet war, konnten nicht umhin, auch nach Aufsen ihre Wirkungen geltend zu machen, und in den Zeugniffen fremder Gefchichtsquellen über VorkommnifTe, welche wir als Ausflüfse jener inneren Bewegungen zu betrachten haben, finden wir demgemäfs ein willkommenes Mittel für die Beftimmung der Zeit, in welcher diefe letzteren einigermafsen mächtiger anzufchwellen begannen. Irifche und wälfche, angelfächfifche und fränkifche Quellen bezeugen übereinftimmend das maffenhafte Auftreten norwegifcher fowohl als dänifcher Heerfchiffe an den Küften der britifchen Infein und des Frankenreichs, ja felbft Spaniens und Italiens, welches mit dem Schlufse des achten Jahrhunderts beginnt, und nur in einer mäch- tigen Gährung feine Erklärung finden kann, welche damals die Zuftände des Nordens felbft erfafst hatte, während andererfeits jene Heerfahrten allerdings auch wider treibend und zerfetzend auf jene inneren Zuftände zurückwirken mufsten. Nach beiden Seiten hin ift der Zufammenhang der Dinge fehr leicht zu erkennen. Nur auf Koften bisher ihm gleichftehender BezirksGirften vermochte der einzelne glückliche Eroberer zu gröfserer Ausdehnung feiner Herr- fchaft zu gelangen ; zahlreiche Häuptlingsgefchlechter mufsten fomit durch jede in diefer Richtung gelungene Unternemung aus ihrer ererbten Stellung verdrängt, und foweit fie fich nicht zur Unter- werfung unter den Sieger bequemen mochten, zur Flucht in das Ausland genöthigt werden, fei es auch nur um dort einen Stütz- punkt für die weitere Fortfetzung des Kampfes zu fuchen. Nicht immer mochte es dabei gelingen, in nächfter Nähe, bei andern nor- wegifchen Kleinkönigen etwa, ein »Friedensland« (friöland) zu finden, und felbft, wenn diefes gelang, mufste es fchwer halten, für die

Die UefcliafTenheil des» einwandernden Volkes. 23

Mannfchaft, welche ihrem P'ürftcn in die Verbannung gefolgt war, und deren er bedurfte um das verlorene Reich wider zu erkämpfen, den nöthigen Unterhalt zu befchaffen ; in beiden Fällen bot dagegen die Heeruiig in entlegeneren Landen einen erwünfchten Ausweg, indem fie zugleich die abgängigen Mittel zu ergänzen, und den eigenen Anhang in fteter Kriegsübung und Kampfesluft zu erhalten geftattete. So bedingt denn die Bildung gröfserer Reiche im Norden den Beginn jener kriegerifchcn Zeit, welche von dort auslaufende Raubfchiffe alle Meere und Küften des Südens und Weftens un- ficher machen läfst, jener Zeit, welcher es als felbftverftändlich galt, dafs Jahr für Jahr beim Beginne der beffern Zeit zu irgend einer kriegerifchen Unternemung ausgezogen werde, und welche eben darum das altherkömmliche Sommeropfer, welches urfprünglich ficherlich nur in gut bäuerlicher Weife flir gutes Wachsthum der Feldfrüchte gebracht w'orden war, in ein »Siegesopfer« verkehrte ^). Es begreift fich, dafs diefe maffenhaften Heerfahrten nicht ohne l^inwirkung auf den Volkscharakter bleiben konnten. Eine zahl- reiche Claffe wilder Heergefellen mufste fich in Folge derfelben bilden, welche aus Kampf und Streit ihren Lebensberuf, und aus Raub und Plünderung einen ftändigen Erwerbszweig machte; aber auch in den von der Bewegung minder unmittelbar und minder tief erfafsten Kreifen mufste fich wenigftens eine gewifle Unruhe und eine Erschütterung der bisherigen Zufriedenheit mit den alten, befchränkten Verhältniflen geltend machen, und auch in diefcn ftilleren Kreifen kehrten fich fortan der Natur der Sache nach die herberen und rauheren Seiten des Nationalcharakters nur um fo einfeitiger heraus. Aber auch noch von einer ganz andern Seite her fcheint ziemlich gleichzeitig ein weiteres Ferment in das nor- wegifche Volksleben hineingetragen worden zu fein. Von Anfang an dualiftifch angelegt, hatte das nordifche Heidenthum die beiden Glieder feines Dualismus, die Götter alfo und die Unholde, allmälig wider weiter abgeftuft, die Zahl der übernatürlichen Wefen innerhalb jeder fo gebildeten Gruppe fortwährend vermehrt, endlich auch feine fämmtlichen Götter und Wichte immer menfchenänlicher aus- gebildet. Das von jeher in ihm waltende mythologifche Princip

1) Die Heims kr. Vnglinga s., cap. 8, S. 9 fpricht, die 8 grofsen Jahrcs- opfer aufzählend, bereits von einem sigrblöt; die Olafs s. helga, cap. 115, S. 340 redet dagegen, offenbar alterthümlicher, von einem fagna sumri, den Sommer bc- grüfsen.

24 l^ic BcfcliafTenheit des einwandernden Volkes.

war damit auf die Spitze getrieben; eben damit war aber auch für jedes einigermafsen tiefer blickende Auge der Widerfpruch blos- gelegt, welcher zwifchen dem fpeculativen Inhalte der nationalen, Religion und ihrer äufseren Einkleidung befland. Das Syftcm der heidnifchen Götterlehre, wie wir es uns aus den zu Gebote ftchen- den Quellen zu conftruiren vermögen, zeigt die unverkennbarften Spuren diefer inneren Erfchütterung, welche um fo verderblicher wirken mufste, weil dem Norden heilige Bücher fehlten, an deren Hand eine Läuterung der vergröberten Lehre fich hätte vollziehen können. Die allzu menfchenänlich gewordenen Götter werden bereits nicht mehr als die crften Schöpfer, nicht mehr als die oberften Lenker diefer Welt betrachtet, vielmehr fucht das grübelnde Volk fchon hinter und über ihnen nach urfprünglicheren und erhabeneren Mächten; ja felbft auf ewige Dauer vermag die herabgekommene Götterwelt keinen Anfpruch mehr zu erheben, vielmehr erwartet fic in banger Ahnung bereits ihren einftigen Untergang in der graufigen Götterdämmerung, und nur in unficheren Zügen erfcheint vorge- bildet, was hinter diefem Schlufsacte des derzeitigen Weltfyftemes kommen werde. Thatfächlich ftand es aber um den alten Glauben noch ungleich fchlechter, als deffen Lehre es erwarten liefs. Neben dem crafleften Aberglauben, welcher in dem finfterftcn Zaubertreiben fowohl als in einem blutigen Opferdienfte fich ausfpricht, tritt jetzt als deutliches Symptom des einbrechenden Verfalles einerfeits ein fcharf und trotzig ausgeprägter Unglaube auf, gepaart mit dem übermüthigen Vertrauen auf des Mannes eigene Kraft und Stärke, andererfeits aber auch ein eigenthümlicher Hang zu einer gewiffen

' myftifch-fpiritualiftifchen Speculation, welche, von aller Mythologie fich abkehrend, doch den Glauben an die Exiftenz einer höheren Macht nicht aufgeben will, die mit fittlichem Ernfte über den Ge-

fchicken der Menfchenwelt wache.

So hatte fich demnach in religiöfer wie in politifcher Hinficht die alte Zeit in Norwegen ganz gleichmäfsig überlebt; von Innen heraus waren die überlieferten Zuftände nach beiden Richtungen hin faul geworden, wenn auch die Macht der Gewohnheit immerhin noch grofs genug war, um hier wie dort jeder Neubildung den zäheften Widerftand entgegenzufetzen. Nach beiden Seiten hin mufsten felbftverftändlich die Berührungen, in welche die immer maflenhafter anfchwellenden Heerfahrten das Volk mit fremden Nationen, und zumal mit den höher cultivirten Bevölkerungen des chriftlichen Abendlandes brachten, die ohnehin fchon vor-

Diu Hefchaffenhcil des einwandernden \'olkcs. ^'j

lidiidcne Gährung ausbreiten und fteigcrn; dicfe Berührungen aber namen bald einen weit innigeren Charakter an, als welchen fic von Anfang an getragen hatten, und wurden eben damit nur um fo wirkfamer. Hatte man fich Anfangs auf die Heerfahrt nur verlegt, um durch Plünderungen und Brandfehatzungen den eigenen Bedarf aufzubringen, fo fieng man hinterher, als man fich bleibend aus der nordifchen Heimat verdrängt fah, auch wohl an, ftatt vorüber- gehender Beute in der Ferne fich bleibende Unterkunft zu fuchen, fei es nun dafs man mit dem Schwerdt in der Kauft eine eigene Herrfchaft im fremden Lande fich zu erkämpfen wufste, oder dafs man im Solddienfte eines ftammverwandten oder felbft national- fremden Fürften eine zugleich angefehene und gewinnbringende Stellung fich zu erringen beftrebt war. Während die kleineren Infel- gruppen, die Orkneys zumal und die Hebriden, weiterab aber auch wohl Shetland und die Fa^röer, den nordifchen Heerleutcn wcfent- lich nur als Durchgangspunkte dienten, über welche fie ihren Weg weiter weftwärts und füdwärts namen, und als Schlupfwinkel, nach welchen fic fich je nach Umftänden zurückzogen, um bei günftiger Gelegenheit aus denfelben wieder hervorzubrechen, bildeten fich in Irland wie in Schottland, in England und im Frankenreiche fchon gegen die Mitte des neunten Jahrhunderts, und von da ab immer häufiger norwegifche Niederlaffungen bleibenderer Art, mochten dicfe nun in vollkommener Unabhängigkeit lediglich unter ihren eigenen Königen ftehen, oder als blofe Graffchaften, Herzogthümer oder Eorlthümer eine gewifle Oberhoheit fremder und chriftlichcr Regenten anerkennen, und an den Höfen der einen wie der andern ClaflTe von Herrfchern fehlte es nicht an zahlreichen Schaaren ftrcit- barcr Dienftleute geringerer Art, welche von Ort zu Ort ziehend bald hier bald dort ihre Dienfte vermictheten. Den entfcheidcnden Impuls gab diefer neuen Wendung der Dinge fchiefslich der aufscr- ordentliche Erfolg, von welchem K. Harald harfagri's Auftreten in Norwegen begleitet war. Als es ihm nach harten Kämpfen ge- lang, feine Herrfchaft über ganz Norwegen auszubreiten, mufste fich zunächft die Zahl der Häuptlinge fehr erheblich mehren, welche jenfeits der Weftfee eine Zufluchtsftätte zu fuchen genöthigt waren ; daneben aber bewirkten harte fiskalifche Mafsregeln, zu welchen der König griff um durch ausgiebige Steigerung feiner Einkünfte die Mittel zu glänzenderer Belohnung feiner Anhänger zu gewinnen, dafs neben den Häuptlingen auch die höheren Schichten der bäuer- lichen Bevölkerung Norwegens von einer tiefen Misftimmung erfafst

26 I^ic Bcfchaflciilicit des einwamlcnulen V'ulkcs.

wurden, und dafs auch ihnen der Aufenthalt in der Heimat guten- theils verleidete ^). Eine mafTenhafte Auswanderung aus Nonvegen war die Folge diefer Umwälzungen, und zwar eine Auswanderung, an welcher fich nunmehr auch der Kern der Bauerfchaft betheiligtc. Auf der skandinavifchen Halbinfel fclbft wurde nunmehr Jemteland und Helfmgland bevölkert, Beides bis dahin nur höchft fpärlich be- wohnte Landfchaften. Im Werten mehrte fich die Zahl und Aus- dehnung der norwegifchen Niderlaffungen in Irland und Schottland, in Nordengland und im Frankenreiche, in welchem letzteren eben jetzt Göngu-Hrölfr das Herzogthum Normandie fich gründete. End- lich aber begann fich jezt auch der Strom der Einwanderung nach dem kürzlich entdeckten Island zu richten, und wenn die kleineren Infelgruppen der Orkneyjar und Suöreyjar auch jetzt noch vorzugs- weife nur als Stützpunkte für Seekönige gefucht waren, welche Sommer für Sommer in Norwegen zu beeren gedachten, fo wandten fich umgekehrt nach Island mit Vorliebe diejenigen, welchen es nicht um kriegerifche Abenteuer und glänzende Eroberungen, f(^n- dern nur um eine ruhige Heimat und Sicherftellung gegen alle Be- drückungen der neuen Militärmonarclüe zu thun war 2). So grofs war die Zahl der Auswanderer, welche fich nach der Infel wandte, dafs K. Harald die Fahrt dahin fchlechthin verbot, um nicht das eigene Land der Verödung ausgefetzt zu fehen, hinterher aber, als er fich von der Nutzlofigkeit diefer Mafsregel überzeugte, diefelbe wenigftcns mit einer nicht unbeträchtlichen Steuer (den landaurar) belegte 3). Es verftcht fich übrigens von felbft, dafs dabei die urfprüngliche Wahl eines Zufluchtsortes nicht immer zugleich eine bleibende war. Sehr häufig zogen vielmehr zumal Männer, welche in ihrer Jugend an dem bewegteren Kriegertreiben im Werten Ge- fallen gefunden hatten, in reiferen Jahren vor, nach ruhigeren Wohn- fitzcn fich umzuthun ; durch eine Unternemung, welche er feinerfeits gegen die wertlichen Infein richtete, gab überdiefs K. Harald felbft den Anrtofs für die Ueberfiedelung zahlreicher dafelbrt fefshaft ge-

1) Vgl. meine Abhandlung »Ueber die Einziehung der norwegifchen Odels- güter durch K. Harald hdrfagri,« in der Germania, Bd, XIV, S. 27 -40, fu^ic J. K. Sars, »Om Harald Haarfagres Sämling af de norske Fylkcr og hans Tilcg- nelse af Odelenr, in der Hiftorisk Tidsskrift, Bd, II, H. 171—237.

2) Vgl. zumal Heimskr. Haralds s. hdrfagra, cap. 20, S. 62—3: Eigla, cap. 4, S. 6—7; Laxdsela, cap. 2, S. 2-4; Vatnsdcela, cap. 10, S. 20: u. dgl. m.

3) tslendCngabök , cap. 1, S. 4 5.

Die Befchaffenhcit des einwandernden Volkes. 27

wordener Schaarcn nach Island. Die fortwährenden Einfälle, durch welche die nach den Weftlanden entwichenen Häuptlinge Norwegen heimfuchten, veranlafsten nämlich den König zu einem Heerzuge, welcher zu einer, freilich nur fehr precärcn, Unterwerfung der klei- neren Infelgruppen unter feine Oberhoheit führte, und die Folge dicfer Thatfache war, dafs nicht wenige Männer, welche zunächft auf ihnen ihren Aufenthalt gewählt hatten, nunmehr nach Island hinüber flüchteten. Dem K. Harald verdankt demnach die Infel nicht nur diejenige Bevölkerung, welche ihr fo maflenhaft direfl aus Norwegen felbft zuftrömte, fondern auch gutentheils jene an- deren Zuzügler, welche von Irland, Schottland und den umliegenden Infein aus herüberkamen. Es konnte aber nicht fehlen, dafs die vielfachen Verbindungen, welche hier von den nordifchen Heerleuten mit den einheimifchen Fürfteh und deren Unterthanen angeknüpft worden waren, auf die von hier aus nach Island hinüberwandernden Coloniften gar mancherlei Einflufs gewannen, und wenn zwar die pofitiven Einwirkungen der keltifchen Nationalitiet und des in ihr bereits fefl eingewurzelten chrilllichen Glaubens kaum fehr hoch angefchlagen werden dürfen, fo ift doch wenigftens die negative Bedeutung nicht zu verkennen, welche beide durch den Vorfchub gewannen, den fie dem ohnehin bereits im Gange begriffenen Zer- fetzungsprocefTe der nordifchen Ueberlieferungen leifteten.

Bunt genug w-aren hiernach die Elemente gemifcht, aus welchen fich die erfle Bevölkerung Islands zufammenfetzte. Die grofse MalTc zwar der Einwanderer war norwegifcher Abkunft; aber doch fehlte es unter ihnen nicht an Männern, welche andern Nationali- ta^ten angehörten. Ausdrücklich werden uns unter den erflen Colo- niften Leute fchwedifcher oder götifcher Abkunft genannt, wogegen, \ aufTallig genug, nicht ein einziger Mann unzweifelhaft dänifchen » Stammes unter ihnen erwähnt wird l). Auf eine Betheiligung der füdlichen Abtheilung des germanifchen Gefammtvolkes weifen nur ganz vereinzelte Spuren, wie etwa wenn eine angelfächfifche Königs- tochter als die Frau eines einwandernden Nordmannes 2), oder gar eine Flamländerinn als die Mutter eines einwandernden Goten ge-

1) Vgl. Munch's Bemerkninger ved det i Danmark stiftede kongel. nurdiske Oldskriftsclskabs Virksomhed med Hensyn lil gammeluordisk Literatur og Hiflorio- graphie, in deffen Samlede Afhandlinger, Bd I, S. 126—27.

2) Landnama, T, cap. 10, S. 40; IV, cap. 7, S. 257.

28 1^'^' UefcliafTenheit des einwandernden Volkes.

nannt wird 1) ; um fo zahlreichere Belege finden fich dagegen für eine nicht ganz unbedeutende Theilname des keltifchen Stammes an der Einwanderung. Namen wie Dufan, Dufgiis, Duf{>akr, Dufnjall, Kaiman, Kylan, Kjaran, Kjallakr, Konäll, Njäll, oder wie Myrün, Myrgjol, u. dgl. m. bezeugen zwar nicht nothwendig die keltifche Abkunft ihres Trägers ; aber nicht feiten läfst fich die keltifche Na- tionalitzet diefes letzteren, oder doch die Beimifchung keltifchen Blutes in feinem Stammbaume anderweitig nach weifen, und felbft wo diefs nicht der Fall ift, läfst doch der Name felbft auf irgend welche nähere Beziehungen der betreffenden Perfon zu Angehörigen des keltifchen Starhmes fchliefsen, welche kaum ohne allen Einflufs auf deren nationale Färbung bleiben konnten. Widerum waren von den Männern des reinften norwegifchen Blutes doch gar manche in fremden Ländern geboren oder doch lange Jahre hindurch wohn- haft gewefen, und auch diefe konnten unmöglich von den fie um- gebenden fremden Culturelcmenten fich völlig unberührt erhalten; auf Andere aber, welche nirgends einen bleibenden Aufenthalt ge- nommen hatten, mufste wenigftens das wilde Abenteurerleben ein- wirken, dem fie fich geraume Zeit hindurch hingegeben hatten. Von Denjenigen endlich, an welchen auch derartige Einflüfse fpurlos vorübergegangen, oder welche etwa unmittelbar aus Norwegen nach Island herübergekommen waren, zeigte fich ein guter Theil wenig- ftens mehr oder minder von jener inneren Fäulnifs angegriffen, welche die althergebrachten Anfchauungen und Einrichtungen des Stammlandes befallen hatte. Am Leichteften läfst fich diefe Buntfeheckigkeit der erften nordifchen Bevölkerung Islands auf dem religiöfen Gebiete nachweifen, auf welchem die erften Einwanderer eine wahre Mufterkarte der verfchiedenartigften Bekenntniffe zeigen. Vor Allem fehlt es unter ihnen nicht an einer Anzahl gläubiger Heiden, deren erfte Sorge darinn befteht, in der neuen Heimat ihren ererbten Göttercultus fofort unverändert wider einzurichten. Manche unter ihnen bringen, wie torölfr Mostrarskegg oder ^örhaddr hinn gamli^), ihren alten Tempel oder doch deflen heiligfte Be- ftandtheile bereits aus Norwegen mit herüber, um ihn an ihrer neuen Wohnftätte einfach w^ider aufzuftellen. Andere rechnen wenig- ftens den Tempelbau zu ihren dringendften Gefchäften bei der

1) Ebenda, III, cap. 11, S. 200.

2) Eyrbyggja, cap. 4, S. 5 6; Landnama, IV, eap. 6, S. 254.

Die Befchaffenheit des einwandernden Volkes. 29

Niderlaflung auf der Infel, und fcheuen nicht die .beträchtlichen Koften von Bauten, welche in einzelnen Fällen bis zu 120 Fufs Länge und 60 Fufs Breite hatten l). Die grofse Zahl auf den Tempeldienft hinweifender Ortsnamen wie Hof, Hofstaöir, Hofgaröar, Hofsfell, Hofsvogr, Hofsteigr, u. dgl. m. zeigt, dafs diefer Gläubigen gar nicht wenige gewefen fein können; neben diefen orthodoxen Bekennern des Asenglaubens kommen aber auch Anhänger eines gröberen Aberglaubens mehrfach vor. Ein l>örir snepill wird uns genannt, welcher einem Haine, ein Eyvindr Loöinsson, welcher ein paar Felsklippen, ein ^orsteinn rauönefr, welcher einem Waflerfalle göttliche Verehrung envies^), und wenn von Schutzgeiftern die Rede ift, welche als Snaefellsass oder Svfnfellsass bezeichnet werden, und welche in Bergen oder Steinen wohnen follen, fo deutet fchon deren Name auf eine bedenkliche Trübung des alten Götterglaubens hin. Weiterhin wird uns fodann auch von Leuten gefprochen, welche alles Glaubens baar find. Ein Bersi goölaus wird uns genannt 3), und wider ein Hallr goÖlaus fammt feinem Sohne Helgi goölaus, von welchen letztern ausdrücklich erzählt wird, dafs fie nur an ihre eigene Kraft glaubten, und nicht opfern mochten*). Auch fchon von Ingölfs Bundbruder, Hjörleifr Hröömarsson, heifst es, dafs er nicht opfern wollte, was jener Erftere freilich nicht loben wollte 5); von Asgeir kneif wird aber fogar berichtet, dafs er »aus eigenem An- triebe«, das heifst doch wohl ohne vom Chriftenthume Etwas zu wiflen, das Opfern aufgab 6). Es ift ficherlich nur zufallig, dafs von Männern jener myftifcheren Richtung, welche ihre Verehrung einem unbekannten Gotte zuwenden, den fie durch Werke der Barm- herzigkeit zu ehren beftrebt find, erft aus etwas fpäterer Zeit Bei- fpiele zu Gebote ftehen. Ich zähle dahin den |>orstein Ingimundarson, welcher beim Tode feines alten Valters (um 935), und wider ge- legentlich der Geburt des l>orkell krafla (um 940) im obigen Sinne fich ausfpricht?); den Äskel goöi (f um 970), welcher gelegentlich

1) Vatnsdajla, cap. 15, S. 26; Kjalnesinga s., cap. 2, S. 402.

2) Landndma, III, cap. 17, S. 224 und 225; V, cap. 5, 8. 291.

8) Landndma, II, cap. 4, S. 71—72, u. cap. 32, S. 160; Eigla, cap. 56, S. 121; Grettia, cap. 58, 8. 131.

4) Landnäma, I, cap. 11, S. 40.

5) Ebenda, cap. 6, S. 33, und cap. 7, S. 85—86.

6) Ebenda, V, cap. 2, 8. 278, Anmerkung 9 (Hauksb('>k).

7) Vatnsdiela, cap. 23, 8. 38, und cap. 37, 8. 59 60; wegen der Zeil- l>eflininiung vgl. Gu^brand Vigfiissou im Safn til sögu Islands, I, 8. BJ^O- 81,

30 I^'c BeschafTenheit des einwandernden Volkes.

einer fchweren Hungersnoth ftatt aller andern Gelübde den Schöpfer dadurch geehrt wiflen will, dafs man alle Hülfsbedürftigen auf ge- meinfame Koften ernähre l), und den Arnör kerlingarnef, welcher in einem gleichen Falle ganz änlich handelt 2); den Gefetzfprecher t>orkel mäni (y 984), einem Enkel Ingolfs, von dem es heifst, er habe fich fterbend in den Sonnenfchein hinaustragen laffen, um fich in die Hand des Gottes zu befehlen, der die Sonne gefchaffen habe, und welchem zugleich das Zeugnifs gegeben wird, dafs er als Heide fo rein gelebt habe, wie diefs nur der befte Chrift zu thun vermöge 3), u. dgl. m. Sehr oft wird aber auch von einzelnen Chriften Erwähnung gethan, welche vom Werten her nach Island hinübergewandert feien, und was von ihnen erzählt wird, läfst ganz befonders deutlich erkennen, wie wunderlich gemifcht die Glaubens- verhältnifle der erften Anfiedler waren*). Da hatte fich zunächft ein angefehener Häuptling, Ketill flatnefr, in Irland taufen laffen, mit allen den Seinigen, einen einzigen Sohn ausgenommen, welcher es für unwürdig hielt, den ererbten Glauben aufzugeben; hinterher geht dann aber nicht nur der heidnifch gebliebene Björn austraeni, fondern auch deffen getaufter Bruder Helgi bjola, die Schwerter Auör djüpauöga mit ihrem ganzen Haufe, eine zweite Schwerter, l>örunn hyrna, mit ihrem Manne, Helgi hinn magri, fowie eine dritte, Jörunn manvitsbrekka, mit ihrem Manne, Ketill hinn fiflski, nach Island hinüber. Trotz aller Glaubenstrennung bewahrt AuÖr, die eifrige Chrirtinn, ihrem heidnifchen Bruder die treuerte Anhänglich- keit ; Helgi aber mifcht felber in verwirrterter Weife heidnifchen und chrirtlichen Glauben durch einander. Ein Neffe Ketills, Örlygr hinn gamli, kommt ebenfalls als Chrirt nach Island hinüber, und baut dort fofort dem heiligen Kolumba eine Kirche; aber auch er hat wider an t>6rör skeggi einen eifrig heidnifchen Bruder. Als zwei weitere Chrirtcn werden Jörundr hinn kristni und deffen Neffe, Äsolfr alskikk, genannt; aber beide ergeben fich einem einfiedlerifchen Leben,

1) Vigaskiltu s., cap. 7, S. 248.

2) Jüngere Olafs s. Tryggv as o nar , cap. 226 (FMS., II, S. 220—27): Flbk, I, l 346, S. 438.

3) Landnitma, I, cap. 9, S. 38; jüngere Olafs s. Tryggvasonar, cap. 117, S. 242; Flbk, I, g 215, S. 263.

4) Man findet die QuellenzeiignifTe über die chriftlichen Einwanderer zufammen- geflellt in meiner Schrift: Die Bekehrung des norwegifchen Stammes zum Chriften- thume, Bd. 1, S. 90 107, und ebenda wird auch das Detail der hieher bezüglichen Berichte befprochen.

Die BefchaflTenheit des ein wandernden Volkes. 31

weil fie mit den Heiden, und wohl auch die Heiden mit ihnen, nicht zufammenfein wollten. Waren doch auch jene wenigen irifchen Anfiedler, welche fich fchon vor der Entdeckung Islands durch die Xordleute auf der Infel niedergelaflen hatten, vor der heidnifchen Einwanderung entwichen, während bei den einziehenden Heiden der aus einer gleichen Scheu hervorgegangene Glaube fich bildete, dafs kein Heide an einem Orte feines Lebens ficher fei, an welchen Papar gewohnt hatten! In politifcher Beziehung mochten nun freilich die von Irland oder Schottland herübergekommenen Nord- leute noch weniger Culturelemente in fich aufgenommen haben als in religiöfer, und der Umftand, dafs es gerade die ftandhafteften An- hänger der altnorwegifchen Staatsordnung waren, welche die alte Heimat räumten, läfst auf diefem Gebiete fogar ein fehr zähes Feflhalten an den Ueberlieferungen der Vorzeit erwarten; indeffen machen fich doch auch in diefer Richtung dem Herkommen feind- liche Einflüfse fehr entfchieden geltend, wenn fie auch von ganz anderer Seite herkommen, als auf dem religiöfen Gebiete. Einmal nämlich ift klar, dafs das unruhige Kriegerleben, wie es die längere Heerfahrt oder auch der Kampf um neu zu erobernde Wohnfitze grofsgezogen hatte, eine Unftätigkeit und Gewaltfamkeit des Sinnes, und eine wilde Streitluft erzeugen mufste, welche nur fchwer mit irgendwelcher ftaatlichen Ordnung fich vertrug. Gewöhnt an rafche That, und ftets dem Grundfatze folgend, dafs Macht vor Recht gehe, waren die in jener Schule von Blut und Eifen aufgewachfenen Männer das möglichft fchlechte Material, wenn es fich um die Her- ftellung eines geordneten Staatswefens handelte. Aufserdem aber, und diefer Umftand mufste fich auch bei jenen anderen Einwan- derern geltend machen, welche durch kein Abenteurerleben de- moralifirt, direft aus Norwegen herüberkamen, aufserdem hatten die Auswanderer mit ihren alten Wohnfitzen nothwendig auch alle und jede ftaatliche Organifation aufgeben müflen. Nicht gefchloffenc Volksabtheilungen waren es, welche als folche aus Norwegen aus- zogen, um fich in der Ferne eine neue Heimat zu begründen, fondern einzelne Häuflein, welche, blofe Splitter eines Volksganzen bildend, von diefem fich loslöften, um je auf eigene Fauft in der Fremde ihr Glück zu verfuchen. Mehrentheils waren es nur einzelne Männer, welche mit Weib und Kind, Sklaven und freien Dienft- boten, höchftens noch etwa von einzelnen Freunden oder Bekannten begleitet, die fich ihnen anfchliefsen mochten, die Fahrt nach dem neuen Lande unternamen; aber fogar in den felteneren Fällen, da

32 l^'c Bcfchaffenheit des einwandernden Volkes.

das einzelne Unternemen gröfsere Dimenfionen annam, und da einzelne Gau- oder Volksfiirften fich an deffen Spitze ftellten, bildete fich die unter ihren Befehl tretende Schaar doch immer nur aus beliebig zufammengelaufenen Leuten, von denen ailch wohl der eine und andere den gewählten Führer unterwegs wider verliefs, wenn fich ihm eine günftige Gelegenheit zu einem ihm beffer zu- fagenden Fortkommen gerade zu eröffnen fchien. Wenn demnach einerfeits alle Theile Norwegens, von Hälogaland ab bis nach Vikin und den Upplönd füdwärts, an der Colonifation der Infer betheiligt find 1), fo halten andererfeits in der fchweren Zerrüttung, welche über Land und Volk hereingebrochen war, nicht einmal die An- gehörigen jedes einzelnen Gefchlechtes fcft zufammen, vielmehr finden wir oft genug einzelne Glieder eines und deffelben Haufes unter den Ausziehenden genannt, während andere im Stammlande zurückbleiben und mit deffen neuem Machthaber fich vertragen, und fogar dann, wenn verfchiedene Angehörige eines Haufes fich gleichmäfsig nach Island wenden, fehen wir folche gar häufig zu ganz verfchiedenen Zeiten und von ganz verfchiedenen Orten aus dahin abgehen, dann auch an ganz verfchiedenen Punkten der Infel fich niederlaffen. Wenn demnach zwar in Norwegen das maffen- hafte Ausftrömen der Bevölkerung fo gewaltige Lücken rifs, da^ K. Harald wie oben bemerkt mit künfüichen Mitteln der Auswan- derung entgegenzuwirken fich veranlafst fah^), fo waren es docli andererfeits immerhin nur zerfchlagene Volkstrümmer, welche auf Island anlangten, und da die Infel keine ältere Bevölkerung befafs, in deren Rahmen die neuen Zuzügler fich hätten einreihen, oder deren Widerfl:and fie umgekehrt zu fefliem Zufammenfchliefsen und zur entfchiedenen Unterordnung unter einen gemeinfamen Führer hätte zwingen können, fo mufste es nur um fo fraglicher werden, ob aus den völlig ifolirten Coloniftenhaufen überhaupt ein gemein- famer Staatskörper werde hervorgehen können.

Waren hiernach die Vorausfetzungen, unter welchen der islän- difche Freiftaat fich zu bilden hatte, was Land und Leute betrifft in hohem Grade ungünflige, fo fehlte es doch andererfeits auch nicht ganz an Momenten, welche den nachtheiligen Einflufs jener

1) Bezüglich der BeUieiligung der einzelnen norwegifchen Landfchaflen an der Einwanderung vgl. GuM)rand Vigfüsson, ang. ()., S. 196 98, und zumal Munch, I)et norske Folks Iliftorie, F»d. 1, 1, S. 545—55.

2) Vgl. oben 8. 26, Anm. 3.

Die Befchaffenheit des ein wandernden Volkes. 33

fchwierigen Verhältnifse bis zu einem gewiffen Grade zu paralyfiren geeignet waren. Ich rechne dahin, neben dem ftaatbildenden Triebe, welcher dem Menfchen ein für allemal eingepflanzt ift, und der un- wüftlichen Naturanlage, welche dem gefammten germanifchen Stamme insbefondere innewohnt, zumal zwei Eigenfchaften des neu occupirten Landes, nämlich einmal deflen Unwegfamkeit und weite Aus- dehnung, und zweitens deflen Unnahbarkeit und weite Ent- legenheit von allen übrigen bewohnten Ländern. Hatte die Weit- fchichtigkeit Islands und die durch fie bedingte Zerft:reutheit der einzelnen Niderlafsungen zunächft fchon eine erhebliche Minderung der Anläfle zu inneren Zwiftigkeiten zur Folge, fo mufste diefelbe, unterftützt von der Schwierigkeit des Vorankommens in dem rauhen, von gewaltigen Flüfsen durchftrömten Berglande, auch noch die weitere Wirkung äufsern, dafs wirklich ausbrechende Zerwürfnifle der Regel nach auf einen ziemlich eng begrenzten Raum befchränkt blieben. Noch bis in die neuere Zeit herab galt für Sendungen aus der einen Hälfte der Infel in die andere der Weg über Kopen- hagen als der kürzefl:e und billigfte i) ; wie foUte da in der Vorzeit fo leicht zu irgend welchem Kampfe Mannfchaft aus entlegeneren Gegenden herangezogen werden können? Die Abgefchiedenheit des Landes aber, welche felbft heutzutage noch für Segelfchiffe in der guten Jahreszeit eine Ueberfahrtszeit von 6—8 Wochen nicht eben als Seltenheit erfcheinen läfst, und den Winter über vollends allen Verkehr mit dem Süden ausfchliefst, fo dafs z. B. die Nachricht von dem am 15. November 1863 erfolgten Tode K. Friedrichs VII. feinen isländifchen Unterthanen nicht vor dem 4. April 1864 zu- gieng, und den ganzen Winter über von diefen noch das Kirchen- gebet für den verftorbenen Landesherrn abgehalten wurde, diefe Abgefchiedenheit brachte den nicht minder hoch anzufchlagenden Vortheil, dafs die innere Entwickelung des Landes vollkommen un- berührt und unbehindert von jedem fl:örenden Eingreifen fremdlän- difcher Mächte fich vollziehen konnte. Wieder K. Haraldr härfagri, welcher durch den dänifchen Uni, einen Sohn des Entdeckers Gar^ar, einen vergeblichen Verfuch die Infel zu unterwerfen anftellen liefs2), noch der Dänenkönig Haraldr Gormsson, welchen die Isländer

1) Vgl. z. B. die beiden Kanzleifchreibcn vom 1. Mai 1790 iiud 19. Mxrz 1791 der Lovsamling for Island, lid. V, S. 078-80 und 714—15.

2) I.andndma, IV, cai». 4. S. 2iCi^ 17.

Q

34 I^ie Befchaflcnheit des einwAndernden Volkes.

perfönlich aufs Aeufserfte gereizt hatten 1), wagte demgemäfs eine kriegerifche Unternemung gegen die Infel, und auch in fpäterer Zeit fuchte K. Olafr helgi, dann wohl auch K. Haraldr haröräöi, nur auf Schleichwegen feine Plane gegen deren Unabhängigkeit zu verfolgen. Die Fernhaltung aller äufseren Hinderniffe, welche der Bildung eines isländifchen Gefammtftaates allenfalls hätten in den Weg treten können, mufste aber die Ueberwindung der inneren Hemmnifle, die folcher begegneten, felbftverftändlich beträchtlich erleichtern. Wie fich nun aber im Widerftreite diefer günftigen und ungünftigen Vorausfetzungen ein isländifcher Freiftaat thatfächlich bildete, und wie derfelbe über drei Jahrhunderte hindurch fich er- hielt, um fchliefslich im Anfchlufse an Norwegen feinen Untergang zu finden, wird der erfte Abschnitt diefes Büchleins darzulegen haben.

1) Ileimskr. Olafs s. Tryggvasonar, cap. 36-37, S. 151 52: P'MS., T, cap. 83, S. 153; Flbk, 1, ^ 121, S. 152; Knytlfnjja, cap. 3, S. L^l-82: Jumsvikinga s., cap. 13, S. 42 43.

DER ISLÄNDISCHE FREISTAAT.

Abfchnitt I.

Die Geschichte des Freistaats.

§ '4. Die Bildung des Staats und seiner Verfassung.

Verwicklungen mit auswärtigen Staaten, welche anderwärts einen Haupttheil der Staatsgefchichte zu bilden pflegen, kommen für Island bis zu dem Zeitpunkte, in welchem die Selbftftändigkeit der Infel zu Ende geht, (o gut wie gar nicht in Betracht. Innere Zerwürfniffe unter den einzelnen Häuptlingsgefchlechtern fehlen zwar zu keiner Zeit; aber fie greifen, widerum mit Ausname der letzten Zeiten des Freiftaats, nicht leicht über die Bedeutung rein localer Ereignifle hinaus, und haben jedenfalls immer nur fehr vorüber- gehende Erfchütterungen zur Folge. So geftaltet fich denn die Gefchichte des isländifchen Freiftaats ungemein einfach, und es find im Grunde nur drei Punkte, welche für diefelbe in Betracht kommen. Einmal nämlich handelt es fich um die Entftehung eines Gefammt- ftaates und die Ausbildung feiner Verfaflung. Zweitens ift der Uebergang des Volkes zum Chriftenthume, und die Ordnung der kirchlichen Verhältniffe in's Auge zu faffen. An dritter Stelle endlich ift der Untergang des Freiftaats zu betrachten, welcher, durch den fittlichen Verfall des Volkes, die Zerrüttung der LandesverfafTung, fowie fchwere Conflifte zwifchen Staat und Kirche bedingt, über das ganze Land verbreitete Partheiungen und zugleich ein Ein- greifen ausländifcher Mächte in die Gefchicke der Infel zu Tage treten läfst, und zuletzt in deren Unterw^erfung unter die norwegifche Krone feinen Abfchlufs findet. Jeder diefer Punkte foU hier ge-

fondert dargeftellt werden, obwohl allerdings, rein chronologifch be-

3*

^■30 Oie Bildung des Staats und feiner Verfaffung.

trachtet, der eine mehrfach in das Gebiet des anderen hinübergreift. Die Bildung des Gefammtftaates und feiner Verfaffung ift dabei der Natur der Sache nach an die Spitze zu ftellen.

Es hat aber die Gefchichte Islands in Folge des bereits ge- fchilderten Ganges der Einwanderung von einem durchaus ftaat- lofen Zuftande auszugehen l). Zu verfchiedenen Zeiten und von verfchiedenen Orten aus waren die Anfiedler in einzelnen Haufen herübergekommen, deren Umfang und Zufammenhang fehr ungleich befchaffen war. Da das Land fo gut wie unbewohnt war, und beliebigem Zugriffe offen ftand, wählte der Führer jeder einzelnen Schaar unbehindert den Ort für die zu gründende Niderlaffung, fei es nun, dafs er fich durch die Befchaffenheit der Gegend bc- ftimmen liefs, oder dafs er göttlicher Weifung folgte, welche man in gewiffen Wahrzeichen ausgefprochen zu fehen wähnte. Feierlich ergriff man von dem Lande Befitz, welches man für fich und die Seinigen in Anfpruch zu nemen gedachte; als Land nemen (nema land) bezeichnete man diefc Befitzergrcifung, und Landname (landnäm) nannte man den in Befitz genommenen I^ndftrich. Die Form der Befitzergrcifung befland regelmäfsig darinn, dafs man Feuer um das in Frage flehende Land herumbrachte (fara cldi um land), und diefes dadurch für den eigenen Gebrauch heiligte (helga ser landit). Anfänglich pflegte fich dabei der Einzelne fehr ausgedehnte Bcfitzungen anzueignen. Ingolfr Arnarson z. B. nam den ganzen Südweften der Infel zwifchen der Ölfusä und Üxarä einerfeits und der Brynjudalsä, dann dem Hval^örör anderer- fcits in Befitz, Skallagrimr alles Land von den Hafnarfjöll füdlich des Borgarfjörör bis zum Borgarhraun jenfeits der Hita im Norden, Helgi hinn magri den ganzen Eyjafjörö von Reynisnes bis Siglunes, u. dgl. m. ; ja es kam fogar vor, dafs eiii einzelner Mann an ver- fchiedenen Stellen zugleich Land nam, wie etwa Geirmundr heljarskinn eine erfle Niderlaffung auf den Skarösströnd zwifchen der Fäbeinsä und den Klofasteinar, zu klein fand, und darum noch .eine zweite auf den Strandir im Nordweflen gründete, zwifchen Straumnes und dem Rvtagnüpr. Später aber, als das Land feltener und werth- voller zu werden anfieng, wurde, und zwar wie es heifst auf König

1) Vgl. meine Schrift: Die Entftehung des Island ifchen Staats und feiner Ver- faffung (1852), auf welche ich fowohl bezüglich der Einzelnhciten der Darftollung als auch l»ezüglich der Quellenhelege verweife.

Die Bildung des Staats und feiner VerfalTung. 37

1 laralds Rath, fcftgefetzt, dafs Niemand mehr Land in Bcfitz ncnicn dürfe, als er in bcftimmt vorgefchriebener Weife binnen eines ein- zigen Tages mit Feuer überfahren könne i), und für Weiber, welche zur Vorname der Feuerweihe vielleicht nicht als befähigt betrachtet wurden, follte die andere Regel gelten, dafs fie nicht mehr Land in Befitz nemen dürften, als um welches man an einem Tage eine zweijährige Kalbinn herumführen könne 2). In diefen fpäteren Zeiten mufsten neuankommende Zuzügler auch oft genug von älteren Ein- wanderern fich Land kaufen, falls fie nicht etwa vorzogen, fich mit Gewalt in den Befitz von folchem zu fetzen, wozu die Heraus- forderung zum Zweikampfe eine rechtlich anerkannte Form darge- boten zu haben ,^ fcheint. Andere Male liefs man fich auch wohl von einem älteren Anfiedler Land fchenken, obwohl dergleichen von einigermafsen fich fühlenden Männern nicht feiten felbft dann verfchmäht wurde, wenn der Schenker zu ihren nächften Angehörigen zählte; man hielt derartige Vergabungen für nicht vollkommen ge- fichert in ihrem Beftande, und man glaubte überdiefs durch die unvergoltene Anname bedeutenderer Gefchenke fich felbft zu er- niedrigen, und gewiffe läftige Verpflichtungen zu übememen 3). Inner- halb des in der einen oder anderen Weife in Befitz genommenen Landes errichtete fich fodann der Führer der einzelnen Einwanderer- fchaar vorab feine eigenen Wohn- und Wirthfchaftsgebäude, und wählte fich das Land, das er in feiner eigenen Hand behalten wollte ; weiterhin aber wies er auch feinen Angehörigen und Freun- den, mochten fie nun gleich Anfangs mit ihm herübergekommen oder erft fpäter ihm gefolgt fein, innerhalb feiner Grenzen ihre Bc- fitzungen an, fei es nun dafs ihnen diefe zu Eigen, oder dafs fie ihnen nur in Pacht gegeben werden wollten. Von irgendwelcher Verbindung, welche zwifchen den verfchiedenen Niderlaflungen der einzelnen Einwandererhaufen beftanden hätte, ift aber zunächft noch in keiner Weife die Rede, und ebenfowenig ift das Verhältnifs bc- ftimmt ausgeprägt, welches nach der Niderlaflung zwifchen dem

1) Land n am a, V, cap. 1, iS. 276.

2) Ebenda, IV, cap. 10, S. 264, Anm. 7. Beide Angaben find der Hauksbuk

entnommen.

3) Vgl. z. B. was die Eyrbyggja, cap. 6, S. 7, von Hallstein goöi, die Landnama, V, cap. 12, S. 315 von Hallkell, und diefelbe, V, cap. 14, Ö. 319, fowie die Grettla, cap. 12, S. 20, von der Steinunnr gamla erzählt.

38 Die Bildung des Staats und feiner Vctfaffung.

Führer des einzelnen Haufens und denjenigen beftand, welche mit ihm eingewandert waren, oder doch hinterher von ihm Land ge- nommen hatten. In der That knüpfen denn auch die Anfänge ftaatlichen Lebens auf der Infel keineswegs wefentlich an die un- beftimmte Gewalt diefer Führerfchaft an, wenn fich auch ein gewiffcr thatfächlicher Zufammenhang mit dcrfelben aus leicht begreiflichen Gründen oft genug ergeben zu haben fcheint; die Gründung von Tempeln und die Bildung von Tempelgemeinden ift es vielmehr, von welcher die Entftehung ftaatlicher Verbände ihren Ausgangs- punkt nimmt.

Die regellofe Zufammenfetzung der Einwandererhaufen, welche auf der Infel fich niderliefsen, brachte nothwendig mit fich, dafs es hier wie an organifch gegliederten Volksverbänden, fo auch an jeder Spur von ftaatlichen Gewalten und Fürften fehlte. Aber gar mancher der angefeheneren Einwanderer baute fich nach feiner Ankunft auf der Infel fofort einen Tempel (hof), und zu dicfem hielten fich der Natur der Sache nach auch die Verwandten und Freunde, dann die Dienftleute und fonftigen Angehörigen, welche deflen Erbauer nach Island gefolgt, und hier von ihm mit Land ausgeftattet worden waren. Auch andere, zumal kleinere Leute, welche in der Nachbarfchaft fafsen, mochten fich vielfach gerne an jene Erfteren anfchliefsen, da zwar felbftverftändlich Jedermann einen Tempel fich zu bauen befugt war, dem die Mittel zu einer folchen Bauflihrung zu Gebot ftanden, aber thatföchlich eben doch nur die vermpglicheren Leute über diefe Mittel in genügendem Mafse ver- fügten. Sache der freien Wahl war es felbftverftändlich für den Einzelnen, zu beftimmen, ob er fich zu einem fremden Tempel halten wolle und zu welchem, ganz wie es andererfeits auch dem Tcmpelbefitzer freiftand fich darüber fchlüffig zu machen, wem er den Zutritt zu feinem Tempel verftatten oder verfagen wollte; nur vermittelft frei eingegangener, und jederzeit wider frei aufkündbarer Verträge konnten fich demnach die Tempel gemeinden bilden, welche an den einzelnen Tempel fich anfchloffen, während anderer- feits der Befitz diefes letzteren feinem Erbauer und deflen Rechts- nachfolgern innerhalb diefer Gemeinde mit Nothwendigkeit eine hervorragende Stellung fiebern mufste, welche fich allerdings zu- nächft auf die Pflege des Tempels und die Leitung des gemein- famen Opferdienftes bei demfelben befchränkte. Nun hatte aber auch bereits in Norwegen der Opferdienft eine wefentliche Seite des öffentlichen Lebens gebildet. Die einzelnen Bezirke hatten auch

Die Bildung des Staats und feiner Verfaffung. 39

hier ihre gemeinfamen öffentlichen Tempel gehabt l) ; die Volksver- fammlungen, in welchen die ftaatliche Thätigkeit des Volkes haupt- fächlich pulfirte, waren zugleich Opferfefte gewefen, und der Opfer- cultus war von eben den Häuptlingen beforgt worden, welche auch in weltlicher Beziehung an der Spitze des Volks und feiner einzelnen Abtheilungen ftanden. Was lag da näher, als dafs auf Island, wo ein organifcher Volksverband unter den Einwanderern nun einmal nicht gegeben war, während doch ftaatliche Bedürfniffe auch hier fich geltend machten, und die aus dem Stammlande mitgebrachten Anfchäuungen und Ueberlieferungen noth wendig die Art, wie deren Befriedigung verfucht wurde, beftimmen mufsten, die zwanglos ent- ftandene Gewalt der Tempelbefitzer, und mit ihr die Bedeutung der Tempelgemeinde, von dem religiöfen Gebiete auf das weltliche hcrübererftreckt wurde?

In der That finden wir auf Island fchon in der nächften Zeit nach dem Beginne der Einwandenuig herrfchaftlichc Verbände fchr beftimmt ausgeprägten Charakters vor, an welche fich fortan die Ent- wicklung der eigenthümlichen Verfaffung der Infel anfchliefst. Als goöorö, riki, mannaforräö wird der Verband, oder auch die herrfchaftliche Gewalt bezeichnet, welche denfelben zufammen- hält; goöi oderhofgoöi, goöorösmaör, allenfalls auch höföingi, yfirmaör oder fyrirmaör heifst der Mann, in deffen Hand die Gewalt ruht j als t f n g m e n n endlich oder undirmenn bezeichnet man deffen Untergebene, wefshalb denn auch deren Gefammtheit den Namen einer finghä oder tingmannasveit tragen mag. Der Inhalt der Gewalt, in deren Befitz wir die isländifchen Häupt- linge finden, ift dabei ein allfeitiger, ganz wie diefs von der Gewalt aller anderen Regenten des germanifchen Alterthums gilt. Auf der einen Seite kommt dem goöi die Leitung der Volksverfammlungen und des ganzen mit diefen zufammenhängenden Gerichtswefens, die Sorge für die Aufrechthaltung des Friedens in feiner Gegend, die Beauffichtigung von Handel und Wandel, fowie die Vertretung und Unterftützung jedes einzelnen feiner Untergebenen zu, kurz alle und jede adminiftrative Thätigkeit, foweit nur überhaupt eine folche vom älteften Staate erwartet und geleiftet wurde ; auf der anderen Seite aber lag ihm auch die Pflege des Tempels , fowic die Ab-

1) Ein Verzeichnifs der iu Norwegen nachweisbaren Tempel fiehe bei M u n c h , Nordmojndcnes jeldste Gude- og lielte-Sagn (1854), S. 164—79.

40 I^i^' l>il<Uing des Staats und feiner Verfaffung.

Haltung des öffentlichen Opfcrdlenftes ob, und hier wie dort war ihm als Mittel zur Erfüllung feiner Obliegenheiten das Recht des Bannes und Aufgebotes feinen Untergebenen gegenüber eingeräumt. Infoweit ftimmt alfo die Stellung der isländifchen Häuptlinge mit der der norvvegifchcn Kleinfiirflen ganz und gar überein ; aber doch macht fich nach einzelnen Seiten hin ein fehr einfeitiges Vorwiegen des rcligiöfen Elementes in derfelben bemerkbar, welches fehr deut- lich daran erinnert, dafs diefelbe in dem Tempel ihren Schwerpunkt und Ausgangspunkt hatte, welchen der Gode befafs. In Norwegen wurde die Regentenwürde theils nach P2rbrecht, theils durch Volks- wahl vergeben; an eine freie Veräufserlichkeit und Theilbarkeit derfelben kraft einfeitiger Verfügung ihres Inhabers war dabei in alle Weite nicht zu denken. Dagegen galt auf Island , fo lange der Freiftaat dafelbfV beftand, das goöorö als ein Vermögcnsftück wie jedes andere, und ganz wie jedes andere Gut konnte es deni- gemäfs nicht nur vererbt, fondern auch beliebig verfchenkt, verkauft oder an Zahlungsflatt gegeben werden, und zwar alles Diefs nicht nur im Ganzen, fondern auch zu einzelnen Thcilenj den Unter- gebenen des goöorös fland der Regel nach nicht der mindcflc Einflufs auf den Wechfel in der Perfon feines Inhabers zu. Andererfeits bezog fich die norwegifche Fürftenwürde auf bleibend organifirte Staatsverbände mit beftimmten geographifchen Grenzen , gleichviel ob es fich dabei um l>j6ö, fylki oder heraö handelte; von einem beliebigen Eintreten und Austreten in die Verbindung und aus der- felben konnte demnach für den Einzelnen höchftens infofern die Rede fein,' als demfelben freiftand, das Staatsgebiet zu verlaffen oder in daffelbe überzufiedeln. Auf Island dagegen fehlte dem goöorö alle und jede territoriale Gefchloffenheit, und felbfl als perfönlicher Ver- band war die Beziehung feines Inhabers zu feinen Untergebenen keineswegs befonders dauerhaft. Jedermann ftand es hier frei, fich nach eigener Wahl an jeden beliebigen Häuptling als Dingmann anzufchlieffen , und die getroffene Wahl war keine unabänderlich bindende , foferne man , die Einhaltung gewiffer Friften und die Beobachtung gewiffer Formen bei der Kündigung vorausgefetzt, auch hinterher noch beliebig den gewählten Häuptling verlaffen konnte um zu einem andern überzugehen ; umgekehrt konnte aber auch der Häuptling nach freier Willkür die Aufname in feinen Ding- verband dem Manne, der fich um diefelbe bewarb, gewähren oder verfagen, oder auch hinterher dem aufgenommenen Dingmanne innerhalb gewiffer formeller Schranken die Verbindung aufkündigen.

Die BiUiunj^ des Staats und feiner Verfafl'unjf. . 41

Die Dingleute konnten ferner beliebig ihren Wohnort wechfcln, ohne defshalb aus ihrer bisherigen Dinggenoffenfchaft ausfcheiden zu muffen, und wenn demnach zwar die Wahl allzu entfernt wohnender Häuptlinge aus nahe liegenden Gründen für diefe fowohl als für ihre Untergebenen fich unpraktifch erweifen mufste, fo waren doch die Godorde rechtlich in keiner Weife als geographifch begrenzte Bezirke anzufehen. Thatfächlich pflegten freilich die Dinglcute eines jeden Häuptlings gerne in dichten Haufen beifammenzufitzen i), und es konnte auch wohl vorkommen, dafs fich einem einzelnen mäch- tigen Goden die Einwohnerfchaft eines ganzen Bezirkes anfchlofs'-^), oder dafs diefelbe fich doch wenigftens nur unter einige wenige Häuptlinge vertheilte 3) ; in folchen Fällen mochte man dann aller- dings die betreffende Gegend als das Herrfchaftsgebiet diefes oder jenes Goden bezeichnen 4), oder auch ein paar Häuptlinge als die- jenigen nennen, welche in einem beftimmten Bezirke die meifte Macht befaffen, und allenfalls auch in Bezug auf fie felbft wider angeben, auf welche Theilc des Bezirks der eine oder andere fich Vorzugs- weife ftützteöj. Allein das beruhte eben doch nur auf Zweck- mäfsigkeitsrückfichten, und ganz und gar nicht auf irgend welcher rechtlichen Nothwendigkeit ; die Rechtsbücher der fpäteren Zeit laffen darüber nicht den minderten Zweifel aufkommen, dafs die Dingleute verfchiedener Goden ganz wohl zerftreut durch einander wohnjen konnten, und dafs es auch fchon in der alterten Zeit nicht anders rtand, läfst fich aus einzelnen Angaben der Gefchichtsquellcn entnemen, obwohl es der Natur der Sache nach fchwer hält, in diefer

1) Vgl. z. B. Krisini s., cap. 11, 8. 20: fyrir austan Kdnga, JiVial |iai- satu pingmcnn Riinulfs i hverju hüsi ; äulich FMS., II, cap. 228, S. 234, und Flbk, K i 349, S 442.

2) Eigla, cap. 88, S. 225: Üddr var J*a höf^ingi i IJorgarfii^i fyrii- sunnaii Hvita. Hann var hofsgoöi, ok rhb fyrir hofi Jjvi, er allir menii gulldu hoftoll lil fyrir innan Skar6sheibi ; Hrafnkels s., S. 24: [)essi ^inghä van^ brdtt niiklii inciri ok fjölmennari enn sd er hann hafÖi a^r haftj hün g^kk upp um Skri^udal, ok upp allt med Lagarfljöci.

3) Heiöarviga s., cap. 24, S. 344^ 45: frä Hafnarfiöllum ok til Norbrar, 5cm |*eirra |>{ngmenn eru flestir Si6umanna ok Flökdaela.

4) Vgl. z. B. Njala, cap. 151, S. 261: um J)ingmannasveit Flosa : Hrafnkels >., S. 11: ör [>iDghä sinni.

5) Gunnlaugs s. ormstüngu, cap. 4, S. 202: Illugi var aunarr mestr höf^IDgi 1 Borgarfiröi en Jjorsteinn Egilsson, und cap. 5, S. 215: |»orsteinn svarar : haf^u 1 frammi kilgan viö J>d uppi viö fjöllin, en Jiat kemr J>^r fyrir ekki h^r lit a M\runum.

42 r^'<-' IjJldung des Staats und feiner VerfalTunjj.

Richtung cntfclieidende Nachwcifc zu erbringen. Zu den Dinglcutcn des J>orsteinn |>orskabitr z. B. gehörte {»orgeirr Geirra^arson zu Eyri, horfinnr Finngeirsson im Alptafjörör, {)6rölfr baig^fotr zu Hvammr im |>örsärdale 1) ; aber auch Alfr litli im l>ambdrdaie l Bftru gehörte zu den Dingleuten Snorri go(^i's2), wobei fich freilich einwenden läfst, dafs er als folcher erft zu einer Zeit genannt wird, da Snorri den Hof zu Helgafell mit dem zu Saelingsdalstiinga vertaufcht hatte, mit welchem Hoftaufche denkbarer Weife auch ein Taufch von Godorden verbunden gewefen fein könnte. Widerum hatte Guömundr riki, zu Mööruvellir im Eyjafjöröe wohnhaft, Dingleute im Osten, in der Landfchaft Reykjahverfi 3), während doch die Ljosvetningar zwifchen ihm und diefer Gegend faflen, und im Reykjadale ihre Dingleute hatten 4). Gcitir Lytingsson zu Krossavik hatte Dingleutc im Sunnudale, zu Egilsstaöir und Refsstaöir5), und fein Sohn t>orkell hatte folche auch wider im Eyjafjöröe 6), während doch die Hofsverjar, Reykda:lir, Ljosvetningar mit ihren Godorden in Mitte gefeffen waren, u. dgl. m. Gerade auf das bequeme Bei fammen wohnen der Dingleutc, welches den Häuptlingen fowohl deren Schutz und Ver- tretung, als auch deren Aufbieten zum eigenen Dienfte gar fehr erleichtern mufste, wird es denn auch zu beziehen fein, wenn in fpäterer Zeit noch einmal bezüglich eines Godordes hervorgehoben wird, dafs es nicht nur fehr zahlreich, fondern ganz befonders gut eingerichtet gewefen fei ") ; und beweift fomit auch diefe Stelle, dafs folches Beifammenwohnen fich ganz und gar nicht von felbft vcr- ftand. Es ift klar, wie diefe Befonderheiten der isländifchen Häupt- lingfchaft mit deren Begründung auf den Tempelbefitz und die an ihn fich anfchliefsende Bildung von Tempelgemeinden zufammcn- hängcn. Da die Gründung eines Tempels, fowie deflcn Dotation mit Liegenfchaften und anderen Einkünften 8) von Anfang an lediglich Privatfache desjenigen war und fein konnte, der einen

1) Eyrbyggja, cap. 9, S. 10.

2) Ebenda, cap. 57, S. 106: vgl. cap. 56, S. 103. ;i) Ljösvetnfnga s., cap. 6, S. 17.

4) Ebenda, cap. 1, S. 3.

5) Vopnfirbfnga s., S. 6.

6) Droplaugarsona s., S. 27.

7) Sturlitnga, III, cap. 12, S. 134: Fljötamanna go^ol•^: [*at var biv>i fjöhnennt ok vel skipat.

8) Vgl. überdiefs z. B. Landnaina, IV, cap. 2, S. 241^ V, cap. 2, S. 280, und cap. 3, S. 284.

Die Bildung des Staats und feiner V'erfaffung. 43

folchen haben wollte, fo mufste auch das Recht an dem einmal gegründeten lediglich ein Privatrecht des Erbauers und feiner Rechts- nachfolger bleiben, oder es mufste vielmehr, da man den Tempel fammt aller Zubehör als ein Befitzthum des Gottes betrachtete, dem er geweiht war, als ein dem Erbauer und feinen Erben zuftehendes Privatrecht gelten, des Tempels zu pflegen (at varöveita hofit); fchlofs fich dann an den Tempelbefitz, der als folcher allerdings nur einen Anfpruch auf die Leitung des Opferdienftes gewährte, hinterher eine weiter reichende öffentliche Gewalt an, fo mufste felbftverftändlich auch diefe an der vermögensrechtlichen Natur jenes Befitzrechtes Antheil nemen. Da ferner die Tempelgemeinde nur durch freien, jederzeit wider kündbaren Vertrag zwifchen dem Tempel- befitzer und. den Befuchern feines Tempels fich gebildet hatte, mochte deren rein perfönliche Natur und deren freie* Widerruflich- keit auch dann noch fich erhalten, nachdem die Gemeinde über ihre urfprüngliclie, lediglich religiöfe Bedeutung hinaus auch noch die Geltung einer weltlichen und flaatsrechtlichen Verbindung erlangt hatte. In fehr eigenthümlicher Weife macht fich das Vorwiegen des religiöfen Elementes der Godenwürde m fprachlicher Hinficht geltend i). Die technifchen Benennungen, welche den norwegifchen Regenten beigelegt zu werden pflegen, leiten fich entweder von den Volksverbänden ab, an deren Spitze fie flehen (t>jööann, fylkir, he'rsir), oder fie deuten die Abftammung von gewiffen bevorzugten Gcfchlechtern (konüngr), oder auch die Zugehörigkeit zu einem beftimmten höheren Stande an (jarl) ; auf Island dagegen weift die Bezeichnung der Würde und Ihres Trägers, wenn man von ganz farblofen Ausdrücken wie riki, d. h. Reich, mannaforraö, d. h. Männervorfteherfchaft, höföingi, d. h. Häuptling, fyrirmaör oder yfirmaör, d. h. Vorgefetzter abfieht, mit aller Entfchiedenhcit auf deren priefterlichen Charakter als das beftimmende Merkmal hin. Der Titel goöi, wofür ui älteren Quellen auch wohl noch die Form guöi auftritt 2), ift von goö oder guö, d. h. Gott abgeleitet, und

1) Vgl. meinen Auffatz: Zur Urgefchichte der Godenwürde, in der Zeilfchrift für deutfche Philologie, Bd. IV, S. 125-30.

2) Sie fleht z. L. in der Kgsbk, g 25, S. 48, und g 41, S. 72; in der Hauksbök, Landndma, IV, cap. 7, S. 259, während die entfprechenden Stellen der jüngeren Melabök, der jiöröar s. hreöu und des {»orsteins [t. uxaföts go^ar gel>en; dann bei Oddr, cap. 37, S. 298, ed. Hafn., während das Wort in Munch's Ausgabe, cap. 30, S. 33 fehlt. Die Sta^arhölsbök hat im Vlgslö^i, cap. 108, S. 154, auch die Form gu6or^.

44 1^'^ IJiUliing des SlaaU und feiner \'crfa(Tung.

cntfpricht voUftändig dem gothifchen gudja, womit Wulfila hgeiig überträgt ; die Zufammenfetzung hofgoöi, welche in feierlicherer Rede gleichbedeutend gebraucht wird, hebt noch kräftiger den Zufammen- hang der Würde mit dem Tempel hervor; die für diefe übliche liezeichnung goöorö aber ift eine Wortbildung ganz wie vitorö, metorö, legorö, gjaforö, und bedeutet demnach lediglich den Zuftand eines goöi. Mag fein übrigens, dafs auch der Titel aus Norwegen nach Island herübergebracht, und hier nur zu einer anderen Geltung gelangt fei, als welche ihm dort zugekommen war. Nicht nur in erdichteten Sagen oder mythifchen Ueberlieferungen, fondern auch in mehrfachen völlig zuverläffigen isländifchen Sagen wird von gyöjur ge- fprochen, alfo von Weibern, welche den Godentitel führten i), während doch Nichts gewifler ift, als dafs folche zu keiner Zeit die vollen Rechte eines Häuptlinges befitzen konnten. Wir werden demnach anzunemen haben, dafs folche gyöjur lediglich die priefterlichen Functionen, welche im goöorö gelegen waren, ausgeübt haben werden, während die ftaatsrechtlichen Befugnific, welche die Würde Verlieh, einem Manne zuftanden ; war aber eine derartige Abtrennung des religiöfen Elementes der Würde vom weltlichen dem Volke überhaupt geläufig, und knüpfte fich, wo fie eintrat, der Godentitel an das erftere, nicht an das letztere, fo eröffnet fich die Möglich- keit, dafs diefer Titel auch aufserhalb Island's vorgekommen fein könnte, nur freilich in der Anwendung auf andere Perfonen, als auf die Gau- oder Volksfiirften. Es fehlt nicht an beftimmteren Anhaltspunkten, welche dergleichen wahrfcheinlich machen. Ich will nicht auf den bereits erwähnten gudja der Gothen, noch auf den cotinc, d. h. tribunus althochdeutfcher Gloffen zurückgreifen, an welchen J. Grimm bereits erinnert hat, und nur ganz im Vorbei- gehen weife ich auf die eigenthümliche Stellung hin, welche Tacitus den »sacerdotes« als technifchen Hülfsbeamten der »reges« und xprincipes« bei den Germanen einräumen zu wollen fcheint. Auch darauf lege ich wenig Werth, dafs Snorri feinen Oöin 12 ^sir in Asgarö als hofgoöar einfetzen läfst^), da auf die Vorftellungen des

1) |>uriör hofgy^ja, Landndina, IV, cap. 10, S. 265, Anm. 1; J»un'6r gyöja, ebenda, III, cap. 4, S. 180, und Vatiisdala, cap. 27, S. 44; {»orlaug gyt'ja. Laiidnama I, cap. 21, S. 64: Friögerbr gyöja, Kristni s., cap. 2, S. 6, liorvaldi> J>. viöförla, cap. 4, S. 42—43, und FMS., I, cap. 133, S.267: Sleuivör ho(gyNa, Vopnfirbinga s., S. 10.

2) Rechtsalterthünier, S. 751; vgl. S. 272.

3) Vnglinga s., cap. 2, S. 5: cap 4, S. 6 u. dgl. m.

Die BilcUmg des Staats und feiner VerfadTung. 45

isländifchen Verfaflers über die Zuftände der Vorzeit fehr wohl die Verfaffung des eigenen Landes eingewirkt haben konnte. Bedeut- famer ift aber, dafs von einem der erften Einwanderer ausdrücklich gefagt wird, er fei bereits »hofgoöi i t»rändheimi ä Maeri» gewefen^), und dafs einem zweiten bereits zu einem Tempel in Sunnhöröaland ganz diefelbe Stellung angewiefen wird, wie fie dem isländifchen Goden zu dem feinigen zukam '-^), während doch beide Männer zu den regierenden Herrn in Norwegen keineswegs zählten. Bemerkens- » werth ift ferner, dafs auch für Dänemark bei Saxo grammaticus ein Lyuthguthi3), in einer isländifchen Quelle im Gautr guöi^), endlich auf ein paar Runenfteinen ein Ruulfr Nuragu^i und ein Ali Sauluagul)i genannt wird '^). Die Exiflenz von Goden in den nordgermanifchen Reichen aufserhalb Islands fcheint damit bewiefen, und die Beinamen, welche die beiden zuletzt genannten Inhaber der Würde führen, dürften diefelben fogar fehr beftimmt als Bedienftete eines Anderen bezeichnen, da Hrölfr Nöragoöi eben nur Hrölf, des Nöri Gode, und Ali Sölvagoöi nur Ali, des Sölvi Gode, bezeichnen kann. Auf Grund diefer Behelfe läfst fich die Vermuthung immerhin wagen, dafs in Norwegen der Godentitel einem priefterlichen Gehülfen des Häuptlinges, vielleicht auch dem Befitzer eines Privattcmpels als folchem zugekommen fei, und dafs man auf Island, eben weil erft von der Tempelvorfteherfchaft aus eine weiter reichende öffentliche Gewalt fich bildete, den für die erftere überlieferten Titel fofort auch auf die letztere übertragen habe 6).

Aus dem Bisherigen ergibt fich, dafs das isländifche goöorö weder als eine blofse Fortfetzung des norwegifchen Kleinfiirften- thums betrachtet, noch auf die Führerfchaft der einzelnen Ein- wandererfchaaren begründet, noch endlich aus der Inbefitzname

1) Landnäma, IV, cap. 6, Ö. 254.

2) Eyrbyggja, cap. 3, S. 5.

3) Historia Daniie, VIII, S. 381.

4) Sögubrot af fornkonil ngum, cap. 8, S. 381.

5) Bei Thorsen, De Danske Runemindesmoerker, I, S. 334 38, Anm. 3.

6) Munch, Nordmaendenes leldste Gude- og Helte-Sagn, S. 161—2, dann norweg. Gefchichte, I, 1, S. 117, 151 55, fowie 564 5, hat bereits darauf auf- merkfam gemacht, dafs die Godenwürde aus Norwegen ftammt; nur hält er diefelbe, Avie vor ihm R. Keyser, Nordmsendeues Religionsforfatning i Hedendommeu, S. 57 ^8, bereits gethau hatte, für eine Nebenfunction der regierenden Häuptlinge, deren Name eben darum vor dem vornemeren Herreunamen zurückgetreten fei, und führt das isländifche Godord auf das landniim zurück.

46 I^'c Bildung des Staats und feiner Verfaffung.

herrenlofen Landes durch einzelne Einwanderer und auf die Gewalt geftützt werden darf, welche die Vertheilung diefes Landes unter kleinere Leute folchen verfchaffte, dafs daffelbe vielmehr ledig- lich auf den vertragsweife eingegangenen Tempelgenoffenfchaften und dem Uebergewichte beruhte, welches der Befitz des Tempels feinem Herrn verfchaffte, wogegen allerdings bei der Umbildung diefer Tempelgemeinden zu ftaatsrechtlichen Verbänden und der Erweiterung der Tempel vorfteherfchaft zu einer allfeitigen Herrfcher- gewalt die altnorwegifche Verfaffung als Urbild diente. Was ins- befondere das Verhältnifs der Godorde zur Befitzergreifung im Lande betrifft, fo läfst fich an der Hand der Landnäma und nicht weniger Islendingasögur fehr fchlagend darthun, dafs die Begründung jener erfteren thatfächlich fehr häufig mit diefer letzteren in einem gewiffen Zufammenhange (land, dafs aber diefer Zufammenhang ganz und gar kein nothwendiger und innerlich begründeter war, wie denn bereits die oben dargelegte rein perfönliche Bedeutung des Godordes jeden Gedanken an eine reale Grundlage deffelben ausfchliefst. Es ift nämlich zwar allerdings richtig, dafs die gröfseren landnämamenn regelmäfsig ihre Tempel zu gründen und um die- felben eine« Tempelgemeinde zu fammcln pflegten, und dafs gerade in ihrer Hand eine Reihe der angefehenften Godorde entftand; aber nicht minder richtig ift auch, dafs wir andererfeits auch von einer Menge kleinerer Einwanderer wiffen, welche fich an den Tempel eines benachbarten gröfseren Herrn als deffen Dingleute anfchloffen, ohne ein eigenes Godord zu begründen, und nicht minder finden wir nicht ganz feiten Godorde von Männern aufgerichtet, welche doch in einem fremden landnäm gefeffen waren. F'älle der erfteren Art find fo überaus häufig, dafs es nicht nöthig ift, Belege von folchen anzuführen ; nach der zweiten Seite hin mögen dagegen ein paar Beifpiele beigebracht werden. Den ganzen Eyjafjörö hatte, wie oben bereits erwähnt, der magere Helgi in Befitz genommen; dennoch aber wird neben dem Godorde. der Mööruvellingar und der l>veraeingar, welches fich an feine Nachkommenfchaft knüpft, in diefem Bezirke noch ein Hliömanna- oder Hlföarmannagoöorö ^), dann ein Svarfda^lagoöorö genannt 2), bei welchen keine folche An-

1) Ljösvetninga s., cap. 4, S. 18; Landndma, III, cap. 14, S. 213.

2) Ljötölfr gobi und deffen Sohn Vallaijötr werden genannt in der S varfd:vla, cap. 14, S. 197, Vallaljöts s., cap. 3, S. 207, Landndma, IV, cap. 1, S. 238, und öfter.

Die Bildung des Staats und feiner VerfaflTung. 47

knüpfung möglich ift. Arnkell goöi war ein Sohn des Jjörölfr baegifötr, welcher zu den Dingleuten der l>örsnesfngar zählte i), und felber auf fremdem landnäm gefeffen, da ja ^örölfr Mostrarskegg das Land von der Stafä bis zur törsä, und Geirröör das Land von der liörsd bis zum Längidale genommen hatte 2). Innerhalb der Grenzen, welche der alte Skallagrimr dem von ihm in Befitz genommenen Lande gedeckt hatte, waren die Geitlendfngar und Reykdaelir wohn- haft, welche ein gemeinfames Godord neben dem fier M^ramenn befaffen 3) ; ferner Einarr Staf hyltingr, welcher ebenfalls ein folches befafs *) ; endlich auch die Sföumenn oder Gilsbekkingar, in deren Hand fich gleichfalls wider ein folches befand i>). Widerum waren in dem ausgedehnten Landftriche, welchen Ingölfr Arnarson in Befitz genommen hattet), neben feinen Nachkommen, den Reykvik- ingar, auch noch die Kjalneslngar oder Esjubergfngar im Befitze eines Godords, welche von Orlygr gamli abdämmten?), fowie die ÖlfusCngar, welche ihr Gefchlecht von torgrlm Grimölfsson ablei- teten 8). Ebenfo war Jörundr goöi in dem landnam Ketils haengs gefeffen % und Hrafnkell Freysgoöi gründete fich, nachdem er fein erftes goöorö eingebüfst hatte, ein zweites, während er doch auf einem erft erkauften Hofe fafs W), u. dgl. m. Man ficht, es war nicht das Recht des erften Occupanten über fein Grundeigenthum, fowie deffen Herrfchaft über die innerhalb deffelben angefiedelten Leute, worauf die Entftehung der Godorde zurückzuführen ift, fon- dern lediglich die Gründung von Tempeln und die hieran fich an- fchliefsende Bildung von Tempelgemeinden. Nur foweit diefe letztere mit der Befitzname und Auftheilung des Landes zugleich erfolgte, ftand allenfalls der Urfprung der Würde mit der letzteren in einem gewiffen äufseren Zufammenhange.

1) Eyrbyggja, cap. 9, S. 10.

2) Ebenda, cap. 4, S. 6, und cap. 7, S. 8.

3) Landndma, I, cap. 21, S. 64; vgl. Eigla, cap. 88, S. 225.

4) Eigla, cap. 85, S. 215; Landnil ma, II, cap. 8, S. 70.

5) Hei&arvfga s., cap. 24, S. 344 45; Gunnlaiigs s. ormstiingu, cap. 4, S. 202.

6) Landnäma, I, cap. 8, S. 87.

7) Kjalnesfnga s., cap. 2, S. 402, deren Angaben über die verwandtfchaft- lichen Verhältniffe freilich nicht zu denen der Landndma, I, cap. 11, S. 42, und 12, S. 44 flimmen.

8) Landndma, V, cap. 13, S. 318; Njdla, cap. 56, S. 86.

9) Landndma, V, cap. 8, S. 284—5, vgl. mit cap. 3, S. 281 2. 10) HrafnkeLs s. Freysgot)a, S. 22 und 24.

48 I^'e Bildung des Staats und feiner VerfalTung.

Gleichzeitig mit der ftaatsrechtlichen Ausprägung der Goden- würde mufste felbftverftändlich für die Godorde auch eine Art von Dingverfaffung begründet werden, da der Opferdienft fowohl als das Gerichtswefen die Exiftenz von Volksverfammlungen erfor- derte. Andererfeits fehen wir auch fchon frühzeitig das Bedürfnifs, in weiteren Kreifen für Recht und Frieden zu forgen, zu um f äffe n- deren Vereinigungen führen, zu welchen verfchiedene Häupt- linge einer und derfelben Gegend mit ihren Untergebenen zufammen- traten. Da auch für Verbindungen diefer letzteren Art, die ja bereits in der norwegifchen Verfaffung ihr Vorbild gefunden zu haben fcheinen, ein gemeinfames Ding eingefetzt zu werden pflegte, ift es nicht leicht zu beftimmen, ob die wenigen für die ältefte Zeit uns zu Gebot flehenden Nachrichten auf diefe oder jene Art von Verfammlungen fich beziehen. Unter den erften Einrichtungen, welche liörölfr Mostrarskegg bei feiner Niderlaffung im Lande traff, wird bereits der Einfetzung des törsness^ings Erwähnung gethan i) ; als ein h^raösjjfng für die Gegend foUte daffelbe dienen, und >meö räöi allra sveitarmanna«, d. h. mit der Zuftimmung aller Leute aus der Nachbarfchaft, wurde es errichtet, aber doch fcheint daffelbe auf das VörsnesfngagoJorö und deffen Angehörige befchränkt gewefen zu fein. Andererfeits erfahren wir, dafs ^orsteinn, ein Sohn des erften Einwanderers Ingölf, das Kjalarness^iing eingefetzt habe unter Mitwirkung einer Anzahl von Häuptlingen, welche fich an demfelben betheiligten ^) ; der letztere Beifatz fcheint anzudeuten, dafs in diefem Falle umgekehrt mehrere felbftftändige Häuptlinge zu einem gemeinfam zu haltenden Dinge fich vereinigten, und wirklich werden Helgi bjöla und Örlygr gamli, welche unter den Mitwirken- den genannt werden, anderwärts als Stifter von Godorden mehr oder minder deutlich bezeichnet. Wieviel übrigens die Rechtsord- nung auf der Infel zunächft noch zu wünfchen übrig liefs, zeigt fich zumal darinn, dafs gelegentlich einmal eine Todtfchlagsfache, bei welcher der Todtfchläger fowohl als der Erfchlagene der Arnesssysla, der Blutkläger aber der Strandasysla angehörte, im Compromifs- wege vor das Kjalarnesslang gebracht wurde, um nur überhaupt auf gerichtlichem Wege erledigt werden zu können 5). Was dcr-

1) Eyrbyggja, cap. 4, S. 7; Landnäma, II, cap. 12, S. 97.

2) oc höfpingjar Jjeir es at Jjvi hurfo, fagt die Islendfngabök , cap.3, S.G^ vgl. auch Landndma, I, cap. 9, S. 88, und den Anhang zur jüngeren Melabök, H. 336.

3) (Ireiila, cap. 10, S. 14- 15.

l)ie Bildung des Staats und feiner VerfaflTungi 49

felben fehlte, war aber ein Doppeltes, nämlich einmal die Ungleich- förmigkeit und Mangelhaftigkeit der Einrichtungen innerhalb jedes einzelnen Bezirkes, deren Ordnung ja lediglich dem Zufalle und der Willkür der Betheiligten überlafsen war, fodann aber der gänzliche Mangel von Gerichten, welche, über den einzelnegi Land- ftrichen ftehend, in den Fällen hätten Recht fprechen können, in welchen Angehörige verfchiedener Gegenden zugleich betheiligt waren. Mafsregeln wie die Einfetzung des Kjalarness|)inges fuchten zwar dem letzteren Mangel in gewiflem Umfange abzuhelfen, konnten aber doch immer nur in engen Kreifen dem Bedürfniffe nach ge- ordnetem Rechtsfchutze und gemeinfamer Berathung gemeinfamer Angelegenheiten genügen; bald mufste auf der mit ihnen betrete- nen Bahn ein weiterer Schritt gemacht werden.

Man fagt, dafs etwa in 60 Jahren, vom erften Beginne der Einwanderung an gerechnet, Island feine volle Bevölkerung erlangt habe 1) ; kaum war diefe Frift noch abgelaufen, fo wurde auch bereits der entfcheidende Schritt gethan, welcher zur Begründung eines isländifchen Gefammtftaates führte. Man machte fich darüber fchlüfsig, dafs ein einheitlicher Staat und eine gemeinfame Rechts- ordnung dir die Infel gefchaffen werden foUe, und ein aus Norwegen herübergekommener Mann, Ulfljötr, wurde dazu ^userfehen, ein Land- recht llir diefelbe zu entwerfen. Eine Reihe verfchiedener Berichte, welche aber fämmtlich auf den alten Ari jjorgilsson zurückzufuhren find 2), zeigt uns, dafs Ulfljötr um das Jahr 927 nach Norwegen zurückgieng, um dort mit Hülfe feines Mutterbruders, t>orleifr spaki, ein Landrecht für Island zu bearbeiten, und dafs diefe feine Arbeit im Ganzen nach dem Mufter der Gulal>fngslög eingerichtet war, für deren Revifion eben diefer l>orleifr nach anderweitigen Angaben

1) islendingabrtk, cap. 3, S. 6; Landndma, V, cap. 15, S. 321.

2) Islendfngabök, cap. 2—3, S. 5—6; Landndma, IV, cap. 7, .S. 257— 9 (Hauksbök), und jüngere Melabök, S. 334 C; )>orsteins Ji. uxaföts, in der Klbk, I, S. 249, und {»örÖar s. breÖu, cap. 1, S. 93 4 (ed. Gu6brandr Vig- füsson). Ueber das Verhältnifs diefer Berichte zu einander und zu der doppelten fslendingabök Ari's vgl. meine Schrift: Die QuellenzeugnilTc über das erde Land- recht und über die Ordnung der Bezirks verfaffung des isländifchen Freillaates (Ab- handlungen der I. Claffe der kgl. Akademie d. W., Bd. XIl, S. 1 101), fowie meinen Audfatz über Ari Jiorgil.sson und fein Isländerbuch (in der (lermania, lid. XV), S. 300-21.

Muuror, iKland. ^

50 ^^*c Bildung des Staats und feiner Verfaffung.

um ein paar Jahre fpäter ebenfalls thätig geworden fein folH); nach dreijährigem Aufenthalte in Norwegen kehrte er fodann nach Island zurück, und nach ihm trägt das erfte Landrecht der Infel, deffen Einführung Ari dem Jahre 930 zu weift, den Namen der Ülfljötslög. Ueber die Verhandlungen, welche der Sendung des Mannes vorher- gegangen fein muffen, wird uns ebenfowenig berichtet als über die anderen, welche zur rechtsfbrmlichen Anname feines Entwurfes führten ; dafs aber die Hauptpunkte diefes letzteren, und zumal die Einfetzung einer gemeinfamen Dingverfammlung für das ganze Land, bereits vor feiner Abreife nach Norwegen feftgeftellt gewefen fein mufsten, erglebt fich daraus, dafs bereits vor der Anname des neuen Landrechtes für die Auswahl einer geeigneten Ding^ätte Fürforge getfoffen worden war. Ein Pflegebnider Ülfljöts, Grfmr geitskor, nam es auf fich, das ganze Land zu diefem Behufe zu unterfuchen, und er wurde dafiir durch den Ertrag einer Steuer belohnt, welche mit einem Pfenning auf den Kopf aufgelegt wurde; uneigennützig gab er das Geld an die Tempel: ob aber auch Llfljotr für feine nicht geringere Mühe in ähnlicher Weife entfchädigt wurde, wird uns nicht gefagt. Ueber den Inhalt der neuen Gefetz- gebung erfahren wir ebenfalls nur fehr wenig; doch wird uns erzählt, dafs eine allgemeine Landesverfammlung, das al)>fngi, eingefetzt wurde, dafs ferner Beftimmungen über die Form der am Dinge zu fchwörenden Eide und über die Aufbewahrung der bei ihrer Ab- leiftung verwendeten Tempelringe in dem Gefetze enthalten waren, endlich dafs an deffen Spitze religiöfe Vorfchriften ftanden, welche zunächft auf den Schutz der Landgeifter abzielten. Ueber Ort und Zeit der Haltung der neuen Landsgemeinde find wir genau unterrichtet; dagegen haben vAr über deren Competenz fowohl als Zufammen- fetzung nur fehr nothdürftige Nachrichten, und es erfcheint bedenk- lich aus dem, was wir über die Zuftände der fpäteren Zeit erfahren, die Lücke zu ergänzen, da fchon kurz nach der erften Einfetzung des Alldinges eine tief eingreifende Umgeftaltung deffelben erfolgte. Wir fehen zwar Gerichtsbarkeit fowohl als Gefetzgebung noch vor dem Eintritte jener Umgeftaltung am Alldinge geübt 2), und können hier- aus entnemen, dafs die Ülfljötslög der Landsgemeinde in der einen

1) Heimskr. Hdkonar s. gö^a, cap. 11, S. 90; vgl. Fagrskinna, ^ 29, S. Ift. IndelTen hat Munch, I, 1, S. 408, Anm. 2, 566 und 715, dann I, 2, S 62, Anm. 1, bereits bemerkt, dafs j»orleifr wohl nur eine Sagenfigur fein dürfte,

2) isl cndi ngabok , cap. 4 5, .S, 6—«^

Die Bildung des Staats und feiner VerfafTung. 51

e in der anderen Beziehung eine Wirkfamkeit eingeräumt hatten;

s der Vergleichung ferner der fpäteren isländifchen Verfaffung

t der norwegifchen dürfen wir den Schlufs ziehen, dafs beide

inflionen von Anfang an nicht der Gefammtheit der am Dinge

wefenden Bauern zugekommen waren, fondem nur einem engeren

isfchufle, auf deflen Zufammenfetzil^ng die regierenden Herrn

ten mafsgebenden Einflufs übten. Als ziemlich ficher darf auch

iten, dafs die richterliche und die gefetzgebende Thätigkeit wie

Norwegen einem und demfelben Ausfchuffe übertragen, und nicht

5 diefs fpäter auf Island der Fall war, unter verfchiedene Aus-

lüfle vertheilt war, dann dafs diefer einheitliche Ausfchufs den

iichfalls aus Norwegen herübergebrachten Namen der lögr^tta

tragen habe; nicht mit gleicher Beftimmtheit läfst fich dagegen

;haupten, ob die in Norwegen für die lögretta althergebrachte

ihl von 36 Beifitzern auch in Island eingeführt, und ob in der-

Iben wie in Norwegen nur von den Goden ernannten Männern

tz und Stimme eingeräumt, oder aber auch den Goden felbfl: der

itritt verftattet war, wie diefs in fpäterer Zeit auf Island bezüglich

r gefetzgebenden Verfammlung der Fall war: für wahrfcheinlich

5chte indeffen das Erflere zu halten fein. Unklar ift, wieweit die

ue Gefetzgebung auf die Stellung der Godorde einwirkte. Soviel

ar fleht fefl, dafs die Begründung eines gemeinfamen Staates zu

ler Befchränkung fowohl als zu einer Erweiterung der Rechte

aren mufste, welche bisher in denfelben begriffen gewefen waren.

ie volle Selbflherrlichkeit, mit welcher jeder einzelne Gode bisher

ine Dingleute regiert hatte, wurde nothwendig durch die Errich-

ng eines über allen Godorden flehenden Centralorganes befchränkt ;

)er die Bildung diefes Centralorganes mufste ihrerfeits gerade in

e Hände der Goden gelegt werden, und diefe gewannen dem-

ch als Gefammtheit in eben dem Mafse an Einflufs, in welchem

ler einzelne von ihnen an folchem verlor, der Gegenfatz einer

raösstjöm und einer landsstjöm entwickelte fich, und die Theil-

(ne, welche jedem einzelnen Goden an der letzteren eingeräumt

rde, erfetzte ihm reichli(!h, was er an feiner Selbflfländigkeit in

zug auf die erflere einbüfste. Im Uebrigen fcheint die neue Ge-

zgebung an den Beziehungen der Goden zu ihren eigenen Ding-

•ten Nichts geändert zu haben, aufser etwa infofeme, als bezüg-

1 der zu haltenden Bezirksverfammlungen und des bei diefen zu

^bachtenden Verfahrens einige genauere Vorfchriflen erlaffen

irden; doch werden die in den Quellen erwähnten Beflimmungen

52 l*»c Bildung des Staats und feiner Yerfaltung.

über die Tempelringe und die auf fie abzulegenden Eide ficherlich nur als eine Beftätigung einer ohnehin fchon geltenden Rechtsge- wohnheit, nicht als eine Neuerung zu betrachten fein, zumal da wir bereits zu Ende des neunten Jahrhunderts nordifche Vikinger in England ihre Eide auf Ringe ablegen fehen i). Doch wurde jetzt der Grundfatz ausgefprochen, dass die Angehörigen verfchiedener Godorde gegenfeitig an ihren Bezirksverfammlungen Recht geben und nemen follten, und wurde zugleich die Comjjetenz diefer Ver- fammlungen näher geregelt; wenn wir gelegentlich einer nur um wenige Jahrzehnte fpäter verhandelten Todtfchlagsfache erfahren, dafs fiir derartige Fälle zunächft das dem Orte der That nächftge- legene Ding als das competente galt 2), dann aber, wenn an diefem die Verhandlung nicht zu Ende geführt werden konnte, die Sache an das Allding gebracht werden follte, fo dürfen diefe Regeln unbedenklich auf die Ülfljotslög zurückgeführt werden. Keinen Auf- fchlufs erhalten wir endlich auf die wichtige Frage, ob durch diefe Gefetzgebung die Zahl der Godorde ein- für allemal feftgeftellt wurde, oder ob es auch nach ihr noch geftattet blieb, je nach Wunfeh und Bedarf folche neu zu errichten. Aus inneren Gründen würde man das Erftere für wahrfcheinlicher halten, da nur unter der Voraüsfetzung einer gefchloflenen Zahl von Godorden eine ge- ordnete Befetzung der lögr^tta, und zumal eine Befetzung derfelben mit einer gefchloflenen Zahl von Beifitzern möglich zu fein fcheint; wenn wir aber envägen, dafs die Stiftung fowohl des Godordes Arnkels in Weftisland als des zweiten Godordes Hrafnkels im Oft- lande unzweifelhaft erft nach dem Jahre 930 erfolgte, fo werden wir uns trotzdem doch wohl lur die letztere Alternative ausfprechen muffen. Feft fteht dagegen wider, dafs nunmehr ein neues, auf das ganze Land bezügliches Amt eingeführt wurde, das Amt nämlich des lögsögumaftr oder des Gefetzfprechers. Ob daflelbe der alt- norwegifchen Verfaffung entlehnt fei, oder nicht, ift fehr beftritten 3) ;

1) Vgl. Chron. Anglosax., a. 876, und eine Reihe anderer Quellen.

2) Islendfngabök, cap. 5, S. 8. Beiläufig bemerkt dient auch diefe I»e- Aimmung als ein weiterer Beleg für die nicht territoriale Natur der Godorde. Wären diefe geographifch fefl begrenzt gewefen, fo hätte fich die Competenz nach dem Bezirke gerichtet, innerhalb delTen die That begangen wurde.

3) Vgl. über die Streitfrage meine Bemerkungen in der Kritlfchen Viertel- jahresfchrift, Bd. X, S. 374 81, fowie meine Abhandlung: Die Entftehungszeit der älteren Gulajiingslög, S. 165 69 (in den Abhandlungen der Münchner Akademie, I. ClalTe, Bd. XII, Abth. III); andererfeits Ebbe Hertzberg, Grundlra^kkcnc i den ■xUUiv Norsko Proccs, .S. 150 77 (Chriftiania, 1874).

Die Bildung des Staats und feiner VerfafTung. 53

da daffclbc aber in Jämtaland fowohl als auf den Su^rcyjar, in Katancs, auf den Färöern und fpäter in Grönland ebenfogut vor- kommt wie auf Island, da es ferner in Schweden als feftgewurzeltc Einrichtung befteht und auch in dem eigentlichen Norwegen felbft in einer Reihe von Spuren fich bemerkbar macht, fcheint die Frage immerhin bejaht werden zu dürfen. Von allem Antheile an der vollziehenden Gewalt voUftändig ausgefchloffen, erfcheint dicfer Beamte auf den. Vorfitz in der Landgemeinde, auf die Ertheilung von Rechtsgutachten an alle diejenigen, welche folcher von ihm begehren, endlich auf die Haltung regelmäfsig widerkehrender Vor- träge über das geltende Landrecht am Allding befchränkt, von welcher letzteren Obliegenheit, der lögsaga, denn auch fein Name entlehnt ift. Da die Würde durch Wahl vergeben, und wie es fcheint von Anfang an nur immer auf beftimmte Zeitfrift verliehen wurde, konnte dieFelbe umfoweniger der herrfchenden Stellung der Goden gefährlich werden.

Man fleht, das Wefentliche bei der Einführung des neuen I^uid- rechtes liegt in der Herftellung eines isländifchen Staates, durch welche dem bisherigen ftaatlofen Zuftande ein Ende gemacht wurde. Bei der Organifation diefes Staates hielt man fleh aber einerfeits an die realen Verhältniffe, wie fle fleh einmal thatfächlich ausgc- gebildet hatten, und andererfeits an das Vorbild der norwegifchcn Vcrfaflung, insbefondere der Verfafl*ung des norwegifchcn Gulaf»ingcs. Am Gula|>inge finden wir bereits gelegentlich einer im Jahre 934 verhandelten Streitfache einen richtenden Ausfchufs in Thätigkeit, deflTen 36 Mitglieder zu gleichen Theilen von den Herscn des Firöafylki, Sygnafylki und Höröafylki ernannt waren i) ; offenbar wollte das isländifche Allding nach feinem Mufter eingerichtet v;er- den. Das Amt des Gefetzfprechers wurde, wie bemerkt, gleichfalls aus Norwegen herübergenommen; die Stellung der Goden dagegen blieb wefentlich unverändert diefelbe, wie fle fleh ganz von felbft auf der Infel ausgebildet hatte, nur dafs fle in einzelnen Beziehungen fefter begrenzt und genauer geregelt wurde. Vollftändige Ordnung war nun aber auch durch die Ülfljotslög noch keineswegs in die Zuftande des Landes gebracht; vielmehr bedurften diefe noch mehr- facher Verbefferungen, ehe fle als vollkommen geflchcrte gelten konnten. Der näcHfte Schritt nach diefem Ziele hin würde indeflen

1) Eigla, cap. 57, S. 123 -4.

54 ^ic Bildung des Staats und feiner VerfafTung.

bereits nach wenigen Jahrzehnten gethan, durch die ungefähr im Jahre 965 erfolgte endgültige Regelung der Bezirksverfafsung*). Ein Mordbrand, welcher an einem fehr angefehenen Manne verübt worden war, mochte diefs nun Blundketill oder deflen Sohn ^orkell gewefen fein, führte zu einem grofsen Rechtsftreite, in welchem zwei der mächtigften Häuptlinge, l»6rör gellir als Kläger und Tüngu- Oddr als Beklagter, fich gegenüberftanden. Am tingnesstfnge, wohin die Sache nach geltendem Rechte zunächfl zu bringen war, fetzte der in der Nachbarfchaft übermächtige Oddr den heran- ziehenden Klägern offenen Widerftand entgegen, fodafs fie die Dingftätte nicht zu erreichen vermochten ; am Alldinge aber mufste widerum gekämpft werden, ehe es zu einer gerichtlichen Entfcheidung kam, und hier wie dort fiel eine Reihe von Leuten, ehe das Recht feinen Lauf fand. Da flellte ^orör gellir der Landsgemeinde in eindringlichen Worten vor, welche Schwierigkelten die Verfolgung des klarften Rechts nach der dermaligen Verfaffung biete, und wie nothwendig dieferhalb eine Abhülfe fei; man befchlofs aber fofort feinem Antrage entfprechend eine Regelung der BezirksverfaflTung, um den vollkommen richtig erkannten Uebelfländen abzuhelfen. Man theilte die Infel fofort in vier Viertel (fjöröilngar), deren jedes drei Dingverbände (^Ingsöknir) in fich fchliefsen foUte, wäh- rend jeder Dingverband aus drei Herrfchaftsverbänden (goöorö) mit je einem Haupttempel (höfuöhof) zu beftehen hatte; nur den Nord- ländern wurde ausnamsweife noch ein vierter Dingverband verwilligt, weil fie fich über ihre Dingflätten fchlechterdings nicht zu einigen wufsten, und wurden in Folge deffen im ganzen Lande der ting- soknir 1 3 und der goöorö 39, ftatt dafs ihrer nur 1 2 und 36 hätten fein foUen. Die Zahl der Godorde war alfo fortan eine ein- für allemal gefchloffene, und wer nicht im Befitze eines der 39 Haupt- tempel war, mochte fich zwar nach wie vor nach eigenem Belieben

1) Islendfngabök, cap. 5, S. 8 9; Hncnsa-|i6ris s., cap. 14, S. 173, Anm. Der Bericht der letzteren Quelle enthält eine Interpolation, welche aus der älteren Recenfion der Islendfngabök gefchöpft zu fein fcheint, und eben daher dürften auch die Angaben (lammen, welche die Hauksbök und die jüngere Melabök, der ]>orsteins ^. uxaföts und die ältere ^örÖar s. hreÖu in Verbindung mit ihren Berichten über die Ulfljötslög bringen. Vgl. meine Abhandlungen: Die Quellenzeugniffe über das erde Landrecht, dann über die Haensa-{iöris saga, in den Abhandlungen der Münchner Akademie, I. Claffe, Bd. XII, Abth. I, S. 1—101, und Abth. n, S. 157—216.

Die Bildung des Staats und feiner Vcrfaffung. 55

einen Tempel bauen, und vielleicht auch daheim in feinem Bezirke eine der Gewalt der Coden änliche Macht über deffen Befucher erlangen ; aber fowcit die vom Staate anerkannte Verfaflung reichte, konnte er als Code nicht gelten, und mufste er fich vielmehr felber einem folchen als Dingmann anfchliefsen. Im Uebrigen blieb zwar das goöorö felbft fowohl als die aus je 3 Godordcn zufammenge- fetzte fingsökn ein rein perfönlicher Verband, ohne alle und jede geographifche Begrenzung, fodafs die Angehörigen verfchiedener Godorde nicht nur, fondern auch verfchiedener Dingbezirke in buntefter Mifchung durcheinander fitzen konnten; aber die Ivandes- viertel wenigftens erhielten ihre feften territorialen Grenzen, und wird demnach wohl auch bereits jetzt der Satz zur Geltung ge- kommen fein, den wir in den fpäteren Rechtsbüchern ausgefprochen finden 1), dafs kein Gode einen Dingmann aufnemen dürfe, welcher einem anderen Landesviertel angehöre als demjenigen, dem deffen eigenes Ding zugewiefen ift. Wichtiger ift, dafs unter den drei zu einer (»ingsökn verbundenen Goden (samt>ingisgoöar) nunmehr ein engeres Band geknüpft wurde, welches fie einerfeits zur gemein- famen Abhaltung gewiffer Dingverfammlungen im Frühjahr (var- t»ing) und im Herbfte (haust^ing; leiö) verpflichtete, anderer- feits aber auch jedem einzelnen unter ihnen den beiden anderen gegenüber Recht und Pflicht einer gewiflen Vertretung verfchafftc; dafs für das Godord fortan wohl die Bezeichnung l>riöjüngr, und für deflen Untergebene die Bezeichnung |>riöjüngsmenn vorkommt, ift nur etwa infoferne von Bedeutung, als fich aus diefem Sprach- gebrauche ergiebt, wie fühlbar die Einheit* der neuen ^Ingsokn fich fchon bei Zeiten zu machen wufste. Eine gemeinfame Verfamm- lung für jedes einzelne Landesviertel (fjörötingstlng), welche fclbftverftändlich von den 9, beziehungsweife 12 Goden deffelben gemeinfam abzuhalten war, fcheint ebenfalls befchloffen worden zu fein, und im Weftlande wenigftens fehen wir eine folche fofort wirk- lich durch t»6rö gellir felbft eingefetzt 2). Endlich wurde nunmehr auch eine durchgreifende Veränderung beliebt hinfichtlich des am Alldinge beftehcnden Centralorganes für die Handhabung der oberften richterlichen und gefetzgebenden Gewalt. Das bisher einheitlich geftaltcte Obergericht wurde nämlich jetzt den vier Landcsvierteln

1) Kgsbk, § 83, S. 140—41; Kaupab., cap. 67, S. 4ö3.

2] Eyrbyggja, cap. 10, S. 12; Landnama, II, cap. 12, S. 9b.

56 l^i^' l*i'<^l"njj tlcs Staats und feiner VcrfaflTunjj.

cntfprechcnd in vier gefonderte Senate (fjöröüngsdömar) zerlegt; andererfeits aber wurde die bisher mit demfelben zufammenfallende gefetzgebende Vcrfammlung, bei welcher eine derartige Spaltung der Natur der Sache nach unmöglich war, nunmehr von demfelben abgetrennt, und der Name der lögretta fortan lediglich auf fic bcfchränkt. Wenn ferner für die ältefte Zeit dahingeftellt bleiben mufste, ob in der zugleich richtenden und gefetzgebenden lögretta nur von den Goden ernannte Mitglieder oder aber zugleich auch diefe letzteren felbft Sitz und Stimme befafsen, fo (land von jetzt ■y/. t JS; ab feft, dafs für die Viertelsgerichte die erftere, für die gefetz- ^ >u gebende Verfammlung aber die leU.tere Befetzungsweife galt. Da übrigens den fämmtlichen Landesvierteln hinfichtlich der Befetzung diefer AusfchüflTe ein gleiches Mafs der Betheiligung zuftehen folKe, mufsten fich die Goden des Nordlandes eine Herabfetzung ihrer Befugniffe gefallen laffen; obwohl 12 an der Zahl, foUten fie doch bei der Bildung der lögretta und der fjorSüngsdomar nicht mehr zu fagcn haben als die 9 Goden jedes der drei anderen Landes- vicrtel. Man fieht, die Abficht der neuen Gefetzgebung gieng dahin, dafs durch die Verbindung mehrerer Godorde zu einem Dingbezirke, dann durch die Verbindung mehrerer Dingbezirke zu einem Landes viertel, und durch die hiemit zufammenhängende Ein- fetzung gemeinfamer Verfammlungen für je eine gröfsere Zahl von Godorden das drückende Uebergewicht gebrochen werden folltc, welches bisher dem Herrn jeder einzelnen Dingftätte allen Ange- hörigen fremder Godorde gegenüber zugekommen war; durch die Zcrfällung des bisher einheitlichen Gerichtes am Alldinge in vier Viertelsgerichte fuchte man aber überdiefs offenbar die Erledigung der vielen an die Landsgemeinde gebrachten Rechtsfachen während der Vergleichsweife kurzen Dingzeit zu ermöglichen, und auch hie- durch dem Gerichtswefen fefteren Halt zu geben. Infoweit alfo entfprach die Neuerung vollkommen dem Bedürfniffe, wie folches gelegentlich der Blundketilsbrenna klar zu Tage getreten war; allein die Art ihrer Durchfuhrung brachte nebenbei doch auch Veränder- ungen hervor, welche tief einfchneidend in die bisherige Verfaffung der Infel eingriffen, in einer Richtung, in welcher ein folcher Ein- griff vielleicht weder beabfichtigt noch auch nur vorausgefehen wor- den war. Durch die Abfchliefsung der Zahl der Godorde wurde freilich das Mafs der in der Würde begriffenen Befugniffe zunächil nicht erhöht, und das * Verhältnifs ihres Inhabers zu feinen Unter- gebenen zunächft nicht verändert ; aber der ariflokratifche Charakter

Die Bildung der Staats und feiner \'e'r(Tifl"ung. 57

derfclben wurde dadurch eben doch fehr erheblich verftärkt, und der Gegenfatz fehr beträchtlich verfchärft, in welchem fich die wenigen regierenden Häufer zu der grofsen Mafle des regierten Volkes befanden. Waren ferner, wie diefs doch das Wahrfchein- lichere ift, die Coden urfprünglich nach norwegifchem Mufter nicht in der lögritta gefeflen, fo lag auch in ihrer nunmehrigen Aufname in diefe eine fehr erhebliche Steigerung des ariftokratifchen Elementes in der Verfaflung begründet, da ja die von dtn regierenden Herrn ernannten Beifitzer in der gefetzgebenden Verfammlung, wenn die . erfteren erft felber in diefer Sitz und Stimme erlangt hatten, kaum in anderem Sinne als fie ihr Votum abgeben konnten. Be- zeichnend ift übrigens, dafs man bei der Neuerung, wie zumal die den Nordländern en^'iefene Rückfichtname erkennen läfst, noch mehr auf dem Wege der Uebereinkunft, als auf dem der fouveränen Gefetzgebung vorangieng; die kaum erft begründete Einheit mochte noch als zu fchwach, und der kaum erft gefchaffene Staat noch allzu fehr als das Erzeugnifs eines blofen Bündnifsvcrtrages fich darftcllen, als dafs das Betreten des letzteren Weges hätte räthlich erfcheinen können. Ob aber auch fo die neue Bezirksverfaffung jemals in ihrer vollen Confcquenz durchgeführt worden, oder ob fie nicht vielmehr fchon von Anfang an in mancher Beziehung Stück- werk geblieben fei, ift eine fchwer zu beantwortende Frage. Hier bcfchränke ich mich auf die Bemerkung, dafs zunächft die fjoröüngs- |»fng niemals allgemein in Gebrauch gekommen zu fein fcheincn ; dafs ferner die Verbindung je dreier Godorde zu einer l»ingsukn fchon frühzeitig ihre Ausnamen erlitten hat, indem einzelne Godorde aus dem ihnen angewiefenen Verbände bleibend ausfchieden, oder wenigftens vorübergehend und für einzelne Fälle fich von demfelben frei machten; dafs endlich auch wohl neue Godorde fich zu bilden fuchten, deren Verhältnifs zu den alten und zum Staate freilich noch ein ziemlich ungeordnetes gewefen zu fein fcheint.

Eine weitere VervoUftändigung der Verfaffung des Freiftaates ergab fich fodann in den erften Jahren des 1 1 . Jahrhunderts, und zwar handelte es fich dabei zunächft auch vviderum nur um eine Verbefferung des Gerichtswefens, nämlich um die F>rrichtung eines fünften Gerichtes am Alldinge. In aller Kürze gedenkt der Neuerung der alte Ari, während die Njäla über den Hergang bei derfelben einen ungleich ausfuhrlicheren Bericht giebt, bezüglich deffen aber freilich dahingeftellt bleiben mufs, wie weit er als völlig

58 l^i^* Bildung des Staats uud feiner Vcrfaffung.

getreu und vcrläfsig betrachtet werden dürfet). Die letztere Qudlc erzählt uns, wie Njäll torgeirsson, der belle Jurift feiner Zeit, fich veranlafst gefehen habe, für feinen Pflegefohn Höskuld ein Godord zu fuchen, weil eine vomeme Jungfrau, um welche er für ihn warb, nur unter der Bedingung ihm die Heirat vcrfprach, dafs er ein folches erwerbe. Da gerade Niemand fich gefunden habe, der ein Godord verkaufen wollte, habe der kluge Alte gefucht, durch eine Aenderung der Gefetzgebung fich zu helfen. Durch verkehrte Rathfchläge, welche er den Leuten gab, welche feinen Rath in Procefssachen fuchten, habe er es dahin gebracht, dafs am nächftcn Alldinge zahlreiche Rechtshändel zu keiner endgültigen Entfcheidung gelangen konnten. Im zweiten Jahre hätten in Folge deffcn die Leute gar nicht mehr den Rechtsweg betreten wollen, vielmehr fich angefchickt, mit den Waffen in der Hand ihre Streitfachen- zu er- ledigen; Njäll aber fei nunmehr als der Retter in der Noth auf- getreten, und habe in der lögr^tta ein neues Gefetz vorgefchlagen, durch welches den vorliegenden Mifsfländen abgeholfen werden follte. Er habe nämlich zunächft die Einfetzung eines fünften Ge- richtes beantragt, an welches alle Sachen gewiefen werden follten, welche in den Viertelsgerichten nicht erledigt werden konnten, und auf deffen Befetzung neben den Häuptlingen älterer Ordnung auch noch die Inhaber neu zu. errichtender Godorde Einflufs haben follten, während durch eigenthümliche formelle Vorkehnmgen die Erziclung einer Entfcheidung in diefem Gerichte unter allen Umftänden ge- fiebert werden wollte ; er habe aber zugleich auch eine neue Organi- fation der lögrctta befürwortet, vermöge deren die Zahl ihrer voll- berechtigten Mitglieder vermindert," und deren Beftellung lediglich der Wahl anheimgegeben werden follte. Die fämmtlichen Vorfchläge Njäls feien fofort angenommen worden; man fei unverzüglich zur Errichtung der neuen Godorde gefchritten, und eines von diefen fei dem Höskuld zugefallen, welcher denn auch glücklich feine Hildigunn heimgeführt habe. Es läfst fich nun allerdings nicht verkennen, dafs diefer Bericht, fo wie er liegt, keine grofse Glaubwürdigkeit befitzt. Der im höchften Grade ehrenwerthe Charakter des alten Njäll fchliefst von Vornherein die Möglichkeit aus, dafs derfelbe aus rein egoiftifchen Motiven eine Neuerung beantragt haben follte.

1) fslendfngabök, cap. 8, S. 13; Njdla, cap. 98, S. 148-51.

Die Bildung des Staats und feiner VcifafTung. 59

welche fo tief in die Rechtsordnung feiner Heimath einfchnilt, und es läfst fich überdiefs auch in keiner Weife annenien, dafs er feine Vorfchläge hätte durchfetzen können, wenn die beftimmenden Motive bei deren Einbringung keine anderen gewefen wären. Die Begründung ferner eines neuen Godordes für Höskuld hätte fich doch wohl auch auf einem anderen und einfacheren Wege erreichen lafien als ver- mittelt der Einführung eines neuen Gerichtes, und umgekehrt wäre auch wider diefe recht wohl möglich gewefen ohne die Begründung neuer Godorde ; Njäll konnte fomit felbft für den Fall, dafs man auf jene eingehen würde, keineswegs mit Sicherheit darauf rechnen, fofort auch diefe verwilligt zu fehen, und mufste fomit, wenn er ficher gehen wollte, doch eher auf einem anderen Wege voranzu- kommen fuchen. Endlich fteht ein Theil feiner Vorfchläge, wie zumal die auf die lögretta bezüglichen, mit der Einführung der neuen Godorde in gar keiner nothwendigen Beziehung, und erfcheint demnach feinerfeits durch die in der Sage gegebene Darftellung in keiner Weife motivirt. Aber alle diefe Bedenken richten fich doch immerhin nur gegen die, ohnehin fehr romanhafte, Einkleidung der Erzählung, während deren Inhalt von denfelben wefentlich unberührt bleibt. Manches deutet darauf hin, dafs die Sage in der Geftalt, in welcher wir fie allein kennen, eine fpätere Ueberarbeitung eines älteren Originales fei, ynd wenn fo manche in ihr enthaltene Strophen, dann nicht wenige in fie eingeftellte Rechtsformeln un- verkennbar erft bei diefer Gelegenheit Aufname gefunden haben, fo mag ja auch die mehr romantifche als nüchtern gefchichtlichc Darflellung des hieher gehörigen Vorganges ganz wohl als eine fpätere Zuthat betrachtet werden, bezüglich deren erft zu prüfen kommt, wie weit diefelbe etwa den der Ueberarbeitung zu Grunde liegenden älteren Bericht alterirt haben möge. Aus inneren Gründen ergiebt fich zunächft (lir die Einfuhrung des fünften Ge- richts eine vollkommen ausreichende Motivirung. Der ältere islän- difche Procefs zeigte in der That gewiffe Mängel, welche unter Umfländen jede richterliche Entfcheidung unmöglich machten. Ein- (limmigkeit der Richter galt, wenn auch nicht ftrengftens buchftäb- lich verflanden, als wefentliches Erfordernifs jedes gültigen Urtheils- fpruches, und konnte demnach, wenn fie nicht zu erreichen war, ein folcher nicht zu Stande kommen. Auf der Glaubwürdigkeit des Eides beruhte das Vertrauen, deflTen die Ausfage der Zeugen, der Wahrfpruch der Gefchworenen, das Urtheil der Richter fich erfreute ; wurde Zeugnifs, Wahrfpruch oder Urtheil als ein wifientlich falfch

ß(j Die Bildung des Staats und feiner VerfafTung.

abgegebenes angefochten, oder gar über geübte Beftechung geklagt, fo wurde eine neue Verhandlung nöthig, welche bei dem Gerichte, das vorher gefprochen hatte, zu belaffen bedenklich erfcheinen mochte. Endlich konnte es auch vorkommen, dafs durch Betrug oder offene Gewaltthat die Erledigung einer Streitfache am Gerichte verhindert wurde, und auch diefs konnte um fo nachtheiliger wirken, als die Dingverfammlungen nur je einmal im Jahre zufammentraten, und gar manche Klagen an kurze Vcrjährungsfriften gebunden waren. Traten folche Uebelftände an einem Untergerichte ein, fo konnte freilich der Zug an das Obergericht genommen werden ; ereignete fich aber die Störung des Rechtsganges in einem der vier Viertelsgerichte am Alldinge, fo war keinerlei Mittel der Abhülfe geboten. Die Lücke nun, welche in diefer Beziehung der ältere isländifche Procefs gelaffen hatte, war bisher, wie diefs die Njäla andeutet und andere Gefchichtsquellen beftätigen, durch den Zweikampf (holmgänga) ausgefüllt gewefen, welcher ja auch in unferen füdgermanifchen Rechten in gleicher Weife als ein äufserfler Nothbehelf eintratt ; Njäls Gefetzvorfchlag fuchte aber ganz richtig das Uebel an der Wurzel zu faffen, indem er die Erledigung der oben aufgezählten Rechtsfachen einem neu einzuführenden Gerichts- hofe überwies, deffen Geftaltung und Verfahren gegen die Wider- holung der erwähnten Hemmniffe eine ^ewiffe Sicherheit bieten füllte. Die Verfchärfung aller im fünften Gerichte abzufchwörendcn Eide foUte nämlich eine gröfsere Garantie für die Ehrenhaftigkeit dos Verhaltens * der Partheien, der Zeugen und Gefchwornen, und der Richter gewähren ; die Einräumung ausgedehnterer Recusations- rcchte an die Partheien in Bezug auf die ernannten Richter füllte die Unpartheilichkeit diefer letzteren noch des Weiteren erhöhen ; endlich füllte in diefem Gerichte ausnamsweife der Grundfatz der Stimmenmehrheit geften, und eine fpätere Rechtsaufzeichnung läfst erkennen, dafs felbft fiir den Fall der Stimmengleichheit durch die Vorfchrift geforgt war, dafs folchenfalls je nach Umftänden das Loüs entfcheiden, oder das verurtheilende Erkenntnifs vorgehen fülle ^). Es ift bezeichnend, dafs, während die Einfuhrung des fünften Gerichts mit ziemlicher Sicherheit dem Jahre 1004 zuge- wiefen werden kann, fchon um wenige Jahre fpäter aus Anlafs eines Zweikampfes, welcher unter zwei Angehörigen vornemer Häuptlings-

1) Kjjsbk, § 47, S. 8».

Die Bildurif^ des Staats und feiner VeifaflTunjj. (31

gefchlechter am AUdinge felbft ausgefochten worden war, die gefetzliche Abfchaffung des Zweikampfes ausgefprochen werden konnte ^) ; mit jener Verbeflerung der Gerichtsverfaffung war derfelbe in der That entbehrlich geworden. Auffällig bleibt dem gegenüber nur ein Punkt, aber freilich gerade derjenige, welcher für die Dar- flellung in der Njäla der entfcheidende ift, dafs nämlich, um den Partheien zu einem ausgedehnteren Recusationsrechte bei der Befetzuhg des fünften Gerichtes zu verhelfen, zur Errichtung neuer Godorde gegfrififen wurde, während. doch unzweifelhaft auch noch andere und einfachere Auskunftsmittel zu Gebote geftanden hätten, und doppelt auflallig mufs diefer Umftand erfcheinen, wenn man fich den Ent- wicklungsgang vergegenwärtigt, welchen die isländifche Verfaffung bis dahin genommen hatte. Aus wohlerwogenen Gründen hatte man erft vor wenigen Jahrzehnten die Zahl der ftaatlich anerkannten Godorde feft begrenzt, je 3 Godorde zu einer l>ings6kn, je 3 {)ingsöknir zu einem Landesviertel zufammengelegt, endlich den Antheil des Näheren geregelt, welcher den 39 Goden an der Centralregierung des Landes zuftehen follte ; jetzt fchuf man wider neue Godorde, welche nicht nur die eben erft feftgeftellte Zahl überfchritten, fondern auch ganz aufserhalb der Dingverbände ftanden, und an der Landes- regierung keinen weiteren Antheil namen aufser foweit ihnen ein folcher bei der Befetzung des fünften Gerichtes eingeräumt war, und diefer tief einfchneidende EingrifT in die foeben erft begründete Bezirksordnung follte lediglich zu dem Zwecke erfolgt fein, um den Partheien gegenüber den für diefes Gericht ernannten Beifitzern ein etwas ausgedehnteres Recusationsrecht zu verfchaffen r Dazu kommt noch, dafs Njäls Anträge, wie oben bereits bemerkt, fich keineswegs auf die Beflerung der GerichtsverfaflTung befchränkten, vielmehr neben diefer auch noch eine Umgeftaltung der gefetzgebenden Ver- fammlung in*s Auge fafsten, einen Punkt alfo; welcher in der Dar- ftellung der Njäla vollftändig unmotivirt erfcheint, während die in diefer Richtung beantragte Neuerung fich unfchwer auf politifche Motive zurückfuhren läfst, wie fie auch dem Streben nach der Er- richtung neuer Godorde zu Grunde liegen mochten. Wir erfahren

l) Gunnlaugs s. ortnstüngu, cap. 11, S. 258 59; vgl. Vallaljöis s., cap. 5, S. 213. Gu(>brandr Vigfüsson, Um Timatal, S. 440, fetzt den Vor- gang in das Jahr 1006, dagegen Munch, I, 2, S. 445, erft in das Jahr 1010. l)ie erftere Anname dürfte die richtigere fein; indeiTen ift die Differenz in den Angaben zu unbedeutend, um hier in Betracht zu kommen.

62 J^ic Bildung des Staats und feiner Verfaflung.

aus einem jüngeren Rechtsbuche i), dafs die lögretta in der fpätercn Zeit, wenn man von dem Gefetzfprecher und den beiden Landes- bifchöfen abfieht, aus 144 Mitgliedern beftand, welche auf 3 hinter einander flehenden Bankreihen vertheilt waren. Auf der Mittelbank faffen die 39 Coden, fowie 9 Erfatzmänner, welche, um die Ungleich- heit der Vertreterzahl aus den verfchiedenen Landesvierteln aus- zugleichen, je von den 9 Coden des Süd-, West- und Oftlandes zu gleichen Theilen hinzugewählt wurden ; auf die vordere und hintere Bankreihe dagegen kamen die Beifitzer zu fitzen, deren fich jeder Inhaber der Mittelbank je 2 zu ernennen hatte, diefe letzteren Mitglieder waren jedoch auf eine berathende Stimme befchränkt, wogegen die befchliefsende Cewalt ausfchliefblich den auf der mitt- leren Bank Sitzenden zukam. Die Zahl der Mitglieder, die Art ihrer Berufung, endlich auch deren Vertheilung auf die 3 Bänke mufs wohl bereits feit .dem Gefetze des torör gellir die gleiche gewefen fein; dagegen fcheinen Anfangs auch die von den Häuptlingen ernannten Beifitzer, die auf den beiden äufseren Bänken fafTen, gleich diefen felbft befchliefsende Stimme gehabt zu haben, wie diefs in der That auch ganz natürlich war. Solange die lögretta nämlich nach norwegifchem Brauche die richterliche Gewalt mit der gefetzgebenden vereinigt hatte, waren- doch wohl auch, wie in Norwegen, nur die von den Häuptlingen ernannten Männer in derfelben gefeflen, nicht die Häuptlinge felbft, und es war demnach fo zu fagen felbftverftändlich, dafs man, als der gefetzgebende Ausfchufs von dem richtenden fich fchied, und die regierenden Herrn felber in den erfteren eintraten, den neben ihnen in demfelben verbleibenden ernannten Mitgliedern das bisher von ihnen allein ausgeübte Stimmrecht wenigftens noch neben diefen ungefchmälert beliefs. Njäll nun foU beantragt haben, dafs fortan nur noch die Inhaber der Mittelbank befchliefsende Stimme haben, dafs aber diefe fortan andererfeits durch Wahl zu diefem ihrem Sitze berufen werden follten; dafs ferner, während bisher wie in den Gerichten Einftim- migkeit zur Faflung gültiger Befchlüffe erforderlich gewefen war, in Zukunft wie im fünften Gerichte die blofse Stimmenmehrheit genügen folle, falls nur nicht irgend ein Mitglied der lögretta wider- rechtlich am Eintritte in diefelbe verhindert worden fei, und diefs durch Erhebung eines rechtsförmlichen Proteftes feftgeftellt habe.

1) Kgsbk, 'i 117, S. 211- 12.

Die Bildung des Staats und feiner VcrfafTung. 63

Unverkennbar fpricht fich in diefen Vorfchlägen eine fehr beflimmte politifche Tendenz aus. Die Einführung des Principes der Stimmen- mehrheit in die Verhandlungen der lögretta, dann die Befchränkung des vollen Stimmrechtes in derfelben auf die Inhaber der Mittei- bank, liefs fich zwar allenfalls noch unter den Gefichtspunkt einer lediglich technifchen Verbefferung bringen, obwohl die erftere mittelbar zugleich auch zu einem ftrafferen Anziehen der Centralgewalt gegen- über den feparatiftifchen Intereffen der einzelnen Godorde führen mufste; die vorgefchlagene Aenderung aber in der Befetzung der Mittelbank kann lediglich aus politifchen Zielpunkten erklärt werden, welche auch für den Antrag auf Errichtung neuer Godorde be- ftimmend gewefen fein mufsten. Welches diefe Zielpunkte waren, läfst fich kaum mit voller Beftimmtheit fagen. Verfteht man die Worte der Njäla, welche fich auf die Wahl der Innhaber der Mittel- bank beziehen, einfach fo wie fie gefchrieben fmd, fo fcheint damit ein Verfuch angedeutet zu fein, das demokratifche Element in der Verfaflung auf Koften des ariftokratifchen zu verftärken, foferne anftatt der durch das Erbrecht berufenen Goden gewählte Männer die befchliefsende Stimme in Fragen der Gefetzgebung führen follten. Nimmt man an, dafs bis zum Jahre 965 herab die lögretta nur mit Männern Befetzt gewefen war, die von den Goden ernannt waren, fo hat ein derartiger Vorfchlag gar nichts Auffälliges, da er ja im Wefentlichen nur eine Widerherftellung der früheren Ver- faflung, wenn auch in etwas anderer Ausprägung beabfichtigte; die Zuiaflung aber neuer Godorde griff einerfeits ebenfalls nur auf das ältere Recht zurück, welches ja die Gründung von folchen Jedermann vollkommen freigegeben hatte, und mufste andererfeits durch die damit verbundene Verkleinerung der älteren Godorde, fowie durch die Spaltung, welche die Nebeneinanderftellung zweier verfchiedener Claffen von Häuptlingen in die Gefammtheit der regierenden Häufer hineintrug, zu einer weiteren Erfchütterung der Ariftokratie im Lande führen. Vielleicht fmd jene Worte der Njäla aber auch ftatt auf eine unbefchränkte Wahl nur auf eine befchränkte zu beziehen, und ifl nur an eine von den fämmtlichen Goden älterer wie neuerer Ordnung aus ihrer eigenen Mitte zu treffende Wahl zu denken. Unter diefer Vorausfetzung mufste der Vorfchlag Njäls auf das Beftreben derjenigen Familien, welche durch das Gefetz des Jahres 965 ihre frühere regierende Stellung eingebüfst hatten, oder doch durch daflelbe verhindert worden waren eine folche fich zu erringen, zurückgeführt werden, fich wider zur Gleichbcrechtigiuig

ß4 '^'t' HUdung des Staats und feiner Verfaffung.

mit den allein anerkannten 39 regierenden GefchlechtCFn aufzu- fchvvingen; die Zulaffung neuer Godorde hätte von hier aus einen noch viel verftändlicheren Sinn, und die Veränderung in der Zu- fammenfetzung der lögretta würde geradezu darauf abzielen, auch in der gefetzgebenden Verfammlung diefe neuen Godorde mit den alten auf einen Fufs zu fetzen. Die letztere Aufiaflung dürfte die richtigere fein, zumal da diefelbe fich auch leichter in den gefammten Gang der Gefchichtserzählung einfügt, wie folche jdie Njala giebt; die Forderung der ftolzen Hildigunn aus dem alten Godengefchlechte der Freysgyölingar 1), dafs ihr Freier ein Godord befitzen muffe, ehe er ihre Hand erhoffen könne, mochte wohl einen Angehörigen eines Gefchlechtes, welches vordem zu den regierenden zählend, feit 965 fein Godord eingebüfst hatte, wie Höskuld^), zu dem Ver- fuche reizen, die Gleichftellung mit den 39 bevorzugten Häufern fich und Seinesgleichen wider zu erringen, aber kaum zu einer demo- kratifchen Agitation gegen die regierende Ariftokratie führen. Wie dem aber auch fei, gewifs ift, dafs den Vorfchlägen Njäls keines- wegs blos eine perfönliche Speculation zum Berten feines Pflege- fohnes zu Grunde lag, fondern ein tiefer politifcher Plan, welcher mit den Beftrebungen einer den regierenden Häufern feindlichen Parthei im Volke zufammenhieng ; der Ueberarbeiter der Njala freilich, welcher überhaupt fich bemühte, den trockeneren hiftorifchen Ton der älteren Sage zu verwifchen, und diefe durch vorwiegende Betonung der romantifcheren Züge in der Erzählung künftlerifcher zu geftalten und zugleich unterhaltender zu machen, hat das Seinige gethan, um diefen inneren Gehalt der von ihm gefchilderten Vor- gänge möglichft zu verwifchen. Läfst fich aber bf^rcits in der

1) Ihren Stammbaum fiehe in der Njdla, cap. 96, S. 147.

2) Sighvatr rauöi wird zu den angefehenftcn landndmsmenn im Stidlande ge- ziililt, und Mör^^ gigja, MefTen Sohn (Njdla, cap. 1, S. 1) oder Enkel (Landndma, V, cap. 3, S. 283—4), zu den angefeheuflen Il.^uptllngen dafelbft, welche um das Jahr 980 lebten, Landndma, V, cap. 15, S. 320-21, vgl. Njdla, ang. (>. (»rdinn, Höskulds Vater, war Mör^s Bruderfohn, Njdla, cap. 34, S. 49—51, und cap. 59, S. 91; aber bei der Aufzählung der mächtigflen Häuptlinge, welche um 980 lebten, Kristni s,, cap. 1, S. 4, wird weder fein Name noch der eine^ Anderen feines Gefchlechts genannt, und auch fonfl nirgends mehr von einem Ciodorde gefprochen, das im Befitze diefes letzleren gewefen wäre. Mag fein, daf-^ (lu^brand^ Vigfitsson irrt, wenn er, Timatal, S. 282, den Tod MÖr6s erft in das Jahr 971 fetzt; mag aber auch fein, dafs bereits bei Lebzeiten des alten Mannes, der keine Söhne hatte, deffen Anfehen hinreichend gefunken war, um fein Haus bei dtT Ordnung der Kezirksverfaffung unberückfichtigt laffen zu können.

Die Bildung des Staats und feiner Veifaffung. 65

veränderten Motivirung der Thätigkeit Njäls, dann in der nur ganz beiläufigen Erwähnung des auf die lögretta bezüglichen Theils feiner Vorfchläge die Hand des Ueberarbeiters der Sage erkennen, fo ift das Gleiche in nicht geringerem Grade bezüglich deffen der Fall, was er über das Schickfal diefer Anträge erzählt. Was wir über die Verfaffung Islands in der fpäteren Zeit wiffen, zeigt nämlich, dafs es viel zu viel gefagt ift, wenn unfere NjäJa diefe Anträge fofort ihrem vollen Umfange nach annemen und mit Gefetzeskraft bekleiden läfst, dafs vielmehr nur ein Theil derfelben unverkürzt zur Anname gelangte, wogegen ein anderer Theil fo gründlich umgeftaltet wurde, dafs feine Durchfuhrung geradezu das Gegentheil von dem erzielte, was der Antragfteller feinerfeits bezweckt hatte. Angenommen wurde nämlich allerdings die Einfetzung eines fünften Gerichtes, und angenommen auch die Zulaffung neuer Godorde, welche bei deffen Zufammenfetzung mit betheilig^ fein foUten; ein fpäteres Rechtsbuch läfst auch über den letzten Punkt keinen Zweifel^), und die Njäla nennt fogar die Namen von zweien der neuerrichteten Godorde (Melmanna goöorö und Laufaesinga goöorö), deren eines freilich nach einer anderen Quelle erft in etwas fpäterer Zeit aufgekommen fein foll2). Angenommen wurde ferner, und auch hiefür giebt daffelbe Rechtsbuch Zeugnifs, der Grundfatz der Stimmenmehrheit bei der Faffung, fei es nun aller oder doch ge- wiffer, Befchlüffe in der lögretta, fowie die Befchränkung des vollen Stimmrechtes in derfelben auf die Inhaber der Mittelbank 3^ ; abge- lehnt wurde dagegen, wie fich aus eben diefer Quelle deutlich er- fehen läfst, der Antrag, diefe Mittelbank mit gewählten Männern zu befetzen, und diefe theilweife Ablehnung des neuen Gefetzvor- fchlages bei gleichzeitiger Anname feiner anderen Hälfte hatte demnach zur Folge, dafs die 39 Goden älterer Ordnung fammt den zur Ausgleichung hinzuerwählten Erfatzgoden für das Süd-, Weft- und Oftland nunmehr die befchliefsende Stimme in Fragen der Gefetzgebung ausfchliefsend erhielten, welche fie bisher mit den gewählten Inhabern der beiden anderen Bänke hatten theilen muffen, und hinfichtlich deren Njall ihren Einflufs noch weiter zu befchränken beabfichtigt hatte. Infoweit alfo hatten die alten Godengefchlechter den Streich meifterhaft zu pariren gewufst, welcher gegen fie geführt

1) K^bk, g 43, S. 77.

2) Vgl. Bandamanna s., S. 7.

8) Kgsbk, § 117, S. 211, und fgg. Maiirt'r, Inland. **

ßfi Die Bildiinfj des Slams und feiner VcrfafTung^.

*

werden wollte; ihr Nachgeben aber hinfichtUch der ZulafTung der neuen Godordc wird begreiflich, wenn man erwägt, dafs gerade bei diefem Theile der Vorfchiäge Njäls das Interefle nicht weniger hoch angefehener Familien direft betheiligt war, mit welchen fich abzufinden nothwendig erfcheinen mochte, begreiflich zumal, wenn man annimmt, dafs das Gcfetz vom Jahre 965 die Errichtung neuer Godorde nicht fchlechterdings ausgefchloflen habe, und dafs es fich fomit im Jahre 1004 nicht um deren Neubegründung, fondern nur um deren ftaatliche Anerkennung, deren Exemtion von den 13 Dingverbänden, und deren ausnamsweife Heranziehung zu der Befetzung des fünften Gerichtes handelte. Für den alten Njäll fcheint die feindfelige Haltung, welche er den alten Godenhäufem gegenüber eingenommen hatte, die Urfache feines Unterganges geworden fein ; in dem Gefpräche, welches fie den Mörö mit feinem Vater, Valgarör enn gräi, halten läfst i), deutet die Njdla felbft noch klar genug den Hafs, welchen die alten Godenfamilien wegen der Zulaflung der neuen Godorde im Herzen trugen, als das beftim- mende Motiv bei der »Njälsbrenna« (lOii) an, während fie freilich, um ihre Erzählung dramatifcher und dem allgemein menfchlichen Intereffe entfprechender zu geftalten, in deren weiterem Verlaufe diefe politifche Grundlage der betreffenden Vorgänge fehr in den Hintergrund treten läfst. Die bleibende Bedeutung der neuen Gefetzgebung ift aber, wenn man von der durch fie erzielten V^er- befferung des Gerichtswefens abfieht, und nur die fpecififch poli- tifchen Momente ins Auge fafst, eine zwiefache. Auf der einen Seite fteigert diefelbe noch den Einflufs der 39 alten Godorde auf > den Gang der Gefetzgebung, indem fie die alleinige Entfcheidung aller legislativen Fragen in die Hand ihrer Träger legt ; auf der (anderen Seite aber ftellt fie eine neue Claffe von Godorden diefen älteren an die Seite, welchen fie an der Centralregierung des Landes nur bezüglich der Befetzung des flinften Gerichts einen Antheil einräumt, und die fie zugleich, ganz aufserhalb der Dingverbände flehend, hinfichtlich der Bezirksregierung ganz ebenfo ifolirte Herr- fchaften bilden läfst, wie folche in den Jahren 930—65 ganz allge- mein beftanden hatten. Eine Vermehrung der Zahl der regierenden lläufer war damit ermöglicht, welche deren Anfehen erheblich fchwächen mufste, während zugleich der zwifchen den alten und

1) Njdl.i, c.i^>. 108, S. 160.

Die Bildung <1es Staats und feiner Verfaffung. 67

neuen Godorden beflehende Gcgcnfatz die Gemein famkeit der Intereffen vermindern, und die Loslöfung der letzteren aus den Dingverbänden die allmälige Auflöfung diefer letzteren gar fehr befördern mufste. So hoch demnach die Einführung des fünften Gerichts in technifch juriftifcher Hinficht angefchlagen werden mufs, fo entfchieden ift doch die Art, wie fie ins Werk gefetzt Würde, in politifcher Beziehung als ein Rückfehritt zu betrachten. Mit der Einführung des fünften Gerichts und der Abfchaffung des Zweikampfes hatte die weltliche Verfaflung Islands im Wefent- lichen ihren Abfchlufs gefunden. Eine Reihe von einzelnen Gefctzen, über deren allmäliches Zuftandekommen wir zumal durch die ge- fchichtlichen Quellen unterrichtet find, braucht hier nicht des Näheren befprochen zu werden ^); nur mag noch einer zweiten legislativen Arbeit von gröfsereigi Umfange gedacht werden, welche dem Anfange des zwölften Jahrhunderts angehört, nämlich der Hafliöaskra. Der alte Ari erzählt uns 2), dafs am Alldinge des Jahres 1117 befchloffen worden fei, durch eine Commiffion von rechtsverftändigen Männern das geltende Recht aufzeichnen, und foweit diefs diefer Commiffion zweckmäfsig erfcheinen würde, durch neue Beftimmungen verbeffern zu laffen ; am nächften Alldinge folltc dann deren Arbeit vorgelegt werden, und foweit diefelbe nicht von der Mehrheit der Mitglieder der lögretta beanflandet werden Svürde, Gcfetzeskraft erhalten. So fei es denn auch gefchehen, »fodafs damals Vigsloöi gefchrieben wurde und viel Anderes in den Gefetzen, und in der lögretta von Klerikern vorgelefen im Sommer darauf, und das gefiel Allen wohl, und Niemand fprach dem entgegen«. Neben dem Gefetzfprecher Bergtörr Hrafnsson wird' noch der mächtige Gode Hafliöi Märsson als ein einflufsreiches Mitglied diefes Gefetzgebungsausfchuffes genannt, und auf feinem Hofe, zu BreiöabölstaCr f Vestrhöpi, fcheint diefer im Winter 1117--18 feinen Sitz gehabt zu haben; den Namen der Hafliöaskra, welchen uns ein fpätercs Rechtsbuch nennt ^), und

1) Eine Zufammenflellung der fämmtlichen Gefetze in chronologifcher Reihen- ft>lge fiehe in meinem Artikel »Gnigiis» in der Allgemeinen Encyklopädie der Winrenfchaften und Künfte, I. Section, Band 77, S. 17—21.

2) tslendingabök, cap. 10, S. 17. Der Bericht der Kristni s., cap. 13, S. 29, ift fichtlich aus diefer Quelle gefchöpft, jedoch verftümmelt, wie die Ver- gleichung der Sturlünga, III, cap. 8, S. 204, zeigt. Die Aunalar, a. 1117, habe nur den kurzen Eintrag: «lögfundr«.

3) Kgsbk, § 117, .S. 213.

5*

()g Die Einführung des Chriflenthums, u. die Begründung der Kirchenverfaffung.

welcher fich auf keine andere Aufzeichnung beziehen kann, ver- dankt diefelbe natürlich den Vcrdicnften diefes Häuptlings um ihre Entftehung. Man pflegt das im Jahre 1118 entftandene Werk mit den Ülfljotslög zu vergleichen, und als das zweite isländifche Land- recht zu bezeichnen; indeffen fragt fich doch ob mit Recht. Ari's Worte laffen nicht auf eine einheitliche und zufammenhängende Codification des gefammten Landrechtes fchliefsen, fondern nur auf eine Anzahl einzelner Aufzeichnungen über einzelne Rechtsmaterien ; fachlich aber weifen diefelben fehr deutlich darauf hin, dafs in erfter Linie nur die Aufzeichnung des geltenden, nicht die Schöpfung neuen Rechtes beabfichtigt war, wenn auch die letztere keineswegs völlig ausgefchloffen werden wollte. Man wird kaum fehlgehen, wenn man annimmt, dafs es fich im Wefentlichen nur um die Auf- zeichnung der wichtigflen Stücke jener Recht^-orträge gehandelt haben werde, deren regelmäfsige Haltung zu den Obliegenheiten des Gefetzfprechers gehörte ; eine Stelle in den uns erhaltenen Rechtsbüchern, welche von der »uppsaga« als einer ihren Verfaflern vorliegenden Rechtsaufzeichnung fpricht^), fcheint gerade auf die Hafliöaskrd bezogen werden zu muffen.

§ 5. Die Einführung des Christenthums, und die Begründung

der Kirchenverfassung.

Nur wenige Jahre früher, als die weltliche Verfaffung Islands ihre volle Ausbildung erreichte, vollzog fich ein weiteres Ereignifs von tieffter Bedeutung für die Gefchicke des Landes, der Uebertritt nämlich feiner Bevölkerung zum Chriftenthume 2)/ Nicht unvor- bereitet trat dasfelbe einj vielmehr war dasfelbe nur das Ergebnifs eines langen, hartnäckigen Kampfes und einer tiefen, das gefammte Volksleben in feinen Grundfeften erfchütternden Gährung. Glück- licherweife geftattet uns der Zuftand unferer Quellen, die Befchaffen- heit diefer Gährung und den Verlauf jenes Kampfes ziemlich genau zu erkennen.

1) Kgsbk, § 86, S. 150; Vigslö?Si, cap. 21, S. 37.

2) Vgl. Kinni Johannnei Historia ecclesiastica Islandiit, Hd. I (1772): K. Keys er, Den norske Kirkes Historie ander Kalholicismen, Bd. I (1856) mul Munch, Det norske Kolks Historie, Bd. I, Ahth. 1 und 2 (1852 und 1%3): meine Schrift: Die Bekehrung des norwegifchen Slanimes zum Chriftenthume, 2 Bde. (1855 und 1850).

Die Einruhrung ilcs Chriflcnlhums, u. die Kegründung der Kirchenverfaffung. 69

Oben war bereits Gelegenheit zu bemerken, dafs fchon unter den erften Einwanderern in Island einzelne Leute chriftlichcrt Glaubens fich befanden ; an diefe knüpft fich indeflen die Bekehrung der Infel ebenfowenig an als an die wenigen keltifchen Chriften, welche fich bereits vor den Nordleuten auf derfelben aufgehalten hatten. Die meiften diefer chriftlichen landnämamenn mögen wohl von Haus aus fo »gemifchten Glaubens« gewefen fein wie jener Helgi hinn magri, welcher zwar die Taufe empfangen hatte, und an den Chrift zu glauben behauptete, ja fogar einen Hof nach ihm Kristsnes benannte, aber doch in Nothfällen, und zumal wenn es fich um die Seefahrt handelte, den ^ör anrief, und von ihm fich den Ort feiner Niderlaflung anweifen liefst). Andere hielten zwar entfchiedencr am Chriflenthume feft, und bauten fich allenfalls fogar, wie Örlygr gamli, eine Kirche, oder richteten doch wenigftens, wie Auör djupauöga, ihre Kreuze auf, um bei ihnen ihr Gebet zu ver- richten ; aber auch in folchen Fällen pflegte der Glaube bereits bei der nächften Generation wider zu verfallen, und erhielt fich höchflens darinn noch einige Erinnerung an denfelben, dafs man auf den Kreuzhügeln der chriftlichen Ahnfrau den heidnifchen Göttern einen Altar errichtete 2), oder dafs man, wie Örlygs Nachkommenfchaft that, obwohl felbft ungetauft und im Uebrigen heidnifchen Glaubens, doch noch auf den heiligen Columba fein Vertrauen fetzte 3), und auch deflen Kirche flehen liefs, ohne fie freilich mehr zu befuchen^). Nur von einem einzigen Haufe wird uns berichtet, dafs es fort und fort dem Chriftenthume treu geblieben fei, nämlich von dem des Ketill fiflskiö); aber gerade in diefem Falle war es, wunderlich genug, heidnifcher Aberglaube, welcher die Bckenntnifstreue veranlafstev man meinte, dafs ungetaufte Leute in Kirkjubaer nicht wohnen

1) Landnama, III, cap. 12, S. 206—7; FMS., I, cap. 124, S. 2515 Flbk, I, § 220, S. 267.

2) I.andnama, II, cap. 16, S. 111 und cap. 19, S. 117; ?\MS., I, cap. 122, S. 247—49; Flbk, I, §218 S. 265—60. Die Krosshölar haben diefen ihren Xamen bis auf den heutigen Tag bewahrt.

3) Landnama, I, cap. 12, S. 44, zumal nach dem Texte der llauksbok; FMS., I, cap. 119, S. 244.

4) Kjalnesinga s., cap. 18, S. 459.

5) Landnama, IV, cap. 11, S. 266; FMS. I, cap. 125, S. 251, und II, cap. 216, S. 202; Flbk, I, J 221, S. 267; Njäla, cap. 102, S. 158; Kristni 55., cap. 7, S. 12.

70 ^^^ Einführung ties Chriftenlhunib, u. die Begründung der KirchenverfaflTung.

könnten, weil vordem Papar dort gehäuft hatten ! In der That konnte, gering an Zahl, rings von Heiden umgeben und von allem Verkehre mit chriftlichen Prieftern abgefchnitten wie fie waren, bei den wenigen Chriftenleuten der Glaube fich nicht erhalten, und fo wird es denn die volle Wahrheit fein, wenn uns berichtet wird ij, dafs das Heidenthum rafch Ueberhand genommen, und nahezu ein Jahrhundert lang die Infel ausfchliefslich beherrfcht habe.

Zufällige Berührungen mit dem Chriftenthume ergaben fich allerdings auch noch in der fpäteren Zeit, fei es nun, dafs einzelne Chriftcn, zumal von den Infein des Weftens aus, auf ihren Fahrten Island befuchten^), oder dafs Unfreie chriftlichen Glaubens dahin gebracht wurden 3), oder dafs umgekehrt einzelne Isländer gelegentlich ihrer Handelsreifen oder Heerfahrten im Auslande den fremden Glauben kennen lernten. In bei Weitem den meiften Fällen mögen freilich Leute der letzteren Art, wie diefs z. B. Egill Skallagrimsson und Gisli Sürsson thaten^), fich nur zur Annanie der Kreuzesbezeichnung (primsigning) verftanden haben, was damals gewöhnlicher Gebrauch war, fowohl bei Kaufleuten als auch bei Denen, die bei Chriftcn Dienft namen, weil die mit dem Kreuze bezeichneten Männer die volle Gemeinfchaft mit den Chriftenleuten fowohl als mit den Heidenleuten hatten; mit dem Glauben aber hielten fie es, wie es ihnen am Beften zufagte. Manche empfiengen aber doch auch die Taufe, und fcheinen fich demnach ernfthafter dem Chriftenthume zugewandt zu haben. Eine Groa hin kristna wird uns etwa um die Mitte des lo. Jahrhunderts &), und nur wenig fpäter ein torleifr hinn kristni genannt 6), während von ^orvarör Spakböövarsson wenigftens der Mönch Gunnlaugr wiffen wollte,

1) Landniima, V, cap. 15, S. 321 22j FMS., I, cap. 119, S. 244^ Flbk, I, g 215, S. 263.

2) Wie etwa der Dichter der Hafger&mgadrapa, Eiriks J». rauÖa, cap. 3, S. 18; Flbk, I, ? 342, S. 430-31; Landndma, II, cap. 14, S. 106, und V, cap. 14, S. 320.

3) Wie z. B. Melkorka, die Tochter des irifchen ICönigs Myrkjarlan, Laxdivlu, cap. 28, S. 108; Landniima, II, cap 18, S. 114.

4) Eigla, cap. 50, S. 102; Gisla s. Sürssonar, II, S. %, womit zu. ver- gleichen I, S. 18.

5) Landnama, II, cap. 25, S. 138, Anm. 2 (Melabuk).

6) Vopnfirbinga s., S. 6—11; kürzer Kristni s., cap. 11, S. 23-24, und FnIs., II, cap. 228, S. 239, fowie Flbk, I, ^ 350, S. 444—45.

Die Einfiibrung des Chriflcnlliums, u. die Bej^ründung der KirchunverfafTung. 71

dafs er in England getauft worden fei l) ; aber freilich war auch mit der Bekehrung derartiger Leute für das Land felbft nicht viel gewonnen, da fie gar häufig nicht mehr in ihre Heimat zurückkehrten, vielmehr wie Kolskeggr Hämundarson 2), oder Auör, des Gisli Sürsson Wittwe, fammt ihrer Begleiterinn GunnhildrS), im Auslande darben. Dennoch aber knüpft fich gerade an eine folche, im Auslande erfolgte Bekehrung eines einzelnen Mannes der erfte Verfuch an, das Chriftenthum auf Island felbft zu ver- künden, die Miffion nämlich des liorvaldr viöfbrli und des deutfchen Bifchofes Friedrich.

Einem vornemen Häuptlingsgefchlechte entfproffen, war orvald r Koöi'ansson frühzeitig auf Reifen gegangen, deren weite Aus- dehnung ihm den Beinamen vföförli, d. h. der Weitgereiste, ver- fchafften. Eine Zeitlang hatte er an den Heerfahrten des dänifchcn Königs Sveinn tjügguskegg Antheil genommen, dann aber in Sachfen die Bekanntfchaft eines Bifchofes Namens Friörekr gemacht, von . welchem er fich bekehren und taufen liefs. Von Haus aus milden, menfchenfreundlichen Sinnes, wandte fich ^prvald dem neuen Glauben mit mehr als gewöhnlicher Lmigkeit zu; auch die Seinigen wünfchte er für das Evangelium zu gewinnen, und der Bifchof liefs fich durch ihn beftimmen, das Wagnifs einer Miffionsreife nach Island zu unter- nemen. So berichten unfere Quellen über die Gefchichte diefer Miffion^), und es liegt kein Grund vor, ihrer Angabe im Wefent- lichen zu mifstrauen. Wenn nämlich zwar allerdings ein Bifchof Friedrich, welcher in der kritifchen Zeit die Fahrt nach Island unternommen haben könnte, in deutfchen Quellen fchlechterdings nicht nachgewiefen werden kann, während doch die eine der beiden Quellen den Mann ausdrücklich als einen Sachfen bezeichnet, die andere ihn wenigftens in Sachfen mit l>orvald bekannt werden läfst,

1) FMS., II, cap. 225, S. 224; Flbk, I, 'i 345, S. 436.

2) Njaila, cap. 82, S. 121.

3) ('.isla s. Sürssonar, 1, S. 73: II, S. 100.

4) Nämlich die Kristni s., cap. 1—4, S. 3-- 8, und cap. 12, S. 25- 20, fuwie der {jorvalds J>. vl^fürla. Der letztere ifl theils vollfländig, iheils abge- kürzt in die jüngeren Bearbeitungen der Olafs s. Tryggvasonar eingeflellt, jet/.t aber am Berten in den Biskupasögur, I, S. 35 50 herausgegeben; über deffen Verfafferfchaft vgl. meine Abhandlung: *Ueber die Ausdrücke: altnordifche, alt- norwegifche und altisländifche Sprache«, Anm. 15, S. 546 (in den Abhandlungen der Münchener Akademie, I. Clafle, XI. Bd., II. Abth.).

72 I^^c Einfülirunj; des Cliriftentliums, u. die IJcgründung der Kirchen vcrfftffiing.

und deffen Name felbft für eine deutfche Herkunft Zeugnifs gicbt, fo läfst fich doch diefer fcheinbare Widerfpruch leicht bcfeitigcn, fei es nun dafs man anneme, die verfchönernde Sage habe einen einfachen Priefter hinterher mit dem Bifchoftitel gefchmückt,- oder dafs man dafür halte, Friedrich fei wirklich zu diefem Titel berechtigt, aber ohne einen beflimmten Sprengel zu erhalten lediglich zu MifTionszwecken geweiht gewefen. Da bereits Ari froöi den Mann unter die ausländifchen Bifchöfe rechnet, welche Island befucht haben, und ihn dabei ganz richtig als den einzigen bezeichnet, welcher »im Heidenthume«, d. h. vor der gefetzlichen Anname des Chriftenthumes auf der Infel, dahin gekommen fei i), dürfte die letztere Erklärungsweife wohl die richtigere fein. Die beiden Glaubens- boten kamen im Jahre g8i nach Island 2). Nicht ohne Schwierigkeit wurde Torvalds alter Vater fammt einer Reihe anderer Leute bekehrt, wobei torvaldr dem Bifchöfe als DoUmetfcher diente, weil dicfcr felber der nordifchen Sprache nicht mächtig war. Mancherlei von dem letzteren verrichtete Wunder follen dabei dem Bekehrungs- werke befonderen Vorfchub gcthan haben, wie denn insbefondere die erfolgreiche Bewältigung einiger Berferker zu Giljä im Vatnsdale grofsen Eindruck gemacht zu haben fcheint^); fo kam es, dafs felbft von denen, welche fich zur Anname der Taufe nicht beftimmen liefsen, gar Manche wenigftens der Bezeichnung mit dem Kreuze fich unterwarfen, und dafs Andere, wenn fie fich auch von der Wahrheit der neuen Lehre nicht zu überzeugen vermochten, doch w^enigftens ihren heidnifchen Glauben fammt allem an ihn fich knüpfenden Opferdienfte aufgaben. Umgekehrt fehlte es freilich auch nicht an ftrenggläubigen Heiden, welche den Neuerern mit grimmigem Eifer entgegentraten. Der Verfuch, am Alldinge das Evangelium zu verkünden, fcheiterte an dem Widerftande derartiger Männer ; mit höhnenden Spottverfen wurden die Glaubensboten von ihnen verfolgt, und als ^orvaldr, was das Landrecht zweifellos erlaubte*), die Beleidigung blutig rächte, w^urde damit natürlich

1) Islendi'ngabük, cap. 8, S. 13; vgl. auch Ilitngrvaka, cap. 3, S. 64,

2) Vgl. bezüglich der Chronologie mein angeführles Werk lid. I, S. 205—6, Anmerkung 10, wo Munch's abweichende Anficht widerlegt wird. Gu^brandr Vigfiisson, Um timatal, S. 429 30, flimmt wefentlich mit meiner Berechnung überein.

3) Ihrer gedenkt auch die Vatnsda^la, cap. 46, S. 76 77, und nach ihr die Melabok, Landnäma, UI, cap. 4, S. 183, fowie die Grettla, cap. 13, S. 21.

4) Vfgslübi, cap. 105, S. 147.

Diu F'infiihnnig tlc> Cliriftcnlhum^. u. die Ucj^rUiulunj; der KiichcnvcrfalTunj^. 73

Nichts gebefTert. Aus religiöfen Gründen, wie es fcheint, am 1 legraness^nge geächtet, mufsten die beiden Männer, am Erfolge ihres Unternemens verzweifelnd, im Jahre 986 das Land wider ver- laflen. Der Bifchof gieng fofort nach Deutfchland zurück ; t)orvaldr aber, der fich nicht das nöthige Mafs chriftlicher Geduld zutraute, um die Anfechtungen der Heiden ruhig ertragen zu können, pilgerte nach Jemfalem, und fand fchliefslich in einem ruffifchen Kloftcr fein Ende, von den Leuten der Gegend als ein Heiliger verehrt.

So war denn diefer erfte Miffionsverfuch gefcheitert. Ohne tief eingreifende Folgen blieb derfelbe freilich keineswegs, da einerfeits eine nicht geringe Anzahl von Anhängern durch denfelben für den neuen Glauben gewonnen worden war, und darunter einige der angefehenften Häuptlinge des Landes, wie etwa ^orkell krafla aus dem Haufe der Vatnsda^lir, Eyjülfr Valgeröarson aus der Familie der Mööruvellingar, [»orvarör Spakböövarsson, der Erbauer der Kirche zu As, u. dgl. m., andererfeits aber auch die ohnehin fchon begonnene innere Zerfetzung des Heidenthumcs durch die nähere Berührung mit dem Chriftenthumc in einer Weife gclleigert wurde, welche den Fall des erfleren nur noch zu einer P'rage der Zeit machte. In zahlreichen Träumen, Ahnungen, Gefichten und Wdffagungen fpricht fich die innere Unruhe, welche das Volk ergriffen hatte, und delTen banges Vorgefühl von dem nahen Zu- fammenbrechen der alten Götterwelt ganz unverkennbar aus. Gar Mancher, der die neue Lehre doch nur vom Hörenfagen kannte, wog bereits, wie der alte Njäll^), deren Vorzüge vor dem alten Glauben ab, und entfchied fich dafür, bei der erflen fich dar- bietenden Gelegenheit zu ihr überzutreten. Oefter noch mochte, wie bei Bjami Sturluson ''i) oder dem alten Havarör halti, irgend ein bcfonderer Nothftand Veranlaffung geben, den Chriftengott anzu- rufen, von deffen Macht man gehört hatte, und dann feinem Be- kcnntniffe fich anzufchliefsen, wenn er fich hülfreich erwiefen hatte. Am häufigften fcheinen glaubenslofe Zuflände in Folge der Predigt des Evangeliums um fich gegriffen zu haben, indem zwar die Be- kämpfung des alten, aber nicht die Verkündung des neuen Glaubens auf dankbaren Boden fiel. Immerhin war aber diefer Gährungs-

1) Njala, cap. 101, S. 156.

2) Landndma, II, cap. 1, S. 65; FxMS., I, cap. 129, S. 254—55.

3) IsfirÖinga s., cap. 11, S. 28.

74 I^it-' Kinfulirung dch ClirillciUhuui^, u die iJcgrüruluiig der KirclienverfalTung.

zuftand ein dem Chriftenthume günftigcr, dcffcn Anhänger felbfl- verftändlich mit dem ganzen Feuereifer von Neophyten und mit Aufgebot aller Mittel für feine Ausbreitung wirkten, während das Heidenthum, an fich fchon toleranter, und überdiefs fchon längft von Innen heraus angefault, diefen Angriffen im Ganzen nur einen ziemlich lahmen VViderfland entgegenfetzte. Abgefehen von der über t>orvald viöfbrli verhängten Acht, deren juriftifche Begründung aus unferen Quellen nicht recht erfichtlich ifl, hören wir in 'diefer Zeit nur noch von einer einzigen gerichtlichen Verfolgung eines Chriften, von der des Vorleifr hinn kristni, welcher wegen feiner Weigerung, den Tempelzoll zu bezahlen, vor Gericht geftellt werden wollte, und felbfl in diefem Falle ifl es, wie man fieht, zunächfl nicht der cigenthümliche Glaube des Mannes, fondern nur die Nichterfüllung feiner Steuerpflicht, welche den Grund der Verfolgung bildet. Nicht von einem einzigen Märtyrer, welcher auf einheimifchem Boden fein Knde gefunden hätte, weifs demgemäfs die isländifchc Kirchcn- gefchichte zu erzählen. Trotz aller diefer forderlichen Umflände würde indelTen das Chriftenthum auf Island immerhin nur fehr lang- fame Fortfehritte gemacht haben, wenn demfelben nicht von Aufsen her eine kräftige Unterflützung zu Theil geworden wäre ; diefe ent-

fcheidende Hülfe kam aber aus dem norwegifchen Mutterlande.

I

König Olafr Try ggvason (995 1000) war bereits während des unruhigen Abenteuererlebens, welches er in feiner Jugend gefuhrt hatte, mit dem Chriflenthume bekannt geworden; in England hatte er die Taufe empfangen, und war dann nach Norwegen heimgekehrt, mit dem feflen Entfchlufl'e, nicht nur fein Erbrecht auf die nor- wegifche Krone geltend zu machen, fondern auch das Land dem Chriflenthume zu gewinnen, was der gleichfalls in England getaufte K. Hakon Aöalsteinsföstri um ein halbes Jahrhundert früher ver- geblich verfucht gehabt hatte. Der gewaltigen Perfonlichkeit K. Olafs, der rückfichtslofen Härte, mit welcher er dem wider- flrebenden Volke feinen Willen aufzuzwingen wufste, gelang es in der That, in Norwegen die Anname des Chriflenthums durchzu- fetzen ; mit diefem Erfolge nicht zufrieden, wandte aber der glaubens- eifrige König auch den norwegifchen Nebenlanden fein Augenmerk zu, und wufste nicht nur die unter feiner Herrfchaft flehenden Faeröer und Orkneys, fondern auch Island und Grönland, die von ihm völlig unabhängigen Freiflaaten, zum Chriftenthum herüber- zuziehen, indem er einerfeits die grofse Zahl zumal isländifcher Männer zu gewinnen fuchte, welche ftets auf längere oder kürzere

Die Einfühlung des Chrifleutliums, u. die Dcgnindung der KiiLlicnvcifjilTung. 75

Zeit das norvvegifchc Stanimland zu befuchcn pflegte, andercrfeits aber auch durch eigens ausgefandte Glaubensbote ii in jenen Län- dern felbft zu wirken beftrebt war. Wir erfahren demnach eines- thcils, wie ^orvaldr tasaldi, Hallfreör vandrccöaskäld, Kjartan Ölafsson, Bolli torleiksson, Brandr hinn örvi und eine lange Reihe anderer Isländer aus den angefehcnften Häufern der Infel bald durch gute Worte, bald durch Drohungen desiK önigs zur Anname der Taufe in Norwegen fich beftimmen lefsen, und wir hören anderentheils auch von drei verfchiedenen Miffionen, welche der König nach Island felbfl: abordnete. Die Gefchichte diefer letzteren ift es, welche hier noch etwas näher zu befprcchen kommt.

Der erfte Sendbote des Königs war ein geborener Isländer, Stefnir l>orgilsson, aus dem mächtigen Haufe der Kjalnesingar i). In Dänemark getauft, hatte diefer in England an K. Olaf fich an- gefchloflen; als er jetzt von diefeni dazu auserfehen wurde, feinen Landsleutcn das Evangelium zu verkünden, äufserte er zwar die entfchiedenften Zweifel an feinem Berufe zu folchem Unternemen und an der Möglichkeit feines Gelingens, unterzog fich demfelben indeffen dennoch, als getreuer Dienftmann dem Befehle feines Dienft- herm gehorchend. Auf Island angekommen, betrieb er nun freilich das ihm übertragene Gefchäft als ächter Heergefelle. Furchtlos verkündete er den neuen Glauben; aber als ihn die Leute nicht freundlich aufnemen, und feinem Zufpruche nicht fofort Folge leiften wollten, fieng er fogleich an mit Gewalt die Götzenbilder zu zer- brechen und die Tempel zu zerftören, ohne auf Landrecht und Tempelfrieden irgend zu achten. Da wurde am Allding ein Gefetz erlaflen, welches jede Veletzung oder Läfterung der Götter mit der Strafe der Landesverweifung bedrohte, und "v^elches, bezeich- nend genug, die Klagcftellung der Verwandtfchaft des Schuldigen, mit Ausname nur ihrer nächften Grade, übertrug; einen der eigenen Verwandtfchaft angethanen Schimpf (fra^ndaskömm) erblickte man in der Feindfeligkeit gegen den von den Vorfahren ererbten Glau- ben! Wirklich treten die eigenen Verwandten Stefnirs gegen diefen klagbar auf; fie fetzen feine Verurtheilung durch, und im folgenden

1) Die Quellen für die Gefchichte diefer zweiten Miffion bilden dieKriflni s., cap. 6, S. 9 11, und cap. 12, S. 25 26, fowie die jüngeren Bearbeitungen der Olafe s. Tryggvasonar, FMS., I, cap. 139, S. 276; cap. 142, S. 283-6; II, cap. 187, S. 118; cap. 233, S. 257—8; III, cap. 263, S. 19—20: ferner Flbk, I, I 238—40, S. 285—7; § 294, S. 362, und § 892, S. 500.

7(5 I>J^ Miiifülirung tlc> Cliriflcnlliuins, u. die IJcgrüiitlunt; dur KirclieiivcrfaflTunjj.

Jahre bereits kehrte diefer nach einjähriger Abwefen^ieit zu feinem Könige zurück (997), mit der Meldung, dafs Island fich fpät oder nie zum Glauben werde bekehren laffen. Bei K. Olaf blieb aber Stefnir bis an deffen Tod; eine zornige Strophe, welche er auf Sig\^aldi jarl dichtete, deffen .Verrath den König zu Fall gebracht hatte, koftete den treuen Dienflmann fchliefslich fein Lebend).

Nachdem -ein zweiter Isländer, der bereits erwähnte Kjartan Olafsson, einen änlichen Auftrag des Königs abgelehnt hatte, um nicht mit feinen eigenen Verwandten fich verfeinden zu müflen-), gieng als ein zweiter Sendbote ein deutfcher Priefter Namens Dankbrand nach Island ab 3). Die Jugendgefchichte diefes Mannes fcheint fchon frühzeitig von legendenhaften Sagen ausgefchmückt worden zu fein; die isländifchen Ueberlieferungen, wie fie in der Njäla, Kristni saga und den jüngeren Bearbeitungen der Olafs saga nidergelegt find, machen ihn zu einem Grafenfohne aus Bremen, während der Mönch Theodorich ihn aus Flandern herftammcn läfsl. Doch ftellt der Name, welcher in den isländifchen Quellen ^angbrandr, in der 1 liftoria Norwegiai Tangbrandus, und nur bei Theodorich Theobrandus lautet, die deutfche Herkunft feines Trägers feft, und als ficher darf überdiefs wohl auch die weitere Thatfache betrachtet werden, dafs diefer, unruhigen Sinnes und vielleicht zudem einer

1) Dicfclljc in auch in der Fagr.s k i n n n , ^ 7(5, S. 02, dann l)ci (.>ddi, Lii\K 53, S. 10 50 (ed. Muncli), und ca)) 61, S. 342 (cd. Hafn.), erhallen.

2) Laxdivla, cap. 41, S. 178: FMS., II, cap. 174, S. 78-9, und Flbk, I. ^ 27U, S. 339-40.

'S) Die Quellen über diefe dritte Miffuin find: die I bl en diugabok , cap. 7, S. U 10, und cap. 9, S. 15, und die Landnama, V, cap. 3, S. 2S3: ferner, wie es fcheint, auch auf Ari beruhend, die 11 eimskr f ngla , Olafs s. Trygj;- vasonar, cap. fcO, S. •ISiy, cap. 88, S. 192, und cap. 91, S. 195, fowie das Kin- fchiebfel bei Oddr, caj). 37, S. 297, ed. Hafn., welches bei Munch, cap. 3ü, »S. 33, nahe/u völlig; fehlt, während Dankbrands Nennung in cap. 16, S. 23 eben- fogut widerkehrt wie in cap. 23, S. 276, ed. Hafn. Selbftftändiger und ausfiilir- licher find die jüngeren Bearbeitungen der Sage in den FMS., I, cap. 74, S. 134—5: cap. 81, .S. löl: cap. 99, S. 203 und cap. 141, S. 283; II, cap. 188, S. 118-20: cap. 216, S. 197-20G, und cap. 218, S. 208—11: in der FIbk, I, ^88, S». Ur): ^ 119, S. 151; i 237, S. 285; § 295, S. 362: ^ 336—7, S. 421-26, und ^ 339, S. 427 28: ferner in der Kristni s., cap. 5, S. 8— 9, cap. 6, S. 9, und cap. 7— 8, S 11—16, und cap. 10, S. 19, fowie in der Njiila, cap. 101—105, S. 156-63. Kürzer fprechen fich dagegen aus die Laxdaela, cap. 41, S. 178 80; The'odo- ricus Monachus, cap. 8 und 12, die Hisloria Norvegice, S. 14, und die Annalar, a. 997-98.

l)ie Einftihrung des Chriftenthunis, u. die Ktgründiing der KirclienVeTrafTung. 77

begangenen Gewaltthat wegen aus feiner Heimat flüchtig, in den weftlichen Meeren an K. Olaf fich angefchloffen, und von hier aus denfelben als fein hiröprestr, d. h. Hofcaplan, nach Norwegen be- gleitet hatte. Hier hatte ihm der König die Kirche zu Mostr in Höröaland anvertraut; aber da deren Einkünfte gering waren, und Dankbrand an das flotte und ungebundene Abenteurerleben ge- wöhnt, mit ihnen nicht hauszuhalten wufste, hatte derfelbe fich er- laubt, den kärglichen Ertrag feiner Pfründe durch die Plünderung der noch heidnifchen Umgegend zu ergänzen. Als der König von diefem Treiben feines Priefters erfuhr, liefs er ihn hart an, und wollte ihn aus dem Lande verweifen; doch verfprach er ihm fchliefs- lich Verzeihung, wenn er eine Bekehrungsreife nach Island wagen wolle, und auf diefe Bedingung liefs fich Dankbrand ein. Noch im Jahre 997 ging er nach Island ab; es begreift fich aber, dafs es auch bei diefer Mifflon nicht fehr glimpflich hergieng, zumal da der flreitbare Heidenbekehrer von einem jungen, vornemen Isländer, Guöleifr Arason, begleitet war, welcher auch feinerfeits als ein »vigamaör mikilU, d. h. gewaltiger Raufbold, bezeichnet wird. Auf Island fanden diefe wunderlichen Apoftel bereits eine fcharf ausge- prägte religiöfe Partheiung vor.' Gleich bei ihrer Ankunft im Oft- lande verboten die ihrem Landungsplatze zunächft wohnenden Haupt- linge jeden Verkehr mit ihnen; um K. Olafs willen fanden fie indeflen bei dem mächtigen Siöu-Hallr Aufname, wiewohl auch er noch Heide war. Es gelang, diefen zu bekehren, und nachdem er erft an ein paar alten Weibern hatte den Verfuch machen laflen, ob der Empfang der Taufe auch wirklich unfchädlich fei, verftand j er fich dazu, fie an fich felber vollziehen zu laflen. Auch fonft er- zielte Dankbrands Predigt manchen Erfolg; ftiefs er dagegen, was auch nicht ausblieb, auf Widerftand, fo kam es hinwiderum ilmi fowenig wie dem Guöleif darauf an, mit einem eifrigen Heiden einen Zweikampf zu beftehen, oder Leute, die fich ihm durch Spottlicder oder fonft wie feindlich erwiefen, bei guter Gelegenheit frifchweg todtzufchlagen. Selbft am Alldinge wagte Dankbrand das Evan- gelium zu verkünden, freilich ohne rechten Erfolg; ein Spottvers gegen die heidnifchen Götter, welchen der neu bekehrte Hjalti Skeggjason am lögberge ausftiefs, führte fogar zu deffen Verur- theilung zur Landesverweifung, wenngleich die Durchfuhrung der Klage nur durch Waffengewalt ermöglicht werden konnte. Auch Dankbrand felbft verfiel der Acht, wie es fcheint wegen der von ihm begangenen Todtfchläge, und wenn ihm zwar auch jetzt noch

78 ^^^^ Einführung des Chriflenthiims, u. <lie Begründung der Kirchenverfafl*nng.

manche wichtige Bekehrung gelang, fo mufste er doch auch den Schimpf erleben, dafs eine alte, eifrige Heidinn, Steinvör, umgekehrt ihn zu ihrem Glauben zu bekehren fuchte. Endlich konnte er fich fchlcchtcrdings nicht mehr auf der Infel halten. Nachdem er zwei Winter auf derfelben zugebracht hatte, kehrte er im Jahre 999 nach Norwegen zurück, und meldete feinem königlichen Herrn, wie fchlimm es ihm auf Island ergangen fei, und dafs das Volk dafelbft kaum jemals werde zum Glauben bekehrt werden können. Und dennoch, fo troftlos fich der Mann felbft über den Erfolg feines Wirkens ausfprach, fo hoch muffen wir diefen doch bei unbefange- ner Betrachtung veranfchlagen. Eine ftattliche Reihe der ange- fehenften Häuptlinge hatte entweder die Taufe genommen, wie Sfdu-Hallr, Hjalti ' Skeggjason, Gizurr hinn hvfti, oder wenigftens, wie Gestr Oddleifsson und Flosi t>oröarson, der Kreuzesbezeichnung fich unterworfen. Maffenhaft waren ferner auch Leute geringeren Schlages zum neuen Glauben übergetreten, fei es nun, weil fie von defleri Vortrefflichkeit überzeugt, oder von deffen glänzenden Cul- tusformen überwältigt waren, oder fei es dafs fie dem Beifpiele bekehrter Angehöriger folgten, oder auch aus kluger Berechnung fich auf die Seite ftellen wollten, welcher die Zukunft zu gehören fchien. Die mit aller Energie durchgeführte Bekehrung Norwegens gab fortan auch den isländifchen Chriften einen mächtigen Rück- halt, und felbfl: die Gewaltthätigkeit, mit welcher Dankbrand fein Bekehrungsgefchäft betrieb, fcheint entfchieden günftig auf deflen Verlauf eingewirkt zu haben. In gefchloffenen Reihen treten feit feinem rückfichtslofen Eingreifen die Chriften der Infel auf, mit trotziger Haltung, und jeden Augenblick bereit, mit den Waffen in der Fauft für ihren Glauben zu ftreiten; auf die Heiden aber mufste dicfes entfchloffene Auftreten umfomehr Eindruck machen, je mehr ihr Glaube erfchüttert, und ihr Vertrauen auf deffen end- lichen Sieg durch die ringsum in allen Nachbarländern von ihm er- littenen Niderlagen fchwankend geworden war. So mag denn Dankbrand in Wahrheit als das wirkfamfte Werkzeug bei der Be- kehrung Islands bezeichnet werden, und der alte Gestr Oddleifsson Recht gehabt haben, als er ihm (nach der Njäla) die tröftenden Worte zufprach: »^jü hefir j>ö mest atgert, ^ött öörum veröi auöit i log at Iciöa; en l»at er sem maelt er, at eigi fellr tre viö et fyrsta högg. «

Wirklich fiel der entfcheidende Schlag bereits ein Jahr nach Dankbrands Abreife, im Jahre 1000, durch eine dritte und letzte

Die Kinfuhrung des Chriflenthums, u. die Begründung der Kirchen vcrfafTiing. 79

Miffion, welche K. Olaf nach der Infel abordnete i). Es traff fich, dafs kurz vor Dankbrands Rückkehr mehrere junge Isländer aus den erften Häufern der Infel nach Drontheim gekommen, und dort vom Könige zurückgehalten worden waren, als er hörte, dafs fic noch Heiden feien, während andererfeits auch Gizurr hviti und Iljalti Skegg Jason dahingekommen, und als neubekehrte Chriften vom Könige frcundlichfl: aufgenommen worden waren. Als nun Dankbrand kam, und erzählte, wie übel er auf Island behandelt worden fei, wollte der König im erften Zorne die fämmtlichen hcid- nifchen Isländer fofort hinrichten laffen, welche fich in feiner Gewalt befanden ; jedoch liefs er fich durch den Zufpruch ihrer chriftlichen Landsleute noch befchwichtigen, und zu dem Verfprechen bc- ftimmen, dafs er ihnen kein Haar krümmen wolle, wenn Gizurr und Hjalti im nächften Sommer nach Island abgehen, und dort die gcfetzliche Anname des Chriftenthums durchfetzen würden. So gc- gcfchah es. Im folgenden Frühjahre fuhren Gizurr und Hjalti, von einem Priefter Namens tormoör (Thermo nennt ihn Theodorich) und einigen anderen Geiftlichen begleitet, nach Island hinüber; alle anderen in Norwegen anwefenden Isländer, Chriften wie Heiden, wurden dagegen bis auf Weiteres als Geifeln vom Könige zurück- behalten. Nicht ohne mannichfache HindernilTe gelangten die Send- boten zum Alldinge; ja es war fogar nahe daran, dafs es zu offenem Kampfe gekommen wäre, da die heidnifche Parthei fich anfchicktc, den in voller Schlachtordnung heranrückenden Chriften, welche rafch ihre fämmtlichen Anhänger gefammelt hatten, den Zutritt zur Ding-

1) Die Quellen für die (lefchichle diefer vierten Miffion heftehen in der Isl e ndi ngabök , cap. 7, S. 10-18; Oddr^ cap. 30, S. 83, ed. Munch, welcher fich fehr kurz fafst und auf jene Hezug nimmt, während cap. 37, S. 297— 300, ed. Ilafn. fie ausfchreibi; Theo dori cur monachus, cap. 12, und Heimsk ringln , Olafs s. Tryggv asonar , cap. 88 91, S. 192 5, und cap. 103, S. 204, welche fich ziemlich kurz fanfen: ferner in den jüngeren Bearbeitungen der letzteren Sage, welche am .\usriihrlichflen erzählen, KMS., 11, cap. 217—18, .S. 20G 11, und cap. 228 - 29, .S. 232— 44, fowie Flbk, I, §349-51,8.441-47; der Kristni s., yap. 10-12, S. 18—25, und Njdla, cap. 105-6, S. 163-5. Einzelne Angaben bietet auch die Laxdoela, cap. 41-42, S. ISO 82; Landndma, V, cap. 8, S. 298—99: (Junnlaugs s. ormstüngu, cap. 5, S. 209; Eyrbyggja, cap. 49, S. 92, u. dgl. m., während die Annalen, a. 1000, wider fehr einfylbig find. rieringe Abweichungen in den Angaben, wie z. B. die in der Kristni s. und Ilcimskrfngla bemerkbare Vermifchung der hier einfchlägigen Vorgänge mit der fchon früher erfolgten Bekehrung Kjartaus, Hallfre^s, u. a. m., find für diefen Ort ohne Erheblichkeit.

