Google

This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project to make the world's books discoverable online.

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that's often difficult to discover.

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the publisher to a library and finally to you.

Usage guidelines Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the

public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.

We also ask that you:

+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual personal, non-commercial purposes.

and we request that you use these files for

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's system: If you are conducting research on machine translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the use of public domain materials for these purposes and may be able to help.

+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can't offer guidance on whether any specific use of any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.

About Google Book Search

Google's mission is to organize the world's information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers discover the world's books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web a[nttp: //books . google. con/]

Google

Über dieses Buch

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei eine Erin- nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.

Nutzungsrichtlinien

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese Dateien nur für persónliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgend welcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen unter Umständen helfen.

+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.

Über Google Buchsuche

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: / /books . google. conjdurchsuchen.

A, 7 eL

JAHRBÜCHER

für elassisehe Philologie.

Herausgegeben

von

Alfred Fleckeisen.

ze

ELFTER SUPPLEMENTBAND.

Leipzig, 1880.

Druck und Verlag von B. G. Teubner.

Inhaltsverzeichnis.

. Die Fragmente des L. Coelius Antipater. Von Wilhelm ΝΣ . ......... ele n

. Ueber den gallischen Brand. Eine quellenkritische Skizze zur ältern römischen Geschichte. Von Georg Thowret. .

. Die handschriftliche Ueberlieferung des Ausonius. Von RB. Pavyer. ..... eee ees

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. I. II. Von J. L. Heiberg. .................

. De Suidae biographicorum origine et fide. Scripsit A. Daub

. Verhültnis der griechischen Vasenbilder zu den Gedichten des epischen Kyklos. Von H. Luckenbach. . . . . . .

. Ares und Aphrodite. Eine Untersuchung über Ursprung und Bedeutung ihrer Verbindung. Von Karl Tümpel. .

1— 92

93 - 188

189 353

355— 398 401— 490

491—638

639—152

DIE FRAGMENTE

DES

L. COELIUS ANTIPATER

WILHELM SIEGLIN,

DR. PHIL.

Jahrb. f. elass, Philol. Suppl. Bd. X I. 1

Vorwort.

Die vorliegende Abhandlung hat im Wesentlichen den Zweck, den Nachweis für die Richtigkeit der von Meursius und Plüss auf- gestellten These beizubringen, dass Coelius Antipater ausser der Ge- schichte des zweiten punischen Krieges, im höheren Alter ein zweites Werk, Historien benannt, verfasst habe; weiter soll der Inhalt und die Oeconomie dieser beiden Werke dargelegt, endlich eine Prüfung der einzelnen Fragmente vorgenommen werden in Betreff des Zu- sammenhangs, dem sie entnommen sind, und vornehmlich auch der Berechtigung, mit der sie Coelius zu- oder aberkannt werden. Die von Coelius benutzten Quellen sind gleichfalls besprochen worden.

Nothgedrungen musste bei diesen Untersuchungen eine stete Be- zugnahme auf die jüngst erschienene Schrift vou Otto Gilbert stattfinden, ‘die Fragmente des L. Coelius Antipater, Separatabdruck aus dem zehn- ten Supplementbande der Jahrbücher für classische Philologie’; und so soll die vorliegende Abhandlung gleichzeitig eine Antwort auf diese Schrift sein, die nach ihrer Anlage wie nach ihrer Ausführung ver- fehlt erscheint, so dass sie einer durchgehenden Beleuchtung bedarf. Neues bietet dieselbe freilich genug, so besonders die Hypothesen über die ungleichmässige Behandlung des Bellum Punicum, über die Tendenz und den Inhalt dieses Werkes, dass es nicht eine Geschichte des zweiten punischen Krieges habe sein sollen, sondern nur eine Partei- und Lobschrift auf Scipio; sodann die Aufstellungen über die Quellen des Coelius u. 8. w.; aber alles dies ist wohl durch seine Kühnheit überraschend, beruht jedoch zum grössten Theil auf Irr- thum. Dies ist aber nicht der einzige Mangel. Mehrere wichtige Fragen aus dem behandelten Gebiete, deren Untersuchung nicht nur wünschenswerth, sondern geradezu nothwendig erscheinen musste, sind mit Stillschweigen übergangen, wie überhaupt die Forschungen früherer Gelehrter mit Vorliebe ignorirt sind, wenn sie den vor- gebrachten neuen Thesen widersprachen. Bei diesen Eigenheiten kann die Gilbert'sche Schrift nicht genügen; die Fragmente des Coelius haben einer nochmaligen Untersuchung unterworfen werden müssen.

1*

4 Vorwort.

Bei den mannigfachen Richtungen, nach denen hin dies ge- schehen musste, bot die Gruppirung des Stoffes einige Schwierig- keiten. Sämmtliche Fragmente, mit Ausnahme der in Livius er- haltenen, mussten einzeln untersucht werden; und sollten Wieder- holungen sich nicht zu sehr häufen ganz liessen sie sich nicht vermeiden, musste diese Untersuchung dem Ganzen voraus- geschickt werden, damit man später nach Bedürfniss darauf zurück: greifen konnte. Ich that dies, obwohl auf diese Weise der Nach- theil eintrat, dass durch die Menge von unzusammenhängenden Einzelfragen der Gesammtentwicklungsgang sich etwas verschleppte. Ich kann nichts thun, als für diesen Missstand um Nachsicht bitten; ich vermochte ihn nicht zu vermeiden, ohne in grösseren zu verfallen.

An die Oeconomie der Gilbert’schen Vorlage habe ich mich nicht halten können. Dagegen habe ich fast überall auf ihn geziemend Bezug genommen, mit Ausnahme weniger Fälle, wo eine Widerlegung zu unbedeutend erschien. Unberticksichtigt gelassen habe ich aber seinen ganzen zweiten Theil, und dies aus sattsamen Gründen. Der- selbe bildet nur den Ausbau des im Anfange aufgeführten Grund- stocks: Nachdem Gilbert p. 367—396 zu zeigen versucht hat, dass Coelius für die Kriegsereignisse der ersten Hälfte des Hannibalischen Krieges die Hauptquelle des Livius nicht hat sein kónnen wegen der Dürftigkeit seines Inhalts, erfolgt im weiteren Ver- laufe consequenter Weise die Ausführung, dass Livius den Coelius nachweislich als Hauptquelle auch nicht herangezogen habe, son- dern zu einer directen Benutzung des Silen, Fabius u. Β. w. zurück- gegangen sei Die Widerlegung des ersten Satzes halte ich für ge- nügend; ich fürchte, den Leser zu ermüden, wenn ich ihm bis zu Ende vordemonstrire, dass Behauptungen, die auf falschen Prümissen

p PRIN CE

beruhen, unbewiessen sind. Wo es noth thut, werde ich auf die

Gilbert'schen Auslassungen in späteren Untersuchungen zurück- kommen, die unter dem Titel “Der zweite punische Krieg und seine Quellen’ im Verlage von B. G. Teubner ich zu veröffentlichen ge- denke; die erste Abtheilung derselben wird wohl sicher vor Ablauf eines Jahres noch erscheinen.

Bei der durchgreifenden Umgestaltung, die sich für die Grup- pirung der Coelianischen Fragmente ergeben hat, wird es manchem nicht überflüssig erscheinen, wenn im Anhange eine nochmalige Zusammenstellung derselben nach diesem neuen Principe gegeben wird, um so ein anschaulicheres Bild von den beiden Werken deg Coelius zu ermóglichen und die Handhabe der Fragmente zu er- leichtern. Ich habe im Laufe der Abhandlung mehrfach auf diesen Anhang verwiesen.

Zum Schlusse ist es meine Pflicht, Herrn Oberbibliothekar Dr. R. Köhler in Weimar herzlichen Dank auszusprechen für die Zuvor-

kommenbeit, mit der er mich bei dem Suchen nach einer Parallele füx _

Vorwort. 5

den Traum Hannibals beim Ebroübergang (p. 67) in der deutschen Sage witerstützt hat. Mir war nur das Bechstein'sche Märchen selber be- kannt gewesen; ich verdanke ihm die Mittheilung, woher Bechstein seinen Stoff hauptsächlich genommen, den Hinweis auf Zuccalmaglios Semmlung deutscher Volkslieder.

Zu aufrichtigem Danke fühle ich mich auch gegen den General- (rector Herrn G. Fiorelli in Rom verpflichtet, der so freundlich war, mir die wünschenswerth gewordene Collation des Cod. Neapolit. zu Charisius p. 126 K. (p. 16, fr. 7) zu besorgen.

Leipzig, 15. Juli 1879.

Wilhelm Sieglin.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. Cap. 1.

Es ist schon lange aufgefallen, dass von den Fragmenten, die ' uns von dem Bellum Punicum des L. Coelius Antipater erhalten

sind, ein bedeutender Bruchtheil sich mit demjenigen Inhalt nicht in Einklang bringen lässt, den man nach dem Titel der Schrift voraus- setzen durfte. Eine Reihe von Fragmenten behandeln die Urgeschichte

Roms beziehungsweise Italiens, andere die Geographie dieses Landes; .; eines fällt in die Zeit der Latinerkriege, wieder eines in die der : Gracchen; zusammengenommen bilden sie eine so bedeutende Anzahl,

dass es schwer begreiflich ist, wie sie alle sollten Digressionen sein innerhalb einer Geschichte des Hannibalischen Krieges.

Meursius in seinem Commentar zu Macrob. Sat. 1, 4, 24!) ist . meines Wissens der erste, der, jedoch wesentlich veranlasst durch .

einen weiteren Umstand, dass neben dem Titel Bellum Punicum resp. Annales, auch der Titel Historiae überliefert ist, den Gedanken

fasste: Coelius werde zwei Werke geschrieben haben; ausser der Ge- schichte des zweiten punischen Krieges noch, Historien, die ganze

Geschichte Roms begreifend. Da die Hypothese in ungeschickte

Form gekleidet war und der Beweise ermangelte, so wurde sie nicht '

weiter beachtet. Voss, in seinen Historici Latini*), wie früher Anto-

nius Augustinus?) und Popma) in den Fragmentsammlungen der -

römischen Historiker hielten an der Annahme eines einzigen Werkes

fest, und ihre Auctoritüt war für die folgenden Jahrhunderte mass-

gebend.

Das Jahr 1820 brachte neue Anregung indie Frage. Fast gleich- : zeitig gestellte Preisthemen der Góttinger wie der Leydener Philo-

sophischen Facultät gaben Veranlassung zu den Schriften von Lach- mann, De fontibus Livii, in zwei Abhandlungen, Góttingen 1822 und 1828, und von Groen van Prinsterer und B. Α. Nauta, De Coelio Antipatro, Leyden 1821; in ihnen wurde Coelius zum ersten Male gründlich und eingehend behandelt. Nauta und Groen haben haupt-

Macrobii opera cum notis Pontani, Meursii, Gronovii, Lugd. Bat. 1670 p. 202. -

*) Ed. novissima, Francof. 1677 p. 82.

3) Ant. Augustinus, Coll. fragm. Hist. Lat. Antv. 1595 p. 32.

*) Aus. Popma, Fragm. Hist. vet. Lat. Amstelod. 1620 p. 44.

Mr

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. fi

sichlich die Fragmente durchgesehen, sie vermehrt, geordnet und erklärt, Lachmann die Quellen des Coelius und seine Bentitzung durch Livius untersucht.

Auch zu unserer Frage, ob Coelius ein oder zwei Werke ge- sbrieben habe, nahmen alle drei Stellung. Nauta p. 10 und Groen Β 13 stellten sich mit Entschiedenheit auf den alten Boden durch Annahme eines einzigen Werkes, des Hannibalischen Krieges. Alle Fragmente, die über den Rahmen des letzteren hinausgehen, erklärten se einfach für Digressionen, mit Ausnahme weniger, bei denen dies m viel Schwierigkeiten machte: diese gaben sie preis und erklärten ‘se für unächt. Nur Ein Werk nahm zwar auch Lachmann an II, p 20, aber die Mittel Nautas und Groens verschmähend, griff er i) dem Auswege, Coelius habe das unter dem Titel Bellum Punicum veröffentlichte Werk fortgesetzt und es dabei ausgedehnt bis zur Gracchenzeit.

Dieser Hypothese schloss sich zwar mit Lebhaftigkeit Krause?) an, wenngleich mit der leichten Modificirung, dass er glaubte, Coelius habe bereits mit dem ersten punischen Kriege begonnen, sonst fand dieselbe aber nirgends Anklang. Sie war durch die überlieferten ' Zahlen der Bücher von vornherein widerlegt. Im ersten Buche wird schon die Belagerung Sagunts (fr. 7 8.; 10 P.), die Expedition des Consuls Bempronius nach Sicilien und dessen beabsichtigte Landung in Afrika (fr. 11 8.; 12 P.); endlich die Schlacht bei Cannae (20 8.; 22 P.) er- zählt; im siebenten (fr. 47 8.; 44 P.) die Gefangennahme des Syphax 551/203. Der erste punische Krieg fand demnach keinen Platz, er müsste denn nur kurz in der Einleitung skizzirt gewesen sein, wozu jeder Anhalt fehlt. Andrerseits, wäre etwa der dritte Krieg dem zweiten angefügt und die Geschichte desselben fortgesetzt gewesen etwa bis auf 634/120, wie Lachmann und Krause nach fr. 50 P.; p. 88, 14 S. annahmen, so müssten diese 80 Jahre, da sie zum grössten Theil in die Lebenszeit des Verfassers fallen, mindestens in nicht geringerer Ausführlichkeit geschildert sein als der Hannibali- sche Krieg; und doch verstummen mit dem Ende desselben plötzlich die Fragmente. Aber sehen wir selbst von diesen Bedenken ab, 80 ist noch nichts geholfen. Die Hauptschwierigkeit in der Anordnung der Coelianischen Fragmente besteht ja darin, dass mehrere derselben die älteste Zeit Roms und Italiens behandeln und diese wird von der Lachmann-Krause'schen Hypothese nicht berührt.

Da griff Plüss den Gedanken von Meursius wieder auf und stellte im Anhange seiner Dissertation: De Cinciis, Bonnae 1865 als sechste These auf: Coelius Antipater praeter belli Punici historiam setate iam provectior rerum Romanarum annales scripsit. Meltzer,

De Coelio Antipatro, diss. inaug. Lips 1867 p. 10 und H. Peter, Vet. Hist. Rom. Rell. p. CCXVI, welcher Meltzer fast in allen Stücken

5) Vitae et fragm. vet. Hist. Rom. Berol. 1823 p. 184.

8 Wilhelm Sieglin:

folgt, gingen zwar über Plüss wieder hinweg, indem sie sich dem Resultaten Nautas und Groens anschlossen; doch wird eine genau Betrachtung der Coelianischen Fragmente ergeben, dass Plüss : richtige gefunden hat. Coelius schrieb mehr als Ein Werk; ausser‘ dem Bellum Punicum noch Historien; nur dass die letzteren nich sowohl annalistische Historien sind, als eine Art Origines, eine Ur geschichte von Italien und Rom, dabei fortgesetzt wie das Werk Catos bis in die historische Zeit.

Wir halten eine Untersuchung über die vorliegende Frage für um so gebotener, als der jüngste Aufsatz über die Fragmente des Coelius von O. Gilbert dieselbe unberücksichtigt lässt und damit offenbar für abgeschlossen erklärt zu Gunsten der jetzt herrschenden. Meinung, die von Meltzer, Peter, Teuffel, Bernhardy und Wölfflin vertreten, an Einem Werke festhtült. Weiter hat Gilbert aus den . der Geschichte des Hannibalischen Krieges nicht zugehörigen Frag- menten eine Reihe von Schlüssen gemacht, die zum Theil berechtigt erscheinen könnten und zum Theil nicht unwichtige Beiträge zur Charakteristik des Coelianischen Werkes liefern würden, wenn eben die Fragmente, aus denen sie gezogen sind, dem Bellum Punicum angehürten.

Wir geben im Folgenden eine Analyse der Coelianischeu Frag- mente mit jedesmaliger Bemerkung, in welchen Theil der Geschichte dieselben eingefügt werden können; wir folgen dabei vielfach dem Vorgange von Nauta und Melizer-Peter. Wir zählen die Frag- mente in der Heihenfolge auf, wie wir sie in unsern Quellen finden.

|

L Nonius Marcellus überliefert 18 Fragmente.

1.

Non. p. 29. M. fr. 57 P. Coelius Annali: Ipse cum cetera copia pedetemplim sequilur.

Das vorliegende Fragment bezieht sich, wie Nauta p. 44 er- kannt hat und Gilbert p. 456 beistimmt, auf den nächtlichen Ueber- fall des Lagers von Syphax durch Scipio 551/203. Letzterer hatte, um denselben einzuleiten, die Hälfte seiner Armee unter Laelius vorausgeschickt und folgte selber mit dem Reste langsam nach. In diesem Zusammenhange finden sich unsere Worte Pol. 14, 4, 4: αὐτὸς δὲ τὴν λοιπὴν crparıav ἀναλαβὼν ἐποιεῖτο τὴν ὁρμὴν ἐπὶ τὸν ᾿Αςδρούβαν. (ἦν δὲ αὐτῷ εὐυλλελογιεμένον μὴ πρότερον ἐγχειρεῖν, ἕως ἂν οἱ περὶ τὸν Λαίλιον πρῶτοι τὸ πῦρ ἐμβάλωει τοῖς πολεμίοις.) οὗτος μὲν τοιαύτας ἔχων ἐπινοίας βάδην ἐποιεῖτο τὴν πορέίΐίαν. Vgl. Liv. 30, 5; App. Lib. 21.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 9

2.

Non. p. 80 M. fr. 5 P. Coelius: Tantum bellum suscitare conari ad- sersarios contra bellosum genus.

Cod. Guelferb. (W. Saec. XI; beste Handschrift) liest: Caecilius. Gehört das Fragment. dennoch Coelius und dem Hannibalischen

Kriege an, so würde es einer Rede aus der Zeit des Ausbruchs der Feindseligkeiten zuzuweisen sein, die vom Kriege abmahnt. Das bellosum genus wären die Römer, die adversarii die Barcinen, der Sprecher offenbar Hanno, der langjährige politische Gegner der letz- teren, der Liv. 21, 10 zum Frieden räth, und die Carthager warnt, 26 Romanum suscitarent bellum. Wirklich fassen das Fragment so Nauta p. 22, Weissenborn und Wölfflin zu Liv. 21, 10, 3, und es lässt sich für den Fall der Aechtheit desselben nichts dagegen ein- wenden. Wir haben aber die Lesart Caecilius ohne Zweifel bei- mbehalten, da die unter diesem Namen citirten Worte ein deutlich rhythmisches Gewand tragen: Tántum bellum süscitare cónari adversários ΝΕ cöntra bellosám genus. An der Lücke ist kein Anstoss zu nehmen; so citirt Nonius p. 552 unter Titinius Barbato: ΝΕ ΕΞ ΕΕΕΞΕ ita spürcus Animätur ira in pro6lium: véles eques recipit se ΝΞ ΞΕ neque ferit quemquam höstem.

Aehnliche Fälle sind nicht selten bei Nonius. Auch citirt letz- terer die Fragmente des Coelius nie anders als unter Zufügung von “annali’ oder “annali libro...’; es wäre dies der einzige Fall von zwölfen, wo nur 'Coelius' stünde.

3.

Non. p. 89 M. fr. 44 P. Coelius annali libro VII: Ipse regis eminus equo ferit. pectus. advorsum, congenuculat percussus, deiicit

Diese Worte finden sich fast unveründert App. Lib. 26; Liv. 30, 12, 1 und schildern die unvermuthete Gefangennahme des Königs Syphax von Mauretanien in der Schlacht bei Cirta 551/208. App. a. ἃ. O. τραπέντες τοῦ ζύφακος eic φυγὴν τὸν ποταμὸν ἐπέρων. ἔνθα τις αὐτοῦ Cugaxoc τὸν ἵππον ἔβαλεν, δ᾽ ámeceí- caro τὸν δεςπότην. Liv.a.a. O. ibi Syphax dum obequitat ho- staum turmis equo graviter icto effusus opprimitur capiturque. Vgl. Sil. Ital. 17, 184—140.

Der tapfere Römer, der so die Gefangennahme des Syphax her- beiführte, soll C. Rutilius geheissen haben (Sueton? in) Laur. Lyd. de mens. 4, 63. Doch vermengt Lydus diese Erzählung mit einer andern davon unabhängigen Sage, die durch einen etymologischen

10 Wilhelm Sieglin:

Versuch zum Worte ‘Caesar’, welches dem Maurischen ‘Elephant’ _ ähnlich lautete, entstanden war. Nach der in Serv. ad Aen. 1,286 . vgl. Spartian. Hel. 2, 3 p. 28 P. erhaltenen Relation war es der Gross-

vater des Julius Caesar, des Dictators, gewesen, der in Afrika einen :

Elephanten erlegte und daher seinen Beinamen erhielt. Diesen Mann nun hält Lydus, indem er den Unterschied der Zeit sowohl wie des Geschlechtes tbersieht, für identiseh mit demjenigen, der Syphax gefangen nahm, lässt in Folge dessen letzteren statt auf einem Pferde auf einem Elephanten reiten, und macht den C. Rutilius, der ob seiner Heldenthat den. Beinamen ‘Elephant’ d. h. ‘Caesar’ erhält, so zum Ahnherren der Caesaren. Den ganzen Bericht des Lydus für ein Missverstündniss aus Sil Ital. 17, 126 zu erklären, wie Gilbert p. 457 will, dazu liegt kein Grund vor.

4.

Non. p: 94 M. (fehlt bei Peter) L. Coelius: Caput collo susten- latur, truncus sustinetur a coxendicibus.

Um dieses Fragment hat uns Quicherat bereichert. Ueberliefert ist “Lucilius’; und nur da Quicherat in den von Nonius überlieferten Worten kein Metrum finden konnte, hat er dieselben, allerdings mit leichter Aenderung einem Prosaiker zugewiesen. Zu dieser Correctur ist jedoch keine Berechtigung. ‘Sustinetur’ ist Glossem zu “sustentatur’, und mit L. Müller (Lucili Satur. Rel. p. 155 fr. CXXIX) zu lesen:

Cáput ut colo, süstentatur trüncus coxendícibus.

Vielleicht ist auch ‘a colo’ zu schreiben; jedenfalls liegt zur Aenderung des Namens keinerlei Grund vor. Isidor Or. 11, 1, 72 überliefert ein Fragment des Nigidius, der sich an Lucilius vielfach gebildet (L. Müller a. a. O. p. 285); in diesem finden sich unsere Worte nachgeahmt:

Vehitur colló caput, Trüncus sustentátur coxis génibus atque crüribus.

5.

Non. p. 98 M. fr. 30 P. Coelius annali libro III: Imperator con- clamat de medio, ut velites in sinisiro cornu removeantur, Gallis non dubitatim inmittantur.

Die Handschriften bieten "libro III” und "libro IIII”. Etwas sicheres, welcher Schlacht die vorliegende Scene entnommen sei, ist nicht aufzustellen, da Hannibal häufig die Gallier auf dem linken Flügel zu postiren pflegte, so in der Schlacht am Trasimener See, Pol. 3, 83, 4; bei Cannae Liv. 22, 46, 3; und da ebenso die römischen Consuln fast regelmässig, wenn sie allein waren, im Centrum commandirten; nur wenn sie mit ihrem Collegen zugleich im Felde standen, nahmen

- un Xo a

2-2» -— . a

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 11

beide auf den Flügeln Stellung. Gleich stereotype Verwendung finden die velites. Nachdem sie das Gefecht eröffnet, ziehen sie sich auf die Flügel zurück, von wo sie nach Bedürfniss wieder verwandt werden können. Der berichtete Vorfall konnte also so ziemlich in jeder Schlacht des zweiten punischen Krieges sich ereignen. H. Peter hat aum den Vorschlag gemacht, und ihm ist Gilbert p. 369 gefolgt, die Worte auf die Schlacht bei Senagallia zu beziehen, Liv. 27, 48. Dort kette nämlich der Consul Claudius den rechten römischen Flügel inne gehabt, Livius den linken; ersterem gegenüber waren die Gallier ge- sanden. Claudius hatte diese nicht angreifen können, weil schwer übersteigbare Höhen zwischen ihnen und ihm sich befanden, und so sehien der von ihm befehligte Flügel von der Theilnahme an der Schlacht ausgeschlossen. Dies behagte dem Consul nicht, und um meht unthätig bleiben zu müssen, führte er rasch entschlossen meh- rere Cohorten hinter der römischen Schlachtlinie herum, griff Römern und Carthagern gleich unvermuthet die Carthager auf deren rechten Flügel in der Flanke und im Rücken an, und drang siegreich bis mm Centrum vor. Dass er an dieser Stelle den Befehl gegeben, die velites des linken römischen Flügels sollten die unbeschäftigten Galier angreifen, ἰδὲ vorausgesetzt, dass die velites zur Hand waren móglich, doch nirgends überliefert, nicht in leisester Andeutung. Nach unsern Quellen kommen diese Gallier überhaupt kaum in Kampf. Ebenso gut, vielleicht sogar mit relativ grösserer Wahrscheinlichkeit, könnte man das Fragment auf die Schlacht zwischen Hannibal und Marcellus, Liv. 27, 12, 15; Plut. Marcell. 25 med., oder auch auf Liv. 27, 42 beziehen; ein Gegenbeweis lässt sich wenigstens nicht beibringen. Ich für meinen Theil verzichte auf eine Erklärung. Gegen die Schlacht bei Senagallia spricht aber das, dass der Consul Claudius nicht Imperator war, folglich auch von Coelius nicht als solcher bezeichnet werden konnte; zweitens da nicht er Oberbefehlshaber über die vereinigte römische Armee war, sondern sein College Livius Salinator, der auf dem linken Flügel stand, so war es militärisch überhaupt unstatthaft, dass Claudius dem linken Flügel ein Commando ertheilte.

6.

Non. p. 137 M. fr. 41 P. Coelius annali libro VI: Omnes simul lerram cum classi accedunt, navibus alque scaphis egrediuntur, castra medali signa, statuunt.

Liv. 29, 27, 15 berichtet die Landung des Scipio in Afrika 650/204 und hebt dabei als die Darstellung des Coelius hervor: (Coelius exponit) scaphis milites cum ingenti tumultu in terram evasisse. Expositis copiis Romani castra in proximis tumulis metantur.

12 Wilhelm Sieglin:

T.

Non. p. 108 M. fr. 46 P. Coelius Antipater libro IIII: Respublic amissa exfundato pulcherrimo oppido.

Nach der Zerstörung von Syracus klagt Liv. 26, 32, 3 T. Manliu Torquatus im römischen Senate: “Der Vortheil des römischen Staate sei nicht gewahrt worden durch die Zerstörung dieser urbs pul cherrima ac nobilissima, da sie ehedem ein horreum atque aerariur populi Romani gewesen sei, und nun keinen Nutzen Rom meh biete könne’. Plut. Marc. 23.

In den meisten Handschriften ist zwar überliefert 'lib. UIT Aber in den letzten Jahren des Krieges war keine bedeutende Stad mehr zerstört worden; und so ist mit cod. Laurent. (von H. Pete verglichen) “110. ITII zu lesen. Unsere Beziehung hat, wie ich seh: schon Nauta vorgebracht p. 41. Syracus fast sprüchwürtlich die schönst Stadt im Alterthume, Timaeus in Cic. de rep. 8, 31 ; vgl. Liv. 25, 24, 11

8.

Non. p. 157 M. fr. 43 P. Coelius annali libro VI: Consulto no pauciens arcessilum.

Vor seiner Ueberfahrt nach Afrika 550/204 hält Scipio Liv. 29, 24, 5, eine Rede an seine Soldaten, in der er entwickelt: “nach- dem er so oft gerufen worden sei von Massinissa 29, 4; 28, 35; nun von Syphax, sei jetzt der Augenblick gekommen, da er nach Afrika übersetzen wolle’. App. Lib. 10; Zon. 9, 12 p. 284 Dind.

9.

Non. p. 176 M. fr. 23 P. Coelius annali libro I: Primum mal publico gratias singulatim nomina (ri).

Die Zahl des Buches zeigt, dass diese Aufforderung zum Dau) der Geschichte der ersten Kriegsjahre entnommen ist; der Au *malum publicum’, dass dieselbe römische Angelegenheiten handelt. Peter und eingehender Gilbert p. 368 haben dieselbe grosser Wahrscheinlichkeit den Senatsverhandlungen zugewiesen, Liv. 22, 59; 60 unmittelbar nach der Schlacht bei Cannae fanden. Nach Liv.c. 60, wo T. Manlius die Verdienste der M preist, die sich in diesen Unglückstagen um das Vaterland verdi gemacht und 61, 14, wo der Senat officiell dem Consul dankt, qu de republica non desperasset, scheinen die Worte einer Rede zu zuweisen zu sein, “welche beantragte, dass in einem besondere Senatsbeschluss den Männern, die sich in und nach der Schlacht be Cannae um das Vaterland verdient gemacht hatten, mit namentliche Bezeichnung derselben der öffentliche Dank ausgesprochen werde Ob diese Rede die des Manlius selber, oder von einem andern Senato gehalten ist, ist von untergeordneter Bedeutung.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 18

10.

Non. p. 205 M. fr. 38 P. Coelius annali libro V: Ad aliquam huic bello finem facere.

Den Frieden hat das römische Volk oft gewünscht im Laufe de Hannibalischen Krieges. Liv. 22, 34, 7 beklagt sich die Plebs, wn den Krieg zu beenden gäbe es nur Ein Mittel, einen Consul aus dem Volke zu wählen, der dessen Interessen wahre. Bequem passen de Worte zu Liv. 27, 9, 5 (545/209), woselbst die bis dahin treu susharrenden Latiner der endlosen Kriegslasten müde werden und drohend Aussern, “der Krieg daure zu lang; man müsste den Rö- mern neue Contingente verweigern, um 80 dem Kriege ein Ende zu machen", s 11.

Non. p. 280 M. fr. 9 P. Coelius in annalium libro I: Legati quo missi sunt. veniunt, dedicant mandate Von den drei Gesandtschafkn, die zu Beginn des Krieges von Livius berichtet werden: einer saguntinischen nach Rom mit der Bitte un Hilfe (21, 6, 2); eine rómischen an Hannibal 6, 8, die diesen jedoch nicht antrifft ο.,», 3; und einer zweiten römischen, die nach der Eroberung βαρ in Carthago ein Ultimatum stellt, passt das Fragment am beg auf die letzte. Ueber sie drückt sich Livius t 18, 1 &hnljg/ wie Coelius aus: Romani postquam Cartha- ginem veng'int, Q. Fabius nihil ultra quam unum quod man- datum erf percunctatus (est). Vgl. Pol. 3, 20, 9 in demselben sammaseinge: παραγενομένων δὲ τῶν “Ρωμαίων καὶ rap- ελθόγγν εἰς τὸ ευνέδριον καὶ διαςαφούντων ταῦτα, bucye- pc ῦον οἱ Καρχηδόνιοι τὴν αἵρεειν τῶν παρατεινομένων.

ze’

12.

Ἂν EN Non. p. 508 M. fr. 7 P. Coelius annali libro I: Cum jure sine tculo bellum geri poteratur.

Diese Worte sind zu allgemein, um sie sicher unterbringen zu ónnen. Vielleicht sind sie ein Bruchstück aus der Rede Hannos, ler Liv. 21, 10, 9 die Carthager frägt: ‘warum sind wir im letzten Kriege besiegt worden? Nur weil wir die Verträge gebrochen baben. Mit dem Rechte auf unserer Seite konnten wir den Krieg glücklich führen, aber eventus belli velut aecus iudex unde ius stabat ei vi- ctoriam dedit".

13.

Non. p. 508 M. fr. 45 P. Coelius annali libro VII: Duos et sep- luaginta lictoris domum deporíavisse fascis, qui ductoribus hostium ante soluerint ferri.

14 Wilhelm Sieglin:

Geht nach der Vermuthung von Nauta p. 46 auf Liv. 30, 28, 5 zurück, wo dieser erzählt, vor der Entscheidungsschlacht bei Zama sei den Römern bang geworden. “Scipio werde ein Heer zu bekäm- pfen haben, perfusum milliens cruore Romano, exuvias non militum tantum, sed etiam imperatorum portantem. Multos oocursuros Sei- pioni in acie, qui praetores, qui consules Homanos sua manu oc- dissent; non esse hodie tot fasces magistratibus populi Romani, quot captos ex caede imperatorum praeferre posset Hannibal.” Drei Consuln waren in den Kämpfen mit Hannibal gefallen, Flaminius Liv. 22, 6, 4; Aemilius Paulus 22,49, 12; Marcellus 27, 27, 7; ein Proconsul 27, 1, 12; ein Prätor 22, 8, 1; einen Proconsul nahm Hannibal gefangen 25, 16, 24; diese hatten zusammen 66 Fasces vor sich hergetragen; es fehlen so sechs. Let tere kommen auf Rechnung des Consul Crispinus, dem Liv. 27, 27,8 in der Schlacht bei Vunusia schwer verwundet, wie er war, ein Theil seiner Lictoren getödtet oc, gefangen wurde.

Es ergibt sich, dass Nonius d&- ihm vorliegende Werk de Coelius immer mit einem und demselben Namen 'Annales' bezeich- net, mit Ausnahme von fr. 7 (46 P.), das er statt * Coelius annali unter Coelius Antipater? citirt. Letztere Btea]e dürfte darum nach Peters Vorschlag geändert werden. Alle von Ninius erwähnten Er- eignisse lassen sich in den zweiten punischen Krıug einfügen. Bei einigen musste wegen ihres zu allgemeinen Charakters auf eine ge nauere Bestimmung verzichtet werden; aber auch bei ihtsen hinderte wenigstens nichts die Annahme, dass sie einer Geschichte des punischen Krieges entnommen sind, ohne dass wir uns genöthigt sahen, zu diesem Zweck zur Aufstellung einer Digressior die Zu- flucht zu nehmen. Nonius hat offenbar nur Ein Werk des Coelius

vor sich. Υ x IL N Charisius überliefert 7 Fragmente. \ 1.

Char. p. 54 K. fr. 27 P. Nucerum enim Coelius dixit.

Das Fragment findet eine passende Stelle in Liv. 23, 19, 12, wo die Römer bei der Belagerung von Casilinum durch Hannibal 538/216 und der in Folge dessen dort ausgebrochenen Hungersnoth als letztes Mittel Haufen von Nüssen in den Volturnus werfen, damit sie die hungernden Casiliner in Netzen auffangen. Diese Erzählung wird noch Frontin 3, 14, 2; Fest. p. 173, 5 M. erwähnt.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 15

2

Char. p. 143 K. fr. 10 P. Saguntinorum Coelius, Saguntium allustius, ut Paulus in Coelii historia libro I notat.

Bezüglich der Lesart ist zu bemerken, dass statt 'Saguntium' jaguntinum” zu lesen ist, wie auf Münzen und Inschriften ge- öhnlich steht, s. Wölfflin, Antiochus etc. p. 37; Hübner, C. J. L. H. 511 b.

3.

Char. p. 203 K. fr. 15 P. Coelius historiarum I: Duodeciens Mena milia, passuum longe.

Diese Zahl bestimmt die Meilenlänge, die Hannibal auf seinem arsche von Carthago Nova nach Italien durchzog; vgl. Pol. 3, 39, 11 τ᾿ εἶναι τοὺς πάντας ἐκ Καινῆς πόλεως crabíouc περὶ évva- χιλίους, οὗς ἔδει διελθεῖν αὐτόν. 9000 Stadien sind = 1,125,000 hritt,

4.

Char. p. 203 K. fr. 12 P. Coelius historiarum I: Sempronius Lily- 0 celocem in Africam mittit, visere locum, ubi exercitum exponat.

Es ist die Expedition des Consuls Sempronius nach Afrika 6/218, die freilich nie zur Ausführung kam. Liv. 21, 17, 6; —51; Pol. 3, 41, 2; App. Jb. 14. Auffallend ist, dass diese hier a Coelius erwähnte Massregel von keinem der uns erhaltenen ariftsteller sonst erwähnt wird; mit dem Berichte des Livius steht

sogar fast im Gegensatz. Es geht daraus hervor, dass Livius

ner Darstellung der sicilischen Ereignisse des Jahres 536/218 Coelius nicht zu Grunde gelegt hat. Pol. 3, 41, 2 deutet den rfall von weitem an: Τιβέριος Σεμπρώνιος εἰς Λιβύην ἑκατὸν IKovra cxágect πεντηρικοῖς (ἐξέπλει), οἷς οὕτως καταπληκτικῶς ἐβάλετο πολεμεῖν καὶ τοιαύτας ἐποιεῖτο παραςκευὰς ἐν τῷ λυβαίῳ, πάντας καὶ πανταχόθεν ἀθροίζων, ὧς εὐθέως ἐκ τάπλου πολιορκήςων αὐτὴν τὴν Καρχηδόνα.

Gilbert erblickt p. 420 und 465 in den Worten des Coelius wie des lybius “eine tendenziös gefärbte Darstellung der überstürzten und Miesslich doch resultatlosen Zurüstungen des Sempronius". Dass 3 Zurüstungen des Sempronius sehr energisch und mit grosser hnelligkeit vollzogen waren, sagt Polyhius, dass sie aber 'über- Irzt’ gewesen seien, ist neu. RBesultatlos waren sie; doch hiefür δὶ die Schuld nicht Sempronius, sondern die unvermuthete An- aft Hannibals in Italien, und, wenn man weiter gehen will, den mischen Senat. Sollte aber Sempronius ein Vorwurf dennoch Mfen, so ist ein solcher wenigstens in Polybius und Coelius nicht sgedrückt.

16 Wilhelm Sieglin:

5.

Char. p. 217 K. fr. 24 P. Coelius historiarum I: Commodum est, salis videlur. Nec enim pro 'sufficienti', inquit Paulus, accipi debet, sed pro “pari’ et *aequo'.

Gilbert übersetzt p. 405 richtig: “Es ist einerseits vortheilhaft, andrerseits billig’; aber die Erklärung, die er gibt, ist gezwungen. Er legt die Worte einer Rede des Fabius im römischen Senate bei, “als Formulirung dessen gemässigter, vermittelnder Forderung’, Han- nibals Auslieferung von den Carthagern zu verlangen. Des Fabius Ausdrucksweise wäre so recht schief; auch kennt Livius eine ganze derartige Rede nicht. Jedermann wird auf die Unterbringung eines Wortes verzichten wollen, das unendlich oft gesprochen werden konnte; denn welcher Redner hält nicht seinen Antrag für vortheil- haft und recht? Das naheliegendste wäre noch das Fragment mit der Bitte des M. Junius, Liv. 22, 59 in Verbindung zu bringen, der nach der Schlacht bei Cannae im römischen Senat beantragte, die. von Hannibal gefangenen Römer loszukaufen, und dabei sowohl das Vor- theilhafte wie das Billige eines solchen Schrittes hervorhob. Aber auch dies hat keinen Ausspruch auf Sicherheit; es hat nur für sich, dass der in Coelius ausgedrückte Gedanke hier wenigstens überliefert ist.

6.

Char. p. 220 K. fr. 60 P. Subinde Nepos de illustribus viris IL Sed et Brutus et Coelius frequenter eo usi sunt.

Ueber die Bedeutung des Wortes 'subinde' s. Wölfflin, Antiochus p. 84. Brutus, der Epitomator des Coelius, hat dieselbe vermuthlich letzterem nachgeahmt.

7.

Char. p. 126 K. (fehlt bei Peter) Dii p. die sive diei lucan paulus enim libra die somniq. pares ubi fecer. h. 6....n teiis arguit

à diiq. ut sis p. legendum $6 definit itq. in coeli hist. lib. 1. cum.... ere dephendes.

Um die Stelle zu erklären, ist Gell 9, 14 zuzuziehen: Sie pleraque aetas veterum declinavit: “haec facies, huius facies?, quod nune propter rationem grammaticam “faciei” dicitur. Corruptos autem quosdam libros repperi, in quibus “faciei” scriptum est, illo quod ante scriptum erat, obliterato. Meminimus etiam in Tiburti bibliotheca invenire nos in eodem Claudi libro scriptum utrum- que “facies’ et 'facii'. fed 'facies? in ordinem scriptum fuit et contra per i geminum 'facii', neque id abesse quadam con- suetudine prisca existimavimus; nam et ab eo, quod est 'hic dies” tam “huius dies’, quam “huius dii', et ab eo, quod est "haec fames",

|

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 17

tam "huius famis", quam “huius fami! dixerunt. Quocirca factum hercle est, ut facile his credam, qui scripserunt, idiographum librum Vergilii se inspexisse, in quo ita scriptum est:

Libra dies somnique pares ubi fecerit horas

id est "libra diei somnique'. Sed sicut hoc in loco dies a Vergilio scriptum videtur, ita in illo versu [Aen. 1, 636] non dubium est, quin dii scripserit pro diei:

Munere laetitiamque dii,

quod imperitiores ‘Dei’ legunt, ab insolentia scilicet vocis istius abhor- rentes. Sic autem “dies, dii? a veteribus declinatum est, ut 'fames, fami", pernicies, pernicii', progenies, progenii”, *luxuries, luxurii’, “acies, acil". Aut "facies" ergo in casu patrio aut “facii’ Quadrigarium scripsisse existimandum est; "facie! autem in nullo veteri libro scriptum repperi. Ausser der getadelten Lesart 'diei' war die letztgenaunte und ebenfalls zurückgewiesene auf 'e', d. h. ‘die’ an unserer Stelle sehr hüufig, Prisc. VII, p. 366; 367; XVII, p. 189; Prob. p. 3, wozu noch Servius zu vergleichen ist zu Aen. 1, 636. So schlage ich vor zu lesen: Di pro die seu diei Lucanus. Paulus enim in

Libra die somnique pares ubi fecerit horas

corruptum ‘die’ arguit, “dii’que aut ‘dies’ potius legendum esse de- finit, idque in Coeli historia libro I eum disserere deprehendes.

Dass der citirte Vers nicht in Lucan, sondern Verg. Georg. 1, 208 steht, wird nichts zur Sache thun. Die Verwechselung ge- schah vermuthlich durch das ähnlich klingende Luc. 8, 467

Tempus erat, quo libra pares examinat horas.

Das Wort 'dii ^ wird aber ebenso unter die Fragmente des Coelius zu reihen sein, wie “subinde’, “nucerum’, “calvaria’ und andere.

Abgesehen von den beiden letzten, die nur aus vereinzelten Worten bestanden, liessen sich alle 7 Fragmente in Coelius' Bellum Punieum einreihen. Citirt sind 5 unter dem Titel *Historiarum lib. I’; zwei, fr. 1 und 6 (27 und 60 P.) unter *Coelius'. Dreimal, fr. 2, 5, 7 (10 und 24 P.) verweist Charisius auf Paulus, den Grammatiker und Freund des Gellius, und ihm wird er wohl auch die übrigen Frag- mente verdanken. Er nennt das Werk 'Historien', nicht “Annalen, wie es Nonius gethan hatte; dies aus Willkür. Seit langer Zeit waren beide Worte so gut wie gleichbedeutend geworden Serv. ad den. 1, 373; Gell. 5, 18 und Krause, Vitae et fragm. vet. Hist. Rom. p. 12 f. Oft genug gebrauchen die Grammatiker von einem und demselben Werke beide Namen.

Jahrb. f class. Philol. Suppl. Bd. XI. 2

16 Wilhelm Sieglin:

5.

Char. p. 217 K. fr. 24 P. Coelius historiarum I: Commodum est, salis videlur. Nec enim pro “sufficienti’, inquit Paulus, accipi debet, sed pro 'pari' et “aequo”.

Gilbert übersetzt p. 405 richtig: “Es ist einerseits vortheilhaft, andrerseits billig’; aber die Erklärung, die er gibt, ist gezwungen. Er legt die Worte einer Rede des Fabius im römischen Senate bei, “als Formulirung dessen gemässigter, vermittelnder Forderung’, Han- nibals Auslieferung von den Carthagern zu verlangen. Des Fabius Ausdrucksweise wäre so recht schief; auch kennt Livius eine ganze derartige Rede nicht. Jedermann wird auf die Unterbringung eines Wortes verzichten wollen, das unendlich oft gesprochen werden konnte; denn welcher Redner hält nicht seinen Antrag für vortheil- haft und recht? Das naheliegendste wäre noch das Fragment mit der Bitte des M. Junius, Liv. 22, 59 in Verbindung zu bringen, der nach der Schlacht bei Cannae im römischen Senat beantragte, die von Hannibal gefangenen Römer loszukaufen, und dabei sowohl das Vor- theilhafte wie das Billige eines solchen Schrittes hervorhob. Aber auch dies hat keinen Ausspruch auf Sicherheit; es hat nur für sich, dass der in Coelius ausgedrückte Gedanke hier wenigstens überliefert ist.

6.

Char. p. 220 K. fr. 60 P. Subinde Nepos de illustribus viris IL Sed et Brutus et Coelius frequenter eo usi sunt.

Ueber die Bedeutung des Wortes ‘subinde’ s. Wölfflin, Antiochus p. 84. Brutus, der Epitomator des Coelius, hat dieselbe vermuthlich letzterem nachgeahmt.

7.

Char. p. 126 K. (fehlt bei Peter) Dii p. die sive diei Jucan paulus enim libra die somniq. pares ubi fecer. h. 6....n teiis argui

à diiq. ut sis p. legendum 88 definit itq. in coeli hist. lib. 1. cum.... ere dephendes.

Um die Stelle zu erklären, ist Gell 9, 14 zuzuziehen: Sie pleraque aetas veterum declinavit: “haec facies, huius facies", quod nunc propter rationem grammaticam “faciei’” dicitur. Corruptos autem quosdam libros repperi, in quibus 'faciei? scriptum est, illo quod ante scriptum erat, obliterato. Meminimus etiam in Tiburt bibliotheca invenire nos in eodem Claudii libro scriptum utrum- que “facies’ et 'facii'. Sed “facies’ in ordinem scriptum fait et contra per i geminum 'facii', neque id abesse a quadam oo suetudine prisca existimavimus; nam et ab eo, quod est "hio dies’ tam 'huius dies’, quam "huius dii', et ab eo, quod est "haee fames,

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 17

am 'huius famis’, quam “huius fami? dixerunt. Quocirca factum ercle est, ut facile his credam, qui scripserunt, idiographum librum 'ergili se inspexisse, in quo ita scriptum est:

Libra dies somnique pares ubi fecerit horas

1 est "libra diei somnique'. Sed sicut hoc in loco dies a Vergilio eriptum videtur, ita in illo versu [Aen. 1, 636] non dubium est, uin dii scripserit pro diei:

Munere laetitiamque dii,

uod imperitiores ‘Dei’ legunt, ab insolentia scilicet vocis istius abhor- entes. Sic autem “dies, dii' a veteribus declinatum est, ut “fames, 1mi', “pernicies, pernicii', “progenies, progenii’, *luxuries, luxurii’, 1cies, acii. Aut "facies" ergo in casu patrio aut “facii’ Quadrigarium eripsisse existimandum est; “facie’ autem in nullo veteri libro scriptum epperi. Ausser der getadelten Lesart 'diei' war die letztgenannte nd ebenfalls zurückgewiesene auf 'e', d. h. ‘die’ an unserer Stelle ehr häufig, Prisc. VII, p. 366; 367; XVII, p. 189; Prob. p. 3, wozu ‚och Servius zu vergleichen ist zu Aen. 1, 636. So schlage ich 'or zu lesen: Dii pro die seu diei Lucanus. Paulus enim in

Libra die somnique pares ubi fecerit horas

;orruptum “die” arguit, “dii’que aut ‘dies’ potius legendum esse de- init, idque in Coeli historia libro I eum disserere deprehendes.

Dass der citirte Vers nicht in Lucan, sondern Verg. Georg. 1, 208 steht, wird nichts zur Sache thun. Die Verwechselung ge- schah vermuthlich durch das ähnlich klingende Luc. 8, 467

Tempus erat, quo libra pares examinat horas.

Das Wort “dii” wird aber ebenso unter die Fragmente des Coelius zu reihen sein, wie 'subinde', “nucerum’, 'calvaria' und andere. | |

Abgesehen von den beiden letzten, die nur aus vereinzelten Worten bestanden, liessen sich alle 7 Fragmente in Coelius’ Bellum Punicum einreihen. Citirt sind 5 unter dem Titel *Historiarum lib. I’; zwei, fr. 1 und 6 (27 und 60 P.) unter “Coelius’. Dreimal, fr. 2, 5, 7 (10 und 24 P.) verweist Charisius auf Paulus, den Grammatiker und Freund des Gellius, und ihm wird er wohl auch die tibrigen Frag- mente verdanken. Er nennt das Werk Historien', nicht ‘Annalen’, wie es Nonius gethan hatte; dies aus Willkür. Seit langer Zeit Waren beide Worte so gut wie gleichbedeutend geworden Serv. ad den. 1, 373; Gell 5, 18 und Krause, Vitae et fragm. vet. Hist. Hom. p. 12 f. Oft genug gebrauchen die Grammatiker von einem Und demselben Werke beide Namen.

Jahrb, f£. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 9

18 Wilhelm Sieglin:

III. Priscian hat 11 Fragmente.

1.

Prisc. III, p. 98 H. fr. 22 P. Coelius in I. historiarum: Dexii- mos in dexiris scuta iubet habere.

Nach der Schlacht bei Cannae fordert Sempronius Tuditanus die abgeschnittene Besatzung des kleineren römischen Lagers auf, sich durch die umherstreifenden Carthager durchzuschlagen und mit den 10,000 Mann, die im grósseren Lager sich befanden, das 1000 Schritte entfernt, auf dem jenseitigen Ufer lag, sich zu vereinigen. Die Römer folgen seiner Mahnung: links sind sie durch den Fluss gedeckt, rechts "translatis in dextrum scutis’, Liv. 22, 50, 11, und so entrinnen sie.

Dextimos glaubt Gilbert p. 367, habe Superlativbedeutung, ent- gegen den Zeugnissen von Nonius p. 94 M.: dextima pro dextra, mit folgendem Beleg aus Varro; Fest. p. 74 dextimum et sinistimum antiqui dixerunt; vgl. Sall. Iug. 100, 2 Sulla cum equitatu apud dexti- mos, in sinistra parte A. Manlius; Stellen, die bekunden, dass dexti- mus trotz der Form dieselbe Bedeutung wie dexter hat. Damit nun, dass dextimi den ä&ussersten rechten Flügel bedeute, will Gilbert eine Differenz des Coelius und Livius entdecken, um so einen weiteren Beweis zu bekommen, dass letzterer den Coelius in der ersten Hälfte der dritten Dekade nur wenig benützt habe.

2.

Prisc. VI, p. 198 fr. 26 P. Coelius: Nullae nationi tot tantas tam continuas viclorias tam brevi spatio datas arbitror quam vobis.

Nach der Niederwerfung der Rómer bei Cannae wurde Mago von Hannibal nach Carthago gesandt, um dem dortigen Senate Be- richt über den bisherigen Erfolg des Krieges zu erstatten. Mago zählte alle Siege seines Bruders auf und forderte die Carthager auf, Liv. 23, 11, 12 pro his tantis totque victoriis verum esse grates deis immortalibus agi haberique.

3.

Prisc. VI, p. 226 H. fr. 37 P. Coelius in V: Nullius alius rei nis amicitiae eorum causa.

Hannibal erklärt den Italern zu wiederholten Malen, dass er nur ihnen zu Liebe und um sie von der römischen Herrschaft zu be- freien, nach Italien gekommen sei; nach der Schlacht an der Trebia Pol. 3, 77, 6, nach der Schlacht am Trasimener See Pol. 3, 85, 4; nach Cannae Liv. 22, 58, 2 und oft. Aber auch die Römer lassen

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 19

es ertönen. Im Jahre 542/212 versichern sie den von ihnen be-

lagerten nnd hart bedrängten Syracusanern, dieselben brauchen keine Furcht zu haben, es sei nur ein Act der Freundschaft, wenn sie ihre Stadt belagern, Liv. 25, 28,7 Romanis causam oppugnandi Syracusas fuisse caritatem Syracusanorum; ähnlich 24, 33, 5; und so finden sich eine Reihe von Stellen, wo das Fragment untergebracht werden kann.

4.

Prisc. VIII, p. 383 H. fr. 2 P. Coelius: Ex scriptis eorum qui veri arbitrantur, passive, ὑπολαμβάνονται.

Dies Fragment wird seit Nauta p.16 dem Proümium zugeschrieben, vgl. Cic. Or. 69, 230 (fr. 1 P.). Coelius erklärt, er wolle bei der Ab- fassung seines Werkes schöpfen ‘aus den Schriften solcher Männer, die für wahrheitsliebend und zuverlässig gelten’ .

Nach Gilbert p. 377 u. 462 zeigen’ uns die vorliegendeu Worte, ‘dass Coelius’ Werk weniger auf selbstständigen Unter- suchungen beruht, als aus Excerpten aus anderen Darstellungen des zweiten punischen Krieges, d. h., dass er eine Verarbeitung der siemlich zahlreichen Werke von Zeitgenossen, die jenen Krieg be- handelten, gab’. Dass dies in des Coelius’ Worten enthalten sein ‘soll, habe ich nicht finden können.

5.

Prisc, VIII, p. 386 H. fr. 62 P. Lucius Coelius: Ub senatus intellexit populum depeculari.

Peter p. COXXXIII stósst sich daran, dass hier allein von 11 Fällen Priscian dem Coelius den Vornamen zuweist; hält das Frag- ment darum für unächt und schreibt es Lucius Caesar und dessen Schrift *Auguralia’ zu. Abgesehen davon, dass L. Caesar selbst in den beiden Malen, da er von Priscian citirt wird, das eine Mal mit, das andere ohne Vornamen genannt wird, die Schwierigkeit also nieht gehoben, nur auf diesen übertragen wird, ist es bei Priscian überhaupt Regel, nach Belieben in der Benennung der von ihm er- wähnten Autoren abzuwechseln, nach Belieben oder nach Vorlage seiner Quellen. So citirt er Cato unter “M. Cato" auch nur einmal, VII, p. 293; unter “Cato’ dagegen V, p. 152; 182; VI, 227; 264; VIII, 383; IX, 487; X, 537 u. 6.; unter ‘Cato Censorius’ IV, 129.

o citirt Priscian den L. Cassius Hemina mit dem Vornamen zur einmal IX, 482; unter Cassius Emina’ VII, 347; IX, 537; XII, 087; unter “Emina’ VII, 294; unter 'Cassius' VIII, 380. Den Claudius Quadrigarius erwähnt er unter ‘Quadrigarius’ X, 541; unter 'Claudius' VI, 232; VII, 347; VIII, 484; welche Beispiele genügen werden. Ist das Fragment aber ächt, 80 ist mir nur Eine Stelle be- kannt, wo es untergebracht werden könnte, Ich vermuthe, dass von

9*

20 Wilhelm Sieglin:

den publicani Postumius Pyrgensis und Pomponius Vejentanus die Rede ist, die 542/212 durch ihre grossartigen Betrügereien das Volk ausplünderten, so dass der Praetor Aemilius dem Senat dar- über Bericht erstattete. Der Senat sah das Unwesen zwar ein, wagte jedoch nicht, energisch aufzutreten, Liv. 25, 3, 12.,

6.

Prisc. VIII, p. 399 H. fr. 8 P. Coelius in I: Qui intellegunt quae fiant, dissentiuntur.

Die Worte gehóren Verhandlungen an; vermuthlich also den Kriegsverhandlungen des Jahres 536/218 oder den früheren Debatten des carthagischen Senats, die nach Livius über Hannibals militärische Ausbildung in demselben stattfanden. Auf diesen letzten Fall passen sie am besten, Liv. 21, 3, auf die Rede Hannos, der den Rath gab, den jungen Hannibal nicht nach Spanien in Hasdrubals Lager gehen zu lassen, sondern ihn in Carthago zurückzubehalten und ihn zu lehren, gleich seinen Altersgenossen, wie man den Gesetzen ge- horche. Die Verstündigen, die einsahen, was kommen werde, hatten da Hanno zugestimmt und dem Antrag Hasdrubals sich widersetzt; Liv. c. 4, 1 pauci ac ferme optimus quisque Hannoni ad- sentiebantur, sed ut plerumque fit, maior pars meliorem vicit.

1.

Prisc. VIII, p. 432 H. fr. 36 P. Coelius in V: Morboswm factum, ut ea quae oportuerint, facta non sint.

Morbosus ist ein seltenes Wort und heisst, wie aus Gell, 4, 2 hervorgeht, in der gewöhnlichen Volksrede ‘mit einem Fehler be- haftet’. Es heisst "krank", Cato der. r. 2 extr.; Varro d. r. r. 2, 1,215 Fest. p. 139; dagegen in übertragener Bedeutung 'schlimm', “unheil- voll Catull 57, 6; Priap. 46, 2. Diese letztere Bedeutung hat es in unserem Falle, da das Fragment sonst einen schiefen Sinn giebt und in der abhängigen Rede das Subject schwer ergänzt wird. Bei den häufigen Vorwürfen, die die römische Aristokratie von der Plebs hat hören dürfen, ‘für ihre langsame und energielose Kriegsführung? ist es müssig, Conjecturen aufzustellen, welchem genaueren Zusammen- hange unser Fragment nun entnommen ist.

8.

Prisc. IX, p. 484 H. fr. 32 P. Coelius in IIII: Custodibus dis- cessis mulli inter iciuntur.

Auf die Erklärung dieses Fragments muss verzichtet werden; der Inhalt derselben findet sich in keinem der uns erhaltenen Schrift-

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 91

steller des Hannibalischen Krieges. Vermuthlich sollte die Ueber- rumpelung irgend einer italischen Stadt geschildert werden; man vergleiche die von Tarent, Liv. 25, 9, 15.

9

Prisc. X, p. 510 H. fr. 6 P. Coelius in I: Qui cum is ita foedus icistis.

Ist aus der Rede Liv. 21, 18, die ein gewisser Hasdrubal im carthagischen Senate hielt: Vos enim, quod C. Lutatius consul primo nobiscum foedus icit. Vgl. Wölfflin, Antiochus p. 34; Weissen- born zu Liv. a. a. O.

10.

Prisc. XIII, p. 8 H. fr. 3 P. Coelius in I: Neque ipsi eos alü modi esse atque Amilcar dixit ostendere possunt aliter.

Abermaliges Bruchsttick aus den Hannonischen Reden; die "ipsi sind die Barcinen; unter 'eos' sind die Rómer gemeint.

11.

Prise. XIII, p. 8 H. fr. 4 P. Coelius in I: Antequam Barcha perierat, alis rei causa in Africam missus.

Trotz Wölfflins Ausführung, Antiochus p. 46, halte ich mit Nauta p. 21 daran fest, dass mit dem Fragmente Hannibal gemeint ist, nicht Hasdrubal. Es sollte damit Liv. 21, 1, 4, wonach der neun- jährige Hannibal mit seinem Vater Hamilcar nach Spanien gegangen war, mit einer andern Tradition 21, 3, 1 vermittelt werden, die den mannbar gewordenen Hannibal als in Carthago aufgewachsen voraus- setzt. Das Unvereinbare dieser beiden Traditionen hat Wölfflin selbst & ἃ, Ὁ. nachgewiesen. Wäre Hasdrubal mit Beziehung auf Diodor 25, 14 gemeint, so müsste damit eine weit ausführlichere Vor- geschichte des zweiten punischen Krieges als Einleitung in Coelius' erstem Buche vorausgesetzt werden, als Livius und Dio-Zonaras bieten, und zu einer solchen Annahme haben wir keine Veranlassung.

Priseian nennt meist nur das Buch, aus dem die Fragmente genommen sind, nicht den Titel des Werkes; an einer Stelle gibt er "Historige' als denselben an, fr. 1 (22 P.) Alle Fragmente bei Priseian behandeln Ereignisse des zweiten punischen Krieges, oder besser zu sagen, da einige wegen ihres allgemeinen Inhalts nicht sicher zu erklären waren, sie legten einer Einsetzung in eine Ge- schichte dieses Krieges nichts in den Weg. Auch Priscian hat offen- bar nur Ein Werk des Coelius vor sich.

99 Wilhelm Sieglin:

IV. Gellius bat 2 Fragmente.

1.

Gell. 10, 24, 6 fr. 25 P. Suppetit etiam Coelianum illud ex libro historiarum secundo: si vis mihi equitatum dare, et ipse cum cetero exercitu me sequi, diequinti Romae in Capitolium curabo tibi cena sil cocta. Et historiam &utem et verbum hoc sumpsit Coelius ex origine M. Catonis, in qua ita scriptum est: Igitur dictatorem Carthaginiensium magister equitum monuit: Mitte mecum Romam equi- tatum; diequinti in Capitolio tibi cena cocta. erit.

Es ist das bekannte Wort des Maharbal, als dieser unmittelbar nach der Schlacht bei Cannae Hannibal anfforderte, stehenden Fusses nach Rom zu eilen und die Stadt im ersten Schrecken zu überrumpeln. Liv. 22, 51, 2: immo ut quid hac pugna sit actum sciag, die quinto vietor in Capitolio epulaberis. sequere; cum equite, ut prius venisse quam venturum sciant, praecedam. Plut. Fab. 17; Val. Max. 9, 5 ext. 3; Flor. 1, 22, 9; Zon. 9, 1 extr.; Sil. Ital. 10, 374; Hist. Misc. 3, 9.

Diequinti oder diequinte, sagt Gellius a. a. O., war in Ciceros und den älteren Zeiten die gewöhnliche Ausdrucksweise für die quinto: pleraque omnis vetustas sic locuta est. Gilbert p. 383 in seltsamem Widerspruch mit p. 389 ist der Ansicht, Coelius “ver- rathe überhaupt eine entschieden archaisirende (!) Tendenz’ und behalte darum ‘den alterthümlichen Ausdruck’ diequinte 'ab- sichtlich’ bei.

2.

Gell. 10, 1, 3 fr. 59 P. Tertio et quarto consul non tertium quartumgue, idque in principio libri T Coelium scripsisse.

Die Zahl ist nach '"libri' ausgefallen; doch ist dieselbe nicht schwer zu bestimmen. Im Laufe des zweiten punischen Krieges kommen nur einmal zwei Consuln vor, von denen der eine zum dritten, der andere zum vierten Male ihr Amt bekleideten, im Jahre 540/214. Es waren Q. Fabius Maximus IV. und M. Claudius Mar- cellus III. Da nun Coelius das erste Buch mit Sagunt 536/218 be- gonnen und dasselbe bis zur Schlacht bei Cannae 538/216 herab- geführt hat (Prisc. III, 98 fr. 22 P.; Non. p. 176 fr. 28 P.); im An- fange des zweiten Buches mit den Ereignissen unmittelbar nach der Schlacht, d. h. Sommer 536/216 fortfuhr (Gell. 10, 24, 6; fr. 25 P.), 80 kann dasjenige Buch, mit dem Coelius das Jahr 540/214 beginnt, nur das dritte sein. Dieser Schluss ist um so sicherer, als das Ver- fahren des Coelius auf diese Weise mit dem des Livius übereinstimmt. Livius erzühlt in Buch XXII nach der Schlacht bei Cannae die un-

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 23

mittelbar auf die Niederlage folgenden Ereignisse auf römischer Seite, bricht dann das Buch ab, fängt Buch XXIII mit den gleich- zeitigen auf carthagischer Seite an und endigt dasselbe mit Herbst 539/215 Liv. 23, 48, 4, vgl. Weissenborn zu 24, 1, 1. Es entspricht also Coelius lib. I = Liv. XXI und XXII; Coel. lib. II = Liv. XXIII. Coelius war nur in soferm consequenter denn Livius, als er den vor- liegenden Vorfall als in das carthagische Lager gehörig in Buch II erzählte.

Υ.

Macrob. Excerpt. Bob. p. 651 K. fr. 16 P. Coelius in primo: 1718 facilius est, bellum tractare; hoc est diu trahere.

Entstammit einer Rede; vermuthlich einer der vielen Kriegs- reden zu Eröffnung des Feldzuges, speziell einer carthagischer Seits gehaltenen. Denn die Römer sind es, denen es leichter fällt vermöge ihrer ausgezeichneten und ausgebildeten Heeresorganisation und der ungeheuren Menge von Reservetruppen, einen länger dauernden Krieg auszuhalten, als die Carthager, wie der Erfolg im Hannibalischen Kriege und vorher in den Kümpfen um Sicilien bewiesen hat. In den Reden von Hanno finden sich zwar von diesem Gedanken keine Spuren, wohl aber ein dem Fragment ähnlicher in der Rede Hanni- bals an seine Armee vor der Schlacht am Ticin Liv. 21, 44, 8. Dort führt Hannibal aus: ihren Gegnern stehen für den Fall einer Nie- derlage gesicherter Rückzug und neue Hilfsmittel zu Gebot; diese brauchen darum auf keine Entscheidung zu drüngen: illis timidis et ignavis esse licet; sie jedoch, die das alles nicht haben, haben in der kommenden Schlacht für Leben und Freiheit zu kämpfen. So beziehen wenigstens das Fragment Peter p. 151, und Weissenborn zu Liv. a. 8. O.

VI.

Flav. Caper de orthogr. p. 100 K. ‘Calva’ xpavıov vocatur, licet Coelius et Varro calvariam dicant.

Auch von Cn. Gellius, dem Annalisten, ist überliefert, dass er das Wort gebrauchte, Char. p. 139 K. s. v. osse: Quamvis Gellius libro XXXIII dixerit: Calvariaeque eius ipsum ossum expurgarunt inaursveruntque; und vielleicht beziehen sich beide Fragmente denn schwerlich wird Coelius in Gellius geändert werden müssen auf dieselbe Angelegenheit. Des Gellius Worte finden sich Liv. 23, 24, 11 (538/216): Postumius (praetor in Gallia) omni vi ne caperetur, dimicans occubuit. Spolia corporis capulque praecisum ducis Boi ovantes templo, quod sanctissimum est apud eos, intulere. Purgato inde capite, ut mos iis est, calvam auro caelavere, idque sacrum vas iig erat, quo solemnibus libarent, poculumque idem sacerdoti esse ac templi antistibus.

94 Wilhebm Sieglin:

Wie Padbeh wm u Ausscheidung von 2 Fragmenten, die wir andern Sobre suweisen mussten, 33 Fragmente des Coelius aus 6 Autor qNVYORBODB, die sich s&mmtlich auf dessen Bellum Punieum exe buren. liessen. Bei einigen, die zu sehr aus dem Zusammenhang herausgerissen waren, konnte, wie bemerkt, näheres über Weit wd Urt nicht mehr bestimmt werden; bei keinem jedoch erfand sich der Inhalt als unvereinbar mit der Geschichte des Hanni- balischen Krieges; keines gab Veranlassung, eine Digression an- zunehmen, Diese 33 Fragmente nöthigen ein einheitliches Werk voraussusutzen, aus dem sie alle entnommen sind.

Ihnen stehen nun gegenüber:

I. Plinius mit 3 Fragmenten.

1.

Plin. N. H. 2, 67, 169 fr. 56 P. Hanno Carthaginis potentia florente circumvectus Gadibus ad finem Arabiae navigationem eam prodidit scripto, sicut ad extera Europae noscenda missus eodem tempore Himilco. Praeterea Nepos Cornelius auctor est, Eudorzum quendam sua aetate, cum Lathyrum regem fugeret, Arabico sinu egressum Gades usque pervectum, multoque ante eum Coelius Antipater vidisse ge, qui navigasset ex Hispania in Aethiopiam commercii gratia.

Ueber die Umschiffung Afrikas vergleiche Posidonius bei Strabo 2, 3, 4 p. 99; Pomp. Mela 3, 5, 9, in denen die hier erwühnten Fahr- ten fast alle erwühnt sind. Mart. Cap. 6, 621 nach Plinius: Coelius Antipater se hominem vidisse confirmat, qui negotiationis ardore in Aethiopiam ex Hispania navigasset.

2.

Plin. 3, 19, 132 fr. 13 P. Alpes in longitudinem ducenta quinqua- ginta milia passuum palere a supero mari ad inferum Coelius tradit, Timagines viginti quinque milia passuum deductis; in latitudinem autem Cornelius Nepos cenfum milia; T. Livius iria milia stadiorum, uterque diversis in locis.

Die Zahl, die Coelius angab, ist in den Handschriften verschrie- ben; durch eine leichte Umstellung ist ccL cIo zu cIo cIo der vierfachen Hóhe geworden. Strabo 5, 1, 3 p. 211 finden wir. das richtige.

Unser Fragment gibt die Entfernung zwischen Genua und Aqui- leja an. Man kann schwanken, ob das Fragment einem Berichte über Hannibals Alpenübergange und einem die Geographie dieses

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 95

Gebirges betreffenden Excurse entnommen ist, oder ob es, wie bei Strabo a. a. O., durch die Angabe der grössten Breite die Grösse von Gallia Cisalpina bestimmen soll. Letztere Beziehung scheint die wahrscheinlichere, wenngleich die Frage, losgelöst wie die Worte sind, nicht entschieden werden kann. Immerhin ist zuzugeben, wenn sich Coelius durch die Expedition Hannibals veranlasst fühlte, die von diesem durchzogenen Gegenden, die Länge des Wegs und die Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, zu schildern und zu er- klären, so war bei den Alpen eine Angabe über deren Breite oder auch deren Höhe zu erwarten, nicht über die Entfernung der äusser- sten Enden, da das erstere allein für Hannibal in Betracht kam und für den Leser und dessen Verstündniss Bedeutung hatte. Und doch wird gerade für diese Breite nicht Coelius, sondern Nepos und eine nicht erhaltene Stelle des Livius als Beleg angeführt. Nehmen wir gleichwohl an, Coelius habe beides berichtet, Länge, Höhe und Breite des Gebirges, mit andern Worten, was auch die gewöhnliche An- nahme ist, er habe eine fórmliche Beschreibung der Alpen ge- geben, so würde es nahe legen, dass Plinius, der die vorliegende Partie des Coelius gelesen hat und einmal zu Rathe zieht, dieselbe da, wo er die Alpen und ihre Bewohner schildert, benützt, im Anfange seines dritten Buches. Eine Alpenbeschreibung von Seiten des Coelius wäre eines der ältesten und schätzbarsten Hilfsmittel für Plinius ge- wesen. In seltsamer Inconsequenz verschliesst sich jedoch derselbe auch an dieser Stelle gegen die naheliegende und gekannte Quelle; erst zu Ende des Buches, da Plinius die Alpen bereits verlassen hat und da er sich anschickt, die Geographie Oberitaliens zu geben, nimmt er den Coelius zur Hand, Brunn, De auctor. indic. Plinian. p. 5. Auch in Livius und Cassius Dio, die auf Coelius! Bellum Punicum zurückgehen und die beide geographische Beschreibungen oft genug ihren Quellen entnommen haben, auch in ihrer Darstellung von Hannibals Alpenübergang hat sich nicht die geringste Spur erhalten, dass ihre Quelle in eine derartige Digression sich ergangen hat. Halten wir nun diesem Strabo entgegen, von dem wir eine Benützung des Coelius mehrfach wahrnehmen werden, und den Zusammenhang, in dem Strabo die in unserem Fragmente erhaltene Zahlangabe brachte, so ergibt sich als berechtigtere Annahme, dass dieselbe nicht Hannibals Alpenübergang ihren Ursprung zu verdanken hat, sondern einer Schilderung Oberitaliens entnommen ist, zumal da uns noch durch ein Fragment des Coelius selbst bezeugt ist (fr. 31 P. Serv. ad Georg. 1, 77), dass dieser eine solche Beschreibung gegeben.

3.

Plin. 31; 2, 21 fr. 51 P. Ctesias tradit, Siden vocari stagnum in Indis, in quo nihil innatet, omnia mergantur; Coelius apud nos in Averno etiam folia subsidere; Varro aves, quae advolaverint, emori.

26 Wilhelm Sieglin:

Die Angabe des Ctesias findet sich noch Diod. 2, 37, 7; Antig. Hist. Mir. 146 p. 95 W. (an welchen beiden Stellen die Quelle Ci)Aa oder CiAa genannt wird); Isid. Orig. 13, 13, 7 und Sotion Excerpt. 3 p. 183 W.

Letzterer, der vielfach Notizen aus Ctesias überliefert, beruft sich auch hier ausdrücklich auf denselben, obgleich er auffallender Weise den Vorgang anders erzählt: κρήνη ἐν Ἰνδοῖς, τοὺς κολυμβῶντας ἐπὶ τὴν γῆν ἐκβάλλει ὡς ἀπ᾽ ὀργάνου, ὡς ἱετορεῖ Κτηςίας. Es ist dies desshalb zu erwähnen, weil Sotion an einer andern Stelle 28, p. 188 auch das vorliegende Fragment des Coelius wiedergibt, gleichfalls etwas ausführlicher und darum gleichfalls nicht aus Plinius schópfend. Nur nennt er den Namen des Coelius nicht. A.a. O. 'Aovépvóc écri λίμνη ἐν Ἰταλίᾳ περὶ Κούμας, εἰς ἣν τὰ ἐκ τῆς περικειμένης ὕλης ἐμπίπτοντα φύλλα κάρφη ἀφανῆ γίνεται, βυθιζόμενα παραχρῆμα. Der ganze Vorfall ist von Coelius aus Ti- maeus entlehnt fr. 17 M. (Antig. H. M. 152 p. 97 W.), nur dass dessen Bericht um ein wenig harmloser ist: ἐκεῖνο μέντοι λέγει Τίμαιος, διότι ευνδένδρων τόπων ἐπικειμένων αὐτῇ (τῇ ᾿Αορνῖτι), καὶ πολλῶν κλάδων καὶ φύλλων διὰ τὰ πνεύματα τῶν μὲν κατακλωμένων τῶν δὲ ἀποςειομένων, οὐδέν ἐςτιν ἰδεῖν ἐπ᾿ αὐτῇ ἐφεςτηκός, ἀλλὰ διαμένειν καθαράν. Vgl. Anon. Mir. ausc. 102 p. 32 W.

4.

Noch ein viertes Mal hat Plinius den Coelius nachweislich be- nützt, in Buch XXXVI, wie die Quellenangabe zu demselben zeigt. Coelius steht dort als zweite Quelle aufgeführt, er wurde also, da ja Plinius seine Quellen in derselben Reihenfolge aufzählt, wie er sie benützt, aller Wahrscheinlichkeit nach für die Frage von Plinius ver- wandt, “Quis primus peregrino marmore columnas habuerit Romae’.

Von diesen 4 Füllen haben drei mit dem Hannibalischen Kriege nichts zu thun; bei einem musste die Beziehung zweifelhaft bleiben; aber auch für dieses ergab sich eine hóhere Wahrscheinlichkeit, dass es ausserhalb dieses Zusammenhangs seinen Ursprung zu suchen hat.

II.

Servius und die sonstigen Commentare zu Virgil mit 9 Fragmenten.

1

Serv. ad Aen. 3, 402 fr. 53 P. Hic illa ducis Meliboei parva Philoctetae subnixa Petilia muro.] Multi ita intelligunt, non, 'Philo- ctetae Petilia’, sed “Philoctetae muro’; nam ait Cato, a Philocteta, condita iam pridem civitate, murum tantum faclum. Alii “subnixam’ ideo accipiunt, quia imposita est excelso muro, ut Coelius historicus ait.

e

- a—— NEUEN PUES CENE p PULO, δα

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 97

Ist einer Beschreibung der Stadt Petelia in Bruttium entnommen. Petelia wird im Hannibalischen Kriege einige Male erwähnt, nie je- doch seine Befestigungsweise, Liv. 23, 20, 4; 23, 30, 1; 27, 26, 5; Pol. 7, 1, 8; App. Hann. 29; 57; 60. Was das gleichzeitig überlieferte Fragment des Cato betrifft, so wird dasselbe von allen Herausgebern dem dritten Buche der Origines unde quaeque civitas orta sit Italica zugeschrieben, nicht dem fünften, dem zweiten punischen Kriege, Jordan, Catonis quae extant p. 15, fr. 3; Peter p. 71 fr. 70.

Imposita est excelso muro | vgl. Strab. 6, 1, 3 p. 254 ἐρυμνὴ δ᾽ ἐςτίν.

2.

Serv. ad Aen. 4, 206 fr. 55 P. Coelius: Maurusü qui juxta Ocea- num colunt.

Die Mauren und Maurusier werden von Livius manchmal ge- nannt 21, 22, 3; 23, 26, 11, einmal sogar mit der Zufügung, dass sie im &ussersten Westen in der Nähe des Oceans wohnen, Liv. 24, 49, 5 Sypbax cum paucis equitibus in Maurusios ex acie Numidas extremi prope Oceanum adversus Gades colunt refugit, ad- fluentibusque ad famam eius undique barbaris ingentes prope copias armavit. Doch kann das Fragment ebenso gut mit fr. 56 P. Pliu. 2, 67, 169 in Verbindung gebracht werden, wo von der Umschiffung Afrikas die Rede war. Strabo wenigstens, der 2, 2, 4 p. 99 Cas. ausführlich tiber die Möglichkeit des genannten Unternehmens redet, und gleichfalls von einer von Cadix aus bewerkstelligten, aber un- freiwilligen Umschiffung berichtet, erzählt dabei, wie dieselbe ent- standen. Die Gaditanischen Fischer, sagt er, pflegen der Fischerei wegen bis an die Nordküste Mauretaniens zu fahren; einige beherzte sogar den Ocean entlang bis zum Lixus. Manche, fügt er hinzu, haben sich selbst über diese Grenze noch hinausgewagt, so das er- wühnte Schiff. Dieses sei nun bei dieser Gelegenheit von einem Sturm überrascht und in langer Irrfahrt bis Aethiopien verschlagen worden. Vermuthlich war eine solche von ihm selbst oder von einem andern, ganz oder nur bis in den Süden Afrikas gemachte Irrfahrt der Weg, der auch dem von Coelius erwühnten Kaufmann zu seinem kühnen Entschlusse verhalf; wie hätte er sonst die Ausführbarkeit seines Unternehmens vernehmen können? Gab nun Coelius, was sehr wahrscheinlich ist, an, wie sein Kaufmann auf die Idee gekommen, die verrufenen Pfade zu betreten, so musste er nothwendig die Mau- rusier erwähnen, die 'am Ocean wohnend' die Veranlassung zu der- selben gaben.

3.

Serv. ad Aen. 4, 390 fr. 58 P. Coelius historiarum: Delinquere frumentum, Sardiniam hostes tenere.

Wilhelm Sieglin:

Den Prag wiwint einer indirecten Rede zu entstammen, die

aber in die Zen dex sweiten punischen Krieges schwer einzufügen Int. Ἐκ werden nei Missstände aufgeführt, es fehle an Getreide, und Raydinien ei ven den Feinden besetzt. Ein Römer nun kann lie Werte ninht wohl gesprochen haben; Sardinien war 20 Jahre vor Heginn den Kriegen römisch geworden, und wurde seitdem von zwei wnbedeutendon Plünderungszügen abgesehen, Liv. 23, 40—41; g7, ὁ. 13. - von den Carthagern nicht mehr angegriffen, geschweige erobert, Auf cinon Carthager passen die Worte um nichts besser; am wenigaten der Anfang derselben: frumentum delinquere. Die ganze nord westliche Küste Libyens, Afrika, Numidien und Maure- tanien. war ja im Alterthum von ungewöhnlicher, sprichwörtlicher Kruchtbarkeit, ein Land, wo der Waizen 150fältige Frucht trug und zweimal im Jahre geerntet wurde (Plin. 15, 2, 8; 17, 5, 41; 18, 10, 94; Plut. Caes. 55; Tac. Ann. 12, 43). Eine Hungersnoth konnte im enrthugischen Reiche schwer entstehen; jedenfalls ist uns von keiner berichtet, dass wir unser Fragment darauf beziehen könnten.

Der Verlust Sardiniens aber Sardiniam hostes tenere war jm Jahr 636/218 ein sehr altes und längst verschmerztes Uebel; er wur durch die Eroberung Spaniens zehnfach aufgewogen. .

Wohl zählt Polybius 1, 82, 6 unter den Unglücksfällen, die die ('nrihager während des Sóldnerkrieges im Jahre 515/239 betroffen haben, auf: τὰς παρακομιζομένας ἀγορὰς ἐκ τῶν παρ᾽ αὐτοῖς xa- λουμένων ᾿Εεμπορίων, ἐφ᾽ αἷς εἶχον τὰς μεγίςτας ἐλπίδας περί τε τῆς τροφῆς καὶ τῶν ἄλλων ἐπιτηδείων διαφθαρῆναι cuveßn κατὰ θάλατταν ὁλοςχερῶς ὑπὸ χειμῶνος; aber auf diesen Vorfall unser Fragment zu beziehen, wie Gilbert p. 406 will, geht nicht wohl an, trotzdem dass die Insurrection der carthagischen Söldner auf Sardinien gleichzeitig begann Pol. 1, 82, 7. Dass das Fragment auf den Hannibalischen Krieg selbst nicht passt, hat Gilbert ein- gesehen und er versucht so diesen Ausweg, um demselben in einer die Vorgeschichte des Krieges umfassenden Einleitung gleichwohl Platz in Coelius’ Bellum Punicum zu verschaffen. Als Einleitung zum Hannibalischen Kriege eine Geschichte des Söldnerkriegs vorauszusetzen, ist jedoch misslich; um so misslicher, da das Frag- ment allem Anschein nach einer indirecten Rede entstammt, denn an einen inf. hist. ist nicht zu denken, die zu Hilfe gerufene Ein- leitung demnach sehr ausführlich gedacht werden müsste. Gilbert fasst die Worte des Polybius viel zu einseitig auf. Der Untergang einer mit Kriegsvorräthen beladenen Flotte war gewiss ein schmerz- licher Verlust für die carthagische Regierung; aber das Beklagens- werthe an dem Unfall war, wie aus Polybius hervorgeht, nicht sowohl der dabei zu Grunde gegangene Proviant, als die verlorene Flotte und die Kriegsvorräthe. Da ein Jahr des Misswachses nicht voraus- gegangen war, war der Proviant von geringerer Bedeutung und es hiesse die Mücke zum Elephanten machen, wenn Coelius davon in

gn

--- - D ug» (ist παν "Ὁ

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 29

einer Rede Lärm geschlagen hätte. Der nächste Verlauf des Söldner- kriegs zeigt keine auch nur irgend bemerkbare Lähmung der Ope- rationen, die der Verlust zur Folge gehabt- hätte; es geht daraus hervor, dass eben ein ‘Mangel’ an Getreide zu Carthago im Jahre 515/239 nicht existirt hat. Dazu kommt, dass die Besetzung Sar- diniens durch die Römer keineswegs gleichzeitig mit dem Untergang der carthagischen Flotte stattgefunden hat. Denn wer sollte unter den “hostes’ verstanden sein? Unmöglich, dies wird Jedermann zu- gestehn, carthagische Söldner, wenn sie auch in Empörung gegen ihre Regierung begriffen waren; die “hostes’” können nur auswärtige Feinde, Rómer sein. Mit den letzteren standen aber im genannten Jahre keinerlei Zwistigkeiten in Aussicht. Im Gegentheil: die Rómer unterstützten die Carthager in ihrem Kampfe durch ausgesprochene Begtinstigungen, und als endlich nach zwei Jahren ein Conflict sich erhob, der durch die Wegnahme Sardiniens durch die Rómer endete, ist von keinem “frumentum delinquere mehr die Rede. Aus allen diesen Gründen ist die Gilbert'sche Hypothese, auf deren ‘völlige Sicherheit der Verfasser selber verzichtet, zurückzuweisen, obwohl sie der einzig mögliche Versuch war, das Fragment mit der Ge- schichte des Hannibalischen Krieges in Verbindung zu bringen.

4

Serv. ad Aen. 6, 9 fr. 54 P. Coelius enim de Cumano Apolline ai: Est in fano signum Apollinis ligneum alium non minus pedes quin- decim, cuius meminisse putatur Vergilius.

Weder der Tempel noch das Bild des Apollo von Cumae wird in irgend einem Schriftsteller des Hannibalischen Krieges erwähnt. Beschrieben findet sich der Tempel Virg. Aen. 6, 14f.; erbaut war derselbe von Daedalus, Virg. a. a. O.

5

Serv. ad Aen. 10, 145 fr. 52 P. Coelius Troianum Capyn condi- disse Capuam tradidit, eumque fuisse Aeneae sobrinum.

Coelius stellt sich hier in Gegensatz zu Cato, der fr. 69 P. (Vell. 1, 7, 2) Capua von den Tuskern gegründet sein lüsst und auch die Zeit der Gründung bedeutend später ansetzte als Coelius, nämlich '260 Jahre vor der Eroberung durch die Römer? d.i. 283/471. Ver- muthlich hat darum Coelius ansführlicher über seine Ansicht ge- sprochen und sie begründet. Entlehnt ist dieselbe von Hecataeus fr. 27 M. (Steph. Byz. p. 357 W.) und findet sich noch bei Ariaethus in Dion. H. 1, 49 p. 128: τάς τε κολουμένας Καπύας Αἰνείου τε xai Τρώων ἀπόκτιςειν εἶναι, Καπύας óvopacoeícac ἀπὸ τοῦ Τρωϊκοῦ Κάπυος. λέγεται δὲ ταῦτα ἄλλοις τε καὶ ᾿Αριαίθῳ γράψαντι τὰ

30 Wilhelm Sieglin:

᾿Αρκαδικά; Eustath. zu Dion. Per. 357 ; Suet. Caes. 81; Etym. Magn. 8. v. Καπύη p. 490; Verg. a. a. O.

6.

Serv. ad Georg. 2, 197 fr. 35 P. Item Saturi locus iuxta Tarentum, quem Coelius in V libro Historiarum dicit nomen accepisse a Satura puella, quam Neptunus compressit.

Auch die Stadt Saturi oder Saturia kommt in keiner Darstellung des Hannibalischen Krieges vor. Die hier erwähnten Historise’ können schon desshalb wohl nicht identisch mit dem Bellum Punicum des Coelius sein, da der Abfall von Tarent sich in den früheren Büchern, selbst die Wiedereroberung der Stadt im vorigen Buche sich abgespielt hatte. Mit dem Jahre 543/211, dem letzten ver- geblichen Angriffe Hannibals auf Tarent, tritt dasselbe von dem Sehau- platz der Begebenheiten ab; und in Buch IV sind die Kriegsereignisse bis zum Jahre 544/210 hinabgeführt, s. p. 12. Geändert kann die Zahl V nicht werden, da unser Fragment auch in den Schol. Bern. ad Georg. 2, 197 sich findet, wo es lautet: Saturum Coelius in libro quinto historiarum dicit nomen accepisse a Satura puella, quam Neptunus compressit. Es wäre auch eine eigenthümliche, jeden Leser ermüdende Sitte von Seiten des Coelius, wenn er bei der Namensnennung jeder Stadt, die ihm im Laufe des Krieges begegnete, deren Etymologie und Gründungsgeschichte, in unserem Falle, wo es sich um Tarent handelt, die der umliegenden Städte geben. wollte.

T.

Schol. Veron. ad Aen. 5, 251 fr. 63 P. Lucretius in II: Iam tibi barbaricae vestes meliboeaque fulgens Purpura. Coelius: Mean .... factum Meandro duplici ....lana est qualis a Melibes.... ut velum.... Sic alius eum errantem, alius ludentem dicit. An potius duo opera Meandri in chlamyde texta? Placet hoc magis.

Das Fragment ist verstümmelt. Aber ich denke, das ist deutlich, dass es nichts mit dem zweiten punischen Kriege zu thun hat, son- dern vom Flusse Mäander handelt und seinem gekrümmten Laufe, der gewissen kunstvoll verschlungenen Zeichnungen auf bunten, ge- stickten Gewändern seinen Namen gab.

8.

Serv. ad Georg. 1, 77 fr. 31 P. Dicit (Virgilius) frumenta serenda non esse. Nam licet manu legantur et sint inter legumina: viribus tamen frumentis exaequantur. Coelius libro tertio seri avenam ostendit.

Recht ansprechend ist die Erklärung Gilberts p. 388: “Der Hafer war ursprünnglich nur als Unkraut in Italien bekannt: als solchen erwähnt ihn Cato r. r. 37; vgl. Cic. de fin. 5, 30, 91; Verg.

CU

Die Fragmente des L, Coelins Antipater. 31

ecl 5, 37; Georg. 1, 154; namentlich Plin. n. h. 18, 17, 149. Die Worte des Coelius zeigen, dass diese Getreideart zu Coelius! Zeit in Rom unbekannt war und dass Coelius ihre Verwendung bespricht und erklürt. Es scheint nun der Norden, speciell das gallische Gebiet zu sein, von wo die Benutzung des Hafers, wenigstens als Futter- kraut nach dem eigentlichen Italien hin sich allmählich verbreitet hat. Nach Plin. 18, 17, 149 sind es Germani populi (qui) eam serunt neque alia pulte vivunt. Nach demselben 18, 24, 205 sind es die Transpadani, welche in Bezug auf linum, avenam und papaver eine bestimmte Regel in der Aussaat beobachten. Das Fragment des Coelius scheint darum auf die gallischen Gebiete Norditaliens, speciell auf den ager Gallicus bezogen werden zu müssen’, und ist wohl einer Darstellung “über Land, Volk und Sitten dieser Landschaft’ ent- nommen. Eine solche ist nach dem Vorbilde Catos gemacht, der den gallischen Weinbau fr. 43, Mohnbau fr. 35, die gallische Schweine- zucht fr. 39 geschildert hatte, den gallischen Volkscharakter fr. 84,

9

Philar. ad Georg. 2, 345 fr. 48 P. Coelius in VII: Consuetudine uzoris, indulgitate liberum.

Auf die Möglichkeit, dieses Fragment mit dem zweiten punischen Kriege in Verbindung zu bringen, haben Nauta, Groen, Meltzer, Peter verzichtet. Nauta p. 49 bemerkt: equidem in toto bello Punico se- cundo neminem offendi, qui vel ob singularem in suos pietatem lauda- retur, vel quem ista causa ab reipublicae bellique curis averteret, vel in quem alio quocunque modo conveniret hoc fragmentum; und Groen p. 65 ruft verzweifelnd aus: is autem, qui probaliter dixerit, quorsum haec Coelii verba referenda sint, erit mihi magnus Apollo; auch wir müssen uns diesem Verzicht anschliessen.

Gilbert hat p. 461 eine Erklärung gefunden. Hannibal soll in Carthago 552/202 eine Rede gehalten haben, in der er darlegte, wie sein Vater der consuetudo uxoris, der indulgitas liberum, d. h. jedem Familienleben und Familienglück entsagt habe, um ausschliesslich dem Vaterlande zu dienen; dass er selbst (Hannibal) von frühester Kindheit an in das Lagerleben hineingezogen, die gróssten Thaten gethan; dass sein Verdienst also wohl unzweifelbar, sein Rath also auch beachtenswerth sei; und hieran habe er die Aufforderung ge- knüpft, unter jeder Bedingung mit Rom Frieden zu schliessen. Diese Rede ist natürlich nirgends überliefert, sondern von Gilbert selbst ge- macht. Bei der Erfindung derselben hat dieser nur vergessen, dass Hamilkar die consuetudo seiner Gattin so sehr genoss, dass er 3 Söhne und mindestens 2 Töchter zeugte; der Verzicht auf das Zu- sammenleben mit seinen Kindern bestand aber darin, dass er diese bekanntlich alle von vieren wissen wir es bestimmt selbst nach Spanien mit sich nahm.

32 Wilhelm Sieglin:

II. Solinus mit 2 Fragmenten.

*

1.

Solin. 2, 28 p. 42 M. Coelius .Aeetae tres filias dicit, Angitiam, Medeam, Circen. Circen Circeios insedisse monis, carminum male ficis varias imaginum facies mentientem ; Angiliam vicina Fucino occupavisse ibique salubri scientia. adversus morbos resisteniem, cum dedisset homines vivere, deam habitam; Medeam ab Iasone Buthroti sepultam filiumque ejus Marsis imperasse.

Ich lese mit cod. Par. und Bas. “Coelius’ statt 'C. Coelius! oder *Caecilius', H. Peter conjicirt *'Cn. Gellius’, was aus dem Grunde un- richtig ist, weil dieser Historiker im Gegensatz zu dem vorliegenden Fragment die Marser mit Marsyas, dem Führer der Lyder, in etymologischen Zusammenhang bringt Plin. 3, 12, 108 (fr. 8). “Wahrscheinlich hatte der archetypus “Coelius’ in “Caecilius’ ver- schrieben gehabt, eine Form, welche für den Namen des Coelius in den Citaten der verschiedenen Schriftsteller handschriftlich fast ebenso häufig überliefert ist, als der richtige Name Caelius oder Coelius;

hatte den Schreibfehler corrigirt, also etwa Cecilius oder Cecilius;

und so sind die Lesarten Celius (Coelius, Caelius), Cecilius, aber auch C. Celius und daraus G. Celius resp. Gaius Celius (Coelius, Caelius) leicht zu erklären. Mommsen setzt deshalb auch richtig Coelius: nur ist das von ihm gehaltene C., wie angedeutet, als aus dem ersten C. des ursprünglichen Namens Cecilius entstanden zu streichen’. (Gilbert p. 384). Einen Historiker C. Coelius giebt es nicht, und so weisen wir das Fragment mit Gilbert Coelius Anti- pater zu.

2.

Solin. 1, 7 p. 7 M. De temporibus urbis conditae ambiguitatum quaestiones excitavit, quod quaedam ibi multo ante Romulum culta sint. Quippe aram Hercules, quam voverat, si amissas boves rep- perisset, punito Caco patri Inventori dicavit. Qui Cacus habitavit locum, 9ui Salinae nomen est: ubi Trigemina nunc porta. Hic, ut Caelius tradit, cum a Tarchone Tyrrheno, ad quem legatus venerat, missu Marsyae regis socio Megale Phryge, custodiae foret datus, frustratus vincula et unde venerat redux praesidiis amplioribus occu- pato circa Volturnum et Campaniam regno, dum atirectare etiam ea audet, quae concesserant in Arcadum iura, duce Hercule qui tunc forte aderat, oppressus est. Megalen Sabini receperunt. disciplinam augurandi ab eo docti. Suo quoque numini idem Hercules institwit aram, quae mazima apud pontifices habetur, cum se ex Nicostrate,

5.

"c

o5 8 T W 44 γι dou

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 33

Euandri maire, quae a vaticinio Carmentis dicta est, immortalem com- perisset. Consaeptum etiam intra quod ritus sacrorum factis bovicidüs docuit Potitios, sacellum Herculi in Boario foro est, in quo argumenta εἰ convivii οἱ maiestatis ipsius remanent.

Diese sonderbare Darstellung des Cacus nicht als Hirten, son- dern als Kónig findet sich einzig noch in der Cumanischen Chronik, die Hyperochus herausgegeben Fest. p. 266, und Dion. Hal. 1, 42.

Die Handschriften haben statt "Coelius? “Cellius’ und “Gellius’; doch ist nach Strabo 5, 3, 3, p. 230 'Coelius' zu lesen, wie auch die meisten Ausgaben thun. Die Strabostelle lautet im Zusammenhange:

Αὕτη μὲν ὀΐν f| μάλιςτα πιςτευομένη τῆς "Piunc kríac Ectiv. ἄλλη δέ τις προτέρα καὶ μυθώδης ᾿Αρκαδικὴν λέγουςα γενέςθαι τὴν ἀποικίαν ὑπ᾽ Εὐάνδρου. τούτῳ δ᾽ ἐπιξενωθῆναι τὸν “Ἡρακλέα ἐλαύνοντα τὰς Γηρυόνου βοῦς. πυθόμενον δὲ τῆς μητρὸς Νικο- «τράτης τὸν Εὔανδρον, (εἶναι δ᾽ αὐτὸν μαντικῆς ἔμπειρον), ὅτι τῷ

Ἡρακλεῖ πεπρωμένον ἦν τελέςαντι τοὺς ἄθλους θεῷ γενέεθαι, φράςαι

τε πρὸς τὸν Ἡρακλέα ταῦτα καὶ τέμενος ἀναδεῖξαι καὶ θύςαι θυείαν Ἑλληνικήν, ἣν καὶ νῦν ἔτι φυλάττεςθαι τῷ Ἡρακλεῖ. xai γε Κοίλιος, τῶν Ρωμαίων ευγγραφεύςε, τοῦτο τίθεται ςημεῖον τοῦ ᾿ξελληνικὸν εἶναι xrícua τὴν Ρώμην, τὸ παρ᾽ αὐτῇ τὴν πάτριον θυείαν “EAAN- γικὸν εἶναι τῷ Ἡρακλεῖ. Die Handschriften sind auch hier ungenau und haben itacistisch γε κύλιος, auch κεκύλιος, statt γε κοίλιος; doch liest Κοίλιος schon Kramer, Lachmann (De font. Livii I, 30, A. 3) und Meineke. Die Handschriften des Solinus und Strabo stützen sich gegenseitig; wenn gleich in beiden verschrieben, kann nur Coelius resp. Κοίλιος der ihnen gemeinsame Name sein. Schwegler, R. G. 1, 80 conjicirt τ᾽ ᾿Ακίλιος, “weil Coelius Antipater, der sonst gemeint wäre, nur eine Geschichte des zweiten punischen Krieges geschrieben hat und nicht abzusehen ist, wie er hier Veranlassung zu jener Bemerkung gehabt haben soll. Auch hat Coelius lateinisch geschrieben, während Strabo nur griechische Quellen citirt'. Schweglers erster Grund bietet keine Veranlassung zur Aenderung, da wir bis jetzt schon 13— 14 Fragmente gefunden, die mit dem Hannibalischen Kriege nichts zu thun haben. Sein zweiter ist nicht richtig: 14, 2, 25 p. 660; 17, 1, 13 p. 791 eitirt Strabo Cicero; 4, 1, 1 p. 177 Caenars Bellum Gallicum; 4, 8, 3 p. 193 Asinius Pollio; 11, 13, 3 p. 523 Dellius; Strabo, der mehrere Jahre in Rom lebte, konnte das Lateinische keine Sehwierigkeiten machen. Auch drückt dieser sich 3, 4, 19 p. 166 über die Bentitzung römischer Quellen also aus: oi δὲ τῶν Ρωμαίων γγραφεῖς μιμοῦνται μὲν τοὺς “ξλληνας, ἀλλ᾽ οὐκ ἐπὶ πολύ. καὶ τὰρ λέγουςι παρὰ τῶν Ἑλλήνων μεταφέρουειν, ἐξ ἑαυτῶν δὲ οὐ πολὺ μὲν προςφέρονται τὸ φιλείδημον, ὥςτ᾽ ὁπόταν ἔλλειψις γένηται παρ᾽ ἐκείνων, οὐκ Écri πολὺ τὸ ἀναπληρούμενον ὑπὸ τῶν ἑπέρων. Man sieht, ein Misstrauen hatte Strabo gegen die römischen Seriptoren und er benützte sie gewiss möglichst wenig; aber sein Jahrb. f. class. Philol Suppl. Bd. XL 8

94 Wilhelm Sieglin:

Misstrauen richtete sich gegen den Inhalt ihrer Werke, nicht gegen die Sprache, in der sie schrieben. Es war eben für gewöhnlich herzlich wenig Neues in ihnen zu finden. Als er jedoch bei der Geographie Italiens an die Geschichte Roms kam, war er natürlich gezwungen, römische Quellen zu gebrauchen. Ob sie dann lateinisch oder griechisch geschrieben waren, machte ihm, der Jahre lang in Rom lebte, wenig Unterschied; er gebraucht Fabius (5, 3, 1 p. 288) so gut wie Caesar, Asinius Pollio und hier Coelius. Dass Strabo ausser Fabius keinen einzigen rómischen griechisch schreibenden Autoren citirt, zeigt am evidentesten, dass wir keinerlei Berechtigung haben, die von ihm citirten römisch Schreibenden in gräcisirende zu verwandeln.

Die so gewonnenen Fragmente des Strabo und Solinus sind ganz im Einklange mit den Citaten aus Servius; sie behandeln die Urzeit Italiens und haben wie diese die Tendenz, dasselbe mit Griechenland in Verbindung zu bringen.

IV.

Anon. de dub. nom. p. 590 K. fr. 61 P. Salientes aquarum ge- neris masculini ut Coelius perpetuum salientem.

V. Quintilian mit 2 Fragmenten.

1.

Quint. 1, 5, 61. Ne in ‘a’ quidem atque 's' litteras exire te- mere masculina Graeca nomina recto casu patiebantur, ideoque et apud Coelium legimus Pelia cincinnatus et apud Messalam bene facit Euthia, et apud Ciceronem Hermagora, ne miremur quod ab anti- quorum plerisque Aenea et Anchisa sit dictus.

Ob dieses Fragment Coelius Antipater zuzuweisen ist, oder dem Redner Coelius Rufus, muss zweifelhaft bleiben. Für den letzteren spricht die Zusammenstellung mit Messala und Cicero und der Um- stand, dass Quintilian Coelius Rufus auch sonst häufig erwähnt; für Antipater jedoch die Thatsache, dass dieser nach Solin. 2, 28, wie wir gesehen haben, die Geschichte der Medea und des Jason aus- führlicher behandelte, in welcher ja der Name Pelias eine Hauptrolle spielt. Wir dürfen wohl behaupten, dass Antipater in diesem Theil seiner Geschichte eine Erwü&hnung des Pelias kaum vermeiden konnte, Dieser Umstand wäre fast entscheidend zu Gunsten unseres Histo- rikers; aber ein Zufall wollte es, dass ein ähnliches Moment auch

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 35

bei Rufus eintritt. Sempronius Atratinus hatte in jenem famosen Process gegen Rufus letzteren wegen seines Verhältnisses zur Clodia, die er verlassen, den "pulchellus J ason” genannt (Cur. Fortunat. A. Rh. Schol. p. 99 Cap.), wie Cicero die Clodia “die römische Medea’ die "Palatina Medea'. Dass Rufus in seiner Antwort höhnend seine Bilder gleichfalls aus der Mythologie hervorholte, wissen wir aus Quint. 8, 6, 53; und dass er die Vergleichung mit Jason in beissen- dem Spotte aufgriff und seinen Gegner einen ‘Pelias’ nannte und ihm das Schicksal desselben prophezeite, ist wenigstens möglich; H. Meyer hat diese Vermuthung aufgestellt Orat. Rom. Fragm. p. 486. So ist es nicht zu entscheiden, wem unser Fragment gehört, wenngleich die Wagschale sich mehr zu Antipater zu neigen scheint. Auffallend ist, dass Quintilian, der, so oft er Coelius Rufus erwähnt, diesen zur Unterscheidung von dem bekannteren Coelius, unserem Historiker, als M. Coelius hervorhebt (1, 6, 29; 4, 2, 27; 4, 2, 123; 6, 3, 39; 6, 3, 41; 11, 1, 51) oder wo er dies unterlässt, ausdrücklich als Redner bezeichnet (8, 6, 53; 9, 3, 58; 11, 1, 115; 12, 10, 11; 12, 11, 6), nirgends jedoch Zweideutigkeit zulässt, einzig an unserer und an der folgenden Stelle eine nähere Bezeichnung unterlässt. Da Coelius Rufus bis jetzt (1, 5, 61) noch nicht genannt war, Quintilian dagegen kurz vorher den Fabius Pictor (1, 6, 12) Varro de in. urb. Rom. (ibid) und Sisenna (1, 5, 13) gleichfalls aus sprachlichen Gründen erwühnt hatte, so lag es dem Leser bei Vorführung des Namens Coelius und bei den aus diesem vorgebrachten Worten, da sie einen geschichtlichen Inhalt hatten, näher an Coelius den Histo- riker zu denken. Wenn aber Quintilian Coelius den Redner meinte, 80 bleibt es unverstündlich, warum er gerade hier von der sonst streng innegehaltenen Regel abgewichen und einem naheliegenden Missverständniss Raum gab. Wie wir aus den Grammatikern und Cicero ersehen, wurde unter ‘Coelius’ κατ᾽ ἐξοχήν immer Coelius Anti- pater verstanden; meinte man einen andern, wurde es hinzugefügt, ähnlich wie wir unter *Cato' zuerst Cato Censorius verstehen, unter Varro den Reatinus und fast nur im entgegengesetzten Falle ein Uticensis oder Atacinus u. s. w. hinzufügen. Dürfen wir diesen Um- stand premiren, so hätten wir eine gewisse Wahrscheinlichkeit für Coelius Antipater gewonnen.

2.

Quint. 1, 6, 42. Neque enim tuburchinabundum et lurchina- bundum iam in nobis quisquam ferat, licet Cato sit auctor, nec hos lodéces quamquam id Pollioni placet, nec gladiola atqui Messala dicit, nec parricidatun quod in Coelio vix tolerabile videtur.

Auch bei diesem Fragment ist natürlich zweifelhaft, ob Coelius Rufus oder Antipater gemeint ist. Es theilt vermuthlich das Schicksal des vorigen und gehórt demselben Autor an.

8*

86 Wilhelm Sieglin:

VI. Cicero mit 5 Fragmenten.

1.

Cic. Or. 69, 229 fr. 1 P. Sed magnam exercitationem res flagitat, ne quid eorum, qui genus hoc secuti non tenuerunt, simile faciamus; ne aut verba traiiciamus aperte, quo melius aut cadat aut volvatur oratio. Quod se L. Coelius Antipater in prooemio belli Punici sisi necessario facturum negat. O virum simplicem, qui nos nihil celet, sapientem, qui serviendum necessitati putet, Sed hic omnino rudis; nobis autem in scribendo atque dicendo necessitatis excusatio non probatur; nihil est enim necesse, et si quid esset, id necesse tamen non erat confiteri. Et hic quidem, qui hanc Laelio, ad quem scripsit, cui se purgat, veniam petit, et utitur ea traiectione verborum et nihilo tamen aptius explet concluditque sententias.

Mit dieser Bemerkung des Coelius über seine Schreibweise ist zu vergleichen Fronto p. 62 N. Rari admodum veterum scriptorum in eum laborem studiumque et periculum industriosius quaerendi sese commisere. Poetarum multo maxime Ennius, eumque studiose aemulatus L. Coelius.

2.

Cic. De div. 1, 24, 48 fr. 34 P. Hannibalem Coelius scribit cum columnam auream, quae esset in fano Iunonis Laciniae, auferre vellet, dubitarelque utrum ea solida essel an extrinsecus inaurata, pertere- bravisse, cumque solidam invenisset, statuisse tollere; ei secundum quietem visam esse Iunonem praedicere, ne id facerel, minarique si fecisset, se curaturam, μὲ eum quoque oculum, quo bene videret, amitteret; idque ab homine acuto non esse neglectum. | Itaque ex eo auro, quod extere- bralum esset, baculam curasse faciendam et eam in summa columna conlocavisse.

Hannibals Gelüste nach den Schützen der Juno Lacinia werden erzählt; vergl. Liv. 24, 3, 6 und 28, 46, 16.

ὃ.

Cic. De div. 1, 24, 49 fr.11 P. Hoc item in Sileni, quem Coelius sequitur, Graeca historia est; is autem diligentissime res Hannibalis persecutus est: Hannibalem, cum cepissel Saguntum, visum esse in somnis a love in deorum concilium vocari; quo cum venisset, Iovem imperavisse, μὲ Italiae bellum inferret, ducemque ei unum e concilio datum, quo ilum wientem cum exercitu progredi coepisse; tum ei ducem illum praecepisse, ne respiceret; illum autem id diutius facere non po- luisse elatumque cupidilate respexisse; tum viısam beluam vastam εἰ

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 37

immanem circumplicatam serpentibus, quacunque incederet, omnia ar- busta, virgulta, tecla pervertere; el eum admiratum quaesisse de deo, quodnam illud esset. tale monstrum, οἱ deum respondisse, vastitatem esse Italiae, praecepisseque ut pergeret protinus; quid retro atque a tergo fieret ne laboraret.

Der berühmte Traum Hannibals beim Ebroübergang 536/218, Liv. 21, 22, 6; Zon. 2, 22 p. 238 D.; Val. Max. 1, 7 ext. 1; Sil. Ital. 3, 168— 214; Hist. Misc. 3, 5. Die Zeitbestimmung, die Cicero angibt (cum cepisset Saguntum), ist etwas ungenau, doch nicht verschieden von der des Livius und Zonaras, wie Wölfflin, Antiochus p. 27 an- nahm, da Sagunts Fall und der Ebroübergang Hannibals zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgten, nur von wenigen Wochen getrennt, vergl Sieglin, die Chronologie der Belagerung von Sagunt, diss. inaug. Leipzig 1878 p. 14; 34.

4.

Cic. de div. 1, 26, 55 fr. 49——50 P. Omnes hoc historici, Fabii, Gellii, sed proxume Coelius: Cum bello Latino ludi votivi maximi pri- mum fierent, civitas ad arma repente est excitata, itaque ludis inter- missis tustaurativi constituli sunt. Qui antequam fierent, cumque iam populus consedissel, servus per circum, cum virgis caederetur, furcam ferens ductus est. Exin cuidam rustico Romano dormienti visus est venire, qui diceret praesulem sibi non placuisse ludis; idque ab eodem iussum esse eum senatui nuntiare; illum non esse ausum. Iterum esse idem tussum οἱ monilum, ne vim suam experiri vellet; ne tum quidem eum ausum. Exin filium eius esse mortuum, eandem in somnis ad- monitionem fuisse lertiam. Tum ilum etiam debilem faclum rem ad amicos detulisse, quorum de sententia lecticula in curiam esse delatum, cumque senatui somnium enarravissel, pedibus suis salvum domum reverlisse. Itaque somnio comprobato a senatu ludos illos iterum in- stauratos memoriae proditum est. C. vero Gracchus multis dixit, ut scriptum apud eundem Coelium est, sibi im sommis quaesturam pete[re dubita] nti Tiberium fratrem. visum esse dicere, quam vellet cunctaretur, lamen eodem sibi leto, quo ipse interissel, esse pereundum. Hoc, antequam tribunus plebi C. Gracchus factus esset, et se audisse scribit Coelius et dixisse multis.

Eine Wundergeschichte aus dem Latinerkrieg 264/490 wird er- zählt; ihre Glaubwürdigkeit dargelegt durch eine von Coelius selbst erlebte Begebenheit. Ueber dieselbe s. Mommsen, Rh. M. f. Ph. XIV (1859) p. 79 f; Hermes IV (1870) p. 1— 26. Hertz, de Hist. Rom. Rel. Quaest., Vratisl. 1871 p. 18 von C. F. W. Müller N. J. f. Ph. LXXXIX p. 607 auf die genauere Wiedergabe von Ciceros Worten bei Plutarch aufmerksam gemacht, C. Gracch. c. 1. φεύγοντι πᾶςαν ἀρχὴν kai μεθ᾽ ἡευχίας ἡρημένῳ ζῆν, schlägt vor die Lücke in Ciceros Text grösser anzunehmen und zu lesen: quaesturam pete[re

WLDOIM olegun:

nolenti et vitam tranquillam quaere]nti. C. F. W. Müller in seiner kürzlich erschienenen Ausgabe von Cicero vol IV scheint dies über- sehen zu haben.

5.

Cic. De div. 1, 35, 77 fr. 20 P. Quid? bello Punico secundo nonne C. Flaminius consul iterum neglexit signa rerum futurarum magna cum clade reipublicae? Qui exercitu lustrato cum Arretium versus castra movisset, et conira Hannibalem legiones duceret, et ipst et equus eius ante signum Iovis Staloris sine causa repente concidi nec eam rem habuit religioni, obieclo signo, ul peritis videbatur, f commilierel proelium. Item cum tripudio auspicaretur, pullarius diet proelii commitlendi differebat. Tum Flaminius ex eo quaesivit, si Ni postea quidem pulli pascerentur, quid faciendum censeret. Cum ili quiescendum respondisset, Flaminius: Praeclara vero auspicia, si ese rientibus pullis res geri poterit, saturis nihil geretur! Itaque signa convelli ei se sequi iussil. Quo tempore cum signifer primi haste signum non possel movere loco nec quicquam proficeretur, plures cus accederent, Flaminius re nuntiata suo more neglexit. Itaque tribus t1 horis concisus exercitus, alque ipse interfectus est. Magnum illud etiax quod addidit Coelius, eo tempore ipso cum hoc calamitosum procdius fieret, tantos terrae motus in Liguribus, Gallia compluribusque insula totaque in Italia factos esse, ut mulla oppida conruerint, multis loci labes factae sint terraeque desederint, fluminaque in contrarias parte fluxerint atque in amnes mare influxerit.

Die Prodigien vor der Schlacht am Trasimener See werden vO Cicero noch einmal erwähnt de nat. deor. 2, 8, 8 fr. 19 P. C. Flaminiu1 Coelius religione neglecta cecidisse apud Trasumenum scribit cu! magno rei publicae vulnere; vergl. Liv. 22, 3, 11; Plut. Fab. 3; Flo 1, 22, 14; Zon. 8, 25 p. 244 D.; Val. Max. 1, 6, 6; Sil. Ital. 5, 617 Plin. N. H. 2, 84, 200.

Fassen wir einen Rückblick auf die letztvorgebrachten 22 Fr& mente, so wurde darin behandelt:

1) Die Frage über die Móglichkeit der Umschiffung Afrik& Coelius aufgeführt neben Hanno und Nepos.

2) Der Umfang Italiens. Dessen grösste Breite auf der Lin zwischen Genua und Aquileja.

3) Beschreibung des Avernersees und seiner Merkwürdigkeite neben Varro und Ktesias.

4) Beschreibung von Petelia; neben Catos Origines.

5) Geographische Lage der Maurusier.

6) War nicht zu bestimmen.

7) Eine Beschreibung des Apollotempels zu Cumae.

"s

42 Wilhelm Sieglin:

noch zu Carthago, auf dem die Rede passen könnte; Nauta, Groen, Meltzer und Peter®) haben darum auf die Erklärung auch dieses Fragments verzichtet. Auf den Ständekampf passt es vorzüglich, be- sonders für die Zeit, da die Plebejer ihre ersten Aemter bekleideten, aber von den Patriciern beständig den Vorwurf hören mussten, dass ihre Amtsführung verkehrt und ungeschickt sei. Ein anderes Frag- ment bei Festus p. 181 fr. 64 P.: Coe]lius historiarum [libro . . . conci-] tantur ocissime, ist zu verstümmelt, um benützt zu werden. Von fr. 48 P. PhiL ad Verg. Georg. 2, 345 Coelius in VII: consuetudine uxoris, indulgitate liberum, wäre es ja nicht unmöglich, da es nach der Buchzahl in’ die ältere Republik gehört, dass es vielleicht auf Coriolan sich bezöge, Liv. 2, 40, der nur durch die Thrünen von seiner Gattin und seinen Kindern sich bewegen liess, von Rom abzuziehen.

Fr. 58 P. Serv. ad Aen. 4, 390 (p. 27, 3): Delinquere frumentum, Sardiniam hostes tenere ist einzig nicht zu erklüren. Ich vermuthe, dass "Sardiniam" verdorben ist, denn ich weiss keinen Fall in der Zeit der ganzen römischen Bepublik, auf den die Worte, wie sie lauten, be- zogen werden könnten; sie müssten denn den alten Kämpfen der Etrurer um die Insel entnommen sein, was ich kaum wage anzu- nehmen. Ich glaube, wir müssen ündern. Im Jahre 262/492 und 263/491 war in Rom grosse Hungersnoth, Liv. 2, 34, 2; 34, 7; Coriolan, der dieselbe zu Gunsten der Patricier ausnützen wollte, hatte in die Verbannung gehen müssen; er zog nun rachedürstend an der Spitze der Volsker gegen das römische Gebiet und nahm die wichtige Stadt Satricum weg, das südlichste Bollwerk Roms Liv. 2, 39, 3. Da- durch brachte er Rom in die äusserste Noth, er eroberte eine römische Feste nach der andern und rückte vor die Stadt selbst. Sollte hierauf unser Fragment bezogen werden kónnen? Satricum, verschrieben in Sarticum, die Endung wie gewóhnlich abgekürzt, konnte leicht in Sardiniam verändert werden, zumal wenn ein Abschreiber Satricum nicht kannte, und so hätten wir den Angstruf der römischen Plebs vor den heranziehenden Volskern, bei der Unfähigkeit, sich wegen der herrschenden Noth zu vertheidigen, ausgedrückt: frumentum delin- quere, Satricum hostes tenere. Doch mag das gerne zweifelhaft bleiben.

^) Gilbert, der es versteht, alle Fragmente des Coelius dem Hannibali- schen Kriege anzupassen, versteht dies auch hier. Er conjicirt 'ita uti ne si...^, statt 'esset? “sit’, fasst “uti’ nicht als Conjunction, sondern als Inf, legt das Wort einem Carthager beim Friedensschlusse 552/202 in den Mund, der um milde Bedingungen bittet und übersetzt (p. 460): Ge- braucht [das Glück, welches auch das Schicksal in der Besiegung unserer Vaterstadt zugeworfen hat,] so, dass jeder Staat Euer Verfahren, [welches Ihr dem Besiegten zu Theil werden lasset, billigt und] sich bestrebt, [dasselbe] nachzuahmen, damit, wenn ihm einst das Glück einen gleichen, vielleicht noch grösseren Erfolg [Euch gegenüber] gewährt, die Gunst- erweisung, [die Milde, die Ihr dann erfahrt] eine nicht geringere sei [als wie Ihr sie uns jetzt zu Theil werden lasset] Die Klammern habe ich zugesetzt; ich hielt sie für den sprechendsten Commentar.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 43

Damit haben wir genügendes Material bekommen, um auch einen Einblick in die Oekonomie des Werkes thun zu können. Im dritten Buche war Oberitalien (Gallia Cisalpina) behandelt, s. p. 30, 8, im fünften Tarent und Unteritalien p. 30, 6, im siebenten die Anfänge des Stündekampfes p. 41. Nach der Analogie von Catos Origines, die zuerst die Urgeschichte Roms, dann die Urge- schichte Italiens, in derselben zuerst Oberitalien, dann Mittelitalien und endlich Unteritalien behandelten’), hierauf zu Rom zurückkehrten und die Zeit der Republik schilderten®), wird Coelius in Buch I—II Bom, Buch III— V Italien geschildert haben, und zwar in III Ober- italien, IV Mittelitalien, V Unteritalien, um in Buch VI zur rómi- schen Republik überzugehen, die er in Buch VII bis auf die An- f&nge des Ständekampfes führte. Vorausgeschickt waren dem ganzen Werke vermuthlich einige geographische Betrachtungen über Italien und dessen Umfang, wie p. 24, 2 über Cisalpina; (ebenfalls nach der Analogie von Cato fr. 38; fr. 50 P.) wie es scheint auch über die Gestalt der Erde überhaupt, die als Scheibe, umflossen vom Ocean, angenommen wurde, p. 24, 1.

Die Bestimmung des Titels macht einige Schwierigkeiten, da die Alten in Wiedergabe derselben oft ungenau waren. Werden doch selbst Catos Origines häufig unter anderen Namen wiedergegeben; heissen 'Historiae' Nep. Cato 3, 1; Plut. Cato 20, 4; 25, 1; Serv. ad Aen. 6, 842; 'Annalen' Plin. 8, 5, 11; Liv. Per. 49 p. 54 I. Doch macht die Uebereinstimmung, mit der die Commentare zu Vergil, und Festus das Werk als Historiae bezeichnen, wahrscheinlich, dass dies der wirkliche Titel gewesen ist, mit der griechischen Be- deutung von 'Forschungen', "Untersuchungen! über die alte Zeit. Historien in der spüteren Bedeutung gab es damals noch nicht; der Unterschied zwischen Chronik und pragmatischer Zeitgeschichte wurde noch durch “Annales’ und ‘Res gestae", ‘Res Romanae’, “Res gestae Romanorum’” bezeichnet. So sagt Sempronius Asellio im Anfange seiner pragmatischen Geschichte (Gell. 5, 18, 8 fr. 1 P.): Verum inter eos qui annales relinquere voluissent et inter eos, qui res gestas a Romanis perscribere conati essent, omnium rerum hoc interfuit: annales libri tantum modo quod factum, quoque anno gestum sit, ea demonstrabant ita quasi qui diarium scribunt, quam Graeci ἐφημερίδα vocant. Nobis non modo satis esse video, quod factum esset, id pro- nuntiare, sed etiam quo consilio, quaque ratione gesta essent, demon- strare, und zeigt dadurch evident, dass ihm 'Historiae' noch nicht in der Bedeutung bekannt ist, wie sie Gell. 5, 18; Serv. ad. Aen. 1, 373; Isid. Orig. 1, 40, 1 und andere spüter definiren. Dass dies die all- gemeine Anschauung war, zeigt Clodius Licinius, der seine Geschichte,

7) Dies zeigen die Fragmente; vergl. Wagener, M. Porcii Catonis Originum fragm. Bonn 1849 p. 8; Peter p. CXXXVIIII; Jordan p. XXXV.

*) Nepos, Cato 3, 3.

44 Wilhelm Sieglin:

die mit dem Jahre 200 begann “Res Romanae’ nicht “Historiae’ be- titelte (Liv. 29, 22, 10; Non. p. 221; p. 535 M.).

Die Abfassungszeit, jedenfalls von Buch VI oder VII an, er- folgte nach Cic. de div. 1, 26, 56 (p. 37, 4) nach dem Tode des C. Gracchus, nach dem Jahre 633/121.

An Quellen hat Coelius nachweislich benützt Fabius (de Div. 1, 26,55). Von Cato ist es zwar nur für das Bellum Punicum bezeugt (Gell. N. A. 10, 24, 6), doch auch für die Historien wohl selbstver- ständlich; und es scheint sogar manchmal, als habe Coelius Cato direct Opposition machen wollen (p. 29, 5; p. 32, 1). Auch griechische Quellen zog er zu Rathe, die ihm die natürlichen Hilfsmittel waren bei seiner ausgesprochenen Tendenz, in den italischen Städten griechische Colo- nien zu erblicken, so Timaeus (p. 26, 3) und Hecataeus (p. 29, 5). Ob Coelius in irgend einem Verhältniss zur Chronik von Cumae stand, mit der er eine ungewöhnliche Aufstellung theilt (p. 83) ist nicht ersichtlich, doch ist eine Einsicht derselben wohl müglich.

Benützt wurden die Historien, wie die Fragmente zeigen, viel- fach. In ülterer Zeit zeigt sich ihr Einfluss dadurch, dass bald nach ihrem Erscheinen eine Reihe von Werken erschienen, in denen in der- selben ungemein ausführlichen Weise die älteste Zeit Roms behandelt war, so besonders Cn. Gellius und Valerius Antias. Im dritten Buche ist Gellius noch mit Romulus beschüftigt (fr. 15 P.), im fünfzehnten mit dem gallischen Brande (fr. 25); Valerius im zweiten mit Numa (fr. 5; 6 P.). Aus dem Verhältniss ihres Umfanges zu ihren Vor- güngern Piso und Cato sieht man deutlich die Spuren des Mittel- gliedes, das den Stoff zusammengetragen und den Weg geebnet.

Aber auch in der Blüthezeit der römischen Literatur wurden die Historien des Coelius viel gelesen. Brutus machte einen Auszug aus ihnen (Cic. ad Att. 13, 8; vergl. p. 41); Strabo?), Verrius Flaccus, Cicero benützten sie, wobei letzterer sie auf eine Stufe mit den Annalen des Fabius und Gellius stellt.) Auch Virgil, sagt Servius, soll sie zu Rathe gezogen haben.!! Von Fronto, der den Coelius so hoch schätzte, ist nicht erkennbar, ob er beide Werke des Coelius las, doch wohl bei dieser Sympathie vorauszusetzen; ebenso ist es mit Quintilian nicht sicher, um 80 bestimmter wissen wir es von Plinius, Solinus, und Sotion, der ein Fragment von Coelius überliefert (p. 26, 3), wenn auch ohne Namensnennung. Auf- fallender Weise erwähnt Dionys von Halicarnass Coelius nicht, ob- wohl man es von ihm erwarten durfte: wer mag es entscheiden, ob dies aus Zufall oder Absicht geschah? Coelius theilt so das Schicksal

9?) In Strabo finden sich Spuren von Coelius, ausser dem Citate be- treffend Hercules und dessen Verhültniss zu Rom, bei Gallia Cisalpina (p. 24, 2) und bei Petelia (p. 27, 1).

10) Cic. de div. 1, 26, 55: Omnes hoc historic, Fabii, Gellii, sed proxume Coelius: Cum bello Latino etc.

11) Ad Aen. 6, 9 (p. 29, 4).

m

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 45

von Cassius Hemina, von Albinus und Claudius Quadrigarius, die Dionys gleichfalls nicht anführt, ohne dass wir den Grund er- kennen können.

Cap. II. 8 1.

Weitaus den meisten Ruhm erntete Coelius mit seinem früheren Werke, dem Bellum Punicum. Coelius Begabung lag, wie die Zeug- nisse der Alten schon bekunden, in der Rede; ein gelehrtes Werk über die Gründungen der italischen Städte bot klarer Weise einer Darstellung nicht denjenigen Raum, stilistische und rhetorische Kunst zu zeigen, wie die Darstellung des Hannibalischen Krieges, einer Zeit, die bereits die grossartigste Machtentfaltung des rómisch-italischen -Reiches hervorgerufen hatte und zudem, weil noch fast dem lebenden Geschlechte gehörig, bis in die Einzelheiten bekannt war. Freilich ‘die nagende Zeit und die Ungunst des Alters, die alles zerstören’, haben auch dieses Werk vernichtet; schwache Trümmer sind auf uns gekommen und nur ein mühsamer und sporadischer Einblick ist ung in die ursprüngliche Gestalt desselben gestattet. Immerhin sind wir &ber günstiger gestellt als bei den Historien, da zwei uns er- haltene Schriftsteller, Livius und Dio-Zonoras das Bellum Punicum sicher benützt haben und wir in ihnen die Spuren dieser Quelle häufig längere Zeit verfolgen können, so dass bisweilen sogar Rück- blicke auf die Vorlage mit Erfolg verstattet sind.

Was zuerst die Oekonomie des Bellum Punicum betrifft, so isi dieselbe, wie bei den Historien noch zu erkennen. Wir haben zwar nur wenig Fragmente, bei denen beides, nicht nur der Zusammen- hang, sondern auch die Zahl des Buches, aus welchem sie entnommen sind, über dem Zweifel steht; haben aber doch folgende Einzelheiten bestimmen können:

In Buch I waren Ereignisse enthalten aus den Jahren 536/218 und 538/216, s. p. 15, 2; 15, 4; p. 18, 1; p. 12, 9.

Buch II begann mit 538/216, den Ereignissen nach der Schlacht bei Cannae, s. p. 22, 1.

Buch III begann mit dem Jahre 540/214, s. p. 22, 2.

Buch IIII enthielt die Verhandlungen des römischen Senats über Syracus 544/210, s. p. 12, 7.

Buch V das Jahr 545/209, 8. p. 13, 10.

Buch VI die Landung Scipios in Africa 550/204, s. p. 11, 6; 12,8.

Buch VII die Gefangennahme des Königs Syphax 55 1/203, 8. p. 9, 3 und die Ereignisse vor der Schlacht bei Zama, 8. p. 13, 13.

Daraus geht eine ziemlich gleichmässige Vertheilung des Stoffes auf alle 7 Bücher hervor. Nun waren die Ereignisse in der dritten Dekade des Livius also vertheilt:

46 Wilhelm Sieglin:

Buch XXI umfasste die Jahre 536/218.

, XXH , , , 537/217 538/216 med. , XXII , » » 538/216 med. 239/215 extr. , XXIV. , nm. 540/214 541/213.

XV , 5,» 542/212. XXVI , , , 543/911— 544/210 med. XXVII , , , 544/210 med. 547/207 med.

, ΧΧΥΠ 4, —— , , 541/01 med. 548/206. , XXIX , , , 549/205 550/204. XXX 551/203 552/202.

Wir sehen, Livius hat die Eintheilung des Coelius so ziemlich beibehalten; er hat aus sieben Büchern durch Ausführung des Stoffes und Zuziehung von neuem Material aus andern Quellen zehn gemacht, indem er drei verdoppelte und vier unverändert liess. Wir erhalten mit grosser Wahrscheinlichkeit folgende weitere Einzelheiten 13):

Coel. Buch I = Liv. 21—22; 536/218 538/216 med. "

» » Liv. 28; 538/216 med. 539/215 » IU = Liv. 24—25; 540/214 542/212 » » IV = Liv. 26—27, 7; 543/211 544/210 V = Liv. 27, 1—28; 545/209 648/206 » » VI Liv. 29; 549/205 550/204 » » VII Liv. 30; 551/203 552/202.

Diese so gewonnene Eintheilung der Bücher des Coelius lässt sich praktisch verwenden zur Eruirung der Oekonomie des Cassius Dio in seiner Geschichte des zweiten punischen Krieges, der mach Posners!?) Forschungen Coelius gleichfalls als Hauptquelle bentitzt hat. Dio hatte den ersten punischen Krieg im elften Buche vollendet (fr. 43, 30—32b); behandelte im zwölften die Ereignisse zwischen diesem und dem Hannibalischen Kriege (fr. 43, 32c—d), mit Buch XIII begann er demnach den letzteren, den er in Buch XVII zu- sammen in 5 Büchern beendete (fr. 57, 78— 80).

Ueber Buch XIV des Cassius Dio erfahren wir aus den Frag- menten selber nichts; es wird aber ohne Zweifel da begonnen haben, wo nach Du Cange Buch VIIII seines Excerptors Zonaras beginnt, mit Frühjahr 538/216, den Ereignissen unmittelbar vor der Schlacht bei Cannae.

Buch XV nun behandelt Ereignisse aus dem Jahre 544/210 fr. 57, 46 (— Zon. 9, 6 p. 267, 10 D).

Buch XVI war bis zu dem Jahre 548/206 herabgeführt, fr. 57,47 (Zon. 9, 10, p. 280, 1 D).

Buch XVII bis zum Jahre 552/202, fr. 57, 78 (Zon. 9, 14, p. 291, 29).

oa") Die durch die Fragmente direct ermittelten Zahlen sind durch den Druck gekennzeichnet.

13) Quibus auctoribus in bello Hannibalico enarrando usus sit Dio Cassius. Bonnae 1874.

B

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 47

Stellen wir nun diese Daten neben die des Coelius, so erhalten wir als ungefähre Eintheilung des Cassius Dio:

Dio XIII = Coel. 1 in. —1 med. Liv.21— 22,35; 536/218— 537/217 » XIV = Coel 1 med. 2 = Liv. 22, 36— 23; 538/216 —539/215 » XV = Coel. 3—4 = Liv. 24— 26; 540/214— 544/210.

» XVI Coel. 5 = Liv. 27 —28; 545/209 548/206. » XVII = Coel. 6—7 = Liv. 29—36; 549/205 —552/202.

Mit diesem Resultate stimmt der Umfang der Epitome des Zo- naras überein, der die Jahre 513/241— 535/219 auf 10 (Teubner'- schen) Seiten behandelt, die Jahre 536/218— 537/215 zwar dadurch auf 17 bringt, dass er in sonst ungewöhnlicher Weise die römischen Prodigien, den Traum Hannibals am Ebro, und zweimal gróssere geo- graphische Beschreibungen ungekürzt wiedergibt, aber die Jahre:

538/216 —539/215 vollendet er wieder auf 12 Seiten, 540/214 —544/210 auf 9 Seiten,

545/209 —548/206 auf 11 Seiten,

549/205 —552/202 auf 11 Seiten.

Der gleiche Umfang in der Epitome bestätigt den gleichen Um- fang im Original.

Cassius Dio hat also die 7 Bücher des Coelius in 5 zusammen- gezogen; durch die weitläufige Ausführung der Reden, die zu Beginn des Krieges im römischen und carthagischen Senat (fr. 55, 1—9; Zon. 8, 22 p. 236—237) und in beiden Kriegslagern (fr. 57, 4—5; Zon. 8, 23 p. 240 u. ö.) gehalten werden, auch wohl durch Aufnahme weiteren Stoffes durch Zuziehung mehrerer Quellen, vermochte er im Buch XIII die Ereignisse des Jahres 538/216, die er bei Coelius noch im ersten Buche vorfand, nicht mehr zu bewältigen; im Fol- genden fasste er sich kürzer und holte Coelius schon ein. Für den Rest des Krieges nahm er je 4 Jahre in einem Buche zusammen.

Cassius Dio, wenigstens in Buch XVI und XVII, deren Umfang durch die Fragmente sicher ist, sttitzt umgekehrt wieder die von uns aufgestellte Eintheilung des Coelius, und so wird im Ganzén und Grossen an der letzteren schwerlich viel zu ändern sein. Wir haben uns nur noch mit den Aufstellungen Gilberts a. a. O. p. 367 ff. aus- einander zu setzen, die im schroffsten Gegensatze zu unsern Resul- taten sich befinden. Nach Gilbert war:

Coel. Buch. I Liv. 21—22; 536/218—538/216

» » Liv. 23, 1 26, 40; 538/216 544/210

" » ΠῚ = Liv. 26, 41 27; 544/210 547/207

» » IV = Liv. 28, 1 38, 11; 547/207 548/206

» » V Liv. 28, 38, 12 29, 12; 549/205

» » VI Liv. 29, 13 30, 6; 550/204 551/203 in.

». VII = Liv. 30, 1 —45; 551/208 i in. 553/201.

Es enthielten so nach Gilbert die ersten 3 Bücher die ersten 12 Kriegsjahre, und waren gleich 7 Büchern des Livius; während umgekehrt in den letzten 4 Büchern 5 Jahre, nur 3 Büchern des

48 Wilhelm Sieglin:

Livius entsprechend behandelt waren. Während sich factisch in Coelius eine gleichmässige Vertheilung des Stoffes ergab, ist nach Gilbert die Anordnung desselben gänzlich verschoben; die erste Hälfte des Krieges ist unverhältnissmässig kurz, die zweite um 80 ausführlicher gedacht; und zwar geschah dies zu Gunsten Beipios, von dem Gilbert annimmt, dass ihn und seine Thaten vorzugsweise Coelius in seinem Werke habe schildern wollen, während für die Thaten Hannibals und für den ganzen italischeu Kriegsschauplatz nur eine kurze “summarische Darstellung? beabsichtigt war. Die weitere Folge der Gilbert'schen Aufstellungen ist, dass Coelius die Hauptquelle für die erste Hälfte der dritten Dekade des Livius nicht mehr sein kann, da ja jetzt dieser den nóthigen Stoff in Coelius nicht mehr finden konnte. Wirklich zieht Gilbert diese weittragenden Consequenzen.

Die Beweise aber für diese auffallende Neuerung, die wenn sie richtig ist, alles umstürzt, was wir bisher über Coelius und sein Verhültniss zu den späteren Historikern geglaubt haben? Ich weiss nicht, ob es verstattet ist, dass der Verfasser einer Abhandlung den Gang der Untersuchung unterbricht und von den Nebengedanken spricht, die ihn beim Niederschreiben begleiteten; ich meinestheils gestehe, dass mich ein gewisses peinliches Gefühl überkommt, fast ein Gefühl der Verlegenheit, da ich mich anschicke, die Unhaltbarkeit der Gilbert'schen Hypothese darzulegen. Ich suche nach den Stütz- punkten Gilberts, um sie herauszugreifen und zu widerlegen; aber es will mir nicht gelingen, solche zu finden, wo ich das mit gutem Gewissen thun kann. Gilbert hat wohl eine Menge Grtinde, mit denen er seine Ansichten zu stützen sucht; aber er hat die eigen- tbümliche Gewohnheit, vor jedem derselben zu erklären, dass er selbst ihm keinerlei Beweiskraft beilegen wolle, vielmehr er seine These nur als möglich, als wahrscheinlich, als einen Versuch, als eine solche aufstelle, gegen welche er wenigstens keinen Gegen- beweis vorzubringen vermóge; hernach aber vergisst er die Ein- leitung und gebraucht praktisch die These als feste Basis, die ihm erlaubt, Text und Ueberlieferung beliebig zu ändern, wo sich Frag- mente finden, die nicht mit seiner Aufstellung übereinstimmen. Bei jedem der Gilbert'schen Argumente, das ich herausgreifen und an- greifen will, fürchte ich unter diesen Umständen an dem Verfasser ein Unrecht zu begehen, dass ich ihm, der selber an die Beweiskraft des von ihm Vorgebrachten gar nicht glaubt, fülschlich und willkürlich diesen Glauben unterschiebe. Und dies würe ein grosses Verbrechen.

Ich nehme also denjenigen seiner Gründe heraus, den er mit der mildesten Bescheidenheitsformel, mit einem “wenn” einleitet, und der zugleich sein Hauptstützpunkt ist, die Deutung, die er fr. 30 P. gibt: Coelius Annali libr. III: Imperator conclamat de medio, ut velites in sinistro cornu removeantur, Gallis non dubitatim in- mittantur. Gilbert bezieht das Fragment auf die Schlacht bei Senagallia

"

Die Fragmente .des L. Coelins Antipater. 49

647/207. Zwar ist von Cod. Leid. Voss. 116 'libr. IIII” überliefert, und bei der Güte der Handschrift die Zahl darum etwas unsicher, dies ignorirt jedoch Gilbert, und so ist für ihn mit Einem Schlage bewiesen, dass Coelius in Buch 111 seine Darstellung bis auf das Jahr 547/207 herabgeführt hat, und zwar obgleich in keinem der uns erhaltenen Berichte von der Schlacht eine solche Scene über- liefert ist, wie sie die Worte des Coelius enthalten. Wir haben Ρ. 10, 5 gezeigt, dass die Möglichkeit, dass eine solche Begebenheit eintreten konnte, bei Senagallia vielleicht, vorhanden war, obwohl das factische Eintreten derselben aus mehreren Gründen sich als unwahrscheinlich ergab; jedenfalls, was die Hauptsache ist, nach unsern Berichten ist sie nicht eingetreten. Wohl aber tritt die Möglichkeit, dass der erwähnte Vorfall sich ereignete, in vielen andern Schlachten zu Tage, in allen Kämpfen mit den Galliern, be- sonders Liv. 23, 24, 8; Pol. 3, 118, 6; dann aber auch in sämmt- lichen Schlachten der Römer mit Hannibal, in welchen dessen gallische Hülfsvölker nicht auf dem rechten Flügel standen; thatsächlich finden sich dem Fragmente ähnliche Momente Liv. 27, 12; Plut. Marc. 25; Liv. 27, 42; 23, 29 u. ὅ. H. Peter, der die von Gilbert aufge- nommene Beziehung des Fragments angeregt hat, ist Angesichts dieser Umstände so vorsichtig, dieselbe mit einem 'nescio an’ einzu- kleiden; auch so gewissenhaft anzugeben, dass Polybios, der gewich- tigste Zeuge, überhaupt auch nur einer activen Theilnahme der galli- schen Hülfsvölker an der Schlacht bei Senagallia keinerlei Erwähnung thut, geschweige denn die genannte Operation gegen dieselben berichtet: jeder besonnene Forscher wird sich seiner Vorsicht anschliessen und darauf verzichten, mit der willkührlichen Deutung dieses Fragments zu operiren: Gilbert gebraucht dieselbe als Basis seiner Forschungen, um die weitgehendsten Consequenzen daraus zu ziehen.

In fr. 32 P. (p. 20, 8) Coelius in IIII: custodibus discessis multi interficiuntur soll die Eroberung der spanischen Stadt Orongis durch L. Scipio 547/207, Liv. 28, 3 geschildert sein. Diese Eroberung war in folgender Weise vor sich gegangen. Nach einem ersten vergeb- lichen Angriffe bestürmte Scipio die Stadt gleichzeitig auf zwei Seiten. Das unvermuthete dieser That flósste in der Stadt einen solchen Schrecken ein, dass die Bürger bald verzweifelnd von den Willen liefen. Die punische Besatzung, in, der Meinung, die Stadt sei verrathen, hielt 68 unter diesen Umständen für geboten, die Vertheidigung der Wälle aufzugeben und sich an einem festen Puncte zu concentriren. Damit war die Stadt natürlich verloren, und um nun eine milde Behandlung vom Sieger zu erflehen, strömten die Bürger vor die Thore zum feindlichen Lager hinaus. In Folge eines Missverstündnisses wurden sie aber grossentheils dennoch niedergemacht; dann drangen die Römer durch das offene Thor ein.

Wo ist hier die Aehnlichkeit mit unserem Fragmente? Ich finde

keine. Gilberti fasst die custodes" als die punische Armes, die in Jahrb. f. class. Philol. Suppl Bd. XI.

50 Wilhelm Sieglin:

der Stadt lag, trotz des Sprachgebrauchs, der unter “custodes” nie einen militärischen Posten versteht, und trotzdem, dass diese Armee keineswegs unbedeutend war, denn allein 2000 Mann derselben waren bei dem ersten, für die Carthager noch siegreichen Sturme gefallen; versteht unter ‘custodibus discessis” die Concentrirung des punischen Heeres; mit “multi interficiunter" glaubt er, sei das Blutbad unter den Städtern gemeint. Bei dem Fehlen aller Zwischenereignisse würden dies andere für eine mindestens unverständliche Ausdrucksweise hal- ten. Gilbert findet darin (p. 407) von Seiten des Coelius “eine &usserst prägnante Zusammenfassung einer längeren Darstellung der Quelle in wenige Worte”. Das Urtheil Gilberts wirkt um so treffender, als wir kurz vorher von ihm belehrt worden sind, dass Coelius die Thaten der Scipionen in fast doppeltem Umfange wie Livius schrieb. Aber das ist kein Hinderniss. Für Gilbert ist bewiesen, dass das vierte Buch des Coelius entsprechend dem von ihm aufge- stellten Inhalt von Buch III bis zum Jahre 547/207 sich noch er- streckt habe, dass in Buch III die italischen, in Buch IV die spa- nischen Ereignisse des genannten Jahres enthalten waren.

Nicht besser lässt sich das folgende an. Gerade diejenigen Fragmente, auf deren Erklärung wegen ihres allgemeinen Inhalts verzichtet werden musste, diese greift Gilbert als brauchbare Werk- zeuge heraus, giebt ihnen eine beliebige Deutung und verwendet sie nun für seine Zwecke. Entgegenstehende Ansichten hält er in den seltensten Fällen der Mühe werth zu widerlegen: kein Wunder, dass er auf diese Weise alles beweisen kann.

So ist fr. 37 P. Coelius in V: nullius alius rei nisi amicitiae eorum causa ein Wort, das Hannibal alle Augenblicke den rómischen Bundesgenossen gegenüber erklärt, dass er nur aus Freundschaft zu ihnen, und um sie von der römischen Herrschaft zu befreien, naeh Italien gekommen sei, ein Wort, das wir noch in einer Reihe von Fällen lesen, die wir p. 18, 3 aufgezählt haben. Wer kann also wissen, wen Coelius in dem vorliegenden Falle gemeint hat? Gilbert weiss es, und legt das Wort dem rümischen Senate in den Mund, bei Anlass der saguntinischen Gesandtschaft, die 549/205 mit Dank und Bitte nach Rom gekommen war. Der Senat soll nach ihm den Sagun- tiner erklären, “aus keinem andern Grunde, als aus Freundschaft zu ihnen, habe er den Krieg mit Hannibal unternommen'. Das Gegen- theil lässt sich natürlich nicht beweisen. Die Antwort lautet bei Livius: et dirutum et restitutum Saguntum fidei socialis utrimque ser- vatae documentum omnibus fore. Es muss bei Gilbert erst vorausge- setzt werden, dass des Livius Quelle eine ausführlichere Rede brachte, wo dieser selber nur ein einzelnes Wort uns bietet; was möglich ist, aber wir wissen es nicht; weiter, dass in derselben die Römer eine so geschmacklose Uebertreibung sich zu Schulden kommen liessen, wie diese wäre, was wieder möglich ist, aber wir wissen es nicht. Wenn wir den Zusammenhang, in den die Fragmente eingefügt werden

u \

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. δ]

sollen, statt ihn zu suchen, jedesmal selber uns erst künstlich schaffen, ohne Rücksicht, wie das, was allein das Ausschlaggebende sein kann, wie die Ueberlieferung sich dazu verhält, so ist bald kein Buch vor- handen, in das nicht jedes Fragment eingesetzt werden kann. Nur Schade, dass bei einem solchen Spiele die aufgewandte Arbeit ihren Werth verloren hat.

Fr. 88 P. (p. 13, 10) Coelius annali libro V: ad aliquam huic bello finem facere, soll Scipio 549/205 erklürt haben als Motivirung, warum er nach Africa übersetzen, und nicht lieber vorher Hannibal in Italien angreifen wolle und diesen von italischem Boden verdrängen. Eine Rede hält Scipio allerdings in dem genannten Jahre, aber der vor- liegende Gedanke steht wiederum nicht darin; er muss Scipio eigens zugeschoben werden, damit er die Worte sprechen kann. Dagegen steht der Wunsch, dem Kriege ein Ende zu machen Liv. 26, 26; 27, 9; 22, 34 u. 0.

Besser vermag Gilbert seine Hypothese nicht zu stützen. Wie hilft er sich aber über die ihm entgegenstehenden Schwierigkeiten hinweg? Ich glaube, wenn die Deutung irgend eines der Coelianischen Fragmente sicher ist, so ist es die von fr. 59 P. (p. 22, 2), und so mag dies Beispiel genügen, um zu zeigen, wie Gilbert Schwierigkeiten hinweg- räumt. Das Fragment lautet Gell. 10,1,3: 'tertio' et quarto consul", non "tertium quartum'que, idque in principio libri 1 Coelium scripsisse et Q. Claudium in libro XIX 'C. Marium creatum septimo consulem" dixisse. Die Zahl des Buches bei Coelius ist, wie bemerkt, ausgefallen; da jedoch nur Ein Consulpaar im Laufe des Hannibalischen Krieges vorkommt, von dem der eine ‘zum dritten’, der andere ‘zum vierten Male Consul war, nämlich 540/214, und da Buch I mit dem Sommer 538/216 schloss, Buch II mit Sommer 538/216 begann, wie auch Gilbert nicht zu leugnen vermag, so kann die ausgefallene Zahl frühestens 'III' sein. Damit ist Gilberts Hypothese hinfällig, da dieser das dritte Buch bereits mit dem Jahre 544/210 beginnen lassen muss. Aber um einen Ausweg ist dieser nicht verlegen. Er meint, man dürfe aus den Worten des Gellius nicht schliessen, dass die von ihm ange- führten Worte des Coelius in diesem auch wirklich gestanden haben, und man dürfe ‘nur das aus ihnen entnehmen, dass Coelius im An- fange eines Buches Formen der Ordinalia auf -o in Verbindung mit consul geschrieben hatte, und er erkenne die fragliche Stelle des Coelius in dem Consulpaare des Jahres 545/209 Q. Fabius Maximus V, Q. Fabius Flaccus IV. Gellius, resp. der Freund desselben, hat ent- weder irrthümlich aus der Erinnerung schreibend gemeint, es komme hier III und IV vor, oder hat, weil in diesem Falle gänzlich ir- relevant, es nicht für nöthig gehalten, ausdrücklich zu bemerken, dass hier nicht tertio und quarto, sondern quinto und quarto stehe, da j& jene Form, um die es sich hier handelte, in gleicher Weise durch das quinto wie durch das tertio seine Bestätigung erhielt’. Zur rechten Zeit die nóthige Kühnheit zu besitzen, ist schón. Die Grósse

AR

59 Wilhelm Sieglin:

der Kühnheit, die uns hier geboten wird, wird durch die Zuziehung des Claudius Quadrigarius von Seiten des Gellius treffend illustrirt. Gilbert verschmäht es aber auf halbem Wege stehen zu bleiben. Er begnügt sich nicht damit, den Inhalt des Fragments 'tertio' et “quarto consul? für ein Missverständniss zu erklären; auch über die Angabe des Gellius, dass es “in principio! eines gewissen Buches gestanden habe, wird als eine Ungenauigkeit hinweggegangen, weil sie sonst in das System nicht passt. Da des Coelius Bellum Pumi- cum nach Gilbert nicht eine Geschichte des Hannibalischen Krieges, sondern eine Geschichte der Thaten Scipios ist, und da weiter die Kriegsereignisse in Italien 536/218 544/210 nur die Einleitung des eigentlichen Werkes bilden sollen in Buch I—II, so beginnen nach ihm die ausführlichen Schilderungen der ersten Thaten Scipios im dritten Buche, Sommer 544/210. Wenn er nun oben zu dem ver- zweifelten Auswege gegriffen hat und die Worte des Gellius, die dem Jahre 540/214 entnommen waren, auf das Jahr 545/209 bezog, so stehen diese damit nicht “in principio’ des betreffenden Buches des Coelius, wie doch Gellius angiebt, vielmehr fast in der Mitte desselben, es gehen 18 livianische Capitel voraus —; und Gil. bert sieht sich gezwungen, auch über diese Bemerkung als un- richtig hinwegzugehen. Freilich thut er dies nur stillschweigend; Gilbert hält es für zu unbedeutend auf den letztgenannten Wider- spruch aufmerksam zu machen: geräuschlos vollzieht er p. 378 die Aenderung.

Endlich ist man durch die etwas ungewohnte Beweisführung hindurchgekommen. In Musse ist es uns verstattet, in seinem neuen Gewande Coelius zu betrachten. Die neun ersten Jahre des Krieges absolvirt Coelius in zwei Büchern in summarischer Darstellung; diese 2 entsprechen beinahe 6 des Livius. Die 8 letzten Jahre vollendet er in 5 Büchern; diese entsprechen umgekehrt nur 4 des Livius. Trotz der darum nothwendigen Kürze der ersten beiden enthalten diese aber nach Gilbert selbst nicht nur die Senats- verhandlungen und Senatsreden, die Livius und besonders Cassius Dio in diesen Büchern überliefern, ungekürzt und bei Livius nehmen sie allein ca. 80 Capitel in Anspruch; sondern noch eine Menge an- derer Reden, die Gilbert p. 396 f. eigens erfindet. Buch I enthielt ausserdem eine Geschichte des Söldnerkrieges (p. 406), Details der sicilischen Expedition des Sempronius, die Livius nicht hat (p. 420); eine Beschreibung der Alpen lüsst Gilbert vorhanden sein p. 419; die Gründungsgeschichte einer Reihe von italischen Städten, auch solcher, über die die Fragmente schweigen, p. 464.

Man begreift, dass der “eigentliche, thatsächliche Stoff” in diesen Büchern unter diesen Umständen immer “kürzer und zusammenfassen- der’, ‘auf ein Minimum des Umfangs beschränkt” werden muss, um nur der Menge der genannten Beilagen Raum zu schaffen. Von einer halb- wegs detaillirten Erzählung kann keine Rede mehr sein; auch davon

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 53

nicht, dass Coelius eine der Hauptquellen des Livius für die Geschichte des Hannibalischen Krieges war, denn wo sollte Livius den nöthigen Stoff in Coelius gefunden haben? Gilbert übersieht, und wo er das nicht thut, hilft er sich mit allzuleichten Mitteln darüber hinweg, dass wir im Gegensatz zu seinen Aufstellungen Fragmente haben, die uns evident zeigen, dass Coelius sehr ausführlich auch den ersten Theil des Hannibalischen Krieges beschrieben hat; man vergleiche be- sonders fr. 11; 12; 17; 18; 20; 22; 25 (10; 11; 15; 16; 18; 20; 24 S.), die den Traum Hannibals beim Uebergang über den Ebro, die sicilische Expedition des Sempronius, die Schlacht am Ticin, die darauffolgenden Marschbewegungen Hannibals am Po, den Auszug des Consuls Flaminius aus Rom, mehrere Scenen nach der Schlacht bei Cannae theils sehr ausführlich schildern, theils einzelne Mo- mente einer offenbar ausführlichen Darstellung geben. Wie breit und bis in die Details genau Coelius den ersten Theil des Krieges schilderte, geht am evidentesten aus Liv. 23, 6, 8 hervor, wo Livius aus dem Schweigen des Coelius über ein von ihm namhaft ge- machtes Ereigniss die Nichtexistenz desselben folgert.

So hat Gilbert kein einziges Moment beigebracht, um seine Hypothese wahrscheinlich zu machen.

8. 2.

Wir gehen zu den Quellen des Bellum Punicum über. Die wichtigste Quelle für Coelius war natürlich die Geschichte des Fabius Pictor, der in seiner Darstellung gewissermassen den officiellen rümi- schen Standpunkt vertrat. Ohne dass wir genügend directe Zeug- nisse über die Bentitzung des Fabius durch Coelius aus dem Alter- thume haben, haben die Untersuchungen von C. Peter, Nitzsch, Böttcher und anderen dennoch längst klar gelegt, in welch bedeu- tendem Umfange derselbe von Coelius verwerthet worden ist. Ohne uns einer Divination hinzugeben, die das Unwissbare wissen will, kónnen wir mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass fast die meisten Angaben, die wir in den von Coelius abhüngigen Schriftstellern über specifisch römische Angelegenheiten finden, zumal Senatsbeschlüsse, Heeresaufstellungen und ähnliche Dinge aus Fabius ihren Ursprung genommen haben. Eine Benützung der Origines des Cato, der im Gegensatze zu dem alten Adel des Fabius die römische Volkspartei vertrat, bezeugt Gell. N. A. 10, 24, 6; die Zuhilfenahme des Ennius Fronto p. 64 N. Das Geschichtswerk des Silen, das, aus dem carthagi- schen Hauptquartier hervorgegangen und in dessen Geiste geschrieben, unschätzbares Material bot, nicht nur um einseitige Auffassungen der römischen Autoren zu corrigiren und in ihr richtiges Ver- hältnies zurückzuführen, sondern auch deren Berichte da zu er- günzen, wo diese aus Unkenntniss der Vorgünge im carthagischen Hauptquartier lückenhaft gewesen waren; dieses Werk von Silen

54 Wilhelm Sieglin:

wurde von Coelius gleichfalls zu Rathe gezogen und wie seit Bujack bekannt und anerkannt ist, vielfach als Hauptquelle zu Grunde ge- legt. Im ferneren Verlaufe des Krieges hat Coelius weiter die Lau- datio des Marcellus zugezogen Liv. 27, 27, 11, die von dessen Sohne verfasst, eine ausführliche Geschichte (vgl. Pol. 6, 53, 2) desselben und seiner Wirksamkeit während des Hannibalischen Krieges gab. Endlich hat Keller in seinem Buche ‘der zweite punische Krieg und seine Quellen’, Marburg 1875, das zwar sonst des Falschen viel ent- hält, p. 77— 126; 178; 189—192 eine eingehende Benützung der Memoiren des älteren Scipio überzeugend nachgewiesen, sei es dieser selbst, oder einer Ueberarbeitung derselben durch seinen Sohn), was Keller annimmt.

Damit hat Coelius ein umfassendes Quellenmaterial zugezogen, das durch seine Reichhaltigkeit ihm ermöglichte, seinem Werke einen Umfang zu geben, der den aller seiner Vorgänger weit überragte; das durch den Umstand, dass alle Parteistandpunkte darin vertreten waren, Carthager und Römer, Adel und Volkspartei, einer objectiven Geschichtsschreibung Raum gab. Ob Coelius ausser den genannten Autoren noch andere verwandte, wissen wir nicht.

Gilbert will ausser den von uns genannten Autoren durch Coelius benützt wissen Philinus, die Memoiren des Laelius, die Annales maximi ‘sporadisch’; was die Scipionenschrift betrifft, so löst Gilbert den Streit dadurch, dass er p. 394 annimmt, Coelius habe beides benützt, die Schrift des Vaters und des Sohnes. Nach- dem Gilbert einzig dadurch, dass gegen die Benützung dieser stattlichen Anzahl von Autoren der Gegenbeweis nicht beigebracht werden kann, deren Benützung bewiesen hat, kommt er zu dem. Resultate, “Coelius habe vielleicht das Bestreben gehabt, durch die Benützung einer so umfangreichen Literatur zu glänzen und zu imponiren’ und schliesst nun weiter, es sei bei diesem Bestreben “wenigstens nicht unwahrscheinlich’, dass Coelius “selbst so unbe- deutende Werke wie diejenigen des Chaereas und Sosilus, oder so specielle, wie die Memoiren des Cincius eingesehen habe’. Nach diesem überraschenden Schlusse fährt Gilbert in einem Athemzuge fort (p. 396): “Die übrigen Vorgänger des Coelius lasse ich dagegen ganz unberücksichtigt, weil hier keine besonderen Indicien für ihre Bentitzung vorhanden sind, so das vierte Buch des ersten Antiquars Roms, des Cassius Hemina; sodann das Werk des Piso’; und diese eigenthtimliche “Logik gipfelt in dem Satze: “Denn da das Zeitverhältniss des Piso, we-

nigstens der Publication seines Werkes, in Beziehung zu Coelius ganz unsicher ist (und da Piso ferner keine andern Quellen im Allgemeinen hat benützen können, als Coelius auch), so darf man, selbst wenn des Piso Werk dem Coelius vor der Herausgabe des seinigen noch be- kannt geworden wäre, annehmen, dass dasselbe jedenfalls ohne Ein-

---.-..... ——

14) Vgl. Cic. Brut. 19, 17.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 55

fluss auf diesen geblieben ist’. Gilberts Quellenuntersuchungen sind seine schwächste Seite. Dies war in seinem früheren Werke, "Rom und Carthago’, der Fall, und ist es auch hier.

Wir hatten 6 Quellen gehabt, die Coelius bei Abfassung der Geschichte des Hannibalischen Krieges zu Rathe gezogen hat: Fabius, Ennius, Cato, Scipio, Marcellus und Silen. Diese hat er benützt, um den äusseren Stoff für seine Geschichte daraus zu entnehmen.

Es ist nun nicht uninteressant, zu beobachten, welche Hilfs- mittel Coelius für den inneren Ausbau seines Werkes angewandt für die Darstellungsweise und seinen Stil, um diese kunstgerecht zu bilden. Das meiste entzieht sich natürlich unsern Blicken; aber was wir wahrnehmen können ist genug, um unser Interesse zu erwecken. Mit Coelivs hat sich ein grosser Fortschritt in der römischen Lite- ratur mit einem Male vollzogen; Coelius ist es, der der jungen rómi- schen Geschichtsschreibung einen plötzlichen Aufschwung gab, der als der erste den Boden der dürren Annalistenschreiberei verliess, und es verstand pragmatische Geschichte zu schreiben, der sich desshalb in seiner Darstellung auf die jüngst vergangene, historisch sichere Zeit beschränkte. Wer sein Lehrmeister gewesen ist, wissen wir nicht; das Geschichtswerk aber, an dem er sich bildete, war kein geringeres als das des Thucydides.

21, 1, 1 gibt Livius eine Einleitung zum zweiten punischen Kriege. Es könnte sich die Frage erheben, ob dieselbe von ihm selbst herrührt, oder ob er sie in seiner Quelle vorgefunden hat. Ausser Livius geben noch Florus und Dio-Zonaras eine Einleitung zu diesem Kriege. Dio-Zonaras geht grossentheils auf Coelius!) zurück; von Florus wissen wir, dass er im Hannibalischen Kriege unabhängig von Livius ist.!9)

Nun sagt Livius c. 1, 2 in dieser Einleitung: 'adeo varia fortuna. belli ancepsque Mars fuit, ut propius periculum fuerint qui vicerunt". Man vergleiche damit Flor. 1, 22, 1: 'ecce alterum bellum, minus quidem spatio, nec enim amplius decem et octo annos habet, sed adeo eladium atrocitate terribilius, ut similior victo sit populus ille, qui vicit'. Sollte der Satz “ecce alterum bellum" bis 'terribilius? Zusatz des Florus sein? Aug. De civ. D. 3, 19 schreibt in merk- würdiger Uebereinstimmung mit Florus: Secundo autem Punico bello nimis longum est, commemorare clades duorum populorum tam longe secum lateque pugnantium, ita ut his quoque fatentibus, qui non tam narrare bella Romang, quam Romanum imperium laudare instituerint, similior victo fuerit ille qui vicit.

Noch, übereinstimmender mit dem ersten Theil des Florus-Satzes als Livius ist Zonaras 8, 21 xai πόλεμος οὗτος τῷ μὲν χρόνῳ

15 Posner, Quibus auctoribus in bello Hannibalico enarrando usus sit Dio Cassius. Bonnae 1874. 16) Euesner, Jahresbericht über Florus, Philologus XXXVII (1877).

56 Wilhelm Sieglin:

πολὺ éÀáccuv τοῦ προτέρου εὐυμβέβηκε, τοῖς δ᾽ ἔργοις τοῖς τε παθήμαει καὶ μείζων καὶ χαλεπιύτερος.

Daraus geht als wahrscheinlich hervor, dass eine Einleitung zum zweiten punischen Kriege existirte, die Livius und Dio-Zonaras vorlag, und die Florus, wenn auch durch zweite Hand vermittelt, kannte.

Vorher sagt Livius: nam neque validiores opibus ullae inter se civitates gentesque contulerunt arma, neque his ipsis tantum unquam virium &ut roboris fuit. Aehnliches findet sich in Gellius 10, 27, 1 in literis veteribus memoria extat, quod par quondam fuit vigor et acritudo amplitudoque populi Romani atque Poeni. Neque immerito aestimatum. Er setzt hinzu: cum aliis quidem populis de unius- cuiusque republica, cum Poenis autem de omnium terrarum imperio decertatum.

Wir finden eine dritte Spur. 5 fängt Livius an specieller zu werden. Er gibt als Grund des Krieges an: angebant ingentis viri spiritum womit Hamilcar gemeint ist Bicilis Berdiniaque amissae: nam et Siciliam nimis celeri desperatione rerum concessam et Sardiniam inter motum Africae fraude Romanorum stipendio etiam insuper imposito interceptam. Flor. a. a. O. urebat nobilem populum mare ablatum, raptae insulae, dare tributa, quae iubere consueverat.

Ich denke, es ist klar, dass des Livius Einleitung zur drit- ten Dekade nicht von ihm selbst ist, dass er sie in seiner Quelle vorgefunden hat: grosse Stücke von ihr finden sich in andern von ihm unabhüngigen Schriftstellern. Und hat er sie einmal entlehnt, so kann sie nur auf Coelius zurtickgehen, als Einleitung zu dessen Bellum Punicum; so ist dann erklärt, dass Cassius Dio sie benützt hat.

Die Einleitung des Livius beginnt mit den Worten: In parte operis mei licet mihi praefari, quod in principio summae totius pro- fessi sunt plerique rerum scriptores, bellum omnium maxime memorabile, quae unquam gesta sint, mescripturum, quod Hannibale duce Carthaginienses cum populo Romano gessere. nam neque validiores opibus ullae inter se civitates gentesque contu- lerunt arma, neque his ipsis tantum unquam virium aut

oboris fuit. Wem fällt bei diesen Worten nicht Thucyd. 1, 1 ein, T Oouxvbíbnc ᾿Αθηναῖος ξυνέγραψε τὸν πόλεμον τῶν TTelorovvnciuv καὶ ᾿Αθηναίων, ὡς ἐπολέμηςαν πρὸς ἀλλήλους, ἀρξάμενος εὐθὺς καθιετα μένου καὶ ἐλπίεας μέγαν τε ἔεεεθαι καὶ ἀξιολογώτατον τῶν προγεγενημένων, τεκμαιρόμενος, ὅτι ἀκμάζοντές τε ἦἧςαν ἐς αὐτὸν ἀμφότερα παραςκευῇ τῇ πάεςῃ καὶ τὸ ἄλλο Ἑλληνικὸν ὁρῶν Euvicráuevov πρὸς ἑκατέρους, τὸ μὲν εὐθὺς, τὸ δὲ καὶ διανοούμενον. xívncic γὰρ αὕτη μεγίετη δὴ τοῖς "EAAncıv ἐγένετο καὶ μέρει τινὶ τῶν βαρβάρων, ὡς δὲ εἰπεῖν, καὶ ἐπὶ πλεῖετον ἀνθρώπων.

Livius fährt dann fort: et haud ignotas belli artes inter 8686 sed expertas primo Punico conferebant bello. Ein ähnlicher Gedanke

Die Fragmente des L. Coelins Antipater. 57

findet sich Thuc. 1, 18, 3 dcr ἀπὸ τῶν Μηδικῶν ἐς τόνδε dei τὸν πόλεμον τὰ μὲν ςπενδόμενα, τὰ δὲ πολεμοῦντες ἀλλή- λοις fj τοῖς ἑαυτῶν ξυμμάχοις ἀφιςταμένοις εὖ παρ- εςκευάεαντο τὰ πολέμια καὶ ἐμπειρότεροι ἐγένοντο μετὰ κινδύνων τὰς μελέτας ποιούμενοι.

Nach einer Abschweifung kommt Thucydides 1, 22, 2 wieder auf sein Werk zu sprechen und gibt die Quellen an, denen er seine Mittheilungen verdanke. Dass er ex soriptis eorum, qui veri arbi- irantur schópfen wolle, hatte Coelius versproohen. Thucydides drückt sich aus: τὰ δ᾽ ἔργα τῶν πραχθέντων ἐν τῷ πολέμῳ οὐκ ἐκ ToO παρατυχόντος πυνθανόμενος ἠξίωςα γράφειν, οὐδ᾽ ὡς ἐμοὶ ἐδόκει, ἄλλ᾽ οἷς τε αὐτὸς παρῆν καὶ παρὰ τῶν ἄλλων, ὅεον δυνατὸν ἀκριβείᾳ περὶ ἑκάςετου ἐπεξελθών.

Jetzt geht Thucydides 1, 28,1 an eine Vergleichung des früheren medischen Krieges mit dem peloponnesischen, und vergleicht deren Verhältniss nach ihrer Dauer und der παθήματα, die sie zur Folge gehabt. Vor dem peloponnesischen Kriege, sagt er, war der medische der bedeutendste gewesen; hatte jedoch nur eine kurze Dauer gehabt; τούτου δὲ τοῦ πολέμου μῆκός TE μέγα προύβη, παθήματά τε ξυν- ηνέχθη τενέςεθαι ἐν αὐτῷ τῇ ᾿ελλάδι οἷα οὐχ ἕτερα ἐν lcu χρόνῳ. Wenn Coelius dies nachahmt, und eine Parallele zwischen der Länge und den παθήματα des ersten und zweiten punischen Krieges zieht, so kann dieselbe dem Inhalte nach selbstverständlich nicht ganz gleich ausfallen, da der medische Krieg eine kürzere Dauer als der peloponnesische hatte, der erste punische Krieg dagegen eine längere als der zweite. Die Form jedoch ist bei beiden dieselbe: Zon. ἃ. ἃ. 0. καὶ πόλεμος οὗτος τῷ μὲν χρόνῳ πολὺ éÀáccuv τοῦ προτέρου ευμβέβηκε, τοῖς δ᾽ ἔργοις τοῖς τε παθήμαει καὶ μείζων καὶ χαλε- πώτερος. ᾿"

Im Folgenden gibt Thucydides eine kurze Geschichte der Zeit zwischen dem medischen Kriege und dem von ihm beschriebenen, um die Ursache seines Ausbruchs klar zu legen: dies finden wir in Coelius nachgeahmt, der Liv. 21, 2—4; Zon. 8, 21 die Jahre zwischen 514/240 und 536/218 zu gleichem Zwecke seinen Lesern berichtet. Diese Uebereinstimmung setzt sich consequent fort in der sorgfäl- tigen detaillirten Aufzählung der Streitkräfte der sich bekämpfenden Länder zu Beginn des Krieges Thuc. 2, 9 = Liv. 21, 17 u. 21—22; in den ausführlichen Verhandlungen und Heden zu Rom, zu Carthago und im carthagischen Hauptquartier Liv. c. 9—10, 18— 21; Zon. 8, 21—22 = Thuc. 1, 67—87; 119—126; 139—145; 2, 10—12 (die Livius bei keinem Kriege sonst so eingehend widergibt); in der ganzen Darstellungsweise der Ereignisse. An Thucydides und den Griechen hat Coelius sich gebildet; ersteren vornehmlich hat er in all den Dingen nachgeahmt, in denen er sich von seinen römischen Vorgängern unterscheidet: in der Auswahl des Stoffes aus der nächsten Vergangenheit; der pragmatischen Behandlung desselben; der Auf-

58 Wilbelm Sieglin:

nahme von Reden. Dann hat er im Einzelnen dessen Darstellung in vielen Punkten nachgeahmt, hat sogar manche Gedanken in be- denklicher Abhängigkeit von seinem Meister entlehnt. Ich verzichte darauf, alle Parallelen aufzuz&hlen zwischen Schilderungen, die sich in Coelius und die sich in Thucydides finden, da uns meist die Mög- lichkeit genommen ist, zu controliren, wie weit die Uebereinstimmun- gen dem Zufall ihren Ursprung verdanken, wie weit sie künstlich gemacht sind. Doch sei es mir erlaubt, einige Fälle herauszugreifen, die die bewusste Nachahmung allzudeutlich verrathen.

Wir wissen aus Liv. 29, 27, 14, dass Coelius eine poetisch ausmalende Schilderung jener Ueberfahrt des Scipio von Lilybaeum nach Africa gegeben, die dem Hannibalischen Kriege ein rasches Ende machen sollte. Alle Bürger und die anwesenden Fremden strömten an den Hafen herab 29, 26, 7, um das grossartige Schau- spiel der abfahrenden Flotte zu geniessen. Wem fällt hier nicht Thuc. 6, 30, 2 ein, wo dasselbe von den Athenern gesagt wird, als deren Flotte zur sicilischen Expedition abfuhr, dass, um deren Ab- fahrt anzusehen ἄλλος ὅμιλος ἅπας 6 ἐν τῇ πόλει καὶ ἀςτῶν καὶ ξένων in den Piraeeus gezogen sei? Wem bei dem feierlichen Gebete und Opfer Scipios vor dem versammelten Heere, ehe die Anker ge- lichtet wurden, nicht der gleiche gottesdienstliche Act Thuc. 6, 32? An das ganze Unternehmen knüpft Coelius eine Bemerkung an, 29, 26, 1: Viele römische Flotten, sagt er, waren aus Sicilien und jenem Hafen schon ausgefahren; aber niemals war eine so grossartig ge- wesen. Zwar war die Flotte des Regulus im früheren Kriege, die auch hier ausgefahren, &usserlich grösser, aber durch die Bedeutung, die auf die jetzige gelegt war, erregte diese ein weit grösseres Auf- sehen. Thuc. 6, 31, 1 sagt: Unter allen Flotten, die ein hellenischer Staat je gesehen hat, war die hier abgehende die kostspieligste und grossartigste. Zwar war die Flotte unter Pericles gegen Epi- dauros einst keineswegs kleiner gewesen; dieser jetzige Zug überragte dieselbe aber dennoch weit durch die Be- deutung, die ihm zugemessen war.

Nicht geringer ist die Uebereinstimmung bei der Schilderung der Pest in Syracus, Liv. 25, 26, mit der Pest in Athen Thuc. 2, 51 f. Thucydides ist abermals nachgeahmt. Man vergleiche Liv. c. 26, 8 curatio ipsa et contactus aegrorum volgabat morbos, ut aut neglecti desertique qui incidissent morerentur, aut adsidentis curantis- que eadem vi morbi repletos secum traherent, cotidianoque funere et mors ob oculos esset, et undique dies noctesque ploratus andirentur mit Thuc. 2, 51, 4 δεινότατον δὲ παντὸς ἦν τοῦ κακοῦ fj τε ἀθυμία, ὅτι ἕτερος ἀφ᾽ ἑτέρου θεραπείας ἀναπιμπλάμενοι ὥςπερ τὰ πρόβατα ἔθνηςκον. καὶ τὸν πλεῖςτον φθόρον τοῦτο ἐνεποίει. εἴτε γὰρ μὴ θέλοιειν δεδιότες ἀλλήλοις προςιέναι ἀπώλλυντο ἐρῆμοι, καὶ οἰκίαι πολλαὶ éxevijOncav ἀπορίᾳ τοῦ θεραπεύςαντος. Der Tod, führt dann Thucydides fort, forderte so zahlreiche Opfer, dass τὰς ὀλο-

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 59

φύρεεις τῶν ἀπογιγνομένων τελευτῶντες καὶ οἱ οἰκεῖοι ἐξέκαμνον ὑπὸ τοῦ πολλοῦ κακοῦ νικώμενοι. --- ὑπερβιαζομένου τοῦ κακοῦ οἱ ἄνθρωποι οὐχ ἔχοντες τι γένωνται, ἐς ὀλιζτωρίαν ἐτράποντο καὶ ἱερῶν καὶ δείων ὁμοίως. νόμοι τε πάντες ξυνεταράχθηςαν, οἷς ἐχρῶντο πρότερον περὶ τὰς ταφάς, ἔθαπτον δὲ ὡς ἕκαςτος ἐδύνατο. καὶ πολλοὶ εἰς ἀναιεχύντους θήκας ἐτράποντο ςπάνει τῶν ἐπιτη- δείων διὰ τὸ εὐυχνοὺς ἤδη προτεθνάναι cpicıv. Livius gibt das wieder: postremo ita adsuetudine mali efferaverant animos, ut non modo lacrimis iustoque conploratu prosequerentur mortuos, sed ne efferrent quidem aut sepelirent, iacerentque strata exanima corpora in conspectu Similem mortem exspectantium. Beachtenswerth ist dabei, wie Coelius das in der Vorlage erwühnte ausmalend steigert und übertreibt. “Die Menschen verwilderten so weit, hatte Thucydides nur gesagt, “dass sie sich um das alte Herkommen bei den Be- erdigungen nicht mehr kümmerten und jeden begruben, wie sie gerade konnten, selbst schamlose Mittel nicht scheuend', und hatte dies an- geführt durch Beispiele, wie die Leute ihre Todten auf fremde Scheiter- haufen legten, die für andere errichtet waren, indem sie dieselben heimlich vorher anzündeten, oder, wührend eine andere Leiche ver- brannt wurde, die ihrige oben darauf warfen und wegliefen. Coelius macht daraus, dass die Leichen überhaupt nicht beerdigt wurden und auf der Strasse liegen blieben. Starke Farben aufzutragen ist überhaupt seine Force. Bei der Expedition nach Sicilien hatte Thucy- dides so erwähnt, c. 30, 2, dass auch die Fremden bei der Abfahrt an den Piraeeus herabgezogen seien, um das Schauspiel zu geniessen. So einfach genügt das Coelius noch nicht: bei ihm sind die Fremden eigens aus den sicilischen Städten nach Lilybaeum gesandt, der ab- fahrenden Flotte beizuwohnen. Die Scene ist so malerischer und grossartiger. Und dennoch ist es nicht genug. 'So zog denn, wenn ich so sagen darf, die gesammte Volksmasse in der Stadt, Bürger wie Fremde, an den Piraeeus hinab', war der genaue Wort- laut in Thucydides gewesen. Man vergleiche Liv. 29, 25, 4 Coelius ait: tantam multitudinem conscendisse naves, αὖ nemo mort alium aut in Italia, aut in Sicilia relinqui videretur.

So ist denn genügend dargelegt, dass Thucydides in der That des Coelius Darstellung ein Vorbild gewesen; vermuthlich wird auch der viel benützte Silen ein solches gewesen sein, der wie aus den Livius und Polybius gemeinsamen Reden der dritten Decade hervor- geht, sein Geschichtswerk gleichfalls rhetorisch gehalten hatte.

Stilistisch war das Vorbild des Coelius Ennius. Plerumque, sagt Fronto p. 14, ad orationem faciendam versus, ad versificandum oratio magnum adiuvat; so war Coelius naturgemäss auf Ennius hin- gewiessen, und studiose eum aemulatus est, bezeugt Fronto p. 64. Die Spuren davon sind noch vielfach selbst in der Ueberarbeitung, die Coelius durch Livius erlitten hat, zu erkennen, nicht nur in der sprachlichen Uebereinstimmung einer Refhe von Ennius-Fragmenten

40 Wilhelm Bieglin:

mit Livius, nondern sogar an mehreren Versen und Verssitücken, die in. livius und Coelius übergegangen sind, da Coelius, wie aus Gell. 10, 24, 0 ewsichtlich ist, sich sprachlich eng an seine Vorlage an- gerchlonsen bat. Die bekannteste Spur dieser dichterischen Vorlage ateht. Liv. 22, 60, 10 in der poetischen Schilderung, wie nach der Nohlucht bei Cannao Sempronius Tuditanus die verzweifelnden Römer im kleinen lager auffordert, sich durch die Menge der Feinde durch- auachlagen und sich dem Staate zu erhalten.

llaec ubi dicta dedit stringit gladium cuneoque Facto per medios vadit heatea, führt Livius fort, schwerlich hier selber dichtend. Unmittelbar vorher, Liv. 33, 80, 9 findet sich ut si nihil obstet Disiieias, Liv. 2t, 8, arma] uec Hannibali in tanto discrimine rerum; vil. darüber Hagen, J. £cl. Ph. CIX (1874), p. 276. Grösser ist die Ansahl der Kanianischen Fragmente, die hier Beachtung verdienen. In seiner Kae vor der Schlacht am Ticin versprach Hannibal den vartaytischen Bundesgenussen, wenn sie sich tapfer halten, Liv. 21, AS, €, qui sxierum cives Cartbagriniensium fieri vellent, pote- state facturum, Bitscher Die Quellen des Livius, p. 393 hat längst wachgewiween, dass die Livius hier vorliegende Quelle römischen Unpuns ists Die Vorlage der ciürtes Stelle ünmdet sch Ennius vw. δ V. Hstem qui fürtes omuübhi eri Carthagmmiemsi Quis eU Num wabere so Que Heeres Auyemalı wird die allmählige We obumc Jer euer, due Nenle von Ürr serien Eniferwung noch zvurn wis Va Jun Fusstzrt Sue Masern erteilt cv mächtiger NU. M zur en immer es. Duarteeg be Nie: Exx 386 MEUS Sec ΩΝ £i Nez CURA *walegi-. Sx ub ὧν TI AR ee IJgple Zu τὸς NETT Gjywerum- ΣΝ SEES SunNtus YOOUUBDGAITUS ICGLIELEL TOR Mou IDnaclcumnbec Was cz Iw ἐπα μος ime Ustertalls wa SOcAMuR Pond Samen Lao I IE Namen ke im Er- AR ANAL, iiu Iu Vera κῶσος SUL ponexme Ta lur Arsemis Mus, cuchgnisg Gn Irina unà "Dokus C'eamr XIBI decem 7 oXDuneeup ua audand'uuwu. Iowa ie Wait ar 1us de DiTger nno aaa ımı vun Tmiisugen DNCeugIL gf summer δα Unceandue Erg Ute gel Xacl νὰ oma nen rw m u Mad adi wii US ER ao SUILQCU& e απο, Auch Iran Yale In δε m πα Zope - 1MC iui AR éu ui CWdMBCQug put,

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 61

Man beachte dabei, wie oft des Ennius Fragmente gerade da eintreten, wo wir in Livius lebhafte dramatische Schilderung haben.