80 J)ic Einführung des Chiifleiithums, ii. die JJegründung der Kirchen verfaffung.

ftätte ftrcitig zu machen. Durch das Dazwifchentreten einiger be- fonnenerer Männer unter den Heiden wurde ein blutiger Zufammen- ftofs vermieden; als aber die Chriften am folgenden Tage nach Anhörung einer Meffe, zwei Kreuze und fieben Kleriker in vollem Ornate voran, in feierlichem Zuge zum Gefetzfelfen giengen, und als fie dann von diefer fefHichen Stätte aus unter Berufung auf K. Olafs Gebot die gefetzliche Anname des Chriftenthumes for- derten, da fchieü der Kampf vollends unabwendbar. Der wilderte Lärm entftand an der Dingftätte ; man fagte fich gegenfeitig in förmlichfter Weife Recht und Frieden auf, und man trennte fich nur, um fich für den bevorftehenden Kampf zu ruften. Die heid- nifche Parthei befchlofs, zwei Menfchen aus jedem Landesviertel den Göttern als Siegesopfer zu fchlachten, um fich deren kräftige Hülfe für diefen zu fiebern; die Chriften aber traten, als fie hievon hörten, mit dem anderen Gelübde entgegen, zwei der heften Männer aus jedem Viertel zu einem heiligen Leben fich weihen zu laöen, wobei, wunderlich genug, Ormr Koöransson, obwohl nicht getauft, fondern nur mit dem Kreuze bezeichnet, die Aufname unter die Auserwählten fich erbat und erlangte, um nur feinen abwefcnden Bruder, torvald viöförli, unter diefen nicht unvertreten zu lafi*en. Während die eifrigeren PartheigenofTen mit diefen Vorbereitungen zur blutigen Entfcheidung befchäftigt waren, wandten fich aber einige verftändigere Männer unter den Chriften, wie Siöu-Hallr, Gizurr und Hjalti, an den heidnifchen Gefetzfp recher, ^orgeir Ljösvetningagoöi, tind verhandelten mit ihm über die Bedingungen, unter welchen fich etwa der Landfrieden und die Einheit des Staates erhalten lafTe. Sie wurden mit ihm über diefe Bedingungen einig, und nach reiflicher Ueberlegung unternam es ^orgeirr am folgenden Tage, die getroffene Uebereinkunft der Landsgemeinde vorzulegen. In eindringlicher Rede fetzte er das Verderben aus- einander, mit w^clchem die Löfung der Staatsgemein fchaft das I^ind bedrohe, und befchvvor die Dingleute, die Einheit des Staates da- durch zu retten, dafs man zwifchen den Forderungen beider Glau- benspartheien einen Mittelweg auffuche, welchem fich dann beide zu unterwerfen hätten. Da die Heidenleute erwarten durften, dafs er, als dem alten Glauben noch zugethan, einen für diefen günfligcn Spruch thun werde, die Führer der Chriften dagegen fich durch die mit ihm getroffenen Verabredungen gefiebert fühlten, willigten beide Theile darein, dem von dem Gefetzfprecher feftzuftellenden gemeinfamen Rechte fich zu unterwerfen, und {jorgeirr erüflfiiete

Die Kinfiihruug des Chriflenthums, u. die Begründung der Kirch enVerfafTung. ^\

fofort folgende Grundzüge des neuen Rechtes. Alles Volk foUe die Taufe empfangen und zum Chriftenthume fich bekennen. Alle Tempel und alle Götzenbilder follten ungcftraft zerstört werden können, und die Verehrung der alten Götter follte mit der Lan- des verweifung beftraft werden, wenn diefelbe durch Zeugen erwiefen werden könne; dagegen follte heimliches Opfern ftraflos bleiben, d. h. jede Inquifition in Glaubensfachen fchlechterdings unterfagt fein 1). Erlaubt follte ferner das Ausfetzen der Kinder unmittelbar nach ihrer Geburt bleiben, und ebenfo follte das kirchliche Verbot des Effens von Pferdefleifch nicht gelten, wahrfcheinlich weil fich gegen beide Punkte bei Vielen ökonomifche Bedenken geltend ge- macht hatten. Trotz des unerwarteten Inhaltes diefer Vorfchläge fügte fich ihnen die heidnifche Parthei ebenfogut w^e die chriftliche ohne Widerrede. Die gröfsere Zahl der Dingleute bequemte fich fofort zum Empfange der Taufe; die Nordländer aber und die Oftländer, welche durchaus nicht daran wollten, in das kalte WalTcr zu fteigen, taufte man in der warmen Quelle zu Reykir. Auch die Zuhaufegebliebenen mufsten fich nach der Heimkehr der Leute vom Dinge fofort taufen laffen, und mancher Häuptling, der foeben erft felbft getauft worden war, bewährte dabei, wie Snorri goöi, bereits einen ganz befonderen Eifer. Mit Freuden entliefs K. Olaf, als er von allen diefen Vorgängen Kunde erhielt, die von ihm zurück- behaltenen Geifeln; die formelle Unterwerfung der Infel unter das Chriftenthum aber war von jetzt an unzweifelhaft feftgeftellt 2). Fragt man aber nach den Gründen, welche diefes Ergebnifs auf fo unerwartet rafchem und friedlichem Wege herbeizuführen vermoch- ten, fo ift in erfter Linie natürlich die Zahl und Macht der im Lande bereits vorhandenen Chriften, deren feueriger Eifer für ihren neuen Glauben, endlich die kräftige Unterftützung zu nennen, welche K. Olaf mit der ihm eigenen Rückfichtslofigkeit in der Wahl feiner Mittel ihnen lieh; kaum geringer darf aber die Bedeutung ange- fchlagen werden, welche der fehr weit gediehenen inneren Zer-

1) \g\. über diefen Punkt auch die Grettla, cap. 80, S. 174.

2) Ich bemerke bezüglich der Chronologie, jdafs mich A. D. Jörgen sen's Erörterungen nicht überzeugt haben, fo gerne ich die Unbefangenheit und den Scharffinn anerkenne, welcher fich in denfelben ausfpricht (Svolderslaget og Tids- regningen i den Norske Kongeriekke in den: Aarböger foi' Nordisk (Mdkyndighed og Historie, 1869, S. 283, u. fgg.). Für diefen Ort die Frage aber ohne grofse Bedeutung.

Mauror. Iftland. '*

82 ^'^ Einfilhrung des Chriftenlhums, u. die Begiilndung der Kirchenverfaffung.

rüttung des Heidenthumes felbft in jener Richtung zukommt. Die grofse Maffe des heidnifchen Volkes mochte allerdings noch immer dem alten Glauben treu anhängen, und auch unter den Häuptlingen fehlte es nicht an einzelnen Vertretern der gleichen Sinnesart ; aber neben ihnen ftand bereits eine nicht minder anfehnliche, und zumal durch ihre gröfsere Intelligenz hervorragende Mittelparthei, welcher in religiöfer Hinficht das Heidenthum ziemlich ebenfo gleichgültig war wie das Chriftenthum, welche aber eben darum mit kühlftem Blute die Nachtheile, welche das Beharren bei jenem, und die Vor- theile, welche der Uebertritt zu diefem in Ausficht ftellte, zu wür- digen und gegen einander abzuwägen im Stande war. Unbeirrt durch irgendwelche religiöfe Sympathieen und Antipathieen, hielten derartige Männer, als deren glaffifche Vertreter der Gefetzfprecher t>orgeirr fowohl als Snorri goöi gelten mögen, ausfchiefslich die Intereflen des Staats im Auge, und lediglich um diefer willen traten fie fiir den Sieg des neuen Glaubens ein, obwohl fie für ihre Perfon noch dem alten angehörten. Ein fchlagender Beweis für die gründ- liche Erfchütterung des heidnifchen Glaubens auf der Infel, zugleich aber auch fiir die eminente politifche Begabung der fie beherrfchen- den Ariftokratie!

Mit der formellen Anname des Chriftenthums war nun aber felbflverftändlich die Aufgabe der Bekehrung Islands nur zu ihrem geringften Theile erledigt. In der äufserlichften Weife war auf jene Anname hingewirkt, mit den bedenklichften Mitteln des Zwanges, der Beftechung, oder im heften Falle der oberflächlichften lieber- redung war diefelbe durchgefetzt worden. Theils widerwillig, theils wenigftens gleichgültig hatte fich die Maffe des Volks dem Glau- benswechfel gefügt, welchen die Häuptlinge aus wcltklugen Rück- fichten befchlolTen hatten. Von einer wirklichen und innerlichen Bekehrung konnte unter folchen Umftänden im Grofsen und Ganzen um fo weniger die Rede fein, als ja die Kirche felbft mit der äufserlichften Unterwerfung unter ihre Herrfchaft fich zunächft voll- kommen zufrieden gab. Der formellen Bekehrung mufste alfo die materielle erft noch folgen; da aber einerfeits das Heidenthum mit dem ganzen Leben der Nation in Staat, Gemeinde und Gefchlecht, mit deren fämmtlichen fittlichen fowohl als rechtlichen Anfchauungen auf *s Innigfte verwachfen war, und da andererfeits auch die Mittel, über welche die Kirche zu verfugen hatte, in keiner Weife genügten, und zumal der fiir die Bekehrung eines fo unwirthlichen, und fo weit entlegenen Landes ihr zu Gebot ftehende Klerus fowohl an

Die Einfuhrung des Chriftenthums, u. die Begründung der KirchenverfalTung. 83

Zahl, als auch insbefondere an Brauchbarkeit voUftändig unzuläng- lich war, fo konnte fich der Fortfehritt nach dicfer zweiten und wichtigeren Seite hin natürlich nur fehr langfam vollziehen, und mufsten die religiöfen Zuftände der Infel noch auf geraume Zeit hinaus fehr unbefriedigende bleiben, nachdem diefe fchon längfl: als ein chriftliches Land betrachtet wurde. Es würde zu weit führen hier nachzuweifen, wie lange noch im Glauben, dann in den Sitten und Gebräuchen des Volks die aufialligften Ueberrefte des Heiden- thumes fich erhielten, und es mag genügen dieferhalb zu bemerken, dafs zwar die bei der Anname des Chriftenthumes der heidnifchen Parthei gemachten Zugeftändnifle fchon nach wenigen Jahren (wie CS fchciiTt um 1016) auf Andringen des heiligen Olafs gefetzlich befeitigt wurden i), dafs aber deffen ungeachtet im Jahre 1032 noch ein eigenes Gefetz gegen den Betrieb der Zauberei erlaffen werden mufste2), ja dafs man fogar noch zu Anfang des zwölften Jahr- hunderts nöthig befand, in das damals erlaffene Chriftenrecht ein ziemlich ausführlich gehaltenes Verbot der Verehrung heidnifcher Wichte, und fo manches anderen heidnifchen Aberglaubens einzu- ftellenS). Ebenfo foU nur ganz beiläufig darauf hingewiefen werden, wie fich, nur nothdürftig in chriftliche Formen eingekleidet, die heidnifchen Opferfefte erhielten, mochte es fich nun dabei um ein Julfeft, eine Olafsgilde, eine Sommergilde oder um ein Erbbier handeln, und wie der Eid fowohl als das Gottesurtheil nunmehr ganz in derfelben Weife unter die Obhut des chriftlichen Priefters geftellt wurden, wie fie vordem unter der des heidnifchen geftan- den waren, während die Kirche andererfeits alle Noth hatte, die Isländer an die Beobachtung der chriftlichen Faften und Fefte4), an die kirchlichen Eheverbote und fo mancherlei andere Vorfchriften

1) Olafs s. ens helga, cap. 44, S. 44, cap. 46, S. 4G, und cap. 113, S. 125, L'd. Munch und Unger, fammt den enifprechcnden Stellen der anderen Bearbei- tungen. Vgl. ferner tslendingabok , cap. 7, S. 12; Kristni s., cap. 11, S. 25; Njala, cap. 106, S. 165; Oddr, cap. 87, S. 300, cd. Hafn., Olafs s. Tryggva- sonar, in den FMS., II, cap. 229, S. 243, und in der Flbk, I, ^ 351, .S. 447.

2) Grettla, cap. 87, S. 191.

3) Kgsbk, g 7, S. 22-23; Kristinnr. hinn gamli, cap. 16, S. 76-78.

4) Vgl. Grettla, cap. 32, S. 77; Bjarnar s. Hi tdcelakappa, S. 53; Eyrbyggja, cap. 53, S. 99; Laxdi\?la, cap. 45, S. 200; ferner Vallaljöts s., cap. 4, S. 208 9. Noch zu Anfang des zwölften Jahrhunderts klagt .Elnoth, Hisl. S. Canuti, cap. 1, S. 331 (bei Langebek, Script, rer. Danic, III), über die rnpünkllichkeil der l.sländer im Halten der l'aflen.

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S4 i^i*^ Einführung des Chrillenthums, u. die ßegrüncUing der Kirch enverfafi*iing.

der chriftlichen Sitte zu gewöhnen i), und im Grunde von den frommen Werken, welche fie empfal, faft nur die Wallfahrten dem abenteuerlichen Sinne der Nordleute zugefagt zu haben fcheinen, von deren Zahl und Ausdehnung denn allerdings aufser den islän- ifchen Sagen auch das Nekrologium des Klofters Reichenau ein merkwürdiges Zeugnifs giebt. Endlich kann auch darauf hier nicht des Näheren eingegangen werden, wie auf dem ethifchen Gebiete auch nach der Anname des Chriftenthumes noch immer ganz die- felbe Wildheit und rauhe Derbheit fich bemerkbar macht, welche den heidnifchen Isländer gewöhnlichen Schlags ausgezeichnet hatte. Nicht mindere Noth koftete es aber, eine den allgemeinen Anfor- derungen der Kirche und ihres Rechtes einigermafsen entfprechende Verfafsung für die isländifche Kirche herzuftellen, und diefer Punkt wenigflens mufs fchon hier etwas fchärfer in's Auge gefafst werden.

Das erfte Bedürfnifs, welches fich nach dem Uebertritte zum Chriftenthume in diefer Richtung geltend machte, war die Noth- wendigkeit des Baues einer genügenden Zahl von Kirchen, und der Befchaffung einer hinreichend zahlreichen Priefterfchaft, um den Dienft an denfelben zu verrichten. In Norwegen wie auf Island fich gleichmäfsig geltend machend, fand diefes Bedürfnifs doch hier und dort in ganz verfchiedener Weife feine Befriedigung. In Nor- wegen wurde wahrfcheinlich bereits von K. Olafr Tryggvason, jeden- falls aber doch von dem heiligen Olaf der Bau von fylkiskirkjur oder höfuökirkjur vorgefchrieben, d. h. je einer Kirche für jedes einzelne Volkland, welche als deffen Hauptkirche zu gelten hatte. Bald reihten fich an diefe, wenigftens im weitaus gröfseren Theile des Reiches, auch noch heraöskirkjur an, wiewohl ein Gebot, folche zu bauen, niemals gefetzlich erlaffen worden zu fein fcheint, d. h. Kirchen, deren eine je für jeden Gau im Volklande hergeftellt wurde, Von beiden unterfchieden, kamen endlich auch noch hcegindiskirkjur, d. h. Bequemlichkeitskirchen vor, welche als blofe Privatkapellen ganz jenen »oratoria* entfprachen, die bereits das Concilium Agathense vom Jahre 506 ?propter familiae fatigationem « zugelaffen hatte 2j.

1) Vgl. Hiingrvaka, cap. 2, S. 62.

2) c. 35, D. 1, de consecr. Ueber analoge Vorkommniffe in anderen Staaten des Mittelalters vgl. nunmehr Paul Uinfchius, Zur Gefchichte der lucorporaiion und des Patronatsrechtes, zumal S. 3-10 (in: Feflgaben für A. W. Ilefl'ler zum 3. Augufl 1873).

Die Einfiihrnng des Chriflcnthunis, u. lÜc IJcjj^ündunj; der KirclienverfafTiing. g5

Zum Bau der Privatkirchen war Niemand gezwungen, und ihre Dotirung war ebenfalls vom Staate aus in keiner Weife geordnet ; nur mufsten diefelben, wenn einmal vorhanden, von ihrem Befitzer in gutem Stande erhalten werden. Auch bezüglich der Gaukirchen fcheint, wenigftens Anfangs, weder von einem flaatlichen Zwange zur erften Anlage, noch von einem ein- fiir allemal gefetzlich vor- gefchriebenen Mafse der Dotation die Rede gewefen zu fein, wo- gegen die Laft ihrer Unterhaltung, wenn fie einmal vorhanden waren, den (ammtlichen GaugenofTen oblag; die Volklandskirchen dagegen mufsten von Rechtswegen gebaut und in beftimmt vorgc- fchriebener Weife dotirt werden, und bildete ihr Bau und ihre Do- tirung ebenfogut wie ihre Unterhaltung eine gefetzliche Laft der gefammten Volklandsgemeinde. Auch der den Kirchen zukommende Rcchtsfchutz, die für jede Saumfal bezüglich ihrer Erhaltung zu zahlende Bufse, dann die bei ihrer Einweihung zu entrichtenden Sportefn waren nach diefer Verfchiedenhcit der Kirchen verfchicden abgeftuft, und auch fonft ftandcn den Volklandskirchen wenigftens noch mancherlei Vorzüge vor allen anderen Kirchen zu. Auf Island dagegen, wo fchon im Heidenthume von keiner territorialen Ein- theilung des Landes mit den einzelnen Bezirken entfprechenden Tempeln die Rede gewefen war, vielmehr alle Tempel im Privat- befitze einzelner Herren geftanden hatten, nam eben darum auch der Kirchenbau einen durchaus privatrechtlichen Charakter an, und alle isländifchen Kirchen fielen, wenn man die norwegifche Ter- minologie auf fie anwenden will, unter den Begriff der hoegindis- kirkjurl). Wie vordem Jeder fich feinen Tempel hatte bauen können, der dazu Luft und genügende Mittel befeffen hatte, fo mochte fich alfo auch jetzt Jedermann beliebig eine Kirche hcrftellen, während umgekehrt Niemand, weder als Einzelner noch als Mitglied einer Genoffenfchaft zum Bau einer folchen genöthigt werden konnte. Da fich die Ungezweitheit des religiöfen und des ftaatlichen Ge- bietes, wie folche im Heidenthume beftanden hatte, den Grundfätzen der chriftlichen Kirche gegenüber nicht aufrechthalten liefs, ent- faltete fich der privatrechtliche Charakter alles Kirchenbefitzes fogar noch fchroffer, als diefs beim Tempelbefitze jemals der Fall ge-

1) Vgl. des gelehrten Bifchofs P^tur P^tursson Commentatio de jure eccle- siarum id Islandia ante et post reformationem (Havniie, 1844), fowie meinen Auf- fatz über das isländifche Kirchenrecht, in der Kritifchen V^ierteljahresfchrift, Bd. VlI, S. 185, u. fgg. (1865).

36 Die Einführung des Chriftenthunib, u. die Begründung der Kirchenvcrfaffung.

wcfcn war. Die Bedeutung nämlich, welche dicfer letztere für die Godenwürde gehabt hatte, wurde auf die chriftlichen Kirchen nicht übertragen, vielmehr der religiöfe Gehalt, welchen diefe Würde ur- fprünglich gehabt hatte, lediglich aus derfelben ausgefchieden ; es mochte zwar als eine Ehrenpflicht für den Goden gelten, feinen Dingleuten für eine Kirche zu forgen ^), aber es galt weder der Befitz einer folchen für ihn als wefentlich, noch beftand irgend ein Unterfchied zwifchen den Kirchen der Goden und der Nichtgodcn, und höfuökirkjur kamen auf Island felbft in dem Sinne nicht vor, in welchem es dafelbft höfuO^hof gegeben hatte. Nur etwa dadurch wufstc der Klerus den Bau zahlreicher Kirchen zu befördern, dafs er den Leuten vorfpiegelte, Jedermann eröffne fovielen Leuten den Zutritt zum Himmelreiche, als in der von ihm gebauten Kirche zu ftehen vermpchten 2) ; nur dadurch konnte er ferner auf die Dota- tion der Kirchen einigen Einflufs gewinnen, dafs ihm freiftand, die Einweihung einer ungenügend dotirten, und die Verrichtung des Gottesdienfles in derfelben zu verweigern. Der Staat aber be- fchränkte fich darauf, den einmal gebauten Kirchen einen bertimm- ten Frieden (kirkjuhelgi) zu gewähren, ganz wie vordem die Tempel eines folchen genoflen hatten (hofshelgi), und für deren Erhaltun<j in baulichem Stande durch Strafgefetze zu forgen. Schwerer noch als für die Kirchen hielt es, für die zur Verfehung des Gottes- dienfles in denfelben nöthigen Priefter zu forgen. Der Mönch Oddr klagt darüber, dafs K. Ölafr Tryggvason in feinen Beftre- bungen wefentlich durch die geringe Zahl und noch geringere Brauchbarkeit feiner Geiftlichen gehemmt gewefen fei, und er hebt zumal hervor, dafs diefe mehrentheils, wie es oben von Bifchof Friedrich zu bemerken war, der nordifchen Sprache nicht recht kundig gewefen feiend); auf Island aber wird in wenig fpäterer Zeit darüber geklagt, dafs man zwar Kirchen genug gebaut habe, dafs aber der Priefter zu wenige gewefen feien, um an ihnen den Gottesdienft zu halten 4). Für die erfte Zeit war diefer Mangel un- vermeidlich darinn begründet, dafs ipan fo gut wie ausfchliefslich

1) Vgl. Landnama, III, cap. 4, S. 183; in der Vatnsda'la, ca}>, 46, S. 77 fehlt die entfcheidende Bemerkung.

2) Eyrbyggja, cap. 49, S. 92; ebenfo der Auszug aus der HeiÖarvfga s., cap. 8, S. 292—3.

3) FMS., X, cap. 48, S. 317; ed. Munch, cap. 39, S. 39.

4) Eyrbyggja, ang. O.

Die Einführuni^ des CUriflenlhums, u. die Begründung der Kirchen verfafTung. ^7

auf Männer von ausländifchcr Abkunft fich angcwiefen fah, auf Deutfche alfo, oder wie fie die isländifchen Quellen nennen, auf Sachfen, auf Engländer ferner oder auf Irländer; aber auch in fpä- teren Jahren, als es möglich wurde aus dem Inlande Kleriker heran- zubilden, fliefs man auf fchwere Hindernifle. Gutentheils waren diefe in der unfelbftftändigen pecuniären Lage des Klerus begründet. In Norwegen hatte der heilige Olaf allerdings für die fylkiskirkjur eine Dotation mit liegenden Gütern im jährlichen Ertrage von einer Mark Silbers vorgefchrieben, und fchon damit mochte für die Wohnung und gewifle Naturalbezüge des fylkisprestr nothdürftig geforgt fein; daneben hatte derfelbe König auch noch gewiffe Abgaben zum Unterhalte des Priefters vorgefchrieben (prestfaeözla, prestreiöa, laga- gipt) ^), und darüber hinaus behalf man fich dann noch mit allerlei Stolgebühren und anderen Sportein (z. B. legkaup, Hgsöngs- kaup, ölianarkaup u. dgl. m.), fo wenig diefs auch mit den Lehren der Kirche ftimmen wollte, welche dazumal noch in dem Verkaufe geiftlichcr Verrichtungen um Geld eine ftrafbare Simonie erkennen zu muffen glaubte 2). Aber felbfl in Norwegen bezogen fich diefe Beftimmungen gutentheils eben doch nur auf den fylkisprest, wäh- rend der heraösprestr wefentlich auf feinen Dienftvertrag mit der Gaugemeinde, und der hoegindi|prestr auf feinen Dienftvertrag mit dem Privatbefitzer feiner Kirche angewiefen war; auf Island vollends, wo von gefetzlich regulirten Pfarrfprengeln überhaupt keine Rede war, gab es gar keine gefetzliche Vorfchrift über das Minimum von Dotation an liegenden Gütern, womit eine Kirche auszuftatten war, und auch bezüglich ihres übrigen Unterhaltes fcheinen die dortigen Priefter zunächft völlig von ihrer Uebereinkunft mit dem Befitzer der Kirche abhängig gewefen zu fein, foweit nicht in einzelnen Fällen befondere Stiftungen ein Anderes mit fich brachten. Das

ff

Chriftenrecht, welches zu Anfang des zwölften Jahrhunderts aufge- zeichnet wurde, enthält zwar beftimmte Anfätze für die Stolgebühren, fowie für die Bezahlung der regelmäfsig zu haltenden Gottesdienftc (tiöakaup), und für den dem Priefter zu reichenden Unterhalt ; aber diefe Anfätze find fehr nidrig gegriffen, und es ift übcrdicfs fchr fraglich, ob fie der erften Zeit nach der gefetzlichen Anname des

1) Vgl. z. B. Gt>L., 'i 15 und 22; B^L., I, g 12, u. dgl. m.

2) Vgl. die Klage des Adam. Bremens., III, cap. 70, S. 366, und zumal IV, cap. 30, S. 382.

yy Die Kinführung des Chn(lcnthum.s, u. die Begründung der Kirchen vcrfafTung.

Chriftenthumes überhaupt fchon angehörten. Eine unausbleibliche Folge diefer höchft ungenügenden Fürforge für die vermögensrecht- liche Stellung der Priefter war nun aber die, dafs der Befitzer einer Kirche fich entweder dazu entfchliefsen mufste felber in den geift- lichen Stand zu treten, um nach empfangener Prieften\^eihe den Gottesdienft in feiner Kirche in eigener Perfon übernemen zu können, oder dafs er genöthigt war gegen ein beliebig zu verabredendes Entgeld einen Priefter fich zu miethen, damit er in diefer die vor- gefchriebenen Gottesdienfte verrichte. In einem wie int- andern Falle entfprach aber die Stellung des Priefters der Natur der Sache nach den Forderungen des gemeinen Kirchenrechtes gleich wenig. Ueber- nam der Kirchbefitzer felbft die priefterlichen Funftionen, wozu fich nachweisbar eine ziemliche Anzahl der angefehenften Häuptlinge entfchlofs, fo wurde der Dienft an der Kirche leicht zu einem blofen Anhängfei an die weltliche Würde deffen, der ihn bekleidete, un- gefähr wie im Heidenthume die religiöfe Aufgabe des Godcn nur ein einzelner Beftandtheil feiner Gefammtgewalt gewefen war; über- trug er dagegen die kirchlichen Verrichtungen einem gemietheten Vertreter, fo trat diefer als ein untergeordneter Hausbedienfteter fo ziemlich in die Reihe der gewöhnlichen Bauernknechte ein, und es begreift fich, dafs zu einer derartigen Stellung Leute beffercr Art und aus angefeheneren Häufern fich nicht leicht verftehcn mochten. Nur wenig beflTer als um den nideren Klerus ftand es endlich auch um den Episkopat der Infel. Die Bifchöfe, welche wir zunächft auf Island thätig finden, find fammt und fonders Aus- länder!), und überdiefs blofe Miffionsbifchöfe, »ad hoc ipsum ordi- nati, ut gentibus praedicarent verbum Deit, wie der Mönch Theo- dorich in Bezug auf Norwegen fich ausdrückt ^) \ von beftimmt ab- gegrenzten Diöcefen war hiernach zunächft auf der Infel cbenfo- wenig wie in Norwegen die Rede 3), vielmehr fehen wir diefelben Männer unbedenklich bald in Norwegen bald auf Island wirken,

1) Ein Verzeichnifs der fremden Bifchöfe, welche die Infel befuchten, giebt die f slendingabök, cap. 8, S. 13, und die Hiingrvaka, cap. 3, S. 64 5; aus beiden Quellen ift daffelbe, ungefchickt intcrpolirt, in die SkarÖsdrbök übergegangen, Anhang I zur Landnäma, S. 331 33. Vgl. meine Gefchichte der Bekehrung des norw. Stammes, Bd. II, S. 580—600.

2) Theodoricus Monachus, cap. 8; vgl. Agrip af Noregs konünga sögum, cap. 16, S. 393.

3) Vgl. Adam. Bremens., II, /:ap. 23, S. 314, und IV, cap. 33, S. 383.

Die Einführung des Chriflcnthums, u. ilic IJcgründung der Ki rohen verfalTung. ^9

und ganz wie es die Gelegenheit gab fogar auf Dänemark oder auf Schweden ihre Thätigkeit erftrecken. Um dfe Mitte des eilften Jahrhunderts freilich trat in diefer Beziehung eine theilweife Aen- derung ein. Man eiitfchlofs fich auf der Infel zur Wahl eines Bi- fchofes von einheimifcher Abkunft, und diefe fiel auf Isleif, einen Sohn des Gizurr hvfti, welchen fein Vater in Hervorden in Weft- falen zum Kleriker hatte erziehen laden; auf des Papftes Geheifs wurde diefer im J^hre 1055 von Erzbifchof Adalbert zu Bremen geweiht, zu deffen Kirchenprovinz damals der ganze Norden ge- hörte. Die isländifchen Quellen pflegen diefen Isleif ftets als den erften regelmäfsigen Bifchof des Landes zu bezeichnen, und fie fcheiden ihn demgemäfs fcharf von den blofen Miffionsbifchüfen ab; allein bei Adam von Bremen macht fich ein gleicher Unter- fchied in keiner Weife bemerkbar, vielmehr betrachtet er augen- fcheinlich den Mann nur als einen der vielen für die nordifchen Länder thätigen Miffionsbifchöfe, ganz wie ja auch für Norwegen neben fo manchen dcutfchen, englifchen und irifchen Bifchöfen ein- zelne geborene Nordleute auftreten, und was wir über die Wirk- famkeit desfelben erfahren, ftimmt lediglich zu diefer letzteren Auf- falTung. Einerfeits nämlich war ilur in nothdürftigfter Weife für die pecuniären BedürfnilTe des Bifchofes geforgt, der auf feinem vätcr- liehen Hofe zu Skälholt von feinen eigenen Mitteln leben mufste, und umfomehr in's Gedränge kam, als auch noch feine Frau auf die Hälfte des Vermögens Anfpruch machte i); nur von »tollar^ d h. Abgaben, ift die Rede, welche auf das ganze Land zu feinen Gunften gelegt gewefen feien, und mögen diefe jener Kopffl:euer entfprochen haben, welche auch in Norwegen urfprünglich die Haupt- dotation des Bifchofs (biskupsreiöa) gebildet hatte '-i), während neben derfelben nur etwa noch einzelne Sportein für die Verrichtung geift- licher Dienfte, und einzelne Geldbufsen für die Verletzung kirch- licher Gebote einen weiteren fpärlichen Ertrag lieferten. Andererfeits fehen wir, dafs neben tsleif noch immer andere Miffionsbifchöfe fich im Lande herumtrieben, die ihm zum Theil viele Noth bereiteten, weil fie durch gelinderes Auftreten ihm Concurrenz zu machen fuchten. Wenigftens zwei wirkliche Bifchöfe werden uns genannt, deren Aufenthalt auf Island in die Zeit fallen mufs, da Isleif bereits

1) isleifs Ji., S. 65; Hüngrvaka, cap. 2, S. 63; vgl. Kristni s., cap. 12, S. 26—27, und Hüngrvaka, cap. 2, S. 61.

2) Gulajiings L., § 9.

90 ^^^^ Einfuhrung des Chriflcnlhunis, u. die Dcgriindung der Kirchen vcrfalTung.

Bifchüf war, der Sachfe Bernhard nämlich und der Engländer Heinrich; neben ilincn werden aber überdiefs noch Männer genannt, welche fich fälfchlich für Bifchöfe ausgaben, zum Theil, wie es fcheint, Deutfche, zum Theil aber auch wirkliche oder angebliche Armenier, und als Isleif ihnen gegenüber feinen Metropoliten um Hülfe angieng, fchrieb Erzbifchof Adalbert zurück, dafs diefe Leute- alle gegen feinen Willen nach der Infel gegangen feien, und manche fogar im Banne i). Das weift noch klar genug auf die Nichtexiftenz einer geordneten DiöcefanverfaiTung hin, und in der That ift folche zu einer Zeit auf Island nicht zu erwarten, in welcher fie nachweis- bar in Norwegen fowohl als in Schweden noch fehlte 2).

Erft unter Bifchof Isleifs Sohn und Nachfolger, Gizurr, wurde der Grund zu einer einigermafsen geficherten KirchenverfafTung ge- legt. In Sachfen erzogen, und auch fpäter noch weit im Auslande herumgekommen, war diefer zugleich eine in feltenem Mafse zum Herrfcher geborene Natur. Es mag wunderlich klingen, wenn König Haraldr haröräöi ihm nachrühmte, dafs er zu Dreierlei ganz gleich- mäfsig das Zeug habe, zu einem regierfamen Könige, zu einem tüchtigen Vikfngerflihrer, und zu einem guten Bifchöfe 3) ; in Wahr- heit war aber gerade ein fo angelegter Charakter dazu angethan, der isländifchen Kirche aufzuhelfen. Verzweifelnd hatte der gute Isleif, der fich fein Leben lang vergebens abgemüht hatte, die Sitten- lofigkeit und Unbotmäfsigkeit feiner Untergebenen zu bekämpfen, auf feinem Todbette (io8o) den Umftehenden erklärt, es werde fich fchwer Jemand dazu verftehen, Bifchof auf Island zu werden, wenn man nicht feinem Nachfolger befferen Gehorfam verfpreche, als welchen man ihm erwiefen habe 4); den Wink benutzend, nam Gizurr wirklich die auf ihn gefallene Wahl nur unter der Bedingung an, dafs die fämmthchen Häuptlinge des Landes fich ihm gegenüber förmlich dazu verpflichteten, allen und jeden kirchlichen Geboten zu gehorchen, welche er ausgehen laßen werde 5). So kam es, dafs von ihm eine alte und verläfsige Quelle fagen kann: »fo wollte Jedermann fitzen und ftehen, wie er es gebot, Jung und Alt, Reich

1) Hüngrvaka, Ccip. 2, S. 62-3.

2) Vgl. Adam. Bremen.s., 11, cap. 23, S. 314, und IV, cap. 33, S. 383.

3) FMS., vi, cap. 109, S. 389; Morkin skinna, S. 103; Flbk, III, | iS S. 379; Hüngrvaka, cap. 5, S. 66.

4) Hilngrvaka, cap. 2, S. 63.

5) Hüngrvaka, cap. 5, S. 67.

Die Einfühlung des Chriflcnlhums, u. «lic Begründung dtr KirchcnverfaiTung. 91

und Arm, Weiber wie Männer, und man konnte mit Recht fagen, dafs er zugleich König und Bifchof über das Land war, folange er lebten 1), und dafs alfo von ihm mit vollem Rechte fich fagen liefs, was Meifter Adam von Bremen mit Unrecht bereits um ein paar Jahrzehnte zu früh den Isländern nachgerühnjt hatte, dafs fie nämlich rückfichtslos den Geboten ihres Bifchofcs gehorchten 2). In drei- facher Richtung erfolgte aber unter Gizurs langer Regierung (1082 1 1 1 8) ein erheblicher Fortfehritt in der Ordnung der kirchlichen Verhältnifse. Einmal nämlich erhielt durch ihn das Bisthum einen feflcn Sitz und eine felbftftändige Dotation an liegenden Gütern, indem Gizurr, fowie er durch den Tod feiner Mutter voll- kommen freie Verfügung über feinen väterlichen Hof zu Skalholt erlangte, diefen zugleich mit vielem anderem Befitze an Liegen- fchaftcn und Fahrhabe zum Bisthume ftiftete, mit der Beftimmung, dafs bei jenem Hofe der Bifchofsftuhl auf ewige Zeiten verbleiben folle^'^); durch ein förmliches Gefetz wurde diefe feine Anordnung betätigt -*), und nunmehr hatte demnach die Infcl wirklich ein regel- rechtes, das ganze Land umfaffendes Bisthum erhalten. Die Ueber- einftimmung der verläfsigften isländifchen Gefchichtfchreiber in diefem Punkte läfst ihre Angabe keinem Zweifel unterliegen, zumal da einer unter ihnen, Ari froii, als ein gleichzeitiger Zeuge zu be- trachten ift; es kann fomit nur ein Irrthum fein, wenn der nor- wegifche Mönch Theodorich die Stiftung des Bisthumes und den Bau feioer Kathedrale bereits auf B. Isleif zurückführen will 5). Es wird gut fein, fich daran zu erinnern, dafs ungefähr gleichzeitig König Ölafr kyrri (1066—93) auch in Norwegen feine Kathedralen baute und die Diöcefanverfaffung des Reiches feftftellte. Zweitens wurde auf B. Gizurs Betreiben durch ein förmliches Gefetz die Zehntlaft auf der Infel eingeführt, und dadurch der isländifchen Kirche eine anftändigere vermögensrechtliche Stellung gefchaffen. Adam von Bremen hatte bereits darauf aufmerkfam gemacht, dafs

1) Ang. o.

2) Adam. Bremens., IV, cap. 35, S.385: cpiscopum suum liabcnt ]jm rege: ad illius nutum respicit omnis populus, quicquid ex l)eo, e.x scripturis, ex conbue- tudine aliarum gentium ille constituit, hoc pro lege haben t.

3) Uüngrvaka, cap. 5, S. 67.

4) Islendingabök, cap. 10, S. 16; Sturlüuga, III, cap. 3, S. 203-4: Kristni s., cap. 13, S. 28; Jons bps. s,, cap. 6, S. 158.

5) Theodoricus Monachus, cap. 12.

92 I^ie Kinfühiung dc> Chriftcnlhunis, u. die HcgrüiuUmjj der Kirchen vcrfaflung.

der Klerus im Norden gewilTermafsen genöthigt fei, feine geiftlichcn Verrichtungen gegen Geld zu verkaufen, weil er keinen Zehnt be- ziehe, von dem er leben könnte 1), und Erzbifchof Adalbert auf einem zu berufenden Provincialconcile neben anderen Misftänden auch die doppelte Thatfache zur Sprache bringen wollen: »quod episcopi benedictionem vendunt, et quod populi decimas dare no- lunt«2); kein Wunder hiernach, wenn auch auf Island die Einführ- ung der Zehntentrichtung als eine Lebensfrage der jungen Kirche betrachtet wurde. An frööi erzählt uns 3), dafs B. Gizurr feinen Antrag auf gefetzliche Anname der Zehntlafl gemeinfam mit dem Gefetzfprecher Markus Skeggjason einbrachte, und dafs beide dabei von dem hochangefehenen Priefter und Goden Saemundr frööi un- tcrftützt wurden; die Annalen fetzen aber die Anname des be- treffenden Gefetzes ziemlich übereinftimmend in das Jahr 1097, fodafs daffelbe jedenfalls um ein paar Jahrzehnte älter erfchcint als die Einführung der Zchntlaft in Norwegen, welche erft durch Köni^' Sigurö Jorsalafari, und nach dcffen Heimkunft aus dem gelobten Lande (mi) erfolgte. Hier wie dort wurde der Zehnt nach dem Vorbilde der deutfchen Kirche in vier, und nicht nach dem Mufler der Engländer in nur drei Theile zerlegt; der Bifchof, die Kirchen, die Priefter und die Armen erhielten je einen Theil deffelben, fodafs von jetzt ab die Stellung des Bifchofs und der Priefter fowohl als die Dotation der Kirchen erheblich günftiger wurde. Nicht nur fehr beträchtliche neue Einkünfte wurden nämlich durch den Zehnt der Kirche zugeführt, fondern es wurde auch das Einkommen der Kleriker bis auf einen gewiffen Grad von der Willkür der einzelnen Kirchbefitzer unabhängig geftellt, foferne die Vertheilung des von den einzelnen Höfen zu reichenden Zehnts unter die verfchiedencn Kirchen Sache des Bifchofes war; »es gab keine zweite gleich kräftige Stütze des Vermögens und guten Auskommens in Skälholt, wie die Zehntzahlung, welche damals wegen der Beliebtheit und des Anfehns B. Gizurs verwilligt wurden, fagt eine unferer ver- läfsigften Quellen, und es ift damit augenfcheinlich nicht zu\ael gc- fagt. Drittens endlich wurde auf den Wunfeh der Nordländer mit

1) Adam. Bremens., IV, cap. 80, S. 882.

2) Ebenda, III, cap. 70, S. 865.

8) Islendingabök, cap. 10, S. 16, und ihr folgend Kristni s., cap. 12, S. 28, Slurlünga, III, cap. 8, S. 208, u. Jons bps s., cap. 6, S. 158; felbfl- ftändiger verhält fich die Hüngrvaka, cap. 6, S. 67 8.

Die Einführung des Chriftenthiims, u. die Begründung der KirchenverfalTiing. 93

Zuftimmung B. Gizurs noch ein zweites Bisthum errichtet, welches feinen Sitz zu Hölar haben und über das ganze Nordland fich erftrecken follte, wogegen die übrigen Landesviertel dem Bis- thume zu Skälholt verblieben i). Nachdem Gizurr ungefähr 20 Jahre auf feinem Stuhle gefeffen war, hatten die Nordleute ihre Bitte an ihn gebracht; nach längerer Berathung mit den angefehenften Männern des Landes hatte er ihrem Gefuche ftattgegcben, und den Priefter Jon Ögmundarson im Einverftändnifse mit Klerus und Volk des Nordlandes als denjenigen bezeichnet, welcher den neuen Bi- fchofsfitz als der Erde einnemen follte. Längere Verhandlungen zeigten fich aber nöthig, um fiir das neue Bisthum eine genügende Dotation zu erlangen, und zumal fcheint mit diefen eine Zählung aller zehntpflichtigen Bauern im Lande in Zufammenhang geftanden zu fein, von welcher Ari fowohl als einige andere Quellen berichten. Im Jahre 1105 ^^ft konnte der neugewählte Bifchof das Land ver- laflen, um fich von dem Erzbifchofe zu Lund als dem nunmehrigen Metropoliten der isländifch^n Kirche feine Weihe zu erbitten, und im Jahre 11 06 erhielt er diefej damit war aber die Ordnung des isländifchen Episcopates beendigt.

Einen weiteren Fortfehritt in Bezug auf die kirchliche Vcr- faffung bezeichnet fodann noch die Abfaffung eines Chriften- rechtes, welche auf Betreiben der Bifchöfe t>orläkr Runölfsson von Skälholt (II 18 33) und Ketill l)orsteinsson von Hölar {1122 45) erfolgte 2). Man pflegt die Einführung diefes Gefetzes dem Jahre II 23 zuzu weifen, indeflen doch wohl nur aus dem ganz unzu- reichenden Grunde, dafs die Hüngrvaka folche unmittelbar nach der im Jahre 1122 erfolgten Heimkunft B. Ketils erzählt; als fichcr darf nur betrachtet werden, dafs diefelbe den Jahren 1122 33 an- gehört, und dafs für die Codification des Chriftenrechtes das Vor- bild der nur wenige Jahre zuvor aufgezeichneten Haflit^askrä mafs- gcbend gewefen fein mufs.

Mit diefer Codification hat aber die Kirchenverfaflung Islands im Wefentlichen diejenige Gcftalt erreicht, welche fie auf dem Höhe- punkte ihrer Entwicklung in der republicanifchen Zeit zeigte, eine

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1) Islendingabök, cap. 10, S. 16 und 18- Kristni s., cap. 13, S. 28 und 29; Sturlünga, III, cap. 3, S. 204; Anndlar, a. 1104—6: zumal aber Hüngrvaka, cap. 6, S. 68—9, und Jons bps s., cap. 7—10, S. 158—62.

2) Hitngrvaka, cap. 11, S. 73; Kgsbk, g 17, S. 36, und Kiisi innren r hinn ganili, cap. 35, S. 140.

94 I^'^ Einführung des Chriftenthums, u. die Begründung der KirchenverfalTung.

Geftalt freilich, welche weil von derjenigen abftand, welche die mittelalterliche Kirche als die ihr allein angemeflene und von Gottes- und Rechtswegen gebührende anzufehen gewohnt war, und welche überdiefs auch bei der unbcfangenften Betrachtung in gar manchen Beziehungen wirklich als eine fehr mangelhafte bezeichnet werden mufs. Die Bifchöfe zunächft, .um nur ein paar Hauptpunkte her- vorzuheben, wurden regelmäfsig von der Landegemeinde erwählt, ganz wie fie in Norwegen von den Königen ernannt zu werden pflegten l) ; ihre Weihe J freilich mufsten fich die Erwählten beim Metropoliten oder beim Papfte erbitten, aber diefer konnte fich der Regel nach um fo weniger zu y deren Verweigerung veranlafst fehen, je weniger eine gedeihliche Kenntnifs der isländifchen Zuftände und Perfönlichkeiten, oder eine energifche Ueberwachung derfelben von päpftlicher oder erzbifchöflicher Seite her möglich war, folange die Infel zur Provinz des Stuhles von Hamburg-Bremen (831 1103) oder von Lund (1103 52) gehörte. Die Beflellung ferner der Priefter für die einzelnen Kirchen hie«g nach wie vor durchaus von der Willkür der einzelnen Kirchbefitzer ab. Der Bifchof konnte zwar die Priefterweihe demjenigen verfagen, welchen er für unfähig hielt, und er konnte auch einem unwürdigen oder aus anderen Grün- den untauglichen Priefter die Haltung des Gottesdienftes unterfagen; aber weiter reichte fein Arm nicht, vielmehr ftand nach' wie vor dem Befitzer jeder einzelnen Kirche das unbefchränkte Recht zu, unter den ordinirten und nicht ab officio fufpendirten Prieftern fich denjenigen auszuwählen, welchem er den Dienft an derfelben übertragen wollte. So finden wir denn die priefterliche Würde fowohl wie die bifchöfliche nach wie vor gar vielfach von grofsen Gutsbefitzern und Häuptlingen aus den angefehenften Häufern bekleidet, welche dann freilich nicht nur durch ihre Familienverbindungen und die Bewirthfchaftung ihrer Güter, fondern allenfalls auch durch das von ihnen geführte Amt eines goöi oder lögsögumaör vielfach in die weltlichen Angelegenheiten des Landes verflochten, und von ihrem geiftlichen Berufe abgezogen wurden. Andererfeits fehen wir die gciftlichen Fun6lionen aber auch wider von Leuten geringeren Schlages ausgeübt, welche fich als Miethlinge ganz ebenfo verdin- gen, wie der gewöhnlichfte Bauernknecht, und welche dann be-

1) Vgl. bereits Adam. IJremens., IV, cap. 33, S. 383: iinusquisqiie episco- ponim a rege vil populo assiimplus.

Die Einfuhrung des Chriftenthums, u. die Begründung der KirchenverfalTung. 95

greiflich auch von ihrem Dienftherrn nicht viel höher geachtet und nicht viel beffer behandelt werden als ein folcher. Das Recht felbft befpricht die Dienftzieler für folche Priefter im Zufammenhange mit feiner Ehehaltenordnung l) ; ja es fieht fogar den Fall vor, da Jemand einen armen Knaben eigens zum Dienfte an feiner Kirche erziehen läfst, und geftattet, falls diefer hinterher diefe Kirche ver- läfst ohne fich von ihr losgekauft zu haben^ deflen Verfolgung ganz in derfelben Weife wie wenn es fich um einen entlaufenen Sklaven oder Schuldknecht* handeln würde. Eine fehr erhebliche Verwelt- lichung des Klerus war die Folge folcher Zuftände, und mochte diefe fich um fo ungehinderter geltend machen, als auch die Priefterehe während der ganzen Dauer der Republik in unzwei- felhafter, und fo gut wie unbeftrittener Uebung war. Von B. Isleif und Gizurr ab bis B. Päll Jonsson (f I2ii) und Magnus Gizurarson (t 1237) herab fehen wir fogar verheirathete Bifchöfe in Menge auf den isländifchen Bifchofftühlen fitzen, und bei den Prieftern ftand felbftverftändlich die Sache nicht anders. Es begreift fich, dafs diefe halb weltliche Stellung des Klerus eine fehr ausgeprägte natio- nale Haltung deflelben zur Folge hatte, wie wir fie in gleichem Grade in keinem anderen germanifchen Staate, und annähernd änlich eigentlich nur bei den Angelfachfen widerfinden; die energifche Be- theiligung deffelben an der Begründung und glänzenden Entfaltung einer reichen Litteratur in einheimifcher Sprache, für welche Namen wie Ari t)orgilsson, Karl Jonsson, Styrmir Kärason oder Olafr hvitaskäld ein unwiderlegliches Zeugnifs geben, ift in erfter Linie gerade auf diefcn Umftand zurückzuführen. Aber es läfst fich nicht verkennen, dafs mit eben jener Vcrweltlichung auch ganz andere, und fehr fchlimme Erfcheinungen zufammcnhängen, wie folche zumal bei jenen Klerikern geringerer Herkunft und abhängigerer Stellung geradezu maffenhaft vorkommen. Ich zähle dahin eine gräuliche Unwiflenheit, welche durch allen Eifer, mit welchem die Bifchöfe ihre Domfchulen pflegten, nicht bewältigt werden konnte, und eine nidere Stufe des Bildungsgrades, welche allein die gemeinen Ver- richtungen erklärt, zu . welchen derartige Kleriker nicht feiten fich verwendet finden. Ferner ein fehr weit gehendes Mafs gefchlecht- licher Excefle, welches um fo weniger entfchuldbar war, als ja die Priefterehe, wie bemerkt, noch als erlaubt galt; von frillur und

1) Kgsbk, §6, S. 20, und § 80, S. 132; Kristinnr. hinn gamli, cap. 16, S. G8-70, und Kaiipab. cap. 58, S. 471.

96 1^'*^ Kinführung des Chriftenihums, u. tue Begi-üiulung der Kirchen verfaflTunjj.

fylgikonur, dann von launbörn von Prieftern ift oft genug die Rede, ohne dafs deren Vorkommen irgendwie als etwas Scandalöfes bezeichnet würde. Endlich auch eine nahezu unbegreifliche Wildheit und Ge- waltthätigkeit, welche gar manche Angehörige des geiftlichen Stan- des mit den Waffen in der Hand ganz ebenfo raufluftig, blutdürfcig und unlenkfam auftreten läfst, wie diefs nur irgend bei den unbe- zähmbarften Leuten weltlichen Standes der Fall fein konnte. Aber auch ganz abgefehen von folchen thatfächlichen Uebelftänden, welche fich immerhin noch als blos misbräuchlicjie Ausnamen von einer zweifellos feftftehenden kirchlichen Ordnung betrachten liefsen, fehlte es auf gar manchen Punkten der Kirchenverfaffung felbft noch fehr erheblich an der Verwirklichung der Vorfchriften, welche das gemeine Recht der abendländifchcn Kirche bildeten. Die Gefetz- gebung in kirchlichen Di.ngen zunächft war auf Island ebenfo wie in Norwegen Sache des Staates, und nicht der Kirche. Die Bifchöfe erhielten zwar ihren Sitz in der lögretta, und namen info- ferne an diefer Gefetzgebung Theil; es konnte auch nicht fehlen, dafs ihnen als den am heften Unterrichteten und zunächft Bethei- ligten ein vorzugsweifer Einflufs auf diefelbe eingeräumt wurde. Aber der Befchlufs der lögretta entfchied auf kirchlichem wie auf weltlichem Gebiete, und das Chriftenrecht bildete \vie in Norwegen einen integrirenden Beftandtheil des gemeinen Landrechtes, während der Bifchof nur ganz untergeordnete Punkte für fich allein auf dem Verordnungswege zu regeln befugt war 1). Ebenfowenig war von einer eigenen geiftlichen Gerichtsbarkeit die Rede. In reinen Disciplinarfachen freilich hatten die Priefter vor einem eigenen Prieftcrgerichte (prestadomr) zu Recht zu ftehen, welches der Bi- fchof am Alldinge zu berufen, und mit 1 2 Prieftern zu befetzcn hatte 2); aber aufser dem Klerus war diefem Specialgerichte Nie- mand unterworfen, und felbft die Geiftlichen hatten in allen Ci\il- und Straffachen vor den weltlichen Gerichten Recht zu geben und zu ncmen. P'reicr war die Kirche freilich in ihren Verwaltungs- angclegenheiten geftellt; aber doch war der ihr eingeräumte Spielraum auch in diefer Beziehung ein viel befchränkterer, als er diefs nach den Grundfatzen des kanonifchen Rechts hätte fein follen. Auf der einen Seite nämlich lag die Verwaltung des Vermögens der einzelnen Kirchen nahezu ausfchliefslich in der Hand ihrer

1) Vgl. meinen .\uffat2 über die CJrdgas, S. 34- 35, und S. 48.

2) Kj^sbk, ? fi, S. 21: Kristinnr. hinu gamli, cap. 15, S. 72.

Die Einfühlung des Chriftenthiims, u. die HcgrinuUn»t^ der KirclicnverfalTung, 97

Bcfitzer. Diefc waren zwar bei Strafe gehalten ihre Kirchen faninit ihren Kirchhöfen in gutem Stande zu erhalten, dann für die Ver- richtung der vorgefchriebenen Gottesdienfte, und foniit auch für die Evidenthaltung des für diefe nothwendigen Inventares zu forgen; aber weiter als bis zu einer Ueberwachung in diefen Beziehungen reichte das Recht des Bifchofes nicht, vielmehr war ihm nur be- züglich des Zehnts noch ein etwas weiter reichender Einflufs zuge- (landen. Andererfei ts war die gefammte Armenpflege auf Island wefentlich zu einer weltlichen Angelegenheit gemacht, und felbft das in Uebereinftimmung mit dem gemeinen Kirchenrechte den Armen zugewiefene Zehnt viertel war dem entfprechend der Ver- waltung und Verfügung der Ortsgemeinde unterfteUt, wogegen fich die dem Klerus zugeftandene Mitwirkung bei der Armenpflege auf ziemlich enge Grenzen und wenige untergeordnete Punkte befchränkte, wie z. B. auf die Beftimmung der Fälle, in welchen das Geben von Almofen an Bettler ausnamsweife ftraflos bleiben follte, u. dgl. m. Endlich war auch jene Exemption von allen weltlichen Laden, welche die mittelalterliche Kirche anderwärts mit Erfolg beanfpruchte, dem isländifchen Rechte völlig unbekannt. Allerdings war das zu frommen Zwecken geftiftete Gut, fowie der Befitz der Priefter an Mefsgewändern, Büchern und anderen gottesdienftlichen Geräthen von der Zehntlaft befreit i); allein hierin lag eben doch im Wefentlichen nur eine Befreiung von einer kirchlichen Laft, und bezüglich aller anderen Öffentlichen I-aften wurde zwifchen Klerikern und Laien in keiner Weife unterfchieden.

Trotz der weiten Kluft, welche fich hiernach zwifchen den Vorfchriften des isländifchen Landrechtes und den Geboten des gemeinen Kirchenrechtes, oder mit der isländifchen Kirche ge- fprochen zwifchen den »guöslög< und den »landslög« aufthat, blieb übrigens der Friede zwifchen Staat und Kirche bis in die Mitte * des zwölften Jahrhunderts hinein ungeftört; die Conflifte aber zwifchen beiden Gewalten, welche von der zweiten Hälfte des genannten Jahrhunderts ab fich erhoben, fallen bereits über die Glanzperiode des isländifchen Freiftaates hinaus, und gehören fchon ganz entfchieden der Gefchichte feines Verfalles an.

1) Kgsbk, ^ 225, S. 20.5: Kristinr., cap. 36, S. 142.

Man r er, IälaQ(}.

98 l^er Unterganp^ des Freiftaats.

§ 6. Der Untergang des Freistaats.

Nicht zwar die glänzcndftc, wohl aber die glücklichfte Periode des isländifchen Freiftaates war diejenige, welche zwifchen dem Anfange des eilften und der Mitte des zwölften Jahrhunderts in Mitte liegt. Die Unruhe, welche die erfte Niderlaffung im fremden Lande mit fich gebracht hatte, war längft überftanden, und auch die Zwiftigkeiten waren ausgekämpft oder ausgetragen, welche die Feftftellung der Grenzen für die einzelnen Niderlaffungen vielfach vcranlafst hatte. Landrecht und Verfaflung hatten nach und nach feften Boden und geordnete Geflalt gewonnen, und auch das Chriftenthum hatte angefangen im Lande feine Wurzeln zu fchlagen, die Kirche aber auf dem neuen Gebiete fich wenigftens vorläufisj eingerichtet. Das Volk hatte fich allmälig feiner früheren Wildheit und jenes unftäten Sinnes entwöhnt, wie ihn das lange Vikinger- leben erzeugt hatte ; unter dem Einflufse ungeftörter friedlicher Bc- fchäftigungen hatte es mildere Sitten anzunemen begonnen, und felbfl eine nationale Litteratur war foeben im Entftehen begriffen, deren rafche Entfaltung für die geiftige Begabung fowohl wie für die Strebfamkeit der Bevölkerung das glänzendfte Zeugnifs ablegt. Die Gefchichtsquellen freilich find bezüglich diefer Periode des Frie- dens und der ruhigen Entwicklung der im Volke fchlummerndcn Kräfte überaus fchweigfam. Einige Lebensbefchreibungen islän- difcher Bifchöfe, einige in die norwegifche Königsgefchichte einge- flochtene Erzählungen über die Gefchicke isländifcher Männer in Norwegen, einige wenige und wenig bedeutende felbftftändige F>- Zählungen, wie etwa die Bandamanna saga, der Olkofra t>ättr oder der t)Orfteins l)ättr Siöuhallssonar, endlich ein paar vereinzelte Ein- fchaltungen oder dürftige Notizen am Schluffe von Erzählungen, welche fich auf die ältere, oder am Beginne von folchen, welche fich auf (^ie fpätere Zeit beziehen, wie etwa die Kriflni saga oder Ljosvetnfnga saga, dann die Sturlünga, find Alles was fich neben den dürftigen Einträgen in den Annalen über diefe Zeit erhalten hat. Aber gerade diefe Schweigfamkeit der Gefchichtsbücher ift das beredtefte Zeugnifs fiir den friedlichen Charakter des Zeit- raumes, der nur fo wenig zu erzählen gab, während es für die bewegten Jahre vor 1030 und wider für die unruhige Zeit von der Mitte des zwölften Jahrhunderts ab an Sagenftoff, und darum auch an Sagenfchreibern nicht fehlte. Fragt fich nun aber, aus welchen Gründen und auf welchem Wege diefe fo viel verfprechende l^Iiithczeit des isländifchen Freiftaates ihr fo rafchcs ICndc fand?

Der l'nterg.inij des Krciflnais. 99

Zunächft find es innere Gründe, welche den Verfall des Kreiftaates verfchuldet haben, und zwar laffen fich diefelben in letzter Inftanz' auf zwei Momente zurückführen, nämlich auf die eigenthümliche Geftaltung der Godenwürde und auf die nicht minder eigens geartete Stellung der Kirche zum Staat.

Das goöorö war von Anfang an der Pfeiler gewefen, auf welchem die ganze Verfaffung des isländifchen Freiftaates ruhte. Die ganze Machtfiille, welche dem germanifchen Kleinkönigthume überhaupt innewohnte, war von Anfang an in die Hand der Goden gelegt gewefen, und die örtlichen Verhältnifle des Landes hatten deren Bedeutung fogar noch fehr erheblich gefteigert, foferne fie die Abhaltung der Volksverfammlungen fehr erfchwerten, und dem- gemäfs auf einige wenige Zufammentritte im Jahr befchränkten ; die Einräumung einer entfcheidenden Stimme bei der Gefetzgebung, welche fich bald zu einer allein entfcheidenden erhob, wirkte, wie bereits bemerkt, ebenfalls in der gleichen Richtung. Aber nach einer anderen Seite hin zeigte die Würde doch auch eine fehr be- denkliche Schwäche, und zwar lag diefe in der durchaus privat- rechtlichen Behandlung begründet, welche ihr zu Theil wurde. Diefelbe war nicht nur, was ja von allem germanifchen Königthume ^alt, fchlechthin vererblich, und fomit auch wie jedes andere Be- fitzthum auf dem Wege des Erbganges theilbar, fondern fie war auch, was anderwärts ohne alle Parallele blieb, frei veräufserlich, und konnte auch bei Veräufserungen unter Lebenden beliebig ge- theilt werden. Aufserdem beruhte, und auch hiefür fehlt wider den übrigen germanifchen Reichen jede Parallele, die Herrfchaft des Goden über feine Dingleute lediglich auf einem Vertrage, welcher jeden Augenblick einfeitig gelöft werden konnte, und damit zu- fammenhängend entbehrte diefelbe jeder territorialen Grundlage und Begrenzung. Von beiden Seiten her war ebenfowohl eine in's End- lofe gehende Zerfplitterung, als auch umgekehrt eine ebenfo fchran- kenlofe Ausdehnung und Anhäufung der einzelnen Godorde er- möglicht. Während demnach die ^ ganze Verfaflung auf die flill- fchweigende Vorausfetzung einer unter fich wefentlich gleichartigen Stellung der fämmtlichen Häuptlinge gebaut war, konnte es nicht fehlen, dafs früher oder fpäter das Gleichgewicht unter diefen fich verfchob, indem einige unter ihnen durch die Zahl ihrer Dingleute, die Vereinigung mehrfacher Godorde oder doch Bruchtheile von folchen, endlich auch wohl durch ihre Verwandtfchaft oder Ver-

fchwägerung mit anderen regitrcndcn Herrn ein geradezu erdrücken-

" *

100 l^c"" l'"teigang des FrciHaats.

des Uebergewicht erlangten. Was lag da näher, als dafs von einem diefer übermächtig gewordenen Häuptlinge der Verfuch gemacht wurde, durch Unterwerfung feiner bisherigen Genoflen die AUein- herrfchaft über die ganze Infel oder doch über einen gröfseren Theil derfelben an fich zu reifsen? Dazu kommt, dafs die Bezirks- verfaffung, wie fie im Jahre 965 gefetzlich vorgefehen worden war, entweder überhaupt nie voUftändig zur Ausführung kam, oder doch wenigflens fchon fehr frühzeitig wider verfiel. Der Viertels- dinge gefchieht in den Gefchichtsquellen nur zweimal Erwähnung, und zwar beidemale in Bezug auf das Weftland i) ; von den Rechts- büchern aber eru'ähnt derfelben nur das eine als einer Verfamm- lung, welche hin und wider vorkomme 2), während diefelben doch zu den drei ächten Dingen (skapt)fng) von ihnen nicht gezählt wer- den 3). Die Dingverbände ferner fehen wir fchon frühzeitig zcr- fplittert, und das Recht felbft war es, welches ihrer Zerfplitterung den Weg bahnte. Allerdings galt nämlich fortwährend die Regel, dafs die drei zu einem Dingverbande gehörigen Häuptlinge ihr Frühlingsding fowohl als Herbftding an der althergebrachten Ding- ftätte gemeinfam halten foUten -*) ; aber Ausnamen von diefer Regel waren geftattet. Nicht nur die Verlegung der Dingftätte, fondeni auch die Spaltung eines Dingverbandes, oder umgekehrt die Zu- fammenlegung zweier bisher getrennter Dingverbände zu einem ein- zigen war geftattet, wenn nur die fämmtlichen betheiligten Häupt- linge in vorfchriftsmäfsiger Form darüber fich einigten, die Zuftimm- ung der gefetzgebenden Verfammlung erlangten, und die beliebte Neuerung gehörig bekannt gaben 5); mit Zuftimmung der lögretta durfte insbefondere auch das Herbftding an einer anderen als der hergebrachten Dingftätte, und wie es fcheint fogar von den ein- zelnen zum Dingbezirke gehörigen Coden einzeln abgehalten wer- den 6). Ueberdiefs waren ja gelegentlich der Einführung des fünften Gerichts auch Godorde gefchafien worden, welche ganz aufserhalb der Dingverbände ftanden, deren Inhaber fomit darauf angewiefen

1) Neben Eyrbyggja, cap. 10, S. 12, iiiul Landndma, II. cap. 12, S. 98. flehe Landn., II, cap. 29, S. 150, wo indeffen die Hauksbök das *|>ingeyrar |»in«^ 1 DvrafirMflr nennt.

2) Vlgslö^i, cap. 58, S. 99.

3) Kgsbk, ^ 82, S. 140; Kaupab., cap. 46, S. 482-3.

4) Kgsbk, § r>6, S. 96, und g Ol, S. 111.

5) Ebenda, jf 59, S. 107 S. 0) Kb.cnda, ^ Ol, S. 111.

Der l'nteijjanj; des Freiflaais. J(J|

waren, an fclbftgewähltcr Stätte mit ihren Angehörigen für fich allein Ding zu halten i), und es konnte nicht fehlen, dafs folchen legalen Vorgängen gegenüber gar mancher Häuptling nur umfo- mehr fich veranlafst fehen konnte, auch illegaler Weife aus feinem bisherigen Dingverbande auszufcheiden, wenn ihm diefs irgend welche Gründe wünfchenswerth zu machen fchienen. Wir fehen z. B. den horstein l>orgilsson von Hafsfjaröarey im Jahre 1007 das Rauömelinga goöorö in Folge feiner Streitigkeiten mit Snorri goöi aus dem l^örs- nessi>fnge herausziehen, und für daflelbe in Straumsfjörör eine eigene Dingftätte gründen, an welcher fein Haus auf lange Jahre hinaus fefthielt^); dafs aber Aenliches auch in anderen Fällen oft genug vorgekommen fein mufs, läfst fich leicht darthun. Auf der einen Seite finden wir nämlich in den Gefchichtsquellen Dingftätten in ziemlicher Zahl genannt, welche fich mit der officiellen Dingver- faflung fchlechterdings nicht in Einklang bringen laflen. Im Wefi:- lande ftcht neben den drei grofsen, fchon fehr früh genannten und andcrerfeits noch im dreizehnten Jahrhunderte beftehenden Ding- verbänden des l>ingness|.fng, oder wie es fpäter hiefs {)verär{)ing, t>ürsnessl>fng und |>orskafjaröarljing noch ein Hvalsey.rart)ing, l^ing- eyrarl)ing oder Dyrafjaröarl>ing im Nordweften, zu Ende des zehnten, und dann wider zu Ende des zwölften und Anfang des dreizehnten Jahrhunderts genannt 3), dann ein Ding »undir Valfelli« im Süd- weftcn, welches zu Ende des zehnten Jahrhunderts erwähnt wird 4), fowie das bereits erwähnte Straumsfjaröar[)ing. Im Nordlande kommt neben dem Hünavatns{)ing, Hegraness[)ing, Vööluliing und tingeyj- arfiing noch eine Dingftätte im Miöfjörör vor, welche dem neuge- gründeten Melamanna goöorö entfprach 5), ferner ein Vallalaugar[)ing, welches um die Mitte des eilften Jahrhunderts, und dann wider, wiewohl minder beftimmt, im dreizehnten Jahrhundert erwähnt wird 6),

1) Vgl. z. 13. was die Njdia, cap. 108, S. 166, von den Diiigbuden zu llM'tanes im Gegenfatze zu denen am |>(ngsk{ilajjinge fagt.

2) Kyrbyggja, cap. 56, S. 105.

3) Gisla .s. Sürssonar, I, S. 9 10, u. 11, S. 92; dann Hrafns s. Svein- bjarnarsonar, cap. 4, S. 641, und cap. 16, S. 666; vgl. cap. 19, S. 675. Der Variante der llauksbök zu Landn. II, cap. 29, S. 150 wurde bereits gedacht.

4) Gunnlaugs s. ormstdngu, cap. 2, S. 193; Eigla, cap. 85, S. 215 19.

5) Bandamanna s., S. 10; wegen des Godords vgl. ebenda, S. 7, und Njilla, cap. 98, S. 151.

6) Ljösvetnfnga s., cap. 26 -27, S. 90— 93; ferner Sturlünga, IX, cap. 35, S. 254, und cap. 36, S. 258.

1()2 rJcr l'uleigaiig des Ficiflaals.

endlich ein Ding »i TMÖsatüngu« im Fnjöskadalei), welches vielleicht mit dem neugeftifteten Godorde der Laufaisingar zufammenhieng. Im Ofllande vollends wird in der zweiten Hälfte des zehnten Jahr- hunderts neben dem Skaptafells{)fnge noch ein Sunnudals{)ing, Müla- |>ing, Lambanessl)ing und Kräkalaikjar|jing genannt, fodafs wir der Dingftätten fünf anftatt drei bekommen 2); in derjarnsiöa undjönsbök dagegen werden dafelbft umgekehrt nur das Mülat)fng und Skapta- follsf>fng erwähnt, was an die in einem unferer Rechtsbücher er- wähnte Möglichkeit erinnert, dafs mehrere Dingverbände an einer und derfelben Dingftätte ihre Vcrfammlungen hatten 3). Nur im Südlande, wo neben dem l>ingskalal>fnge oder Rängär|>fnge, Amess- [yingc und Kjalarness{)inge nur noch eine mit der Errichtung der neuen Godorde zufammenhängende weitere Dingftätte erwähnt wird, fcheint man fich genauer an die legale Ordnung gehalten zu haben, fodafs 'diefes geradezu das Gegenbüd zum Oftlande bietet, in welchem diefe zu keiner Zeit vollkommen durchgedrungen zu fein fcheint. Am Schlimmften fcheint es aber mit der Haltung des Herbftdinges beftellt gewefen zu fein, denn einerfeits wird neben den oben befprochenen Dingftätten noch ein Leiöholmr i Miödölum^), und ein Leiövöllr an der Laxä füdlich des Borgarfjörör gedacht J^), und zwar beider im zehnten Jahrhundert, und andererfeits am Schluffe deffelben Jahrhunderts von der ausnamsweife gemeinfamen Abhaltung der Eyfiröfngaleiö, Ljösvetningaleiö und Reykdaelaleiö gefprochen 6), während doch die Eyfiröingar dem Vöölut)inge, die Reykdailir aber und die Ljösvetnfngar dem |)ingeyjart)fnge ange- hörten. Wie diefe gefchichtlichen ZeugnifTe auf eine fchon ziemlich früh eingetretene Zertrümmerung der legalen Dingverbände fchliefsen laffen, fo bezeichnet aber auf der anderen Seite auch das Königs- buch die Zeit als eine längft vergangene, in welcher der Dingbe^irk drei Godorde, und das Nordviertel vier, jedes andere Landesviertcl

1) Ljösv et nf iiga s., cap. 4, S. 12.

2) Siehe die Vopnfir^i'iiga s. u. Droplaugarsona saga. Das Kiöjafellspmg, welches neuere Karten von Altisland anfetzen, mufs mit dem Mülapmge identifch genommen werden, da feine Dingftätte »6. hälsinum milli SkriÖiidals og Fljotsdals? gelegen fein foll; dalTelbe wird übrigens nur in der längeren Recenfion der Drop- laugarsona s. erwähnt, einem Machwerke des fiebenzehnten Jahrhunderts.

3) Kgsbk, g 50, S. 87; § 62, S. 115, und § 88, S. UO.

4) Kormaks s., cap. 9, S. 76.

5) Hölmverja s., cap. 31, S. 92.

6) Ljüsvetnfnga s., cap. '2, S. 7.

Der Untergang des Freifl.ials. JQ3

aber je drei Dingverbände enthielt, und in welcher fcmiit die IDiing- verbände noch unzerriffen waren ^); auf die gefammten Zuflände des Landes aber mufste diefe Wendung der Dinge in nachtheiligfter Weife einwirken. Der mäfsigende Einflufs, welchen die Verbindung mehrerer Godorde zu einem Dingbezirke^ dann mehrerer Dingbe- zirke zu einem Landesviertel auf die Selbftherrlichkeit der einzelnen Häuptlinge auszuüben beftimmt war, war nunmehr untergraben, und die Solidarität der Intereffen fowie das Gefühl der Zufammen- gehörigkeit abgefchwächt, welches die Gewohnheit des fteten Zu- fammenwirkens daheim wie am Alldinge zu erzeugen vermocht hätte ; die Abhängigkeit der Dingleute der mächtigeren Goden von diefen ihren Beherrfchern, die Ungleichheit ferner in der Stellung der verfchiedenen Häuptlinge felbft, endlich auch die eiferfüchtige Spannung unter den regierenden Häufern, mufste eben damit in hohem Grade befördert werden. An ein paar Beifpielen läfst fich leicht zeigen, in welcher Weife es bei der Anhäufung der Godorde in einzelnen Häufern und bei der fie begleitenden Zerfetzung der Bezirksverfaffung des Freiftaates zugieng. Von l>orbjörn loki, welcher 'zuerft den Djüpifjörö im Nordweften der Infel in Befitz genommen hatte, im geraden Mannsftamme herkommend 2), zählte die Familie der Sturlüngar von Anfang an zwar zu den älteren, aber keines- wegs zu den mächtigeren Gefchlechtern des Landes, und es ift fehr zu bezweifeln, ob diefelbe auch nur im Befitze eines Godordes war, ehe t»örör Gilsson von Mänaljöt, einem Enkel des berühmten Snorri goöi, das Snorrünga^'goöorö erbtet). Von da ab blieb diefes Go- dord im erblichen Befitze des Haufes 4); Sturla aber, jenes l>6rös Sohn, kaufte den Hof zu Hvammr^), nach welchem er feitdem Hvamm-Sturla genannt wurde. Er fcheint den Grund zur Macht feines Haufes gelegt zu haben (f 1182), welches eben darum ganz mit Recht feinen Namen trug. Aus feiner Ehe mit Guöny, einer Tochter des Böövarr l)öröarson aus dem Haufe der Myramenn, giengen die drei bekannten Sturlusynir hervor, deren Gefchicke fortan für die Gefchichte Islands fo vielfach beftimmend wurden, nämlich t>örör (1165 1237), Sighvatr (i 170— 1238), und der Ge-

1) Kgsbk, § 20, S. 38, und § 117, S. 211.

2) Landndma, II, cap. 23, S. 132: ^orskfirbi nga s., cap. 1, S. 41 2. 8) Sturlünga, TI, cap. 9, S. 55.

4) Ebenda, IV, cap. 46, S. 94. r») Ebenda, II, cap. 12, S. 60.

1(J4 I^ei* t'ntcTj^ang des Friiftaals.

fchichtsfchrciber Snorri (1178 1241). Von ihnen überkam torör durch feine Heirath mit der Helga, des Ari hinn sterki Tochter, den Hof zu Staör auf Snaifellsnes, und die zu ihm gehörige Hälfte des törsnesinga goöorösi); deffen andere Hälfte aber erhielt er von dem Priefter t>orgi!s Snorrason gefchenkt^). Sighvatr erwarb nach dem Tode des Einarr t>orgilsson (f 1185) durch Kauf den halben Hof zu Staöarhöll 3), und gleichzeitig fcheint er auch in den Befitz der Godorde Einars, und insbefondere in den Befitz des Saurbaefnga goöorös gelangt zu fein, welches Einars Vater, torgils Oddason, von feinen Vorältern ererbt zu haben fcheint, welche mütterlicher Seits von Geirmundr heljarskinn abdämmten*); jedenfalls gehörte diefes feinem Haufe, da Sturla Sighvatsson fpäter am Alldinge die Saurbaefnga büö beziehen konnte 5). Auch das Reyknesfnga goöorö, welches t)orgils Oddason von einem Schwefterfohne feiner Mutter, dem Priefter Ingimundr P2inarsson, gefchenkt bekommen hattet), fcheint damals auf Sighvat übergegangen zu fein, und vielleicht noch manches andere Godord, welches wir jetzt nicht mehr nach- zuweifcn vermögen; fpäter aber übergaben dem Sturla Sighvatsson die Söhne des Hrafn Sveinbjarnarson deifen Godord, um bei ihni gegen den t^orvald Vatnsfiröing Schutz zu finden, welcher ihren Vater getödtet hatte (1213)7). Dem Snorri Sturluson endlich gab ein Bruder feiner Mutter, l»6rör Böövarsson, das halbe Lundarmanna- goöorö, um dadurch feinen eigenen Dingleuten kräftigeren Schutz gegen verfchiedene Gegner zu fiebern 8); von |3orsteinn Ivarsson, einem Nachkommen wie es fcheint des zu Anfang des zwölften Jahrhunderts fehr mächtigen Hafliöi Märsson, erhielt Snorri das zum Nordlande gehörige Avellingagoöorö ^),« u. dgl. m. Während fich in angegebener Weife, nur zum Theil an der Hand zufällig erhal- tener Notizen verfolgbar, in der Hand der Sturliingar eine nam- hafte Menge von weftländifchen Herrfchaften zufammenfand, widcr-

1) Ebenda, HI, cap. 38, S. 194.

2) Ebenda, cap. 41, S. 198.

'S) Ebenda, cap. 89, S. 194, und cap. 41, S. 197.

4) Den Stammbaum geben Landn. II, cap. 20, S. 125, und Sturlünga, I, cap. 3, S. 6, dann cap. 6, S. 8.

5) Sturlünga, IV, cap. 39, S. 82.

6) Ebenda, I, cap. 6, S. 9, und cap. 13, S. 19.

7) Sturlünga, IV, cap. 42, S. 87.

8) Ebenda, III, cap. 19, S. 223.

9) Ebenda, cap. 22, S. 227.

Der Untergang des Frciftaats. 1(J5

holte fich das gleiche Schaufpicl im Nordlandc zu Gunften einiger anderer Häufer, nur freilich im Einzelnen weniger verfolgbar. Am Ende des zwölften Jahrhunderts finden wir hier den Guömundr dyri ^orvaIdsson im Befitze einer ererbten Herrfchaft, des Mööruvellinga goöorös 1), und fpäter tritt ihm Jon Ketilsson und deffen Bruder

Asgrimr das Fljotamanna goöorö ab (1187), um fich feiner Unter- ftützung gegen einen übermächtigen Gegner zu verfichern2); von einer nur wenig fpäteren Zeit wird aber berichtet: »Damals war Kolbeinn (f 1 208, aus dem Haufe der SkagfirCingar) der mächtigfte Mann im Nordlande, und er befafs alle Godorde im Werten der Yxnadalsheiöi bis zum Avellfnga goöorö hin; das Avellinga goöorö aber fchenkte deffen Befitzer, l>orsteinn Ivarsson, dem Snorri Stur- luson, und auch die Melamenn behaupteten ihren Antheil an den (jodorden. Nördlich von der YxnadalsheiC^^i befafsen Ögmundr sneis und Hallr Kleppjarnsson Godorde; t)orvaldr aber, des Guömundr dyri Sohn, gab die Godorde, welche feine Verwandtfchaft befeffen hatte, dem Sigurö Ormsson. Sigurö fchenkte fie dem Tumi Sig- hvatsson, und fo gelangte diefer feiner Zeit zu ihnen iJ)v<. Diefe letzte Stelle zeigt ganz deutlich, wie fich durch die maffenhafte Vereinigung mehrfacher Godorde in der Hand mächtigerer Häupt- linge Herrfchaften bildeten, welche die Eigenfchaft wenigftens an- nähernd gefchloffener Territorien anzunemen begannen, und es fehlt nicht an weiteren Belegen für diefe Umgeftaltung der überlieferten Ordnung der Dinge. Wir erfahren z. B., dafs in dem Schiedfpruche, welchen |>6rör Sturluson zwifchen horvald Vatnsfiröfng und den Hrafnssöhnen that (1214), ausbedungen wurde, dafs der Erftere zwar im Uebrigen fein Godowi behalten, aber alle diejenigen Ding- leute verlieren follte, welche in dem Bezirke (täkmark) zwifchen dem Vatnsfjörör im Breiöifjörör und den Stigar im Isafjörör ge- feffen waren 4), und wir erfehen hieraus, dafs zwar t^orvalds Ding- leute noch in älterer Weife fehr zerftreut wohnten, und jedenfalls mit Dingleuten Hrafns gemifcht, welcher zu Eyri im Arnarfjörö

1) Kbenda, III, cap. 11, S. 133.

2) Ebenda, cap. 12, S. 138.

3j Ebenda, c«ip. 22, S. 227, dann Gu^mundar bps» >., ca]). 51, S. 488, wo jedoch der auf |>orsteinn tvarssun bezügliche Satz fehlt, und unmiltelb^ir vorher ftatt des Avellfnga go(Sor6s das Mö(>ruvelHnga go^o^^ genannt wird.

4) Hrafns s. Sveinbjarnarsonar , cap. 19, S. 675: Sturldnga, IV, cap. 18, S. 35-6.

10(3 Der Unttrjjang des. Frcillaals.

gewohnt und dort herum zahlreiche Dingleutc gehabt hatte *) ; aber wir fehen zugleich auch, wie man bemüht war bei jeder fich dar- bietenden Gelegenheit den Godorden trotz ihrer rechtlich noch immer erhaltenen pcrfönlichen Bedeutung geographifche Schranken zu ziehen. In änlichcr Weife wurde bei einem Vergleiche, welchen Siumundr Ormsson mit borvarö |»örarinsson und deflen Bruder Odd abfchlofs (1251), beftimmt, dafs die unter beiden Theilen ftreitigon Godorde zwifchcn der Lonshciöi und dem Vorgebirge Gerpir fowic der Eyvindarä dem Erfteren zufallen, dagegen die weiter nördlich gelegenen den Letzteren verbleiben foUten 2) ; ja fogar in den Rechts- büchern zeigen einzelne fpätere Einfchaltungen bereits eine Ein- thcilung des Landes in territorial begrenzte »takmörkc3), oder den Ausdruck »t>ingmark«, »^ingsokn* für territoriale Bezirke gebraucht -»J, was genau auf diefelbe Umgeftaltung der früheren Zuftände hinaus- führt. Es ift klar, dafs, wenn erfl in diefer Richtung ein gewificr r^ortfchritt gemacht war, das Uebergewicht des einzelnen Iläupt- linges in feinem Bezirke ein hinreichend bedeutendes werden mufstc, um i\cn kleineren Leuten den Uebertritt in den Dingverband eines anderen Herrn unmöglich zu machen, wenn derfelbe ihnen auch rechtlich nach wie vor vollkommen freiftand. Nicht minder klar ift, dafs die Kluft, welche derartige Häuptlinge von ihren Unter- gebenen trennte, eine beträchtlich breitere fein mufste als diejenige, welche vordem zwifchen den Goden und ihren Dingleuten beftanden hatte. Urfprünglich waren diefe kaum viel beffer geftanden als der eine oder andere grofse Bauer unter ihren Dingleuten, und noch um die Mitte des eilften Jahrhunderts wird es dem Järnskeggi Einarsson als ein Uebermafs von Hochmuth ausgelegt, dafs er ein- mal am VöClu[)inge eine Fahne vor fich hertragen liefs, wie folches die Könige und Jarle zu thun pflegten &) ; im dreizehnten Jahrhun- derte dagegen finden wir die isländifchen Häuptlinge ganz in der- felben Weife von einem Dienftgefolge umgeben, wie die nordifchen Könige ein folches hielten, und jjörör kakali z. B. hatte feine eigene »gestasveit«, welche im Flöabardagi (1244) für ihn kämpfte 6). Die

1) Vgl. z. B. Ilrafns s., cap. 19, S. 674; Sturlitnga, IV, cap. lÖ» S. 35.

2) Sturlünga, VII, cap. 54, S. 107; vgl. cap. 51, S. Iü3 -4.

3) Kgsbk, § 167, S. 72.

4) Kaupab., cap. 49, S. 460; cap. 50, S. 461: cap. 52, S. 463.

5) Band am an na s., S. 84.

6) Sturlünga, VII, cap. 6, S. 14, uiicl cap. 27, .S. 58.

Der Untergang dch Frciflaats. I(j7

inneren Kämpfe, von welchen Island während der zweiten Hälfte des zwölften und der erflen Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts bewegt war, zeigen deutlich, wie gewaltig fich damals die Zuftände des Landes verändert hatten. Es waren damals nur noch einige wenige Häufer, um deren Zerwürfniffe fich die Gefchichte der Infel drehte, die Oddaverjar etwa und die Haukdailir im Süden, die Svi'nfellingar und die Hofsverjar im Often, die Mööruvellingar und die Skagfiröingar im Norden, endlich die Vatnsfiröingar und zumal die Sturlüngar im Werten; die Ausdehnung aber, welche die Ge- fechte diefer Zeit gewinnen, fteht weit^von den Zahlenverhältniffen ab, welche felbft die gröfseren Zufammenftöfse in früheren Jahr- hunderten zeigten. Als im Jahre 964 ^orör gellir und Tüngu-Üddr am lu'ngnessjiinge fich gegenüberftanden, gebot der Erfterc über zwei, der Letztere über vier Hunderte von Männern^); als ferner Snorri goöi im Jahre 1008 nach dem Borgarfjörö zog um Vigastyrs Tödtung zu verfolgen, hatte er vier Hunderte von Leuten unter fich, während die Gegner ihm mit nahezu fünf Hunderten gegen- ubertraten 2). Beide Ziffern galten damals als ganz aufserordentlich hohe ; aber fchon im Jahre 1 1 2 1 hatte |»orgils Üddason von StaCJar- holl, als er zum Alldinge ritt um feine im Jahre zuvor erfolgte Verurtheilung rückgängig zu machen, fieben Hunderte von Männern bei fich, und fein Gegner, Haflici Märsson von BreiöabolstaCr, fogar zwölf Hunderte 3), zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts aber wurden bei Viöines ( 1 208) und Ürlygsstaöir (1238) bereits förmliche Feldfchlachten geliefert, und im Meerbufen Floi kam es fogar ein- mal (1244) zu einer regelrechten Seefchlachtl

Anderntheils ift oben bereits bemerkt worden, wie wenig der Zuftand der Kirche, welchen das Chriftenrecht der Jahre 11 22 33 fchildert, den Anforderungen des kanonifchen Rechts ent- fprach, deffen Rechtsverbindlichkeit für alle und jede Reiche des chriftiichen Abendlandes doch kirchlicherfeits beanfprucht werden mufste. Die breite Kluft, welche das isländifche Landrecht in feinen kirchenrechtlichen Beftimmungen von dem gemeinen Rechte der abendländifchen Kirche trennte, enthielt den Keim zu einem Zu- fammenftöfse, welcher früher oder fpäter erfolgen mufste, wenn auch

1) !Ia'nsa{iöris s., cap. 13, S. 169.

2) Eyrbyggja, cap. 56, S. 103.

3) Sturlünga, I, cap. 19 20, S. 37: Kristni s., cap. 14, S. 31; Anhang «Icr Skarbsarbok zur Land n am a, .S. 330.

l(jy Der L iilerganjj des Kreillaals.

die Entlegenheit und die bcfondere Verfaffung Islands deffen Eintritt lange genug hinausfchieben liefs. Schon bei der erften Errichtung des hamburgifch-bremifchen Erzbisthumes im Jalire 831 war diefem der ganze germanifche Norden unterftellt worden, und von dem Augenblicke an, in welchem fich das Chriftenthum über- haupt dafelbft einbürgerte, gehörte demnach auch Island zu dcflen Kirchenprovinz. Als dann im Jahre 1103 zu L und in Schonen für die skandinavifchen Reiche ein eigenes Erzbisthum begründet wurde, tratt auch Island unter deffen Metropolitangewalt ; bei der Aufrichtung aber eines befonderen Erzbisthumes zu Niöarös oder Drontheim für die Länder norwegifcher Zunge, welche in den Jahren 1151 52 erfolgte, wurden die beiden Landesbifchöfe fofort diefem als Suffragane untergeben. Solange nun die Metropolitan- gewalt über die Infel in der Hand der hamburger Erzbifchöfe ge- legen war, konnte felbftverftändlich von einer ausgiebigen Hand- habung derfelben nicht die Rede fein, wenn auch einzelne unter ihnen, wie zumal Erzbifchof Adatoert (1043 72), fich eifrig um die isländifche Miffion annamen. Die geringe Bekanntfchaft des Metropoliten mit den Zuftändcn und Bedürfniflen der Infel, und die Schwierigkeit feines Verkehrs mit diefer konnte ihm eine einiger- mafsen kräftige, und zumal ftätige Einwirkung auf diefelbe nicht geftatten, ganz abgefehen davon, dafs in den nächften Zeiten nach der Bekehrung auf feftgewurzelte Zuftände fowohl als auf einzelne einflufsreiche Perfönlichkeiten noch allzuviele Rückficht genommen werden mufste, als dafs man auf ftrenge Beobachtung der kirch- lichen yorfchriften hätte dringen können, ohne dadurch den Beftand der Kirche felbfl: in dem neugewonnenen Lande ^zu gefährden. Auch die Errichtung des Erzbisthums Lund änderte an diefen Zuftänden wenig, da der dänifche Metropolit mit den Mifsftänden feiner eigenen Heimat vollauf zu thun hatte, und Island noch immer ferne genug ftand, um auf deffen kirchliche Verfaffung keinen bedeutenden Einflufs üben zu können ; anders geftaltete fich aber die Sache von dem Momente an, da der norwegifche Stamm fein eigenes Erz- bisthum erhalten hatte. Wie für die norwegifche, fo machte fich auch für die isländifche Kirche von jetzt ab ein weit ftraffercs Kirchenregiment geltend. Durch eigene Erfahrung und regen Ver- kehr der Bedürfniffe der nordifchen Kirche und der zu ihrer Be- friedigung verfügbaren Mittel kundig, und zumal auch mit den perfönlichen Verhältniffen innerhalb feiner Provinz vertraut, konnte der norwegifche Metropolite ungleich regelmäfsiger und wirkfainer

Der Untergang des Freiflaats. JQQ

deren Regierung führen, als diefs die deutfchen und dänifchcn lilrz- bifchöfe zu thun vermocht hatten, während andererfeits durch den nunmehr eröffneten direflen Verkehr mit dem päpftlichen Stuhle auch ein entfchiednerer Anfchlufs an das von ihm vertretene und in ihm gipfelnde Syftem der Kirchenpolitik bedingt war. Von jetzt ab erft begann der nordifche, und insbefondere auch der isländifche Klerus fich als Theil einer die ganze abendländifche Chriftenheit umfpannenden Hierarchie zu fühlen, begann er von dem feit Gregors VII. Zeiten diefe durchdringenden Geifte befeelt zu werden. Schon ein Schreiben, welches Erzbifchof Eyfteinn im Jahre 1173 an die Isländer erliefsi), giebt von diefer Wendung der Dinge Zeugnifs, weit entfchiedener noch aber ein Verfuch, die Beftimmungen des kanonifchen Rechts über die Befetzung der Kirchenämter und die Verwaltung des Kirchenvermögens zur Geltung zu bringen, welchen im Auftrage des Erzbifchofes B. l>orläkr |)6rhallsson gleich nach feiner Berufung auf den Stuhl von Skälholt (i 1 78) machte 2). Der Verfuch fcheiterte an dem energifchen Widerftande, welchen der mächtige Jon Loptsson zu Oddi demfelben entgegenfetzte, und er wurde zunächfl: nicht mehr erneuert, da die mifslichen Verhältniffe in Norwegen dem Erzbifchofe jede Möglichkeit eines kräftigen Auftretens auch Island gegenüber verfagten. Einen Conflift, welchen B. Brandr Saemundarsson von Holar mit den Befitzern der Kirche zu Vellir über diefe hatte 3), darf man nicht, wie mehrfach gefchehen^), als eine Fortfetzung jenes Angriffes auf das Laienpatronat auffaffen, da es fich bei demfelben nicht um allgemeine Rechtsgrundfätze, fondern lediglich um befondere Verabredungen für diefen befonderen Fall handelte ; aber völlig unthätig waren darum die Träger des Kirchen- regiments felbft in diefer für fie fo ungünftigen Zeit nicht, vielmehr fuchten fie auch jetzt wenigftens infoweit ihre Zwecke zu fordern, als diefs gefchehen konnte, ohne in offenen Streit mit dem Staate zu gerathen. Auf der einen Seite wurde demnach von ihnen gegen

1) Diplom. Island., I, nr. 38, S. 221—23. Ich folge hinfichtlich der Zeit- beftimmung der Urkunden in der Regel Jon Sigur6s.son.

2) Vgl. den Oddaverja Jj. der jüngeren l>orldks bps s., cap.. 18 25, S. 280-93; die ältere Sage, cap. 4, S. 92, und cap. 15, S. 107, giebt nur kurze Andeutungen. Vgl. auch Diplom. Island., 1, nr. 53, S. 259 f»0, und Arna bps s., cap. 6, S. 685.

3) Sturlünga, III, cap. 34, S. 185-6.

4) Finn Joliann;eus, I, S. 333, Aiim. a; T^tr Pötrsson, Coinmeutatio <lt* jure ecclosiaruni in Islnndia, S. 83 4.

110 Der l'nterjjaMj; des Freiftants.

Mifsftände fcharf vorgegangen , welche , wie z. B. Todtfchlägc, Körpei-verletzungen oder gefchlechtliche Verirrungen, auch nach dem 'geltenden Land rechte als Vergehen anzufehen waren ; auf der anderen Seite aber wurde, was diefes Landrecht wenigftens nicht hinderte, auf die Loslöfung der Kleriker von allen wehlichen In- terefTen ,und Gefchäften, fowie auf deren ausfchliefsliche Zurück- führüng auf ihren kirchlichen Beruf hingearbeitet. Schon das oben angeführte Schreiben Erzb. Eysteins vom Jahre 1173 hatte alle Kleriker suspendirt, welche fich eines Todtfchlags fchuldig gemacht hatten, und zugleich denfelben die Führung fremder Rechtsfachen unterfagt. foweit es fich nicht um die Vertretung von Wittwen oder Waifen handelte ; letzteres eine um fo auffälligere Mafsregcl, weil gerade der damalige Bifchof von Skälholt, Klaengr l>orsteinsson, als ein befonders tüchtiger Jurift und vorzugsweife gefachter Sachwalter bekannt war^). Ueber das Wafifentragen der Kleriker und deren Streitbarkeit klagt auch ein zweiter Erlafs deflelben Erzbifchofes, welcher den Jahren 1179-80 angehört 2); dann, veranlafst wie es fcheint durch ein Schreiben, welches P. Clemens IIL dieferhalb an den norwegifchen Klerus gerichtet hatte ( 1 1 89) 3), ein weiterer Erlafs, den Eysteins Nachfolger, Erzb. Eirfkr, unmittelbar nach der Be- fteigung feines Stuhles (1189) an die isländifchen Bifchöfe richtete, und in welchem, er fich zugleich auch über die Einmifchung der Priefter in welthche Händel mifsbilligend äufsert"^). Ungleich tiefer noch fchneidet ein zweiter Erlafs deffelben P>zbifchofes aus dem Jahre 1190 eini>), foferne er ebendiefes Verbot der Betheiligung der Geiftlichen an weltlichen Verrichtungen dahin ausdehnt, dafs allen Klerikern vom Subdiakonus aufwärts insbefondere auch der Befitz von Godorden verwehrt fein follte. Das Verbot entfprach nicht nur den unzweideutigften Vorfchriften des kanonifchen Rechts, fondern auch dem wirklich begründeten Bedürfniffe der Kirche, welches die Befchränkung des Klerus auf feinen kirchlichen Beruf fchlcchter- djngs forderte ; aber es lief der beftehenden Uebung auf der Infel fchnurflracks entgegen, und erregte ficherlich bei vielen einflufs- reichen Mämiern grofsen Anftofs, wie es denn auch wirklich von

1) Hüngrvaka, cap. 18, S. 82.

2) Diplom. Island., T, Xr. 54, S. 202-4. 8) Ebenda, Xr. 70, S. 284.

4) Ebenda, Nr. 71, S. 285—9.

5) Fbenda, Nr. 72, S. 200 - 1.

Der rnterjjaniT des Freillaats. UJ

nicht unbedenklichen politifchcn Folgen begleitet war. Wenn fich nämlich das Verbot zwar allerdings nicht ftrengftens durchfuhren liefs, wie denn z. B. noch B. Fall Jönsson von Skälholt (119S 121 1) und der im Jahre 1236 zum Bifchofe gewählte Magnus Gu^mundarson im Befitze von Godorden fich befanden i), fo hieng doch augenfcheinlich mit ihm und den ihm zu Grunde liegenden kirchlichen Bedenken die Thatfache zufammen, dafs im Laufe des 12. Jahrhunderts gar manche Häuptlinge geiftlichen Standes ihre Godorde in weltliche Hände legten 2); damit wurde aber einerfeits die Anhäufung zahlreicher Godorde in wenigen Händen nur noch mehr befördert, und andererfeits die Kluft fehr beträchtlich erweitert, welche ohnehin fchon zwifchen Staat und Kirche beftand. Neben derartigen Mafsnamen des Kirchenregimentes wucherte übrigens die von B. tiorläk ausgeftreute Saat auch innerhalb des niederen Klerus der Infel ungehindert weiter. Zumal im Nordlande, deflen alters- fchwacher Bifchof Brandr Saemundarson (1162 1201), w'enn auch gleich feinem Skälholter Amtsbruder Fall Jonsson von F. Innocenz III. wegen feiner Läffigkeit getadelt (i 198)3), in feinen letzten Jahren fich willenlos fremder Leitung überliefs, bildete fich innerhalb deffelben rafch eine ftreng hierarchifch gefinnte Farthei, als deren Führer und encrgifchfter Vertreter der heifsblütige Friefter Guömundr Arason auftratt. Eine Vifion, welche in diefe Zeit fällt, und welche für die in jenen Kreifen herrfchende Stimmung um fo bezeichnender ift, als es die Zuhälterinn eines Frieders war, welche fie gehabt haben follte^), nennt als die heiligfl:en unter allen Isländern die Bifchofe |>orlakr |)örhallsson und Jon Ogmundarson, während fie B. Isleif neben den Bifchöfen l»orläk Runölfsson (11 18 33) und Björn Gilsson (1147 ^2) erft in zweite Linie ftellt, von den Lebenden aber dem eben erwähnten Friefter Guömund Arason und einem Einfiedler Björn von l»ingeyrar das Lob befonderer Heiligkeit ertheilt. Xicht jene muthigen Miffionäre, welche ihr Leben daran gewagt hatten den heidnifchen Isländern das Evangelium zu verkündigen wie |>orvaldr vföförli, Stefnir oder Dankbrand, nicht die grofsen

1) Pals bps s., cap. 1, S. 128; dann Sturlünga, IV, cap. 21, S. 44—5, lind \\ cap. 46, S. 182-3.

2) Vgl. was oben, S. 104, Anm. 2, 6 und 8, über Ingimund Einarsson zu Reykhnlar, yiTtS lUi^varsson zu (Jar^ar, und J)orgils Snorrason zu Stai^r berichtet wunlc.

3) Diplom, island., 1, Nr. 76-77, S. 299 302.

4) C;u(>mundar bjis s., cap. 28, S. 451-4. .

112 l>er Unteri^ang des Freiftaats.

Bifchüfc Lslcifr und Gi/.iirr, durch deren Thätigkeit die isländifche Kirche fo zu fagen begründet wurde, wurden denn auch gewählt, als man eben jetzt für nöthig fand die Infel mit ein paar eigenen Nationalheiligen auszuftatten, fondern Männer von einer vorwiegend asketifchen Richtung, und entfchiedene Vertreter eines ftrengeren Kirchenthums, B. |»orläkr |36rhallsson von Skälholt nämlich und R. Jon Ögmundarson von Hölar. Sehr charakteriftifch ift auch die Art, wie es bei ihrer Heiligfprechung zugieng. Die erften Wunder- zeichen l'orläks, von welchen überhaupt die Rede war, follten fich im Nordlande, und gutentheils an Prieftern ereignet haben l), und von hier gieng denn auch das Verlangen feiner Heiligfprechung aus, während B. Päll, obwohl {»orläks Schwefterfohn und mit ihm fehr befreundet, von diefer Nichts wiflen wollte und erft auf ent- fchiedenes Andrängen B. Brands und nach eingeholtem Rathe der angefehenften Häuptlinge des Landes feinen Widerftand aufgab. Immerhin tratt felbft die entfchieden hierarchifche Parthei zunächft noch keineswegs in offenen Widerfpruch mit dem Landrechte Wie deren hervorragendfter Führer Guömundr Arason, trotz aller Erlaflfe feines Metropoliten keinen Anftand nam, in einer Todtfchlagsfachc als Kläger aufzutreten 2), fo wandte man fich auch unbedenklich an den Staat, als es galt die Verehrung der neuen Heiligen zu erlauben und bezieh ungs weife zu gebieten, obwohl die Canonisation von Heiligen wenigftens feit der Mitte des 12. Jahrhunderts als ein päpflliches Refervatrecht zu betrachten war 3), wefshalb denn auch der Erzbifchof, von feinem Standpunkte aus mit vollem Recht, den neuen Heiligen nicht anerkennen wollte 4). Als aber nach B. Brands Tod theils in Folge einer politifchen Speculation des mächtigen Kolbeinn Tumason, theils in Folge des Widerwillens der Nordländer gegen

1) Aeltere Jjorlaks bps s., cap. 19 21, S. 113 15, j üngere Sage, cap.33 ---35, S. 301 3; Pals bps s., cap. 7, S. 133; (iiiömundar bps s., cap. 27, S. 451. Die ältefte Jarteiknabök, S. 333—56, welche B. Tall im Jahre 1199 am Alldinge verlefen liefs, erwähnt ihrer allerdings nicht, aber doch wohl nur darum, weil fich der Bifchof auf Vorgänge befchränkte, welche feiner Diöcefe und der Zeit nach Jiorläks Translation angehörten.

2) Guömundar, s., cap. 10, S. 426.

8) P. Alexander III. (1159—81) beruft fich fchon auf das feftfleheude Recht der Kirche, c. 1. X, de reliquiis et veneralione sanctorum (111,45). Vgl. übrigens Keyser, I, S. 116, und J oh. Henr. Schröder, Prisca episcoponim jura circa beatificationem sanctorum in .Scandinavia (l'psala, 1842).

4) M i 1 1 1 1' r f (I n i> m u n d n r s . cnp. 10, S. 574 ; A r n g r i m r , cap. 48. S. 04.

ber Untergang des Freiliafils. llij

die Wahl eines ihrem Viertel nicht angehörigen Mannes^), eben jener Guömundr Arason als dcffen Nachfolger gewählt worden war, brach fofort ein offener Zwiefpalt mit der Staatsgewalt aus. Zum erften Male kam es jetzt auf Island zu einem Streite über die geld- liche Gerichtsbarkeit, indem der Bifchof in einer Civilfache 2], und dann wider in einer Straffache 3), die Competenz des weltlichen Gerichtes nicht anerkennen wollte, weil beidemale der Beklagte geiftlichen Standes war, und theils diefer Streit, theils auch ein weiterer, auf das kirchliche Afylrecht bezüglicher Conflift*) führte foforf zu den erbittertften Kämpfen. Freilich brachte B. Guömund durch den leidenfchaftlichen Gebrauch, welchen er von feinen geift- lichen Waffen machte, diefe rafch um alle Wirkung, fo dafs felbft tüchtige Priefter wie der gelehrte Mönch Gunnlaugr Leifsson offen gegen ihn Partei namen, und ungefcheut feinen Bann verachteten, weil fie ihn für ungerecht verhängt, und darum nichtig hielten 5), und die ebenfo kluge als dem Landrechte gegenüber corre6lc Haltung der Skälholter Bifchöfe Päll Jönsson aus dem Haufe der Oddaverjar und Magnus Gizurarson aus dem Haufe der Haukdaelir wehrte vollends die Gefahr einer Verallgemeinerung des Kampfes zwifchen Kirche und Staat vorerft noch ab 6). Aber fchlimm genug war es immerhin, dafs Guömundr, welcher unbedenklich das nichts- nutzigfte Gefindel zum Kampfe gegen feine Gegner heranzog, oder auch durch abwechfelnde Benützung der Eiferfüchteleien unter den politifchen Machthabern gegen diefe fich zu fchützen fuchte, alle Ordnung in feiner Diöcefe zerrüttete; dafs er ferner widerholt das Einfehreiten feines norwegifchen Metropoliten und felbft des Papftes gegen feine Widerfacher anrief, und dadurch diefen erwünfchte Gelegenheit zur Einmifchung in die Angelegenheiten der Infel verfchaffte. Wir fehen von Erzb. f^örir (1205 14) fchon den B. Päll zu kräftiger Unterftützung Guömunds -angewiefen werden 7),

1) Guömundar s., cap. 39, S. 470, und cap. 42, S. 474.

2) Ebenda, cap. 52, S. 489.

3) Ebenda, cap. 55, S. 492.

4) Ebenda, cap. 63 54, S. 490.

5) Ebenda, cap. 63, S. r02; ArngrCmr, cap. 38, S. 77, will freilich, im Widerfpruche mit der älteren Sage, Gunnlaug» Verhallen auf unlautere, perfönliche Motive zurückitihren !

6) Vgl. überB, Pdls Verhalten die Pdls bps s., cap. 10, S. 136 und cap. 15, S. 141- 3.

7) Ang. O., cap. 15, S. 141.

Mftnrer, Island. 8

••*<

JJ4 l^cr Untergang des Freiftaats.

und fpäter (121 1) an Guömund fowohl als mehrere ihm feindliche Häuptlinge eine Ladung nach Norwegen erlaflen l) ; als fich der Bifchof nach längerem Zögern wirklich ftellt, wird er volle 5 Jahre in Non^Tgen zurückbehalten (12 14 18) 2). Einige Jahre fpäter fchicken die ihm feindlichen Häuptlinge felbft den Guömund noch- mals als Gefangenen nach Norwegen, wo er widerum, fehr gegen feinen Willen, 4 Jahre zubringen mufste (1222 26)3), und auch diefsmal erliefs Erzb. Guöormr (1215 24) wider eine Ladung, welche vielleicht auch auf Guömund felbft fich erftreckt hatte und fomit fchon vor feiner erzwungenen Abreife ergangen war*). Es kam jetzt zu einer förmlichen Verhandlung vor dem Erzbifchofe, und weiterhin zu einer Berufung Guömunds an den päpftlichen Stuhl; fchliefslich aber wurde diefer wider nach Island entlaffen, wie es heifst auf Grund einer päpftlichen Entfcheidung, welche in feinen eigenen Willen ftellte, ob er resigniren wolle oder nicht &). Dafür wurde jetzt erzbifchöflicherfeits gegen B. Magnus von Skälholt vor- gegangen, welcher fich fchon früher einmal mit feinem erzbifchöf- lichen Stuhle auseinanderzufetzen gehabt hattet); jetzt wurde der-

1) Guöniundar s., cap. 64, S. 502— 3; Sturlünga, IV, cap. 8, S. U— 16: Anndlar, h. a. Das Schreiben des Erzbifchofs giebt nach der Sturlünga und <len jüngeren Recenfionen der GuiSmundar s. das Diplom, island., I, Nr. 9G, S. 362 9", Arngrimr, cap. 45, S. 89 will übrigens bereits von einem früheren Briefe Jjörirs willen .

2) Gu^mundar s., cap. 67, S. 506—7: Annälar a. 1214 und 1218. Ueber chronologifche Schwierigkeiten, welche die fpäteren Recenfionen der erfleren Sage veranlaiTen, vgl. Jon Sigurösson, im Diplom, island., I, S. 361.

3) (iuömundar s., cap. 86, S. 534, cap. 94, S. 545, und cap. 95, S. 546: Anndlar, a. 1222—26.

4) So nach Arngrfm, cap. 55, S. 114 5, und cap. 58, S. 118, welcher freilich die Ladung irrthümlich dem Erzb. P^tr zufchreibt, während wir doch aus den-Annalen, der Gu^mundar s., cap. 94, S. 545 und dem Nekrologium, bei Langebek, II, S. 505 wiffen, dafs Guöormr erft am 6. Februar 1224 darb, wie ihn denn auch die Häkouar s.,.cap. 79, S. 317, und cap. 100, S. 338 Guömunds Ankunft in Norwegen geraume Zeit überleben läfst. Arngrfmr, cap. 59, S. 119 läfst ferner auch Erzb. P^tr (f 1226) unmittelbar vor Guömunds Ankunft fterben, und deffen Nachfolger Jjörir auf dem Stuhle fitzen, der doch erft im Jahre 122S mit dem Pallium heimkam. Doch fcheint fich die Verwirrung auf die Namen zu befchränken.

5) Arngrimr, cap. 59- 60, S. 119—25, welcher fich auf das Zeugnifs des B. Laurentius .Kdlfsson (f 1330) beruft, der das Originaldocument im erzbifchöflichen Archive eingefehen haben wollte.

0) Annalar, a. 1223-4; Guömundar s., cap. 94, S. 545.

O '

Der Untergang des Frciflaats. lli)

felbe von feinem Amte suspendirt, und zugleich mit mehreren welt- lichen Häuptlingen nach Non\^egen vorgefordert i), natürlich nicht, wie man früher mehrfach angenommen hatte, um fich wegen des eigenmächtigen Erlaflens einer Verfügung über die Liturgie zu rechtfertigen, fondern wegen der Haltung, welche er in dem Streite B. Gudmunds mit den Sturlungen eingenommen hatte 2). Als der Bifchof einer erneuerten Ladung endlich Folge leifl:ete3) (1229), zogen fich die Verhandlungen in Norwegen durch den Tod Erzb. J>örirs (1230) und die Romfahrt feines Nachfolgers Sigurö eine Weile hin, und neue Gewaltthätigkeiten, denen fich B. Guömundr inzwifchen zufolge feines eigenen, wüften Treibens ausgefetzt fah, führten zu einer noch während der Sedisvacanz vom Domcapitel zu Niöarös an ihn fowohl als an feine Gegner erlaffenen Ladung (1230), welcher freilich keine Folge geleiftet wurde-*). Als endlich der neue Erz- bifchof von Rom aus heimkam, wurde von ihm B. Magnus nach Island entlaflen (1232), dagegen aber B. Guömundr von feinem Amte suspendirt, und andererfeits eine Reihe weltlicher Häuptlinge wegen der gegen ihn verübten Gewaltthaten neuerdings nach Nor- wegen geladen &). Während nun Sturla Sighvatsson diefer Ladung Folge leiftete, in Norwegen der ihm auferlegten Kirchenbufse fich unterwarf, und erft im Jahre 1235 von einer Pilgerfahrt nach Rom heimkehrte, wurde B. Guömundr von feinen Gegnern in ftrengfter Zurückgezogenheit gehalten ^>); aber obwohl er erblindete, und in

1) Annalar, a. 1226. Arngrimr läfst, cap. 61, S, 126, den Erzb. Jiörir gleich nach Empfang der päpfllichen Bulle tadelnde Briefe au B. Magnus und die Sturlungen fchreiben, und letztere nach Norwegen laden, dann aber noch vor Gu6munds Abreife von da flerben; erft unter feinem Nachfolger, Erzb. SigurÖ, läfst er diefcn abgehen, wogegen er von einer an B. Magnus erlaffenen Ladung Nichts weifs. Da Jiörir [ircenzlci in den Jahren 1227 30, und Sigurör in den Jahren 1281—52 auf dem erzb ifchöfl ich en Stuhle fafs, liegt auch hier wieder eine Verwechslung der Namen vor.

2) Jon Sigurösson hat diefs im Diplom. Island., I, S. 423—5, gegenüber Kinn Johannoeus, I, S. 312, Anm. a, Keyser, I, S. 402, und Munch, lII, S. 874' -5 erwiefen.

3) Annalar, a. 1227—29; Gu&mundar s., cap. 96, S. 548.

4) Anndlar, a. 1229 30; Gu6mundar s., cap. 97 98, S. 550-1; Arngrimr, cap. 68, S. 146.

5) Annalar, a. 1232; GuÖmundar s., cap. 97, S. 550 und 551, dann cap. 101, S. 554.

6) Mittlere Guömundar s., cap. 14, S. 684; Sturlünga, Y, cap. 49, S. 185.

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\ 1(5 ^^^*'* l »lergang ^es Kreiflaals.

Folge deffen felbft die einfachften Gefchäfte feines Amtes nicht mehr gehörig verfehen konnte *), weigerte fich der halsftarrige Mann hartnäckig, daffelbe niderzulegen. Da machte man endlich von zwei verfchiedenen Seiten her energifche Verfuche, den heillofen kirchlichen Zuftänden der Infel ein Ziel zu fetzen. Auf Island felbft wählte man, da auch B. Magnus inzwifchen altersfchwach geworden war, im Jahre 1236 für beide Bifchöfe noch bei ihren Lebzeiten Nachfolger, nämlich Kygri-Björn für den Stuhl zu Hölar und Magnus Guömundarson fiir den zu Skälholt ; P. Gregor IX. aber ermächtigte durch zwei Erlafle vom 11. Mai 12372) den Erzb. Sigurö, den B. Guömund wegen verfchiedener Unregelmäfsigkeiten in feiner Amts- führung von feinem Amte zu suspendiren, indem er ihn zugleich anwies, denfelben ernftlich zur Niderlegung feiner Würde aufzu- fordern, und ihm bei fortgefetzter Weigerung einen Coadjutor zu fetzen. Das Ende der Wirren, foweit diefe einen perfönlichen Cha- rakter getragen hatten, kam nun freilich von ganz anderer Seite her, durch den nahezu gleichzeitigen Tod nämlich des B. Gu^munds (t 16. März 1237) und des^B. Magnus (f 14. Auguft 1237); indeflcn war doch auch damit für die kirchlichen fowohl als fiir die poli- tifchen Verhältniffe Islands nur wenig gebeffert. Mit Umgehung der beiden auf der Infel gewählten Nachfolger weihte nämlich der Erzbifchof nunmehr norwegifche Männer fiir beide Bifchofsftühle, nämlich den Benedictinerabt Sigvarö ^^ttmarsson von Selja für Skälholt (1338 68), und den Auguftinermönch Bötolf von Helgisetr für Hölar (1238 46)3). Auch nach Bötolfs Tod wurde wider ein Norweger, nämlich Heinrekr Kärsson (1247—60) zu deflen Nach- folger beftimmt, und fortan werden überhaupt auf die isländifchen Bifchofsftühle in überwiegender Zahl Ausländer berufen, durch ein- fache Ernennung des Metropoliten, oder doch höchftens mit Zu- nimmung des Domcapitels zu Niöarös, jedenfalls aber ohne alle Mitwirkung des isländifchen Klerus und Volkes. Ungleich ftrammer als früher wurde damit das Regiment des norwegifchen Metropoliten

1) Vgl. neben den gleich anzuführenden Urkunden die miltlere GuN mundar s., cap. 26, S. 597.

2) Diplom. Island., I, Nr. 132-33, S. 515-17.

3) Sturlünga, VI, cap. 24, S. 232; Anndlar, a. 1238—39. EineLadung, welche K. Hdkon im Jahre 1287 gern ein fchaftl ich mit Erzb. Sigurö und dem Jarle Sküli an eine Anzahl isländifcher Häuptlinge richtete, dürfte mit der Bifchofswahl 7ufammengehaugen haben .

Der L'ntcrgang des P'reifl.iats. 117

über feine isländifchen Diöcefen, und wenn B. Heinrich fofort mit aller Strenge den Cölibat durchzufetzcn fuchte^), welchen felbfl B. Guömund feinen Prieftern nicht aufzuzwingen gewagt hattet), wenn ferner im Jahre 1253 fogar ein förmlicher Befchlufs der lögrctta darüber erzielt wurde, dafs in allen Phallen, in welchen das geiftliche und das weltliche Recht fich zweien, das erflere vorgehen follc'"^), fo erkennt man hierinn deutlich die Wirkungen diefer federen nor- wegifchen Führung. Man pflegt isländifcherfeits die Einmifchung der norwegifchen Kirchenfiirften in die Angelegenheiten der Insel, fowie deren Duldung Seitens der isländifchen Häuptlinge geiftlichcn und weltlichen Standes bitter genug zu beurtheilen 4) j indeflen darf doch nicht überfehen werden, dafs Beides eine einfache Folge des Metropolitannexus war, in weichend die beiden isländifchen Diöcefen zu dem erzbifchöflichen Stuhle in Ni.^arös ftanden, und dafs der Erzbifchof eben nur feine Pflicht that, wenn er fich um feine islän- difchen Suffragane und um den Zuftand ihrer Diöcefen bekümmerte, während die Bifchöfe fowohl als die weltlichen Häuptlinge Islands fich der Unterwerfung unter ihn ohne offene Auflehnung gegen die gefammte kirchliche Ordnung nicht zu entziehen vermochten. Was insbefondere das Verhalten Erzb. Sigurös im Jahre 1237 betrifflt, fo kann keinem Zweifel unterliegen, dafs diefes dem kanonifchcn Rechte vollkommen entfprach. Jede Einmifchung von Laien in die Bifchofswahl erklärte diefes für fclilechthin unzuläfsig 0), während nach isländifchem Brauche der Einflufs der weltlichen Häuptlinge auf diefe geradezu der entfcheidende zu fein pflegte, wefshalb felbfl: B. Päll Jonsson gelegentlich anerkannte, dafs das Verfahren auf der Infel den Anforderungen der Kirchengefetze keineswegs völlig entfpreche 6). Ueberdiefs galt die Wahl eines Bifchofs für eine Diöcefe, welche bereits einen folchen hatte, als nichtig 7), und auch diefc Regel war auf den vorliegenden Fall unzweifelhaft anwendbar ;

1) Sturlünga, VIII, cap. 15, S. 156; Arna bps s., cap. 4, S. 682.

2) Mittlere Gu6mundar s., cap. 26, S. 596 7,

3) Arna bpü s., cap. 28, S. 718—19; Flateyjar anndlar, h. a.; Ariia lips KrR., cap. 9, S. 54 G, vvu iiideffeu die Jahrzahl in manchen llss. vcr- fchriebeD ist.

4) Vgl. z. B. Jon Sigur^sson, im Diplom, island., I, S. 356 7: Jon |>orkeIsson, -l-lfisaga üizurar ^orvaldssonar, S. 20 u. dgl. m.

5) c. 51 und 56, X, de electione (I, 6).

6) Üiplom. Island., I,.Nr. 91, S. 338.

7) can. 5 und 6, Caus. VII, qu. 1.

liy Der Untergang des Freiftaats.

die Befetzung aber eines erledigten Stuhles fiel unter der Voraus- fetzung, dafs die Wahl des Nachfolgers eine ungültige fei, in der That jure devolutionis dem Metropoliten zu i). Auch dafür mochte Manches fprechen, dafs die isländifchen Bisthümer vorüber- gehend in die Hand von Männern gelegt wurden, welche der Infel fremd, und fomit auch an den Zwiftigkeiten unbetheiligt waren, welche diefelbe eben jetzt erfchütterten. Aber freilich konnte das letztere Motiv doch nur eine ganz vorübergehende Befetzung der isländifchen Bifchofsftühle mit Ausländern rechtfertigen, und das erftere mufste dem Erzbifchofe die Verpflichtung auferlegen, durch fofortige Errichtung von Domcapiteln bei denfelben für die Zukunft dem kanonifchen Recht entfprechende Bifchofswahlen zu ermöglichen; von einem Verfuche diefer letztei*en Art ift indeflen erft in etwas fpäterer Zeit, und nur in ganz vorübergehender Weife, in Bezug auf Hölar die Rede 2).

Die bisher erörterten Momente motiviren nun. zwar vollftändig die fchwere Krifis, in welcher Island fich zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts befand; dafs diefe Krifis aber nicht, wie nach dem Vorbilde anderer germanifcher Staaten zu erwarten gcwefen wäre, zur gewaltfamen Bildung eines Königthumes, allenfalls mit halbwegs kirchlicher Färbung, fondern vielmehr zur Unterwerfung der Infel unter einen ausländifchen Regenten führte, das ift in den eigenthümlichen Beziehungen begründet, in welchen Island zu Norwegen und deffen Königen ftand. Schon frühzeitig hatten die norwegifchen Könige verfucht, Island in derfelben Weife ihrer Herrfchaft zu unterwerfen, wie ihnen diefs bezüglich der Faeröer, Orkneys und Hebriden wirklich gelang. Bereits K. Haraldr härfagri hatte einen Sohn des Entdeckers Garöar, den Uni hinn danski oder öborni, dahin gefchickt, mit dem Verfprechen, ihn zum Jarl der Infel zu machen, wenn es ihm gelingen würde fie zu unterwerfen; der Verfuch war aber mislungen, und Uni hatte in einer Privat- fehde feinen Tod gefunden 3). Später machte fich der heil. Olaf mit der Infel zu fchaffen. Nachdem er fich (um 1016), wie aller- dings auch fchon K. Haraldr härfagri gethan hattet), nicht ohne

1) c. 41 X, cit.

2) Anndlar, a. 1267.

3) Landnäma, IV, cap. 4, S. 246—7; vgl. I, cap. 1, S. 28, u. IV, cap. 11. S. 268, fowie Njäla, cap. 19, S. 80.

4) Siehe oben S. 87, Anm. 1.

l)tT Untergang des Freiftaals. IW)

Erfolg in die Gefetzgebung Islands eingemifcht i), dann aber (um 1022) eine Uebereinkunft über die den Isländern in Nonvegcn und den Non\'egem auf Island zuflehenden Rechte mit dem PVeiftaate zu Stande gebracht hatte 2), richtete er (um 1 024) an die isländifche Landsgemeinde geradezu den Antrag, feine Herrfchaft über die Infel förmlich anzuerkennen. Dem norwegifchen Rechte foUten fich die Isländer unterwerfen, wie der König es geordnet habe, und zu einer Kopffteuer follten fie fich verpflichten im Betrage von je einem Pfenninge, deren zehn auf die Elle vaömäls giengen, aufserdem auch ein Todtfchlagsgewette ((legngildi) von jedem an einem Isländer l>egangenen Todtfchlage fiir die Zukunft zugeftehen ; eventuell aber forderte der König wenigftens die Abtretung der kleinen Infel Grim^ey im Norden des Eyjafjordes. Nachdem feine Vorfchläge vom All- dinge abgelehnt worden waren, wufste der König mit arger Hinter- lift eine Reihe der angefehenften Isländer nach Norwegen zu locken, und einen von diefen, den Gellir l>orkelsson, fchickte er (um 1026) mit einer Erneuerung feiner Forderung nach Island zurück, während er die übrigen als Gcifeln für deren Erfüllung zurückbehielt 3). Auch diefsmal wurde das Begehren abgefchlagen ; ein Glück aber war es für die Isländer, dafs die Zerwürfnifle des Königs fowohl mit feinen eigenen Unterthanen als mit K. Knut von Dänemark ihm eben jetzt viel zu viel zu thun gaben, als dafs er an die Verwirklichung der Drohungen hätte denken können, welche er für den Fall der Ver- weigerung feines Anfuchens ausgefprochen hatte. Um die Mitte des eilften Jahrhunderts fcheint K. Haraldr haröräöi, wenn auch auf anderem Wege, änliche Plane verfolgt zu haben. Zuviel gefagt ift freilich, wenn Meifter Adam und fein Scholiaft den König wirklich fein

1) Siehe üben S. 83, Anm. 1. Vgl. meine Schrift über die Bekehrung des norwegifchen Stammes zum Chriftenthume, 1, S. 568 70, und über die Gragds, S. 18—19.

2) Wenn auch die unter dem Titel »um r^tt tslendfnga i Noregi«r und «um r^lt Noregs konüngs ok norrtenna manna d Islandi« im Diplom, island., I, Nr. 16, S. 54, und Nr. 21, S. 64 70, abgedruckten Stücke formell nicht zufammen- hängen, läfst fich doch nicht verkennen, dafs beide je die einfeitige Ausführung eines vorgängig abgefchloflfenen Vertrages enthalten.

3) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 134—5, S. 369—72, und cap. 146, S. 390—1; ed. Munch und Unger, cap. 114—5, S. 125—7, und cap. 125, S. 141; FMS., IV, cap. 122—3, S. 280—4, und cap. 132, S.313— 4-, Flbk, II, S. 239-41, und 260-1.

J20 ^*^*' ^ttlergang des Fieiflaats.

Reich bis nach Island ausdehnen laflenl); dagegen fteht feft, dafs derfelbe fich den Isländern auf jede Weife angenem zu machen fuchte, und bei feinem ebenfo verfchlagenen als herrfchfiichtigen Charakter ift es im höchften Grade unwahrfcheinlich, dafs er dabei ohne Hintergedanken gehandelt haben follte^). Durch folche Zu- vorkommenheit wurde Harald »der beliebtefte unter allen nor- wegifchen Königen bei den Isländern«; aber fein Fall ^ der Schlacht bei Stamfordbridge machte allen weitergehenden Planen deflelben ein Ende, und nach wie vor galt von den Isländern der Satz: »apud illos non est rex, nisi tantum lex« 3). In den nächftfolgenden Zeiten fcheinen nun freilich anderweitige Sorgen, und feit dem vierten Jahrzehnte des zwölften Jahrhunderts zumal die Bürgerkriege in Norwegen felbft jeden Gedanken an eine Unterwerfung Islands zurückgedrängt zu haben; fowie aber das Königthum in Norwegen wider einigermafsen freie Hand gewinnt, fehen wir auch die alten Plane dem isländifchen Freiftaate gegenüber wider aufgenommen, und zwar jetzt unter ungleich günftigeren Umftänden als je zuvor. Von Alters her war es üblich gewefen, dafs junge Isländer felbft aus den vornemften Häufern an den Höfen der Könige und Jarle des Nordens und Weftens Dienft namen, und wenn folche Aben- teuerer in einzelnen Fällen fogar bis nach Konftantinopel geführt wurden, um dort in die Reihen der Vaeringjar einzutreten 4), fo war doch deren Zahl in Norwegen als dem nächftgelegenen, von Stamm- genoflen bevölkerten und den Isländern auch durch Familienvcr- bindunfgen vielfach nahe gerückten Lande felbftverftändlich am Gröfsten. Gar manche diefer isländifchen Dienftleute des nor- wegifchen Königs blieben nun freilich ihr Leben lang in Norwegen, wie diefs z. B. von Ulf Üspaksson bekannt ift, welcher bei König Haraldr haröräöi das Amt eines stallari oder Marfchalls bekleidete, und von welchem Erzb. Eysteinn im geraden Mannsftamme ab- ftammte 5) ; indeflen kehrten doch .andere und gewifs weitaus mehrere,

1) Adam. Brem., 111, cap. 16, S. 841; Sch6l. 141, S. 382.

2) lleimskr. Haralds s. harbrdöa, cap. 36—8, S. 574—6; FMS., VI, cap. 54, S. 265— 6;'Fagrsk., i 188, S. 126—7; Flbk, III, S. 343—4; die Morkinskinna, S. 59, ift hier defect.

8) Schol. 160 zu Adam. Brem., S. 385.

4) Eine Anzahl von Belegen habe ich in der Zeitfchrift für deutfche Philologie, II, S. 459, zufammengeftellt.

5) Vgl. z. B. Fagrsk., ? 188, S. 127, und f 215, S. 147.

Der Untergang des Freiflaafs. 121

mit der Zeit nach Island heim, und unterhielten dann auch von diefer ihrer Heimat aus noch mit ihrem früheren Dicnftherrn die einmal begründeten Beziehungen. Wir wiffen, wie Häkon jarl ein- mal einen Mann dem Guömund rfki zufchickte, damit er ihn gegen feine Feinde fchütze, und wie diefer den Auftrag trotz feiner Ge- fährlichkeit übemam, weil er des Jarles Dienftmann geworden war *). Wir wiffen ferner, dafs derfelbe Häuptling fpäter auch in des heil. Olafs Dienft tratt, und dafs auch deffen Sohn Eyjülfr bei demfelben Könige Dienft nam2); dem Guömund fchickte der König darum feiner Zeit den gefangenen Hraerek zur Bewachung 3), und an ihn wandte er fich auch fpeciell, als es ihm darum zu thun war die Abtretung der Infel Grfmsey zu erreichen^), den Eyjulf aber be- auftragte er mit der Rache um feinen erfchlagenen Dienftmann l>orgeirr Hävarsson^). Einen anderen feiner isländifchen Dienftleute, den t>6rarin Nefjülfsson, fchickte derfelbe König nach Island, um die Infel zur Unterwerfung unter feine Herrfchaft aufzufordern, nachdem er ihn vorher fchon mit Hraireks Ueberführung nach Grönland oder Island beauftragt hattet). Nicht minder wird erzählt, wie K. Haraldr haröräöi den Haldör Snorrason, feinen früheren Dienftmann, angieng ihm eine Sendung isländifcher Fuchsbälge zu einer warmen Bettdecke zu beforgen, obwohl diefer feiner Zeit in Unfrieden von ihm gefchieden war 7), und fogar Unfere Rechtsbücher räumen wegen Spottliedern, welche in Island auf den König von Norwegen, Schweden oder Dänemark gedichtet wurden, die Klage- ftellung dafelbft ihren Dienftleuten ein»), was denn doch eine An-

«•

1) Ljösvetninga s., cap. 2, S. 6.

2) Ebenda, cap. 82, S. 110.

3) Ileiniskr. Olafs s. helga, cap. 06, S. 301—2, und die ihr fulgenden Sagen; legendarifche Sage, cap. 24, S. 18; Flbk, II, S. IIÖ 9 (Kymimd- ar ^.).

9

4) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 134, S. 370, und die ihr fulgenden Sagen . ^

5) Ljösvetnfnga s., cap. 32, S. 112; die Mauksbök, cap. 6, S. 78, nennt dafür den Guömund riki und ^urgils Arason als Bluträcher, die fugenannte Kalfala-kjarbök, cap. 18, S. 59, und die Flbk, II, S. 166, (Föslbrseöra s.) aber nur den letzteren.

6) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 86, S. 300—1, und cap. 134—0, S. 369—72, u. f. w.

1) Morkinskinna , S. 51.

ö) Kgsbk, 'i 238, S. l-'4; Vig:,lö^i, cap. 106, S. 149—50.

122 l^cr Untergang des FreiHaats.

erkennung der zwifchen Herrn und Mann bcftchcnden Solidarität nothwcndig vorausfetzt. Es begreift fich hiernach, dafs den nor- wegifchen Königen, wenn fie an der Unterwerfung Islands zu ar- beiten fich entfchloffen, ihre dortigen Dienftleute als ein dienfames Werkzeug erfcheinen mufsten, und ihre Brauchbarkeit zu folchem Behufe mufste in demfelben Mafse wachfen, in welchem die fteigende Heftigkeit der inneren Partheiung auf der Infel' den Gemeingeift und Patriotismus ihrer Häuptlinge abfchwächte. Eine zweite und vielleicht noch wirkfamere Stütze bot aber den ehrgeizigen Be- ftrebungen des norwegifchen Königthumes der isländifche Klerus. Solange die isländifche Kirche dem deutfchen Metropoliten zu Bremen oder den;i dänifchen zu Lund unterworfen gewefen war, (landen die kirchlichen Verhältnifse der Infel der Natur der Sache nach aufser allem Zufammcnhang mit dem norwegifchen Königthume und den Hcrrfchergelüften feiner Träger ; ganz anders geftaltete fich aber die Sache, feitdem ein eigenes Erzbisthum für Norwegen errichtet, und auch der isländifche Freiftaat einem dort gefeffenen Metropoliten unterftellt worden war. Auf kirchlichem Gebiete mufsten Island und Grönland fortan ebenfogut als Norwegen unterworfene Länder gelten wie die fiinf in Norwegen felbft gelegenen oder die drei nor- wegifchen Schatzlanden angehörigen Diöcefen. In einzelnen Fällen zwar mochte fich auf der Infel ein Widerftand gegen deren Gleich- ftellung mit diefen letzteren geltend machen, wie denn z. B. der heil, l^orläkr, als er fich in dem Streite über das Patronatsrecht neben dem Gebote des Papftes und des Erzbifchofes auch darauf berief, dafs diefer feine Forderungen in Norwegen bereits durchge- fetzt habe, von Sigurö Ormsson zu Svinafell die Antwort erhielt, »dafs Norweger oder andere Ausländer durch ihren Verzicht den Isländern an ihren Rechten Nichts benemen können« i); indeflcn liefs fich doch die kirchliche Unterordnung des Landes unter den Erzbifchof fogut wie unter den Papft nicht beftreiten, wenn man nicht aus der kirchlichen Gemeinfchaft mit der gefammten abend- ländifchen Chriftenheit ausfcheiden wollte, und thatfächlich mufste jenes Moment fich fomit eben doch geltend machen. Bei der innigen Verflechtung der kirchlichen Verhältniffe mit den ftaatlichen konnte es aber nicht fehlen, dafs die dort begründete Unterordnung ge-

1) Oddaverja Ji., in der jüngeren l>orlaks bps s., cap. 18, S. 281. Die l'arallele zum Sächf ifclicii Land recht, 1, 3, g 3, drängt fich von felbfl auf.

Der Untergang des Freiflaats. 123

legentlich auch wohl auf diefe herüberbezogen wurde, und dem Könige zumal mufste es nahe genug liegen, das Unterthanenver- hältnifs, in welchem der Erzbifchof unleugbar zu ihm ftand, vor- kommendenfalls zu benützen, um auf deflen Verfügungen gegen- über feinen isländifchen Diöcefen einen Einflufs zu gewinnen, welcher ihm an und für fich ganz und gar nicht zukam, die Schutz- pflicht, welche ihm in Norwegen feinem Erzbifchof gegenüber un- zweifelhaft oblag, zu einer Einmifchung in die Streitigkeiten zu be- nützen, welche diefer ab und zu mit feinen isländifchen Diöcefanen hatte. Schon fehr frühzeitig machen fich derartige Vorkommnifle bemerkbar. In einem oben bereits erwähnten Erlaffe Erzb. Eysteins vom Jahre 1173I) wird z. B. einerfeits den isländifchen Bifchöfen auferlegt, für den Fall beharrlicher Widerfetzung gegen ihre Gebote fich nach Norwegen zum König und zum Erzbifchof zurückzuziehen, andcrerfeits aber auch den Isländern eingefchärft, für das, was fic gegen den König und feine Untcrthanen verbrochen hätten, Genug- thuung zu leiflen ; der Erzbifchof alfo wird benützt, um die Isländer zur Nachgiebigkeit in einem Zwiftc zu beflimmen, welcher doch nach anderweitigen Angaben 2) »durch Todtfchläge und Vermögens- eingriffe« veranlafst, alfo jedenfalls rein weltlicher Art war, und umgekehrt wird den isländifchen Bifchöfen der Schutz des Königs für den Fall in Ausficht geflellt, dafs ihre Diöcefanen gegen ihre geiftliche Gewalt fich auflehnen würden. Als ferner der heil. t»orläkr, zum Bifchof von Skälholt erwählt, nach Norwegen kam um fich die Weihe zu holen (1177), widerfetzte fich Anfangs K. Magnus, und defTen Vater, Erlfngr jarl, ihrer Ertheilung, wie es fcheint um eben jenes Zwifles willen, und der Erzbifchof wagte nicht wider deren Gebot zu handeln 3); erft nachdem er zufolge längerer Ver- handlungen die Einwilligung Beider erhalten hatte, glaubte er die Weihe ertheUen zu dürfen, deren Verleihung doch rechtlich ganz unzweifelhaft von ihm allein abhieng. Solange nun freilich die nor- wegifchen Könige durch die blutigen Partheikämpfe in ihrem eigenen Lande vollauf in Anfpruch genommen waren, blieben die Beziehungen der Isländer zu ihrem norwegifchen Metropoliten immerhin wefent- lich auf das kirchliche Gebiet befchränkt; fowie aber die Könige,

1) Diplom. Island., I, Nr. 38, S. 223; vgl. oben S. 109 Anm. 1.

2) t^orläks bps s., cap. 10, S. 100.

3) Ebenda, cap. 11, S. 100.

124 ^^^ Untergang des Frciflaals.

jener nächften Sorge ledig, wider an die Unterwerfung Islands zu denken vermochten, mufste fich ihnen auch fofort der Gedanke auf- drängen, dafs fich das norwegifche Erzbisthum fammt feinen Ver- bindungen mit dem Klerus der Infel recht wohl als ein Mittel zu folchem Behufe verwenden laffen möge. In der That lagen die Umftände zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts für eine folchc Verwendung ganz befonders günftig. Wie in Norwegen, fo mufste auch auf Island der Kampf der beiden Schwerdter ausgefochten werden, und hier wie dort war ganz gleichmäfsig der Erzbifchof zur Führung des Klerus in diefem Kampfe berufen; an den Erz- bifchof als an ihr rechtmäfsiges Oberhaupt mufste fich demnach zumal jene ftreng hierarchifche Parthei auf das Engfte anfchliefsen, welche fich feit dem Schlufle des zwölften Jahrhunderts innerhalb der isländtfchen Geiftlichkeit gebildet hatte, und umgekehrt mufste diefer, berufen dem kanonifchen Rechte allerwärts in feiner Provinz Geltung zu verfchaffen, der für das gleiche Ziel kämpfenden Parthei fich flach Kräften annemen. Nun konnte in Norwegen, feitdem K. Häkon Sverrisson fich mit feinem Erzbifchofe ausgefohnt hatte (1202 3), der Kampf vorläufig als beendigt gelten, und hatte jene Ausföhnung der Kirche hier einen zwar rechtlich nicht unbeftritte- nen, aber doch thatfächlich nicht mehr ernfthaft beanftandeten, fehr vortheilhaften Befitzftand in Bezug auf nahezu alle ftreitig ge- wefenen Fragen verfchafft, wogegen auf Island, wo der Kampf erft fpäter, und unter der Kirche weit ungünftigeren Bedingungen aus- gebrochen war, die Staatsgewalt zu Anfang des dreizehnten Jahr- hunderts fich noch im thatfächlichen Befitze aller ihrer altherge- brachten Rechte befand. Der Erzbifchof konnte demnach unbe- denklich auf die in Norwegen beftehende Ordnung hinweifen, wenn es galt die Anfprüche der Kirche auf Island durchzufechten; der König dagegen mochte fein Intereffe dabei finden, wenn er feinem Erzbifchofe half, Anfprüche auf Island durchzuführen, deren Be- kämpfung in Norwegen er ohnehin fchon aufgegeben hatte, foferne ihm diefer dafür feine Unterftützung, und die der klerikalen Parthei auf Island zur Förderung feiner weltlichen Plane auf der Infel zur Verfügung ftellte. Das beiderfeitige Intereffe alfo führte zu einer Allianz diefer letzteren Parthei mit dem norwegifchen Königthume, welche den Beftrebungen diefes letzteren fich in eben dem Mafse förderlich erwies, in welchem fie die Selbftftändigkeit der Infel ge- fährdete. In den erften Jahren des dreizehnten Jahrhunderts bereits fahen wir den B. Guömund bei feinen Streitigkeiten mit weltlichen

Der Unlergnng des Kreillaats. 125

Häuptlingen widerholt auf den Schiedfpruch feines Erzbifchofes fich berufen i), und nicht minder ift bereits dargelegt worden, wie viel- fach diefer letztere im weiteren Verlaufe diefer ZerwürfnifTe feine Einmifchung geltend zu machen wufste^); zweimal, in den Jahren 1230 nämlich und 1237, fehen wir dabei zugleich auch den König fich in's Mittel legen, indem er neben der vom Erzbifchofe oder Domcapitel ausgehenden Ladung auch feinerfeits eine folche an die Häuptlinge der Infel erläfst^). Beidemale find es kirchliche Diffe- renzen, um die es fich handelt, und es ift fein Beruf, dem erz- bifchöflichen Stuhle feine Unterftützung angedeihen zu laffen, welcher zu folcher Einmifchung des Königs den Anhaltspunkt bietet; immer- hin aber ebneten folche Vorkommnifse auch einem Eingreifen des Königs in die politifchen Verhältnifse des Landes den Weg. Die Befetzung vollends der isländifchen Bisthümer mit norwegifchen Männern fchuf diefem eine kräftige Stütze für feine auf die Unter- werfung der Infel abzielenden Beftrebungen, wie fich denn zumal B. Heinrich in diefer Richtung als ein überaus brauchbares Werk- zeug erwies.

Die äufsere Gefchichte des Unterganges des isländifchen Freiftaates ift eine in ihren Einzelnheiten fo vielverfchlungene, und zugleich fo wenig von höheren Intereffen getragene, dafs fie hier nur in ihren oberften Grundzügen gefchildert werden kann^). Zu- fällige Umftände hatten bereits in feinen erften Regierungsjahren an K. Häkon die Verfuchung zum Vorgehen gegen Island heran- treten laffen. Zerwürfniffe norwegifcher Handelsleute mit dem mächtigen Haufe der OddaverjarS) hatten zu einer Spannung zwifchen Island und Norwegen gefuhrt, welche nicht nur eine gänzliche Unter- brechung des Handelsverkehres zwifchen beiden Ländern veran- lafste (1219); fondern in Norwegen fogar den Gedanken an einen

1) Gu^mundar s., cap. 54, S. 491, und cap. 58, S. 496.

2) Vgl. oben S. 113—18.

3) Annälar, a. 1230 und 1237.

4) Vgl. wegen des Folgenden zumal Munch, III, S. 781—881, 907—20, 928—9, 983—1012, und IV, 1, S. 222—376; Sveinn Skülasou, .^•:fi Sturlu lögmanns ]iö^^arsonar, im Safn til sögu Islands og islenzkra bokmenta, I, S.503 639; Jon ^orkelsson, ^Msaga Gizurar }>orvaldssonar (Reykjavik, 1868); zumal aber Jon Sigurösson, im Diplom, island., I, S. 602 19, und öfter.

5) Vgl. wegen derfelben Sturlünga, IV, cap. 22, S. 46^8; Ildkouar s. gamla, cap. 38, S. 276-7, cap. 55, S. 292 und cap. 59, S. 294; Annalar, a. 1216-18.

126 ^*^*' L'ntergaiig des Freiflaals.

Heerzug gegen die Infel aufkommen liefs. Um diefen zu hinter- treiben, legte fich Snorri Sturluson ins Mittel, welcher die Würde eines »skutilsveinn« des Königs bekleidete, und damals gerade in Norwegen auf Befuch war. Er fetzte dem Könige fowohl als dem Jarle Sküli auseinander, wie wenig Island gegenüber mit Gewalt auszurichten, und wie es weit räthlicher fei, fich die hervorragenderen Männer im Lande zu Freunden zu machen; die Sturlüngar zumal könne man gegen die Oddaverjar benützen, und er felber fei wohl im Stande, die Isländer zur Unterwerfung unter den König von Norwegen zu beftimmeni). Solche Reden leuchteten dem Könige fowohl als dem Jarle ein ; Snorri wurde von ihnen zu der höheren Würde eines »lendr maörc befördert, und reich befchenkt nach feiner Heimat entlaflen, um dort den norwegifchen Kaufleuten Frieden zu verfchaffen, und das Volk zur Anerkennung der König«;- herrfchaft zu bewegen. Die Kriegsgefahr war damit glücklich ab- ' gewendet ; aber Snorri betrieb des Königs Botfchaft nur fehr läfsig, und es mag ja wohl fein, dafs er fein Anerbieten überhaupt nur im Drange der Noth gemacht hatte, ohne die ernftliche Abficht feine Zufage zu erfüllen. Wie dem aber auch fei, fein Wort hatte gezündet, und dem norwegifchen Könige den Weg gewiefen, auf welchem er die Unterwerfung der Infel zu betreiben hatte. Eine Reihe von Jahren hindurch fand K. Häkon freilich keine Gelegenheit, fich einläfslicher mit Island zu befchäftigen, vielleicht weil die Bewegungen, welche der Aufifland der Ribbüngar und das gefpannte Verhältnifs zu Sküli jarl in Norwegen felbft erzeugte, feine volle Aufmerkfamkeit in Anfpruch namen, und nur die im Jahre 1230 erlaflene Ladung, fowie die gleichzeitige Zurückbehaltung eines Sohnes des Snorri Sturluson, Jon murti, in Norwegen 2), wo derfelbe doch offenbar als Geifel für die Fügfamkeit feiner Angehörigen dienen foUte, zeigt, dafs der König feine Abfichten auf die Infel auch damals nicht völlig aus den Augen verloren hatte. Als aber ein paar Jahre fpäter (1235) Sturla Sighvatsson von der ihm auferlegten Romfahrt heimkehrend in Norwegen vorfprach, wufstc der König diefen für die Durchführung feiner Plane zu gewinnen^).

1) Stiirlünga, IV, cap. 22, S. 48—9, cap. 25, S. 54-7, und cap. 28, S. 64; Hdkonar s., cap. 59, S. 294—6; Anniilar, a. 1219—20.

2) Sturliinga, V, cap. 11, S. 124.

8) Ebenda, V, cap. 23, S. 148, und VI, cap. 18, S. 226: Hakonar s., cap. 180, S. 435.

Der l'ntergang des Freiflaats. 127

Wirklich verfprach das kühne Vorgehen des ehrgeizigen jungen Mannes den heften Erfolg ; aber fein hochmüthiges und gewalt- fames Verfahren liefs die Haukdslir und Skagfiröfngar zu verzweifeltem Widerftande fich verbinden, während die Sturlüngar felbft durch innere Zwiftigkeiten gefpalten waren, und fo erlag Sturla in der blutigen Schlacht bei ÖrlygsstaÖir (1238), in welcher er fammt feinem alten Vater den Tod fand. Damit war auch der zweite Verfuch K. Hakons mifslungen; wie es aber dazumal auf Island ausfah, zeigt der Bericht einer gleichzeitigen Quelle über das Verfahren des Hauptes der Skagfiröingarl) : »Nach den foeben erzählten Ereigniffen unterwarf fich Kolbeinn das ganze Nordländerviertel, und er liefs fich alle Godorde von den Männern rechtsförmlich übertragen, welche fie von Alters her befeffen hatten, als eine Rechtswidrigkeit und Gewaltthat wurde es aber bezeichnet, dafs Sighvatr Godorde und Herrfchaften von den Leuten da im Norden erhalten hatte«. Für den König galt es jetzt, ein neues Werkzeug fich zu wählen, und das hatte feine Schwierigkeiten. Kolbeinn Arnörsson, der Skag- firöingr, fcheint feinen Lockungen unzugänglich gewefen zu fein ; Snorri Sturluson aber hatte fich während eines zweiten Befuches in Noru'egen mit Herzog Sküli eingelaffen, welcher fich damals bereits mit Aufftandsgelüften trug, und hatte überdiefs zugleich mit Jjorleifr t>6röarson gegen das ausdrückliche Verbot des Königs das Land verlaflen2), fo dafs er aus einem Freunde zu einem Feinde des letzteren geworden war. So wandte fich denn K. Häkon an den jungen Gizur l>orvaldsson aus dem Haufe der Haukda^lir, welcher bereits im Winter 1229—30 in feinen Dienft getreten war 3), und welcher überdiefs durch feine Theilname an der Tödtung Sighvats und Sturla's mit Snorri verfeindet war; er ertheilte ihm den Auf- trag, den Snorri als einen Verräther gefangen nach Norwegen zu bringen, oder auch zutödten^). Wirklich gelang es dem Gizurr, diefen auf feinem Hofe zu Reykholt zu überfalen und zu tödten (in der Nacht vom 22 23. September 1241); aber die offenbar beabfichtigte völlige Vernichtung des Haufes der Sturlüngar mifsglückte, indem mehrere namhafte Mitglieder defielben entkamen, und überdiefs war der König damit unzufrieden, dafs Gizurr Snorri's Güter, welche

1) Sturlünga, VI, cap 19, S. 227; vgl. oben, S. 105, Anm. 3.

2) Sturlünga, VI, cap. 23, S. 231-2; Hdkonar s., cap. 195, S. 455-6.

3) Sturlünga, VI, cap. 1, S. 189.

4) Ang. ()., cap. 26, S. 23ö|, und cap. 81, S. 241—2.

128 ^^^^ Untergang des Freiflaais.

Jener dem nonvegifchen Dienftrechte entfprechend fiir fich einge- zogen wiffen wollte, erft von den geborenen Erben fich für feine Perfon abtreten liefs 1), und hinterher auf Grund eines Schiedsfpruchcs an IJraekja Snorrason gegen Abfindung und unter Vorbehalt der Godorde gröfstentheils herausgab 2). So mufste demnach Gizurr, ohne Zweifel vom Könige abberufen, bereits im Jahre 1242 wider nach Norwegen zurück, wo er feftgehalten wurde, wogegen nunmehr t>örör kakali, Sighvats Sohn und Sturla*s Bruder, dazu auserfehen wurde des Königs Sache auf Island zu vertreten. Trotz aller An- ftrengungen vermochte diefer freilich gegen Gizurs Bundesgenoflen, den mächtigen Kolbeinn üngi3), nicht aufzukommen, fo dafs der König fchon im Sommer 1244 fich genöthigt fah, wider auf Gizurr zurückzugreifen. Kurz vor feiner Ankunft auf Island war l*örör von Kolbeinn in einer Seefchlacht (dem Flöabardagi, am 25. Juni

1244) gefchlagen worden. Etwas fpäter kam ein Vergleich zwifchcn Beiden zu Stande, kraft deffen ein Schiedsfpruch K. Häkons ihre Streitigkeiten entfcheiden follte^), und ziemlich gleichzeitig verglich fich auch Gizurr felbft mit Jon, des Sturla Sighvatsson jungem Sohne, auf diefelbe Weife 5); kurz vor Kolbeins Tod (f den 22. Juli

1 245) wurde indeflen auf deffen Betrieb ein neuer V^ertrag gefchlofi'en, vermöge deffen t>6rör kakali fein ganzes Vatergut und alle Godorde nördlich der Yxnadalsheiöi zurückerhielt, Brandr Kolbeinsson aber, des fterbenden Kolbeins Vetter, die Herrfchaft über alles weiter weftwärts gelegene Land bis zum Hriitafjörd behielt 6), wogegen

1) Ang. O., cap. 31, S. 242 3.

2) Ang. O., cap. 36, S. 258—9.

3) Vgl. über ihn Sturlüuga, VII, cap. 1, S. 1—2: I Jjann t(ma var Kolbeinn Arnörsson mestr höföingi d Islandi, ok haH^i praungl undir sik niestan hlut laudsins.

4) Ebenda, cap. 35, S. 77.

5) Ebenda, cap! 34, S. 75.

6) Ebenda, cap. 86, S. 77—8; Anndlar, h. a.; den Todestag geben auch die Nekrologien, bei Langebek, II, S. 513, und VIII, S. 560. Bezeichnend für die Verfaffungszuftände der Zeit ift übrigens, dafs fich Brandr hinterher noch einer förmlichen Wahl Seitens der Einwohner der ihm überwiefenen Bezirke unter- zog, und dafs auch Jjorbr eine eigene Verfammlung abhielt, um fich von den Bauern im Eyjafjörör huldigen zu laffeu, Sturldnga, VII, cap. 37—8, S. 78. Selbft damals war alfo das alte Recht der Dingleute, fich nach eigener Wahl einem Coden anzufchliefsen, noch foniiell anerkannt, wenn auch materiell in erfter Linie die Abmachungen unter den Häuptlingen entfchieden, und überdiefs die Djngleute felbft nicht mehr als Einzelne, fondern nur noch als Gefamnilheit ihr Gewicht in die

Wagfchale warfen.

Der Untergang des Freiftaats. 129

zwifchen Beiden voller Frieden, und überdiefs zwifchen Brandr und Gizurr ein Bündnifs behufs gegenfeitiger Unterftützung beftehen foUte. Die Sturlungar hatten fich demnach nunmehr glücklich ihre frühere hervorragende Stellung wider erkämpft, und \>6rtr war fortan ihr anerkanntes Haupt, da er vermöge einer fchon früher mit Tumi Sighvatssons Wittwe und Sohn getroffenen Abrede auch die Godorde diefes letzteren erhalten hatte i) ; im Südlande war Gizurr, und in der weftlichen Hälfte des Nordlandes war Brandr unbeftrittener Herr, fo dafs nunmehr Alles darnach ^angethan fchien einen bleibenden Friedenszuftand zu verfprechen. Aber die Erbitterung, welche die langwierigen Kämpfe in den Gemüthern zurückgelaffen hatten, fowie das ehrgeizige Streben der einzelnen Häuptlinge nach Erweiterung ihres Machtgebietes .liefs keine Ruhe aufkommen. Schon in der nächften Zeit hören wir von Gehäffigkeiten zwifchen den Anhängern Brands und t>örös2), dann von Klagen Brands über angebliche Uebergriffe des Letzteren, und von Verfuchen deffelben, den Gizurr zu gemeinfamem Auftreten gegen t>6rö zu beftimmen, wobei, be- zeichnend genug, fogar auf K. Häkons Gebot Bezug genommen wird 3); aber ehe noch Gizurr die verfprochene Hülfe zu bringen vermochte, hatte t>örör bereits den Brand überfallen, die Schlacht bei Haugsness gewonnen (den 19. April 1246), und nach Brands Untergang das ganze Nordland fich unterworfen^). Zwifchen Gizurr und t>örÖ kam nun ein Vergleich zu Stande, welcher die Entfcheidung ihrer Streitigkeiten in des Königs Hand legte, und Beide gingen noch deffelben Sommers nach Norwegen hinüber, um diefe einzu- holen. Nachdem der König lange gezögert hatte eine Entfcheidung zufallen, zog er fchliefslich den Cardinal Wilhelm von Sabina zu Rathe, welcher im Jahre 1 247 nach Norwegen gekommen war, um ihn in des Papftes Auftrag zu krönen ; der Cardinal aber entfchied fich für t>örö, und da auch der neugeweihte B. Heinrich von Hölar fich in gleichem Sinne ausfprach, wurde diefer nach Island gefchickt, Gizurr dagegen in Norwegen zurückbehalten. Auch B. Heinrich gieng mit ab nach der Infel, wogegen l)orgils skaröi, ein jüngerer* Angehöriger der Sturlungar, mit einigen anderen vornemen jungen

1) Slurlünga, VII, cap. 26, S. 56—7.

2) Ebenda, cap. 39, S. 79—80.

3) Ebenda, cap. 40, S. 80— 1; vgl. Diplom. Island., I, Nr. 138, S. 589-40.

4) Ebenda, cÄp. 41—2, S. 81— 9;/ Ilakonar s., cap. 248, S. 8: Annalar, h. a.; Nekrol. island., bei Langebek, II, S. 609.

Maurer, Irland. "

1*^0 r)er rntergang des Freiftaats.

Leuten als Geifel zurückbehalten wurde : die Aufträge aber, welche den Abreifenden mitgegeben wurden, lauteten weit energifcher als je zuvor 1). Gelegentlich der Berathungen, welche über die islän- difchen Angelegenheiten gepflogen wurden, hatte fich nämlich der Cardinal dahin ausgefprochen, dafs es ganz ungebührlich fei, wenn Island allein keinen König über fich haben wolle, während doch alle anderen Länder der Welt einem folchen gehorchten, und zugleich gemeint, dafs erft dann die Infel Frieden bekommen werde, wenn erfl: ein einziger Mann über fie gefetzt fei; auf diefe kirchliche Autoritset geftützt, wagte nun K. Häkon dem |>örö fowohl als dem B. Heinrich die Weifung zu ertheilen, die förmliche Unterwerfung der Infel und die Uebername einer beftimmten Schätzung Seitens derfelben durchzufetzen, letzteres eine Forderung, welche dem Könige fchon im Jahre 1245 am Herzen gelegen hattet), ohne dafs er doch noch, wie es fcheint, fie zu erheben gewagt hätte. l>örör kakali fetzte fich jetzt rafch auf Island feft. Theils kraft feines eigenen Rechtes auf den Nachlafs feines Vaters und Bruders, theiLs durch Geltendmachung der Anfprüche, welche K. Häkon auf den Befitz des Snorri und des torleifr f Göröum erhob, wufste er einen guten Theil der Infel in feine Hand zu bringen, während er zugleich die verfchiedenen Zweige der Sturlvingar eng an fich heranzog, mit den im Südoften des Landes übermächtigen Svinfellfngar fich ver- fchwägerte, und mit |>orvarö |j6rarinsson, fowie deffen Bruder Odd, fich befreundete, welche in der nördlichen Hälfte des Oftlandes ge- boten 3). Dagegen verfeindete er fich bald mit B. Heinrich, welcher

1) Sturhtiiga, Vll, cap. 43—44 und 46, S. 90-98; vgl. VlII, cap. 0, S. 132—33; Hakonar s., cap. 257, S. 23—4; Anndlar, a. 1246 und 1247.

2) Sturlünga, VIll, cap. 3, S. 129.

3) Der im Jahre 1239 verdorbene Vater beider Brüder, pörarinn Jonsson, (lammte aus dem Haufe der SviufelUngar, Sturlünga, II, cap. 4, S. 51, und Anndlnr, a. 1239; ihre Godorde aber, deren Ausdehnung ebenda, VII, cap. 54. S. 107 angegeben wird, kamen von |iörarinü Mutter, Gröa Teitsdöttir, her, ebenda, cap. 51, S. 104. Offenbar war diefe eine Tochter jenes Teitr Oddsson, welcher zu Hof im Vopnafjörör wohnte, bis er von J»örarins Vater, Jon .Sigmundarson, den Hof zu Valpjöfssiac'^ir kaufte, (iudniundar bps. s., cap. 40, S. 472, und cap. 44, .S. 476, fowie Sturlünga, III, cap. 11, S. 212, und cap. 18, S. 222. Teils Vater, Oddr Gizurarson, zählte um 1143 zu den angcfchenften Prieftern des Öd- landes, Diplom, island., I, Nr. 29, S. 185, und flarb im Jahre 1180, Gu6- mundar s., cap. 8, S. 425, Sturlünga, III, cap. 2, S. 121, und Anndlar, h. a. Sein Vater fcheint hinwiderum jener (Üzurr Kinarsson gewcfen zu fein, den <lie Kristni s., cnp. 14, S. 31, um das Jahr 1118 zu den angcfchenften Iläuptlin^di

Der Untergang des Kreiftaats. 131

ihm vorwarf, dafs er dem Könige feine Verfprcchungen nicht halte, und K. Häkon felbfl befchuldigte ihn, wohl durch des Bifchofs Berichte veranlafst, in einem Schreiben, dafs er die Unterwerfung Islands nur in feinem eigenen Intereffe, nicht in dem des Königs betreibe 1). Die Sache wurde noch fchlimmer, als l)6rör eine Ladung -des Königs nach Norwegen mifsachtete (1249), und den Bifchof allein dahin reifen liefs ; B. Heinrich fchlofs fich nämlich in Nonvegen fofort an ^»örös alten Feind, Gizurr, an, und erklärte dem Könige unumwunden, dafs fein Wille auf Island niemals durch- dringen werde, folange Jener dafelbft die erfte Rolle fpiele. Nur wenige der in Norwegen anwefenden Isländer namen fich um l)6rö an, und fo kam es, dafs diefer, als er im nächften Jahre (1250) zugleich mit B. Sigvarö dem Rufe des Königs gehorchte, fofort fammt diefem in Norwegen zurückgehalten wurde, wogegen jetzt Gizurr mit B. Heinrich nach Island gefchickt wurde, um die bereits in des Königs Hand übergegangenen Bezirke zu übernemen, und zugleich für die Unterwerfung des übrigen Landes zu forgen. Vorfichtshalber wurde indeflen diefsmal Beiden noch eine Anzahl anderer isländifcher Männer an die Seite gefetzt, unter welchen der Sturlünge |)orgils skaröi der bedeutendfte war; der König vertheilte dabei geradezu die Bezirke unter fie, und beftimmte, welche Landfchaft jeder Einzelne zu regieren haben follte! Haraldr Saemundarson aber und deflen Bruder Philippus, aus dem Haufe der Oddaverjar, welche l>örör genöthigt hatte gleichzeitig mit ihm nach Norwegen zu gehen, mufsten dort ihre Godorde förmlich an den König abtreten ; auf der Heimreife ertranken fie indeflen (1251), und auch die Uebrigen wurden vom Sturme nach Norwegen zurückgetrieben, fo dafs fie erft im folgenden Jahre (1252) Island erreichten 2). Auch jetzt noch

des Ofllandes zählt; Gizurs Vater aber möchte jener Einarr Sörlason gewefen fein, welchen die Ljösvetnfnga s., cap. 6, S. IG als einen Sohn des Sörli Brodd- helgasoD und der Jjördis Gll^munda^döltir ri'ka nennt. Es find alfo die (Jodovde des Hofsverjar, welche hier in Frage ftehen.

1) Sturlünga, VII, cap. 47, S. 96; Hdkonar s., cap. 257, S. 24, und cap. 268, S. 41.

2) Sturlünga, VII, cap. 47, S. 96; cap. 51—3, S. 105—6; cap. 61, S. 119; VIII, cap. 8, S. 137; Hiikonar s., cap. 268, S. 41, cap. 270, S. 42; cap. 273, S. 45, und cap. 276, S. TjI; Nekrol. island., bei Langebek, VIII, S 564; Anndlar, h. a. Bezüglich der irrigen Angabe einzelner Quellen, dafs die Soemunds- söhne fchon im Jahre 1249 nach Norwegen gekommen feien, vgl. Munch, IV, 1, S. 286, Anm. 2, und Jon |iorkelsson, ^üfisaga Gizurar Jiorvaldssonar, S. 77, Anm.

9*

132 ^^^^ Unterganpf des Freifbiats.

wollte es aber nicht recht voran mit der Ausführung der Plane des Königs, und die Zuftände auf Island wurden zunächft nur noch verwickelter als zuvor. Auf der einen Seite nämlich hatte |>ör6r kakali feine Herrfchaften vor feiner Abreife verläffigen Anhängern übergeben, und diefe fchon von Vornherein zu mannhaftem Wider- ftande ermuntert, worinn er fie auch hinterher noch von Norwegen aus beftärkte l) j des Königs Anfprüche auf Snorri's Nachlafs wurden ferner, als |»orgiIs feinen königlichen Beftallungsbrief vorlegte, offen beftritten, wie denn überhaupt gar manche Leute »des Königs Ver- theilung der Bezirke nicht anerkennen Wollten« 2), Auf der anderen Seite herrfchte aber auch innerhalb der königlichen Parthei keine Eintracht. Dem Gizurr hatte K. Häkon neben feinem eigenen Herrfchaftsgebiete im Südlande noch den gröfseren Theil des Nord- landes unterftellt^), und damit den Grund zu ewigen Mifshelligkeiten gelegt, da diefer mit Recht oder Unrecht den ^»orgils ftets im Ver- dacht hatte die alte Herrfchaft der Sturlüngar ini Nordlande wider- herftellen zu wollen ; die Spannung zwifchen beiden Männern wurde aber um fo bedenklicher, weil Gizurr auch jetzt wider des Königs Auftrag nur zur Förderung feiner eigenen ehrgeizigen Abfichten auszunützen gedachte, während l)Orgils die Befehle feines königlichen Dienftherrn mit der unbedingt eften Hingebung zu voUftrecken bemüht war. Ein wirres Spiel der treulofeften Intrigen war die Folge folcher Zuilände. Zunächft fuchte fich Gizurr der Parthei i>örfts zu nähern, während B. Heinrich feft zu torgils hielt. Mit einem Xbeile der- felben brachte er wirklich einen Vergleich zu Stande ; aber während der Hochzeit, welche das Bündnifs befiegeln follte, wurde er von einem anderen Theile derfelben Parthei überfallen, und in dem fchauerlichen Mordbrande zu Flugumyri (den 21 22. October 1253) fand ein grofser Theil feiner Angehörigen den Tod. Während fodann Gizurr mit grimmigftem Hafle die Mordbrenner verfolgte, machte {)orgils mit denfelben Männern feinen Frieden, welche fich foeben erft mit Jenem gegen ihn geeinigt hatten ; von B. Heinrich aber vermuthete man vollends nicht ohne Grund, dafs er von Anfang an Mitwiffer der Brandftifter gewefen fei! Da t^orgils fowohl als der Bifchof das eigennützige und verdächtige Benemen Gizurs dem

1) Sturlünga, VII, cap. 52, S. 105-6, und cap. 62, S. 120; VIII, cap. R S. 137; Häkonar s., cap. 276, S. 51.

2) Sturlünga, VIII, cap. 9, S. 138, und cap. 17, S. 162.

3) Ebenda, VIT, cap. 61, 119: VIII, cap. 8, S. 137.

Der Untergang des Freiflaats. 133

Könige in den lebhaftcflcn F'arben fchilderte, fandtc dicfer den B. Sigvarö nach Island herüber, um feine Sache am Alldinge zu führen (1254), diefsmal aber von einem nor^vegifchen Manne, Sigurör silkiauga, begleitet, welcher ihn überwachen follte ^) ; Gizurr aber wurde nunmehr widerum nach Norwegen berufen. Durch den Zu- fpruch der beiden Bifchöfe bewogen, leiftete er noch in demfelben Jahre der Ladung Folge, nachdem er zuvor für die einflweilige Verwaltung feiner Herrfchaftsgebiete Fürforge getragen hatte 2) ; in Norwegen traf er mit feinem alten F'einde, t>örör kakali, zufammen, und wurde gleich diefem dafelbft zurückbehalten. Auf Island giengen trotz Gizurs Entfernung die alten Unruhen fort, nur dafs jetzt neben {»orgils skaröi eine Reihe geringerer Häuptlinge eine Rolle zu fpielen begann, fei es nun auf eigene Rechnung, wie der Oftländer {»orvarör l>6rarinsson, oder aber in Vertretung des ab- wefenden [iörö oder Gizurr. Ganze Maffen von Godorden find jetzt in einer Hand vereinigt, fo dafs felbft am Alldinge, wenn etwa der eine oder andere Gegner fich zum Widerfpruche zu fchwach fühlt, die Befetzung der Gerichte von einem einzigen Manne ausgehen kann 3); über den Befitz derfelben entfcheidet aber nunmehr neben dem Erbrechte und den Abmachungen unter den fich gegenüber- ftehenden Häuptlingen felbft, auch bereits des norwegifchen Königs Befehl oder eines übermächtigen einheimifchen Herren Wille. Da- neben kommt es freilich auch jetzt noch vor, dafs ein Häuptling, welcher fich in einem neuen Bezirke feftzufetzen fucht, wie etwa {lorgfils im Skkgafjörör^) oder l)orvarC«r im Eyjafjörör^), ausdrücklich um die Zuftimmung der Bauern fich bewirbt, und unter Umftänden wird diefe auch wohl einmal verweigert, oder auch wohl gar die P>klärung abgegeben, dafs man am Liebften gar keinem Häupt- linge dienen wollet); aber principiell war der Untergang der alten Verfaffung bereits entfchieden, und nur das konnte noch allenfalls zweifelhaft erfcheinen, ob diefer oder jener Häuptling fchliefslich die übrigen unterdrücken, und ob der König von Norwegen in diefer

1) Häkonar s., cap. 276, S. 51, zumal Anm. 6, und cap. 282, S. 69, zumal Anm. 5.

2) Ebenda, cap. 282, S. 60; Sturlünga, IX, cap. 15, S. 208.

3) Sturlünga, VIII, cap. 18, S. 166; der Vorfall gehört dem Jahre 1253 an.

4) Ebenda, IX, cap. 35, S. 256; cap. 86, S. 258.

5) Ebenda, cap. 35, S. 254; cap. 37, S. 259.

6) Ebenda, cap. 35, S. 254 56.

134 ^^^ Untergang des Freillaals.

oder in jener Form die Oberherrfchaft über die Infel überkommen werde. Zunächft fchien es dem {>orgils skaröi gelingen zu wollen, feine Herrfchaft auf der Infel feft zu begründen, wozu feine perfön- liche Tüchtigkeit ebenfoviel beitrug als feine Abdämmung, welche durch feinen Vater, Böövarr ^öröarson, auf die Sturlungar, und durch feine Mutter, Sigrför Arnörsdöttir, auf die Skagfir6ingar zurück- führte. Im Jahre 1255 wurde die Freundfchaft mit dem Iciden- fchaftlichen B. Heinrich widerhergeftellt, welche eine Zeit lang geftört gewefen war. Im Sommer deflelben Jahres fchickte ferner K. Häkon, wie es fcheint unzufrieden mit der geringen Thätigkcit, welche B. Sigvarö entwickelte, feinen Schatzmeifter, den Ivar Englason, nach Island herüber, um dafelbft mit Hülfe der Bifchöfe feinen Willen durchzufetzen l), und wenn diefer zwar im Südlande nur laue Unterftützung fand, gieng die Sache doch im folgenden Jahre (1256) im Nordlande anders. Dem l>orgils brachte tvar eine kgl. Beftallung als Befehlshaber über die nördliche Hälfte des Nordlandes 2j, auf deren wcftliche Hälfte derfelbe mit Zuftimmung der Bauern feine Herrfchaft ohnehin fchon erftreckt hattet), nachdem Eyjülfr jiorsteinsson, der auf diefelbe eine kgl. Beftallung zu haben be- hauptet hatte-*), auf den {)vcräreyrar gefallen war (den 19. Juli 1255). Die Bauern im Skagafjörör und Eyjafjörör mufsten fich jetzt zur Entrichtung einer Schätzung an K. Häkon bequemen, deren Betrag durch eine nachträgliche Uebereinkunft mit Ivar feftgeftellt werden füllte^); aber fie glaubten den Himmel in Händen zu haben, weil ihnen t>orgils das reinfte Ebenbild des vielgeliebten Kolbeinn üngi zu fein fchien <j), und von irgendwelchem Widerftande Seitens der-

1] iiakunar s., cap. 288, S. 60; Annalar, h. a.

2) Vgl! Sturlunga, IX, cap. 44, S. 270, und Hdkonar s., cap. 297, 8.94. Die erftere Quelle nennt den Ivar freilich Arnljötsson, und fowohl Manch, I\', 1, S. 327, Anm. 2 und S. 345, als Jon porkelsson, S. 106 wollen ihn von Ivar Englason fcheiden und eine zweifache Sendung des Königs in demfelben Jahre annemen; indeffen wäre doch wunderlich, wenn von der einen nur die Sturlunga, und von der anderen nur die Häkonar s. mit den Annalen wiifen follte. Viel- leicht verwechfelt die Sturlunga den Ivar Englason mit dem fpäter als des Könige Gefandter auftretenden Ivar Arnljotarson ; vielleicht find aber auch beide wirklich idcntifch, indem ivar bald nach feinem Vater, bald nach feiner Mutter bezeichnet wurde, und wäre alfo in der Sturlunga nur für Arnljötsson Arnljotarson zu lefen.

3) Sturlunga, IX, cap. 36, S. 258; Flateyjarannäll, a. 1256.

4) Ebenda, cap. 30, S. 243.

5) Häkon ar s., cap. 283, S. 61.

6) Sturlunga, IX, cap. 42, S. 269.