Liv. 29. 27, 14 berichtet von der Ueberfahrt Scipios nach Afrika, dass die meisten Schriftsteller sie als ruhig verlaufen hin- stellen, Coelius dagegen von einem grossen Sturme wisse, und dass Seipios Soldaten cum ingenti tumultu in terram (Africam) evasisse. In frappanter Uebereinstimmung befinden sich damit des Ennius Worte v. 311:

Africa terribili tremit horrida terra tumultu.

. V. 310 lautet, vermuthlich auch hierher gehörend: navibus explebant sese terrasque replebant.

In der Relation des Coelius sind einfach die Reiseabenteuer des Octavius Liv. 30, 24 auf Scipio übertragen. Eine etwas bedenkliche Freiheit in der Verwendung des Stoffes, nur um mehr Effect zu er- zielen, ist bei Ennius nichts fremdes; vgl. meine Abhandlung, Die Chronologie der Belagerung von Sagunt p. 28—35. Wenn unsere Vermuthung nicht trügt, so ist die von den andern Schriftstellern abweichende Darstellung der Expedition des Scipio durch Coelius nach seinem ersten Theile (der Abfahrt) nach Thucydides, nach dem zweiten (der Ueberfahrt) nach Ennius zusammengesetzt.

Auch hier verzichten wir darauf, alle Fülle aufzuzühlen, in denen sich Uebereinstimmung zwischen Ennius und Coelius beziehungsweise Livius zeigt, weil sich zu häufig unserer Controle entzieht, ob die Uebereinstimmung auf einer Benützung des Ennius durch Coelius beruht, oder ob sie etwa von einer gemeinsamen Quelle herrührt. Auf einem Gebiete so difficiler Art wie das vorliegende ist Vorsicht anzuwenden. Doch Einen Werth haben diese Parallelen immer, der für Quellenuntersuchungen von nicht zu unterschätzender Wichtig- keit ist: wir erhalten daraus Mittheilung über das Alter der beiden Autoren gemeinsamen Begebenheiten und Aufstellungen, ob sie Eigenthum des Coelius, oder ob sie früheren Datums sind.

So ist es von Interesse zu erfahren, dass die Charakterschilderung, die Liv. 21, 4 von Hannibal gibt, Ennius schon gab. Den Hunger und den Durst rühmt darin Livius, konnte Hannibal, wie alle körper- lichen Bedürfnisse in hervorragendem Maasse bezwingen. Silius Italicus, der, wie wir seit Wezels!*) und Heynachers'?) Untersuchungen wissen, den Ennius in umfangreichen Maasse benützte, drückt sich dabei über die Ertragung des Durstes aus 1, 260:

Exercetque sitim et spectato fonte recedit, In Ennius findet sich v. 546: Contempsit fontes quibus sese erugit aquae vis.

17) E. Wezel, De C. Silii Italici cum fontibus, tum exemplis. Lips. 1873.

1) M. Heynacher, Ueber die Stellung des Silius Italicus unter den Quellen zum zweiten punischen Kriege. Berlin, Weidmann 1877 (Pro- gramm der Ilfelder Klosterschule) 68 pp.

62 Wilhelm Siegim:

Weiter ersieht man, dass die Scene, die im carthagischen Senate nach der Schlacht bei Cannae sich abepielte, wie Mago die Siege seines Bruders aufzählte und zum Beweise einen Scheffel Ringe in der Curie zu den Füssen des Senats ausschüttete, wie da höhnend einer den alten Hanno an seine düstern Weissagungen zu Beginn des Krieges erinnerte, die sich ja so trefflich erfüllt haben, und dieser zün- dend antwortet, Liv. 23, 12—13, dass diese Scene in Ennius bereits ihren Platz fand. Hanno leugnete darin den Sieg über die Römer, da diese selber sich noch nicht besiegt geben, da keine latinische Stadt zu Hannibal übergegangen sei und die Römer noch nicht um Frieden gebeten:

Qui vincit non est victor, nisi victus fatetur Enn. v. 485; und Hanno schliesst bei Ennius mit den Worten v. 486: Den Frieden bekommen wir nicht Dum quidem unus homo Bomanus toga superescit.

In Fabius kann diese Schilderung nicht gestanden haben, da Coelius der erste römische Prosaiker war, der selbstverfasste Reden in sein Geschichtswerk aufnahm; Cato hatte nur die von ihm persön- lich gehaltenen Reden in die Origines übergehen lassen. Diejenigen Bruchstücke von Reden also, die sich in Coelius und Ennius gemein- sam finden, schliessen ein Entlehnen von Fabius aus: Ennius ist in denselben die Vorlage des Coelius gewesen.

8 3.

Da der Zweck der vorliegenden Abhandlung nicht ist, Quellen- untersuchungen im gewöhnlichen Sinne über Coelius anzustellen, son- dern nur die Namen seiner Quellen und Hilfsmittel soweit zu eruiren, als sich aus den Fragmenten selbst, beziehungsweise aus der Ueber- arbeitung des Werkes durch Livius ergibt, so ist mit dem bisher Vorgebrachten unsere Aufgabe erledigt. Eine interessante Frage, die bei dem Verhältnisse, das sich von Seiten des Coelius zu Thucydides und Ennius ergab, doppelte Aufmerksamkeit erweckt, deren Beant- wortung für künftige Untersuchungen von hoher Bedeutung wäre, konnten wir nur flüchtig berühren, das ist das Verhältniss des Coelius zu Silen, und der Einfluss, den dieser auf den innern Ausbau des Coelianischen Werkes einnahm. Leider ist uns jedoch bis jetzt jede Möglichkeit genommen, irgend etwas sichereres hierüber aufzustellen. Durch etwaige directe Zeugnisse aus dem Alterthume wissen wir so gut wie nichts über Silen; Fragmente sind uns nur drei als dem Bellum Hannibalicum angehörig überliefert, zwei Cic. De div. 1,24,48, die den Traum Hannibals beim Ebroübergange und einen späteren Traum am Lacinischen Vorgebirge berichten, ein drittes ohne Be- deutung, Liv. 26, 49, 3, in dem Silen die Zahl der bei der Einnahme Neucarthagos 544/210 erbeuteten Scorpione angibt.

T

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 63

Was nun bei diesem geringen Material philologische Kritik den- noch leisten konnte, hat sie getreulich geleistet. Konnten die wenigen Fragmente uns auch nichts bieten in Beziehung auf den Einfluss, den Silen auf die formelle Gestaltung des Coelianischen Werkes ausübte, wie wir es von Thucydides noch deutlich festsetzen konnten, so war die Ausbeute um 80 grösser, die dafür für die Quellenfrage sich ergab.

Seit Nitzsch's scharfsinnigen Untersuchungen und denen seiner Schüler Bujack und Böttcher, die einzig von dem Traume Hannibals am Ebro ausgehend die Spuren Silens immer weiter verfolgten, indem sie den Traum mit der gleichlautenden Erzählung in Livius verglichen und einer Polemik, die sie gegen die Geschichte in Polybios 3, 47 fan- den; seit diesen haben wir gelernt, dass Silen in allen Hannibal und das carthagische Lager betreffenden Ereignissen von Coelius in der umfassendsten Weise verwerthet worden ist, und andere haben ihre Arbeit fortgesetzt. Grosse Stücke aus Livius, Polybius, Dio-Zonaras wurden herausgeschält, in denen man die Chronik Silens erkannte, und wenn auch tiber einzelne Partien sich noch Streit erhebt und ferner erheben wird, die Grundlage für weitere Forschungen ist gelegt. Diese Grundlage, die sich jetzt auf eine stattliche Anzahl der unzweideutigsten Spuren specifisch carthagischer Auffassung in den Geschichtswerken des Livius und Polybius stützt, ist so sicher, dass sie nicht mehr erschüttert werden kann, selbst dann nicht, wenn der Ausgangspunkt, von dem aus sie gewonnen wurde, nach- träglich in unsicherem Lichte erscheinen sollte.

Der Traum am Ebro, der in Coelius enthalten aus Silen seinen Ursprung genommen haben soll, lautet also: “Als Hannibal Sagunt erobert hatte und nun den Krieg gegen Rom eröffnete, da träumte er beim Ueberschreiten der Grenze, er werde von Jupiter in die Götterversammlung gerufen. Hier erhielt er den Auftrag, nach Ita- lien zu ziehen, und dort den Krieg zu führen. Zugleich wird ihm einer der anwesenden Götter als Führer gegeben. Hannibal erhält die Weisung, diesem zu folgen, wobei ihm jedoch das Verbot auf- erlegt wird, irgend um sich zu blicken. Hannibal folgt dem Gotte mit einem Heere, und eine Zeit lang gehorcht er auch dem Gebote. Hernach aber vermag er sich nicht länger zu bezwingen; er verletzt das Gebot und schaut um sich. Da sieht er einen ungeheuren Drachen, der alles um sich herum verwüstet, lärmend und tobend. Hannibal ist ver- wundert und fragt den Gott, was das bedeute; dieser antwortet, der Drache und sein Thun gehe auf ihn und bedeute die Verwüstung Italiens durch ihn: im übrigen solle er guten Muths sein und der Zukunft vertrauen. An der Form der Erzählung ist ein Anstoss zu nehmen. Der Gott legt Hannibal das Verbot auf, das Göttliche durch das menschliche Auge nicht zu entweihen und nicht um sich zu blicken; Hannibal bricht das Verbot; und was ist die Strafe? Die Aussicht, in Italien grosse Siege zu erfechten. Hier muss eine Ungeschicklichkeit in der Darstellung vorliegen; denn so formulirt

64 Wilhelm Sieglin:

widerspricht die Erzählung aller antiken Anschauung.' Eine Strafe muss hier erfolgen, wie das Beispiel des Orpheus und andere zeigen. Suchen wir eine solche, so kann in unserem Falle, wo einerseits das Streben Hannibals ist, Italien sich zu unterwerfen, andrerseits das Schicksal und Thun des Drachen ein Vorbild auf diesen ist, die Strafe nur darin bestehen, dass Hannibal Italien nicht bezwingt und unterwirft, sondern, wie der Drache es thut, nur verwüstet. Die einfachste Erklärung ist die: Solange als Hannibal mit dem Gotte einherschreitet, treibt der Drache seine Verwüstung. Bricht nun Hannibal das Gebot früh, so kann der Drache nur wenig verwüsten, Hannibals Erfolge in Italien werden also gering sein; bri6ht er es später, so ist die Tháütigkeit des Drachen länger andauernd und Hannibals Erfolge grösser. Bricht er es gar nicht, folgt er dem Gotte bis zu Ende, so verwüstet auch der Drache bis zu Ende, und Hannibals Sieg ist ein vollständiger. Die Strafe für Hannibal liegt also in der Unvollständigkeit des Sieges. Diese Erklärung wird durch Silius bestätigt, der 3, 208 den Traum gleichfalls erzählt, und die Auffassung, dass der Grad der Verwüstung des Drachen ein Vorbild auf Hanni- bal sei, theilt. Er legt dem Gotte die Worte in den Mund a. a. O.:

Quantus per campos populatis montibus actas

Contorquet silvas squalenti tergore serpens,

Et late humectat terras spumanti veneno:

Tantus perdomitis decurrens Alpibus atro

Involves bello Italiam, tantoque fragore

Eruta convulsis prosternes oppida muris.

Für den Fall, dass er gehorche, hatte der Gott Hannibal ver- heissen 3, 181:

Respexisse veto; monet hoc pater ille Deorum:

Victorem ante aliae statuam te moenia Romae.

Ist diese unsere Deutung richtig, so ist klar, dass wir bei dem Traume Hannibals nicht ein historisches Factum vor uns haben, sondern eme Sage, die sich nach Beendigung des Krieges gebildet. Dieselbe ging aus von dem anfünglichen Erfolge Hannibals und dem Siege bei Cannae, nach welchem dieser statt unverrückt vorwärts dem gesteckten Ziele entgegen zu gehen, indem er Hom angriff, nach minder wichtigen Dingen in seinem Rücken schaute, und um die nutz- lose Kraft unteritalischer Stüdte:sich mehr kümmerte, als um die ita- lische Hauptstadt. An diese Deutung kntipft sich aber eine wichtige Consequenz. Cicero a. a, O. gibt an, Coelius habe die Erzählung von dem Traume aus Silen entlehnt; der Glaube, dass dies richtig ist, wird durch dieselbe erschüttert.

Es ist etwas gewagtes, an dem festen Boden eines solch directen Zeugnisses zu rütteln, und nur bei zwingenden Gründen findet es seine

M—À nn ——— on

19) Vgl. Bucol. 8,102; Odyss. 10, 528; Aesch. Choeph. 99; Theocr. 94, 91. Ov. Met. 1, 883; 899 u. a.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 65

Rechtfertigung: doch glaube ich, dass die Bedenken, die sich gegen Cieeros Angabe erheben, mindestens beachtenswerth sind. Der Traum in seiner Weissagung auf den Verlauf des Krieges setzt mit unbeding- ter Nothwendigkeit das Ende desselben voraus; Silen starb aber??) vor Beendigung des Krieges, wie auch in den letzten Büchern des Livius jede Spur seiner Darstellung schwindet.

Schon dieses könnte genügen. Den Traum träumt ferner Han- nibal der Carthager. Es ist selbstverständlich, dass Gedanken und Träume, die Hannibal gehabt haben soll, den Vorstellungen ent- sprechen müssen, von denen dieser in Wirklichkeit erfüllt war. So wenig ein Christ, wenn er sich in einem Traume Gott gegenüber denken sollte, diesen sich etwa an der Seite von Muhammed er- scheinen lassen wird, oder von griechischen Göttern begleitet, so wenig wird Hannibal sich seine Götter anders träumen, als mit seiner Religionsvorstellung vereinbar ist. Nicht als ob man sich an ‘Jupiter’ stossen dürfte, oder an Mercur, dem “Jüngling göttlicher Gestalt’, wie ihn Livius nennt, solche Umschreibungen für phöni- cische Namen sind wir gewöhnt; wir dürfen sie nicht anders erwarten. Aber Dinge, wie eine Götterversammlung, in die Hannibal tritt, aus deren Händen er sein Mandat empfängt, widersprechen allen cartha- gischen Religionsbegriffen total; ein Mythus, der einen derartigen Inhalt hat, kann nicht in der Umgebung Hannibals aufgekommen sein; ein Mann, der das cartbagische Volk und Sitten kennt, kann ein solehes Unding seinen Lesern nicht aufgetischt haben. Ist also die Erzählung eine Sage, so kann sie nur eine nicht-carthagische, eine rö- mische, vielleicht auch eine unteritalisehe Sage gewesen sein, und ist, da Coelius, wie wir ja wissen, mündliche Traditionen gerne in sein Werk aufnahm, als solche in dessen Bellum Punicum gekommen.

Dies wird &usserlich schon dadurch bestätigt, dass in Dio-Zonaras der Traum unter den römischen Prodigien steht und dort eine die Sagenbildung deutlicher verrathende Einkleidung sich erhalten hat, Zon. 8, 22 p. 238 D. τῷ δὲ ᾿Αννίβᾳ θηρία πολλὰ καὶ ἄγνωςτα τὸν Ἴβηρα διαβαίνοντι προκαθηγήςατο, καὶ ὄψις ὀνείρου ἐφάνη. Mit unserer Annahme stimmt aber weiter die Thatsache tberein, dass die beiden Momente, die sich in der Erzählung von dem Traume finden, einerseits der Drache und Mercur, die Hannibal zu Anfang den Weg zeigen, andrerseits die Vorbedeutung, dass dasjenige, was mit dem Drachen vorgeht, ein Symbol sein soll auf die Thaten dessen, der es schaut, beide auch sonst in der römisch-griechischen Sage er- scheinen.

Das erste Moment zeigt sich überraschend ähnlich noch im selben Kriege bei Scipio dem Aelteren, als dieser die das Schicksal

30) Nep. Hann. 18, 8 huius belli gesta multi memoriae prodiderunt, sed ex his duo, qui cum Hannibale in castris fuerunt simulque vixerunt, quamdiu fortuna passa est, Silenus et Sosilus Lacedaemonius.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. XI. b

66 Wilhelm Sieglin:

des Feldzugs besiegelnde That vollbrachte und nach Africa tiber- setzte. Nach der Landung zeigte sich vor dem Lager Scipios gleich- falls ein Drache, der diesem den Weg nach Carthago wies und ihm dorthin voraneilte. Scipio erkannte auch, dass dies eine Vorbe- deutung auf ihn sei und das was er thun solle; er folgte der gött- lichen Mahnung und brach muthig in das Innere des Landes auf."

Aehnlich zeigte sich als Caesar am Rubikon stand und zögerte, den verhängvollen Schritt zu thun und überzusetzen, plötzlich eine hohe Gestalt, die ihm auf dem Wege voranging und an das andere Ufer hinüberschwebte, Suet. Caes. 32. Ein Drache war es nicht mehr, dazu waren die Zeiten zu aufgeklürt geworden. Im übrigen war es wie bei Scipio: die Gestalt entriss einem Soldaten die Tuba, gab das Zeichen zum Angriff und schwebte voran. Auf denn, rief Caesar, die Gótter wollen es; cunctanti ostentum tale factum est; er folgte dem wunderbaren Wesen und rückte vor.

Der zweite Theil des Traumes, die Vorbedeutung, daas die Art, wie der Drache sein Wesen treibt, und die Zeitdauer, wie lange er es treibt, Hannibals Kämpfe in Italien darstellen, findet sich gleich- falls in einem entscheidenden Moment der rómischen Geschichte, bei Regulus. Als dieser in Africa landete, zeigte sich ein ungeheurer Drache von 120 Fuss Länge, der, ein Symbol der harten und mör- derischen Kümpfe, die Rom mit Carthago bevorstanden und des end- lichen Sieges Roms, anfänglich viele Römer tödtete, bis er endlich mit Mühe erlegt wurde Val. Max. 1, 8 ext. 19; Gell. 6, 3; Liv. Per. 18; Sil. Ital. 6, 140 ff.; Sen. epp. 82, 25; Plin. 18, 14, 37.??)

Aehnliches findet sich ferner Plut. Alex. 24, nur dass der Drache hier wieder vertauscht ist. Als Alexander vor Tyrus lag, träumt er, ein Satyr zeige sich ihm, den er fangen wolle, und doch vermochte er es nicht. Immer wieder haschte er nach ihm, immer entrann derselbe. Endlich nach vieler und andauernder Mühe glückte ihm der Fang. Besorgt fragte er vom Schlaf erweckt die Seher um die Deutung. Das lange, vergebliche Haschen zeigte die lange Belage- rung von Tyrus an; in einer Zeit, wurde ihm zur Antwort, deren Ausdehnung er nach dem Fangen des Satyr bemessen könne, werde er Tyrus einnehmen.

Eine interessante Parallele mit Coelius bietet endlich eine

51) Cassius Dio fr. 57, 68 p. 106 D. vAfjaa ὄρη xaralcxövrec crpa- τόπεδόν τε ἐν ἐπιτηδείῳ ἐποιήςαντο καὶ πᾶν αὐτὸ ςταυριύμαει περιέφραξαν, χάρακας ἐπ᾽ αὐτὸ τοῦτ᾽ ἐνεγκάμενοι. ἄρτι τε κατεςκεύαςτο, καὶ δράκων παρ᾽ αὐτὸ μέγας διὰ τῆς ἐπὶ τὴν Καρχηδόνα φερούςης ὁδοῦ παρείρπυςεν, ὥετε καὶ ἐκ τούτου τὸν (κιπίωνα κατὰ τὴν περὶ τούτων ..... ἑαυτοῦ φήμην ἐπι- θαρεήςαντα προθυμώτερον τὴν τε χιύραν πορθῆκαι καὶ ταῖς πόλεςι προςμῖξαι.

?*) Einen weiteren Fall Aesch. Coeph. 525 ff. übergehen wir als zu unbedeutend, in welchem Clytemnästra träumt, ein Drache liege an ihrer Brust und trinke ihr Blut: ihr Tod durch ihren Sohn Orestes war damit angedeutet. Immerhin aber sehen wir auch aus dieser Erzählung, wie sehr in der griechisch-römischen Sage der Drache als Symbol des Menschen beliebt war.

"irs a cat lemen 1777

"e

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 67

deutsche Sage, am Niederrhein zu Hause, die sich (mit dieser Quellen- angabe) in Bechsteins Märchensammlung findet; etwas verkürzt, wie leider so manches andere schöne Lied, in Zuccalmaglio, ‘Deutsche Volkslieder’ p. 48. So kindllich und naiv sie ist, mag sie doch ihren Platz hier finden. Ein Reiter hat ein Pferd, das hat er von dem Herrn Jesus Christus selber als Pathengeschenk erhalten. Auf diesem zieht der Reiter fort über Land und wie er eine Zeit lang geritten ist, findet er eine schöne Feder am Boden liegen. Diese will er auf- heben und sich damit schmücken. Das Pferd verbietet es ihm aber und er fügt sich auch. Bei einer zweiten schöneren Feder wiederholt sich dasselbe Spiel; auch bei einer dritten, noch schöneren. Bei dieser jedoch vermag sich der Jüngling nicht mehr zu bezwingen; er hebt sie trotz des Verbotes auf. Bald kommt er in eine Stadt; da ziehen ihm die Bürger jubelnd entgegen und begrüssen ihn als König. Das Pferd aber spricht zu ihm: Hättest du die erste Feder aufgehoben, würest du Graf geworden; bei der zweiten Herzog. Nun da du die dritte gegen mein Verbot nahmst, bist du König geworden. Hitttest du auch diesmal gehorcht, würdest du eine vierte Feder gefunden haben, bei der ich dich selber aufforderte, sie aufzunehmen; dann wäre das höchste Ziel, die Kaiserkrone, dein Lohn gewesen. Wir haben hier denselben Gedankengang wie Coelius. Die Aehnlichkeit liegt nicht nur in der Steigerung dessen, das dem Helden zu Theil werden soll, die sich richtet nach dem Grad des Gehorsams, sondern wesentlich auch in dem charakteristischen Merk- mal, dass eine gewisse Gunsterweisung dem Helden von vornherein gesichert ist, selbst für den Fall, dass derselbe gleich anfangs sich gegen das göttliche Verbot vergeht, und dass factisch beide Helden erst unmittelbar vor dem vollständigen Erringen ihres Zieles sich versündigen. Ohne Zweifel steht unsere deutsche Sage in einem Zusammenhange mit der römischen, der natürlich nicht in einem Entlehnen, sondern in einem gemeinsamen Ursprunge zu suchen ist.

Aus diesen Gründen schliesse ich, dass wir eine indogerma- nische Sage vor uns haben, die uns in Coelius in einer Bearbeitung vorliegt. An der mannigfachen Verschiedenheit der Form der vor- gebrachten Sagen wird sich niemand stossen, der Sagenbildungen bei verschiedenen Völkern und tiber verschiedene Zeiten hinaus ver- folgt hat. Die uns hier in Coelius vorliegende Sage ist zusammen- gesetzt einerseits aus der Form, wie sie uns bei Scipio und Caesar entgegentritt, andrerseits aus der am Rhein erhaltenen deutschen Sage. Solche Zusammensetzungen und Vermengungen sind gleich- falls etwas ganz gewöhnliches, man sehe nur die zahlreichen Bei- spiele in J.G. v. Hahn, Griechische und Albanesiche Märchen, 2 Theile, Leipzig 1864 und andern.

Jedermann wird uns jetzt mit unserer Auffassung beistimmen, wenn nur nicht das Zeugniss des Cicero wäre, das unserer Aus- einandersetzung widerspricht.

68 Wilhelm Sieglin:

Woher hat jedoch Cicero die Kenntniss, woraus Coelius seine Erzählung genommen? Selbst wird Coelius den Silen hier schwer- lich citirt haben; jedermann weiss, dass die Alten nur citiren, wenn sie die Ansicht ihrer Quellen bekämpfen und zu einer Bekämpfung lag hier kein Grund vor. Nun ist aber sicher, dass beim Nieder- schreiben des Fragments Silen dem Cicero nicht vorgelegen hat, wie Wölfflin, Antiochus etc. p. 25 evident nachgewiesen. Ciceros An- gabe ist also nicht aus einem Vergleiche Silens mit Coelius hervor- gegangen, sondern ist nur eine Vermuthung, die durch die Thatsache hervorgerufen wurde, dass Coelius allerdings für gewöhnlich fast in allen die Persönlichkeit Hannibals angehenden Angelegenheiten den Silen seiner Darstellung zu Grunde gelegt hat, und die durch den Zufall noch provocirt wurde, dass Coelius thatsächlich das Fragment, das Cicero unmittelbar vorher besprach, das gleichfalls einen Traum Hannibals (am lacinischen Vorgebirge) behandelte, aus Silen geschöpft hatte. Eine solche Vermuthung Ciceros hat aber wohl eine hohe Wahrscheinlichkeit, mit der wir unter allen Umständen zu rechnen haben, für sich, nicht jedoch die Kraft eines endgliltgen Beweises, durch den jedem entgegenstehenden Bedenken die Berech- tigung entzogen werden dürfte. Hat sich durch die Interpretation, die wir der Erzählung von dem Traume Hannibals am Ebro zukommen lassen mussten, dieselbe als eine Sage herausgestellt, und zwar als eine solche, die in einem Lande entstanden, das mit carthagischen Verhältnissen weniger vertraut war, so ist dies von einer Bedeutung, die der des Zeugnisses von Cicero ebenbürtig zur Seite steht. Wäh- rend wir uns aber recht gut zu erklären vermögen, wie Cicero dazu gekommen sein kann, einen Irrthum zu begehen, können wir für den Fall, dass Cicero Recht hätte, die jetzt sich erhebenden Schwierig- keiten auf keinerlei Weise hinwegräumen; und je sorgfältiger und genauer wir den Traum betrachten, um so weniger können wir dies.

Aus mehreren Fragmenten und den in diesem Puncte ganz richtigen Untersuchungen Gilberts wissen wir, dass Coelius, vielfach sich nicht begnügend mit den schriftlichen Quellen, die ihm zu Ge- bote standen, zu mündlichen Traditionen gegriffen hat. In der Auf- nahme dieser Sage haben wir ein weiteres Beispiel derselben. Aus rhetorischen Gründen bat aber Coelius den Schluss geändert; er hat nicht die Strafe, aber das Aussprechen der Strafe für Hannibals Beginnen, die Verheissung des endlichen Misserfolges, fallen lassen. Natürlich, wenn Hannibal zum Voraus vom Gotte weiss, dass er nicht siegen wird, unterlässt er lieber den ganzen Krieg. Coelius hat darum sich begnügt, den Gott erklären zu lassen: Der Drache und sein Thun gehe auf ihn; im übrigen solle er alles dem Schicksal überlassen.) Der Schluss ist somit etwas matt geworden, aber durch

ED Dies, dass in dem Fragmente die Sage verstümmelt vorliegt, ist ein weiterer Beweis, dass sie nicht aus Silen ihren U: ge- nommen haben kann. Ein Schriftsteller, der das Interesse Onrthagos

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 69

die Zweideutigkeit des Spruches, die sich ergab, die nothwendig Hannibal irre führen musste, ist wenigstens ein verwendbarer Er- satz geschaffen. Hannibal wurde so jener Reihe von Männern bei- gesellt, die mit Krösus anhebt und dem trügerischen Spruche, den dieser vom pythischen Apollo erhalten, die mit Pyrrhus schliesst. Nichts wirkt mehr auf das menschliche Gemüth, als wenn Helden, die grosses wollen, aber am Ende von der Uebermacht der entgegen- stehenden Gewalten tiberwältigt werden, wir von trügerischem Orakelspruche geblendet und getäuscht sehen. Diesen Effect wollte Coelius mit dem neuen Schlusse erzielen, der anders unverständlich bleibt, der doppelt unverständlich wäre, wenn er von Silen seinen Ursprung hätte.

8 4.

Das im Vorausgegangenen gewonnene Resultat in Betreff des Traumes von Hannibal lässt sich praktisch verwerthen für die Fest. stellung der Abfassungszeit des Bellum Punicum von Seiten des Coelius, indem sich ergibt, dass Polybius in seinem dritten Buche auf die Erzählung von dem Traume Bezug nimmt. Coelius hat dem- nach vor Polybius geschrieben. 3, 46, 8 polemisirt Polybius da- gegen, dass es Schriftsteller gebe, die beim Hannibalischen Kriege θεοὺς καὶ θεῶν παῖδας εἰς πραγματικὴν IcTopiav προειςάγουειν. Des Polybius Worte gehen zweifellos auf Hannibals Traum, wie all- gemein anerkannt ist, Nitzsch, römische Annalistik p. 15; Böttcher, Quellen des Livius p. 378; Wölfflin, T. Liv. Lib. XXI, p. XXIII; Peter a. ἃ. Ὁ. p. CCXXI. Mit den θεοί ist die Götterversammlung, mit θεῶν παῖδες der Führer gemeint, der Hannibal den Weg zeigt. So is& kein Zweifel, dass Polybius den Coelius vor sich gehabt hat. Nun schrieb Polybius Buch III und die folgenden nach Werner, De Polybii vita ac itineribus, Lips. 1877 p. 39 non ante annum 610/144, nach Nitzsch, Polybius, Kiel 1842 p. 137 —138 und Hertzberg, Geschichte Griechenlands I, p. 302 in den Jahren 618/141— 620/134. Coelius hat demnach jedenfalls vor diesen Jahren sein Werk abgefaest.

Es ergibt sich, wenn auch nicht sicher, 80 doch mit grosser Wahrscheinlichkeit noch ein genaueres Datum. Wir haben p. 55 gezeigt, dass Coelius eine Einleitung zum Hannibalischen Kriege gegeben. In dieser sagt Coelius (Liv. 21, 1, 2): neque validiores opibus ullae inter se civitates gentesque contulerunt arma, neque his ipsis t&ntum unquam virium aut roboris fuit. Coelius behauptet also, dass bis zu seiner Zeit noch das römische Reich in den Jahren des zweiten punischen Krieges an Quantität (vires) wie

an Qualität (robur) die höchste Macht gehabt habe. Ich glaube, '

vertrat, wenn er den Tadel, der in der Sage auf Hannibal fällt, ver- meiden wollte, hätte die Geschichte unterdrückt, nicht jedoch eine vom carthagischen Standpunkt gelesen gehaltlose und völlig unverständliche Verstümmelung gegeben.

10 Wilbelm Sieglin:

dass daraus hervorgeht, dass Coelius speciell vor dem Jahre 608/146 geschrieben bat. Denn nach dem Jahre 608/146, wo das römische Volk nach Zerstörung von Carthago und Korinth, Macedonien, Achaia und Afrika unter seine Botmässigkeit brachte, ist der Ausdruck nicht mehr wahr, selbst bei der grössten Begeisterung, die ein Mann für die Zeiten des zweiten punischen Krieges haben konnte. Roms quan- titative Macht hat um 608/146 die des zweiten punischen Krieges weit überragt, die qualitative ist erst später gesunken.

Es ist wahr, man könnte einen Augenblick an die Abnahme der Bevölkerung Italiens denken, die durch die Verheerungen Hannibels erfolgt war, und an deren Folgen Italien noch lange Jahre zu leiden hatte; man könnte an diese denken, um auch nach der Machtver- grösserung des zweiten Jahrhunderts des Coelius Behauptung zu rechtfertigen. Diese Abnahme war jedoch um das Jahr 608/146 bereits wieder ausgeglichen. Von 270,213 römischen Bürgern, die im Jahre 534/220 gezählt wurden”), war im Jahre 550/204, als Hannibal Italien verliess, die Zahl gesunken gewesen auf 214,000); im Jahre 560/194 war sie jedoch wieder gestiegen auf 243,704?9) 566/188 auf 258,318?"), um bereits 580/174, nicht ein Menschen- alter nach Beendigung des Krieges, die alte Stärke zu erreichen mit 269,015 Bürgern.) An den Verlust von Menschenleben kann so Coelius nicht gedacht haben. Seine Behauptung muss demnach vor der Eroberung Carthagos und Corinths, d. h. vor dem Jahre, in dem Rom seine Weltherrschaft sich errang, geschrieben worden sein.

Coelius Antipater war geboren etwa um das Jahr 574/180. Nach Cic. De legg. 1, 2, 6 war er Fannii aetati coniunctus, welch’ letzterer 577/177 geboren war; Brutus 25, 96 rechnet Cicero den Coelius, verglichen mit dem Zeitalter eines C. Papirius Carbo (ge- boren 591/163), zu den ‘seniores’; und ähnlich nach Vell. Pat. 2, 9, 4 war Coelius vetustior Sisenna, als dessen “aequalis’ noch C. Rutilius Rufus (geboren 596/158) im selben Zusammenhange gilt. Coelius war demnach etwa 32—34 Jahre alt, als er sein Bellum Poenicum niederschrieb, im selben Alter wie Livius, der mit 32 Jahren an seine Aufgabe heranging. Um 634/120 schrieb Coelius seine Historien; 25 volle Jahre lagen zwischen der Abfassung seines ersten und seines zweiten Werkes. In die Mitte zwischen beiden Werken fällt so die Veröffentlichung von den Annalen des Piso (geb. 580/174). Dieses chronologische Verhältniss des Piso zu Coelius scheint Cicero anzudeuten, wenn er Brut. 26, 102 Coelius vor Piso erwähnt; Delegg. 1, 2, 6 nach demselben. Beide Angaben des Cicero , ‚sind richtig.

24) Liv. Perioch. XX.

28), Liv. 29, 37, 6.

6) Liv. 35, 9, 2; Lange, Römische Alterthümer II, p. 204 Anm. 1. 27) Liv. 38, 36, 10.

38) Liv. 42, 8.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 11

Wie weit die Benützung des Coelius durch Polybius sich er- streckte, ob es eine sporadische, ob es eine eingehende war, lässt sich aus den Fragmenten allein nicht ermessen; die Untersuchung wird an anderem Orte geführt und von uns veröffentlicht werden. Für jetzt ist einzig die Thatsache der Benützung zu constatiren.

Die Ungunst des Schicksals, die es mit sich gebracht hat, dass beide Werke, Coelius und der grösste Theil von Polybius, uns verloren gingen, hat auch das gefügt, dass von den erhaltenen Fragmenten des Coelius nur acht solche Ereignisse schildern, die auch in Polybius erhalten sind, fr. 9, 12, 14, 15, 17, 18, 28, 57 P. (fr. 6, 11, 12, 13, 16, 16, 32, 46 S.). Von diesen widersprechen dem Polybius drei 17, 18, 28 P. (15, 16, 32 S); vier finden sich selbst dem Wortlaute nach in Polybius fr. 9, 14, 15, 57 P. (6, 12, 13, 46 8); das achte fr. 12 P. (11 8.) stimmt mit Polybius überein, ohne dass dieser jedoch die Sache so ausführlich schildert wie Coelius. Die vier in Polybius erhaltenen Fragmente des Coelius zählen wir im Folgenden auf.

Coelius hatte die Länge des von Hannibal zurückgelegten Weges auf dem Marsche von Carthago Nova nach Italien angegeben auf *duodeciens centena milia passuum', p. 16. Diese Berechnung finden wir unter allen Sehriftstellern allein von Polybius übergenommen 3, 39, 11 ὥςτ᾽ εἶναι τοὺς πάντας ἐκ Καινῆς πόλεως crabíouc περὶ ἐννακιςχιλίους, οὕς ἔδει διελθεῖν αὐτόν.

In Betreff des Passes, den Hannibal beim Uebersteigen der Alpen wählte, waren im Alterthume drei verschiedene Ansichten vorhanden. Man schwankte zwischen den cottischen (Mont Genévre), grajischen (kl. St. Bernhard) und poeninischen Alpen (gr. St. Bern- hard). Pol. 3, 56, 4 entschied sich für die grajischen, Livius für die cottischen 21, 38, 6. Polybius theilte so die Ansicht des Coelius, der Liv. 21, 38, 7 Hannibal gleichfalls über die grajischen Alpen hatte ziehen lassen.

Coel. fr. p. 18, 11 Legati quo missi sunt veniunt, dedicant man- data findet sich Pol. 3, 30, 9 παραγενομένων τῶν Ῥωμαίων (npecßeurwv) xal παρελθόντων εἰς τὸ cuvébpiov xai διαςαφούντων ταῦτα.

Coel. fr. p. 8, 1 ipse cum cetera copia pedetemptim sequitur findet sich Pol. 14, 3, 4 so gut wie wörtlich: αὐτὸς δὲ τὴν λοιπὴν ςτρατιὰν ἀναλαβὼν ἐποιεῖτο τὴν ὁρμὴν ἐπὶ τὸν ᾿Αςδρούβαν. -- τοιαύτας ἔχων ἐπινοίας βάδην ἐποιεῖτο τὴν πορείαν. “Pede- temptim' ist hier mit ᾿βάδην᾽ wiedergegeben. Doch ist es selbst- verständlich, dass wir auf diese vier Fragmente wenig Werth legen.

Immerhin scheint Polybius die Coelianische Einleitung zum Kriege eingesehen und einige Gedanken daraus verwerthet zu haben. Als Grund des Krieges gibt Coelius in Livius an: angebant ingentis viri spiritus virum Sicilia Sardiniaque amissae, nam et Siciliam nimis celeri desperatione rerum concessam, et Sardiniam inter motum Africae fraude

72 Wilhelm Sieglin:

Romanorum stipendiis etiam insuper impositis interceptam. Florus 1, 27, 1 gibt das wieder mit: urebat nobilem populum mare ablatum, raptae insulae, dare tributa, quae iubere consueverat. Dieser Satz findet sich unveründert in Polybius, doch nicht zu Livius, sondern zu Florus hinneigend 3, 13, 1: Καρχηδόνιοι yàp βαρέως μὲν ἔφερον xai τὴν ὑπὲρ Σικελίας ἧτταν, CUVENTETEIVE δ᾽ αὐτῶν τὴν ὀργὴν τὰ κατὰ Σαρδόνα καὶ τὸ τῶν cuvredevrwv χρημάτων πλῆθος. Vorher sich mehr Livius nähernd, sagt Polybius (3, 9, 6) νομιςτέον πρώτην αἰτίαν τοῦ πολέμου τεγονέναι τὸν ᾿Αμίλκου θυμόν, τοῦ Βάρκα ἐπικαλουμένου. ᾿Αμίλκου θυμός ist dem “ingentis viri spiritus nachgebildet. Ueberhaupt scheint bei einer Vergleichung Coelius für die einleitenden Bemerkungen Pol. 3, 9 und 8, 11 (mehr natürlich nicht) im wesentlichen die Grundlage gebildet zu haben.

Einige sprachliche Spuren finden sich, dass Polybius vom dritten Buche an eine lateinisch geschriebene Quelle mit- unter zu Hathe gezogen hat. Sie finden sich in Ausdrücken wie “ἡ καθ᾽ ἡμᾶς θάλαςςα᾽ für “mare nostrum" 3, 37, 6; 37, 10; ferner 9, 39, 4, in einem Capitel, in welchem wir schon bei der Besprechung der Fragmente (p. 15 u. 71) Spuren von Coelius wahrgenommen haben, unzweideutig. Im zweiten Buche, wo Polybius das westmittelländische Meer oft genug zu nennen hatte, war dessen Name noch ᾿Σαρδῷον πέλαγος᾽ gewesen, oder 'XixeÀwóy', “Τυῤῥηνικόν᾽, wenn es noth- wendig war auch ᾿ Σικελικὸν καὶ Τυῤῥηνικόν᾽, aber nie “τὸ καθ᾽ ἡμᾶς. Der Name ‘mare nostrum’ kam erst im zweiten Jahrhundert auf, als das westmittelländische Becken durch die Eroberung Spaniens und Liguriens fast ein römischer Binnensee geworden war, kann demnach selbst Fabius Pictor um von der Sprache abzusehen noch nicht entnommen sein.

Ferner ‘oi Κελτοὶ οἱ ἐπὶ τάδε᾽ 3, 34, 4 für ‘Galli Cisalpini”. Dieses letzte Beispiel ist um so schlagender, als der Abschnitt, in dem es sich befindet, ursprünglich carthagischer Quelle entstammt (Böttcher, Quellen des Livius, $ 4). Der Carthager hatte schwerlich Gallia Cisalpina gesagt für Gallien südlich der Alpen, sondern ent- weder οἱ ἐν Ἰταλίᾳ Κελτοί oder οἱ περὶ τὸν Πάδον, wie auch Poly- bius sie gewöhnlich nennt im Gegensatze zu oi περὶ τὸν Ροδανόν3). Den Anschauungen eines Griechen, der in Griecheuland wohnt und schreibt, wäre eine solche Bezeichnung fremd, und in den Augen des Carthagers sind οἱ Κελτοὶ οἱ ἐπὶ τάδε die Bewohner von Narbo- nensis. Wenn das Wort trotzdem in diesem Capitel und in dieser Bedeutung sich findet, ist es ein Beweis, dass es römische Ueber- arbeitung erlitten hatte,

28) ἸΤερὶ τὸν TTábov 2, 17, 8; 2, 19, 13; 2, 31, 8; 2, 85, 4; 8, 84, 2; 8, 39, 10; 8, 47, 4; ol év Ἰταλίᾳ 1, 18, 4; 2, 18, 7; οἱ περὶ τὸν Ῥοδανόν 2, 22, 1.

$.

c^ w-- cuum 4^ u ei Res moo ὧν

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 13

8 5.

Wir sind mit der Behandlung der Fragmente des Coelius zu Ende. Wir haben uns jetzt ein Gesammtbild seiner Persónlichkeit zusammenzustellen.

Mit dem Kreise der Soipionen, eines Laelius, Fannius und ohne Zweifel auch Polybius vertraut, hat Coelius sich die Ideen, die in diesem Kreise herrschten, angeeignet. Er haterkannt, dass Geschichts- schreibung in dem Chronikstil eines Fabius, Cincius oder Cato werth- los ist, dass einzig die pragmatische Geschichte Anspruch auf den Namen Historik habe, dass aber diese bei dem Mangel an genügen- dem und zuverlässigem Material nur dann einen Höhepunkt erreichen kann, wenn der Gesehichtsschreiber mit der selbsterlebten Zeit oder der zunächst vorhergehenden sich begnügt.

Ein junger Mann von einigen 30 Jahren hat er sich so die Aufgabe gestellt, den grössten aller Kriege, die Rom je geführt, den Hannibalischen Krieg zu beschreiben, der, kaum 50 Jahre beendet und seitdem durch keine bedeutende Waffenthat in Schatten gestellt, noch in frischem Gedächtniss war. Noch lebten in Rom eine Reihe von Männern, die den Krieg selber gesehen hatten. Ausgerüstet mit nicht unbedeutenden Kenntnissen in der griechischen wie in der römischen Literatur, rhetorisch gebildet?) und von einem hervor- ragenden Darstellungstalent, das auch die Alten anerkannten?!) unterstützt von den besten Hilfsmitteln, griff er sein Werk an, das trotz mannigfacher Mängel, die an ihm haften blieben, einen neuen Aufschwung in der römischen Historiographie herbeiführen sollte.)

Die Quellen, die Coelius dieser Erstlingsschrift zu Grunde gelegt hat, haben wir bereite aufgezählt; es sind die Darstellungen aller Parteien, und es ist dies ein Umstand, der von vorn herein zu Gunsten seiner Wahrheitsliebe spricht. Aus dem hohen Lobe aber, das ihm Livius zu Theil werden lässt, der, 80 oft er Coelius nennt, dessen Meinung fast niemals zurückweist, immer mit einer Anerkennung aufführt, die um 80 beachtenswerther ist, wenn wir des Livius Ur- theile 2. B. über Valerius Antias und andere gegenüber halten; aus dem Lobe des Livius, sagen wir, und dem Umstande, dass selbst Polybius ihn zu Rathe gezogen hat, können wir ermessen, dass Coelius mit Gewissenhaftigkeit und Wahrheitaliebe seine Quellen bentitzt hat. Welch’ aufrichtige Mtihe sich Coelius gegeben, die

30) Brut. 26, 102 fuit ut temporibus illis luculentus, iuris valde peri- tus, multorum etiam ut L. Crassi magister. Pomp. Dig. 1, 2, 2, 40 sed plus eloquentiae quam scientiae iuris operam dedit. Dass Coelius, um dies nebenbei zu bemerken, praktischer Advokat war, geht aus De orat. 2, 13, 55 hervor: nemo enim studet eloquentiae nostrorum hominum, nisi αὐ in causis atque in foro eluceat.

31) Cic. De Orat. 2, 12, 64; De legg. 1, 2, 6; Pompon. a, ἃ. O.; Spart. Hadr. 16, 6 p. 17, d LP.

32 Cio. &. & 0

14 Wilhelm Sieglin:

Wahrheit zu erforschen, zeigt uns fr. 36 8., p. 86 (Liv. 27, 27, 11), wo er vom Tode des Marcellus handelt und, nicht zufrieden mit der Darstellung des eigenen Sohnes des Marcellus, da sie ihm in einigem unglaubhaft erschien, auch nicht mit der landläufigen Erzählung, die seiner Kritik gleichfalls Bedenken einffösste, sich eine eigene neue Ansicht selbst aus diesen combinirte. Dass er aber dabei so ehrlich war und dieses sein Thun den Lesern offen angab, daraus geht her- vor, dass er sich der Verantwortung bewusst war, die der Gesohiohts- Schreiber seinen Lesern gegenüber zu tragen hat.

Nicht minder erkennen wir seine Wahrheitsliebe aus fr. 15 &., p. 82 (Liv. 21, 46, 10) in dem Bericht von der Schlacht am Tioin und der Rettung des schwer verwundeten Consuls Scipio, wo er, entgegen der Darstellung, die in dem Scipionenkreise herrschte und in Laelius hauptsächlich ihren Vertreter fand (Pol. 10, 3, 2), die das Haupt- verdienst Scipios Sohn, dem späteren Africanus zuschob, und enmt. gegen seinen persönlichen Sympathien, diesen Ruhm einem ligu- rischen Selaven gewahrt wissen wollte.)

Freilich, zu viel darf man aus diesem Lobe, das Coelius trifft, auch wieder nicht schliessen; am wenigsten, dass es ihm etwa in uneingeschränktem Maasse zuzuerkennen sei Coelius wollte gewiss niemals die Unwahrheit berichten oder gar fälschen gegen sein besseres Wissen; und dennoch hat er, so paradox es klingt, factisch manchmal nicht die Wahrheit, sondern selbst Erfundenes vor- gebracht, Dieser Widerspruch hüngt mit Coelius' Ábsicht zusammen, eine lebendige und anschauliche Darstellung aller einzelnen Momente des Krieges seinen Lesern zu gewähren, eine Darstellung, die bis m die Détails geht und die Détails malt.

Seine Quellen boten Coelius dazu natürlich keinen Stoff; diese waren sämmtlich viel zu kurz gehalten in zwei bis drei Büchern den ganzen Krieg beschreibend; so hat denn Coelius beim Aus- malen wesentlich sein rhetorisches Talent zu Hilfe genommen. So- lange ja nicht das Gegentheil dessen, was man schrieb, tüberliefert war, fand Niemand im Alterthum**) etwas schlimmes dabei, wenn ein Historiker seine Phantasie in der Darstellung lebendig walten liess. Coelius war hier das Kind seiner Zeit; wenn er fehl ging, trifft ihn persünlich kein Vorwurf.

Aus demselben Grunde verdient Coelius keinen Tadel, wenn er in Syracus die Pest zu schildern hatte, und die Beschreibung der- selben der Thucydideischen nachbildete; warum sollte es unmöglich

35) In solchen Zeichen seiner Selbständigkeit und Wahrheitaliebe findet Gilbert P. 462 ‘Eigensinn’ des Coelius und das Streben "interessant sein zu wollen'.

δὴ Bo sagt noch Quintil. 10, 1, 81 historia est poesis maxima et quo- dammodo carmen solutum, et scribitur ad narrandum, non ad probandum; und Cicero Brut. 11, 19 sogar: quoniam concessum est rhetoribus ementiri in historiis, ut aliquid dicere possint argutius.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 75

sein, dass die äusseren Umstände der Pest in Syracus denen zu Athen ähnlich gewesen sind? Oder wenn er den feierlichen Moment der Abfahrt Scipios von Lilybaeum der athenischen Expedition nach Sicilien zum Theil nachbildet; gegen die positive historische Ueber- lieferung hat er sich dabei ja nicht verstossen. Charakteristisch aber ist für Coelius bei dieser Schilderung, dass er wohl das Gewtihl und den Lärmen, der bei der Abfahrt erfolgte, in drastischer, vielleicht allzu drastischer Weise schilderte: Die Vógel am Himmel seien vom Geschrei der Soldaten zur Erde gefallen, und der letzteren seien es so viele gewesen, dass es schien, als bleibe in ganz Italien oder Sicilien kein Mann mehr zurück; aber eine bestimmte, demgemäss vergrösserte Zahl der Truppen mit Namen zu nennen, wie es ein Valerius Antias gethan hätte, dazu hat er doch zu grosse Scheu.°®)

Mit welchem Aufwand von Kritik und welchem Verständniss Coelius bei diesem Streben die Wahrheit zu schreiben nun das vor- handene Material aus seinen Quellen auszuwählen wusste, dies im Einzelnen zu beurtheilen fehlt uns leider der Anhalt. Dass er Kritik anwandte, zeigt uns der Fall mit Marcellus und einige Bei. spiele, wo er Fabius und Silen verlassend, sogar zur mündlichen Tradition gegriffen hat. Im Allgemeinen scheint aber Coelius, wenn wir seine Fragmente vergleichen mit den ihnen entgegenstehenden Ansichten anderer Schrittsteller, nicht weniger und mehr Verständniss gehabt zu haben, als ein gut gebildeter Römer seiner Zeit, um Na- men zu nennen, als etwa Livius, der das eine Mal mit guten Argu- menten scheidet zwischen wahracheinlichem und unwahrscheinlichem, das andere Mal jedoch desshalb sich für eine Angabe bestimmen lässt, weil sie seinem römischen Nationalbewusstsein mehr wohlthut, oder weil einfach die Mehrzahl seiner Quellen diesen Standpunkt theilt. Jedenfalls hat Coelius eine Kritik, dies geht aus seiner fast naiven Abhängigkeit von Thucydides und seinem Verhältnisse zu dem Dicht- werke des Ennius hervor, z. B. bei der mehrfach erwähnten Ueber- fahrt Seipios, oder bei der Belagerung von Sagunt (Sieglin a. a. O.), die nur bei wichtigeren und grösseren Dingen einzutreten sich ver- anlasst fühlte, die Nebensächliches nicht bemerkt, oder als zu un- bedeutend ausser Acht lässt, Besonders tritt auch ein starker Aber- glaube bei ihm zu Tage; vertrauensvoll erzählt er uns nicht weniger als 4 Träume (p. 36,2 37, 4), die von der Gottheit den Menschen geschickt waren, um diesen ihren Willen zu verkünden; er berichtet uns die Prodigien vor der Schlacht am Trasimensersee, die den

s5) Den nachfolgenden Sturm, den Coelius berichtet, den Livius an seiner Darstellung aussetzt, weil er der Ueberlieferung widerspreche, die nur von einer ruhigen Ueberfahrt wisse, diesen hat Coclius nicht selbst dazu gethan; eine solche Eigenmächtigkeit lässt sich von ihm nicht nachweisen. Er hat ihn in Ennius gefunden, wie zwei erhaltene Frag- mente beweisen (p. 61), und, weil er zu der begonnenen poétischen Schilderung passte, diesem nachgebildet.

16 Wilhelm Sieglin:

Römern ihre Niederlage vorher gesagt, und er glaubt dabei ernst haft, dass der Untergang des Flaminius und des gesammten Heeres eine Strafe gewesen sei für den frevelhaften Leichtsinn, mit denen der Consul sich über die göttlichen Warnungen hinweg gesetzt (p. 38, 5). In den Historien zeigt sich Coelius noch von den Schrecken und Wundern des Avernersees überzeugt (p. 25, 3), der ja den Ein- gang zur Hülle bildete; er glaubt noch an geschlechtliche Verbindung der Götter mit den Menschen (p. 30, 6). Es beruht diese Eigenthüm- licheit des Coelius, man mag von derselben halten, was man will, zum Theil jedenfalls auf einem gewissen Mangel an ausreichender Kritik, und es ist dieselbe um so auffallender, als Panaetius, dessen Schule Coelius als gebildeter Römer und besonders als Mitglied des Kreises der Scipionen wohl genossen haben muss, gegen die Mantik mit Ernst vorgegangen war. Doch mag dieser religiöse Glaube des Coelius kritisch nicht tiefer stehen als der lächelnerweckende Batio- nalismus eines Piso.

Der Quelle selber, wenn Coelius sich ihr einmal dem Inhalte nach rückhaltslos angeschlossen hatte, schloss er sich nach der Bitte der Alten, der sogar Polybius huldigt, auch im Wortlaut an, sie leicht nach seiner Stilweise fürbend, wie das Fragment p. 22,1 verglichen mit Cato zeigt. Sonst natürlich, und dies war bei der ungemeinen Verbreiterung, die er mit seinen Quellen anstellte, und den vielen Reden, die er selbstständig in die Darstellung aufnahm, das gewöhnliche, entwickelte er sich ungezwungen seinen eigenen Stil.

Die Sorgfalt, die er auf diesen letzteren verwandt, ersehen wir aus Cic. Orat. 69, 229 (fr. 1). Fronto p. 62 rühmt von Coelius, dass er zu den Schriftstellern gehöre, die in laborem studiumque et pericu. lum verba industriosius quaerendi sese commisere; und bei diesem Lobe berichtet derselbe p. 114 von Coelius, dass seine Sprache einfach und ungektünstelt gewesen sei?®) im Gegensatze zu Cato, der 'verbis multiiugis’ geschrieben habe. Η. Peter p. OXXXXVIIII erklärt "verba multiiuga' richtig mit H&ufung von Synonymen und führt als passendes Beipiel dazu auf Cato fr. 95a P.: Scio solere pleris- que hominibus rebus secundis atque prolixis atque pro- speris animum excellere atque superbiam atque ferociam augescere atque crescere. Als Beispiel der knappen Sprache des Coelius, an der zwei Dinge besonders bemerkenswerth sind, die asyn- detisch neben einander gereihten Sätze und das constante Praesens historicum in der fortlaufenden Erzählung, stellen wir diesem fr. p. 9, 3 gegentiber: ipse regis eminus equo ferit pectus adversum, congenuculat percussus, deiicit dominum; oder fr. p. 13, 11 Legati quo missi sunt veniunt, dedicant mandata; und besonders fr. p. 11, 6 Omnes simul terram cum classi accedunt, navibus atque scaphis egre- diuntur, castra metati signa statuunt.

36) Historiam quoque scripsere— verbis Cato multiiugis, Coelius singulis.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 17

Das Praesens historicum ist diejenige Eigenthümlichkeit der Coelianischen Sprache, die uns am häufigsten gegentbertritt. Der Procentsatz genommen aus vereinzelten Fragmenten berechtigt allein zwar noch zu keinem Rückschluss auf das ganze Werk; aber auf- fallend genug ist es, dass gleich in sämmtlichen dem Wortlaut nach erhaltenen Bruchstticken des Coelius, die aus der fortlaufenden Erz&hlung genommen waren, das Praesens steht, fr. 8, 9, 12, 22, 30, 32, 41, 44, 57 P. (4, 6, 11, 20, 31, 34, 44, 46, 47). Auch diese, offenbar mit Absicht angestrebte Ausdrucksweise bewirkt eine kurze, dabei lebendige und anschauliche Sprache, eine Sprache, die den Leser fesselt, und die Coelius weit über Cato mit seinen schwerfälligen Sätzen stellt oder über Piso, dessen Darstellungsweise wieder allzu kunstlos, fast kindlich zu nennen ist.

Solche Eigenschaften, die des Coelius Bellum Punicum nach seinem Inhalte wie nach seiner Form hatte, sicherten Coelius auf meh- rere Jahrhunderte hinaus hohes Ansehen. Es trug ihm das Lob Ciceros und vollgtiltige Anerkennung von Seiten Frontos ein. Brutus machte einen Auszug aus ihm, der selbst in den Buchhandel kam (Cic. ad Att. 13, 8) und noch im zweiten Jahrhundert gelesen wurde (Fronto p. 253), in dem die Begeisterung für die einfachere Form der älteren Literatur wieder allgemein wurde. Hadrian zog Coelius selbst dem Sallust vor, Spart. Hadr. 16, 6 p. 17,1 P. Junius Paulus, der Freund des Gellius und Commentator des Afranius, schrieb einen Commen- tar zu Coelius Char. p. 127; 143; 217; und die Grammatiker Cha- risius, Priscian, Gellius, Nonius haben ihn mit Vorliebe untersucht. Die angesehensten Historiker haben ihn benützt, Livius und Cassius Dio*"); selbst Polybius, dieser wohl hauptsächlich wegen des gleichen politischen Standpunktes und der Menge des gesammelten und gesichteten Materials, das er in Coelius finden konnte hat den jüngeren nicht verschmüht. Nach dem Umfange der Bücher zu schliessen lag Coelius Valerius Antias zu Grunde; vermuthlich ferner Plut&rch?5) in der Vita des Fabius und theilweise des Marcellus°®); der Quelle des Florus und Aurelius Victor; endlich wurde er von Frontin f) und Valerius Maximus*') in deren Sammelwerken zu Rathe gezogen.

Mit dem Ruhme, den ihm sein Bellum Punicum eintrug, war Coelius nicht zufrieden. In hóherem Alter befasste er sich, beeinflusst von der Strömung, die in der Gracchenzeit sich in den wissenschaft- lichen Kreisen allmählich immer mehr geltend machte, auch mit Alter-

**) Posner, Quibus auctoribus in bello Hannibalico enarrando usus sit Dio Cassius. Bonn 1874.

88) Soltau, De fontibus Plutarchi in secundo bello Punico enarrando. Bonn 1870.

89) Soltau a. a. O. p. 69; Wölfflin, Antiochus etc. p. 28; 79.

1% Wolfflin a. a. O. p. 77.

*!) Peter ἃ. ἃ. Ὁ. p. ὀοχχιν, Kranz, Beiträge zur Quellenkritik des Valerius Maximus, Posen 1876, p. 24.

18 Wilhelm Sieglin:

thumswissenschaft, und das Product dieser Studien waren die Histo- rien. Cato war der erste Römer gewesen, der in seinen Origines nicht nur die Urgeschichte Roms, sondern auch der italischen Städte und Völkerschaften schilderte; dessen. Vorgang schloss sich Coelius an. Er sammelte die Grtündungssagen der Mehrzahl der italischen Städte, Gallia Cisalpina inbegriffen, und unter Benutzung von Cato, aber auch von Timaeus und Hecataeus liess er sich über dieselben aus. Auch über den Ursprung Roms sprach er ausführlicher. Als wesentliche Tendenz des Werkes erscheint nebenbei Griechenland mit Rom in Verbindung zu bringen, in den italischen Städten das Werk griechischer Ansiedler zu suchen und zu erblicken. Capua soll nach Coelius von Capys, dem Trojaner gegründet sein, fr. 9 8.; die Marser haben ihren Namen von Medea fr. 7 S.; Rom bringt er in Zusammenhang mit Hercules und Euander fr. 3; fr. 4 S8, der Sabiner Kunst, den Willen der Gótter zu erforschen, leitet er auf den Phryger Megales zurück fr. 3. Diese Sucht, Italien als ein Kind Griechenlands, Italiens Civilisation als ein Geschenk desselben zu betrachten, lag in dem Zeitgeiste, der Rom im zweiten Jahrhundert beherrschte, doch schmeichelte der Glaube an diese Entwickelung auch wohl dem Nationalbewusstsein des Antipater, der das Griechenblut in sich noch fühlte. Das so begonnene Werk setzte Coelius bis in die histo- rische Zeit fort, jedenfalls bis in die Anfänge des Ständekampfes, und von hier an war dasselbe, wie das Bellum Punicum, rhetorisch gehalten (fr. 17 S, p. 92).

Des Coelius Eigenthümlichkeit, den gegebenen Stoff zu verbrei- tern, tritt auch bei den Historien zu Tage. Hatte Cato in 3 Büchern die Urgeschichte von Gesammtitalien (inclusive Rom) behandelt, 80 that es Coelius in 5; und war Cato im ersten folgenden (vierten) Buche bereits bis zum Ende des ersten punischen Krieges gelangt, so war Coelius in zwei Büchern kaum bis zu den Decemviren ge- langt. Wie beim Bellum Punicum zeigt sich hier der Einfluss der Sehrift sofort dadurch, dass mit ihrem Erscheinen die auffallend ausführliche Behandlung des vorliegenden Stoffes unter den Histo- rikern sich mehrt, wie wir bereits p. 44 dargelegt haben. Cato hatte, wie bemerkt, im vierten Buche den ersten punischen Krieg vollendet; Cassius Hemina im dritten; Piso im dritten oder vierten: bereits Cn. Gellius aber gelangt im vierten Buche nur noch bis zur Ver- treibung der Könige, ist im fünfzehnten erst am gallischen Braude und Valerius Antias ist im dritten am Tode Numas. Wie viel die Historien des Coelius selbst in der Blüthezeit der römischen Litteratur und später noch gelesen wurden, haben wir gleichfalls p. 44 gezeigt.

Von glücklicheren Nachfolgern ausgenützt und ausgeschrieben, vielleicht auch nicht mit der anziehenden Frische verfasst, wie seine Jugendarbeit, das Bellum Punicum, wer will es wissen? haben aber die Historien auf die Länge der Jahrhunderte nicht den Ruhm vor sich hergetragen, wie Coelius! erste Schrift. Pomponius Juris-

‚Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 19

consultus kannte sie noch; von einem Mann wie diesem und in dem Zusammenhange, in dem er die Bemerkung bringt, kann mit "Coelius, qui historias conscripsit! nur die Schrift über die ältesten Zeiten Roms, nicht der zweite punische Krieg gemeint worden sein. Dann aber theilte sie das Schicksal so vieler andern und wurde ver- schollen. Dass sie bald selbst dem Namen nach vergessen wurde, daran war wesentlich ihr eigenthümlicher Titel Schuld, ' Historien' in der griechischen Bedeutung von 'Forschungen'. Da dieser spüter nur von der Geschichte der eigenen Zeit oder der unmittelbar vorher gebraucht wurde, so konnte das Bellum Punicum gleichfalls mit diesem Titel benannt werden und erhielt denselben auch nachweis- lich reichlich. Eine Verwechslung war unter diesen Umständen unaus- bleiblich und von den verhängnissvollsten Folgen. Ins Leben rufen können wir die Historien des Coelius nicht mehr. Wenn es aber unserer Schrift gelungen sein sollte, wenigstens die Thatsache ihrer ehemaligen Existenz der Vergessenheit zu entreissen, so ist ihre Hauptaufgabe erfüllt.

L. COELII ANTIPATRI

BELLI POENICI POSTERIORIS RELLIQUIAE.

EX LIB. I.

1.

Cic. Or. 69, 229 (p. 36, 1). Sed magnam exercitationem res flagitat, ne quid eorum, qui genus hoc secuti non tenuerunt, simile faciamus, ne aut verba traiiciamus aperte, quo melius aut cadat aut vol- vatur oratio, quod se L. Coelius Antipater in prooemio belli Punici nisi necessario facturum negat. O virum simplicem, qui nihil nos celet, sapientem, qui serviendum necessitati putet. Sed hic omnino rudis; nobis autem in scribendo atque in dicendo necessitatis excusatio non probatur. Nihil est enim necesse et, si quid esset, id necesse tamen non erat confiteri. Et hic quidem, qui hanc & Laelio, ad quem scripsit, cui se purgat, veniam petit, et utitur ea traiectione verbo- rum et nihilo tamen aptius explet concluditque sententias.

2. Prisc. VIII, p. 383 H. (p. 19, 4; p. 57). Coelius: Ex scriptis eorum qui veri arbitrantur.

3

Prisc. XIII, p. 8 H. (p. 21, 11). Coelius in I: Antequam Barchs perierat, alii rei causa in Africam missus.

4. Prisc. VIII, p. 399 H. (p. 20, 6). Coelius in I: Qui intellegunt quae fiant, dissentiuntur.

W. Sieglin: Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 81

b

Non. p. 508 M. (p. 18, 12). Coelius annali libro I: Cum iure sine periculo bellum geri poteratur.

6. Non. p. 280 M. (p. 18, 11). Coelius in annalium libro I: Legati quo missi sunt veniunt, dedicant mandata.

7

Char. p. 143 K. (p. 15, 2). 'Saguntinorum' Coelius, ‘Saguntinum’ Sallustius, ut Paulus in Coelii historia libro I notat.

8. Prisc. X p. 510 H. (p. 21, 9). Coelius in I: Qui cum is ita foedus icistis.

9. | Prisc. XIII, p. 8 H. (p. 21, 10). Coelius in I: Neque ipsi eos alii modi esse atque Hamilcar dixit, ostendere possunt aliter.

| 10.

Cic. De div. 1, 24, 49 (p. 36, 3; p. 62 £). Hoc item in Bileni, 7 quem Coelius sequitur Graeca historia est; is autem diligentissime res Hannibalis persecutus est: Hannibalem, cum cepisset Saguntum, visum esse in somnis a Iove in deorum concilium vocari. Quo cum venisset, Jovem imperavisse, ut Italiae bellum inferret, ducemque ei unum e concilio datum, quo illum utentem cum exercitu progredi coepisse. Tum ei ducem illum praecepisse, ne respiceret, illum autem id diutius facere non potuisse, elatumque cupiditate respexisse: tum visam belu- am vastam et immanem, circumplicatam serpentibus, quacunque in- cederet, omnia arbusta, virgulta, tecta pervertere. Et eum admiratum quaesisge de deo, quodnam illud esset tale monstrum: Et deum respon- disse, vastitatem esse Italiae, praecepisseque ut pergeret protinus; quid retro atque a tergo fieret, ne laboraret.

11.

Char. p. 203 K. (p. 15, 4). Coelius historiarum I: Sempronius®®® Lilybaeo celocem in Africam mittit, visere locum, ubi exercitum?18 exponat.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XL 6

82 Wilhelm Sieglin:

12. Char. p. 203 K. (p. 15, 3). Coelius historiarum I: Duodeciens centena milia passuum longe.

13. i8 Liv. 21, 38, 6 (p. 71). Taurini Galliae proxima gens erat in

Italiam degresso (Hannibali). Id cum inter omnes constet, eo magis miror ambigi, quanam Alpes transierit, et vulgo credere Poenino atque inde nomen ei iugo Alpium inditum transgressum, Coelium per Cremonis iugum dicere transisse; qui ambo saltus eum non in Taurinos sed per Salassos Montanos ad Libyos Gallos deduxissent.

14.

Macrob. Excerpt. Bob. p. 651 K. (p. 23, 5). Coelius in I: *Illis facilius est bellum tractare'; hoc est diu trahere.

15.

© Liv.21, 46, 10 (p. 73). Servati consulis /P. Cornelii Scipionis in proelio Ticinensi] decus Coelius ad servum natione Ligurem delegat. Malim equidem de filio verum esse, quod et plures tradidere auctores

et fama obtinuit.

16.

Liv. 21, 47, 4 Coelius auctor est Magonem [post proelium Ticinense] cum equitatu et Hispanis peditibus flumen extemplo iransnasse; ipsum Hannibalem per superiora Padi vada exercitum traduxisse elephantis in ordinem ad sustinendum impetum fluminis oppositis.

536 218

17. = Cic. De deor. nat. 2, 3, 8 (p. 38, 5). C. Flaminium Coelius religione neglecta cecidisse apud Trasumenum scribit cum magno rei publicae vulnere.

18. Cic. De div. 1, 35, 77 (p. 38, 5). Quid? Bello Punico secundo nonne. C. Flaminius consul iterum neglexit signa rerum futurarum: magna cum clade rei publicae? Qui exercitu lustrato cum Arretium versus signa movisset et contra Hannibalem legiones duceret, et ipse et equus eius

581 217

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 83

ite signum Iovis Statoris sine causa repente concidit, nec eam rem ‚buit religioni, obiecto signo, ut peritis videbatur, ne committeret oelium. Item cum tripudio auspicaretur, pullarius diem proelii com- ittendi differebat. Tum Flaminius ex eo quaesivit, si ne postea ddem pulli pascerentur, quid faciendum censeret. Cum ille quie- endum respondisset, Flaminius: “praeclara vero auspicia, si esurienti- iS pullis res geri poterit, saturis nihil geretur'. Itaque signa con- lli et se Sequi iussit. Quo tempore cum signifer primi hastati signum in posset movere loco, nec quicquam proficeretur, plures cum cederent, Flaminius re nuntiata suo more neglexit. Itaque tribus iis ris concisus exercitus atque ipse interfectus est. Magnum illud etiam, iod addidit Coelius, eo tempore ipso, cum hoc calamitosum proelium ret, tantos terrae motus in Liguribus, Gallia compluribusque in- lis totaque in Italia factos esse, ut multa oppida conruerint, multis is labes factae sint, terraeque desederint, fluminaque in contrarias ries fluxerint atque in amnes mare influxerit.

19. . 637 Liv. 22, 31, 8. Omnium prope annales Fabium dictatorem ad-5;7 rsus Hannibalem rem gessisse tradunt. Coelius etiam eum primum populo creatum dictatorem scribit.

. 20. . e. . . . 538 Prisc. III, p. 98 H. (p. 18, 1). Coelius in primo historia-;,5 : Dextimos in dextris 8cuta iubet habere.

21.

Char. p. 217 K. (p. 16, 5). Coelius historiarum I: Commodum atis videtur. Nec enim pro 'sufficienti', inquit Paulus, accipi sed pro 'pari' et “aequo”.

22.

on. p. 176 M. (p. 12, 9). Coelius annali libro I: Primum iblieo gratias singulatim nominari.

23. r. p.120 K. (p. 16, 7). 'Dii' pro 'die' sive ‘diei’ Lucanus. am in "Libra die somnique pares ubi fecerit horas’ | “die” arguit, 'dii'que aut ‘dies’ potius legendum esse de- » in Coeli historia libro I eum disserere deprehendes. 6*

84 . Wilhelm Sieglin:

EX LIB. II. 24. τῆς Gell. N. A. 10, 24, 6 (p. 22, 1). Suppetit etiam Coelianum

illud ex libro historiarum secundo: Si vis mihi equitatum dare et ipse cum cetero exercitu me sequi, diequinti Romae in Capitolium curabo tibi cena sit cocta.

25. Prisc. VI, p. 198 H. (p. 18, 2). Coelius: Nullae nationi tot, tantas, tam continuas victorias tam brevi spatio datas arbitror quam vobis.

26. SIS Liv. 23, 6, 5. Postremo vincit Capuae] sententia plurium, ut idem legati, qui ad consulem Romanum ierant, ad Hannibalem mitterentur. Quo priusquam iretur certumque defectionis consilium esset, Romam legatos missos a Campanis in quibusdam annalibus in- venio postulantes, ut alter consul Campanus fieret, si rem Romanam adiuvari vellent; indignatione orta submoveri curia iussog esse missumque lictorem, qui ex urbe educeret eos atque eo die manere extra finis Romanos iuberet. Quia nimis compar Latinorum quon- dam postulatio erat, Coeliusque et alii id haud sine causa praeter- miserant scriptores, ponere pro certo sum veritus.

27.

Cap. De orthogr. p. 100 K. (p. 23, 6). 'Calva' xp&vıov vocatur, licet Coelius οὐ Varro *calvariam' dicant.

28. Char. p. 54 K. (p. 14, 1). *Nucerum' enim Coelius dixit.

EX 118. III. 29. 22 Gel. N. A. 10, 1, 3 (p. 22, 2; p. 51). “Tortio’ et 'quarto

consul" non “tertium quartum'que, idque in principio libri III Coelium scripsisse.

En.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 85

30.

Prisc. VIII, p. 386 H. (p. 19, 5). Lucius Coelius: Ubi senatus tellexit populum depeculari.

52 212

31. Non. p. 98 M. (p. 10, 5). Coelius annali libro III: Imperator

nclamat de medio, ut velites in sinistro cornu removeantur, Gallis n dubitatim inmittantur.

EX LIB. IIII.

32.

Liv. 26, 11, 8 Inde [a Tutia flumine Hannibal] ad lucum54?

'ronise pergit ire, templum ea tempestate inolutum divitiis, Cape-?11 tes aliique, qui accolae eius erant, primitias frugum eo donaque a pro copia portantes multo auro argentoque id exornatum bebant. lis omnibus donis tum spoliatum templum. Aeris acervi, m rudera milites religione inducti iacerent, post profectionem Han- balis magni inventi. Huius populatio templi haud dubia inter riptores est. Coelius Romam euntem ab Ereto devertisse eo Han- »alem tradit, iterque eius ab Reate Cutilisque et ab Amiterno ditur: ex Campania in Samnium, inde in Paelignos pervenisse, aeterque oppidum Sulmonem in Marrucinos transisse, inde Albensi ro in Marsos, hino Ámiternum Forulosque vicum venisse.

33. Non. p. 108 M. (p. 12, 7; p. 14). Coelius Annali libro III: Ress

blica amissa exfundato pulcherrimo oppido. 210

34.

Prisc. VIIII, p. 484 H. (p. 20, 8; p. 49). Coelius in III: ıstodibus discessis multi interficiuntur.

EX LIB. V.

35.

Non. p. 205 M. (p. 13, 10; p. 51). Coelius annali libro V: | aliquam huic bello finem facere.

86 Wilhelm Sieglin:

36. 546 Liv, 27,27, 11 (p. 74). Mors Marcelli cum alioqui miserabilis fuit,

208, um quod nec pro aetate maior enim iam sexaginta annis erai neque pro veteris prudentia ducis tam improvide se conlegamque et prope totam rempublicam in praeceps dederat. Multos circa unam rem ambitus fecerim, 81, quae de Marcelli morte variant auctores, omnia exequi velim. Ut omittam alios, Coelius triplicem gestae rei originem edit: unam tradıtam fama, alteram scriptam laudatione fili, qui rei gestae interfuerit, tertiam quam ipse pro inquisita ac Sibi comperta adfert. Ceterum ita fama variat, ut tamen plerique loci speculandi causa castris egressum, omnes insidiis circumventum tradant.

91.

Liv. 28, 46, 14. Eisdem diebus naves onerariae Poenorum ad octoginta circa Sardiniam ab Cn. Octavio, qui provinciae praeerat, captae. Captas eas Coelius frumento misso ad Hannibalem comme. atuque onustas, Valerius praedam Etruscam Ligurumque et Monta- norum captivos Carthaginem portantis tradit.

549 205

38.

549 (ic. De div. 1, 24, 48 (p. 36, 2). Hannibalem Coelius scribit, cum

206 olumnam auream, quae esset in fano Iunonis Laciniae, auferre vellet, dubitaretque, utrum ea solida esset an extrinsecus inaurata, per- terebravisse, cumque solidam invenisset, statuisse tollere; ei secundum quietem visam esse Iunonem praedicere, ne id faceret, minarique, si fecisset, se curaturam, ut eum quoque oculum, quo bene videret, amitteret; idque ab homine acuto non esse neglectum. Itaque ex eo auro, quod exterebratum esset, baculam curasse faciendam et eam in summa columna conlocavisse.

39.

Prisc. VI, p. 226 H. (p. 18, 3; p. 50). Coelius in V: Nullius alius rei nisi amicitiae eorum causa.

40.

Prisc. VIII, p. 432 H. (p. 20, 7). Coelius in V: Morbosum factum, ut ea quae oportuerint, facta non sint.

EX LIB. VI

41.

Non. p. 157. M. (p. 12, 8). Coelius annali libro VI: Consulto non pauciens arcessitum.

m

o De Ao -——— —— - | τὸ

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 87

42.

Liv. 29, 25, 1 (p. 59; p. 75). Quantum militum in Africam [a P Scipione] transportatum sit, non parvo numero inter auctores discrepat. Alibi decem millia peditum duo millia et ducentos equites, alibi sedecim milia peditum mille et sexcentos equites, alibi parte plus dimidia rem auctam, quinque et triginta millia peditum equitumque in naves imposita invenio. Quidam non adiecere numerum, inter quos me ipse in re dubia poni malim. Coelius ut abstinet numero, ita ad immen- sum multitudinis speciem auget: volucres ad terram delapsas clamore militum ait, atque tantam multitudinem conscendisse naves, ut nemo mortalium aut in Italia aut in Sicilia relinqui videretur.

43.

Liv. 29, 27, 14 (p. 58; p. 61). Prosperam navigationem / P. Scipio-990 nis in Africam 7 sine terrore ac tumultu fuisse permultis Graecis Latinig-204 que auctoribus credidi. Coelius praeterquam quod non mersas fluctibus naves, ceteros omnes caelestis maritimosque terrores, postremo ab- reptam tempestate ab Africa classem ad insulam Aegimurum , inde aegre correctum cursum exponit, et prope obrutis navibus iniussu imperatoris scaphis, haud secus quam naufragos, milites sine armis cum ingenti tumultu in terram evasisse.

44.

Non. p. 137 M. (p. 11, 6). Coelius annali libro VI: Omnes simul550 lerram cum classi accedunt, navibus atque scaphis egrediuntur, castra metati sign& statuunt.

8

45.

Liv. 29, 35, 2. Duos eodem nomine /Hannonis] Carthaginien- ^^ sium duces duobus equestribus proeliis /ad Salaecam wrbem] inter- 204 fectos non omnes auctores sunt, veriti, credo, ne falleret bis relata eadem res. Coelius quidem et Valerius captum etiam et Hannonem tradunt.

EX LIB. VII.

46.

Non. p. 29 M. (p. 8, 1). Coelius annali: Ipse cum cetera copia". a pedetemptim sequitur.

41. Non. p. 89 M. (p. 9,3). Coelius annali libro VII: Ipse regis eminusd51 equo ferit pectus advorsum, congenuculat percussus, deiicit dominum, ?03

88 Wilhelm Sieglin:

48.

Non. p. 508 M. (p. 13, 13). Coelius annali libro VII: Duos et septuaginta lictoris domum deportavisse fascis, qui ductoribus hostium ante soluerint ferri.

INCERTAE SEDIS FRAGMENTUM.

49.

Char. p. 220 K. (p. 16, 6), 'Subinde' Nepos de illustribus viris II, sed et Brutus et Coelius frequenter eo usi sunt.

L. COELII ANTIPATRI HISTORIARUM RELLIQUIAE.

EX LIB. I.

1

Serv. ad Aen. 4, 206 (p. 27, 2). Coelius: Maurusii qui iuxta Ocea- num colunt.

2.

Plin. N. H. 2, 67, 169 (p. 24, 1). Hanno Carthaginis potentia florente circumvectus a Gadibus ad finem Arabiae navigationem eam prodidit scripto, sicut ad extera Europae noscenda missus eodem tempore Himilco. Praeterea Nepos Cornelius auctor est, Eudoxum quendam 8ua& aetate, cum Lathyrum regem fugeret, Arabico sinu egressum Gades usque pervectum, multoque ante eum Coelius Anti- pater vidisse se qui navigasset ex Hispania in Áethiopiam commerci gratia.

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 89

Ä 3.

Solin. 1, 7, p. 7 M. (p. 32, 2). Cacus habitavit locum, cui Salinae men est: ubi Trigemina nunc porta. Hie, ut Coelius tradit, cum a rchone Tyrrheno, ad quem legatus venerat, missu Marsyae regis 3o Megale Phryge, custodiae foret datus, frustratus vincula et unde nerat redux praesidiis amplioribus occupato circa Volturnum et mpaniam regno, dum attrectare etiam ea audet, quae concesserant Arcadum iura, duce Hercule qui tunc forte aderat, oppressus est. galen Sabini receperunt disciplinam augurandi ab eo docti. Suo oque numini idem Hercules institui aram, quae maxima apud ntifices habetur, cum se ex Nicostrate, Euandri matre, quae a vati- io Carmentis dicta est, immortalem comperisset. Consaeptum etiam za quod ritus sacrorum factis bovicidiis docuit Potitios, sacellum reuli in Boario foro est, in quo argumenta et convivii et maiestatis jus remanent.

4

Strabo 5,3,3, p.230 C. (p.33). Αὕτη μὲν οὖν μάλιετα πιςτευομένη ς Ῥώμης κτίεις ἐςτίν. ἄλλη δέ τις προτέρα καὶ μυθώδης ᾿Αρκαδικὴν γουςι γενέςθαι τὴν ἀποικίαν ὑπ᾽ Εὐάνδρου. τούτῳ δ᾽ ἐπιξενωθῆναι v Ηρακλέα ἐλαύνοντα τὰς Γηρυόνου βοῦς. πυθόμενον δὲ τῆς τρὸς Νικοςτράτης τὸν Εξύανδρον (elvai δ᾽ αὐτὴν μαντικῆς ἔμπειρον) t τῷ Ἡρακλεῖ πεπρωμένον ἦν τελέςαντι τοὺς ἄθλους θεῷ τγενέεθαι, γάςαι δὲ πρὸς róv' Ηρακλέα ταῦτα καὶ τέμενος ἀναδεῖξαι καὶ θῦςαι ciav “EAAnvırnv, ἣν καὶ νῦν ἔτι φυλάττεςθαι τῷ Ἡρακλεῖ. καὶ re Κοίλιος, τῶν Ρωμαίων ευγγραφεύς, τοῦτο τίθεται cnuetov 0 Ἑλληνικὸν εἶναι κτίςμα τὴν Ρώμην, τὸ παρ᾽ αὐτῇ τὴν πά- tov Oucíav ‘EAAnvıröv εἶναι τῷ ἫἩρακλεῖ. καὶ τὴν μητέρα δὲ τοῦ ἀνδρου τιμῶςι Ρωμαῖοι, μίαν τῶν νυμφῶν νομίςαντες, Καρμέντην Tovouacdeicav.

EX LIB. III.

5.

Plin. N. H. 3, 19, 132 (p. 24, 2). Alpes in longitudinem du- nta quinquaginta milia passuum patere a supero mari ad inferum elius tradit, Timagines viginti quinque milibus passuum deductis; latitudinem autem Cornelius Nepos centum milia; T. Livius tria ilia stadiorum, uterque diversis in locis.

6. Serv. ad Georg. 1, 77 (p. 30, 8). Dicit [Vergilius] frumenta renda non esse; nam licet manu legantur et sint inter legumina:

ribus tamen frumentis exaequantur. Coelius libro tertio seri avenam tendit.

90 Wilhelm Sieglin:

EX LIB. IV.

1.

Solin. 2, 28, p. 42 M. (p. 32, 1). Coelius Aeetae tres filias dicit, Angitiam, Medeam, Circen. Circen Circeios insedisse montes, carmi- num maleficiis varias imaginum facies mentientem; Angitiam vicina Fucino oceupavisse ibique salubri scientia adversus morbos resisten- tem, cum dedisset homines vivere, deam habitam; Medeam ab Iasone Buthroti sepultam filiamque eius Marsis imperasse.

8. . " Quint. 1, 5, 61 (p. 34, 1). Apud Coelium legimus *Pelia cin- cinnatus'.

EX LIB. V.

9.

Serv. ad Aen. 10, 145 (p. 29, 5). Coelius Troianum Cepyn condidisse Capuam tradidit, eumque fuisse Aeneae sobrinum.

10.

Serv. ad Aen. 6, 9 (p. 29, 4). Coelius de Cumano Apolline ait: Est in fano signum Apollinis ligneum altum non minus pedes quindecim.

11.

Plin. N. H. 31, 2, 21 (p. 25, 3). Coelius apud nos /tradit] in Averno etiam folia subsidere; Varro aves, quae advolaverint, emori.

12. Serv. ad Georg. 2, 197 (p. 30, 6). Saturi locus iuxta Tarentum, quem Coelius in quinto libro Historiarum dicit nomen accepisse & Satura puella, quam Neptunus compressit.

13.

Serv. ad Aen. 8, 402 (p. 26, 1). Hic illa ducis Meliboei parva Philoctetae subnixa Petelia muro.] Multi ita intelligunt, non 'Phi- loctetae Petelia', sed “Philoctetae muro'; nam ait Cato a Philocteta condita iam pridem civitate murum tantum factum. Alii “subnixam’ ideo accipiunt, quia imposita est excelso muro, ut Coelius histo- ricus ait.

C€-

Die Fragmente des L. Coelius Antipater. 91

EX LIB. VII.

14.

Cic. De div. 1, 26, 55 (p. 37, 4). Omnes hoc historici, Fabii, Gellii, τος sed proxume Coelius: Cum bello Latino ludi votivi maximi primum fierent, civitas ad arma repente est excitata; itaque ludis intermissis instaurativi constituti sunt. Qui antequam fierent, cumque iam populus consedisset, servus per circum cum virgis caederetur, furcam ferens ductus est. Exin cuidam rustico Romano dormienti visus est venire qui diceret, praesulem sibi non placuisse ludis, idque ab eodem iussum esse, eum senatui nuntiare; illum non esse ausum, Iterum esse idem iussum et monitum, ne vim suam experiri vellet; ne tum quidem eum ausum. Exin filium eius esse mortuum,: eandem in somnis admoni- tionem fuisse tertiam. Tum illum etiam debilem factum rem ad . amicos detulisse, quorum de sententia lecticula in curiam esse dela- tum, cumque senatui somnium enarravisset, pedibus suis salvum do- mum revertisse. ltaque somnio comprobato a senatu ludos illos iterum instauratos memoriae proditum est. C. vero Gracchus multis dixit, ut scriptum apud eundem Coelium est, sibi in somnis quaestu- ram petere dubilanti et vitam tranquillam quaerenti Tiberium fratrem visum esse dicere, quam vellet cunctaretur, tamen eodem sibi leto, quo ipse interisset, esse pereundum. Hoc antequam tribunus plebi C. Gracchus factus esset, et se audisse scribit Coelius et dixisse multis.

15. Serv. ad Aen. 4, 390 (p. 27, 3; p. 42). Coelius historiarum:^94

Delinquere frumentum, Satricum hostes tenere. 490

16. Philar. ad Georg. 2, 345 (p. 31, 9; p. 42). Coelius in VII: Consuetudine uxoris, indulgitate liberum.

17.

Festus s. v. topper, p. 352 M. (p. 41). Coelius lib. VII: ita uti si se quisque vobis studeat aemulari in statu reipublicae, eadem re gesta topper nihilo minore negotio acto, gratia minor esset.

INCERTAE SEDIS FRAGMENTA.

18.

Schol, Veron. ad Aen. 5, 251 (p. 30, 7). Lucretius in II: Iam tibi barbaricae vestes meliboeaque fulgens Purpura. Coelius: Mean....

92 Wilhelm Sieglin: Die Fragmente des L. Coelius Antipater.

factum Meandro duplici.... lana est qualis a Melibea.... ut velum.. Sic alius eum errantem, alius ludentem dicit. An potius duo opera Meandri in chlamyde texta? Placet hoc magis.

19.

Anon. de dub. nom., p. 590 K. (p. 34, 4). Salientes aquarum generis masculini, ut Coelius "perpetuum salientem’.

20. Quint. 1, 6, 42 (p. 35, 2). “Parrieidatum’, quod in Coelio vix tolerabile videtur.

21.

Fest. p. 181 (p. 42). Coe]lius historiarum /libro...... conci]tantur ' ocissime.

Berichtigungen. S. 24, Z. 10 v. u. lies milibus statt milia.

S. 31, Z. 5 v. u. lies 4 Söhne statt 3 Söhne. S. 33, 2. 15 v. o. lies αὐτὴν statt αὐτὸν.

gr

UEBER DEN GALLISCHEN BRAND,

EINE QUELLENKRITISCHE SKIZZE ZUR AELTEREN ROEMISCHEN GESCHICHTE

VON

GEORG THOURET.

Dass Rom Ol. 98, 1 oder 98, 2, nach Niebuhr!) O1. 99, 3, oder endlich, wie Unger will?), Ol. 99, 4 von einem keltischen Stamme be- setzt worden ist, kann als eine unzweifelhafte Thatsache bezeichnet werden. Nicht so steht es meiner Ansicht nach mit dem „Gallischen Brande". Einnahme und Brand darf man aber auseinanderhalten: denn nach den übereinstimmenden Zeugnissen des Alterthums ist Rom nicht im Sturm erobert, sondern ohne irgendwelchen Widerstand den Kelten überlassen worden. Folgerichtig wird daher die Zerstö- rung der Stadt nicht als die natürliche Consequenz der Einnahme, sondern als ein mit vollem Bewusstsein ausgeführter Racheakt dar- gestellt. Ä

Heutzutage wird Niemand mehr die ältere und älteste römische Geschichte gerade wegen des gallischen Brandes in Zweifel ziehen.?) Da das Kapitol jedenfalls stehen geblieben ist, so darf man mit Recht annehmen, dass ein Theil der wichtigsten Urkunden der Vernichtung entging. Weniger überzeugend ist es, wenn man geltend macht, dass die Rómer vollkommen Zeit gehabt hütten, nicht nur Lebensmittel und Kostbarkeiten*), sondern auch die werthvollsten öffentlichen Denkmäler und schriftlichen Aufzeichnungen auf die Burg zu retten. Die Gallier besetzen zwar erst am vierten Tage nach der Schlacht an der Allia?) die Stadt, aber nach dem detaillirten Bericht Dio- dors") verweilen sie nur einen Tag auf dem Schlachtfelde und lagern den zweiten und dritten über bereits vor den Thoren. Dass dabei an ein überlegtes Rettungswerk kaum mehr zu denken war, scheint mir auf der Hand zu liegen.")

Nun wird Jeder zugeben, dass die gallische Verwüstung weder in der Geschichte noch in dem Gedächtniss der Römer eine grosse Rolle gespielt hat. Die Katastrophe geht zwar nicht spurlos an der politischen Machtstellung Roms vorüber, aber mit Recht hat man sich stets über die unglaublich schnelle Erholung des Staates ge- wundert.

7) R. G. II 8. 684. S.-B. der Münch. Ak. 1876 Heft V S. 5692 ff. Ich verweise hier auf Bröckers Unters. üb. d. Glaubwürd. der altröm. Gesch. Basel 1855. Kap. 1. *) Weiter wird nach Liv. V 89, 10 u. Diod. XIV 115,4 Nichts gerettet. 5) Pol. II 18 u. Diod. XIV 115,6. 5) XIV 116, 5. ") Einen andern Ausweg schlügt H. Peter vor. Er lüsst (rell. prol. p. XXXVII) wie Manlius Capit. so mehrere andere vornehme Römer (vor allen die Fabii) auf dem Kapitol wohnen, um die ,,tablina" zu retten.

96 Georg Thouret:

Auf der andern Seite ist es bekannt, dass noch die Schriftsteller der ersten Kaiserzeit das Vorhandensein der Originalurkunden einiger Verträge aus der Königszeit und der nächstfolgenden Epoche der Republik bezeugen®), und dass sich dem allgemeinen Glauben nach in Rom Kunstdenkmäler erhalten haben, deren Beziehung auf Per- sonen oder Ereignisse lange vor der gallischen Verwüstung unzweifel- haft ist.) Wir dürfen uns füglich wundern, wie Dergleichen die Zerstörung der Stadt überdauern konnte. Jedenfalls ist zu consta- tiren, dass die Schriftsteller bei keiner Urkunde, bei keinem Denk- mal bemerken, dass es trotz des Brandes unversehrt blieb. Nur Eins wird ausdrücklich als “gerettet” bezeichnet, nämlich der Krummstab des Romulus.) Die litterarischen Denkmäler bleiben besser bei Seite. Jedoch halte ich es der Erwähnung werth, dass Cicero offenbar nicht an eine Unterbrechung der annales maximi durch den gallischen Brand gedacht hat.!!) Dieser hat also in dem Gedächtniss der Nachwelt nicht die Stelle, welche man erwarten dürfte. Um hiefür noch ein Beispiel anzuführen, welches sich auf topographische Verhältnisse bezieht, so wollte Varro noch in dem Rom seiner Zeit Spuren der Saturnischen Stadt entdecken.)

Ebensowenig aber sagen die Schriftsteller in bestimmten Wor- ten, was eigentlich vernichtet wurde. Die bekannten Worte des Li- vius VI 1, 2, “dass der grösste Theil” der schriftlichen Aufzeich- nungen zu Grunde gegangen sei, besagen wegen ihrer Allgemeinheit nichts, ebensowenig das Zeugniss eines gewissen Clodius, welches uns Plutarch (Numa c. 1) erhalten hat. Bestimmtere Angaben aber suchen wir vergebens. So steht z. B. die Thatsache fest, dass die zwölf Tafeln zu der Zeit, als die Historiker schrieben, nicht mehr vorhanden waren!?), über den Verbleib derselben aber schweigt die Ueberlieferung vollständig.) Waren die Gesetze in Erz gegraben und standen die Tafeln auf dem Comitium!®), so ist die allgemeine Annahme, dass die Gallier sie da Erz Geld war als will- kommene Beute mitfortnahmen!9), ausserordentlich naheliegend. Frei- lich wird damit zugleich die Ansicht sehr problematisch, dass die

8) Vgl. Schwgl. I S. 18 ff. °) Schwgl. I S. 29. 10. Cic. de div. I 17, 30; Fast. Praen. a. d. X Kal. Apr. (C. I. L. I p. 815); Dion. XIV fr. 5; Plut. Cam. 82. 1) Vgl. de orat. II 12, 52: Erat enim historia nihil aliud nisi annalium confectio; cuius rei memoriaeque publicae reti- nendae causa ab initio rerum Romanarum usque ad P. Mucium ponti- ficem maximum res omnes singulorum annorum mandabat litteris ponti- fex maximus ..... ; ei, qui etiam nunc annales maximi nominantur. Vgl. auch de rep. II 15, 28; de rep. I 16, 25 ist kein Gegenbeweis. 33) De l. 1. V 5, 42 M. p. 16. !*) Vgl. Schwgl IS. 20. 19 Vgl. Becker Top. 8. 27 u. A. 43. Die einzige mir bekannte Stelle in Bezug hierauf ist Macrob. Sat. III 17, 8 (ed. Ianus). 5) Dion. X 57 extr. Diod. XII 26. 19 Vgl. Schwgl. I S. 21; Becker Top. S. 27 A. 48 urtheilt etwas anders, jedoch hegt auch er entschiedenen Zweifel, ob die Tafeln die Verwüstung der Stadt überdauern konnten.

Ueber den gallischen Brand. 97

Römer Kaltblütigkeit genug bewahrt hätten, die wichtigsten Ur- kunden auf das Kapitol zu retten.

Somit hoffe ich die Berechtigung eines Zweifels an dem Faktum des gallischen Brandes überhaupt zugestanden zu erhalten. Es wäre nun freilich wahrhaft verwegen, beweisen zu wollen, dass Rom nicht zerstört worden ist. Aber, woher wissen wir überhaupt vom gallischen Brande? Das Hauptkriterium für denselben lässt uns im Stich. Ich meine, sagten die stolzen Worte des Livius (VI 1, 3): clariora deinceps certioraque ab secunda origine velut a stirpibus laetius feraciusque renatae urbis gesta domi militiaeque exponentur die Wahrheit, dann hätte die Tradition einen gewichtigen inneren Grund für sich. Aber es ist eine einfache Thatsache, dass die Ge- schichte des folgenden Jahrhunderts ebenso getrübt, ebenso ver- fälscht, ja fast noch dunkler ist als die der früheren. Dieses innere Kriterium fehlt dem gallischen Brande. Wir wissen also von ihm nur aus den Berichten der Schriftsteller. Man wird es daher nicht verwegen nennen, wenn ich die Frage aufwerfe: Wie steht es denn eigentlich mit diesen Berichten? Ich bin zu der Ueberzeugung ge- kommen, dass dieselben, wenn man sie fest anpackt, zusammen- stürzen. Von allem Andern sehe ich ab: meine Aufgabe besteht einzig und allein in dem Nachweise, dass wir nach Lage der Quellen berechtigt sind, den sogenannten gallischen Brand und die Zerstörung Roms überhaupt aus der Geschichte zu streichen. Dass ich einen schweren Stand haben werde, weiss ich sehr wohl. Kein Anderer als Niebuhr ist es, der einmal sagt: “Dass Rom eingeäschert wurde, ist gewiss”. 1)

Die Untersuchung wird folgenden Gang nehmen:

1. werde ich den Nachweis versuchen, dass die älteste und beste Quelle noch nichts vom gallischen Brande weiss;

2. werde ich die vorhandenen Berichte Punkt für Punkt durch- gehen, ihre innere Unwahrscheinlichkeit und ihre Unvereinbar- keit mit der ältesten Quelle darlegen;

3. werde ich den Grund des Widerspruchs auf eine gänzlich ver- schiedene Auffassung des geschichtlichen Vorgangs Seitens der Quellen zurückführen;

4. will ich versuchen, den Gang der Tradition klarzustellen und den Punkt zu bezeichnen, wo die Bildung der Vulgata an- setzte,

5. werde ich das gewonnene Resultat anderweitig zu stützen suchen,

und endlich

6. anhangsweise die Quellenfrage erörtern.

17 Vortr. üb. R. G. I S. 382. Die Skepsis von Lewis stützt sich nicht zum kleinsten Theil auf die römische Tradition, dass der grösste Theil der geschichtlichen Aufzeichnungen im gallischen Brande zu Grunde

ing. Er zieht mit unerbittlicher Strenge die Consequenzen daraus. Vgl. ie Uebers. v. Liebrecht. 2. Aufl. 1868. I S. 161.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 7

"

98 Georg Thouret:

I. Polybius.

Vorbemerkung.

Wäre es richtig, was C. Peter in seiner Römischen Geschichte (I S. 190) sagt, “dass die Verbrennung Roms durch die Gallier das erste Ereigniss der rómischen Geschichte gewesen sei, von dem die Griechen Kunde bekommen, und dass derselben von den nur wenig spüteren Schriftstellern Heraklides von Pontus und Aristoteles ge- dacht worden sei”, wäre dies richtig, so stlinde es um mein Unter- nehmen sehr schlimm. Die betreffenden Zeugnisse es sind drei lauten aber folgendermassen:

Plin. n. h. III 9, 57: Theopompus, ante quem nemo mentio- nem habuit, urbem dumtaxat a Gallis captam dicit etc.

Plut, Cam. 22 Ἡρακλείδης γὰρ Ποντικὸς οὐ πολὺ τῶν χρόνων ἐκείνων ὑπολειπόμενος ἐν τῷ περὶ ψυχῆς ευγγράμματί qncav .... ὧς ετρατὸς ἐξ Ὑπερβορέων ἐλθὼν ἔξωθεν ρήκοι πόλιν Ἑλληνίδα Ρώμην κτέ.

Plut. ib. Ἀριςτοτέλης δὲ 6 qiiócopoc τὸ μὲν ἁλῶναι τὴν πόλιν ὑπὸ Κελτῶν ἀκριβῶς δῆλός écriv ἀκηκοώς, τὸν δὲ εὐςαντα Λεύκιον εἶναί pncıv’ Man wird einräumen, dass in allen drei Stellen nichts von einer Verwüstung steht, und dass Rom von den Kelten eingenommen worden ist, leugne ich nicht. Natürlich bin ich weit entfernt, die angeführten Stellen für mich verwerthen zu wollen. Man könnte mit Recht einwenden, dass für die Griechen die Er- oberung Roms wichtiger war als die Zerstörung.'?) Ich will mir aber den Rücken gegen diese Stellen decken: sie sagen nichts gegen meine Ansicht.

Nach dieser Vorbemerkung gehe ich zu

Polybius über, der nach der (bisher) allgemein gültigen Ansicht die älteste und beste Quelle für die gallischen Kriege ist.

Polybius spricht an drei Stellen von der Einnahme Roms durch die Gallier, an einer vierten thut er derselben beiläufig Erwähnung. Da diese Stellen die Grundlage der ganzen vorliegenden Arbeit bil- den, so setze ich sie vollständig her, obwohl sie natürlich höchst be- kannt sind:

I 6 ἔτος μὲν οὖν ἐνειςτήκει μετὰ τὴν ἐν Αἰτὸς ποταμοῖς vav- μαχίαν ἐννεακαιδέκατον .... ἐν ..... Γαλάται (δὲ) κατὰ κρά-

18) Es ist sehr zu bedauern, dass wir nicht deutlich erkennen kön- nen, was Memnon in seinem vorzüglichen Geschichtswerk eigentlich über die Einnahme Roms gesagt hat. Im Excerpte des Photius heisst eine Stelle (lib. XIII fr. 25, 2, Müller fr. hist. Gr. III p. 538): ὅπως δὲ ὑπὸ Γαλατῶν Ῥωμαῖοι ἡττήθηςαν xai ἥλω ἂν πόλις, εἰ μὴ Κάμιλλος ém- βοηθήςας τὴν πόλιν ἐρρύςκατο. Müller warnt mit Recht vor voreiligen Schlüssen bei der Knappheit des Ausdrucks,

Ueber den gallischen Brand. 99

τος ἑλόντες αὐτὴν τὴν Ῥώμην κατεῖχον πλὴν τοῦ Καπε- τωλίου. πρὸς οὗς ποιηςάμενοι Ρωμαῖοι ς«πονδὰς καὶ διαλύςεις εὐδοκουμένας Γαλάταις καὶ γενόμενοι πάλιν ἀνελπίετως τῆς πατρίδος ἐγκρατεῖς καὶ λαβόντες οἷον ἀρχὴν τῆς ςυναυξήςεως, ἐπολέμουν ἐν τοῖς ἑξῆς χρόνοις πρὸς τοὺς ἀςτυγείτονας.

II 18 τὰς μὲν οὖν ἀρχὰς οὐ μόνον τῆς χώρας ἐπεκράτουν, ἀλλὰ καὶ τῶν cüvepruc πολλοὺς ὑπηκόους ἐπεποίηντο... . μετὰ δέ τινα χρόνον μάχῃ νικήςαντες Ρωμαίους καὶ τοὺς μετὰ τούτων παραταξαμένους, ἑπόμενοι τοῖς φεύτγουει Tpici τῆς μάχης ἡμέραις ÜCTEPOV κατέεχον αὐτὴν τὴν Ῥώμην πλὴν τοῦ Καπετωλίου. γενομένου δ᾽ ἀντιςπάςματος καὶ τῶν Οὐενέτων ἐμβαλόντων εἰς τὴν χώραν αὐτῶν, τότε μὲν ποιηςάμενοι ευνθήκας πρὸς Ρωμαίους καὶ τὴν πόλιν ἀποδόντες ἐπανῆλθον εἰς τὴν οἰκείαν κτέ.

ibid. παραγενομένων δὲ πάλιν τῶν Κελτῶν εἰς ἌΛλβαν crpa- τεύματι μεγάλῳ μετὰ τὴν τῆς πόλεως κατάληψιν ἔτει τρια- κοςτῷ κτέ.

II 22 (Die Boier und Insubrer fordern die transalpinischen Gallier zum Kampf gegen Rom auf) ἀναμιμνήςκοντες (δὲ) τῆς τῶν ἰδίων προγόνων πράξεως αὐτούς, ἐν fj ἐκεῖνοι ςτρατεύςαντες οὐ μόνον ἐνίκηςαν μαχόμενοι Ῥωμαίους, ἀλλὰ καὶ μετὰ τὴν μάχην ἐξ ἐφόδου κατέςχον αὐτὴν τὴν Ρώμην, γενόμενοι δὲ καὶ τῶν ὑπαρ- χόντων ἁπάντων ἐγκρατεῖς καὶ τῆς πόλεως αὐτῆς ἑπτὰ μῆνας κυριεύεαντες, τέλος ἐθελοντὶ καὶ μετὰ χάριτος παραδόν- τες τὴν πόλιν, Adpaucror καὶ Acıveic ἔχοντες τὴν ὠφέλειαν εἰς τὴν οἰκείαν ἐπανῆλθον.

Ich constatire zunächst die Thatsache, dass Polybius mit keiner Silbe von einem Brande oder einer Zerstörung spricht.?) Im Gegen- theil, er sagt zweimal: τὴν πόλιν ἀπο(παρα)δόντες. Diese That- sache ist ausserordentlich auffallend. Nur zwei Erklärungen sind möglich: entweder fand Polybius in seiner Quelle nichts von einer Verwüstung, oder er überging dieselbe. Ueberging er sie, so wollte er entweder die vulgäre Tradition zurückweisen, oder er hielt die Erwähnung nicht für nöthig. Denn den Gedanken, dass er dieses für das römische Gefühl so schmerzliche Ereigniss aus Zartgefühl oder dergl. nicht berühren wollte, wird wohl Niemand ernstlich in Erwägung ziehen, da er ja die vollständige Niederlage der römi- schen Waffen mit dürren Worten einräumt.

Polybius giebt die Vorgeschichte der gallischen Kriege in grossen Zügen, im Resume. Man könnte also sagen, in einem 80 ausser- ordentlich knappen Abriss des gewaltigen Kampfes zweier Nationen

1) Seit Brócker (S. 22 a. a. O.) scheint man dies faktisch ver- gessen zu haben. Bröcker aber verbaute sich selbst den Weg durch seine merkwürdige und man muss sagen unmethodische Unterschätzung des Polybius (vgl. z.B. a. a. O. S. 119 ff). Lewis dagegen hat in seiner Kritik des Brócker'schen Werkes (II S. 454 ff.) den schwerwiegendsten Punkt das Schweigen des Polybius übersehen.

q*

100 Georg Thouret:

sei es erklärlich, dass Polybius die Zerstörung der Stadt überging. Indessen ist festzuhalten, dass er die Geschichte der gallischen In- vasionen durchaus vom römischen Standpunkte aus schreibt. Nun ist nicht sowohl die Einnahme der Stadt da die Feinde wieder abziehen —, als vielmehr die Zerstörung derselben für den römi- schen Staat die Hauptsache, der im Wesentlichen weiter Nichts als Rom war.

Polybius stimmt genau mit der gesammten Ueberlieferung da- rin überein, dass die Römer sofort nach dem Abzuge der Kelten in schwere Kriege mit den umwohnenden Italikern verwickelt werden. Er hat das volle Bewusstsein von der Bedeutung der gallischen Kata- Strophe, denn er sagt I 6: καὶ γενόμενοι πάλιν ἀνελπίετως τῆς πατρίδος ἐγκρατεῖς καὶ λαβόντες οἷον ἀρχὴν τῆς cuvavERn- cewc, ἐπολέμουν ἐν τοῖς ἑξῆς χρόνοις πρὸς τοὺς ἀςτυτγείτονας.

Um so merkwürdiger muss es erscheinen, dass er niemals die geringste Andeutung von einer Zerstörung Roms giebt: denn bei dem sofort sich erhebenden Sturm der Feinde war doch das Allerwich- tigste, dass die Stadt in Trümmern lag. Und lag sie in Trümmern: dann zeugt die schnelle Erhebung und Erholung des Staates für seine gewaltige Leistungsfühigkeit. Also gerade in einem Resume ist die Stelle für die gallische Verwüstung.

Einen deutlichen Fingerzeig aber gewährt uns, wie ich glaube, die letzte Stelle II 22. Die Boier und Insubrer rühmen die Thaten ihrer Vorfahren. Sie sagen: “Erinnert euch, wie unsere Väter die Römer besiegt, im ersten Anlauf Rom eingenommen, geplündert schliesslich aber freiwillig und aus Gefälligkeit den alten Besitzern zurückgegeben haben’, ja vermisst man da nicht eigentlich die Hauptsache? Erwartet man nicht, dass sie hinzufügen würden: “und wie sie die Stadt dem Erdboden gleichgemacht'? Hier, behaupte ich, ist die Stelle, wo Polybius, wenn er etwas vom gallischen Brande wusste (oder wissen wollte), ihn kaum übergehen konnte. Wusste er nichts davon, dann ist selbstverständlich Alles in Ordnung. Und nun, machen wir einmal die Gegenprobe. Der Gedanke, welchen ich oben vermisste, widerspricht sicher nicht dem Gemtithszustande eines Kelten. Setzen wir ihn also probeweise hinzu; so ergiebt sich dvanınvnckovtec ... τῆς πράξεως... ἐν ij ἐκεῖνοι ἐνίκη- cav ... Ῥωμαίους... καὶ xarécyov .. . Ῥώμην τενόμενοι δὲ καὶ τῶν ὑπαρχόντων ἁπάντων ἐγκρατεῖς [und nachdem sie die ganze Stadt zerstört hatten] καὶ τῆς πόλεως αὐτῆς ἑπτὰ μῆνας κυριεύςαντες τέλος ἐθελοντὶ καὶ μετὰ χάριτος παραδόντες τὴν πόλιν Kte.?0)

Hier zeigt sich meiner Ansicht nach mit Evidenz, dass der zu- gesetzte Gedanke absolut nicht zu dem Uebrigen passt. Der Satz: καὶ τῆς πόλεως ... Kupieucavrec kann nur heissen: "nachdem sie

20) Oder: καὶ τῆς πόλεως αὐτῆς .. . Kupiebcavtec [....] τέλος κτέ.

^ . . .. ν . ν - -

Ueber den gallischen Brand. 101

sieben Monate Herrn der Stadt gewesen”. Dass nämlich πόλις nicht etwa Gebiet zu verstehen, beweist zunächst das beigesetzte “αὐτῆς᾽ und dann der Zusammenhang, dessen Spitze direct gegen die Stadt Rom gerichtet ist.

Mag man nun jenen Gedanken einschieben wo man will (vgl. Anm. 20), das Folgende wird absurd, mithin kann derjenige, welcher dies schrieb, d. h. Polybius, diesen Gedanken nicht gedacht haben.?!)

Hier muss ich einem möglichen Einwand begegnen. Man könnte meinen, Polybius habe, um die Worte der Kelten besonders hohn- voll zu machen, sie gerade mit Absicht sagen lassen: “Erinnert euch, wie unsre Vorfahren die Rómer vollstündig in ihrer Hand hatten und ihnen nur aus Gnade und Barmherzigkeit die Stadt zu- rückgegeben haben’, (womöglich noch gegen ein Lösegeld, worüber sich Polybius nicht klar ausspricht).?) Hiegegen mache ich geltend, dass es wahrlich nicht weniger höhnend klingt, wenn die Boier sagen: “Erinnert euch, dass unsre Vorfahren die Römer besiegt, die Stadt eingenommen und zerstört, und endlich ihnen die Trümmerhaufen (resp. die Brandstätte) noch verkauft haben”. Was aber die Haupt- sache ist: die Kelten sprechen hier nicht zu Römern, sondern zu ihren Stammbrüdern jenseits der Alpen. Sie wollen in erster Linie nicht höhnen, sondern den Muth entflammen: “Die Römer sind nicht unbesiegbar, denn erinnert euch” u. s. w. Und dabei lassen sie ge- rade den grössten Erfolg, welchen keltische Waffen jemals errungen, bei Seite!? Endlich erscheint in der gesammten nachpolybianischen Ueberlieferung der Zug der Gallier von Clusium gegen Rom als ein Rachezug: sie wollen Rom zerstören! Sie führen ihre Absicht aus, sie zerstören Rom: und gerade dies übergehen die Kelten in ihren Ruhmesworten!

Ich behaupte, dass eine höchst geschraubte Interpretation der angeführten Stellen dazu gehört, um es glaublich zu machen, dass Polybius ein so tief einschneidendes Faktum der römischen Geschichte absichtslos, ja zufällig überging. That er es aber absichtlich, so ist seine Autorität gross genug, um auch uns zu veranlassen, die gal- lische Verwüstung aus der Ueberlieferung zu streichen.

Dass Polybius die ältere römische Geschichte nicht aus sich heraus, sondern nach Quellen schrieb, ist an sich klar, da er weder Augenzeuge noch überhaupt Römer war. Die ganz bestimmten Zah- len aber, welche gewissermassen das Gerippe dieser Vorgeschichte der gallischen Kriege bei Polybius bilden (I 18 ff), beweisen, dass er nicht nach Hürensagen und aus dem Gedüchtniss, sondern nach

11) Wie will man übrigens an der Hand der Vulgata das mehrmalige τὴν πόλιν (παρα)ἀποδόντες überhaupt interpretiren.? 32) ἔχοντες τὴν ὠφέλειαν (II 22) bezieht sich wahrscheinlich nur auf die Beute. Dagegen liegt wohl in der Bezeichnung der crovóal als εὐδοκούμεναι Γαλάταις (I 6) eine Andeutung des Lösegeldes.

102 Georg Thouret:

Excerpten diesen kurzen Abriss niederschrieb. Diese Erwägungen führen naturgemäss zu dem Schluss, dass er in seiner Quelle wirk- lich nichts von einem Brand oder einer Zerstörung der Stadt gefun- den hat. Bei der Frage nun, welcher Quelle er gefolgt ist, brauche ich nicht lange zu verweilen. Die Ansicht Niebuhrs (Vortr. II 8. 52), dass die Geschichte des letzten Kampfes zwischen Rom und den Kel- ten kurz vor Ausbruch des Hannibal. Krieges bei Polybius II 25 ff. aus Fabius geschöpft sei, ist heute die allgemeine, von allen Autori- täten gebilligte. Den Hauptgrund, worauf diese Ansicht sich stützt, hat zuletzt Niese dahin formulirt?°), “dass die Uebersicht über die römische Wehrkraft, die Polybius (II 24) wie die übrigen erhalte- nen Chroniken bei Gelegenheit des letzten grossen gallischen Krieges mittheilen, nach Eutrop (III 5) und Orosius (IV 13) von Fabius ge- geben ward’.*) Die Frage, ob diese Zahlen richtig oder überhaupt - glaubwürdig sind”), gehört nicht in den Zusammenhang der vor- liegenden Untersuchung. Mögen die Zahlen bei den einzelnen Schrift- stellern abgebeugt und zum Theil (namentlich bei Orosius) verderbt sein: soviel steht nunmehr fest, dass sie alle auf eine Quelle zurück- gehen, und dass Fabius Pictor als diese Quelle anzusehen ist.) Um dieses Resultat anzuerkennen, hat man nach meiner Meinung gar nicht nöthig, die verderbten Zahlen zu bessern, was immerhin geführlich ist. Nach Orosius (a. a. O., oder vielmehr seiner Quelle) standen bei Fabius mindestens zwei Summen, und zwar einmal die Gesammtzahl der ganzen waffenfühigen Mannschaft und zweitens die Summe der Römer und Campaner; diese beiden Addirungen finden sich nun auch unter den dreien des Polybius (a. a. O.). Ge- rade diese Hervorhebung der militürischen Gleichstellung der Cam-

35) Hermes XIII 1878 S. 410. ?*) Die übrigen Stellen sind: Diod.

XXV fr. 18 Dind. (W. p. 511), der sie dem Polybius entnahm; Liv. p. 20; Plin. n. h. III 20, 138. ?*) Sie haben verschiedene Beurtheilung und verschiedene Behandlung erfahren: vgl. Nieb. Vorles. Π S. 52; Nitzach.: die Gracchen etc. S. 19ff.;, Wietersheim: Gesch. der Völkerw. I S. 169 ff.; Lange: Röm. Alterth. II? S. 147; Ihne: Róm. G. II S. 402 ff.; Mommsen Hermes XI S. 49 ff. Die in ihren Consequenzen peinliche Meinung H. Peters (rell. p. 36 adnot. 23), dass die Summe der einzelnen Posten bei Polybius 800,300 M. ergäbe, während Polybius selbst (II 24 extr.) ala Gesammt- zahl (üb.) 700,000 p. und (geg.) 70,000 equ. d. h. überhaupt c. 770,000 M. angiebt, beruht auf einem Versehen. Mir ergeben sich als Summe: 699,200 p. 69,100 equ. d. h. zus. 768,300 M., eine Zahl, welche auch in allen oben citirten Werken aufgestellt ist. Da Peter genau 32,000 M. mehr herausrechnet, so glaube ich nicht zu irren, wenn ich seinen Irr- thum auf die unrichtige Interpretation einer Stelle des Polybius (II 24, 2) zurückführe. Polybius sagt nämlich: μετὰ μὲν δὴ τῶν ὑπάτων ἐξεληλύ- Her τέτταρα crparöneda Ῥωμαικά,... εὐμμαχοι δὲ μεθ᾽ ἑκατέρων ἧςαν οἱ ευμάμφω πεζοὶ μὲν τριςμύριοι, διεχίλιοι δ᾽ ἱππεῖς. Die letzten Worte . kónnen nur heissen: „an Bundesgenossen befanden sich bei beiden (cons. Heeren) zusammen 30,000 p. 2000 equ. Peter theilt offenbar jedem Consul soviel zu, so rechnet er 32,000 M. zu viel. ?*) Vgl. hierüber bes. Mommsen Hermes XI S. 50 fl.

σα"

Ueber den gallischen Brand. 103

paner und Römer, welche sicher mit d. J. 543 a. u. aufhörte, spricht für eine direct zeitgenössische Aufzeichnung.

Zu diesem Zahlenzeugniss kommt hinzu die gleiche Erklärung des gallischen Wortes: Gaesati (Ταιςάται) ‘Söldner’ bei Polybius _ II 22 in. u. Orosius IV 13 (Haverk. p. 133).7) Wenn endlich noch - innere Grtinde von Nöthen sein sollten, so sprechen auch diese für Fabius. Vor Allem spricht für einen Augenzeugen und dies war ja Fabius?®), die Klarheit und Anschaulichkeit der Darstellung. Einen speciell Fabischen Charakter aber trägt die von Polybius (II 21 extr.) unumwunden ausgesprochene Antipathie gegen Flaminius. Ja Polybius sagt sogar mit dürren Worten (II 33), dass bei der Ungeschicklichkeit des führenden Flaminius nur die militärische Tüchtigkeit der Kriegstribune den Römern den Sieg über die In- subrer gegeben habe. Fabius war aber damals Kriegstribun.

Ist somit Fabius des Polybius Quelle für die Geschichte des letzten gallischen Krieges, so ist freilich noch nicht bewiesen, dass auch die knappen Notizen über die früheren Kämpfe aus ihm stammen. Wenn aber irgendwo die Wahrscheinlichkeit an die Stelle eines Beweises treten kann, so ist es hier. Ungers Ansicht??), “dass der Bericht über die römiech-gallischen Kriege von der Alliaschlacht bis zur Unterwerfung der Boier aus einem griechischen Historiker, entweder Timaeus oder Hieronymus abgeleitet sei’, ist so seltsam, dass er sie hütte begründen müssen. Jetzt hat Niese wenigstens 80 viel nachgewiesen?" dass Polybius römischer Chronologie, mithin einer römischen Quelle folgt. Wir sind daher, so lange kein Gegen- beweis gebracht wird, berechtigt, Fabius als Quelle für die Geschichte der gallischen Invasionen bei Polybius zu bezeichnen,?!)

Kehren wir nun an der Hand dieses Resultats zu unsrer Unter- suchung zurück, so ergiebt sich die Stichhaltigkeit meiner obigen Deductionen vorausgesetzt dass im Fabius noch Nichts von einem gallischen Brande oder einer Zerstörung Roms durch die Gallier ge- - standen hat. So auffallend diese Behauptung klingt, so bitte ich doch, sie vorläufig gelten zu lassen. Die Hauptargumentation kann erst dann ihre Stelle finden, wenn wir die vulgüre Tradition genau übersehen werden.

Dieses vorläufige Ergebniss wird nun aber einfach über den Haufen geworfen, wenn Mommsens Ausführungen über das Verhältniss Diodors zu Fabius??) als richtig anerkannt werden müssen. Mommsen

?7) Nach Servius ad Aen. VII 664 ist gessa (gesa) hasta Roma- norum = s8arissae Macedonum; und zu 660 sagt er: nam etiam vi- ros fortes Galli gaesos (al. gesos) vocant. Diese Erklürung vereinigt sich vortrefflich mit der des Namens 'Gaesati. 35) Vgl. Plin. n. h. X 71; Eutr. III 5; Oros. IV 18. 59) a. a. O. (ob. S. 95 A. 2) S. 568. ??) Her- mes XIII S. 401 ff., was Mommsen: die . Katastrophe Hermes XIII S. 547 u. A. 1 anerkennt. *!) Es wird weiter unten ein Punkt zur Sprache kommen, der geeignet ist, diese Ansicht zu stützen. ??) 'Fa- bius und Diodor! im Hermes XIII S. 305 ff; dazu ein Nachtrag: die

104 ' Georg Thouret:

führt Polybius sowohl wie Diodor auf Fabius zurück; da nun Dio- dor die Zerstórung Roms durch die Gallier (XIV 115, 6) und ebenso den Wiederaufbau der Stadt berichtet (ebenda 116, 8 ff.), so wusste Fabius bereits davon, und dann hätte Polybius in der That die Zerstörung zufällig übergangen oder gestrichen.

Ich erinnere zunächst daran, dass Niebuhr, welcher auch Dio- dor auf Fabius zurückführte, gerade das XIII und XIV. Buch, also auch unsre Partie, als nicht Fabianisch bezeichnet hat.9) Leider hat er nirgends seine Gründe dafür angegeben.

Selbstverständlich steht Diodor ein gut Stück von der späteren Tradition entfernt.) Er kennt nicht die Gesandschaft, nicht das Kriegstribunat der drei Fabier, er weiss nichts von der Begegnung des Camillus und Brennus auf dem römischen Forum, aber er erzühlt bereits die Wiedergewinnung des Lósegoldes durch den Dicta- tor Camillus (XIV 117, 4). Im Polybius kommt bekanntlich Camil- lus gar nicht vor, und bisher hat man allgemein daraus gefolgert, dass Diodor, da er diese handgreifliche Fälschung bereits hat, eine jüngere Epoche der römischen Annalistik vertrete als Polybius, dass also, wenn dieser aus Fabius schópfe, Fabius in der vorliegenden Partie nicht die Quelle Diodors sein kónne. Es ist ein eigenthüm- licher Zufall, dass Niese an demselben Orte dieser Ansicht noch ein- mal Ausdruck verlieh*9), an welchem Mommsen sie verwirft.

Mommsen sagt nun S. 322: “Was Polybius aus römischen An- nalen entlehnt hat, darf im Grossen und Ganzen auf Fabius zurück- geführt werden, und ausser Anderem passen die Erzählung der gallischen Katastrophe bei Polybios (2, 18) und die bei Diodor (14, 115) nicht blos völlig in einander, sondern stimmen auch gegen andere Versionen darin überein, dass die Gallier erst nach dreitägi- gem Verweilen auf dem Schlachtfeld in die Stadt einrücken’.°®) Dazu kommt noch als Hauptsache die Anm. 3: “Dass nach Polybios die Gallier nach Empfang des Lösegeldes in die Heimath abziehen, stimmt auch mit der Diodorischen Erzählung. Wenn nach dieser später bei der Entsetzung einer etruskischen Stadt die Römer Beute und Lösegeld zurückgewinnen, so ist dies ein verschiedener Waffen- gang, den übrigens Polybios füglich schon darum übergehen konnte, weil er ihm die Erdichtung ansah'.?")

gallische Katastrophe, ebd. S. 615 ff. ?*) R. G. II S. 629/30. **) Worauf 108 im zweiten Abschnitt eingehen werde. Hier berücksichtige ich Dio- dor nur insoweit er Polybius gegenüber in Frage kommt. Dies bemerke ich ausdrücklich, um voreiligen Vorwürfen zu entgehen. °°) Hermes XIII 8. 412. ?*) Auch im Nachtrag (S. 526) sagt Mommsen: “Dass die Kelten erst am vierten Tage nach der in unmittelbarer Nähe Roms ge- lieferten Schlacht vor den Mauern derselben erscheinen, berichtet über- cinstimmend die ältere Version, das ist Polybius und Diodor. Indessen verweilen nach Diod. XIV 115, 5 die Kelten nur einen Tag auf dem Schlachtfeld und erscheinen am zweiten bereits vor den Thoren, vgl. ob. S. 91. 85 Vgl. d. Nachtr. S. 540.

IN

Ueber den gallischen Brand. 105

Ehe ich auf den entscheidenden Punkt eingehe, möchte ich mich gegen den ersten Satz dieser Anmerkung wenden. Im Nachtrag (S. 540) sagt Mommsen ebenfalls: “Auch Diodors Erzählung zufolge sind die Senonen, wie Polybius sagt, nach der Capitulation Roms im J. 364 unverletzt und ungeschädigt mit ihrer Beute nach Hause ge- langt; dass sie diese im Folgejahr in einem andern Kriege wieder einbüssten, ändert daran streng genommen nichts’. Polybius sagt allerdings zweimal ausdrücklich: ἐπανῆλθον εἰς τὴν οἰκείαν (II 18 und 22). Diodor dagegen nur (XIV 116, 7): ἐπείεθηταν χιλίας λαβόντες λίτρας xpucíou τὴν πόλιν ἐκλιπεῖν Kai ἐκ τῆς Ρωμαίων χώρας ἀπαλλαγῆναι. Genau ebenso drückt sich z. Β. Plutarch aus (Cam. 28): ὡμολογήθη τοὺς μὲν χιλίας λίτρας xpucíou καταβαλεῖν, τοὺς δὲ λαβόντας ἐκ τῆς πόλεως αὐτίκα καὶ τῆς χώρας ἀναχωρεῖν (fast wörtlich ebenso Zon. VII 28). Diodor giebt nirgends auch nur eine Andeutung davon, dass die Kelten in die Heimath zurück- kehrten. Vielmehr sagt er an der späteren Stelle (c. 117, 4) nur, dass die Gallier, welche Camillus schlägt, aus Rom abgezogen seien (τῶν δ᾽ ἀπεληλυθότων Γαλατῶν ἀπὸ ἹΡώμης Οὐεάςκιον τὴν πόλιν 2.0. πορθούντων, ἐπιθέμενος αὐτοῖς αὐτοκράτωρ, καὶ τοὺς πλεί- «τους ἀποκτείνας, τῆς ἀποςκευῆς πάςης ἐκυρίευςεν, ἐν fj xai τὸ xpuciov ἦν εἰλήφεςαν ... καὶ ςχεδὸν ἅπαντα τὰ διηρπαςμένα κατὰ τὴν τῆς πόλεως ἅλωςιν). Wer diese Worte unbefangen er- wägt, wird sie kaum anders verstehen können, als dass Diodor habe sagen wollen, die mit Beute beladenen Gallier seien auf dem Rück- zuge von Rom durch Camillus vernichtet worden. Dass die Be- lagerung von Οὐεάςκιον() ein Kriegszug gewesen, den die Gallier nach ungefährdeter Rückkehr in die Heimath von Neuem (und zwar die Beute wieder mitschleppend) unternommen hätten, sagt Diodor nicht. Nach dem stricten Wortlaut müssen wir also anerkennen, dass in Bezug auf das Verlassen des römischen Gebie- tes Diodor zu Polybius genau so steht wie die jüngeren Quellen überhaupt. Halten wir dies fest!

Nun zur Hauptsache! Versichern wir uns zunächst, so weit wir dies kónnen, dass der Sieg des Camillus über diese Gallier in der Hauptquelle Diodors stand und nicht etwa eine Variante ist. Diodor erzählt nach dem Wiederaufbau der Stadt (c. 116, 8, 9) die Kriege gegen Volscer, Aequer, Etrusker unter Führung des Dicta- tors Camillus (c. 117, 1—4). Hieran fügt er ohne Weiteres die oben citirten Worte: Camillus trifft die aus Rom abgezogenen Gallier bei der Belagerung einer bundesgenössischen Stadt (im Text: Οὐεά- ckıov)®), haut den grössten Theil derselben zusammen und nimmt ihnen Lósegold und Beute wieder ab. Trotz dieser grossen Thaten

8δ) Die Bedenken, welche sich einer Verbesserung dieses Namens in Pisaurum (auf Grund von Servius ad Aen. VI 286) entgegenstellen giebt Mommsen selbst an, vgl. S. 538.

106 Georg Thouret:

- sei er dennoch durch die Missgunst der Volkstribune am Triumph verhindert worden. Nun fährt Diodor fort (117, 5): ἔνιοι δέ aav αὐτὸν ἀπὸ Τούεκων θρίαμβον ἀγαγεῖν ἐπὶ λευκοῦ τεθρίππου xré. Das bezeichnende ἔνιοι δέ qacv rechfertigt vollkommen die An- nahme, dass dieser Triumph “eine zweifelhafte Variante'*??) sei. Auf der andern Seite haben wir nach den Gesetzen der Quellenkritik kein Recht, auch das Vorhergehende als Variante aufzufassen. Denn wo sollen, wo können wir dann noch eine Grenze ziehn? Vielmehr müssen wir die Behauptung, dass Diodor den Sieg des Camillus in derselben Quelle fand, welcher er in der ganzen Partie gefolgt ist, als unwiderlegbar bezeichnen und festhalten.

Die Worte des Polybius nun, welche dem, was Diodor erzählt, schnurstracks widersprechen, stehen in der bereits citirten Botschaft der Boier und Iusubrer an die Transalpiner (II 22). Sie erinnern daran, dass ihre Vorfahren

τέλος ἐθελοντὶ xai μετὰ χάριτος παραδόντες τὴν πόλιν, ἄθραυςτοι καὶ Acıveic ἔχοντες τὴν ὠφέλειαν ἐς τὴν οἰκείαν ἐπανῆλθον.

Mommsen ist der Ansicht, Pol. habe gelesen, was im Diodor steht, habe aber die Camillusanekdote als handgreiflich erfunden gestrichen und dafür die citirten Worte geseizt.") Ist dies richtig, so widerspricht sich Pol, und Diod. nicht direct, beide können eine gemeinsame Quelle, nämlich Fabius benutzt haben.

Ich gebe für einen Augenblick dies zu, fahre aber fort: Wenn Fabius den grössten Theil der abgezogenen Gallier unter dem Schwerte des Camillus fallen liess, so kann er nichts mehr tiber die weiteren Schicksale derselben in der Heimath berichtet haben. Finden wir daher bei Pol. dergleichen Nachrichten, so hat er diese entweder aus sich heraus geschrieben“!), oder einer andern, mithin älteren Quelle (da sie noch nichts von Cam. wusste), entnommen.

Die Worte ἄθραυετοι καὶ Acıveic finden sich, wie gesagt, nicht an der eigentlichen Stelle der Erzählung. An dieser aber (II 18, also vorher), steht Folgendes:

γενομένου δ᾽ ἀντιςπάςματος καὶ τῶν Οὐενέτων ἐμβαλόντων εἰς τὴν χώραν αὐτῶν, τότε μὲν ποιηςάμενοι ευνθήκας πρὸς Ῥω- μαίους καὶ τὴν πόλιν ἀποδόντες ἐπανῆλθον εἰς τὴν οἰκείαν" μετὰ δὲ ταῦτα τοῖς ἐμφυλίοις cuveixovro πολέμοις" ἔνιοι δὲ καὶ τῶν τὰς Ἄλπεις κατοικούντων ὁρμὰς ἐποιοῦντο καὶ ςευνηθροίζοντο πολλάκις ἐπ᾽ αὐτούς, θεωροῦντες ἐκ πα- ραθέεεως τὴν παραγεγενημένην αὐτοῖς εὐδαιμονίαν.

Hier, glaube ich, giebt es keinen Ausweg. Wenn nämlich Je- mand einwirft: Pol. spreche in den letzten Sätzen von den Galliern überhaupt, er könne nicht nur diejenigen von ihnen meinen, welche

3?) Vgl. Mommsen $8. 317/18 u. 537 ff. *% Vgl. den Nach S. 540. Ὁ} ia auf deutsch: lagen, TE vg

-- en un er

Ueber den gallischen Brand. 107

Rom erobert hatten, da diese ein Conglomerat allermóglichen Stämme gewesen, man aber von einem zusammengewürfelten Haufen nicht sagen könne: cuveixovro τοῖς ἐμφυλίοις πολέμοις 50 halte ich einfach den Wortlaut dagegen. Nach diesem und nach dem Zusam- menhang können die Gallier, deren παραγεγενημένην εὐδαιμονίαν die Nachbarn mit neidischen Augen betrachten, nur die Bezwinger Roms, nur die Plünderer Roms sein.??)

Aber auch sonst ist der Einwand hinfällig. Polybius spricht freilich immer nur von ‘TaAataır’. Aber dass auch er einen be- stimmten Stamm derselben vorzüglich im Auge hat, geht aus den Worten hervor: καὶ τῶν Οὐενέτων ἐμβαλόντων εἰς τὴν χώραν αὐτῶν. Von einem Heimathland der gallischsn Nation konnte er füglich so nicht sprechen. Endlich, schöpft Diodor aus Fabius, so hatte Fabius bereits den einzelnen Stamm der Senonen in bestimmten Worten als den Kern des gallischen Heeres bezeichnet (vgl. Diod. XIV 113, 3); eine Auffassung, welche in der gesammten römischen Litte- ratur die herrschende ist.) Ziehn nun auch die Senonen, bevor sie sich auf Rom stürzen, Verstärkungen von allen Seiten her an sich (Diod. XIV 114, 1), so konnte Fabius doch mit vollem Recht nach dem Abzug den Kern des Haufens, nämlich die Senonen, beson- ders heimgeleiten und von ihren weiteren Schicksalen berichten.

Die letzten, ganz harmlosen Bemerkungen über das Schicksal der Plünderer Roms muss also Polybius entweder erdichtet oder anderswoher genommen haben: denn derjenige, welcher den grössten Theil der abziehenden Gallier durch das Schwert des Camillus um- kommen liess, kann das nicht geschrieben haben, was im Pol. steht. Die Annahme nun, dass Pol. im Grossen und Ganzen die Quelle Diodors seinem Auszug zu Grunde legt, in diesem Punkte aber ver- wirft und auf einen älteren Bericht zurückgeht (welchen?), scheint mir völlig unmöglich. Sollen wir also die Ansicht Mommsens auch dann festhalten, wenn sie zu der Consequenz nöthigt, Pol. einer grossen Willkürlichkeit zu beschuldigen? Endlich was die Worte ἄθραυετοι καὶ Acıveic anbetrifft, welche in ihrer prägnanten Kürze allenfalls eine polemische Färbung zeigen könnten“), so erweisen sie sich nunmehr meines Erachtens als einfaches Resultat aus der ausführlicheren eigentlichen Erzählung (II 18), die absolut nichts

43) So versteht auch Lewis die Stelle (Liebr.) II S. 269. *°) Vgl. Liv. V 35, 3; Plin. n. h. III 15, 116; Sil. Ital. Pun. I 624; Sueton Tib. 3; Flor. I 7, 13; de vir. ill. 28, 5; Eutrop. I 20; Ampel. 18; 20; Oros. II 19; Serv. ad Aen. VIII 656; Fest. p. 339; 372 M.; Paul. p. 64 M.; Strabo V 1, 6 p. 212; Plut. Cam. 15. Wenn wir Polybius mit der allgemeinen Ueberlieferung verbinden, so würde das Heer der Gallier aus Senonen, Boiern und Insubrern zusammengesetzt gewesen sein. Damit stimmt vor- trefflich die Notiz des Corn. Nepos (bei Plin. n. h. III 17, 125), dass eben diese drei Stämme vereinigt die Stadt Melpum an demselben Tage zer- stört hätten, an welchem Camillus Veji eroberte. ** Wie Mommsen S. 640 8. E. andeutet.

108 Georg Thouret:

Polemisches enthält, zusammengefasst und ohne jeden Hinter- gedanken von Pol. den Galliern in den Mund gelegt (II 22).

So wage ich zu behaupten, dass die Quelle des Polybius in der That kein Wort von der Camillussage enthielt, dass mithin Diodor in diesem Theile seines Werkes eine jüngere Stufe der Tradition vertritt.

Dasselbe Resultat ergiebt sich aus der Betrachtung eines zweiten Punktes. Ich frage: Was veranlasst die Gallier, Rom zu räumen? Nach Diodor (XIV 116, 7), wie nach der gesammten späteren Tra- dition??): die Unmöglichkeit, das Kapitol den Römern zu entreissen, nach Polybius (II 18) ein “@vricnacua” und der Einfall der Veneter in ihr Heimathland. (6) Jeder wird zugeben, dass der letzte concrete und wahrhaft historisch klingende Grund sich vortheilhaft von der vulgüren Tradition unterscheidet, der man die rómische Tendenz sofort ansieht. Und doch ist man bei der Ansicht Mommsens sofort gezwungen anzunehmen, dass die gemeinsame Quelle Fabius beide Gründe anführte, und dass nur Polybius sich diesen, Diodor jenen auswühlte, Nun dann aber dürfte man erwarten, dass folgerichtig nun auch die Gallier in ihr bedrohtes Heimathland zurückkehren wie bei Polybius —, dass sie sich aber nicht wie bei Diodor noch mit der Belagerung und Zerstörung von etruskischen Städten so lange aufhalten, bis sie der Dictator Camillus erreichen und vernichten kann.*")

Ich glaube somit nachgewiesen zu haben, dass die Ansicht Mommsens: Pol. habe die Camillusanekdote, welche schon bei Fabius stand, verworfen und auf eigne Hand seine Quelle rectificirt, un- haltbar ist. Will man dennoch Fabius als Quelle Diodors statuiren, so ist man zu der Annahme genóthigt, dass Fabius = Polyb. +4 Diod. ist, d. h. dass schon Fabius die Camillusanekdote als Variante go- geben hat, eine Annahme, welche höchst bedenklich ist, weil, wie wir oben (S. 106) gesehen, im Diodor wohl der Triumph des Camillus mit dem weissen Viergespann, aber nicht der Sieg desselben über die Gallier als Variante auftritt.

Um aber vollkommen gerechtfertigt zu sein dafür, dass ich Fabius hier nicht als Quelle Diodors anerkenne, stelle ich die An-

*5) Vgl. Liv. V 48, 7; Dionys XIII fr. 12; Plut. Cam. 28 (daraus Zon. VII 23); Flor. I 7, 17 (Halm); Eutrop. I 20. *°) Auf Grund von Diodor XX 86, 4 verstehe ich γενομένου δ᾽ ἀντιςπάςματος als ihre Aufmerk- samkeit abgelenkt wurde, nämlich durch den Einfall der Veneter. “ἢ Zwischen dem Abzug und der Niederlage fallen nach Diod. der Wieder- aufbau der Stadt und drei Kriege (vgl. ob. S. 101). Alles dies geschieht bei ihm in ein und demselben Jahre wie die Schlacht an der Allia. Für unsere Frage ist es gleichgültig, ob wir hierin Diodor folgen oder mit Mommsen (S. 537) die Ereignisse nach dem Wiederaufbau in das nüchste . Jahr setzen wollen. Denn wichtig würde diese Trennung erst werden, wenn nachgewiesen werden könnte (was nicht möglich ist, vgl. ob. S. 106), dass Diodor gerade an diesem Punkte die Quelle wechselt.

a‘

Ueber den gallischen Brand. 109

nahmen zusammen, welche nöthig sind, wenn Polybius und Diodor einer Quelle folgten. Man muss annehmen:

1. Fabius erzählte: Die Gallier fanden sich bereit, Rom zu ver- lassen, weil sie das Kapitol nicht erobern konnten und weil ihr Heimathland durch die Veneter bedroht wurde; Polybius ent- schied sich für den letzten Grund, Diodor nahm nur den ersten auf.

2. Fabius berichtete: Die Gallier kehrten unbehelligt und mit der Beute in ihre einheimischen Sitze zurück. Es geht aber die Sage, dass Camillus sie vorher vernichtete, ihnen Lösegeld und Beute wiederabnahm; Polybius kümmerte sich um diese Anekdote nicht, Diodor dagegen nahm nur sie in seine Darstellung auf.

3. Fabius berichtete von der Zerstörung der Stadt durch die Gallier und schilderte den Wiederaufbau; Diodor erzählte ihm nach, Polybius tiberging beides.)

Ich gestehe, dass eine Ansicht, welche sich auf solche An- nahmen stützen muss, unannehmbar ist. Bedenken wir aber, dass Alles und dass gerade Alles, worin Diodor von Polybius abweicht, sich mit der vulgüren Tradition deckt: so sind wir nach quellen- kritischer Methode berechtigt, hier einen Widerspruch zu constatiren und zu behaupten, dass, wenn Fabius die Quelle des Pol. ist, Diodor ihn hier nicht benutzt hat.

Alles spricht dafür, dass bei Pol. Fabius zu Grunde liegt. Und hiezu möchte ich noch Folgendes bemerken. Man darf wohl fragen: Woher weiss ein römischer Historiker, dass ein Einfall der Veneter in die Poebene die Gallier, welche Rom besetzt hatten, bewog, nach Hause zu eilen? Dass dies nicht rómische Tradition ist, liegt auf der Hand: dieser ist vielmehr der andere Grund: die Unmöglichkeit, das Kapitol zu erobern, in jeder Beziehung angemessener. Nach der Darstellung des Pol. verdankt Rom streng genommen den Venetern seine Rettung. Die Veneter sind also gewissermassen die Freunde Roms. Das Rüthsel löst sich meiner Ansicht nach, wenn wir uns erinnern, dass die Veneter auch im Jahre 529 a. u. Freunde Roms sind. Sie erscheinen mit den gallischen Cenomanen in der Liste der Wehrfähigen bei Pol. II 24. Ja noch mehr. Wie die Insubrer und Boier Botschaft schicken an die transalpinischen Stämme und sie auffordern, das Schwert zum Entscheidungskampfe gegen Rom zu ziehen, so senden die Veneter und Cenomanen nach Rom und bieten ein Bündniss an (Pol. II 23). Wie Polybius ausdrücklich her- vorhebt (a. a. O.), kam dieses Bündniss den Römern sehr zu Statten, denn die Kelten mussten einen Theil ihrer Streitkräfte znrticklassen, um sich den Rücken und die linke Flanke zu sichern. Die Boier und Insubrer erinnern ihre Stammgenossen jenseits der Alpen an

48) Hier könnte ich mit demselben Rechte aus dem Schweigen des Polybius folgern, dass Fabius die Zerstörung Roms als Variante an- geführt hat.

110 Georg Thouret:

die Thaten der Vorfahren, welche Rom gedemüthigt, sollten viel- leicht die Veneter ihrerseits bei Gelegenheit der Gesandschaft daran erinnert haben, dass ihre Vorfahren schon einmal Rom den Händen der Gallier entrissen hätten? Dies ist nur ein Gedanke und will weiter nichts sein. Jedenfalls wurden die Römer damals auf die Veneter besonders aufmerksam. Wenn nun die Quelle des Polybius die einzige ist, welche bei Gelegenheit der ersten gallischen Invasion die Veneter erwähnt, so darf man nach dem vorher Bemerkten wohl ‚behaupten, dass dieser Umstand die Autorschaft des Fabius, des Zeit- genossen des letzten gallischen Krieges, sehr wahrscheinlich macht.

Ich halte somit daran fest, dass Fabius die Quelle des Polybius ist und die Diodors nicht ist. Bei der vorliegenden Untersuchung kann Diodor erst an zweiter Stelle in Frage kommen: Gentigt Poly- bius, eine Entscheidung zu fällen, ob wir an die gallische Verwüstung glauben sollen oder nicht, dann muss sich Diodor ohne Weiteres beugen.

I. Die nachpolybianischen Quellen.

8 1. Cato, Varro, Cicero.

Diese drei bedeutendsten Gewährsmänner ziehe ich zuerst heran und frage, ob wir bei ihnen directe Zeugnisse für die Zerstörung Roms durch die Gallier finden.

Wenn Cato überhaupt eine Darstellung der ersten gallischen Invasion gegeben hat was nach der Anlage der origines zweifel- haft hleibt —, so kann er es nur im zweiten Buch gethan haben, welches von den gallischen Völkerschaften handelt. Nach dem Vor- gang Wageners bezieht Jordan ?) das von Gellius (XVII 13, 4) über- lieferte Fragment des 2. Buchs der or.: neque satis habuit quod eam in occulto vitiaverat, quin eius famam prostitueret, auf die von Livius (V 33, 3) berührte, von Dionys (XIII 14 u. 15 exc. ambr.) ausführlich behandelte Erzühlung, dass der Clusiner Árruns die Gallier herbeigerufen habe, um sich an dem jungen Lucumo für den mit seinem Weibe begangenen Incest zu rächen. Ist diese Beziehung richtig und es lässt sich nichts dagegen einwenden —, so hat Cato die Ankunft der Gallier in Italien geschildert. Da diese Wen- dung der Sage?") aber innig mit dem Weiterdringen der Barbaren von Clusium gegen Rom zusammenhängt, so ist es möglich, dass Cato auch die Einnahme der Stadt berichtet hat. An dieser Mög-

19) P. XXXIX vgl. p. 10 No. 8. Ebenso urtheilt Peter p. 61 No. 36 nebst adn. °%) Nach derselben soll Arruns die Gallier zuerst mit dem Safte der Reben bekannt gemacht haben. Anders lautet die Massilien- sische Ueberlieferung, nach welcher die Gallier von den Massilioten Wein- und Oelbau gelernt haben, vgl. Justin XLIII 4, 2.

|

Ueber den gallischen Brand. 111

lichkeit mtissen wir uns genügen lassen, weil nunmehr das Material völlig versiegt.

Um einem Missverständniss vorzubeugen, muss ich noch ein anderes Fragment berühren. Festus bringt p. 241 M. (p. 67 Jord.) eine Notiz aus Catos Rede de auguribus. Er sagt: probrum virginis Vestalis ut capite puniretur, vir, qui eam incestavisset, verberibus necaretur: lex fixa in atrio Libertatis cum multis aliis legibus in- cendio consumpta est, ut ait M. Cato in ea oratione, quae de Augu- ribus inscribitur.

Wir kennen weder genau die Lage des atrium Libertatis?!) noch wissen wir etwas über das Alter desselben.) Man könnte also meinen, dass Cato unter dem incendium den gallischen Brand verstehe. Da er indessen dies nicht ausdrücklich bemerkt, so müssen wir seine Worte auf die letztvorangegangene Zerstórung des Gebüudes beziehen. Nun heisst es bei Livius XXXIV 44, 5 unter d. J. 560 a. u.: atrium Libertatis et villa publica ab e isdem (sc. censoribus) refecta amplificataque. Im Jahr vorher war Cato Consul gewesen und in eben dieses Jahr fällt seine erste mit Sicherheit nachzuweisende Rede.) Wann die Rede de auguribus gehalten worden ist, wissen wir nicht, jedoch dürfen wir sie später als das Jahr 560 a. u. setzen. Daraus folgt, dass Cato an diese jüngste Zerstórung des atrium Lib. gedacht haben muss, weil er sonst von seinen Zuhórern nothwendiger Weise missverstanden wurde. Es ergiebt sich also, dass wir nach dem Stand der Ueberlieferung nicht wissen künnen, ob Cato an die gallische Verwüstung geglaubt hat oder nicht.

Zu demselben Resultat kommen wir bei

Varro.

Im Ganzen kommen hier vier Stellen in Betracht:

de 1.1. V 157 (M. p. 61): Busta Gallica, quod Roma recuperata Gallorum ossa, qui possederunt urbem, ibi coacervata ac consepta.

ib. VI 18 (M. p. 80): Dies Poplifugia videtur nominatus, quod eo die tumultu repente fugerit populus; non multo enim post hic dies, quam decessus Gallorum ex urbe etc.

ib. VI 32 (M. p. 85): Dies Alliensis ab Allia fluvio dictus; nam ibi exercitu nostro fugato Galli obsederunt Romam.

de vit. pop. R. II bei Non. p. 34095): ut noster exercitus ita sit fugatus, ut Galli Romae[nisi] Capitoli sint potiti neque inde ante sex menses cesserint. In allen Stellen steht nichts von einer Zer- störung Roms. In der Hauptsache deckt sich Varro mit Polybius. Die von Pol. abweichende Angabe über die Dauer der Occupation

δ Vgl. Becker Top. S. 458 ff; Mommsen Staater.? II! S. 348 A. 6. 5*) Es wird zuerst erwähnt Liv. XXV 7, 12 im J. 540 a. u. (Becker a. 8. O.). 5*) Vgl. Jordan p. LXIII. 5*) Ed. Gerlach et Roth Bas. 1842. Im Text steht: ut Galli Romae Capitoli! sint potiti. Hier muss etwas verderbt sein. Mir scheint die Ergänzung von Popma (nisi) der Streichung von 'Capitoli? vorgezogen werden zu müssen.

112 Georg Thouret:

tritt noch später (bei Florus) in der römischen Litteratur auf und ist mithin von Wichtigkeit für die zum Schluss anzustellende Quellen- untersuchung. Desgleichen weicht Varro, um dies hier anzufügen, von der vulgären Ueberlieferung darin ab, dass er die Höhe des Lösegelds auf 2000 Pfund und nicht wie diese auf 1000 Pfund an- giebt?"), eine Abweichung, welche ebenfalls bei der Quellenfrage zur Sprache kommen wird.

Wir kommen endlich zu Cicero.

Auch bei Cicero haben wir die Thatsache zu constatiren, dass er nirgends in deutlichen Worten von einer Verwüstung Roms durch die Gallier spricht. Suchen wir aus den zerstreuten Notizen seine Stellung zur Vulgata zu gewinnen, so ergiebt sich Folgendes:

Cicero kennt die Verurtheilung des Camillus in den Centuriat- comitien und seine (freiwillige?) Verbannung (de domo 32, 86; ad Corn. Nep. TI 4), die Schlacht an der Allia (ad Att. IX 5, 2), die Einnahme der Stadt (Tuscul. disput. I 37, 90), die Belagerung des Kapitols (pro Font. 10, 20), die Rettung desselben durch M. Man- lius (de domo 38, 101), das unglückliche Schicksal des Manlius (ad Corn. Nep. U 4; de re publ. II 27; Philipp. I 13, 32; II 44, 144). Ich habe oben (8. 96, Anm. 10) die Stelle de div. I 17, 30 citirt als Zeugniss für die Fabel, dass der Krummstab des Romulus nach dem gallischen Brande unversehrt wieder aufgefunden wurde. Ich glaube auch, dass man sie in diesem Sinne verwenden darf59) Hier jedoch kommt es auf den Wortlaut an. Dieser ist:

Quid? lituus iste vester, quod clarissimum insigne auguratus, unde vobis est traditus? Nempe eo Romulus regiones direxit tum, cum urbem condidit. Qui quidem Romuli lituus, [id est incurvum et leviter a summo inflexum bacillum, quod ab eius litui, quo canitur, similitudine nomen invenit| cum situs esset in curia Saliorum, quae est in Palatio, eaque deflagravisset, inventus est integer.

Die Worte sagen nicht, ob Cicero den gallischen Brand dabei im Auge gehabt hat, wie die gewöhnliche Ueberlieferung lautet (vgl. oben S. 96, A. 10). Wenn man bedenkt, wie viele solcher Fabeleien gerade an den gallischen Brand angeknüpft wurden, so künnte man versucht sein, auch hier Fabel und Anknüpfung zu trennen, d. h. aus der Stelle bei Cicero zu schliessen, dass die Sage ging, der Augurstab des Rom. sei bei einem Brande der Kurie der Springer unversehrt geblieben, und dass die Verbindung mit dem gallischen Brand eine weitere Erfindung sei, welche Cicero füglich gar nicht gekannt zu haben braucht. Mag man sich aber entscheiden nach welcher Seite man will, so erlaubt die angeführte Stelle nimmermehr den Schluss, dass Cicero an die Tradition geglaubt hat.

Dagegen können wir mit Bestimmtheit in Bezug auf einen an-

56) Bei Non. III p. 155 s. v. torquem. 5%) Vgl. Mommsen a. a. O. S. 597 A. 83.

zm

Ueber den gallischen Brand. 113

dern Punkt einen direkten Widerspruch zwischen ihm und der Tra- dition verzeichnen. In der Rede pro Caecina macht Cicero gelegent- lich einige Bemerkungen über die Bedeutung des Wortes “unde”. Er fragt c. 30, 87: unde deiecti Galli? a Capitolio. Und fügt hinzu (88): ut, si Galli a maioribus nostris postularent, ut eo resti- tuerentar, unde deiecti essent et aliqua vi hoc assequi possent: non, opinor, eos in cuniculum, qua adgressi erant, sed in Capitolium restitui oportet. Denselben cuniculus erwähnt er beiläufig noch ein- mal (Philipp. III 8, 20). Vielleicht Cicero folgend, stellt Servius ad Aen. VIII 652 die beiden Traditionen gegenüber: (Galli) quos alii per dumeta et sax& aspera, alii per cuniculos dicunt conatos ascen- dere. Diese Nachricht, dass die Gallier versuchten, durch einen Minengang auf das Kapitol zu gelangen, ist sonst völlig verschollen. Sämmtliche uns vorliegende Berichte lassen die Gallier auf einem Fusspfad die Burg ersteigen. Da aber diese letztere Version mit der wunderbaren That des Pontius Cominius die ja an und für sich nicht unmöglich ist —, weiter aber mit der noch viel wunder- bareren Rettung des Kapitols durch die Gänse der Juno eng zu- sammenhängt, so dürfte man nur zu geneigt sein, die einsame Notiz über die Mine für &lter zu halten. Ciceros Worte zeigen an beiden Stellen keine ironische Färbung, er muss also diese Geschichte zum Mindesten für möglich gehalten haben. Auch sonst bringt er be- kanntlich oft die ältesten Nachrichten. Wenn nun, wie es der Fall, sämmtliche Berichte die Vulgata aufweisen, so möchte man von vorn- herein über ihr Alter nicht zu günstig urtheilen.

"82. Die Vulgata.

Es würde zwecklos sein, alle einzelnen Zeugnisse für die Tra- dition zusammenzustellen, welche wir bei Schriftstellern zweiten Ran- ges finden. Ich werde mich daher im Folgenden überall an die Hauptpunkte der Tradition selbst halten.

Ich setze die Ausbildung derselben und ihre litterarische Fixi- rung auf Grund des ersten Abschnittes in die Zeit nach Fabius. Es fragt sich nun, wann ist sie abgeschlossen?

Das Fragment des Ennius:

Qua Galli furtim noctu summa arcıs adorti

Moenia, concubia, vigilesque repente cruentant, welches Macrobius (I 4) aus dem VII. Buch der Annalen citirt und dessen Beziehung auf die Eroberung Roms im J. 364 a. u. nur durch die Aenderung von VII in IIII möglich wird"), ist auf jeden Fall

5r) Vgl. Vahlen quaest. p. XLV und rel. p. 28. Die Aenderung ist eine leichte. Aber ich kann Vahlen nicht beistimmen, dass, wenn die Beziehung des F ents richtig ist, die Abweichung der Ennian. Dar- stellung von der Livianischen eine unbedeutende sei (p. XLV). Ennius hätte stark übertrieben und nicht zu Gunsten der Römer.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. XI. 8

114 Georg Thouret:

zu dürftig, als dass wir daraus ersehen könnten, in wie weit Ennius bereits der Tradition gefolgt ist.

Haben wir unter dem bei Appian de reb. Gall. fr. 6 (Becker S. 39) auftretenden Καύειος Ρωμαῖος 58) den Cassius Hemins zu verstehen, was man im Allgemeinen geneigt ist anzunehmen°?), so wäre Hemina der erste, bei dem wir Spuren der Vulgata direkt nach- weisen können. Das betreffende Fragment erzählt die wunderbare That des Fabius Dorsuo. Auch schliesst man weiter, dass Appian nicht blos diese Stelle, sondern die ganze Partie aus Hemina ent- nommen, und Appian kennt die Tradition in ihrer vollen Ausbildung (vgl. Fragm. 1). Diese Annahme bleibt bei dem Stand der Ueber- lieferung zweifelhaft.

Die Fragmente der Schriftsteller aus der Gracchischen Periode geben uns keinen Anhaltspunkt. Dagegen können wir mit voller Sicherheit behaupten, dass in Sullanischer Zeit die Vulgata fertig ist. Ich meine hier nicht sowohl das Zeugniss des von Plutarch (Num. 1) citirten “KAwdiöc Tıc’, der ‘Ev ἐλέγχῳ χρόνων᾽ die ältere römische Geschichte wegen des gallischen Brandes für gänzlich un- sicher erklärte, von dem man aber sonst nichts weiss 9^), als vielmehr die Fragmente des Claudius Quadrigarius, von denen sich die auf die gallische Katastrophe bezüglichen mit Livius vollständig decken.°!') Ja, wir können sogar noch einen Schritt weiter zurückgehen, wobei uns wiederum der Krummstab des Romulus leiten wird.

In den Praenestin. Fasten steht bei a. d. X Kal. Apr.: (C. I. L. I. p. 315): tubil (feriae) Marti hic dies apellatur ita quod in atrio sutorio tubi lustrantur quibus in sacris utuntur. Lutatius quidem clavam eam ait esse in ruina Pala(ti in)censi a Gallis repertam qua Romulus urbem inauguraverit. Diese Fabel hüngt so innig mit der Tradition zusammen, dass wir beide nicht trennen dürfen. Auch wenn die Anknüpfung erst ein späteres Machwerk sein sollte (vgl. ob. S. 112), so muss doch die Ueberlieferung des gallischen Brandes schon existirt haben. Ich stimme Peter durchaus bei, dass unter diesem Lutatius Lutatius Catulus zu verstehen sei (rell. p. 194 fr. 11).9?) Dieser tödtete sich selbst im J. 667 a. u. (87).9) Mir scheint hiernach das Resultat unzweifelhaft zu sein, dass die Anna- listen der Sullan. Zeit die Tradition ausgebildet vorfanden und dass die litterarische Fixirung derselben in den Ausgang des VI. Jahr- hunderts d. St. zu setzen ist.

58) So die Handschr. Die Aenderung Kóccoc stammt von Valesius, vgl. Schweigh. I p. 81. 5°) Z. B. H. Peter p. 101 fr. 19, vgl. Mommsen à. ἃ. O. S. 528 u. 548. °°) Peter trennt (p. CCXXXXV) diesen Clodius von Quadrigarius auf Grund von Cic. de leg. I 2, 6 (wonach er älter ist als Sempr. Asellio); Unger dagegen identificirt beide nach dem Vorgange von Niebuhr und Schwegler (vgl. Unger: die róm. Quellen des Livius in der 4. u. 5. Dekade; Philologus 1878 3. Supplementband 2. Abth. S. 19). δὴ Vgl. Peter p. 206 ff., namentl. No. 4, 5, 6. 52. Vgl. auch Momm- sen 2.8.0. S. 527 A. 3. °°) Die Stellen siehe bei Peter p. CCLXXI not. 4.

m"

Mg naut cana ERE ERREUR ber ;—— - (0 —-————— 0

Ueber den gallischen Brand. 115

$ 3. Die Berichte.

‚„Gelegentliche Darstellungen bei Dichtern (2. B. Ovid Fast. VI 351 ff), Commentatoren (wie Servius ad Aen. VIII 672) und Spe- cialschriftstellern (wie Frontin strat. II 6, 1; III 13 1; 15, 1) über- gehe ich.) Bemerkenswerthe Abweichungen werden an ihrer Stelle verwerthet werden. Ich wende mich nunmehr zu den Historikern.

Eigentliche Berichte oder doch Fragmente von solchen finden sich bei folgenden Schriftstellern:

Livius, Florus, dem sog. Aurelius Victor, Eutrop, Orosius, Diodor, Dionys, Plutarch, Appian, Dio Cassius, Zonaras. Diese Zahl ver- ringert sich aber sofort für die weitere Betrachtung. Zonaras nüm- lich können wir von vornherein von der Debatte ausschliessen, da er lediglich Plutarchs Biographie des Camillus ausgeschrieben hat.95) Die Fragmente Dios ferner (Beck. p. 23 fr. 25) decken sich bis auf ganz geringfügige Abweichungen so vollkommen mit Livius, dass wir auch Dio bei Seite lassen dürfen. Endlich, da es sich um die Berichte über die gallische Verwüstung handelt, so scheiden auch Aurelius und Eutrop, welche davon nichts berichten, zunächst aus der Betrachtung aus. Es bleiben somit übrig: Diodor, Livius, Dionys, Appian, Plutarch, Florus, Orosius. Aber auch diese Reihe dürfen wir noch verkürzen. Man könnte zu der Untersuchung Peters über Pintarchs Camillus 56) noch Manches hinzufügen: das Resultat der- selben aber, dass Plutarch aus Dionys, vielleicht zum Theil aus Li- vius") geschöpft hat, kann als feststehend bezeichnend werden.

Vergleicht man weiter Dionys-Plutarch mit Livius, so kann auch darüber kein Zweifel bestehen, dass bei beiden nur ein Bericht zu Grunde liegt. Da es mir hier nur darauf ankommt, das Quellen- verhältniss in grossen Zügen zu bezeichnen, so brauche ich nicht auf die schwierige Frage einzugehen, wo Ántias und wo Macer die Quelle ist. Soviel steht nach den Untersuchungen von Nitzsch ®) und Clason9?) fest, dass Dionys-Plutarch und Livius in den unsre Frage angehenden Partieen Schriftstellern der Sullanischen Zeit ge- folgt sind.

Was ferner Florus anbetrifft, so zeigt sich hier besonders deut- lich, dass die gewöhnliche Ansicht, er sei ein Ausschreiber des Li- vius, unrichtig ist. Auf der andern Seite aber ist zuzugeben, dass die geniale Darstellung des Livius einen unverkennbaren Einfluss in der spüteren Litteratur behauptet. Hinsichtlich des gallischen Brandes

* Kaum erwühnenswerth sind die unglaublichen Fabeleien eines Polyaen (VIII 25, 1, vgl. Lewis II S. 272). 58) Jedenfalls bringt Zo- naras zur Bache nichts eues, worauf e hier nur ankommt. 5) Die Quellen Plutarchs etc. 8. 17 f.— $7) Für das sinnlose “κατακολουθήςαντι᾽ in Plut. Cam. 6 wird man kaum eine andere Erklürung finden als die falsche Uebersetzung des Livian. "prosecuisset ( (V 21) prosecutus esset. 565 Vgl. Röm. Ann. S. 158. δὴ) Róm. Gesch: II S. 66 88.

8g*

116 Georg Thouret:

deckt sich Florus mit Livius vollkommen. Orosius endlich folgt zum Theil dem Florus. Was er anders oder mehr als dieser bringt, findet sich bei Livius wieder.

So bleiben schliesslich als die drei Hauptetappen Diodor, Appian und Livius-Plutarch übrig."?)

Auf den ersten Blick schon theilen sich diese Schriftsteller in zwei scharf geschiedene Gruppen. Auf der einen Seite steht Diodor allein, auf der andern alle übrigen. Geben wir den Unterschied nach den Hauptdifferenzpunkten an, so kennt Diodor nicht

1. Die Gesandschaft und das darauf folgende Kriegstribunat der drei Fabier;

2. Die volle Ausbildung der Camillussage.

Auf der andern Seite lassen sich zwei Recensionen unterscheiden: Appian und Livius-Plutarch.

Das Verhültniss dieser drei Etappen wird durch ein Beispiel am deutlichsten werden. Das schlagendste ist die Gesandschaft nach Clusium und das Schicksal der Gesandten.

a. Diodor XIV 113, 5 ff.

Die Rómer schicken zwei Gesandte nach Clusium, um Kund- schaft über die Gallier einzuholen. Die Boten mischen sich dort in den Kampf. Einer von ihnen tödtet einen gallischen Anführer, worauf die Gallier die Auslieferung des Missethäters vom Senat verlangen. Der Senat bietet zunächst Geld als Sühne an. Als dies zurückgewiesen wird, beschliesst er die Auslieferung. Der Vater des Auszuliefernden jedoch bewirkt einen das Votum des Senats cassirenden Volksbeschluss. (Namen werden nicht genannt.)

b. Appian de reb. Gall. fr. 2 u. 8.

Bei ihm erscheint schon die Vulgata. Drei Fabier werden auf das Hülfegesuch der Clusiner an die Gallier abgesandt. Die weitere Entwicklung ist dieselbe wie bei Diodor. Dann aber be- schliesst der Senat nicht mehr förmlich die Auslieferung, und weiter werden die drei Fabier zu Kriegstribunen gewählt. Worin unter- scheidet sich nun Appian von Livius?

1. Er sucht den Völkerrechtsbruch zu mildern und zu entschul- digen. Die Hülfesendung wird bei ihm begründet: (fr. 2) οὐ πάλαι δὲ oi KAoucivoi Ρωμαίοις ἔνεπονδοι γεγονότες ἐπ᾽ αὐτοὺς xar- €puyov. Ferner werden bei ihm die Fabier nicht den Galliern zum Hohn zu Tribunen gewählt, sondern damit man sie nicht auszuliefern brauche. A. sagt (fr. 3): χειροτονοῦει τοὺς Paßiouc ἐπὶ τὴν

m en een

70%) So will ich diese Recension bezeichnen, da Livius durch Dionys- Plutarch ergänzt wird, die Fragmente des Dionys aber an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben dürfen, da die auf die Zerstörung bezüglichen Stücke der Erzählung völlig verloren gegangen sind. 7!) Diese Stellung Appians hat zum ersten Mal Mommsen, dem ich folge, deutlich gemacht, vgl. d. Nachtr. S. 520 u. 648.

Ueber den gallischen Brand. 117

ἐτήςειον ἀρχὴν χιλιάρχους, καὶ τοῖς trpecßevoucı τῶν Κελτῶν Epacav οὐ δύναεθαι νῦν οὐδὲν ἐς τοὺς Φαβίους ἄρχοντας ἤδη. τοῦ δ᾽ ἐπιόντος ἔτους ἥκειν αὐτούς, ἂν ἔτι μηνίωςιν, ἐκέλευον.

2. Appian hat einen Zug nur noch mit Diodor gemeinsam, näm- lich den Versuch des Senats, die Gallier durch Geld zu beschwich- tigen (fr. 3). Endlich bringt er Notizen von frischer Ursprünglichkeit; z. B. sucht sich nach ihm Brennus für die Botschaft an den rümischen Senat die längsten und gewaltigsten Gestalten aus (a. a. 0.).’?)

e. Livius-Plutarch.

Hier tritt nun der grenzenlose Hochmuth der Römer den Bar- baren gegenüber unverhüllt zu Tage. Die Römer befehlen einfach den Galliern, von Clusium abzustehen, obgleich, wie Livius (V 35, 4) ausdrücklich sagt, Clusium in keinem Bundesverhültniss zu Rom stand. Die Ernennung der drei Fabier zu Kriegstribunen ist ein aus- gesprochener Hohn gegen die Gallier (Liv. V 36, 10; Plut. Cam. 18).

Dieses Beispiel genügt, die Stellung der drei Gruppen zu ver- anschaulichen. Die Quelle Appians hatte bereits die ausgebildete Vulgata vor sich. Die Darstellung aber verräth eine ältere Epoche der römischen Annalistik als die ist, welcher die Quelle von Livius- Plutarch angehört. Diodors Bericht repräsentirt die älteste Fassung.

8 4. Der sogenannte gallische Brand.

Diodors Bericht ist auch hier der ktirzeste und einfachste. Er sagt (XIV 115, 6): τῇ τετάρτῃ δ᾽ ἡμέρᾳ γνόντες τὴν ἀλήθειαν (nämlich, dass die Stadt ohne Vertheidiger sei), τάς τε πύλας ἐξ- έκοψαν καὶ τὴν πόλιν ἐλυμαίνοντο χωρὶς ὀλίγων οἰκιῶν ἐν τῷ Παλατίῳ.

Hält man sich streng an die Worte, so spricht er überhaupt von keinem Brande; ἐλυμαίνοντο heisst nur: “sie verheerten' die Stadt. Und da er später beim Wiederaufbau sagt (c. 116, 8): τῶν μὲν οἰκιῶν κατεςκαμμένων (aedibus dirutis), so könnte man daraus folgern, Diodors Quelle habe sich die Zerstörung der Stadt als ein Niederreissen und Einrennen mit Mauerbrechern vorgestellt.) Da nun Diodor die älteste Tradition vertritt, so hätten wir immerhin kein Recht, die eingebürgerte Vocabel “gallischer Brand’ fernerhin zu gebrauchen. Ich für mein Theil möchte die Worte Diodors bei ihrer ausserordentlichen Knappheit nicht derartig pressen, denn

7?) Auf der andern Seite erscheinen bei ihm offenbare Uebertreibun- gen. So tódten die drei Fabier πολλοὺς Κελτῶν (fr. 3), oder gar πολὺ πλῆθος (fr. 2). '*) Mommsen spricht sich auch im Nachtrag nicht deutlich darüber aus, was er eigentlich vom sogen. “Gall. Brande' hält. Seine Worte (S. 527): “Es folgt Schleifung der Häuser und die Verhee- rung der Stadt durch die Fremden’ geben genau den Diodor. Bericht wieder, den M. allerdings von vornherein als den ‘relativ reinsten’ be- zeichnet (8. 616). Aber das ist ja gerade die Frage!

118 Georg Thouret:

sonst könnte man mit demselben Rechte die gleich darauf folgenden Worte (c. 115, 6) pressen, woraus sich dann die ungeheuerliche Vor- stellung ergäbe, dass die Gallier in wenigen Tagen die Stadt flugs eingerissen hätten und dann erst zu der Belagerung des Kapitols geschritten wären.’*)

Einer Vocabel wegen habe ich diese Arbeit nicht unternommen. Um aber gegen jeden Vorwurf gesichert zu sein, will ich erst die Verbrennung und dann die Niederreissung Roms als unhaltbar nach- zuweisen versuchen.

8 5. Der Brand.

Die ersten Worte des 1. Fragments von Appian enthalten in nuce die vulgäre Tradition: Κελτοὶ Ρωμαίοις ἐπεχείρηςαν πρῶτοι, καὶ τὴν Ρώμην εἷλον ἄνευ τοῦ Καπιτωλίου καὶ ἐμπεπρήκαει.

Ich gehe nun näher auf das Einzelne ein:

1. Veranlassung des Brandes.

Die Gallier finden die Thore offen und kommen in eine ver- lassene, freiwillig geräumte Stadt (Liv. V 41, 4; Plut. Cam. 22 in.; Flor. I 7, 14; Oros. II 19 Hav. p. 67; Zon. VII 23). Livius, Plu- tarch, aus ihm Zonaras (alje a. ἃ. Ὁ.) haben übereinstimmend die bekannte Erzählung, dass ein vorwitziger Gallier den M. Papirius, einen der in der Stadt zurückgebliebenen Greise, am Barte zupft. Als dieser dem Frechen dafür einen Schlag mit seinem Stabe giebt, werden alle Greise ermordet, Plünderung und Brand beginnen. Auch Florus (a.a. O.) sagt, dass die Niedermetzelung der Greise das Signal zum Anzünden der Stadt gewesen sei. Orosius (a. a. O.) endlich widerspricht dem nicht, nur verzerrt er das Entsetzliche zum Ab- surden, indem er die Alten sämmtlich noch durch das Feuer um- kommen lässt.

Das Ergebniss ist: die Anzündung Roms ist der freie Wille der Gallier. Sie betreten, wie Livius sagt, sine ira, sine ardore ani- morum die Stadt, die sie dann aus Uebermuth und Plünderungssucht an allen vier Ecken anstecken.

2. Zeit und Dauer des Brandes.

Nach allen Berichten beginnt der Brand gleich am ersten Tage. Ueber die Dauer wird nichts Bestimmtes gesagt. Nach dem Erfolg zu urtheilen muss das Feuer tagelang gewüthet haben.

3. Erfolg des Brandes.

Nach Plutarch Cam. 31 ist so ziemlich Alles verbrannt. Da die Römer später die Mauern wieder aufbauen müssen (c. 32 med.

1 Anders sind die folgenden Worte nicht zu verstehen: ... ἸΤαλατίῳψ᾽ μετὰ δὲ ταῦτα προςβολὰς ποιούμενοι καθ᾽ ἡμέραν πρὸς ὀχυροὺς τόπους, οὐδὲν μὲν ἀξιόλογον ἔβλαπτον τοὺς ὑπεναντίους, ἑαυτῶν δὲ πολλοὺς ἀπ- ἐβαλλον κτέ. Die ὀχυροὶ τόποι können nur das Kapitol sein.

u. RE . ar.

Ueber den gallischen Brand. 119

vgl. Zon. VII 23 extr.), so sind also auch diese zerstört. Sicher un- versehrt blieb nur der Krummstab des Romulus (c. 32 extr.).

Dieselbe Ausdehnung giebt Florus der Zerstörung. Er sagt (I 7, 14): facesque tectis iniciunt et totam urbem igni ferro manibus exaequant. .

Orosius äussert sich ebenso (II 19). In seiner Weise malt er in düsteren Farben ein grauenvolles Bild der Verwüstung.

Livius ist in sich widersprechend. Nach der eigentlichen Dar- stellung brennt Alles nieder. Die Römer auf dem Kapitol hören das Prasseln der Flammen, das Dröhnen der einstürzenden Häuser (V 24, 4). Das Endergebniss ist: omnia flammis ac minis aequata (V 42, 7; 48, 2). Später aber fordert Camillus mit flammenden Worten die Seinigen auf, “im Angesicht der fana deorum’ tapfer zu kämpfen (V 49, 3). Darnach müssen einige Tempel stehen geblieben sein (vgl. auch V 50, 2; 6), womit auch stimmt, dass es von Ca- millus heisst (49, 4): instruit aciem, ut loci natura patiebatur, in semirutae solo urbis.

Endlich versammelt sich gleich in den ersten Tagen nach dem Abzuge der Feinde der Senat nach altgewohnter Weise in der hosti- lischen Kurie (c. 55, 1), welche an der Nordseite des Forums stand.) Sie ging bei der Leichenfeier des Clodius i. J. 703 a. u. zu Grunde'*), der gallische Brand verschonte sie.

Ziehen wir ab, was auf Rechnung der Schilderung zu setzen ist, so verbrannte Stadt und Mauer mit Ausnahme einiger Gebäude.

4. Der Wiederaufbau.

Liv. VI 3, 6: intraque annum nova urbs stetit.

Plut. Cam. 32 med.: ἐντὸς γὰρ ἐνιαυτοῦ AETETM.... καινὴ .... ἀναςτῆναι πάλιν (daraus Zon. VII 23). Man gab von Staatswegen Ziegel her (tegula publice praebita Liv. V 55,2). Jeder konnte bauen, wo er Lust hatte (ebd. 55, 4). Die Folge davon war, dass die Strassen krumm und schief wurden und dass die alten Kloaken nicht mehr den Strassen folgten, sondern zum Theil unter den Häusern weg- liefen (55, 5). |

Das ist der uns vorliegende Bericht —, glänzend ist er nicht.’”)

Meine Taktik wird nun nicht darin bestehen, dass ich Alles zusammensuche, was nach der späteren Ueberlieferung noch vom ältesten Rom bis auf die letzten Zeiten der Republik oder bis zum

75) Vgl. Becker Top. S. 284. 75. Die Stellen bei Becker Top. S. 310 Anm. 545. Τῇ Diejenigen Widersprüche, welche lediglich Livianisch sind, habe ich günzlich übergangen: Die Stadt ist nach Livins (V 41, 6) leer und todtenstill. Nur die Greise sitzen in den Vestibulen ihrer Häuser. Sie werden erschlagen, also ist eigentlich nun Alles menschenleer! - Trotzdem heisst es c. 40, 10: post principum caedem nulli deinde mor- talium parci. Wo kommen diese Sterblichen her? vgl. auch c. 42, 4. Aehnlich áussert sich übrigens Plut. Cam. 22 extr.

120 Georg Thouret:

Brande unter Nero erhalten blieb. Nur eins möchte ich von Rom von vornherein retten und zwar die Mauern.

Erstens konnte Feuer den gewaltigen Mauern des Servius oder gar dem colossalen Wall auf der nordöstlichen Seite”®) kaum etwas anhaben. Ferner is$ es eine Thatsache, dass Rom von der Könige Zeiten bis auf Aurelian keine neuen Mauern erhalten hat.'?) Die Servianischen sind auch heut noch erkennbar. Man darf auch nicht Stellen wie die folgenden für die Tradition anführen:

Liv. VI 32, 1: (Es wird ein tributum ausgeschrieben) in murum & censoribus locatum saxo quadrato faciendum; oder

Liv. VII 20, 9: legionibusque Romam reductis relicum anni muris turribusque reficiendis consumptum.

Dies sind wirklich alte, echt historisch klingende Ángaben. Aber jene Stelle gehört ins J. 376 a. u., diese 401 a. u. Nach der ersten hätten also die Römer erst zwölf Jahre nach dem Brande angefangen, die Mauern wieder aufzubauen, was undenkbar ist. Es handelt sich vielmehr in diesen Stellen um Refectionen, welche natürlich wieder- holt nöthig wurden, denen wir auch später noch begegmen®®), und die erst aufhören, “als kein Hannibal mehr vor den Thoren zu fürchten war?!

Da nun Plutarch der einzige ist, welcher von einer Zerstórung der Mauern spricht, so werden wir aus den angeführten Gründen berechtigt sein, sein Zeugniss zu streichen.9?)

Ich frage nunmehr: Welche Bedeutung hat der Brand in der Geschichte der unmittelbar folgenden Zeit? Ist dieses tief einschnei- dende Ereigniss historisch, so muss es Spuren seiner Bedeutung selbst in der verworrensten Ueberlieferung zurlickgelassen haben. Dies ist nun nicht der Fall.

Erwähnt wird der gallische Brand im Folgenden noch mehr- fach, insofern vom Wiederaufbau der Stadt die Rede ist (Liv. VI 4, 4; 5, 1; 5, 5; 11, 9). Aber eben der Wiederaufbau spielt gar keine Rolle.

Es ist die allgemeine, von den besten Schriftstellern bezeugte®?), und somit nicht zu bezweifelnde Ueberlieferung, dass Rom nach dem Abzuge der Gallier von seiner Höhe heruntergeworfen ist und von allen Seiten bedroht dasteht. Volscer, Etruscer, Latiner, Herniker greifen sofort zum Schwert (Liv. VI 2). Dabei kann es dahin ge- stellt bleiben, ob gerade diese Namen richtig sind. Als Tag der Allia- schlacht ist der 18. Juli überliefert. Die Occupation der Stadt dauert

18) Vgl. Becker Top. 8. 171; Jordan Top. d. St. R. 1 8. 214. τὸ Vgl. Becker Top. B. 182; Jordan I S, 201 S, bes. S. 840 u. A. 1. 8). Z. B, im J. 640 ἃ. u. Liv. XVI 7, 3: creati eunt quinque viri muris et turribus reficiendis. δὴ) Becker Top. S. 183. *?) Zon. VII 23 extr. ist kein zweites Zeugniss, da er Plut. ausschreibt. 58) Ich erwähne nur Polyb. I 6; II 18 u. Varro d. 1. 1. VI 18 M. p. 80.

Ueber den gallischen Brand. 121

sieben Monate®®); mithin werden die Römer ungefähr im Frühjahr wieder Herren ihres Vaterlandes. Das astronomische Jahr stimmte damals ziemlich genau mit dem kalendarischen zusammen.?") Man ging also einem Sommer entgegen. Sollen wir annehmen, die Feinde hätten mit ihrem Angriffe so lange gewartet, bis Rom wieder auf- gebaut war? Vielmehr erscheint denn auch Camillus in den Kapitol. Fasten sowohl wie in den Berichten der Schriftsteller sofort nach dem Abzuge der Gallier als Dietator (III). Die Stadt ist ein Schutt- haufen und doch heisst es von Camillus (Liv. VI 2, 6): iustitioque indicto dilectum iuniorum habuit, ita ut seniores quoque, quibus aliquid roboris superesset, in verba sua iuratos centuriaret. exercitum conscriptum armatumque irifariam divisit. Also die Römer stellen zu gleicher Zeit drei Heere auf, mit der verbrannten Stadt im Rücken. Ebenso heisst es weiter (VI 4, 1): Camillus in urbem triumphans rediit, trium simul bellorum victor. Und wie wenn der Schriftsteller sich plötzlich erinnerte, dass ja in Rom gebaut werdeu müsste, lässt er nun Alles mit emsigem Eifer bauen (VI 4, 6). Die grösste That, welche die Römer jemals vollbracht mit einer ver- brannten Stadt im Rücken drei Feldzüge zngleich zu führen sie verschwindet unmerklich in römischer Tradition.

Ich muss gestehen, wenn die Römer, wie es historisch ist, im Besitz des unversehrten und (nach Diodor XIV 115, 2) neubefestigten Veji waren, als dieser Sturm losbrach, so ist es fast unglaublich, dass sie die Brandstätte der Veste vorzogen. Wenn man einwendet: ‘die Römer sind wahrscheinlich erst dann definitiv nach Rom zurück- gekehrt, nachdem sie sich etwas Luft nach Aussen gemacht’, so wirft man die Berichte um, und weiter will ich nichts.

Einen Ausweg gibt es! Man könnte argumentiren: die andern Städte sind vermuthlich auch zerstört worden und mussten also ebenso wie Rom erst wieder aufgebaut werden. Nun ist es aber höchst auffallend, dass von den Städten ringsum keine faktisch zer- stört worden zu sein scheint. Alle diejenigen, welche vor der gallischen Invasion eine Rolle spielen, treten auch nachher sofort wieder auf. Von den Städten auf dem rechten Tiberufer kann man absehen, da sich der Vorstoss der Gallier auf dem linken gehalten zu haben scheint.) Wichtiger sind die Städte in der unmittelberen Nähe Roms. Nach unsern Berichten sind sie unversehrt, wie

Bolae Liv. VI 2, 14. Antium » » 6,4;9,1. Satrieum 7,1. Circeji » » 12, 6.

**) Resp. nach Varro (vgl. ob. S. 111) 6 Mon.; Servius ad Aen. VIII 652 giebt sogar 8 Mon. an. Doch hat der gute Cd. Guelferbyt. I nicht octo sondern *cumque', woraus man auch quinque lesen könnte. 95) Vgl. Mommsen: R. €hron.? S. 202,8. **) Seit Clusium, welches auf dem rechten Ufer liegt.

122 Georg Thouret:

Velitrae Liv. VI 12, 6. Lanuvium , 21,2. Praeneste Tusculum Gabii VI 21, 9. Labici 8 Städte, Praeneste unterthan 29, 6. Setia 30, 9. Ecetra - 31, 5. Wozu man noch Ardea aus der Camillussage hinzufügen kann. Ja bei Varro®”) befindet sich sogar das winzige Ficulea, drei Millien von Rom, unter den Gegnern. Es muss also auch unversehrt geblieben sein, worüber sich schon Niebuhr wunderte.®®)

Wie soll man sich dies Alles zusammenreimen? Nach Livius freilich ist Alles in Ordnung. Er erzählt nämlich: Als die Gallier von Clusium aufbrachen, um Rom zu züchtigen, da wäre ein ge- waltiger Schrecken durch alle Städte gegangen; überall hätte man sich bewaffnet, um wenigstens das Leben zu vertheidigen. Die Gallier aber hätten die Gemüther beruhigt und bekannt gemacht: Romam se ire (magno clamore significabant Liv. 37, 5). Genau dasselbe sagt Plutarch Cam. 18 (ἐβόων ἐπὶ τὴν Ρώμην πορεύεεθαι καὶ μόνοις πολεμεῖν Ῥωμαίοις, τοὺς δ᾽ ἄλλους φίλους ἐπίεταςθαι). Da nun Camillus später die Gallier bis auf den letzten Mann vernichtet, so wäre die Möglichkeit gegeben, dass sie keine Stadt weiter zerstörten. Aber wer wird Livius dies glauben? Es klingt gerade so, wie wenn Jemand die Soldaten Tilly's auf ihrem Zuge gegen Magdeburg Mani- feste moderner Kriegführung unter die Bevölkerung ausstreuen liesse. Gewiss sengen und brennen die Gallier, genau so wie die Römer. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass sie auch Rom verbrannten, ebensowenig wie die Römer Veji sofort dem Erdboden gleichmachten.

Wenn ich durch die bisherige Darstellung die Ueberzeugung bei dem Leser habe hervorrufen können, dass es mit den vorhandenen Berichten über den gallischen Brand überraschend traurig steht, so habe ich erreicht, was ich wollte. Nunmehr stelle ich diesen vul- gären Bericht dem des Polybius gegenüber.

Ich frage: Warum verbrennen die Gallier Rom? Aus Rache!®?). Warum belagern sie also das Kapitol? Folgerichtig um es aus- zuplündern und ebenfalls zu zerstören. Nun, ist es wirklich denk- bar, dass die Gallier in den ersten Tagen nach der Einnahme die Stadt ausplündern und anzünden und dann sieben Monate lang das Kapitol belagern? Ja, ich frage sogar: Konnten sie überhaupt das? Es sei mir eine Parallele gestattet. Im J. 69 p. Chr. nehmen die Truppen des Antonius Primus Cremona mit Sturm und ver-

5) Dell. VI 18 M. p. 80. **) R. G. II S. 640 Anm. 1257. *9) Ich folge hier der Tradition.

u

Ueber den gallischen Brand. 123

brennen die Stadt bis auf einen einzigen Tempel, der ausserhalb der Ringmauer’stand (Tac. hist. III 33); die Localität muss also ähnlich ausgesehen haben wie in Rom. Gemordet wurde wenig oder gar nicht (ebd. c. 34). Was war nun die Folge? Nach wenigen Tagen schon mussten die Soldaten die Brandstätte räumen. Tacitus sagt (c. 35 in.): ceterum adsidere sepultae urbis nimis noxia tabo humus haud diu permansit! Die Gallier aber sollen sieben Monate lang, zum Theil in der heissesten und ungesundesten Jahreszeit?) auf der Brand- stätte gehaust haben, ringsum von Feinden umgeben und noch mit dem Ballast der Beute beschwert. Mir scheint dies geradezu eine physische Unmöglichkeit zu sein. Die Einäscherung Roms ist nur zu verstehen, wenn die Gallier die Stadt ausplündern, vielleicht einen Sturm auf das Kapitol versuchen, die Stadt an allen vier Ecken an- zünden, die Beute aufpacken und weiter ziehen. Damit haben sie ihren Zweck erreicht, wenn ihr Zug ein Rache- und Raubzug war. Die Polybianische Angabe einer siebenmonatlichen Occupation der Stadt lässt sich damit nicht oder doch nur in höchst gezwungener Weise vereinigen. Da nun Pol. kein Wort von einer Verbrennung Roms sagt, so sind wir berechtigt, hier einen Widerspruch zu con- statiren. Ist dem so; dann müssen wir eine Entscheidung treffen, und da zweifle ich keinen Augenblick, mich für Polybius zu ent- scheiden.?!)

8 6. Die Niederreissung Roms.

Die physische Unmöglichkeit verschwindet zum Theil wenigstens, wenn wir annehmen, die Gallier hätten Rom nicht verbrannt, sondern niedergerissen. Da sich diese Annahme nur auf den absoluten Wort- laut Diodors stützen würde, so habe ich das Recht zu prüfen, ob sich dieser Wortlaut mit den Consequenzen deckt, welche jene An- nahme nothwendig nach sich zieht.

Wir sind zunächst gezwungen, Diodor insofern zu berichtigen, dass eine Niederreissung Roms in wenigen Tagen ein Unding ist.??) Ferner: worauf beruht die Bedeutung einer antiken Stadt, worauf die Bedeutung Roms? Auf seiner Mauer. Will man eine antike Stadt zerstören, so muss man die Mauern niederreissen, wie wir dies aus

9?) Die ungesundeste Jahreszeit war im alten Rom schon die Zeit von Juni bis Mitte October. Im August erreicht das Malariafieber seinen Höhepunkt, vgl. Jordan Top. I S. 143. Jordan sieht in der alten 'pesti- lentia! eine perniciöse Form der Malaria (a. a. Ο. S. 150). °') In an- derem Zusammenhang verwirft Ihne (R. G. I S. 229) die sieben Monate. Er sagt: “wir irren wobl nicht, wenn wir diese Berechnung herleiten aus dem jedenfalls erdichteten Triumph, den Camillus im Februar des folgenden Jahres, also sieben Monate nach der Schlacht an der Allia

efeiert haben soll’. Mir scheint umgekehrt das Datum des erfundenen

T'riumphes (Plut. Cam. 30) nach den sieben Monaten erfunden zu

sein. Lewis (Liebr.) II S. 276/77 hat den Widerspruch deutlich gefühlt, 55. Vgl. ob. S. 118 Anm. 74.

124 Georg Thouret:

zahlreichen und berühmten Beispielen deutlich erkennen. Wollen also die Gallier Rom wehrlos machen, so müssen sie die Mauern ein- rennen. Unglücklicherweise sagt nun aber gerade Diodor das nicht, sondern er spricht bei Gelegenheit des gar nicht knappen Berichts über den Wiederaufbau (XIV 116, 8 u. 9) durchaus nur von nieder- gebrochenen Häusern und von wiederaufgebauten Strassen. Die Mauern kommen bei ihm überhaupt nicht vor. Also gerade da, wo es darauf ankommt, sagt er das Falsche! Ferner haben wir gesehen, dass die Mauern jedenfalls stehen geblieben sind. Auf der andern Seite kommt mir die Vorstellung ungeheuerlich vor, dass die Gallier sieben Monate das Kapitol belagern und während dessen ein Gebäude nach dem andern demoliren. Da scheint mir die Brandfackel der Situation viel besser zu entsprechen. Endlich liegt den Worten Diodors (115, 6) keine Andeutung eines systematischen Zerstórungs- werkes, sondern offenbar dieselbe Vorstellung zu Grunde, welche alle Berichte durchzieht: nämlich die einer sofortigen, gewaltsamen Ver- wüstung, wozu das Element des Feuers nöthig ist.

So werden wir die Niederreissnng Roms nicht aufrecht erhalten kónnen, wenn wir die Verbrennung verwerfen.

8 7. Der Wiederaufbau.

Hätte Diodor wirklich eine ganz andere Vorstellung von der Zerstórung der Stadt als Livius, so würde dies für ein hohes Alter seiner Quelle sprechen. Wie wir gesehen haben, ist diese Ansicht nicht durchführbar. Aelter ist Diodor jedenfalls. Wie schtüüchtern tritt bei ihm die Verwüstung Roms auf: ἐλυμαίνοντο τὴν πόλιν χωρὶς ὀλίγων οἰκιῶν ἐν τῷ Τ]αλατίῳ, gegen die grossartige und breit ausgeführte Schilderung des Livius. Hier hatte die Phantasie den freiesten Spielraum, und sie hat ihn gründlich aus- genutzt.

Wenn aber etwas geeignet ist, uns gegen ein sehr hohes Alter der Quelle Diodors skeptisch zu stimmen, so ist es sein Bericht tiber den Wiederaufbau der Stadt. Wir finden ihn, um einige gleichartige Glieder erweitert, vollständig bei Livius wieder. Was aber die Haupt- ursache ist: Diodors Bericht besteht bereits aus Versuchen, spütere Zustünde in den baulichen Verhültnissen Roms durch den flüchtigen Aufbau zu erklären. Er erzählt (XIV 116, 8): “Da die Häuser in Trümmern lagen und der grösste Theil der Bürgerschaft umge- kommen war, gaben die Römer Jedem, der bauen wollte, die Er- laubniss zu bauen, wo es ihm beliebte; man gewährte von Staats- wegen Ziegel (δημοςείας κεραμῖδας), di μέχρι τοῦ νῦν πολιτικαὶ καλοῦνται. Als nun Jeder nach seinem Gefallen baute, so geschah es, dass die Strassen eng und krumm wurden; daher konnte man auch später dieselben nicht wieder gerade machen’. Vergleichen wir damit Livius, so erscheinen auch bei ihm “Staatsziegel? tegula publice praebita est (V 55, 3); auch er sagt: festinatio curam exemit

Ueber den gallischen Brand. 125

vicos dirigendi (55, 4). Er fügt nun noch hinzu (55, 5): ea est causa, ut veteres cloacae, primo per publicum ductae, nunc privata passim subeant tecta, formaque urbis sit occupatae magis quam di- visae similis. An früheren Stellen hatte er bereits die Namen der Oertliehkeiten doliola (V 40, 8) und busta Gallorum (48, 3) auf den gallischen Brand zurückgeführt.

Dass die Strassen des republikanischen Roms eng und krumm waren, ist gar nicht zu bezweifeln®®); dass die Kloaken theilweis unter den Häusern wegliefen wird eine thatsächliche Beobachtung ge- wesen sein; dass man in Rom von tegulae resp. figlinae publicae sprach, kann durchaus als richtig anerkannt werden, ohne dass dess- halb die gallische Verwüstung ein historisches Faktum zu sein braucht. Wie viele solcher etymologischen Erklärungsversuche giebt es nicht in der römischen Literatur, und wie willkürlich sind die An- knüpfungen dergleichen thatsächlicher Verhältnisse der Gegenwart an Vorgänge alter und uralter Zeit. Sehr häufig und das ist der beste Beweis für die Unzuverlässigkeit existiren verschiedene Deutungen. So weicht Varro in der Erklärung der busta Gallorum von Livius ab°), und obgleich er in Bezug auf die doliola wörtlich mit ihm übereinstimmt, so giebt er doch zwei Erklärungen von der Entstehung des Namens, von denen keine sich mit der des Livius deckt und keine an den gallischen Brand ankntüpft.) Wie frei in dieser Beziehung die Fabelsucht schaltete, dafür haben wir ein an- deres schlagendes Beispiel Es gab ein römisches Sprtichwort des Sinnes: sexagenarios de ponte deici oportere. Varro versucht das- selbe zu erklären®®), einen zweiten Versuch finden wir bei Festus.?") Aber erst bei Festus erscheint die Anknüpfung an den gallischen Brand: nämlich dass man nach demselben aus Mangel an Lebens- mitteln die alten Leute von 60 Jahren in den Tiber geworfen habe, wovon Varro noch keine Silbe sagt.) Endlich, was den Wieder- aufbau betrifft, so haben wir ein directes Zeugniss gegen Livius und Diodor. Wer unbefangen diesen Fragen gegenüber steht, wird nicht leugnen, dass zwischen den κεραμῖδες πολιτικαί bei Diodor und den tegulae publicae bei Livius ein unverkennbarer Parallelismus zu Tage tritt. “tegulae’ können nur Dachziegel sein, also werden wir " naturgemäss unter κεραμῖδες dasselbe verstehen.) Nun hat uns der Zufall aber ein ganz positives Zeugniss des Nepos erhalten (bei Plinius n. h. XVI 10, 36), dass Rom bis zum Kriege mit Pyrrhus, 470 Jahre lang nach seiner Gründung mit Holzschindeln gedeckt

38) Das beste Zeugmiss ist Cicero contra Rull. II 85, 96. ?*) De l. 1. V 157 M p. 61. ?* De1.1. a. 8. O., vgl. Liv. V 40, 8 (Varro: ubi non licet despuere; Liv.: ubi nunc despui religio est) *5) Bei Non. p. 868 (s. v. sexagenarios per pontem). "ἢ P. 334 M. (s. v. sexagena- rios) ἢ) Ueber die zahlreichen Sagen, welche sich an die gallische Katastrophe knüpften resp. geknüpft wurden vgl. Schwegl. Ill S. 259 ff.; Lewis II S. 966 u. A. 109. 59) Vgl. dagegen Mommsen a, a. O. 8.686 A. 1.

126 Georg Thouret:

gewesen ist. Wäre Diodors Bericht Fabisch, so wüsste man füglich nicht, wie Nepos zu dieser ganz bestimmten Angabe käme, die sich mit den Worten des Fabius, des ältesten Annalisten, nicht vereinigen liesse, Da wir aber die Quelle Diodors nicht kennen, so werden wir keinen Augenblick Bedenken tragen!", das Zeugniss des Nepos als glaubwürdiger anzuerkennen, wodurch freilich der Glaube an ein hohes Alter des Diod. Berichts stark erschüttert wird.

Ich formulire schliesslich das Resultat dahin: dass die vor- handenen Berichte über den Wiederaufbau der Stadt nur geeignet sind, uns in dem Zweifel an dem Faktum der Zerstórung überhaupt zu bestürken.

. III. - Die Lösung.

Die siebenmonatliche Occupation der Stadt verträgt sich meiner Ueberzeugung nach nicht mit einer wlsten Plünderung und Zer- störung Roms. Abgesehen von Allem andern spricht hierfür die merk- würdige Erscheinung, dass, wo in der Vulgata die Zeitdauer der Occupation angegeben wird, dieselbe offenbar zum Uebrigen nicht passt. Diodor und Livius haben hierüber keine bestimmten An- gaben 101), ebensowenig die fragmentarisch überlieferten Berichte der Historiker. Die Dauer der Occupation wird bestimmt verzeichnet nur bei Plutarch und Florus, wozu wir noch Servius fügen können. Orosius wiederholt nur den Florus in solchen Angaben.

Plutarchs Darstellung ist in der Partie, welche uns hier angeht, geradezu identisch mit der des Livius. So berichten auch beide ein- stimmig, dass die Gallier gleich in den ersten Tagen Rom anzünden. Da Alles verbrannte, erzühlt Livius (V 42 ff) weiter, so wurde auch das Getreide vernichtet, welches in der Stadt aufgespeichert lag. Da die Römer aus den in unmittelbarer Nähe gelegenen Feldern soviel Getreide wie möglich nach Veji geschafft hatten, so trat bei den Galliern sofort Mangel ein, und sie mussten einen Theil ihrer Mann- schaft auf Fouragiren ausschicken.

Plutarch müsste streng genommen ebenso erzühlen, da genau dieselben Elemente bei ihm zu Grunde liegen. Nun kennt er aber die siebenmonatliche Occupation der Stadt (vielleicht nach Dionys. vgl. Cam. 28, 3; 30, 1), und diese so historisch klingende Angabe wil er verwerthen, deshalb sagt er (c. 23, 1): τῆς δὲ πολιορκίας μῆκος λαμβανούεης ἐπιειτιςμοῦ τοῖς Γαλάταις ἔδει. Man muss Livius zugeben, dass, wenn die Stadt verbrannte, auch das Getreide ver- brannte. Damit Plutarch Recht habe, muss man zn den aller- trivialsten Annahmen seine Zuflucht nehmen: z. B. die Gallier hätten

100) Ich verweise auf Jordan Top. I S. 633 A. 61. 191) Ich erinnere daran, dass Diodor auch diese so bestimmt lautende Angabe (7 Monate bei Polybius) zufällig ausgelassen haben müsste, wenn er aus Fabius schöpfte.

Ueber den gallischen Brand. 127

Getreidevorrath auf Monate mit sich geführt; oder, sie hätten erst das Getreide in Sicherheit gebracht, ehe sie die Stadt ansteckten.

Bleiben wir lieber bei unserm Livius. Deutlich erkennen wir, dass hier nur ein ursprünglicher, poetisch gefärbter Bericht vorliegt, der sich um genaue Daten gar nicht kümmerte, und dass die sieben Monate, welche Plutarch nebenher bringt, ein heterogenes Element bilden.

Florus giebt wie Varro die Dauer der Occupation auf 6 Monate an (I 1, 15).'%) Nun ist es bezeichnend, dass er bei dieser Angabe selbst stutzt. Vorher hat er die Ermordung der Greise geschildert, dann führt er fort: facesque tectis iniciunt et totam urbem igni ferro exaequant. sex mensibus barbari quis crederet? circa mon- iem unum pependerunt etc. Offenbar fühlt er, dass Beides schlecht zusammenstimmt. Wenn die Gallier die Stadt plündern und ver- brennen, so ist es unverständlich, dass sie sechs Monate vor dem Burgfelsen liegen bleiben.

Auch bei Servius endlich (ad Aen. VIII 652) künnen wir eine Art von Compromiss erkennen. Er folgt hier ganz der vulgüren Tradition, und er verbindet damit die Angabe einer achtmonatlichen!?*) Occupation in der Weise, dass er sagt: cuncta vastarunt octo integris mensibus, adeo ut quae iucendere non poterant, militari manu diruerent solo remanente Capitolio. Somit lüsst er, eigentlich ab- weichend von den andern Berichten, die Zerstörung acht Monnte dauern. 10*)

Fassen wir diese Sachlage ins Auge, so scheint mir der Schluss unvermeidlich zu sein, dass die dauernde Occupation der Stadt einem andern Gedankenkreis angehórt als die Plünderung und Verbrennung Roms. Die gallische Verwüstung ist eine Folge der vulgären Dar- stellung der gallischen Invasion als eines Rachezuges. Fassen wir also das Uebel an der Wurzel an und fragen wir: Wie steht es mit dem Bachezuge?

Wie ich bereits bemerkt habe, stimmt Diodor auch darin mit der allgemeinen rómischen Tradition überein, dass die Senonen den Kern des gallischen Heerhaufens bildeten (XIV 113, 4). Er giebt ihre Zahl auf 30,000 junger Mannschaft an. Ehe sie sich auf Rom stürzen, ziehen sie von allen Seiten Verstärkungen an sich, so dass ihre Zahl schliesslich 70,000 übersteigt (114, 1). Ich muss ge- stehn, die Vorstellung, dass sich 70,000 Gallier auf Rom stürzen, um den Todtschlag eines ihrer Anführer zu rächen, hat etwas Fabel- haftes. Ich will keineswegs leugnen, dass durch einen Vorgang der Art, wie die Vulgata erzählt, die Blicke der Gallier auf Rom gelenkt worden sind, ich will aucl? nicht mit allgemeinen Erwägungen die

19*) Nach ihm Oros. II 19 Hav. p. 68, wovon später. 193) S. oben Anm. 84, !?*) Orosius stellt sich die Sache offenbar ebenso vor, da er von einer 'capüivitas desaeviens sex mensibus’ spricht.

128 Georg Thouret:

Tradition angreifen, sondern ich gehe auch hier auf Polybius zurück, um zu prüfen, wie sich seine Darstellung zu der Vulgata verhält. Ich behaupte, dass seine wenigen Worte genügen, diese Frage zu entscheiden.

Wollten die Gallier weiter nichts, als Rom verwüsten, so haben sie ihre Absicht erreicht, selbst wenn das Kapitol verschont blieb. Wir sahen nun schon oben (S. 101), dass gerade da, wo Polybius die Boier und Insubrer die Thaten ihrer Vorfahren preisend aufzählen lässt, der Haupterfolg die Zerstörung Roms mit keiner Silbe erwühnt wird.

Fragen wir weiter, von wem die Verhandlung wegen Rüumung der Stadt ausgeht, so lässt Diodor genau so wie z. B. Livius 99) die Römer die Initiative ergreifen. Halten wir uns streng an den Wort. laut des Polybius, so gewinnt die Sache ein ganz anderes Ansehen. Wenn er an der eigentlichen Stelle der Erz&hlung!99) sagt: γενομένου δ᾽ ávricrácuaroc καὶ τῶν Οὐενέτων ἐμβαλόντων eic τὴν χώραν αὐτῶν, τότε μὲν ποιηςάμενοι ευνθήκας πρὸς Ῥωμαίους καὶ τὴν πόλιν ἀποδόντες ἐπανῆλθον εἰς τὴν οἰκείαν 18, 2) und Π 22, 3: τέλος ἐθελοντὶ καὶ μετὰ χάριτος παραδόντες τὴν πόλιν KTE., 80 sieht es ganz so aus, als hätten die Gallier aus eigner Initiative den Römern einen Vertrag angeboten. Hiermit stimmt vollkommen, dass Pol. (I 6) von den Römern sagt: γενόμενοι πάλιν ἀνελπίετως τῆς πατρίδος ἐγκρατεῖς, ---- sie hatten also faktisch die Hoffnung bereits aufgegeben, was sich mit der gewöhnlichen Version nicht verirügt.!?) Ich lege auf diese Differenz nur deshalb Gewicht, weil sie ein helles Licht’ auf eine zweite, viel wichtigere wirft. Ich habe im ersten Abschnitt (ob. S. 108 ff.) ausgeführt, dass nach Diodor wie nach der gesammten späteren Tradition die Unmöglichkeit, das Kapitol zu erobern, die Gallier geneigt macht, auf den angebotenen Vertrag einzugehen, während sie nach Polybius durch den Einfall der Veneter in ihr Heimathland veranlasst werden, freiwillig die Stadt zu räumen. Ich halte dies für einen Grundwiderspruch zwischen Polybius und der Vulgata. Nun sieht man aber wohl, dass die er- wähnte Differenz in Bezug auf die Verhandlungen mit diesem Wider- Bpruch eng zusammenhüngt. Denn: lag die Stadt in Trümmern und weilten die Gallier Monate lang auf der wüsten Stätte, so konnten sie füglich weiter nichts mehr wollen, als das Kapitol einnehmen. Scheiterten alle Versuche in dieser Richtung an der Tapferkeit der

«--.-

1** Diod. XIV 116, 7; Liv. V 48, 1; Plut. Cam. 28 etc. !?5) Dies muss man immer festhalten. Massgebend kann allein die eigentliche Stelle der Erzählung sein. Man darf also nicht geltend machen, dass Pol. I 6, 2 sagt: πρὸς o0c (scil. Tai.) ποιηςάμενοι Ρωμαῖοι crovddc κτέ. Denn hier recapitulirt er vollständig aus dem Gedächtniss. 197) Ebenso verstand Strabo die Worte des Polybius. Er sagt (VI 4, 2 p. 287): ...cuveßn δὴν πόλιν αἰφνιδίως ἀποβαλεῖν παρὰ τὴν ἁπάντων δόξαν, παρὰ δόξαν τὲ καὶ ἀπολαβεῖν.

Ueber den gallischen Brand. 129 -

Römer, so war das Verlassen der Stadt eigentlich nicht mehr ein freiwilliges, sondern ein halberzwungenes und zugleich ein Ein- geständniss ihrer Inferiorität. Ich will nicht geltend machen, dass bei Polybius von einer Berennung des Kapitols keine Rede ist, ob- gleich dieselbe in der That unnöthig war, da die kleine Besatzung droben dem Hungertode verfiel, falls sie nicht die Uebergabe vor- zog, und letztere konnte nur eine Frage der Zeit sein. Aber betonen dürfen und müssen wir, dass Polybius bei dem Vertrage durchaus nur von der freiwilligen Zurückgabe der Stadt spricht.

Folgte Polybius einem Autor gallischer Nation, so könnte man meinen, dass dieser einen möglichst wenig compromittirenden Grund aufstellen wollte, warum seine Landsleute ihre Beute fahren liessen, und dass er das Verlassen der Stadt als einen durchaus freiwilligen, man möchte sagen, beinahe grossmüthigen Akt darstellte, aber Polybius hat eine römische Quelle vor sich, und zwar Fabius! Man wird zugeben, dass der Bericht des Fabius für die Römer ungünstiger lautet als die Vulgata! Ja aber wie? War der Zug der Gallier gegen Rom ein Rachezug, hatten sie Rom ausgeplündert und zerstört, belagerten sie sieben Monate das Kapitol, um es auch aus- zuplündern und zu zerstören, scheiterte dieser Versuch, ihren Rachedurst bis auf das Aeusserste zu befriedigen und sassen sie endlich auf einem Trümmerhaufen —, dann ist der Grund, den die Vulgata für ihre Bereitwilligkeit, abzuziehen, giebt, durchaus, ja allein zutreffend. Ist diese Sachlage historisch, dann ist es voll- kommen unverständlich, wie ein römischer Annalist, d. h. wie Fabius eine andere Darstellung geben konnte und gab.

Bedenken wir dies Alles, stützen wir uns auf den Wortlaut bei Polybius, machen wir geltend, dass sich bei ihm nirgends auch nur die leiseste Andeutung davon findet, dass die Stadt zerstört worden: so wird der Schluss berechtigt sein, dass Polybius eine von der ge- wöhnlichen gänzlich abweichende Auffassung von dieser gallischen Invasion gehabt hat, nämlich die, dass die Gallier eine dauernde Occupation der Tiberveste versucht, aber nicht haben durchführen können. Ist dem so, dann wird Jeder einräumen, dass die Gallier die Stadt, welche ihnen ohne Schwertstreich überlassen wurde, weder angezündet noch demolirt haben werden.

Mit dieser Auffassung decken sich die Worte des Polybius voll- kommen. Bei dem Vertragschluss spielt nun selbstverständlich das Kapitol gar keine Rolle, sondern die Stadt und durchaus nur die Stadt. Die Gallier stehen hier mitten unter Feinden. Das nahe und feste Veji ist in den Händen der Rómer.'?) Der vorgeschobene Posten am Tiber ist also keineswegs ungefährdet. Als nun die Ve- neter die heimathlichen Sitze der Gallier bedrohen, diese also Gefahr

108) Man könnte wohl fragen, warum denn die Gallier in ihrem Rachezuge nach der Zerstörung Roms nicht nach Veji weiterstürmen.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. XI, 9

130 Georg Thouret:

laufen, ihre sichere Basis zu verlieren, da entschliessen sie sich, den Posten wieder aufzugeben, laden an Beute auf, was sie fortschleppen können, lassen sich für die Rückgabe der Stadt noch ein beträcht- liches Lósegeld zahlen und ziehen ab. Die Römer lassen sie ruhig und unbehelligt abziehen, froh, ihre Stadt wiederzuerhalten, woran sie schon verzweifelt hatten, da die Occupation der Stadt Seitens der Gallier in einen dauernden Besitz überzugehen drohte.

Die gallische Bewegung ist eine Völkerbewegung, eine Fluth, welche jenseits der Alpen beginnend (Pol. II 19, 1) Italien über- schwemmte bis zur Südspitze, wo wir die Gallier in den Söldner- verkehr des Mittelmeers eintreten sehen. Es wäre eine kleinliche Auffassung, wollte man in dieser Völkerfluth weiter Nichts als Raub- und Plünderungszüge erkennen. Die Kelten wollen nicht blos rauben und plündern, sondern vor allen Dingen Wohnsitze erkämpfen.

Der Anfang in den Berichten über diese erste Invasion ist überall gleich. Ueberall treten die Gallier landfordernd auf.!) Auch sonst erscheinen sie als höchst politische Köpfe.'!°) Den Tenor hült allein Polybius fest. Bei den übrigen Schriftstellern verdrüngt das Gefühl für die Schmach, welche diese Barbaren der göttlichen Roma anthun, alle andern Ueberlegungen. Es kann historisch sein, dass sich Clusium an Rom um Hülfe wandte es zeugt dies für die damalige Machtstellung der Römer —, es ist möglich, dass da- durch die Gallier auf Rom besonders aufmerksam wurden. Aber wenn sie Land fordern, so verschmähen sie schwerlich eine gut- befestigte Stadt. Die Gallier wohnen in Städten; die Insubrer gründe- ten das feste Mediolanum !!!), die Boier galten als Gründer von Laus Pompeia!!?) und wenn dieselben Völkerschaften im Verein mit den Senonen die Stadt Melpum, welche in der Poebene lag, zerstórten!!*), so folgt daraus weiter nichts, als dass sie die ihnen feindlichen Städte zu brechen suchten, genau so, wie die Römer Fidenae dem Erdboden gleichmachten.!!*) Von einer Eroberung Clusiums verlautet nichts: dagegen sehen wir, dass die Gallier sich sammeln, um den Haupt- stoss gegen die Hauptmacht zu führen. Sie überrennen im ersten Ansturm die gesammte römische Macht, die Römer räumen das

19) Diod. XIV 118, 3; Liv. V 36,8; ων Cam. 156,1 (Zon. VII [ 38); App. fr. 2; Dio Caes. fr. 26; Flor. I 7, ; Aur. V. 98, 5. ΠΝ

Liv. Υ 86, '8 brechen sie z. B. sofort die Sihlacht gegen die , Clusiner Pi als bekannt wird, dass die römischen Gesandten sich am Kampfe be- theiligt haben, 11) Liv. V 84, 9; Plin. n. h. III 17, 124. Strabo, viel- leicht durch die Angabe des Pol. (LI 17), dass die Gallier κατὰ κώμας wohnten, verleitet meint (V p. 213) freilich, dass Mediol. in alter Zeit eine κώμη gewesen sei (νῦν δ᾽ ἀξιόλογον πόλιν). Vielmehr war die Stadt ein fester Mittelpunkt, denn die Römer müssen es i. J. 582 a. u. erobern (Pol. II 34 extr. Eutr. ΠῚ 6) vergl. Forbiger Hdb. der alt. Geogr. ΠῚ S. 662 A. 4. '!*) Plin. n. h. III 17, 124. In den Itinerarien heisst die Stadt nur Laus; seit Pompeius Strabo ein röm. Municipium erhielt sie d. Namen Laus Pomp., và, Forbiger III S. 567 Anm. 318) Plin. n. h. III 17, 126. 119 Liv 1

Ueber den gallischen Brand. 131

linke Tiberufer und überlassen die Stadt, ohne den geringsten Wider- stand zu versuchen, den Feinden. Offenbar sind sie völlig conster- nirt gewesen. Nun haben aber die Gallier doch, was sie nur wün- schen können eine colossale Festung und das umliegende Land. Die kleine Besatzung auf dem Kapitol kommt garnicht in Betracht: sie ist zum Hungertode prädestinirt,

Sollen wir diese, ich möchte sagen so naheliegende Auffassung deshalb aufgeben, weil die spätere Tradition von einem Rachezug spricht? Der Grundgedanke, welcher der Vulgata diese Fassung gegeben, ist klar: Roms Besiegung und Zerstörung ist ein von den Göttern gewolltes und daher unabwendbares Verhängniss.'!?) Der Zorn der Götter, nicht der Arm der Barbaren schlägt die römischen Waffen zu Boden. Nun mussten dem entsprechende Frevel und der schuldige Theil erfunden werden. Und ich móchte sagen, die Ten- denz steht dieser Erfindung nur zu deutlich auf der Stirn geschrieben: denn im letzten Grunde tragen die Komitien die Schuld, die stim- mende Bürgerschaft, während der Senat von jeder Verantwortung frei dasteht.

Dem Einwand, der gegen eine versuchte Occupation Roms durch die Gallier gemacht werden könnte, dass dieselben die schädlichen klimatischen Verhältnisse hätte kennen müssen, kann man entgegen- halten, dass sie zum ersten Mal in diese Gegenden kamen. Wenn schliesslich geltend gemacht werden sollte, dass die spätere Karte keine Spur einer gallischen Ansiedlung in diesen Gebieten zeige, so ist darauf zu erwiedern, dass nach den Worten des Polybius die Gallier eben wieder abgezogen sind.

Der Grund und Boden, auf dem ich fusse, ist und bleibt Poly- bius. Es gehört eine unnatürliche und gewaltsame Interpretation dazu, seine Worte mit der Vulgata in Einklang zu bringen. Da- gegen deckt sich meine Auffassung mit eben diesen Worten ohne Zweifel besser. Alle inneren Gründe endlich, das wage ich zu behaupten, sprechen durchaus für diese Auffassung.

Es wäre thöricht und vermessen, leugnen zu wollen, dass bei der Besetzung und schliesslichen Plünderung Roms irgend etwas ver- brannt oder zerstört worden ist. Ich formulire schliesslich das Re- sultat der bisherigen Untersuchung dahin, dass wir nach Lage der Quellen, auf Grund der ältesten und besten derselben berechtigt sind, den gallischen Brand als solchen und die Zerstörung Roms aus der Geschichte zu streichen.

115) Liv. V 51, 184. Plut. Cam. 18. Flor. I 7, 8. 18. Oros. II 19 (p. 68), ebenso sagt Herodot VIII 658: ἔδεε γὰρ κατὰ τὸ θεοπρόπιον mücav τὴν ᾿Αττικὴν τὴν ἐν τῇ ἠπείρῳ γενέςεθαι ὑπὸ TTépcya.

y%

132 Georg Thouret:

IV. Die Tradition und ihre Entstehung.

Der kurze Bericht Diodors ist deshalb von der grössten Wich- tigkeit, weil in ihm noch von keiner Verarbeitung der Tradition mit dem übrigen Stoff der Erzählung die Rede ist. Wir sehen, dass Diodor über die Zerstórung Roms nur einen Satz bringt, wührend er den Wiederaufbau viel ausführlicher behandelt. Bei den Spüteren dreht sich dies Verbältniss geradezu um. Die Verwüstung wird mit immer reicherer Phantasie im Detail ausgemalt. die Farben werden immer dicker aufgetragen: halten wir die kurze Notiz Diodors neben das düstere Gemälde bei Orosius, so bekommen wir einen Begriff davon, wie die Phantasie in solchen Dingen schaltet und waltet. Der umgekehrte Fall zeigt sich beim Wiederaufbau. Hier konnte der phantasiereichste Kopf Nichts ausmalen; im Gegentheil: für die Schriftsteller der Kaiserzeit hatten die Details der Restauration kein Interesse mehr. Während wir daher bei Livius noch den Bericht Diodors um einige gleichartige Glieder erweitert finden, begnügt sich schon Plutarch mit allgemeinen Redensarten, und Florus sagt bereits weiter Nichts, als dass die Stadt wiederhergestell wurde (I 7, 19), Was selbstverständlich war.

Die Hauptsache bei Diodor ist der Wiederaufbau der Stadt. Und nun ist es sehr beachtenswerth, dass derselbe einfach in die Erzählung eingeschoben ist. Ich meine: nach Diodor ziehen die Gal- lier ab, bauen die Römer durchaus ungestört ihre Stadt wieder auf (XIV 116, 7 f£), und nun erst beginnen die Kriege mit den Nachbarn. Hier warten also die Feinde mit ihrem Angriff wirklich so lange, bis Rom wieder steht, was unverständlich ist. Hätte Dio- dor die gewöhnliche Tradition von den gleich folgenden Volscer., Ae- quer- und Etruskerkriegen nicht, dann liesse sich nichts gegen seine Darstellung einwenden. So aber erheben sich die begründetsten Be- denken dagegen.

Die späteren Quellen schoben die Kriege und den Wiederaufbau zusammen und versuchten eine Verarbeitung, freilich ohne viel Ge- schick und Glück, wie wir oben gesehen haben (vgl. S8. 121).

Eine Erklärung zu geben, wie die Tradition vom gallischen Brande entstanden ist, ist ein äusserst schwieriges Problem, dessen Lósung über den Rahmen der vorliegenden Untersuchung hinaus- geht. Die Aufgabe ist deshalb so schwierig, weil wir sofort die Ca- millussage in die Betrachtung hineinziehen müssten, denn Beides gehört meiner Ansicht nach innig zusammen. Camillus ist ein ‘alter Ramulus’ und zwar im vollsten Sinne des Wortes. Denn er hat nicht allein Rom gerettet und die dem römischen Namen angethane Schmach an den Galliern gerücht, sondern er hat die Stadt zum zweiten Mal erbaut!!9) und, wie Florus (I 7, 17) in bombastischer

116) Liv. V δῦ, 1; Plut. Cam. 31 med.; Flor. I 7, 19 etc.

Ueber den gallischen Brand. 133

Weise sich ausdrückt, alle Spuren des Brandes durch die Ströme von Keltenblut verwischt.

Camillus, diese an Ehren und an Siegen reichste Gestalt der römischen Geschichte, ist bis jetzt immer noch in ein undurchdring- liches Dunkel gehüllt. Dies liegt zum grossen Theil daran, dass wir in der That nur einen einzigen Bericht über ihn in der römi- schen Litteratur besitzen. Wäre Plutarchs Biographie aus andern Quellen geschópft als der Bericht des Livius, so würde sich viel- leicht das Dunkel irgendwo hellen. Bei dem Stand der Ueberliefe- rung jedoch ist kaum zu hoffen, dass dies jemals geschehen werde.

Niebuhr hielt die Camillustradition für eine alte schöne Sage. Aber gerade der Punkt, den er geltend macht, dass nämlich die Weigerung des Camillus, die ihm angetragene Dictatur zu tber- nehmen, ehe Senat und Bürgerschaft zugestimmt hätten, für ein hohes Alter der Erzählung spreche!!"), scheint mir eher für das Gegentheil geltend gemacht werden zu müssen. Sieht dies nicht den so zahlreichen andern staatsrechtlichen Deductionen, welche die ältere und älteste römische Geschichte nach höchst späteren Gesichtspunk- ten ummodelten, auf ein Haar ähnlich? Dergleichen klingt re- flectirt, aber nicht ursprünglich. Ferner, wenn etwas wie alte Sage klingt, so ist es die packende Scene zwischen Camillus und Bren- nus auf dem Forum, und diese ist eine ziemlich junge Erfindung. Wie ungefähr die römische Sagenbildung vorging, davon giebt der nächste Schritt in der Camillussage ein schlagendes Beispiel. Bei Festus finden wir!) die gewöhnliche Erzählung, welche an das be- rühmte 'vae victis? ankntipft. Aber die Fabel ist bereits um ein Glied erweitert. Festus berichtet nämlich: Brennus wird gefangen genommen; als er sich nun seinerseits über den Vertragsbruch be- schwert, stösst ihm Camillus das Schwert in die Brust mit den Wor- ten: “vae victis. Hiemit macht man einen dicken Strich durch das schöne Gemälde bei Livius. Camillus ist eine durch und durch arıstokratisch-patrieische Gestalt. Erst in zweiter Linie kann man ihn den glänsendsten Repräsentanten des Römerthums nennen. Seine Geschichte ist vorwiegend im Interesse der Partei des historischen Rechts gezeichnet.

Ich beabsichtige nun keineswegs, in eine eingehende Unter- suchung der Camillustradition einzutreten: es sei mir aber gestattet auf Grund der vorangegangenen Betrachtung eine kurze Andeutung zu geben, nach welcher Richtung hin mir die Lösung des Räthsels zu liegen scheint. Ich erkläre jedoch ausdrücklich, dass die folgen- den Bemerkungen weiter Nichts sein wollen und sein sollen als ein Gedanke, als eine Hypothese, welche einfach fallen muss, sobald wichtige Instanzen gegen sie sprechen.

Ist meine Auffassung der ersten gallischen Invasion richtig, so

117) Β G. II S. 617. 116). S. 372 M.

184 Georg Thouret:

stand Rom einmal vor der Alternative, die Stätte aufgeben zu müssen, an welcher der Staat haftete. Von dieser Alternative hat sich in der Vulgata eine Spur erhalten, ich meine die heissen Debatten über die Frage, ob man Rom aufgeben und nach Veji übersiedeln solle. Diese Debatten treten bekanntlich zweimal in der Ueberliefe- rung auf: gleich nach der Eroberung von Veji und nach dem Ab- zuge der Gallier.!9) Veji sollte für immer aufhören, eine Rivalin Roms zu sein, aber es wurde nicht sofort zerstört. Die Stadt war (woran zu zweifeln kein Grund vorliegt) viel prächtiger und ge- diegener gebaut als Rom!9); es klingt daher garnicht unglaublich, wenn eine Partei, natürlich die plebejische, nach der Vernichtung der Vejenter, vorschl&gt, zum Theil nach Veji überzusiedeln. Die Macht der Patricier hing an den Auspicien, diese an Hom, ver- liess man Rom, so war ihre rechtliche Macht dahin, und die phy- sische besassen sie nicht. Mag Camillus gewesen sein, wer er wolle, es ist glaublich, dass er die Einigkeit herstellte, denn es ist öfter vorgekommen, dass ein grosser römischer Feldherr auch über die Comitien commandirte. Da besetzen die Gallier Rom! Auf dem Kapitol haben wir uns hauptsächlich Senatoren und überhaupt Pa- tricier zu denken. Florus giebt (I 7, 18, danach Orosius II 19 p. 67) die Stärke der Besatzung auf kaum 1000 junger Mannschaft an. Woher er diese Zahl hat, ist nicht ersichtlich. Mag sie richtig sein oder nicht, jedenfalls stimmt sie zu der allgemeinen Ueberlieferung, dass der bei Weitem grössere Theil des geschlagenen Heeres sich nach Veji rettet.!?!) Wie sieht es nun mit Rom aus? Das Unglück hat den Plebejern das in die Hände gespielt, was sie vorher nicht erreichen konnten: Sie sind in Veji, die Häupter der Altbürger- Schaft auf dem Kapitol.

Die Gallier ziehn wieder ab. Nun erscheint zum zweiten Male die Frage, ob man in Rom bleiben oder nach Veji wandern soll. Man ist nur zu geneigt!!?) bierin eine Absurdität übermalender Ge- schichtsschreibung zu sehen, und es ist bekannt, wie wenig auf der- gleichen Debatten bei Livius zu geben ist. Ich will aach nicht das Detail derselben vertreten. Aber sehen wir allein auf den Grund- gedanken, so entspricht die Tradition, ein klein wenig anders ge- wendet, genau den thatsächlichen Verhältnissen. Die Frage ist nicht die, ob man nach Veji auswandern solle, sondern vielmehr: wie bringen wir die Plebejer aus Veji nach Rom zurück? Man muss sich nur vorstellen: die Leute hatten sich häuslich in Veji eingerich- tet und sieben Monate dort zugebracht. Ja, da die Occupation der Stadt durch die Gallier eine dauernde zu werden drohte, 80 musste man sich mit dem Gedanken vertraut machen, das römische Staats-

119) Liv. V 924, 4 ff. u. 49, 8ff !*?) Liv. V 24, 6; Plut. Cam. 31; Aur. Vict. 28, 10. 150) Diod. XIV 115, 2; Liv. V 38, 5; Plut. Cam. 18 extr. 112 Vgl. Mommsen a. a. O, 8. 537.

Ueber den gallischen Brand. 135

wesen faktisch von Rom zu trennen! Jetzt sollen sie nun aus dem schönen Veji wieder nach Rom zurückkehren, “wo die Gallier Alles geraubt, Alles zerschlagen, Alles verbrannt hatten’. Jemand, der diese Debatten ausführte, konnte sie füglich so sprechen lassen. Die Patricier konnten Rom wegen der Auspicien nicht aufgeben, ohne Plebejer aber nicht existiren. Hier war guter Rath theuer.

Wenn je ein Camillus in die Vaterstadt zurückgerufen wurde, so war es in diesem Moment. Er allein konnte seinen alten Solda- ten von Veji und Falerii her Vernunft beibringen, er allein konnte sie nach Rom zurückbringen, und er brachte sie zurtick, bis auf wenige, welche man später halb mit Gewalt holen musste (Liv. VI 4,5).

Hier ist meiner Ansicht nach der Punkt, wo die Ausbildung der Vulgata ansetzte. Zwei Elemente sind in ihr unverkennbar, ein- mal das Bestreben, die Schmach, welche dem römischen Namen an- gethan war, als göttliches Strafgericht darzustellen, und Zweitens der Ruhm des Camillus, des Retters und Rächers des römischen Namens. Für die Rómer, welche Karthago und Hannibal besiegt, welche die Könige des Ostens demüthigten, musste es nich nur be- schämend, sondern geradezu uuglaublich klingen, dass zwei Jahr. hunderte früher ein Haufe von Barbaren nicht nur die ganze rómi- sche Macht mit einem Schlage vernichtete, sondern sogar Rom dem Abgrund nahe brachte, nicht mehr Rom zu sein. Wir werden es verstehen, dass die römische Tradition diesen Abgrund mit aller Macht zuschaufelte. Die Niederlage an der Allia konnte man nicht beseitigen. Aber für das Gefühl eines Römers war es zu viel, dass faktisch die Stadt den Galliern abgekauft worden sein sollte. Gegen die Brandfackel der barbarischen Horden war nicht zu kämpfen; dass Rom verbrannte war an und für sich kein Schimpf, denn auch Athen wurde von den Persern zerstört. Man rettete aber von der Ehre wenigstens etwas, wenn man nun die Gallier vergeblich das Kapitol bestürmen liess, so dass ihr schliesslicher Abzug wie eine Nieder- lage aussah. Dieselben Götter endlich, welche Rom gestraft, sie be- wahrten die Stadt vor dem Aeussersten durch die Wachsamkeit der heiligen Gänse und die Tapferkeit des Manlius.

Wenn man so die historische Wahrheit poetisch bis zur Un- kenntlichkeit umgestaltete, so war es natürlich, dass die Gestalt des Camillus immer mehr und mehr von Phantasiegebilden umsponnen wurde. Nach meiner Auffassung ist er der Retter Roms insofern, weil er die Einigkeit innerhalb der Bürgerschaft wiederherstellte, weil er die Gegensätze auf dem segensreichen Boden eines echten Patriotismus neutralisirte!??); in der Tradition überwog das angeb-

135 Aur. Vict., dessen kurze Bemerkungen hier sich alle im Livius wiederfinden, sagt merkwürdigerweise nur Folgendes (d. v. ill. 23, 8): Victores Galli urbem intraverunt, ubi nobilissimos senum in curulibus et honorum insignibus, primo ut deos venerati, deinde ut homines dispicati interfecere. liqua iuventus cum Manlio in Capitolium fugit, ubi ob-

136 Georg Thouret:

liche Verdienst, Rache an den Barbaren genommen zu heben, und in immer steigendem Masse überwucherte nun die Sage das Histo- rische an seiner Persönlichkeit. Mit der Zeit wurden ihm mehr und mehr Triumphe angedichtet, so dass zuletzt Wahrheit und Dichtung zu einem poetischen Gesammtbilde verschmolz. Der Ruhm, ein zwei- ter Romulus im vollsten Sinne des Wortes zu sein, bildet die Krone dieses Wunderbaumes.

Dass diese wunderbaren Gebilde in die römische Litteratur ein- mal eingeführt, Eigenthum derselben blieben, wird Niemand Wun- der nehmen, besonders da der grossartige Stoff die geniale Feder eines Livius fand. Denn gewiss wird Jeder Niebuhr zugeben, dass Livius' Darstellung gerade an diesem Punkte seines Werkes von be- sonderer poetischer Gewalt ist, und ich will mir nicht “ein gerech- tes Bedauern’ zuziehen, dass mir deshalb die Darstellung verleidet wäre, weil ihre historische Unhaltbarkeit dargelegt ist (R. G. II S. 470). Trotzdem aber dürfen wir dem glücklichen Geschick dank- bar sein, welches uns in Polybius ein Mittel erhalten hat, hier Wahr- heit und Dichtung zu sondern. Erfreuen wir uns an der Dichtung, aber glauben wir nur die Wahrheit!

Ich halte daran fest, dass Fabius die Quelle des Polybius ist, dass also im Fabius von diesen Sagen nichts stand. Mögen diese älter als er sein: ihre litterarische Fixirung fällt in eine spätere Zeit. Hiervon werde ich im letzten Abschnitt ausführlicher handeln. Ehe ich von der eigentlichen Aufgabe meiner Untersuchung scheide, möchte ich noch einmal hervorheben, dass mein Erklärungsversuch der Camillussage nur ein vorläufiger Versuch sein soll, dass aber, auch wenn er misslungen sein sollte, die eigentliche Untersuchung dadurch nicht erschüttert wird.

V. Hülfsmittel.

$ 1. Litterarische.

Der Sagentheorie Niebuhrs gegenüber hat A. W. v. Schlegel in der ausführlichen Recension der Röm. Gesch. von Niebuhr!?*) am rücksichtslosesten die Ansicht verfochten, “dass die ältere römische Geschichte ein griechischer Roman sei, von Griechen erfunden, von den Römern, denen dies schmeichelte, aufgenommen’; und Dahlmann, welcher in seiner Abhandlung tiber Herodot 75) beiläufig auf die Vor- geschichte Italiens zu sprechen kommt, neigt zu der Annahme, dass

sessa Camilli virtute est servata. Qui absens dictator dictus, collectis reliquiis, Gallos improvidos internecione occidit. Populum Romanum migrare Veios volentem retinuit. Sic et oppidum civibus et cives oppido reddidit. Ist dies Zufall? !?*) Sámmtl. Werke, hrsgegeb. v. Böcking. XII S. 444—512. 12) Forschung. II 1 S. 129 ff.

ης

Ueber den gallischen Brand. 137

im Hellanikus in seinen troischen Geschichten der Grund der ganzen späteren gräcisirenden Manier zu suchen sei. “Im Hellanikus, sagt er S. 130, möchte der Einschlag zu suchen sein, der vom Diocles aus Pepareth reich durchwebt in Fabius Pictors Händen zur römi- schen Vorgeschichte geworden ist’. Schwegler stellt sich in die Mitte zwischen Niebuhr und Schlegel. Er hält es für gewiss, dass der Grundstoff der traditionellen Geschichte nicht schriftstellerische Erfindung sein kann. “Die Sagen seien entschieden älter, als die ältesten schriftstellerischen Versuche auf diesem Feld’ (I 8. 64). Auf demselben Standpunkte ungefähr steht Lewis (vgl. Liebr. I S. 236).

Ich wil keineswegs den vielumworbenen Diocles von Neuem heraufbeschwüren. Nur eine Bemerkung sei mir gestattet, welche die weiter unten folgende Betrachtung passend einleitet. Wenn Nie- buhr und die meisten Gelehrten nach ihm das Zeugniss Plutarchs (Romul 3 und 8), dass Fabius dem Diocles gefolgt sei, einfach ver- werfen, 80 darf man mit Schlegel (S. 486) fragen, wie man dies zu begründen gedenkt, 'denn Plutarch drückt sich sehr bestimmt aus”. Auch O. Müller hält gegen Niebuhr das Zeugniss aufrecht, !?9) Man muss bedenken, dass dieses Citat im Leben des Romulus steht, welches mit dem des Numa offenbar zu den spätesten und besten Viten Plutarchs gehört.'?”) In beiden benutzt Plutarch den Varro in nicht geringem Umfange, und er steht hier seinen Quellen viel selb- ständiger gegenüber als sonst irgendwo 138). man darf also den Dio- cles nicht einfach ‘zu den übrigen” werfen, wie es Peter thut (p. LXXXII) Fabius hat nach Dionys I 6 die Geschichte seiner Zeit ausführlich, die alte Geschichte nach Roms Gründung κεφαλαι- wöWc, also, schliesst Peter selbst (p. LXXII), wie mir scheint vollkommen richtig, die älteste Epoche, d. h. die Gründungsgeschichte gleichfalls ausführlich geschrieben, was wir auch aus den Fragmen- ien deutlich sehen. Woher hat er nun diese ausgeführte Partie? Hat er die Volkssage fixirt? Beide Stellen, an denen Plutarch vom Diocles spricht, halten sich innerhalb der Gründungsgeschichte und im c. 8 heisst es geradezu vom Diocles: ὃς δοκεῖ πρῶτος ἐκδοῦναι Ῥώμης xríciv. Dürfen wir da das Citat verwerfen!?9?)?

Die liebliche Gründungssage verschmühte Fabius nicht, da- gegen behandelte er die Königsgeschichte, was wir aus Dion. I 6 ebenfalls schliessen dürfen, sehr kurz. Warum? Verschmühte er sie? Die einzig stichhaltige Antwort ist meiner Ueberzeugung nach die:

126) Zu Festus XII] 6 S. 268. Lewis, welcher dasselbe verwirft, iebt die Berechtigung des entgegengesetzten Standpunktes zu, vgl. iebr. I S. 395 A. 188. !?7) Dies ist.auch die Ansicht von Michaelis:

de ordine vitarum parall. Plut. Berol. 1875. p. 50. !?5) Höchst be- achtenswerth ist es z. B., dass Plutarch trotz Varro und anderen latei- nische Etymologieen versucht; vgl Rom. 26 extr. 155) Ich habe hier die Autorität Ribbecks für mich: vgl. O. Ribbeck, die röm. Tragödie etc. S. 72.

138 Georg Thouret:

weil die Königsgeschichte bis dahin noch nicht litterarisch fixirt war; die Fixirung derselben in einer Gestalt, der ähnlich, welche uns jetzt im Livius vorliegt, fällt mithin nach Fabius. Dieses Resultat soll nun die Grundlage der folgenden Betrachtung bilden.

Es ist nämlich eine allgemein anerkannte Thatsache, dass der Livianische Bericht über die hinterlistige Unterwerfung Gabiis durch Tarquinius Superbus (I 53 ff.) zusammengesetzt ist aus zwei Hero- doteischen Erzählungen, der List, mit Hülfe deren Zopyrus Baby- lon dem Darius in die Hände spielt (Herod. III 154 ff.) und der Ant- wort des Tyrannen Thrasybul an Periander (V 92). Wohlgemerkt, zwei Stellen aus zwei verschiedenen Büchern Herodots sind hier ver- einigt, und zwar ist der Anschluss an das Vorbild ein so evidenter, dass der betreffende römische Autor die Geschichtchen nicht blos ge- kannt sondern gelesen haben muss. Livius hat keine Ahnung von dem Ursprung dieser Anekdoten, was sich besonders daraus ergiebt, dass er zwar ein deutliches Gefühl davon hat, wie unrömisch die Raffinirtheit des Tarquinius sei (I 53, 4), aber trotzdem mit keinem Worte von einer Nachbildung spricht. Er fand Alles bereits in seiner Quelle vor. Dionys kennt wohl die griechiche Parallele, der Gc- danke aber, dass hier ein Plagiat stattgefunden haben könnte, liegt ihm gänzlich fern (IV 56).

Das erste Buch des Livius ist von jeher als die Perle des ganzen Werks angesehen worden, was Einheit, Abrundung und Schönheit der Darstellung betrifft. Das zweite und dritte treten dagegen merk- lich zurück; das vierte und namentlich das fünfte zeichnen sich wiederum durch eine grosse Vollendung der Form aus. Sehen wir uns nun die uns angehende Partie genauer an, so hat schon Nie- buhr!?P) gelegentlich bemerkt, dass die zehnjährige Belagerung Vejis bedenklich an llion erinnert. Livius lässt den Appius Claudius in seiner grossen Rede für die Einführung der Winterfeldzüge geradezu sagen (V 4, 11): decem quondam annos urbs oppugnata est ob unam mulierem ab universa Graecia: quam procul ab domo? quot terras quot maria distans? Solche griechische Reminiscenzen liegen Livius selbst fern: er fand sie bereits in seiner Quelle.

Der Faliskische Schulmeister (V 27) hat auch ein sehr griecbi- sches Ansehn; freilich kann ich nicht sagen, woher er stammt. Das Gebet des Camillus endlich, mit dem er in die Verbannung geht: (Liv. 32, 9): (in exilium abiit) precatus ab diis immortalibus, si innoxio sibi ea iniuria fieret, primo quoque tempore desiderium sui civitati ingratae facerent!??), erinnert lebhaft an das des Achilleus: Il. I 240: .e A ποτ᾽ ᾿Αχιλλῆος ποθὴ ἵξεται υἷας ᾿Αχαιῶν.

Appian (Ital. 8) sagt geradezu: ἐς τὴν ᾿Αρδεατῶν πόλιν μετῴκηςεν

180) Ἡ, 6. II S. 642. 13) Vgl. Plut. Cam. 12 extr. Bei den Griechen erscheint das Verbum ἐπιποθεῖν,

Ueber den gallischen Brand. 139

εὐξάμενος τὴν ᾿Αχίλλειον εὐχήν, ἐπιποθῆςαι Ρωμαίοις Κάμιλλον ἐν καιρῷ. 152)

Wir sehen also, dass die ganze Partie mit griechischen Remi- niscenzen durchsetzt ist. Die Facta sind römisch, die Zeichnung theilweise griechischen Vorbildern entlehnt. Im Anschluss hieran theile ich eine Beobachtung mit, von der, soviel ich weiss, bisher nur Niebuhr eine Ándeutung gegeben hat, ohne sie jedoch weiter auszuführen. Niebuhr bemerkt gelegentlich (Vorles. I 8. 381), ‘dass die Erzählung von der Einnahme Roms an die von der Einnahme der Akropolis von Athen durch die Perser erinnere’.

Aber nicht blos dies, sondern die ganze Partie bietet auffallende Uebereinstimmungen.

Die Situation ist ja völlig dieselbe. Perser wie Gallier kom- men in eine verlassene Stadt (vgl Herod. VIII 50 ff). In Athen wie in Rom sind nur wenige zurückgeblieben, welche hier wie dort unter dem Schwerte der Barbaren fallen.

Gleiche Verhültnisse bedingen freilich oft gleiche Geschichte. Aber ein Punkt ist besonders auffallend. Xerxes befiehlt den Athe- nern in seinem Gefolge (φυγάδες 2 nach heimischer Sitte auf der Akropolis ein Opfer darzubringen.?) Es war zwei Tage nach dem Brande, in welchem auch der Tempel des Erechtheus, in dessen einer Zelle der heilige Oelbaum der Athena stand, zu Grunde ge- gangen war. Nun finden jene Athener neue Sprossen und einen grünen Zweig &n dem verbrannten Stamm, die Bürgschaft für ein neues Erblühen der Stadt.

Als man in Rom anfing, den Schutt aufzuräumen, fand man unter den Trümmern des Marstempels auf dem Palatin 155) den Krumm- stab des Romulus unversehrt wieder, der beste Beweis, dass die Auspicien durch die Verwüstung nicht verloren waren, und dass die Götter ein Verlassen der Stätte nicht billigten.5) Fragen wir, wieviel damals und bei der späteren Heimsuchung Athens durch Mardonius eigentlich zerstört worden ist, so antwortet darauf Thuky- dides. Er sagt I 89, 3: (Die Athener kehrten zurtick) καὶ τὴν πό- λιν ἀνοικοδομεῖν παρεςκευάζοντο καὶ τὰ TEIXN’ τοῦ TE γὰρ περι- βόλου βραχέα εἷετήκει καὶ οἰκίαι αἱ μὲν πολλαὶ πεπτώκεςαν, ὀλί - γαι δὲ περιῆςαν, ἐν αἷς αὐτοὶ éckxr|vncav οἱ δυνατοὶ τῶν Περεῶν.

Diodor sagt XIV 115, 6: τὴν πόλιν ἐλυμαίνοντο χωρὶς ὀλί - γῶν οἰκιῶν ἐν τῷ Tlakariw.

Wie Camillus in Rom, so betreibt Themistokles in Athen mit

Suidas s. v. ᾿Αχίλλειος εὐχή, vergl. auch Plut. Cam. 13 in. 185) Herd VIII 54, 5 ff. 12 Dionys XI exc. Ambr. 6; Plut. Cam. 32. Nach Cicero de div. I 17, 30 befand sich der Stab “in curia Saliorum’. 18) Dionys (a. a. 0.) stellt beide Wunder (von Athen und Rom) neben- einander, genau so, wie wir es oben (S. 188) bei den Anekdoten aus dem I. Buch des Livius gesehen. Sollte hier eine Nachbildung vorliegen, so ist sje in echt rÜmischem Sinne gemacht.

140 Georg Thouret:

grösstem Eifer den Wiederaufbau. Den Erfolg giebt Tkukyd. I 93, 1—2 an, und diese Stelle klingt sehr mit der analogen Diodors (XIV 116, 8) zusammen. Sie lautet: τούτῳ τῷ τρόπῳ οἱ ’AQn- γαῖοι τὴν πόλιν Ereixicav Ev ὀλίγῳ χρόνῳ. καὶ δήλη f] oixobo- μία ἔτι καὶ νῦν écriv ὅτι κατὰ ςπουδὴν ἐγένετο. γὰρ θε- μέλιοι παντοίων λίθων ὑπόκεινται καὶ οὐ ξυνειργαςμένων ἔςτιν fj, ἀλλ᾽ ὡς ἕκαςτοί ποτε προςέφερον.

lch möchte die Analogie frappant nennen: Rom Athen; die Perser stehen zu den Griechen, wie die Gallier zu den Römern, Xerxes Brennus, beide Barbarenführer im Sinne der Alten, Akro- polis und Capitol. Und ist auch Camillus Vertreter einer anderen politischen Richtung als Themistokles, so gelten doch beide als die zweiten Gründer ihrer Vaterstadt. Ich erinnere daran, dass Plutarch Themistokles und Camillus in Parallele stellt, leider ist uns die cuyxkpıcıc verloren gegangen.

Was den Sturm auf die Akropolis betrifft, so versuchen auch die Perser, wie die Gallier, zunächst einen Frontangriff, auch sie wer- den mit blutigen Köpfen zurückgeworfen (Herod. VIII 52), so dass Xerxes lange Zeit in Verlegenheit ist, wie die Burg zu nehmen sei. Endlich entdecken die Perser auf der dem Aufgang entgegengesetzten Seite einen Fusspfad, den sie dann erklimmen und so die Besatzung überrumpeln. Die Aehnlichkeit ist deutlich. Ich würde diese letzte Analogie gar nicht besonders erwähnen!?®), wenn wir nicht oben (S. 113) gesehen hätten, dass vielleicht die älteste römische Ueber- lieferung gar nichts wusste von dem Versuch der Gallier, das Kapitol auf einem Bergpfade zu ersteigen, sondern dass nach ihr die Gallier einen Minengang anlegten.?") Dies giebt uns doch zu denken.

Hinsichtlich der ganzen Vergleichung aber bemerke ich, dass ihre Berechtigung darin liegt, dass ich wenigstens von der Unhalt- barkeit der ganzen römischen Tradition fest überzeugt bin. Ich bin weit davon entfernt, hier ein rohes Plagiat constatiren zu wollen. Aber habe ich Recht, dass die litterarische Fixirung der Vulgata jünger als Fabius ist, so dürfte die Ansicht nicht unwahrscheinlich klingen, dass das griechische Vorbild auf die Fassung der rómischen Tradition nicht ohne Einfluss geblieben ist, namentlich wenn wir be- denken, wie stark damals die grücisirende Strömung sowohl in der ganzen gebildeten Gesellschaft wie ganz besonders in der histori- schen Litteratur war. Die Griechen verhielten sich passiv nur der römischen Verfassung gegenüber, wie wir dies deutlich an Polybius sehen. In Bezug auf Kunst, Mythologie, Kultus und Litteratur waren die Römer durchaus passiv: dort konnten sie geben, hier nur empfangen. Die glänzendste Epoche der griechischen Litteratur war

186) Denn schliesslich wird jede Burg auf ähnliche Weise erobert. 1?7) Cäsar sagt von den Galliern seiner Zeit (b. G. VII 22, 2): apud eos omne genus cuniculorum notum atque usitatum est.

m

-— a M A ——9 - m ame

Ueber den gallischen Brand. 141

längst vorüber, als die römische ihre ersten Anfänge zeitigte. Die Scipionischen Kreise hatten ein deutliches Gefühl von der Ueber- legenheit der Griechen auf diesem Gebiet. Es ist also ausserordent- lich natürlich, dass die griechischen Muster auf die Fassung der römischen Geschichte einwirkten. Man kann ferner nicht verkennen, dass der gallische Brand den Römern eine bequeme Erklärung der Dürftigkeit der römischen Litteratur gegenüber der Fülle der grie- chischen darbot. Ich will durchaus nicht die Wahrheitsliebe des Livius in Zweifel ziehen, aber es bleibt doch fraglich, ob man mit Lewis die berühmten Worte im ersten Kapitel des VI. Buchs: si quae (sc. litterae) in commentariis pontificum aliisque publicis priva- iisque erant monumeniis, incensa urbe pleraeque interiere, ganz streng nehmen darf. Dem widerspricht vor allen Dingen der Um- stand, dass auch das folgende Jahrhundert so arm an gleichzeitigen Geschichtsaufzeichnungen gewesen zu sein scheint.

$ 2. Topographische Hülfsmittel.

In der Einleitung habe ich als das Ziel meiner Untersuchung den Nachweis bezeichnet, dass wir nach Lage der Quellen be- rechtigt sind, die totale Verbrennung und Verwüstung Roms durch die Gallier als unhistorisch zu verwerfen. Mehr konnte und durfte ich von meinem Standpunkte aus nicht wollen. Die vorliegende Untersuchung war nun auch bereits abgeschlossen, als ich auf den ersten Band von Jordans “Topographie der Stadt Rom im Altertbum (I 1). Berlin 1878? aufmerksam gemacht wurde. Mit hoher Freude sah ich, dass Jordan der römischen Tradition vom gallischen Brande gegenüber sich sehr skeptisch verhält. Wenn ich in Bezug auf die- sen Punkt den Totaleindruck, den ich aus seinen Ausführungen ge- wonnen habe, mit einem Worte bezeichnen soll: so hat sich der Topograph überhaupt nicht um die sogenannte gallische Verwüstung -zu kümmern. Es sei mir gestattet, einige von Jordans Resultaten hier anzuführen.

Jordan verwirft vor allen Dingen die Berichte über den Wieder- aufbau der Stadt und zwar stellt er hierbei Diodor auf ein und die- selbe Stufe mit Livius (S. 484 A. 5).

Er sagt S. 483: 'Die Details der Beschreibung des Wiederauf- baus nach dem gallischen Brande sind kläglich zusammengebettelt und im Wesentlichen nichts weiter als misslungene Erklärungen späterer Zustände, mag nun die Quelle sein, welche sie wolle’.

S. 484: “Wäre Rom in seinen ebnen Theilen geradlinig gebaut gewesen, so hätte man aus der angeblichen Thatsache, dass die Stadt dem Erdboden gleichgemacht worden, den Schluss gezogen, dass die Verwischung aller Grenzlinien von Staats- und Privateigenthum nun erlaubt habe, nach den Grundsätzen die Limitation die neue Stadt aufzubauen. Da dieser Schluss nicht möglich war, schien der ent-

142 Georg Thouret:

gegengesetzte zulässig, dass jene Vermischung ein buntes Durch- einander von Häuserbauten, die freie Auswahl der Bauplätze, ver- anlasst habe”.

S. 485: “Wie man sichs überhaupt denken soll, dass mit der Niederbrennung der Holzhäuser und Lehmziegelhütten zugleich die Strassenztüge verschwinden konnten, dass in dem Gedächtniss der auf die Burg geflüchteten Vertheidiger in wenigen Monaten jede Er- innerung an den Besitzstand ausgelöscht worden, während doch nach- weislich Verheerungen ganzer wesentlich noch mit demselben Mate- rial gebauter Stadttheile in späterer Zeit dies Wunder nicht gewirkt haben, bleibt mir unverständlich’.

Dies im Allgemeinen. Niemals sieht sich Jordan bei der Be- stimmung irgend einer Oertlichkeit des ältesten Hom gezwungen, auf den gallischen Brand Rücksicht zu nehmen. Gehen wir nun näher auf das Einzelne ein, so nennt Jordan die Angabe des Livius (V 55, 5), dass nach dem Wiederaufbau die Kloaken Staats- und Privateigenthum nach allen Richtungen durchkreusten, einen ‘schüler- haften Versuch, das erst später weitverzweigte Kloakensystem zu erklären’ (8. 484). Wir gewinnen aber hier ein anderes merkwür- diges Resultat. Die Beobachtung von der Verzweigung des Kloaken- systems hat man jedenfalls gemacht, als Agrippa in seiner Aedilität i. J. 721 es unternahm, die Kloaken und die Wasserleitungen aus- zubessern und zu vermehren (vgl Jordan S. 301). Dies konnte ohne die umfassendsten Untersuchungen nicht geschehen. Dass Li- vius von diesen wusste und die Ergebnisse derselben kannte, ist selbstverständlich. Seine Notiz ist daher nicht unrichtig an und für sich, aber die Anknüpfung an den gallischen Brand weiter nichts als ein Akt der Willkür. Wir sehen hier deutlich, dass Livius nicht das geringste Bedenken trug, Verhältnisse seiner Zeit und ganz moderne Beobachtungen an einem beliebigen Punkte seines Geschichts- werks einzuflechten.

Diodor, welcher vor 721 schrieb, konnte daher gar nicht eine ähnliche Bemerkung über die Kloaken machen.!®) Im Uebrigen aber ist sein Bericht, wie wir oben (8. 124 ff.) gesehen, fast mit dem Livianischen identisch. Es handelt sich um die κεραμῖδες πολιτικαὶ und die tegulae publicae. Bereits früher ist ausgeführt worden !*?), dass das bestimmte Zeugniss des Nepos, Rom sei bis zum Kriege mit Pyrrhus mit Schindeln bedeckt gewesen, schwerwiegender ist, als der Bericht Diodors und des Livius. Hier dürfen wir aber einen

158) Diese Erklärung empfiehlt sich meiner Ansicht nach mehr als die Annahme, Diodor hätte diese Notiz übergangen, was Mommsen an- nehmen muss, der es für möglich hält, dass sie oder eine ähnliche schon bei Fabius gestanden habe (a. a. O. S. 641 A. 1). Ich glaube, ohne un- bescheiden zu sein, hoffen zu dürfen, dass die vorliegende Arbeit im Stande sein wird, Jordans Kritik gegen Mommens Tadel (S. 586 A. 2) zu rechtfertigen. 139) Vgl. oben s. 125.

Ya, \

nn ne - -- A. LI

Ueber den gallischen Brand. 143

bedeutenden Schritt weitergehen. Nach Jordan!“) ist der Backstein- bau “schwerlich älter als die Zeit des Sulla’, auf keinen Fall aber so alt, dass Fabius bereits die Vorstellung gehabt haben könnte, dass Rom nach dem gallischen Brande aus Backsteinen wieder auf- gebaut sei. Da aber Diodor und Livius von “Staatsziegeln’ sprechen, so sind wir genóthigt anzunehmen, dass Diodor diese oder eine ähn- liche Notiz bereits in seiner Quelle fand, welche mithin nicht Fabius gewesen sein kann, oder man müsste ihm mindestens zwei Quellen vindiciren, wodurch dann völlig Alles unsicher wird, da man nicht weiss, was er der einen und was der andern er entnahm. “Staats- ziegel’ sind ohne “Staatsziegeleien’ nicht denkbar, und so findet denn Jordan (S. 485 A. 5) in den Worten Diodors eine Anspielung auf “Staatsziegeleien’, welche nun gar nicht so alt sind wie Fabius, da die Ziegelstempel in Rom erst mit der Kaiserzeit beginnen (Jordan S. 57). Endlich klingen die Worte des Livius (V 55, 3): (tegula publice praebita est) .... praedibus acceptis eo anno aedificia per- fecturos deutlich an eine Bestimmung der lex Urson. ($ 75) an (vgl. Jordan (S. 485 A. 5), welche der Cäsarischen Städteordnung an- gehórt. Mag nun Livius jene Bestimmung im Auge gehabt haben, oder mag (eine Annahme, zu der Jordan a. a. O. neigt) aus ihm zu schliessen sein, dass ähnliche Verordnungen “schon zur Zeit Cüisars und früher auch für Rom galten', jedenfalls ist auch dieser Zug von Livius den Verhältnissen seiner Zeit entnommen, denn baupoli- zeiliche Vorschriften treten bekanntlich erst in der letzten Zeit der Republik auf.

So fallen die Berichte Diodors und. des Livius in sich selbst zu- sammen. Topographische Zeugnisse für den gallischen Brand, welche mehr werth sein würden als alle Berichte, sind nicht vorhanden. Jordan hat deshalb noch nicht den gallischen Brand verworfen. Wenn es mir aber gelungen sein sollte, meinerseits zu zeigen, dass nicht nur die Berichte über den Brand höchst bedenklich sind, son- dern auch, dass Polybius in seiner Quelle die gallische Verwüstung noch nicht vorfand, so werden wir, denke ich, berechtigt sein, den letzten Schritt zu thun und den sogenannten gallischen Brand aus der römischen Geschichte zu streichen.

VI. Anhang: Die Quellenfrage.

Zwei Fundamentalsätze sind es, welche den Gang der folgenden Untersuchung bestimmen: 1. Fabius Pictor ist die Quelle des Polybius, 2. Diodor benutzt eine jüngere Quelle. Ich beabsichtige nun nicht, jeden Schriftsteller, welcher eine

^9) Vgl. bes. S. 18 ff.

144 Georg Thouret:

Darstellung der gallischen Katastrophe gegeben, auf eine bestimmte Quelle zurückzuführen. Dies würde einmal kaum müglich sein und zweitens für den “Anhang” eine ungebührliche Ausdehnung nöthig machen. Ich stelle mir vielmehr nur drei Fragen zur Beantwortung: 1. Welcher Epoche der römischen Annalistik gehört der ur- sprüngliche Autor der Vulgata vom gallischen Brande an? 2. Wie steht die Quelle Diodors zu dieser Epoche? 3. Welches Verhältniss findet statt zwischen Livius und den späteren römischen Schriftstellern ?

1. $ 1. Livius, Dionys, Plutarch.

Man kann über das Verhältniss dieser drei Autoren zu einan- der verschiedener Meinung sein: soviel haben die bisherigen Unter- suchungen festgestellt, dass alle drei, was die gallische Katastrophe und die Camillussage betrifft, auf eine einzige Recension zurückgehen. Ich darf mich hier auf H. Peter!*!) und O. Clason!“?) berufen. Nur wenige Bemerkungen will ich hinzufügen.

"Mit Recht weist Peter (a. a. O. S. 17) darauf hin, dass die Untersuchung über das Verhültniss Plutarchs zu Dionys deshalb zu keinem glatten Resultat kommen kann, weil wir nur Excerpte aus Dionys vor uns haben, welche den ursprünglichen Text ohne Zweifel sehr hüufig stark verkürzt und die Einzelheiten zusammengezogen haben. Dabei sind Veründerungen und Abbeugungen der Darstel- lung unvermeidlich.4?) Widerspricht also ein Excerpt der Darstel- lung Plutarchs, so wissen wir nicht, ob dies ein wirklicher oder nur ein scheinbarer Widerspruch ist. Indessen deckt sich die über- wiegende Mehrzahl der Dionys. Excerpte in einer Weise mit der Biographie des Camillus von Plutarch (vgl. Peter S. 23), dass nur eine Recension bei beiden zu Grunde liegen kann, sei es nun, dass Plutarch den Dionys ausschrieb, sei es dass beide aus denselben Quellen schópften.!4*) -

Von diesem Standpunkte aus müssen wir daher die vorhande- nen Differenzen betrachten. Ein Theil derselben erweist sich denn auch als nur scheinbar (vgl. Peter S. 25), ein anderer Theil erklärt sich sofort auf die einfachste Weise, wenn wir die Abkürzungen des Excerptors berücksichtigen (vgl. Peter S. 24). Alle diese endlich betreffen ganz unwesentliche Punkte. Bei dreien jedoch liegt die Sache anders.

141 Die Quellen Plutarchs u. s. w. S. 17—28. 143 Róm. Gesch. II S. 73—78. '*°) Lehrreich sind die Ausführungen Nissens über die Excerpte aus Polybius (vgl. Untersuch. S. 8). !**) Diese Nebenfragen, welche eine äusserst subtile Behandlung erfordern, sind für meine Ab- sichten so sehr Nebensache, dass ich sie einfach übergehe.

Ueber den gallischen Brand. 145

Plutarch giebt die Höhe des Lösegelds wie Livius auf 1000 Pfund Gold an!*5) Dionys dagegen auf 25 Talente.'49) Die letzte Summe ist fast genau das Doppelte der ersten N und wenn wir uns erinnern, dass Varro dieselbe Summe angiebt!*?), so werden wir schliessen, dass entweder Dionys seine Angabe dem Varro entnahm, oder dass Varro die betreffende Notiz bereits bei irgend einem Schrift- steller vorfand, der mit der Quelle des Dionys hierin übereinstimmte. Auffallend ist es nun, dass trotzdem Plutarch, was die ganze Erzäh- lung betrifft, nicht dem Livius, sondern vielmehr dem Dionys gefolgt ist (vgl. Peter S. 26). Peter meint, die Erzählung selbst sei aus Dionys, jene einzelne Angabe aber aus Livius entnommen. Ich ge- stehe, dass dies sehr unwahrscheinlich klingt. Es bleibt, bei der fast wörtlichen Uebereinstimmung zwischen Plutarch und Dionys !*?), auch hier nur die Annahme übrig, dass Dionys selbst beide Summen an- geführt hat, dass Plutarch aber nur die gewöhnliche, der Excerptor gerade die ungewühnliche Zahl wühlte.

Wenn wir das Excerpt 18 des XIII. Buchs lesen, welches von der rómischen Gesandtschaft an die Gallier handelt, so scheint Dio- nys mit Diodor übereinzustimmen. Es heisst nämlich: ἀποςταλέν- τῶν δὲ mpecfeurüv ἐκ Ρώμης ἐπὶ Κελτούς᾽ xre; also von einer Hülfesendung für Clusium kein Wort; man könnte meinen, Dionys habe wie Diodor (XIV 113, 4) als Zweck der Gesandtschaft an- gegeben: die Boten sollten die Stärke und die Zusammensetzung des gallischen Heeres ausspioniren.

Da die Gallier nach demselben Excerpt nur die Auslieferung von zwei Gesandten fordern, so gewinnt es den Anschein, als habe Dionys wie Diodor (a. a. O.) überhaupt nur von zwei Gesandten gesprochen. In diesem Falle würde er nicht die Quelle Plutarchs gewesen sein kónnen, welcher hier mit Livius (V 36, 5; 11) über- einstimmt (Cam. 17). Indessen ist die Frage nicht zu entscheiden. Denn das nüchste Excerpt (XIII 19) widerspricht, so wie es dasteht, allen übrigen Darstellungen. Darnach wären nämlich die Gallier gegen Rom aufgebrochen, weil der Senat den Handel in die Länge zog und mit der Antwort zauderte. Hier müssen wir eine bedeu- tende Kürzung des Dionysischen Textes annehmen. Dann aber dürfen wir auch die vorhergehenden Worte (exc. 18) nicht pressen. Für unsere Untersuchung endlich ist es gleichgtiltig, nach welcher Seite hin man die Entscheidung treffen will. Denn gesetzt den Fall, Dio- nys stimme in Bezug auf die Gesandtschaft mit Diodor überein, so folgt daraus weiter nichts, als dass er wie 80 oft mehrere Darstel- lungen contaminirte. Diodors Bericht ist ja nur deshalb für uns so

146) Cam. 28; vgl. Liv. V 48, 8. !**) XIII exc. Ambr. 18. 1) Vgl. Peter a. a. O. S. 26 Anm. !**) Bei Non. III p. 155, vgl. oben S. 112. 1*9) Hieher gehört vor Allem die gleiche Wiedergabe des 'vae victis! durch “roic νενικημένοις ὀδύνη᾽ (Plut. Cam. 28) und “ὀδύνη τοῖς κεκρατημένοις᾽ (Dion. XIII 18).

Jahrb, f, class. Philol. Suppl. Bd. XI. 10

146 | Georg Thouret:

werthvoll, weil er auch sonst von der Vulgata abweicht, weil er die volle Ausbildung der Camillussage nicht kennt. Dionys aber hat jedenfalls die Vulgata dargestellt, was wir aus XIII 13 mit Sicher- heit schliessen dürfen. .

Vergleichen wir schliesslich Plutarch mit Livius, so ist eine oft wörtliche Uebereinstimmung zwischen beiden unverkennbar, gegen- über welcher die Abweichungen verschwinden. Der Vollständigkeit halber will ich auf die wichtigsten derselben näher eingehen.

Nach Livius V 41, 8 sitzen die sich opfernden Greise in aedium vestibulis, nach Plutarch Cam. 22 auf dem Forum. Zur Lösung dieses Widerspruchs giebt uns Livius selbst den Schlüssel Er er- zühlt V 41, 2, dass die Greise beschlossen, die Schmach nicht zu überleben. Hierauf führt er fort (41, 3): sunt qui M. Fabio pontifice maximo praefante carmen devovisse eos se pro patria Quiritibusque iradant. Diese letzte Darstellung finden wir nun bei Plutarch, und zwar sie allein (Cam. 21). Wir werden mithin auf einen ursprüng- lichen Bericht geführt, der so lautete: Die Greise versammeln sich auf dem Forum und weihen sich unter Vortritt des Pont. M. dem Tode; darauf geht Jeder in sein Haus. Dieser Bericht spaltete sich nun zwischen Livius und Plutarch oder bereits zwischen ihren Quel- len.) Jedenfalls, worauf es mir nur ankommt, liegt nur eine Darstellung zu Grunde.

Livius erzählt V 46, 6 ff: Die Römer, welche sich nach Veji gerettet haben, beschliessen, dem Camillus die Dictatur zu tber- tragen, vorher aber, um die verfassungsmässige Ernennung zu er- möglichen, einen Boten auf das Kapitol zu schicken. Pontius Comi- nius führt die Botschaft aus und bringt die Ernennung zurück.

Bei Plutarch (Cam. 24)!9') wendet man sich direkt an Camil- lus, dieser aber veranlasst die Sendung des Cominius. Diese Diffe- renz ist vielleicht auf Rechnung Plutarchs zu setzen, der das Lob, welches Livius ob diesem Gefühl für Gesetzmässigkeit den Römern überhaupt spendet (46, 7): adeo regebat omnia pudor, disoriminaque rerum prope perditis rebus servabant, für seinen Helden in An- spruch nahm (a. a. O.): τῆς μὲν οὖν εὐλαβείας καὶ καλοκαγαθίας τὸν Κάμιλλον ἐθαύμαςαν. Gerade dieser Zusatz zeugt für einen ursprünglichen Bericht.

Endlich ist noch eine Differenz zu erwähnen, auf welche Clason meiner Ansicht nach viel zu grosses Gewicht gelegt hat. Livius be- richtet V 25, 9: Die Matronen erhalten das Fahrrecht an Festtagen als Anerkennung ihrer Beisteuer zum Weihgeschenk, welches nach der Eroberung von Veji dem Delphischen Apollo geweiht wurde;

180) Diese Deutung der Differenz zwischen Livius und Plutarch möchte ich derjenigen vorziehen, welche Mommsen aufstellt (Hermes XIII S. 628, A. 1): “Wenn sie (die Greise) bei Plutarch auf dem Markt sitzen, so ist dies wohl ein Versehen’. 16) Und bei Dio fr. 26 (Beck. p. 14). Der An- nahme, dass Dio hier vielleicht den Plutarch benutzt, steht nichts im Wege.

Ueber den gallischen Brand. 147

und V 50, 7: Die Matronen erhalten für die Beisteuer zum gallischen Lösegelde das Recht der oratio funebris. Plutarch kennt nur das letztere, giebt ihm aber die Veranlassung, welche Livius beim ersteren erwähnt. Um die Verwirrung vollständig zu machen, lässt Diodor (XIV 116, 9) den Matronen das Fahrrecht für ihre Beisteuer zum Lósegelde ertheilt werden.

Clason nennt diese Differenz “gravirend’ (R. G. II, S. 78). Verstehe ich ihn recht, so will er sie auf folgende Weise lósen: Zwischen Plutarch und Diodor findet kein Widerspruch statt; die Elemente sind: Eine zwiefache Beisteuer, eine zwiefache Belohnung. Diodor und Plutarch haben je eins von diesen Elementen, Livius aber alle zusammen aufgenommen, folglich hat seine Quelle hier zwei Angaben contaminirt. Dem widerspricht aber, wie Clason selbst sagt (S. 79), die Thatsache, dass Livius weder mit Diodor noch mit Plutarch in der Zusammenstellung von Leistung und Vorrecht über- einstimmt, mithin muss er sich einmal versehen haben. Damit ist die Sache aber noch nicht erledigt. An der Stelle nämlich, wo Plutarch Beisteuer und Ehrenrecht erwähnt (Cam. 8 nach der Er- oberung von Veji), ist seine Darstellung so völlig identisch mit der Livianischen (V 23 ff., vergl. Clason S. 74), dass hier dieselbe Quelle zu Grunde liegen" muss, nach Clasons Meinung Licinius Macer. Da nun Plutarch bei Gelegenheit der gallischen Katastrophe weder von einer Beisteuer der Matronen noch von einem Staatsdank dafür spricht, s0 muss er (resp. Dionys) inzwischen die Quelle gewechselt haben. Clason combinirt nun folgendermassen: Antias knüpfte das Ehrenrecht der oratio funebris an die Beisteuer zum Mischkrug, und er berichtete von einem ähnlichen Vorgange beim Abzuge der Gallier nichts. Diodors Qnelle dagegen wusste nur von der Beisteuer zum gallischen Lóse- gelde und dem dafür ertheilten Fahrrecht. Macer nahm beide Ver- sionen auf; ihm folgte Livius, der aber durch eine Verwechselung die Ehrenrechte an eine falsche Stelle brachte. Plutarch (resp. Dionys) folgt an erster Stelle Macer und bringt daher die durch diesen hindurch- gegangene Angabe des Antias. Nun legt er Macer bei Seite und folgt Antias, mithin schweigt er wie dieser bei Gelegenheit der gallischen Katastrophe. Diese Combination Clasons ist etwas künst- lich, namentlich da jedenfalls Livius sich eines Versehens schuldig gemacht hat. Clason ist aber, wie ich glaube, im Irrthum, wenn er meint, “dass bei Livius dieselbe Tradition in zwei Varianten vorliege’ (S. 78). Er sagt: “Ursprünglich kann nur eine derartige Tradition existirt haben; und zwar war dieselbe zur Erklärung jener Vorrechte der Matronen erfunden’ (S. 79). Die Sache scheint mir vielmehr so zu liegen: Es gab nur ein altes Vorrecht der Matronen, nämlich an Festtagen und auch sonst den Wagen innerhalb der Stadt zu be- nutzen!**) und dieses Privilegium wurde aufgefasst als Dank für die

158) Vergl. Mommsen, Staater.? I, S. 377 u. Herm. XIII, 8. 537.

4n9*

148 Georg Thouret:

Beisteuer der Matronen zum Weihgeschenk an Apollo oder zum Lösegeld der Stadt. Beide Anknüpfungen gingen nebeneinander her, wie wir dies deutlich daraus sehen, dass Diodor'?) diese, Festus!9^) jene nur kennt. Wir haben mehrfach gesehen, dass bei derartigen Versuchen, bestehende Einrichtungen aus der alten Geschichte zu erklären, gerade das Auseinandergehen der Deutungen ein Charakteri- stikon ist. Wollte man aber daraus, dass diesem Schriftsteller diese, jenem jene Deutung besser gefiel, gleich auf verschiedene Quellen schliessen, so würde man oft gänzlich fehlgehen. Was nun das an- gebliche Ehrenrecht der laudatio funebris betrifft, so ist das offenbar eine ganz junge Erfindung. Es klingt unrömisch, dass den Frauen diese Ehre gewesener Magistrate zu Theil geworden sei!59) und es schmeckt das nach den Zeiten, in denen Caesar am Sarge seiner Tante lange Reden hielt.!59)

Mithin werden wir auf die besprochene Differenz zwischen Livius und Plutarch kein Gewicht legen. Dem Griechen Plutarch imponirte wahrscheinlich (wie dem Polybius) die römische Sitte der laudatio funebris, und deshalb interessirte ihn diese Notiz in hóherem Grade als die andere, auf das Fahrrecht der Frauen bezügliche. So er- ledigen sich die Hauptdifferenzen.

Mithin können wir ohne Scheu die Behauptung als bewiesen bezeichnen, dass uns bei Livius, Dionys und Plutarch eine Recension . vorliegt, die also auch älter sein muss als ihre Quellen, für welche allgemein die Annalisten der Sullanischen Zeit gehalten werden. Oben (vergl S. 114) kamen wir von allgemeinen Betrachtungen her zu demselben Resultat. Es fragt sich nun, ob uns dasselbe weiter führt.

8 2. Claudius Quadrigarius.

Als der älteste Annalist der Sullanischen Zeit gilt Q. Claudius Quadrigarius; er wird von Velleius und Fronto!9") in einer Auf- zühlung dem Antias vorgesetzt. Wir dürfen so viel mit Sicherheit behaupten, dass er seine Annalen unabhängig von Antias und Macer verfasste. Wann er geschrieben, wissen wir nicht. Das letzte da-

15) XIV 116, 9. !** M. p. 245 s. v. polentis; Servius (ad Aem. 8, 666; 11, 478) bringt nur die Sache. Vielleicht entstanden diese *Matronenvorrechte! in jenen Tagen, wo das Oppische Gesetz heisse De- batten hervorrief. Eine jedenfalls alte Ueberlieferung sagte aus, dass den Matronen das zur Verfügung gestellte Gold wiedererstattet worden sei (Fest. p. 153 matroni(s) aurum redditum). Damit würde die hauptsächliche Veranlassung zu Ehrenrechten weggefallen sein, wenn auch immer noch der gute Wille belohnt werden konnte. Endlich be- anspruchten auch die Massilienser den Ruhm, zum Lösegelde beige- steuert zu haben (Justin. 48, 5, 9). Wie es sich damit verhält, wissen wir nun gar nicht. !*^ Vergl Mommsen, Staatar.? I, S. 426 u. A. 9. 166) Vergl. Plut. Caes. 5; Sueton Caes. 6. 15 Vergl. die Stellen bei Peter p. CCLXXXVII. .

Ueber den gallischen Brand. 149

tirbare Fragment (Nr. 84, Peter p. 234) berührt das Treffen bei Sacriportum oder das Jahr 672 a. u. Wenn Peter (vergl. A. 1) daraus schliesst, dass er nach diesem Jahre geschrieben habe, so ist dies für den letzten Theil der Annalen selbstverständlich richtig: es bleibt aber unentschieden, ob Claudius nach dem J. 672 überhaupt erst angefangen hat zu schreiben. Wir wissen z. B., dass Livius das erste Buch seines Geschichtswerkes zwischen 727 und 729 verfasste!°®), dass er aber noch den Tod des Drusus erwähnte, welcher im J. 745 a. u. erfolgte. War nun auch das Werk des Claudius beträchtlich kleiner an Umfang, so liegt doch der Annahme nichts im Wege, dass er die letzten Abschnitte ziemlich gleichzeitig mit den Ereignissen schrieb. Sicherheit hierüber zu erlangen ist nicht mehr möglich. Vielleicht gelingt es uns an einer späteren Stelle, den terminus post quem genauer zu bestimmen.

Die neuere Forschung bezeichnet Claudius als eine Hauptquelle des Livius neben Antias. Als Ergänzung zu Nissens Untersuchungen hat in neuester Zeit Unger diesen Satz in der eingehendsten Weise verfochten und für die 4. und 5. Dekade durchgeführt.!9?) Für dieses Verhältniss sprechen einmal die häufigen Citate des Claudius bei Livius und dann die in reichlicher Zahl erhaltenen Fragmente, von denen sich die meisten in der Darstellung des Livius wenigstens wiedererkennen lassen, wenn auch die directe Benutzung des Claudius in jedem einzelnen Falle erst nachgewiesen werden muss.

Die sechs ersten Fragmente des ersten Buches der Claud. An- nalen handeln von der gallischen Katastrophe im J. 364 a. u. Auch diese decken sich mit der entsprechenden Darstellung des Livius!9?); ob dieser aber dem Claudius hier nacherzählte, ist bei der Kürze der erhaltenen Fragmente nicht auszumachen. Das erste namentliche Citat findet sich Liv. VI42,3; aber an dieser Stelle verwirft ihn Livius bereits “pluribus auctoribus' gegenüber. Nach den Gesetzen der Quellenkritik müssen wir also annehmen, dass Claudius hier nicht die Hauptquelle des Livius ist. Auf der andern Seite aber beweist das Citat, dass er einer der Autoren ist, welche Livius bei der Ab- fassung der ersten Dekade zur Hand hatte.

Aus den Fragmenten aber dürfen wir eins mit Sicherheit schliessen, nämlich dass Claudius, wenn auch vielleicht in knapper Form, dieselbe Darstellung der gallischen Katastrophe gegeben hat wie Livius.

Das 1. Fragment handelt von dem Schrecken in Folge der Allia- schlacht; das 3. Fragment handelt wahrscheinlich von dem Anmarsche der Gallier; das 4. und 5. Fragment geht die That des Pontius Cominius an; das 6. Fragment berührt die Waffenstillstandsverhand- lungen Au Aus dem 7. Fragment endlich ersehen wir, dass Claudius

NEU Teuffel R. L. G.* S. 546, 5. !'*) Philologus 1878; 8. Suppl. Band, 2. Abth. 1690) Vergl. Peter p. 206 u. 6 mit den Noten.

150 Georg Thouret:

die Rettung des Kapitols durch M. Manlius und den Sieg des Dictator Camillus erzählte. Wir sind zu der Behauptung berechtigt, dass Claudius, der älteste Annalist der Sullanischen Zeit, die vulgäre Tradition dargestellt hat. Halten wir dies zunächst fest.

Erinnern wir uns nun, dass wir im ersten Theile der Unter- suchung (vergl. oben S. 139 ff.) die Bemerkung machten, dass die ganze hierher gehörige Partie des Livius unverkennbar griechische Reminiscenzen zeigt. Man kann sich kaum der Ansicht verschliessen, dass das Vorbild des persischen Einbruchs in Attika und die Zer- störung Athens von Einfluss gewesen ist auf die Fassung der römi- schen Vulgata. Wir werden dadurch von selbst in die Epoche der griechisch schreibenden Annalisten geführt. Kehren wir mit dieser Betrachtung zu dem vorher gewonnenen Resultat zurück, so ergiebt sich eine überraschende Combination. Ein Claudius hat bekanntlich die griechischen Annalen des Acilius bearbeitet, oder gar lateinisch übersetzt (nach Liv. XXV 39, 12 und XXXV 14, 3). Ist Claudius Quadrigarius und dieser Ueberarbeiter ein und dieselbe Person, so werden wir mitten hinein in die gräcisirende Epoche der römischen Annalistik gewiesen; in ihr hätten wir den Autor zu suchen, welcher der römischen Tradition zuerst die Fassung gab, die, wenn auch vielfach erweitert und abgebeugt, in ihren Hauptzügen feststeht, und die durch Claudius hindurch in die uns zugängliche historische Lit- teratur hinüber geleitet wurde.

Acilius würde in jeder Beziehung eine passende Persönlichkeit sein. Mag derselbe identisch sein mit dem Senator C. Acilius, welcher als Interpret bei der Philosophengesandschaft im J. 599 a. u. fun- αἰτίο 161), oder nicht: jedenfalls beweist die Thatsache, dass er römi- sche Annalen in griechischer Sprache schrieb, seine Vertrautheit mit griechischer Litteratur. Auch besitzen wir in dem bertilhmten Ge- spräch zwischen dem älteren P. Scipio und Hannibal in Ephesus!**) ein authentisches Stück seines Geschichtswerkes. Dasselbe zeigt uns deutlich, dass Acilius nicht bloss einen feingebildeten, echt helle- nischen Geschmack besass, sondern dass er auch schön zu schreiben wusste.

Weitere Betrachtungen verbieten sich hier von selbst, wo es vor allen Dingen auf die Entscheidung der Frage ankommt, ob der Bearbeiter des Acilius und der von Livius im VI. Buche zum ersten Male citirte Claudius ein und dieselbe Person ist. Diese Frage ist neuerdings mehrfach behandelt und verschieden beantwortet worden. Im Folgenden will ich das ‘Für’ und “Wider” beleuchten und ver- suchen, die Bedenken, welche gegen die Identität erhoben worden sind, zu entkrüften.

161) Gell, N. A. VI 14, 9; vergl. Peter p. CXVIUL 1459 Liv. XXXV 14, 3 δ; vergl. Peter p. 46 n. 5.

Ueber den gallischen Brand. " 151

8 3. Der Bearbeiter des Aocilius.

In den erhaltenen Büchern des Livius wird ein Claudius ohne jede nähere Bestimmung 10 mal citirt: VI 42; VIII 19; IX 5; X 37; XXXIII 10, 30, 36; XXXVIII 23, 41; XLIV 15. Ausserdem wird an zwei Stellen ein Claudius genannt, der sich in irgendwelcher litterarischen Abhängigkeit von Acilius befand. Nämlich XXV 39, 12: ad triginta septem milia hostium caesa auctor est Claudius, qui annales Acilianos ex Graeco in Latinum sermonem vertit, und XXXV 14, 3: Claudius secutus Graecos Acilianos libros... tradit. Es fragt sich: Ist dieser zweimal genannte Claudius derselbe wie der zehnmal genannte? Nissen bejaht die Frage und ist der Ansicht, dass Livius an allen Stellen ‘die Chronik des Acilius in der lateini- schen Uebersetzung eines gewissen Claudius’ benutze.!®®) Er trennt aber diesen Claudius von Cl. Quadrigarius. Mommsen weist diese Trennung zurück und versteht unter dem Claudius an allen Stellen den Quadrigarius.!®) Peter unterscheidet den Claudius jener zehn Stellen von dem Bearbeiter des Acilius und hält den ersten für identisch mit Quadrigarius.") Unger endlich meint, Livius meine zwar überall ein und denselben Claudius Quadrigarius, habe aber verschiedene Werke desselben im Auge, nämlich ein selbständiges Annalenwerk an jenen zehn Stellen, und eine besondere Bearbeitung des Acilius an diesen zwei Stellen.!®

Dies ist der augenblickliche Stand der Frage.

Um in diesem Labyrinth den Ariadnefaden nicht zu verlieren, betrachte ich die verschiedenen Ansichten zunächst nach allgemeinen Gesichtspunkten, und dabei zeigt sich sofort eine verschiedene Auf. fassung in Bezug auf die Frage: 'Kónnen die Annalen des Quadri- garius und die Bearbeitung des Acilius überhaupt ein Werk sein?’ Mommsen giebt dies unbedenklich zu, die übrigen Gelehrten ver- halten sich dagegen skeptisch. Warum? Für Nissen war der Haupt- grund, zwischen beiden Werken zu unterscheiden, die Beobachtung, dass Livius den Claudius niemals Quadrigarius nennt, was mit seiner sonstigen Citirmethode nicht im Einklange stünde und deshalb so auffallend sei, weil Quadrigarius auf keinen Fall damals schon zu den geleseneren Autoren gehört habe (a. a. O. S. 40). Ich kann mich hiergegen auf Mommsens Ausführungen (a. 8. O.) und auf Peters Bemerkungen (p CCLXXXXVII) berufen. Danach kann die Form der Citate hier nichts entscheiden, keine Trennung der beiden Werke begründen. Aber Nissen hat bereits beiläufig einen zweiten Grund genannt, der ebenfalls in zweiter Linie von Peter und Unger geltend gemacht wird. Nämlich: Quadrigarius könne deshalb schwerlich der

168) Vergl. Untersuchungen 8. 39 u. 40. !9*) Vergl Hermes I, S. 166, Ann. 1. !°°) Vergl. p. COLXXXXVII sqq. 1565. Vergl. Philol. ἃ. ἃ. O. S. 4 ff. Ich sage 'Livius hatte im Auge’ und nicht: “benutzt”. Warum wird unten deutlich werden.

152 Georg Thouret:

Bearbeiter des Acilius sein, weil dieser mit der Gründung der Stadt, jener aber erst mit der gallischen Katastrophe begonnen hätte. Zunächst ist hiergegen zu bemerken, dass eine Bearbeitung des Acilius vom J. 364 a. u. an immerhin eine Bearbeitung ist. Es heisst aber viel gefordert, wenn man von Livius verlangen wollte, dass er genau hätte das Jahr bezeichnen sdllen, von dem an Clau- dius den Acilius übersetzte. Was aber die Hauptsache ist: man darf nie vergessen, dass die so wahrscheinlich aussehende Annahme, dass Claudius Quadrigarius sein Geschichtswerk mit dem J. 364 a. u. be- gann, im letzten Grunde doch nur eine Annahme ist und bleibt. Gewiss! Wir haben kein Fragment, welches früher zu setzen wäre, aber ein strikter Beweis ist dies doch nicht. Man führt gern die Worte des Livius (VI 1), dass die römische Geschichte vor dem gallischen Brande höchst unsicher sei u. s. w. auf Claudius zurlick und meint, dies sei das Motiv für ihn gewesen, die ganze ältere Ge- schichte unberlicksichtigt zu lassen. Aber erstens ist dies auch nur eine Annahme, und zweitens könnte man dem wohl entgegenhalten, dass ja Livius selbst, obwohl er sicher von der Bedeutung des galli- schen Brandes überzeugt war, doch die Geschichte der alten und ältesten Zeiten unbedenklich schrieb. Merkwtürdigerweise aber hat nun Quadrigarius nicht nur nicht erst nach dem gallischen Brande begonnen zu schreiben, sondern er hat jedenfalls die Geschichte der gallischen Invasion von Anfang bis zu Ende erzählt (vergl. oben 5. 149). Das erste Fragment springt mitten in die Schrecken der Allisschlacht hinein. Nach der herrschenden Ansicht wäre es wirk- lich das einzig Natürliche, dass z. B. die Einleitung des VL Buch des Livius oder etwas Aehnliches den Anfang seines Werkes bildete, dass er mit der vollendeten Thatsache der Zerstörung Roms seine Geschichte begann. Dies ist nicht der Fall, und wo will man nun die Grenze ziehen?

Endlich noch ein Beispiel. Licinius Macer, welcher von Anfang an die römische Geschichte schrieb, erzählte im 2. Buche bereits den Krieg mit Pyrrhus.!57) Gesetzt den Fall, das erste erhaltene Frag- ment fiele ungefähr in das Jahr 364 a. u., so mtissten wir es auf jeden Fall unter die Rubrik: ex lib. I bringen, und was würden wir vielleicht daraus für Schlüsse ziehen? Gerade die Vergleichung mit Macer ist lehrreich: Nach der gewöhnlichen Ansicht schrieb Claudius die Geschichte der J. von 364—672 a. u. in 19 Btichern!®), Macer die Geschichte der J. von 1— 688 a. u. in 21 Büchern.!5?) Nach den Fragmenten handelte Claudius im 2. Buche vom J. 460 a. u., Macer im 2. Buche vom J. 476 a. u.!?) Bei dieser Sachlage

197) Vergl. Peter p. 308, n. 20. !*5) In dieses Jahr und Buch ge- hórt das letzte mit Bestimmtheit zu datirende Fragment; vergl. Peter p. 234, n. 84 u. 85. !*?) Die Beziehung des fr. 28 bei Peter p. 309 u. Note 23 scheint mir durchaus zutreffend zu sein. !'^) Ich setze die gangbare Jahreszahl an Stelle von 'Pyrrhus'.

Fe —— un

Ueber den gallischen Brand. 153

steht nichts der Annahme im Wege: also kann auch Claudius sehr gut die ganze römische Geschichte von J. 1—672 in 19 Büchern geschrieben haben. Ich will keineswegs den letzten Schluss, obgleich er mir unanfechtbar zu sein scheint, aufrecht erhalten; es liegt mir nur daran, zu zeigen, dass man auf die Annahme, dass Claudius erst mit dem gallischen Brande begann, keine Beweise oder Beweisgründe stützen kann. Für Unger aber steht die Richtigkeit jener Annahme so fest, dass er den ἔλεγχος χρόνων eines Κλώδιός τις, welcher nach Plutarch Numa c. 1 die gangbaren Familienstammbtiume für verfälscht erklärte, ‘da die Originale durch den gallischen Brand vere nichtet worden seien’, für eine griechisch geschriebene Monographie des Quadrigarius hält, “welche die Bestimmung hatte, die Wahl des Anfangs seiner Annalen durch den Nachweis der Unzuverlässigkeit der ältesten Geschichte ausführlicher und gelehrter zu rechtfertigen, als dies in seinem für das grössere römische Publikum bestimmten Werke statthaft gewesen wäre’ (a. a. O. S. 12). Ich kann Unger hierin nicht beistimmen. Bis jetzt weiss Niemand, was dieser ἔλεγχος χρόνων eigentlich enthielt. Die Worte Plutarchs drehen sich ledig- lich um die Echtheit oder Unechtheit von Stammbäumen.!’!) In- dessen, wenn es feststünde, dass Quadrigarius wirklich die älteste Geschichte bei Seite liess, so würde jene Combination wenigstens einen festen Grund und Boden haben. So aber billigt oder verwirft man sie mit gleichem Rechte. Ja, wenn ich mich nicht irre, so ist jener unglückliche ἔλεγχος nicht ohne Einfluss gewesen auf die ganze Ansicht von den Annalen des Quadrigarius.

Ich schliesse mich also durchaus der Ansicht Mommsens an, dass an und für sich nichts gegen die Identität dieser Annalen und der Bearbeitung des Acilius spricht.

Aber geben wir einmal zu, dass eine Trennung vorgenommen werden müsse, so haben wir zwei Lösungsversuche. Peter nimmt zwei Werke und zwei Verfasser an. Unger dagegen meint, dass die Uebersetzung des Acilius eine Jugendarbeit des Quadrigarius, die Annalen aber ein Werk seiner reiferen Jahre sei (8. 12). Ich ge- stehe, dass mir die letztere Ansicht absolut unmöglich zu sein scheint. Die Annalen des Acilius waren, nach den erhaltenen Bruch- stücken zu urtheilen, namentlich in den späteren Partieen von einer gewissen Fülle und Breite der Darstellung. Derselbe Mann aber, der dieses ganze Werk lateinisch tibersetzte oder bearbeitete, soll nun noch ein zweites, eigenes Annalenwerk verfasst haben? Hier spielt offenbar wieder jene Ansicht von den Annalen des Quadri- garius mit hinein. Claudius überzeugte sich durch die Uebersetzung des Acilius, dass die älteste Geschichte vollkommen unsicher sei, und deshalb machte er sich daran, ein eignes Werk auf kritischer Grund-

171) In Bezug auf diesen Claudius kann ich nur durchaus den Aus- führungen Bróckere beistimmen (Untersuch. S. 2 ff).

154 Georg Thouret:

lage zu schreiben. Wenn wir einmal die Werke trennen, dann müssen wir mit Peter auch die Verfasser trennen. Denn abgesehen von allem Andern, gewährt es doch einen merkwürdigen Anblick, wenn Livius für eine Periode der Geschichte, wo die Quellen so reichlich flossen, neben dem kritisch gesichteten Werk des Claudius auch noch dessen entschieden schwächere (so muss man doch folgern) Jugendarbeit benutzt. Um dieser Consequenz zu entgehen, wählt Unger, wie wir sehen werden, einen wunderlichen Ausweg.

So sind wir bis zu dem Kernpunkt der Streitfrage angelangt: "Welches sind die Argumente für die Trennung der Annalen und der Bearbeitung? Sie sind aus jenen beiden Stellen geschöpft, von denen ich die erste, weil wir sie ganz brauchen werden, vollständig hersetze:

Liv. XXV 39, 12 (bei dem Ueberfall des Pun. Lagers durch die Römer unter L. Marcius): ad triginta septem milia hostium caesa auctor est Claudius, qui annales Acilianos ex Graeco in Latinum sermonem vertit, captos MDCCCXXX, praedam ingentem paratam: in ea fuisse clipeum argentum pondo CXXXVII cum imagine Bar- cini Hasdrubalis.

Valerius Ántias una castra Magonis capta tradidit, septem milia caesa hostium ; altero proelio eruptione pugnatum cum Hasdru- bale, decem milia occisa, quattuor milia CCCXXX captos.

Piso quinque milia hominum, cum Mago cedentis nostros effuse sequeretur, caesa ex insidiis scribit.

Apud omnis magnum nomen Marcii ducis est, et verae gloriae eius etiam miracula addunt, flammam ei contionanti fusam e capite sine ipsius sensu cum magno pavore circumstantium militum: moni- mentumque victoriae eius de Poenis usque ad incensum Capitolium fuisse in templo clipeum Marcium appellatum cum imagine Has- drubalis.

XXXV 14, 3: Claudius, secutus Graecos Acilianos libros, P. Africanum in ea fuisse legatione tradit, eumque Ephesi conlocutum cum Hannibale etc.

Ich muss nun zunächst Peter gegen Unger vertheidigen. Unger sagt (S. 5 ff), die letzte Stelle sage nicht, dass Claudius den Aci- lius übersetzte, sondern nur, dass er ihm folgte. Mithin hätte Peter, wollte er consequent bleiben, neben dem Uebersetzer des Acilius, einen davon verschiedenen Claudius annehmen müssen, welcher dem Acilius ab und zu gefolgt sei. Dann würden wir drei Claudi haben. Diese Forderung Ungers ist hart. Wenn Livius einmal in bestimm- tester Weise erklärt hatte, dass dieser Claudius den Acilius über- setzte, so war es genug, wenn er an späterer Stelle sagte: “Auch hier folgt Claudius dem Acilius".

Die erste Stelle ist bei weitem die wichtigere. Peters Argumen- tation gipfelt in der Frage (p. CCLXXXXVII): “Warum hat Livius diesen erklärenden Zusatz nicht an der ersten Stelle gemacht, wo

Ueber den gallischen Brand. 155

er den Claudius citirt (VI 42, 4)? Warum in der 4. Dekade an der vierten Stelle (XXXV 14), nachdem er ihn im 33. Buche dreimal eitirt?” Diese Bedenken scheinen Peter so schwerwiegend, dass er nur eine Lösung der Schwierigkeit für möglich hält: Wir müssen den von Livius 10mal citirten Annalisten Cl. Quadrigarius von diesem 2 mal genannten Claudius trennen; die Annalen und die Uebersetzung des Acilius sind zwei ganz verschiedene Werke. Dann ist Alles in Ordnung. Um Missverständnissen vorzubeugen, musste nun Livius an beiden Stellen jenen Zusatz machen. Peter ist seiner Sache so sicher, dass er an einer andern Stelle (p. CXXI) von dem Ueber- setzer Claudius sagt: Von diesem Claudius können wir soviel mit Sicherheit behaupten, dass er verschieden ist vom Quadrigarius!

Positive Beweise kann Peter nicht vorbringen, weil es keine giebt. Er muss also zugeben, dass die Trennung beider Claudii hin- fällig wird, sobald Jemand in genügender .Weise erklärt, wie Livius dazu kommt, erst im 25. Buche das Verhältniss des Claudius zu Acilius zu bezeichnen. Denn Jeder wird zugeben, dass an und für sich die Wahrscheinlichkeit grösser ist, dass diese beiden mitten unter den andern stehenden Citate eines Claudius dieselbe Person angehen wie die übrigen.

Unger hat nun einen Versuch gemacht, eine Erklürung der Schwierigkeit zu geben. Ich gestehe offen, dass ich seine Árgumen- tation nicht verstanden habe. Claudius giebt a. a. Ὁ. das Gewicht des Barkidenschildes auf CXXXVII pondo an.

Unger sagt nun (S. 6): ‘Die eigenthümlich römische Gewichts- bezeichnung pondo findet sich bei Livius, wie Nissen S. 108 zeigt, nur in Stücken, welche nach original lateinischen Quellen gearbeitet sind. Es hat also Livius auch an dieser Stelle ein von Hause aus lateinisches Werk benutzt, nicht die Uebersetzung des Acilius, und es fragt sich nur, welchen Grund er gehabt haben mag, hinzuzufügen, dass der Verfasser des ersteren sich nebenbei auch als Uebersetzer des Acilius bekannt gemacht habe.'

Diesen Grund findet Unger in den hohen Zahlen des Claudius. Antias gab den Verlust der Punier auf 21 380 M., Claudius dagegen auf 38 830 M. an. Livius wollte die Garantie für diese sehr hoch gegriffene Zahl nicht übernehmen, deshalb fügte er 'der Nennung seines Gewährsmannes die Bemerkung hinzu, derselbe habe den Acilius übersetzt, d. i. er könne diese Nachricht wohl aus dem ἜΠΟΣ Werke des Senators C. Acilius entlehnt haben’ U. S. 1).

Diese Erklärung weicht der Schwierigkeit aus. Denn sie be- antwortet gar nicht die Frage: “Benutzt nun Livius an dieser Stelle die Annalen oder die Bearbeitung des Acilius?’ Und sie entscheidet nicht, ob beide Werke identisch oder verschieden sind! Was nämlich den Ausdruck “pondo” betrifft, so meint Nissen an der von Unger citirten Stelle, dass Polybius nach Talenten, die römischen Annalisten

156 Georg Thouret:

aber nach Assen oder Pfunden Silbers rechnen; und er theilt die Beobachtung mit, dass Livius, da wo er Polybius ausschreibt, un- bedenklich die “Talente” mit herüber nimmt.

Nun schrieb Acilius zwar griechisch, aber er war ein Römer; es ist also höchst zweifelhaft, ob er das Gewicht des Schildes nach ‘Talenten’ angegeben und nicht vielmehr den Ausdruck λίτραι ge- braucht hat. Zweitens aber hatte Livius nicht den Acilius vor sich, sondern den Claudius; wenn aber Claudius die griechischen Annalen des Acilius lateinisch also für das römische Publikum übersetzte, so wird er wohl, da man einem Uebersetzer mehr Sorgfalt zutrauen darf als einem Ausschreiber, die allgemein verständlichen Mass- und Gewichtsbestimmungen angewendet haben.

Doch nun zu Peters Argumentation. Dieselbe gründet sich, wie wir gesehen, in erster Linie auf die Frage: Wie kommt Livius dazu, erst an so später Stelle jenen Zusatz zu machen? Wer diese Frage beantwortet, beseitigt Peters Zweifel! Aber er löst nicht die Schwierigkeit, und daraus sehen wir, dass auch Peters Frage nicht den Kern der Sache trifft. Nämlich angenommen, wir wiissten, wie Livius dazu gekommen sei, so erhebt sich sofort die zweite Frage: Warum macht er im 35. Buche noch einmal einen ähnlichen Zusatz? Diese Schwierigkeit bliebe bestehen, selbst wenn die erste gelöst wäre.

Aber gerade die letzte Frage enthält die Lösung. Sie klingt vielleicht trivial: einfach ist sie jedenfalls. Ich meine: Livius hat es erst im 25. Buche erfahren, oder wurde wenigstens von Neuem daran erinnert, dass Claudius die Annalen des Acilius lateinisch be- arbeitet hatte. Mit andern Worten: Acilius wurde an beiden Stellen von Claudius bereits eitirt, und Livius hielt es für nóthig, den Ge- wührsmann seines Gewährsmannes mitzunennen. Diese Thatsache würde von grosser Wichtigkeit für die allgemeine Beurtheilung der Livianischen Citate sein. Es würde sich daraus ergeben, das Livius mit Ehrlichkeit dabei verfuhr.

Dass Acilius von Claudius an der zweiten Stelle citirt worden sei, nimmt auch Unger an (S. 7). Hier liegt der Grund auf der Hand. Das Zwiegespräch zwischen Scipio und Hannibal ist zwar eine schöne Erzählung, aber offenbar eine Anekdote. Es war natür- lich, dass Claudius sich hier hinter Acilius verschanzte.

Es bleibt somit übrig, zu erklären, warum Claudius an der ersten Stelle gerade den Acilius citirte. Gelingt mir dies, dann hoffe ich meine Lósung gerechtfertigt zu haben. Denn diese beseitigt alle Schwierigkeiten. Wenn etwas aber für dieselbe spricht, so ist es der Umstand, dass meiner Ueberzeugung nach Claudius den Acilius auch an der ersten Stelle citiren musste, wollte er ein ehrlicher Mann sein. Diese Behauptung habe ich zu beweisen.

Den Beweis liefert uns die Stelle selbst.

Ueber den gallischen Brand. 157

Mit vollem Recht bemerkt Peter rell. p. 46, not. 4, dass die vorhergebende Schilderung des Kainpfes unter Führung des L. Marcius bei Livius nur aus Claudius genommen sein kann. Die Notizen aus Antias und Piso stimmen nicht zu der Haupterzühlung, und da ausser- dem Claudius an erster Stelle genannt ist, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass er hier Hauptquelle ist. Livius giebt dann (wie so oft) in Bezug auf die Grósse des feindlichen Verlustes Varianten aus Antias und Piso an. Dann fährt er fort: “Bei allen (also Acilius Claudius, Antias, Piso) steht Marcius in hohem Ansehen. Sie preisen ihn nach Verdienst und erzählen ausserdem ein Wunder: eine Flamme sei, während er vor den Soldaten sprach, aus seinem Haupte emporgelodert, ohne dass er selbst es merkte, während Schrecken und Staunen die herumstehenden Soldaten ergriff. Auch habe (fügen sie hinzu) bis zum Brande des Kapitols ein Denkmal seines Sieges tiber die Punier bestanden, nämlich der Schild im Tempel, ‘Marcium’ genannt, mit dem Bilde des Hasdrubal’. Da dies alle erzählen, so hat Peter folgerichtig die ganze Stelle unter die Fragmente des Acilius (p. 46, n. 4), des Piso (p. 133, n. 32) und des Antias (p. 247, n. 23) eingereiht. Dabei ist ihm nun ein Versehen passirt. So weit wir wissen, brannte das Kapitol zum ersten Male im J. 671 a. u. 8013). mithin würden Acilius und Piso noch nach 671 gelebt und geschrieben haben, was unmöglich ist. Den letzten Theil des Satzes hätte Peter nicht bei beiden aufnehmen dürfen. Livius hat offenbar flüchtig bei Antias und Piso nachgesehen, fand bei beiden das Wunder wiedererzählt, bei beiden auch eine Er- wühnung des Schildes, bei Ántias endlich vermuthlich ebenfalls die Notiz, dass dieser Schild bis zum Brande des Kapitols in Rom vor- handen gewesen 86i.) Da Claudius hier Hauptquelle ist, so müssen wir schliessen, dass auch er eine gleichlautende Notiz brachte, denn nur dann ist es zu erklären, wie bei Livius die Verwirrung entstand: Claudius und Antias erwähnten den Brand, Piso zwar diesen nicht, aber doch stimmte er mit jenen beiden in der Hauptsache überein, nümlich dass Marcius einen Schild mit dem Bilde des Hasdrubal er- beutet. Bei seiner eilfertigen Schreibweise schied hier Livius nicht streng genug, schob die gemeinsamen Nachrichten unter eine Rubrik: ‘Alle erzählen’ zusammen, was ja in der Hauptsache richtig ist, be- merkte nun aber nicht, dass er dabei eine Ungenauigkeit mit in den Kauf nahm.

Ich schliesse nun: Claudius schrieb diese Stelle nach 671, und als er dies schrieb, war der Barkidenschild bereits abhanden ge- kommen. Daernun vorher das genaue Gewicht desselben (137 Pfund) angiebt, so musste er als ehrlicher Mann sagen, woher er dies wusste, falls er den Schild nicht selbst gewogen hatte. Dass er dies nicht

1172) Vergl. Fischer, Róm. Zeitt. S. 185. !7*) Dies wird vollkommen bestütigt durch eine Stelle bei Plinius: n. h. V 4, 14.

158 Georg Thouret:

gethan, schliesse ich eben aus der Anführung des Acilius. Dass aber der Schild gerade in der Zeit des Acilius gewogen wurde, dafür haben wir eine merkwürdige Notiz bei Plinius. Im Anschluss an die Notiz über den Schild, welchen Marcius erobert (vergl. oben Anm. 173), fährt Plinius fort (XXXV 4, 14): Maiorum quidem nostrorum tanta se- curitas in ea re adnotatur, ut L. Manlio R. Fulvio coss. anno urbis DLXXV M. Aufidius tutelae Capitolio redemptor docuerit patres argenteos esse clipeos, qui pro aereis per aliquot iam lustra ad- signabantur.

Man sieht, in den glücklichen Zeiten nach dem Ende des Han- nibalischen Krieges zogen die Spinnen ihr stiles Gewebe um die Kriegstrophäen auf dem Kapitol, also wahrscheinlich auch um den silbernen Schild des Marcius. Ich stelle mir nun vor, dass die Leute auf jene Entdeckung des Aufidius hin nun auch auf das Kapi- tol gingen, die Schilde herabnahmen, sie anstaunten und nach dem Gewicht prüften. Da fand sich dann die erstaunliche Thatsache, dass der Schild des Hasdrubal 137 Pfund wog. Die alte Heldenzeit irat wieder lebhaft vor die Seele der Nachwelt, und die Gestalt des Marcius kleidete sich in romantischen Schimmer. Acilius, der nicht lange nach jenem Jahre geschrieben haben muss, wird diesen Schild auch gesehen und sein Gewicht gekannt haben. Da er nun, wie wir aus der behandelten Stelle des Livius bestimmt wissen, die Thaten des Marcius ausführlich berichtete, so ist es natürlich, dass er den gewissermassen neuentdeckten Schild!’*) eingehend beschrieb und das Gewicht desselben genau angab.

In den furchtbaren Zeiten der Bürgerkriege wird derselbe wohl wieder der Vergessenheit anheimgefallen sein. Müglich ist es, dass Claudius ihn noch gesehen hat, möglich aber auch, dass er, durch das Werk des Acilius aufmerksam gemacht, ihn sehen wollte aber nicht mehr vorfand, weil er bei dem Kapitolbrande auf irgend eine Weise verloren gegangen war. Wie dem auch sein mag: die Stelle gewinnt Fleisch und Blut und wird vollkommen verständlich, wenn wir sie auf die angegebene Weise verstehen: Claudius nahm die genaue Angabe aus Acilius mit herüber; da aber der Schild nicht mehr existirte, als er diese Stelle schrieb, so fühlte er sich ver- pflichtet, seinen Gewährsmann zu nennen. Bei dem speciellen Sach- verbalt wagte Livius nicht, sich nur auf Claudius zu berufen, son- dern er nannte ebenfalls die Urquelle, ohne sie selbst eingesehen zu haben. Auch bei dem Zwiegespräch in Ephesus berief sich Clau- dius auf Acilius und auch hier hielt es Livius für nóthig, den ur-

114) Ich meine selbstverständlich nicht, dass Acilius selbst den Schild wieder ans Tageslicht gezogen hat. Aber ihn als Historiker musste die Entdeckung des Aufidius interessiren. Nebenbei bemerkt, sieht man nun, wie es kam, dass ungefähr zu derselben Zeit die Tafeln des ersten röm. karth. Vertrages von Neuem gefunden wurden. Man war eben auf die Fundgrube des Kapitols aufmerksam geworden.

ET —À m -——— —À—À —Ó —Ó M R———- -

Ueber den gallischen Brand. 159

sprünglichen Autor mitanzuführen. Dass er dies that, gereicht ihm zur Ehre und ist geeignet, uns zu veranlassen, hinter seinen Ci- taten mehr Gewissenhaftigkeit zu suchen, als man im Allgemeinen annimmt." 5) Die kleine Ungenauigkeit, welche er sich hier in Be- ireff Pisos hat zu Schulden kommen lassen, kann keine gegentheilige Instanz bilden. Wahrscheinlich beruht sie auf einem Gedächtniss- fehler, der bei Vergleichung von drei Autoren erklärlich ist.

Trifft meine Erklärung das Richtige, so fällt jeder Grund weg, zwischen dem Bearbeiter des Acilius und dem Annalisten Claudius zu unterscheiden, geschweige denn den Claudius zum Verfasser zweier Annalenwerke zu machen. Wir Kommen vielmehr zu dem Resultate und zu der Ansicht Mommsens zurück, dass Livius sein ganzes Werk hindurch die lateinische Bearbeitung des Acilius be- nutzt, und dass diese und die Annalen des Claudius Quadrigarius identisch sind.

Um es begreiflich zu machen, weshalb Claudius sich gerade den Acilius wählte, um nach ihm seine Annalen zu schreiben, stelle ich auf der nächsten Seite eine Tabelle der lateinisch schreibenden Annalisten zusammen. Sie soll zeigen, dass Claudius bei ihnen offen- bar nicht fand, was er suchte, und dass er deshalb seine Zuflucht zu einem der griechisch Schreibenden nahm. Ich wähle die Jahre der Stadt, welche eine sichere oder doch höchst wahrscheinliche Ver- gleichung zulassen. Ich verlasse mich dabei auf den kritischen Apparat bei Peter. Um die Tabelle auch für andere Vergleichungen brauchbar zu machen, führe ich die Annalisten von Cato bis Livius auf. Es feblen ausser einigen ganz Unbedeutenden nur Fannius und Tuditanus, deren Ueberreste zu sporadisch sind, als dass man sich von dem Umfang ihrer Werke irgend eine Vorstellung machen könnte. Die Belege sind bei Peter zu suchen. Sie einzeln anzugeben, ist unmöglich.

Für eine derartige Vergleichung wäre es nun freilich von grösster Wichtigkeit zu wissen, ob die Eintheilung in Bücher von den be- treffenden Schriftstellern selbst herrührt, oder erst später gemacht geworden ist, und ferner, ob wir unter “Buch” überall ein ungefähr gleiches Durchschnittsvolumen zu verstehen haben. Beide Fragen weiss ich nicht zu beantworten. Was die letztere betrifft, so scheint es mir in der Natur der Sache zu liegen, dass die Bücher bei den älteren Schriftstellern jedenfalls nicht umfangreicher gewesen sein werden als bei den späteren. Wenn wir endlich sehen, dass die Vor- geschichte Roms und die Geschichte der Könige, nach den Ueber- resten zu urtheilen, von Allen ungefähr mit gleicher Ausführlich- keit erzählt worden ist, und dass diese beiden Perioden bei den meisten, ebenso wie bei Livius, das erste Buch zu füllen pflegen, so

ı75) Dies würde besonders für die Citate des Fabius und über- haupt der älteren scriptores von Wichtigkeit sein.

Georg Thouret:

160

Das Jahr der Stadt

kommt vor bei: 945 |904| 366 |434| 460 476 496,8) 688 |541| 585 | s0sys | 618 |e55| 604 | cer 615) 085 " T. —— | Οὐὐρ'. ς νόον νον στ $|1 4) 414) 1 2 1 |" EACH | Cassius Hemina . . . . - 422 32/238) | ala] ? Fabius Pictor lat amm. ||-2 | 1?| 147%) | 3 BE LU LP E | Playa Re E | 2 2—8 | 3—6 7 | | ——— —————— Cn. Gelis ... 2... $ | 3—15 | 15 16—33 38 33—9725) | E] —— Claudius Quadrigarius . || & | 1? 1?| 1 | 1]1—2| 8 | 8 | 5 | 6| 6—9 | 9 |i3|13—19| 19) 31) 8 Ka ΣΦ Lea AURI ATP Meam a A Valerius Antias . . . . - & asl Il 3—32| 22 | | 22-75? ea lt ΕΒΙ A m sin Tar θα Lieinius Macer 2.2 2. . Al a | 2 ir sl 22 | 215) E Aelius Tubero. . . , . . ἕξ 1-9 92°) 9—14? Livius ἘΠῚ [8] 69] 1018] 17 [22/3/22] 44 49/51] 66 | 69 | To | 81 87) 96

vom 7. 418 gehandelt. Dies sagt die Tabelle, —— ἢ) Vergh Peer p. 106, n. S] c. adn. —— Von diesen lateinischen Annalen eines Fab. Pictor wissen wir so gut wie nichts. Im 4. Buch war das Jahr 387 erwähnt (vergl. Peter, p. 110, n. 6). Der Ansatz oben ist unsicher. *) Bis zu welchem Jahre Gellius schrieb, ἰοὺ hüchst zweifelhaft. Die Zabl der Bücher, 97, hält Peter (verglichen mit der Anlage der Annalen) für glaubhaft, v CCXXXX; jetzt hat indess Maixner (Zoitechr. f Österr. Gymn. 29, 1878, p. 339) die Zahl der Bücher auf 47 r . Ὁ) In der Beziehung von fr. 28 des Macer (Peter p. 309) auf dus Jahr 683 stimme ich Peter durchaus bei. *) Dieser Ansatz beruht auf einer Beuserung des Gronov. bei Gellius VII (VI) 3, welche Peter (p CCCLX) für richtig hält, Indessen muss man zugeben, dass diese Zutheilung des fr. 8 von Tubero (Peter p. 818) unsicher ist; überhaupt ist unsere Kenntnise dieser Historien sehr gering. Wir wissen eigentlich nur, dass sie mindestens 14 Bücher umfassten. Ob das Fragment 11 (bei P. p. 314), welches von dem Verhältnis Caesars zu Pompejus handelt, überhaupt in die Historion gehört, bleibt fraglich.

Ueber den gallischen Brand. 161

können wir, denke ich, den Umfang der Livianischen Bücher als un- geführen Massstab betrachten.

Sehen wir uns die Tabelle an, so zeigt sich, dass Cato, Hemina und Piso die vorrepublikanische Zeit unverhältnissmässig ausführ- licher behandelt haben müssen als die Geschichte nach Vertreibung der Könige. Die Jahre 496—605/8 2. B. behandelte Cato in höchstens 4 Büchern, Hemina in höchstens 4 Büchern, Piso in höchstens 5 Büchern, Claudius in mindestens 6 Büchern. Hier zwar befinden wir uns in dem hellen Lichte der Geschichte. Viel wichtiger schon ist folgende Vergleichung: Auf die Jahre 245 —460 a. u. verwandte Hemina noch nicht 1 Buch, Piso höchstens 1 Buch, Claudius mindestens 2 Bücher. Der doppelte Umfang in diesem Theile der Geschichte will schon mehr sagen. Uebrigens illustriren diese Zahlen aufs Beste das absprechende Urtheil Ciceros tiber die römische Annalistik.!’®) Gegenüber dieser fast dtirftigen Kürze der älteren Annalenwerke er- scheint es räthselhaft, dass gleichsam mit einem Male Cn. Gellius in das andere Extrem verfällt. Er ist beim Jahre 245 a. u. schon tiber das dritte Buch hinaus, das Jahr 365 behandelt er im 15. (Liv. im 6.), das Jahr 538 im 33. Buche (Liv. im 23.). Während Piso, mit Livius verglichen, einen siebenmal geringeren Umfang aufweist (vergl. d. J. 605 in der Tabelle), kommen auf 2 Bücher des Livius immer drei des Gellius. Wann dieser geschrieben, ist nicht sicher. Darf man eine Vermuthung wagen, so móchte ich glauben, dass die Veröffentlichung von 80 Büchern der annales max., deren Datum wir allerdings auch nicht anzugeben vermögen, nicht ausser Zu- sammenhang steht mit dem kolossalen Umfange der Gellischen An- nalen. Man kann sich denken, dass die Eröffnung einer solchen Wucht historischen Materials Jemand dazu reizen konnte, etwas noch nie Dagewesenes zu leisten und eine Art Monstre-Geschichte zu schreiben. - So sehen wir, dass die römische Annalistik von einem Extrem ins andere verfällt. Vielleicht ist hierin das Motiv zu suchen, das Claudius veranlasste auf Acilius zurückzugreifen. Freilich wissen wir von den griechisch schreibenden Annalisten nach Fabius Pictor sehr wenig. Aber es ist bezeichnend, dass, während dieselben bei den Zeitgenossen in keinem guten Rufe stehen, Cicero von ihnen mit Achtung spricht, Cicero, welcher umgekehrt von der lateinischen Annalistik nicht sehr erbaut war. Offenbar zeichneten sich die Werke des Scipio Africanus, des Acilius und Postumius Albinus durch eine elegante Darstellung &us. Die Geschichte des Erstgenannten nennt Cicero eine historia scripta dulcissime (Brut, 19, 77). Albinus zog sich bekanntlich durch seine Nachüffung der Griechen und seine thörichte Entschuldigung dieser Nachahmung den beissenden Spott Catos und selbst des Polybius zu (Pol. 40, 6; Gell. N. A. XI 8, 2;

1 !*) Vergl die bekannten Stellen de or. Il 12, 61. 53 u. de leg. 2, 6. Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 11

162 Georg Thouret:

Plut. Cato 12). Polybius sagt von ihm (a. a. O): πραγματικὴν icropíav Evexeipncev, also nahm er sich vielleicht den Thukydides zum Vorbild. Dem herben Urtheil der Genannten steht dasjenige Ciceros gegenüber. Er nennt (Acad. II 45, 137) den Albinus einen doctum sane hominem, und fügt als Begründung hinzu: ut indicat ipsius historia, scripta Graece. Und auch die Worte im Brutus (21, 81): A. Albinus, is qui Graece scripsit historiam, οὐ littera- tus et disertus fuit, sind durchaus anerkennend gehalten. Was end- lich den Acilius betrifft, so stand ey auch in sachlicher Beziehung bei Cicero in Ansehen. De offic. III 32, 113 ff. bespricht dieser die bekannte Erzählung, auf welche Weise einige der zehn vornehmen Rómer, welche Hannibal nach der Schlacht bei Cannae an den Senat sandte, um über die Auslieferung der Gefangenen zu unterhandeln, versuchten, die eidliche Verpflichtung, in die Gefangenschaft zurück. zukehren, zu umgehen. Cicero sagt nun: de quibus non omnes uno modo. Nam Polybius, bonus auctor inprimis scribit, ex decem... novem revertisse, unum remansisse; und $ 115: Acilius autem, qui Graece scripsit historiam, plures ait fuisse, qui in castra rever- tissent eadem fraude, ut iureiurando liberarentur ete. Diese Gleich- stellung des Acilius mit Polybius, oder wenigstens seine Erwähnung neben diesem, spricht deutlicher als jedes positive Lob. Wenn endlich die Aenderung von Hertz in der perioch. 53 des Livius: statt C. Julius senator Graece res Romanas scribit Acilius etc. zu schreiben, kaum mehr eine Áenderung, sondern vielmehr eine Restitution des Textes genannt werden muss, so macht Unger (8. 7 u. A. 3) treffend geltend, dass diese “in ihrer Art einzig dastehende Meldung’ ein Beweis für das hohe Ansehen ist, in welchem das Werk des Acilius stand. Mithin fällt jeder Grund weg, daran zu zweifeln, dass Claudius Quadrigarius gerade eine Bearbeitung der Annalen des Acilius in Angriff nahm, diesem vortrefflichen Geschichtswerke folgte, soweit es reichte und es dann fortsetzte bis auf seine eigene Zeit.

Aus allen diesen Betrachtungen ergiebt sich mir ein Bild von dem Gange der römischen Annalistik, das ich in grossen Zügen zeichnen will, um den Punkt zu gewinnen, an den die specielle Frage unserer Untersuchung anzuknüpfen ist. ") Fabius Pictor (von Cin- cius wissen wir fast nichts) schrieb die älteste Geschichte und die seiner Zeit ausführlich, das Dazwischenliegende in kurz annalistischer Weise. Diese Lücke suchten die griechisch schreibenden Annalisten nach ihm auszufüllen. (Es ist móglich, dass Ennius schon in diesem Sinne verfuhr.) Das Material, welches sie zu verarbeiten hatten, kann nicht viel reichhaltiger gewesen sein als dasjenige, welches Fabius zu Gebote stand. Sie werden daher das Schwergewicht auf die Dar-

τῷ Ich brauche nicht hervorzuheben, dass das Folgende weiter nichts sein soll, als eine persönliche Anschauung. Ich hoffe aber, dass dieselbe begründet erscheinen wird.

i -— o É— —— Anne 7 Al n

Ueber den gallischen Brand. 163

stellung gelegt: haben. Die intensive Beschäftigung mit griechischer Litteratnr gab ihnen die Mittel dazu. Aber unwillkürlich mussten sich dabei die griechischen Vorbilder geltend machen und die Fassung der römischen Geschichte beeinflussen. Ja auch absichtliche Nach- zeichnung ist hier keineswegs ausgeschlossen.

Gegen diese griechische Schönschreiberei machte Cato zuerst in seinem Sinne Opposition. Deshalb schrieb er vor Allem lateinisch. Meiner Ansicht nach überging er in seinen origines die Periode von Vertreibung der Könige bis zum 1. Pun. Kriege überhaupt voll- ständig. Dieser Reaction (so kann man die litterarische Bewegung bezeichnen) folgte die lateinische Annalistik der nächsten Zeiten. Wahrscheinlich im Anschluss an Fabius behandelte man die &lteste Geschichte nach wie vor mit grosser Ausführlichkeit, dagegen die lange Epoche von Gründung der Republik bis zum Kriege mit Pyrrhus knapp und gedrüngt annalistisch. Coelius Antipater machte zum ersten Mal gegen diese trockne Form der: Darstellung Front und versuchte wie die Griechen Form und Inhalt in ein harmonisches und schönes Verhältniss zu setzen. Aber er wählte sich dazu die historisch sichere Epoche des 2. Pun. Krieges. Darauf wurde durch die Redaction der annales maximi in Buchform plötzlich ein überaus reiches lateinisches Urkundenmaterial der bequemsten Benutzung zu- gänglich gemacht, und dadurch der lateinischen Annalistik die leichte Möglichkeit gewährt, ihrerseits die ältere Geschichte der Republik ausführlich zu behandeln.

Claudius Quadrigarius, der älteste Annalist der Sullanischen Zeit, stand diesen Verhältnissen gegenüber. Er griff die griechischen . Annalen des Acilius heraus, übersetzte oder bearbeitete sie lateinisch, und leitete so die mit griechischen Reminiscenzen durchsetzte Dar- stellung der älteren römischen Geschichte in die jüngste Litteratur hinüber. Der auffallend gleiche Umfang der Annalen des Claudius und des Licinius Macer (siehe die Tabelle), die gleichartige Behand- lung des älteren Periode bei beiden kann kaum ein Zufall sein. Wie Antias zu ihm steht, ist nicht ersichtlich. Dass der Schwerpunkt seiner Annalen im letzten Theil derselben lag, sehen wir aus der Tabelle. Das Jahr 618 a. u. kommt bei ihm im 22. Buch vor, während er 75 geschrieben. Mag nun Livius den Claudius, Antias oder Macer im 5. Buch benutzen, so viel ist sicher, dass Claudius die gallische Kata- strophe in derselben Weise erzählte, wie wir sie bei Livius lesen.

Das Resultat der ersten Untersuchung war, dass Fabius die Vulgata vom gallischen Brande noch nicht dargestellt hat; das Resul- tat dieser ist, dass Claudius den Acilius bearbeitet hat. Daraus folgt, dass die Fassung der römischen Tradition entweder von Acilius selbst oder doch aus dem Kreise der griechisch schreibenden Annalisten nach Fabius stammt.!'?) Aus der zuletzt angestellten Betrachtung

178) Vielleicht hat schon die Dichterphantasie des Ennius die gallische 11*

164 Georg Thouret:

endlich ergiebt sich, dass die lateinisch schreibenden Annalisten nach Cato diese Form der Tradition nicht dargestellt zu haben brauchen. Sie können auch hier das kritische Messer angelegt und manches weggeschnitten haben.

2. Diodor.

Eine der schwierigsten Fragen auf dem Gebiete der Quellen- untersuchungen ist die nach der Autorschaft der rómischen Nach- richten, welche Diodor bringt. Ich masse mir nicht an, dieselbe lósen zu wollen. Vielmehr beschrünke ich mich bei der folgenden Untersuchung ausschliesslich auf Diodors Bericht über die gallische Katastrophe. Ich glaube nümlich nicht zu irren, wenn ich die alten Fasten Diodors als hauptsächliche Grundlage der Ansicht bezeichne, dass er eine sehr alte Quelle benutzt haben mtisse. Man erlaube mir, diese unstreitig älteren Eponymenlisten einmal bei Seite zu lassen und nach der bisher verfolgten Methode zu fragen: Wie ver- hält sich Diodors Bericht zu der Vulgata? Fasten allein entschei- den nicht. Hier sind wir aber in der günstigen Lage, nicht nur &ltere Fasten, sondern auch einen anscheinend ülteren Bericht vor uns zu haben.

Von vornherein kann man sich einer Beobachtung nicht ver- schliessen: “Der Bericht Diodors von der Einnahme Roms durch die Gallier ist im Vergleich mit seinen übrigen Nachrichten über die römische Geschichte dieses Zeitraums ungewöhnlich ausführlich’.17)

Die Hauptdifferenzpunkte zwischen Diodor und der Vulgata sind bereits erwähnt. Er weiss nur von zwei Gesandten, kennt nicht das Hülfegesuch der Clusiner, nicht die Namen der Gesandten, nicht ihre Erwühlung zu Kriegstribunen. Ferner fehlt bei ihm die Scene zwischen Brennus und Camillus auf dem römischen Forum.

Man muss zugeben, dass diese Punkte gravirend sind. Aber was kennt er ebenfalls nicht? Die Märchen, in denen Fabius Dor- suo und Fabius Ambustus (Aufopferung der Greise) die Hauptrolle spielen, also gerade von den Fabiern weiss er nichts.!9))

Katastrophe in ähnlicher Weise ausgeschmückt wie die Belagerun S&- gunts im J. 218 v. Chr. Dass die bekannte Schilderung von dem Unter. gange dieser schwergeprüften Stadt hóehst wahrscheinlich freie Phantasie des Ennius ist, ist eins der vielen schönen Resultate der Dissertation von Wilhelm Sieglin: die Chronologie der Belagerung von Sagunt, Leipzig 1878. Vgl. $ 4 S. 28 ff. Leider versagt in der vorliegenden Frage das Material vollständig. 179) Dies sind Worte von Lewis (II 8. 279/80). 9%) Mommsen theilt mit (a. a. O. S. 527 A. 1), dass die besseren Handschriften des Livius den Pontifex nicht Fabius sondern M. Folius nennen. Es ist doch aber auffallend, dass er auch bei Plutarch, der gerade hier unabhüngig von Livius zu sein scheint (vgl. oben S. 146 u. Α. 150), Fabius heisst (Cam. 21).

Ueber den gallischen Brand, 165

Auch in dem Positiven, was er bringt, lässt sich ein vernünfteln- der Zug erkennen: Nach der Vulgata finden die Gallier die Thore Roms sperrangelweit offen!9') nach Diodor müssen sie dieselben erst einschlagen (XIV 115, 6). Offenbar hat er Recht. Nach der Vul- gata hüllt sich Pontius Cominius in eine Art Korkkleid und lässt sich nächtlicher Weile durch die Strömung zur Stadt tragen. Er vermeidet dadurch jedes Geräusch; denn auch das geringste kann ihn verrathen.?) Dieser romantische Zug fehlt bei Diodor. Er lässt den Pontius einfach in der Nacht durch den Tiber schwimmen und sich dann an den Burgfelsen hinanschleichen (ib. 116, 4). Ob die poetische Fassung jünger ist als die mehr prosaische ist sehr die Frage.

Der Versuch der Gallier, das Kapitol zu ersteigen, die Rettung desselben durch die Wachsamkeit der Gänse und die Tapferkeit des M. Manlius giebt die Vulgata nur in bedeutend knapperer Fassung wieder (116, 5 ff.).

Wir haben bereits gesehen (vgl. oben S. 108), dass Diodor voll- ständig mit den späteren Quellen in der Veranlassung und den Gründen übereinstimmt, welche die Gallier bewogen, auf den an- gebotenen Vertrag einzugehen. Ebenso fanden wir seinen Bericht von dem Wiederaufbau der Stadt mit einigen Erweiterungen genau bei Livius wieder (vgl. S. 124 ff.).

Um der Frage, welcher Epoche die Quelle Diodors angehört, näher zu kommen, betrachte ich nun die Erzählung von der Aus- lieferung des Gesandten, welche für die politische Stellung des Au- tors schlagend ist. Nach Diodor beschliesst der Senat factisch die Dedition. Der Vater des Auszuliefernden aber weiss die Comitien zu bewegen, diesen Beschluss umzustossen (XIV 113, 8). Hieran knüpft sich die Bemerkung: μὲν οὖν δῆμος τοῖς Eurtpocdev χρό- γοις πάντα πειθόμενοις τῇ γερουςείᾳ, τότε πρῶτον ἤρξατο διαλύ- ειν τὸ κριθὲν ὑπὸ τῆς εὐγκλήτου. Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass Diodor diese Notiz in seiner Quelle gefunden haben muss. Abgesehen von allem Andern. würde dieselbe sinnlos sein für die Zeit, in der er selbst schrieb.

Bei Livius (V 36, 10) und Plutarch (Cam. 18) nun lehnt der Senat von vornherein jede Entscheidung ab und wülzt alle Verant- wortung auf die Schultern der stimmenden Bürgerschaft. Dass staats- rechtlich Diodors Bericht besser ist als der vulgüre, ist klar!95) denn über die Dedition hat stets der Senat Beschluss gefasst. Andrerseits zeigt sich nur bei Diodor das unverblümte Bestreben, den Senat voll- ständig rein zu waschen. Sollte aber die Darstellung gerade des- wegen so alt sein? Die angeführten Worte sprechen nicht nur eine schroff antidemokratische Tendenz, sondern auch die Ueberzeugung

191) Liv. V 41, 4; Plut. Cam. 22, 155) Liv. V 46, 8; Plut. Cam. 925. 155) Vgl. Mommsen, Hermes XIII 8. 520.

106 ' Georg Thouret:

aus, dass der Senat der factische, ja der von Alters her berufene Wiüchter des Staatswohls sei, diese Anschauung aber von der Omnipotenz des Senats den Bürgerversammlungen gegenüber, sie ist jünger 818 Fabius, sie stammt erst aus der Zeit, wo Karthago und Korinth zerstört wurden.!%) Man legt diesen Satz gewöhnlich Fabius in den Mund und lässt ihn dabei die Vorgänge kurz vor Ausbruch des Hannibal. Krieges im Auge haben. Die Worte Diodors lassen aber deutlich durchblicken, dass zu den Zeiten des Autors diese Masslosigkeiten der Comitien gang und gebe waren. Nun schrieb Fabius wahrscheinlich erst nach dem Schluss des 2. Pun. Krieges, jedenfalls nicht lange vor demselben: damals aber konnte Niemand mit den Comitien derartig unzufrieden sein. Dagegen wird man zu- geben, dass ein Satz wie der vorliegende den Ansichten der Partei, welche die Gracchen zu Boden schleuderte, genau entspricht. Momm- sen meint!*5) vielleicht habe Fabius bei diesen Worten an die Aus- lieferung des M. Claudius Cineas an die Corsen im J. 518 a. u. ge- dacht, die er erlebt haben müsse. Indessen diese erfolgte wirklich !56), und Mommsen giebt zu, dass wir nicht wissen, ob dieselbe angegriffen wurde. Will man aber überhaupt ein Beispiel gelten lassen, so passt ganz genau das des A. Pompeiue, dessen Auslieferung im J. 613 a. u. vom Senat beschlossen, von den Comitien aber verhindert wurde!9"), ein Vorgang, dessen Unwürdigkeit noch von den späteren Römern tief empfunden wurde.!5)

Endlich, ist Diodor Fabius, so haben wir ein Unicum in der römischen Historiographie zu verzeichnen: dann hat sich nämlich die Beschreibung der Schlacht an der Allia, wie sie Pictor gegeben, fast vollkommen intact durch die ganze Litteratur hindurch bis auf Li- vius behauptet. Die Berichte über die Allisschlacht bei Diodor und Livius sind in der Hauptsache identisch, wenn letzterer sich auch keine grosse Mühe giebt, die von vornherein nothwendige Niederlage genau und klar zu schildern. Bei dieser Behauptung setze ich mich allerdings in Widerspruch mit Lewis und Mommsen. Ersterer be- tont mehrmals (vgl. Liebr. II S. 275 u. A. 144), dass Diodor die Schlacht auf das rechte Ufer des Tiber verlegt, während sie bei den übrigen Schriftstellern auf dem linken geschlagen wird. Mommsen aber hat in ausführlicher Darlegung (a. a. O. 8. 522—525) eben- falls die Ansicht vertreten, dass sich bei Diodor deutlich ein älterer Bestandtheil erkennen lasse, welcher die Schlacht auf das rechte Ufer verlegt. Jedoch fügt er selbst hinzu (S. 524), dass *Diodor in

14) Vgl. Nitzsch, Röm. Ann. 8. 381 ff. Die factische Omnipotenz des Senats ist natürlich älter, und zur Zeit des Fabius vorhanden (vgl. Lange, R. A. II* S. 397 ff) Ich meine, die staatsrechtliche An- schauung ist jünger. !*5) A. a. O. S. 328 Anm. 1. 138. Vgl. Momm- sen, Staater.? [ S. 244 A. 3. !*") Vgl. d. Stellen bei Lange R. A. 113 s 329 A. 1 u. Mommmsen, Staater. I? S. 244 A. 3. 1*5) Cic. de off. III

, 109. |

Ueber den gallischen Brand. 167

der That so erzählt, dass die erste Hälfte seines Berichtes auf das rechte, die zweite auf das linke Tiberufer führt, und derselbe also sich selber aufhebt'. Zugegeben einmal, dem wäre so, dann müssten wir anerkennen, dass Diodor, falls er sich nicht (um Mommsens Worte zu gebrauchen, vgl. 8. 525), ‘hier einmal sehr ausnahms- weise der Selbstündigkeit schuldig gemacht hat', bereits eine contaminirte Quelle benutzte und nicht Fabius: denn wer hat vor Fabius die Schlacht an der Allia beschrieben? Mommsen stützt sich hauptsächlich auf die Nachrichten, welche Diodor über den Marsch des römischen Heeres bringt. Die betr. Worte lauten (XIV 114, 2): ἐξελθόντες δὲ πανδημεὶ καὶ διαβάντες τὸν Τίβεριν παρὰ τὸν ποτα- μὸν ἤγαγον τὴν δύναμιν crabíouc ὀγδοήκοντα, καὶ τῶν Γαλατῶν ἀπαγγελλομένων mpociévat διέταττον τὸ ςτρατόπεδον. “Diese Er- zählung, sagt Mommsen S. 523, versetzt also das Heer zunächst auf das rechte Tiberufer; denn jede Ueberschreitung des Flusses vom römischen Standpunkt aus kann nur dies bedeuten.” Ich gebe dies zunächst zu. Nunmehr aber werden wir sofort vor eine Alternative gestellt. Es fragt sich nämlich: wollen wir die angeführten Worte Diodors derartig geltend machen, dass wir jede Schlachtbeschreibung, welche die Schlacht auf das linke Ufer verlegt, mag sie sonst noch so vorirefflich, noch so detaillirt sein wie sie wolle, & priori als falsch bezeichnen, oder wollen wir der eigentlichen Schlacht- beschreibung den Vorrang einräumen und nach ihr jene Worte inter- pretiren? Ich will den letzteren Weg keineswegs als den allein zu- lässigen hinstellen: aber ich wage zu behaupten, dass der erstere unzulässig ist. Diodor ist ein Grieche, sein Bericht kein Original- bericht. Gesetzt den Fall, wir hätten ein positives, unanfechtbares Zeugniss (was wir nicht haben) dafür, dass die Schlacht auf dem linken Ufer geschlagen wurde, so würden wir keinen Augenblick anstehen zu erklären, dass Diodor die Marschroute nicht vollständig angegeben habe, dass er vielmehr nur den letzten Uebergang des römischen Heeres vom rechten auf das linke Ufer kurz vor der Schlacht (denn auch diesen Uebergang konnte der Grieche vollkommen richtig mit dem Worte διαβαίνειν bezeichnen) im Auge habe. Hier- aus ergiebt sich die meiner Ansicht nach unabweisliche Forderung, dass wir uns vor allen Dingen den Verlauf der Schlacht klar machen, wie ihn die Schriftsteller schildern. Können wir aber gar beweisen, dass diese Schilderung vom militärischen wie historischen Gesichts- punkte aus betrachtet, die einzig mögliche ist, dann werden wir das eine Wörtchen διαβάντες nicht mehr urgiren dürfen.

1. Aufstellung des römischen Heeres.

Die Kerntruppen lehnen sich an den Tiber, der Rest und zwar der unzuverlässigere Theil des Heeres wird auf einer Hügelreihe in gleicher Höhe mit dem andern Flügel, vom Flusse weiter entfernt aufgestellt: Diod. XIV 114, 3; Liv. V 38, 2.

168 Georg Thouret:

2. Schlachtordnung der Gallier.

Brennus!®) dehnt seine Linie sehr lang aus (Diod. 114, 3). Dasselbe geht aus Livius hervor, da er sagt (38, 1): tribuni mili- tum .... instruunt aciem deductam in cornua, ne circumveniri multitudine hostium possent. nec tamen &equari frontes pote- rant. Beide Schriftsteller stimmen völlig darin überein, dass die Rómer kein eigentliches Centrum, sondern nur zwei Flügel haben. Es kommt also darauf an, welchen Flügel Brennus zunüchst anzu- greifen gedenkt. Diodor bemerkt in Bezug hierauf (114, 3): εἴτε κατὰ τύχην εἴτε κατὰ πρόνοιαν τοὺς ἀρίετους Ecmcav (d. Kelten) ἐπὶ τῶν λόφων. Den ersten’ Stoss, welcher in den Keltenschlachten immer entschied, will also Brennus gegen die Hügel, d. h. den schwücheren Theil des Heeres, richten. Nach Livius fürchtet er eine Ueberflügelung durch eben diesen Theil und beschliesst deshalb, ihn zunüchst anzugreifen (38, 3— 4). Beide Berichte decken sich mit- hin vollständig: ja auch Livius fügt ganz ähnlich wie Diodor hinzu (a. a. O.): adeo non fortuna (τύχη) modo sed ratio (πρόνοια) etiam cum barbaris stabat.

3. Die Schlacht.

Der Angriff gelingt vollständig.!®) Der schwächere Flügel der Römer wird über den Haufen gerannt; er wirft sich bei der Flucht zum Theil auf den anderen, welcher am Flusse steht. Die natürliche Folge davon ist, dass auch dieser aufgerollt wird, da er von dem Kern der keltischen Truppen überflügelt, in der Front'aber von dem Rest des gallischen Heeres bedroht ist. Die Masse der Flüchtigen wirft sich in den Strom. In diesem Moment erleiden die Römer die bedeutendsten Verluste (Liv. 68, 6. Diod. 114, 4 115, 2).

Wir können nun bei Diodor (a. a. O.) genau verfolgen, dass sich Alles, was überhaupt dem Tode entrinnt, durch Schwimmen rettet. Wenn er daher schliesslich sagt (115, 2): οἱ μὲν πλεῖςτοι τῶν διαςωθέντων πόλιν Bniouc κατελάβοντο ... ὀλίγοι δὲ τῶν διανηξαμένων ἄοπλοι φυγόντες εἰς Ρώμην ἀπήγγειλαν πάντας ἀπολωλέναι, so dürfen wir nicht daraus folgern, dass er unter den διαςωθέντες diejenigen versteht, welche sich zu Lande, und unter den διανηξάμενοι diejenigen, welche sich durch Schwimmen gerettet haben. Dies hat aber Lewis gethan, wenn er sagt (a. a. O. S, 275) ‘dass nach Diodor die Römer über den Tiber schwimmen, um nach Rom zu fliehen”. Abgesehen von dem Zusammenhang giebt uns Dio-

189) Der Einfachheit halber gebrauche ich den bekannten Namen. Bei Diodor kommt Brennus nicht vor. Wir müssen uns indessen er- innern, dass er in der gauzen Partie Namen selten nennt. Für die folgende Betrachtung endlich ist diese Differenz gleichgültig. 199) Diese Phase des Kampfes ist bei Livius, dessen Unfähigkeit eine Schlacht zu schildern, bekannt ist, völlig verwischt. Jedoch sind dieselben Elemente, wie bei Diodor, deutlich erkennbar.

Ueber den gallischen Brand. 169

dor selbst den Gegenbeweis an die Hand. ὀλίγοι τῶν διανηξαμένων fliehen nach Rom, sagt er! Wo bleiben die übrigen von denen, die durch den Fluss geschwommen sind? Den angeführten Worten gehen nun folgende voran: “Die Mehrzahl der Geretteten wirft sich nach Veji hinein; sie befestigen den Ort nach Möglichkeit καὶ τοὺς ἐκ τῆς φυγῆς cuZopévouc ἀνελάμβανον᾽ ὀλίγοι δὲ κτέ: Diese Worte sagen ganz bestimmt, dass sich auch die, welche in Veji Halt machen, durch Schwimmen gerettet haben. Mithin sind die ὀλίγοι τῶν διανηξα- μένων ein Theil der διαςωθέντες..51)

- Auch Livius sagt mit dürren Worten (38, 5), dass sich der grösste Theil des Heeres durch Schwimmen nach Veji rettet. Da- gegen flieht nach ihm (38, 10) der zuerst geschlagene Fltigel direkt nach Rom. Mit Ausnahme dieser Differenz decken sich die Berichte beider Autoren vollkommen, wenn auch der des Livius in Bezug auf Klarheit hinter dem Diodors zurücksteht.

Der Hauptmoment ist jedenfalls der Flussübergang. Der Kern der Armee rettet sich durch Schwimmen nach Veji: das steht bei beiden fest. Mithin muss die Schlacht, da die Gallier von Norden kommen, auf dem linken Ufer geschlagen sein, und muss der linke Flügel der Römer am Tiber, der rechte auf den Hügeln gestanden haben.) Die Schlacht ist sonnenklar. Die Kelten überrennen den rechten Flügel. Dieser wirft sich theils in die Flucht, theils auf den linken Flügel. Dieser, seinerseits überflügelt und in der Gefahr, um- zingelt zu werden, hat keine andere Wahl, als entweder sich zusam- menhauen zu lassen, oder sich in den Tiber werfen zu lassen, um womöglich den Fluss zwischen beide Heere zu bringen. Dass Livius sich wundert und empört darüber ist, dass “der grössere Theil des Heeres nach Veji flieht obgleich der Tiber zwischen liegt und nicht recto itinere nach Rom’ (38, 5), beweist, dass er gerade das in seiner Quelle fand, was ihn so empörte.

Ich hoffe dargethan zu haben, dass nach den Berichten, wie sie bei Diodor und Livius vorliegen, die Schlacht nur auf dem linken Ufer geschlagen sein kann. Denn man construire eine Schlacht auf dem rechten, bei der es möglich ist, dass sich die Römer über den Fluss nach Veji retten. - j

Ich freue mich, dass Mommsen selbst zugiebt (8. 523), dass die Auffassung, welche ich vorgetragen, “vom Standpunkt des Interpre- ten wenigstens zulässig, vielleicht geboten ist”. Dagegen ergiebt freilich diese Auffassung nach ihm “sachlich betrachtet, geradezu eine Albernheit',

191) Dies scheint auch Mommsen zuzugeben, vgl. S. 528. Man wird es übrigens billigen, dass ich so behutsam wie möglich vorgehe. 103) Livius nennt die Flügel, wie ich glaube, durchaus richtig (dagegen Mommsen S. 525), da aber Diodor nicht von “rechts und links’ spricht, so habe ieh in der Darstellung diese Bezeichnungen nicht angewendet.

110 Georg Thouret:

Es sei unverständlich, “dass bei einer am linken Tiberufer ge- lieferten Schlacht die geschlagenen Römer nicht einmal den Versuch machen sich nach dem zwei deutsche Meilen davon an demselben Ufer gelegenen Rom auf eben diesem Ufer zu retten, sondern sämmt- lich in entgegengesetzter Richtung den Fluss zu passiren suchen”. Ebenso unverständlich sei es, dass, “wenn die Masse der Flüchten- den sich in und vor Veji sammelt, die Gallier aber auf dem linken Tiberufer drei Tage verweilen, ohne sich der Stadt zu bemächtigen, jene nicht versucht haben sollten mindestens nach dem Janiculum und auf diesem Wege in die Stadt zurück zu gelangen’ (S. 523). Er führt dann fort (S. 524): “Wenn dagegen die Schlacht auf dem rechten Tiberufer stattgefunden hat, so ordnet die weitere Er- zählung von selbst sich klar und sachgemäss. Die römische Armee ward an den Fluss gedrückt; der Rückzug nach Rom war ihr damit abgeschnitten; ein grosser Theil ging bei dem Versuch den Strom zu überschreiten zu Grunde und nur wenige gelangten auf das linke Ufer und somit nach Rom. Die grosse Masse der Geretteten da- gegen zog sich auf dem rechten Ufer seitwärts nach dem nahen Veji, wo sie zwar zunächst in Sicherheit waren, aber nach Hom nicht zu- rück gelangen konnten, weil das siegreiche Heer der Feinde zwischen ihnen und Rom stand’. So Mommsen. Ich werde die von ihm aus- gesprochenen Bedenken und Einwürfe nach beiden Möglichkeiten hin gewissenhaft prüfen. Es wird sich dabei, glaube ich, ein überraschen- des Resultat ergeben.

1. Die Schlacht wurde auf dem linken Ufer geschlagen.

Der rechte Flügel der Römer wird tiberrannt; dadurch der linke, welcher am Fluss steht, und zwar der Kern der Armee von den Kelten überflügelt. Es stehen also Feinde vor ihm, in seiner rech- ten Flanke, ja höchst wahrscheinlich solche auch bereits im Rücken. Er ist mithin fast umzingelt. Um nach Rom zu kommen, musste er sich also durch den Feind durchhauen. Alle Berichte sagen in bestimmten Worten, dass der linke Flügel die Besinnung verlor, als der rechte floh. Er giebt jeden Widerstand auf: er flieht ebenfalls. Nach Rom kann er nicht fliehen, sondern nur sich durchhauen. Naturgemäss flieht er nach der Seite, wo keine Feinde stehen, d. h. nach der linken Flanke, nach dem Fluss. Er hat keine Wahl: ent- weder versucht er hinüberzuschwimmen oder er fällt unter dem Schwerte der Kelten. In dem Schrecken der Schlacht wählt Alles den einzigen Rettungsweg: Alles wirft sich in die Fluthen um den Fluss zwischen sich und den Feind zu bringen.

Die Geretteten eilen nach Veji, einer festen Stadt. Da der Feind auf dem rechten Ufer steht und also in wenigen Stunden Rom er- reichen kann, so kann, ja so wird in solcher Situation Niemand da- ran denken, dass die Kelten drei Tage mit dem Angriff auf die Stadt zögern werden. Wenn überhaupt in der Geschichte, so muss man

——

Ueber den gallischen Brand. 171

in der alten Geschichte mit den Affecten der Menschen rechnen. Man hatte eben Alles verloren gegeben. Ehe man sich in Veji so- weit sammelte, dass man die Situation klar tiberschauen konnte, ver- ging mindestens ein Tag: und am zweiten nach der Schlacht standen die Kelten bereits vor den Thoren Roms (Diod. 115, 5). Ich kann also nichts Unverständliches darin finden, dass, wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geschlagen wurde, die Römer nicht nach Rom fliehen denn das konnten sie nicht!) —, und dass die Gerette- ten keinen Versuch machten, von Veji aus in die Stadt zurückzuge- . langen, denn dazu fehlte ihnen die Thatkraft. .

2. Die Schlacht wurde auf dem rechten Ufer geschlagen.

Auch in diesem Falle ist es selbstverstündlich, dass das Gros der Flüchtigen sich nach Veji und nicht nach Rom wendet. In Be- zug auf den zweiten Punkt stellt sich aber hier die Sache gerade umgekehrt, als Mommsen meint. Gewiss stand zunächst der Feind zwischen den Flüchtigen und Rom. Aber die Kelten greifen Rom ja nicht von der Wasserseite was auch keinen Erfolg gehabt hätte!®®) sondern von der Landseite an, wie alle Quellen mel- den, und wie Mommsen zugiebt (vgl. S. 527). D. h. sie gehen ihrer- seits nach der Schlacht über den Fluss. Nun, verlangt man einmal von den Römern, die sich in Veji gesammelt haben (was ich selbst in diesem Falle nicht verlange), dass sie doch wenigstens den Ver- such hätten machen müssen, nach Rom hinein zu kommen, so ist man jetzt viel mehr berechtigt, dies zu verlangen, als vorhin. Denn nun müssen die Kelten erst einen Flüssübergang bewerkstelligen für ein antikes Heer ein sehr beschwerliches Unternehmen ehe sie die Stadt angreifen kónnen. Es würe natürlich, wenn inzwischen die Flüchtigen versucht hätten, nach Rom zurückzukehren: denn der pons sublicius war nicht abgebrochen worden, was wir aus der un- bezweifelbaren Thatsache entnehmen dürfen, dass über denselben die übrige Bürgerschaft von Rom selbst flüchtet, deren Hauptmasse sich augenscheinlich nach den westlich von Rom gelegenen Städten wendet.!”)

Somit wage ich zu behaupten, dass die allgemeinen Erwägun- gen, welche Mommsen gegen die vorliegenden Berichte geltend macht, nicht Stich halten. Wie kemmen wir aber zur Entscheidung? Es giebt einen Punkt in den Berichten, der als historische Thatsache von Allen anerkannt wird: nämlich die Besetzung Vejis durch den Kern der geschlagenen römischen Armee. Die Geschichte der nächst- folgenden Zeit bestätigt vollkommen, dass Veji von den Römern

193) Mit Ausnahme des zuerst geworfenen rechten Flügels. Dieser konnte nach Rom entkommen; dass er nach Rom floh, sagt, wie wir ge- sehen, Livius c. 38, 10. 192 Vgl. Jordan, Top. d. St. R. 11 S. 400/401. 195) Soviel können wir aus Liv. V 40, 10 und Plut. Cam. 21 ohne Be- denken schliessen.

112 Georg Thouret:

militärisch besetzt ist. Wenn also überhaupt eine Entscheidung tiber die Frage, auf welchem Ufer geschlagen worden, möglich ist, so wird sie hier zu suchen sein. Damit ist nun aber auch Alles ent- schieden.

Den Kern des römischen Heeres bildete der Flügel, welcher am Flusse stand. Wurde die Schlacht aufdem rechten Ufer geschlagen, so ist es nach dem Gange derselben eine militärische Unmöglichkeit, dass der grösste Theil des rechten Flügels (denn so heisst er in diesem Falle) unversehrt nach Veji entkommt. Mommsen sagt zwar (8. 524): "Die grosse Masse der Geretteten zog sich auf dem rechten Ufer seitwärts nach dem nahen Veji', aber dies ist, militärisch aus- gedrückt, das Deployement einer geschlagenen Armee nach der Flanke wo der Feind steht d. h. eine Unmöglichkeit. Denn (in diesem Falle) der linke Flügel ist geworfen, mithin die linke Flanke der Römer umfasst. Ich weiss nicht, wie die Römer 'seitswürts nach Veji' haben entkommen kónnen.

Wurde auf dem linken Ufer geschlagen, so ist Alles in Ord- nung. Ein Theil des zuerst geworfenen rechten Flügels flieht nach Rom, die ganze übrige Masse wird in den Strom geworfen. Wer über- haupt am Leben bleibt, ist nunmehr durch den Tiber geschützt und kann sich unbehelligt nach Veji, dem natürlichen Sammelpunkt, be- geben. Ich nehme keinen Anstand, schliesslich zu erklären, dass die Schlacht nur auf dem linken Ufer geschlagen worden sein kann.

Mit der gegebenen Auseinandersetzung stimmt der Bericht Dio- dors vollkommen zusammen. Werden wir nun aber wegen des eirien Wortes διαβάντες (vgl. oben S. 167) alles bisher Gesagte umwerfen müssen? Ich meine nicht! Und hierbei stütze ich mich auf Momm- sen selbst. Die Worte Diodors, welche sich auf den Marsch des römischen Heeres beziehen, habe ich oben (8. 167) angeführt. Momm- sen sagt nun (8. 523): “Diese Erzählung versetzt also das Heer zu- nüchst auf das rechte Tiberufer; denn Ueberschreitung des Flusses vom römischen Standpunkt aus kann nur dies bedeuten, und eben- dahin führt, dass die von Clusium anrückenden Gallier nur von dieser Seite her erwartet werden konnten'. Mit beiden Händen erfasse ich die letzten Worte, denn sie beweisen die Richtigkeit meiner Ansicht. Man wird mir nämlich zugeben, dass kein Heer, geschweige denn ein antikes, ohne Nöthigung einen Fluss- übergang unternimmt. Also sind die Römer gezwungen worden, den Tiber zu überschreiten. Sie können dazu nur durch den An- marsch der Gallier gezwungen worden sein. Jeder sieht, was daraus folgt: Die Römer erwarten naturgemäss den Anmarsch der Feinde auf dem rechten Ufer (nach der Lage von Clusium). Sie verlassen also die Stadt tiber den pons sublicius, da sie den Kelten entgegentreten wollen. Diodor sagt ausdrücklich: ἐξελθόντες... καὶ διαβάν- Tec, d. h. die Römer überschreiten den Fluss, nachdem sie aus- gerückt sind, Sie sind aber zunächst auf das rechte Ufer hinüber-

——

Ueber den gallischen Brand. 173

gerückt, mithin sind sie vor der Schlacht auf das linke gegangen, und die Schlacht wurde auf dem linken Tiberufer geschlagen.

Wenn endlich Mommsen sagt (S. 523/24): “Wären etwa die Gallier, um den Fluss unbehindert vom Feind zu überschreiten, weiter stromaufwärts übergegangen und wären diese auf die Kunde davon ihnen auf das linke Ufer gefolgt, so mussten beide Operationen noth- wendig angegeben oder mindestens das vorherige Vorrücken der Römer auf das rechte Ufer unerwähnt gelassen werden’, so ist diese Forderung Diodor gegenüber hart. Denn ist, wie Mommsen meint, die Schlacht auf dem linken Ufer geschlagen worden, so hätte Diodor ebenso gut den Uebergang der Gallier auf das rechte nach der Schlacht erwähnen müssen, was er aber (und mit vollem Rechte) nicht thut. Es gereicht nun aber meiner Darlegung zum Vortheil, dass nach derselben auch bei Diodor Alles in Ordnung ist. Seine römische Quelle notirt nur den Marsch des römischen Heeres. Der Marsch über den pons sublicius zu Anfang tritt natürlith nicht als *Flusstibergang? auf sondern einfach als Ausmarsch (ἐξελθόντες), dann kommt der Uebergang auf dus linke Ufer (biafávrec).95) Dieser wird verursacht durch die Kunde, dass das gallische Heer bereits weiter oberhalb über den Tiber gegangen ist (um auf der Seite des Flusses vorzurücken, auf der Rom, ihr Angriffsobject lag). Der römische Annalist erwähnt wie gewöhnlich nicht den Marsch des feindlichen’ Heeres. Da nun aber die Kelten einmal auf dem linken Ufer sind, so kann Diodor gar nicht von einem Flusstibergang der- selben nach der Schlacht sprachen.

So fügt sich meiner festen Ueberzeugung nach Álles aufs Schünste zusammen, Wir können nun auch den Namen dies Alliensis auf- recht erhalten.?") Ich formulire endlich das Resultat dieser ganzen Untersuchung folgendermassen: In dem Berichte Diodors finden sich keine älteren Bestandtheile. In allen wesentlichen Punkten ist er mit dem Livianischen identisch, wenn sich auch die klare Darstellung Diodors vortheilhaft vor der mehr verschwommenen des Livius aus- zeichnet. In Bezug aber auf die einzige Differenz zwischen beiden (vgl. oben 8. 169) scheint mir Livius das Richtigere anzugeben. Denn wenn der rechte Flügel des römischen Heeres aus Ausreissern be- stand, 80 wird er kaum den wuchtigen Stoss der Gallier abgewartet haben. Dann entspricht es durchaus der Lage der Dinge, dass der grösste Theil dieses Flügels direkt nach Rom flüchtet, weil eine weite Verfolgung nie Sache der Gallier war, und diese ausserdem vorläufig noch mit dem linken Flügel zu thun hatten.

Um nunmehr den Faden der Hauptfrage wieder aufzunehmen, so ist bereits an einer früheren Stelle (S. 142 ff.) dargelegt worden, dass die Schilderung des Wiederaufbaus der Stadt bei Diodor (XIV

196) Ich möchte behaupten, dass Mommsens Irrthum im Grunde be- ruht auf der Zusammenwerfung von ἐξελθόντες und διαβάντες. --- 157) Das beste Zeugniss für den Namen ist Varro de l|. 1. VI 82 M. p. 85. '

114 Georg Thouret:

116,-8 ff) weder von Fabius herrühren noch überhaupt aus einer älteren Quelle als der Bericht des Livius stammen kann. Sehen wir nun einen Augenblick von der verschiedenen Darstellung der Ge- sandschaft nach Clusium ab, und fragen wir: Was fehlt eigentlich bei Diodor von der Vulgata? Erstens die schönen Märchen vom Opfer- tod der Greise und vom Gang des Dorsuo, ferner die Ueberraschung der goldabwägönden Gallier durch Camillus und dessen Sieg auf dem Forum. Setzen wir diese drei Geschichten ein, so ist die Vulgata ziemlich fertig. Welche Vorstellung sollen wir uns aber von dem Gange der römischen Historiographie machen, wenn dieser Bericht Diodors Fabisch oder überhaupt der älteste ist! Was zeichnet ihn vor allen übrigen aus? Die ruhige, sachgemässe Darstellung, die klare, jeden poetischen Schwung entbehrende oder verschmähende Sprache. Man erlaube mir folgende Betrachtung! Es gehört nicht gerade moderne Kritik dazu, um die poetisch so schöne Scene zwischen Camillus und Brennus auf dem Markte von Rom für eine Erfindung zu halten. Ein antiker Historiker, welcher überhaupt nur den Ge- danken fasste, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden, musste dies sofort erkennen. Einmal sah er, dass Camillus später noch einmal die Gallier vernichtet; dann aber fand er in der ältesten und besten Quelle, nämlich bei Fabius gar nichts von einem der- artigen Vorgange. Freilich war er zu sehr Römer, als dass er es ver- mocht hätte, die Wiedergewinnung des Lösegelds durch Camillus nun überhaupt zu streichen. Ebenso strich er wohl die handgreif- lichen Fabeln und Märchen, wagte aber doch nicht das kritische Messer an die Gänse der Juno zu legen. Er steht auf dem Boden älterer Ueberlieferung: dies beweisen unbedingt die älteren Fasten und die ältere Darstellung der Gesandschaft nach Clusium. Beides gehört meiner Ueberzeugung nach eng zusammen. Denn eg wird wohl Jeder zugeben, dass die Geschichte der drei Gesandten bei Livius und Plutarch aus den drei Fabiern ihrer Fasten herausgespon- nen ist und Niemand wird behaupten wollen, dass die Fasten nach jener Geschichte gemacht sind. Wenn mithin die Quelle Diodors auf ältere Fasten zurückging, so musste die Gesandschaft der drei Fabier ipso facto fallen.!95) Also selbst wenn Mommsen Recht hat (wovon ich nicht überzeugt worden bin), “dass der unzweifelbaft aus Fabius entlehnte polybische Bericht über die Gallierkriege ..... mit den diodorischen Fasten, und mit diesen allein, in vollem Ein- klang steht” (a. a. O. S. 553), so folgt daraus höchstens, dass der Autor, dem Diodor gefolgt ist, die Fasten des Fabius seiner Dar- stellung zu Grunde legt, nach ihnen die Vulgata emendirt.