Der Untergang des Freiftaals. 135

fclbeii war wohl aus diefem Grunde nicht die Rede. Da Ivar lediglich den Anhängern Gizurs, und theilweife auch ^örös die Schuld beimafs, wenn er nicht noch mehr erreichte, mufste torgils in des Königs Gunft nur um fo höher fteigen, und da t>örör kakali, welchen derfelbe, vielleicht um den l>orgils nicht allzu mächtig werden zu lafTen, als Oberbefehlshaber nach Island zu fchicken halbwegs vorhatte, eben jetzt in Norwegen darb (den ii. October 1256)1), war l)orgils auch diefer Sorge enthoben. Auch die Abreife des alten Störenfriedes, B. Heinrichs, nach Norwegen (1256), wo er bis an feinen Tod (1260) verblieb, fowie die Verföhnung mit |>orleifr t>öröarson i Göröum (1257)2), und die Vermittlung eines Vergleiches zwifchen Sturla l)öröarson und Hrafn OddssonS) fchienen des l>orgils Macht des Weiteren befeftigen zu follen ; da nam mit einem Male fein Glück ein Ende. Ein Streit über j>6rös Erbfchaft hatte denfelben mit feinem bisherigen Anhänger, jsorvarö törarinsson entzweit, und als er nun diefem, auf des Königs Befehl und die Zuftimmung der Bauerfchaft fich ftützend, die Herrfchaft über den Eyjafjörö einzuräumen verweigerte, welche derfelbe als zum Nachlaffe horös gehörig beanfpruchte 4), wurde er von ihm verrätherifcher Weife überfallen und getödtet (den 22. Januar 1258). Dem l>orvarö freilich brachte feine Unthat keinen Vortheil, da ihm die Bauern nach derfelben ihre Unterwerfung nur um fo hartnäckiger verweigerten 5); um fo reicheren Gewinn zog dagegen aus derfelben Gizurr. Nach 4Jährigem Aufenthalte in Norwegen wurde er jetzt wider hervorgezogen, und in der That blieb dem Könige, fo unzu- verläfsig der Mann fich auch gezeigt hatte, kaum eine andere Wahl übrig, da törör kakali und |)orgils skaröi todt waren, |>orvarör aber um feiner Schandthat willen aufser Betracht bleiben mufste ; durch gröfsere Vortheile, welche er ihm einräumte, fuchte K. Häkon den ungetreuen Mann fefter an fich zu binden, während er zugleich für gehörige Ueberwachung deffelben forgte. Im Sommer des Jahres 1258 erhielt Gizurr zu Bergen die Jarlswürde, und die Herrfchaft über das Nordland, Südland und den Borgarfjörö, wogegen

1) Ebenda, cap. 54, S. 286; Annalar, h.a.: Nekrol. Island. , bei Lan- gebek, II, S. 516, und VIII, S. 565.

2) Sturlünga, IX, cap. 46, S. 271—2.

3) Ebenda, cap. 47, S. 275 6; Annalar, a. 1257. 4] Ebenda, cap. 50, S. 279.

o) Ebenda, cap. 52, S. 284.

136 ^^^ Untergang des Freiflaats.

er fich feierlich dazu verpflichten mufste, Ruhe und Frieden auf Island herzuftellen, und die Bauern zur Entrichtung der vom Könige begehrten Schätzung zu vermögen i); andererfeits wurden ihm nor- wegifche Dienftleute beigegeben, welche feine Haltung beobachten foUten. Wirklich zeigte fich Gizurr auch diefsmal wider wenig vcrläfsig. Er beeilte fich zwar, auf Island angekommen, eine fürft- liche Hofhaltung einzurichten, und er wufste auch fehr angefehcne Männer, fovveit fie nicht vorzogen das Land zu verlaflen, wie Sighvatr Böövarsson und deffen Bruder Guömundr, zum Eintritte in feinen Dienft zu bewegen, wie den Stürlungen Sturla |>6röarson, oder auch ums Leben zu bringen, wie den t)6rö Andresson aus dem Haufe der Oddaverjar ; aber wenn er zwar alle diejenigen, welche fich ihm unter^\'arfen, nicht nur fich felbft, fondern auch dem Könige fchwören liefs, fo gab er doch andererfeits vor, dafs er fich diefein zu keiner Gegenleiftung verpflichtet, und dafs er zumal nicht die Entrichtung irgendwelcher Schätzung verfprochen habe 2). Obwohl man den gefpielten Betrug bald merkte, Hess man es auf Island dabei bewenden ; der König aber fchickte, von Gizurs zweideutigem Benemen in Kenntnifs gefetzt, den Ivar Arnljötarson und Pal llnseyma ab (1260), um feinen Aufträgen ernftlichen Vollzug zu fichern. Auch jetzt noch fpielte Gizurr fein altes Spiel fort; er unterftützte des Königs Boten am Alldinge fo lau, dafe fie unver- richteter Dinge wider abziehen mufsten. Da befchlofs der König, von des Jarles Doppelzüngigkeit nunmehr völlig überzeugt, endlich fchärfer vorzugehen; er fandte den Hallvarö gullskör nach Island, um Gizurr zur Erfüllung feiner Verfprechungen ftrengftens anzuhalten (1261). Das entfchiedene Auftreten diefes Mannes brachte fofort eine ziemliche Anzahl von Bauern, und darunter manche bisherige Widerfacher des Königs, dazu diefem zu huldigen^), und auch der Jarl fah fich nunmehr genöthigt die Täufchung ein- zubekennen, die er fich hatte zu Schulden kommen laflen. Er fuchte nun zwar die vermögensrechtliche Seite der Frage hervor- zukehren, und die Bauern zu einer Ablöfung der verfprochenen

1) Ebenda, cap. 54, S. 286—7, und X, cap. 20, S. 308; Häkonar s., cap. 297, S. 93; Annalar, h. a.

2) Häkonar, s., cap. 297, S. 93 4; vgl. des Eides halber, auch Sturlünga, X, cap. 9, S. 297, und cap. 21, S. 311; femer Annalar, a. 1260.

3) Hdkonar s,, cap. 300, S. 96—7; Flateyjar Annall, h. a.

4) Hakonar s., cap. 311, S. 112; Sturlünga, X, cap. 26, S. 818.

Der Untergang des Freiftaats. 137

Abgabe mittelft fchwercr Geldfummen zu bewegen j aber auch diefer Verfuch fchciterte an Hallvarös bündiger Erklärung, dafs es fich fiir den König nicht um eine finanzielle Spcculation, fondern um die Unterwerfung der Infel handle, als deren Ausdruck nur die Uebername einer, wenn auch ganz unbedeutenden Steuer gelten folle ^). Da überdiefs, wie es fcheint von Hallvarö perfönlich be- arbeitet, fowohl die Südländer als die Weftländcr in voller Stärke zum Alldinge zu kommen und hier mit aller Kraft des Königs Sache zu vertreten fich anfchickten, fah fich Gizurr endlich gezwungen feine zweideutige Haltung aufzugeben, und auch feinerfeits ent- fchieden für den König Parthei zu nemen. Mit 8, nach einer anderen Angabe fogar mit 12 Hunderten von Leuten ritt er nunmehr zum Ding, und erklärte Jeden für einen Verräther an feiner Perfon, der fich des Königs Verlangen nicht fuge. Mit ftarker Macht, man rechnete 6 Hunderte von Männern, kamen auch die Häupt- linge des Wcftlandes, welche Hallvarör gewonnen hatte; damit Avar die Sache entfchieden. Nachdem die lögretta befetzt war, wurde die Unterwerfung von Land und Leuten unter den norwegifcfaen König und die Entrichtung einer Schätzung an denfelben auf e\vige Zeiten befchloflen, und noch am Alldinge erfolgte die eidliche Huldigung der Nordländer fowohl als der Südländer, mit Ausname nur der oftwärts der l>jörsä gelegenen Bezirke ; unmittelbar darauf, jedoch erft auf der Heimreife und am |jverärl»inge, huldigten auch die Weflländer2). Wodurch die Verzögerung der Huldigung der VVcftländer, dann das Unterbleiben der Huldigung der Oftländer

1) Hakonar s., cap. all, S. 112—35 Slurlünga, X, cap. 26, S. 31Ö— 9.

2) Häkonar s., cap. 311, S. 113 4; Annälar, a. 1262. Die Slurlünga cnthäll über diefe Vorgänge 4 verfchiedene Berichte. Eine ganz kurze Notiz ftehl in X, cap. 4, S. 291, und augenfcheinlich rührt fie aHein von Sturla her, der es vermieden haben mochte, weitläufiger über die Sache zu reden, weil er diefs bereits in feiner Hakonar s. gethan hatte. Ein längerer Bericht kehrt ziemlich gleich- lautend in cap. 11, S. 298 99 und cap. 21, S. 312 13, wider, und fcheint dem Ueberarbeiter der Sage anzugehören; die beiden Texte dürften den beiden Hauptrecenfionen der Sage entnommen, und fomit nur als Varianten zu be- trachten fein. Endlich cap. 26, S. 319 20 entfpricht dem Berichte der Hakonar s., aber freilich nach einer uns verlorenen Recenfion, wefshalb der Wortlaut bald der einen, bald der anderen unferer Hss. näher fleht; wahrfcheinlich i(l diefer Bericht erd in neuerer Zeit auf Grund einer jetzt verlorenen Hs. der Häkonar s. in die Sage eingefchaltet worden. Ich verdanke aber diefe Bemerkungen meinem Freunde GuÖbrandr Vigfüsson.

138 Der Untergang des Frciflaats.

und der Oddavcrjar veranlafst war, welche doch ebenfalls ihr Er- fcheinen am Ding zugefagt hatten, ift nicht erfichtlich ; aber dafs die am Alldinge ausgeftellte und uns erhaltene Unterwerfungsurkundc auch ihrerfeits nur von dem Nordlande und von dem Südlande fpricht 1), beftätigt jedenfalls die Darftellung unferer Gefchichtsquellen. Schon im folgenden Jahre (1263) unterwarfen- fich übrigens auch die Oddaverjar fammt dem Ueberrefte des Südlandes 2), und widerum ein Jahr fpäter (1264) die Sföumenn und Svinfelllngar mit ihrem Häuptlinge Ormr Ormsson^) ; um dicfell)e Zeit mufs endlich auch die Unterwerfung der Austfiröingar im engeren Sinne des Wortes erfolgt fein, da deren Häuptling, t>orvarör jiörarinsson in eben jenem Jahre fein ganzes Herrfchaftsgebiet an den König abtreten mufste^). So konnte denn Hallvarör guUskör, welcher im Jahre 1263 zum zweiten Male nach Island gefchickt worden war, im Jahre 1264 von dort die Nachricht heimbringen, dafs fich nunmehr die ganze Infel unterAvorfen habe 5) ; der isländifche Freiftaat war in der ThaL zu einem norwegifchen Schatzlande geworden.

Ueberblicken wir aber zum Schluffe nochmals die Gefchichle des Unterganges diefes Freiftaates, fo erfcheint die Rolle allerdings fehr auffallig, welche der norwegifche König in derfelben fpielt. Ganz nach Willkür fehen wir ihn die mächtigften Häuptlinge der Infel zu fich nach Norwegen berufen, hier zurückhalten oder auch widerum heimfchicken, und fo unangenem denfelben auch oft feine I^dungen kommen, fo wagt doch kaum noch einer fie auf die Dauer zu misachten. Schon frühzeitig betrachtet ferner der König neben denjenigen Theilen der Infel, welche er fich erft noch zu unterwerfen bemüht ift, andere bereits als feinen vollkommen recht- mäfsigen Befitz, und er verfugt über deren Verwaltung ganz wie wenn es fich um ein norwegifches Volksland handelte. Woher nun diefe wunderliche Gewalt eines fremden Herrfchers über isländifchcs Gebiet und isländifche Männer? Offenbar will diefelbe für jeden einzelnen Fall befonders erworben und auf einen befonderen Rechts- titel geftützt fein; welches aber diefe Rechtstitel waren, darüber

1) Diplom, island., I, Nr. 152, S. 620.

2) Annälar, a. 1263.

3) Ebenda, a. 1264.

•i) Magnüss s. lagabsetis, S. 167; die Zeitbefliniinung ergiebt ftch aus der Vergleichung der Annalen. 5) Ebenda, S. 156—7.

Der Untergang des Freiflaats. 13^

geben uns die Quellen zwar keinen ganz erfchöpfenden, aber doch annähernd genügenden Auffchlufs. Auf der einen Seite kommt das norwegifche Dienftmannenrecht in Betracht, welchem fich der Islän- der ebenfogut wie der Norweger unterwarf, wenn er in des Königs Dienftgefolge eintratt. Von hier aus ergab fich zunächft die Ver- pflichtung, dem Gebote und Verbote des königlichen Dicnfthcrrn Folge zu leiden, alfo zu ihm zu kommen, wenn er eine Ladung erliefs, und deflen Land nicht zu verlaflen, wenn er es verbot; auf das norwegifche Dienftmannenrecht ftützte fich der König aber andererfeits auch, wenn er an Snorri Sturluson als an einem Ver- räther die Acht voUftrecken liefs, und deffen gefammten Nachlafs an liegender wie fahrender Habe, und fomit auch an Godorden, für fich in Anfpruch nam^). Freilich liefs fich diefer letztere An- fpruch vom Standpunkte des isländifchen Landrechtes aus mit Fug und Reoht beftreiten; aber ein leidlicher Schein ftand demfelben immerhin zur Seite, und er liefs fich mit um fo gröfserem Erfolge geltend machen, weil die meiften angefeheneren Häuptlinge gleich- falls in des Königs Dienft getreten waren, und fomit den Folgerun- gen nicht wohl entgegentreten konnten, welche diefer aus folchem Eintritte zog. Die Anfprüche, welche K. Hakon auf den fämmt- lichcn Befitz des l)6rleif f Göröum erhob, ftützten fich offenbar auf denfelben Titel, da ausdrücklich deffen verbotwidrige Abfahrt aus Norwegen für diefelben in Bezug genommen wird 2) ; wenn auch in den Quellen nicht ausdrücklich erwähnt, darf hiernach doch als ficher angenommen werden, dafs auch er in des Königs Dienft getreten war, und auch in anderen Fällen mochte ja ein Gleiches mehrfach vorgekommen fein. Andererfeits fcheint aber auch eine förmliche Abtretung einzelner Herrfchaften und Herrfchaftscomplexe an den König durch die bisherigen Befitzer mehrfach ftattgefunden zu haben, zumal in der Art, dafs der bisherige Inhaber eines Go-

1) Sehr bedimmt wird diefer Anfpruch z. B. in den Jahren 1251 2 formulirt, Sturlünga, VIII, cap. 8, S. 137: »Konüngr kallaöi arf Snorra Sturlusonar hafa faUit undir sik, slikt hit sania lendur ^xr er Snorri haföi dtt ä deyjanda degi ütan htaö 1 Reykjaholt«, Letzteres eine kirchenrechtlich zu erklärende Ausname. Aber freilich heifst es ebenda, cap. 9, S. 138, auch: ^»margir msela (lat, at hann (d. h. konüngr] eigi ekki f«.

2) Häkonar s., cap. 257, S. 24. Mit Unrecht will Jon (>orkelssun, S. 74, des Königs Anfpruch auf die Heerespflichl ftülzen, welche jedem in Norwegen an- wefcnden Isländer zur Vertheidigung des Reichs nach des heil. Olafs Privilegien oblag, Kgsbk, l 248, S. 196.

•140 ^^^ Untergang des Freiftaats.

dordes, welcher daffclbe auf den König übertrug, daffelbe von ihm fofort zu abhängigem Befitze zurückerhielt, allenfalls durch weitere Befitzungen des Königs vermehrt, oder doch unter gleichzeitiger Verleihung des einen oder anderen der fo hoch gefchätzten Titel des Königsdienftes. Ein Beifpiel von Vorkommniflen diefer letztereit Art bietet, was oben von zwei Angehörigen des Haufes der Odda- verjar zu erzählen war i) ; es läfst fich aber kaum bezweifeln, dafs auch fchon Sturla Sighvatsson, und dann widerum t>örör kakali, Jjorgils skaröi und Gizurr l>orvaldsson, als fie vom König nach der Infel gefchickt wurden, fofort die in ihrer eigenen Hand liegenden oder von ihnen noch zu erwerbenden Godorde dem Könige fo zu fagen zu Lehen auftragen mufsten, und von hier aus erklärt fich, warum neben dem Borgarfjörör, welcher in Snorri's und l*orleifs Hand gewefen war, gerade das Nordland am Früheften vom Könige zum Gegenftande feiner einfeitigen Verfügungen gemacht jvurde, in welchem Sturla und jiorör fich feftgefetzt hatten. Die rechtliche Möglichkeit derartiger Uebertragungen war durch die freie Ver- äufserlichkeit der Godorde unbeftreitbar geboten; dafs man aber von derfelben fo fchlimmen Gebrauch machte, war durch die alte Unfitte, im Auslande Hofdienft zu nemen, theils aber auch durch den Wunfeh der Häuptlinge bedingt, fich im Kampfe mit ihren Nebenbuhlern um jeden Preis die Unterflützung des norwegifchen Königs zu fichern. Infoweit ift es alfo zunächft wider die unglück- liche Grundanlage der VerfaiTung des isländifchen Freiftaats, und weiterhin der Mangel an Vaterlandsliebe und Selbftachtung bei den isländifchen Häuptlingen, was zum Verlufte der Unabhängigkeit der Infel führte, und die neueren isländifchen Verfaffer verfahren allzu einfeitig, wenn fie diefen lediglich der Hinterlift und den Ränken K. Häkons Schuld zu geben pflegen. Allerdings läfst fich nicht leugnen, dafs diefer die ihm gebotenen Anhaltspunkte mit grofser Rückfichtslofigkeit fowohl als Verfchlagenheit benützte, dafs er durch abwechfelnde Begünftigung bald des einen, bald des anderen der ftreitenden Häuptlinge, dann durch die Verwendung der geift- lichen fowohl als der weltlichen Herrn die Zerrüttung auf der Infel fowohl fteigerte als forterhielt, endlich dafs er auch, nachdem er auf rechtlich unangreifbaren, oder doch weniger verwerflichen Wegen eine Anzahl von Bezirken auf der Infel unter feine Bot-

1) Siehe oben S. 131, Anm. 2.

Der Untergang des Freiftaats. 141

niäfsigkeit gebracht hatte, mit vollkommen widerrechtlichen Mitteln die endliche Unterwerfung der annoch felbflftändigen Theile der- felben durchzufetzen keinen Anftand nam. Indeflen wird man doch bei der Würdigung diefer Thatfachen nicht überfehen dürfen, dafs nach der ftaatsrechtlichen fowohl als kirchlichen Anfchauung der Zeit, wie fie Cardinal Wilhelm unverholen ausfprach, ein Freiftaat wie der isländifche wirklich als eine kaum zu duldende Anomalie erfchien, welche zu befeitigen kaum Jemanden zum Vorwurfe ge- reichen konnte j dafs ferner das Intereffe des Landes felbft die Herftellung einer geordneten Staatsgewalt fchlechterdings erforderte, da nur hiedurch den wilden Partheikämpfen ein Ziel gefetzt, und zumal auch den kleineren Leuten einiger Schutz ihrer Rechte ge- fichert werden konnte; dafs endlich die gemeinfame Nationalität gerade dem norwegifchen Könige die Aufgabe nahe legen mufste, auf der Infel einzufchreiten, und durch deren, fowie Grönlands Ein- verleibung in fein Reich den ganzen nordifchen Stamm zu einer äufseren Einheit zufammenzufaflen. Es läfst fich mit Fug und Recht bezweifeln, ob Island beffer dabei gefahren wäre, wenn ftatt der UnterA\erfung unter den nor^'egifchen König auf der Infel ein felbft- (ländiges Königreich in der Hand der Sturliingar oder Haukdaelir envachfen wäre, bezweifeln 'auch, ob ein folches auch nur im Stande gewefen wäre auf die Dauer feine Selbftftändigkcit zu be- haupten.

Abfchnitt II.

Die inneren Zjastände des Freistaates auf

seinem Höhepunkte.

§. 7. Der Staat.

Von den ftaatlichen Zuftänden Islands in knappem Rahmen ein anfchauliches Bild zu geben, ift nicht leicht. Unwillkürlich reizt die übergrofse Fülle des Stoffes, welchen die Quellen darbieten, zu allzu weitem Eingehen in's Einzelne, und die Nothwendigkeit, in fo mancher Beziehung bisher nicht oder zu wenig Beachtetes heran- zuziehen, oder verkehrt Aufgefafstes zu berichtigen, verleitet leicht zur Mittheilung von Beweisbehelfen, welche doch nur die Ueber- fichtlichkeit und Gleichmäfsigkeit der Darftellung ftören, ohne ihren Gegenftand doch irgendwie erfchöpfen zu können. Ich will ver- fuchen in etwas correfterer Zeichnung als es J. F. G. Schlegel i) und Baldvin Einarsson2), F. C. Dahlmann 3) und R. Keyser^) ge- than haben, der Aufgabe gerecht zu werden, indem ich eine ein- gehendere Darftellung und ausfuhrlichere Beweisführung einer fpäteren Schrift vorbehalte, welche das Recht des isländifchen Freiftaates als folches zu behandeln beftimnit ift.

1) Commentatio historica et critica de Codicis Grdgas origine, noniine, fonlibus, indole et fatis; dann: ()m den gamle islandske Lov- og Retsbog, kaldet «Oraagaas*, dens Oprindelse, Navn, Kilder, indvortes Heskafienhed og störe Vigtighed i flere Henseender. Die erdere Abhandlung erfchien als Einleitung zu der Quartausgabe der Graugans, Bd. I, S. XIV— CLVIII (1829), die zweite in der Nordisk Tidsskrift for Oldkyndighed, Bd. I, S. 109—150 (1832).

2) Bemnerkninger over den gamle islandske Lov Graagaasen in der Juridisk Tidsskrift, Bd, XXII, S. 4—146, und 277—360 (1834).

3) (lefchichte von Dännemark, Bd. II, S. 180-282 (1841).

4) Norges Slals- og Retsforfatning i Mi<ldelalderen, zumal S. 256 80 (1867).

Der Staat. 143

Die Gliederung des isländifchen Volkes in Stände zunächft ift eine fehr einfache. Auch auf Island fchied man, wie anderwärts im Norden, vor Allem die freien Leute von den unfreien ; aber hier wie anderwärts bildeten die erfteren allein das Volk im rechtlichen Sinne. Die Unfreien beiderlei Gefchlechts (|>raelar, ambättir) befinden fich in einem Zwangszuftande (änauö), vermöge deffen ihnen jede Anerkennung ihrer Perlbnlichkeit (mannhelgr) fehlt. Sie entbehren demgemäfs jedes eigenen Rechtsfchutzes, und können fomit kein eigenes Vermögen befitzen, während fie andererfeits wie jede andere Sache dem Eigenthume eines Herrn unterliegen können, da fie ja auch gegen eine beliebige Befitzergreifung nicht gefchützt werden; es wird ferner auch für ihre Verletzung weder Wergeid noch Bufse bezahlt, fondern höchftens dem Herrn Schadenserfatz geleiftet. Freilich find diefe Grundfätze im isländifchen Rechte, 'fo wie es uns vorliegt, nicht vollkommen folgerichtig durchgeführt; aber fie liegen allerwärts feinen Beftimmungen zu Grunde, und was fich an Unregelmäfsigkeiten in ihrer Durchführung ergiebt, erweift fich als fpätere Milderung, oder höchftens als eine vereinzelte Folge der principiellen Unnatürlichkeit des ganzen Inftitutes. Mit der äufserften Härte verfolgt das Recht den Unfreien, welcher feinen Herrn (dröttinn), feine Herrinn (dröttnfng), oder deren Kinder ge- tödtet hat; im Uebrigen fcheint aber deren Behandlung thatfächlich eine fehr milde gewefen zu fein, wie es denn auch nicht an Bei- fpielen der rührendften Anhänglichkeit von Unfreien an ihren Herrn fehlt 1). Die Zahl der Unfreien auf Island darf man fich übrigens nicht fehr grofs denken, und diefelbe mufs überdiefs frühzeitig fich noch mehr verringert haben. Menfchenraub und Menfchenhandel, welche im neunten und zehnten Jahrhundert nicht wenige Sklaven und Sklavinnen, zumal irifcher Abkunft, nach Island gefuhrt zu haben fcheinen, verfiegten mit dem Uebertritte des Volkes zum Chriftenthume, und ftrafweifes Verfallen in die Unfreiheit, ^von welchem die Rechtsbücher allerdings wifien, war doch auf einen fehr geringen Spielraum befchränkt; eine freiwillige Ergebung in die Unfreiheit aber wird nirgends erwähnt, und war auch neben der gleich zu befprechenden Schuldkncchtfchaft überflüfsig. So

1) Ein lebendiges Bild von der Stellung der Unfreien giebt auf Cirund der Sagen Kr. Kulund^ Familielivet pa Island i den forste sagaperiode, S. 354-63 (Aarböger for uordisk Oldkyndighcd og Historie, 1870).

•»

144 I^er Staat.

konnte fich alfo die Sklaverei wefentlich nur durch Vererbung inner- halb der einmal vorhandenen unfreien Gefchlechter forterhalten, und felbft in diefem Bereiche wurde ihr durch die fehr häufigen Frei- lafTungen fortwährend Abbruch gethan; ohne jemals formell abge- fchafft worden zu fein, 'verliert fich diefelbe doch feit dem drei- zehnten Jahrhundert auf der Infel, auf der fie überhaupt zu keiner Zeit eine bedeutende Rolle gefpielt hatte. Den Uebergang zu den freien Leuten bilden fo zu fagen einerfeits die Schuldknechte, und andererfeits die Freigelaflenen. Der Schuldknecht (skuldar- maör oder lögskuldarmaör, beziehungsweife skuldarkona) Hl eine freie Perfon, welche der Schuldhaft unterliegt, und dadurch für deren Dauer in eine änliche Lage wie die des Unfreien herabge- funken ift; er ift demnach in feinen Freiheitsrechten theils reducirt, theils fufpendirt, kann aber durch Zahlung oder Abverdienen der Schuld, für die er verhaftet ifl, jederzeit wider feine volle Freiheit erlangen, und wird fogar während der Dauer feiner Haft vom Un- freien fcharf unterfchieden i). In beftimmten einzelnen Fällen mufste fich der Schuldner der Schuldhaft unterwerfen, und konnte diefelbe fomit vom Gläubiger auch wider feinen Willen über ihn verhängt werden,- der Regel nach fcheint diefelbe dagegen auf einer freien Vereinbarung zwifchen beiden Theilen beruht zu haben. Der Frei- gelaffene, welchen der Ausdruck leysingr oder leysingi, be- ziehungsweife leysfngja bezeichnet, wogegen der Freilafler frjäls- gjafi genannt wird, ifl dagegen ein gewefener Unfreier, welcher feierlich in den Freienftand aufgenommen worden ifl, fodafs alfo bei ihm, umgekehrt wie beim Schuldknechte, die Erhöhung eines Unfreien, nicht die Ernidrigung eines Freien vorliegt. Ebenfogut wie das norwegifche Recht 2) forderte auch das isländifche für die Freilafiung einen zweifachen A61, wenn auch in etwas anderem Sinne als jenes. Das norwegifche Recht liefs der Regel nach nur diejenige FreilaflTung vollkommen wirkfam werden, bei welcher dem erften A6le der Freigebung noch die förmliche Haltung des Frei-

1) Vgl. meine Bemerkungen über j»die Schuldknechtfchaft nach altnordifchem Rechte«, in den Sitzungsberichten der Kgl. bayer. Akademie der Wiflenfchaflen, Philofophifch-philologifche ClalTe. Jahrg. 1874, S. 33—47.

2) Vgl. über diefes A. Gjessing, Traeldom i Norge, S. 260—304 (Annaler for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1862): R. Keys er, ang. O., S. 291—4: Fr. Brandt, Trjjellenes relsstilling efter Norges gamle Love, S. 202 7 (Historlsk Tidsskrift, Bd. T).

bei- .Staaf. J4g

laffungsbiere^ (frelsisöl) folgte, und geftattete nur aüsnamsweife unter gewiffen Vorausfetzungen, dafs der letztere A61 unterbleibe oder durch die Zahlung einer Geldfumme erfetzt werde; aber es behan- delte den Freigelaflenen fchon vor der Vorname des zweiten A6les als frei, wenn es ihn auch mit gewiffen Verpflichtungen (pyrrnslif) gegen den Freilafler befchwerte, von welchen Ihn erft das Frd- laffungsbier befreite, und es liefs beide A6le fich ganz gleichmäfsig zwifchen dem Freilafler und dem Freigelaflenen abfpielen, ohne alle Betheiligung der öffentlichen Gewalt. Das isländifche Recht läfst dagegen nur den erften A61 (das gefa frelsi) von dem Herrn aus- gehen, wogegen der zweite, eine förmliche Einfuhrung in den Rechts- verband (leiöa f log), am Ding vom üoden vorgenommen werden mufste; es knüpft ferner an den erften A6t nur die Befreiung von dem bisherigen Herrn, wogegen erft der zweite das Freienrecht gewährt, und es wird demnach hier zwifchen dem Verzichte des Herrn auf fein Recht, welcher den Unfreien herrenlos aber nicht frei macht, und dem Eintritte in die Genoflenfchaft der freien Leute unterfchieden, welche letztere erft die Theilname an deren Recht verfchaffl ^). Das isländifche Recht kennt demnach nicht zwei ClaflTen von Freigelaffenen, wie das norwegifche, fondern nur eine einzige, indem es demjenigen, der zwar freigelaffen, aber noch nicht in den Rechtsverband aufgenommen ift, gar kein Recht zugefteht; es kennt aber andererfeits, widerum anders als das norwegifche Recht, bei derp vollkommen Freigelaflenen auch keine Zurückfetz- ung in feinen Standesrechten gegenüber den Freigeborenen, und lafl*en fich die wenigen Stellen, welche diefem Satze zu wider- fprechen, und eine Verkürzung der Freigelaffenen in Bezug auf Wergeid und Bufse anzunemen fcheinen, durch gehörige Auslegung einfach befeitigen. Gewifle Rechte und Verpflichtungen freilich zwifchen dem FreigelaflTencn und dem Freilafler läfst auch das isländifche Recht fortbeftehen, und fogar auf des erfteren Kinder übergehen, wie diefs die norwegifchen Gulal»(ngslög thaten, wenn auch nicht auf deflTen entferntere Nachkommenfchaft, wie diefs nach den Frosta|»ingslög der Fall warj aber dafür war lediglich der Umftand beftimmend, dafs der Regel nach erft der Enkel des

1) Vgl. wegen der Schwierigkeiten, welche ein Eiufchiebfel in die hier mafs- gebende Stelle, Kgsbk, § 112, S. 191—2, und Festa J)., cap. 43, S. 357—8, macht, meine Erörterung i>über das Alter einiger isländifcher Rechtsbücher«, S. 3—9 ((;ermania, Bd. XV).

MAurer. IsUod. 10

./;

146 l)cr Staat.

Freigelaffenen eine über den erften Grad hinausreichende freie Ver- wandtfchaft befitzen konnte, und dafs fomit der FreigelafTene felbft und deffen Kinder eines Erfatzes für den Schutz und die Hülfe bedurften, welche den Freigeborenen ihre entferntere Verwandtfcliaft zu gewähren pflegte, wogegen dann freilich dem Freilafler, welcher die verwandtfchaftlichen Pflichten gegen den Freigelaflenen zu über- nenien hatte, auch umgekehrt die verwandtfchaftlichen Rechte ihm gegenüber eingeräumt wurden. In Bezug auf Erbrecht, Alters- und Gefchlechtsvormundfchaft, Armenpflege, Blutklagc macht fich diefer Gefichtspunkt ganz gleichmäfsig geltend, und wenn zwar die Aus- legung der betreffenden Rechtsvorfchriften im Einzelnen gar man- cherlei Schwierigkeiten bietet, fo erfcheint doch die principielle Auf- faffung der rechtlichen Stellung der Freigelaffenen von der Art ihrer Löfung in keiner Weife abhängig. Wenn hiernach zwifchen Frei- geborenen und Freigelaffenen ein Standesunterfchied nicht als be- ftehend angenommen wurde, fo tratt ein folcher auch fonft inner- halb der Gefammtheit der freien Leute nirgends hervor, und nur der Ausdruck frjals, welcher, aus fri-hals zufam mengezogen, eigentlich den freien Hals bedeutet, kann im vollen Sinne des Wortes als eine Standesbezeichnung gelten. Damit will natürlich nicht gefagt fein, dafs nicht innerhalb des Freienftandes gar man- cherlei Claffen von Leuten unterfchieden worden feien, welche auch in rechtlicher Beziehung mehrfach verfchieden behandelt wurden; vielmehr ift die Meinung nur die, dafs, anders als in Norwegen, diefe Verfchiedenheit ihrer Behandlung fich ftets nur auf beftimmte, einzelne Beziehungen befchränkte und niemals bleibender Art war. und dafs fie darum auch niemals die Perfönlichkeit der betreffenden Staatsangehörigen als folche ergriff, wie fie denn insbefondere auch niemals in einer Abftufung der Anfötze für Wergeid und Bufse zu Tage tratt. Weitaus der bedeutfamfte Unterfchied ift derjenige, welcher zwifchen dem Bauern, dem Häusler und dem einfchichtigen Manne befteht. Böndi, zufammengezogen aus büandi, heifst jeder felbftftändige Landwirth, und zwar genügt für den Begriff der felbft- ftändigen Landwirthfchaft fchon der Befitz eines zur Mannsnahrung hinreichenden Beftandes von Melkvieh, wenn auch ohne alles Grundeigenthum, während andererfeits auch der blofe Befitz von Grundeigenthum ohne alles Melkvieh den Mann zum Bauern ftem- peln konnte. Dem gegenüber wird als einhleypingr, d. h. ein- fchichtiger Mann, dann auch lausamaör, feltener lausfngi, d.h. lofer Manu, derjenige bezeichnet, welcher keinen eigenen 1 lausfiand

l)er l5ta.it. 14?

hat; die aus diefem Mangel fich ergebende Nothwendigkeit, in einem fremden Haushalte Schutz und Unterkunft zu fuchen, läfst für den- felben auch die Bezeichnung als griömaör brauchen, welche freilich, weil für diefe Unterkunft zumeift die Verpflichtung zu häuslichen Dienften als Gegenleiftung übernommen werden mufste, in einem engeren Sinne auch für den freien Hausdiener galt. Was den Bauern vom einfchichtigen Manne fchied, war demnach zunächft die Thatfache, dafs der erftere eine felbftftändige Heimat (heimili) befafs, während der letztere feinen Aufenthalt in einem fremden Haufe zu nemen hatte (grii^, vist, heimilisvist, heimilisfäng) ; da theils procefTualifche Bedürfniffe, theils aber auch Rückfichten der Armenpflege und wohl auch der Sicherheitspolizei eine fefte Domi- cilirung der gefammten Bevölkerung fchlechterdings forderten, ver- pflichtete das Recht geradezu die lofen Leute zur Erwerbung eines legalen Domiciles binnen gewifler gefetzlicher Friften. Weiterhin crfcheint aber auch nur der Bauer in Gemeindeangelegenheiten als vollberechtigt, während griömenn nur in Vertretung ihres Herrn in der Gemeindcverfammlung aufzutreten vermögen, und nur der Bauer kann tcgelmäfsig in einem Nachbargerichte fitzen oder als Nach- bargefchworener verwendet werden, wogegen griömenn nur in Noth- fällen, und felbft dann nur in geringer Zahl, zum letzteren Dienfte mit herangezogen werden dürfen. In den Dinggerichten freilich konnten diefe wie jene gleich gut fitzen, und als Godengefchworene beide gleichmäfsig berufen werden, wiewohl thatfächlich der Vorzug der Bauern ficherlich auch auf diefe (laatlichen Fun6lionen fich er- ftreckt haben wird. Der Regel nach mufsten übrigens die lofen Leute bei dem Bauern, welcher ihnen ihr Domicil gewährte, auch wirklich als dienende GenolTen ihren Aufenthalt nemen, und nur zu Gunften gewiffer Nahrungszweige, wie z. B. der Zimmerleute und Schwerdtfeger, dann der Fifcher, wurden in genau bemeffcnem Umfange Ausnamen verftattet, wogegen das unftäte Arbeiten im Taglohne im Uebrigen nur unter ganz befonderen Vorausfetzungen verftattet war; gegen Vagabunden vollends, welche ohne ein fefles Domicil zu befitzen unftät im Lande herumzogen, vom Bettel ftatt von ihrer Hände Arbeit lebend, gieng das Recht mit der äufserftcn Strenge vor. Als göngumenn, förumenn, hüsgängsmenn bezeichnet, galten folche Leute als rechtlos (rettlauss), falls fie nicht etwa ohne alle eigene Verfchuldung bettelten; neben befonderen Strafen, welchen fie unterlagen, tratt in Folge diefer ihrer gemin- derten Rechtsfähigkeit Straflofigkeit ihrer Mifshandlung, falls die-

10*

146 bei- Staat.

felbe nur gewifTe Grenzen nicht überfchritt, fowie eine gewifle Zurück- fetzung in ihren Erbrechten ein, welche fich auch auf ihre Kinder erftreckte. Zwifchen die Bauern und die einfchichtigen Leute treten

(^ J^ / endlich noch in die Mitte die büösetumenn, d. h. Budenfitzer.

'^ ' y - '•' Ein vorübergehendes Wohnen in Buden (sitja büösetu) konnte na- ^ türlich auch bei Leuten vorkommen, welche im Uebrigen als Bauern

"* '^ oder aber als einfchichtige Leute mit feftem Domicile verfehcn

(heimilisfastir) find, wie z. B. bei fremden Schiffern, welche bei ihren Schiffen ihre Zelte auffchlugen, oder bei Fifchern, welche während der Fifchzeit am Strande in fiskiskälar oder fiskibüöir wohnten, und für folche Leute mochte dann allenfalls aus Zweck- mäfsigkeitsgründen ihre Bude als vorübergehendes Domicil gelten, ohne dafs fie doch eine befondere Claffe bildeten, da ja ihr Wohnen in diefer immer nur ein vorübergehendes war. Aber die Bezeich- nung wird auch dir Leute gebraucht, welche bleibend ihren eigenen Hausftand haben, ohne doch vom felbftftändigen Betriebe der Land- wirthfchaft zu leben, und welche alfo, wenn auch vielleicht ein paar Stücke Vieh haltend, doch im Wefentlichen durch Arbeiten im Taglohne, Fifchfang u. dgl. ihren Unterhalt gewinnen Derartige Häusler nun werden ausdrücklich den Bauern gegenübergeftellt, und als nicht befähigt zu denjenigen Funftionen bezeichnet, welche den Bauern ausfchliefslich übertragen find; ihre Niderlaffung darf aber andererfeits auch nur mit Zuftimmung derjenigen Gemeinde erfolgen, innerhalb deren diefelbe begründet werden will, und da die Ge- meinde durch die Ertheilung diefer Erlaubnifs die Haftung für die Verforgung der. Aufgenommenen im Falle ihrer Verarmung über- nam, war jedenfalls daiiir geforgt, dafs diefer Budenfitzer nicht zu viele wurden. Weitere Unterfcheidungen treten fodann wider inner- halb der Claffe der Bauern hervor, und z\Var in fehr verfchiedenen Richtungen. In beftimmten einzelnen Beziehungen wird zunächft zwifchen den landeigendir und leiglendfngar unterfchieden, d. h. zwifchen TSrundeigenthümcrn uncT blofen Landpächtern Nur die erfteren foUen z. B. der Regel nach zu Gemeindeämtern berufen, oder unter beftimmten Vorausfetzungcn als Schätzleute und Theil- ungsmänner, Schiedsleute und Gcfchworenc verwendet werden, Land- pächter aber ebenfo wie einfchichtige Leute nur etwa in Nothfallen anftatt ihrer eintreten dürfen. Da es fich dabei wenn auch vor- zugsweife, fo doch keineswegs immer um Fun6lionen handelt, welche mit dem Grundeigenthume in näherer Beziehung ftehen, darf der Grund diefes den Landeigenthümern eingeräumten Vorzuges d<^h

Der Staat. 149

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wohl nur darinn gefucht werden, dafs der Befitz von Liegcnfchaftcn '*'*"^ ' -^^ ' eine gröfsere Gewähr für die vermögensrechtliche Unabhängigkeit bot, und zugleich die Verbindung des Bauern mit der beftimmten Üertlichkeit fefter knüpfte, als diefs bei dem beliebig auf- und ab- '—

ziehenden Pächter der VM war. Ungleich weiter reicht die Schei- dung, welche auf die Verpflichtung oder Nicht Verpflichtung zur Zahlung des t>^ngfararkaup fich begründet. In Norwegen, wo das Iög{»fng lediglich von einer gefetzlich beftimmten Zahl von Männern befucht zu werden brauchte, welche zu folchem Behufe von des Königs Beamten ernannt wurden und darum nefndarmenn hiefsen, bezogen die Ernannten eine Reifeentfchädigung theils in Geld, theils in Naturalien, welche als l>fngfararfe oder farareyrir bezeichnet wurde und von der übrigen Bauerfchaft aufzubringen war; auf Island dagegen, wo der Befuch am Alldinge allen einiger- mafsen vermöglichen Bauern gleichmäfsig oblag ohne dafs eine Ernennung Seitens der Goden ftattgefunden hätte, verftand man unter dem t^^ngfararkaup eine Zahlung, welche jeder das Ding Be- fuchende zu beanfpruchen hatte, durch deren Entrichtung aber andererfeits jeder Dingpflichtige fich von der Verpflichtung zum Erfcheinen am Ding für das betreffende Jahr freimachen konnte. Dem Goden lag die Einhebung der Beiträge und die Auszahlung derfelben ob, und er hatte demnach, je nachdem die Zahl der Kommenden oder Ausbleibenden die gröfsere war, bei dem Ge- fchäfte Gewinn oder Verluft; die Modalitäten der Zahlung, und wohl auch deren Betrag, beruhten auf der Uebereinkunft jedes ein- zelnen Goden mit feinen Dingleuten, und waren demnach für die einzelnen Godorde verfchieden geordnet, wie ja auch in Norwegen das l>ingfararfe je nach der Entfernung der einzelnen Bezirke von der Dingftätte verfchieden abgeftuft war. Zur Entrichtung der Dingfteuer waren aber, natürlich nur unter der Vorausfetzung dafs fie das Ding nicht befuchten, diejenigen Bauern verpflichtet, welche foviel Vermögen befafsen, dafs ohne Einrechnung des nöthigen Wirthfchaftsinventarcs fiir alle Perfonen, deren fie zum Betriebe ihrer Wirthfchaft bedurften, oder welche fie fonft zu unterhalten verpflichtet waren, noch der Werth einer Kuh für den Kopf übrig blieb. Auf einem Cenfus alfo beruhte die Eintheilung der Bauern in folche, welche das |>fngfararkaup zahlten, und in andere, welche daflelbe nicht entrichteten ; ihre Bedeutung aber ift eine fehr erheb- liche, weil die Mehrzahl der öffentlichen Laften mit jener Abgabe Hand in Hand gieng. Zunächft wurde an der Regel, dafs nur der

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150 Der Staat.

fteuerpflichtigc Bauer zum Bcfuche des Alldinges verpflichtet fei, wenn diefer gleich auch dem kleineren Manne unbedingt freiftand, fo ftreng feftgehalten, dafs der nicht fteuerpflichtigc Bauer ganz ebenfo wie der nicht anfäfsige Mann feibft dann, wenn er in frem- der Sache als Zeuge oder Gefchworener zum Erfcheinen dafelbft aufgefordert wurde, die Dingfahrt verweigern konnte, wenn ihm nicht die Parthei, die feiner bedurfte, alles zur Reife Nöthige ftelltc; doch bezieht fich, wie nochmals ausdrücklich hervorgehoben werden mag, die ganze Einrichtung nur auf das Allding, wogegen für das i Frühlingsding ganz andere Regeln galten i). Weiterhin unterliegen

urfprünglich aber auch nur diejenigen Bauern der Zehntpflicht, welche das l^fngfararkaup zu zahlen haben, und wenn zwar unfer Zehntgefetz auch den nicht anfäfsigen Mann unter der Vorausfetzung des Befitzes eines gewiflen Betrages an Fahrhabe zur Zehntleiftung heranzieht, fo erweift fich doch diefe gröfsere Strenge deutlich als eine fpätere Neuerung. Einerfeits nämlich zählte man, als es in den Jahren 1102 5 galt feftzuftellen, wieviele Einkünfte der Bifchof aus jedem einzelnen Landesviertel beziehe, nur die dingfteuerpflich- tigen Bauern 2), und andererfeits foUten auch fpäter noch nur diefe in Betracht kommen, foweit die fiir den Bcftand einer Gemeinde erforderliche Zahl von Bauern zu berechnen kam ; Beides nur unter der Vorausfetzung erklärlich, dafs urfprünglich nur fie zehntpflichtig waren. Widerum find nur die Dingfteuerpflichtigen fchuldig, den Leuten, welche einen Täufling zur Kirche bringen, zu einer Hochzeit reifen oder das Ding befuchen, dann fremden Schiffem, welche unterwegs find, volle Verpflegung zu reichen, wogegen minder Ver- mögliche nur Dach und Fach unentgeldlich, aber Heu und Speifc nur gegen Entgeld zu verabfolgen verpflichtet find. Zu beachten ift endlich auch, dafs alle nicht Dingfteuerpflichtigen infoferne als Bedürftige galten, als fie an dem Ertrage des Armcnzehnts und anderer milder Beiträge Antheil nemen konnten. Der Cenfus alfo, welcher für die Steuerpflicht mafsgebend war, mufste im Sinne der Zeit als fehr nidrig gegriffen erfcheinen, und dennoch ergab die foeben erwähnte Volkszählung im Nordlande nur 12, im Südlande 10, im Weftlande 9 und im Oftlande gar nur 7 Hunderte fteuerpflich-

1) Die «inzige Stelle, welche vom ^ingfararkaup in Bezug auf das varpfng fpricht, nämlich Kgsbk, §59, S. 106—7, ift im Hinblicke auf g 56, S. 98, ebenda zu bef eiligen.

2) Siehe oben S. 93, Anni. 1.

Der Staat. . 151

tiger Bauem, für das ganze Land alfo, das Hundert zu 120 ge- rechnet, deren 4560 ; fo wenig zahlreich war demnach jener Kern der Bauerfchaft, welcher in Staat und Gemeinde das Wort führte, fo ungünftig die wirthfchaftliche Lage der grofsen Maffe des Volkes l Uebrigens darf man nicht, wie mehrfach gefchehen i(l ^), aus der Angabe einer Gefchichtsquelle, dafs fich die Dingleute zu Anfang des eilften Jahrhunderts auf der Dingfahrt noch felbft verköftigt hätten 2), den Schlufs ziehen, dafs damals noch kein |>ingfararkaup bezahlt, und dafs diefes erft durch die Hafliöaskrä eingeführt wor- den fei, noch auch annemen, wie diefs früher gleichfalls mehrfach gefchehen ift.3), dafs diefe Abgabe aus dem alten Tempelzolle her- vorgegangen fei, welcher in der chriftlichen Zeit fo zu fagen nur feinen Namen geändert habe. Die Beftimmungen über die Zehnt- laft, dann die Berichte über die mehrerwähnte Volkszählung zeigen, dafs das |>ingfararkaup fchon mehrere Jahrzehnte vor der Ent- ftchung der Hafli<^askra im Gebrauche war, und das Vorkommen einer ganz änlich gearteten und benannten Abgabe in Norwegen macht fogar wahrfcheinlich, dafs deren Erhebung von dort aus auf Island übertragen worden fei; in der That bildet den Gegenfatz zu dem als ältere Sitte bezeichneten Mitnemen des Proviantes durch die Dingleute nicht etwa die Zahlung der Dingfteuer, fondern viel- mehr die vorhin erwähnte Verpflichtung der Bauern, diefe, fei es nun unentgeldlich oder gegen Entgeld, ihrerfeits zu verköftigen. Im Anfchlufle an das Bisherige ift endlich noch der einvirkjar zu gedenken, d. h. derjenigen Bauern, welche, von keinem Gehülfen unterftützt, lediglich mit eigener Hand ihre Wirthfchaft betreiben. Sie foUen als Gefchworene nur unter der Vorausfetzung berufen werden können, dafs fie ein doppelt fo grofses Vermögen befitzen, als welches von anderen Bauern zu folchem Behufe gefordert wird, und einen minder Vermöglichen durfte der Gegner ablehnen; da das norwegifche Recht den einvirki bezüglich der Dingfahrt fowohl

1) Vgl. z. li. Jon Eiriksson, in Jon Arnason's Histürisk Indledninjj til den gamle og nye islandske Rajltergang, .S.451', Bjariii |>orsteinsson , Om kongclige og andre offenüige Afgiftcr, S. 62: Dahlmann, II, S. 269.

2) (Irettla, cap. 16, S. 29.

3) So z. \\. Bifchof Hannes Finnsson in einer Anmerkung zur älteren Aus- gabe der Kristni s. und des Isleifs Ji., S. 138—9: P. E. Müller, um den is- laodbke Historieskrivning, S. 6 (Nordisk Tidsskrift for Oldkyndighed, Bd. I); Dahlmann, II, S. 272.

152 . t)ei Staat.

als Heerfahrt privilegirt zeigt *), ift diefe Beftimmung doch wohl dahin zu erweitern, dafs derfelbe überhaupt nur unter der Voraus- fctzung jenes gröfseren Vermögcnsbefitzcs dingpflichtig und ding- fteucrpflichtig fein follte, fodafs fich alfo im Grunde nur der Cenfus verfchicden ftellte, je nachdem der Bauer für fich allein oder mit fremder Hülfe feinen Hof bewirthfchaftete. Uebrigens ift klar, dafs beim einvirki fowohl als beim nicht Dingfteuerpflichtigen überhaupt die Zurückfetzung urfprünglich nicht als folche, fondern nur als eine wohlthätige Erleichterung gemeint war; thatfächlich freilich ftellte fich die Sache anders, indem den kleineren Leuten zwar zu keiner Zeit der Zutritt zum Ding verfagt wurde, aber doch jeder Einflufs auf den Staat und die Gemeinde im Grofsen und Ganzen entzogen blieb. Sofeme indeflen die Grenze, welche der Cenfus, der Befitz von Grundeigenthum, die Führung eines felbftftändigen Haushaltes zog, jeden Augenblick verrückbar war, war immerhin eine Ver- härtung jener focialen Verfchiedenheiten zu wahren Standesunter- fchieden ausgefchlofien. In hohem Grade beachtenswerth ift noch, dafs Island keine Spur eines Adels kennt. Wohl legten die Isländer, zu deren Lieblingsbefchäftigungen zu allen Zeiten das Stu- dium der Genealogie gehörte, hohen Werth auf die Abftammung von altberühmten, oder doch ehrbaren Gefchlechtern, und zumal bei Heirathen wurde diefe ebenfogut berückfichtigt wie die per- Ibnliche Tüchtigkeit oder das Vermögen der Betheiligten; aber, anders als in Norwegen, knüpften fich auf der Infel keinerlei recht- liche Wirkungen an jenen Vorzug der Abftammung, und dafs nicht einmal die thatfächlichen Machtverhältnifle irgendwie durch den- felben bedingt waren, erhellt aus der Landnäma, welche nach Auf- zählung der mächtigeren unter den landnämsmenn bemerkt, dafs doch andere ihren Stammbaum z. Th. höher hinaufzuführen ver- möchten als fie2). Allerdings ragten die Goden über alle anderen Volksangehörigen hervor, und in einer gefchichtlichen Quelle wer- den fie, die Bauern und die einfchichtigen Leute auch wirklich ein- mal als die drei grofsen Claffen bezeichnet, in welche das gefammte Volk zerfiel 3) ; aber in den Rechtsquellen macht fich eine derartige Gegenüberftellung niemals geltend, und auf die Angehörigen der

1) Gt»L., 'i 131 und 299; FrJiL., MI, ^ 7.

2) Landnäma, II, cap. 33, S. 167. S} Hrafnkels s. Freysgo(>a, S. 13.

Der Staat. 153

Coden vollends hat fich irgendwelche Bevorzugung niemals erftreckt. Die hohe Stellung, welche dem Godcn der Befitz der poHtifchen Gewalt verfchaffte, zeigte ftets ihre Begründung auf ein Staatsamt vollftändig gewahrt, und liefs jedenfalls deffen Angehörige völlig unberührt; in Wergeid und Bufse ferner erfcheinen weder die Co- den felbfl: noch ihre Angehörigen irgendwie vor den übrigen Freien bevorzugt, wenn auch bei Vergleichsverhandlungen, welche eine freiere Erwägung der thatfächlichen Verhältniffe des einzelnen Falles geftatteten, für deren Verletzung höhere Sühngelder ausbedungen werden mochten. Augenfcheinlich ift hier die freie Veräufserlich- keit der Godorde mafsgebend geworden; da nämlich der bisherige Bcfitzer eines Godords durch deffen Veräufserung fofort in die Clade der einfachen Bauern zurücktratt, mochte die Würde auch noch fo lange in feinem Haufe fich vererbt haben, und da andercrfeits der neue Erwerber eines Godords fofort in die Claffe der regierenden Herrn eintratt, mochte er auch noch fo geringer Abkunft fein, fo konnte die herrfchende Stellung der Coden in der That weder zu einem erblichen Vorzuge beftimmter Gefchlechter, noch auch nur zu einem bleibenden Vorrechte beftimmter Perfonen erwachfen. Be- gründete hiernach die Abftammung von beftimmten hervorragenden Gefchlechtern nur ein höheres Mafs thatfächlicher Achtung, aber keinerlei rechtliche Bevorzugung in Staat oder Gemeinde, fo war von einem Dienftadel auf der Infel ebenfowenig die Rede wie von einem Geburtsadel. Auf das Dienftverhältnifs zu ausländifchen Fürften, in welches vorneme Isländer einzutreten liebten, nam das Recht des Freiftaates wie billig fo gut wie gar keine Rückficht; die häuslichen Verhältniffe auf Island felbft aber waren fogar bei den mächtigften Häuptlingen allzu befcheidene, als dafs fich inner- halb ihrer Hausdienerfchaft eine höhere und höfifche Claffe von Dicnftleuten von einer geringeren und bäuerifchen hätte abzweigen können. Erft feit dem Beginne des dreizehnten Jahrhunderts, als der norwegifche König bereits auf Island Fufs gefafst hatte, erlaubte diefer fich auch auf Island diejenigen Rechte geltend zu machen, welche ihm fein norwegifches Dienftmannenrecht über diejenigen zufprach, welche ihm den Dienfteid gefchworen hatten; erft um diefe Zeit begannen andererfeits auch isländifche Häuptlinge, über gröfsere Bezirke gebietend und gröfsere Heerfchaaren in's Feld füh- rend, ihre eigenen Dienftmannen anzunemen i). Aber derartige Vor-

1) Vjjl. ol»en. S. 100. Ainu. 0, und S. 136, Anm. 2.

154 Der Staat.

kommnifle gehören bereits nicht mehr der VerfaiTung des isländifchen Freiftaates an; fie muffen vielmehr als ein Zeichen des herannahen- den Unterganges der Republik betrachtet werden, und bezeichnen bereits den Uebergang zu den Zuftänden der hereinbrechenden nor- vvegifchen Herrfchaft. Zum Schluffe mag der Vollfländigkeit wegen noch erwähnt werden, dafs das isländifche Recht auch friedlofe Leute im deutfchrechtUchen Sinne kennt, in den zur Acht oder Landesverweifung Verurtheilten, den skögarmenn alfo und den fjörbaugsmennj aber politifch bedeutfam ift diefe Claflfe nicht, und zum Volke im rechtlichen Sinne gehört diefelbe ohnehin nicht. Das letztere gilt auch von den Fremden, welche felbftverftändlich von allen politifchen Rechten ausgefchloffen find; doch mufs be- merkt werden, dafs ihrer Niderlaflung im Lande keinerlei Hinder- niffe in den Weg gelegt wurden. Das Chriftenrecht behandelt den Fremden, welcher fich auf Island feinen eigenen Haushalt gründet, fofort, jeden anderen Fremden aber wenigftens nach dreijährigem Aufenthalte im Lande als zehntpflichtig; das weltliche Recht aber läfst ihn, wenn er erft feine heimilisvist und ^ingvist gehörig er- worben hat, fogar zum Richteramte zu, und zwar fofort, wenn er von Kind auf der nordgermanifchen Zunge mächtig war, dagegen nach dreijährigem Aufenthalte, wenn diefs nicht der Fall war. Es kann kaum bezweifelt werden, dafs diefelben Grundfötze auch be- züglich aller anderen politifchen Rechte galten, und in der That crieichterte auch das norwegifche Recht die Naturalifation der Frem- den in jeder Weife, fodafs wir die gleiche Erfcheinung auf Island nicht einmal, was fonft nahe läge, aus dem colonialen Charakter der dortigen Bevölkerung zu erklären brauchen. Dagegen werden wir allerdings theils aus diefem theils aus der grofsen Beweglichkeit des wirthfchaftlichen Lebens auf der Infel, welches, auf die Vieh- zucht und nicht auf den Feldbau begründet, das norwegifche Stamm- güterrecht fchlechterdings ausfchlofs, uns jene völlige Abwefenheit jeder weiteren ftändifchen Gliederung innerhalb des Freienftandes zu erklären haben, welche der isländifche Freiftaat zeigt, und welche fo weit von den Einrichtungen des norwegifchen Mutterian- des abliegt.

Die Bezirksverfaffung des Landes und Volkes ift ihrer gefchichtlichen Entwicklung nach bereits befprochen worden ^) ; einige

1) Vgl. üben, S. ü4 -57, und S. 100—106.

Der Slaat. |55

Bemerkungen über deren Geftaltung in der Blüthezeit des F'rei- ftaates find indeffen immerhin noch nothwendig. Die Eintheilung zunächfl in Landesviertel (fjöröüngar, landsfjöröüngar) ift jederzeit eine territoriale geblieben, wie fie diefs von Anfang an gcwefen war; von der Himmelsrichtung, oder auch von einzelnen hervorragenden geographifchen Erfcheinungen kann darum deren Bezeichnung hergenommen werden, und man unterfchied demgemäfs zwifchen einem Norölendlnga- , Sunnlendfnga- , Vestfiröf nga- und Austfiröfnga fjöröüng, für deren 3 erftere auch die Namen Eyfiröfnga-, Rangaefnga- und Breiöfirölnga fjöröüngr vorkommen. Die Grenze zwifchen dem Nordlande und Weftlande lief dabei der Länge nach durch den Hrütafjörö, wogegen das Vorgebirge Länganes das Nord- land vom Oftlande fchied, jedoch fo, dafs der fpäter fogenannte Austrhreppr, d. h. das Land von der Nordfeite diefes Caps bis zur Helkunduheiör, noch dem Oftlande zufiel, von welchem er erft im Jahre 1841 abgetrennt wurde. Die Grenze zwifchen dem Südlande und Oftlande bildete die Jökulsä ä Sölheimasandi ; fchwer zu be- ftimmen aber ift die Grenze, welche das Südland vom Weftlande trennte. Auf Island hatte früher die Hvitd als Viertelsgrenze ge- golten 1) ; fpäter aber kam dafelbft die Meinung auf, diefelbe fei urfprünglich der Länge nach durch den Hvalfjörö gegangen und weiter hinauf der Botnsä gefolgt, nach der Hvftä dagegen erft in neuerer Zeit verlegt worden, durch eigenmächtige Verfügung der Lögmänner2), oder doch erft im Verlaufe des 12. Jahrhunderts, wie ein neuerer Schriftfteller annam^). Auf Island hält man an diefer fpäteren Anficht fo entfchieden feft, dafs diefelbe fogar in einer beim Alldinge eingereichten Petition als felbftverftändliche Wahrheit hingeftellt wird 4), und ihr entfprechcnd ift die Viertels- grenze denn auch auf den Karten von Altisland eingetragen, welche

1) So Arngrimr lierM in feiner CryniogÄa, S. 15, und feinem üpecinien Islandioi historicum, S. 27; Jjörbr liorLikssun, Disserlatio choiographicu-historica de Islandia, Thes. II, ^ 1; Eggerl Olafsson, Enarr. historicie de Islandia; natura et constitutione, S. 23—4 und 51 (1749), u. dgl. m.

2) So Eggert Olafsens og Biarne Povelsens Keife igjennem Island, l 116, S. 78 und ? 829, S. 849 (1772), wo ich die neuere Anficht zum erftenmale au sgef prochen finde.

3) Gubbrandr Vigfüsson, Um timatal { tslendinga sögum i fornöld, S. 208 (Safn til sögu tslands, Bd. I).

4) Al|j(ngistK>indi, 1849, S. 189.

156 E)cr Staat.

die Gefellfchaft der nordifchen Altcrthunisforfcher ihren Antiquitates Americanae (1837) und Islendingasögur (Bd. I, 1843), und welche Munch feiner norwegifchen Gefchichte (Bd. IV, Abth. 2, 1859) beigab; dagegen entfchieden fich die Verfaffer der Ortsregifter, welche eben jene Gefellfchaft ihrer Ausgabe der Fornmanna sögur (1837), fovvie deren dänifcher und lateinifcher Ueberfetzung (1837 und 1846) beigab, wider für die ältere Anficht, und zwar, wie mir fcheint, mit vollem Recht. Die Landnäma behandelt ganz confequent die Hvftä als Viertelsgrenze, und ein Verzeichnifs isländifcher Priefter aus dem Jahre 1143 rechnet den P611 Sölvason von Reykholt, den Inhaber des Reykhyltfnga goöordsi), zu den Südländern, nicht zu den Weftländern; wenn demnach im Jahre 1253 das Reykhyltinga goöorö als zum ^verär^nge gehörig behandelt wird, im Jahre 1262 die Borgfiröfngar mit den Weftländern am |>verärl>lnge dem Könige huldigen, und im Jahre 1280 die Jönsbök zwifchen einem »fyrir sunnan« und einem »fyrir vestan Hvita« gelegenen Theile des tverärl»inges unterfcheidet 2), fo werden wir hierinn nur eine vorüber- gehende Folge jener Zerrüttung zu erkennen haben, welcher die Bezirksverfaflung der Infel in den letzten Zeiten des Freiftaates verfiel. Ich bemerke übrigens, dafs theils Veränderungen im WalTcr- laufe der Hvlt4, und theils wohl auch ein Wechfel der Anflehten über die Hauptquelle diefes Flufles, vordem allerdings ein geringes Herübergreifen des Weftlandes über das dermalige Strombett der- felben zur Folge hatten; erft im Jahre 1852 wurde durch Ueber- weifung zweier Höfe an das Südamt die Viertelsgrenze mit dem derzeitigen Laufe der Hvftä und des nunmehr als deren Haupt- zuflufs geltenden Gewäffers in volle Uebereinftimmung gebracht. Hinfichtlich der Dingverbände (^ingsöknir) fowohl als der Häupt- iingfchaften (goöorö) wurde oben bereits erwähnt 3j, dafs fic ledig- lich perfönliche Verbände ohne jegliche fefte geographifche Begrenzung bildeten ; indeflen ift auf diefen Punkt hier nochmals zurückzukommen nöthig, da derfelbe keineswegs allgemein zugeftanden ift. Aus- gehend von unferen modernen Anfchauungen über die territoriale Natur aller Staatsabtheilungen, hatte man nämlich früher das goöorö

1) Sturldnga, II, cap. 36, S. 104.

2) Ebenda, VITI, cap. 20, S. 169; Hiikonar s. i;amla, cap. 311, S. lU: Jonsbok J»ingfararb. , ? 2.

3) Siehe oben S. 40—48, uiul S. 50.

Der Staat. 157

fowohl als die liingsökn ohne Weiteres als territoriale Bezirke angefehen, und die oben angeführten Karten Altislands zeigen,- zumeifl; den neueren Sysselgrenzen folgend, wenigftens die Grenzen der Dingbezirke eingetragen. Nachdem Konräö Gfslason bereits gelegentlich auf die rein perfönliche Natur des goöorös hingewiefen hatte 1), habe ich fchon vor Jahren bezüglich feiner fowohl als be- züglich des Dingverbandes die gleiche Eigenfchaft nachzuweifen gefucht^); aber nur theilweife hat meine Beweisführung bisher An- erkennung gefunden. Während norwegifche Hifloriker zugaben, dafs die isländifchen Rechtsbücher von keiner territorialen Ge- fchloffenheit jener Verbände wiflen, wollten diefelben doch folche (iir die ältere Zeit fefthalten, alfo annemen, dafs diefelben erft durch die im Jahre 1004 erfolgte ZulalTung neuer Godorde ihre Terri- torialität eingebüfst hätten 3), oder dafs gar erft die feit dem 1 2. Jahr- hundert bemerkbare Anhäufung mehrfacher Godorde in einer Hand ihre urfprüngliche locale Bedeutung verdunkelt habe 4) ; isländifcher- feits dagegen gab man allenfalls die formelle Richtigkeit meiner Auffaflung zu, hielt diefelbe indeffen für materiell wenig bedeutfam, weil fich thatfachlich eben doch die Godorde fowohl als die Ding- verbände an geographifche Grenzen hätten binden muffen 5), oder man liefs meine Einwendungen auch wohl völlig unbeachtet, und fuchte in naivfter Weife nach wie vor die Begrenzung diefer wie jener Verbände topographifch feftzuftellen 6). Nun ift aber früher bereits darauf aufmerkfam gemacht worden, wie die rein perfönliche Natur des goöorös, und damit auch der hingsökn, welche ja nur einen Complex mehrerer Godorde bildet, geradezu durch deffen gefchichtliche Entwicklung bedingt ift. Die Möglichkeit, dafs Männer wie Arnkell go^i oder Hrafnkell goöi fich neue Godorde begrün- deten, folange deren Zahl noch nicht gefetzlieh gefchloffen worden

1) Glossar zur Droplaugarsona s., s. {ifngmann (1847).

2) Die Entftehung des isländifchen Staats und feiner VerfafTung, S. 109 -11 , und 174—5, (1852).

8) R. Keyser, Norges Stats- og Retsforfatning, S. 260.

4) Munch, Bd. ni, S. 782—3.

5) Gisli Brynjülfsson, Um goöorö 1 fornöld, og hüöaskipun a {»(ngvüllum, S. 63—4, vgl. S. 41 (Ny f^lagsrit, Bd. XIII, 1853).

6) Brynjölfr Jonsson, Um ^riöjüngamut f Rängar|>(ngi og Arnessj>ingi ji söguöldinni og ymislegt J>ar oh lütandi S. 73 88 (Jon P^tursson's Ti'marit, Bd. I, 1S69).

158 l>er Staat.

war, die Leichtigkeit ferner, mit welcher feinerzeit die Errichtung neuer Godorde bewilligt und durchgeführt werden konnte, deutet eben dahin, da bei geographifcher Gefchloffenheit der alten Godorde und Dingverbände derartige Neuerungen ohne Umwälzungen der fchlimmften Art unmöglich hätten verwirklicht werden können. Endlich würden die Verfaffer der Landndma ihrer Aufzählung der einwandernden Gefchlechter ficherlich die Eintheilung des Landes in Dingverbände und Godorde ebenfogut zu Grunde gelegt haben, wie fie ihr deffen Eintheilung in Viertel wirklich zu Grunde gelegt haben, wenn jene ebenfo wie diefe wirklich territorialen Charakters gewefen wären, und ficherlich würden fie die Grenzen der Godorde und Dingverbände ebenfogut wie die der Landnamen und der Landesviertel angegeben haben, wenn jene ebenfo wie diefe über- haupt fefte geographifche Grenzen gehabt hätten. Führt hiernach bereits die Betrachtung der über die ältere Zeit zu Gebote (lebenden Nachrichten zu den von mir gezogenen Schlüflen, fo werden diefe durch die Beftimmungen unferer Rechtsbücher vollends ficher geftellt. Ausgehend von dem Begriffe der t>ingvist oder ^ingfesti als der Zugehörigkeit eines Mannes zu einem beftimmten Godorde, und ebendamit auch zu einem beftimmten Dingbezirke, verweifen diefe den griömann an die l>ingvist des Bauern, bei welchem er fein Domicil hat, und den Fifcher, oder doch wohl überhaupt den büösetumann, an die ^fngvist des Bauern, auf deffen Grund feine Bude fteht, fo dafs alfo bei den Häuslern fowohl als den ein- fchichtigen Leuten fchlechthin das Domicil über die Dingzuftändig- keit entfchied. Der Bauer dagegen, welchem allein fie eine felbft- ftändige |)fngvist zufchreiben, konnte fich feinen Goden innerhalb des Landesviertels, welches er bewohnte, frei wählen, und bedurfte nur für den Fall der Bewilligung der lögr^tta, da er fich einem Goden anfchliefsen wollte, der einem anderen Viertel als dem feinigen angehörte. Die einmal erworbene l>fngvist blieb ferner zwar an fich beftehen, folange der Bauer nicht feine felbftftändige Wirthfchaft aufgab oder in ein anderes Landesviertel zog, und es rückt fogar der bisherige griömaör, der einen Hof erbt oder kauft, ohne Weiteres in die ^fngvist des bisherigen Befitzers ein ; aber wie die erfte Eingehung der Verbindung auf einer freien Uebercin- kunft des Dingmannes mit dem Goden beruhte, fo konnte diefelbe auch jederzeit durch die freie Willenserklärung des einen oder anderen Theiles wider gelöft werden. Jeden Augenblick konnte fomit der Dingmann feinem Goden die Verbindung autkündigen

Der Staat. 159

(faera t)fngvist sfna; segjaz 6r l>ingi, 6r t)riöjungi goöa), oder um- gekehrt der Gode denfelben feinerfeits aus diefer wegweifen (segja l>ingmann äbrott 6r l>ingi viö sik), wenn dabei nur gewifle Förmlich- keiten erfüllt und gewifle Friften eingehalten wurden, und brauchte weder im einen noch im anderen Falle das Domicil des Mannes verlegt zu werden. Der Gode endlich wurde als fein eigener Ding- mann (f l>ingi meö s6r) betrachtet, und er mufste innerhalb des Landesviertels, welchem fein goöorö angehörte, feinen felbfl:ftändigen Haushalt haben, oder doch bei einem feiner eigenen Dienftleute fein Domicil wählen ; verläfst er auf längere Zeit fein Viertel, oder nimmt er fein Domicil bei einem fremden Dingmanne, fo wird er einftweilen im Befitze feiner Würde fufpendirt und mufs deren Führung einem Vertreter übertragen, der in Bezug auf fein Domicil den gefetzlichen Erforderniflen genügt. Alle diefe Vorfchriften zeigen denn doch fo deutlich als möglich, dafs zu der Zeit, in welcher fie entftanden und galten, nur das Landesviertel, aber nicht das goöorö oder die t>(ngsökn gefetzlich als ein gefchloflener Bezirk galt, und dafs fomit rechtlich Nichts im Wege ftand, wenn ein auf der Melrakkasl^tta wohnhafter Mann fich in den Verband eines zum Hünavatnst>fnge gehörigen Goden begeben wollte ; dafs aber zu irgend einer früheren Zeit andere Grundfätze gegolten haben foUten, ift in keiner Weife erfindlich, vielmehr nur foviel zuzugeben, dafs thatfächlich die Angehörigen jedes einzelnen Godords zumeift in nicht allzu grofser Entfernung von einander wohnten, womit übrigens die Mifchung von Dingleuten verfchiedener Goden keines- wegs ausgefchloflen, und fomit auch eine geographifche Begrenzung jedes einzelnen Godordes keineswegs geboten war. Verkennen läfst fich überdiefs auch nicht, dafs in den letzten Zeiten des Freiftaates die Godorde fowohl als die Dingbezirke allerdings eine gewifle Neigung zu einer Umgeftaltung in territoriale Bezirke verriethen. Auch auf diefe Thatfache ift bereits früher aufmerkfam gemacht worden ; fie zeigt aber, dafs die Godorde und Dingverbände, welche Munch und Keyfer aus urfprünglich territorialen Bezirken erft hinterher zu blos perfönlichen Verbänden fich ablockern laflen, gerade umgekehrt von Anfang an rein perfönliche Verbindungen waren, und erft beim Verfalle des Freiftaats territoriale Natur anzunemen begannen, als die Vereinigung zahlreicher Godorde in der Hand einiger weniger Herrn die freie Wahl feines Häuptlings dem Einzelnen thatfächlich unmöglich gemacht hatte.

Den Mittelpunkt alles ftaatlichen Lebens bildeten auf Island

160 I^er Staat.

die Dingverfammlungen, und zwar gab es, da die uriprünglich beabfichtigten Viertelsdinge nie recht in Aufname kamen ^); der ordentlichen Dingverfammlungen (skapl»(ng) drei; das Frühlings- ding, das Allding und das Herbftding. Alle 3 Verfammlungen wurden ftets an einer ein für allemal beftimmten Dingftätte und zu einer ein fiir allemal beftimmten Zeit gehalten, von welcher Regel nur in feltenen Ausnamsfällen abgewichen werden durfte; der in Nor- wegen wenigftens für die geringeren Dingverfammlungen geltende Satz, dafs ein Ding berufen foll wer eines folchen bedarf^), war dem- nach dem isländifchen Rechte fremd, wie ihn denn die Ausdehnung und Unwegfamkeit des Landes in der That ausfchliefsen mufste, und nur ungebotene Dinge kamen auf der Infel vor. Das AUdtng (al^fngi) wurde nach Ari's ausdrücklicher Angabe zu feiner Zeit, alfo um 1 1 30, an demfelben Orte gehalten, wo dafTelbe von Ülfijötr eingefetzt worden war, und kann dem gegenüber gleichgültig er- fcheinen, ob man auf Grund einer bekannten Stelle der Hsensa- l^öris saga eine zeitweife Verlegung deffelben an einen anderen, benachbarten Ort anzunemen habe oder nicht 3). Während der Dauer des Freiftaates foUte das Allding ftets an einem Donnerftage beginnen ; aber während diefs anfänglich der Tag gewefen war mit welchem die 10. Sommerwoche begann, wurde der Termin im Jahre 999 um eine volle Woche weiter hinausgerückt, und dabei hatte es bis zum Untergange der Republik fein Bewenden. Da der erfte Sommertag dazumal früheftens auf den 9. fpäteftens auf den 15. April fiel, konnte fomit die Verfammlung feit dem Jahre 999 nicht vor dem 18. und nicht nach dem 24. Juni beginnen. Jederzeit füllte diefelbe 2 Wochen dauern, welche ebendarum als |>{ngvikur, d. h. Dingwochen, bezeichnet wurden ; da überdiefs die Hinreife zum Alldinge die beiden vorhergehenden, und die Rückreife von da die beiden nachfolgenden Wochen in Anfpruch nam, verbrauchte die Landsgemeinde alljährlich volle 6 Wochen, welche von nahezu allen anderen Rechtsgefchäften freigelafl'en werden mufsten. In gleicher Weife hatte auch das Frühlingsding (vär^fng) feine eigene Dingftätte, und von diefer war regelmäfsig der Name hergenommen, welchen jedes folche nach gefetzlicher Vorfchrift tragen mufste.

1) Vgl. oben S. 100.

2) Gt»L, i 35 und 131.

3) Vgl. meine Abhandlung «über die HfensaJ»oris saga«, in den .\bhand- lungen der bayer. Akademie der \V., I. Cl., XII. Itd., S. 213 16.

Der Staat. 161

Eine Verlegung der Dingftätte, ja fogar die Wahl einer gemein- famen Dingftätte für zwei verfchiedene Dingverbände konnte vor- kommen, und andererfeits war auch, wie früher fchon bemerkt^), die Zufammenlegung früher getrennter oder umgekehrt die Zerlegung früher einheitlicher Dingverbände unter gewiffen Vorausfetzungen geftattet; es fehlt keineswegs an Belegen für das wirkliche Vor- kommen folchcr Veränderungen, welche indeffen der Regel keinen Eintrag thun, nach welcher jeder Dingverband feine altherkömmliche Dingftätte bcfafs. Bezüglich der Dingzeit galt die Vorfchrift, dafs die Verfammlung nicht weniger als 4 Tage und nicht länger als eine Woche währen follte, von welcher Regel indcflen unter gewiffen Vorausfetzungen abgewichen werden durfte ; dabei follte diefelbe nicht vor dem Ablaufe der 4. Sommerwochc beginnen und nicht fpäter fchliefsen als fo, dafs wenigftens der gerichtliche Theil der Gefchäfte mit dem Ablaufe der 6. Sommerwoche beendigt ift, d. h. fic füllte nicht vor dem 7. Mai beginnen, und nicht nach dem 27. Mai fchliefsen. Die Eröffnung des Dings follte überdiefs ftets an einem Samftage ftattfinden, fodafs bei der als regelmäfsig vorausgefetzten 4tägigen Dauer deflelben fein Schlufs auf einen Mittwoch fiel. Endlich das Herbftding (leiC; haustl»{ng)2) mufstc, foferne nicht ausnamswcife ein Anderes verftattet war, an derfelben Dingftätte gehalten werden wie das Frühlingsding, und beide Verfammlungen foUten überdiefs den 3. sam|>ingisgoöar ge- meinfame fein ; doch wurde bereits oben auseinandergefetzt, dafs diefe Vorfchrift fchon frühzeitig misachtet wurde, und dafs in Folge deflen die Zahl der Dingftätten für beide Arten von Verfammlungen weit über die gefetzlich vorgefehenen 13 anftieg. Die leiö follte ferner nicht früher zufammentreten als 14 Tage nach dem Schluffe des Alldinges, und nicht fpäter als an -dem Sonntage, welcher auf den Samftag folgt, von welchem ab noch 8 Sommerwochen übrig fmd. Da nun nach dem alten isländifchen Kalender das Jahr nur 364 Tage zählte, indem man zur Ausgleichung mit dem aftrono- mifchen Jahre jedes 7. Jahr (oder auch 6.) eine weitere Woche als

1) Siehe oben S. 100.

2) Die Identität von haust^fng und leiö wurde von mir fchon in meiner Schrift j»Die Entftehung des isländifchen Staats und feiner Verfaffungor, S. 173, dargethan ; Brynjölfr Jonsson hätte in der oben, S. 157, Anni. 6 angeführten Schrift das erflere nicht wider, wie diefs ältere VerfaflTer thaten, mit den im Herbft gehaltenen (lemcindcverfammlungen zu fammen werfen follcn.

^I tt n r p r , iKlaiul. 1 1

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sumarauki, d. h. Sommervermehrung einfchaltete, da man femer von jenen 364 Tagen auf den Winter 6 Monate zu 30 Tagen rechnete, wogegen man dem Sommer um 4 Tage mehr zurechnete, welche, als aukanaetr, d. h. Vermehrungsnächte bezeichnet, am Schluffe des 3. Sommermonats, alfo unmittelbar vor der Mitte des Sommers eingefchaltet wurden, fodafs der Sommer auf 26 Wochen und 2 Tage kommen, und der Winter ftets mit einem Samftage anfangen mufste, weil der Sommer mit einem Donnerftage begann, da endlich der erfte Sommertag ftets früheftens auf den 9. und fpäteftens auf den 15. April fiel, und fomit der Winter nicht vor dem IG. und nicht nach dem 16. Octobcr. beginnen konnte, mufste der fpätefte Termin für den Zufammentritt der leiö auf den Sonntag fallen, welcher zwifchen dem 16.— 22. Auguft eintraff. Da anderer- feits das Allding nach dem oben Bemerkten nicht vor dem i. und nicht nach dem 6. Juli auseinandergehen konnte, mufste der frühefle Termin für den Beginn, der leiö zwifchen den 15. 21. Juli fallen, und wurde demnach diefe Verfammlung flets in der zweiten Hälfte Juli's oder in der erflen Hälfte Augufts gehalten, oder anders aus- gedrückt 14 Tage bis 6 Wochen nach dem Schluffe des Alldinges, während ihre Dauer auf i 2 Tage befchränkt war. Von der Zeit ihres Zufammentrittes ifl: denn auch ihre Bezeichnung als hausti»ing abgeleitet, welche freilich nur den gefchichtlichen, nicht aber den Rechtsquellen geläufig ifl; über die Bedeutung des Namens leiö dagegen herrfchen fchr vcrfchiedene Anflehten, und möchte ich am Liebflen an leiö, d. h. Reife anknüpfend, dcnfelben darauf zurück- führen, dafs die Verfammlung von den Coden gelegentlich ihrer Rückreife vom Alldinge abzuhalten war. Im Uebrigen find die Dingverfammlungen als wahre Volksverfammlungen zu betrachten. Berechtigt war zumErfcheinen an denfelben Jedermann, dem nicht die Befugnifs hiezu wegen irgendwelches Verbrechens ent- zogen war, und wir fehen demzufolge Weiber und Kinder ebenfc^ut wie erwachfene Männer am Ding fich einfinden; verpflichtet zum Erfcheinen waren dagegen einmal die zum Dingverbande gehörigen Coden, und was das Allding betrifft überdiefs auch noch die beiden Bifchöfe und der Cefetzfprecher, und zweitens alle Diejenigen, welche bei der betreffenden Verfammlung in eigener oder fremder Sache Etwas zu fuchen hatten: wieweit aber noch andere Leute, das beflimmte fich verfchieden bei den verfchiedenen Arten von Dingverfammlungen. Dafs zum Allding nur diejenigen Bauern zu kommen brauchten, welche mit Rückficht auf ihr Vermögen das

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t>fngfararkaup zu entrichten hatten, und dafs felbft diefe durch die Entrichtung diefer Steuer fich von der Verpflichtung zum Erfcheinen am Dinge freimachen konnten, ift oben bereits bemerkt, und ebenfo der weiteren Begünftigung gedacht worden, deren die einvirkjar genoffen ; dagegen ift noch zu bemerken, dafs der Dingpflichtige (latt feiner auch wohl einen Vertretern fchicken konnte, und dafs für gewiffe Fälle das Vertreterverhältnifs fogar gefetzlich geregelt war. Selbft Coden und Gefetzfprecher fehen wir in der Sturlüngen- zeit gelegentlich ihre Vertreter zum Alldinge fchicken, und bei einfachen Bauern fcheint dasfelbe auch früher fchon oft genug vor- gekommen zu fein ; doch galt es als eine Ehre und ein Vergnügen, das Ding zu befuchen, fodafs wohl nur feiten ein Code in die Lage gekommen fein wird, von der ihm zuftehenden Befugnifs Gebrauch machen zu muffen, durch ein förmliches Aufgebot den neunten Theil feiner Dingleute zum Befuche des Alldinges zu zwingen. Zum Frühlingsdinge dagegen mufsten die fämmtlichen zum Dingverbande gehörigen Bauern kommen, ohne dafs dabei zwifchen den ärmeren und den vermöglicheren unterfchieden worden wäre; Niemand konnte fich durch eine Zahlung von der Verpflichtung zum Erfcheinen loskaufen, und keine Reifeentfchädigung wurde um- gekehrt den Erfcheinenden gewährt, wohl aber konnte Jedermann ftatt feiner einen Vertreter fchicken. lieber die Verpflichtung endlich zum Befuche des Herbftdinges fprechen fich die Quellen nicht aus ; doch dürften dieferhalb diefelben Regeln gegolten haben wie beim Frühlingsdinge. Ein ungemein lebendiges Treiben ent- wickelte fich durch diefe weitverbreitete Betheiligung an den Ding- verfammlungen. Die Dingfahrt (l^ingför) wurde allgemein zu Pferde unternommen, wie man denn noch heutigen Tages auf Island zu Pferde zu reifen pflegt, und fie wird darum ohne Weiters auch wohl als Dingritt (t>fngreiö) bezeichnet; eine Reihe von Beftim- mungen bezieht fich auf die Stellung der für die Dingfahrt nöthigen Pferde, ihren Schutz, dann auch ihre Unterkunft an der Dingftätte. Man liebte es, in gröfserer Gefellfchaft zu reiten, und zumal pflegten fich die Angehörigen eines jeden Coden auf der Dingfahrt zu diefem ihrem Häuptlinge zu halten, fodafs diefer je nach Umftänden mit einem Gefolge von 60—70 Männern auftreten konnte; aber auch verfchiedene Coden vereinigten fich nicht feiten zu einem gemeinfamen Dingritte, und wenn dergleichen in gewöhnlichen Fällen nur um der Annemlichkeit, oder was die Coden anlangte um des Glanzes ihres Auftretens willen gefchah, fo hatte die Sache unter

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Umftänden doch auch noch ihre ernftere Bedeutung. Oft genug kam es vor, dafs die Partheien einander mit gewaffneter Hand den Zutritt zur Dingftätte zu verwehren fuchten (banna l>ingreiöina; verja tlnghelgina), fodafs die Zahl und Tapferkeit der beider- feitigen Begleiter darüber entfchied, ob es dem einen oder anderen Theile überhaupt gelingen werde das Ding zu erreichen. Ange- fchenere Männer hatten ein für allemal ihre beftimmten Gaftfreundc, bei welchen fie auf der Dingreife abfliegen ; andererfeits forgte aber auch das Recht felbft dafür, dafs alle Dingleute auf der Hin- und Herreife bei den gröfseren Bauern gaftliche Aufname fanden, wenn auch vielleicht in den älteften Zeiten in diefer Beziehung ein Anderes gegolten haben mag^). Die Wege, welche man von jeder einzelnen Gegend aus zum Dinge nam, pflegten dabei ein für allemal beftimmt zu fein ({»Ingmannaleiö, almannavegr), und es ftellte fich dabei für die einzelnen Tagreifen ein gewifles Normalmafs (dagleiö) feft. Noch heutigen Tages pflegt man auf Island nach l>ingmannaleil^i^ zu rechnen, und wenn man diefelben zwar mehrfach gleich 5 geogra- phifchen Meilen anzufetzen pflegt, fo bleibt doch dem volksmäfsigen Gebrauche gegenüber auch heutzutage noch Päll VidaHn's Bemerkung richtig^), dafs die ^ngmannaleiö kein gleichmäfsig feftftehendes Längenmafs fei, vielmehr je nach der Befchaffenheit des Weges, der Belegenheit der Raftplätze und der Nachtftationen u. dgl. m. in jedem einzelnen Falle eigens berechnet werde. Am Ding felbft, und zumal am Alldinge, wo der Aufenthalt länger dauerte, hatte man fich fodann fo zu fagen häuslich einzurichten. Die für die Pferde der Dingleute nöthigc Weide pflegte eine benachbarte Almende zu liefern, und ebenfo den Bedarf an Brennmaterial, foweit nicht etwa, wie vom Alldingc berichtet wird, einzelne Goden noch ihren befonderen Wald in der Nachbarfchaft befaflTen ; für ihre Buden (büöir) mufsten dagegen die Dingleute fclber forgen. Zwei Langwände (hliöveggir) und zwei giebclförmig geftaltete Querwände (gaflveggir; gaflhlöö) wurden aufgeführt, zumcift aus wechfelndcn Lagen von Rafcn und Steinen, wozu man das nöthige Material gleich an Ort und Stelle nam ; diefe 4 Wände (büöarveggir) bildeten, was man büöartöpt nannte und noch nennt, ein längliches Viereck ohne alle Bedachung, defTen Eingang (bu^ardyr) wie bei anderen

1) Vgl. oben S. 150—51.

2) Skyrmgar yfir fornyn>i löjjlx'ikar |ieirrai\ er Jc'mshok kailast, S. f»40 1

Der Staat. 165

Wohnungen in einer der beiden Giebelwände fich befand. Nur für die Zeit, da das Ding verfammelt war, erhielt diefes Viereck eine vorübergehende Bedachung, fei es nun aus grober Leinwand oder aus einheimifchem WoUenftoffe (vaömäl); vornemere Männer ver- hängten auch wohl mit folchem StoflFe die innere Seite der Buden- wände, und diefes wie jenes nannte man »tjalda büöir sfnarc, wäh- rend für das Herabnemen der Decken am Schlufle der Dingzeit der Ausdruck »bregöa tjöldum sfnum« galt. Der Bau und Unter- halt der Buden war lediglich Sache ihrer Eigenthümer, mochten fie diefen nun felbft mit Hülfe ihrer Dienftleute beforgen, oder durch Leute beforgen laffen, die aus dem Bau von Alldingsbuden ein Gewerbe machten; ebenfo hatten die Eigenthümer das zur Bezel- tung und inneren Einrichtung ihrer Buden Nöthige zum Ding mit- zubringen, und hieraus erklärt fich, dafs die Rechtsbücher die Füh- rung fchwcren Gepäckes» Seitens der auf der Dingfahrt begriffenen' Leute vorausfetzen. An der Dingflätte des Frühlings- und Herbfl- dinges durfte jeder Dingmann fich feine Bude bauen, und auch für das Allding fcheint diefelbe Regel gegolten zu haben, da auch hier Buden von Privatleuten gelegentlich genannt werden; vorwiegend fcheinen jedoch hier die Goden ihre Buden gehabt zu haben, und diefelben waren berechtigt zu fordern, dafs ihre Dingleute fich an ihre Bude hielten, während umgekehrt auch die Dingleute gefetz- lichen Anfpruch auf Aufname in der Bude ihres Goden hatten, wenn fie nur einen beflimmten Beitrag zu deren Bedachung leifleten. Schon am Frühlingsdinge war unter Umfländen der Gode in der Lage, bis zu 80 Männern in feiner Bude Unterkunft zu verfchaffeni), und am Alldinge namen die Buden der mächtigeren Häuptlinge vollends noch gröfsere Verhältnifle an. Regelmäfsig vererbten fich die Buden mit den Godorden, und nach den Gefchlechtern, in deren Hand fie waren, wurden fie auch regelmäfsig benannt 2); doch kommen auch Buden' vor mit Namen, welche von irgendwelcher Eigenthümlichkeit in ihrer Belegenheit oder Bauart, oder von an- deren Zufälligkeiten hergenommen find, wie etwa die Byrgisbüö, welche auf drei Seiten durch Lavaklüfte und auf der vierten durch

1) Eigla, cap. 85, S. 216: vgl. Ljo?» vctu inga s., cap. 27, S. 93.

2) So werden am Alldinge genannt eine Vestfir6inga-, Saurbyefuga-, Skarbverja-, IJalamanua-, Jöklamannabiiö, eine MöbruvelUnga-, Ljösvetnfnga-, Skagfiröfngabüb, eine Svfnfellingabüb, endlich eine Mosfellfnga-, Ölfitsinga-, Rdngseinga- und Dal- verjabüb.

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einen künftlichcn Wall gefchützt, wirklich als Burg dienen konnte, die Virkisbüö, deren Name auf eine änliche Befeftigung hin- deutet, die HlaöbüC», Gryta oder Gryla, Valhöll und Valhallardilkr, u. dgl. m. Manches deutet darauf hin, dafs die einem und dem- felben Landesviertel angehörigen Leute auch ihre Buden am All- dinge benachbart zu haben pflegten; ein Verzeichnifs einer Anzahl von Dingbuden aber, welches unter dem Namen der »Alt)ingis Catastasis« bekannt und in einer isländifchen Zeitfchrift abgedruckt iftl), ift ohne allen Werth, da daffelbe augenfcheinlich erft um das Jahr 1700 auf Grund der, nicht immer richtig verftandenen, Angaben der Njäla und einiger weniger anderer Quellen angefertigt ift. Aber auch Gewcrbsleute hatten am Alldinge ihre befondcren Bu- den, in welchen fie ihren Gefchäften nachgiengen; Schufter zumal und Schwerdtfeger werden in diefer Richtung erwähnt, aber auch Spielleute (truöar) und Bettler, welche letateren freilich vom Gefctze ferngehalten werden wollten, deren Buden aber dennoch auch am l^orkafjaröarjjfnge gelegentlich erwähnt werden. Sogar von Bier- buden ift am Alldinge die Rede, und von Bierfiedern, welche da- felbft ihr Getränke verkauften; Männer vornemften Ranges fogar, wie Snorri Sturluson und Sturla Sighvatsson, finden wir gelegentlich unter den Befuchern folcher Kneipen. Erlialten wir fchon durch derartige Angaben den Eindruck eines fehr belebten, bunten Treibens am Dinge, fo wird diefer noch vervollftändigt durch das, was vnr von fo mancherlei Spielen und Luftbarkeiten erfahren, welche hier vor fich zu gehen pflegten. Am Alldinge wird z. B. eine eigene Fängabrekka genannt, bei welcher Ringfpiele gehalten zu werden pflegten 2); am Herbftdinge im Vatnsdale wird einmal ein hnattleikr, d. h. Ballfpiel gefpielt^), am Hegranessljinge am Frühlingsdinge ein Ringkampf ausgefochten 4), eine Pferdehetze wird an der Ljösvetninga- leiö, dann wider an* der ^verärleiö gehalten-^); andere Male unter- hielt man fich mit Gefchichtserzählungen, väg denn z. B. Haidörr Snorrason am Alldinge die ütfararsaga des Königs Harald haröräöi

1) tjööölfr, 1851, Nr. 66—7, S. 269—70, vgl. Nr. 64—5, S. 260—1; in englifcher Ueberfetziing bei Dasent, The story of Burnt-Njdll, S. CXXXV VI. Anm.

2) Vfgaglüma, cap. 13, S. 354 5; vgl. Ljösvetnfnga s., cap. 11, S.3I.

3) Vatnsdaela, cap. 37, S. 60.

4) Grettla, cap. 82, S. 163—4.

6) Vfgaskütu s., cap. 12, S. 259—60; Slurlünga, VIII, cap 20, S. 169.

Der Staat. . 167

ZU erzählen pflegte *), oder fjQrgrimr tröUi am Garöaj^inge in Grön- land die Gefchichte feines Kampfes mit {jorgeir Hävarsson zum Berten gab2), u. dgl. m. In Scherz wie Ernft bilden die Dingver- fammlungen eben fichtlich das Centruni, um welches fich das ge- fammtc Treiben des Volkes bewegt, und in welchen deflen ganzes geiftiges Leben am Kräftigften pulfirt. Der Anfang der Ding- zeit wird rtets durch eine feierliche Hegung bezeichnet, fiir welche der Ausdruck |>inghelgi technifch ift. Für das Allding rtand das Vorrecht, diefelbe vorzunemen, der Nachkommenfchaft des erftcn Einwanderers, des oben befprochenen Ingölfr Arnarson zu, deren Godord eben darum als alsherjargoöorö bezeichnet wurde; am Früh- lingsdinge und Herbftdinge rtand das gleiche Vorrecht rtets dem Inhaber eines der am Dingverbande betheiligten Godorde zu. Ari fro^ii hatte die Hegungsformel, mittelrt deren man im Heidenthumc das Allding eröffnet hatte, in der uns verlorenen errten Recenfion feiner Islendingabök mitgetheilt, wie fie ^ormöör jjorkelsson feinen Gewährsmännern überliefert hatte, der zur Zeit der Einführung des Chriftenthumes auf der Infel alsherjargoöi gewefen war; aus den Stellen, welche uns diefs bezeugen, erfehen wir, dafs diefelbe die |»fngmörk bezeichnet hatte, wie diefs auch fpäter noch für die Hegungsformel beim Frühlingsdinge vorgefchrieben war, und nicht minder erfahren wir, dafs diefe letztere wenigftens auch den Namen des zu eröffnenden Dinges nennen mufste. Auch der Schlufs der Dingzeit, für welchen die Bezeichnung {»inglausnir technifch ift, mufs von einer änlichen Feierlichkeit begleitet gew^efen fein, da wenigftens hinfichtlich des Frühlingsdinges ausdrücklich von einem laust segja l>ingit« die Rede ift, und wir werden kaum bezweifeln dürfen, dafs auch fie wieder von demfelben Goden vorgenommen wurde, welchem die Hegung des Dinges zuftand. Der Ausdruck väpnatak, welcher um Nichts weniger oft für das Ende der Ding- zeit gebraucht wird, fteht vielleicht urfprünglich mit den letzten Gefchäften in Verbindung, welche am Ding vorzunemen waren 3).

1) Morkinskinna, S. 73; FMS., VI, cap 99, S. 856.

2) Fö.stbrxi>ra s., cap. 9, S, 87—8 (Hauksbök).

3) Vgl. Svend Grundtvig, ()m de goliske folks Vabencd, Kjöbcnhavn, löTl; meine Befprechung diefer Schrift«, in der Germania, Bd. XVI, S. 317 33; in Bezug auf Norwegen übcrdiefs Ebbe Hertzberg, Grundtraekkene i den aridste norske Froces, S. 148 55, fowie, zumal in Bezug auf Schweden, G. Djurklou, Om Vapentaget sasom lagHg bekräftelseform i Sverige (Svenska Fornminnes - föreningens Tidsskrifi, 1, .S. 238 60).

168 t)er Staat.

In der norvvcgifchen Rcchlsfprache gezeichnet derfelbe nämlich die feierliche Beftätigung eines am Dinge gefafsten Befchluffes durch das gemeinfame Erheben der Waffen, »innan lögrettu ok ütanc; in der isländifchen Rechtsfprache dagegen bezeichnet derfelbe ftets nur den Schlufs der Dingzeit, oder wie eine gefchichtliche Quelle fich ausdrückt: »das heifst väpnatak, wenn alles Volk vom Alldinge wegreitet« i). Offenbar will damit der Ausdruck auf das Wider- aufnemen der Waffen, welche während der Dingzeit nidergelegt worden waren, am Schluffe derfelben bezogen werden; offenbar ift aber diefe Deutung nicht die urfprüngliche, fondern erft hinterher aufgekommen, nachdem die urfprüngliche, in Norwegen erhaltene Bedeutung des Wortes fich verdunkelt hatte. Mag fein, dafs man auf Island, wo wie wir fehen werden der Gefetzfprecher am Schluffe der Dingzeit die fammtlichen von der lögretta gefafsten Befchlüffe öffentlich zu verkündigen hatte, die Vorname des väpnataks feiner- zeit mit diefer Verkündigung in Zufammenhang gebracht hatte, und fomit am Schluffe der Dingzeit fiir alle während derfelben gefafsten Befchlüffe collectiv erfolgen liefs; mag fein auch, dafs dann hinter- her, nachdem Cardinal Nikolaus in Norwegen fowohl als in Schweden das Waffentragen in den Städten verboten hattet), und fichtlich im Zufammenhange damit auch auf Island das Tragen von Waffen am Alldinge abgefchafft worden war 3), auch diefe Förmlichkeit be- feitigt wurde, wobei dann freilich nichts Anderes übrig blieb, als dafs man fortan den in alten Rechtsfatzungen vorfindlichen Ausdruck einfach auf den Schlufs der Dingzeit bezog, und allenfalls auch im Sinne des neueren Rechtsbrauches fprachlich umdeutete. Uebrigens hatte die rechtsförmliche Feftflellung des Anfangs- und Schlufs- punktes der Dingzeit in mehrfacher Hinficht ihre fehr erhebliche Bedeutung. Einerfeits nämlich durften diejenigen Perfonen, welche das Recht überhaupt als Dingbefucher betrachtete, das Ding bei Strafe der Landes verweifung nicht vor feinem legalen Schluffe ver-

1) Hrafukels s., S. 19.

2) H«,imskr. Inga s. Haraldssonar, cap. 28, S. 745; FMS., VII, cap. 22, S. 240; Annälar, a. 1152.

8) Annälar, a. 1154. Was die Sturlünga, V, cap. 30, S. 158, von B. Magnus Gizurarson und dem Jahre 1218 erzählt, ift nur auf ein energifches Vor- gehen delTelben im Sinne jenes älteren Gefetzes zu beziehen. Hertzbergs Aus- fuhrungen beflimmeu mich, meine frühere Anname fallen zu laiTen, dafs das Verbot des Waffentragens am Dinge in Norwegen wie auf Island uralten Rechtens ge- wefen fei.

Der Staat. ' 169

laflfen, während andcrcrfeits auch demjenigen beftimnite Rcchtsnach- theile drohten, welcher, zum Erfcheinen am Dinge verpflichtet, zur Zeit feines legalen Anfanges noch nicht zur Stelle war. Sodann aber wurde durch die feierliche Hegung des Dinges einerfeits und dcffen feierliche Auflagung andererfeits auch die 'Zeit begrenzt, liir welche derbefondere Dingfrieden (die l^inghelgi in diefem Sinne) zu gelten hatte. Es begründet diefer Dingfriede für alle Dingleute einen erhöhten Rechtsfchutz, indem dk für Körperverletzungen und dergleichen zu bezahlende Bufse, wie diefs auch nach norwegifchem Rechte der Fall wari), auf das Doppelte flieg, anflatt der blofen Landesverweifung der Waldgang als Folge der That eintratt, und im Falle eines Todtfchlages das auf den Kopf des Thäters gefetzte Geld verdreifacht wurde, woneben noch die Eingehung eines Ver- gleiches wegen am Dinge begangener Körperverletzungen von der Zuflimmung der lögr^tta abhängig geftellt war. Während der Dauer des Dingfriedens durften ferner friedlofe Leute an der Ding- ftätte, und vielleicht felbfl auf eine Pfeilfchufsweite von ihrer Grenze weg, fich nicht blicken lafTen, ganz wie in der heidnifchen Zeit der Tempelfrieden folche von der Nähe des Tempels ferngehalten hattet). Zur Zeit des Heidenthumes waren zu Ehren einzelner Dingflätten dem Dingfrieden von dem mafsgebenden Goden auch wohl noch ganz andere Wirkungen beigelegt worden 3), wie denn damals überhaupt dem Einzelnen überlafTen gewefen zu fein fcheint nach Belieben einzelnen Tempeln, Bergen, Gegenden ein beliebiges Mafs von Heiligkeit beizulegen ^) ; im fpäteren Rechte freilich, welches nur noch in Bezug auf Brücken einen Ueberrefl derartiger Befug- nifTe kennte), ifl von folchen Befonderheiten Nichts mehr zu ver- fpüren. Selbflverfländlich bedarf übrigens der Dingfrieden neben der zeitlichen auch noch einer räumlichen Begrenzung, und wird diefe dahin beflimmt, dafs derfelbe nicht nur dem liingvöUr, fondern ganz gleichmäfsig auch dem ganzen |>ingmark zukommen folle, welches letztere eben darum auch wohl als t)inghelgi in einem dritten Sinne bezeichnet werden mag. Unter dem Ungvöllf

1) Gl»L., i 198.

2) Vigaglüma, cap. 19, S. 371.

3) Eyrbyggja, cap. 4, S. 7, vgl, cap. 9 10, S. 10 12; fcnier Land n am a, II, cap. 12, S. 57—8.

4) Vatnsdsela, cap. 17, S. 29—30; Eyrbyggja, cap. 4, S. 6-7, und Landnäma, II, cap. 12, S. 97; Landndma, IV, cap. 6, S. 254.

5) Kgsbk, 'i 184, S. 93; Landabrb., cap. 16, S. 266—7.

170 I>er Staat.

ift dabei ficherlich der ganze Raum zu verftehen, welcher, fei es nun von den Dingleuten im Ganzen oder von den aus ihnen her- vorgebenden engeren Ausfchüffen, bei der ihnen obliegenden Thätig- keit benützt wird, und wird z. B. beim Alldinge die Kirche als auf dem {jfngvöUr belegen bezeichnet, wie fich denn auch bekannt- lieh gerade an fie der Name tingvellir am Dauerndften geknüpft hat. Das t>lngniark dagegen war offenbar ein weiterer Bezirk, in welchem der t)ingvöllr als Theil mit enthalten war; indeflen darf man darunter weder mit Dahlmann l) das Godord desjenigen Häupt- lings verftehen, dem die Dinghögüng zuftand, noch mit |>örör Svcin- bjarnarson^) die ganze |>ings6kn, welcher das Ding angehörte, noch auch mit Schlegel 3) das {»ingmark auf die gefammte Dingftättc be- ziehen, während der (ifngvöllr nur den Platz der Gerichte bezeich- nen würde, vielmehr wird man den erfteren Ausdruck auf die Ge- fammtheit derjenigen Räumlichkeiten zu beziehen haben, welche im weiteften Sinne des Wortes den Bedürfniffen der Dinggemeinde zu dienen berufen waren, fodafs alfo neben der Dingftätte felbft auch der Raum dahingehörte, auf welchem die Dingbuden ftanden oder die gcmeinfamen Spiele abgehalten wurden, auf welchem die Pferde der Dingleute weideten oder das für die letzteren nöthige Brenn- holz gewonnen wurde, u. dgl. m. Von hier aus erklärt fich, dafs nicht nur dem ganzen l>ingmark diefelbe Dingheiligkeit zukam wie der Dingftätte felbft, fondern auch das Verlaffen des [»ingniarks als Verlaffen des Dinges galt ; dass ferner die Möglichkeit, dafs mehrere Frühlingsdinge an derfelben Dingftätte tagen, auch wohl dahin aus- gedrückt werden mag, dafs fie ihr {jfngmark gemeinfam haben; dafs endlich die Grenzen der Dingmark (pingmörk) nicht nur bei der Wahl einer neuen Dingftätte am Alldinge bekannt gegeben werden mufsten, fondern dafs fie auch von Jahr zu Jahr bei der Hegung des Alldinges fowohl wie der Frühlingsdinge anzufagen waren ^). Erft in den letzten Zeiten des Freiftaates, als die t>ingsökn fich bereits mehr oder minder zu einem geographifchen Bezirke umgeftaltet hatte, kommt auch für fie ganz vereinzelt die Bezeich-

1) Gefchichte von Dänemark, 11, S. 207—8.

2) Glossar zur Grägds, h. v.

3) Comment. S. LXXXIX, Anm.

4) Vgl. meine Bemerkungen über den Ausdruck in der Germania, XII, S. 239—40.

Der Slaat. 171

nung als Wngmark vor l). Die Leute, welche in irgendwelcher öfientlicher Funftion am Dinge erfchienen, wurddh als l)ingheyj. endir, d. h. Dinghalter, bezeichnet, und rechnete man za ihnen fowohl die Goden und die Bauern, welche vermöge allgemeiner Rechtspflicht kamen, als die Partheien und deren Bevollmächtigte, dann die Zeugen, Gefchworenen, Eidhelfer, welche in eigener oder fremder Sache fich einzufinden hatten; der Ausdruck {iingmenn fcheint noch weiter zu reichen, indem er alle am Dinge Anwefenden bezeichnete, auch wenn fie nur in Begleitung eines Anderen er- fchienen waren, und die Gefammtheit aller Dingleute fafst die Be- zeichnung |>ingheimr, d. h. Dingwelt, zufammen. Die Betheiligung diefes Publicums an den Gefchäften der Verfammlung war indeffen eine fehr ungleichmäfsige, und zwar nicht nur infoferne, als nicht allen Dingleuten der gleiche Grad that fachlichen Einfluffes zukam, fondern auch infoferne als das Recht felbft verfchiedenen ClafTcn von Dingleuten fehr verfchiedene Funftioncn zuwies. In der erflen Be- ziehung ifl zu beachten, dafs felbft unter den Häuptlingen der eine vor dem anderen als Jjingrikr, d. h. am Dinge mächtig bezeichnet wurde, je nachdem er durch perfbnliche Tüchtigkeit, Zahl feiner Dingleute, Verbindungen mit anderen angefehenen Häuptlingen, u. dgl. m. vorzugsweife im Stande war feinen Willen in der Ver- fammlung durchzufetzcn ; in der zweiten Beziehung aber find nicht nur die Goden, der Gefetzfprecher und die Bifchöfe mit viel weiter reichenden BefugnifTen ausgeftattet als andere Dingleute, fondern auch die diefen letzteren überlaflfene Thätigkeit wird zvimcift nicht von ihnen als Gefammtheit, fondern von engeren AusfchüfTen geübt, die aus ihnen gebildet werden. Für die Organifation der Dingverfammlungen fowohl als für das Verfahren an denfelben waren dabei die l)ingsköp, d. h. die Dingordnung, mafsgebend; im Grofsen und Ganzen ein- für allemal gefetzlich geregelt, konnten diefe aber im Einzelnen von jeder Dingverfammlung modificirt werden, und felbft die Frühlingsdinge waren befugt, fidv ihre Dingordnung felber zu fetzen, foferne nur allgemein gebietenden Landesgefetzen dadurch kein Abbruch gefchah. Die Organifation der Dingverfammlungen war übrigens bei deren verfchiedenen Arten keine gleichmäfsige, und wird es darum nöthig, das Allding von den Frühlingsdingen und Herbftdingen zu

1) Vgl. üben, S. 106, Anm. 4.

172 Der Staat.

fcheiden. Am Alldingc tritt zu nächft als ein engerer Ausfchufs die lögretta h^-vor. Während diefe in Norwegen am löglmige, wie es fcheint .von jeher mit 36 Männern befetzt worden war, welche durch des Königs Beamte aus der Zahl der nefndarmenn ernannt wurden, andererfeits aber die richterliche Thätigkeit mit der gefetzgebenden vereinigte, war diefelbe auf Island feit dem Jahre 965 auf die gefetzgebende Gewalt befchränkt, und beftand, wenn wir von dem Gefetzfprecher und den beiden Landesbifchöfcn abfehen, aus ' 144 Mitgliedern, deren Stellung freilich, wenigftens feit dem Jahre 1004, eine fehr ungleiche war^). Auf der Mittel- bank faffen die 39 alten Coden des Landes, fowie die Ver- treter für die den übrigen Landesvierteln im Vergleiche zu dem Nordlande abgängigen 9 Godorde (forräösgoöorö) 2), und fie allein hatten entfcheidende Stimme; auf den beiden äufseren Bänken dagegen faffen die zwei von einem jeden Goden ernannten Beifitzer, deren Stimme eine lediglich berathende war. Der innere Raum, welcher von den 3 Bankreihen umfchlolfen war, durfte während der Dauer der Sitzungen von Niemanden betreten werden, der nicht vom Gefetzfprecher als bei der einzelnen verhandelten Sache be- theiligt dafelbft Platz zu nemen eingeladen worden war, und ryöja lögretta, die gefetzgebende Verfammlung räumen, war darum die technifche Bezeichnung für deren Conftituirung zu einer Sitzung; aufserhalb der 3 Bankreihen hatte dagegen alles übrige Volk (al- l>y5a) Platz zu nemen. Es fleht aber der lögretta die gefetzgebendc Gewalt im weiteflen Umfange zu. Zunächfl wird ihr efn »raöa lögum ok lofum«, d. h. die Macht über die Gefetze und die Ver- willigungen zugefchrieben, und fomit der zwiefache Beruf eingeräumt, feftzuflellen, was als Rechtsregel im Lande zu gelten habe, und für einzelne Fälle Ausnamen von diefen Rechtsregeln zu verwilligen. In der letzteren Beziehung werden syknuleyfi, d. h. Verwilligungen von Strafmilderungen, sättaleifi, d. h. die Genemigung der Eingehung eines Vergleiches in Eällen, in welchen folche ohne Zuftimmung der gefetzgebenden Verfammlung unzuläfsig war, fowie eine lange Reihe weiterer Verwilligungen erwähnt ; bei ihnen allen wurde aber Einftimmigkeit der lögretta gefordert, und überdiefs auch Leuten,

1) Vgl. oben, S. 61—67.

2) Vgl. über diefe Bezeichnung meine Abhandlung »Die Quellenzcugniffc über das erde Landrecht und über die Ordnung der liezirkbvcrfalTung des isländifclicn Freiftaates'^, S. 79—84.

Der Staat. 173

die nicht zu diefer gehörten, d. h. doch wohl den bei der Sache betheiligten Privaten, das Recht eingeräumt, durch Einlegung eines förmlichen Proteftes die Befchlufsfaffung zu hindern. In der erfteren Beziehung dagegen unterfchied man zwifchen dem *retta log sine, und dem »gera nymaeli, ef vilja«, d. h. dem Feftftellen des ge- gebenen Rechts und dem Erlaffen neuer Gefetze. Bei der Erlaffung neuer Gefetze fcheint man daffelbe Verfahren eingehalten zu haben wie bei der Verwilligung von Privilegien, was fich auch recht wohl daraus erklärt, dafs es fich hier wie dort um eine Abweichung vom geltenden Rechte handelte, und dafs bei Novellen, die immer nur von 3 zu 3 Jahren angenommen wurden, ohnehin ein weniger um- (ländliches Verfahren am Platze fcheinen durfte; bei der Feft- •flellung aber des geltenden Rechts gegenüber von Zweifeln, welche fich gegen deffen Beftand oder Inhalt erhoben hatten, tratt ein fehr complicirtes Verfahren ein, welches mit dem unten noch zu bc- fprechenden »v^fang« in den Gerichten grofse Aenlichkeit hatte, bei welchem aber Stimmenmehrheit, und im Falle ^der Gleichheit der Stimmen der Stichentfcheid des Gefetzfprechers den Ausfchlag gab^). Die Scheidung beider Arten der Gefetzgebung ift in der Natur der Sache begründet, da bei neuen Gefetzen oder Vcr- willigungen ruhig Alles beim Alten und bei dem ftrengen Rechte belaffen werden konnte, falls für den Vorfchlag Einftimmigkeit nicht zu erreichen war, wogegen bei der Feftftellung ftreitig gewordenen Rechts eine Entfcheidung fchlechterdings erzielt werden mufste ; fie konnte aber erft zu Tage treten feitdem die richterliche Thätigkeit der lögretta abgenommen und eigenen Gerichten überwiefen worden war, und fie mufs demnach als erft nach dem Jahre 965 aufge- kommen und dem isländifchen Rechte eigenthümlich betrachtet werden. Uebrigens hatte die lögretta neben ihrem eigentlichen gefetz- gebenden Berufe auch noch den weiteren, adminiftrative Befchlüffe in Angelegenheiten zu faffen, welche das gefammte Land angiengen, wie ihr denn z. B. die Wahl des Gefetzfprechers u. dgl. mehr zuftand, und fcheint man derartige Funftionen derfelben von ihrem legislativen Berufe nicht gehörig gefchieden zu haben. Diefelbe

1) Die Einwendungen, welche Vilhjälmr Finsen, Om de islandske Love i Fristadstiden, S. 151 67 (Aarböger for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1878) neuerdings gegen die Scheidung beider Arten der Gefetzgebung erhob, haben mich nicht überzeugt: eine ausführliche Krörlerung der Frage ift aber nicht diefes Orts.

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174 l'er Staat.

hatte ferner ihren eigenen Verfammlungsplatz am Alldinge, wenn- gleich ihre Sitzungen fchlechten Wetters wegen auch in die Kirche dafelbfl verlegt werden konnten, und fie hat wenigftens 4 mal in jedem Sommer zufammenzutreten, nämlich am Schlufstage des All- dings, an den beiden in die Dingzeit fallenden Sonntagen, und dem erften Freitage der Dingzeit, als an welchem die Dingordnung vor- zutragen, und nöthigenfalls auch der Geletzfprecher zu wählen war. Aufserdem konnte aber, foweit eine Rechtsrichtung in Frage war, jeder Private, und in anderen Fällen wenigftens die Mehrheit der lögrettumenn, oder auch der Gefetzfprecher die Sitzung der lögr^tta verlangen; der letztere übt überhaupt die Präfidialrechte innerhalb derfelben, wie diefs unten noch des Näheren zu erwähnen fein wird. Der lögr^tta ftehen fodann gegenüber die al^ingisdömar, unter welchen die fjoröüngsdomar voranzuftellen find. Den 4 Landes- vierteln entfprechend, waren ihrer 4, und nach jenen wurden fie auch als Norölendfnga- und Sunnlendfnga-, Austfiröfnga- und Vcst- firölnga-dömr bezeichnet. In diefen Gerichten haben die Goden keinen Sitz, wohl aber die Ernennung ihrer Mitglieder (domnefna); jedoch ift diefe ihre Befugnifs derart geregelt, dafs nur die Befitzer der 39 alten Godorde an derfelben Theil namen, und der Antheil der 1 2 Goden des Nordlandes nicht weiter reicht s^ls der der 9 Goden jedes anderen Viertels. Man hatte nun früher allgemein ange- nommen, dafs der Richter in jedem Viertelsgerichte nur 9 gewefen feien, und dafs fomit von den 39 Goden nur 36 Richter ernannt worden feien i) ; aber von dem isländifchen Amtmanne Päll Melfteö (f i86i)2), und unabhängig von ihm von mir 3), wurde hiegegen die andere Anficht aufgeftellt, dafs jedes einzelne Viertelsgericht 36 Richter gezählt, und fomit jeder einzelne Gode in jedes ein- zelne Viertelsgericht einen Richter ernannt habe, nur mit der Ein- fchränkung, dafs von den 12 Goden des Nordlandes jeder nur 3 ftatt 4 Richter ernannte. Ohne die Gründe für diefe letztere Anname hier nochmals erörtern zu wollen, bemerke ich, dafs die-

1) Vgl. Jon EirfkssoQ, bei Jon Ärnason, Historik Indledning, S. 315— 6: Baldviu Einarsson S. 87—8; Dahlmann, II, S. 212 und 217, Anm. 4: Munch, I, 2, S. 156; Keyser, S. 274.

2) Nyjar athugasemdir vib nokkrar ritgjördir um al{«ingis-mali6, S. 108 10^ Anm. (1845).

3) Entftehung des isländifchen Staats, S. 177—8; Die QuellenzeiignifTe über d.is elfte Landrecht, S. f-O -1, und S. 100 -101, Anm. 26.

Der Staat. 175

felbe mehrfach Beifall gefunden hat l), und dafs ein neuerer Verfuch, welchen V. Finsen machte, die ältere Anficht wider zur Geltung zu bringen 2), mich nicht überzeugt hat, wie denn auch Jon |)orkelsson und der jüngere Päll Melsteö bereits gegen denfelben fich erklärt habend). Man hielt, wie mir fcheint, die Theilname der fämmt- liehen Coden an der Befetzung der fämmtlichen Viertelsgerichte fchr bewufst feft, um diefen auch nach ihrer Sonderung von einander principiell den früheren Charakter eines einheitlichen Gerichtes zu wahren, und wohl auch um eine gröfsere Garantie fiir ihre Un- partheilichkeit zu gewinnen. Der Ort, an welchem diefelben faflen, wird uns nirgends genau bezeichnet, vielmehr erfahren wir nur, dafs derfelbe vom lögberg fowohl als von dem Sitzungsplatze der lögr^tta getrennt lag; dagegen ift von einem dömhringr die Rede, fowie von dömsteinar, innerhalb deren oder auf denen die Richter faflen, und erfahren wir auch hier wider, dafs das Innere des Ringes kein zum Gerichte nicht Gehöriger ohne deffen befondere Erlaubnifs betreten durfte. Dabei erfolgte die Ernennung der Richter am erften Freitage der Dingzeit, und am folgenden Tage wurde deren erfte Sitzung gehalten, welche bis zum Sonntagmorgend dauern kann, aber nur der dömruönfng zu dienen hat, d. h. der Erledigung- der Einwendungen, welche die Streittheile gegen die Perfonen der ernannten Richter zu erheben haben; im Uebrigen beftimmt die lögrötta die Tage, an welchen die Gerichte zu fitzen haben, und kann die Anberaumung von Sitzungen bis zum letzten Tage der Dingzeit verlangt werden. Werden die Richter über das zu fallende Urtheil nicht einig, fo kommt es, wenn anders die Minorität wenigftens 6 Stimmen zählte, zu einer Gerichtsfpaltung (v^fäng), welche wie unfere deutfche Urtheilsfchelte, ftets auf die von einer Parthei gegen die andere erhobene Befchuldigung hinausläuft, ein falfches Urtheil gefunden zu haben; ihre Erledigung fand diefelbe aber feit dem Jahre 1004 vor dem fünften Gerichte, während vordem nur der Zweikampf die Entfcheidung hatte bringen können. Diefes fünfte Gericht felbft (fimtardömr), deffen Entftehungsgefchichte

1) Vgl. z. B. Gisli Brynjülfason, Um goÖorÖ 1 foruöld, S. 110; Dasent, in der Einleitung zu feiner Ueberfetzung der Njäla S. LXVII; Gubbrandr Vig« füsson, s. V. v^fang.; auch Munch, II, S. 1010, Anm. 8.

2) Ang. O., S. 74—6, Anm.

S) Vfkverji, 1873, Nr. 25, S. 98—99, und Nr. 26, S. 102—3: eine Replik Vilh. Finsen's, fiehe ebenda, Nr. 40, S. 153—65.

176 r)er Staat.

oben bereits des Näheren dargelegt wurde, wurde in der Art ge- bildet, dafs zunächft jeder Inhaber eines Godordes älterer Ordnung einen Richter ernannte, jedoch fo, dafs von den I2 Goden des Nordlandes zufammen deren auch nicht mehr als 9 beftellt wurden, wozu dann noch weitere 1 2 Richter kamen, welche von den Inhabern der neuen Godorde gemeinfam zu benennen waren, je 3 aus jedem Viertel; von diefen 48 Männern hatte dann aber, ehe es zum Spruche in jeder einzelnen Sache kam, jede Parthei 6 zu recusiren, fo dafs auch in diefem Gerichte die gewöhnliche Zahl von 36 Richtern das Urtheil fand. Thfeils diefe cigenthümliche Zufammen- fetzung des 5. Gerichts, theils auch die Häufung der in ihm abzu- leiftenden Eide und deren Verftärkung durch Eidhelfer fowohl als durch feierlichere Formen, endlich fein Sitzungslocal, welches mit dem der lögretta zufammenfiel, fcheiden daffelbe von den anderen Gerichten ; feine Competenz aber fcheint fich Anfangs auf die Fälle einer Gerich tsfpaltung (vefangsmäl) in den Viertelsgerichten, einer Klage wegen falfchen Zeugniffcs, falfchen Wahrfpruches oder falfcher Verficherung auf Ehrenwort (t>egnskaparlagning) im Viertels- gerichte, dann wegen Beftechung in diefem Gerichte mitwirkender Perfoncn, endlich einer Klage wegen einer Dingftörung (l>ingsafglöpun) befchränkt zu haben, welche die formelle Erledigung, oder doch die materiell unverfölfchte Erledigung der betreffenden Sache ini Viertelsgerichte unmöglich gemacht hatte, wogegen Ipäter auch noch die Klagen wegen widferrechtlicher Aufname oder Unterftützung von iEchtern, dann flüchtigen Sklaven, Schuldknechten und dienft- pflichtigen Prieftern demfelben zugewiefen wurden. Die Stellung des 5. Gerichtes ift hiernach eine völlig eigenartige, und kann diefelbc weder mit der Stellung unferer Appellationsgerichte noch mit der unferer Caflationshöfe verglichen werden: fie findet auch in der Gefchichtc des norwegifchen Proceffes keine Parallele. Als ein eigenthüni- liches Gericht ift endlich noch das Prieftergericht (prestadömr) zu nennen, von welchem oben bereits die Rede wari). Daffelbe wurde am Alldinge durch Ernennung von Prieftern als Richtern durch den Bifchof gebildet, fcheint aber immer nur im Bedürfnifs- falle zufammengetreten zu fein, welcher fich bei feiner eng begrenzten Competenz nur feiten ergeben konnte ; es fcheint in der Kirche an der Dingftättc gehalten worden zu fein, und ift feiner Zufammen- fetzung fowohl als feinem Verfahren nach augenfchcinlich den welt-

1) Vgl. S. 96.

Der Staat. 177

liehen Gerichten nachgeahmt, nur dafs ihm gegenüber der Bifchof die Rolle des Coden übernimmt. Neben dem Prieftergerichte fcheint übrigens am Alldinge auch wohl noch eine Diöcefan- oder felbft Landesfynode abgehalten worden zu fein, wfclche unter dem Namen prestastefna vorkommt i); fie wurde von allen am Alldinge an- wefenden Prieftern gebildet, und ftand als legislative Verfammlung der lögretta parallel. Uebrigens erfchöpft die Thätigkeit der am Alldinge beftehenden Ausfchüffe ganz und gar nicht die Aufgabe diefer Verfammlung, vielmehr wird diefelbe fehr wefentlich ergänzt durch gar mancherlei Funftionen, welche theils dem Gefetzfprecher, theils aber auch den einzelnen Dingleuten als folchen obliegen. Den Mittelpunkt diefes ganzen gefchäftigen Treibens bildet dabei der Gefetzesfelfen (lögberg; lögbergi), d. h. eine Erhöhung an der Dingftätte, auf welcher der Gefetzfprecher feinen amtlichen Platz hjitte. Von hier aus wurden die Rechtsvorträge diefes letzteren der Regel nach gehalten, und auch die übrigen ihm obliegenden Verkündigungen erlaffen ; von hier aus richteten aber auch diejenigen Privatleute, welche irgend Etwas an die Dinggemeinde zu bringen hatten, ihre Worte an diefe, nachdem fie zuvor vom Gefetzfprecher die Erlaubnifs, den Ort zu betreten, und allenfalls auch Belehrung über die einzuhaltenden Förmlichkeiten fich * erbeten hatten. Die verfchiedenartigften Bekanntmachungen, Aufforderungen, Anfragen konnten an diefem Orte erlaffen und geftellt werden, fei es nun dafs es fich darum handelte beftimmte Thatfachen zur allgemeinen Kenntnifs aller und jeder Dingleute zu bringen, oder dafs man nur den Weg des öffentlichen Aufrufes wählte, weil man die beflimmten einzelnen Perfonen, an welche man eine Mittheilung zu richten hatte, anders nicht zu ermitteln oder anzutreffen wufste. Am lögberg mufs unter Umftänden das Domicil und die Dingzugehörig- keit angezeigt werden, welche Jemand wählt; hier erfolgt die Bekanntgabe der Rechtsfachen, welche fei es nun fofort oder am nächilfolgenden Alldinge, an die Viertelsgerichte gebracht werden foUen ; hier erkundigt man fich um das Domicil und die Ding- zugehörigkeit der Perfonen, bezüglich deren man ein rechtliches Intereffe hat folche- zu kennen; Ladungen, dann Berufungen von Zeugen und Gefchwornen werden unter Umftänden hier vorge- nommen, die Namen von iEchtern oder Landesverwiefenen be-

1) Hdngrvaka, cap. 14, S. 77; Diplom, island., I, Nr. 117, S. 435. Maurer, lüluid. ^^

178 I>er Staat.

kannt gegeben, Schiedfprüche verkündet, Executlonsgerichte ange- fagt u. dgl. m. ; gefundenes Gut wird hier bekannt gegeben, aber allenfalls auch eine Herausforderung zum Zweikampfe, oder eine Einladung zu einem daftmahle erlaflen, wenn man derfelben die rechte Offenkundigkeit verfchaffen wollte u. dgl. m. Handelte es fich freilich um Erklärungen oder Aufforderungen, welche man an beftimmte einzelne Perfonen zu richten hatte, fo war zumeift: deren Abgabe am lögberg nicht gerade nöthig, und konnte man folche auch da vorbringen, wo man den Gegner zufallig traff, oder auch an deffen Schlafilelle in feiner Dingbude; aber auch in folchen Fällen ift nicht feiten wenigftens die Vorname am Ding vorge- fchrieben, wie z. B. bei der Uebertragung eines Godordes aus einer Hand in die andere, und zuweilen fogar ein beftimmter anderer Ort liir diefelbe vorgezeichnet, wie denn z. B. alle am Ding zu machenden Zahlungen am erften Mittwoche der Dingzeit * auf dem Kirchhofe erlegt werden muffen, welcher zu der auf der Dingftätte befind- lichen Kirche gehört, woraus fich denn auch erklärt, warum das in den Jahren 1195 1201 auf der Infel eingeführte Normalmafs gerade auf der Mauer diefer Kirche angebracht wurde. Dafs endlich die yereinigung einer grofsen Zahl der hervorragendften Perfönlich- keiten des ganzen Landes auf einem Punkte nicht umhin konnte zu gar mancherlei Abmachungen Veranlaffung zu geben , die an und für fich allerdings an jedem, anderen Orte ebenfogut hätten erfolgen können, verlieht fich von felbft ; es fehlt aber auch nicht an zahlreichen Belegen in den Gefchichtsquellen fiir Ehe- verbindungen, welche hier angeknüpft, Bündniffe, die hier gefchloffen, oder fonftige Verabredungen, welche hier getroffen wurden. Ein- facher als am Alldinge ftand die Sache an den Frühlingsdingen, aber doch vielfach änlich. Ein Gericht (domr) tritt auch hier auf, aus 36 Mitgliedern beftehend, von denen je 1 2 von jedem der 3 sam- |>ingisgoöar ernannt wurden; aber diefes Gericht war nicht in vcr- fchiedene Senate zerfallt, und hatte überdiefs als Obergericht nur die Viertelsgerichte am Alldinge über fich, zu denen es etwa in demfelben Verhältniffe (land, in welchem diefe letzteren zum 5. Ge- richte fich befanden. Ein einziges Mal wird von einer lögretta gefprochen, welche am Hegranessl)fnge zufammengetreten feil);

1) Grettla, cap. 82, S. 163. Dafs auch in Norwegen eine lögrMla aufserhalb des lögjiinges nicht vorkam," hat Ebbe Hertzberg, Grundlrrekkene, S. 114, bemerk l.

Der Staat. 179

aber in ihrer Erwähnung wird man einen ungenauen Sprachgebrauch erkennen muffen, welcher bei einer Quelle, die ihre derzeitige Geftalt jedenfalls erfl: nach dem Tode Sturla Jjöröarson's (f 1284) erhielt, in der That nicht auffallen kann. Allerdings wird auch an den Frühlingsdingen wenigftens infoweit gefetzgeberifche Thätigkeit ge- übt, als diefelben innerhalb gewiffer Grenzen ihre eigene Dingord- nung zu modificiren befugt find; aber nirgends werden die Formen angegeben, in welchen man fich dabei bewegte, und es ift demnach ebenfogut möglich, dafs die gefetzgebende Gewalt wie am nor- wegifchen lögl>inge mit der richterlichen vereinigt war, alfo dem domr zufland, als auch denkbar, dafs diefelbe, worauf die Aus- drucksweife der Quellen hinzudeuten fcheinen möchte, der Gefammt- heit der Dingleute überlaffen blieb. Jedenfalls ift die gerichtliche Thätigkeit für die Frühlingsdinge die Hauptfache; doch fteht änlich wie am Alldinge neben derfelben noch eine minder regelmäfsige und minder geordnete Thätigkeit der einzelnen Dingleute, für deren Bekanntmachungen, Aufforderungen u. dgl. am Frühlingsdinge der Dinghügel (|>fngbrekka) in derfelben Weife als der rechte Ort diente, wie am Alldinge der Gefetzesfelsen. Eigenthümlich ift aber den Frühlingsdingen noch, dafs bezüglich derfelben zwifchen einem söknart>fnge und einem skuldal^inge oder skuldamötc unterfchieden wurde. Auf das erftere, welchem allein die gericht- lichen, und wohl auch alle fonftigen politifchen Funftionen über- tragen waren, namen die gefetzlichen Vorfchriften über Zeit und Dauer des värl)ings allein Rückficht; das letztere dagegen, welches dem erfteren erft nachfolgte, und je nach Bedarf bald länger bald kürzer dauerte, jedoch immer fo abzuhalten war, dafs der auf den Donnerftag, mit welchem die achte Sommerwoche begann, fallende gefetzliche Zahltag (gjalddagi) innerhalb feines Bereiches war, diente lediglich der Abwickelung der Zahlgefchäfte, welche unter den Dinggenoffen abzumachen waren, und diente fomit ganz änlichen Zwecken wie die an unferen Meffen üblichen Zahltage. Die Vor- theile, welche die Feftfetzung von folchen durch die Ermöglichung eines ausgiebigen Scontrirens bot, wurden dabei fichcrlich nicht minder in's Auge gefafst, als der Gewinn an Zeit und Mühe, der fich durch die Vermeidung des Hin- und Herreifens von Gläubiger und Schuldner ergab; in einem Lande, deffen Ausdehnung und Unwegfamkeit das Reifen fehr erfchwert, während zugleich der Mangel an baarem Geld die auf Naturalleiftungen und Taufchver- kehr angewiefenen effectivcn Zahlungen doppelt fchwierig macht,

12

IgO Der Staat.

mufsten diefe Vortheile in der That fehr augenfällig fich aufdrängen. Ich bemerke übrigens, dafs man an einer einzelnen Dingllätte auf Island den Platz noch zu zeigen weifs, an welchem das skulda^fng vordem gehalten wurde. Auf einer mitten im Skjälfandafljot gele- legenen Infel, welche eben daher den Namen l»fngey trägt, wurde das t»^ngeyjarj)fng gehalten; hart neben ihr liegt aber eine zweite, kleinere Infel, welche Skuldat»fngsey heifst, und fomit in ihrem Namen noch di^ Erinnerung an den alten Gegenfatz des söknar- (linges und skuldat»fnges bewahrt. Bedeutend einfacher geftaltete fich die Organifation des Herbftdinges. Die Aufgabe des- felben belland zunächft nur darinn, denjenigen Leuten, welche das Allding nicht befucht hatten, von allen wichtigeren Angelegenheiten Nachricht zu geben, welche dafelbft verhandelt und entfchieden worden waren; dagegen wurde an demfelben weder gerichtliche noch gefetzgeberifche Thätigkeit geübt, und ift demnach auch weder von einer lögrfetta noch von einem domr an demfelben die Rede. Die vorzunemenden Bekanntmachungen erfolgten ihrerfeits von der tingbrekka oder irgend «einem anderen zu folchem Behufe ein- dir allemal beftimmten Platze aus, und foweit es fich um Mittheilungen officieller Art handelte, durch den Coden, welchem die Dinghegung zuftand, foferne nicht unter den säm^fngisgoöar eine andere Abrede getroffen war. Alle neuen Gefetze, welche am Alldinge erlaffen worden waren, mufsten in diefer Weife verkündigt werden; ebenfo der Jahreskalender mit feinen beweglichen Feften und F'aften, dann dem etwa einfallenden Schaltjahre oder ausnamsweife beliebten früheren Anfange des Alldinges, ja die Analogie des fchwedifchen Rechtsbrauches flihrt fogar zu der Vermuthung, dafs von den am Alldinge gehaltenen Rechtsvorträgen des Gefetzfprechers hier Mittheilung zu machen war. Weiterhin mufsten wohl auch alle am Alldinge verwilligten Gnaden und Privilegien, fowie alle hier er- folgten Verurtheilungen zur Acht oder Landesverweifung hier be- kanntgegeben werden, nur dafs man ihre Bekanntgabe den bei der- felben intereffirten Privaten überlafien zu haben fcheint. Neben diefen d^ leiö eigenthümlichen Bekanntmachungen kommen fodann noch andere vor, welche mit dem zunächft vorhergehenden Alldinge Nichts zu fchaffen haben, und welche an und für fich ebenfogut auch am Alldinge oder Frühlingsdinge erfolgen könnten; z. Th. entfcheiden dabei die Friften, innerhalb deren die eine oder andere Art von Bekanntmachungen zu erfolgen hat, darüber ob fie hier oder dort vorzunemen ift, z. Th. aber auch lediglich die Willkür

Der Staat. Jgl

deflen, dem deren Vorname obliegt. Endlich werden auch Afte der freiwilligen Gerichtsbarkeit hier vorgenommen, denen nur durch die Vorname am Ding eine befondere Offenkundigkeit verliehen werden foll oder will; Zahlungen werden hier geleiftet, und für folche die leiö allenfalls geradezu als Zahltermin verabredet; Be- rathungen über adminiftrative Angelegenheiten der Gegend werden hier gepflogen, u. dgl., ganz wie der zahlreiche Befuch der Ver- fammlung der Natur der Sache nach Solches mit fich bringt. Was alfo am Alldinge und Frühlingsdinge als Hauptaufgabe gilt, die Sorge nämlich für Recht und Gerechtigkeit, das fällt beim Herbft- dinge weg, und ift diefes auf Fun6lionen befchränkt, welche für jene erfteren Verfammlungen nur nebenfächlich find ; es erklärt fich hieraus, dafs die leiö, obwohl gefetzlich zu den 3. skap(>fng zählend, doch nicht eben feiten dem Alldinge und Frühlingsdinge als den eigentlichen Dingverfammlungen geradezu gegenübergeftellt, und ihnen gegenüber allenfalls auch als ein blofes mot bezeichnet wird. Wenn nun im Bisherigen, foweit es in engem Räume möglich ift, ein klares Bild der Dingordnung zu geben verfucht wurde, fo bleibt zum Schluffe noch übrig, der gewaltigen Kämpfe zu gedenken, welchen diefe Ordnung in nur allzu häufigen Fällen zu weichen hatte. Oft genug ift in den Gefchichtsquellen von ^fngadeildir, ^ing- deildir, ^ingdeilur die Rede, d. h. von grofsartigen Streitig- keiten, welche, fei es nun über Fragen des öffentlichen oder des Privatintereffes, am Dinge ausgefochten wurden, und bei angefehenen Häuptlingen find derartige Vorkommniffe fo fehr an der Tages- ordnung, dafs es geradezu als etwas Bemerkenswerthes berichtet wird, wenn ein folcher fich ausnamsweife, wie etwa der alte Ingi- mundr (»orsteinsson, von derartigen Confliften fernhielt. Handelt es fich um eine Rechtsfache, fo ftöfst oft genug bereits die Ladung des Gegners auf Widerftand; man fucht diefe darum allenfalls zu einer Zeit vorzunemen, da der Gegner vom Haufe abwefend ift, wie Lön - Einarr 1), oder verkleidet, wie Gunnarr von HUöarendi 2), oder mit einem möglichft zahlreichen bewaffneten Gefolge, wobei es dann freilich, wie zwifchen Snorri goöi und lUugi rauöi^), fchon

1) Landnäma, II, cap. 7, S. 84 (Hauksbök)*, vgl. Bdrbar s. Snsefellsäss, cap. 6, S. 13.

2) Njäla, cap. 21—23, S. 81—36.

3) Eyrbyggja, cap. 66, S. 103; vgl. den Auszug aus der Hei6arv{ga s., cap. 10, S. 301.

182 I^er Staat.

bei diefer Gelegenheit zu heftigen Kämpfen kommen kann. Es galt fchon als ein grofses Zugeftändnifs, wenn ein angefehener Mann erklärte, die in unanftöfsiger Weife vorzunemende Ladung eines feiner Angehörigen ruhig gefchehen laffen zu wollen l). Kam dann die Dingzeit heran, fo fuchte man gerne dem Gegner den Zutritt zur Dingftätte mit Gewalt ftreitig zu machen 2); die Klage, welche t»6rör gellir wegen der Blundketilsbrenna erhob, führte in Folge folcher Verfuche erft am t>^ngnesst>fnge, dann am Alldinge zu blutigen Kämpfen 3), und zwifchen Hafliöi Märsson und t^orgils Oddason weifs nur eben noch B. l*orläkr durch Androhung des Bannes den Ausbruch von folchen zu verhindern 4), dem ^orgeirr Ljösvetninga- goöi aber machen einmal feine eigenen Söhne mit gewaffneter Hand den Zutritt zum Herbftdinge ftreitig 5). Es kommt vor, dafs eine fchwächere Parthei, um den Gefahren folchen Widerftandcs zu entgehen, die mühfeligften Pfade durch das wüfte Innere der Infel wählt, um zum Alldinge zu gelangen 6), oder dafs fie, um das Aufbieten gröfserer Macht Seitens des Gegners zu verhindern, den eigenen Zuzug feinen Augen zu verbergen fucht^). War aber der Gegner erft glücklich zum Ding gekommen, fo konnte man immer- hin noch verfuchen, demfelben den Zutritt zum Gerichte zu ver- fperren, wie diefs Sämr dem Hrafnkell Freysgoöi, dann Snorri goöi dem t>orsteinn ^orgilsson gegenüber that^); Vfgaglümr freilich for- mirte dem ^örarinn l)örisson gegenüber im gleichen Falle feine Leute in Keilform, und fprengte, mit vorgeftreckten Speeren rafch auftürmend, glücklich die gegnerifchen Reihen 9). Stand man fich fodann bei Gericht gegenüber, fo konnte etwa noch, wenn für den einen oder anderen Streittheil alle Hoffnung auf ein obfiegliches Erkenntnifs, verfchwand, der Verfuch gewagt werden, das Gericht mit Gewalt zu fprengen (hleypa upp dominum), wogegen weder die gefetzlich vorgefehfene Verlegung des Gerichtes an einen ficherercn

1) Vatnsdcela, cap. 37, S. 60 1; Gunnars ^. l>iörandabana, S. 368.

2) Vgl. oben, S. 164.

3) tslendingabök, cap. 5, S. 8; Hsensajiöris s., cap; 13, S. 169, und cap. 14, S. 172; vgl. oben, S. 54.

4) Sturldnga, I, cap. 19—24, S. 34—44; Landnäma, Vi6b., S. 330. 6) Ljösvetnfnga s., cap. 2, S. 8.

6) Hrafnkels s., S. 11—12.

7) Ljösvetnfnga s., cap. 10, S. 29—80.

8) Hrafnkels s., S. 18; Eyrbyggja, cap. 56, S. 104—6.

9) Vigaglüma, cap. 24, S. 386—7.

Der Staat. 183

Ort, noch auch die gleichfalls vorgefehene BeftcUung von Gerichts- fchützern (domvöröslumenn) genügenden Schutz bot. Diefes Mittel fachten z. B. Hrafnkell F*reysgoöi am Alldinge, die Kjalleklingar am ^örsness^>lnge, die Hjaltasynir am Hegraness|>inge, ^orkell Geit- isson am Vöölu|»inge zu ergreifen l); die Klage gegen Hjalti Skeggjason wegen Gottesläfterung konnte erfl durchgeführt werden, nachdem man das Gericht auf der Brücke über die Oxarä nider- gefetzt hatte, und mit gewaffneter Hand deren Zugänge ver- theidigte (999) 2), und wenige Jahre fpäter (10 12) wurde gelegent- lich des durch die Njälsbrenna veranlafsten Procefles ein weiterer blutiger Kampf eröffnet, als die gerechte Sache wegen eines F'orm- fchlers verloren zu gehen drohte 3). Zu änlichen Gewaltfamkeiten führte der Conflift des Hafliöi Märson mit porgils Oddason am Alldinge des Jahres 11 20, und konnte nach dreimaligem vergeb- lichem Verfuche das Gericht erft dann ein Urtheil fprechen, als es fich an einen befefligten Ort zurückgezogen hattet), u. dgl. m. War aber der Sieg am Dinge glücklich erftritten, fo kam es erft noch darauf an, über den geächteten oder des Landes verwiefcncn Gegner in feiner Heimat das Executionsgericht zu halten, und auch dabei war wider von einem einigermafsen mächtigen Gegner be- waffneter Widerftand mit Sicherheit zu erwarten; die Abhaltung des feränsdoms gegen Hrafnkel goöi, der Verfuch feiner Haltung gegen j^orgils Oddason, dann gegen Onund l>orkelsson und l>orvarO t>orgeirsson, endlich auch gegen Klaeng Narfason zu Hrisey zeigt, zu welchen Gewaltthätigkeiten es auch bei diefer Gelegenheit wider kommen konnte &). Handelte es fich bei einem Rechtsftreitc um den Wunfeh ehrgeiziger Häuptlinge, ihre Kräfte einmal mit einander zu meffen, oder tratt vollends eine über den engen Rahmen eines Proceffes hinausgreifende Partheiung, fei es nun religiöfer oder po- litifcher Art zu Tage, wie diefs in älterer Zeit im Verlaufe der Bekehrung der Infel zum Chriftenthume, in fpäterer Zeit aber gele- gentlich der Verfuche der norwegifchen Könige, auf Island fich feft-

1) Hrafnkels s., S. 18; Eyrbyggja, cap. 17, S, 19—20; Laxdaila, cap. 81, S. 842; Ljösvelninga s., cap. 11, S. 81.

2) Kristni s., cap. 9, S. 16 17, u. dgl. m.; vgl. oben S. 77.

3) Njdla, cap. 146, S. 244 u. fgg.

4) Sturlünga, I, cap. 18, S. 30—1; Landndma, Vibb., S. 829—30.

5) Hrafnkels s., S. 19; Siurlünga, I, cap. 18, S. 32—4; III, cap. 11, S. 134—5; Vfgagldma, cap. 27, S. 393—4.

184 I>er Staat.

zufetzen, oft genug der Fall war, fo namen derartige Kämpfe unter Umftänden einen ganz aufserordehtlichen Grad von Heftigkeit an, wie denn z. B. von einem Kampfe, der im Jahre 1163 in der lögr^tta ftattfand, berichtet wird i), dafs die Leute fich mit Steinen bewarfen, die nach beendigtem Kampfe Keiner auch nur mehr zu heben vermochte; wefshalb diefer Sommer als grjötflaugarsumar, d. h. Felswerfungssommer, bezeichnet wurde. Gar mancher über- müthige Mann erklärte von Vornherein, wie die Goden Önundr t>orkelsson und torvarör torgeirsson einmal am Vöölutfnge thaten^), ihre Sache mit den Waffen in der Hand und nicht mit proceflua- lifchen Mitteln fuhren zu wollen, und für das in folchen Fällen nöthige Erfcheinen am Ding mit möglichfl zahlreicher Begleitung hat die Sprache fogar ihre eigenen technifchen Bezeichnungen (fjöl- menna til pfngs, hafa fjölmennt, hafa fjölmenni, u. dgl. m.); man fammelte fich, ehe es zum Treffen kam, feine Bundesgenoffen, und benam fich mit diefen von Vornherein ganz unverholen über die beim Ausbrechen des Kampfes einzunemende Stellung und zu be- obachtende Haltung 3). Es begreift fich, dafs die in der Nähe der Dingftätte gefeffenen Gefchlechter zumal an den Frühlingsdingen durch die Möglichkeit, durch ein rafches Aufgebot ihrer Dingleute, dann ihrer Verwandten und Freunde ' fich jeden Augenblick zu verftärken, vor fremden Streittheilen entfchieden im Vortheil waren, denen ja die verfchiedenften Zufälligkeiten, wie etwa ein Sturm, welcher das rechtzeitige Eintreffen der erwarteten Verftärkung ver- hinderte, oder der Untergang eines Schiffes, auf welchem diefe fich eingefchlfft hattet), ein gleich ftarkes Auftreten unmöglich machen konnten; man wählte aus diefem Grunde, foweit überhaupt eine Wahl ftatthaft war, das Ding an welchem man feine Rechtsfache anhängig machte, gerne gerade mit Rückficht auf folche Eventuah- täten aus 5), und als eine gewaltige, ganz ungewöhnliche Leifhing wird es gepriefen, wenn Jemand einen mächtigen und rückfichtslofen Gegner in einem fremden Landesviertel zur Verurtheilung zu bringen

1) Guömundar bps s., cap. 3, S. 412; Sturlünga, II, cap. 40, S. 110— U; Annälar, h. a.

2) Sturlünga, III, cap. 11, S. 134.

8) Vgl. z. B. Njäla, cap. 140, S. 227—8.

4) Eyrbyggja, cap.' 17, S. 19—20; Vfgaglüma, cap. 24, S. 386.

5) Vfgaglüma, cap. 24, S. 385—6.

Der Staat. 185

weifs 1). In der fpäteren Zeit zumal, welche ein bedauerliches Sinken der Achtung vor der Rechtsordnung zeigt, kümmerte fich in der Hitze der Leidenfchaft nicht leicht Jemand um den Dingfrieden, foferne es nicht etwa galt, durch die Berufung auf ihn einem Kampfe mit einem allzu überlegenen Gegner auszuweichen, für welche Scheinheiligkeit ein dem Alldinge des Jahres 1120 ange- höriger Vorfall einen fchauerlichen Beleg giebt^). Dagegen kommt allerdings vor, dafs unbetheiligte Dritte um den Dingfrieden fich annemen, ganz wie folche allenfalls auch fern vom Dinge gelegent- lich für den gemeinen Landfrieden eintreten, indem fie hier wie dort durch die Drohung eigenen bewaffneten Einfehreitens den ftreitenden Theilen den Frieden, oder auch irgendwelchen Vergleich aufzwingen, oder auch durch blofes begütigendes Zufprechen, dann auch Bedrohung mit kirchlichen Zuchtmitteln das gleiche Ziel er- reichen. Gewaltfam legt fich z. B. am Hegraness^nge Arnörr kerlfngarnef in's Mittel als ^orvaldr Hjaltason und Gu&dala-Starri den Bolli BoUason vergewaltigen wollen 3); am t)örsnessl>fnge legen fich einmal die Skögstrendingar, dann l)6rör gellir zwifchen den törsnesfngar und Kjalleklfngar in's Mittel, und ein andermal Snorri goöi nebft anderen Dinggenoffen zwifchen Illugi svarti und ^orgrim Kjallaksson, ein drittes Mal endlich beiderfeitige Freunde zwifchen Snorri goöi und {lorsteinn von Rauöimelr 4). Als die Verfolgung der Njillsbrenna zu einem blutigen Kampfe am Alldinge führt, erzwingt zunächft Snorri goöi im Bunde mit dem Gefetzfprecher Skapti und dem mächtigen Sföu-Hall einen Waffenftillftand, und da der letztere fi^fort fich erbietet, auf jede Bufse für feinen eigenen im Gefechte gefallenen Sohn zu verzichten, wird in dankbarer Anerkennung folchen Edelmuthes fofort auch ein endgültiger Frieden mit der überwiegenden Mehrheit der Klagsparthei erzielt 5). Durch ein än- liches hochherziges Anerbieten fetzte ^orgeirr Hallason im Jahre 1 163 durch, dafs man friedlich vom Dinge gieng 6). Zwifchen Hafliöi Märsson und torgils Oddason erzwang einmal B. l>orläkr Runölfsson

1) Laxdaela, cap. 82, S. 344; vgl. cap. 81, S. 840—2. Vergleiche auch f slendingabök, cap. 5, S. 8, und oben, S. 64.

2) Sturlünga, I, cap. 17, S. 28—80. 8} Laxdaela, cap. 81, S. 842.

4) Eyrbyggj a, cap. 9—10, S. 10—11; cap. 17, S. 19—20; cap. 66, S. 104—5.

5) Njäla, cap. 146, S. 246—61.

6) Guftmundar s., cap. 8, S. 412; vgl. oben, S. 184, Anm. 1.

186 Der Staat.

friedliches Verhalten, indem er Beide tür den Weigerungsfall mit dem Banne bedrohte!), und durch das gleiche Mittel erreichte im Jahre 1 242 auch B. Sigvarör das gleiche Ziel, als Gizurr jjorvaldsson von Uraekja Snorrason in Skälholt felbft angegriffen wurdet); am Vöölu^nge aber wird wider einmal ein ausbrechender Kampf durch das energifche Einfehreiten des Guömundr dyri verhindert 3), u. dgl. ni. So unruhig gieng es gelegentlich bei den Dingverfammlungen zu, dafs der ebengenannte Guömundr dyri das Vöölu^fng einmal förm- lich abfchaffen liefs, weil dafelbft fo gewaltige Kämpfe erhoben zu werden pflegten, wie fie fonft nur am Alldinge vorkamen^), und dafs fogar fchon nahezu um zwei Jahrhunderte früher einmal aus ganz änlichen Gründen das Sunnudalsl)ing im Oftlande von den Bauern befeitigt wurdet). Nun wird man freilich nicht aufser Acht laffen dürfen, dafs Vorkommniffe der eben göfchilderten Art keines- wegs die Regel bildeten. Gewöhnliche Rechtsfachen gewöhnlicher Menfchen wurden ficherlich der Regel nach vollkommen ordnungs- mäfsig erledigt, und nur dann, wenn ungewöhnlich fclbftwillige Naturen, oder wenn die mächtigeren Häuptlinge des Landes anein- ander geriethen, wobei dann der Ehrgeiz mit in*s Spiel kam, einem Nebenbuhler unter allen Umftänden kräftigen Widerpart zu halten, nur dann konnte es zu fo wilden Auftritten kommen, wie fie die Gefchichtsquellen mit fichtlichem Intereffe und mit leicht be- greiflicher Vorliebe uns fchilderi). Immerhin gehören indeffen auch diefe Ausbrüche der leidenfchaftlichen Unbotmäfsigkeit gegen jede ftaatliche Zucht und Ordnung mit zu einem voUftändigen Bilde des bunten Treibens an den isländifchen Dingverfammlungen, und allzu feiten können diefelben überdiefs bei der übergrofsen Zahl von Be- legen nicht gewefen fein, welche die Quellen an die Hand geben; fie laffen uns ferner fehr deutlich den Punkt erkennen, welcher die fchwächfte Stelle der altisländifchen Verfaffung bildet, den Mangel nämlich jeder kräftigen Executivgewalt an der Spitze des Gefammt- ftaates. Eine nähere Betrachtung der Stellung, welche rechtlich und thatfächlich den Häuptlingen des Landes eingeräumt war, wird diefen Mangel fofort in ein noch helleres Licht fetzen.

1) Sturlünga, I, cap. 24, S. 43.

2) Ebenda, VI, cap. 36, S. 251—2.

3) Ebenda, III, cap. 11, S. 134.

4) Ebenda, cap. 13, S. 140.

5) VopnfirÖinga s., S. 22.

Der Staat. 187

Zweierlei Häuptlinge greifen, fei es nun an den Dingverfamm- lungen oder auch aufserhalb derfelben, in das Staatsleben der Infel beftimmend ein, die Coden nämlich und die Gefetzfprecher. Was nun zunächft das goöorö betrifft, fo ift deffen eigenthümliche ver- mögensrechtliche Behandlung fchon früher widerholt befprochcn worden 1), und foU darum auf diefen Punkt hier nicht weiter einge- gangen werden, fo leicht es auch wäre die Gefchichte einzelner Godorde, wie z. B. des l)6rsnesfnga- oder Snorrüngagoöorös , des Hvammsverja- und fpäteren ^6rsnesingago3orös, des Reyknesfnga-, SvinfelHnga-, Oddaverjagoöorös u. dgl. m., fammt ihrem theils erb- weifen, theils kaufs- oder fchenkungsweifen Uebergange aus einer Hand in die andere zu verfolgen, oder aus den Rechtsquellen eine Reihe von Beftimmungen zufammenzuflellen, welche die Veräufserung von Godorden nach den für die Veräufserung liegender Güter geltenden Grundfätzen behandelt zeigen. Dagegen ift allerdings darauf noch aufmerkfam zu machen, dafs diefe privatrechtliche Behandlung der Würde eben nur auf die Succeffion in diefelbe fich befchränkt, wogegen deren ftaatsrechtlicher Charakter sofort zu Tage tritt, fowie es fich um die Ausübung der in derfelben begriffenen Rechte und Pflichten, dann um die Beziehungen handelt, welche den Goden mit feinen Untergebenen verknüpfen. Der beiderfeitig freiftehenden Kündbarkeit des Verbandes ift oben ebenfalls bereits gedacht worden 2), und es ift klar, dafs fchon in ihr ein kräftiges Cor- reftiv gegen eine allzu einfeitige Ausbeutung der privatrechtlichen Auffaffung der Würde gelegen war ; daneben aber fpricht das Zehnt- gefetz, indem es beftimnrit, dafs das Godord nicht wie anderer Befitz zur Verzehntung heranzuziehen fei, klar und unumwunden den Satz aus, dafs diefes eine Regierungsgewalt fei, und kein Vcr- mögensobje£l3), und macht fich auch in einer langen Reihe ander- weitiger Beftimmungen der gleiche Gefichtspunkt geltend. Einmal nämlich wird für alle diejenigen Fälle, da der Inhaber eines Godordes zur perfönlichen Ausübung der mit demfelben verbundenen Rechte und Pflichten unfähig ift, für deffen Vertretung in der Führung der Würde geforgt, und zwar galt dabei ein für allemal die Regel, dafs zwar der Inhaber der Würde es war, der für die Wahl des Ver-

1) Oben, S. 89—47 und S. 99—107.

2) Vgl.. S. 158—9.

3) veldi er pat enn eigi ft, Kgsbk, § 255, S. 206.; KrR. hinn gamli, cap. 86, S. 142.

188 Der Staat.

treters zu forgen hatte, aber dafs diefer letztere immer nur aus der Zahl der Angehörigen des betr. Godordes felbft zu entnemen war. So wurde es gehalten, wenn der Gode durch Krankheit, durch eine Reife aufser Lands cxler auch nur aufserhalb feines Landesviertels, dann durch die Wahl feines Domiciles im Haufe eines fremdefl Dingmannes i) an der perfönlichen Ausübung feiner Würde verhindert war; fo aber auch, wenn ein Godord im Erbgange einem Weibe oder einem unmündigen Knaben zufiel, deffen Vormund nicht felber in der Lage war dasfelbe führen zu können. Die ältere Zeit fchdnt für den zuletzt genannten Fall den Dingleuten die Befugnifs einge- räumt zu haben, für die Dauer der Unmündigkeit des Goden iiir deffen Vertretung zu forgen 2); die fpätere Zeit dagegen geftattete ihnen nur noch die Wahl eines proviforifchen Vertreters unter der Voraussetzung, dafs der Tod des bisherigen Inhabers der Würde allzu kurz vor einer Dingverfammlung eintraff, als dafs fich die Berufung zur Führung derfelben noch rechtzeitig in definitiver Weife hätte ordnen laffen^). Weiterhin follte aber auch, wenn ein Godord mehreren Perfonen gemeinfam gehörte, in deffen Führung von Jahr zu Jahr abgewechfelt werden*) ; da wir in älteren Quellen gelegentlich nicht nur von einer Theilung der Einkünfte und Laden, fondem auch der Dingleute unter die Miteigenthümer des Godordes ge- fprochen fehen 5), mag fein, dafs fich jener Wechfel in der Führung der Würde nur auf die Ausübung der mit der Dingverfaffung zu- fammenhängenden Befugniffe bezogen habe. Uebrigens war dem Goden auch dann, wenn ihm die perfönliche Ausübung feiner Rechte nicht unmöglich, vielmehr nur nicht bequem oder nicht räthlich erfchien, unbenommen fich in derfelben vertreten zu laffen, fei es nun dafs er nur beftimmte einzelne Funftionen, wie z. B. die Theil- name am Auszuge der Richter oder die Abhaltung eines feränsdoms, oder dafs er die gefammte Ausübung der mit der Würde verbundenen Rechte und Pflichten für eine einzelne Dingverfammlung auf einen Anderen übertragen wollte; in allen diefen Fällen fprach man von einem »fara meö goöorö«, und in allen galt wohl auch der Satz,

1) Vgl. oben, S. 159.

2) Vatnsdaela, cap. 41 und 42, S. 67.

8) So glaube ich wenigftens die etwas dunkeln Angaben der Kgsbk, § 84, S. 142 verflehen zu follen.

4) Kgsbk, i 84, S. 141.

5) Eyrbyggja, cap. 10 S. 12; Landnäma, I, cap. 21, S. 64.

Der Staat. ]^gg

dafs der Vertreter Dingmann des von ihm vertretenen Coden fein mufste. Noch deutlicher als in den bisher befprochenen Beftimmungen tritt aber der öffentliche Charakter des Godordes <larinn zu Tage, dafs das Recht eine Reihe von Verfäumniffen , welche fich deffen Inhaber etwa zu Schulden kommen läfst, nicht nur mit Geldftrafen, fondem fogar mit dem Verlufle der Würde felbft bedroht, und dafs es fodann vorkommendenfalls diese nicht etwa als erledigt auf den Erben des Schuldigen übergehen läfst, fondem einfach als ver- wirkt behandelt. Der Widerftreit alfo einer ftaatsrechtlichen und einer privatflirftenrechtlichen Seite war im isländifchen Godorde ebenfogut vorhanden wie im Fürftenthume und Königthume anderer germanifcher Stämme, und wenn zwar die letztere etwas anders und fchärfer noch ausgeprägt war als anderwärts, fo war darum doch auch die erftere mit aller Beftimmtheit zu ihrer Geltung ge- langt. Was fodann den Inhalt des Godordes, d. h. die in dem- felben begriffenen Rechte und Pflichten betrifft, fo beziehen fich diefe, um zunächd einem in den Quellen mehrfach auftretenden Sprachgebrauche zu folgen, theils auf die h^raösstjörn, theils auf die landsstjörn, d. h. auf die Regierung theils des lindes im Ganzen, theils feiner einzelnen Bezirke; fie werden ferner theils vom Goden in feiner Heimat und für fich allein, oder doch höchflens unter Mitwirkung feiner eigenen Dingleute ausgeübt, theils aber flehen fie mit der Dingverfaffung in Zufammenhang , und werden dann auch wohl von mehreren Goden gemeinfam gehandhabt. Am Alldinge zunächft fehen wir die Inhaber der alten Godorde in der lögrfetta fitzen, und neben dem Gefetzfprecher und den beiden Landesbifchöfen in ihr allein eine befchliefsende Stimme fuhren; die gefammte Gefetzgebung des Landes einfchliefslich der Verwilligung von Privilegien und Gnaden, dann aber auch die Befchlufsfaffung in wichtigeren , das gefammte Land betreffenden politifchen und adminiflrativen Fragen, lag voll hier aus. ganz allein in ihrer Hand. In den fjöröungsdomar, dann im fimtardöme haben die Goden dagegen keinen Sitz; aber die Mitglieder diefer Richtercollegien haben fie frei zu ernennen, und zwar fo, dafs diefe Ernennung bei den Viertelsgerichten nur von den 39 Goden älterer Ordnung ausgeht, wogegen an der Befetzung des fünften Gerichtes auch die Goden neuerer Ordnung Antheil nemen. In ähnlicher Weife fleht auch am Frühlingsdinge die Ernennung der Richter den drei sam- |>ingisgoöar zu, wogegen fich nicht mit Sicherheit erkennen läfst, wieweit ihr Antheil an der diefen Verfammlungen zuftehenden

190 ^^er Staat.

ftatutarifchen Gefetzgebung reichte; die fämmtlichen Dinggerichte, mit einziger Ausname des Prieftergerichtes, wurden demnach unter ihrer Autorität gehalten, wie fich diefs auch in einer Reihe von Förmlichkeiten ausfprach, wogegen allerdings eine Leitung der Ge- richtsverhandlungen, wie folche dem deutfchen Richter zuftand, den Coden vollftändig vertagt war. Nur durch ihr Recht, die Verhand- lungen vor einem incompetenten Gerichte durch Erhebung eines förmlichen Proteftes (goöalyrittr) zu verbieten, dann durch ihren Beruf, unter Umfländen mit 1 1 felbftgewählten Dingleuten einen Wahrfpruch (godakviör, tolftarkviör) über ft reitige Thatfachen zu erbringen , greifen fie allenfalls in den Gang der Gerichtsver- handlungen ein; beide Inftitute gehören aber lediglich der Procefs- gefchichte an, und find politifch fo gut wie ohne alle Bedeutung. Neben diefen von allen am Dinge betheiligten Goden gleichmäfsig ausgeübten Rechten ftehen fodann noch einige andere, weniger bedeutfame, welche ausfchliefslich dem Inhaber eines beftimmten einzelnen Godordes zubanden. Dahin gehört das Recht der Ding- hegung, welches, wie oben bereits bemerkt ^), am Alldinge dem alsherjargoöi , und an jedem Frühlings- und Herbftdinge gleichfalls dem Träger eines ein für allemal beftimmten Godordes zuftand; an dasfelbe knüpfte fich aber auch Recjit und Pflicht der Verkündig- ung der am Alldingc erlaflenen Gefetze, des Jahreskalenders, u. dgl. m. am Herbftdinge. Bezüglich jener erfteren Clafle von Rechten ift übrigens zu beachten, dafs die drei zu einer |»ings6kn gehörigen saml)ingisgoÖar, zumal auch am Alldinge, je nach Bedarf und Umftänden einander auszuhelfen, oder auch für einander ein- zutreten berufen find, während eine analoge engere Verbindung unter den neun oder zwölf einem und demfelben Landesviertel angehörigen Häuptlingen nur ganz vereinzelt fich hin und wider geltend macht 2j; nur infoweit als ausnamsweife Frühlings- und Herbftdinge vorkamen, welche voh einzelnen Goden für fich ge- halten wurden, fällt natürlich jede derartige Verbindung weg. Wie- weit aber die bisher befprochenen Rechte auf die h^raösstjöm oder landsstjörn fich beziehen, ift lediglich dadurch bedingt, wieweit es fich bei denfelben um die Leitung des Alldinges, oder aber um die Leitung der Frühlingsdinge und . Herbftdinge bandle. Fafst

1) Siehe oben, S. 167.

2) Kgsbk, ^ 41, S. 72 und § 116, S. 2(8.

Der Staat. 191

man aber dem gegenüber die Rechte und Pflichten ins Auge, welche dem Coden aufserhalb der Dingverfammlungen oblagen, fo fallen diefe fammt und fonders dem Bereiche der heraösstjorn an- heim, während fie fammt und fonders dem Coden für fich allein oblagen, oder doch höchftens ein Zufammenwirken desfelben mit feinen eigenen 'Dingleuten oder Nachbarn vorausfetzten ; über diefe Rechte und Pflichten gehörig ins Klare zu kommen, ift aber fchwer, da unfere Rechtsbücher ebenfo fchweigfam find über die inneren Verhältniffe der einzelnen Codorde, als mittheilfam über alle und jede auf die Dingverfammlungen bezüglichen Vorfchriften, fo dafs unfere Kenntnifs jener erfteren faft ausfchliefslich aus vereinzelten Angaben der Cefchichtsquellen zufammengetragen werden mufs. Klar ift zunächft, dafs die Tempelpflege und die Leitung des Opferdienftes, fammt allen fonftigen religiöfen Funftionen, welche etwa fonft noch dem Codorde in der heidnifchen Zeit angeklebt hatten, mit dem Uebertritte des Volkes zum Chriftenthume weg- fielen, ohne dafs für diefelben irgend welcher Erfatz eingetreten wäre. Allerdings kam es oft genug vor, dafs angefehene Häupt- linge die Priefterweihe namen, und neben ihrer weltlichen Würde auch den Cottesdienft in ihren eigenen Kirchen verfahen; allein folche Männer vereinigten dann eben eine zweifache Stellung in ihrer Perfon, ohne dafs diefe rein zufällige Verbindung zweier ganz getrennter Funftionen irgend welche rechtliche Bedeutung für die eine oder andere von ihnen gehabt hätte. Sehr mangelhaft unter- richtet find wir dagegen hinfichtlich der richterlichen, und der mit diefer Engftens verbundenen legislativen Cewalt der Coden. Das freilich kann nicht dem mindeften Zweifel unterliegen, dafs das vnefna döma ä t><ngum ok styra sakferli« von Anfang an zu deren wefentlichften Rechten gehört hatte; um fo fraglicher erfcheint da- gegen, wieweit diefe ihre Berechtigung feit der Einführung des All- dinges und der Ordnung der Bezirksverfaffung noch von ihnen als Einzelnen ausgeübt werden konnte, oder aber als eine fortan nur noch gemeinfam auszuübende auf die Cefammtheit der Coden des ganzen Landes, beziehungsweife der drei saml>fngisgoöar jeder ein- zelnen |>ingsökn übergegangen war. Von Vornherein erfcheint es wenig wahrfcheinlich, dafs die Coden, welche vor der Einfetzung des Alldinges und der Ordnung der Bezirksverfaffung die Cefetz- gebung und Rechtspflege mit ihren Dingleuten völlig felbftherrlich gehandhabt hatten, fich fofort diefes Rechtes zu Cunften der neu- gefchaffenen Dingverfammlungen voUftändig foUten begeben haben;

192 Der Staat.

kaum erklärlich femer, dafs aufserhalb diefer Verfammlungen von ihnen in richterlicher wie legislativer Beziehung gar keine Thätigkeit geübt worden fein foUte, während doch die Gemeindeverfammlungen fowohl als die Privatgerichte bei ihrer eng begrenzten Competenz unmöglich dem hiemach fich ergebenden Mangel aller ftaatlichen Gefetzgebung und Gerichtsbarkeit während voller zehn Monate im Jahre abzuhelfen vermochten. Höchfl auiiallig möchte auch er- fcheinen, wenn zwar die Godorde neuerer Ordnung, dann die früher oder fpäter aus ihren Dingverbänden ausgefchiedenen Godorde ihre eigenen Dingilätten für fleh gehabt haben follten, aber den übrigen, und fo zu fagen regelmäfsigen Godorden die gleiche Einrichtung völlig gefehlt haben foUte. Endlich laflen fleh auch einzelne pofi- tive Quellenangaben nachweifen , welche jene aus inneren Gründen entnommene Bedenken zu untedlützen fcheinen. Es wird uns ge- legentlich von autonomen Rechtsfatzungen berichtet, welche von beftimmten einzelnen Coden liir beftimmte einzelne Bezirke unter Mitwirkung der Eingefeflenen erlaffen wurden i); anderemale wird von einzelnen Häuptlingen erzählt, wie fle im Lande hemmreifen, um die Angelegenheiten, und zumal die Rechtsfachen ihrer Bezirke zu ordnen, oder auch über die Bezirksintereflen Berathungen zu pflegen 2); endlich wird auch gelegentlich von Dingftätten und Zu- fammenkünften gefprochen, die fleh kaum anders als auf Verfamm- lungen deuten laflen, welche einzelne Goden mit ihren Dingleuten hielten. Schon frühzeitig ifl: von einer Dingftätte im Svarfaöardalc die Rede 3); von lögmöt und lögfundir wird in einer Weife gefprochen, welche kaum blos auf die Dingverfammlungen bezogen werden kann^); ja man zeigt fogar vielfach auf der Infel heutigen Tages noch Oertlichkeiten, welche theils durch ihre Namen, theils aber auch durch Ueberrefte von Gerichtsringen und Budenwänden als alte Dingftätten fleh ausweifen follen. Mir felber wurde eine foge- nannte lögr^tta bei Hvammr in der Hvammssveit, dann eine an- gebliche Dingftätte am EUiöavatn bei Reykjavik gezeigt; eine ziemliche Anzahl ähnlicher Nachweife hat ferner Brynjölfr Jönsson für das Rangär^ing und Ärness^ng zufammengeftellt , um daraus

1) Heiöarvfga s., cap. 7, S. 289 (Jun Olafsson's Auszug]; dann cap. 12, S. 310 und cap. 24, S. 344—6; Diplom, island., I, Nr. 137, S. 536—7.

2) Vgl. z. B. Ljösvetnf nga s., cap. 6, S. 17; Droplaugarsona s., S. 27.

3) Svarfdoela cap. 10, S. 137.

4) YalusdKla, cap. 27, S. 43: cap. 87, S. ßO, u. dgl. m.

Der Staat. 193

feine Schlüffe auf die ältefte Eintheilung diefer Gegenden zu ziehen l). So fcheinbar indeflen alle diefe Erwägungen ausfehen, fo wenig vermag ich mich doch von ihnen überzeugen zu laflen. Wie wenig zunächft auf erhaltene Budenrefte, Gerichtsringe, Ortsnamen zu geben ift, läfst fich fchon daraus erfehen, dafs öfters von lögr^ttur die Rede ift, während doch eine lögretta nur am Alldinge vorkam, wenn wir von einer einzigen ziemlich verdächtigen Erwähnung einer folchen an einem Frühlingsdinge abfehen^); Ueberlieferungen, welche aus weit jüngeren Zeiten ftammen, werden eben auf Island gar vielfach mit blofen Vermuthungen zufammengeworfen, welche ihrer- feits wider auf misverftändliche Auffaflung der alten fchriftlichen Denk- mähler oder fdbft auf offenbare fprachliche Irrthümer fich gründen, wie denn z. B. eine Verwechslung der lögretta mit der lögrett, d. h. einer nach gefetzlicher Vorfchrift eingerichteten Umzäunung für das Vieh, bei derartigen Angaben mehrfach eine Rolle fpielen dürfte. Die angebliche Dingftätte im Svarfaöardale beruht nur auf dem Berichte einer höchft verdächtigen Quelle, und die Nachrichten über anderweitige Zufammenkünfte fowohl als über die Rundreifen der Coden deuten mit keiner Sylbe an, dafs diefe Zwecken der Rechts- pflege im eigentlichen Sinne gewidmet, und nicht etwa blos admini- ftrativen Aufgaben oder Vergleichsverhandlungen zu dienen berufen waren, wie dergleichen unten noch für eine Reihe von Fällen wirklich nachgewiefen werden wird ; die Angaben endlich über autonome Rechtsfatzungen, deren oben Erwähnung gethan wurde, weifen nicht auf deren Entftehung aus irgend welcher mit den Godorden als folchen zufammenhängenden gefetzgebenden Gewalt zurück, fondern vielmehr auf deren Begründung auf Verabredungen, welche in weiteren, mehr oder minder local begrenzten K reifen getroffen wurden, und bei welchen demgemäfs allenfalls auch mehrere Goden gleichzeitig betheiligt waren. Laffen uns hiernach alle pofitiven Quellenzeugniffe bei näherer Betrachtung im Stiche, fo wird es doppelt bedenklich, den blos aus inneren Gründen abgeleiteten Folgerungen ein entfcheidendes Gewicht einzuräumen, da bei der grofsen Ausführlichkeit und Zahl der Gefchichtswerke fowohl als der Rechtsbücher kaum denkbar ift, dafs von einer wirklich ge- übten legislativen und judiciellen Thätigkeit der Goden weder in

1) In der oben, S. 167, Anm. G, angeführten Schrift, S. 75—78.