Somit komme ich zu dem Resultat, dass an dieser Stelle (mehr will ich nicht) einer jener lateinisch schreibenden Annalisten!??) nach

" 198) Dafür spricht, dass bei Diodor absolut kein Name genannt ist. Wäre einer genannt, dann stünde es besser um unsere Einsicht. 19) Zum letzten Male, so viel ich weiss, hat Plüss in den N, Jahrb.

Ueber den gallischen Brand. 175

Cato als die Quelle Diodors anzusehen ist. Der Autor hat die Vulgata bereite vor sich. An der Hand eines älteren und besseren Materials sucht er dieselbe von den offenbarsten Erfindungen zu befreien. Da- her sind bei Diodor wohl ältere Elemente erkennbar, auf der andern Seite aber genug junge Züge stehen geblieben. Seiner politischen Stellung nach scheint mir der Autor in die gracchische Zeit zu ge- hören. Er verräth deutlich antidemokratische Tendenzen. Ich will dem ‘Kandidaten’ Clasons, dem Calpurnius Piso?®) nicht allzu- sehr das Wort reden, aber Zeit und Persönlichkeit würden vortreff- lich passen. Ich bemerke noch einmal, dass ich lediglich Diodors Bericht über die gallische Katastrophe im Auge habe, um welche meine Arbeit sich allein dreht. Ich weiss sehr wohl, dass sich sonst gerade gegen Piso als Quelle manche Bedenken erheben. Indessen sind Namen erst in zweiter Linie wichtig. Im vorliegenden Fall, wo wir mit Fragmenten nicht operiren können, sondern auf allgemeine Indicien und innere Kritik angewiesen sind, wird es vielleicht tiber- haupt unmöglich sein, die Namensfrage zu entscheiden. Wir müssen uns daher genügen lassen, die Epoche zu bezeichnen. Ich habe nach- zuweisen versucht, dass die Quelle Diodors in die Epoche der römi- schen Annalistik gehört, deren hervorragendster Repräsentant aller- dings Calpurnius Piso ist. Im Uebrigen bekenne ich ganz offen, ausser Stande zu sein, den Autor irgendwie näher zu bezeichnen. Die Formel, diesen Zaubergeist zu bannen, ist mir völliges Geheimniss. “Fabius Pietor' ist nicht der Ton, auf welchen Diodor antwortet.

3. Die römischen Quellen nach Livius. 8 1. Florus.

Die poetische Darstellung des Livius ist bei Florus zur bom- bastischen geworden. Er sagt (I 7, 17), Camillus habe die Spuren des Brandes durch die Stróme gallischen Blutes getilgt; ferner (8 18): der Brand habe “die Hütten der Hirten, die Armuth des Romulus' beseitigt. Ja er versteigt sich sogar zu der Bemerkung (8 3), dass die ganze Katastrophe ein Experiment der Himmlischen gewesen sei, welche wissen wollten, “ob die römische virtus die Herrschaft über den Erdkreis verdiene’. So dürfen wir uns nicht wundern, wenn unter seinen Händen der historische Vorgang geradezu auf den Kopf

f. kl. Phil. 99 (1869) S. 241 A. 5 geltend gemacht, dass Diodor in der

inleitung zu seinem Geschichtewerk selbst erklüre, dass er die rómische Geschichte aus alten lateinischen Quellen geschöpft habe. Die be- treffende Stelle I 4, 3 ff. (Dind.) sagt dies ihrem strikten Wortlaut nach ganz unzweifelhaft. Jedenfalls müssen wir aus ihr entnehmen, dass Dio-

or auch alte lateinische Quellen benutzte. Die Interpretation derselbeu durch H. Peter rell. p. LXXXXVIII und not. 1 scheint mir willkürlich, weil sie das Verhältniss von Vordersatz und Nachsatz völlig ausser Acht lässt. 390. So nennt ihn Clason selbst, Heidelberg. Jahrb. 1872 p. 839.

116 Georg Thouret:

gestellt wird. Die Senonen sind Barbaren, “welche geboren zu sein schienen zum Verderben der Menschen, zur Zerstörung der Städte’ (8 4). Als diese Clusium belagerten und die Römer für diese 'ver- bündete Stadt'*?l) intervenirten, suchten die römischen Gesandten vergeblich, dem Recht und der Billigkeit bei den Galliern Gehör zu verschaffen, vergeblich denn quod ius aput barbaros? ferocius agunt et inde certamen ($ 6). Ich meine, aus dieser abweichenden Darstellung dürfen wir noch nicht auf eine ganz besondere Quelle schliessen. Man sieht vielmehr deutlich, wie Florus selbst durch einen kühnen Federstrieh den Vólkerrechtsbruch der römischen Ge- sandten aus der Welt schafft. Die verlegene Frage beweist, dass dies eigne Arbeit des Florus ist.

Soviel zur allgemeinen Charakterisirung der Form und des Tones der Darstellung. Florus hat jedenfalls das Werk des Livius gekannt und nahm sich dasselbe wahrscheinlich zum Muster, ohne indessen das Vorbild zu erreichen.

Wir haben bereits oben (S. 118 ff.) gesehen, dass sich in Bezug auf den eigentlichen Brand und die Verwtistung Roms Florus mit Livius deckt. Hier aber handelt es sich um die Frage, ob er ihn benutzt hat. Dies ist nun nicht der Fall. Erstens bringt Florus zwei positive Zahlenangaben, welche im Livius nicht vorkommen:

1) Die Océupation der Gallier dauert 6 Monate (I 7, 15).

2) Die Besatzung des Kapitols beträgt kaum 1000 Köpfe: iu- ventus vero, quam satis constat vix mille hominum fuisse, duce Manlio arcem Capitolini montis insedit ($ 13).

Ausserdem aber sind noch mehrere andere Differenzen zu ver- zeichnen:

(8 7) Ein consul Fabius befehligt das Heer an der Allia;

(8 14) Die Anekdote von dem Rencontre zwischen einem der Gallier und dem M. Papirius (Liv. V 41, 9) hat Florus nicht. Bei ihm werden die Greise erschlagen, weil sie die sie anredenden Gal. lier keiner Antwort würdigen.

(8 16) Der Fabier, welcher das wunderbare Opfer auf dem Quirinal vollzieht ist nach Florus: pontifex, während Livius dem C. Fabius Dorsuo eine priesterliche Würde nicht beilegt (V 46, 2). 92)

(812) Geringfügig ist es, wenn Florus den Plebejer, welcher die Jungfrauen der Vesta in sein Gefährt aufnimmt und nach Caere in Sicherheit bringt, Atinius nennt, während er bei Livius (V 40, 9) L. Albinius heisst. Sonst stimmen gerade hier die Darstellungen zu- sammen, nur dass Florus in der Sucht, Alles zu übertreiben, die Vestalinnen nudo pede' fliehen lässt.

301) In dieser Wendung: pro sociis ac foederati» Romanus intervenit (I 7, 6), welche den Worten des Livius direkt widerspricht (vgl. V 85, 4) stimmt Florus mit Appian überein, vgl. de reb. Gall. fr. 2; Beck. p. 37. 3093) Auch Appian nennt den Dorsuo einen ἱερεύς τις, vgl. fr. 6 B. p.89. Ebenso erscheint dieser Fabius bei Dio Cass. (fr. 25, 5; Beck. p. 24) als pontifex.

m

Ueber den gallischen Brand. 177

Es kann meiner Ansicht nach keinem Zweifel unterliegen, dass Florus nicht direkt aus Livius geschöpft hat. Die beiden Zahlen- angaben sind geradezu beweisend. Im Uebrigen liegen dieselben Elemente der Erzählung zu Grunde, und an einer Stelle klingen so- gar die Worte zusammen: Flor. I 7, 17: novissime cum iam obsidio sua barbaros fatigasset, mille pondo auri recessum suum venditantes, idque ipsum per insolentiam, cum ad iniqua pondera addito - adhuc gladio insuper 'vae victis! inereparent etc.

Vgl. Liv. V 48, 8 und 9: pondera ab Gallis adlata iniqua et tribuno recusante additus ab insolente Gallo ponderi gla- dius etc.

Die Nachricht, dass die Occupation Roms durch die Gallier 6 Mo- nate gedauert, kónnte den Gedanken nahe legen, dass Florus Varro benutzt habe, der dieselbe Angabe hat (bei Non. IX p. 340, vgl. ob. S. 111).9*) Indessen spricht hiergegen einmal der Umstand, dass Florus nicht wie Varro (bei Non. III p. 155) die Höhe des Löse- geldes auf 2000, sondern mit der gewöhnlichen Ueberlieferung auf 1000 Pfund angiebt. Ferner wüsste ich nicht zu sagen, in welchem Werke von Varro eine derartig ausgeführte Darstellung der galli- schen Katastrophe gestanden haben könnte. Dass in den Hebdoma- den, dem biographischen Bilderbuch, die Heldengestalten des Camil- lus und M, Manlius nicht übergangen waren, ist sehr wahrscheinlich, aber welche Ausdehnung der beistehende Text (Epigramm?) gehabt hat, darüber wissen wir so gut wie nichte."*) Florus stutzt offen- bar bei der die Occupation betreffenden Notiz. Er sagt (I 7, 15): sex mensibus barbari quis crederet? circa montem unum pe- penderunt etc. Dies spricht dafür, dass er dieselbe bereits in seiner Quelle fand und nicht selbstündig hinzufügte.

Die eigentliche Erzählung stimmt in allen wesentlichen Stücken mit der Vulgata, wie sie Livius und Plutarch darstellen, überein. Livius hat bekanntlich keine bestimmten Zeitangaben, er lässt nur einmal den Camillus ganz allgemein sagen (V 52, 12): si non volun- tate mansimus in Capitolio per tot menses obsidionis. Plutarch dagegen redet zweimal von “sieben Monaten’ (Cam. 28 u. 30). Daraus folgt nun noch nicht, dass die gemeinsame Quelle von Livius und Plutarch diese Zeitbestimmung enthielt. Denn wir dürfen nicht ver- gessen, dass letzterer zum grossen Theil von Dionys abhängt; Dionys aber konnte bei Gelegenheit seine Kenntniss des Polybius verwerthen. Indessen machen es die gemeinsamen Abweichungen des Livius und Plutarch von Florus (z. B. bei der Papiriusanekdote) unwahrschein- lich, dass Florus ein Auszug aus der gemeinsamen Quelle beider

205) Das Verhältniss von Florus zu Varro müsste einmal gründlich untersucht werden. ??*) Vgl. bes. Merklin im Philol. XIII p. 748. Was aber die Annalen betrifft, so kennen wir weder Inhalt noch überhaupt die Anlage derselben; vgl. Teuffel, R. L. G.* S. 2855. Man könnte viel- leicht an die rerum urbanarum libri III denken.

Jahrb. f. olass. Philol Suppl Bd. XI. 12

118 Georg Thouret:

sein sollte. Aber nichts hindert uns, einen Schritt weiter zurück- zugehen und anzunehmen, dass die Quelle, welche Florus ins Kurze zog, und die Quelle, der Livius und Plutarch gefolgt sind, aus einer gemeinsamen dritten schöpften, oder aber, dass Florus diese Urquelle direkt, jene aber erst durch Vermittlung benutzten. Dass die Ver- hältnisse in der That so liegen, dafür haben wir einen merkwürdigen Fingerzeig. Wir constatirten oben (S. 146) eine Differenz zwischen Livius und Plutarch, in sofern jener die ehrwürdigen Greise in aedium vestibulis (V 41, 8), dieser aber auf dem Forum (Cam. 22) die Barbaren erwarten lässt. Wir wurden ferner auf einen ursprüng- lichen Bericht hingeführt, der so lautete: Die Greise versammeln sich auf dem Forum, weihen sich unter Vortritt des Pontifex Maxi- mus zum Tode, und darauf geht jeder in sein Haus. Wir liessen es unentschieden, ob dieser Bericht sich zwischen Livius und Plu- tarch direkt oder schon bei ihren Quellen spaltete. Nun diesen ur- sprünglichen Bericht haben wir genau bei Florus (I 7, 9): iam pri- mum maiores natu, amplissimis usi honoribus, in forum coeunt, ibi devovente pontifice dis se manibus consecrant, statimque in suas quisque &edes regressi, sic ut in trabeis erant et amplissimo cultu, in curulibus sellis sese reposuerunt. Die Ansicht, dass Florus selbst hier dasselbe Experiment gemacht habe, welches wir oben anstell- ten, wird wohl Niemand ernstlich vertreten wollen. Vielmehr dürfen wir uns freuen, geradezu einen Beweis zu haben, wo wir die Quelle des Florus zu suchen haben. Sie liegt, das ist die Hauptsache, vor Livius.

Es giebt nun eine ganze Reihe von Möglichkeiten, sich das Ver- hältniss der drei Schriftsteller zu dieser ursprünglichen Quelle zu denken. Die folgenden Schemata sollen die wichtigsten derselben im Bilde veranschaulichen:

1. 9. ? ? N IN Livius Plutarch Florus | | Livius Plut. Florus 3. 4 ? ?

? ? ? | d |

? L POE N L. P.

? F.

Ueber den gallischen Brand. 179

Die erste Form ist sehr unwahrscheinlich, die drei andern stehen sich ungefähr gleich.

Die Frage ist ohne Namen kaum zu entscheiden; Namen aber im vorliegenden Falle anzugeben, birgt der Gefahren viele in sich. Es kann sich im Wesentlichen nur um Claudius Quadrigarius, Val. Antias und Licinius Macer handeln. Hier jedoch mache ich Halt. Es kam mir nur darauf an, die negative Thatsache festzustellen, dass Florus an unserer Stelle Livius nicht ausgeschrieben hat, und die positive, dass seine Quelle in einem Annalisten vor Livius zu suchen ist, wobei die Frage gar nicht zu entscheiden, ob Florus selbst das Excerpt gemacht oder bereits ein Excerpt benutzt hat.

8. 29. Orosius und die periocha.

Wir betreten nunmehr ein Gebiet der Quellenforschung, welches nicht nur unsicher sondern auch geführlich ist. Wie viel hier noch zu thun ist, wird das concrete Beispiel, welches uns beschäftigt, deutlich zeigen. Ich kann unmöglich alle diese Quellenuntersuchun- gen systematisch zu Ende führen. Ich begnüge mich, das Sichere und das Wesentliche festzustellen.

Ebensowenig wie Florus hat Orosius hier den Livius aus- geschrieben, da auch er die Dauer der Occupation auf 6 Monate und die Stärke der Besatzung des Kapitols auf kaum 1000 Köpfe an- giebt (II 19 Hav.? p. 67 u. 68). In Bezug auf die letzte Notiz stimmt er wörtlich mit Florus überein; Or. (a. a. O.): universam reliquam iuventutem, quam constat vix mille hominum tunc fuisse in arce Capitolini montis latitantem obsidione concludunt, Flor. I 1, 13: iuventus vero, quam satis constat vix mille hominum fuisse duce Manlio arcem Capitolini montis insedit. Es giebt nun hier wieder drei Móglichkeiten: entweder hat Orosius oder seine Quelle den Florus abgeschrieben, oder es liegt eine gemeinsame Quelle beiden zu Grunde. Hier möchte ich mich für eine direkte Abhängig- keit des Orosius von Florus entscheiden, aus welchem Grunde wird spüter klar werden. Zu erwühnen bleibt noch, dass auch bei Orosius (wie bei Florus) ein Fabius consul an der Allia commandirt.

Ehe wir weiter gehen, müssen wir auch die merkwürdige That- sache constatiren, dass ebenfalls die periocha V, soweit 810 die gallische Katastrophe berührt, kein direktes Excerpt aus Livius sein kann, da auch hier die ‘6 Monate’ erscheinen (vgl. Jahn p. 11), eine Angabe, welche kein Epitomator aus Livius herauslesen kann. Hierzu kommen noch grosse Ungenauigkeiten und Unrichtigkeiten.

Ungenau ist es, wenn der Epitomator sagt (Jahn p. 11, 19): Furius Camillus dictator absens creatus inter ipsum conloquium, quo de pacis condicionibus agebatur, cum exercitu venit, denn nach Li- vius V 49 kommt Camillus, als wenigstens ein Theil des Goldes. bereits herbeigeschafft war (auferrique aurum de medio .... iubet).

12*

180 Georg Thouret:

Wenn ferner ein Epitomator einmal wörtlich ausziehen will und er macht aus den bekannten Worten des centurio bei Livius V, 55,1 (centurio in comitio exclamavit) signifer statue signum: hic manebi- mus optime, folgende: sta miles, hic optime manebimus (p. 11, 26), so darf man wohl zweifeln, ob er wirklich den Text des Livius vor sich gehabt hat (vgl. dagegen Val. Max. I 5, 1).

Geradezu falsch aber ist die letzte Notiz: aedes Iovi Capitolino facta est, quod ante urbem captam vox audita erat adventare Gallos (vgl. Livius V 50).

Vergleichen wir aber diese periocha mit Orosius, 80 machen wir die Beobachtung, dass wir jene bei diesem wiederfinden, wenn wir nur die Punkte streichen, welche jeden Rómer mit Freude und Stolz erfüllten die That des M. Manlius und den Sieg des Ca- millus sowie die Wiedereroberung des Lósegoldes und die Züge, welche mit antiker Religiosität innig zusammenhängen aber auch nur für sie Werth haben, ich meine vor allen Dingen die Rettung des Kapitols durch die Gänse der Juno. Orosius legt von vornherein das Schwergewicht auf die faktische Zerstörung Roms, er vergleicht sie passend mit der Plünderung der Stadt durch die Gothen unter Alarich. Unter diesen Gesichtspunkt stellt er die gallische Invasion gleich in den Eingangsworten (p. 67): dehinc irruptio Gallorum et incendium urbis insequitur etc. An diesem Punkte der Geschichte konnte seine pessimistische Ansicht von dem Gange der antiken Ge- schichte beredten Ausdruck finden, und er taucht seinen Pinsel in grausig düstere Farben. Dass für ihn die schöne Fabel von den Günsen jede Bedeutung verlor, ist selbstverstündlich, ebenso natür- lich ist es, dass er die Thaten des Manlius und Camillus übergeht. Er will sein zweites Buch auf Ruinen schliessen, und er will, dass sich um den Leser trostlose schwarze Nacht verbreite.

Wir werden also kein grosses Gewicht darauf zu legen haben, wenn er scheinbar das Wichtigste übergeht. Wir müssen sein Schweigen zunächst immer von dem oben dargelegten Gesichtpunkte aus beurtheilen. Ich stelle nun folgende Vergleichung zusammen:

perioch. V Jahn p. 11, 7 ff.

cum Galli Senones Clusium obsi- derent et legati & senatu missi &d componendam inter eos et Clu- sinos pacem pugnantes contra Gal- los in acie Clusinorum [videren- tur]?99). hoc facto eorum concitati Senones urbem infesto exercitu

Orosius II 19, Hav. p. 67/68.

igitur Galli Senones, duce Brenno, exercitu copioso et robusto nimis, cum urbem Clusini, (quae nunc Tuscia dicitur,) obsiderent, lega- tos Romanorum, qui tunc compo- nendae inter eos pacis gratia vene- rani, in 8010 adversum se videre

205) So ergänze ich nach Orosius, natürlich ohne Sicherheit. Die (—) bei der peroch. bezeichnen die Stellen, welche Orosius wegliess, die (—) bei Orosius theils die rhetorischen Zusätze, theils das, was er meiner

Ansicht nach aus Florus entnahm.

UN

^

Ueber den gallischen Brand.

petierunt, fusisque ad Aliam Ro- manis cepere urbem praeter Capi- tolium, quo se iuventus contule- rat; maiores natu cum insignibus honorum quos quisque gesserat in vestibulis aedium sedentes occi- derunt. (et cum per aversam partem Capitolii iam in summum evasissent, proditi clangore anse- rum M. Manlii praecipue opera deiecti sunt.) coactis deinde pro- pter famem Romanis eo descen- dere ut mille pondo auri darent et hoc pretio finem obsidionis emerent. (Furius Camillus, dieta- tor absens creatus, inter ipsum conloquium, quo de pacis condi- cionibus agebatur, cum exercitu venit et Gallos) post sextum men- sem (urbe expulit ceciditque). dictum est ad Veios migrandum esse propter incensam et dirutam urbem, quod consilium (Camillo auctore) discussum est. (movit populum vocis quoque omen ex centurione auditae, qui cum in forum venisset, manipularibus suis dixerat “sta miles, hic optime manebimus'. aedes Iovi Capito- lino facta est, quod ante urbem captam vox audita erat adventare Gallos.)

181

pugnantes: qua indignatione per- moti, Clusini oppidi obsidione di- missa, totis viribus Romam con- tendunt, (Hos ita ruentes Fabius cum exercitu consul excepit, nec tamen obstitit, imo potius hosti- lis ille impetus quasi aridam sege- tem succidit, stravit et transiit.) Testatur hanc (Fabii) cladem flu- vius Allia (sicut Cremera Fabio- rum. Non enim facile aliquis si- milem ruinam Romanae militiae recenseret, etiam si Roma insuper incensa non esset) Patentem Galli urbem penetrant, trucidant (rigentes simulacrorum modo) in suis sedibus senatores (eosque iu- cendio domorum crematos, lapsu culminum suorum sepeliunt). Universam reliquam iuventutem (quam constat vix mille homi- num tunc fuisse) in arce Capito- lii montis latitantem, obsidione concludunt: ibique (infelices reli- quias) fame (peste, desperatione, formidine) terunt, (subigunt,) ven- dunt: nam mille libris auri dis- cessionis pretium pacisceuntur: (non quod apud Gallos Roma parvi nominis fuerit, sed quod illam sic iam ante detriverint, ut amplius tune valere non posset.

Exeuntibus Gallis remanserat in illo quondam urbis ambitu infor- mium minarum obscoena congeries et undique impedita errantium et inter sua ignotorum offensae vocis imago respondens, trepidus suspen- debat auditus. Horror quatiebat animos, silentia ipsa terrebant. Si- quidem materia pavoris est raritas ipsa vocis in spatiosis). Hinc illis mutare sedes, aliud incolere oppidum altero etiam censeri nomine cogitatum placitum atque tentatum est. (En tempora... captivitates) illa sex mensibus desaeviens (bis Schluss).

Namentlich der Anfang der Erzählung klingt zusammen, gerade der Anfang aber verbietet die Annahme, dass Orosius nur von Florus abhängig sei. Denn Florus streicht, wie wir gesehen, den Völker- rechtsbruch Seitens der Gesandten. Die bei Orosius eingeklammerten Stellen bringen Neues nur da, wo auch Florus von der Vulgata ab- weicht, im Uebrigen sind sie rhetorische Áusschmückungen, welche

182 Georg Thouret:

wir mit gutem Recht als das allereigenste Werk des Orosius an- sehen dürfen.

Bei dieser Sachlage scheint sich mir folgendes Resultat zu er- geben: Es existirte eine auf Grund des Livius mit Zuhülfenahme noch anderer Quellen gemachte Epitome. Aus dieser entstand durch weitere Verkürzung die vorliegende periocha. Sie selbst bildet das Gerippe der Darstellung bei Orosius, der aber, um dem Ganzen mehr Fülle zu geben, theils einige Zusätze aus Florus machte, theils seiner Sucht zu rhetorischen Ergüssen hier die Zügel schiessen liess.

Eine andere Ansicht, welche mir aber weniger wahrscheinlich zu sein scheint, wäre auch nach dem Vorigen berechtigt: Bei Florus, Orosius und der periocha liegt eine gemeinsame Quelle zu Grunde: ein kurz gefasster Bericht, den wir aber dann nach dem vorher- gehenden 1 nicht auf Livius, sondern auf dessen ursprüngliche Quelle zurückführen müssten. Für diese Ansicht würde sprechen, dass wir dann nicht nöthig haben würden, bei Orosius die Benutzung zweier Quellen vorauszusetzen. Auch hier wage ich keine Entschei- dung. Das Ziel dieses Paragraphen ist erreicht: Weder Orosius noch die sogenannte periocha aus Livius können faktisch als direkt von Livius abhüngig angesehen werden.

8 3. Der sogenannte Aurelius Victor.

Will Jemand mit verständigem Sinn, kritischem Blick und doch schonender Hand einen möglichst kurzen Auszug aus der Vulgata verfertigen, so kann er es nicht kürzer und nicht besser als Aurelius Vietor machen. Die beiden kleinen Viten des Camillus (c. 23) und M. Manlius (c. 24) sind geradezu musterhaft und berühren wohl. thütig, wenn man von Orosius kommt. Nur weiss man nicht, ob hier Zufall oder Kritik obwaltet.

Zwei Angaben weisen darauf hin, dass diese Viten keine Aus- züge aus Livius sind. In der bestimmtesten Weise nennt Aurelius den 17. Juli als Datum der Alliaschlacht (c. 23, 7)?9) gegenüber dem 18. Juli der Vulgata (Liv. VI 1, 11; Tac. hist, II, 91 ete.).?”) Ferner giebt er die dona des Manlius auf 37, die Zahl seiner Ehren- narben auf 23 an (c. 24, 2), während Livius bei diesen sich ganz allgemein ausdrückt (VI 20, 8), bei jenen aber die runde Summe (ib. 20, 7): dona imperatorum ad quadraginta genügen lüsst.*05) Genau die Zahlen des Aurelius finden wir dagegen bei Plinius (n. h. VII 28, 103).

Die übrigen Sätze lassen sich freilich sämmtlich bei Livius

206) Soviel ich sehe, gehen die Hdschr. hier alle zusammen. 397) Vergl. Mommsen, Chron.? S. 26, Anm. 32. ?"5*) Hierhin gehört auc noch die Notiz (24, 1): Manlius sedecim annorum voluntarium militem se obtulit, welche im Livius nicht steht. Mir kam es im Texte in erster Linie auf die direkten Differenzen an.

BY

Ueber den gallischen Brand. 183

wiederfinden. Wer aber bei einem so kurzen Auszuge die Zahlen- angaben des Livius verbesserte, der hat schwerlich seinen Auszug aus Livius gemacht. Bei dieser Sachlage sind wir berechtigt, uns jeden einzelnen Satz genau anzusehen und ihn streng mit der Vul- gata zu vergleichen. Dabei zeigt sich eine überraschende Beob- achtung. Aurelius kennt die Vulgata, nach der Camillus den Galliern das Gold wieder abnahm, denn er sagt von Manlius (c. 24, 5): cum senatum suppressisse Gallicos thesauros argueret, was die gewöhn- liche Tradition genau wiedergiebt: um so auffallender ist es, dass er in der vita des Camillus nichts davon erzählt. Man darf nicht geltend machen, dass er überhaupt nicht von einem Loskaufe spricht. Er stellt von Anfang an die Thatsachen unter den Gesichtspunkt der speciellen Lebensbeschreibung: der Loskauf an und für sich geht aber den Camillus nichts an. Seine Worte lauten nun so: Qui (sc. Cam.) absens dictator dictus, collectis reliquiis, Gallos impro- vidos internecione occidit. Wenn Aurelius in seiner Quelle die Wiedergewinnung des Goldes durch Camillus verzeichnet fand, so verstehe ich nicht, wie er, dessen Absicht doch war, die Thaten des Camillus kurz darzustellen, diese grösste That übergehen konnte. Misstraute er aber seiner Quelle, so muss er eine bessere Ueber- lieferung gekannt haben, wobei es wieder unverständlich bliebe, warum er überhaupt einer verlogenen Quelle folgte.

Mir scheint hier nur eine Annahme möglich, nämlich die, dass Aurelius in der That in seiner Quelle nichts von diesen Fabeln fand. Nun dann fand er auch nichts von einer Wiedererbauung der Stadt durch Camillus nach dem gallischen Brande, Vielmehr betrachtet er als die Krone des Ruhmes seines Helden den Sieg über die Gallier, und, was das Wichtigste ist, die Verhinderung der Auswanderung nach Veji. Er schliesst die vita mit den Worten: Populum Roma- num migrare Veios volentem retinuit. Sic et oppidum civibus et cives oppido reddidit.

Aurelius Victor sagt im Wesentlichen dasselbe, was wir oben als Resultat der Untersuchung bezeichneten. Die Stadt steht: aber der Vorschlag, den Mittelpunkt des Staates nach Veji zu verlegen, droht ihr den Untergang. Diese Gefahr beseitigt Camillus, und deshalb kann man ihn mit Recht einen zweiten Romulus nennen. Sollte dies Alles wirklich Zufall sein?

Indessen ist zuzugeben, dass eine sichere Entscheidung erst dann möglich ist, wenn wir die Quelle kennen werden, aus welcher der Verfasser diese Viten geschópft hat. Auch hier hat, wie bei Diodor, die Forschung noch kein unanfechtbares Resultat zu Tage gefürdert, und ieh will nicht den geführlichen Weg einschlagen, den bisherigen Vermuthungen eine neue hinzuzufügen. Ueber einen Punkt ist man, soviel ich sehe, nunmehr einig: nümlich, dass Livius nicht die Quelle ist. Auch darüber ist man einig, dass die Quelle ülter als Livius ist: in Bezug auf die Epoche jedoch, welcher dieselbe ange-

184 Georg Thouret:

hört, gehen die Ansichten auseinander. Man hat Valerius Antias*?), Calpurnius Piso? ), für einen Theil der Viten sogar Coelius Anti- pater?!!) als Quelle vermuthet. Dagegen hat der neueste Bearbeiter dieser Frage, H. Haupt?!?), mit vollem Recht geltend gemacht, dass der unbekannte Autor bereits ein nach demselben Gesichtspunkte an- gelegtes Werk vor sich gehabt haben müsse. Er kommt zu dem Resultat, dass Cornelius Nepos die Quelle sei Ist dies richtig, so dürfte man aus der uns angehenden vita des Camillus schliessen, dass Nepos von einer Verbrennung oder Zerstörung Roms durch die Gallier nichts wusste oder nichts hat wissen wollen, womit die Frage eigentlich erledigt sein würde. Ich erkenne durchaus an, dass Haupt seine Ansicht mit gewichtigen Gründen gestützt hat*!?): aber gerade an unserer Stelle macht sich ein Bedenken unabweislich geltend. Jeder wird zugeben, dass die Lebensbeschreibungen des Camillus und des Manlius Capit. eng zusammenhüngen. Ueber die Todesart des Manlius nun hat uns Gellius in bestimmtester Weise die aus- einandergehenden Ángaben Varros und des Corn. Nepos erhalten. Er sagt (XVII 21, 24): Manlius damnatus capitis saxo Tarpeio, ut M. Varro ait, praeceps datus, ut Cornelius autem Nepos scriptum reliquit, verberando necatus est. Der sogen. Aurelius nun berichtet darüber (c. 24, 7): damnatus et de saxo Tarpeio praecipitatus est; also genau wie Varro. Auch wenn das ganze Kapitel sonst mit Nepos übereinstimmte: diese eine Differenz zwingt zu dem Schlusse, dass Nepos hier nicht die Quelle ist. Wenn nämlich Haupt nach dem Vorgange Niebuhrs (R. G. II, S8. 687) meint (p. 31), Nepos habe geschrieben: Manlius de saxo Tarpeio praecipitatus verberando necatus est, so ist dies, abgesehen von dem offenbaren Widersinn der Worte, deshalb unmöglich, weil dann Gellius nie hätte dazu kommen können, die Ansichten der beiden genannten Gewährsmänner als ver- schieden zu bezeichnen. Auch die Worte des Gellius werden wider- sinnig, wenn Nepos 80 geschrieben, wie Haupt will.

Auch Livius erzählt, dass Manlius vom Tarpejischen Felsen hinabgestürzt worden (VI 20, 12), aber wir haben oben gesehen, dass Livius hier nicht Quelle sein kann (vergl. S. 182). Cornelius Nepos ebenfalls nicht, und doch, wenn eine von den Viten einen streng biographischen Charakter an sich trägt, so ist es die des Manlius Capitolinus.^4) Die Stelle bei Gellius enthält einen deut- lichen Fingerzeig. Meinem Urtheil nach musste eine Untersuchung über die Quellen des sogen. Aurelius Victor von der unzweifelhaften

300) Mommsen, Hermes I, S. 168; vergl. IV, S. 7. 310) C. Alden- hoven, Hermes V, S. 150 ff. 311) Soltau: De fontibus Plut. in secundo b. Pun. enarrando Bonn 1870, p. 102. "Vielleicht, meint S., in dem Aus- zuge des Brutus aus Antipater (vergl. Cic. ad Att. XIII 8). 312 De &uctoris de vir. ill libro quaestiones historicae Frankfurt 1876. 318) Namentlich durch die Vergleichung mit Ampelius. 319. Vergl. be- sonders den Eingang.

Ueber den gallischen Brand. 185

Thatsache ausgehen, dass sich ein Theil der Varronischen Etymo- logieen in der Schrift de vir. ill. wiederfindet?'5), und, wie das vor- liegende Beispiel zeigt, auch sonstige Angaben Varros. Man müsste zunüchst diese Spur verfolgen, genau den Thatbestand feststellen und dann zu ergründen suchen, ob etwa Varro selbst die gesuchte Quelle ist oder wenigstens, in wie weit die Quelle von Varro abhüngig ist. Eine derartige Untersuchung kann hier nicht meine Aufgabe sein, um so weniger, da in der vita des Camillus die speciell Varronischen Angaben fehlen, ich meine die sechsmonatliche Occupation der Stadt und die Summe des Lösegeldes, welche sich nach Varro auf 2000 Pfund belief. Beides kann fehlen, da der Verfasser keine Geschichte der gallischen Invasion, sondern einen Lebensabriss des Camillus schreiben will.

Als Resultat dieses Paragraphen bezeichne ich: Auch der auctor de vir. ill. ist unabhängig von Livius, seine Quellen sind älter als Livius, und er weiss nichts davon, dass Camillus die von den Galliern zerstörte Stadt wieder aufgebaut hat. Die Quelle steht anscheinend auf dem Boden älterer Ueberlieferung. Aber sie kennt die Vulgata und entnimmt aus derselben z. B. die Gesandtschaft der drei Fabier an die Gallier (c. 23, 5). In welche Epoche der Quellenschriftsteller gehört, und welchen Namen er trägt, dies sind Fragen, deren Ent- scheidung zur Zeit noch nicht móglich ist.

$ 4. Eutrop und Sextus Rufus.

Je tiefer wir in der Reihe der rómischen Historiker herab- steigen, um so merkwürdiger gestaltet sich das Verhältniss der Quellen. Man muss geradezu sagen, dass die Quellen immer reiner zu fliessen scheinen. Auch Eutrop und Rufus wissen nichts von einem gallischen Brande, nichts von einer Zerstörung Roms durch die Gallier. Eutrop verbindet in der unzweideutigsten Weise zwei ge- irennte Berichte. Er erzühlt einmal die Geschichte zu Ende und dann beginnt er sie von Neuem. Er sagt I 20: Statim Galli Senones ad urbem venerunt et victos Romanos undecimo milliario à Roma apud flumen Alliam secuti etiam urbem occuparunt; neque defendi quidquam nisi Capitolium potuit. Quod quum diu obsedissent et iam Romani fame laborarent & Camillo, qui in vicina civitate exsulabat, Gallis superventum est, gravissimeque victi sunt. Dies ist ein in sich geschlossener Bericht und stimmt vollständig mit dem, was Aur. Victor bringt, überein. Nun führt aber Eutrop fort: Postea tamen, accepto etiam auro, ne Capitolium obsiderent, recesserunt; sed se- cutus eos Camillus ita cecidit, ut et aurum, quod his datum fuerat, et omnia, quae ceperant, militaria signa revocaret. Ita tertio

215) Verg]. 2. B. die Erklärung von Aequimaelium (c. 17, 5) mit Varro de 1. 1. V 167; M. p. 61.

186 Georg Thouret:

triumphans urbem ingressus est et appellatus secundus Romulus, quasi et ipse patriae conditor. Es liegt auf der Hand, dass zwischen beiden Darstellungen ein Widerspruch obwaltet. Nach jener be- lagern die Gallier vergeblich das Kapitol und werden von Camillus vernichtet, nach dieser lassen sie sich die Belagerung abkaufen, ziehen ab, und nun erst trifft und schlägt sie Camillus.

Bei dieser Sachlage haben wir das Recht, zu behaupten, dass es einen Bericht gab, nach welchem Camillus die Gallier noch in der Stadt besiegte, ihnen aber das Lösegeld gar nicht wieder ab- nehmen konnte, weil sie überhaupt keins erhielten. Dieser liegt uns bei Aur. Victor und bei Eutrop vor.

Die folgende Erzählung bei Eutrop bringt nun aber die ganz neue Notiz, dass Camillus den Galliern die erbeuteten 'signa' wieder ab- genommen habe. Dasselbe sagt Sextus Rufus c. 6. Aus diesem Grunde habe ich beide unter dieselbe Rubrik gesetzt. Diese Wendung der Fabel findet sich in der rómischen Litteratur zuerst bei den Dichtern, bei Vergil!!6) und Properz.”!”) Man kann kaum die Ver- muthung abweisen, dass hierbei die Wiedergewinnung der rómischen Feldzeichen von den Parthern durch Augustus i. J. 734 a, u. ?!9) mit eingewirkt hat. Wenigstens findet sich früher keine Spur von dieser Angabe. Immerhin bleibt es bemerkenswerth, dass eine offenbar poetisch gehaltene Version in die Werke so später Epitomatoren übergegangen ist.

Sextus Rufus hat hier nicht etwa den Eutrop abgeschrieben, da er mehr Nachrichten bringt. Vor allen Dingen giebt er in bestimmter Weise die Zahl der auf die Burg geflohenen vornehmen Römer auf 600 an. Florus und (nach ihm?) Orosius sagen, wie wir gesehen haben, dass die junge Mannschaft, welche unter Führung des Manlius das Kapitol beseizt hielt, aus vix mille hominum bestanden habe (Fl. I7, 13). Beide Angaben lassen sich deshalb schwer vereinen, weil Sextus Rufus gar nicht von der militürischen Besatzung, son- dern von “Vornehmen und Senatoren'?!?) spricht. Eine Entscheidung ist hier nicht möglich.

Wir haben oben aus dem auctor de vir. ill. und Eutrop auf einen Bericht geschlossen, der nur von einem Siege des Camillus in der Stadt selbst wusste. Durch den zweiten Theil bei Eutrop und durch die kurze Darstellung des Rufus werden wir auf einen zweiten Be- richt geführt, welcher (wie Rufus deutlich sagt) die Gallier als Sieger d. h. mit dem Lösegelde abziehen und dann erst Camillus erscheinen und die Barbaren vernichten liess.

Deide Berichte sind dem Polybius gegenüber in gleicher Weise zu verwerfen. Aber nun ist es wohl deutlich, dass jener mit der

216) Aen. VI 826; vergl. dazu Servius, und diesen zu Georg. II 169. 917) IV 10 (11), 67. ?'*) Vergl. Fischer, R. Zeitt. S. 393. 319) Förster (Wien 1874) schreibt nobilissimi senatores (vergl. diss. p. 19).

Ueber den gallischen Brand. 187

dem Zusammentreffen des Camillus und Brennus auf dem jn Rom eng zusammenhängt. Diese Scene ist ja nur möglich, nillus die Gallier in der Stadt selbst überrascht. Ebenso es nun, wie mir scheint, dass die zweite Darstellung, nach 'amillus die Gallier erst nach dem Abzuge schlug und ihnen zeld wieder abnahm, auf jenen ersten Bericht einwirkte und us die Scene des Goldabwägens entstanden ist.

heutige Forschung ist darin einig, dass der sogen. Aur. if eine in ihrer Grundlage vortreffliche Quelle zurück. ist; auch Eutrop muss gute Quellen benutzt haben. Man so sehr zweifelhaft sein, welchen der beiden Berichte man lteren zu halten habe. Dass Camillus zweimal die Gallier ; und ihnen erst beim zweiten Male das Gold wieder ab- eht nicht, da die einzige Möglichkeit, welche auch Eutrop dass nümlich die Gallier erst nach der ersten Niederlage erhalten, eine Absurdität ist. Hier liegen zwei sich wider- le Elemente vor. Besagte die ältere Darstellung, Camillus Belagerung des Kapitols durch die Besiegung der Belagerer n, so war in ihr von einer Wiedereroberung des Lösegeldes Rede. Dann aber würe es bewiesen, dass Diodor nicht auf & Quelle zurückzuführen ist, da er vielmehr die zweite Dar- die auch Rufus hat) giebt. Liess die ältere Ueberlieferung rabziehen und dann erst vernichtet werden, so würde Diodors ie ich es oben angenommen, auf die ältere Ueberlieferung ıen. Denn in dieser selbst jene Quelle zu sehen, daran nich die Gründe, welche mich bestimmten, seiner direkten 1 hohes Alter abzusprechen.

Livius sind jene beiden Elemente schon contaminirt. Er- sind sie trotzdem. Camillus besiegt die Gallier zweimal: idt und bald darauf an der via Gabinia (V 49). Der Theil reldes, welcher bereits ausgezahlt war, wird den Galliern . der ersten Dazwischenkunft abgenommen (a. a. O.). Wir ier deutlicher sehen, wenn wir wüssten, wie Claudius die rgestellt hatte. Im fr. 7 (Peter p. 206) steht nur, dass als Dictator die Gallier besiegt habe?) Es ist nicht zu jb er schon beide Darstellungen in einander geschoben hat. . auch sein mag: nach der ältesten und besten Quelle sind r unbehelligt abgezogen: die Erzählungen also, welche die ng derselben durch Camillus berichten, sind Erfindungen. ind wir am Ende unserer Untersuchung wieder auf den urückgeführt worden. Was speciell diesen letzten Abschnitt j0 kann es keinem Zweifel unterliegen, dass auch Eutrop 8 nicht von Livius abhängig sind. Bis Florus konnten wir ıung der Vulgata deutlich verfolgen. Ein Arm derselben

o viel dürfen wir aus den Worten entnehmen.

188 G. Thouret: Ueber den gallischen Brand.

wurde durch Florus zu Orosius geleitet. Dann versiegt plötzlich der Strom. Die eigentlichen Epitomatoren, die allerspätesten Schrift- steller, wie der auctor de vir. ill., wie Eutrop und Rufus, gehen nicht auf Livius, sondern, sei es direkt oder indirekt, auf ältere und bessere Quellen zurück. Ich habe mich begnügt und musste mich begnügen, nur das Allerwichtigste und Wesentlichste hervorzuheben. Erst jetzt wird es recht deutlich, wie viele Fragen hier noch ihrer Lösung harren. Hoffentlich habe ich ein Scherflein zu dieser Lösung

beigetragen.

Nachwort.

Für den vorliegenden Aufsatz konnte der 2. Band von Mommsens Römischen Forschungen (Berlin 1879) nicht mehr benutzt werden. Die nachträgliche Lekttire desselben veranlasst den Verfasser nicht, seine Ansicht in irgend einem wesentlichen Punkte zu ändern. Die erweiterte Gestalt, in welcher die zuerst im Hermes veröffentlichten Abhandlungen nunmehr in den Forschungen erscheinen (Fabius und Diodor S. 221—290; Die gallische Katastrophe 8.297 381), macht zwar einige der gegen die Ansicht Mommsens erhobenen Bedenken überflüssig, lässt aber die Hauptdifferenz über das Verhältniss von Polybius und Diodor zu Fabius unberührt. Da der Verfasser keine Quellenuntersuchung über Diodor zu schreiben beabsichtigt hat, son- dern die Frage hat aufwerfen und, wenn es anging, beantworten wollen, ob die Zerstörung Roms durch die Gallier ein historisches Factum sei oder nicht, so hält er auch den weiteren Ausführungen Mommsens gegenüber seine Behauptungen aufrecht, die ibren Grund und Boden in Polybius haben oder zu haben glauben, so lange sie nicht eines Besseren belehrt werden.

Berichtigung. 8. 170, Z. 2 v. u. lies: linken statt rechten,

DIE HANDSCHRIFTLICHE UEBERLIEFERUNG

DES

AUSONIUS.

ν᾿ L] ui rium. .

VON

R. PEIPER.

192 R. Peiper:

bracht. Von den Zeitgenossen, deren Werke uns erhalten sind, legen nur Symmachus und Paulinus Zeugniss von ihm ab, des Theodosius Augustus Aufforderung an den Dichter ist nur durch Ausonius’ Sammlung selbst erhalten. Dann rühmt im folgenden Jahrhundert Sidonius einmal den Dichter (Sidonius Epp. IV 14 ad Polemium: Nam tuorum peritiae comparatus non solum Cormelios oratores sed Ausonios quoque poetas uincere potes). Ennodius hat einige Stellen aus dem Briefwechsel mit Symmachus der Epistolarsammlung des letzteren, nicht den opuscula Ausonii entlehnt.?) Räthselbaft ist des Dichters Erwähnung bei Suidas (I p. 866 Berih.): Αὐςόνιος copı- «τὴς γεγραφὼς éricroAàc xai ἄλλα τινὰ πρὸς Nóvvov.

Wenn man weiterhin bei mittelalterlichen Dichtern Entlehnungen aus Ausonius hat finden wollen, so beruht das auf Täuschung; es ist Zufall, wenn Paulus Diaconus in den Versen 17 f. seiner Laudatio lacus Larii?):

cedat et ipse tibi me iudice furuus Auernus,

Epirique lacus cedat et ipse tibi.

au Ausonius Profess. I 20 anklingt: in te sic uiguit, cedat ut ipse tibi.

und Paulus so wenig (in seinen Versen ‘Sic ego suscepi ete.’)*) wie Thietmar von Merseburg II 2°) haben das Technopaegnion (de litt. monos. v. 9) vor Augen gehabt, sondern vielmehr Persius IH 56, V 84 nebst den Scholien dazu. Dass endlich Petrus Episcopus (T 1219) im Benoni liber für seinen Vers:

Sic in figmentis clamat resonabilis echo. die Schlussworte dem Ovid vielmehr (Met. III 357), nicht dem Auso- nius (Epigr. 99) entlehnt hat9), wird Jedermann zugeben.

Es bleiben einzig unbestreitbar die weiter unten zu besprechen- den Entlehnungen des Ermenricus Augiensis aus der Mosella, die Uebertragungen der Monosticha Caesarum in jüngere Suetonius- Handschriften, die weite Verbreitung, welche durchs Mittelalter hin- durch die aerumnae Herculis, die Monatsgedichte, die Idyllia Vir bonus, Est et non gefunden haben; ein Vorgang, der, wie sich weiter unten ergeben wird, nicht im mindesten die Folge grosser An- erkennung bei Mit- und Nachwelt gewesen, sondern eher auf Rech- nung der geringen Beachtung, die seine Werke fanden, des Ver- gessens, dem sie anheim gefallen, gebracht werden muss. Vielleicht

*) Ennodius ad Agnellum VII 16 = Symmachus Ausonio I 25. E. ad Constantium II 19 und nochmals ad Patricium = Ausonius Symmacho ] 26. Aus dem letzteren Briefe schópft Ennodius noch zwei andere Aus- drücke im Anfange der eben genannten ep. ad Constantium II 19 und δὰ Florum I 2. Briefe des Symmachus an andere plündert Ennodius ad Olybrium II 18 = S. Protadio IV 28, E. ad Stephanum VII 94 = 8. Romulo IX 59, endlich E. ep. II 20 = 8. Patri 11 ex. H. J. Müller, im Progr. des Friedrichs- Werder'schen Gymn. zu Berlin 1876, S 80. *) M. Haupt, Z. f. d. A., XII 452, v. 43. Pertz, Monu- menta V. 5) Pitra Spicilegium Solesmense III, p. XXXVII not.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 193

hat aber ein Theil der letztgenannten Verse den äusseren Anstoss ge- gegeben, das Andenken des Dichters zu beleben durch eine Ausgabe der vorhandenen Werke, die so unvorbereitet, wie es scheint, im J. 1472 zu Venedig ans Licht tritt. Jene Monosticha Caesarum waren durch die Ed. princeps des Suetonius 2 Jahre vorher bekannt ge- worden. Das mag einen der mit den Ausonianischen Dichtungen verirauten Italiener (denn Zahl und Alter der vorhandenen Handss. beweist uns, dass auch hier von einem neuen Funde ganz und gar nicht die Rede sein kann, während einerseits die Integrität des Textes von der anderer Schriftsteller Texte überwuchernden Menge von Con- jecturen, andererseits der Mangel jeder stillen Einwirkung auf die Litteratur jener Tage, durch die sich uns das Vorhandensein eines solchen Werkes verrathen könnte, die Heimathstsätte der Hand- schriften ausserhalb Roms und Florenz suchen und nur eine be- schränkte Zahl von Kennern des Dichters anzunehmen räth) ange- regt haben, den Schatz, der offenbar Freunde zu finden versprach in der Gesellschaft der damaligen Zeit, weiteren Kreisen durch die neu- erfundene Kunst zugänglich zu machen. So geschah es, dass dem Ausonius die Ehre wiederfuhr, in demselben Jahre mit den Elegikern und den Plautinischen Lustspielen vor Valerius, Manilius, Lucre- tius ans Licht zu treten, nachdem die Zeit für die Dichtungs- art, die er vertrat, durch zwei gleichzeitige Ausgaben des Martialis zu Hom? und Ferrara 1471 vorbereitet war. Diesen Punkt hebt der erste Herausgeber in der Vorrede hervor: Iam ad Ausonium nostrum redeamus, quem tanto lepore et salibus atticis latiisque inspersum Pedoni Getulico Marso Bilbiliensi denique uati praeponendum con- tenderem, si maxima pars operis non desideraretur.^) Und in der Ueberschrift der tabula: Poetae lepidissimi atque festiui epigramma- ton libellus.

Man vergleiche damit des Lilius Gregorius Gyraldus früheres Urtheil über den Dichter das sich allerdings im Laufe der Jahre zu einem richtigeren umgestaltet hat; man betrachte die zahlreichen Spuren der Lesung des Ausonius bei den Dichtern des sinkenden fünfzehnten Jahrhunderts; sie beweisen, dass die Berechnung den Herausgeber nicht betrogen hat. Zunächst ist es ja nicht der wahre Ausonius mit seinen edleren Eigenschaften, der sich dem Publikum darbietet; was sich davon in dieser erst erschienenen Sammlung findet, ist erstickt durch grossentheils leichtfertige epigrammatische Spielereien, ja Obscönitäten, und würde, auch wenn es sich vorge- drängt hätte, dennoch nicht in so frivoler Zeit zur Geltung ge- kommen sein.

Denn die Anordnung jener ersten Ausgabe, die mit der der ver- breitetsten Handschriften völlig übereinstimmt, ist allerdings eine ganz

7) Die Schlussschrift der tabula: Expliciunt ea Ausonii fragmenta quae inuida cuncta corrodens uetustas ad manus nostras uenire permisit.

Jahrb. f. class, Philol. Suppl. Bd. XI. 13

194 - R. Peiper:

andere, als die Ausgaben seit Scaligers Zeit bieten. Die letztere ist ein Product der Willkür, die bereits in der ersten Ascensiana v. 7. 1511 ihr Treiben beginnt, und nach der Auffindung des Lugdunensis, in dem Streben die neuen Funde einzureihen, allen Boden ver-

loren hat. Was im Jahre 1472 herauskam, zeigt folgende Uebersicht.

Inhalt und Ordnung der Handschriften 2.

Epigrammaton liber (in einer von der jetzigen durchaus abweichenden Anordnung). T Versus pascales (Id. I, 8175). Epistolarum liber,

enthält hier T Ep. VIII (397), X (399), XI (400) in zwei Stücke etheilt durch Einschiebung von Praef. Bissulae (id. VII, 327) . XIX (409), XVIII (408), XXI (411—418), XXII (414, 415),

xV (404), XVI (405, 406), XII (401), XIII (402), XIV (408).

Einige kleinere Stücke: De aerumnis Herculis monosticha (Id. XIX, 866). De XII Caesaribus (256—269, von den Tetrasticha nur Nerva bis Commodus 278—278). Epigr. (108) in scabiosum Polygitonem. De mensibus et quattuor anni temporibus (Ecl. VII 375). Epigr. (109—114) De Siluio. Epigr. (146) De notario. Gratiarum actio (419). 1 Technopaegnion (Id. XII, 338—347, 849)?). T Grphus (Id. XI, 335, 336). Cento nuptialis (Id. XIII, 350—360). T Ep. IV (393). Ep. XX (410). T Precatio matutina (Ephemeris III, 153). 1 Epicedion (Id. 11, 319 ohne die Vorrede 318). 1 Protrepticus (Id. IV, 321, 322). Cupido (Id. VI, 824, 325). Bissula (Id. VII, 326, 828—881; 327 stand schon oben an falscher Stelle).

Das an erster Stelle befindliche Epigrammaton liber ist folgender- massen geordnet:

1 zusammenhüngend, 45 9 (V. 1 fehlt) | oder wenigstens der Fasti 1, 4, 3 (147, 150, 149) 2 (getheilt, Ueberschriften 4 V. 6 fehlt) ermangelnd, 10 —12 3 epit. 32 (249) 5, 6 13—21 (15-]- 16 verbunden) epit. 36 (253) 23 96 8 37

8) Ich werde zur Bequemlichkeit stets diese Bezifferung der Pariser Ausgabe von J. B. Souchay 1730 beifügen; die Nummern 1—146 sind die der Epigramme. Durch ein vorgesetztes Kreuz (1) bezeichne ich die Stücke, welche auch im Voseianus enthalten sind. ?) Es fehlt die erste Vor- rede an l'ucatus (337) und de litteris monosyllabis (848).

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 195

27—29 (27 +28 verbunden) 71—15 31—86 (35 getheilt) 193—128 (123 -|- 124, 125 -]- 126 ver- 38—40 bunden) 119 49 44 11—84 (84. V. 3—6 fehlen) 46—48 (46-]- 47 verbunden) 86—89 50—02 . 131 epit. 33 (250) 45 wird in anderer Fassung der epit. 31 (248) des Vossianus wiederholt 64 (V. 8—8 fehlen) 90—92 (90 getheilt, 91 -- 92. ver- epit. 28 (245) bunden) 42 41 565—960 93, 94 (94 getheilt) 64—70 (69, V. 6 fehlt, 66 - 67 ver- 30 bunden) 965—103. 120

Selten weichen unsere Quellen in der durch Auslassung der Titel bewirkten Verbindung einzelner Epigramme, in Umstellung (z. B. 69, 120, 70), in fehlerhafter Auslassung einzelner Epigramme von dieser dem Archetypus entstammenden Anordnung ab.

Von der Editio princeps erlangt man durch die Vergleichung der Mittheilungen von Saxius (in Argelati's Scriptores Mediolanenses I p. CCI), der das noch heute in der Ambrosiana befindliche?) Exem- plar selbst geprüft hat, ferner von Harles (brevior notitia litt. rom. Lips. 1789 S. 716), Panzer III p. 93 n.. 109, Hayn I p. 272 n. 2176, Beriah Botfield 3. 139 in Ermangelung von Maittaire u. a. mit der auf ihr fussenden Ausgabe von Ferrarius und den ver- wandten Handschriften ein Bild, das nicht täuschen kann, wie mir die erst spät ermöglichte Benutzung des Wiener Exemplars bestätigt hat. (Die Angaben der Ueberschriften bei Ellis Catull ed. I p. XXXIV, sind wohl einem in England befindlichen Exemplar entlehnt.) Er- schienen ist sie im J. 1472. Jahres- und Ortsangabe findet sich hinter der kurzen Praefatio ad. lectorem f. 1" (im Wiener Exemplar verloren), welehe nur eine Empfehlung der sedulitas des Heraus- gebers und Angabe der Dichterwerke, die dem Leser geboten werden, ohne jeden Hinweis auf die Quelle, enthält:

a nativ. Christi ducentesimae nonagesimae quintae Olympiadis anno 1111), VII idus Decembres. Venetiis. Ein Irrthum des Saxius ist es, daraus 1477 zu berechnen; hinter dem Calphurnius steht das Jahr 1472 in römischen Ziffern.

Der Herausgeber ist hinter jener Vorrede wie hinter dem Schluss-

epigramm nur durch die Anfangsbuchstaben .B. .G.

10%) Die Marciana in Venedig besitzt kein Exemplar der ed. princeps. Brunet 1 219 nennt vier Exemplare, von denen nur zwei vollständig waren. !!) Nicht alle Herausgeber des 15. Jahrh. folgen dem römi- schen Dichterbrauche, Olympiade und lustrum gleichzusetzen. Ugoletus z. B. setzt 1494, das Jahr seiner ersten Ausgabe der Quintilianeischen Declamationen, in die 568. Olympiade.

185

196 R. Peiper:

bezeichnet.!?) Von alter Zeit her wird dafür Bartolomeus Girar- dinus genannt; über diesen Mann Näheres zu ermitteln, ist mir nicht geglückt. Vermuthlich hängt er verwandtschaftlich mit den Brüdern Alexander und Antonius Geraldinus (Gherardinus, Girardinus) zu- sammen, über welche Fabricius III 36 ἢ, I 125 M. berichtet. In der tabula fol. 4" des Wiener Exemplars heisst es: Pub. Graegorii Ti- ferni epistolarum epigrammatünque pars | per L. chronicum de schiediis eius lituratis collecta. Dieser L. chronieus hat also in ge- lehrter Verbindung mit Bartolomeo gestanden; er war offenbar ein Schüler des Tifernas, wenn er dessen Concepte (schiediis lituratis) zur Herausgabe benutzen durfte. Ein anderer Schüler desselben Mannes, der später dem Ausonius nicht fern blieb, war Georg Merula; in diesen Kreis gehört also ohne Zweifel Bartolomeo, und die rich- tige Auslegung des ‘.B. .G.’ scheint dadurch verbürgt.

Im Wiener Exemplar umfasst der Ausonius 49 Blätter: ur- sprünglich waren also 52 Blätter, verloren sind das erste Blatt mit der praefatio auf der Rückseite, sowie 2 Blätter aus der Gratiarum actio (p. 288 ed. Bip., Z. 13 bis 2902. 19 (mau)ult uocare sed cum paucis- simis, ferner p. 299 Z. 13 bis 301 Z. 20 Et Antonius ne somni qui- dem aut cibi) Der Text beginnt f. 6': Ausonii peonii poetae diser-| tissimi epigram|matü)v liber | primus. Die Subscriptio lautet f. 49":

Expliciunt ea Ausonii fragm|enta. Quae inuidia") cuncta cor|rodens uetustas ad manus | nostras uenire permisit.| τέλος | .B. .G. |

αὐςόνιος fueram solus: νῦν χείλε κοςμῶ Artificis χειρὴ ἐιςί TE κάι φύεεέϊ;

Τοῦτ᾽ ἔργον cum prisca queat renouare uetustas: Tum véoc antiquis praeferet officiis.

f 50'—56' Publii Ouidii Nasonis poetae | Consolatio ad Liuilam Augustam de morte Drusii u. s. w. Darunter nur: Finis.

f. 57" Probae Centonae Clariss. felminae excerptum e Marolnis car- minibus ad tes|timonium | ueteris nouique testamenti | opu- sculum.

f. 67" med.: τέλος | Probae Centonae clariss. | feminae opusculum: | feliciter ex|plicit.

f. 085 Titi Calphurnii siculi bucolileum carmen Ornitus | et Cory- don fraltres interocutores aegloga prima. |

f. 83" τέλος | Titi Calphurnii poetae Siculi | bucolicum carmen | finit. | Anno incar. dominice. MccccLXXII.

f. 83Y ist leer.

f. 84° Publii Graegorii Tiferni poe|tae illustris hymnus | in trinitatem.

7) Botfeld und Hayn geben hier fälschlich den vollen Namen. . 38) Die Worte Expliciunt bis permisit schlossen auch die Tabula auf f. 8", wo richtig inuida gedruckt ist.

UM

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausoniue. 197

f. 99' Finis. f. 99" leer.

Die Tabula 1*—5" reproducirt diese Titel nicht ohne weiteres, sie ist vielmehr genauer.'4)

Die Hds., welche diesem ersten Drucke zu Grunde gelegt wurde, ist wie es scheint verloren. Das ist ein sehr beklagens- werther Verlust, den die Sorgfalt, welche diese erste Ausgabe vor allen folgenden des 15. Jahrhunderts auszeichnet, dennoch, wie na- türlich, nicht voll zu ersetzen vermag. Denn einerseits haben sich doch einige Druckfehler eingeschlichen, andererseits muss die Aus- legung des Geschriebenen immerhin nach subjectivem Ermessen, wenn gleich mit Kenntniss und Hingabe, erfolgt sein und selbst einen so bescheidenen Herausgeber, wie B. G. offenbar gewesen ist, zu Con- jecturen genöthigt haben, Um so schwerer ist der Verlust, weil von den Hdss., die wir besitzen, die einen nur als fehlerhafte Abschriften dieser Ausgabe sich ausweisen, die anderen den Text in dem ver- wilderten Zustande, den wir an Hdss. des ausgehenden 15. Jahr- hunderts kennen, enthalten, die einzige, die ein höheres Alter als die ed. princeps beansprucht, durch Auslassungen und Fehler aller Art entsetzlich entstellt ist. Die Hds. des Bartholomäus hingegen muss, wenugleich an vielen einzelnen Stellen jede der anderen Besseres als sie bietet, im Ganzen und Grossen doch entschiedene Vorzüge vor allen Erhaltenen gehabt haben, und dieser Abdruck darum in erster Reihe unter den grundlegenden Hilfsmitteln aufge- zählt werden.

Dem zunächst haben wir den bereits von Vinetus u. a. benutzten codex Tilianus zu verzeichnen, dessen Identität mit Leidensis Vos- sianus 0. 107 (früher Voss. lat. 191)!5) feststeht. 16) Das beweist die Uebereinstimmung der von Vinetus aus ihm angeführten Lesarten!”),

M) f. 37. med.: Ausonii burdigalensis uassatis medici poetae]. Aus den Anfangsworten des Epicedion in patrem de uita sua (so geben Tilianus und ed. pr. den Titel) hat man diesen Irrthum herausgelesen, und ihn auf dem Titel weiter durch den Zusatz Peonii ausgeprägt. Es ist eine der unglück- lichsten Vermuthungen, den Ursprung dieses Wortes, das aus Virgil A. XII 401 entlehnt ist, auf den Namen der Mutter des Ausonius zurückzuführen. 15) Bei Colomesius durch einen Irrthum 192. 16) Er ist der Vos- sianus alter, den auch Toll an manchen Stellen benutzte aber sehr sorglos. Und dieser erkannte schon seine (von Axt S. 8 f. vergeblich angefochtene) Identität mit dem Tilianus. !") Man muss bei einigen scheinbaren Abweichungen doch im Auge haben, worauf es dem Vinetus bei der Auführung der Lesarten ankam. Fasti I 10 (147) war es ihm nicht um das einzelne Wort explicet zu thun. Ep. VIII 13. 14 (397) wird nicht der Tilianus citirt; 'in nouis? bedeutet Drucke, und so findet sich die Lesart denn auch in der Ascensiana 1511: nullas q. l. eio. In der Ueberschrift von ep. XIX (409) gibt jener nicht poemation an, sondern poematouis, ein offenbarer Druckfehler; er hat das poematü der Hda. in poemation zu ändern gedacht. XX, 1 kam es ihm auf aliaue qua statt aliaue quauis an; naui entnabm er nicht mehr der Hds., in der sich nauimque statt naui usque fand eine für ihn durchaus nebensüchliche Corruptel.

198 R. Peiper:

(die C. O. Axt nicht vollständig zusammengestellt hat, S. 11 seiner Dissertation, Leipz. 1873). Die griechischen Verse, die zu epigr. 57 in dem Tilianus beigeschrieben waren, finden sich auch wirklich im Vossianus wieder. Als jüngeren Alters und chartaceus wird er öfters durch Gegenüberstellung des antiquus, uetus, membranaceus, d. h. des Vossianus 111 Lugdunensis bezeichnet z. B. Technop. 339, 7, Oratio matutina 84. Von Ausgaben sucht Vinetus ihn zu scheiden durch die Bezeichnung Ioannis Tilii uetus codex, 2. B. Technop. 340 A, Z. 8. | Die Hds. besteht aus Quinternionen!?), nur an sechster Stelle (f. 50' —57) ein Quaternio, an neunter und letzter ein Sexternio. Vom ersten Quinternio (jetzt f. 1 —9) ist das erste Blatt verloren gegangen, mit den Gedichten 1, 9, 2, 3, 5, 6, 253 V. 1—93; die Hds. beginnt jetzt mit 253 V. 4. Auf f. 57”, mitten auf der Seite (der Rest ist leer ge- lassen), schliesst das corpus der Ausoniana. Indessen finden sich noch einige Nachträge: 1) zunächst f. 58"— 59" med. (59° ent- ‘hält nur 5 Verse), ep. XXV (418) Quarta tibi haec οἷο. 2) Danach f. 60'—62* Fragmente des Catalogus urbium (dieselben, die Fer- rarius gibt) 3) f. 62'— 63" die griechischen epp. XII, XIII (401, 402), vollständig wie bei Ferrarius. f. 64'— 67" sind leer gelassen; dann folgt 68" bis 88": C. Calphurniicarmen bucolicuminc. feli- citer. Der letztere ist von derselben Hand wie die Ausonische Samm. lung geschrieben. Ueber den Schreiber jener Nachträge zum Ausonius kónnte sich ein Zweifel erheben beim ersten Anblick. Die Hand, die die Urbes geschrieben, nähert sich durchaus der des Schreibers von f. 1—57, aber sie zeigt auch offenbare Verwandtschaft mit der des Schreibers von ep. XXV. Die letztere ahmt mit Sorgfalt die Schrift der Vorlage nach in den Buchstabenverbindungen; von einzelnen Buchstaben fallen besonders auf s, g, c, h; von Ligaturen st, ss, sp, si, su, fe, fi, fl, ct. Auch in der Orthographie schliesst sich der Schreiber an die Vorlage an, wührend er früher oft in die Ortho- graphie seiner Zeit verfällt (Foelix nunquam quanuis etc.); diese Vorlage war in longobardischer Schrift: das gibt der Copie, ob- wohl sie dem Hauptschreiber angehórt, einen fremdartigen Anstrich. Nachdem der Schreiber an dieser Vorlage seine Hand gebildet hatte, ging er ans Abschreiben der Urbes: da zeigt sich denn seine Schrift ein wenig grósser, und man sieht deutlich, wie er mit mehr Ueber- legung und langsamer, weil von etwas schwierigerer Vorlage, abge- schrieben hat als in der eigentlichen Sammlung. Die beiden Briefe XII XIII zeigen unverkennbar die alte Hand. Mit dem Quater- nio schliessen f. 57" die eigentlichen Opuscula; man sieht daraus, dass auf jene Nachträge bei der Anlage nicht gerechnet war; dass sie

'*) Der Custode des dritten Quinio gibt f. 29” nicht die Anfangs- worte des ersten Verses vom vierten Quinio (quis mirmiloni), sondern des zweiten (Inter uirtutes).

“ἣ

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 199

sich erst später vorgefunden haben. Die Hds., aus der die Nachtrüge stammen (von den graeca muss man vielleicht absehen), ist ver- schieden von der, welche die Hauptsammlung geliefert; möglicher- weise stammen auch Ep. XXV und Urbes aus verschiedenen Hdss. her.

Die griechischen Stellen wurden zunüchst ausgespart und spüter nachgetragen von kundigerer Hand, aber mit derselben Tinte, also zur selben Zeit. Der Raum dafür war aber nicht stets genügend be- messen; darum wird epigr. 29 am unteren Rande beigefügt, 40 V. 6 steht zur Seite, ep. 31 ist aus diesem Grunde ganz weg- geblieben, ebenso 88, wo eine Zeile zu wenig ausgespart ist. Raum ist aber nicht gelassen für die graeca von epp. XII, XIII und ep. XIV V. 25—35 (hier schliesst sich der Schlussvers 36 sofort an 24 an), die letzteren sind dann im Nachtrage vergessen worden. Die Vorlage hatte in den graecis Majuskeln, wovon eine Spur sich ep. XII V. 23 xpeßernon erhalten hat.

Gering sind sonst die Abweichungen von der oben angegebenen Ordnung. Epigr. 56 fehlt; ep. 45, welches auf f. 1” vor dem Fasti steht, wird zwischen 131 und 90 mit einer Ábweichung, die dem Texte des Lugdunensis entspricht, wiederholt. 35 ist getheilt in zwei Epigramme, getrennt sind auch 98 und 99.

Zahlreiche Spuren leiten darauf, dass der Tilianus auch in seinem Haupttheile aus einer älteren Hds. abgeschrieben ist. In der Gratiarum actio scheint der Schreiber genau nach den Zeilen der Vor- lage sich gerichtet zu haben; 80 steht 2. B. f. 32" am Anfange von Z. 5: (p. 294 Bip. Z. 4 v. u.) uestis cura praestatur; er hat eine Zeile übersprungen, den Fehler aber sogleich bemerkt. Ein grosser Theil der übergeschriebenen Varianten entstammt, wie die Ver- schreibungen beweisen, der Vorlage.

Der litterarische Verkehr des Elias Vinetus mit dem ehe- maligen Besitzer dieser Hds.'”), Johannes Tilius (Du Tillet), Bischof von Brieux, dann von Meaux, hat sich nicht auf Ausonius beschränkt: er benutzte auch seine Hds. des Persins-Scholiasten (s. Vinets Brief an P. Daniel bei O. Jahn, Proll. p. CXVII) für die von ihm veran- staltete Ausgabe 1563. Du Tillet besorgte 1549 die'erste Ausgabe des Ulpianus auf Grund einer Hds., die bereits 1544 in seinen Be- sitz gekommen war; die Identität derselben mit dem früher in Petavius’ Besitz gewesenen Vaticanus ist festgestellt; dieser Vaticanus aber ist in coenobio Floriacensi ad Ligerim geschrieben (s. Ulpiani excerpta ed. J. Vablen, Lips. 1866 p. V. VII), dem Kloster, aus dessen Bibliothek auch Peter Daniel, schon vor der Plünderung durch die Calvinisten im J. 1562, Handschriften wie die Aulularia erhielt (vgl. H. Hagen im Catal. codd. Bernensium p. XII und in “Peter

19) Ueber ihn und seinen gleichnamigen Bruder vgl. Bayle ed. 1740 vol. IV p. 360 sqq.

200 R. Peiper: -

Daniel’ S. 6). Dann hätten wir möglicherweise auch unsere Ausonius Hdss. dem Kloster Fleury zu danken.9) Eine begründetere Ver- muthung werde ich jedoch weiter unten mittheilen.

K Nach dem Tilianus ist das Kings-Ms. n. 31 des British Museum zu nennen, auf 52 Blättern dünnen Pergaments in dünnen, unebenen Zügen; einige Theile sind mit rother Tinte geschrieben. Der Inhalt entspricht ganz dem der ed. princeps, abgesehen von dem Fehlen der Graeca 401 V. 30—45, 402 und 403 V. 25 ff. Die Unter- schrift lautet: .

AO=A Hyadrae die XXII Martii 1475 compleui.

Die erhaltenen Graeca sind dureh die Abschrift fürchterlich verstümmelt, dennoch lässt sich durch die Uebereinstimmung mit Tilianus und ed. princeps öfters das Richtige herstellen, so ep. XII (401): V. 1 μέτοχον; V. 2 ἌΛξιον; V. 3 ἐφ᾽ ἐλπίειν dürfte vielleicht zu halten sein: ist doch auch der griechische Name Ἐλπίς in jenen Jahrhunderten aspirirt worden, wie die von der Legende zur Ge- mahlin des Boetius gemachte Dichterin Helpis bezeugt; 5 ὅποι: 14 κριννοςτέφανοι; 16 triumphum liest Kings.- Ms. mit Tilianus für die conjectur libellum; 20 für esse geben alle Quellen eive; es scheint, dass die Verkürzung des αἱ in schon in Ausonius’ Zeit vulgär gewesen und von ihm selbst hier angewendet worden ist.

Anderes scheint in Kings-Ms. richtiger zu sein als im Til. und ed. pr.; V. 13 werden die Musen der Mnemosyne in jenen πολυκλή- τινα τέκνα genannt, in Kings-Ms. rroAvcantica (TtolukaxTica); V. 8 dort κρύος ὀδόντων, thöricht in κρυμός geändert, hier κρουςμός: V. 23 dort xpeßevvov, hier xpeflevvou, was wenigstens auf den Gene- tiv κρεβέννων leiten würde; V. 22 gibt K allein navrodarm, die übrigen uavrodarn; 24 becyHN, jene Acaynv; 28 jene causas te, K hat das t doch bewahrt: causacire.

K füllt ferner die Lücken aus, welche sich in Til. und ed. pr. vorfinden: die vorhandenen Buchstaben bedürfen allerdings erst der Entzifferung. In V. 5 liest die ed. pr. xpuoc....... esıv; (etwa 7 Buchstaben sind ausgespart), in Til. folgt nichts hinter κρυος K gibt κυος Afyanecrın. Schwerlich hat Ausonius κρύος ἄξυλον gesagt mit Hinweis auf die holzarme Gegend; ἄξενον dürfte passen. V. 15 ἔνθ᾽ ἄγε μοι TtoÀ v-risa ἔπη wird nach K zu lesen sein (πολὺ nisaeerc in K, wo zwischen πολὺ und ἐπὶ die übrigen etwa vier Buchstaben auslassen). V. 17 lautet in K: vmaTapxrdıpo salyocrıkonycortontic, während die andern nur yvuatap...crıxov bewahrt haben; ich vermuthe: ὑμετέρῃ λῆρον ciaÀóctixov ἤνυςα πομπῇ.) V. 18 Til. und ed. pr.: neniy- μενο... ὠδήν, K: MPMYTMENOBAPONWÖHN, lies: μεμίγμενο- βάρβαρον

30) Ein Catalog der Bibliothek dieses Klosters vom J. 1582 wurde aus J. W. Hubers Bibliothek 1789 versteigert (Serap. V 48). Verloren kann er doch nicht sein; wo befindet er sich derzeit? “Sprudelnde Scherzrede?; “omnpia una salius continuare? sagt Hieronymus einmal. Uebrigens ist der Buchstabe hinter der ‘Silbe sal eher v als v.

CU.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 901

rv. V. 26 ed. pr. und Til geben "Orr ἀθελξινόοις... μεμφεο μουςαις. K gibt ohne Lücke οτιαθελξινοοῖς A€CERIYMMEN PEOT- moycäıc. Das tibereinstimmend gegebene μέμφεο ist zu halten, wenn hinter μούςαις Komma bez. Kolon gesetzt wird: ὍὍττι μέμφεο, Quod obiecisti ete.; zwischen ἀθελξινόοις und μέμφεο scheint ein lateini- sches Participium, fülschlich ins Griechische transscribirt, zu stehen AECERIYM

* Der sich daraus ergebende Sinn DeCePTVM

(was öfters vorkommt):

scheint annehmbar.

Vaticanus I = 3152, s. XV in 8°, f. 1—18 Titi Calphurnii Siculi Bucolicum carmen. 19 --- 217 Celii Cipriani episcopi cartha- giniensis uersus. 21”’— 25 Lactantii Firmiani de foesto die resur- rectionis dominice uersus etc. 25 30 uacua. 31—81 Ausonii Ponponii liber primus incipit feliciter. Explicit liber ausonii pro- treptici pom. (das Schlussstück ist wie überall Bissula 331, nicht Proptrepticus).

Alle Stücke von einer Hand geschrieben, die griechischen Stücke gibt die Hds. in derselben Unvollständigkeit wie Kings-Ms.

Eigenthümliche Abweichungen von den anderen bekannten Texten in den Titeln: epigr. 3 Ad fontem Danubii iussu Valeriani Augusti (denselben Fehler begeht die schlechtere Wolfenbütteler Excerpten-Hds.), ep. 8 Excitatio ad modestiam. Meist jedoch enger Anschluss an G, z. B. 11, 249, 119 und dann abweichend von K und den Wolfenbtütteler Hdss. Epigr. 45 wird nicht wiederholt, 98 und 99 verbunden wie in G. Die tituli sind, wie es scheint, von 44 ab (in der Ordnung von Z) ausgelassen. Die Graeca sind vorhanden und meistens richtig in 28, 29, 31?, 32?, 40?, 88. Ep. XII (401) - ist bis V. 13 incl. vorhanden. Die Hds. stimmt hier gewöhnlich mit K gegen T und G, beispielsweise V. 9 πέλει] πιλει T G, φοκιυ V K, aber ist offenbar vorzüglicher als dieser, z. B. V. 11 wird nur in V vervollständigt gegeben:

ἀρχόμενος δ᾽ ἄρα μῆνιν ewıa] NovrecALewbef,

woraus sich ergibt: |

"Apxönevoc δ᾽ ἄρα μηνὶ νέῳ Ἰανοῦ τε calendaıc

Primitias Paulo nostro πέμψω, μελοειδές. μελοειδές = μελωδές ist adverbiell zu nehmen; das Attribut μελι- ἡδεῖς, das man gegen alle Hdss. eingeführt hat, passt auch im Scherz nicht zu solchen Versen. In V. 6 ferner geben die übrigen Hdss. xai frigidopoetae, V allein das richtige καὶ frigdopoetae. Ep. XIII (402) fehlt, ep. XIV (403) schliesst mit V. 25 (Nobiscum inuenies), epigr. 30 fehlt. Sonst werden noch vermisst epigr. 14 (?), 47 (?), 65, 273—278. Die Ueberschrift von ep. VIII (397) lautet: Auso- nius paulo secundo (aus sal. verlesen); der Text dieses Briefes kommt mit ed. Bipont. überein; er soll, und wohl auch die übrigen Stücke, mit Verständniss geschrieben sein, auch wenig metrische Fehler auf- weisen; indess sind doch Schnitzer, wie das eben genannte secundo

202 R. Peiper:

statt sal. nicht vereinzelt: In der Ueberschrift von ep. XXI? (413 ad Iambum suum) wird aus dem Iambus ein Iacobus gemacht; id. VI (324) elogia aus ecloga. Id. VII (327) beginnt abweichend von G und K: carminius incompti, stimmt also mit T überein, mit dem er auch sonst sich berührt; hinter ep. XIV (403) z. B., aber vor den beiden Schlussversen dieses Briefes, steht: Finit epistolarum liber I, wie in T, nur dass in letzterem die Zahl I fehlt und diesem Explicit seine Stellung hinter V. 36 angewiesen ist.

So weit die mir vorliegenden Mittheilungen, aus denen ich obige Einzelnheiten auszuheben für genügend erachte, ein Urtheil ge- statten, liegt allerdings ein nicht aus der ed. pr. des Girardinus hergeleiteten Exemplar in V vor, dessen Vorlage von Werth war; die Abschrift freilich ist so entstellt, dass es genügen wird, wenige Partien zu weiterer Prüfung zu vergleichen.

Vaticanus II = 1611, s. XV ex. chart in min., foll. 220. Zuerst Propertius und Tibullus. Ausomus von f. 151—220. * Ausonii poetae uiri consularis epigrammatum et aepistolarum fracmenta'.

Ich weiss wenig, aber doch genug von diesem Exemplar. Die Ordnung der Epigramme weicht nur scheinbar von der recipirten (s. die Tabelle) ab; es hat nur eine Umstellung einzelner Partien stattgefunden, die vermuthlich auf irriger Umstellung der ersten lose gewordenen Blätter beruht: Bl. 1 war nur auf der Rückseite be- schrieben; jede Seite mag etwa vierzig Verse enthalten haben; das dritte rückte nun an die Stelle des zweiten, das fünfte an Stelle des vierten Blattes, daraus ergab sich die jetzige Ordnung:

1—3 1—3, 249—24 5—12, 5—12 anstatt 1 249—24, 40—58 25—39,

25 etc. 40—58 etc.

Hinter den Epigrammen, von denen 109 und 250 (epit. 33) zu fehlen scheint, ist die Ordnung ungestört; der Inhalt bis zum Schluss der gewöhnliche. Die Graeca fehlen völlig; für die einzelnen griechi- schen Worte ist Raum gelassen, für die Ueberschriften Zeilen aus- gespart. Nicht unwichtig scheint die Notiz, dass hinter ep. XIV (403) 'Finit lib. I epist." steht, woraus sich Verwandtschaft mit Va- tic. 3152 erschlösse.

Laurentianus I = pl. XXXIII, c. XIX s. XV chart. in 8°, foll. 60 “optime seruatus’”. Bandini II, p. 102 f. Bei Montfaucon p. 308 B ist er XXXIII 7 bezeichnet. Brandes, diss. S. 7, irrt in Be- zug auf diese Hds.

Die griechischen Stücke fehlen auch in ihr, aber es ist Raum dafür gelassen, so wie auch für die einzeln eingestreuten griechischen Worte. Ingleichen ist Raum ausgespart für Initialen und Ueberschriften. Ausser Bandinis Beschreibung liegen mir Mittheilungen H. Peters vor, nebst Collation des grössten Theils der Hds., die derselbe im J. 1862 ge-

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 203

nommen hat. Von Graecis fehlen ausser den ausgesparten Versen von 28, 32, 40, die vollständig griechischen Epigramme 29, 31, 88, sowie die Episteln 401, 402, 403 V. 25 ff. Die Initialen und Ueber- schriften sind zu späterer Eintragung, die wie so oft unterblieben ist, ausgespart. Als fehlend wird von Bandini 80 und 127 be- zeichnet; ausserdem 120, wofür es 121 heissen muss (dies letztere ist ja den Hdss. Z fremd); ferner die Stücke aus den Caesares 273—278. Irrthümlich wird 337 unter den Fehlenden nicht an- gegeben; 412 dürfte nicht fehlen, sondern nur ungetrennt mit 411 verbunden sein. Die Periochae (420 468) nebst den Widmungs- gedichten 469 471, die man Bandini zufolge in der Hds. voraus- setzen müsste, fehlen natürlich. Von Epigr. 24 fehlt das dritte Di- stichon, von 72 das letzte; in beiden Fällen abweichend von ed. pr. und Tilianus. Daraus ergibt sich, dass dieser Laurentianus die Hds. ist, von der Daniel Heinsius in seinem Handexemplar der ed. Char- pini zu Leiden (758 F 11) eine flüchtige Vergleichung eines Theils der Epigramme gegeben hat. Der Ausfall von 80 und 127 wird durch ihn bestätigt, wenn er aber auch 30, 37, 49 als fehlend an- gibt, so kann sich das auf unsere Hds. nicht beziehen. Aus- gelassen sind ferner in Ueberstimmung mit ed. pr. 2 V. 6, 9 V. 1, 69 V. 6; abweichend von ed. pr. und Tilianus: 8 V. 7.8, 35 V. 6. Der Schluss von ep. VIII (397) lautet gerade wie in der ed. pr., ab- weichend vom Tilianus: Nobiscum inuenies mwultas quia liquimus eio Vale ualere si uoles me uel uola.

Die Ueberschrift von ep. XIX (409) stimmt mit ed. pr. und Til, nur dass in Laurentianus quom statt cum und et statt ex steht. Die Gratiarum actio hat eine Lücke am Anfange Z. 6—10 (p. 284 Bip.) von einem gratias ago zum anderen. Besonderes wird sich von dieser Hds. bei der Nachlüssigkeit, mit der sie geschrieben ist, nicht erwarten lassen. Wo ihre Lesarten nicht mit G und T stimmen?!) sind es fehlerhafte Abweichungen.??)

Girardinus' Text beruht nicht auf T: denn in letzterem fehlen beispielsweise ausser zahlreichen Versen, die in G stehen, die Graeca

31) Sie stimmt mit ihm und G z.B. 21, 3 Ac (At G); 24, 8 pitani; 25, 1 laceno; 84, 9 Agat irascor; 11 haee fehlt; ὅδ, 2 (T lüsst 56 aus) asseueratos; 59 ab aere] habere; 75, 8 acciperem etc. ??) 27, 4 deus] simus; 21, 3 asta; 38, 3 dissimulabo? 34, 14 libeat; 16 Detego; 46, 1 Ellinguem; 56, 3 Nos? et; 4 his fehlt; 57, 6 tela; 65, 2 abs- tulit? 67, 1 Haecdum uesperas? 72, 1 triuiis] silice; 2 caluiculum; 4 dissiluit; 73, 2 superasse; 4 auspicium?; 5 ne; 74, 1 extremo? (externo Til); 75, 6 missu? 78, 4 postulante; 84, 1 castus?; 91, 5 amem; 92, 19 für gladium ist das mittelalterliche iugulum gesetzt (cf. Boetii Philos. Consol. rec. R. Peiper p. XXXVIIT). In diesen Lesarten stimmt, ausser wo ieh Fragezeichen beigefügt, die Collation Peters mit der von D. Hein- eius überein; die mit diesem Zeichen Versehenen entnehme ich nur dem Exemplar des Heinsius.

204 R. Peiper:

31 und 88 und ep. XIV 25 35, ebenso die Ueberschriften zu 81 und 82, 28, 31, 32. Er würde nicht aus eigenem Antriebe den Titel ep. 29 de baccho T mit Libero patri K vertauscht haben. Er würde nicht in ep. 28 mit K melior nulli, sondern nulli melior lesen, oder nouit uerum TK in uerum nouit ändern; übersehen hätte er gewiss nicht das γ᾽, welches 40, 3 in T die syllaba anceps tilgt, nicht in V. 5 xpncré ἔχης in xpncróc ἔχη verwandelt. Sollte er bei seinem strengen Anschluss an die Hds., die er benutzte, παρακινδι- vov oApa haben drucken lassen, wenn sich dort παρᾶἄδελφεὸν ἀκίνδυνον ἄλφα vorfand???) Ep. XII wird ómo: (d. h. ὅποι) für ὅπι, wie Til. gibt, und écrlv, was Til. weglässt, von Girardinus schwerlich aus Conjectur gesetzt sein. V. 7 liest Til. τενενοπλοκα- uwv, Kings-Ms. τενεκοπλ., Girardinus endlich mit Vatic. 3152 Tevepom.; das letzte ist richtig, falsch dagegen die Vulgata Tepe- VOTÀ.; nur muss man den ersten Theil des compositums mit lateini- schen Buchstaben schreiben: tenerorAoxduwv; ähnlich geben die Hdss. in V. 5 καμποιῖςειν statt campoiciy.

Girardins Hds. ist aber auch kein Bruder von K: wenngleich in diesem die Graeca entsetzlich verstümmelt sind und in ep. XII— XIV ausser dem ersten Drittel von ep. XII ganz fehlen, bietet doch diese Hds. so Manches, was Girardinus gewiss nicht verschmäht hätte, z. B. den Anfang des griechischen Verses über ep. 81 ἀρχὴ δέ τοι n; auch das μὲν würde er 29, 1 nicht verschmüht haben, er würde ep. 32 εἰμ᾽ ἐνάτη statt des thörichten εἶμεν τη (εἰ μέντοι T) ihm entnommen haben u. a. m.

Girardins Grundlage ist ein Text, der vielfach Besseres bietet als T oder K. Ganz zu geschweigen der beiden Vaticani und de; Laurentianus I, die an Alter hinter K erheblich zurückzustehen scheinen. Alle diese Hdss., von denen keine aus der andern direkt hergeleitet zu sein scheint (zu sicherer Entscheidung bedürfte es doch näherer Kenntniss der Vaticani), gehen auf ein und dasselbe Exemplar zurück, das vor Alters an den Gestaden des Adristischen Meeres, vermuthlich in Venedig sich befand, von wo eine Abschrift ziemlich früh nach Zara in Illyrien verschlagen wurde, wohin uns die Unter-

3 Es dürfte hier zu lesen sein: παρ᾽ ἀδελφοῦ ἀκίνδυνον ἄλφα; die im Nomen proprium gang und gäbe gewordene Verkürzung des v, die für das Griechische Anthol. XI 429, für das Latein dieser Zeit Sym- machus ep. I, 1 bezeugt (über die Messung des offenbar davon abzu- leitenden Cognomens in der gens Manlia “Acidinus’ liegt kein Zeugniss vor), brauchte bei diesem Wortepiel nicht aufgegeben zu werden. In V. 1, wo GT K übereinstimmend (nur dass in K das Zeichen für r weg- gefallen ist: Ay^^caqeot) xpncróc dk(vbuvoc αὐταδελφεοὶ lesen, ist durch Einschub von o: αὐτοαδελφεοὶ leicht zu helfen. Weshalb man in ep. 29, 2 ἐνὶ φθιμένοιειν durchaus beseitigen will, das durch die griechischen Parallelen genügend geschützt ist, um die alte Messung von 'Abuveüc zu gewinnen, wührend man doch ein anapacstiches Phidias sich gefallen lassen muss, verstehe ich nicht.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 205

schrift von K und der Excerpte im Gudianus (s. unten), die im J. 1445 nicht erst verfertigt, sondern nur wieder copirt wurden, weisen. Weiterhin werden wir noch andere Spuren jenes alten italischen Archetypus ermitteln. Eine direkte Abschrift desselben ist nicht er- _ halten: sein Gut ist zersplittert und muss nun-aus den ältesten Copien, die wir besitzen, aus G TK, vielleicht auch Vaticanus I, zusammen- gelesen werden. Für die letzten beiden eine vollstündige Collation zu erlangen, ist mir leider nicht geglückt. Das eine muss hier wiederholt werden, dass die Conjecturalkritik und Interpolations- sucht diesen Hdss. des Ausonius ziemlich fern geblieben ist, die sich bei anderen gelesenen Schriftstellern im Laufe des XV. Jahrhunderts 80 breit macht. Eine sorgfültige, gar die Eigenthümlichkeiten der Orthographie schonende und sonst peinlich reproducirende Abschrift werden wir trotzdem in keiner Handschrift zu erwarten berechtigt sein.

Als reine Abschrift der ed. Girardini ist folgende Hds. zu be- zeichnen:

I. Laurentianus II pl. LI, c. XIII (Bandini II p. 151), s. XV ex. membr. foll. 201. Die Hds. ist mit dem Wappen der Mediceer geschmückt. Sie enthült vor Áusonius den Martianus Capella. Vor den Epigrammen stehen hier Mosella und Caesares (256— 219). In Bandinis Inhaltsangabe haben sich offenbar Fehler ein- geschlichen.^) Am Ende fehlt aber wirklich n. 331.7? Hinter 256 259 finden sich auch 273 278 der Caesares (trotzdem die ganze Reihe vorausgeschickt ist) Am Schluss bezeichnet sich der Schreiber: De hoc Opere corrupto ut plurimum nil ulte- rius repperi et ideo explicit. Alexander Verrazanus escripsit. MCCCCLXXXX. Er ist durch zahlreiche Copien aller Schriftwerke in den Jahren 1490 1506 bekannt; s. Vogel im Serapeum 1850 S. 363 und Münchener lat. Hdss. 10261; für das Griechische ist Platz gelassen. Diese liegt wiederum der folgenden zu Grunde:

IL British Mus. Harleianus 2578: Ausonii Pgonii Poete lepidissimi Epigrammata die Graeca fehlen. Aber am Ende hinter 331: Hee sunt ea Ausonii fragmenta qug sunt scripta in codicibus impressis. quibus &pposui alia quedam eiusdem, qug leguntur in uetusto codice ex bibliotheca diui Marci Florentig.

Ausonii Moysella folgt (mit oder ohne Schlussvers, sagt mein Gewührsmann nicht, wir werden uns die Frage selbst leicht beant- worten können; sodann): Finiunt ea Ausonii fragmenta que inuidia?) cuncta corrodens uetustas ad manus nostrgs uenire permisit.

**) Er lässt auch Epigr. 29 und 31 aus, ferner 401 und 402, und statt 146 schreibt er 141. Auch beim Laurentianus I sind eine grosse Reihe Ungenauigkeiten anzumerken. 35) Vielleicht haben den Schreiber die ähnlichen Schlüsse von 380 und 331 oris—apes getäuscht. 5. So gibt an „dieser Stelle auch die ed. Girardini, während sie hinter der Tabula inuida

206 R. Peiper:

Symachus Ausonio salutem etc. | His precedunt monasticha XII Cesarum (Nunc etc.) | Ausonii fragmenta que omnia Corrodens uetustas prouenire Ad nos permisit. | Imperfectum opus.

Die anderweitigen, von Montfaucon bezeichneten Väticani- schen Hdss., wie cod. 3683, sollen nichts von Ausonius enthalten. Meine Bemühungen in Betreff der wahrscheinlich hierher- gehörigen Hdss.: Valencia n. 146 membr. fol. Hänel p. 1002; Escorial III S. 25, s. XV membr. (D. D. A. Romae die Ju. a. 1625 liest man vorn), Hänel ebenda,

sind erfolglos geblieben.

Montfaucon p. 424 D, führt (nach Zaccaria) aus der Dominikaner- bibliothek von St. Marcus in Florenz an: n. 58 (hinter Ennodii opera) Quod compertum est ex libro Ausonii Poetae. Gratiarum actio dicta Domino Gratiano Augusto sub Ausonio v. c. Auch dieser müsste heutzutage sich also in der Laurentiana befinden.

II.

Die ferneren Palaeotypen, die Handschriften der Mo- sella, der Codex Ticinensis.

A.

Wenn volle siebzehn Jahre vergingen, ehe die Werke des Auso- nius von Neuem aufgelegt wurden, so beweist das nicht, dass Girardinus' Unternehmen nicht den gewünschten Beifall gefunden, oder der Absatz seiner Ausgabe weit zurück geblieben wäre hinter dem Masse, in dem anderer alter Dichter Publicationen vertrieben wurden; mit welchen Schwierigkeiten die rómischen Drucker in dieser Beziehung zu kämpfen hatten, ist sattsam bekannt aus Pan- nariz und Sweynheyms Schicksalen. Für den Beifall ist die Anzahl der Handschriften, die wir in jenem Decennium auftauchen sehen, bezeichnend genug; wenn sich darunter Einige als directe Abschriften des ersten Druckes erweisen, so zeigt das eben, dass die neue Art der Herstellung, weil wegiger kostbar, damals noch nicht allgemein für anständig genug galt, Manchem aber, der für sich den Schrift. steller zu besitzen wünschte, bei beschränkten Mitteln die eigene Ab- schrift doch noch weniger Unkosten verursachte. Nach diesen sieb- zehn Jahren aber folgt rasch eine Ausgabe der anderen: ein berühmter Lehrer Mailands, heisst es, hielt es für eine Schmach, dass aus dieser Stadt noch keine Ausgabe des Ausonius hervorgegangen, und das

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 207

zu einer Zeit, da noch nicht einmal die Lobrede des Dichters auf Mailand bekannt geworden, die später in Marmor gegraben an öffent- licher Stätte prangte. Georg Merula?”) war dieser Lehrer, und unter seinen Auspicien unternahm es im J. 1490 der erste Professor der Geschichte daselbst, Julius Aemilius Ferrarius (geb. 1452, 1 1513), der den Ausonius gemeinsam mit dem Dichter Joh. Steph. Cotta studirt hatte, einen verbesserten Abdruck der ed. pr. zu liefern.?®) Sein “emendauit et castigauit' bezieht sich einerseits nur auf gröbere Verstösse, andererseits auf die Herstellung einiger wenigen, dort in gar zu schlimmer Verfassung edirten Stücke nach einer leidlich guten Quelle, aus der nun auch Fragmente der Clarae urbes, die dort ganz fehlten, hinzugefügt wurden; Merula hatte dieselben in der Bibliothek der Dominicaner von St. Eustorgio in Mailand entdeckt.??)

Ein Nachdruck dieser Ausgabe erschien zu Venedig 1494°°), und an ihn wieder schliesst sich?!), abgesehen von einer Anzahl Verbesserungen, eng an in Anordnung wie Text die erste Ausgabe des Hieronymus Auantius, deren Vorrede datirt ist XIV Kal. Octobres 1496.9?) Die Vertheilung des Textes auf den einzelnen Seiten ist fast völlig dieselbe; die sieben ersten Blätter dieser Ausgabe (in der die Blattzählung rechts oben in römischen Ziffern zugesetzt ist) enthalten genau, was auf den ersten 15 Seiten der ed. Ferrarii steht, es ist gerade eine Seite gewonnen; auf 38 Blättern?) steht, was auf 37 Blättern der ed. Ferr. enthalten ist. Die Fehler des Textes sind grossentheils herübergenommen, in ep. 146 V. 19 steht z. B. wiederum dedisse statt dedisset, V. 31 ullata statt ulla tam etc. Eine Vermehrung jedoch hat diese Ausgabe aufzuweisen: Bartholomäus Merula hatte ausser einer empfehlenden Vorrede dem Herausgeber achtzehn, bisher unbekannte Ausonische Epigramme zur Verfügung gestellt, welche der Veronesische Dichter Franciscus Nurcisius Geheimschreiber (a secretis) der Königin von Cypern, “superioribus annis’ zu Mailand aufgefunden hatte. Dieselben lässt Avantius am Schlusse der Aus- gabe hinter dem Epigramm ᾿Αὐςόνιος fueram —" folgen, hinter ihnen das Explicit fast mit denselben Worten wie bei Ferrarius. Jene Epi- gramme sind nach ihrer heutigen Bezifferung:

epit. 38 (255), 118, 137, 117, 132, 133, 43, 106, 142, 143, 22, 144, 121, 134, 136, 116, 140, 145.

27) Ueber ihn s. Saxius in Argelati Scriptores Mediolanenses I p. CXCVII sqq. ad a. 1478. 35. Exemplar in Berlin. Die Vorrede dazu abgedruckt bei Argelati I p. CCCCXCIX. Ueber Ferrarius, seinen Freund Cotta und Varisius, dem das Werk zugeeignet ist, ebenda I p. CCCXXII sq. und II, p. 2211 sq. ?*) G. Merula 'suos quoque cineres in Templo S. Eustorgii reliquit’. Saxius l 1. °%) Exemplare in Breslau (Stadt- bibliothek), Bonn und Wolfenbüttel. 32) Vielleicht auch an die Original- ausgabe selbst? Letztere war mir, als ich dies schrieb, nicht zur Hand. Die letzte Seite ist leer; statt 385 —88 ist irrthümlich XXXVI— XXXIX gezählt. °°) Exemplare in Bonn (aus Böckings Nachlass), Wolfenbüttel, Venedig (Marciana).

208 R. Peiper:

Neuen Zuwachs brachte die Ausgabe des Thadeus Ugoletus, Parma 1499°%) in so überraschender Menge, dass der Umfang der Opuscula beinahe um den vierten Theil sich vermehrte. Mit Recht rühmt er: “ex collatione diversorum codd. Ausonio additum quantum adhuc ab alio nemine'. Einem Codex des Tristan Chaleus 'uerae et sincerae lectionis! wurde der Ludus VII sapientum und Catalogus urbium entlehnt, von dem seit Ferrarius wenige schlimm mitge- nommene Bruchstücke vorlagen; eine Hds. des Antonius Bernerius (iuris scientia, generis nobilitate et auctoritate plurima perspicuus) "fidei non abrogandae' lieferte die P eriochae, eine dritte, nicht näher bezeichnete Hds. die Mosella sammt dem auf sie bezüglichen Briefe des Symmachus: “Mosella uitiatus et mutilatus in lucem prodibit ut- pote escriptus ex unico exemplari eodemque ab indiligenti librario exarato'. Am Schluss endlich findet sich das Gedicht der Sulpitia und 'epigrammata ex Georgii Alexandrini quae feruntur emanasse bibliotheca". Das sind mit ihren heutigen Nummern folgende 24 Gedichte:

115*, epit. 38 (255), 116, 22, 117, 118, 121, 122*, 129*, 130*, 132, 133, 43, 134, 136, 135*, 137, 139*, 140, 141*, 142, 143, 144, 145.

Davon amd, wie wir sofort gewahren, nur sieben, die mit dem Sternchen bezeichneten, neu; die 17 unbesternten sind bereits von Avantius mitgetheilt. Das einzige bei Avantius, welches hier nicht erscheint, findet sich in das liber epigrammaton eingeschoben, nebst acht andern, bisher unbekannten und zwar an folgenden Stellen der oben gegebenen Epigrammensammlung in Z:

hinter 245: epit. 29 (246)

hinter 60: 61, 62, 63

hinter 84: 85

hinter 103: 104, 105, 106, epit. 34 (251).

In dem der praefatio (an den Arzt Lazarus Cassola) beigegebenen Index “opusculorum Ausonii quae diu ignorata a nobis iussu tuo publicata sunt’ finden sich aber auch noch folgende Stücke, auf deren Quellen nicht hingewiesen wird, aufgezählt: zunächst Epigr. 54 und 84, die schon früher bekannt, hier nur completirt erscheinen. Ferner Epigr. 107, epistolaad Paulinum(ep. XXV, 418), Sententiae septem sapientum (309 —315 und 316), Tetrastichaimperatorum(261— 273°°), 279 284), De nominibus stellarum (ecl. III 370). Jenes Epigramm, die Sententiae, die Ecloge, haben mit Ausonius nichts zu thun?9); wir werden nur nach den Quellen für den Brief an Paulinus und die Caesares zu fragen haben.

** Nachgedruckt Venetiis 1501 in 80; vom Originaldruck Exemplare in München und Venedig (Marciana), vom Nachdruck Breslau, Stadt- bibliothek. ?5) 273 Nerua führt Ugolet irrthümlich noch mit auf: das Stück steht in Z. °°) Die Quellen für diese Stücke "fliessen

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 209

Neben den Zugängen bemerken wir aber auch eine Aenderung in der Ordnung der Opuscula. Die Gedichte 108—114 hat Ugoletus mit den oben genannten 104 107 hinter 103 an das liber epi- grammaton angeschoben; die Fastengedichte 147, 150, 149 hingegen aus den Epigrammen entfernt und vor die nun vollständigen Caesares gerückt. Ehe wir nach den Quellen, die er benutzt hat, uns weiter umsehen und die wunderbaren Widersprüche, die zwischen Ugolet und seinem Vorgänger Avantius sich auf den ersten Blick bieten, zu entwirren suchen, verfolgen wir die ferneren Zugünge in den weiteren Ausgaben des Avantius und Ascensius.

Der von dem ersteren besorgten Veneta vom J. 150777) liegt gegen Erwarten nicht die erste Avantius-Ausgabe von 1496 zu Grunde, sondern der Text des Ugoletus, wie das der Herausgeber in der Vorrede auch selbst erklärt?®), obwohl er diligentia an dieser Ausgabe vermisst, mit dem Bemerken jedoch: 'diligentiam quidem non Thadei, quam vir iste inter doctos optimus nequaquam potuit praestare, sed parmensium aliorumque omnium impressorum pluribus locis desideramus'. Sein Verzeichniss der neuen Zugänge (opera quae nunc addidimus non alias impressa sunt haec) ist unrichtig): eine Vergleichung mit Ugolet ergibt ein anderes Resultat. 1) Vor dem liber Epigrammaton erscheinen neu: Theodosii epistola; Ausonius Theodosio (469); Pythagoricum (id. XV 362). 2) Im epistolarum liber schaltet er zwischen 414 f. und 418 (ep. XXII u. XXV) zwei neue Briefe an Paulinus nebst einem Briefe des Paulinus (I^ v. 19—102 der ed. Bip.) ein. 3) Zwischen Protrepticus und Cupido findet sich das Genethliacon (323). 4) Hinter dem Mosellabriefe drei neue Briefe aus der Correspondenz mit Symmachus: Symmachi ep. VII; Ausonius Symmacho (ep. XVII, 407); Symmachi ep. VI. 5) Gleich dahinter ein Fragment, welches bereits die ed. Ascensiana als den Anfang von luvencus Historia Evangelica nachweist??), und darauf die Paulinusbriefe I* 1— 18, 15, II^, I* 103—284 (285 —331 fehlen) Hinter der Sulpitia endlich wird noch ein Epigramm de matre Augusti (7) angereiht.

zahlreich. Fürs erste s. Riese's Anthologie 263 und R. Peiper, Rhein. Mus. XXXI, 189; für das dritte, ein Gedicht des Priscianus, wie die Hdss. angeben 8. dagegen Scaliger, Auson. lectt. II c. 29, Teuffel 449, 9 Riese n. 679, für die Sententiae E. Wolfflin am P. Syrus p. 149—152, ein Burdegalensis bei Vinetus, Hildeberti opera ed. Beau- endre col. 1336. Vindobonensis 281 Endl. 5. XII, Hds. von Vorau s. Ku (Wattenbach, N. Archiv II 403), andere nennt E. Bährens, Rhein. Mus. XXX (aber im Thuaneus 8069 stehen die Verse nicht) etc. Pul- manns Fragment enthält wie andere 316 allein. ?") Exemplar in München. 35) 'Iterum enim emendandum suscepimus Ausonii codicem non Vene- tiis scilicet nostra castigatione olim impressum sed Tadei Ugoleti bene- ficio Parmensibus impressoribus nuper emissum’. *?) Die Quelle des Avantius ist der jetzige Harleianus 2599, zu Verona 1471 geschrieben, s. unten. Eine handschriftliche Quelle für epigr. 7 habe ich noch nicht ermittelt. Jahrb. f. class. Phil. Suppl Bd. XI. 14

210 R. Peiper:

Neugierig frägt man sich, welche Stellung Avantius in Betreff der Nursius-Epigramme zu Ugolets Ausgabe genommen, für die freilich nicht er, sondern Bartholomaeus Merula die Vertretung zu übernehmen hatte; auch hier finden wir erstaunt engsten Anschluss an Ugoletus, nur dass er freilich nicht ganz zutreffend die Hauptüberschrift berichtigt:

Ausonii Epigrammata per dominum Bartolomeum reperta. Dass die Zahl seit 1496 erheblich grösser geworden, erklärt er so wenig, als ihn die von Ugolet vorgenommene Umordnung kümmert.

Die Menge der Emendationen (auch bei 418, wo er erheblich vom ersten Herausgeber Ugolet abweicht) führt darauf, dass ihm neue handschriftliche Hilfsmittel zu Gebote standen; vergl. 404 (ep. XV), 406 (ep. XVI?), 393 (ep. IV), auch beim Ludus, wie es scheint. Auf solche Verbesserungen macht er selbst aufmerksam: "distinctiones emendatae habent primus duas litteras maiusculas', d. h. die verbesserten Verse beginnen statt mit einer, mit zwei Kapitälchen, z. B. ep. XXV v. 12, 22, 28, 43, 47, 51, 54, 56, 58, 59, 68.

Eine durchgreifende Umgestaltung der Ordnung, die besonders in den Epigrammen die Grundlage der später üblich gewordenen An- ordnung bildet, finden wir in den Pariser Ausgaben des Ascensius, deren erste im J. 1511*)) unter dem Einflusse und der Mitwirkung des Hieronymus Aleander, durch dessen Schtiler und Freund Michael Humelberg*') von Ravensburg aus, wohin derselbe im J. 1511 aus Paris (wo er seit 1508 weilte) zurückgekehrt war, redigirt wurde. Eine Handschrift wurde nachweisbar nur für die Mosella benutzt, die in dieser Ausgabe zuerst in lesbarer Gestalt nebst ihrem Schluss- verse erscheint, sorgsam bearbeitet durch Aleander selbst, der weiter auch die Rosae (id. XIV 361) “ex fide vetusti codicis! dem Ausonius zufügt.??) So ist denn diese Ausgabe mehr ein Product der Kritik ohne handschriftliche Grundlage für die Anordnung?) wie den Wort-

40) Exemplar in Berlin. Die nächste Ascensiana vom J. 1618 in München; der Leipziger Ausgabe von 1515, welche Richard Crocus be- sorgte, liegt die erste Pariser zu Grunde, wie schon die Uebereinstim- mung im Titel beweist; ein Exemplar in Göttingen. *!) Geb. 1487 zu Ravensburg. *?) ‘Et quoniam nonnulli tam ambitiose obstinati sunt, ut neque ex fide uetusti codicis persuaderi queant, hoc de rosis opusculum Ausonii esse, sciant illi tantum abesse, ut ego id non credam: ut etiam existimem plusculos huiuscemodi Maroni adscriptos nostro saeculo lusus Ausonianos esse: Quod ualidissimis argumentis in Ausoniana enarratione se probaturum Aleander profitetur. Humelberg in den Castigationes. Wenn Riese’s Apparat (Anthol. n. 646) vollständig genug wäre und Sicher- heit genug böte, müssten wir ihm zu Folge das hohe Alter von Aleanders Hds. anzweifeln, da sich in ihm V. 10 findet, sowie die Ergänzung vom V. 41. *?) Schon der Titel spricht das als ein Hauptbestreben der Herausgeber aus: opera diligenter castigata et in pulcherrimum ordinem e pristina confusione restituta. Anschluss an die Avantius-Ausgabe von 1507 zeigt schon die Voranstellung des Theodosius-Briefes und der Ant-

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 211

laut. Wir finden die Opuscula in fünf Massen (Sectiones) gegliedert. I. Epigrammata, II. Edyllia**), III. Epistolarum liber die Angabe der innerhalb dieser Theile befolgten Ordnung ist hier überflüssig da- hinter erscheinen, nicht recht geschieden, als IV. und V. sectio: Sulpitia, Epigr. 7, de fastis (147, 150, 149), Iuvenci prooemium, Gratiarum actio, Ludus, Urbes, Sententiae, de XII aerumnis Herculis, Caesares, de mensibus (375), de nominibus stellarum (370), Periochae, zuletzt Epigr. 29 und 30. Wie es scheint, soll die Grat. actio allein die vierte Abtheilung bilden, Ludus mit allem Folgenden die fünfte, was vor der Actio steht, noch zu den Epistolae geschlagen werden. Eine Vorrede fehlt der Ausgabe von 1511. Hinter dem Finis folgen: Castigationes errorum insigniorum quos inter imprimendum opifices prae nimia celeritate admiserunt (3l, Seite), geschlossen durch ein Nachwort:

Michael Humelbergius . R.“°) Lectori . S.

Haec obiter recognouimus omissis quibusdam labeculis, quas unusquisque uel semidoctus lector per se castigare potest. Non infi- ciamur tamen non pauca in omnibus Áusonii codicibus menda inue- niri magno digna vindice: Quae Hieronymus Aleander uir omni lau- dum praefatione maior Dum haec imprimerentur alibi occupatus sibi in publico reseruat auditorio discutienda. VALE candidissime Lector: | LVTETIAE PARISIORVM | M. D. XI. | Ex edibus Ascensianis.

In der Ausgabe von 1513 bevorwortet Ascensius selbst die Aus- gabe und erklärt, Aleander gedenke nüchstens herauszugeben: lucu- lentas enarrationes in eiusdem Ausonii tenebras. Interea autem grati animi significationem facies Homedeo qui diligenter ab ipso Aleandro adnotata aut ex eius praelegentis ore excepta aut diuini ingenii boni- late a se reperta sic concinauit, ut Ausonianae integritati parum deesse merito conquerare.

Mit Homedeus muss Humelberg bezeichnet sein. Ascensius sandte schon in vigilia assumptionis Mariae 1511 einen Brief nach Ravensburg, während Briefe von Aleander im März, April, Juni des- selben Jahres von Orleans nach Paris gerichtet sind. Ascensius schreibt dann Parisiis Nonis Iulii M. D. XII. an Humelberger: “Prae- scripsi ut recepi annotationes nomini tuo. Dedi Áusonios cui com- miseras et quot petierat. f9)

wort des Ausonius auf denselben (469). **) Es ist selbstverstündlich, dass diese Bezeichnung, die keinen Anhalt in Ausonius Worten findet und gegen die Vinetus schon protestirt hat, künftig wegfallen muss. In der Praefatio des Griphus wie im Nachwort zum Cento (335, 8; 360, 2) geben die Hdss. epyllia, epillia, epilia T an erster Stelle, pillia Vossianus ebenda. Das dreimal bei Nonius wiederkehrende Sueius pullis dürfte auch eher epullis als edullis bedeuten (Lucilius ed. L. Müller b 813, Rh. Mus. V, 554) 45) D. h. Ravenspurgensis. *9) Michael Humel- berg. Eine biogr. Skizze von Adalbert Horawitz, Berlin 1875 (die erste

14*

212 R. Peiper:

Nicht klar ist, warum ep. 29 und 30 an den Schluss gestellt sind; sollte Humelberg schon die später von Vinet ausgesprochene Annahme der Unechtheit getheilt haben? Die Sulpitia und das Iuvencus-Fragment stehen in der ersten Ausgabe noch mitten unter den echten Ausoniana, aber werden in den Castigationes als unecht bezeichnet, und in der Ausgabe von 1513 darum hinter τέλος ans Ende gesetzt. Die oft von Vinetus citirte Ausgabe (Parisiensis liber) ist wohl fälschlich von Neuem für eine Handschrift gehalten worden.

Die dritte und letzte Ausgabe des Avantius, die Aldina von 1517*^), ist, wie es scheint, ohne Kenntniss der Ascensianae erfolgt; die kriegerischen Zeiten machen das wohl erklürhch. Die Rosae fehlen, die Sulpitia und das Iuvencus-Prooemium werden ohne Be- zeichnung der Unechtheit weiter geschleppt; (jenes: Queritur de statu Reipublicae et temporibus Domitiani, mit Weglassung des Namens Sulpitia, dieses: Ausonii carmen imperfectum), die Ordnung der Aus- gabe von 1507 ist beibehalten, nur dass Epigr. 7 hinter dem Pytha- goricum vor die Epigramme gerückt ist. Die Vorrede an Marcus Cornelius Cardinalis (Cornaro) ist nur eine Neuredaction der früheren, die an denselben gerichtet war. Jedoch ist dem Texte nicht diese eigene Ausgabe zu Grunde gelegt, sondern ein flüchtig durchcorri- girtes Exemplar der Ugoletiana, aus der nun mancher Fehler, den Avantius bereits in den Ausgaben 1496 und 1507 getilgt hatte, in die Aldina wieder eingeführt worden ist. So z. B. gaben jene beiden in ep. X (399) v. 9 richtig lirare, die Aldina wiederholt den durch Ferrarius und Ugoletus fortgeschleppten Druckfehler der ed. pr. litare; jene in v. 42 poena und paena, diese mit ed. pr., Ferrar., Ugol. penna etc.; trotzdem muss Avantius neues handschriftliches Material gefunden haben: in Epigr. 70 liest er statt des bisher über- . lieferten subulo in n&herem Anschluss an die Wolfenbüttler Has. . suppilo. Und in der Mosella, deren letzten Vers er gibt, hat er so wenig die Ugoletiana zur Grundlage genommen**), als die Ascensiana; es liegt hier ein offenbar durch Conjectur vielfach berichtigter, öfters verschlimmbesserter, handschriftlicher Text vor von einer Güte, wie sie Ugolets Hds. nicht kennt; die Abweichungen von der Bearbeitung des Aleander zeigen aber, dass Avantius auch mit diesem keine ge- meinschaftliche benutzte. Die von Brunet I 220 u. 8. angeführte

Ascensiana stand dem Verfasser nicht zu Gebote). In den ferneren beiden Aufsätzen von Horawitz, welche über Humelberg epistolarisches Material bieten (Zur Biogr. und Correspondenz Johannes Reuchlins und “Ana- lecta zur Gesch. des Humanismus in Schwaben, 1519 —1518?) in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Bd. 85 u. 86 (1877), ist weitere Aufklärung nicht zu finden. 7) Exemplare in Breslan (Stadtbib), Göttingen und anderwürts. 45) Wenn Bócking bezüglich der Mosella sagt, die Aldina “exemplum anni 1507 sequitur', 80 widerstreitet dieses völlig der Sachlage.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 913

Iuntina ist mir unbekannt geblieben: sie ist vielleicht nur, wie an- dere Iuntinen, ein Nachdruck der Aldina.

Es sind manchfache Andeutungen guter handschriftlicher Hilfs- mittel, welche Ascensius in seiner Diatribae in Ausonium, Ovidium ac Solinum, Rom 1524 f.*?), gibt. Diese zersplitterten Notizen, die zum Theil nicht einmal auf eigener Einsicht in das Material be- ruhen, sondern mehr oder weniger genauer Mittheilung von Freunden, dürfen wir vorläufig ausser Acht lassen, um sie weiter unten aus- führlicher im Anhange des Vossianus zu besprechen, mit dem die werthvollsten Mittheilungen im Zusammenhange stehen.

B.

1. Codex Eustorgianus.

Nachdem wir so die manchfachen Erweiterungen, die die Opus. cula des Ausonius von Girardinus bis Áscensius erfahren, überblickt, dürfen wir nach den Handschriften fragen, denen Ferrarius, Nursius, Ugolet, Avantius, endlich Aleander entlehnt haben. Was zunächst die Fragmente der Urbes betrifft, so sind dieselben allerdings so wenig umfangreich, dass man sich bedenken könnte, darauf hin den Tilisnus, der eben dieselben Reste dieses Werkes enthält, mit jener Hds. des Klosters St. Eustorgio zu identifieiren. Betrachten wir aber die gengue Uebereinstimmung des Druckes F mit den Lesarten von T, so kann sie uns in jener Vermuthung nur bestürken. Es sind kaum nennenswerthe Abweichungen zwischen beiden. In den Ueber- schriften:

T F De carthagine et constantinopoli Idem de carthagine constantinopoli

et bizantio De capua Idem de capua De treveri De treueri septimo loco eam ponit De burdegali urbe De burdegalli urbe. Sodann im Texte selbst: II 13 Lygos tu] lices tu lices ah tu IV 6 praelabitur? perlabitur V 10 emula aemula VI 1 cultugue poenuque cultu penuque 6 currules curules 11 Annibalis Hannibalis 13 vitiis viciis VIII 3 alpinis arpinis (Druckf.) 6 comertia cömertia XI 5 Cum sotiant Cum sociant placida placita XIII 9 inmensum 1mensum 13 oris oras (Druckf.) 16 tarquinus Tarquinius

19) Exemplare in Bonn und Wolfenbüttel.

914 R. Peiper: T

XIII 18 merces marces (Druckf.)

20 freta frea (Druckf.) XIV 8 Burdegalia Burdegallia

13 aereas aerias

89 ciuis cuius (Druckf.

0 .S. Burdegala S. Budegalla.

Wir finden fünf Druckfehler, vier Verbesserungen II 13, XI 5, IV 6, VI 1 wenn nicht an den letzten beiden Stellen in meiner

Vergleichung Nachlässigkeiten vorgefallen sind alles Uebrige sind Orthographica. In den Ueberschriften ist ein Abgehen von der Hds. nachzusehen. Diese Unterschiede werden durch die genaueste Ueber- lieferung in Verstheilung völlig aufgewogen: wir haben eine für jene Zeit äusserst accurate Copie des Tilianus vor uns. Diese Hds. hat indessen, um allen Zweifel zu benehmen, dem Ferrarius (der überall sonst so eng an den Girardinus-Text sich anschliesst, dass er nur ausser inconsequenter Aenderung einiger Orthographica die schlimmsten Druckfehler bessert und einige leicht verderbte Stellen durch Con- jecturen heilt) auch noch zu anderen Stücken Besserungen geliefert, den makaronischen Versen in ep. XII. Ferrarius weicht nämlich hier von der ed. pr. an folgenden Stellen ab:

ep XII G F 1 TEVEPOTÄOKAUWYV TEPEVOTÄOKAUWV

9 θαλπορη θαλπωρη

9 Lücke hinter nulla mıleı

18 ἐφαρμοςατε ἐφαρμοζατε

28 κοι Druckf. für και

24 Aecynv λεαχην

81 βλεμα βλεμμα

32 δαπας (statt δαπανας) δαπινας

84 μελώδειν μηλώδειν

86 ερπεται επεται

38 poucaov Houcau)

Ueberall geht er an diesen Stellen mit T, denn auch v. 7 ist seine Lesart nur eine Besserung der Lesart dieser Hds. τενενοπλο- kauwv; v. 9 ist dort in θαλπρη von erster Hand in o corrigirt. In dem Distichon ep. XIII war keine besondere Gelegenheit zu Ab- weichnngen. In ep. XIV findet sich in elf griechischen Versen nur eine Aendernng gleich im ersten Verse, πληθυν F statt nAnOnv G, dazu ein Druckfehler im siebenten Verse: ckaZvora xoi (beide Male ist o durch c ausgedrückt) für ckaZvovra καὶ G (der Setzer hat das falsche v getilgt). Hier ist also, ohne Rücksicht auf eine Hds., G abgedruckt worden: in T fehlen eben die Graeca dieses Briefes. Wenn wir nun aber in den griechischen Epigrammen F ganz auf G fussen sehen, die doch T hat, so wird es uns auch nicht wundern dürfen, ep. XXV Ausonius Paulino, ein bisher nicht bekanntes Stück, von Ferrarius verschmäht zu finden: dieser hat nämlich offenbar die Hds. gar nicht in Händen gehabt, G. Merula aber, ganz der Gewohn-

“ς

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 215

heit jener Zeit gemäss, nur ein wenig daraus genascht: dass diese Epistel, die seinen Augen nicht entgehen konnte, da sie vor den Urbes steht, überhaupt noch nicht publicirt war, ist ihm bei dieser flüchtigen Behandlung entgangen.

Dass eine Hds. der Dominikaner des heil. Eustorgius zu den Benedictinern von St. Fleury übertragen worden sein sollte, ist kaum anzunehmen. Du Tillet aber hat, wie wir wissen, sich nicht auf Durchforschung der französischen Klosterbibliotheken, wozu ihm Franz I. die Erlaubniss gegeben, beschränkt; er hat auch, wie Blume Iter I 49 erwähnt, Handschriftenkäufe in Italien gemacht: auf diese Weise wird der Eustorgianus zum Tilianus geworden sein.

2. Mosella-Handschriften.

Die Mosella findet sich in keiner der bekannten Z-Handschriften als dieser Sammlung eigenthümlich angehörig, und fehlt auch im Vossianus Unsere Kenntniss des Gedichts beruht auf Einzelhand- schriften. Woher haben Ugoletus, Aleander, Avantius ihre verschie- denen Texte? Der des Ugoletus ist so eigenthümlich gestaltet, dass wenn er nur noch existirt, wir nicht lange zu suchen haben werden; und er existirt in der That zu Florenz in der Hds. des Verazzanus vom J. 1490, pl. LI c. XIII, der seiner Abschrift der ed. Girardini°®) nicht blos die Mosella mit dem Symmachusbriefe, sondern auch die Caesares 256—279 aus einer verschollenen Vorlage, die offenbar beide Werke enthielt, voraufschickte.5!) Die bekannten Entdeckungen in Bobio, von denen Raphael Volaterranus berichtet, wurden erst vier Jahre später gemacht. Die Vergleichung des Ugolet-Textes hebt über jedes Bedenken hinweg, ob nicht etwa Mosella erst nach und aus Ugolets Ausgabe in jene Hds. übertragen worden sei°?); denn der Verazzanus-Codex ist frei von den Besserungen Ugolets wie von den durch seine Setzer verschuldeten Fehlern; er gibt, wo Ugolet gebessert, nicht verstümmelte Ugoletiana, sondern Spuren der in den übrigen Hdss. vertretenen Lesart. (45 legenis L lagaeis Ugolet; 277 dirces L, circes Ug.) Jene Vorlage Ugolets ist nun aber eine so verstümmelte Hds. der Mosella, dass es unmöglich war, auf den ersten Anlauf einen lesbaren Text zu schaffen, der Herausgeber hat (wir müssen nur stets den Standpunkt seiner Zeit dabei im Auge behalten) sich redlich darum gemtiht die eben genannten Cor- recturen zeigen das schon (wenn auch die erste derselben durch die

60) Die Mailänder Ausgabe ist erst vom 15. September 1490 datirt. 5!) Eine Abschrift ist, wie oben gesagt, der Harleianus 9578; in der Wiener Hds. der Mosella (858 Endl. 114/p 109, f. 467 487, einst dem Seb. Tengnagel gehórig, der Symmachus- Brief fehlt nicht) sieht Tross (Vorrede S. 10) nur eine Abschrift der Ugoletechen Ausgabe, vielleicht nur auf der Nachricht vom Fehlen des letzten Verses fussend. Den Wunsch, ihre Bekanntschaft zu machen, lässt das junge Alter der Hds. nicht auf- kommen. 5*) In diesem Falle wäre es doch sehr wunderbar, wenn nicht auch die übrigen Zugänge Ugolets in ihr Aufnahme gefunden hätten.

216 R. Peiper:

bessere Ueberlieferung limigenis hinfällig geworden ist). Der Tadel, zu dem sich Ugolet gegen den Schreiber der Hds. veranlasst sieht, hat ihn wohl bewogen, seine Quelle zu verschweigen; es lohnte sich wohl, dem edlen Besitzer der &usserlich so schönen Hds., der ihre Anfertigung veranlasst, Aerger zu sparen. Keine der heute bekannten Mosella-Hdss. gehört ursprünglich Italien an. Auch die Vorlage des Laurentianus ist sicherlich erst durch einen Henoch aus dem Norden oder Nordwest dahin verpflanzt worden in einer Abschrift, die an Barbarei mit allen jenen Findlingen wetteifert. Die Zahl der klei- neren Werke, deren Auffindung bestimmten Personen zugewiesen wird, ist eine auffällig geringe, verglichen mit der Intensivität dieser Bestrebungen; es wurde nicht gar viel Aufsehens davon gemacht; trägt doch nicht einmal die Neapolitaner Abschrift der Dracontiana den Namen dessen, der sie in Bobbio fand. Oder dürfte man sich genügen lassen an der mündlichen Kunde, die davon zu den Ohren der sich dafür interessirenden Gelehrten drang? Die Entstehung der Fehler in unserem Mosella-Exemplar ist nun offenbar derselben Ver- anlassung wie bei den anderen Funden zuzuschreiben: Unfähigkeit des italienischen, seit langer Zeit an ganz andere Schriftzüge ge- wöhnten Abschreibers zur Entzifferung der alten Hdss.; und auf ziemlich hohes Alter der Vorlage deuten denn nicht wenige der zahl. reichen Lesefehler hin.5?)

Sehen wir von diesen Schnitzern ab, so deuten die wesentlichen Unterschiede des Laurentianus von anderen Ueberlieferungen darauf hin, dass wir e8 mit einem nahen Verwandten des Bruxellensis zu thun haben°*): aber nicht nur in der Mosella, sondern nicht minder in den Caesares.°5) Dieser Verwandte ist jedoch noch frei von zahl- reichen Fehlern, die wir in dem Exemplar B finden, und wird demnach zu einer nicht unerwünschten Hilfe um das Letztere zu controliren.’®)

Hieronymus Aleander giebt keinen rein handschriftlichen Text; er hat ein Ugolet'sches Exemplar nach einer Hds. und eigenen Ver- muthungen, wie 350 Romaeque tuere, durchgebessert und so ist

53) 80 sedere LUg. für secundae, 11 climeast ... LUg. für diui castra, 117 est tendere für contendere, 123 latus für lectus, 189 con- claueus für cum glaucus etc. δ) Hier wenige aber ausreichende Be- lege. Im Symmachusbriefe fehlen die Worte Unde igitur credidisti in BUg., Mosella 113 fehlt in BLUg. fartim, 27 deuexus BLUg., 320 decoramine BLUg., 329 irrupit BLUg. °°) Hier kann ich nur Ugolet, nicht seine Hds. L befragen; sie kommen gegen die anderen Hds. überein: Tetrast. II 2 Augustus, V 3 et crimina passus fehlt, VI 4 quae] et, IX 2 Caesar fueris B fueris Caesar Ug., 4 agit B ait Ug., X 3 flam- mam, XI] 1 geminos, XXI sceleris B celeris Ug., XXII 4 Irrisu, XXIV 1 Tunc. 59) Man beachte folgende Stellen der Caesares, wo Ugolet also jedenfalls sein Laurentianus gegen B die richtige Lesart bewahrt hat: I 1 sorte Ug. more B, V 2 ingenii Dg, imperi B, ΥἹΙ 1 mereri Ug. teneri B, VIII 3 erit Ug. ausgelassen und Raum dafür B, XX 1 non Ug. quod B, XXII inscr: Caracalla Ug. fehlt in B, XXII 3 nocens Ug. carens B, XXIII 4 quae Ug. qui B. In Mosella fehlt v. 286 in B, nicht in L.

5...

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ansonius. 217

denn manche unrichtige Lesart Ugolets, die offenbar der benutzten Hds. fern lag, conservirt worden, wie gleich anfangs v. 11 Niuomagum, das einem Nuiomagum, statt Noiomagum, seine Entstehung ver- dankt u. s. w.°”) Dennoch kann sein Text die handschriftliche Her- kunft nicht verleugnen, er weist uns mit aller Sicherheit auf den Codex des heil. Gallus hin.

Auf dieselbe Hds. führen uns auch mit aller Bestimmtheit°®) die Lesarten, die Th. Poelmann°®) aus 'Cornelii Gualtheri Mosella liber antiquus” mittheilt. Ersichtlich hatte Poelmann diese Hds. nicht selbst in Händen, sondern verfügte nur über einzelne Lesarten, die er der Mittheilung des Cornelius Wouters ®) verdankte. Aber Wouters selbst kann nicht im Besitz des cod. S. Gallensis, den Goldast für seine Erotica (Francof ad M. 1610) offenbar an Ort und Stelle benutzte, gewesen sein; auch er hat bestenfalls nur eine Abschrift, wahrscheinlich nur eine Collation besessen, die mit der des Aleander vielleicht, wenn nicht identisch, doch verwandt 61), mög- licherweise ein Auszug daraus war. Für Aleander ist die Ver- gleichung des S. Gallensis zweifelsohne durch M. Humelberg in der Heimath besorgt worden 8?) und durch diesen mag der Fund auch anderen Humanisten mitgetheilt worden sein; und verfolgen wir die von Poelmann p. 99 zu v. 367 angedeuteten Spuren, so ist es Hermann Graf von Nuenaar, ein Mann der allerdings auch selbst die Schätze jenes Klosters zu prüfen Gelegenheit hatte, dem Wouters seine an Poelmann weitergegebenen Mittheilungen zu verdanken hatte.5?)

Abweichungen der Aldina 1517 von der Ascensiana 1511.

Woher nun Avantius die Hds. gehabt, die er bei seiner dritten Ausgabe des Ausonius der Mosella zu Grunde legte, ist nicht zu er- mitteln. Ueber ihr Verhültniss zu den erhaltenen Hdss. wird am besten eine Vergleichung der Aldina mit der ersten Ascensiana Auskunft geben. Ich füge die Siglen der Hdss., die für die Lesart des Avantius oder Aleander eintreten, bei, indem ich mit a Ugoletus

57 Vgl. v. 71. 118. 207. 278. 297. 329. 386. 465. 5°) Die Identität ist unanfechtbar: v. 374 ist diua ein Irrthum Poelmanns, v. 367 scheint Böckings Angabe aus S. Gallensis unsicher. 5?) Ausonius ed. Th. Pul- mannus Antverp. Plantin. 1568. 50) Patricier von Gent, Canonicus St. Donatiani daselbst, 4 1582. Vgl. ausser Jöcher und Grüsse III 1, 1243 Sweertii Ath. Belg. s. 187, Foppens I 102. 5) Mit Aleanders Ausgabe selbst ist Wouters liber antiquus nicht identisch: denn Poelmann gibt daraus v. 11 Noiomagum 45 limigenis 80 fas aut 89 rhaedo 140 At cum 192 propulit 263 inualido 278 carptas 365 Drahonum 374 diua Mosella 380 Romae tenuere 434 Chamaues 452 post munera. Auch scheint Poelmann die erste Ascensiana gar nicht gekannt zu haben; in dieser findet sich wenigstens nicht die Lesart Torta, die er zu v. 368 aus seiner Ascensiana anführt. 5*) Vielleicht hat Aleander auf diesem Wege auch schon Kenntniss des Technopaegnion im heutigen Leidensis Voss. Q 38 erlangt. °°) Dass der Gemblacensis, den Poelmann be- nutzt hat, uns im Bruxellensis erhalten ist, ist nicht zu bezweifeln. Das ist auch Brandis Ansicht.

218

R. Peiper:

1501 (die Originalausgabe stand mir nicht mehr zu Gebote), G San- gallensis, R Rhenaugiensis, B Bruxellensis, V Vaticanus (geht nur bis v. 180), mit w endlich die Uebereinstimmang sämmtlicher Hdss. mit Ausnahme der auf der andern Seite etwa genannten, bezeichne.")

Aldina 1 nauem V 8 Dum Nissum a 10 conspicior Druckf. 11 Nouomagum Av. (Nogom. V Noiom. cett.) 16 aetrham V 18 nitentis aG B?

27 Nauiget a (Druckf.)

28 fluuios uitreosque Av.

29 aequiperare aw

33 prolapsus a

(86 superante aus Conjectur.)

89 sortire Druckf. 45 limigeris R (lagaeis a) 47 Sicca in primores spargis Av.

49 Trudens Αν.

61 leue Druckf.

68 calydcniis Av. Druckf.?

71 locupletes quaeque A v.

72 Assimilant a G?

79 Nomina quae et c. RB

80 aut aw

84 caeruleos (ceruleas a) Druckf. fluitantes (fluitantis GR)

86 praetenero au

89 thedo a 90 Effigiens Druckf. 92 hostia RB! 95 uni R 101 fronte Av. 113 pinguescit R 114 squalet

cauda Av. 120 Hinc a 128 geminas species α 130 fario Druckf. ? 149 magnus R? 150 liquidus Druckf. 153 bacchea Druckf.

jectur zu beruhen scheinen.

Ascensiana Nauam aw Dumnissum w conspicor aw Niuomagum a

aethram au nitentes (aber nitentis Castigg.) RB!V

Nauiger w

fluuius uitreoque aw

aequiparare

praelapsus w

(superante Castigg. aus Conjec- tur) sperante im Text u, (spi- rante G, speranti V)

sortite aw

lunigenis (limigenis w)

Sicca in primo respergunt u. lim- phas uw, respergit a (aber Ca- stigg.: Sed sicca in primo asper- git u. limpha uel sicca sed etc.)

Tendens au

lene au

caledoniis au

locupletibus usque a

assimulant G!R? adsimulant V

N. quae c. aGV

haud R

caeruleo

fluitantibus aVB (aber fluitantes Castigg.)

prae teneris Al. (aber prae tenero Castigg.)

redo (rhedo, rhaedo, raedo ὦ)

Effugiens aw

ostia au

omni aw

frontem aw

pinguescis aw

squallet a

caudam au

Hic w

species geminas

sario à

magno au

liquidas aw

baccheia a (u)

*) Mit Av. und Al. bezeichne ich die Lesarten, welche auf Con-

Die handschrift. Ueberlieferung des Ausonius.

160 Garumnam aR 167 astrepit aRB 169 homines Av. 171 Naiadas Av. 175 furata e 176 oreadas aw 185 ferunt Av. (specunt a) 187 tegantur aR 193 profundit a 196 Annumerat aR B 198 confudit RB 207 excludet a (Druckf.) 209 sulfurei A v. 210 Veseui 215 missena a 216 cymbae B (cimbae a R) 221 faseli (faselli a, phaseli ὦ) 222 perfunderit a 224 rediget Av. (rediit a B) 225 Atque R 936 praetendit Av. (pretendat a) 237 Libratos R coeptat Av. 242 defensos piscis (defensas a) 249 Implicitos À v. 256 Dextera a 961 Cuique Αν. 266 brancia aw 275 coeptat Av. 277 Dirces w 278 captas a 281 Thetim (a) 288 miratur a 189 chalcedonio À v. 294 plausu R 295 promiscent a 298 Quis a 304 syracusii Aw 307 hebdomade À v. (812 quadro cui in R [cedro in a]

314 incesti aw 316 totus R 317 afflatamque aw 323 uendicat R 324 Villa Druckf. (Vlla a sollte in illa corrigirt werden) 336 nutantia Av. columnis w 345 hic Av. afforet a w 351 hostia w 354 est a (pronea est a statt pro- neae ὦ, Av. hat proneae corrigirt aber eststehen lassen) adducta (aducta a) 358 hostia nur R

219

Garunnam (uw) adstrepit G V hominum aw Naidas

furate

oreiadas Al.

petunt w

tegatur w

perfundit Adnumerat G confundit aG? excludit aw sulphurei a w Veszui

mylasena (w) cumbae G

phaselli

perfuderit w

redegit (aber Castigg. redigit w) Vtque aw praetemptat w Vibratos aw

captat aw

defensus piscis G Indutos (Inductos G) Dexter w

Quique au branchia A].

captat au

Circes Al.

carptas

Tethyn (w)

miretur calcedonio aw (calched. G) pulsu au

A aneont w

ebenso Al. aus Conj. ‚denn G hat quadra cui in)

incerti Druckf.

corus aw

afflictamque ?

uindicat aw

illa

nitentia aw colonis a huc au adforet ostia aG? est fehlt w

adiuta ostia aw

220

359 Belgis au

Erubris RG

360 allabere R (alabere a) 363 seras Av. 865 Draconum a

369 377

festa R hostia aR Tybris GB (tibris a)

R. Peiper:

gelbis G

Erubrus aB adlabere G

serras (sarras d)

Drachonum (drahonum G)

fessa aw ostia Thybris R?

380 Romae tenuere aw Romaeque tuere Al.

388 qui a que w

392 otis B (ora a) oci (uw)

394 uirorum a uintim w

407 Britanos (der Vers fehlt a) Britannos w

415 Detestatur aRB Detexatur G

491 angustae Druckf. Augustae aw

496 uincti Druckf. iuncti au

427 tactu R tractu aw

431 utrinque Àv. utrique au

433 hostia aw ostia G

434 Chamaues a uU Camaues

436 amne R amni au)

437 uno a unus w

448 tanta a quanta u men si Av. mei se au

450 natus Av. nati aw

461 Saxona Av. Axona aG

464 uolutus aw uolatus Druckf.

465 postponet w postponat a agum Av. (tandem a) armé 468 Aturnus R Aturrus au 471 taurinthes E laurinae au 473 hostia R! ostia aw

483 Garumnae Av. Garunnae (w)

Man sieht, die Verwandtschaft mit dem Rhenaugiensis tritt klar hervor, und mit ihr stimmt der andre Umstand, dass Avantius für die Caesares, die im Rhenaugiensis, und also vermuthlich auch seinen Verwandten fehlen, in seiner Hds. keine Hülfe gefunden hat, sondern nur den Text des Ugoletus mit einigen Besserungen wiedergibt. Folgen- des sind die sämmtlichen Abweichungen in den Tetrastichen, sammt den Orthographicis und Druckfehlern:

a Ald. II 4 scaeua 8àeua III 1 nectus nactus IV 2 scaeuo scaeuior BAEUO S&euilor 4 polutum pollutum V 2 speciem Bpecimen VI 4 et quae (Conjectur) IX 1 digna digne 2 tibi sibi 4 ait adit on fehlt non X 1 comodus commodus 8 flammam famam XI 4 nos non

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 291

a Ald. XII 3 qua quia XIV 1 Agreditur aggreditur 4 fatare fateare XV Habrianus Adrianus 3 hinc cui iunctus erit hic sociatque uirum XVIII 1 harenae arenae 2 bela - bello Druckf. XXI 1 e gelido egelido 2 parricidae paricidae 3 carrigo origo XXIII 2 auctorem authorem 8 querellis querelis XXIV Alagabalus Heliogabalus . Tunc Tu ne

Bei XIII—XVIII hatte Ugolet nur seinen Laurentianus zum Führer genommen, und die früheren Ausgaben, die wenigstens diese Tetrasticha bewahrten, vernachlässigt; Avantius hat auch aus ihnen nur für XV 3 einen unbedeutenden Gewinn gezogen. Diese Stelle zeigt aber zugleich, dass er auf dies Hülfsmittel beschränkt war und die übrigen richtigen Aenderungen glückliche Conjecturen sind.

Dass Avantius den Rhenaugiensis selbst, bez. eine aus ihm ge- nommene Abschrift gehabt hat, ist mir nicht erweislich; wir werden an einzelnen Stellen also Avantius’ Ausgabe zur Controle dieser Hds. nicht verschmähen dürfen.

3. Codex Ticinensis.

Auch für die weiteren Zugaben in Ugolets und Avantius’ Aus- gaben bedaure ich den Leser nicht in die Bibliothek von Bobio führen zu können. Die von Ugolet benutzte Hds. des Tristan Chalcus die im Original mit eigenen Augen gesehen zu haben, weder Ugolet, noch selbst Chalcus, wie ich glaube, sich rühmen darf ist uns er- halten im Parisinus 8500 s. XIV fol.; diese werthvolle Hds. bietet allerdings viel mehr als Ludus und Catalogus, die Ugolet allein allein nennt; ja sie enthält auch die Periochae, die Ugolet nach der gerühmten Hds. des Antonio Bernieri mittheilte. Ihr Inhalt mag hier vollständig verzeichnet werden.

Auf f. 1” ist Signatur: CLXX und 170/4740. Zwei, wie ich meine, den Miniaturen gleichzeitige Wappenschilder befinden sich unten auf dieser Seite in Miniatur, das eine, links, einen sich nach rechts erhebenden Adler in blauem Felde darstellend, das andere, rechts zweigetheilt, links blau, rechts golden, einen sich am Halse krauenden, nach der linken Seite zu gewendeten Hund unter einem Baume, von dem im goldenen Felde ein Vogelkäfig herabhüngt.9*)

**) Herr À. v. Reumont hatte die Freundlichkeit auf eine Anfrage betr. dieser Wappen mir Folgendes zu erwidern: "Das Quartier mit dem Adler würde an Estensische Beziehungen denken lassen, aber der Esten-

222 R. Peiper:

mn

1" De vita et gestis Fabii Fulgentii Planciadis. 3" Mythologiarum Fabii Fulgentii Planciadis. 14" Ausonii Ludus.

. 16' Periochae ohne Ueberschrift und Explicit. Eine Hinweisung

auf Ausonius fehlt durchaus.

. 20" Viro illustri Ausonio Paulinus. Quarta reddit Paulini ep. I*. - - - - Quum abdicatas - ]*

21 - - - - Continuata mea - - II*. .91" - - - - Egoteperomne - -Il* - Defore me patriis - I.

. 99" Epistola D. M. Ausonii ad Paulinum. R’ca. (d. h. | Rubrica).

Proxima que Ep. XXIII 416.

. 23" Alia ep. eiusdem ad eundem. Discatimus Ep. XXIV 417. . 28" Incipit alia eiusd. ad eundem. Quarta tibi Ep. XXV 118. . 24" Ep. Symmachi ad Aus. Verum mihi gaudium Symm. ep.

VII ed. Bip. 341.

24" Ausonius Symmacho. Modo intelligo Ep. XVII 407. Symmachus Ausonio. Etsi plerumque Symm. ep. VI ed. Bip. p. 340.

. 25" Ep. Theodosi Augusti. Amor meus. ed. Bip. p. 335.

Aus. ad Theod. Agricolam si flava n. 469. Aus. ad Symm. Latebat inter nugas Id. XI praef. 335.

f. 25" Gripus ternarii numeri Id. XI 336.

f.

26" Eiusd. προςοποποιςια in chartam. Si tineas epigr. 34. Ep. ad esperium fil. Libellum quem Id. IV praef. 321. ΤΠΙροτρεπτικος ad Aus. nep. Sunt etiam musis Id. IV 322.

f. 26" Genethliacon. Carmina prima Id. V 323.

f.

f.

nun ne oS oS oH ΚΘ

f.

Egloga de ambig. vitae. Quod vitae Id. XV 362.

27° Prudentii de natura anime. Decurrit dubitans [Apotheosis v. 782 ff.].

28' Versus pascales Ausonii. Id. I 317. Prudentii de fide. Est tria summa deus [Apotheosis v. 1 ff].

. 290" Ausonii Cathalogus urbium.

30" Cassiodorii libri secularium litterarum. 43° Ysidorus libro ethimol. quarto capitulo XIII de medicina —.

. 44 Boetii de scolastica disciplina.

. 50' De decem sibillis. Sibille generaliter dicuntur —.

. 50" De sibilla erithea R'ca. (darin die Verse: Iudicii signum ). . 51° Liber Erithee Sybille. De troianorum et ceterorum prin-

cipium euentus R’ca. Requiris a me o illustrissima turba 94" Aristotelis de pomo.

—— —— .

sische Adler, weiss im blauen Felde, wendet den Kopf rechts, und würe es ein verliehenes Emblem, so würde es nicht unten stehn. Die übrigen Wappenfiguren sind mir völlig neu, kommen mir auch so modern vor, dass ich sie dem 14. Jahrh. nicht zutrauen würde... Die e Homagnolen namentlich haben freilich manche sonderbare Wappen ..

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 293

f. 57 Ovidii Metam. libri primi narrationes.

f. 75" Vita Prudentii Carmen de vitiis et virtutibus. Per quin- quennia jam decem Excuciensque piis de mentibus vicia euncta. [Prudentii praefatio.]

f. 83" Alberici poetarius, mit dem 105' die Handschrift endet.

Sehrift (eckige Cursiv), Inhalt, Ausstattung mit Miniaturen (die leider der Verleihung der Hds. nach auswärts hinderlich sind) weisen aufs 14. Jahrhundert und Italien. Für die frühestens s. XII ex. verfasste pseudo-boetianische Schrift de disciplina scolastica ist sie eine der &lteren Hdss.9) Dass das Werk in Italien bekannt war im 14. Jahrhundert, zeigen Citate bei Colucius u. A. Das Werk über die Sibyllen ist wohl das des Abts Joachim Floris, der 1201 βίαν.

Die Hds. tritt trotz der Fehler, die der, der merovingischen Minuskel unkundige Abschreiber verschuldet hat, wegen des hohen Alters ihrer Vorlage würdig dem Vossianus zur Seite. Man be- trachte die Ueberschrift des epigr. 34 und des Pythagoricum (idyll. X V), den Anhang zu letzterem, die homerischen Verse, die im Original jeder Periocha vorgesetzt sind.

Wenn wir von dem, was diese Hds. an Ausonianis bietet, ab- ziehen, was schon aus Z durch die ed. princeps mitgetheilt worden ist (Griphus, epigr. 34, Protrepticus, Versus pascales), ferner was durch Ugolet aus Chaleus und Bernieris Hdss. neu publicirt wurde das erste, zweite und letzte Stück dieser Sammlung 9") —, so ent- spricht der rückstündige Rest genau dem, was Avantius in seiner Ausgabe von 1507 Neues gab: Ugoletus und Avantius theilen sich also in den Gewinn, den diese Hds. bot. Ugoletus selbst kann sie nicht in Händen gehabt haben, denn in diesem Falle würde er für die Periochae nicht eine andere Hds. anführen und gewiss dem Avantius nicht eine so reiche Nachlese übrig gelassen haben; er hat von ihr nur die Stücke gegeben, welche Calchus ihm mitgetheilt. Avantius kann die Hds. selbst in Händen gehabt haben, er hätte. sie dann, wie in anderen Füllenf9), für die schon publicirtnn Stücke bei Seite geschoben und nur das von seinen Vorgüngen noch nicht Mitgetheilte abgedruckt. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass er an ihrer statt eine vollständige, von der des Chalcus verschiedene Ab- Schrift gehabt hat, aber gewiss nicht dieselbe, welche heute im

*5 Obwohl durchaus nicht alle sonstigen Hdss. davon ins 15. Jahrh. gehören, wie Obbarius in den Frolegg. zur Consolatio XIX will, selbst eine schlesische Hds. (Breslau, Königl. Bibl. I F 135) ist v. J. 1372. 66) Fabricius IV p. 39—41 M. Eine Hds. dieser und späterer Prophetien (z. B. des Johannes Viennensis aus d. J. 1274) ist der Rehdigeranus 8. IV. 4 p. 8, jetzt n. 280. 9") Denn ep. XXV giebt Ugoletus aus einer andern Quelle. 588 Z. B. bei ep. XXV, die von Ugolet zuerst, aber nicht nach dem Parisinus-Texte, sondern einer unbekannten Quelle, wie später dargethan wird, veröffentlicht worden ist.

224 R. Peiper:

British Museum als Harlejanus 2613 [chart. in 4] 59) sich befindet eine Hds., die uns die Art, wie man damals abschrieb, recht klar vor Augen führt, denn er gibt Paulini ep. in dem vollen Um- fange des Parisinus ohne 167—284 wegzulassen es müssten denn zwei Blätter in der englischen Hds. verloren gegangen sein. Tristan Chalcus kennt wenigstens den Ursprung der Hds. In seinem vaterländischen Geschichtswerke (Historia patria 1. II ad a. 3799) er- zählt er: Nos uetusto codice, ex Ticinensi Vicecomitum Biblio- theca prolato, redintegrauimus et ubi quinque tantum imperfecta habe- bantur, nos decem et octo absoluta Urbium Epigrammata edidimus (n&mlich in Ugolet's Ausgabe), inter quae septimo loco est celebre illud Et Mediolani mira omnia, copia rerum u. 8. w.

(es folgt das ganze auf Mediolanum bezügliche Stück).

Jene von Gian Galeazzo Visconti i. J. 1402 gegründete Samm- lung hatte nur kurzen Bestand.") In dem Jahre als Ugolets Aus- gabe erschien oder im folgenden, wurde sie durch die Franzosen nach Blois gebracht. Wenn in dem Verzeichniss der Bibliothek Franz I. in Blois’®) unsere Hds. sich nicht findet, dürfte man vermuthen sie sei ihrer Miniaturen wegen vor dem Raub in Sicherheit gebracht und in Italien noch lünger geblieben, doch ist es immerhin frag- lich, ob jener Katalog vollstündig ist. Der cod. Paris. lat. 11,400

89) Der Harlejanus enthält dieStücke in anderer Ordnung: f. 1" Epigr.34 f. 9T uereus pascales 2Y ep. XXIII f. 3" ep XXIV 6 Paulini [5 f.6* Paulini IP /f.8—9v Paulini I[e® f.9Y PauliniIe- f.11—16Y Ludus f. 16” Symmachi ep. VII, Ausonii ep. XVII, Symmachi ep. VI f. 18” Theo- dosius Ausonio, Ausonius Theodosio f. 19Y Periochae f. 88 Griphus nebst Vorrede. f. 86 Nochmals Epigr. 34 hier an derselben Stelle wie im Original f. 36” Protrepticus nebst Vorrede. Vor v. 14 steht nochmals der Titel des Epigr. 34. f. 39 Genethliacon f. 397 Pythago- ricum de ambiguitate vitae f. 41—44"Y Catalogus urbium. Er lässt ganz weg ep. XXV, von ep. XXIV die Verse 128—132, von Paulini ep. die Verse 167—284; er verändert der Sitte der Zeit gemäss willkühr- lich Titel und Unterschriften durch Verkürz (wie beim Pythagoricum, wo er iuxta uiam weglässt) oder erweiternde Zusätze und macht sich die Lesarten des Originals zurecht, manchmal recht unglücklich, wie im Schlussvers des Ludus Meditamini, häufig aber nicht ohne Geschick. Dem Ugolet hat diese Abschrift für Ludus nicht vorgelegen, denn er fügt in der Ueberschrift proconsulem, wie Paris. hat, bei, was im Harlej. fehlt; er liest v. 1 des Ludius scripsisse fama, wo Harlej. richtig scripse (statt Paris. scribis et) giebt. Auch Titel und Explicit des Catalogus zeigt näheren Anschluss an Parisinus als Harlejanus. Dasselbe Resultat ergiebt sich für die Periochae aus meinen allerdings nicht umfangreichen Mittheilungen aus dem Harlejanus. 75) Ich kann nur nach Graeuius Thes. antiq. Italiae lI p. 139 citiren, der doch wohl den Text des Chalcus unverändeut giebt, wenn er gleich v. 5 die Variante labro aus Vinetus beifügt. Ist dem so, so citirt Chalcus die Verse nach dem Eustorgianus, nicht nach dem Ticinensis, und darüber darf man sich nicht wundern. Bei Argelati I p. CCCXXIII findet sich v. 1 En Mediolani gedruckt. 7!) Blume Iter I 191, vgl. 1 49, IV 161. °2) H. Michelant, Catalogue de la bibliothéque de Francois I. à Blois en 1518. Paris, A. Franck- Vieweg, 1863.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 995

enthält „catalogae de la bibliothéque du chäteau de Pavie" 1459 bis 1469; vermuthlich hat L. Delisle in seinem, mir der Zeit nicht zugänglichen Werke: Le Cabinet des manuscripts de la bibl. impériale t. I Paris 1868, denselben abdrucken lassen. Ebenso ist mir nicht zur Hand das Buch des Marquis Girolamo d'Adda: Indagini storiche artistiche e bibliografiche sulla librerio Visconteo-Sforzesca del castello di Pavia. Milano 1875, 89. Es dürfte in diesen Schriften über unsere Hds. Nüheres mitgetheilt sein.

Müglich, dass die Hds. nicht blos für Ausonius benutzt wurde. Der Mailänder Priester Hieronymus Passiranus von Asula, ein Mann dessen Verdiensten die Nachwelt zu wenig Beachtung geschenkt hat (Baptista Pius bezeichnet ihn rühmend als Bonorum mare), erhielt, wie man bei Argelati liest ?), für eine Reihe noch nicht heraus- gegebener Schriftsteller ein fünfjähriges Privilegium vom Herzog Ludovicus Maria Sforza. Unter diesen Werken befanden sich des Fulgentius Enarrationes allegoricae fabularum, die nebst einem Commentar von Joh. Baptista Pius ein Jahr vor Ugolet’s Ausonius (1498) bei dem Drucker des Ausonius von Merula-Ferrarius von 1490 und 1497, Uldericus Scinzenzeler in Mailand, die Presse ver- liessen.) Der Fundort der zu Grunde gelegten Hds. wird nicht angegeben. Denen, welchen dieser Fulgentiusdruck zur Hand ist, bin ich durch Bursian's Güte in den Stand gesetzt einige charakte- ristische Lesarten der Pariser Hds, die zur Prüfung der Identität dienen können, mitzutheilen. Dieselbe liest im ersten Buch der Mythologica:

p. 595,2 Stav. ^ causa cessat equitatis.

p. 6021 mundo tenebrescenti respersum universos

mentibus pavores abstersit. p. 602,2 , incessus quos belli corrogaverat interdictum. p. 643,2 (Lc. 14) die angebliche Stelle aus dem Diphilus des Epicharmos lautet hier folgendermassen:

80201€. yAUVH&. YAUDHTISAPLIHNT.

Ich fürchte nur, auch für die Fulgentius-Ausgabe wird, wie in der Copie der Ausoniana, der Abschreiber die Graeca des Parisinus weggelassen haben. Falls diese Stellen Uebereinstimmung zeigten, würden wir Passiranus für den Entdecker der Hds. halten dürfen, der bez. des Ausonius Anderen Mittheilung machte, sei es dem Calchus (denn aus den Worten codice prolato . . redintegravimus ist noch nicht zu schliessen, dass dieser der Finder war), oder wie man eher

'*) Saxius bei Argelati I p. CCCCXVI £, ferner DCIII f. DCVII und DCVIII °) Saxius a. o. Brunet II 340. Muncker setzt diese Ausgabe irrthümlich ins Jahr 1487. Die übrigen Schriftsteller waren Sidonius und Apicius, die beide gleichfalls 1498 erschienen, Varro de lingua latina und Festus, deren Herausgabe erst 1500 erfolgte.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 15

926 Β. Peiper:

vermuthen darf dem Georg Merula: über das Verhältniss dieser Beiden werden wir weiterhin zu sprechen haben.

Wie der rechtskundige Bernieri zu seinen Periochae gelangt war ist schwerlich zu ermitteln, aber bezweifeln darf man, dass er nur die Periochae in Abschrift besessen.5)

II. Die Herkunft der Epigramme des Nursius und Ugoletus.

Weder Ávantius noch Ugoletus haben sich uns bisher in ihren Ausgaben als falsarii gezeigt. Waren dieselben voll von Nachlässig- keiten, so kommt doch sehr viel davon, wenn nicht das Meiste, auf das Haupt der impressores, über welche ja in jener Zeit schwere und gerechte Klage geführt wird. Man vergleiche nur, wie scharf Politianus über die mangelhafte Beschaffenheit der Manuscripte, die Willkühr, Nachlässigkeit und Thorheit der Setzer in einem Briefe an Merula (Epp. XI 6) sich äussert. Fern aber sei es, die Heraus- geber ganz frei sprechen zu wollen; grade die noch nicht behandel- ten Erweiterungen, die sie des Áusonius Werken zugeführt haben, berechtigen uns zur Klage über das sorglose Verfahren dieser Ge- lehrten.

Es handelt sich um die 18 Epigramme, die von Bartholomäus Merula i. J. 1496 dem Drucker Tacuinus für die von H. Avantius zu besorgende Ausgabe versprochen und mitgetheilt worden waren. Sie wären nach Merulas Versicherung superioribus annis in Mailand aufgefunden worden von dem damals in Venedig lebenden, ehemaligen Geheimsecretär der Königin Katharina Cornaro, Franciscus Nur- cisius aus Verona’), Dichter in der Vulgürsprache. Ausser dem, was Maffei in Verona illustrata II (1731) s. 260 f. über diesen Mann βαρὺ 7), der bei ihm Nursio heisst, kenne ich nur die dürftige

75) Ich finde einen “Antonio Bernieri pur da Correggio in età giovanile & miniatore di clara fama! von Tiraboschi genannt, in der neunbändigen Venetianischen Ausgabe 1795, Bd. VII 1555, nach Ortensio Landi Cataloghi p. 498, und in lers Künstlerlexicon (geb. 1516, aus edler Familie, kam nach Verona); diese Notiz kann von Bedeutung sein für die Erforschung der Schicksale unserer Handschrift. ?°) Poeta noster, Veronensis tuus. 17 Da das Buch nicht überall zu lich,

ebe ich Maffeis Bericht: “Francisco Nursio l'anno 1479 essendo d'anni ieciotto, e trovandosi in Ravenna, mando ad Aurelio Schioppi nobile Veronese un Poemetto in terza rima . . . in testo a penna presso il Sig. Conte Emilio Emilj Cavalier di Malta. Lessi gia parimente presso il Sig. Magliabecchi in codice pieno di Poesie volgari del Tibaldeo, del Pico Mirandolano, e d’altri: Francisci Nursii Timidei Veronensis Regii Secretarii carmen austerum in funere Simonettg Vespuccig Florentine ad illustrissimum Alfonsum Calabriae ducem. ... Eranvi ancora altri componimenti e un dialogo burleeco in terza rima con molte parole

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 997

Notiz, die der Asolaner Colbertaldi in seiner Biographie der Caterina zum Jahre 1489 bewahrt: '(Caterina) Essa condusse seco per suo rettore Nicola Priuli per secretario Francesco Amedeo detto per sopranome il Kurzio (sic), eccelenta poeta e non mediocre filosofo, Giovanni Sigismondo, Alemani, per suo medico." ??

Mit dem Hause der Cornaro stand auch Bartholomäus Merula [aus Mantua]'?) in enger Beziehung, als Lehrer zweier Neffen der Kónigin, der Sóhne eines Venediger Senators, denen er 1497 und 1499, wo der eine schon Cardinal und Patriarch von Constantinopel war, vier seiner Ovid-Commentare widmete. Zu diesen Hause hatten auch Tacuinus und H. Avantius Beziehungen, wie die Dedication des Ausonius 1496, des Lactantius 1502, an jenen Cardinal gerichtet, bezeugt.

Der Stand der beiden Männer schliesst eine beabsichtigte Täuschung aus. Wunderbar aber, dass von beiden Gedichtreihen, der des Nursius von 18, der des Ugoletus von 16 Epigrammen jede weitere handschriftliche Nachricht verschollen ist. Denn Bandinis Angabe ΠῚ 804 ff., nach der in einem Laurentianus chart. 8. XV unter vielen Schriften des Philephus die vier “Tetrasticha’ 119, 118, 42, 23 also eins der Nursius-Reihe (n. 118) sich finden, erweist sich sofort als Irrthum dadurch, dass n. 118 nicht 4, sondern 18 Verse enthält; es kann nur 18 oder 120 gemeint zu sein.

Wenn nun Ugoletus die Gedichte, wie wir sie bei Avantius finden, in unveränderter Reihe in calce hätte abdrucken lassen, würde man einfach an eine Nachlässigkeit bei Vertauschung der Vornamen Bartholomäus und Georgius denken dürfen, zu der die Erinnerung, dass Georg Merula schon in der ed. Ferrarii 1490 seinen Beitrag geliefert, Veranlassung gewesen sein konnte, neben der bei weitem den Bartholomäus überragenden Bedeutung des Mannes. Dieser ist es ja wohl auch zuzuschreiben, dass immer und immer Georg Merula als Herausgeber selbst der ersten Ausgabe des Avantius bezeichnet, des Bartholomäus Name beim Ausonius ganz in Vergessenheit ge-

Veronesi. Matteo Bosso [über ihn s. Fabricius bibl med. et inf. lat. I 264 M.] in epistola (l. 3 ep. 59): enumerandus enim iure Nursius mihi uidetur in suauitates humanas, et quas parit in terris natura delicias. Gerolamo Avanzo in lettera, ch’ à con le sue Emendazioni, lo chiama Fenice Veronese. L'Azion Pantea d’altr’ opera sua fa cenno:

Nursius et plorans Daphneia funera rythmo Bilbileo alludens.

Gioan. Tacuino nella dedica di Lattanzio al Cardinal Cornaro nel 1602, cosi gli dice: Nursius ille Veronensis poeta elegantissimus, qui clarus virtute multivaga et mores hominum multorum novit et urbes, in aedibus iam diu consenuit. 1 Angeführt von Mas-Latrie Hist. de Chypre III 447. Herrn Archivar K. Herquet in Aurich verdanke ich den Nachweis dieser xon ihm, in seinem Buche “Charlotte von Lusignan und Caterina Cornaro', Regensburg 1870, s. 220, benutzten Stelle. *?) Ueber in siehe ausser an- deren Fabricius V p. 70 M.

᾿ 16*

228 R. Peiper:

kommen ist®®); obwohl in der That nur was bei der Ausgabe von 1490 von Georg bemerkt wird und ein kleiner Antheil der Ugoletiana auf seinen Namen kommt.?' Aber die Umordnung der Nursius- Epigramme, die Vermengung mit den neuen, die Einordnung einzel- ner aus beiden Reihen in den alten Bestand das könnte die An- nahme nahe zu legen scheinen, dass Ugoletus einer anderen Quelle gefolgt ist.

Wenn wir sehen, wie Ugoletus, ohne der handschriftlichen Ord- nung zu achten, die Stücke 108, 109—114, die in Z von den Epi- grammen getrennt stehen, ans Ende des liber epigrammatum setzt, wie er die drei Fastengedichte aus letzterem entfernt und vor die Caesares bringt, wie er für ep. XXV (418) und die Mosella eine, dem Inhalt mehr entsprechende Stellung zu finden weiss, so müssen wir an sein Bestreben, Ordnung in das Chaos zu bringen, glauben, und auf dies Streben werden wir dann berechtigt sein die Einordnung der Bucula-epigramme 61—63 unter die gleichartigen des alten Stammes, die Verbindung von 85 (Daphne und Niobe) mit 84 (Sal- tator), des Epit. 29 (Niobe 246) mit einer überlieferten Reihe von Epitaphien (250, 248, 54, 245), zunächst mit dem gleichfalls auf Niobe bezüglichen Ep. 28 (245), zurückzuführen.

Es ist aber etwas anderes die Ordnung erleichtern und neuen Funden einen angemessenen Platz geben, als eine durchaus fach- gemässe Ordnung für eine tiberlieferte Sammlung so verschieden- artiger Gedichte herzustellen, ein Unternehmen von dem schon Pietät abhalten konnte.

Solche Pietät kann es aber nicht gewesen sein, wenn er im Anhang die Gedichte gibt quae feruntur ex Georgii Alexandrini bibliotheca manasse. Denn indem Ugolet die Epigramme 108—114 ans Ende transponirt, hat er dort gleichfalls zwischen 103 und 108 einen Einschub von mehreren neuen Gedichten (darunter nur eins der Merula-Reihe, 106) versucht (104, 105, 106, 251, 107): wer Verwandtschaft dieser Gedichte in Inhalt oder Form erwartet, wird enttäuscht; es wird durch den Einschub eher eine Reihe, für die sich allenfalls noch ein Zusammenhang finden liesse, unterbrochen. Wir müssten nun weiter den ganzen Rest der Merula-Epigramme in der alten Ordnung und dahinter die neuen Funde Ugolets erwarten, aber alles das ist wie die Blütter in der cumaeischen Grotte durch den Luftstoss durcheinandergewirbelt, wie der Zufall es wollte. Mag nun die Lust zu ordnen bei Ugolet eine vorübergehende Laune ge- wesen, oder mag er von der vollen Durchführung seines Wunsches

80) Siehe die durchaus falschen Angaben in dem Index editionum der Bipontina zur Ausgabe von 1496, an denen z. Th. wohl schon Saxius bei Argelati I p. CCI und DCII die Schuld trägt. *!) Nur mit diesen Beschränkungen darf also die Aufführung einer Ausonius-Ausgabe unter Georg Merulas Schriften bei Fabricius, bei Roscoe Lorenz v. Medici, übers. v. Sprengel 1797 p. 818 Anm., und anderen für zulässig gelten.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 229

abgehalten worden sein, offenbar ist mit der Scheere gearbeitet

worden, und der nicht gentigend instruirte Setzer, der dem Heraus-

geber in damaliger Zeit viel mehr noch als heutigen Tags tberliess

und überlassen musste, ist nach Gutdtinken verfahren; so sind 140

und 145 (ex Menandro), so die beiden Fortuna-Gedichte 143 und 22

auseinandergerissen; selbst die Aenderung der Ueberschriften mag

nicht der Herausgeber, sondern ein Anderer verschuldet haben; letz- tere selbst werden aber wieder den Beweis liefern dürfen, dass

Ugolet völlig auf Merula fusste (s. unsere weiteren Bemerkungen

zu 106, 142, 145).

Ueber die Herkunft dieser beiden Gedichtreihen werden die folgenden Auseinandersetzungen genügenden Aufschluss geben.

Ausonius hat eine Anzahl seiner Epigramme den Griechen ent- lehnt, die Vorbilder sind uns grossentheils in der Anthologie er- halten und auf ihre Nachweisung hat zuerst Accursius Bedacht ge- nommen. Aus der Vossianusreihe sind folgende mit Sicherheit als

Nachbildungen der daneben genannten griechischen Gedichte er-

mittelt:

23 “ex graeco’ versichern die Wolfenbüttler Hdss. und ed. pr. Anth. IX 44, vgl. 45 Statyllii oder Platonis; dem letzteren gibt es auch Diogenes Laertius III 33, 184.

45 —48, 51, 52 beruhen sämmtlich auf einem oder mehreren griech. Epigrammen, als mehr oder weniger freie Nachbildungen; engerer Anschluss ist sichtbar bei Epigr. 46 = XVI 318 (Planud.) ἄδηλον: 51 XI 145 u. 151 ἄδηλον: 47 und 52 sind auch nur Variationen, vgl. dazu noch XI 149.

72 = IX 159 ἀδέςποτον. Vgl. Huschke, Anal. 140 ff, der den Schlussvers richtig auf Ovid Fast. V 41 zurückführt.??)

84 = XI 254 AouxiàMov. Dübners Tadel Graeco poeta longe in- ferior' trifft die unechten Verse 3— 6.

Aus den durch die ed. princeps bekannten sind es folgende:

11 verdankt sicher einem griechischen Gedichte die Anregung; aber eine bestimmte Quelle, etwa XVI 153 oder 155 (Planud.) zu nennen ist unthunlich.

19 = XVI 275 (Planud.) ἸΤοςειδίππου. 38)

13 = V 21 vgl. V 12, beide ‘Poupivou(?). Vgl. Horat. C. IV 10.

14 = IX 18 l'ecuavixoÜ oder ᾿Αδριανοῦ (nicht IX 17 oder IX 370), vgl. Plin. n. h. VIII 81 leporem omnium praedae nascentem.

21 = XVI 263 (Planud.) ἄδηλον “Ex graeco traductum” ed. pr.

83) In v. 7 giebt certos keinen Sinn, man muss incertos schreiben: Vergil A. II 224: m cum saucius aram Taurus et incertam excussit ceruice securim. *5) Zu v. 7 vgl. Phaedrus 5, 8 cursu sie uolucri pen- dens in nouacula caluus etc. Die Quelle der Carmina burana (LXX VII 1, 8 fortuna fronte capillata sed plerumque sequitur occasio caluata. XVII 7, 10 haec occasio calua) ist nicht Phaedrus, sondern Catonis dist. II 26, 2 fronte capillata, post est occasio calua.

230 R. Peiper:

Vgl. Ο. Benndorf de Anth. gr. epigr. quae ad artes spectant. Diss. Bonn. 1862 p. 32 adn.

24 = VII 229 Aıockopidou Plutarchi Apophthegm. laconica 48.

32 IX 571 v. 7 u. 8 ἄδηλον (nicht IX 506 oder IX 66).

39 = XII 200 Crpéóruvoc (nicht V 42). Ueber die Parallelen s. Boissonade zu XII 200; Burmann Anth. lat. III 225. Den An- fang hat Ausonius aus Martialis IX 32.

49 XVI 174 (Planud.) ἀδέσποτον.

50 IX 489 πιλλαδᾶζν)

55 = VI 1 Πλάτωνος.

57 XVI 160 v. 5 u. 6 (Planud.) Πλάτωνος (vgl. XVI 162 ἄδηλον). Vgl. Benndorf a. ο. 8. 23.

58 IX 713 und 726. ἄδηλα. Der Anfang des Ausonianum weist auf das erste, v. 2 auf das zweite Epigramm; aber völlig sicher ist die Quelle nicht.

73 = XI 114 Νικάρχου (nicht XI 257).

74 = XI 113 Νικάρχου.

79 u. 80 = V 68 Λουκιλλίου οἱ δὲ TToA&uwvoc τοῦ TTovrixoó, dann V 88 “Poupivou(?). 80 ist nur Doublette von 79, wie das griechische V 88 nur eine Nachahmung von V 68. Aber jedem der beiden Ausoniana liegen beide Graeca zu Grunde (80, 1: restringe = 68 trepiypayov; 80, 2: transire iube = 88 μετάθες; 79,1: quod amare uocant = 68 τὸ φιλεῖν: 79, 1: solue misce = 68 Aücnc xepäcnc). Dann kann freilich V 88 nicht von Rufinus sein, oder dessen Zeit muss früher als gewöhnlich ge- schieht, angesetzt werden. Denn dass ein Dichter der Antho- logie Ausoniana in die griechische Sprache übertragen habe, wird bei den Epigrammen*) so wenig wie bei den Epitaphien (gelegentlich deren eine derartige, gegen Canter sich richtende Muthmassung des Stephanus Schneidewin zurückgewiesen hat in Philol. I 8. 24) angenommen werden dürfen.

“Ex graeco' überschreiben beide Gedichte die Wolfenbüttler Hdss., vom ersten sagt es auch die ed. pr., die eine Ueberschrift des zweiten nicht giebt.

93 = XI 163 Λουκιλλίου (nicht XI 161).

94 V 158 ᾿Αςκληπιάδου.

100 = ? IX 783 ἄδηλον. Mag fraglich scheinen, jedenfalls liegt Ovid. M. IV 884 mit zu Grunde.

119 = XI 225 (τράτωνος.

Epit. 28 (245) = XVI 129 (Planud.). Vielleicht ist auch dies aus Anhängen zum Peplos genommen, vgl. unten 8. 236 f.

Noch manches andre Ausonianum mag sich auf ein griechisches

*) Vinetus zu Epigr. 85 bez. des Palladus: quare qui Ausonium Graecorum semper interpretem fuisse existimant, uideant quam tuto id

2 a int, Siehe desselben Vermuthung zu Epigr. 50 und Epit. 246).

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 231

Epigramm, das wir heut nicht mehr besitzen, gründen. So das oben zu 13 genannte Epigr. 19, welches doch nimmer auf Attusia Sabina, die erst 28 Jahr alt starb, bezogen werden kann, oder sollte dies durch Anth. V 103 (‘Poupivov) veranlasst sein? Es liegen aber bestimmtere Hinweise auf verlorene griechische Quellen vor in den Epigrammen 81—83. Zu 81 giebt ed. pr. als Titel: Ex graeco traductum ad cupidinem, die Wolfenbüttler Hdes.: ex greco, Tilianus lässt ihn ganz weg, der Vossianus:

ex greco apAhe To INNICI T! autoc d. h.: ἀρχὴ (δ)έ τοι ἥμιευ παντός

ein aus Plato (Legg. VI 753 E) Lucian (Somn. $ 3; in Hermotim. 8 3),

Demetrius (περὶ &pu 8 122) u. a. bekanntes, von den Paroemiographi

(Diogenianus II 97 bei Leutsch und Schneidewin Bd. I 213) nicht

übersehenes Hemistichium, das auf Hesiod (€. x. H. v. 40) zurückgeht. Die Ueberschrift von 82 lautet im Vossianus:

ex greco AXAPIC AAUTIOYC AXAPIC XapIC

und so gibt, wenn wir von Wortverbindung und Accent absehen, auch die ed. pr.:

χάρις (& βρ)αδύπους ἄχαρις χάρις

(In den Wolfenbüttler Hdss. fehlt das Epigramm, im Tilianus der Titel.) -

Dieselbe Quelle liegt offenbar dem Epigramm der Anthol. X 30 zu Grunde, im Palatinus als ἄδηλον bezeichnet, von Planudes auf Lucian zurückgeführt:

ὠκεῖαι χάριτες γλυκερώτεραι᾽ fjv δὲ βραδύνῃ, πᾶςα χάρις κενεὴ μηδὲ λέγοιτο χάρις.

Man vergleiche den Gegensatz in X 37:

fi βραδύπους βουλὴ ver’ Aueivwv’ fj δὲ ταχεῖα αἰὲν ἐφελκομένη τὴν μετάνοιαν ἔχει.

Mit ‘Ex eodem^ wird in Voss. und ed. pr. auf dieselbe Quelle für die Doublette Epigr. 83 zurückgewiesen; die in ihrem Ausdruck übrigens sehr stark an Seneca de benef. II 1, 2 erinnert: Ingratum est beneficium quod diu inter manus dantis haesit etc.

Die griechische Spielerei über Bacchus Epigr. 29, die Vinetus nebst 30 mit Unrecht als Ausonisch anzweifelt, enthält im Ausdruck Reminiscenzen an die Anthologie, wie natürlich erscheinen muss. Zu v. 2:

Βάκχος ἐνὶ Zwoicıv, ἐνὶ φθιμένοιειν ᾿Αδωνεύς

vgl das oben angeführte, allgemein im Alterthume bekannte Epi- gramm des Plato Anth. VII 670 (Poetae lyrici graeci ed Bergk, ed. II p. 493 n. 15):

282 R. Peiper:

᾿Αςτὴρ πρὶν μὲν ἔλαμπες Evi Zwoicıv Ἐῷος, γῦν δὲ θανὼν λάμπεις "Ectepoc ἐν φθιμένοις.

oder Planud. IV 4, 12 v. 6 (Bosch.): Καὶ Zwoic ἔςομαι καὶ φθιμένοιςει βαρύς.

Mehrfach scheint Lucianus und Plutarchus des Ausonius Quelle zu sein, der erstere für Epigr. 27, welches den Alciden als Urheber der Cyniker hinstellt. Vgl. Lucian Sympos. s. Lapithae 16: Προπίνω cot, Κλεανθὶ, Ἡρακλέους ἀρχηγέτου, und weiter: ἐγελάςατε, εἰ τῇ νύμφῃ προὔπινον ἐπὶ τοῦ ἡμετέρου θεοῦ τοῦ Ἡρακλέους. Zu Epigr. 44 de Philomuso verweist schon Vinetus auf Lucians Rede πρὸς ἀπαίδευτον καὶ πολλὰ βιβλία ὠνούμενον. Cf. Adv. Iud. 6, 19, 29, 18. Plutarchs ἀποφθέγματα haben vielleicht dem Auso- nius das Gedicht des Dioskorides gewiesen, dem er Epigr. 24 nach- gebildet hat, sicher das in den Handschriften darauf folgende Epigr. 25 de maire Lacaena (apophth. lac. 15).

Zu einem kleineren Theile liegt offenbar die Anregung in einer lateinischen Quelle.

5 ist aus Vergil ecl. VII 35 f. entnommen.

17 stammt aus Ael Spartiani Hadrianus 20, 8 “iam hoc patri tuo negaui’, vgl. die Ausdrücke canescenti und infecto capite beim Historiker. Wenngleich Capitolinus im Verus c. 5 (1 71 Peter) es als ein notissimum dictum de numero conuiua- rum bezeichnet: 'septem conuiuium, nouem uero conuitium’, so werden doch Ausonius Worte in der Ephemeris locus inuitationis (155) v. 5 die Worte ‘sex enim conuiuium cum rege iustum, si super conuitium est’ als direct diesem Schriftsteller ent- nommen gelten müssen.

20 (Meroe a mero dicta) hat Vinetus richtig auf Apuleius Met. I c. 7 ff. zurückgeführt,

126 haben, wie derselbe Erklärer gesehen, ihre Vorbilder in den

Priapea 7 und 67 Bücheler (1622 u. 1688, Meyer).

69 beruht auf Plinius n. h. VII 4, 36. Dass Ausonius dies Werk lieb gewonnen, wissen wir aus Symmachus (epp. I 24), der ihm darum einige Bücher davon zusendet.

Aehnliche Quellen lassen sich für die Epigramme des Nurcisius und Ugoletus nachweisen.

Aus der Anthologie stammen bei dem erstgenannten:

118 = XVI 151 (Planud. IV 9, 24) ábécrorov. 137 = IX 168 (Pl. I 17, 1) Παλλαδᾶ. 132 und 133 ΞΕ IX 12 Λεωνίδου vgl 11 und 13 (Pl I 4,2, vgl.

1 und 3), die jedoch nicht als Vorlagen anzusehen sind.

43 XVI 174 (Br IV 12, 22) ábécrorov.

106 = XVI 178 (Pl. IV 12, 26) ᾿Αντιπάτρου.

22 = IX 45 Πλάτωνος τοῦ μεγάλου (Pl. I 84, 1).

121 = IX 515 Κριναγόρου (PL ...), vgl. 516 (und Pl. XVI 126

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 298

und 136 Bosch.), wenn nicht vielmehr Musaeus v. 95 f. (das Gedicht wurde zuerst 1494 bei Aldus herausgegeben) zu ver- gleichen ist:

οἱ δὲ παλαιοί τρεῖς Χάριτας ψεύςαντο πεφυκέναι᾽ εἷς δέ τις Ἡροῦς ὀφθαλμὸς γελόων ἑκατὸν Χαρίτεςει τεθήλει.

136 = XI 279 (Pl II 10, 2) Λουκιλλίουῦ Einige Hdss. schreiben das Gedicht nach Stephanus Zeugniss dem Palladas zu, dessen es würdiger ist nach Dübners Ansicht, die ich bei Vergleichung von IX 173 ἸΤαλλαδᾶ gern theile.

145 = X 26 (PL 112, 6) Λουκιανοῦ. Parallelen (wie Isocrates ad Demon. c. 3) giebt F. Jacobs. Das 'ex eodem' der Ausgabe weist auf die Ueberschrift von 140 ‘De ingratis, ex Menandro' zurück: Meineke hat das Stück, trotzdem die späteren Aus- gaben seit Ugolet flottweg “Ex Menandro’ geben, mit Recht verschmäht. Epicuri dürfte es eher heissen; vgl. das verwandte Pithoeanische Epigramm bei Riese Anth. lat. n. 911 (Burm. III 149, Meyer 1564, vgl. 1308, Choerilus ap. Athen. VIII 3 p. 336 II 111 Meineke, vgl. Choerilus ed. Naeke s. 254) für dessen Zurückführung auf Epicurus Burmann I p. 595 den Grund angiebt

Cum te mortalem noris, praesentibus exple Deliciis animum: post mortem nulla uoluptas.*)

Der Fehler wird dadurch entstanden sein, dass Nurcisius oder Merula die ursprüngliche Ordnung 116 (Epicuri opinio), 145, 140 in 116 140, 145 irrthümlich geändert hat. Ferner bei Ugoletus: 122 = XI 104 (Pl. II 32, 13) Λουκιλλίου. 129 XVI 136 (Pl. IV 9, 8) ᾿Αντιφίλου. 130 = XVI 137 (Pl. IV 9, 9) Φιλίππου. Das Schlussdistichon aber mit Timomachus Namen setzt Kenntniss von XVI 138 voraus, vgl Benndorf, a. O. s. 64. 139 = VII 396 (Pl. III 14, 2) Biávopoc. 61 IX 721 ᾿Αντιπάτρου. 62 = IX 715 'Avaxpéovroc. (Pl. IV 7, 9. 3. 18.) 63 IX 730 Δημητρίου Βιθυνοῦ. 85 = XI 255 (Pl. II 38, 3) ΠΠΙαλλαδᾶ. Epit. 34 (251) = VII 224 (Pl. III 12, 12) ábécrorov. Anderen griechischen Quellen entstammt bei Nureisius: 140 die Angabe “ex Menandro ist richtig; das Stück ist dem Sto- baeus (Florileg. p. 31, 11, bei Meineke Comicorum rell. IV 325) entlehnt. Diesselbe Quelle liegt zu Grunde für

*) Vgl. Catonis dist. II 2, 2: Cum sis mortalis; quae sunt mortalia cura.

234 R. Peiper:

117, ein Fragment von Μενάνδρου Ἐπιτρεπόντων, welches Sto- baeus aufbewahrt hat (Tit. XXX =A 7, t. II p. 24 Mein, Comicorum rell IV p. 119 incert. CDLXXII, daraus Mono- sticha v. 34).

144 steht freilich in der Anthologie VIL 670 TTAatwvoc (Pl. IIL6, 28); dürfte indessen eher dem Diogenes Laertius (III 29 p. 182), oder Apuleius de mag. c. 10 entnommen sein.

Bei Ugoletus:

Epit. 29 (246) wird gleichfalls nicht der Anthologie VII 311 (Pl. III 7, 3) ἀδέςποτον entlehnt sein; bei Planudes ist es ᾿Αγαθίου ςχολαςτοκοῦ überschrieben, dem es auch das Scholion des Demetrios Triklinios zu Sophokles Electra 150 zuweist es kommt hier nicht darauf an, ob es, wie Brunck meinte, ülter ist als Agathias: die Hauptsache wird die Quelle sein, aus der der lateinische Verfasser es geschüpft, und ich zweifle nicht, dass wir als solche den Eustathius Macrembolita, der zwischen 850 und 988 lebte, annehmen müssen; s. Eustathii Macr. de Hysmines et Hysminiae amoribus rec. J. Hilberg, Vindob. 1876, S. 201 ff.

Auf lateinische Quelle geht zurück bei Nurcisius:

116 das ist nicht aus Diogenes Laertius X 139 genommen, sondern wie der Wortlaut zeigt, direct dem Cicero nat. deor. I 17, 45 und 130, 85 nachgebildet. Auf einer römischen Inschrift beruht,

epit. 38 (255), zu welcher Scaliger eine Parallele nachgewiesen hat aus Lactorate in Novempopulonia; man vergl. auch Anth. 1514 Meyer:

Olim non fuimus, nati sumus, unde quieti nunc sumus ut fuimus; cura relicta. Vale!

Bestimmte Quellen für 142 und 143 sind nicht nachweisbar, das letztere kann durch Anth. IX 180 Παλλαδᾶ veranlasst sein: aber wer hütte nicht diesen locus communis in Vers oder Prosa gut oder schlecht ausgeführt. Die Ueberschrift von 142 lautet bei Nur- cisius Aliud de uxore", es muss also ein Epigramm de uxore aus- gefalen sein. So wies bei Nurcisius 133 'Aliter in caecum et clau- dum' auf 132 in ‘caecum et claudum", 22 ‘de eodem (lies eadem) exemplum? auf 143 “de uarietate fortunae", bei Ugolet 130 “Aliud in eandem? auf 129 “in Medeae imaginem" zurück. Der Ausfall eines Epigramms ist auch bei Ugolet wahrscheinlich; 141 de Demosthene handelt nicht von Demosthenes, und wenn man ex Demosthene schreiben wollte, wer würde dem Redner diese Worte geben wollen; die doch offenbar aus den Disticha Catonis entlehnt sind; es sind die ersten Absätze von IV 23, 21 und 27:

Disce, sed a doctis! Exerce studium! Discere ne cessal

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 235

welche in je einem Hexameter ausgeführt, bez. varürt werden. Der sinnlose dritte Vers:

quae didicisti aut dum discendo absumere tendas,

war leicht zu corrigiren: Q. d., haut dediscendo a. t.

Es hat sich also, wie mehrfach in der Salmasianischen Antho- logie (vgl. Peiper Rh. M. XXXI s. 186, 187, 188, 191) die Ueber- schrift erhalten, das Epigramm mit der folgenden Ueberschrift ver- loren. Wenn wir nun den Demosthenes nicht ein einziges Mal, weder in der griechischen noch lateinischen Anthologie genannt finden, dürfte man vielleicht die Vermuthung wagen, es habe als Parallele zu dem echten Epigramm 55 Lais die Uebertragung von Anth. XI 266 Λουκιλλίου

Ψευδὲς Econtpov ἔχει Anuocdevic εἰ γὰρ ἀληθές ἔβλεπεν, οὐκ ἂν ὅλως ἤθελεν αὐτὸ βλέπειν.

in der Reihe der Ugoletiana ehedem ihren Platz gehabt und den- selben durch eineh sorglosen Abschreiber oder Setzer bis auf die Ueberschrift, deren Verstümmelung sehr natürlich, eingebtisst.

Wir dürfen bei dieser Rechnung die Epitaphia nicht berück- sichtigen, da diese ein geschlossenes Werk bilden, welches Ausonius einer namenlosen griechischen Sammlung nachgebildet hat, wie er in der Vorrede erklärt, offenbar dem Aristotelischen Peplos in der Ge- stalt etwa, den derselbe in der Florentiner Hds. hat. Im Vossianus umfasst die Reihe epit. 1—26 Helden des troischen Kriegs; ohne neue Rubrik schliessen sich an Niobe: 27 und 30; Diogenes: 31 nebst Epigr. 53 und 54; 36 nebst Epigr. 35, 37, 32 homo felix, Lucius, equus Augusti, Carus, Matrona. Nr. 28 und 33 fehlen im Voss., müssen also zu den Epigrammen gerechnet werden, 38 findet sich unter den fraglichen des Nurcisius, 29 und 34 unter denen des Ugoletus.

Die Uebertragung ist eine ausserordentlich freie, wenn wir einige wenige Gedichte ausnehmen; wie hätte auch die Dürftigkeit der Originale dem Römer genügen kónnen?**) "Viele haben mit der griechischen Vorlage nur den Namen des gefeierten Helden gemein, andere sind durch Züge aus Homer (wie 4 Achilles), Vergil, Ovid (Aiax 3) u. a. erweitert, der Name Maro wird in dem einen (13) ge- radezu genannt*5*) und wie für 13, so ist Vergil für 9, 19 und 23, wenn nicht die einzige, doch die Hauptquelle, wie schon Vinetus er- kannt hat. Aber selbst nur eine so üusserliche Anlehnung an ein griechisches Vorbild lässt sich bei Ausonius nicht überall nach- weisen: wie er eine grosse Zahl der in der griech. Sammlung ge-

**) Vgl. Εἰ. W. Schneidewin, de peplo Aristotelis, Philol. 1 (1846) s. 24. 55 In dem von Nureisius stammenden Epigr. 118 beruht die Nennung Vergils auf dem griechischen Originale.

236 | R. Peiper:

nannten Helden übergangen hat, so hat er andere, wie es gerade der Gang seiner Studien oder seine Laune fügte, dazu gewählt, die dort nicht berticksigtigt sind: daraus auf grössere Verluste der griechi- schen Sammlung zn schliessen, sind wir nicht berechtigt; alles weist uns im Gegentheil auf eine den erhaltenen ziemlich &hnliche Hds. des Peplos hin®®), der schon damals manchfach mit fremdartigen Be- standtheilen versetzt (wie Auson. epit. 3 = Asclepiades Anthol. VII 145 = Peplos 7 Bergk bezeugt), nur vielleicht noch etwas vollstän- diger war als die uns bisher zugünglichen Exemplare, wie man aus der Anwesenheit von epit. 8 Anthol VII 144, einem, wie Jacobs erkannt hat, aus dem Peplos stammenden Gedichte, schliessen darf.?") Zur Anfügung der dem trojanischen Kriege fremden Epigramme konnte der Vorgang der griechischen Sammlung den Ausonius be- rechtigen.

Sicher gehen auf ein Gedicht des Peplos oder der Anthologie zurück: ep. 2 (3 Bergk), 3 (7 B. Anth. VII 145), 7 (11 B.), 8 (Anth. VII 144 und Peplos 11 B.), 11 (32), 14 (Anth. VII 139), 21 (M. Schmidt, Philol. 23, 5. 66, hat das Distichon auf Oedipus, welches aus Porphyrius bei Eustath. Od. À 588 p. 1698 erhalten ist, fr. 7 bei V. Rose, Pseudo-Arist. S. 579 damit verglichen), 24 (vgl. Tzetzes Hom. 489, V. Rose S. 577). Von den Epitaphien des Anhangs sind die drei auf Diogenes epit. 31, epigr. 53 und 54 der Anthologie VII 64, VII 66 -]- XVI 333, IX 145, das des Carus der Anthologie VII 228 nachgebildet.

Bei aller Aehnlichkeit zwischen dem handschriftlichen Ausonius und den Epigrammen des Nurcisius und Ugoletus bezüglich der Quellen und ihrer Benutzung finden sich doch gewaltige Unterschiede. Ein- mal bezüglich der statistischen Verhültnisse selbst wenn wir an- nehmen, dass noch mehr Epigramme des Ausonius als wir derzeit nachzuweisen im Stande sind, auf Anregung der Griechen und früherer lateinischer Auctoren beruhen. Denn von 113 echten Epi- grammen waren wir nur im Stande etwa den dritten Theil auf solche Quellen zurückzuführen, von den 34, die Nurcisius und Ugolet hinzubrachten, sind wir nur mit 4 im Rückstande bezüglich eines solchen Nachweises (134, 115, 104, 105). Zweitens fanden sich schon für Mehrere bei Nurcisius und Ugolet Quellen, die der Zeit des Ausonius offenbar fremd sind. Als durchaus sicher werden wir die Verfassernamen auch in der Anthologia Palatina nicht betrachten dürfen; ebenso werden die Angaben über die Lebenszeit der ein- zelnen Dichter noch mancher Berichtigung bedürfen. Wenn wir daher Rufinus als Verfasser mehrerer Gedichte der echten Ausoniana finden

86) S. auch M. Schmidt in Philol. 23 (1866), S. 61. *7) S. Schneide-

win a. O

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 237

(13, 88), so wird nicht ohne Weiteres die Richtigkeit der Angabe zu bezweifeln, sondern eher das Zeitalter des Rufinus danach zu be- stimmen sein®®); finden wir den Palladas als Vorbild für eine einzelne Nummer, 50, so werden wir diesen Namen anfechten dürfen, so gut wie Brunck es aus triftigen Gründen bei Anth. X 32 gethan (ein Epigramm, das schon bei Lycophron und Athenaeus erwühnt ist), wir müssten denn annehmen, dass ein Stück sehr ähnlichen Inhalts dem Ausonius wie dem Palladas vorgelegen habe; finden wir ihn öfters, wie bei Nurcisius und Ugolet (137, 136, 85), werden wir ge- gründete Ursache haben, diese Reihen dem Ausonius abzusprechen und einem jüngeren Verfasser zuzuweisen. Dann werden wir uns auch nicht wundern, dass solche griechische Epigramme, die nur durch die Planudea auf uns gekommen sind, in verhältnissmässig grüsserer Zahl sich als Vorbilder für die fraglichen, denn als solche der echt Ausonischen Epigramme ausweisen (bei diesen 6 auf 35, bei jenen 5 auf 19), ja dass keins der nachgewiesenen Vorbilder in der Planudea fehlt, wührend doch wenigstens für 2 der echt Ausoni- schen (39, 94) dieselben nur in der Anth. Palatina sich finden, in der Planudea fehlen. Die Disticha Catonis werden wir nun, auf spätere Zeiten gewiesen, gern als Quelle gelten lassen: wir werden zu den Werken greifen, die am Ausgange des fünfzehnten Jahr- hunderts gedruckt oder ungedruckt die Quellen des gelehrten Wissens waren, und Eustathius, Stobaeus, Diogenes Laertius ohne Wider- spruch als die anerkennen, bei denen der Epigrammatist seine An- leihe gemacht hat. Zu all den oben aufgeführten Quellen aber wird eine Hauptquelle oder Anregung hinzutreten: die echten Gedichte des Ausonius selbst.

Von diesem Standpunkte aus betrachtet, treten viele Sonderbar- keiten, über die übrigens meistens Erklürer und Grammatiker recht flüchtig hinweg geglitten sind, wenn sie sich überhaupt damit zu be- fassen gewagt, in ein anderes Licht und finden ihre gerechte Wür- digung.

Zunächst werden wir uns veranlasst fühlen im Ganzen und Grossen den Standpunkt, den Ausonius, und den der Ver- fasser der Nursio-Ugoletiana den griechischen Vorbildern gegenüber einnimmt, zu prüfen und es wird sich ein gewaltiger Unterschied ergeben. Für Ausonius gilt das Wort des Accursius: ‘feliciorem plerumque metaphrasten Ausonium quam interpretem fideliorem agnoscas' und an anderer Stelle (zu ep. 118): “Ausonius quidem rem exornans, ut ingenium dexteritasque eius fuit, graeco epigrammati, unde suum finxit, hunc uersum (v. 10) cum hexametro et annexos statim duos ac quatuor ultimos adiecit. Und so trifft auch Vinetus das Rechte, wenn er, freilich gelegentlich der willkühr- lichen Ergänzung von ep. 84 in Ugolets Ausgabe, bemerkt ‘ut sit

88) Vgl. Bernhardt II 678.

238 R. Peiper:

luce clarius nostrum in plerisque non interpretis sed imitatoris condi- torisque perfunctum munere, multaque aut aptius comminuisse aut locupletius communiuisse excoluisseque et ueluti coloribus aspersisse'. Ausonius ist Dichter, der andere ein geistlorer, schülerhafter Ueber- setzer. Ausonius greift gewisse Epigramme wegen besonders an- ziehender Momente heraus und frei arbeitet er diese Momente um; selten nur (und auch dann nicht in der Absicht, das Original getreu in sein Latein zu tibertragen) schliesst er sich enger an den Wort- laut an: hauptsüchlich findet das bei kurzen griechischen Vorlagen statt, die die Pointe schon prägnant genug ausgeprägt enthielten (wie 21, 74, 94, 119), dass ein Aendern Unverstand gewesen wäre. Einer strengeren Uebersetzung fügt er wohl eine Pointe hinzu, wie der Unterschied des Römers vom Griechen erforderte (epit. 28). Wenn darum die Erklärer der griechischen Anthologie, im besonderen F. Dübner, so häufig berichten: “dies oder ein diesem ähnliches Epi- gramm hat Ausonius tibersetzt’, so liegt darin abgesehen von der unwahrscheinliehen Annahme, dass eine so erhebliche Zahl griechi- scher Epigramme, die Ausonius in den Gedichtsammlungen seiner Zeit gefunden, nach der Zusammenfassung derselben in grössere Sammlungen, verloren gegangen ein Misskennen der Ausonischen Dichtungsweise. Wenn aber die Kritiker beim Vergleich mit dem Originale den Dichter tadeln, so trifft dieser Tadel meistens nicht die Person des Ausonius, sondern den Charakter des Volkes und der Zeit, aus denen heraus er dachte und dichtete; oder sie tadeln, wie Dübner bei ep. 84 'graeco poeta longe inferior’, Verse, mit denen, wie wir nun wissen, er nichts zu thun gehabt. Denn die Nursio- Ugoletiana stellen Uebertragungen dar, in die der Uebersetzer nicht vermocht hat vom eigenen Geiste etwas hineinzulegen; es sind traurige Producte den Versuchen z. B. eines Traversari gegenüber wie künnten sie gar mit der Leistung eines Grotius in die Schranken treten. Der beiläufige Tadel, der ihnen von Vinetus u. a. gezollt wird ('lepidius multo mehercule graece’, Vinet zu ep. 63), steht nicht im Verhältniss zu ihrer Dürftigkeit. Schon in dee Wahl der Stoffe zeigt sich das, in den Fällen, wo freie Wahl ihn leitete (s. unten): die metrische Einkleidung eines bekannten Sprüchleins ist ihm die Hauptsache; ob der Spruch die Mühe verdient, ob das Stüfflein eine Pointe bietet, lässt den Verseschmied gleichgültig. Mangel an Witz macht sich hier wie in den lateinischen Komödien des 15—16. Jahr- hunderts in Italien breit (man sehe nur die platten Verse 134 de diuite et paupere), aber man findet doch sonst bei den Italienern jener Zeit mehr Feinheit in der Form. Das Misskennen dieser Müngel hat die Kritiker hier und da zu gewaltsamer Besserung verleitet: so hat man wenigstens einen kühlen Wortwitz in 142 einzuführen versucht (uxorem abigere®®), subigere ancillam), vergebliches Be-

*") Vielleicht ist habere nur aus hauere verschrieben.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 239

ginnen! Man muss diese Erzeugnisse nehmen als. das, was sie sind: Beiträge zur Geschichte Ausonischer Studien, aber darf sie auch nicht länger dulden unter den Werken des Ausonius, die durch diese Ge- sellschaft verunziert werden.

Es lassen sich für eine nicht unbedeutende Anzahl der Nureisius- und Ugolet-Epigramme bestimmte Beziehungen auf die echten Ausoniana nachweisen, welche dieselben schlagend als solche 'studia Ausoniana' charakterisiren, als metrische Versuche hervorgerufen durch die Beschüftigung mit dem neu erstandenen Dichter, im be- sonderen durch die Vergleichung der Ausonischen Muse mit ihren Vorbildern; sie entstanden also ohne Zweifel nach der Herausgabe der ed. pr., aber vielleicht schon vor der Veröffentlichung der Antho- logie durch J. Laskaris.

Ausonius hat auf seine Weise in ep. 42 das epigr. XVI 174 behandelt: die Nurcisiana geben dazu die strenge Uebersetzung in 43.

Von den 11 Bucula-Epigrammen 58 —68, für die doch un- zweifelhaft die Anregung in der Anthologie gegeben war, lässt sich eine bestimmte Quelle nur bei 61—63, d. h. den unechten, nach- weisen.

22 ist mit Kenntniss von und in engstem Anschluss an Auso- nius 23 gefertigt.) Wer solche Kenntniss nicht besass, dessen Ueberseizung musste sich naturgemäss ähnlich gestalten wie die des Ambrosius Traversari?!):

Deposuit laqueos aurum uir nactus: at aurum non nactus laqueis tristia colla ligat.

Desselben Traversi Uebersetzung vergleiche man bei 144??):

Iam dudum uiuis fulgebas Lucifer, at nunc defunctus luces Hesperus exanimis.

85 würden wir schwerlich unter den Ugoletiana finden, hätte nicht Ausonius 84 übersetzt, (Ob Ugoletus selbst erst als Heraus- geber, oder jener Ungenannte Epigr. 84 auf Grund der Anthologie vervollständigt hat, kann fraglich erscheinen: ich entscheide mich für das erstere.) 121 verräth seine Beziehung auf 32 deutlich genug ep. 34 wurde als Gegenstück zu ep. 32 und 33 gedichtet. Wir dürfen erwarten, dass der Italiener zu eigenen Versuchen, die er den Áusonianis zur Seite stellte, sich anregen liess, und in der That haben wir davon ein klares Beispiel an dem Epigr. an Galla 105,

90) Ausonius wird gewissermassen corrigirt, seine Worte stren er ans Original angelehnt (ἔλιπε βρόχον liquit laqueum, ὃν λίπεν quo derat, wodurch postquam vermieden wird; zur Füllung durch Fremdes muss aber doch auch der Corrector seine Zuflucht nennen: qui limina mortis inibat, ouans, periit) ?!) Diogenes Laertius de vitis philoso- phorum traductus a fratre Ambrosio. Venetiis per Pelegrinnmn de Pas- qualibus. 1494 (Neudruck der Ausgabe Rom 1475) f. XXXIIv. 92) f. XXXII*,

240 R. Peiper:

welches das echte Epigr. auf Galla (Auson. 13) zur Voraussetzung hat. Kein Wunder, wenn dem Verfasser ein Seitenstück nicht ge- nügte, sondern dass er in Uebertragung mehrerer derselben Art, zu der ihm die Anthologie hauptsächlich den Stoff lieferte, sich ver- auchte: So feierte er im Anschluss an die vorhandenen Epitaphien Dido 118 und Niobe 246, Medea 129, 130, die fratres Thebani 139; auch Penelope 135 mag darum ihren Platz hier erhalten haben; endlich 255. Zu den Rufus-Epigrammen gesellen sich die gegen den Grammatiker gerichteten 136, 137, zu den anderen satirischen Stücken die auf Delia 104, Furippus 115, Faustulus 122, Uxor 142; den Praxiteles-Bildern der Venus das des Apelles 106 (dies und 43 schon im ersten Druck neben einander gestellt), endlich eine Reihe sententiöser und parabolischer Verse (116, 117, 140, 141, 143, 145, 134, 132, 133, 134) im Anschluss an 81 ff.

Die Spuren des 15. Jahrhunderts machen sich in der Wahl der Stoffe wie nicht minder in der Grammatik und Prosodik geltend. Das epitaphium latinae viae (255, epist. 38) erinnert uns an die neu erweckte Neigung, Inschriften zu saınmeln. Von einer hybriden Zu- sammensetzung wie sie in Furippus a furendo und Furippus a fu- rando in ep. 115 geboten wird, kann doch wohl in alter Zeit nicht die Rede sein, trotz eines Pseudo-Cato, Pseudo-Damasippus bei Cicero. Die siebente Zeile von ep. 139 bietet uns zwiefachen Anstoss der Art:

atque utinam et Thebas quissent partirier ipsas.

Ein quissent darf für ziemlich ungewöhnlich gelten (Neue II 399, Kühner I 8. 529), einen Infinitiv auf -er las man einst wohl im Ausonius: Ludus v. 88 Solon 16 nach dem Vossianus, mit dem auch Parisinus stimmt:

proinde miseros aut beatos dicier

euita. Die Aenderung in dicere, für die auch Scaliger sich aussprach, darf heute als sicher gelten. Ueber das vereinzelte Erscheinen dieser Form s. die Zusammenstellung bei Kühner I S. 450. Im 15. Jahr- hunderte taucht sie wieder massenhaft auf: Leonardus Brunus hat in seiner Polyxena inficiarier, labefactarier, dicier zweimal, darier, insidiarier. Kaum dürfte ich mich täuschen, wenn ich aus einem missverstandenen Archaismus die Erklärung für ep. 140, 1 entnehme, den der erste Druck so gibt:

ingrato homine terra peius nil creat; der Verfasser mag auf homonem fussend, das Priscian und Servius aus Ennius beibringen (vgl Paulus Festi exc. p. 100, 5 M.), schon die seinen Versen zu Grunde liegende Plautus-Stelle Bacch. III 2, 9 394 R.: Nam pol, meo quidem animo, ingrato homine nil impensiust, sich durch Einsetzung von homone lesbarer gemacht, und dann

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 241

diese Form in sein Gedicht übertragen haben. Vom griechischen Original hat er nur v. 2 in seinem v. 5 wörtlich wiedergegeben: das uicinus, hospes des zweiten Verses scheint aus Horst. ep. II 2, 132 entlehnt; der dritte Vers, der wie der erste, mit Unrecht gewalt- same Umänderungen durch Gronov und Salmasius erfahren, dürfte gelautet haben, mit einziger Aenderung der Silben et genus:

et si qua genera sunt maligna ciuium. Ich entnehme das Wort dem 17. Verse derselben Plautus-Scene: iustus iniustus, malignus largus, tristis commodus.

Mehr als diese Einzelnheiten noch erinnert uns an die angegebene Zeit ein moderner Ton, der allerdings bei den italienischen Epi- grammatisten, die sich an Ausonius gebildet haben, nicht immer so sehr hervorsticht. Mit einigem Rechte konnte allerdings der Conte Nicolo d' Arco (s. Maffei, Verona illustr. II 293) von Avantius rühmen:

Qui Avantii modulos et hos et illos,

Qui deinde Ausonii poema cernet,

Avantii aut modulos putabit esse

Utrosque, Ausonii uel esse utrosque.

Von der Armseligkeit, die in diesen Stücken waltet, gibt die Wiederholung derselben Wendungen Zeugniss, die selten durch das Griechische bedingt ist.

Vgl. 129, 3 rerum in diuersa, 139, 4 in diuersa sui.

129, 6 alterutrum uideas, ui sit in alterutro, 132, 2 quo caret

alteruter, sumit ab alterutro.

129, 2 Voluentem in natos crudum animo facinus, 130, 2 In

natos crudum uoluere mente nefas.

129, 7 cunctantem satis est, 130, 10 Cunctantem nur für 130 gab das griechische Original dazu Veranlassung.

129, 4 ut ne picta quidem 7 quin ne picta quidem: eine wenig geschickte Wiedergabe des Griechischen v. 2 καὶ ἐν εἰδώλῳ v. 5 καὶ ἐν κηρῷ.

Der Grieche gibt v. 3 f. folgendermassen:

A τις ’Incwv δεύτερος Γλαύκη τις πάλι cor πρόφαεις; der Italiener:

Numnam te pelex stimulat? numne alter Iason altera vel Glauce sunt tibi causa necis?

Aus Ungeschick hat der Uebersetzer baaren Unsinn geschrieben; denn das ist es doch, wenn man unter pelex nur die wirkliche Glauce ver- stehen kann. Nicht immer hat er es bei wenig Worten bewenden lassen, auch geschwätzigere Erweiterungen des kurz gefassten Ge- dankens des Originals verschmäht er nicht: ep. 122 macht er aus einem Verse drei:

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 16

242 R. Peiper:

AaxticOelc ὡς εἶχε τὸ καίριον ᾿ὦ qOóve? qnciv

Moxque idem ad mortem est multatus calcibus eius, perditus ut posset uix retinere animam.

Vix tamen est fatus: quid rides, improbe liuor?’

So werden aus zwei griechischen Disticheu vier lateinische in 137; freilich hat er sich dazu aufgerafft, aus eigner Tasche eine Pointe anzufügen, die immerhin mehr Gefallen erregen wird als die Er- weiterungen in 118 (Dido) v. 9— 12 und 15 18, die durchaus überflüssig sind und der Wiederholungen nicht entbehren, z. B.: 4 uita nec incestis laeta (laesa?) cupidinibus 11 uixi sine uulnere famae.

Im Gegensatz zu diesen Erweiterungen lässt er anderwärts Mittelglieder, die zum Verstündniss wichtig sind, aus, weil er mit den sprachlichen Schwierigkeiten erfolgreich zu ringen und sie zu überwinden nicht die genügende Ausdauer besitzt; denn genug Feinfühligkeit, um diese Fehler selbst zu gewahren, hat der Mann unbedingt besitzen müssen. Epigr. 129 ist auch hierfür lehrreich. Volles Verstündniss gewinnt es nur, wenn wir das Original zu Hülfe nehmen: dann ergänzen wir uns hinter v. 4 die Worte ἄμφω δ᾽ ἐπλήρωςεν, die wir gar nicht entbehren können; dann erst ver- stehen wir, was die Worte *Cunctantem satis est’ sagen wollen, wenn wir im Original lesen:

“Ἀρκεῖ δ᾽ à μέλληεις᾽, ἔφα copóc. Wer dürfte richtig im Epitaph der Callieratea (epit. 34) die Worte entziffern: ᾿ Nullius sexus mors mihi uisa fuit, wenn ihm nicht der Grieche das Räthsel löste: οὐδ᾽ ἑνὸς οὐδὲ μιῆς (sc. τέκνων) ἐδρακόμην θάνατον.

Die Vergleichung des Originals ergibt, dass in v. 4 In tremulam zu trennen ist, wie auch D. Heinsius erkannte; so lesen aber auch die ersten Ausgaben bis auf den erst durch die Aldina beseitigten Fehler tremula. Die letztere aber hat dafür eine charakteristische Lesart in v. 3 verdrängt:

Sed centum et quinque expleui bene mensibus annos. Dem Verfasser schwebte Vergil Aen. V 46 vor: Annuus exactis completur mensibus orbis.

Wenn wir nun zweifelsohne dem Avantius Recht geben, wenn er erwog: durch menses werde der orbis annuus erfüllt, der orbis annorum durch messes, so fühlen wir uns doch nicht berufen, die metrischen Uebungen des Verfassers zu corrigiren.

Epigr. 61: errasti attendens haec ilia nostra, iuuence— Die Worte des echten ep. 59: “ubera quid pulsas?" könnten auf attundens oder tundens führen. Der enge Anschluss an die griechische Vor-

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 243

lage, den der Verfasser in diesen Bucula-Epigrammen anstrebt, macht es wahrscheinlicher, dass er das griechische trpocepxeaı durch ein dem Lateinischen allerdings in diesem Sinne fremdes accedens wiedergegeben; stindigt er doch im folgenden Epigramm ebenso gegen den Genius dieser Sprache, wenn er die Worte

Bouci ευνεξελάςῃς wiedergibt durch cum bobus egagites.

cum bóbus! So steht es gedruckt bei Ugolet im ep. 62 und es lüsst sich weder corrigiren noch, wie man leider gethan, mit bübulcus oder sübus entschuldigen (vgl. L. Müller de re m. p. 350, Kühner lat. Gr. I; Neue, Formenl.). Nichts mahnt uns in den Nursio-Ugoletiana in prosodischer Beziehung besonders an das Zeitalter des Ausonius und Paulinus; ein solcher Schnitzer ist auch dem Mittelalter fremd, wir können ihn nur ans äusserste Ende desselben hinabrücken, mit ihm die Gedichte, in denen er erscheint. Ich fürchte, er steht nicht allein; ihm reiht sich an die Partikel fere 105, 5 (Neue II 518) und uero 115, 1 mit verkürzter ultima.9") Freilich scheint dies uero nicht vereinzelt bei Ausonius, denn epist. VI 5 gibt die Hds.: poma ut mala uoces, carmina uero mala; indess ist uero hier auch dem Sinne nach nicht angemessen, man erwartet einen Imperativ, wie dic, uoca, und wenn wir bedenken, dass den poma nicht ein Beiwort zugefügt, sondern ein anderer Name, mala, an seine Stelle gesetzt wird, dass also auch mala nicht als Adjectiv auf carmina bezogen werden darf, sondern Substantiv sein muss, 80 wird sich uerte als richtig er- weisen.

Die Anfünge der drei Merula-Epigramme 122, 132, 133 lauten:

Faustulus insidens formicae, ut magno elephauto, Decidit

Insidens caeco graditur pede claudus utroque.

Ambulat insidens caeco pede captus utroque.

Es liegt eine Achtung abnöthigende Beharrlichkeit in der Ver- tauschung des Particips von insideo, welches sich nicht verwerthen liess, mit dem von insido. Wenn sich nur Stellen der Alten dafür fänden! Aber wo equo insidens gebraucht wird (equoque insidentem Liv. VII 6, vgl. curru insidens Seneca Medea 29, insideoque toro Ovid. Her. XIX 134), ist es von insideo herzuleiten. Bekannt ist Gellius XVIII 5, 8: pleraque enim ueterum aetas et hominem equo insidentem et equum qui insideretur “equitem” dixerunt. Und jenes insidens deckt sich völlig mit inpositus. Ich ziehe den Schluss, dass wir es mit einem der krüftigsten prosodischen Schnitzer zu thun

93). uera hat der älteste Druck und auch noch die Aldina; jedoch ist die Richtigkeit der Umänderung nicht zu bezweifeln.

16*

244 R. Peiper:

haben, der sich denken lässt, und dass der Verfasser selbst an die Ableitung von insido gar nicht gedacht hat.

Dem verkürzten o am Ausgange dieser Partikeln steht gegen- über die Verlängerung der Endsilbe von ambo 134, 4 in der Di- aeresis des Pentameters, gegenüber sieben Ausonianischen Stellen mit kurzem o. Ebenso findet sich ego bei Ausonius nur mit kurzem Schlussvocal (denn die Stelle Praef. ad lectorem 470 v. 35 (ed. Bip. p. 331)

cuius ego, comes et quaestor et culmen honorum

wird mit N. Heinsius durch Einschub von et zu ändern sein) Zwei- mal dagegen finden wir es in den neuen Gedichten, zuerst 54, 6 in der vermuthlich durch Ugolet gegebenen Ergänzung des Gedichts: Sicut ego solus das andere Mal 105, 7 separor unus ego (in Cäsur). Cypri mit langer Endsilbe in der Arsis 106, 6 würde keinen Anstoss erregen: wir werden aber von dieser Aenderung der Aldina lieber zur Lesart der ersten Ausgabe zurückkehren:

‘Jam tibi nos i prae —” Iuno inquit et innuba Pallas,

*eedimu".

Bezüglich der Wahl des Versmasses ist nicht unbeachtet zu lassen, dass die vom echten Ausonius nur einmal (Epigr. 48, zwei Zeilen) verwendeten stichischen Trimeter viermal bei unserem Ver- fasser erscheinen: 140, 142, 143, epit. 29.

Ep. 135. Das ist, wie schon Scaliger bemerkt hat, überhaupt kein Epigramm, sondern Fragment einer Heroide nach Ovids Muster, an- schliessend an die letzten Worte der Penelope in Ovids ep. I: Certe ego, quae fueram te discedente puella, Protinus ut uenias facta uidebor anus. Brandes versucht die ersten beiden Verse mit dem folgenden zusammenzuschliessen: gelungen ist es ibm nicht, und es kann auch nicht gelingen. Aber richtig hat auch er in uidua hergestellt (vgl. uiduas manus Ovid. Her. I 10, uidua lecto, derselbe I 81), wie vor ihm Heinsius und ein Freund des Ausonius, der einige Bemerkungen in ein der Breslauer Stadtbibliothek gehöriges Exemplar der ed. Gryph. 1575 eingetragen. Mir scheint der Anfang des Ganzen zu fehlen, sodann eine Lücke zwischen v. 2 und 8 zu sein. V. 8 wird gelautet haben:

Hine meg uirginitas facibus tibi gliscit adultis arsit et in uidua principe uerus amor. Für glisco findet sich lisco in der Ecbasis. Das Gedicht erregt sonst noch manchen Anstoss. Die schlimmsten Punkte scheinen wir

v. 2 oscula uix ipsi cognita Telemacho, v. 8 strataque tentaui sicca pauente manu.

Wie kann der Sohn die dem Vater aufgesparten ltisternen Küsse cognoscere? Allenfalls würde man credita noch ertragen. Statt des durch Martial XI 81 zu begründenden unsaubern sicca (et iacet in

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 245

medio sicca puella toro; vgl. Ovid Ars II 686 sicoaque de lana co- gitat ipsa sua) fühlt man sich zuerst wohl versucht, ein weniger an- stössiges Wort einzusetzen; etwa tincta. Beides falsch: der Dichter ‘obscenae numeros pruriginis implet" und wir mtissen beide Tactlosig- keiten hinnehmen; aber dem Ausonius sie aufzubürden, sind wir nicht berechtigt; auch nicht in dem Sinne, den Scaliger hineinlegt: castigat stili sui ubertatem et luxuriem Ausonius obwohl er dies sofort entkrüftigt durch den Zusatz: denique nihil in eius poematis reperias, quod eius saeculi scholasticum tumorem referat. Ita omnia ad imita- tionem ueterum tamquam ad examen quoddum exiguntur.

Ep. 139 (de fratribus Thebanis) Dies ist einmal eine freiere Uebertragung eines griechischen Gedichts; aber nicht in der Art des Ausonius. Die im Griechischen angedeuteten Züge sind nur ver- ballhornt, z. Th. durch Verwendung Ovidianischer und Statianischer Reminiscenzen. Auf letzteren weist Oedipodionidae hin (Th. I 313, VII 216). Die Ausdrucksweise des Gedichts ist geschraubt, dafür genügt als Beweis v. 2 de misero ah miseri. V. 3 und 4 sind geradezu unsinnig:

Namque etiam ex uno surgentes aggere flammae in diuersa sui dissiliunt cineris, also flammae, ex uno aggere surgentes, dissiliunt in diuersa sui ci- neris! Die ersten drei Editoren jedoch, Merula, Ugolet, Avantius, haben cineres, und dies ist richtig, man trenne nur durch Komma am Ende des dritten Verses die beiden Subjecte flammae und cineres, von denen das erste dem Statius entlehnt ist Th. XII 431:

exundant diuiso uertice flammae, der zweite dem Ovid Trist. V 5, 35:

ipsa sibà discors . ... .. ... scinditur in partes atra fauilla duas. In der That eine wenig geschickte Verschmelzung zweier Hemi- niscenzen! Ersetzen wir noch das thörichte etiam durch ecce: Namque ecce ex uno surgentes aggere flammae, in diuersa sui dissiliunt cineres.

Weiterhin ist Anstoss zu nehmen an dem Ausdruck: in semet ... atrox animus; endlich schliesst der Dichter mit einem Verspaar, welches zu Zeugen seiner Feinfühligkeit den Binnen- und Schlussréim as trägt:

A. u. c. Thebas q. p. ipsas R. e. metas u. c. nebulas.

Fast noch böser sind die beiden Schlussworte selbst: cinerum ne- bulas, ein Ausdruck erbeutet aus Ovid Tr. V 5, 31:

gensus inest igitur nebulis quos exigit ignis. Und das sollte ein Ausonianum sein? Ich glaube in der ursprünglichen Lesart einiger Stellen dieser

246 R. Peiper:

Epigramme Fingerzeige für ihre Entstehung zu finden: zunächst führe ich ep. 133 an; hier hat Merula herausgegeben: Nam caecus claudo pes commodat. Die beiden Epigramme 132 und 133 sind nur Variationen derselben etwas frei gehaltenen Uebertragung einer und derselben griechischen Vorlage; v. 1 und 4 stimmen in Beiden fast wörtlich überein Und zwar finde ich in 133 den vorläufigen Entwurf, der danach in 182 seine Verbesserung erfuhr: commodat und mutua dat wurden hier in das eine ministrat zusammengezogen. Wenn ich nun den dritten Vers von 132 vergleiche:

Caeco namque pedes claudo gressumque ministrat,

kann ich mich des Verdachtes schwer entschlagen, der Verfasser habe vor der Durcharbeitung, also in v. 133, pedes commodat hin- geworfen, nicht pede, eine Aenderung, die Ugolets Kopf entstammt, aber sprachlich unzulässig erscheint; denn diesen Ablativ von claudus abhüngig zu machen, gestattet v. 1 nicht; commodare aber erfordert den Accusativ. Der Fehler also trifft nicht den Verfasser, sondern den unbedachten Herausgeber solcher Sachen. ᾿ Ep. 136: Felix grammaticus non est; sed nec fuit umquam; nec quisquam est felix nomine grammaticus.

In dem griechischen Texte lesen wir für felix ἄρτιος oder μέτριος, letzteres aus F. Jacobs' Conjectur; im Palatinus ist das Adjectiv ganz ausgelassen: der Uebersetzer hat willkührlich die Lücke der Hdss. durch felix ausgefüllt; das deutet auf sehr spüte Zeit der Ab- fassung.94)

Aehnlich hat sich der Uebersetzer den fehlerhaften Text in der Vorlage für ep. 130 willkührlich zurecht gemacht, wenn er die un- verständlichen Silben eic θέλεις durch tenax ersetzt. Wer cera statt creta liest, könnte die Wahl des Epithetons aus Vergil G. IV 161 herleiten und die Aenderung, zu der sich Accursius durch κηρῷ verleiten liess, dadurch gestützt wähnen; der Uebersetzer hat aber doch wohl ebenso wie der Grieche den Stift des Malers (γραφίς, creta) damit charakterisiren wollen, der, was der Maler beobachtet, festhält und getreu wiedergibt. Den griechischen Text nach diesen Epigrammen zu emendiren, wie Dübner hier”°), anderwürts Benndorf gethan, geht nicht an, zumal der Text des Ueberseizers sich an

* Die ungeschickte Wiederholung von numquam in v. 1 und 8 hat nicht der Verfasser, sondern der Setzer der zweiten Ausgabe (der des Ugoletus) verschuldet; der Verfasser schrieb:

Sed si quis felix praeter fatum extitit et fas,

hic demum excessit grammaticos canonas. So gut praeter fatum et fas, so schlecht ist Sed und hic an den Vers- anfüngen; wenn aber die Herausgeber letzteres in At und is ändern, hat man, fürchte ich, nur dem Uebersetzer sein Exercitium corrigirt. 90) Er liest ic ἀτενής. Liegt etwa dpeAnhc darin? Ein Lob der schlichten, aller Unwahrheit und Uebertreibung abholden Zeichnung des Künstlers, vgl. Plin. n. h. 35, 145; denn trotz Lessings abweichender Ansicht dürfte doch noch dies Epigramm auf des Timomachus Bild sich beziehen.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 247

manchen Stellen fehlerhafter erweist, als die vorhandenen griechi- schen Hdss. Man vergleiche Epigr. 118 (Planud.) XVI, v. 6, wo der Ueberseizer ἤλυθεν vorfand, wenn er nicht vielleicht nur beim Lesen irrte, während der echte Ausonius, wie ep. 21 zeigt, in der That einen fehlerfreieren Text hatte, und allerdings von Benndorff zur Aenderung πρὶν statt καὶ herbeigezogen werden durfte. Die griechischen Worte lauten: cüv γὰρ ἀμέτρων ζήλων *eıcadekeic καὶ γραφὶς αἰςεθάνεται. Die Uebersetzung in der Ausgabe von Ugoletus: namque tui mens creta tenax geli concipit immodicam.

Merulas Ausgabe hat eine für,den Umfang des Gedichts recht betrüchtliche Anzahl von offenbaren Corruptelen, deren Correctur zum Theil durch Avantius, zum Theil erst durch spätere, nicht immer glücklich, versucht worden ist. Unter die verunglückten Versuche rechne ich auch, wenn man tui uim für tui mens gesetzt; ich glaube mit tumorem...immodicum Richtigeres zu bieten.

Ep. 122 ist überschrieben: In Faustulum staturae breuis Anci Probini Anci liest man noch unverändert in der Aldina; Anicii ist, offenbar richtig, erst später eingesetzt worden. Gemeint kann kein Anderer sein, als der, der mit seinem Bruder Olybrius im J. 395 Consul wurde vgl. u. a. Reumont, Geschichte Roms I 690 und 813; J. Aschbach, Die Anicier und die röm. Dichterin Proba, S.-B. d. Wiener Akademie LXIV 1870 p. 369 fl. Das Gedicht des Claudianus an das Brüderpaar ist hauptsächlich durch ita- lienische Handschriften überliefert, vgl. Jeeps Prolegomena p. VII Unser Epigramm entstammt dem Griechischen; den Zwerg Faustulus nennt das Original Menestratus. Wenn nun gleich eine Uebertragung griechischer Epigramme auf Zeitverhältnisse des Uebersetzers nicht undenkbar ist, wie uns die Rufus-Epigramme be- weisen, 80 sind doch jedenfalls die vom echten Ausonius angewandten Namen stets fingirte, niemals die verspotteten Personen mit ihrem wirklichen Namen bezeichnet, und Vinetus war in einer wunderbaren Täuschung befangen, wenn er die Rufus-Epigramme in der An- merkung zu ep. 50 auf den Historiker Sextus Rufus bezog. Nicht anders ist der Verfasser der Merula- und Ugolet-Epigramme ver- fahren. Zudem findet sich im Original des Faustulus- Epigramms keinerlei Hinweisung auf den Herrn des Zwerges; die Anfügung der Genetive Anci Probini ist eine auffällig gezwungene: mit einem Worte, es ist ein vom Uebersetzer nicht gewollter Zusatz, dessen Entstehung zu erklären die Erinnerung dienen kann, dass Ugolet einer der ersten Herausgeber des Claudianus gewesen (Parma 1493): so mag denn eine zufällige Notiz seiner Hand zu diesem Epigramme sich verirrt haben.

Der Eindruck der Werthlosigkeit dieser Erzeugnisse trägt doch

248 R. Peiper:

wohl die Schuld, dass trotz des Ausonius Namen für die Richtig- stellung des Textes von den Editoren so wenig geleistet worden ist. Man sollte meinen, der Fehler in ep. 134, 1 hätte selbst einem rasch vorübergleitenden Auge sonst nicht entgehen können:

Non est diues opum diues nec pauper inopsque Infelix.

Die einzig möglichen Gegensätze sind felix und infelix; an Stelle des zweiten diues, das nur ein Schreib- oder Setzerversehen sein kann, ist felix zu setzen. Im vierten Verse ist mit der ersten Ausgabe zu schreiben:

Sic cum egeant ambo, pauper egens minus est.

Wir haben bisher ohne Unterschied von beiden Sammlungen, der des Nursius *wie der des Ugoletus gesprochen, und waren dazu durch den innern Zusammenhang beider, durch den gleichen Cha- rakter als Uebersetzungs- und Dichtungsproben, die nicht blos auf Gleichzeitigkeit der Verfasser, sondern auf einen und denselben Ur- sprung hinwiesen, berechtigt, sowie durch Uebereinstimmung in Fehlern (vgl. 122 mit 132, 133). Zufall dürfte es sein, dass bei Nursius eine grössere Anzahl freierer Bearbeitungen (wie 118, 121, 132 und 133, 136 und 137, 140) sich fanden als bei Ugoletus (139). Dass ein wirklich altes Gedicht am Schluss der Ugoletiana sich findet (107), wird für die Frage nach dem Verfasser bedeutungslos sein. Ein absichtliches Unterschieben ihnen als neu bekannter Gedichte seitens der Herausgeber ist undenkbar: Ugolet würde schwerlich bei dem Nursius-Epigramm 118 bemerkt haben, dass das griechische Original die vier letzten Verse des Lateinischen nicht kenne, er würde bei 132 nicht mit den Worten 'ex graeco' auf die Quelle des mo- dernen Verfassers hingewiesen haben; aber er kannte diese Quelle selbst nicht genau genug; denn wenn er gleich 84 aus derselben ergünzt, hat er doch bei 54 sich des griechischen Originals nicht ent- sonnen und den Schluss frei hinzugedichtet.") Ausserdem würde er für diese eigenen Erzeugnisse doch so viel Interesse gehabt haben, dass er (wenn nicht leichtere Druck- und Interpunctionsfehler, die ja selbst in jene Ergänzungen sich eingeschlichen haben)?"), doch so unsinnige Textverschlechterungen wie liber statt liuor, factus für fatus (122, 5 f.) von ihnen fern gehalten hätte,

Bereits vor J. Laskaris’ Ausgabe wurde die Anthologie in Hand- schriften fleissig studirt. Politianus, der in seinen Knabenjahren an des Moschos Ἔρως δραπέτης sich vorgebildet zum Uebersetzer, der im 17. Lebensjahre (1471) eigene griechische Epigramme ver- fertigt, theilt in einem Briefe (XII 8) dem Bartholomaeus Scala, als

86) Genug Beweis, dass die Supplemente der echten Ausoniana nicht von dem Dichter der neuen Epigramme herrühren. ?") Ep. 54, 8 procul solito: maiore c. 84, 4 spectatur.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 249

dieser ihm die lateinische Nachbildung eines griechischen Epigramms gesendet hatte, einen griechischen Versuch mit5) Dem Codrus Urceus sendet er eine Auswahl griechischer Epigramme, besonders solcher, in denen er mit den Griechen, selbstverständlich der Antho- logie, wetteifert, aus einem Libellus solcher Produkte, den er publi- ciren will (epp. V); die anerkennungsvolle Antwort des Codrus, in der derselbe auch sagt 'Contuli igitur, ut iussisti, epigrammata tua cum graecis! ist gegeben Bononiae quinto luce Iulii 1494: also vor Erscheinen jener III Idus Augusti 1494 (kurz vor Politians Ende, 24. Sept. desselben Jahres) datirten Ausgabe, was ja nicht Wunder nehmen darf; sagt uns doch Laskaris selbst in der Wid- mungs-Epistel an Peter Medicis: “De libro autem Epigrammatum nihil ducimus in praesentia disserendum (vorher hat er nur zum Ruhme der neuen Typen, in denen die Anthologie gedruckt ist, ge- sprochen); ipsa enim passim iam edita apud egregia studiosorum ingenia, suam sibi gloriam uendicabunt".

Aber es gibt schon frühere Nachrichten von Politians Antho- logiestudien und diese betreffen zugleich den Ausonius: er ist, wenn nicht der erste, doch einer der ersten und zugleich bedeutendsten, die sich auf eine Vergleichung des Rómers mit den griechischen Vor- bildern einlassen: 80 erkannte er denn auch in dem Gedichte des Posidippus das Original zu Ausonius ep. 12 und handelt darüber in seinen 1489 (XIII Cal. Nov.) edirten Miscellanea (c. XLIX, ed. Basil. 1553 fol. p. 265); dem Epigr. 126 ist c. XL gewidmet, anderwärts gibt er eine griechische Uebersetzung von ep. 25.9?)

Politian jedoch bildete mit solchen Bestrebungen keine Aus- nahme; für die philologische Bildung war offenbar die Kenntniss jener Erzeugnisse der griechischen Poesie schon Erforderniss; sonst hütte sicher Politian dem Georg Merula den Vorwurf erspart, den er ihm in einem Briefe vom März oder April 14949) macht: 'Glaphy- ram uero, qui tamen est apud te Glaphyrus, nunquam profecto co- moedum citharoedumue credidisses, si graeca teneres Antipatri epi- grammata et Philippi’. Und doch hatte dieser einige Kenntniss der Anthologia Planudea bereits verrathen in seinen Commentarii in Juuenalis sat. 8, in denen er das erste Gedicht derselben (in der Palatina steht es IX 357) in folgender vom neuesten franzüsischen Herausgeber übersehenen Uebersetzung 9) mittheilt:

ee, S. F. W. Hoffmann, Lebensbilder berühmter Humanisten S. 81,

96, 179. ?9) παιδὶ Λάκαινα cákoc πολεμηςείοντι biboüca,

παῖ, ἔφη, cov τῷδ᾽ ἐπὶ τῷδε νέου.

In c. XXXIX erklärte er Auson. epist. IV 71 ff. mit Anziehung von Epi- en des Zeno und Timon; auch seine Gedichte erinnern oft an Auso- nius (vgl. Delitiae c. c. Italorum poetarum collectore Ranutio Ghero 1608, 261 Nemesis, 342 (Niobes sepulchrum), 852, 365, 356. Alcon und Eunus sind aus démselben entlehnt (260, 261). 199. Hoffmann a. o. 8. 170. !?!) Ich entnehme sie dem Florilegium des Rivinus, Gotha 1651.

200 R. Peiper:

Quattuor exercet certamina Graecia sacra, mortali duo sunt et duo sacra deo.

Sunt Iouis et Phoebi atque Palaemonis Archemorique, pinum, oleam aique apium malaque uictor habet.

Halten wir die Herkunft der Nursius-Reihe aus Mailand zu. sammen mit der Angabe der Quelle, aus der die Ugoletiana ge- flossen sein sollen, so finden wir uns in eben dieses Georgs Merula Museum versetzt. Bereits vor Politian, den er so kleinlich ange- feindet hatte!) war dieser Mann gestorben.'?) Sein litterarischer Nachlass war auf des Herzogs Lodovico Sforza Anordnung dem Staatssecretür Bartholomaeus Chalcus (Calchus)'4) anvertraut, mit welchem persönlich wie durch Jacobus Antiquarius auch Politian darüber verhandelt!) der dem Herzog seine Hülfe bei Herausgabe der unter desselben Auspicien von Georg Merula gefundenen und noch nicht publicirten alten Handschriften anbietet.9) Dieses Bartho- lomaeus Vetter (affinis, parente) war Tristan Chalcus (geb. 1472, T nach 1507), der würdige Fortsetzer des wegen seiner Gründlichkeit gerühmten vaterländischen Geschichtswerkes des G. Merula!?"), und mit dem Beinamen Titus Livius Mediolanensis von den Zeitgenossen ausgezeichnet. Sein Verhältniss zu seinem Lehrer wird mit dem des Georg zu dessen alten Lehrer Filelfo verglichen, dessen Tod, wie man erzählte, der Aerger über seinen Schüler verschuldete.!09) Zweifels- ohne wird der Staatssecretür seinem gelehrten Verwandten weder Einblick in jenen Nachlass noch Benutzung desselben gewehrt, ihm vielmehr die Nutzbarmachung desselben, die Mittheilung an Gelehrte zur Herausgabe mit herzoglicher Bewilligung überlassen haben; war doch durch seine Vermittelung Tristan in Georgs Stelle eingerückt.19?) Aus diesem Museum wird also die Abschrift des Parisinus mit Ludus und Urbes stammen, die Ugoletus dem Tristan verdankt; dass Tristan, wie wir oben sahen, das Verdienst der Auffindung sich selbst zu- schreibt, darf uns bei dem eiteln und gegen das Verdienst seines Lehrers ungerechten Manne nicht wundern. Ebendaher werden die Epigramme, deren wahren Verfasser der Geber selbst nicht kannte, stammen. Die Annahme, dass jene Stücke mit den Epigrammen, die Epigramme mit der Sulpicia in einer und derselben Hds. gestanden, ist durch nichts begründet. Von der Sulpicia fand sich eben gleich-

102) Hoffmann a. o. S. 100 f. 156 ff. Roscoe Lorenzo Medici, übers. von Sprengel! S. 318 ff. 108) Fabricius bibl. med. et inf. lat. V, p. 71 Mansi. !?*) Ueber ihn s. Saxius bei Argelati SS. Mediol. I p. CLXXXVI ad a. 1477, Tiraboschi VI S. 21. 108) Hoffmann a. o. S. 174—176. 106, Hoffmann S. 172 f. !?7) A. Potthast, Wegweiser durch die Geschichte- werke des europ. Mittelalters S. 441 und 179. !%) Die Kritik, die Tristan an seinem verstorbenen Lehrer und Vorgünger übte, verrüth aller- dings wenig Pietät. Vgl. Argelati I p. COCCXXVI. Weiteres über ihn Argelati COCCXXV ff. Tiraboschi VI 684. Zwei Briefe Politians an ihn, einer aus dem J. 1489 in epp. 1. IV. 109) *B. Chalci affinis sui officio apud Principes intercedente! Argelati.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 251

falls eine Abschrift, unter Merulas Papieren; sie wurde vier Jahre nach seinem Tode an mehrere Gelehrte mitgetheilt, die sie in dem- selben Jahre 1498, beide dazu wohl berechtigt, edirten, der eine zu Venedig!!), der andere (Ugoletus) zu Parma an Ausonius. Der Venediger Herausgeber weist seine Berechtigung nach, indem er Georgs Namen dem Titel zufügt: “Sulpitiae carmina LXX... nuper per Georgii Merulae opera in lucem edita’; Ugoletus, indem er bei an- dern gleichzeitig edirten Stücken G. Merula und Tristan Chalcus nennt. Dem Venediger grössere Berechtigung zuzuerkennen auf Grund der klaren Nennung seiner Quelle, scheinen wir nicht be- rechtigt!! wir finden ja Niemand weiter, der bei der Vertheilung des Merlanischen Nachlasses die Hand im Spiele gehabt, als Tristan; und wenn Argelati des Ghilinus Zeugniss 'qui rapinae patuisse literariam Merulae hereditatem tradit! bestätigt meinte dadurch, dass in keiner Bibliothek etwas davon erhalten sei: auf wen anders dürfte dasselbe gemünzt sein als auf Tristan Chalcus?

Nichts liegt nun näher als die Vermuthug, dass Tristan es ge- wesen, der aus demselben Nachlasse schon einige Jahre vorher dem Nursius jene Epigramm-Reihe ausgeliefert für seinen, damals viel- leicht mit Ausonius-Studien beschäftigten und wohl deswegen nach- her mit Beurtheilung und Bevorwortung der Leistungen des jungen Avantius von Tacuinus beauftragten Freund und Genossen im Hause der Cornaro. An heimliche Entwendung zu denken, wo Bescholten- heit durch nichts erwiesen, würe ungeziemend. Die Zeitangabe priori- bus annis stimmt gut zu dem Todesjahr Merulas. Als sich später eine zweite Reihe zu der ersten gesellte, verband der neue Heraus- geber, der vom Zusammenhange beider durch Chalcus Kunde er- halten haben mag, dieselben zu einem Ganzen, und er setzte den Na- men Georg Merulas, ohne Nursius und Bartholomaeus zu nennen, mit Absicht, nicht, wie man zunächst glauben dürfte, aus Irrthum an die Spitze dieser Reihen.

Es würde sich lohnen, die Werke der italienischen Dichter des . ausgehenden fünfzehnten Jahrhunderts nach ihren Ausonius-Studien zu prüfen: das landläufige gedruckte Material reicht dazu freilich nicht aus; aber auch eine nur flüchtig angestellte Musterung des Vorhandenen findet Spuren genug. So hat der poetische Nebenbuhler des Politian, Michael Marullus (1453 1500), neben Catullus und

11) Als Anhang zu den Gedichten des Italiener Gregorius Tiphernus, Jac. Pontanus, Franc. Octavius. !!!) Die Veneta ist datirt 1498 Mensis Iunii die undecimo, die Parmensis 1499, die X mensis Julii: aber ihr Privilegium trägt das Datum “die XXVIII Iulii 1498’: der geringe zeit- liche Unterschied schliesst sowohl den Gedanken der Abhängigkeit der einen von der andern Publikation völlig aus, als er die Annahme gleich- zeitiger Mittheilung an Verschiedene rechtfertigt. Dass Merula selbst dem Venetianer das Gedicht mitgetheilt, macht ja der vierjährige Zwischen- raum zwischen seineın Tode und der Herausgabe undenkbar.

202 R. Peiper:

Horatius auch die griechische Anthologie und Ausonius als Vorbilder nicht verschmäht für seine 1497 zu Florenz herausgegebenen Epi- gramme. Schon der Eingang einiger derselben deutet das an:

ed. Paris. 1582 S. 32Y Vane quid affectas Auson. ep. 11, 40" Viderat armatas Auson. ep. 42;

man vergleiche ferner 15" de amore mit Auson. ep. 12.

Viele seiner Gedichte dürften geringeren Anstoss unter den Ausoniana finden als jene, wie wir sie jetzt wohl mit Bestimmtheit bezeichnen dürfen, Merula'schen Producte. Wie viele ferner eines Jovianus Pontanus!!?), der beiden Strozza)!!?, des Sannazar.!*) Wer würde, fände es sich unter den Ausoniana, dem Epigramm des San- nazar auf Quintius die Unechtheit ansehen:

Clara tibi uideor scripsisse epigrammata, Quinti; gunt, fateor: medio scripsimus illa die.

Tu latebras obscurus amas, quia lumine nullo - aique intempesta scribere nocte soles.

Es ist Vieles und viel Gutes von diesen Epigrammatisten ge- liefert worden, dessen sich auch ein Zeitgenosse des Ausonius nicht schämen dürfte. Aber allen diesen würden wir bitteres Unrecht thun, wenn wir ihnen die Geisteskinder jenes Quintius-Merula unter- schieben wollten. Sie, die Zeitgenossen eines Politian, sind getäuscht worden durch den Glauben an das Alter der Verse, ein auch heute noch bei Vielen stichhaltiger Grund, um Hässliches schön, Unbedeu- tendes bedeutungsvoll zu finden: haben es jene Männer versäumt, so mögen nun endlich bei uns des Sannazarius Verse an Rufus!!5) auf diese Producte Merulas fruchtbringende Anwendung finden:

Ad Rufum.

Tanquam prisca mihi saxoque inuenta uetusto disticha Rufe soles saepe referre tua.

Stultum adeo me Rufe putas? ego tam mala credam carmina Romano marmore posse legi?

H3) + 1508, vgl. sein Gedicht auf das Mädchen Stella (Delitiae II 471) mit dem Pseudo-Ausonianum 144, seinen Hymnus ad Christum (II 452) mit der Versus paschales und Oratio matutina. 115) Strozza pater (f 1505) de uacca Myronis (ed. Ald. p. 147), vgl. mit Auson. 61 ff.:

Naturam atque artem in uacca petiisse Myronis partem aiunt, morem gessit utrique Myro. Qui uaccam spectat “natura hanc protulit! inquit, at si contigerit, dixerit artis opus. Einem Gedichte des Sohnes (f 1508) S. 88: Inuide quid nostrae adlatras praeconia famae liegt eine Reminiscenz an Auson. ep. 103 zu Grunde UT diesem Ovid ex Ponto IV 16). '!*) Vgl. daa d Actaeon

elitiae II 734), de Venere et Marte (II 721) u. a Ad Rufum: Delitiae II 798.

i».

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 253

Archemoro longos affingis Nestoris annos, Andromaches puerum Laomedonta uocas;

Desine mentiri Pyliam Phrygiamque senectam; Sint uetera haec aliis, mi noua semper erunt.

Der im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts begründeten Auto- ritit des Ausonius ist es zuzuschreiben, wenn er auch auf die Dichter des folgenden Jahrhunderts in Italien neben Catull, Mar- tialis u. a. seinen Einfluss geübt hat und von ihnen nachgeahmt worden ist.

Der Schüler Politians, Petrus Crinitus (1465 1504), ist offenbar zu seinen Terzinen “de fugiendis ingratis" durch das unechte Epigr. 140 veranlasst worden!9), sowie Andreas Naugerius (1483 1529) und Hieronymus Fracastorius (14835—1553) in ihren Genethliacon a. o. II 131, 1 1108 dem Ausonius folgten; ihm hat offenbar auch Julius Caesar Scaliger (1484 —1558) für seine Heroes und Urbes (Delitiae 778 830, 830—855) den Gedanken entlehnt. Und nicht wenige der Epigramme des Andreas Alciatus (1492 —1550) weisen auf diesen zurück: ich erinnere hier nur an Embl. 174, Fatuitas, mit Miramur beginnend wie ecl 1, ferner auf Dicta sapientum Embl. 54. Von Cynthius Gyraldus (1504 1573) findet sich a. O. I 1247 eine Nachahmung von Epigr. 121 (Merula), das der Mittheilung werth scheint:

In Vesbiam.

Tres habuit furias quondam; sed Vesbia manes ut petiit, furias quatuor Orcus. habet.

*Lesbia! wird öfters als seine Geliebte angesungen. Die von Pithoeus der Polianthaea entnommenen Verse “Formosissima Lai feminarum' (Riese, Anthol. 892) kónnten wohl als Seitenstück zum echten Epigr. 17, aber von einem besseren Dichter, als Merula war, verfasst worden sein. In der ed. princeps des Sidonius 1498 befindet sich ein Lob- gedicht auf Baptista Pius von Balthasar Tachoni, in welchem jeder Hexameter nach Art des Technopaegnion auf ein Monosyllabon schliesst.

Ohne Zweifel liessen sich diese Beispiele von Einwirkung des Ausonius auf das seiner Wiedererstehung folgende Halbjahrhundert erheblich vermehren. Ich will an dieser Stelle lieber auf ein ein- zelnes, neuerdings besprochenes Epigramm, das seinen Weg in die Anthologie gefunden hat, zurückgehen, da es gleichfalls in diesen Kreis gehört.

Hermann Hagen hat in der Gratulationsschrift der Universität Bern zu Retügs Jubiläum 1877 eine Humanistenschrift abdrucken lassen als Quelle dreier Epigramme, die, zuerst von Patisson mit-

116) Delitiae I p. 886. -

254 R. Peiper:

getheilt, in die Anthologia latina aufgenommen worden sind (894— 896 Riese) und mit stichhaltigen Gründen hat er dargethan gegen Göttling, dass diese Gedichte Erzeugnisse des 15. Jahrhunderts sind; die übrigen Verhältnisse der Schrift sind nicht genügend klar gelegt: ich glaube zu diesem Behufe etwas beitragen zu können.

Julius Camillus (von welchem man bei Ranutius Gherus Del. poet. Ital. I 551—555 zwei Gedichte liest, das erste an Petrus Bem- bus, welcher 1529 aus Padua nach Venedig gegangen war) fand in Padua im J. 1530 eines Phavorinus li. (d. h. liber) qiAavríia.!?) Das kann schwerlich ein anderer gewesen sein als Guarinus von Favera, vom October 1514 bis zu seinem Tode 1. Mai 1537, Bischof von Nocera, ein Schtiler des Politianus.!?) Auf einen Geistlichen weist klärlich der Schluss der Schrift hin.

In der Schrift selbst sagt nun Phavorinus: Vidistisne unquam in Iouis Capitolini templo et legistis tabellam lapideam ad aram magnam literis aureis ornatam, in qua epigramma est, quod Calli- machi ferunt? und er schildert das Bild und theilt ep. 896 mit. Offenbar weist der Ausdruck ad aram magnam auf den Hochaltar einer christlichen Kirche hin; wenn diese selbst mit Iouis Capitolini templum bezeichnet wird, so kann nur die nach damaliger Ansicht!!?) an der Stelle des ehemaligen Juppiter- Tempels auf dem Capitol er- richtete Kirche S. Maria Ara Caeli darunter verstanden werden: sie würe unserer Schrift zufolge im 15. Jahrhundert mit neuen Werken von Bildnern und Dichtern ausgeschmtickt zu denken.!?) Trotz des “frivolen Spieles der Humanisten mit dem Heidenthume'?!) würden die Worte des Epigramms ‘At Iouis est —” an einer anderen ge- weihten Stätte als dieser, unbedingt anstössig gewesen sein: in diesem Tempel fanden sie, für jene Zeit, ihre volle Berechtigung.!??)

11 Ueber die φιλαυτία handelt auch ein Emblema des zeitge- nössischen Alciatus (a. O. I p. 44 n. 147); die Anwendung des Wortes emblema in Camillus' Nachschrift S. 16, 7 darf man damit 1n Zusammen- hang bringen. !!5) Vgl. Tiraboschi VII 1050, W. Roscoe Leo X. II 129—137, Gams Series episcoporum ecclesiae catholicae, Ratisbonae 1873. Derselbe war Mitherausgeber der Horti Adonidis 1496 bei Aldus, woran Eckstein im Nomenclator philologorum S. 77 zu zweifeln scheint. 119) So Flavius Blondus, vgl. Jordan, Topogr. der Stadt Hom II 498, Gregorovius, G. d. Stadt Rom IV 416. !*^) Auf Sculpturen des 15. Jahrhunderts am Hochaltar, welcher 1723 erneuert wurde, weist Platner- Bunsen III 2, 853 hin. !?!) G. Voigt, Wiederbelebung des kl. Alterth. S. 457. Ueber die Epigrammatik der Zeit, vgl. J. Burckhardt, Cultur der Renaissance. 2. Aufl, S. 210 ff. 132. Es ist ja etwas ganz Anderes, wenn beispielsweise Leonardus Aretinus in seiner Comoedia Polyxens die dii im Allgemeinen erwähnt (deorum delubra; deos suspicor affu- turos etc), wenn er der Calphurnia, die eben gesagt, “iueram, ut fert religio, ad sacras ecclesias", den Ruf in den Mund legt: *o Iupiter, o Iuno, Lucina’, danach wieder sie und andere öfters 'ita me saluet hiesus? rufen lässt, oder “per eum quem colimus deum"; fehlt doch selbst nicht “sancti Francisci oraculum’. Von dieser Mengerei ist immerhin die naive Ver- tauschung der christlichen mit der heidnischen Gottheit, wie wir sie

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 265

Dies lateinische Epigramm nun sollte der ehemalige Bibliothekar der Laurentiana in gutem Glauben dem alten Callimachus zuge- schrieben haben, nachdem bereits zwei Ausgaben des griechischen Dichters (1495 und 1513), die Hauptausgabe in Florenz selbst, und schon früher eine lateinische Uebersetzung seiner Werke (Mediol. 1480) erschienen waren? Glaube das, wer's kann. Philippus Calli- machus!?) war in Italien gewiss noch wohl bekannt, also dass bei einigermassen gebildeten Leuten eine Verwechselung des Mannes mit dem Griechen nicht denkbar erscheint."^) Nur wir kennen ihn und die ganze poetische Litteratur jener Jahre noch viel zu wenig. Das Wort ferunt will aber eben so viel sagen wie feruntur in der Ueberschrift der Epigramm-HBeihe des Ugolet. Freilich zur Be- gründung mangelnden Wissens könnte man ins Feld führen die bis- her noch nicht entrüthselte épurovixía des Phocylides oder Musaeus, die vom Verfasser S. 8, 20 citirt wird. Auch wohl das 8S. 13, 29 genannte wunderliche Epicharmenion. Ich halte das letztere für ein freies Citat von Horat. C. 1 18, 14, möglicherweise unter fehler- hafter Bezeichnung des Metrums. Eine Unterschätzung des Wissens jener Männer ist so wenig am Platze wie Ueberschätzung; zu irren hatten sie in allen Dingen mehr Berechtigung als wir, die wir kaum mehr wissen, was es heisst, aus Handschriften des 14. und 15. Jahr- hunderts mit all ihrem Wust ein vielfältiges oder gar ein accurates Wissen sich zu erarbeiten. Um eines verfehlten Citates willen also werden wir den Mann nicht geringer schätzen dürfen: ein solches gleichfalls, und nicht eine Beziehung auf ein unedirtes oder gar ver- lorenes Gedicht eines Griechen liegt, glaube ich, in der &pwrovıkia vor: der Verfasser deutet hin auf das zuerst bei Aldus 1494 heraus- gegebene Gedicht des Musaeus, welches übrigens längst so bekannt war!39), dass Hero und Leander bereits in dem Laubwerk an den Bronze- thüren der alten Peterskirche (jetzt am Portal des neuen Peters- domes) zwischen 1441— 1447 angebracht wurden.9) Zwei griechi-

im Mittelalter finden, sehr verschieden. Vgl. F. Piper, Mythologie der christlichen Kunst I 140 f., 280 ff. Man vergleiche die Anfangsverse des Brunellus (E. Voigt, kleinere lateinische Denkmäler der Thiersage, Strassb. 1878, S. 81):

Instabat festiua dies. animalia bruta conueniunt culpas depositura suas. Et lupus et uulpes capitolia proxima quaerunt, iungitur his asinus nulla sinistra ratus. Sede sedet poiore lupus: nos Iupiter, inquit, mandat de nostris paenituisse malis. 35. An ihn, den Freund des Conrad Celtis (1487 1494, in Krakau gestorben; Fabricius bibl. med. et inf. lat. I 824 M.) hat schon M. Schmidt erinnert. 139) Besonders da Calimachus ein dem Italiener ge- läufiger Name war; in der eben genannten Polyxena z. B. tritt eine Person dieses Namens auf. !*5) Oder soll man Ovid. Her. XVIII als Quelle annehmen? !?9) Piper, a. O. I 998. Platner-Bunsen II 1, 173 nennt Hero und Leander nicht.

256 R. Peiper:

sche Epigramme mit lateinischer Uebersetzung stellte Marcus Musurus dem von ihm herausgegebenen Texte des Gedichtes voran: das zweite lautet in der Uebersetzung folgendermassen :

(Marci Musuri Cretensis) in Musaeum. Etiam praecordia inuidia deorum tetigit, nam carminibus Iactauit consecutum Mars praemia laborum. Id audiens indignatus est quod sua obumbrauerat opera Tenebrae satis, Martisque non tulit inuidiam Amor; Musaeoque mandauit, ille uero canebat amantium Furorem decerpendi uirginitatis florem. Laudetur ergo paruis panxisse marginibus Quae paruis ludens manibus patrauit Cupido.

Eine dunkle Erinnerung an diese Worte des Musurus können den Verfasser, der sein Schwanken in Betreff des Dichters selbst ge- steht, veranlasst haben, den Inhalt, so weit er ihm vorschwebte, poetisch aufgeputzt und erweitert vorzutragen und, unbeabsichtigt vr zu erfinden, der selbst dem griechischen Lexicon fremd ist.

Das Epigramm selbst nun ist eine Nachahmung des Áusoniani- schen Epigr. 112 in simulacrum Occasionis et Poenitentiae und es hat vielleicht mit beigetragen, dass das Original weiterhin in Gunst blieb. Allein der oben genannte Alciatus hat es dreimal ver- werthet in den Emblemata, n. 50 Gratiae, n. 69 in simulacrum Spei, n. 186 in Occasionem. Die beiden anderen Epigramme, die Camillus aus demselben Bande wie des Phavorinus Schrift ans Licht zog, sind offenbar später entstanden als das des Callimachus; Paral- lelen liessen sich auch für sie in den auf εἰκόνες bezüglichen Ge- dichten des Ausonius auffinden; zwischen dem auf die Aphrodite- statue des Praxiteles aber und Auson. ep. 57 findet sich keine Beziehung.

IV. Der Codex Lugdunensis (Voss. 111).

Die bisherige Schätzung des Charakters wie des poetischen In- gehiums des Ausonius wurde durchaus reformirt durch die Ent- deckung des heutigen Vossianus 111.

Etienne Charpin, ecclesiae Lugdunensis presbyter, fand ihn in dem alten, von Karl dem Grossen nach Benedicts Ordnung zu Ehren

737) Ich will gelegentlich bemerken, dass S. 8, 21 zu lesen ist: In quo nimirum, anstatt In quo uir mirus.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 257

des heil. Martinus neu begründeten und reich mit Handschriften be- schenkten!?®) Kloster der in der Saone nordwärts von Lyon so schön gelegenen Ile-Barbe (Insula Barbarae), dessen Gebäude heute mili- tärischen Zwecken dienen; die Liberalität des Abtes und Dechanten Antonius ab Albone, die G. Paradinus und L. Miraeus in den poetischen Beilagen der ed. Tornaes. gepriesen wird, ermöglichten die Herausgabe, an welcher Guillaume de la Barge ecclesiae Lugdu- nensis comes?) hervorragenden Antheil nahm: “Bargeus heros’, heisst es in einem, die neu aufgefundenen Stücke einführenden Gedichte:

‘quo sine Castalidum deperiisset opus’,

ferner: Complementa dedit Bargeus. Vielleicht hat er die Entzifferung der noch nicht bekannten Theile der Hds. übernommen, ein für da- malige Zeiten, wenn man den Zustand der Hds. bedenkt, gewiss nicht leichtes Werk. Die eigentliche Bearbeitung fiel weder dem Charpin noch ihm zu: sie übernahm der auch sonst als Philolog bekannte Arzt R. Constantin, wie er selbst in einigen Versen bezeugt:

Quas metis Ausonii segetes, runcauimus etc. und am Schluss 8. 290 durch die Worte bestätigt wird: Constantini censura castigatum.

. Diese Männer haben sich ein hohes Verdienst um die Erhaltung des Ausonius erworben, das ihnen nicht geschmälert werden sollte dureh die Bekrittelung ihrer, nicht blos vom heutigen Standpunkte aus, allerdings schwachen Leistung. Wer in Lyon die Hdss. gesehen, die durch die Revolution aus jenem Kloster noch gerettet worden sind!*), nachdem gewiss eine bedeutende Zahl der trefflichsten Hdss. dort der

138) Gregor von Tours nennt bei der Erzählung vom S8. Maximus das Kloster (c. a. 400) de gloria confessorum c. 22, vgl. Ruinart p. 912. Ado in Martyrolog zum 4. Nov. verzeichnet einen Ambrosius abbas aus früherer Zeit: vor der Restauration durch Kaiser Karl zühlt Gallia Christiana t. IV 520 ff. (ed. 1656) bereits zwölf Aebte auf; bürgerliche Unruhen oder Sarazenen-Ueberfülle hatten dann die Klosterinsassen zer- streut. !?*) Notizen über ihn aus Lyoner Hdss. in Delandines Catalog III 218 und 447. 180) Einige Beispiele: Cod. Lugdunensis 517 (ancien 257) 5. IX—X. De Geometria, Musica et Astronomia, wie der Rückentitel in Golddruck besagt. “Trad. d'une partie du Timée de Platon... wie M. G. Libri am 25. 8. 1841 vorn bemerkt hat. Es ist eine schóne Chalcidius-Hds., wie ich mich überzeugt habe. F. 1 ist abhanden ge- kommen, die Ränder sind abgefault, besonders in der zweiten Hälfte ist dadurch auch der Text stark mitgenommen. Die Hds. beginnt jetzt mit den Worten: quisque fortunam sortis inprosperam culpet; sie schliesst institutionis ingenuae. |... IMEO LICITFELICITER. Es folgte dann noch auf dem Reste der Rückseite des letzten Blattes ein Glossar, soweit die verblichenen Züge errathen lassen. Zwölf Quaternionen und fünf Blätter, das letzte mit [XIII bezeichnet. Entsinne ich mich recht, 80 ist auch Lugdun. 130 (anc. 523), ein Augustinus de civitate dei 8. IX, und 173 (anc. 524), Augustinus de perfect. iustitiae s. VIII, stark mit- genommen, ebenso 85 (anc. 414) In epistolas Sancti Pauli explanationum libri: die ersten fünf Paulinischen Briefe durch lauter Stellen aus Augustinus illustrirt von Ambrosius, nach Abbé Morel von Tichonius:

Jahrb. f. class. Philol. SuppL Bd. XI. 17

258 R. Peiper:

Vernichtung anheimgefallen, kann sich einen Begriff von der Gefahr machen, die auch der Ausonius-Hds. drohte, wäre sie nicht aufge- funden, fortgenommen und aus eines Gelehrten Hand in die des an- deren gekommen. Ihre ferneren Schicksale lassen sich mit ziemlicher Sicherheit ermitteln.

Die deutlichsten Spuren von Vernachlässigung in der der Feuchtigkeit des Flusses ausgesetzten Klosterbibliothek trägt denn auch unser Vossianus an sich. Derselbe kehrte an diese Stätte nicht mehr zurück, die noch zu Lebzeiten des oben genannten Abtes Anto- nius d'Albon (seit 1525 —?) von den “Haeretikern’ geplündert und völlig zerstört wurde (1562, wo auch die herrliche Metropolitan- Kirche St. Maurice in Vienne ihre Verstümmelungen erlitt, die Kirche von St. Just in Lyon u. a. zerstört wurden), sondern blieb im Be- sitze Charpins, der ihn an Jacob Cujacius verlieh; von diesem wanderte er bald nach Erscheinen der ed. Tornaesiana 1558 aus Bourges (Avaricum), wo sich Cujacius 1559 zum zweiten Male auf- hielt (das erste Mal war er dort 1556 und 1557, zum dritten Male 1575 und 1576), an E. Vinetus nach Bordeaux. Sie kehrte zu Cuja- cius zurück: denn als im J. 1575 von Februar bis in den Sommer hinein Vinetus seinen Text im Druck fertig gestellt, lässt er sie sich das zweite Mal von Cujacius zusenden. Bei diesem hatte sie in- zwischen nicht müssig gelegen!?!): er erwähnt z. B. Obss. et Emen- dationum 1. V c. 10 (ed. 1577, zuerst Lyon 1564), ihre Lesart con-

mindestens zeigt letztere, der Carolingischen Zeit entetammende Hds., die

anz zweifellos aus jenem Kloster gekommen, was für schóne Werke

asselbe bessss. In Lugdun. 1190 (anc. 706) findet sich eine Anzahl jüngerer nnd ülterer Fragmente, die wohl auch daher stammen: ein sehr altes von zweimal sechs Blättern, des Hieronymus Werken entstam- mend, wie ich vermuthe. Ich will eine Stelle aus jedem ausheben: 1) Valeria missalarum soror amisso seruio uiro nulli nolebat nubere quae interro- gata cur hoc faceret ait sibi semper maritum seruium uiuere sentio in catalogo feminarum multa me plura dixisse quam exemplorum patitur consuetudo et a lectore erudito iuste posse reprehendi sed quid faciam cum mihi mulieres nostri temporis apostoli ingerant auctoritatem. 3) unde quo ipso alibi dicit quia impediuit nos satanus competenter ostendit se in orationibus sine intermissione certare ut deuictis satanae impedimentis prosperum iter eius fiat in uoluutate diuidere eos qui romae sunt. desi- derat enim et in orationibus obsecrare non cessat fructum alique. Dort finden sich ferner zwei Blätter aus Augustinus s. IX: f. 1:

Ypoyralef. Cum antiquo sensu praedicent EXPL. | INO AD EUNDEM. | Im-

portuna in euangelio mulier etc. F. 1" EXP Ad Damasum epsm, incpt ad marcellam de quinque noui testamenti quaestionibus. Zwei fernere Blütter enthalten zunüchst eine Uebersicht von Brieftiteln: Innocenti ad uitoricum epm|item innocenti ad epos|item innocenti ad decentium οἷο. Die anonymen Commentare zu den Evangelien oder Paulinischen Briefen in den Hdss. 876 s. IX, 406 s. X, 414 s. VIII stammen eben daher. 1*!) Es ist zu bedauern, dass man aus dem im J. 1578 angefertigten Cataloge der Bibliothek des Cujacius, der sich in der Pariser Hda. lat. 4552 erhalten hat, nicht wenigstens ein Verzeichniss der Handschriften, die derselbe bis dahin gesammelt, mitgetheilt hat (E. Spangenberg, Jacob

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 259

sors statt consi in Technop. 343, 3: bei ihm hatten andere von ihr Kenntniss genommen und sie benützt: Ludovicus Russardus z. B. und Adrianus Turnebus, der manchfach in seinen Adversarien sie ver- werthete; hauptsächlich Scaliger, der sie seiner 1573 erschienenen Ausgabe zu Grunde legt; er muss sie, da er 1571 zu Valence den berühmten Rechtsgelehrten hörte, verglichen haben, wie er auch zu der Zeit unter anderen Hdss.'??) den neuerdings wiedergefun- denen Codex Cuiacianus des Catull Tibull Propertius und der Priapea benutzte.!5?) Aus der Bibliothek des Cujacius (f 1590), wenn sie wieder in dessen Hünde gelangt ist (vgl. Bernays 8. 144 über Ver- luste, die Cujacius an verliehenen Handschriften erlitt), sind es hóchstens zwei Schritte in die des I. G. Vossius, dessen Nachlass die Leidener Bibliothek verherrlicht: in der Zwischenzeit dürfte sie in der Bibliothek des Scaliger sich befunden haben wenn gleich nicht, wie Cujacius einst gewünscht haben soll, als Erbtheil des Lehrers und Freundes.

Von einer weitliufigen Schilderung der Hds. in ihrem Schrift- charakter, der in neuerer Zeit einer namhaften Anzahl von Gelehrten bekannt geworden ist, können wir hier absehen. Sie ist uns ein Be- weis, wie noch längst nicht in palaeographischer Beziehung die er- haltenen Werke ausgenutzt sind. Es tritt uns zunächst ein unter- schiedenes Compendium für m und n entgegen: für n wird dem . vorausgehenden Vokal das gewöhnliche Zeichen übergesetzt, für m dasselbe durch übergesetzten Punct verstärkt: Es wird dies zurückzuführen sein auf die in der Uncialschrift des Berner Oribasius und des Leidener Apuleius de herbis von H. Hagen und L. Müller bemerkte Ersetzung des schliessenden M durch +*) In unserer Hds. jedoch kommt schon auf f. 27 und 28 dasselbe Zeichen häufig für n vor, bis schliesslich für n überall das eine wie das andere eintritt. In jenem Theile der 40 Blätter umfassenden Hds., f. 26” col. 2, tritt auch die altgewohnte Abkürzung für per, das unten durchstrichene p, ein, z. B. epist. 4, 28 pbia statt per auis, während vorher, be- - fremdend selbst für geübte Handschriftenleser, diese Präposition durch das Zeichen, das gewöhnlich pro bedeutet, ersetzt wurde. Letzteres gilt selbst im Genethliacon v. 5, wo die Ausgaben über- einstimmend lesen:

Emendata rudi proferret lingua palato nicht für pro, sondern für per, wie Paris. 8500 klärlich zeigt, und

Cujas und seine Zeitgenossen S. 61 und 176). !*?) Die Bernays p. 148 a t. 138 S. Hermathena III Dublin-London 1875, S. 124 ff. Jenaer Litteraturz. 1876 S. 319. !?*) Bernays 8. 148. *) In den Uncialen der von L. Delisle beschriebenen Eugippius-Bde. (Notice sur un manuscript méro- vingien contenant des fragments "Eugippiue. .. Paris 1875 p. 11) wird M durch den Strich über dem vorausgehenden Vocal ersetzt, sein Platz aber durch einen Punkt hinter demselben bezeichnet.

o 17*

260 R. Peiper:

das scheint auch der Sinn zu fordern. Jedoch steht für die Inter- jection proh ganz dasselbe Zeichen Par. 15, 6.

Bekannter ist übergesetztes v für u: catí cautus, tinge

lingue, aral[ auras; übergesetztes s, mit vorausgehendem Conso- nant für us geltend, z. B. b* für bus, durch langes i geschlungen ius, wie in der merkwürdig missverstandenen Stelle in Rieses Anthol. lat. 644 v. 9, wo der Voss. iustotutrinae (sic) gibt, nur dass die Silbe ius auf die gesagte Weise abgekürzt ist und das Anfangs-t von tutrinae einen kleinen Zuwachs links oben hat, der es mit dem voraus- gehenden o verbinden soll. Beide Eigenthümlichkeiten haben auch die Alcimus-Papyri in Paris, aber selbst in jüngeren Hdss. wie im Vergilius Guelpherbytanus sind sie nicht selten.

Ictus: f. 37” im Gedichte des Sulpicius Lupercus 649 Ries. v. 2

v liest man qóruit (für corruit), die Interjection o wird anstatt dessen durch einen Punct in der Mitte des Buchstaben charakterisirt (z. B. f. 32" zweimal).

Ferner ist zu bemerken, dass, wo erste Hand ein ausgelassenes i einschiebt, wie 157, 4 latimodo, oder einen anderen Buchstaben in i corrigirt, wie Technop. X 3 radicatus in radicitus, dies i ähnlich wie y gebildet wird; vom Hauptstriche geht ein kleiner Strich nach rechts oben ab. Es fehlen aber auch gewöhnliche i in solchen Fällen nicht (z. B. 157, 9).

Die Umwandlung des b, wo es vulgür statt u gesetzt war, durch eine lineola paulum assurgens am Hauptstriche rechts oben, wird, wenn ich recht verstehe, von H. J. Müller (Progr. des Fr. Werder'schen Gymn. zu Berlin 1876 s. 25) nicht als eine Massnahme spüterer Hand angesehen, sondern als Charakterisirung dieses b (significans illa haud dubie b ut u pronuntiandam esse), von gleich- zeitiger Hand: man darf diese Aenderung, die ziemlich consequent vorgenommen worden ist, vergleichen mit den häufig genug beob- achteten Vorgängen in anderen Hdss., z. B. der steten Ver- änderung der Machedones durch Rasur und erneute Setzung von c in Macedones in der Rhediger'schen Orosius-Hds.; ich weise sie der

selben späterer Hand zu, die auch beispielsweise ᾷ, wo eg für quae gilt, in q"** geändert hat.

Ueber die Diphthonge ag und og ist schon von L. Müller ge- sprochen worden. Auch der Bruxellensis der Mosella hat vereinzelt v. 24 moenia und deutet so auf eine alte Vorlage hin.

Eine Klage über Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen u und a, ] und lang i ist einzig an Stellen, wo durch äussere Schäden die höchst ckarakteristischen Unterschiede verwischt sind, gerecht- fertigt. Man muss eben jene Unterschiede zu beachten gelernt haben; wem der compendificirte episcopus einer Merowinger Hds. noch als Epheublatt ins Auge tritt, der muss allerdings sehr auf der Hut sein.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 261

Besonders zu nennen sind die Abkürzungen für nomen, noster, uester: nmen Prof. 9, 5; 24, 3 nme Prof. 1, 6 nma Prof. 9, 10; 11, 7; epit. 27, 2 (anstatt numina) nsa ep. 34, 12 nsas Par. 22, 10; 29, 3 ura Id. 4, 31 f. 30” der Hds. (diese Formen treten im Beginn des letzten Viertels der Hds. auf) nse Par. 21, 3, auch nore epist. 23, 30 use Par. 22, 2 nre Id. 5 f. 807 nsi Prof. 2, 27; epist. 25, 52 nsis Prof. 7, 20; Ecl. 15 (383) inser. isis Ephem. 157, 43 nsro epist. 24, 114 nso Par. 30, 8; Ephem. 157, 42 nsos Id. 8, 43 nsrm epist. 24, 119; Chilon 8 üsr eiuncta statt ueste reducta epist. 4, 38 (nis statt Nisi epist. 24, 42 um gibt Parisinus für uestrum oder uerum Ludus Thales 23).

Als dialectische Eigenthümlichkeiten der Hds. sind ausser der Vertauschung von u und b hervorzuheben: 1) die Schreibungen quum" 5), qum und quur, sequutus u. s. w., die auf der häufigen Vertauschung des c und qu beruhen, die sogar in Ludus dixere qui- dam statt dixi recedam erzeugt hat; Formen wie locor, condam statt loquor, quondam sind auf der anderen Seite nichts seltenes. 2) Ab- werfung des anlautenden 1 und hi vor sp und st: Spania, ste sta stum für iste u. s. w., selbst extimant für existimant Ludius 7. 3) Die constante Setzung von mici statt mihi.

Incipit findet sich nicht selten; selbst vor einem pluralis: in- cipit parentalia jedoch incipiunt tetrasticha bei den Caesares. Nirgends aber erscheint explicit; statt dessen wird finit und finiunt mehrmals gesetzt mit und ohne Namen des Stückes. Einige Male ist Finit erst von spüterer Hand (in longobardischen Zügen) zuge- setzt. FINIT findet sich, beiläufig bemerkt, auch am Schluss der Homilien des Avitus auf den Pariser Papyrus-Blättern;- hinter den wenigen Epistolae, die sich dort erhalten haben, steht statt dessen EXPLICIT. Um etwas ganz Neues mitzutheilen, sei erwähnt, dass im Münchener Codex der Gedichte desselben Avitus c 1 330 s. X hinter jedem der ersten fünf Bücher statt des gewöhnten Explicit ein EXPLICAT erscheint.

Es ist so selbtsverstündlich, dass auch die beste Abschrift eines Werkes ihre hüufig eigenartigen Fehler hat, dass ein Versuch, den Beweis davon zu führen, Eulen nach Athen tragen hiesse. Einige der Fehler, die vor dem Unfehlbarkeitsglauben in Bezug anf diese immerhin nur relativ beste Hds. warnen mögen, zum Theil solche, die in den letzten Jahren Gegenstand der Besprechung gewesen sind, ohne sichere Heilung bisher gefunden zu haben, wollen wir hier zur Erledigung zu bringen suchen.

135) Quum auch mehrfach im Leidener Theodulf-Codex (Lat. Q. 15). Eine Reihe der erwähnten Puncte erhalten ihre Aufklärung durch F. Rühls Mittheilungen zur westgothischen Palaeographie (Acta soc. phil. Lips. IV 876 fi).

262 R. Peiper:

Ephem. Schluss (157) v. 16. Die schlimmen Träume der Nacht hat der Dichter geschildert, die nach und nach entweichen:

probrosa recedit culpa tori et profugi minuiscunt crimina somni.

Minuiscunt ist eine Erfindung Scaligers, die mit Recht angefochten wird von G. Götz Philol 34, 295. Aber festhalten müssen wir Scaligers Ansicht, dass ein dem recedit entsprechendes Verbum in den Buchstaben der Hds. munus quu liege, quum also für cunt, nicht für die Prüposition cum stehe (munus cum crimine Vinet und Heinsius, wofür sich auch Axt entschieden; crimen cum munere, ein anderer Versuch des Heinsius). uanescunt (Götz) liegt zu weit ab: manascunt halte ich für das Ursprüngliche; vgl. Tibull. 3, 4, 81: ignauus defluxit pectore somnus; Prop. 1, 20, 2: id tibi ne uacuo . .defluat ex animo. Parent. III 1 ἢ:

Culta mihi est pietas patre primum et matre uocatis: Dicere set rea fit tertius Arborius.

Nicht die schlechteste Conjectur war die des ersten Herausgebers: Dicetur serie tertius A. Wie man zu den gezwungenen Erklärungen der handschriftlichen Ueberlieferung seitens Scaligers und Gronovs zurückgreifen kann, ist mir unerklärlich. Brandes hat sich eines an- deren besonnen; er schreibt: Dicere sed suasit. Indessen ist das ja das gerade Gegentheil von dem, was Ausonius wollte. Der Dichter begann Par. I 1 ἢ:

Primus in his pater Ausonius; quem ponere primum etsi cunctetur filius, ordo iubet. Es folgt Par. II 1 £.: Proxima tu, genetrix Áeonia. In richtiger Reihe folgt nun Arborius; wenn .die pietas diese Ord- nung gleichermassen empfiehlt, ist doch sie nicht in dem durch sed eingeführten Gegensatz bezeichnet. Die pietas gegen Arborius wird aber im folgenden in Conflict mit der gegen die Eltern geschildert: Quem primum memorare nefas mihi patre secundo, Rursum non primum ponere paene nefas. Der Dichter schrieb also zweifelsohne: Dicere set refugit: "Tertius Arborius'. Parent. IV 25: Amissum flesti post trina decennia natum. Mit Recht erhebt Brandes diss. s. 25 Einwendungen gegen diesen frühen Tod des berühmten Redners. Wenn er aber schliesst: 'restat

ergo, qua nodus expediatur, una duntaxat sententia, corruptum esse numerum', und quina für trina einsetzt, kann ich ihm nicht bei-

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 268

pflichten. Ich nehme ausser an dem Alter, auch an dem Ausdrucke selbst Anstoss: amissum post tr. d., und lese lieber: Amissum flesti per trina decennia natum “dreissig Jahre lang hast du deinen Sohn betrauert’; vgl. IX 8 Perque nouem caelebs te fleo Olympiadas. Es stimmt das auch viel besser zum folgenden Verse, wie man ihn immer corrigiren mag: Saucius, hoc dempto lumine cassus eras (oder hoc luctu). Parent. VII 4: Et patruos, elegea, meos reminiscere cantu: Contentum tellus quem Rutupina tegit. Magna cui et uariae quaesita pecunia sortis Heredis dullo nomine tuta perit.

Heinsius vermuthet zuerst fulta und entscheidet sich dann für tota. Es ist cauta zu schreiben; es liegt Horatius ep. II 1, 105 zu Grunde: Cautos nominibus certis expendere nummos,

wozu man Bentley vergleiche. Parent. VII 14: Commune hoc uerbi munus habete “Vale’, Brandes beruft sich auf diese Stelle, um Prof. XXIV 15: accipe acerbum Glabrio in aeternum commemorate ‘Vale’ acerbum mit uerbum zu vertauschen, wodurch gegen den Vergili- schen Gebrauch verstossen wird. Dem Heinsius missfiel hingegen an unserer Stelle der Ausdruck uerbi munus; er hariolirte umbris, uobis, Erebi und entschied sich für cineri. Das vorausgehende com- mune fordert: commune hoc ambo munus habete: Vale! Parent. VIII 6: Pulcher honore oris, tranquillo pectore, comis, Facundo ciuis maior ab ingenio. Vgl. I 12 quamquam et facundo non rudis ingenio. Cuiuis oder quiuis will Bührens, quouis Brandes. Vielleicht: Facundoque cluis maior ab ingenio. Parent. VIII 17 £.: Caelebs namque gener nunc haec pia munera soluo: Nam et caelebs numquam desinet esse gener: Das nam des Schlussverses betrachte ich als eine Marginal-Correctur, die an falscher Stelle in den Text gedrungen ist: Et caelebs numquam desinam et esse gener, und desinam et hat bereits Heinsius gefunden.

264 R. Peiper:

Parent. XI 1 f£:

Tu quoque maturos, puer immature, dolores Inrumpis maesti luctus acerbus aui. Ich lese: . Interrupisti, luctus acerbus aui. Mit maesti hat ein Leser den Ausfall einer Silbe, der durch den Fehler In für Inter eingetreten war, zu beseitigen gesucht. Parent. XII 1 f:

Si qua fuit uirtus, cuperet quam femina prudens Esse suam, soror hac driadia non ruit, 80 gibt der Vossianus, in welchem freilich im Worte non das o von anderer Hand zu gemacht und endlich non durch vier Striche ge- tilgt ist. Die Betonung des Namens Dryadia steht durch Parent. XXIII 10 und XXV 1 fest. Auf Dryadia muss also ein vocalisch anlautendes Wort gefolgt sein; nun, wie oft ist nicht non für ur- sprüngliches haud gesetzt worden! Sodann ist in der Vorlage die ursprünglich vergessene, dann übergesetzte Silbe entweder vom Li- brarius des Vossianus übersehen worden, oder sie mag im Voss. selbst übergesetzt worden und verblichen sein: Soror hac Dryadia haud caruit. Dass dies das richtige Verbum!?9), zeigt der folgende Vers: Quin etiam multas habuit Parent. XII 9. Von derselben Schwester Dryadia sagt der Dichter: Coniuge adhuc iuuenis caruit, sed seria uitam Moribus austeras aequiperauit anus. Geistige Frische der Matrone geht aus dem Vorhergesagten hervor; wenn sie in der Sittenstrenge mit den Strengsten wetteiferte, wird sie doch mit jenen die tristitia und morositas nicht getheilt haben: und dieser Gegensatz muss sich in den unverstündlichen seria uitam bergen; man schreibe seria uitans; vgl. XXII 8: Tu grauis et comis cum iustitiaque remissus, Austeris doctus iungere temperiem. In dem sich eng anschliessenden V. 11: Produxit celerem per sena decennia uitam,

kann nicht mehr von caelebs, wie Heinsius will, die Rede sein; der Gegensatz der tristitia und austeritas muss in dem Attribut von ulta ausgedrückt sein:

Produxitque hilarem per sena decennia uitam.!?”)

196€) Vgl. XXIII 6 Paulinus caruit quo pater eloquium. !*") Der Uebergang von q; hilarem zu celerem war leicht bei der vulgüren Ver- tauschung von qu und c, i und e und der häufigen Auslassung des &n- lautenden Hauchlauts. -

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 265

Parent. XVI 1: . Tu quoque, uel nurus mihi nomine uel uice natae, Veria, supremi carmen honoris habe. Das Scaliger'sche nuruis bezweifelt auch L. Müller de re m. 381. Ich sehe nur die Móglichkeit zu schreiben: Tu quoque siue nurus mihi nomine 8eu uice natae. Parent. XXIII 16: Nondum purpureas cinctus ephebe genas, doch offenbar tinctus. Parent. XXIII 17: Quattuor ediderat nunc facta puerpera partus: Funera sed tumulis iam geminata dedit.

Das einzig Vernünftige hat Brandes bislang vorgebracht diss.

S. 39: nunc fracta. Man muss da also ediderat puerpera verbinden:

das ist doch mindestens ein ungewöhnlicher Pleonasmus. Ich lese: Quattuor ediderat, nunc functa puerpera, partus.

Wie Brandes bei Ausonius, so habe ich bei Catull 67, 6 fracta für facta eingesetzt:

Postquam est porrecto fracta marita sene. Aberauch dort ist functa das Richtige und längst durch Statius gefunden. Parent. XXVI 7:

Ergo commemorata aue! maestumque uocata Pro genetrice uale!

abe Vossianus. Dies aue uale sieht doch recht seltsam aus; ich vermuthe es steckt in dem Worte ein consonantisch beginnendes Adverb zu commemorata, vielleicht pie. Vgl. Parent VI, 2 affectu nati commemoranda pio. Dass ist gewiss besser als wenn man zwei- mal uale lesen wollte: wozu die häufige Vertauschung von uale und aue verleiten könnte, z. B. ep. XXV v. 32, wo Til. salue atque aue für salue atque uale bietet.

Ludus Praef. 13:

Pone obelos igitur spuriorum stigmata uatum: Palmas, non culpas esse putabo meas.

So hat man thürichter Weise geschrieben und den Homer unter die spurii vates versetzt; prauorum versucht gar Heinsius. Die Lesart des Vossianus ist unantastbar, primorum; woraus im Parisinus irr- thümlich puriorum wie auch Ugolet gibt geworden ist.

Mit nicht minderem Unrecht hat man am Schluss der Vorrede v. 18 derselben Hds. schöne Lesart: Optabo ut placeam: si minus, ut lateam, verschmäht.

266 Β. Peiper:

Prologus 24 ff.: non hac causa huc prodii,

Ut expedirem, quis theatra, quis forum,

Quis condidisset priuas partes moenium:

Sed ut uerendos disque laudatos uiros

Praegrederer agere quid uellent sibi. v. 28 ist unvollständig; man hat in agere den Fehler gesucht und geschrieben: ac referrem (Bip.), ecfarerque und ederemque (Heinsius), aegre dixim oder dicam (Scaliger): Vinetus allein scheint die Er- günzung eines Verbums nach praegrederer für überflüssig gehalten zu haben; er schreibt: Progrederer agere quidnam uellent hi sibi. Mir scheint mit der Ergänzung von coram die Stelle geheilt:

Praegrederer, agere coram quid uellent sibi. Prolog. 29 £.: Pronuntiare suas solent sententias, Quas quisque prouidentium anteuerterit. V: quas 8j quisquam prudentum, P: quas quisquam prirdentum; d. h.: Quas quisque iam prudentium anteuerterit oder getrennt ante uerterit? Die Worte: Scitis profecto quae sint, sind als Parenthese zu fassen. Melete to pan. Die beiden Verse, die diese Sentenz behandeln, lauten in VP: Ludius 15: meditationem esse qui totum putant. Periand. 3: meditationem esse totum quod (qd& P) recte geras. Beide fehlerhaft: die aufgenommenen Correcturen kónnen nicht ge- nügen: Esse meditationem t. q. p. Meditationem id esse totum quod geras. (Accursius.) Wie kommt recte in den zweiten Vers, wenn totum quod geras das Ursprüngliche war? Ich meine, quod recte geras ist Schreibung des Verfassers, der 2. Vers durch Beischreibung des ersten, nachdem derselbe selbst eine Verstümmelung erfahren, inficirt. Der erste, glaube ich, lautete: Meditationem posse qui totum putant, vgl. Incerti Aulularia 49, 8 meiner Ausgabe: nisi ubique faueat totum ille qui potest; der zweite, wie ihn Heinsius herzustellen gesucht: Meditationis esse, quod recte geras.

Ludius 18. Thales ἐγγύα, näpecrı δ᾽ ἄτη protulit. engyea paradata VP, indessen Thales 18 geben die Hdss.: Engia paradata V, Engya paradita P, und die Abweichung an unserer Stelle wird nur ein kleiner Fehler sein. Die Verkürzung der Schlusssilbe von Thales dürfen wir schwerlich zugeben; wir kommen mit Ein- schiebung von sed dahinter aus: Thales sed ἐγγύα, πάρα δ᾽ ἄτα protulit.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 261

Die Stelle Thales 18 ist denn auch, um πάρεςτι δ᾽ ἄτη hinein- zubringen, willkürlich behandelt worden: vor dicimus geben die Hdss. ecce P, &ce V; lies: Nos ἐγγύα, πάρα δ᾽ ἄτα graece dicimus. Latinum est sponde: noxa sed praesto tibi. noxa praesto tibi est VP. Solon 6: Recte olim ineptum delphicus ait deus. lusit und iussit sind versucht worden, besser suasit. Solon 8. Die Hdss. geben: ut in orbe tereti nominum sertum incideret. nominum sertum ist ohne Anstoss, man schreibe inderet, auf in- cideret konnte ein Abschreiber leicht verfallen. Solon 28: fines qui agelli proprii numquam excesserat.

qui fehlt in VP, eher wird is hinter proprii eingeschalten sein. Solon 45: Die Vulgata lautet: Croesus ad regem illico Deductus lectam per ministrorum manum,

Die Hdss. indessen geben: per ministrorum ducitur lectam manum,

nur dass P ducit hat. Der Fehler kann nur in ministrorum liegen; man schreibe: per militarem ducitur lectam manum.

Solon 50: . Laudat Solonem: Croesum in amicis habet.

C. hinc in amicis schreibt Heinsius, besser wäre inde gewesen; doch wird wohl zu lesen sein:

Croesum unum in amicis habet.

Chilon 3: Hui quam pauca quam diu loquuntur Attici. diu bedeutet nun einmal nicht, was man ihm hier unterlegt: longo temporis spatio, sondern: longum tempus; quam fehlt in den Hdss. Chilon sagt ironisch: O wie kurz fassen sich doch die Attiker:

Hui! quam pauca, di, loquuntur Attici! Cleobulus 7: persequar per ordinem.

porro ordinem ist einer Áusgabe der Breslauer Stadtbibliothek bei- geschrieben.

Cleobulus 14. Man lese:

uita in omni quicquid est, Istum requirite optimae pausae modum. Bias 1. Der Ludius sagt v. 11:

Bias Prieneus dixit: oi πλεῖετοι κακοί. Quod est latinum: plures hominum sunt mali,

268 R. Peiper:

Damit stimmt schlecht das Quadrisyllabum Prieneus an dieser Stelle:

Bias Prieneus dixi: οἱ πλεῖςτοι κακοί. latine dictum suspicor: plures mali.

v. 2 muss an v. 1 angeknüpft werden:

Bias Prieneus quod dixi: oi πλεῖςτοι κακοί, latine dictum suspicor: plures mali.

Bias 10: Sed nemo quisquam tam malus iudex fuat, qui non amborum partibus se copulet.

Vulgo wird qui non bonorum gebessert: lies quin iam bonorum mit Heinsius.

In v. 12 ist illud aus V zu schreiben.

Pittacus 8: Ad Antiphilam quo uenerat seruus Dromo.

quom schreibt der Leser des oben citirten Exemplars. Im Heautont. 364 (II 3, 124) ist es nun nicht Dromo, sondern Syrus, der die Worte spricht: In tempore ad eam ueni; und an der ersten kann Ausonius bei seiner völligen Bedeutungslosigkeit gar nicht gedacht haben; dazu kommt, dass die Handschriften nicht Dromo geben, son- dern V dromö, P drimö, d. h. dromon oder drumon, Schnellsegler (8. Du Cange dromones): ein Wort ganz geeignet die Schnelligkeit eines Sklaven auszudrücken. Eine Glosse hat Syrus dromo zu seruus Dromo gestaltet. Erklärlicher und mehr zu entschuldigen ist es, dass Ausonius Antiphila statt Bacchis setzt; um der ersteren willen strengt ja Syrus seine Schlauheit an; ihrer gedenkt Ausonius auch im Schlussvers des Technopaegnion (Heaut. 290). Vrbes, Capua 1:

Nec Capuam pelago cultuque penuque potentem Deliciis, opibus famaque priore silebo.

'distat a pelago Capua’ meint Heinsius und schreibt largo: der an- geführte Grund zur Aenderung ist nicht der hauptsächlichste, diese selbst trägt einen Pleonasmus hinein, der die Ausdrucksweise nur, schwerfällig macht. Ich war ehedem versucht zu schreiben:

Nec Capuam polego... silebo.

At pol ego neque florem neque flocces uolo mihi, uinum uolo, sagt Caecilius Statius 190 R. Was zunüchst dagegen einzuwenden, B. oben S. 244. Ferner würde auch hier, wie bei Heinsius, die noth- wendige nühere Bestimmung zu cultu und penu fehlen. Das ist doch wohl glaebae; der Dichter hat Vergi] A I 531 (potens armis atque ubere glaebae) nebst Ge. II 224 (talem diues arat Capua) im Sinne.

Tolosa 9: |

Quae modo quadruplices ex se cum effuderit urbes,

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 269

Non ulla exhaustae sentit dispendia plebis: Quos genuit cunctos gremio conplexa colonos.

colonos ist nach dem Verausgehenden völlig überflüssig, während eine nothwendige Bestimmung zu gremio, dessen Fruchtbarkeit be- zeichnend, fehlt. Das Verlangte gibt: gremio conplexa colono. Dies Adjectiv braucht Sedulius 3, 9 de Christo: Quippe ferax, qui uitis erat, uirtute colona omnia fructificans.

Narbo 4 Insinuant qua se Sequanis Allobroges oris.

qua Sequanicis vermuthet Heinsius, um die gewöhnliche Quantität des Namens herzustellen. V gibt: q? esse cauis allobrogis oris; P: qua sese cauis allobro gessoris. Aus letzterem macht Ugolet: qua sese graiis Állobroges oris und das ist mit kleiner Aende- rung festzuhalten:

qua 8e Grais Allobroges oris.

Der Punkt soll bezeichnet werden, wo die Allobroger eindringen in die Provinz, nicht der, wo sie; in der Provinz sitzend, sich mit auswärtigen Stämmen berühren. In der Nähe der Alpes Graiae aber waren ihre Sitze.

Epist. II Pater ad filium, cum temporibus tyrannicis ipse Treueris remansisset et filius ad patrem profectus esset.

Man hat & patre verbessert, was allerdings mit dem Schmerze über die Trennung, den das Gedicht ausspricht, wohl in Einklang stände, indessen doch zu gesucht erscheint. Der Sohn ist ad pa- triam gereist, nach Bordeaux.

Epist. I v. 11 ff, Ausonius ad patrem de suscepto filio:

Quippe tibi aequatus uideor, quia paruulus isto Nomine honoratum me quoque nobilitat;

Atque aetas quia nostra eadem. Nam supparis aeui Sum tibi ego et possum fratris habere uicem.

Jenes Átque in v. 13 ist gegen die Hds.: denn diese gibt Bona aetas; Heinsius versuchte Adde und Paene, das letztere auch Axt. Durch alle diese Vermuthungen wird indessen 80 wenig den Zügen der Hds. als dem Sinne Rechnung getragen. Von dem Alter will Ausonius grade abgesehen wissen; vgl. v. 25 f.

Annos me nescire tuos, pater optime, testor.

Die Worte der Hds. Bona etas sind entstanden aus der Schreibung: Non aetas. Infolge falscher Zertrennung des Diphthongs ae, der in 'V so häufig erscheint, wurde aus Nona Bona gemacht.

Für habere gibt V abare, wofür Heinsius amare und obire conjicirt. Das Erste scheint mir richtiger.

Epigr. 10 In Eumpinam adulteram.

In V allein steht dieser unerhörte Name, aus dem Scaliger Euna- pia herauslas. Mir scheint Eurypylam (geschrieben Euripulam)

210 R. Peiper:

sicherer zu sein vielleicht ein Analogon zu εὐρύπρωκτος, viel- leicht ohne Nebengedanken zufällig aus Anacreon oder der Antho- logie aufgenommen.

Epigr. 34 Hunc studeo ulcisci: et prompta est ultio uati: so alle Hdss., Voss., Paris., Z; haec hat Girardinus vor ultio ein- geschoben. Schreibe: et iam prompta est ultio uati.

Epigr. 35

Vn& quidem geminis fulget set dissita punctis Littera: praenomen sic nota sola facit.

Mit dissita punctis littera ist ein von zwei Puncten eingeschlossener und so vom vorausgehenden und folgenden abgetrennter Buchstabe bezeichnet (dissitus soviel als dissaeptus); in v. 2 muss also .L. ergänzt werden. Wäre der Name Lucius schon in v. 1 genannt, wie es in Z geschieht:

Lucius una quidem, geminis sed dissita punctis Littera

so würe die Ergünzung überhaupt nicht nóthig.

Epigr. 44 Hoc genere et chordas et plectra et barbita conde. lies condes; denn V gibt condis.

Idyll.I Versus pascales procodicti V Die Abkürzungen sind in den Titeln nicht selten entstellt.U?) Dem Sinne nach passt einzig die Auflósung pro dominis dicti.

Idyll VIII Precatio.

Lucian Müller leugnete einst (Fleckeisens Jahrb. 1861 8. 641), dass durch den versus intercalaris eine strophische Gleichmässig- keit angedeutet werde. Ich selbst meinte (Fleckeisens Jahrb. 1863 S. 621 Anm.), er kónne sich für diese Ansicht hóchstens auf Auso- nius “precatio consulis designati und die Dirae berufen. Für die letzteren, die seither öfters besprochen worden, unterliegt die ge- forderte Gleichmüssigkeit keinem Zweifel mehr: ich selbst bin diese Meinung zu begründen immer noch verhindert gewesen. Für Auso- nius Gedicht sie klarzulegen werden einige Worte: genügen.

Es erscheint in diesem Gedicht viermal wiederholt (v. 1, 28, 86, 44) der Vers:

Iane, ueni; nouus anne, ueni; renouate ueni Sol!

Ihm zu Liebe hat man das Gedicht in vier Theile zerfällt, von denen die drei letzten einander gleich oder fast gleich sind: mit Ausschluss des Intercalaris siebenzeilig, der letzte achtzeilig.

Der erstere lüngere Theil aber, den man ohne Absatz von v. 1—27 in den Ausgaben liest, zerfällt von selbst in vier sich scharf sondernde Abschnitte: .

188) Ep. 10 adult; ep. 122 de ausilio GRAM -M;;, d. h. gramma- tico, vgl. Prof. 11 GRAMM BVRDI d. h. Grammatico Burdigalensi; Prof. 12 GRMCO; Prof. 24 GRAMM BYRDEGAN ; Ludus: Drepanio PRocóesl'àid (?).

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 211

1. Einleitung: Ausonius Consul, der Hóchste nach dem Kaiser. 2—4. Die eigentliche Precatio, a) günstige Witterung, b) Fruchtsegen, c) glückliche Gestirne erflehend.

Der erste Theil hat fünf, die übrigen je sieben Verse.

Der Intercalaris, an die Spitze der Strophen gestellt, ist vor Str. 1 syntactisch mit der Strophe verbunden durch den auf Sol sich beziehenden Vocativ:

Consulis Ausonii Latiam uisure curulem.

Das ist als falsch zu bezeichnen den übrigen Strophen gegenüber, zunüchst v. 29 (Hostibus edomitis ist mit Iam uenit Augustus zu verbinden; hinter Alanis ist statt des Punktes ein Komma zu setzen) und v. 37. Auf v. 45 darf man sich nicht berufen; dort hebt ja mit dem Imperativ Coge immerhin ein neuer Satz an. Aber wenn ich eine enge Verbindung von v. 45 mit dem vorausgehenden Inter- calaris zugebe, so wird es doch auffällig erscheinen müssen, dass der folgende Vers mit einem so stark betonten Tu anhebt. Dies Tu hat ja dasselbe Gewicht wie die Wiederholung des Sol in dem ersten Verse der voraufgehenden Strophe:

làne ueni, nonus anne ueni, renouate ueni Sol. Aurea uenturo, Sol, porrige gaudia Iano.

Solehe nachdrucksvolle Wiederaufnahme eines besonders wichtigen Wortes desIntercalaris im folgenden Verseistein wohlgestattetes Kunst- mittel. Daraus ergibt sich, dass v. 46 den Anfang der Schluss- Strophe bildet: der vereinzelte v. 45 fällt nun aus der Strophe heraus ich lasse dahingestellt, ob er eine Dittographie ist oder in die fol- gende Precatio zwischen v. 7 und 8 gehört, die auf die unsrige Bezug nimmt, wie sie denn auch mit Worten unserer Precatio (v. 7 Anne bonis coepte auspiciis) anhebt die Schlussstrophe stimmt also in der Verszahl mit den übrigen ausser der ersten, und auch diese werden wir nun auf die Sieben-Zahl bringen, indem wir die obgedachte Incon- venienz durch eine Lücke, die die ersten Verse des Gedichts gleich nach dem Intercalar verschlungen, erklären. Dreimal ist also der Intercalaris zu ergänzen! Ich kann mir denken, welche Schwie- rigkeit die darin finden, die sich ein Product des Alterthums von seinem Verfasser in allen Aeusserlichkeiten so redigirt vorstellen, wie sie selbst eg heut zu Tage nach langer Uebung erst und kaum noch mit Hülfe des geübten Setzers ermöglichen; die Kritiker, die - ein Schwanken z. B. in orthographischen Dingen bei den Alten für ein Ding der Unmöglichkeit halten, denen ein Incipit oder Explicit über der Linie als Barbarei erscheint. Es würe eitele Mühe, ihnen die zahlreichen Stellen nachzuweisen, wo solche Auslassungen wohl bezeugt und anerkannt sind, sie aufmerksam zu machen auf die Gründe dieser Auslassungen, die offenbar in missverstandenen oder vernachlässigten Zeichen des Originals liegen. Worte, wie sie W. Christ in der neuen Auflage seiner Metrik 8. 651 wieder gesprochen:

212 R. Peiper:

*Die Bemühungen neuerer Kritiker, eine regelrechte Gliederung her- zustellen, rütteln theils zu sehr an der handschriftlichen Ueberlie- ferung, theils laufen sie auf viel zu complicirte Responsionsverhült- nisse hinaus', sind nur als eine Mahnung zum Masshalten gut; ich besorge weniger, so sichere Ergebnisse, wie beispielsweise die von mir gefundenen ursprünglichen Formen von Catulls Parzenlied und Vergils achter Ecloge!??), durch sie wieder in Frage gestellt, als vielmehr den unbefangenen Blick und üsthetischen Sinn derer be- mängelt zu sehen, welche sich ferner zu Vertheidigern der bisher üblichen Anordnung jener Gedichte hergeben, für die nothwendig wenigstens eine bestimmte Absicht des Dichters nachgewiesen wer- den müsste, eine Absicht, die doch nur auf Verhöbnung einer klar und bestimmt angedeuteten Kunstform gehen könnte, mit dem Wesen ihrer Gedichte also total unvereinbar wäre.

Im Einzelnen findet sich in unsrer Precatio manche Corruptel. V.6 lese ich mit Heinsius:

Hoc apice aeternis signat sua tempora fastis

statt Hoc capite. Derselbe verbindet Septembribus horis mit v. 10 Mordeat autumna frigus subtile pruina. V autumnas pruinas, worin wohl eher autumnis pruinis liegt. Stark ändert Heinsius im folgenden Verse: Attenuata (oder At tenuata?) Notis certet modiocribus aestas.

V Et tenuata modis cesset; vielleicht ist nur moris c. mediocribus zu Schreiben, Unerträglich ist v. 27:

Nonnumquam hospitibus facilis Cyllenius adsit. Es muss heissen: Nec numquam adsit oder Non umquam absit: *C. möge stets in Verbindung mit Juppiter und Venus schei- nen’. In Nonnunquam ist n vor u in der Hds. ausradirt.

Im Technopaegnion bedarf das Capitel de litteris mono- syllabis mehrfach der Berichtigung, theils auf Grund der Hs., theils durch Conjeotur. Man schreibe !*):

v.3 HTA quod Aeolidum quodque Εἰ ualet, hoc latiare v. 5 Hoc tereti argutoque sono negat attica gens v. 20 Haec tribus in Latio tantum addita nominibus praeualuit post quam, Gammae uice functa prius, atque aliam pro se titulo replicata dedit: v. 26 Coppa fui quondam boeotia, nunc latium v. 16 ist Pe, 17 Graeco mit V zu schreiben.

Sümmtliche Monosyllaba des griechischen und lateinischen Al- phabets finden sich besprochen und als Versschluss verwendet: von

eogonoms

19) S. meine Beiträge zur Kritik von Catulls Gedichten Breslau 1875, S. 15 ff. Fleckeisens Jahrb. 1864, S. 456 ff. xv 8 εἰ fehlt γι latiar V 5 egat V corr. Scaliger | o] "vulg. 8 20 addit V quam vulg. 22 Adque V | 6] C, V 26 cappa V | fui V | b? &ia V | ^ v.

dm."

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 213

den lateinischen fehlen freilich die mit Vocal beginnenden f ]r s, m und n werden mit den griechischen Buchstaben gemeinsam be- handelt, x y (z) als griechisch angesehen. Was kann da in v. 23 für ein Buchstabe unter der Gestalt des O- sich bergen:

Ansis cincta duabus erit cum iota, leges ©.

Ich kann nur an cáv für ciyua denken und verweise betreffs seiner dem hebräischen Schin entsprechenden Form w W der Kürze halber auf Passow-Rosts Handwörterbuch d. griech. Spr. 1852 II 1359.

Epist. V, 17

An quia per tabulam medico pugnante notatam

Das thörichte medico ist zu beseitigen; zunächst muss man aus den Spuren der Hds. (edica) edicto herauslesen; dies also wird zu prüfen sein.

Epist. V, 24

» Ergo aut praedictos iam nune rescribe Darios Et redime, ut mora sit libera desidiae

rescribe et redhibe ist wohl richtiger. In v. 2 dieses Briefes liest auch Heinsius expediens.

V.

Die Handschriften V und Z in ihrem gegenseitigen Verhältnis. Excerpt-Hdss. der Klasse Z.

Der Vossianus-zeigt sich dem zuerst bekannt gewordenen Ge- dicht-Corpus gegenüber als eine authentische Ausgabe. Man ver- gleiche zunächst das frühere liber epigrammatum mit den aus Voss. bekannt gewordenen Mpitaphien- und Epigrammen-Reihen. Aber auch die Disposition im ganzen macht den Eindruck der Wahrheit und Unverfälschtheit.

Voran gehen:

1. drei Praefationes: Lectori, Syagrio, Theodosio (477°— 477%, 469); es folgt:

2. Ephemeris, von der aus Z nur die Oratio bekannt war, 151—157 mit Incipit und Finit;

3. Eclogarum liber, ohne Vorrede und Widmung, mit Incipit, das sich mit dem in den Ausgaben stehenden im Inhalt nicht ganz deckt: auch Idyll XIX (= 366 Herculis aerumnae) findet sich darin;

4. Precationes pridie Kal. Jan, und Kal. Jan, Id. VIII, IX = 332, 333;

Jahrb, f. class. Philol. Suppl. Bd. XL 18

214 R. Peiper:

5—7. Parentalia, Professores, Epitaphia, die ersten beiden mit Incipit, die letzteren mit Finit;

8. Epyllia (?) mit Vorrede an Drepanius Pacatus 471, in der der Verfasser die folgenden Sachen als nugae und quisquiliae be- zeichnet; es kann folglich von den auf diese Widmung folgenden Ge- dichten nur Id. XV—XVIII, Ecl. I, II (= 362 365, 368, 369), nicht die weiteren gemeint sein. Der Titel fehlt;

9. Eine auf das Leben des Áusonius bezugnehmende Gedicht- Reihe: Villula, Versus paschales (Id. III, I = 320, 317), die für un- echt gehaltenen und in den neueren Ausgaben fehlenden Versus rho- palici (auf diese jedoch, und nicht auf 317 scheint die Einleitung von 318 hinzuweisen), Epicedion (Id, II = 318, 319. lectori suo ist die Widmung). Das Gedicht Villula mit Incipit, Epicedion mit In- cipit und Finit;

10—13. Vrbes mit Incipit; Technopaegnion (die Vorrede an Paulinus fehlt); Ludus dem Drepanius Pacatus wie das Technop. ge- widmet; Caesares nebst den Fastengedichten 147, 148 (149 und 150, die Widmung an Proculus, fehlt) dem Hesperius zugeeignet;

14. Briefwechsel: a) mit Symmachus (vorauf der Griphus); b) Axius Paulus; c) Theon; d) Hesperius (darin Genethliacon und Protrepticus); e) Pontius Paulinus an den des Paulinus oratio angeknüpft wird bei einigen kommt Incipit und Finit vor; endlich

15. Epigrammata de diuersis rebus, wie das Anfangs-Gedicht 34 zeigt dem Proculus gewidmet.

Man kann ja wohl Einzelnes in dieser Anordnung anders wünschen, und selbst den Versuch machen, die Ordnung zu bessern; wenn man beispielsweise das ganze Eclogarium mit den beiden Pre- cationes hinabrückte hinter die vorläufig als Epyllia bezeichneten Gedichte, so würde die in den Hendesasyllaben (471) gegebene Charakteristik der Sammlung scharf hervortreten, die vereinzelten Precationes aber, aus ihrer Vereinsamung gerissen, sich an die ver- wandte Reihe wohl anschliessen. Eine derartige Versetzung ist ja nichts Ungewöhnliches. Für jetzt können wir solche Fragen noch dahingestellt lassen.!*!)

Einen dem ganz entgegengesetzten Eindruck gewinnen wir von den Z-Hdss., in denen zunächst in gewaltiger Unordnung das liber epigrammatum erscheint, dann die Versus paschales, darauf wirr durch einander eine Anzahl Briefe, nicht nach den Correspondenten gesondert wie im Voss.; ein dritter Theil bietet Herculis aerumnae und Caesares-Fragmente nebst Epigrammen, darunter auch eine ecloge de mensibus; es folgt die prosaische Gratiarum actio, die Spielereien Technopaegnion, Griphus und Cento, wiederum eine An-

M!) Ein nicht unbedeutender Einwand dagegen würde schon der Umstand sein, dass vor jenen Eclogen, die mit 872 60]. V beginnen, ein Incipit steht.

Die handschriftl, Ueberlieferung des Ausonius. 215

zahl Briefe (zu denen auch Epicedion und Protrepticus sich rechnen lassen), dazwischen die Oratio matutina, am Schluss endlich Cupido und Bissula: also ein planloses, wirres Sammelsurium, das wir nicht mit Hieronymus Alexander gewaltsam umordnen dürfen.

Dass nicht erst dem 15. Jahrhundert die Schuld beizumessen ist, eine früher vorhandene Ordnung aufgelöst zu haben, ist leicht nachweisbar aus den erhaltenen Excerpten dieser Familie, die, schon in frühere Zeit zurückreichend, dieselbe Anordnung befolgen.

Für die Epigramm-Reihe zunächst beweisen es die Pariser Excerpte im Cod, 18275 S. XIII!*?), dieselben enthalten:

M?) Die Hds., früher Cordeliers 100, entstammt dem 13. Jahrh. Sie enthält Fulgentius Fabularum libri III. Physica editio super 12 libros Eneidos. Expositio sermonum antiqq. ad Calcidium. Ferner den Brief- wechsel des Seneca und Paulus. F. 237 Disce notas apicum quae sunt primordia uocum 21 Verse. Est ubi non imber nec ros dilabitar um-

uam 28 Verse (die ersten vier in Riese’s Anthol. 906 nach Pithoeus), dann Martialis Xenia, F. 26” ein philosophischer Tractat: Quoniam, ut ait Tullius in prologo rethoricorum Am Ende sagt der Verfasser von sich: apud Montem Pesulanum constitutus sum ab auditoribus meis eic. Darauf folgen von derselben Hand zwei Blätter Ausoniana mit der, Ueberschrift ‘In ausonio contra miselatos'. Die Titel sind nur bei ein- zelnen Epigrammen gesetzt: 12 In simulacrum occasionis et penitentie. Epit. 82 Epytaphium anicie in ausonio. 19 Ad uxorem. 23 Ex greco. 88 Epytaphyum Veneris. 79 Cupidini. 80 Veneri. 91 Ad Marcum. Daraus erkennt man Anschluss an die ed. pr.; der Tilianus lässt diese Ueber- schriften weg. Auf das letzte Epigramm (92) folgt:

Grande honus in musis tot secula condita cartis quae sus uix tolerant tempora nostra grauant.

Incipiunt monostica de erumnis Herculis. Darauf die Monostica 256— 259, dann: Mellito nepoti Ausonius. Sunt etiam musis etc. (Protrepticon 1—17, 26—28). Darauf: Ad amicam. Ecce rubes nec causa subest: me teste pudicus Iste tuus culpam nescit habere pudor; Et uice populeae frondis tremis et uice lunae, Puniceam maculant lutea signa cutem; Amplexus etiam nostros pudibunda recusas Et, si testis adest, oscula seua (seta m. pr.) fugis. 4 Consuetudo oculis nil sinit esse nouum. Ich kann nicht sofort den Verfasser dieser Verse nachweisen, aber hat och selbst ein Bührens die Quelle des Dido-Epitaphs, das er Rhein. Mus. XXX 604, und ich selbst ebenda XXXII 527, anführte es steht bei Ovid. Her. VII 193 f. nicht angegeben.] Nil metuam cupiamque nichil (Ausonii Oratio v. 59—78 und 58). Darauf: De temporibus monostica (Ausonii ecloga n. 875). Ohne Tren- nung folgt von derselben Hand: Dum petit haec dirum manus os manus illa catinum Dum manus haec ibat manus altera plena redibat. €. Cerula quae patulo lucet ficedula limbo cum tibi sorte datur si sapis adde piper. 18*

210 R. Peiper:

Epigr. 6 Epigr. 49 Pet 18 v. 7 £45) 19 +10 80 12 +81 +epit. 32 (249) +82 Epigr. 13 783 19 89

+23 90 v. 78 33 91 +36 v. 7—10 +92

+epit. 31 v. 1, 2 T Epigr. 72

Das ist die Ordnung des Tilianus; aber auch der Text selbst weist uns auf diese Familie hin.

Für die übrigen Theile der Sammlung bestätigt es nun der erste Guelpherbytanus (Gud. 145 chart.), geschrieben zu Jadra 1445, der ohne jenes Zeugniss freilich weniger Gewicht bean- spruchen dürfte. Hec sunt carmina que reperiuntur de omni opere Ausonii Theoni?. Epigr. 3. 5. 6. Epit. 36. Epigr. 8. 45. 147. 10. 11. Epit. 32. Epigr. 13. 19. 20. 119. Epit. 28. Epigr. 42. 70. 120. 71. 127. 78. 23. 79. 80. 81. 86. Epist. X. Cupido (324. 325), Bissula 330 und 331. Cento nuptialis. Explicit Am Iadre. VIIII? kl’ Augusti 1446. Ego Baptista dedus Feltrien dum Cancellarius essem. M*. Capitan Iadre transscrips. Zu Hyadra, erinnern wir uns, ist auch Kings-Ms. 31 im J. 1475 geschrieben. "Bonae notae fuit archetypus' hat bereits Brandes S. 10 seiner Disser- tation anerkannt. Die Folia recta der Hds. sind oben mit einem rothen F, die Folia versa mit rothem AV, f. 1" und 9", wo Dedos Hand aufhört (f. 10 ist leer), mit F AV bezeichnet. Von alter Hand sind die Blätter anders numerirt: .171. bis .180. Auf £f. 11" und 11" folgt von anderer Hand und anderer Tinte schön geschrieben die Egloga de ambiguitate uite (Idyll XV) Auch das Papier ist ein anderes: foll. 1 10 haben als Wasserzeichen einen Stern, f. 11, mit dem unbezifferten Blatte vor f. 1 zusammenhängend, eine Wage. Die zwei den Umschlag bildenden leeren Blätter führen als Wasser- zeichen einen Narrenkopf mit Schellen behangen.

Der zweite Guelpherbytanus (Augustanus, 10, 9) f. 367'— 46* enthült dieselbe Sammlung; aber er ist nicht aus der Hds. von Jadra abgeschrieben und steht, trotz guter Schrift, jener durchaus nach,

A ——

Lectio crebra ualet quam non obliuio tollit

et recolis plene cum tibi prebet opus.

proficit hic numquam cui 'sepe "lecta nouantur;

nam perit exiguo lectio lecta diu;

quod putat esse aliud hoc erit illud idem. Die letzteren gehüren einem mittelalterlichen Gedichte *Liber V clauium' an (v. 67 ff) F. 56" enthält Proben aus Martialis (I 4. I 8, 5 f. I 15, 11 f. I 18. I 19 etc). 148) Durch vorgesetztes Kreuz bezeichne ich die auch im Vossianus erhaltenen Stücke.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 277

Die Ueberschrift lautet hier: Ausonii Theonii ex omni opere frag- mentum. Am Ende: Finis. Ausonii Poete fragmenta expliciunt. Idyll. XV fehlt. Hinter den Priapea (f. 47—58") folgt eine Reihe leerer Blütter; auf der letzten Seite finden sich Ausonius Epigr. 83 und 82 mit Angabe des Verfassers (Ausonius und Idem). In diese Excerpten- Sammlung gehóren letztere Beide nicht, sie müssen aus anderer Quelle geschópft sein; und wirklich finden sich beide in dieser Umstellung bereits in einer Vorauer Hds. des 12. Jahrhundert (n. 111), über welche Wattenbach im N. Archiv II 403 berichtet hat; hier ist aber der Name weggelassen und in 82 heisst es fehlerhaft: est gratia namque est, und: properas. Eine ältere Quelle also liegt beide Mal zu Grunde.

Dieselbe Sammlung ist es offenbar, die im Cod. Marcianus cl. XII, cod. VIII chart. s. XV in ἢ, 93— 99 vorliegt: Ausonii Theonii poetae praestantissimi carmina ex omni opere suo deflorata. Näheres über sie habe ich nicht mitzutheilen.

Jenes Pythagoricon (Id. XV, n. 362) hat zuerst Avantius 1507 publicirt; sein Text schliesst sich eng an den Gudianus an, mit dem er auch in v. 26 ducere statt degere liest. Von einem Cod. Ve- netus s. XV (codd. latini cl. XII c. LXIX) hat soeben G. Gótz in Fleckeisens Jahrb. 1878, Bd. 117 S. 768 Nachricht gegeben. Er enthült einen besseren und vollstündigeren Text als der Gudianus. Das Gedicht steht nämlich auch in Paris. 8500 mit Hinzufügung des von Götz mitgetheilten christlichen Urtheils. Und nach dem oben Gesagten muss das die Quelle sein, aus der Avantius es entnommen. Wenn Beide offenbar auf die für Avantius genommene Abschrift des Parisinus zurückgehen müssen, so bietet doch Gudianus schon den von Avantius überarbeiteten Text, der Venetus die Original-Les- arten; letzterer gibt das Schlussstüick vollständig, der Gudianus lässt die Ueberschrift sammt den griechischen Versen aus. Ich darf wohl das Stück nochmals abdrucken lassen mit den Abweichungen der Hdss.:

Haec quidem pythagorica est apophasis secundum tale quod subiectum est distichon: πρῶτον μὲν μὴ φῦναι ἐν ἀνθρώποιειν dpicrov, δεύτερον ὅττι τάχιςτα πύλας 'Aíbao περῆςαι. 1—4 lässt G(udianus) weg, in M(arcianus) sind von 1—2 am

Rande nur noch die Worte Pythagorea apophasis . . Disticon er- kennbar. 1 poetagorica P(arisinus) pythagorea M | apofasis P apo-

phasis M acroasis G. Götz.) 3 πρῶτα PM φοιναι P | avepuroiciv P 4 deurpov P | ὅτι M | πυλα .1. bao P πυλας abao M | ncpncaı P περαςαι M

14) Voreilig, vgl. Diog. Laert. I 40: διαφωνοῦνται xal ἀπο- φάςεις αὐτῶν.

918 R. Peiper:

5 Contra sed alterius sectator dogmatis ista Quid doceat reprobans subdita disce legens: Ergo nihil quoniam uita est quod amemus in ista, Nec tamen incassum fas est nos credere natos, Auctorem uitae si iustum credimus esse, 10 Vita alia est nobis illi uiuendo paranda, Cum quo post istam possimus uiuere uitam. Ili equidem stygias properent descendere ad umbras, Pythagoreorum stolidum qui dogma secuti Non nasci sese quam natos uiuere malint

6 quod P 7 mlG 8in casum P 9 Autorem P 10 nobis est G 12 Illaque P correxi, Illi autem MG | stigias P 18 Pitag. PG Pithag. M|quid P 14 sese] esse P | mallint P malunt GM | Finis G

Dies Stück wird sich nicht so ohne weiteres aus dem Ausonius ausmerzen lassen: sein Ursprung ist alt genug, es entstammt dem Archetypus. Wer sollte auch später von den zu Grunde liegenden Stellen Kenntniss gehabt haben!“°), von Theognis 425 f.

TTavrwv μὲν μὴ φῦναι ἐπιχθονίοιςειν dpictov μηδ᾽ ἐειδεῖν αὐγὰς ὀξέος ἠελίου᾽

Φύντα δ᾽ ὅπως ὥκιςτα πύλας "Aíbao περῆςαι καὶ κεῖςθαι πολλὴν γῆν ἐπαμηςάμενον.

Oder von den damit zusammenhängenden Worten, die Silenus dem Midas gesagt haben soll:

᾿Αρχὴν μὲν μὴ φῦναι ἐπιχθονίοιειν ἄριετον φύντα δ᾽ ὅπως ὦκιετα πύλας "Aíbao περῆςαι.

Der Vossianus hätte uns auch dies Stück bewahren müssen, wenn er getreue Abschrift des Archetypus enthielte; aber selbst die Ueberschrift der Ecloga ist in ihm verkümmert:

ex greco pytagoricon de ambiguitate eligende uite. "V Incipit egloga eiusdem de ambiguitate | uite elegende iuxta grecum poeantis bicto|oo driame tribon .i. quam quis uite percurrat uiam. P

Tloinv τις βιότοιο τάμῃι τρίβον beginnt des Posidippus oder des Komikers Plato Epigramm Anthol. Pal. IX 359, zu dem uns die Hds. in δράμῃ eine alte, bisher unbekannte Lesart bietet, die allerdings den Vorzug nicht beanspruchen darf, aber doch den Con- junctiv τάμῃ, der aus Stobaeus floril. XCVIII 57 jüngst eingesetzt worden ist statt des Optativs, bestätigt.

Ich will hier die Handschriften einzelner Stücke der Tilianus- Hdss. aufführen:

145) Man sehe die Nachweisungen bei Bergk zur Theognis-Stelle.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 2'19

Harlejanus 2599, geschrieben zu Verona 1471. Er enthält nur Versus puschales (317, id. I) und Protrepticus v. 1—13 (322 id. IV) mit der Unterschrift ‘Explicit Gryphus'. Vorau aber geht das-Prooemium des Juvencus mit der Ueberschrift “Versus Decimi Magni Ausonii', welches, nach dieser Hds. wohl, von Avantius 1507 unter die Ausoniana gesetzt wurde. _

Einige Epigramme stehen nach Bandini III 801 ff. mitten unter Philelphus Werken in einem Cod. Laurentianus chart. s. XV. Es sind: 58. 44. 3. 6 und 119. 118. 42. 23. Indessen ist 118 ein Irrthum; 8. oben 8. 227.

Unbekannt ist mir geblieben Parisinus 8284 mbr. s. XV (olim Tellerianus) Martialis aliorum etiam Ausonii nonnulla epi- grammata. Ebenso Monacensis cl. 7471 (III 1238) s. XV—XVI f. 627 epitaphia Dymii (*Heus bone quis? Dymus —), Cynici cuius- dam philosophi (“Condor ego hie cynicus —), epigr. Ausonii de cynigo Diogene. Bernensis 211 s. XV ex. enthält unter 26” Epigr. 11 Echo ad pictorem.

Ich will hier auch die handschriftlichen Auszüge aus alten Drucken verzeichnen, die mir bekannt geworden sind:

Wenn die Oratio matutina einzeln in Handschriften s. XV ex, erscheint, dürfen wir mit Sicherheit auf eine Abschrift aus einem alten Drucke rechnen; 80 z. B.:

Cod. Venetus Marcianus, cl. XIV c. CCXXX 85. XV chart. in 4°. p. 1, einst im Besitz des Jae. Phil. Thomasinus, später dem Jac. Morelli gehörig. Thomasini führt in seinem Werke über die Bibliotheken von Padua auch s. 136 eine Hds. im Besitze des aus Kopenhagen stammenden Prof. med. Johannes Rhodius an, dessen ‘ganze Bibliothek vielleicht” nach Blume Iter I 173 in die Dom- bibliothek zu Padua übergegangen ist. Vermuthlichist der Marcianus diese Hds.

Cod. Wratislauiensis bibl regiae et uniu. IV F 36 chart. in folio s. XV ex. f. 102.

Cod. Ambrosianus F 36 Sup. chart. s. XV.

Auszüge eines Drucks sind auch die Excerpte des Cod. Ambro- sianus P 83 Sup. chart. s. XVI. Er enthält:

12. 45. 11. 21. 27. 31. 46. 47. 51. 52. 54. 56—68. 71. 74, 30. 95— 98. 118. 129. 130. 106. 135. 141. 37. 36. 38. 285 - 286. 287—298. 24. 25. 2. 6. 253 (= epit. 32). 35. 250 (== epit. 33). 13. 39. 55. 77. 78. 408 v. 14—24. Und zwar liegt, wie die Reihe der unechten Epigramme 118—141 bezeugt, eine Ausgabe des Ugoletus oder eine spätere zu Grunde.

Praktisch ist man zum Behufe einer Ausgabe genóthigt, eine Trennung dessen, was die Familie Z Eigenes bietet von dem, was ihr mit Vossianus gemeinsam ist, vorzunehmen; und da wird einerseits eine Uebersicht über das jeder Handschriftenklasse Eigene die Frage auftauchen lassen, ob jene Stücke in ihrer Vereinigung den

280 R. Peiper:

Charakter einer Sammlung an sich tragen, andererseits bei dem gemeinsamen Gut die Frage, woher dasselbe stamme, wie es sich mit dem Eigenthum der Familie Z verbunden habe, nahe legen.

In der That, wenn wir die auch im Vossianus vorhandenen . Stücke aus Z ausscheiden, so gewinnt die Sammlung Z einen ziem- lich bestimmten Charakter, sowie auch die Anordnung dann als eine leidlichere erscheint:

1. Epigrammata.

2. Epistulae.

3. Minora quaedam carmina. 108. 375. 109—114. 146.

4. Gratiarum actio.

5. Cento. Cupido. Bissula.

Wenn ep. XX (410) an Paulinus zwischen Cento und Cupido unter Briefen des Vossianus erscheint, so werden wir das als kleine Stórung ansehen und dieselbe beseitigen dürfen, so gut wie die Transposition der Bissula-Praefatio an ganz fremde Stelle (mitten hinein in ep. XI = 400). Wir werden ferner nicht Nachlässigkeit, sondern Absicht finden dürfen in der Lostrennung von ep. XII—XIV = 401—403 von den anderen Briefen des Axius Paulus: es sind grie- chische und griechisch-lateinische Spielereien, die ältesten Beispiele makaronischer Poesie!*9) und darum von den übrigen gesondert und ans Ende der sümmtlichen epistulae gestellt. Dann stört nur noch der die Paulinusbriefe trennende Brief an Ursulus, ep. XVIII 408, die Ordnung; welche wahrscheinlich parallel der im Vossianus ein- gehaltenen Symmachus, Axius Paulus, Theon, Hesperius, Paulinus an erster und zweiter Stelle den Briefwechsel mit Axius und Paulinus, zum Schluss den mit den dort nicht vertretenen Freunden Tetradius und Probus hatte, denen wir nun wohl den Ursulus un- bedenklich zugesellen dürfen.

Unter den Epigrammen (von deren langer Reihe im Ganzen wir hier noch absehen) finden sich die beiden Widmungsgedichte der Fasti an Proculus (149. 150) die Widmung an Hesperius 147 steht in Z sowohl, wie im Vossianus, die Supputatio 148 fehlt in Z. Unter den kleineren Gedichten findet sich eine einzelne, im Voss. fehlende Ecloge. Das macht, wie die Briefe, alles den Ein- druck einer Nachlese zu dem im Voss. vorhandenen Corpus der Opuscula. Eine solche Nachlese, von Anderen angestellt, die mit dem Hauptcorpus natürlich bekannt waren und darauf Bezug nahmen, konnte auch Dinge bringen, von deren weiterer Veröffentlichung der keusche Charakter des Ausonius wohl Abstand nehmen musste, den Cento, oder die immerhin bedenklichen Bissula-Gedichte, die ihn, den betagten Greis, leicht lächerlich machen konnten; sie konnte die Gratiarum actio hinzufügen, die zu publieiren, be- sonders unter lauter poetischen Produkten, seine Absicht nicht ge-

146) Worauf R. Köhler in Rh. M. XII 434 aufmerksam gemacht.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 281

wesen sein mag, oder jene makaronischen und griechischen Tän- deleien, von denen etliche auch unter den Epigrammen Aufnahme gefunden haben.!T) Man darf nicht annehmen, dass Ausonius alles, was diese Nachlese bietet, mit Absicht ausgeschlossen habe aus seiner echten Sammlung: manches mochte ihm damals nicht zur Hand sein, wie ein Theil der Briefe, einzelnes nach Abschluss der Hauptsammlung sich ihm noch zum Verse gestaltet haben. Dieser Nachlass des Ausonius, mit Rücksicht auf die von dem Verfasser selbst veranstaltete Sammlung zusammengestellt, muss darum auch äusserlich mit derselben in Verbindung gebracht worden sein, muss einmal den zweiten Theil einer Handschrift der opuscula gebildet haben. Die Frage, woher jene Stücke in Z stammen, die auch der Vossianus bietet, kann sich voraussichtlich nicht anders beantworten als dahin: es sind das Fragmente der Hauptsamm- ung. Betrachten wir die Vertheilung dieser Stücke auf die Blätter des Vossianus: 1 "T Oratio Voss. f. 1" 27 2 (4) Monosticha de Herculis aerumnis Voss. f. 4* 3 (1) Versus pascales Voss. f. 17” 4 (9) Epicedion Voss. f. 187 5 Technopaegnion Voss. f. 19" col. 2 bis 21" col. 1 6 (3) Caesares, monosticha Voss. f. 23* col. 2 | tetrasticha XIII—XVIII Voss. f. 247 col. 2149)

7 (6) Griphus Voss. f. 24" col. 2, 25’ und " 8 (2) Ep. VIII ad Axium (14 Verse) Voss. f. 27" col. 1

9 7 Ep. IV ad Theonem Voss. f. 27" col. 1 bis 28” col. 1159)

10 (10) Protrepticus Voss. f. 30” col. 1 unten bis 31” col. 1, da lässt sich denn doch schwer die Vermuthung unterdrücken, dass ein in der Vertheilung von dem erhaltenen Vossianus nicht gar stark abweichender Codex ausser der ersten Hälfte des ersten Quaternio seinen dritten und vierten Qnaternio fast vollständig zu dieser Sammlung hergegeben habe.

.Q. III: 17 18 19 20 = 21 23 24

. Q. IIII: 25 27 28 = 80 31 Die Blätter der Hds. sind natürlich vielfach verstümmelt zu denken, manche Gedichte und Gedichttheile, die auf ihnen standen,

M7) Man darf auch wohl von epigr. 105 annehmen, dass Ausonius Scheu trug, es zu veröffentlichen, da der Name der Angeredeten, Galla, einem Mitgliede der kaiserlichen Familie, der Schwester seines Schülers und Wohlthüters Gratianus gleicherweise gehörte. 145) Die erste Zahl ordnet die Stücke nach dem Vossianus, die in Klammern gesetzte gibt die Ordnung in Z an. !**) Auf dieser Columne stehen über Nerva nur noch die beiden letzten Verse des Domitianus; mit Commodus v. 4 schliesst dieselbe. 160) Von den eigentlichen Briefen sind also nur diese beiden in Z übergegangen, die auf den verschiedenen Seiten eines und desselben Blattes im Vossianus stehen, freilich getrennt durch ep. ΙΧ.

282 . R. Peiper:

waren gar nicht mehr lesbar oder so lückenhaft, dass ihre Ueber- iragung sich als werthlos erweisen musste. Besonders schlimm ist, wie uns eine oberflächliche Vergleichung lehrt, ausser dem Techno- paegnion, von dem noch in einem besonderen Capitel gehandelt werden muss, dem Epicedion mitgespielt worden, welches dem Technopaegnion vorausging: es ist ohne Vorrede und um ein ganzes Drittheil seines Umfanges gektirzt nach Z übertragen.?!) Dem Pro- trepticus sind nur vier Zeilen der Vorrede entfremdet worden, in ep. IV sind 2 Verse (69 und 87) verloren gegangen. Unlesbar waren also geworden:

Auf Q. IIT: Id. III de herediolo, den Versus Pascales vorausgehend,f.17" ^ d.Voss. Versus ropalici, den Versus Pascales folgend, f.17" »

Ordo urbium, zwischen Epicedion und Technopaegnion,f.18"197 ,, Ludus, zwischen Technop. und Caesarum monosticha, f.21"22 ,, Caesares, der grüsste Theil derselben, f. 23" »

Auf Q. IIII:

Fast sämmtliche Briefe zwischen Griphus und Protrep-

ticus, dann zwischen Protrepticus und Oratio Paulini

mit Ausnahme von zweien, die auf f. 27 standen!9*): f. 26" bis 35" d. Voss.

Die Einordnung dieser Fragmente in den Inhalt von Z ist im Ganzen sachgemäss erfolgt, aber ohne zu grosse Abweichungen von ihrer ursprünglichen Reihenfolge, wie sie uns durch Vossianus ver- rathen wird. Die Versus Pascales voran ab loue principium ein andrer würde vielleicht die Oratio an diese Stelle gesetzt haben; ep. VIII ist richtig mit dem Briefwechsel des Axius verbunden worden; die Caesares mit den Epigrammen; die Spielereien Techno- paegnion und Griphus fanden passende Gesellschaft am Cento, und dahinter einten sich die ernsteren Gedichte Oratio, Epicedion, Pro- irepticus. Ep. IV an Theon ist sicherlich mit dem Briefe XX an Paulinus aus der ursprünglichen Stellung durch ein und dasselbe Geschick verdrüngt worden.

Die Handschriften des Technopaegnion.

Die Abweichungen zwischen V und Z innerbalb des Textes jener gemeinsamen Stücke sind nun in der That sehr zahlreich, aber

!51) Es fehlen 21 Verse von 64, nämlich 18—16, 19—96, 29— 84, 89 und 40, für 48 wurde nach Anleitung des Metrums der Raum aus- gespart. In den Monosticha Caesarum fehlt nur ein Vers, v. 9 des vorletzten Abschnitte (Tempus imperii) !5*) Fehlten diese beiden, so könnte man auf ein absichtliches Weglassen aller Briefe schliessen, deren Inhalt die Mühseligkeit der Abschrift von einem so mitgenommenen Exemplare nicht su lohnen schien.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 283

man ist zu rasch bei der Hand gewesen mit Annahme zweier ver- schiedener, vom Dichter selbst besorgter Ausgaben: von denen uns V die erste, Z die zweite darstellen soll!9) Denn es stellen sich doch in den meisten Stücken die Aenderungen in Z im grossen Ganzen als einfache Textverschlechterungen dar, nur im Techno- paegnion sind sie bedeutender und könnten für mehr gehalten werden. Zum Glück steht uns grade hier ein reichlicheres Material zur Prü- fung dieser Frage zu Gebote; auf der Seite von V die Leidener und Pariser Excerpte (vp), auf der von Z die Stücke im Canta- brigiensis (C).

Leidensis Voss. Q. 33 f. 112”: die bekannte Hds., aus zwei Theilen zusammengebunden, von denen der erste nach Angaben auf f. 1”. 57". 58" ex bibliotheca Schobingia, die zweite f. 62” ex bibliotheca Goldasti in Isaak Vossius Bibliothek gekommen ist. Ueber ihn s. H. Keil, Gramm. lat. III p. 389 ff. A. Riese’s Anthol. lat. II p. XXVI 452) Bei Toll ist es der Tertius Vossianus.

p Paris. 2772 s. X— XI f. 79', Technop. n. 339. 340 B. 341, über ihn Riese Anthol. lat. II p. X; auf f. 107" de signis et temporibus XII (ecl. 15 n. 382) ist nicht derselben Quelle entlehnt.

C Cantabrigiensis Univ. Library Kk, V, 84 (n. 2076) s. IX —X. “A small and rather tall quarto on vellum, of 47 leaves, each page containing about 20 lines, neatly but corrupily written in a very early half-Saxon hand, with almost no contractions, which may perhaps be assigned to the IX'^ or X" century. The titles of the works and the initial letters are simply coloured, without any kind of ornament. Various later hands occur throughout the volume. So der Catalog. Den sonstigen Inhalt verzeichnet Zangemeister in den SB. der Wiener Ak. 1877, Bd. 84, 8. 550. Vgl. Th. Oehler im Rh. Mus. I 135 (Ritschelii opuscula III 840 δὲ M. Haupt Ind. lect. Berol. aest. 1854 p. 2 (Opuscula 11 27 Ο. Ribbeck Appendix Vergiliana p. 35. Munro Aetna p. 29.

Von den Ausonianis enthält er als n. 2 die Oratio matutina f. 1— 3°, darauf die metrischen Stücke des Technopaegnion (als n. 3—13) in folgender Ordnung:

345 v. 19 bis 349 ex., 339 bis 345 v. 18.

Ich gebe im Folgenden eine Uebersicht der in den einzelnen Hdss. enthaltenen Theile des Technopaegnion:

155 E. Bährens, Zu.Áusonius N. Jahrbücher CXIII 1876, S. 151 ff. 154) Zwei räthselhafte griechische Zeilen auf f. 75” lauten: u pte dr aptuc uykya3 fyHtBHHIOVC H-FCKyoeVPAVHPBQ C COPPyPyHit Hip

Das scheint zu heissen: dicitur apertus... ..... sine parte beatus, nascitur a uerbo cum corripiatur apertus.

284 R. Peiper:

Ed. Souchay | Voss. 111 |Voss. Q 33 Paris 27 72 | Cantabrig. Tilianus 337 (prosa) Pacato 838 (prosa) Paulino 339. . . 2 . . .

340 A (prosa) . . . 840 B Pacato

os

„>

led 4444444 4444| «4 LL lL12444444441|24 LLL 1 bl lg bL 1[gl991^*$11 a | ὩΩΩΩΘΩΩΩΩΙ ΩΙ | HHHHHHHHHHH |

"|

Offenbar liegt uns in C ein Text vor, welcher die Grundlage für die Z-Texte bietet. Jener Text ist aber (von singulüren Fehlern dieses Exemplars abgesehen)!°®) noch frei von zahlreichen Verderbnissen, die wir in den Z-Handschriften (zunächst in T Tilia- nus und G ed, princeps) finden:

Oratio v. 8—16 fehlen in C noch nicht Der Titel lautet in C noch Oratio, in TG Precatio 51 archanis VPC carnis TG Technop. 341 de membris VvpC hominum fügt TG hinzu 346 floriparum V floreparum C floriferum TG 339, 1 fragiles VCG faciles T fors VC sorsTG 2 Fors VC Sors TG 3 finita VC sine fine TG 343, 4 vorhanden VC fehlt TG 9 genius VC gns T genus G (daher conjieirt Girardinus: genus hoc) 344 de cibis VC de cibis nostris TG 345, 15 umgestellt C, darum ausgelassen TG nach v. 18 neue Rubrik de gentibus C, de quibusdam fabulis TG 23 und 24 vorhanden C fehlen Τα 26 secus C scelus Τὰ 347, 12 vorhanden C, fehlt TG 349 Titel vorhanden C fehlt TG 8 an lati VC anni TG v. 9 umgestellt C fehlt darum TG u. s. w.

Die Herleitung der Stücke in C und derer die Z mit V gemein- sam hat aus Fragmenten erklärt einerseits die Auslassung ganzer Theile des Technopaegnion und die Zerrüttung besonders der Theile 345 und 349, andrerseits die Vorzüge, die gleichwohl C im Wortlaut vor V in Anspruch nehmen darf, wie wir sehen werden. Wir wür- den aber schwerlich im Stande sein, die grossen Differenzen von Z

:159) Oratio 6 contra statt coram 84 infecit st. adiunxit 39 nebula st. nubila etc. Technop. 339, 9 infesta st. infrena 14 irrigat st. rigat 340, 5 LEX st. FORS 841, 3 infecta st. inuicta 842 v. 8 fehlt 343, 10 NAS st. NAR 11 pias st. piat 345, 5 MONS st. SORS 11 cos fehlt 16 saeua st. sera 349, 1 ride st. stride 2. condemnas st. condemnans 5 catalecta st. catalepta etc. etc. An allen den Punkten, wo die Z-Texte mit V sich einigen gegen C, müssen wir selbstver- ständlich dem Cantabrigiensis Unrecht geben.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 285

und C rationell zu erklären, wenn wir C nur als Excerpte einer alten Z-Hds. gelten liessen, d.h. einer schon durch die Fragmente der Hauptsammlung verstärkten Abschrift des Nachlasses. Wir müssen vielmehr C als coordinirt den Z-Has. betrachten; er ist direct aus eben jenen Fragmenten herzuleiten, aber er beruht auf einer Abschrift die früher genommen ist, als die welche in den Nachlass übergegangen ist. Und zwar muss der frühere Abschrei- ber auf den schwer zu entziffernden Blättern seine Restitutionsver- suche (wenn er sie nicht zum Theil selbst schon vorfand) hinter- lsssen haben 156): das erklärt uns die Uebereinstimmung beider Ab- schriften in diesen Puncten.

In den grossen Veränderungen, die ΟΖ gegen V aufweisen in Techn. 345 u. 349, eine nachfeilende Hand des Dichters zu entdecken bin ich völlig ausser Stande. Ich finde nichts wie Zer- rüttung.

Wenn in 349 v. 3 als viertletzter Vers in andrer Gestalt er- scheint, so liegt darin nur eine gewaltsame, der Intention des Dich- ters fremde, Verbindung mit den übrigen Ennianis vor, welche in bester Absicht von einem Fremden vorgenommen wurde, der die Anfangsworte nicht mehr entziffern konnte. Nach der Zeit, als für Z Abschrift genommen wurde, war auch v. 4 unlesbar geworden, der darum in TG fehlt. v. 5 und 6 sind schon in C zusammen- geschweisst von letzterem Verse war nur noch das Schlusswort TAV sichtbar wer dürfte wagen diese Verkürzung dem Dichter aufzubürden! Darauf folgt in C v. 9, den TG ganz und gar weg- lassen. Beides, die Umstellung und die Auslassung, muss in dem Zustande der Vorlage begründet sein. Vielleicht war der Vers an den Rand geschrieben und wurde das eine Mal falsch eingesetzt, das andre Mal ganz weggelassen. (Freilich wäre auch eine spätere Auslassung in T denkbar, indessen verweise ich auf das folgende Beispiel.) Auf mangelhaften Zustand des Archetypus deutet mir übrigens auch v. 7 hin, der die aus den Catalepta genommenen Beispiele auseinanderreisst und schwerlich von Ausonius selbst diesen Platz erhalten hat.

Aehnlich verhalten sich C und Z zu einander in 345: da wird v. 14 hinter v. 15 gestellt in C, in Z aber ausgelassen. v. 17 ist hinabgerückt hinter 24 in C, hinter 22, nachdem v. 23 und 24 weg- gefallen, in 2. Die Gründe für den Wegfall sind klar: 24 fand sich in andrer Fassung hinter 346, 5; an beiden Stellen steht er in C; an der ersten ward er dann für Z getilgt; v. 23 war schon vorher afficirt und ist später ganz unlesbar geworden. Wenn in CZ nach v. 18 ein neuer Titel, in beiden gleich unpassend, eingeschoben

155) Gerade wie uns heute im Vossianus oft genug die Möglichkeit, die alte echte Lesart zu entziffern, durch falsche Entzifferungsversuche, die darüber gemalt sind, genommen ist.

286 , . R. Peiper:

wurde, so lag das an dem völligen Ausfall eines Verses in dieser Gegend, und man kann das wohl mit der Umstellung von v. 27 in Zusammenhang bringen. Zufällige Verschlechterungen späterer Zeit mögen die Auslassungen von 343, 4 und 347, 12 in TG sein.

Auch die Splitter des Technopaegnion in den Hdss. v und p kónnen wir nur als versprengte Trümmer, nicht als Excerpte einer vollständigen Sammlung oder auch nur des vollständigen Gedichts ansehen. Die Auslassung der Vorreden!9"), wie des Sttickes 348 de litte- ris, das Abbrechen in p hinter 845, das von v hinter 345 v. 25 beruhen alle auf demselben Grunde: dass die Abschreiber nicht mehr von dem Technopaegnion vorfanden.!95)

Die Stellung der Hdss. VvpCZ zum Archetypus und unter- einander ganz genau zu bezeichnen ist wegen des geringen Umfangs von vp unmöglich: aber es sind merkwürdige Berührungen zwischen ihnen vorhanden welche verrathen, dass die Verfassung des Arche- typus direct oder indirect an allem Fragmentarischen die Schuld trägt.

Merkwtürdig ist das Zusammengehen der einzelnen Glieder die- Ser Kette in den Auslassungen:

V v lassen die zweite Vorrede an Paulinus weg,

pC lassen beide Vorreden an Pacatus und Paulinus, und dazu 340 A weg,

Z lässt die erste Vorrede an Pacatus weg.

Für die engste Verwandtschaft von Vv haben wir zahlreiche Zeugnisse; p und C stehen in anderem Verhältnisse p gehört wie V v zur Vossianusfamilie indessen finden sich doch auch sonst Be- rührungen zwischen beiden, die uns dahin führen, einen Archetypus für alle diese Hdss. anzunehmen.

Vv stimmen selbst in ganz thürichten Fehlern miteinander gegen CZ:

339, 2 que fehlt V'v 3404, 1 bibiam Vv 342, 1 dos] uox Vv 8 arx| rex Vv 343, 11 periuria] peiura Vv 12 ueli- uoli] ueliquoli V uelicoli v 344, 10 quinquegenus] quinquete- nis V quinquegenis v 345, 2 eít] et Vv 4 periurum] peiurum Vv 8 quo] quod Vv 11 aconita] acotina Vv 18 opima C (der Vers fehlt Z) picna V pugna v 18 euboicis] geuoicis V aeboi- cis v 19 20 generat uectus] genera uict(urus) mit Auslassung der Worte quem aera Vv 21 uim] V αἱ v.

Indessen kann v nicht aus dem Exemplar V, V nicht aus v abgeschrieben sein !5?);

157) Ein absichtliches Auslassen der prosaischen Stücke würde man allenfalls für C annehmen dürfen, aber nicht für die kleine Partie 339 341, ohne 340 A, in der Hds. p. !55 Die Umstellung in C (845, 19 bis 349 vor 389—846, 18) ist ein singulärer, erst auf die Erfindung des neuen Titels hinter 345 v. 18 sich dender Fehler dieser Hds., den Z nicht theilt. 15%) V hat einige e die richtige Lesart, die v gibt,

-— €—

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 287

8408, 3 A/rta VC Arte vp 343, 2 obs V ops vCZ (343, 12 veliquoli V uelicoli v, als Orthographicum nicht durch- schlagend) 344, 10 quinquetenis V, quinquegenis v richtiger (quinquegenus CZ) 345, 11 Aspargit V Spargit v

Als leichte Versehen kónnen folgende betrachtet werden: 339, 4 inferna V inferni v (und so auch T, aber nicht 6) 343, 9 genius V genus v!G güs T 343, 7 bona fehlt v (sollicitat ‚„bona T)

337, 2 procedere v precedere V 340A, 2 Et hi uersiculi v richtig; Et in uersiculis V falsch.

* stimmt mit p:

340B, 3 arte vp A/rta V Arta C arcta TF 339 Incıp. tethopegnii textus v incipit techopegnii testus p.

Vvp stimmen auch zusammen (Stellen wie 339, 16 tan- tum V vp uerum CZ citire ich nicht erst):

z.B. 340B Item prefatio ... ΠῚ Vvp 340, 4 fando Vvp fandi CZ 341, 4 Et durum Vvp Edurum CZ 339, 16 iocos V iccor v iuco p das ist dasselbe; dagegen iocus CZ (locus G).

p ist offenbar nicht aus v (wie tethop. techop. iccor juco zeigt) so wenig wie aus V selbst hergeleitet. Man ver- gleiche folgende Stelle: 339, 16 et nihili] für et gibt V ein dem a ühnliches Zeichen, mit leichter Rasur oberhalb, und anihili liest

auch v; p gibt richtig &nihili Wie könnte 341, 4 p OS aus V ent- lehnen, der OS gibt, oder aus v, wo CV8 (C aus O durch Rasur) steht ?

Wenn wir dieser Spur des Zusammenhangs von vp und C folgend das Variantenverzeichniss durchmustern, dürften sich ihr bald eine Anzahl andrer zugesellen. Darunter gehören die Doppel- lesarten in C:

345, 22 pellax wird Geta genannt in V v, ferus in C, aber tüber- gesetzt ist jenes: l' pellax. ferus ist ein Irrtum des Exem- plars C für seruus Z und diese Lesart ist offenbar aus einer Glosse in den Text gekommen.

346, 3 auch hier findet sich die Lesart von V als Variante in C notirt: passura 1’ fusura C; Z pflanzt das erste fort.

345, 21 incestam, darüber I’ f, C. In dem ersten sind alle Hdss. einig, von der Variante findet sich nirgends weiter eine Spur.

erst von zweiter Hand, z. B. 340A, 2 subtexto v subtexo V. Selbst thö- richte Besserungsversuche, die v im Texte gibt, sind in V überge- schrieben, doch so, dass man sieht, sie sind nicht erst aus V* nach v bei Gelegenheit der Abschrift übertragen: 845, 19. 20 ist nach dem Aus- fall der Worte quem—aera der Vers vervollständigt, indem man uictus V

(für uectus) in uicturus, was v im Texte hat, verwandelte; uictus homo (rus al. ses.) V. 345, 22 lidus V! ]yd'us V? lidius v.

288 R. Peiper:

Gleicherweiss hat C eine doppelte Fassung erhalten in der Oratio v. 84:

Consona quem celebrat modulato carmine plebes Consona quem celebrant modulati carminea dauid

Die erste wiederum ist es, die dann Z übernimmt, die zweite gibt VP (d.h. Paris. 7558 s. IX von dem mehr unten bei der Paulinus- correspondenz) Und der letztere bietet noch eine Variante: Mistica, anstatt Consona, die der Schreiber nicht erfunden hat.!9?)

Und zweifeln dürfen wir nicht, dass in diese Kategorig auch der den Ser betreffende Vers gehört, den V v als 345, 24 gibt:

Vellera depectit nemoralia uestifluus SER

während derselbe in Z als 346, 6 in folgender Fassung behandelt wird: Iam pelago uolitat mercator uestifluus SER

an beiden Stellen in seiner besonderen Gestalt gleich passend. Der Cantabrigiensis gibt beide Verse an ihren Stellen.

In den Stücken die nicht in C stehen findet sich doch wenig- stens ein Beispiel doppelter Lesart: Protrepticus v. 45 wird da in zwei verschiedenen Fassungen überliefert:

a) Perlege quodcumque est memorabile prima monebo

b) Perlege quodcunque est memorabile ut tibi prosit So der Tilianus (in dem zufällig mit a die Seite 53” schliesst, die neue 53" mit b anhebt; am Rande von b steht das bekannte 7) und die Ed. princeps. V gibt nur die erste Gestalt; alle Hdss. lesen prima statt priua.

Aus dem Bisherigen dürfen wir folgerecht schliessen:

1) ein Theil der Abweichungen der Hdss. C und Z von V be- ruht auf willkürlicher Aenderung, zu der die schadhafte Ueberlie- ferung nóthigte, und leicht können schon auf den Blättern selbst, von denen die doppelte Abschrift ein Mal für C, das andre Mal für T genommen wurde, derlei Aenderungen zur Lesbarmachung des Textes sich vorgefunden haben.

345, 23 Fallaces Ligures Vv Audaces licii C. Der Vers war bei der Uebertragung in den Nachlass nebst dem folgenden überhaupt nicht mehr lesbar; C (bez. sein Vorgünger) fand noch Spuren, welehe denn falsch interpretirt wurden, indem man Nachbarn der Carier einschob statt der nach Vergil Α. XI 701 (haud Ligurum extremus, dum fallere fata sinebant) erwühnten Ligurer. Dieselbe Veranlassung hat

345, 26 für die Lesart: Nota caledoniis nuribus Vv (die eben

160) Denn dieser ist völlig kenntnisslos: er verwechselt häufig die ähnlichen Buchstaben mit einander und stellt andere um: 86 letifer leofer 389 Semita] Scmita 44 iuro] inro 58 rear] rera 69 saucius] suacius 71 fruar] fraias 81 mens] meus.

"

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 289

der Abschreiber nicht kennen lernte, oder vielleicht doch noch, wenn ihm die Sachkenntniss nicht gefehlt hätte, zu entziffern vermocht hätte) das Jedem mögliche: Nota et paruorum cunis erzeugt.

Wir können nun weiter beobachten, wie gerade bestimmte Partien eine grössere Anzahl solcher Aenderungen oder Transposi- tionen enthalten, während andere ganz frei davon bleiben, Zunächst sind es, wie wir schon sahen, 345 und 349, die so stark betroffen werden. Wenn nun ein Theil als interpolirt sich zeigt, dürften wir wohl auch die übrigen Beispiele (die gewiss, dafür wird der Inter- polator gesorgt haben, Erträgliches bieten werden) auch für unterge- schoben erklären, wenn keine besonderen Gründe dagegen sprechen. So also in 345 v. 6 die Lesung

Et furiata oestro tranat mare Cimmerium bos CZ anstatt des in Vv stehenden: Threicium Libycum freta Cimmeriumque secat bos.

Wenn wir 349, 21 schon eine Interpolation Pauline CZ für Pacate V entdeckten, dürften wir vielleicht such die Durchführung des Con- junctivs in v. 7—19 anstatt des Indicativs, den V bietet, dem Inter- polator zuschreiben.

Vielleicht müssen wir schon für v. 1 der Oratio Anwendung von dieser Erfahrung machen,

V: Omnipotens solo mentis mihi cognite cultu CT: Omnipotens quem mente colo pater unice rerum.

Der letztere kann doch keine Correctur des Dichters darstellen; wohl aber konnten die verwischten Züge des ersten Verses, wo das erste und dritte Wort und die Schlusssilben des vorletzten Wortes ..nice noch sichtbar erschienen, zu solcher Ergänzung anleiten. Jedenfalls aber gehört hierher der Schluss der ep. VIII in Z: der kürzere Schlussvers (der in V lautet: Nugarum ueteres cum sale relliquias) war ausgefallen, die Lücke schon &usserlioch sichtbar: sie wurde flottweg ausgefüllt durch den ein klein wenig veründerten, aber weder dem Sinne noch Metrum nach an dieser Stelle passen- den Schlussvers von ep. XIV iam ueni. uel uola. Ob der Vers freilich auch dort echt ist, kann zweifelhaft erscheinen. Von den Epigrammen des Vossianus zeigen gerade die beiden letzten gewaltige Aenderungen in Z: von 92 ist der vor- und dritt- letzte, von 72 der letzte Vers durch andere ersetzt, deren Unecht- heit sofort in die Augen springt.

2) Zum andern, aber kleineren Theile verdankt man tüber- gesetzten Erklärungen die Entstehung von Abweichungen. 8) Endlich mochten sich in der That Doppellesarten von glei- Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. ΧΙ. 19

uale ualere si uoles nel

200 R. Peiper:

cher Güte vorfinden, von denen ein Theil auf Ausonius selbst zurück- gehen mag. Ich kann sichere Beispiele davon nicht ausfindig machen.

Wenn diese Doppellesarten die Annahme gestatten sollten, die V-Handschriften entstammten einer vor Hinzufügung jener Aende- rungen genommenen Abschrift, würden wir doch noch längst nicht berechtigt sein, von einer “zweiten Ausgabe’ zu reden.

Dagegen ist beträchtlich gross die Zahl der anderweitigen nur auf ein Wort sich erstreckenden Abweichungen zwischen V und C. Indessen wenn wir uns bei ihnen so häufig für C entscheiden müssen, so ist das nicht ein Resultat der Abwägung zweier gleichwerthiger Ausdrücke gegeneinander, die beide vom Dichter herstammen kónn- len, sondern die entschiedenste Bicherheit, dass in V oder V v gegen- über C ein Fehler liegt. Wenige Beispiele es sind grossentheils die schon oben angeführten genügen zum Beweise:

342, 1 uox Vv dos CZ 8 rex Vv arx CZ 843, 3 consors Vv consi CZ 12 ueliquoli V uelicoli v ueliuoli CZ 845, 2 et Vv est ΟΖ 8 quod Vv quo CZ 15 piena V pugna v opima C (der Vers fehlt 2) 26 decus Vv secus C scelus Z 349, 18 addidit V astruit C adstruit Z 22 quid V pax CZ.

Aber selbst diesen Ruhm dürfen wir C nicht zugestehen, dass er das Richtige vor der Familie von V voraus habe: sondern die er- haltenen einzelnen Exemplare dieser Familie sind fehlerhafte Abschrif- ten, voran Voss. 111 selbst, aber dass es auch bessere gegeben, zeigt der weiter unten zu besprechende Parisinus 7558 (F), in der Oratio:

35 olim V aetas FCZ 48 spiratam V spaeratam F spera- tam CZ 61 non V nec ΟΖ 64 mala V male FCZ und so Pau- lini Oratio v. 6 f. Die letzten beiden Fehler theilt mit V gerade das der Familie Z zugehörige Excerpt in Paris. 18275. 80 Nate V Christe FCZ: so gibt auch die Wiederholung des Verses am Schluss der Versus Paschales.

Die guten Lesarten in C sind also die Lesarten der einen Ausgabe, die Ausonius gemacht; die schlechten in V haben mit dem Dichter nichts zu thun.

Der Werth der Familie Z wird allerdings durch unsre Unter- suchung über das Verhältniss von C zu V, von Z zu C ungemein herabgedrückt betreffs der auch im Vossianus vorhandenen Sttlcke; immerhin wird er ein freilich sehr vorsichtig zu verwendendes Cor- rectiv bilden künnen bei der Benutzung des letzteren; seine grósse- ren Abweichungen werden ohne Weiteres zu verschmühen sein, zu- mal wir eines wirklich guten Exemplars dieser Familie entrathen, Die Hds. des Tilius selbst, die verschollene Hds. des Girardinus, die Hdss. zu Rom und London, wie weit diese unter sich häufig auseinandergehen, wie das Gut der Familie in ihnen versprengt ist, ist oben gezeigt worden. Da wird nun auch der Text des Nach- lasses in ihnen nicht im besten Stande erhalten sein. Wünschen

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 291

wir uns Glück, dass für die hervorragenderen Werke wenigstens eine relativ bessere Grundlage in V auf unsre Tage gekommen ist nebst einer ganzen Reihe lehrreicher Splitter, die über das Mass seiner Zuverlässigkeit uns die Augen öffnen und nicht dulden, dass wir im Staunen über sein hohes Alter und seine merovingische Schrift den Boden der Kritik verlieren.

/

Epigrammaton liber.

Von den sämmtlichen 112 Dichtungen, die im Epigramma- ton liber der Tilianusfamilie vereinigt sind, findet sich im Vossia- nus noch nicht der vierte Theil vor: 8, 10, 23, 34, 35, 44—48, 51, 52, 54, 72, 75, 81—84, 86, 87, 92, 147 (Fasti), 248, 249 (Epitaph. 31 und 32), 253 (Epitaph. 36). Woher hat Z die Ge- dichte, die auch der Vossianus gibt? Woher stammen die übrigen drei Viertheile der Sammlung?

Zunächst wird man sich darüber klar werden müssen, dass in dieser Sammlung jede Ordnung fehlt, dass die vorhandene nimmer- mehr vom Dichter selbst ausgegangen sein kann. Wie kommen die Fastengedichte da hinein, wie die Epigramme, die seine Gattin Sabina betreffen (18, 19?, 36, 37, 38), in jene Umgebung? Auch die Ge- dichte ans Kaiserhaus 1—6 werden schwerlich mit seiner Bewil- ligung so eng mit den folgenden verbunden worden sein. Wie kommts, dass 29 von 30, 40 von 41 so weit getrennt sind? Und doch fehlt wieder nicht ein und das andre Zeichen einer ursprüng- lich besseren Ordnung, z.B. jene fortlaufende Reihe Gedichte an die Mitglieder der kaiserlichen Familie, die sich voraufgestellt findet 1—6 (n.4 ist versprengt worden, über n.9 wird unten zu sprechen sein), eine Reihe Graeca hinter einander 28, 29, 31, 32, 40 (das letzte freilich abgetrennt). Dahin gehört auch, dass 45 zweimal in den Hdss. vorkommt (in zwei verschiedenen Fassungen). Der Ver- such, diese ursprüngliche Ordnung herzustellen, diirfte schwerlich gelingen. Man wird sich begnügen müssen, jene fast vollständig aufgenommene!®!) Vossianusreihe auszuscheiden. Dass diese ganz ebenso wie die tibrigen in V vorhandenen Stücke erst später und aus derselben Quelle in Z eingesetzt worden sind, darüber lässt die Reihenfolge in der sie erscheinen keinen Zweifel, es ist annähernd dieselbe, in der sie im Vossianus selbst stehen. Diese sind in an- gemessenen Zwischenräumen nebst den wenigen Epitaphien, die sich gerettet (28, 30, 31, 31B, 34), einzeln, paarweise oder mehrere in eine bereits vorhandene Sammlung meistens auf gut Glück hinein- geworfen worden an fünfzehn Stellen:

161) Es fehlen von den 22 Epigrammen des Vossianus nur das fünfte und sechste (n. 76 und 138).