2) Siehe oben S. 178, Anm. 1.

Maurer, iMland. 13

194 t)er Staat.

diefen noch in jenen irgend eine fiebere Spur zu finden fein follte, und wird man fich demnach wohl zu der Anname entfchliefsen müflen, dafs die Coden im Jahre 965 wirklich auf ihre Gewalt in beiden Richtungen zu Gunften der neu begründeten Dingverbände voUftändigen Verzicht geleiftet haben, und fomit von der ange- gebenen Zeit ab ohne alle beftimmt abgegrenzte Competenz nur noch durch Erzielung von Abreden, Vergleichen, Schiedsfprüchen für die Intereffen der Rechtspflege thätig geworden find. Ungleich beftimmtere Nachrichten haben wir dagegen über die ad mini- ftrative Bedeutung der Godenwürde. Vor Allem fehen wir den Schutz der Rechtsordnung in die Hand der Goden gelegt. Sie fuchen demnach, wenn ernfthafte Streitigkeiten unter ihren Dingleuten oder deren Nachbarn ausbrechen, diefe durch gütliche Vermittlung beizulegen, wie diefs Einarr ^verseringr einmal geradezu als zur hferaösstjorn gehörig bezeichnet ^), und fie fcheuen felbft weitere Reifen nicht, wenn es gilt, einen Vergleich für ihre Angehörigen zu erzielen 2). Ift bereits ein offener Kampf ausgebrochen, fo werfen fie fich auch wohl mit gewaffneter Hand zwifchen die ftreitenden Theile, um fie gewaltfam auseinander zu bringen, und dafs man auch ein derartiges Einfehreiten geradezu von ihnen erwartete, fpricht fich darinn aus, dafs den Valla-Ljot einmal einer feiner Bauern unter Berufung auf die Verpflichtung, welche ihm feine Würde auferlege, dazu auffordert 3). Nemen in einer Gegend gemeine Ver- brechen, zumal Diebftähle oder Räubereien überhand, fo wendet man fich an den Goden mit der Bitte um Abhülfe, und diefer erkennt feine Verpflichtung an, feinen Bezirk zu reinigen (hreinsa hferaö^). So gehen beifpielsweife die Vatnsdaelir auf Anfuchen ihrer Bauern gegen t»6rölf heljarskinn und feine Genoffen vor, welcher als ein übler Dieb und zugleich als ein Menfchenopferer galt ; es wird ihnen als eine der ganzen Gegend er\fiefene Wohlthat (heraösböt) angerechnet, dafs fie denfelben aus dem Wege räumen 5). Nachdem viele unerklärliche Diebdähle auf Reykjanes vorgekommen waren, ordnete lUugi Arason fammt feinem Bruder t>orgils eine allgemeine Hausfuchung an, und nachdem deren Ergebnifs durch ein auf der

1) Vigaglüma, cap. 20, S. 872—8.

2) Droplaugarsona s., S. 27.

8) Laxdaela, cap. 87, S. 868—60.

4) Sturlünga, HI, cap. 12, S. 186—7.

5) Vatns(la-la, cap. 80, S. 49—61.

Der Staat. 195

Folter erzwungenes Geftändnifs des Schuldigen beftätigt worden war, machen fie fich allen Ernftes darüber, diefen zu hängen i). Den Grettir Äsmundarson nemen freilich die Bauern im tsafjörör wegen der Räubereien, die er als geächteter Mann verübt hat, auf eigene Fauft hin gefangen, und wollen ihn hängen j aber auch in diefem Falle zeigt der weitere Verlauf der Sache, dafs es eigent- lich Sache des Coden war, die mafsgebenden Schritte zu thun2). Wider ein anderes Mal nimmt Jon Ketilsson, der FljötamannagoCi, auf Anfordern feiner Dingleute einen vielfacher Räubereien und Diebereien verdächtigen Mann gefangen, .und läfst ihn enthaupten 3), u. dgl. m. Dabei pflegt man es nun freilich mit der Rechtsfbrm- lichkeit des Verfahrens keineswegs genau zu nemen und es kann darum, wofür der zuletzt angeführte Fall als Beleg dienen mag, recht wohl vorkommen, dafs hinterher die verfugte Hinrichtung als eine unerlaubte Gewaltthat felbfl wider gerichtlich verfolgt wird ,• immerhin aber handelte es fich felbft in derartigen Fällen doch nur um einen Excefs in der Handhabung einer an und für fich voll- kommen legitimen Polizeigewalt und von den Dingleuten ihrerfeits fcheint eine folche Ueberfchreitung fogar ungleich lieber gefehen worden zu fein als allzugrofse Schlafliheit in der Aufrechthaltung der Rechtsordnung. In gewiffer Weife war ferner dem Goden auch die Vollflreckung der gerichtlichen Urtheile überwiefen. Das islän- difche Recht kennt, anders als das norwegifche, keine dire6le Execution von Urtheilen, die auf Geld und Gut, oder auch auf Geldbufsen lauteten; dagegen ftellt es deren Nichterfüllung unter den Gefichtspunkt des Friedensbruches, und gewährt fomit dem Gegner eine Klage »um dömrof«, d. h. Misachtung des Urtheils, welche ihrerfeits fofort auf Acht oder Landesverweifung geht. Wo immer aber eine folche zu verwirklichen ift, möge diefelbe nun durch Urtheil, Schiedfpruch oder Vergleich verhängt fein, da mufs ein Executionsgericht (f^ränsdomr) gehalten werden, in welchem ein Gode die Leitung hat. Nach unferen Rechtsbüchern ift es der Code des Verurtheilten, welcher 14 Tage nach dem Schludc des Dings, an welchem die Verurtheilung erfolgt war, das Gericht bei der Wohnftätte des Verurtheilten zu halten hatte, und nur fiir

1) Föstbraöra s., I, cap. 18, S. 45—6; ü, cap. 8, S. 68—9.

2) Ebenda, I, cap. 1, S. 8—4; Grettla, cap. 62, S. 117—22.

3) Slurlünga, ang. O.

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196 J^er Staat.

den Fall, da man ihn nicht ermitteln kann, foU ftatt feiner der Gode des obfiegenden Theiles eintreten ; doch befchränkt fich die Thätigkeit des einen wie des anderen wefentlich auf die Ernennung der 12 Richter, welche das Gericht bildeten, fowie allenfalls auf den ihnen zu gewährenden bewaffneten Schutz, wogegen die eigent- liche Aufgabe des Gerichts, die Liquidation nämlich des Vermögens des Verurtheilten, dann die Feftftellung des einem Landesver- wiefenen vorbehaltenen Mafses von Rechtsfchutz, von diefem felbft mit Rückficht auf die Directiven beforgt wurde, welche die betheiligten Privatperfonen demfelben gaben. Widerum ift es die Fremden- und Handelspolizei, welche von den Goden geführt wird, und die ihnen in diefer Beziehung eingeräumten Rechte reichen fehr weit. Kam ein fremdes Schiff an, fo ritt ganz regelmäfsig der nächftwohnende Gode zu demfelben hin, um den Preis zu beftimmen, welcher für die von ihm geführten Waaren gelten follte (leggja lag ä varning). Ging Alles freundlich ab, fo boten die Kaufieute dem Goden die Vorwahl an unter ihren Waaren, wie fie auch ihm die wichtigeren Nachrichten zuerft zu erzählen pflegten, von denen fie zu berichten wufsten; er feinerfeits aber lud den Schiffsherrn mit feinen vornemflen Genoffen ein, in feinem eigenen Haufe Quartier zu nemen, indem er zugleich für die Unterkunft des übrigen Schiffs- volkes Fürforge traff. In ungünfligen Jahren fetzte er allenfalls auch die Bezahlung fefl, um welche die Bauern den Schiffsleutcn Aufname gewähren foUten^), wogegen für gewöhnlich die Einigung über die Aufnamsbedingungen der freien Willkür der Betheiligten überlaffen geblieben zu fein fcheint. Will fich nun aber, wie es hin und wider vorkommt, der Schiffsherr den Anordnungen des Goden nicht fugen, und zumal deffen Taxirung feiner Waaren fich nicht gefallen laffen, fo pflegt diefer jeden Verkehr mit demfelben zu unterfagen (banna), was dann felbflverfländlich die Fremden zumeifl in die gröfste Verlegenheit bringt, da ihnen damit jeder Bezug von Lebensmitteln abgefchnitten ifl. Allerdings bezog fich diefes Recht des Goden, welches wir noch zu Anfang des 13. Jahrhunderts bei- fpielshalber von Snorri Sturluson ausgeübt felien^), während es andererfeits den Häuptlingen Grönlands ganz ebenfogut zufland wie denen des isländifchen Mutterlandes 3), keineswegs blos auf den

1) Sturlünga, III, cap. 9, S. 131.

2) Sturlünga, III, cap. 20, S. 223—4.

3) ])orfinDs s. karlsefnis, cap. 6, S. 402.

Der Staat. 197

Handelsverkehr, und cbenfowenig blos auf den Verkehr mit dem Auslande. Am Anfange des 13. Jahrhunderts fehen wir einmal durch Kolbeinn Tumason allen Handelsverkehr mit dem bifchöflichen Hofe zu Hölar verboten, welchem der Häuptling hiedurch feinen Lebensbedarf abzufchneiden beabfichtigt 1), und es ift demnach der inländifche Verkehr, welcher in diefem Falle durch das Verbot befchränkt wird ; andererfeits fehen wir bereits am Schlufse des IG. Jahrhunderts dem deutfchen MilTionär Dankbrand gegenüber aus religiöfen, und weit früher fchon dem Uni Garöarson gegenüber aus politifchen Gründen alle Handelfchaft unterfagt^), fodafs hier ebenfogut wie im vorigen Falle ganz andere als handelspolitifche Motive dem Verbote zu Grunde liegen. Indeflen blieb doch auch in Fällen diefer letzteren Art die Mafsregel felbft ftets eine handels- polizeiliche, wenn auch deren Verhängung durch Beweggründe bedingt war, welche dem Gebiete des Handels völlig fremd waren, und war deren Spitze regelmäfsig nur gegen das Ausland gekehrt, wenn auch ausnamsweife der inländifche Verkehr von derfelbcn gleichfalls getroffen werden konnte. Ganz diefelben Befugniffe finden wir übrigens auch in Norwegen in des Königs Hand wider, fodafs wir diefelben wohl als einen uralten Beftandtheil der nordifchen Häuptlingsgewalt betrachten dürfen. Schon vor den Zeiten K. Harald härfagri's war der Betrieb des Handels mit den Finnen (Finnkaup, Finnfbr, Finnferö) als ein Monopol des Königs behandelt worden 3); derfelbe Regent belegte aber auch bereits den Verkehr mit Island mit einer Steuer (landaurar), welche, in ihrem BetragQ wechfelnd, bis zur Unterwerfung der Infel unter K. Häkon gamli forterhoben ^wurde*). Unter K. Eirlk bloööx ifl von einem Verbote alles Ver- kehres mit dem Auslande die Rede, welches in dem Jahre, für welches es erlaflen wurde, alle SchiffTahrt nach Island und anderen Ländern hemmte 5). Von einem grauen Gewände, welches er fich aus dem Waarenvorrathe eines isländifchen Schiffsherrn als Gefchenk auswählte, foll K. Haraldr gräfeldr feinen wunderlichen Beinamen erhalten haben 6). Der kirchliche Eifer K. Olaf Tryggvason's läfst

1) Gu6mundar bps s., cap. 63, S. 490; Sturlünga, IV, cap. 2, S. 2.

2) Njala, cap. 101, S. lö?; Landnäma, IV, cap. 4, S. 246.

8) Vgl. Munch, Om Kinmarkens politisk-commercielle Forhold til den norskc Slat, in den Annaler for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1860, S. 336 64.

4) is leudingabok, cap. 1, S. 4 5, und öfter.

5) Eigla, cap. 62, S. 141.

6) Heim skr. Haraldar s. gräfeldar, cap. 7, S. 116 7.

198 ^er Staat.

ihn gelegentlich die Drohung ausfprechen, dafs er mit Island, fofcrne die Infel nicht fofort das Chriftenthum annemc, allen Verkehr fperren werde, fo vortheilhaft auch der Austaufch der beiderfeitigen Produöe für beide Länder' fei l). Der heilige Olaf verbot einmal aus Feind- fchaft gegen den Schwedenkönig alle Ausfuhr aus Vfkin nach Gautland, zumal auch die von Häringen und Salz ; ein andermal unterfagt er um einer Theuerung willen die Ausfuhr von Korn. Malz und Mehl aus den fudlichen Provinzen feines eigenen Reichs in die nördlicher gelegenen 2). Noch K. Sverrir weift einmal die deutfchcn Kaufleute ohne Weiters aus Bergen weg, während er die Engländer und andere Fremde ruhig dahin handeln läfst, weil ihm die Einfuhrartikel der letzteren nützlich, die der erfteren dagegen fchädlich erfcheinen 3). Im 13. Jahrhunderte endlich berichten nicht nur die Gefchichtsquellen widerholt von Verkehrs verboten, welche K. Hakon in F*olge feiner Zerwürfnifle mit Island der Infel gegenüber erliefst) fondern auch die Rechtsquellen gedenken des Bannes, welcher unter Umftänden die Ausfahrt aus dem Lande hemmt, und wollen nur den Verkehr mit Korn oder Fleifchwaaren innerhalb des Reiches felbft durch keinen folchen befchränkt wiflcn, foferne nicht der König felbft ein Anderes für nöthig hält 5); in den Privilegien, welche der Erzbifchof von Drontheim fich gelegent- lich zu erwerben weifs, wird das Recht des Königs, den Handels- verkehr mit dem Auslande nach Belieben zu erlauben oder zu ver- bieten, als ein unzweifelhaft beftehendes vorausgefetzt, und die Handelsverträge, welche von jetzt ab immer häufiger mit den Hanfeftädten abgefchloffen werden, fuchen nur auf dem Wege ^ befonders ertheilter Vergünftigungen eine Befchränkung deffelben zu erzielen. Nicht zu überfehen ift aber, dafs fich die Aufficht des isländifchen Goden über die Fremden auch noch in ganz anderer Richtung als der bisher befprochenen äufsert. Einerfeits nämlich ift der Gode zum Schutze des Fremden berufen, und er rückt von hier aus ihm gegenüber in ganz derfelben Weife in die Stellung der Verwandtfchaft ein, wie diefs dem Freigelaffenen gegenüber

1) Olafs s. Tryggvasonar, cap. 142 (FMS., I, S. 284).

2) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 59, S. 266, und cap. 123, S. 852.

3) Sverris s., cap. 104, S. 250—1.

4] Z. B. Annälar, a. 1219 und 1248; vgl. GuSmundar bps s., cap. 69, S. 510, und Sturlünga, VIII, cap. 8, S. 129.

5) Gt)L., ? 313; Fr^L., VII, g 27; Landsl. Kaupab., g 25.

Der Staat. 199

beim Freilafler der Fall ift. Sowohl in Bezug auf die Blutklage um den erfchlagenen, als auch in Bezug auf die Beerbung des verdorbenen Fremden wird diefer Gefichtspunkt von unferen Rechtsbüchern con- fequent durchgeführt, jedoch mit der Einfchränkung, dafs der Gode die bezogenen Beträge vorbehaltlich gewiffer Abzüge den fich hinterher meldenden Verwandten herauszugeben hat, foweit diefe überhaupt vom isländifchen Rechte als bezugsberechtigt anerkannt find ; je nach Umftänden ift es dabei der Gode des Fremden felbft, oder der Gode feines Hauswirthes, oder der Gode des Bauern, zu deflen Hof die Landungsftelle des Schiffes gehört, welcher einzutreten hat, während für den Fall, dafs diefer felbft den Tod des Fremden verfchuldet hat, die von ihm verwirkte Berechtigung feinen sam|>lngisgoöar zuwächft. Andererfeits fcheint dem Goden aber auch eine gewiffe üeberwachung der Fremden im Intereffe der Inländer übertragen gcwefen zu fein. Unfer jüngeres Rechtsbuch läfst nämlich Bufs- anfprüche gegen Fremde, zumal wenn es fich dabei um falfches Mafs und Gewicht, oder wider um Fleifchesvergehen handelt, vor einem Gaftgerichte verhandeln, welches am Wohnorte des Goden gehalten wird, deflen Dingmann der Kläger ift, oder aber, wenn der Kläger einer entfernteren Gegend angehört, am Wohnorte eines der 3 Goden derjenigen |)fngs6kn, innerhalb deren die That verübt wurde i) ; an dem Wohnorte diefes Goden foU auch die Ladung erfolgen, und durch Unterwerfung unter feinen Schiedsfpruch foU fich der Beklagte von dem gerichtlichen Verfahren frei machen können. Die Ernennung der Richter freilich erfolgt durch den Kläger ; indeflen wäre ja immerhin möglich, dafs diefelbe urfprüng- lich dem betreffenden Goden zugekommen wäre. Ein Einfchiebfel in unferem älteren Rechtsbuche, welches eine Verfugung Gizur jarls, oder irgend eines anderen vom Könige gefchickten Befehlshabers zu enthalten fcheint 2), zeigt freilich die ganze Fremdenpolizei, wie fie früher den Goden zugeftanden hatte, gewählten Männern über- tragen, deren je 3 über einen geographifch begrenzten Bezirk gefetzt find, und entfprechen die für das Oftland und Südland angegebenen Grenzen ziemlich genau der fpäteren Begrenzung des Müla-, Skapta- fells-, Rängärvalla-, Ärness- und Kjalarnessj^ings. Diefe gewählten Vorfteher (forräösmenn) foUen einerfeits die Taxirung der Waaren

1) Kaupab., cap. 60, S. 461 und cap. 62, S. 468.

2) Kgsbk, ? 167, S. 72—4; vgl. oben, S. 106, Anm. 3.

200 Der Staat.

vorncmcn, und die wegen Uebcrfchrcitung ihrer Taxe verwirkten Bufsen in erfter Linie einklagen ; andererfeits aber hat die Ladung vor das Gaftgericht, bei welchem diefe fowohl als die Klagen wegen betrügerifchen Verfahrens bei der Handelfchaft, oder auch wegen irgend welcher anderer Verbrechen oder Vergehen eines Fremden anhängig zu machen find, bei dem Domicile eines jener Männer zu erfolgen, und kann der Schiedsfpruch eines folchen das Erkenntnifs diefcs Gerichtes erfetzen, fodafs auch in diefer Beziehung jene Vor- fteher ganz in die Stellung der Goden eingerückt find. Schon die foebcn befprochenen Funftionen der Goden gehören, wenigftens theilweife, dem Gebiete der Wohlfahrtspolizei an; ihre defs- fallfige Aufgabe ift aber auf die Regelung des Handelsverkehres keineswegs befchränkt. Die Armenpflege zwar war regelmäfsig, wie unten noch auszuführen fein wird, den Gemeinden übertragen, foweit diefelbe nicht von den Angehörigen der Hülfsbedürftigen felbft beforgt wurde, und fomit der Einwirkung der Goden als folcher entzogen; in Nothfällen aber, welche über das gewöhnliche Mafs hinausgiengen, fehen wir doch auch diefe um die Ernährung des Volkes fich annemen, und zwar nicht blos dadurch, dafs fie etwa bei der Taxirung ausländifcher Waaren, oder durch Feftfetzung einer höheren Gebühr für die Aufname fremder Gäfte dem Noth- ftande aufzuhelfen fuchten. Aus dem Ende des zehnten Jahrhun- derts bereits wird uns berichtet, wie gelegentlich einer fchweren Hungersnoth bei einem Goden eine Zufammenkunft gehalten wird, um über die zu ergreifenden Mafsregeln zu berathen, und wie dabei gerade die Goden der Umgegend in erfter Linie das Wort fuhren; berichtet ferner, wie bei einer anderen Zufammenkunft widerum unter der Leitung eines Goden in gleicher Richtung Befchlüffe gc- fafst werden, welche diefer dann hinterher einfeitig umftöfst, weil er fich von deren Unftatthaftigkeit überzeugt hat, aber freilich nicht ohne feinen Dingleuten hievon Mittheilung zu machen, und die Koften der von ihm einfeitig beliebten Anordnung felber zu über- nemen i). Neben den Taxen ferner, welche die Goden für den Handel mit fremden Gäften fetzten, kommen noch andere vor, welche für den Handelsverkehr unter Isländern fogut wie unter Ausländern gelten follten, und ift uns eine folche erhalten, welche

1) Vigaskütu s., cap. 7, S. 248; Olafs s. Tryggfvasonar, cap. 226 (FMS., II, S. 225—8).

Der Staat. 201

für die Arness- und Rängaeinga {»ingsökn beftimmt war ^) ; wider andere Taxen endlich wurden, den heutigen Capitelstaxen vergleich- bar, nur zu dem Behufe aufgeftellt, um den Werth feftzuftellen, nach welchem die im gewöhnlichen Verkehre vorkommenden. Ar- tikel als Zahlmittel in Schuldverhältniflen angenommen werden füllten, und ift uns eine folche erhalten, welche für das Allding, und eine zweite, welche für die Ärness{)ingsökn gelten foUte^). Es wird nicht bezweifelt werden können, obwohl es uns nirgends aus- drücklich gefagt wird, dafs auch derartige Taxen wefentlich von den Goden gefetzt wurden, und wenn zwar am Alldinge diefe in der lögrfetta ihre BefchlülTe auch in diefer Richtung gefafst haben werden, fo war doch aufserhalb des Dinges eine freiere Behandlung der Angelegenheit ficherlich nöthig. Wenn wir femer oben bereits Beftimmungen über das Merken der Schafe, dann über die Aus- übung der Strandberechtigung von einzelnen Goden im Einver- ftändnüTe mit den Leuten ihrer Gegend getroffen fahen 3), fo fpricht fich auch hierinn deren Beruf aus, in wirthfchaftspolizcilichen Fragen bcftimmend einzugreifen, wenn auch der Natur der Sache nach die Grenze feiner Compctenz je nach dem Mafse des Anfehens, welches dem einzelnen Goden zukam, und je nach der Notwendigkeit eine fchwankende fein mufste, die zu treffende Mafsrcgel auf einen engeren oder weiteren territorialen Bezirk zu erftrecken. Selbflvcr- fländlich können überdiefs diefe unferen Quellen entnommenen Vor- kommniffe nur als ganz vereinzelte Belege für die ebenfo mannig- faltige als weitreichende Thätigkeit der isländifchen Häuptlinge gelten, dagegen in keiner Weife darauf Anfpruch machen, ein er- fchöpfendes Bild von diefer zu gewähren; geben doch unfere Rechts- quellen felbft gelegentlich der oben befprochenen Vorfchriften über die Freüaffung von Unfreien ein weiteres Beifpiel für die verfchieden- artigen Obliegenheiten der Goden an die Hand 4), indem fie ihm die lögleiöfng des Freigelaffenen am Ding, und damit deffen feier- liche Aufname in den Staatsverband übertragen. Speciell mufs aber noch darauf aufmerkfam gemacht werden, dafs der Gode neben den allgemeinen Intereflen feiner Angehörigen und feiner Gegend insbefondere auch noch ganz gleichmäfsig auch die befonderen

1) Belgsdalsbok, i 66, S. 261.

2) Kgsbk, g 246, S. 192—6; Belgsdalsbök, g 62, S. 246—8.

3) Vgl. S. 192, Anm. 1.

4) Siehe oben, S. 146, Anm. 1.

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202 Der Staat.

Intercffen jedes einzelnen feiner Dingleute zu vertreten berufen war. Das Recht geftattete ihm, für feinen abwefendcn Dingmann am Dinge Vergleiche abzufchliefsen, und gewährte ihm gegen diefen fogar eine Klage auf Schadloshaltung, wenn er dabei nur in gutem Glauben und umflchtig gehandelt hatte ^) ; es gewährte ihm ferner für den Fall, da einer feiner Dingleute eine Klage wegen Todtfchlags oder fchwerer Verwundung am Dinge durchzufuhren hätte, und ohne fein Verfchulden hier nicht anwefend noch auch durch nähere Venvandte vertreten ifl, ein Klagerecht an deflfen Stelle 2). Allerdings wird in diefen Fällen die Vertretung des Ab- wefendcn oder zu eigenem Handeln Unfähigen für den Fall, dafs der Gode fie nicht übememen kann oder will, auch wohl jedem anderen Volksgenoflen geftattetj dafs das Recht aber vor jener Appellation an das Gemeingefühl aller VolksgenofTen vorerft noch an die Verwandtfchaft und an den Goden fich wandte, zeigt inuncr- hin, dafs es bei diefem ganz wie bei jener eine engere SchutzpAicht dem einzelnen Angehörigen gegenüber gegeben glaubte. Diefclbe Anfchauung tritt denn auch allerwärts in den Gefchichtsquellen zu Tage. Bei jeder Gelegenheit zeigen fie uns, wie der Dingmann, der in irgendwelcher Richtung fremder Hülfe zu bedürfen glaubt, diefe von feinem Goden beanfprucht, allenfalls unter ausdrücklicher Bezugname auf die diefem obliegende Verpflichtung. Den Snorri goöi z. B. ruft t>6rölfr baegifotr gegen feinen eigenen Sohn, den "Goden Arnkell, zu Hülfe, und Alfr litli klagt eben diefem Häupt- linge über Befchädigungen, die Öspakr ihm zugefügt hat; beide Male nimmt fich Snorri auch wirklich feiner Leute an 3). Für einen von einem norwegifchen Gaflc verwundeten Dingmann fuchen die Goden Höskuldr und Eilifr die Bufse einzutreiben 4), und wenn Vfga-Hrappr nach feinem Tode umgeht, fo wird Höskuldr goöi gegen das Gefpenft ebenfogut zu Hülfe gerufen, wie man fich an ihn gewandt hatte, als es galt, gegen den Uebcrmuth und die Gc- waltthätigkeit des Lebenden Schutz zu erhalten i>), u. dgl. m. Wir

1) Kgsbk, g 77, S. 124—5.

2) Vigslööi, cap. 52, S. 92—3, deffen bezügliche Worte dach wohl nur zufällig in der Kgsbk, § 101, S. 178, fehlen; ferner Kgsbk, f 107, S. 182-3, und Vfgsl., cap. 65, S. 106—7.

8) Eyrbyggja, cap. 81, S. 55, und cap. 57, S. 106.

4) Heiöarviga s., cap. 15, S. 821; vgl. cap. 17, S. 327—8.

5) Laxdacla, cap. 10, S. 26, und cap. 17, S. 54.

Der Staat. 203

erfahren fogar gelegentlich, dafs der einzelne Gode bei der Ueber- name feiner Würde oder der Aufname neuer Dingleute in feinen Verband diefen ausdrücklich feinen Schutz (traust) verfprach, wie er fich umgekehrt von ihnen ihren Dienft (liösinni) zufichern liefst), und in der That mufste die perfönliche Natur des vertragsweife begründeten Verbandes, und andererfeits die Befchränktheit der VerhältnifTe im Lande nothwendig dazu fuhren, dafs die Grenze zM'ifchen den allgemeinen Intereffen und denen des Einzelnen ver- wifcht, und dafs die dem Goden obliegende Sorge für Recht, Frie- den und die gemeine Wohlfahrt als eine Fürforge für die perfon- lichen InterefTen und Rechte feiner einzelnen Dingleute aufgefafst wurde. Ganz wie anderwärts der König oder deffen Beamter, fo mufste übrigens auch der isländifche Gode um den mancherlei ihm obliegenden Verpflichtungen zu genügen oft genug Rundreifen in feinem Bezirke machen, um deffen Zuflände zu erforfchcn und zuordnen, oft genug auch Zufammenkünfte mit feinen Ding- leuten halten, um über deren Angelegenheiten Berathungen zu pflegen und Verabredungen zu treffen. Auch abgefehen von den Reifen, welche der Befuch des Frühlingsdinges, Alldinges und Herbft- dinges veranlafste, fehen wir demgemäfs die Goden fehr häufig auf der Fahrt, und ihre Dingleute wären verpflichtet, fie bei folcher Gelegenheit zu beherbergen und zu bewirthen; eine Verpflichtung, welche in fchlechten Jahren zu einer drückenden Lafl werden konnte, da die angefeheneren Häuptlinge wenigflens nicht ohne ein nam- haftes Gefolge und zahlreiche Pferde zu reifen pflegten, für deren Unterhalt ebenfogut wie für den feinigen geforgt werden mufste 2). Gilt es dann über irgendwelche wichtigere Angelegenheit Rück- fprache zu nemen, fo benützt der Gode entweder eine beliebige Gelegenheit, welche die angefeheneren Männer der Gegend ohnehin zufammenführt, wie z. B. eine grofse Hochzeit, um die Sache zur Sprache zu bringen 3), oder es wird auch wohl durch ihn felbfl oder durch feine Dingleute eine Zufammenkunfl (fundr, mannafundr, mannamöt, u. dgl.) eigens zu folchem Behufe berufen. Wir fahen oben bereits folche Verfammlungen gehalten, wenn es galt über die

1) Hrafnkels s., S. 24.

2) Guömundr riki z. B. pflegte mit 30 Männern und ebenfovielen Pferden zu reifen, und blieb bei manchem Bauern 6 Tage, Ljösvetnfnga s., cap. 6, S. 17. In Norwegen war diefs das legale Gefolge eines Bifchofs.

3) Vfgaglüma, cap. 20, S. 872— 3.*

204 I^er Staat.

einer Hungersnoth gegenüber zu ergreifenden Mafsregeln zu bc- rathen i) ; ein andermal aber berufen zwei Coden eine folche, um allen Verkehr mit dem Miffionäre Dankbrand z\f verbieten 2), und wider ein andermal bringen die Bewohner eines oftländifchen Be- zirkes eine Verfammlung zu Wegen, um den Coden |)orsteinn Siöu- hallsson mit einem feiner Cegner zu verlohnen 3), wobei diefer freilich erklärt zu Verhandlungen über die h^raösstjöm zwar bereit zu fein, von Verhandlungen aber in jener Richtung Nichts wilTcn zu wollen. Bis in die Sturlüngenzeit herab werden derartige Zu- fammenkünfte zu den verfchiedenften Zwecken fehr häufig gehalten; diefclben tragen aber in keiner Weife einen formell geregelten Charakter, wie denn namentlich das Durcheinandenvohnen der Ding- leute verfchiedener Coden ganz natürlich zur Folge hat, dafs an denfelben zumeift mehrere Häuptlinge mit ihren Angehörigen zu- gleich fich betheiligen. Dafs hiernach aber auch die Competcnz diefer Vcrfammlungen keine ein für allemal rechtlich abgegrenzte fein konnte, ift klar. Der hiemit dargelegten Competenz der Coden entfprachen felbftverftändlich beftimmte Rechte ihren Dingleuten gegenüber. Norwegifche Rechtsbücher gebrauchen, zunächft vom Heeresaufgebote fprechend, den Ausdruck: »konongr skal räöa boöe ok banne« 4), und auch in anderen Quellen kehrt die gleiche Formel wieder, deren Alterthümlichkeit fchon durch die Alliteration verbürgt ift. In isländifchen Rechtsquellen finde ich diefelbe allerdings nicht gebraucht; indeiTen wird auch auf Island dem Coden das Recht zugefprochen, ein Cebot oder Verbot zu erlaffen, und für diefes der Ausdruck tbann« gebraucht 5), und wenn gelegentlich ausgefprochen wird, dafs die Dingleute ihrem Coden »zu allen Fahrten verpflichtet« waren, oder bei dem Eintritte in feinen Dingverband ihm ihren iDienft* zu verfprechen hatten^), fo ift damit der Sache nach ficherlich daffelbe gefagt, wie mit jener Formel. Die Rechtsbücher felbft räumen dem Coden in gewiflcni Umfange das Recht ein, feine Angehörigen zur Dingfahrt aufzu-

1) Vgl. oben, S. 200, Aiim. 1.

2) Njäla, cap. 101, S. 157.

3) {»orsteins ^. Sf öuhallssonar , cap. 5, S. 11.

4) G^L, § 295; Fr^iL., VII, § 1; Landslög, Landvarnarb., § 1, u. f. «.

5) Vgl. z. B. Njäla, cap. 101, S. 157; GuÖmundar bps s., cap. 53' S. 490, u. dgl. m.

6) Eyrbyggja, cap. 4, S. 6; lÄ-afiikels s., S., 24.

Der Staat. 205

bieten. Er mag am Frühlingsdinge an diefelben feine Aufforderung richten, und mufs ihm fodann der neunte Theil feiner Dingleute zum Alldinge folgen, wobei gütliche Uebereinkunft, und nöthigen- falls das Loos diejenigen zu bezeichnen hat, welche ausziehen follen 1) ; aufserdem wird ihm aber auch geftattet zu verlangen, dafs feine Dingleute am Ding fich zu ihm halten und in feiner Dingbude wohnen, wie er umgekehrt feinerfeits ihnen in diefer Auf- name zu gewähren verpflichtet ift2). So fehen wir denn auch ein- mal den Hrafnkell preysgoöi feine Dingleute zu feiner Begleitung zum Alldinge aufbieten, und fofort mit 70 Mann dafebft einreitenS); aber auch l^orsteinn t)orskabftr ruft feine Dingleute auf, als es gilt, die Dingftätte des |)örsness|>lnges gegen die drohende Verletzung der ihr zukommenden Heiligkeit zu vertheidigen 4), u. dgl. m. Aber auf die Dingfahrt befchränkte fich das Aufgebotsrecht des Coden nicht. Den Sam fehen wir einmal feine Dingleute fammeln, um gegen Hrafnkel einen Rachezug zu unternemen ; aber da der letztere noch rafcher eine Schaar von 70 Männern zufammenbringt, wird er von ihm überrafcht und* bezwungen, ehe er noch feine Macht vereinigt hat 5). Die Gefchichtsquellen bieten unzählige Beifpiele von änlichen Aufgeboten, und in der Sturlüngenzeit zumal werden, wie früher fchon bemerkt, ganze Maffen von Bewaffneten in's Feld geftellt, und ganze Schlachten mit ihrer Hülfe gefchlagen 6) j nur ausnamsweife gedenken dabei freilich unfere Berichterftatter aus- drücklich des Umftandes, dafs es Dingleute des betreffenden Häupt- linges gewefen feien, welche feinem Rufe folgten, indeffen kann doch kemem Zweifel unterliegen, dafs weitaus die gröfsere Zahl jener Begleiter wirklich aus folchen beftand, foweit nicht etwa, was allerdings auch oft genug vorkam, verfchiedene Coden je mit ihrem Aufgebote fich zu einer gemeinfamen Unternemung vereinigten. Unzweifelhaft mufste fich der Dingmann ferner von feinem Coden zu allen jenen Verrichtungen verwenden laffen, zu welchen diefer am Dinge eigene Dingleute heranzuziehen hatte, wie z. B. als Bei- fitzer der lögrfetta oder der Dinggerichte, als Mitglied der Zwölfer-

1) Kgsbk, i 69, S. 107.

2) Ebenda, ? 28, S. 44 und 46.

3) Hrafnkels s., S. 11.

4) Eyrbygßja, cap. 9, S. 10. 6) Hrafnkels s., S. 28.

6) Vgl. oben S, 107.

206 Her Staat.

Jury oder als Gerichtsfchützer; das Recht bedrohte denjenigen mit Strafen, welcher (ich diefen feinen Verpflichtungen zu entziehen fuchte, und forgte fogar dafiir, dafs der vom Coden zur Rechen- fchaft gezogene Dingmann diefem dafür keine Ungelegenheiten be- reiten könne. Während nämlich der Dingmann an und für fich feinem Coden jederzeit den Verband auffagen konnte, war er doch für den Fall 'mit einer Celdbufse bedroht, da er von diefer Befugnifs defshalb Cebrauch machen wollte, weil er von feinem Coden wegen irgendwelcher Pflichtverletzung in Strafe genommen worden war*); ja nach den Andeutungen einer gefchichtlichen Quelle fcheint das

m

Recht des Coden fogar noch ungleich weiter gereicht zu haben. Wir hören einmal, wie J>orsteinn Slöuhallsson einem feiner Dingleute, der fich gröblich gegen ihn vergangen hatte, öffentlich am Frühlings- dinge die Weifung ertheilt, binnen gefetzter Frift feinen Hof zu verlaflen, und einen beftimmten anderen Hof zu beziehen, widrigen- falls er gewaltfam fortgefchafit werden würde, und wie derfelbe ihm zugleich die Entfernung aus der Cegend unterfagt, und nöthigen- falls ein Verbot gegen feine Aufname zu erlaffen (verja innihöfn) droht 2). Nun ift freilich fchwer zu fagen, wieweit in diefem Falle die rechtliche Befugnifs, und wieweit die blofe thätliche Cewalt gieng, welche nur durch des Dingmannes verwerflliches Benemen entfchuldigt und ermöglicht wurde ; aber doch fcheint klar, dafs die Erlaflung eines Proteftes gegen die Aufname eines flüchtigen Ding- mannes wenigftens unter Umftänden dem Coden ebenfogut zuftehen mufste, wie ein folcher gegen die Aufname flüchtiger Sklaven, Schuldknechte oder Priefter, dann auch gegen die Aufname von Eheweibern erlaflen werden konnte, welche ihren Männern davon- liefen. Weiter noch als die rechtlich dem Coden zugeftandenen Befugnifle mufste übrigens felbftverftändlich die thatfächliche Cewalt reichen, welche demfelben regelmäfsig zukam, und welche jede Auflehnung gegen feine Perfon zu einer höchft gefährlichen Sache machte ; aber es ift auch klar, dafs in diefer Beziehung auf die Per- fönlichkeit der Betheiligten und die Umftände des einzelnen Falles fogut wie Alles ankam. Die Söhne des tjösti, felbft Befitzer eines Codordes, rathen einmal dem Säm, dem fie den Sieg über Hrafnkel verfchaffl haben, er möge fich feinen neugewonnenen Dingleuten

1) Kgsbk, i 23, S. 46, und i 59, S. 107.

2) Jiorsteins ^. SiiSuhallssonar, cap, 3, S. 6,

Der SUat. 207

freundlich, freigebig und hülfreich erweifen, wo immer fie . feiner Unterftützung bedürften, indem er folchenfalls auch feinerfeits auf deren bereitwilligen Dienft werde zählen können l), und damit ift in der That der entfcheidende Punkt richtig bezeichnet. Läfst es ein Gode, Avie Geitir Lytfngsson diefs einmal dem Broddhelgi gegenüber that 2), an der gehörigen Energie in der Vertretung feiner Ange- hörigen einem anderen Häuptlinge gegenüber fehlen, fo drpht ihm nicht nur der Uebergang zahlreicher Dingleute an den mächtigeren Nachbarn, fondem es machen ihm auch wohl die Treugebliebenen fcharfe Vorftellungen, und drohen ihm aus der Gegend wegzuziehen, wenn er nicht kräftiger auftrete. Umgekehrt mag ein rückfichtslos energifcher Gode wie etwa t>orbjörn t>jööreksson im Isafjörör oder Hrafnkell FreysgoÖi im Jökulsdale bis an die äufserften Grenzen der übermüthigften Willkür vorgehen, bis endlich einmal das Uebermafs feiner Gewaltthätigkeit einen muthvollen Mann zum Widerftande treibt, der dann durch eigene Thatkraft oder den Schutz auswärtiger Häupt- linge den Tyrannen zu ftürzen weifs. Im Ganzen fcheinen freilich die Häuptlingsgefchlechter feft zufammengehalten zu haben, wenn es galt einer Erhebung der kleineren Leute entgegenzutreten, und die Sturlünga bietet hiefür einen fehr charakteriftifchen Belegt). Als im Jahre 1185 Einarr Jjorgilsson, von den jugendlichen Söhnen eines kleinen Bauern fchwer verwundet, an der Wunde geftorben war, und der mächtige Jon Loptsson von Oddi gebeten wurde, die um ihn erhobene Blutklage zu unterftützen, erklärte diefer, er fei zwar kein Freund des Erfchlagenen gewefen, aber doch könne man es nicht angehen laden, dafs geringe Leute einen fo angefehenen Häuptling zu Falle bringen, und aus diefem Grunde fei er bereit feine Hülfe zu gewähren! Zum Schlufle ift noch der Einkünfte zu gedenken, welche das Godord feinem Inhaber abwarf Im Heidenthume war unter diefen der Tempelzoll (hoftollr) in erfter Linie geftanden, welchen die Angehörigen des Goden ihm zu ent- richten hatten, und welcher aller Wahrfcheinlichkeit nach die Natur einer Kopffteuer getragen hatte. In der chriftlichen Zeit fiel diefc Abgabe natürlich weg, und es fcheint fogar, dafs deren Nichtent- richtung das erfte Stück Chriftenthum war, welches der gemeine

1) Hrafnkels s., S. 23—4.

2) Vopnfiröinga s., S. 19.

3) Sturlünga, III, cap. S-^, S. 193,

208 I^er Sitaat.

Mann auf Island fich aneignete i) ; aber auch fchon in der älteften Zeit wird dem Goden von deren Ertrag kaum Viel übrig geblieben fein, da ihm die Verpflichtung oblag, gegen deren Bezug die Er- haltung des Tempels und die Koften des Opferdienftes zu beftreiten, und da fein perlbnliches Anfehen zu grofse Sparfamkeit in diefer Richtung nicht geftattete, mögen vielmehr oft genug Zufchüfl'e aus dem eigenen Vermögen des Goden für den zu tragenden Aufwand nöthig geworden fein. Weiterhin bezog der Gode, und zwar in der fpäteren Zeit ebenfogut wie in der älteren, die unter dem Namen des l)lngfararkaup bekannte Abgabe. Von ihr ift bereits oben genugfam gefprochen worden, und mag demnach hier nur noch bemerkt werden, dafs auch fie dem Goden ficherlich keinen reichen Ertrag abwarf. Dafs der Betrag der Steuer für die verfchiedenen Godorde verfchieden normirt war, ift bereits bemerkt worden, und könnte höchftens daraus, dafs derfelbe einmal in der Anwendung auf das vär^ing auf eine halbe Unze oder 6 Ellen vaömäls^), oder daraus, dafs er in der Jönsbok auf lO Ellen gefetzt ift 3), ein Schlufs auf deren frühere durchfchnittliche Höhe gezogen werden; gewifs ift aber jedenfalls, dafs die Zahl der Bauern, welche überhaupt dingfteuerpflichtig waren, fich zu Anfang des I2. Jahrhunderts nur auf wenig mehr als 4,500 belief, und dafs auch von diefer geringen Zahl wider diejenigen wegfielen, welche im betreffenden Jahre das Allding felbft befuchten oder durch einen legalen Vertreter be- fchickten ; gewifs ferner, dafs diefe an und fiir fich nicht bedeutende Zahl von Steuerpflichtigen fich unter die fämmtlichen Goden des Landes vertheilte, und dafs überdiefs auch hier wider der Einname eine nicht unbeträchtliche Ausgabe gegenüberftand, indem ja der Gode den am Alldinge erfcheinenden Bauern feinerfeits das ^ing- fararkaup zu entrichten hatte. Berückfichtigt man überdiefs noch die Verpflichtung des Goden, feine Dingleute in feine Dingbude aufzunemen und die in feiner ganzen Stellung begründete Ehren- pflicht, fich gegen diefe möglichft fplendid zu erweifen, fo ift klar, dafs auch die dem ^ingfararkaup gegenüberftehenden Ausgaben fich leicht höher belaufen konnten als deffen Ertrag, zumal da das

1) Vgl. z. B. Kristni s., cap. 2, S. 6 ; ^orvalds J>. vfÖförla, cap. 4, S; 48j Vopnfiröinga s., S. 10—11.

2) Kgsbk, § 59; S. 106—7.

3) |>egnskylda , § 1.

t)er Staat. 209

politifche Intereffe des Coden an möglichft zahlreichem Erfcheinen feiner Leute am Ding feinem finanziellen Intereffe an möglichft geringem Dingbefuche derfelben diametral entgegenftand. Widerum fielen dem Coden gewiffe Cerichtsgefälle, fowie gewiffe Sportein für Acte der freiwilligen Cerichtsbarkeit zu, welche er vorzunemen hatte. In der letzteren Beziehung wird uns berichtet, dafs der Code von jedem Freigelaffenen, den er in den Rechts- verband einführte, eine Cebühr bezog; aber diefe Cebühr betrug nur einen Pfenning, deren 80 auf die Mark giengen, und überdiefs waren der Natur der Sache nach die Fälle feiten, in welchen fie zu entrichten kam. In der erfteren Beziehung kommen fodann einmal die Bufszahlungen in Betracht, welche der Code für allerlei Verftöfse gegen fein Recht und gegen die öffentliche Rechtsordnung einzutreiben befugt war, fowie die Emolumente, welche ihm die V«rhängung der Landesverweifung (fjörbaugsgarör) eintrug. Bei jeder Landesverweifung war nämlich, wenn fie fich nicht in die ftrenge Acht (sköggängr) verwandeln foUte, am fferänsdome von dem Verwiefenen an den Coden, welcher diefen abhielt, eine Mark zu entrichten, welche als fjörbaugr, d. h. Lebensbufse, und von welcher eine einzelne Unze als alaösfestr, d. h. Ernährungsver- ficherung, bezeichnet wurde ; reichte ferner am f^ränsdöme, mochte diefer nun über einen iEchter oder einen Landesverwiefenen ge- halten werden, das Vermögen des Schuldigen zur vollftändigen Befriedigung der Cläubiger hin, fo wurde aus dem etwaigen Ueber- fchuffe eben jenem Coden eine Kuh oder ein vierjähriger Ochfe zuerkannt, wogegen er folchenfalls fein etwaiges Recht auf den fjörbaug verliert. Auch die Cerichtsgefälle konnten aber für den Coden keine ergiebige Einnamsquelle bilden. Am Executions- gerichte ergab fich wohl zumeift kein fiir den Coden verfügbarer Ueberfchufs, da die meiften Verurtheilten arm, und felbft die Ver- möglicheren regelmäfsig in der Lage gewefen fein werden, durch Uebertragung ihres Befitzes in fremde Hand i) oder durch Flüchtung ihrer Fahrhabe ins Ausland 2) dem Cegner wie dem Coden das Nachfehen zu laffen; überdiefs mufste doch wohl der Code des Schuldigen, welcher regelmäfsig der perceptionsberechtigte waf, aus Rückficht auf feinen unglücklichen Dingmann und deffen Familie

1) Vgl. z. B. Ljösvetnfnga s., cap. 14, S. 47 8.

2) Band am an na s., S. 25 und fgg.

Maurer, Iiland. . ^'^

210 I>«r Staat.

in weitaus den meiden Fällen Ehrenthalben auf feinen Bezug ver- zichten, auch wenn ein folcher für ihn in Ausficht ftand. Mit den Bufsbeträgen aber, welche der Gode einzuklagen berechtigt war, wird es gutentheiis ebenfo geftanden haben ; wenn das Gefetz felbft genöthigt war den Dingmann mit Strafe zu bedrohen, welcher aus JErger über eine von ihm erhobene Bufse feinen Goden verlaflen würde, fo ift ficherlich anzunemen, dafs die Häuptlinge nur ungern und nur in Ausnamsfällen von den in diefer Richtung ihnen zu- ftehenden Befugniffen werden Gebrauch gemacht haben. Der oben erwähnte Anfpruch des Goden auf den Nachlafs des zur See oder auf Island verdorbenen, und auf die Todtfchlags- bufse für den dafelbd getödteten Fremden war ferner nur ein höchd fubfidiärer, und überdiefs der Natur der Sache nach auf feltene Fälle befchränkt ; die den fremden Kaufleuten gegen- über geübten Rechte dagegen mochten ihrem Ertrage nach wohl ziemlich durch den Aufwand ausgeglichen worden fein, welchen die Verpflichtung, für die Unterkunft der Fremden zu forgen, dem Goden verurfachte. In der Sturlüngenzeit wird nun freilich noch ein paarmal einer Abgabe gedacht l), welche man als sauöatoHr oder saudakvöö, d. h. Schafdeuer bezeichnete, und welche in der Lieferung je eines Schafes durch jeden dingdeuerpflichtigen Bauern bedanden zu haben fcheint ; aber diefelbe fcheint eine nur in gewiffen Gegenden, und nur undändig kraft befonderer Verwilligung erhobene Abgabe gewefen zu fein, und hatte wohl fchon aus diefem Grunde für den Goden keine grofse Bedeutung, fo fchwer diefelbe auch unter Umdänden auf die Steuerpflichtigen drücken mufste. Daffelbe mufste, nur noch in verdärktem Grade auch von der Gastung gelten, welche der Gode gelegentlich feiner Rundreifen bei feinen einzelnen Dingleuten einzunemen pflegte; der Gewinn, welchen er aus derfelben zog, war ficherlich kein dem fchweren Opfer entfprechender, welches der Bauer, zumal in Mifsjahren, zu bringen hatte, wenn fein Häuptling mit grofsem Gefolge fich bei ihm ins Quartier legte. So find denn die Einkünfte, welche die Goden aus ihren Godorden zu ziehen pflegten, im Vergleiche zu dem' fehr bedeutenden Aufwände, welchen die Behauptung der Würde in Anfpruch nam, und zumal mit den beträchtlichen An-

1) Sturldnga, Vü, cap. 37, S. 78; VIII, cap. 10, S. 140; IX, cap. 36, S. 258, und cap. 38, S. 262; X, cap. 2, S. 290.

Der Staat. 211

forderungen, welche die Dingleute felbft an die Hülfe ihres Goden Hellten, keineswegs reiche, und der von Dahlmanni) angefochtene Ausfpruch des Zehntgefetzes, dafs das Godord zwar Macht, aber nicht Vermögen fei, und darum auch der Verzehntung nicht zu unterliegen habe, erweift fich als voUftändig der Sachlage ent- fprechend. Die isländifchen Bauern waren fich noch im 13. Jahr- hunderte der Thatfache fehr wohl bewufst, dafs ein Häuptling, der kein bedeutendes Privatvermögen befitze, nur durch aufserordent- liche Zufchüfle in Stand gefetzt werden könne feine Stellung zu behaupten^). Es ftand eben auf Island in diefem Punkte nicht anders als in anderen germanifchen Ländern, in welchen der Privat- befitz der regierenden Häufer für die Aufrechthaltung ihres Beftandes und Glanzes ja ebenfalls das Befte thun mufste; die freie Theil- barkeit und Veräufserlichkeit der Godorde machte es aber hier noch fchwerer als anderwärts, einen gröfseren Privatbefitz als bleibende Dotation mit den Herrfchaften beftimmter einzelner Häufer zu ver- binden.

Das Amt des Gefetzfprechers, die lögsaga, wurde bereits bei der erften Begründung einer isländifchen Gefammtverfaflung, im Jahre 930, eingeführt 3), und erhielt fich von da ab in ununter- brochener Geltung bis zum Untergange des Freiftaates. Wir kennen die ganze Reihe der Männer, welche daflTelbe während diefer langen Zeit bekleidet haben, und find es derfelben, wenn wir IJlfljot nicht mitzählen, 32, von welchen freilich manche daffelbe zweimal be- kleidet haben, und einer fogar zum dritten Male^). Die Würde fcheint aus Norwegen herübergenommen, aber doch war der Titel ihres Trägers ein etwas anderer als hier; während diefer nämlich in Norwegen, Jämtaland mit einbegriffen, dann auf den Orkneys und den Hebriden lögmaör oder lagmaör hiefs, wurde er auf Island gleichwie auch auf den Faeröern lögsögumaör genannt, und lögmaör hiefs hier nur der Rechtskundige als folcher, ohne irgendwelche Beziehung auf irgend ein Amt. Da freilich nach der Unterwerfung Islands unter den norwegifchen König auch dort der norwegifche Amtstitel angenommen wurde, zeigen einzelne Quellen fpäterer

1) Gefchichte von Dänemark, II, S. 269 und 272.

2) Sturlünga, IX, cap. 36, S. 258. S) Vgl. oben S. 62—63.

4] Vgl. Jon Sigurösson, Lögsögumanna tal og lögmanna d Islandi (Safn til sögu Islands, II, S. 1 260), welche Arbeit bis in die neuere Zeit herabreicht.

14*

212 Der Stiiat.

Entftehung, und einzelne fpätere Bearbeitungen älterer Quellen deft- felben auch bet-eits fiir die freiftaatliche Zeit angewandt ; dergleichen Jft indeffen ganz in derfelben Weife als ein gefchichtlicher Verftofs iu betrachten, wie etwa die Erwähnung von lögmenn, welche fchon Im 10. JahAundert im tsaQörftr oder im Svarfaöardale ganz in fpäterer Weife ftreitige Rechtsfragen durch ihren lögmanns orskurö entfchieden haben foUen i) ; hier wie dort handelt es fich eben nur um ein Zurücktragen fpäterer Zuftände in eine frühere Zeit, wie Iblches bei fpät verfafsten Quellen, oder fpät genommenen Abfchriften fehr häufig vorkommt. Anders als die Godenwürde, bezog fich das Gefetzfprecheramt auf das ganze Land und Volk, nicht blos auf einen einzelnen Bruchtheil deffelben; anders als jene, wurde daffelbe femer durch Wahl vergeben, nicht durch einen privat- rechtlichen Titel erworben. Allerdings kommt es vor, dafs in einzelnen Fällen mehrere Angehörige eines und deffelben Haufes die Würde bekleiden, und ausnamsweife wird fogar einmal ein Gefetzfprecher, welcher Krankheits halber diefelbe niderlegen mufs, zu deren Uebertragung auf feinen Schwefterfohn ermächtigt 2); aber diefs ift nur eine Folge der Thatfache, dafs in einzelnen Familien die Rechtskunde mehr gepflegt wurde als in anderen, und hat mit einer Erblichkeit des Amtes felbft Nichts zu thun. Nach dem einen unferer Rechtsbücher erfolgte die Wahl fogar nur auf eine Frift von 3 Jahren, nach deren Ablauf das Amt freilich dem bisherigen Inhaber auch fernerhin noch belaffen werden konnte ; andererfeits konnte der letztere nicht nur wegen Krankheit daffelbe niderlegen, fondern auch wegen Unfleifses in deffen Führung abgefetzt werden 3), und aus beiderlei Möglichkeiten erklärt fich leicht die höchft un- gleiche Dauer der Amtsführung, welche die Gefchichtsquellen den einzelnen Gefetzfprechern beilegen. Die Wahl des Gefetzfprechers ftand der lögr^tta zu, und nur für den Fall, da der Tod eines folchen vor dem Alldinge erfolgt, wird für die Haltung des Vor- trages der Dingordnung, welcher gleich am erften Freitage der Dingzeit zu erfolgen hat, ein Erfatzmann aus dem Landesviertel

1) fsfirÖfnga s., cap. 1, S. 2, und cap. 8, S. 7 8; Svarfdaela, cap. 10, S. 137 und 138. Wenn ich früher, Entftehung des isländifchen Staates S. 141—2, diefe Angaben als verläffig behandelt habe, fo habe ich doch diefe Meinung bereits in Bd. VII der Germania, S. 245, ausdrücklich zurückgenommen.

2) tslendfngabök, cap. 8, S. 13.

3) Kgsbk, i 116, S. 210.

Der Staat. 218

genommen, und fomit doch wohl auch von deffen Coden gewählt, welchem der Verdorbene angehört hatte. Die Wahl eines neuen Gefetzfprechers erfordert Einftimmigkeit der lögr^tta, wogegen zur blofsen Verlängerung der Amtsperiode eines bereits gewählten Stimmenmehrheit genügt; ift erfterenfalls Einftimmigkeit nicht zu erzielen, fo wird durch das Loos das Landesviertel beftimmt, auf welches das Wahlrecht übergehen foll, und feine Angehörigen, d. h. doch wohl die ihm zugehörigen Coden, wählen fodann nach Stimmenmehrheit, wobei vorkommendenfalls die Stimme des be- treffenden Bifchofs den Ausfchlag giebt. Der Cewählte wird, wenn er die Wahl annimmt, fofort feierlich in fein Amt ein- gefetzt, und hat von dem Zeitpunkte feiner Einfetzung ab auch fofort fein Amt zu führen. Auffallig ift, dafs keinerlei Vorbe- dingungen für die Wählbarkeit erwähnt werden ; indeffen mochte ja als felbftverftändlich gelten, dafs nur volljährige und unbefcholtene Männer aus den angefeheneren Häufem des Landes zu der Würde erhoben wurden, und wirklich gehören nahezu alle Cefetzfprecher, deren Familienverhältniffe wir überhaupt feftzuftellen vermögen, zu den regierenden Cefchlechtern. Einige von ihnen, wie Finnr Hallsson, Hallr Cizurarson, Styrmir Kärason, Ketill i)Orläksson waren Priefter, oder hatten doch wie der Suhdiakon Ölafr hvftaskäld, die nideren Weihen empfangen; dergleichen ift indeffen nur natürlich, da ja auch Codorde oft genug in der Hand von Klerikern lagen. Die Thätigkeit des Cefetzfprechers, welche er indeffen auch durch einen felbftgewählten Vertreter ausüben laffen konnte i), bezog fich wefentlich, und urfprünglich vielleicht fogar ausfchliefslich, auf das Allding. Hier führt er zunächft den Vorfitz am lögberg. Hier hat er feinen ein für allemal beftimmten Platz, und hier hat er auch denjenigen, welche vom Cefetzesfelfen aus Etwas an die Landsgemeinde zu bringen haben, das Wort zu ertheilen; Niemand darf ohne feine Ermächtigung hier Platz nemen , und andererfeits Niemand ihm felbft oder dem von ihm Ermächtigten feinen Platz entziehen 2); alle Verkündigungen vom lögberge aus find ferner fo vorzunemen, dafs der Cefetzfprecher fie hört, und diefer hat die Obliegenheit, den Leuten dabei das Recht zu weifen 3), d. h..bei

1) Vgl. z. B. Sturltfnga, V, cap. 11, S. 128.

2) Kgsbk, i 116, S. 209; i 117, S. 216.

8) Ebenda, J 172, S. 76; Landabrb. , cap. 1, S. 204; vgl. den älteren Text, S. 220. Ferner Kgsbk, i 21, S. 40.

214 I>«r Staat.

dem vielfach verwickelten Formalismus des Verkündigungswefens den Leuten an die Hand zu gehen. Auch den Gerichten des Alldings gegenüber behauptet der Gefetzfprecher eine gewiffe leitende Stellung. Zu dem feierlichen Auszuge ihres Perfonales, welcher ihrer Conftituirung vorangeht, hat er durch eine Glocke das Zeichen geben zu laffen, und er beftimmt den Ort, an welchem die Gerichtsfitzungen zu halten find; vom Gefetzesfelfen geht der Zug aus, und der Gefetzfprecher ift es, welcher ihn anfuhrt i). Auf den Gang der Gerichtsverhandlungen hat er freilich an und für fich keinen Einflufs; indeffen kann er doch auch hier in den Fall kommen, den Leuten das Recht zu weifen. Ausdrücklich wird ihm nämlich die Verpflichtung auferlegt, den Leuten, welche ihn darum an- fprechen, über ftreitige Rechtsfragen Auffchlufs zu er- t heilen, nur dafs er nicht gehalten fein foUte, bezüglich des zweck- mäfsigen Verfahrens in einer einzelnen Rechtsfache proceCTualifchen Rath zu geben 2) ; ausdrücklich wird ferner dabei gefagt, dafs diefer Auffchlufs am Ding fowohl als in der Heimat ertheilt werden muffe, allein die betreffenden Worte fcheinen fafl ein fpäteres Einfchiebfel zu fein, und die ältere Regel nur am Alldinge dem Gefetzfprecher die betreffende Verpflichtung auferlegt zu haben 3). Die Gefchichts- quellen zeigen, dafs in der That folche Gutachten fehr häufig von ihm verlangt wurden, wenn man im Gerichte über eine Rechtsfrage nicht einig werden konnte, oder dafs er auch wohl unaufgefordert die Richter, oder auch Schiedsrichter, darauf aufmerkfam machte, wenn fie ihm im Begriffe zu fein fchienen, eine Rechtsvorfchrift zu überfehen oder falfch anzuwenden^); als orskurör, d. h. Entfcheidung, wird dabei fein Spruch bezeichnet, und in weitaus den meiflen Fällen genügte das Anfehen, deffen er genofs, um demfelben fofort durchfchlagende Wirkung zu fiebern, wiewohl derfelbe die formell verpflichtende Kraft eines Urtheils nicht hatte, und darum auch wohl einmal unbeachtet bleiben konnte, wenn anders die Leiden-

1) Kgsbk, i 24, S. 45, und § 28, S. 62—3.

2) Ebenda, } 117, S. 216.

3) Die Worte lauten nämlich : »(»ess er lögsögumaÖr skylldr, at segja öUum ^eitn er bann spyrja b^r lögmäl, baebi h^r ok beima«; der Widerfpruch zwiTchen dem erilen ;»h^r4r und dem folgenden »b^r ok beima« ift augenfällig.

4) Belege flebe in meinem Artikel »Grägäs«, S. 86, Anm. 14, wozu allen- falls nocb Laxdsela, cap. 25, S. 102, dann Njäla, cap. 13, S. 24^ zu ver- gleichen find.

Der Staat. 215

fchaftlichkeit der Partheien erregt genug war um jene Rückficht aufscr Acht zu laflen. Immerhin ift klar, dafs dem Gefetzfprecher durch diefe feine Confultativpraxis ein fehr bedeutender mittelbarer Einflufs auf die Rechtfprechung der Gerichte gefiebert war, welcher fich freilich noch auf ein weiteres Bereich ausdehnte, weil derfelbe, wenn auch vielleicht Anfangs dazu nicht verpflichtet, auch aufser- halb der Gerichte und daheim auf feinem Hofe Gutachten zu er- theilen im Falle war. Erheblicher noch w^ar der Einflufs, welchen dem Gefetzfprecher die ihm zuftehende Vorftandfchaft in der gefetzgebenden Verfammlung verfchaffle. In diefer hatte er neben den Goden älterer Ordnung und den beiden Landesbifchöfen Sitz und Stimme!); in ihr übte er ferner die gewöhnlichen Prä- fidialrechte ihrem vollen Umfange nach aus. Er kann demnach die lögr^tta nach feinem Ermeflen zu aufserordentlichen Sitzungen einberufen j er handhabt die Ordnung in derfelben und kann ins- befondere, wenn einzelne Mitglieder derfelben bei einer Sitzung ausbleiben, oder bei einer Abftimmung die Abgabe ihrer Stimmen verweigern, deren Platz durch Erfatzleute befetzen; er hat bei Stimmengleichheit den Stichentfcheid in allen den Fällen, in welchen nicht Einftimmigkeit der Verfammlung erforderlich ift; er hat end- lich die fämmtlichen in der lögretta gefafsten Befchlüffe vom lögberg aus zu verkündigen 2). Die Veröffentlichung der hier befchloflenen Novellen (nymaeli), welche alle drei Jahre widerholt werden mufste, ^venn folche nicht ihre Kraft verlieren foUtenS), und wohl auch der Rechtsrichtungen 4), die Veröffentlichung ferner der hier verwilligten Privilegien und Gnaden 5), fowie auch des Jahreskalenders für das nächfte Jahr 6), hatte dabei vom lögberge aus am Schlufle der Dingzeit zu erfolgen; die Veröffentlichung der Ergebnifle des All- dinges und der Vorfchriften über das bis zum Zufammentritte des nächften Alldinges zu beobachtende Verhalten bildete in der That einen um fo paflenderen Schlufs für die Dingzeit;, als die heim- reifenden Dingleute von dem Inhalte gerade diefer Mittheilungen

1) Kgsbk, i 117, S. 211.

2) Ebenda, S. 212—16.

3) Ebenda, § 19, S. 87; § 101, S. 177, vgl. mit Vigslö&i, cap. 52, S. 93.

4) Kgsbk, i 117, S. 216.

5) Ebenda, J 116, S. 209; vgl. g 55, S. 95.

6) Ebenda, § 116, S. 209; ferner § 47, S. 85, und Kaupab. , cap. 38, S. 442.

216 . I^ci Slaat.

am Herbftdinge, und vielleicht auch noch am nächften Frühlings- dinge den in der Heimat Zurückgebliebenen Nachricht zu geben hatten 1). Schon mit dem Vortrage des Jahreskalenders fcheint der Gefetzfprecher allerdings über das Bereich hinauszugreifen, welches ihm als dem Vorftande der lögrfetta zukam, und in höherem Grade noch fcheint dies bei den Rechtsvorträgen der Fall zu fein, deren Haltung zu feinen wefentlichften Ob- liegenheiten gehörte; indeflen ift doch auch diefer Uebergriff nur ein fcheinbarer. Während der drei Jahre, auf welche fich feine regelmäfsige Amtsperiode erftreckte, foUte der Gefetzfprecher alle einzelnen Abfchnitte des Landrechts einmal voUftändig vortragen, dagegen den auf die Dingordnung bezüglichen Abfchnitt jedes Jahr gleichmäfsig, und zwar mufste der letztere Vortrag jedesmal am erften Freitage der Dingzeit erfolgen, wogegen es bezüglich der übrigen Abfchnitte dem Gefetzfprecher felbft überlaffen war zu beftimmen, welche Abfchnitte er in jedem einzelnen Jahre, und an welchem Tage der Dingzeit er jeden derfelben vortragen wollte 2). Da es bei dem Vortrage der Dingordnung darauf ankam, beim Beginne der Alldingsgefchäfte den Dingleuten die auf deren Ab- wickelung bezüglichen Vorfchriften ins Gedächtnifs zurückzurufen, während es bei dem Vortrage der übrigen Rechtslehren nur ganz im Allgemeinen darauf abgefehen fein konnte, in dem Volke die Kenntnifs feines Rechtes wach zu erhalten, erklärt fich diefe ver- fchiedene Behandlung der betr. Vorträge völlig befriedigend. Für die Haltung beider Arten von Rechtsvorträgen gut aber der Aus- druck »segja upp«, welcher auch die Vorname aller anderen dem Gefetzfprecher obliegenden Verkündigungen bezeichnet , und der Rechtsvortrag felbft heifst geradezu >uppsagac8)j auch fie werden ferner regelmäfsig am lögberge gehalten, wiewohl fie auch in die lögretta, und bei ungünftiger Witterung fogar in die Kirche an der Dingftätte verlegt werden können; auch bezüglich ihrer läfst fich endlich behaupten, dafs der Gefetzfprecher wider nur als Vor- fitzender der gefetzgebenden Verfammlung handelte*). Bei dem

1) Vgl. bezüglich der nymaeli Kgsbk, } 19, S. 87; bezüglich der nymseli und des misseristal § 61, S. 112; bezüglich der Faften, § 15, S. 32 und 83; ferner KrR. hinn gamli, cap. 27, S. 122, und cap. 29, S. 128.

2) Kgsbk, J 19, S. 37; ? 116, S. 209; } 117, S. 216-17.

3) Ebenda, J 117,8.216, dann J 86, S. 150, und Vf gslöÖi, cap. 21, S. 37.

4) Kgsbk, ; 117, S. 216.

Der Slaat. 217

Rechtsvortrage mufsten nämlich die fämmtlicheii Mitglieder diefer letzteren anwefend fein, um ihm feine volle Bedeutung zu fichern (fylla uppsögu), ganz wie die auf den letzten Tag der Dingzeit anberaumte Sitzung der lögrfetta l) offenbar auf die an diefem Tage vorzunemenden Verkündigungen fich bezog, und hier wie dort war der Sinn der Vorfchrift augenfcheinlich ganz gleicherweife der, dafs der Gefetzfprecher nur das Organ bilden foUte , durch welches die gefammte lögretta zum Volke fprach, und dafs fomit insbefondere fein Rechtsvortrag als ein Zeugnifs diefer letzteren über das im Lande geltende Recht betrachtet werden foUte. Ganz verkehrt ift es, wenn einige neuere Schriftfteller dem Gefetzfprecher eine Art eigenen Gefetzgebungsrechtes, dem prätorifchen Edifte der Römer vergleichbar, beilegen wollten, deffen Wirkfamkeit nur auf feine dreijährige Amtsperiode befchränkt gewefen fei 2); nicht als eine Quelle neuen Rechtes, fondern nur als ein Zeugnifs über das bereits geltende Recht ift vielmehr fein Rechtsvortrag aufzufaffen, aber freilich als ein Zeugnifs von ganz ungewöhnlicher Kraft und Be- deutung, wie fich dies leicht begreift, wenn man bedenkt, dafs man zweifellos immer nur Männer von ungewöhnlicher Rechtskenntnifs zu dem Amte berief, dafs das Recht felbft dem Gewählten zur Pflicht machte, andere Rechtsverftändige vor dem Vortrage zu Rathe zu ziehen, wenn er fich feiner Kenntnifs nicht ficher genug fühlte 3), dafs endlich die Anwefenheit der gefammten lögretta eine weitere Garantie für die Richtigkeit des Vorgetragenen bot. Uebrigens fcheint diefer Rechtsvortrag an feiner urfprünglichen Be- deutung mit der Zeit etwas eingebüfst zu haben. Es wurde bereits gelegentlich darauf aufmerkfam gemacht, dafs die in den Jahren 1 1 1 7 1 8 aufgezeichnete Haf litaskrä wefentlich nur eine fchriftliche Feftftellung der wichtigeren Abfchnitte jenes Vortrages gewefen fei^); damit war dann aber der Grundbeftandtheil ihrer Vorträge den fpäteren Gefetzfprechern nach Form und Inhalt bereits gegeben, und konnte es fich fortan für fie nur noch darum handeln, durch Ein- fchaltung neuerer Novellen, Berückfichtigung der neueren Praxis

1) Ebenda, S. 212.^

2) So Schlegel, Comment., S. XLI 11, und Om Graagaasen, S. 129; dann Pardessus, Journal des Savans, 1831, S. 200 201, und Lois maritimes, in, S. 47. Vgl. meine Gegenbemerkungen im Artikel »Grägds«, S. 88.

S) Kgsbk, i 116, S. 209. 4) Vgl. oben, S, 67—68.

218 r>er Staat.

und der neuerdings entftandenen Streitfragen, dann etwa auch durch einzelne VervoUftändigungen und Erläuterungen des älteren Rechts jene codificirte uppsaga den Bedürfniflen der Gegenwart entfprechend fortzubilden. Durch ihre Aufzeichnung war aber die uppsaga ihrem Hauptbeftandtheile nach überdies Jedermann zugänglich geworden; der wirkliche Vortrag, welcher urfprünglich fo wichtig gewefen war, dafs anhaltende Heiferkeit als zwingender Grund für die Nider- legung des Gefetzfprecheramtes gegolten hattet), war jetzt bereits nicht mehr fchlechthin nöthig, fodafs derfelbe nunmehr dem Gefetz- fprecher erlaffen werden konnte, wenn die Leute fanden, dafs fie nicht Zeit haben denfelben anzuhören 2). Zur VervoUftändigung des bisher Bemerkten mag noch erwähnt werden, dafs der Gefetz- fprecher einerfeits gewiffe Einkünfte aus feinem Amte zog, andererfeits aber auch wegen aller und jeder Verfäumniffe in deflen Führung fchweren Strafen unterlag. Nach dem einen unferer Rechtsbücher 3) bezog derfelbe einen ftändigen Gehalt von zwei Hunderten von Ellen vaömäls jährlich, und da Slöu-Hallr im Jahre looo dem t>orgeirr Ljösvetningagoöi gerade diefen Betrag dafür verfprach, wenn er den Rechtsvortrag für die Chriften ebenfogut wie für die Heiden übernemen wollet), fo ift klar, dafs damals bereits der Händige Bezug des Gefetzfprechers die gleiche Höhe erreichte. Als unftändige Einname erhielt der Gefetzfprecher ferner die Hälfte aller Bufsen, auf welche am Alldinge erkannt wurde, natürlich fo- weit nicht deren Bezug ausnamsweife anderen Perfonen zugewiefen war, wie diefs z. B. bezüglich der vom Gefetzfprecher felbft ver- wirkten 5), aber auch noch bezüglich einzelner anderer Bufsen der

1) Islendfngabök , cap. 8, S. 13.

2) Kgsbk, § 117, S. 216—17.

3) Ebenda, § 116, S. 209—10.

4) ünfere Islendfngabök, cap. 7, S. 11, nennt allerdings keinen Beirag: aber die Kristni s., cap. 11 S. 22, die Olafs s. Tryggvasonar, cap. 22«, S. 236 (FMS., 11), und die Flbk, I, S. 443, geben ein halbes Silberhuudert an, welcher Betrag nach der Kgsbk, g 245, S. 192, im Jahre 1000 gerade zwei Hunderten von Ellen gleichkam. Offenbar haben diefe Quellen aus der älteren Recenfion der Islendfngabök gefchöpft, und ift demnach die Angabe einer halben Mark Silbers in der ebendaher gefloffenen Interpolation bei Oddr, cap. 37, S. 299, (FMS., X) und cap. 37, S. 138, ed. Reenhjelm (bei Munch, cap. 30, S. 33, fehlt das Einfchiebfel] als eine leicht erklärliche Corruptel zu betrachten. Die Angabe von drei Mark in der Njala, cap. 106, S. 164, ift entweder ver- fchrieben für fünf Mark, oder falfch berechnet.

6) Kgsbk, g 117, S. 217.

Der Staat. 219

Fall war *). Andererfeits trifft den Gefetzfprecher für jede geringere Verletzung feiner Amtspflichten, die er nicht durch ehehafte Noth zu entfchuldigen vermag, eine Geldbufse von 3 Mark, wogegen ihn für eine Verfchuldung, die fchwer genug ift um unter den Begriff der Dingftörung (^fngsafglapan) zu fallen , wie jeden Anderen die Landesverweifung trifft, wobei es dem freien Ermeffen der Mehrheit in der lögr^tta überlafTen gewefen zu fein fcheint, die Grenze zwifchen den fchwereren und leichteren Vergehen von Fall zu Fall zu ziehen 2); wegen einzelner ganz befonders grober Verletzungen feiner Amts- pflichten konnte überdiefs auch noch die Dienflentlaffung gegen den Ge- fetzfprecher ausgefprochen werden 3). Alles in Allem genommen war hiemach die Stellung des Gefetzfprechers eine weit mehr glänzende als politifch einflufsreiche. Sehr erheblich war allerdings feine Wirk- famkeit in Bezug auf die Ueberlieferung und Fortbildung des Rechts, und durch den Einflufs, welchen feine Rechtsbelehrungen auf den Gang der gerichtlichen Verhandlungen, und welchen feine Stellung innerhalb der lögr^tta auf die Verwilligung oder Verfagung von Begnadigungen ausübte, vermochte er allenfalls auch, zumal in den älteren und einfacheren Zeiten, auf die Handhabung des Landfriedens und der Strafrechtspflege kräftig einzuwirken, wie diefs Ari froöi dem Skapti t>öroddsson (1004 3^) nachrühmt 4); aber von allen Be- fugniffen, welche irgendwie mit der Executivgewalt zufammenhiengen, war er auf das Sorgfältigfle ausgefchloffen , wie denn fogar die Hegung des Alldinges nicht ihm, fondern dem alsherjargoöi, und der Schutz der Alldingsgerichte den Goden des betreffenden Landes- viertels anvertraut war; feine Thätigkeit war wefentlich auf die beiden Wochen befchränkt, während deren das Allding verfammelt war, und die Kürze feiner Amtsperiode, welche nicht ohne den Willen der lögr^tta, d. h. der Gefammtheit der Goden, erftreckt werden konnte, mufste im Vereine mit der Vergebung des Amtes durch die Wahl derfelben lögr^tta jede Möglichkeit einer Erweiterung feiner Competenz ausfchliefsen. Die Klugheit, mit welcher die auf ihre herrfchende Stellung eiferfüchtigen Goden den Einflufs des Gefetzfprechers auf ein für fie unfchädliches Gebiet zu begrenzen,

1) Ebenda, i 41, S. 73.

2) Kgsbk, i 117, S. 217. Vgl. wegen des Begriffs der Dingftörung oben, S. 176.

8) Ebenda, ; 116, S. 210.

4) Islendingabök, cap. 8, S. 13.

2t20 Die Kirche.

und demfelben zugleich jeden Anhaltspunkt zu einer Umwandlung in eine erbliche Gewalt zu entziehen wufsten, hat in der That er- reicht, dafs felbft in einer Zeit, in welcher Alles auf die Herftellung ^iner Alleinherrfchaft im Lande hindrängte, niemals der Verfuch gemacht wurde, das Gefetzfprecheramt zu folchem Behufe als Stütz- punkt zu benützen. Aber freilich hat eben diefe eiferfiichtige Wahrung der eigenen Rechte die Coden vollftändig die Fürforge für den Fortbeftand des Staates felbft vergeffen laflen. Der einzige Würdenträger, in welchem fich die Einheit des gefammten Landes verkörperte, war von jeder Executivgewalt ferngehalten ; die Träger der Executivgewalt dagegen repräfentirten zwar in ihrer Gefammt- heit als Mitglieder der lögr^tta gleichfalls den Gefammtftaat, waren aber in ihren Einzelintereßen allzu fehr gefpalten, als dafs fie deflen Intereflen fich freiwillig untergeordnet hätten, ohne dafs doch eine folche Unterordnung beim Fehlen jeder centralen Executivgewalt ihnen hätte aufgezwungen werden können. Fortwährende Kämpfe unter den verfchiedenen Häuptlingsfamilien, fowie fchrankenlofe Unterdrückung der kleineren Leute durch diefe letzteren, waren die naturgemäfsen Folgen jenes Mangels jeder kräftigen Central- gewalt. Solange die einzelnen Häuptlinge fich noch an Macht ziemlich gleich ftanden, und damit auch für den kleineren Mann die Möglichkeit begründet war, durch den Uebertritt zu einem anderen Goden dem allzu fchweren Drucke feines bisherigen Herren zu entgehen, mochten jene Uebelftände fich noch wenig fühlbar machen; fowie aber durch die Vereinigung zahlreicher Godorde in wenigen Händen jene Gleichheit unter den regierenden Häufem befeitigt und diefe Möglichkeit des Austrittes aus dem bisherigen Dingver- bande thatfächlich ausgefchlofTen war, mufsten diefelben in ihrer vollen Schärfe hervortreten, und damit die innere Unhaltbarkeit der überlieferten VerfafTungszuftände fchlagend offenbaren.

§. 8. Die Kirche.

Die religiöfen Zuftände des Nordens überhaupt und Islands insbefondere während des Heidenthums find bereits ofl genug, und unter Andern auch von mir felber behandelt worden i), um hier nicht nochmals befprochen werden zu dürfen; die kirchlichen Zu-

1) Die Bekehrung des norwegifchen Stammes zum Chridenthume, Bd. II, S. 6—264.

Die Kirche. 221

ftände in der chriftlichen Zeit muffen dagegen noch etwas näher ins Auge gefafst werden, wiewohl im vorigen Abfchnitte bereits mehrfach von ihnen zu fprechen war^), und mancherlei Wider- holungen fich in Folge deflen kaum vermeiden laffen.

Die Organifation der Kirche war in ihren Grundzügen natürlich durch das kanonifche Recht vorgezeichnet, wenn auch viel dazu fehlte, dafs deffen Vorfchriften in allen Einzelnheiten Ge- nüge gethan worden wäre. Das einheimifche Landrecht der Infel fetzt diefe Organifation der Kirche augenfcheinlich voraus; aber es enthält nur fehr wenige Beftimmungen, welche diefelbe ausdrücklich anerkennen und in ihren einzelnen Confequenzen näher reguliren, und muffen demnach feine Vorfchriften aus Urkunden und Gefchichts- quellen nach Möglichkeit ergänzt werden, wenn man ein klares Bild der kirchlichen Zuftände im Lande gewinnen vnü, Dafs Island erft dem Erzbisthume Bremen-Hamburg, dann dem Erz- bisthume Lund, endlich feit dem Jahre 1152 dem Erzbisthume Niöaros zugehörte, ift früher bereits bemerkt worden, und es kann nicht bezweifelt werden, dafs den jeweiligen Inhabern jener Erz- bisthümer die Metropolitanrechte Island gegenüber in ihrem ge- wöhnlichen Umfange nach kirchlichem Rechte zuftanden und auch landrechtlich principiell nicht beftritten wurden. Wir wiffen aus den Gefchichtsquellen, dafs der erfte einheimifche Bifchof der Infel, Isleifr Gizurarson, auf ausdrücklichen Befehl des Papftes von Erz- bifchof Adalbert von Bremen geweiht wurdet), und dafs derfelbe Erzbifchof fich auch fonft der isländifchen Miffion kräftig annam, wie er denn z. B. dem abenteuerlichen Treiben fo mancher wirk- licher oder angeblicher Bifchöfe zu fteuern fuchte, welche fich in diefelbe ohne feine Ermächtigung eindrängten 8). Auch der zweite Bifchof der Infel, Gizurr isleifsson, fuchte feine Weihe in Bremen, und nur der Umfland, dafs er den Erzbifchof Liemar im Banne fand, zwang ihn, fich an P. Gregor VII. zu wenden, welcher ihn an Erzbifchof Hartwig von Magdeburg wies, von dem er auch wirklich geweiht wurde*). Die drei nächftfolgenden Bifchöfe von Skälholt, nämlich ^orläkr Runölfsson (11 18 33), Magnus Einarsson,

1) Vgl. oben, S. 82—97, und S. 107—118.

2) Hüngrvaka; cap. 2, S. 61 2; Jons bps s., cap. 1, S. 151; Adam. Brem., III, cap. 70, S. 366, und IV, cap. 35, S. 385.

3) Hüngrvaka, cap. 2, S. 62—3.

4) Ebenda, cap. 5, S. 67; Jons bps. s., cap. 6, S. 158.

222 Die Kirche.

(1134 48) undKlaengr )>orsteinsson (i 152 y6), dann die drei ersten Bifchöfe von Hölar, Jon Ogmundarson (i 106 21), Ketill t>orsteinsson (1122 45) und Björn Gilsson (1147—62), wurden in Lund geweiht, und bei der Abfaflung des Chriftenrechtes, welches die Bifchöfe t>orIäkr und KettU iiir Island auf die Bahn brachten, wurde Erz- bifchof Özurr von da zu Rathe gezogen i). Ungleich enger wurden die "Beziehungen zum erzbifchöflichen Stuhle, feitdem derfelbe nach Norwegen gekommen war. Die Bifchöfe werden fortan fämmtlich hier geweiht, nämlich für Skälholt torläkr torhallsson (1178—93), Fall Jönsson (119S 121 1), Magnus Gizurarson (1216 37) und Sigurör tettmarsson (1238 68), dann für Hölar Brandr Saemundarson (1162 1201), Guömundr Arason (1203—37), Bötölfr (1238—46) und Heinrekr Kärsson (1247 60), und fie treten auch gelegentlich auf den in Norwegen gehaltenen Provincialfynoden als Suffragane ihres Erzbifchofes auf, wie Brandr Saemundarson zu Bergen (1164)2), und Fall Jönsson ebenda (1195)3); widerholt fahen wir auch wohl isländifche Bifchöfe fowohl als weltliche Häuptlinge vom Erzbifchofe nach Norwegen berufen, um mit ihm irgendwelche Verhandlungen zu pflegen, oder auch um fich vor ihm gegen irgendwelchen Vor- wurf zu rechtfertigen, und wenn zwar nicht jederzeit folcher Ladung pünktlich Folge geleiftet wurde, fo fcheint doch auch Niemand ge- wagt zu haben, deren Statthaftigkeit offen in Frage zu ftellen. Nicht minder wird jetzt eine Reihe erzbifchöflicher Erlafle an Volk und Bifchöfe der Infel gerichtet, und find uns foFche aus den Jahren II 73, II 79, II 80, 1189, 1190, I2n erhalten 4)- die Erlaffe des päpftlichen Stuhles , mögen fie nun ausfchliefslich auf Island fich beziehen, wie z. B. ein paar Erlaffe von F. Innocenz IIL aus dem Jahre 1198, und von F. Gregor IX. aus dem Jahre 12375), oder die ganze Kirchenprovinz angehen, und fomit die Infel nur nebenbei mitbetreffen, wie die Erlaffe von Clemens III. (1189), Cöleftin IIL (1196), Gregor IX. (1237), Alexander IV (1255 und 1260)6), dann

1) Hüngrvaka, cap. 11, S. 73; Kgsbk, f 17, S. S6, uftd KrR. hinn gamli, cap. 85, S. 140.

2) Magnus s. Erlingssonar , cap. 18, S. 804 (FMS., VII).

3) Sverris s., cap. 124, S. 298 (FMS., VIII).

4) Vgl. Diplom. Island., I, Nr. 38, 68, 64,( 71, 72 und 96, S. 221—3, 259—60, 262—4, 285—9, 290-1, und 362—9.

5) Ebenda, nr. 76—77, S. 299— 302 j dann nr. 132—8, S. 615 und 617.

6) Ebenda, nr. 70, 74, 131, 134, 146, 146, und 161, S. 284, 296—7, 614, 518, 587—8, 588—9, und 599—601.

Die Kirche. 223

die Erlaffe päpftlicher Legaten wie etwa des Cardinais Wilhelm (1247) fammt ihrer Beftätigung (1249)1) nemen ebenfalls ihren Weg über Norwegen, und gar manche urfprünglich nur für diefes letztere Land ergangene Beftimmung wurde doch hinterher auch nach Island hinübergefchickt, weil man der Meinung war, dafs das für Norwegen gültige kirchliche Recht ohne Weiters auch für die zur Kirchenpro- vinz von Niöar6s gehörigen auswärtigen Bisthümer zu gelten habe. Aber freilich weifs das gefchriebene Recht der Infel von allen diefen Befugniffen des Metropoliten Nichts, wie es denn überhaupt von deffen Perfon ganz und gar keine Notiz nimmt, und die Folge hie- ven ift, dafs demfelben keinerlei äufsere Zwangsgewalt für den Fall zu Gebote fleht, dafs feinen Anordnungen der Gehorfam verweigert wird; nur auf die Zwangsmittel des forum internum und der im engeren Sinne fo zu nennenden geifllichen Disciplinargewalt fah er fich demnach in folchem Falle befchränkt. Die Kirche war dem- nach vom Staate infoweit völlig unabhängig, als diefer ihren Verkehr mit ihren ausläridifchen Obern weder überwachte noch hemmte; aber fie wurde dafür auch vom Staate infoweit weder gefchützt noch gefordert. Nur der geifligen Macht, welche fie über die Ge- müther übte, und allenfalls auch der klugen Vorficht und dem perfbnlichen Anfehen ihrer Leiter ifl es hiernach zuzufchreiben, dafs das Verhältnifs der Kirche zum Staat die längfle Zeit hindurch im Ganzen ein recht befriedigendes war; dafs die Sache aber fofort eine andere Wendung nam, fowie einzelne Bifchöfe auf Antrieb ihres Erzbifchofes den Verfuch machten, den Forderungen des kanonifchen Rechts auch da Geltung zu verfchaffen, wo diefelben mit dem isländifchen Landrecht in offenem Widerfpruche flanden, ift oben bereits genügend ausgeführt worden. Von einem geordneten Episcopate kann auf Island erft feit B. Gizurs Zeiten die Rede fein. Ohne feften Bifchofsfitz und bleibende Dotation, war B. Isleifr im Grunde noch ein blofer Miffionsbifchof gewefen gleich fo manchen anderen deutfchen, englifchen und irifchen Männern, welche vor und neben ihm die Verkündung des Evangeliums auf der Infel betrieben; erft nachdem Gizurr aus eigenen Mitteln für einen bleibenden Sitz und eine regelmäfsige Dotation des Bis- thumes geforgt, und ein Gefetz erlangt hatte, durch welches diefes für alle Zukunft mit dem Hofe zu Skälholt verbunden wurde,

1) Ebenda, nr. 139-141, S, 546-53, 555—68, und 570-74.

224 I^i« Kirche.

nachdem derfelbe ferner auch noch die Errichtung eines zweiten Bisthumes zu Hölar dnrchgeftlhrt hatte, konnte die Organifation des isländifchen Episkopates als vollendet gelten. An Umfang fehr verfchieden, fofeme das Bisthum zu Hölar auf das Nordland be- fchränkt war während die drei anderen Landesviertel unter Skälholt (landen, haben beide Bisthümer die Reformation überdauert und bis in unfere Zeit herab fich erhalten; erft durch Refcript vom 29. April 1785 wurde die Verlegung des Bisthumes Skälholt nach Reykjavik, und erft durch Refcript vom 2. October 1801 die Ein- ziehung des Bisthumes Hölar verfugt i), fodafs feitdem ein einziges Bisthum mit dem Sitze zu Reykjavik für die Infel befteht Das isländifche Recht verhielt fich aber feinen einheimifchen Bifchöfen gegenüber ganz anders als gegenüber dem ausländifchen Erzbifchofe ; es widmete ihnen einen eigenen Abfchnitt in feinem Chriften- rechte^), und kam auch in den das weltliche Recht behandelnden Abfchnitten oft genug auf fie zu fprechen. Rechtlich garantirt ift zunächft der Beftand der beiden Bisthümer, derfen Sitz, und der Umfang ihres Sprengeis, während zugleich ausdrückliche Beftimmungen darüber gegeben find 3), wieweit ausländifche Bifchöfe, welche die Infel befuchen, auf derfelben zu geiftlichen Verrichtungen zugelaflen feien; die ausdrückliche Erwähnung griechifcher. und armenifcher Männer, welche nicht lateinifch können, erinnert dabei noch an die unruhige Zeit der Miflionsbifchöfe. Rechtlich geordnet, wenn auch keineswegs erfchöpfend geordnet, war femer auch die Amtsthätig- keit der Bifchöfe. Zu einer regelmäfsigen Bereifung waren fie ver- pflichtet (yfirför), und zwar foUte der Bifchof von Hölar alljährlich feine ganze Diöcefe, dagegen der von Skälholt jährlich nur je ein Landesviertel befuchen ; jede einzelne Gemeinde (hreppr) mufste dabei berührt werden, damit Jedermann im Stande fei, feinen Bifchof zu treffen. Die fogenannten jura ordinis reservata hat der Bifchof theils gelegentlich diefer feiner Rundreifen auszuüben, wie z. B. das Weihen der Kirchen und Kapellen, dann die Firmung der Kinder (biskupan), theils auch daheim bei feiner Kathedrale, wie z. B. die Bereitung des Chrisma's, mit dem er feine Priefter zu verfehen hat, oder die Ertheilung der Priefterweihe, welche an den Quatember-

1) Lovsamling for Island, Bd. V, S. 182—7, und VI, S 630—1.

2) Kgsbk, § 6, S. 19—20; KrR., cap. 14, S. 60—68.

3) Kgsbk, i 6, S. 22; KrR., cap. 16, S. 74—6.

Die Kirche. 225

tagen in der Domkirche zu erfolgen pflegte i). Sowohl daheim als gelegentlich feiner Rundreifen hatte der Bifchof ferner Beicht zu fitzen, wobei es felbftverfländlich vorzugsweife, wenn auch keines- wegs ausfchliefslich, auf die casus reservati abgefehen war, deren auch auf Island Erwähnung gefchieht^); in feiner Domkirche pflegte er überdiefs gelegentlich die (ämmtlichen pfarramtlichen Verrichtungen zu übememen, und zumal durch die Predigt auf das Volk zu wirken, wie diefs z. B. dem heiligen l>orläk, dann dem heiligen Jon Ögmund- arson nachgerühmt wird, während wir von B. Päll Jönsson erfahren, dafs er wenigftens viermal im Jahre, an hohen Kirchenfeften, predigte 3). Nicht minder wichtig find die Jurisdiftionsrechte, welche dem Bifchof über feine Diöcefe zuftehen. Vor Allem hat er die Geiftlichkeit feines Bezirkes zu überwachen. Er hat daiiir zu forgen, dafs in feiner Diöcefe ftets die nöthige Anzahl von Prieftern vor- handen fei, und wir wiflen, dafs B. Päll einmal fämmtliche Kirchen in den drei Landesvierteln, welche ihm untergeben waren, zählen und die zum Dienft an denfelben nöthige Zahl von Prieftern feft- ftellen liefs, um mit Sicherheit beftimmen zu können, wievielen Prieftern er Urlaub zur Reife aufser Lands ertheilen dürfe, und für wieviele er etwa Erfatz zu befchaffen habe 4); es waren aber damals der Kirchen 220, und waren 290 Priefter nöthig zum Dienfte an denfelben, eine nicht geringe Zahl, wenn man bedenkt, dafs im Jahre 1863 als dem letzten, für welches ftatiftifche Angaben vor- liegen, der Kirchen in denfelben drei Landesvierteln 203 &), der Pfarreien aber im Jahre 1870 nur 171 waren 6), wobei freilich zu bedenken kommt, dafs die höheren Unterrichtsanftalten und der Caplansdienft noch eine weitere Zahl von GeifUichen in Anfpruch nemen. Die Bifchöfe waren demgemäfs nach Kräften bemüht, ftets eine genügende Zahl junger Leute für den geiftlichen Stand heran- zubilden. Schon von Bifchof Isleif wird erzählt, dafs er viele aus- gezeichnete Männer zu folchem Behufe unterrichtete, und werden

1) ^orläks bps s., cap. 16, S. 107.

2) Siebe z. 6. {>orUks Pönitentialbucb , S. 243 und 244 (Diplom, island., I).

8) ^orUks bps s., cap. 12, S. 102—3; Jons bps s., cap. 11, S. 163—4; Päls bps s., cap. 14, S. 140.

4) Päls bps s., cap. 11, S. 186.

6) Skyrslar um landshagi i. Islandi, Bd. III, S. 836. 6) Ebenda, Bd. V, S. 86. Maurer, iBland. ' ^*'^

226 Die Kirche.

die fpäteren Bifchöfe Jon Ögmundarson von Hölar und Kolr t>orkelsson von Vikin in Norwegen ausdrücklich als feine Schüler bezeichnet l) ; von B. Jon Ögmundarson erfahren wir, dafs er eine förmliche Schule bei feiner Kathedrale errichtete, die er z. Th. mit ausländifchen Lehrern befetzte, und aus welcher unter Andern die Bifchöfe Björn Gilsson und Klaengr ^orsteinsson, fowie die Mbte Hreinn und Vilmundr hervorgiengen 2) ; auch B. |>orläkr Runölfsson und Klaengr ^orsteinsson werden wegen ihrer Sorgfalt für den Unterricht ihrer jungen Kleriker gepriefen^), und von B. torläk t»6rhallsson wird berichtet, dafs er folche fowohl in der Liturgie und ihren geiftlichen Verrichtungen, als im Lefen und anderen Künden unterrichtete*); ja fogar von dem unruhigen B. Guömund Arason hören wir, dafs er zu Hölar eine Schule einrichtete und einen Schulmeifter anftellte^). Allerdings kam folcher Unterricht gelegentlich auch dem Laienftande zu Gute; aber vorzugsweife wurde derfelbe immerhin im Interefle der Geiftlichkeit ertheilt, und auf ihre Bedürfnifle war er denn auch zunächft berechnet. Die inner- halb einer jeden Diöcefe vorhandenen Priefter find zum unbe- fchränkten Gehorfam gegen ihren Bifchof verpflichtet 6). Insbefondere haben fie bezüglich ihrer Kleidung und fonftigen äufseren Erfcheinung feinen Geboten Folge zu leiden, und ihm auf Verlangen ihre gottes- diendlichen Gewänder und Bücher vorzuweifen; der Bifchof aber hat darüber zu wachen, dafs diefe iur den das ganze Jahr hindurch zu verrichtenden Gottesdiend genügend find 7), und er hat auf Ver- langen den Priedern ihren Bedarf an Wein und Weizenmehl zur Spendung des Abendmahles zu fchafien, fowie die kirchlichen Ge- räthe ihnen zu weihen. Ausländifche Prieder, welche Island be- fuchen, muffen fich über den Empfang der Priederweihe, fowie über den Befitz genügender Bücher und. Mefsgewänder beim Bifchöfe

1) tslendfngabök, cap. 9, S. 14; Slurlün^a, III, cap. 2, S. 203: Kristni s., cap. 12, S. 27; Hüngrvaka, cap. 2, S. 68; Jons bps s., cap. S, S. 163.

2) Jons bps s.) cap. 11, S. 168 4, und cap. 14, S. 168; vgl. Gunnlaugs Bearbeitung, cap. 27, S. 289 und 241.

8) Hüngrvaka, cap. 11, S. 78, und cap. 18, S. 88.

4) |>orUks bps s., cap. 12, S 102, und cap. 18, S. 108.

5) GuÖmundar bps s., cap. 68, S. 608.

6) Kgsbk, i 6, S. 21; KrR., cap. 16, S. 72.

7) Kgsbk, I 4, S. 18; KrR., cap. 18, S. 56.

Die Kirche. 227

ausweifen, ehe fie das Recht erlangen dafelbft zu funftioniren i) ; der Wirkungskreis ift genau abgegrenzt, der ihnen auch ohne folche Ermächtigung offen fleht. Widerum fteht dem Bifchofe die Disci- plinargewalt zu über feine Priefter; fie muffen fich fügen, wenn er ihnen die Befugnifs zu geiftlichen Verrichtungen entzieht, und wenn fie fich gegen ihn widerfpenftig erweifen, fo mag er fie vor das Prie/lergericht ftellen. Indeffen kann diefes geiftliche Gericht doch nur auf eine Geldbufse erkennen; ift demnach ein Vergehen fo fchwer, dafs es zur Landesverweifung führt, wie z. B. grobe Ver- ftöfse bei der Taufhandlung oder der Bruch des Beichtfiegels^), fo geht die Klage an das weltliche Gericht, und eben darum mufs auch diefes mit der Klage um domrof angegangen werden, wenn dem auf Geldbufse lautenden Spruche des Prieftergerichtes keine Folge geleiftet wird. Die Ernennung der Geiftlichen, welche an jeder einzelnen Kirche den Gottesdienft zu verrichten haben, fteht dem Bifchofe nur ausnamsweife zu, wenn er durch befonderen Rechts- titel diefe Befugnifs erlangt hat; dagegen hatte er felbftverftändlich zu beurtheilen, ob der einzelne Kleriker, welcher fich die Weihe von ihm erbat, folche zu empfangen fähig und würdig fei 3), und wir wiffen welche Noth der heil. l>orläkr dabei hatte, fich der Bitten und Empfehlungen unwürdiger Candidaten zu erwehren*). Auch auf die Höhe der Bezüge war der Bifchof nicht ganz ohne Einflufs, welche der einzelne Priefter zu beanfpruchen hatte; insbefondere war er berechtigt, wegen der befonderen Ausdehnung oder Unweg- famkeit einzelner Gegenden den Geiftlichen, welche diefelben zu verfehen hatten, ihre Gebühren über das gefetzlich vorgefchriebene Mafs hinaus zu erhöhen 5). Weiterhin liegt dem Bifchofe die Für- forge für alle Kirchen in feiner Diöcefe ob. Er kann zwar Niemanden zwingen, eine Kirche an einem Orte zu bauen, wo noch keine ge- baut gewefen war; aber er ift doch wenigftens berechtigt, die In- ftandhaltung der beftehenden, und fogar die Widerherftellung der durch Unglücksfälle zerftörten Gotteshäufer zu fordern. Dabei ift er befugt, den Ort zu beftimmen, an welchem die neue Kirche auf-

1) Kgsbk, i 6, S. 21—22, KrR., cap. 16, S. 74.

2) Kgsbk, § 261, S. 216; KrR., cap. 8, S. 14, und cap. 16, S. 72.

8) Vgl. die Worte: {»ann er biskupi {>ykki fuUhUt, in Kgsbk, ^ 4,, S. 18, und KrR., cap. 18, S. 60.

4) ^orläks bps s., cap. 16, S. 107.

6] Kgsbk, ; 6, S. 21; KrR., cap. 16, S. 70.

15

228 I>»e Kirche.

gefuhrt werden foU, deren Gröfse vorzufchreiben, deren gehörige Dotirung durch den Baupflichtigen zu fordern, und den Zeitpunkt feftzufetzen, in welchem deren Einweihung vor fich gehen foUi); wenn für diefen Fall dem Bifchofe ausdrücklich die Befugnifs zuge- fprochen wird, die Einweihung der Kirche zu verfagen, fofeme die ihr beftimmte Dotation ihm ungenügend erfcheint, fo ift klar, dafs daflelbe Recht ihm auch fiir den anderen Fall zukommen muiste, da eine neue Kirche aus freien Stücken von einem nicht zum Baue Verpflichteten erbaut werden wollte. Auch von anderer Seite her fteht dem Bifchofe ein Einflufs auf die Dotation der Kirchen zu. Er hat zunächil zu beftimmen, an welche Kirche der Befitzer jedes einzelnen Hofes die beiden Zehntviertel zu entrichten habe, welche der Kirche und. dem Priefter zufallen foUen^), und wenn zwar ein fpäterer Zufatz diefe feine Befugnifle infofeme befchränkt, als die von einem jedem Bifchofe einmal beliebte Vertheilung des Zehnts von gewiflen Ausnamsfällen abgefehen für feine ganze Amtsdauer ungeändert fortbeftehen foll3), fo ift doch diefe Befchränkung nur im Interefle der Stabilität der Kirchendotation gefetzt, nicht im Interefle der einzelnen Kirchbefitzer. Während femer als Regel galt, dafs die ganz kleinen Zehntbeträge nicht, wie gewöhnlich, in 4 Theile zerlegt, fondem ungetheilt den Armen überwiefen wurden, durfte der Bifchof diefelben nach freiem Ermeflen, wo er es zweck- mäfsig hielt, der Armenpflege entziehen und den Kirchen zuwen- den *) ; ja eine einzelne, wohl neueres Recht enthaltende Handschrift gefteht ihm daflelbe Recht fogar für die Antheile der Armen ^in den gröfseren Zehntbeträgen zu. Widerum ift dem Bifchofe ein gewifler Einflufs auf milde Stiftungen eingeräumt, welche zu kirch- lichen Zwecken gemacht werden. An und für fich galt die Regelt), dafs Jedermann einmal in feinem Leben den grofsen Zehnt, oder aber andere Seelgaben im gleichen Betrage geben dürfe, ohne dazu der Genemigung feiner Erben zu bedürfen, dafs aber jede weiter- reichende Verfügung nur mit deren Zuftimmung erlaubt fei, felbfl

1) Kgsbk, i 4, S. 13—4; KrR., cap. 9, S. 42. . 2) Kgsbk, J 4, S. 14, und \ 268, S. 210; KrR., cap. 9, S. 42—44, und cap. 40, S. 152—4.

3) Kgsbk, \ 260, S. 214; KrR., cap. 9, S. 44-6, Anin. s. (Skilholtsbök).

4) Kgsbk, \ 259, S. 214; KrR., cap. 43, S. 162; AM. 316, B., { 4, S. 228—9.

5) Kgsbk, \ 127, S. 246—7; Arfa {»., cap. 11, S. 202.

Die Kirche. 229

wenn fie zu milden Zwecken erfolgen foUte, und zwar mufste diefe Zuftimmung von allen Erben, den entfernteren fowohl als den näheren erklärt, oder aber zu der Zuftimmung des nächften Erben noch die Genemigung der lögritta erholt- werden *). Der grofse Zehnt unterlag, und zwar nicht blos wenn er als Seelgabe auftratt, fondem auch wenn er als Sühngeld für die Verletzung der ver- botenen Verwandtfchaftsgrade entrichtet wurde, der gewöhnlichen Viertheilung, und hat dabei der Bifchof auf die Vertheilung wenig- ftens zweier Viertel desfelben mafsgebend einzuwirken 2) ; bezüglich der Verfügungen aber, welche über feinen Betrag hinausgriffen, galt die Vergünftigung, dafs fie, wenn zu Gunften der Kirche erfolgt, weder der Genemigung der entfernteren Erben noch der lögrfetta bedurften, falls nur zu der Zuftimmung des nächften Erben noch die des Bifchofes hinzukam 3), und in ganz änlicher Weife waren auch die mit einem Bifchofsftuhle oder einem Klofter abgefchloffenen Verpfründungsverträge privilegirt ^). Widerum bedurfte der Befitzer mehrerer Kirchen der Genemigung des Bifchofs, wenn er in der Vertheilung der Paramente unter diefelben eine Aenderung vor- nemen wollte 5); endlich durfte einer Kirche felbft dann, wenn der Gottesdienft in derfelben nidergelegt war, Nichts von ihrer Dotation entzogen werden, wenn nicht neben dem Grundeigenthümer, auf deffen Grund die Kirche fteht, und dem Geber des Gutes oder deflTen Erben auch der Bifchof dazu feine Einwilligung ertheilte 6). Endlich hat der Bifchof zu beflimmen, ob in einer blofen Capelle regelmäfsiger Gottesdienft gehalten werden dürfe oder nicht 7), oder ob eine einzelne Kirche als graftarkirkja gelten, d. h. einen Kirch- hof haben folle oder nicht 8), und nur mit feiner Zuftimmung darf, von gewiffen Nothfallen abgefehen, eine Kirche verlegt werden.

1) Vgl. Arfa l»., cap. 24, S. 228—9.

2) »Ueber den Hauptzehnt einiger nordgermanifcher Rechte« habe ich mich in einem akademifchen Vortrage des Näheren ausgefprochen, welcher, am 18. Jan. 1872 gebalten, demnächfl im Druck erfcheinen wird.

3) Kgsbk, i 268, S. 218; Arfa t>., cap. 18, S. 223; KrR., cap. 47, S. 160— 8.

4) Kgsbk und Arfa ^., ang. O.

6) KrR., cap. 12, S. 52.

'•6) Kgsbk, i 5, S. 20; KrR., cap. 14, S. 68.

7) KrR., cap. 48, S. 168, Anm. (Skälholtsbok).

8) Kgsbk, i 2, S. 8, u. § 3, S. 12—13; KrR., cap. 4, S. 24, u. cap. 8, S. 88.

230 I>ie Kirche.

Abgefehen aber von der ihm obliegenden Fürforge für die Kirchen und den Klerus hat der Bifchof auch noch in gar manchen anderen Beziehungen die kirchlichen Bedürfniffe feiner Diöcefe zu befriedigen. Es find uns beifpielshalber Faftengebote erhalten, welche der heil, torläkr aus eigener Macht erliefs, und welche über das Mafs der landrechtlich geboteneft Fallen weit hinausgiengen i), und wir haben auch ein Pönitentialbuch, welches von ihm verfafst fein foU, und welches den Prieftern bei der Handhabung der Kirchenzucht in foro interno die nöthigen Direftiven geben will 2) ; von B. Magnus Gizurarsoh liegt ferner eine Reihe von Vorfchriften liturgtfchen Charakters vor, welche derfelbe, wie es fcheint im Jahre 1224, auf einer Diöcefanfynode erliefst). In folchen rein kirchlichen Punkten alfo konnte der Bifchof, fei es nun allein oder unter Mitwirkung feiner Diöcefanfynode, unbehindert Verordnungen erlaflen, hinficht- lich deren Durchführung er dann freilich, foweit nicht feine land- rechtlich anerkannte Disciplinargewalt über feinen Klerus reichte, lediglich auf die kirchlichen Zwangsmittel befchränkt gewefen zu fein fcheint. In anderen Fällen regelte zwar die ilaatliche Gefetz- gebung Verhältniffe, welche die*Kirche als zu ihrem eigenen Gebiete gehörig betrachtete; aber fie trug dabei wenigftens materiell den kirchlichen Anforderungen Rechnung, und gewährte dem Bifchof das Klagerecht wegen Uebertretungen der betreffenden Vorfchriften, indem fie ihm allenfalls auch noch einen gewiffen Einflufs auf die Art und den Umfang einräumte, in welchem diefelben gehandhabt ^Verden foUten. So wird jedem volljährigen und geiftig gefunden Menfchen bei Strafe der Landesverweifung zur Pflicht gemacht, das Unfervater und den Glauben, fowie die Taufformel zu können, und dem Bifchofe fteht es zu, für die Erhebung der Klage gegen den Säumigen zu forgen^); das Gleiche gilt ferner von der gleich* falls auf Landesverweifung gehenden Klage wider denjenigen, welcher Waffen in dije Kirche gebracht und dadurch deren Frieden ge- brochen hat, wobei jedoch ausdrücklich bemerkt wird, dafs der Angeklagte fich durch Unterwerfung unter den Spruch des Bifchofe

1) Belgsdalsbök, | 67,. S. 251—2, dann Diplom. Island., I, Nr. 42, S. 235; vgl. ^orläks bps s., cap. 15, S. 106.

2) Diplom, island., I, Nr. 43, S. 240—44.

3) Ebenda, Nr. 117, S. 436—7.

4) Kgsbk, ? 1, S. 7, und J 261, S. 215; KrR., cap. 3, S. 14 und 18.

Die Kirche. 231

von der Klage befreien könne l). Während dem geächteten Manne an und für fich das kirchliche Begräbnifs verfagt ift, kann der Bifchof nach freiem Ermeffen feiner Leiche daffelbe verwilligen, und umgekehrt kann er auch wohl einer Leiche das Begräbnifs ver- wehren, deren Beftattung landrechtlich an und für fich nicht ver- boten wäre; das verbotwidrige Einbringen einer Leiche auf den Kirchhof unterliegt aber hier wie dort der Strafe der Landesver- weifung2). Auf des Bifchofs Spruch mag fich ferner derjenige be- rufen, welcher wegen unerlaubter Unterftützung eines Bettlers ge- richtlich verfolgt wird; ja es ift dem Bifchofe fogar geftattet, die auf diefen Punkt bezüglichen Gefetzesvorfchriften einfeitig zu ver- ändern, wenn er nur die von ihm beliebten Abänderungen derfelben , der lögrfetta bekannt giebt 3). In Vaterfchaftsfachen darf der Bifchof Gottesurtheile anordnen fo oft er will*); ungleich ausgedehnter noch ift aber der Einflufs, welchen er auf das Eherecht auszuüben be- rufen ift. Leuten, die im Concubinate oder einer fonftigen uner- laubten Gefchlechtsverbindqng leben, kann er das Zufammenwohnen verbieten, und das Landrecht fchützt diefes fein Verbot durch be- ftimmte Strafandrohungen 5) ; die gefchichtlichen Quellen zeigen, dafs die Bifchofe von diefem ihrem Rechte fehr häufig, wiewohl freilich nicht immer mit Erfolg, Gebrauch machten. Steht eine Verletzung der verbotenen Verwandtfchafts- oder Schwägerfchafts- grade (fraendsemisspell; sifjaspell) in Frage, fo hat der Bifchof ein fehr gewichtiges Wort mitzufprechen. An dem grofsen Zehnt, durch deflen Entrichtung diefe Verletzung bei nicht allzu naher Verwandt- fchaft geluhnt werden kann, hat er feinen eigenen Antheil, und zu- gleich Einflufs auf die Verwendung anderer Theile deffelben. Kommt ein Ehehindernifs erft nach Eingehung der Ehe auf, fo ift er be- rechtigt diefe zu trennen 6); er hat überdiefs, wenn in folchen Fällen ein Vergleich eingegangen werden will, die zu delTen Abfchlufs er-

1) Kgsbk, § 263, S. 216; KrR., cap. 48, S. 170.

2) Kgsbk, I 2, S. 12, und i 267, S. 218; KrR., cap. 7, S. 86—38, und cap. 48, 170; vgl. auch Vfgslödi, cap. 31, S. 62.

3) Kgsbk, § 285, S. 179; Ömagab., cap. 81, S. 295, und Kaupab., cap. 46, S. 455—6.

4) Kgsbk, S 264, S. 217; KrR., cap. 47, S. 168; vgl. cap. 14, S. 62, Anm. 1 (Skdlholtsbök).

5) Festa f., cap. 53, S. 376—77; Belgsdalsbök, g 42, S. 237.

6) Kgsbk, i 149, S. 41—2; Festa f., cap. 54, S. 378—9; Belgsdals- bök, | 38, S. 285.

232 Die Kirche.

forderliche Genemigung der lögrfetta zu beantragen, die Vei^eichs- bedingungen anzugeben, und dann auch fein Wort mitzureden, wenn es gilt, die Folgen der Verletzung des eingegangenen Vergleiches zu beftimmen i). Das ältere Recht liefs überdiefs den Bifchof darüber entfcheiden, ob ein Vater, der feinem eigenen Kinde die Nothtaufe ertheilt hatte, darum doch die Ehe mit deffen Mutter fortfetzen dürfe, während das neuere Recht diefe fchon von Rechtswegen fort- beftehen läfst 2). Endlich foUen Ehefcheidungen nur mit des Bifchofs Erlaubnifs ftattfinden können, und ift das Verfahren genau geregelt, welches eingehalten werden mufs um diefe zuerlangen^); eine Anfangs dabei vorbehaltene Ausname wurde fpäter befeitigt^), andererfeits aber dem Bifchofe geftattet, je nach Befund auch ohne Trennung der Ehe der Frau die Zurückforderung ihres Vermögens vom Manne zu erlauben 5). Allerdings entfprach bereits die Thatfache, dafs der Staat die Regelung des Eherechts und fo mancher anderer von der Kirche für fich in Anfpruch genommener Rechtsgebiete feinerfeits in die Hand nam, keineswegs den Anforderungen des kanonifchen Rechts, und auch materiell entfprachen die Beftimmungen des isländifchen Rechts gar vielfach nicht den kirchlichen Vorfchriften, wie denn z. B. das von der Kirche fo fchwer verpönte Nemen von Zinfen landrechtlich für durchaus erlaubt galt, und Teftamente, auf deren ungehinderte Errichtung diefe aus guten Gründen fo hohen Werth legte, vom Landrechte Nichts weniger als unbefchränkt zu- gelaffen wurden; indeflen war doch den Bifchöfen dadurch, dafs ihnen Sitz und Stimme in der lögr^tta eingeräumt war, die Mög- lichkeit verfchafil, im Sinne der Kirche auf den Gang der weltlichen Gefetzgebung einzuwirken, und die angefehene Stellung, deren fie fich erfreuten, war ganz dazu angethan, einer derartigen Einwirkung den kräftigften Vorfchub zu thun. Schon ihre hohe kirchliche Würde fieberte den Bifchöfen ein ungewöhnliches Mafs von Anfehn, und feinen fehr erheblichen Einflufs auf die Gemüther der Leute; ihr

1) Kgsbk, l 162, S. 59—60; Festa J»., cap. 32, S. 346—6, und cap. 44, S. 359—60; Belgsdalsbök, J 43, S. 237—8; KrR., cap. 14, S. 62—8, An- merk. I.

2) Kgsbk, l 1, S. 6, und J 261, S. 215; KrR., cap. 3, S. 12.

3) Kgsbk, § 149, S. 39—40; Festa f., cap. 14, S. 325; KrR., cap. 24, S. 116—8; dann Kgsbk, § 150, S. 42; Festa J»., cap. 14, S. 826; cap. 15, S. 328—9, und cap. 20, S. 332—3.

4) Festa {>., cap. 53, S. 376; Belgsdalsbök, l 40, S. 236. 6) Festa l>., cap. 51, S. 371, und cap. 64, S. 377—8.

Die Kirche. 233

Wort und Eid gilt unter allen Umftänden als unumftöfsliche Wahr- heit ^) ; vor der Androhung ihres Bannes wichen felbft in Momenten der leidenfchaftlichften Aufregung die gewaltfamften Naturen zurück 2), und fogar in der wilden Sturlüngenzeit ift es eine feltene Ausname, wenn man es wagt an einen fo unwürdigen Bifchof wie Guömundr Arason perfönlich Hand anzulegen 3), wogegen man der Regel nach felbft mitten im Getümmel des Kampfes fein Leben zu gefährden vermeidet*). Die günftige ökonomifche Stellung der Bifchöfe führte zu einer weiteren Verftärkung ihres Gewichtes. Seit B. Gizurr dem bifchöflichen Stuhle zu Skälholt, und weiterhin dann auch dem zu Holar eine bleibende Dotation verfchafft hatte, war der Befitz beider Domkirchen an Liegenfchaften wie an Fahrhabe rafch gewachfen, fei es nun durch Kaufs), oder auch durch Schenkungen, welche bereits im zwölften Jahrhundert zu den regelmäfsigen Einkünften der Bifchofsftühle gerechnet wurden, deren zeitweifes Ausbleiben die ganze Wirthfchaft an diefen in Verwirrung brachte 6); feitdem vollends B. {»orläkr heilig gefprochen worden war, ftrömten die Weihgefchenke aus den fernften Landen nordifcher Zunge nach Skälholt 7), während auf Island felbft fogar bleibende Reichniffe zu Gunften der dortigen Domkirche gelobt wurden 8), und nicht anders ftand die Sache ficherlich auch mit Hölar, als B. Jon Ögmundarson dafelbft als Heiliger verehrt zu werden begonnen hatte. Dazu kam als eine ganz ungemein reiche Einnamsquelle der Antheil, welchen der Bifchof an dem Zehnt erhielt (biskupstlund), und zwar an dem grofsen Zehnt fowohl als an dem Ertragszehnt; bei der Ausdehnung zumal der Skälholter Diöcefe, und bei der Strenge, mit welcher die Zehntlaft auf der Infel durchgeführt wurde, begreift fich leicht, dafs gerade der Zehnt als die ergiebigfte Rente der bifchöflichen Stühle bezeichnet werden konnte ö). Weitere Bezüge floflen aus den Geldftrafen, welche der Bifchof wegen fo mancher geiftlicher

1) Sturlünga, II, cap. 15, S. 68: ])ä mselti Sturla: svo viröi ek ei6 biskups sem piska messu.

2) Vgl. z. B. oben, S. 185—6.

8) Gubmundar bps s., cap. 68, S. 508.

4) Ebenda, cap. 72, S. 518; vgl. auch Sturlünga, VI, cap. 85, S. 251.

6) Vgl. z. B. Hüngrvaka, cap. 14, S. 77.

6) Ebenda, cap. 19, S. 84; liorUks bps s., cap. 9, S. 99.

7) ^orUks bps s., cap. 28, S. 124; Päls bps s., cap. 8, S. 184.

8) Päls bps s., cap. 12, S. 187.

9) Vgl. oben, S. 92.

234 I>ie Kirche.

Vergehen einzutreiben hatte, dann aus den in foro interno aufer- legten Bufszahlungen, u. dgl. m. ; es kanh hiemach nicht Wunder ncmen, wenn man auf dem Bifchofshofe zu Skälholt 70—80 Dienft- boten halten, und bei geordneter Wirthfchaft noch feine 100 Gäfte aufnemen konnte, ohne fremde Hülfe in Anfpruch nemen zu müden ij. Dazu kommt nun aber noch, dafs die Bifchöfe der Regel nach aus den angefehenften Häufern des Landes entnommen wurden, und fomit felbft im Befitze von Godorden, oder doch in der Lage waren,

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auf die Macht einer ausgebreiteten Verwandtfchaft unter der Arifto- kratie der Infel fich ftützen zu können, und dafs fomit auch nach diefer Seite hin ihre Stellung als eine fehr hervorragende und gewaltige er- fchien. Während anderwärts bereits nach dem II. lateranifchen Con- cile des Jahres 11 39 die Bifchofswahl wefentlich in die Hand der Domcapitel gelegt war 2), hielt man auf Island, wo es keine Dom- capitel gab, an der älteren Disciplin der Kirche feft, nach welcher die Bifchöfe unter Leitung und Zuftimmung der benachbarten Bifchöfe durch das Volk und den Klerus ihrer Diöcefe gewählt worden waren, wobei freilich die focialen und (laatlichen Zuflände der Infel mit fich brachten, dafs die Stimme <ler mächtigeren Häuptlinge den entfcheidenden Ausfchlag gab*). Es begreift fich, dafs unter folchen Umftänden die Wahl regelmäfsig auf Männer fallen mufste, welche entweder felbft den erften Familien der Infel angehörten, oder doch als dienten einer folchen zu betrachten waren. Unter 8 wirklichen Bifchöfen von Skdlholt und 3 für diefen Sitz Gewählten aber nicht Geweihten, zählten 4 dem Mannsftamme (Isleifr, Gizurr, Hallr Teitsson f 1 1 50, Magnus Gizurarson) und einer dem Wdbs- ftamme der Haukdaelir zu (Teitr Bersason, f 12 14), und ein weiterer (jjorlÄkr Runölfsson) gehörte wenigftens zur nächften Freundfchaft deffelben Haufes ; aus dem Haufe der Sföumenn war femer Magnus Einarsson hervorgegangen, und aus dem der Oddaverjar Fall Jönsson, welchem letzteren Haufe im Weibsftamme auch Magnus Guömund- arson (f 1240), und als nahe befreundet t>orl4kr l>örhallsson ange- hörte ; ja fogar Klaengr l>orsteinsson, . obwohl ein Nordländer und väterlicherfeits aus keinem befonders angefehenen Haufe ftammend, war mütterlicherfeits ebenfowohl mit den Sföumenn und Reyknesfagar,

1) Päls bps s., cap. 6, S. 181—2.

2) c. 85 Dist. 68.

3) Vgl. oben, S. 94 und S. 117—8.

Die Kirche. 235

als mit den nordländifchen Höföamenn und MööruvelKngar verwandt. Den Sßumenn gehörte ferner durch feine Mutter auch der erfte Bifchof von Holar, Jon Ögmundarson, an, welcher überdiefs als ein Schüler B, tsleifs und Jugendfreund B. Gizurs auf den von diefem neuerrichteten Stuhl berufen wurde, wogegen Ketill ^orsteinsson, und im Weibsftamm auch Guömundr Arason dem Haufe der Möönivellfngar, Björn Gilsson aber und Brandr Saemundarson durch ihre Mütter dem Haufe der Höftam'enn angehörten, fodafs nur von Kygri-Björn, der im Jahre 1238 ftarb ohne die Weihe erhalten zu haben, die Abdämmung fich nicht feftftellen läfst. Eine derartige Befetzung der Bifchofllühle brachte nun allerdings die Gefahr einer gewiffen Verweltlichung ihrer Inhaber mit fich. In alle Parthei- kämpfe auf der Infel fehen wir deren Bifchöfe mit verflochten, und von B. Klaeng wird nicht nur feine grofse Rechtskenntnifs und fein Gefchick in der Führung von Proceffen gerühmt, fondern auch berichtet, dafs er bei allen gröfseren Rechtssachen, die durch Ver- gleich erledigt wurden, unter den Schiedsrichtern fich befunden habe *) ; von B. PÜl wird anerkennend erzählt, wie kräftig er die Intereffen feiner Dingleute anderen Häuptlingen gegenüber zu ver- treten gewufst habe 2), und oben wurde bereits des eigenthümlichen Lobes Erwähnung gethan, welches K. Haraldr haröraöi dem B. Gizurr fpendete^). Von eben jenem B. Klaeng wird ferner gefagt, dafs er auch ein ausgezeichneter Dichter gewefen fei 4), und ficherlich namen auch andere Bifchöfe an dea nationalen Studien und Künften ihrer Heimat vollen Antheil; anderentheils ift auch bereits erwähnt worden, dafs bis auf Magnus Gizurarson herab verheirathete Bifchöfe an der Spitze der isländifchen Diöcefen ftandenö), fo dafs auch nach diefer Seite hin deren Stellung von der der weltlichen Häupt- linge fich nur wenig unterfchied. Vielfach mufste diefe Berührung der Kirchenfiirften mit allen und jeden weltlichen Intereffen und Gefchäften deren Augenmerk von ihrem kirchlichen Berufe abziehen ; andererfeits aber hielt jener ftete Contaft mit der Laienwelt fiie- felben doch auch von jedem allzu einfeitigen Fanatismus und jeder übertrieben asketifchen Richtung fem, und fieberte ihnen einen durchaus

1) Hüngrvaka, cap. 18, S. 82; vgl. oben S. 110.

2) Päls bps s., cap. 1, S. 128. 8) Oben, S. 90.

4) Hüngrvaka, cap. 17, S, 80.

5) Vgl. oben S. 95.

236 Die Kirche.

naturgemäfsen und volksthümlichen Einflufs auf Staat und Gemeinde, während ihre weltliche Macht und der Einflufs ihrer Familienver- bindungen zugleich die kräftigften Stützen für die kirchliche Selbft- ftändigkeit der Bifchöfe bildeten, und ihnen eine ftaatsmännifche Freiheit des Blickes verfchafften, wie folche bei einer engherzig klöfter- lichen Exiftenz derfelben nicht zu erreichen gewefen wäre. Insbe- fondere aber konnte diefe einflufsreiche Stellung der Bifchöfe von ihnen dazu benützt werden, in Gemeinfchaft mit der grofsen Zahl von Klerikern, welche fich unter der Ariftokratie des Landes zu finden pflegte, das geltende Landrecht auf legalem Wege nach und nach in einer den Anforderungen der Kirche entfprechenden Weife um- zugeftalten. Dem B. Gizurr war es gelungen, die Einführung der Zehntlaft in der lögrfetta durchzufetzen, und ein Vierteljahrhundert fpäter hatten die Bifchöfe |>orldkr und Ketill die Anname eines Chriftenrechtes bewerkftelligt, welches, wenn auch in mehr als einer Beziehung dem kanonifchen Rechte widerfprechend, doch immerhin in fehr anerkennenswerther Weife das Beftreben zeigt, das ein- heimifche Recht mit defTen Vorfchriften möglichft auszugleichen. Ein allmälig fteigender Einflufs der Bifchöfe auf das Eherecht und Armenrecht, fowie die Neigung, die Beftimmungen in beiden Richtungen mit den Vorfchriften des neueren Kirchenrechtes über die verbotenen Verwandtfchaftsgrade in Einklang zu bringen, gewiflfe Anfänge einer Privilegirung der Vergabungen ah die Kirche und an andere piae causam, eine allmälige Steigerung der Auffichtsrechte des Bifchofs gegenüber der Verwaltung des Kirchenvermögens u. dgl. laflen fich auch in der fpäteren Zeit noch verfolgen, und fo hätte fich denn in der That hoffen laffen, dafs bei ruhigem Beharren auf dem eingefchlagenen Wege auch noch Weiteres und Gröfseres erreicht werden möge. Aber das geduldige Vorangehen und die mafsvolle Befchränkung der eigenen Forderungen, welche zu folchem Behufe nöth§ gewefen wären, lagen gleich wenig im Geifle der Hierarchie jemer Zeiten, und fo wurde denn zuerfl von dem heiligen {»orläk und dann wider von Guömundr Arason ein anderer Ausweg ergfriffen, welcher rafcher und radicaler zum Ziele zu führen fchien, welcher aber in der That den Episcopat nur in die emfleflen Conflifte mit den Trägernder Staatsgewalt verwickelte, ohne damit doch irgend welchen Gewinn, und fei es auch nur für die äufsere Machtflellung der Kirche, zn erreichen. Bezüglich der Friert er endlich lagen die VerhältniiTe auf Island bis zum Untergange des Freiflaates herab ganz eigenthümlich, wie diefs oben bereits gelegentlich anzu-

Die Kirche. 237

deuten war. Da fich der Staat um die Anlage von Kirchen und die BefchafTung von Prieftern zur Abhaltung der Gottesdienfte von Anfang an gar nicht bekümmert hatte, war in beiden Beziehungen die Initiative lediglich der Privatthätigkeit überlaflen, und auch dem Episkopate nur die Ueberwachung diefer letzteren in beftimmten, einzelnen Beziehungen anheimgegeben. Bei jedem einzelnen Privaten fland es zu beftimmen, ob, wie und wo er fich eine Kirche bauen, und ob und wie er fie dotiren wolle ; der Bifchof dagegen konnte nur fordern, dafs die einmal gebaute auch erhalten werde, und überdiefs deren Einweihung verweigern, wenn ihm deren Einrichtung oder Dotation ungenügend erfchien. Die Kirchen (landen femer im Privateigenthum je ihres Erbauers und feiner Rechtsnachfolger; aber der Bifchof mochte den Eigenthümer nöthigen, nicht nur die Kirche und deren Inventar in gutem Stande zu bewahren, fondern auch in derfelben eine beftimmte Zahl von Gottesdienften alljährlich abhalten zu lafleni). In des Bifchofs Hand lag zu beftinimen, wem er die Priefterweihe ertheilen oder nicht ertheilen wollte, und er konnte überdiefs unwürdigen oder unbotmäfsigen Prieftern die Befugnifs zur ferneren Ausübung ihrer Funftionen wider entziehen ; aber unter allen gehörig geweihten und nicht fufpendirten Prieftern konnte der einzelne Kirchbefitzer fich beliebig denjenigen heraus- wählen, von welchem er den Dienft an feiner Kirche verfehen lafTen wollte, und lediglich der Dienftvertrag, welchen er mit einem folchen cingieng, entfchied darüber, auf wie lange und unter welchen Be- dingungen der einzelne Priefter fich folchem Dienfte unterzog. Von einer Bildung geordneter Pfarrgemeinden mit geographifch ge- fchloffenen Grenzen war demnach ebenfowenig die Rede wie von einer feften Anftellung beftimmter Priefter bei den einzelnen Kirchen ; nach beiden Seiten hin konnte fich die Kirche nur mühfam eine geordnetere und würdigere Stellung erkämpfen, und galt es, um in diefer Richtung voranzukommen, vor Allem den niederen Klerus in eine unabhängigere pecuniäre Lage zu bringen, ihn von den weltlichen Sorgen und Gefchäften möglichft loszureifsen und auf feinen eigenen geiftlichen Beruf zu befchränken, endlich auch für feine Erziehung und Bildung nach Kräften zu forgen. In der erfteren Beziehung war der erfte entfcheidende Schritt bereits durch die Einführung der Zehntlaft gefchehen. Allerdings war diefe nicht,

1) KrR., cap. 12, S. 54.

238 Die Kirche.

wie anderwärts, auf alle Bauern gelegt, fondem nur auf diejenigen unter ihnen, welche dingfteuerpflichtig waren, oder doch ein gefetz- lich beftimmtes Minimum von Vermögen befaffen ; aber andererfeits wurde der Zehnt auch nicht, wie anderwärts, blos von dem Ertrage der Landwirthfchaft, ja überhaupt nicht blos von dem wirklichen, fondern von allem und jedem möglichen Ertrage erhoben, nämlich mit I O/o des Capitalwerthes des gefammten Vermögens eines jeden Pflichtigen, was infoferne als Ertragszehnt gelten konnte, als der legale Zinsfufs auf lo^/o gefetzt war. Auch lofe Leute konnten von hier aus zum Zehnt herangezogen werden, und die zehnt- pflichtigen Bauern verzehnteten mehr als den blofen Ertrag ihres Hofes, fodafs ein norwegifcher Mann, Herr Loöinn leppr, am All- dinge des Jahres 1281 den isländifchen Bifchöfen mit Recht vor- werfen konnte, dafs fie »von Spangen und filbernen Gürteln, von Schüflein und Schalen und anderem todtem Gute« Zehnt nemen, und damit Wucher im Sinne des kanonifchen Rechtes begehen i); der Entgang, welchen jene Befchränkung des Kreifes der Zehnt- pflichtigen mit fich brachte, mufste wohl durch diefe Erweiterung des Umfanges der zehntbaren Gegenftände fich reichlich ausgleichen. Bedenklicher war, dafs die Art, 'wie der Zehnt erhoben und ver- wendet wurde, keineswegs den GrundßLtzen des kanonifchen Rechtes entfprach. Die Viertheilung deflelben, wie fie die römifche Disciplin forderte, wurde freilich wie oben bemerkt 2) beibehalten ; allein die Feftftellung und Vertheilung des von jedem einzelnen Pflichtigen zu leiftenden Zehntbetrages wurde von der weltlichen Gemeinde (dem hreppr) beforgt, welcher auch die Verwaltung und Vertheilung des den Armen gehörigen Viertels ((»urfamannatfund) übertragen war, die Zehntbeträge, welche unter eine gewifle Werthgrenze herabfanken, foUten ungetheilt den Armen zufallen 3), endlich war auch die Erhebung der übrigen drei Zehntviertel in fehr eigen- thümlicher Weife geregelt. Der Bifchofszehnt (biskupstfund) freilich wurde durch einen vom Bifchof gewählten Bevollmächtigten erhoben^), und deflen Verwendung lag völlig in des Bifchofs Hand; auch war fein Ertrag reich genug, um alle Cafualeinnamen, welche diefer

1) Arna bps s., cap. 29, S. 721.

2) Vgl. S. 92.

8) Kgsbk, i 256, S. 208; KrR., cap. 88, S. 148; vgl. indeffen oben, S. 228. 4) Kgsbk, §5, S. 19—20, und §267, S. 209—10; KrR., cap. 14, S. 64— 8, und cap. 89, S. 160—2.

Die Kirche. . 239

vordem für feine einzelnen Amtsvorrichtungen bezogen hatte, erfetzen zu können. Für die Einweihung einer Kirche oder Capelle zwar bezieht derfelbe noch eine Gebühr, aber nur fcheinbar, da er deren Betrag fofort dem Gotteshaufe zu fchenken hat l), welches er weihte, und nur. die Verpflichtung der Bauern, ihn bei feinen Rundreifen zu beherbergen, zu verköftigen, und mit den nöthigen Pferden zu verfehen ift noch als eine weitere Laft neben der Zehntpflicht zu feinen Gunften ftehfen geblieben. Aber bezüglich der beiden anderen Zehntquarten, welche man unter der Bezeichnung des Kirchenzehnts (kirkjutfund, kirknatfund) zufammenfafste, ftand die Sache anders. Allerdings follte die eine von ihnen zum Berten der Kirche, und die andere zum Unterhalte des Priefters verwendet werden 2j, und wurde diefe letztere darum auch wohl als Priefterviertel (prestljörö- üngr) bezeichnet 3); aber doch war es der Kirchbefitzer, welcher beide Quarten einzutreiben hatte, während dem Priefter nur ein eventuelles Klagerecht für den Fall feiner Säumnifs zuftand/ und dem Kirchbefitzer lag denn auch die Vertheilung beider Zehntviertel ob, d. h. es entfchied über die Bezüge, welche der Priefter zu be- anfpruchen hatte, nach wie vor nur der Dienftvertrag, den er mit dem Befitzer der Kirche eingegangen hatte, und der Kirchenzehnt kam nur als eine Unterftütizung in Betracht, welche das Recht diefem letzteren gegenüber feiner Verpflichtung verwilligte, einerfeits für die TErhaltung feiner Kirche und andererfeits für den Unterhalt feines Priefters aus eigenen Mitteln zu forgen. Jener entferntere Einflufs, welcher dem Bifchofe auf die Vertheilung des Kirchen- zehnts unter die verfchiedenen Kirchen zuftand*), konnte indeOen immerhin benützt werden, um einem allzu unbilligen Verfahren des einzelnen Kirchbefitzers in den Weg zu treten, und überdiefs waren jedenfalls diejenigen Bezüge nunmehr einigermafsen regulirt, welche dem Priefter felber unter allen Umftänden zukommen foUten. Zunächft hat jeder Priefter, welcher eine beftimmte Kirche zu ver- fehen hat, feinen vollen Unterhalt zu beanfpruchen, alfo das was man in Norwegen, und fpäter auch auf Island, prestsfaeösla, prestsborö, u. dgl. nannte. Uebernimmt der Priefter den vollen Gottesdienft

1) Kgsbk, i 6, S. 19; KrR., cap. 14, S. 62.

2) Kgsbk, } 4, S. 14—16, und g 258, S. 210; KrR., cap. 9, S. 44—6, cap. 40, S. 152—4.

8) AM. 316, B., i 4, S. 228. 4) Vgl. oben, S.. 228.

240 . I>>e Kirche.

für alle Sonn- und Feiertage des ganzen Jahres an einer Kirche, fo hat der Bauer, welcher den zur Kirche gehörigen Hof bewohnt, ihn das ganze Jahr hindurch zu unterhalten, wenn er anders bei ihm feine Wohnung nemen mag; hat der Priefter dagegen aufser feiner Hauptkirche noch Nebenkirchen zu verfehen, fo hat jeder Bauer, in deffen Kirche er den Gottesdienft hält, ihn für den be- treffenden Tag zu bewirthen l). Aufserdem bezieht der Priefler fein tföakaufi oder lögkaup, d. h. einen beflimmten Lohn für die Ver- richtung des Gottesdienftes während des ganzen Jahres in einer Kirche 2). Deffen Betrag darf fich, vollen Dienfl vorausgefetzt, nicht über 12 Mark jährlich belaufen, es fei denn, dafs der Bifchof für den einen oder anderen befonders fchwer zu verfehenden Bezirk ein Anderes verftattete; die Verabredung eines geringeren Lohnes war allerdings geflattet^), und wir hören auch von einer Kirche, für welche nur I2 aurar als prestkaup gegeben wurden^), aber immerhin zeigt der Umfland, dafs man überhaupt nur eine Maximal- grenze feftzufetzen nöthig fand, dafs die Nachfrage nach Prieftem gröfser war als das Angebot und die Vergleichung jener Lohngrenze mit der für die gewöhnlichen Dienftboten gezogenen läfst erkennen, dafs der Priefler um 24 mal höhere Bezahlung fich ausbedingen durfte als diefe letzteren. Prestkaup und prestsfaeösla zufammen bilden jene prestreiöa, welche das Aequivalent für den vom Kirchbefitzer bezogenen Prieflerzehnt ausmachen &); über fie hinaus erhält aber der Priefter auch noch gewiffe Stolgebühren, welche demnach bei ihm nicht ebenfo vollftändig aufgegeben wurden wie beim Bifchofe. Erwähnt wird das Ifksaungskaup, welches der Priefter für die Beerdigung erhält, während der Befitzer der Kirche für die Gewährung der Grabftätte ein legkaup bezieht 6); angedeutet wird ferner auch, dafs das Lefen von Meffen, die nicht in dem regelmäfsigen Gottesdienfte mit inbegriffen waren, befonders bezahlt werden mufste7), und da Kirchbefitzer, welche

1) Kgsbk, i 4, S. 16—17; KrR., cap. 12, S. 50.

2) Kgsbk, i 6, S. 20-1, und § 265, S. 217;. KrR., cap 15, S. 70, und cap. 49, S. 170—2.

3) Kgsbk, i 258, S. 210; KrR., cap. 40, S. 154.

4) |»orlaks bps s. II, cap. 20, S. 285.

5) Kgsbk, i 258, S. 210; KrR., cap. 40, S. 154.

6) Kgsbk, i 2, S. 9; KrR., cap. 5, S. 28.

7) Kgsbk, § 6, S. 21; KrR., cap. 15, S. 70—2. -

Die Kircke. 241

keine eigenen Priefter fich hielten, wenigftens* verpflichtet waren durch fremde Priefter jährlich eine beftimmte Zahl von Meffen auf eigene Koften in ihren Gotteshäufern lefen zu laffen^), ergab fich auch voh hier aus für die benachbarten Geiftlichen eine geficherte Einnamsquelle ,- da überdiefs die älteren norwegifchen Rechte auch noch fo mancher weiterer Stolgebühren Erwähnung thun, darf deren Nichterwähnung in den isländifchen Rechts- büchern doch wohl als eine nur zufällige betrachtet werden. Neben den bisher befprochenen ergaben fich endlich thcils für die Kirchen, theils für die Priefter noch andere Einkünfte, in deren Befchaffenheit und Verwendungsart uns freilich z. Th. kein genügend klarer Einblick eröffnet ift. Für die Priefter floffen folche zunächft aus den Geldbufsen, welche fie wegen gewifler Vergehen gegen kirchliche Vorfchriften einzuklagen befugt waren ; für die Kirchen aber, und mittelbar auch wohl zugleich für die Priefter, ergaben fich deren zumal aus dem Vermögen, welches der einzelnen Kirche von Anfang an als Dotation (heimanfylgja, d. h. Mitgift) 2) beftimmt, oder auch fpäter noch durch weitere Schenkungen zuge- \vandt worden war. So oft Jemand Gut zu einer Kirche ftiftete, mufste deren Befitzer hierüber eine Urkunde (mäldagi, mäldagaskrä) aufnemen, und diefelbe einerfeits am Alldinge, und an dem Frühlings- dinge dem er felber angehörte, bekannt geben, andererfeits aber auch Jahr für Jahr in der Kirche felbft verlefen laffenSj. Liegenfchaften, Vieh und fonftige Fahrhabe, dann aber auch Zehnten kennen die Rechtsbücher felbft als Gegenftand derartiger Stiftungen, wogegen eine lange Reihe von Urkunden auch Servituten an fremdem Grund- befitze (itök), dann auf fremdem Grunde ruhende Reallaften (fskyldir), fowie Abgaben der verfchiedenften Art ei-wähnen, welche den ge- meinfamen Namen der Zölle (tollar) führten ; Zölle an Käfe, Schafen, Heu (osttollar, sauöatollar, heytollar) werden genannt, ohne dafs wir doch berechtigt wären diefe Aufzählung als erfchöpfend anzu-

1) KrR., cap. 12, S. 52—4.

2) |>orlaks bps s. II, cap. 21, S. 287; der KrR. Ärna bps, cap. 4, S. 24 6 fpricht von der heimanfylgja der Kirche, wo das ältere Chriften- rccht, cap. 9, S. 42, upd Kgsbk, § 4, S. 14, nur von einem leggja (h ül kirkju redet.

3) Kgsbk, 2 4, S. 15, und § 268, S. 218; KrR., cap. 10, S. 46, und

cap. 47, S. 168.

Mauror, Island. "

242 ' ^ie Kirche.

fehen. In gewiffem Sinne läfst fich auch der bereits widerholt er- wähnte grofse Zehnt (tfund hin meiri) den Oblationcn zuzählen, und zwar gleichviel, ob er als Seelgabc oder zur Sühnung einer in dis- penfablen Verwandtfchaftsgraden eingegangenen Ehe entrichtet wurde ; wie der Ertragszehnt wurde auch er in Viertel zerlegt, jedoch fo, dafs die Bezeichnung der Bezugsberechtigten (lir jedes Viertel eine etwas andere Geftaltung zeigte als bei jenem. Wurde der grofse Zehnt nämlich kraft gefetzlicher Vorfchrift gegeben, fo fiel deffcn erftes Viertel ftets dem Bifchof zu, unter dem der Zahlende ftaiid, und das zweite der Kirche an der Dingftätte des Alldinges, wogegen die beiden anderen Viertel von dem Pflichtigen nach An- leitung feines Bifchofes unter die Priefter und Armen der betreffenden Diöcefe vertheilt wurden ; trug der Zehnt den Charakter einer Seel- gabe, fo mochte der Verfugende auch bezüglich der beiden erfleren Viertel noch freiere Hand haben, obwohl die Quellen fich hierüber nicht ausfprechen. Es ift klar, dafs aus den Erträgniflen des gc- flifteten Gutes unter Umfländen fehr beträchtliche Einkünfte fliefsen konnten ; aber freilich fielen diefe Einkünfte wie überhaupt das ganze Vermögen der Kirche dem freieflen Verwaltungsrechte ihres Befitzers anheim, und wenn derfelbe zwar gehalten war für die Inflandhaltung der Kirche und ihrer Paramente, fowie für die Abhaltung der vor- gefchriebenen Gottesdienfte in derfelben Sorge zu tragen, fo war doch damit nicht gefagt, dafs er für diefe Zwecke die ganze Rente des Kirchengutes aufzuwenden, noch auch dafs er umgekehrt nur mit diefer Rente für diefelben aufzukommen hatte. Die Strafe der Landesverweifung, welche ihm für den Fall widerrechtlicher Ver- äufserung von Kirchengut ebenfowohl angedroht ift wie jedem Andern, der fich an folchem vergreift, und die eventuelle Haftung für den Werth der veräufserten Gegenftände, welche ihn trifft falls diefe nicht reftituirt werden können i), beziehen fich offenbar nur auf den Grundftock, nicht auf die Früchte des Kirchenvermögens» bezüglich deren vielmehr der Kirchbefitzer freie Hand hatte, foweit nicht etwa der Bifchof einer allzu eigennützigen Behandlung des Kirchengutes durch geiftliche Mittel oder auch durch die Androhung der Entziehung von Zehnten Schranken zu fetzen wufste. Nach allem Dem zeigt fich die pecuniärc Lage des isländifchen Klerus durch das Zehntgefetz und das Chriftenrecht allerdings noch keines-

1) Kgsbk, 'i 4, S. 15 - Ifi: KiK., cap. 10, S. 4G 4S.

Die Kirche. 243

vvegs in einer dem kanonifchen Rechte entfprechendcn Weife ge- ordnet; aber diefelbe ift doch entfchieden gebclTert und fefler ge- regelt worden, und überdiefs darf nicht überfehen werden, dafs wenigftens in einer Reihe von Fällen einzelne Männer oder felbft ganze Gegenden, wie etwa die Austfiröir unter B. t>orläk |)örhallsson, fich dazu bewegen liefsen durch Vertrag oder Stiftung ihre Kirchen ganz in des Bifchofs Hand zu legen, womit dann auch der Kirchen- fatz bezüglich derfelben ohne Weiters auf diefen übergieng. Die oben befprochene Scheidung zweier verfchiedener Claflen von Prieftern, deren eine aus Coden oder gröfseren Bauern beftand, welche den Gottesdienft an ihren eigenen Kirchen felbft beforgten, deren andere dagegen Priefter bildeten, welche von dem Kirch- befitzer wie andere Dienftboten auf beftimmte Zeit gemiethet, oder auch wie Schuldknechte durch ihre Heranbildung auf deffen Koften an die einzelne Kirche gebunden waren i), bcfteht demnach zwar bis in die letzten Zeiten des Freiftaates herab fort; aber durch möglichfte Hebung der letzteren Clafle und durch allmälige Los- löfung der erfteren von ihren weltlichen Berufsgefchäften fuchte man kirchlicherfeits den zwifchen ihnen beftehenden Gegenfatz nicht ohne Erfolg zu mildern, während fich zugleich in den Prieftern der all- niälich fich mehrenden Beneficialkirchen eine dritte Claffe hinzufand, deren Stellung den Vorfchriften des kanonifchen Rechtes vollftändig entfprach. Es ift oben bereits angeführt wor,den, wie im Jahre 1173 den Klerikern die Führung fremder Procefle, im Jahre 1 1 79 80 das WafTentragen, und im Jahre 11 89 neuerdings jede Einmifchung in weltliche Händel unterfagt wurde; wie ferner im Jahre 1190 auch der Befitz von Godorden denfelben verwehrt wurde 2). Mit voller Confequenz liefs fich freilich die Loslöfung des Klerus von allem weltlichen Treiben nicht durchführen. Auf der einen Seite liefs fich nicht verhindern, dafs der reichere Priefter nach wie vor feinen Hof ganz in derfelben Weife bewirthfchaftete wie jeder gröfsere Bauer, oder dafs ein folcher auch wohl einmal auf der Handels- fahrt fein Glück verfuchte^), und der Cölibat liefs fich fo wenig durchfetzen, dafs, anknüpfend an beftimmte Ausfprüche der heiligen Schrift, eben nur das als verboten galt, dafs der Bifchof eine zweite

1) Siehe oben, S. 87—88, und 04—6.

2) Vgl. oben .S. 109—111.

3) Vgl. 2. 15. (;u5mundar bps s., c.ip. 9, S. 42G, und cip. IC», S. 433.

16*

244 t)ie kirclie.

Frau neme^), oder dafs der Priefter eine Wittwe heirathe^); erft der norwegifche B. Heinrich fuchte in diefer Richtung, nicht ohne auf heftigen Widerftand zu ftofsen, den kirchlichen Anforderungen ftrengeren Gehorfam zu verfchaffen 3). Auf der anderen Seite fehen wir auch die geringere Claffe von Prieftern nach wie vor zu häus- lichen Verrichtungen, wie z. B. zum Verbringen von Schafen auf die Weide verwendet 4), und wenn in der Sturlüngenzeit oft genug von Klerikern aller Grade die Rede ift, welche mit den Waffen in der Hand an den Kämpfen ihrer Häuptlinge fich betheiligen, fo ift dabei doch wohl auch zunächft an Leute diefes geringeren Schlages zu denken. Diefelbe Halbheit und Unfertigkeit, dasfelbe Ringen einer ftrenger kirchlichen Richtung mit einer weltlich-nationalen, wie fich folches in den Verfuchen einer Aufbeflerung der pecuniären Lage des Klerus, dann einer Befchränkung desfelben auf feinen geiftlichcn Beruf geltend machte, zeigt fich aber endlich auch in den Ver- fuchen, auf deflen beflere Erziehung und Vorbildung hinzuwirken. Oben war bereits der Domfchulen zu gedenken, welche in diefer Richtung thätig waren 5), und weiter unten wird fich Veranlaffung finden auf die Klofterfchulen einzugehen, welche ihnen zur Seite ftanden; hier mag aber noch erwähnt werden, dafs neben beiden auch noch der Privatunterricht in Betracht kommt, der von einzelnen tüchtigen Klerikern ertheilt zu werden pflegte, und deffen Ertheilung fogar in einzelnen Häufern geradezu erblich geworden zu fein fcheint. So fcheint zunächft der ftattliche Hof des Saemundr froöi zu Oddi ein bleibender Sitz höheren Unterrichts gewefen zu fein. Schon Ssemunds Vater, Sigfiis Loömundarson, war Priefter gewefen 6), und er felber wird nicht nur als der gelehrtefte aller Kleriker bezeichnet"), fondern auch als die kräftigfte Stütze der Kirche neben B. Jon

1) Jons bps s., cap. 8, S. 160 1; vgl, I Timoth. 3, 2. Ueber eine an- geblich hier einfchlägige Bulle P. Iladrians IV, vgl. Langebek, VI, S. 20; Keyser, I, S. 278, Anm. 1; Munch, III, S. 260, Anm. 1.

2) Jjorldks bps s., cap. 5, S. 93; vgl. III Mos. 21, 13—14.

3) Siehe oben S. 117.

4) Sturlünga, II, cap. 16, S". 69.

5) Vgl. oben, S. 225 6. Vgl. auch über das Erziehungswefen auf Island Jon

0

Sigurbsson's lehireichen Auffatz: Um sköla d Island! , in den Ny fMagsrit, IM. II (1842), zumal S. 83 und fgg.

6) Landnama, V, cap. 6, S. 295, Anm.

7) Ilüngrvaka, cap. 6, S. 67.

Die Kirche. 245

Ögmundarson gerühmt i). Bei feinem Sohne, dem Priefter Eyjülf zu Oddi, wurde B. l)orläkr pörhallsson erzogen 2) während auch ein zweiter Sohn, Loptr, wenigftens fiir feine Perfon die Priefterweihe nam 3) ; des letzteren Sohn aber, Jon Loptsson, der mächtigfte Mann feiner Zeit auf Island und höchftens dem Gizurr Hallsson vergleich- bar^), wird zwar gelegentlich zu den Laien gerechnet, weil er die Prieftenveihe nicht empfangen hatte o), war aber doch zum Diakonus geweiht und galt als »der verftändigfte Mann in geiftlichem Wiflen, welches er von feinen Vorältern gelernt hatte« 6). Bei ihm wurde fodann nicht nur B. Päll, fein unehelicher Sohn, erzogen 7), fondern auch Oddi {»orgilsson 8) ; wenn ferner der berühmte Snorri Sturluson als 5jähriger Knabe zu ihm nach Oddi kam, und bis in fein neunzehntes Jahr, nämlich bis zi/ Jons Tod (f 1197) dafelbft bliebt), fo hatte er ficherlich der hier genoffenen forgfältigen Erziehung gutcntheils jenes hohe Mafs von Bildung und KenntnilTen zu ver- danken, welches ihm eine fo hervorragende Stelle in der isländifchen Litteraturgefchichte anweift. Konnte aber der Hof zu Oddi in gciftiger Hinficht als »der oberfte Hauptfitz« auf der Infcl gepricfen werden^), fo fcheint ihm doch der im Haukadale nur wenig nach- geftanden zu fein. Hier war Hallr |)örarinsson fefshaft gewefen, welchem Ari froöi, fein Zögling, nachrühmt, dafs er unter allen

1) Jons bps s., cap. 5, S. 157, und Gunnlaugr, cap. 17, S. 230. Eine l^ebcnsbefchreibung desfelben von Ami Magnüssun, durch Anmerkungen Jon Eiriks- son's bereichert, enthält der erfle Band der Kopenhagener Ausgabe der älteren Edda, S. I XXVIII (1787); eine kürzere von Halldorr Kr. Frit^rfksson die erfl.e Nummer der Zeitfchrift Ssemundr fruöi (1874).

2) t't^rlaks bps s., cap. 3, S. 90 1.

3) Diplom, island., I, Nr. 29, S. 185; Sturlünga, II, cap. 1, S. 4ö; Fagrskinna, g 215, S. 147; Heimskri ngla, Haralds s. Gilla, cap. 9, S. 711; EMS., YII, cap. 10. S. 186—7.

4) ^orlaks bps s., cap. 10, S. 99; Pills bps s., cap. 7, S. 132; Sturl- ünga, II, cap. 1, S. 48, und cap. 37, S. 105; ferner Ilüngrvaka, cap. 18, S. ö2.

5) t>orliiks bpä s. II, cap. 11, S. 273; Arons s. lijörleifssunar , cap. 1, S. 619.

6) torlaks s. II, cap. 19, S. 282.

7) Pals bps s., cap. 1, S. 127.

8) Sturlünga, II, cap. 8, S. 54.

9) Ebenda, II, cap. 37, S. 105— ü; III, cap. 37, S. 192, und cap. 45, S. 200.

10) ^orluks s., cap. 3, S. 90.

246 l^i« Kirche.

Männern im Lande, welche keiner gelehrten Erziehung genoffen hatten, der ausgezeichnctfte gewefen fei i) ; auch Teitr, B. Isleifs Sohn, wurde bei ihm erzogen, und als er nach Halls Tod den Hof über- nam, fetzte er Ari's Unterricht fort 2), woneben er noch viele andere Priefter unterrichtete, darunter die fpäteren Bifchöfe {»orläk Runölfsson und Björn Gilsson^). Hallr Teitsson nahm die Priefterweihe*), obwohl er zu den mächtigflen Häuptlingen zählte 5), und wurde nach B. Magnus Einarson's Tod zum Bifchöfe von Skälholt gewählt, ftarb jedoch vor erlangter Weihe (1150) zu Utrecht 6); fein Sohn war hinwiderum jener Gizurr Hallsson, welcher als der gelehrtefte Mann gepriefen wird, der jemals auf Island gelebt habe 7). Von B. t>orläk Runölfsson erzogen, machte er weite Reifen, welche er in einem »Flos peregrinationis « betitelten, leider verlorenen, Werke befchrieb j bei K. Sigurö munn in Norwegen bekleidete er das Amt eines Marfchalles (stallari), in Island aber das Gefetzfprccheramt, und felbft in Rom füll er fich hohes Anfehen verfchafft haben, obwohl er die Weihen nicht empfangen zu haben fcheint. Von Gizurs Söhnen endlich wurde der eine, Magnus, Bifchof von Skälholt, wogegen der andere, Hallr, feinem Vater in der Würde eines Ge- fetzfprechers folgte (1201 9); fchon im Jahre 1199 zu den Häupt- lingen des Landes zählend % wird er doch fchon kurz darauf als Priefter genannt^), und im Jahre 1221 zum Abte von Helgafell ge- weiht, als welcher er im Jahre 1230 ftarb lO). Allerdings wird von der Ertheilung von Unterricht bei diefen zuletzt genannten Männern

1] Islendingabük, cap. 9, S. 14, in der Sturlünga, III, cap. 4. S. 204 5, verftümmc'lt; Jons bps s., cap. 3, S. 153.

2) Hei ms kr., Prolog, S. 3.

3) Jons bps s., cap. 3, S. 153; Hüngrvaka, cap. 10, S. 72.

4) Kristni s., cap. 13, S. 29.

5) Ebenda, cap. 14, S. 31; Sturldnga, IH, cap. 4, S. 205.

6) Hüngrvaka, cap. 16, S. 80.

7) Sturlünga, III, cap. 5, S. 205; vgl. Hitngrvaka, cap. 11, S. 73—4.

8) torUks bps s., cap. 27, S. 123; vgl. Pdls bps s., cap. 9, S. 135.

9) Jarteiknabök, cap. 34, S. 347 8; Hrafns s. Sveinbjarnarsonar , cap. 2, S. 640.

10) Anndlar, h. a.; Gubmundar bps s., cap. 74, S. 516, cap. 92, S. 542. und cap. 96, S. 548. Die Anname Ami Magnüsson's und Fina Jönsson'^, IV, S. 57 8, und 67 8, dafs Hallr auch eine Zeit lang Abt zu Jiykkvibier gewefen fei, fcheint nur auf dem Abtverzeichniffe der Rfmbegla, III, cap. 3, g H, S. 322 zu beruhen, wo aber Halls Name unter den Aebten von Helgafell fehlt, alfo

* offenbar nur verfelzt ifl.

Die Kirche. 247

nicht ausdrücklich gefprochen ; indeflen vcrfteht fich wohl von felbft, dafs in einem Haufe, in welchem fich die gelehrte Bildung viele Generationen hindurch vererbte, auch die häusliche Unterweifung fortwährend fortgegangen, und nicht blos an Familienglieder ertheilt worden war. Aber auch fonft fehlte es nicht an Prieftern, welche fich mit der Ertheilung gelehrten Unterrichts befafsten. Guömundr Arason z. B. wurde von feinem Oheim, dem Frieder Ingimund |>orgeirsson, unterrichtet l), und gab dann hinterher, nachdem er die Priefterweihe empfangen hatte, felber wider angehenden Klerikern (presth'ngar) Unterricht, darunter dem Lambkärr t>orgilsson, Snorri Bäröarson und Päll Ingjaldsson 2) ; ebenfo wurde Laurentius Kälfsson in den erden Zeiten der Königsherrfchaft von sera {^örarinn kaggi zu Vellir, ebenfalls einem Verwandten, unterrichtet, neben einer Anzahl weiterer Schüler (kennslupiltar), welche demfelben zur Unter- weifung anvertraut worden waren 3), u. dgl. m. Infoweit alfo galt damals auf Island fchon diefelbe Einrichtung des gelehrten Unter- richtswefens, wie fie fich dafelbft bis in unfere Tage herab erhalten hat, nämlich der Privatunterricht bei felbftgewähltcn Lehrern neben dem Studium in regelmäfsigen öffentlichen Unterrichtsanftalten, und ift die weite Verbreitung des erfteren auch um fo weniger auffällig, als auch der Unterricht in den nationalen Wiffenszweigen von Alters her ganz in derfelben Weife ertheilt worden war 4); ganz wie in der fpäteren Zeit wurden aber auch fchon damals von vermöglicheren jungen Isländern ausländifche Studienanftalten neben den inländifchen befucht. Wir wiffen, dafs die Bifchöfe Isleifr und Gizurr in Sachfen unterrichtet wurden, und dafs Saemundr froöi, fowie B. Jon Ögmund- arson in Frankreich ftudirten; aber auch der heilige ^orläkr voll- endete feine Studien in Paris und Lincoln ö) und B. Päll blieb lange in England, um dort Unterricht zu nemenß), und xA.ehnliches mag wohl auch fonft oft genug vorgekommen fein. Die Gegenftände, auf welche fich der gelehrte Unterricht erftreckte, waren dabei, foviel fich erkennen läfst diefelben wie ander\värts im chriftlichen

1) GuÖmundar bps s., cap. 6, S. 416.

2) Ebenda, cap. 24, S. 446, cap. 33, S. 460—1, und cap. 34, S. 463-4.

3) Laurentius bps s., cap. 2, S. 790, und cap. 4, S. 792.

4) Vgl. z. B. hiufichtlich des Rechtsuntenichtes meine Abhandlung über die Gnigiis, S. 40 1.

5) })orldks bps s. , cap. 4, S. 92.

6) Puls bps s. , cap. 1, .S. 127.

248 . Die Kirche.

Abendlande. Im Wefentlichen war der Unterricht lediglich auf Büchergelehrfarakeit gerichtet, und zwar mit fehr einfeitiger Be- tonung der lateinifchen Sprache; als böknäm, Bücherlehre, wird darum die gelehrte Erziehung bezeichnet, und die Ausdrücke setja til baekr, oder auch berja til baekr, zu den Büchern fetzen oder prügeln, bezeichnen die Ueberweifung an diefelbe^), boklaerör, bök- fröör, bökviss heifst, wer diefe Studien durchgemacht hat, und bökfraeöi, böklist, bökvit, bökspeki die durch fie erlangte Gelehr- famkeit, bökmäl aber, die Bücherfprache, heifst geradezu die lateinifche Sprache gegenüber der einheimifchen. . Selbftverftändlich wurde dabei vor Allem das Schreiben ins Auge gefafst, welches um fo wichtiger war, als es fich darum handelte, den Kirchen und den Schulen zu möglichft zahlreichen, und möglichft fchön und fehlerfrei gefertigten Abfchriften von gottesdienftlichen und Lehr- büchern zu verhelfen. Fleifsiges Schreiben wird von hieraus ftets zu den verdienftlichften Handlungen der Kleriker gerechnet, wie z. B. bei B. t)orläkr Runölfsson und Klaengr ^orsteinsson, welcher letztere auch für die Kirche zu Skälholt ganz befonders fchönc gottesdienftliche Bücher (tföabaekr) fchreiben liefst), bei B. t»orläk ^örhallson und Guömundr Arason^); gut fchreibende Kleriker, wie z. B. der Priefter ^orvarör knappi, fchrieben auch wohl gegen Be- zahlung für ihre Standesgenoffen^), oder wie der Priefter torarinn kaggi für die Domkirche und ihre eigene Kirche Bücher ab-^). Weiterhin wurde dann auch die lateinifche Grammatik betrieben, und wir wiffen, dafs man die einfchlägigen Werke des Donatus fowohl als Priscianus auf Island fehr wohl kannte 6); l>öroddr Gamla- son lernte in der Domfchule zu Hölar gelegentlich diefe Kunft, während er beim Kirchenbaue dafelbft befchäftigt war 7), und die gelegentliche Bezugname auf griechifche und hebräifche Buchftaben in einer von ihm verfafsten grammatifchen Abhandlung zeigt, dafs

1) Vgl. z. B. Hüngrvaka, cap. 13, S. 76; Guömundar bps» s., cap. 6, S. 416, und cap. 42, S. 473.

2] Hüngrvaka, cap. 11, S. 74, und cap. 18, S. 83; Juns bps s., cap. U, S. 168.

3) t)orläks s., cap. 3, S. 91, und cap. 12, S. 103 4; Gubmundar s., cap. 14, S. 431.

4) Jons bps s. , cap. 21, S. 174-5.

5) Laurentius bps s., cap. 2, S. 790.

6) Snorra Edda, Bd. II, S. 6; vgl. S. 63, Anm. 1.

7) Jons bps s., cap. 11, S. 163.

Die Kirche. 249

man auch in diefer Richtung wenigflens nicht ohne alle Kcnntnifs war. B. Jon Ögmundarson erwifchte einmal den jungen Klaeng J>orsteinsson über dem Lefen des »Ovidius epistolarum«, oder wie es anderwärts wohl richtiger heifst, »Ovidius de arte«, sc. amandil), und wir fehen hieraus, dafs auch Claffiker in den Domfchulen ge- lefen wurden, wenn man fich auch der Natur der Sache nach hauptfachlich an die heilige Schrift, die Kirchenväter, Legenden u. dgl. halten mochte. Auch die ars dictandi oder die Rhetorik, dann die Kunft des Versbaues oder Poefie, beide natürlich in lateinifcher Sprache, wurden betrieben 2), und dem fpätern B. Lau- rentius wird nachgerühmt, dafs er fo rafch Verfe machte, als nur irgend Jemand lateinifch fprechen konnte. Auch der Gefang wurde auf der Domfchule zu Holar bereits von ihrem erften Anfange an gelehrt, und wenn zwar nirgends ausdrücklich von einem Unterrichte in der Dialektik, dann auch in der Arithmetik, Geometrie und Aftronomie gefprochen wird, aufser etwa von der frühzeitig gefchäftigen Volksfage, welche den Sajmund frööi im Aus- lande Aftronomie und Aftrologie lernen liefsS), fo dürfen wir doch kaum bezweifeln, dafs auch diefe Disciplinen auf der Infel gelehrt wurden, wie denn in der That der Priefter Bjarni Bergf^örsson zu den Zöglingen der Domfchule in Hölar gezählt wird, welcher ander- wärts als ein tüchtiger Computift erwähnt wird*), und die uns er- haltene Rfmbegla zeigt, dafs man in dem Kalenderwefen fammt allen dazu gehörigen Wiffenszweigen wirklich nicht geringe Kennt- nifle befafs. An die bisher aufgezählten Lehrgegenftände fcheint fich fodann noch einiger Unterricht in der Theologie, dann in der Gefchichte angefchloflen zu haben, bei welchem man indclTen, nach den uns zu Gebote ftehenden dürftigen Anhaltspunkten zu fchliefscn, nur fehr wenig tief gegangen zu fein fcheint. Eine uns erhaltene Bearbeitung des Elucidarius, möge diefer nun von Honorius von Autun oder von Anfelm von Canterbury, Wilhelm von Coventry oder Abt Gilbert verfafst fein 5), eine Ueberfetzung von Alcuin*s

1) Ebenda, cap. 13, S. 165; Gunnlaugr, cap. 24, S. 237—8.

2) Jons bps s., cap. 14, S. 16Ö; Gunnlaugr, cap. 27, S. 239—40; Lauren tius bps s., cap. 4, S. 793 4.

3) Jons bps s. Gunnlaugs, cap. 15 16, S. 227 9.

4) Ebenda, cap. 27, S. 241; Rfmbegla, Prolog, S. 2.

5) edd. Konrä6 Gislason, in den Annaler for nordisk Üldkyndighcd, 185ö, S. 51, u. fgg.; ebenda, 1857, 8. 296, u. fgg., eine dänifche Ueberfetzung, von Magnus Kiriksson.

250 I>ic Kirche.

Schrift de virtutibus et vitiis 1), die unter dem Gefammtnamen Stjörn bekannten gefchichtlichen Arbeiten 2), welche neben der heil. Schrift aus den Kirchenvätern, dem Josephus, des Petrus Comestor Historia scholastica und des Vincentius Bellovacensis Speculum historiale gefchöpft find, eine Reihe von Homilien 3) und Legenden 4), endlich auch eine Reihe gelegentlicher Anfuhrungen der Cura pastoralis Gregors des Grofsen, der Imago mundi des Honorius von Autun, der »Brimabök« des Meifters Adam, u. dgl. m., laffen ziemlich klar erkennen, wie es in diefer Hinficht mit dem Unterrichte auf Island befchafifen war. Bemerkenswerth ift indeffen noch, dafs die Kenntnifs des kanonifchen Rechts fich auf der Infel erft vergleiclis- weife fpät eingebürgert zu haben fcheint. Dem B. Arni jjorläksson fchenkte Erzb. Jon gelegentlich feiner Confecration (1269) erft »Decretalem cum appar^tu«, d. h. doch wohl die Decretalcn Gregors IX., und fetztö ihn dadurch in den Stand, einen fpätcrhin zwifchen ihm und B. Jörund 'ausbrechenden Competenzconflict ficg- reich durchzufechten 5) ; derfelbe B. Arni giebt dem ihn bcfuchcndcn Priefter Laurentius Kalfsson »kirkjulögbaikr« zu lefen, mit der Er- mahnung, das Kirchenrecht fleifsig zu ftudiren, wenn er fich in demfelben noch nicht recht feft wifle, und in Norwegen empfahl dcmfelben Laurentius Erzb. Jörundr, Heber das Kirchenrecht zu ftudiren als die Verskunft, indem er ihn zugleich einem tüchtigen flämifchen Kanoniften zum Unterrichte empfohl^). Mit diefem ftudirlc nun Laurentius täglich im kanonifchen Rechte, und feine werth- vollften Bücher waren fortan kanoniftifchen Inhalts 7); in den Strei- tigkeiten, die er fpäter als Bifchof auszufechten hat, beruft man fich

1) ctl. Unjjcr, in: (fanimcl nor>k llumiliebug (lb64).

2) cd. Ungcr (löt)2j: vgl. neben der Vorrede des Herausgebers die \>t mcrkungcn Gu^brand Vigfüsson'j» in den Ny fMagsril, IJd. XXIIl, S. 132 - 51 (löG3).

3} Vgl. das von Unger herausgegebene Humilienbuch, oben, Anni. 1^ un^l Ilümiliubük, ed. Wisen, (1872).

4) Ein Verzeichnifs allerer isländifcher \'erfalTer von folchen giebt G u 6 b r a n d r Vigfüsson, ang. O., S. 150; vgl. auch meine Abhandlung: Ueber die Aii>- drücke altnordifche, altnorwegifche und isländifche Sprache, S. 685 6 (in den Abhandlungen der bayer. Akademie der W., I. Cl., XI. Bd.).

«

5) Arna bps s., cap. 5, S. 683, und cap. 23, S. 711; vgl. cap. 28, X, de sententia cxcommun. (5, 39).

6) Laurentius bps s., cap. 7, S. 797, und cap. 9, S. 799 800.

7) Ebenda, caj). 10, S. tOO; cap. 11, S. 801; cap. 28, S. 822.

Die Kirche. 251

beiderfcits auf kanonifches Recht, und »eine fchwerc Laft von kirch- liehen Rechtsbüchern« wird zu folchem Behufe einmal herbeige- fchleppt*); feinem Abgefandten aber, dem Priefter Egill Eyjülfsson, verehrt Erzb. Eylifr »kirkjulaga bök, er Tancredus heitir« 2), d. h. doch wohl Tancreds Apparat zu den Decretalen. Aber alle diefe Beifpiele gehören erft dem SchlufTe des dreizehnten oder Anfange des vierzehnten Jahrhunderts an, alfo der Zeit nach dem Unter- gange der Selbftändigkeit Islands, und es ift augenfcheinlich den Widerausbruch des Kampfes zwifchen Kirche und Staat in Nor- wegen, welcher für jene fchärfere Betonung des kanoniftifchen Studiums beflimmend wurde. Die bisher befprochenen Disciplinen gelten nun als fo entfchieden der geiftlichen Erziehung eigenthüm- lich, dafs Ausdrücke wie klerkr, klerklig list, klerkdomr geradezu dir die gelehrte Erziehung und denjenigen gebraucht werden, der fie genolTen hat, ohne alle Rückficht darauf, ob der einzelne Mann auch wirklich die geiftlichen Weihen empfangen habe oder nicht; als lajröir menn oder bokla^röir menn werden denn auch umgekehrt wider die Kleriker im Gegenfatze zu den Laien (leikmenn, ükurtiir menn) bezeichnet, ohne alle Rückficht darauf, dafs auch junge Männer weltlichen Standes unter Umftänden an der gelehrten Er- ziehung Antheil namen, wie diefs z. B. von l>6rodd Gamlason, Gizurr Hallsson und vielleicht auch von Snorri Sturluson anzuncmen ift, oder" dafs fogar Weiber an derfelben fich betheiligen konnten, wie etwa die Einfiedlerinn Hildr, welche nicht nur Weiber unter- richtete, fondern auch einen Knaben den Psalter lehrte 3), oder die Jungfrau Ingun, welche es foweit brachte, dafs fie in der Dom- fchule zu Hölar in der Grammatik felbft wider Unterricht geben, oder auch die Correctur lateinifcher Hss. beforgen konnte 4). Diefer Schulgelehrfamkeit fteht nun aber, um Nichts weniger kräftig ent- wickelt,' eine zweite, vollkommen nationale Art der Erziehung gegen- über. Neben fo manchen körperlichen Fertigkeiten (il^rüttir), auf welche man Werth legte, war es zumal die Dichtkunft (skäldskapr), die umfaffende Kenntnifs und gefchickte Erzählung von Sagen (sögufraeöi), die Rechtskunde (lögkseni, lögkaenska, lögspeki), ferner die Genealogie (aittvisi) und die mit ihr zufammenhängende Men-

1) Ebenda, cap. 55, S. 861.

2) Ebenda, cap. 61, S. 869.

3) Jons bps s. II, cap. 5, S. 207.

4) Jons bps s. Gunnlaugs, cap. 27, S. 241.