19*

292 R. Peiper:

Ed. Paris. V Ed Paris. V 255 (epit. 86) z epit. 81 44, 46—48 ep. 7, 12, 18, 8 8 = ep. 2 ΟῚ, 52 τα ep. 10, 11 45 = ep. 9 248 (epit. 81), 54 = epit. 28 und 8015) 141 fast. [152 72, 15 ep. 22, 4 10 == ep. 8 81—84, 86, 87 = ep. 1ὅ---80 249 (epit. 32) = epit. 34 45 τ ep. 9 zum zweiten 23 = ep. 14 ale*) 34, 35 ep. 1, epit. 31 B!*) 99 ep. 21

Im Vossianus stehen jene Epitaphien auf f. 14", die Epigramme auf f. 35 B' —36'* am Schlusse der Ausoniana.

Man kann öfters die Bemerkung machen, dass wo Excerpte aus einer Gedichtsammlung, wie die Ausonische ist, ausgehoben wer- den, und von einer längeren Reihe, wie 2. B. die Epigrammenreihe des Vossianus ist, wenige Proben mitgetheilt werden sollen, der Excerpirende sich auf das erste bez. erste und letzte beschrünkt. Das werden wir auch beim Ausonius selbst finden: der unten zu besprechende St. Gallensis gibt 72, das letzte des Vossianus, die Pariser Sammlung (Paris. 8500) 34, das erste des Vossianus; der Bruxellensis nun enthält das im Vossianus selbst fehlende, sonst nur in den Z-Hdss. überlieferte Epigr. 9, das sich als Einleitungs- gedicht einer längeren Epigrammenreihe darstellt, oder gar, wenn wir der Ueberschrift Glauben beimessen, als Einleitung zu einer grösseren Gedichtsammlung:

COMMENDATIO CODICIS

Est quod mane legas, est et quod uespere; laetis seri& miscuimus, tempore uti placeant.

Non unus uitae color est nec carminis unug lector; habet tempus pagina quaeque suum:

Hoc mirata Venus, probat hoc galeata Minerua; Stoicus has partes, has Epicurus amat.

Salua mihi ueterum maneat dum regula morum, plaudat permissis sobria musa iocie. ^ EXPLICIT.

Wenn wir dies Gedicht in einer mit dem Vossianus verwandten Sammlung wiederfinden, und zwar vollstündig, wührend es am an- dern Orte seines Anfangs beraubt ist, so ist das ein Zeichen, dass es ursprünglich nicht der Z-Sammlung, sondern der im Vossianus erhaltenen eignet, dass es ferner in der That ein erstes Gedicht war, welches seine derzeitige Stellung als zweites vielleicht nur der Lückenhaftigkeit verdankt, die verbot es an erste Stelle zu setzen.

17) Mit andern Fastengedichten verbunden. !°) Folgt in V ohne Nummer auf epit. 31. 165 Die Verbindung dieser beiden, sowie die Unvollständigkeit des zweiten ist wiederum ein Zeichen der Ent- lehnung aus Fragmenten der Vossianus- Familie. *) Die Reihe 15— 22 wird durch die Wiederholung von 46 = 9 gestört.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 293

Wenn wir dann eine Reihe Gedichte finden, gegen deren Ein- reihung in die Opuscula weder der Inhalt noch sonst etwas einen Grund abgeben konnte, Gedichte, von denen nicht zu erwarten dass sie, wie etwa ein gelegentlicher Brief, zur Zeit dem Sammler nicht zu Handen waren, die wir also nicht erst vom Veranstalter des Nachlasses eingereiht uns denken dürfen, so werden wir auf die Vermuthung unabweisbar hingeführt, dass die Gedichtsammlung im Vossianus nicht abgeschlossen uns vorliegt, dass dieser Codex, in welchem so plötzlich mit jenen 22 Epigrammen die Sammlung ab- bricht, um sich zu fremden Producten zu wenden,*aus einer Vor- lage abgeschlossen ist, deren letzter Theil verkürzt war. Zunächst, glaube ich, ist eine längere Gedichtreihe das Kaiserhaus . betreffend; von denen nur einige Stück sich erhalten, uns verloren gegangen. Wie viele der im Liber epigrammatum enthaltenen Dich- tungen zu der durch Epigr. 9 eröffneten zweiten Sammlung ge- hören, wird eben nicht genau zu ermitteln sein!®); einige sind be- stimmt auszuscheiden, zunüchst alle griechischen und grie- chisch-lateinischen Spielereien, die sämmtlich dem Nachlass eigen sein werden; sie finden sich fünf an Zahl an einer Stelle der Samm- lung (28, 29, 31, 82 hinter einander, 40 davon getrennt), wührend die lateinischen Uebertragungen merkwürdiger Weise erst am Ende erscheinen (30 auf 29, 41 auf 40 bezüglich), während ein sechstes 88 Aóbpa richtig zu den in die Vossianusreihe aufgenommenen lateinischen Versen desselben Inhalts gesetzt worden ist.!59) Dann werden auch eine Anzahl obscöner Epigramme, wie 126, von Au- sonius selbst so wenig publicirt worden sein, wie der Cento; ande- res war vielleicht als gar zu unbedeutend oder aus besonderen Rück- sichten 157) von Ausonius übergangen (gewiss recht wenig!), anderes was später im Anschluss an Früheres hinzugedichtet (etwa die Rufus-Gedichte 49 u. 50) und darum dem Nachlass-Sammler anheim- gefallen ist, werden wir schwerlich in der Lage sein, sicher zu er- kennen und auszuscheiden.

165) Denn die Annahme, dass wir hier lauter Epigramme des Haupt- corpus vor uns haben, und nur weiter unten in den pigrammen de Poly- gitone und de Siluio mit Nachträgen des Nachlasses zu thun hätten, würde wie die Graeca beweisen, falsch sein. 166) Die Versuche, einzelne jener Tilianus - Epi e zu verdüchtigen, die wir bei Vinetus finden, sind hinfällig. Die Annahme, dass sie wie jene an Paulus gerichteten Graeca erst durch den Nachlass Veröffentlichung gefunden haben, schützt sie. Damit würde sich eine Annahme, dass 29 nichtausonisch und nur als Vorbild zu 30 von ihm benutzt worden sei, immerhin noch vertragen. 197) Die Dedicationsverse der Fasten an Probus, die Zueignung eines Exemplars der Apologen des Titianus und der Chronica des Nepos an denselben fehlen im Hauptcorpus; es liegt die Veranlassung vielleicht darin, dass Probus in Ungnade gefallen war und sich Ausonius der Thaten des einst von ihm so sehr gerühmten Mannes schämen mochte, vgl. Ammianus 30, 6.

294 R. Peiper:

VI. Verlorene Schriften, Fragmente, Eclogen, Zersplittertes.

Dass Ausonius ausser den uns erhaltenen Werken noch andere geschrieben, die für uns verloren gegangen,sind, darauf weisen nur geringe Spuren hin, wenn wir absehen von den ans lateinischen Annalisten excerpirten Fasten (Mommsen, röm. Chronologie S. 130 Anm. 242, der die etwaige Vermuthung, dieselben dürften dem chronologischen Werke des Cassiodorus zu Grunde liegen, ebenda zu entkräften sucht). Dieses Werk hat Ausonius selbst aus der Sammlung seiner Opuscula, die nur Poetisches enthielt vielleicht im Anschluss an den Wunsch des Theodosius —, ausgeschlossen, wie die Aufnahme der auf dies Werk bezüglichen Epigramme in die Gedichtsammlung beweisen kann. Warum der Sammler des Nachlasses sie nicht aufgenommen hat, wie die Gratiarum actio, weiss ich nicht zu sagen. Nach L. Roth (Die mittelalterlichen Samm- lungen lateinischer Thierfabeln, Philologus I 1846 S. 538 Anm.) und Teuffel Litteraturg.! 395, 2 soll Ausonius die prosaischen Apo- logen des Julius Titianus um 375 für den Sohn des Probus in Trimeter umgesetzt haben. Ich kann aus Ausonius Ep. XVI 73 fi. das nicht herauslesen:

Apologos ea misit tibi Ab usque Rheni limite Ausonius nomen Italum, Praeceptor Augusti tui, Aesopiam trimetriam, Quam uertit exili stilo Pedestre concinnans opus Fandi Titianus artifex.

Ich lege ein Lob der Babrius-Uebertragung !^9) des Titianus her- aus, finde aber keinen Ausdruck, der auf eine poetische Umformung seitens unsers Ausonius hinwiese. Dass er nur dies Werk gerade mit einer Widmung schmückt, die gleichzeitig mitgesandte Abschrift aber der Chronica des Nepos nicht mit einer solchen begleitet, ist so natürlich, dass man es doch nicht als Grund für jene Annahme geltend machen darf, noch weniger, dass er diese seine Verse mit

168) Dass Titianus den Babrios selbst übertragen, ist bereits von Cannegieter Dissert. de aetate Aviani c. XI angenommen worden, welchem nach Wernsdorf V 666 auch Bernhardy RLG.? S. 676, Anm. 478 u. a. zustimmen. Schon die Bezeichnung Aesopiam trimetriam weist auf die μυθίαμβοι αἰεώπειοι hin. Avianus brauchte, wie Wernsdorf V 666 zeigt, des Titianus gar nicht zu gedenken; vielleicht hätte er des sei nóssischen Ausonius gedacht, wenn ihm eine poetische Uebertragung desselben bekannt geworden wäre.

N

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 295

einem plautinischen Antelogium vergleicht, oder seine sedulitas empfiehlt, die eben nur in der Besorgung zweier für die Unterwei- sung des Knaben geeigneter Bücher bestand. Ausserdem würde wohl Ausonius eine directe Uebertragung aus dem Griechischen einer derartigen Bearbeitung vorgezogen haben.

Das Versprechen, welches Ausonius in der Mosella 392 ff. und 448 ff. gegeben, die berühmten Städte und Männer des Moselthales zu besingen, wenn er an seinem Lebensabend seinen Ruhesitz in der Heimath genommen, hat er sicher nicht eingelóst.

Wir sind bezüglich verlorener Stücke also nur auf die drei Fragmente angewiesen, welche der Auctor de dubiis nominibus unter des Ausonius Namen mittheilt:

579, 3 Keil. flumen generis neutri, ut Ausonius: redite sursum flumina! (auronius redit M rursum die Hdss., offenbar liegt das grie- chische ἄνω γὰρ ποταμῶν zu Grunde.)!6?)

582, 27 Keil. lepus generis masculini, ut Ausonius: inuestigato ferre dolos lepori. (inuestigatum ferri dolus Hdss., verbessert von M. Haupt.)

589, 6 Keil. rumor generis masculini, ut Áusonius: quae tantae tenuere morae rumore sub omni? (que tante de sub omni M.)

199) Ich mag mirs nicht versagen, eine kleine, durchaus nicht voll- ständige Stellensammlung für dies Adynaton zu geben: Aeschylus ap. Hesych. Eurip. Suppl. 520 Med. 412 Schol ad Theocr. 1 184 Lucian. dial. mort. 6, 2 Nazianzeni carmen de vita sua Zenob. II 56 Diogen. 1 27 Suidas etc. Horat. epod. XVI 26 C. I 29, 11 "Vergil A. I 607 XI 405, dazu Servius Ovid. Trist. I 8, 1 ex Ponto IV 5, 48 Met. XIII 324 fer. V 98 Propert. 115, 29 III 7, 32 IV 18, 6 Seneca Med. 408 Apuleius Met. I 3 (p. 2 Eyss.) Claudian. in Eutrop. I 363 Dracontius Hexaem. v. 489 Carpzow. Anthol. lat. Ries. II, XXXV. Für sein Fort- leben in Mittelalter und Neuzeit zeugen u. a.:

Ermenricus Augiensis ed. Dümmler s. 37, v. 65 f.:

Ante cadant imis nascentia sidera terris aut fluat δὰ summos flumen ubique polos, quam tuus nostro pectore amor redeat.

Anonymus Neveleti II 7:

Nec tibi nec riuo nocui: nam prona supinum nescit iter nec adhuc unda nitore caret.

Richardus Venusinus de Paulino et Polla 861 f.:

Cum mare siccatum, uer non florere uidebis et fluuios uersis cursibus ire retro, femina tunc poterit tibi non linguosa uideri.

Paul Heyse in 'der Weinhüter': 'Eh' mir einer gut genug ist für dich, muss die Passer den Ifinger hinanfliessen'. G. Freytag Die Ge- schwister s. 11: wenn die Compagnie ‘Euch zurücknimmt’. “Also wenn Wasser den Berg hinauffliesst,’ lachte der Gesandte.

296 R. Peiper:

Wir werden die Autorität des Sammlers nicht anfechten, auch nicht den faulen Ausweg, ein anderer Ausonius (oder Auxonius, oder Auxanius) sei hier zu verstehen, einschlagen dürfen; den Gedanken aber, dass diese Stellen einer wichtigeren Schrift !des Mannes ange- hóren, oder einer Schrift, die in das Corpus seiner Gedichte ehe- mals nicht Aufnahme gefunden, glaube ich mit guten Gründen ab- weisen zu dürfen. Wir haben wohl nur den Verlust weniger un- bedeutender Stücke, vielleicht nur eines einzigen polymetrischen Briefes, der móglicher Weise an Paulinus gerichtet war, zu bekla- gen, der sich aus der Vorlage des Vossianus oder dem Archetypus verloren etwa wie der Theodosiusbrief, der Anfang des Planeten- gedichts hinter dem Hesiodion, der Schluss der Caesares-T etrasticha, wie Epigr. 9 mit anderen, wie der zweite Theil des zweiten Pau- linerbriefes V. 49—68 und anderes.

Der Urheber jener Excerptensammlung (de dubiis nominibus oder de generibus nominum) hat nümlich von den Werken des Pau- linus nicht eine vollständige Sammlung, wie der Puteanus u. a. sie bieten, benutzt; er kennt einzig nur die Gedichte, die sich von Pau- linus in unserem Vossianus finden!'?): von den beiden ersten an Gestidius (fol. 36”, in den Ausgaben des Paulinus Gedicht I und II) nimmt er keine Notiz; aus dem dritten an Nicetas (fol. 36", n. XVII der Ausgaben) hat er sechs Stellen ausgehoben; wenn die Hdss. hier allerdings recht stark vom Vossianischen Texte abweichen, so nähern sie sich in diesen Abweichungen die nur Verstümmelungen auf der einen oder andern Seite sind, eben auch nicht den bisher bekannt gewordenen Texten, während schon die Uebereinstimmung mit V in der einzigen Stelle v. 106 (f. 37” des Voss., p. 589, 17 Keil):

Et rate armata titulo salutes!!!)

wo die Ausgaben amata (und natürlich salutis) geben, tiberzeugend auf Verwandtschaft der Quellen hindeutet. Ausserdem erscheint eine Stelle der Oratio (fol. 35”, p. IV der Ausgaben), die nur durch Ausoniushandschriften (ausser dem Vossianus die Excerpte in cod. Paris. 7558) überliefert ist. Zwei Stellen nur sind es, die Haupt und Keil nicht nachzuweisen vermocht haben, s. 594, 7 K.: “Paulinus: zelus discrepat atrox', vermuthlich die Schlussworte einer verloren gegangenen Strophe ebendesselben Gedichts:

110). Auch die eine Symmachus-Stelle 8. 88, 5 und 90, 7 Haupt ist nicht direct aus des Symmachus Briefen, sondern ohne Zweifel einer Hds. von Prudentius contra Symmachum (Symmachus ed. prior lureti p. 347, Prudentius ed. Dressel p. 261 ad libr. II v. 277) entlehnt. 1) V. 3 f. (584, 14) adnixa für adnexa ist wie das obige salutes nur eine ortho- graphische Verschiedenheit; 267 f. (680, 20) extracta richtig für ex- tracto des Voss. und der Drucke; 274 f. (685, 20 und 582, 12) condens mit Ausgaben, condis schlecht der Voss.; comulans ebenso im Voss. zu cumulas verstümmelt; sacri lucrum . . talenti hat der Auctor fülschlich für sacrum lucris .. talentum, wie auch Voss. hat, geschrieben.

^"

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 297

discrepat atrox.

(s. L. Müller de re m. 314, 318) und 571, 17:

erit ut (vielleicht et sicut) arbor quae propinqua flumini. Es mag eigenthümlich erscheinen, dass gerade zwei verlorene Verse von diesem Autor citirt worden sein sollen: wie wenn gar ein drittes Beispiel dazu kommt? Die Verwunderung muss wachsen, in gleicher Weise aber auch der Glaube an die Möglichkeit der An- nahme. Der Vossianus gibt folgende Strophe im Nicetas-Gedicht:

289 Caritas xpi bene fusa caelo 294 Orbis aut alter neque mors reuellet 295 Corporis uita moriente uita

uiuet amoris.

V. 290—295 sind weggelassen: aber gerade 293 wird von unserem Autor 84, 9 H. citirt: nulla nos aetas nulla tibi labes.

Die Schrift de dubiis nominibus ist, da Venantius und einmal Isidorus citirb wird, nicht vor der Mitte des siebenten Jahrhunderts abgefasst. Bis dahin ist also wohl das Corpus Áusonianum ziemlich unversehrt geblieben. Der Aufenthaltsort dieses Exemplars, das als Archetypus für den Vossianus betrachtet werden darf, wird nicht gar weit vom Fundorte angenommen werden dürfen: der ungenannte Grammatiker bringt auch drei Stellen des Avitus (das erste und dritte findet sich in ep. 86). Dass dessen Brief- und Homiliensammlung durch zahlreiche Abschriften verbreitet gewesen, ist nicht leicht anzuneh- men; möglicherweise liegt also diesen Anführungen dasselbe Papy- rusexemplar zu Grunde, dessen Reste sich heut in Paris finden und das, einst von dem Lyoner Diaconus Florus excerpirt für seinen Commentar der Paulinischen Briefe, spiterhin im 12— 13. Jahr- hundert, da es offenbar schon sehr defect geworden war, umgeschrie- ben wurde in den heut zu Lyon befindlichen Codex, auf dem jetzt allein unsere Kenntniss der Prosaschriften des Bischofs von Vienne beruht. In diesem fehlt gerade ep. 86, der das erste und dritte jener Citate ge- liefert hat. Ein Geistlicher ist jener Autor selbstverstündlich ; auf die Nähe von Lugdunum deuten ausser Ávitus wohl auch die verhält- nissmässig zahlreichen Citate des Sidonius, auf Frankreich minde- stens die Citate aus dem von Venantius genannten, sonst verschol- lenen Dynamius. Nach der Ile-Barbe wird der Ausonius also schwerlich aus grösserer Entfernung gebracht worden sein; in Lyon wird auch sein Archetypus, durch irgend welches Geschick aus der Heimath des Dichters verschleppt, die Bibliothek der alten Cathedrale Saint- Just geziert haben. Bei der Restauration des Klosters Ile-Barbe mag man für die neue Bibliothek von der dort bewahrten Hds. eine Abschrift genommen haben.

Voh Lyon war der Weg nach Reichenau und St, Gallen zumal

208 R. Peiper:

für ein den Rhein betreffendes Stück leicht gefunden. Mit verwandten poetischen Studien beschäftigt lebte dort Walahfrid Strabo, der zu Agobard, der als Erzbischof der Lyoner Diöcese bis 840 vor- stand, freundliche Beziehungen hatte: schon am Hofe zu Aachen hatten sie sich kennen gelernt; dass !diese Beziehungen fortgesetzt wurden, beweist ein poetischer Gruss des Abts von Reichenau an Agobard (Canisius Lect. antiquae VI 648). Walahfrids Dichtungen sind hauptsüchlich durch St. Galler Hss. auf uns gekommen: der- selbe Codex, der die Mosella enthält, bewahrt einen Theil derselben. (Vgl. E. Dümmler, N. Archiv IV 270. 276. 263.) Die Abschrift Walahfrids lernte Ermenricus (über ihn E.Dtimmler ebenda 8.321), der vor des Letzteren Tode Reichenau und St. Gallen besuchte, ken- nen und verwerthete sie in seiner bekannten Schrift.

Wir werden also auch hier nicht über die alte Hauptsammlung, von der eine in manchen Theilen verstümmelte Abschrift im Vos- sianus vorliegt, hinausgewiesen, und dürfen nun wohl an die Frage herantreteu, ob ein grösseres Stück, ja das edelste der Ausoniani- schen Dichtung, wenn wir die Briefe an Paulinus ausnehmen, die Mosella, dieser Sammlung von Anfang an fremd geblieben, oder in ihr ursprünglich Aufnahme gefunden, aber durch einen unglück- lichen Zufall ihr später entfremdet worden sein möge.

Eclogae Áusonianae.

Dass die Mosella, der Ausonius doch wohl hauptsächlich An- erkennung als Dichter verdankte, von ihm aus dem Grunde in die Hauptsammlung nicht aufgenommen worden, weil sie in separaten Exemplaren schon grosse Verbreitung gefunden, ist schon schwer- lich glaublich.!7?) Bei einem umfangreicheren Werke könnte man das allenfalls zugeben. Dass nun aber auch der Veranstalter des Nachlasses, der das Moselgedicht sicherlich gekannt hat, jenen Grün- den eben so grosses Gewicht beigelegt haben sollte, ist nicht blos schwer, sondern nimmermehr zu glauben. Dass die Mosella im Nachlass fehlt ist ein Beweis, dass sie im Hauptcorpus ihren ver- dienten Platz gefunden hatte.

An welcher Stelle, wollen wir jetzt nicht fragen, eine hervor- ragende Stelle verdiente sie sicherlich !?), wenn der Dichter nach der Würdigkeit die Ordnung hergestellt hätte.

173) Sollte sie wirklich, wie Gronov annimmt, erst nach des Auso- nius Consulat „Bu ublicirt worden sein, so wird sie doch sicherlich vor der Gesammtaus sa e der Opuscula lüngst ihren Abschluss gefunden haben. 173) Der Vossianus hat die ersten vier Quaternionen eingebüsst (s. Riese Anth. lat. II, p. XVI) und begint 'abhinc Ausonii opuscula'; schwerlich haben also auf den verlorenen Quaternionen Ausoniana gestanden, unter ihnen etwa die Mosella. Dem Inhalte nach müsste sie in dem Theile etwa, der die Clarae urbes enthält, gestanden haben.

N

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 299

In den massgebenden Handschriften, dem S. Gallensis (G) s. XI'^) und Bruxellensis (B) finden wir dies Ausonianum nicht vereinzelt. Nur die durch Irrthum des Buchbinders bewirkte Zer- splitterung auf verschiedene Theile der Hds. 6175) macht es erklärlich, dass man bisher nicht daran gedacht hat, die Ausoniana derselben unter einem Gesichtspunkte zu betrachten, dass man sich gar nicht einmal um den auf das Gedicht Bezug nehmenden Symmachus- Brief gekümmert hat, den sie wie der Bruxellensis und die Quelle, aus der Ugoletus schöpfte, enthält. Sodann bietet der S. Gallensis die Herculis aerumnae, Vir bonus, Est et Non, Hesiodion, de Achilla d. ἢ. das Schlussepigramm der Vossianus - Reihe; der Bruxellensis hat die vier zuletzt genannten nicht: dafür gibt er die Caesares und Epigramm 9 in der echten, sonst nirgends er- scheinenden Fassung: d. h. das Anfangsepigramm einer im Vos- sianus derzeit fehlenden Epigrammenreihe. Wir haben es offenbar mit Excerpten der Gesammtausgabe zu thun, deren Archetypus uns freilich nicht erhalten ist. Als eine dritte Auswahl aus dieser Excerptensammlung reiht sich an der Puteanus (m = Paris. 4881) 15), welcher die Mosella (nebst dem Briefe) und die beiden Epigramme weggelassen hat. Der Archetypus, aus denen diese drei Sammlungen geflossen sind, enthielt also mindestens folgende Stücke n folgender Ordnung:

1. Mosella nebst Symmachus-Brief, enthalten in G B 2. Caesares, monosticha et tetrasticha - . —B π

174) Ausführlich beschrieben ist dieselbe von E. Dümmler in seinen St. Gallischen Denkmalen aus der Karolingischen Zeit = Mittheilungen der Züricher Antiqu. Ges. XII (1859) s. V, ferner in Haupts Z. f. d. A. XII 446 ff. (vgl. Periz Archiv XII 279 über cod. Christinae 421, der ur- sprünglich ein Stück unserer Hds. bildet), weiteres E. Dümmler im Neuen Archiv IV, S. 106 ff, 276 ff. Dümmler und Scherrer im Catalog S. 315 setzen sie ins X. Jahrhundert. !'*) P. 2 Symmachi epistola, p. 3 Est et Non, p. 4 Hesiodion, p. 22—45 Mosella, p. 45 Herculis aerumnae, p. 47 Vir bonus, p. 48 de Achilla, also eine geringfügige Umgestaltung der im Folgenden gegebenen ursprünglichen Anordnung. Von der Mosella liegt die Collation von Böcking, berichtigt durch Schenkl (zur Kritik späterer lat. Dichter Wien 1863, S. 57 und H. J. Müller Progr. des Friedrich- Werder-Gymnasium zu Berlin 1876, S. 24) vor. Für die übrigen Stücke, ausser dem Symmachus-Briefe, die Vergleichung Schenkls a. O. S. 57 u. 58. Den Symmachus-Brief hat für mich Herr Dr. Idtensohn zu ver- gleichen die Güte gehabt. 115. Paris. 4887 membr. s. XII, olim Puteanus 4902. Hinter Freculf erscheint f. 78' ein Stück Julius Afri- canus, welchem andere Excerpte de temporibus et aetatibus aus Isidor, Beda, Eusebius, Hieronymus, Prosper, Orosius folgen , nebst einem Stück ‘de discretione temporum. Darauf fr. 74* die schon früher von Wolfflin verglichenen Caesares nebst dem anderen vier Ausoniana. Hinter Freculf gaben diese Stücke denn auch die vom Puteanus als Sohn und Enkel ab- stammenden Hdss. von Pontigny, jetzt in Auxerre n. 85 und 67 s. XII und XIII (diese drei Hdss. habe ich selbst verglichen), sowie eine in Troyes n. 887) Clairvaux Q 33) s. XII.

800 | R. Peiper:

3. Herculis aerumnae . . . . . enthalten in G B m

4—6. Vir bonus, Est et Non, Hesiodion - -G—m 7. de Achilla (Epigr. 72) ) |. . - .-G—— 8.Epgr. 9 . . . . 2220. --- α --

Mosella.

Betrachten wir zunächst die Mosella, so ist unzweifelhaft der beste, wenn auch von Fehlern nicht ganz freie Text der des 8. Gal- lensis. Die Exemplare in Brüssel und Reichenau (jetzt in Zürich, R)!'5) können aus diesem selbst nicht geflossen sein, da sie hier und da (freilich selten genug) Richtigeres bieten, was man nicht auf Conjectur zurückführen darf, 2. B. 372 cumque G quenque RB. Sie sind also aus dem Árchetypus, jedoch nicht direct, geflossen. Ein und derselben Abschrift jenes Archetypus aber entstammen beide, denn sie stimmen häufig gegen G in Lesarten tiberein, die nicht als bessere zu bezeichnen sind, z. B. 281 conuerrere G conuertere BR 378 Da ueniam da G Da ueniam mihi BR 306 uolumine G uolumina BR 359 belgis G gelbis BR 415 Detexatur G Detestatur BR 452 munera G tempora BR. Vgl. ferner: 18 nitentis G nitentes B'RV 35 properare G reparare BR preparare V 50 dispectis G despectis BR despectus V 60 profundi G fluenti BRV 93 melioris G maio- rs BRV (131 flumineis G flumineas BRV) 149 additus G ad- ditur BR?V 178 aureus G igneus BRV 417 in undas G in un- dis BR. Ihre Texte haben sich aber getrennt, indem sie entweder offenbar Fehler des Archetypus, die G hier und da conservirt hat, auf verschiedene Weise zu berichtigen suchen 80 liest G V. 312 quadra cui; dafür findet sich statt der einfachen Correctur quadrata cui, die alle Schwierigkeiten hebt (cui quadrata ist durchaus un- nóthig) in B quadrg cui, in R quadro cui oder indem der über- lieferte Text durch den einen oder andern veründert wird, z. B. 331, wo das von G! und R ausgelassene est von B zugesetzt wird (die Zusetzung von G? kann aus demselben Grunde wie in B erfolgt sein. 294 pulsu GB plausu R 261 quique G E (anstatt des von Avantius 1507 gefundenen Cuique) queque B. Ein Theil dieser Fehler mag auf Rechnung der vorhandenen Exemplare B und R, nicht ihrer Vorlage kommen; denn als Söhne jener Abschrift aus dem Archetypus, aus der ihre Texte geflossen sind, dürfen wir sie

!'7) Das Epigramm 72 ist offenbar aus S. Gell. 899 oder seiner Vorlage nach S. Gall. 397 s. IX med. übertragen worden; es findet sich auch sonst vereinzelt, z. B. im Laurentianus XXXIII c. 31 (Bandini lI 126, XXII), irre ich nicht auch LXXXIX c. 25 s. XIII (Band. III 460 n. IX), deren Lesarten ich nicht kenne; es würe wünschenswerth, zu wissen, ob diese Texte aus V oder Z entlehnt sind. 119). Universitäte- Bibliothek n. LXII 5. XIL Eine neue Vergleichung verdanke ich Herrn Prof. Dr. Blümner.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 801

nicht ansehen. Besonders R strotzt so von Fehlern, dass er fast allen Werthes baar ist: dieselben sind offenbar zum grössten Theil Schuld des Schreibers.

Indessen werden wir vor Ueberschätzung der St. Galler Hds., vor Unterschätzung der beiden anderen Hdss. gewarnt durch das unbedeutende und fehlerhafte Fragment im Vaticanus Reg. 1650 (einst S. Remigii) s. IX f. 38! bis f. 40 med., welches V. 1—180 gibt. 119)

Denn dies stammt aus einer 'dem 8. Gallensis nahestehenden Quelle: 4 sinopes GV 53 umentia GV 72 assimulant G! Adsi- mulant V 79 que (et fehlt) GV 119 secmentis GV 144 adlan- tiaco GV 144 ballena GV.

Die Entstehung mancher Abweichungen in BR erklärt sich aus

ἜΝ properare G . spirante G ihm: 35 preparare Gg | reparare BR 35 speranti V sperante BR

Ist es Zufall, dass er 134 Prospexi mit R gibt und 175 furate, wo R furatae, statt furata e?

Aus G abgeschrieben ist er nicht (schon das Alter schliesst diese Annahme aus): 17 non inuidat V noniuidet G 52 luxoriatur V luxuriae G.

Noch mehr beweisen dies die zahlreichen Stellen, in denen er sich gegen G mit BR verbündet: es ist das an allen den oben an- geführten, soweit sie in V enthalten sind, der Fall. Alle diese Va- rianten gehen also auf ein mit G sehr nahe verwandtes Exemplar zurück, und es wird, da G selbst voraussetzlich manchen singulären Irr- thum enthalten wird und nachweislich hier und da geirrt hat, wie wir gesehen, sich denn doch fragen, ob z. B. v. 60 profundi, v. 93 melioris, v. 178 aureus u. 8. als echte Lesarten des Ausonius be- trachtet werden müssen dem gemeinsamen Widerspruch von VBR gegenüber, die doch wohl aus verschiedenen Quellen geschöpft haben.

Welcher von diesen beiden Klassen die Hds. des Ermenricus angehörte, ist nicht zu erkennen: dass sie mit R nicht stimmt (die- ser gibt 436 amne, 225 Atque, wo Ermenricus mit GB amni und Utque liest) würde noch nichts besagen, da jene Lesarten dem Li- brarius dieser Hds. zugeschrieben werden müssen; dass er 202 horas wie BR liest, während G oras gibt, ist für den Anschluss an die Vorlage dieser Hds. noch kein triftiger Grund. Für den Text der Mosella selbst ist selbstverständlich die Sache gleichgültig.

Der Text des Ugoletus schliesst sich eng an B an, wie schon

179) Die Hds. ist sehr nachlüssig geschrieben: zwei ganze Verse sind weggelassen (86 und 165), die Wortverbindung fehlerhaft und dadurch zahlreiche und schlimme Fehler erzeugt, z. B. 172: Capede sagittat cum laeta propteruia panas. Mitten auf S. 40 bricht die Mosella ab.

302 R. Peiper:

früher gesagt worden ist. Das ergibt sich auch aus den Eigenthüm- lichkeiten beider im Symmachus- Briefe, wo beispielsweise Z. 7, 8 (ed. Bipont. p. 336) die Worte Unde credidisti in beiden fehlen.

Caesares.

Gehen wir weiter zu den Caesares. Von diesen findet sich I. Monosticha und Tetrasticha vollständig: 1) im Vossianus V, 2) im Bruxellensis B und ed. Vgoleti (welche, wie früher gezeigt, auf einer verwandten Hds. befuht), 3) im Puteanus, hier = α. 185) Die Monosticha vollständig, von den Tetrasticha nur ein Theil in Ed. princeps und Tilianus (zu deren Sippe die Excerpte in Paris. 18275 P gehóren) 2 und 3 gründen sich auf einen durch Aus- lassungen entstellten Vossianustext, der sich scharf von der Sippe des Tilianus sondert.

Ganz charakteristich ist:

Tetrast. XII: Nerua tetrarcha V Ba.

- XXII: Bassianus antonius siue caracalla Va Ugol. (B lässt hier siue caracalla weg, aber Ugolet hat es und das beweist, dass es nicht dieser Klasse, sondern nur dem ein- zelnen Exemplare fremd ist).

Tetrast. XX, 1 sceptris V sceleris B celeris Ugol. a spoliis T.

Monost. II Monosticha de ordine imperiorum a mit V (B om.) Monostica de ordine imperatorum TGP.

Monost. III de aetate imperii eorum VBa de aetate imperato- rum in imperiis TG.

Und zwar stellt sich a dar als eine weitergehende Verschlech- terung des Texteg von B. Vgl. ausser dem eben angeführten Bei- spiele Tetr. V, 3: die Worte et crimina passus, welche Voss. bietet, sind in B ausgefallen, à ergänzt flottweg: certa potestas.

Tetr. VI, 4: set V et BUgol. me a

Den Zusammenhang aller bekannten Texte mit der Vossianus- Familie bekundet deutlich genug die allen mit V gemeiusame Aus- lassung der beiden letzten Verse, für die V wenigstens den nóthigen Raum ausspart. Ueber die Vossianus-Recension hinaus weist uns nichts. Ueber den Ursprung der Z-Recension ist bereits oben ge- sprochen worden. Wir müssen hier noch der in den Hdss. des Suetonius erhaltenen Monosticha gedenken. Mir liegen vor:

190) Mit Ba stimmt in den Monosticha, die er allein hat, überein R Parisinus 9347 s. IX; von einem, wie es scheint, mit diesem durchaus verwandten “Petauianus in quo catalecta Virgili? sind in Heinsius Handexemplar zu den Monosticha die Lesarten notirt; das wird Paris. 7927 s. X sein (vgl. N&ke Catonis Dirae p. 344).

-

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 303

A Suetonii ed. Romana a. 1470, von Sweinheim und Pannartz gedruckt, mit einem Briefe des Joannes Episcopus Aleriensis. Dieser nebst den Monosticha ist abgedruckt in dem Werke: A. M. Card. Quirini de optimorum scriptorum edd. . . . rec. Schelhorn, Lindaugiae 1761 p. 192—194.

D Bernensis 285 s. XII (eine Vergleichung von Bongarsius Hand in der ed. Gryphii 1575 in Bern).

E Bernensis 104 s. XIV (eine Abschrift des P. Daniel im Cod. Bernensis 189 n. 48).

Das scheinbar geringe Material ist ausreichend, um Einsicht in die Sachlage zu gewinnen. Hinter Sueton, wie in E, finden sich die Verse in zahlreichen Hdss. des 15. Jahrhunderts zu Paris, Wien u. 8. W., 2. B. Vindobon. 264 und 266, Endl s. XV in einem von Heinsius verglichenen Membranaceus (der in den Hauptpunkten mit E stimmt), im British Museum Addit. Ms. 12009 f. 157". Im Lauren- tianus XLV 26 membr. s. XII (Bandini II 363 II) stehen sie wie in D (dessen Lesarten jener theilt, wie aus gewissen Angaben zu schliessen ist) unter den Werken des Sidonius. Geradezu unter dem Namen des Sidonius stehen sie in Folge davon im Paris. 6116 s. XII (Roths praef. p. XXVII), im Laurentianus LXIV, 9 s. XIV (zu den Caesa- res ist hier bemerkt: Isti uersus al. leguntur Decimi Magni Ausonii Musellae: das ist ein Hinweis auf die Verazzanus-Hds.), und wie es scheint auch im Laurent. LXXXIX inf. 8.

Beide Texte stimmen im Ganzen überein in ihren Abweichungen von VaBT 51), abhängig sind sie von Ba!5?); der Text der Sueton- Hdss., wie der Zeit nach so auch innerlich verschieden von dem der Sidonius-Hdss., ist eine Weiterbildung jenes schon so stark inter- polirten Textes. Viele Lesarten dieser schlechtesten Klasse verun- stalten heute noch unsere gangbaren Ausgaben.'®®)

181) Der Sidonius- wie Suetonius-Text abweichend von VBaT: Monost. 11 4 Caesar alle Hdss.; aber: Gaius DE Caius À 1I Titel: De aetate imperii eorum VBa De aetate imperatorum in imperiis T] De longitudine regni eorum DE Caesarum tempora A 5 ebdoma^ dam] ebdomadem D ebdomade E Hebdoadem A 7 famose] formose DEA 8 nesciet (aueh V?)] nescit DEA (uestiit D) nesciat a 10 decadam VBaT etc.] decadem DEA IV titulus: De obitu singulorum] De fi- nibus eorum DE Ordnung der Verse in DAE abweichend: 4 2 8 5 (v. 1 fehlt wie in Ba) 4 Expetiit] Exegit, was heute noch in den Texten steht, nur DEA 4 Chaerea] curia DEA (und G hat es übernommen! wie er auch in III 8 nesciit daher genommen zu haben scheint) 12 pia- cula] pericula D A E? (so hatte sich schon P verschrieben, aber sogleich corrigirt). 153) III 11 fehlt RaB DAE IV 1 fehlt RaB DAE IV 1 othone RaB DAE IV 8 potitur RaB DAE. !**) EA interpoliren weiter auf Grund von D. Monost. II 8 infamis aeuo auch D, infamis aeui EA III 9 der Vers fehlt noch in D, er ist erst eingeschwürzt in EA und bisher als Ausonisch festgehalten worden III 11 fehlt in D (wie auch in Ba), an seiner Stelle ist in EA ein neuer Vers eingesetzt:

304 R. Peiper:

Da wir nun auch in älteren Sueton-Hdss. diese Verse nicht an- treffen, ist es wohl wahrscheinlich, dass sie erst im 14. Jahrh. aus einer solchen Sidonius-Hds. (in die sie aus mit dem Puteanus ver- wandten Exerpten übertragen worden) dahin verpflanzt und gleich- zeitig die Interpolation vollendet wurde.

Der Name des Ausonius feblt in DE, vorhanden ist er in A, wenigstens den Worten des Bischofs von Aleria nach: Haec habui quae summatim de Suetonio referrem, postea uisum est uersus quos- dam Ausonii poetae in ipsius commendationem adscribere, titulosque ipsis uersibus per partes inserere (das Letztere ist mir, dem die Ausgabe selbst nicht vorliegt, unverständlich; aus Audiffredi Romanae edd. s. XV p. 64 ergiebt sich auch nichts) und in der oben ge- nannten Sueton-Hds. des British Mus. heisst es: 'Expliciunt Versus Ausonii’ und vorher: “Versus Ausonii de XII Caesaribus".

Im Bernensis 104 E folgt durch die ersten beiden Verse der Tetrasticha (Nune et praedictos) angeknüpft ein Auszug aus Sextus Aurelius Victor. Das kann vielleicht auf die Quelle hinleiten.

Wie hat sich einzelnes aus diesem Text der Monosticha nun in die Ausgaben eindrängen können ?

Es ist das die Schuld des Ugoletus, der hier seinen B-Text contaminirte mit dem der ed. princeps und dem Sueton-Texte, den er einer der ersten Sueton-Ausgaben entnahm.!**

Aus B z. B. stammt es, wenn er II 3 regnat, was in B! fehlt, weglüsst. Aus der Familie Z nimmt er die Verse III 11 und IV 1, wie die Titel von I und II.

Aus der Suetonrecension den Vers III 9, ferner III 7 die Les- art: lasciue et formose und IV 6 proprio se perculit ense.

In den Testrasticha wahrt er seinen B- Text, und dieser ist oft

Ostensus terris Titus est breuitate perenni. Damit nicht zufrieden, fügt E einen zweiten zu: Heu tite monstrauit terris te uita biennis. IV zwischen v. 4 und 5 wird in EA ein neuer Vers eingeschoben, der noch in D fehlt: Terdecies periit repetito uulnere gaius. IV 6 pro- prii uim pertulit ensis] propriorum protulit enees D proprio 86 perculit ense EA. !?* Es standen ihm jedenfalls andere eher zu Gebote als die jedenfalls seltene des Bischofs von Aleria (man vergleiche dessen Brief an den Pabst, in welchem das Verzeichniss der Druckwerke von Sweyn- heym und Pannartz befindlich): die römische Ausgabe des J. A. Campa- nus von demselben Jahre kennt jene Verse nicht, dagegen die Jenso- niana Venetiis 1471, welche nach Schweiger Versus Ausonii in libros Suetonii auf f. 15 gibt, und mit den Versen des Ausonius auf f. 162» schliesst; die letzteren könnten schon die Tetrasticha sein, da die ed. Ferrariensis des folgenden Jahres ebenso f. 1* Ausonius versus und am Ende nach bestimmter Angabe “Tetrastica de Cesaribus post Tranquillum’ gibt. Ob sämmtliche? ob nur die der Ausgabe des Bartholomaeus Girar- dinus? Die Ausgabe s. l. 1480 hat f. 1* Áusonii uersus; ob die Tetra- sticha am Schluss? Die Bononiensis 1488 scheint schon die Ausgabe der Gedichte zu kennen, da f. 1* der Titel lautet: Ausonius Hesperio Filio salutem: In libros Suetonii.

Die handschrift. Ueberlieferung des Ausonius. 305

besser als der des Brüsseler Exemplars (man muss von den zahl. losen und entsetzlichen Schreibfehlern, sowie den Druckfehlern, die nicht blos dem Nachdruck von 1501 zur Last fallen, absehen). Die Lesart des Archetypus von B wird sich durch Vergleichung von Ugoletus Text ófters ermitteln lassen.

Monosticha de Herculis aerumnis.

In den Monosticha de aerumnis Herculis finden wir die Ueber- einstimmung zwischen V und GBrr nur in kleineren Dingen, wie Orthographicis gestört. In v. 11 gibt V das richtige destricta, die anderen GBrr distrieta, das wird die bedeutendste Abweichung sein und es mag noch fraglich erscheinen, ob sie ursprünglich vorhanden war, da ein von dieser Klasse G Βπ abhüngiges Exemplar (der Ger-

manensis, von dem weiter unten gesprochen wird) destracta hat. Er- wähnt muss werden, dass auch die Z-Hdss. diese Monosticha bieten. Der Tilianus selbst gibt einige meistens fehlerhafte Abweichungen: 1 leonis] laboris *5 discrimine] certamine 6 threicium] threitio 7 augeis] augei. Diese theilt die ed. princeps, mit Ausnahme des rich- tigen augei, nicht, jedenfalls weil dem Girardinus ausser der Hand- schrift G hierfür noch andere Quellen zu Gebote standen. Denn durch Conjectur bedürfte höchstens das dritte einer Aenderung, die übrigen Punkte forderten an sich nicht dazu auf. Jenes threitio wird auch nur dem Einzelexemplare der Familie zur Last fallen; laboris aber geben schon die älteren Exerpte (Paris. 18275), so gut wie augei (nur ent- stellt: ageis tabul’) und wahrscheinlich auch certamine. Das Gedicht- chen ist weit verbreitet in älteren und jüngeren Sammel-Hdss., 2. B. Bern 250 f. 11" s. X; der Familie Z aber ist es nirgend entlehnt; es ist, da wir eine directe Entlehnung aus V nirgend annehmen dürfen, auf G B zurückleiten, und dafür spricht auch, dass es in der Inschrif- tensammlung des Walahfrid (cod. Einsidlensis n. 326 s. IX) steht.'?°)

Vir bonus, Est et Non.

Die Hdss., welche ausser Verbindung mit den übrigen Werken des Áusonius den Vir bonus und Est et Non enthalten, sondern sich scharf in zwei Klassen; der Führer der einen, sich eng an Vossianus anlehnenden Klasse, ist unser S. Gallensis (G).

Dieser Klasse gegenüber tritt das Juuenalis ludi libellus (a) in seinen Hauptvertretern Augustanus, Bembinus, Thuaneus und Petauianus.!59)

186) Mommsen Hh. M. 1854 IX 299. 156) Siehe meine Bemerkungen zur Appendix Vergiliang an: Q. Valerius Catullus Beiträge z. Kritik seiner Gedichte, Breslau 1875 s. 63 ff.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. XI. . 20

806 R. Peiper:

Man vergleiche in Vir bonus folgende Stellen:

GV a

6 labis is V) labiis

6 sidat van fidat

7 quam quem 21 quod quid 21 foret (feret V) furet

8 capricorno capricornu 10 protuberet proturberet 12 subter subtus

14 declinans _ declinat is 13 ist vorhanden fehlt 22 perstrictus perstrictis

Der Augustanus allein geht an einigen dieser Stellen, den ersten fünf, mit V G; darüber weiter unten.

Aus G selbst ist von den bekannten Hdss. keine einzige ab- geleitet; es würde sonst doch wohl eine sich näher an V anschliessen oder die Fehler von G, von denen er natürlich nicht frei ist, theilen: z. B. 12 quocumque und ianua 16 quod gestum 18 fehlt nur in G 19 quid. Auch gewisse Vorzüge theilt keine Hds. mit ihm (wenn wir absehen vom Augustanus); v. 26 gibt G ganz allein dat, wo selbst V det liest. An eine Herleitung der Hds. G aus V selbst ist nicht zu denken, aber ihre Voreltern waren eng verwandt: Die obige Annahme, dass schon G aus einer Excerpten-Hds. geflossen, findet nun neue Bestätigung durch die enge Verwandtschaft, die zwischen ihm und den Excerpten im Puteanus erkennbar ist. In den oben ange- geführten 12 Stellen weicht er nur v. 21, wo auch er quid gibt, von VG ab. Vereinsamt steht er da mit gewissen fehlerhaften Lesarten (in v. 2 scheint er multis zu geben, was Aldus liest, 6 per deuia, 10 aequus 11 amissis 15 reputarit 17 fehlt 22 non (mit Petav. und Helmstad.) 25 ad uesperum), die obengenannten Fehler von G theilt er nicht. v. 26 gibt er mit V und den Hauptvertretern der zweiten Klasse det. Aus V selbst ist der Puteanus nicht geflossen, selbst wenn man auf die orthographischen Verschiedenhelten kein Gewicht legen wollte. Wie im Titel des Vir bonus, so ist auch im Titel von Est et Non ein Zusammengehen zwischen GT gegen V zu bemerken:

De uiro bono pytagorice atıoacıc Υ (es ist auch hier ἀπόφαεις wie Idyll. XV zu lesen, s. oben 8 277.)

De institutione uiri boni απ

N&Y. KAY OY PITAGORICON V

Incipit de pythagorieis diffinitionibus naikeovY απ (pitagoricis m lay ΚΗ uy m)

In diesem zweiten Gedicht nun bleibt das Verhältniss von G zu V dasselbe!?”), und wenig anders das von T zu G, nur dass π in

181) Vgl. v. 19 fulgeribus VG (gut) fulgoribus απ.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 307

Kleinigkeiten hier einigemal mit a geht, z. B. lässt er v. 21 gegen GV mit a das est weg, v. 9 liest er Sin mit a. Das erklärt sich aus dem später zu Sagenden. In diesem Stücke gewinnt die Klasse V Gr eine Anzahl asseclae, die freilich im kritischen Apparat zu figuriren keine Berechtigung fernerhin haben. Das sind:

Voss. Q 86 nebst seinem Vetter Paris. 13026 (S. Germanensis),

beide s. IX!55),

Durlacensis 36 s. IX, gleichfalls mit seinem Vetter Voss. Q 33 8. X (== Cod. Reginae). 183)

Dass das zweite Paar auf einem, mit dem ersten Paar engver- wandten Texte beruht, der weiter durch Interpolationen entstellt wurde, ist ersichtlich.'?0)

Wir hüten uns bei dem unzulänglichen Material über die Ab- stammung der Hdss. zu weit gehende Schlüsse zu ziehen. Die Zwischenglieder sind uns ja nicht zur Hand. Wenn wir v. 7 An- schluss dieser beiden Hdss.-Paare an Vossianus finden (facilis und difficilis, nata), hingegen a und Tt ebenda tübereinstimmend mit G (faciles und difficiles, nancta G, nacia at), wenn dieselben v. 9 In mit V lesen, Sin ma, was eher auf G, welcher Si gibt, zu deuten scheint, so dürfte das z. B. zu dem Schlusse, die Quelle für απ sei näher mit G, die Quelle von jenen vier Hdss. näher mit dem Vossianus verwandt, nicht zureichend sein.

Als sicher werden wir nur annehmen dürfen, dass ihre Herkunft auf einer Hds. der Familie GV beruht. In gleicher Weise werden wir aber auch den Urahnen der Familie a, die sich nach ihrer Auf- nahme ins Iuvenalis ludi libellus selbständig weiter entwickelt hat, auf ein zu GV gehöriges Glied zurückführen dürfen: und, wenn hier und da eine Verwandtschaft des Puteanus mit « durchzuleuchten schien, so werden wir jetzt umgekehrt a aus einem Vorfahren dieser Hds. hergeleitet erklären dürfen.)

Dass die Familie a nicht gleich Anfangs bei ihrer Aufnahme in das Iuvenalis ludi libellus den festen Text, welchen wir aus Bembinus, Thuaneus, Petavianus u. a. kennen, gehabt, sondern den- selben erst im Lauf der Zeit gewonnen hat, scheint der Augustanus zu beweisen, der zu öfterem im Vir bonus von a zu V Gt abgefallen

188) Vgl. v. 10 foro für fora, v. 8 interuenit est mit Auslassung des zweiten est. 159) Sie stimmen z. B. überein v. 3 in der Auslassung von et, v. 5 studiis studiores für st. ut mores, 28 commemorantur für commeditantes, 11 teatro für theatri, 8 interueniens est statt interuenit est est, b seorsum statt seorsis. Im Durlacensis steht das Gedicht hinter Prisciani periegesis und darum wird es im cod. Reginae sofort dem Priscian selbst zugeschrieben. 195) V. 28 commeditantes] Germanensis hat cóme.., daraus macht Voss. Q 86 comine, Durl. und cod. 1 verändern das unsinnig weiter in commemorantur. --- !?!) Schon die Be- zeichnung des Vir bonus als Egloga in der Subscriptio von v, welche weder in G noch V vorkommt, sich aber in a findet, scheint darauf zu deuten.

20*

908 R. Peiper:

scheint: z. B. in den ersten fünf Stellen des obigen Verzeichnisses. So wie er es auch ist, der in den Rosae eine Anzahl besserer Les- arten bietet als die übrigen Hdss.; 2. B. v. 6 hat er allein uegetare, v. 26 Ac tenus et folio vielleicht für Ac tenui folio? Die Lücke, welche alle &lteren Hdss. am Ende von v. 41 bieten (florum est ist erst jüngere Interpolation), füllt er allein durch talis aus die Ribbeck'schen Hdss. Vl haben mit ihm irgend welchen Zu- sammenhang v. 45 bietet er wiederum allein das richtige rutilus, v. 9 hortis, v. 9 teretes patulis, was nicht zu verschmähen war, so wenig wie v. 44 Cum pubescenti.. breuis statt quae pubescentes . . premit. Wir sehen einen Theil der jüngeren Hdss. seiner Sippe folgen, z. B. die eben genannten Hdss. V und l (vgl v. 41), sowie den Helmstadiensis (vgl. v. 5 und 9): ein Umstand, der den Werth des Bruxellensis (s. 65 ff. meiner Beiträge “zur Appendix Vergiliana) zu erhöhen, seine Wiederauffindung um so erfreulicher zu machen geeignet ist.

Es ist klar, dass Niemand daran gedacht haben kann, diese Gedichte aus einer vollständigen Sammlung der Werke des Ausonius, wie der Vossiamus 111 sie bietet, zu übertragen ins Iuvenalis ludi libellus; sie müssen nothwendig vereinzelt und namenlos, wie schon der Name Ecloga andeuten mag, in einer Anthologie hinter einem oder dem andern Gedichte des Vergil sich gefunden haben.

Die Zersplitterung jener ursprünglichen Auswahl aus Auso- nius' Gedichten ist danach schon vor der Entstehung des Iu- venalis ludi libellus erfolgt.

Hieronymus Aleander!9??) hat nun, aus einer verhältnissmässig jungen Hds. dieses libellus auch die Rosae, die nur in dieser Samm- lung überliefert sind 138), unter die Werke des Ausonius aufgenommen, die inneren Gründe würden genügen, um sie auch ferner an ihrem Platze zu erhalten, die äusseren scheinen nicht ausreichend. Dass im Vossianus das Gedicht fehlt, brauchte bei überwiegenden inneren Gründen nicht als entscheidendes Hinderniss angesehen zu werden: er bietet ja offenbare Lücken; so ist u. A. der Schluss der Caesares in ihm ausgefallen, so der Anfang des Planetengedichtes hinter den Hesiodion!9*) aber dass weder G noch T es kennen, scheint doch darauf hinzudeuten, dass wie in ihnen und im Vossianus, 80 auch im Archetypus von VG Vir bonus Est et Non Hesiodion un- getrennt durch die Rosae standen: dann hat es aber nie in jenen Excerpten gestanden, auf die indirekt a zurtickgeht, und wir müssen die Echtheit bestreiten, wenn auch Inhalt und Form gegen Ausonius als Verfasser nicht zeugen.

193) In der Ausgabe von 1511. Accursius stimmt ihm zu. 9%) Auch wo sie einzeln erscheinen, stammen sie doch stets aus dieser Quelle. 19) Dass Gr übereinstimmend den Schluss des Hesiodion hinter v. 10 ansetzen, ist in Verbindung mit dem abweichenden Inhalt der folgenden Verse ein genügender Beweis für jenen von Schenkl vermutheten Ausfall.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 309

Hesiodion.

Ueber das Hesiodion können wir kurz sein, so wichtig es für unsere Frage ist. Die Ueberschrift lautet in V: De aetatibus. Hesiodion. Vollständiger in απ: Explicit egloga supra scripta. incipit de aet&ti- bus animantium. Hesiodion (supra om. G Hesidion G hacywayww, darüber hesiodion T). Eine Hds. von Valencienne s. IX (auf der eine jüngere daselbst s. XII beruhen wird) geht auf απ zurück, wie zunächst die Ueberschrift, Incipit de aetatibus animantium hesiod —, dann wenigstens eine Lesart bezeugt, v. 10 secreta, wo V secreti gibt.

Woher stammt nun in dem Titel dieses Gedichtes, wie der früher genannten, das Wort Egloga? Ist es aus dem Archetypus von G t V herübergenommen, der ein Eclogarium bietet?195) Schwer- lich! denn da stehen die oben genannten Gedichte in einem anderen Theile. Es findet sich jener Titel nur:

1) In der Subscriptio des Vir bonus in t und a (ABPC); | 2) In dem damit verbundenen Incipit der Rosae in a (in B scheint es zu fehlen), ebenso in dem Explicit der Rosae in d; 3) In dem Explicit von Est et non απ; 4) In dem Explicit des Hesiodion G. Also nur in G rta, nicht im Vossianus.

Wir dürfen dies hier mit der bisher missachteten Ueberschrift der Mosella in G und B verbinden:

Incipiunt excerpta de (ex B) opusculis Decimi Magni Ausonii, um nun die Ueberzeugung zu gewinnen, dass Egloga den kleineren aus Ausonius ausgehobenen Gedichten in der Urhandschrift dieser Excerpta beigesetzt wurde. Bei der Nachlässigkeit und Inconsequenz der Abschreiber ist es bei einigen dann verloren gegangen.

Monatsgedichte.

Man kónnte sich versucht fühlen, aus dieser Excerpten-Samm- lung auch die Splitter von Ausonischen Gedichten herzuleiten, die Sannazarius “ex alio codice bybliothecae in Araris insula geschöpft hat. Es sind das:

1. Epigr. 75 In Eunomum medicum, im Vossianus wie auch in der Z-Familie erhalten; 2. ecl. XIV (n. 382) Principium Iani Anth. lat. Riese 640.

105) So wenigstens scheint man, wie früher bemerkt, die Ueberschrift der fünften Ecloge im Vossianus: Incpt eglogar, de nominib. septe dier, deuten zu müssen. Noch einmal kommt der Titel vor Id. XV: Egloga de ambiguitate vitae im Ticinensis.

810 R. Peiper:

Diese Ueberlieferung des Epigramms weicht sehr stark von Z, wenig vom Vossianus ab, aber doch genügt sie letzteren nicht als directe Quelle erkennen zu lassen, der Text hat offenbar durch wieder- holte Abschrift gelitten: v. 7 gibt die Hds. qui, der Vossianus nebst ed. pr. quia (worauf auch das q3 des Tilianus anstatt q2 deutet), ferner v. 8 diese Hds. adcirem, wo Voss. accirem, die Fa- milie Z acciperem liest. In der Ecloge, die in Z fehlt, zeigt er mit dem Valentianus n. 330, der dadurch an Werth gewinnt, Ver- wandtschaft.

Hier eine bestimmte Entscheidung treffen zu wollen, würe sehr unvorsichtig, zumal zwei noch nicht genügend erörterte Umstände auf die endgültige Entscheidung einwirken müssen:

1. Die Ecloge (Anth. 640) Principium Iani wird von Beda de temporum ratione c. 16 citirt (quidam ueterum"). Ein Vers daraus findet sich in den biblischen Glossen des Kólner Codex 211 (Darm- stad. 2180) s. IX, s. Jaffe-Wattenbachs Catalog S. 160: Mensisqui apud grecos dioscori apud latinos uocatur Iunius. Huic ergo mensi geminorum signa asscribuntur. Unde poeta: Iunius aequatas (sic) caelo uidet ire Laconas.

Die Verse dieser Ecloge sind ferner den Bildern der pracht- vollsten Handschrift von Wandalberts von Prim Martyrologium (Vatican. christin. 438 s. X) vorgesetzt (E. Dümmler N. Archiv IV 309). Vereinzelt scheint das Gedicht auch in anderen Hdss. vorzu- kommen. Es war wohl von alter Zeit bekannt, und dass es sich von Lyon aus verbreitet hat, dafür kann die von Sannazar gesehene Hds., in die es nicht direct aus Vossianus gekommen sein mag, sprechen.

2. Dieselbe Ecloge steht nebst einem anderen Ausonianum in einer kleinen, neuerdings mehrfach besprochenen Sammlung?) von Monatsgedichten, die nach Bährens’ Annahme von Beda veranstaltet ist und folgende Nummern enthält: 1. Ausonii ecl IX 376 (Anth. lat. 639) Primus romanas ; 2. u. 3. Anth. 394 und 395; 4. Frag- ment aus Ciceros Aratea (Meyer 1028); 5. Ausonii ecl. XV 382 (Anth. lat. 640) Principium Iani —. Die wunderliche Ueberschrift von 394 in den Hdss.:

versus de numero dierum singulorum mensium

deutet Bührens auf den Ausfall von Auson, ecl. IX = 378 (Implent tricenas —), dessen Ueberschrift im Vossianus lautet: Quoteni dies sint mensuum singulorum. Dies Gedicht trifft man jedoch ausser- halb des Vossianus nirgends an. Mit mehr Recht erklärt er 394 für

196) Riese Rh. M. XXX 185. Bährens Rh. M. XXXI 96 ff. Ueber den cod. Mus. Brit. 15B XIX, siehe Zangemeister S. B. der Wiener Ak. phil-hist. Kl. 84 (1877) S. 514. Ueber die Hdss. von S. Gallen gibt Scherrers Catalog, selbst mit Hilfe der Indices keine ausreichende Kunde; "E z. B. die Mittheilungen E. Dümmlers an der oben angeführten

telle.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 311

zusammengeschweisst aus Fragmenten zweier Gedichte.!?") Einen rich- tigeren Titel, der natürlich nur auf den ersten Theil des Gedichts sich bezieht, bietet Cod. S. Gallensis 250 s. IX:

Versus de honore deorum singulorumque mensium.

Dort steht das Gedicht mit Anth. 680, Versus Bedae presbiteri und Anth. 395. Mit Beda hat die Sammlung dieser fünf Gedichte (von denen 394, 395 ihm freilich bekannt sein konnten)'!”), gar nichts zu thun. Die Hdss. dieser Sammlung gehen soviel bis bis jetzt bekannt über das neunte Jahrhundert nicht zurtick. Man wird eher jfragen dürfen, ob nicht unsere Sammlung in Connex ge- standen zu der unter den Nummern 676 680 bei Riese heraus- gegebenen!”®), die in dem römischen Codex des Wandalbert gleich- falls vorkommen, und ob dieser Gründer beider sein könnte: der Diaconus Florus von Lyon, dessen reicher Bibliothek Wandalbert soviel verdankte, wie er in der Vorrede selbst bekennt?"”), könnte ihm dazu die bisher unbekannte Ecloge des Ausonius (Primus ro- manas —) beigesteuert haben. Indessen liegt das Material auch heute noch in solcher Unvollständigkeit vor, dass das Aussprechen einer so vagen Vermuthung nur bezwecken kann, die Aufmerksamkeit auch nach dieser Seite hin zu lenken. Ein Umstand wird bei Erledigung der Frage nach dem Entstehungsorte dieser Sammlung nicht ohne Gewicht sein: die einzige Ecloge des Ausonius, welche in die Hdss. Z übergegangen ist (ecl. VIII = 375, Aeternos menses —), fehlt in der besprochenen Sammlung; sie könnte nicht fehlen, wenn eine alte Hds. dieser Familie Z sich in dem Vaterlande jener Sammlung befunden hätte. Stammt die Sammlung von Wandalbert, bez. Florus, so war der Archetypus von Z schon im s. IX ins Ausland gekommen; und hätte sich im Frankenreiche eine Abschrift von ihm erhalten, so würde sicherlich aus ihr die Samm- Inng im Laufe der Zeit um dies Gedicht sich bereichert haben.

Sonst ist mir von einzelnen Gedichten der Vossianus -Familie, die zersprengt in Miscellen-Hdss. aufgefunden werden, nichts bekannt geworden ausser drei Diogenes-Epitaphien, epit. 31, epigr. 53 und 54 (die unter den Epitaphien des Vossianus eine Reihe, 28, 29, 30,

197) So gewinnt er eine Samml von 7 Monatsgedichten. 19) Dass Ausonius der Verfasser dieser beiden bez. drei Gedichte sei, wie Riese muthmasst, dürfte sich schwerlich ausreichend begründen lassen. 19?) Ueber diese s. Scaliger Lectiones Ausonianae II c. 29: die Les- arten des von diesem benutsten Cujacianus führt Riese nach Burmann mangelhaft an. Das Gedicht 676 ist vor Hieronymus verfasst. In dem Jahrhundert zwischen Hieronymus und Columbanus, die es beide kennen (der letztere verwebt es vollständig ausser v. 1, den er durch einen an- dern einleitenden Vers ersetzt, in sein Gedicht ad Sethum), schmückt Dracontius damit seine Satisfactio (v. 4, δ, 6, 8, 12 Satisf. 247, 249, 251, 259, 263), von v. 4 hat er die erste Hälfte in der Medea v. 132 und im dritten seiner kleinen Gedichte v. 6 benutzt. 395) d'Achery Spicileg. ed. vetus V p. 386, ed. nova II p. 39.

512 R. Peiper:

bilden). Sie finden sich im Cod. des britischen Mus. Reg. 15 B XIX, s. IX —X f. 99" (s. E. Bührens Rh. Mus. XXXI 94, Zange- meister S. B. der Wiener Akad. 1877 Bd. 84 S. 515). Weiterhin folgt f. 102" Mentio duodecim uersuum precipuarum uirtutum Her- culis. siue epyOAqyoN (um übergeschrieben) ipsius. Prima cleomei etc. Das dritte Epitaph ist arg verstümmelt. Statt des Croesus redet Diogenes den Xerxes an eine mittelalterliche Umwandlung, wie sie auch im Carmen Buranum XI S. 9 von mir nachgewiesen worden ist Rh. Mus. N. F. XXXII S. 521 die zweite Nennung desselben Namens in v. 3 ist getilgt: Nil, inquid, tibi Croese tuum superat, mici cuncta, gibt Vossianus, Nil, inquit, curo tua: sat superant mihi cuncta, die britische Hds.; ausserdem ändert die Hds. 5 mendice in mendace, 6 si in sic. Die Verse 3— 6, die in den Ausgaben noch fehlen (statt ihrer stehen die unechten Verse des Ugoletus), lauten: "Nil, inquit, tibi, Croese, tuum superat; mihi cuncta; Nudus eram: sic sum; nil habui: hoc habeo. Rex ait: "Haud egui, cum tu mendice carebas Omnibus’. “Et careo, si modo non egeo.'

Ich lasse dahin gestellt, ob auch sie aus unseren Excerpten stammen, worauf die Verbindung mit den aerumnae Herculis führen könnte.

Parisinus 8500.

Eben so wenig wie in den Hdss. Z werden wir in dieser Hds. die Arbeit eines Excerpten-Sammlers suchen dürfen. Auch die Mit- theilungen dieser Hds. gehen auf Fragmente eines alten Exemplars der Opuscula Ausoniana zurück. Und auch hier sind es, wenn wir die Vertheilung der Stücke auf Quaternionen im Vossianus zu Grunde legen??!'), naturgemäss die mittleren Quaternionen, die am besten sich erhalten und die meisten Stücke hergegeben haben:

.Q. L1 TON .Q. U... . . , . . 1516 .Q. III. 17 18 19 . ,21 22 23 24 .Q. ΠῚ. 25 26 . . ,29 30 31 32 Ὁ. V.33 34 35 35B, . . . .

Uud zwar finden sich zwei Mal vollständige Reihen ohne alle Lücken aus der Mutterhandschrift ausgehoben 1) 24" bis 26" Griphus und

3?!) In den Schreibstuben war wan behufs der Erleichterung des Ge- schüfts, der Berechnung des nöthigen Pergaments, der Vertheilung an die Scribae, und ihrer Beaufsichtigung zu mechanischem Festhalten der áussern Ánordnung genöthigt. Eine Berechnung, wie wir sie anstellen, kann also nicht völlrg trügen. Die Vulgürhdss. des Ausonius und die ersten Drucke stimmen ebenso sehr aus begreiflichen Gründen in der Vertheilung üherein.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 313

Symmachus-Briefe, 2) 29" bis 35 B Briefwechsel mit Paulinus nebst epigr. 34 (welches im Vossianus vom Briefwechsel dnrch Paulini oratio getrennt steht). Bei dieser zweiten Reihe ist die völlige Umkehr der Reihenfolge zu beachten, die doch nicht auf einer Laune des Ab- schreibenden beruhen kann, sondern eine Folge falscher Lage los- gelöster Blätter sein muss: und möglich dürfte ea sein, daraus und aus den Umstellungen der anderen Stücke annähernd den Umfang und die Zeilenzahl der Blätter in der Vorlage zu berechnen. Von grosser Wichtigkeit ist die Erkenntniss, dass die Vorlage voll- ständiger war als der Vossianus: Der Brief des Theodosius hat sich vor dem Briefe des Ausonius an denselben (469) erhalten, und es fehlt nicht der jambische Schluss von Paulinus II; dagegen ist im ersten Paulinus-Briefe der Hymnus auf Christns 285 331 weggelassen.

Der Gedanke tritt zunächst nahe bei dem verschiedenartigen Inhalte von P und Z, dass die verschiedenen Theile derselben Hds. sich in diese beiden Sammlungen zersplittert haben. Indessen sind es doch vier Stücke, die Beide gemeinsam haben:

Id. I Versus pascales,

Id. XI Griphus mit Vorrede, Id. IV Protrepticus mit Vorrede, Epigr. 34 Ad Proculum.

Dass sich beide Sammlungen soweit ergänzen, ist also nur Spiel des Zufalls, von dem es ja eigenthümliche Beispiele gibt.30?)

Der Zufall hat uns aber, wenn nicht alles trügt, wirklich aus derselben alten Hds. einige weitere Stücke bewahrt: Der Bestand der oben angeführten, vorläufig als Excerpte bezeich- neten Sammlungen S8. Gallensis, Bruxellensis, Puteanus ist es: aus dem ersten Quaternio hat er die Herculis aerumnae er- halten (und daraus ist seine Herleitung aus einer andern als der Stamm-Hds. von Z ersichtlich), am Schluss des zweiten die ersten drei der zwischen Pythagoricon und Versus Pascales ausgefallenen Stücke (Vir bonus, Nai xai οὐ, Hesiodion), in der zweiten Hälfte des dritten den vollen Inhalt der Lücke zwischen Ludus und Griphus, die Caesares.

Wenn P das erste der epigrammata de diuersis causis noch vorfand, so konnte für diese Sammlung noch das Schluss- epigramm der Reihe benutzt werden: dazu kommt nun das einleitende Epigramm der nur in Z erhaltenen anderen Epigrammensammlung, sowie die Mosella: beide dürften in der zweiten Hälfte des vierten und im fünften Quaternio jener alten Hds. gestanden haben.

303) Wenn z. B. die Breslauer Hds. von Apulejus herbarium, s. IX, eine Lücke aufweisst, welche gerade durch ein einzeln erhaltenes Blatt einer bedeutend áltern Hds. aus S. Emmeram ausgefüllt wird. -S. Spengel im Philol XXI p. 119—122.

314 R. Peiper:

Doch wo bleiben die Periochae? Sollen wir wirklich annehmen, dass sie aus der vollständigen Sammlung ausgeschieden sind auf die- selbe Art wie die Mosella? Und dass sie sich nun in die Sammlung P gerettet? Denn das ist die einzig nachweisbare Hds. dieses Werkes. Inscriptio und Explicit, jede Bezeichnung des Verfassers wird ver- misst, während bei den Ausoniana niemals ein Titel, aus dem der Verfasser sich ergibt, fehlt. Innere Gründe sprechen für die Autor- schaft des Ausonius nicht: auch der äussere Grund, dass die Schrift zwischen Ludus und den Paulinus-Briefen steht, ist kein triftiger, da wir doch auch zwei Mal Stücke aus Prudentius unter die Ausoniana ge- stellt finden. Die inneren Gründe würden an einen Autor wie Ful- gentius denken lassen, und eine Hauptschrift dieses Mannes, die Mythologica, gehen nebst seiner Vita dem Ludus vorauf. Es würde sich also wohl eine sprachliche Untersuchung, ob diesem die Vater- schaft zuzuweisen, lohnen: dem Ausonius, dem nur Leichtfertigkeit dies Produkt zugewiesen, entschuldbare Unkenntniss des Sachverhalts bis jetzt bewahrt hat, muss sie unter allen Umständen abgesprochen werden, wenn nicht, was kaum glaublich, die triftigsten Gründe für ihn nachträglich entdeckt werden sollten.

VIL Resultate.

Ich entwerfe nach den bisherigen Untersuchungen einen Stamm- baum, zu dessen Erläuterung die folgende Recapitulation dienen möge.

I.

Die zuerst durch den Druck ans Licht getretenen Dichtungen des Ausonius enthalten zunächst den Nachlass des Dichters z. Dieser Nachlass muss mit der Hauptsammlung in einem Bande ver- einigt gewesen sein, nicht dass er einen zweiten gesonderten Band gebildet hätte. Er löste sich von ihr und nahm eine, den Schluss der Hauptsammlung bildende Epigrammen-Masse mit fort. Die um diese Masse gekürzte Hauptsammlung y gerieth völlig in Verfall; Abschriften von den letzten Splittern derselben, y?, wurden in den Nachlass eingereiht (y? - z'). In alter Zeit, vielleicht schon vor Mitte des 9. Jahrhunderts, ist der Stammvater aller erhaltenen Ab- schriften der so entstandenen Sammlung Z, ohne eine Spur in der Heimath zu hinterlassen, nach dem nordöstlichen Italien, zunächst wohl nach Venedig, gekommen; Zeugniss daftir legen unbedeutende und umfassendere Excerpte des 12. und 13. Jahrhunderts ab, von denen die einen durch Friaul nach Steiermark auf vielbenutztem

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 315

Pfade?9) ihren Weg fanden (Vorau), die anderen nach Stidfrankreich (Montpellier) zurückkehrten (p = Paris. 18275). Der Eustor- gianus (= Tilianus) T und die von B. Girardinus der ed. pr. zu Grunde gelegte Hds., G, sind aus verschiedenen Abschriften der Urhandschrift geflossen. Eine andere Abschrift wurde, offenbar von Venedig aus, nach Zara verschlagen und bereite vor der Mitte des 15. Jahrhunderts zu umfangreicheren Excerpten verwendet, deren älteste erhaltene Copie der Gudianus vom J. 1445 ist, αὖ, als auch vollständig abgeschrieben, wofür das Kings-Ms. vom Jahre 1475 K zeugt. Der Zusammenhang der übrigen sehr jungen Hdss. der Familie Z ist noch unermittelt. G TK sind die vornehmsten Ver- mittler unserer Kenntniss einerseits des Nachlasses, andererseits einer der Hauptsammlung entfremdeten zweiten Epigrammen-Masse.

II.

Einige Theile wenigstens jener in den Nachlass (z) verwebten Splitter von y sind bereits, ehe sie in der Abschrift y? mit z sich verbanden, einmal abgeschrieben worden: y?. Von dieser Abschrift stammen die Fragmente im Cantabrigiensis, Ο (Oratio und Stücke des Technopaegnion). Früher, aber bereits als der Nachlass mit den letzten Blättern des Hauptcorpus sich von diesem losgelöst hatte, ist von dem Codex y, dessen Zersetzung inzwischen weitere Fort- schritte gemacht hatte, so dass nun u. a. auch die Mosella aus ihm verschwunden war, eine vollständige Abschrift y! genommen. Den am Anfang stehenden Brief des Theodosius fand der Schreiber nicht mehr vor, eine Blattumstellung mag den Ausfall des jambischen Theils von Paulinus ep. II sammt der hier bemerkbaren Unordnung verschuldet haben. Diese Hds. y! ist als Vater des Cod. Lugdu- nensis (Voss. 111) V anzusehen. Zur Annahme dieser engeren Verwandtschaft zwischen V und den Trümmern von y (y? y?) nöthigen die im Voss. Q 33 und Paris. 2772 erhaltenen Stücke des Techno- paegnion v p; zwischen y und V wenigstens ein Mittelglied ein- zuschieben, lassen die Lücken in V als rathsam erscheinen, wie die (wegen y? y?) offenbar sehr früh anzusetzende Zeit des Verfalls von y. Aus y! gleichfalls scheinen direct geflossen die vermuthlich auf Florus Diaconus Lugdunensis (von denen der erste Anhang Näheres mittheilen soll) zurückgehenden Excerpte des Parisinus 7558 = F, indirect die schon genannten Stücke des Technopaegnion in v p.

ΠῚ.

Die Mosella ist nicht von alter Zeit her in Einzelhandschriften verbreitet gewesen, sondern stets nur in Verbindung mit anderen Ausoniana, x?. In den wenigen Einzeltexten, die wir kennen (R =

308) Vgl. J. v. Zahn Austro-Friulana (Fontes rerum Austriacarum II, Bd. XL) Wien 1877, und desselben Friaulische Studien I (Archiv für österreich. Gesch. LVII, 2 S. 277 8.) Wien 1878.

316 R. Peiper:

Rhenaugiensis, V Vaticanus) erscheint sie willkührlich dieser Ver- bindung entfremdet. Die ganze Sammlung, in der sie einst das Hauptstück bildete, ist in ihrer Integrität nicht mehr erhalten; die einzelnen Stücke derselben sind in manchfaltiger Gruppirung in klei- nere Sammlungen übertragen worden, von denen uns mindestens drei Gestaltungen deutlich erkennbar vorliegen; ihre characteristischen Vertreter sind für 1) S. Gallensis 899 G, für 2) Bruxel- lensis 5370 B, für 3) Puteanus (Parisinus 4887) T. Die Natur dieser Stticke wehrt dem Gedanken, den der mehrfach ge- brauchte Titel Ecloga, sowie Excerpta de opusculis Decii Magni Ausonii erzeugen könnte, dass nur frei ausgewählte Excerpte der vollständigen Sammlung vorliegen; für versprengte Trümmer von y dürfen wir sie indessen nicht halten, weil ein Theil des Caesares, sowie ein Epigramm in x? sowohl wie in Z Aufnahme gefunden bat.

Aufklärung gibt uns eine zweite, mit y nicht zusammenhängende, grössere Trümmersammlung, xl, erhalten i im Ticinensis (Parisinus 8500) P, in die „sich die Stücke von x? einfügen: zusammen re- präsentiren x und x? einen nicht unbedeutenden Theil eines zweiten Exemplars der Hauptsammlung, x, welches vermuthlich noch nicht um den Nachlass vermehrt war. (Dann liesse sich x sogar mit dem echten Exemplar des Ausonius identificiren und y würde eine Ab- schrift davon darstellen.) Wenn nun gleich P aus alter Hds. ab- geschrieben sein muss, 80 mag man doch zwischen ihm und dem Exemplar x! ein, vielleicht sogar mehrere, Zwischenglieder (durch

x! bezeichnet) ansetzen; muss doch jene durch x bezeichnete Hds. in sehr früher Zeit (wohl früher noch wie y)i in Trümmer gegangen sein, sehr früh also die Bildung von x! und x? stattgefunden haben, da drei Gedichte der zweiten Splitter-Sammlung x? schon in recht alter Zeit in das bekannte Iuvenalis ludi libellus = a Aufnahme ge- funden haben, dessen relativ reinster Text sich im Augustanus zu Trier findet. Ein Rest der Vaterhandschrift von dem in Italien geschriebenen Codex P hat sich in dem Fragment der Urbes (tibel zugerichtet, weil dieser Catalogus den Schluss der Handschrift bil- dete) in den Eustorgianus T hinüber gerettet.

Es kann kaum bezweifelt werden, dass die von der Haupthds. y abgeleiteten Hdss. sämmtlich in Lyon ihre Heimathsstätte haben; von dort her stammt V, dort wurden doch wohl, von Florus selbst vermuthlich, die Excerpte F abgeschrieben. Dort, oder nicht weit von Lyon wird also auch wohl der Verfall von y vor sich gegangen sein, in einer Zeit, wie sie uns beispielsweise Ado zum Jahre 737 schildert.?*) Auf Lyon deuteten auch die beim auctor de dubiis

7*) Wilicarius Austreberto uenerabili episcopo Viennae succedit. Qui ob cladem Sarrazenorum, cum esset, domus praeclarissima mar- tyrum citra Rhodanum ab eis iam incensa, ossa beati Ferreoli cum ca-

ite luliani matyris infra urbem transtulit . . Idem Wilicarius cum urioso et insano satis consilio Franci res sacras ecclesiarum ad usus

Die handsehriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 317

L Exc. Veron.

εἶν

" - rto » rem n ^ [ »

Ausonii exemplar

u .. DLP “m 4 ΓΗ " LLL 1 | *$ Tbe Re lem

318 R. Peiper:

nominibus erhaltenen Fragmente hin, und bei ihrer Besprechung wurde auch auf die Möglichkeit einer Abstammung von x? aus der- selben Stadt hingewiesen, bei der nahen Verbindung, in der Walah- frid mit Agobard von Lyon stand. Für Z und x! ist soviel sicher, dass sie früh nach Italien gelangt sind, dort aber verschiedenes Ge- schick erfahren haben: der bessere Theil der Opuscula wurde nur einmal abgeschrieben, während Z weitere Verbreitung fand. Sie waren also jedenfalls in verschiedene Hände gekommen. Dieselbe Hand kann dennoch beide gleichzeitig von Lyon ans mit dahin genommen haben: vielleicht dass es Agobard selbst war, da er mit Kaiser Lothar dahin flüchtete. Aus der Capitelsbibliothek von St. Justus zu Lyon dürften sie aber gewiss stammen.

Auf welchem Wege nun die Werke des Ausonius von der Garonne nach der Rhone verschlagen worden, das mag als eine müssige Frage erscheinen; aufdrängen wird sie sich den- noch Jedem, der an dem Schicksale der Hdss., wie ihres Inhalts und ihrer Verfasser Theil nimmt. Bei der beschränkten Anzahl von Exemplaren, deren Spuren in alter Zeit nachweisbar, werden wir zunächst eine Uebertragung durch vollberechtigte Erben annehmen, diese selbst in die Nähe der Rhone verpflanzt denken müssen. Bei der Seltenheit des Namens Ausonius, der sich (wir lassen den Mür- tyrer von Angoulöme, der vor unserem Dichter gelebt und gelitten haben 80]] 96) bei Seite) rein auf die Familie des Dichters, von seinem Grossvater bis auf seinen Tochtersohn, beschrünkt, werden wir, wenn in nicht zu weitem, räumlichem und zeitlichem Abstande ein Mann dieses Namens begegnet, zunächst berechtigt sein denselben als Nachkommen des Dichters anzusehen. Ein Schreiben des Papstes Hilarus nun vom Jahre 464, welches sich an die Bischöfe eines Theils der Provence (der provincia Viennensis, Lugdunensis, Narbo- nensis prima et secunda, Alpina) richtet, führt unter den Adressaten such einen Ausonius auf: die Diöcese, der er vorstand, ist so wenig wie bei den meisten übrigen Adressaten zu ermitteln, aus der Anordnung kaum ein Anhalt zu gewinnen man könnte ver- sucht sein, weil er bald hinter Faustus, jedenfalls dem Bischofe von Riez, und Auxanius, der vielleicht nach Apt oder Aix gehört, nur durch einen Namen von diesen getrennt, genannt wird, auch ihn zum Suffragan des Bischofs von Arelate zu machen, wenn nur dieser,

suos retorquerent, uidens Viennensem ecclesiam suam indecenter humi- liari, relicto episcopatu in monasterium sanctorum martyrum Agaunen- sium ingressus uitam uenerabiliter duxit. Vastata et dissipata Vien- nensis et Lugdunensis prouincia aliquot annis sine episcopis utraque ecclesia fuit, laicis sacrilege et barbare res sacras ecclesiarum obtinentibus. Ado bei Pertz SS. II 319. 305) Acta SS. Bolland. 22. Mai t. V p. 131 ff. Eine Lyoner Mürtyrin Ausonia erwühnt nach Lyoner Martyrologien Ruinart zu Gregor von Tours p. 799 not. 325) Ph. Labbei et Cossartii Concilia IV 1045. A. Thiel Epistolae romanorum pontific 148.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 319

Leontius mit Namen, nicht grade an letzterer Stelle selbst genannt wäre. Eine Verwechselung mit Auxonius, Episcopus Vivariensis un- bestimmter Zeit?"), ist nicht anzunehmen.*5) Unter den Bischöfen, die um die Zeit des Concils von Arles 475 des Faustus Protest gegen den Presbyter Lucidus unterzeichneten, und denen, an die der Letztere seinen Widerruf richtet?®®), erscheint der Name Ausonius nicht mehr. Sehr wohl könnte also dieser Ausonius, ob er nun Suffragan des Episcopus Lugdunensis oder Arelatensis gewesen, ein Enkel dessen sein, dem der Dichter sein Protrepticon und Geneth- liacon gewidmet. Daraus würde sich nun auch eine Erklärung er- geben für das Lob, welches Sidonius Apollinaris, der Bischof der Arvernerstadt, dem Dichter Ausonius zollt, dessen Werke schwer- lich anders als durch solche Privatverbindungen zugünglich waren, deren sich Sidonius mit einer so grossen Zahl von gallischen Bischöfen rühmen konnte?!) wie hinwiederum diese Erwähnung für die den Bischof Ausonius betreffende Annahme einen Halt gewührt.

Eben des Sidonius Lob führt jedoch auf eine zweite Vermuthung, die mir ansprechender erscheinen will. Ausonius hat die opuscula dem Syagrius, seinem alter ego, gewidmet (470 v. 41— 44), welcher, Consul im J. 381, wegen seiner Beredsamkeit zum óftern von Sym- machus, als Dichter von Sidonius gertihmt wird.?!!) Derselbe stammte selbst aus Lugdunum; dort befand sich sein Grabmal, zu dem sich einmal nach der Feier des h. Justus die Festversammlung begibt?"*); dort lebten seine Nachkommen: Ferreolus praefectorius Affranii, Sya-

308) Ueber die Handschriften der Canones-Sammlung von Arles, in denen der Brief erhalten, s. F. Maassen G. d. Quellen und der Litteratur des canonischen Rechts Gratz 1870, I s. 767, A. Thiel I p. XXVII. Die angedeutete Verwechselung scheint in der Gallia chriet. XVI p. 8 der Einleitung freilich stattgefunden zu haben. ?°%) Labbei Concilia IV p. 1044. 510). Sidonius und seine Zeit von Fertig II p. 32. Ueber den Verbleib der Bücher eines verstorbenen Bischofs dürfte es in jener Zeit nicht gerade zahlreiche Nachrichten geben; nahe liegt die An- nahme, dass dieser Nachlass meist an die Metropolitankirche kam. Ausdrücklich vermacht Bischof Perpetuus von Tours im J. 475 seiner Ecclesia alle seine Bücher mit Ausnahme eines, von Hilarius von Poitiers geschriebenen Evangeliarium, das er seinem Freunde Eufronius (dem Bi- schof von Autun vermuthlich) zueignet. d'Achery Spicileg. V 105. In den erhaltenen testamenten des S. Remigius von Rheims, } 588, und Caesarius von Arles, 4 542 (Bréquigny et La Porte du Theil Diplomata ] n. XV, XVI und XXIII) ist von Büchern keine Rede, und in dem Frag- mentum Tesiamenti Desiderii Caturcensis episcopi 8. 653 “libros uero meos tibi matri ecclesiae tuoque aduocato successori meo commendo', ebenda n. CXXXII ist sicherlich libertos an Stelle von libros zu lesen. 11) Sid. ep. V 5 Teuffel! 401, 2 führt diese Stelle nicht an. 512) Sid. ep. V 17 placuit ad conditorium (conduetorium vulg. ciuium rimis una coire. Vgl. M. Fertig Sidonius und seine Zeit Würzb. 1846 29.

320 R. Peiper:

grii consulis e filia nepos?!) Salonius?"*), vor allem, am Hofe Chilpe- rich 1,215) Syagrius ‘der Vermittler der römischen Civilisation unter den Burgundionen.?!6$) Des Vorfahren Dichterruhm war in der Familie bekannt geblieben, seine poetischen Versuche erhalten?'"); so sind dieselben, die schwerlich eine weitere Verbreitung gefunden haben, dem Sidonius zugänglich und bekannt geworden. Ohne Zweifel be- wahrte die Familienbibliothek auch andere werthvolle Erinnerungen an den Vorfahren, unter denen die opuscula Ausoni einen besonderen Platz verdienten. Dies dem Sidonius bekannte Exemplar?'®) dürfte der Stammvater aller erhaltenen Handschriften sein.

VIII. Briefwechsel mit Symmachus.

Derselbe beschränkt sich in den Ausonius-Hdss.:: 1) Auf die Mittheilung des die Mosella betreffenden Briefes des Symmachus, an- gehängt an die Mosella im S. Gallensis, Bruxellensis, Laurentianus, ed. Ugoleti. (Symmachus ed. prior Jureti I 8, ed. Parei I 14.) 2) Auf die Widmung des Griphus (id. XI = 336), die natürlich in den Symmachus-Ausgaben fehlt an welche sich im Vossianus Symmachi ep. I 31 Par. (I 25 Jur.) mit des Ausonius Antwort, Aus, ep. XVII = Symm. I 32 Par. (1 26 Jur.) auf den Protrepticus bezüglich, nebst einem kleineren Billet des Symmachus den Thalassius (Thalysius?) betreffend (I 25 Par., I 19 Jur.), für dessen Mittheilung es an jeder Begründung mangelt, anreiht. Die letztgenannten drei

315 Sid. ep. I 7, I1 9, VII 12 Carm. XXIV 36. ?'*) Sid. ep. VIII 8: redde te patriae. *'°) Sid. ep. V 6, der 6. u. 7. Brief sind im Herbste 474 geschrieben: C. Binding, das Burgundisch-Romanische König- reich Leipzig 1868 I 78 Anm. 305; A. Jahn I 529. 319) Seine Bedeutung nach dieser Richtung hin schildert nach dem an ihn gerichteten Briefe des Sidonius V 5 A. Jahn, Gesch. d. Burgundionen und Burgundiens I 148—150, vgl. II 16 und Anm. 1. Derselben Familie gehört offenbar die fromme syagria (thesaurus ecclesiae nennt Ennodius dieselbe), welche den Avitus für Loskaufung von Kriegsgefangenen Gelder spendet (um 494); sie ist vielleieht identisch mit der in der Historia abbatum Agau- nensium c. 2 (W. Arndt, Kl. Denkm. ἃ. d. Merovingerzeit, Hannover 1874 s. 14) erwähnten Syagria. ?!") Sid. ep. V 5 Syagrio suo. Cum sis consulis pronepos idque per uirilem successionem ... cum sis igitur e semine poetae, cui procul dubio statuas dederant litterae, si trabeae non dedissent: quod etiamnunc auctoris culta uersibus uerba testantur. quo studia posterorum ne parum quidem, quippe in hac parte degene- rauerunt ?!*) Ausser der oben S. 192 citirten lobenden Aeusserun dürften sich bei Sidonius auch einzelne Spuren wirklicher Bekanntsc mit den opuscula des Dichters nachweisen lassen: selbst bei Avitus glaube ich einiges der Art zu finden.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 321

Stücke giebt in derselben Reihenfolge auch Paris. 8500. Die Ueber- schrift des letzteren lautet im Voss.:

Ausonius. Axio Simacus: Áusonio. im Parisinus: Responsio ausonii ad symmachum. Symmachus ausonio.

In beiden ein Irrthum, der in der älteren gemeinsamen Quelle be- gründet sein muss. Den des Vossianus könnte man aus einem leichten Versehen erklüren, da der Briefwechsel mit Axius Paulus hinter dem Schreiben des Symmachus beginnt; der Parisinus leitet aber wohl eher auf den Ausfall eines Briefes des Ausonius. Eine vollständige Mittheilung seiner Correspondenz mit Sym- machus hatte gewiss Ausonius so wenig beabsichtigt, als er sie zu liefern im Stande sein mochte. Ebenso wenig hat sich Paulinus darauf eingelassen, für ein Epistolarwerk die Briefe seiner Freunde zu sammeln. Grössere Verluste haben wir also schwerlich zu be- klagen, als hóchstens jenes eine auf den Thalysiusbrief, dessen Be- rechtigung in dieser Sammlung jetzt so fragwürdig erscheinen muss, sich beziehende Schreiben des Ausonius. Symmachus hat nur seine eignen Briefe gesammelt, alle an ihn gerichteten Briefe aus- geschlossen:?!) man muss sich darum wundern, den Brief des Ausonius (ep. XVII Modo intellego —) an ihn im ersten Buch (ep. 32) eingelegt zu finden, und wird geneigt sein, da das darin gespendete Lob ihn nicht zu einer solclfen Ausnahme bewogen haben dürfte, den- gelben für später aus Ausonius’ Werken in die Hdss. des Sym- machus eingeschwürzt zu halten. Der alte Parisinus beginnt leider erst mit I 25, der Divionensis und Pithoeanus des Juret, die bereits jenen Brief enthalten, werden von Clason als deprauati bezeichnet. Scioppius reproducirt nur den Text seiner Vorgänger: aus den guten Hdss., die er benutzte (Fuldensis, Cod. Bessarionis, Haupthandschriften nach Clasons Annahme), theilt er auch nicht eine Lesart mit: doch wohl, weil in ihnen dieser Brief fehlte, denn Gelegenheit zur An- führung bot dieser Brief gewiss in Fülle. Zu einem Urtheil reicht also der bisherige Apparat nicht aus. Vorerst können wir für diesen Brief dem Symmachustexte nur die Geltung einer mit dem Vossianus gleichberechtigten Abschrift aus gemeinsamer Quelle zuerkennen. Vier von den sieben Briefen des Symmachus, die heute den An- hang der Bipontina bilden, sind erst von den Herausgebern aus der umfangreichen Sammlung seiner an Ausonius in einem kaum zehn- jährigen Zeitraum (der Zeit der ersten Praefektur bis vor Ausonius Fortgang in die Heimath, nach 383) gerichteten Schreiben (Sym- machus epp. I 13—53 Par.)??) ausgehoben worden: es sind die,

219) Ausser einem seines Vaters I 2. ??°) Die Annahme Le Mer- ciers, dass auch 1 4 nicht an den Vater, sondern an Ausonius gerichtet eei, hat Ritschl Opp. 1Π| 518 widerlegt.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl Bd. X1. 21

322 | R. Peiper:

welche von den Ehrenstellen, die Ausonius und sein Sohn Hesperius bekleidete, handeln (I 16, 18, 21, 23); sollte dieser Anhang seinen Zweck erfüllen, so dürften auch 30 u. 38, 36 u. 42 nebst anderen nicht fehlen.??*)

321) Die Berner Bibliothek besitzt ein Exemplar des Symmachus ed. Juret 1580 (H 11) mit Bongarsius’ Bemerkungen. (Das Frobensche Exemplar Basil. 1549 (F 91) enthält keine Varianten oder Conjecturen zu den Ausonius-Briefen.) Zunächst hat er vor den Briefen einge- tragen eine

Symmachi uita ex C. Ms. Bibliothecae Regiae.

Symmachus genere Romanus tempore Constanini magni consul cum Probo fuit sicut in legi. Rom. inueni nullo ueterum minor noster Symmachus luxuriatur.

Dann sind zu den Briefen eine Reihe Lesarten angemerkt, von denen man zunächst annehmen wird, dass sie derselben, vermuthlich also der heute erst mit I 52 Par. beginnenden und mit VIII 41 schliessenden Hds. Paris. 8623 (O. Clason de cod. Parisino opp. Symm. diss. Bonn. 1867) entstammen. Mir liegen durch H. Hagens Freundlichkeit die Varianten zu drei an Ausonius gerichteten Briefen vor, die ich hier mittheile.

I7 Jur.— 13 Par. facunda esse..... ] laetitia et angustias | gestire e ] tibi autem scribendi (amice fehlt)| peperit...] res secun

fehlt | opere] operae praetium | Primores fehlt | Ianus aperibat] Ianua- rias | creperum] crepusculum | quam operiamur] quam adhuc operiamur

si credis— illius fehlt | cruditatem] crudelitatem | Bonus—officii fehlt |quae tunc] qui tunc | hic] hinc | natura tutetur] fortuna tutetur | deli- cias] reliquias | scripta] scripto | plausus effudit] multorum pl. effuderit| I 8 Jur. = 14 Par. poematis tuia] Apedibus | pedestrium] tuorum äuoucoc] imperitus | tacere] reticere | quam nominibus] quae sunt nomi- nibus | uaria tam] uariata | ut magnitudine] et magnitudine | probabilem

amabilem | trahas] accedat I 9 Jur. = 15 opere] opus | suena euentilatam | nouus athenaei hospes Latiare] nos at. hospitis latiale

probus est oratione] probasse oratione | dissentiunt4] α 86] etiam quod | pectus] genus | Non] nec| certiores habet natura uindicias bene sen- tiendi] certiora bh. n. indicia bene sciendi | quod aliia] aqui | Hanc] Haec

et quod] qnod et | & te fiam d ata. a te fiam non | quod] et qued | factum uolo] famam cupio | prolatu . tatem.

Wir finden. hier eine ziemliche Anzahl von Lesungen, die in den späteren Ausgaben Aufnahme gefunden haben, wie in dem Mosella- Briefe (1 8) reticere und accedat, anderes findet sich in Hdas., wie ebenda ua- riata; indess dies letztere ist hier von der im vorausgehenden ange- gebenen Lesart quae sunt erfordert, und diese, wie die übrigen ange- gebenen Varianten sind den mir bekannten Hdss. so fremd, ihre Anzahl

azu eine sogar dürftige, dass wir es offenbar mit Conjecturen neben ein- zelnen Mittheilungen aus anderen Ausgaben zu thun haben. Gäbe es aber wirklich eine Hds. mit diesen Lesungen, so würde sie als inter- olirt auf Grund eines lücken- und fehlerhaften Textes völlig bei

eite zu schieben sein; es genügt, auf die ersten Versuche in I 8 hin- zuweisen.

relatum | uoluptatem] uolun. '

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 323

IX. Briefwechsel mit Paulinus.

Der Briefwechsel des Ausonius mit Paulinus ist in mehr als einer Beziehung hóchst interessant, einmal durch seinen Inhalt, der uns die beiden Münner in ihrem Charakter vorführt, den Auso- nius als den milden, innige Freundschaft und Liebe zu seinem Zög- ling um vollen Herzen hegenden und hier von jugendlichem Feuer glühenden Greis, den Andern als den angehenden Eiferer für die christliche Lehre, die im Ertódten alles Fleisches ihre Hauptaufgabe zu suchen begann, zum Andern, indem sie uns einen Blick in die Werkstätte des Dichters thun lässt und einen Beweis gibt, wie er wenigstens die Gedichte, an denen sein Herz Antheil hat, zu feilen und abzurunden und, und zunächst für sich, zu etwas Besserem zu gestalten sich angelegen sein lässt. Drittens aber gibt er uns auch wichtige Aufschlüsse zur Beurtheilung des Werthes unserer Haupthandschrift, des Vossianus.

Dieser Briefwechsel umfasst im Vossianus f. 31” bis 35 B"??) folgende Stücke:

Ausonius ep. XXV, XXIV*, XXIV®, XXIII; _

Paulinus ep. II (der jambische Schlusstheil fehlt) I*, I*, IP dazu die Oratio. (Dieselben Stticke finden sich in P.)

Alle diese Stücke fehlen im Tilianus, er enthält:

Ausonius ep. XIX (409), XXI (411—413), XXII (414. 415), XX (410) (zwischen XIX und XXI ist ep. XVIII eingeschoben; XX ist nebst ep. IV zwischen Cento und Precatio matutina ver- schlagen).

In den mir bekannt gewordenen Hdss. der Gedichte des Pauli. nus findet sich der Inhalt des Vossianus mit Ausnahme der Oratio S. Paulini; von den an.Paulinus gerichteten Briefen des Tilianus findet sich nichts. Die Anordnung der sämmtlichen Gedichte des Paulinus im Puteanus (Paris. 2122), von den früheren Heraus- gebern als Regius bezeichnet, habe ich mir nicht notirt. Der Brief- wechsel mit Ausonius folgt hinter dem metrischen Briefe an Jovius in folgender Ordnung:

Aus. ep. 25, Paul. IP#9), Aus. ep. 23, Paul. II, Aus. ep. 24, Paul. I*.

Der Bruxellensis Nr. 10703—10705, kleine Schrift des 12. Jahrhunderte (ein Theil der Hds. coté 10614— 10729), offenbar derselbe den Poelmann als Vetus Gandavensis benutzt und unter der

33) Murator erwähnt neben dem Lugdunensis (== Voss. lat. 111) öfters einen Vossianus oder Vossianus in Anglia, welcher Pauli- nus I und Ausonius ep. XXIV enthalte. Beide Hdse. sind identisch, wie die Vergleichung der betr. Stellen ergibt. 335) Ich numerire nach dem Anhange der Bipontina des Ausonius, nicht nach den Paulinus-Ausgaben.

21*

824 R. Peiper:

Sigle V citirt, befolgt dieselbe Ordnung.?^) Voraus gehen die Briefe des Sidonius; die Prosabriefe des Paulinus enthält er nicht, indess setzt die Ueberschrift des ersten Gedichtes “Finit ad Jovium prosa. Incipit ad eundem versus’ diese voraus. Nach dem Joviusbriefe folgt der Briefwechsel mit Ausonius in angegebener Reihe bis auf eine unten angegebene, eine Lücke im Puteanus erweisende Ab- weichung; dann: ad Citherium, de natali domini Felicis I—X, zwischen Natalis VIII und IX wird jedoch ein Gedicht de obitu pueri ein- gereiht; zum Schlusse: de Nicete episcopo de Dacia. Zusammen 17 Briefe des Paulinus, die drei des Ausonius.

Der Briefwechsel mit Ausonius nebst den Orationes beider Männer erscheint auch in der Sammlung Paris. lat. 7558, S. IX?**5), deren Gesammtinhalt soeben E. Dümmler im N. Archiv IV 299 ff. verzeichnet hat. Der uns interessirende Theil der Hds., von dem E. Dümmler die Güte gehabt hat, die eben genannten Stücke zu ver- gleichen, enthält Folgendes:

f. 87" Sancti Paulini Epigrammi. 'Si domini temelum supplex pec- cator adisti (sehr abweichend vom Abdruck bei Fabricius Poet. eccles. 349)

90* Inc. Oratio sci Paulini (Paulini c. IV)

90" Inc. Oratio sci ausoni

92" Inc. ausoni ad paulium (ep. 25) 945 Item ausoni ad paulinu (ep. 23) 94" Ausonio paulinus (ep. II)

96" Ausonio paulinus (ep. I)

f. 101'-ad paulinum ausonius (ep. 24*) f. 102" Ausonio paulinus (ep. I*)

f. 102" Ausonio paulinus (ep. I5)

f. 104" Incipit laus sci iohanni (Summe pater rerum Paulini c. VI) |

f. 111" Inc. laudes domini cum miraculo quod accedit in Aeduico (Fabricius 765)

r9 rS r5 rS m r^

74) Nähere Kenntniss des Inhalts verdanke ich der gütigen Ver- mittelung des Conservateur en chef, Herrn L. Alvin. Die δε gehörte einst nach S. Nicolaus von Cues, dann dem J esuitencollegium zu Ant- werpen. ‘ll est entiérement écrit sur deux colonnes. Il n'y a pas. dans le texte d'interpolations proprement dites. Par ci par là, la méme main et une main postérieure ont ajouté quelques mote. Le texte (fol 188r— 156” col. 1) contient plus de 73 colonnes de 70 lignes chacune, ce qui fait un total de plus de 5100 lignes.' Eine Belgische Hds. ist von den Herausgebern für die Prosabriefe benutzt; ich kenne dieselbe nicht. Uebrigens scheint Poelmann auch Lesarten aus Drucken am Rande na- zuführen. 3. Wegen der häufigen u für a setzt Dümmler die Hds. noch ins 8. IX, doch kónnte sie allenfalls noch, wie er zugibt, ins zehnte gehören.

ἋἋ

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 325

f. 114” Inc. heroo ad quem supra (lam mihi polliceor Paulini c. XXII) f. 118 Inc. Bebiani diverso modo et metro dictis (Fabricius 775).

Von F. 121 an folgen die dem Florus Diaconus Ecclesiae Lug- dunensis??®) (4 nach 854) theils mit Unrecht zugeschriebenen, theils wirklich zugehörenden Dichtungen.

Eben diese Gedichte beweisen, dass die Hds. aus Lyon stammt. Eine weitere Bestätigung dafür bietet die zweite von E. Dümmler a. O. beschriebene Florus.Hds. (Paris. 2832, s. IX), in der wir zwei von Sannazar im Kloster der Ile-Barbe abgeschriebene Stücke, von denen sich das eine, eine Grabschrift, die Quelle bisher nicht ermitteln liess, wiederfinden (s. unten 8. 349). Bei den ausgebreiteten Studien dieses Florus, von denen auch seine Commentare zu den Paulinischen Briefen, seine Schrift De missa u. A. zeugen, wird man ihn als Sammler obiger auf S. Paulinus bezüglichen Stücke annehmen dürfen. .

Die Ordnung der Briefe ist in den Hdss. folgende:

Sencke in de Y P ἄδυτον Perret cke er w m Druxei- Reihe von V. Voss. 111 Paris. 8500 lonzis überein: stimmt. Quarta tibi | ep. XXV + ep. XXV ep. XXV + Discutimus —| ep. XX1V® #+|ep. XXIII [ep. I* fehlt ]???) (v. 1—102) [v.81—37 fehl.] ep. I^ t Agnocisne ||ep. XXIV^ 4 |ep. II* ep. XXIII + (v. 103 ff.) [ep. ΠΡ fehlt] Proxima |jep. XXIII #$|jep.I° 1 | (ep. ΠΡ * | ep. 115 + Continuata ||ep. II® T|ep. XXIVb £jep. Ie *| \ep. ΠΡ * [v. 285— 331 fehlen] Ego te [ep. Il^ v. 49— | [ep. XXIV® 68 fehlt) fehlt] Defore me ||ep. I* T (ep. 15 T|ep. XXIII s£jep. XXIV 4 (v. 108—331) [v. 6—122 feh- Quarta | len in 8] redit ep. I* ep. IP Ti (ep. XXIV® #+|ep. Ic?35) Quid (v. 1—18) abdicatas Ι . I ep. XXIV» * (v. 19— 102) ep. XXV +

Durch } habe ich die Anwesenheit einer Anrede (Ausonio Paulinus etc.) bezeichnet, durch 4 eine Ueberschrift ohne Anrede,

336) Ueber ihn s. Dümmler a. O. ??7) Dies Stück scheint nur durch Ausonius-Hdss. überliefert. 335) Erst seit Muratori ist dies Stück zu einem Briefe mit I* und IP verbunden worden, während es früher in den Ausgaben , enteprechend der Ueberlieferung der Hdss., ein Gedicht für sich bildete.

826 Β. Peiper:

durch * das Fehlen beider. Die der Vossianus-Reoension zuge- hörigen Handschriften geben die Briefe der beiden Correspondenten getrennt, VPF zuerst die des Ausonius, danach die des Paulinus (in F ist durch Zufall die zweite Hülfte von XXIV um zwei Num- mern hingb gerückt, die erste Hälfte ausgefallen); in P umgekehrt Paulinus vor Ausonius. Die Paulinus-Hda. lassen je einem Briefe des Ausonius einen des Paulinus folgen. Auf keiner Seite ist die Anordnung den thatsächlichen Verhältnissen entsprechend. Die Ansichten von Vinetus, Scaliger, Tollius (zu XXIV 41 p. 687), A. Ebert, Gesch. d. christlich-lateinischen Literatur. Leipzig 1874. S. 287 gehen hier weit auseinander. Meine eigenen Resultate kommen auf das von Letzterem Beigebrachte hinaus. Es scheint n&m- lich durch die Stellen, in denen sich Paulinus auf bestimmte Aeusse- rungen des Ausonius zurückbezieht, ausser Frage gestellt, dass derselbe mit ep. I* und I^ des Aus. ep. XXV beantwortet: schon der An- fang des Gedichtes enthält eine Anspielung auf v. 1 des Ausonius-Briefes; mit ep. I? einen verloren gegangenen (vgl. v. 103), sowie zwei der uns erhaltenen, ep. XXIII und nochmals XXV. Diese drei also sind es, welche Paulinus I* v. 7 andeutet:

Trina etenim uario florebat epistola textu,

nicht aber ep. XXIII—XXV.

Paulinus ep. II dagegen hat es ausschliesslich mit Ausonius ep. XXIV zu thun. Wenn nun ep. XXV der vierte Klagebrief des Aus. war, dann müssen der verlorene und ep. XXIII der zweite und dritte in der Reihe gewesen sein. Wunderlich die Ueberein- stimmung der beiderseitigen Sammlungen in Auslassung dieses Schreibens! vielleicht deutet das aber nur auf Geringfügigknit eines in Prosa abgefassten Billets hin. Beiden war lange vorausgegangen ep. XXIV (auf welchen Paulinus auch später in I? noch einmal Be- zug zu nehmen scheint, vgl. Paul. v. 232 f. mit Aus. v. 88 £.?2°)), der durch eine ausweichende und ungenügende Antwort des Paulinus provocirt war. Das sagt uns der Titel im Voss., der nicht so inept ist, wie Toll annimmt:

Incpt alia ad eundem cum ille ad alia magis respondere[t] neque 80 benturum polliceretur.

Noch machdrücklicher sagt's der Inhalt: wer würde einen so lieben Freund, wie Paulinus dem Ausonius gewesen, mit so scharfen Vor-

329) Die Zweitheilung des Briefes, nur durch neue Anrede im Voss. bezeichnet, hindert nicht, ihn als einen einzigen aufzufassen, die Hech- nung des Ausonius zwingt aber zu letzterem. ?*?) Der Titel von XXV ist dagegen durch ein Missverstündniss von v. 1 erzeugt: Cum Pontius Paulinus iunior quartis iam litteris non respondisset sic ad eum scriptum eat.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 327

würfen, ohne durch ihn tief verletzt zu sein, anfallen, wie es hier durch das “Discutimus’ geschieht

Und auf die vorausgegangene ep. XXIV nimmt offenbar auch Ausonius zu Anfang der ep. XXIII mit “blanda obiurgatio’ Bezug. Die Ueberschrift des Letzteren lautet darum nicht ohne Grund tm Vossianus:

Item ad eundem Pontium Paulinum epistola subinde scripta.

Diese Ueberschriften hütten offenbar keinen Sinn, wenn der Archetypus die Briefe nicht in entsprechender Ordnung aufgeführt hütte. Spuren wenigstens der rechten Ordnung fehlen aber nicht, insofern XXIV vor XXIII, II vor Iim Voss. erscheint. Wir dürften also wohl berechtigt sein, die gefundene Ordnung wieder zurückzuführen.

In obigen Resultaten treffe ich also mit Ebert zusammen; in der Schätzung des poetischen Werthes der Paulinusbriefe um 80 weniger. Er rühmt den eingelegten Hymnus auf Christus ungemein, S. 290; ingleichen die Jamben, betreffs deren er freilich das Urtheil Scaligers nicht Anterdrückt, der sie bei allem Lobe doch gar zu überschwünglich findet. Ich kann mich in meinem Urtheil nur an- schliessen an den Sammler von P, der den Hymnus ganz verschmüht hat. Die Theile, wo Paulinus seines Verhältnisses zu Ausonius ge- denkt, sind unzweifelhaft schön; der poetische Schwung, die Wärme, auch die feine Urbanität, die Ebert rühmt, sind mir entgegengetreten, die Wortfügung ist leicht, die Verse entbehren nicht des Wortklanges: dagegen schwerfällig und gesucht, abstossend wirkend in Inhalt und Ton, in Sprache und Rythmus, sind jene Stellen, die von seiner Hingebung an Christus handeln; aller Natürlichkeit hat er Abschied gegeben, in das neue Element sich noch nicht so hineingefunden, um der Stelzen entbehren zu können. Dass nach solchen Expositionen Ausonius den Freund den eigenen Weg gehen liess, ohne ihn fürder zu belästigen, ist doch gewiss klar. Ep. I hat gewiss von seiner Seite keine Erwiederung erfahren.

Wir müssen zunächst eine etwaige Vermuthung abweisen, der Briefwechsel könne in die Paulinus-Sammlung erst später aus der Ausonius-Sammlung zugesetzt sein. Nicht darum etwa, dass wir dann auch die vier Ausonius-Briefe XIX —XXII, die der Tilianus gibt, mit demselben Recht darin finden müssten sondern aus einem wirklich triftigen Grunde: die Briefe des Ausonius liegen in den beiden Sammlungen zum Theil in durchaus verschie- denen, durchaus mit der Annahme eines und desselben Archetypus unvereinbarten Texten vor. Auf einige hervorragende Fälle wird noch weiterhin die Aufmerksamkeit gelenkt werden; hier will ich auf Ausonius ep. XXIV hinweisen, welche im Puteanus folgende kürzere Fassung hat:

328 R. Peiper:

Ep. XXIIII. Item Ausoni &d Paulinum.

Discutimus Pauline iugum, quod certa fouebat Temperies: leue quod positu et tolerabile iunctis Tractabat paribus concordia mitis habenis: Quod per tam longam seriem redeuntibus annis 5 Fabula non umquam, numquam querimonia mouit. 20. 21 Discutimus, sed tu tantum reus; ast ego semper

22 Contenta ceruice feram. consorte laborum Destituor: nec tam promptum gestata duobus Deficiente alio solum perferre iugalem.

26 Non animus uiresque labant, sed iniqua ferendo Condicio est oneri, cum munus utrumque relicto Ingruit acceduntque alienae pondera librae.

Sic pars aegra hominis trahit ad contagia sanum Corpus et exigui quamuis discrimine membri

30 Tota per innumeros artus conpago uacillat. Obruar usque tamen, ueteris ne desit amici Me durante fides: memorique ut fixa sub aeuo Restituant profugum solatia cassa sodalem. Impie, Pirithoo diiungere Thesea posses

36 Euryalumque suo socium secernere Niso;

Te suadente fugam Pylades liquisset Oresten

37 Nec custodisset Siculus uadimonia Damon.

123 En erit ut nostras hic nuntius excitet aures: *Eece tuus Paulinus adest! iam ninguida linquit

125 Oppida Hiberorum, Terbellica iam tenet arua,

V = Vossianus 111 f. 81" col. 2 P == Parisinus 8500 f. 38: F τα Parisinus 7558 (erst von v. 123 an) S Puteanus Paulini (Paris. 2122) f. 917 b Bruxellensis Paulini = Gandavensis nach Poelmanns Angaben.

Incj alia ad eundem cum ille ad alia magis respondere neque se benturum polliceretur V Alia epistola eiusdem ad eundem P 1 Paline V' | certa Sb nota VP 2 positu et tolerabile S positum et uene- rabile VP (uenerabile b?) | uinctis S 4 redeuntibus δ uoluentibus VP (uolbentibus V) | armis P 5 deest VP 6—19 desunt 5 20--21 sic Sb at: Discutitur Pauline tamen nec culpa duorum

Ista sed (set V) unius tantum tua namque ego semper VP

22 cerbice V 23 Distituor P | promtum V | gestata V gesta P te- stata S 24 Unum deficiente pari perferre sodalem VP (deficienti p) 25 lauant S 26 Condicio V Condictio P Conditio S | oneris P | com- munis S cum munus Heinsius cum pondus VP (quum V) | relito V' 28 homines P|trait V | saxum S 29 membri] uerbi S 81— 37 desunt VP 38 cassa S casta uulgo 834 piritho odiiungere S | possis S posses Graevius 86 Orestem uulgo 38—192 desunt 8 123 sic Sb, at: Et quando iste meas inpellet nuntius aures VPF (Et quando V Ecquando Heinsius, Brandes | impleuit F implebit Brandes coll. Vergil XI 896) 124 linquid F 125 iberorum V' | terbellica SV t'bellica P Tarbellica F? Accursius

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 329

Ebromagi iam tecta subit, jam praedia fratris Vicina ingreditur, iam labitur amne secundo, Iamque in conspectu est, iam prora aduertitur amni Ingressusque sui celebrata per ostia portus 130 Praeuertit cunctos, ut te amplectatur, amicos, Et sua praeteriens iam iam tua limina pulsat! Credimus? an qui amant ipsi sibi somnia fingunt? VALE FELIX OPTATISSIME.

126 Hebromagi Pb hebr/omagi (e eras. et infra pr. m. add. q* ebromagi) V Ebromagi SF | fratris V 127 inreditur F v. 128 deest

P, non deest VSF | conspecutu V' | aduertitur S obuertitur VF? | aüni V

129 caelebrata S celebrata V F colebrat P | ostia SF hostia VP | partus

S portur F 129 sic Sb at: Totum occursantis P uli praeuertitur agmen VP (occursantes P) 131 Et suam praeteriens i supra eteriens

P recte V iam semel S 132 an] à et ν ss. al. V 132 somnis VF somnia S omia P | Finit epl'a P.

Ich bin hier leider für die Sammlung des Paulinus auf den Puteanus beschrünkt gewesen, und gebe nicht blos zu, sondern spreche es als sicher aus, dass die Abwesenheit des ganzen Theils v. 388—122 nur auf einem Missgeschick beruht, welches glücklicher- weise die Brüsseler Hds. nicht mit betroffen zu haben scheint.?®!) In dem vorausgehenden wie folgenden Theile aber zeigt der Text eine so verschiedene Fassung, dass wenn irgendwo hier die Annahme einer zweifachen Bearbeitung durch denselben Verfasser, das eine Mal, da Ausonius das Schreiben dem Freunde übersandte, in welcher Gestalt es in des Freundes Werken Aufnahme fand das andre Mal, da Ausonius vergeblich der Antwort des Freundes har- rend in tiefer Gemüthsbewegung diesen Herzenserguss erneuter Durchsicht würdigte, gegründet erscheint.39?)

Dass auch die Briefe des Paulinus an Ausonius einer späteren Bearbeitung seitens des Verfassers unterzogen worden sind, darauf führt in unseren Hss. keine Spur.

Nach ihrer Aufnahme in die beiderseitigen Sammlungen sind sie aber verschiedene Wege gegangen, haben verschiedene Schick- sale gehabt, sind verschiedenen Verderbnissen ausgesetzt gewesen.

381 Der Uebergang von v. 87 zu 128 wäre gar zu schroff. Die An- gaben Poelmanns aus seinem Vetus Gandavensis lassen auch erkennen, dass hier (d. h. im heutigen Bruxellensis) mit v. 108 ein neuer Brief oder eine neu anhebende Fortsetzung wenigstens des Briefes XXIV mit neuer Anrede beginnt wie im Vossianus. 352 XXIV v. 5 Fabula etc. wird nur durch Zufall in der Vorlage von VP ausgefallen, nicht von Auso- nius spüter getilgt sein. Paulinus II 45 bezieht sich übrigens darauf. Die übrigen Beziehungen des Paulinus auf diesen Brief in seinem zweiten Briefe werden s&mmtlich in der Fassung des Puteanus wiedergefunden (XXIV 1 = II 30; 23 = 31; 31 == 8 und 42). Zugefügt ist später v. 6—19, weggelassen 31—37; bedeutende Zeichen der Umänderung liegen in 20 f., 193, 130.

380 R. Peiper:

Dass solche Verderbniese schon in den alten Exemplaren dieser beiden Áusgaben durch Zuziehung von Hdss. der anderen Sammlung corrigirt worden sind, dafür findet sich kein sicherer Anhalt; die Möglichkeit war da: denn beide Ausgaben werden wir beim Schreiber von F in einer Hand finden s. 8. 385 f. Aber auch er scheint an eine Besserung durch Vergleichung nicht gedacht zu haben.

Daraus folgt, dass wenn wir Uebereinstimmung zwischen beiden Ausgaben finden, diese bei Constituirung des Textes für uns massgebend sein muss. Dieser Consensus wird da anzunehmen sein, wo S mit einem Vertreter der anderen Ausgabe, sei es P oder V -- F dieselbe Lesart gibt.*5*)

Es gibt aber gewisse Dinge, in denen dieser Consensus freilich ohne Bedeutung sein kann, das sind selbstverständlich

1) Orthographica. Wer würde dem Paulinus die Form mallis Schuld geben, die wir I? 241 in allen Hdss. finden? Wer würde meinen, Ausonius selbst habe Boetia für Boeotia ge- schrieben (XXV 73) oder rethor I^ 37 u. a.? Diese Formen sind Gemeingut geworden aus der vulgären Aussprache für Alle. So würde Paulin. II 7 melle, selbst wenn auch V dafür eintreten sollte (ich habe aus ihm keine Abweichung von melli angemerkt), dennoch gegen den Dativ mit i ohne Weiteres zu vertauschen sein, wenn nicht admiscere so häufig mit dem Ablativ verbunden würde. So wird I* 113 reducis SVF als reduces gelten mtigsen, selbst wenn P nicht letzteres gäbe.

2) Es dürfte schwerlich dem Schreiber oder den Schreiber, welche Paulinus mit den Abschriften aus seinem Concept oder mit dem Nachschreiben seines Dictats betraute, gelungen sein, dies Werk ohne Flüchtigkeitsfehler zu vollführen. In einer so langen Epistel, deren Verstündniss theilweis recht schwierig, mag mancher kleine Irrthum, der uns durch beide Recensionen überliefert wird, ‘darauf zurückzuführen sein. Warum nicht 2. B. I? 264 parentem für pa- rentum in SP durch das vorangehende decet veranlasst, oder 239 der Ausfall von si zwischen illustris und scribere in 8P, 258 Mate-

288) P ist trotz der Nachlüssigkeit, mit der er Lesarten corrumpirt und nicht selten Verse auslüsst, dennoch ein Hauptvertreter dieser Aus- gabe. Aus uncialer Vorlage ist er sicher abgeschrieben, wie schon 18 12 et flandis statt et e blandis darthun kann. In vielen Stellen be- zeugt er seine Verwandtschaft mit der älteren Vorlage von V und F IP 54 induendo P induendos F induendus VS 56 inter PF. in S inter oder in fehlt V 59 pigrii PV' 28 petere fonte PVF. Die letzte Stelle zeugt von dem in P nicht seltenen Versuch, den fehlerhaften Text lee- bar zu machen; denn das unmetrische nemoribus hat P in nemore um- gewandelt. Verwandt damit sind Textünderungen, wie 1Ὁ 38 zubilant] nubilent wegen des falsch verstandenen Quamuis. Jene Stelle IP 98 is zugleich ein Beweis, dass sich im Archetypus doppelte Lesarten oder Glossen vorfanden. So findet sich I9 249 uiret] uiueret 1n F, wo P ueret liest, der

Archetypus also wohl eret hatte. An einigen Stellen hat uns P allein das richtige erhalten, I^ 77 Sine P Ne V Sic SF.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 331

ria praebente loco für Materiam pr. 1., 29 aliam mentem (für alia) SP?3^, 278 mutatus für mutatur, Paul. II 39 Sustineat für Susti- neant in VS? Die Voraussetzung, dass jene Abschriften, selbst wenn Paulinus sie eigenhündig gefertigt, ohne solche kleine Fehler aus seiner Hand gekommen, widerspricht jedenfalls aller practischen Erfahrung. Indessen lassen sich solche Fehler, zu denen ein augen- blickliches Missverständniss der Worte den nur auf das Nächste ge- richteten Sinn veranlasst, auch selbständig von einer Reihe von ein- ander unabhängiger Schreiber begehen.

3) Jeder mit Hdss. Vertraute weiss, dass dieselben Versehen ewig und ewig in ihnen wiederkehren, dass dieselben nicht blos Schreibern möglich, sondern allen geläufig waren, gerade wie die Orthographie ihrer Zeit. Die stehend gewordenen Vertauschungen von num mit non, quid mit quod, Nonumquam mit Nonnum- quam gehóren hierher (wie auch Paulin. II 10 Non numquam SP). Die Kritik hat mit ihnen zu rechnen.

non statt num I? 248 .

an statt anne I? 289 von Heinsius gebessert. Möglich dass hier P wie in einigen Füllen aus eigener Initiative den Vers ver- vollständigt hat, indem er mi domine statt o domine schrieb. Aehnliche Versuche in P, eine leichtere Lesart zu gewinnen, werden wir zu I? 129, 193, II 21 besprechen

quod enim für quid enim Paul. I^ 48 (SVF) est für erit besonders am Versschlusse: Paul. IP 100. Vgl. ferner I^ 27 Fandi] Fundi V'S IP 77 Sine] Sic SF. Solehe Kleinigkeiten abgerechnet werden wir schwerer wie-

gende Fehler selbst in geringer Anzahl in dem Consensus der bei- den Ausgaben nicht finden dürfen. ?%)

Auf der einen Seite tritt nun für die Paulinus-Ausgabe zu- nächst nur 8 ein, auf der andern Seite für die Ausonius-Ausgabe haben wir PVF. Der Werth von F wird sich weiterhin als ver- hältnissmässig unbedeutend herausstellen; der von P ist nach dem, was in früheren Theilen der Abhandlung mitgetheilt worden ist, ein viel höherer, und selbst V muss ihm oft weichen. Wir können hier feststellen, dass schon wo P allein mit S geht, der Consensus, dessen wir bedürfen, vorhanden ist, und dass an solchen Stellen V alle Autorität einbüsst. Beispiele:

334) Wozu die Erinne an die bekannte Stelle, die dem Paulinus vorschwebte, geführt hat, (von Vinet angeführt); in Terenz Andria sagt Simo: Nunc hic dies aliam uitam offert, alios mores postulat. 355 Kümen sie in grösserer Zahl vor, so würde nicht einmal der Aus- weg offen steben, eine Contamination beider Ausgaben durch Eintragen von Lesarten der anderen Ausgabe anzunehmen; denn welcher Schreiber hätte den Text durch schwierige Lesarten sich gern verdorben.

332 R. Peiper:

I* 259 Condatino SP Conlatino VF 178 haec illis aedisse sententia gibt hier S falsch ἢ’... illis sententia P

P also lässt ein Wort aus vor ilis, und man darf nicht zweifeln, dass dies das durch S angedeutete Sedisse gewesen ist, dem nun die rechte Stellung angewiesen wird. haec illis aedi sententia geben V F.

19. 201 durch den Vossianus hat man sich hier gewaltig düpiren lassen.

aut quid in istis improbitas aliena nocet. So ist mit SP zu lesen: in istis d. h. in istis studiis. honestis VF gibt einen klüglichen Sinn.

Wir sind verpflichtet, wenigstens die Hauptstellen, wo der Consensus beider Ausgaben klar ist und die eingeführten Aende- rungen als unzulässig erweist, anzuführen.

Paulin. I^ 54 induendus induit SV (induendos F und induendo P gehen auf denselben, im Archetypus der Ausonius-Ausgabe vorhandenen Fehler zurück)

Paulin. I? 114, 115 alle Hdss.:

Surda uocas et nulla rogas (leuis hoc feret aura, quod datur in nihilum) sine numine nomina Musas. Paulin. I? 138 istic alle Hdss. Paulin. 15 143

Mens noua mi, fateor, mens non mea; non mea quondam, Sed mea nunc auctore deo.

(me vielleicht in P, non mea einmal in PF.)

Das mag ja nicht gerade schön und geschmackvoll ausgedrückt sein: dem guten Geschmack aber hat Paulinus wahrlich in diesem Product seiner Muse nicht gehuldigt.

Paulin. I* 129 quid me accusas? si displicet actus quem gero agente deo, prius est 8i fas reus auctor.

So scheint S zu geben: trotzdem wage ich die Stelle hier auf- zunehmen, ich sehe vorläufig dies si fas als eine Interpolation des bez. Exemplars der Paulinus-Ausgabe an. prius est fiat deus auctor bietet dafür die andre Ausgabe V FP und zwar der letztere dem Sinne nach ganz richtig: prius est ut fiat. prius est ut ist formelhaft, vgl. Aulularia p. 20, 27 (prius est ut hae pateant ipsaque sese tellus aperiat, quam ut tu excludas uel submoueas quod mutari non potest, sagt der Lar zum Querulus) Paulinus verlangt, dass wie bei einer Rechtssache vorgegangen werde: ‘du müsstest zunächst Gott die Schuld geben’; er will meines Bedünkens nicht sagen: Gott ist der Angeklagte.

V. 193 lautet jetzt:

Nec mihi nunc patrii est ut uis obliuio caeli.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 333

Das ist die Lesart von P, £ber VF und S geben tibereinstimmend Nec mihi nunc patrii est uisa obliuio caeli,

nur dass S patri giebt und V, der von erster Hand den Vers am unteren Rande hat, est hinter uisa wiederholt; hier hat P das ut wenigstens conservirt, das uisa (sc. est) in uis geündert. Paulinus aber schrieb: Nec mihi nunc patrii est, ut uisa, obliuio caeli. Paulin. II 21 Quo rumore pium facilis tibi fama per aures Inrupit pepulitque animum.

So VF wie auch S (P scheint pias zu haben), d. h. fama tibi inrupit pium animum eumque pepulit.

Paulin. I 202 quid] quod VPFS; das ist hier ganz richtig (vgl. Auson, XXV 51 f.). Hinter 207 ist statt Fragezeichen Colon zu setzen und kein Alinea: selbst in Wiederholung einzelner

. Worte und Begriffe zeigt sich die Erwiderung auf jenen Vor- wurf (Vascone saltu 212, hospite 215). Der sicherste Be- weis bleibt die erst durch Avantius Aenderung (Num in Non) getilgte Frageform v. 209 f., womit man quod an v. 221, 226 vergleiche.

Paulin. I? 221 in euersis... Hiberis VPFS (nicht in auersis): Paulinus bezieht sich auf Auson. XXV 58 f.

Aut quae deiectis iuga per scruposa ruinis arida torrentem Sicorim despectat Hilerda.

Paulinus nennt gleich darauf collem iacentis Hilerdae. Was Ausonius durch arida bezeichnete (v. 59), gibt Paulinus 222 durch deserta wieder, wozu Ausonius XXV 69 veranlasst haben kann.

IV 232. Die Hdss. geben cui nur einmal: Paulinus hatte hier die Form Barcinus mit langem i gebraucht, vielleicht geradezu Barcinnus, wie P gibt?) geschrieben. In S wurde die gewöhn- lichere, noch von Ausonius ep. XXV angewendete Form Barcino (zu der ep. XX, 1 Barcinonensis gehört) eingesetzt und der Fehler war da.

Durchaus überflüssige Aenderungen wurden in I? 250, 251 (heu deuenisse und fano in huc deuexisse und panno), ferner 314 (aere in agmine) vorgenommen. |

Ferner wird die Schreibung des Städtenamens Birbilis I* 231 XXV 57 nach diesem Consensus festzusetzen sein, ebenso I9 250 Raraunum, und etwas Wesentliches wird sich selbst I’ 248 gegen die arenosas Vasatas nicht einwenden lassen, zumal ein blosser Schreibfehler in S sicher nicht vorliegt, wo has harenosas steht.

359) Rosweyde gibt hier durch die Schreibung Barcinnus zu erkennen, dass er bereits P gekannt und benutzt hat. Dass in geographischen Namen Paulinus ein Abgehen vom gebräuchlichsten nicht scheut, zeigt ja auch Betis I* 236. Denn man wird doch wohl dem Aenderungs-Vor- schlag Muratoris ‘Qua Baeti O. T. que a. Hibero’ nicht beistimmen.

334 R. Peiper:

Ob 15 127 uotis.. nostri statt uotis . . nostris zu halten? V. 235 f. finde ich eher Schwierigkeit, wenn beide Verse mit Qua beginnen, als wenn im ersten . urbes quas geminum felix Hispania tendit in aequor, geschrieben wird. Ernstlichen Schwierigkeiten begegne ich nur

Communique deo uentura in saecula rebus Expectare trucem securo pectore mortem;

Man kanns weder dem Vinetus noch irgend wem verdenken, der gesteht “hoc equidem quid sibi uelit non intelligo. Jenes Communi gibt S Communes VF: die ersten beiden Silben also wären durch den Consensus gesichert und gegen C. Barths sich sonst empfeh- lende Conjectur Commissisque geschützt. Kann der, welcher sich in den Willen Gottes fügt, sich in Gott versenkt, Communis deo genannt werden? Schwerlich! rebus (der geschaffenen Welt) könnte man ja allenfalls von uentura abhängig machen. Ich glaube, es würde füglich erlaubt sein zu schreiben:

Communemque adeo, uentura in saecula, rebus Expectare trucem securo pectore mortem.

Ciceros Wort (de sen. c. 18) *omni aetati mors est communis' könnte wohl Communem rebus mortem nicht uneben erscheinen lassen. obiit ... morte communi bei Eutropius 7, 8 kommt schliesslich auf dasselbe hinaus.

Dazu kommt 213

si (oder sic) Vascone saltu Quisquis agit purus sceleris uitam, integer aequo Nulla ab inhumano morum contagia ducit.

integer wie purus sceleris sind dem Horaz C.I 22,1 entlehnt. Viel- leicht liegt hier nur ein kleiner Fehler aequo statt aeque vor, der sich ja wohl mit dem oben Gesagten irgendwie entschuldigen liesse: ‘gerade wie in Burdigala und anderen cultivirten Gegenden".

Endlich I? 268. Paulinus geht oft scharf gegen Ausonius los, aber so vergisst er nirgend alle Achtung, dass man ihn das dürfte sagen lassen, was jetzt in den Ausgaben steht: hoc .. mens patris .. haerescere cordi Non sinat ut uulgus scaeuo rumore malignum. Hier scheint doch durch den Consensus Áushilfe geboten, welche et statt ut gibt. Man setze also Punkt nach sinat und tilge mit Heinsius den Punct hinter malignum. Man hat offenbar sich beeinflussen lassen durch eine falsche Deutung des Ausdrucks cri- men habet, welchen man in dem Sinne wie er bei Tibull I 6, 41 vorkommt (ne possit crimen habere) fasste, statt das Synonym von crimini dat darin zu erkennen. Vgl. Cicero de nat. deor. III 22, 56 Mercurius ... quartus Nilo patre quem Aegyptii nefas habent no- minare.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 885

Der Schreiber von F hat, um hier den oben S. 330 bereits ange- deuteten Punct zu erledigen, seine Anordnung sicherlich der Vossianus- Recension entlehnt, die Texte aber nicht in gleicher Weise.

1) F geht mit V gegen den Puteanus (8) in Brief XXIV (er enthält nur v. 103—132), in Paulinus I B (vgl. die Inscriptio, ferner v. 28, 101 u. &), Paulinus I? (vgl. v. 129 u.a.) und Il. Und zwar ergibt sich, besonders aus dem letzten Briefe ganz schla- gend, engste Verwandtschaft nicht blos mit der Recen- sion, sondern mit dem vorhandenen Exemplar Voss. 111; wenn man die Abwesenheit der Verse 49— 68 anders erklären dürfte (was ich nicht glaube), so weist doch Uebereinstimmung zwischen diesen beiden Exemplaren allein in orthographicis wie in irrthümlichen Lesarten deutlich darauf hin; 24 magis für natis, 31 ne für nec, 37 uiuurna für uiburna, 44 resoluet für resoluit. Und wo die erste Hand von V verdunkelt ist, lässt F sie uns genau er- kennen: 36 aedona parrae, 45 nostra für longa, was gleichfalls nur diesen beiden Exemplaren eignet.

Ich lasse ein vollständigeres Verzeichniss der Stellen folgen, wo V und F zusammen stimmen der Lesart von SP gegenüber. (In I* fehlt I

15 5 cum] quam (in der Lesart comuni P liegt offenbar cum 9 multa modis 9 querellis V querillis F 13 regenda V!F (v.13 s. fehlt in P) 15 praecurret

I^ [Inscriptio:] Ausonio Paulinus 28 petere fonte nemoribus (petere fonte nemore P petere e nemoribus S) 62 uitae V!F 77 auta 95 auctus 101 amens

II 5 iaces V!F 7 absintia V! absentia F 24 natis] magis 31 nec] ne 36 cicnis V!F 37 uiuurna V!F 39 iungor 44 re- soluet 45 nostra 49— 68 fehlen

I" 103 trietheride 106 querellis V quaerilis F 123 omnia 125 qui qui 127 nostris 150 credes 156 Non enim V!F 156 sed] est (sed fehlt P, S lässt mehrere Worte aus) 170 di- sperantibus 178 illis edi sententia (aedi V") 124 scopolis V!F 233 dispectans V!F 247 altae 259 collatino V? (V! vielleicht cölatino) conlatino F 278 Ad 285 sancsit V'F (285 331 fehlt P) 293 Et nisi 311 leuis V'F 316 acris 822 obscurae tristia (tristitia irrthümlich F) 330 diuitae V! (wie es scheint) F.

Jedoch kann F nicht aus V! direct abgeleitet sein, denn oft genug sehen wir letzteren in Lesarten (die wir, wenn wir vorur- theilsfrei an die Kritik gehen, aber doch diesen Verhältnissen Rech- nung tragen, als interpolirte erkennen werden) von der Gruppe SPF sich sondern; so z. B. I* 124 f. in einer besonders hervor- stechenden Stelle.

119 Si tibi cura mei reditus, illum aspice et ora, Qui tonitru summi quatit ignea culmina caeli, Qui trifido igne micat nec inania murmura miscet, Quique satis caelo soles largitur et imbres,

886 R. Peiper:

vom allmächtigen Gott ist die Rede, wie doch wohl Niemand be- zweifeln wird; die Fortsetzuug aber lautet in der Vulgata:

123 Qui super omne quod est uel in omnia totus ubique - 124 Omnibus infusus rebus regit omnia Christus. 125 Qui mentes tenet atque mouet, qui tempora nostra

Et loca disponit.

:^ Darnach hätten wir uns also gewaltig getäuscht. Oder viel. mehr der Dichter hätte mit uns seinen Scherz getrieben. Schätzen wir aber die Ueberlieferung nach den bisher gesammelten Er- fahrungen ab, so ergibt sich eine stufenweis fortschreitende Inter- polation. infusus xpf ist Lesart des einzigen V: infuso christo geben SPF: sie lassen also den Dichter von Gott reden.") Wie kam V zur Áenderung? sie war mit dem folgenden Qui qui ge- geben (VF), wofür noch SP richtig Quo quo haben. In omnia (v. 123) ist nun gleichfalls eine Textverschlechterung, die VF verdankt wird; dem omnia des folgenden Verses verdankt sie ihren Ursprung; SP geben in omni. Diese Verse lauten also:

Qui super omne quod est, uel in omni totus ubique, Omnibus infuso rebus regit omnia Christo,

Quo mentes tenet atque mouet, quo tempora nostra Et loca disponit.

2) F schliesst sich an den Puteanus an im Gegensatz zu V in ep. XXIII (vgl. v. 3, 22, 27 f£, 34, subscriptio) in ep. XXV (inscr. 12, 14, 16, 49, 59, 70, 72 u..a.).

Dem Gründer dieser Excerptensammlung haben also offenbar beide Recensionen vorgelegen: die Veranlassungen, aus der Paulinus-Sammlung den einen, den andern Theil aus der Ausonius- Sammlung zu entnehmen, mógen ganz zufüllige gewesen sein. Wenn F gerade mit den Stücken, die er aus der Paulinus-Hecension ent- lehnt, die Sammlung eröffnet: so hängt das vielleicht mit dem Aus- fall von XXIV* zusammen: seiner Vorlage fehlte XXV und XXIV®, die in V diese Correspondenz eróffnen. Indessen hier sich den Kopf zu zerbrechen ist in der That unfruchtbar.

Aus der Ausonius-Sammlung sind nun auch die beiden Ora- tiones entlehnt, die des Ausonius so gut wie die des Paulinus, von denen die eine durch die andre hervorgerufen ward: darum dürfte eine Sammlung, die das Verhältniss dieser beiden Männer betraf, keine von beiden missen.

Offenbar ist es, dass der Sammler vom Nachlasse des Ausonius keine Ahnung hatte; er würde uns sonst die von diesem überliefer- ten Briefe des Ausonius schwerlich vorenthalten haben.

In F aber stehen noch einige andre Gedichte des Paulinus, die mit Ausonius nichts zu thun haben, gleicherweise hinter den Frag-

—— —— ———À ———À

237) Vgl. I^ 45 f. deum quem nemo nisi in Christo uidet.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 337

menten des Technopaegnion in ced. Paris. 2772 (p) und zwar hier grade das Nicetas-Gedicht nebst den beiden Psalmen 1 u. 136 (Paulini c, XVII, VII, IX). Hat ein und derselbe Sammler aus derselben Quelle sie zusammengetragen? oder haben dieselben sich hier nur zufällig zu jenen gesellt? Wenn eine Vergleichung der Texte dieser Stücke in F, p und S, die ich leider nicht habe anstellen können, bedeu- tendere Abweichungen ergebe, könnte man vermuthen, dass die andern ebenso wie die auf Nicetas und Gestidius bezüglichen Ge- dichte in dem Archetypus des Vossianus gestanden haben, dass also, wie gelegentlich der vom Auctor de dubiis nominibus erhaltenen Fragmente angenommen wurde, der Vorfahr des Vossianus einst mehr enthalten als wir heut in V finden.

Von den Episteln an Gestidius móge die Abweichung des Vos- sianus vom Migneschen Texte? 5), von dem an Nicetas der ganze Vossianische Text zu näherer Vergleichung mit den Paulinus-Hdss. mitgetheilt werden. Für das letztere Gedicht ist mir die vollstän- dige Ueberlieferung bisher unbekannt geblieben: dieselbe wird doch wohl auch auf den Archetypus des Vossianus zurückzuführen sein.

Die beiden Episteln des Paulinus werden ins Jahr 393 gesetzt; das Gedicht an Nicetas in den Sommer 398. Die Grundlagen dieser Berechnung bin ich jetzt nicht in der Lage zu prüfen. Immerhin wird darauf zu achten sein, ob daraus für die Lebensdauer des Auso- nius, oder wenn das nicht, für den Abschluss der im Archetypus des Vossianus enthaltenen Sammlung ein Moment zu gewinnen ist.

p. 437 Migne Voss. 111 f. 36B col.2 IwciPIUNT EPISTOLAE SCI PAULINI| DNO MERITO SUSPICIENDO GESTIDIO | PAULINUS | Iniuria ἃ. 8. w. 4 habundanti | pragbere aput 6 conloq. | aliqui?

8 ficedulaf a ss., d in « al. c. (facetulas)

438, 4 wdea//tur n eras. 5 pragdam 6 riire unklar | dum. insume und dann in rure m. & XVI marg. 7 fiho

439, 7 tabellag 8. praelata saginae 9 iubat.

Es folgt: IrEM ALIA AD QUEM SUPER 2 quag Altuf 5 mirof und direptof 7 ffondiluf | 9 f. 36 B" aequore. 10 praedulce.

f. 396B" col. 1 Ir EPISTOLA SCI PAULINI AD NICETAM EPSCM

1 Iamne abis et nos properans relinquis Sce niceta neque nos relinquis Semper adnexa sine fine teculm

4 Mente futuros.

18 Omnis et terra et populi beati Quos modo nobis remeans adibis

355) Patrologiae cursus t. LXI p. 487 ff. Jahrb. f. class, Philol. Suppl Bd. XI. 22

338 R. Peiper:

Quos tuo accedens pede uisitabit Christus et hore

Ibis auctores procul usque Dacos

This Epiro gemina uidendus

Et per egeos penetrauis agstus 20 T essalonicen

Apulis sed nunc uia prima terris

Te uehet longo spatiosa plano

Qua uenusino medicata flagrant Vellera fuco

25 Ast ubi paulum uia proferetur Deprecor mites tibi Christus aestus Et leues pire sine nube siccis Aura calabris

29 Sicut antiqui manibus profetag Per sacramentum crucis unda misso Deleuit ligno posuitque tristes Mirra licores 83 Sic tibi caglum modo temperetur Et leue sudans tenuatus agr Flatibus puris placide salubres fpiret in auras col 2 87 Qui solet flatu grabis exque lustris Anguium tetros referens odores Soluere in moruos tumefacta crasso 40 Corpora uentre 41—56 desunt 57 Perge nicaeta bene qua recursus Prosperos cristo comitante ducis Donec optato patriam ueharis Letus ad urbem 61—68 desunt 69 Et quia spes iam rapitur tenendi, Vrguet affectus placitis fauere Iam uias illas licet oderimus Quae rapiunt te.

δ 18 Odimus quamuis sed easdem ammus Odimus quod te retrahunt amamus Quod tuum nobis procul attulerunt Cernere uultum.

16 h eras 19 penetrabis al. m. 28 'canusino C ! m. s. XVI m 26 ‘Det precor C! 27 'leuisC’ 34 ‘“fudet C 36fal. m. in ras. Ex eras 39 in b al. c. 57 nicmeta] a al. del. 78 a pr. ss?

11

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 339

Nunc tibi sterni faciles praecamur Praeuio ferris pelagoque summi Nomine xpi

81 Qui tibi factis iter omne campis

Arduos montes deprimat causasque Impleat ualles salebras adaequet iungat iatus

85 Te per 1d//rontum lepiasque uectum

Innube fratrum simul et sororum Ambient uno dominum canentes ore cateruag

89—100 desunt 101 Ante iam terris subeunte ponto

Stratus adriag sinus obsequetur. Vnda procumbet zefiroque leni

Quas per adítricti superante amore

Vela tumescent. f. 37* 105 Ibis inlabens pelago iacenti

Et rate armata titulo salutis Victor antemna crucis ibis undis

Tutus et austris

v 109 Nauitag laeti solitum celeoma

Concinent uersis modulis et himf Et piis ducent comites in aequor Vocibus auras

113 Precinet cunctis tuba ceu resultans

Lingua nicaetae modulata X90 Psallet aeternus citharista toto Aequore dauit

117 Audienfíf tamen tremefacta coete

Te sacerdotem domino canentem Leta lascigo procul &dmehabunt

Monstra natatu. 121 Vndique adludent patulo uerentes

Ore delfines, sine uoce quamquam Aemula humanis tamen eloquentur

Caudia linguis

«195 Nam deo qui non sapit atque uiuit

128

11 f pr. ss.

a al. del.

Cuius et uerbo sata cuncta crescunt

Hic dei laudem maris hima noscunt

116 dauit al c. ex tauibi 119 h al del.

Mutaque clamant

18 eras. 85 ro eras? 110 == himnis 114 nicaetae]

197 h al. del. 22*

346 τ Pepnr-

385—296 óconut σι 'eukl it jeerzu ter τὰ per m γέ Ar nou ost per σ᾿ ΕΝ Jun kunt gabs Kal λ:δυ Verse Rae

141—297 wu

115 Tv ἄμμε mansäcı per apros Fer vm;natam gradberu ταῦτας Ἰὰς «ἡ eco pos patris proguagnes eA 2 dardapts hesprz. 4), quibus iam tope resomarii ila Gaudi. wllu: ubi tu rigemies

91 Quaue ripheis boreas im oris Alligat densis fluuius prumis Hic gelu mentis rigidas superme Igne resolni:z. 106—216 desunt

711 O lees rerum bene uarsa forma Inuí montes prius et eruenti

b Nune tegunt uersos monaci latrones Pacis alummos.

221 fanguinis qondam modo terra uitae est Vertitur caglo pia uis latronum Et fauet xpf super occupantes Regna rapinis 226 Monf ubi condam fuerat ferarum Nunc ibi ritus manet angelorum Et latet iustus quibus ipse latro Vixit in antris. Praeda fit sanctis uetus ille praedo Et gemit uersis homicida damnis Dum renudatus spoliante Xpo Criminis armis 288 Interit casu satanae uicissim Inuidus Cain rediuiuus Abel Pascit effusi pretio redemtos

sanguinis agnos 187 Qua libet al. corr. 197 u in b al c. 9203 tif in tef pr. c

mg. al. litteris langobardicis 'farsa' 219 h al ses. 221 qon al. 236 'uiget C’ 235 of pr. ex us ni f. corr.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 341

Euge Niceta bone serue xpi Qui tibi donat lapides in astra Vertere et uiuis sacra templa saxis 31 240 Aedificare. 1—244 desunt 245 Te patrem dicit plaga tota borag Ad tuos fatus schita mitigatur Et sui discors fera te magistro Pectora ponit. Et Gete currunt et uterque datus Qui colit terrae media uel ille Diuitis multo boue palleatus 252 Accola ripae 3—264 desunt 265 Sic tuo miti lupus est ouili Pascitur consors uitulus leoni Paruus extracto trucibus cauernis Aspide ludit Callidos auri legulos in aurum Vertis inque ipsis imitaris ipsos E quibus uiuum fodiente uerbo Eruis aurum. Has o/pes condis domino perenni His sacrum lucris cumulas talentum Audi intra domini perennis 276 Gaudia lagtus 7—284 desunt 285 Unde conplexi sine fine carum Pectus heremus laqueo fideli Quaque contendas comites herimus _ JH! 289 Caritas xpı bene fusa caglo 0—293 desunt 294 Orbis aut alter neque mors reuellet Corporis uita moriente uita 296 Viuet amoris 1—336 desunt 337 Iam uale nobis et in omne nostri Diligens aguum bonus usque finem Duc bonum cursum positamque iustis Sume coronam. fimt (al. add.) Sequitur Anthol. lat. Riesii c. 648. 246 schita, h al. del. 249 dacus, al. c.daccus, tertia m. dacus

] „post a al. del. 266 'concors C' | 278 feras.? 287 h al. del. *Mente sequaci C'; erasa codicis scriptura fuit: aeacherıf arce.

μω

3

342 ' R. Peiper:

Zuerst hat H. Avantius in seiner zweiten im J. 1507 erschie- nenen Ausgabe des Ausonius epp. XXIII bis XXV nebst den Briefen des Paulinus publicirt, nachdem Ugoletus allerdings bereits ep. XXV mitgetheilt hatte. In seiner dritten Ausgabe, der Aldina von 1517, erscheint der Text von Avantius gründlich durchgearbeitet. Welcher Abstand zwischen diesen beiden Ausgaben! wie nachlässig noch die erstere, wie sorgfültig und sauber die letztere! Wenn das Verdienst des Herausgebers nicht zu unterschützen, so gebührt dennoch das bei weitem grössere dem Streben und Drängen des Aldus, etwas Vollkommenes zu liefern; die hohen Verdienste dieses Mannes er- kennt man erst genau durch Vergleichung zweier derartiger Aus- gaben im Innern und Aeussern. Der Text des Avantius lag den Correcturen des Accursius zu Grunde und fernerhin, nur wenig mo- dificirt durch Aufnahme von Lesarten des Lugdunensis (== Vossia- nus 111) von Seiten der Herausgeber der Tornaesiana 1558, auch Scaligers Bemühungen; er ist im Ganzen bis heut die Vulgata ge- blieben. 339)

Der Veroneser Kritiker fusste auf einer Abschrift von Paris. 8500 P, wie früher angegeben; hier und da hat er durch Con- jectur die Fehler in P oder in seiner Abschrift geündert?*^); in- dessen müssen ihm noch andre Hülfsmittel zu Gebote gestanden haben zur Ausfüllung einiger in P vorhandenen Lücken. Eine Aus- gabe des Paulinus war noch nicht erschienen®*!): also muss es eine uns unbekannte Handschrift sein, aus der er Fehlendes er- gänzt, 2. B.:

Aus. XXIV 5 und 31—37 fehlen bei Avantius; aber 57. 91. 92. 128 hat er ergänzt, ebenso ausgelassene Worte wie 79 Aginnum, 89 et ostrifero, 90 trino me,

Paulinus I 136 und 173 fehlt, ebenso 285—231, aber ergänzt ist v. 13. 14, ferner 103 tota trieteride terris, 195 caeli (213 lässt er mit P iniqua aus),

Paulinus II 13 fehlt, aber v. 56. 57 sind ergünzt.

Auch einzelne Lesarten muss Avantius aus dieser Quelle be- richtigt haben, aber hier ist er offenbar noch weniger als bei den Ergänzungen consequent verfahren. So 2. B. Paul I 260 iocis für satis P, I 178 gibt Voss.: Attamen haec illis aedi sententia uisa est, Puteanus: A. haec illis aedisse sententia u. e. P: A. haec ... illis sen-

289) So findet sich noch heute I 5 die Conjectur cum für quam, I 12 Sederit et blandis für Sedit et e blandis, I 54 nos induendo se exuit für nos induendus induit. 335. 7. B. Paulin. I 123 et für das ausgelassene, auch im Voss. nur von anderer Hd. übergesetzte uel. 132 enim für eo P (eum Voss.) 200 culta statt inculta, um experientia, wie P für expertia gibt, zu halten. I 52 uirtutuum statt uirtutum P (uirtutium VSF) etc. od. Bad. Ascensius kündigt den Druck der opera Paulini Nolani dem Michael Hummelberg an in einem Briefe vom 23. Oct. 1515 (A. Horawitz in 8.-B. der Wiener Akad. Bd. 86, 1877, S. 268). Diese erste Ausgabe erschien im J. 1616.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 343

tentia u. e. Offenbar ergänzt Av. diese Lücke aus andrer Quelle zugleich conjicirend, wenn er schreibt: A. haec illis saeclis senten- lia u. e.

In dem schon von seinem Vorgünger herausgegebenen Briefe XXV ist Avantius nicht seiner Hds. gefolgt, sondern hat sich ge- treulich an den Text des Ugoletus gehalten“) bis auf wenige Stellen, die er theils aus Conjectur (wie v. 1 direxit), theils aus P geündert (73 nomina); meist sind es nur ganz offenbare Fehler, die er auf diese Art tilgt.) Ugolets Text ist ein ganz andrer als P, in dem ja z. B. die Verse 21. 42 fehlen; aber auch mit Tilianus, in welchem spüter dies Gedicht von jüngerer Hand hin- zugefügt ist, stimmt Ug. nicht: in T fehlt 71, v. 4 liest er re- scribens, wo Ugol. et scribens mit F, P aber asscribens mit Voss. (adscribens) gibt. V. 10 scheint Ugol. das ausgefallene redit et durch Conjectur mit reboat ersetzt zu haben: hier hatte die Vor- lage von T offenbar dieselbe Lücke, und durch Zufügung von resul- tat hinter imago wurde in T der Vers vervollständigt. Die letztere Stelle aber weist doch auf Verwandtschaft von T mit Ugolets Exemplar hin; für die denn auch andre Stellen sprechen, z. B. v. 14:

Atque arguta suis loquitur coma pinea uentis. Voss. und P geben hier: Cumque suis loquitur tremulum coma pinea uentis.

Diese Abweichung wird erklürt durch S (Puteanus), in welchem weder arguta noch tremulum erscheint:

Atque suis loquitur coma pinea uentis. arguta ergibt sich als Interpolation behufs Ausfüllung des Verses, und erscheint zuerst in F: Atque argutu (so!) suis loquitur coma pinea uentis.

Der Zusammenhang beider Exemplare mit der Vorlage von F bez. dem Puteanus S ist ersichtlich; weiter wird derselbe bestütigt durch v. 12, der in diesen vier Exemplaren lautet:

Somniferumque canit sepis depasta susurrum, während die Ueberarbeitung des Ausonius in VP dem Verse fol. gende Gestalt gegeben: Hyblaeis apibus saepes depasta susurrat. Ferner durch v. 16, wo SFT Vgol. Dindymaque idgeo respondent cantica luco

147) Selbst an Stellen, wie v. 14, oder 49 deponere, wo P postponere, 56 senatus wo P senati. 345) Darum sind zur rmittelung der von ihm benutzten Quellen nur "die Stücke, die er zuerst herausgegeben, zu be-

344 R. Peiper:

durch Ausonius, wie V P zeigen, umgeändert worden ist in: Dindyma gargarico r. 6. ], Ein für die Mediceer geschriebener Laurentianus der Werke des Paulinus (pl. XXIII c. 20 mbr. s. XV) enthält als n. XXXIV einen Brief des Ausonius ad Paulinum: vielleicht ist dies das von Ugolet benutzte Exemplar. 39) " Die Berner Hds. 330 s. X enthält f. 38" col. 2 folgende Verse:

ANBONIUS (sic) PauLmo [ep. XXIII 28 s.] Innumeras possum celandae ostendere formas Et clandestinas ueterum reserare loquelas. Dirimit paulinus quartae [II 45] Fabula non terris absentia nostr& dirimit Lucanus tertiae protulit in IIII °. (IIII 33] Qui mediis castris tutam dirimebat ilerdam uirgl' praeteritum eius [A V 467] Caede deo dixit q; et praelia uoce diremit Von andrer Hand folgt:

FAsIAN? AEASIDE (Sic) INSULA GRECIE DEPORTAT? DYSTICON DE EA Argiua primo sum transportata carina Ante mihi notum Nil nisi fasis erat. Die zweite Hülfte der Columne ist leer.

Aus welcher Ueberlieferung sind jene Verse geflossen? Im Ausonius-Briefe fehlen v. 27. 28, in F, in S sind die Verse am unteren Rande nachgetragen. Der Vossianus gibt loquellas, die anderen Hdss. loquelas. In dem des Paulinus geben nostra Voss. und F, ob P und S wirklich longa haben, wie Avantius, kann ich nicht sicher behaupten. dirimit liest auch SF; P gibt subsentia. Zunächst scheint also die Entlehnung aus einer mit F verwandten Hds. das Wahrscheinlichste. Das Distichon vermag ich nicht nachzuweisen.

X. Sannazars Excerpte, Accursii copiae.*)

Die ersteren sind enthalten im Cod. Vindob. 306 Endl 3261/o 335, chart. s. XVI (vgl. Schenkl, Z. f. österr. Gymn. XXII, 1871. S. 127 Anm. 3) und beginnen f. 3*:

ui (039) Aus einem vetus liber Baptistae Pii führt Poelmann eine durch- aus unbekannte ‚Lesart zu v. sn unseres Briefes an 'Bapt. Pius in Amph. auti ex ueteri lib. legit: Vestraque Sigalion Aegytius ora resignat’. Das dürfte doch wohl eine Conjectur win Aber de Ugolot und B. Pius in Verbindung standen, mag darauf ewiesen werden. *) S. 213 Z. 4 lies Accursius statt Áscensius.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 345

AVSONII IVNIORIS CARMEN LVGDVNI INVENTVM

Das ist eine Composition des den Vossianus erüffnenden Ge- dichtes mit biographischen Stellen aus Ausonius ad Theodosium (469), den Parentalia und Professores. Aus dem Hauptgedicht sind einige Stellen, die kein biographisches Material beibringen, weggelassen (v. 9—12, 19—21, 39—44); angereiht werden danach:

Ad Theodosium v. 9—12 Parent. II Hen 3—6.

- VIII (167) 5. 6. 9. 10. Profess. I ἫΣ 31—34.

- ΠῚ (193) 11. 12.

- XX ἫΝ 7---14.

- ΧΧΙΝ (214) 9. 10.

- ΧΧΥ͂ (215) 1--10.

Das Iunioris der Ueberschrift kann nur Ergebniss der Con- jectur sein. Dieselbe Vermuthung, dass das erste Gedicht nicht ein Product des Ausonius, sondern eine Laudatio des Mannes sei, sprachen Accursius, Vinetus, Scaliger aus, nur dass sie nicht einen bestimmten Verfasser namhaft machten. In der Inhaltsübersicht f. 20” wird das Gedicht nur als “primi uersus' bezeichnet (Ausonius lectori s. giebt V). Die Verbindung mit den anderen Stellen konnte erst erfolgen, als das Interesse für den Dichter durch die in den ersten Ausgaben enthaltenen Werke rege geworden war.”)

Alle weiteren Exerpte sind nach flüchtiger Durchsicht der alten Hds. gegeben: was in der Eile am meisten in die Augen fiel und am interessantesten erschien, wurde mitgenommen: man kann die Auszüge Jacob Grimms (kleinere Schriften III, S. 74) aus den Carmina burana, der Venediger Hds. u. a. für die Vagantenlieder damit ver- gleichen. Dieser so wenig wie Sannazarius waren im Stande alles, was ihnen Gefallen einflössen konnte, auszuschreiben.

Es folgen in der Wiener Hds. als weitere Auszüge von f. 3”—20*;

epit. 14 (231) Hectoris, - 81 (248), Epigr. 53. 54 Diogenes, id. XV (362) Pythagoricon, id. III (320) Villula. Aus den Vrbes Stellen über Burdigala, Roma, Treueri, Arelate: Oratio Paulini Episcopi (= Ephemeris 153), Briefwechsel mit Paulinus ep. XXV, XXIV*, XXIII (418, 4175, 416), Paulini II, IP. Aus den Sapientes: 302, 4. 5. 19—56 (Solon), 303, 7. 9. 11. 13 (Chilon), CLEO|BOLVS8 am Rande von v. 13,

345) Vinetus theilt am Schlusse seiner Ausgabe diese Compilation nach Accoreis Abdruck mit und lässt die echte Fassung, die ihm doch der Vossianus bot, ganz weg.

946 R. Peiper:

304, 6. 12. 14 (Cleobolus),

308, 15 (Periander),

303, 8. 10. 12. 14 (Chilon), SPAR|TANVS an Rande von v. 8, ANDER zu beiden Seiten von v. 14.

304, 9. 13. 15 (Cleobolus).

F. 207 z. 7 beginnt ein zweiter Theil:

Quo ordine Ausonii carmina disposita sint in codice uetusto Lugdunensi qui ab Actio Sincero inuentus est in Áraris insula.

Das ist kein vollständiges Verzeichniss der Werke, wie sie im Vossianus stehen und soll es auch nicht sein. Die Titel der excerpirten Gedichte werden nebst den Anfangsworten mitgetheilt, nur sind auch die Titel und Anfänge einiger längstbekannten Ge- dichte in die Reihe aufgenommen, z. B. hinter dem Pythagoricon die Trias: De uiro bono, Nau xat ov, Hesiodion, hinter den Urbes sämmtliche Titel des Technopaegnion, hinter dem Paulinusbriefe die von drei Epigrammen (10. 72. 75). Wunderlicherweise sind mitten zwischen die Sapientes-Stticke eingeklemmt *Fragmentum ex epigram- mate in Othonem" (268, v. 3. 4).

Ein dritter Theil f. 227, 25 med. ist überschrieben:

Quae aut emendanda aut aliter scripta inueniantur quam in expressis. Er enthält Vergleichung und Ergänzung des Technopaegnion. Auf f. 24" ist mitten drin eine Abweichung in Epigr. 72 mitgetheilt.

Anordnung, Ueberschriften, Lesarten der mitgetheilten Stücke deuten klürlich auf den Vossianus als Quelle der Auszüge.?*®) Die Ordnung V ist nur an drei Stellen verlassen: Einmal ist die Oratio zu dem Briefwechsel zwischen Ausonius und dem sich entwickelnden Heiligen gezogen. (Der Titel Oratio Paulini episcopi ist nur eine Folge des Irrthums in VP, welche Sancti Áusonii geben. Ob schon Sannazarius aus inneren Gründen dem Ausonius dies Gedicht ab- gesprochen haben sollte, wie viele bis in neuste Zeit?) Zweitens ist Epigr. 72 vor 75 gestellt, drittens sind einige Stücke der Sapientes auf f. 21” erst nachträglich excerpirt und an den Schluss gestellt.

Aber eine durchaus accurate Abschrift zu nehmen, dazu waren die Gelehrten jener Zeit so wenig befähigt, wie gewillt. Die Ortho- graphie ist zeitgemäss gestaltet: Paul. II 37 corylos, uiburna; sie ist in die bei Avantius übliche übertragen: chrystus. Der Text ist durch manchfache Correcturen und Conjecturen umgeändert (z. B. Paul. II 21 quorum ex ore, I 101 Ignosce amice), die freilich auch als solche keinen Werth beanspruchen dürfen. Vermuthlich hat Sannazarius selbst beim raschen Uebertragen der ungewöhnten Charaktere vieles falsch gelesen (so Paul. I 72 Sed ui magis curas

246, Die Lesarten sind oft die in V eingetragenen Aenderungen späterer Hand, z. B. Paul. II 36 lollia farre.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 841

mouet statt Sed ut m. caras monet Paul II 46 abstruar statt abstra(h)ar; Grammaticomastix 18: endoruum statt endosuam) und selbst schon einzelne Verse ausgelassen (z. B. ep. XXV 9, 47; Paul II 3, 24). In dieser Hds. aber haben wir es, was schon M. Haupt?”) erkannte, nicht mit seinem Autograph zu thun. Ein sicheres Zeugniss dafür ist die wunderliche Fassung der Sapientes- Verse, die dem Leser in der obigen Aufführung nicht entgangen sein kann. Bei Solon war Alles in Ordnung: die Unordnung im übrigen stammt aus falscher Uebertragung des Sannazarschen Autographs, wo je zwei Verse in einer Zeile standen:

CHILON SPARTANVS 303: 7 8 9 10 11 12 CLEO 13 BOLVS 14 304: 6 9 12 13 14 15 (PERI) . (PERI) 308: 15 \NDER ANDER

Ungefähr so mochte Sannazar abgetheilt haben: wie die Ver- schiebung des Namens (PERIJANDER zeigt, müssen andere Irr- thümer untergelaufen, vielleicht Verse weggelassen sein. Was den Sannazar bewog, gerade diese Verse, die in der Ausgabe des Avan- tius theilweise gerade so lauten, auszuheben, lässt sich ja nicht con- statiren. Dass er selbst Chilon v. 15 weggelassen und den Satz nicht einmal abgeschlossen haben sollte, ist nieht glaublich.

Wir begegnen mehrfach übergesetzten Besserungen in einigen Theilen des Technopaegnion, sonst nicht. Es sind folgende:

en 340 A, 3 polsit poísent Vv ο 12 mutuum mutuo v neo - 340 B, 3 mea congrua nec alle Ausgaben cla 842, 12 dira clara alle Hdss. us t 1 343, 9 genitus gem vf V? gen.uf v? i 344, 10 quinquagenis quinq;genif v quinquetenis V Inditiis ut perit 845, 12 Ibicur ut periit Indituf ut periit v Pugna 15 picna pugna v

347) Ovidii Halieutica etc. p. XXV sqq.

348 R. Peiper:

26 celedoniis caledoniis Vv decus trix 26 fcelus siryx decus Vv uiret 346, 2 nitet nitet fehlt V 346 fehlt v

Vergleichen wir die zur Seite angeführten Lesarten der Hdss., so finden wir eine handschriftliche Quelle, aus der sie sümmtlich bis auf die beiden letzten (trix und nitet) geflossen sind: v Lei- densis Q 33, dessen Herkunft aus St. Gallen ersichtlich. Einige Male sind es Fehler aus flüchtiger Lesung von V entstanden, oder aus dem alten Druck beibehaltene Lesarten?*®), die durch diese Vergleichung beseitigt werden.

Ob Accursius von diesen Lesarten Kunde gehabt, kann man nicht ersehen. Er citirt 345, 12 und 15 ohne dieser widersinnigen Lesungen zu gedenken.

Wenn wir im letzten Verse des Grammaticomastix Raum aus- gespart finden für das im Vossianus ganz deutlich lesbare Wort crinis, das dem Sannazar schwerlich entgangen ist, wenn wir dort atiphile für antiphile in den Excerpten lesen, wenn Accursius Technop. XII 3, auf die Mittheilungen dieser Excerpte gestützt, latiar e gibt, wie der Vossianus, in den Wiener Hds. aber latiis e erscheint, wenn im folgenden Verse quod flatium angeführt wird, wo offenbar eine Verbesserung der Vossianischen Lesart (quod latium) mitgetheilt werden sollte: 80 spricht dies alles wohl stark genug gegen die Echt- heit dieser Handschrift.

So ist diese Hds. also für die Kritik der Ausonianischen Gedichte völlig werthlos*?); immerhin aber ist sie, wenn wir die Hand- schriften-Geschichte verfolgen, nicht ohne Interesse.?®)

345) In 340 A hat Sannazarius selbst die Worte hiulcula haberent, die doch weder in V noch v stehen, als unentbehrlich nicht weggelassen. 249%, Für f. 13 des Voss. Profess. 16 22 (Aemilius Magnus Arborius— Victorinus), welches verloren gegangen, verdanken wir unsere Kenntniss nur der Ausgabe des C inus, wo vieles überflüssig geändert ist. Da ist freilich auch der Brocken, den uns diese Excerpte geben, nicht zu verachten. Dort steht 20 (Stafilus) v. 7—14, v. 12 lautet bei Charpin:

Nec cunctator eras nec properante sono. Sannazar gibt: Nec cunctator erat nec properator erat, woran kein Buchstabe zu ündern ist. Im folgenden Verse:

procul ira dolusque lässt die Wiener Abschrift die Schlusssilben usque weg; das scheint nicht irrthümlich geschehen zu sein, wenngleich die Buchstaben dol am Seitenschluss (f. 3%) stehen: man muss doch wohl ira dolorque erwarten. Im letzten Verse stimmt Sannazar mit Charpin in dem auffälligen, von Graevius nnd Heinsius verbesserten Fehler: Et placidae finis congrua meta fuit;

für fuit gibt Accursius fehlerhaft tibi. Grammatice haben die Excerpte wie Charpin, ausserdem rethor und sescentis. ?*") f, 26* wird aus

Die handschrift). Ueberlieferung des Ausonius. 349

Das Wiener Exemplar war, wie auf f. 0” gesagt ist, einst Eigen- thum 'Martirani et doctorum amicorum', also des im J. 1557 ver- storbenen Bischof von San Marco, Coriolano Martirano, der als Tra- giker und Epistolograph in lateinischer Sprache sich einen Namen gemacht hat (vgl. Grüsse III 1 p. 331, 337, 700; Biogr. univ. XXVII 333).

Es hat geraume Zeit gedauert, ehe dieser Fund, den nebst den anderen Sannazarius im J. 1501, spätestens 1502 in Frankreich machte??!), der Oeffentlichkeit übergeben wurde. Selbst von anderen Abschriften, die doch von Ovid und Gratius bekannt geworden sind, wissen wir betreff der Ausonius-Excerpte nichts. Weder der Heraus- geber der Ascensiana 1511 und 1513 noch Avantius für die

einem anderen Codex derselben Bibliothek das epigr. 76 (Languentem Gaium) nebst dem Gedichte des Eugenius über die Erfinder der Schrift (386 Meyer, Riese II p. XXXVI, auch in B. Eugenii opuscula ed. Sir- mond) mitgetheilt; vielleicht aus derselben Hds. Ausonü de XII signis (Auson. 382, Anthol. Riese 640). Anderer Hds., derselben Bibliothek je- doch zweifelsohne, entstammen die auf f. 257 verzeichneten Stücke: 1) Eine Stelle aus Donati uita Vergilii über den Anfang der Aeneide nach Nisus [Scholia Bernensia ed. H. Hagen p. 789 $ 42 (60): Nisus— gratum opus agricolis &. Die Worte uarium correxisse sind ausge-

δ lassen; statt aiebat steht dicebat, in v. 1 qui siluıs inter modulatus, v. 2 Carmen]. 2) Epitaphium Archeli, Incerto Authore:

o Meam Amice ne doleas sortem, moriendum fuit, Sic sunt hominum fata, sicut in arbore poma, Immatura cadunt, et matura leguntur Hic legar, hic uiuam, nec nomen inane relinquar. O domus, o Muse, durate, manete, Valete.

Diese Inschrift findet sich im Cod. Paris. 2882 s. IX (mit Florus Diaco- nus' Dichtungen, f. 121", in welchem auch unter anderen Gedichten des Eugenius das oben genannte erscheint) vgl. Anthol. lat. 1554 Meyer, III 96 Burm. Dahinter 3) Avienus Theodosio (die Vorrede zum Avienus). f. 27*—42" sind leer gelassen, f. 43’—46% kommen VERSVS OVIDII de piscibus et feris, f. 47 leer, f. 48'— 56" M. AVRELIJ NEMESIANI | CARTHAGINENSIS | CYNEGETICON, f. 67" Apud Nasonem in Vltima elegia de ponto [XVI 33 s.] leguntur hi duo uersus:

Tityrus antiquas et erat qui pasceret herbas Aptaque uenanti Grattius arma daret.

f. 587—172" ITEM GRATTI CYNE|GETICON LIBER .I. Dahinter neun leere Blätter. Auf dem hintern Deckel innerhalb unten rechts von einer Hand s. XVI die Zahl: 4444, von der Hand des Schreibers aber auf dem Vorsatzblatte oben: 285. f. 1* enthält den Brief des Potanus an Sincerus, welchen M. Haupt XXIII mitgetheilt bat. 36) Nicht erst als er den unglücklichen König Friedrich von Neapel (+ 1504) dahin ins Exil begleitete (W. Roscoe-Leo X, Leipzig 1806 821), denn Pontanus, der im August 1508 starb, sah wie viele andere auch diese Erwerbungen noch bei Sannazar in Neapel, wie L. Gyraldus (Haupt p. XXII) versichert. Der besügliche Brief des Pontanus an Syncerus ist zu Neapel im Februar 1608 geschrieben (Pontani opp. ΠῚ 299, Haupt p. XXIII).

350 R. Peiper:

Ausgaben von 1507 und 1517 haben von ihnen Kenntniss - gehabt. Offenbar hat Petrus Summontius, dem Sannazarius alle jene Funde zur Herausgabe überlassen hatte*9, erst spät An- deren ausführlichere Mittheilungen zukommen lassen: den Gratius, Nemesianus, Rutilius beabsichtigte und versprach er sogleich nach Vollendung seiner Ausgabe der Werke seines Freundes Pon- tanus (Venedig bei Aldus 1518, 1519 in 3 Bänden) vom Stapel zu lassen?°®); die Ausonius-Excerpte mag er selbst um dieselbe Zeit dem bewährten Kenner und Herausgeber des Dichters, Hierony- mus Aleander?*) der im J. 1516 ins Vaterland zurückkehrte, um 1517 den Acciajoli als Bibliothekar der Vaticanischeu Sammlung zu ersetzen ein Amt, das er nur bis ins Jahr 1519 verwaltete”®) mitgetheilt haben, wenn nicht vielmehr der Umstand, dass Sanna- zars Name ferner nicht dabei genannt wird, dahin zu deuten, dass erst nach dem Tode des Summontius, der ihn 1520 überrascht zu haben scheint (s. Wernsdorf P. m. V 1 p. 48), Aleander in den Besitz der Excerpte gekommen ist. Dieser selbst scheint in ihnen eine Spur hinterlassen zu haben, in den ihm vielleicht durch Hummelberg zu- gekommenen St. Galler Varianten zum Technopaegnion. Eine be- deutungsvollere Thätigkeit zog aber Aleander von diesen Studien ab; Mariangelus Accursius war es, dem jene übergeben wurden, und sie bilden den besten Theil der handschriftlichen Mittheilungen zu Ausonius, die seinem Werke Diatribae in Ouidium Ausonium et Solinum Romae 1524 Fol. zu Grunde liegen. Er selbst gibt dar- über nur gelegentliche Aeusserungen, am vollständigsten zu den drei Gedichten de Aetatibus, de uiro bono, Est et Non: 'haec Ausonii esse lusus, non Virgili, fragmenta quaedam Longobar- dorum quandoque characteribus fidem faciunt, quorum inspiciendi sed et euulgandi publicandique mihi facultatem fecit Hieronymus idem Aleander. Vorher zum Technopaegnion: “in perueteri codicis fragmento qui penes Hieronymum Aleandrum est’, zur Precatio matutina: 'In particula manuscripti exemplaris quam penes Hiero- nymum Aleandrum esse testati sumus’, zu den Urbes (Arelate) "Nuper in parte codicis non aspernandae uetustatis haec ipsa ita legimus'.

*5* Auch Werke des Sannazar selbst, z. B. dessen Arcadia, gab er in Druck. S. ausser Jócher: Roscoe Leo X I 82 f. *55) Petrus Sum- montius Francisco Puderico Patricio Neapolitano: vor Pontanus Dialo Actius opp. II f. 101—103 siehe die Stelle f. 102%; Haupt p. XXIV. Gratius, Nemesian, Ovidii Halieutica wurden nebst Calphurnius erst im J. 1634 durch Georg von Logau herausgegeben. ?°*) Ueber Aleander 8. ausser P. Jovius die neueren Mittheilungen bei Roscoe Leo X LII 815—324, Ersch u. Gruber s. v., Gass in Allg. deutsche Biographie I 892 ff. u. a. Sehr lückenhaft sind die Nachrichten in Budi 8 Buch ‘Die Universität Paris’ Berlin 1876 s. 190. ?°5) Erst als Cardinal 1538 soll er es wirklich niedergelegt haben. Seine Bücher kamen nach seinem 1542 erfolgten Tode durch Vermächtniss an das Kloster 8. Maria del Orto in Venedig und von da in die Marcusbibliothek; vgl. Roscoe ἃ. O. 8. 324.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 351

Wenn wir seine Mittheilungen ins Einzelne verfolgen, finden wir jene Excerpte nicht erschöpft. Im Pythagoricum (id. XV), so- wie im epigr. 54, dessen Verse 3—6 wegen ihrer völligen Ab- weichung von Ugolets Ausgabe doch Interesse erregen mussten, werden sie nicht herangezogen. Er hat sie also nicht in der Voll- ständigkeit überkommen, in der das Wiener Exemplar sie über- liefert. Wenn aber die Hinweisung auf Alter und Schriftcharakter der Hds., der die Excerpte entlehnt waren, mehr Kenntniss ver- rathen, als aus der Wiener Abschrift zu gewinnen ist, und darauf hinweisen, dass Aleander die echten Papiere Sannazars selbst besass, können wir bei dem guten Willen, den wir bei diesem zu voll- ständiger Mittheilung voraussetzen dürfen, nur vermuthen, dass bereits in Aleanders Hause der Verlust stattgefunden, aber erst nachdem bei ihm vollständige Abschriften genommen worden waren. Wir können aber genau ermessen, wie viel fehlte: die Excerpte des S., denen offenbar die Wiener Abschrift genau folgt in der Einrichtung, hatten zwei Lücken im ersten Theile: es waren ausgefallen 1) 248, 53, 54, 362 (id. XV), welche hintereinander folgen im Vindobonensis f. 4% bis == drei Seiten, wahrscheinlich 1 Blatt des Originals; 2) Paulini ep. II I^ 302 304, ebendort f. 15", Z. 8 bis f. 20", Z. 7 = neun Seiten, drei Blatt des Originals, welches also 16 Blätter umfasst haben mag. Die Verbesserung zu 75 kannte Acc. aus dem zweiten Theile oder dem Anhang. Dass ihm für den Brief des Pauli- nus und Ludus handschriftliche Mittel fehlten, sagt er selbst aus- drücklich. Auf die Authenticität deuten auch die Angaben des Ac- cursius, durch welche hin und wieder die Wiener Lesarten ihre Be- richtigung finden. 5) Er gibt übrigens, wie er selbst gesteht, die längeren Mittheilungen mit seinen eigenen Verbesserungen, nicht diplomatisch getreue Copien.