252 Die Kirche.

fchenkenntnifs (mannfraeöi), welche man betrieb; mit der Zeit fchloffcn fich auch wohl noch andere Kenntnifle an, welche, ohne ftrengftens nationalen Urfprunges zu fein, doch auch mit der klerikalen Erziehung Nichts zu thun hatten, wie z. B. die Kenntnifs ausländifcher Sprachen, welche nicht nur der norwegifche Königsfpiegel als wefentlich für einen tüchtigen Kaufmann bezeichnet i), fondern deren Befitz auch dem isländifchen Priefter Hallr Teitsson als ein befonderer Vorzug nachgerühmt wird 2), Fertigkeit in fo mancherlei Brettfpielen (tafl), Uebung in fo mancherlei Handwerksarbeiten (smf5), u. dgl.m. Für den Unterricht in derartigen Künften und WilTenszweigen gab es nun freilich keine Schulen, vielmehr mufste in diefer Richtung theils die häusliche Erziehung, theils aber auch die Unterweifunj,' einzelner fachkundiger Männer aushelfen, und nicht am Minderten mehrjähriges Reifen im Auslande, da nach dem Sprichworte : theimskt er heimalit barn«, »für wenig weife galt, wer nicht über Island hin- ausgekommen war« 3). Thatfache ift nun, dafs ganz in derfclben Weife, wie einzelne Laien die gelehrte Erziehung durchmachten, umgekehrt auch der Klerus auf Island an diefer nationalen Bildung fich im vollften Mafse betheiligte. Wir fanden den B. Klaeng wegen feiner Kenntnifs des Landrechts und feiner Gewandtheit in der Führung von Proceffen gerühmt; unter den Gefetzfprechern aber, deren Amt denn doch die voUendetfte Rechtskenntnifs forderte, fehen wir die Priefter Finnr Hallsson (1139—45), Hallr Gizurarson (120 1—9), Styrmir hinn froöi, Kärason (12 10 14, und wdcr 1232 35), Ketill l>orläksson (1259—62), fowie den Subdiakonen Ölafr Hvitaskald (1248—50, und 1252) genannt 4). Nicht minder eifrig betrieb der Klerus die Dichtkunft. Als »hit mesta skäld- wird zunächft wider eben jener Bifchof Klaengr gepriefen 5), und Snorri hat uns eine halbe Strophe von ihm erhalten. Der Priefter Ingimundr Einarsson, zugleich Inhaber des ReyknesfngagoftorÖs, wrd als ein tüchtiger Dichter, und zugleich als ein gefchickter Sagen- crzähler genannt; bei einer Olafsgilde, welche er im Sommer des Jahres 1119 abhielt, gab er die Sage von Ormr Bäreyjarskäld, fowie

1) Konüngsskuggsjd, g 3, S. 6.

2) Ilüngrvaka, cap. 16, S. 80.

3) Laxdiiela, cap. 72, S. 310.

4) Die Belege findet man bei Jon Sigurbsson, Lügbügumauna tal og k%- manna a Islandi.

5) Vgl. über ihn oben, S. 110 und 235; Snorra-Edda, Ilatlalal, cap. lU», S. 656.

Die Kirche. 253

ein gutes Gedicht zu Berten, welches er derfelben angehängt hatte l). ^ Im Jahre 1152 trug der Priefter Einarr Skülason in Norwegen ein von ihm zu Ehren des heil. Olafs' gedichtetes Loblied vor, welches den Namen »Geisli«, d. h. der Strahl trägt 2); im Skäldatal wird er unter den Hofdichtem der Könige Sigurör Jörsalafari und feines Bruders Eysteinn, Haraldr gilli und Magnus blindi, dann Ingi Haraldsson und feiner Brüder Sigurör munnr und Eysteinn, fowie des Gregorius Dagsson und des Eindriöi üngi, und wider unter den Hofdichtern des Schwedenkönigs Sörkvir Karlsson und des Jarlcs' Jon Sörkvisson, endlich des Dänenkönigs Sveinn svftandi genannt, und eine lange Reihe von Strophen ift uns neben jenem Lobliede aufbewahrt 3). Unter den Hofdichtern des Jarles Knütr Häkonarson wird ein ^örälfr prestr genannt, und von einem ^ormoör prestr Ölafsson fuhrt die Guömundar bps s., dann die Njäla eine Reihe von Strophen an; mancherlei Gedichte find von dem Subdiakonen Ölafr hvltaskäld bekannt, und einige Strophen wenigftens find er- halten von einem Lobliede, welches Nikoläs, der erfte Abt von Münkal)verd, auf Johannes den Täufer dichtete 4), u. dgl. m. Zum Theil find freilich die Lieder folcher geiftlicher Dichter religiöfen Inhaltes; aber wenn Dichter weltlichen Standes, wie z. B. der be- rühmte Häuptling Kolbeinn Tumason »Mariukvaeöi« und »Jonsvfsur« dichteten 5), fo betheiligten fich andererfeits auch Priefter und Mönche an der weltlichen und zumal an der Hofdichtung, wie diefs fchon die oben angeführten Belege zeigen, und überdiefs find auch ihre religiöfen Lieder wenigftens formell ganz im nationalen Style ge- halten. In der Genealogie ferner fehen wir den B. liorläk por- hallsson von feiner Mutter unterrichtet 6), und geiftliche Vcrfaflcr wie Ari hinn frööi, dann der Prior Brandr hinn froöi, Halldorsson, gehören zu den namhafteften Schriflftellern auf ihrem Gebiete. Als ein gerngehörter Erzähler von Sagen wurde vorhin bereits der Priefter Ingimundr Einarsson envähnt; von ungleich erheblicherer

1) Sturlünga, I, cap. 6, S. 9; cap. 13, S. 19 und 28.

2) Morkinskinna, S. 226 7; vgl. wegen der Zeitbeftimmung Munch, II, S. 866 7, Anm.

3) Vgl. Einars Lebensbefchreibung von S. Thorlacius, im 3. Rande der Kopenhagener Ausgabe der Heimskringla, Z. 481 94.

4) Finn Johannteus, IV, S. 41; Biskupasögur, I, S. 571, Anm.; vgl. Malskrü&sfrieöi, III, cap. 16, S. 186.

5) Mibsaga Guömundar bps, cap. 8, S. 569-70.

6) Jiorldks bps s., cap. 3, S. 91.

254 l>ie Kirche.

Bedeutung ift aber, dafs eine Reihe der tüchtigften litterarifchen Arbeiten auf hiftorifchem Gebiete aus der Feder isländifcher Kleriker hervorgegangen ift. Manche von diefen find freilich in lateinifcher Sprache gefchrieben, wie z. B. die Biographieen der Könige Olaf Tryggvason und Olaf Haraldsson, dann des Bifchofs Jon Ögmund- arson, welche die Mönche Oddr Snorrason und Gunnlaugr Leifsson verfafsten, und welche uns in isländifcher Bearbeitung erhalten find; nach fremdländifchem Mufter, wenn auch in der Landesfprache ge- fchrieben, find ferner jene zahlreichen Legendenwerke eingerichtet, welche zu den erften Erzeugniflen der isländifchen Litteratur ge- hören, fowie jene Annalen, deren lange Reihe bereits mit dem Ende des 13. Jahrhunderts beginnt. Allein neben diefen Erzeugniflen ausländifcher Gelehrfamkeit ftehen, und zwar an Zahl wie an innerem Werthe weitaus überwiegend, jene ausgezeichneten Sagenwerke, auf welchen gutentheils der unvergängliche Ruhm der altnordifchen Litteratur beruht, und fie fowohl als eine Reihe mehr vereinzelter Producte einer kritifcheren Gefchichtfchreibung, welche neben ihnen hergeht, find grofsentheils der fchriftftellerifchen Thätigkeit des isländifchen Klerus zu verdanken. Denfelben Priefter Bjarni Berg- |)örsson, welchen wir oben neben dem Laien Stjörnu-Oddi als tüchtigen Computiften genannt fanden, zählen Oddr und Gunnlaugr zu ihren Gewährsmännern für die Gefchichte K. Olaf Tryggvason'si), während es andererseits auch nicht an Belegen fehlt für das Gefchick einzelner Priefter in Handarbeiten mehr oder minder künftlerifcher Art. Den Priefter Atli fehen wir als Maler bei einem Kirchenbau befchäftigt, während gleichzeitig der Laie Ämundi Ärnason als Zimmer- mann, t>orsteinn als Goldfchmied, und Margret, die Frau eines Priefters, als Bildfchnitzerinn thätig war 2) ; die Harfe fpielt bereits B. Jon Ögmundarson, während in der erften Zeit der norwegifchen Herrfchaft ein Priefter Namens ^»orleifr als tüchtiger Harfenfpieler genannt wird 3), und ein anderer, Arngrimr Brandsson, über dem Beftreben, in Norwegen den Orgelbau zu lernen, die Beforgung der Gefchäfte vergifst, wegen deren er dahin gefchickt worden war^) u. dgl. m. Ganz abgefehen alfo von völlig ungebildeten Prieftern,

1) OcUlr, cap. 76, S. 374—5 (ed. Ilafn.); Flbk, I, .S. 517.

2) Pdls bps s., cap. 6, S. 132; vgl. cap. 8, S. 134, und cap. 16,^ S. 143—4.

3) Jons bps s., cap. 4, S. 155; Laurentiiis bps s., cap. 59, S. 866.

4) LaurtMitiiis s,, cap. 58, S. 8G5 6.

Die Kirche. 265

wie jener Bärör oder Brandr aus dem Anfange des 1 1. Jahrhunderts, der fich nicht einmal getraute ohne fremde Anweifung ein Kind zu taufen 1), oder wie jener Eyh'fr aus dem Anfange des 14. Jahr- hunderts, der von feinem Amte fufpendirt werden mufste, weil er nicht einmal die kirchliche Liturgie zu lefen im Stande war 2), war der Bildungszufta nd des isländifchen Klerus im Sinne der ftreng hierarchifchen Anforderungen ein fehr mangelhafter, indem er deffen Angehörige noch viel zu fehr in alle Intereflen und Gefchäfte des Laienllandes verwickelt liefs. Aber doch zeigt fich immerhin im Verlaufe des 12. und 13. Jahrhunderts ein allmäliges Ueberhand- nemen der gelehrten Bildung über die nationale, welche nach und nach den Klerus zugleich für feinen kirchlichen Beruf gefchickter machen und von allem weltlichen Treiben vollends abtrennen mufste. Nicht ohne Einflufs auf die eben gefchilderte Wendung im Charakter des isländifchen Klerus war übrigens die Stiftung von Kl öfter n 'auf der Infel, welche ebendarum hier noch in Kürze befprochen werden mufs3). Ganz wie in Norwegen, begann man auch auf Island mit der Gründung von folchen nicht vor der erften Hälfte des 12. Jahrhunderts. Von einem B. Rudolf, welcher in den Jahren 1030—50 als Miffionsbifchof auf Island thätig war, nachdem er zuvor bereits in Norwegen und Schweden in gleicher Weife gewirkt hatte -i), erzählen freilich neuere Schriftfteller, dafs er zu Baer im Borgarfjörö ein Klofter gegründet habe»); aber diefe Angabe ftützt fich wohl nur auf eine ungenaue Auslegung einer Stelle der Hauksbök und jüngeren Melabök, nach welcher jener Bifchof bei feiner Abreife von Island drei Mönche zu Baer hinter- laffcn habe 6), was denn doch die Gründung eines Klofters keines- wegs vorausfetzt. Widerholt wird ferner von Nonnen (nunnur) auf

1) Heimskr. Olafs s. helga, cap. 148, S. 894; FMS., IV., cap. 134, S. 318: ed. Munch und Unjjer, cap. 128, S. 144; Flhk, II, cap. 199, S. 204.

2) Laurentius bps s., cap. 19, S. 811.

3) Vgl. Finnr Jonsson, Historia monastica Islandra', im vierten liande feiner Ilisloria ecclesiastica, S^. 1 124 (1778); weiterhin auch L[ange, de norske Kloslres Historie i Middelalderen, erfle und zweite Ausgabe (1847 und 1856).

4) Vgl. über ihn meine Schrift *die Bekehrung des norwegifchen Stammes, zum Chrillenthume«, I, S. 597 8.

5) Anhang zur SkarÖsdrbok, S. 332; Finnr Jönsson S. 22—24; J<'»n Sigurösson, im Diplom, island., I, S. 483; Munch, II, S. 211.

C) Landndma, I, cap. 16, S. 51, Anm.; in der P'lbk, I, cap. 222, S. 208, wird der einfchlägigc Vorgang anders erzählt, und der Mönche nicht gedacht.

256 I^ie Kirche.

der Infel gefprochen, als deren erfte Guörün Osvifsdottir bereits zu Anfang des ii. Jahrhunderts genannt wird^); aber nicht etwa Klofterfrauen find unter diefen zu verliehen, fondern Anachoretinnen, welche fich zumeift in der Nähe der Bifchofsfitze wie Groa Gizurar- döttir, dann Ketilbjörg zu Skälholt^), oder Hildr zu Hölar^), oder

ff

auch in der Nähe von Mannsklöftern, wie Ulfrun zu ]?ingcymT oder Katrin zu Münkat>verä*), oder doch in der Nähe anderer Kirchen, wie Guörför l)Orbjarnard6ttir in der erften Hälfte des II. Jahrhunderts 5), ihre Gellen bauten, und welche darum auch trotz des klöfterlichen Habites (hreinlifisbünfngr), den fie trugen, als einsetukonur bezeichnet wurden, ganz wie andererfeits auch Einfiedler männlichen Gefchlechts, wie etwa Jörundr hinn kristni und deflTen Vetter Äsolfr alskikk, Björn zu ^fngeyrar und andere mehr genannt werden. Ein gewilTes Beftreben, das mönchifche Leben des Auslandes nachzuamen, fpricht fich freilich in derartigen Vorkommniffen aus; aber von Klöftern auf Island zu fprechen, berechtigen fie eben doch noch nicht. Das erfte wirkliche Klofter, welches auf der Infel geftiftet wurde, gehörte dagegen dem Bene- dictinerorden an, und kam zu Anfang des I2. Jahrhunderts zu Stande ; es war das Klofter zu ^fngeyrar im Nordlande. Ueber den Hergang bei feiner Gründung enthalten die Quellen verfchiedene nicht ganz klare Berichte. Auf der einen Seite nämlich wird erzählt, wie ein fchweres Mifsjahr den B. Jon Ogmundarsson (f 1121) beftimmte, am Frühlingsdinge zu ^fngeyrar den Bau einer Kirche und eines Hofes an der Dingftätte zu geloben, zu welchem alles Volk Beiträge zu liefern fich bereit erklärte, und wie er fofort den Grundrifs des zukünftigen Baues bezeichnete 6) ; wie femer ein dem Bifchofc fehr befreundeter Priefter, ^orkell trandilP), den Bau in der Abficht führte, um daraus ein Klofter zu machen, und wie B. Jon deflen Gründung dadurch ermöglichte, dafs er zu folchem

1) Laxdaila, cap. 78, S. 832. '

2) Iliingrvaka, cap. 9, S. 71; GuÖmundar bps s., cap. S6, S. 466.

8) Jons bps s., cap. 14, S. 167, und cap. 40, S. 194; Jarteinir, S. 203—7.

4) (i uc^mundar bps s., cap. 45, S. 478; Jarteinabök II ^orlaks bps, cap. 18, S. 367—8; dann Jart. III. {.orläks, cap. 2, S. 375.

5) Grcenlendf nga |j., cap, 7, S. 76, (Antiquitates Americanse), und Flhk, I, § 433, S. 549.

6) J6ns bps s. I, cap. 17, S. 171; II, cap. 81, S. 244.

7) Vgl. über ihn ebenda, I, cap. 18, S. 172; II, cap. 34, S. 245.

bie Kirche. 25?

ßehufe den Bifchofszehnt von allem weftlich der Vatnsdalsä ge- legenen Lande herfchenkte, welches fpäterhin 13 Pfarreien aus- machte i). Obwohl dem Bifchofe dabei ausdrücklich ein »fundera klaustriö« zugefchrieben wird, fetzen doch auf der anderen Seite die Annalen deffen Gründung erft in das Jahr 11 33, alfo in das 12. Jahr nach deffen Tod; vielleicht laffen fich aber doch die ver- fchiedenen Berichte dahin vereinigen, dafs fich das erfte Gelübde B. Jons nur auf den Bau einer Kirche mit Pfarrhof bezog, während der von ihm ernannte Pfarrer erft den Gedanken an die Stiftung eines Klofters fafste, und dafs dann B. Jon zwar durch die Be- widmung des zukünftigen Klofters mit den genannten Zehntrechten die Grundlage für deffen Beftand legte, aber doch deflen wirkliche Eröffnung erft erfolgte, nachdem er fowohl als ^»orkell trandill ver- ftorben waren. Auch das zweite Klofter, welches auf Island ent- ftand, war ein nordländifches, und ein Benedictinerklofter ; es wurde von B. Björn Gilsson im Jahre 1 1 5 5 zu jiverä, oder wie der Ort feitdem genannt wurde Münkat)vera im Eyjafjörör geftiftet^). Beide Klöfter waren Mannsklöfter j ein P^rauenklofter aber des Benedictiner- ordens wurde nach den Annalen im Jahre 11 86 zu Kirkjubaer in der Landfchaft Siöa gegründet 3), und ein zweites zu Staör i Reynisnesi, oder wie der Ort jetzt heifst Reynistaör, im Nordlande, im Jahre 1295 durch B. Jörundr von Hölar, nachdem bereits Gizur jarl (t 1268) feinen Hof dafelbft zu folchem Behufe geftiftet hatte'*). Auch der Auguftinerorden erwarb ferner einige Klöfter auf der Infel, nämlich zuerft das im Jahre 1168 geftiftete Klofter zu

1) Urkunde vom 20. Mai 1320, bei Finnr Jönsson , II, S. 183—4; Laur- entiiis bps s., cap. 83, S. 831—2 und cap. 48, S. 851—2, vgl. S. 891.

2) Guömundar bps s., cap. 52, S. 488; Sturlünga, III, cap. 19, S. 223: Anndlar, h. a.

3) Woher Finnr Jönsson, IV, S. 78 die Nachricht hat, dafs der PrieRer Bjarnh^^inn Sigurbarson (f 1173) bereits das Klofter auf Antrieb des heiligen {lorldks und unter Mitwirkung B. Kliengs (f 1176) geftiftet habe, weifs ich nicht; aus der (lorlaks bps s., I, cap. 6 7, S. 94 6, und II, cap. 7 8, S. 268 70, liüngrvaka, cap. 20, S. 85, und den Annalen ficht man nur, dafs diefer zu den angefehenften Prieftern zählte, auf feinem Hofe zu Kirkjubaer mehrere Jahre lang den heiligen {>orlak beherbergte, und im genannten Jahre ftarb. Auch Jon SigurÖsson, welcher im Diplom. Island., I, S. 187 88 auf den Mann zu fprechen kommt, weifs Nichts von jener Stiftung.

4) Annalar, a. 1268 und 1295;. Laurentius bps. s., cap. 10, S. 801, und cap. 30, S. 825.

Ifanrer, iRland. 17

258 ^*^ Kirche.

l>ykkvibaer in der Landfchaft Alptaver, oder das Kloftel- f Yen, me es auch wohl genannt wurde i), ferner ein zweites, welches nach den Annalen im Jahre 1172 auf der Infel Flatey geftiftet, aber bereits im Jahre 11 84 nach Helgafell verlegt wurdet), ein drittes auf der Infel Viöey, welches j>orvaldr Gizurarson im Vollzuge einer letztwilligen Verfügung des Kolskeggr aui^gi, Eiriksson (f 1223) nach einer mit Snorri Sturluson genommenen Abrede im Jahre 1226 gründete 3), endlich ein viertes zu Mööruvellir im Eyjafjörör, welches B. Jörundr im Jahre 1295 oder 1296 errichtete, nachdem er im Jahre 1290 die dortige Kirche ihrem Befitzer abgekauft hattet). Damit find aber auch die Klöfter vollftändig aufgezählt, welche bis zum Schlufle des 1 3. Jahrhunderts auf Island überhaupt entftanden und zu dauerndem Beftande gelangten ; ein Klofter dagegen, welches B. Magnus Einarsson (f 1148) auf den Vestmannaeyjar 5), und ein zweites, welches Jon Loptsson von Oddi (f 1197) zu Keldur er- richten wollte 6), kam nie zu Stande, das Klofter aber im Hftardale, deffen feinerzeitiger Beftand fowohl als frühes Eingehen durch eine unzweifelhaft glaubhafte Quelle bezeugt ift7), dann das Klofter zu Saurbaer im Eyjafjörör, von welchem wenigftens ein Abt im Anfange des 13. Jahrhunderts genannt wird 8), fcheinen nur fehr kurze Zeit hindurch beftanden zu haben, wefshalb ich auf die fehr verwickelte Erörterung über die Zeit ihrer Exiftenz hier nicht weiter eingehe. Erft am Schlufle des 15., wenn nicht gar erft am Anfange des 16. Jahrhunderts wurde aber ein weiteres Klofter auf Island, das

1) t»orlaks bps s. I, cap. 7, S. 95—6, cap. 12, S. 101—2, cap. 15, S. 106, und cap. 17, S. 109, und II, cap. 8—9, S. 269—70; cap. 28, S. 294: Ann- dlar, h. a.

2) Vgl. auch Diplom, isla nd. , I, Nr. 69, S. 282. Als ein ehrenvolles Zeugnifs für die geiftige Bildung der isländifchen Klofterleute mag erwähnt werden, dafs das Inventar des Kloftergutes neben einem ziemlich dürftigen Befände anderen Befitzes ein volles Hundert von Büchern aufweiil!

3) Sturlünga, IV, cap. 39, S. 80 1; Guömundar bps s., cap. 94, S. 546; Anudlar, h. a.

4) Lauren ti US bps s., cap. 10, S. 801, und cap. 30, S. 825; Annular, h. a. ; femer Ar na bps s., cap. 53, S. 750, und Laurentius s., cap. 6, S. 795—6.

5) Hüngrvaka, cap. 14, S. 77.

6) |>orlaks bps s., II, cap. 25, S. 293.

7) Arna bps s., cap. 6, S. 685.

8) Anndlar, a. 1206 und 1212.

T)ie Kirclie. ^50

2u Skriöa im Oftlande geftiftet, zu einer Zeit alfo, welche uns hier ganz und gar nicht mehr zu befchäftigen hat. Bezeichnend ift jedenfalls, dafs Island von den Mendicantenorden, und zwar deft Dominicanern fowohl als den Franciscanern, fich völlig freigehalten hat, obwohl diefelben in Norwegen ebenfogut als in den beiden anderen nordifchen Reichen eine fehr bedeutende Rolle fpielten ; mag fein, dafs die Armut der Infel und die geringe Dichtigkeit ihrer Bevölkerung diefen das Land wenig einladend erfcheinen liefs, mag aber auch fein, dafs dem litterarifchen Geifte, und dem zur Schwärmerei nur wenig geneigten Wefen der Isländer die ge- lehrten Orden mehr zufagten, und dafs die ftrenger asketifche Richtung der Bettelorden dem Volke minder einleuchtete, welches mit der Rauhheit feines Landes ohnehin genugfam zu kämpfen hatte. So fteht denn auch das Mafs der Bildung und der Grad der litterarifchen Wirkfamkeit bei den isländifchen Klöftern ungleich höher als bei den norwegifchen. Wir erfahren zunächft, dafs bei den erfteren regelmäfsige Schulen gehalten werden, zu Nutz und Frommen der Conventualen felbft nicht nur, fondern auch aus- wärtiger Schüler, und wenn zwar diefer Klofterfchulen immer nur ganz gelegentlich und darum auch nur fehr ungenügend Erwähnung gefchieht, fo ift doch der uns in ihre Führung verftattete Einblick ein im Ganzen recht erfreulicher. Wir wiffen z. B., dafs der fpätere Bifchof Brandr Jönsson, welcher in den Jahren 1 247 62 als Abt dem Klofter zu tykkvibaer vorftand, während diefer Zeit der dortigen Schule fein befonderes Augenmerk zuwandte i) ; feine Kunftfertigkeit, fein Gefchick im Schreiben, dann aber auch fein Verftändnifs in allen Zweigen der Büchergelehrfamkeit wird höchlich gepriefen, und die Bifchöfe Jörundr von Holar und Arni j[)Orlaksson von Skälholt, fowie der fpätere Abt Runölfr Sigmundarson von |»ykkvibaer werden als feine tüchtigften Schüler genannt. Den Laurentius K^lfsson finden wir fchon frühzeitig als Lehrer in der Domfchule zu Hölar thätig, in welcher er felber gelernt hattet), und fpäterhin, nachdem er in Folge von ZerwürfnifTen mit den Domherrn zu Drontheim ab officio fufpendirt, und gefangen nach Island zurückgefchickt worden war, befchliefst er neuerdings auf B. Jörunds Rath, durch Ertheilen von Unterricht fich nützlich zu machen ; da der Abt

ff

1) Ar na bps s., cap. 2, S. 681.

2) Laurentius bps s., cap. 4, S. 793, und cap. 6, S. 795.

17*

260 1^'c Kirclie.

Guömundr von l»fngeyrar fein Anerbieten, den Klofterbrndern und Klofterfchülern Unterricht zu geben, aus perfonlichen Gründen nicht anzunemen wagt, wendet er fich zum Abte |)Orlak von l)ykkviba,T, und hält dort zum Berten vieler Schüler und Klofterleute Schule <). Anfangs nur auf ein Jahr angenommen, bleibt er hinterher noch ein zweites, und als er fchliefslich aus Rückficht auf den Bifchof von Hülar entlaffcn wird, welcher die ihm gewährte Aufname übel vermerkt, folgt er einem Rufe des Abtes t^orir von Münkal>verji, um nunmehr dort, vorläufig auch wider nur auf ein Jahr, den Unterricht der Conventualen und fonftigen Schüler zu übernemen^). Auch hier ift freilich feines Bleibens nicht lange, da er nach B. Jörunds Tod fich mit dem Officialis überwirft, welcher die in- tcrimiftifche Venvaltung des Bisthumes übernommen hat, und auf deffen Andringen entlaffen wird; aber jetzt beruft ihn der Abt Guömundr an die Klofterfchule zu ^ingeyrdit, welche unter feiner Leitung fofort den kräftigften Auffchwung nimmt. Eine Reihe der tüchtigften Schüler wird hier gebildet, deren einer fpäter felbft wider Lehrer an der Domfchule zu Hölar wird, und fogar der Abt felbft läfst fich von Laurentius, den er auch wohl als tüchtigen Kanoniften in feinen Procefsfachen verwendet, Unterricht ertheilen ; dennoch aber legt diefer in dem Klofter erft nach längerem Aufenthalte in dcmfelben Profefs ab 3). In tingeyrar, wo er unter Anderen auch einen Neffen B. Auöuns von Hölar unterrichtet*), bleibt nun Lau- rentius, bis er zum Bifchofc von Holar erwählt wird (1322); aus feiner Gefchichte, welche freilich um einige Jahrzehnte über die Zeit des isländifchen Freiftaates hinausfällt, ift aber recht deutlich zu erfehen, wie frei man damals Seitens der Klöftcr das Schulwefen behandelte. Von einer Domfchule zu der Schule eines Auguftiner- klofters, und von diefer wider zu den Schulen des einen und anderen Benedictinerftiftes wandert der Mann, ohne dafs fich zwifchen den Ordensleuten und dem Sa^cularklerus, oder wider zwifchen den Regularen der verfchiedenen Orden die geringfte Spur von Eifer- fucht geltend machte, und ohne allen Anftand nimmt fogar ein Benedictinerabt an dem Unterrichte Theil, welchen ein, noch

1) Ebenda, cap. 28, S. Ö23— 4.

2) Ebenda, cap. 29, S. 824 und 826.

3) Ebenda, cap. 30, S. 827, und cap. 33, S. 831—2.

4) Ebenda, cap. 35, S, 834.

Die Kirche. 261

obendrein ab officio fufpcndirter, VVcltpricftcr in feinem Conventc ertheill. Von Jahr zu Jahr erfolgt dabei die Anflellung des Lehrers ; aber man bleibt beifammen, wenn man fich gefällt, und wenn nicht etwa anderweitige Rückfichten im einzelnen Falle ein Anderes mit fich bringen. Ganz daffelbe frifche und freie geiftige Leben zeigt fich aber auch, wenn wir unferen Blick auf die litterarifche Thätigkeit der isländifchen Klofterleute richten. Während man in Norwegen nur ein paar ganz vereinzelte Regularen nachweifen kann, welche fich mit der Abfafiung von litterarifchen Arbeiten befchäftigen, den Mönch Theodorich nämlich, welcher eine norwegifche Gefchichte, und den Mönch Robert, welcher die Ueberfetzung mehrerer Ritter- romane verfafste, jenen Bruder Mauritius, der eine Befchreibung feiner Reifen nach Spanien und dem gelobten Lande hinterliefs, und den Predigermönch und fpäteren Bifchof von Skalholt Jon Halldorsson, welcher die Klarussaga keisarasonar, fowie eine Reihe kleinerer Erzählungen theils verfafste theils überfetzte, endlich die ungenannten Verfafler der Fundatio monasterii Lysensis und des Commentariolus de ccenobiis Xorvegiai l), hat das Klofter t»ingeyrar die Aebte Karl Jonsson und Arngrfm, dann die Mönche Odd Snorrason, Gunnlaug Leifsson und Arni Laurentiusson, und das zweite Benedictinerklofter zu Münka|)Vera die Aebte Nikolas Bergborsson, Bergr Sokkason und Arni Jonsson als litterarisch-thätige Männer zu nennen, welchen der Augustinerorden aus dem Klofter yykkvibair die Bifchöfe l>orlakr törhallsson und Brand Jonsson, fowie den Abt Runolf Sigmundarson, aus dem Klofter Helgafell den Abt torsteinn böllottr und wohl auch den Prior Brandr hinn frööi, fowie den Mönch Eystein Asgrimsson, den Dichter der Lilja, aus dem Klofter Viöey aber den Prior Styrmir hinn frööi an die Seite zu ftellen hat. Während demnach aus 25 norwegifchen Mannsklöftern nur 4 Schriftfteller fich namentlich nachweifen laden, haben die 7 isländifchen uns deren 15 geliefert, welche Zahl bei weiterer Nachforfchung, zumal nach den zahlreichen noch unedirten Legenden und fonftigen religiöfen Schriften, dann auch geiftlichen Dichtungen, (ich zweifellos noch erheblich erhöhen würde. Nun ift zwar aller- dings richtig, dafs ein Theil der genannten Regularen erft der Zeit nach dem Untergange des Freiftaates angehört, und richtig auch,

1) Vgl. Lange, De norske Klostres Hisiorie, S. 139 41 (ed. 2): der Nach- trag auf S. 495 in. nicht hiehcr gehörig.

262 I^it Kirche.

dafs ein Theil ihrer Schriften in einheiinifcher Sprache verfafst, und auch feinem Inhalte nach mehr der nationalen als der kirchlich gelehrten Richtung zuzuzählen war; aber immerhin verlieht fich von felbft, dafs in den Klöftern mit ihrer asketifchen Richtung und ihren fremdländifchen Ordensregeln die kirchliche Gelehrfanikeit ganz vorzugsweife ihren Sitz haben mufstc, und ficherlich ift es nicht zufällig, dafs gerade ein aus einem Klofter hervorgegangener Bifchof wie der heilige ^orläkr den erften Vorkämpfer der hierarchifchcn Beftrebungen auf der Infel bildete, und dafs diejenigen Bifchöfe die eifrigften Vertreter einer ftrengeren Richtung im kirchlichen Leben waren, welche, wie der heilige Jon Ögmundarson zugleich die eifrigften Beförderer des Klofterlebens waren. Uebrigens fcheinen die Klöster, abgefehen von diefer ihrer gcifligen Wirkfamkeit auf Island keine hervorragende Bedeutung gehabt zu haben. Nur feiten wird derfelben in unferen Rechtsbüchern Envähnung gethan, und dann immer nur gelegentlich fehr wenig bedeutfamer Punkte, wie etwa der Privi- legien, deren die Vergabungen an Klöft;er genofien, oder des Rechtes von Jungfrauen den Schleier zu nemen, oder der Beftrafung von mit Nonnen begangenen Heifchcsvergehen ; in den Gefchichtswerken aber ift faft nur über die Perfonalgefchichte derfelben Etwas zu finden, und die Urkunden, welche für deren Recht und Verfaflung ein reichlicheres Material geben könnten, gehören zumeift erft einer fpäteren Zeit an, und find überdiefs gröfstentheils noch ungedruckt. Von dem kirchlichen Leben auf der Infel hält es fchwer ein einigermafsen genügendes Bild zu geben, da fich in den Quellen nur ganz vereinzelte ZeugnifTe über dasfelbe finden. Was zunächft den Glauben betrifft, fo ift zwar in hohem Grade bemerkens- werth, dafs wir weder von Härefie noch von Schisma irgend eine Spur auf der Infel finden, aber doch auch unverkennbar, dafs es mit demfelben keineswegs befonders glänzend beftellt war. Die Kirche felbft begnügte fich mit dem befcheidenften Mafse von Wiffen bei ihren Angehörigen, und wenn am SchlufTe des zehnten Jahrhunderts Hallfreör vandraeöaskäld felbft das Credo und das Pater- nofter erft nach empfangener Taufe lernte i), fo befchränkte fich auch fpäter noch auf diefe beiden Stücke, dann auf die TaufTormel, was die Gläubigen zu wifien brauchten, und felbft das Ave Maria zu

1) Olafs s. Tryggvasonar, cap. 165, S. 40 (FMS., 11), und Flbk, 1, i 266, S. 317.

l>*ie iCircW. 063

lernen wurde ihnen erft am Schlüfte des dreizeVihten Jahrhunderts zugemuthet *), Es begreift fich, dafs bei dürftigen! Wiffen gär mancherlei Abeqjlauben bei dem Volke im Schwäng'e Vv'är, lirtii zwar handelt es fich dabei um zweierlei ganz verrchiedene ArtOrt deffelben. Auf der einen Seite nämlich halte das Chriftenthum bei der Rafchhcit und zum Theil Gewaltfamkeit feines Eindringens in den Norden das Heidenthum dafelbft nicht fofort völlig verdrängen können, und wenn zwar die Zeit bald vorüber war, in welcher offene Bckenner der Äfenlehre neben gläubigen Chriflen wohnen konnten, oder fogar gefetzlich der Opferdienft keiner Verfolgung unterlag, folange er nur nicht allzu offenkundig betrieben wurde, fo blieben doch in anderer und verfteckterer Weife Ueberrefte des älteren Glaubens noch auf lange hinaus beftehen. Bis auf den heutigen Tag herab hat fich auf Island der Glaube an Riefen und Gefpenfter, an PLlben und Wichte in weiten Kreifen lebendig erhalten 2); um fo weniger kann es auffallen, wenn der Glaube an fie nicht nur, fondern fogar an die alten Götter, an Valkyrjen und Unholde der ver- fchiedenften Art noch in den letzten Zeiten des Freiftaates ganz allgemein verbreitet war 3), und wenn noch das Chriftenrecht der Bifchöfe {)orläk und Ketil die »Verehrung heidnifcher Wichte«, den Betrieb von Zauberei und Hexenkünften, fowie das Gehen des Berferksganges zu verbieten fich genöthigt ficht *). Auf der anderen Seite aber kommt das mittelalterliche Chriftenthum mit dem ihm cigenthümlichen Aberglauben hinzu, und nicht nur mit einem ge- heimen Namen Gottes 5), oder mit dem Kreuzeszeichen als dem »Siegeszeichen Christi« wird wie mit einem Zaubermittel Unfug ge- trieben, fondern auch die Heiligenverehrung, der Reliquiendienft und das Mirakelwefen treten fofort in der misbräuchlichften Geftalt auf. Wie in Norwegen K. Olafr Tryggvason und K. Olafr Haraldsson,

1) Vgl. oben S. 230, Anm..4; ferner Kristinnr^ttr Arna bibkiips, cap. 1, S. 8 und 12 14. Das erflere Gebot foll von B. Jon Ögmundarson her- llammen, Jons bps s. , cap. 12, S. 165.

2) Vgl. Jon Aruason, tslenzkar |»j6Ösögur og lefintyri, 2 Bde. (1862 64), fowie meine Isländifche Volksfagen der Gegenwart, (1860), wo man zahlreiche Belege diefes Glaubens findet.

3) Zahlreiche Beifpiele bietet zumal die Sturlünga; vgl. z. B. III, cap. 1, S. 114—5, IV, cap. 5, S. 9—10, IX, cap. 34, S. 251—4, u. dgl. m.

4) Vgl. oben, S. 83, Anm. 3.

5) Gubmundar bps,s., cap. 8, S. 421—22; Sturlünga, III, cap. 2, S. 118.

264 l^ie Kirche.

fo ift es auf Island B. GuÖmundr Arason, dann der heilige \>ov- lakr und allenfalls auch der heilige Jon Ögmundarson, an welche fich die volksmäfsige Legende mit Vorliebe anfchliefst; es ift ein feltener Fall, wenn etwa einmal ein einzelner Priefter die Aechtheit gewifler Reliquien beanftandet l), oder ein Laie von folchcn erklärt, dafs er nicht wiffe, ob es Menfchen- oder Pferdeknochen feien-), oder wenn gar einmal weftländifche Bauern in einen Brunnen pissen, den B. Guömundr geweiht hat 3) und nicht nur mit kirchlichen Mitteln wird gegen folche Zweifler an der übernatürlichen Kraft von Reliquien u. dgl. vorgegangen, fondern unter Umftänden fogar bei den ftaatlichen Gerichten Klage erhoben. Vielfach mifchen fich chriftlicher und heidnifcher Aberglauben, wie etwa von B. Guömund Wunder erzählt werden , welche ganz an die heidnifchc hamför erinnern 4), oder ihm fowohl als dem heiligen torläk anderweitige übernatürliche Kräfte fich beigelegt finden, welche ganz an die heid- nifchen Zauberkünfte anklingen, und jedenfalls konnte die Kirche dem ihr fremden Aberglauben um fo weniger nachdrücklich ent- gegentreten, je entfchiedener fie den ihr felbft angehörigen bcfchützte und grofs zog. Aehnlich wie bezüglich des Glaubens ftand es aber auch bezüglich der Sitten und Gebräuche auf der Infel. Die Kirche felbft hielt mit unbeugfamer Strenge an den Geboten ihrer äufserlichen Disciplin feft, und die Vorfchriften über die Haltung der Sonn- und Feiertage, dann über die Beobachtung der Faften und der chriftlichen Speifevcrbote nemen im isländifchen Chriften- rechte ebenfowohl wie in den norwegifchen einen fehr beträchtlichen Raum ein ; aber doch fand diefelbe felbft in Bezug auf folche Aeufser- lichkeiten mannigfachen Widerftand. Wenn zwar fchon in den erften Zeiten des Chriftenthumes auf der Infel ein einzelner Mann fich fcheuen mag, durch Arbeiten am Fefttage den Zorn des Engels fich zuzuziehen, zu deflen Ehren derfelbe gefeiert wurde 5), fo wurden

1) Gubmundar bps s. , cap. 38, S. 468 9; Sturlitnga, III, cap. 9. S. 210; Jons bps s. , cap. 42, S. 197.

2) Guömundar s. , cap. 26—27, S. 449—50; Sturlünga, III, cap. 83, S. 184.

3) Gubmundar s. , cap. 30, S. 457; Slurlünga, III, cap. 36, S. 188.

4) Gubniundar bps s. , cap. 35, .S. 464^5; Stiirlünga, III, cap. 36, S. 190—1.

n) Vallaljots s., cap. 4, S. 208 -9.

Die Kirche. 265

doch damals die Faden nicht gehalten i), und wenn ein einzelner Mann wie Kjartan Olafsson die lange Faflcn hindurch des Flcifch- clTcns fich enthielt, fo reiften die Leute von weit her zu, um fich das Wunder anzufehen-); gar Mancher betrachtete das Halten der Faften als Aberglauben 3], oder meinte, vcrftändig genug, wie des heiligen Olafs isländifcher Dicnftmann t^ormoör Kolbriinarskald, dafs es bei der Abrechnung mit Chriftus auf einen halben Speckknödel mehr oder weniger nicht ankommen werde 4), das Effen des Pferde- fleifches aber wurde Anfangs fogar kraft eines befonderen gefetz- lichen Vorbehaltes geradezu erlaubt, welche Erlaubnifs freilich fchon nach wenigen Jahren auf gefetzlichem Wege zurückgezogen wurde. In der fpätercn Zeit freilich fcheint die Kirche ihre Disciplin über- haupt in Bezug auf folche Dinge mit mehr Erfolg durchgefetzt zu haben; aber doch klagt der Mönch /Elnoth noch zu Anfang des zwölften Jahrhunderts darüber, dafs die Isländer fowohl als die Nor- weger hinfichtlich der Faften den Vorfchriften derfelben keineswegs gehörig nachkommen •">). Derfelbe Gefchichtfchreiber weifs ferner von Unregelmäfsigkeiten zu berichten, welche fich auf Island wie in Norwegen bei der Spendung der Sakramente ergaben, und wir werden kaum fehlgehen, wenn wir annemen, dafs es fich dabei um einen, nach kirchlichen Grundfätzen unzuläffigen, Erfatz des Weines bei der Meffe und des Waffers bei der Taufe handelte, wie folcher durch die rauhe Befchaffenheit des Landes nahe gelegt war. Wir wiffen, dafs im Jahre 1 203 Bifchof Jon Sverrisföstri nach der Infel kam, und während feines Aufenthaltes dafelbft die Leute aus Beeren Wein bereiten lehrte, wie er diefs felbft von K. Sverrir in Norwegen gelernt hattet); zu welchem Zwecke der fo bereitete Wein verwendet wurde, wird uns allerdings nicht gefagt, aber wenn ein Erlafs P. Gregors IX. an Erzb. Sigurö von Niöaros vom 11. Mai 1237 auf eine von diefem geftellte Anfrage erwidert, dafs es fchlechthin

1) Kyrbyggja, cap. 63, S. 99: Bjarnar s. Hi t da;lakappa , S. 53.

2) Laxdaela, cap. 45, S. 200; Olafs s. Try ggvasonar , cap. 233, S. 25ü (KMS., II), und Flbk, II, § 357, S. 454.

8) Grettla, cap. 32, S. 77.

4) legendarifche Olafs s. helga, cap. 83, S. 63; Flbk, II, ? 267, S. 336—7.

5) Ilistoria .Scti Caniiti, cap. 1, S. 331 2 (bei Langebek, 111): vgl. oben, S. 83, Anm. 4.

6) Pdls bps s., cap. 9, S. 135: CIU^mundar bps s. , cap. 50, S. 486: Sturlünga, III, cap. 6, S. 127: Annalar, a. 1203.

266 I^'c Kirche.

unzuläffig fei, wenn einige feiner Suffragane in Nothfällen zur Eucharistie Oblaten aus anderem Stoffe als aus Brodmehl und ftatt des Weines Bier oder andere Flüffigkeiten verwenden laffen*), fo ift doch wohl klar, was es mit jenem Beerenweine auf fich hatte. Ebenfo erklärt auf eine Frage des Erzbifchofs von Niöaros P. Inno- cenz III. unterm i. März 1206, dafs felbft in Nothfällen bei der Taufe das Waffer nicht durch Speichel 2), und P. Gregor IX. unterm 8. Juli 1241, dafs dasfelbe ebenfowenig durch Bier erfetzt werden dürfet); das ältere isländifche Chriftenrecht dagegen läfst wenigftens die Taufe mit Seewaffer, dann auch mit Schnee, ausdrücklich zu^), und wir werden kaum bezweifeln können, dafs man auf Island auch die Verwendung des Speichels und jeder anderen Flüffigkeit zur Taufe ganz ebenfogut zuliefs, wie dies nachweisbar in Norwegen der Fall war 5). Täglicher Kirchenbefuch wird gelegentlich einer einzelnen Perfon nachgerühmt 6), kann aber fchon darum nicht regel- mäfsig ftattgefunden haben, weil der Kirchen zu wenige, und fomit der Abftand der meiften Höfe von denfelben ein zu grofser war. Der Pfalter, deffen man fich allenfalls zur häuslichen Andacht bc- <liente, wurde zuerft unter allen Weibern von jener GuOrün Osvifs- dottir gelernt, welche wir oben als die erfte Einfiedlerin auf der Infel zu nennen hatten 7), und fpäterhin fahen wir die Einfiedlerin Hildr ihn den jungen t>orölf lehren 8); von eben jener Guörün wird auch erzählt, dafs fie oft lange des Nachts betend in der Kirche verweilte, und in der fpäteren Zeit, als der Glaube fich befeftigt und die Zahl der Kirchen fich gemehrt hatte, mag Aehnliches weit häufiger vorgekommen fein, wenn wir auch nur ganz vereinzelt gelegentlich einzelner Wundergefchichten vom Kirchenbefuche be- flimmter Perfonen hören i>). Von B. Jon Ogmundarson insbefondcre

1) Diplom. Nurv., I, nr. 16, S. 14.

2) Ebenda, VI, nr. 10, S. 14. a) Ebenda, I, nr. 23, S. 21.

4) Kgsbk, ? 1, S. 5 und 65 KrR., cap. 3, S. 10, und 12.

5) Vgl. Jon Olafs son, Syntagma hislorico - ecclesiaslicum de baplibmu. S. 41—49.

6) Eyrbyggja, cap. 50, S. 93.

7) LaxdKla, cap. .6, S. 328; vgl. oben, S. 256.

8) Siehe oben, S. 261. Auch Oddr J»orarinsson lieft kurz vor feinem Ende den Pfalter, .Sturlünga, IX, cap. 20, S. 217.

9) Vgl. z. B. Gubmuudar bps s. , cap. 18, S. 435, und 436^ cap. W, S. 438, u. dgl. m.

Die Kirche. 267

wird berichtet ^), dafs er ftreng darauf hielt, dafs die Leute jeden Fefttag die Kirche befuchten und hier eine belehrende Predigt hörten, dafs fie ferner auch an jedem Werktage Morgends und Abends, wenn nicht in einer Kirche, fo doch vor einem Kreuze ihre Andacht verrichteten, und zu folchem Behufe in jedem Haufe ein Crucifix fich befinde; jeden Morgend beim Erwachen, dann wider vor dem Effen und Trinken, fowie vor dem Schlafengehen foUte man fich bekreuzigen, jeden Morgend das Credo und jeden Abend das Credo und das Paternofter beten, und jeden Tag fieben- mal der Hören gedenken. Derfelbe Bifchof verlangte ferner, dafs die Leute aus feiner ganzen Diöcefe mindeftens einmal im Jahre zur Domkirche nach Hölar kamen, und zumal an Odern oder am Gründonnerftage follen demgemäfs oft vier Hunderte von Menfchen dafelbfl: fich eingefunden habend); es wird fich kaum bezweifeln laflen, dafs in diefer wie in jener Beziehung andere Bifchöfe feinem Beifpiele folgten. lieber die Art, wie die Kirchendisciplin gehand- habt wurde, giebt zumal das fchon früher erwähnte Pönitentialbuch des heiligen l)orläks Auffchlufs^); man erficht aus demfelben, dafs bcftimmte Gebete und Faften, eine beftimmte Zahl von Geifelhiebcn, Ausfchliefsung vom Abendmahle auf gewifle Zeit, und allenfalls auch das Geben von Almofen, auf Island wie anderwärts als geift- liche Zuchtmittel dienten, während die Gefchichtsquellen zumal auch Pilgerfahrten fehr häufig als Mittel zum Abbüfsen von Sünden verwendet zeigen*). Es begreift fich, dafs in diefer wie in fo mancher anderen Beziehung die gemeinfame Uebung der abend- ländifchen Chriftenheit auch auf Island zur Geltung gelangte, wie wir denn auch Gelübde der verfchiedenften Art, Vergabungen zu Gunften der Kirche oder milder Stiftungen, dann aber auch kirch-

1) Jons bps. s., cap. 12, S. 164 5.

2) Ebenda, cap. 14, S. 168.

3j Diplom. Island., I, nr. 48, S. 240— 44 j ein zweites Pönitentialbuch^ welches den Bifchöfen Jörundr (1267—1318), Laureutius (1323—30) und EgilF (1381 41) von Hölar zugefchrieben wird, und bei Finn Johann leus, II, S. 188 92 gedruckt fleht, fällt über die hier zu befprechende Zeit hinaus.

4) Eine Zufammenflellung von Fällen aus dem eilften und der erilen Mälfte des zwölften Jahrhunderts giebt meine Schrift über die Bekehrung des norwegifchen Stammes zum Chriflenthume, II, S. 424 6, Anm. 18; einen fehr draftifchen Beleg aus dem dreizehnten Jahrhundert bietet die Romfahrt des Sturla Sighvatsson im Jahre 1284, SturUnga, V, cap. 23, S. 147—8; Gubmundar bps s., cap. 102, S. 555.

268 J^ic Kirche.

liehe Segnungen und Weihungen in mannigfachfter Anwendung hier wie anderwiirls im Brauche finden; neben derartigen chrirtlichen Sitten oder Unfitten fehen wir auch noch althcidnifche Fefte in wenig geänderter Form gefeiert, und wie etwa Gisli Sürsson, nachdem er iich mit dem Kreuze hatte bezeichnen laffen, zwar das Opfern auf- gab, aber doch fein Gaftmahl zu Anfang Winters nach wqc vor abhielt 1), ift auch fpäter noch, und bis in das dreizehnte Jahrhundert herein, oft genug von jölaveizlur und jöladrykkjur2), einem Olafs- gildi im Hochfommer3), einem Gaftmahl an der Nikoläsmessa die Rede^), wird nach wie vor das Erbbier zu Ehren der Verdorbenen gehalten 5), welches freilich auf Island bereits früher als in Non\'egen abgekommen zu fein fcheint, und zur Gültigkeit einer Hochzeit die Anwefenheit einer beftimmten Zahl von Hochzeitsgäflen gefordert^'»), Eifenprobe und Keffelfang an die Stelle des heidnifchen Ganges unter den Rafenflreifen gefetzt, und der Eid fortan auf das Kreuz oder Evangelium anftatt auf den Altarring abgenommen, u. dgl. in. Gegen den Betrieb von Zauberei nicht nur und den Glauben an bellimmte Tage und Geftirnconftellationen, fondern auch gegen die Bezeichnung der Wochentage nach den heidnifchen Göttern eiferte B. Jon Ogmundarson 7), nicht ohne Erfolg, da die kirchlichen Be- zeichnungen als dröttinsdagr, annarr dagr, |jricidagr, miövikudagr, fimtidagr, föstudagr in unferen isländifchen Quellen wenigftens häufiger vorkommen als die heidnifchen sunnudagr, mänadagr, Tyrs- dagr, Oöinsdagr, l>ürsdagr, Frjädagr; aber im Grunde waren es eben doch nur Aeufserlichkeiten, welche mit derartigen Vorfchriften gewonnen wurden, und das kirchliche Leben, oder vollends der Sittenzuftand des Volkes w^urde durch fie und ihresgleichen in keiner Weife gebeflert. In Bezug auf diefen letzteren aber wäre eine Befferung ganz vorzugsweife nothwendig gewefen, und find es zumal zwei Punkte, welche häfsliche Flecken auf das Leben der Isländer

1) Gisla s. Sürssüiiar, I, S. 18, und II, S. 101; vgl. II, S. 96.

2) Z. H. Ljüsvetnfnga s., cap. 4, S. 211; Bjaniar s. lli tdivlaka ppa, S. 51; Stiirlünga, IV, cap. 45, S. 93; VH, cap. 19, S. 42; IX, cap. ÖO, S. 280, u. dgl. m.

3) Sturlünga, I, cap. 13, S. 23; vgl. III, cap. 2, S. 121, und Gu^mund- ar bps s., cap. 9, S. 425.

4) Sturlünga, IV, cap. 26, S. 58.

5) Kyi'byggja, cap. 54, S. 100.

6) Arfa Ji., cap. 3, S. 175; in dcrKgsbk, § 118, S. 222, nur als Referenz.

7) Jt'ins ])ps s., cap. 12, S. 105, und S. 1G6, Anm. 2.

Die Kirche. 209

im eilften, zwölften und dreizehnten Jahrhunderte werfen, eine unfägliche Zügellofigkeit in gefchlechtlicher Hinficht, und eine haar- fkräubende Rohheit und Blutgier in ihren inneren Fehden. Nach der erfteren Seite hin hatte bereits B. Isleifr darüber zu klagen, dafs fogar einer der Gefetzfprecher feiner Zeit zugleich mit einer Mutter und deren Tochter zu fchaffen hattet); zu Anfang des zwölften Jahrhunderts aber fehen wir einmal die Frau und die Tochter eines angefehenen Bauern an ihrer Ehre gekränkt, weil ein junger Mann an dem letzteren Rache nemen zu follen meint'-); von einem der angefehenften Häuptlinge, Gui:mundr dyri, heifst es, dafs er neben feiner Ehefrau auch noch mit einer Menge anderer Weiber zu thun hatte, und dafs er einmal ein Weib, welches ihm gefiel, frifchweg zu fich nam. Jon Loptsson, einer der angefehenften Männer feiner Zeit und zum Diakonus geweiht, erzeugte, obwohl verheirathet, doch zugleich auch mit einer Schwerter des heiligen K>i*läks Kinder, deren eines der fpätere Bifchof Pall war, und übcr- diefs hatte er auch noch mit anderen Weibern, wie fie mit anderen Männern andere Kinder 4). Die Ingveldr l)orgilsd6ttir war erft mit einem gewifien Halldörr verheirathet, von dem fie fich aber trennte, und gewann dann mit t>orvald t)orgeirsson ein uneheliches Kind, für defien Vater aber ein anderer Mann und flir deflen Mutter ein anderes Weib ausgegeben wurde ; mit ^orx-ald reifte fie heimlich nach Norwegen, wo fie ihn verliefs, um mit dem berühmten Grc- gorius Dagsson zu leben, dennoch aber hatte mit derfelben Perfon auch noch B. Klaengr eine Tochter 5). Der Gefetzfprecher Gizurr Hallsson hatte aufser mit feiner Ehefrau noch mindeftens mit 3 anderen Weibern Kinder 6), und ganz änliche Dinge werden von einer langen Reihe anderer Häuptlinge jener Zeit, zumal auch aus dem Haufe der Sturlunger erzählt; crzbifchöflichc Erlaffe aber aus dem Schluffe des I2. Jahrhunderts klagen in den bitterften Worten über folche Exceffe, wobei Jon Loptsson und Gizurr Hallsson fogar

1) Ilüngrvaka, caj). 2, S. &2.

2) Sturlünga, I, cap. 9, S. 14; ein änlicher Fall auch llf, cap. 26, S. 172.

3) Ebeuda, III, cap. 16, S. 145—6.

4) J)orläks bps s., TI, cap. 19, S. 282.

5) Sturlünga, II, cap. 13, S. 60, und cap. 14, S. 64- 5; cap. 39, S, 108, und GuJSmundar bps s., cap. 1, S. 408-9; endlich Sturlilnga, TII, cap. 38, S. 193.

ß) Sturlünga, III, cap. 5, .S. 205- 6.

270 I>'e Kirclie.

perfönlich als Schuldige bezeichnet werden l). Wie grenzenlos fchamlos übrigens die gefchlechtlichen Verhältnifle in der Sturlungen- zeit betrieben wurden, zeigt fich z, B. darinn, dafs |>orvaldr Snorrason aus dem Haufe der Vatnsfiröingar bei einem Ueberfalle (1222) mit zweien feiner Concubinen zugleich im Bette liegend überrafclit wird 2), oder dafs wenig fpäter (1235) zwei Anhänger des Uraekja Snorrason mit der Concubine eines Dritten zwifchen fich im Bette liegend gefangen genommen werden 3). Was will folchen Vorkomm- niflen gegenüber das eifrige Vorgehen B. Jon Ögmundarson's gegen das Dichten von Liebesliedern ^), oder des heiligen ^orIäks Eifern mit Pönitenzen und Geldftrafen bedeuten &) ? Die weltlichen Rechts- bücher fowohl als die Pönitentialbücher der Infel zeigen, dafs in fleifchlicher Beziehung bis zum Untergange des Freiftaates, und man darf ungefcheut beifiigen, auch noch in weit fpäterer Zeit, eine Beflerung der Sitten nicht eintratt. In der zweiten Beziehung dagegen fehen wir nicht nur die ganze trotzige Unbändigkeit des Heidenthumes noch tief in die chriftliche Zeit fich hereinerftrecken, fondern fogar im 12. und 13. Jahrhunderte neuerdings ein Mafs von Rohheit und Verwilderung hereinbrechen , von welchem wir billig bezweifeln dürfen, ob die heidnifche Zeit Jemals einen änlichen Grad von Verworfenheit gekannt habe. Wenn zu B. Isleifs Zeiten islän- difche Männer noch auf die Heerfahrt fich legend), welche doch fchon der heil. Olaf einem Isländer gegenüber mifsbilligte?), wenn nach wie vor bei Eingehung der Bundbrüderfchaft die Verpflichtung zur Blutrache gegenfeitig übernommen 8), und nur ausnamsweife etwa einmal diefe letztere durch einen befonderen Vorbehalt aus- gefchloflen wird 9), wenn die Uebung blutiger Rache bei allen fchwereren Vergehen geradezu rechtlich erlaubt war, und in zahl- lofen Fällen nach wie vor gehandhabt wurde, unter Umfländen

1) Diplom, island., I, Nr. 38, S. 221—3: Nr. 54, S. 262-4: Nr. 71, S. 285—9; vgl. oben, S. 110.

2) Sturlünga, IV, cap. 33, S. 72—3. 3j Ebenda, V, cap. 38, S. 168.

4) Jons bps s., cap. 13, S. 165.

6) |>orläks bps s., cap. 15, S. 106-7.

6) Hüngrvaka, cap. 2, S. 62.

7) Bjarnar s. Hftdselakappa , S. 18.

8) Föstbraebra s., cap. 1, S. 7 der älteren, und cap. 2, S. 5— 6 der neueren Ausgabe; dann Flbk, II, § 75, S. 93.

9) Bjarnar s. Ilitdcelakappa, S. 58.

bie Kirche. 271

ibgar in einer fo unmenfchlichen Weife, wie diefs felbft im Heiden- thuine nur ganz ausnamsweife vorgekommen war ^), fo find diefe und andere änliche Vorkommniffe allenfalls noch als Ueberrefte des Heidenthumes anzufehen, neben welchen denn auch ganz gleich- zeitig nicht minder zahlreiche andere Fälle flehen, welche von ernftlicher chriftlicher Gefinnung, oder doch von dem Bevvufstfein Zeugnifs geben, dafs jene Ausbrüche ^\^lder Kampfluft und rück- fichtslofer Rachbegierde mit den »Geboten der Kirche keineswegs im Einklänge ftehen. Wenn wir dagegen in der Sturlungenzeit, nachdem das Chriftenthum doch längft im Lande zur alleinigen Herrfchaft gelangt war, Todtfchläge, Räubereien und Mordbrennereien der fcheufslichften Art überhand nemcn, und die graufamften Gewalt- thaten, wie die ehrlofeften Treubrüche mit der fchamlofeften Kalt- blütigkeit begangen fehen, fo ift diefs eine Erfcheinung, welche kaum noch auf diefelbe Weife erklärt werden kann. Schon im Jahre 1 1 20 fehen wir gelegentlich des von Hafliöi Märsson mit |>orgils Oddason am Alldinge geführten Streites einen Anhänger dicfes letzteren, als es vor der Kirche zum Kampfe zu kommen droht, von jeder Gewaltthat abmahnen, weil man damit den Dingfrieden, den Kirchen- frieden und den Frieden der P^trsmessa, d. h. des Peters- und Paulstages breche, hinterher aber, da l»orgils fich über des Mannes unerwartete Gewiflenhaftigkeit wundert, offen einbekennen, dafs nicht die Rückficht auf die Heiligkeit von Ding oder Kirche, fondern nur die Scheu vor der Ueberlegenheit und günftigeren Stellung der Gegner ihm feine friedfertigen Worte eingegeben habe 2). Später fehen wir die Kämpfe des Hvamm-Sturla mit Einarr ^orgilsson (II 59 71) nicht nur mit Raub und Brandlegnng geführt, und von beiden Gegnern ganz gleichmäfsig die über fie verhängte Acht mifsachtet, fondern auch die Vergleiche, welche widerholt zwifchen Beiden zu Stande gebracht werden, ebenfo rafch gebrochen wie eingegangen 3). Derfelbe Hvammsturla misbraucht fpäter in fchänd- lichfter Weife das Vertrauen des ehrenhaften Priefters Pdll Sölvason von Reykjaholt, der eine Bufsfache feiner eigenen Schätzung über- laiTen hatte, indem er einen ganz unerfchwinglichen Betrag fordert,

1) Vgl. z. B. ebenda, S. 67; Föstbraeöra s., cap. 23, S. 109 der älter<?n, dann cap. 18, S. 57 der neueren Ausgabe, fowie Flbk, II, g 124, S. 1G5 6.

2) Sturlünga, I, S. 17, S. 29—30.

3) Ebenda, 11, cap. 14-27, S. C4-87.

272 I>ic Kirche.

und nur die energifche Dazwifchenkunft des Jon Lx>ptsson vermag ihn von der fkandalöfen Forderung abzubringen i) ; charakteriftifch aber für die Rohheit der Zeit ift, dafs Jon Loptsson, der hochge- lehrte Diakonus, auf die Drohung eines der Anhänger Sturla's mit blutiger Rache die bündige Erklärung abgiebt, er werde für jeden Mann, den Sturla dem Fall erfchlagen lafle, deren 3 von Sturla's Leuten umbringen laffen! Widerum etwas fpäter (1197) wurde Önundr Jjorkelsson zu LängahHö, ' einer der angefehcnften Häuptlinge des Nordlandes, durch Guömundr dyri und Kolbeinn Tumason in feinem Haufe überfallen und verbrannt 2) ; die Weiber zwar und ganz unbetheiligte Männer liefsen die Angreifer abziehen, alle Andern aber wurden rückfichtslos verbrannt oder erfchlagen, darunter Guömunds eigener Schwiegerfohn, |>orfinnr Onundarson. Die Ge- fpräche der einzelnen dem Tode Geweihten mit den Mordbrennern verrathen dabei eine grauenvolle Wildheit, und nicht minder das eidlich übernommene Gelübde, dafs von den Letzteren je einer den anderen rächen follte, eine Verpflichtung, deren Uebcrname doch nur ein einziger Mann ablehnte, und doch gelobte Guömundr eine Kuh an die Kirche dafiir, dafs fie nicht von dem Feuer ergriffen werde, und zeigte fomit in demfelben Augenblicke eine gewiffe Kirchlichkeit, in dem er die graufame Unthat leitete! Als im Jahre 1209 B. Guömundr von einer Anzahl von Häuptlingen über- fallen und gefangen genommen wurde, beftimmte man eine Reihe von Leuten, die fich in die Kirche geflüchtet hatten, durch die Drohung diefe anzuzünden zum Herausgehen ; mehrere von ihnen wurden fofort getödtet, und Allen das kirchliche Begräbnifs ver- weigert 3) : freilich war es fo fchlimmes Gefmdel, welches der Bifchof um fich hatte, dafs felbfl: eine kirchliche Quelle deflen Tödtung als eine verdienfl:liche Handlung fchildert^). In fchändlichfter Weife wurde nach mehrfachen vergeblichen Vcrfuchen der edle Hrafn Sveinbjarnarson von j>orvald Vatnsfiröing überfallen, durch Brand- legung zur Uebergabe gezwungen und ermordet (1213)'»); umgekehrt

1) Ebenda, II, ca.p. 35 --3Ö, S. 101—106.

2) Sturlüiiga, III, cap. 20-21, S. 159—62.

3) Ebenda, IV, cap. 6, S. 11 12* (iu(>mundar bps s., cap. 62, S. 499 —500.

4) Pals bps s., cap. 15, S. 142.

5) Ilrafns s. Sveinbjarnarsonar , cap. 19, S. 671 4; Sturlünga, IV, cap. 17, S. 32—5.

Die Kirche. 273

wird dann diefer felbft wider von Hrafns Söhnen in feinem eigenen Haufe verbrannt (1228)^). Bei einem Ueberfalle, welchen Torvalds Söhne gegen Sauöafell, Sturla Sighvatsson's Hof richten (1229), fehen wir fogar Weiber in graufamfter Weife mishandelt 2) ; der defsfalls eingegangene Vergleich (1230) aber fchaffte nur für wenige Jahre Friede, da Sturla trotz deffelben und trotz eines noch über- diefs für den befonderen Fall von ihm gelobten befonderen Friedens beide Brüder mit Uebermacht überfiel und kaltblütig hinrichten liefs, nachdem fie fchwer verwundet in feine Hände gefallen waren (1232)3). Widerum läfst Uraekja, ein unechter Sohn des Snorri Sturluson, rings um den Breiöifjörö herum die Bauern plündern, ohne weiteren Grund als den, dafs er feine Mittel vermehren wollte, und da Oddr Ölason die Dingleute Sturla's gegen ihn in Schutz zu nemen fucht, überfallt er ihn trotz des zwifchen ihnen be- ftehenden guten Einvernemens, zündet ihm das Haus über dem Kopfe an, und erfchlägt ihn mit einer Anzahl feiner Genoffen (1234)^); halbtodt hatte man den Mann liegen laffen, und er(t hinterher, da fich zeigte, dafs er vielleicht doch noch aufkommen könnte, einen Diener abgefchickt, um ihn vollends zu tödten. Als Sighvatr Sturluson die feinem Bruder Snorri und Neffen üraekja gehörigen Höfe Reykholt und Stafaholt überfiel und plünderte (1236), liefe fein Sohn Sturla am Charfreitage eine Kirche gewaltfam er- brechen, um das in fie geflüchtete Gut zu rauben 5); bald darauf aber liefs derfelbe Sturla Sighvatsson den Uraekja, der im Ver- trauen auf die obfchwebenden Vergleichsverhandlungen ihn zu Reykholt befuchte, ohne Weiteres gefangen nemen, in den Surts- hellir fuhren, und in fchmachvoUfter Weife verftümmelnß). Widerum nimmt derfelbe Sturla Sighvatsson den Gizurr t>orvaldsson zu Apavatn mit fchnödefter Hinterlift gefangen, um ihn zur Unter- werfung zu zwingen (1238)7); unmittelbar darauf aber bricht Gizurr fowohl aU fein Vetter Hjalti biskupsson den dem Sturia ge- fchworenen Eid, das Allding wird von ihnen gefprengt»), und im

1) Sturlunga, IV, cap. 60, S. 101.

2) Ebenda, V, cap. 3, S. 106—9.

3) Ebenda, V, cap. 16—17, S. 130—40.

4) Ebenda, V, cap. 24—5, S. 148-51.

5) Ebenda, V, cap. 45, S. 178.

6) Ebenda, V, cap. 46, S. 180—2.

7) Ebenda, VI, cap. 8, S. 200—202.

8) Ebenda, cap. 9, S. 204.

Maurer, Island. ^^

274 I>ie Kirche.

Vereine mit Kolbeinn Arnorsson noch in demfelben Sommer die für Sturla fowohl als fiir defien Vater fo verhängnifsvolle Schlacht bei Örlygsstaöir gefchlagen. Mit 17 Wunden wurde der 68jährige Sighvatr bedeckt, ehe er den Tod fand, und doch erhielt er fie faft alle, nachdem er bereits kampfunfähig in die Hände feiner Gegner gefallen warj den Sturla aber erfchlug Gizurr felbft, nachdem er fich ergeben hatte, und fchwer verwundet am Boden lag 1) ! Auch in diefem Falle \\'urde wider mit dem Anzünden der Kirche gedroht, in welche fich zahlreiche Männer geflüchtet hatten, und wurde eine lange Reihe von Gefangenen mit kaltem Blute hingerichtet. Widerum ein paar Jahre fpäter wird Snorri Sturluson auf feinem Hofe zu Reykholt von Gissur überfallen, in einem Verdecke aufgefunden und ermordet 2); als dann Uraikja, um feinen Vater zu rächen, den Gizurr in Skälholt anzugreifen fich anfchickt, erlaubt der Bifchof, obwohl ein Ver- mittlungsverfuch nur an Gizurs Hartnäckigkeit fcheitert, fogar feinen Klerikern zur Vertheidigung des letzteren die Waffen zu ergreifen und er trennt fchliefslich die Kämpfer, indem er, in vollem Ornate in*s Mittel tretend, des Üraekja Schaar mit gelöfchten Kerzen in Bann zu thun droht 3). Gissur aber, der in diefer Weife durch den Bifchof gegen die rechtmäfsige Verfol- gung feiner MifTethat gefchützt worden war, übt fofort einen neuen, fchimpflichen Verrath an Uraekja, obwohl er auf das Kreuz den ein- gegangenen Vergleich befchworen hatte; der Bifchof und der Abt Brandr Jönsson werden misbraucht, diefen zum AbfchlufTe eines neuen, endgültigen Vergleiches über die Hvftdrbru zu locken, und hier wurde Üraekja gefangen genommen, obwohl felbfl eine Anzahl von Gizurs und Kolbeins eigenen Leuten, über die Treulofigkeit ent- rüftet, fich bereit erklärten fiir ihn zu den Waffen zu greifen (1242)^). Andererfeits fehen wir bei diefer Gelegenheit einen Anhänger Uraekja's, der fich fchlechterdings weigert, dem Kolbein ^inen Eid der Treue zu fchwören, von einem angefehenen Priefter berathen, diefen Eid fchliefslich mit der Mentalrefervation leiden, dafs er dabei an einen anderen Kolbein als den Kolbein Arnorsson denkt'»);

1) Ebenda, cap. 17, S. 220—1, und 222.

2) Ebenda, cap. 31, S. 242.

3) Ebenda, cap. 35, S. 260—1.

4) Ebenda, cap. 36, S. 252 6.

5) Ebenda, VII, cap. 1, S. 3.

Die Kifche. 275

fo herabgekommen waren bereits die fittlichen Begriffe felbft bei den Klerikern befferen Schlages! In vollem Frieden wird fpäter (1252) t»orgils skarti auf Stafaholt von Hrafn Oddsson und Sturla t»6r&arson überfallen, und um fein Leben zu retten mufs er eidlich geloben, mit ihnen gemeinfame Sache gegen Gizur zu machen; kaum von ihnen entfernt, bricht er aber den Eid, und findet dafiir fogar B. Heinriclis Billigung!). Als ferner Hallr Gizurarson des Sturla t>öröarson Tochter, Ingibjörg, heirathen follte, wurde während des Hochzeitfeftes derUeberfall zu Flugumyri von Eyjülfr l>orsteinsson in's Werk gefetzt (1253); Feuer wurde angelegt, und im Brande kam Gizurs Frau fammt drei Söhnen deffelben um mit über zwanzig anderen Leuten, während er felber nur durch ein Wunder gerettet wurde. Einer der vornemften Hochzeitsgäfte, Hrafn Oddsson, hatte um die Unthat gewufst, aber gefchwiegen, obwohl er erft kürzlich mit Gizur fich verglichen hatte; ja noch mehr: felbft B. Heinrich erfchien der Mitwiffenfchaft dringend verdächtig, und gab den Mord- brennern fofort nach der That ohne Weiteres die Abfolution 2). Ein paar Jahre fpäter (1255) wird der Oftländer Oddr törarinsson überfallen und erfchlagen ; nicht einmal einen Priefter verwilligt man dem Verwundeten, obwohl er um Gotteswillen darum bittet 3). Im Jahre 1258 wurde l>orgils skaröi von l>orvarör l>6rarinsson ohne vor- gängiges ernftliches Zerwürfnifs zu Hrafnagil überfallen. Durch einen Vertrauten hatte diefer erft ausforfchen laffen, wo er über- nachten werde, und ein zweiter hatte die Schlafftelle deffelben aus- kundfchaften, und zugleich für das Oeffnen der Thür forgen muffen; die Bitte um Frieden wurde dem Ueberfallenen abgefchlagcn, und fogar der Troft eines anwefenden Priefters ihm venveigert, obwohl diefer felbft für ihn mit fcharfen Worten eintratt; mit 22 Wunden bedeckt blieb die Leiche liegen, und fogar geraubt und geplündert wurde fofort auf dem Hofe*). Ein einziger unter den Begleitern |>orvarös hatte an der. Schandthat Antheil zu nemen fich geweigert, und dlefe unverholen als ein nföfngsverk bezeichnet! Diefe leicht zu vermehrenden Beifpiele mögen genügen, jim zu zeigen, wie in der Sturlungenzeit jede Scheu vor irgendwelchem Treubruche oder irgendwelcher fonftigen Schandthat völlig verfchwünden ift.

1) Ebenda, VIII, cap. 11—14, S. 146—56.

2) Ebenda, IX, cap. 2—6, S. 181—94. 8) Ebenda, cap. 20, S. 220-1.

4) Ebenda, cap. 51—2, S. 280—4.

18'

276 l^'e Kirche.

Weder der Dingfrieden noch der Kirchenfrieden wird mehr geachtet, der Eid ohne Bedenken gebrochen, und felbft das verwandtfchaft- liche Band, welches der Vorzeit unter allen das heiligfte gewefen war, ungefcheut in fchnödefter Weife verletzt; fogar der Klerus zeigt fich von der gleichen Verwilderung ergriffen A^ne der Laien- (land, wie wir denn z. B. von einem Jon prest Halldorsson hören, wie er gelegentlich der Flugumyrarbrenna auf Gizurs Seite kämpft, und hinterher zwei gefangene Mordbrenner umbringt, den einen obwohl er vergebens um vorgängige Abfolution bittet i). Wie auf diefe Zeit gemünzt lieft fich die Schilderung, welche die Völuspä von den Tagen giebt, die unmittelbar dem Weltuntergange vorher- gehen 2) :

»BrceÖr niunu berjask ok at bönum verÖask, munu systrungar . sifjum spilla; hart er ( heimi, hördömr mikill, skeggjöld, skäimöld, skildir 'ru klofnir, vindöld, vargöld, clor veröld steypisk; man engi maÖr öörum t)yrma€ ;

im Vergleiche mit den Zuftänden des Heidenthumes aber, fo rauh diefelben auch waren, erweift fich diefe Zeit als die weitaus ent- artetere. Zum Theil läfst fich nun freilich jene entfetzliche Zer- rüttung aller fittlichen fowohl als Rechtszuftände auf die politifche Lage der Infel zurückfuhren, vermöge deren dem rückfichtslofen Ehrgeize der mächtigeren Häuptlinge ein gröfserer Spielraum ein- geräumt, und dadurch einer Misachtung der Rechtsordnung und einem gewaltthätigen Auftreten der Weg gebahnt wurde, welche nur allzu leicht auch die Untergebenen folcher Führer mit ergriffen. Zum Theil dagegen? und vielleicht zum fehr überwiegenden Theile, macht fich auch noch ein ganz anderer Umftand dabei geltend, der Uebergang nämlich, fo paradox diefs klingen mag, zum neuen Glauben. Je entfchiedener das Heidenthum als eine durch und

1) Ebenda, cap. 3, S. 187; cap. 6, S. 195; cap. 8, S. 199—200.

2) Sir. 45, S. 8 (ed. Bugge).

Die Kirche. 277

durch nationale Religion mit dem ganzen Leben der Nordleute ver- wachfen gewefen war, je entfchiedener und allfeitiger daffelbc zumal auch alle fittlichen und rechtlichen Vorftellungen des Volkes be- flimmt und getragen hatte, defto empfindlicher mufste natürlich die Lücke fein, welche deffen Aufgeben bei diefem hinterliefs. Je äufserlicher andererfeits die Motive gewefen waren, welche die grofse Made des Volks zum Glaubenswechfel beftimmt hatten, und je oberflächlicher deflen Bekanntfchaft mit der neuen Lehre, zu welcher daffelbe übergieng, defto weniger konnte felbftverftändlich das Chriftenthum zunächft noch befähigt fein, diefe Lücke fcinerfcits auszufüllen. In den erften Jahrzehnten nach der formellen Anname des neuen Glaubens konnte fich diefer Uebelftand allerdings noch weniger fühlbar machen, da einerfeits das Heidenthum noch auf längere Zeit hinaus thatfächlich die Gemüther der grofsen Mafic beherrfchte, und andererfeits der glühende Eifer und das acht chrift- liche Verhalten der Wenigen, welche fich aus tief innerfter Ueber- zeugung der neuen Lehre zugewandt hatten, foweit ihr Einflufs reichte, auch dem Chriftenthume einen energifchen Einflufs auf das äufsere Verhalten fieberte. Aber nachdem erft die im Heidenthume herangewachfene Generation abgeftorben, und auch deren nächfte Descendenz, die aus Mangel an Klerikern noch ziemlich im heid- nifchen Geifte erzogen fein mufste, hinübergegangen war, nachdem andererfeits das Chriftenthum zur Gewohnheitsfache geworden war, und ftatt durch begeifterte Neophyten nur mehr durch Priefter ver- treten wurde, welche, nur nothdürftig abgerichtet, zumeift mit den äufseren Formen der neuen Religion fo vollauf zu thun hatten, dafs fie fich um deren inneren Gehalt nur wenig kümmern konnten, und welche überdiefs theils durch ihre hervorragende politifche Stellung, theils umgekehrt durch ihre gedrückte fociale Lage und die Sorge um ihr ts^liches Brod nur allzu fehr von ihrem kirch- lichen Berufe abgezogen wurden, mufste jene Lücke, welche der äufserlich durchgeführte und innerlich doch noch ganz und gar nicht vollzogene Glaubenswechfel in den Gemüthern hatte entftehen lafTen, in ihrer vollen, furchtbaren Bedeutung zu Tage treten. Es erklärt fich leicht, dafs die Gährung, welche jeder rafche Bruch mit den Gefammtzuftänden der Vergangenheit erzeugen mufs, auch in diefem Falle zunächft gerade die fchlimmften Elemente des Volks und die verwerflichften Seiten feines Nationalcharakters an die Ober- fläche trieb, und ein Blick auf die gleichzeitige Gefchichte Nor- wegens und feiner blutigen Bürgerkriege läfst uns in der That

278 ^^»e Gemeinde.

genau diefelben Züge der gräfslichften Wildheit und Sittenlofigkeit erkennen, wie folche auf Island die Sturlungenzeit kennzeichnen, jene Züge, welche uns in der fränkifchen, longobardifchen, angeU fächfifchen Gefchichte in ganz derfelben Weife entgegentreten. Ift es doch, wie wenn das mittelalterliche Chriflenthum in feinem erden Kampfe mit dem Heidenthume fich felber abgenützt und feine Reinheit eingebüfst hätte; es bedurfte der Reformation, um dalTelbe wider einigermafsen zu feinem Ausgangspunkte zurück- zuführen, und wenigftens theilweife wider zu einer heilfamen Ein- wirkung auf die fittlichen Zudände der Völker zu befähigen. Während der Dauer des Freiftaates jedenfalls bieten die kirchlichen Zuflände der Infel ein fehr unfertiges, und Nichts weniger als er- freuliches Bild.

§ 9. Die Gemeinde.

Sehr fcharf, aber zugleich auch fehr eigenthümlich, ift auf Island zu allen Zeiten das Gemeindeleben ausgeprägt gewefen. Von der Feldgemeinfchaft, welche anderwärts die wefentliche Grundlage der germanifchen Gemeinde zu bilden pflegt, ift hier keine Rede, und die gemeinen Weiden (afr^ttir), ' deren die mit Vorliebe be- triebene Viehzucht allerdings bedurfte, ftehen in der älteren Zeit, foviel ich fehe, nirgends im Gefammtbefitze von Gemeinden, wie diefs dermalen allerdings nicht feiten der Fall zu fein pflegt. Ledig- lich auf die Armenpflege zeigt fich vielmehr die isländifche Ge- meinde in der älteren Zeit befchränkt, und alle weiteren von ihr geübten Rechte und Pflichten, wie ihr Einflufs auf die Aniafsig- machung neuer Gemeindeglieder, ihre Fürforge für die Erhebung und Vertheilung des Zehnts, die Unterftützung ihrer Angehörigen bei gewiflfen fchwereren Unglücksfallen, endlich ihre Aufficht über die Bettler und Vaganten, erweifen fich lediglich jener Hauptauf- gabe derfelben dienftbar, wogegen fich von jenem weitgehenden Einfluffe, welchen die isländifche Gemeinde heutzutage auf die ge- fammte Polizei und zumal Wirthfchaftspolizei zu üben berufen ift, in der älteren Zeit noch nicht die geringfte Spur zeigt, Wohl aber theilt die isländifche Gemeinde von Anfang an mit der deutfchen die volle Unabhängigkeit vom Staate und feinen Organen. Die Gemeindeverfammlungen werden von den Dingverfammlungen fcharf unterfchieden, und nicht minder fchroff" heben fich die von den GenoflTcn gewählten Gemeindebeamten von den Goden als den Trägern der Staatsgewalt ab; in der Gemeinde haben freilich auch

Die Gemeinde. 279

dicfe letzteren ihr Wort mitzufprechen, aber nur gleich jedem an- deren Bauern, und in keiner Weife auf Grund ihrer Häuptlings- gewalt. Völlig ebenfo unabhängig ift ferner die Gemeinde auch von der Kirche. Auch mijt ihren Organen bringt zwar theils die Vertheilung des Zehnts, theils auch die Armenpflege felbft diefelbe vielfach in Berührung; aber doch fteht weder dem Bifchofe noch dem Priefter als folchem irgendwelches Recht in der Gemeinde oder über die Gemeinde zu.

Der Name, unter welchem die Gemeinde in Island auftritt, lautet hreppr, oder in verftärktcr Form löghreppr. Von dem Zeitworte hreppa, d. h. ergreifen, erwifchen abgeleitet, dürfte der Ausdruck nicht, wie Päll Vfdalin und Guöbrandr Vigfüsson an- nemen, auf die erfte Befitzergreifung des Landes und das bei ihr erhaltene Landloos zu beziehen fein, foferne diefe Deutung eine geordnete Landestheilung vorausfetzen, und überdiess nur zu dem Begriffe des Sondereigenthums, nicht aber des Gemeindebezirkes führen würde, vielmehr änlich wie der römifche »manipulus* oder unfer »Handvoll« als eine kleine, zufammengeraffte Schaar von Leuten verftanden werden, wobei dann ganz wie diefs bezüglich der Ausdrücke sveit und heraö der Fall war, das urfprünglich einen perfönlichen Verband bezeichnende Wort erft hinterher territoriale Geltung angenommen haben müfste. Beachtenswerth ift jedenfalls, dafs nicht nur »rapec in Sussex, worauf bereits Guöbrandr hinge- wiefen hat, einen Landbezirk bezeichnet, welcher zwifchen dem hundred und der shire in der Mitte fteht l), und deren die genannte Graffchaft fechs enthält 2), fondern dafs auch in mehreren Theilen von Norwegen, insbefondere in Hallingdal, Valders, Gudbrandsdal und Nordmöre, das Bygdelag oder eine Reihe von Höfen als »Repp« bezeichnet wird 3) j der altnorwegifche Urfprung des Wortes wird hiernach nicht bezweifelt werden können. Sachlich bilden aber die hreppar auf Island, was man mit Unrecht neuerdings beftritten hat^), Verbände geographifcher Natur, und fie begründen fomit eine Eintheilung des Landes nicht des Volkes. In den Rechts- büchern wird gelegentlich von einem hreppamöt, d. h. einer Repps-

1) Vgl. Blackstone^ Commentarics on the laws of England, S. 116 (cd. 8): Cineift, das heutige englifche Verfaflungs- und Verwaltungsrecht, II, S. 21.

2) Spelmann, Gloss. archaeol., s. v. rapa und rapus.

3) Jvar Aasen, Norsk Ordbog, h. v. (ed. 2).

4) K. Keyser, Norges Stais- og Ketsforfalning, S. 278.

280 I>ie Gemeinde.

grenze gefprochen, und von Bauern, die an diefer gefeflen find*); der Fall wird behandelt, da eine graptarkirkja »innan hreppsc ift oder nicht 2), und die Frage erörtert, wieweit der Priefter eine Leiche über den hrcpp hinaus zu begleiten verpflichtet fei oder nicht 3); dem Bifchofe wird die Verpflichtung auferlegt, gelegentlich feiner Vifitationsreifen jeden einzelnen löghrepp innerhalb feiner Diöcefe zu befuchen*), und in jedem hrepp, nach einer anderen Faflung in jedem heraö, foU er Leute beftellen, welche für ihn feinen Zehnt in Empfang zu nemen habend), u. dgl. m. LaflTen diefc Beftimmungen bereits die Eigenfchaft der hreppar als feft- ftehender territorialer Bezirke mit beftimmten geographifchen Grenzen klar erkennen, fo weift ebendahin auch das Vorkommen beftimmter landfchaftlicher Bezeichnungen für einzelne unter ihnen, wie denn z. B. der Hraungeröfngahreppr, Kaldnesfngahreppr, Gnüpverjahreppr, Hrunamannahreppr fchon frühzeitig erwähnt werden 6). Freilich wird anderwärts gefagt, dafs der hreppr immer mindeftens zwanzig Bauern in fich begreifen muffe, foferne nicht die lögretta ausdrücklich ein Anderes erlaube, und dafs in diefe Zahl immer nur diejenigen einzurechnen feien, welche mit Rückficht auf das Mafs ihres Ver- mögens die Dingfteuer zu entrichten haben, wogegen den Be- theiligten unbenommen bleibe, Behufs beflerer Verwaltung ihres Bezirkes diefen in Unterabtheilungen (t>riöjüngar, fjör6üngar) zu zer- legen 7). Aber da zugleich gefagt wird, dafs der Beftand der hreppar unverändert erhalten werden foUe fo wie er einmal fei, und dafs immer die nächften Nachbarn zu einem und demfelben hreppe gehören foUen, fo ift doch auch hier wider jede Möglichkeit aus- gefchloflen, diefelben als nach der blofen Kopfzahl gebildete Volks- abtheilungen aufzufaflen, und kann demnach die Vorfchrift, dafs der hreppr nicht weniger als 20 dingfteuerpflichtige Bauern zählen foUe, nur auf eine Minimalgrenze bezogen werden, unter welche die Gemeinden nicht herabfmken durften ohne fofort der Aufhebung

1) Kgsbk, ^ 234, S. 171; Kaupab., cap. 39, S. 444.

2] KrR. hinn gamli, cap. 4, S. 24.

8) Kgsbk, i 3, S. 10; KrR., cap 6, S. 30—32.

4) Kgsbk, i 6, S. 19; KrR., cap. 14, S. 62.

5) Kgsbk, § 5, S. 19, und i 257, S. 209; KrR., cap. 14, S. 64, und cap. 39, S. 162.

6) Landndma, I, cap. 17, S. 54; V, cap. 9, S. 303, fowie cap. 11, S. 309 und 310.

7) Kgsbk, i 234, S. 171; Kaupab., cap. 39, S. 443—44.

Die Gemeinde. 281

ZU verfallen; eine Maximalgrenze dagegen fcheint nicht beflanden zu haben, und war in der That auch gegenüber der Befugnifs, die Gemeinde je nach Bedarf in Unterabtheilungen zu zerfallen, voll- kommen unnöthig.

Als wefentlichfte Aufgabe des hrepps wurde oben bereits die Armenpflege bezeichnet. Diefe ift im isländifchen Rechte in ein ziemlich complicirtes Syftem gebracht, welches hier in feinen Grund- zügen dargeftellt werden mag, obwohl allerdings nicht blos die Ge- meinde für daflelbe in Betracht kommt i). Die technifche Be- zeichnung für den Alimentationsbedürftigen ifl ömagi oder ümagi, d. h. der Unvermögende, welcher Ausdruck freilich andererfeits auch den Unmündigen als folchen bezeichnet, und gilt als omagi in dem hier mafsgebenden Sinne jede Perfon, welche fich ihre Kofi und Kleidung nicht mit ihrer eigenen Hände Arbeit zu verdienen vermag 2), und welche, wie wir beifügen muffen, zugleich zu arm ifl um von dem Ertrage ihres Vermögens leben zu können. Be- züglich aller derartiger Leute gilt nun der Satz »at sina omaga ä hverr maör fram at fsera ä landi her« 3), d. h. alle Alimentations- pflicht liegt zunächil einzelnen Individuen ob, und beruht infoweit auf einem privatrechtlichen Titel. In erfler Linie ifl es die V er- wandt fc ha ft, auf welcher diefelbe ruht, und an ihre Verpflichtung reiht fich die Alimentationspflicht des Vertragserben gegen den Vertragsweifen Erblaffer, die unter Ehegatten beflehende gegen- feitige Alimentationspflicht, endlich auch die Verpflichtung des Freilaffers und des Freigelaffenen an, fich im Bedürfnifsfalle wechfelfeitig zu alimentiren. Innerhalb der Verwandtfchaft And aber zunächfl wider die Verwandten erflen Grades, mögen fie nun Descendenten, Ascendenten oder Gefchwifler fein, fowie der jeweilige nächfte Erbe des ömagi, möge er nun näher oder entfernter mit diefem verwandt fein, von deffen entfernteren Verwandten zu unter- fcbeiden, welche durch einen näher Berufenen von deffen Beerbung ausgefchlofTen fmd. Angehörigen der erflen Claffe gegenüber konnte man fich der Verpflichtung durch einen Verpfründungsvertrag (arfsal)

1) Vgl. über den Gegenfland Michelseo, Ueber altnordifches Armenrecht, in Falck's Eranien, Heft U, S. 117—83, und UI, S 68—99 (1826 und 1828), fowie Vilhjälm Finsen, Den islandske Familieret efter Grägäs, in den Annaler for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1850, S. 126—91.

2) Ömagab., cap. 30, S. 292; AM, 816, fol. B., § 6, S. 229. 8) Kgsbk, § 128, S. 3; Ömagab., cap. 1, S. 232.

282 Die Gemeinde.

felbft in einem Zeitpunkte nicht entziehen, in welchem diefelben noch gar nicht in der Lage waren eine Unterfttitzung zu bean- fpruchen, während man allen entfernteren Verwandten gegenüber nur dann in der Eingehung des Vertrages behindert war, wenn und foweit man bereits vor deflen Abfchlufs ihre Alimentation hatte übernemen muffen. Jene erfteren Verwandten mufs man überdiefs, felbft wenn man ohne alles Vermögen ift^ nöthigenfalls durch der eigenen Hände Arbeit unterftützen, foweit diefs nur irgend möglich ift, und für die eigenen Aeltern und Kinder mufs man auf Ver- langen fogar der Schuldknechtfchaft fich unterwerfen, falls man nicht etwa, was bei den eigenen Kindern zuläfsig ift, vorzieht, fic ihrerfeits in diefe zu geben; felbft zu übernemen braucht man freilich auch derartige Perfonen nur, wenn man für fich felbft, für die Perfon, um deren Unterhalt es fich handelt, fowie für alle Hülfs- bedürftige, denen man gleich nahe verpflichtet ift und deren Unter- halt man bereits zuvor übernommen hatte, auf ein volles Jahr genügenden Unterhalt befitzt, wogegen, wenn diefs nicht der Fall ift, die Pflicht zur Aufname auf den nächften alimentationsfähigen Verwandten übergeht, welchem nur der zunächft Berufene aus feinem Arbeitsertrage nach Kräften beizufteuern, beziehungsweife als Schuld- knecht Dienft zu leiften hat. Unter den entfernteren Verwandten wird dagegen zwar ebenfalls immer der nächftverwandte zuerft zur Alimentationspflicht berufen (hinn nänasti niör); aber bei ihnen gilt zugleich ein gewiffes Mafs von Vermögen als Vorausfetzung diefer Verpflichtung, und zwar ift diefes Mafs verfchieden abgeftuft, je nachdem ein Verwandter innerhalb des dritten, des vierten oder des fünften gleichen Grades in Frage fteht, und wird den Ver- wandten diefes letzten Grades fogar das Recht eingeräumt, durch eine Zahlung von lo aurar jährlich fich von der wirklichen Ucber- name der Alimentation gänzlich frei zu kaufen. Im Jahre 1217 wurde durch eine Novelle das ältere Recht einigermafsen modificirt. und zumal diefes Ablöfungsrecht auf den vierten und fünften un- gleichen Grad übertragen, dem fünften gleichen Grade dagegen jede Alimentationspflicht völlig abgenommen; andererfeits fcheint aber auch das ältere Recht, wie es foeben dargelegt wurde, felbft wider auf der Umgeftaltung eines noch älteren beruht zu haben, welches ohne Unterfcheidung verfchiedener Grade die Verpflichtung' des nänasti niör fchlechthin an ein einheitliches Vermögensmafs ge- bunden, und vielleicht auch den geborenen Erben fowie die ver- fchiedenen Verwandten des crften Grades unter fich völlig gleich

Die Gemeinde. 283

behandelt hatte. Ich unterlaffe es, auf diefen Punkt fowohl als auf eine Reihe weiterer Einzelnheiten hier näher einzugehen^ wie z. B. auf die Stellung der unächt Geborenen bezüglich der Alimentations- pflicht und des Alimentationsrechtes, auf die Vertheilung der Alimentationslaft unter mehrere gleich nahe Berufene und das Ver- hältntfs, welches dabei zwifchen der väterlichen und mütterlichen Verwandtfchaft des ömagi beobachtet wurde, auf die Verpflichtung des Vertragserben, der Ehegatten, dann des Freilaflers und des Freigelaffenen, u. dgl. m.; dagegen glaube ich noch befonders her- vorheben zu follen, dals die Alimentationspflicht der näheren An- gehörigen, und zumal auch des nächften Erben, in einem ganz anderen Lichte erfcheint als die der entfernteren Verwandten. Uebernimmt einer diefer letzteren wegen Mittellofigkeit des ge- borenen Erben die Alimentation, fo fagt man von ihm, dafs er «annars manns omagac alimentire i), und der geborene Erbe mufs demfelben den gehabten Aufwand erfetzen, wenn er etwa hinterher zu Kräften kommt. Das Syftem der Armenpflege, foweit es bisher dargelegt wurde, läfst nun aber eine zweifache Lücke, welche fchlechterdings einer anderweitigen Ergänzung bedarf. Es kann vorkommen, dafs ein Hülfsbedürftiger keinen, oder doch keinen mit Rückficht auf feine Vermögensverhältnrfle zugleich alimentations- pflichtigen und alimentationsfahigen Verwandten im Inlande hat, und mufs für folchen Fall für deflen Unterhalt anderweitige Für- forge getroffen werden. Es ift aber auch möglich, dafs zwar zur Alimentation fowohl befähigte als verpflichtete Verwandte im Inlande vorhanden find, dafs aber deren Ermittlung, die Zuführung des ömagi an diefelben, endlich auch wohl die Entfcheidung eines Streites über ihre Verpflichtung eine Verzögerung veranlafst, und fomit eine vorläufige Verpflegung des Hülfsbedürftigen nöthig wird, den man doch nicht bis zum Austrag der Sache unverforgt laflen kann. Für den erfteren Fall mufs fomit eine fubfidiäre, aber de- finitive, für den letzteren dagegen eine primäre, aber nur pro- viforifche Alimentationspflicht beflellt werden, die unter allen Um- fländen Platz zu greifen vermag, und für die praktifche Anwendung keine Schwierigkeiten bietet. In beiden Beziehungen legt nun das isländifche Recht zunächfl dem Dienftherrn und dem Grund-

1) Kgsbk, g 129, S. 10, und i 143, S. 27—28; Omagab., cap. 7, S. 250, und cap. 26, S. 283, dann cap. 25, S. 280—1.

284 I^ic Gemeinde.

herrn die Verpflichtung auf, feinen eigenen Dienftleuten und Pächtern fainnit dei) von diefen zu alinientirenden Perfonen gegenüber in die Alimentmtionspflicht einzutreten, falls diefelben während der Dauer der Dienft- oder Pachtzeit verarmen, vorausgefetzt nur, dafs der Herr beim Abfchlufle des Dienft- oder Pachtvertrages von der drohenden Verarmung des Mannes oder der ihm bevorftehenden Ucberbürdung mit Hülfsbedürftigen Nichts wufste noch wiflen konnte i). Die Alimentation ferner von Häuslern ohne eigenen \ Viehftand (büösetumenn) mufs die Gemeinde übernemen, welche ihnen die Niderlaflung in ihrem Bezirke verftattet hat, foferne die- felbe nicht näher Verpflichtete zu ermitteln vermag, oder auch der Grundbe fitzer, welcher ohne vorgängige Genemigung der Gemeinde ihnen die NiderlafTung auf feinem Grunde erlaubte 2). Widerum mufs ein Ausländer, welcher nach Island gebracht wird ohne dafelbft genügende Untcrhaltsmittel oder alimentationspflichtige Verwandte zu befitzcn, von dem Schiffsherrn alimentirt werden, welcher ihn dahin gebracht hat, falls dcrfelbe nicht fein Verhalten in gefetzlich vorgefehener Weife zu entfchuldigen weifs^). Ill aber im einzelnen Falle auch keine folche ftrafweife Alimenta- tionspflicht begründet, fo tritt, fei es nun proviforifch oder auch definitiv, die Alimentationspflicht des hrepps, in Ausnamsfällen aber auch wohl die der t>ings6kn, des fjoröüngs oder felbß des ganzen Landes ein. Es fallen aber zunächft diejenigen omagar, deren bisheriger Ernährer zur Acht oder Landesverweifung ver- urtheilt wird, dem Dingbezirke oder dem Landesviertel zu, je nachdem die Verurtheilung am Frühlingsdinge oder am Alldinge erfolgte-*); doch wird dabei vorausgefetzt, dafs der Verurtheilte als nächfter Erbe des omagi zu deflen Alimentation verpflichtet, und demnach nicht etwa blos fubfidiär wegen Mittellofigkeit des nächften Erben zu deren Leiftung herangezogen worden war, und der Ver- urtheilte, welcher nach Ablauf feiner Verbannungszeit, oder auch

1) Kgsbk, g 234, S. 1725 Kaupab., cap. 39, S. 444—45, und ümagab., cap. 31, S. 296.

2] Omagab., cap. 31, S.- 294.

3) Kgsbk, i 139, S. 20—1; Omagab., cap. 19, S. 272-3, und cap. 20. S. 275.

4) Kgsbk, § 50, S. 86—7, g 51, S. 87—8, ? 54, S. 92, | 62, S. 113, 115 und 116; ferner J 142, S. 23, und Ömagab., cap. 22, S. 277, und cap. 3. S. 237: Sturlünga, 1, cap. 7, S. 10.

Die Gemeinde. 285

in Folge feiner Begnadigung wider in die Heimat zurückkehrt, hat überdiefs fofort wider fcinerfeits die Alimentationspflicht zu übernemen l), welche ohnehin nur bis zur erreichten Volljährigkeit des omagi reicht, als von welchem Zeitpunkte an hier wie anderwärts 2) eine Neuregulirung der Lad eintritt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dafs die Verpflichtung des Dingbezirkes oder Landesviertels nur eine Confequenz der ungleich weiter reichenden Regel war, dafs beim Tode eines Mannes, welcher als nächfter Erbe einen omagi zu alimentiren hatte, die Alimentationspflicht der Erbfchaft folgen follte^); die Gerichtsgemeinde, an welche das Vermögen des Verurtheilten fiel, foweit es nicht von Privat- intereflenten in Anfpruch genommen wurde, mufste eben mit demfelben auch die Laften übernemen, welche vermöge jener Regel auf demfelben ruhten. Widerum fielen Leute, welche auf Island verarmten ohne dafelbft zur Uebername ihrer Alimentation ver- pflichtete und befähigte Verwandte zu befitzen, demjenigen Landes- viertel zur Lad, innerhalb deffen fie verarmten, falls fie anders Aus- länder waren 4), und in gleicher Weife hat das Landesviertel, in welchem das betreffende Schiff gelandet ift, die Alimentation des omagi zu übernemen, wenn der Schiffsherr, der ihn aus dem Auslande mitgebracht hat, von feiner perfönlichen Haftung durch einen Reinigungsbeweis fich freizumachen vermochte 5). Abgefehen aber von diefen wenigen Ausnamsfällen trifft die eventuelle Alimen- tationspflicht ftets die Gemeinde. Ausdrücklich wird der Grundfatz ausgefprochen, dafs alle innerhalb eines hrepps Verarmenden von demfelben alimentirt werden muffen, natürlich foweit nicht näher Verpflichtete fofort zur Stelle find 6); dafs ferner jeder hreppr die- jenigen Perfonen zu alimentiren hat, welche innerhalb deffelben irgendwelcher Privatalimentation genoffen und diefelbe verloren haben, fofeme fie nicht auf gefetzlichem Wege einem anderen

1) Kgsbk, § 84, S. 91, dann Ömagab., cap. 30, S. 200.

2) Kgsbk, i 128, S. 7, und g 129, S. 8; Ömagab., cap. 6, S. 243, und cip. 7, S. 246—7.

3) Kgsbk, J 129, S. 9—10; Ömagab., cap. 7, S. 249.

4) Kgsbk, i 138, S. 20 u. § 143, S. 26—7; Ömagab., cap. 18, S. 272, und cap. 28, S. 286—7.

5) Omagab., cap. 19, S. 273.

6) Kgsbk, f 234, S. 172; Kaupab., cap. 39, S. 444—45.

286 ^ic Gemeiude.

Privaten oder einer anderen Gemeinde zugewiefen worden find*); dafs endlich insbefondere derjenige ömagi, welcher von feinem gefetzlichen Verpfleger widerrechtlich verlaffen wurde, von den hreppsmenn nicht etwa auf den Bettel verwiefen, fondem dem Alimentationspflichtigen zugeführt, und doch wohl inzwifchen auch alimentirt werden foll2). Doch ift die Verpflichtung der bezeichneten Gemeinde zunächft nur eine proviforifche ; fie kann abgewälzt werden auf denjenigen hrepp, innerhalb deflen der nächfte Erbe des Hülfsbedürftigen wohnt, falls derfelbe nur im Stande ift, von feinem Vermögen oder feinem Arbeitsverdienfte für ein volles Jahr zu leben, und dabei feines eigenen Vermögens Verwalter ift 3). Ein paar andere Stellen fiigen jedoch die Einfchränkung bei, dafs die letztere Vorfcbrift nur gelten folle, falls der Erbe des omagi mit diefem mindeftens im dritten gleichen Grade verwandt fei, wogegen der Bedürftige für den anderen Fall, da er keinen anfäfTigen, erb- fähigen und infoweit vermöglichen Verwandten im Lande hat, dem ganzen Lande anheimfallen folle ^). Es verfteht fich übrigens von felbft, dafs der hreppr ebenfogut wie der Privatmann von dem definitiv Verpflichteten den Erfatz derjenigen Koften zu bean- fpruchen berechtigt war, welche er auf die Alimentation des provi- forifch übernommenen omagi verwendet hatte, und die Gemeinde war defshalb an der Ermittlung diefes Verpflichteten und der Zu- führung des omagi an denfelben völlig ebenfofehr intereflirt wie nur irgendwelcher Privatmann. Mit diefer Zuführung wurde es aber folgendermaflen gehalten. Ift der bisherige Verpfleger eines omagi zur weiteren Alimentation deifelben aufser Stand, fo hat natürlich zunächft er felbft für die Ermittlung eines anderen Pflichtigen zu forgen; eventuell mag aber auch jeder Andere die Sache in die Hand nemen')), und fiir die hreppsmenn wenigftens lag in ihrer eventuellen Alimentationspflicht in der That ein Intereffe b^ründet,

1) K^shk, i 285, S. 178; Kaupab., cap. 46, S. 454; vgl. auch Kgsbk, i 130, S. 12; Ömagab.. cap. 8, S. 257.

2) Kgsbk, i 132, S. 15; Ömagab., cap. 9, S. 262.

3) Kgsbk, i 148, S. 26; Ömagab., cap. 27, S. 284.

4) Ömagab., cap. 80, S. 292—8; AM. 815, fol. B., J 6, S. 229; vgl. auch Kgsbk, $ 285, S. 178, und Kaupab., cap. 45, S. 454, wo nur die Erben- qualität neben der Verwand tfchaftsnähe als Vorausfetzung hinzuzudenken ift.

5} Kgsbk, i 180, S. 12; Ömagab., cap. 8, S. 257, fowie cap. 7, S. 256, und cap. 80, S. 291.

Die Gemeinde. 287

fich nicht unthätig zu verhalten. Veranlafst dagegen der Tod des bisherigen Verpflegers die Nothwcndigkeit der Auffuchung eines neuen Verpflichteten, fo wird wohl der ömagi felbft oder deffen Vormund in erfter Linie zum Eingreifen berufen gewefen, eventuell aber gleichfalls wider eine Popularklage gewährt worden fein. Das Verfahren, mittelft deflen dem Pflichtigen der Bedürftige zu überbürden war, befland feinerfeits in einer Zufuhrung deflelben, unter Beeidigung des eigenen guten Glaubens an deren Recht- mäfsigkeit (eiöfaersla, eiöfaring)!), welche an jedem, und fei es auch nur ganz vorübergehenden Wohnorte deflelben, wie z. B. einer Sennhütte, Fifcherhütte u. dgl. gefchehen konnte. Die Zu- führung darf weder an Jemanden gefchehen, der mit dem ömagi fchlechterdings nicht verwandt, noch an Jemanden, der gänzlich vermögenslos ift2) ; dagegen kann fie an den nächften Erben des 6magt gefchehen, wenn er auch nicht vermöglich genug ift, um deflen Alimentation definitiv felbft übernemen zu muffen, oder an den nächften innerhalb des hrepps wohnhaften Verwandten, wenn auch auswärts näher berufene vorhanden find 3). Derjenige, welchem in diefer Weife ein ömagi zugeführt worden war, kann fodann, wenn er einen näher Verpflichteten zu ermitteln weifs, oder aus Mangel an Vermögen die Alimentationslaft felbft nicht zu über- nemen braucht, den Bedürftigen feinerfeits wider einem Anderen zufuhren ; nur foU diefe Zuführung nicht mehr aufsergerichtlich erfolgen, vielmehr hat fie mit Urtheil und Recht (at dömi) zu gefchehen <). Bei beiden Arten der Zuführung gedenken die Rechtsbücher einer Betheiligung der hreppsmenn, welche indeflTen nicht nothwendig, fondern nur zufolge des Interefles gewöhnlich gewefen zu fein fcheint, welches auch ihnen an der Sache zuftand. Uebrigens ftand demjenigen, welcher zur Alimentation eines Hülfsbedürftigen ver- pflichtet war, zunächft ein doppelter Weg zur Erfüllung diefer feiner Verbindlichkeit offen, foferne er demfelben entweder auf feinem eigenen Hofe feinen Unterhalt reichen (faera fr am), oder aber deffen Verpflegung gegen Entgeld einem Anderen übertragen konnte

1) Die Eidesformel fiehe in der Kgsbk, § 129, S. 8: Omagab., cap. 7, S. 244—46.

2) Kgsbk, i 129, S. 8; Omagab., cap. 7, S. 247, fowie cap. 2, S. 236, una cap. 27, S. 284.

3) Kgsbk, i 129, S 9; Omagab., cap. 7, S. 248.

4) Kgsbk, i 129, S. 9; Omagab., cap. 7, S. 248 und 249,

288 Die Gemeinde.

(sei ja til framfaerslu). In änlicher Weife konnte nun auch von den öffentlichen Verbänden gewirthfchaftet werden, indem fie aus gemeinfamen Mitteln Anftalten zur Verpflegung ihrer ömagar be- gründen, oder auch diefe zur Verpflegung an Privatleute verdingen konnten; indeffen pflegte doch von ihnen regelmäfsig in anderer und minder geordneter Weife verfahren zu werden. Bezüglich der- jenigen Armen, welche das ganze Land zu unterhalten hatte, wird gefagt, dafs ihnen »för um allt land«, d. h. die Fahrt über das ganze Land zuflehe i). Eine andere Stelle iuhrt diefen Satz dahin aus, dafs folche Leute von jedem Bauern, deffen Hof fie berühren einmal des Tags, nämlich Abends (nättverfiareldi) zu fpeifen feien, und nur an den Feiertagen etwa zweimal, nämlich auch noch Morgends (at dögverdi) ^) ; doch darf man Leuten, die nicht zum Halten der Faden verpflichtet find, zweimal im Tage Nahrung geben, und Leuten, die fchlimmer Witterung halber nicht weiter reifen können, auch auf mehr als einen Tag Aufname gewähren, und wird bezüglich der Befchaffenheit des zu reichenden Unter- haltes auf die Vorfchriften verwiefen, welche für die Gemeindeannen gelten. Bezüglich der fjöröüngsömagar3) ifl fodann von einer >för 1 fjöröüngic die Rede*), alfo von einer Rundfahrt innerhalb des betreffenden Landesviertels; doch bleibt den Angehörigen diefes letzteren unbenommen, ihr Viertel zu Zwecken der Armenpflege in kleinere Bezirke zu zerlegen, welchen&Us dann die Rundfahrt der ömagar auch wohl auf einen Thcil des Viertels befchränkt werden kann&). Hinfichtlich der ömagar, welche von einem einzekien Ding- verbande zu erhalten find, wird von einer >för um ^fngit« ge- fprochen^); hier bezieht fich demnach die Rundfahrt nur auf den Dingverband, und nur in dem Falle, da etwa zwei verfchiedene Dingverbände ihr Ding an einer und derfelben Dingflätte halten, foU die auf einer hier erfolgten Verurtheilung beruhende Rund- fährt fich ausnamsweife auf beide Dingverbände beziehen. Neben diefer »fort, von welcher auch fonfl noch hin und wider die Rede

1) Ömagab., cap. 30, S. 293; AM. 316, fol. B., i 6, S. 229—80.

2) Kgsbk, i 285, S. 178; Kaupab., cap. 46, S. 464.

8) Die Bezeichnung^ fleht Kgsbk, {234, S. 172; Kaupab., cap. 40, S. 445.

4) Kgsbk, i 50, S. 86—7, und i 142, S. 28; dann Ömagab., cap. 3, S. 287, und cap. 22, S. 277.

5) Kgsbk, ; 50, S. 87.

6) Ebenda, | 50, S. 87; § 62, S. 115 und 116.

Üie Gemeinde. 289

ift, ohne dafs fich immer der Bezirk erkennen liefse, auf welchen fie fich beziehen foU i), foU aber alles Gut, welches den Angehörigen eines Dingverbandes aus dem Vermögen eines Geächteten oder Verbannten zufällt, zunächft von ihnen dazu verwandt werden, um deflen omagar eine ftändige Verpflegung zu verfchaffen; eventuell aber, wenn der Verurtheilte nämlich keine Alimentationslaft zu tragen gehabt hatte, foU daffelbe anderen ömagar zu Gute kommen, welche innerhalb deffelben Dingverbandes die Rundfahrt habend). Es ift klar, dafs eine analoge Beftimmung auch bezüglich des ganzen Landes, dann auch der Landesviertel und ihrer Armen gegolten haben mufs, da ja den letzteren die Confiscationen, welche zufolge der in den Viertelsgerichten erkannten Freiheitsftrafen ein- traten, dem erfteren aber die Einnamen der lögr^tta aus mancherlei Strafgeldern u. dgl. ebenfalls verwendbare Geldmittel zur Verfügung ftellten. Hier wie dort fcheint demnach die Rundfahrt der Armen nur als ein eventueller Behelf fiir folche Fälle gegolten zu haben, da die verfügbaren Mittel des betreffenden Bezirkes nicht erlaubten, denfelben jene geordnetere und wünfchenswerthere Verforgung zu Theil werden zu laflen j da bei nicht wenigen ömagar deren Jugend, Krankheit oder Alter ein beftändiges Herumreifen im Lande geradezu unmöglich machen mufste, konnte in der That wenigftens für viele von ihnen eine derartige ftätigere Verpflegung gar nicht entbehrt werden. Bezüglich der hreppsömagar^J endlich wird von einem »manneldic gefprochen, und verfteht man darunter, wie diefs der Ausdruck bereits zu erkennen giebt, die Naturalverpflegung der betreffenden Leute ihrem vollem Umfange nach. Zu diefer find an und für fich alle im hrepp angefeffenen Bauern verpflichtet, welche die Dingfteuer zu entrichten haben*), die Vertheilung aber der einzelnen von der Gemeinde zu erhaltenden Armen unter die einzelnen Gemeindegenofl'en liegt den Gemeindevorftehern ob, welche die Laft genau im Verhältnifle zum fchuldenfreien Vermögens- befitze der Bauern umzulegen habend). Die ihm zugewiefenen

1) Ebenda, § 51, S. 88; § 54, S. 92; 'i 62, S. 113.

2) Ebenda, § 49, S. 86; i 62, S. 115.

3) Die Bezeichnung fiehe im Omagab., cap. 8, S. 257, wo freilich die Kgsbk, i 130, S. 12 eine abweichende Lesart hat.

4) Kgsbk, i 286, S. 178; Kaupab., cap. 45, S. 454.

5) Vgl. Kgsbk, § 234, S. 172 und 173; Kaupab., cap. 39 und 40, S, 444, 445 und 447.

M aurer, laUnd. ^^

290 ^*c Oemeinde.

Armen hat jeder Bauer unweigerlich zu^alimentiren, und zwar mufs er diefelben, foweit nicht etwa in einer einzelnen Gemeinde diefer- halb befondere Beliebungen gelten i), in Bezug auf Koft und Kleidung ganz ebenfo halten wie feine eigenen Dienftboten. Um eine genau geregelte, und zugleich einigermafsen dauernde Verpflegung der Armen durch die Bauern, welchen fie zugewiefen find, handelt es fich demnach, und nur unter diefer Vorausfetzung erklärt fich denn auch insbefondere die Vorfchrift, dafs bei der Vertheilung niemals eine Mannsperfon und eine zum Kinderbringen noch fähige Weibs- perfon gleichzeitig einem und demfelben Hofe überwiefen werden foUe ; wenn demnach die betreffenden Armen gelegentlich als folche bezeichnet werden, ter tar eigo at fara f hrepp«, fo darf dabei nicht an ein regellofes Herumwandern derfelben in der Gemeinde gedacht werden, fondern nur an eine geordnete Rundfahrt derfelben von einem Bauern zum andern, wie folche unvermeidlich war, wenn überhaupt eine gleichheitliche Vertheilung der Lad unter die fammtlichen Pflichtigen durchgeführt werden wollte, und wie folche denn auch bei der Privatarmenpflege vorkam, wenn die Verpflegung eines ömagi mehrere gleich nahe Berufene gleichzeitig traff. Von hier aus ift klar, dafs auch die >fbr«, welche anderen Armen einem Dingverbande, Landesviertel oder felbft dem ganzen Lande gegen- über verftattet war, in änlichem Sinne aufgefafst werden mufs. Auch bezüglich der von einem einzelnen Landesviertel 2), oder vom ganzen Lande zu erhaltenden ömagarS) ift vorgefchrieben, dafs fie ganz ebenfo wie die hreppsomagar verpflegt werden muffen, und damit ift den Angehörigen der betreffenden Verbände denn doch eine Verpflichtung auferlegt, welche mit Dahlmanns Anname, dafs jenen nur die Erlaubnifs zum Betrieb des Bettels im betreffenden Bezirke ertheilt gewefen fei^), fchlechterdings unvereinbar erfcheint. Eine förmliche Vertheilung diefer Armen unter die einzelnen Angehörigen des Dingverbandes, Viertels oder auch des ganzen Landes war natürlich nicht möglich, und konnte überdiefs auch fliglich darauf gerechnet werden, dafs die ömagar felbft um ihres eigenen Intereffes willen fich nur an Bauern halten würden, die guten Willen und

1) Kgsbk, i 235, S. 178; Kaupab., cap. 45, S. 464.

2) Kgsbk, ^ 234, S. 172; Kaupab., cap. 40, S. 445.

3) Kgsbk, i 235, S. 178; Kaupab., cap. 45, S. 454; vgl. Ömagab., cap. 30, S. 298, und AM. 815 fol. B., § 6, S. 229—30.

4} Gefchichte von D.'inemark, II, S. 280, Anm. 3.

Die Gemeinde. 291

Vermögen genug hatten un» ihnen gerne Aufname zu gewähren; aber wenn auch keine völlig geordnete Rundfahrt, wie folche inner- halb des hrepps vorkam und auch in Norwegen unter der Bezeich- nung der »fätaekra manna flutningc als Gemeindelaft beftand i), war doch auch ihre Fahrt keine völlig ungeordnete, und in der That wäre die Ausftellung förmlicher Bettelbriefe mit dem ganzen Syfteme der isländifchen Armenpflege geradezu unvereinbar.

Uebrigens befchränkt fich die Aufgabe des hrepps keineswegs darauf, die wirklich Verarmten zu verpflegen oder doch hinfichtlich ihrer Verpflegung durch Privatperfonen zu überwachen; vielmehr liegt ihm auch noch die weitere Verpflichtung ob, folche Gemeinde- genoften, welche nicht mehr völlig im Stande find mit eigenen Mitteln fich fortzubringen, oder doch zugleich die von ihnen zu verpflegenden omagar zu erhalten, durch eine ihnen gewährte Bei hülfe zu unterftützen, und dadurch zu verhindern, dafs fie der Armenpflege völlig zur Laft fallen. Als Mittel zu diefem Zwecke diente aber der Gemeinde vor Allem der Armenzehnt (t>urfa- mannatiund). Bei anderer Gelegenheit wurde bereits erwähnt, dafs von dem Ertragszehnt (lögtfund) der Regel nach ein Viertel an die Armen fiel, und dafs die kleineren Zehntbeträge, nämlich alle die- jenigen, welche im Ganzen weniger als einen eyrir betrugen, fogar ungetheilt an diefe gehen foUten^), wefshalb denn auch der Zehnt von höherem Betrage als skiptingartiund 3) oder skiptitfund^), d. h. theilbarer Zehnt, bezeichnet wird. Es wurde aber zunächft der von jedem einzelnen Bauern zu entrichtende Zehntbetrag im Ganzen feftgeftellt, und zwar primär auf Grund einer eidlich abgegebenen Faffion des Zehntpflichtigen felbft, eventuell aber auf Grund einer von der Gemeinde vorgenommenen Taxirung; weiterhin erfolgte fodann die Zerlegung des Gefammtzehnts in Viertel, und die Ver- theilung der einzelnen fiir die Armenpflege beftimmten Beträge unter diejenigen Perfonen, welchen diefelben zu Gute kommen follten, und zwar wurde auch diefe Vertheilung von der Gemeinde beforgt. Jeder einzelne Zehntpflichtige hatte fodann feinen Armen-

l)FrJ»L., Einleitung, §17; Landslög, Landsleigub., | 57. Mit Unrecht fcheint mir Vilh. Finsen auch für die hreppsomagar der freiflaatlichen Zeit eine eigentliche RundfUhruug zu läugnen, ang. O., S. 186, Anm. 1.

2) Kgsbk, § 256, S. 208; KrR., cap. 88, S. 148. vgl. oben S. 238.

8) Kgsbk, § 259, S. 2U; KrR., cap. 43, S. 162.'

4) Laurentius bps s., cap. 35, S. 834.

19*

29^ ^^*c (iemein<^e.

zehnt noch im Herbfte, oder doch längftens im nächften Frühjahr an diejenige Perfon zu entrichten, welche ihm als Empfanger des von ihm zu leidenden Betrages zugewiefen worden war; gegeben wurde aber diefer Zehntbetrag nicht an die ömagar, d. h. die völlig V^erarmten, fondern vielmehr an die |»urfamenn, d. h. bedürftige Perfonen, welche zwar noch Niemanden zur Verpflegung überwiefen find, ja welche vielleicht fogar noch Andere zu verpflegen haben, welche aber zur Erhaltung ihres Hausflandes eines folchen Zu- fchufles bedürfen, und unter fie follten eben die Armenzehnten der Gemeinde je nach dem Mafse ihrer Dürftigkeit vertheilt werden^). Dabei follten alle diejenigen Gemeindeangehörigen auf einen Antheil am Armenzehnt Anfpruch haben, welche mit Rückficht auf das Mafs ihres Vermögens nicht felber zehntpflichtig waren 2), über die Gemeindegrenze hinaus follte aber von demfelben nichts gegeben werden, foferne nicht etwa die Gemeindeverfammlung wegen des befonderen Bedürfniffes einer anderen Gemeinde folches befchliefscn würdet). Eine ähnliche Bewandtnifs hatte es ferner mit den mat- gjafir, d. h. Speifegaben, und einigen ihnen verwandten ReichnifTen. An drei beflimmten Tagen im Jahre follte ein vierundzwanzig- flündiges FafVen gehalten, und von jedem Hausvater die beffere Speife, welche er dadurch an fich und feinen zum Halten der Faflen verpflichteten HausgenoiTen erfparte, zu Zwecken der Armenpflege verwendet werden 4); B. Arni fügte fpäter den drei Tagen noch einen vierten bei, und liefs die Speife, welche urfprünglich nur für die Leute gegeben worden war, die der Bauer das ganze Jahr hin- durch auf feinem Hofe hielt, fiir alle diejenigen fordern, welche am betreffenden Fafttage gerade auf dem Hofe fich auf hielten 5), letzteres eine Beflimmung, welche von Anfang an auf heftigen Widerfpruch fliefs, und welche denn auch im Jahre 1354 von B. Gyrör auf Grund der Befchlüffe einer Diöcefanfynode wider befeitigt wurdet). Auch diefe Speifegaben, welche übrigens auch im norwegifchen Rechte nicht ohne Parallele find 7), werden wie die

1) Kgsbk, i 256, S. 208; KrR., cap. 88, S. 148.

2) Kgsbk, g 255, S. 206; KrR., cap. 36, S. 142.

3) Kgsbk, f 256, S. 208; KrR., cap. 38, S. 148.

4) Kgsbk, f 13, S. 31; KrR., cap. 22, S. 108.

5) Arna bps KrR., cap. 13, S. 76—80.

6) Finnr JoDssoD , hist. eccles., II, S. 111.

7) Vgl. FrJ>L., II, § 32—33; Jons erkib. KrR., ^ 39.

Die Gemeinde. 293

)>urramannatiund an die nicht zehntpflichtigen Gemeindeangehörigen gegeben, und wie jene im Herbfte auf der Gemeindeverfammlung vertheiltl). Weiterhin kann das Eflen von Morticinien, dann von Kälbern, die zu früh nach ihrer Geburt gefchlachtet werden, da- durch ftraflos werden, dafs man den fünften Theil des Fleifches den Armen zuwendet 2). Der Betrieb der Jagd und Fifcherei^), dann des Vogelfanges 4) an einem Sonn- oder Feiertage war urfprüng- lich gleichfalls unter der Bedingung erlaubt gewefen, dafs man von deren Ertrag den fünften Theil den Armen gab, wogegen das fpätere Recht freilich das Waidwerk an folchen Tagen fchlechtweg verbot 5). Eine analoge Beftimmung galt ferner auch in Bezug auf das Treibholz, welches man am Sonn- oder Feiertage findet und zu bergen fich erlaubt 6), und nicht minder foUte derjenige, welcher am Sonn- oder Feiertage arbeitete, um fein Schiff und feine Waaren zu retten, dafür den Armen eine Elle vaömal oder einen ent- fprechenden Werth an Wolle gebend). Allerdings wird in allen dtefen Fällen von »matgjafirc nicht gefprochen, und wenn zwar bei den zuerft genannten unter ihnen das Objeft der Leiftung noch in Efswaaren befteht, fo ift doch felbft diefes in den beiden zuletzt genannten nicht mehr der Fall; allerdings läfst fich ferner auf alle diefe Leiftungen, als auf unftändige, der Satz nicht anwenden, dafs die matgjafir wie der Armenzehnt im Herbfte vertheilt werden. Aber ganz wie die Speifegaben und der Armenzehnt, fo fallen auch diefe Leiftungen nicht an die ömagar, fondern an die l>urfa- menn, d. h. die nicht zehntpflichtigen Gemeindeangehörigen, und wie jene bilden fomit auch fie nur eine Beifteuer, welche dürftigen Gemcinde^liedern gegeben wird, um fie bei ihren häuslichen Ehren zu erhalten; fie ftehen infoferne ganz auf gleicher Linie mit fo manchen anderen Vergünftigungen , welche das isländifche Recht der Privatarmenpflege gewährt, wie z. B. dem Satze, dafs mit

1) Vgl. hierüber noch Kgsbk, § 284, S. 171—4; Kaupab., cap. 39—40, S. 443-8.

2) Kgsbk, g 16, S. 34; KrR., cap. 32, S. 132—4.

8) Kgsbk, i 8, S. 25—65 KrR., cap. 17, S. 85, Anm. mm.

4) Kgsbk, f 14, S. 32, KrR., cap. 23, S. 112.

5) Kgsbk, § 268, S. 218; KrR., cap. 17, S. 84, Anm. hh, und cap. 49, S. 172, Vgl. meine Abhandlung über die Grägäs, S. 77—78.

6) Kgsbk, i 8, S. 25; KrR., cap. 17, S. 84.

7) K h e n d a.

294 ^^c Gemeinde. '

omagar überbürdete Leute in gewiffem Umfange mit Verletzung der Feiertagsordnung fifchen dürfen l), oder dafs Dienftboten, welche über ihre Kräfte hinaus mit Alimentationspflichten beladet find, einen höheren als den fonft geftatteten Lohn fich ausbedingen mögen2), oder dafs alle Zuwendungen als Seelgaben betrachtet und behandelt werden foUen, welche man Leuten macht, die nicht zehntpflichlig find, und dabei ihr Vermögen fowohl als ihren Arbeitsverdienft vollauf zur Verpflegung ihrer ömagar brauchen 3). In anderer Hin- ficht berühren fich aber alle diefe Leiftungen auch wider mit fo mancherlei anderen, rein freiwilligen Zuwendungen oder Praeftationen, durch welche einzelne Privatleute die öfientliche fowohl als die Privatarmenpflege vielfach erleichtern, wie etwa wenn Jemand einen Armen »fyrir guös sakir* verpflegt, zu deflen Verpflegung er doch nicht verpflichtet ift 4), oder wenn Jemand, wofür die Urkunden eine ganze Fülle von Beifpielen bieten, die Verpflegung eines oder mehrerer ömagar als Reallaft auf einen Hof legt, oder auch geradezu eine eigene Stiftung zu Zwecken der Armenpflege (Kristbu, Kristfe) macht 5); mit dem grofsen Zehnte femer, mochte nun deflen Ent- richtung eine gebotene oder eine freiwillige fein, da bei diefem zwar, wie oben fchon zu bemerken war 6), diefelbe Viertheilung eintrat wie beim Ertragszehnt, aber doch die Gemeinde, an deren Arme die Zuwendung erfolgen follte, erft von Fall zu Fall von dem Leiftenden nach Anleitung des Bifchofes beftimmt werden mufste.

Spricht fich bereits in den Beifteuem, welche die Gemeinde dürftigen Angehörigen zuwendet^ um ihnen die Erhaltung ihrer wirthfchaftlichen Exiftenz zu ermöglichen, ein fehr gefundes Beftreben aus, lieber der drohenden Verarmung von folchen vorzubeugen, als hinterher die Verpflegung der Verarmten zu übernem^n, fo tritt derfelbe Gefichtspunkt nicht minder unverholen auch in der Unter- ftützung zu Tage, welche die Gemeindegenoflen in gewiflen Fällen fchwerer Befchädigung einander zu gewähren haben, und welche dem hrepp geradezu den Charakter einer auf Gegenfeitigkeit be- ruhenden Affecuranzgefellfchaft aufprägt. Es find zwei Ge-

1) KrR., cap. 17, S. 90.

2) Kgsbk, i 78, S. 129; Kaupab., cap. 54, S. 466.

8) Kgsbk, § 127, S. 246—7; Arfa f., cap. 11, S. 202.

4) Kgsbk, { 121, S. 230; Arfa J»., cap. 18, S. 224.

5) Vgl. z. B. Diplom. Island., I, nr. 80—84, S. 198—204.

6) Siehe S. 228—9.

Die Gemeinde. 295

fahren, gegen welche die isländifchc Gemeinde ihre Genofien vcr- fichert, Viehfterben nämlich und Brand, wogegen von derjenigen Verficherung, welche anderwärts fo frühzeitig und fo beftimmend hervortritt, von der Seeaffecuranz nämlich, auf Island nicht die Rede ift, fo nahe auch die Lage und die wirthfchaftlichen Zuftände der Infel folche zu legen fcheinen; mag fein, dafs man es bedenklich fand, die genoffenfchaftliche Haftung auf ein Gebiet zu erftrecken, auf welchem die individuelle Tüchtigkeit und Anftrengung in fo hervor- ragendem Mafse das Mafs der Gefahr beftimmt. Für die Vieh- affecuranz find aber folgende Regeln mafsgebend i). Sie bezieht fich nur auf das Hornvieh, alfo weder auf Pferde noch Schafe, fo maiTenhaft auch beide von jeher auf der Infel gehalten wurden; fie tritt ferner nur dann ein, wenn mindeftens ein Viertel des Vieh- ftandes eines Bauern durch eine Seuche gefallen ift, während einen geringeren oder durch andere Umflände veranlafsten Schaden der Befitzer allein zu tragen hat. Liegt ein folcher Fall vor, fo hat der Bcfchädigte innerhalb eines halben Monats von dem Zeitpunkte an gerechnet, in welchem die Seuche ihr Ende erreicht hat, den Schaden durch feine fünf Nachbarn abfchätzen zu laffen, wobei er ihnen Haut und Fleifch der gefallenen Thiere vorzuweifen hat; er felber mufs überdiefs eidlich beftätigen, dafs der Schaden wirklich wenn nicht gröfser, fo doch jedenfalls auch nicht kleiner fei als fie ihn gefchätzt haben. Den Betrag der Schätzung hat fodann der Bc- fchädigte in der Gemeindeverfammlung anzuzeigen, worauf die Bauern der Gemeinde fofort ihrer Erfatzpflicht zu genügen haben; aber diefer Erfatzpflicht find nach zwei Seiten hin fehr beftimmte Grenzen gezogen. Einmal nämlich wird keinenfalls mehr als die Hälfte des erlittenen Schadens erfetzt, und es ift fomit vollkommen ausreichend dafür geforgt, dafs der Viehbefitzer nicht Wartung und Pflege feiner Thiere im Vertrauen auf die Aflecuranzpflicht feiner Genoflen vernachläfllge ; zweitens aber ift die Haftung der letzteren auch infoferne eine limitirte, als die nach dem Verhältnifle ihres Vermögens von den Einzelnen zu leiftenden Beiträge nicht höher als auf eine Unze vom Hundert, d. h. 5Q/0 des Vermögens des Pflichtigen fich belaufen dürfen. Sogar für den Fall wird an diefer letzteren Befchränkung feftgehalten, da in einem und demfelben Jahre mehrere Gemeindegenoflen an ihrem Viehftande Schaden leiden.

1) Kaupab. , cap. 48, S. 458 9.

296 I^ie Gemeinde.

und muffen fich fomit die Befchädigten folchenfalls an dem von ihnen an und fiir fich zu beanfpruchenden Erfatzbetrage allenfalls einen Abzug gefallen laffen, deffen Höhe im Verhältnifs zu dem von einem Jedem erlittenen Schaden zu ftehen hat. Ganz änlich fleht die Sache auch beim Brandfchadeni). Auch bezüglich feiner erftreckt fich die Affecuranz regelmäfsig nur auf drei Baulich- keiten, nämlich die Wohnftube der Weiber (stofa), den Wohnfaal der Männer (eldhüs), endlich die Küche (bür t»at er konur hafa matreiöu i) ; doch kann Derjenige, welcher neben dem gewöhnlichen Wohnfaale noch eine ftattlichere Halle (skäli) auf dem Hofe befitzt, diefe anftatt jenes der Affecuranz unterftellen, nur dafs er die ge- troffene Wahl bereits im Frühling in der Gemeindeverfammlung bekannt zu geben hat, und überdiefs gilt für den Fall, da Jemand eine Kirche oder Kapelle auf feinem Hofe hat, auch diefe als an vierter Stelle mit verfichert. Es find alfo nur die Hauptgebäude eines jeden Hofes verfichert, wie man denn auch nur diefe aus Holz erbaut, oder doch mit Holz ausgetäfelt zu haben fcheint; anderer- feits reicht freilich die Verficherung über diefe Grenze hinaus, fofemc diefelbe neben den Baulichkeiten in gewiffem Umfange auch noch die Fahrhabe umfafst, welche in und mit denfelben verbrennt. Kleinodien ungewöhnlichen Werthes, dann auch Handelswaaren foUten allerdings nicht als verfichert gelten, wohl aber Kleider, Speifevorräthe, und alle andern zum Gebrauche einer gewöhnlichen Haushaltung dienenden Mobilien, foweit fie dem Hausherrn gehörten, und in gleicher Weife follte neben dem Gotteshaufe auch deffen Chor (sönghüs), der Schmuck feiner Wände (kirkjutjöld), fo\vie Alles was man an Paramenten zur Haltung der gewöhnlichen Gottes- dienfle braucht, endlich die Glocke, oder, wenn deren mehrere waren, deren befte als mitverfichert betrachtet werden. Die Schätzung des Brandfehadens, welche der Befchädigte gleichfalls wider durch feine fünf Nachbarn vornemen zu laffen hat, erflreckt fich demnach neben den Gebäuden auch auf diefe Mobilien; aber auch hier wird wider nur die Hälfte des Schätzungswerthes erfetzt, während die andere Hälfte des erlittenen Schadens von dem Befchädigten felbft zu tragen ifl. Bei beiden Arten der Befchädigung gilt überdiefs

1) Ebenda, cap. 48, S. 459—60. Ueber die Anlage der isländifchen Höfe werde ich mich fpäter noch auszufprechen haben, und verweife ich hier einftwcilen auf die nachfolgende Darftellung.

Die Gemeinde. 297

noch die weitere Befchränkung, dafs die Gemeindegenoflen nicht mehr als dreimal demfelben Manne Erfatz zu leiften haben; eine weitere Garantie gegen leichtfertiges Verhalten des Befitzers gegen- über drohenden Gefahren. Dagegen fcheint gleichmäfsig Erfatz geleiftet worden zu fein, mochte nun die Befchädigung durch einen reinen Zufall, oder aber durch fremde Ungefchicklichkeit oder Bosheit veranlafst fein ; nur unter diefer Vorausfetzung läfst fich nämlich der Satz erklären, dafs der Bauer, welcher Dienftboten aus einem fremden Dingverbande aufgenommen hat, für allen von ihnen angerichteten Schaden keinen Erfatz zu fordern be- rechtigt fei, vielmehr dem guten Willen der Gemeindegenoflen überlaflen bleibe, wieweit fie ihm folchen leiften wollen oder nicht. Die Vorfchrift, zunächft darauf berechnet die Haftungs- pflicht der Gemeinde flir bezirksfremde, und darum bezüglich ihrer Verläfiigkeit verdächtige Perfonen zu erleichtern, mufste doch zugleich auch als eine Prämie flir die Verwendung von Dienftboten wirken, welche der Gemeinde felbft oder den nächftliegenden Ge- meinden angehörten, und fomit durch die Vermehrung des Abfatzes für ihre Arbeitskraft der Verarmung der kleineren Leute in diefen Kreifen entgegenwirken; der Gebrauch des Ausdruckes hfngmark in territorialem Sinne zeigt aber, dafs diefe Beftimmung fpätefter Entftehung ift, und das Gleiche mag von allen auf das Aflecuranz- wefen bezüglichen Vorfchriften gelten, da diefelben nur in dem jüngeren unferer beiden Rechtsbücher zu finden find.

Im engften Zufammenhange mit dem Interefle, welches die Gemeinde an dem Wohlftande aller ihrer Angehörigen zu nemen hat, fteht eine Reihe von Befugniflen, . welche derfelben anvertraut find, um fie in den Stand zu fetzen der Anhäufung von Armen in ihrem Bezirke entgegenzuwirken. Zunächft mufste jeder Bauer, der aus einer Gemeinde in die andere überfiedeln wollte, fich rechtzeitig die Aufnamsbewilligung diefer letzteren erbitten (biöja s^r bygöarleyfis), welche freilich nur dann verweigert werden konnte, wenn der Nachfuchende entweder bereits eines Diebftahles überfuhrt war, oder aber in fo dürftigen Umftänden fich befand, dafs man zu befurchten hatte, er möchte bereits im nächften Jahre zu feinem und der Seinigen Unterhalte die Beihülfe der Gemeinde beanfpruchen muffen ^). Zieht der Mann auf, ohne die Aufnams-

1) Kaupab., cap. 47, S. 457 8.

298 I^ic Gemeinde.

bewilligung erhalten zu haben, fo mögen die hreppsmenn, wenn fie anders dicfe zu verweigern berechtigt waren, ihn gewaltfam aus ihrer Gemeinde vertreiben, und haben ihn jedenfalls weder am Armenzehnt noch an den Speifegaben Theil nemen zu laflen; konnte ihm dagegen die Aufname nicht verweigert werden, fo mag er zwar wohnen bleiben, aber er nimmt zur Strafe dafür, dafs er nicht um die Aufname nachgefucht hat, an den Rechten der Ge- meindeglieder keinen Antheil. Sogar der Bauer, welcher an der Grenze eines hrepps wohnend, feine Niderlaflung in den Bezirk einer benachbarten Gemeinde ausdehnt, bedarf einer förmlichen Aufname Seitens diefer letzteren, wenn er in fie hinübertreten will, und fetzt bei ihm die Zuläfsigkeit diefes Uebertrittes überdiefs vor- aus, dafs durch diefen die Gemeinde, die er verläfst, nicht unter den gefetzlichen Minimalbcftand von 20 zehntpflichtigen Bauern herabfinke i). Gefchichtliche Quellen zeigen, dafs fchon in den älteilcn Zeiten die Aufnamsbewilligung Seitens der Nachbarn bei der Begründung neuer Niderlaflungen üblich war, wenn auch ge- waltthätige Menfchen in einzelnen Fällen über folchen Gebrauch fich hinwegfetzten 2j ; daraus, dafs die Hauptftelle über diefen in unferem älteren Rechtsbuche fehlt, wird man demnach keine Schlüfl'e ziehen dürfen. Weiter noch reicht die Befugnifs der Gemeinde gegenüber blofen Häuslern; ihnen kann die Aufname fchlechthin verweigert werden, ohne dafs es hiefür befonderer Vorausfetzungcn bedürfte, und die Gemeinde zieht fich durch die Ertheilung diefer Aufname für den Fall ihres Verarmens eine fubfidiäre Alimenta- tionspflicht zu 3), Zur Vervollftändigung diefer Beftimmungen gehört aber die oben bereits befprochene Haftung, welche dem Dienft- herrn für die von ihm aufgenommenen Dienflboten, dem Grund- herrn für die von ihm aufgenommenen Pächter und Häusler unter der Vorausfetzung auferlegt ift, dafs er bei deren Aufname leicht- fertig verfahren ift^); die Haftung ferner, welche unter derfelben Vorausfetzung dem Schiffs herrn für die ömagar obliegt, welche er nach Island herübergebracht hat5)j endlich auch die hieran fich anfchliefsende Haftung desjenigen, der einem Abreifenden den von

1) Ebenda, cap. 39, S. 444; Kgsbk, ^ 234, S. 171—2.

2) Vatnsdaela, cap. IS, S. 31; Vallaljöts s., cap. 3, S. 208.

3) Vgl. oben, S. 148 und 284.

4) Siehe oben S. 283—4.

5) Oben S. 284.

Die Gemeinde. 290

ihm ZU verpflegenden ömagi verdeckt, und ihn dadurch hindert denfelben mit fich zu nemen i), oder welcher einen fremden ömagi auf unbeftimmte Zeit in Pflege genommen hat, und überfieht dem aufscr Lands gehenden Alimentationspflichtigen gegenüber recht- zeitig fich vorzufehen2). Alle diefe Haftungen tragen zwar einen mehr oder minder ftrafweifen Charakter; aber fie nemen zugleich auch der Gemeinde, wenn auch z. Th. nicht blos der Gemeinde, eine Alimentationspflicht ab, welche (ie, proviforifch oder definitiv, fonft treffen würde, und fie mufsten überdiefs auch abgefehen hievon jedenfalls von allem leichtfertigen oder böswilligen Hereinbringen von Armen in den Bezirk abfchrecken. Andererfeits reiht fich hier aber auch eine Anzahl von Beftimmungen an, welche der leicht- finnigen Erzeugung von Kindern durch Leute entgegenwirken foUen, welche nicht die nöthigen Mittel zu deren Ernährung befitzen. Oben wurde bereits erwähnt, dafs bei der Vertheilung des manncldi darauf zu fehen war, dafs nicht Mannsperfonen und Weibsperfonen gleichzeitig einem Hofe zugewiefen wurden, die ihrem Alter nach Kinder mit einander gewinnen konnten 3); nicht minder wird aber auch bei ftrengfter Strafe verboten, dafs folche Weibsperfonen nach einem Fifchereiplatze' kommen oder von Jemanden mitgebracht werden, der nicht im Stande i(l dafelbft für den vollen Unterhalt beider zu forgen *), wird ferner fremden Schifi'leuten, welche auf der Infel vor Anker liegen, die Beherbergung derartiger Weiber in ihren Buden felbft für den Fall unterfagt, dafs fie der betreffenden Gemeinde angehören 5). Beides Beftimmungen, welche fich c|och nur aus der Befürchtung erklären, dafs die Anwefenheit folcher Weibsleute unter dem leichtfmnigen See- und Fifchervolke zu üblen Folgern fuhren möchte. Darüber hinaus wurde aber den armen Leuten fogar die Eingehung einer Ehe verfagt, folange das Weib noch in einem Alter fteht, welches die Geburt von Kindern be- fürchten liefseß). Leute, welche unter der letzteren Vorausfetzung heiratheten ohne mindeftens ein Hundert »lögaurac, d. h. 15 Mark zu befitzen, unbefchwert durch irgendwelche Alimentationspflicht,

1) Kgsbk, i 182, S. 15; Ömagab., cap. 9, S. 263, und cap. 30, S 290.

2) Kgsbk, § 132, S. 16; Ömagab., cap. 9, S. 268—4. 8) Siehe oben, S. 290.

4) Ömagab., cap. 81, S. 294.

5) Kgsbk, ; 234, S. 176; Kaupab., cap. 42, S. 451.

6) Kgsbk, i 148, S. 38—9; Festa J»., cap. 12, S. 823—4.

300 Die Gemeinde.

und ihre tägliche Kleidung nicht einbegriffen, mufsten fofort das Land verlalTen, und die Landesverweifung drohte überdiefs auch dem Verlober der Frau, und demjenigen der die Hochzeit aus- richtete, falls diefe nicht genügendes Vermögen haben um die in der widerrechtlich eingegangenen Ehe etwa erzeugten Kinder zu alimentiren; doch ift wenigftens den Eheleuten felbft gegenüber die Landesverweifung weniger als Strafe gemeint denn als Sicherungs- mafsregel, obwohl fie als fjörbaugsgarC^r bezeichnet wird, indem keine Vermögensconfiscation eintritt, kein Executionsgericht gehalten wird, endlich den Leuten die Heimkehr fofort geftattet wird, fowie fie jenes Minimum von Vermögen erworben, oder ein entfprechend hohes Alter erreicht haben.. Läfst doch das ältere isländifche Recht fogar die Scheidung einer gültig eingegangenen Ehe wegen Ver- armung der Ehegatten, oder eines von ihnen zu, und zwar nicht nur auf Antrag des andern Ehegatten, fondern auch fogar auf Antrag eines eventuell zur Alimentation ihrer omagar Berufenen l); das fpätere Recht freilich hat diefelbe befeitigt^). Endlich läfst fich aber auch noch die Beftimmung hier anreihen, nach welcher ein uneheliches Kind, welches ein Mann aus Norwegen oder den nor- wegifchen Nebenlanden auf Island erzeugt hat, jedem Landsmanne des Kindsvaters, der zur Abreife von da bereit ift, zugeführt wer- den kann, damit er es diefem heimbringe 3); dafs hier die Hülfe eines völlig Unbetheiligten von Rechtswegen in Anfpruch genommen werden darf, um die Zuführung eines ömagi zu feinem recht- mäfsigen Verpfleger zu vermitteln, ift nämlich nur als ein aus Gründen der Wohlfahrtspolizei eingeführtes Privileg zu betrachten. Endlich find hier aber auch noch diejenigen Beftimmungen zur Sprache zu bringen, welche dem Bettel und der Land- ftreicherei entgegenzuwirken fuchen, obwohl bei ihnen neben dem Standpunkte der Armenpflege auch noch Rückfichten ganz anderer Art beftimmend geworden find, wie zumal die Sorge für die Rechts- ficherheit im Lande, welche durch Vagabunden, die man weder rechtlich noch thatfächlich zu faffen im Stande war, in hohem Grade gefährdet erfchien, die Erwägung, dafs der auf Island ftets fühlbare Mangel an Arbeitskräften die volle Ausnützung der

1) Kgsbk, i 149, S. 39—41; Festa !>., cap. 14, S. 325—7; vgl. auch die Skdlholtsbök, KrR., cap. 24, S. 116—18.

2) Festa [i., cap. 53, S. 376; Belgsdalsbök, g 40, S. 236.

3) Kgsbk, >^ 143, S. 25; Ömagab., cap. 34, S. 299—300.

Die Gemeinde. 301

vorhandenen doppelt nöthig mache, die Würdigung der Be- läftigung, welche die Bettelei arbeitsfcheuer Landftreicher für die fefshaften Leute mit fich brachte, u. dgl. m. Es ift aber oben bereits erwähnt worden i), dafs Jedermann im Lande fein feftes Domicil, fei es nun auf eigenem Hofe oder auf dem Hofe eines Anderen haben mufste ; wer ein folches am Sonntage in der fiebenten Sommerwoche, als in welche die Zieltage fallen, nicht für fich und die Seinigen gewonnen hat, der unterliegt einer Geldftrafe von drei Mark 2). Diefelbe Strafe droht Demjenigen, der fein Domicil ver- läfst um mindeftens einen halben Monat lang innerhalb feines Lan- desviertels, oder einen ganzen aufserhalb deffelben fich herumzu- treiben, vorausgefetzt dafs er dadurch nur fich felbft oder feinem Hausherrn die Laft feines Unterhaltes abzunemen beabfichtigt 3] ; zieht ein folcher Menfch aber auch nur einen halben Monat lang herum, um da Herberge zu nemen wo er kann und fich Almofen (ölmusugjafir) zu fammeln, fo gilt er fofort als ein wirklicher Bettler (göngumaör, förumaör, hüsgängsmaör), und wird als folcher mit der gröfsten Härte behandelt*). Bei einer Geld- ftrafe von drei Mark, nach neuerem Rechte fogar bei Strafe der Landesverweifung, darf man einem folchen weder Obdach noch Speife gewähren 5), und höchftens ein Gefchenk von Kleidern oder Schuhen ift ftraflos^). Am Alldinge zumal, wo fich die Bettler maflfenhaft eingefunden zu haben fcheinen, darf man ihnen weder zu effen geben, noch auch nur zur Effenszeit die Budenthür offen ftehen lafTen, da diefs zu einer Umgehung des Verbotes führen mufste; kommen folche um zu betteln, fo foll man fie hinauswerfen lafTen, und Verletzungen, welche ihnen dabei zugefügt werden, bleiben, bufslos, wenn fie nur keine bleibenden Spuren hinterlafsen ; die Dingbude folcher Leute foUte ftraflos nidergeriffen und ihre Habe ihnen weggenommen werden dürfen, wogegen ihnen Niemand Etwas leihen oder vermiethen durfte, wenn fie auf der Dingreife

1) Vgl. oben, S. 147.

2) Kgsbk, § 78, S. 128—9;; Kaüpab., cap. 53, S. 464—5.

3) Kgsbk, g 82, S. 139—40; Kaiipab., cap. 65, S. 482.

4) Ang. O. ; feruer Omagab., cap. 31, S. 294.

6) Kgsbk, I 234, S. 173; ? 235, S. 178; Kaupab., cap. 40, S. 447; cap. 45, S. 454; cap. 46, S. 455; ferner Omagab., cap. 80, S. 293.

6) Kgsbk, g 235, S. 178; Kaupab., cap. 45, S. 454; Ömagab., cap. 30, S. 293.

302 I^>« Gemeinde.

begriffen waren*). In ihrer vollen Schärfe kehrten (ich diefe Vorfchriften felbftverftändlich nur gegen folche Leute, welche arbeitsfähig waren, und fich fomit nur aus Faulheit dem Bettel- gange ergaben. Als ömennska, das heifst Menfchenunwürdigkeit, wurde ein folches Verhalten bezeichnet 2), und als »lands ofrfngi rfettr«, d. h. ein richtiger Taugenichts, derjenige, der fich ihm hin- giebt^); folchen Leuten, die ftark und gefund genug wären, um einen fie vollauf nährenden Dienft zu erhalten, wenn fie nur wollten, wird fogar die Acht angedroht*), und ihnen werden diejenigen gleichgeftellt, welche nur um ihrer Faulheit oder fonftiger grober Fehler willen keinen Dienft finden 5). Derartige Leute durfte man ungeftraft caftriren, .auch wenn fie darüber todt blieben 6) und fie tüchtig durchzuprügeln, felbft wenn dabei 3 Männer über einen Einzigen herfielen, galt fogar für verdienftlich und als eine Sühne für gewiffe gegen die Armenordnung begangene Verftöfse^). Solche Bettler, und nicht minder auch diejenigen, welche zwar arbeits- unfähig find, aber bei ihrem rechtmäfsigen Verpfleger eine leidliche Unterkunft haben könnten, wenn fie nur wollten, und welche fomit auch ihrerfeits ohne Noth betteln, find überhaupt rechtlos und unfähig zu erben, folange fie diefer Lebensart fich hingeben 8); um- gekehrt werden auch fie von ihren geborenen Erben der Regel nach gar nicht beerbt, und felbft dann nur theilweife, wenn diefe beweifen, dafs fie fich wider ihren Willen dem Bettelgange ergeben habend). Sogar ihre Kinder find in Bezug auf ihre Erbrechte fowohl als Alimentationsanfprüche noch mehrfach befchränkt, und diefe Zurückfetzung fchwindet für fie erft dann, wenn fie längere Zeit hindurch ihren feften Wohnfitz gehabt haben ^0). Milder wurde dagegen, wie billig, Derjenige behandelt, der wegen hohen Alters

1) Kgsbk, i 181, S. U; Omagab., cap. 8, S. 261—2.

2) Kgsbk, i 148, S. 28; Ömagab., cap. 85, S. 801.

3) Kgsbk, § 118, S. 225; Arfa {>., cap. 8, S. 192.

4) Kgsbk, i 82, S. 140; Kaupab., cap. 65, S. 482.

5) Kgsbk, i 143, S. 28; Ömagab., cap. 35, S. 301.

6) Kgsbk, i 254, S. 203; Ömagab., cap. 35, S. 301.

7) Kgsbk, } 235, S. 179; Kaupab., cap. 46, S. 455—6.

8) Kgsbk, i 118, S. 225; Arfa {>., cap. 8, S. 192; cap. 18, S. 224, und cap. 20, S. 226.

9) Kgsbk, g 121, S. 229—30; Arfa fj., cap. 8, S. 191-2.

10) Kgsbk, } 118, S. 225, uud ^ 143, S. 28; Arfa (>., cap. 20, S. 225—6, und Ömagab., cap. 35, S. 301.

Die Gemeinde. 303

oder Krankheit betteln geht*), vorausgefetzt natürlich, dafs ihm nicht von feinen Angehörigen eine Verpflegung leidlicher Art zur Verfügung geftellt wird 2); ein folcher gilt insbefondere für rechts- fähig, wenn auch die für feine Verletzung fälligen Bufsen zunächft von feinem Erben eingeklagt werden, der dann auch ein Drittel ihres Betrages liir fich behalten darf, und nur für den Fall dem Bettler felber ein Klagerecht erwächft, da fein Erbe die Klage- (lellung unterläfst3). Die Strenge, mit welcher das isländifche Recht allem Bettelvolke zu Leibe gieng, war hiernach keine geringere als die Umficht, mit welcher daflelbe die Verpflegung der wahrhaft hülfsbedürftigen Perfonen regelte, und nur in einzelnen, wenig bedeut- famen Punkten vermochte allenfalls der kirchliche Gefichtspunkt, von welchem aus das Almofengeben als eine chriftliche Tugend fich empfahl, jene Härte der Behandlung aller Vagabunden zu mildern^).

Von der Befprechung der Aufgabe der Gemeinde wende ich mich zur Betrachtung ihrer Organifa tion, wobei ich jedoch von der oben bereits erwähnten Möglichkeit einer Zerlegung derfelben in Unterabtheilungen abfehe. Es geht aber fchon aus der bisherigen Darftellung hervor, dafs wir 3 Claflen von Gemeindeangehörigen zu unterfcheiden haben, nämlich einmal die vollberechtigten Bauern, welche ihr Jifngfararkaup zahlen, und demgemäfs auch alle und jede Gemeindelaften zu tragen haben, zweitens die {»urfamenn, welche die Gemeindelaften nicht, oder doch nur zum geringeren Theile tragen, und vielmehr umgekehrt von der Gemeinde eine unterftützende Beihülfe beziehen oder doch beziehen können, endlich omagar, d. h. vollkommen arme Leute, welche um diefer ihrer Armut willen entweder von Privatverpflichteten oder von der Gemeinde felbft verpflegt werden muffen. Mit diefer Unter- fcheidung hängt nun eine gewifle Unficherheit des Sprachgebrauches zufammen, welche dem richtigen Verftändnifse der Rechtsvorfchriften Schwierigkeiten in den Weg legt. Wenn nämlich den hreppsmenn die Unterftützung der Bedürftigen in ihrer Gemeinde &), und fpeciell

1) Arfa l»., cap. 20, S. 226.

3) Kgsbk, 2 121, S. 229—80; Arfa }»., cap. 8, S. 191—2; Ömagab., cap. 85, S. 801.

3) Arfa |»., cap. 20, S. 226.

4) Vgl. z. B. oben, S 231.

5) Kau p ab., cap. 47, .S. 457.

304 Die Gemeinde.

das manneldi^), dann auch die Entrichtung der Affecuranzbeiträge auferlegt wird 2), wenn fie ferner für die Alimentation von büösetu- menn haftbar gemacht werden, welchen fie trotz ihres ungenügenden Vermögens die Bewilligung zur Niderlaffung eitheilt haben 3), oder wenn fie als betheiligt erwähnt werden bei der Fortfchaffung von omagar aus ihrem Bezirke, möge diefe nun gerichtlich oder aufser- gerichtlich erfolgen^), fo kann keinem Zweifel unterliegen, dafs der Ausdruck in allen diefen Fällen nur auf dingfteuerpflichtige Bauern bezogen werden kann. Andcrerfeits wird aber auch an Stellen, welche ganz unzweifelhaft nur von l^urfamenn reden, zwifchen innan- hreppsmenn und ütanhreppsmenn unterfchieden^), und diefelbe Unterfcheidung kehrt fogar bei den ömagar wider ö), denen ja eben- falls ihr eigener löghreppr zugefchricben wird 7) j an Stellen, welche lediglich der hrcppsmenn erwähnen, ohne zugleich anzudeuten, ob fie diefen Ausdruck in einem engeren oder weiteren Sinne gebraucht wiflen wollen, mögen fich demnach Zweifel darüber ergeben, wit derfelbe zu verftehen fei, und folcher Zweideutigkeit unterliegt zumal auch eine Reihe von Stellen, welche fich auf den Anthcil der Gemeindeangehörigen an der Leitung der Gemeindeangelegen- heiten beziehen. Die hreppsmenn haben die Gemeindevorfteher zu wählen 8), die Befchaffenheit der den ömagar zu reichenden Alimen- tation feftzuftellen 9), den Zahltag für die zu erlegenden Affecuranz- beiträge zu beftimmen 10), und auch fonfl noch über mancherlei Gemeindeangelegcnheiten zu entfcheiden ^l) ; fie find ferner berechtigt denjenigen gewaltfam aus dem Gemeindebezirke zu vertreiben,

1) Kgsbk, 'i 234, S. 172; Kaupab., cap. 39, S. 444, und cap. 40, S. 445.

2) Kaupab., cap. 48, S. 458, und cap. 49, S. 460.

3) Öniasab., cap. 31, S. 294.

4) Kgs-bk, i 129, S. 9, und ? 182, S. 15; Ömagab., cap. 7, S. 248, und cap. 9, S. 262.

5) Kgsbk, g 8, S. 26, g 13, S. 31, g 16, S. 34, und g 256, S. 208; KrR., cap. 17, S. 85, Anm. mm; cap. 22, S. 108; cap. 32, S. 132; cap. 88, S. 148.

6) Kgsbk, i 234, S. 173—4, und 176; Kaupab. , cap. 40, S. 447 und 448; cap. 42, S. 451; ferner cap. 41, S. 450, und Ömagab., cap. 30, S. 293.

7) Kgsbk, g 235, S. 178; Kaupab., cap. 45, S. 454.

8) Kgsbk, i 234, S. 171 .und 172; Kaupab., cap. 39, S. 444.

9) Kgsbk, l 235, S. 178; Kaupab., cap. 45, S. 454; Ömagab., cap. SO. S. 293.

10) Kaupab., cap. 49, S. 460.

11) Ebenda, cap. 47, .S. 458.

Die Gemeinde. 305

welcher fich widerrechtlich in diefen nidergelaflen hatl), und ihnen fteht überdiefs, fei es nun primär oder doch eventuell nach Vorgang der Gemeindevorfteher die Klageftellung wegen Vergehen gegen die Gemeindeordnung zu, welche erft dann auf die ütanhreppsmenn übergeht, wenn fie diefelbe unterlaffen^) j endlich werden aus den hreppsmenn auch die Gemeindevorfteher entnommen 3), fowie die Richter im hreppadöme, und alle diejenigen, welche in diefem Gerichte irgendwelche andere Funftionen zu übernemen haben *). Da entfteht nun die Frage, ob unter den hreppsmenn oder innan- hreppsmenn der betreffenden Stellen, nachdem an die hreppsomagar felbftverftändlich in keinem Falle gedacht werden kann, nur die dingfteuerpflichtigen Bauern, oder aber neben diefen auch noch die kleineren Leute zu verftehen feien, welche jener Steuer nicht unterliegen, eine Frage, welche fich kaum mit voller Sicherheit wird beantworten laffen. Dafs für den Minimalbeftand des hrepps zu 20 Bauern nur dingfteuerpflichtige Männer mit eingerechnet werden, legt die Vermuthung nahe, dafs jene Stellen in einge- fchränkterem Sinne zu verftehen feien, wie fich denn auch faft von felbft zu verftehen fcheint, dafs die Befchlufsfaffung und der Vollzug in Gemeindeangelegenheiten nur denjenigen zuftehen könne, welche die Gemeindelaften tragen; dennoch aber dürften überwiegende Gründe für die liberalere Auslegung fprechen. Zu den aufser- ordentlichen Gemeindeverfammlungen muffen alle Bauern kommen, und alle muffen fie das Kreuz weiter befördern, durch welches die Ladung zu diefen erfolgt ; beide Verpflichtungen werden fogar ganz ausdrücklich auch auf diejenigen unter ihnen erftreckt, welche die Dingfteuer nicht zu entrichten haben »). Bezüglich der ordentlichen Gemeindeverfammlungen wird gefagt, dafs »baendr allir ^eir er innan hrepps büa« fich einfinden, oder doch wenigftens einen ihrer Dienft- boten als ihren Vertreter fchicken foUen, und dafs fie alle bei den

1) Aug. Ort.

2) Kgsbk, f 132, S. 15, i 234, S. 177, ? 235, S. 178—9, ? 255, S. 207 und i 259, S. 212; Omagab., cap. 9, S. 262; Kaupab., cap. 44, S. 452 und 453, dann cap. 46, S. 455; KrR., cap. 37, S. 146 und cap. 42, S. 160.

3) Kgsbk, ?234, S. 171—2, und {256, S. 208; Kaupab., cap. 39, S.444; KrR., cap. 38, S. 148.

4) Kgsbk, ? 234, S. 175; Kaupab., cap. 41, S. 449 und 450. 6) Kgsbk, 2 234, S. 173; Kaupab., cap. 40, S. 446.

Maurer» Isluid. ^^

306 I^ie Gemeinde.

ZU faffenden Befchlüffen mitzuwirken habend); wenn hier zwar die nicht dingfteuerpflichtigen nicht eigens genannt werden, fo kann doch, zumal im Zufammenhalte mit der vorigen Beftimmung, nicht bezweifelt werden, dafs auch fie mitinbegriffen werden wollen, und wird man auch aus den Beftimmungen über die Zufammenkunft im Herbft, an welcher die Zehntbeträge der einzelnen Pflichtigen feftzuftellen kommen, ein gegentheiliges Argument nicht ableiten können 2). Die Verpflichtung, in diefer Verfammlung zu erfcheinen, wird nämlich hier den zehntpflichtigen Bauern nur im Zufammen- hange mit ihrer Verpflichtung, ihre Zehntfaffion abzugeben, auf- erlegt, und zumal in der Staöarholsbök tritt fehr klar hervor, dafs es fich dabei nicht um die Feftftellung des Rechtes in der Gemeinde- verfammlung zu erfcheinen, fondern nur um die Feftftellung der Verpflichtung handelte, in diefer feinen Zehnt zu fatiren, foferne hier unmittelbar zuvor bemerkt wird, dafs die griömenn und själfeldis- menn, d. h. die nicht mit eigener Wirthfchaft angefeffenen Leute, mochten fie nun in fremdem Dienfte ftehen oder von ihren eigenen Mitteln leben, nicht in der Gemeindeverfammlung, fondem bereits vorher in Gegenwart eines verläffigen Bauern ihre Faflion abgeben foUten, welcher fodann in jener Verfammlung von derfellxin Anzeige zu erftatten hatte. Hiezu kommt noch ein weiteres Moment. Zu Gemeindevorftehern foUen zwar der Regel nach nur Grund- cigenthümer gewählt werden, jedoch auch andere Bauern, und fogar einfchichtige Leute gewählt werden können, w^nn nur die wählende Verfammlung einftimmig ift3); im hreppadöme ferner können eben- falls, wenn die verfügbare Zahl von Bauern durch Recufationen erfchöpft ift, neben 3 Bauern auch wohl 2 griömenn als Gefchworene verwendet werden 4). Da man fogar griömenn zu folchen Functionen zuliefs, die doch, wie bemerkt, felbft ihre Zehntfaflionen durch einen Bauern einreichen, und obwohl fie ihre omagar felbft zu verpflegen hatten, doch die Gemeindeverfammlung von ihrem Hausherrn be- rufen laflen mufsten, wenn fie zu deren fernerer Alimentation nicht mehr im Stande waren 5), kann man die kleineren Bauern von den-

1) Kaupab., cap. 47, S. 456 und 458.

2) Kgsbk, i 255, S. 206; KrR., cap. 37, S. 144.

3) Kgsbk, § 234, S. 171, und § 255, S. 206; Kaupab., cap. 39, S. 444, und KrR., cap. 37, S. 144.

4) Kgsbk, i 234, S. 175; Kaupab., cap. 41, .S. 449.

5) Ömagab., cap. 31, S. 296.

Die Gemeinde. 307

felben um fo weniger ausgefchloiTen haben, und wird man demnach daraus, dafs bezüglich ihrer nicht ebenfogut wie bezüglich der griömenn befondere Beftimmungen nothwendig befunden wurden, den Schlufs ziehen dürfen, dafs die nicht dingfteuerpflichtigen Bauern fchon von Rechtswegen an den Gemeindeämtern und dem Gefchwornendienfte in Gemeindefachen ebenfogut Theil namen wie die fteuerpflichtigen, fo auflallend es auch erfcheinen mag, dafs Leute an der Ver- waltung der Gemeindeangelegenheiten felbftftändig mitgewirkt haben follen, welche die Gemeindelaften nicht, oder doch nicht ihrem vollen Umfange nach trugen. Bemerkt mufs aber fchliefslich noch werden, dafs es lediglich der Wohnort und nicht der Befitz von Liegenfchaften war, welcher die Theilname am Gemeindeverbande begründete!), und dafs auch bei der Zehntleiftung lediglich der Wohnort des Pflichtigen, und nicht der Ort der belegenen Sache darüber entfchied, an welche Gemeinde diefelbe zu erfolgen hattet). Die hreppsmenn in dem foeben feftgeftellten Sinne kommen nun aber für die Armenpflege in dreifacher Richtung in Betracht, nämlich einmal infoferne, als aus ihnen die Gemeindevorfteher hervorgehen, zweitens infoferne, als fie in ihrer Gefammtheit die Gemeindever- fammlungen bilden, und drittens infoferne, als ihnen als Einzelnen ein fehr erheblicher Theil der Fürforge für die Armen übertragen ift. Die Gemeindevorfteher zunächft pflegen unfere Rechtsbücher mit dem farblofen Ausdruck söknarmenn oder hreppssoknar- nienn zu bezeichnen 8), welcher fich von der sokn oder hreppssökn^), d. h. der Klageftellung in Gemeindeangelegenheiten ableitet; doch findet fich vereinzelt auch bereits die bis auf die neuefte Zeit herab üblich gebliebene Bezeichnung hreppsstjorar gebraucht 5). Die- felben werden von den hreppsmenn aus ihrer eigenen Mitte ge- wählt, und follen der Regel nach Grundeigenthümer fein; doch kann, wie oben fchon bemerkt, von diefem ErfordernilTe durch einftimmigen Befchlufs der Genoffen Umgang genommen werden 6), und fogar

1) Vgl. z. B. Ömagab., cap. 82, S. 297; Kaupab., cap. 47, S. 456 und 458.

2) Kgsbk, f 259, S. 212; KrR., cap. 42, S. 158.

8) Kgsbk, i 285, S. 178; Kaupab., cap. 46, S. 455; Ömagab., cap. 81, S. 295.

4) Kgsbk, § 285, S. 179; Kaupab., cap. 46, S. 455.

5) Ömagab., cap. 9, S. 262; Diplom. Island., I, nr. 80, S. 199, nr. 81, S. 200, und nr. 187, S. 586.

6) Kgsbk, § 234, S. 171; Kaupab., cap. 39, .S. 444.

20«

308 "Die Gemeinde.

blofse griömenn find unter diefer Vorausfetzung wählbar i), was doch wohl damit zufammenhängen dürfte, dafs diefe unter Umftänden auch zehntpflichtig fein konnten. Regelmäfsig follten diefer Vorfteher fünf fein 2), welche Zahl auch diejonsbök und das jüngere Chriften- recht noch fefthaltenS); wenn demnach eine andere Stelle im Frühling je drei oder mehrere Männer bezeichnen läfst, welche die Klagen wegen der gegen die Gemeindeordnung begangenen Verftöfse au- fteilen foUen^), fo wird man dabei mit |)örö Sveinbjörnsson an die Wahl von Gehülfen durch die soknarmenn, nicht an die Wahl von soknarmenn durch die Gemeinde denken muffen, zumal da diefe letztere nach dem Zehntgefetze im Herbfte vorgenommen worden zu fein fcheint. Die Obliegenheiten der Gemeindevorfteher find von doppelter Art 5), Einerfeits haben dicfelben nämlich die Vertheilung der t>urfamannatiund, der matgjafir und des manneldi in ihrer Ge- meinde zu beforgen, und demgemäfs auch bei der Aufname und Richtigftellung der betreffenden Faflionen mitzuwirken ; ja bezüglich des Zehnts reicht ihre Aufgabe fogar noch etwas weiter, indem fie nothwendig auch die Feftftellung der übrigen drei Zehntviertel mit umfafst. Andererfeits liegt ihnen aber auch die Klageftellung ob wegen aller gegen die Gemeindeordnung begangenen Verftöfse, fo- ferne nicht etwa eine durch das Vergehen verletzte Privatperfon ihrerfeits klagbar wird, und zwar kommt dabei Nichts darauf an, ob es fich um die nicht gehörige Entrichtung des Armenzehnts und der Speifegaben, um die nicht gehörige Erfüllung der Alimentations- pflicht, um die verbotwidrige Aufname und Verpflegung von Bettlern, oder auch um das Ausbleiben in einer Gemeindeverfammlung oder die Nichtbefbrderung der Ladung zu einer folchen handelt 6). Der Zerfällung des hrepps in Unterabtheilungen wird fpeciell in Bezug auf die Vertheilung des Zehnts und der Speifegaben gedacht, wobei fich doch wohl von felbft verfteht, dafs diefelbe auch auf die übrigen

1) Kgsbk, § 255, S. 206; KrR., cap. 37, S. 144.

2) Siehe die in den beiden vorigen Anmerkungen angeführten Stellen.

3) Jönsbök, Framfierslub., g 9; Ärna bps KrR., cap. 14, S. 86.

4) Kaupab., cap. 47, S. 456—7.

5) Kgsbk, § 234, S. 171—2, und § 255, S. 206; Kaupab., cap. 39. S. 444, und KrR., cap. 37, S. 144.

6) Kgsbk, 8 234, S. 173—4, § 235, S. 178—9, und § 256, S. 208-9; Kaupab., cap. 40, S. 447—8, und cap. 46, S. 455; KrR., cap. 38, S. 148 -50; ferner Omagab., cap. 31, S. 295.

Die Gemeinde. 309

Functionen der Gemeindevorftehcr einwirkte; wenn dagegen diefen letzteren das Recht eingeräumt wird, die Einklagung der fachfälligen Bauern in ihrer Gemeinde beliebig unter fich zu vertheilen i), fo läfst diefe Befugnifs fich nicht in gleicher Weife auch auf jene erftere Funftion herüberziehen, als welche nothwendig eine gefonderte Be- handlung der einzelnen Pflichtigen ausfchlofs. Uebrigens tragen die soknamienn die fämmtlichen Gemeindelaften wie alle anderen hrepps- menn, und wegen der Verfehen, welche fie etwa in ihren Funftionen begehen, unterliegen fie den gewöhnlichen Strafen, mit welchen die Vergehen gegen die Gemeindeordnung bedroht zu fein pflegen'-^). Dagegen ift nirgends von einem Entgelde die Rede, welches fie für ihren befchwerlichen Dienft erhalten hätten, wenn man nicht etwa die Bufsen oder Antheile von Bufsen als folches betrachten will, welche ihnen gelegentlich der von ihnen anzuftellenden Klagen zu- fallen konnten 3). Bereits damals war alfo das Amt wefentlich ein Ehrenamt, ganz wie es diefs bis in unfere Tage herab auf der Infel geblieben ift, nämlich bis zum Erfcheinen der Verordnung vom 4. Mai 1872, welche die gefammte Gemeindeverfaffung Islands um- geftaltet hat*). Das zweite Organ des hrepps bilden fodann die Gemeindeverfammlungen, welche theils ordentliche, theils aufserordent- liehe find. Die ordentlichen Gemeindeverfammlungen, welche unfere Rechtsbücher durch den Ausdruck samkvämur odersamkomur zu bezeichnen pflegen, wogegen fie für die aufserordentlichen die Bezeichnung hrepps fundir brauchen, während die Gefchichts- quellen auch wohl jene erfteren als fundir^), hreppsfundirC), oder hreppsstefnur bezeichnen 7), beruhen auf gefetzlicher Anord- nung'^), und werden zu einer gefetzlich ein für allemal feftgefctztcn Zeit gehalten, wogegen die aufserordentlichen an keine beftimmte Zeit gebunden find, vielmehr ftets von demjenigen eigens berufen werden, welcher ihrer bedarf-^). Eine ordentliche Verfammlung

1) Kgsbk, § 234, S. 177—8; Kaupab. , cap. 44, S. 453.

2) Kgsbk, § 234, S. 174; Kaupab., cap. 40, S. 448.

3) Kgsbk, 8 259, S. 213; KrK. , cap. 48, S. 162.

4) Siehe diefelbe in den Tfbindi um stjörnarmdl efni Islands, III, S. 894—415.

6) Ljösvelnfnga s., cap. 6, S. 17.

6) Sturlünga, II, cap. 11, S. 58.

7) Ebenda, III, cap. 34, S. 185.

8) Kaupab., cap. 47, S. 456.

9) Kgsbk, 8 234, S. 172—3; Kaupab., cap. 40, S. 446—7.