Für den Nachlass des Ausonius muss Accursius mehrere voll-

355 Im Technopaegnion (348) de litteris z. B. liest:

Vind. falsch: Accursius richtig: 3 Hita Hta quodam quod latiis latiar 4 flacium E latium 5 egal negat eoy et y 10 comperior conspicior 13 beta Betae (beate Voss.) 20 addita addit 22 Atqs Adque per se pro se titulum titulo 26 Kappa Cappa 27 penultima pene ultima

Oefters noch allerdings findet sich die Lesart durch Accursius veründert.

352 R. Peiper:

ständige Hdss. eingesehen haben. “mass. aliquot", *msta exemplaria", "uetusta exemplaria', erwähnt er zu dem epigr. 57, Bissula praef. (326, 327), ep. XVI (406), Fast. 1 (147), Griphus (335, 336).

Seine Angaben sind aber höchst dürftig; die Bezeichnung uetus

und uetustus wendet er sowohl (bei epigr. 107) auf ein Exemplar quod potuerit post Ausonii quoque tempora scriptum uideri’ als auf unzweifelhafte Erzeugnisse des 15. Jahrhunderts an. Quellen von recht fragwürdiger Natur citirt er an folgenden Stellen: zu 2, 6 (fehlt in den &ltesten Ausgaben) bemerkt er: in uetustioribus quibus. dam hunc in modum haberi sunt qui nobis indicauerint: Queritur et fallit lumina plaga recens. 9, 1 bringt er zuerst den Vers Est iocus libellis (dass die Lesart Nostra simul certant etc. von Avan- tius erfunden ist, ahnt er nicht), beide Verse, deren die ed. pr. so gut wie Laur. I (pl. 33 c. 19) entbehrt, werden wir als neuere Er- findungen betrachten müssen. .

Mehrere Lesarten, die er unter der Firma uetus lectio, uetus codex, uetustum exemplar beibringt, finde ich in keiner der mir zu- günglichen Hdss.:

ep. XIX: Chalcidicas ad arces für ad arctos vulg. cf. Vergil. A VI 16 ἢ;

Grat. actio p. 285 ed. Bip.: Ipsa autem sedes honoris für Ista;

Griphus praef: peruenit für perueniet;

condemnationis für emendationis ;

Protrept. praef: adiudicationem “codex noster mstus’ für iudica- tionem;

v. 22 balbus für blandus;

v. 42 cupias 'codex idem" für capias.

Ein Theil davon hat mit Recht Beifall gefunden und Aufnahme in dem Texte; die unbekannte Hds., die sie bietet, wird aber darum keinen hóheren Werth beanspruchen dürfen als die eben bezeich- neten. Die zuletzt angeführte Lesart steht müglicherweise im Lau- rentianus I auch andere Anführungen weisen auf Benutzung dieser Hds. hin:

ep. XI praef. comoedis 'uetustus codex' statt comoediis;

ep. XXI praef. hoc für haec;

(ep. XVI Lalli meti codd." für Lilli (ed. pr.) Tilianus gibt Lali);

Griphus v. 31 solis *uetustus codex" statt solas;

Cento (p. 208 Bip. Z. 4 v. u.) qualisque uideri mstus. codex duntaxat unus' (fehlt sonst);

Cupido v. 18 fulminis “codd. msti.’ statt fulguris.

Im Cento verrüth sich Bekanntschaft mit einer den Guelpher- bytani verwandten Hds.: p. 205 Z. 3 v. u. turturis 'exemplar mstum.’ statt turris.

Den Laurentianus des Verazzanus hat er vielleicht nicht ge- kannt, denn ihm fehlte nach eigner Aussage handsohriftliches Material für Mosella und Symmachus-Brief.

Die handschriftl. Ueberlieferung des Ausonius. 353

Besseres Material lag dem Accursius vor für die Pseudo-Auso- niana: epigr. 107, Sapientum sententiae (seine Fragmente geben die Thales-Verse dem Anacharsis, wie Wölffins PB M), Priscians Gedicht, und das Juvencus-Fragment, das Acc. seinem Verfasser zurückgibt.

Für die Periochae freilich muss ich Alter und Güte seiner Hds. bestreiten. Dieser “uetus codex! ist weder Paris. 8500 noch die Abschrift desselben, die Ugolet benutzt hat. Einige beliebig herausgegriffene Beispiele genügen, dies darzuthun. Accursius gibt Ilias XV fratre conterrito, Paris. fratrem conterrita, Ug. conterrita fratrem. Ilias I ex. affectans, Paris. und Ug. affectanti. Il. XVII Cum in diuersa, Par. u. Ug. Cum diuersi. Od. XV diuerso, Par. und Ug. aduerso. Auf Ugolets Ausgabe jedoch stützt sich seine Hds. nicht; sie geht in einer Ánzahl Stellen mit Parisinus und meidet Ugolets Fehler. Ugolet gibt Il. XII Paris dubiae, Acc. mit Par. Res dubiae, ebenda Ug. statui, jene statu. Il. VIII Ug. alterius, jene alteros. Od. VIII ex. lassen Acc. und Par. cuncta und omnia weg, was Ugolets Text hat. Eine zweite, vielfach geänderte Abschrift des Parisinus also mag in Accursius' Hände gekommen sein.

———— M mu

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 23

PHILOLOGISCHE STUDIEN

ZU

GRIECHISCHEN MATHEMATIKERN.

I II.

VON

J. L. HEIBERG

DR. PHIL.

I. Ueber Eutokios.

Unter den spüteren griechischen Mathematikern aus derjenigen Zeit, wo die griechische Litteratur auch auf diesem Felde aufgehürt hatte Selbstündiges zu produciren, nimmt Eutokios aus Askalon einen ehrenwerthen Platz ein. Es dürfte daher nicht ohne Interesse sein, das wenige, was wir über seine Person wissen, zusammen- zustellen und seine Arbeiten im Allgemeinen zu charakterisiren. Ausserdem sollen einige Beiträge zur Textkritik beigefügt werden; denn die Zeit kann doch wohl nicht fern sein, wo man die Werke der grossen griechischen Mathematiker einer kritischen, auch dem Philologen genügenden Herausgabe würdigen wird; dann wird die Reihe auch an Eutokios kommen, dessen Commentare ein schätz- bares Supplement zu den gróssten unter ihnen, Archimedes und Apollonios, liefern und ausserdem so manches für die Geschichte der Mathematik wichtige enthalten.

Eutokios ist aus Askalon gebürtig, wie wir aus dem ihm in den Handschriften des Archimedes und Apollonios constant bei- gelegten Namen: ’Ackalwvitnc ersehen. Sein Lehrer war der Mechaniker Isidoros aus Milet (τῷ Μιληςίῳ μηχανικῷ Ἰειδώρῳ, τῷ ἡμετέρῳ διδαςκάλῳ, sagt er selbst Comment. in Archimed. p. 130, 143, 201, 216), und hieraus lässt sich seine Lebenszeit mit Sicher- heit bestimmen. Isidoros aus Milet war nämlich unter Justinianus als Architekt thütig.' Als die Sophiakirche in dem grossen Auf- stand zu Constantinopel im Jahre 532 abgebrannt war, beauftragte Justinianus ihn und den noch berühmteren Anthemius aus Tralles mit der Wiederaufführung (Prokopios De aedific. Iustiniani III p. 174 ed. Bonn.: ᾿Ανθέμιος δὲ Τραλλιανός, ἐπὶ ςοφίᾳ τῇ καλουμένῃ μηχανικῇ λογιώτατος οὐ τῶν κατ᾽ αὐτὸν μόνον ἁπάντων, ἀλλὰ καὶ τῶν αὐτοῦ προγεγενημένων πολλῷ, τῇ βαειλέως ὑπούργει ςπουδῇ .... καὶ μηχανοποιὸς cüv αὐτῷ ἕτερος Ἰείδωρος ὄνομα, Μιλήειος γένος, ἔμφρων τε ἄλλως καὶ πρέπων Ἰουςτινιάνῳ ὑπουργεῖν Bacıkei); auch anderswo finden wir diese beiden Männer in Vereinigung wirkend,

1) Er ist Erfinder eines διαβήτης, wodurch eine Parabel sich zeich- nen liess; die Beschreibung dieses Instruments hatte er in seinem Com- mentar zu Herons καμαρικά mitgetheilt; s. Eutokios zu Archim. p. 143.

358 J. L. Heiberg:

wie bei der Eindämmung uud Ableitung des Flusses Dara (Prokop. ibid. p. 217). Freilich wird auch ein jüngerer Isidoros aus Milet erwähnt, der Neffe des Vorhergenannten und ebenfalls ein tüchtiger Baumeister, dessen Hülfe Justinianus in Zenobia benutzte (Prokop.a.a.O.p. 234: ’Icidwpoc MiAncıoc γένος, Ἰειδώρου ἀδελφιδοῦς, οὗπερ ἔμπροεθεν ἐπεμνήςθην); auf ihn bezieht sich sicher ebenfalls Agathias p. 295, welche Stelle ich in meinen Quaestiones Archimedeae p. 29 irrig vom ersteren verstanden habe; Agathias erzählt nämlich, dass Justinianus die Sophiakirche, die von einem Erdbeben im J. 557 beschädigt war, restauriren liess, und fügt hinzu: καίτοι 'AvOéptoc μὲν ἐκ πλείςετου ἐτεθνήκει, Ἰείδωρος δὲ νέος xai oi ἄλλοι μηχανοποιοὶ κτλ. Dass aber nicht dieser Isidoros, sondern der ältere der Lehrer des Eutokios gewesen, geht daraus hervor, dass Eutokios den Anthemios, den Zeitgenossen des älteren Isidoros, der aber, wie wir eben aus Ag»- thias gesehen haben, als der jüngere Isidoros auftrat, bereits ge- storben, als seinen Freund erwähnt; denn dass der Anthemios, den er Comment. in Apollon. p. 8 und 218: φίλε ἑταῖρε ᾿Ανθέμιε und ebendas. p. 107, 158: φίλτατέ μοι ᾿Ανθέμιε anredet, kein anderer sei, als eben der genannte, als Architekt und kunstfertiger Mecha- niker bekannte (über ihn s. Gibbon: Hist. of the fall etc. VIT, p. 103 ff.), von dessen Schrift περὶ παραδόξων μηχανημάτων wir Bruchstücke (Westermann: Paradoxographi, p. 149—158), kann kaum zweifel- haft sein. Er scheint nach der Anrede des Eutokios mit ihm gleich- alirig gewesen zu sein, also etwas jünger als sein College Isidoros der Aeltere. Hiernach dürfte das Leben des Eutokios um 550 zu setzen sein. Der Ammonios, dem er den Commentar zu Archimedes’ zwei Büchern über Kugel und Cylinder dedicirt mit den Worten: κράτιετε φιλοςόφων ᾿Αμμώνιε (p. 66), ist daher wohl der Ammo- nios Hermeias’ Sohn, Schüler des Proklos. Der Petros dagegen, dem der Commentar zu Archimedes’ Büchern περὶ ἱςορροπιῶν ge- widmet ist (p. 2: γευναιότατε TTéroe), ist kaum mit einiger Wahr- scheinlichkeit zu identificiren.

Wir besitzen von Eutokios bekanntlich Commentare zu den vier ersten Büchern der Conica des Apollonios und zu folgenden Werken des Archimedes: περὶ ἐπιπέδων ἱςορροπιῶν I—II, περὶ cpaípac xai κυλίνδρου I—II und κύκλου μέτρηςις. Unter ihnen ist der älteste der Commentar zu den zwei Büchern über Kugel und Cylinder, ausdrücklich vom Verfasser als Jugendarbeit bezeichnet (p. 65 extr.: ef τι xai παρὰ μέλος διὰ νεότητα φθέγξομαι); denn in dem Commentar zu den Büchern περὶ icoppomWwv heisst es zum I Buch p. 3: τίνας καλεῖ τὰς ἐπὶ αὐτὰ κοίλας γραμμάς, εἴρηται ἡμῖν capuc ἐν τοῖς προοιμίοις (so die Hds.) τοῦ περὶ cpaipac καὶ κυλίνδρου (d. h. p. 66), und zu II, 10 p. 58: εὐγκεῖιται δὲ καὶ τοῦ ἀπὸ AZ κύβου πρὸς τὸν ἀπὸ AH κύβον λόγος ἐκ τῶν αὐτῶν »: AZ und An) ὡς δέδεικται ἐν τοῖς cxyoMoic τοῦ περὶ

᾿ Am: Ah)’

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 359

cpaípac καὶ κυλίνδρου (nämlich zu II, 9 p. 195, 30 ff). Aber auch der Commentar zu κύκλου uérpncic ist später als der zu den Büchern über Kugel und Cylinder verfasst, wie es 808 folgenden Stellen in jenem Commentar hervorgeht: p. 204: τοῖς πρότερον ὑφ᾽ ἡμῶν ἐν τῷ (vielleicht eic τὸ) περὶ cpaipac xai κυλίνδρου γεγραμμένοις; und p. 205: ὅτι ἁπλῶς περὶ τὸν δοθέντα κύκλον δυνατὸν εὐθύ- γραμμον περιγράψαι, ὥςτε τὰ τμήματα τὰ μεταξὺ τῶν τοῦ κύκλου περιφερειῶν καὶ τῶν πλευρῶν τοῦ περιγραφομένου εὐθυγράμμου ἐλάττονα εἶναι τοῦ δοθέντος χωρίον, ς«αφῶς εἴρηται ἐν τοῖς εἰς τὸ πρῶτον τῶν περὶ Cpaipac καὶ κυλίνδρου γεγραμμένοις ἡμῖν (d. h. p. 76). Aus der angeführten Stelle p. 204 scheint geschlossen werden zu müssen, dass der Commentar zur κύκλου μέτρηςις un- mittelbar nach dem zu den Büchern περὶ cpaipac xai κυλίνδρου geschrieben ist (εἴη δ᾽ dv, ὡς πρὸς τὸ προκείμενον, ἐφεξῆς τὸ γεγραμμένον ᾿Αρχιμήδει βιβλίδιον κύκλου μέτρηςιν τὴν ἐπιγραφὴν ἔχον). Wir erhalten daher folgende Reihenfolge der Commentare zu Archimedes: 1) zu περὶ cpaipac καὶ κυλίνδρου I—II, 2) zu κύκλου μήτρηεις, 3) zu περὶ ἐπιπέδων ἱςορροπιῶν I —-II. Nun eut- halten die Handschriften des Archimedes seine Werke in folgender Ord- nung (Quaest. Archimed. p. 10): περὶ cpaipac καὶ κυλίνδρου I—II, κύκλου μέτρηεις, περὶ κωνοειδέων, περὶ EAIKWV, περὶ ἐπιπέδων ἰτορροπιῶν I—II, ψαμμίτης, τετραγωνιςμὸς παραβολῆς. Dass Eutokios das Buch über die Quadratur der Parabel nicht gekannt hat, wissen wir mit Sicherheit; ebenfalls ist es wahrscheinlich, dass er περὶ ἑλίκων nicht gelesen (s. hierüber Quaest. Archim. p. 29). Die Vermuthung liegt daher sehr nahe, dass die von Eutokios be- nutzte Ausgabe des Archimedes nur diejenigen Werke enthalten hat, die er commentirt. Wirklich finden sich hin und wieder die Bücher περὶ kuvoeibéuv, περὶ éMkuv und τετραγωνιςμὸς παρα- βολῆς in Handschriften besonders, wie in cod. Scorial. R. I 7 (s. Miller: Catal. p. 3), worin sonderbar genug die Commentare des Eutokios mit enthalten sind. Die Ausgabe, welche dem Eutokios vorlag, war von seinem Lehrer, dem oben erwähnten Isidoros, besorgt. Am Schluss der Commentare zu περὶ cpaipac xai κυλίνδρου I und II und zu κύκλου μέτρηςεις lesen wir nämlich (die Stellen 8. oben p. 3): ékbóceuc παραναγνωεθείςης Ἰειδώρῳ κτλ. Die Bedeutung des Wortes παραναγιγνώςκειν kann zwar zweifelhaft sein; in der eigent- lichen Bedeutung: nebenbei lesen, d. h. conferiren, gebraucht es Longinus in einem Briefe, mitgetheilt von Porphyrios uita Plotini I p. XXXIII, Kirchhoff; hiervon ist aber kein weiter Schritt zu der Bedeutung: eine Ausgabe mit andern vergleichen, eine Textrecension besorgen; so wird es wohl hier zu verstehen sein; denn die Éxbocic ist jedenfalls eine Ausgabe des Archimedes, nicht des Commentars des Eutokios; sonst würde der Artikel τῆς nicht fehlen dürfen.

Der Commentar zu Apollonios zeugt schon durch seinen Ton von grósserer Einsicht und Selbständigkeit des Verfassers und be-

860 J. L. Heiberg:

urkundet sich dadurch als eine Arbeit des reiferen Alters. Aus- drücklich als später geschrieben als die Commentare zu Archimedes erweist sich dieser Commentar durch das Citat zu I, 11 p. 32: ye- γραπται ἐν τοῖς ἐκδεδομένοις ἡμῖν eic τὸ τέταρτον θεώρημα τοῦ δευτέρου βιβλίου τοῦ ᾿Αρχιμήδους περὶ ςφαίρας καὶ κυλίνδρου; es handelt sich um zusammengesetzte Proportionen (περὶ ςυνθέςεως λόγων), wovon Eutokios zu περὶ cpaipac καὶ κυλ. II, 5 p. 160 ff. ed. Torelli ausführlich spricht. Aus diesem Citat geht übrigens her- vor, dass Torelli mit Unrecht die Zahl der Sätze im Buch II περὶ cpaípac καὶ κυλίνδρου um eins vermehrt hat, dadurch dass er als prop. I aussonderte, was ed. Basil. p. 33, die lateinische Uebersetzung des Jacobus Cremonensis ebend. p. 41 und ohne Zweifel alle unsere Handschriften richtig zur Vorrede des Archimedes geschlagen. Aber hierauf werden wir weiter unten zurückkommen. Der Commentar umfasste wohl nur die vier ersten Bücher der Conica, welche die Elemente der Lehre von den Kegelschnitten vollständig enthalteu, wie Apollonios selbst sagt p. 8: ἀπὸ δὲ τῶν ὀκτὼ βιβλίων τὰ πρῶτα τέεςαρα πέπτωκε πρὸς elcaywyiiv ςτοιχειώδη (cfr. Eutokios p. 218: διὸ καὶ αὐτὸς ᾿Απολλώνιος ἐν ἀρχῇ τοῦ βιβλίου φητεὶ τὰ Téccapa βιβλία ἀρκεῖν πρὸς τὴν ἀγωγὴν τὴν ςτοιχειώδη): jeden- falls ist der Commentar zu diesen Büchern besonders ausgegeben worden, wie es aus Eutokios’ Worten im Anfang des Commentars zu Buch 1V erhellt (p. 218: ἀνάγνωθι οὖν αὐτὰ ἐπιμελῶς, καὶ el coi κατὰ θύμον γένηται, καὶ τὰ λοιπὰ κατὰ τοῦτον τὸν τύπον ὑπ᾽ ἐμοῦ ἐκτεθῆναι (ἐκτιθῆναι unrichtig ed. Halley), καὶ τοῦτο θεοῦ ἡγουμένου γενήςεται. Ἔρρωςο). In wie fern Eutokios auch die vier noch übrigen Bücher commentirt bat, ist uns nicht überliefert, aber durchaus nicht wahrscheinlich. Denn, wie es scheint, sind diese vier Bücher, die bekanntlich nicht mehr griechisch vorhanden sind, eben dadurch verloren gegangen, dass wir nur die von Eutokios be- sorgte Ausgabe der Conica haben, welche also einer allgemeinen Verbreitung sich erfreut hat; hätte er daher die vier letzten Bücher in entsprechender Weise herausgegeben, würden sich gewiss grie- chische Exemplare erhalten haben. Auch findet sich in der arabischen Uebersetzung der Bücher V—VII keine Spur von einem griechi- schen Commentar. Während Eutokios bei Archimedes die Ausgabe des Isidoros benutzte, hat er hier selbst den Text des Apollonios redigirt (p. 218: ἔςτι δέ τι χαριὲν xai cagéc τοῖς ἐντυγχάνουσι, καὶ μάλιςςα ἀπὸ τῆς ἡμετέρας ἐκδόςεως). Worin seine Thätig- keit in dieser Rücksicht (die wir wohl eben mit dem Wort παρανα- yıyviockeiv benennen dürfen) bestand, giebt er selbst an p. 10: πλειόνων δὲ οὐςῶν Exdöcewv, ὡς καὶ αὐτός (näml. Apollonios) pncıv ἐν τῇ ἐπιςτολῇ (Vorrede zu Buch I p. 8: καὶ ἐπεὶ ςυμβέβηκε καὶ ἄλλους τινὰς τῶν ευμμεμιχότων [ed. Halley falsch ευμμεμιχθό- Tuv] ἡμῖν μετειληφέναι τὸ πρῶτον καὶ τὸ δεύτερον βιβλίον πρὶν fj διορθωθῆναι, μὴ θαυμάςῃς, ἐὰν περιπίπτῃς αὐτοῖς ἑτέρως ἔχου-

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 361

ctv) ἄμεινον ἡγηςάμην cuvayayeiv αὐτὰς ἐκ τῶν ἐμπιπτόντων τὰ capécrepa παρατιθέμενος ἐν τῷ fnr?) διὰ τὴν τῶν elcayouevwv εὐμάρειαν (εὐμέρειαν unrichtig ed. Halley), ἔξωθεν δὲ ἐν τοῖς ευντεταγμένοις ςχολίοις ἐπιςημαίνεςθαι τοὺς διαφορούς, ὡς εἰκός, τρόπους τῶν ἀποδείξεων. Er entfernt daher zum Beispiel aus dem Texte diejenigen Sätze, welche nur specielle Fälle (πτώςεις) der be- reits aufgeführten sind, und daher keinen besonderen Platz verdienen, sammelt sie aber sorgfältig in seinen Anmerkungen, wie zu II, 14 p. 116: εὑρέθηςαν δὲ Ev rici καὶ ταῦτα τὰ θεωρήματα Eyyerpau- μένα, ἅπερ dc περιττὰ ἀφηρέθη ὑφ᾽ ἡμῶν ... οὐδὲ ἀποδείξεις ἔχουςί τινας, ἀλλὰ διαφορὰς καταγραφῶν᾽ ἵνα δὲ τοῖς ἐντυγχά- vouci τὴν ἡμετέραν γνώμην δήλην ποιήςωμεν, ἐκκείεθω ἐνταῦθα τὰ ὡς περιττὰ ἀφῃρημένα; auf diese Stelle weist er zu III, 16 p. 172 hin: ἔν rıcı τῶν ἀντιγράφων τοῦτο τὸ θεώρημα ὡς ιζ΄ παρέκειτο᾽ écri δὲ κατ᾽ ἀλήθειαν πτώεις τοῦ ις΄..... Ἐν εχολίοις οὖν ἔδει τοῦτο κεῖςθαι, ὥςπερ ἐγράψαμεν εἰς τὸ ıd τοῦ δευτέρου βιβλίου; cfr. p. 174: καὶ τοῦτο ὁμοίως τῷ πρὸ αὐτοῦ ἔκειτο θειύ- pnua (stand als eigenes Theorem aufgeführt): ὅπερ ἡμεῖς ὡς πτώειν ἀφελόντες ἐνταῦθα ἐγράψαμεν; ebenso p. 181: τὸ θεώρημα τοῦτο πολλὰς ἔχει πτώςεις, ὥςπερ καὶ τὰ ἄλλα. Ἐξπεὶ δὲ (so ist zu lesen für: ἐπειδὴ) ἔν Tıcıv ἀντιγράφοις ἀντὶ θεωρημάτων πτώνςεις εὑρί- εκονται καταγεγραμμέναι καὶ ἄλλαι τινὲς ἀποδείξεις, ἐδοκιμάςαμεν (3: ἠξιώςαμεν) αὐτὰς περιελεῖν" ἵνα δὲ οἱ ἐντυγχάνοντες ἀπὸ τῆς διαφόρου παραθέςεως (Darstellung) πειρῶνται τῆς ἡμετέρας ἐπι- γοίας, ἐξεθέμεθα ταύτας ἐν τοῖς ςχολίοις. Ebenfalls erwähnt er öfters, dass der Beweis in andern Handschriften abweichend dar- gestellt sei; er habe den zweckmässigsten ausgesucht, die übrigen in die Anmerkungen aufgenommen; so zum Beispiel p. 20: .. τοῦτο τὸ θεώρημα εὑρίεκεται Ev τιςιν ἀντιγράφοις ὅλον διὰ τῆς εἰς ἀδύ- γατον ἀπαγωγῆς δεδειγμένον; p. 45: ἔν Tıcıv ἀντιγράφοις τὸ θεώρημα τοῦτο ἐπὶ μόνης [τῆς] παραβολῆς καὶ ὑπερβολῆς ἔςτι᾽ κάλλιον δὲ καθολικώτερον ἔχειν τὴν πρόταειν: cfr. p. 68; p. 52: ἔν TIcıv ἀντιγράφοις τοῦ εἰκοςτοῦ θεωρήματος φέρεται τοιαύτη ἀπόδειξις; cfr. p. 75, 113, 115, 175, 176; p. 114: εὑρέθη Ev τιεῖν ἀντιγράφοις τοῦτο τὸ θεώρημα δενκνύμενον διὰ δύο παραλλήλων κτλ. ἐπελεξάμεθα δὲ ταύτην τὴν καταςκευὴν ὡς τὰ αὐτὰ δεικνῦςαν ἁπλουςτέρως; cfr. p. 161, auch p. 190: δυνατόν ἐςτι τοῦτο τὸ θεώ- pnua δεῖξαι ὁμοίως τῷ πρὸ αὐτοῦ xrÀ." ἀλλ᾽ ἐπειδὴ πάντῃ ταὐτόν écrt τῷ ἐπὶ τῆς μιᾶς ὑπερβολῆς προδεδειγμένῳ, αὕτη fj ἀπόδειξις ἀπελέχθη und p. 158: ἔςετι δὲ καὶ ἄλλη ἀπόδειξις beziehen sich wohl auf eine Verschiedenheit der Ueberlieferung. Wenn Eutokios von ΠῚ, 34 an nicht mehr verschiedene Handschriften erwähnt, aber öfters andere Beweise mit einem ἄλλως anführt, kann es wohl nicht

*) D. h. ‘im Text’; s. zu Árchim. p. 6; p. 98; zu Apollon. p. 76, 1; 158, 18; 156, 32; 158 extr; 162, 30; 163, 46; 168, 48.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 363

propp. 11— 14 durch p. 39 (Eutok. ad prop. 14: φανερὸς δέ Ecrıv «κόπος cuveyric ὧν τοῖς πρὸ αὐτοῦ Tpıciv), propp. 15—16 durch p. 42 und 43; endlich werden propp. 17—56 (ausserdem noch An- deutungen über prop. 1—16) von Eutokios p. 99—100 summarisch referirt, wozu noch hie und da übereinstimmende Citate hinzukommen (I, 8 citirt mit dieser Nummerr p. 43; I, 11 p. 53 [ἐν τῷ εχολίῳ τοῦ ἑνδεκάτου θεωρήματοο); I, 15 p. 49; I, 80— p. 77; 1, 37 p. 77; 1. 41 p. 76 (ὄντος λόγου τοῦ μα΄ θεωρήματοο); I, 48 p. 78 (ai πτώςεις αὐτοῦ ιβ΄ eicí, καθάπερ ἐπὶ τῆς ὑπερβολῆς ἐν τῷ μτ΄ ἐλέχθη, d. h. p. 75: ἔχει πτώςεις ἐπὶ μὲν τῆς ὑπερβολῆς ἕνδεκα, Öcac εἶχε καὶ τὸ πρὸ αὐτοῦ ἐπὶ τῆς παραβολῆς καὶ ἄλλην μίαν). Für das zweite Buch mag p. 172: ὥςπερ ἐγράψαμεν εἰς τὸ ιδ΄ τοῦ δευτέρου βιβλίου p. 116 genügen (p. 161: ὡς εἴρηται ἐν τῷ δευτέρῳ βιβλίῳ II, 32 p. 129). Es ist daher kaum etwas anderes übrig, als diese Abweichungen derjenigen Ausgabe des Apollonios zuzuschreiben, die Eutokios früher benutzte, wodurch wir in die Veränderungen, die er in seiner eigenen Ausgabe vor- nahm, jedoch gewiss auf andere Handschriften gestützt, einen Blick gewinnen.

Ausser den erhaltenen zwei Commentaren hatte Eutokios noch die εὐνταξις des Ptolemaeus erläutert. Dieser Commentar war vor dem Commentar zu Apollonios abgefasst; denn zu Con. I, 11 p. 32 heisst es: ἐζητήςαμεν αὐτὸ (die Lehre von zusammengesezten Pro- portionen) xai γέγραπται ἐν τοῖς ἐκδεδομένοις ἡμῖν eic τὸ τέταρ- τον θεώρημα τοῦ δευτέρου βιβλίου τοῦ ᾿Αρχιμήδους περὶ ςφαίρας καὶ κυλίνδρου καὶ ἐν τοῖς ςχολίοις τοῦ πρώτου βιβλίου τῆς Πτολε- μαίου ευντάξεως᾽ οὐκ ἄνιςον δὲ καὶ ἐνταῦθα τοῦτο γραφῆναι διὰ τὸ μὴ πάντας τοὺς ἀναγινώεκοντας κἀκείνοις ἐντυγχάνειν. Wahr- scheinlich war er aber später als die Commentare zu Archimedes verfasst; sonst würde Eutokios zu κύκλου μέτρ. III p. 208, wo er von Theon und Pappos “καὶ ἑτέροις πλείοςειν ἐξηγουμένοις τὴν με- γάλην εὐνταξιν τοῦ Κλαυδίου ἸΠΤτολεμαίου᾽ spricht, gewiss auch seine eigene Arbeit angeführt haben. Die Auseinandersetzung der zusammengetzten Proportionen, ein Lieblingsthema des Eutokios, wie es scheint, hatte er ohne Zweifel zu Ptolem. ούντ. I, 12 gegeben, wo Ptolemios sich ihrer bedient; daselbst hat Theon in seinem Commentar p. 61—62 einiges über sie mitgetheilt, was aber dem Eutokios ungenügend schien (p. 32: ἐπεὶ δὲ ἐπακτικώτερον μᾶλλον (durch Induction) καὶ oU κατὰ τὸν ἀναγκαῖον τρόπον ὑπὸ τῶν ὑπομνηματιςτῶν ἐλέγετο: cfr. zu περὶ ςφαίρας καὶ κυλίνδρου. II, 5 p. 160: ὡς écriv εὑρεῖν ἐντυγχάνοντας Τάππῳ τε καὶ Θέωνι καὶ ᾿Αρκαδίῳ ἐν πολλοῖς ευντάγμαςειν οὐκ ἀποδεικτικῶς (so die besseren Hdschr.), ἀλλ᾽ ἐπαγωγῇ τὸ λεγόμενον παριςετῶειν).

Eutokios erweist sich durchgehends als ein sehr fleissiger Samm- ler von weit ausgedehnter Belesenheit; es soll hier ein Verzeichnisse der von ihm angeführten Schriften gegeben werden, woraus wir zu-

964 J. L. Heiberg:

gleich einige Aufklärung darüber erhalten werden, welche mathe- matischen Schriften den Griechen des sechsten Jahrhunderts noch zugünglich waren.

Den ersten Platz nimmt natürlich Euklid ein; die Elemente werden öfters mit Angabe des Buches und Satzes citirt, welche An- gaben in der Regel mit unseren Handschriften der Elemente über- einkommen, wie z. B. Eukl. Elem. II, 1 zu περὶ cpaipac καὶ κυλίν- öpou I, 17 p. 94 und zu II, 10 p. 199; Eukl. V, 25 zu Apollon. II, 48 p. 139; Eukl. VI, 3 zu κύκλου μέτρ. III p. 209; Eukl, VI, 23 zu Apollon. I, 11 p. 32; endlich: ἐν τῇ ἀρχῇ τοῦ δεκάτου τῆς «τοιχειώςεως Εὐκλείδου (= X, 1) zu ἐπιπ. icopp. L, 7 p. 7; cfr. zu II, 4 p. 41: ἐν τῷ δεκάτῳ τῆς «τοιχειώςεως (= X, 1); so findet sich auch: ἐν τῷ πρώτῳ καὶ δεκάτῳ τῆς Εὐκλείδου ςτοιχειώςεως (= XI, 18) zu Apollon. I, 5 p. 23; ungenauer blos: ἐν τῇ «ςτοιχειώ- ceı zu περὶ cpaipac καὶ κυλίνδρου I, 11 p. 82 (= Eukl. XII, 2 p. 200 August) und zu I, 14 p. 90 (== Eukl. XII, 1); zu Apollon. p. 12, 48 (= Eukl. III, 8); ἐν τοῖς croixeíotc zu Apollon. I, 27 p. 53 (= Eukl. VI, 25); zu I, 32 p. 59 (= Eukl. III, 16). Ausser- dem wird Euklid an unzähligen Stellen stillschweigend benutzt. Be- sonders zu bemerken sind zwei Stellen, wo Euklidische Sätze wört- lich angeführt werden, nämlich zu περὶ cpaipac καὶ κυλίνδρου II, 5 p. 160: dic γὰρ ἐν τῇ crorxeiwcer (λόγος ἐκ λόγων cuyeicdan λέ- γεται), ὅταν αἱ τῶν λόγων πηλικότητες ἐφ᾽ ἑαυτὰς πολλαπλαεια- ςθεῖςαι ποιῶςείν τινα (τινι unrichtig Torelli, τινα ed. Basil. p. 28, die Codices und Jacobus Cremonensis p. 30: *quandam quantitatem"), genau wie Eukl VI def. 5; dagegen wird zu Apollon. Con. II, 48, Eukl. V, 25 etwas abweichend angeführt p. 139: ἐὰν réccapa μεγέθη ἀνάλογον ἧ, τὸ πρῶτον xai τὸ τέταρτον (τὸ μέγιςτον xai τὸ ἐλά- xıcrov Eukl.) δύο τῶν λοιπῶν (τῶν δύο λοιπῶν einige codd. und edd. des Eukl) μείζονα écrai (ἐετιν Eukl). Eine Abweichung in der Zählung der Sätze kommt nur zweimal vor; zu περὶ cpaipac καὶ κυλ. III, 10 p. 199 wird Eukl. Π, 3 als τὸ δεύτερον θεώρημα τοῦ δευτέρου βιβλίου τῆς «ςτοιχειώςεως (Torelli hat den Hand- schriften, ed. Basil. und der alten Uebersetzung zuwider τρίτον cor- rigirt) angeführt, und zu Apollon. I, 17 p. 44 steht Eukl. III, 15 für III, 16.

Ausser den Elementen finden die Data Euklids vielfache Be- rücksichtigung; so beziehen sich die Worte: ἐὰν δεδομένον μέγεθος πρός τι μορίον ἑαυτοῦ λόγον ἔχῃ δεδομένον, xal πρὸς τὸ λοιπὸν λόγον ἕξει δεδομένον, bei Eutokios zu περὶ ςφαίρας καὶ κυλ. II, 8 p. 184 auf Eukl. Dat. prop. 5: ἐὰν μέγεθος πρὸς ἑαυτοῦ τι μέρος λόγον ἔχῃ δεδομένον, καὶ πρὸς τὸ λοιπὸν λόγον ἕξει δεδομένον - zu demselben Werke II, 4 p. 156 wird Dat. 7 angeführt; zu II, 5 p. 160, 35 und II, 8 p. 184 Dat. 8; zu II, 6 p. 180, 22 Dat. 30; ebend. lin. 19 Dat. 40; ebend. p. 179—180 Dat. 57. Mit Namen werden die Euklidischen Data citirt zu περὶ cpaípac καὶ «uA. II, 6

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 365

p. 180, 13 ff: ἵνα δὲ καὶ τοῦτο ἀκολούθως τῇ ετοιχειώςει τῶν Δεδομένων δοκῇ cuvayecdaı, λεχθήςεται; darauf wird die ἀντι- ςΤροφή von Dat. 88 benutzt. Dagegen waren die 2 Bücher Euklids über die τόποι πρὸς ἐπιφανείᾳ, die Pappos noch hatte (VII, 3 p. 636 Hultsch; Hilfsütze zu ihnen VIT, 312 ff. p. 1004 ff.), schon damals ver- loren; s. Eutokios zu Apollon. p. 12: ὡς ἔοικεν, ἐν ἑτέρῳ βιβλίῳ περὶ τόπων τεγραμμένῳ τῷ Εὐκλείδῃ ἐπιςκώπτει (d. h. er spottet über das, was Euklid in einem andern Buche περὶ τόπων geschrieben), ὅπερ eic ἡμᾶς οὐ φέρεται. Diese Stelle des Eutokios bietet übrigens grosse Schwierigkeiten. Apollonios sagt nämlich p. 8: τὸ δὲ τρίτον (das dritte Buch der Conica) πολλὰ xai παράδοξα θεωρήματα χρήςειμα πρός τε τὰς cuvOÉceic. τῶν crepeUv τόπων καὶ τοὺς διοριςμούς, ὧν τὰ πλεῖετα καλὰ καὶ ξένα κατανοήςαντες 5) cuveibouev μὴ ευντιθέμενον ὑπὸ Εὐκλείδου τὸν ἐπὶ τρεῖς καὶ Téccapac γραμμὰς τόπον, ἀλλὰ μορίον τὸ τυχὸν αὐτοῦ, καὶ τοῦτο οὐκ εὐτυχῶς᾽ οὐ γὰρ δυνατὸν ἄνευ τῶν προςευρημένων ἡμῖν τε- λειωθῆναι τὴν cóvOectv. Hierüber sagt Eutokios p. 12: μέμφεται δὲ ἑξῆς τῷ Εὐκλείδῃ, οὐχ, ὡς οἴεται TTarmoc καὶ ἕτεροί τινες, διὰ τὸ μὴ εὑρηκέναι δύο μέεας ἀνάλογον᾽ τε γὰρ Εὐκλείδης ὑγιῶς εὑρὼν 4) τὴν μίαν uecnv ἀνάλογον, ἀλλ᾽ οὐχ, ὧς αὐτός φηειν, οὐκ εὐτυχῶς (Eukl. Elem. VI, 13), περὶ τῶν δύο μέεων οὐδ᾽ ὅλως ém- χειρεῖται ζητῆςαι ἐν τῇ «ετοιχειώςει, αὐτὸς τε ᾿Απολλώνιος οὐδὲν περὶ τῶν δύο μέεων ἀνάλογον φαίνεται ζητῆςαι ἐν τῷ τρίτῳ βιβλίῳ᾽ ἀλλ᾽ ὡς ἔοικεν κτλ. (8. oben). Der Sinn kann kein anderer sein als dieser: Pappos habe irgendwo gesagt, dass Apollonios den Euklid darum getadelt, weil er in seinen Elementen nur die eine mittlere Proportionallinie, nicht aber die doppelte gefunden habe. Dass dies gar nicht der Sinn der angeführten Worte des Apollonios ist, geht hinlänglich aus der Widerlegung des Eutokios hervor, der sehr richtig die wahre Meinung des Apollonios angiebt; aber auch Pappos VII, 33 ff. p. 676 f£, wo er die Stelle aus Apollonios tadelnd anführt, weiss sehr wohl, dass Apollonios von einer Arbeit Euklids über die Kegelschnitte redet, nicht von den Elementen; er sagt nämlich: ὃν δέ qnav ἐν τῷ τρίτῳ τόπον ἐπὶ τ΄ xal δ΄ γραμμὰς μὴ τετελειῶςεθαι ὑπὸ Εὐκλείδου, οὐδ᾽ ἂν αὐτὸς ἠδυνήθη οὐδ᾽ ἄλλος οὐδεὶς ἀλλ᾽ οὐδὲ 5) μικρόν τι προςθεῖναι τοῖς ὑπὸ Εὐκλείδου Ypagpeiciv, διά γε μόνων τῶν προδεδειγμένων ἤδη xuvi- κῶν ἄχρι τῶν κατ᾽ Εὐκλείδην; Euklid babe, heisst es in den folgen- den Worten, die zu verdächtigen ich auch keinen gentigenden Grund finde, nur die Conica des Aristaios benutzen wollen. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Pappos an Euklids Bücher über τόποι πρὸς &m-

8) So richtig Pappos VII 82 p. 676; im Apollonios steht: ξένα, καὶ xaravofcavtec, durch Dittographie von —a κατ--. *) Im Apollo- nios steht εὗρε, das die Construction stört. ^) Ich halte diese Worte gegen Hultsch für echt: “wenn auch nur”.

866 J. L. Heiberg:

φανείᾳ dachte; wenigstens spricht er nirgends von dem, was Eutokios ihm zuschreibt. Das Räthsel scheint nur dadurch zu lösen, dass wir annehmen, dass Pappos anderswo (vielleicht in dem Commentar zu den Elementen, worüber s. unten), bevor er noch Euklids Bücher περὶ τόπων kannte, den Sinn der apollonischen Stelle missverstanden und falsch erklärt hatte auf die von Eutokios angegebene Weise. Sonderbar bleibt es aber dennoch, dass Eutokios die Stelle aus den cuvaywyaic nicht berücksichtigt.

Ich fahre nach dieser Digression in der Aufzählung der von Eutokios erwähnten Werke fort.

Von frühern Geometern hatte er den Eudoxos noch gelesen, dessen Lösung des Problems von der doppelten mittleren Proportional- linie er zu περὶ coaipac xai kuA. II, 2 p. 135 etwas höhnisch ver- wirft (gewiss mit Unrecht, s. Bretschneider: Die Geometrie u. d. Geometer vor Euklid p. 166 f£): πολλῶν δὲ κλεινῶν ἀνδρῶν Ypa- qaic ἐντετυχήκαμεν (so die codd.) τὸ πρόβλημα τοῦτο ἐπαγγελλο- μέναις, ὧν τὴν Εὐδόξου τοῦ Κνιδίου (Κνιδείου Torelli) παρῃτηςά- μεθα γραφήν (so cod. Flor. u. a.), ἐπειδή qna μὲν ἐν [τοῖς] προοιμίοις διὰ καμπύλων γραμμῶν αὐτὴν ηὑρηκέναι, ἐν δὲ τῇ ἀποδείξει πρὸς (so cod. Flor.) τῷ (τὸ vulg.) μὴ κεχρῆςθαι καμπύλαις γραμμαῖς), ἀλλὰ xai?) διῃρημένην ἀναλογίαν εὑρὼν dic ευνεχεῖ χρῆται (mit cod. Flor.) ὅπερ ἦν ἄτοπον ὑπονοῆςαι, τί λέγω περὶ Εὐδόξου, ἀλλὰ περὶ τῶν καὶ μετρίως περὶ γεωμετρίαν ἀνεςτραμμένων. Die letzten Worte sind vielleicht, trotz der wunderlichen Construction, dennoch richtig und so zu übersetzen: was ein ungereimter Einfall war, nicht nur von Eudoxos (von dem Eudoxos will ich gar nicht reden), sondern selbst von den auch nur wenig der Geometrie Kun- digen (quod ineptum erat non modo Eudoxo in mentem venisse, sed lis, qui parum in geometria versati sunt) Wenn Eutokios p. 135 darauf hinzufügt: (va δὴ fj τῶν eic ἡμᾶς ἐληλυθότων ἀνδρῶν ἔννοια ἐμφανὴς γένηται, 6 éxácrou τῆς eopéceuc τρόπος καὶ év- ταῦθα γραφήςεται, und weiter unten p. 143 nur bei der Lösung des Archytas ausdrücklich angiebt: f| ᾿Αρχύτου eüpecic, ὧς Eüdn- μος icropet, möchte man schliessen, er habe die übrigen Lösungen aus den eigenen Schriften der Erfinder geschöpft, während nur die Schrift des Archytas verloren gegaugen war. Das ist aber wenig- stens bei Platon, dessen Methode er p. 135 mittheilt, unmöglich, weil Platon gewiss keine eigenen Schriften über Mathematik hinter- liess. Dadurch wird es auch in der Folge zweifelhaft, in wie fern er wirklich die Arbeit des Menaichmos, des Freundes Platons und Begründers der Lehre von den Kegelschnitten, vor sich hatte,

9$) Man vgl. doch Eratostheues bei Eutokios selbst p. 144: Εὔδοξος δὲ διὰ τῶν καλουμένων καμπύλων γραμμῶν, und p. 146: unb εἴ m θεουδέος Εὐδόξοιο κάμπυλον ἐν͵ γραμμαῖς εἶδος ἀναγράφεται. Als ob vorher geschrieben wäre: οὐ μόνον οὐ κέχρηται.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 367

oder ob er vielleicht seine beiden Lösungen?) (p. 141 143), wie die des Platon, anderswoher (jedoch wohl nicht aus Eudemos) kannte. Von den übrigen Mathematikern, die er in dieser Sache an- führt, darf es wohl behauptet werden, dass er ihre Schriften noch hatte. So Diokles περὶ πυρίων p. 138 (nochmals eitirt p. 171— 176; cfr. p. 163) und Nikomedes περὶ κογχοειδῶν γραμμῶν p. 146—149 (cfr. Pappos III, 24 p. 58—72; IV, 42 sq. p. 246—250). Weiter kennt er die Lósungen von Sporos p. 141 (über ihn cfr. Pappos IV, 46 p. 252 sq. Schol ad Arat. p. 99, 24; 152, 10 ed. Bekker; es ist kein genügender Grund da, ihn mit Poros Νικαιεύς zu identificiren, dessen κήρια Eutokios p. 216 erwähnt) und von Eratosthenes p. 144—146, dessen Brief an Kónig Ptolemaios über seine Lósung er ganz mittheilt; eben diesen Brief scheint Pappos III, 21 p. 54: év τῷ '€parocOévouc μεςολάβῳ zu meinen; denn wenn auch die von ihm III, 23 p. 56—58 aus diesem Buche mitgetheilte Lösung des Eratosthenes beträchtlich von der des Eutokios abweicht, sind die Abweichungen, die den Gang des Beweises und der Construction nicht berühren, doch der Árt, dass sie sehr wohl von Pappos selbst herrühren können. Wo Apollonios die p. 137—138 aufgeführte Lösung mitgetheilt hatte, wissen wir nicht; aus Pappos III, 21 p. 56: τὴν καταςκευὴν αὐτοῦ (des delischen Problems) μόνον ὀργανικῶς πεποίηνται εουμφώνως ᾿Απολλωνίῳ τῷ Tlepraiw, ὃς καὶ τὴν ἀνά- Aucıv αὐτοῦ πεποίηται διὰ τῶν τοῦ κώνου τομῶν geht hervor, dass er das Problem irgendwo analytisch durch Hülfe der Kegelschnitte behandelt hatte; dazu hatte er wohl die mehr praktische Lösung, die sich bei Eutokios findet, gefügt; aber eine Anspielung auf diese praktische Lösung, die man bei Pappos hat finden wollen, liegt nicht nothwendig in seinen Worten; die bezüglichen Worte: ὃς καὶ τὴν ἀνάλυςιν bedeuten kaum mehr als: der (auch) wirklich u. s. w. Die Lösung des Philon aus Byzanz p. 136—137 befand sich im ersten Buche seiner βελοποιικά, wovon wir Buch IV und V besitzen (Mathematici vett. p. 49— 104); in der Vorrede zu IV p. 61 sq. sagt er: ἔςτι δὲ ---- τὰς λοιπὰς cuvicracdaı διαμέτρους Öp- γανικῶς κατὰ τὸν τοῦ κύβου διπλαςειαςμόν, dc ἐν τῷ πρώτῳ βιβλίῳ δεδηλώκαμεν καὶ νῦν δὲ οὐκ ὀκνήςομεν ὑπογράψαι, und giebt darauf einen gedrängten Auszug seiner von Eutokios be- - schriebenen Methode. Herons Lösung p. 136 fand Eutokios sowohl in seinen μηχανικαὶ elcaywyai (gewöhnlich unxavırd genannt, siehe H. Martin: Recherches sur Höron p. 29—831) als in den βελοποιικά (oder καταπελτικά, s. Martin p. 36—37); wirklich. finden wir in der heronischen Schrift βελοποιικά in den Mathemat. vett. p. 143— 144 die Originalstelle, die Eutokios fast wörtlich, nur mit mehreren erklärenden Erweiterungen des Beweises und mit Vertauschung

*) Jedenfalls sind sie nicht mit den eigenen Worten des Verfassers

angeführt; denn die Namen ὑπερβολή (p. 142, 8; 17) und παραβολή (p. 141 ult.; 142, 19; 42; 48; 148 mehrmals) kannte Menaichmos noch nicht.

J. L. Heibers: ben hat. Pappos dagegen, τος Buchstaben in der Figur Wie schen Beweis in wesent- zweiet ^ c 26 p. 62 ff. P at aus den μηχανικά geschüpft (siehe un gleicher Fassung bri die Uebereinstimmung in Einzelheiten lich 5 . δὲ); de t utokios her. Endlich führt Eutokios noch zwischen i 2 ;e Methode des Pappos an ἐν μηχανικαῖς εἰεαγωγαῖς᾽; p 139—110 αἱ des Psppos findet sich die Lösung zweimal: III, 27 in den cuvayWY [ 26 p. 1070 ff.; die erstere Stelle weicht weit ; und VII die letztere, di bedeutend . Eutokios ab, als die letztere, je nur ganz unbe euten e mehr von ahei darbietet, so dass Eutokios sie sehr wohl als κατὰ Vorschiede 9, 38) abgeschrieben bezeichnen darf; unter dem Namen λέξιν (p. 15: rat ist daher das achte Buch d ανικαὶ εἰταγωγαί ist daher das ac uch der ευναγωγαί, ΜῊΝ θα die Mechanik behandelt, zu verstehen (cfr. Reimer: Cubi dupl. p. 198). Von Pappos besass Eutokios noch ausserdem die beiden Commentare, zu Euklids Elementen p. 90, 6: εἴρηται δὲ xai Πάππῳ εἰς (?) τὸ ὑπόμνημα τῶν «ςτοιχείων, hin und wieder von Proklos benutzt (Comment. zu Eukl. p. 189, 197, 249 ff., 429), und zu der cóvra£ic des Ptolemaios, s. zu Archimed. p. 160 u. p. 208; cfr. Suidas s. v. Πάππος: εἰς τὰ δ΄ βιβλία τῆς Πτολεμαίου μεγάλης εὐυντάξεως ὑπόμνημα. Von Herons Schriften citirt er noch die με- τρικά, Comm. zu Archim. p. 208, und kennt auch die von seinem Lehrer Isidoros commentirten καμαρικά p. 143. Ausser den κωνικά des Apollonios hatte er von ihm noch: ἀναλυόμενος τόπος, woraus er ein Fragment mittheilt zu Apollon. p. 11—12; es ist ohne Zweifel mit den 2 Büchern τόπων ἐπιπέδων identisch, worüber Pappos VII, 21— 26; denn Eutokios führt die Stelle an als Beispiel eines τόπος ἐπίπεδος; auch kann diese Schrift mit keiner 'anderen der von Pappos VII, 3 aufgeführten apollonischen Schriften indentificirt wer- den, und es würde sehr auffallend sein, wenn sie an dieser Stelle, wo Pappos eben vom τόπος ἀναλυόμενος (VII, 1) handelt, von ihm übergangen wäre. Im Comment. zu κύκλου μέτρηςις p. 216 nennt er die bekannte Schrift des Apollonios: ὠκυτόκιον, wo dieser Tt mit grósserer Genauigkeit als Archimedes berechnet hatte; der Name ist schon von anderen wieder hergestellt (s. Hultsch: PapposIlIp. 1212); Torelli hat aus ed. Basil. ἐν τῷ ὠκυτοβόῳ aufgenommen; im Codex Venetus und den von ihm abhängigen Pariser Handschriften AD steht ὠκυτοβίῳ, und dasselbe soll nach Bandini bei Torelli p. 405 auch Codex Florentinus, die einzige selbständige Quelle für den Archimedischen Text, haben; das ist mir aber durchaus unglaublich; Codex Florent. hat ohne Zweifel wie seine Abschriften, Paris. BC, ὠκυτοκίῳ, worauf auch die Lesart der alten Uebersetzung p. 57:

*Mocyntocio" führt.) .

9) Bandini hat ohne Zweifel die in einigen Handschriften sehr ähn- lichen Buchstaben ß ufid x verwechselt, wie dies bei ültern Herausgebern nicht selten ist (s. Bast.: Epist. crit. p. 92). Uebrigens ist die Verbesse- rung schon von Halley in der Vorrede zu Apollonios vorgeschlagen worden.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 369

Unter den übrigen von Eutokios angeführten Schriftstellern sind uns gänzlich unbekannt: Arkadios (zu Archimed. p. 160, über zu- sammengesetzte Proportionen), Magnes (λογιςτικά, ibid. p. 216) und Heronas (ὑπόμνημα εἰς τὴν ἀριθμητικὴν eicaywynv des Nikomachos, ibid. p. 160), den Martin (Rech. s. Heron p. 240 ff.) willkürlich mit Heron aus Konstantinopel, dem Lehrer des Proklos, identificirt. Nicht viel mehr wissen wir von Dionysodorus (p. 163, 169, cfr. Bret. schneider: Geom. vor Eukl. p. 181, Not. 2) und dem Verfasser einer Lebensbeschreibung des Archimedes, Herakleides (zu Archimed. p. 204; zu Appollon. p. 8; cfr. meine Quaest. Archimed. p. 4—5). Nach Comm. zu Archim. p. 160 besass Eutokios noch die für uns verloren gegangene Schrift des Nikomachos Trepi poucikfjc, von Boethius benutzt. Ausser der cóvra£ic des Ptolemaios (zu Archim. p. 216) hatte er dessen Buch περὶ ῥοπῶν (zu Archimed. p. 2), auch von Simplikios zu Aristoteles περὶ oUpávou p. 517 ed. Berol. eitirt; cfr. p. 348. Dass er Theons Commentar zu der cuvratic mehrfach erwähnt (zu Archim. p. 160 = Theon p. 61 ff., zu Archim. p. 208 Theon p. 44 ff), haben wir schon oben gesehen.

Im Comm. zu Archim. érmtm. icopp. I 7: xai ἀφῃρήςθω ἀπὸ τοῦ AB éAaccov τᾶς ὑπεροχᾶς, à μεῖζόν ἐςετι τὸ AB τοῦ Γ [ἢ] ὥςτε ἰεορροπεῖν, ὥςτε τὸ λοιπὸν τὸ A εύὐμμετρον εἶμεν τῷ Γ bemerkt Eutokios p. 7: δεῖ, qnciv, ἀφελεῖν ἀπὸ τοῦ ΑΒ μέγεθός τι τὸ B, ποιεῖ λοιπὸν τὸ A τῷ Γ εὐμμετρον καὶ μεῖζον τὸ A τοῦ Γ κατὰ τὴν icoppomíav. τοῦτο δὲ δυνατὸν ποιεῖν διὰ τῶν ἐν τῇ ἀρχῇ τοῦ δεκάτου τῆς εςτοιχειώςεως Εὐκλείδου (X 1) εἰρημένων καὶ ἐν τῷ τρίτῳ τῶν Θεοδοείου ςφαιρικῶν; dieses bezieht sich auf Theodos. cpaıp. ΠῚ 9 p. 78 Nizze: καὶ τριῶν οὐςῶν περιφερειῶν ὁμογενῶν ἀνίεων .. εἰλήφθω τις περι- φέρεια OP, μείζων μὲν οὖςεα τῆς OTT, ἐλάεεων δὲ τῆς ΘΚ, . cópguerpoc δὲ τῇ HO (ofr. ΠῚ 10 p. 75), aber der Ausdruck des Eutokios ist etwas ungenau; denn Theodosios giebt weiter nicht an, wie sich dieses thun lasse; der von ihm angewandte Satz ist von den Herausgebern hinzugefügt und durch Eukl. X 1 bewiesen worden (Nizze p. 151; Hunt II p. 81). Dass Eutokios den Eudemos be- nutzte (p. 143: ὡς Εὔδημος icropet), haben wir schon oben gesehen; auch zu Archim. p. 204 citirt er dessen γεωμετρικὴ ἱςτορία: βούλε- ται γὰρ δεῖξαι, τίνι χωρίῳ εὐθυγράμμῳ ἴςος ἂν εἴη κύκλος, πρᾶγμα πάλαι πρὸς τῶν πρὸ αὐτοῦ κλεινῶν φιλοςόφων ἐζητη- μένον. δῆλον γάρ, ὅτι τοῦτ᾽ ἂν εἴη τὸ ζητούμενον, ὅπερ Ἵππο- κράτης τε Χῖος καὶ ᾿Αντιφῶν ζητήςαντες ἐπιμελῶς ἐκείνους ἡμῖν τοὺς παραλογιςμοὺς eóprkaciv, οὗς ἀκριβῶς εἰδέναι νομίζω τούς τε τὴν Εὐδήμου γεωμετρικὴν ἱετορίαν ἐπεςκεμμένους καὶ τῶν ᾿Αριςτοτελικῶν μεταςχόντας Κηρίων. Gemeint ist offenbar die von Simplikios aufbewahrte Stelle aus Eudemos (Spengel: Eudem. - p. 120 ff; Bretschneider p. 100 ff); unter die κήρια des Aristoteles sind περὶ copıcr. éAeyx. 11 zu verstehen.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 24

370 J. L. Heiberg:

Auch den andern mathematischen Geschichtsforscher der Griechen, den Geminos, nennt er mehrfach (zu Archim. p. 2; zu Apollon. p. 9). Schliesslich mag noch erwähnt werden, dass er zu Archim. p. 2 Aristoteles (de caelo IV 1, 2 nach Schneider: Eclog. phys. II p. 150) und Platons Timaios (aber wo?) citirt. Was aber unter τὸ Cuxparixóv: τοῦ θεοῦ ευλλαμβάνοντος πάνυ εἰκὸς xoi ἐπὶ τέλους (τέλος 2) Auäc τῆς cmoubfjc ἐλθεῖν zu verstehen ist, ist mir unbekannt (zu Archim. p. 65). --- Schon durch diese Ueber- sicht ist Entokios als der fleissige, vielbelesene M ann bezeichnet, dem die ganze damalige matbematische Litteratur zu Gebote steht. Nicht nur für seine Ausgabe des Apollonios, wie auch bei Archimedes (5. p. 163, 25: ἐν οὐδενὶ δὲ τῶν ἀντιγράφων), sondern auch bei den übrigen von ihm benutzten Schriftstellern ist er bemüht, verschiedene Handschriften zu vergleichen und zu verbessern (so bei der Stelle aus Dionysodorus im Comm. zu Archim. p. 169: Wrönuev δεῖν καὶ αὐτὸν τούτοις ἐπιευνάψαι διορθωςάμενοι κατὰ δύναμιν. Kai γὰρ αὐτὸς ἐκ πολλῆς ἀμελετηςίας τῶν ἀνθρώπων τὰ πολλὰ τῶν ἀποδείξεων τῷ πλήθει τῶν πταιεμάτων ἠφανιςμένα (so eod. Flor.) ἔχων ἐν πᾶςειν, οἷς ἡμεῖς Evrerüxanev!®), ἀντιγράφοις ἐφέρετο), und er scheute keine Mühe, um verlorene Schriften aufzuspüren, wie er zum Beispiel ein vermeintliches Fragment Archimedes’ nach vielem Suchen in einer sehr verdorbenen Abschrift fand (zu Archim. p. 163: Ev τινι μέντοι παλαιῷ βιβλίῳ (οὐδὲ γὰρ τῆς εἰς πολλὰ Ζητήςεως ATTECTNUEV) ἐντετύχαμεν Bewpruacı γεγραμμένοις οὐκ ὀλίγην τὴν ἐκ τῶν πταιςμάτων Éyouciv ἀςάφειαν περί τε τὰς καταγραφὰς πολυτρόπως ἡμαρτημένοις). Nur bei Eudoxos scheint er sich dieser Mühe überhoben zu haben; denn es ist sehr wahrscheinlich, dass die von Eutokios dem Eudoxos vorgeworfenen Fehler nur Verderbniss der von ihm benutzten Handschrift sind (Bretschneider ἃ. O.).

Selbstständiges von Bedeutung ist von Eutokios nicht zu er- warten; auf seine Vervollständigung der Theorie der zusammen- gesetzten Proportionen scheint er selbst grosses Gewicht gelegt zu haben (s. oben) Zu Apollon p. 23— 24 hat er einen neuen Satz über den Diameter der ὑπεναντία, wie es scheint, selbst erfunden. Sonst ist er nur darum bemüht, die Sprünge in der Beweisführung seines Autors möglichst genau auszufüllen; die Sätze und Beweise, welche er in dieser Absicht aufstellt, rühren wohl sämmtlich von ihm selbst her, betreffen aber der Natur der Sache nach nur unter- geordnete Puncte. Sie sind mit den Lemmata, welchen Namen Euto- kios ihnen auch beilegt (s. Quaest. Arch. p. 71), des Pappos zu Apollonios u. a. vergleichbar, mit denen sie auch sachlich hin und wieder übereinstimmen (so z. B. die Note zu Apollon. p. 62, 8, wieder-

|?) Diese Form, die bei ültern Verfassern zweifelhaft ist (Lobeck ad Phryn. p. 395), darf bei einem Spütling wie Eutokios nicht verworfen werden; sie findet sich auch bei Apollonios p. 218, 3; 6.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 371

holt zu Archim. p. 190, 16 ff. = Pappos VII 59 p. 696; vgl. zu Archim. p. 189, 36 ff. mit Pappos VII 58 p. 696; zu Apollon. II p. 124 = Pappos VII 250 p. 936). Die Bemerkungen und Er- gänzungen des Eutokios sind meistens sowohl nützlich als zutreffend; nur selten wird Geringfügiges (wie zu Archim. p. 129) oder gar Un- richtiges (wie zu Archim. p. 80; p. 127; zu Apollon. p. 46) ge- funden. Von ἐπιπεδ. icopp. des Archimedes II 9 giebt er eine ganze Paraphrase (p. 50: τὸ Evvarov θεώρημα πάνυ ὃν ἀςαφὲς ἐκθήςο- μεθα παραφράζοντες capüc κατὰ τὸ δυνατόν). Im Comment. zu Apollonios giebt er besonders genau die verschiedenen Fälle (πτώςεις) der apollonischen Sätze an (s. p. 18: περὶ τῶν διαφόρων xaravpa- φῶν ἤτοι πτώςεων τῶν θεωρημάτων TOCOUTOV icréov, ὅτι TTTWCIC μέν écriv, ὅτε τὰ ἐν τῇ προτάςει δεδομένα τῇ Oécet δοθέντα. à γὰρ διάφορος αὐτῶν μετάληψις, τοῦ αὐτοῦ cuumepácuaroci!) ὄντος, ποιεῖ τὴν πτῶςιν. ὁμοίως δὲ καὶ ἀπὸ τῆς καταςκευῆς με- τατιθεμένης γίνεται πτῶςις. πολλὰς δὲ πτώςεις ἐχόντων τῶν θεωρημάτων, πάςαις αὐτὴ ἀπόδειξις ἁρμόζει καὶ ἐπὶ τῶν αὐτῶν ςτοιχείων 12) πλὴν βραχέων, ὡς ἑξῆς elcóue0a; vgl. p. 19, 47, 72, 18, 75, 76, 78, 79, 80, 82, 86 u. 8. w.); übrigens ist dieser Com- mentar an historischen Notizen im Vergleich mit dem Commentar zu Archimedes arm. Der Umfang der Commentare zu den einzelnen Büchern ist sehr verschieden; besonders kurz sind die Commentare zu Archimedes’ ἐπιπέδ. icopp. I (von dem doch Eutokios selbst p. 36 das Wort ἀκριβῶς braucht) und zu Apollonios II und IV (von diesem bemerkt er es selbst p. 218).

Hieran sollen einige Emendationen und anderweitige Be- merkungen angeknüpft werden. Für den Commentar zu Apollonios entbehren wir jede Grundlage der Kritik; wie Halley seine Hand- schrift benutzt habe, wissen wir gar nicht; man wird aber ängstlich, wenn man p. 241 liest: “hanc propositionem foede depravatam inte- gritati suae restituimus'. Gewiss ist er auch nach der Weise der ülteren, besonders nicht-philologischen Herausgeber, nicht allzu- gewissenhaft mit der Ueberlieferung umgegangen. Wenn einmal die Apollonios-Handschriften genauer untersucht werden, wird sich ohne Zweifel manches anders gestalten und manche nur oberflüchlich ge- heilte Fehler an den Tag kommen. Aber auch so ist hier und da einiges mit genügender Sicherheit zu verbessern.

P. 9, 3 ist παλαιωτέρας τῆς cTorxeiWcewc zu schreiben, und Lin. 33 in xai τότε διὰ τῆς AZ ἐπίπεδον das τε zu streichen als Dittographie von TÓ.

P. 10, 46: biopicuóc ὅτι διπλοῦς écri παντί που δῆλον, Ö μὲν μετὰ τὴν ἔκθεειν ἐφιςτάντων, τί écri τὸ ζητούμενον] man muss

1!) Cfr. zu Apollon. p. 204. !*) Buchstaben auf der Figur, wie zu Apollon. p. 162.

94* .

812 J. L. Heiberg:

epıcrävwv lesen (überlegend, untersuchend'; cfr. p. 20, 13; 162, 36); denn es folgt: δὲ οὐ ευγχωρῶν, λέγων δὲ κτλ. Ueber die zwiefache Bedeutung des διοριςμός vgl. Proklos zu Eukl. p. 202: καὶ τοῦτο μάλιετα Ev τοῖς διοριςμοῖς ἐξετάζουςα τὸ διὰ τοῦτο ζητούμενον δυνατόν, καὶ μέχρι τίνος ἐγχωρεῖ καὶ ποςαχῶς (cfr. Pappos VII 2 p. 686: διοριςμὸς δέ ἐςτιν προδιαςτολὴ τοῦ πότε καὶ πῶς καὶ ποεςαχῶς δυνατὸν ἔςεται καὶ τὸ πρόβλημα) und p. 203: δὲ διοριςμὸς χωρὶς τὸ ζητούμενον, ὅ, τι (Friedlein hat unrichtig ὅτι) ποτέ ἐςτι, διαςαφεῖ (vgl. p. 208: τρόπον τινὰ προςεχείας αἴτιος biopicuóc . προςεχεςτέρους γὰρ ἡἣἡμᾶς ποιεῖ πρὸς τὴν ἀπόδειξιν ἀναφωνῶν τὸ ζητούμενον). Lin. 58 steht für γεωμέτραις falsch γεωμέτροις.

P. 10, 59: οἷον ἐν ἐπιτάξει, τὴς εὐθείας δοθείςης πεπερα- cuévnc εὑρεῖν κτλ. ist zu schreiben: οἷον ἦν (ἐὰν) ἐπιτάξῃ τις, εὐθείας κτλ. Vgl. p. 11, 3—4, wo zu lesen: ἐάν τις ἐπιτάξῃ (für ἐπιτάξε!).

P. 11, 8: ἐὰν γὰρ τὴν doBeicav εὐθεῖαν δίχα τεμὼν καὶ ἀπὸ τῆς διχοτομίας πρὸς ὀρθὰς ἀγάτγῃης, οἷον En’ αὐτῆς λάβης εημεῖον, ποιήςει τὸ ἐπιταχθὲν] das καὶ ist zu streichen oder τέμῃς zu lesen; weiter muss Οἷον ἄν gelesen werden. Ueber die Weglassung des Wortes εὐθείαν vgl p. 46, 34 (wo zu lesen ἀπ᾿ αὐτῶν für ἐπ᾿ αὐτῶν); zu Archim. περὶ cpaip. καὶ κυλ. I 31 p. 109, 36; so auch bei Archimedes selbst rerpay. παραβ. 14 p. 25, 16; 15 p. 27, 9; περὶ cq. καὶ κυλ. I 34 p. 110, 41; 48 p. 126, 28; περὶ κωνοειδ. 4 p. 265, 40 und 43; 9 p. 271, 10; 28 p. 297, 15. Διχοτομία ist wie Lin. 7: Mittelpunkt; cfr. p. 75, 46; 93, 2; 3; zu Archim. p. 15, 41 u. 45; wie auch Archimedes selbst Emm. icopp. I 6 p. 6, 46; 9 p. 8, 29 u. 32; 15 p. 14, 30 u. 32. Ebenso wird cüumTwcıc in der Bedeutung: “Punct des Zusammenfallens’ gebraucht, wie Apollon. II 24 p. 124, wozu Eutokios p. 125: dei ςημειώςαεθαι, ὅτι ευὐμπτύώςεις καλεῖ τὰ cnueia, καθ᾽ ευμβάλλουεςει αἱ AB, TA εὐθείαι τῇ τομῇ: cfr. Eutok. p. 127, 16, wo cnuelou nicht zu τῆς cuuntWcewc zu ziehen, wie die Auslassung des Artikels vor cnuelou zeigt; τῆς ευμπτώεςεεως ist Apposition zu τοῦ = cnpeíou; so auch Archimedes περὶ σφ. καὶ κυλ. I 11 p. 80. Verwandt ist diaipecıc “Theilungs- punct' Archim. περὶ κων. 21 p. 284, 15; τομή '"Schneidungslinie' Archim. κων. 18 p. 281, 34; “Schneidungspunct? ἐπιπ. icopp. I 13 p. 11, 36; 14 p. 25, 13 und das sehr häufige ἁφή “Berührungs- punct’ κων. 18 p. 281 u. s. w.

P. 12, 33 ist zu lesen οἱ δὲ λεγόμενοι. Δέ ist ebenso ausge- gefallen Lin. 42: περὶ δὲ τῶν δύο μέςεων; p. 127, 27: καὶ ἀπὸ τῶν ἐφαπτομένων δὲ δυνατόν: p. 181, 11: ἐπειδὴ δέ.

P. 14, 20: ἀλλ᾽ οὐ τὸ τί ἐςτι διοριςμοῦ παραδέδωκεν) man schreibe: ἀλλ᾽ οὐ τὸν τί ἐςτι diopicuöv rt. Der Sinn: Apoll. be- schreibt nur die Entstehung der Kegelfläche, giebt aber keine directe Definition ihres Wesens.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 373

P. 15, 46 ist für ἀλλὰ δέ zu schreiben: ἀλλὰ δή, wie p. 16, 38 richtig steht (“at rursus"); auch p. 79, 18 ist zu schreiben: ἐὰν δὲ μεταξύ.

P. 17, 34: ἐὰν νομίςωμεν τὰς A, B. γραμμάς] für νομίεωμεν ist voncwuev wieder herzustellen.

P. 19, 4 ist zu schreiben: ἐπὶ τῆς κατὰ κορυφὴν αὐτῇ (für αὐτῆς) ἐπικειμένης.

P. 30, 54 steht οὐχ ὡς ἔχει für οὐχ οὕτως ἔχει.

P. 33, 21 ff: οἵ τε γὰρ παλαιοὶ κέχρηνται ταῖς τοιαύταις ἀποδείξεει, μαθεματικαῖς (d. ἃ. μαθηματικαῖς) μᾶλλον οὔςαις ἀριθμητικαῖς διὰ τὰς ἀναλογίας, καὶ ὅτι τὸ ζητούμενον ἀριθμητι- κόν -écri] das zu οἵ τε παλαιοί entsprechende Glied ist offenbar: καὶ ὅτι; man wird daher lesen müssen: καὶ αὐτὸ τὸ ζητούμενον. Bei οἱ παλαιοί ist wohl namentlich an die arithmetischen Darstellung der Proportionslehre von Euklides zu denken. Auch die Worte διὰ τὰς ἀναλογίας sind mir verdächtig; steckt darin kein Fehler, müssen sie zum Vorhergehenden gezogen werden: die Beweise sind wegen der Proportionen mehr allgemein mathematische als eigentlich arith- metische zu nennen. Auch die Lin. 28 folgenden Worte sind ver- dorben. Um zu begründen, dass τὸ ζητούμενον arithmetisch sei, sagt Eutokios, dass λόγοι und πηλικότητες und πολλαπλαειαςμοί ursprünglich auf Zahlen sich beziehen und nur durch diese auch auf (iróssen im Allgemeinen: κατὰ τὸν εἰπόντα᾽ ταῦτα γὰρ τὰ μαθήματα δοκοῦνται εἶναι ἀδελφά᾽᾽. Ich möchte lesen: τῶν μαθημάτων δοκ. εἶναι δεςμά und den Ausspruch auf Eratosthenes beziehen, der nach Proklos zum Eukl. p. 43, 22 die Proportion als cuvdecuoc der Mathe- matik angab.

P. 44, 36 ist zu schreiben: 6 δὲ ᾿Απολλώνιος ἐν τούτῳ καθολι- κόν τι δείκνυςι δυνάμενον ἐφαρμόςαι ταῖς TE τριςὶ τοῦ κώνου τομαῖς καὶ τῷ κύκλῳ.

P. 45, 28: ei καὶ ὅτι ist sinnlos; vielleicht: εἰ μὴ ὅτι (niei quod).

P. 46, 34 ist, wie ich glaube, cuvexfj vor cnueia zu streichen; es ist aus Lin. 30 u. 32 hineingekommen; dort ist es an seinem Platze, wo von einer Parabel die Rede ist; aber an unserer Stelle, bei einer Geraden, kat es keinen Sinn.

P. 47, 34 muss γράφομεν in γράψομεν und Lin. 36 προς- εμβεβλήεθω in προςεκβεβλήςθω corrigirt werden.

P. 61, 30 ist zu lesen: τῆς τοῦ κύκλου περιφερείας: ebenso ist der Artikel ausgefallen p. 73, 20: καὶ ai παράλληλοι; p. 99 extr.: κέντρον τῆς ὑπερβολῆς: p. 107, 35: καὶ αἱ αὐταί; p. 139, 3: τὸ πρῶτον τοῦ δευτέρου; p. 159, 24: τούτου τοῦ θεωρήματος; p. 168, 12: ἔχοντα τὰς πρὸς τοῖς Θ, B γωνίας.

P. 71, 1 ff: εἰ δὲ... ληφθείη... καὶ .. πέςῃ] es kann zweifel- haft sein, ob man πέςοι corrigiren darf; vgl. p. 127, 22: εἰ μὲν γὰρ ein... εἰ dE.. ἔχῃ. Wegen des Optative vgl p. 46, 36: βουλη-

814 1. L. Heiberg:

θείην; p. 133, 40; 134, 40; 136, 14; 168, 33; p. 80, 43 steht: ἐὰν mintorto. Aber p. 76, 6 und 39 u. 48 scheint doch πίπτει nach ἐὰν in πίπτῃ geändert werden zu müssen. Lin. 25 ist zu lesen: καὶ ἄλλως δὲ ταὐτὰ (für ταύτας) δυνατὸν δείξαι. Lin. 27 bemerke man den Ausdruck: ὄντος λόγου nämlich.

P. 80, 11: Ecrı γὰρ ὅςα ἐν τῷ προλαβόντι θεωρήματι ληφθῇ] man lese: ἐλήφθη; wegen προλαβών (“vorhergehend’) vgl. p. 158; 18; zu Archimedes p. 40, 15; 43, 8; 192, 18; 193, 12.

P. 84, 23: καὶ fj ἀπόδειξις αὐτή. ἁρμόςει χρηείμως δὲ τοῦτο εἰς τὰ ἐξῆς] die Interpunction ist verkehrt; man schreibe: καὶ ἀπόδ. αὐτὴ ἁρμόςει. Χρήειμον δὲ κτλ.

P. 93, 4: Ectw vuv (nicht νῦν) τέως κατωτέριυ] τέως, dem kein entsprechendes ἔπειτα o. dgl. folgt, scheint fast: 'zum Beispiel’ zu bedeuten (eigentlich wohl: ‘vorläufig’). P. 99, 30 ff.: εἴρηται μὲν ἐν τοῖς μετὰ τὸ ι΄ cxoMoic «κόπος τῶν ιγ΄ πρώτων θεωρημάτων καὶ ἐν τοῖς εἰς τὸ ἑκκαιδέκατον τῶν é£fjc τριῶν] die erst citirte Stelle ist p. 30; aber zu prop. 16 p. 42 wird nur von propp. 15 u. 16 gesprochen; tiber das Ziel des 14. Satzes s. p. 39. Lin. 34 ist entweder (für fj) παράλληλος... ἄγεται (wie p. 12, 38 οἵ, nicht Οἱ zu schreiben) oder besser, wie sonst gewöhnlich: fj παραλλ. ... ἀγομένη zu lesen. Lin. 40 ist statt καθ᾽ Ev τι τομῇ ευμπιπτούεης zu schreiben: καθ᾽ ἕν τῇ τομῇ cuum.

P. 107, 81: ὅτι τοςαῦτα μόνα εἰς αὐτὸ γράφω, ὡς ἂν ἦν δυνατὸν διὰ τῶν ἐν τῷ πρώτῳ βιβλίῳ νοηθῆναι] diese Worte geben, wenn tiberhaupt einen, den verkehrten Sinn, dass Eutokios nur das- jenige zum II. Buche schreiben werde, was schon aus dem Commen- tar zum T. Buche klar ist; ich schlage vor: τοςᾶυτα μόνα... γράφω, óca un ἦν δυνατὸν κτλ. Lin. 35 steht falsch dcuuntwroi eicıv ἐν τῇ τομῇ; ἐν ist zu streichen mit Apollon. II 2 p. 108, 23; p. 115, 43 u. 8. w.

P. 114, 33 ist τῶν γὰρ ἕξ εὐθειῶν AxdeıcWv verdorben; es ist nur von vier Linien die Rede (die Asymptoten können nicht mit- gerechnet werden); ob ἕξ aus dem vorhergehenden (πτώςεις ἕξ) ent- standen ist, oder ob etwas anderes darin zu suchen, wage ich nicht zu entscheiden.

P. 127, 13 muss ei δὲ (für γὰρ) μή, οὐ gelesen werden.

P. 158, 38 ist jedenfalls für καὶ ἐκβαλλομέναις zu lesen: f| ἐκβ., dem folgenden ἐπὶ τὰ ἕτερα μέρη entsprechend, wodurch wir erst die zwei πτώςεις bei der Ellipse erhalten; aber auch καθ᾽ τὸ scheint verdorben; vielleicht καθ᾽ τὸ H.

P. 160, 31 steht Emckfiyaı statt Emicxewacdaı, cfr. p. 127.

P. 161, 28: ἀλλ᾽ ἐφ᾽ ἑκατέρας αὐτῶν μίας (sic) ευμπιπτούςας ἀλλήλαις} man schreibe μίαν im Gegensatz zu Lin. 27: τὰς δύο ἐφαπτομένας ἐπὶ τῆς μιᾶς.

P. 175 war nach θεωρήματος Lin. 32 ein Punct zu setzen, und

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 375

die folgenden Worte mit grösserer Schrift zu drucken; denn mit ἐάν beginnt der neue Satz.

P. 205, 8: οὕτως γὰρ δὴ γενήςεται, ὅτι] ich schlage vor: οὕτως γὰρ δειχθήςεται, ὅτι.

P. 218, 30: καὶ οὐδὲ cxoAiw δεῖται “τὸ γὰρ ἐνδέον αἱ παραγρα- qai rrAnpoücı] für cXoAiw muss ςχολίων gelesen werden. Wegen οὐδέ (gar) nicht’ vgl. p. 44, 39: οὐδὲ γὰρ. Aber was sind παραγρα- qai? Ich vermuthe, dass καταγραφαί zu schreiben ist (*Figuren’, wie p. 14; zu Archim. p. 93 u. s. w.).

Für den Commentar zu Archimedes, wie für den Text des Archi- medes selbst, ist, wie ich in meinen Quaestiones Archimedeae cap. VI zu erweisen versucht, auf den Codex Florentinus (F) als einzige oder doch einzig zuverlässige Quelle zurückzugehen. Von ihm besitzen wir nur die gewiss ungenaue Collation von Bandini in der Ausgabe Torellis.

P. 2, 33 ist statt ἐπεςκεμμένοις aus F ἐπιςκεπτομένοις aufzu- nehmen. Lin. 40 muss ἐπεζεύχθωςαν gelesen werden (cfr. Quaest. Archim. p. 144). P. 3, 7 ist mit F προοιμίοις zu lesen st. προειρη- μένοις; “in prooemiis' hat die alte Uebersetzung des J. Cremonensis (Cr.). P. 7, 31—32 hat F richtig τὸ ἔλαττον μέγεθος τοῦ μείζονος. Gewiss fehlt auch ὥςτε Lin. 33, wie in allen übrigen Handschriften (cfr. Archim. p. 7, 19). P. 18, 5 αὐτὰ τὰ τρίγωνα hat F richtig. Lin. 19 muss für ἐκείνῳ gelesen werden: ἐκεῖνο. P. 16, 7 hat F richtig βάρους für die dorische Form fópeoc, die im Eutokios un- gehórig ist.

P. 37, 8: διὰ τοῦ τετάρτου θεωρήματος τοῦ πρώτου τούτων τῶν βιβλίων! der vierte (oder bei Torelli sechste) Satz kommt in dem Beweis des Archimedes nicht zur Anwendung; für τετάρτου (δ΄) ist wohl δεκάτου zu schreiben; I, 10 wird p. 36, 10 ange- wandt. Hieraus würde dann folgen, dass Torelli die Satzeintheilung der ed. Basil. und der Handschriften mit Recht geändert hat. Lin. 43 hat Torelli mit ed. Basil. ἐπὶ τὴν AB; jedenfalls ist zu schreiben: ἐπὶ τὴν ΑΓ, und vielleicht ist dies eben die Lesart des F; wenigstens hat Cr. richtig ‘ac’. Dass ebendaselbst mit F zu lesen οὐ γὰρ πάντως, habe ich Quaest. Archim. p. 138 schon gezeigt (‘denn nicht in allen Fällen’).

P. 39, 11 ist mit F zu schreiben: εἰς τοὺς ἀπὸ μονάδος ἑξῆς κειμένους ἀριθμούς; τέμνονται ist von Torelli richtig zugefügt.

P. 40, 12 hat F richtig πρὸς ταῖς κορυφαῖς.

P. 44, 31 muss &ctw, εἰ τύχοι gelesen werden.

P. 45, 31 ist zu schreiben: εἶναι (so alle Quellen) ταῖς τοῦ.

P. 51, 19: τὸν αὐτὸν λόγον und p. 52, 51: μεγέθεειν ἡγούμενον f| εὐγκειμένη mit F. Ebenso p. 58, 41: πρῶτον μέν und Lin. 43: kai δεύτερον: p. 59, 6: ὕψος δέ: Lin. 7: οὕτως fi

376 J. L. Heiberg:

cuykeiınevn. P. 59, 20 ist zu schreiben fj ZH πρὸς ΖΚ. Lin. 51 hat F ἕξει statt ἔχει.

P. 60, 5: καὶ &crı τὸ P κέντρον] ὅπερ τὸ P κέντρον F; man lese: ὥςτε τὸ P xevrp. Ueber die Vertauschung von ὅπερ und ὥςτε 8. Quaest. Archim. p. 149.

P. 65, 36: ὡς ἴὮετε] man beachte den Plural in der Anrede eines Einzelnen; efr. ὑμέτερος p. 66, 7. Ebendaselbst haben ed. Basil. und die 'Hdsehr. εὐεπιβόλου, was Torelli ohne Noth in εὐεπηβόλου geändert hat. Lin. 38 ist das sinnlose πραχθείς nur durch Unkenntniss der alterthümlichen Druckweise der ed. Basil hineingekommen; sie hat, wie ohne Zweifel auch die Hdschr. richtig προαχθείς. Lin. 41 ist Ex8ecıv wieder eine unglückliche Conjectur Torelli's; weder kann Exdecıc ganz allgemein 'Auseinandersetzung' bedeuten noch dürfte der Artikel fehlen, Ed. Basil und die Hds. haben ἐκ τριῶν; ich vermuthe, dass zu lesen ist: ἐκ τρίτων (d. h. "drittens", s. Jacobs zu Aelian II p. 337); Eutokios giebt drei Gründe an, Aus welchen er den Archimedes zu commentiren trotz seiner Jugend gewagt hat, erstens weil es Niemand vor ihm gethan, zweitens weil er das sokratische Wort: θεοῦ εςευλλαμβάνοντος κτλ. bedenkt, drittens weil er seine Arbeit dem Ammonios zu Berichtigung und Beurtheilung vorlegt.

P. 66, 4 ist cuväpacdaı ("helfen") mit ed. Basil. und den Hdss. beizubehalten. Ebenso Lin. 5 μηδέ (“gar nicht”) statt μή. Auf die von Torelli nicht bezeichnete Lücke p. 66, 23 habe ich Quaest. Arch. p. 123 aufmerksam gemacht; cfr. Lin. 25: ὡς καὶ ἀνωτέρω εἴρηται. Lin. 39 ist für τάδε αὐτά zu schreiben: τὰ δὲ αὐτά. Lin. 47 hat F richtig τῶν aitnuáruv. Lin. 55: ἐπὶ ταῖς AF B τραμ- uaic| ἐπὶ τὰς AT B γραμμῆς F; man lese: ἐπὶ τῆς ΑΓΒ γραμμῆς. P. 67, 9 ist zu schreiben: ἐπιζεύξωμεν und Lin. 11 εὑρήςομεν, wie p. 66, 18 yvwcöneda (mit ed. Basil. und den Hdss.). Lin. 21 ist προλαμβάνειν und Lin. 28 κατάδηλον aus F aufzunehmen.

P. 68, 22 war ὅτι (statt ἔτι) beizubehalten mit ed. Basil. und den Hdss. Lin. 25 mpocéOnxe die Hds. richtig. Lin. 35 ἑκατέραν statt ἑτέραν F richtig; ebenso Lin. 40 τὸ δεῖν statt ταυτὸ δεῖν; Lin. 50 cagéc statt caquc.

P. 68, 48: οὐδ᾽ ἂν περιλαμβάνοιντο ὑπὸ ἀλλήλων οὐδὲ οὕτως &vicoi εἰςει᾽ ἀλλ᾽ ἐνίοτε ἴςαι κτλ.] für οὐδὲ οὕτως soll F πως haben,

d. h. πὶ (s. p. (III) bei Torelli); man wird lesen müssen: οὐδ᾽ ἂν

περιλαμβάνοιντο ὑπὸ ἀλλήλων, πάντως ἄνιςοι κτλ. Auch Cr. las πῶς; er übersetzt: “quomodo igitur inaquales erunt? und fügt will. kürlich hinzu: “nisi casu.

P. 71, 28 ist τοῦ ἀναςτρέψαντι λόγος, was die Hdss. haben, das allein richtige. Ebenso p. 72, 27: προςεκβληθείςης (über die Verwechslung von πρός und καί s. Quaest. Arch. p. 136).

P. 73, 33: τῆς πρὸς τὸ K γωνίας] F hat gewiss nicht, wie ge-

ἃ",

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 377

sagt wird, τῆς πρὸς τῷ ΚΓ γωνίας, aber nur τῆς πρὸς τῷ KT”, ein Compendium des Wortes γωνίας; denn in VAD steht: x'( ....; der Schreiber von V verstand also das Compendium nicht (AD sind nur Abschriften von V, 8. Quaest. Arch. p. 136); auch Lin. 11 fehlt das Wort γωνίας in VAD. Lin. 36: ὅμοιόν éctiv. ὥςτε f|] ὥςτε ist Conjectur von Torelli für das ὡς der ed. Basil; man muss mit F: ὅμοιόν écriv καί éctiv ὡς f| lesen; wegen des wiederholten ἐςτιν sind die zwei Worte in ed. Basil. ausgefallen.

P. 78, 48 hat F richtig: καὶ αἱ ἐπί. P. 79, 1 haben ed. Basil. und Hds. ἠδύναντο. Ebend. Lin. 2 ist προςέθηκεν zu schreiben. P. 90, 5 ist nach F τῷ ἐν ἑτέρῳ zu schreiben. Lin. 28 ist die Lücke der ed. Basil. nicht ἔχουςι, sondern eicı mit F zu suppliren, wie Lin. 25 und 30, wo ed. Basil. ebenfalls das Compendium dieses Wortes weggelassen hat. P. 93, 2 vevorcOou und Lin. 9 ἥτις γί- νεται F, welche Lesarten aufzunehmen sind; tiber ἥτις vgl. zu Apollon. p. 20, 37. Lin. 25 haben ed. Basil. und F ὕψος, wofür ὕψους, nicht ὕψεος gelesen werden muss. P. 94, 35 hat F richtig ὑπὸ τῶν ΒΔ, AZ; Lin. 39 ist tpockeícOu zu schreiben. P.109, 27 ff. steht in ed. Basil. und Cr. im Text durchweg u für c (die Figur hat c). Vielleicht ist wegen des folgenden τὴν ΧΙ zu lesen: νοού- μενον τὸ M τὴν XM. Lin. 29 icn ἄρα] icn γάρ ed. Basil. und die Hds.; man lese icn γίνεται (Quaest. Arch. p. 136); Cr. hat “nam- que’. Ebendaselbst war ἀλλὰ μήν mit ed. Basil. und den Hds. bei- zubehalten. P. 112, 15: ὀρθῶν γωνιῶν τῶν πρὸς τοῖς K, A] ópou γινόμενον τῶν T. T. KA F; man lese: ὀρθῶν γινομένων τῶν πρὸς τοῖς K, A; über das Compendium für γωνία s. zu p. 73, 33. Lin. 16 steht in F richtig (X >: γίνεται für dpa, wie oben; “enim’ Cr. Lin. 41 ἐκ τοῦ κέντρου F.

P. 115, 47: ποιεῖτε δὲ τοῦτο οὕτως] F hat ποιη., was mit cod. Paris. C ποιητέον zu lesen, oder vielleicht ποίει. P. 126, 6 ist die Lücke der ed. Basil. mit F so zu ergänzen: rovrécriv fj ΕΚ πρὸς AA, ἀπὸ τοῦ κέντρου ἐπὶ τὴν ἁφὴν ἐπιζευχθεῖςεα (-cav F) τουτέςτιν fj ἐκ τοῦ κέντρου τῆς éAáccovoc κτλ. Iu ed. Basil. ist vom ersten κέντρου zum zweiten gesprungen worden. Cr. hat ricbtig: “sic quae ex centro ad contactum ducta, hoc est quae ex centro minoris sphaerae'.

Dass p. 130, 3 die von F weggelassenen Worte: éAáccova λόγον ἔχει entbehrlich sind, habe ich Quaest. Arch. p. 159 nachgewiesen; *minorem habet! Cr. |

P. 133, 24 ist τοῖς τοῦ δευτέρου zu lesen. Lin. 25 qnc δή mit F. Ebend. haben alle Quellen ἐν τῷ α΄ θεωρήματι, was bei- zubehalten war (Quaest. Arch. p. 156). Lin. 27 steht in F richtig ποιεῖν für εἰπεῖν; 'fieri' Cr. Lin. 31 sind die Worte κώνου xv- Aivöpov, die von Torelli herrühren, auszuwerfen; dagegen Lin. 43 τοῦ ΑΓ κώνου mit F aufzunehmen. P. 134, 16 ist feypáqOu für περιγεγράφθω aus F wiederherzustellen; Lin. 21 ist nach τά bei

378 J. L. Heiberg:

Torelli αὐτά und Lin. 23 nach αὐτοῦ der Artikel τήν ausgefallen. Lin. 23 fehlt ἐάν in ed. Basil und den Hds.; es ist auch unnóthig.

P. 135, 5 dürfte satt αὐτοῦ zu lesen sein: αὐτῷ. Lin. 30 hat ed. Basil: cwAnvı cOeicüv; ebenso die Hds.; man darf keines- wegs mit Torelli: cwAnvı cxıcdeıcWv corrigiren, sondern einfach: cwAnvıcdeıcwv lesen, von einem auch bei Heron (Mathemat. vett. p. 115, 11) und Oribasios vorkommenden cwAnviZeıv, 'aushóhlen' oder ‘mit einer Furche (ςώλην) versehen’. Cr. hat hier eine Lticke, wie überall, wo das von ihm nicht gekannte Wort ςώλην vor- kommt. In derselben Linie zeigt ἄνωθεν (Cr. 'superioribus'), dass die Figur in ed. Basil und bei Torelli unrichtig ist. Lin. 40 ist ἄχρις ἂν τὸ (ohne ob) mit F zu lesen, wie p. 136, ult.; 137, 32; 35. P. 137, 9 ist nicht πρὸς τὸ O, sondern πρὸς τῷ O sprachgemäss. Lin. 28 hat Torelli wiederum eine offenbare Lücke der ed. Basil. willkürlich ergänzt, trotzdem dass schon der von ihm benutzte Codex Venetus das richtige bot. Es ist nämlich mit den Hdss. und Cr. so zu schreiben: τῇ ὑπὸ "Hpwvoc. Τὸ γὰρ BO παρ- αλληλόγραμμον τὸ αὐτό écTi. τῷ ληφθέντι ἐπὶ τῆς "Hpuvoc xara- ς«κευῆς καὶ αἱ προςεκβαλλόμεναι; in ed. Basil. sind die Worte τὸ γὰρ... "Hpuvoc wegen der Wiederholung dieses Namens aus- gefallen. Lin. 34 lese ich προςπίπτουςαι (εὐθείαι wird, wie nicht selten geschieht, zugedacht). Lin. 39 kann die Lesart des F: πολύ γε εὐκολώτερον (“autem’ Cr.) beibehalten werden, wenn man die Interpunction ändert. Lin. 45 ist καί vor περιφέρεια wohl nur durch Versehen (cfr. Lin. 44 u) in den Text gekommen; es fehlt in ed. Basil und den Hdss.; ebenfalls ist μέχρι τοςοῦτον Lin. 32 wohl nur Druckfehler, statt u. TocoüTou (so ed. Basil. und die Hds.). P. 138, 15 steht Φίλονος st. Φίλωνος und Lin. 16 ἁρμώςει st. óápuócet, wie p. 140, 2 ποιήςωμεν st. ποιήςομεν und p. 143, 29 περιαγογῇ st. περιαγωγῇ u. s. w. Auf p. 138 sind folgende Les- arten aus F wiederherzustellen: Lin. 28: διὰ τὸ τῆς; Lin. 41: lcai ai MB; Lin. 47: ἐπὶ τὰ γενάμενα (γενόμενα) cnueia (“ad puncta facta" Cr.); Lin. 48: ὁμοίων; Lin. 50: ὡς zu streichen; Lin. 53: ἔεται fj (kal fj ed. Basil.; cfr. Quaest. Arch. p. 135). Ferner muss Lin. 40 für παρὰ ἑκατέρα (παρ᾽ ἑκατέρα ed. Basil.) ἐφ᾽ ἑκατέρα geschrieben werden (cfr. Lin. 19); Lin. 51 hat F παραθέεεις, Torelli mit ed. Basil. παραθέςει, was mir nicht ganz passend scheint; ich kann aber eine zutreffende Emendation nicht finden ('regula appli- cata! Cr.).

P. 139, 6 sollte προκατεεςκευαςμένιυν stehen. Lin. 32 hat F richtig πρόθεειν (cfr. Lin. 31: προέθετο) und Lin. 33 lässt derselbe ebenso richtig ἀπό weg. Lin. 35 muss mit F ἐὰν τῶν ὀφειλουςῶν δευτέρα gelesen werden, wie p. 140, 27. Lin. 45: ςημεῖον᾽ τὸ δὲ λοιπόν] cnueiov ἔετω᾽ τὸ δὲ A. F; aus Pappos vol. I p. 66, 4 geht hervor, dass zu lesen ist ςημεῖον ἑςτῶτι᾽ τὸ δὲ A. Aus dem- selben ebend. Lin. 5 ersehen wir, dass im Eutokios Lin. 46 ὡς περὶ

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 379

κέντρον τὸ τυλάριον mit ed. Basil. und den Hdss. zu schreiben und die Conjectur Torelli’s ὡς περὶ x. περὶ τὸ τυλ. zu verwerfen ist. Lin. 48 ist ebenfalls mit Pappos a. O. Lin. 6: τούτων δὴ κατε- ckeuacuévuv zu schreiben. P. 140, 8 fehlen die Worte τῇ AH in F wie bei Pappos selbst ἃ. Ὁ, Lin. 20; man muss dann mit Pappos τῇ BA lesen; auch Cr. hat unrichtig: “cui est aequedistans ipsa bad’. Lin. 38 ist nach constantem Sprachgebrauch: ἐκβληθείςης τῆς MH ἐπὶ (für κατὰ) τὸ N zu lesen; cfr. z. B. p. 139, 53; 140, 7. Lin. 45 sollte fj αὐτή stehen. P. 141, 41 war γεγραμμένῃ aus F aufzunehmen (cfr. p. 138, 15); ed. Basil. hat γραμμῇ, wofür Torelli nach Conjectur εἰρημένῃ geschrieben hat, ungeachtet dass auch Codex Venetus das Richtige hat. Auch Cr. hat: ‘illi, que dicta fuit".

Im ersten Beweise des Menaichmos hat F auf der zugehörenden Figur (abgedruckt bei Torelli p. 394) die Buchstaben A und A um- getauscht, woraus dieselbe Abweichung durch den ganzen Beweis folgt (p. 141, 43; 44; 45 [AE statt AH]; 46; 47 zweimal; gewiss auch Lin. 48 und p. 142, wenn gleich hier nichts darüber gesagt wird). Auch Cr. hat durchgängig a für d und umgekehrt in dem Text; die Figur ist aber dieselbe, die der griechische Text der Baseler- ausgabe hat. Es ist nichts dagegen auch hier dem F zu folgen. P. 142, 20 steht in F richtig: Tcov écrl τῷ ὑπὸ AAZ, d.h. A, AZ, nicht, wie sonst AA, AZ; so hat Cr. es irrig gedeutet ('con- tento sub da, af’). Lin. 30 εὐθεῖαι ai πρός F. Lin. 35 hat Torelli sachlich richtig die Lücke der ed. Basil. so ergänzt: ὡς ΓΒ πρὸς BA, οὕτως fj AB (so auch Cr.); aber οὕτως fehlt in den Hdss. und wird öfters so weggelassen (wie 2. B. p. 149, 16; 27); hieraus wird die Entstehung der Lücke erklärbar.!?) Lin. 50, wo Torelli aus Cod. Venet. richtig ἄρα aufgenommen (so auch F), wäre καί vor δοθέντα mit den Hdss. zu streichen gewesen (‘puncta igitur' Cr). Lin. 53 ist BA, AE ebenfalls als erklärende Interpolation der ed. Basil zu entfernen mit F (und Cr.); man setze vor καὶ ἐκβεβλήςθω- cav ein Komma. P. 143, 4 ἀλλήλας F, Lin. 27 τεμεῖ F, Lin. 42 τὸ μὲν κινούμενον F, was alles aufzunehmen ist. Lin. 45 muss ἀντιπεριαγόμενον in einem Wort gelesen werden (“in entgegen. gesetzter Richtung gedreht). P. 144, 6 hat F die richtige Wort- stellung: ὅμοιον dpa éctí, wie öfters, bewahrt.

Der Brief des Eratosthenes ist neuestens von Bernhardy: Era- tosthenica p. 175 185 behandelt worden, wo einige der gröbsten Fehler berichtigt sind; jedoch ist, meistens aus F, nicht weniges nachzutragen. Erstens mag es angemerkt sein, dass das im Anfang citirte Fragment eines unbekannten Tragikers von Nauck: Euripidis Fragm. p. I richtig mit einem Verse vermehrt worden durch eine leichte Emendation, die auch mir von ihm unabhüngig eingefallen

13) Ebenso ist οὕτως p. 179, 28 mit F wegzulassen, wie such p. 183, 6 und p. 189, 44.

880 J. L. Heiberg:

war. Aus F sind ferner folgende Lesarten aufzunehmen: P. 144, 27: πρῶτος; Lin. 36: δύο τῶν δοθειςῶν; Lin. 42: ὀργανικὴ λῆψις pabia; Lin. 46: μεταςχηματίζειν; p. 145, 49: ἔχῃς. P. 144, 82 ff.: μετὰ χρόνον δὲ τινά @acıv Δηλίους ἐπιβαλομένης vócou κατά χρηςμὸν διπλαειᾶςαί τινα τῶν βωμῶν ἐπιταχθέντας épmeceiv εἰς τὸ αὐτὸ ἀπόρημα] vócou und ἐπιταχθέντας fehlen in den Hds., für τινά hat F τινάς; für ἐπιβαλομένης hat Cod. Paris. C: ἐπιβαλλο- μένους, und es ist wahrscheinlich, dass auch F dasselbe bietet; denn auch Cr, hatte offenbar dieselbe Lesart, wenn er auch falsch über- setzt: "tempore autem quodam post ferunt Delios iussos per ora- culum duplare' u. s. w. Man wird schreiben müssen: μετὰ χρόνον δὲ τινάς pac Δηλίους ἐπιβαλλομένου ς (sich daran machend) κατὰ χρηςμὸν διπλαειᾶςαί τινα τῶν βωμῶν ἐμπεςεῖν κτλ. Lin. 48 muss δὲ nach δυνηςόμεθα gestrichen werden. Lin 49 ist st. μετρητὴν μεδίμνων (ed. Basil. und die Hds.) nicht μετρητὴν μέδιμνον (Torelli), sondern μετρητὴν μέδιμνον zu lesen. P. 145, 43 ist ἄςχιετα zu schreiben st. ἄςχαςτα (ed. Basil, die Hds.) oder äcxecta (Torelli). Lin. 45 ist προςμεμολυβδοχοημένον in einem Wort zu schreiben; *adnexum plumbo’ Cr.

P. 146, 41 ff. in dem Auszuge aus Nikomedes liest man: xai γεωμετρικῆς ἕξεως 1^) Ecrepnuevoic, τοῦτε ἀνελλειποῦς. Τῶν Toi- vuv περὶ τὸ πρόβλημα πεπονηκότων τῆς τε πρὸς Ἐρατοεθένη ουγκρίςεως ἕνεκα κτλ. Die Stelle ist, wie sie dasteht, völlig sinn- los. F hat τοίνυν τῶν st. τῶν τοίνυν; man darf daher nur die Buchstaben richtig abtheilen und die Interpunction ändern: .. ἐςτε- pnuevorc. Τοῦ τε ἀνελλειποῦς τοίνυν TWV... τῆς TE. . ἕνεκα κτλ. Denn τοῦ τε entspricht τῆς τε, beides von ἕνεκα abhängig. Etwas ähnliches mag auch Cr. gewollt haben: 'privata sint. Hanc vero partim quod explete quae circa hoc problema elaborata sunt, tradi- dit (!), partim ut eius ad E. comparatio haberi possit etc". Lin. 44 scheint δυνάμει zu bedeuten: “dem Sinne oder dem Inhalt nach’, im Gegensatz zu κατὰ λέξιν; es bezieht sich nur auf den ersten Theil bis zu p. 149; denn die eigentliche Lósung des delischen Problems ist wörtlich aufgeführt, wie wir aus Pappos III 24 und IV 42 wissen.

P. 147, 3 ist χελώνιον zu schreiben; cfr. Lin. 13: χελωναρίῳ. Lin. 5 möchte ich st. καὶ pgécnv τὴν διαιροῦςαν lesen: καὶ τὴν μέςεον διαιροῦςαν oder wenigstens uécov. Lin. 12 ist τι ἀξόνιον aus F aufzunehmen; ebenso Liu. 41 τῆς AB (sc.: εὐθείας) und p. 148, 1: λειποῦςα, wie Lin. 26: διαγαγεῖν und p. 149, 1: ευμβάλλει. P. 149, 18 möchte ich nach ἐπεί ein γάρ einschalten mit Pappos vol. I p. 60, 20, wenn auch Pappos p. 248, 15 es weg-

14) So wohl richtig Torelli aus Venetus; aber ed. Basil. hat nicht δέξεως, wie er angiebt, sondern é£éceuc. Sollte ἕξεως nicht auch in den übrigen Hds. stehen, oder ist etwas anderes in étéceuc zu suchen? *doctrina? Cr.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 381

lässt. Lin. 36 hat Torelli lächerlich genug cxuBevrı mit ed. Basil. beibehalten für cuvdevrı (F). Lin. 42—43 fehlen die Worte: Tcov ἄρα τὸ ὑπὸ BMA μετὰ τοῦ ἀπὸ AA τῷ ὑπὸ BKT μετὰ τοῦ ἀπὸ [Z in F; sie sind überflüssig und also zu streichen; sie fehlen auch bei Cr. und Pappos I p. 62, 7; 250, 18. Ebenfalls ist Lin. 47 οὕτως mit F und Pappos I p. 62, 11 wegzulassen; cfr. Lin. 48 u. 49.

P. 154 ist mit F zu schreiben: Lin. 6: ὅτι δὲ καὶ 16; Lin. 13: γοείεθω (ὁ ist zu streichen); Lin. 16: dpa κῶνος; Lin. 18: οὗπερ καὶ 5; Lin. 23: 6 dpa Z κῶνος; Lin. 36: ἀλλήλους. P. 155, 19 hat F: οὕτως τὸ ἀπὸ AT; ich möchte daher schreiben: (cre καὶ ὧς τὸ ἀπὸ KA... οὕτως τὸ ἀπὸ AT. Im folgenden sind noch diese Berichtigungen aus F aufzunehmen: p. 160, 5: ἅπαντα τά; Lin. 20: γάρ ἐςτιν (c; Lin. 31: ἔεται δοθείς; Lin. 41: ἀδιαρθρώτως Tuc ('indearticulate quodammodo' Cr.); Lin. 42: ἀποπληρῶςαι; Lin. 44: ἀποδεικτικῶς; Lin. 45: ἐνδια- Tpiyavrac; Lin. 55: πρώτῳ περί (ohne τῷ); p. 161, 13: oöca f$ μονάς; Lin. 21 ist statt: dpa E τὸν Δ πολλαπλαειάςας (πολλα- mAaciac ist wohl nur Druckfehler bei Torelli; ed. Basil. hat πολλα- mAocıdcac) τὸν Z ποιείτω mit F (und Cr.) so zu schreiben: 6 ἄρα Γ τὸν A πολλαπλαειάςας τὸν A ποιεῖ, δὲ B róv πολλα- πλαςιάςας τὸν Γ᾽ δὴ Δ τὸν πολλαπλαειάεςας τὸν Ζ ποιείτω. P. 162, 5 hat ed. Basil. und ohne Zweifel auch die Hds. μονὰς A 3: μονὰς μία, wie Meibom las; derselbe hat auch Lin. 17 richtig κείμενοι ὅροι, wie jetzt F. Lin. 13 ist mit F πάντων δέ zu lesen; ebenso Lin. 18: δύο γὰρ ὄντων ὅρων; Lin. 27: ὃν ἔχει A; Lin. 40: οὕτως ἔεται δῆλον (st. οὕτω διάδηλον); auch p. 163, 4 ff. ist st. αὐτὸς δὲ τῷ τῆς ΒΖ πρὸς ZO Ecrı καὶ ευγκείμενος ἐκ τοῦ τῆς ΒΖ πρὸς ΖΚ xal τοῦ τῆς ΖΧ πρὸς ΖΘ λόγου nach F aufzunehmen: τῷ δὲ αὐτῷ, τῷ τῆς ΒΖ πρὸς ΖΘ, αὐτός Ecrı καὶ cuykeiuevoc ἐκ τοῦ τῆς ΒΖ πρὸς ΖΚ καὶ τῆς ΧΖ πρὸς ZO. P. 163, 26: τόδε ἐπάγγελμα] δὲ τὸ ἐπαγγ. ed. Basil; man wird wohl mit cod. Paris. B δὲ »streichen mtlssen. Lin. 28: ἐπιβαλεῖν F. Lin. 34: προβλελημμένα (sic!)] προλελημ- μένα ed. Basil, ἄρα λελημμένα F; ich möchte παραλελειμμένα lesen. Lin. 35 sollte xkarackeuáZ o v stehen, und Lin. 38 mit F ὀλίγην μέν. Lin. 48 ist zu lesen: drtocuA rjcavrec (mit ed. Basil. und den Hds.) κοινοτέρᾳ καὶ ςαφεςτέρᾳ κατὰ τὸ δυνατὸν λέξει. P. 165, 45 ist οὕτως vor ΓΖ mit F zu streichen; cfr. zu p. 142, 35. Ferner ist aus F aufzunehmen: p. 166, 2: &ctw ὡς fj; Lin. 25: ὅτι δὲ διπλ. Lin. 27: ἐπὶ τῆς BA; Lin. 20: ΓΖΝ (cov 16; Lin. 37: πάντων τῶν; p. 167, 29: tcov γίνεται (für dpa; “δι᾽ Cr.); Lin. 49: ευμβαλλέτω. P. 168, 15 hat ed. Basil. nach einer Lücke c ἐπιςτῆ- cai; was sich in C verbirgt, ist noch nicht zu ermitteln, weil wir nicht wissen, was in F steht. Lin. 44 ist vielleicht st. δὲ ἐκ τοῦ κέντρου fj ΒΖ zu lesen: τῇ δὲ ἐκ τοῦ κέντρου lcn BZ. Auf p. 169 ist aus F Folgendes wieder herzustellen: Lin. 6: εἶχεν;

382 J. L. Heiberg:

Lin. 18: ὑφ᾽ ἡμῶν; Lin. 38: οὐδαμοῦ: Lin. 41: ευνεγράψατο τρόπον. Lin. 14 hat F: προβαίνει st. πρόκειται; ich vermuthe, dass zu lesen sei: OUTEP ὑπάρχοντος, ὡς ἐδείξαμεν, δυνατὸν Ectaı (für καί; cfr. Quaest. Arch. p. 135), ὅπως προβαίνῃ. Lin. 15 ist mir κατανοεῖν mit Dativ verdächtig, aber eine leichte Emendation finde ich nicht. Lin. 37 ist wohl ἀπογεγράμμεθα zu schreiben. Lin. 39 steht in ed. Basil. und den Hds. richtig ἀτονήςας, was aber in ὥςπερ liegt, kann ich nicht ausfindig machen. P. 170, 14: ai ABK, richtig F; Lin. 22: écriv {on F; Lin. 25 schreibe ich: διὰ τὸ τό: Lin. 33: οὕτως f| MA mit F; Lin. 45: κῶνος Báciv; p. 171,3: ἐπὶ γάρ; Lin. 6: τὸν κύκλον, wie sonst; Lin. 25: τῷ τμήματι; Lin. 28 ist vielleicht st. οὕτως zu schreiben: TouTécti; denn Lin. 29 fehlt καί vor οὕτως in F; p. 172, 15: οὗ βάςεις ἐςτὶ 6; Lin. 17: καὶ γὰρ καὶ τοῦτο; Lin. 18: ἐπ᾿ Tcwv (ohne τῶν); Lin. 29: δοθεῖ- cav εὐθεῖαν, alles aus F; ausserdem ist noch Lin. 17: ἀπεδείχθη, ὅτι ol und Lin. 57: ai KAE zu lesen. P. 173, 18: κατὰ τὰ Τ, Y und Lin. 19: δεδομένον F. Lin. 29 ff. hat F: πρὸς OY X. οὕτως f CE πρὸς EP, οὕτως τὸ ὑπὸ TOY; etwas ähnliches hat auch Cr. gewollt: “ad oy et se ad er, ita contentum sub toy’; ich möchte lesen: πρὸς OY, τουτέςτιν fj CE xrÀ.; ofr. zu p. 171, 28. P. 175, 3: ἡμίεη F, wie auch p. 200, 26. Lin. 4 fehlen die Worte: καὶ τὸ ἀπὸ τῆς €H in ed. Basil. und den Hdes.; ausserdem fehlen in diesen: ἴση γὰρ (δὲ ed. Basil.) fj ΞΟ; offenbar ist wegen des wieder- holten ZO in F eine Lücke entstanden, die von dem Herausgeber der ed. Basil. nur halb ergänzt ist; ich möchte sie so suppliren: τὸ ἀπὸ ZO [τουτέςτιν τὸ ἀπὸ τῆς €H:* im γὰρ f zO] τῇ ΕΗ. P. 176, 15 ist τῷ A zu schreiben. Lin. 40 würde τῇ ἡμιςείᾳ αὐτῆς Ycnv τὴν ZB sachgemässer sein. Lin. 55 ist γίνεται (st. γάρ) ἀκόλουθος zu lesen. P. 180, 6 hat F: πρὸς ΦΗ᾽ καὶ δέδοται fi ΦΗ᾽ δέδοται ἄρα; in ed. Basil. ist f| ΦΗ᾽ δέδοται ausgefallen; Torelli hat darauf nach dem Sinn richtig ergänzt: δοθεῖςα fj ΦΗ. Lin. 7 haben ed. Basil. und die Hds. richtig: ἀλλὰ μήν; Lin. 11: ἔεται für écri F; cfr. Lin. 18; 20 u. &. w. P. 182, 32 findet sich wieder ein Beispiel des Compendiums Γ᾽ für γωνίαι; F hat nämlich τοῖς BAT st. τοῖς BA ywviaı; ebenso hat p. 173, 46 ed. Basil. γίνεται st. γωνίᾳ: P. 183, 8: ai πρός F; p. 189, 45: εἴπερ F. P. 190, 9: ápéctnkev F. Lin. 46 ist mit F zu lesen: τουτέετιν fi OB [πρὸς BK: rourécriv ΘΒ] πρὸς ΒΕ: cfr. p. 186,21. P. 191,18 bietet F das richtige Supplement der Lücke der ed. BasiL: λόγον ἔχει τοῦ, ὃν ἔχει fj Γ πρὸς A’ ὥςτε fj AB πρὸς A μείζονα ἡμιόλιον λόγον ἔχει τοῦ τῆς Γ πρὸς A. Lin. 37 hat ed. Basil. richtig: ἐπεὶ ἀπό; so gewiss auch die Hds. Lin. 33 F richtig ἄρα; es wird ὅρος zugedacht oder ἀριθμός. P. 192, 2: καὶ écri τὸ F. Lin. 19 τι uécov mit F, wie auch Lin. 21: ὁμοίως δή; Lin. 27: πρὸς κῶνον ohne τόν; auch das folgende τήν ist wohl zu streichen. .

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 383

P. 193, 1 ist zu lesen: καὶ γὰρ τοῦτο. Lin. 5: διπλαείονα F, wie p. 191, 10 διπλάειον (so ed. Basil.) d. h. διπλαςίων. Lin. 26: μείζων ἐετίν F. P. 194, 2 schreibe ich: ἐπιφανειῶν τῷ. Lin. 32 hat F: γάρ für ἐςτι; man lese γίνεται.

P. 196, 24 ff. steht in F so: ἐπὶ mv ΘΗ, οὕτως τὸ ἀπὸ ΑΘ πρὸς τὸ ὑπὸ ΓΘ ἐπὶ τὴν ΘΖ μείζονα λόγον ἔχει ἤπερ TO ἀπὸ ΑΘ πρὸς τὸ ὑπὸ ΓΘΒ. δέ. Es soll ohne Zweifel gelesen wer- den: ἐπὶ τὴν OH [ὧς δὲ τὸ ἀπὸ ΑΘ ἐπὶ τὴν ΘΗ πρὸς τὸ ὑπὸ ΓΘΒ ἐπὶ τὴν ΘΗ] οὕτως τὸ ἀπὸ ΑΘ πρὸς τὸ ὑπὸ ΓΘΒ. τὸ ἄρα ἀπὸ ΑΘ ἐπὶ τὴν ΘΗ πρὸς τὸ ἀπὸ ΓΘ ἐπὶ τὴν ΘΖ μείζονα λόγον ἔχει ἤπερ τὸ ἀπὸ ΑΘ πρὸς τὸ ὑπὸ ΓΘΒ. δέ; wegen des gleichen Ausgangs fielen die eingeklammerten Worte weg, und von [OB verirrte sich das Auge des Schreibers zu Lin. 22. P. 199, 8 ἔετω καὶ τῇ F; cfr. p. 198, 7. Lin. 33 ist st. ἄρα zu lesen ἔςται (cfr. Quaest. Arch. p. 135). Lin. 41 hat F richtig: τῷ μὲν ὑπὸ APT; Lin. 42 und 44 hat F falsch: γάρ Ecrı st. γίνεται, wie p. 200, 17. P. 200, 4: ἴεον ἐςτὶ τῷ F.

Die Vorrede zum Comm. zu κύκλου pétpncic p. 204 ist mir un- klar; vielleicht ist nur ἐντυγχάνοντι Lin. 25 in ἐντυχόντι zu ün- dern, und die ganze Stelle so zu übersetzen: 'es dürfte mir, indem ich mein Ziel erfülle, das nüchste sein, weil ich das deutlichere und nur kürzeres Einhaltens bedürftige der Archimedischen Schriften schon behandelt habe, auch alles, was in ihnen (den Schriften des Archimedes) der Erläuterung bedarf, in einer mit einem Commentar zu den Büchern über Kugel und Cylinder übereinstimmenden Weise zu bearbeiten, weil es wahrhaft wünschenswerth ist auch über das grössere und eines tieferen Studiums bedürftige nachzudenken’. Doch gestehe ich, dass mich die Stelle noch nicht befriedigt. P. 204, 38 ist mit F ὅτι τουτὶ ἄν wiederherzustellen. P. 205, 1 hat F richtig: δοκεῖ δέ τινι; Cr. hat dasselbe gelesen, übersetzt es aber falsch durch ‘videtur autem quadam re’. Lin. 5 schreibe ich: δεδειγμένον ἂν ein. Lin. 8: τι μέγεθος F richtig. Uebrigens ist 80 zu inter- pungiren: παντί που δῆλον, οἶμαι, καὶ τοῦτο (“und zwar’) τῶν. Lin. 10 ist für κἄν wohl καὶ zu schreiben. Lin. 18: τὸ τρίγωνον F. Lin. 16 muss θαυμαςτός gelesen werden, und Lin. 15: οὐδεμιᾶς dei ζητήςεως. P. 208, 40: ἔςται fj F (καί ed. Basil.), wie p. 209, 16: ὡς fj ΖΕ. Lin. 36 kann ?yyıcra nach qa' n' sehr wohl mit F beibehalten werden (‘591 et !/; proxime' Cr.). P. 212, 18: πολίλα- rÀaciaZÓuevoc F. P. 213, 9 ist ὑπό mit F zu streichen, und Lin. 25: τῆς ἀκριβοῦς zu lesen. P. 214, 2 ist καὶ τὴν ὁμοιότητα und xoi τὴν ἀναλογίαν zu schreiben; cfr. Lin. 22 ff. Lin. 6: écriv éAaccov F. Lin. 35 ist die Lücke der ed. Basil. in F so ergünzt: ὑπερέχει γὰρ τὸ An’ αὐτῆς τοῦ ἀκριβοῦς M ιβ΄ τ΄ Ag’; Torelli hat die- selben Worte restituiut, aber in verkehrter Ordnung.

Aus dieser Zusammenstellung wird die Vorzüglichkeit des Codex Florentinus den Ausgaben gegentiber noch deutlicher hervorgeben;

384 J. L. Heiberg:

in den meisten Füllen genügt ein einfaches Zurückgehen auf seine Lesarten zur Wiederherstellung eines genauen und richtigen Textes. Gewiss wird aber eine neue, sorgfültige Collation noch manche Be- richtigung hinzufügen.

II.

Ueber die Restitution der zwei Bücher des Archimedes περὶ cpaípac καὶ κυλίνδρου.

In meiner Dissertation: Quaestiones Archimedae p. 69 77 habe ich zu zeigen versucht, dass die Bücher περὶ ςφαίρας xal κυλίνδρου und die Abhandlung κύκλου μέτρηςις von Archimedes nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern in einer spüten, wenig- stens nach Eutokios vorgenommenen Umarbeitung überliefert sind. Ich habe ‘dort nur einige der auffallendsten Belege kurz angedeutet; hier soll die ganze Frage etwas eingehender erläutert und neues Material hinzugefügt werden.

Bekanntlich sind diese Bücher ihrer dorischen Form entklei- det!5), und Torelli hatte (s. p. XV seiner Vorrede) die Absicht sie wiederherzustellen, unterliess es aber auf den Rath einiger seiner Freunde. Ich möchte es auch nicht für rathsam halten, bei einer künftigen Ausgabe des Archimedes diesen Versuch zu machen. Denn der Transscriptor hat sich offenbar nicht damit begnügt, etwa für α zu substtuiren oder die dorischen Endungen zu ändern u. dgl.; er hat vielfach die zu seiner Zeit gebräuchliche mathema- tische Redeweise, die von der archimedischen nicht unbedeutend abweicht, hineingebracht, was die Restitution sehr zweifelhaft macht (einige Beispiele s. Quaest. Arch. p. 69—70), und, was noch schlim- mer ist und eine einigermassen sichere Wiederherstellung nahezu unmöglich macht, er ist öfters ohne besonderen Grund ganz will- kürlich von der archimedischen Darstellungsweise im Einzelnen ab- gewichen. Den Beweis hierfür liefern die Lemmata des Eutokios, die der Transscriptor wohl ebenfalls des dorischen Dialekts entklei- det, nicht aber (wenigstens nicht überall) mit seiner Bearbeitung des Textes in Einklang gebracht hat. Von solchen willkürlichen Abweichungen, gegen welche man sich niemals sicher wissen kann, seien hier die folgenden angeführt:

Im Text: Eutokios: P. 76, 11: διὰ τοῦτο δὴ ἔλαςςον P. 76, 16: διὰ δὴ τοῦτο ἔλαςςὁν ἔοται τὸ περιγραφὲν cuvaugotépou. écr τὸ περιγραφόμενον τοῦ ευν- ἀμφοτέρον. 16) Gelegentlich bemerke ich, dass eine solche Transscription aus

einem entlegenen Dialekt in die κοινῇ nichts unerhörtes ist; für Hippo- krates wird dasselbe bezeugt von Galen XVIII? p. 778 ed. Kühn.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern.

P. 78, 8: Écovrai ἄρα καὶ αἱ ἀπὸ τῆς κορυφῆς τοῦ κιύνου ἐπὶ τὰς ἁφὰς ἐπιζευγνύμεναι κάθετοι ἐπὶ τὰς ΔΕ, ΖΕ, ΖΔ.

P. 79, 21: ἔςται δὴ τὰ ΑΒΓ, ΒΔΓ τρίγωνα μείζονα τοῦ ΑΔΓ τριτύ- νου.

P. 82, 8: ἀεὶ δὴ περιγράφοντες πολύγωνα περὶ τὰ τμήματα (un- richtig; es ist nur von einem τμῆμα die Rede).

P. 82, 11: ἀποτμήματα, ἔςται ἐλάςςονα τοῦ Θ χωρίου.

P. 87, 30: νοείςθω δὴ περιγεγραμ- μένον καὶ ἐγγεγραμμένον.

P. 88, 14: τὸν αὐτὸν ἕξει λόγον τὰ εὐθύγραμμα, ὅνπερ. Torelli will mit Eutokios τὰ εὐθύγραμμα strei- chen.

P. 111, 16: ὥςτε καὶ al τῶν M, N διάμετροι τὸν αὐτὸν ἔχουςι λόγον ταῖς τῶν πολυγιύνων πλευραῖς.

P. 118, 46: τὸ δὲ ὑπὸ τῆς ΕΘ KTÀ. ... τῷ ὑπὸ τῶν ΕΛ, KO περι- εχομένῳ.

P. 156, 1: λόγος ἄρα τῆς ΑΓ πρὸς ΓΒ δοθείς.

P. 168, 4: ἀλλ᾽ ὡς μὲν ΡΛ πρὸς ΛΔ, τὸ ἀπὸ ΒΔ.

P. 182, 9: τὰ ἐπὶ τῶν ΚΜ, ΑΓ εὐθειῶν τῶν κύκλων τμήματα.

P. 188, 28: λόγος ἄρα cuvaupo- τέρου τῆς ΕΔ, ΖΔ πρὸς ΖΔ ὃο- θεῖς.

P. 197, 28: δῆλον, ὅτι ΒΑ ἐλάς- cuv ἐςτὶ διπλαείων δυνάμει τῆς ΑΚ, τῆς δὲ ἐκ τοῦ κέντρου μείζων διπλαςίων δυνάμει (δυνάμει streicht Torelli).

385

P. 78, 33: αἱ ἄρα ἀπὸ τῆς κορυ- φῆς ἐπὶ τὰ A, B, Γ ἐπιζευγνύμεναι κἀθετοί elcıv ἐπ᾿ αὐτὰς (c: Tàc ἐφ- απτομένας Lin. 8).

P. 80, 28: μείζονα ἄρα ἐςτὶ τὰ ABA, ΒΔΓ τρίγωνα τοῦ AAT τρι- γιύνου.

P. 82, 46: περιγράφοντες δὴ πο- λύγωνα περὶ τὸ τμῆμα (was To- relli mit Unrecht ändern will).

P. 82, 48: ἀποτμήματα éAáccova τοῦ © χωρίου. ᾿

P. 90, 2: νοείεθω δὲ cic τὸν B κύκλον περιτεγραμμένον καὶ ἐγγε- γραμμένον.

P. 90, 18: τὸν αὐτὸν ἕξει λόγον, ὄνπερ.

P. 112, 14: ἔχει δὲ καὶ διάμε- τρος τοῦ Μ κύκλου πρὸς τὴν διά- μετρον τοῦ Ν λόγον, ὃν ἔχει ΕΛ πρὸς ΑΚ.

P. 119, 7: ἀλλὰ τὸ ὑπὸ €O ... τῷ ὑπὸ τῶν ΕΛ, ΚΘ.

P. 156, 39: δοθεὶς δὲ λόγος τῆς ΑΓ πρὸς ΓΒ.

P. 162, 30: ἀλλ᾽ dic μὲν PA πρὸς ΛΔ, ἐδείχθη τὸ ἀπὸ ΒΔ.

P. 182, 47: τὰ ἐπὶ τῶν ΚΜ, ΑΓ τμήματα κύκλων.

P. 184, 19: λόγος ἄρα δεδομένος «ὑναμφοτέρου τῆς ΕΔ, ΔΖ πρὸς ΔΖ.

P. 198, 39: δῆλον δέ, ὅτι ΒΑ τῆς μὲν AK ἐλάςςων ἐςτὶ διπλα- cía δυνάμει, τῆς δὲ ἐκ τοῦ κέντρου μείζων διπλαςία.

An diesen Stellen darf man gewiss die von Eutokios gebotenen

Lesarten, die meistens sowohl sinn- als sprachgemässer sind, als echt archimedisch in den Text aufnehmen. Weil aber unzählige solche kleine Modificationen des Ausdrucks für uns verborgen sein können, wird es verlorene Mühe sein, die dorische Dialekt wieder- herstellen zu wollen; man wird doch nicht die Hand des Archimedes erreichen. Ebenfalls scheint es mir zu gewagt, die archimedische Terminologie wieder einzuführen, wenn wir auch zuweilen den Transscriptor gleichsam auf frischer That ertappen können; so z.B. p. 151, 60: πρὸς τὴν κάθετον τοῦ λοιποῦ τμήματος, während Eutokios p. 192, 36 mit dem Sprachgebrauche des Archimedes übereinstimmend: πρὸς τὸ ὕψος τοῦ λοιποῦ τμήματος citirt; cfr. Quaest. Arch. p. 71; ebenso p. 158, 46: πεποιήεθω γὰρ ὡς μὲν Jahrb. f. olass. Philol. Suppl. Bd. XI. 25

386: J. L. Heiberg:

cuvaugórepoc KB, BX verglichen mit Eutokios p. 176, 44: qnci, ὅτι᾽ γεγονέτω dc cuvaugórepoc KAX; cfr. Quaest. Arch. p. 70. In den meisten Füllen aber kónnen wir nur sagen, dass Árchimedes so nicht geschrieben habe, wohl auch annähernd die ursprüngliche Form angeben, die eigenen Worte des Archimedes aber nicht mit Sicherheit restituiren. Dasselbe gilt von den Stellen, wo der Trans- Scriptor aus Nachlüssigkeit die wohl berechnete und nothwendige Ausführlichkeit des Archimedes verkürzt hat und dadurch die Ge- nauigkeit und Verstündlichkeit beeintrüchtigt (Quaest. Arch. p. 72 und 73). Hin und wieder lässt sich auch hier das Richtige aus Eutokios ersehen, wie 2. B. p. 72, 2: πολυγώνου écti πλευρὰ ico- TÀeUpou; aber Eutokios p. 72, 35: πολυγώνου écri ἰςοπλεύρου καὶ ἀρτιοπλεύρου πλευρά; cfr. p. 73, 4 u. Quaest. Arch. p. 76. Ebenso steht p. 89, 2 kurz: καὶ ἐναλλάξ᾽ ὅπερ ἀδύνατον; aber Eutokios p. 90, 49 hat: ἐναλλὰξ dpa éAáccova λόγον ἔχει τὸ Tpícua πρὸς τὸν κύλινδρον ἥπερ τὸ ἐγγεγραμμένον εἰς τὸν B κύκλον πολύγωνον πρὸς τὸν B κύκλον᾽ ὅπερ ἄτοπον. Am häufig- sten können wir aber nur die Nachlässigkeiten anzeigen, ohne genau sagen zu können, wie sich Archimedes ausgedrückt hatte.

Es ist daher nur eines übrig, das wir für die Reinheit des Textes thun können: die zahlreichen Einschiebsel zu entfernen. Daran soll hier ein Versuch gemacht werden im Anschluss an das Quaest. Arch. p. 74—76 gesagte.

I 4 p. 71, 51 sind die Worte: δυνατὸν γὰρ τοῦτο aus Euto- kios p. 72 in den Text gedrungen. Seine Anmerkung ist nämlich so anzuordnen: καὶ ἀπὸ τοῦ K τῇ O ἴςη κατήχθω fj, KM] δυνατὸν γὰρ τοῦτο, προςεκβληθείςης (so cod. Flor.) .., καὶ Tedeicnc .., δια- «τήματι dE .. γραφέντος. Sonst würden die Genitivi absoluti ohne Verbindung stehen; auch beginnt Eutokios regelmässig seine An- merkungen mit γάρ.

P. 72, 2 ff. sind die Worte: ἐπείπερ ὑπὸ ΝΗΓ γωνία μετρεῖ τὴν ὑπὸ ΔΗΓ ὀρθὴν oícav, καὶ NT ἄρα περιφέρεια μετρεῖ τὴν ΓΔ, τέταρτον oUcav κύκλου. ὥςτε καὶ τὸν κύκλον μετρεῖ. πολυγώνου ἄρα écri πλευρὰ ἰςοπλεύρου. φανερὸν γάρ écri τοῦτο als unecht schon durch die Form bezeichnet; sicher wird dies da- durch, dass sie eben den Inhalt der Anmerkung des Eutokios p. 72, 36 73,4 in etwas trivialisierter Gestalt wiedergeben. Auch p. 72, 12 sind die schon durch die mangelhafte grammatische Verbindung verdüchtigen Worte: φανερόν, ὅτι καὶ ὁμοίου v ἐγγραφομένῳ, οὗ πλευρὰ fj NT nur ein Resumse von der Bemerkung des Euto- kios p. 73, 24 ff, die seine eigene Zuthat ist. Die vorhergehenden Worte p. 72, 10—11 hatten nach Eutokios p. 73, 5 diese Form: ὥςτε xai fj OTT πολυγώνου Ecriv ἰςοπλεύρου πλευρά, nicht wie im Text etwas unlogisch steht: ὥςτε καὶ fj TTO πολυγώνου ἐετὶ πλευρὰ τοῦ περιγραφομένου περὶ τὸν κύκλον καὶ ἱςοπλεύρου. P. 72, 19 sollten die Worte: τουτέςτιν f) ΠΟ πρὸς NT vor ἐλάς-

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 387

cova λόγον ἔχει stehen. I 5 p. 74, 1 und 3 sind: δυνατὸν γὰρ τοῦτο und δυνατὸν γὰρ τοῦτο, ἐπείπερ μείζων ἐςτὶ Η τῆς OK wegen ihrer Aehnlichkeit mit den Einschiebseln p. 71, 51 und 72, 2 als unecht anzusehen.

I 6 p. 75, 2 schrieb Archimedes gewiss nicht: καθῶς ἐμάθο- μεν mit Bezug auf I, 4; auch ὅμοια γὰρ Lin. 5 ist wohl unecht.

Ueber I 7 s. Quaest. Arch. p. 74; Archimedes hatte gewiss nur einen Beweis für einen so einfachen Satz vorgetragen; das echte scheint aber hier in ungewöhnlich hohem Grade verwischt.

I 8 ist ebenfalls der zweite Beweis p. 77 entschieden unecht; er ist, wie auch die Ueberschrift angiebt (capectepov (!) ἄλλως fq δεῖξις), nur eine Verdeutlichung des ersteren. Es würde ja doch seltsam sein, denselben Beweis erst in einer gedrängteren Fassung, dann gedehnter und „deutlicher“ zu geben.

I 9 ist es wahrscheinlich, dass der echte Beweis, der wie der Beweis I 8 p. 76 geführt gewesen sein mag, ganz von einem dem I 8 p. 77 unterschobenen ähnlichen verdrängt worden. Jedenfalls sind die Worte p. 78, 1 f£: ἄξων τοῦ κώνου ὀρθός Ecrı πρὸς τὴν 8áciv, τουτέετι πρὸς τὸν ΑΒΓ κύκλον, καί unecht; denn sonst würde der Beweis des Eutokios überflüssig sein; 8. namentlich p. 78, 39. Das Uebrige von dem Anfang des, Beweises mag dagegen echt sein; wenigstens fanden sich in dem echten Beweis die Worte Lin. 8: ἐπὶ τὰς ἐφαπτομένας; denn auf sie bezieht sich αὐτὰς im Lemma des Eutokios p. 78, 34 (s. oben).

I 14 p. 88 ist ausser den Quaest. Arch. p. 74 bezeichneten Worten noch Lin. 3: ἐπειδὴ βάςιν μὲν ἔχει τῇ περιμέτρῳ ἴσην, ὕψος δὲ fcov τῇ ἐκ τοῦ κέντρου τοῦ A κύκλον, Lin. 7: ἐπειδὴ περιέχεται ὑπὸ τὴς πλευρᾶς τοῦ κυλίνδρου καὶ τὴς ἴςης τῇ περι- μέτρῳ τῆς Báceuc τοῦ πρίεματος, Lin. 17: αἱ γὰρ TA, Η tco: eici ταῖς ἐκ τῶν κέντρων (so Florent) und Lin. 35: ἐπειδήπερ ἴςαι εἰεὶν αἱ ΚΔ, AZ etwas müssige Zusätze; Archimedes lässt durch- gehends solche einfache Begründungen weg. Auch p. 89, 3 ff: fi μὲν τὰρ ἐπιφάνεια τοῦ πρίεματος τοῦ περιγέγραμμένου περὶ τὸν κύλινδρον μείζων οὖςα δέδεικται τῆς ἐπιφανείας τοῦ κυλίνδρου, τὸ δὲ [Ey-|rerpauuevov εὐθύγραμμον ἐν τῷ B κύκλῳ ἔλαςςόν Ecri τοῦ B κύκλου muss unecht sein; denn p. 90, 51 giebt Eutokios eine andere Begründung des ἄτοπον, was er ohne Zweifel nicht gethan hätte, wenn Archimedes selbst das Nähere zugefügt.

I 15 p. 91, 40 ff. halte ich die Worte: fj μὲν yüp Γ ἴςη écri τῇ ἀπὸ τοῦ κέντρου καθέτῳ ἐπὶ μίαν πλευρὰν τοῦ πολυγώνου, fi δὲ Δ τῇ πλευρᾷ τοῦ κώνου. Κοινὸν δὲ ὕψος περίμετρος τοῦ πο- λυγώνου πρὸς τὰ ἡμίςη τῶν ἐπιφανειῶν für eingeschoben; denn ausserdem dass sie überflüssig sind, sind sie, namentlich die letzten Worte, sehr unklar; der Beweis ergiebt sich leicht aus p. 88, 2 ff, I9 und Eukl VI 1 und war gewiss von Archimedes als selbst- verständlich weggelassen. Noch ein Grund gegen die Echtheit die-

26 *

388 J. L. Heiberg:

ser Worte liegt darin, dass die ganz entsprechenden p. 92, 25 ff.: γὰρ ἐκ τοῦ κέντρου τοῦ Α κύκλου πρὸς τὴν πλευρὰν τοῦ κώνου μείζονα λόγον ἔχει ἤπερ ἀπὸ τοῦ κέντρου ἀγομένη κάθ- ετος ἐπὶ μίαν πλευρὰν τοῦ πολυγώνου πρὸς τὴν ἐπὶ τὴν πλευ- ρὰν τοῦ πολυγώνου κάθετον ἀγομένην ἀπὸ τῆς κορυφῆς τοῦ κώνου echt nicht sein können; denn eben diese Begründung, zum Theil mit eben denselben Worten, giebt Eutokios p. 92—93. Auch die Worte p. 92, 4 f£: μὲν γὰρ ἐπιφάνεια τῆς πυραμίδος μείζων οὖςα δέδεικται τῆς ἐπιφανείας τοῦ κώνου, τὸ δὲ ἐγγεγραμμένον εὐθύγραμμον ἐν τῷ Β κύκλῳ ἔλαςςόν ἐςτὶ τοῦ Β κύκλου werden durch die Aehnlichkeit des beweislichen Einschiebsels p. 89, 3 ff. verdächtig.

I 16 p. 93, 48 möchte ich τοῦτο γὰρ ἐδείχθη ἐν τῷ πρὸ τούτου auswerfen; ebend. sind gewiss nicht nur die Quaest. Arch. p. 74 angezeigten Worte, sondern auch die zunächst vorausgehen- den p. 93, 52: ἑκάτερος γὰρ αὐτός écri τῷ τῆς πρὸς B duve- μει διὰ τὸ τοὺς κύκλους πρὸς ἀλλήλους εἶναι, ὧς τὰ ἀπὸ τῶν διαμέτρων τετράγωνα πρὸς ἄλληλα, ὁμοίως δὲ καὶ τὰ ἀπὸ τῶν ἐκ τῶν κέντρων τῶν κύκλων und die folgenden p. 94, 8: ταῖς δὲ ἐκ τῶν κέντρων ἴςαι εἰεὶν ai B, zu streichen; cfr. p. 91, 34 ff. u. 8. W.

I 18 p. 96 möchte ich Lin. 31: τὰ δὲ ica πρὸς τὸ αὐτὸ τὸν αὐτὸν ἔχει λόγον streichen; ebenso halte ich die Wiederholung von I 16 mit den daran gereihten Folgerungen (Lin. 38 ff: ἐδείχθη γὰρ τοῦτο, ὅτι παντὸς κώνου icockeloüc fj ἐπιφάνεια πρὸς τὴν βάειν τὸν αὐτὸν λόγον ἔχει, ὃν fj πλευρὰ τοῦ κώνου πρὸς τὴν ἐκ τοῦ κέντρου τῆς βάςεως, τουτέςτι fj ΔΕ πρὸς ΕΘ. 'Oc δὲ ΕΔ πρὸς ΘΕ, οὕτως ΔΘ πρὸς ΘΚ’ ἰεογώνια γάρ écri τὰ τρίγωνα᾽ ion δέ Ecrıv fj ΘΚ τῇ AH) für unecht.

I 19 p. 97 sind vielleicht Lin. 33 die Worte: ὅμοια γὰρ τὰ τρίγωνα und Lin. 36: ὑπέκειτο γάρ derselben Sucht auch das Selbstverständlichste ausdrücklich angeben zu wollen entsprungen.

I 22 p. 100—101 sind die Worte: καὶ ἐπεὶ δύο παράλληλοί eicıv ai EA, ΚΖ, καὶ δύο διηγμέναι eiciv αἱ ΕΚ, AO ganz über- flüssig und rühren schwerlich von Archimedes her. Dasselbe gilt von I 23 p. 101, 45: καὶ ὧς ἄρα πάντα πρὸς πάντα, εἷς τῶν λόγων πρὸς Eva, die überdem eine Ungenauigkeit enthalten; denn es müsste entweder: οὕτως εἷς τῶν λόγων heissen oder: οὕτως ἕν πρὸς ἕν; efr. Eutokios p. 162, 42 u. s. w.

I 31 p. 109, 18 kann Eutokios nicht die Worte: dırrlacia γάρ ἐςτι τῆς XC, οὔςης ἐκ τοῦ κέντρου τοῦ ΑΒΓΔ κύκλου gelesen haben; denn seine Anmerkung p. 109 geht eben darauf aus zu be- weisen, dass OK das Doppelte von XC sei; auch dürfte in dem Text eine Angabe über den Punkt C nicht fehlen. Aus Eutokios’ Worten geht deutlich hervor, dass er den Punkt C auf der archi- medischen Figur nicht angegeben vorfand.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 389

I 33 p. 110 sind jedenfalls die letzten Worte Lin. 17: fáctv Te γὰρ μείζονα rerpamAaciav ἔχει καὶ ὕψος Tcov unecht; Archi- medes stützte sich gewiss stillschweigend auf p. 96 Lemma 1; viel- leicht beginnt aber das erklärende Einschiebsel mit ἐπειδή Lin. 16.

I 34 p. 111,16 stand nicht: ὥςτε καὶ ai τῶν M,N διάμετροι τὸν αὐτὸν Exoucı λόγον ταῖς τῶν πολυγώνων πλευραῖς, sondern, wie Eutokios hat p. 112,13: ἔχει δὲ καὶ διάμετρος τοῦ Μ κύκλου πρὸς τὴν διάμετρον τοῦ N λόγον, ὃν ἔχει ΕΛ πρὸς AK. Sowohl diese unzweifelhaft echte Fassung dieser Worte als namentlich auch der Umstand, dass Eutokios p. 112 sorgfältig beweist, dass die beiden Diameter sich wie die Polygonseiten EA und AK verhalten, zeigt, dass Archimedes diese Folgerung ohne alle Begründung als eine von dem kundigen Leser leicht zu ermittelnde hingestellt hatte. Daher sind die Worte p. 111, 9 ff: καὶ ἐπεὶ ὅμοιά ἐςτι τὰ πολύγωνα, ὅμοια ἂν ein καὶ τὰ περιεχόμενα χωρία ὑπὸ τῶν eipn- μένων γραμμῶν, τουτέςτι τῶν ἐπὶ τὰς τωνίας καὶ τῶν πλευρῶν τῶν πολυγώνων. “ὥςτε τὸν αὐτὸν λόγον ἔχειν πρὸς ἄλληλα, ὃν ἔχουειν αἱ τῶν πολυγώνων πλευραὶ δυνάμει. ᾿Αλλὰ καὶ ὃν ἔχει λόγον τὰ περιεχόμενα ὑπὸ τῶν εἰρημένων γραμμῶν, τοῦτον ἔχου- cıv αἱ ἐκ τῶν κέντρων τῶν M,N κύκλων πρὸς ἀλλήλας δυνάμει, die eine, jedoch nicht sehr exacte, Begründung eben jener Propor- tion enthalten, als späteres Einschiebsel zu streichen. Auch die fol- genden Worte: οἱ δὲ κύκλοι πρὸς ἀλλήλους διπλαςίονα λόγον Exovcı τῶν διαμέτρων, οἵτινες ἴςοι eici ταῖς ἐπιφανείαις τοῦ περι- γεγραμμένου καὶ ἐγγεγραμμένου Lin. 18 ff. sind zu streichen; Archimedes hatte ohne Zweifel die Folgerung: δῆλον οὖν κτλ. un- mittelbar angereiht.

I 36 p. 115, [6 f£: διότι μὲν Ξ κῶνος τετραπλάειός écri τοῦ κώνου τοῦ βάςειν μὲν ἔχοντος ἴτην τῷ ΑΒΓΔ κύκλῳ, ὕψος δὲ icov τῇ ἐκ τοῦ κέντρου τῆς cpaípac: τὸ δὲ ἐγγεγραμμένον ςχῆμα &Aaccov τοῦ εἰρημένου κώνου τετραπλάςιον halte ich für unecht; das gesagte schloss Archimedes stillschweigend aus I 28.

I 39 p. 118, 21 ff: τὸ γὰρ αὐτὸ πέρας αὐτῶν Ecrıv ἐν ἐπι- πέδῳ τοῦ τε τμήματος καὶ τοῦ cxrjuatoc fj περιφέρεια τοῦ κύκλου, οὗ διάμετρος f AB’ καὶ ἐπὶ τὰ αὐτὰ κοῖλαι ἀμφότεραί eicıv αἱ ἐπιφάνειαι, καὶ περιλαμβάνεται f| ἑτέρα ὑπὸ τῆς ἑτεράς sind, ausserdem dass der Anfang verworren und unklar ist, völlig über- flüssig. Denn die in ihnen gegebene Erläuterung ist schon in den eigenen Worten des Archimedes: καὶ ἔςται τὸ γενηθὲν cyfjua cre- ρεὸν ὑπὸ κωνικῶν ἐπιφανειῶν περιεχόμενον, βάειν μὲν ἔχον κύκλον, οὗ διάμετρος fj ΑΒ, κορυφὴν δὲ τὸ Γ Lin. 15 ff. ent- halten, wie ja auch die erläuterten Worte: ὁμοίως δὴ τοῖς πρό- τερον τὴν ἐπιφάνειαν ἐλάςςονα ἕξει τῆς τοῦ τμήματος ἐπιφανείας τοῦ περιλαμβάνοντος durch die Partikel δή als in dem Vorher- gehenden begrtindet bezeichnet werden. Auch hat Archimedes durch die Hinzufügung von τοῦ περιλαμβάνοντος dem Leser die

390 J. L. Heiberg:

Anwendung von Lemma 4 p. 65 so nahe gebracht, dass es einer ausführlichen Anwendung desselben nicht bedurfte. Ich erkenne daher in den bezeichneten Schlussworten ein Glossem.

I 40 p. 118—119 sind die Worte: καὶ γὰρ τοῦ ὑπὸ AO, OK, icou ὄντος τῷ ἀπὸ ΘΑ dem Eutokios entnommen, dessen Anmer- kung p. 119, 11 ff. ich so gestalten möchte: τὸ δὲ ὑπὰ ΕΛ, KO ἔλαςςόν écri ToO ἀπὸ OA] καὶ yàp τοῦ ὑπὸ AO, OK, ἴεου ὄντος τῷ ἀπὸ ΘΑ, ὥς Ecrı δῆλον κτλ. Denn nur mit den Worten: καὶ γὰρ τοῦ ὑπὸ κτλ. erhält sie einen passenden und mit der Gewohn- heit des Eutokios übereinstimmenden Anfang. fr. zu I, 4.

I 42 p. 111, 27 ff. möchte ich die auch sprachlich bedenk- lichen Worte: πέρας yàp ἐν ἑνὶ ἐπιπέδῳ τῷ αὐτῷ (τὸ αὐτὸ) Exoucıv τὸν περὶ διάμετρον τὴν ΑΒ κύκλον, καὶ περιλαμβάνεται τὸ τμῆμα ὑπὸ τοῦ εχήματος wegen der Uebereinstimmung mit der Interpolation I 39 streichen. Auch Lin. 32 ist: ὑπὸ γὰρ ὀρθὴν ὑποτείνει gewiss unecht.

I 43 p. 122, 18 enthalten die Worte: τοῦτο δὲ δῆλον διὰ τὸ προγεγραμμένον eine Ungenauigkeit; denn τοῦτο bezieht sich nicht auf das zunächst Vorhergehende, sondern auf den ganzen Satz. Da an einen Schreibfehler kaum zu denken ist, sind diese Worte ohne Zweifel späterer Zusatz. Dann werden auch die ähnlichen I 45 p. 123, 38: δῆλον οὖν τὸ λεγόμενόν ἐςτιν ἐκ τοῦ προγεγραμμέ- γον in Verdacht gezogen.

I, 48 p. 127, 14 fehlt offenbar etwas in dem Beweis, nämlich die Begründung, warum Z auch nicht grösser sein kann als die Oberfläche des eingeschriebenen Polygons.

I 49 p. 127—128: ἐπειδήπερ ἑκατέρα Terpankacia écri τοῦ περὶ διάμετρον τὴν ΒΓ κύκλον ist überfllissig und gewiss inter- polirt; über ἐπειδήπερ cfr. die Interpolation p. 88, 35. Aber auch p. 128, 3: δέδεικται γὰρ τοῦτο ἐπὶ τοῦ ἐλάςςονος ἡμιςφαιρίου sind vielleicht zu streichen.

I 50 p. 129, 9 sind jedenfalls die Worte: τουτέςτι τοῦ Éxov- toc Báciv μὲν κύκλον, oU fj ἐκ τοῦ κέντρου icr écri τῇ ἀπὸ τῆς κορυφῆς τοῦ τμήματος ἐπὶ τὴν περιφέρειαν ἐπιζευγνυμένῃ εὐθείᾳ τοῦ κύκλου, ὅς ἐςτι βάεις τοῦ τμήματος, ὕψος δὲ τὴν ἐκ τοῦ κεν- τρου τῆς cpaípac. οὗτος δέ Ecrıv εἰρημένος κῶνος Θ᾽ βάειν τὴ γὰρ ἔχει κύκλον ἴςον τῇ ἐπιφανείᾳ τοῦ τμήματος, τουτέετι τῷ εἰρημένφ κύκλῳ καὶ ὕψος ἴεςον τῇ ἐκ τοῦ κέντρου τῆς ςφαίρας, die nichts als eine alberne und wortreiohe Umschreibung der hin- länglich deutlichen Worte: τοῦ τηλικούτου κώνου Lin. 9 enthalten, als Einschiebsel zu betrachten.

II 2 p. 132, 21 sind die Worte: τῶν δὲ Ícuv κυλίνδρων ἀντιπεπόνθαειν αἱ βάςεις τοῖς Üyeciv vielleicht unecht; denn ein Satz von dieser Form kommt bei Archimedes nicht vor; er hat sich wohl stillschweigend auf Lemma 3 und 4 p. 96 bezogen. Auch die Worte Lin. 25 ff.: γὰρ ἡμιόλιος κύλινδρος τῆς cpaípac tcov ἔχει

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 391

τὸν ἄξονα τῇ διαμέτρῳ τῆς cpaípac, καὶ K κύκλος μέγιετός ἐςτι τῶν ἐν τῇ ςφαίρᾳ geben sich durch ihre nicht eben glücklich gewählte Form als Interpolation kund. Es müsste heissen: denn

weil der Cylinder = 3 Kugel, und die Áxe dem Diameter der

Kugel, muss die Basis dem gróssten Kreise gleich sein, also ihr Diameter = der Axe (I 37). Uebrigens finden wir hier wieder ein Beispiel der oben erwühnten willkürlichen Aenderungen des Interpolators; denn erstens stand nach p.218 im Schluss des Satzes: ἴεην (fcav) τῷ κώνῳ τῷ κυλίνδρῳ, nicht τῷ κώνῳ τῷ κυλίν- dpw ἴςην, wie p. 132, 14 steht; zweitens ersehen wir aus Eutokios p. 133, 26, dass die echte Form der Worte: καὶ κείςθω τοῦ A κύώ- vou κυλίνδρου ἡμιόλιος κύλινδρος ΓΖΔ p. 132, 16 diese war: εἰλήφθω τοῦ δοθέντος κώνου κυλίνδρου ἡμιόλιος κύλινδρος; auch fällt in der tiberlieferten Form die ungewöhnliche und unpas- sende Bezeichnung des Cylinders durch [ ZA auf. Auch p. 133, 3 hat Archimedes nicht εἰλήφθω (in unrichtigem Numerus), sondern εὑρήεθωςαν geschrieben nach Eutokios p. 135, 8. Der Beweis der Synthesis p. 133, 10 ff. ist im Anfang sehr ungenau und nachlässig redigirt, aber die echte Gestalt festzustellen traue ich mir nicht zu.

II 3 p. 152, 11: ἐπεὶ καὶ fj Bácic τῆς βάςεως καὶ f| ἐπιφά- vera τῆς cpaípac τοῦ μεγίετου κύκλου τῶν ἐν αὐτῇ ist ganz sinn- los; denn die beiden Grundflüchen sind eben die Oberfläche der Kugel und der grösste Kreis; vielleicht sind auch die vorhergehen- den Worte Lin. 8 ff: f$ γὰρ ςφαίρα δέδεικται τετραπλαςία τοῦ κώνου τοῦ Báciv μὲν ἔχοντος τὸν ué[icrov κύκλον καὶ ὕψος τὴν ἐκ τοῦ κέντρου τῆς cpaipac. ᾿Αλλὰ μὴν καὶ ó N κῶνος τοῦ αὐτοῦ Ecrı τετραπλαςία zu streichen. Archimedes durfte sehr wohl dem Leser zumuthen den Beweis aus I 36, I 35 und Lemma I p. 96 selbst zu suppliren. Uebrigens ist der Anfang dieses zweiten Be- weises der letzten Hälfte von Satz 3 p. 152 corrumpirt (Quaest. Arch. p. 73), und das echte schwerlich mit genügender Sicherheit wiederherzustellen. Ueber die unechten Stellen p. 151, 4—14 und p. 153, 3—11 s. Quaest. Arch. p. 75. Ich habe mich dort irrig für die Unechtheit derselben auf Eutokios p. 154 berufen; es findet sich bei ihm nichts, das ihnen widerspräche Dennoch steht ihre Unechtheit fest, schon wegen des sinnlosen Anfangs: οὕτως, was nur dann passend wäre, wenn ein anderer Beweis vorausginge; das ist aber nicht der Fall, Archimedes stellt die Behauptung (die sich sehr leicht durch Lemma 1 und 4 p. 96 begründen lässt; cfr. Euto- kios p. 154, 35 ff.) als selbsteinleuchtend hin. Die Worte p.151, 4: τοῦτο Y&p ἐν τοῖς λήμμαει τοῦ πρώτου βιβλίου δέδεικται könnte man vielleicht vertheidigen wollen; aber die aufgestellte Behaup- tung ist keineswegs, wie sie besagen, “in den Lemmata des ersten Buchs bewiesen’, sondern muss durch Combination zweier von ihnen ermittelt werden. Für die Stelle p. 151, 31: (coc ἄρα écri τῷ

892 J. L. Heiberg:

BOZA ετερεῷ τομεῖ᾽ τοῦτο yàp ἐν τῷ πρώτῳ δέδεικται könnte man aus Eutokios p. 153, 39: φηείν, ὅτι N κῶνος ἴςος écm τῷ ZABO ετερεῷ τομεῖ, duc δέδεικται ἐν τῷ πρώτῳ βιβλίῳ auf eine andere Gestaltung schliessen wollen, aber Eutokios citirt hier nicht wörtlich, wie schon das Fehlen von einem äpa zeigt, das jedenfalls im Text gestanden haben muss; vielleicht sind jedoch die Worte: ὡς δέδεικται ἐν τῷ πρώτῳ βίβλίῳ, auf welche es hier dem Euto- kios hauptsächlich ankommt, in dieser Form aufzunehmen.

II 4 p. 155 finden wir in der ursprünglichen Fassung p. 218, woraus sich ergiebt, dass der Transscriptor ausser einigen mindern Veründerungen sich die Einführung des nicht-archimedischen ὅπως für ὥςτε (Quaest. Arch. p. 70) erlaubte.

P. 155: P. 918: Τὴν δοθεῖςαν cpaipav ἐπιπέδῳ Τὰν bodeicav cpaipav ἐπιπέδῳ τεμεῖν, ὅπως αἱ τῶν τμημάτων ἐπι- τεμεῖν, ὥςτε τὰ τμάματα τᾶς ἐπι-

φάνειαι πρὸς ἀλλήλας λόγον Exwcı φανείας τὸν ταχθέντα λόγον ἔχειν τὸν αὐτὸν τῷ δοθέντι. ποτ᾽ ἄλλαλα.

Es ist auffallend, dass Archimedes p. 218, wo er eine Ueber- sicht der dem Konon zugeschickten Probleme giebt, die meistens im zweiten Buch über Kugel und Cylinder gelöst sind!9), II, 5 vor II 4 stellt. Wahrscheinlich sind diese beiden Sätze von dem Inter- polator, ungewiss warum, verwechselt worden; denn in seiner Note zu II 5 sagt Eutokios p. 159, 29: ἐν γὰρ τῷ πρὸ τούτου ευν- ἤγετο οὕτως, was nicht füglich anders als: “im vorhergehenden Satz’ aufgefasst werden kann. Die angeführte Schlussreihe findet sich aber nicht in II 4, wohl aber in II 3 p. 150, 27 8.17 Demnach folgte in der dem Eutokios vorliegenden Redaction II 5 unmittel- bar auf II 3. Auch in der Abhandlung über Kreismessung hat der Interpolator vielleicht zwei Sätze vertauscht (Quaest. Arch. p. 77).

11 5 p. 157, 20 sind die Worte: ἐπείπερ τὴν αὐτὴν Bacıv ἔχουει τὸν περὶ διάμετρον τὴν AT κύκλον sicher unecht; ἐπείπερ gebraucht der Fälscher auch p. 74, 3. Der Satz selbst ist wie der vorhergehende verunstaltet worden; die echte Form, wodurch das schwerfüllge τῆς cpaipac p. 157, 3 vermieden wird, finden wir p. 218:

P. 157: P. 218:

Τὴν δοθεῖςαν cpaipav τεμεῖν ὥςτε Τὰν $bo0eicav ςφαῖραν ἐπιπέδῳ τὰ τμήματα τῆς cpalpac πρὸς ἄλ- τεμεῖν ὥςτε τὰ τμάματα αὐτᾶς ποτ᾽ Anke λόγον ἔχειν τὸν αὐτὸν τῷ ἄλλαλα τὸν ταχθέντα λόγον ἔχειν. δοθέντι.

16. Nur II 3 fehlt, wie auch sein Anfang von II 1, II 2 und II 4 abweicht; dieser Satz dient nur zur Lösung der folgenden Probleme; daraus erklärt sich, dass er dem Konon nicht zugesandt werden durfte. 1 Das Citat des Eutokios ist offenbar nicht als wörtlich zu fassen; daher darf man daraus keinen Schluss auf die Form von II 3 p. 150, 27 ziehen wollen.

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 393

Ueber die unechten Worte p. 159, 9 s. Quaest. Arch. p. 75. Auch die ganze Stelle p. 158, 23—33 könnte man versucht sein streichen zu wollen, als aus dem Commentar des Eutokios ent- nommen. Denn bei ihm p. 163, 12— 24 findet sie sich wörtlich wiederholt; nur ist Lin. 14 vor τὴν ΖΘ und ebenso vor τὸ ἀπὸ BA das Wort τουτέςτι hinzugefügt. Im Ganzen muss aber diese Er- ürterung über den διοριςμός echt sein, wie aus Eutokios p. 163, 49: καθόλου δὲ πρῶτον τὸ θεώρημα Ypaprıceran, ἵνα τὸ λετόμε- νον ὑπ᾽ αὐτοῦ ςαφηνιςθῇ περὶ τῶν diopıcuWv hervorgeht. Auch sagt er p. 169, 20 ff.: φηςίν, 5o0eicav τὴν ΔΖ τεμεῖν δεῖ κατὰ τὸ Χ καὶ ποιεῖν, ὧς τὴν ΧΖ πρὸς δοθεῖςαν, οὕτως τὸ δοθὲν πρὸς τὸ ἀπὸ τὴς AX. εἶτα εἰπών, ὧς καθόλου μὲν τὸ λε- τόμενον ἔχει biopicuóv, προςτεθέντων δὲ τῶν ὑπ᾽ αὐτοῦ εὑρεθέν- τῶν προβλημάτων, τοῦ τε εἶναι διπλαςίαν τὴν ΔΒ τῆς ΒΖ καὶ μείζονα τὴν ΒΖ τῆς ΖΘ, μὴ ἔχειν biopicuóv, μερικώτερον ἐπανα- λαμβάνει τὸ πρόβλημα καὶ gnciv, ὅτι᾽ καὶ ἔεται τὸ πρόβλημα .... τεμεῖν τὴν ΔΒ κατὰ τὸ X. Cfr. p. 168, 45 169, 1 und p. 169, 6—9. Aber eben aus diesen Worten des Eutokios geht hervor, dass τὴν ZO p. 158, 22 und τὸ ἀπὸ BA p. 158, 23 unecht sind (siehe p. 168, 47; p. 169, 22), dass also p. 163: τουτέςτι τὴν ZO und τουτέςτι τὸ ἀπὸ BA erläuternde Zusätze des Eutokios sind. Ich bin überzeugt, dass auch τουτέςτι τοῦ TE διπλαείαν εἶναι τὴν AB τῆς ΒΖ xoi τοῦ μείζονα τὴν ΒΖ τῆς ZO, ὡς κατὰ τὴν ἀνάλυειν p- 158, 26 ff. von dem Interpolator aus Eutokios p. 163, 17 ff., wo er diese Worte zur Erläuterung von τῶν προβλημάτων τῶν ἐνθάδε ὑπαρχόντων hinzufügt, herübergenommen sind. Eutokios hat sie noch zweimal mit kleinen Abweichungen: p. 169, 8: τουτέςτι τοῦ T€ διπλαςείαν εἶναι τὴν AB τῆς ZB xai τοῦ μείζονα εἶναι τὴν ΒΖ τῆς ΖΘ (ohne die folgenden Worte) und ebend. Lin. 24: τοῦ T€ εἶναι διπλαςίαν mv AB τῆς BZ καὶ μείζονα τὴν BZ τῆς ΖΘ: wenn es nicht seine eigenen, sondern Worte des Archimedes ge- wesen wären, hätte er sie gewiss, wie das tibrige, an beiden Stellen wörtlich und übereinstimmend citirt.

II 6 p. 177, 50: τῶν δὲ ἴτων κώνων ἀντιπεπόνθαςειν ai βάςεις τοῖς ὕψεειν ist wiederum eine Interpolation gewöhnlichsten Schlags, um die Anwendung von Lemma 4 p. 96 näher zu legen. Auch p. 178, 19: διὰ τὸ ἴςον εἶναι τὸ ἀπὸ ΘΚ τῷ ὑπὸ τῶν AB, c ist überflüssig und vielleicht unecht.

II 7 p. 181, 24 ff. ist ohne Zweifel die Wiederholung von I 48— 49 unecht: αἱ γὰρ ἐπιφάνειαι τῶν εἰρημένων τμημάτων icai ἐδείχθηςαν κύκλοις, ὧν αἱ ἐκ τῶν κέντρων ἴςαι εἰεὶν ταῖς ἀπὸ τῶν κορυφῶν τῶν τμημάτων ἐπὶ τὰς βάςεις ἐπιζευγνυούςαις; auch muss ἐπιζευγνυούςαις statt ἐπιζευγνυμέναις befremden. Ein ganz ähnliches Einschiebsel findet sich p. 197; s. Quaest. Arch. p. 75. Auch: ὅμοια γὰρ τὰ τρίγωνα p. 181, 33 halte ich für einen Zusatz. Der Satz selbst findet sich etwas abweichend ausgedrückt p. 218:

394 P. 181:

Δύο δοθέντων cpalpac τμημάτων.

εἴτε τῆς αὐτῆς εἴτε uf, εὑρεῖν τμῆμα cpaípac, ἔςται ἑνὶ μὲν τῶν δοθέντων ὅμοιον, τὴν δὲ ἐπιφάνειαν ἕξει (cv. τῇ τοῦ ἑτέρου τμήματος ἐπιφανείᾳ.

J. L, Heiberg:

P. 218:

Δύο δοθέντων τμαμάτων cpalpac εἴτε τᾶς αὐτᾶς εἴτε ἄλλας, εὑρεῖν τι τμᾶμα copalpac, ἐςςεῖται αὐτὸ μὲν ὅμοιον τῷ ἑτέρῳ τῶν τμαμά- των, τὰν δὲ ειαν lcav ἕξει τᾷ ἐπιφανείᾳ τοῦ ἑτέρου τμάματος.

II 8 steht ebenfalls richtiger und vollständiger p. 218; nament- lich hat die Angabe tiber die Möglichkeitsbedingung kaum in dem

Satz selbst gefehlt:

P. 188:

And τῆς δοθείςης cpaípac τμῆμα τεμεῖν ἐπιπέδῳ, ὡςτε τὸ τμῆμα πρὸς τὸν κῶνον τὴν PBacıv ἔχοντα τῆν αὐτὴν τῷ τμήματι καὶ ὕψος ἴςον τὸν δοθέντα λόγον ἔχειν.

P. 418:

᾿Απὸ τὰς δοθείςας cpalpac τμᾶμα ἀποτεμεῖν ἐπιπέδῳψ, ὥςτε τὸ τμᾶμα ποτὶ τὸν κῶνον τὴν [τὸν] Báav ἔχοντα τὰν αὐτὰν τῷ τμάματι καὶ ὕψος ἴζςον τὸν ταχθέντα λόγον ἔχειν [μὴ] μείζονα τοῦ, ὃν ἔχει τὰ τρία ποτὶ τὰ β΄.

P. 183, 29 müssen wenigstens die Worte: ὥςτε καὶ τῆς EA πρὸς AZ: δοθεῖςα ἄρα καὶ f| AZ unecht sein, wie aus der Anmer- kung des Eutokios p. 184 hervorgeht. Dem von ihm dort vorange- stellten Lemma aus dem Text sind die Worte: ὥςτε καὶ fj AT bei- zufügen; denn die Note geht darauf hinaus zu zeigen, dass ΑΓ gegeben sei, was auf eine zweifache Weise geschieht (Lin. 30: xoi ἄλλως δὲ λέγοις dv, ὅτι fj. AT δοθεῖςά écriv). Die beiden oben bezeichneten Mittelglieder kann er nicht im Texte gelesen haben; denn er führt sie selbst (Lin. 26: δέδοται dpa τῆς ΕΔ πρὸς AZ λόγος und Lin. 27: δέδοται ἄρα xai fj Δ Z) als Glieder seines Be- weises auf.

II 9 p. 185, 19 δ: δεικτέον, ὅτι τὸ μεῖζον τμῆμα τῆς cpai- ρας πρὸς τὸ ἔλαςςον, ἐλάςςονα λόγον ἔχει διαπλάςιον ἤπερ f ἐπιφάνεια τοῦ μείζονος τμήματος πρὸς τὴν ἐπιφάνειαν τοῦ ἐλάς- covoc τμήματος wird man streichen müssen; denn diese Worte sind nur eine unnütze Wiederholung von Lin. 4—8; auch ist ihre Form anstössig; es müsste wenigstens heissen: ἐπεὶ δεικτέον écrí.

Lin. 28 sind die Worte: ὡς δὲ cuvaugórepoc fj EB, ΒΖ πρὸς ΒΖ, οὕτως ZH πρὸς ZA gar nicht an ihrem Platz; denn es wird weiter keine Anwendung von ihnen gemacht. Freilich ist auch diese Proportion vorher (p. 150, 26 ff.) mit bewiesen worden; aber hier soll nur ermittelt werden, dass ΒΖ: ΖΔ = OB : BE, was aus der zuerst angeführten Proportion: ΕΔ + AZ: AZ = OZ: ZB und der Gleichung BE = EA sogleich erhellt, und auch p. 151, 24 ff. bewiesen ist. Wenn die angeführten Worte gestrichen wer- den, muss auch μέν Lin. 27 dem Transscriptor angerechnet werden. Nach dem hier Gesagten sind die Lim. 30—31 folgenden Worte: τοῦτο yüp ἐν τοῖς ἐπάνω ςυναποδέδεικται sachlich wahr; dennoch können sie schwerlich echt sein; denn erstens würde Archimedes

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 395

kaum für eine so einfache Sache (die Proportion ergiebt sich so- gleich διελόντι καὶ ἐναλλάξ) auf einen früheren Beweis verwiesen haben, und ausserdem giebt die Anknüpfung durch γάρ nach den unmittelbar vorhergehenden Worten: (cr γὰρ BE τῇ ΕΔ Anstoss; denn nicht diese Worte begründet jenes τοῦτο γάρ, sondern die zu- nächst vorangehenden, die auch durch (cn γάρ κτλ. begründet werden.

P. 186, 3 sind die Worte: τουτέςτιν ZO πρὸς ZH unecht; denn sie fehlen im Lemma des Eutokios p. 189 extr., und es geht aus seiner Note (dc yàp OZ πρὸς ZH, οὕτως τὸ ὑπὸ OZH πρὸς τὸ ἀπὸ ZH p. 189—190) deutlich hervor, dass sie ihm nicht vorlagen. Uebrigens sehen wir aus demselben Lemma, dass Archi- medes p. 186, 3 nicht: τοῦ ὃν ἔχει τὸ ἀπὸ τῆς KZ schrieb, son- dern einfacher: ἤπερ τὸ ἀπὸ KZ. Die Worte p. 186, 4 ff.: τὸ δὲ ἀπὸ KZ πρὸς τὸ ἀπὸ ZH διπλαείονα λόγον ἔχει ἤπερ ΚΖ πρὸς ZH möchte ich eher dem Interpolator als Archimedes zuchreiben. Lin. 8 ff. hat die Baseler Ausgabe, Codex Florentinus und zwei Pariser Handschriften (BC) so: fj ΚΖ πρὸς ZH ἐλάςςονα λόγον ἔχει διπλαείονα τοῦ ὃν ἔχει ΒΖ πρὸς ΖΔ (die übrigen Worte: ὡς δέ und fj ΒΖ πρὸς ZA. ΘΖ ἄρα πρὸς ZH bat Torelli selbst willkürlich hinzugefügt); die Baseler Ausgabe hat die Worte in Parenthese und in der Uebersetzung des Jacob Cremonensis fehlen sie gänzlich; wahrscheinlich stehen sie im Florentinus nicht im Text, sondern als Scholion am Rande; sie sind jedenfalls unecht.

Lin. 19 f: καὶ τὸ ἀπὸ ΘΖ ἄρα πρὸς τὸ ἀπὸ ΖΚ μείζονα λόγον ἔχει ἤπερ ΘΒ πρὸς ΒΚ᾽ rovrécriv fj ΘΒ πρὸς ΒΕ’ τουτ- écriv f ΚΖ πρὸς ZH rühren nicht von Archimedes her; denn Eutokios kannte sie nicht, was daraus hervorgeht, dass er sie (zum Theil mit andern Worten) als seine eigene aufführt p. 190 extr. (über diese Stelle s. oben p. 382).

Besonders übel ist der zweite Beweis p. 187—188 mitgenom- men worden. Bei unserer Ueberlieferung muss man annehmen, dass Eutokios p. 192—195 eine Paraphrase des ganzen Beweises gab, die meistens in einer fast würtlichen Wiederholung desselben besteht, mit wenigen, kurzen eingemischten Erläuterungen. Die Möglichkeit hier- von kann nicht geleugnet werden (cfr. p. 393); doch kann ich mich der Vermuthung nicht wehren, der echte Beweis sei viel ktirzer und gedrängter gewesen, so dass der uns überlieferte durch Emmischung von den Anmerkungen des Eutokios entstellà wordem sei; wenn dies sich so verhält, sind echte und unechte Bestandtheile dergestalt vermengt und in einander verschlungen, dass eine Trennung unmög- lich ist. Auch die Sprachform hat viel nicht-archimedisches, wie das wiederholt vorkommende örı (Quaest. Arch. p. 76) in der Be- deutung: δεικτέον, ὅτι (efr. Eutokios p.193, 16; 195, 42; 45), das den Commentatoren gekiufig ist; so leitet 5, D. Pappos seine Lemmata

396 J. L. Heiberg:

zu Apollonios ein. Ueber p.187, 32; p. 188, 22 und 27 8. Quaest. Archim. p. 75; die beiden Stellen p. 188 finden sich jedoch auch bei Eutokios p. 195. Ich wage es nicht eine durchgängige Resti- tution zu versuchen und halte eine solche hier überhaupt für un- müglich; ich knüpfe daher nur noch einige wenige Bemerkungen an.

P. 187, 26 ff. steht in der Baseler Ausgabe und allen Hdss.: πρὸς τὸ ἀπὸ ΘΓ ἐπὶ τὴν OH, nicht OZ, wie Torelli liest, und die folgenden Worte, Lin. 27: 6 αὐτός écrit ... Lin. 30: ἐπὶ τὴν OH fehlen ganz und gar, wie auch bei Cremonensis. Wir haben es hier wieder mit einem zwar sachlich richtigen, aber der echten Form verfehlenden Supplement Torellis zu thun. Nach dem von Eutokios p. 192—193 aufbewahrten Lemma: δὲ τοῦ ὑπὸ HOA ἐπὶ τὴν ΘΑ αὐτός ἐςτι τῷ ἀπὸ ΑΘ ἐπὶ τὴν OH (denn auch hier hat Torelli aus eigener Erfindung die Worte: πρὸς τὸ ἀπὸ ΘΓ ἐπὶ τὴν OZ p.192 extr. und: πρὸς τὸ ἀπὸ ΘΓ ἐπὶ τὴν OZ p. 193,1 hinzugefügt; sie fehlen in edit. Basil. und allen Hdss.; gegen dieses hat es kein Gewicht, dass auch Cremonensis p. 48 zufällig auf das. selbe Supplement gekommen) ist die Stelle so zu restituiren: δὲ τοῦ ὑπὸ τῶν HO, OA ἐπὶ τὴν OA [ὃ αὐτός écnv τῷ ἀπὸ AO ἐπὶ τὴν OH: δὲ τοῦ ὑπὸ τῶν HO, AO ἐπὶ τὴν ΑΘ] πρὸς τὸ ἀπὸ ΘΓ ἐπὶ τὴν ΘΗ, ó τοῦ ἀπὸ τῆς ΘΑ κτλ. Doch ist wahr- scheinlieh αὐτός écriv τῷ τοῦ ἀπὸ AO, und der Ausdruck ist etwas ungewöhnlich; man hätte eher erwartet: τὸ δὲ ὑπὸ τῶν ΗΘ, ΘΑ ἐπὶ τὴν ΘΑ τὸ αὐτό Ecrıv τῷ ἀπό; aber diese Besserung, die noch dazu zweimal vorzunehmen wäre, ist allzu gewaltsam, und die Ueberlieferung lässt sich zur Noth erklären; es wird hinzugedacht, dass die Nachglieder der Proportion gleich sind. Die Lacune er- klürt sich leicht aus der Wiederholung von ἐπὶ τὴν OA.

P. 188, 3 scheint Eutokios die Worte: τὸ ἀπὸ τῆς AB κύβος πρὸς τὸν ἀπὸ τῆς Bf κύβον᾽ τουτέςετι nicht gehabt zu haben; denn p. 194, 28 führt er die Stelle an ohne sie, nachdem er p. 194, 16 ff. die in denselben enthaltene Proportion mit seinen eigenen Worten und als seinen eigenen erklärenden Zusatz auseinander gesetzt hat. Ganz ebenso verhült es sich mit der Stelle p. 188, 13: τὸ ἀπὸ ΑΘ πρὸς τὸ ὑπὸ BO, ΘΓ΄ rovrécri, die Eutokios p. 195, 9 übergeht, nachdem er p. 195, 4 ff. ihren Inhalt als ein von Archi- medes übergangenes Mittelglied der Schlussfolgerung selbst hinzu- gefügt hat.

Der Wortlaut des Satzes selbst würde nach p.218, 42 ff. fest- gestellt werden können, wenn nicht dort die Schreibung sehr zwei. felhaft wäre. Was jetzt dasteht, enthält eine positive Unrichtigkeit; denn die Theile der Kugel verhalten sich nicht wie die der Dia- meter. Nizze, der zuerst die Stelle richtig verstanden hat und gegen die Missverständnisse Torellis (als ob Archimedes drei falsche Sätze aufgeführt hätte) und des Recensenten seiner Ausgabe in der

Philologische Studien zu griechischen Mathematikern. 397

Jenaer Litteraturzeitung (als ob die falschen Sätze von Konon her- rührten) vertheidigt, will in seiner Uebersetzung p. 282 die Worte Lin. 44—46: ποτὶ τὸ ἔλαςςον τὸν αὐτὸν ἕξει λόγον, ὃν τὸ τμᾶμα τὸ μεῖζον τᾶς διαμέτρου ποτὶ τὸ ἔλαςςον. Τὸ γὰρ μεῖζον τμᾶμα streichen. Dadurch wird freilich die Unrichtigkeit beseitigt, aber wie sind die Worte in den Text gekommen? Vielleicht wird eine genaue Collation des Florentinus über diese, wie hoffentlich über viele andere, für jetzt unlösbare Schwierigkeiten Licht verbreiten. Denn eben hier ist das, was die Collationen Torellis über die Hds. bieten, ganz unbegreiflich und ohne Zweifel von irgend einem Fehler entstellt; im Florentinus soll die Stelle wie bei Torelli stehen, nur statt &Aaccov: ἐλάςςονα μέν Lin. 47, wie auch im Venetus: EXaccov auev; Parisinus A soll ganz wie Torelli haben; in C sollen die Worte Lin. 46—47: τὸ γὰρ μεῖζον τμᾶμα τᾶς cpalpac ποτὶ τὸ EXaccov fehlen und statt ihrer à μὲν stehen, was D statt τᾶς ςφαίρας ποτὶ τὸ EAaccov hat; Parisinus B endlich soll Folgendes bieten Lin. 46—48: τὸ γὰρ μεῖζον τμᾶμα à μὲν dımkaciova λόγον κτλ. Sollten aber die von Nizze verworfenen Worte, wenig- stens ohne bedeutende Abweichung im Florentinus stehen, was da- durch wahrscheinlich wird, dass Cremonensis ganz wie Torelli ge- lesen haben muss, möchte ich vorschlagen Lin. 44 nach ἐν τᾷ ςφαίρᾳ ein zum folgenden τὸ μεῖζον τμᾶμα gehörendes τῆς μὲν ἐπιφανείας einzuschalten und Lin. 46 statt γάρ, dem μέν entsprechend, δέ zu schreiben, eine nicht eben seltene Verwechslung. Dass die beiden Theile der Kugelüberfläche sich wie die der Diameter verhalten, wird wirklich II 9 p. 185, 16 ff. und Lin. 25 gesagt. Aus der ganzen Form des Beweises für II 9 geht freilich hervor, dass diese Angabe über das Verhältniss der Theile der Oberfläche im Satze selbst nicht mit aufgeführt war, und dass sie überhaupt nicht als selbständiges Theorem, sondern nur als eine Stufe des Beweises behandelt worden. Dennoch kann Archimedes sehr wohl p. 218 diese Angabe besonders hervorheben, weil er im falschen Satz dieses Verhältniss als dem der Kugelabschnitte gleich angegeben hatte, und daher besonders darauf aufmerksam machen wollte, dass nicht das Verhältniss der Abschnitte, sondern das der Diameterstücke jenem Verhältnisse der Theile der Kugeloberfläche gleich sei. Wenn die hierauf bezüglichen Worte weggeworfen werden, dürfen wir in den übrigen den Wortlaut des neunten Satzes erblicken, der jedoch bei der Transscription bedeutend gelitten hat.