310 ^ic Gemeinde.

m

wurde in der langen Faften gehalten i), und eine zweite im Früh- jahre, zunächd nach dem Frühlingsdinge 2) j in der erfteren, oder doch längftens in der letzteren follte fich, wer in die Gemeinde hereinziehen wollte, deren Aufnamsbewilligung erbitten, und in der letzteren hatten überdiefs die Gemeindevorfteher fich jene Gehülfen zu wählen, welche fie bei der Klageftellung zu unterftützen hatten, fowie auch hier bekannt zu geben war, ob der einzelne Befitzer feine Halle oder feinen Wohnfaal als in der Affecuranz begriffen gelten laffen wollte 3). Eine dritte Verfammlung endlich wurde noch im Herbfte gehalten, nicht früher als vier Wochen vor Winters- anfang, und nicht fpäter als fo, dafs fie am erften Sonntage des Winters zu Ende geht*); nach einer durchaus verläffigen Gefchichts- quelle fehen wir diefelbe demgemäfs einmal an der Krossmessa und ein andersmal an der Matthfasmessa gehalten, d. h. am 14. und 21. September 5), und wenn eine vereinzelte, in einzelnen Rcchts- handfchriften enthaltene Stelle auf die Möglichkeit Bedacht nimmt, dafs diefe Verfammlung in einem einzelnen Jahre in irgend einer Gemeinde nicht gehalten würdet), fo ift doch damit wohl nur auf einen ganz vereinzelt vorkommenden Ausnamsfall hingedeutet. In diefer Herbftverfammlung wurden aber der Zehnt und die Speife- gaben vertheilt?), und wie es fcheint auch die Gemeindevorfteher gewählt, welche diefes Gefchäft zu leiten hatten; neben den jeder einzelnen Verfammlung fpeciell zugewiefenen Gefchäften konnten aber felbftverftändlich in derfelben noch ganz andere abgemacht werden, wie denn z. B. die Regel galt, dafs man von einem erlittenen Viehfehaden und deffen durch Schätzung feftgeftellten Betrage jedesmal in der Verfammlung Anzeige zu machen habe, welche zunächft nach dem Unglücksfalle zufammentrete ^). Zu allen diefen Verfammlungen waren alle hreppsmenn in dem oben erörterten Sinne verpflichtet zu kommen, oder doch einen gefetzlichen Vertreter

1) Kaupab., cap. 47, S. 457.

2) Ebenda, cap. 47, S. 457, und cap. 49, S. 459.

3) Ebenda, cap. 49, S. 459.

4) Kgsbk, § 13, S. 31; KrR. , cap. 22, S. 108; Ljösvetnfnga s., ang. O., u. dgl. m.; ferner Kgsbk, § 255, S. 206, und KrR., cap. 37, S. 142.

5) Sturlünga, ang. O.

6) KrR., cap. 50, S. 174.

7) Kgsbk, § 13, S. 31, und § 255, S. 206; KrR., cap. 22, S. 108, und cap. 37, S. 142.

8) Kaupab., cap. 48, S. 458 9.

Die Gemeinde. 311

ZU fchicken, welcher für fie Rede und Antwort zu flehen vermochte ; wer weder m eigener Perfon noch durch einen Vertreter rechtzeitig erfchien, war ftrafialligl). Von den Mitgliedern der Verfammlung, den samkvämumenn^), wurden die Befchlüfle nach Stimmenmehrheit gefafst, wenn es fich um neue Beliebungen handelte, wogegen zur Veränderung geltender Beftimmungen (samkvämumäl) Einftimmig- keit erforderlich war 3). Einftimmigkeit erforderte aufserdem auch die Wahl der söknarmenn, und mufste das Loos unter den Grund- eigenthümern der Gemeinde entfcheiden, wenn diefe nicht zu er- reichen war*); dagegen galten für Befchlüfle adminiftrativer Art z. Th. eigene Regeln, wie denn z. B. bei einer Meinungsverfchieden- heit. darüber, ob man einen omagi felber verpflegen oder weiter fuhren foUe, die Stimme derjenigen vorzugehen hat, welche fich dcsfelben zu entledigen beabfichtigen 5). Von weiteren ordentlichen Gemeindeverfammlungen als den genannten drei weifs ich keine Spur aufzufinden; um fo häufiger mufsten dagegen wohl aufser- ordentliche zufammentreten^). Die Veranlaflung zu einer folchen fcheint regelmäfsig der Umftand gegeben zu haben, dafs einem Gemeindeangehörigen ein ömagi überbürdet worden ift, welcher doch zu deflen Verpflegung nicht befähigt oder nicht verpflichtet zu fein glaubt, und ihn darum zur, fei es nun proviforifchen oder definitiven, Alimentation der Gemeinde zu überweifen wünfcht. Jeder, der aus folchem Grunde einer Verfammlung bedarf, mag folche berufen, nur dafs er fie auf mindeftens fieben Tage hinaus anfetzen mufs; die Ladung erfolgt durch ein Kreuz, welches von Hof zu Hof getragen, und mit welchem zugleich der Tag der Verfammlung bekannt gegeben wird. Eine Geldbufse trifft den Bauern, welcher die Ladung zu befördern verfäumt, oder bei der Verfammlung ausbleibt; als ausgeblieben gilt aber, wer nicht vor Mittag kommt, und gebüfst wird Jeder, der von der Ladung erfahren hat, wenn fie ihm auch nicht zu Hof gekommen ift. In der Verfammlung

1) Kaupab. , cap. 47, S. 456; ferner Kgsbk, § 255, S. 206, und KrR., cap. 37, S. 144.

2) Kaupab. , cap. 47, S. 456—7; ferner Kgsbk, § 255, S. 207, und KrR., cap. 37, S. 146.

3) Kaupab., cap. 47, S. 458.

4) Kgsbk, § 234, S. 171 und 172; Kaupab., cap. 39, S. 444.

5) Kgsbk, § 129, S. 9; Ömagab., cap. 7, S. 248.

6) Kgsbk, § 234, S. 172—3; Kaupab., cap. 40, S. 446-7

312 l^ie Gemeinde.

haben die söknarmenn fofort das manneldi zu vertheilen, wobei die Ausgebliebenen cbenfogut beladet werden können wie die An- wefendcn ; es mufs demnach zwar jedem Gcmeindegenoffen Gelegen- heit geboten werden, feine Einwendungen gegen die bcabfichtigte Vcrtheilung zu erheben, aber die Gegenwart derjenigen ift nicht nöthig, welche es verfäumen, von der ihnen gebotenen Gelegenheit Gebrauch zu machen. Ich bemerke noch, dafs neben den Gemeinde- vcrfammlungen auch andere und kleinere Zufammenkünfte vorkommen, welche für die Armenpflege und das Gemeindeleben überhaupt von Bedeutung find. Es gehört dahin die Verfammlung jener 5 Nach- barn, welche im Falle von Brand oder Viehfterben den Schaden abzufchätzen hiaben^); ferner die Verfammlung der fünf nächflcn Grundeigenthümer, welche derjenige um die Aufnamsbewilligung anzugehen hat, welcher in die Gemeinde hereinzuziehen beabfichtigt, und doch an den beiden erften ordentlichen Gemeindeverfammlungen jene Bewilligung fich zu erbitten aufser Stand war*«^) ; hieher endlich auch der hreppadomr, d. h. das Gericht, welches in Gemeinde- und Armenpflegfchaftsfachen zu fprechen hat, und von welchem unfere Rechtsbücher mit grofser Weitläufigkeit handeln 3). Allein diefe Gemeindegerichte bilden nur eine einzelne Art der Privat- gerichte, und jene Nachbarn nur eine einzelne Art jener Commiflare, wie fie einerfeits zur Vorname von Schätzungen, und andererfeits zur Vertretung öffentlicher Verfammlungen, wo folche gerade nicht zur Hand waren, auch aufserhalb der Gemeindeverhältniffe oft genug zur Verwendung kommen; fie gehören demnach dem Ge- meindeleben als folchem nicht an, und berühren fich fo zu fagcn nur zufällig mit den Gemeindeverfammlungen, fo dafs fie unter einem ganz anderen als dem hier mafsgebenden Gefichtspunkte zur Sprache zu bringen fein werden. Dagegen haben in letzter Inftanz hier noch die einzelnen Gcmeindegenoffen als folche in Betracht zu kommen, foweit diefelben als Organe der Gemeinde auftreten. Infoweit freilich, als der Einzelne die Armen alimentfrt, deren Verpflegung ihm von Verwandtfchafts wegen obliegt, ift die Gemeinde bei feiner Leiftung unbetheiligt ; allein foweit er das manneldi der hreppsomagar beforgt, ift er ausfchliefslich, und foweit

1) Kaupab., cap. 48, S. 458—9, und cap. 49, S. 460.

2) Ebenda, cap. 47; S. 457.

8) Kgsbk, § 284, S. 174—8; Kaupab., cap. 41—44, S. 448— 53, und öfter.

Die Gemeinde. 313

er die |>urfamannatiund und die matgjafir entrichtet, wenigftens theilweife als deren Vertreter zu betrachten, foferne nämlich zwar die Verpflichtung dicfe Reichniffe zu entrichten ihn als Einzelnen triflft, aber die Ausantwortung beider Arten von Beifteuern an die einzelnen t>urfamenn im Auftrage und nach Anweifung der Gemeinde erfolgt. Die Gemeindcvorfteher befchränken fich ja, wie oben be- merkt, darauf feftzuftellen, welcher einzelne Bauer jedem einzelnen Empfangsberechtigten die Leiftung zu machen habe, und zu über- wachen, dafs diefer Verpflichtung feinerfeits auch gehörig genügt werde ; aber nicht fie, fondern die einzelnen Bauern find es fchliefs- lich, welche hinfichtlich der wirklichen Verpflegung der Armen, dann der wirklichen Unterftützung der Bedürftigen die Gemeinde vertreten, und der Staat mifcht fich vollends in die Armenpflege fall nur infoferne ein, als feine ordnende und die Einzelnen zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten zwingende Thätigkeit fchlechtcrdings unentbehrlich ifl:. Hier wie anderwärts geht demnach ein grofser Theil der Verwaltung in den Formen des Strafrechts und der Rechtspflege vor fich, und dabei geht noch überdiefs fogar die klageweife Verfolgung der Verfl:öfse gegen die Armenordnung nur zum Theil von den Beamten der Gemeinde aus. Auf der einen Seite kann nämlich wegen Nichtentrichtung der Speifegaben l), dann des Armenzehnts2), derjenige Klage ftellen, welchem der betreffende Bezug zugewiefen worden ift, und wenn zwar der zu alimentirende ömagi wegen nicht gehöriger Verpflegung, wie es fcheint, nicht felber klagbar werden konnte, fo mochte ihn doch jeder beliebige Dritte zu fich nemen, die auf feine Verpflegung verwendeten Koftcn durch beeidigte Schätzleute feftftellen laflen, und fodann von dem Alimentationspflichtigen deren doppelten Betrag einklagen, ohne dafs dabei zwifchen der auf der Verwandtfchaft und der auf dem Gemeindeverbande beruhenden Alimentationspflicht unterfchieden würde 3). Auf der anderen Seite aber werden die söknarmenn felber ftraffällig, wenn fie der Verpflichtung zur Klagftellung irgend einem Säumigen gegenüber nicht nachkommen, falls fie nicht etwa durch den Beweis ihrer Unbekanntfchaft mit den die Klage be- gründenden Thatfachen fich zu entfchuldigen vermögen; die Klage

1) Kgsbk, ? 234, S. 174; Kaupab., cap. 40, S. 447.

2) Kgsbk, ? 256, S. 208; KiR., cap. 38, S. 148.

8) Kgsbk, 2 234, S. 173—4; Kaupab., cap. 40, S. 447.

314 ^ic Gemeinde.

aber gegen fie, fowie auch das Klagcrecht in der von ihnen ver- nachläfsigten Sache, fleht zunächft allen hreppsmcnn, eventuell aber fogar den ütanhreppsmenn zu, wenn auch jene erfteren fich fäumig erweifen folltenl). Wie fich in diefer eventuellen Klag- berechtigung gemeindefremder Leute das, wenn auch nur indircfte, InterefTc des Staats an der Armenpflege ausfpricht, fo wird ferner auch dem Interefle Rechnung getragen, welches die Kirche an derfelben nimmt; der Bifchof, welcher ja, wie wir gefehen haben, in gewiffem Umfange fogar in die Gefetzgebung in Armenfachen beftimmend eingreifen darf2), wird auch ermächtigt, die von den söknarmenn verfäumte Klage feinerfeits durch einen Bevollmäch- tigten erheben zu lafien, und zwar gleichviel, ob es fich dabei um die widerrechtliche Verpflegung oder Nichtverpflegung von Leuten handle 3). Zweifelhaft mufs überhaupt bleiben, wieweit die Klags- berechtigung der söknarmenn überhaupt über den Kreis der Ange- hörigen ihrer Gemeinde hinaus gereicht habe. Einerfeits nämlich wird die Sorge für die Klageftellung gegen Auswärtige, welchen fie die Verpflegung eines ömagi zu überbürden wünfchen, in einer Reihe von Fällen den hreppsmenn als folchen zugewiefen 4), und man möchte allenfalls hieraus fchliefsen, dafs die Competenz der söknarmenn auf derartige Fälle fich nicht erflreckt habe; anderer- feits aber wird für den Fall, da Jemand fich feinen ömagar durch die Flucht in eine andere Gemeinde zu entziehen fucht, zunächll dem Grundeigenthümer, auf defTen Land fich diefe befinden, und dem Gemeindevorfleher die Klage gewährt, und nur eventuell eine Popularklage verflattet^), oder nach einer anderen Stelle zuerfl dem Pächter, dann dem Grundeigenthümer, falls er anders ein Gemeinde- angehöriger ifl, hierauf dem Gemeindevorfleher, und in letzter Inflanz erfl Jedem der da will die Klagsberechtigung eingeräumt^), was

1) Kgsbk, § 21, S. 39—40, § 132, S. 15, § 234, S. 174 und 177, § 235. S. 178—9, 8 255, S. 207, und § 259, S. 212; Omagab., cap. 9, S. 262, und cap. 31, S. 295; Kaupab. , cap. 40, S. 448, cap. 44, S. 452—3, cap. 46, S. 455, und 456; KrR., cap. 37, S. 146, und cap. 42, S. 160.

2) Vgl. oben, S. 231.

3) Kgsbk, § 235, S. 178—9; Kaupab., cap. 46, S. 455.

4) Kgsbk, § 129, S. 9, und § 132, S. 15; Ömagab., cap. S. 248, und cap. 9, S. 262.

5) Oniagab., cap. 9, S. 262.

6) Ebenda, cap. 82, S. 297; in cap. 22, S. 278, wo die Anwendung auf das Allding gemacht wird, ifl wohl nur der eventuellen Klagsberechtigten der Kürze halber nicht gedacht.

Die Gemeinde. 315

denn doch zeigt, dafs unter Umftänden wenigftens die Thätigkeit der Gemeindebeamten in Ueberwachung der Privatalimcntation über das Gebiet der Gemeinde hinausreichen konnte. IndeflTen ift doch recht wohl möglich, dafs an diefen letzteren Stellen die Eigenfchaft des Beklagten als eines Gemeindeangehörigen vorausgefetzt, und umgekehrt ebenfowohl möglich, dafs an jenen erfteren eben nur auf die Befchlufsfaflung Seitens der hreppsmenn hingedeutet werden will, mit welcher die Ausführung des gefafsten BefchlufTes durch die söknarmenn als Organ der Gemeinde immerhin noch vereinbar wäre; fchlechthin beweifend find demnach weder diefe noch jene Beftimmungen. Uebrigens ift die regelmäfsige Strafe, mit welcher die Vergehen gegen die Gemeinde- und Armenpflegfchafts- ordnung bedroht find, urfprünglich eine Geldbufse von 3 Mark ; fpäter wurde diefelbe indeflen zur Landesverweifung verfchärft, und von hier aus erklärt fich die Verwirrung, welche in diefer Beziehung in unferen Rechtsbüchern bemerkbar ift. An weitaus den meiften Stellen fetzt das ältere Rechtsbuch die Bufse von 3 Mark feft, während das neuere dafür die Strafe der Landesverweifung fub- ftituirt hati), und an ein paar Stellen hat fogar diefes letztere das ältere Recht, alfo die Bufse von 3 Mark, feftgehalten^) ; an einer Stelle femer, welche in der Konüngsbok fehlt, bezeichnet die Staöarhölsbok geradezu die Landesverweifung als das jüngere Rechts). Wunderlich genug findet fich freilich auch in der Kgsbk eine ganz änliche Stelle 4), und eine andere Stelle derfelben Hs. zeigt gleichfalls die Landesverweifung ftatt der Geldbufse einge- ftellt 5) ; aber die erftere Stelle bezeichnet die St. ausdrücklich als ein n>mceli, und an der letzteren giebt fie diefelbe Bezeichnung dem unmittelbar vorangehenden, und mit dem folgenden untrennbar zufammenhängenden Capitel, und überdiefs ift an der letzteren Stelle die Beweisführung durch 5 ftatt durch 9 Gefchworne ftehen geblieben, welche doch für die Bufsfachen charakteriftifch ift. Es

1) Vgl. Kgsbk, §234, S. 173, 174 und 177, mit Kaupab., cap. 40, S. 447 und 448, cap. 41, S. 448—9, dann cap. 44, S. 453.

2) Kaupab., cap. 39, S. 4J5 und cap. 40, S. 445—6; dann KrK., cap. 17, S. 84 und 85, Anm. mm, fowie cap. 32, S. 132, vgl. mit Kgsbk., § 8, S. 25, S 234, S. 172, und § 16, S. 34.

3) Ömagab., cap. 30, S. 293; AM. 315 B. fol., § 6, S. 229.

4) Kgsbk, § 132, S. 15; im Ömagab., cap. 9, S. 262, fehlt das ent- fcheidende »nü«.

5) Kgsbk, § 235, S. 178—9; Kaupab., cap. 46, S. 455.

316 I^Je Gemeinde.

ift hiernach klar, dafs die Neuerung zwar bereits eingeführt fein mufste, als der ümagabalkr der Kgsbk gefchrieben wurde, jedoch erft nach der Zeit eingeführt fein konnte, in welcher die Haupt- madfc der in diefen übergegangenen Materialien entftanden war.

Zum Schlufle bleibt noch die fchwierige Frage nach der Ent- ftehung der isländifchen Gemeindeverfaffung zu erörtern übrig ; diefelbe hängt mit der anderen Frage nach dem Alter einer geregelten Armenpflege auf der Infel eng zufammen, ohne doch mit derfelbcn nothwendig ganz zufammenzufallen. Der hochverdiente, leider vor Kurzem verdorbene, fchwedifche Reichsarchivar Nord- ström hat die Anficht ausgefprochen i), dafs im Norden überhaupt und auf Island insbefondere die Verpflegung der Armen erft in der chriftlichen Zeit zu einer Rechtspflicht erhoben worden fei, wogegen im Hcidenthume theils die Ausfetzung der Kinder, theils auch die Tödtung der alten und gebrechlichen Leute, foweit diefe nicht vorzogen ihrem Leben felbft ein Ende zu machen, ein rechtlich zuläffiges Mittel geboten habe fich der hülfsbedürftigen Angehörigen zu entledigen. Eine gemeindliche nicht nur, fondern auch eine verwandtfchaftliche Armenpflege wäre hiernach fiir die ältere Zeit nicht in Frage, und erft in der chriftlichen Zeit könnte fomit auch die isländifche GemeindeverfalTung fleh ausgebildet haben, als welche wefentlich nur den Zwecken der Armenpflege dient. Auch Gu6- brandr Vigfüsson nam anfänglich an die Entftehung diefer Gemeindeverfaflung fei erft der chriftlichen Zeit, dem elften Jahr- hunderte etwa, zuzuweifen, und es fei als ein Anachronismus an- zufehen, wenn an einzelnen Stellen bereits in Bezug auf die heid- nifche Zeit von hreppar gefprochen werdet); indeflen hat er in den »Addenda« zu feinem trefflichen Wörterbuche diefe Anname aufgegeben, und in der That dürfte fich deren Unftichhaitigkeit bündig beweifen laden. Richtig ift nämlich allerdings, dafs die Ausfetzung der Kinder im Heidenthume in gewiflem Umfange erlaubt war 3), und dafs fie zumal von ärmeren Leuten zuweilen

1) Bidrag tili den svenska Samhälls-Författningens Historia, II, S. 109 II.

2) s. V. hreppr.

8) Vgl. über diefelbe Jon Eirfksson, de expofitione infantum apud vetere> Septentrionales, ejusque causis, im Anhange zu der amamagnaeanifchen Ausgabe der Gunnlaugs s. ormstüngu, fowie Kalund, Familielivet Island i den för>te Sagaperiode, in den Aarböger for Nordisk Oldkyndighed og Historie, 1870, S. 272 4; endlich meine Gefchichte der Bekehrung des norwegifchen Stammes, II, S. 181—2.

Die Gemeinde. 317

als ein Mittel benützt wurde fich von der Laft der Ernährung von Kindern frei zu machen 1) ; richtig auch, dafs das chriftliche Verbot der Kindsausfetzung ebenfo wie das Verbot des Pferdfleifcheflens bei den Isländern auf ökonomifche Bedenken ftiefs, und dafs man darum beim Uebertritte zum Chriftenthume in beiden Beziehungen fich ge- nöthigt fah das ältere Recht vorerft noch fortbeftehen zu laflen. Aber es darf andererfeits auch nicht überfehen werden, dafs die Ausfetzung der Kinder nur infolange geftattet war, als diefelben noch nicht die Wafferweihe erhalten hatten, während fie von diefem Zeitpunkte ab geradezu als Mord galt 2), dafs fie ferner felbft bei den ärmften Leuten zwar als nicht ftrafbar, aber keineswegs als lobens- werth angefehen wurde, und dafs gerade die Ueberbürdung mit omagar als ein Grund genannt wird, der. vorkommendenfalls einen armen Mann zu derfelben beftimmen konnte. Richtig ift anderer- feits allerdings auch, dafs die Gautreks konüngs saga von einem setternisstapi, d. h. Stammesfelfen berichtet, welcher von den An- gehörigen einer einzelnen, in den Wildniffen Vcstrgötlands gefeffenen Familie benützt worden fei, um fich bei eintretender Altersfchwäche oder fonftiger Lebensmüdigkeit von demfelben herabzuftürzen 3) ; aber ganz abgefehen davon dafs diefe Sage, zu den fpäteren und inindefl verläfsigen gehörend, und fchon vielfach durch die Ro- mantik der Ritterpoefie gefärbt*), zu einer ernfthaften Beweis- führung fchlechterdings unbrauchbar ift, fpricht diefelbe nur von Schweden und nur von denl wunderlichen Gebrauche eines einzelnen Haufes, ganz und gar nicht von einem allgemeinen Gebrauche, und was Geijer von einzelnen Bergen in Schweden berichtet, deren Name noch heutigen Tages an jene Erzählung erinnere, fowie von einzelnen Sagen, welche davon erzählen wie man vordem die ge- brechlichen Leute mit Keulen todtgefchlagen habe, deren eine als astteklubba, d. h. Gefchlechtskeule bezeichnet, noch bis in die neuefte Zeit herab auf einem Hofe in Östrgötland zu fehen gewefen fei 5),

1) Vgl. zumal Gunnlaugs s. ormstüngu, cap. 3, S. 198; Flbk, I, S. 252 (Jiorsteins y. iixaföts); Finoboga s. ens ramma, cap. 2, S. 210 12, und cap. 4, S. 216.

2) Hölmverja s., cap. 8, S. 22.

3) Gautreks kgs s., cap. 1—2, S. 7— U; vgl. J. Grimm, RA., S. 486— 90. Man möchte fad vermuthen, dafs das Gefchichtchen aus dem entflanden fei, was Plinius, Hist. natur., W, cap. 12, § 90 von den Hyperborseern erzählt.

4) Vgl. P. E. Müller, Sagabibliothek, II, S. 583—9. 6) Gefchichte Schwedens, I, S. 102 3.

318 I>ie Gemeinde.

vermag nicht jenen Bericht zu ftützen, foferne derartige Erzählungen recht wohl fpäterer Entziehung und mehr humoriftifchen als hiftori- fchen Charakters fein mögen; ift doch die Gefchichte von der Keule nachweisbar ein in mittelalterlichen Schwänken recht fehr beliebter Stoffe), deffen Auftreten auch auf fchwedifchem Gebiete in keiner Weife auffallen kann. Einige Berichte verläfsigerer, und fpeciell auf Island bezüglicher Quellen aber, welche Nordftröm mit den obigen Ueberlieferungen combiniren zu foUen glaubte, muffen, richtig verftanden, zu ganz andern als den von ihm gezogenen Schlüffen führen. Ein fchweres Misjahr, wahrfcheinlich daffelbe, welches die isländifchen Annalen als >6öld hin fyrri« bezeichnen und in das Jahr 975 oder 976 fetzen, veranlafste die Reykdaelir zum Halten einer Verfammlung (samkoma, fundr) bei dem Goden Ljöt, um über die zu treffenden Mafsregeln zu berathen^). Die eine Parthei will durch Gelübde und Schenkungen an die Tempel die Befferung des Wetters erzielen, zugleich aber auch die alten Leute umbringen und alle Kinder ausfetzen laffen, wogegen eine andere Parthei eine folche Mafsregel für fchändlich und zugleich nutzlos erklärt, und dafür Mittel zur Ernährung der Alten und Auf- zucht der Kinder zufammengefchoffen wiffen will; der letzte Vor- fchlag, obwohl Anfangs bekämpft, geht doch fchliefslich durch. Nach einer anderen, auf daffelbe Hungerjahr bezüglichen Nachricht 3) follen die Leute damals nicht nur Raben, Füchfe und viel Anderes verzehrt haben, was fonft als nicht efsbar galt, fondern auch nicht Wenige verhungert fein, und fo Viele auf den Raub fich verlegt haben, dafs man fchliefslich fich genöthigt gefehen habe durch ein eigenes Gefetz den friedlofen Leuten ihre Begnadigung dafür zu verfprechen, wenn fie je drei ihres Gleichen umbringen würden; damals nun hätten Manche auch wohl ihre omagar und Greife durch Herabflürzen von Felfen tödten laffen. Beide Erzählungen laffen demnach ganz übereinflimmend erkennen, dafs die Ausfetzung der Kinder und die Tödtung der Greife zwar von einzelnen Leuten als letzter Ausweg in einer verzweifelten Lage ergriffen, und fogar in einer ganz ausnamsweife fchweren Zeit als eine generelle Mafs-

1) Vgl. J. Grimm, in Haupt's Zeitfchrift, V, S. 72—4; von der Hagen, Gefammtabentheuer, II, S. LXIII VI, und das Gedicht »der siegele, ebenda, S. 407 u. fgg., zumal V. 1125—48.

2) Vigaskütu s., cap. 7, S. 248.

3] Skar6särbök, Anhang I, zur Landndma, S. 328.

Die Gemeinde. 319

regel in Vorfchlag gebracht werden konnte, dafs fie aber doch fogar in folchen Zeiten als etwas fchlechterdings Widerrechtliches und Unzuläfsiges betrachtet und bekämpft wurde, und die zuerft angeführte Stelle zeigt überdiefs, dafs fchon in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts die Fürforge fiir die Ernährung des Volkes als eine genieinfame Angelegenheit jedes einzelnen Landftriches gilt; berückfichtigt man, dafs die in der Stelle gebrauchten Aus- drücke samkväma, fundr fpäter als technifche Bezeichnungen der Gemeindeverfammlungen galten, fo möchte man fogar geneigt fein durch ihren Gebrauch die Exiftenz der hreppar bereits fiir jene Zeit bezeugt zu finden. Zu ganz änlichen Ergebniflen fuhrt aber auch die Betrachtung einer weiteren Nachricht, welche die Olafs s. Tryggvasonar aus einer wenig fpäteren Zeit, dem Jahre 985 oder 986 etwa, bringt 1). Diefelbe erzählt zunächft, wie ein vornemer Mann in Skagafjörör eine Anzahl armer Leute zu fich berief, um fie treulofer Weife umbringen zu lalTen, und wie dann ein neube- kehrter Chrift, torvarör Spakböövarsson, diefelben gegen das Ver- fprechen, fich taufen zu lafTen, rettet und bis zum Ende der Hun- gersnoth verpflegt; fie berichtet aber fodann auch noch von einer Verfammlung, welche die hferaösmenn derfelben Gegend zur Be- rathung über den Nothftand abgehalten hätten, und in welcher zunächfl befchloflen worden fei, die alten und gebrechlichen Leute ihrem Schickfale zu überlafTen, und ihnen weder Kofi noch Wohnung zu gewähren, während hinterher einer der angefehenflen Häuptlinge der Gegend, Arnörr kerlfngamef, an einer zweiten Zufammenkunft die Zurückname diefes BefchlufTes, und die FaflTung eines neuen durchgefetzt habe, vermöge defTen alle überflüffigen Hunde und Laflthiere gefchlachtet, und dafür die jedem Einzelnen zur Ver- pflegung obliegenden Verwandten mit allen Mitteln erhalten werden foUten. Auch diefe Erzählung, welche trotz ihrer legendenhaften Einkleidung im Wefentlichen immerhin glaubhaft erfcheint, zeigt deutlich, dafs die Alimentation der Verwandten wenigftens bereits im Heidenthum auf der Infel als eine Rechtspflicht galt, und dafs es eines förmlichen BefchlufTes bedurfte, um deren Vertagung felbfl unter den fchwierigflen Umfländen flatthaft erfcheinen zu laffen;

1) FMS., II, cap. 225—6, S. 222—8; Flbk, I, S. 435—9; auf diefelbe Ilungersnoth bezieht fich wohl auch FMS., I, cap. 138, S. 272, und |)orvalds ji. vi'öförla, cap. 7, S. 46.

320 I)ic Gemeinde.

auch in diefem Falle wird ferner die befchliefsende Verfammlung, welche bald als samkoma, bald als fundr, bald als \>ing bezeichnet wird, nur als eine Gemeindeverfammlung aufgefafst werden dürfen. Freilich ift es im Grunde nur die verwandtfchaftliche Alimentations- pflicht, deren rechtliche Regelung durch die Stelle dire6l bezeugt ift, fowie die weitere Thatfache, dafs es als gemeinfame Angelegen- heit des Bezirks galt, deren Erfüllung zu überwachen; da Arnörr diejenigen, welche hiezu fchlechterdings nicht im Stande waren, nicht etwa auf die Gemeinde, fondern auf feine eigene, freiwillig angebotene Mildthätigkeit verweift, und auch in dem Falle der Vigaskiitu s. lediglich freiwillig übernommene Beifteuern in An- regung gebracht werden, wenn es gilt für die Verpflegung der Hülfsbedürftigen Mittel zu befchaffen, erfcheint fogar geradezu frag- lich, wieweit von einer geregelten gemeindlichen Armenverforgung dazumal die Rede gewefen fein könne. Indeflen ift doch ein der- artiges Bedenken nicht fchwerwiegend, da ja in beiden Fällen der aufsergewöhnliche Nothftand aufsergewöhnliche Mittel nöthig machen konnte, und einige anderweitige Zeugniffe dürften beftätigen, dafs die Armenpflege auf Island bereits in der heidnifchen Zeit im Grofsen und Ganzen wie in der fpäteren Zeit geordnet war. Zu der Zeit, da Guömundr riki zu Mööruvellir und fein Bruder Einarr zu t>verä wohnte, alfo etwa in den Jahren 992 1025, wurde zu Skörö in der Landfchaft Reykjahverfi einmal im Herbfte eine Zu- fammenkunft (fundr) gehalten, um über Armenpflege und andere Gemeindeangelegenheiten zu berathen^); die Zeit und Competenz der Verfammlung wird demnach ebenfo beftimmt, wie in den fpäteren Rechtsbüchern, und fogar der Name des hrepps wird bei diefer Gelegenheit bereits genannt. Nur wenig fpäter, und wie es fcheint kurz nach dem Tode Snorri goöi*s (1031), fehen wir im SvarfaCar- dale eine Klage wegen Bettelgangs angeftellt^), was doch ebenfalls wider den Befland der fpäteren Armenordnung vorausfetzt. Wider um ein paar Jahrzehnte fpäter ift von Beiträgen die Rede, welche die heraösmenn im Nordlande einem dürftigen Manne zum Unter- halte der Seinigen reichten, und von einer im Herbfte gehaltenen Verfammlung derfelben, auf welcher über die Verforgung der Armen

l)Lj66vetnfnga s., cap. 6, S. 17: ät tala um hreppaskil ok ömeg^ir manna.

2) Laxdsela, cap. 84, S. 350 (Bolla ^,).

Die Gemeinde. 321

verhandelt wurde 1); die eine der einfchlägigen Quellen bezeichnet deren Haltung ausdrücklich als altes Herkommen, und weift fomit immerhin auf eine beträchtlich frühere Zeit zurück als die erwähnte. Wenn nun zwar das Vorkommen geographifcher Bezeichnungen wie Gnüpverjahreppr, Kaldnesfngahreppr u. dgl. m. in der Land- näma, deflen oben bereits zu gedenken war 2), recht wohl auf ein Zurücktragen jüngerer Benennungen in eine ältere Zeit zurückge- führt werden mag, fo liegt doch kein Grund vor, auch in diefen anderen Stellen einen änlichen Anachronismus anzunemen, und dem Umftande, dafs eine zunächft bei Skälholt gelegene Gegend fpeciell den Namen der Hreppar zu tragen pflegt, möchte ich vollends gar kein Gewicht beilegen. Alt ift diefe Bezeichnung allerdings, da fchon die Sturlünga »alla Hreppa« in Gegenfatz bringt zu den Landfchaften Grfmsnes,. Ölfus und Flöi, und die Hreppamenn in Gegenfatz zu den Skeiöamenn und Biskupstüngnamenn 3) ; aber hieraus zu fchliefsen, dafs erft vom Bifchofftuhle aus die Eintheilung des Landes in hreppar fich verbreitet habe, fcheint denn doch uil- zuläfsig. An fich nicht auffälliger als das Vorkommen der Be- zeichnung Heraö für einen Bezirk am Lagarfljot, oder der Bezeich- nung Land für einen Bezirk an der jjjorsä, erklärt fich die Bezeich- nung Hreppar für den Gnüpverjahrepp und Hrunamannahrepp noch obendrein fehr einfach daraus, dafs beide Bezirke auch wohl als Eystri und Ytrihreppr unterfchieden wurden, und nicht wie die fämmtlichen umliegenden Gemeinden (Grfmsnes, Biskupstüngur, Skeiö, Flöi, Land, Holt, u. dgl. m.) einen landfchaftlichen Namen befafsen der des Wortes hreppr entbehren konnte; überdiefs fehlt aber jener Vermuthung auch fchon infoferne aller Halt, als der Bifchofftuhl zu Skälholt nicht einmal in den Hreppar in jenem engeren Sinne gelegen war, und innere Gründe dürften überdiefs jenen direften QuellenzeugnifTen über das höhere Alter der Ge- meindeverfaflung Islands fehr entfchieden zur Seite ftehen. Bei der Einführung des Zehnts auf Island wurde bekanntlich deffen Feft- ftellung und Vertheilung, fowie insbefondere auch die ganze Ver- waltung des Arfnenzehnts ausfchliefslich in die Hand des hrepps gelegt, im ftrengften Widerfpruche mit den Vorfchriften des ge-

1) Haralds s. harÖräba, cap. 103, S. 368; Morkinskinna, S. 97; Flbk, ra, S. 421.

2) Vgl. oben, S. 280.

3) Sturlünga, VI, cap. 33, S. 246, und cap. 34, S. 248. Maurer, Island. ^''

322 I^ie Verwandtfchaft.

meinen Kirchenrechtes, welches auch den Armenzehnt durchaus als eine kirchliche Laft auffafst und durch den Klerus venvalten läfst; vollkommen erklärlich unter der Voraüsfetzung, dafs der hreppr bereits längft befanden und für die Armenpflege gewirkt hatte, wäre diefe Anordnung doch geradezu unbegreiflich, wenn man in demfelben eine erft durch das Chriftenthum gefchafiene Einrichtung zu erkennen hätte. Zweitens aber kennt auch das norwegifche Recht eine vollkommen geregelte Armenpflege i). Auch nach ihm ift diefelbe zunächft auf die Verwandtfchaft gelegt, fowie allenfalls aus auf den Freigelaflenen und den Freilafler; aber auch eine Rundfuhrung von Armen vermöge einer Gemeindepflicht kommt vor, und wenn derfelben zwar erft in Gefetzen des dreizehnten Jahr- hunderts Erwähnung gefchieht2), fo tritt fie doch in diefen als eine althergebrachte, und ganz und gar nicht als eine neu eingeführte Laft auf. Auch in feiner Strenge gegen die Bettler fteht das alt- nordifche Recht dem isländifchen wenig nach, und wenn ich zwar das Beftehen von eigenen Armenpflegfchaftsgemeinden in Norwegen aus älteren Quellen nicht nachzuweifen vermag, fo dürfte doch das oben fchon in Bezug genommene Vorkommen der Bezeichnung iRepp« für die Communen gerade in abgelegenen Theilen von Nor- wegen darauf hindeuten, dafs Sache und Name fchon von hier aus nach Island mit hinübergenommen worden fei, und dafs wr nur die detaillirtere Ausbildung der isländifchen Gemeindeverfaffung der chriftlichen Zeit zuzufchreiben haben.

§ 10. Die Verwandtschaft.

Der älteften und fo zu Tagen vorftaatlichen Zeit angehörend, hat die verwandtfchaftliche Verbindung doch nicht nur die Wan- derzüge des nordgermanifchen Volkes überdauert, welche deflfen Niderlaflung auf der skandinavifchen Halbinfel vorhergiengen, fondem auch jene zweite Wanderung glücklich überftanden, welche Bruch- theile feines nördlichften Zweiges direft oder indireft von Norwegen aus nach Island hinüberführte. Auch nach der Ni^erlafTung erhielt fich diefelbe, obwohl mit der Nachbarfchaft und Gemeinde, dann mit dem Godorde fich kreuzend, ihre hohe Bedeutung, und vom

1) Vgl. Fr. Brandt, Brudstykker af Forelnesninger over den norske Rets- historie, S. 179—85.

2) Vgl. oben, .S. 291, Anm. 1.

Die Verwandtfchaft. 323

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Staate mufste fie anerkannt und geachtet werden, obwohl fie fich demfelben oft genug unbequem machte. Ein Blick auf ihre Orga- nifation und Wirkfamkeit ift demnach fchlechterdings nöthig, wenn eine allfeitige Ueberficht über die im öffentlichen Leben der Infel wirkfamen Mächte gewonnen werden foll i).

Als ätt oder aett wird die Verwandtfchaft als Gefammtheit bezeichnet, oder auch in zufammengefetzter Form als a^ttbälkr (aittarbälkr), aettbogi (ättbogi), aettbarmr; derfelbe Ausdruck be- zeichnet auch die Himmelsrichtungen, in welche der Horizont ein- getheilt wird, und ift der nordifchen Sprache ausfchliefslich eigen. Gleichbedeutend wird auch das, in allen germanifchen Sprachen widerkehrende, Wort kyn gebraucht, welches freilich wie unfer »Gefchlecht« für »genus«, dann für »sexus«, ebenfogut ftehen kann wie für »gens«. Für den einzelnen Verwandten gilt die Bezeich- nung fraendi (fraendkona), aus welcher fich wider fraendsemi als Bezeichnung des Zuftandes des Verwandtfeins, dann die Zufammen- fetzungen fraendbälkr, fraendgarör, fraendaliö, u. dgl. m. als Bezeich- nung der Gefammtheit der Verwandten ableiten. Urfprünglich eine Participialform des nahezu obfoleten Zeitwortes frjä, d. h. lieben, bezeichet das Wort zunächft den Liebenden im Gegenfatze zum fjändi, d. h. Hafferiden; die Geltung des Wortes für Verwandte ift übrigens keineswegs eine fpecififch nordifche, wie man annemen wollte 2), fondem auch den übrigen Dialekten eigen, nur dafs diefe die urfprüngliche Bedeutung »amicus« gleichzeitig feftgehalten haben. Dagegen geht das Wort mägr in der nordifchen Rechtsfprache ftets nur auf die Verfchwägerung, nicht auf die Blutsfreundfchaft wie das hd. Mage oder ags. maeg; dafs goth. megs für »Eidam« fteht, dürfte vielleicht auf ein höheres Alter des nordifchen Sprach- gebrauches fchliefsen laffen, und jedenfalls darf aus mögr, d. h. Sohn, kein gegentheiliger Schlufs abgeleitet werden, da diefes Wort, dem goth. magus, d. h. jiaig entfprechend, zufolge feines kurzen Vocales abliegt. Auch das Wort sifjar bezeichnet in der nordifchen Sprache die Schwägerfchaft, nicht wie unfer >Sibbe« oder ags. sib die Verv^-andtfcKaft ; aber freilich läfst goth. sibja, d. h. Verwandt-

1) Vgl. Vilhjälmr Finsen, Fremslilling af den islandske Familieret efler Orägäs, in den Annaler for nordisk Oldkyndighed og Hiftorie, 1849, S. 150 331, und 1850, S. 121—272. Bezüglich des Details verweife ich ein- für allemal auf diefe vortreffliche Arbeit.

2) Vgl. Guöbrand Vigfüsson, h. v.

21*

324 ^»« Verwandtfchaft.

fchaft, in diefem Falle umgekehrt auf das höhere Alter des deutfchen Sprachgebrauches fchliefsen, welcher denn auch der Grundbe- deutung des Wortes, » Frieden c, mehr entfpricht, und durch Zu- fammenfetzungen wie guösifjar, büsifjar felbft fiir- die nordifche Sprache eine weitere Beftätigung erhält. Weiter greift dagegen der Ausdruck tengöir, deflen Geltung freilich keine ganz gleich- förmige ift. Das Zeitwort tengja, von welchem derfelbe fich ab- leitet, bedeutet > verbinden«, und von hier aus mögen Redensarten wie: at tengjast viö mann^), oder: binda tengöir viö mann 2), recht wohl die Eingehung einer Verfchwägerung mit Jemanden bezeichnen; fo kommt denn auch der Ausdruck tengöir felbft oft genug in diefem Sinne gebraucht vor 3), Zufammenfetzungen wie tengöafaöir, tengöamööir u. dgl. kommen immer nur in diefer engeren Bedeutung vor, und nur in diefem Sinne wird es denn auch zu verftehen fein, wenn hin und wider »fraendr ok tengöamenn« neben einander ge- nannt, und fomit fich gegenübergeftellt werden*). Aber an anderen Stellen fteht das Wort doch augenfcheinlich in einem weiteren Sinne gebraucht, neben den Verfchwägerten auch noch die Blutsfreundc in fich begreifend. Wenn z. B. Geirriör von MäfahUö zugleich ihren Bruder Arnkel und ihren Schwiegerfohn Vermund mjöfi als ihre tengöamenn bezeichnet 5), oder wenn ein andermal einer Partheiung gegenüber »margir göögjarnir menn Jieir er voru tengöamenn hvära- tveggja« fich in's Mittel legen 6), fo mag dabei zweifelhaft bleiben, ob unter der Bezeichnung aufser den Verfchwägerten und Blutsver- wandten nicht etwa auch noch andere Leute verftanden fein- könnten, die mit den betreffenden Perfonen in irgendwelchen Beziehungen ftanden, auf die Verfchwägerten aber diefe zu befchränken ift jeden- falls unmöglich, und in den Rechtsquellen vollends begreift der Ausdruck zweifellos neben der Schwägerfchaft nicht nur die Bluts- freundfchaft, fondern auch noch die Gevatterfchaft, fowie die durch ein Pflegeverhältnifs begründete Verbindung in fich. Unter den-

1) Vatnsdaela, cap. 27, S. 44.

2) Eyrbyggja, cap. 1, S. 4.

3) Z. B. ebenda, cap. 28, S. 49, und cap. 87, S. 65; Laxdsela, cap. 24. S. 98; Njdla, cap. 117, S. 177, u. dgl. m.

4) Heiöarvfga s., cap. 16, S. 825; Eigla, cap. 8, S. 14; Laxdwia, cap. 26, S. 104; Olafs s. Tryggvasonar, cap. 99 (FMS., I, S. 203).

5) Eyrbyggja, cap. 19, S. 26.

6) Ebenda, cap. 46, S. 88—89.

Die Verwandtfchaft. 325

jenigen, welche »rettir at tengöum«, »röttir at tengöum i kviö« u. dgl. find 1), werden ftets Leute verftanden, welche mit Rückficht auf ihre perfönlichen Beziehungen zu den ftreitenden Theilen in einer Klagfache als Gefchworene u. dgl. verwendbar find ohne einer Recufation ausgefetzt zu fein, und nicht feiten werden denfelben diejenigen zur Seite geftellt, welche »rettir at leiöarlengö« find, d. h. welche mit Rückficht auf die Entfernung ihres Wohnortes von einem beftimmten anderen Orte zum Gefchworenendienfte befähigt find 2). In änlichem umfaflendem Sinne wird ferner auch das Wort he y rar gebraucht. Immer nur im Dativ pluralis vorkommend, und in der verfchiedenften Weife gefchrieben (haerom, hreyrom, hörum, herum, heyrom, hrörum), hat fich daflelbe bisher noch nicht mit Sicherheit etymologifch erklären laflen^); jedenfalls aber ift diefer Ausdruck fowohl wie der unmittelbar vorhergehende aus- fchliefslich der isländifchen Rechtsfprache eigen*), wogegen beide der norwegifchen fehlen. Allgemein verbreitet, aber auch ohne beftimmtere juriftifche Geltung find dagegen wider die Ausdrücke skuldleikr, skuldleiki, welche lediglich auf die innerhalb der Verwandtfchaft beftehenden gegenfeitigen Verpflichtungen hinweifen ; die Ableitung skuldingi wird für den einzelnen Verwandten ge- braucht. Auf Bezeichnungen, welche nicht für die Verwandtfchaft im Allgemeinen, fondern nur für beftimmte Arten oder Grade der Verwandtfchaft verwendet werden, ziehe ich vor, erft fpäter ge- legentlich einzugehen.

Die Organifation der Verwandtfchaft ift im isländifchen Rechte eine fehr complicirte, und wird, um über diefelbe in's Klare zu kommen, zunächft die Feftftellung- der Art nothwendig, wie die Nordleute die Verwandfchaftsnähe berechneten, und damit im Zu- fammenhange der Nachweis der für die Verwandtfchaft etwa bcr ftehenden Grenze; nothwendig wird aber fodann auch die Erörterung

1) Z. B. Kgsbk, § 87, S. 152; § 89, S. 158; § 127, S. 250; Vigslööi, cap. 18, S. 28; cap. 22, S. 38—9; Arfa J»., cap. 7, S. 190—1.

2) Kgsbk, § 86, S. 160; § 87, S. 150; VfgslöÖi, cap. 16, S. 24, und öfter.

3) Vgl. J>örÖr Sveinbjarnarson, Gloss. Gräg., h. v.; Vilhjälmr Finsen, Annaler, 1849, S. 281; Fritzner, Nachtrag, S. 842; Guöbrandr Vigfdsson, s. V. heyrum. ,

4) Vgl. Kgsbk, § 35, S. 62; § 101, S, 177—8; § 166, S. 68; § 176, S. 85; §218, S. 134; VfgsIöM, cap. 52, S. 93, u. cap, 104, S. 146; Landabrb., cap. 71, S. 389.

326 I^ie Verwandtfchaft.

der engeren Gruppen, welche fich etwa innerhalb der Verwandt- fchaft gegenüberftehcn, möge es fich nun dabei um den Gegcnfatz des Mannsftammes und Weibsftammes, oder um die Unterfcheidung näherer und entfernterer Verwandter, oder um Beides zugleich handeln; ferner die Unterfuchung der eigenthümlichen Stellung, welche einer- feits den Weibern und andererfeits den unehelich Geborenen der Verwandtfchaft gegenüber zukommt; endlich aber auch die Be- trachtung gewiffer der Verwandtfchaft änlicher und ihr fich an- reihender Verhältniffe, wie die Schwägerfchaft, die Gevatterfchaft und das durch die Pflegfchaft entftehende Verhältnifs. Ohne auf die ganze Fülle des Details, fowie die ziemlich verwickelte Beweisführung eintreten zu wollen, will jch verfuchen die Ergebnifle meiner ein- fchlägigen Studien in möglichft knappem Rahmen vorzuführen. Individuelle technifche Bezeichnungen kennt die isländifch-norwegifche Rechtsfprache nur für den erften Grad der Verwandtfchaft in der auflleigenden, abfteigenden und Seitenlinie, und zwar find diefe Be- zeichnungen die allen Germanen gemeinfamen : faöir und mööir, sonr und döttir, brööir und systir, wozu dann noch, der nordifchen Sprache ausfchliefslich eigen, die zufammenfaflenden Bezeichnungen feögin, systkin für Aeltern, dann Gefchwifter verfchiedenen Ge- fchlechts, fowie feögar, maeögur für Vater und Sohn, dann Mutter und Tochter, endlich maeögin für Mutter und Sohn, hinzu- kommen. Ueber den erften Grad hinaus findet fich allenfalls noch die Bezeichnung afi und amma fiir den Grofsvater und die Grofs- mutter, dann äi und edda fiir den Urgrofsvater und die Urgrofs- mutter gebraucht; aber die Rechtsfprache verwendet folche nicht oder doch nur fehr feiten i), während fie regelmäfsig mit Zufammen- fetzungen wie fööurfaMr und foöurmööir, mööurfaöir und mööurmööir fich behilft; für den Enkel haben die nordifchen Sprachen über- haupt keine einfache Bezeichnung, und ebenfo kennen fie in der Seitenlinie nur noch die abgeleiteten Ausdrücke braeörüngar, systrüngar, und systkinabörn, woneben vereinzelt noch die Bezeichnung systlfn gar vorkommt 2), fiir Gefchwifterkinder. Ueber

1) Vgl. z. B. G1>L., i 270: er afi hefir afa leift.

2) G^L., J 224 6. Da der systlingr hier vom systursoör fowohl als systrdiigr unterfchieden wird, kann ich ihn weder mit Eirfkjönsson als den Sohn einer Halbfchwefler, noch mit Fritzner und Mob ins als einen syslrüng anfehen, fondern nur als einen systkinason, obwohl auch Gu5brandr Vigfüsson nur zwifchen den erfteren beiden Bedeutungen fch wankt.

Die Verwandtfcliaft. 327

die Gefchwifterkinder hinaus kennt fodann das isländifche Recht noch die abgeleiteten Ausdrücke naesta braeöra, annarra braeöra, l»riöja braeöra für den dritten, vierten und fünften gleichen Grad kanonifcher Computation, während die entfprechenden ungleichen Grade durch Ausdrücke wie »manni nänari enn naesta braeöra«, »manni ürnari enn naesta braeöra« u. dgl. bezeichnet werden. Vil- hjälmr Finsen hat bereits darauf aufmerkfam gemacht l), dafs jene Ausdrücke in ihrer genitivifchen Form offenbar elliptifch find, und voll zu lauten hätten: naesta braeöra börn, u. f. w., fodafs alfo die brseöningar oder Gefchwifterkinder als naestir braeör, d. h. nächfte Brüder bezeichnet zu denken find, die Nachgefchwifterkinder als aörir braeör, zweite Brüder, endlich deren Kinder als tnöju braeör, d. h. dritte Brüder; aus diefer Beobachtung ergiebt fich aber fofort eine Reihe fehr bedeutfamer Folgerungen. Klar ift nämlich zunachft, dafs, ihre Richtigkeit vorausgefetzt, der Ausdruck Bruder urfprüng- lich nicht auf den erften Grad der Seitenyerwandtfchaft befchränkt gewefen fein konnte, vielmehr zugleich auch auf alle anderen gleichen Grade innerhalb derfelben fich erftrecken mufste, wie diefs bezüglich einzelner afiatifcher fowohl als amerikanifcher Völkerfchaften nach- gewiefen worden ift 2). Klar ift aber auch, dafs man auf Island, ganz ebenfo wie diefs unfer Sachfenfpiegel thut, die Gefchwifter noch nicht in die Sibbezahl mit eingerechnet haben kann, was denn auch durch die ausdrückliche Vorfchrift beftätigt wird, dafs die Gefchlechtsreihen immer erft von den Gefchwiftern ab gezählt werden follenS). Endlich ift auch klar, dafs man den fünften gleichen Grad als die Grenze aller Vcrwandtfchaft betrachtete, da man fiir über ihn hinausgehende Verwandtfchaftsgrade keinerlei technifche Bezeich- nungen mehr kannte, und auch diefe Confequenz wird theils aus- drücklich in den Quellen bezeugt*), theils wenigftens dadurch ficher geftellt, dafs fowohl die Theilname am Wergeide 5), als auch, nach älterem Rechte, die verwandtfchaftliche Alimentationspflicht 6) hier ihre Grenze findet, dafs ferner bei einem auf Island getödteten oder

1) Annaler, 1849, S. 281—3.

2) Vgl. Pefchel, Völkerkunde, S. 239—40.

3) Kgsbk, i 2B, S. 46—7, ? 118, S. 220, und ^ 147, S. 38; Arfa Ji., cap. 1, S. 171; Ömagab., cap. 7, S. 253—4; Festa J»., cap. 10, S. 320.

4) Omagab., cap. 7, S. 246.

6) Kgsbk, g 113, S. 194; vgl. § 80, S. 136. 6) Ebenda, g 148, S. 25—6.

328 I^Je Verwandtfchaft.

verdorbenen Fremden nordgermanifcher Abkunft gleichfalls wider der fünfte gleiche Grad für die Erbberechtigung fowohl 1) als für die Theilname am Wergeide 2) die Grenze zieht, während doch für die Norweger wenigftens ausdrücklich das Princip der Gleichftellung mit den Isländern gefetzlich aufgeftellt war 3). Wieweit freilich diefe Struftur der Verwandtfchaft eine bereits von Norwegen aus über- kommene, oder aber eine erft auf Island felbft entwickelte fei, ift fchwer zu fagen. In den uns erhaltenen norwegifchen Rechtsquellcn fehen wir nämlich anflatt der isländifch-nationalen Bezeichnungen der entfernteren Verwandtfchaftsgrade die Ausdrücke t)rimenningar und fjörmennfngar, dann at fimta manni und at s^tta manni, für den dritten und vierten, dann für den fünften und fechflen gleichen Grad kanonifcher Computation gebraucht, während die zwifchen diefen gleichen Graden in Mitte liegenden ungleichen durch at t>riöja ok fjöröa, at fjöröa ok fimta, u. dgl. bezeichnet werden, Ausdrücke alfo, welche zweifellos dem Kirchenrechte entlehnt find, und welche auch in den isländifchen Rechtsbüchern hin und wider an Stellen fich verwendet zeigen, die kirchenrechtlichcr Natur find 4), oder auch in isländifchen Gefchichtswerken von fpäteren Bearbeitern an Stellen verwendet werden, an welchen ältere Be- arbeitungen noch die nationalen Bezeichnungen habend); von einer älteren Berechnung der Verwandtfchaft nach Km'een, welche erfl jenfeits der Gefchwifler angefangen, und fomit mit der Berechnungs- weife des isländifchen Rechtes infoweit fich gleichartig verhalten zu haben fcheint, finden wir dagegen nur dunkele Spuren erhalten, und ebenfo läfst fich kaum mit voller Sicherheit beflimmen, wieweit das altnorwegifche Recht auch feinerfeits eine beftimmte Verwandt- fchaftsgrenze* gekannt habe. Immerhin aber dürfte die gröfsere Wahrfcheinlichkeit für ein fehr hohes Alter der isländifchen Art, die Verwandtfchaft zu berechnen und zu bezeichnen fprechen, wo- gegen allerdings zweifelhafter erfcheint, ob nicht die Verwandt- fchaftsgrenze in der älteflen Zeit anders, oder wenigftens in Bezug auf einen Theil der Wirkungen anders gezogen gewefen fein möge

1) Ebenda, § 120, S. 229, vgl. § 249, S. 198; Arfa J». cap. 6, S. 188.

2) Kgsbk, i 97, S. 172, und 173—4; Vfgslööi, cap. 87, S. 71—2, und 76. 8) Kgsbk, i 247, S. 195.

4) Kgsbk, § 18, S. 87, und Festa {»., cap. 3, S. 308—9, u. dgl. m.

5) Vgl. z. B. Kristni s., cap. 6, S. 10—11 mit der Olafs ». Tryggva- sonar, cap. 142, S. 285 (FMS.,.I), und Flbk, I, S. 287.

Die Verwandtfchaft. 329

als im fpäteren isländifchen Rechte. Hier darf jedenfalls von diefer Frage fowohl als von der anderen, wie fich das isländifche Recht in der Lehre von den Eheverboten wegen Verwandtfchaft mit dem kanonifchen Rechte auseinandergefetzt habe, völlig abgefehen werden. Unter den Gruppen, welche fich innerhalb der Verwandtfchaft unterfcheiden laflcn, tritt zunächft diejenige hervor, deren Angehörige als die bezeichnet werden »er taldir heita til arfs i lögumd), nämlich ein engfter Kreis der nächften Verwandten, bezüglich deren der Grundfatz gilt, »at t>ar raeör eigi fraendsemi«, d. h. deren Reihen- folge fich nicht nach den fonft üblichen Regeln beftimmt, und darum im Gefetze durch befondere Aufzählung beftimmt werden mufs. Es umfafst die Bezeichnung aber nur die Verwandten des erften Grades in der auflleigenden, abfteigenden und Seitenlinie, alfo genau die- felben, für welche das isländifche Recht individuelle Bezeichnungen kennt, und auf welche es feine eigenthümliche Gradberechnung noch keine Anwendung finden läfst; die befondere Stellung ferner, welche den fo bezeichneten Verwandten eingeräumt wird, befchränkt fich nicht etwa auf das Erbrecht, fondern fie widerholt fich auch auf allen anderen Gebieten, auf welchen fich überhaupt die Gliederung der Verwandtfchaft wirkfam zeigt. Im Armenrechte gilt die Regel, dafs man fiir den Unterhalt der Aeltern, Kinder und Gefchwifter mit allen Mitteln und fogar mit der eigenen Hände Arbeit einftehen mufs^), ohne fich von diefer Verpflichtung jemals durch Eingehung eines Verpfründungsvertrages losmachen zu können 3), wogegen man für entferntere Verwandte nur dann aufzukommen hat, wenn man ein beftimmtes Mafs von Vermögen befitzt, und durch einen vor Anfall der Alimentationspflicht eingegangenen Verpfründungsvertrag von aller Haftung frei wird. Allerdings trifft jene ftrengere Ali- mentationspflicht auch den nächften Erben feinem präfumptiven Erblaffer gegenüber ohne alle Rückficht auf die Nähe der Verwandt- fchaft, und fie trifft andererfeits die unächt geborenen Kinder und Gefchwifter als folche nicht, obwohl fie »taldir til arfs i lögumc find*); allein jener erftere Umftand thut der Eigenthümlichkeit der Behandlung des engeren Verwandtenkreifes keinen Abbruch, und

1) Arfa f., cap. 1, S. 172; in derKgsbk, § 118, S. 220 nur als Referenz.

2) Ömagab., cap. 1, S. 234, und cap. 29, S. 288, Kgsbk, § US, S. 23. Vgl. übrigens oben S. 281—2.

8) Ömagab., cap. 1, S. 232; Kgsbk, f 128, S. 8.

4) Ömagab., cap. 29, S. 288; Cod. AM. 316, B. fol., ^ 1, S. 227.

330 Die Verwandtfchaft.

der letztere hängt lediglich damit zufamnien, dafs die Stellung, der unächtcn Geburt nur fehr allmälich, und darum auch nicht aller- wärts gleichmäfsig und gleichzeitig regulirt wurde. Bei der Alters- vormundfchaft femer galt das Recht der Aeltern, dann des Bruders von der Vaterfeite her, als ein unentziehbares, während entfernteren Verwandten gegenüber ein Einftandsrecht (undanboö) galt l) ; bei der Gefchlechtsvormundfchaft, wie fich folche im Verlobungsrechte aus- fpricht, kommen nach unferem älteren Rechtsbuche wider die Ver- wandten des erften Grades namentlich aufgezählt in Betracht, foweit fie ächter Geburt find 2), nach anderen Hss. auch noch die unächt Geborenen gleichen Grades 3), wogegen freilich das jüngere Rechts- buch auch noch die Grofseltern und Enkel, fowie die Oheime und Neffen hinter den unächt Geborenen einfchiebt, ehe es auf den »nänasti niörc, d. h. die nächften Verwandten verweift^), letzteres freilich eine durchaus unorganifche Erweiterung, die fich wohl eher aus einem Mifsverftändniffe als aus einer fpäteren Aenderung des Rechtes erklären dürfte. Die Aufzählung ferner der Weiber »j)acr er maCr ä vfgt um«, d. h. wegen deren gefchlechtlicher Verletzung man blutige Rache nemen darf, berückfichtigt ebenfalls nur den erften Grad der Verwandtfchaft, welchem nur felbftverftändlich die Ehe- frau gleichgeftellt wird 5); bezüglich des Klagerechts bei Fleifches- vergehen (der legorössaka aöild) aber zählt eine, allerdings jüngere, Hs. genau diefelben Perfonen, welche taldir til arfs ( lögum find, in genau derfelben Ordnung, in welcher fie fich im Erbrechte folgen, auf, ehe fie den nänasti niör beruft 6), wogegen die Staöarhökbök die unächt geborenen Brüder und Schwertern 7), die Konungsbok aber nicht nur alle unächt Geborenen, fondern auch die acht ge- borenen Schwertern wegläfst^), letzteres wenigrtens doch wohl nur in Folge eines Schreibverrtofses. Beim Geben oder Nemen von Wergeid ferner find lediglich Vater, Sohn und Bruder zur Haupt- zahlung (höfuöbaugr) berufen 9), und bei der Berufung zur Blutklage

1) Kgsbk, i 122, S. 280 und 283; Arfa f., cap. 9, S. 192, und 196.

2) Kgsbk, ; 144, S. 29.

8) Cod. AM. 315, B. fol., J 1, S. 227; Belgsdalsbök, } 48, S. 240.

4) Kesta J)., cap. 1, S. 305—6.

5) Kgsbk, i 90, S. 164; Vfgslööi, cap. 31, S. 60.

6) Belgsdalsbök, i 51, S. 242.

7) Festa {!., cap 26, S. 339.

8) Kgsbk, g 156, S. 48.

9) Ebenda, § 113, S. 193.

Die Verwandtfchafl. 331

(vigsakaraöild) werden widerum fie zunächd allein genannt, dann befonders abgefetzt der unächt geborene Sohn und Bruder, oder auch der erftere allein erwähnt, und fchliefslich wird in letzter Linie auf den »nänasti niör« verwiefeni). Endlich mag auch noch erwähnt werden, dafs Vater und , Sohn, dann zwei Brüder, beim Ablegen eines Zeugniffes fiir eine einzige Perfon gelten, und dafs diefelben Verwandten einer Parthei zubi LadungszeugnifTe (stefnuvactti), und vielleicht überhaupt zum Zeugniffe nicht ver- wendet werden dürfen^), wogegen freilich bei gewiffen Arten des Zeugniffes ebenfo wie beim Gefchwornendienfte die Unfähigkeit ungleich weiter, nämlich bis zum dritten gleichen Grade einfchliefs- lich reichte 3). Man fieht, die Befonderheiten. welche fich bezüglich der Ausfcheidung des erften Verwandtfchaftsgrades von der gailzen entfernteren Verwandtfchafl ergeben, betreffen lediglich die ver- fchiedene Stellung, welche einerfeits der unächten Geburt und andererfeits den Weibern, dann in einzelnen Fällen auch der mütter- lichen Verwandtfchaft eingeräumt wird, einen Punkt alfo, welcher theils der Natur der Sache nach auf verfchiedenen Gebieten ver- fchieden geregelt werden mufste, theils aber in den nordifchen Rechten nachweisbar im Verlaufe der Zeiten fehr verfchiedene Wandelungen durchgemacht hat, welche natürlich nicht auf allen Gebieten des verwandtfchaftlichen Rechtes gleichzeitig durchgeführt werden konnten. Schon diefes Hinaufreichen der Abtrennung des engeren Verwandtenkreifes von dem weiteren in eine Zeit, welche die unächte Geburt fowohl als die Weiber im Rechte noch nahezu unberückfichtigt gelaffen hatte, dann aber auch das Vorkommen der Bezeichnung »tölumenn« oder »er talder ero« im norwegifchen Rechte, wenn auch in einer wefentlich anderen, und augenfchein- lich erft fpäteren Bedeutung 4), weift auf ein fehr hohes Alter der Unterfcheidung hin; man wird unbedenklich an jene. Gütergemein- fchaft erinnern dürfen, welche nach altdänifchem Rechte zwifchen Aeltern und Kindern, dann zwifchen Gefchwiftern beftand, und deren Ausdehnung auf Grofsältem und Enkel doch wohl nur

1) Ebenda, g 94, S. 167—8; VfgslöÖi, cap. 85, S. 66—7; Belgsdals- bök, ? 56, S. 244.

2) Kgsbk, § 77, S. 126—7.

8) So beim benjavaetti, Kgsbk, ? 87, S. 152; VfgslöÖi, cap. 18, s. 28; dann beim siravaetti, ebenda, cap. 19, S. 80. 4) Gt»L., i 104 und 105.

332 Die Verwandtfchaft.

fpäteren Rechtes, oder auch lediglich localc Uebung gewefen fein mag, und hierauf die Vermuthung begründen, dafs auch dem norwegifchen Rechte eine derartige Gemeinfchaft urfprünglich be- kannt gewefen fei, welche dann einen vollkommen genügenden Erklärungsgrund für jene eigenthümliche Behandlung des erften Verwandtfchaftsgrades abgeben würde. Dafs fich in fchwedifchen Rechten noch Spurfen der gleichen Gemeinfchaft nachweifen laflen, ja dafs eine folche allen germanifchen Stämmen, ja vielleicht fogar allen Völkern arifcher Abkunft urfprünglich ganz gleichmäfsig bekannt gewefen fei, ift eine Thatfache, welche zu erörtern weit über das Bereich diefer Schrift hinausfällt, welche jedoch bereits in nächfler Zeit durch ein Werk eines angehenden CoUegen in ein helleres Licht gerückt werden wirdi). Einen zweiten Gegenfatz innerhalb der Verwandtfchaft bezeichnen die Ausdrücke bauggildi und nefgildi, bauggildismenn und nefgildismenn, oder auch bauggildingar und nefgildfngar, Ausdrücke, welche ihre Erklärung in eigenthümlichen Satzungen des Wergeldwefens finden, und welche im isländifchen Rechte wenigflens auch nur in Bezug auf diefes von Bedeutung find. Der alte Gebrauch, mit metallenen Ringen ftatt mit gemünztem Gelde zu bezahlen, liefs die Bezeich- nung baugar, d. h. Ringe, für beftimmte legale Bufslatze auf- kommen, und insbefondere tragen diefen Namen gewifie Haupt- beträge der Wergeldszahlungen, wefshalb denn auch die Wergelds- tafel felbfl als baugatal bezeichnet wurde 2). Das isländifche Recht kennt 4 baugar, zu 3, 2^/2, 2 und 1I/2 Mark, und zwar fallt der erfte activ wie passiv dem Vater, Sohn und Bruder zu, der zweite den Grofsvätern und Enkeln, der dritte den Oheimen und Neffen, der vierte aber den Gefchwifterkindern. Nur Männer nemen und geben dabei Wergeid, mit Ausname eines einzigen Falles; die Tochter nämlich, welche ihres Vaters einziges Kind und zugleich noch ledigen Standes ift, foU Wergeid nemen, wenn diefer ihr Vater erfchlagen wird, und Wergeid zahlen, wenn derfelbe einen Todtfchlag begeht, wefshalb fie denn auch als baugrygr, d. h. Ringweib, bezeichnet wird. Dagegen nimmt an den Ringen der

1) Vgl. Dr. KarlvonAmira, Die Erbenfolge und Verwand tfchaftsglicdernng nach den altniderdeutfchen Rechten (München, 1874).

2) Kgsbk, § 113, S. 193—204 wird diefelbe mitgetheilt, im VIgsloti, cap. 32, S. 63 aber wenigftens in Bezug genommen.

Die Verwandtfchaft. 333

Weibsftamm neben dem Mannsftamme Antheil, nur freilich in ungleichem Verhältniffe, nämlich fo dafs der Mannsftamm mit 3/j, der Weibsftamm dagegen, gleiche Gradesnähe vorausgefetzt, mit 2^5 an der Zahlung betheiligt ift; als bauggildi wird dabei die erftere, als nefgildi dagegen die zweite Summe bezeichnet, und derfelbe Ausdruck fofort auch auf die zahlpflichtigen, beziehungs- weife empfangsberechtigten Verwandten ausgedehnt. Schon aus fprachlichen Gründen ift klar, dafs diefe Geftaltung des gegen- feitigen Verhältnifles beider Verwandtfchaftsgruppen nicht die ur- fprüngliche fein kann, foferne das bauggildi an und für fich mit der Gefammtheit der baugar, oder anders gefafst mit der Gefammtheit aller baugbaetendir und baug^iggjendir zufammenfallen, und nicht einen blofen Theil jener erfteren oder diefer letzteren bezeichnen mufste; die Vergleichung der norwegifchen Rechte fteht aber diefer Folgerung ganz entfchieden beftätigend zur Seite. Sie zeigt zunächft, dafs in Norwegen das bei der Conftruirung der Wergeldstafeln beobachtete Syftem im Verlaufe der Zeit mehrfache, durchgreifende Veränder- ungen erlitten hat, foferne einer älteren Wergeldstafel, von welcher ein Membranfragment der Frosta|)fngslög Ueberrefte aufbewahrt hat, eine neuere gegenüberfteht, welche in dem Codex Resenianus zu finden iftl), und in den Gulabfngslög unmittelbar auf einander folgend ebenfalls zwei verfchiedene Wergeldstafeln eingeftellt find 2), während eine dritte am Schlufle der Hs. angehängt ift, welche Bjarni Maröarsson zu Anfang des 13. Jahrhunderts, wie es fcheint für das gefammte Reich, ausarbeitete. Die beiden Wergeldstafeln der Gt>L. fetzen 3 baugar an, nämlich einen höfuöbaugr, an welchem Vater und Sohn Theil haben, einen broöorbaugr für die Brüder, und einen braeörüngsbaugr fiir die Gefchwifterkinder; die ältere Wergeldstafel der Frt>L. dagegen kennt 4 baugar, von denen, foviel fich erkennen läfst, die erften beiden ebenfo vertheilt find wie nach den Gl>L., während die Vertheilungsart der beiden letzten nicht erhellt, und die jüngere Wergeldstafel zwar noch den Gegenfatz der baugar zu den übrigen Wergeldszahlungen fefthält, aber doch innerhalb der Nachgefchwifterkinder, bis zu welchen fie die erfteren

1) Vgl. Frt>L., VI, mit Norges ganile Love, Bd. II, S. 520—1.

2) G^L. , ^ 218—37, und J 243—52. Zu der von P. A. Munch und Fr-. Brandt vorgefchlagenen weiteren Zerlegung der erfteren Tafel in zwei, deren letztere mit § 224 anfienge, fehe ich keinen Grund ab.

334 I^ie Verwandtfchaft.

reichen läfst, die Vertheilung nicht mehr auf die ftrenge Sonderung der verfchiedenen baugar gebaut zeigt, die Wergeldstafel Bjami's aber den Begriff der baugar völlig fallen läfst. Die fämmtlichen 4 älteren Wergeldstafeln laffen ferner auch ihrerfeits nur Männer an den baugar Theil nemen, mit eng begrenzten Ausnamen; als baugrygr tritt nämlich nach dem Fr|>L. die Tochter ein, die ihres Vaters einziges Kind, und ledigen Standes geblieben ift, während die Gt>L. aufser der Tochter auch noch die Schwerter zulaflen, ohne bezüglich beider weiterer Vorausfetzungen ihrer Berechtigung zu gedenken ^). Aber alle 4 laffen fie an den baugar nur den Mannsftamm betheiligt erfcheinen ; den Weibsftamm dagegen läfst die jüngere Wergeldstafel der Fr{)L. als nefgildi folgen, und zwar als mikla nefgildi bis zum zweiten gleichen Grade, und als litla nefgildi bis zum dritten gleichen Grade einfchliefslich, auch hier wider nur das männliche Gefchlecht berückfichtigend. Da die ältere dröntifche Tafel auch von nefgildi, nefgildismenn und einer nefgildisböt weifs, läfst fich wohl ^nnemen, dafs fie bereits demfelben Syfteme folgte, wenn fich diefs auch zufolge des fchlimmen Zuftandes des Fragmentes nicht klar erkennen läfst, und das Gleiche wird wohl auch von den Gl>L. angenommen werden muffen, obwohl deren beide Wergeldstafeln jenfeits der baugar nur von sakir und von uppnämamenn fprechen, unter welche fie noch überdiefs neben dem Weibsftamme auch mancherlei Verwandte des Mannsftammes einmifchen, jedoch den dritten gleichen Grad nicht überfchreitend ; da nämlich auch die Gt>L. anderwärts den Gegenfatz der bauggildismenn und nefgildismenn kennen, und die Beftimmungen ihrer Wergeldstafeln aus der Zerfetzung eines älteren Syftemes fich hervorgegangen zeigen, deffen fchliefslichen Untergang die Arbeit Bjarni*s vollendet hat, läfst fich doch wohl als ficher betrachten, dafs diefes ältere Syftem das der Frl>L., oder doch ein diefem fehr verwandtes gewefen fein werde. Nach allem dem ift klar, dafs die Ausdrücke bauggildi und nefgildi nicht etwa, wie die neueren Lexikographen und fogar einige neuere Hiftoriker und Juriften annemen^), fchlechthin den Mannsftamm und Weibsftamm bezeichnen, fondern nur den Mannsftamm und

. 1) Gl»L., i 275; Frt>L., VI, g 4.

2) G^L., § 37, i 135, g 266, J 274.

3) Keyser, Rechtsgefchichte, S. 301—2; Miinch, II, S. 969—70; Fr. Brandt, Forelaesninger, S. 11.

Die VerwancUfchaft. 335

Weibsftamm innerhalb einer gewiflen Gradesnähe, wie denn ein nor- wegifches Rechtsbuch diefs ganz unzweideutig hervorhebt i) ; das isländifche Recht fetzt dabei die Grenze auf den zweiten gleichen Grad, das Recht von Drontheim auf den dritten, das Recht des Gulat>fnges aber wie es fcheint wider auf den zweiten. Als eine blofe, übrigens leicht erklärliche, Ungenauigkeit im Ausdrucke mufs es demnach bezeichnet werden, wenn die jüngere Wergeldstafel der Frl»L. jene Beziehungen gelegentlich auch für den Mannsftamm und Weibsftamm in den entfernteren Graden der Verwandtfchaft verwendet 2), während derfelbe doch nur diejenigen Verwandten bezeichnen follte die an den baugar einerfeits und an den nefgjöld andererfeits Antheil nemen ; als eine fpätere Neuerung ift es anderer- feits zu betrachten, wenn auf Island der Weibsftamm zu einem Antheile an den baugar herangezogen wurde, und erklärt fich aus deren principwidriger Natur, dafs fortan das bauggildi bald, wie nach älterem Rechte, auf den Mannsftamm innerhalb des zweiten gleichen Grades befchränkt 3), bald aber als auch den Weibsftamm innerhalb deffelben Grades mitumfaflend gedacht wurde *). Die Neuerung erfcheint dabei veranlafst durch das Beftreben fortan die Wergeldstafel in erfter Linie auf die Abftufung der Grade, und erft in zweiter Linie auf den Gegenfatz des Mannsftammes und Weibs- ftammes zu begründen, während im älteren Rechte die Sache gerade umgekehrt geftanden war, durch das Beftreben alfo den letzteren Gegenfatz mehr zu verwifchen, wie er ja im isländifchen Rechte aufserhalb der Wergeldstafel überhaupt nicht mehr principiell durchgeführt wird; fie hat demnach an und fiir fich nicht das mindefte Auffallige, mufs jedoch bei Seite gelaffen werden, wenn die urfprüngliche Bedeutung der einfchlägigen Bezeichnungen feftgeftellt werden will. Diefs vorausgefetzt, faffe ich aber die Bezeichnung nefgildi, mit P. A. Munch und Fr. Brandt übereinftimmend, dahin auf, dafs darunter wie an fo vielen anderen Stellen ein Kopfgeld zu verftehen fei, d. h. eine Zahlung, welche nach Köpfen aufgelegt und erhoben wurde, nicht dagegen, wie nach einer von Vilhjälmr Finsen gegebenen Andeutung 5) Fritzner und Guöbrandr Vigfüsson vorge-

1) G^L., { 274: ef svä nän er frsendsemi (»eirra, at er i nefgildi e6a i bauggildi.

2) Frl»L., VI, I 11—12, 18—19, 25—26, 82-83, 89—40, und 46—47. 8) Kgsbk, { 113, S. 196.

4) Ebenda, S. 198—99.

5) Vgl. Annalar, 1850, S, 240 und 262—8.

336 I>Je Verwandtfthaft.

fchlagen haben, dahin dafs unter demfelben die Cognatenbufse im Gegenfatze zur Agnatenbufse zu verftehen fei. Der Gegenfatz zum bauggiidi fcheint mir zu fordern, dafs auch der Ausdruck nefgildi von der Art der Zahlung, nicht von der Befchaifenheit der Zahlenden hergenommen fei, und die Bedeutung Kopffteuer ift anderweitig vielfach fiir das Wort bezeugt, wogegen ich die von den Genannten verfuchte Anknüpfung an den Gegenfatz von niör und nefi ebenfo- wenig für richtig halten kann wie die Beziehung diefes Gegenfatzes auf die Scheidung des Mannsflammes vom Weibsftamme. Ich vnH darauf keinen Werth legen, dafs die Zufammenfetzung nefgildi für nefagildi etwas Bedenkliches hat, da Beifpiele eines Abwerfens des Vocales bei fchwachen Subftantiven immerhin vorkommen; aber dafs ganz vereinzelt auch die Form nefgjöld einmal auftritt i), und zwar als eine Zahlung, welche niöjar für ihren erfchlagenen Vater fordern, alfo in ganz anderer Bedeutung wie unfer nefgildi, darf ich nicht unbemerkt laflen, und nicht minder glaube ich betonen zu follen, dafs der Ausdruck niögjöld, welcher bei der obigen Deutung den Gegenfatz zum nefgildi zu bilden hätte, niemalen in der engeren Bedeutung des bauggiidi, fondern ftets nur in der weiteren des Wergeides überhaupt gebraucht wird 2). Wie hier niögjöld und nefgjöld, fo fcheinen ferner auch die Ausdrücke niör und nefi identifch gebraucht zu werden, was mit deren gelegentlich alliterirender Zu- fammenftellung ganz wohl vereinbar ift 3). Schon Wulfila braucht niftjis, ganit>jis, und fem. nit»io als Ueberfetzung von av/ystTfi, und ags. niö wird fogar für »Menfchc fchlechtweg gebraucht, während ein isländifcher Dichter Töchter wie Söhne als niöjar bezeichnen mag^), und in der isländifchen Rechtsfprache als »hinn nänasti niör« ftets der nächfte Verwandte bezeichnet wird, ohne Unterfchied zwifchen Agnaten und Cognaten, ja unter Umftänden fogar in einem Zufammenhang, welche jede Beziehung auf diefen Unterfchied geradezu ansfchliefst 5). Andererfeits umfafst ags. nefa neben dem

1) Helgakv. Hundingsb., I, 12.

2) Vgl. z. B. Kgsbk, 91, i 166; Vfgsl66i, cap. 32, S. 63, cap. 40, S. 79, und cap. 90, S. 131,. fowie Baugatal, S. 194, 194—5, 202 und 202—8; dann Eigla, cap. 75, S. 575 (ed. Arnam), wo fich die Lesarten niögjöld und manngjöld gegenüberftehen .

3) VfgsloÖi, cap. 15, S. 20: näs niö eöa nefa.

4) Hallfreöar s., cap. 6, S. 95; vgl. Gylfag., cap. 24, S. 96.

5) Z. B. Ömagab., cap. 3, S. 237.

Die Verwand tfchaft. 337

Schwefterfohne auch den Brudersfohn und den Enkel l), und im Deutfchen brauchen wir Neffe fiir den Brudersfohn wie Schwefter- fohn, im Lateinifchen nepos für den Sohnesfohn, wie Tochterfohn, während die nichtel oder niftel des fächfifchen Rechtes, welche der nordifchen nipt entfpricht, fogar eine noch weitere Wortbedeutung feftgehalten. hat ; ein isländifcher Dichter aber mag den weftgötifchen Rögnvald jarl frifchweg als »jarla nefi« bezeichnen 2), wobei doch nicht an feine, völlig unbekannte, mütterliche Venvandtfchaft, fondern nur an feinen Vater Ulf und Grofsvater Sköglartosti gedacht werden darf. Nach allem Dem werden die Ausdrücke niCr und nefi, niCgjöld urtd nefgjöld, ganz abgefehen davon, dafs diefelben bereits etymologifch zufammenfallen dürften, ganz gleichmäfsig als Be- zeichnungen für die Verwandtfchaft überhaupt genommen werden muffen, während unfer nefgildi ganz aufserhalb jeder Beziehung zu dem Worte nefi fteht. Ich bemerke übrigens fchliefslich noch, dafs fich vielleicht auch im isländifchen Rechte Spuren einer weiter- reichenden Bedeutung des bauggildi und nefgildi über das Wergelds- wefen hinaus nachweifen lafien. Die norwegifchen Rechte nämlich bringen beide Begriffe nicht nur auf dem Gebiete des Stammgüter- rechtes zur Anwendung, fondern auch gelegentlich des Verlobungs- rechtes, der Verpflichtung zur Nacheile einem Verbrecher gegenüber, fowie bezüglich der Fähigkeit in einem Privatgerichte zu fitzen 3) j dürfte man annemen, dafs die 4 baugar des isländifchen Rechtes urfprünglich änlich wie die des dröntifchen bis zu den Nach- gefchwifterkindern reichten, fo würde fich vollkommen befriedigend erklären, warum auf Island fowohl die Exceptionsmäfsigkeit der Richter und Gefchworenen als auch die Unfähigkeit zu gewiffen Arten des Zeugniffes u. dgl. m. gerade bis zum dritten gleichen Grade reichte 4). Neben dem bauggildi und nefgildi, welches übrigens die tölumenn in fich begreift, treten nun auf dem Gebiete des Wergeldswefens noch einige weitere Verwandtfchaftsgruppen hervor, deren hier noch Erwähnung zu gefchehen hat, obwohl diefelben geringerer Bedeutung gewefen zu fein fcheinen als jene. Das isländifche Baugatal kennt zunächft noch 5 Perfonen, welche

1) Belege bei EttmüUer, S. 237, und Grein, II, S. 278—9.

2) Heimskr. Olafs s. ens helga, cap. 92, S. 810.

3) Vgl. Frt>L. , IV, § 9, X, § U, XI, § 18, und XII, § 4, und bezüglich der Gt»L. die oben, S. 334 Anm. 2, angeführlen Stellen.

4) Vgl. oben, S. 331, Anm. 3.

Maurer, Island. 22

338 l^ie Verwandtfchaft.

als sakaukar bezeichnet werden, d. h. als Bufsvermehrer, und zwar find diefs der uneheliche Sohn, der Stieffohn und Stiefvater, endlich der Schwiegerfohn und Schwager i). Auch den norwegifchen Rechten ift Begriff und Sache nicht fremd ; jedoch behandelt das drönter Recht als sakaukar neben dem unehelichen Sohne den brööir sammaeöri, den fööurfaöir und den sunarsun 2), die ältere Wergeids- tafel des GulaHnges aber nennt als folche neben dem unehelichen Sohne den unehelichen Bruder und den brööir sammaeöri^), wobei hier wie dort geringere Bezüge auch noch der Nachkommenfchatt der Genannten zugebilligt werden, fie fügt aber fodann noch eine Reihe weiterer Perfonen als sakaukar bei, und berückfichtigt Uber- diefs auch die nächften Verfchwägerten, Stiefvater und Stiefföhn, Eidbrüder und Pflegebrüder, wenn auch ohne fie als sakaukar zu bezeichnen. Offenbar handelte es fich bei den sakaukar, worauf auch diefe ihre Bezeichnung hindeutet, um Angehörige, welche die alte, regelmäfsige Wergeldstafel nicht berückfichtigte, fei es nun, weil fie nur ausnamsweife vorkamen, oder weil man fie nicht eigent- lich zur Familie zählte, und foUten diefelben mit einer das. eigent- liche Wergeid überfteigenden Bufse bedacht werden, wenn fie vor- handen waren, die ihnen zugebilligten Beträge dagegen wegfallen, wenn kein Vertreter ihrer Claffe vorhanden war 4), wogegen die baugar ohne Rückficht auf die Nähe der Verwandtfchaft an den Erben gegeben werden mufsten, wenn keine baugamenn vorhanden waren 5), oder doch wenigftens nur unter der Vorausfetzung weg- fielen, da es an allen Bezugsberechtigten fowohl als Zahlpflichtigen fehlte 6). Mag fein, dafs als folche, wie diefs im isländifchen Rechte noch der Fall ift, urfprünglich nur Leute gehörten, welche nicht als eigentliche Blutsfreunde erfchienen, wie Verfchwägerte, Stief- ältern und Stiefkinder, Pflegeältern, Pflegekinder und Pflegebrüder, dann auch Eidbrüder und uneheliche Kinder und Gefchwifter, wo- gegen man dann fpäter, vielleicht den frater uterinus als Durch- gangspunkt benützend, in Nonvegen misverftändlicher Weife auch

1) Kgsbk, § 113, S. 201.

2) FrJ)L. , VI, 'i 14 u. f. w.; das ältere Fragment enthält nichts hieher Gehöriges.

8) Gj)L., i 236; vgl. § 237 und 238. Die jüngere Wergeldstafel läfst bereits den ganzen Begriff fallen. ^

4) Kgsbk, g 113, S. 201.

5) Gj^L., § 220.

6) Kgsbk, g 113, S. 199.

Die Verwandtfchaft. 339

wirkliche Verwandte hieher ftellte, die man in den älteren Wergeids- tafeln nicht ausdrücklich erwähnt fand und darum vergeffen glaubte, ländlich kommt, da eine Berückfichtigung von Weibern, wie folche die G|>L. in ihren kvenngjafir, d. h. Weibergaben kennen i), dem isländifchen Rechte fremd ift, noch die entferntere Verwandtfchaft in Betracht, für welche das isländifche Baugatal die Bezeichnung >eptir bauga«, d. h. Nachringsleute kennt 2)^ das norwegifche Recht bezeichnet ihren Bezug allenfalls als fraendbcetr3), welche Bezeichnung freilich in einem weiteren Sinne auch wohl das ganze Wergeid umfafst, oder fie felbft als die nächften nach der letzten Gaffe der uppnämamenn^). Innerhalb diefer entfernteren Verwandt- fchaft läfst nun das isländifche Recht die Gradesnähe in der Art entfcheiden, dafs der zweite und dritte ungleiche Grad den dritten gleichen, der dritte und vierte ungleiche den vierten gleichen, endlich der vierte und fünfte ungleiche den fünften gleichen Grad aus- fchliefst, mit welchem letzteren die Wergeldstafel fchliefst^); von einem Vorzuge des Mannsftammes vor dem Weibsftamme ifl: dabei nicht die Rede, indeffen wäre immerhin möglich, dafs die für die näheren Grade aufgeftellte Regel, wonach das bauggildi ^/o und das nefgildi 2/5 der fälligen Beträge erhalten follte, ftillfchweigend auch auf die entfernteren herüberbezogen werden wollte. Sehr be- achtenswerth ift aber, wie diefs Vilh. Finsen bereits hervorgehoben hat 6), dafs zwar innerhalb der baugar, wenn die zu einem derfelben Berufenen fehlen, die nächftvorhergehende oder nächftfolgende Claffe, wenn auch die letztere nur in einem etwas verkürzten Be- trage einrückt, und in gleicher Weife auch die verfchiedenen Claflen der eptir bauga menn für einander fuccediren, wenn etwa eine von ihnen unvertreten ift, dafs dagegen niemalen die eptir bauga Ver- wandten einen Anfpruch auf erledigte baugar, oder umgekehrt die baugtiggjendir einen Anfpruch auf erledigte Beträge der ferneren Verwandtfchaft erheben können. Man fieht daraus, dafs die nähere Verwandtfchaft als durch eine unüberfteigliche Kluft von der ent- fernteren getrennt galt, während diefs bezüglich. der verfchiedenen

1) Gl»L., i 221 und 245.

2) Kgsbk, l 113, S. 201—2.

3) FrtjL., VI, i 11, u. f. w.

4) Gj>L., i 235.

5) Kgsbk, § 113, S. 193—4; vgl. S. 201—2. C) Annälar, 1850, S. 268.

22*

340 Die VerwancUfchaft.

Claffen, in welche die eine und die andere zerfiel, unter fich ganz und gar nicht der Fall war; da indcffen in der uns erhaltenen Wergeldstafel das bauggildi und das nefgildi bereits zufammen- geworfen, und für beide die Claflen nur noch nach der Gradesnähe abgeftuft find, mufs dahingeftellt bleiben, ob nicht etwa in der älteren Zeit zwifchcn ihnen beiden eine änlich fcbroffe Sonderung beftanden haben möge. Belehrend ift auch hier wider die Analogie des drönter Rechtes i), welches zwar, kirchlichen Gefichtspunkten folgend, die Verwandtfchaftsgrenze erft beim fechften gleichen Grade zieht, aber auch innerhalb der entfernteren Veru'andtfchaft wider zwifchen Mannsftamm und Weibsftamm fcheidet, um erft innerhalb jeder von beiden Claffen wider eine weitere Abftufung nach Graden eintreten zu laffen, während es zugleich durch die Beftimmung, dafs alle baugamenn für alle baugar aufkommen muffen, auch wenn eine einzelne Claffe von Verpflichteten, ausfällt, anzudeuten fcheint, dafs die gleiche Regel auch für die Empfangsberechtigung galt. Das Recht des Gulajjfnges dagegen, deffen übrige Beftimmungen bei feiner gröfseren Zerrüttung weiter abliegen, bietet doch wenigftens die intereffante Parallele, dafs es innerhalb der entfernteren Ver- wandtfchaft zunächft von der Gradesnähe ausgeht, erft innerhalb jedes einzelnen Grades den Mannsftamm vom Weibsftamme fondernd, und zwar fo, dafs erfterer 8/5 und letzterer 2^^ des Betrages nimmt 2); es ftellt alfo für die entferntere Verwandtfchaft diefelbe Vertheilungsart auf, welcher unfer isländifches Baugatal bereits für die baugar durchführt. Neben der Gradesnähe, dann dem Gegen- fatze zwifchen dem Mannsftamme und Weibsftamme macht fich innerhalb der Verwandtfchaft auch noch der Unterfchied der Ge- fchlechter geltend, und zwar in der Art, dafs die Weiber von ge- wiffen im Veru'andtfchaftsverbande begründeten Rechten und Pflichten völlig ausgefchlofsen, in Bezug auf andere aber wenigftens fehr ent- fchieden den Männern gegenüber zurückgefetzt find 3). Dem Grund- fatze des fchwedifchen Rechtes, dafs Weiber ftcts unmündig feien ^j,

1) FifiL., VI, g 11-12, dann g 2.

2) GJ)L., g 235.

3) Vgl. Rive, de pupillorum et mulierum tulela in autiquo Scandinaviorum jure (1859), und deffen Gefchichte der deutfchen Vormundfchafl, I (1862); dazu meine Bemerkungen in der Krit. Viert eljahresfchr., II, S. 75 und fgg. und IV, S. 412 und fgg.

4) WGL., I, liiufua b., 5, § 2.

Die Verwand tfchaft. 341

huldigt das norwegifch-isländifche Recht allerdings nicht mehr; viel- mehr läfst CS den Unterfchied zwifchen Mündigen und Unmündigen auf Weiber wie auf Männer gleichmäfsig Anwendung finden. Die Wahl ihres Domiciles, die Verwaltung ihres Vermögens und die Uebername der Verwaltung eines fremden Vermögens verwilligt das isländifche Recht den Jungfrauen erft nach zurückgelegtem zwanzigften Jahre, und erft von diefem Termine ab dürfen fie ge- wifle Klagen felber anftellen, und unter gewiflen Vorausfetzungen fich felber verloben; aber wie bei Männern gilt fchon vom zurück- gelegten fechzehnten Jahre ab das ererbte Vermögen als ihnen angefallen, fo dafs fie deffen Früchte felbft beziehen, welche während der Dauer der Altersvormundfchaft dem Vormunde zugewachfen waren, und für Eheweiber und Wittwen fallen überdiefs alle diefe Befchränkungen fogar dann weg, wenn fie das fechzehnte Jahr noch nicht einmal zurückgelegt habend). Von dem Genufie aller und jeder politifcher Rechte find die Weiber ferner ausgefchloffen. Sie können zwar ein goöorö befitzen, muffen aber deffen Führung einem ihrer eigenen Dingleute übertragen; als Richter, Gefchworene, Zeugen können fie nicht berufen werden, in der lögretta keihen Sitz ein- nemen, und fogar ihre eigenen Rechtsfachen vor Gericht nicht felber führen, wenn fie auch in gewiffem Umfange darüber zu beftimmcn haben, in welcher Weife der von ihnen gewählte Vertreter diefe führen folle^j. Die Fällung eines Schiedsfpruches konnte auch Weibern übertragen werden 3); aber ihre Uebertragung war auch lediglich Sache des perfönlichen Vertrauens der betheiligten Privaten, und nicht Berufung zu einer öffentlichen Funftion. Auf vermögens-

1) Kgsbk, § 78, S. 129, dann ^ 118, S. 225 und 226*, Arfa \i., cap. 4, S. 179 lind 160; Kaupab., cap. 58, S. 466, fowie Festä |>., cap. 2, S. 307, und cap. 6, S. 316; ferner Kgsbk, | 94, S. 170, und die Referenz S. 168, dann i 238, S. 184; Vfgslööi, cap. 66, S. 108—9, und cap. 106, S. 150.

2) Vgl. über die Vertretung der Weiber vor Gericht Kgsbk, § 94, S. 170, und g 238, S. 184; Vfgslööi, cap. 66, S. 108—9, und cap. 160, S. 150; ferner Kgsbk, g 151, S. 44, und g 155, S. 47; Festa !>., cap. 18, S. 331, und cap. 24, S. 337 und 338; dann ebenda, cap. 51, S. 371, cap. 54, S. 377, und Omagab., cap. 24, S. 280. Es ift wohl nur eine durch die thatfächliche Uebung veranlafste Ungenauigkeit des Ausdrucks, wenn Kgsbk, § 158, S. 55, und

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Festa ^., cap. 16, S. 329, die Klagcftellung den Verwandten des Weibes über- tragen zu wollen fcheinen.

3) Vgl. z. B. Vatnsdyela, cap. 44, S. 73—4: Sturlünga, VII, cap. 8, S. 17 und 19.

342 ^^*^ Verwand irchaft.

rechtlichem Gebiete waren dagegen die Weiber den Männern principiell gleichgeftellt, und foweit reicht diefe Glcichftellung, dafs von lögskuldarkonur ebenfogut gefprochen werden kann wie von lögskuldarmenn 1), d. h. dafs die Schuldkncchtfchaft auf Weiber ebenfogut wie auf Männer Anwendung findet j doch fehlt es. auch nicht an einzelnen Einfchränkungen des Principcs. Eine folchc liegt bereits in dem oben erwähnten Satze, dafs Jungfrauen crft mit erreichtem zwanzigften Jahre zur Verwaltung ihres Vermögens und des Vermögens Anderer zugelaffen werden, während Männer bereits niit^ zurückgelegtem fechzehnten Jahre das gleiche Recht erwerben ; eine zweite wird dagegen durch die Regel gefetzt: »ein Weib darf ohne die Zuftimmung ihres Gefchlechtsvormundes (lögraöandi) kein Land verkaufen von der Gröfse eines halben Hofes oder mehr, noch auch ein goöorö oder ein Seefchiff, falls fie ein folches befitzt^)«. Das Verbot erleidet eine Ausname fiir Fälle ehehafter Noth; aber auch für diefen Fall hat der Gefchlcchtsvormund wenigftens noch das Vorkaufsrecht, und es zeigt fich darinn, dafs die Beftimmung, wenn fie auch zunächfl: auf den Schutz der Weiber felbft gegen die Folgen ihrer »muliebris levitas« abzielte, doch wenigftens nebenbei auch das Intereffe der Verwandtfchaft als folcher ins Auge fafste. Eigenthümlich geftaltete fich dem gegenüber das Recht der Weiber bei denjenigen Inftituten, innerhalb deren fich öffentliche und Privat- rechte berührten. Zur Führung einer Vormundfchaft zunächft konnten Weiber ganz ebenfogut berufen werden, wie Männer, da ja das Recht auf deren Führung nach isländifcher Anfchauung wefentlich unter den Gefichtspunkt eines nutzbringenden Rechts geftellt war; nur war freilich bei Weibern die Fähigkeit zur Vcr- . waltung eines fremden Vermögens felbftverftändlich ganz ebenfo an einen fpäteren Alterstermin gebunden, wie die Befähigung zur Ver- waltung ihres eigenen Gutes, und überdiefs waren die Weiber änlich wie im Erbrechte auch bei der Berufung zur Vormundfchaft den Männern in der Art nachgefetzt, dafs bei gleicher Gradesnähe der Mann das Weib ausfchlofs 3). Ebenfo find im Armenrechte die

1) Z. B. Kgsbk, i 156, S. 48; Fesla ]»., cap. 25, S. 339.

2) Kgsbk, ^ 152, S. 45; P^esta Jj., cap. 21, S. 334, und Landab rb., cap. 2, S. 214—16. ^

3) Kgsbk, § 118, S. 218—20, und § 122, S. 230; Arfa {»., cap. 1, S. 170 2, und cap. 9, S. 192. Einer Eigenthümlichkeit in der Behandlung der Mutter braucht hier nicht des Näheren gedacht zu werden.

Die Verwandtfchaft. 343

Weiber principiell ganz ebenfogut berechtigt und verpflichtet wie die Männer, nur dafs einerfeits die Geftaltung des ehelichen Güter- rechtes und andererfeits die gröfsere Hülfsbedürftigkeit der Weiber in Bezug auf die Reihenfolge der Berufung zu den einfchlägigcn Rechten und Pflichten einzelne Befonderheiten hereinbringt. Aenlich fcheint die Sache in der älteren Zeit aber auch in Bezug auf die Blutklage (vigsakar aöild) gehalten worden zu fein, indem bei diefer änlich wie bei der Vormundfchaft der Schwerpunkt auf die ver- mögensrechtliche Seite, den Bezug nämlich der Todtfchlagsbufse, gelegt wurde; indeflen wurde den Weibern fowohl als den jungen Männern unter fechzehn Jahren diefes Recht im Jahre 994 entzogen, weil die Erfahrung gelehrt hatte, dafs von ihnen die Blutklagen nicht mit dem wünfchenswerthen Nachdrucke betrieben wurden, und feit- dem galt der Grundfatz: »gar niemals fällt eine Blutklage an ein Weib« ^), wobei indeffen die principielle Berechtigung der Weiber in einer Reihe von Beftimmungen immerhin noch erkennbar geblieben ift; in einem Antheile derfelben an der Todtfchlagsbufse 2), in der Regelung der Recufation von Richtern, Gefchworenen und Zeugen wegen ihrer Ver^vandtfchaft mit der Klagsparthei 3), endlich in der Art, wie unter Umftänden die Vertretung des Weibes in der Klag- führung geregelt wird 4). Uebcr die Ausfchliefsung der Weiber vom Wergeide, mit einziger Ausnahme der unvermählten Erbtochter, ifl: oben bereits das Nöthige bemerkt worden; dagegen find die fehr einläfslichen Beftimmungen der Rechtsbücher über, das Vcr- lobungsrecht hier zu befprechen. Als Regel galt der Satz, dafs kein Weib fich felber verloben, noch auch von einem anderen Weibe verlobt werden könne; indelTen erlitt derfelbe nach beiden Seiten hin Ausnamen. War weder ein Sohn, noch ein Vater, noch ein Bruder von der Vaterfeite her vorhanden, fo mochte die Mutter ihre eigene Tochter verloben 5); andererfeits durfte fich die ge- fchiedene Ehefrau mit ihrem früheren Ehemanne fogar wider den

1) Kyrbyggja, cap. 38, S. 69; Vigslöfti, cap. 35, S. 68.

2) Vigslööi/cap. 54, S. 94—5-, vgl. Kg^l^k, § 95, S. 171, und Belgs- daläbök, § 59, S. 245.

3) VigslöM, cap. 54, S. 94.

4) Ebenda, cap. 70, S. 112, und andererfeits cap. 37, S. 74 vgl. mit cap. 27, S. 45—6, dann Kgsbk, § 97, S. 173, vgl. mit g 89, S. 160—1.*

5) Kgsbk, § 144, S. 29, und ^ 253, S. 203; Festa |»., cap. 1, S. 305; lielgsdalbbük, g 4Ö, S. 240; ein Beifpiel bietet dfe Njala, cap. 34,. S. 51.

344 ^^^^ Verwand Ifchafl.

Willen ihres Gefchlcchtsvormundes wider verloben, wenn nur nicht gefetzlicher Hindernifle wegen die Ehe gclöft worden war^), und überdiefs durfte eine Wittwe, dann eine mindeftens 20jährige Jung- frau, wenn deren Gefchlechtsvormund erft zwei an und für fich paffende Freier abgewicfen hatte, dem dritten fich felber verloben, wenn auch nur ein einziger der Verwandten mit der Parthie einver- ftanden war 2). Die Frage, wie demgegenüber die Gefchichtsquellcn dazu kommen, widerholt Witt wen ohne Weiters fich felbfl verloben zu laffen, allenfalls fogar unter ausdrücklicher Berufung auf einen defsfallfigen Rcchtsfatz 3), oder doch ein gewiffes Schwanken in Bezug auf deren Berechtigung hiezu zu zeigen^), laffe ich unent- fchieden j möglich, dafs auf Island urfprünglich wirklich die Wittwe fchlechthin berechtigt gewefen war fich felbft zu verloben, wie ihr diefes Recht in Norwegen zweifellos zuftand^), möglich aber auch, dafs lediglich die norwegifchen Rechtsfatzungen, welche mit dem Schluffe des dreizehnten Jahrhunderts auch auf Island Geltung er- langten, von einzelnen fpätcrcn Ueberarbcitern älterer Sagen irrthüm- lich in die frühere Zeit zurückgetragen wurden. Wenn übrigens die Weiber nur in den obigen wenigen Ausnamsfällen fich felbft oder andere Weiber verloben konnten, fo erfcheinen fie doch immerhin als Trägerinnen des Verlobungsrechtes infoferne, als fie, wenn verehelicht, dasfelbe- auf ihre Ehemänner übertragen; die Reihenfolge, innerhalb deren die einzelnen Verwandten zum Ver- lobungsrechte berufen werden, ift hiernach diefelbe wie die, inner- halb deren fie zur Erbfolge gelangen, nur dafs ledige Töchter aus- fallen, und für verheirathete deren Ehemann eintritt 6). Das Recht des Verlobers, welcher regelmäfsig als lögräöandi konu, d. h. der gefetzliche Herr, feltner als fastnandi konu, d. h. der Verlober des

1) Kgsbk, 2 144, S. 80; Festa Ji., cap. 2, S. 307.

2) Festa Ji., cap. 2, S. 307, und cap. 6, S. 316; Belgsdalsbok , g 48, S. 240—1; die Kgsbk, ^ 144, S. 29—30, gefteht, wörtlich verftanden, allen Weibern ohne KUckficht auf ihr Alter das gleiche Recht zu, was doch wohl auf einer Auslaffung des befchränkenden Satzes beruht.

3) Vgl. z. B. Njala, cap. 13, S. 24, und cap. 33, S. 49; Laxdaela, cap. 7, S. 18, und cap. 19, S. 62, fowie cap. 43, S. 186.

4) Z. B. Laxdaela, cap. 68, S. 292—4; Vallaljöts s., cap. 1, S. 202.

5) GJjL., § 51; FrJiL., XI, ? 4.

6) Kgsbk, § 144, S..29, und §253, S. 203; Festa Jj., cap. 1, S. 805— 6^ Belgsd'alsbük, § 48, S. 240; vgl. AM. 315 fol. B., § 1, S. 227.

Die Verwandlfchaft. 345

Weibes bezeichnet wird, reichte übrigens unter Umfländen foweit, dafs das Weib fogar wider feinen Willen verlobt werden konnte. Die Rechtsbücher fchliefsen eine erzwungene Verlobung nur bei der Wittwe aus, und auch bei ihr nur foferne es nicht ihr eigener Vater ift, der fie verlobt ^), ferner, und zwar auch dem Vater gegenüber, bei Weibern, welche fich als Nonnen weihen laffen wollten 2); aber die letztere Beftimmung ift äugen fcheinlich fpäterer Entftehung, und die crftere läfst nicht erkennen, wieweit Jungfrauen gegenüber das Recht reichte. Da die norwegifchen Rechte überhaupt nur den Aeltern und Brüdern und doch wohl auch Söhnen ein Verlobungsrecht beilegen zu wollen fcheinen3), Hegt die Vermuthung nahe, dafs jenes exorbitante Zwangsrecht wenigftens auch auf Island auf fie be- fchränkt gewefen fei, und unter dicfer Vorausfetzung würde fich denn auch erklären, warum die Verwandten des erften Grades in unferen Rechtsbüchern gelegentlich des Verlobungsrecihtes allen anderen gegenüber fpeciell hervorgehoben werden^); die Gefchichts- quellen jedenfalls bringen keine Entfcheidung, da fie, mehr das Thatfächliche als das Rechtliche der einzelnen Vorgänge ins Auge fallend, fehr widerfprcchende Angaben enthalten. Selbflverftändlich konnten übrigens auch mehrere gleich nah Verwandte gleichzeitig zum Verlobungsrechte berufen werden, und foUte folchenfalls bei fich ergebender Meinungsverfchiedenheit die Stimme desjenigen durch- dringen, mit welchem das Weib felbft übereinftimmte, falls nur die Parthei überhaupt eine paffende (jafnraeöi) war; waren jedoch Brüder zur Verlobung ihrer . Schwerter berufen, fo follte das Wort des älteren Bruders vorgehen 5), was wider fehr wohl zu der obigen An- name ftimmt, dafs den Verwandten erften Grades ein Zwangsrecht dem Weibe gegenüber zugeftanden habe. In ftrafrechtlicher Be- ziehung endlich waren die Weiber den Männern principiell vollkommen gleichgeftellt. Es galt die Regel ö): »ein Weib wird ebenfogut ge- ächtet wie ein Mann, wenn fie einen Mann oder ein Weib tödtet oder

1) Kgsbk, § 144, S. 29; Fesla p,, cap. 2, S. 306; BelgsdalhbOk , § 48, S. 240.

2) Festa {,., cap. 2, S. 806—7.

3) Vgl. GJ»L., § 51: Fr|»L., XI, § 2 und 4, dann § 12. X

4) Vgl. oben, S. 330, Anm. 2.

5) Kgsbk, § 144, S. 29; Festa Ji., cap. 2, S. 307. Beide Stellen fcheinen verftümmelt.

6) VfgslöM, cap. 49, S. 89.

346 t)ie Verwandtfchaft.

verletzt, und dasfelbe gilt in Bezug auf alle Vergehen«. Der Grundfatz des altfchwedifchen Rechts, dafs Weiber und Unmündige niemals der Acht verfallen können, ift fomit dem Rechte des islkn- difchen Freiftaates fremd, und diefes befchränkt fich darauf, dem geächteten Weibe für die Dauer feiner Schwangerfchaft, dann feines Wochenbettes gewifTe Vergünftigungen zu verwilligen l) ; umgekehrt beftraft daflelbe aber auch das an einem Weibe begangene Ver- brechen ganz ebenfo, wie wenn es an einem Manne begangen worden wäre, wie diefs z. B. bezüglich des Todtfchlages ausdrücklich aus- gefprochen wird 2). Einer eigenthümlichen Behandlung waren nur diejenigen Vergehen unterftellt, bei welchen es fich um eine Kränkung der weiblichen Gefchlechtsehre handelte. In folchcn Fällen konnte fich einerfeits leicht der Verdacht einer Mitfchuld des gekränkten Weibes regen, während andercrfeits derartige Vergehen in einem engeren Zufammenhange mit dem Verfligungsrechte des Gcfchlcchtsvormundcs über die Verlobung feiner Pflegebefohlenen ftandcnj beide Gefichtspunkte mufsten aber ganz gleichmäfsig zu einer viel weiter gehenden Berechtigung der nächften Angehörigen führen, als welche diefen bei anderen Vergehen zugeftanden wurde. Unfere Rechtsbücher behandeln als ftrafbar alle und jede Hand- lungen, welche nur im Entfernteften gegen die weibliche Scliam- haftigkeit verftofsen, vom einfachen Kufse oder vom Dichten eines Liebesliedes an bis zur vollendeten Nothzucht; fie geftehen dabei, fofernc es noch nicht zur gefchlechtHchen Vereinigung (legorö) ge- kommen war, die Klage zunächft dem verletzten Weibe felbft zu, und dem Ehemanne oder Gefchlechtsvormunde nur für den Fall, dafs fie nicht klagen will, wogegen der letztere allein klagsberechtigt war, wenn es bis zur Beiwohnung gekommen w^ar3): fogar dann, wenn der Bufsberechtigte ein Mündel des gefchwächten Weibes war, foUte der diefem auf Grund feiner Vormundfchaft gebührende Anfpruch auf die dem Mündel zufallende Bufse ceßiren*). Die Klage gegen den fchuldigen Mann gieng zunächft, wenn es fich

1) Kgsbk, § 95, S. 170—1, und g 161, S. 59; Vigslöbi, cap. 35, S. 09. und Festa |»., cap. 48, S. 864.

2) Vigslööi, cap. 49, S. 89.

3) Kgsbk, g 155, S. 47, und § 238, S. 184; Festa {>., cap. 24, S. 337-8, und VigslöÖi, cap. 106, S. 150.

4) Kgsbk, g 161, S. 59, und g 127, S. 249; Festa ^i., cap. 48, S. 364, und cap. 56, S. 382, fowie Arfa [»., cap. 19, S. 225.

Die Verwandt fcliaft. 347

um wirkliche Beiwohnung handelte, auf die ftrcnge Acht, wenn nicht etwa die Gekränkte blos eine Freigelaffene, in Schuldhaft Begriffene, oder gar ein Bettelweib war 1), und daneben noch auf eine Bufse von 6 Mark, welche dem Klagsberechtigten zufiel 2), fo- fcrnc diefcr nicht etwa, was bei Minderjährigen, dann bei der bufs- berechtigten Mutter vorkommen konnte 3), ein Anderer war als der, zur Klagftellung unfähige, Bufsberechtigte ; die Bufse durfte dabei von dem Berechtigten bei eigener Haftung felbft im Vergleichswcge nicht erlaffen werden, wogegen er allerdings einen Nachlafs der Strafe zu verwilligen befugt war 4). Neben der fchuldigen Manns- pcrfon konnte fich aber der Klagsberechtigte auch noch gegen das verletzte Weib wenden, und zwar zunächft infoferne als er von demfelben die Angabe des Schuldigen, und der näheren Umftände der That fordern, und nöthigenfalls durch die Folter erpreffen durfte 5), aufserdcm aber auch infoferne, als er im Falle einer Mitfchuld des Weibes auch von dicfcm eine Bufse von 6 Mark eintreiben, und fie dafür fogar in Schuldhaft nemcn konnte <J)j eine weitere Bellimmung, kraft deren Weiber wegen fleifchlicher Vergehen unter Umftänden ihre Erbfähigkeit einbüfsen foUten, wurde in den letzten Zeiten des Freiftaates abgefchafft'*). Endlich war in ünzuchtsfällen auch noch blutige Rache zu nemen geftattet, und zwar bis zum nächflcn Alldinge, wenn das Verbrechen vollendet, dagegen nur auf frifcher That, wenn es beim blofen Verfuche geblieben war; allein die Befugnifs hiezu war, wie oben bereits angedeutet, neben dem Ehemanne der Verletzten nur deren Sohn, Vater und Bruder, dann Pflegevater und Pflegefohn eingeräumt 8). Sehr erheblich waren demnach immerhin die Zurückfetzungen, denen die Weiber

1) Kgsbk, § 155, S. 47—8; Festa p., cap. 24, S. 338—9.

2) Vgl. z. B. Kgsbk, § 167, S. 51—2; Festa Ji., cap. 34, S. 348, und die Klagsformel, cap. 49, S. 369 70.

3) Festa J>., cap. 55, S. 381—2, und cap. 56, S. 382; dann cap. 20, S. 333, und cap. 23, S. 337, fowie Kgsbk, § 95, S. 171.

4) Kgsbk, $ 156, S. 51; Festa {>., cap. 33, S. 348, u. cap. 52, S. 375—6.

5) Kgsbk, i 161, S. 58 und 59, dann g 157, S. 52, und i 158, S. 54; Fcijta !>., cap. 33, S. 347—8, dann cap. 48, S. 364, und cap. 62, S. 374. Die Stellen geben z. Th. nur Referenzen.

6) Kgsbk, ^ 158, S. 53; Festa {>., cap. 36, S. 351, u. cap. 48, S. 363— 4.

7) Vgl. Kgsbk, g 127, S. 249, und § 157, S. 51, mit Arfa ^-7 cap. 23, S. 228, und Cod. AM. 315 fol. B, g 3, S. 228.

8) Siebe üben, S. 330, Anni. 5.

348 ^^^ Verwand tfchaft.

um ihres Gefchlechtes willen unterlagen. Völliger Ausfchlufs von allen politifchen Rechten, und damit zufammenhängend Unfähigkeit zur gerichtlichen Selbftvertretung, fpäterer Eintritt der Befähigung zur Verwaltung des eigenen fowohl als fremden Vermögens, und eine auf alle Zeit fich erftreckende Nothwendigkeit des verwandt- fchaftlichen Confenfes zur XTeräufserung gewiffer wichtigerer Ver- mögensftücke, Ausfchliefsung von der Blutklage, und nahezu völlige Ausfchliefsung von jeder Theilname am Wei^elde, Zurück- fetzung in der Erbfolge und in der Berufung zur Altersvormund- fchaft, endlich Unterwerfung unter ein fremdes Verlobungsrecht, fowie unter das Recht eines Dritten bezüglich aller Unzuchtsklagen, das find die Punkte, in welchen fich diefe Zurückfetzung fehr fcharf ausfpricht. Dabei ift freilich nicht zu überfehen, dafs die verwandt- fchaftlichen Rechte, welche diefen Zurückfetzungen gegenüberftehen, keineswegs fämmtlich in eine und diefelbe Hand gelegt waren, dafs vielmehr der »lögräCandi« zwar neben dem Verlobungsre(:hte auch das Klagerecht in Unzuchtsfällen i), dann das Recht in den cin- fchlägigen Fällen den Veräufserungsconfens zu ertheilen oder zu verweigern befafs, dagegen aber die Berufung zur Erbfolge und zur Altcrsvormundfchaft fich zufolge der in Bezug auf Beide den Weibern eingeräumten Betheiligung nach ganz anderen Regeln bc- ftimmte, und auch die gleiche Regelung der Berufung in die vigsak- araöild wie in die legorössakaaöild, von welcher einmal gefprochen wird'-^), keineswegs uneingefchränkt zutrifft, endlich auch die Ver- tretung der Weiber in den ihnen felbft zuftehenden Klagfachen durch von ihnen frei gewählte, nicht durch gefetzlich berufene Per-" fönen erfolgte. Eine rundum gefchlofl*ene und fcharf ausgeprägte Gefchlechtsvormundfchaft ftand demnach dem lögräöandi nicht zu, wenn wir ihn auch in Ermangelung einer anderen Benennung als Gefchlechtsvormund bezeichnen mögen, und gerade die Zerfplitterung der in jener gelegenen Gewalten mufste die Stellung des isländifchen Weibes zu einer ungleich freieren machen. Die Vergleichung des

1) Das Zufammen fallen der legorÖssakaaMld mit dem Verlobungsrechte wird in Kgsbk, § 156, S. 48, und g 254, S. 203, Festa |i., cap. 25, S. 339, und helgsdalsbök, § 51, S. 242, vgl. mit Kgsbk, g 144, S. 29, Kesta J)., cap. 1. S. 305—6, und Belgsdalsbök , § 48, S. 240, feftgeftellt; dafs die Kg^bk zu derfelben nach der erftangeführten Stelle den Vater vor dem Sohne und Schwicgei- fohne beruft, mufs auf einem Schreibverftofse beruhen.

2) Kgsbk, § 254, S. 203; Festa Ji., cap. 25, S. 339.

Die Verwandtfchaft. 349

norwegifchen, und mehr noch des fchwedifchen und dänifchen Rechtes läfst erfehen, dafs die Zurückfetzungen der Weiber ur- fprünglich noch viel weiter gereicht hatten, und dafs dicfe im Nor- den urfprünglich einer feft gefchloflenen und fehr ftreng ausge- bildeten Gefchlechtsvormundfchaft ihres nächften männlichen Ver- wandten untergeben gewefen waren ; aber fie zeigt auch, dafs diefes ältefte Syftem des Weiberrechtes bereits zu der Zeit erheblich er- fchuttert gewefen fein mufs, in \velcher fich das isländifche Recht vom norwegifchen abtrennte, und die ganze Frage fällt fomit über das Bereich der isländifchen Gefchichte unzweifelhaft hinaus. Neben der ehelichen Verwandtfchaft kommt im isländifchen Rechte auch noch die uneheliche in Betracht, jedoch allerdings nur fo, dafs die unehelich Geborenen vielfach hinter den ehelich Geborenen zurückftehen; dabei ift das Mafs von Rechten, welches der unächten Geburt zugeftanden wird, zu verfchiedenen Zeiten ein fehr ver- fchiedenes, und werden überdiefs auch wohl innerhalb derfelben wider verfchiedene Claffen von Perfonen unterfchieden, fodafs es fchwer ift in diefer Beziehung zu voller Klarheit zu gelangen. Regel- mäfsig werden die unächt Geborenen in den Rechtsbüchern als laungetnir menn (launbörn, launsynir, laundaetr, u. dgl. m.) be- zeichnet, d. h. als heimlich geborene Leute, während die ehelich Geborenen ihnen gegenüber als skfrgetnir oder skfrbornir menn, d. h. als rein erzeugte und geborene Leute, oder auch als skilbornir, skilgetnir, skilfengnir menn, d. h. rechtmäfsig Erzeugte oder Ge- borene bezeichnet werden, letzteres freilich mehr in der norwegifchen als in der isländifchen Rechtsfprache. Das Recht des norwegifchen Gula|>fnges unterfchied innerhalb der unächten Geburt den hrisüng als den heimlich erzeugten Sohn eines freien Weibes, den horming als den mit einem freien Weibe aufserehelich, aber doch in einer bleibenden gefchlechtlichen Verbindung erzeugten Sohn, endlich den |>yborin Sohn als den mit einer unfreien Mutter er- zeugten Sohn, bezüglich deffen freilich vorausgefetzt wurde, dafs er von feinem Vater anerkannt, und in frühefter Jugend freigelalTen worden fei i) ; aber fchon im Rechte von Drontheim fcheint diefe Unterfcheidung nicht mehr ganz in ihrer alten Schärfe feftgehalten worden zu fein^j, und im isländifchen Rechte ift diefelbe vollends

1) G|iL, I 58 und 104.

2) FrpL., X, § 47; vgl. VIII, § 8.

350 l^ie Verwandlfchaft.

ganz verwifcht. Unter dem hrfsungr verfteht diefes den Sohn einer zur Zeit der Geburt freien Mutter, welche doch zur Zeit feiner Erzeugung noch unfrei gewefcn war, und unter dem hornüngr den Sohn, welchen eine freie Frau von ihrem eigenen Sklaven gewinnt, den fie freigelaffen hat um mit ihm leben zu können l); der in den Gefchichtsquellen fo häufig genannte frillusonr, d. h. Concubinen- fohn, fpielt in den Rechtsbüchern keine Rolle, obwohl das Halten von unfreien Concubinen wenigftens in der älteren Zeit unter Um- ftänden erlaubt 2), und felbft das Halten von freien Concubinen zu jeder Zeit üblich war; der Jiyborinn sonr endlich tritt zwar in den Rechtsbüchern noch gelegentlich auf, wird aber auch feinerfeits mit dem gewöhnlichen laungetin son ohne Weiters zufammengeworfen 3). Uebrigens behandelt das isländifche Recht nicht nur das Kind als ein unfreies, deden Mutter zur Zeit der Empfängnifs unfrei gewefen, aber noch vor der Geburt freigelaffen worden war, fondern auch das Kind als ein uneheliches, deffen Aeltern ein- ander zwar bereits vor feiner Geburt, aber doch erft nach feiner Empfängnifs geheirathet habend); es kennt fomit die von der Kirche fo fehr begünftigte legitimatio per subsequens matrimonium schlechterdings nicht, und ebenfo weift auf eine Bekanntfchaft deffelben mit einer nationalen Legitimationsform nur eine ganz vereinzelte Spur in einer Gefchichtsquelle hin 5), Letzteres um fo aufirälliger,' weil das norwegifche Recht eine augenfcheinlich uralte Form für die aettleiöfng oder arfleiöing befitzt. Als feft- ftehend kann übrigens gelten, dafs das uneheliche Kind feinem Vater und feiner väterlichen Verwandtfchaft gegenüber nur unter der Vorausfetzung irgendwelche Rechte zu beanfpruchen hatte, dafs das Vaterfchaftsverhältnifs jenem erfteren gegenüber in rechts- gültiger Weife feftgeftellt war. Eine Vaterfchaftsklage konnte dieferhalb angeftellt werden (saikja til faöernis), und es gab

1) Kgsbk, § 118, S. 224; Arfa J)., cap. 4, S. 178; in der Belgsdalsbök, § 47, S. 239 40 fehlen übrigens die Bezeichnungen, die fomit ein fpäteres Ein- fchiebfel fein könnten.

2) Kgsbk, i 112, S. 192; im Festa J>., cap. 43, S. 358, fteht bereits *til eiginkonu s^r«r Aatt des älteren »til karnabar s^r<r.

3) Kgsbk, § 113, S. 201: sonr Jjyborinn eba laungetinn.

4) Kgsbk, § 118, S. 224, und § 142, S. 23; Arfa jj., cap. 4, S. 178, uud Ömagab., cap. 22, S. 277—8.

5) Laxda-la, cap. 26, S. 102.

Die Verwandlfchaft. 351

verfchiedene Wege, auf denen die Sicherftellung der Paternität (faera mann f aett, bera mann i aett) bewerkftelligt werden konnte. Bei Concubinenkindern verftand fich die Vaterfchafl von felbft, fowie nur erft das Concubinatsverhältnifs der Kindsmutter dem angeblichen Kindsvater gegenüber feftftand, und ebenfo ge- nügte die förmliche Anerkennung der Kinder Seitens des Vaters; abgefehen aber von diefen beiden Fällen war die Ueberfiihrung durch Gcfchworene oder durch ein Gottesurtheil nöthig, und follte ein blofes umlaufendes Gerede ohne gerichtlichen Beweis nicht ge- nügen 1). Aber auch nur dem Vater und der väterlichen Vervvandt- fchaft gegenüber bedurfte es emcr derartigen Feftftellung der ver- wandtfchaftlichen Beziehungen ; die Zugehörigkeit des unehelichen Kindes zur Mutter und zu deren Vcrwandtfchaft dagegen galt fchon von Vornherein als gefichert, und werden demnach auch die Be- denken fich widerlegen laffen, ' welche Vilh. Finsen gegen deffen Berechtigung diefer gegenüber erhoben hat 2). Aus dem Ausdrucke »fa^ra f aett« darf man jedenfalls nicht folgern, dafs die unächten Kinder vor erfolgter Feftftellung der Paternität überhaupt keinem Gefchlechte angehört haben; derfelbe kann vielmehr recht wohl elliptifch ftehen, wie denn wirklich an einer Stelle, an welcher die eine Hs. lieft »er eigi er kominn i aett at lögum«, in der anderen fteht: »er eigi er at lögum kominn f fööur aett 3)«. Ausdrücklich wird ferner demjenigen, welcher »eigi til arfs alinn« ift, die Alimen- tationspflicht feiner Mutter wie feinem Vater gegenüber auferlegt, und beiden gegenüber ein eventuelles Erbrecht zugefchrieben^), während doch Niemand wird beftreiten wollen, dafs dabei zunächft, wenn auch vielleicht nicht ausfchliefslich, an den unächt Geborenen zu denken fei. An der Stelle, welche ex professo das Erbrecht der unächt Geborenen gegenüber ihren Aeltern und Gefchwiftern be- fpricht^), wird zwifchen Vater und Mutter nicht unterfchieden, und

1) Festa J>., cap. 45, S. 361; vgl. auch Kgsbk, § 94, S. 169, und Vi'gsloöi, cap. 71, S. 113; ferner Kgsbk, § 142, S. 23, und § 143, S. 25, fowie Ömagab,, cap. 22, S. 277—8 und cap. 34, S. 299, dann Festa J»., cap. 55, S. 380 1 u. dgl. m.

2) Annälar, 1849, S. 286.

3) Vgl. Kgsbk, § 94, S. 169, mit Vfgsloöi, cap. 71, S. 113.

4) Kgsbk, § 143, S. 24; Ömagab., cap. 34, S. 299.

5) Kgsbk, g 118, S. 218—9; Arfa J»., cap. 1, S. 170-1.

352 I^»*^ Vcrwandtfchafl.

wenn zwar an einer zweiten nur der Vater genannt wird^), fo darf diefs um fo unbedenklicher als eine Ungenauigkeit bezeichnet werden, als an beiden Stellen ganz gleichmäfsig der brööir samma^öri iaun- getinn und die systir samma^öra laungetin zur Erbfolge berufen werden, was denn doch unzweideutig ein Erbrecht der unächten Geburt dem mutterlichen Gefchlecnte gegenüber darthut. So er- fcheinen ferner nach einer weiteren Stelle die unächt Geborenen zur Alimentation ihrer Mutter wie ihres Vaters, dann auch ihrer Gefchwifter verpflichtet, ohne dafs dabei zwifchen der Vaterfeite und Mutterfeite unterfchieden würdet); neben ihrem Erbrechte untl ihrer Alimentationspflicht werden <^efelben ferner auch zur Stellung der Blutklage um einen broöir sammseöri, dann zur Verlobung einer systir sammaeiSra oder zum Bezüge einer Unzuchtsbufse wegen derfelben berufen 3), und auch ihrer eigenen Mutter gegenüber können unächte Kinder zum Bezüge einer derartigen Bufse berechtigt fein^j. Wenn endlich gefagt wird, dafs die mütterliche Verwandtfchaft den am unächt Geborenen verübten Todtfchlag zu verfolgen und deffen Erbfchaft zu beziehen habe, wenn die Paternität nicht her- geftellt ift5), fo darf man hieraus keineswegs fchliefsen, dafs bei hergeftellter Paternität derfelben keinerlei Erbrecht und keinerlei vigsakaraöild zukomme, was mit den oben angeführten Beflimmungen im unlösbaren Widerfpruche flünde ; vielmehr will damit offenbar nur gefagt fein, dafs Erbrecht und Blutklage in dem angegebenen Falle ausfchliefslich der mütterlichen Verwandtfchaft zufalle, während diefe bei feftgeftellter Paternität, nur neben der väterlichen, und theilweife fogar erft hinter diefer, einzutreten hätte. So bleibt demnach nur der Satz übrig, dafs uneheliche Kinder nach feft- geftellter Paternität ausfchliefslich von ihrem Vater und eventuell von ihren väterlichen Verwandten zu alimentiren feien, bis fie ihr fcchzehntes Lebensjahr erreicht und damit die Grenze des »oraaga aldr« überfchritten habend); aber auch diefer Satz läfst wenigftens

1} Arfa {>., cap. 18, S. 222; in Kgsbk, ang. O. als Marginalzufatz. 2) Omagab., cap. 29, S. 288— 9; vgl. Cod. AM. 315, fol. B., § 1, S. 227, 8) Arfa J»., cap. 18, S. 222; Cod. AM. 815, fol. B., § 1, S. 227; in tlrr Kgsbk, § 118, S. 218 9 als Referenz am Räude nachgetragen.

4) Festa Ji., cap. 56, S. 382.

5) Kgsbk, § 94, S. 169; Vigsloöi, cap. 71, S. 113.

6) Kgsbk, § 142, S. 28, vgl, mit § 128 S. 7; dann Omagab., cap. 22, S. 277-8, und cap. 3, .S. 237, vgl. mit cap. 5, S. 248.

Die Verwandifchaft. 353

dem mündig gewordenen unehelich Geborenen gegenüber die Ali- mentationspflicht der mütterlichen Vervvandtfchaft fo gut wie der väterlichen obliegen^ und er reducirt fich überdiefs einfach darauf, dafs bei allen Fleifchesvergehen der Mann als der vorzugsweife fchuldige Theil betrachtet, und fomit auch ganz folgerichtig (vir deren Folgen zunächft haftbar gemacht wurde. Uebrigens fcheint fich die Berechtigung der unächten Geburt fowohl der väterlichen als der mütterlichen Verwandtfchaft gegenüber nur fehr allmälig, und in verfchiedenen Richtungen nicht ganz gleichmäfsig entwickelt zu haben i). Der Sohn, delTen Mutter nicht m rechtsgültiger Form, vor deflen Erzeugung den Vater geheirathet hatte, wird noch aus- drücklich als nicht erbfähig (eigi arfgengr) bezeichnet 2), und die Ausdrücke arfgengr, til arfs alinn, u. dgl. m. bezeichnen vielfach den ehelich Geborenen, während umgekehrt die unächt Geborenen als eigi til arfs alnir u. dgl. bezeichnet werden. Beides nur unter der Vorausfetzung verftändlich, dafs die unächte Geburt urfprünglich vom Erbrechte ganz und gar ausgefchlofTen gewefen war, mit Aus- name natürlich der Beerbung der eigenen Kinder, dann der Frei- gelaffenen des unächt Geborenen 3) j nur das fcheint in diefer alterten Zeit dem Vater bereits geftattet gewefen zu fein, dafs er feinem unehelichen Sohne eine Vergabung im Werthe von I2 aurar zu- kommen laflen mochte ohne defsfalls an die Zuftimmung feiner geborenen Erben gebunden zu fein^), wie denn bereits aus dem Ende des zehnten Jahrhunderts ein Fall der Anwendung folcher Vergabung berichtet wird 5), und überdiefs auch die non\'egifchen Rechte eine ganz analoge Beftimmung kennen 6). Einem fpätcren Enhvicklungsftadium erft dürfte eine Beftimmung angehören, welche den Sohn und die Tochter, dann den Bruder und die Schwerter von unächter Geburt zur Beerbung ihrer Aeltern und Gefchwirter beruft ; fie läfst diefelben am Schluffe der tölumenn eintreten, fiir den Fall, dafs acht Geborene des errten gleichen Grades nicht

1) Vgl. Vilh. Finsen, in den Annaler, 1849, S. 296—6.

2) Kgsbk, § 118, S. 222; Arfa J>., cap. 3, S. 175.

3) Kgsbk, § 124, S. 247; Arfa }>., cap. 11, S. 204.

4) Kgsbk, § 124, S. 247; Arfa ].., cap. 11, S. 203—4, uml 204.

B) Laxd;iela, cap. 26, S. 102—4; dafs in diefem Falle der vergabende Valor in fraudem legis 12 Unzen Gold ftatt ebenfo viel Silber giebt, ift für unfern Zweck gleichgültig.

0) G|>L., 8 129: Frl>L., IX, g 17

Maiiror, I.Hland. "^

354 ^le Verwandtfchaft.

vorhanden find, fpricht aber zugleich mit beftimmteften Worten aus, dafs in den entfernteren Graden nur noch acht Geborene erb- berechtigt feien 1). Aber die eine und vollftändigere der beiden Stellen, welche diefe Vorfchrift enthalten, wird in der Staöarholsbök ausdrücklich als ein nymaeli bezeichnet, und fcheint einem über das Erbrecht hinausgreifenden, die gefammte Stellung der unächt Ge- borenen umfaflenden Gefetze anzugehören, über deflen Entftehungszeit fich freilich kaum eine Vermuthung wagen läfst^); zu der von Vilh. Finsen ausgefprochenen Vermuthung, dafs zwifchen diefer Neuerung und jenem älteften Rechtszuftande noch ein MitteUladium beftanden habe, vermöge deflen den upächten Kindern nur gegenüber ihren Aeltern, und felbft ihnen gegenüber nur unter der Voraus- fetzung ein Erbrecht eingeräumt gewefen fei, dafs überhaupt keine erbberechtigten Verwandten von ehelicher Abkunft vorhanden feien, vermag ich mich aber jedenfalls nicht zu bekennen, da diefelbe lediglich auf einer falfchen Auslegung des an der mafsgebenden Stelle gebrauchten Ausdruckes »taldir til arfs f lögumt beruht 3), bei defl*en richtigem Verftändnifle diefelbe mit den foeben be- fprochenen Beftimmungen in voUftem Einklänge fteht. Dagegen enthält allerdings das Capitel, welches in der Staöarholsbök den erbrechtlichen Abfchnitt fchKefst^), eine Beftimmung, nach welcher in Ermangelung acht geborener Perfonen, welche mit dem Erblafler im dritten gleichen Grade oder näher verwandt find, deflen unächt geborene Verwandte innerhalb derfclben Grenze fuccediren follen, nach derfelben Ordnung wie fie flir die acht geborenen galt, Selbft diefe zweite und letzte Ausdehnung der den unächt Geborenen ein- geräumten Erbrechte blieb übrigens immerhin noch hinter der für die eheliche Verwandtfchaft gezogenen Grenze beträchtlich zurück, foferne diefe letztere bis zum fünften gleichen Grade reichte. In

1) Kgsbk, § 118, S. 218—9; Arfa J»., cap. 1, S. 170, und cap. 18, S. 222, welche Stelle in der Kgsbk, ang. O., am Rande als Referenz nachgetragen i(l: ferner Belgsdalsbok, § 45, S. 238—9.

2) Vgl. die Form, in welcher die Belgsdalsbok, dann Cod. AM. 315, fol. B, § 1, S. 227 die einfchlägigen Bellimmungen bringen; in der letzten Ils. fehlen freilich zufolge einer Lacuue gerade die erbrechtlichen Sätze.

3) Kgsbk, § 143, S. 24; Ömagab., cap. 34, S. 299. 4} Arfa Ji., cap. 25, S. 229.

Die Verwandtfchaft. 355

Bezug auf die Altersvormundfchaft l), dann auch in Bezug auf die Alimentationspflicht 2) galt die Regel, dafs die Berufung zu derfelben fich nach denfelben Grundfätzen bemefle wie die Erbfolge, und in Bezug auf die letztere wenigftens fehlt es nicht an Beftimmungen, welche diefe Regel theils beftätigen, theils näher ausfuhren, und zwar fowohl für die Zeit, da die Erbberechtigung der unächten Geburt auf den erflen Grad befchränkt ^), als für die andere, da diefelbe bis auf den dritten gleichen Grad der Verwandtfchaft erftreckt war*). Wefentlich anders beantwortet fich freilich die Frage der Alimentationsberechtigung der unehelic;^ Geborenen. Es wurde bereits erwähnt, dafs uneheliche Kinder, die Feftftellung der Paternität vorausgefetzt, bis zum zurückgelegten fechzehnten Lebensjahre vom Vater und der väterlichen Verwandtfchaft alimentirt werden mufsten, wogegen nach Ueberfchreitung jener Altersgrenze die Alimentationspflicht den nächftberufenen Verwandten ohne Unter- fcheidung der Vaterfeite und der Mutterfeite trafT^). Ein paar Ausnamsbeftimmungen, welche darauf berechnet waren, eine allzu grofse Belaflung der väterlichen Verwandtfchaft überhaupt oder einzelner Angehöriger derfelben zu verhindern, mögen hier unbe- fprochen bleiben 6); doch mufs erwähnt werden, dafs man von einem Verwandten, der Einem nicht näher als im vierten gleichen Grade (land^ nicht mehr als 2 unächte Kinder zu übernemen brauchte, folange nicht deren Vater caftrirt, und damit gegen eine weitere Vermehrung feiner Kinderzahl volle Sicherheit geboten war 7). Die Erftreckung der verwandtfchaftlichen Verpflichtung bis über den vierten Grad hinaus, während doch fonft die Berechtigung der

1) Kgsbk, § 122, S. 230, und Arfa J>., cap. 3, S. 192; vgl. Arfa J>., cap. 2, S. 172, welche Stelle in der Kgsbk, § 118, S. 220 als Referenz fteht.

2) Kgsbk, § 128, S. 3; Ömagab., cap. 1, S. 232.

3) Ömagab., cap. 29, S. 288—89; Arfa |>., cap. 18, S. 222, welche Stelle in der Kgsbk, § 118, S. 218—9 als Referenz fleht; Belgsdalsbc')k , § 46, S. 239, wogegen Cod. AM. 315 fol. B., § 1, S. 1^27 in Folge einer Lacune nur wenige der hieher gehörigen Sätxe kennt; endlich vgl. auch Arfa Jj., cap. 1, S. 171.

4) Arfa, cap. 25, S. 229—30.

6) Kgsbk, § 128, S. 7 und § 142, S. 23; Ömagab., cap. 5, S. 243, und cap. 22, S. 277 8 dann cap. 8, S. 287, und wegen des Vaters Festa {>., cap. 56, S. 882. Vgl. oben, S. 352—3.

6) Kgsbk, § 143, S. 28 und S. 24; Ömagab., cap. 34, S. 301 und S. 299.

7) Kgsbk, § 143, S. 26; Ömagab., cap. 34, S. 300.

23*

356 Die Verwandtfchaft.

unächten Geburt auf den erften, und fpäter noch wenigftens auf den dritten Grad befchränkt war, hat etwas Auffälliges; fie läfst fich indeffen immerhin aus dem theilweife ftrafweifen Charakter jener Alimentationspflicht, fowie aus der Rückficht erklären, welche auf die eventuelle Verpflichtung fei es nun der mütter- lichen Verwandtfchaft oder auch der Gemeinde billiger Weife zu nemen war. Bezüglich der Berufung zum Verlobungsrechte ^), dann zur Unzuchtsklage 2) follte wider die Regel der Erbfolge ent- fcheiden, mit dem Unterfchiede natürlich, dafs Weiber beide Rechte nicht felber ausüben, fondern nur, wenn verheirathet, durch ihren Ehemann ausüben laffen konnten; dafs an den betreffenden Stellen in der Konüngsbök jede Berechtigung der unächten Geburt unbe- rückfichtigt bleibt, kann nur auf einem Ueberfehen beruhen, da ander- wärts in diefem Rechtsbuche die Berechtigung des brö^ir laungetinn in beiden Beziehungen ausdrücklich nachgetragen ift3). Auch hin- fichtlich der Berufung zur Blutklage gilt wider diefelbe Regel wie bei der Erbfolge, nur dafs von ihr die Weiber fowohl als deren etwaige Ehemänner ausgefchloflen find*), wogegen aber im Bauga- tale der unächt geborene Sohn nur unter die sakaukar eingereiht, und der unächt geborene Bruder völlig unberückfichtigt gelalTen wird 5), auch bei Befprechung der blutigen Rache wegen einer legorössök, dann der Recufationsgründe, die unächte Geburt über- haupt unerwähnt bleibt. So macht fich denn nach allen Seiten hin ein allmäliges Fortfehreiten der Berechtigung der unächten Geburt geltend, wenn auch nicht nach allen Seiten hin völlig gleichmäfsig durchgefühlt. Die Vergleichung des norwegifchen Rechtes macht freilich wahrfcheinlich, dafs diefer Entwicklungsgang in feiner Totalität fich urfprünglich nur auf den t)yborin son bezog, wogegen der frillusonr fowohl als der laungetinn sonr im engeren Sinne des Wortes, wenn nur deflen Paternität einem freien Vater gegenüber fcflftand, dem acht geborenen Kinde völlig gleich (land; indeflen

1) Kgsbk, § 144, S. 29, und § 253, S. 203; Festa f., cap. 1, S. 306.

2) Kgsbk, § 156, S. 48, und § 254, S. 208; Festa J.., cap. 25, S. 339, und cap. 56, S. 382.

3) Kgsbk, § 118, S, 218—9 (Referenz); Arfa Ji., cap. 18, S. 222; AM. 315 fol. B., § 1, S. 227; Belgsdalsbok, § 46, S. 239.

4) Kgsbk, ^ 94, S. 168: die Nichterwähnung des unehelichen Bruders im Vfgslüöi, cap. 35, S. 66—7, beruht wohl nur auf einem Verfehen. Vgl. ferner die in der vorigen Anmerkung angeführten Stellen.

r.) Kgsbk, g 113, S. 201: vgl. oben, S. 337—8.

Die Verwancltfchafl. 357

würde CS zu weit führen, diefen Punkt hier zu untcrfuchen. Als verwandtfchaftsähnliche Verhältnifle kommen noch folsrende in Betracht. Vor allem die Schwägerfchaft (mägsemd oder maegöir; sifskapr oder sifjar; tengöir)!). Abgefehen von ihrer Bedeutung als Ehehindernifs, welche durch kirchenrechtliche Gefichtspunkte geregelt wird 2), wird diefelbe jedoch immer nur innerhalb des erften Grades berückfichtigt. Im Baugatale werden als sakaukar behandelt drei nämagar, d. h. Nahverfchwägerte, nämlich der Stiefvater, Schwiegerfohn und der Mann der Schwerter, aufserdem aber auch noch der StiefTohn, der alfo hier zu den Verfchwägerten nicht ge- zählt wird 3). Diefelben drei nämagar unterliegen bei der Beftellung von Richtern oder Gefchworenen einer Recufation, ohne dafs dabei des Stieffohnes gedacht würdet); umgekehrt gelten dagegen als legale Vertreter eines an der Dingfahrt verhinderten Mannes nur deflen StiefTohn und Schwiegerfohn, alfo weder deflen Schwieger- vater noch Schwager 5). Unter den fechs Weibern, wegen deren gefchlechtlicher Kränkung der Mann blutige Rache nemen darf, wird gar keine Verfchwägerte genannt 6); dagegen darf allerdings nicht nur der Schwiegerfohn feine Schwiegermütter, der Schwager die Schwerter feiner Fraif, fondern überhaupt der Mann die Verwandte feiner Frau verloben, wenn näher verwandte Männer fehlen 7j, und ganz ähnlich rteht es auch bei der legorössaka aöildö). Aber wenn zwar in diefen beiden letzteren Fällen die der Schwägerfchaft fonft gezogene Schranke überfchritten wird, fo ift diefs doch nur fchein- bar der Fall, da gerade in diefen Fällen der Mann nicht kraft eigenen Rechts eintritt, fondern nur als Vertreter der Frau. Ganz ähnlich rteht es auch im norwegifchen Rechte, und wird man fich vielleicht daran erinnern dürfen, dafs der erfte Grad der Schwäger- fchaft in auflleigender, abrteigender und Seitenlinie noch vielfach in der häuslichen Gemeinfchaft begriffen zu fein pflegt, und dafs

1) Vgl. oben, S. 323— B.

2) Kgsbk, 'i 144, S. 31, undFesta J*., cap. 4, S. 310; vgl. Kgsbk, ? lö, S. 37, und Festa {i., cap. 8, S. 308.

3) Kgsbk, i 113, S. 201.

4) Ebenda, § 25, S. 47; ? 35, S. 62; ^ 89, S. 158; Vigsl6bi, cap. 24, S. 40.

6) Kgsbk, § 89, S. 160; Vigsloöi, cap. 27, S. 45.

6) Kgsbk, § 90, S. 164; Vfgsloöi, cap. 81, S. 60.

7) Kgsbk, g 144, S. 29; Festa |>., cap. 1, S. 306—6.

8) Kgsbk, g 156, S. 48; Festa J.., cap. 25, S. 339.

358 I^»e Venvandtfchaft.

demgemäfs das dänifche Recht die häusliche Gütergemeinfchaft auch noch auf gewiffe Verfchwägerte erftreckt. Hieher gehört aber ferner auch die Gevatterfchaft (guösifjar)i). Deren Bezeichnung hat die isländifche und norwegifche Rechtsfprache augcnfchcinlich aus dem Angclfächfifchen genommen, welches neben den Aus- drücken godfaeder, godsunu auch den Ausdruck godsibb kennt, welcher freilich im englifchen gossip eine eigenthümliche Bedeutung angenommen hat; in der ags. Sprache, welche das einfache »Sibbc: für die Blutsfreundfchaft und nicht für die Schwägerfchaft braucht, erfcheint der Ausdruck aber als einfache Uebferfetzung der kirch- lichen Bezeichnung »cognatio spiritualisc Das isländifche Recht befpricht aber die Gevatterfchaft zunächft gelegentlich der Ehe- hinderniffe^), und bezeichnet dabei als deren Entftehungsgrund das Halten unter die primsignfng, die Taufe oder die Firmung, fowie die Ertheilung der Taufe, jedoch mit dem ausdrücklichen Beifugen, dafs fich diefelbe auch auf diejenigen erftrecke, welche den Kindern des andern Theils folchen Dienft erwiefen haben. Indeflen be- handeln doch unfere Rechtsbücher die Gevatterfchaft auch als einen Recufationsgrund gegenüber der Berufung zum Richter oder Gc- fchworenen 3) ; die Gefchichtsquellen aber bieten nicht nur ein Beifpicl einer folchen Recufation*), fondern auch dafür Belege, dafs man auf Island ij) wie in Norwegen 6) in der Gevatterfchaft ein Moment fah, welches jede Gewaltthätigkeit unter den Betheiligten ausfchlofs, und jede gegenfeitige Unterftützung unter denfelben zur Pflicht machte. Weiter als bis zu diefer Grenze fcheint die Gevatterfchaft in ihren Wirkungen auf rechtlichem Gebiete allerdings nicht gereicht zu haben; dagegen fehlt es nicht an einer einzelnen Andeutung dafür, dafs bereits dem Heidenthume etwas derfelben Aehnliches

w

1) Vgl. Jon Olafsson, Diatribe historico-ecclesiastica de cognatiooe spirituali : Hafnise, 1771.

2) Kgsbk, § 144, S. 31; Festa {>., cap. 4, S. 310; vgl. KrR. hinn gamli, cap. 5, S. 19, Anm. oo.

3) Kgsbk, § 25, S. 47 und 48; § 86, S. 62; § 89, S. 158; Vigsloöi, cap. 24, S. 40.

4) Njäla, cap. 143, S. 285.

5) Sturlünga, II, cap. 20, S. 75.

6) Vgl. was von HallfreÖ vandrae5askäld in der Hallfreöar s., cap. 6. S. 96, FMS., II, cap. 171, S, 65—56, und Flbk, I, § 273, S. 328, dann von

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Steinn Skaptason in der He im skr. Olafs s. helga, cap. 148, S. 393 u. dgl. m. erzählt wird.

Die Verwand Ifchaft. 359

bekannt gewefen fei. Als nämlich gegen das Ende des zehnten Jahrhunderts hin Helgi Droplaugarson mit Helgi Äsbjarnarson kämpfte^ war Ozurr von Ass anwefend, welcher dem letzteren ver- fchwägert war, aber den erfteren gelegentlich feiner Waflerweihe mit Wafler begoffen hatte, und er verweigerte daraufhin die Theilname am Kampfe gegen Helgi Droplaugarson, während diefer auch feiner- feits erklärte, ihm gegenüber fich ficher zu fühlen »t»vfat t>ü jöst mik vatni«!); dafs die norwegifche Gefchichte das Beftehen eines änlichen Verhältniffes zwifchen Hrani vföförli und dem jungen Olafr helgi andeutet 2), darf als eine Beftätigung diefer Angabe an- gefehen werden, deren Tragweite fich indeflen nicht klarftellen läfst. Um fo ficherer ift dagegen, dafs jene andere Verbindung, welche zwifchen den Pflegeältern (föstri, föstra; föstrfaöir, föstrmööir) und den Pflegekindern (föstri, föstra; föstrsonr, föstrdöttir), und wie es fcheint, auch unter den Pflegegefchwiftern (föstbraiör, föstrsystr) beftand, bereits den älteften Zeiten der nordifchen Gefchichte angehört 3). Man gab gerne die eigenen Kinder zur Erziehung aufser Haus, zumal an erprobte Freunde und Anhänger, und wenn man zwar im Allgemeinen denjenigen für den geringeren Mann hielt, der dem Andern ein Kind aufzog'*), fo fehlt es doch auch nicht an Belegen dafür, dafs unter Umftänden die vornemften Herren fremde Kinder in Pflege namen, wie denn z. B. der mächtige Jon Loptsson den Gefchichtfchreiber Snorri Sturluson als Pflegefohn annam; andere Male freilich liefs man auch wohl das Kind im eigenen Haufe aufwachfen, und gab ihm nur aus der Zahl der untergeordneten Hausangehörigen einen Erzieher oder eine Erzieherinn bei, für welche dann ebenfalls wider die obigen Bezeichnungen galten. Beiden Arten von Pflegeältern gegenüber begründete fich nun für den Pflegling ein fehr enges Verhältnifs,

1) Droplaugarsona s., S. 23 und 25.

2) Legendarifche Olafs s. helga, cap. 4, S. 3 4: Heimskr. Olafs s. Tryggvasonar, cap. 49, S. 163, und Olafs s. helga, cap. 1, S. 218; ed. Munch und Unger, cap. 18, S. 14— IB; TMS., IV, cap. 18, S. 82, und cap. 20, S. 35; Fl bk, II, § 8, S. 10, und § 15, S. 14. Nach der Fagrsk., § 86 und 87 war freilich Hrani Olafs fostrfaÖir.

3) Vgl. Kai und, Familielivet Island, in den Aarböger, 1870, S. 279—82.

4) Laxdaela, cap. 27, S. 108; Holmverja s., cap. 9, S. 23; diefelbe An- fchauung belegt fiir Norwegen die Heimskr. Haralds s. härfagra, cap. 42, S. 79—80, und die Morkinskinna, S. 2, vgl. FMS., VI, cap. 1, S. 4—5, und Flbk, m, S. 252.

360 Die Verwandtfchaft.

für deficn Innigkeit der Volksglaube bezeichnend ift, »at fjörftungi brcgöi til föstrsc 1), d. h. dafs der Pflegling in Bezug auf den \nertcn Theil feines Charakters dem Pfleger nachfchlage. Es fehlt in den Gefchichtsquellen nicht an Belegen für die warme Anhänglichkeit der Pfleglinge an ihre Pfleger, und auch nicht an ZeugniflTen dafiir, dafs diefe letzteren den erfteren und ihrer Familie gegenüber auf befonderen Schutz und kräftige Vertretung Anfpruch zu haben glaubten 2); wieweit aber freilich das Verhältnifs rechtlich ausgeprägt war, ift eine andere und fchwer zu beantwortende Frage. Unferc Rechtsbücher laflen neben dem Sohne, Stieffohne und Schwieger- fohne auch den Pflegefohn zur Vertretung eines an der Dingfahrt verhinderten Bauern zu 3); fie zählen ferner die Pflegemutter fowohl als die Pflegetochter zu den Weibern, für deren gefchlechtliche Kränkung der Mann blutige Rache zu nemen berechtigt ift*). Aber abgefehen hievon befprechen fie das Pflegeverhältnifs nur etwa noch in foweit, als es fich bei demfelben um die dem Pfleglinge zu leiftendc Alimentation und die für diefe etwa ausbedungene Gegenleiftung handelt 5), und wenn zwar die. Gefchichtsquellen hin und wider mit der Eingehung des Verhältnifles den Abfchlufs eines Erbvertrages verbunden zeigen, vermöge deflen der Pflegevater dem Pflegefohne fein ganzes Vermögen 6) oder doch deflen Hälfte?) für den Todes- fall zuficherte, oder auch berichten, wie der Pflegevater gelobte, den Pflegefohn in Allem zu unterftützen, aus feinem eigenen Ver- mögen auszufteuern, endlich auch wenn er erfchlagen würde zu rächen 8), fo handelt es fich doch dabei um Rechtsfolgen, welche nicht etwa aus dem Pflegefchaftsverhältnifle als folchem von Rechts- wegen fich ergaben, fondern nur durch befonderen Vertrag allen- falls mit demfelben verknüpft werden konnten. Indeflen fehlt es doch nicht an Spuren, welche für die ältefte Zeit wirklich die Ver- muthung einer weiter reichenden rechtlichen Ausprägung des

1) Njäla, cap. 42, S. 64; im gegebenen Falle ift der Pfleger nach cap. 39, S. 59, ^6r^T leysfngjasou.

2) Vgl. z. B. Droplaugarsona s., S. 14: Vigaglünia, cap. 17 lö, S. 864—66.

8) Kgsbk, § 89, S. 160; Vfgsloöi, cap. 27, S. 45.

4) Kgsbk, § 90, S. 164; Vfgsloöi, cap. 31, S. 60.

5) Vgl. zumal Kgsbk, § 141, S. 22, und Ömagab., cap. 21, S. 276—77.

6) Laxdaela, cap. 16, S. 50—52; Vfgaglüma, cap. 17, S. 364.

7) H2ensa|i6ris s., cap. 2, S. 125.

8) Xjäla, cap. 94, S. 146.

Die Verwandtfclmft. 361

Inflitiites begründen dürften, und rechne ich dahin einerfeits die eigcnthümliche vermögensrechtliche Behandlung des barnföstrslaun ^), und der ^om Pflegevater dem Pflegefohne gemachten Vergabung^), fowie die Behandlung des Pflegfchaftsverhältnifles als eines Recu- fationsgrundes gegenüber der Berufung ins Gericht 3) nach altnor- wegifchem Rechte, welche immerhin eine ven\'andtfchaftsäniiche Auffaflung diefes Verhältnifles beweift, und durch die Heranziehung des fosterleän einer ags. Rechtsaufzeichnung noch bedeutfamer gemacht wird*), andererfeits aber auch die nicht minder eigcn- thümliche Rolle, welche das föstbraeöralag in den nordifchen Ge- fchichtsquellen fpielt. In den gefchichtlichen Quellen Islands und Norwegens bezeichnet nämlich der Ausdruck föstbraiv^r auch noch zuweilen wirkliche Pflegebrüder, weit häufiger jedoch Leute, welche durch einen in beftimmten Formen abgefchloffenen Vertrag fich einander zu gegenfeitiger Brüderfchaft verbunden habend). Man ftach je nach Umftänden einen Rafenftreifen, oder auch deren drei, in der Art aus, dafs diefelben fich in die Höhe heben liefsen, während fie^ doch an ihren beiden Enden mit der Erde verbunden blieben, und man ftützte fie fodann mit Spiefsen fo, dafs fie reich- lich in Mannshöhe aufgerichtet blieben. Jeder der angehenden Bundbrüder hatte fich ferner, allenfalls in der flachen Hand, blutig zu ritzen, und das herabtröpfelnde Blut liefs man in die Grube rinnen, welche das Ausftechen des Rafens hatte entftehen laflen, um es in ihr mit der Erde durch einander zu rühren. Uie betheiligten Männer hatten endlich durch Handfchlag und Eid, mit welchem das Durchgehen unter den Rafenftreifen verbunden war, einander gegenfeitige Treue und zumal Uebung der Blutrache für den Fall zu geloben, dafs einer von ihnen erfchlagen werden würde ö).

1) Gl>L., § 129, und 270.

2) Fr|3L., IX, § 17. 8) Ebenda, X, § 14.

4) He wtfmannes bewcd dünge, § 2 (Anhang VI, S. 892, bei Sclimid); vgl. Ine, § 31, und .liöelbirht , g 77, wo gifl und ceap dasfclbc zu bezeichnen fcheint, was dort fosterleän, nämlich die vingaif oder das fi^^stnabiefie der.fchwedi- fchcn Rechte.

5) Vgl. K. Weinhold, AUnordifches Leben, S. 287 9; Kai und, ang. U., S. 290—98.

6) Vgl. wegen der F'ornialien zumal die Gfsla s. Sürssonar, S. 11, und die Föstbrseöra s., cap. 2, S. 6; dann von den erdichteten Sagen etwa die {»orsteins s. Vfkf ngssonar, cap. 21, S. 445, und den Orms p. Slörölfs- sonar, S. 525, in der Flbk, 1.

362 I>ie Verwandtfchaft.

Anderwärts wird neben der Verpflichtung zur Blutrache auch noch der Eingehung einer Gütergemcinfchaftl), und aufserdem auch wohl noch der Uebername der Verpflichtung gedacht, für die Beflattung des Vorverfterbenden zu forgen^), wiewohl allerdings das Vcr- fprechen der Blutrache den Schwerpunkt des Inftitutes gebildet zu haben fcheint, woraus fich denn auch, in Verbindung etwa mit den wunderlichen Formen der Eingehung der Bundbrüderfchaft, der Verdacht eines heidnifchen Gebrauches erklärt, welchen fich diefe fchon frühzeitig in der chriftlichen Zeit zuzogt), und welcher nur etwa durch die ausdrückliche Abrede befeitigt werden konnte, dafs man fich das Recht vorbehalten wolle, ftatt der wirklichen Rache auch wohl mit der Zahlung eines Wergeides oder mit der Aechtung des fchuldigen Mannes fich begnügen zu dürfen *). Uralt find jeden- falls die Formen der Eingehung des Bundes. Der Gang unter die Rafenftreifen kommt anderwärts auch in Verbindung mit einer ge- richtlichen Ausfage, dann auch mit einem beim Abfchlufle eines Vergleiches abgefchworenen Eide vor, und fcheint hier wie dort ganz glcichmäfsig nur zur Verftärkung eines fei es nun proniiflo- rifchen oder affertorifchen Eides gedient zu habend); die Mifchung des Blutes aber wird ebenfalls bereits in alten Liedern und unver- dächtigen mythifchcn Erzählungen erwähnt 6), wenn auch z. Th. in einer etwas anderen, und wie es fcheint noch älteren Geftalt als der eben gefchilderten. Sowohl ein Lied der älteren Edda als auch eine Erzählung bei Saxo Grammaticus berichten nämlich, dafs die Mifchung des Blutes bei der Eingehung der Bundbrüderfchaft in der Fufsfpur der angehenden Bundbrüder erfolgt fei '^) ; damit rückt aber deren Eingehungsform nahe an die Caerimonien heran, welche die älteren norwegifchen Rechtsbücher dir die aettleiöfng, d. h. die Aufname des tyborinn sonr in das Gefchlecht feines Vaters vor-

1) Gull|>öris s., cap. 2, S. 46; Sörla ^., cap. 6, S. 399.

2) Egils s. ok Asmundar, cap. 6, S. 875 6; diefs freilich eine durchau» iingefchichtliche Quelle.

3] Vgl. Föstbrsebra s. ang. O.

4) Bjarnar s. Hi tdaelakappa, S. 58.

5) Vgl. P. £. Müller, De vi formulse »at ginga undir jarbarmene, gedruckt als Anhang zur Laxdacla, S. 395 400, fowie meinen Aufsatz üher die GoUe^- urtheile im Norden, in der Germania. XIX.

6] f^okaglepsa, 9; Völsünga s., cap. 26, S. 183, und ziimal cap. 31, S. 202.

7) Brot af Sigur^ark vi6u, 17; Saxo, I, S. 40.

Die Veiwandtfcbaft. 363

fchreiben *), während andererfeits der Name fostbraeöralag das Ver- hältnifs als eine künflliche Nachaniung der Verbindung crfcheinen läfst, welche fich auf naturgcniäfserem Wege unter wirklichen Pflege- brüdern knüpfte. Man brauchte darum auch, wiewohl nicht immer in ftreng technifchem Sinne, den Ausdruck sverjaz i braiöralag, d. h. Bruderfchaft fchwören, von der Eingehung einer derartigen Verbindung 2), und bezeichnete die Bundbrüder felber als svara- braiör^), oder eiöbraiör^), d. h. Eidbrüder oder Schwurbrüder, weil in der That die eidliche Eingehung dasjenige war, was diefe V^er- bindung von der eigentlichen Pflegebrüderfchaft unterfchied. Schon das Bisherige wird die Vermuthung nahelegen, dafs in der älteren Zeit die Pflegebrüder fogut wie die Bundbrüder zur Blutrache wie zur Blutklage für einander zugelaffen worden fein möchten, und diefe Vermuthung wird dadurch beftätigt, dafs eine der älteren norwegifchcn Wergeidstafeln neben dem Schwager und Schwieger- fohne, dann dem Stiefvater und Stieffohne, auch die Eidbrüder (eiöbra;ör) und von ihnen gefchieden die Pflegebrüder (föstbra;ör) mit einem Antheile am Wergeide bedenkt, wobei diefe letzteren ausdrücklich als Milchbrüder bezeichnet werden 5); man wird wohl annemen dürfen, dafs auch das ältere isländifche Recht dcnfelben Weg gegangen fein werde, wenn man auch Bedenken tragen mag, deflen Beftimmungen über den Anfpruch des Gefellfchafters eines erfchlagenen Fremden auf deflen Wergeid 6), dann über deffen An- fpruch auf den Nachiafs eines dafelbft verftorbenen Fremden 7), hieher zu beziehen, und man wird nicht minder annemen dürfen, dafs den Pflegebrüdern zugeftandene Rechte auch den Pflegeältern und Pflegeföhnen nicht vorenthalten gewefen fein werden.

Ungleich kürzer als die Frage nach der Organifation der Ver- wandtfchaft darf die andere Frage nach deren Wirkfamkeit hier

1) Vgl. Gt>L., 2 585 Fr|>L., IX, § 1.

2) Vgl. z. B. Heimskr. Magnüss s. göba, cap. 7, S. 619— 20; und wider Magnüss s. blinda, cap. 8, S. 706, FMS., VIT, cap. 5, S. 179, und Knyt- Ifnga, cap. 100, S. 343, beidemale von der Eingebung eines Erbvertrages uder einer BundesgenoiTenfchaft.

8) Föstbrae6ra s., cap. 20, S. 62; Gisla s. Sürssonar, S. 21; Knyt- linga, cap. 21, S. 206, und cap. 100, S. 343, Anm. 1.

4) Häkonar s. gamla, cap. 58, S. 294.

5) GtL., 2 239.

6) Kgsbk, ^ 97, S. 172—3; Vfgslööi, cap. 37, S. 72—3.

7) Kgsbk, § 120, S. 228—9, u. i 249, S. 197; Arfa |3., cap. 6, S. 186—7.

364 13ic Vcrwandtfchaft.

abgcthan werden. Nicht als ob es* von geringerem Belange wäre, die Aufgaben feftzuftellen, welche das Recht des Freiftaates der verwandtschaftlichen Verbindung überwies, oder die Verfchiedenheit der Wege zu betrachten, auf welchen daflelbe deren Erfüllung er- ftrebtc; aber eine eingehende Erörterung des Gegenftandes würde die Darflellung eines grofsen Theiles des isländifchen Privatrechtes fowohl als Strafrechtes erfordern, welche diefes Ortes unmöglich fein kann, während andererfeits eine nur kurz andeutende, im All- gemeinen orientirende Befprechung an fo mancherlei Andeutungen anzuknüpfen vermag, welche bei anderer Gelegenheit bereits zu geben waren. Auf die Blutsgemeinfchaft begründet, alfo von Natur aus geworden, nicht erft durch den Staat gefchaffen, ver- bindet die Vcrwandtfchaft die fämmtlichen Angehörigen jedes ein- zelnen Gefchlechtes zu einer feilen Einheit, an welcher der Weibs- ftamm ebenfogut Antheil hat wie der Mannsftamm. Nach Aufsen tritt diefelbe als eine feft gefchloflene MalTe auf, ftets bereit die Rechte und Intereffen jedes einzelnen Verwandten mit gemeinfamer Hand zu vertreten; nach Innen legt fie ihren fämmtlichen Ange- hörigen die heilige Pflicht auf, unter fich Frieden zu halten, und fich überdiefs auch pofitiv je nach Bedarf gegenfeitig zu unterftützen. An fich unbegrenzt, findet indeffen diefe, zunächft nur fittliche Verpflichtung keineswegs ihrem vollen Umfange nach rechtliche Ausprägung, fondern nur infoferne als diefs entweder die Bezieh- ungen der Vcrwandtfchaft zu anderen Perfonen oder auch die Beziehungen der einzelnen Verwandten zu einander fchlechterdings zu fordern fcheinen; ihre rechtliche Geftaltung wird überdiefs auch wohl modificirt durch das Intereffe des Staates, welcher weder eine allzu ftarre Isolirung der einzelnen Gefchlechter, noch vollends ein allzu fchroffes Auftreten derfelben gegen einander und gegen feine eigene Ordnung dulden konnte. Wenn demnach zwar die Struftur der Vcrwandtfchaft rechtlich geregelt ift, als auf welcher die Reihen- folge beruht, in welcher die einzelnen Verwandten zur Ausübung der verwandtfchaftlichen Rechte und Pflichten berufen werden, fo gilt doch nicht das Gleiche von den Anfprüchen und Verbindlich- keiten felbft, welche aus dem Verwandtfchaftsverhältnifle erwachfen ; vielmehr find es immer nur einzelne Folgen oder Gruppen von Folgen aus demfelben, welche zu vereinzelten Rechtsfätzen oder höchftens noch zu einzelnen Rechtsinfliituten fich befeftigt haben, während der Staat auch wohl durch andere Rechtsfätze fei es nun feine eigene Ordnung oder auch die Freiheit der Individuen alb

Die Verwandtfchaft. 365

folcher gegen Uebergriffe der Verwandfchaft feftzuftellen fucht. Es begreift fich, dafs der Spielraum der Verwandtfchaft um fo gröfser, und deren rechtliche Ausprägung um fo ausgedehnter ift, je näher fich noch die Sitte mit dem Rechte berührt, je gröfser in Folge der geringeren Lejftungsfähigkeit des Staats und der Gemeinde das Bcdürfnifs nach helfendem Eingreifen anderer Mächte ift, und je geeigneter fich anderntheils die Verwandtfchaft felbft zufolge der Gebundenheit und Enge der Verhältnifle zeigt diefem Bedürfniffe abzuhelfen, wogegen im Verlaufe der Zeit das beftimmtere Hervor- treten einer bewufsten Gefetzgebung die Sonde/ung von Recht und Sitte befeftigt, während die erftarkende Macht des Staats und der von diefem unter feine Obhut genommenen Gemeinde beide be- fähigt, den bisher von der Verwandtfchaft befriedigten Bedürfniffen mehr oder minder felbft abzuhelfen, und zugleich eiferfiichtiger werden läfst gegen jede in ihrem Innern fich erhebende allzu felbft- ftändige Macht, die allmäliche Lockerung des verwandtfchaftlichen Bandes aber, welche mit der freieren Entwicklung der Individuen Hand in Hand geht, die frühere Leiftungsfähigkeit der Gefchlechter ihrerfeits fehr erheblich abfchwächt. Das Recht des isländifchen Freiftaates fehen wir nun mitten in diefem EntwicklungsprocelTe begriffen, jedoch fo, dafs daffelbe feinem Ausgangspunkte faft noch näher fteht als feinem Schlufspunkte. Von Stammgütern (ööal), wie folche im norwegifchen Rechte eine fo hervorragende Rolle fpielen, ift auf Island zufolge des eigenthümlichen Ganges der Be- fiedelung des Landes allerdings nicht die Rede ; aber doch erfcheint auch hier alles Erbrecht wefentlich auf die Verwandtfchaft gebaut, und es gilt als rechtswidrig, wenn Jemand den geborenen Erben durch irgend welche Verfugung um fein Erbrecht zu bringen fucht (arfskot, arfsvik). Nur in engftem Umfange waren fogar Vergabungen unter Lebenden geftattet, wenn fie etwa an unächte Kinder des Vergabenden, oder an Freunde deffelben (als vingjafir) gemacht werden wollten, einen remuneratorifchen Charakter trugen, oder auch das Seelenheil des Vergabenden im Auge hatten (til säluböta ser gemacht waren), und dabei eine gewifle Werthgrenze nicht überfchritten ; nur unter beftimmten, ängftlich geregelten Cautelen durfte insbefondere auch ein Verpfründungsvertrag (arfsal) einge- gangen werden, foferne nicht der Confens des geborenen Erben zu deffen Abfchlufs erholt wurde, letztwillige Verfügungen aber waren dem isländifchen Rechte überhaupt nicht bekannt, und fogar die Verfügungen unter Lebenden bedurften, foweit liegendes Gut oder

366 J^'« Verwandtfchaft.

Godorde in Frage waren, fchlechterdings der Zuftimmung diefes Erben, wenn nur der Verfugende bereits fein 80. Lebensjahr über- fchritten hatte, oder aber auf dem Todbette lag, d. h. wenn zu befürchten war, dafs diefelben materiell als Verfügungen auf den Todesfall zu betrachten fein möchten i). Soweit reichte die Gebun- denheit des Individuums, dafs felbd die Eingehung der ehelichen Gütergemeinfchaft nur unter der Vorausfetzung zuläfsig war, dafs das Vermögen beider Theile fich einigermafsen die Wage hielt 2), und dafs der ohne Zuftimmung feines Präfumptiverben heirathendc Greis in derBeftellung des Mundfchatzes an eine enge Grenze gebunden war 3); dafs ferner fogar die Aeltern hinfichtlich der Zuwendungen be- fchränkt waren, welche fie etwa, und wäre es auch durch Verfugungen unter Lebenden, einem ihrer Kinder zum Nachtheile der anderen ange- deihen lafTen wollten. Ja fogar von einer Prodigalitätserklärung, welche auf Antrag des geborenen Erben erlaflen werden konnte, fcheint das ältere isländifche Recht bereits zu wiffen^). Auch die Vormund- fchaft, möge diefelbe nun über Minderjährige, Gebrechliche oder Geifteskranke geführt werden, beruht durchaus auf der Verwandt- fchaft; diefelbe ift wefentlich als eine tutela usufructuaria geflaltet, d. h. der Vormund übernimmt die Verwaltung des Mündelgutes auf eigene Wag und Gefahr, fo dafs er bei Beendigung feines Rechtes nur die Liegenfchaften in Natur, die Fahrhabe ihrem Capitalwerthe nach herauszugeben, dagegen aber die Früchte des Mündelgutes für fich zu beziehen, und andererfeits den Aufwand für deffen Bewirthfchaftung, fowie die Gefahr feines Verluftes oder feiner Werthminderung feinerfeits zu tragen hat. Es ifl demnach neben der Rückficht auf das Wohl des Mündels auch die Rückficht auf das Interefle des geborenen Erben am Vermögen fiir die Aus- bildung des Inflitutes mafsgebend geworden, und auf ein fpäteres Entwicklungsfladium dürfte es zurückzuführen fein, wenn in einzelnen Beflimmungen der erftere Gefichtspunkt etwas einfeitiger betont wird, wie z. B. in der Beftimmung, dafs denjenigen Veru^andten gegenüber, welche nicht zu den 3 nächftberufenen gehören, die Vormundfchaft gegen das Erbieten abgenommen werden kann,

1) Vgl. Kgsbk, § 126, S. 246; Arfa {>., cap. 11, S.^1— 2, und cap. 18, S. 224.

2) Kgsbk, § 158, S. 46; Festa t-, cap. 22, S. 834—5.

3) Kgsbk, § 118, S. 224; Arfa }j., cap. 4, S. 178.

4) Kgsbk, 2 127, .S. 247; Arfa |.., cap. 11, S. 202 3.

Die Verwandtfchaft. 367

diefelbe unentgeldlich führen, d. h. die Früchte und Zinfen des Mündelgutes dem Mündel felbft verrechnen zu wollen; von irgend welcher ftaatlichen oder gemeindlichen Obervormundfchaft aber ift im isländifchen Rechte, bezeichnend genug, keine Spur zu finden. An die Vormundfchaft fchliefst fich ferner die Armenpflege an, welche im isländifchen Rechte eine fo ungewöhnlich eingehende Regelung gefunden hat. Auch fie ift zunächft der Verwandtfchaft überlaffen ; aber anders als bei der Vormundfchaft tritt in Bezug auf fie die Gemeinde, und theilweife fogar der Staat, ergänzend und überwachend ein, und läfst fich allenfalls in den hier einfchlägigen Beftimmungen eine Ergänzung der bei der Vormundfchaft bemerk- baren Mängel erkennen, foferne die Minderjährigen als folche ftets zu den hülfsbedürftigen Perfonen (omagar) gerechnet werden. Mit anderen Worten: die Ueberweifung der fämmtltchen Früchte des Mündelgutes an den Vormund läfst den Mündel gänzlich vermögens- los erfcheinen, und als Armer findet er fofort jene obrigkeitliche Ueberwachung feiner Rechte und InterefTen, welche ihm als Mündel nicht gewährt wird. Aenlich wie die Altersvormundfchaft fcheint übrigens auch die Gefchlechtsvormundfchaft urfprünglich mehr durch das Intereffe der Verwandtfchaft, als durch die Rückficht auf die Schutzbedürftigkeit der Weiber felbft ihre Ausprägung erlangt zu haben. Die Befchränkung der Weiber in Bezug auf die Ver- äufserung von Liegenfchaften und Godorden ift, wie oben fchon bemerkt, wenigftens mit im Intereffe der Verwandtfchaft gefetzt, und von dem Verlobungsrechte mufs daflelbe in noch höherem Grade gefagt werden, foferne ja die Verfchwägerung für das Anfehen und die gefammte Machtftellung jedes einzelnen Haufes von der entfcheidendften Bedeutung war; die legorösakaaöild aber ift theils wegen ihres Zufammenhanges mit dem Verlobungsrechte, theils aber auch um des Ehrenpunktes willen i) als verwandtfchaftliche Angelegenheit betrachtet worden, wie diefelbe denn auch unter Umfländen ihre Spitze fogar gegen das gekränkte Weib felbft kehrt. Das Recht der nächften Angehörigen, um die gefchlechtliche Kränkung eines Weibes blutige Rache zu nemen, geht natürlich mit dem Klagerecht Hand in Hand; die Vergleichung aber des

1) Dafs auch diefer Gefichtspunkt dem alten Rechte nicht fremd war, zeiget unter Andern, was oben, S. 75 über die Behandlung der Gottesläftcrung als eines der Verwandtfchaft angethanen Schimpfes zu fagen war.

368 I^^e Verwandtfchaft.

fchwedifchen, und theilweife fogar noch des norwegifchen Rechtes zeigt, dafs das Klagerecht des Gefchlechtsvormundes fich urfprüng- lich weit über das gefchlechtliche Bereich hinaus auf alle Kränkungen des Weibes, und fogar auf deffen privat rechtliche Vertretung crftreckt hatte, was auf einen ganz anderen Ausgangspunkt, nämlich auf die Behandlung der Weiber als Unmündige zurückführt i). SelbfMländigen Angehörigen gegenüber, wie diefs geiftig und körper- lich rüftige Männer freien Standes zu fein pflegten, konnte natürlich eine gleich weit reichende Berechtigung und Verpflichtung der Verwandtfchaft, wie fie Weibern, Minderjährigen und geiftig oder körperlich Kranken gegenüber geboten war, nicht Platz greifen; aber doch macht fleh auch ihnen gegenüber deren Recht und Pflicht, ihre Angehörigen zu fchützen und zu fchirmen, in den Ausnamsfällen geltend, da auch der Mann fich felber zu helfen nicht im Stande ift. Das Recht der Blutklage läfst den nächflen Verwandten den Todtfchlag verfolgen, der an feinem Angehörigen begangen wurde, und der Anfpruch auf das Wergeid (niögjöldj, welcher neben dem Anfpruche auf die Todtfchlagsbufse (vigs- baetr) hergeht, läfst die acccflbrifche Betheiligung der gefamniten übrigen Verwandtfchaft des Erfchlagencn bei der Verfolgung der That erkennen; in gleicher Weife wird dabei auch dem nächflen Verwandten eine Klage gegen denjenigen zugeftanden,- welcher die Ehre eines Verftorbenen durch ein Spottlied kränkt, und wenn dabei vorausgefetzt wird, dafs der Verftorbene chriftlichcn Glaubens gewefen fei, fo hat dicfe Vorausfetzung, wie Vilh. Finsen bereits richtig erkannt hat, doch ofienbar nur den Sinn, dafs Procefle wegen Beleidigung der graueften Vorzeit angehöriger Perfonen abgefchnitten werden wollten 2). In diefen Fällen beruhte das Klagerecht der Verwandtfchaft auf der Thatfache, dafs der Verletzte todt, und darum fchlechterdings aufser Stand war, das erlittene Unrecht felbft zu verfolgen ; aber auch in anderen Fällen mochte unter Umftänden der nächfte Verwandte anftatt des an der Klageftellung verhinderten Damniflcaten eintreten, wie z. B. dann, wenn es fich um einen

1) Als ein einzelner Ueberreft jenes weiter ausgedehnten Klagerechtes do lögrä>.indi ift die Beftimmung des Vfgsloöi, cap. 66, S. 108 9 anzufehen; in der Kgsbk, § 94, S. 170 fehlen freilich die entfcheidenden Worte. Die weiter reichenden Rechte des Ehemanns gehören nicht hl eher.

2j Kgsbk, ^238, .S. 183: Vlgslo^i, cap. 106, S. 148-49: vgl. .Annaler, 1850, S. 226.

Die Verwandtfchaf't. ^69

im Auslande an einem Inländer begangenen Raub oder eine dort einem folchen beigebrachte Wunde handelte, und nun der Thäter ins Inland zurückkehrte, während der Befchädigte noch auswärts wari), oder dann, wenn wegen einer am Ding erfolgten Ver- wundung fofort Klage geftellt werden foll, und der Verletzte durch feine Verwundung an der Klageftellung verhindert ift^), oder wenn der Thäter felbft einer aufserhalb des Dings erfolgten Verwundung gegen den Verwundeten Klage ftellt wegen einer angeblich ihm zuvor angethanenen Verletzung, und es nun gilt, den zur eigenen Vertheidigung Unfähigen gegen folche Klage zu vertreten 3). In den beiden letzterwähnten Fällen kann überdiefs, wenn der nächft- berufene Ven^'andte am Ding nicht anwefend ift, auch jeder entferntere für denfelben eintreten, foferne er nur innerhalb des dritten gleichen Grades . verwandt ift j es tritt demnach eine Ver- tretung des Abwefenden durch den Anwefenden innerhalb der Verwandtfchaft wider ganz in derfelben Weife ein, wie diefe die gerichtliche Vertretung des Verletzten felbft wegen deffen Ver- hinderung zu übememen berufen ift. Mit der Blutklage war aber hinwiderum auch das Recht der Blutrache verbunden*), und wenn zwar das Gefetz deren Zuläffigkeit auf den vfgsakaraöili befchränkte, und andererfeits jede Vertheidigung des ihr Ausgefetzten verbot, fo ftand es doch um die wirkliche Uebung nach beiden Seiten hin wefentHch anders, und das Gefetz felbft fah fich genöthigt, auf diefe Abweichung der Sitte von feinen Geboten eingehende Rückficht zu nemen. Der Anfpruch auf die niögjöld, welchen man der ge- fammten Verwandtfchaft des Erfchlagenen einräumte, und anderer- feits die Verpflichtung zur Entrichtung diefer niögjöld, welche man der gefammten Verwandtfchaft des Todtfchlägers auferlegte, zeigt deutlich, dafs man activ wie paffiv diefe gefammte beiderfeitige Verwandtfchaft als an der Blutrache betheiligt betrachtete, ganz wie die Gefchichtsquellen für eine lange Reihe einzelner Fälle deren Betheiligung in der einen wie in der anderen Richtung erkennen laflen. Eben wegen der zu fürchtenden blutigen Confli6le verbietet ferner das Gefetz jedes Zufammenkommen der Verwandten des

1) Vfgslööi, cap. 59, S. 98 und 99.

2) Ebenda, cap. 52, S. 92—3; Kgsbk, g 101, S. 178. 3^ Kßsbk, § 107, S. 182; Vigslööi, cap. 65, S. 107. 4) Kgsbk, g 86, S. 147; Vfgslööi, cap. 13, S. 18.

Maurer, lülaud. "4

370 ^»<^ Verwandtfchaft.

Todtfchlägers mit Verwandten des Erfchlagenen, und räumt den letzteren das Recht ein, durch einen förmlichen Proteft (lyrittr) Jenen das Zufammenfein mit ihnen zu wehren l) ; foweit als über- haupt die Betheiligung am Wergeide reichte, d. h. bis zum fünften gleichen Grade, reichte auch der Begriff der proteftfahigen Sachen (lyrittnaemar sakir)2), und felbft der Aufenthalt an dem legalen Domicile oder in der Dingbude mufs vorkommendenfalls vor dem- felben weichen 3). Wollte der Fehde durch einen Vergleich ein Ende gemacht werden, fo mufste ein Waffenftillftand eingegangen werden, um über deffen Bedingungen verhandeln zu können, und das Gefetz fchrieb genau vor, in welchen feierlichen und umftändlichen Formen ein folcher begehrt und gewährt werden foUte, und wie fodann die Verhandlungen zu führen waren *) ; aus gefchichtlichen Quellen aber ergiebt fich, dafs dabei auch wohl einzelne Verwandte ihren Frieden machen und zugleich andere die Fehde fortwähren laiTen konnten 5). Sowohl für den beim Abfchluffe des Waffenftillftandes als für den beim Abfchluffe des endlichen Friedens abzufchwörenden Eid geben unfere Rechtsbücher fowohl als die Gefchichtsquellen eine Reihe von feierlichen Formularen (griöamäl, tr>'ggöamäl), aus deren ebenfo umfichtiger als nachdruckfamer Faffung man leicht auf die hohe Bedeutung fchliefsen kann, die man folchen Geleitseiden und Urfehdeeiden beizulegen veranlafst war. Aber auch nach eingegangenem Frieden noch blieb doch die Verwandtfchaft mit dem Erfchlagenen einerfeits und mit dem Todtfchläger andererfeits ein Moment, welches als Recufationsgrund in Betracht kam, mochte es fich nun um die Beftellung eines Richters oder eines Gefchworenen handeln 6). Wie in diefen Beftimmungen, fo zeigt fich endlich die weitgehende Berück- fichtigung des verwandtfchaftlichen Bandes auch darinn, dafs diefs in gewiffem Umfange als ein Recufationsgrund bei der Beftellung von Richtern, dann bei der Berufung von Gefchworenen oder der Ernennung von Zeugen galt "7). Sogar ftaatliche Verpflichtungen mufsten deni-

1) Kgsbk, 'i 113, S. 203.

2) Ebenda, S. 194; dann g 80, S. 136.

3) Ebenda, § 80, S. 136, und g 25, S. 49.

4) Vgl. zumal Vfgslööi, cap. 15, S. 20—24. 6) Vgl. Njdla, cap. 146, S. 248 und 250.

6) Kgsbk, 'i 25, S. 48, und § 89, S. 158—9; Vigslööi, cap. 24, S. 41.

7) Kgsbk, i 25, S. 47—8; § 85, S. 62; ? 89, S. 158, und VfgsloM, ang. (). Wegen der Zeugen vgl. oben, S. 831, Anm. 2 und 3.

Die Verwandtfchaft. 371

nach unter Umftänden dem venvandtfchaftHchen Bande weichen, fofeme nur zum Theil die Rückficht auf die zu fichernde Unparthei- lichkeit der Richter und Gefchvvorenen, zum Theil dagegen der Wunfeh jenen Beftimmungen zu Grunde lag, Venvandte nicht zu ihren Angehörigen nachtheiligen Ausfagen genöthigt zu fehen; in anderen Fällen mag natürlich umgekehrt die verwandtfchaftliche Verbindung der ftaatlichen Verpflichtung nachflehen, wie denn z. B. die Frau eines Geächteten als Wittwe behandelt wird, und am feränsdömr ihr Gut herausbekommt, wie wenn die Ehe durch den Tod des Mannes getrennt worden wärei), und das Kind als ein uneheliches gilt, welches eine zur Acht verurthcilte Perfon mit dem eigenen Ehegatten gewinnt (vargdropi, baisfngr)2). Sind durch das Bisherige die Aufgaben bezeichnet, welche das isländifche Recht der verwandtfchaftlichen Thätigkeit zuweift, fammt den Grenzen, welche es diefer zieht, fo kann es andererfeits nicht fchwer halten, die Art zu charakterifiren, wie fich die Wirkfamkeit der Verwandt- fchaft äufsert. Manche Wirkungen derfelben find von einer Be- fchaffenheit, welche deren gleichzeitige Verwirklichung allen Verwandten, oder doch allen Verwandten einer gewiffen Kategorie gegenüber geftattet, wie denn z. B. die kirchlichen Eheverbote wegen beftehender Verwandtfchaft gleichzeitig gegenüber allen Bluts- freunden wirken, welche überhaupt innerhalb der defsfalls beftehen- den Verwandtfchaftsgrenze begriffen find, oder, die Recufation als Richter, Gefchworener, Zeuge gegen alle und jede Verwandte zugleich geltend gemacht werden kann, welche derfelben überhaupt unter- liegen. So können ferner zur Rache wegen eines gefchlechtlich gekränkten Weibes alle diejenigen Verwandten gleichmäfsig fchreiten, welchen die Uebung diefer Rache überhaupt gefetzlich zufteht, und werden zum Bezüge des Wergeides, oder umgekehrt zur Theilnamc an deiTen Erlegung alle diejenigen Perfonen gleichzeitig, nur freilich nicht alle in gleichem Mafse berufen, welche überhaupt mit Rück- ficht auf die Nähe ihrer Verwandtfchaft mit dem Todfchläger oder dem Erfchlagenen beitragspflichtig oder empfangsberechtigt find. In anderen und bei Weitem den mehreren und wichtigeren Fällen find dagegen die aus der Verwandtfchaft fich ergebenden Rechte oder Verbindlichkeiten eines fo ausfchliefslichen Charakters, dafs eine

1) Kgsbk, i 49, S. 86, und 'i 62, S. 114.

2) Ebenda, g 118, S. 224; Arfa 1»., cap. 4, S. 178.

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372 l>"ie VehvamVtfcWt.

gleichzeitige Verwirklichung derfelben in der Perfon aller Verwandter fchlechterdings Unhiöglich ift. Auch in Fällen diefer Art nenien die fämmtlichen Verwandten innerhalb der ihrer Betheiligung gezogenen Grenze zwar potentiell an den einfchlägigen Rechten und Pflichten Antheilj thatföchlich werden' diefelben jedoch immer nur von meinem einzelnen, oder doch nur von einigen wenigen aus ihrer Mitte iausgeübt und getragen, wobei dann in einer beftimmten Reihenfolge die näheren Verwandten vor den entfernteren berufen werden. Bei der Erbfolge, der Altersvormundfchaft, der Gefchlechtsvormund- fchaft, der Armenpflege, der Blutklage tritt eine derartige reihen- weife Berufung einzelner Verwandter als folcher ein, und kann eine gleichzeitige Uebername derartiger Rechte oder Pflichten durch mehrere Perfonen nur unter der Vorausfetzung ftattfinden, dafs diefe nach den für die Struftur der Verwandtfchft mafsgebenden Regeln als gleich nahe berufen zu gelten haben. Eben weil auf der Struftur der Verwandtfchaft beruhend, ifl: dabei die Reihenfolge der Berufung in allen Fällen principiell diefelbe ;' die in den Quellen uns aufftofsenden Ungleichförmigkeiten aber find durchaus auf Mo- mente fecundärer Art zurückzuführen, welche den urfprünglich einheitlichen Bau der Verwandtfchaft hinterher erft modificirten. Auf der einen Seite find es Veränderungen in Bezug auf die Be- handlung der Weiber, der unächten Geburt, und theilweife auch der Minderjährigen, welche, auf verfchiedenen Gebieten zu verfchie- dener Zeit und in verfchiedenem Umfange fich vollziehend, zu Ab- weichungen von der urfprünglichen Gliederung der Verwandtfchaft in ungleichmäfsiger Weife geführt haben ; auf der anderen Seite hat aber auch wohl die in praktifchen Rückfichten begründete Noth- wendigkeit in derfelben Richtung gewirkt, auf die Berufung zu ge- wiflen Rechten und Pflichten neben der Nähe der Verwandfchaft auch noch Momenten ganz anderer Art einen beftimmenden Einflufs einzuräumen, wie dergleichen z. B. in fehr klar erfichtlicher Weife bei der Regelung der verwandtfchaftlichen Armenpflege der Fall war. Das ausnamsweife Eintreten entfernterer Verwandter für den Fall, dafs der zunächft berufene an der Uebername der ihm zuge- fallenen Pflichten oder Rechte verhindert fein follte, dann auch wohl eine gewiffe beihelfende oder über^vachende Thätigkeit, welche der Gefammtheit der Verwandten gegenüber dem zunächft eintre- tenden zugewiefen ift, läfst übrigens deutlich erkennen, dafs es im Grunde die ganze Verwandtfchaft ift, welcher die betreflenden Rechte und Pflichten zuftehen, und als deren Repräfentant nur

Die Xachbaifchaft. 373

regelmäfsig der zunächft Berufene einzutreten hat. Die Verfchieden- heit aber der Begrenzung, bis zu welcher im einzehien Falle die verwandtfchaftlichen Rechte und Pflichten reichen follen, fcheint mit der Ausdehnung jener Gruppen zufammenzuhängen, welche wir innerhalb der Verwandtfchaft zu unterfcheiden hatten. GewiflTe Rechte und Pflichten find auf die Verwandten des erften Grades, andere auf die Verwandten innerhalb des dritten Grades befchränkt, während wider andere den (ammtlichen Verwandten innerhalb des fünften Grades zukommen; die Gliederung der Verwandtfchaft in die drei Claflen der tölumenn, des bauggildi und nefgildi, endlich der eptirbaugamenn fcheint dabei mafsgebend geworden zu fein.

§ 11. Die Nachbarschaft.

Durch Staat und Kirche, Gemeinde und Verwandtfchaft fahen wir eine Fülle öffentlicher Thätigkeit geübt; indeflen genügte doch die Wirkfamkeit diefer organifirten Körperfchaften und ihrer Ver- treter keineswegs, um den in adminiftrativer fowohl als auch zumal in gerichtlicher Hinficht beftehenden BedürfnifTen zu genügen. Nach beiden Richtungen hin blieb der Einzelne gar vielfach auf feine eigene Thätigkeit und die von Befreundeten aus gutem Willen ge- währte Unterftützung angewiefen; in nicht wenigen Fällen griff" indeflen das Landrecht wenigftens noch infoweit zu feinen Gunflen ein, als es die Gewährung folcher Unterftützung in gewiflem Um- fange und unter beftimmten Vorausfetzungen zu einer Pflicht erhob, deren Nichterfüllung mit mehr oder minder empfindlichen Strafen bedroht war. Unter Umftänden handelt es fich dabei um Ver- pflichtungen, welche allen und jeden Volksgenoflen als folchen auf- erlegt waren; in weit häufigeren und ungleich weiter tragenden Fällen werden dagegen lediglich die Nachbarn (büar, abgekürzt für nabüar) derjenigen Perfonen in Anfpruch genommen, welche gerade fremder Hülfe bedürfen. Fälle der erfteren Art, welche einen durch- aus vereinzelten Charakter tragen, lafle ich hier bei. Seite, und erinnere nur ganz beiläufig an die mancherlei Leiftungen, welche die dingfteuerpflichtigen Bauern in Bezug auf die Beherbergung von Reifenden, die Beihülfe beim Schiffszuge, u. dgl. m. zu übernemen haben i) ; die Fälle der zweiten Art dagegen werden hier nach Hauptkategorieen zufammengefafst zu befprechen fein, wenn aych

1) Vgl. oben, S. 149 50; ferner Kijsbk, 2 lüti, S. 70, u. il^'l. m

374 I^ie Nachbarfchaft.

I

der Natur der Sache nach ohne jeden Anfpruch auf VoUftändigkeit der Darflellung, und mit möglichfter Befchränkung in Bezug auf das qucUenmäfsige Bevveismaterial.

In einer langen Reihe von Fällen wird eine öffentliche Bekannt- machung (lysfng) von Thatfachen nothwendig, welche dann unter gewiffen Vorausfetzungen vor fünf Nachbarn zu erfolgen hat, während andere Male ihre Vorname am Ding gefordert wird. Es handelt fich dabei bald um die Bekanntgabe des eigenen Domiciles oder der eigenen Dingzuftändigkeit, bald um die öffentliche Ertheilung einer Vollmacht zur Vertretung in den Dingpflichten. Anderemalc ift die Marke für die Bezeichnung von Vieh, Geflügel, Treibholz, Harpunen bekannt zu machen, oder widergefundenes Gut aufzu- bieten, oder die Verwendung von Strandgut zur Deckung der Koften anzufagen, welche die Beftattung zugleich angetriebener Leichen verurfacht hat. Zuweilen hat man mitzutheilen, dafs man ein fremdes Schwein auf feinem eigenen Grunde getödtet, oder fremde Widder oder Böcke hier aufgegriffen, oder wider fremdes ungemerktes Vieh an fich genommen habe; oder es gilt öffentlich bekannt zu geben, dafs der Miteigenthümer eines gemeinfamcn Haufes widerrechtlicher Weife in diefes einen geächteten Mann auf- genommen habe. Bald ift von einem Angriffe, einer Verwundung, einer Tödtung öffentlich Anzeige zu machen, möge diefs nun dem Verletzten felbft und deffen Angehörigen, oder umgekehrt dem Thäter feinerfeits obliegen; bald foU gegen einen von Dritten wider- rechtlich abgefchloffenen Verpfründungsvertrag öffentlich Proteft erhoben, oder wider die Abficht öffentlich erklärt werden, Erfatz für den zu Gunften einer hülflofen Perfon gemachten Aufw'and beanfpruchen zu wollen, u. dgl. m. Wie die Veranlaffungen, welche zu einer lysfng führen, fo find natürlich auch die Zwecke fehr ver- fchiedene, welche durch diefe erreicht werden wollen. Bald handelt es fich nur um das Beftreben, allgemein intereffante Thatfachen zur allgemeinen Kenntnifs zu bringen, oder doch um den Wunfeh, einzelnen Perfonen, die man nicht kennt, oder die man aus anderen Gründen auf gewöhnlichem Wege nicht zu erreichen vermag, irgend welche fie betreffende Mittheilungen zugehen zu laffen ; bald ift es darauf abgefehen, durch die von ihm beobachtete Publicität im Intereffe des Handelnden felbft die Legalität und Ehrenhaftig- keit feines Handelns zu conftatiren, oder auch bei einer an und für fich einer mehrfachen Deutung fähigen Handlung die von dem Handelnden gewünfchte Auslegung ficher zu ftellen. Zum Theil

Die Nachbarfchaft. 375

mülTen die in Frage ftehenden Veröffentlichungen an fich am alt>inge, värt^fnge oder an der leiö erfolgen, und wird deren Vorname vor den fünf Nachbarn nur als eine vorläufige ange- ordnet, oder alternativ, oder zumal nur fubfidiär zugelaffen für den Fall, dafs man die Dingverfammlung anzugehen nicht vermochte. Die Rolle endlich, welche die Nachbarn bei denfelben zu fpielen haben, ifl: zunächfl wie die der Dingverfammlungen eine lediglich paflive; fie haben zu hören und zu fehen, was vor ihnen gefagt und gethan werden will, aber auf den Inhalt der vor ihnen vor- gehenden Handlung oder abgegebenen Erklärung keinerlei Einflufs zu üben. In einer Reihe von Fällen wird nun aber die den Nachbarn geftellte Aufgabe ungleich weiter gefafst. So haben z. B. nach einem ausdrücklich als nymaeli bezeichneten Rechts- fatze die 5 Nachbarn, welche beim Abfchluffe eines Verpfründungs- vertrages (arfsal) beizuziehen find, um diefen rechtlich wirkfam werden zu laflen, nicht etwa blos den Vertragsabfchlufs zu beur- kunden, fondern bei demfelben auch ihrerfeits mitzuwirken, und zumal für die Billigkeit der Vertragsbedingungen zu forgen (gera mäldaga meö t>eimj gera jafnmaeli meö l^eim)!). So ifl ferner der Abfchlufs eines Pfandvertrages (veömdli) bei Vermeidung feiner Ungültigkeit vor fünf Nachbarn bekannt zu geben ; bedenkt man aber, dafs ein beflimmtes Verhältnifs zwifchen dem Werthe des Pfandobjeftes und dem Betrage der Forderung einzuhalten war, und dafs den Nachbarn das erflere vorgewiefen werden mufste, falls fie es nicht ohnehin fchon genugfam kannten, fo ifl klar, dafs die Ueberwachung diefer Vorfchrifl wenigflens in ihrer Competenz liegen mufste 2). Bei der, fpäter freilich abgefchafften, Ehefcheidung wegen Armut des einen Ehegatten follte derjenige Theil, welcher auf diefelbe antrug, diefs vor feinen 5 Nachbarn erklären 3); aber diefe Nachbarn haben zugleich feflzuflellen, ob wirklich das Ver- mögen des ärmeren Ehegatten zu gering fei, um die ihm obliegenden

1) Kgsbk, 2 127, S. 247—8; Arfa |i., cap. 19, S. 225; vgl. Arfa Ji., cap. 12, S. 206, u. Oma gab., cap. 14, S. 268, fowie eines Ausnamsfalleä wegen Arfa J»., cap 18, S. 223.

2) Kgsbk, §62, S. 114— 15; Kaupab., cap. 10, S. 413— 14, u. Landabrb., cap. 12, S. 235—36.

3) Kgsbk, ?i 149, S. 39—40; Festa p., cap. 14, S. 325—6; vgl. oben, .S. 232, Anm. 4, und S. 300, Anm. 1—2.

376 E)ie Nachbarfchaft.

Alimentationslaften für fich allein tragen zu können *). Soll eine Ehefcheidung auf Grund einer bisher unbekannten Verwandtfchaft oder Verfchwägerung unter den Ehegatten ausgefprochen werden, fo find gleichfalls wider Nachbarn beizuziehen; aber diefe wirken nicht nur bei der Prüfung der angeblichen Verwandtfchaftsverhält- nifle mit, fondern fie fcheinen auch die Vermögensauseinanderfetzung unter den Eheleuten beforgt zu haben, wenn es wirklich zur Scheidung kam 2). Wenn das isländifche Recht ferner in den wenigen Fällen, in welchen es überhaupt die Tortur zuliefs, die Zuziehung von 5 Nachbarn bei deren Anwendung fordert 3), fo wollte dadurch ficherlich nicht blos für gröfsere Publicität der erprefsten Geftänd- niffe, fondern auch für eine verläffige ControUe bei der Handhabung der Folter geforgt werden. Offenbar ftand es dabei änlich wie bei der Hausfuchung (rann so kn), zu welcher beide Theile je 30 Be- gleiter mitbringen durften, von denen dann je 6 von jeder Seite fich bei der Unterfuchung näher betheiligen follten *) ; hier wie dort wollte eine Gewähr für die Loyalität des beiderfeitigen Verfahrens bcfchafft werden, indem man vorausfetzte, dafs die beigezogenen Perfonen jede Ungebühr durch ihre Dazwifchenkunft zu verhindern wiffen würden.

In anderen Fällen handelt es fich um eine Schätzung. Bei Zahlungen zunächfl, welche eine Parthei an die andere zu machen hat, können darüber Differenzen entftehen, ob die vom Schuldner als Zahlmittel angebotenen Gegenftände wirklich den von ihm be- haupteten Werth haben oder nicht. Handelt es fich dabei um »lögaurar«, d. h. legale Zahlmittel, welche als folche ein für allemal tarifirt find, fo gilt es nur feftzuftellen, ob die im einzelnen Falle angebotene Waare die bei der gefetzlichen Tarifirung vorausgefetzte Eigenfchaft von Mittelgut wirklich habe oder nicht ; handelt es fich dagegen um »metfe«, d. h. einer fpeciellen Abfchätzung bedürftige Güter, fo mufs von Fall zu Fall der wirkliche Werth derfelben fcftgeftellt werden. Für diefen letzteren Fall nun foUen lögsjäendir ok lögmetendir« beigezögen werden, d. h. gefetzliche Befichtiger

1) Festa J>., cap. 14, S, 827; in der Kgsbk, g U9, S. 41 nur als Referenz.

2) Festa f»., cap. 14, S. 326 7; in der Kgsbk, ang. O. wider nur als Referenz.

3) Kgsbk, § 110, S. 189, u. § 161, S. 58; Vfgslöbi, cap. 111, S. 161—2, und Festa J)., cap. 33, S. 347.

4) Kgsbk, i 230, S. 166.

Die Nachbarfcliaft. 377

und Schätzer, deren jede Parthei einen zu ernennen hat ; diefe follcn fodann eine gemeinfame Schätzung abgeben, wobei durch genaue Vorfchriften für den F*all geforgt wird, da fie fich nicht zu einigen vermögen 1). Bei lögaurar dagegen lafi'en unfere Rechtsbücher bald daflelbe Verfahren einhalten 2), bald aber nur Nachbarn beiziehen wie bei fo manchen anderen Schätzungen 3), eine Abweichung, die vielleicht damit zufammenhängen mag, dafs die erflere Stelle von »eindagat fe«, d. h. fixen Forderungen, die zweite dagegen von gewöhnlichen Forderungen fpricht, hinfichtlich deren überhaupt mehr nach Billigkeit verfahren wird. Abgefehen von Zahlungen kommen aber auch fonft noch Abfchätzungen in den verfchiedenften An- wendungsfallen vor. So pflegt bei der Uebername fremden Gutes zur Aufbewahrung oder Verwaltung eine Schätzung deffelben vor- genommen zu werden, wenn etwa die Zurückerftattung feinerzeit nicht in Natur, fondern nur dem Werthe nach erfolgen foU, wie diefs z. B. bei Mündelgut, einem Abwefenden zugefallenen Erbfchaften, Strandgut u. dgl. der Fall ift. Andere Male mufs durch eine Schätzung der Werth des gefammten Vermögens einer Perfon her- geftellt werden, fei es nun weil fich nach diefem deren Verpflichtung oder NichtVerpflichtung zur Uebername beftimmter Laflen bemifst, oder weil es gilt das Mafs ihrer Ueberfchuldung, und danach die Höhe der Abzüge zu beftimmen, welche die einzelnen Gläubiger fich gefallen zu laffen haben. Widerurti kann die Schätzung von Befchädigungen, mögen cjiefe nun durch rechtswidrige Handlungen oder durch einen unglücklichen Zufall veranlafst fein, dadurch noth- wcndig werden, dafs deren Erfatz einer beflimmten Perfon fei es nun zufolge ihrer Verfchuldung oder auch kraft einer legalen oder Vertragsweife übernommenen Verpflichtung obliegt; insbefondere kommt zuweilen der Werth abzufchätzen, welchen die Ernährung einer beftimmten Perfon während einer beftimmten Zeitfrift erreicht, oder umgekehrt der Werth, welcher der Arbeit einer folchen binnen einer gegebenen Frift entfpricht. Die Auseinanderfetzung unter den Miteigenthümern einer untheilbaren Sache, oder felbft unter den Befitzern verfchiedener, aber unter fich in untrennbarer Ver- bindung flehender Gegenflände kann auch ihrerfeits eine Ab-

1) Kgsbk, § 246, S. 194.

2) Ebenda, J 221, S. 141—2; Kaupab., cap. 3, S. 392—3.

3) Kgsbk, § 221, S. 145; Kaupab., cap. 6, S. 39b.

378 l>ie Nachbarfchafi.

fchätzung nötliig machen, und nicht minder kann eine folche bei Expropriationen nothwendig werden, wie folche gegen die Zahlung des vollen Werthes in einer langen Reihe von Fällen zugelaflTen werden; umgekehrt ift auch wohl einmal von der Verpflichtung die Rede, fremdes Land nach feinem vollen Werthe pachten, oder fogar kaufen zu mülTen ^), und auch in folchen Fällen mufs natürlich diefer Werth unter Umftänden durch eine Schätzung hergeftellt werden. Zuweilen mufs ferner der Werth von Sachen abgefchätzt werden, an denen ein Pfandrecht beflellt werden will, u. dgl. m. ; in allen diefen Fällen aber wird die Schätzung, falls nicht etwa, wie diefs bei der Zehnterhebung vorkommt, eine Selbftfaflion zuge- laffen wird, durch fünf Nachbarn vorgenommen, welche mit Rück- ficht auf ihre Funflion als viröfngar büar, d. h. Schätzungs- nachbarn, bezeichnet werden*-), gleichviel übrigens, ob für ihre Nachbarfchaft der Wohnort der einen oder anderen Parthei, oder aber die Belegenheit irgend eines anderen, zu der Schätzung in Beziehung flehenden Ortes mafsgebend ift, und ob fie demnach als hcimilisbüar, oder als landbüar, rekabüar u. dgl. in Betracht kommen.

Unter Umftänden kann ferner die Theilung einer Sache unter mehrere gleichmäfsig Berechtigte, oder auch die Vertheilung einer Leiftung unter mehrere gleichmäfsig Verpflichtete nothwendig werden. Das Letztere kommt zumal in der Art vor, dafs die Verpflegung eines omagi mehreren gleichmäfsig Verpflichteten zu- fällt, und nun feftzuftellen kommt, mit welchen Beträgen und in welcher Reihenfolge diefelben fich an der Tragung der Laft zu betheiligen haben; das Erftere dagegen triffl am Augenfälligften bei der Theilung von Landgütern, oder auch von einzelnen Aeckern, Wiefen, Waldungen oder Gebäuden, dann von Strand-, Jagd- und Fifchereigerechtfamen oder auch anderweitigen Nutzungen an ge- meinfamen oder Grenzgewäffern zu, kann aber auch noch in ganz anderen Anwendungsfällen zum Zuge kommen. Beim Heimtreiben des Viehs von den Hochweiden z. B. kann die Vertheilung von nicht oder nicht gehörig gezeichneten Thieren unter verfchiedene

1) Kgsbk, g 183, S. 92, und § 194, S. 104—5; Landabrb., cap. 20, S. 278, und cap. 8, S. 227—8.

2) Landabrb., cap. 46, S. 842; vgl. büavirbfng, ebenda, S. 843, un<i vin>ingarmenn, Arfa |j., cap. 13, S. 208.

Die Nachbarfchaft. 379

Anfpruchsberechtigte nöthig werden. Wird durch Wind oder Waffer verfchiedenen Eigenthümern gehöriges Heu fo vermifcht, dafs es nicht mehr nach feiner Herkunft gefchieden werden kann, fo mufs zu einer Theilung unter die Berechtigten gefchritten werden. In einer Reihe von Fällen kann ferner die Theilung eines Walfifches unter mehrere Intereffenten nöthig werden, möge derfelbe nun zufallig angetrieben oder mit der Harpune erlegt fein, u. dgl. m. Ganz wie die Schätzungen werden auch derartige Theilungen, wenn fich die Intereflenten nicht in Güte zu einigen vermögen, regel- mäfsig durch fünf Nachbarn vorgenommen, welche in diefem Falle als skiptfngarbüar, d. h. Theilungsnachbarn, bezeichnet werden ^). Die Funftion derfelben berührt fich mit der der Schätzungsnach- barn fehr nahe, foferne ja auch bei ihr eine Schätzung fowohl des zu theilenden Ganzen als auch der zu bildenden Theile nothwendig vorausgefetzt wird, wenn fich diefelbe auch nicht in befonderen Aflen verkörpert; handelt es fich etwa überdiefs um die Theilung einer beftimmten Sache unter mehrere IntereflTenten, fo berührt fich auch praktifch betrachtet die wirkliche Realtheilung auf's Genauefte mit einer blofen Werththeilung auf Grund einer vorgängigen Ab- fchätzung, und erklärt fich zumal hieraus zur Genüge, dafs in den Quellen die Ausdrücke viröa und skipta hin und wider geradezu verwechfelt werden können 2). An das Theilungsgefchäft reiht fich fodann noch eine Anzahl änlicher Auseinanderfetzungen an, welche fich nicht mehr wohl unter einen völlig einheitlichen Gefichtspunkt bringen laflen. Will ein Nachbar den andern zur Errichtung eines Zaunes (garölag) an der gemeinfamen Grenze auf gemeinfame Koflen anhalten, fo find Nachbarn beizuziehen, welche Ort und Art der Zaunerrichtung feftzuftellen und unter die beiden Angrenzer zu ver- theilen haben, gleichviel übrigens, ob nur zwei Einzelbefitzer fich gegenüberftehen, oder ob eine Zaunfiihrung zwifchen Einzelbefitz und Gemeinland in Frage fleht. Im einen wie im anderen Falle kann gelegentlich der Ordnung der Zaunerrichtung auch wohl eine Grenzberichtigung, oder auch eine Expropriation bezüglich einzelner kleinerer Landfiücke vorkommen, wobei dann die beigezogenen Nachbarn auch gleich die nöthig werdenden Abfchätzungen und

1) Landabrb., cap. 46, S. 342.

2) So z. B. Landabrb., cap. 68, S. 365—66; ferner Kgsbk, § 166, S. 67—9, und § 164, S. 63, fowie Kaupab., cap. 35, S. 468.

380 D'tJ Nachbarfchaft.

Theilungen vorzunemen habend). Begehrt ferner einer der Theil- habcr an einer gemeinfamen Weide, möge diefe nun zu einem Hofe gehören oder Gemeindeland fein, die Feftftellung der von jedem Einzelnen aufzutreibenden Zahl von Thieren (itala), fo find es widerum die fünf nächften Nachbarn, welche die Auseinanderfetzung vornemen^), und dasfelbe gilt auch in dem anderen Falle, da etwa ein abziehender Pächter das ihm gehörige Heu noch auf dem ver- ladenen Pachtlande unter Aufficht feines Nachfolgers von feinem eigenen Vieh verzehren laffen will, um der Mühe des Fortfiihrens überhoben zu fein 3). Aenlich wird es aber auch bei der fjärtala hjöna gehalten, d. h. bei der Vermögensfeftftellung, welche be- fonderer Umflände halber unter Ehegatten nöthig werden kann. Das isländifche Recht kennt nämlich neben einem Güterfonder- ungsfyfteme, welches ftets einen dasfelbe regelnden Ehevertrag vorausfetzt, auch ein Syftem der Gütergemeinfchaft, und es läfst diefes letztere unter Andern auch in dem Falle von Rechtswegen eintreten, da der die Gütergemeinfchaft ausfchliefsende Ehevertrag durch den Tod der Vertragszeugen unerweisbar geworden ift-*). Dem gegenüber mögen nun aber die Eheleute zu einer Zeit, da noch mindeflens zwei von diefen Zeugen leben, die Feftftellung des unter ihnen beftehenden güterrechtlichen Verhältniffes verlangen, um fich durch die neuen Zeugen, welche bei diefer Feftftellung beigezogen werden, auch für die fernere Zukunft die Möglichkeit einer Beweisführung zu fiebern 0); genügt dabei etwa die Ausfage der noch überlebenden Zeugen nicht, um jeden Streit unter den Ehegatten zu heben, fo find es widerum die fünf Nachbarn, welche auf jene geftützt die Auseinanderfetzung vornemen.

Man ficht, wie fich von der rein paffiven Affiftenz, welche die fünf Nachbarn bei der lysing zu leiften haben, ein Uebergang zu einer fclbftftändigeren Betheiligung derfelben an den Vorgangen gebildet hat, welche vor denfelben fich vollziehen, fo war das Gleiche

1) Kjjsbk, § 181, S. 89—91, \i. § 206, S. 120—1: Landabrb., cap. 15. S. 260—5, wo die zweite Stelle im Texte fehlt, während fie doch im Inhallsvcr- zeichnifTe aufgeführt ift.

2) Kgsbk, § 180, S. 89, u. § 201—2, S. 114—15: Landabrb., cap. U, S. 258, cap. 41, S. 318—16, und cap. 42, S. 326.

3) Kgsbk, § 220, S. 138—9; Landabrb., cap. 45, S. 340-2.

4) Kgsbk, § 153, S. 45; Festa }>., cap. 22, S. 335.

5) Kgsbk, § 154, S. 45—6: Festa J>., cap. 23, S. 336.

bie Nadibarfchaft. 3^1

aucii der Fall bei der an fich ziemlich eng begrenzten Thätigkeit der bei Schätzungen oder Theilungen verwendeten Nachbarn. Bei beiden Funflionen, mochten fie im Uebrigen mit gerichtlichen Ver- handlungen in Verbindung ftehen oder nicht, handelte es fich von Haus aus nur um die Entfcheidung einer, freilich etwas eigenthüm- lich gearteten Thatfrage, und nur infoferne, als diefe Entfcheidung neben der eigenen Sinneswahrnemung der Nachbarn auch noch auf Schlüflen beruht, welche fie aus den wahrgenommenen faftifchen Pra^miden zu ziehen haben, dann etwa noch infoferne, als es bei Theilungsgefchäften fich auch wohl um die thatfächliche Bildung und Abgrenzung der Theile handelt, trägt die Thätigkeit der virö- ingarbüar und skiptfngarbüar allenfalls einen etwas freieren und nicht blos widergebenden Charakter. Aber in den zuletzt be- fprochenen Fällen wird diefe Grenze keineswegs mehr eingehalten, vielmehr zu einer ungleich freier geftaltenden, der Funftion von Schiedsrichtern näher (lebenden Wirkfamkeit der Nachbarn vorge- gangen, und in weit höherem Mafse ift diefs, wenn auch in fehr verfchiedener Weife, bei den Nachbargefchworenen und bei den Privatgerichten der Fall, welche beide hier noch eine etwas nähere Betrachtung erfordern.

Die gemeinfame Bezeichnung für diejenigen Perfonen, für welche ich die Benennung Gefchworene brauche, lautet kviömaöri). Als kviör wird nämlich zunächft das Verdift der Gefchworenen, und dann in zweiter Linie auch wohl die Gefammtheit der Perfonen bezeichnet, welche diefes abzugeben haben; man darf den Ausdruck demnach nicht von »kveöja« ableiten und auf die Berufung der Gefchworenen zurückfuhren 2), noch auch die kviömenn als »evocati«

1) Vgl. Thorl. Gubm. Repp, A historical Treatise on Trial by Jury, Wager of Law, and other coordinate forensic Institutions (Edinburgh, 1882); überfet/.t von F. J. Buss (Freiburg, 1835). Dahlmanu, Wcgweifer durch die Cfefchichte der englifchen Jury, in der Zeitfchrift für deutfches Recht, X, S. 185- 204, (1846); Wilda, über den Urfprung der Gefchwornengerichte, iu den Verhandlungen der Oermaniflen zu Lübek, S. 250, u. fgg. (1848): M icheisen, über die Genesis der Jury (1847); meinen Auffatz über das Beweisverfahren nach deutfchen Rechten, in der Kritifchen Ueberfchau, V, S. 374—93 (1857), u. dgl. m. Die hervor- ragendften Werke über das englifche Gefchwomenwefen, nämlich Biener, das englifche Gefchwornengericht, 3 Bde (1852 55), und Brunn er, die Entftehung der Schwurgerichte (1872), berückfichtigen das isländifche, und überhaupt nordifche Recht nur ganz beiläufig.

2) So J6n Arnason , S. 188; JiörÖr Sveinbjörnsson, h.v.; Repp, S.4; Dahlmann, H, S. 199.

382 ' I^»e Nachbarfchaft.

bezeichnen l), fondern man mufs jene Bezeichnung an das Zeih^'ort »kveöac anknüpfen, wonach fie dem gothifchen qiss von qtl^an, und dem angelfächfifchen cviss, dann cviöe von cveöan entfprechend, foviel wie Spruch, Ausfpruch bedeutet. Das isländifche Recht unterfcheidet aber, wenn ich von dem nur ganz vereinzelt auftreten- den fängakviör abfehe, zwifchen einem goöakviör oder tölftar-' kviör (tylftarkviör) und einem büak vi ör. Der erftere, aus einem Goden als Obmann und aus 1 1 von ihm gewählten Dingleuten deflelben beftehend, ift oben bereits gelegentlich befprochen worden, und hat in der Jury ein etwas reducirtes Abbild erhalten, welche, aus dem Bifchofe und 2 von ihm gewählten Prieftern gebildet, in dem Prieftergerichte ihr Verdift abzugeben hat 2); der letztere da- gegen, aus Nachbarn gebildet und fomit dem vicinetum der nor- männifch englifchen Quellen entfprechend, mufs hier noch etwas näher betrachtet werden. Auch bei den Nachbargefchworenen kann fich die Nachbarfchaft nach fehr verfchiedenen Oertlichkeiten be- meflen, und fpricht man von heimilisbüar, vettvängsbüar, landbüar, engibüar, skögarbüar, rekabüar, hafnarbüar, dömstaöarbüar, u. dgl. m., je nachdem es das Domicil des einen oder anderen Streittheiles, der Ort der begangenen That, ein beftimmtes Grundftück, eine Wiefe, ein Wald, Strand, Hafen oder Gerichtsplatz ift, nach welchem fich die Auswahl der Gefchworenen zu beftimmen hat. Immer find der Nachbarngefchworenen entweder 5 oder 9, je nach der Be- fchaffenheit der Sache, in welcher fie ausfagen foUen; regelmäfsig muffen fie ferner angefeffene Bauern fein, und nur ausnamsweife werden auch blofe griömenn zugelaffen, fei es nun als Vertreter am Dingbefuche verhinderter Bauern, oder auch zur Ergänzung einer Jury, zu welcher man die nöthigc Zahl von Bauern nicht auf- zutreiben vermag, während umgekehrt in manchen Fällen auch nur Grundeigenthümer berufen werden können. Dafs die Blutsfreund- fchaft, Verfchwägerung und Gevatterfchaft, oder umgekehrt wider ein Fehdeverhältnifs mit den Streittheilen Gefchworene in gewiffem Umfange exceptionsmäfsig machte, ift bereits anderwärts erwähnt worden, und auf einige weitere Gründe der Exceptionsmäfsigkeit braucht hier ebenfowenig eingegangen zu werden, als auf die weitere Thatfache, dafs in gewiffen Fällen die Gefchworenen in ihrer Heimat,

1) Vgl. z. B. Gloss. Njdlae, h. v.; Schlegel, Comment., S. LXXXIII.

2) Vgl. oben, S. 190.

Die Nachbarfchaft. 388

in anderen Fällen dagegen erft am Dinge zu berufen waren, (heiman- kvöö; tingakvöö); dagegen mag noch erwähnt werden, dafs die bisherigen Bemerkungen fich der Regel nach nur auf die zur Unter- ftützung der Klage berufenen Gefchworenen (söknarkviör) beziehen, wogegen die zur Unterftützung der Vertheidigung berufenen (bjarg- kviör; feltener varnarkviör) regelmäfsig aus jenen erfteren zu ent- nemen waren. Im Uebrigen find die Gefchwornen ftets von dem- jenigen zu berufen, der ihrer bedarf, und tragen diefelben durchaus den Charakter eines Beweismittels, denn: »nicht foUen die Nachbarn darüber fprechen, was hiezulande Rechtens ift« i). Sie find ferner, ganz wie die Zeugen, aber anders als die, dem isländifchen Procefle nahezu fremden, Eidhelfer, ein zweifchneidiges Beweismittel, und müflen »entweder für oder gegen fprechen «2j^ oder anders ausge- druckt »beiden Streittheilen Recht thun«3), wefshalb denn auch ihre Ausfage wie die der Zeugen als vitni bezeichnet werden mag; fie haben jedoch, als Nachbarn, über Thatfachen nicht zu fprechen, die fich im Auslande, oder doch, wenn zur See, jenfeits des halben Weges zum Auslande zugetragen haben foUen 4). Auf eigene Sinnes- wahrnemung ift ihre Ausfage keineswegs nothwendig gebaut, wie fie denn unter Umftänden über Thatfachen auszufagen haben, welche fich einer direflen Wahrnemung geradezu entziehen, wie z. B. darüber, ob eine Perfon bei einer beftimmten Handlung in gutem Glauben gewefen fei oder nicht &), oder darüber, was wohl ge- fchehen fein würde, wenn Etwas nicht gefchehen wäre, was doch gefchehen ift 6). Andererfeits findet fich auch, wenn man von einer ganz vereinzelten und fehr fchwer deutbaren Angabe in einer ge- fchichtlichen Quelle abfieht^), keine Spur eines Beweisverfahrens, welches fich vor den Gefchworenen abfpielt, und welches ihnen als Grundlage ihres Wahrfpruches gedient hätte; indeffen begreift fich bei der Einfachheit der Verhältnifie der älteren Zeit und der ge- ringen Dichtigkeit der Bevölkerung, dann im Zufammenhalte mit

1) Kgsbk, i 85, S. 142.

2) Festa p., cap. 49, S. 369; Vigsloi>i, cap. 28, S. 39; vgl. Njjila, cap. 143, S. 238.

3) Njala, cap. 143, S. 237.

4) Kgsbk, § 85, S. 142.

5) Vgl. z. B. ebenda, § 32, S. 56,

6) Z. B. ebenda, § 221, S. 142; Kaupab., cap. 4, S. 394.

7) Eyrbyggja, cap. 16, S. 19; vgl. Landnania, II, cap. 9, S. 89.

3g4 I^ie Nachbarfchafl.

den vielfachen Beftimmungen, welche auf möglichfte Publicität aller wichtigeren Vorgänge hinzuwirken fuchten, immerhin, dafs die Nach- barn regelmäfsig ziemlich genügend über die Thatfachen unterrichtet fein konnten, über welche man eine Ausfage derfelben erAvartete, zumal da die regelmäfsig vorgefchriebene Berufung derfelben in ihrer Heimat ihnen Zeit liefs, fich die nöthige Information noch vor der Abgabe ihres Spruches zu verfchaffen, und jedenfalls war der isländifche Gefchwornenbeweis um Nichts unficherer als die Reinigung durch den mit oder ohne Eidhelfer gefchworenen Partheieneid, welche die Grundlage des norwegifchen fowohl als des älteren deutfchen Beweisfyftemes bildete. Auf die ebenfo verwickelte als intereffante Frage aber, wie fich das isländifche Gefchworenenwefen zu diefem altnorwegifchen Beweisfyfteme verhalte, und wie es fich aiienfalls aus diefem entwickelt haben möge, ifl: hier um foweniger einzu- gehen möglich, als deren Beantwortung auf keinerlei direfte Zeug- niffe der isländifchen Gefchichtsquellen fich zu ftützen vermag; ich befchränke mich demnach auf die Bemerkung, dafs im isländifchen Procefle mehr noch als im norwegifchen das Bereich des Zeugen- beweifes ein fehr befchränktes ift, und dafs demnach in jenem das Gefchworeneninftitut reichlich diejenige Stelle auszufüllen hat, welche in diefem letzteren dem Partheieneide und der Eideshülfe zukommt.

In einer Reihe von Fällen, in welchen es fich um die Ent- fcheidung von Rechtsfragen handelt, wird andererfeits den Partheien, unter welchen diefelben ftreitig find, zur Pflicht gemacht, mit Hülfe ihrer Nachbaren diefe Entfcheidung zu fuchen, und in diefen Fällen wird man, da die zufammenberufenen Nachbarn ftets als ein Gericht (dömr) bezeichnet und forgfam von den blofen Schiedsrichtern (sättarmenn, saettarmenn) unterfchieden werden, mit aller Sicherheit von Privatgerichten fprechen dürfen. Erwähnt wird zunächft ein Wiefengericht (engidömr)!). Daflelbe fetzt einen Streit über das Recht an einer Wiefe voraus, bei welchen doch das Eigenthum am Wieslande unbeftritten bleibt, alfo einen Streit, welcher entweder zwifchen dem Grundeigenthümer und einem Servitutberechtigten, oder zwifchen mehreren Servitutberechtigten unter fich geführt wird, wogegen die Sache an das Dinggericht zu kommen hat, wenn das Eigenthum am Grundftücke felbft beftritten ift. Indeffen fragt fich

1) Kgsbk, § 176, S. 84—6; Landabrb., cap. 17, S.. 2^—75.

Die Nachbarfchaft. 385

doch, ob diefe Befchränkung der Competenz des Privatgerichts eine urfprüngliche zu nennen fei. Einerfeits nämlich will die Staöar- holsbök das Wiefengericht fogar beim blofen Streite über die Wiefe nur für den Ausnamsfall eintreten laflien, dafs die Zeit ein Ab- warten des Dinggerichtes nicht geftatten würde j andererfeits erinnert der Ausdruck: »stefna til skila ok til raunar«, welchen diefelbe widerholt für eine Verhandlung an Ort und Stelle zu brauchen fcheint, die der Verhandlung am Dinggericht vorhergeht i), und welcher auch bei Streitigkeiten über die Erbfähigkeit einer Perfon gebraucht wird 2), fehr unzweideutig an die Bezeichnung skiladöm, welche im norwegifchen Rechte für das Privatgericht geradezu technifch ift, und zeigt überdiefs eine vereinzelte Stelle in unferen Rechtsbüchern 3), dafs auch die Vindication liegender Güter, welche diefelben fonft durchaus den Dinggerichten zuweifen, vordem regel- mäfsig vor ein Gericht gehört hatte, welches auf dem ftreitigen Lande fclbft gehalten wurde, uiid fomit nur ein Privatgericht gewefen fein kann. Man wird hiernach anzunemen berechtigt fein, dafs die Competenz der Privatgerichte urfprünglich alle Streitigkeiten über Liegenfchaften umfafste, und erft nach und nach auf ein engeres Bereich eingefchränkt wurde, wobei allenfalls die urfprünglich richtende Bedeutung der Nachbarn zu einer den Dinggerichten gegenüber nur vorbereitenden einfchrumpfen konnte. Das Ver- fahren aber bei der Haltung des Wiefengerichtes ift folgendes. Derjenige, welcher des Gerichtes bedarf, hat einerfeits auf der ftreitigen Wiefe felbft ein Merkzeichen aufzurichten, und bei dem- felben einen Platz für das Gericht abzuftecken, andererfeits aber auch den Gegner an feinem Wohnorte aufzufuchen, ihm den Gerichts- tag und die Gerichtsftätte anzufagen, und an ihn die Aufforderung zur gemeinfamen Abhaltung des Gerichtes, fowie die Ladung zum Krfcheinen vor demfelben zu richten. Das Gericht ift immer auf 7 Tage hinaus anzuberaumen, und darf nur zu einer Zeit gehalten werden, da die Wiefe mit Gras beftanden ift; immer hat man fich ferner fo frühzeitig bei demfelben einzufinden, dafs das Gericht längftens bis Mittag befetzt fein kann. An dem anberaumten Tage

1) Lanclabrb., cap. 17, S. 268 und 274; vgl. auch cap. 7, S. 226—7, und die leberfchiift *of raunarstefnura, fowie Sturliinga, VI, cap. 26, S. 235—6.

2) Kgsbk, § 118, S. 222 und 225; Arfa J.., cap. 8, S. 175 6, und cap. 4, S. 179.

3) Kgsbk, § 172, S. 78-9: Landabrb., cap. 1, S. 212—13.

Haurer, Island. ^^

JJ8ß r)ie Xachbarfchaft.

foll jeder von beiden Theilen 20 Männer zur Gerichtsftätte mit- bringen, aus deren Zahl fodann die Richter fowohl als die Zeugen zu nemen find, wogegen die 5 vom Kläger zu berufenden Ge- fchworenen in diefer Zahl nicht mitinbegriffen find; an dem letzten Hofe, den jeder Theil auf dem Wege zum Gerichte berührt, ift Halt zu machen und durch eine förmliche Zählung der Begleiter fcftzuftellen, dafs keine Ueberfchreitung ihrer vorfchriftsmäfsigen Zahl vorliege, welche mit (Irengen Strafen bedroht ift. Das Gericht befteht aus 6 Männern, deren jede Parthei 3 zu ernennen hat, und jede Parthei hat den vom Gegner Ernannten gegenüber ihre Re- cufationsgründe geltend "zu machen; ernennt aber der Beklagte feine Richter nicht, fo hat der Kläger auch fie feinerfeits zu ernennen, ohne dafs der Beklagte die von ihm Ernannten zu recufiren befugt wäre. Ein zweites hieher gehöriges Gericht ift der afrejtar- domrl). Derfelbe hat zufammenzutreten, wenn es gilt Streitig- keiten zu entfcheiden, welche durch den gemeinfamen Befitz einer Hochweide (afrett, afr^ttr) veranlafst find, und fteht jedem der Genofien frei, auf deflen Haltung anzutragen ; es foll wo möglich auf der Hochwiefe felbft, und jedenfalls nicht allzu entfernt von derfelben gehalten werden, die Zahl der Richter aber beträgt hier 12, und werden diefelben gleichfalls wider von beiden Streittheilcn zu gleichen Theilen ernannt. Abgefehen von der eigenthümlichcn Regelung der für die Berufung des Gerichtes maafsgebenden Termine ift das Verfahren bei derfelben dem vorher gefchilderten fehr änlich ; nur bringt der Umftand, dafs der Beklagten beim afrettardöme regelmäfsig fehr viele find, die Nothwendigkeit der Beftellung eines gemeinfamen Vertreters für diefelben mit fich. Indeffen befchränkt fich deffen Competenz ftrengftens auf die Formalien bei der Befetzung des Gerichts, wogegen jedpr einzelne GenofiTe für feine Beweismittel felber zu forgen hat, und auch ein doppeltes Recufa- tionsverfahren einerfeits jedem einzelnen Genoflen und anderer- feits dem gemeinfamen Vertreter gegenüber Platz greift. Bei einfachen Schuldklagen, wo man diefelben doch am Eheften erwarten foUte, laflen unfere Rechtsbücher keine Privatgerichte ein- greifen, und wenn Jon Eiriksson ein Anderes annemen zu foUen glaubte 2), fo liegt feiner Darftellung eine irrige Auslegung zweier Stellen zu Grunde, welche nicht von Privatgerichten, fondern von

1) Kgsbk, § 202, S. 115—7; Landabrb., cap. 41, S. 316-^-25.

2) Bei jr.ii Arnason, S. 337—8, und 342 3.

Die Nachbarfchafi. 387

Privatzufammenkünften Behufe der Bereinigung gerichtlich auferlegter Zahlungen fprechenl); dagegen wird in ihnen unter dem Namen skuldadömr, d. h. Schuldengericht, ein Privatgericht befprochen, welchem die Auseinanderfetzung eines überfchuldeten Nachlaffes obliegt 2). Das isländifche Recht läfst nämlich den Erben zwar an und für fich nicht für die Schulden des Erblaffers haften; aber es läfst diefe auf dem Nachlaffe ruhen, und verpflichtet den Erben bei Vermeidung eigener Haftung für deffen gehörige Vertheilung zu forgen. Der Erbe, oder vorkommendenfalls deffen Vormund, hat demnach die Aufforderung zur Haltung des Schuldengerichtes zu erlaffen, welches an dem letzten Wohnorte des Erblaffers zu halten ift, und er hat daffelbe im Vereine mit einem durch die erfchienenen Gläubiger gewählten, oder auch durch das Loos be- ftimmten Vertreter derfelben zu befetzen ; die Zahl der Richter in diefem Gerichte wird uns nicht genannt, wogegen das Verfahren bei deffen Conftituirung ziemlich das vorhin gefchilderte gewefen zu fein fcheint. Als ein Privatgericht ift ferner auch der hreppa- dömr, d. h. das Gemeindegericht zu betrachten 3), gleichviel, ob ein Privatmann oder ein Gemeindevorfteher in demfelben als Kläger auftritt. Er wird mit 6 Richtern befetzt, welche von beiden Streit- theilen zu gleichen Hälften ernannt werden, jedoch ftets aus dem Kreife der Gemeindeangehörigen genommen werden muffen; er wird ferner regelmäfsig beim Wohnorte des Beklagten, ausnamsweife jedoch dann beim Wohnorte des Klägers gehalten, wenn der Be- klagte ein fremder Schiffer ift. Zur Tagfahrt hat jeder Theil lO Männer mitzubringen, aus deren Zahl fowohl die Richter als die Zeugen zu entnemen find, wogegen die zu berufenden Ge- fchworenen zu jener Zahl noch hinzukommen ; geht die Klage freilich gegen fremde Schiffer, fo mag der Kläger foviele Leute mitbringen als er will, während der Beklagte auch in diefem Falle an jene Zahlgrenze gebunden ift. Es gehören aber vor die Gemeinde- gerichte alle und jede Bufsklagen, welche fich auf eine Uebertretung der gemeindlichen Armengefetzgebung ftützen, fowie auch die Klagen auf Erfatz nicht geleifteter Verpflegung oder Verpflegungsbeiträge, welche fich an jene Bufsklagen anfchliefsen ; dagegen ift es nur als

1) Kgsbk, § 172, S. 78, und g 222, S. 147-8; dann Landabrb., cap. 1, S. 210, und Raup ab., cap. 7, S. 406 7.

2) Kgsbk, § 223, S. 148—52; Kaupab., cap. 8-9, S. 408-13.

3) Kgsbk, g 234, S. 174 8; Kaupab., cnp. 41 44, S. 448-58.

25*

388 hie Xachbarfchaft.

Folge einer nicht ganz folgerichtig durchgeführten legislativen Neuerung anzufehen, wenn in den letzten Jahren der Republik von ihnen in einzelnen Fällen auch wohl auf I^ndesverweifung erkannt werden konnte. Weiterhin kennen unfere Rechtsbücher auch noch Gaftge richte, wenn auch ohne eine technifche Bezeichnung für diefelben zu bieten, da die in der Konüngsbök einmal für fie ge- brauchte Benennung »hröppadömr« offenbar nur auf einem Schreib- fehler für sherai^sdömr« beruhen kannl). Nach den, im Einzelnen allerdings nicht ganz übereinftimmenden Angaben der Rechtsbücher konnten diefe Gerichte in allen und jeden Straffachen judiciren, bei welchen der Beklagte ein Ausländer war, wogegen es allerdings dem Kläger unbenommen blieb, wenn er vorzog, die Sache bei einem Dinggerichte anhängig zu machen ; fie wurden mit 1 2 Männern bcfetzt, welche jedoch der Kläger allein zu ernennen hatte, und bei dem Wohnorte des Coden abgehalten, welchem der Kläger ange- hörte, oder, wenn diefer einem ferneren Theile der Infel angehörte, bei dem Wohnorte eines der Coden der nächftgelegenen Ding- ftätte: für das Oftland galten jedoch wider andere, localrechtliche Reftimmungen. Während unfere Rechtsbücher auf die bisher bcfprochenen Fälle fich befchränken, zeigt nun aber eine local- rechtliche Vorfchrift über die Behandlung der Almenden im Hornafjörör, welche Saemundr Ormsson (f 1252) im Einverftändniffe mit feinen Bauern erliefs, einen »heraösdöm« mit Streitigkeiten über Strandgut und desfallfige Rechtsverletzungen befafst, welcher im Hinblicke auf die Zeit feines Zufammentrittes nur als ein Privatgericht aufgefafst werden kann 2), und aus den Erzählungen eines unferer verläffigften Sagenwerke läfst fich erkennen 3), dafs man am Schluffe des zehnten und am Anfange des eilften Jahr- hunderts auf Island auch wohl in fchweren Verbrechensfachen wcnigftens unter der Vorausfetzung der Handhaftigkeit der That ein Privatgericht erkennen liefs, welches als du r ad 6m r oder dyradömr, d. h. Thürengericht bezeichnet wurde. An einer der Thüren des beklagtifchen Wohnhaufes, offenbar »fyrir karldurum« gehalten, wo auch andere feierliche Rechtshandlungen vorgenommen zu werden

1) Kgsbk, g 167, S. 73—4: Kaupab., cap. 50—52, S. 401 4: vrI HeliTsclalsb«'»k, § 64, S. 250.

2) Diplom, islaud., I, ur. 187, S. 537.

3) Kyrbyggja, cap. 18, .S. 21 23, cap. 19, S. 25, und cap. 55, S. 101—2: vgl. auch Laiiclndmn, H, cap. 9, S. 89.

Die Nachbar fchaft. 3H9

pflegten i), Hellt fich diefcs Gericht ganz denjenigen Arten des norwegifchen skiladomcs an die Seite, welche »fyrir durum vcr- janda«<, d. h. vor der Hausthür des Beklagten gehalten wurden'-^); mag fein, dafs die Bezeichnung urfprünglich überhaupt allen Privat- gerichten gemeinfam war, welche vor dem Wohnhaufe einer be- flimmten Perfon gehalten wurden, und dafs fie fomit auch das Schulden- gericht, Gemeindegericht und Gaftgericht mit umfafste. Immer- hin vervoUfländigen die angeführten Stellen gefchichtlicher Quellen in fehr erheblicher Weife das dürftige von den Rechtsbüchern uns gebotene Material; fie laflen uns, zumal im Zufammenhalte mit den einfchlägigen Beflimmungen der norwegifchen Provincialrechte ^), deutlich erkennen, wie das Inftitut der Privatgerichte auf Island wie in Norwegen allmälig in Rückgang gerieth, und hieraus dürfte fich erklären, warum dasfelbe auf der Infel nur noch in vereinzelten, jeJcr principiellen Abgrenzung fpottenden Ausnamsfällen auftritt. Im flrengflen Gegenfatze zu den Dinggerichten zeigen aber die Privatgerichte eine Gerichtsbarkeit geübt ohne alle und jede Mit- wirkung der öffentlichen Gewalt. Von den betheiligten Privaten geht hier die Ernennung der Richter aus, welche bezüglich der Dinggerichte den Goden oder höchflens noch dem Bifchofe zufteht ; von jenen wird ferner auch die Abdeckung des Gerichtsplatzes be- forgt, während die Träger der öffentlichen Gewalt zu dem Gerichte nicht in der minderten Beziehung flehen. Dennoch aber find diefe Gerichte ganz entfchieden als folche, und nicht als blofe Schieds- gerichte anzufehen, was man mit Unrecht bezüglich des norwegifchen skiladoms hin und wider geleugnet hat 4); nicht nur die Terminologie der Quellen bezeichnet fie ganz confequent als folche, fondern es kann auch, anders als bei den Schiedsgerichten, die Uebername der Funflion eines Richters bei ihnen nicht abgelehnt werden, und übcrdiefs ift die Thätigkeit, welche fie üben, und die P^orm, in

1) Vgl. z. B. Kgsbk, § 2, S. 9, und § 4, S. 1-1; KrK. hinn gainli, cap. 5, S. 28, und cjip. 9, S. 44; Landabrb., cap. 8, S. 228; ferner Njala, cap. 7, 8. 14, und cap. 24, S. 36.

2) G|>I.., § 37 und 266.

3) Vgl. über diefe Karl von Aniira, Das allnurwegifche Vollflreckungsver- fahren, S, 230 89, und Kbbe llerlzberg, Grundlrivkkene i den icldsle norske Proces, S. 15 71.

4) So Fr. Brandt in feiner Abhandlung »Om Norges dümniende In!>litutiurK-r gjennem Middelalderen<r, S. 113 (.\orsk Tidsskrift, V); auch K. Kcyfer, Kechls- gefchichle, .S. 401.

390 Die Nachbai fchafl.

welcher fie diefelbe üben, ganz diefelbe wie bei den Dinggerichten. Hier wie dort geht eine Ladung dem Zufammcntrittc des Gerichtes vorher, wird ein Recufationsvcrfahren eröffnet, werden Zeugen oder Gefchworene als Beweismittel vorgeführt, wird auf deren Ausfagen ein Urtheilsfpruch gebaut, kann endlich auch wohl eine Gerichts- fpaltung eintreten, und widerholt wird fogar ausdrücklich auf die Gleichheit des Verfahrens mit dem »at |>ingadömic üblichen hin- gewiefen. Sucht man aber mit Benützung aller zur Verfügung flehenden Hülfsmittel das Verhältnifs zu ermitteln, in welchem die Privatgerichte urfprünglich zu den Dinggerichten geftanden waren, fo dürfte fich Folgendes ergeben. Principiell ift es auf Island wie in Norwegen die Civiljuftiz, welche den Privatgerichten überwiefen ift, wobei der mafsgebende Gefichtspunkt der gewefen zu fein fcheint, dafs es fich bei diefer nicht um eine Reaftion der Gefammt- heit gegen eine Auflehnung wider die gemeinfame Rechtsordnung, fondern nur um eine Befeitigung von Zweifeln über deren Aus- legung und Handhabung handle; die Löfung einer derartigen Auf- gabe mochte aber ohne alle Dazwifchenkunft der Staatsgewalt ganz ebenfogut den Partheien und den von ihnen beizuziehenden Ge- noffen überlaffen bleiben, wie diefs bezüglich der Vorname von Ab- fchätzungen, Theilungen u. dgl. der Fall war. Infoweit war dann die Stellung der Dinggerichte zu den Privatgerichten zunächfl nur eine fubfidiäre, indem jene erfteren einerfeits dann anzugehen waren, wenn wegen einer im Privatgerichte fich ergebenden Gerichts- fpaltung (vefäng) oder irgend welcher fonftigen Verletzung oder Umgehung der für deffen Haltung mafsgebenden Beftimmungen (domsafglöpun) dort eine rechtsgültige Erledigung nicht zu erzielen gewefen war, andererfeits aber auch unter der Vorausfetzung ange- gangen werden mochten, dafs die bei der Klageftellung einzu- haltenden Friften, die Verhinderung eines Betheiligten am Erfcheinen, oder irgendwelche andere änliche Gründe diefs wünfchenswerth erfcheinen liefsen ; möglich aber, und fogar wahrfcheinlich, dafs auch in anderen als den ausdrücklich vorgefehenen Fällen fchon früh- zeitig dem Kläger anheimgeftellt war, ob er nicht ftatt des Privat- gerichtes gleich von Vornherein das Dinggericht angehen wollte, wie diefs hinfichtlich des Ggiftgerichtes geradezu ausgefprochen wird. Dem gegenüber kommt jedoch eine zweifache Erweiterung des Bereiches der Privatgerichtsbarkeit vor, vermöge deren diefelbe auch aufdasftrafrechtliche Gebiet ei nigermafsen hinübergreift, welches ihr doch nach der obigen Motivirung verfchlolfen fein follte. Ein-

Die Nachbar fchafl. 391

mal nämlich, und diefcr Punkt betrifft das norwcgifohe Recht fo gut wie das isländifche, macht fich ein gcwiflcs Schwankei) geltend in Bezug auf die Behandlung der Bufsfachen, was fich aus deren Mittel ftellung zwifchen den Civilfachen und den auf Acht oder Landesverweifung gehenden eigentlichen Straffachen fehr einfach erklärt. Zweitens aber erftreckt fich die Competenz des Isländifchen Gaftgerichtes fowohl als des älteren isländifchen Thürengerichtes auch auf die fchwerften Straffachen, wenn nur entweder der Thäter ein Ausländer oder die That eine handhafte war; diefe Unregel- mäfsigkeit ift jedoch ausfchliefslich dem Rechte Islands eigenthüm- lich, und dürfte demnach auch aus fpecififch isländifchen Bedürf- niffen zu erklären fein. In Norwegen, wo der Satz galt, dafs ein Ding berufen folle, wer eines folchen zu bedürfen glaube, und wo zumal die Berufung eines Pfeilgerichtes (örvar^ing) in Kampffachen aufs Genauefle geregelt war, konnte felbft in Fällen, welche das fchleunigfle gerichtliche Einfehreiten erforderten, ein Dinggericht fo fort zur Stelle fein; auf Island dagegen, wo man gebotene Dinge nicht kannte, und wo die beiden einzigen zu gerichtlichen Zwecken beflimmten Dingverfammlungen fich auf die Zeit von etwa zwei Sommermonaten zufammendrängten, mufste in eilenden Fällen zu Privatgerichten gegriffen werden als zu der einzig möglichen Ab- hülfe. Der frühzeitige Verfall der Privatgerichtsbarkeit auf Island, und zwar auf civilrechtlichem fowohl als flrafrechtlichem Gebiete fcheint durch die Gefahren hervorgerufen worden zu fein, mit welchen die Unbotmäfsigkeit eines in feiner Heimat übermächtigen Gegners alle Bezirksgerichte bedrohte, und welche bei den Privat- gerichten zufolge der Abwefenheit jedes Trägers der öffentlichen Gewalt fich noch fehr erheblich fleigern mufsten. Wenn felbfl auf Koften der Frühlingsdinge das Allding fortwährend feine ge- richtliche Thätigkeit ausdehnte, fo kann es nicht auffallen, wenn den Privatgerichten gegenüber diefelbe Erfcheinung in noch weit höherem Grade fich geltend machte, zumal wenn man annemen darf, dafs früher bereits in des Klägers Wahl geflanden hatte, ob er ein Privatgericht oder ein Dinggericht angehen wollte; in der That fcheint es Huf Island die wilde Stürlungenzeit wie in Norwegen die ftürmifche Zeit der Bürgerkriege gewefen zu fein, welche den Ver- fall der Privatgerichte herbeigeführt hat. Im Uebrigen bemerke ich noch ausdrücklich, dafs mit Ausname des hreppadöms, in welchem nur Gemeindeangehörige fitzen durften, nirgends die Eigenfchaft nächfter Nachbarn für die Beifitzer der Privatgerichte gefordert

392 1^*^ wirthfchaf Hieben Zuflande.

wird, ein Punkt, der für die praftifche Gcftaltung diefer Ge- richte von geringer Bedeutung, aber doch für deren principiclle Auffaffung vielleicht nicht ohne Werth fein mag. So oder fo fpricht fich indeffen unzweifelhaft in der bedeutfamen Rolle, welche der Privatgerichtsbarkeit zumal in ihrer urfprünglichen Geftaltung zuge- fallen war, das weite Mafs jener Selbftthätigkeit aus, welche die ältere Zeit des Freiftaates von ihren Angehörigen erwartete, fowie die beträchtliche Ausdehnung jener Beihülfe, welche diefelbe den einzelnen Volksgenoffen unter einander zur Pflicht machte. Diefes weitreichende »selfgovernment« nicht nur der organifirten Körpcr- fchaften im Staate, fondern auch der eihzelnen Volksgenoffen und der ohne alle formelle Organifation fich rein thatfachlich näher ge- rückten Gruppen von folchen mufs ftets im Auge behalten werden, wenn man zu einigermafsen genügendem Verftändnifle der Zuflände des Freiftaates gelangen will.

g. 12. Die wirthschaftlichen Zustände.

Die wirthfchaftlichen Zuftände des isländifchen Freiftaates waren naturlich in erfter Linie von der Befchaffenhcit des Landes und der Produfte abhängig, welche diefes abwarf j in diefer Beziehung wird man aber, da des Landes Befchaffenhcit während der gefchichl- lichen Zeit fich nicht wefentlich verändert hat 1), von derfelben Unter- fcheidung auszugehen haben, welche noch heutigen Tages mafs- gebend ift, nämlich von der Unterfcheidung der Landproducle (landvaran) und der Seeprodu6le (sjövaran), welcher denn auch die weitere Eintheilung der Bevölkerung in Landbauern (sveita- ba^ndr) und Seebauern (sjöbaendr) entfpricht.

Es ift, was dieLand waaren betrifft, oben bereits ausgefprochen worden, dafs diefelben dermalen wefentlich in Produ6len der Vieh- zucht beftehen, und wir dürfen mit Beftimmtheit annemen, dafs es in der freiftaatlichen Zeit nicht anders gewefen fei. Die übertriebenen Vorftellungen fo mancher Neueren über den früheren Wald re ich- th um Islands fowohl als den erfolgreichen Betrieb des Acker- baues dafelbft2) habe ich oben bereits zurückgewiefen, und fuge ich nur noch die Bemerkung bei, dafs in den Rechtsbüchern fowohl als in den Urkunden und in den Gefchichtswerken zwar oft genug

1) Vgl. oben, S. 8-lü.

2) Vgl. z. 13. WuinhuUl, Allnuidifdies Leben, S. öl— bö.

Die wirthfchaftlichen Zuftände. 393

von Aeckern oder von Wäldern gefprochen wird, jedoch immer nur in einer Weife, welche die Erträgniffe beider als vergleichsweife geringfügige Nebennutzungen neben den Produften der Viehwirth- fchaft erfcheinen läfst. Die Viehzucht betreffend ifl: aber vor Allem hervorzuheben, dafs die alte Zeit ungleich mehr Werth als die neuere auf die Haltung von Rindvieh legte. Schon von den erften Einwanderern ifl bekannt, dafs fie folches mit fich brachten; Hjörleifr befafs einen Ochfen, und Refr hinn gamli die Kuh Brynja, von welcher er bald vierzig Rinder bekam i), Andriör hatte neben viel anderem Vieh feine Kuh Mus, nach welcher Müsarnes benannt ift, und von Ingimundr gamli wird ebenfalls berichtet, dafs er neben Schafen und anderen Hausthieren auch Rinder mit fich führte '-^j, u. dgl. m. Gelegentlich kamen ganze Schiffe mit Vieh beladen an-^), und werden wohl Rinder ebenfogut als Thiere anderer Art auf diefem Wege der Infel zugeführt worden fein; rafch vermehrte fich die Zahl der Thiere, da man diefelben bei der kräftigen Weide und dem vergleichsweife milden Klima wenigftens in den ge- fchützteren Bergthälern felbft im Winter zumeifl ruhig fich felbfl: überlaffen konnte. Wie grofs aber in der fpäteren Zeit die Zahl der Rinder war, die auf einzelnen Höfen gehalten wurde, zeigt neben einer Reihe fpäter noch zufammenzuftellender Belege die Thatfache, dafs dem Snorri Sturluson, freilich dem reichflen Manne feiner Zeit, in einem harten Winter auf einem einzigen Hofe ein volles Hundert (120) von folchen fallen konnte (1225), ohne dafs dadurch fein Wohlfland in erheblicher Weife vermindert worden wäre 4). Ebenfo fcheinen Ziegen in der Vorzeit weit häufiger als gegenwärtig gehalten worden zu fein. Während dicfe heutzutage faft nur in der iM'ngeyjarsysla in einigermafsen nennensvverther Zahl auftreten 5), zeigen fchon die zahlreichen mit »geit« oder ^thafrc zu- fammengefetzten Ortsnamen die ungleich weitere Verbreitung diefer Thiere in der älteren Zeit, und es fehlt auch nicht an einzelnen

1) Landiiama, I, cap. 6, S. 35, und cap. 14, S. 46.

2) Kjalnesinga s., cap. 2, S. 401; Vatnsdeela, cap. 15, S. 26.

3) Landnama, III, cap. 8, S. 194.

4) Sturliinga, IV, cap. 45, S. 93.

5) Eine mir inzwifchen zugänglich gewordene, auf das Frühjahr 1871 bezügliche ofticiellc Zufammen Heilung zählt auf der ganzen Infel 234 Ziegen, wovon 197 auf den genannten Bezirk kommen, Skyrslur um landshagi ä Islandi, V, S. 458, 490, und 492

394 I)»e wirlhfchaftlichen ZulläDde.

Belegen für deren Haltung in den Gefchichtsqucllen fowohH) als in den Rechtsbüchern-), wie denn insbefondcre auch Geifsftälle (geila- hüs) gelegentlich erwähnt werden 3). Schweine, welche man zur Zeit auf Island fchon lange nicht mehr hält, muffen vordem fehr beliebt auf der Infel gewefen fein. Steinölfr hinn lägi z. B. verlor in der Landfchaft Saurbaer drei Schweine, und fand fie 7.wci Jahre fpäter irfi Svinadale auf dreifsig angewachfen wider; Helgi hinn magri liefs zwei Schweine laufen, und fand deren nach drei Jahren fiebcnzig im Sölvadale; dem Ingimundr gamli giengen zehn Schweine durch, und fanden fich im nächften Herbfte im Svinadale ftatt deren volle 120^). Auch fonft werden in den Sagen Schweine gelegentlich erwähnt i>), und nicht minder geben die Rechtsquellen gelegentlich von deren Haltung Zeugnifs^); der mit »svint, »göltr«, »griss« zu- fammengefetzten Ortsnamen aber ift vollends eine grofse Menge. Ren t hier e werden zwar im Chriftenrechte zu den efsbarcn Thicren gerechnet, und Hreinn ift überdiefs ein zuweilen auf Island vorkommender Mannsname; aber auch Hirfche und anderes Roth- wild, dann der braune Bär werden an der erften Stelle erwähnt, während doch alle diefe Thiere niemals auf Island gelebt haben, und auch Hjörtr kommt auf der Infel als Mannsname vor, fodafs fichtlich in beiden Beziehungen norwegifcher Einflufs mafsgebend geworden fein mufs. Die heutzutage auf Island vorkommenden Renthiere ftammen fämmtlich von Thieren ab, welche zucrft im Jahre 1771 der Stiftamtmann Thodal, dann im Jahre 1777 die Rentekammer aus Finnmarken hatte kommen laffen und denen dann um einige Jahre fpäter noch einige weitere Sendungen aut

1) V«,'l. i. B. Landnama, IV, cap. 12, S. 271; nrafnkeU s., S. o: Ljus velnf nj,'a s., cap. 14, S. 47: invr 30 hafra; Njala, cap. ll, S. t>2; Ey rbyggja, 'cap. 20, S. 32 3.

2) Vgl. z. H. Kgsbk, \ 225, S. 156; Kaupab., cap. 14, S. 418, cap. 16, S. 419 und cap. 24, S. 427.

3) Gunnars \. |)i(>randaban a , S. 374; vgl. das Sprichwort: inargr fcrr 1 geitarhüs ullar at bic>ja, in der Greltla, cap. 80, S. 174, und den Ortsnaiiitn Gcilhüsla:kr, im Diplom, islaud., 1, ur. 135, S. 622.

4j Landnama, II, cap. 21, S. 126—7; III, cap. 12, S. 206, lU, cap. S. .S. 177, und Vatnsdajla, cap. 15, S. 26—7.

5) Z. B. Landnama, II, cap. 20, S. 124, und IV, cap. 3, S. 2-1:.: Vallaljöts s., cap. 3, S. 203; Vatnsdsela, cap. 44, S. 71.

6) Z. B. Kgsbk, \ 16, S. 34, u. \ 207, S. 121^22; KrR. hinn gamli, cap. 31, S. 130: Landabrb., cap. 11, S. 231—33.

Die wirthfchafllichen Zuftände. 395

königliche Rechnung gefolgt waren l) ; aber diefelben find auch heutigentagcs keineswegs als Hausthicre, fondern lediglich als Wild zu betrachten, deffen Einführung auf der Infel als eine fehr zweifel- hafte Wohlthat zu betrachten ift, da der Schaden, welchen daffelbe thut, feinen Nutzen weit überwiegen foU. Dagegen hielt man aller- dings mancherlei zahmes Geflügel auf der Infel. Hühner (ha^ns) werden im älteren Chriftenrechte zu den efsbaren Tliieren ge- rechnet, und von der Handelfchaft, die er mit ihnen betrieb, hatte Hiensa-|»örir feinen Beinamen erhalten 2). Auch Gänfe hielt man nicht feiten, und unterfchied dabei die heimgäs von der grägas, d. h. die zahme von der wilden Gans. Bekannt find die 50 Gänle mit ihren Küchlein, welche Grettir für feinen Vater Asmund hüten follte, und bekannt auch die 3 zahmen Gänfe, welche die alte t>ordis fchlachten wollte, um dem Kormak den Sieg in einem Zweikampfe zu fiebern 3); aber auch noch in der Sturlüngenzeit wird eine unten noch zu befprechcnde Stelle folche gehalten zeigen. Anderes zahmes Geflügel (alifugl) kommt meines WilTens nicht vor, wogegen aber wildes und halbwildes Geflügel auch feinerfeits einer gewiffen Nutzung unterftellt, und in F'olge deflen auch eines ge- wiffen Rechtsfchutzes theilhaftig wurde, wie diefs bei Befprechung der Jagd noch darzulegen fein wird ; heutzutage ift von Geflügel- zucht auf der Infel überhaupt nicht mehr in irgend nennenswerthem Mafse die Rede. In fehr hervorragender Weife befchäftigte man fich dagegen bereits in der älteften Zeit mit der Zucht derjenigen Thiere, welchen noch gegenwärtig der isländifche Bauer feine Für- forge mit Vorliebe zuwendet, mit der Zucht der Pferde nämlich und der Schafe. Was zunächft die Pferde betrifft 4), fo war deren Haltung von jeher eine Lebensfrage für den Isländer. Die grofse Ausdehnung des Landes, und mehr noch deflen Unwegfamkeit, wie folche theils durch den Mangel an Holz und fonftigem Baumaterial, theils durch die geringe Zahl der Bevölkerung bedingt ift, hatte

1) Islandske Maan eds-Tiden d er for Aar 1775, S. 65—60; Jon Ei- n'ksson's Vorwort zu laus Ülavius, Üconomisk Reife igjenneni Island, S. XCIV— V; Lovsamlintr für Island, V, S. 393 u. 6ö3; Ölafur Jösepsson IljÖrtr, Um Hreindyr (iu den Rit ^ess kgl. islenzka Laerdömslista-FMags, VllI, S. 77—104).

2) Haensa{>öris s., cap. 1, S. 124.

3) Grettla, cap. 14, S. 23; Kormaks s., cap. 22, S. 206—8.

4) Vgl. des Jon Eiriksson Disquisitio de philippia (1755).

396 Die wirthfchafllichen Zuftände.

und hat noch zur Folge, dafs nicht nur alle Reifen auf der Infcl zu Pferde gemacht und felbfl geringere Wegftrecken nicht leicht zu Fufse zurückgelegt werden, fondern dafs auch aller und jeder Transport von Gütern lediglich auf l^ferdesrücken bewcrkfl:elli«;t werden mufs j höchftens dafs man einmal im Winter einen Schlitten (sleöi) benützen konnte, dem dann aber Ochsen vorgelegt zu wer- den pflegten i), obwohl ausnamsweife auch wohl einmal Pferde vor den Ochsenfchlitten gefpannt wurden 2), oder dafs man Tragbahren (vagar, vagir) hatte, die von Pferden gefchleppt wurden 3) : wenn an einigen wenigen Stellen des Wagens (vagn) erwähnt wird, und zwar fogar neben sleöi und vagar 4), fo fteht diefe Angabe fo vereinzelt, dafs man aus ihr auf einen irgend häufigeren Gebrauch von Räder- fuhrwerken keinenfalls fchliefsen darf. Die Befchaffenheit ihres Landes felbft hat demnach die Isländer zu einem Reitervolke ge- macht, und man braucht fomit nicht auf den heidnifchen Gebrauch des Pferdefleifcheflens, von dem trotz aller Verbote auch in der chrilllichen Zeit noch Spuren vorkommen, zurückzugreifen um den hohen Werth verftändlich zu finden, welcher guten Roflcn beige- legt wurde. Man hielt dafür, dafs ein folches der Witterung kundig fei, und Stürme vorausfehe; man liefs fich von einem folchen allen- falls fogar den Platz weifen, an dem man fich niderlaffen wollte; man fetzte unter Umftänden auch wohl feinen Glauben auf be- ftimmte Pferde, und benannte fie nach einem Gotte, dem man fie weihte, wobei nicht zu überfehen ift, dafs es zumal Freyr war, dem Pferde zugeeignet würden 5). Oft werden uns Pferde genannt, welche vor anderen als fchnellfüfsig und verläfsig galten, wie etwa die

1) Kyrbygjjja, cap. 33, S. 60, cap. 34, S. (32, und cap. 37, S. G6: Gi^U s. Siirbsonar, I, S. 36 -7, um! 11, S. 121—2; vgl. F6slbr;v^ra s., cap. IJ. S. 43, und cap. 2, S. 67 (ilauk^bok): Druplaugarsuna s., S. Ö.

2) Landnama, II, cap. 10, S. 94; vgl. Vatnsd ivla , "cap. 34, S. 55, uiv' Druplaugarsuna s., S. 10 und 26.

3) [lorlak-s bps jarteinabok, 1, cap. 4, S. 335; Gu^IIlunda^ bp^ ^. cap. 68, S. 508, und Sturlünga, IV, cap. 23, S. 49; Kyrbyggja, cap. 47, S. 90; Njala, cap. 99, S. 153. Doch ifl die Deutung deh Worten nicht ganz ficher; die Guömundar s. fclieiut die vagar von den bürur unterfcheidcn lu \*o!ltn. und Ivar Aasen giebt für Vaga die Bedeutung eines kurzen Schlittens.

4) Kgsbk, g 199, S. 109; Landabrb., cap. 35, S. 295; Gunnar> [. Kcldugnüps ff fls, S. 48.

5) Gretila, cap. 14, S. 24; Landnama, II, cap. 5, S. 77; VatnsdaU. cap. 34, S. 5o: llrafnkels s., S. 5, Ö, u. ufici : vgl. Flbk, I, g 322, S. 401.

Die wirthfchaftlichen Zuftände. 397

Sööulkolla, die Fluga, die Bandvaettir, der Svartfaxi, der Hvitingr, der alte und der junge Kinnskairr und fo manche andere l). Manche Leute machten ein Gewerbe daraus, Pferde zu züchten und zum Verkaufe zu bringen 2), und auch wer feine Pferde nur für fich zog, fah wenigftens auf gleichmäfsige Farbe der Stuten und tüchtige Wahl des HengftesS); bis zu 12 Stuten gab man einem Hengfte bei, während anderemale fchon eine Heerde (stöö, stööhross) von 5 Stück als ein anfehnliches Gefchenk galt-*); man führte unter Umftänden aber auch aus dem Auslande Pferde ein, wie denn z. B. der ältere Kjnnskaerr ein götifches Pferd und auch Fluga von aus- wärts eingeführt war, während umgekehrt andere Male wider is- ländifche Pferde in*s Ausland gelangten, wie denn z. B. der Von jener Fluga geborene EiL>faxi in Norwegen feinen Tod fand. Von befonders guten Pferden wird auch wohl berichtet, dafs fie den Winter oder auch das ganze Jahr über mit dem heften Gräfe oder felbft mit Körnerfrucht gefuttert wurden 0) ; ein gewaltiger Aufwand in einem Lande, in welchem alle Frucht von auswärts bezogen werden mufs, und felbft das Heu nie recht zureichen will. Wett- reiten, wofür man jetzt den Ausdruck kappreiö braucht, kam bereits in der alten Zeit gelegentlich vor^jj weit häufiger noch hielt^ man aber Pferdehetzen ab (hestai»ing, hestavfg, hestaat)^), bei welchen die Pferde je z\vei und zwei, von ihren Herren begleitet und ange- trieben, fich um die Wette fchlagen und beifsen mufsten. Es be- greift fich, dafs bei folchen Bedürfniffen und Liebhabereien die Zahl der Pferde grofs fein mufste, die auf anfehn lieberen Höfen gehalten

1) Grettla, cap. 47, S. 103—4; Landndma, III, cap. 8, S. 194-5; (iisla s. Sürssonar, I, S. 19; Hölmvcrja s., cap. 3, S. 9, u. cap. 4, S. 10; Bjarnar s. Hiulielaka ppa, S. 20; l>orskf i ri^f nga s., cap. 9, S. 57, cap. 17, S. 72, u. caji. 18, S. 74; vgl. auch Njdla, cap. 52, S. 81, 11. Hölmverja s., cap. 20, S. 62.

2) t)attr af [»oisteini stdngarh ögg, S. 49.

3) Rjarnar s. Hf tclselakappa, S. 55.

4) Hrafnkels s., S. 6; H olm v e rj a s., cap. 20, S. 62: Finuboga s., cap. 23, S. 278.

6) Ljösvelninga s., cap. 7, S. 19; |)or.skfiröinga s., cap. 9, S. 57.

6) Landnama, III, cap. 8, S. 194 5; vgl. Ynglinga s., cap. 23, S. 18.

7) Vgl. 7.. B. Vfgagliima, cap. 13, S. 355—6, und cap. 18, S. 366-7; LjiSsvetninga s., cap. 13, S. 37: Svarfdiela, cap. 23, .S. 176-77; Njäla, cap. 58-59, S. 90—2; Vatnsdala, cap. 27, S. 43; Floamanua s., cap. 19, S. 140.

398 Hie wirthfchaftlidicn Zurtände.

ZU werden pflegte; von Blundketill, einem reichen Bauern, der jedoch nicht zu den Häuptlingen zählte, wird einmal berichtet, wie er in einem ftrengen Winter i6o Pferde heimtreiben, und davon 40 fchlachten liefs, um das F'utter zu erfparen, das er ihnen hätte geben muffen i). Der befondere Werth aber, welchen die Pferde für die isländifche Wirthfchaft haben, fowie die vielfachen Conflifte, zu denen ihre Befchädigung oder auch ihre widerrechtliche Be- nützung in dem unwegfamen Lande zu führen pflegt, hat zur Folge gehabt, dafs die isländifchen Rechtsbüchcr fich fehr einläfslich mit denfelben befchäftigt habend). Bezüglich der Schafe endlich kann keinem Zweifel unterliegen, dafs diefelben fchon in der älteren Zeit eine fehr bedeutende Rolle in der isländifchen Wirthfchaft fpielten, wenn deren Zucht auch keineswegs mit derfelben Einfeitigkeit betrieben wurde wie diefs gegenwärtig der Fall ifl. »Svcltr sau^- laust bü« lautet ein isländifches Sprichwort 3), d. h. Hunger leidet der Hof der keine Schafe hat; aber auch in der alten Zeit fchon war es ein feltener Fall, wenn auf einem folchen die Schafzucht fich nicht recht betreiben laffen wollte, und der Name Sau^lauss- dalr (jetzt Sauölauksdalr), welchen ein Hof am Patreksfjörör trug*), bietet hiefür einen fchlagenden Beleg. Von dem Reichthume an Schafen aber mag einen Begriff geben, dafs l^orsteinn rauönefr ein- mal 2400 Schafe zählen liefs, worauf dann die übrige Heerde un- gezählt weiter liefö). Es ift nicht immer leicht, darüber in's Klare zu kommen, ob unfcre Quellen im einzelnen Falle von Rindvieh oder von Schafvieh fprechen, da Ausdrücke wie smali, büsmali. fdnaör, u. dgl , obwohl häufiger nur das letztere bezeichnend, doch in manchen P'ällen auch wider in einem umfaffenderen Sinne ge- braucht flehen; indeffen fehlt es doch nicht ganz an Anhalts- punkten, welche theils die Gröfse des Viehftandes, welcher auf einzelnen Höfen gehalten wurde, im Allgemeinen, theils aber auch die Zahl der Thiere von jeder einzelnen Gattung zu beftimmen erlauben, aus welchen derfelbe fich zufammenfetzte. Wir erfahren z. B. dafs Ölafr pa, nachdem fein neuerbauter Hof

1) Hcensa{)uris s., cap. 4, S. 133 4.

2) Kgsbk, g 164, S. 61—5, vgl. ^76, S. 124, u. J 226, S. 161; Fcsta p., cap. 57—8, S. 382—3; Kaupab., cap. 81—8, S. 432—443, und öfter.

3) Gu^mund^ JAnsson , Safn af islenzkum oiöskviÖum, S. 325.

4) Clu^munda^ hps s., cap. 33, S. 461.

5) Laiidnainn, V, cap. 5, S. 291- 2.

Die wirthfchaftlichen Zuflände. 399

ZU Hjaröarholt fertig geworden war, von Goddasta(^ir aus in der Weife dahin umzog, dafs die wilderen Schafe vorausgetrieben wurden, dann das Melkvieh (büsmali), hierauf das Galtvieh (geld- neyti), zuletzt aber die Laftpferde kamen; der Zug war rings von Leuten umgeben, welche die Thiere in ihrer geraden Richtung er- halten mufsten, und nirgends zeigte derfelbe die geringfte Lücke, dennoch aber kam deflen Spitze in demfelben Augenblicke in Hjarö- arholt an, in welchem Olafr, welcher ihn fchlofs, von Goddastaöir abritt 1), während der Abftand beider Höfe von einander mindeftens eine Meile beträgt. Als Saemundr Ormsson im Jahre 1250 dem Ogmund Digrhelgason gegenüber zu Kirkjubair den feränsdöm hielt, liefs er defTen Frau ihr Eingebrachtes fowohl als das, was ihr von ihres Mannes Vermögen zukam, wegnemenj dennoch aber kamen auf Ögmunds eigene Halbfcheid 30 Kühe und Rinder im Werthe von 12 weiteren Kühen, 4 Stiere 2}, 120 Schafe, 50 Hammel, 70 ein- jährige Schafe, 20 Pferde, 25 Schweine, fowie 50 Gänfe3), was auf eine ganz ftattliche Befetzung des Hofes eines Mannes, der nicht einmal zu den Goden zählte, und zugleich darauf fchliefsen läfst, dafs auf demfelben der Beftand an Rindvieh dem Beftande an Schafvieh reichlich die Wage hielt. Sehr vieles Material geben zu- mal die kirkjumäldagar an die Hand, foweit fie fich über das zu einzelnen Kirchen geftiftcte Inventarvieh ausfprechen. Allerdings bedarf es bei deren Benützung einiger Vorfichf, indem ja von der Willkür des Stifters abhing, ob überhaupt liegende Güter zu einer einzelnen Kirche gegeben werden wollten, ob folche die Bedeutung eines vollen Hofes erreichen, und ob zu dem Lande auch der ge- fammte zu deflen Bewirthung erforderliche Vichftand überwiefen werden wollte; nicht überall, wo etwa von einem gewiffen Werthe an Vieh gefprochen wird, welcher zu einer beftimmten Kirche ge- hören folle, ift überdiefs an deffen wirkliche Haltung zu denken, vielmehr find fehr häufig die betreffenden Angaben nur als Bezeich- nung eines beftimmten Capitalwerthes zu betrachten, fo dafs z. B.

1) I^axdsela, cap. 24, S. 96.

2) So glaube ich aröryxn überfetzen zu Tollen, obwohl die Lexikographen da- runter fämmtlich Pflugochfen verliehen; die weiter reichende Hedeutung *Clewinn«, welche dem ^Vo^te a^^r zukommt, fclieint mir nämlich ähnlich wie hei unferem Ausdrucke >Wucherthier« jene Auslegung zu geftatten.

3) Sturlünga, VII, cap. 55, S. 108; vgl. cap. 50, S. 103: {»rttt Jiü hatlr ei go^or^.

400 I>ie wirthfchaftlichen Zuflände.

von » lo hundruö friös fjär« gefprochen und fofort beigefügt werden kann: »en ^etta fe allt er rctt goldit i lönduni eptir viröingu«, oder unter >io hundruö fjär« nicht 1200 Stücke Vieh, fondern nur foviele Thiere oder deren Werth zu verftehen find, als 10 Hunderten vaömäls entfprechen ^). Immerhin läfst fich für eine Anzahl von Kirchen eine Reihe von Angaben zufammenftellen, welche in ihrer Gefammtheit wenigftens ein ziemlich richtiges wirthfchaftliches Bild geben werden, wenn auch im Einzelnen Manches bei ihnen zweifel- haft bleiben mag. Der Kirche zu Staöarhraun in der Myrasysla legt eine ältere Urkunde 16 Kühe, 10 Ochfen, 60 Hammel und 3 Pferde bei, eine fpätere dagegen 12 Kühe und 60 Melkfchafe, neben 60 Hammeln und 2 Pferden, während fich deren Grundbe- fitz in der Zwifchenzeit fehr beträchtlich vergröfsert hattet); die Kirche zu Stafsholt in demfelben Bezirke foll 20 Kühe und 10 Kuh- werthe an nicht melkendem Rindvieh, ferner 1 20 Melkfchafe, eben- foviele Hammel und 3 Pferde habend), wogegen der zu Hüsafell nur 5 Kühe und 30 Schafe, und der zu Akrar nur 6 Kühe und ?CC. friö«; gehören 4). In der Hnappadalssysla hat die Kirche zu Miklaholt lo Kühe und ein Rind, 30 Schafe und 22 Hammel, fo- wie I Pferd; die Kirche zu Hftarnes 10 Kühe und 120 Stück Schafvieh; endlich die zu Hafsfjaröarey 12 Kühe, 60 Schafe und 3 Pferde 5). In der Sn?efellsnessysla hat die Kirche zu Eyri im

Alptafjörör 4 Kühe * und ein Zugthier (eyk), wogegen das Klofter zu Helgafell 20 Kühe, 2 Ochfen, 1 Stier und 8 Pferde hatte Cj. In der Dalasysla wurden der Kirche zu Skarö auf den Skarösstrond 15 Kühe und ein Stier zugefchrieben, dann 30 Melkfchafe und 2 Pferde 7); aber freilich ift der dazu gehörige Hof nebenbei auf die See angewiefen, wie denn auch ein fechsruderiges Schiff und ein zum Fangen junger Seehunde geeignetes Netz zu feinem In- ventare gehört. Die zur Strandasysla gehörige Kirche zu Prest- bakki aber, von welcher ungefähr dasfelbe gilt, bekommt 5 Kühe

1) I)ij>lom. Island., I, nr. 118, S. 465; dann nr. 119, S. 466, wo/u dir Anm. 2 des Herausgebers zu vergleichen ifl.

2) Ebenda, nr. 26, S. 174, und nr. 67, .S. 278-9.

3) Nr. 28, S. 179—80.

4) Nr. 37, S. 217; nr. 149, S. 596.

5) Nr. 62, S. 273; nr. 64, S. 275; nr. 116, S. 423.

6) Nr. 118, S. 465; m. 69, S. 282.

7) Nr. 150, S. 597.

Die winhfchaftlichen Zuflände. 401

und 30 Schafe zugewiefen i). Im Südlande werden zunächft der zur Borgarfjaröarsysla gehörigen Kirche zu Stori-Ass nur »7 kügildi« beigelegt 2), wobei ungewifs bleibt, ob damit nicht blos eine Werth- fumme bezeichnet werden wolle; ferner der Kirche zu Reykjaholt 20 Kühe, ein Stier, 1 50 Milchfchafe und 3 Pferde, wozu dann noch ?7 kugildi i metfe« und *2 kugildi bufjär« kommen, welche wohl nur auf entfprechende Werthfummen zu bezichen find 3); der Kirche zu Melar S Kühe, der zu Garöar auf Akranes 10 Kühe, Schafe im Werthe von 13 Kühen, 30 Hammel und 2 Arbeitspferde, und der zu Innri-Hc^lmr ebenda 8 Kühe^); endlich der Kirche zu Saur- baer auf den Hvalfjaröarströnd 15 Kühe, 60 Milchfchafe, 5 Kuh- werthe an Galtvich, und 6 Pferde 5). In der Landfchaft Kjos hat die Kirche z^u Ingunnarstaöir 6 Kühe, 30 Schafe und 4 Kuhwerthe an Galtvieh; und die zu Saurbier auf Kjalarnes 10 Kühe und einen Stier, fowie 3 Pferde 6). Aus der Gullbrmgusysla wird zwar das Klofter ViCey in mehreren -Urkunden weitläufig behandelt, aber ohne dafs deflen Beftand aii Vieh gehörig angegeben würde; in der Arnesssysla dagegen hat die Kirche zu Hof im Eystrihreppr 5 Kühe und 40 Schafe, und die zu Gaulverjaba^r 4 Kühe^j. Inner- halb der Rängär\'allasysla werden der Kirche zu Skarö hit eystra eine Kuh und 65 Milchfchafe, dagegen der zu Asolfsskali 6 Kühe und ein Stier zugetheilt 8j. In der zum Oftlande gehörigen Skapta- fellssysla hat die Kirche zu Solhcimar 10 Kühe und 30 Schafe; das Klofter zu {»ykkvibser hat 24 Kühe auf dem Heimlande und 5 auf den Aufsenlanden, 23 Ochfen, 2 Stiere, 25 jährige Rinder und 22 Kälber, ferner 220 Milchfchafe daheim und 160 auf den Aufsenlanden, 95 ältere Hammel, 257 jährige Schafe, 60 Jährlinge mit Lämmern und 215 Lämmer auf der Weide, endlich 39 Pferde 'J). Zu Kirkjubaer werden 30 Kühe und 7 Kuhwerthe an nicht melkendem Rindvieh aufgezählt, ferner 180 Milchfchafe, 60 Hammel, ebenfoviele jährige Schafe, endlich 30 Pferde; die Kirche zu Rauöila.*kr da-

1) Nr. 67, S. 277.

2) Nr. 148, S. 594.

3) Nr. 120, S. 470—2, und 475—77.

4) Nr. 114, S. 419; nr. 118, S. 418; nr. 112, S. 410.

5) Nr. 55, S. 265.

6) Nr. 56, S. 266; nr. 102, S. 402.

7) Nr. 78, S. 303; nr. 103, S. 404.

8) Nr. 95, S. 855; nr. 50, S. 255 6.

9) Nr. 48, S. 252; nr. 100, S. 396.

Maurer, iMluud.' ^^

402 l'^ie wirthfchaftlichen Zuftände.

gegen, welche im Litlaheraö, den jetzigen Öraefar, gelegen war, be- fafs neben 15 Kühen, ebenfovielen Ochfen und 5 Kuhwerthen in nicht melkendem Rindvieh noch 95 Kuhwerthe in Milchfchafen, 160 Hammel und 30 Pferde 1). Für das entferntere Oftland und für das Nordland, alfo in landwirthfchaftlicher Beziehung fehr bc- deutfame Gegenden, fehlen änliche Nach weife, und von den hier mitgetheilten fteht nicht durchaus feft, ob diefclben auch wirklich bereits der freiftaatlichen Zeit angehören, welcher fie der Heraus- geber der Urkundenfammlung zugewiefen hat; nicht immer darf man ferner annemen, dafs die angegebenen Ziffern den ganzen Viehbeftand der betreffenden Kirche repräfentiren, wie denn in der That Kirchen vorkommen, die nur eine Kuh 2), zwei Kühe 3), eine Kuh mit 6 oder 7 Schafen^), 2 Kühe mit 20 Schafen a), oder 2^/2 bis 3 Kuhwerthe an Nutzvieh habend), fo dafs ganz klärlich neben dem zum Kircheninventare gehörigen Vieh (innstasi^a) noch weitere Thiere zum Betriebe der Wirthfchaft vom jeweiligen Pfründebe- fitzer oder Kirchenbauern befchafft werden mufsten. Dafs indeffcn die Zucht des Rindviehs vordem in einem weit günftigeren Vcr- hältnifs zur Schafzucht fich befand, als diefs zur Zeit der Fall ift. beftätigen diefe Behelfe mit aller Beftimmtheit, wahrend fie zugleich, fowcit fie überhaupt einen Schlufs in diefer Richtung erlauben, auf einen ziemlich beträchtlichen Viehftand auf den gröfseren Höfen fchliefsen laffen. Der Betrieb der Viehwirthfchaft war wefentlich in derfelben Weife geordnet, wie er diefs gegenwärtig auf der Infcl ift, nur dafs man ungleich gröfseren Fleifs und gröfserc Sorgfalt auf dcnfelben verwendete, als diefs dermalen zu gefchehen pflegt. Man hatte zunächft beftimmte, der regelmäfsigen Heugewinnung dienende Ländereien, und zwar unterfchied man dabei zwifchen dem tun und den engjar, d. h. dem, oft fehr ausgedehnten Gras- landc, in deffen Mitte der Hof zu liegen pflegte, und den entfernter gelegenen Wiefen. Das tun wurde befonders forgfältig gepflegt und mit Dünger (ta6) aufgebeffert; das auf ihm gewachfene Heu (ta^a) wurde darum dem auf den entfernteren Wiefen gewachfenen (cngjahey, üthey) als das beffere entgegengefetzt, oder auch das

1) Nr. 99, S. 394-5; nr. 44, S. 248.

2) Reykir, nr. 58, S. 268; Ölfüsvatn, nr. 60, S. 269; Langaluüt, nr. 107, S. 40R.

3) Gufunes, nr. 59, S. 2G9.

4) LjotarsiaMr, nr. 51; S. 257; Ex, nr. 52, S. 257.

5) Stieiti, nr. 46, S. 250.

6) J.urney, nr. 111, S. 413: Oddjreirsh.Mar, nr. 109, .S. 410.

Die wirthfchafllichen Zuflände. 40«5

tun felbft den engjar* gegenüber als taöa bezeichnet l). Es begreift fich, dafs diefes befte Grasland unter ganz befondere Schonung gelegt war, fo dafs es als etwas Befonderes galt, wenn etwa ein- mal einem bevorzugten Geisbocke oder Schweine (tiinsvin, tööu- göltr) verftattet wurde auf demfelben fich herumzutreiben 2); dafs ferner die Heugewinnung auf demfelben (tööu-annir, tünannir) an der Spitze der Heuarbeit (heyannir), und vor dem Mähen der Wiefen (engjaslättr) angefetzt ifl. Neben diefen zur Heuwerbung befl:immten Landereien hatte man fodann Weideland (hagi), wobei man ebenfalls wider mit Rückficht auf deffen Belegenheit zwifchcn dem heimhagi oder heimahagi und dem üthagi unterfchied; in anderer Richtung unterfchied man aber auch wohl einen sumarhagi und vetrarhagi, jenachdem das Weideland im Winter oder im Sommer benützt wurde. Zuweilen ftanden folche Weidenfchaften im Miteigenthume mehrerer Bauern, wobei dann vorkommcndenfalls durch eine eigene Verhandlung feftgeflellt werden mufste, wie viele Thiere jeder einzelne Miteigenthümer auftreiben durfte (ftala) j anderc- male kommen Weiderechte auch wohl als Servituten (itök) vor, wobei dann nicht nur die Zahl der Thiere genau beflimmt zu fein pflegte, welche der Servitufbercchtigte auftreiben durfte, fondern auch tue Zeit, in welcher die Weide benützt werden follte, ob alfo z. i^. im Winter oder im Frühling 3j. Endlich hatte man auch noch eine weitere Art von Weidenfchaften, welche als afrettir bezeichnet werden, und die man etwa Hochweiden nennen mag; es find diefs fehr ausgedehnte Liegenfchaften höher im gebirgigen Inneren der Infel, welche von einer gröfseren Zahl von Iranern gemeinfam benutzt zu werden pflegen, welche aber nur fpärlich Nahrung für das Vieh bieten, und darum auch nur in fehr befchränkter Weife benützt werden können. Die Kühe und die Milchfchafe behielt man auf den befferen Weidenfchaften zurück, fei es nun in der Nähe des Hofes felbft, oder aber bei Sennhütten (^sel), deren Benützung vordem auf Island ungleich häufiger war als heutzutage; oft genug findet man der yselför« in den Urkunden erwähnt, als einer Servitut

1) Landabrb., cap. 7, S. 227.

2) Njdla, caj). 41, S. 62; Floamanna s., cap. 20, S. 141; Kgsbk, i 207, S. 121.

3) Vetrbeit und vorbeil, im Diplom, island., 1, iir. 135, S. 522; manac^arbeit y. küm (»k 80. asain^ar, ur. 142, S. 577: all.s fjar beii buM vt-lr dk sinnar, nr. 128, S. 507.

26*

404 ^^'c wirlhfchaflliclien Zuftäncle.

in fremdem I^nde, an welche fich allenfalls auch noch Beholzungs- und Fifchereirechte für die Dauer der Benützung der Sennhütte anfchliefsen ^), wogegen anderemale felbftverftändiich diefe letztere auch auf dem eigenen Grunde des Bauern ftehen konnte. Von den bleibend bewohnten Höfen ( vetrhüs) fcharf unterfchieden -j, wurden die Sennhütten zumal von den Weibern bezogen, obwohl zum Hüten des Viehes Mannsleute beigegeben zu werden pflegten j die Rechts- bücher regeln dabei genau das Verfahren bei der Auffahrt und Abfahrt, und den Weg, der dabei zu nemen ift^j. Der Grund aber, wefshalb man mit dem Melkvieh nicht anders verfuhr, lag theils darinn, dafs man daffelbe bei befferem Futter erhalten wollte, theils aber, und hauptfächlich darinn, dafs mau nicht auf die Milch ver- zichten wollte, deren man zur Bereitung von Käfe, Butter u. dgl. bedurfte ; das Galtvieh dagegen, das derartige Nutzungen nicht abwarf, fandte man unbedenklich auf die Hochweiden, wo es ohne Hut und Pflege lediglich fich felbfl überlaffen blieb. Die Zeit für das Auftretben der Thiere, welches gemeinfam gefchah, war auf den Beginn der neunten Sommerwoche gefetzt j die Zeit für das Ab- treiben aber war dahin beflimmt, dafs diefes Gefchäft vollendet fein mufste, ehe die letzten 4 Wochen des Sommers begannen 4'. Während diefer ganzen Zeit follte die Hochvveide ausfchliefslich ihrer Beftimmung als folche dienen. Keine Sennhütte durfte hier errichtet, kein Heu hier gemäht werden. Nur mit einflimmiger Erlaubnifs aller Genoflen durfte ein Ungenoffe Vieh auftreiben, e^ fei denn, dafs die Zahl der von jedem einzelnen Genoffen aufzu- treibenden Thiere durch eine befondere Einzahlung (itala) feflgeftellt war, welchenfalls es dann Jedem anheimgegeben war, ob er ftatt eigenen Viehes fremdes innerhalb der ihm gefetzten Grenze auf- treiben wollte. Die nächften Nachbarn der Hochweide, welche im Spätherbfte, W^inter und Frühling diefe unbedenklich für ihr Hofvieh (büfe) benützen dürfen, müflcn diefe Benützung doch fchon 14 Tai^c vor der Auffahrt des Galtviehes auf diefelbe einftcllen, und dun

1) Nr. 113, S. 418; nr. 114, S. 419; nr. 120, S. 471 und 475-0; iir. 128. S. 507; nr. 142, S. 577: nr. 147, S. 592.

2) Hallfreöar s. van d roe^askdl ds , cap. 9, S. 105; Laxdivia, cnp. 35, S. 138.

3) Kgsbk, f 182, S. 91—2: Laudabrb., cap. 19, S. 277, und cap. 21. S. 279; vgl. auch AM. 315 fol. T)., S. 224.

4) Kgsbk, i 201. S. 113: Landabrb., cnp. 36, S. 301.

Die «itlhlrliafllichcn Zufläi)de. 405

^^Miizen Sunimcr über cingcftcUt lalTcn bis zur Abfahrt. Schweine werden auf den 1 lochweiden nicht geduldet ^) ; dagegen find alle anderen Thiergattungen zuläffig, und die Urkunden zeigen insbe- fondere, dafs Rindvieh ebenfogut wie Schafvieh aufgetrieben zu werden pflegte 2), was heutzutage nur noch an wenigen Orten im Hrauche geblieben ift. Der Abtrieb der Thicre wird heutzutage in der Weife bcforgt, dafs unter der. Leitung des Gemeindevorftehers, oder auch eines eigens gewählten Bergkönigs eine gewiffe Anzahl dazu aufgebotener Männer und Hunde einen förmlichen Keffeltrieb im Gebirge veranftaltet, und die gefammelten Thiere thalabwärts bis zu einer Stelle treibt, wo eine Reihe von gröfseren und kleineren Pferchen aus Steinen errichtet ift, mit deren Zuhülfename nun die Thiere unter ihre Eigenthümer vertheilt werden; als fjallgöngur, d. h. Berggänge, werden jene Streifen, als rettir oder lögretlir diefe Pferche bezeichnet, und eptirleit, d. h. Nachfuche^j, nennt man eine weitere Begehung des Gebirges , welche etwas fpäter, wenn der erfte Schnee fällt, vorgenommen wird, um die etwa zurück- i;ebliebenen, oder. auch hinterher wider in das Gebirg entkommenen Thiere aufzuftöbern. Alle diefe Ausdrücke find auch fchon zur Zeit des Freiftaates nachweisbar im Gebrauche gewefen, und wird man darum wohl zu der Anname berechtigt fein, dafs das durch fie charakterifirte Verfahren damals im Wefentlichen auch fchon das heutige gewefen fein werde. Um aber die fei es nun auf der Heim- weide oder auf den Almenden im Hochgebirge fich vielfach mifchenden Thiere verfchiedener Herrn wider richtig ihren Befitzern zuweifen zu können, waren diefelben mit befonderen Marken (ein- k u n n i r) verfehen, die im erblichen Befitze jedes einzelnen Bauern ftanden; Pferde, Rinder und Schafe wurden dabei an den Ohren gemerkt, dagegen das Hausgeflügel an den Schwimmhäuten *). Auch in der alten Zeit war nach allem Dem die Viehwirthfchaft durchaus auf den Weidegang geftellt, und felbft im Winter liefs man die Thiere wo nur immer möglich für fich felbft forgen (gänga sjalfala) '^) ; die l'olge hievon war freilich, dafs bei fchwerem Schnee-

1) Kjjsbk, ? 202, S. 115, und g 207, S. 121: Landabi b., cap. 41, S. 815.

2) Diplom, island., I, nr. G2, S. 273: nr. 67, S. 278—9; nr. 113, S. 41H.

3) haustheimtiir, Bandamanna s., S. 11.

4) Lelzlcres fiehe Land ab rb., cap. 48, S. 348.

5) VgL Landndma, I, cap. 17, S. 53; Eigla, cap. 28, S. 58 und 59: Laxdivla, cap. 24, S. 96: Vatnsd^la, cap. 10, S. 20, und cap. 15, S. 26, u. dgL ni. Aber auch Landabrb., cap. 42, S. 325.

4(J6 ^^**^ wirtlifchaflliclicn Zuftäntlc.

fall und lang andauerndem Winter das Vieh maflenhaft zu Grunde gieng wie denn hiefür oben bereits einige Beifpiele gelegentlich an- zuführen waren l). Man fprach in folchen Fällen von einem fellivelr oder je nach Umfländen nautfellisvetr, nautfellisvär^), und niufste ein folcher um fo bedenklicher wirken, wenn etwa der Sommer zuvor wenig Gras hatte wachfen laflTen (grasleysusumar) 3), da folchen- falls die Ileuvorräthe, mit denen man fich über die fchlimmfte Zeit wegzuhelfen hatte, nicht ausreichen konnten. Indeflen fcheint doch die Vorzeit in diefer Richtung ungleich vorfichtiger verfahren zu fein als diefs gegenwärtig zu gefchehen pflegt, und zwar nicht nur in foferne, als man nach einem fchlimmen Sommer fich feinen Voranfchlag machte, wieweit das eingebrachte Heu vorhalten werde, und fofort foviele Thiere fchlachten liefs, als man fich nicht mit demfelben zu überwintern getraute^), fondern mehr noch infofernc, als man mit der Heugewinnung fich ernfthafter bcfafste als diefs jetzt vielfach der Brauch ift. Wir erfahren von Wafler- leitungen, welche man anlegte um eine künftliche W^iefenbewäfiferung zu ermöglichen, und das Landrecht enthielt forgfäUige Vorfchriften über die dabei gegen die Nachbarn zu beobachtenden Riickfichten 5). Wir fehen ferner mjt grofser Umficht für die Herftellung von Um- zäunungen geforgt, welche dem Graslande Schutz gegen das Vieh zu gewähren beflimmt find. Während man heutzutage, trotzdem dafs eine Zeit lang fogar mit Prämien und Strafandrohungen auf deren Herftellung hingewirkt wurdet), vielfach kaum' um das tun feinen gehörigen Zaun herftellt (tüngarör), geftattete das Recht des Freiftaats dem Bauern, von jedem Nachbarn die gemeinfchaftliche Herftellung eines Grenzzaunes zu fordern, fodafs alfo der ganze Landbefitz deftelben eingezäunt werden mochte 7); es geftattet femer demjenigen, der eine Wiefe auf fremdem Lande, d. h. eine Scrvitut-

1) Siehe oben, S. 12, Anm. 1, und S. 393, Anm. 4.

2) Laxd%la, cap. 31, S. 120; (iu6mundar bps s., cap. 51, S. 4bö: Sturlünga, III, cap. 22, S. 227; Annälar, a. 1186 und 1187.

3) Gubmundar s., cap. 9, S. 425, und cap. 14, S. 432: Sturlün^ja, III. cap. 2, S. 121, und cap. 5, S. 127; Annalar, a. 1181.

4) Vgl. Ilit'nsajjöris s., cap. 4 5, S. 181 35.

5) Kgsl;k, §187, S. 95, und ? 191, S. 97; Landabrb., cap. 24, S. 281 -2. und cap. 32-33, S. 289—91.

6) Verordnung vom 13. Mai 1776, aufgehoben durch Placat vum 9. März 1836, Lovsamling for Island, IV, S. 279—96, und X, S. 710—12.

7) Kgsbk, § 181, S. 89-91; Landabrb., cap. 15, S. 260—65.

Die wirllifcliafllichcn Zuflände. 407

bcrcchti^un^ auf die Heugewinnung in dicfcm bcfitzt, die l'>riclitunL,^ einer Umzäunung während der gefchloffenen Zeit, nur dafs diefelbe für die Dauer der offenen Zeit unverfchloffen gelaffen werden mufs, wogegen für diefe eine eigene Umzäunung um das gewonnene ITcu gemacht werden darf, falls man diefes nicht fofort heimbringen will oder kann l) ; es geftattet endlich fogar die Forderung einer gemein- famen Zaunerrichtung gegenüber der Hochweidengenoffenfchaft 2), und fchreibt für alle diefe Fälle vor, wie hoch und wie breit der gefetzliche Zaun (löggarör) fein, binnen welcher Frift er vollendet und zu welcher Zeit er hergeftellt werden muffe. Es ifl: klar, dafs folche Fürforge für die Umfriedigung fowohl als Verbefferung des Wieslandes fich durch eine beträchtliche Steigerung feines Ertrages bezahlt machen mufste, welche hinwiderum eine Vermehrung des Viehftandes und die fiebere Erhaltung desfelben felbft in den fchlimmften Jahren ermöglichte. Der Nutzen aber, den man aus feinen Hausthieren zog, war ein mehrfacher. Vorerft kam die Milch (mjolk) in Betracht, die theils als folche, theils als Sauer- milch (skyr) und Molke (syra) gegeffen und getrunken, theils aber auch zur Bereitung von Butter (smjör) und Käfe (ostr) verwendet wurde ; als hvitr matr, d. h. weifsc Speifc wurden alle diefe Milch- l)rodu6le gemeinfam bezeichnet, wie fleifsig aber zumal die heut- zutage fo fehr vernachläffigte Käferei betrieben wurde, zeigt die häufige Erwähnung des Käfes in den Sagen fowohl, als die mehr- fache Befprechung von Reichniffen an Käfe (ostgjöld, osttollar u. dgl.) in den Urkunden. Zweitens wurde das Fleifch der Thiere benützt, fei es nun dafs es frifch gegeffen, oder dafs es geräuchert oder gedörrt oder gefalzen wurde, um länger aufbewahrt werden zu können; die fetteften Stücke fcheinen zumal beliebt gewefen zu fein, wie denn fogar Speck würfte (mjörbjügur) widerholt genannt wurden, und mörlandi, mörlendingr, mörfjandi bei den Norwegern ein ganz gemeiner Spottname für die Isländer war 3). Im Herbft

Ij Kjjsbk, ? 18Ö, S. 95—6, und j^ 189, S. 96; Landabib., cap. 25—26, S. 2t?2-- 4.

2) Kgshk, l 206, S. 120—1: Landabrb., cap. 44, S. 380-32.

3) V^d. Jarteinabok 11 |n)iliiks bps, cap. 1, S. 357, und I.aiircntiu^ bps s., cap. 19, S. 810—11: Holmverja s., cap. 13, S. 39, Anm. 8: Hall- dors \i. Snorrasonar, S. 154 (FMS. III): Magnus s. bcrfittls, cap. 18, S. 35 (F.MS., VII), und Jons bps s., cap. 9, S. 222, Anm. 4: Sigiiröar b. J.')r>alafara, cap. 25, S. 114, und S. 11?:^ (FMS., VII).

408 ^*^ wirlhfchafilichen Zuflände.

war dabei die Hauptfchlachtzeit, und brachte man allenfalls die zum Schlachten beftimmten Thiere vorher noch auf eine befonders gute Weide, um fie recht fett zu machen i), zumal da auch der Talg dcrfelben als Werthobjeft gefchätzt war. Drittens kam aber auch noch die Haut der Thiere, und was die Schafe betriflft deren Wolle in Betracht. Aus Kalbfellen pflegte man Pergament zu bereiten, und mag fich daraus erklären, dafs folche z. B. im Reykholtsmäldagi als zum Kircheninyentare gehörig ei*wähnt werden 2); aus Ochfen- häuten, und wohl auch aus Kuhhäuten machte man Schuhwerk (skjeöi)3), aus Häuten aber auch die Verkleidung von Zelten^), die Säcke, in welchen man Waaren u. dgl. transportirte •'>), auch wohl Bettgefäfle, da fich fonft die Bezeichnung hüöfat für diefe kaum erklären würde u. dgl. m. Auch das Vliefs von Lämmern oder Schafen (g^tra) war ein gefuchter Artikel, und fogar gefchorene Vliefse (klippingar) werden unter den Gütern aufgezählt, welche zu einer beftinmiten Taxe angefetzt waren ; letzteres eine um fo werth- vollere Angabc, als fie zeigt, was übrigens auch anderwärts beftätigt wird 6), dafs man die Schafe auf Island in der älteren Zeit wenigftens theilweife zu fcheren und nicht zu rupfen (ryja) pflegte, wie diefs jetzt dafelbft der Brauch und allerdings auch fchon für die Vorzeit nicht gänzlich unbelegt ifl:7). Auch das Vliefs ohne Haut (reyfi) kommt als Zahlungsobjefl vor; weit häufiger aber ift es die Wolle (ull), welche fei es nun in rohem oder verarbeitetem Zuftande als Werth- und Gebrauchsgegenftand befprochen wird. Der Ausdruck tövinna, welcher heutzutage alle Wollarbeit zu bezeichnen pflegt, kommt fchon in der alten Zeit vereinzelt vor 8), und auch ein- zelne Arten diefer Arbeit laffen fich bereits frühzeitig nachweifen. Weiber finden wir gelegentlich mit Spinnen befchäftigt^), oder mit

1) Sturlünga, II, cap. 16, S. 69; Kormaks s., cap. 4, S. 34; purbtcin^ |j. Si 6uhaIlssonar, cap. 2, S. 4.

2) Diplom, island., I, nr. 120, S. 477.

-3) Hölmverja s., cap. 22, S. 71; sket&i als Abgabe, Diplom. Island.« nr. 135, S. 522.

4) Gubmuhdar bps s., cap. 69, S. 509; Sturlünga, IV, cap. 23, S. 50.

5) Kgsbk, § 3, S. 13, und ? 166, S. 71—2; KrR. hinn gamli, cap. b, S. 38.

6) Kgsbk, ? 12, S. 29; KrR., cap. 21, S. 104.

7) Svarfdjela, cap. 16, S. 154.

8) Gretlla, cap. 14, S. 23—24.

9) Z. B. Eyrbyggja, cap. 20, S. 32 und 33; Föstbraeöra s., II, cap. 9, S. 98: I.axdcxla, cap. 49, S. 224.

Die wirthfchafllichen Zuflände. 409

Weben A), wozu man auch wohl eine eigene Webftube hatte-); das Valkyrjenlied in der Njäla giebt bekanntlich auch eine fehr lebendige Befchreibung des Webftuhles, welcher in der alten Zeit gebraucht wurde. Gewoben aber wurde vor Allem vaömäl, ein grobes Wollenzeug, deflen man fich zur Kleidung, aber auch zu Hettzeug, Ueberzügen von Wänden und Dächern, u. dgl. m. be- diente; ferner feldir, d. h. Kleidungsftoffe, deren es widerum fehr verfchiedene gab, wie man denn die gewöhnliche Marktwaare als vararfeldir, hafnarfeldir u. dgl. den befferen Gattungen gegenüber- ftellte, u. dgl. m. Isländifche Wolle fowohl als gewebte Zeuge werden fchon frühzeitig als Ausfuhrwaaren der Infel genannt»^); doch fcheint mehr verarbeiteter als Rohftoff ausgeführt worden zu fein, was immerhin fiir den Hausfleifs der Leute ein günftiges Zeugnifs giebt. Neben der Viehzucht ftanden nun allerdings noch mancherlei andere Krwerbszweige. Ich rechne zu dielen den geringen Ackerbau, der an einigen Stellen des Landes betrieben wurde, die Bewirthfchaftung der kleinen Waldungen, das Sammeln wilder Beeren, Kräuter und See pflanzen, was Alles oben bereits gelegentlich befprochen wurde *i); ferner die Salzbereitung, von welcher mehrfach die Rede iftö), und welcher allenfalls auch der Seetang (t>ara) gedient haben mag, der gelegentlich als eine befondere Strandnutzung genannt wird 6), der aber allerdings auch als Düngermittel, oder felbft als Viehfutter benützt worden fein könnte. In einzelnen Gegenden wurde auch der Sandhaber be- nützt (melr), eine Art wildwachfender Körnerfrucht, mit welcher

1) J artei nabük Jjorldkh bps., cap. 17, S. 367; Küstbrlc^ra b., I, cap. 9, S. 31; vaöverk Kyrbyggja, cap. 50, S. 93.

2) Njäla, cap. 133, S. 209.

3) Vgl. z. 13. Heimskf. Harald s. grafeldar, cap. 7, S. 116; CJddr, cap. 30, S. 32: mikin varning islenzkan i vabmälum uk i ullu (cd. Munch), hxb'i vabmäl ok vararfeldi, cap. 36, S. 294 (FMS., X). Isländifche Wolle in Kouen, Diplom, island., I, Anhang, nr. 2, S. 719.

4) Vgl. S. 12—18.

5) Landndma, II, cap. 23, S. 131; J»orsleins Jj. SibuhalUsonar, cap. 4, S. 9; Sturlünga, II, cap. 13, S. 61; Diplom, island., I, nr. 62, S. 273. Weitere Nachweife giebt Jon £iriksson\s Abhandlung »um salltgiörd« in den Rit {»ess islenzka Laerdömslistaf^lags, I, S. 64 5, und Jon Sigurösson's, Litill varnfngshok, S. 96 7, ein Büchlein, welches zwar zunächfl die gegenwärtigen Zu- ftände zu beffem beflimmt ifl, aus dem fich aber auch in gefchichtlicher Beziehung Vieles lernen läfst.

6) Kgsbk, i 216, S. 131; Landabrb., cap. 54, S. 359.

410 Die wirlhfcIiaftUchcn Zuiländc.

man allenfalls die Pferde fütterte ^) ; grofsen Nutzen warfen ferner die Vogelberge (eggver) ab, wo fie fich fanden 2), und es begreift fich darum, dafs das Erfcheinen eines Raubvogels in deren Nähe als eine grofse Calamität betrachtet wurde, und dafs das Recht felbfl: fich veranlafst fah, deren Schonung zu gebieten und zugleich deren Nutzungen zu regeln. Weiterhin ift der Jagd zu gedenken, welche man unter der Bezeichnung veiör, d. h. Weidwerk, mit der Fifcherei zufammenfafste. An jagdbaren Vierfüfslern befitzt Island ftreng genommen nur den Fuchs (refr, melrakki, u. dgl. m.), und vielleicht die wilde Katze (uröarköttr, hreysiköttr), und die Bälge beider werden denn auch zu den isländifchen Waaren gerechnet ; von Grönland oder Spitzbergen aus kommt allenfalls auch einmal der Eisbär (hvitabjörn) herüber, und verdient bemerkt zu werden, dafs ein folcher hin und wider auf der Infel gezähmt und als Hausthicr (alibjörn) gehalten wurdet). Der braune Bär (viöbjörn) war dagegen ebenfo wie der Wolf (vargr) der Infel jederzeit fremd, und bei flrenger Strafe war verboten, derartige fchädliche Thiere dahin zu bringen. Um fo reicher war aber auf Island von jeher die Vogel- jagd, und zwar find es neben den Waflervögeln, wie z. B. Schwanen, wilden Gänfen u. dgl., zumal die Schneehühner und andererfcits die Falken, welche in Betracht kommen. Es galt aber zunächll die Jagd als Pertinenz des Grundeigen thumes, jedoch fo, dafs fie durch befonderen Vertrag von demfelben abgetrennt werden konnte, und zumal bei der Verpachtung des Landes im Zweifel als mit- verpachtet galt 4); doch war zu Gunften fremder Mausvögel nicht nur, fondern was den Pächter oder auch den Grenznachbarn betrifft, auch zu Gunften regelmäfsiger Vogelberge, diefes Jagdrecht bc- fchränkt. Auf fremdem Grunde durfte man Raubthiere wie Bären und P^üchfe, dann Adler, Zwergfalken, Raben, und aufserdem alle kleineren Landvögel wie z. B. Regenpfeifer und Brachvögel, frei jagen, fowie auch deren Nefter ausnemen, mit Ausname jedoch des Schneehuhnes und des P2delfalken, welcher letztere fchon früh-

1) Njala, cap. 153, S. 265: Diplum. Island., I, nr. 31, S. IDD.

2) Eij^la, cap. 21), S. 58: Jartcinabök Ijurlaks bps I, cap. 3H, S. 350: Landabrb., cap. 15, S. 263, cap. -45, S. 837—8, und cap. 47, S. 347.

3) Kgsbk, 2 88, S. 156, und §243, S. 188—9; Vigslööi, cap. 75, S. 11^. und cap. 77, S. 121—22.

4) Kgsbk, § 208, S. 122, und § 222, S. 137—8; Landabrb., cap. 4>>, S. 337, und cap. 47, S. 345-7.

Die wirllifchafllichcn Zuflaiulc. J-ll

zciti^j fo fchr j^cfchätzt war, dafs das Recht auf feine Jagd fogar in dem Streite zwifchen Kirche und Königthum eine Rolle fpielt, welcher fich gleich nach des K. Magnus Tod auf Island neuerdings erhobt). Das Recht auf Schwanennefter, dann der Verzicht auf die Eidervögeljagd auf eigenem Lande zu Gunften eines benach- barten Brutplatzes wird gelegentlich auch in Urkunden erwähnt-), und es ift merkwürdigerweife die Infel Viöey, zu deren Gunften der letztere abgelegt wird, eine Oertlichkeit alfo, welche noch heutigen Tages eine höchft einträgliche Eidem)gelzucht betreibt; da Bettzeug aus Dunen (dünkla^öi) gelegentlich erwähnt wird 3), und das »sofa a düni«, d. h. auf Dunen fchlafen fchon in einem alten Liede als ein befonderer Genufs bezeichnet wird^), darf man wohl annemen, dafs neben dem Fleifche und den Eiern der Eidergänfe auch deren Dunen bereits benützt zu werden pflegten. Die Fifcherei, foweit fie in füfsem Wafler betrieben wurde, gehört gleichfalls hieher. Schon bei der erften Einwanderung fand man, dafs alle Gewäffer voller Fifche waren, und traflf man Einrichtungen zum Betriebe des Lachsfanges 5) ; in den Seeen der Arnarvatnshei(>i gab es der Fifche fo viele, dafs geächtete Leute fich von ihnen wohl ernähren konnten, und dafs Mancher an einem Tage deren Hunderte fangen mochte ^). Aber auch in den Urkunden wird der Süfsvvafferfifcherei, und zumal des Lachsfanges, nicht feiten gedacht 7); fie laffen auch erfehen, dafs man hin und wider künftliche Vorrichtungen zum Behufe des befTeren Betriebes derfelben hatte, während anderwärts fogar das künftliche Einfetzen von Fifchen in bisher fifchleere Gewäffer (alifiskar) bezeugt iftSj. Uebrigens galt von der Fifcherei derfelbe Grundfatz

1) Arna bps s., cap. 28, S. 718. cap. 29, S. 720, cap. 42, S. 737, und cap. 43, S. 739.

2) Diplom, island., I, nr. 103, S. 404: nr. 125, S. 497.

3) Sturlünga, VII, cap. 56, S. 108, und IX, cap. 6, S. 193.

4) Skaldskaparm., cap. 43, S. 380 (üroUa s., 5)

5) Eigla, cap. 28, S. 58, und cap. 29, S. 59; Vai n sditla, caiJ. 10, S. 20, und cap. 22, S. 35, und Landnama, III, cap. 4, S. 178; La.\dn.*la, cap. 24, S. 96.

6) Grettla, cap. 55, S. 125—6; cap. 62, S. 142: Ii6i6ar s. hrei>u, cap. t<, S. 102; Laxdaela, cap. 58, S. 250.

7) Diplom. Island., I, nr. 62, S. 273: nr. 120, S. 470 und 475; nr. 128, S. 507; nr. 130, S. 512; nr. 142, S. 577; vgl. auch Jiorvalds fi. vi^förIa, cap. 7, S. 46.

8) lJo^skfir^lnga s., cap. 2, S. 45.

412 I^'ß wiithfchaftlichen Zullande.

wie von der Jagd, dafs dicfelbe nämlich Jedermann auf dem eigenen Lande zuftand, foweit fie nicht mit dem Lande verpachtet, oder anderweitig von demfelben durch befonderen Vertrag abgetrennt worden war i) ; die Urkunden zeigen, dafs ein Jagdrecht auf fremdem Grunde nicht feiten servitutweife conftituirt wurde. Die Rechts- bitcher fuchen durch befondere Beftimmungcn den Streitigkeiten vorzubeugen, welche unter mehreren Anwohnern eines und desfelben Waffers, oder auch unter mehreren Befitzern eines gemeinfamen Fifchereirechtes entliehen konnten. Lediglich als eine Curiofität mag endlich noch erwähnt werden, dafs auch der Schwefel (brennisteinn, brennustcin) fchon frühzeitig unter den isländifchen Ausfuhrwaaren auftritt 2); ob aber die Schwefelgruben bei Krisuvik oder die beim Myvatn denfelben lieferten, mufs dahingef teilt bleiben.

Unter den Seewaaren flehen natürlich die Fifche in erller Linie, und man rühmte fchon in der Landnamezeit, dafs alle Mcer- bufen auf der Infel mit ihnen gefüllt und die Fifchereiplätze da^ ganze Jahr hindurch ergiebig feien ; man bemerkte auch wohl, dafs die Unbekanntfchaft der Fifcjie mit dem Menfchen fie leichter zu fangen machte ^^). An einzelnen Punkten der Infel, wo der Fifch- fang befonders ergiebig war, lag man fchon frühzeitig delTen Betrieb fleifsig ob (ütröör), fo am Sn^efellsnes **), bei den Bjarneyjar im Breiöifjörö^), am Vatnsnes im Hünafjörörß), bei Grimsey, welche Infel eine Zeit lang als Almende galt?], u. dgl. m. Als fiskistö(>. fiskiver oder fiskimiö bezeichnete man die Stellen in der See, bei welchen günftig gelegene Bänke den Fifchfang befonders ergiebig machten, und ift der letztere Ausdruck davon hergenommen, dafs

1) Kgsbk, § 20Ö, S. 122—23, und ^ 220, S. 137; Landabib., ca|>. 45, S. 337, cap. 47, S. 345, und cap. 49—50, S. 348—51.

2) Arna bps s., cap. 24, S. 713. Eine Abhandlung 1>. Hannes Kin ns-stin >. über die isländifchen Schwefelgruben, in den Lyerdömslisla-f^lags rit, IV, S. 1 4t>, bezieht fich ebenfo wie Jun Eiriksson's Bemerkungen in der «Afhandling um Islands Opkomsu des Fall Vidalfn, S. 223—7, nur auf die fpätere Zeit,

3) Gretlla, cap. 11, S. 16; Laxda:la, cap. 2, S. 4; Landnania, K ca]». 2. S. 30; Eigla, cap. 28, S. 56, und cap. 29, S. 58.

4) Bäröar s. Snaefellsäss , cap. 8, S. 15; Vfglundar s., cap. 11, S. (»3.

5) Laxdxla, cap. 14, S. 38.

6) Bandamanna, s., S. 4.

7) Vallaljüts, s., cap. 4, S. 226; vgl. Heimskr. Olafs s. helga, cap. 134. S. 370, u. dgl. m.

, Die wirthfchaftlichen ZuftKnde. 413

folche nach beftimmten Merkzeichen am Lande aufgefucht zu werden pflegten 1); auch das einfache tver« wird in gleichem Sinne ge- braucht, obwohl man auch von einem eggver oder selver fpricht, und unter vermenn, vertiö verfteht man fchlechthin die Zeit, in welcher der Fifchfang im Grofsen betrieben wird, und die Leute, welche fich zum Behufe diefes feines Betriebes an den F'ifch- plätzen einfinden. Man richtete fich auch wohl für gröfsere Be- zirke gemeinfame Kifchplätze ein, und brachte durch gemeinfame Heifteuern die Mittel auf, deren man dazu bedurfte'^}; insbe- fondere befaffen die Bewohner der einzelnen Landesviertel viel- fach gemeines Land (almenningar), auf welchem dann Jedermann während voller 7 Monate, nämlich im Frühjahr, Sommer und Herbft, nach Belieben der Jagd und Fifcherei obliegen, und noch mancherlei andere Nutzungen ziehen durfte, während in den übrigen 5 Wintermonaten nur die nächften Angrenzer hier ihr Vieh weiden mögen '^). l'\ir den Betrieb des Fifchfanges, und zwar auf der See nicht nur, fondern auch in füffem Waffer, wurde felbft die fonft fo ftrenge Feiertagsordnung einiger- niafsen gemildert, nur dafs freilich deren einfchlägige Bertimmungen nicht zu allen Zeiten diefelben waren. Für den Fall, da das zum Fifchen venvendete Boot nicht etwa mit allen Fanggeräth- fchaften einem und demfelben Manne gehört und auch nur von dcflen Dienftleuten bemannt ift, da vielmehr, wie diefs weit häufiger zu gefchehen pflegt, Burfche aus fehr verfchiedenen Gegenden fich zufammenthun um ein Boot zu bemannen, deffen Eigen- thümer ihnen diefes möglicherweife nur geliehen hat, während fie vielleicht von ihm, oder auch wider von einem Anderen die Netze oder fonftigen zum Betriebe der Fifcherei nöthigen Geräthfchaften erhalten, pflegt jetzt der Gewinn nach gewilTen Regeln vertheilt zu werden. Man bildet foviele gleiche Theile (hlutir), als Betheiligte vorhanden find, und es erhält dann jeder Ruderer (häseti) feinen Thcil, der Steuermann (formaör) einen doppelten, endlich der Boot- befitzer, der Befitzer des Segels, der Netze u. dgl. m. auch noch

1) Vgl. Gu^Inundarbps s. eptir Arngriin, cap. &7, S. 179, wo fich auch eine fehr anfchauliche Befchreibung des Verfahrens bei der Fifcherei findet.

2) Landndma, II, cap. 29, S. 147—8.

3) Kgsbk, § 240, S. 186—7; Landabrb,, cap. 72, S. 892-4; vj^H. Landnama, II, cap. 20, S. 124; Ft'jstbrieftra s., I, cap. 7, S 23, und Flhk, 11, S. 104: (iicilla, cap. 27, S, C4.

414 ^^*c wirthfchafilichen Zuftände.

je einen folchen. Diefelbe Art der Vertheilung mufe nun auch fchon in der älteren Zeit üblich gewefen fein; eine Urkunde be- handelt es als eine befondere Laft, dafs der Befitzer von Viicy einen Mann aus Gufunes Jahr für Jahr »hiutlaust» mit ausfahren laffen mufstc ^), was doch wohl darauf bezogen werden mufs, dafs derfelbe an dem für den Grundeigenthümer oder Bootbcfit7x-r üblichen Antheile nicht mitzuzahlen haben follte und ein Ausfpruch des heil. Olafs zeigt, dafs der Fifcher fchlimmften Falls genug gc- than zu haben glaubte, wenn er einen Fifch für fich, einen für da> Boot und zwei für Angel und Leine gefangen hattet). Die Fifche, welche hauptfächlich gefangen zu werden pflegten, waren der Dorfch und der Häring, allenfalls auch der Haififch und der F^lynder; den Dorfch pflegte man dabei bereits zu dörren wie es heute noch gcfchieht, und skarpr fiskr hicfs vordem der fo zube- reitete Fifch, während er jetzt als harör fiskr bezeichnet zu werden pflegt. In weiterem Abftande fchlofs fich aber auch noch der Wal fifch fang an, obwohl diefer wider feine eigenthümlichen Seiten für fich hatte. Einmal nämlich werden unter der Bezeich- nung hvalr nicht nqr neben dem eigentlichen Walfifche auch die verfchiedenften Arten von Delphinen und Meerfchweinen, Finn- fifchen und Weifsfifchen, fowie auch der Narwal zufammengefafst, fondern fogar ganz anderen Thiergattungen gegenüber war man fich der Grenze nicht völlig ficherj der Königsfpiegel, welchem wir die genaueften Berichte über die Wale der nördlichen Meere ver- danken, berichtet, dafs man auf Grönland auch das Walrofs (rostüngr, rosmhvalr) zu den Walfifchen zähle, während deffen Vor- fafler felbft ihn zu den Seehunden gerechnet wiflcn will ^'^j, und auch das isländifchc Chriftenrecht ihn gleich diefen letzteren nicht zu den Fifchcn, fondern zu den Thieren rechnet, deren Flcifch an Fafttagen zu effen verboten ift. Sodann aber war auch die Art, wie derartige Thiere gewonnen wurden, eine ganz eigenthümlicho, und in Folge deflen auch eine eigenthümlichc Regelung der auf ihre (Gewinnung bezüglichen Satzungen nöthig. Während andere l'^ifche mit Netz oder Angel gefangen, und höchflens mit einem

1) Diplom, Island., I, nr. 125, S. 497.

2) Föstbijeöra s., II, cap. 10, S. 107, u. Flhk, II, S. 225. Vgl. übrigens auch ]iani1anianna s., S. 2.

8) Konünfjsskujjj^sja, cap. Ifi, S. 41; v£jl. Kjjsbk, M6, S. 34 u. KrK., cap. 31, S. 132.

Die wirthfchafilichen Zuflände. 415

Fifchfpeere (fiskistöng) geftochen, oder wenn ein »Landgang« ein- tritt, mit Eifen todtgefchlagen wurden i), wurde der Wal entweder mit der Harpune (skutill, skot) erlegt, wie diefs fonft auch wohl beim Seehunde vorkam, oder auch fchon todt in der See oder am Lande gefunden; die verfchiedenartigften Rechtsverhältniffe mögen in Folge deflen zwifchen dem Harpunirer, dem Finder, den Leuten, die das Thier an's Land brachten, dem Landeigenthümer auf deffen Grund diefes gebracht wurde, und dem Strandberechtigten fich er- «jeben, an deffen Strand daffelbe antrieb. Während alfo bezüglich aller übrigen Salzwafferfifcherei der einfache Grundfatz galt, dafs Jedermann aufserhalb der Netzlegung (netlög) frei fifchen könne, d. h. weiter vom Lande entfernt als der äufserfte Punkt, an welchem ein 20 Mafchen tiefes Seehundsnetz zur Zeit der Flbbe am Meercs- i^runde aufftehen kann ohne dafs doch feine F*luthbretter darum aufhören auf dem Waffer zu fchwimmen^j, fleht die Sache in Bezug auf den Walfifchfang weit verwickelter. Anders beftimmt war für (liefen bereits die Grenze, von welcher ab die Befitzname des ge- fundenen F^ifches erlaubt war, foferne in diefer Beziehung nicht die netlög, fondern das rekamark, d. h. die Strandgrenze entfchied; dicfe Grenze aber war durch den Punkt beflimmt, welcher von der äufserften F'luthgrcnze foweit abfteht, dafs man von diefer ab einen Dorfch mittlerer Gröfse auf dem Schiffe fehen konnte^), und fie war fomit ebenfo gezogen wie die der heutzutage fogenannten >fiskhelgi«. Jenfeits derfelben, der See zu, war »almennfng« d. h. .Mmende, alfo die Nutzung Jedermann erlaubt; diefsfeits derfelben, reicht das Recht des Grundeigenthümers, foweit nicht etwa die Strandberechtigung durch befonderen Vertrag von dem Grundeigen- thume abgetrennt worden war, und galt als F^ifchfang (veiör), alfo an die netlög gebunden, Alles was man auf dem Schiffe heim- brachte, dagegen als geführtes Gut (flutningr), und fomit an die fiskhelgi gebunden, Alles was man an das Schiff angebunden fchlej)pte ^). Findet fich nun ein Wal innerhalb der Strandgrenze, fo verfällt derfclbe (rekahvalr) dem Rechte des Landeigcnthümers,

1) Kgsbk, 'i 14, S. 32, und KrR., cap. 23, S. 112: andererfeits Cisla s. Siirssonar, I, S. 21, und II, S. 104.

2) Kgsbk, i 212, S. 125; Landabrb., cap. 53, S. 358.

3) Kgsbk, g 211, S. 125, ? 21G, S. 130 und ^ 217, S, 133; Landabrb., cap. 52, S. 357, und cap. 67, S. 380.

4) I.an.labrl)., cap. 54, S. 300: cap. 70, .S. 387.

416 nie wirlhfchafi liehen Zuftnntle.

der ihn fofort feftbinden mag, und felbft dann, wenn derfelbe wider losgerifTen wird, und an einem fremden Strande angetrieben wird, geht er dem erften Occupanten nicht verloren, wenn diefer nur nachweifen kann, dafs er ihn mit der gehörigen Sorgfalt angebun- den hatte; aber wenn fich in dem Thiere eine Harpune findet, fo gehört dafTelbe zur Hälfte dem Harpunier. Die Harpunen pflegen darum mit einer Marke bezeichnet, und diefe Marken am Ding bekannt gegeben zu werden; der Grundeigenthümer, der ein »l>ing- borit skot« im Wale findet, hat fodann deffen rechtmäfsigem Be- fitzer Nachricht zugehen und nöthigenfails defshalb einen öffent- lichen Aufruf ergehen zu laffen, auch deffen Antheil (skotmannshlut) einftweilen aufzubewahren. Doch erleidet die obige Regel eine doppelte Ausname. Einmal nämlich gilt der Wal, den man lebend aufserhalb der netlög trifft, felbft dann als frei jagdbares Thier, wenn er noch innerhalb der fiskhelgi betroffen wird; zweitens aber mufs für den Fall, da ein Wal dem Lande zugejagt wird, dem Grundeigenthümer nur deffen dritter Theil zugehen, wogegen die beiden anderen Drittel denen gehören, die ihn jagten 1). Wird ein Wal jenfeits der fiskhelgi gefunden, oder auch erlegt, fo verfallt er dem Occupanten, jedoch mit der dreifachen Einfchränkung, dafs derfelbe mit den Leuten, die ihm helfen denfelben an's Land zu bringen, mit dem Grundeigenthümer, an deffen Land er gebracht wird, endlich mit dem Harpunier theilen mufs, deffen Harpune allenfalls in dem Thiere gefunden wird. Nur in dem Falle alfo, da derjenige, welcher einen Wal erlegt oder todt gefunden hat, diefen ohne fremde Beihülfe lediglich mit feinen Dienftboten an fein eigenes Land bringt, gehört ihm der ganze Fifch; wird diefer an fremdes Land gebracht, bekommt der Grundeigenthümer 2^3 und der ihn an's Land bringt, nur 1/3; findet fich überdiefs eine fremde Harpune im Thier, wird der Grundeigenthümer auf ^3 reducirt, während das zweite dem Harpunier zufällt; hat man fremder Hülfe zur Führung des Fifches bedurft, fo mufs man den betreffenden Antheil mit feinen Helfern nach der Kopfzahl theilen. Doch bleibt bei folcher Theilung demjenigen, der das Thier gefunden hat, flet<

1) Kgsbk, g 217, S. 132—33; Laudabrb., cap. 70, S. 386—7; wenn die letztere Stelle von dem Wale, der lebend innerhalb oder aufserhalb der netlog gefunden wird, dem Finder die Hälfte, und die andere Hälfte dem Grundeigen- thümer zufpricht, fo fleht diefs im Widerfpruche mit den Angaben des ältcreu Rechtsbuches und ift überdiefs incoubequent.

Die wirthfchaftliclien Zuflände. 417

der Finderfpeck (finnanda spik) als Voraus, welcher von dem An- theile abgezogen wird, der auf die Führer (flytjendir) des Fifches trifft, und ift deflen Betrag gefetziich beftimmt ; überhaupt ift das Walfifchrecht, von dem hier nur die oberften Grundzüge mitgetheilt werden konnten, überaus fein ausgebildet, und diefs fowohl als die vielfachen Erzählungen der Gefchichtsquellen über den Antrieb folcher Thierel) läfst auf den hohen Werth fchliefsen, den man dem Walfifchfange beilegte. Gerade auf ihn ift es vorzugsweife zu beziehen, wenn bemerkt wird, dafs bei der erften Einwanderung auf Island die Ungeftörtheit der Thiere durch den Menfchen deren r'ang ganz befonders leicht und ergiebig machte 2); übrigens ift diefer felbft heutzutage noch keineswegs unbedeutend auf der Infel, und gilt zumal der Walfifchfchwanz dafelbft noch als ein feiner Leckerbiffen. Mit dem Walfifchfange hat widerum der Seehunds- fang eine gewiffe Verwandtfchaft, welcher theils mit Netzen (selnet)3), theils mit Harpunen (selskutill)^) betrieben wurde. Sehr frühzeitig bereits wird des Reichthumes an Seehunden auf der Infel gedacht 5), und zumal auch in Bezug auf die Infein im Breiöifjörör, die fich noch jetzt durch folchen auszeichnen^); in den Rechtsbüchern wer- den die Seehunde zunächft. unter den Strandnutzungen erwähnt 7), indeflen zeigt die widcrholte Erwähnung eigener Seehundsbote (selabätr)^), dafs man ihnen auch in die See cntgegengieng. I'ür das Walrofs galt die eigene Regel, dafs man es auch auf fremdem Lande erlegen durfte, nur dafs man folchenfalls die

1) V<?1. 7. IJ. K('.stbraM>ra s., I, cap. 7, S. 23 -24, und Flbk, II, S. 104 (;reltla, cap. 12, S. 17- 20; Isfirftinga s., cap. 3, S. 7 8; Eyrbygjjja, cap. 57, S. 106—8; Laxd?ela, cap. 2, .S. 4, u. cap. 75, S. 320; Vfgatjlilina, cap. 27, .S. 392-3.

2) Eigla, cap. 29, S. 58.

3) Vgl. oben, S. 415, Anm. 2: ferner Jarteinabök |»orlaks bps. II, cap. 22, S. 388.

4) Slurlünga, VII, cap. 30, S. CS; auch in Grünland Fost br.vftra s., II, c.ip. 9, .S. 8G, und Flbk, II, S. 209.

5) Z.H. Kigla, cap. 29, S. 58; r.jarnar s. IIi t dielakappa, 8.22^ Lax- dx'la, cap. 24, S. 96.

6) Sturlünga, II, cap. 22, S. 77.

7) Kgsbk, § 209, S. 123, u. § 216, S. 131; Landabrb., cap. 52, S. 352, und cap. 54, S. 359.

8) Hölmverja s., cap. 23, S. 74; Gisla s. Sürssonar, II, S. 134: Krokarefs J>., S. 10.

Maarer, Isliuid. '^^

418 nie wirthfchafllichen Zuftände.

Hälfte an den Grundeigenthümer abzugeben hattet); für die Robben dagegen fcheinen die gewöhnlichen Regeln einerfeits der Fifcherei und Jagd, und andererfeits des Strandrechtes mafs- gebend gewefen zu fein. Es war aber bei den Seehunden, änlich wie bei den Walfifchen, theils das Fleifch und ^er Speck, welchen man brauchte, theils die Haut, aus welcher man tüchtiges Riemenwerk, und was die Seehundsfelle betrifft, zumal auch Seemannskleider machte ; aus den Zähnen des Walrofses und des Narwals wurden aber auch Schnitzereien gefertigt, wefs- halb diefe Zähne in hohem Werthe ftanden2). Endlich kommt aber auch noch das Treibholz in Betracht, fowie das Recht auf das antreibende Wrack. Nach norwegifchem Rechte war das Strandrecht überhaupt fehr eigenthümlich geregelt gewefen, und war zumal bei ftrandenden Walfifchen von der Gröfse des Thiers abhängig gemacht, ob es der Finder oder der König erhalten follte, wobei noch obendrein je nach dem Stande des Finders deffen Recht verfchieden abgegrenzt war 3). Damit mag es zufammenhängen, dafs auf Island anfänglich das Recht auf den Strand nicht gehörig geregelt war, bis endlich gegen Ende des zehnten Jahrhunderts gefetzlich ausgefprochen wurde, dafs im Zweifel der Strand Pertinenz des Grundcigenthumes fei **), eine Regel, welche auch unfere Rechtsbücher noch fefthalten, und zwar in Bezug auf alle und je<le antreibende Güter, nur freilich mit der Einfchränkung, dafs fie eine vertragsweife Abtrennung der Strandberechtigung von dem Grun<l- cigenthume ausdrücklich anerkennen '^), und wird auch wohl für den Fall, da das Strandrecht vom Grundeigenthume wegverkauft wird, ohne dafs dabei genau ausgefprochen würde, was Alles darunter begriffen fein folle, ein gewiffes Mittelmafs von ihnen als bei der Veräufserung allein gemeint präfumirtC). Die Urkunden zeigen das Strandrecht fehr häufig von dem Grundeigenthume abgetrennt, wie denn z. B. das Klofter zu t)ingeyrar eine fehr ftattlichc Reihe von

1) Kgsbk, g 14, S. 31—2, 11. KrR., cap. 23, S. 112; l.andabrb., cap. 54. S. 360, und cap. 70, S. 387.

2) Urafns s. Sv einbjarnarsoiia r, cap. 4, S. 041 -2: Arna bps s., cap. 63, S. 767.

8) Vgl. Fr. Brandt, Forelajsninger, S. 251-3.

4) (irettia, cap. 12, S. 20.

5) Kgsbk, g 209, S. 123; Landabrb., cap. 52, S. 352.

6) I.antiabrb., cap. 51, S. 358 60.

Die wiitlifcliaftlichcn /uAände. 419

Strandberechtigungen in fremdem Lande aufzuweifen hat i) ; fie zeigen aber auch, dafs die verfchiedenen Arten des Strandrechtes vielfach getrennt gehalten, und zumal der hvalreki vom viöreki vorkommenden- falls getrennt wurdet), Treibholz durfte dabei der Strandberechtigte mit feiner Marke bezeichnen, um fich dadurch das Recht auf das- felbe fiir den Fall zu fiebern, dafs es wider weggefchwemmt würde ; im Uebrigen aber reicht das Recht des Strandberechtigten auf Treibholz foweit wie deflen Recht auf den Wal, d. h. bis zum rekamark oder der Grenze des fiskhelgi, und kann aufserhalb diefer Grenze auch des Treibholzes fich Jedermann bemächtigen. Das Wrack (vagrek) wird aber vom Treibholze ganz getrennt gehalten, und es fällt dasfelbe dem Grundeigenthümer, nicht dem Strandbe- rechtigten zu, wenn der Strand vom Grundeigenthume abgekommen ift'^). Als folches gelten Leichen, Waaren oder andere Güter, fowie Schiflfsholz, welches die See ausfpült; alles verarbeitete Holz fällt unter den Begriff und ift damit dem Treibholz gegenüber eine fcharfe Grenze gezogen. Anders als andere Strandgüter, wird aber das Wrack dem Empfäifger nicht zu Eigenthum, fondern nur zu vorläufigem Befitz zugewiefen, bis nämlich der Berechtigte felbft oder deffen Krbe fich meldet und in glaubhafter Weife über feinen Anfpruch ausweift; nur foviel darf er von demfelben veräufsern, als zur Deckung der Leichenkoften nöthig ift, oder als augenfchein- lich zu verderben droht, jedoch im letzteren Falle nur nach vor- gängiger Abfchätzung, und erft wenn fich innerhalb dreier Jahre Niemand meldet, mag er auch das Uebrige abfchätzen laficn und nach Gutdünken verbrauchen oder veräufsern, um fortan nur noch für den Schätzungswerth zu haften. Auffällig milde und menfchen- freundlich ift diefe Behandlung des Wracks für eine Zeit, in welcher anderwärts ganz allgemein das Strandrecht in feiner härteften Ge- ftalt geübt wurde ; um fo auffälliger, weil die Isländer diefe barbarifche Ausübung dcsfelben von Irland-*) wie von Dänemark aus kannten f»), und auch in Norwegen wie in England keine erheblich befferen

1) Diplom, island., I, nr. 143, S. 580.

2) Nr. 120, S. 476; nr. 128, S. Ö07.

3) Vgl. Kgsbk, 'i 218, S. 133—5: LaiuUhrh., cap. 71, S. ä87 92: ferner cap. 54, S^ 359.

4) r. axcUela, cap. 21, S. 76.

5) Ileimskr. Olafs .s. Try ggvasonar , cap. 36, S. 151, u. f. w. Vgl. Sie manu. Den <ianske Ketsbisiorie, S. 456 -60.

27*

420 I^ie wirthfchafilichen Zuftände.

Grundfätze, wenigftens Ausländern gegenüber, in Geltung gewefen zu fein fcheinen ^). Von wirthfchaftlichör Bedeutung konnte das Wrack übrigens felbftverftändlich für Island nicht fein, wogegen das Treib- holz allerdings, wie fchon feine häufige Erwähnung in den Sagen beweift, eine nicht unbedeutende Rolle im Haushalte der Seebauern fpielte; des Treibholzes fowohl wie des Strandwales wird denn auch gelegentlich der dem Vormunde am Mündelgute zuftehenden Befugnifle^j, gelegentlich der Berechnung der Meliorationen und Dc- teriorationen bei der Vindication von Land 3), dann gelegentlich der Rechte und Pflichten des Landpächters*), mehr oder minder aus- führlich gedacht, und felbft das Chriftenrecht macht zu Gunften beider Ausnamen von der Strenge feiner Feiertagsordnung 5).

Durch die Natur bedingt, find hiernach die Produfte des lindes in der Vorzeit wefentlich diefelben gewefen wie fie diefs gegen- wärtig noch find; in ihrer Bewirthfchaftung und Vcr\verthung aber ergiebt fich immerhin gar manche Verfchiedenheit, und zwar zeigt fich bezüglich diefer Unterfcheidungspunkte durchaus die ältere Zeit der neueren überlegen. Ich will nur einen einzigen diefer Punkte» aber freilich wohl den wichtigften von allen, hier hervorheben, nämlich das entfchiedene Vorwiegen der Landwirthfchaft in der älteren Zeit, gegenüber dem nicht minder entfchiedenen Ueberge- wichte der Seefifcherei in der fpäteren Zeit. Wohl bezeichnet bereits um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts der Abt Amgrimr Seefifche neben den Produften der Landwirthfchaft als die gewöhn- liche Speife der Isländer 6); aber wir wiffen auch, dafs die Fifchkoft geringer geachtet war, als die Milch- und Fleifchkoft, fo dafs man bei Leiftungen an Speifevorräthen allenfalls fogar ausdrücklich die Lieferung von Fifchen und von Seehunden ausfchlofs^). Allerdings wird gelegentlich von Dienftboten gefprochen, die der Bauer nur zum Betriebe der Fifcherei und zu keiner anderen Dienftleiftung

1) Vgl. Fr. Hrandt, ang. O., S. 258—9, und Kemble, The Saxons in England, II, S. 64 -7.

2) Ivgsbk, ^ 122, S. 233; Arfa |,., cap. 9, S. :95-6.

3) Kgsbk, § 172, S. 79; Landabrb., cap. 1, S. 211—12.

4) Kgsbk, § 220, S. 138: Landabrb., cap. 45, S. 837 und 330.

5) Kgsbk, g 8, S. 24 und 25, dann ^ 14, S. 32; KrR., cap. 17, S. 82 und 84, dann cap, 23, S. 112.

6) Siehe oben, S. 19.

7) Vgl. z. B. Diplom, island., I, nr. 64, .S, 275: 20 vnettir matar, ok frd skildir sel.ir ok fiskar.

Die wirthfchafllichcn Zuflände. 421

annam^); aber dabei ifl: doch wohl nur an ähnliche Verträge zu denken, wie fie auch in Bezug auf die Heuarbeit vorkamen '^), und ganz und gar nicht an den fpäteren Brauch, vermöge deffcn auch die Bauern des inneren Landes während der Fifchereizeit ihre Dienftleute an die See herabfchicken, um fich am Fifchfange zu betheiligeri, wie es denn auch als eine Umgehung des Gefetzes galt, wenn Jemand einen Mann als Dienftboten annam, der doch auf die Fifcherei fich verlegen, und nicht bei dem Dienft- herrn feine Wohnung nemen wollte 3). Wollte der Bauer aus dem inneren Lande fich mit Fifchen verfehen, fo reifte er vordem nach der Küfte herab, um folche zu kaufen 4), oder es kam um- gekehrt der Seebauer zu ihm herauf, um folche an ihn zu ver- kaufen 5); ins Ausland aber wurde in der frciftaatlichen Zeit überhaupt noch kein Fifch aus Island ausgeführt. Am SchlufTc des dreizehnten Jahrhunderts fcheint diefe Ausfuhr eben erft be- gonnen zu haben, da eine Verordnung K. Ein'k Magnüssons für Island vom 15. Juli 1294 ausfpricht, »wir wollen nicht, dafs viel Stockfifch (skreiö) von hier ausgeführt werde, folange das Misjahr dauert im Lande 6)«; am Anfange des vierzehnten Jahrhunderts war fie aber noch unbedeutend, da gelegentlich des Schiffbruches, den Laurentius Kälfsson im Jahre 1323 erlitt, nur von Rollen vaö- mäls und Thrantonnen die Rede ift, und ausdrücklich beigefügt wird, dafs »damalsc kein Stockfifch geführt wurde 7). Ein Urlheil, welches unterm 22. Februar 1340 in Niöarös in einer Zehntftreitig- keit erlaflen wurde, fpricht geradezu aus: »vor Kurzem wurde wenig Stockfifch von Island aus eingeführt, den man damals Speifeftock- fifch (matskreiö) nannte, vielmehr beftand die .meifte Waare in vaömäl, jetzt aber führt man auch aus Island die befte und meifte Waare an Stockfifch und Thran aus« ^). Es läfst fich nicht ver- kennen, dafs es der Einflufs des deütfchen Handels war, welcher fich bei diefer Aenderung in der Befchaffenheit der Ausfuhrartikel

1) Kgsbk, i 216, S. 131; Landabib., caj... 69, S. 3Ö3.

2) Kgsbk, i 78, S. 130; Kaupab., cap. 55, S. 46Ö.

3) Kgsbk, 'i 78, S. 131; Kaupab., 55, S. 469.

4) Ujarnar s. Hitd<x:lakappa, S. 84.

5) Sturhinga, III, cap. 13, S. 139.

6) Lovsamling for Island, I, S. 22.

7) Laurentius bps. s., cap. 40, S. 842. b) Diplom, norveg., II, nr. 235, S. 19b.

422 l^i<i wirMifchafllichcn Zuflände.

geltend machte. Im Jahre 1 186 bereits hatte K. Sverrir die deutfchen Kaufleute aus Bergen ausgewiefen, weil fie in ftarker Zahl und mit grofsen Schiffen Stockfifch und Butter aus dem Lande führten und dafür nur Wein und ähnliche Luxusartikel brächten 1); im dreizehnten Jahrhundert fetzten fich diefelben in Norwegen völlig feft, und dafs dabei die Befchafifenheit ihres Handels wefentlich die alte blieb, zeigen die Klagen, welche K. Häkon Magniisson in einer Verord- nung vom 30. Juli 1316 erhebt 2]. Es begreift fich leicht, dafs der reiche Abfatz, welchen der norwegifche Stockfifch bei den Hanfc- leuten fand, dazu drängen mufste, auch die entfernteren Bezugs- quellen flüffig zu machen, aus welchen fich folcher auf den Markt bringen liefs; es begreift fich aber auch, dafs die vermehrte Ab- fatzgelegenheit dem Betriebe der Fifcherei auf Island einen fehr kräftigen Impuls geben mufste, während andererfeits die Landwirth- fchaft in eben dem Mafse auf der Infcl zurückgehen mufste, in welchem fich die verfügbaren Kräfte dem allzu einfeitigen Ausnützen der See zuwandten.

Die letztere Bemerkung führt ganz von felbft auf die Frage, wie es denn zur Zeit des Freiftaates mit dem Handel der Infd befchaffen gewefen fei? Da ift nun zunächR zwifchen dem inlän- difchen und ausländifchen Handel zu unterfcheiden. Der erftere fchcint im Ganzen von geringer Bedeutung gewefen zu fein, was fich auch leicht begreift. Auf der einen Seite ift oben bereits auf die Schwierigkeit jedes Transportes aufmerkfam gemacht worden, welcher überhaupt zu Lande zu gefchehen hatte. Aller- dings ift richtig, dafs man in der älteren Zeit ungleich mehr für die Herftellung leidlicher Wege im Lande that, als in der fpäteren. Man liefs gelegentlich einmal einen Weg durch das wildefte Geftein brechen 3); über einzelne F'lüffe hatte man Brücken^), welche hin und wider fo kunftreich eingerichtet waren, dafs an ihnen angebrachte Schellen durch ihr Läuten erkennen liefsen, wenn fie

1) Sverris s., cap. 104, S. 250 1.

2) Norges gamle Love, III, nr. 47, S. Uö.

3) Kyrbyggja, cap. 28, S. 46 7: Auszug aus der IIci6arviga >.. cap. 4, S. 286.

4) Z. B. über die Alptd, Sturltinga, VII, cap. 10, S. 24; üb unter tkr ebenda, VI, cap. 32, S. 244, und cap. 36, S. 255 6 erwähnten Brücke übet die Hvitä eine künflliche oder die Naturbrücke zu verliehen fei, die früher über den Flufs fiihrte , mag dahin flehen, wiewohl das erflere mir wahrfcheinl icher Ferner über die Oxarä, Kristni s., cap. 9, S. 17; Njala, cap. 146, S. 246.

Die xvirllifchafllichen Xuftände. 423

betreten wurden ^), und es gab Leute, die ein Gefchäft daraus machten, über gröfsere Flüfse und Seeen Brücken zu bauen'-). Unfere Reclits- bücher fehcn ausdrücklich vor, wieweit die Anwohner eines FluiTes, oder widerum die zu einer Wegefervitut Berechtigten befugt feien, Brücken zu ihrer Erleichterung zu bauen 3) ; bemerkenswerther noch ift aber, dafs auch anderen Leuten als den Anwohnern des Fluffes anheimgegeben war, eine Brücke zu bauen, und zu beftimmen, wie fie benützt und welches Mafs des Rechtsfchutzes ihr beigelegt werden foUte. Auch Fähren (ferjur) konnte man in gleicher Weife her- rtellen, wenn nur für deren dauernden Beftand geforgt, und deren Gebrauch unentgeldlich Jedermann verftattet werden wollte; durch befondere Stiftung pflegte für die Erhaltung folcher Brücken und Fähren geforgt zu werden, und Zuwendungen zu folchem Behufe wurden geradezu als Seelgaben (sälugjafir) behandelt wie Ver- gabungen an Kirchen, ja fogar die in folcher Weife gcftifteten Fähren als SeelfchifTe (säluskip, sailuskip). bezeichnet*). Von hier aus erklärt es fich, dafs in einzelnen kirkjumiildagar die Herftellung und Erhaltung von Brücken über die Hitara und Grjota, die Blik- dalsa, dann den Geröalaikr vorgefehen ifl:^), dafs uns eine förmliche Stiftungsurkunde für eine Fähre über die Olfusa erhalten ift, und auch von einer folchen über die Hvfta in der Nähe von Skalholt gefprochen wird^j, endlich dafs Brücken /ja den Gegenftänden ge- zählt werden, denen man eine kirchliche Weihe zu Theil werden liefst). Richtig ift ferner auch, dafs in Folge der reichen Küften- entwickiung wenigftens des gröfsercn Theiles der Infel ein guter Theil der Transporte zur See erfolgen konnte, untl fomit von den Schwierigkeiten des Landtransportes mehr oder minder unberührt blieb. Endlich laflen fich auch wirklich einzelne Fälle nachweifen, in welchen eine Handelfchaft innerhalb des Landes betrieben wurde. Von |»6rir z. B. wird erzählt, »dafs er mit feinem Sommerhandel

1) GrcUla, cap. 53, S. 122.

2) Kgs1)k, \ 78, S. 130: Kaupab., cap. 55, S. 46Ö.

3) KijNljk, \ 182, S. 92, und \ lö4, S. Ü3: Landabrb.. cap. 16, S. 266—8, und cap. 19, S. 277; AM. 315 ful. 1)., S. 222-3, und 224.

4) Kgsbk, \ 255, S. 205: KrK., cap. 36, S. 142.

5) Diplom. Island., 1, nr. 67, .S. 279; nr. 102, S. 402: nr. 103, S. 404.

6) Ebenda, nr. 86, S. 319- -20; Jarteina bok fiurlaks bps I, cap. 45 6,

S. 354-6.

7) llüngrvaka. cap. 3, S. 6j: Laadndina. S. 333 (Skar^>jiilM>k).

424 I^»*-* wirthfchafllichen ZuRände.

von einer Gegend zur andern fuhr, und in der einen verkaufte, was er in der andern gekauft hatte«, und dafs er von Hühnern, die er einmal aus dem Südlande nach dem Nordlande brachte, den Bei- namen Ha^nsatörir erhielt l). Von dem Nordländer Kaupahe^inn erfahren wir, dafs er mit feinem Krame das ganze Land zu durch- ziehen pflegte, und es find Handwerksartikel (smiöi), welche er feilbietet 2). Wenn ferner von Oddr Lfeigsson, und wider von

Uspakr Gliimsson gefagt wird, dafs er durch Frachtfahrten (flutningar) zwifchen den Strond und dem Nordlande fich Geld gemacht habe 3), fo ift auch diefs auf Handelsfahrten zu beziehen, zumal da hinficht- lich des erfteren ausdrücklich von Handelswaaren (kaupeyrir) ge- fprochen wird. Aber doch fcheint Dergleichen vergleichsweife feiten vorgekommen zu fein, und zwar aus fehr einleuchtenden Gründen. Die Naturproduftc der Infel waren, wenn man von dem Gegenfatze der Land- und Secwaaren abfieht, fehr einfache und gleichförmige, fo dafs ein Bauer dem andern an folchen nur wenig zu bieten hatte, was diefer nicht felbft fchon befafs ; foweit dagegen jener Gegcnfatz reichte, war der Bedarf fowohl als die Bezugsquelle ebenfalls wider ziemlich gleichmäfsig geartet, fo dafs der Confument den Produ- centcn, oder der Producent den Confumenten unmittelbar auffuchte, ohne dafs man einer vermittelnden dritten Hand bedurft hätte*), falls nicht etwa die Lage feines Hofes dem einzelnen Landwirthe erlaubte, felbft die Küfte zu befuchen und hier feinen Bedarf fich felber zu erwerben 5). Kunftprodufle aber einheimifchen Urfprunges kamen fo gut wie gar nicht in Betracht. Allerdings finden wir gelegentlich Zimmerleute genannt, die gegen Entgeid Häufer, Ding- buden, Brücken aus norwegifchem Holze bauen, oder wider Schvverdt- feger und Schufter, dann Bierverkäufer, welche ihre eigenen Buden am Alldinge haben C) j auch wird gelegentlich von einem Schreiner (skrinsmiör) gefprochen, der um Geld arbeitet 7), und der zugleich

1) Ha;nsa|)uris s., cap. 1, S. 124.

2) Njala, cap. 22, S. 32.

3) Bandamanna s., S. 4—5, dann S. 6.

4) Vgl. oben, S. 421, Anm. 4 5.

5) Vgl. z. 13. Grettla, cap. 25, S. 61: Eigla, cap. 29, S. 58; isfirfc- fnga s., cap. 1, S. 2; Jjoröar s. hreÖu, S. 10 und 25.

6) Siehe oben, S. 165—6 und 423, Anm. 2.

7) Sturlünga, III, cap. 16, S. 146; Pals bps s., cap. 16, S. 144, vgl. cap. 8, S. 184: t)orlaks bps s. I, cap. 28, S. 124, und II, cap. 53, S. 325.

Die wirthfchaftlichen Zuflände. 425

aU Goldfchmid und der gefchicktefte aller Metallarbeiter bezeichnet wird, oder wider von einer Frau, welche vortreffliche Zahnfchnitzereicn ausführte^); von |>6rodd Gamlason, dem gefchickteften Zimmernianne feiner Zeit, hören wir, dafs er zu Anfang des zwölften Jahrhunderts um hohen Lohn bei dem Kirchenbaue zu Hölar, und von Amundi Arnason, dafs er um das Jahr 1200 bei einem Thurmbau zu Skäl- holt2) thätig war, u. dgl. m. Immerhin ift indeflen der gewerbs- mäfsige Betrieb derartiger Kunftfertigkeiten nur etwas ganz aus- namsweifes; in bei Weitem den meiden Fällen mufsten vielmehr die Bauern auch in diefer Beziehung fich felber helfen, und wie die Weiber auf einem jeden Hofe durch Spinnen, Weben, Nähen für die nöthige Kleidung zu forgen hatten, fo galt der Bau und die Erhaltung des Haufes mit feinen Nebengebäuden, der Schiffsbau, die Schreinerarbeit, das Verfehen der Schmiede u. dgl. m. als zum Gefchäftskreife der Mannsleute gehörig, wefshalb denn auch von den angefehenften Männern wie etwa Skallagrimr, |»orgrimr l^or- steinsson und Gisli Sürsson, |»ör<ir hrei^a, Gunnar Hlifarson, Hrafn Sveinbjarnarson, Ärni l>orlaksson, u. dgl. m. ihre Kunftfertigkeit überhaupt, oder fpeciell ihre Gefchicklichkeit in Holzarbeiten, Schiffs- bau, Schmidearbeiten gerühmt werden konnte 3). Da mochte nun zwar gelegentlich der Nachbar dem Nachbarn mit feiner Gefchick- lichkeit aushelfen, oder auch der als gefchickt bekannte Mann ein einzelnes Mal gegen Entgeld ein Stück Arbeit machen ; von einem Arbeiten auf Vorrath aber und von dem Vertrieb im Vorrath an- gefertigter Arbeiten durch Zwifchenhändler konnte bei fo einfachen Zuftänden nicht wohl die Rede fein. Um fo höhere Bedeutung mufste dagegen für Island der auswärtige Handel gewinnen. Die Produftion der Infel an Fleifch- und Wollwaaren, dann auch an Fifch- und Fettwaaren überfteigt in gewöhnlichen Jahren weitaus deren eigenen Bedarf, und ermöglicht fomit eine fehr beträchtliche Ausfuhr an folchen Artikeln; dagegen aber fehlt es dem Lande gänzlich oder doch nahezu gänzlich an einer langen Reihe anderer Waaren, deren man doch felbft in der einfachen älteren Zeit nicht zu entbehren vermochte, und fremde Einfuhr erfcheint demnach

1) Päls bps s., cap. 16, S. 143—44.

2) Jons bps s., cap. 11, S. 163; Pals bps s., cap. 6, S. 132.

3) Eigla, cap. 30, S. 61; G(sla s. Sürssunar, I, S. und 47; J>ö^^al• »• hrci>u, S. 10 und 41; H«nsajiüris s, cap. 13, S. 171; Hrafns s. Svein- bjarn arsonar, cap. 3, S. 640; Arna bps s., cap. 2, S. (80.

426 I^'*i wirthfchafllichen Zuflämie.

geradezu unentbehrlich, und der ausländifche Handel war es, welcher den Austaufch jenes Ucberfchuffes der eigenen Produ6lion gegen diefen Bedarf an Gütern der Fremde zu vermitteln hatte. Zum Theil wurde diefer Handel von isländifchen Männern auf eigenen Schiffen betrieben ^). Auf eigenen Schiffen war bereits ein guter Theil der erflen Anfiedler herübergekommen, und auch fpäter noch wufste man fich folche zu verfchaffen, fei es nun, dafs man fie von ausländifchen Häuptlingen zum Gefchenke erhielt'^), oder dafs man fie im Auslande kaufte 3) oder bauen liefst), oder dafs man fie irgend einem fremden Schiffer, der nach Island gekommen, hier abkaufte'»;; oft kam es dabei auch vor, dafs ftatt eines ganzen Schiffes nur eine Schiffspärt Gegenftand des Kaufes oder der Vergabung war 6). wobei dann ein Communionsverhältnifs entftand, mit deffen Regelung eines unferer Rechtsbücher fich befafst^j, und mit welchem nicht feiten ein Betrieb des Handels auf gemeinfame Rechnung verbunden war. Dafs dagegen nur ein einziges Mal in einer glaubwürdigen (Juelle von dem Baue eines Seefchiffes aus Holz gefprochcn wird, welches in einem isländifchen Walde gewachfen war, ift früher fchun bemerkt worden 8j, fowie- auch, dafs in einem zweiten Falle, in welchem von dem Baue eines Seefchiffes auf Island die Rede ill, dahin geftcUt bleiben mufs, ob dasfelbe aus einheimifchem oder fremdem, dann aus bodenftändigem oder Treibholz gezimmert worden fei. Uebrigens waren diefe Schiffe, felbft wenn man von den

1) Vj;!. Thu TN lauu s NIculaus, tliss.erlalU) liifluricü-ücuiioniica de coinmtaiu vcicium Ihlaiulurum i>riLxi|»ue navali hudie resliluendo (176'J) S. 64 7ö. Wtin liutd, Allnurdifcticb Leben, S. 98 -142, fcheidet ntciit Zwilchen Isiland und dem übrigen Nuiden.

2) Z. B. Valnsdivla, cap. 16, S. 27, und cap. 43, S. 70; I.axd.Ja. cap. 22, S. 86-, Njala, cap. 83, S. 128; Stiirlitnga, U, cap. 40, S. 110.

3) Z. li. Vamsda-Ia, cap. 1, S. 85; F6stbr^e^^a s. I, cap. 18, S. 5U. und Klbk, JI, S. 166: Svarfdaela, cap. 27, S. 186.

4) Gretila, cap, 38, S. 89.

5) Z. B. Laxditla, cap. 11, S. 26; cap. 29, S. 110: cap. 3«, S. lIVv Fl «ja man na s., cap. 20, S. 141; Njala, cap. 150, S. 259.

Ü) Z. B. Laxdiela, cap. 40, S. 164: cap. 70, S. 300; cap. 72, 310: Kw '^yKtfJa, cap. 22, S. 36: Gi'sla s. Sür&.sunar, I, S. 13: Bandamanna > . S. 5: Svarfdivla, cap. 26, S. 184—5: (iunnlaugs s. nrnihtüngu, caj» .V S. 211-12.

7) Kgsbk, ^ 166, S. 67—9.

8) Siehe i»ben, .S. 14, Anni. 6. vgl. S. 13, Anni. 2, und S. 15, Anm. 1-

Die wiithfcliaftlichen Zuftände. 427

.Booten ganz abfieht, welche lediglich zu Zwecken der Fifcherei oder des inländifchen Verkehrs benützt wurden, von ziemlich ge- ringer Gröfse. Sie waren fo gebaut, dafs man mit ihnen nicht nur die offene See durchkreuzen, fondern auch die einigermafsen gröfseren FlüfTe hinaufgehen konnte, und mit Vorliebe legten darum die Schiffer bei der Mündung von folchen an i) ; fie wurden ferner, wenn man zu überwintern gedachte oder fonft derfelben auf länger hinaus nicht bedurfte, ohne Weiters ans Land gezogen, und in einer Schiff- hütte (naust) oder doch unter einem Dache (hröf) verforgt. Ver- niöglichere Männer . richteten fich allenfalls bei ihrem Hofe einen eigenen Hafen ein, in welchem das tiefe Waffer bis hart an das Land reichte, und an deffen Strand grofse Walfifchrippen einge- graben waren, um als Rollen beim Aufziehen des Schiffes zu dienen ; zu oberft aber pflegte dann die Hütte zu ftehen, in welche das Schiff über jene Rollqn gezogen werden follte^). Das Recht felbfl: behandelt die Hülfeleiftung beim Schiffszuge als eine allgemeine Bürgerpflicht, von welcher nur die Bauern, die keinen Dienfliboten halten oder auch keine Dingfleuer zahlen, befreit erfcheinen; es regelt aber auch zugleich die Befugniffe, welche dem Schiffer gegen- über dem Grundeigenthümer zuftehen, auf deffen Land er fein Schiff auffetzen will, und die Gebühren, die er diefem hiefür zu entrichten haben foU^). Sind derartige Beftimmungen augenfcheinlich nur auf Schiffe fehr geringer Gröfse berechnet, fo führen die Angaben, welche man gelegentlich über die Zahl fowohl als die Gröfse der isländifchen Seefchiffe findet, zu keinem wefentlich anderen Ur- thcile über die Bedeutung der isländifchen Schifffahrt. In der Scefchlacht z. B., welche im Jahre 1244 im Hünaflöi ge- fchlagen wurde, hatte |>örör kakali nicht mehr als fünfzehn Schiffe mit 200 210 Mann, Kolbeinn Tumason aber zwanzig Schiffe mit 450—470 Mann unter fich, von denen manche nur zehnrudrige waren, andere freilich auch gröfser, und eines fogar fo grofs, dafs es als nahezu einem Seefchiffe gleichkommend be-

1) Vgl. das, übrigens in alle Weite nicht vollfländige, Verzeichnifb isUindilcher Häfen, welches ^orsteinn Nikulässon, ang. O., S. 76 77 giebt.

2) tsfi^^fnga s., cap. 9, S. 26.

3) Kgsbk, g 166, S. 69—71, und § 168, S. 74. Vgl. im Uebrigen Lax- divla, cap, 13, S. 32 34, cap. 22, S. 86, und cap. 29, S. 112; Floamannas., cap. 32, S. 167—8; Fustbraebra s. I, cap. 12, S. 40; f^^»'^*'^*' s. hreöu, S. 14: Band am an na s., S. 6: Njitla, cap. 6, S. lU.

428 ^^*c wirtlifchafllichen Zuflände.

zeichnet werden konnte!); und doch hatte Kolbeinn alle gröfserea Schiffe aus dem ganzen Nordlande zu fani mengezogen. l>6rör aber aus den gefammten VestfirCir bis zu den BarCaströnd füdwärtb feine F'lotte gefammelt, und hatte man niemals auf Island eine folche Schiffsrüftung gefehen wie damals. Uebrigens wurde der auswärtige Handel, foweit er überhaupt in der Hand isländifchcr Männer lag, von diefen doch in der Regel ganz und gar nicht ge- werbsmäfsig betrieben. Von einzelnen Männern, wie z. B. von Ölvir mjöfi, Högni higimundarson, Asmundr ha^rulängr, Eyvindr Bjarnason, Oddr tfeigsson, Jiorkell Eyjülfsson, ^drhallr t>orldksson, u. dgl. m. wird allerdings berichtet, dafs fie als Kaufleute lebten 2); aber felbft bei derartigen Leuten pflegt der Betrieb der Kauf- mannfchaft, ganz ebenfo wie in anderen Fällen der Betrieb der Heerfahrt oder der Dienft bei ausländifchen Fürften, nur ein vorübergehender zu fein, indem jüngere Männer den einen oder andern diefer Wege einfchlagen, um die Welt kennen zu lernen und fich Bildung, Anfehen oder Vermögen zu fammeln, während fie dann hinterher, wenn diefer Zweck erreicht ift, fich ruhig in der Heimat fetzen und ihren ererbten oder erkauften Hof bewirthfchaften. In ungleich häufigeren Fällen wird abor eine Art von Handelfchaft von Leuten betrieben, welche felbft nicht einmal vorübergehend Kaufleute zu heifsen beabfichtigen. Sehr oft dient nämlich das Mitnemen von Waaren denjenigen, welche eine Reife ins Ausland unternemen, lediglich als ein Mittel, für den eigenen Unterhalt im Auslande zu forgen, und ift fomit die Speculation auf einen Gewinn bei diefem Mitnemen von Vornherein nicht mafsgebend; andere Male fährt auch wohl ein einzelner Mann über See, um fich diejenigen Waaren felber zu holen, deren er bedarf 3), und wollen demnach zwar die

1) Sturldnga VII, cap. 27, S. 58 U, und cap. 29, S. 60 1. Vgl. übri^^cnb hinfichtlich der vcrfchiedenen Arten von Schiffen, welche auf der Infel in Gebrauch waren, jjorsteinn Nikulasson, S. 65 68.

2) Flüanianna s., cap. 8, S. 126; Valnsda'la , cap. 27, S. 43, uini cap. 29, S. 47; Grettla, cap. 13, S. 21; llrafnkel^ s., S. 5 und 24; LSanila- manna s«, S. 5; Laxdivla, cap. 57, S. 248, und cap. 68, S. 290; [turlak^ bps s., cap. 2, S. 89.

8) Su geht z. B. Ingimundr ganili nach Norwegen, um lieh Bauholz zu hultrn. Vatnsda*la, cap. 16, S. 27: ebenfo Höäkuldr DalakoUsson, Olafr pd und {lorkcll KyjiUfsüon, Laxda'la, cap. 13, S. 32, cap. 22, S. 86, cap. 29, S. 112, und cap. 74, S. 316 -lÖ; Bjarni hUslaiigr, Landnania, S. 324 (Skar^sdrbuk) ; Ilhtgi

Die wirthfchaftlichen Zuilände. 429

mitgenommenen Waaren gegen die heimzubringenden vertaufcht werden, aber doch immerhin ohne dafs dabei auf einen Gewinn fpeculirt oder an ein Verhandeln des Eingehandelten gedacht würde. Sclbftverftändlich ift dabei zwifchen diefen Gelegenheitshändlern und jenen Berufskaufleuten keine ftrenge Grenze zu ziehen, und läfst fich eben darum auch nicht beftimmen, ob die isländifchen Kaufleute und Kauffchiffe, welche wir am Schluffe des zwölften Jahrhunderts in Bergen und im Jahre 1224 in Yarmouth in England erwähnt flnden l), der erfteren oder der letzteren Clafle angehörten ; die isländifchen Reifenden, welche zumal Norwegen fo fleifsig be- fuchten, dafs ihrer in Niöarös einmal zu gleicher Zeit drei Hunderte anwefend waren 2), waren zumeift bereit je nach Umftänden durch Dichtkunft oder Herrendienft, Kaufmannfchaft oder Heerfahrt fich fort- zubringen, wie fich eben zum Einen oder Anderen die Gelegenheit bot, und fogar Priefter namen an diefem wechfelvoUen Berufsleben Antheil, wie denn z. B. der gelehrte Ingimundr t)orgeirsson fich zuerft auf Island Waaren für den Verkauf anfchafit, dann nach Norwegen hinübergeht und hier einen Kirchendienft annimmt, nachdem er diefen 2 Jahre lang bekleidet und den Antrag fich zum Bifchof für Grönland weihen zu laflen abgelehnt hat, eine Kauflahrt nach England unternimmt, und von hier nach Bergen zurückgekehrt zu Schiff geht, um nach Island heiitizufahren, aber nach Grönland verfchlagen wird und dort zu Grunde geht 3). Die^ zahlreichen Reifen, welche von isländifchen Männern gemacht wurden 4), und zumal auch die kühnen Entdeckungsfahrten, welche von folchen nach Grönland und Nordamerika unternommen wurden, und welche fogar zu bleibenden Niderlaffungen in dem erfleren

Arason, Föstbritöra s. I, cap. 2, S. 5; Hrennii-Klosi, Njiila, cap. 160, S. 282. Umgekehrt nimmt B. Giiömundr, als er nach Norwegen geht um fich weihen zu lafTen, feine Zehntwaaren mit, Gu<>m^n(lar s., cap. 47, S. 481.

1) Sverris s., cap. 104, S. 250; Anonymus de profecti on e Danoru m in lerram sanctam, cap. 2, S. 858 (bei Langeliek, V); Diplom, island., I. nr. 121, .S. 481.

2} Magnüss s. berf;^tts, cap. 16, S. 32, (F.MS., VII), und J(^ns bps s. Ounnlaugs, cap. 9, S. 221.

3) Gu^munda^ bps s., cap 9, S. 426, cap. 12, S. 429, cap. 13, S. 430, cap. 16—17, S. 483-36.

4) Vgl. J6n Eirfksson's Disqiiisitio de vetcrnm Septentrionalium inprimis Islandorum peregrinationibus (1755).

4S0 T>ie wirthfchaftlichen Zuftände.

Lande führten l), geben ein lebendiges Zeugnifs dafür ab, dafs es den Isländern der Vorzeit weder an Unternemungsgeifl noch an Kenntnifs in der Führung von Schiffen fehlte ; aber fie vermögen Nichts an der Thatfache zu ändern, dafs der Handelsverkehr der Infel mit dem Auslande fchon dazumal ungleich mehr in der Hand ausländifcher, als in der Hand einheimifcher Kaufleute lag. un- zählige Stellen in den isländifchen Gefchichtswerken fprechen von der Anwefenheit ausländifcher Kaufleute auf der Infel, und felbft die Isländer, welche fich in das Ausland begeben, fehen wir in weitaus den meiften Fällen dazu ausländifcher Schiffe fich bedienen, von deren Befitzern fie gegen Entgeld oder aus Gefälligkeit mit- genommen werden. Weitaus am Oefteflen find es Nonveger, welche die Infel befuchen ; indeflen berückfichtigen die Rechtsbücher neben ihnen auch die Möglichkeit, dafs Leute von den F^eröem oder Orkneys, von Shetland oder Caithnes dahin kommen 2), ja fogar dänifche oder fchwedifche Männer, dann Engländer und andere Leute, die noch weiter her find, werden von ihnen in Betracht gezogen, wenn es gilt die Regeln zu erörtern, nach welchen fich die Beerbung verflorbener, oder die Blutklage um erfchlagcne bVemde richtet'^), die Gefchichtswerke aber nennen gleichfalls gelegentlich Shetländer 4), Leute von den Orkneys &), von Irland oder von den HebridenC), als Befucher Islands. Wenn wir ferner gelegentlich einen Deutfchen Namens Tyrkcr mit Leif Eirfksson auf der Fahrt nach Vfniand, oder einen Deutfchen Namens Herbert unter den Dienflleuten Snorri Sturluson*s finden'), fo deuten auch derartige Vorkommniffe immerhin auf Handelsverbindungen hin. welche zwifchen Island und dem ferneren Süden befiianden, und welche doch wohl gleichfalls wider vorzugsweife durch ausländifclie Kaufleute vermittelt wurden. Die Gcfchichtsquellen laffen uns ein fehr deutliches Bild von der Art gewinnen, wie es bei diefen

1) Vgl. meinen Auffatz «Grönland im Mittelalter a>, in: Die zweite Nordpolar - fahrt in den Jahren 1869 und 1870, herausgegeben von dem" Vereine für die deutfche Nord polarfahrt in Bremen, Bd. 1, Abth. 1, S. 203—48.

2) Kgsbk, i 143, S. 25; Ömagab., cap. 34, S. 299.

3) Kgsbk, § 97, S. 172, und g 120, S. 229; Arfa J>., cap. 6, S. 188 um! 189: VigslöÖi, cap. 37, S. 71—2. Vgl. auch oben, S. 154.

4) Laxdsela, cap. 11, S. 26.

5) Sturlünga, III, cap. 20, S. 223—4. fi) Eyrbyggja, cap. 50, S. 92.

7) Eiriks j,. rau^a, S. 216; Sturlünga, IV, cap. 21, .S. 44.

Die wirthfchaftlichen Zuftände. 431

Handelsrdfen zugieng. Hatte der Schiffsfiihrer erft feinen Hafen erreicht, fo legte er feine Landungsbrücke (bryggja) aus, oder liefs auch fein Schiff ans Land ziehen, und verforgte es fo gut er konnte mit Steinen und Rafenftreifen ; am Lande wurden fofort Buden oder Zelte aufgefchlagen, und der Marktverkehr (kaupstefna) pflegte fofort rafch eröffnet zu werden. Wo möglich follte an einem Orte angelegt werden, wo diefs bereits von Alters her üblich war, und begreift fich diefe Beftimmung leicht, da durch das Heraufziehen des Schiffes, das Auffchlagen der Zelte, das Abhalten des Marktes und das Grafen der Pferde der Schiffsleute fowohl als der Markt- Icute dem Grundeigenthümer viel Schaden zugieng, welcher ihm durch den uppsätseyrir, d. h. die Bezahlung fiir das Aufziehen des Schiffes, und den hafnartoUr oder skipatollr, d. h. Hafenzoll oder Schiffszoll, nur theilweife vergolten wurdet), zumal da der letztere von norwegifchen Männern nicht bezahlt zu werden brauchte, wie denn umgekehrt auch die Isländer in Norwegen von allen Zöllen frei waren, mit Ausname der landaurar, welche der König von ihnen erhobt). Zum Markte pflegten die Leute von weit her zu kommen, und dann je nach Umftänden zu Schiff oder auf Pferdes- rilckcn die gekauften Waaren heimzubringen 3) ; die Goden aber pflegten dabei die Waaren zu tarifiren, und eine derartige Handels- taxc, welche für den Bezirk des Arncss- und Ränga^ingaH"?^^ be- nimmt war, ift uns erhalten*). Wie die ins Ausland reifenden Isländer vielfach darauf angewiefen waren, dort fich einen Gaftfreund zu fuchen, bei dem fie überwintern konnten, fo fuchtcn und fanden die auf Island überwinternden fremden Kaufleute umgekehrt auch ihrerfeits hier freundliche Unterkunft, und wenn zwar das Taxiren der Waaren, das Eintreiben ausftändiger Schuldpoften, Befchwerden über falfches Mafs und Gewicht oder ungenügende Befchaffenheit ^gelieferter Waaren, dann auch rein zufallige Begebniffe oft genug zu Zerwürfniffen zwifchen den fremden Gäften urKi den Leuten des Landes führten, fo knüpften fich doch nicht minder häufig freund- liche Beziehungen unter folchen an, und gerade folche PVeundfchaften

1) Kgsbk, i 166, S. 70- 1; vgl. Klöamanna s., cap. 31—2, S. 157, und cap. 29,» S. 153.

2) Kgsbk, i 248, S. 195.

8) Eigla, cap. 81, S. 194: J.6r^a^ s. hie»>u, S. 17-20; Sturlünga, 111» cap. 15, S. 144, u. dgi. in.

4) r.elg^.lalshuk, ^ 66, S. 251: vgl. oben, S. 106-200.

432 I^»e wirthfchaftUchen Zuftände.

find es, welche gar nicht feiten Veranlaflung zu Reifen geben, welche der eine oder andere Isländer mit dem bisherigen Gafte ins Ausland unternimmt. Es wurde bereits erwähnt, dafs gelegent- lich zwifchen dem isländifchen Reifenden und dem fremden Schiffer eine Mitrhederei oder auch eine Handelsgefellfchaft eingegangen wurde ; auch im Auslande wurden hin und wider folche Verträge abgefchloffen, und wir wiffen z. B., dafs felbfl der heilige Olaf es nicht verfchmähte, Handelsgefellfchafter des bekannten Hall |>6rarinsson zu werden^), wie er in einem anderen Falle mit einem feiner eigenen Unterthanen fich aflbcirte^j; ja fogar das kam vor, dafs ein islän- difcher Mann als Handlungsgehülfe (lestreki) in den Dienft eines Norwegers tratt, und auf diefem Wege fich Geld zu machen wufste»^). Alles in Allem genommen, zeigt fich, dafs in Norwegen weit mehr als auf Island ein eigentlicher Kaufmannsftand fich ent- wickelt hatte, was denn auch ganz wohl dazu (limmt, dafs dort bereits feit dem cilften Jahrhunderte Städte mit einer eigenen Stadt- verfaffung aufkamen, und dafs der, jedenfalls in Norwegen und für Norwegen gefchriebene Königsfpiegel ebenfogut für den angehenden Kaufmann einen bcfondercn Unterricht zu geben nöthig findet, wie für den angehenden Bauern, Kleriker, Dienftmann oder König, wogegen auf Island weder von einer änlichen Sonderung der Berufs- ftände, noch von einem Gegenfatzc von Stadt und Land das ganze Mittelalter hindurch die Rede war, vielmehr zumeifl jeder einzelne Bauer feinen eigenen Bedarf fich direfl im Auslande, oder auch bei den ausländifchen Kaufleuten holte, welche Island ihrcrfeits befuchten, ganz wie er feinen Bedarf an Handwerkserzeugniffen oder inländifchen Naturproduften fich felber anzufertigen oder direfl beim Producenten einzuhandeln pflegte. Immerhin war indefien der Handelsverkehr Islands mit dem Auslande, und zumal mit Norwegen, ein ziemlich lebhafter. Es war ein feltener Ausnamsfall, wenn derfelbe in einem einzelnen Jahre einmal unterbrochen war, wie diefs die Annalen von den Jahren 1 187 und 12 19 berichten, und wenn insbefondere die norwegifchen Könige, was ihnen unzweifelhaft freiftand, vorübergehend einmal den Verkehr mit der Infel unterfagten, oder die isländifchen

1) Prolog der Ileimskringla , S. 3.

2) Heimskr. Olafs s. hclga, cap. 64, S. 267; vgl. Kon üngsskugg^jii^ cap. 27, S. 61.

3) Sturhtnga, II, cap. 20, S. 74.

t)ie wirlhfchafllichen Zuiländö. 43jJ

Goden, wie diefs nicht minder in ihrer Befugnifs lag, einem ein- zelnen Schiffe gegenüber den Handel fperrten; die Artikel aber, welche man aus dem Auslande zu beziehen pflegte, waren haupt- fächlich Bauholz, Mehl, Tuch und Leinwand, ferner verarbeitetes- und unverarbeitetes Eifen und Kupfer, Waffen, Theer, allenfalls auch Wein, Wachs und Weihrauch für den kirchlichen Bedarf, Honig, u. dgl m., wogegen als Ausfuhrartikel zumal Wolle und Wollenzeuge, Schafvliefse und Lammfelle, Fleifch und Talg, Häute und Pelzwerk, zumal Fuchs- und Katzenbälge, dann Käfe und Butter, Thran und Fifche, endlich allenfalls auch Falken und Schwefel erwähnt werden.

Das wirthfchaftliche Leben der Isländer in der freiflaat- lichen Zeit haben wir uns nach allem Bisherigen ziemlich ebenfo geartet vorzuftellen, wie daffelbe fich noch in der Gegenwart zeigt. Nicht gefchloffen bei einander, fondern weit zerftreut liegen die Höfe, und eine Folge hievon ift, dafs jeder Hof in allen wefent- lichen Beziehungen ein wirthfchaftliches Ganzes für fich bilden, d. h. mit den eigenen Kräften den eigenen Bedürfniffen genügen mufs. Eigenthümlich genug ficht dabei der isländifche Hof (b ae r) aus. Da auf der Infel das Baumaterial, wie man folches anderwärts ge- brauchte, völlig fehlte, und der Bezug von Zimmerholz aus Nor- wegen nur den vermöglicheren Männern erreichbar war, wurden die Wohn- und Wirthfchaftsgebäude, ganz wie diefs noch heutzutage der Brauch ift, zumeift ganz in derfelben Weife aufgeführt, wie diefs oben von den Dingbuden zu fagen war^) nämlich aus ab- wechfelnd über einander gelegten Rafenftreifen und RoUfteinen, nur mit dem Unterfchiede, dafs bei jenen auch für eine bleibenfde Be- dachung zu forgen war, welche aus Sparrwerk mit übergelegten Rafenfcheiben gefügt wird. Theils diefes eigenthümliche Baumaterial, theils aber auch die fchon von Norwegen aus überkommene Sitte brachte mit fich, dafs man keine mehrftöckigen und mit weitge- fpannter Bedachung verfehenen Gebäude herzuflellen pflegte, viel- mehr lieber für jede der benöthigten Baulichkeiten fein eigenes Ge- bäude (hüs) aufführte, fodafs diefer Gebäude auf gröfseren Höfen wohl 30 40 und mehr fein konnten. Die eigentlichen Wohnge- bäude pflegte man, wie es fcheint, fchon in der alten Zeit in einer Reihe nebeneinander zu ftellen, oder doch höchftens in zwei Zeilen

1) Vgl. s. 164--5.

Maurer, iHlond. ^^

434 J>ie wirthfchaftlichen Zuftände.

fich gegenüber, und vor ihnen eine gepflafterte Erhöhung (hlaft) zu haben ; unter diefen Gebäuden fanden wir aber gelegentlich 3 oder 4 als die wichtigften bezeichnet, nämlich die stofa, das eldhüs und >bür {»at er konur hafa matreiöu f«, wozu dann noch der skäli kommen kann^). Unter dem eldhüs oder eldahüs, d. h. Feuer- haus, verfteht man heutzutage auf Island die Küche, und auch in den älteren Quellen läfst fich diefe Bedeutung für den Ausdruck hin und wider nachweifen; häufiger bezeichnet derfelbe dagegen in diefen den eldaskali, d. h. das Hauptgemach, in welchem auf dem mittleren Theile des Bodens feiner ganzen Länge nach Feuer unter- halten zu werden pflegten, um den Aufenthalt in demfelben behag- licher zu machen. In diefem letzteren Sinne mufs das Wort ge- braucht fein, wenn von demfelben das bür, in welchem die Weiber die Speife bereiten, unterfchieden wird, da ja gerade diefes die Küche vorftellen mufs ; gewöhnlich eine Vorrathskammer bezeichnend, und zwar zumal eine folche, in welcher Speifevorräthe aufbewahrt werden, mag diefes darum auch die Küche mit umfaflfen, weil diefe Vorkommendenfalls an diefe Vorrathskammer angebaut war 2). Als stofa, d. h. Stube wird ein weiteres Hauptgelafs bezeichnet, welches zumal den Weibern als Wohnzimmer diente, und ungefähr der baöstofa der heutigen Höfe auf der Infel entfpricht ; eldhüs und stofa werden darum auch wohl als gleichartig zufammengeflellt^'), und mag fein, dafs in der älteren Zeit und auf kleineren Höfen beide Gemächer nicht gefchieden waren, wogegen fie in der Stur- lungenzeit ausdrücklich auseinandergehalten werden *). Unter dem skäli endlich, d. h. dem Saale, kann nur ein ftattlicheres Feuerhaus zu verftehen fein, deflen man fich allenfalls für gröfsere Gaftereien bediente, während man bei minder feierlichen Veranlafsungen fich mit diefem letzteren begnügte, alfo ungefähr daflfelbe, was fonft allenfalls auch als höll, d. h. Halle bezeichnet wurde. Je nach Umfländen nam das eldhüs fehr anfehnliche Verhältniffe an, wie denn z. B. das des Gfsli Sürsson 100 Ellen lang und 10 Faden breit vyar, und das des Bjarni hüslängr 35 Faden lang, 14 Ellen

1) Vgl. oben, S. 296. Vgl. K. Keyfer, Nordmoendenes private Liv i (Mdtiden, 8. 38—54 (Efierladte Skrifler, Bd. II, Abth. 2); Dasent, Ther siory of Krri.i Njal, I, S. XCVIIl— CX; Weinhold, S. 213-36, u. dgl. m.

2) Njdla, cap. 48, S. 75.

8) Z. IJ. Kau pah., cap. 55, S. 468. 4) .Sturlünga, V, cap. 3, S. 106—7.

Die wirthfchafilichen Zuflände. 435

breit und ebenfo hochi)j ein folches mochte dann wohl zugleich als Halle dienen. An den beiden Enden diefes Hauptgemaches befanden fich Thüren, und zwar an der einen Seite die Männerthür, an der anderen die Weiberthür^); auf der Seite diefer letzteren war allenfalls auch eine querüberlaufende Erhöhung angebracht (l)verpallr), auf welcher die Weiber ihren Platz hatten, im Uebrigen aber liefen Bänke die I^ngseiten entlang, und ftand in der Mitte beider Bankreihen je ein Hochfitz (öndvegi), von denen der auf der Nordfeite des Saales als der vornemere, der auf der Südfeite des Haufes als der geringere galt; an den Langwänden endlich waren allenfalls auch Betten angebracht, hin und wider in ver- fchliefsbaren Karten (lokrekkjur)3). Je nach der Gröfse des Hofes fchloflen fich übrigens an diefe wefentlicheren Baulichkeiten auch noch andere Wohngebäude an, eine dyngja z. B. als Weiberge- mach, eine kleinere Stube neben der gröfseren und allgemeinen (litla stofa, almannastofa), eine Kammer (skemma) oder ein eigenes Schlafgemach (svefnhüs, svefnskemma), ein Gaft- zimmer (gestahüs), u. dgl. m. ; je nach Umftänden hatten ferner folche Gelaffe auch wohl noch einen Bretterverfchlag unter dem Dache (lopt), welcher als ein zweites Stockwerk diente, waren diefelben ferner, wenn nicht ganz aus Zimmerholz erbaut, fo doch wenigftens innen mit Brettern vertäfelt, und allenfalls fogar bei feier- lichen Gelegenheiten mit Tapeten (tjöld) verhängt, u. dgl. m. An die Wohngebäude reihten fich ferner auch wohl noch anderen Zwecken dienende Gebäude an, wie z. B. eine eigene Küche (soö- hüs, eldhüs in diefem Sinne), eine Badftube (baö stofa), welche auch wohl durch ein mit Zuhülfename w'armer Quellen im Freien eingerichtetes Badelocal, wie etwa die Snorralaug bei Reykjaholt, erfetzt wurde, ferner eine Kirche oder Ca pelle; Leute, die vor Feinden fich zu hüten hatten, befafsen auch wohl ein unterirdifches Gemach (jaröhüs), welches entweder als bleibendes Verfteck für Nothfälle, oder auch blos als verborgener Weg zur Flucht zu dienen

1) Gisla s. Sürssonar, I, S. 14; Landndma, S. 324 (Skar6s{irbök). Der J»Väli zu Reykholar, von welchem die Föslbroeöra s., II, cap. 3, S. 67 fprlcht, war dagegen nur 40 Ellen lang und 19 breit.

2) Vgl. oben, S. 388—89-, was aber der Gegeufatz der brandadyrr und dyrshöf- ui^sdyrr in der Sturlünga, V, cap. 3, S. 106 bedeute, weifs ich nicht zu fagen.

3) l'eber den Bau der Halle vgl. N. Nicolayson's vortrefflichen Auffatz in der Historisk Tidsskrift, I, S. 145 78 (Kristiania, 1871).

28*

436 Die wirthfchaftlichen J^.urtände.

beftimmt wari), oder eine Verfchanzung (virki), um fich einem Ueberfalle gegenüber leichter vertheidigen zu können '-^j, Vorkehrun- gen, die zumal in der Sturlungenzeit ganz befonders häufig ge- troffen wurden 3). Auch die Abtritte (salerni, kamarr, u. dgl. m.) hatte man in der älteren Zeit gerne von den Wohnhäufern entfernt angebracht^), währenddem man fie fpäter auch wohl an das Ende der Laube verlegte, die um das lopt herumführte, und heutzutage fie als einen unnöthigen Luxus zumeift ganz wegläfst; aufserdeni hatte man aber auch noch die ganze Fülle von Wirthfchafts- gebäuden bald für fich allein und oft ziemlich weit von den Wohnungen abftehend, bald auch an diefe angebaut, wie z. B. die Stallungen fiir Pferde, Ochfen, Kühe, Schafe, Lämmer, Schweine (hestahüs, nautahüs, fjös, fjärhüs, sauöahüs, lambahüs, svinahüs), den eingehegten Platz für den Heuvorrath (heygarör), die Schmiede (smiöja), in der Nähe der See auch wohl die Schiff- hütte (naust), die Trockenhalle für Fifche (hjallr), u. dgl. m. Alle diefe und änliche Gebäude, als ütihüs den Wohngebäuden (heimahüs) entgegenfetzt, lagen mehr oder minder zerftreut in dem Grasgarten (tun), welcher den Hof zu umgeben pflegte, und wie diefer letztere, fo pflegten allenfalls auch die Wohngebäude durch eine eigene Umzäunung (hüsagarör, im Gegenfatze zum tüngarör) abgefchlolTen zu werden; ein Quell oder Quellbach (brunnr, brunnlaikr), wo möglich auch eine heifse Quelle (laugar, hverar), endlich je nach Umftänden fogar ein kleiner Gemüfegarten (laukgar6r)5), lagen noch innerhalb des Grasgartens oder doch in deffen Nähe, die Zubehör des Hofes vervollfländigend. Abge- legen, und nicht feiten fogar fehr weit abgelegen vom Hofe find dagegen die Wiefen und Weidenfchaften, mögen letztere nun mit Sennhütten verfehen fein oder nicht, und abgelegener noch die für

1) Vigaskütu s., cap. 4, S. 210, und cap. 28, S. 314—5; Droplaugar- sona s., S. 28 u. 34: Gfsla s. Sürssonar, I, S. 44; Isfir^lnga s., cap. 11, S. 30: Laxdrela, cap. 49, S. 224, uiid cap. 80, S. 340.

2) Z. h. Eyrbyggja, cap. 57, S. 106, cap. 59, S. 110, und cap. r»2. S. 112 3; '|)orskfir&inga s., cap. 17, S. 72 3; Landnäma, II, cap. 33, S. 161—3, und Flbk, I, S. 410 und 412-4; Landnäma, II, cap. 1, S. 67: Bjarnar s. Hi tdiielakappa, S. 45.

3) Z. B. Hrafns s. Sveinbj arnarsonar, cap. 19, S. 672j Sturlüuga, V, cap. 41, S. 173, u. dgl. m.

4) Laxd?ela, cap. 47, S. 208; vgl. Eyrbyggja, cap. 26, S. 42.

5) Laxdix-la, cap. 60, S. 260.

Die wirthfchaftlichen Zuflände. 437

das Galtvieh beftimmten Hochweiden ; wider anderwärts mochte man feinen Ackergrund und feine Waldungen, feine Torfftiche, Vogelberge, Jagdgründe, Fifchereiplätze, fowie feinen Seeftrand haben. War demnach bereits der Hof für fich ein aus zahlreichen, weit- fchichtig ausgebreiteten Beftandtheilen zufammengefetztes Ganzes, fo zeigte der zu demfelben gehörige Complex von Befitzungen und Nutzungen eine nicht geringere Buntfeheckigkeit und Weitläufig- keit; es gehörte viel dazu, deffen Bewirthfchaftüng in allen ihren Theilen gehörig zu beauffichtigen und zu leiten, zumal da, wie oben bereits bemerkt, auch die Handwerksarbeit, welche für den Hof und deffen Bewohner nöthig wurde, zumeift durch diefe in eigener Perfon geliefert, und was etwa an fremden Waaren kauf- weife erworben werden wollte, regelmäfsig durch deren eigene Handelsreifen befchafft werden mufste. Erinnert man fich, wie vielfach der Befuch der Dingverfammlungen und Gemeindeverfamm- lungen, fowie der oft weit entlegenen Kirchen, die Theilname ferner an den Privatgerichten, Schätzungs- und Theilungscommiffionen, die Durchfuhrung endlich eigener oder fremder Procefsfachen oder Fehden die Thätigkeit des Goden nicht nur fondern auch des gröfseren Bauern in Anfpruch nam, fo wird man begreifen, dafs während des kurzen nordifchen Sommers wenigftens, in welchen fich die grofse Maffe der wirthfchaftlichen fowohl als öffentlichen Gefchäfte zu- fammendrängte, die Aufgabe des einigemiafsen beffer geftellten Isländers eine fehr bewegte, mannigfaltige und anftrengende war, wogegen der Winter freilich eine Zeit der Ruhe brachte, die man durch wochenlange Gaftereien (veizlur) -und mancherlei Spiele (leikar) zu beleben fuchte, zu welchen oft viel Volks aus weiter Entfernung zufammenftrömte. Die Leitung der Gefchäfte führte, foweit der innere Dienft des Haufes reichte (innan stokks), die Hausfrau oder für einen ledigen Hausherrn allenfalls auch deffen Mutter, falls er nicht vorzog fich eine blofe Wirthfchafterinn (büstyra) zu nemeni); aufserhalb des Haufes aber (ütan stokks) führt der Mann die Herrfchaft, nur dafs freilich gewiffe Gefchäfte, wie zumal das Melken der Kühe und Schafe, ausfchliefslich den Weibern zu- fielen, und überdiefs in Folge einer Verhinderung des Mannes durch Krankheit oder Abwefenheit der Gefchäftskreis der Frau fich be-

1) |iorskfirbinga s., cap. 7, S. 55, u. cap. 9, S. 57; ich vervveife im Uebrigen auf Kulund, S. 317 8.

438 ^i^ wirlhfchaftlichtrn Zudände.

deutend aub'dehnen konnte : war die Frau anders energifchen Sinnes, konnte fie fogar in Abwefenheit ihres Mannes die Leitung feines Godordes übernemenl). Für die wichtigften landwirthfchaftlichen Arbeiten waren übrigens regelmäfsig widerkehrende Zeiten beftimmt, und nemen auf diefe Zeiten fogar die Rechtsbücher Rückficht. Zuerft kam die Frühjahrsarbeit (värönn), welche bis zum Ablaufe des erften Sommermonats währte; dann folgte zwei Monate lang die Arbeit der Einzäunungen (löggarösönn)j den vierten und fünften Sommermonat nam die Heuarbeit (heyönn) in Anfpruch; im letzten Sommermonate aber kam nochmals die Zaunarbeit zum Zuge 2). Unter den annir fchlechtweg wird die Zeit der Heuarbeit ver (landen. 3), alfo dasfelbe was fonft als heyannir bezeichnet wird, welche denn auch die jüngere Edda ganz richtig in den sölmänuö und selmanuö verfetzt *), während der heutige isländifche Kalender . dem letzteren Monate, welcher von Ende Juli bis gegen Ende Auguft reicht, geradezu den Namen Heyannir beilegt; die Heuge- winnung bildet eben für die isländifche Landwirthfchaft in der That die Hauptarbeit. Schwieriger ift zu beftimmen, was man unter der Frühlingsarbcit verftanden habe. In Norwegen, wo das gemeine Landrecht ebenfalls gewifle Friften mit Rückficht auf die annir be- ftimmteö), war die Fiühlingsarbeit die Pflugzeit, auf fie folgte die Heumahd, und zuletzt kam noch die Erndte der Kornfrüchte; für Island aber konnte, wenn man auch an einzelnen Stellen Saatland hatte, doch der Fruchtbau in keiner Weife mafsgebend werden, wie man denn auch hier von einer dritten Arbeitszeit Nichts wufste, und wird demnach wohl das Ausfuhren und Breiten des Miftcs (slaeöa) 6j, das Bewäffern der Wiefen, das Ausbrechen und Sammeln von Steinen zum Bauen oder Beffern der Gebäude, Zäune, Wege, u. dgl. m. unter der Frühlingsarbeit zu verflehen fein. Uebrigens ift klar, dafs gleich zu Ende der Frühlingsarbeit die Frühlingsdingc gehalten wurden, und nach ihrer Beendigung folgten hinwiderum die Zugtage (fardagar), an welchen fowohl die Landpächter auf

1) Grcttla, cap. 52, S. 119; Fustbrccbra s., 1, cap. 1, S. 3.

2) Kgsbk, g 181, S. 91; Landabrb., cap. 15, S. 261.

3) Itgsbk, g 79, S. 132, und g 80, S. 133; Kaupab., cap. 57, S. 471, n. cap. 59, S. 472; ^orläks bps jarteinabök I, cap. 15, S. 339.

4) Skuldskaparmäl , cap. 63, S. 512.

5) Landsleigub., g 44; vgl. Ivar Aasen, s. v. Onn.

6) Kgsbk, g 78, S. 129; Kaupab., cap. 54, S. 466.

Die wirthfchaftlichen Zuaände. 439

ihr Pachtland aufzuziehen, als auch die Dienftboten ihren Dienft anzutreten hatten; kaum find fie vorüber, fo fällt der gefctzliche Zahltermin ein (gjalddagi), und zugleich die Zeit, in welcher alle Thiere ihre vorfchriftsmäfsigen Marken erhalten muffen, weil fofort der Auftrieb auf die Hochweiden beginnt. Dann folgen die fechs Wochen, die auf das Allding verwendet werden, und fällt deren Ende bereits in den Beginn der für die Heuerndte beftimm- tcn Zeit; die leiö fcheint fich in die Zeit eingefchoben zu haben, welche zwifchen dem Einbringen des Heues von tun und taöa, und des Heues von den Wiefcn in der Mitte lag. Dann folgt der ^Vbtrieb des Galtviehs von den Hochweiden, die Einfehätzung zum Zehnt und d^ffen Vertheilung in der Gemeindeverfammlung, und fchliefslich zu Anfang Winters die Schlachtzeit, welche über das Loos derjenigen Thiere entfcheidet, welche man nicht zu über- wintern vermag oder beabfichtigt. Aenlich wie für die landwirth- fchaftlichen Arbeiten war natürlich auch fiir die grofse Fifcherei die Zeit des Betriebes durch die Natur felbft beftimmt; indcffen wüfste ich weder aus den Rechtsbüchern noch aus den Gefchichts- quellen der älteren Zeit einfchlägige Beftimmungen zu erbringen, und befchränke ich mich darum auf die Bemerkung, dafs der isländifche Kalender gegenwärtig eine vetrarvertiö, vorvertii und haustvertfö unterfcheidet, und fiir das laufende Jahr, allerdings zu- nächft nur für das Südland, die erftere auf die Zeit vom 3. Februar bis 12. Mai, die zweite auf den 12. Mai bis 23. Juni, endlich die dritte auf den 29. September bis 23. December anfetzt. Auch fonft ift natürlich diefer Ueberblick über den wirthfchaftlichen Sommer- kalender, wenn auch etwas weiter ausgeführt als der von Dahlmann gegebene ^), doch in keiner Weife vollftändig, wie eine Vergleichung mit dem Arbeitsplane, welchen der gelehrte Propft Björn Halldorsson für die neuere Zeit entworfen hat 2), oder auch mit dem »Rückblick auf die wichtigften Naturerfcheinungen Islands nach dem Verlaufe der zwölf Monate« zeigen wird, welchen W. Ebel in feinem zu wenig beachteten Werke giebt^); immerhin mag indeffen das Ge- fagte genügen, um von dem bewegten, nach den verfchiedenften

1) Gefchichte von Dännemark, II, S. 227 31.

2) Alli, S. U4— 51 (ed. Kopenhagen, 183-1: die erde Ausgabe erfchien zu Hrappsey, 1780).

3) Geographifche Naturkunde, S. 418—34 (Königsberg, 1860).

440 Die wirthfchaftlichen Zuftände.

Seiteil hin anregenden Leben des Isländers im Sommer ein Bild zu geben.

Soll aber fchliefslich noch der Vcrfuch gemacht werden, die ökonomifche Lage zu beftimmen, in welcher fich die verfchiedenen ClaiTen des isländifchen Volkes während der Blüthezeit des Frei- ftaates befanden, fo ftöfst man auf fchwer überwindliche Schwierig- keiten. Ungemein fchwer ifl: es bereits, zu einem auch nur an- nähernd fieberen Ergebniffe hinfichtlich der Dichtigkeit der Bevölkerung der Infel in der freiftaatlichen Zeit zu gelangen. Es war oben bereits gelegentlich von einer Zählung der dingfteuer- pflichtigen Bauern die Rede, welche in den Jahren 1102 5 auf Island vorgenommen wurdet); diefelbe ergab für das ganze Land eine Zahl von 4560 folcher Bauern, welcher Anfatz freilich nur auf fehr annähernde Richtigkeit Anfpruch machen kann, da er fich aus den nur nach Grofshunderten angegebenen Ziffern für die einzelnen Landesviertel zufammenberechnet. Man hat nun geglaubt aus diefer Angabe die Seelenzahl Islands zu Anfang des zwölften Jahrhunderts berechnen zu können, indem man die überlieferte Ziffer der ding- fteuerpflichtigen Bauern mit der Ziffer der fchatzungspflichtigen Bauern in irgend welcher fpäteren Zeit verglich, und dann das in diefer fpäteren Zeit zwifchen der Zahl der fchatzungspflichtigen und der nicht fchatzungspflichtigen Bauern, fowie der übrigen Bevölkerung beflehende Verhältnifs auf jene ältere Zeit übertrug. Schon Magnus Stephensen erwähnt, dafs man auf diefem Wege zu der Anname einer Bevölkerung von über 100,000 Seelen gelangte 2), und Jon Sigurösson fowohl als Arnljötr Olafsson haben diefe Berechnung widerholt 3), Alle freilich unter ausdrücklicher Verwahrung gegen die Stringenz folcher Schlufsfolgerungen. Der zuletzt erwähnte VerfafTer hat überdiefs auch noch aus der Zahl der Kirchen und Priefler im Lande, wie fie bei B. Päls Zählung derfelben fich ergab 4), und ihrer Vergleichung mit den einfchlägigen Ziffern der neueren Zeit einen änlichen Schlufs ziehen wollen; aber es ift denn doch

1) Siehe oben, S. 98, Anm. 1 und S. 150 1; bezüglich der Zeitbeflimmung vgl. die Bemerkung in Th. Möbius's Ausgabe der Islendingabök, S. 82—33 (1869),

2) Island i det attende Aarhundrede, S. 266—68 (1808).

8) Um fjarhag Islands, S. 28 9, Anm. (Ny ftlagsrit, X); Um landshagsfra^i Islands, S. 319 24 (Skyrslur um landshagi h Islandi, I). 4) Vgl. oben, S, 225.

Die wirthfchaftlichen Zudände. 441

klar, dafs der Cultus der katholifchcn Kirche von Vornherein fchon eine gröfsere Zahl von Kirchen und Geiftlichen beanfprucht als deren die evangelifche Kirche bedarf, und fehlt es demnach bei der letzteren Vergleichung an aller Gleichartigkeit der zu ver- gleichenden Gröfsen, in der erfteren Beziehung aber läfst fich eine ganz änliche Einwendung erheben, foferne die Verpflichtung zum Zahlen des skattr, wenn auch in der Jonsbök ganz an diefelben Voraus- fetzungen gebunden wie in der Staöarhölsbök die Dingfteuerpflicht, doch thatfächlich in den verfchiedenen Theilen Islands fchon früh- zeitig nach fehr verfchiedenem Mafse gemeflen wurdet), und über- diefs nicht die minderte Gewähr dafür befleht, dafs das Verhältnifs der fteuerpflichtigen zu den nichtfteuerpflichtigen Bauern zu Anfang des zwölften Jahrhunderts daflelbe war wie im achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderte. Wir haben allen Grund anzunemen, dafs in der alten Zeit die Bauern auf Island durchfchnittlich in befferen Vermögensverhältniffen fich befanden, als diefs gegenwärtig der Fall ift, und auch Grund anzunemen, dafs in den beiden erftcn Jahrhunderten des Freiftaates wenigftens die Vertheilung des Vermögens unter denfelben eine weit gleichmäfsigere war als in fpäteren Zeiten. Allerdings läfst die forgfältige Ausbildung und ftrenge Durchführung der Armenordnung auf einen ziemlich nam- haften Beftand an hülfsbedürftigen Perfonen im Lande fchliefsen, und was wir von der Zahl der immer und immer widerkehrenden Nothjahre, dann von der Schwere ihrer Wirkungen hören 2), deutet ebenfalls darauf hin, dafs der Wohlftand des Volkes oft genug in feinen Grundfeften erfchüttert wurde. Allein in der erfteren Be- ziehung ift daran zu erinnern, dafs zu den hülfsbedürftigen Perfonen auch alle Minderjährigen gerechnet wurden, und auch nicht zu ver- kennen, dafs eine forgfame Ordnung der Armenpflege felbft unter der Vorausfetzung regelmäfsig günftiger Vermögensverhältnifle für folche Fälle nothwendig wurde, da vorübergehende Elementar-

1) Vgl. Bjarni Jjorsteinsson, Om kongelige og andre offentlige Afgifter i Island, S. 65—66; ferner den Alldingsbefchlufs vom 1. Juli 1622 (Lovsamling for Island, I, S. 202 6, u. dgl. m.

2) Vgl. des Bifchofs HansFinnsson Abhandlung »um mannfaekkun af halloerum ä fslandi», in den Rit {>ess kgl. Islendska Lserdömslista f^lags, Bd. XIV, S. 30 226, welche Haidorr Einarsson im Jahre 1831 in einer dänifchen Bearbeitung unter dem Titel »Om Folkemaengdens Formindskelse ved Uaar i Island* neuerdings herausgab. '

442 ^^*^ wirthfcharilichen Zudände.

ereigni ffe wie z. B. ausnamsweife harte Winter, dem Wachsthume ungünftige Sommer, vulkanifche Ausbrüche, verheerende Seuchen unter Menfchen oder Vieh, plötzlich u»gewöhnliche Nothftände erzeugten; nach der zweiten Seite hin ift dagegen zu beachten, dafs die aufserordentlich rafche und heftige Wirkung folcher Elementar- fchäden auf der Infel durch deren Abgelegenheit und Naturbefchaflfen- heit, fowie durch das von letzterer bedingte Vorwiegen der Vieh- zucht auf derfelben zu erklären ift, durch Thatfachen alfo, welche in der neueren Zeit wefentlich ebenfo wirken wie fie in der älteren Zeit gewirkt haben, und welche anderntheils auch wider eine ebenfo rafche Widerherftellung des Wohlftandes ermöglichen, wie fie deffen plötzlichen Verfall bedingen. Nichts berechtigt uns zu der Anname, dafs es in diefer Beziehung vordem fchlimmer geftanden fei als diefs noch neuerdings vorgekommen ift, und wenn z. B. von dem Jahre 1120, welches auf das gröfste Sterben folgte, welches man jemals auf der Infel erfahren hattet), berichtet wird, dafs nach Secmunds Schätzung ebenfoviele Menfchen der Seuche erlegen waren, als in jenem Jahre an dem fehr zahlreich befuchten Alldinge er- fchienen waren 2), fo ift damit nicht mehr gefagt als wenn uns glaubhaft überliefert wird, dafs in Folge fchwerer Unglücksfälle die Zahl der Geftorbenen auf der Infel, welche im Jahre 1783 nur 1227 betragen hatte, in den Jahren 1784 und 1785 auf 5346 und 5626 ftieg3). Läfst fich aber aus derartigen Anhaltspunkten kein verläfllger Schlufs auf die Vermögens verhältniffe der grofsen Mafsc des Volkes in regelmäfsigen Zeiten ziehen, fo mufs wohl eine etwas verwickeitere Beweisführung verfucht werden, für welche die uns überlieferten Waaren- und Arbeitstaxen als Stützpunkte dienen können. Als Rechnungseinheit diente das hundraö, d. h. der Werth von 120 Ellen gewöhnlichen vaömäls, oder das ihm gleich- ftehende kügildi, d. h. der Werth einer marktgängigen Kuh<); 6 Ellen vaömäls giengen dabei auf die Unze (eyrir) gewöhnlichen Silbers, wie es in Handel und Wandel gegeben und genommen

1) Hüngrvaka, cap. Ö, S. 71.

2) Kristiii s., cap. 14, S. 31; Landnama, S. 329 30 (Skar^oärbok); .\nnälar, h. a.

3) Vgl. Skyrslur um landshagi, I, S. 337—8.

4) Ich bemerke übrigens, dafs nach den norwegifchen Gl>L. ^ 223 und 21^ die Kuh nur tu 2*/.^ Unzen angcfetzt war; mag fein, dafs dabei an reines Silber gedacht war.

Die wirthfchafilichen Zuaände. 443

wurde, aber die Mark gebrannten, d. h. reinen Silbers galt 60 folcher Unzen oder 360 Ellen vaömäls, und achtmal foviel die Mark reinen Goldes, fodafs alfo ungefähr 4 Ellen auf die Mark unferer neuen Reichsw.ährung gehen, oder das Hundert auf etwa 30 Mark RW. kommt. Dicfs alfo war der Werth einer Kuh, nach heutigem Geldwerthe angefchlagen ; der Jahreslohn aber für einen gewöhn- lichen Bauernknecht durfte nicht über eine halbe Mark, alfo 24 Ellen oder 6 Mark RW. anfteigen. Die Jönsbök betrachtet 3 1/2 Hunderte als ein Capital, aus deffen Rente man einen Armen männlichen Gefchlechts, und 2^/2 Hunderte als ein folches, aus deffen Rente man einen Armen weiblichen Gefchlechts verpflegen kann i), wogegen fie allerdings bei dem vermöglichen Mündel die Rente eines Capitals von 5 Hunderten, alfo, da , der Zinsfufs auf iqO/o ftand, jährlich IG Unzen auf deffen Verpflegung rechnet 2); in den Rechtsbüchern der freiftaatlichen Zeit finden fich dagegen zwar keine ebenfo be- ftimmte Ausfprüche über die Koften der Lebfucht, aber doch immerhin *\nhaltspunkte, welche zu einem änlichen Ergcbniffe führen. Der Vormund foll in Fällen, in welchen er das Mündclgut zu verzinfen hat, einen Capitalbetrag von 20 Unzen unvcrzinfl: laffenS), was alfo eine Rente von nur 2 Unzen crgiebt; aber freilich bezieht fich diefe Beftimmung nur auf die Fahrhabe, während das liegende Gut weder gefchätzt noch verzinft wird, wogegen die Vorfchrift der Jönsbök auf liegende wie fahrende Habe gleichmäfsig geht. Durch die Zahlung von 10 Unzen kann man fich Verwandten der entfernteften Grade gegenüber von der Alimentationspflicht loskaufen 4); aber dabei war es doch wohl ficherlich ebenfo wenig darauf abgcfehen, den vollen Werth der Verpflegung bezahlt zu bekommen, als in einem anderen Falle die 6 Ellen, welche jährlich zur Untcrflützung eines Bedürftigen ausgelegt werden, deffen volle Verpflegung dar- ftellenö). Um fo bedeutfamer erfcheint dagegen, dafs einmal der Fremde zum Mitnemen eines ömagi nur unter der Vorausfetzung verpflichtet wird, dafs er mindeftens 6 Hunderte von Ellen befitzt, und dafs ein andermal das Heirathen Leuten verboten wird.

1) Framfaerslu b., g 1.

2) ErfÖatal, g 21—22.

3) Kgsbk, g 122, S. 235; Arfa J>., cap. 10, S. 200.

4) Kgsbk, i 143, S. 26; Ömagab., cap. 27, S. 286.

5) Omagab., cap. 27, S. 284; vgl. Vilhjälin Finstn, in den Annalcr, 1850, S. 138, Anni. 2. .

444 ^ic wirthfchaftlichen Zuflände.

die nicht niindeftens ein Hundert Unzen zu je 6 Fällen im Vermögen haben ^ ) ; von dcnifelben Mafse an Befitz geht auch das Zehntgefetz aus als von dem fo zu fagen normalen-), wogegen B. Arni in feinem Chriftenrechte von einem Befitze von lO Hunderten von Ellen aus- geht 3), alfo den normalmäfsigen Befitz etwas höher greift. Berück- fichtigt man nun, dafs die Jonsbök eben diefen Befitz von vollen IG Hunderten für den in der Gemeinde völlig zählenden Bauern fordert^), während die älteren Rechtsbücher dieferhalb auf die Dingfteuerpflicht venveifen, fo wird es wohl kaum zu gewagt erfcheinen wenn wir annemen, dafs in der Zeit des Freiftaates 6 Hunderte von Ellen das für den ärmeren dingfteuerpflichtigen Bauern vorauszufetzende Mafs des Befitzes gebildet haben, d. h. der Werth von 6 Kühen oder 36 Schafen. Dafs alle Aermeren als zu arm zum Heirathen galten, ftimmt recht wohl zu der anderen Thatfache, dafs alle diejenigen, die nicht dingfteuerpflichtig waren, als befugt galten öffentliche Unterftützung m Anfpruch zu nemen^); ebendamit ift aber auch bereits die Vermuthung begründet, dafs die oben angegebene Zahl der dingfteuerpflichtigen Bauern die Hauptmaffe der felbftftändigen Hauswirthe im Lande enthalten haben werde, während diefelben freilich in der fpäteren Zeit nur einen geringeren Bruchtheil von diefen ausmachten. Eine weil geringere Einwohnerzahl als die gewöhnlich angenommene mufs fich von hier aus flir die ältere Zeit berechnen, möglichenveife nur deren Hälfte, wie denn auch im vorigen Jahrhunderte noch die Seelenzahl der Infel fich um die Ziffer 50,000 herumbewegt; mancherlei ein- zelne Vorkommniffe in den Quellen ftimmen mit folcher Anname recht wohl überein, wie z. B. die Angabe, dafs im Jahre 11 18 die Abfahrt von 35 Schiffen nach Island, von denen doch manche an der Küfte Schiffbruch litten und andere fchon auf hoher See untergiengen, durch die beträchtliche Vermehrung der Menfchenzahl auf der Infel den Ausbruch einer Hungersnoth dafelbft veranlafst habe, obwohl von diefen und den fchon früher eingelaufenen Schiffen

1) Kgsbk, g 143, S. 25 und g 148, S. 88; Omagab., cap. 34, S. 3ü0, und Fcsia {»., cap. 12, S. 323.

2) Kgsbk, i 255, S. 205; KrR. cap. 36, S. 140.

3) Ärna bps KrR., cap. 14, S. 80—2.

4) Framf£erslub., § 9.

5) Vgl. oben, S. 150.

Die wirthfchaftlichen Zuflände. 445

8 wider das Land verliefsen i) : die geringe Befatzung von etwa 20 25 Schiffen konnte denn doch nur unter der Vorausfetzung auf den Vorrath der verfugbaren Lebensmittel einen merklichen Einflufs üben, dafs ihr eine nichts weniger als bedeutende Zahl von Eingeborenen gegenüberftand ! Andererfeits wiffen wir aber aller- dings, dafs unter Umftänden das Vermögen einzelner Männer ungleich höher als jener normalmäfsige Betrag fich belief. Nach der Njäla erhielt Unnr, des reichen Mörör gigja einziges Kind, 60 Hunderte mit in die Ehe, als fie den Hrüt heirathete 2j ; Snorri Sturluson, der von feinem Vater nur 40 Hunderte geerbt hatte, erheirathete fpäter mit der Herdfs Bersadöttir volle 8 Hunderte von Hunderten, was ihn fofort zu einem der reichften Männer der Infel machte, da fein Schwiegervater fchon nach wenigen Jahren ftarb und von ihm beerbt wurdet); derfelbe Snorri übernimmt fpäter gelegentlich feiner Verbindung mit der Hallveig Ormsdöttir nochmals den gleichen Betrag von 8 Hunderten von Hunderten als Mündelgut ihrer Söhne, und erlangt damit ein gröfseres Vermögen als irgend Jemand damals auf Island befafs*). Die Erbfchaft der Hroöny |>öröardöttir wird auf hundert Hunderte gefchätzt^), und 40 Hunderte erhalten Gizurr t»orvaldsson und Ingibjörg Snorradöttir zu gleichen Hälften von ihren Aeltern, um ihnen ein gedeihlicheres Zufammenleben zu ermöglichen 6) -, um mehr als 60 Hunderte richten einmal Snorri's Feinde auf feinen Gütern Schaden an 7), und in einem Schiedfpruche, welchen diefer im Jahre 1239 thut, legt er

1) Kristiii s., cap. 14, S. 30; liüngrvaka, cap. 8, S. 71; Landnama, S. 329 (Skarösiirbok).

2) Njdla, cap. 2, S. 3.

3) Sturlünga, III, cap. 45, S. 200, und III, cap. 19, S. 223. Wie Munch, III, S. 810, Anm., dazu kommt, die Mark zu 9^/4 Speciesthaler, und danach obigen Hetrag zu 22,200 Spth. zu berechnen, überdiefs aber auch noch zu behaupten, dafs diefer Hetrag für jene Zeit einen mindeftens lOfach höheren Werlh repräfentirle, verliehe ich nicht. Nach meiner, vom Goldwerlhe ausgehenden, Berechnung kommen nur 28,800 RM. heraus zu 6,300 Spth.; lege ich aber die neuefle Capiielslaxe für den Korgarfjörd zu Grunde, welche das kügildi oder Hundert auf 49 RD. 5 Sk. hinauffelzt (|ijo^ölfr, 25. Jahrg., S. 65—66), fo berechnen fich allerdings 47,090 däuifche Reichsthaler oder 23,545 Speciesth., aber dann fallt auch jeder Grund weg, den fo berechneten Betrag noch zu verzehnfachen.

4) Sturliinga, IV, cap. 40, S. 83.

5) Ebenda, V, cap. 7, S. 116.

6) Ebenda, cap. 14, S. 128.

7) Ebenda, cap. 33, S. 161.

446 J^'c wirthfchafllicheu Zuftände.

Jedem, der in der Schlacht bei Baer einen Todtfchlag begangen hat, eine Zahlung von lo, Jedem, der einen anderen verwundet hat, eine folche von 5 Hunderten auf, während noch weniger Betheiligte mit 2I/3 oder 1I/4 Hunderten (»fimm aura ok hundraö«) durch- kamen i), u. dgl. m. Aber das find Ziffern aus der Sturlungenzeit, in welcher die mächtigeren Häuptlinge bereits weit über das übrige Volk fich erhoben hatten, und ebendamit auch ihnen gegenüber die Vertheilung des Vermögens nothwendig eine fehr ungleichmäfsige geworden war; in der guten alten Zeit, da noch die Söhne aus den heften Häufern an der bäuerlichen Arbeit fich betheiligten 2.., wo noch Männer wie Arnkell goöi an dem Einbringen des Heue«?, oder Männer wie Gunnar von Hlföarendi und Höskuldr Hvftaness- goöi bei der Ausfaat des Kornes felber Hand anlegten 3), und höchftens die gröbften Arbeiten, wie etwa das Melken der Schafe und Ausmiften der Ställe 4), für den vornemeren Hausherrn und feine Frau nicht recht pafslich erfchienen, müflen auch die Ver- mögensverhältniffe ungleich fchlichter geftaltet gewefen fein, und nur unter diefer Vorausfetzung erklärt es fich denn auch, dafs ein Mann wie Hrafnkell Freysgoöi, nachdem er fein ganzes Vermögen verloren hat, durch umfichtige und fparfame Wirthfchaft fchon in wenigen Jahren fich wider foweit emporarbeiten konnte, dafs er ein neues Godord erwarb und wider zu den angefehenften Männern feiner Gegend zählte 5). Vermögensunterfchiede freilich beftanden auch damals fchon, und wenn es einvirkjar gab, die ganz ohne Gehülfen ihren Hof bewirthfchafteten, oder Leute, welche wie [lorkcll im Gervidale nur mit einem weiblichen Dienftboten häuften 6), fo gab es auch gute Bauern, die ihre 18 Knechte hatten, wie Ölvir zu Reykir7), oder Häuptlinge, welche, wie Geirmundr heljarskinn, ihre 80 freier Dienftboten, oder wie |>orsteinn t)Orskabitr deren 60, oder wie Guömundr riki ihre 100 Dienftboten und 100 Kühe^)

1) Ebenda, VI, cap. 25, S. 234.

2) Vatnsdiela, cap. 22, S. 35; Ljö.svelninga s., cap. 5, S. 13.

3) Eyrbyggja, cap. 37, S. 66; Njilla, cap. 53, S. 82, und cap. 112, S. 170.

4) Bjaruar s. Hftdaelakappa, S. 22.

5) Hrafnkels s., S. 22 und 24.

6) Föstbroe(>ra s., 1, cap. 6, S. 19.

7) Ljösvetnfnga s., cap. 1, S. 4.

8) I.andndma, II, cap. 19, S. 123; Eyrbyggja, cap. 11, S. 12; Ljös- vetnfnga s., cap. 5, .S. 13.

Die wirthfchafllichen Zullande. 447

hielten ; allein mit folchen Ziflfern find immerhin ganz ausnamsweife Vorkommniffe bezeichnet, und an die Anfätze der Sturlungenzeit reichen felbft fie noch bei Weitem nicht hin. Dagegen zeigt die gefammte Verfaffung Islands fehr deutlich, dafs innerhalb der Bauer- fchaft keine fehr erheblichen focialen Unterfchiede beftanden haben können. Während der Unterfchied, der zwifchen den Goden als regierenden Herrn und den Bauern als ihren Unterthanen beftand, und andererfeits auch der zwifchen diefen letzteren als fclbftftändigen Hauswirthen und den einläufigen Leuten bcftehende Gegenfatz fich fcharf genug bemerklich macht ^), wenn er auch zu keiner Abftufung in Wergeid und Bufse fich verhärtet, findet fich nirgends eine fchärfere Scheidung zwifchen verfchiedenen f laflen der Bauerfchaft felbft durchgeführt, während doch in Norwegen der höldr von dem ge- wöhnlichen Bauern fich fcharf genug fchied ; eine unbefangene Be- achtung aber der Gefchichtsquellen dürfte zu der Ueberzeugung führen, dafs in der Landnamezeit gröfsere Unterfchiede der focialen Stellung fowohl als des Vermögens fich allerdings bemerkbar machen als Folge der in Norwegen beftehenden Zuftände, dafs diefelben aber in der nächftfolgenden Zeit in einem fehr entfchiedenen Rückgange begriffen find, um erft im Laufe des 12. Jahrhunderts im Geleite der fich bildenden gröfseren Herrfchaftsgebiete neuer- dings und bedeutfamer noch als früher wider hervorzutreten. Die gröfsere Sorgfalt aber, welche die ältere Zeit auf die Landwirth- fchaft verwandte, und welche fich nicht etwa blos in einem ge- legentlichen Betriebe des Ackerbaues, fondern weit mehr noch in dem umfaffenderen Betriebe der Rindviehzucht, der forgfamen Führung von Zäunen, dem geringeren der Fifcherei beigelegten Werthe u. dgl. m. ausfpricht, mufste nothwendig zu einer befferen ökonomifchen Lage der Bauern führen, und hiemit ftimmt denn auch die andere Thatfache recht wohl überein, dafs, wie oben bereits bemerkt, ein nicht unbeträchtlicher Export an roher und verarbeiteter Wolle aus dem Lande gehen konnte, mit welchem ein guter Theil der Einfuhr fich bezahlen liefs, ohne dafs darum der Viehftand im Lande oder die Nahrungsmittel vermindert zu werden brauchten, welche derfelbe abwarf. Eine endgültige Er- örterung der wirthfchaftlichen Zuftände der isländifchen Vorzeit wird übrigens erft dann möglich werden, wenn einerfeits durch ver-

1) Vgl. z. B. obeii) S. 152, Anm. 3.

448 ^*^ geiftige Ciiliur, und insbefondere die Litteratuf.

läffige Ausgaben einer Reihe bisher nur fehr mangelhaft edirter Quellen, wie zumal der vor allen wichtigen Sturlünga, und anderer- feits durch tüchtige Specialunterfuchungen über die Entftehungszeit und das Mafs der Glaubwürdigkeit fo mancher vielbenutzter Sagen, wie z. B. der Njäla, für diefelbe der Weg geebnet fein wird.

§ 13. Die geistige Cultur, und insbesondere die Litteratur.

Neben den wirthfchaftlichen Zuftänden Islands müflen felbft- verfländlich auch die Zuftände der geiftigen Cultur feiner Bewohner während der Dauer des Freiftaates hier in überfichtlichen Zügen gefchildert werden; es empfiehlt fich indeffen, nach diefer Seite hin die Aufgabe möglichft ku«z zu faffen, da eine ausführliche Er- örterung den Stoff" zu einem Buche für fich bieten würde. Ge- legentlich der Bemerkungen, welche über die Erziehung der Kleriker zu machen waren, wurde bereits darauf aufmerkfam gemacht, wie neben dem gelehrten Unterricht, welchen die Kirche mit fich brachte, ein nationaler Bildungsgang ftand, der fich von jenem erfteren fcharf genug unterfchied i), und auch auf diejenigen Fertigkeiten wurde dabei bereits hingewiefen, auf welche man hauptfächlich Gewicht legte. Unter den körperlichen Uebungen war es das Laufen und Springen, das Laufen auf Schneefchuhen (skriöa ä skföum) und Schlittfchuhen (kunna ä fsleggjum), dann das Klettern, welches geübt wurde ; ferner das Schwimmen und Tauchen, das Ringen (glima), welches heutzutage noch auf der Infel mit grofsem Eifer und nicht geringer Kunftfertigkeit betrieben wird, fowie das Reiten. Als Spiele, welche körperliche Kraft und Ge- wandtheit zu entwickeln geeignet waren, werden zumal das Ball- fpiel (knattleikr, hnattleikr) und das Seilziehen (reipdrättr) genannt, und auch vom Tanz (danz) ift, zumal in der Sturlungenzeit, oft genug die Rede, bei welchem übrigens die begleitenden Gefänge die Hauptfache gewefen zu fein fcheinen; die Sturlünga hat uns zwei Zeilen eines Tanzliedes aufbewahrt 2j, und überdiefs be- zeugt fie, dafs folche vielfach fatirifchen Inhaltes und auf Zeit- begebenheiten gedichtet waren 3J, während die Lebensbefchreibung

1) Vgl. obcQ, S. 151—2.

2) Sturlünga, X, cap. 25, S. 317.

3) Ebenda, IV, cap. 26, S. 57, vgl. S. 62, wo freilich der Name daor nicht genannt wird; ferner VIl, cap. 39, S. 79—80.

Die geiftige Cultur, und insbefondcre die Litteralur. 449

des B. Jon Ogmundarson auf erotifchen Inhalt hindeutet i), und auch die Bezeichnung mansöngr für die Einleitung zu den in der fpäteren Zeit fo fehr üblichen Balladen (rimur) an diefen Ausgangs- punkt erinnert, fodafs es nicht gerade zu verwundern ift, wenn die Theilname am Tanze einem Frieder bitter verübelt wird 2^. Die Uebung in der Führung der Waffen, der Axt alfo und des Schwcrdtcs, des Speeres und des Bogens, dann auch in der Deckung durch den Schild, fchlofs fich hieran an, und es vcrfteht fich von fclbft, dafs auch folche Uebungen, wenn auch um ernflhaftcr Zwecke willen betrieben, doch vielfach zur Unterhaltung dienten-»). In geiftiger Beziehung fahen wir zunächft die Dichtkunft und die Sagenerzählung betrieben, und beWe Küi^fte werden denn auch neben Tanz, Ringkampf und mancherlei Spielen bei feftlichen Zufammenkünften zur Unterhaltung der Gäfte ^^erwendet^). Man erzählte aber ebenfogut Ereigniffe, die man felbft erlebt hatte, oder die doch der neueften Zeit angehörten, wie etwa f^orgrimr trölli am GarCa|>ing in Grönland von dem Tode des ^orgeirr Havarsson er- zählte, bei dem er felber die erfte Rolle gefpielt hatte, oder ein junger Isländer die Ctfararsaga K. Harald haröräöi's am Alldinge von deffen Gefährten, Halldörr Snorrason, hörte und hinterher vor dem genannten Könige felber erzählte 5), als Ereigniffe einer längft vergangenen Vorzeit, deren Erinnerung ja die längfle Zeit hindurch nur durch mündliche Ucberlieferung fich bewahren liefs, oder auch durchaus ungefchichtliche Vorgänge, wie etwa die Sage von Hro- niundr Greipsson, Hröngviör berserkr und Olafr liösmannakonüngr, oder von ürmr Bäreyjarskäld, oder wider von der Riefinn Huld<*»),

1) Jons bps s., cap. 13, S. 165, und Gunnlaugs Bearbeitung, cap. 24, S. 237.

2) Sturlünga, IX, cap. 36, S. 258—9; vgl. V, cap. 8, S. 117, und Gui>- mundar bps s., cap. 97, S. 549.

3) Vgl. L. Engelstoft, Om den Präs, Oldtidens Skandinaver satle paa Legem so velser (Kopenhagen, 1801); Skuli Thorlacius, Antiquitatum borcalium observationes miscellanea.*, Specimen IV, S. 211 63 (ebenda, 1784); R. Keyfer, Nordma-ndenes private Liv i Oldtiden, S. 108—18 (Efterladte Skrifter, IUI. II, Abth. 2; Christiania, 1867), u. dgl. in.

4) Vgl. z. B. Vigaglüma, cap. 24, S. 385; Bjarnar s. lIitda.Uakappa, S. 46; Sturlünga, 1, cap. 13, S. 23, und IX, cap. 51, S. 281; vgl. X, cap. 16, S. 304—5.

5) Füstbrjv^ra s., II, cap. 9, S. 87—88, und Flbk. II, S. 210; Haralds s. har&raba, cap. 99, S, 354-6 (FMS., VI), Morkin ski nn a, S. 72 3.

6J Sturlünga, I, cap. 13, S. 23; X, cap. 16, S. 304. Mau TP r, iBbind. ^^^

450 I^*c geiftige Ciiltur, und inshefondere die Litteratur.

und nur die eigentlichen Mährchen, unter denen die Gefchichten von der böfen Stiefmutter bereits ihre Rolle fpielen, fcheinen auf das geringere Volk und die Jugend befchränkt gewefen zu fein^). Man trug andererfeits nicht nur altüberlieferte Lieder (forn kvse^i) oder eigene Kunftgedichte vor, fondern wie in der Gegenwart fpielte auch in der Vorzeit bereits die Stegreifdichtung eine grofse Rolle; bei jedem einigermafsen auffälligeren Ereigniffe pflegte der Isländer, wenn er überhaupt nur geweckteren Sinnes und der Verskunft mächtig war, die eine oder andere Strophe hinzu- werfen, und die Sturliinga zumal zeigt an einer langen Reihe von Beifpielen, dafs der fcharffpitzige Witz, den man heutzutage auf der Infel in gelegentlich gedichtete Spottverfe zu legen weifs, bereits der alten Zeit vollkommen geläufig war. Frühreif wie fie überhaupt waren, fiengen die isländifchen Knaben auch fchon in jüngflen Jahren zu dichten an, und wenn wir von Kindern hören, die mit 5 Jahren bereits durch Tödtung irgend eines Thiercs zur ZulafTung zu Knabenfpielen fich qualificiren mufsten, oder wie Egill Skallagrimsson bereits in ihrem fiebenten Jahre ihren erflen Todt- fchlag begehen, fo finden wir anderererfeits auch Verfe aufbewahrt, welche diefer letztere als dreijähriges Kind gedichtet haben foU^); wie weit aber die Kenntnifs fremder Gedichte reichen konnte, dafür gewährt der blinde Stüfr Kattarson einen Beleg, welcher, felbft tin Dichter, dem K. Harald haröräöi an einem Abende 30 flokkar zum Beften giebt, und behauptet, obwohl deren noch viele unvorge- getragen geblieben feien, doch der dräpar nicht weniger zu können als der flokkar 3), und einen weiteren Beleg bietet Snorri Sturluson, welcher die maffenhaft in feine Werke verwobenen Verfe der verfchiedenften Dichter doch ficherlich ebenfalls gröfstentheils feinem GedächtnilTe entnommen haben mufs. Um fo auffälliger erfchcint, dafs die Isländer der alten Zeit fich bereits vollkommen ebenfo unmufikalifch erwiefen, wie fie diefs mit verfchwindcnd geringen Ausnamen noch heutzutage find. Zauberformulare fcheinen zwar

1) Oddr, Prolog, S. 1; Sverris s., cap. 7, S. 18; vgl. Hrölfs s. kraka, cap. 15, S. 31.

2) Flöamanna s., cap. 10, S. 128; Eigla, cap. 40, S. 77—8 und cap. 31, S. 63—4.

3) Haralds s. harördÖa, cap. 110, S. 391 (FMS., VI); eine geringere Ziffer giebl die Flbk, III, S. 380, die Mork i nsk i nna , S. 105 aber hat hier eine Lücke.

Die geiftige Cultur, und insbefondere die Litteratur. 451

im Heidenthume gefungen worden zu fein, da der Ausdruck galdr von gala, d. h. fingen, fich ableitet und auch wirklich in alten Liedern diefes Zeitwort von dem Vortrage folcher Formeln oft genug gebraucht wird; in der chriftlichen Zeit dagegen wird unter söng und syngja regelmäfsig der recitirende Vortrag der kirchlichen Liturgie und Gebete verftanden, und auch von Zauberern wird in Bezug auf ihre Sprüche der Ausdruck kveöa gebraucht ^), worunter doch ficherlich nur jene halb fprechende, halb fingende Art ver- ftanden werden kann, in welcher die Isländer noch heutigen Tages nicht müde werden halbe Tage lang ihre rfmur hören zu laffen. An mufikalifchen Inftrumenten kannte man in Norwegen die Trompete (lüör) und das Hörn (hörn) als Mittel zum Geben militärifcher Signale oder zum Zufammenblafen der Bürgerfchaft in den Städten ; auf Island aber finde ich beide, wenigftens in älterer Zeit, nicht genannt, denn der Hörnerfchall, welchen man einmal bei den ab- gefchiedenen Geiftern im Berge Helgafell hört 2), kommt von Trink- hörnern. Die Geige und die F^iedel (fiöla, gigja) werden im Norden früh genannt, und nicht minder auch die Harfe (harpa). Schon K. Hugleikr xMfsson hat feine »allskonar leikara, harpara ok gigjara ok ficiarac um fich, und bei K. Olaf Eirfksson von Schweden finden fich ebenfalls »leikarar mcö hörpur ok gfgjur ok söngtöl«3); aber was das fiir Gefellen waren, zeigt fich daraus, dafs die »leikarar ok trüöar« am Hofe des K. Haraldr härfagri und wider des K. Magnus Erlfngsson, zu ihrer mit Geigen, Pfeifen und Trommeln gemachten Mufik auch wohl Hunde tanzen oder über den Stock fpringen laffen 4). Auf Island führt bereits zu Ende des zehnten Jahrhunderts Mörör den Beinnamen gigja und Spielleutc fanden wir gelegentlich am Alldinge erwähnt 5); aber auch hier gehören fie zu den verachteten Perfonen, und ift es ficherlich nicht als ein

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Ehrentitel gemeint, wenn ein einzelner Mann den Namen Ann trüör führt. Nur die Harfe fcheint eine ausnamsweife Stellung einge- nommen zu haben. Fertigkeit im Harfenfpiele fahen wir bereits

1) Z. B. Laxdxla, cap. S5, S. 142, und cap. 37, S. 152; Jiorfinns s. karlsefnis, cap. 8, S. 378; auch Kgsbk, ? 7, .S. 22, und KrR., cap. 16, S. 76.

2) Eyrbyggja, cap. 11, S. 12 13.

3) Heimskr. Vnglinga s., cap. 25, S. 19, und Olafs s. helga, cap. 96, S. 316.

4) Fagrskinna, 2 8; Sverris s., cap. 85, S. 207 8.

5) Oben, S. 166.

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452 ^*c fjeiftigc Cultur, und insbefonclere die Litteratur.

einem frommen Bifchofe und einem angefehenen Priefter nachge- rühmt, und fowohl K. Haraldr haröräöi als Rögnvaldr jarl von den Orkneys zählt das Harfenfpiel zu den Künden, auf die er fich etwas zu Gute thut ^) : in einer Reihe von Eddaliedern, der Völsünga und Nornagestssaga, der Bäröar saga Snaefellsäss wird des Inftrumentes gedacht, fodafs dcflen früher und nationaler Gebrauch im Norden nicht bezweifelt werden kann. Man möchte die Vermuthung wagen, dafs das bei den Wälfchen, Schotten und Iren fo vielgefeierte Inftrument, über welches neuerdings Eugen 0*Curry und W. K. Sullivan fo reichliche Nachrichten gegeben habend), von den Kelten aus zu den Nordleuten gelangt fei, wenn nicht die demfelben beigelegte Benennung einerfeits eine allgemein germanifche, und andererfeits allen keltifchen Sprachen fremde wäre. Indeffen ift auf Island auch diefes Inftrument, foviel ich fehen kann, auf geiftliche Kreife be- fchränkt geblieben und erft in der chriftlichen Zeit 'überhaupt wider in Gebrauch gekommen, fodafs die unmufikalifche Natur des Volkes auch nach diefer Seite hin keinen Abbruch erleidet 3). Auch von dem Betriebe der bildenden Künfte finden fich nur infoweit Spuren, als etwa vom Handwerke aus einzelne Uebergänge zu ihnen hinüberführten ; von Perfonen geiftlichen fowohl als weltlichen Standes, dann weiblichen fowohl als männlichen Gefchlechtes, die fich durch befondere Kunftfertigkeit in mechanifchen Dingen auszeichneten, ift gelegentlich bereits gefprochen worden, und wenn zwar die wunderbaren Kunftftücke, die Hreiöarr torgrimsson und Kröka- Refr gemacht haben foUen ohne doch jemals zuvor ein Handwerk betrieben zu haben ^), augenfcheinlich auf blofer Erfindung beruhen, fo fetzt doch immerhin auch eine derartige Erfindung den Glauben an die Möglichkeit änlicher Leiftungen voraus, welche ziemlich auf der Grenze zwifchen Kunft und Handwerk ftehen. Von dem Betriebe der Rechtskunde, Genealogie und Menfchenkundc war oben bereits die Rede, und zumal auch von dem Unterrichte,

1) Morkinskinna, S. 15; Orkneyinga s., S. 150; vgl. oben, S. 254.

2) On the Manners and Customs of the ancient Irisb, I, .S. CCCCLXXXIII und fgg. und III, S. 212 und fgg. (1873).

Ö) Keyser, ang. O. S. 121 5, wo indeffen der zwifchen Norwegen und Island beilehende Unterfchied unbeachtet bleibt.

4) Harald.s s. har&rdöa, cap. 28, S. 214—16 (FMS., VI) und Morkiu- skinna, S. 42—3; Krokarefs s., S. 9—11, u. dgl. ni. Vgl. oben, S. 254 und 424-5: dann Wcinhold, S. 417—28.

Die geiftige Cultur, und insbefonderc die Litteratur. 453

der in der crfleren von erfahrenen Männern ertheilt wurde ; dagegen

mag hier noch erwähnt werden, dafs auch die Arzneikunde

betrieben wurde, und zwar von Weibern fowohl als von Männern.

In den Hävamäl und Sigrdn'fumäl ift bereits von ihrem Betriebe

die Rede, und die mythifchen fowohl als die erdichteten Sagen

wiflen von mancherlei auflfalligen Heilungen zu erzählen, welche fei

es nun durch den Gebrauch halbwegs übernatürlicher Mittel, oder

auch durch rein kunftmäfsige Operationen erzielt wurden ^). Aber

auch die gefchichtlichen Sagen zeigen auf der einen Seite geheime

Zauberkünfte gebraucht um Krankheiten zu geben oder zu nemen,

wie etwa Runen 2) oder einen Zauberfteinn (lyffteinn), der Wunden

zu heilen vermag, die fonft unheilbar find, oder auch durch chrift-

liche Gebete und Segnungen, Reliquien und Wunderthäter Heilungen

vermittelt, während fie auf der anderen Seite auch von einem rein

naturgcmäfsen Betriebe der Medicin und Chirurgie Zeugnifs ablegen.

Eine Alfgerl^r laeknir wird uns genannt, welche zu Hülfe gerufen

wird um Verwundete zu heilen, und auch Vigagliims Frau Halldöra,

und deflen Schwefter Helga machen fich in änlicher Weife nützlich,

|»uriör Tünguoddsdöttir aber heilt zwei Gegner, die im Zweikampfe

fich wechfelfeitig verwundet hatten 3); andererfeits wird uns von

einem l^orvarör lajknir und deffen glücklichen Curen erzählt,

Snorri goöi weifs aus der Befchaffenheit des Blutes zu erkennen,

wie tief die W^unde war, aus der es gefloffen, und er verficht auch

mit der Zange den Pfeil aus einer Wunde zu ziehen, und zu be-

urtheilen, wieweit fich beim Heilungsprocesse die Sehnen dehnen,

man wufste Leuten, denen ein Bein abgehauen worden war,

dafür einen hölzernen Stelzfufs zu machen, wofür Namen wie |>örir

viöleggr oder Önundr trefötr genügenden Beleg gebend), u. dgl. m.

In der Sturlungenzeit zumal wird gar oft von Leuten gefprochen,

die durch befondere Heilkunft fich auszeichneten. So wird z. B.

der Bauer Snorri Arngeirsson als ein guter Arzt gerühmt, und von

ihm der Beinbruch geheilt, den der junge Guömundr Arason erlitten

1) Vgl. z.B. Völbünga s., cap. 8, S. 131 2; llrölfs s. Gautreksbunar, cap. 20, S. 138—9, u. dgl. m.

2) Z. B. Eigla, cap. 75, S. 182—3, und cap. 79, S. 190.

3) Droplaiigarsona s., S. 26; Vigagliim.s s., cap. 23, S. 381 3^ Land- nama, 11, cap. 6, S. 80.

4) Vüpnfirbinga s., S. 29; Eyrbyggja, cap. 45, S. 87 und 88, ferner cap. 18, .S. 25: (iretlla, cap. 2, S. 3, und cap. 11, S. 15.

454 ^ic ^<^i^igc Cullur, und insbefondere die Litteratur.

hatte ; da aber ein Knochenftück in der Wunde geblieben war und diefe darum fich nicht völlig fchliefsen wollte, wandte man fich an den Frieder Helgi Skeljiingsson, einen ausgezeichneten Arzt, und diefer weichte den Fufs wider auf, liefs den Knochen mit einer Zange herausziehen, und heilte dann vollends die Wunde i), wie er denn auch in anderen Fällen widerholt ärztliche Hülfe leiftetc-). Ein Brandr laeknir, ein Helgi laeknir und ein zweiter deflelbcn Namens, dann ein Priefter Dälkr, werden auf Island genannt, während in Norwegen jjorgils skaröi auf K. Hakons Rath von einem Arzte Vilhjälmr mit Glück an feiner Hafenfcharte operirt wird 3) j ein ganz befonders tüchtiger Arzt war aber Hrafn Sveinbjarnarson, von dem es heifst, dafs er aufserdem auch ein guter Schwimmer, trefflicher Schütze und in allen körperlichen Uebungen gewandt, ein gefchicktcr Jurift und Dichter, ein fertiger Arbeiter in Holz und Eifen wie Wieland der Schmied (völundr at hagleik), endlich fogar in den gelehrten Studien wohl bewandert war, obwohl er lediglich die Tonfur, aber nicht einmal die nideren Weihen empfangen hatte. Jederzeit ftand er den Leuten zu Dienften, die ihn um ärztliche Hülfe angiengen, und Viele foll er geheilt haben, die dem Tode bereits verfallen fchienen, ohnd jemals Bezahlung für feine Bemühung zu nemen; wir erfahren von einem Steinfchnitte, den er glücklich ausführte, von einem Aderlaffe, durch den er ein Weib von der Hypochondrie curirte, und noch von ein paar anderen glücklichen Curen deffelben*). Dabei war der Mann im Befitze von Godorden, und von vornemfter Abkunft j gerade fein Beifpiel zeigt aber, wie fich in der Medicin der Alten natürliches Gefchick und Verftändnifs in wunderlichfter Weife mit abergläubifchen Meinungen mifchte. Nach feiner glücklichen Schlacht gegen die Wenden auf Hlyrskogs- heiör foll K. Magnus der Gute (1043), weil es an Aerzten fehlte, zum Verbinden der Verwundeten 7 oder 12 Männer ausgewählt haben, die nach einer von ihm felbft angeflellten Probe die weichften Hände hatten, und zur Belohnung der damals geleifleten Dienfte

1] Gubmundar bps s., cap. Ö, S. 424 5; Sturlünga, III, cap. 'J. S. 120—1.

2) Sturlünga, It, cap. 13, S. 60, cap. 18, S 72—3, und cap. 23, S. 79: III, cap. 37, S. 192—3.

3) Ebenda, III, cap. 37, S. 192; V, cap. 2, S. 105, und cap. 13, S. 126—7: VII, cap. 48, S. 97; VIII, cap. 6, S. 133.

4) Hrafn s s., cap. 3, S. 640 1; cap. 4, S. 643—5.

Die gciftige CiilUir, und inbbefondere die Litlcratur. 455

follcn diefe Auservvählten für fich und ihre Nachkommen die ärzt- liche Kund gefchenkt erhalten haben; unter ihnen waren aber 2 isländifche Männer, von deren einem Hrafn in gerader Linie abftammte 1). Der Glaube an befondere Arzteshände (laeknishendr), von denen fchon die Sigrdrifumäl fprechen, und deren Befitz man fpäterhin zumal auch dem heiligen Olaf nachrühmte 2), reicht demnach auch auf Island bis in die letzten Zeiten des Freiftaates herab 3). Ich unterlaffe es, auf weitere Wiffenszweige näher einzugehen, wie etwa auf die Kenntnifs neuerer Sprachen, des nationalen und kirchlichen Kalender wefens (rimkainnska), der Sternkunde, Geographie, u. dgl. m., oder auf die Fertigkeit in einzelnen Würfel- oder Brett fpielen, auf welche noch heutzutage der Isländer einen gewiffen Werth zu legen pflegt; vielmehr will ich nur noch erwähnen, dafs K. Haraldr haröräöi des Reitens und Schwimmens, des Gehens auf Schneefchuhen und des Ruderns, des Schiefsens, Harfenfpielens und Dichtens fich rühmte, wobei, da feiner Künfte 8 fein follen, und die Poefie doch nicht zweimal gezählt fein kann, eine Textesverderbnifs uns die achte entzogen hat, und dafs Rögnvaldr jarl fogar 9 Künfte zufammenbrachte, unter denen neben dem Rudern, Schlefsen und Laufen auf Schneefchuhen, dann dem Harfenfpiele und der Dichtkunft, das Brettfpiel und die Runen- kunde, das gelehrte Wiffen (bök) und die Handwerkskünfte (smiöir) genannt werden*). Alles in Allem genommen war hiernach die Bildung des einigermafsen beffer ftehenden Mannes auf der Infcl eine zwar fehr eigens geartete, aber doch zugleich fehr mannigfaltige, felbft wenn man von dem oft genug vorkommenden Falle abfieht, da ein folcher neben dem nationalen auch zugleich an dem ge- lehrten Wiffen fich betheiligte. Da diefelbe nicht fchulmäfsig, fondern auf dem Wege der häuslichen Erziehung, gelegentlichen Unterrichtes Seitens einzelner hervorragender Männer, endlich durch das Leben felbft und zumal fleifsiges Herumtummeln im Auslande erworben

1) Ebenda, cap. 2, S. 639—40; Magnüss s. gööa, cap. 36, S. 73—4 (FMS. VI); Heim skr., cap. 29, S. 535—6.

2) Heim skr. Olafs s. helga, cap. 200, S. 462.

3) Vgl. übrigens Jon Gislason, Tentamen hisloricum de medicina velerum Septentrionalium, I— IV (1779—82), und Weinhold, S. 384-93; beide VerfalTer berück richtigen übrigens die gefchichtlichen Quellen zu wenig, und die erdichteten zu fehr.

4) Oben S. 452, Anm. 1.

456 ^^^ g*^'^iß<-' Cullur, und insbefondere die Litteratur.

werden mufste, konnte diefelbe von Vornherein keinen allzu ein- feitigen und pedantifchen Charakter annemen, und die vielfache Anregung, welche theils das öffentliche Leben, theils aber auch die wirthfchaftliche Stellung des vermöglicheren Mannes diefem gab, mufste vollends zu einer grofsen Allfeitigkeit und Rundung feiner Perfönlichkeit führen. Die Ueberhäufung mit praftifchen Gefchäften während des Sommers liefs keine allzu doftrinäre Richtung der geiftigen Cultur aufkommen, während die ftillen Wintermonate die nöthige Erholung von der körperlichen Arbeit und die nöthige Ruhe zu geiftiger Sammlung und nachdenklichem Studium gewährten. Man wird hiernach kaum fehlgehen, wenn man annimmt, dafs die Isländer der alten Zeit bereits ziemlich derfelben geiftigen Bc- fchaffenheit gewefen feien, welche fie zufolge der fich wefentlich gleich gebliebenen klimatifchen, natürlichen und wirthfchaftlichcn Zuftände des Landes noch heutzutage zeigen. Die Nothwendigkeit, ftets nach den verfchiedenften Seiten hin den Bedürfniffen des eigenen Hofes felbft genügen zu muffen, machte und macht den Isländer nachdenklich, erfinderifch, anftellig, fodafs er als Zimmer- mann und Schreiner, als Schmied und als Sattler, als Seemann wie als Landwirth fich gleich gut zu helfen, und nebenbei auch im Nothfalle feinen Hausgottesdienft zu halten und feine Kinder zu unterrichten weifs, während er als Dichter, Jurift, Gold- oder Silber- fchmied, Schnitzer in Holz oder Zahn, u. dgl. m. in feiner freien Zeit fich befchäftigt, und in Staat, Kirche oder Gemeinde feine Stelle ausfüllt, oder auch, in der älteren Zeit wenigftens, in den fortwährenden inneren Kämpfen feinen Mann ftellt Aber freilich mufste und mufs noch die Vielfeitigkeit der Befchäftigungen in eben dem Mafse die Erlangung voller Fertigkeit in irgend einer derfelben erfchweren, in welchem fie die allgemeine Behendigkeit des Mannes erhöht, und die Nachtheile, welche der weitgehende Mangel an Arbeitstheilung mit fich bringt, muffen fchon für den Einzelnen neben den Vortheilen, welche fie bietet, mit in den Kauf genommen werden, während fie für das Volk im Ganzen genommen diefe letzteren weitaus überwiegen. Weder in der Litteratur und zumal fachwiffenfchaftlichen Litteratur, noch in der Kunft, weder in der Landwirthfchaft noch im Handwerk vermag Island gegenwärtig mit dem Auslande zu concurriren, weil fachmäfsige Bildung und Ueber- lieferung dem Lande nahezu in allen Berufszweigen fehlt, und fomit auch der Begabtefte nur feiten über das Mafs eines gewiffen Dilet- tantismus fich zu erheben vermag. In der Vorzeit ftand die Sache

Die geifllge Cultur, und insbefondere die Litteratur, 457

natürlich an und für fich nicht anders; indeffen darf doch nicht überfehcn werden, dafs diefelben Zuftände auf der Infel damals bei Weitem nicht diefelbe nachtheilige Bedeutung haben konnten wie jetzt. Der gefammte Norden, und zumal Norwegen, deflen Zu- ftände für Island in erfter Linie in Betracht kamen, ftand im früheren Mittelalter auf einer ziemlich änlichen Entwicklungsftufe wie die Infel felbft ; Kunft, Wiffenfchaft, Handwerk war dort nicht erheblich weiter gediehen als hier, und wenn zwar die leichtere Verbindung zumal mit Deutfchland, fowie die gröfsere politifche Bedeutfamkeit Norwegens das Einftrömen ausländischer Bildungselemente in diefes Reich erleichterte, fo ging dafür hier die Ueberlieferung der alten nationalen Cultur um fo früher zu Grunde. Während alfo heutzu- tage Island, allein ftationär geblieben, obwohl alle Nachbarlande einen gewaltigen AufTchwung genommen haben, trotz aller gciftigcn Regfamkeit feiner Bewohner die Folgen feiner ungünftigen Lage und geringen Bevölkerung fchwer empfindet, ftand es in der frei- ftaatlichen Zeit mit diefen wefentlich auf der gleichen Stufe, ja es erwies fich ihnen gegenüber durch die gröfsere Gewecktheit feiner Bevölkerung und die ungebrochene Fortdauer der nationalen Ueber- lieferungen fogar fehr erheblich überlegen. Nicht fowohl ein Zu- rückgehen der geiftigen Cultur auf der Infel während der letzten 6 Jahrhunderte ift es fomit, was uns die Isländer der Vorzeit in einem fo ungleich glänzenderen Lichte erfcheinen läfst, als vielmehr die ganz andere Thatfache, dafs diefelbe an den fehr erheblichen Fortfehritten keinen verhältnifsmäfsigen Antheil genommen hat, welche das übrige nördliche Europa im Verlaufe diefer Zeit machte, und dafs fomit wenn auch nicht die abfolute, fo doch die relative Leiftungsfähigkeit des Volkes eine fehr beträchtlich geringere ge- w-orden ift.

Ein Blick auf die isländifche Litteratur mag zum Schi uiTe noch vervoUftändigen, was über das geiftige Leben der Infel und deffen Bedeutung für die übrigen Reiche des Nordens zu fagen war 1). Es fällt aber der Beginn einer isländifchen Litteratur nicht

1) Vgl. Kosselet's Auffatz über ^Isländifche Literatuivr, in der Alljjemuincn Encyklopädie, Section II, Bd. 31, S. 241— 814 (1855); N. M. retersen, ^Bidrag lil den oldnordiske Literaturs Historie«, in den Annaler for nordisk Oldkyndighcd ug Historie, 1861, S. 5 304; Rud. Keys er, ^Nordmaendenes Videnskabelighed og Literatur«, 1866, in deffen Efterladte Skrifter, I; meine Abhandlung: lieber die Ausdrucke allnordifche, altnorwegifche und isländifche Sprache«, in den Ab- handlungen der bayer. Akademie d. ^V., I. Cl., XL Hd., S. 4r)7— 706 (1867).

458 ^^^ tjeiftiije Cultur, und insbefondere die Litteratur.

vor den Anfang des 1 2. Jahrhunderts, und hängt derfelbe zufammen mit den erden Verfuchen, die lateinifche Schrift der Landesfprache anzupaflen. Wohl hatte man im Norden ein eigenes Runenalphabet, *deflen man fich zu kurzen Infchriften auf Stein und Metall, zu zauberifchen Zwecken, allenfalls auch gelegentlich einmal zum Auf- zeichnen von Liedern bediente; aber zu eigentlich litterarifchen Zwecken wurde daflelbe nicht gebraucht, vielmehr griff man nach dem Beifpiele anderer Völker zum lateinifchen Alphabet, als man es wagte, mit fchriftftellerifchen Verfuchen in der Landesfprache hervorzutreten. Als der erfte Verfaffer in einheimifcher Sprache tritt uns aber Ari [lorgilsson (y 1148) entgegen, mit dem Bei- namen hinn frööi, d. h. der wohl unterrichte, und ihm wird denn auch die Conftruftion eines neuen Alphabets, wenn nicht gar die Verfafferfchaft einer grammatifchen Abhandlung zugefchrieben *) ; fein Hauptwerk aber bildete die Islendingabok, fammt den aus ihr hervorgegangenen weiteren Werken. Wir wiffen aus Ari's Prolog zu dem uns erhaltenen tLibellus Islandorumc, dafs derfelbe feine isländifche Gefchichte auf den Rath der Bifchöfe l>orläkr Runölfsson und Ketill l)orsteinsson, fowie des Frieders Saemundr froöi einer Umarbeitung unterzog, über deren Verhältnifs zu cler, uns ver- lorenen, erften Redaftion die Meinungen weit auseinandergehen. Meines Erachtens war nun, wie fchon die Verfchiedenheit des Titels andeutet, das urfprüngliche Isländerbuch das umfaffendere Werk gewcfen, und hatte daflelbe aufser zahlreichen gefchichtlichen Be- merkungen über die Infel auch noch die Stammtafeln ihrer vor- nemften Gefchlechter und Mancherlei über die Gefchichte der Könige von Norwegen, dann auch von Dänemark und von England enthalten; durch Ausfcheidung der beiden letzteren, etwas fremd- artigen Elemente entftand aber fodann unfer Isländerbüchlein, und mag fein, dafs Ari auch die beiden ausgefchiedenen Stoffe zu zwei weiteren felbftftändigen Werken verarbeitete, und damit einerfeits,

1) Vgl. über ihn meine Bemerkungen in der Germania, XV, S. 291—321, welche übrigens die Bekanntfchaft mit E. Chr. W erlauf f's trefflicher Abhand- lung De Ariü multiscio (1808) vorausfetzen. Auf die Krage, wieweit Saemundr frO^i in lateinifcher Sprache gefchrieben habe, wie man bisher annam und ich noch für richtig halte, oder in einheimifcher Sprache, aber unter Benützung eines unprak- tifchen Alphabets, wie Rosselet, S. 306, meint, oder endlich gar nicht, fodafs die auf ihn verweifenden Stellen nur mündliche Mittheilungen des Mannes im Sinne haben, wie Storni S. 15 16 behauptet, laiTe ich hier dahingeflellt, wie ich denn überhaupt die in lateinifcher Sprache gefchriebenen Werke nicht berückfichtige.

Die geidige Cultur, und insbefondcrc die LiUeratur. 459

wie die Hauksbok andeutet, die Grundlage zu unferer Landnämai und andercrfeits wie der Prolog zur Heimskrfngla und der gröfseren Olafs saga ens helga vermuthen läfst, auch die Grundlage zu den Noregs konünga aefi legtet). Aus einem in der jüngeren Edda erhaltenen grammatifchen Traftate, welchen man nicht ohne Grund dem bereits mehrfach erwähnten gelehrten Zimmermanne ^6roddr Gamlason beilegt, erfahren wir, dafs man noch um ein paar Jahrzehnte fpäter neben Ari's Schriften nur ein paar Gefetze, einige genealogifche Aufzeichnungen, endlich einige kirchliche Schriften in der Landesfprache befafs, welche letzteren überdiefs ficherlich nur aus dem Lateinifchen in diefe überfetzt worden fein werden. Von jetzt ab gieng es aber bereits rafch voran mit der isländifchen Litteratur, und zwar auf fehr verfchiedenen Gebieten. Um die Mitte des 12. Jahr- hunderts fchrieb Eirfkr Oddsson fein Hryggjarstykki, von dem ich trotz G. Storms kategorifchem Machtfpruche noch immer annemen möchte, dafs es die norwegifche Königsgefchichte in den Jahren 1 130 61, und nicht blos in den Jahren 1130 39 behandelte 2). Am Ende desfelben, oder am erden Anfange des 13. Jahrhunderts fchrieb der Abt Karl Jonsson'im Auftrage, K. Sverrirs deffen Lebensbefchreibung, und auch die z wifchen den Königen Ingi und Sverrir in Mitte liegenden Lebensbefchreibungen der Könige Häkon heröi- breiö und Magnus Erlingsson fcheinen von gleichzeitiger Hand gc- fchrieben; dadelbe dürfte von den Lebensbefchreibungen der Könige Hakon Sverrisson, Guöormr Siguröarson und Ingi Bäröarson gelten, welche fämmtlich dem Anfange des 13. Jahrhunderts angehören, von der Häkonar saga gamla aber und der Magnüss s. lagabactis wiffen wir wider mit voller Beftimmtheit, dafs fie der isländifche Gefetzfprecher Sturla t»öröarson (f 1284) verfafste. Alle diefe Arbeiten fchliefsen fich infoweit an Ari's* norwegifche Königsge-

1) Vgl. in letzterer Richtung die fchöne Ausführung von A. Gjessing, UndersÖgelse af Kongesagaens Fremvgext, S. 1 7 (1873).

2) Vgl. G. Storni, Snorre Sturlassöns Hislorieskrivning, S. 17 20 (1873). Wenn der Verfaffer fich darauf beruft, dafs Eirfkr nach der Heimskr. und Morkinsk. nur über 2 Söhne K. Haralds gefprochen und darum vor 1142 feine Gefchichte beendigt haben mülTe, fo erwidere ich, dafs die Morkinsk. diefs gar nicht fagt, dafs die Angabe der Heimskr. mit der Wortfaffung anderer Bearbeitungen in Wider- fpruch lieht und vielleicht nur auf einem MisverfländnifTe der Worte der Nforkinsk. beruht, dafs endlich möglicherweife Eirfkr den Eysteinn gar nicht als K. Haralds Sohn betrachtete, wie derfelbe denn #uch niemalen einen Vaterfchaftsbeweis er- bracht hatte.

460 ^^*-* g^*^*ßc Cullur, und iiibbcfondere die Litteratar.

fchichte an, als fic wie (liefe Glaubwürdigkeit beanfpruchen können; hatte Ari niühfam aus einzelnen, von ihm namentlich genannten Gewährsmännern feine Nachrichten herausgefragt, fo halten diefe feine Nachfolger an demfelben Verfahren feft, foweit fie nicht etwa geradezu aus eigner Wiflenfchaft erzählen, wie diefs letztere ja auch bei Ari theilweife vorgekommen war. Aber die Form der Dar- flellung ift bei dicfen fpäteren Werken eine ganz andere als bei Ari, foferne diefer letztere, ausländifchen Muftern folgend, eine kritifche annaliftifche Gefchichte giebt, während jene durchaus die nationale F'orm einhalten, welche durch den Gebrauch des münd- lichen Erzählens von Sagen fich ausgebildet hatte. Von anderer Seite her führten andere Wege nach derfelben Richtung. Kirch- liche Bcdürfnifle hatten längft zur AbfafTung von Legenden gefuhrt, welche die Lebensgefchichte dicfes oder jenes Heiligen in mehr oder minder falbungs vollem Tone behandelten, und es lag nahe, in gleicher Weife einzelne Perfönlichkeiten zu behandeln, welche in der einheimifchen Bekehrungsgcfchichte eine hervorragende Rolle gefpielt hatten. In der That finden wir, dafs der Mönch Oddr Snorrason von l»fngeyrar am* Schlufse des I2. Jahrhunderts eine Lebensbefchreibung des Königs Olaf Tryggvason, und vielleicht vorher noch auch des heil. Olafs, und dafs der demfelben Klofter angehörige Mönch Gunnlaugr Leifsson (f 1218) nur wenig fpäter Lebensbefchreibungen des hl. Ambrosius, K. Olaf Tryggvason's, endlich B. Jon Ogmundarson's verfafste. Alle diefe Schriften wur- den freilich zunächft in lateinifcher Sprache verfafst, wie diefs ihre kirchliche Beflimmung mit fich brachte ; aber fie wurden frühzeitig in die Landesfprache übertragen, und find überdiefs hinfichtlich ihrer Darftellungsform fichtlich durch die nationale Sagenerzählung eben- fofehr wie durch die kirchliche Legendenfchreibung beeinflufst, wie diefs die Vergleichung mit fo manchen anderen, lateinifch oder alt- nordifch, fchwedifch oder niderdeutfch gefchriebcnen Olafslegenden rein kirchlicher Art deutlich erkennen läfst. Auch fpäter noch wurden in gleicher Weife einzelne nordifche Königsfagen bearbeitet, wie denn z. B. der Prior Styrmir Kärason von Viöey (f 1245) die Lebensgefchichte des hl. Olafs in folcher Weife fchrieb; anderer- feits entftand aber auch eine Reihe von Werken, welche, in an- derer Weife an Ari frööi fich anfchliefsend, die norwegifche Königs- gefchichte ihrem ganzen Verlaufe nach zufammenhängend behan- delten, und fomit bei kürzerer Faflung den etwas weitfchweifigen Sagenftyl nicht mit gleicher Weife einhalten konnten. Ich rechne

Die geiftige CiiUur, und insbefondcre die Litterntur. 401

dahin das Ägrip af Noregs konünga sögum, welches im letzten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts gefchrieben zu fein fcheiiit, und von deffen norwegifcher Abkunft mich auch G. Storms fcharf- finnige Ausführungen nicht zu überzeugen vermögen 1), ferner die Fagrskinna2), deren isländifche Herkunft bereits Jon l»orkelsson fichergeftellt und auch Storm nicht mehr angefochten hat, endlich auch die Morkinskinna, welche freilich nicht die ganze Königs- gefchichte, fondern nur die Gefchichte der Könige von Magnus goöi angefangen behandelt, fowie eine Reihe fpäterer Bearbeitungen, auf deren theiUveife wider abweichenden Charakter ich indeffen noch befonders aufmerkfam zu machen habe. Schon die Morkinskinna fleht zwar infoferne den beiden erftgenannten Compendien zur Seite, als fie nicht die Biographie eines einzelnen Königs, fondern die Gefchichte einer ganzen Reihe von Königen behandelt; fie unter- fcheidet fich jedoch zunächft vom Ägrip und in minderem Mafse auch von der Fagrskinna durch eine weit gröfsere Weitläufigkeit und confequente Durchführung des Sagenftyles. Entfchiedener noch tritt die gleiche Eigenthümlichkeit in einer Reihe von Werken her- vor, welche wie die Heimskringla, Eyrspennill, Frfssbök, I^ulda (zuweilen auch als Hryggjarstykki bezeichnet), Hrokkin- skinna, Flateyjarbök geradezu nur als mehr oder minder weit reichende Sammlungen und allenfalls auch Bearbeitungen einzelner Königsfagcn auftreten. Ich lalTe die viel beftrittene Frage, ob Snorri Sturluson (f 1241) wirklich als der Verfaffer der uns vorliegenden Heimskrfngla, oder nur einer Reihe von einzelnen Königsfagen anzufehen fei, welche erft hinterher zu jenem Gefammt- werke zufammengeftellt wurden, hier umfomehr unerörtert, als diefelbe durch A. Gjessings gründliche Unterfuchungen, welche dermalen nur zum geringften Theile veröffentlicht find, in ein erheblich neues Licht gerückt zu werden verfpricht; indeffen kann ich nicht umhin zu bemerken, dafs mir auch jetzt noch die letztere Alternative die richtige fcheint, und dafs ich nicht abgeneigt wäre, neben einer Ynglinga saga, einer Olafs saga Tryggvasonar, welche in ihrem Ein- gange bis auf tlälfdan svarti zurückgieng, dann einer Olafs saga helga von gleicher Bcfchaffenheit mit der von Munch und Unger heraus- gegebenen, ihm auch noch die Grundlage der Morkinskinna felbft

1) Aug. O., S. 25 8, fowie »Norske llistorieskrivcre paa Kong Sverres Tid<r, S. 425 9 (in den Aarböger for uordisk Oldkyndighed og Historie, 1871).

2) l*m Fagrskinnn og Olafs sögu helga, im Safn til sögu. Islands og fslenzkr.i b.'.knieiila, I, S. 137, und fgg. (1856).

462 ^>c geiftigc Cultur, und insbefondere die Litteratur.

zuzufchreiben,- deren uns überlieferter Text fichtlich erft durch fpätere, fehr mechanifche Einfchaltungen feine dermalige unförmliche Geftalt erlangt hat. Wie die fpäteren Bearbeitungen der Königs- fagen im Ganzen zumeift nur als allmälich durch Ueberarbeitung, Kinfchaltung anderweitiger Erzählungen oder Ergänzung aus der Sverris saga u. f. w. erweiterte Ausgaben der Heimskringla er- fcheinen, fo haben fich auch von den diefer zu Grunde liegenden Einzelwerken änliche Ueberarbeitungen erhalten, wie z. B. die aus- führlicheren Recenfionen der Olafs saga Tryggvasonar, der Olafs saga ens helga, der Haralds saga harördöa (der Flateyjarbök eingeheftet). Wenn nun diefe verfchiedenen Werke, an welche fich noch als ziemlich gleichartige die Jömsvfkinga saga, die Orkney inga saga und, zu den Legenden hinüber- neigend, die Magnüss saga Eyjajarls, die Faereyinga saga, die Knytlinga und einige kleinere auf Dänemark oder Schweden bezügliche Stücke anreihen, fammt und fonders an Ari's Noregs konünga aefi anknüpfen, fo haben fich andererfeits an feine ;ettar- tölur gleichfalls fpätere analoge Arbeiten angefchloffen, wie etwa des Priors Brandr Halldörsson Genealogien der im Breiöifjör^r, und des Kolskeggr hinn vitri Genealogien der im Oftlande gefeflenen Gefchlechter, dann die Bearbeitungen der Landnäma durch Styrmir Kärason, Sturla l)öröarson, Snorri Mark- üsson (f 1313), und Haukr Erlingsson (f 1334), während wir in der Kristni saga eine mit diefer augenfcheinlich zufammen- hängende Ueberarbeitung der auf die Kirchengefchichte bezüglichen Angaben der älteren Islendingabök befitzen. An diefe letztere fchliefsen fich wider, jedoch einerfeits den Legenden und anderer- feits den Sagen fich nähernd, verfchiedene Lebensbefchreibungen isländifcher Bifchöfe an, nämlich die Hüngrvaka, welche von den 5 erften Bifchöfen von Skälholt handelt, die t>orläks biskups saga und die Päls biskups saga, fämmtlich von einem und demfelben Verfafler in den erften Jahren des 13. Jahrhunderts ver- fafst, dann einige fpätere Ueberarbeitungen der ^orläks saga und der Isleifs l)ättr, ferner mehrfache Bearbeitungen der Jons bisk- ups saga Ogmundarsonar, deren erfte dem Anfange des 13., und deren jüngfte der Mitte des 14. Jahrhunderts angehört, mehrfache Bearbeitungen der Guömundar saga Arasonar aus denfelben Zeiten, endlich, was freilich bereits über die freiftaatliche Zeit hinausgreift, die Arna biskups saga |>orläkssonar (1269 98) und die Laurentius biskups saga Kalfssonar (1323 30),

Die geiftige Cultiir, und insbefondere die T.itteratur. 463

mit welcher die Reihe diefer Art von Quellen fchliefst. Den auf die Kirchengefchichte der Infel bezüglichen Werken ftehen fodann diejenigen gegenüber, welche, im engeren Sinne als Islend- fnga sögur bezeichnet, deren weltliche Gefchichte behandeln, mögen diefelben nun die Begebniffe einzelner Männer und Ge- fchlechter oder auch nur einzelne merkwürdige Vorgänge fchildern. Bei Weitem die meiften von diefen beziehen fich auf das erfte Jahr- hundert des isländifchen Freiftaates, wefshälb man denn auch die eigentliche Sagenzeit (söguöld) nur etwa bis zum Jahre 1030 herab zu rechnen pflegt; einige wenige nur, wie etwa die Bandamanna saga, der Ölkofra l»attr und fo manche in die norwegifchen Königs- fagen eingefchaltete Erzählungen von Begebenheiten isländifcher Männer am norwegifchen Königshofe, reichen bis tiefer in das 1 1 . oder felbft bis in das 12. Jahrhundert herab; nur fehr wenige be- handeln endlich, wie die Hrafns saga Sveinbjarnarsonar, die Arons saga Hjörleifssonar oder die Sturlünga, aus dem 13. Jahrhunderte (lammend, die gleichzeitige oder doch annähernd gleichzeitige Ge- fchichte, und felbft fie liegen uns, wie diefs zumal bei der Sturlünga des Sturla töröarson der Fall ift, theilweife nur in fpäteren, durch mancherlei Einfchiebfel vermehrten Bearbeitungen vor. Man hat, verfuhrt durch die irrige Auslegung einer Stelle der Sturlünga ^), annemen zu follen geglaubt, die überwiegende Mehrzahl diefer Islendfnga sögur fei bereits im 12. Jahrhunderte, wenn nicht früher, aufgezeichnet worden, während doch der oben angeführte |>6roddr runameistari um die Mitte diefes Jahrhunderts von einer Sagenlitte- ratur noch (ftilechterdings Nichts weifs, und erft zu Anfang des 13. Jahrhunderts der Verfafler der Hüngrvaka in feinen Eingangs- worten zu diefer »log, eör sögur, eör mannfraeöi«, als Etwas be- zeichnet, worüber in nordifcher Sprache Lefenswerthes gefchrieben fei. Man hat ferner^ zumal auf P. E. MüUer's Autorität hin, viel- fach angenommen, dafs die Aufzeichnung fowohl der auf Island als der auf Norwegen bezüglichen Sagen im Grunde ein lediglich mechaififches Gefchäft gewefen fei, indem man eben nur eine »nach Form und Inhalt« beftimmt abgefchloflene, längft von Mund zu Mund laufende Erzählung niderzufchreiben brauchte, was ja jeder Schreib-

1) Sturlünga, II, cap. 38, S. 106—7. Guöbrandr Vigfdsson hat in einer Anmerkung zu Petersen'« Litteraturgefchichte, S. 236 7, darauf aufmerkfam gemacht, dafs die. übrigens von Petersen felbft bereits bekämpfte, irrige Auslegung der Stelle überdiefs nur auf erner falfchen Lesart beruht.

4ß4 r)*^ geiftige Cultur, und insbefondere die T/ittemtur.

kundige ohne alle Anftrengung des eigenen Verflandes und Ge- fchmackes zu leiften vermochte; Rud. Keyfer zumal hat diefer Auffaffung einen noch ungleich fchärferen Ausdruck gegeben, als diefs der dänifche Bifchof jemals gewagt hatte. Aber ich habe bereits an einem anderen Orte darauf aufmerkfam gemacht i), dafs zwar die Sagenfchreiburig eine vofgängige Sagenerzählung voraus- fetzc, aber daran in alle Weite nicht zu denken fei, dafs jede ein- zelne gefchriebcne Sage bereits vor ihrer Aufzeichnung ganz ebcnfo erzählt worden fei, und meine Ausfuhrungen in diefer Beziehung fowohl als Petersen*s Bemerkungen bezüglich der fpäteren Ent- ftehungszeit der Islendingasögur haben nicht nur bei Sv. Grundtvig^), fondern auch bei G. Storm^) Billigung gefunden; find aber diefe wie jene wirklich begründet, fo mufs fich offenbar unfer Vertrauen auf die unbedingte Glaubwürdigkeit wenigftens der auf das lo. und II. Jahrhundert bezüglichen Sagen abfchwächen. In der That bilden manche unter den Islendingasögur geradezu einen Uebergang zu den my thologifchen, oder auch zu den lediglich erdichteten Sagen, deren ja ebenfalls gar manche auf der Infel aufgezeichnet wurden ; da der Ausdruck »saga« nur foviel als Erzählung bedeutet läfst fich aus ihm natürlich nicht erkennen, wieweit die einzelne Sage gefchichtlichen Glauben verdiene, oder auch nur beanfpruchc, oder nicht. Die wenigen auf die Gefchichte Grönlands oder Vinlands und der übrigen nordamerikanifchen Küftenlande bezüglichen Sagen- werke reihen fich übrigens an die Islendingasögur an, wogegen die ganze Fülle von Legenden ausländifchcr Heiliger (helgra manna sögur), von Werken über die ausländifche l%ofan- oder Kirchengefchichte, von fremden Ritterromanen (riddara sögur), endlich auch von Annalen einen durchaus unnationalen Charakter trägt, fo grofs auch der Werth diefer letzteren für die isländifche und theilweifc auch norwegifche Gefchichte fein mag. Vollkommen unabhängig von Ari froöi^s fchriftftellerifcher Thätigkeit und vielleicht fogar bereits vor deren Beginn, waren Aufzeichnungen rechtlichen Inhaltes entftanden. ^öroddr fowohl als d«r Ver-

1) Vgl. meine* üben, S. 457, Anm. 1, angeführte Abhandlung, S. 507, und Anm, 57, S. 693—4: ferner meinen Auffatz *Ueber die norwegifche Auffaffung der nordifcheu Litteraturgefchichte<', in der Zeitfchrift für deulfche Philologie, I, S. 61—76, und dazu S. 53—55.

2) Kr Nordens ganile Literatur norsk, eller er den dels islandsk og dels nord- isk? .S. 26—34.

3) .Snorre's Ilisloriokrivning, S. 51 -2.

Die geillige Cuhur, und iusbefondere die Litteratiii*. 465

faffer der Hüngrvaka nennen »log« unter den erften Erzeugniflen der einheimifchen Litteratur, und wenn zwar zweifelhaft erfcheinen kann, ob das im Jahre 1097 erlaflene Zehntgefetz bereits in fchrift- licher Faflung ergieng, fo fleht doch jedenfalls feft, dafs auf Grund eines im Jahre 11 17 gefafsten Befchluflfes zur Aufzeichnung des geltenden Rechtes gefchritten, und von einer eigens zu folcheni Behufe nidergefetzten Gefetzgebungscommiffion »Vigslööi gefchrieben wurde und viel Anderes in den Gefetzen«, dafs ferner ungefähr um ein Jahrzehnt fpäter auch das Chriftenrecht der Infel fchriftliche Feflflellung erfuhr*). Von den uns erhaltenen Rechtsbüchern gehört die Konüngsbök zwar erfl den letzten Zeiten des Freiflaates, nämlich den Jahren 1258—62 an und die- Staöarhölsbök fogar erfl den erflen Jahren nach der Unterwerfung der Infel unter den norwegifchen König, den Jahren 1271— 80; aber wir haben auch ein Bruchflück einer weit älteren, und ihrem Inhalte nach doch den obigen fehr änlichen Aufzeichnung (AM. 315, D), welches bereits der Mitte des 12. Jahrhunderts anzugehören fcheint, und auch jene Hss. find offenbar fowohl aus älteren Materialien bearbeitet als auch in ihrer Form durch ältere Mufter beftimmt, fodafs wir die Gefammtheit der uns ganz oder theilweife erhaltenen Rechts- bücher als eine im Grofsen und Ganzen gleichartige zu betrachten berechtigt find, wenn auch deren Zurückfiihrung auf einen einzelnen Verfaffer und deren Zufammenfaffung unter dem gemeinfamen Namen der Gragas, d. h. grauen Gans, lediglich aus irrthümlichen Annamen des 17. Jahrhunderts zu erklären id^). Beflimmend für deren Form war der vom Gefetzfprecher am Ding zu haltende Rechtsvortrag, wefshalb denn überall die perfönliche Redeweife eines einzelnen, zum Volke fprechenden Mannes hervortritt, ganz wie das Gleiche aus gleichem Grunde in den älteren fchwedifchen Provincial- rechten der Fall ifl; ihrem Inhalte nach flellen fich aber jene Rechtsbücher als Compilationen aus fehr verfchiedenartigen Materialien dar, fodafs zwar einzelne Gefetze und einzelne Abfehnitte aus den eben angeführten Rechtsvorträgen den gröfsten Theil des Stoffes lieferten, aber nebenbei auch Formeln, Gutachten einzelner, nament-

1) Vgl. oben, S. 67—8, und 98.

2) Vgl. meinen Artikel »Grdgäs«, in der Allgemeinen Encyklopädie, Sect. I, Bd. LXXVII, S. 1 ;136, und »Ueber das Alter einiger isländifcher Rechtsbücher« in der Germania, Bd. XV, S. 1 17. Abweichende Anflehten in manchen erheb- lichen Punkten entwickelt VilhjälmrFinsen, Om de islandske Love i Fristatstiden, in den Aarböger for nordisk Oldkyndighed og Historie, 1873, S. 101 250.

Maurer, iHlaud. 30

466 l^ic geiftige Cultur, und insbefondere die Litteratur.

lieh genannter Gefetzfprecher, bifchöfliche Verordnungen, Notizen über norwegifches Recht u. dgl. m. fich benützt zeigen, und wohl auch ein erheblicher Theil des Ganzen, unmittelbar oder mittelbar, dem Gewohnheitsrechte, zumal der Praxis der Gerichte, entnommen war. Nicht minder felbftftändig verhält fich ferner die poetifche Litte ratur der Isländer. In der heidnifchen Zeit bereits wurde auf Island fowohl als in Norwegen maffenhaft gedichtet, fei es nun dafs Volkslieder unbekannter Herkunft entftanden, oder kunftmäfsige Gedichte von einzelnen namhaften Poeten (skäld) gefertigt wurden, oder auch kurze Stegreifverfe, bei diefem oder jenem Anlaffe rafch hingeworfen, der Stimmung des Augenblickes einen bezeichnenden Ausdruck gaben. In der chriftlichen Zeit fetzen fich diefe Dichtungen fort, und fo ununterbrochen ift dabei der Gang der Entwicklung, dafs ohne Anftand fogar der ganze mythologifche Aufputz der Dichterfprache ins Chriftenthum mit herübergenommen wurde. Bei Dichtwerken machte die gebundene Form der Rede eine unver- änderte mündliche Ueberlieferung möglich, und fo erklärt fich, dafs man, als der Gebrauch der Schrift auf der Infel ein lebendigerer zu werden begann, Lieder aus heidnifcher fowohl als chriftlicher Zeit in grofser Fülle aufzuzeichnen vermochte, fei es nun, dafs man einzelne gröfsere Lieder als folche, oder ganze Reihen von folchen zu Sammlungen vereinigt niderfchrieb, oder dafs man wenigftens einzelne Strophen in gefchichtlichen Erzählungen einfchaltete, um als Theil des gefchichtlichen Berichtes oder auch als urkundlicher Beleg für deflen Richtigkeit zu dienen. Die ältere Edda, welche man auf Grund einer ganz haltlofen Vermuthung des Bifchofs Brynjölfr Sveinsson von Skälholt (f 1674) dem Saimundr froöi zufchrieb, und eine Reihe vereinzelt erhaltener anderer Lieder mythologifchen oder heroifchen Inhaltes, dann eine Reihe von Skäldenliedern mögen in erfterer Beziehung, zahlreiche einzelne Strophen, welche fich in weitaus den meiften Islendfngasögur und zumal in den verfchiedenen Noregskonünga sögur eingeftreut finden, mögen in letzterer Beziehung als Belege dienen. Unter den Liedern und Strophen genannter Dichter, bezüglich deren natürlich die Frage ihrer Aechtheit immer in erfter Linie zu prüfen kommt, (lammen freilich nicht ganz wenige .von norwegifchen Dichtern her, wie z. B. das Ynglfngatal des t>jööölfr von Hvin, die Häkonarmäi des Eyvindr skäldaspillir u. dgl, oder von orkneyifchen, wie z. B, die Jömsvikingadrapa des Bifchofs Bjarni Kolbeinsson, und bezüglich der Lieder, deren Dichter nicht genannt werden, wie zumal der

Die geiftige Cultur, und insbefondere die Littcratur. 467

Eddalieder, wird erft noch für jeden einzelnen Fall unterfucht werden müflen, wann und wo jedes einzelne Lied gedichtet worden fein möge; aber auch die Lieder fremder Dichter wurden, foviel fich erkennen läfst, zumeift erft auf Island aufgezeichnet, und die- jenigen wenigftens, welche nicht hinter dem Schluffe des lO. Jahr- hunderts zurückliegen, find überdiefs ihrer weitaus überwiegenden Mehrzahl nach zugleich Erzeugnifle isländifcher Dichter, und zwar gleichviel, ob es fich dabei um Dichtungen geiftlichen oder welt- lichen Inhaltes handle, und ob folche auf Island felbft oder etwa am Hofe irgend eines ausländifchen Fürften gedichtet wurden. Auf Island entftand denn auch jenes Compendium der Dichtkunft, welches wir die jüngere oder Snorra-Edda zu nennen pflegen, und deflen Hauptbeftandtheile in der That von Snorri Sturluson ge- fchrieben zu fein fcheinen, während die ihm angehängten gramma- tifchen und rhetorifchen Traflate theils von dem mehrfach genannten l>öroddr Gamlason, theils von Snorri's Neffen, Olafr hvitasktUd, oder von anderen unbekannten Verfaffern herrühren. Bei fo mancherlei Schriften geiftlichen Inhalts, bei den geographifchen und computiftifchen Werken, und anderen änlichen Denkmälern, welche theils mehr vereinzelt auftreten, theils wenigftens infoferne keinen nationalen Charakter tragen, als fie, wenn auch in einheimifcher Sprache gefchrieben, doch nach Form und Inhalt wcfentlich fremden Muftern nachgebildet find, will ich mich hier nicht weiter auf- halten; dagegen bedarf aber das Verhältnifs noch einer näheren Betrachtung, in welchem die isländifche Litteratur der freiftaat- lichen Zeit zu der Litteratur des norwegifchen Stammlandes ftand. Da fällt nun zunächft auf, dafs man auf Island, als man an- fieng fich ein zu litterarifchen Zwecken brauchbares Alphabet zu conftruiren, nach dem ausdrücklichen Zeugnifle törodds das Beifpiel der Engländer fich zum Mufter nam, ohne der Norweger mit einem Worte zu gedenken; da man ficherlich eher nach dem Vorbilde des nächftverwandten und in den lebhafteften Verkehrs- beziehungen zu Island ftehenden norwegifchen Volkes gegriffen haben würde als zu dem der entfernteren Engländer, läfst fich aus dicfer Thatfache fchliefsen,, dafs zu Anfang des 12. Jahrhunderts in Norwegen eine einheimifche Schriftfprache fich noch keineswegs feftgeftellt hatte. In der That liegt denn auch nicht eine einzige Nachricht über irgend eine in Norwegen entftandene Aufzeichnung in der Landesfprache vor, wenn man von der ganz ifolirt ftehenden und in jeder Beziehung unglaubhaften Angabe des Mönches Theo-

30*

468 I^ie geiflige Cultur, und insbefondere die Litteratur.

dorich abfieht, dafs der hl. Olaf »leges patria lingua conscribi fecit juris et moderationis plenissimas, quae hactenus a bonis omnibus et tenentur et venerantur«!). Dazu kommt, dafs eben diefer Mönch Theodorich, welcher in den Jahren ii 77 88 fchrieb, zwar auf einen »catalogus regum norwagiensium«, und auf einige Aufzeich- nungen über den hl. Olaf fich beruft, die wohl nur legendarifchen, nicht eigentlich hiftorifchen Charakters gewefen fein mögen, im Uebrigen aber ausdrücklich erklärt, dafs vor ihm Niemand in Nor- wegen über die einheimifche Gefchichte gefchrieben habe^), während er zugleich ausdrücklich auf die Isländer als diejenigen fich beruft, welche in gefchichtlichen Dingen am Berten unterrichtet, und zumal auch in Fragen der Zeitrechnung am Veriäfsigften feien 3). Ganz ebenfo beruft fich nur wenige Jahre fpäter Saxo Grammaticus in der Vorrede zu feiner dänifchen Gefchichte auf die Arbeiten der Isländer über die Gefchichte des Nordens, und weifs andererfeits der Verfafler des Breve chronicon Norvegiae, welches ich mit S. Bugge auf den Infein des Weftens und im 13. Jahrhundert, nur freilich erft gegen deffen Ende gefchrieben glaube 4), in feiner Vor- rede von keiner älteren lateinifchen Schrift über die norwegifche Königsgefchichte, während er doch isländifche Schriftwerke auch nach Bugge's forgfältig begründeten Ausfuhrungen reichlich benützt hat. Nur einzelne Rechtsbücher, deren ältefte indeffen nicht über die erden Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts zurückzureichen fcheinen, einzelne Königsverzeichniffe, endlich einzelne Homilienbücher und fonftige Schriften geiftlichen Inhaltes fcheinen hiernach in Norwegen vorhanden gewefen zu fein als das 12. Jahrhundert fich zu feinem Ende neigte, und es begreift fich darum, dafs Isländer es waren, welchen die Behandlung der norwegifchen Gefchichte überlaflen

1) Theodor, nion., cap. 16; vgl. meiue Abhandlung »die Entftehungszcit der älteren Gula{>ingslög<r, in den Abhandlungen der bayer. Academie, 1. Cl., XII. Bd., 3. Abth., S. 109—110.

2) Ang. O., cap. 20; ferner cap. 13 und 34.

3) Ebenda, Prolog, und cap. 1. Wenn Storni, Snorre Sturlassön's Hislorie- skrivning, S. 20 1, und Aarböger, 1871, S. 424, gegen die Anname, ^>jö^^ek^ habe auch fchriftliche Aufzeichnungen der Isländer benützt, deflen widerholte Ver- ficherung, nur aus mündlichen Berichten gefchöpft zu haben, geltend macht, fo überfieht er dabei, dafs eine fo buchfläbliche Auslegung jener Worte auch die Be- nützung der historia Normannorum des W^ilhelm von Jumi^ges ausfchliefsen würde, die der Verfaffer doch ausdrücklich citirt.

4) Vgl. deffen Bemerkungen in den Aarböger, 1873, S. 1 49, welche mir auch durch Stornrs Gegenbemerkungen, ebenda, S. 361—85, nicht widerlegt fcheinen.

Die geiftige Cultur, und insbcfündere die Litteratur. 469

blieb, und dafs fogar K. Sverrir einem isländifchcn Mönch die Ab- falTung feiner Lebensgefchichte übertrug. Dabei handelte es fich aber keineswegs blos um ein fpäteres Aufkommen der Schriftfprache in Norwegen, vielmehr um einen früheren Verfall der nationalen Geiftescultur dafelbft, welche in Island fich erhielt, ihre höchfte Blüthe erreichte und fchriftliche Aufzeichnung fand, während in

m

Norwegen wenn auch nicht der Gefchmack an derfelben, fo doch deren felbftthätige Förderung längft erlofchen war. Schon im 1 1 . Jahrhundert find es wefentlich nur isländifche Dichter, welche die Ehrenlieder für non\'egifche Könige verfaffen, und wenn einzelne Fürften, wie z. B. K. Haraldr haröraöi oder Rögnvaldr jarl auf den Orkneys (f 1164) fich noch alterthümelnd mit der altüberlieferten Dichtkunft befchäftigen, fo find es isländifche Männer, welche ihnen dabei an die Hand gehen; an den isländifchen Lögmann Sturla l>6röarson mufste fich andererfeits noch K. Magnus lagabsetir wen- den, wenn er feine und feines Vaters Lebensbefchreibung im alten Sagenftyle gefchrieben haben wollte. Nur zwei hervorragende Werke fcheinen von norwegifcher Hand in der Landesfprache ge- fchrieben worden zu fein, beide von ungenannten Verfaflern, die unter dem Namen des Anecdoton Sverreri regis bekannte Streit- fchrift nämlich und der Königsfpiegel ; im Uebrigen aber zeigen zahlreiche Ueberfetzungen oder Bearbeitungen deutfcher, franzöfifcher oder englifcher Romane und Sagen, welche feit der erften Hälfte des 13. Jahrhunderts auf Befehl norwegifcher Fürften oder doch zur Unterhaltung noovegifcher Lefer von isländifchen oder nor- wegifchen Verfaflern angefertigt wurden, dafs damals ein fremd- ländifcher Gefchmack den einheimifchen in Norwegen ziemlich volU ftändig verdrängt hatte. Einzelne Ausnamen vorbehalten, find es nur die Isländer, welche ein felbftftändiges nordifches Geiftesleben vollkommen entwickelt und bis in die Zeit herab fich erhalten haben, in welcher durch die Berühioing mit der Cultur des Südens und Weftens eine Schriftfprache und damit die Möglichkeit einer Litte- ratur für den Norden entftand; gerade in diefer Bedeutung Islands für die Erkenntnifs des nordifchen, und in weiterem Abftande auch des fchwedifchen und dänifchen Volksgeiftes der älteren Zeit ift das Moment zu erkennen, welches die Augen verwandter Völker von dem Zeitpunkte an auf die ferne Infel und deren Litteratur fich richten liefs, in welchem die Freude an dem eigenem Alterthume und an dem Studium deflelben neuerdings bei denfelben wider auflebte.

SCHLUSS,

§. 14. Der Uebergang Islands unter die norwegische

Herrschaft.

Die Gefchicke und Zuftände des isländifchen Freiftaates find im Bisherigen gefchildert worden, foweit der enge Rahmen diefcr Schrift deren Schilderung überhaupt zuliefs; es bleibt noch übrig, auf die Veränderungen einen Blick zu werfen, welche jene Zudände durch den Uebergang des Landes unter die norwegifche Herrfchaft erlitten, foferne diefe Veränderungen möglicher Weife auch ihrer- feits zu einer klareren Erkenntnifs der freiftaatlichen Zeit verhelfen können.

Es wurde oben bereits bemerkt i), dafs die Republik Island durch eine vertragsweife Unterwerfung unter den König von Nor- wegen ihr Ende erreichte, und dafs diefe Unten^^erfung fich in mehreren Abiatzen vollzog, foferne fich am Alldinge des Jahres 1 262 zunächft nur die Nordländer fammt der überwiegenden Mehrzahl der Südländer unterwarfen, während am tverär^lnge delTelbcn Jahres die Gefammtheit der Weftländer, im Jahre 1263 der Ueberrefl der Südländer, endlich im Jahre 1264, und zwar in zwei Abtheilungen, auch noch das Oftland nachfolgte. Dafs über jenen erften Unter- werfungsaft fofort eine eigene Urkunde aufgenommen wurde, wird uns ausdrücklich gefagt^); bezüglich der fpäteren A6le dagegen wird uns nichts Aenliches berichtet und mufs demnach dahingeftellt bleiben, ob auch gelegentlich ihrer das gleiche Verfahren beobachtet worden fei oder nicht: die Betrachtung der uns erhaltenen Docu-

1) Vgl. oben, S. 137—8.

2) Hdkonar s. gamla, cap. 311, S. 114; Sturlünga, X, cap. 26, S. 819-

Der Uebergang Islands unter die nonvegifche Hcrrfchaft. 471

mente dürfte indcflen zeigen, dafs jedenfalls nur der am Alldinge des Jahres 1262 verbriefte Vertrag uns unverloren vorliegt. Aller- dings hat Jon Sigurösson, welcher diefe Vertragsurkunde zum erften Male richtig erkannt, und auf Grund mehrfacher Hss. heraus- gegeben hatl), geglaubt in ein paar weiteren, unter fich nur fehr unbedeutend abweichenden Urkundenabfchriften auch noch Copieen der angeblichen Ausfertigungen von 1263 und 1264 zu finden, und diefelben unter diefer Bezeichnung zum Abdrucke gebracht 2) j allein diefe letztere Anname vermag ich nicht für begründet zu halten. Die Behauptung Munch's freilich, dafs unter dem »Hakon konüngr hinn körönaöi« diefer Urkunden darum K. Hakon Magnüsson (1299— 13 19) verftanden werden müfle, weil nur er und nicht fein Grofsvater, K. Häkon gamli, den Beinamen des gekrönten zu führen pflegte, ift, fo zuverfichtlich fie auftritt 3), von Jon Sigurösson völlig genügend widerlegt worden; dagegen fcheint mir der Inhalt der Urkunden jede Möglichkeit auszufchliefsen, dafs diefelben unter Häkon gamli entftanden fein könnten. Widerholt wird in denfelben auf die »lögbök« hingewiefen; aber zur Zeit des Freiftaates hatte man auf Island zwar mehrfache Rechtsaufzeichnungen von mehr oder minder grofsem Anfehn, die allenfalls auch als lögbaikr be- zeichnet werden konnten 4), dagegen kein einheitliches Rechtsbuch von legislativer Geltung, fodafs jene Verweifung nur auf die Jönsbök gehen kann, in welcher denn auch zum erften Male die Höhe der an den König zu entrichtenden Schätzung und Dingfteuer fixirt wurde, während die Rechtsbücher der freiftaatlichen Zeit von einer Schätzung noch Nichts gewufst, und die Beftimmung der Höhe

1) l)ii)lüm. Island., I, nr. 152, S. 619 25. In Norges gamle Love, I, nr. 12, B. S. 461, ift das Stück nach der von Jon Sigurösson unter A. abge- druckten Hs. gegeben; aber am vSchluffe deffelben ift mit der Angabe, dafs die lls. hier eine gröfsere Lücke habe, das Ende eines Docuinentes vom Jahre 1302 angehängt, welches wefentlich gleichlautend imBdelUvon Norges gamle Love nr. 62, S. 145 6, und Bde I der Lovsamling for Island, S. 28 4, gedruckt fteht, und vorangeht, als nr. 12, A. bezeichnet, das im Diplom, isl and., I, nr. 156, S. 670 1, gedruckte Document. Diefe Vermifchung verfchiedener Urkunden, die unter fich gar Nichts gemein haben, hat bereits manche Verwirrung verfchuldet.

2) Diplom. Island., I, nr. 153, S. 634—40, und nr. 156, S. 670—716. Ich verdanke den Befitz diefes Abdruckes, da das vierte Heft des Diplomatares noch nicht herausgegeben ift, der oft bewährten Güte Jon SigurÖsson's.

3) Norweg. Gefchichte, IV, 1, S. 368 9, Anm.; vgl. auch S. 444.

4) Z. B. Arfa {»., cap. 23, S. 228.

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des t)ingfararkaups der Uebereinkunft jedes einzelnen Coden mit feinen Dingleuten überlaffcn hatten i). Die Urkunden verlangen ferner, dafs die »lögmenn ok syslumennt auf der Infel den Ge- fchlechtern entnommen werden foUen, welche vor Alters (at fomo) ihre Godorde aufgegeben haben. Nun gab es aber in den Jahren 1263 4 auf Island weder syslumenn noch lögmenn; erft durch die Järnsföa kam für den Gefetzfprecher die norwegifche Bezeichnung als lögmaör anftatt der älteren isländifchen Bezeichnung als lögsög^« maör auf, und erft vom Jahre 1277 ab konnte von mehreren lög- menn auf der Infel gefprochen werden, während bis dahin wie in der Zeit des Freiftaates ein einziger Gefetzfprecher an deren Spitze geftanden war. Noch wichtiger ift, dafs im Jahre 1263 oder 1264 unmöglich von Gcfchlechtern gefprochen werden konnte, die »vor Alterst ihre Godorde aufgegeben hatten, da ja die Oddaverjar, Siöumenn, Svinfellingar, Hofsverjar erft in diefen Jahren felbft fich unterwarfen, und felbft von den Gefchlcchtern, welche ihre Herr- fchaften bereits früher abgetreten hatten, doch keine einzige diefs vor dem Jahre 1235 gethan zu haben fcheint, während es doch auch nicht angeht, jene Worte mit Jon Sigurösson als einer fernen Zukunft in den Mund gelegt zu betrachten. Endlich ift auch nicht abzufehen, wie ein Document als auf dem Befchlufle alles Volks auf Island beruhend fich bezeichnen könnte, während doch zu der Zeit feiner Ausftellung, falls man diefe in das Jahr 1263 fetzen will, noch ein volles Landesviertel fich von der Unterwerfung unter den König ausgefchloflen hatte, und fomit auch bei der Befchlufs- faflung unbetheiligt geblieben fein mufste. Anderentheils id auch der Einwand nicht begründet, dafs die dem K. Häkon Magnüsson ausgeftellte Huldigungsurkunde bereits anderweitig vorhanden fei 2), und darum nicht mit den hier fraglichen Urkunden identifch fein könne ; das Document, auf welches man fich dabei beruft, ift nämlich gar kein Huldigungsinftrument, fondern nur eine Erklärung der is- ländifchen Landsgemeinde über ihre Bereitwilligkeit, unter gewiflen Bedingungen die Huldigung zu leiften, und neben einer derartigen Urkunde konnte demnach ganz wohl hinterher noch eine zweite ausgeftellt werden, wenn es erft wirklich zur Huldigung gekommen war. So bleibt demnach als Stützpunkt für die von Jon Sigurösson

1) Kgsbk, 2 23, S. 44. Diefs gegen eine Bemerkung Jon Sigur^sson's in feiner Schrift »Om Islands statsretlige Forhold«, S. 8, Anm. (1865).

2) Lovsamling I, S. 23 4; vgl. oben, S. 471, Anm. 1.

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verfochtene Anname nur die Thatfache übrig, dafs die dem an- geblichen Vertragsinftrumcnte von 1263 angehängte Eidesformel auf den Namen der beiden Könige Häkon und Magnus geftellt ift; aber gerade in diefem Punkte tritt die Eidesformel mit der Urkunde felbft in Widerfpruch, welche letztere ausfchliefslich K. Häkon nennt, nnd überdiefs fteht diefe Formel nur hinter den Abfchriften des Huldigungsbriefes, welche Jon Sigurösson dem Jahre 1263, nicht hinter denen, welche er dem Jahre 1 264 zuweift, und bildet gerade diefer Punkt zwifchen beiden im Grunde das einzige Unterfcheidungs- merkmal. Nach allem Dem dürften die den Jahren 1 263 und 1 264 zugewiefenen Urkunden unter fich identifch fein, und den Huldigungs- brief enthalten, welchen die Isländer im* Jahre 1302 dem K. Hdkon Magnüsson ausftellten; die auf K. Häkon und K. Magnus lautende Eidesformel aber, welche einigen Abfchriften angehängt ift, dürfte lediglich irrthümlich aus dem Vertragsinftrumcnte von 1 262 herüber- genommen worden fein, was um fo leichter gefchehen konnte, weil man auf Island wirklich fchon frühzeitig jene fpätere Urkunde als »gamli sättmali« bezeichnet und auf K. Häkon gamli und die Unter- werfung von 1262 bezogen hatte.

Kommt hiemach für unferen Zweck lediglich das Vertrags- inftrument des Jahres 1 262 in Betracht, fo kann es keine Schwierig- keiten haben, aus ihm die Bedingungen zu ermitteln, unter welchen die Unterwerfung erfolgte l); nur find freilich dabei die Worte der Urkunde ebenfogut in dem belehrend, was fie nicht fagen, als in dem was fie fagen. Nicht mit einem Worte erwähnt die Urkunde den Uebergang der Staatsgewalt auf den norwegifchen König, welcher doch nach unferer Anfchauung als das Wichtigfte bei der Sache erfcheinen mufste; das war eben ein Punkt, welcher durch die Uebertragung der einzelnen Godorde in des Königs Hand zwifchen diefem und den einzelnen Coden bereits abgemacht war, und bezüglich deffen das Volk als folches lediglich gar Nichts mit- zureden hatte, wiewohl derfelbe thatfächlich dasfelbe recht fehr nahe berührte, foferne, feitdem alle Godorde in einer einzigen Hand vereinigt waren, von einer Wahl des Goden, an welchen jeder Ein- zelne fich anfchliefsen wollte, fchlechterdings nicht mehr die Rede fein konnte. Nur die Unterthanenpflicht wird vielmehr dadurch übernommen, dafs das Volk in die Ueberantwortung von Land und

1) Vgl. den Abdruck, A, im Diplom, i bland., I, S. 620.

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Leuten an den König willigt, und zugleich die Verpflichtung zur Entrichtung einer beftimmten Schätzung eingeht; die erftere Willigung entfpricht allenfalls der Huldigung, welche dem Goden fchon vordem beim Antritte feiner Würde geleiftet worden wari), die letztere aber mochte wenigftens theilweife an das ältere t>^ngfararkaup an- geknüpft haben, wiewohl es fchwer ift über diefen Punkt ins Klare zu kommen. Von den drei in Frage kommenden Hss. unferer Ur- kunde fetzt nämlich die eine den Betrag der Schätzung auf 20 Ellen, während die beiden anderen ihn nur auf 8 Ellen anfchlagen, hier wie dort für jeden Ndingfteuerpflichtigen Mann; dadiejonsbak neben IG Ellen skattr noch weitere 10 Ellen als tifngfararkaup zahlen läfst2), entfpricht die erftere Lesart der fpäteren Leiftung, wenn wir deren beide Hälften uns zufamraengefafst denken, wogegen die zweite höchftens deren einer Hälfte annähernd entfprechen würde. Auffällig ift, dafs in dem Vertrage nicht von der Uebername der Verpflichtung zum Zahlen eines t>egngildi die Rede ift, während doch Grönland bereits im Jahre 1261 neben der Schätzung auch diefe Leiftung übernemen mufste3). Mag fein, dafs man den Is- ländern nicht zuviel auf einmal zuzumuthen wagte, und darum mit dicfer Forderung lieber erft fpäter herausrückte ; gewifs ift jedenfalls, dafs das fegngildi auf der Infel erft im Jahre 1271 gelegentlich der Einführung der Jarnsföa aufgebracht wurdet), und wenn die Annalen der Laurentius saga und einige jüngere Annalenhss. diefe Thatfache bereits dem Jahre 1269 oder gar 1267 zuweifen^j, fo hängt diefs augenfcheinlich mit einer falfchen Datirung diefos ganzen Gefetzgebungswerkes zufammen. Diefer ihrer Unterwerfung gegenüber bedingen fich aber die Isländer gewifle ZugeftändnilTe als Gegenleiftung des Königs aus, und zwar verlangen fie einerfeits, dafs der König fie bei innerem Frieden und dem Genuffe ihrer ein- heimifchen Gefetzgebung erhalte, dann auch den Schutz des Landes gegen äufsere Feinde überneme, andererfeits aber auch, dafs er die befonderen Privilegien beftätige und in beftimmten Punkten ver-

1) Vgl. oben, S. 204, Anm. 6, dann S. 133, Anm. 4 6,

2) |>egnsk, § 1; vgl. oben, S. 208, wo übrigens im Texte bei Anm. 2 durch einen Schreibfehler die halbe Unze gleich 6 Ellen, ftatt 3 Ellen vaömil gefetzt ift.

3) Hakonar s. gamla, cap. 311, S. 111 12.

4) Arna bps s., cap. 9, S. 688—89; Annälar, h. a.

5) Laurentius bps. s., cap. 3, S. 791; Annalar, a. 1269.

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mehre, deren die Isländer bisher bei ihren Reifen nach* Norwegen genoffen hatten; insbefondere foUten die Landgelder (landaurar) wegfallen, welche die Isländer feit alter Zeit beim Befuche von Nor- wegen hatten entrichten müflen^), und foUte der Anfpruch auf in Norwegen anfallende Erbfchaften fortan unverjährbar fein, während er bisher binnen dreier Jahre verjährt war. Auch ein vielbeftrittenes Handelsprivileg bedangen fich die Isländer aus, wenn auch vor- läufig nur für 2 Jahre, nach deren Ablauf eine neue Vereinbarung getroffen werden foUte, nämlich die Abfendung von 6 Schiffen aus Norwegen nach Island in jedem Jahre. Man hat angenommen, dafs diefe Beftimmung, welche ohne alle zeitliche Befchränkung auch noch in Documenten aus den Jahren 1302, 13 19, ja fogar noch aus dem Jahre 1496 widerkehrt 2), dahin abzielte dem Könige eine Haftung für die jährliche Ausfahrt von mindeftens 6 norwegifchen Kauffchiflfen nach der Infcl aufzuerlegen, und daraus auf das Ver- kommen des Handels der Infel in der fraglichen Zeit fchliefscn wollen 3); indeffen habe ich fchon anderwärts nachzuweifcn gefucht^), dafs in derfelben nur ein begrenzter Verzicht des Königs auf das ihm unzweifelhaft zuftehende Recht zu erkennen fei, den Verkehr mit dem Auslande oder auch die Ausfuhr beftimmter Waarcn aus feinem Reiche zu verbieten, und ich glaube an diefer Deutung auch jetzt noch fefthalten zu muffen, wenn ich auch gerne zugebe, dafs man in fpäteren Jahren, nämlich in der Zeit des königlichen Mo- nopolhandels auf der Infel, jene Beflimmung in dem alten Unter- wcrfungsvertrage im erfleren Sinne aufgefafst und geltend gemacht habe. Auch von dem Jarle ifl in der Urkunde die Rede, welchen der König über die Infel gefetzt hatte, und zwar erklären die Bauern, denfelben über fich haben zu wollen, folange er ihnen den Frieden und dem Könige die Treue halte; die Beftimmung fcheint hiernach mehr im Intereffe Gizurs als in dem des Landes . eingefetzt, und eher als ein Zugeftändnifs der Bauern denn als eine vom König ihnen verwilligte Wohlthat betrachtet worden zu fein, während fic die Mittelftellung des Jarles zwifchen König und Volk fehr richtig

1) Vgl. oben, S. 26, Anm. 3, und S. 197, Anm. 4.

2) Lovsamling for Island, I, S. 23—24, dann 32—33; Diplom. Island., I, nr. 153, S. 636, und nr. 156, S. 670; Safn til sögu Islands, II, S. 188.

8) So noch Munclf, IV, 1, S. 370—1.

4) In den Ny ffclagsrit, Bd. XXII, S. 101—14 (1862).

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bezeichnet. Die Urkunde fchliefst endlich mit einer Claufel, welche einerfeits die aus dem Vertrage erwachfenden Rechte und Verbind- lichkeiten auf die Erben der contrahirenden Theile erftreckt, andcrcr- feits aber die Bauern für fich und ihre Nachkommen von aller Treuepflicht gegen den König für den Fall losgezählt erklärt, da er felbcr oder feine Nachkommen den Vertrag brechen würden, einer Claufel alfo, wie fie in den alten Handfefl:en allerwärts ganz gewöhnlich war. Auffallig ift, dafs in der Urkunde der Forderung nicht gedacht wird, dafs alle Aemter auf der Infel nur mit Leuten einheimifcher Abkunft und mit Angehörigen der alten Godenge- fchlcchter befetzt werden foUten, während doch die fpäteren Hul- digungsbriefe diefelbe enthalten, und das Huldigungserbieten von 1302 diefes Zugeßändnifs ausdrücklich als gelegentlich der Unter- werfung der Infel gemacht bezeichnet. Indeffen lag doch diefcr Punkt zunächfl: mehr im Intereffe der betreff*enden Häuptlingsge- fchlechter als im Interefle des isländifchen Volkes, und mochte denmach Anfangs den Abmachungen jedes einzelnen Haufes mit dem Könige überlaflen bleiben, während fich dann hinterher ergab, dafs das Volk auch feinerfeits fchlecht dabei fahre, wenn der König ausländifche Beamte über dasfelbe fetzte; auf folche Pri- vatabkommen mag es fich denn auch beziehen, wenn fpätcr von Verpflichtungen die Rede ift, welche der König in diefcr Beziehung bei der erften Unterwerfung der Infel eingegangen fei. Auch in diefer Richtung zeigt fich fomit recht deutlich, dafs man bei der Abfaftung des Unterwerfungsvertrages fehr forgfältig zwifchen den Abmachungen des Königs mit den einzelnen Häuptlingen, durch welche die Regierungsgewalt der letzteren auf den erfteren übertragen wurde, und zwifchen der Uebereinkunft des Königs mit dem Volke unterfchied, durch welche diefes den durch jene erfteren Verträge begründeten Zuftand anerkannte, für den F^ortbeftand feiner hergebrachten Rechte den geänderten Verhältniflen gegen- über fich Garantieen zu verfchaffen fuchte, einzelne Verbeflerungen feines Rechtes fich ausbedang, dafür aber auch der Schätzung fich unterwarf, auf welche der König als auf ein fichtbares Zeichen der Unterthänigkeit einen entfcheidenden Werth legte. Das Volk mochte beim VertragsabfchluITe kein übertriebenes Opfer zu bringen glauben, da die wenig drückende Schätzung als durch die gewährten Privilegien und zumal durch die in Ausficht ftehende endliche Widerherftellung des inneren Friedens reichlich aufgewogen gelten durfte; die re- gierenden Familien dagegen mufsten zwar allerdings fchwerere Opfer

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bringen, aber einerfeits war wohl von ihnen nicht ein völliges Auf- geben ihrer bevorzugten Stellung, fondern nur eine Mediatifirung in's Auge gefafst, und andererfeits die Unterwerfung unter den König fiir alle unvermeidhch geworden, fowie diefelbe erft von einigen unter ihnen als ein Mittel gewählt worden war, um fich im Kampfe mit gefährlichen Nebenbuhlern die bedeutfame Unterftützung des Königs zu fichern. Männern wie Snorri Sturluson und Sturla Sighvatsson, l»örÖr kakali und {jorgils skaröi mochte eine Stellung vorgefchwebt haben, wie fie die Jarle der Orkneys oder die kleinen Könige der Hebriden wirklich einnamen, und Gizurr toJ^aldsson mochte glauben, mit dem Jarlsnamen eine folche wirklich errungen zu haben, während die Häupter anderer Godenfamilien fich wenig- ftens auf eine änliche Stellung Hoflfnung gemacht haben dürften, wie fie in anderen Landen den Grafen und Baronen zukam. Aber freilich zeigte fich bald, dafs die Häuptlinge fowohl als das Volk im Ganzen in ihrer Speculation fich gründlich getäufcht hatten. Gizurr torvaldsson, welcher bereits am 12. Januar des Jahres 1268 ftarb, war wie der erfte fo auch der letzte Jarl der Infel, obwohl das Dienftmannenrecht des K. Magnus lagabsetir noch der Mög- lichkeit gedenkt, dafs der König etwa einmal belieben follte einen folchen über die Infel zu fetzen l), und kein isländifches Gefchlecht hat fomit jemals eine änliche Stellung errungen, wie fie das Haus der Orkneyinga jarlar in den Weftlandeh Jahrhunderte hindurch behauptete. Als königliche Beamte wurden vielfach Norweger nach der Infel hinübergefchickt, wie etwa Einöriöi bögguU (1271, 1277), Loöinn leppr (1280—81), Ölafr stallari Ragneiöarson (1287—88), und feit dem Jahre 1 301 finden fich folche fogar als lögmenn auf der Infel veru'endet2); aber auch dann, wenn folche Bedienftungen geborenen Isländern übertragen wurden, was allerdings zunächft noch die Regel bildete, blieben wenigftens die Anfprüche der alten Godengefchlechter vollkommen unberückfichtigt, fodafs keines von diefen irgend welche bevorzugte Stellung im Lande fich zu erringen vermochte. Das Land im Ganzen fah fich ferner, nachdem in den Jahren 1271—73 die Anname der Jamsiöa, und im Jahre 1281 die

1) HirÖskrd, g. 15.

2) Ueber die Angaben einzelner Annalen, wonach Loöinn af Hakka fchon im Jahre 1279 als lögmann nach Island gcfchickt worden wäre, vgl. Jon Sigurösson im Safn til sögu islands, II, S. 4 6, Anni. 2.

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Anname der Jönsbok durchgefetzt worden war, einer Gefetzgebung unterworfen, welche wefentlich nach norwegifchen Vorlagen gear- beitet, und in der Hauptfache mit dem gemeinen Landrechte Nor- wegens gleichlautend war, fodafs isländifche Annalen mit Recht zu dem Jahre 1270 die Ankunft des norwegifchen Gefetzes in Island verzeichnen konnten. Ein formeller Bruch des eingegangenen Ver- trages kann in der Einführung diefer Gefetzbücher, an welche fich noch das im Jahre 1275 auf Vorfchlag B. Ärni {»orläksson's ange- nommene neuere Chriftenrecht anreihte, allerdings nicht gefehen werden, da diefelbe mit Zuftimmung der gefetzgebenden Verfamm- lung am Alldinge erfolgte; aber dem Geifte des Unterwerfungsver- trages widerfprach fie immerhin, foferne durch fie die voUftändige Befeitigung der alten Landesverfaflung auch formell ausgefprochen war. Auch die gehoffte Ruhe im Lande war nicht erreicht worden, da zwar die Kämpfe, welche die Eiferfucht der Haukdaslir und Sturlüngar, der Oddaverjar, Skagfiröingar und Hofsverjar veranlafst hatte, jetzt wegfielen, aber dafür der Streit der Kirchs mit der Staatsgewalt feit dem Jahre 1269 wider heftiger als je entbrannte, und durch den im Jahre 1297 zu Ogvaldsnes gefchloffenen Vergleich nur halbwegs erledigt wurde. Dazu kam, dafs im Jahre 1286 ein Heeresaufgebot nach Island ergieng, welchem Folge zu leiden die Isländer weder auf Grund des Unten^^erfungsvertrages, noch auch auf Grund der fpäteren Gefetzgebung verpflichtet waren, und da(s auch fonft der König oft genug fich erlaubte, isländifche Männer zu fich nach Norwegen zu berufen, wenn ihm deren Anwefenheit dafelbfl bequem, oder deren Aufenthalt in ihrer Heimat unbequem fchien. Gelegentlich der an K. Häkon Magnüsson zu leiftenden Huldigung tratt die Unzufriedenheit des Landes fehr offen zu Tage. Die Befchwerden wegen der nicht gehörigen Beobachtung des Un- terwerfungsvertrages wurden ausdrücklich formulirt, und nur gegen deren Abftellung wollte man fich zur Huldigung verftehen; als diefe im Jahre 1302 endlich erfolgte, erfolgte fie doch nur beding- nifsweife, und noch eine Reihe von Jahren hindurch herrfchte folche Unordnung auf der Infel, dafs ein Abgefandter des Königs einmal nahezu an offener Dingftätte im Skagafjörör erfchlagen worden wäre (1305), dafs felbft das Allding eine Zeit lang nicht von aUen Lan- desvierteln befucht wurde 1), und dafs im Jahre 1306 an einem

1) Munch, IV, 2, S. 363 und 366, wozu aber Jrtn Sigur^sson, im Safn, II, S, 53 4 zu vergleichen ift.

Der Uebergang Islands unter die norwegifche Herrfchafl. 479

anderen Orte eine Wahrung der Landesrechte befchloflen wurdet). Wenig fpäter gab den Nordländern die widerholte Befetzung ihres Bisthumes mit norwegifchen Klerikern, und die Gewaltfamkeit mit welcher diefe fremden Bifchöfe in die einheimifchen Gewohnheiten eingriffen, zu einer bitteren Befchwerdefchrift Veranlaffung2); aber wenn zwar auch noch gelegentlich der im Jahre 1319 zu leiftenden Huldigung änliche Schwierigkeiten gemacht wurden, fo gewöhnte man fich doch allmälig an die neue Ordnung der Dinge, und lugte fich. Bald gefeilte fich zu der politifchen Calamität noch eine ökonomifche hinzu. Von Alters her hatten die norwegifchen Könige ganz ebenfo wie die isländifchen Coden das Recht beanfprucht, den Handelsverkehr ihres Reiches mit dem Auslande nach eigenem Gutdünken zu regeln, und hatten diefelben fpeciell den Handel mit den Finnen geradezu in ihrer eigenen Hand monopolifirt^). Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts bereits wird nun zunächft den deutfchen Kaufleuten gegenüber diefes letztere Recht dahin ausge- dehnt, dafs diefe, wenn auch im übrigen Reiche zum Handel be- rechtigt, doch nicht »ultra Bergas versus partes boreales« fahren follten^); königliche Verordnungen aber dehnen das gleiche Verbot allen ausländifchen Kaufleuten gegenüber auch noch auf die fämmt- liehen Schatzlande des Königs, und insbefondere auf Island aus^). Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts erfcheinen diefe Schatzlande vollends als »zu des Königs Kammer« gelegt, und wenn es von jetzt ab öfter vorkommt (zuerft im Jahre 1354), dafs die Einkünfte Islands geradezu auf beftimmte Frifl: an einen königlichen Statt- halter verpachtet wurden, fo fehen wir andererseits von jetzt ab auch den Handel dahin zu Gunften des Königs gefchloffen 6). Nur mit befonderer königlicher Bewilligung durften fortan isländifche wie ausländifche Kaufleute den Handel nach Island betreiben, und durch die Entrichtung einer befonderen Abgabe (sekkjagjöld); fowie dadurch, dafs dem Könige ein gewifler Theil des Schiffsraumes zur Verfügung geftellt wurde, mufste diefe Bewilligung erkauft werden ;

1) Vgl. die Arnesingaskrd, im Safn, II, S. 168—9.

2) Siehe diefelbe bei Finn Johannccus, II, S. 166 8.

5) Vgl. oben, S. 197—8.

4) Diplom, norveg., V, nr. 23, S. 23—4; nr. 48, S. 47—8 (1294, 1305).

6) Norges gamle Love, III, nr. 53, S. 134, und nr. 83, S. 170 (1302, 1348).

6) Vgl. hierüber meine Erörterungen in den Ny felagsrit, Bd. XXII, S. 115 35.

480 ^^^ Uebergang Islands unter die norwegifche Herrfchaft.

die Stadt Bergen aber bildete fortan den alieinigen Stapelplatz für diefen Handel, und dort mufsten alle und jede Islandsfahrer fortan ihre Anker lichten und ihre Waaren löfchen. Ich habe an- derwärts nachzuweifen gefucht, wie die gleichen Mafsnamen wefent- lich den Untergang der alten grönländifchen Colonie verfchuldet habend); auf Island aber mufste die verkehrte Handelspolitik zu ganz änlichen Ergebniflen führen, und es ift nur der weit ftärkeren Bevölkerung und der günftigeren Lage der Infel, fowie dem Um- ftande, dafs deren Bewohner keinerlei Angriflfe feitens wilder Nach- barftämme zu befürchten hatten, zuzufchreiben, wenn die Wirkungen der Fremdherrfchaft hier etwas minder verderbliche waren als dort. Berückfichtigt man, dafs jene ftaatsrechtliche und diefe handeis- politifche Mishandlung des Landes, wenn auch in verfchiedenem Grade und in verfchiedenen Formen, bis auf unfere Tage herab fich erftreckte, und erinnert man fich überdiefs der fchweren Land- plagen, welche widerholt über das Land giengen, und von denen der fchwarze Tod (1402—4) zwei Drittel der gefammten Einwohner- zahl aufgerieben haben foll, während die Blattern des Jahres 1707 volle 18,000 und die Calamitäten der Jahre 1784—5 an 11,000 Menfchen dahinrafften, fo wird man weniger die dermalige Ver- kommenheit Islands verwunderlich finden, als vielmehr darüber (launen, dafs deffen Bevölkerung unter den fchweren Schlägen des Schickfals, von denen fie feit einem halben Jahrtaufend nahezu un- aufhörlich heimgefucht wurde, nicht vollftändig erlegen, dafs ihr vielmehr noch Muth und Kraft genug geblieben ift um aus ihrer Verfunkenheit fich wider aufraffen und zu befferen Zuftänden empoi- arbeiten zu können. Möge dem muthigen Ringen der verdiente Lohn werden!

1) Vgl. meinen Auffatz ^Grönland im Mittelaller<r, S. 231—33, in dem Be- richte über i>l)ie zweite deutfche Nordptilarfahrt iu den Jahren 1869 und 1870i, Bd. I, Abth. 1.

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