P. 218:

P. 184:

'€àv cpaipa ἐπιπέδῳ τμηθῇ μὴ διὰ τοῦ κέντρου τὸ μεῖζον τμῆμα πρὸς τὸ ἔλαςςον ἐλάςςονα μὲν λόγον ἔχει διπλάςιον τοῦ, ὃν ἔχει τοῦ “μείζονος τμήματος ἐπιφάνεια πρὸς τὴν τοῦ EAdccovoc ἐπιφάνειαν, μεί- Zova δὲ f) ἡμιόλιον.

Αἴ xa «ς«φαῖρα ἐπιπέδῳ τμαθῇ εἰς ἄνιςα ποτ᾽ ὀρθὰς διαμέτρῳ τινὶ τῶν ἐν τᾷ ςφαίρᾳ ... τὸ μεῖζον τμᾶμα τᾶς cpalpac ποτὶ τὸ ÉAaccov ἐλάς- cova μὲν διπλάειον λόγον ἔχει τοῦ, ὃν ἔχει μείζων ἐπιφάνεια ποτὶ τὰν &Aáccova, μείζονα δὲ f| ἡμιόλιον.

398 J. L. Heiberg: Philolog. Studien zu griech. Mathematikern.

II 10 p. 197 ist ebenfells der Wortlaut des Satzes beträcht- lich verunstaltet worden, wie schon das unrichtige μεῖζον Lin. 8 andeutet, und das von Archimedes nicht angewandte ςφαιρικῶν:

P. 197: P. 219:

Τῶν τῇ ley ἐπιφανείᾳ περιεχομέ- (Δέδεικται γάρ, ὅτι) τὸ ἡμιςφαί- γῶν ςφαιρικῶν τμημάτων μεῖζόν ἔςτι ριον μέγιςτόν ἐςτι τῶν περιεχομέ- τὸ ἡμιςφαίριον. vuv ὑπὸ Icac ἐπιφανείας cpaípac

τμαμάτων.

Ueber p. 197, 23 ff. s. Quaest. Arch. p. 75. P. 198, 17 sind die Worte: τὸ ἄρα περιεχόμενον ὑπὸ τῶν TA, AP μεῖζόν ἐςτι τοῦ ὑπὸ τῶν ΞΚ, KA sicher unecht; denn sonst würde Eutokios p. 199, 37 an sie und nicht an die vorhergehenden Worte seine Be- merkung angeknüpft haben. Den in den bezeichneten Worten lie- genden Schluss, ein von Archimedes weggelassenes Mittelglied des Beweises, fügt Eutokios selbst p. 199, 44 ff. hinzu. Ebenfalls sind die Lin. 19 folgenden Worte: ὥςτε μεῖζόν Ecrı τὸ ὑπὸ τῶν TA, AP τοῦ ὑπὸ τῶν ΜΚ, ΚΓ zu streichen aus ganz denselben Grün- den; Eutokios hat selbst p. 200, 5 ff. dieses übersprungene Glied des Beweises nachgeholt, kann es demnach nicht schon im Text gelesen haben, oder er würde wenigstens in seinem Lemma diese Worte mitgenommen haben.

Hiermit bin ich mit diesen Untersuchungen zu Ende. Dass ich bei einer so schwierigen Sache nicht manchmal fehlgegriffen, oder dass ich gar mit einem Mal die ganze Frage erschöpfend behandelt haben sollte, bin ich sehr weit entfernt zu glauben. Ich habe nach reiflicher Ueberlegung vieles, dessen Echtheit mir zweifelhaft war (wie z. B. die häufigen Verweise auf frühere Sätze), ohne dass ich doch die Unechtheit zu beweisen mir getraute, unberührt gelassen, um lieber hie und da auch unechtes durchschlüpfen zu lassen, was leicht nachgeholt werden kann, als echtes anzugreifen. Auch halte ich es für unzweifelhaft, dass viele etwas besser gedeckte und durch Veränderung der Ausdrucksweise übertünchte Interpolationen uns für immer verborgen bleiben werden, besonders wo wir der Anlei- tung des Eutokios entbehren; denn wie viele der hier bezeichneten würden nicht unentdeckt geblieben sein, wenn nicht die Lemmata des Eutokios uns auf das echte führten?

Berichtigung.

Bei der Besprechung von Archimedes περὶ cpalpac καὶ κυλίν- bpou I 34 p. 111, 16 ff. (oben p. 389) ist es mir entgangen, dass Eutokios sich nicht auf die Worte: ὥςτε καὶ κτλ. bezog, sondern auf p. 112, 2 ff: ἔχει δὲ καὶ f διάμετρος κτλ. Also ist oben p. 385 diese Stelle zu streichen. Aber eben dieses Citat des Eutokios zeigt, dass von dem Verhültniss der Durchmesser und der Polygon- seiten nicht schon auf p. 111 gesprochen sein kann; er würde dann ohne Zweifel an diese Worte seine Bemerkung angeknüpft haben. Sodann sind auch die Worte: ὥςτε καὶ ai τῶν M, N διάμετροι τὸν αὐτὸν ἔχουει λόγον ταῖς τῶν πολυγώνων πλευραῖς p. 111, 16 (also die ganze Stelle p. 111, 11: τουτέςτι bis Lin. 21: ἐγγεγραμ- μένου) unecht. Dagegen werden die Worte: καὶ ἐπεὶ ὅμοιά Ecrı τὰ πολύγωνα, ὅμοια ἂν εἴη καὶ τὰ περιεχόμενα χωρία ὑπὸ τῶν εἰρη- μένων γραμμῶν p. 111, 9 10 echt sein.

J. L. Heiberg.

DE SUIDAE BIOGRAPHICORUM ORIGINE ET FIDE.

SCRIPSIT

BADENSIS.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl Bd. XI. 26

Men

Litterarum Graecarum veram historiam non prius posse perscribi quam de fontium et testimoniorum, a quibus omnis fere et profici- scatur opera nostra notitiaque et ad quae usquequaque revertatur oportet, forma condicione fontibus fide diligentissime sit quaesitum, non iam potest subterfugere peritos iudices, quamvis harum rerum parum habuerint rationem, qui artem ipsam susceperunt enarrandam. Enimvero quae veteres auctores de re litteraria Graecorum prodidere plerumque non ipsa &etatem tulerunt, sed per multos fluvios rivolos- que propagata continuata dilatata, mox etiam deformata et obscurata recentioris et infimae aetatis scriptorum seu conpilatorum industria nobis servata sunt. Pernecessarium igitur est ut omnia testimonia quam adcuratissime examinentur, eaque quae e priscis limpidisque fontibus manarunt per singulos gradus ad suum auctorem referantur. Quo quidem in genere quàm multa adhuc vel incerta vacillent vel delitescant obscura, nemo nescit qui has litteras paululum adtigerit. In Suidae vero biographicis, quae largissimam ac saepe fere unicaru litterarum Graecarum notitiam suppeditant, nuper extiterunt qui lauda- bile'ae bonae frugis plenissimum conlocarent studium; tamen sicut res ferebat minime omnia cum pulvisculo ut aiunt exhauserunt multa- que aliis emendanda supplenda enucleanda reliquerunt. Quae cum ita sint operae pretium futurum iudicavi, si in Suidae vitas scriptorum Graecorum denuo inquirere conarer. Sed noli opinari totam me quae- stionem absolvere voluisse: quod ne possem quidem pro innumeris quibus hoc opus inpeditum est difficultatibus. Ego equidem satis habeo hominum doctorum opinionibus subtiliter et circumspecte exa- minatis huius disquisitionis eam potissimum partem quae in librorum tabularum Suidianarum origine fideque indaganda versatur pertractasse, ac cetera quae de singularum notationum indole fontibus auctoritate recie animadvertisse mihi videar, apte disposita protulisse. Qua in re diei nequit quantum adiutus sim C. Wachsmuthii praeceptoris optumi insigni opera consilio exemplo: quod aequare licet viribus meis denegatum fuerit, suavissimum tamen fuit pro virili parte imitari.

Verum antequam ad propositum ipsum adgrediamur pauca prae- fari placet. Suidas quibus ex fontibus in βίοις scriptorum Graecorum hauserit, post Bernhardyum (Conmentat. de Suid. lexic. C. II. 8 9, p. LIII sq.) primum dedita opera rimari conatus est Did. Volkmann (dissert. “de Suidae biographicis quaestt. selectae", Bonn. 1861); dein hanc quaestionem tractarunt Otto Schneider (disputatione 26*

404 A, Daub:

‘de Callimachi operum tab. quae extat ap. Suidam' = Callimach. II

a. 1873), p. 23 sq.); tum eodem fere tempore et C. Wachsmuth on fontibus ex quibus Suid. in vit. Graec. script. haus, Symb. Phil. Bonn. I, 137 sq.) et iterum D. Volkmann (‘de Suid. biograph. quaestt. alterae', ibidem II, 717 sq.); denique etiam Fr. Nietzsche (cap. V de Laertii Diog. fontibus disputationis: “de Laertio et He- sychio’ Mus. Rhen. n. XXIV, 210 sq.), cuius sententiam novis argumentis firmare idem Volkmannus (“de Suid. biogr. quaestt. novae?,!) Progr. schol. Portens. a. 1873) studuit. Possumus autem duplicem in modum instituere hane quaestionem, aut ita ut a primis fontibus aliunde investigatis proficiscamur, deinde singulos fluvios rivolosque permetiamur usque dum in mare Suidianum pervenerimus, aut ita ut a Suida ipso exorsi ad singulos fontes viam persequamur, quoad his cursibus iteratis ad summos montes ascenderimus. Ac priorem quidem viam ita ingressus est Volkmannus, ut inter diversissimas Suidae notationes seorsum quasdam consideraret artiore cognatione inter se conexas earumque originem argumentis aliunde petitis erueret atque sic primos fontes indagaret, nihil curans quibus itineribus in „Oceanum“ Suidianum inmigrassent: ceteri vero, in primis Waochs- muthius, alteram amplexi sunt rationem longe sane difficillimam. Quarum duarum rationum per se satis probabilium eam esse cum maxime commendabilem, quae alteram teneat semitam salebrosam priore tanquam certissimo duce nunquam derelicta, verissime monuit Wachsmuthius (l. 1. p. 187): quam nos quoque in hac disputatione sequemur.

Caput I.

De Hesyehio Milesio eiusque Onomatologi epitoma unico fere Suidae fonte.

Hesychium Milesium in litteris Graecis praecipuum Suidae ducem fuisse ex huius ipsius verbis quae extant s. 'Hcóxioc (ἔγραψεν ὀνοματολόγον πίνακα τῶν ἐν παιδείᾳ ὀνομαςτῶν, οὗ ἐπιτομή écri τοῦτο τὸ βιβλίον) post M. Schmidtium npe Fragm. p. 17,1), G. Bernhardyum (1l. 1. p. LV), V. Roseum (de Aristot. libr. ord. et auct. p. 49) conclusit certaque?) argumentatione demonstravit

Has tres Volkmanni commentationes numeris I II III breviter de- signabimus. ?) Tamen Schneiderum in una re fallaci opinione deceptum esse Wachsmuthius (l.l. p. +88) exposuit, qui in ceteris illi adsentitur. Nam post Lehrsii luculentam disputationem (v. supr. p. 405) iam dubium esse nequit (cfr. etiam Wachsmuthium Nietzschiumque ]. 1.), quin libellus iste qui sub Hesychii Milesii nomine hodie circumfertur (,Tepi τῶν ἐν παιδείᾳ διαλαμψάντων coq U v*'* recentissima demum aetate ex frustulis Suidianis et Laertianis misere conflatus sit: quamquam id ne nunc quidem Schnei- derus (l. l. 24, n. 1) concedit. [Ceterum hac de re nunc prorsus aliter iudicat H. Flachius (vide eius disputatiunculam in Teubneri Nunt. &. 1879, no. 5, 85 sq. Hesychii Milesii libelli editioni praemissam), cuius rationes

De Suidae biographicorum origine et fide. 405

O. Schneider (Callim. II, 23 sq.) Neque vero conprobo sententiam quam de verbis “οὗ ἐπιτομή ἐςτι τοῦτο τὸ βιβλίον᾽ proposuit: quae cum hominibus doctis satis negotii facessiverint, iam paulo enucleatius erunt examinanda. Nec enim cum Schneidero interpolatori cuidam tribuo, sed unice Suidae ipsi, 18 tamen ut non cum Wachsmuthio (1.1. p. 138), Lehrsio (Mus. Rhen. n. XVII, 453, n. 2 = ‘die Pindar- scholien’ p. 159, n. 2), Schmidtio (1. 1.), Bernhardyo (1.1.), Roseo (1.1.) illud τοῦτο τὸ βιβλίον ad Suidae lexicon referam, sed cum Naekio (Choer. p. 35), C. Muellero (F. H. G.IV, 144), Volkmanno (II, 729 not.), Nietzschio (Mus. Rh. n. XXII, 193 not. 17), Bergkio (Hist. litt. Graec. I, 293, n. 50), L. Mendelssohnio (Act. soc. phil. Lips. II, 181, n. 1), H. Flachio (Eudoc. et Suid. p. 37, 96, n. 2) his verbis epitomen aliquam operis Hesychiani nunc oblitteratam significari censeam. At Volkmanno quem Nietzschius sequitur id unum non concedo, quod huic ipsi epitomae Hesychii vitam quae apud Suidam legitur olim praefixam fuisse statuit, sed multo simplicius existumo Suidam verba illa ex epitoma ipsa in qua Hesychii quoque vita enarrabatur parum cogitate descripsisse." Namque eorum opinio qui verba τοῦτο τὸ βιβλίον ad Suidae librum ipsum revocant propterea displicet, quod tum prorsus singulariter et inconcinne dicta essent, utpote quae non toti lexico Suidiano quod in glossis seu AéEeciv inlustrandis magnam partem versatur ac plane diversis nititur fundamentis, sed articulis ad litterarum tantum historiam pertinentibus conveniant: nec secus inepte, etiamsi interpolatori nescio cui inpularemus, immo multo ineptius quam Suida ipso essent adposita. Sed nullam omnino idoneam causam video, qua verba illa Suidae abiudicare cogamur: quippe in tali condicione quali nunc leguntur ab omni dubitatione exomta sunt.

Duo igitur opera litteraria olim extitisse videmus, ambo nunc de- perdita, et plenius Hesychii, i. e. ὀνοματολόγον πίνακα τῶν ἐν παιδείᾳ ὀνομαςτῶν, οὐ brevius, huius scilicet libri epitomen ab alio factam. Quae cum ita sint, id vel maxime quaeritur, qualis tandem ratio inter utramque scriptionem intercesserit, Ac de indole quidem et ordine Onomatologi, quo omnium Graecorum qui inde ab antiquis tem- poribus usque ad Iustiniani aetatem) litteris floruerunt ecclesiae pa-

quoniam non integras habeo perspectas, sub examen vocare in praesens non placuit.] Sed ut cetera argumenta omittam, vel illud gravem movet suspicionem, quod huius libelli ratio et consilium toto caelo distat ab eo quod in genuino 'Onomatologo' obtinuisse perspectum habemus (cf. Schneider. l. 1. 26 sq.). Enimvero in illo nihil nisi exiles quaedam de vita singulorum fabellae et philosophorum quaedam placita constipata sunt. Similiter hac de re nunc video iudicare Bergkium (1. 1.) neque aliter Flachium (l c. 96,3). Ceterum ne id quidem a Suidae ingenio alienum fore opinor, si quis Suidam ipsum verba illa adiecisse iisque hanc ipsam epitomen quam perpetuo in lexico suo contexendo manibus trivit oscitanter significasse contenderit, *) Ceterum cf. nunc Hohdium Mus, Hh. n, XXXIV, 563, n. 1.

406 A. Daub:

tribus seclusis (efr. Suid. s. ‘Hcüxıoc) vitas enarravit Hesychius, post Schneiderum (]. 1. 26 sq.) Wachsmuthius subtilius ita disputavit (1.1. p. 139), ut homines litteris insignes non una serie conprehensos, sed in diversa litterarum genera divisos κατὰ χρόνους dispositos fuisse ex indiciis quibusdam enuclearet. Revocat autem illud quod verba καὶ αὐτός in Suidae vitis aliquotiens reperiuntur plane super- vacanea ad indicem aliquem eumque Hesychii Onomatologum. "Velut quod illa s. Πολέμων Ó νεώτερος et s. Ὑπερίδης ita usurpantur, ab eo ordine quo apud Hesychium glossae secutae sint iure repetiit (sed cf. Rohdium Mus. Rh. n. XXXIV, 620); nec secus relicua exempla huie causae conveniunt, si ab indice s. ζωτάδης huc vix revocando discesseris. Praeterea autem 8118 in promptu sunt sane quam gra vissima, quibus Wachsmuthii opinio potest stabiliri.°) Veluti quae leguntur s. Πιττακός᾽. . eic καὶ αὐτὸς τῶν Z' copüv dv, et s. ζόλων . . Ecrı δὲ καὶ οὗτος elc τῶν T ὀνομαζομένων ςοφῶν (ubi id quoque velim adtendas, prope ad finem posita esse haec verba, unde Hesychii *epitomatorem' ea ipsum adiecisse illius ordinis ratione habita demonstratur), si conparaveris cum glossis s. Κλεόβουλος (.. eic τῶν Z' ὀνομαζομένων ςοφῶν, ῥώμῃ καὶ κάλλει διαφέρων τῶν κατ᾽ αὐτόν) et s. Περίανδρος (.. τῶν Z' ςοφῶν, cf. etiam gl. s. Aácoc, Μίμνερμος, Τυρταῖος), in Onomatologo ipso septem sapientes seorsum ex temporis ordine digestos fuisse facile perspicies. Quod item cadere videtur in septem illos tragicos, οἵτινες ὠνομάςθηςαν Πλειάς; modo considera glossas s. ᾿Αλέξανδρος, Αἰτωλός, Διονυ- cóábnc, Λυκόφρων, “Ὅμηρος, (ζοφοκλῆς, Cucí0coc, (ζωειφάνης, Φιλίεκος; nec dissimilem ad causam redire videntur quae in vitis poetarum comicorum Aristophanis et Menandri aequalium leguntur (ef. s. Θεόπομπος, Nixoxóápnc, Νικοφῶν, Πλάτων; s. Φιλήμων... βραχὺ Μενάνδρου πρότερος, s. ᾿Απολλόδωρος Γελῶος... εύγχρονος τοῦ κωμικοῦ Μενάνδρου, s. ἸΠοςείδιππος .. τρίτῳ ἔτει μετὰ τὸ τελευτῆςαι τὸν Μένανδρον. .), pariterque alia multa. Sed praeterea ad ordinem chronologicum in Hesychii libro servatum rettulerim quae reperiuntur 8. Cıuwvidnc Kpivew . . γέγονε δὲ καὶ αὐτὸς μετὰ éve- vrikovra xai τριάκοντα ἔτη τῶν Τρωικῶν, sc. ut ᾿Αρχίλοχος, cuius vitam ab Hesychio sine dubio enarratam Suidas describere omisit (cf. Volk. mannum III, p. IV, atque post eum Rohdium Mus. Rh. n. XXXIII, 193 sq. et de verbis istis et de re ipsa multo subtilius ac proba- bilius disputantem); s. Moucaioc '€gécioc, si quidem vera est Wachs- muthii coniectura verba sic refingentis: M. '€. καὶ αὐτὸς ἐποποιὸς (sc. ut M. ’EXeucivioc poeta vetustior) τῶν eic τοὺς TTepraumvouc κύκλους; s. TTeícavbpoc Nécropoc τοῦ ποιητοῦ υἱὸς... ἐποποιὸς καὶ αὐτός, se. ut Nécrup Λαρανδεὺς... ἐποποιὸς (cf. Suid. s. h. v.), 8. Νικόλαος... ἀδελφὸς Arockopldou γραμματικοῦ . . COPICTEUCAaC

ad In quibus non desunt quae ipse mihi comiter suppeditavit Wachs- muiunius.

De Suidae biographicorum origine et fide. 407

καὶ αὐτὸς ἐν Κωνεταντινουπόλει (ceterum glossam quae prae- cedit, 8. Νικόλαος ῥήτωρ, cum hac ipsa conectendam esse vidit Boissonadus [in Marin. Vit. Procl. p. 87]), sc. ut frater qui antea apud Suidam nominatur Atockópioc, Mupaioc, .. διδάξας τὰς θυγατέρας Λέοντος. . ἐν Βυζαντίῳ (cf. Bernh. ad h. gl.); s. Ὀρφεὺς Κικοναῖος.. γέγονε δὲ καὶ οὗτος πρὸ Ὁμήρου, δύο γενεαῖς πρεςβύτερος τῶν Τρωικῶν, sc. ut Ὀρφεὺς Thrax, quem γεγονέναι πρὸ τα΄ γενεῶν τῶν Τρωικῶν Suidas s. h. v. ait (cf. Lobeck. Aglaoph. 356), quocum conparare licet quod dicitur Εὔμολπος.. ἐποποιὸς τῶν πρὸ 'Ourpou (cf. etiam gl. Köpıvvoc). Porro glossa s. Ἐεμπεδοκλῆς, θυγατριδοῦς τοῦ προτέρου (sc. Empedoclis philosophi), τραγικός. . nunc ap. Suidam ante v. Ἐμπεδοκλῆς... φιλόζςοφος conlocata in Onomatologo harum glossarum inversum olim ordinem regnasse luculenter evincit, quem quidem chronologicum “epitomator’ eumque secutus Suidas ita inmutaverint, ut primo loco Empedoclis (tanquam poetae), secundo E. philosophi (tanquam pedestris scriptoris) notationem po- nerent, 9)

Itemque totius sententiae veritatem firmius conroborare videntur verba quae leguntur in gl. Εὐςέβιος 'Apófioc, propterea satis nota- bilia quod Eusebii istius aetas ad Hesychianam propius quam ceterorum quos adhuc enumeravimus scriptorum accedit: ςοφιςτής, ἀντιςζοφι- creUcac xai αὐτὸς Οὐλπιανῷ, nullius Eusebii vel alius cuiusdam qui fuerit Ulpiani aemulus mentione antea facta, unde suspicari licet apud Hesychium praecessisse memoriam nescio cuius sophistae, qui con- parem in modum atque Eusebius illius aemulus extiterit: quales quidem cogitari possunt Constantini aequales hice: l'uuvácioc, Θέων (ιδώνιος, Ἰάμβλιχος φιλόεοφος, Ὀνάειμος, TTaAAábioc, Παῦλος Αἰγύπτιος.

Denique unum suppetit exemplum, quo nescio an idem ordo stabiliatur, s. Πρόκλος ó Λύκιος, μαθητὴς CupiavoO, ἀκουςτὴς δὲ ἸΤλουτάρχου τοῦ Necropíou, καὶ αὐτὸς φιλόςοφος Πλατωνικός, pariter ac Cupiavóc . . φιλόςτοφος, ἡγηςάμενος τῆς ἐν ᾿Αθήναις cxoAfic τε καὶ διατριβῆς (i. e. scholae quae nuncupatur neoplatonicae),

$) Nam in Suidae lexico (nec aliter fuit in Hesychii epitoma) sin- gulos ὁμωνύμους scriptores in universum ita videmus dispositos, ut primum poetae, dein prosae orationis auctores recenseantur, id quod cadit in gl. s. ᾿Απολλόδωρος, ᾿Απολλιύνιος, 'Apicropávnc, "Appiavóc, Διο- γένης, Ἕρμιππος, Θεοδέκτης, Θεόπομπος, Ἵππαρχος, Μένανδρος, Mevekpárnc, Μυρώ, Ὅμηρος, ἸΤαλαίφατος, ἸΤτολεμαῖος, (τράττις, Crpáruv, Cwrädnc, Τιμόθεος, Φιλίεκος, Φιλόξενος, Φρύνιχος. At pauca exempla quae huic legi repugnant plerumque sio possunt expediri, ut Suidas ipse ex aliis fontibus glossam ὁμιύνυμον ceteris inseruerit sive adposuerit, cf. gl. s. ᾿Αρίςεταρχος, Διόδωρος, Nixócrparoc, Cürrarpoc, Φίλιππος, quarum omnes prima excepta Suidas ex Athenaeo conpilavit. Ceterum parum iuvat quod Bernhardyus lectorem ad Laertii 1. VIIL, 58 relegavit, ubi hoc unum legimus: Ἡρακλείδης δὲ. ἑτέρου qnclv εἶναι τὰς τραγῳδίας (sc. quae Empedocli philosopho volgo adscribebantur) nulla alterius Empedoclis mentione antea iniecta.

408 A. Daub:

διδάεκαλος γενόμενος Πρόκλου, ὃς καὶ διάδοχος αὐτοῦ ἐγένετο... Iam vero eidem fere libri, qui sub Syriani nomine hice recensentur, illic Proclo tribuuntur, qua quidem in causa Syriani discipulo „eosdem titulos retentos et in paribus argumentis esse consumptos“ Bernhardyus recte negavit, eidemque plane adstipulor, quod ommia scripts inde a verbis, “ἔγραψεν eic Ὅμηρον ὅλον ὑπόμνημα᾽ usque ad βιβλία δέκα᾽ a Syriano abiudicavit (cf. etiam Lobeck. Aglaoph. p. 344). Qui tamen nollem addidisset per , fraudem" opera illa Syriano supposita indeque, quod homo male sedulus similitudine tam studiorum quam librorum utriusque philosophi conmotus ante librum “περὶ τῶν παρ᾽ Ὁμήρῳ θεῶν᾽ verba eic τὰ TIpöxkov adpinxisset, factum esse, ut e gl. Πρόκλος traducerentur verba περὶ τῶν παρ᾽ Ὁμήρῳ βιβλία δέκα (ceterum idem censet Flachius, 1. 1. p. 42 2q.). Nam si quid video res ita se habet, ut “epitomator’, qui in Ὅπο- matologo’ Syriani et Procli glossas iuxta conlocatas reppererit, ea- dem fere opera utrique temere adscripserit.

Cum plenum opus Hesychianum ex temporis ratione ad- ornatum fuisse nuno pro certo adfirmari possit, 'epitomatorem' qui in breviorem formam illud redegit singulos articulos rursus ad litterarum ordinem in Suidae lexico qualem nunc animadvertimus digessisse ex duabus potissimum rebus licet oonligere. Ac primum quidem me docuit Wachsmuthius verba καὶ αὐτός aliquotiens ita esse adhibita, ut non solum ad ὁμωνύμους auctores qui antecedunt relegent (cf. Volkm. III, p. VI sq.), sed etiam ad tales qualium no- mina ex ordine alphabetico proxima sint. Velut legitur 8. Cwcı- φάνης... τραγικός... ἔετι δὲ καὶ αὐτὸς ἐκ τῶν Z' τραγικῶν . ., pariter atque Cwcideoc, cuius nomen in “epitoma”’ praeiit; item 8. Τιμοκρέων . . κωμικὸς καὶ αὐτὸς τῆς ἀρχαίας κωμῳδίας, sc. ut Τιμοκλῆς; s. Φιλήμων Cupakócioc, καὶ αὐτὸς κωμικὸς τῆς νέας κωμῳδίας, sc. ut Φιλέταιρος; 8. Φιλιππίδης ᾿Αθηναῖος, κωμικὸς καὶ αὐτὸς τῆς νέας κωμῳδίας (of. Volkm. III, p. VII’), sc. ut Φιλήμονες duo.") Dein ad eundem ordinem rettulerim quod legitur 8. Ἐπίνικος, καὶ αὐτὸς κωμικός, ubi verba καὶ αὐτός ad glossam 8. Ἐπίλυκος, κωμικὸς ποιητής, paulo ante positam, quanquam vita Epimenidis interiacet, respicere videntur. Porro ni fallit opinio verba in calce glossae s. ζέλευκος Ἐμιςηνός exhibita “καὶ ἄλλον δέ τινα

ζέλευκον εὗρον ἐμπαράθετον (ἐν παρα A, ἐμπαρα, *V)’, quae mirum quantas difficultates hominibus doctis praebuerint, huc item possunt adsciri. Neque enim probabiliter Bernhardyus vocis ἐμπαρά- Ocroc interpretationem ex verbis gl. Νικόςτρατος.. ταῦτα ἐν παραθήκῃ εὗρον κείμενα nondum satis explicatis petiit traditamque scripturam εὗρον ἐν παραθήκῃ conrexit, i. e. ‘in alio scrinio quam quo litterae grammaticorum continebantur, sive in corollario quodam vel auctario

7) Dubitanter addo gl. Διόδωρος, καὶ αὐτὸς κωμικός, pariter atque cuius nomen subsequitur Διοκλῆς κωμικός.

De Suidae biographicorum origine et fide. 409

narrationis de variis Seleucis’.., nisi forte ᾿ἐμπαράθετον᾽ “inter alios citatum" quispiam explicaverit.°) Sed vox illa ἐμπαράθετον tolerari Sane potest: quam usitatam fuisse Suidae ipsius glossa ἐμπαράθετος docet. Ergo Suidas ait se alium quendam Seleucum in Seleucorum numero proxime ceteros conlocatum repperisse. Noli tamen cum Volkmanno (IV, p. XI, n. 19) de Demetrii Magnetis indice scriptorum cogitare, sed unice de Hesychii epitoma, in qua Seleuci litteris in- signes una serie conprehensi erant.

Aliis deinde argumentis alphabeticus ordo 'epitomae' probatur. Enimvero glossa s. Käctwp 'Póbioc ῥήτωρ apud Suidam duobus locis invenitur, primum post v. Καρνεάδης... φιλόζοφος et ante v. Kap- γείωνος, dein post v. KacruAóc et ante v. Kacrpeücavrec. Iam vero cum inter glossam Καρνεάδης ἕτερος et v. Καςτωλός nulla alia inter- cedat, hac ipsa causa me quidem iudice luculenter evincitur Suidam in fonte quo utebatur articulum illum post gl. Καρνεάδης φιλόςοφος repperisse litterarumque ordine neglecto huic ipsi adnexuisse, infra iamen volgaris ordinis habita ratione Suo loco iterasse, Hinc duae res necessario consectariae sunt, et Epitomen κατὰ ctoitXeiov ad- ornatam (cf. etiam Nietzschium Mus. Rh. n. XXII, 196, et Bergkium, l. l. p. 292, n. 47, qui tamen Epitomen a pleniore Onomatologo non distinxerunt), nec secundum litterarum genera dispositam fuisse, cum philosophum rhetor subsequatur. Idem abunde docent testimonia qualia leguntur s. Μέλητος... ῥήτωρ, ubi verba καὶ ἦν ἐπὶ τῶν Ζήνωνος x. T. X. ad nomen Μέλιςςος haud dubie referenda apud Suidam Eudociamque (p. 301) cum hae glossa male coaluerunt (cf. Laert. IX, 24, vid. Menag. ad h. L, et Clint. F. H. II, p. 59, L); 8. Ἵπυς verba extrema οὗτος πρῶτος ἔγραψε .. xai ἄλλα ad gl. "Immüva£ pertinent (vid. Bernh. ad v. Ἵπυς); s. Cıuniac quae verba (ἦν δὲ ἐξαρχῆς (άμιος τῶν Capíuv) alieno loco leguntur, ad Cıuwvidnv ᾿Αμοργῖνον referenda sunt (cf. Ions. de Ser. Hist. Phil. 26, Clint. F. H. I, 179, IIT, 487, Welcker. Mus. Rh. a. 1835, p. 354); nec Bernhardyo adsentior ex hac quoque glossa intellegi dicenti, quantum dedecoris Suidas per librariorum an lectorum neglegentiam indoctamque temeritatem inmeritus subierit. Adde quod post gl. Ἔφιππος nomen Ἔφιππος turpi errore iteratum est, euius in locum Ἔφορος erat substituendum (cf. Clint. F. H. Append. c. 21, p. 374, et Bernhard. ad h. 1): unde liquido adparet ambas glossas in Epi- toma iuxta positas Suidae culpa esse confusas. Denique Bergkius

δ Aliter sed vix probabiliter his de duabus glossis Rohdius (Mus. Rh. n. XXXIII 182,!) iudicavit, qui 8. (ζέλευκος proposuit scripturam : εὕρο- - pev παρ᾽ ᾿ἈΑθηναίῳ (XV, 697, d?) et s. Nixócrparoc .. ταῦτα μὲν (ῦ) παρ᾽ "Aenvalu εὗρον κείμενα, ubi quidem iradita verba nimis audacter mutavit: ceterum quantopere suae ipsius coniecturae diffidat scriptura μέν probat. Praeterea Bernhardyus huo relegare non debebat verba s. Δαμόφιλος᾽ ἐξ ὧν ταῦτά μοι εὕρηται ἐν ταῖς τῶν βιβλίων θήκαις ab Hesychio profecta planeque diversa significatione adhibita.

410 A. Daub:

(1. s. c.) inde quod verba extrema διέτεινε δὲ πάνυ πολλά ad Aristophanem Byzantium pertinentia cum gl. 'Apicrü)vuuoc male conglutinata sint (cf. Meinek. F. C. G. I 198), conligere non debuit Onomatologum (vel ut nunc rectius loquamur Epitomen") dispositum fuisse ex litterarum ordine: nec enim Suidas Eudociave priorum errores secure repetierunt, neque 'Epitomator' tali errore inplicatus est, sed Suidas ipse memoriam 'Apicruvüpou ex Athenaeo in mediam glossam "Apicropávnc temere inculcavit.?)

Caput Il.

De Dionysio Halicarnassensi primario Hesychii in vitis poetarum et musicorum auctore.

Quoniam satis exploratum est Suidam omnes fere notitias una eum librorum tabulis ex Onomatologi Hesychiani "Epitoma" desum- psisse, gravissima oritur quaestio, quos fontes Hesychius ipse in vitis pertexendis adhibuerit. Ac prae ceteris quidem hic nominandi sunt Dionysii Halicarnassensis minoris libri XXXVI povcixfjc icropíac (cf. Suid. s. h. v.), quod opus amplissimum in vitis poe- tarum et musicorum primarium fuisse Hesychii fontem post Meinekium (F. C. G. I, 16 sq., 608 sq., V, I) Schneiderus evidenter demonstravit!?) (1.1. p. 29 sq.), Wachsmuthius novis argumentis con-

?) In fine huius disputatiunculae conmemorare lubet Usenerum (Mus. Rh. n. XXVIII, 404) Theonis et Pappi cuyxpovicuóv qualem exhibet uidas reiecisse (cl. Leid. Mscr. n. 78. Fast. Theon.) Pappumque tertio saeculo exeunti adsignasse. Opinatur nimirum Hesychii 'epitomatorem? ea ralione qua Pappum et Theonem apud Hesychium consociatos in- venerit inductum esse, ut aequalem utrumque fuisse diceret Theonisque aetatem ad Pappum revocaret. Sed talis Hesychii erroris explicatio parum adridet. Theonis utique aetatem sub Theodosio M. certo constitisse tenendum est. Iam vero non solum iuncti hic illic conmemorantur Pappus et Theon interpretes Ptolomaei syntaxeos, sed in codicibus etiam- num operam ita videmus conciliatam, ut τὰ Ofwvoc elc τὸ λεῖπον τοῦ ἸΤάππου exhibeantur (cf. Fabric. bibl. VIII, p. 208); Pappi autem aetas in- certa fuit: ergo huncipsum cum Theone ab Hesychio ad idem tempus relatum fuisse credo. !°) Qui tamen in disputatione de memorabili testimonio s. Ἡρωδιαν ὀς (p. 31 sq.) id mihi non persuasit, Dionysium in opere suo addidisse memoriam eorum grammaticorum qui poetarum scripta con- mentariis inlustraverint. Nempe laudat Schn. glossas s. TlauplAn et s. Cwrnpldac, ubi Dionysii musica historia in testimonium vocetur: nam cum neque Pamphilam nec Soteridam carmina panxisse constet, permirum esse quod libros Pamphilue volgo adscriptos Soteridae patris esse Dio- nysius in musica historia narrasse dicatur; unde facile posse conici, raesertim cum Soteridas (cf. Suid. s. h. v.) de Homero Euripide Menandro Sisseruerit, Dionysium eorum quoque grammaticorum qui in poetarum opera conmentarios conscripserint vitam pertractasse. Qua in re vir sagacissimus falsa opinatione deceptus est; nam inde quod D. in vita Pamphilae testis excitatur minime sequitur, ut idem Soteridae vitam peculiari notatione descripserit. Deinde vero quod Schn. s. v. Curnpibac

De Suidae biographicorum origine et fide. 411

firmavit (1. 1. p. 146 sq.). Idem musicae historiae indolem atque argumentum egregie adumbravit, cum Schneiderus amplissimum opus & Rufo quodam in brevem summam contractum esse acute evicisset. Rufianae autem epitomae imaginem quandam nobis informare possu- mus opera Sopatri, cuius magnam eclogarum partem ex Rufiano libro excerptam esse docet Photius (Bibl. Cod. 161, 16 sq.). Cuius ex verbis simul intellegitur in opere suo Dionysium de poetis lyricis tragicis comicis disputasse nec non epicos!!) tractasse (cf. Schnei- der. 1. 1. et Wachsmuth. p. 146, n. 26). Praeterea luculenter exposuit Wachsmuthius in poetarum musicorumque notationibus Suidianis ratio- nem plane earundem rerum habitam esse quas praecipue respexisse in pertexenda musica historia Dionysium ex Photii testimonio ad- pareat (ceterum cf. quae de Dionysii in harum rerum enarratione fontibus speciosa coniectura iudicavit E. Rohdius, in commentat. de Iul. Polluc. in appar. scaen. enarrand. fontt. Lips. 1870, p. 79 sq., praeterea inspicias Ey. Schoellium, de loc. nonn. ad Aeschyl. vit. etc. pertinent. Ien. 1875, p. 48).

Ad hanc igitur Dionysii scriptionem optima quaeque notationum Hesychianarum, prae ceteris librorum tabulas, recedere sine scrupulo contendere possumus: cui quidem opinioni inde potissimum adfertur auxilium, quod operum indices ex litterarum ordine digesti, quem in poetarum maxime scriptis recensendis animadvertimus, “pe- culiarem sibi et proprium' auctorem vindicant, in poetarum autem vitis permulta Dionysii copiarum vestigia inesse perspectum est.

' Dehinc gravior oritur quaestio, quis tandem poetarum libro- rum tabulas Dionysio suppeditaverit. Atque indices quidem κατὰ «(τοιχεῖον dispositos ex bibliothecarum catalogis esse petitos optimamque habere auctoritatem dudum intellectum est (cf. Volk-

in testimonium vocari illum contendit a vero multum recedit. Neque enim dubium eet quin glossa II 8. Cwrnpidac (Ἐπιδαύριος, πατὴρ Tlay- φίλης, fj τὰ ὑπομνήματα ὑπέγραψεν (?), ὡς Διονύειος ἐν A τῆς μουεικῆς ἱετορίας, βιβλία γ΄ (ῦ) pretii nullius sit utpote ex verbis s. ἸΤΤαμφίλη misere conformata (cf. quae dixi Mus. Rh. n. XXXV, 58 sq.). Denique Schneiderus non amplius mirabitur quod auctor musicae historiae de Pamphilae librorum auctoritate disseruisse dicitur, si Photii (Bibl. Cod. 175, 33 sq.) de huius studiis testimonium adtente consideraverit. Ibi legitur: χρή- cınov δὲ τὸ βιβλίον (sc. ἱετορικῶν ὑπομνημάτων) εἰς πολυμαθίαν᾽ εὕροι γοῦν ἄν τις καὶ τῶν ἱςτοριῶν οὐκ ὀλίγα ἀναγκαῖα καὶ δὴ xal ἀτοφθεγμάτων καὶ ῥητορικῆς διατριβῆς ἔνια καὶ φιλοςόφου θεωρίας καὶ ποιητικῆς ἰδέας καὶ εἴτι τοιοῦτον ἐμπέςοι. Quibus ex verbis elucet Dionysium satis habuisse causae quod in opere suo mentionem Pamphilae faceret. Ergo conruit Schneideri suspicio Dionysium eorum grammaticorum vitas tractasse qui illorum carmina conmentati essent opinantis. 1) Dubito huiusne Dionysii opus Suida laudetur 8. Ὀρφεὺς 'Obpócnc . . Διονύειος δὲ ro0- TOv οὐδὲ γεγονέναι λέγει (cf. etiam Lobeck, Aglaoph. I, 362, et E. Maass. de Sibyll. indic. (1879), p. 54, n. 178), immo Dionysium Phaseliten quem περὶ ποιητῶν (cf. Vit. Nicandr. in Westerm. Biogr. p. 61, 20) scripsisse constat hic significari credo. Contra s. ’Avrıpdvnc quin D. Halicarnas- sensis testimonium proferatur nullus dubito.

412 A. Daub:

mann. I, 28 sq., II, 724, Wachsmuth. Philol. XVI, 662 sq., Symb. p. 148, U. de Wilamowitzium, Anal. Eurip. 131 s&q.). In Suidae iamen tabulis id praecipue nobis agendum est, ut ordinem pertur- batum quoad eius fieri possit restituamus et recentiore additamenta resecemus. Qua via procedendo genuinas πινάκων tabulas ipsas redintegrabimus, quarum haec singularis virtus est, quod ea dum- taxat quae in certis bibliothecis sive Alexandrina sive Pergamena sive alis conlecta erant volumina respici solent (cf. Usener. Anal. Theophr. 24).

Ac tragoediarum quidem tabulas si perlustramus, ordinem alpha- beticum integrum servatum habemus, id quod iam Volkmannus per- spexit (I, 29 aq.), s. v. Διογένης fj Οἰνόμαος (cuius de fabulis nunc vide disputantem Rohdium Mus. Rh. n. XXXIV, 620), Κλεοφῶν, Λυκόφρων, Φιλοκλῆς, quibus Wachsmuthius (l. 1. p. 150) verissime addidit indicem qui extat s. Crív6apoc a Volkmanno (I, 84) per- peram explicatum. In Lycophronis vero tabula id velim adtendas tragoedias tantum litterarum ordinem tenere (cf. Welcker. Trag. Gr. III, 12 sq.), cum carmen quod Alexandra inscribitur seorsum exhibitum sit. Que re optimae notae esse tragoediarum indicem probatur. Dein Philoclis fabularum plenum catalogum excerpsisse tantum Suidam docemur verbis “ὧν écri καὶ ταῦτα᾽ (qua de loquendi ratione infra agetur), cum ab H demum littera initium faceret, in calce titulos manifesto omitteret, velut Pandionidem (cf. Kayser, Hist. cr. trag. Gr. 54 = Schol. Ar. Av. 282).

Porro tragoediarum ordinem alphabeticum obscuratum Volk- mannus (I, 30 sq.) in integrum restituit s. v. ᾿Απολλόδωρος, Νικό- μαχος, Tıuncideoc, etiamsi de multis rebus ambigi potest; tabulam denique 8. Φρύνιχος eandem prae se ferre indolem Wachsmuthius (1. 1. 150, 151) sagaciter perspexit.

Quae tabulae cum fide dignissimae sint, Thespidis tragoediarum indicem ne flocei quidem faciendum esse!**) iam Bentlei (Phalarid. 271, interpr. Ribb.) acumen intellexit (cf. Volkmann. I, 34). Hoc tamen diiudicari nequit, utrum Dionysius Hesychio tabulam suppeditarit an hie vel Suidas aliunde delibaverint. Unum certissimum est fabulas Suida enumeratas (μνημονεύεται δὲ τῶν δραμάτων...) in πί- γακας nunquam fuisse relatas, quod quidem vel usus verbi μνημο- γεύειν a catalogorum sermone remotissimi liquido indicat.

Dein comoediarum tabulae quales nunc reperiuntur apud Suidam partim ex priscis ac limpidis fontibus fluxerunt partim ex Athenaei libris conlectae sunt. Quo de altero indicum genere haud dubie Suidae ipsius manu confectorum peculiariter infra disputabitur;

133) Cuius tragoediarum et titulos et fragmenta Heraclidis Pontici (cf. Laert. V, 92) fraudi deberi idem Bentleius subtiliter ostendit. De huius vero opere quod ςυναγωγὴ τῶν ἐν τῇ μουεικῇ (διαλαμψάντων) in- scribitur docte nuper disseruit Bergkius (Hist. litt, Gr. I, 404 sq.), cf. Plut. de mus. III, p. 1132 d, et Ric. Volkmanni adnot. p. 59.

De Suidae biographicorum origine et fide. 413

priores vero Hesychio Dionysium ex bibliothecarum catalogis haustos praebuisse idem probat ordo alphabeticus!?^) seu integer servatus sen redintegrandus. Ac primum quidem fabulae s. v. Χιωνίδης, Κράτης ᾿Αθηναῖος, Εὔπολις, Πλάτων, Λεύκων, Kngicóbupoc, Φόρμος enumeratae litterarum seriem etiamnum stricte tenent, quod iam per- spexere cum Volkmannus (I, 34 8q.) tum maxime Wachsmuthius (l 1 151 sq.) Praeterea iidem ordinem obscuratum illum sed in integrum su& cura restitutum detexerunt in tabulis s. v. Φρύνιχος, Καλλίας, (τράττις, Νικοχάρης, Νικοφῶν, Φιλωνίδης, Φιλύλλιος, ζαννυρίων (euius de fabulis vide quae dixi Mus. Rh. n. XXXV, 64 sq.), Φιλίεκος. Quarum in numero titulos 8. v. Καλλίας (. . οὗ δράματα Αἰγύπτιος ceterum nescio an huius inscriptio fuerit potius Αἰγύπτιοι eisdem Antiphanis et Timoclis conlatis —, '4ra- λάντη, Κύκλωπες, Πεδῆται, Βάτραχοι, ZxoAdZovtec) praeter unum Βάτραχοι κατὰ cToıXeiov procedere omnes Volkmannus (I, 35) vidit. Iam si argumentum perpenderis fabulae TTedfiran quae Calliae sine dubio vindicanda est, cf. Meinek. F. C. G. I, 214 TTebfjtai Βάτραχοι germanam fuisse inscriptionem facile mihi concedes.

Quibus tabulis dubitanter addo etiam eatalogos s. Μεταγένης, Διοκλῆς, ᾿Απολλοφάνης, ᾿Αραρώς, Φιλέταιρος, Ὠφελίων, Ἡνίοχος, ζώφιλος, Τιμόθεος, ᾿Απολλόδωρος Γελῶος, tamen hi omnes uberio- rem atque explicatiorem flagitant enarrationem, quam in aliud tempus differre praestat.

Caput III.

De epicorum carminum tabulis e bibliothecarum catalogis petitis.

Iam cum et tragicorum et comicorum indicibus examinatis Calli. machi πίνακας omninoque bibliothecarum catalogos tanquam prima- . rios Dionysii Halicarnassensis fontes investigaverimus, ad epicorum poetarum tabulas recte aestimandas ac pernoscendas via planior facta est et expeditior.

130) Noli tamen huc referre indicem g. ’‘Apıcropdvnc exhibitum. Substituit nimirum Suidas ex eodem Aristophanis comoediarum exemplo ex quo scholia excerpsit nomina XI fabulatum a plerisque tum lectitatarum cf. ἅπερ δὲ πεπράχαμεν 'A. δράματα. ., et de usu vocis πράττειν etc. vid. G. Buenger. de Arist. Equ. Lys. etc. ap. Suid. reliqu. Diss. Argent. 1878, p. 9, 10 in locum pleni indicis quem Hesychii epitome ei praebebat (cf. Wilamowitz. Herm. v. XIV, 464 sq., etiam Anal. Eurip. 185, not. 3). Verum hanc plenam tabulam aliunde nuper recuperavimus: nam Fr. Novati ex cod. Ambros. L. 39 sup. edidit (Herm. 1.1. 461 84.) κατά- λογον τῶν ᾿Αριςτοφάνους ποιημάτων, quorum numerus (μδ΄) cum Suidiano (δράματα δ᾽ αὐτοῦ ud’) mire concinit. Hectissime igitur convenit enim etiam 'Apicr. γένος in Ambros. enarratum cum brevi vita Suidae Novati coniecit et Suidae testimonium et indicem Ambrosianum ex eodem limpido fonte, i. e. πίναξι, promanasse.

414 A. Daub:

Enimvero in his item ad litterarum ordinem dispositae reperiuntur tabulae, quarum luculenta exempla s. Νίκανδρος et s. Εὐφορίων extare iam Schneiderus (Call II, 32) perspexit, quibus v. 'Hcíoboc nec non v. TTavvacıc et Εὔμολπος Wachs- muthius (l.l. p. 149, et not. 38) addidit. Qua in re unum gravissi- mum est. Nam, quod nemodum disertis verbis monuit, ordinem alphabeticum non servatum cernimus nisi in libris eius- dem generis indolisve recensendis, i. e. plerumque poeticis, nusquam tamen in scriptis generis diversi, it& ut ποιή- ματα et pedestris sermonis scriptiones coniunctim κατὰ ς«τοιχεῖον non procedant. Idque vel maxime cadit in Alexan- drinorum poetarum indices ex litterarum ordine digestos, quos prosa quoque oratione libros conposuisse nemo ignorat. Velut s. Εὐφο- piwv epica tantum carming enumerantur, id quod ipsa Suidae verba liquido conmonstrant (βιβλία δ᾽ αὐτοῦ ἐπικὰ ταῦτα᾽ "Hcíoboc, Mo- ψοπία Ἄτακτα... Χιλιάδες. .), neque in tabula ulla fit mentio librorum pedestri sermone perscriptorum, velut eiusdem ἱςτορικῶν ὑπομνημάτων, περὶ μελοποιῶν, περὶ Ἰεθμίων x. T. λ. Secuntur vero ex litterarum ordine (cf. Wachsmuth. 1. 1. 150 et inprimis not. 39) Euphorionis opera a Suida conmemorata, de quibus optime disseruit Meinekius (Anal. Alex. p. 12—15), eiusque iudicium fere conprobo, eum mira narraverit Bernhardyus (ad Suid. s. h. v.). Porro opinari licebit hanc tabulam in fronte (.Hcíoboc), in medio, in calce (Χιλιάδες qui quidem titulus eorum qui innotuere secundum litterarum ordinem est, novissimus, cf. Meinek. l. l. p. 75) a Suida delibatam esse.)

Dein de indice s. 'Hcíoboc servato iam nil fere habeo quod addam; videmus autem tribus titulis κατὰ ςτοιχεῖον ordinatis ea Hesiodi carmina quae aetatem tulere praemissa, cuius rei qualis ratio sit Volkmannus (II, 728) exposuit. Atque eandem normam in indice s. Νίκανδρος exhibito regnasse in propatulo est: N.... ἔγραψε Onpiaxó, ᾿Αλεξιφάρμακα, l'ewpyiká, ἱΕἙτεροιουμένων βιβλία ε΄, Táceuv cuvaywynv, Προγνωετικὰ δι᾽ ἐπῶν (uerarégpacrai δ᾽ ἐκ τῶν Inno- κράτους TTPOYVWCTIKWY), περὶ Χρηςτηρίων πάντων (παντοίων con- iecit Volkmannus, nescio an recte, cf. simillimam Philemonis libri περὶ παντοδαπῶν χρηςτηρίων inscriptionem, quacum E. Rohdius [de Jul. Poll. fontt. p. 12, n. 3] apte conposuit Nicandreum libellum, de quo prorsus aliter sensit O. Schneider. Nicandr. p. 27) βιβλία γ΄ xol ἄλλα πλεῖετα ἐπικῶς. Sed de hac tabula paulo explicatius dicendum est. Nam contra O. Schneiderum, qui (Nicandr. edit. praef. p. 19 8q.) peculiarem de Nicandri scriptis quaestionem instituit, omnia 8. h. v. recensita scripta ἔπη fuisse arbitror. Hic tamen ita ratiocinatus est

13) De titulo 'Hcíoboc à Bernhardyo iniuria temptato vide Bergkium Anal. Alex. Marb. 1846, p. 19, Nietzschium Mus. Rh. XXV, 538, et XXVIII, 286. In huius glossae fine cur Westermannus cum Bernhardyo verba ἐπιγράφεται ἀποτελοῦνται deleverit non adsequor: sunt enim verba dumtaxat “ὡς διὰ χιλίων ἐπῶν ἀποτελοῦνται᾽ removenda.

De Suidae biographicorum origine et fide. 415

(p. 26, 27): in titulo προγνωςτικὰ δι᾽ ἐπῶν verba extrema aut solum ad προγνωςτικά aut quod veri ducit similius ad omnes qui antecedunt titulos posse referri: iam si hoc statueremus, librum περὶ χρηςτηρίων pedestri sermone conpositum, sin illud, τὴν iáceuv ευναγωγήν "fortasse" non item epos, sed prosa oratione conscriptam fuisse indicare voluisse Suidam. Sed neutrum effici potest. Verba enim δι᾽ ἐπῶν ideo, opinor, adposita sunt, ut Hippocratei operis pedestri sermone perscripti metaphrasis Nicandrea non item prosa sed versibus esse conposita significetur. Unde consequens est verba δι᾿ ἐπῶν ad προγνωςτικά unice pertinere; possumus igitur atque debemus ex novissimis verbis (καὶ ἄλλα πλεῖςτα ἐπικιῶς) concludere Scripta antea enumerata ἔπη fuisse, cum Αἰτωλικά (cf. Schneider. l. 1. p. 19 sq.), Κολοφωνιακά (1. 1. p. 26 sq.), περὶ γλωςςῶν (p. 26 sq.), περὶ ποιητῶν (p. 27 sq.), pedestria opera omnia, in Suidiana tabula omissa sint. Quae opinio firmius potest conroborari, modo pinaco- graphorum consuetudinis supra (p. 16) nobis adumbratae reminiscamur.

Praeter has tabulas egregia fide praeditas non desunt aliae notationes, quas si acrius perpenderis eisdem ex limpidis fontibus promanasse vix diffiteberis. Ac litterarum ordini non adversari titulos s. Πανύαςις iam Wachsmuthius (p. 149, n. 38) animad- vertit, quorum indolem bonam (cf. etiam Bernhardyum, Gr. Litt. Hist. II, 1°, p. 341) vel illud evincit, quod et versuum numerus sedulo denotatur et Ἰωνικῶν argumentum paucis delineatur. Nec non verba s. "Hpivva (.. ἔγραψεν Ἠλακάτην᾽ ποίημα δ᾽ écriv Αἰολικῇ καὶ Δωρίδι διαλέκτῳ ἐπῶν τ΄) eandem resipiunt auctorita- - tem, cum ea quae hisce adnexa sunt (ἐποίηςε δὲ καὶ ἐπιγράμματα) recentiorem prodant originem. Pariterque verba τελευτᾷ . . ἐννεα- καιδεκέτις ἴτοι τοῖς .Ομήρου ex epigrammate in Erinnam con- posito (cf. Anthol. I, p. 136: oi δὲ τριηκόσιοι ταύτης ςτίχοι ἴςοι Ὁμήρῳ || τῆς καὶ παρθενικῆς évveakaibexáreoc) efficta esse adparet. Alexandrinis vero grammaticis Erinnae epigrammata aut non in- notuisse aut suspecta fuisse reor: quanquam omnino nondum habeo exploratum poetriam revera conscripsisse epigrammata, quantumvis adfirmarint Bergkius (P. L. G.5, p. 926) et Bernhardyus (Gr. Litt. Hist. II, 1°, 554). Porro Choerili scriptorum notitiam ex prisco fonte haustam esse suspicor, etiamsi Suidas Choerilum Samium ab altero Alexandri aequali non satis distinxit: ἔγραψε δὲ ταῦτα᾽ τὴν ᾿Αθηναίων νίκην κατὰ Ξέρξου, ἐφ᾽ οὗ ποιήματος κατὰ CTIXOV «τατῆρα χρυςοῦν ἔλαβε (quod praemium unice recentiori Choerilo convenire subtiliter ostendit Naekius, Choeril. [Lips. 1817], p. 81—86) καὶ cüv τοῖς 'Oufpou ἀναγιγνώςκεςθαι ἐψηφίςθη (quae verba ad Choerilum Samium verissime idem rettulit p. 89 sq.). Λαμιακά, καὶ ἄλλα τινὰ ποιήματα αὐτοῦ φέρεται. Sed de inscriptione quam priori carmini celeberrimo Choerilus praefixerit parum constat (cf. Naekium Choer. p. 79): quippe exhibent nomen TTepcnic Stobaeus (Sermon. XXVII, 1), TTepciká Herodianus (περὶ μονήρ. A. p. 13).

416 - A. Daub:

At inscriptionem Suidianam ab aliquo Alexandrinorum grammatico- rum profectam esse crediderim. Dubitant etiam de altera scriptione, uirum Λαμιακά revera audierit tum ad sequiorem certe Choerilum referenda an ζαμιακά conrigendum sit (cf. Naek. p. 101), quam qui- dem sententiam equidem duco probabiliorem.

Dehine progredimur ad uberrimam tabulam s. Ὀρφεύς (Θρᾷξ) exhibitam, quade prudentissime Lobeckius (Aglaoph. I, 355 sq.) iudi- cavit, cum hac ipsa cum indice ap. Clem. Alex. Strom. I, p. 244 "quem e pinace antiqui cuiusdam critici excerpsisse videtur" (p. 353 sq.) conlata decem titulos apud Clementem omissos “in grammaticorum Alexandrinorum ἀναγραφαῖς non conprehensos fuisse! statuit. Ita- que Suidae catalogum pristina niti auctoritate (cf. etiam Bergk. Gr. Litt. Hist. I, 396 et adn. 237), sed recentioribus additamentis de- formatum esse censeo. Quod ne Bergkius quidem negävit, tamen ad Callimachum indicem revocare dubitavit. Sed nescio an inmerito: etenim si, quod ipse fatetur, Orphei opera in Alexandrinorum biblio- theca extiterunt, haec Callimachi curis in πίνακας esse relata credere par est. Nec Bergkio adsentior dicenti Alexandrinos in Epigenis quem ante Callimachum περὶ τῆς eic Ὀρφέα [ἀναφερομένης] ποιή- ceuc scripsisse ex Clem. Al, Strom. I, p. 244 conpertum habemus de Orphei scriptis iudicio adquievisse (p. 395 sq.; not. 235), quam opinionem conparatio Epigenis fragmenti (l. 1.) cum Suidae tabula institut& confestim infringet:

Epigenes. Suidas.

Ἐπιγένης δὲ ἐν τοῖς περὶ | .. eic "Atbou xardßacıv. ταῦτα Ἡροδίκου τῆς εἰς Ὀρφέα ποιήςεως | [Προδίκου O. Mueller. Orchom. 118, et Wel- Κέρκωπος (cf. Lobeck. | cker, Ep. Cycl. 255] τοῦ Περινθίου .. Agl. I, 364) εἶναι τοῦ TTu- Ἱεροὺς λόγους... λέγονται δ᾽ εἶναι Θεογν ἡ- θαγορείου͵ τὴν εἰς “Αἰδου | του τοῦ OecccaAo0, οἱ δὲ Κέρκωπος τοῦ Κατά Bacvkal τὸν Ἱερὸν λό- | ΤΤυθαγορείου. . Τέπλου καὶ Δίκτυον' καὶ γον, τὸν δὲ ἸΤέπλον καὶ τὰ | ταῦτα Ζωπύρου τοῦ Ἡρακλεώτου, ol Φυεικὰ Βροντίνου .. δὲ Βροντίνου.. Φνυεικά, Βροντίνου φαείν. Unde probabili coniectura possumus efficere Alexandrinos gramma- ticos Epigenis studia aliorumque fortasse in usum suum convertisse, ipsos tamen in fidem librorum Orpheo adscriptorum inquirere minime supersedisse.

lam duae epicorum tabulae reliouae sunt, quas item ex biblio- thecae alicuius catalogo fluxisse veri simillimum est. Sic legitur s. ᾿Αρριανός émoroióc . . μετάφραςειν τῶν γεωργικῶν τοῦ Βερτιλλίου ἐπικῶς ποιήςας, ᾿“λεξανδριάδα (Écri δὲ τὰ κατὰ τὸν Μακεδόνα ἐν ῥαψῳδίαις κδ΄, eic ἤάτταλον τὸν Tlepyaunvöv ποιήματα: qua in tabula vides eundem non posse dici auctorem et metaphrasis Vergili georgicon et carminis in Attali honorem conpositi. Quam temporum dissidentiam Meinekius (Anal. Alex, 371) ita facillime sustulit, ut duos cognomines Suidae inscitia confusos esse statueret. Praeterea indiculum s. Moucatoc '€gécioc servatum a πίναξι repeto: ἐποποιὸς τῶν cic τοὺς Tlepyaunvouc καὶ αὐτὸς κύκλους.

De Suidae biographicorum origine et fide. 417

ἔγραψε TTepcnidoc βιβλία v καὶ [ὕμνους intercidisse suspicatur Wachs- muthius] εἰς Eüuevn καὶ Ἄτταλον. Quae verba dici nequit quant- opere homines doctos torserint, quorum opiniones congessit Volkmannus (III, p. VIII et not. 8, vid. etiam C. Muellerum, Fr. H. Gr. IV, 6518 cum adnot.); verum huius ipsius conamen rei enodandae vel maxime displicet. Ac primum quidem Kustero et Bernhardyo adstipulor ἱκύκλους᾽ de conlegio vel docta hominum Pergamenorum societate interpretantibus: quam rationem si amplectimur una cum Wachsmuthio verbis καὶ αὐτός post ἐποποιός transpositis ita ut Musaeus Ephesius cum Eleusinio conferretur, vid. p. 406 —, hinc talis fere sententia elicitur: *Musaeus .. et ipse poeta epicus, unus ex iis qui in conlegia Perga- mena adlecta erant'. Qua cum notatione haud scio an apte queant conparari quae 8. v. Λεςχίδης leguntur: ὃς ςυνεςτράτευςεν Εὐμένει τῷ βαειλεῖ᾽ ἦν ἐπιφανέετατος τῶν (sc. Περγαμηνῶν) ποιητῶν. ευνῆν δὲ τούτῳ καὶ TTu6éac ευγγραφεὺς καὶ Μένανδρος ἰατρός.

Unum superest exemplum, quod unde originem traxerit pro certo dici nequit, tabula videlicet s. 'Apicréac.. τὰ ᾿Αριμάςπεια καλούμενα ἔπη (ἔςτι δ᾽ icropía τῶν Ὑπερβορέων ᾿Αριμαςπῶν) βιβλία τ΄... ἔγραψε δ᾽ οὗτος καὶ καταλογάδην᾽ (nam sic distin- guendum est; notitiam vero de opere ᾿θεογονία᾽ plane mendacem esse constat, cf. E. Hillerum Mus. Rh. n. XXXIII, 522) θεογονίαν εἰς ἔπη ,α, in qua carminis epici ad argumentum numerumque libro- rum descripti notitiam non sine veri specie πίναξι vindicare possu- mus (cf. etiam E. Rohdium ibid. p. 181, n. 2). Quanquam Dionysius Halicarnassensis (T. T. Ooukud. χαρ. c. 28, p. 863 sq.) et Cadmi Milesii et Aristeae scripta inter ea rettulit, quae licet aetatem tulis- sent non uno consensu pro genuinis haberentur. Sed Callimachus, opinor, fidem illius carminis suspectam sedulo notare supersedit. Nil certi denique enucleare potui de Homeri operum tabula, quam ex diversis particulis conflatam esse liquet, nec facile est singularum originem expiscari, cum permulti scriptores in Homeri vita et poesi enarranda desudaverint (cf. Tatian. ap. Euseb. Pr. Ev. X, 11 O. Schneider. Call. IT, fr. 390). Tamen singulos titulos quoniam in- conposite ac plane temere procedunt, Callimachi quamvis Homeri quoque carminibus hunc operam navasse (cf. ibid, fr. 74*) probe cognitum habeam niti auctoritate vix crediderim (cf. C. Diltheyum de Call. Cydipp. 10, H. Flach, Eud. et Suid, 56).

Hactenus de epicorum poetarum tabulis. Ceterarum auctores rimari in praesens mitto. Sed de Sibyllarum indicibus nonnulla adiciam. Etenim E. Maass (de Sibyll indic., dissert. Gryph. 1879, p. 51 sq.) verissime perspexit duos in Suidae lexicon inmigrasse indices Sibyllarum, alterum “Varronianum’ [ὅτι (ίβυλλαι --- βιβλία γ΄ (pro B^), cf. p. 32 sq., 37 sq.], alterum Hesychianum Sibyllas quae carmina re- liquerunt recensentem [ζίβυλλα Δελφίς ὁμοίως xpncuouc], inter quos glossam de Sambetha.Iudaea vilissimam esse insertam [C. Χαλδαία --- oi χρηςμοὶ αὐτῆς]. Hesychiana vero tabula, in qua

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 47

418 A. Daub:

non nihil probi insit, unde originem traxerit nescit (p. 54), sed ad auctorem Hadrianeae aetatis redire eam opinatur. Sed quid obstat ne Dionysium (musicum) auctorem esse credamus, praesertim cum Photius (Bibl, C. 103, b. B) in Sopatri (i. e. Rufi, cf. p. 411) libro Sibyllas invenerit recensitas? Ceterum haud negarim Dionysianam doctrinam recentioribus additamentis sensim auctam esse. !**) Praeterea autem non pauci librorum indices occurrunt, quorum fidem vel ad- modum suspectam vel omnino nullam esse post Bergkium E. Hillerus (Mus. Rh. n. XXXIII, 522 sq., cf. p. 518 sq.) sagaciter perspexit. In- Spice quaeso Palaephati operum tabulam: ubi sat miram versuum descriptionem & πίναξι repetere nolim, cum omnes tituli mere efficti sint (cf. Bergkium, 1. 1. I, 405, et n. 270; Hillerum, 1. 1. p. 522).

Ac plane eiusdem generis sunt verba s. 'Apicréac (vid. supr. p. 417) extrema, s. Εὔμολπος... ἔπη τὰ πάντα τριςχίλια (cf. Hiller. p. 523). Nec minorem dubitationis causam habent indices s. ’Avti- μαχος ἕτερος, s. Ἐπιμενίδης (euius de scriptis recte sensisse videtur Hillerus, p. 525 sq.; praeterea cf. Bohrenum de Sept. Sap., Bonn. 1867, p. 9, n. 8), s. Θάμυρις (φέρεται δὲ αὐτοῦ θεολογία eic ἔπη τριςχίλια, cf. Bergk. p. 404 sq., Hiller. p. 522), s. Ἰδαῖος Ῥόδιος (. . ἔγραψε xal ἄλλα Ῥοδιακὰ eic ἔπη ,v), s. Kópwwvoc (πρῶτος γράψας τὴν Ἰλιάδα, cf. Bergk. 406), s. Moucaioc 'CAeucivioc (ἔγραψεν ὑποθήκας Εὐμόλπῳ τῷ υἱῷ ἔπη ‚d, καὶ ἄλλα), s. Ὀρφεὺς Κικοναῖος, s. Ὀ. Κροτωτιάτης, 6. Ὀ. Ὀδρύςης, quorum de libris iam Lobeckius (Aglaoph. I, 355 sq.) sanissimum tulit iudicium cum diceret: “multo magis (quae in altera pagina secuntur) Byzantinorum pergulas redolent'. In quibus vel maxime suspecti sunt qui Orpheo Ciconeo tribuuntur (cf. etiam Lobeck. p. 378): et multa id genus scripta Neoplatonicorum demum aetate (altero p. Chr. saeculo) orta esse subtiliter monuit Bergkius (l. l. p. 400, 401). Plurimos vero titulos Hesychio non Dionysium suppeditasse, sed Hesychium Suidamve ipsum nescio quibus e latebris inscite congessisse mihi persuasum est.

Caput IV.

De Iyricorum earminum tabulis a Dionysio e Callimachi potissimum eatalogis Hesychio suppeditatis.

Dionysium musicum in lyricorum vita rebus scriptis enarran- dis praecipuam conlocasse operam cum huius operis indoles ipsa abunde doceat, tum ex Sopatri eclogarum descriptione Photiana de qu& supra vidimus optime intellegitur. Prae ceteris igitur huic ipsi Dionysiange scriptionis parti egregiam fidem tribuere possumus, qua

143) Tamen hoc loco non possum non castigare levitatem qua Maassius de Hesychii fontibus iudicavit: quippe ne Philonem quidem

Byblium inter praecipuos illius auctores diserim conmemoravit, nec philosophorum vitas unquam extremis tantum digitis adtigisse videtur.

De Suidae biographicorum origine οὐ fide. 419

tamen in re id velim adtendas, in Suidae notationum mole pristinam Dionysii copiarum speciem saepiuscule deformatam et recentioribus supplementis adauctam esse. Dionysii vero ipsias testimonia a locu- pleti quodam auctore oriunda esse signa nonnulla probant eaque gravissima. Etenim in lyricorum poetarum tabulis vel librorum seu versuum numerum adcurate definitum vel libros ex argumento dispositos vel eosdem ex litterarum ordine digestos vel singulorum poematum dialectum metrumve diligenter enotatum deprehendimus. Nec non in poetarum ipsorum aetate enarranda distinctam temporum notitiam cum spectamus, ad eruditissima Alexandrinorum chrono- graphorum studia ultro deferimur. Omnino autem qui harum vita- rum indolem considerarit, artiore nexu paene omnes contineri facile intelleget. Quippe videmus uniuscuiusque fere poetae nomen patriam parentes poeseos genus aetatem carmina concisa eademque dicendi ratione ita delineata, ut talia ad conmunem peculiaremque fontem non redire nequeant. Sed auctorem ipsum quem tandem fuisse cen- sebimus? Ac Mauritius quidem Schmidtius (Didym. Fragm. p. 394 sq.) lyricorum et septem sapientium vitas ex libro περὶ λυρικῶν ποιητῶν derivatas esse statuit, cuius auctorem Didymum non illum Chalcen- terum sed musicum !*^) fuisse autumat —: quam totam opinionem paene nullis argumentis fultam Fr. Nietzsche (Mus. Rh. n. XXII, 200) iure refutavit unaque demonstravit lyricorum notationes cum pinaco- graphorum curis multo magis quam volgo opinantur cohaerere. Tamen hic paululum subsistere et rem ipsam sedulo pervestigare placet. Aique ut statim quod sentio pronuntiem, illarum vitarum eam con- dicionem esse video, ut harum fundamentum iecerint Callimachi πίνακες, dein quae huius generis a Callimacho paucis enotata erant ceteri Alexandrini grammatici vel successores quos ille in bibliotheca administranda habuit auxerint et amplificaverint. Quam sententiam αὖ confirmemus, id praecipue ratione ac via probandum videtur, Callimachum in πίναξι non solum nuda scriptorum operumque no- mina enumerasse, sed de vita quoque auctorum pauca adnotasse. Ac duo potissimum testimonia hanc opinionem conmendare videntur: 1) Athen. VI, 252,c (cf. Wachsmuth. Philol. XVI, 659, et O. Schneider. Call. II, 318): 'ArráAou δὲ τοῦ βαειλέως ἐγένετο κόλαξ xai bi- δάςκαλος Aucíuaxoc, ὃν Καλλίμαχος μὲν Θεοδώρειον ἀναγράφει, Ἕρμιππος δὲ ἐν τοῖς Ocoppácrou μαθηταῖς καταλέγει. 2) Laert. (Diog.) VIII, 8, 1 (vid. eosdem): Εὔδοξος... τὰ μὲν γεωμετρικὰ ᾿Αρχύτα διήκουςε, τὰ δὲ ἰατρικὰ Φιλιςτίωνος τοῦ (ζικελιώτου, καθὰ Καλλίμαχος ἐν τοῖς πίναξί qnc, quocum cf. Eudociae quae Laertium conpilavit Violar. p. 198: '€ .. ἀκουςτής.. ὧς Καλλί- pa xoc ἐν τοῖς TTíva£iv, ᾿Αρχύτα xoi Φιλιςτίωνος. Extat et tertium

14 1») Han Hanc i ipsam de Didymo musico sententiam rectissime inprobarunt O. Schneider (Diar. antiqu. a. 1865 (no. 81), p. 241 sq.) et E. de Leutsch (Phil. XI, 20, not. 60), qui tamen eis quae de Pindari carminum disposi- tione (ibid. p. 17 sq.) disseruit, iustam rei rationem neutiquam perspexit.

27”

420 A. Daub:

testimonium (Procl. in Parm. Plat. Cous. 5 = Wachsm. 1. 1. p. 659 e Schneid. 1. l. p. 305 sq.: διδάςκκαλος μὲν Παρμενίδης, μαθη- τὴς δὲ Ζήνων, Ἐλεᾶται δ᾽ ἄμφω, καὶ οὐ τοῦτο μόνον, ἀλλὰ καὶ τοῦ ἸΤυθαγορικοῦ διδαςκαλείου μεταλαβόντε, καθάπερ που καὶ Καλλίμαχος [CD: Νικόμαχος} ἱετόρηςεν), sed hoc propterea ad- scisci nequit, quod ex πίναξι manasse non exploratum est (cf. C. Diltheyum de Call. Cydipp. 18, n. 1). Iam vero Wachsmuthius (1.1. 661) singulis auctoribus Callimachum breves de vita et studiis notulas subiecisse haudquaquam certum esse dixit: nam priorem illum locum (Ath. VI, 252, c) ita explicari posse, ut Lysimachus pleno nomine Θεοδώρειος adpellatus sit ne cum cognominibus con- funderetur, alterum (Laert. VIII, 8, 1) sic ut similium reminiscere- mur inscriptionum, velut Φιλοδήμου περὶ τῆς τῶν θεῶν eücroxov- μένης διαγωγῆς κατὰ Ζήνωνα (in vol. Hercul. VI), Φιλοδήμου τῶν κατ᾽ ἐπιτομὴν ἐξειργαςμένων περὶ ἠθῶν καὶ βίων ἐκ τῶν Ζήνωνος ςχολῶν (vid. Wachsm.). Utramque vero explicationem incertam esse quamvis non diffiteatur, respecta tamen tota πινάκιυν indole singulis seriptoribus de praeceptoribus potissimum pauca addita fuisse arbitra- tur. Hactenus Wachsmuthius. Sed prioris testimonii explicatio Wachs- muthiana mihi equidem parum adridet: etenim cum Lysimachi illius nomen minus fuerit celebratum quam ut istius modi opus esset di- stinctione, tum Hermippi Callimachei verba liquido monstrare videntur illie revera agi de Lysimachi praeceptore investigando, non de illo & cognominibus secernendo. Alterum autem exemplum quo res dirimatur aptissimum est: enimvero πίνακες ipsi in testimonium vocantur, nec Wachsmuthii ratio interpretandi ut nimis artificiosa mihi probatur. Quare ne hic quidem infitias ire possumus Calli- machum de Eudoxi magistro quaedam adnotasse. Quid? quod πινά- κων indoles ipsa prohibere videtur, ne auctorum nomina et scripta nude posita fuisse opinemur.!^) Cave tamen hoc munus latius patuisse

15) De inmortalibus Callimachi curis pinacographicis sat notum est doctissime disputasse C. Wachsmuthium (Philol. XVI, 653 sq.), deinde Fr. Nietzschium (Mus. Rh. n. XXIV, 189 sq.) hanc rem in transcursu tetigisse, sed parum probabiliter [sic huius de numero CXX librorum πινάκων coniectura iam & Schneidero (Call. II, 304 sq.) merito explosa ab omni veritate abhorret, nec secus illud displicet, quod Callimachum catalogo τῶν κατὰ χρόνους καὶ ἀπ᾿ ἀρχῆς γενομένων διδαςκάλων ad certam πινάκων partem carmina omnis generis conplectentem 8680 praeparasse’ statuit; rectissime vero meo quidem iudicio de ordine catalogi τῶν παντοδαπῶν cuyypauudrwv disseruit, p. 190, n. 2], tum O. Schneiderum (Call. II, 297 8q.) totam quaestionem retractasse et Wachsmuthio ad- gentientem et refragantem. Verum singula plenius enarrare vel per- censere ab hoc loco alienum est, sed pauca delibare placuit. Ac primum quidem Schneidero (p. 300, 301, 302) nequeo non obloqui ex verbis Tzetzae conmentarii 1n sec. Ambrosiano conprehensi (cf. Ritschelii opusc. phil. I, 200, lin. 2): Καλλίμαχος ὑςτέρως μετὰ τὴν ávópOuav τοὺς mí- vaxac αὐτῶν ἀπεγράψατο (cl etiam verba Ambros. primi: dv βίβλων τοὺς πίνακας K. ἀπεγράψατο) id elicienti, Callimachum librorum tabulas & primis bibliothecae ordinatoribus conpositas in suos πίνακας postea

Φ De Suidae biographicorum origine et fide. 421

suspicere, quasi Callimachus in scriptorum vitam dedita opera in- quisivisset: fundamentum tantum iecit, quo posteriores vere bio- graphi (in primis Hermippus) sus superstruxerunt aedificia.

Aperuimus igitur interiorem Suidae notationum et Callimachi πινάκων cognationem: qua enucleata pernecessarium est pristinam germanamqne singularum vitarum formam recuperare.

Quae praefatus iam lyricorum carminum tabulas ipsas examini subiciam. Ac primum quidem indices ex argumento digestos percensere lubet, quem quidem ordinem lyricae poeseos generi utpote maxime convenientem (cf. Wachsmuth. Symb. 149) et Callimachus secutus videtur (cf. eundem Phil XVI, 661 sq.).!9) Prae ceteris vero

Paris), quod Schneiderus consulto neglexit, necessario efficitur μετὰ τὴν διόρθωςιν demum operam institutam esse pinacographicam. Praeterea scholii Plautini verba (p. 6, 3: 'Callimachus etiam singulis volumi- nibus titulos inscripsit, quae equidem versionem parum adcuratam non tam verborum gramm. Paris. [p. 6, 15 Cram.], “ὧν τοὺς πίνακας Üctepov K. ἀπεγράψατο᾽ [sic enim scribendum esse duco pro ἐπεγράψατο, Meinek. Praef. ad Call. edit. XV: ευνεγράψατο)] quam Ambrosiani sec. (ὧν βίβλων τοὺς T. K. ἀπεγράψατο esse censeo) adfatim docent singula volumina ante Callimachi operam ad πίνακας nondum relata sed disposita tantum fuisse: eis vero quae infra exposuit Schneiderus (p. 307 sq.), tota eius opinio labefactatur. Qua re inmerito Tzetzae eam vindicavit sententiam (p. 302), ut bibliothecae Alexandrinae catalogos diversos fuisse existumarit a Callimachi πίναξιν, in quibus conscribendis illos adhibuerit. Nec ceteris quidem argumentis id mihi persuasit Schneiderus (p. 308 sq.), cum Calli- machum litteraram hietoriam condere voluisse probatum iret. Num tandem inde quod πίναξ τῶν bibackdAuv κατὰ χρόνους dispositus fuisse perhibetur pro certo licet conligere in relicuis scriptoribus adornandis eandem in- valuisse rationem chronologicam? Immo ni omnia fallunt ex peculiari ill testimonio contrarium effici potest. Sed omnino nondum perspectum est qualis fuerit indoles huius διδαςκάλων catalogi a Suida seorsum re- censiti; tamen non inepte suspicari possumus hoc ipsum opus a ceteris catalogis sejunctum fuisse, quo quidem Callimachus didascalicis curie Aristotelis locupletissimis adiutus peculiarem scaenicorum poetarum histo- riam conprehendisse videtur. Atque hoc ipsum fuit quo huius πίνακος ratio a ceteris longe differebat. Horum autem indolem a nostrorum catalogorum ieiunitate multo afuisse sciendum est. Inde etiam illud ex- plicatur quod Callimachus singulorum auctorum nominibus breves de vita subiecit notationes. Tamen hoc munus,artissimis limitibus coer- citum erat nec tam late patuisse videtur quam Schneidero visum est, quo suam opinionem stabiliri putavit. Certe quae ille de Homeri genere atque aetate disputasse narratur (cf. Call. fr. 390), num ad πίνακας per- tinuerint nescitur, 'neque etiam in qiAocópuv ἀναγραφῇ monuit περὶ yAwccwv Democriti (fr. 29 Schneid. p. 822), sed proprio opere de lis egit, quod pluribus explanare huc non adtinet. De ceteris rebus quae huc faciunt adi subtilem Wachsmuthi (l. 1. 661 sq., Symb. 148 sq.) enarrationem. Denique confer quae his de rebus prudenter exposuit G. Steffen de canon. qui dic. Aristoph. et Aristarchi, Lips. 1876, p. 8 sq. et not. 3, quem deinde secutus est O. Hampe (Ueber d. sog. Kanon der Alexandriner, Progr. Gymn. Jauer. 1877, p. 6 sq.) in eandem sententiam atque Schneiderus inclinans, auctore tamen non nominato. !$) Quae

422 A. Daub:

enitet tabula ditissima s. Πίνδαρος... ἔγραψε δ᾽ ἐν βιβλίοις ιζ΄ Δωρίδι διαλέκτῳ ταῦτα᾽ (quae nunc enumerantur): quade quan- quam docte et sagaciter ut adsolet nuper disputavit Bergkius (Poet. Lyr. Gr. I*, 367 sq.), tamen omnia nondum ad liquidum perducta videntur. Sed totam tabulam singillatim examinare nolo, immo satis habeo Bergkii sententiam hic illic vel emendasse vel supplevisse. Extant vero duae carminum Pindaricorum recensiones, quarum unam exhibet Suidas (vel ut rectius dicam eius fontes), alteram vitae Pindari (in eod. Vratisl, ef. Westerm. Biogr. p. 98, 43 sq.) auctor atque Eustathius (vid. Westerm. 1. 1. p. 96, 70 sq., Bergk. 1.1. p. 367 sq.). Quae cum ita sint quaestio oritur gravissima, utra harum recensio- num vetustiorem habeat originem. Ac Boeckhius quidem (Pind. Opp. . II, 2, 558 sq.) Suidianum indicem recentiorem eumque ab Aristarcho profectum esse censet, Áristophani autem Byzantio alterum vindicat, quem Pindari carmina primum in ordinem redegisse statuit. At Schneidewinus (Pind. Carm. ed. Dissen-Schneidewin. I, p. XCVI) pro Aristarchi nomine Callimachum substituit, ceterum in medio reliquit, utram confecerit tabulam. Cuius opinionem ad veritatem multo propius accedere negari nequit. Sed Bergkius primus (1l. 1. 396 sq.) mutuam inter utramque recensionem rationem acrius perspexit, cum alteram Aristophani adtribueret, vetustiorem esse priorem contenderet. Hanc tamen non a Callimacho alienam esse sibi persuasit, quippe qui cum ita disposita repperisset poetae carmina etiam in tabulas suas recepisset: Suidae vero auctorem ex hoc πινάκων opere Pinda- ricorum carminum tabulam delibasse. Nec recte Schneidewinum coniecisse a Callimacho talem in Pindari carminibus operam positam esse, quae huius studiis minime conveniret, ut qui non carminum editiones Aristophanis Aristarchi aliorumque instar paravisset sed librorum indices confecisset; neque omnino fuisse consentaneum nova eum moliri, verum res a maioribus traditas sedulo recolere, denique hac recensione ante Callimachum usos esse Aristoxenum Theophrastum Chamaeleontem. Haec quidem Bergkius. Cui statim obiciendum est de Callimachi editionibus hic non agi; is enim libros in bibliotheca servatos et antea ordinatos in πίνακας suos rettulit, qua in re con- siderandum est multa opera quavis inscriptione caruisse, quam eruere demum et constituere debuit Callimachus. Ergo huius catalogo tabulam iure adsignabimus. Recensionem autem illam iam Peri- pateticis innotuisse veri dissimillimum est neque ullo nomine Bergkii explanatione probatum (p. 371 sq.): haudquaquam enim exploratum est fragmentum 123 (Bergk.) ex Chamaeleonte, vel fr. 126 ex Ari-

Wilamowitzius (Anal. Eurip. p. 182) de lyricorum et ceterorum scripto- rum disponendorum ratione in medium protulit, parum dilucide aut distincte exposita sunt nec omnino probabiliter. Quid enim illud valet: 'scio quid in Suidae fidem infringendam non sine quadam veri specie obverti possit, ' vel similia quae pro exploratis venditavit vir in- geniosus?

De Suidae!biographicorum origine et fide. 423

stoxeno, vel etiam fr. 128 ex Theophrasto promanasse id certe falsum est, quod verba Athenaei X, 427 d: λέγω δ᾽ oiov xai TTiv- δαρος πεποίηκε κ. T. À. evidenter arguunt. Sed omnino Peripatetici de Pindari carminum recensione parum solliciti fuisse videntur. .

Verum ut ad Suidae tabulam praevertamur, generalem eius divisionem talem esse animadvertimus, ut primo loco carmina enu- merentur in fine enim scribendum videtur ἐπιγράμματα, πάντα ἐπικά, cum volgo legatur €. ἐπικά, quam vocem mendosam esse nullo iure Bergkius (1. 1. 367, not. 4) contendit in ᾿ἐπικά᾽ versuum nume- rum latitare opinatus; immo est 'versibus conposita', quo de usu vocabuli vide e. g. Nietzschium Mus. Rh. n. XXII, 197; cf. etiam Suid. s. Νίκανδρος, Χριςτόδωρος, alibi; respicit autem ad omnes qui antecedunt titulos —, secundo liber pedestri sermone conscriptus (καὶ καταλογάδην παραινέςεις τοῖς Ἕλληει καὶ ἄλλα πλεῖςτα, quae verba extrema haud scio an Suidas ipse suo arbitratu adposuerit). Quoniam vero verbis βιβλία 1Z' sine dubio carmina dumtaxat con- prehenduntur, Suidae autem seu librariorum socordia titulos Νεμεο- γίκας et Ἰεθμιονίκας omissos esse Kusterus perspexit, poemata re- censita numerum illum uno excedere patet: quare scribendum esse duco «κολιὰ ἐγκώμια, quorum iam Boeckhius et Bergkius (]. 1. p. 373) his illa adnumerarunt. Idem denique carmina ipsa secundum argumentum disposita esse luculenter evicit (p. 370).

Inter ceteras lyricorum poetarum tabulas Theognides vel dignissima est quae paulo enucleatius excutiatur: Θέογνις Μεγα- peüc .. ἔγραψεν ἐλεγείαν εἰς τοὺς cu8évrac τῶν Cupaxouciuy ἐν τῇ πολιορκίᾳ, γνώμας bi ἐλεγείας εἰς ἔπη ‚Bw, καὶ πρὸς Κύρνον τὸν αὐτοῦ ἐρώμενον, γνωμολογίαν δι᾽ ἐλεγείων καὶ ἑτέρας ὑπο- θήκας παραινετικάς, τὰ πάντα ἐπικῶς. Quo de indice plenissime ac doctissime disputavit Fr. Nietzsche (Mus. Bhen. n. XXII, in- primis p. 188 sq.), tamen huius iudicium in multis iisque gra- vissimis rebus conprobare nequeo. Praecipue autem id demonstrare conatus est, Alexandrinis grammaticis carminum Theognideorum vo- lumen non iam integrum praesto fuisse, unde γνωμῶν conlectionem ad tempora quae inter Platonem ac Ptolemaeum Philadelphum inter- iacent redire conclusit. Suidae vero notationem ipsam doctis Ale- xandrinorum studiis repetiit (ceterum cf. quae iam Welckerus ex- posuit Proleg. in Theognid. edit. p. LXIII sq.); dein rectissime verba in fine glossae adiecta (ὅτι μὲν παραινέςεις x, T. X.) Suidae ipsi tribuit (cf. H. Schneidewin. de syllogis Theognideis, Diss. Ar- gentor. 1878, p. 40 sq), relicua ab Hesychio Milesio derivavit. Tamen in his διττογραφίαν latere coniecit, cum titulus γνῶμαι δι᾽ ἐλεγείας eic ἔπη ‚Bw idem esset qui γνωμολογία πρὸς Küpvov.. καὶ ἕτεραι ὑποθῆκαι παραινετικαί. Ergo Suidam duas Hesychii notationes in unam conglutinasse, quam observationem eo confirmari arbitratur, quod in Eudociae violario duae de Theognide glossae occurrerent. Dehinc illud probare studuit (p. 191—193), Eudociam

424 A. Daub:

usam esse non Suidae sed Hesychii opere. Sed hic paululum sab- sistamus. Enimvero Nietzschius nequaquam probavit revera conflasse Suidam duos Hesychii articulos (idem sumpsit Bernhardyus, Hist. Litt. Gr. II, 1°, 529); immo res aliter potest expediri. Nam ut ilico profitear, Suidas vel auctor eius totum opus (γνῶμαι) versuum nu- mero adiecto in fronte tabulae laudavit, deinde singulas eius partes gubiunxit: 1) γνωμολογίαν πρὸς Κύρνον. 2) ἑτέρας ὑποθήκας παραινετικάς, in quibus nomina eorum quos poeta adpellaverit olim eodem modo enotata fuisse suspicari licebit.

Deinde vero mihi nondum exploratum est Eudociam ab Hesy- chio Milesio totam pendere; immo rem sic sese habere credo, ut docta mulier et Hesychii et Suidae thensauros despoliaverit.!") Praeterea

17 Quod uberiore argumentatione probari vetant conmentationis an- gustiae; quare pauca delibasse sufficiat. De fontibus quos Eudocia con- suluerit hominum doctorum opiniones in duas partes abeunt, cum alii velut Bernhardyus (Conm. de Suid. lex. p. XXVIII, XXXI), Ric. Nitzschius- (p. 28 sq.), Usenerus (Mus. Rh. n. XXVIII, 417) e Suidae lexico Eudo- ciam pleraque deprompsisse, alii iique plurimi, ut M. Schmidtius (Didym. 892, eb Annal. phil t. 71 (a. 1855), p. 474), Roseus (De Ar. libr. o. et ἃ. p. 50), H. Weberus (Philol. Suppl. III (1864), p. 469, n. 35), prae ceteris autem Fr. Nietzschius (l. 1. 189 sq.) et nuperrime H. Flachius (Untersuch. üb. Eudok. u. Suid. Lips. 1879, p. 37 sq.) onomatologum Hesychianum coninunem Suidae Eudociaeque fontem fuisse autument. Quibus omnibus possum neque adsentiri neque obloqui. Totam vero quaestionem qui nunc retractandam suscepit Flachius praeiudicata opinione plane abreptus ad eandem omnia normam eadem fere putida sedulitate exegit nec in re ipsa enucleanda multum profecit, quantumvis chartae fuerit prodigus. Flachii tamen librum explicatius enarrare ac percensere mox alibi conabor. Maiore contra cautione ac prudentia R. Nitzsche (Quaestt. Eudoc. capp. IV, Lips. 1868) rem adgressus est, cuius disputationis ordini quae nunc proponam adconmodare liceat. Ac primum quidem tenendum est excerpta Eudociana praecipue in adferendis singulorum scriptorum operibus interdum esse auctiora (p. 30, 31): quae partim ipsam addere potuisse Nitzschio largior, plurima non item (p. 32, 33). Quorum addita- mentorum indolem si consideraveris, non pauca neminem suppeditare potuisse nisi Hesychium facile dispicies. Recte porro N. (p. 384—365) de Eudociae narrationibus ad fabularem historiam pertinentibus sensisse videtur; id tamen probare haud contigit (p. 36 —40) Eudociam multas narrationes Suidianis manifesto vetustiores e propriae doctrinae dotibus adiecisse, quae omnes fere unice Hesychio debentur. At non desunt indicia sane quam gravissima, quibus illam Suidae thensaurum in usum suum convertiese luculenter evincitur. In 'violario? nimirum antistoichici quem nuncupant ordinis tot vestigia N. detexit (p. 41—43), αὖ amplius dubitari nequeat quin plurimas vitas hauserit ex lexico ratione anti- stoichica adornato, quod aliud fuisse arbitrabimur nisi Suidianum? Sed haud mediocriter demiror quod Flachius huius rei singularis parum habuit rationem. Huc adprime convenit quod Eudocianae scripturae cum deterioribus libris Suidae multifariam concinunt, neque etiam ab erroribus in quos Suidas incurrit illa cavit (p. 43 sq., sed s. Διογενειανός iusto sim- plicius N. rem expedire conatus est; cf. Rohdium Mus. Rh. XXXIII, 180), qua in re id N. potuit urgere, quod Eudocia una cum Suida in glossa Μέλητος describenda codem modo turpiter erravit. Quibus ponderatis Eudocia Suidae lexicon usurpasse mihi videtur, it& tamen ut Hesychii

De Suidae biographicorum origine et fide. 425

Nietzschius ingens turpium errorum onus parum caute Hesychio ipsi inposuit, quorum plurimos nemo nisi Suidas Eudociave conmisisse mihi videntur. Sed plane praepostere de duabus Eudociae glossis cogitavit. Ubi tandem Theognidis bis memoriam iniecit erudita mulier? Nimirum hunc primum recensuitin grege eoruin hominum, quos doctrina non insignes ceteris praemisit: posteaquam enim de Theognide Athe- niensium tyranno egit, statim Theognidis poetae memoriam adnexuit (ceterum cf. Flach. 1. 1. p. 83). Quae glossa in brevius contracta cum Suidiana convenit remoto quidem in fine cum Nietzschio (p. 194) errore (ἔγραψε δὲ καὶ γνώμας παραινετικάς). Adparet autem illam utpote ex Suida conflatam (nescio an ipsa Eudociae manu) quavis auctoritate: ease inmunem. Nec minus in aperto est Eudociam ex eodem alteram glossam s. Θέογνις (ποιητής) p. 232 deprompsisse, nisi quod paulo aliter eam excerpsit. Quare temere ille opinatur huius verba Ὑνώ- μας δι᾽ ἐλεγείας eic ἔπη ‚Bw’ ex priore articulo adglutinata esse. Utramque igitur glossam Eudocianam cum Suida conspirare patet. Unde consequitur Nietzschii molimen quo duas glossas Hesychio reddidit plane cassum esse, nec non ceteras eius ratiocinationes omni carere fundamento.!?) Sic conruit etiam ista opinio quam priore glossa perpensa mente concepit: cuius auctori et γνωμιὼν syllogam et unam elegiam, non carmina integra omnia innotuisse existumat. Nec vero conpertum habemus quot elegias Theognis conscripserit (p. 198, vid. Weleker. Prol. in Theogn. XV sq.), perinde atque incertum est elegiam in Syracusanos conpositam genuinorum car- minum fuisse particulam vel γνώμας ex his ipsis esse excerptas. Horum omnium argumentorum nervum admodum laxum esse per se ipsum intellegitur. Nec Leutschium (Philol. XXX, 232) quidem Nietzschii disputationem conprobasse video, quanquam argumenta addere supersedit (ceterum cf. etiam F. Ramorino Rivist. di filo- log. IV, 1—49, 238—249). Hic tamen ipse suam de singulis Theognidis carminibus sententiam parum perspicue neque ad per- suadendum adposite in chartam coniecit. Namque tria maiora car- mina voluit distingui (p. 207), primum elegiam in Syracusanos, qua-

onomatologum et conrigendi et locupletandi c&usa consuluerit. 18) Sic ut uno exemplo evincat (p. 195) in πίνακας Theognidem bis esse relatum, ad gl. Ἐπίχαρμος nos relegat, ut cuius bis fecerit mentio- nem Eudocia. Quo nil probatur, cum priorem ex Suida (s. ex Hesychio), alteram ex Laertio VIII, 78 ipsa deprompserit. Ergo perperam conlegit Theognidis memoriam et in ἀναγραφῇ τῶν ποιητῶν et in à. τῶν φιλο- cópuv illam repperisse. Nec minus prave coniecit in φιλοςόφων Ava- γραφῇ Phocylidem subsecutum esse Theognidem, propterea quod ille φιλόςοφος et cóvxpovoc Suidae adpellaretur, ac plane incredibile est alterum quem posuit (p. 194) Hesychii articulum propter aetatis defini- tionem suppressam ex tali ἀναγραφῇ fluxisse. Quid? quod Diltheyi (Mus. Rh. XVIII, 150 sq.) coniecturam ἠθικῶς pro ἐπικῶς in ordinem recepit: sed vocabulum illud “in versibus! est, quo omnes ὑποθῆκαι versibus conpositae fuisse disertim notantur, cf. 8. Νίκανδρος, Πίνδαρος, sim. (cf. supra p. 423).

426 A. Daub:

cum conposuit ὑποθήκας a Suida in fine conmemoratas, deinde elegias (p. 522), quibus omnia quae non ad Cyrnum pertinent conprehendit, tum γνωμολογίαν πρὸς Κύρνον, quam olim ὑποθήκας (πρὸς Κύρνον) inscriptam fuisse statuit. Qua in enarratione paris disparibus ad- mixta esse liquet, sed singula refellere nunc displicet.

Attamen ut huius rei summam conplectar: Si verum expiscari volumus, Suidae notationem totam considerare debemus neque in duas particulas discerpere. Quam ob causam sagacissimo homini hoc minime probare contigit, Alexandrinis grammaticis non iam carmina integra sed syllogam dumtaxat γνωμῶν innotuisse. Itaque ne id quidem quo praecipue intendit demonstravit, poematum conlectionem quam hodie manibus terimus inter Platonis Ptolemaeique aetatem conpositam esse (cf. etiam H. Schneidewinum l1. 1. 32 8q.).

Totam vero Suidae glossam, non unam tantum partem cuius pristinam originem Nietzschius (p. 200) perspexit, qui etiam ex Plat. Legg. I, p. 630 À iure conlegit Suidae de Theognidis patria testimonium non Didymo (quod parum recte Schmidtius [Didym. p.394] sumpserat), sed grammatico vetustiori, i e. Alexandrinorum aequali, posse adscribi ex Alexandrinorum catalogis oriundam esse nemo diffitebitur. His denique pauca subiungere placet. Welckerus !?* (Proll. in Theogn. p. LXIII) quidem tres titulos Suida adlatos (γνώμας, γνωμολογίαν, παραινέςεις) unum eundemque librum fuisse con- tendit, sed aliter equidem sentio, cum universam operis Theognidei inscriptionem γνώμας δι᾽ ἐλεγείας fuisse arbitrer, quarum partes fuerint et γνωμολογία πρὸς Κύρνον (καὶ 135) πρὸς Küpvov. . γνωμο- λογίαν) et ceterae Suidae manu coartatae ὑποθῆκαι (καὶ ἑτέρας ὑ.).3)

198) Cui nuperrime adstipulatus est J. Sitzlerus (Theognidis Reliqu. Heidelb. 1880, p. 51). !?*) Nam particulae καὶ καί divisionem efficiunt, cf. s. ΤΤανόλβιος, 8. Kópivva, al. 9 Quibus dubitanter addo tabulam 8. Θεόκριτος exhibitam, quam ad vetustiores fontes redire inde elucet, quod Theocriti carminum tertia eaque novissima sylloga, cuius auctorem Ahrensius (Philol. XXXIII, 400 sq., 579 sq.) Eratosthenem quendam (ca. &. 400 p. Chr) sagaciter exploravit (sed vide nunc Vahlenum Ind. aest. lectt. Berol. 1876, p. 5), aliquot & Suida enumerata poemata non conplectitur diversamque etiam prodit ordinandi rationem (p. 582 sq.). Idem Ahrensius Suidae indicem satis vetustum esse disertis verbis mo- nuit (p. 586, ubi de mutua inter metaphrasin Marianam Theocriteaque carmina ratione longe probabiliora quam Haulerus [de Theocr. vit. et carm. Friburg. 1855, p. 81 sq.] proposuit) Atque 1080 suspicor hanc tabulam niti Álexandrinorum catalogis, quorum quidem aetate nondum conlecta illa vel in unum corpus consociata erant (cf. Ahrens. 391 sq., Haul. 31 sq.). In tabula vero ips& hunc fere ordinem animadvertisse mihi videor, ut primo loco ponerentur carmina bucolica, secundo duo peculiares ἐλεγείων tituli, tertio ὕμνοι, Ἡρωῖναι, ἐπικήδεια, cum argumenti similitudine omnia inter semet conexa tum maxime epico generi adfinia, ultimo μέλη, ἐλεγεῖαι, ἴαμβοι, ἐπιγράμματα inter lyrica poemata referenda (cf. Theocr. carm. ed. Fritzsche, p. 6 adn., Bergk. Mus. Rh. VI (1838), 28 sq.), id quod hie pluribus explicare longum est. Sed prodere videtur haec tabula ordinem argumento carminum adpositum, licet mediocriter dilucidum Suidaeque describentis socordia conturbatum.

De Suidae biographicorum origine et fide. 427

Quibus expositis ceterorum lyricorum tabulae iam brevius possunt percenseri. Ordinem nimirum ex argumento librorum institutum pariter deprehendimus in indice 8. Cıuwvidnc Ἰουλιήτης".. xoi γέγραπται αὐτῷ Δωρίδι διαλέκτῳ fj Καμβύςου xoi Δαρείου Bacı- λεία καὶ Ξέρξου ναυμαχία᾽ καὶ fj ἐπ᾽ ᾿Αρτεμιείῳ ναυμαχία δι᾽ ἐλεγείας, δ᾽ ἐν (ζαλαμῖνι μελικῶς, θρῆνοι, ἐγκώμια, ἐπιγράμματα, παιᾶνες, καὶ τραγῳδίαι καὶ ἄλλα. Tamen non satis iustam causam dispicio, cur Bergkius (P. L. 6. ? p. 1145) una cum Bernhardyo ele- giae Kaupücou Bacıkeia nomen errore Suidae natum esse opine- tur, cum Simonidis aetate Cambyses et Dareus regnaverint. Verba deinde καὶ fj ἐπ᾽ ᾿Αρτεμιείῳ ναυμαχία ex Eudociae violeto volgo. supplent (cf. Bergk. 1. 1), sed nescio an magis conmendetur Wachs. muthii coniectura locum sic reconcinnantis 'zépEou ναυμαχίαι, fj ἐπ᾽ Apr. μελικῶς, f| δ᾽ ἐν (αλ. δι᾽ ἐλεγείας᾽ : recte enim Bergkius vocum μελικῶς et δι᾽ ἐλεγείας sedem hunc in modum permutandam esse vidit, cum Bernhardyi (vid. ad Suid.) sententia prorsus reicula sit. At idem iure titulum τραγῳδίαι in suspitionem vocavit tanquam mero conmento enatum.

Sed ad litterarum ordinem recensentur scripta s. Παρθένιος.. ἐλεγειοποιὸς xai μέτρων διαφόρων ποιητής . . ἔγραψε δι᾽ ἐλεγείας᾽ (sie optime emendavit Schneiderus Call. II, 32, cf. Wachsm. Symb. 152, et not. 44, cum volgo exhibeant δ᾽ ἐλεγείας) "Appodimv, ᾿“ρήτης ἐπικήδειον, princ ἐγκώμιον (de quibus cf. Meinek. Anal. Alex. p. 259 sq.), καὶ ἄλλα πολλά, quibus plenioris tabulae ex bibliothecae catalogo petitae initium servatum est. Videtur autem qui tabulam confecit singulas elegias primum enumerasse κατὰ CTOiX€iov dispo- sitas, dein cetera poetae carmina (velut Ἐρωτικά), quae Suidas de- Scribere noluit. Accedimus ad glossam s. Μίμνερμος, quae indice sane orbata haec verba in calce praebet: ἔγραψε βιβλία ταῦτα πολλά: quae quamvis difficillima plerisque visa sint, res tamen ipsa perspicua est (cf. Westerm. Bıoypap. p. 110, qui varias opiniones congessit) Nimirum largam tabulam liquido indicant, quam Sui- das sive librarii eius describere noluerint. Dionysium vero, credo etiam Hesychium, plenum indicem exhibuisse nec non verba βιβλία ταῦτα (πολλά) dedisse mibi equidem persuasum est: quae cum tabula non adiecta haud satis apta viderentur, in Eudociae violario Suidae- que aliquot libris vox ταῦτα prudenter omissa est. Sed displicet utique Volkmanni (II, 727 sq.) explicatio ex vita Mimnermi carmi- nibus praefixa talia fluxisse censentis; quae si vera esset, dici certe debuit: ἔγραψε βιβλία ταῦτα καὶ ἄλλα πολλά. Nec felicius Bergkio res cessit verba illa Suidae αὐτοςχεδίαςμα esse simpliciter statuenti; ceterorum autem opiniones jam Volkmanno confutatas silentio pre- mere praestat. Nuper denique Guil. Meyerus (Mus. Rh. n. XXIII, 691) τοιαῦτα suasit eamque vocem ad ἐμμελὲς καὶ λιγύ referri iussit, quam coniecturam ideo reprobo, quod duo enuntiata tali nexu copulare non adsolet Suidas (at paulo aliter res se habet in gl. Εὔδοξος ..

428 A. Daub:

καὶ Ecxe πρὸς ἀςτρολογίαν.. ἔγραψέ τε πλεῖςτα τοῦ εἴδους τούτου).

Progredimur ad tabulam quae extat s. Γαπφώ 3)... ἔγραψε μελῶν λυρικῶν βιβλία 0'. καὶ πρώτη πλῆκτρον εὗρεν. ἔγραψε δὲ καὶ ἐπιγράμματα καὶ ἐλεγεῖα καὶ ἰάμβους καὶ μονῳδίας, ubi verba μελῶν λυρικῶν βιβλία θ΄, quibus quot libris constiterint μέλη disertum profertur testimonium, πίναξιν adsignare nemo dubitabit. Quaeritur autem num relicua mentione plectri a Sapphone inventi interiecta ex eodem limpido fonte promanaverint (cf. A. Schoenium Symb. Phil. Bonn. p. 760). Nego, quamvis litterarum seriem teneant, . eidemque illa auctori adtribuo, cui verba καὶ πρώτη πλῆκτρον εὗρεν debentur. Volkmannus contra (II, 728) utriusque testimonii eam esse rationem statuit, ut primo loco nobilissimum Sapphonis opus, secundo cetera minus celebrata vel citius oblitterata (ἔγραψε δὲ xai. .) ex- hibeantur. Quod fieri sane potuit, nec strenue Volkmanni rationi per- belle excogitatae obloquor; tamen si utrumque eodem ex fonte fluxisse verum est, cur tandem ab Hesychio verba xai πρῶτον x. T. À. inter- posita esse censebimus? Sed Volkmanno (l 1.) prorsus refragor eadem ratione explicanti, quod s. Φιλόξενος primum conmemorentur διθύραμβοι κδ΄, dein de vita eius paucis enarratis ad operis alicuius mentionem iterum deflectat oratio idque his verbis: ἔγραψε δὲ μελι- κῶς τὴν γενεαλογίαν τῶν Αἰακιδῶν. Satis enim dilucidum est totam glossam duabus particulis contineri, quarum alteram (usque ad οὗτος ἀνδραποδιςθέντων) auctori pinacographico, uberiorem alteram Hermippo Berytio (cf. Wachsmuth. 1.1. 142) vindico. Sequitur tabula 8. Τιμόθεος 335) exhibita, quae quamvis truncata pristinae tamen

2!) Qua in glossa diversorum auctorum testimonia in unum con- glutinata sunt. Sapphonis autem vitae enarrandae solidum fundamentum grammatici Alexandrini iecerunt, & quibus nomen patris matris patriae, aetas, opera denotata fuisse videntur (cf. Schoen. 1. 1. 741). His accedunt quae ab aliorum studiis sive inventis repetenda sunt, velut quae de nominibus patris fratrum familiarium discipulorum, vita, rebus poetriae proferuntur, offensionis illa haud inmunia (cf. Schoen. 159, qui quidem originem verborum ἐγαμήθη Εὐνείκα ad mediam revocat comoediam); cetera referenda videntur δὰ Chamaeleontem (περὶ ζαπφοῦς Ath. VIII, 659 c), sive ad Calliam (ὁ τὴν ζαπφιὼ xai ᾿Αλκαῖον ἐξηγηςάμενος Strab. XIII, p. 618). ??*) Hic de Timothei temporibus paucis exponendum esse videtur. Haec enim apud Suidam leguntur: Τιμόθεος... ἣν δ᾽ ἐπὶ τῶν Εὐριπίδου χρόνων, καθ᾽ οὕς καὶ Φίλιππος Μακεδὼν &Baci- λευεν: mirum profecto cuyxpovıcuöv inter Euripidem et Philippum posuit Suidas, nec diffieile erat cum Reinesio vocem Φίλιππος in ᾿Αρχέλαος conrigere. Quod tamen cum Rohdio (Mus. Rh. n. XXXIII 192, n. 1) in- probo, cum tale erratum librariorum oscitantiae inputari nequeat. Sed verborum illorum patrocinium Rohdius (p. 191 sq.) suscepit eaque sic explicavit, ut in vacuo temporum interstitio, quod inter extremam ἐποχὴν τῶν ἸΤελοποννηςιακῶν et Philippi regnum intervenit, huius regnum luminis instar fuisse sumpserit, quod Suidae vel rectius eius auctoribus in tempo- ribus definiendis praefulserit, conl. s. Καρκῖνος. . ἤκμαζε κατὰ τὴν ρ΄ ὀλυμπιάδα (cf. Meinek. F. C. G. I, 507) πρὸ τῆς Φιλίππου βασιλείας; s.

De Suidae biographicorum origine οὐ fide. 429

originis etiamnum prae se fert vestigia: . . γράψας δι᾽ ἐπῶν νόμους μουεικοὺς ιθ΄, προοίμια As’ (ex Stephano Byzantio s. Μίλητος, qui Philone Byblio auctore Timotheo m βιβλία νόμων κιθαρῳδικῶν et προνόμια ἄλλων (?) χίλια adscripsit, nihil lueramur), Ἄρτεμιν, διαςκευάς η΄, ἐγκώμια, ἸΤΠέρεας Ναύπλιον, Φινείδας, Λαέρτην, διθυράμβους ιη΄, ὕμνους κα΄, καὶ ἄλλα τινά, in quibus et generales οὐ peculiares titulos’ una serie conprehensos esse! Bergkius (P. L. G.? p. 1268) recte perspexit, cum "Aptenic hymnus fuerit (vide Alex. Aetol. ap. Macrob. Sat. V, 22), Persae νόμος (Paus. VIII, 50, 3), Laertes et Phinidae vel ad νόμους vel ad διθυράμβους

"ECgpopoc . . ὡς kal πρὸ τῆς Φιλίππου Bacıkelac εἶναι: unde conlegisse videtur tum quoque cum certa ἐποχή indicari potuit Philippi aetatem termini vicibus functam esse. Ea vero exempla num ad pravam istam chrono- logiam tuendam quicquam valent? Minime, opinor. Nec mihi quidem ratio illa satis fecit, qua Rohdius intellexit*Ephori cuyxpovicuöv. Voca- bulo ἦν (δ᾽ ἐπὶ τῆς αΥγ΄ óAupm.) nil aliud nisi annus natalis significatur; ac quamvis locutio fjv pro γέγονε (ἐγένετο) volgo non adhibita sit, Suidae tamen inscitiae eiusmodi asuma iribuiy posse Rohdio (p. 191) largior: Ephori enim “historiam’ usque ad vicesimum Philippi regni annum (340) quo Perinthum oppugnavit pertinuisse" ex 'Diodorof (XVI', 76) adparet. Ergo Ephori ἀκμή in olymp. 93. poni neqnit. Sed quid sibi volunt verba “ὡς καὶ πρὸ τῆς Φιλίππου Bacıkelac elva? ? Non dubium est quin de Ephori aetate duo testimonia praesto fuerint Hesychio: 1) annus natalis, 2) ἀκμή sive omnino aetas eius ad tempora Philippi relata, quoniam E. res sub imperio eius per viginti annos gestas descripsit. Quibus testi- moniis usus Suidas ait: 'natus est Olymp. 93, ita ut etiam ante Phi- lippi regnum fuerit? (i. e. floruerit), non solum igitur sub regno Philippi ipso. Quare in promptu fuititalem Ephori ευγχρονιςμόν constituere. Sed in altera notatione s. v. Καρκῖνος Rohdianam rationem conprobo, etiamsi ne hoc quidem exemplo Suidae istae ineptiae defendi queant. Quid enim? In utraque vita per Philippi imperium terminus denotatur, ante quem scriptores illi fuerunt. Num hoc convenit locutioni: 'floruit Th. Euripidis temporibus, quibus (vel 'circa quae?) etiam Philippus regnavit?' Si Suidas scripsisset “ὡς πρὸ τῆς Φ. B. εἶναι᾽, sive etiam “καθ᾽ οὗς οὔπω Φίλιππος ἐβαςίλευεν᾽, haec verba forsitan pateremur. Sed nunc Rohdius ipse hanc totam opinionem abiecisse videtur (cf. Mus. Rh. n. XXXIV, 573, n. 2): inde nimirum quod Timothens sub Philippi imperio vixisse dicatur cum Bernhardyo conlegit Suidam (8. Hesychium) hie plane alium Timotheum quem auletam fuisse et Philippi Alexandrique aetate floruisse autumat perperam in- miscuisse. Quae coniectura quamvis acutissime excogitata ab omni tamen probabilitate abhorret (cf. n. 22, b) Omnia nimirum apte procedent, si leni transpositione cum Wachsmuthio “καὶ καθ᾽ o0c Φίλιππος᾽ restituerimus; fuit Euripidis aequalis T., sed vixit etiam regnante Philippo id quod verum est: adtigisse eum certe testatur marmor Parium epoch. 76. Tim. nonagenarium (septem etiam plus annos tribuit ei Suidas); cumque in Macedonia mortem obierit (teste Philone Byblio ap. Steph. Byz. s. Μίλητος), extrema aetate in aula regia Pellaea vixisse eum veri simile est. Quae coniectura multo sane probabilior est quam quod ego olim suspicabar, Suidam ipsum verba illa dormitanter adiecisse, ita quidem ut mutuae inter Euripidem regesque Macedonum necessitu- dinis haud inmemor nobilissimum ante Alexandrum regem Philippum pro vero Archelao substituerit.

480 A. Daub:

(cf. Arist. Poet. 2) pertinuerint. Idem porro cum Bipparto (conl. Athen. VII, 338 a) NauriAov Ναύπλιον redintegravit, denique plenum titulum CeueAnc ὠδίς (Dio Chrys. 77, 768) fuisse coniecit. Qua re pensitata in Alexandrinorum catalogis Timothei carmina secundum argumentum disposita, singulorum autem librorum in- scriptiones ex litterarum ordine cuius vestigia in Buidae tabula non latitant recensitas fuisse credo, quas Suidas eiusve auctor non integras (xai ἄλλα τινά) neque sedulo descripserint. 335)

Ceteri lyricorum carminum indices partim eandem atque quos Supra percensuimus prae se ferunt indolem, partim inter semet ipsos id conmune habent, quod librorum seu versuum numerus his illis de metro dialectove notulis adnexis distincte indicatur, quo fides horum testimoniorum non nihil firmatur?)), velut s. 'AAxuóv .. ἔγραψε βιβλία ς΄ μέλη... κέρχηται δὲ Δωρίδι διαλέκτῳ . ., s. Ἄνα- κρέων, qua in glossa vetustiorem et sequiorem auctorem dignoscere possumus; verba enim βίος δ᾽ ἦν ᾿Ανακρεόντεια manifesto re- centioris hominis sunt (cf. Welcker. Praef. Theogn. LXXIV), cum anteriora ἔγραψεν ἐλεγεῖα xai ἰάμβους ’ladı πάντα διαλέκτῳ priscam redoleant originem; s. "IBuxoc.. ἔςτι δ᾽ αὐτοῦ τὰ βιβλία Z τῇ Δωρίδι διαλέκτῳ: s. Κόριννα (de Corinnarum quae feruntur nominibus adi Welckerum in Creuzer. Melet. crit. IL, 16) . . ἔγραψε βιβλία €, (hie nimirum velim interpungas) καὶ ἐπιγράμματα καὶ γόμους λυρικούς; s. (τηςείχορος... ἔετιν αὐτῷ τὰ ποιήματα Aw- ρίδι διαλέκτῳ ἐν βιβλίοις xs'; s. Τυρταῖος... ἔγραψε πολιτείαν Λακεδαιμονίοις καὶ ὑποθήκας δι᾽ ἐλεγείας καὶ μέλη πολεμιςτήρια; βιβλία ε΄.

Haec de lyricorum notationibus satis sunto; quae praeterea in eo genere conlegi, in praesens mittere placuit.

20) Sagacissime nuper hac de tabula Stephani Byz. (8. Μίλητος) indiculo simul adhibito disputavit Rohdius (l. 1l. 572, n. 2), qui Timothei vópouc (una cum titulis peculiaribus) et διθυράμβους, itemque προοίμια et ὕμνους eadem carmina fuisse ratus Suidam duo Timothei πίνακας conflasse coniecit, titulos autem διαςκευαὶ et ἐγκώμια Timocli auletae (vid. not. 22, a) adsignavit. Quae omnia quam incerta sint ipse fatetur; sed omnino non ausim Stephani tabula nixus quam mutilam esse credo emendare Suidianam: neque enim hi duo indices artius co- haerere mihi videntur. ?®) Sed noli titulo confidere quem Suidas s. ᾿Αρίων exhibet, προοίμια eic ἔπη ,B, quem numerum mere effictum esse Hillerus (Mus. Rh. 1.1. 622) perspexit. Praeterea Periandri carminis notitia (ὑποθῆκαι elc τὸν ἀνθρώπειον βίον ἔπη ,B, cf. Laert. I, 97) ob singularem versuum numerum &dmodum suspecta ex Lobonis Argivi opere (περὶ ποιητῶν) fluxisse videtur (cf. Hiller. ]. l. p. 520, 524 &q.). Nec minus in tabula s. TTvrrakóc titulus ἐλεγεῖα ἔπη x’ in gravissimam cadit offensionem.

De Suidae biographicorum origine et fide. 431

Caput V. De Philonis Byblii auetoritate.

Postquam Dionysii Halicarnassensis tanquam primarii Hesychii in vitis poetarum et musicorum ducis auctoritatem fidemque ex- ploravimus, nova nunc existit eaque subdifficilis quaestio, quibus ex fontibus Hesychius oratorum et sophistarum, grammatico- rum, historicorum, philosophorum notationes, in his cum maxime librorum tabulas hauserit. Ac primum quidem eorum hominum inlustrium qui inde a primo a. Chr. saeculo ex- eunte usque ad Hadriani aetatem floruerunt vitas tempo- rum nota distinctas intentius considerare in animo est.

In recensendo grammaticorum grege Hesychium luculento auctore sive auctoribus Hadriani aetatis usum esse iam Wachsmuthius (Symb. 144 sq.) probabili ratiocinatione effecit: inter quos Philonem Byblium prae ceteris enitere perspexit, tamen adcuratiorem huius auctoritatis investigationem aliis relinquere maluit. Nec vero eun- dem id fugit (p. 145), observationem illam non solum intra gramma- ticorum fines contineri, sed multo latius patere. Quod ut palam fiat, gravissima quaeque exempla quorum communis fere indoles singula- rem sibi vindicat auctorem in uno conspectu ponam. Qua in re quatenus licebit sequar ordinem chronologicum.

s. Τιμαγένης... ᾿Αλεξανδρεύς, ῥήτωρ... ὃς ἐπὶ ἸΤομπηίου τοῦ μεγάλου αἰχμάλωτος ἀχθεὶς ἐν ἹΡώμῃ ὑπὸ τοῦ Γαβινίου ἐξω- γήθη.. καὶ ἐεοφίετευςεν ἐν Ῥώμῃ ἐπὶ τ᾽ αὐτοῦ Tlourmiou καὶ μετ᾽ αὐτόν, ἐπί τε Kaícapoc τοῦ Αὐγούετου καὶ μετέπειτα ἅμα Κεκιλίῳ .. (cf. s. ἸΤωλίων "Acívioc).

8. Tupavviwv νεώτερος... μαθητὴς Τυραννίωνος τοῦ πρεεβυτέρου... αἰχμάλωτος δὲ γενόμενος καὶ αὐτὸς ἐπὶ τοῦ πο- λέμου ᾿Αντωνίου καὶ Kaícapoc .. ὠνήθη .. ἐλευθερωθεὶς... éco- pícreucev ἐν Ῥώμῃ..., conl. etiam s. Τυραννίων ᾿Αμιςηνός.

s. Atockopíbnc.. ἰατρός, ευνῆν δὲ Κλεοπάτρᾳ ἐπ᾽ "Avru- νίου (cf. s. Kácrup Ῥόδιος et s. Ἰόβας).

s. Διόδωρος CixeAid Tnc, icropixóc . . γέγονε δ᾽ ἐπὶ τῶν χρόνων Auyouctov Koícapoc καὶ ἐπάνω.

8. Θέων ᾿Αλεξανδρεύς, φιλόςοφος, γεγονὼς ἐπ᾽ Αὐγούετου μετ᾽ "Apeıov.

(Cf. etiam s. Φλέγων Τραλλιανός, ἀπελεύθερος τοῦ Ceßacroü Kaícapoc, οἱ δ᾽ ᾿Αδριανοῦ φαειν, ἱςτορικός.)

& Διονύειος.. Ἁλικαρναςςεύς, ῥήτωρ καὶ παντοίως λόγιος. γέγονε δ᾽ ἐπὶ Kaícapoc τοῦ Cefacroó, πρόγονος τοῦ ἐπ᾿ ᾿Αδριανοῦ τεγονότος ᾿Αττικιςτοῦ.

s. Ἑρμαγόρας Τήμνου.. ἐπαίδευςε δ᾽ οὗτος μετὰ Κεκι- λίου ἐν Ῥώμῃ ἐπὶ Kaicapoc Αὐγούετου καὶ τελευτᾷ πόρρω τῆς ἡλικίας.

439 A. Daub:

8β. Κεκίλιος ... ῥήτωρ, copıcreücac ἐν Ῥώμῃ ἐπὶ τοῦ ζεβαςτοῦ Kuicapoc καὶ ἕως ᾿Αδριανοῦ (hoc fidem excedit. Locum non magis integrum quam emendatum esse ait Bernhardyus. Quare nescio an verba sic reconcinnanda sint: καὶ εἷς τῶν ἕως ᾿Αδριανοῦ, el. 8. Διονύειος Γλαύκου et s. ᾿Αρχίβιος, cf. praeterea Rohdium Mus. Rh. n. XXXIII, 175 med.), καὶ ἀπὸ δούλων, ὥς τινες ἱετορήκαειν.

s. Ποτάμων ᾿Αλεξανδρεύςε, φιλόςοφος, γεγονὼς πρὸ Αὐ- YoUcTou καὶ μετ᾽ αὐτόν (quae verba extrema alii aliter conrexerunt, vid. Bernh. ad Suid. et Rohdium Mus. Rh. n. XXXIII, 166, not. 1) nuper coniecit κατ᾽ αὐτόν. Sed illa non tam absona sunt ut mutatione indigeant. Nam si Potamon et ante Augustum οὐ post eum floruit, hunc etiam sub Augusti imperio vixisse sua sponte intellegitur); cf. s. AecgüvaE .. giAócogoc, γεγονὼς ἐπ᾽ Αὐγούετου (?), πατὴρ ἸΤοτάμωνος τοῦ φιλοςόφου (qua de glossa vide egregie disputantem Rohdium d. griech. Roman. p. 342, not.).

8. Νικόλαος Δαμαεςκηνός, γνώριμος Ἡρώδου .. καὶ Αὐ- γούςτου Kaicapoc (ceterum cf. Mus. Rh. n. XXXV, 63 sq.).

8. Διονύειος ó περιηγητής.. γέγονε δ᾽ ἐπὶ τῶν “Pwuai- κῶν χρόνων μετ᾽ Αὔγουςετον Kaícapa, ἐπ᾽ αὐτοῦ, οἱ δὲ κατὰ Νέρωνα τὸν Ρωμαίων βαειλέα φαεὶ τενέεθαι.

s. Crpaßwv ᾿Αμαεςεύες, φιλόςοφος, γέγονεν ἐπὶ Τιβερίου Καίςαρος.

s. Θεόδωρος Γαδαρεύς, cogicrric, ἀπὸ δούλων, διδάςκαλος γεγονὼς Τιβερίου Kaicapoc. ἐπὶ τοῦ δὲ (sic enim conrigendum est pro ἐπεὶ δέ, vid. Mus. Rh. 1. |. 66) ευνεκρίθη περὶ ςοφιςτικῆς ἀγω- γιςάμενος Tlorauwvı καὶ ᾿Αντιπάτρῳ ἐν αὐτῇ τῇ Ῥώμῃ. ἐπ᾽ ᾿Αδριανοῦ Kaicapoc υἱὸς αὐτοῦ ᾿Αντώνιος ευγκλητικὸς ἐγένετο.

8. Ποτάμων Μυτιληναῖος... ῥήτωρ. . écopicreucev ἐν Ρώμῃ ἐπὶ Kaicapoc Τιβερίου x. τ. A.

8. Απίων Πλειςετονίκονυ... Αἰτύπτιος, κατὰ δ᾽ Ελικώνιον Κρής, γραμματικός, μαθητὴς ᾿Απολλωνίου τοῦ ᾿Αρχιβίου.. ἐπαί - δευςε δ᾽ ἐπὶ Τιβερίου Καίεαρος καὶ Κλαυδίου ἐν Ρώμῃ. ἦν δὲ διάδοχος Θέωνος τοῦ γραμματικοῦ καὶ εὔγχρονος Διο- vucíou τοῦ “Akık.

s. (ζαλούεςτιος... ἰατρός, ἐπὶ Τιβερίου Καίςαρος.

s. Πολύαινος Capbiavóc, εοφιςτής, τεγονὼς ἐπὶ τοῦ πρώτου Καίεαρος Γαΐου (sed cf. nunc Rohdium Mus. Rh. n. XXXIV, 620).

8. Avtepwc καὶ ᾿Απολλώνιος, γραμματικός, παιδεύςεας ἐν Ῥώμῃ ἐπὶ Κλαυδίου τοῦ μετὰ Γάϊον βαειλεύςεαντος, ἐφ᾽ οὗπερ καὶ Ἡρακλείδης Ποντικὸς γέγονεν, dxoucric δ᾽ ἦν ᾿Απίωνος τοῦ Μόχθονυ.

s. Ἡρακλείδης Ποντικός... γραμματικός... εἰς Ῥώμην δὲ κομίςας καὶ τοῦ "Anepoc καταφανεὶς (fortasse κατεκφανείς sive κατεκφανής, cf. s. Λούπερκος᾽. . . κατευδοκιμεῖ Ἡρωδιανοῦ) κατέμεινε ςκχολαρχῶν ἐν αὐτῇ ἐπὶ Κλαυδίου καὶ Νέρωνος.

De Suidae biographicorum origine οὐ fide. 433

. Ἀπολλώνιος Τυανεύς, qilócogpoc . . ἤκμαζε μὲν ἐπὶ Κλαυδίου καὶ Γαΐου καὶ Νέρωνος καὶ μέχρι Νέρβα, ἐφ᾽ οὗ καὶ μετήλλαξεν (cf. etiam s. ᾿Αππιανός et 5. Δίκτυς).

s. Δίδυμος τοῦ Ἡρακλείδου, γραμματικός, ÖC διέτριψε παρὰ Νέρωνι...

8. Διονύειος Αλεξανδρεύςε, Γλαύκου υἱός, γραμματικός, ὅετις ἀπὸ Νέρωνος συνῆν καὶ τοῖς μέχρι Τραιανοῦ (Rohdius 1.1. 165, n. 1 ante ευνῆν addidit ἦν καί (el. s. ᾿Αριςτόξενος), ipse olim inserui ὦν. Sed utraque scriptura multo probabilior est Wachsmuthii emendatio ὃς τοῖς ἀπὸ N. cuvijv’, praesertim cum in his *biographicis nomini hominis litterati plenaeque eius signi- ficationi relicua memoria soleat adnecti pronomine ὅς neque Ócric?*)), καὶ τῶν βιβλιοθηκῶν προὔςτη .. ἦν δὲ καὶ bibáckaloc TTapoeviou τοῦ γραμματικοῦ, μαθητὴς δὲ Χαιρήμονος τοῦ φιλοςόφου, ὃν καὶ διεδέξατο...

8. Ἐπαφρόδιτος Χαιϊιρωνεύς, γραμματικός, ᾿Αρχίου . . θρε- πτός.. καὶ παιδεύςκας.. ἐν Ῥώμῃ διέπρεψεν ἐπὶ Νέρωνος καὶ μέχρι Νέρβα, καθ᾽ ὃν χρόνον xoi Πτολεμαῖος ἩΗ͂φαι- στίωνος ἦν καὶ ἄλλοι συχνοὶ τῶν ὀνομαστῶν ἐν παιδείᾳ κ. τ. λ.

8. Αλέξανδρος Αἰγαῖος, φιλόςοφος .. διδάςκκαλος Νέρωνος τοῦ βαειλέως, ἅμα Χαιρήμονι..

5. Κορνοῦτος Λεπτίτης, PiAöcopoc, γεγονὼς ἐν Ῥώμῃ ἐπὶ Νέρωνος καὶ πρὸς αὐτοῦ ἀναιρεθεὶς εὺν τῷ Μονεωνίῳ.

8& Μουεώνιος... Τυρρηνὸς... διαλεκτικὸς φιλόςοφος καὶ

«τωικός, γεγονὼς ἐπὶ Νέρωνος, γνώριμος δ᾽ ᾿Απολλωνίου τοῦ Τυανέως καὶ ἄλλων πολλῶν...

s. AkxoucíAaoc ᾿Αθηναῖος ὧν. . οὗτος ἠράςθη λόγων ἐν ᾿Αθήναις καὶ ἐλθὼν εἰς Ρώμην ἐπὶ Γάλβα διέτριψεν (an διέ- πρεψεν) ἐν λόγοις ῥητορικοῖς.

8. (κοπελιανὸς Κλαζομένιος, εοφιςτής, γεγογὼς Em Νέρβα.. ευγχρονῶν ᾿Απολλωνίῳ τῷ Τυανεῖ.

8. Πλούταρχος Χαιρωνεύς. . γεγονὼς ἐπὶ τῶν Τραϊανοῦ τοῦ Καΐςαρος χρόνων καὶ ἔτι πρόεθεν (cf. etiam s. Ἰάςων ᾿Αργεῖος).

᾿Αριετοκλῆς... ςοφιςτής, γεγονὼς ἐπί τε Τραϊανοῦ καὶ ᾿Αὐριανοῦ.

s. Δίων Παεικράτους... διέτρεψε τὸ πλεῖςτον παρὰ Τραϊανῷ ον

8. ᾿Αρχίβιος Πτολεμαίου... . γραμματικὸς τῶν ἕως Τραΐα- νοῦ τοῦ Καίσαρος ἐν Ῥώμῃ παιδευσάντων.

34) Novit tamen exempla contraria haece: s. ᾿Αντιςθένης. . φιλόςοφος Cuxparikóc, ὅςτις περιπατητικὸς ἐκλήθη; s. ᾿Αριςτογείτων .. ῥήτωρ . . ὅςτις ἐπεκαλεῖτο Κύων; bis in talibus ὅςπερ adhibitum est: 8. ᾿Αρί- crınmoc . . φιλόςτοφος. . ἀφ᾽ οὗπερ Κυρηναϊκὴ . . αἵρεεις ἤρξατο; s. Καρνεάδης .. φιλόζοφος, ἀφ᾽ οὗπερ νέα ἀκαδημία ἤρξατο. Opinatur vero talibus fortasse interdum fontem reddi pariter ac vix casu factum sit, quod quater “ofrıvec’ usurpetur ad significandos VII tragicos, of. s. Av- xöppwv, (ζοφοκλῆς ᾿Αθηναῖος, Cwagpdvnc, Φιλίεκος.

Jahrb. f. olass. Philol. Suppl. Bd. XI. 28

484 A. Daub:

& Πτολεμαῖος... γραμματικός, 6 τοῦ 'Hoaicriuvoc, γεγο- γὼς ἐπί τε Τραϊανοῦ καὶ ᾿Αδριανοῦ τῶν αὐτοκρατόρων.

s. ᾿Αρχιγένης... ἐπὶ Τραϊανοῦ ἰατρεύεας ἐν Ῥώμῃ.

8. Ῥοῦφος '€gécioc, ἰατρός... γεγονὼς ἐπὶ Τραϊανοῦ cov Κρίτωνι (vid. Rohdium 1. 1. 180, n. 4).

8. Cwpavöc.. Epecıoc, larpóc.. καὶ ἐν Ῥώμῃ δ᾽ ἰατρεύ- cac ἐπὶ Τραϊανοῦ καὶ ᾿Αδριανοῦ τῶν βαειλέων, βιβλία τε ευντάξας TÀeicra καὶ κάλλιετα.

s. Μεςομήδης Κρής, λυρικός, γεγονὼς ἐπὶ τῶν ᾿Αδριανοῦ χρό- νων, ἀπελεύθερος αὐτοῦ καὶ ἐν τοῖς μάλιετα φίλος (vel rectius φίλοις).

s. Κεφαλίων Κεφάλων... ῥήτωρ καὶ icropixóc, γεγονὼς ἐπ᾿ ᾿Αδριανοῦ.

8. Ζηνόβιος ςοφιςτής, παιδεύςας ἐν Ῥώμῃ ἐπ᾽ ᾿Αδρια- νοῦ Kaicapoc.

8. Λολλιανὸς Ἐφέειος, cogicri)c . . γεγονὼς ἐπ᾿ ᾿Αδριανοῦ τοῦ Kaícapoc.

s. Παῦλος Τύριος, ῥήτωρ, γεγονὼς κατὰ Φίλωνα τὸν Βύβλιον, ὃς ἐπ᾽ ᾿Αδριανοῦ τοῦ βασιλέως πρεσβεύσας μιητρό- πολιν τὴν Τύρον ἐποίησεν.

s. Διογενειανὸς 'HpaxAejac τῆς Πόντου, γραμματικός, γεγονὼς ἐπ᾽ ᾿Αδριάνοῦ τοῦ βαειλέως.

8. Διογενειανὸς Ἡρακλείας érépac, οὐ τῆς Πόντου, γε- γτονὼς καὶ αὐτὸς ἐπ᾽ ᾿Αδριανοῦ τοῦ Bacıkdwc. Ceterum Suidas perperam res unius Diogeniani in duas glossas dissecuit, vide Roh- dium 1.1.180, n. 3, Flachium Suid. et Eudoc. p. 66, n. 1 (cf. etiam Mus. Rh. n. XXXV, 62).

s. Arovücıoc “Akıkapvacceüc, γεγονὼς ἐπ᾽ "Adpıavoü Kaicapoc, ςεοφιςτὴς καὶ μουςικὸς κληθείς.

s. Νικάνωρ... γραμματικός, τεγονὼς ἐπ᾽ ᾿Αδριανοῦ τοῦ Καί- capóc, ὅτε καὶ Ἕρμιππος Βηρύτιος.

5. Πωλίων ᾿Αλεξανδρεύς... qiiócopoc .. τεγονὼς ἐπ᾽ ᾿Αδριανοῦ (ceterum cf. nunc H. Peterum de variis eiusdem nominis scriptoribus disserentem in Fleckeiseni Annal. phil. t. CXX [1879], 420 sq., de cuius placitis mox alibi iudicium faciam).

s. Διόδωρος Οὐαλέριος ἐπικληθείς, φιλόςοφος, γεγονὼς ἐπὶ τοῦ Kaícapoc ᾿Αδριανοῦ.

Haec omnia testimonia qui adcurate consideraverit singularem eorum naturam facile intelleget. Ac prae ceteris enitent notationes optima auctoritate praeditae, quae sunt de vita servorum liber- torumve qui litteris inclaruere (s. Ἐπαφρόδιτος, Θεόδωρος, Kexi- Aroc, Mecoundnc, Τιμαγένης, Tupavviwv). In relicuis vero exemplis diligenter enotatum videmus, quo imperatore sive quibus impera- toribus (ef. s. ᾿Απίων, ᾿Αριςτοκλῆς, 'ApxíBioc, ᾿Απολλώνιος Tuaveuc, Διονύειος ᾽Αλεξ., Ἐπαφρόδιτος, Ἡρακλείδης, Κεκίλιος, Πτολεμαῖος 'Hoaicríuvoc, Cupavóc, al.) singuli floruerint, quale studium idque Romae potissimum exercuerint (ςοφιςτεύςας vel παιδεύζςας ἐν Ῥώμῃ

De Suidae biographicorum origine et fide. 435

similiave, velut s. Κεκίλιος, TToráuwv Μυτιληναῖος, TTwAlwv 'Acivioc, ᾿Αντέρως, ᾿Απίων, “Epuayöpac, Πτολεμαῖος ᾿Αςκαλωνίτης, al.), quibuscum hominibus inlustribus una fuerint quosque praeceptores sive discipulos habuerint (s. ᾿Αλέξανδρος Αἰγαῖος, ᾿Αντέρως, ᾿Απίων, Διονύειος ’AkeE., Ἐπαφρόδιτος, Ἑξρμαγόρας, Θεόδωρος, Kopvoütoc, Μουςώνιος, Νικάνωρ, ἸΤαῦλος Τύριος, ‘Poüpoc, (κοπελιανός, al.). Quibus adprime convenit quod horum scriptorum vita copiosissime Saepe ne minutiis quidem contemptis narratur (s. ᾿Απολλώνιος Τυανεύς, Aiovücioc ᾿Αλεξ., Διογενειανός, Δίων TTacixpárouc, Ἐπαφρόδιτος, Ἡρακλείδης TTovrixóc, Moucwvioc, Πλούταρχος, ἸΤοτάμων Μυτ., Τυραννίων ó νεώτερος).

Haec omnia indicia salutaria sibi invicem liquido produnt splen. didum Hadriani aetatis auctorem. Sed rem paulo intentius per- quiramus. Inspice modo exempla s. '‘Apxißıoc, Διονύειος 'AAeE, Moucüvioc, '€ragpóbiroc (διέπρεψεν ἐπὶ Νέρωνος xai μέχρι Νέρβα, καθ᾽ ὃν χρόνον καὶ Πτολεμαῖος 'Hoaicríuvoc ἦν καὶ ἄλλοι cuxvol τῶν ὀνομαςτῶν ἐν παιδείᾳ, conl. s. ἸΤ]τολεμαῖος τοῦ Ἡφαιετίωνος, τεγονὼς ἐπί τε Τραϊανοῦ καὶ ᾿Αδριανοῦ τῶν αὐτοκρατόρων), ἸΤαῦλος Τύριος, quibus accedit gravissimum testimonium s. Ἡρωδιανός᾽ γέγονε κατὰ τὸν Καίςαρα ᾿Αντωνῖνον τὸν καὶ Μάρκον, ὡς νεώτερον εἶναι καὶ Διονυείου τοῦ τὴν μουςεικὴν icropíav γράψαντος καὶ Φέλωνος τοῦ Βυβλίου (cf. p. 410; Wacham. 1]. 1. p. 145; Rohdium Mus. Rh. n. XXXIV, 561 sq., quode vide infra).

Horum universa condicio nonne firmiter conroborat opinionem supra propositam vel imperiose flagitat luculentum Hadriani aequa- lem auctorem, qui oratorum sophistarum grammaticorum medicorum nec non historicorum philosophorum quotquot inde ab Augusto usque ad Hadriani tempora Romae potissimum floruere memoriam quam diligentissime tradiderit? Nec vero ille incertos nos reliquit, qua ratione opus suum adornaverit. Adparet nimirum hune singulos auctores ad imperatorum Romanorum imperium direxisse, ac videre etiamnum licet Augusti Neronis Traiani Hadriani inprimis aetatem termini vel limitis instar fuisse." Nec minus in propatulo est certas epochas maiores distingui, tempora scilicet ab Augusto usque ad Neronis imperium, dein a Nerone usque ad Traianum, tum Hadriani aevum ipsum.

Quibus rebus delineatis si anquirimus, quis tale opus bonae frugis plenissimum conposuerit, non diu anceps erit iudicium, dum modo ex testimonio satis memorabili quod extat s. Ἡρωδιανός conligere aliquid velimus. Accedit quod s. Παῦλος Τύριος Paulus Philonis aequalis fuisse dicitur: nam videtur Philo legationis suae in libris suis mentionem fecisse, atque cum de Tyro metropoli narravit etiam clarissimum qui tum fuit civem Paulum conmemorasse (praeterea cf. Suid. s. Φίλων Βύβλιος, et Rohdium 1. 1. 561, n. 1). Philonem igitur Byblium praecipuum harum notationum auctorem esse iam

28*

436 A. Daub:

citra opinandi vicissitudines positum erit. Quanquam ut hoc statim conmoneam Hadriani temporibus non defuere qui eandem pertractarent materiam quique omnino res biographicas in summis haberent deliciis. Nec male coniecit Volkmannns (III, p. XVII, not. 31) Lucianum in dialogo qui βίων mpäcıc inscribitur talia po- tissimum studia cavillatum esse.

Itaque non abs re esse videtur, antequam ad Philonem ipsum disputatio accedat, pauca praefari Inter illos auctores Her mippus Berytius praecipua laude nominandus est, quem librum περὶ τῶν διαπρεψάντων ἐν παιδείᾳ δούλων scripsisse Suidas (s. "Icrpoc) ipse testatur, cuiusque auctoritatem Wachsmuthius (1.1. p. 140 sq.) sub- tiliter adumbravit.*) Huius vero Hermippi studia fructuosissima paulo latius patuisse nescio an conligi liceat ex verbis multifarie adhibitis quae reperiuntur in Etymol. M. p. 118, v. 22 s. v. ᾿Απά- ueia* πόλις Βιθυνίας, πρότερον MupAéa καλουμένη, ἣν λαβὼν δῶρα παρὰ Φιλίππου τοῦ Δημητρίου Ζιήλας μετωνόμαςεν ᾿Απάμειαν ἀπὸ τῆς ἑαυτοῦ γυναικὸς ᾿Απάμας, ὡς (add. VP) Ἕρμιππος ἐν τῷ περὶ τῶν ἐν παιδείᾳ λαμψάντων λόγῳ. Quem quidem Hermippum non Callimacheum sed Berytium??) esse verissime monuit Wachsmuthius (l. l. p. 143, not. 16)?"): quod si verum est resuscitavimus libri alicuius Berylii generalem inscriptionem περὶ τῶν ἐν παιδείᾳ λαμψάντων Callimachi πινάκων titulo simillimam, quam adtrectare interim non ausim. Iam duae res cogitari queunt: aut huiusce operis partem fuisse librum nobilissimum *mepl τῶν ἐν

25) Inter testimonia Wachsmuthii cura plene congesta nondum per- sanata sunt verba illa quae extant s. Φλέγων Τραλλ.... ἀπελεύθερος τοῦ CeBacro0 Kaícapoc (Wachsm. p. 142, n. 18); conrigendum esse opinor τοῦ Οὐεςπαειανοῦ KJ? 39 ét Lozynskium Hermippi Smyrn. Peripat. Fragm. (Bonn. 1882) p. 24 sq., et Prellerum in Jahn. Annal. phil. XVII, 160 (in llius libelli nimis acri censure), qui veritatem non adsecuti sunt,

ermippi enim Callimachei libri amplissimi inscriptio utique βίοι foit; non βίοι τῶν ἐν παιδείᾳ διαλαμψάντων (of. Nietzschium Mus. Rh. n. XXIV, 190, n. 2) nec βίοι περὶ τῶν. . λαμψάντων (cf. Lozynak.), ut prorsus taceam de Prellero (p. 167) titulum περὶ τῶν... λαμψάντων certam ‘Biwv’ partem effecisse opinante. Nauckius vero erravit cum (Philol. V (1860), 693 sq.) Callimacheum Berytiumque eundem fuisse contendit (vid. Nietzschium Mus. Rh. 1. 1. 192). Denique Muellerus, aliquid veri cum subodoratus esset (F. H. G. III, 35, 36), tamen veris falsa permiscuit: confudit nempe librum περὶ τῶν . . biampewávruv δού- Awv disertim contestatum cum opere περὶ ἐνδόξων ἀνδρῶν (ἰατρῶν). (7) Cf. etiam A. Uppenkampium Princip. disp. de orig. conscrib. hist. litt. ap. Gr., Monast. 1847, p. 28. Neque tamen Wachsmuthio adsentior cum Hemsterhusio pro insolito λόγῳ vocem δούλων restituenti, qua verba volgari operis Hermippei inscriptioni adconrfhodentur; haud dubie enim λέγει emendandum est. De Berytio autem hic unice posse cogi- tari vel illud μετωνόμαςε demonstrat, quo ad Philonem Byblium necessario deferimur: quem in opere περὶ πόλεων x. τ. A. metonomasias respexisse con- pertum habemus (cf. B. Niesium de Steph. Byz. auct. p. 37), cuiusque vestigiis Hermippus discipulus hic institisse videtur, cf. Wachsm. ]l. l., praeterea Steph. Byz. s. Μύρλεια, Νικομήδεια, "Pápevva (πόλις Ἰταλίας. Ἕρμιππος Βηρύτιος Ρούενναν αὐτὴν καλεῖ).

De Suidae biographicorum origine et fide. 437

παιδείᾳ διαπρεψάντων δούλων᾽ aut peculiarem Hermippi scriptionem. Sed aliud aecedit quod respici debet: in scholio nimirum Oribasii (in Mai Clasa. Auctor. IV (Rom. 1831) p. 11 = Daremberg III, 687) talia leguntur: Φίλων ἐν τῷ θ΄ περὶ βιβλιοθήκης κτήςεως καὶ “Ἕρμηπος (i. e. Ἕρμιππος) ἐν τῷ ε΄ περὶ τῶν ἐνδόξων ἀνδρῶν ἰατρῶν καὶ Cupavóc ἐν ταῖς τῶν ἰατρῶν διαδοχαῖς (cf. etiam V. Roseum de Arist. libr. ord. et auct. p. 32). Praeterire praestat Bern- hardyi (ad Suid. s. Φίλων) opinionem plane incredibilem meritoque a Wachsmuthio (1l. 1.) explosam, qui quidem in libro περὶ ἐνδόξων ἀνδρῶν ἰατρῶν magistri vestigia calcasse Hermippum suspicatur. Verum dubito num sana illa inscriptio sit: censeo enim vocem ἰατρῶν utpote emblema esse delendam, unde evadet titulus generalis περὶ ἐνδόξων ἀνδρῶν, cuius particula περὶ ἰατρῶν quintum librum effecisse videtur. Quae cum ita sint, credere par est hoc ipsum opus idem fuisse quod Etymologici auctor laudavit. Ac quis ab Hermippo quem Suidas (cf. s. Ἕρμιππος) cpóbpa λόγιον fuisse multaque con- posuisse testatur eiusmodi scriptionem profectam esse infitiabitur? Sed quoniam haec omnia coniecturae tantum probabilitate evicimus, inde longius evehi non ausim.

Praeterea autem alii eiusdem vel sequioris aetatis scriptores reperiuntur in eodem genere ac Philo versati, quorum opera Hesy- chium pariter ad usum adlexisse veri simile est, in quibus praeter Telephi Hadriani aequalis (cf. Capitol Ver. c. 2, et in eum Salmasium p. 101) βιβλιακῆς ἐμπειρίας βιβλία γ΄ (ἐν οἷς διδάςκει τὰ κτήςεως ἄξια βιβλία --- Suid. s. Τήλεφος ---, quibus ex verbis operis argumentum reddentibus nescio an effici queat ipsum Hesy- chium illudnovisse nec non consuluisse, cf, Rohdium Mus. Rh.n. XXXIII, 182 not. 1) inscriptione Philoneorum περὶ κτήςεως xai ἐκλογῆς βιβλίων simillima Damophilum conmemorasse satis habeo. De hoc ni- mirum, quem ab Iuliano Marci Antonini aetate consule (a. 175 p. Chr. vid. Bergkium Hist. Gr. litt. I, 276, n. 24) educatum fuisse Suidas testis est (s. Δαμόφιλος), idem narrat: γράψας πάμπολλα, ἐξ ὧν ταῦτά μοι εὕρηται ἐπὶ ταῖς τῶν βιβλίων θήκαις᾽ φιλόβιβλος f| (9 libri praebent πρῶτος) περὶ ἀξιοκτήτων βιβλίων πρὸς Λόλλιον Μάξιμον, quae verba Hesychio ipsi deberi Bergkio (l. 1. p. 293, n. 50) credo. Adparet igitur Hesychium bibliothecarum forulos armariaque per- vestigasse, ut Damophili libros nancisceretur. Sed quid causae erat cur talia nuntiaret Hesychius? Ni egregie fallor his liquido ille in- dicat se Damophili scripta dedita opera conquisivisse ac revera in- venisse. Ergo dubitari nequit quin huius φιλόβιβλον in suum usum converterit Hesychius. Eius tamen auctoritatis vestigia ipsa eruere vix continget: quocirca eum nunc mittamus.

Hinc ad Philonem Byblium®®) revertamur, cuius de studiis doctrina auctoritate iam paulo explicatius disputandum est.

22) In Philonis aetate indaganda nuper elaborarunt B. Niese (I. 1. p. 27 80), J. Wackernagel (Mus. Rh. n. XXXI, 489), qui quidem illum

438 A. Daub:

Scripsit autem ipso teste Suida duo opera ad Hesychii usum prorsus adconmodata: περὶ κτήςεως καὶ ἐκλογῆς βιβλίων libros duodecim, et περὶ πόλεων καὶ οὗς ἑκάςτη αὐτῶν ἐν- δόξους ἤνεγκεν libros triginta. Quorum prius Hesychio cum maxime conmodum fuisse et habile statim elucet. Cuius memoria quanquam fere oblitterata est, ex scholio tamen Oribasii (vid. supra) cum Stephano Byzantio conparato potest concludi nonum “bibliothecae’ librum conprehendisse vitas ἰατρῶν (cf. Wachsmuthium 1. 1. p. 145, Bergkium Hist. Litt. Gr. I, 276, n. 24). Iam vero B. Niese (de Steph. Byz. auctt. I, 41) istud ideo parum valere contendit, quod l. c. praeter Philonem et Hermippus et Soranus laudarentur, quos inter et illum quae ratio intercederet nesciremus. Quam mira argu- mentatio! Oribasii verba adfatim docent nonum bibliothecae librum in medicis enarrandis versatum esse, nec quicquam refert scire quo nexu singuli contineantur.??) Prorsus autem displicet Niesii ipsius ratio medicos libro περὶ πόλεων x. T. A. sic fortasse conprehensos fuisse censentis, ut suum de iis libellum scriptor in testimonium vo- caret.?") Quid tandem inpedit quominus utraque scriptione Stepha- num usum esse sumamus et libro περὶ τῶν πόλεων . . et περὶ ia- τρῶν, i. e. βιβλιοθήκης libro nono??!")

Itaque si verum est quod supra cum Wachsmuthio posuimus, duodecim περὶ κτήςεως καὶ ἐκλογῆς βιβλίων libros ita digestos fuisse iudicabimus, ut in singulis de singulis litterarum generibus eorumque auctoribus praecipuis ageretur. Qua quidem in re etiam- num videmus (cf. Steph. Byz. s. Δυρράχιον, ubi Philonis de Philonide medico verba ipsa citantur: Φίλων ἐν τοῖς ἰατρικοῖς Auppayxnvóv ἀναγράφει Φιλωνίδην οὕτως" “᾿Αςκληπιάδης ἀκουςτὰς ἔςχε Τίτον Αὐφίδιον CıxeAöv καὶ Φιλωνίδην Δ. καὶ Νίκωνα ᾿Ακραγαντῖνον᾽. καὶ πάλιν ᾿Φιλωνίδης δὲ Δυρραχηνὸς ἤκουςε μὲν ᾿Αςκληπιάδου. iatpevcac δὲ ἐν τῇ πατρίδι ἐνδόξως" ευνετάξατο βιβλία ne”) singu- lorum auctorum patriam cuius quidem notitiam Philoni ex opere περὶ πόλεων... petitam esse credere licebit praeceptores disci- pulos adcurate enotatos. Porro sponte patet singula scripta ea-

sequitur, sagacissime vero Rohdius (1.1. p. 176 sq.); tamen hanc quaestio- nem valde spinosam vix unquam ad liquidum perductum iri arbitror. Ceterum addere placet verba quae apud Suid. &. Φίλων leguntur παρέτεινεν eic μακρόν (pro quibus Westermannus εἰς Μάρκον temptavit) sana esse, cf. 8. Ἑρμογένης... ἀλλ᾽ οὐκ εἰς μακρὸν ταύτης ἀπήλαυςε. 35. Wachs- muthius (1.1. p. 143, n. 16) autem Hermippum Philonis praeceptoris vestigia legisse hic suspicatur. 30) Ceterum peculiare περὶ ἰατρῶν opus a Philone conscriptum esse minime exploratum neque ex Stephano Byz. s. Δυρράχιον et s. Koproc, ubi citatur ἐν τοῖς ἰατροῖς (sic Rehdig.) et ἐν τῷ περὶ ἰατρῶν, consectarium est, quamvis praefracte negari nequeat (cf. nune etiam Rohdium Mus. Rh. n. XXXIV, 562, n. 8). °!) Nec magis Niesio adstipulor quod Philonis Phoenicica a Stephano (s. Níafic) lau- data ab hoc ipso inspecta esse negavit. Num id ipsum opus spretum

osse arbitrabimur; cum generale περὶ πόλεων diligentissime Stephanus adierit?

De Suidae biographicorum origine et fide, 439

que lectu dignissima fuisse recensita. Ergo auctorem egregiae fidei deprehendimus in librorum indicibus conficiendis: quae fides nescio an eo augeatur quod Philoni tanquam optima adminicula Hadrianeae aetatis bibliothecae amplissimae suppetebant (cf. Paus. I, 18, 6; Hieronym. Chron. OL 227; Bernhardyum Hist. Litt. Gr. It, 607). Ad Philonem igitur revocabimus hasce tabulas partim ditissimas: s. ΠΠωλίων ’Acivioc, Tupavviwv νεώτερος, "Epnayöpac, Kexiioc, Νικόλαος Aapacknvóc, Θεόδωρος Γαδαρεύς, Tlorauwv Μυτιλη- ναῖος 53), TToAvaıvoc?®), ᾿Αντέρως, Ἡρακλείδης TTovrıxöc, "Apıcro- κλῆς, Δίων Τ]Παεικράτους, Πτολεμαῖος 6 τοῦ ἩἩφαιςτίωνος, Ke- φαλίων, Ζηνόβιος, Παῦλος Τύριος, Διογενειανός 85), Διονύειος Ἅλικαρν., Νικάνωρ 55), al. Nec dubito eodem referre largissimos indices eorum scriptorum, quos quanquam supr& non consignavimus certe ob temporum rationes Philoni vindicare possumus: s. Πάμφιλος, Cwrnpidac, Δράκων 55, Νουμήνιος, ᾿Απολλώνιος Δύςκολος, Οὐη- ςτῖνος, TTaxartoc.?®)

Sed prae ceteris medicorum vitas quatenus per tempora licebit una cum librorum tabulis ad Philonem Byblium redire mihi persuasum est: quanquam Hesychius Philonem non ipsum sed Sorani iunioris") opus βίοι ἰατρῶν καὶ αἱρέςεις καὶ ευντάγματα (Suid. s. Cupavóc) adhibuisse, is vero ex Philone hausisse videtur. Philoni autem indices librorum e bibliothecis potissimum guppeditatos esse epigramma docet in Marcellum medicum conpositum (cf. Anthol, Pal. VII, 158; Bernhard. ad Suid. s. Μάρκελλος), unde elucet Hadria- num et post eum Antoninum Marcelli opera in publica Eomae urbis bibliotheca reposuisse. Dein Suidae tabularum partim satis largarum tota indoles videmus nimirum singulorum librorum numerum ad- curatissime denotatum optimum resipit auctorem, Philonisque operis περὶ xtfjceuc xai ἐκλογῆς βιβλίων naturae. haud scio an et illud conveniat, quod s. Ἱπποκράτης ὅ5) (πρῶτος) et s. 'Apicrorévnc 9?)

?*,) Huius scriptorum cognitio uni fere Suidae debetur, unde propria eorum origo confirmatur. **) Habemus tabulam ad argumentum dispo- sitam quantumvis non integram (ceterum cf. Mus. Rh. n. XXXV, 62). 8) Huius scripta ex argumento apte disposita esse facile intellegitur. 35) Singuli libri secundum quaedam genera digesti esse videntur. Porro in tabula librorum nonne scribendum est: περὶ τῶν (απφοῦς μελῶν (v. μετρῶν) ?**) De singulis scriptis adi Bernhardyum ad Suid. s. Εἰρη- vaioc et s. TTákaroc. Facile est perspectu initium tabulae κατὰ crotyetov ordinatae esse servatum. ®”) Qui certe post Hadriani tempora vixit, cum Soranus maior (vid. Suid. s. h. v.) Traiano et Hadriano regnantibus Romae floruerit. Neque ulla subest causa, cur unum tantum Soranum extitisse statuamus (cf. Paulyi Encycl. Real. IV, p. 1700, ubi hic ad Galeni aetatem relatus est) ?*) Sine dubio huius vitae fundamentum iecit

Biovp. 449, et Andreae opus (περὶ τῆς ἰατρικῆς γενεαλογίας, cf. x ali oorpietate est. 9%) Cuius opera κατὰ crotyetov ita disposita sunt: περὶ διαίτης, tr. δυνάμεως, T. daxerwv, π. σπέρματος, ὑγιεινοῦ, ἐπιτομὴν φυεικῶν ῥοηθημάτων, quibus adnectuntur ἐπιςτολικὰ πρὸς ᾿Αντίγογον (sic in fine scribas).

440 A. Daub:

Θάειος (ἔγραψε βιβλία κδ΄. ἐκρίθη δὲ περὶ διαίτης @..) nobi- lissimorum librorum delectus tantum recensetur. Horunce igitur, medicorum vitas una cum tabulis librorum Philoni adtribuo: 8. Ἱπποκράτης (septem omnes), "Axpuv, 'Apicroyévnc, ᾿Αρχιγένης, Βῶλος Μενδήειος (?), Δέξιππος Κῶος, Arockopidnc, Δράκων, '€pa- cícrapoc, OéccaAoc, Νικόμαχος, 'Poüqoc*?), ζαλούςτιος, Cupavóc Μενάνδρου (?).*!)

Verum luculenta specimina studiorum & Philone Byblio in vita hominum inlustrium describenda positorum nondum omnia conlustra- vimus. Nam praeterea ille amplissimum opus conscripsit περὶ πόλεων καὶ οὖς ἑκάετη αὐτῶν ἐνδόξους ἤνεγκε, quod multum lectitatum et ad conmodiorem usum ab Aelio Sereno in breviorem formam redactum (cf. Suid. s. ζερῆνος) Hesychio non minus eximiae utilitatis fuisse patet. Quo in opere hominum claro- rum vitae, i. e. patriae et originis, praecipuam habitam esse rationem vel inscriptio abunde docet. Nec vestigia huius libri celeberrimi prorsus evanuerunt. Stephanum nimirum Byzantium, quem in hac quaestione magno cum fructu adhiberi posse primus intellexit Wachsmuthius (l.l. p. 145), in 'ethnicis! Philonis scriptione ipsum usum esse contra A. Lentziumí?) praeclare exposuit Ed. Hillerus (in Fleckeis. Annal. phil. t. CIII, 527 8q.), cuius sententiam B. Niesius (de Steph. Byz. auctor. conment. L, Kil. 1873, p. 26 sq.) amplexus uberius confirmavit (cf. etiam Boysen. de Harpocrat. lex. fontt., Kil. 1876, p. 12).9) Qui quidem in “ethnicis’ plus centum extare

40) Librorum tabulam ad genera quaedam digestam esse liquet.

41) Glossam s. Mevexpdtnc Suidas ex Athen. VII, 289 delibavit; dein vitas s. Γαληνός et s. Μάρκελλος Soranus Hesychio suppeditasse videtur. Ceterum Philonis in medicorum vitis auctoritas clariore in luce infra onetur, ubi demonstrabitur qualis intercedat necessitudo inter Stephani yzantii copias Philoneas Suidaeque notationes. *?) Qui quidem in opere celeberrimo (Herodian. Techn. Reliqu. Praef. p. CXXXVII sq,) contenderat Stephanum totum fere librum ex Herodiani frustulis conflasse ac Philonis testimonia indidem transscripsisse. 485) Iam in eo erat ut has schedas typis describendis traderem, cum in manus meas venit E. Rohdii subtilis de Philone Byblio Hesychioque Milesio disputatio (Mus. Rh. n. XXXIV, 561 sq), qua id praecipue probatum it Hesychium Philonis opus περὶ πόλεων x. T. Δ. nusquam ut primarium, sed unice ut secundarium adhibuisse fontem (p. 567. 564). Quaerere igitur supersedit quatenus ille alteram Philonis scriptionem περὶ κτήςεως xal ἐκλογῆς βιβλίων in usum suum converterit, quam quidem inter pri. marios eius in vitis oratorum sophistarum grammaticorum medicorum fontes fuisse supra evicisse videmur. Sed prius illud opus (περὶ πόλεων. .) Hesychium praeter primarios auctores inter quos non modo Dionysii μουςικὴν ἱςτορίαν (Hohd. p. 573. 74), sed etiam Philoneos libros περὶ κτήςεως x. T. A. fuisse opinor locupletandi potius supplendive causa consuluisse Rohdio generatim concedo, quanquam hanc sententiam ali- quanto cautius pronuntiandam esse nostra ipsorum de Philonis opere explanatio inlustrabit. Ceterum iam non pauca Rohdiana disquisitione egregia mihi occupata esse vix est quod moneam. Sed meam ipsius non ab una parte esse paulo uberiorem neminem fugiet. Qua de causa

De Suidae biographicorum origine et fide. 441

oppida ait, quorum cives inlustres ex opere Philoneo petitos esse certum sit, pariter ac nomina scriplorum qui de iis rettulisse a Stephano dicantur ex eodem fonte mansaverint (p. 80 sq.).“) Tale &utem subsidium cum praesto sit, Philonis auctoritatis vestigia per Stephanum dissipata si in unum conponemus, non modo Philonei operis imaginem resuscitare texturamque quodammodo restituere pote- rimus, sed etiam una Suidae narrationibus conparatis aut certo de- finire aut divinando conicere, quatenus Philoni duci Hesychius 8ese addixerit. Quae cum ita sint non frustra elaborasse mihi videor, ut omnia Ethnicorum testimonia qualia ex Philonis libris derivata esse videntur plene congererem ac sicubi cum Suidianis concinunt sedulo notarem. Nec enim omnes reliquias coacervare voluit Niesius nec potuit Muellerus (Fr. Hist. Gr. III, 660 sq.). Harum igitur amplisi- mum ecce conspectum:

Stephanus Byzantius. Suidas (Hesychius). 8. v. Ἄβδηρα, πόλεις δύο. μὲν Opd- κης. .ἐκ ταύτης δὲ καὶ Δημόκριτός ἐςτιν 8. Δημόκριτος.. ó φιλόςτοφος. fj δὲ δευτέρα πόλις τῆς | ᾿Αβδηρίτης ἐκ Θράκης Ἰβηρίας... πλεῖςτοι δ᾽ ᾿Αβδηρῖται ὑπὸ τῶν | (cf.Rohd.1.1.565,n.1). πινακαγράφων ἀναγράφονται (qui quidem hie significantur, quod Abdera prima est urbs, cuius cives inlustres conmemorantur), Nikaíveroc ἐποποιὸς xal Πρωταγόρας, Tipguravópac'Ag- ὃν Εὔδοξος (cf. Niesium p. 31) icropet τὸν δηρίτης.. τινὲς δ᾽ αὐὖ- ἥςεω καὶ xpeiccw λόγον πεποιηκέναι xol | τὸν καὶ Τήιον ἀνέγρα- τοὺς μαθητὰς δεδιδαχέναι τὸν αὐτὸν ψέ- | ψαν (v. ἔγραψαν) γειν καὶ ἐπαινεῖν (cf. nunc de hac Stephani | vid. infra Steph. s. Τέ- notatione disputantem G. Roeperum, “Ueber | ὡς —, de quorum ver- einige Schriftsteller mit Namen Hekataeos', | borum fonte mira nar- II, Danzig. Progr. 1878, p. 4 sq.). rat Roeperus 1.1. p.3 in. ᾿Αβίλη . . ém δὲ καὶ ἄλλη πόλις Φοινίκης Ἄβιλα, ἐξ ἧς ἦν Διογένης ó διαεημότατος Copıcrmc. Αἰθάλη.. ἀφ᾽ fic ἦν Γλαῦκος, εἷς τῶν τὴν κόλληςειν cibfjpou εὑρόντων΄- δύο γὰρ ἧςαν. οὗτος μὲν (άμιος, ὅςτις καὶ ἔρ- Yov ἀοιδιμώτατον ἀνέθηκεν ἐν Δελφοῖς, ὡς Ἡρόδοτος, δ᾽ ἕτερος Λήμνιος, ἀν- δριαντοποιὸς διάςημος (?). |

hanc totam disputationis particulam intactam esse relinquendam duxi, sic tamen ut Rohdii quaestionum nusquam non habuerim rationem. 44) Niesii totius disquisitionis rationem summatim conpro uamvis non desint quae mihi quidem adriserint, veluti Dt de Platone cum Didymo a Philone (8 ph. p. 806, 1 laudato, M lo ver is s. Δυρράχιον (p. 88), de pagis Atticis (p. 84 sq.), de Nicanoris metonomasiis earumque auctore (p. 88 sq., cf. Wickornaqul. Mus. Rh. n. XXXIII, 488) proposuit.

442 A. Daub:

Steph. Byz.

Αἶνος, πόλις Θράκης . . Ecrı xoi vfjcoc παρακειμένη τῇ εὐδαίμονι ᾿Αραβίᾳ. τὸ ἐθνικὸν Afvioc dic Τήνιος. οὕτω γὰρ ἀνατράφεται ἐν τοῖς πίναξι (post haec verba lacunam statuere nolim, sed vid. Roh- dium 1. 1. 565, n. 2).

᾿Αλάβανδα . . πολίτης ᾿Αλαβαν- δεύς᾽ οὕτως ἀναγράφεται —, ubi “epi- Lomatorem' nomina Stephano conmemo- rata neglexisse Rohdius (l 1. 565, n. 2) vidit.

᾿Αλεξάνδρειαι . . δευτέρα écrl mó- Aic Τροίας, ἐν fj érévero Ἡγήμων ἐπο- ποιός, ὃς ἔγραψε τὸν Λευκτρικὸν πόλεμον τῶν Θηβαίων καὶ Λακεδαιμονίων.

᾿Αμάεεια, πόλις ἸΠοντική, ἀφ᾽ fic Crpaßwv ετωικὸς φιλόςοφος.

᾿Αμορτόε... ἔχουςα πόλεις τρεῖς, ᾿᾽Αρ- κεείνην, Μίνωαν, Αἰγιάλην .. ἀπὸ τῆς Μι- vac ἦν (ιμωνίδης ἰαμβοποιὸς, ᾿Αμορ- Yivoc λεγόμενος.

᾿Ανάζαρβα, πόλις Κιλικίας... ἀφ᾽ ἧς ἦν Διοςκορίδης (sic A, Διοεκουρίδης RV) διαςεημότατος ἰατρός, χρηματίζων ᾿Αναζαρβεύς, καὶ ᾿Αεκληπιάδης 6 "Ava- ζαρβεύς, πολλά τε καὶ ἄλλα καὶ περὶ ποταμῶν γράψας βιβλίον.

'Avaía .. ἐντεῦθεν ἦν Μενέλαος περιπατητικὸς φιλόςοφος, καὶ Μέλας ἱςτο- ρικὸς ᾿Αναῖος (de quibus verbis parum probabiliter disseruit Hansenius 'Beitr. zu alt. Geogr) Progr. Sondersh. 1879, p. 5, cf. etiam Bursian. in Annal. phil. 99, 630 not.).

᾿Ανθηδών.. Λεωνίδης ζωγράφος, Εὐφράνορος μαθητής, ᾿Ανθηδόνιος.

᾿Αντικύραι πόλεις δύο... f] δὲ ἐν Μαλιεῦειν.. ᾿Αντικυραῖος, óc Μάρκελλος ἰατρός (adnotat Meinekius: “hoc ad patriam Marcelli spectat, non ut exemplum huius formae ex Marcello affertur'; aliter sane Rohdius iudicat, 1. 1. 564 not. 3).

᾿Αντιόχεια... τρίτη Mecororagíac . . ἥτις πρὸς τῶν ἐπιχωρίων Νάειβις καλεῖται, ὅθεν ᾿Απολλοφάνης «ετωικὸς φιλόςοφος

Suid.

Crpáfpuv ’Auo- ςεύς, φιλόςοφος (cf. Rohd. 565 n. 1).

Cipnuvíbnc .. ᾿Αμοργῖνος ἰαμβογρά- φος.

Διοεκορίδης ᾿Αναζαρβεύς, ἰατρός (ceterum cf. Rohd. L1. 565 n. 1).

De Suidae biographicorum origine et fide.

Steph. Byz. Ναειβηνός καὶ Φαρνοῦχος Tlepcıkac icropíac ευγγεγραφύώς.

"Avrtıcca, πόλις Λέεβου.. ἀφ᾽ fic Τέρπανδρος ’Avrıccaloc, διαεημό- τατος κιθαρῳδός... καὶ τρίτη Ἰνδικῆς, ἣν ἀναγράφει Φίλων. (Cf. Niesium 1.1. 50.)

᾿Απολλωνία.. κΥ Κρήτης. ., ἐκ ταύ- της φυεικὸς Διογένης.

᾿Αεκάλων... πολλοὶ δὲ ἐξ αὐτῆς κεχρηματίκαςι, φιλόςοφοι μὲν "Av- τίοχος Κύκνος καὶ (ῶςος καὶ ’Avti- βιος καὶ Εὔβιος cruikol ἐπιφανεῖς, γραμματικοὶ δὲ Πτολεμαῖος ᾿Αριςτάρ- xou γνώριμος καὶ Δωρόθεος, ἱετορικοὶ ᾿Απολλώνιος καὶ ᾿Αρτεμίδωρος τὰ περὶ Βιθυνίας γεγραφὼς καὶ ἄλλοι (cf. Rohd. 1. 1. 565, n. 9).

"Ackpn, πόλις Βοιωτίας... τὸ ἐθνικὸν ᾿Αςκραῖος (insere: dc) 'Hcíoboc.

"Axvaı, πόλις OcccaMac, ἐντεῦθεν ἦν Κλεοδάμας περὶ ἱππικῆς καὶ πωλοδα- μαςτικῆς τράψας.

Βαλανέαι.. εἰς ἣν πόλιν Ἐπικράτης ἐγκώμιον ἔγραψεν Βαλανεώτης.

Βατή, δῆμος τῆς Αἰγηίδος φυλῆς, ὅθεν ἦν "ABpuv Καλλίου, ἐξηγητής, περὶ ἑορτῶν καὶ θυειῶν γεγραφώς.

Βέροια, πόλις Μακεδονίας... ἔςτι καὶ πόλις (υρίας, ἀφ᾽ ἧς Καειανὸς ἄριετος ῥήτωρ.

Βήνη, πόλις Κρήτης... Ῥιανὸς γὰρ ó ποιητὴς Βηναῖος ἦν Κερεάτης Κρής (adi Meinekii notam huic glossae adpositam).

Βιθύνιον... ἀφ᾽ οὗ Πίνυτος ἐτέ- vero Ρώμης τραμματικός, Ἐπαφροδίτου τοῦ Νέρωνος ὧν ἐξελεύθερος. ("Dicere videtur Pinytum Epaphroditi, Epaphroditum Neronis libertum fuisse. Ita Meinekius; sed nolim cum Rohdio (1.1. 570) verba sic con- rigere: '€ragpobírou τοῦ ἐπὶ Νέρωνος ὧν K. T. À. (cl. Suid. s. Ἐπαφρόδιτος); tum enim dici certe debuit τοῦ ἐπὶ N. ὄντος ὧν ἐ.

443 Suid.

Τέρπανδρος 'Ap- vaioc Λέεβιος an’ ᾿Αντίεεης..

Πτολεμαῖος ᾿Αεκαλωνίτης, τραμ- ματικός.

Ἡείοδος Κυμαῖος . . μητρὸς Πυκιμήδης ἐν ”Ackpn τῆς Βοιω- τίας.

Ῥιανός, καὶ Κρής, ὧν Βηναϊος(Βή- vn δὲ πόλις Κρήτης)" τινὲς δὲ Κεραΐτην, ἄλ- λοι δ᾽ Ἰθώμης.. αὐτὸν icrópncav.

of. 8. Ἐπίκτητος .. δοῦλος Ἐπαφροδί- του, τῶν εὡματοφυ- λάκων τοῦ Bacıkewc Νέρωνος.

444 A. Daub: Steph. Byz.

Verum recto talo stare Stephani verba

docet glossa s. Ἐπίκτητος).

Βιεάνθη, πόλις Μακεδονίας... ἀφ fic Φαίδιμος ἐλεγείων ποιητὴς Βιςανθηνός.

Βορμίεκος, χωρίον Μακεδονίας, ἐν κυνοςπάρακτος τέγονεν ξὐριπίδης ..

Βοῦρα, πόλις ᾿Αχαῖας.. ἐκ ταύτης ἦν ἸΤυθέας ζωγράφος, οὗ écriv ἔργον ἐν Περγάμῳ ἐλέφας, ἀπὸ τοιχογραφίας ὦν,

ὡς Φίλων. " Γαδάρα, πόλις κοίλης Cupíac, ..evreü- θεν ἦν Μένιππος ςπουδοτελοῖος.

Γάδειρα.. πολίτης l'abeipeuc: οὕτω γὰρ τὰ πέντε βιβλία ἐπιγέγραπται τῶν ἸΤυθαγορικῶν cxyohdy Μοδεράτου Γα- δειρέως.

Γαργηττός, πόλις καὶ δῆμος τῆς Ai- γηΐδος φυλῆς... Ἐπίκουρος Νεοκλέους Γαργήττιος.

l'épaca, πόλις τῆς κοίλης Cupíac.. ἐξ αὐτῆς ᾿Αρίετων ῥήτωρ ácreióc Ecrıv, ὧς Φίλων, καὶ Κήρυκος εοφιςτὴς καὶ Πλάτων νομικὸς ῥήτωρ, πᾶςαν παίδευςειν ὡς μίαν ἀποςτοματίζων καὶ ἐν ευνηγορίαις καὶ παρεδρευταῖς καὶ θρόνοις τὴν ὀρθότητα τῶν νόμων ἐπιτηδεύων (Rohd. 1.1. 565 n. 2).

Fépyic, πόλις Τροίας, τὸ θηλυκὸν Fepyidia .. ἀφ᾽ οὗ Γεργιθία f| χρηςμολόγος CíguAAa, ἥτις καὶ ἐτετύπωτο ἐν τῷ νο- μίεματι τῶν Γεργιθίων αὐτή τε καὶ ςφίγξ, ὡς Φλέγων ἐν Ὀλυμπιάδων α΄ (cf. doctis- simam adnotatiunculam Meinekii). ἐν τῷ ἱερῷ τοῦ Γεργιθίου ᾿Απόλλωνος (ιβύλλης φαεὶν εἶναι ἐπιτάφιον.

[Δικαιάρχεια, πόλις Ἰταλίας. ταύτην δέ φαςι κεκλῆεθαι ἸΠοτιόλους, ἐν fj τὸ ευμπόειον 'Hpubiavóc ἔγραψεν.

Δυρράχιον. . καὶ Ἐρέννιος Φίλων ἐν τοῖς ἰατρικοῖς (epitoma Rehdigerana ἐν τοῖς ἰατροῖς exhibet, quod Niesius p. 41 recepit) Auppaxnvöv ἀναγράφει Φιλω- vidnv οὕτως" “᾿Αςκληπιάδης ἀκουςτὰς Ecxe Τίτον Αὐφίδιον (Κικελὸν καὶ Φι- λωνίδην Δυρραχηνὸν καὶ Νίκωνα ᾿Ακραγαντῖνον.᾽ καὶ πάλιν ᾽Φιλωνίδης δὲ

Suid.

Ἐπίκουρος Neo- κλέους ᾿Αθηναῖος, Γαρ- γήττιος τῶν δήμων... (Bohd. L 1. 565 n. 1).

CißBuAAa ᾿Απόλ- λωνος.. Ἐρυθραῖα.. .. τινὲς δ᾽ αὐτὴν Cike- λήν, ἄλλοι ζαρδιανήν, ἄλλοι Γεργιθίαν .. ἐδόξαςαν (Rohd. 565 n. 1),cf. Nies. p.30; sed aliter sensit Maassius (de Sibyll. ind. p. 25, n. 63), quamvisnonrecte: nam et Stephaniana et haec Hesychiana (cf. Maass. 53) glossa ab eodem auctore (Phi- lone) repetenda est (aliter tamen res se habet s. Mepunccöc).

De Suidae biographicorum origine et fide. 445

Steph. Byz. Auppaxnvöc ἤκουςε μὲν ᾿Αςκληπιάδου, ἰατρεύςεας δὲ ἐν τῇ πατρίδι ἐνδόξως cuve- τάξατο βιβλία ue".

Avcnövriov, πόλις Πιςαίας.. ἀπὸ ταύτης ᾿Αντίμαχος ἦν ὀλυμπιονίκης, νι- κήςας ἐν Ὀλυμπιάδι (quae verba cancellis saepsit Meinekius; sed post ἐν numerum β΄ intereidisse vidit Wachsmuthius) «ςτάδιον. Φλέγων ἐν ὀλυμπιάδι β΄ "Avrinaxoc Ἠλεῖος ἐκ Aucrovriou crábiov'. καὶ ἐν κζ΄ 'Δάιππος Κροτωνιάτης TUE, Ἠλείων ἐκ Δυςποντίου τέθριππον. (Ceterum cf. Rohdium 1. 1. 564 n. 1.)

Ἐπιφάνεια, πόλις Cupíac . . dp’ fic Εὐφράτης crumóc φιλόςοφος.

Ἔρεςος, πόλις Λέεβου.. ἐξ ἧς Θεό- φραετος ᾿Αριςτοτέλους γνώριμος καὶ διά- δοχος δἐπιφανέεςετατος, ὃς Τύρταμος ἐλέγετο καὶ διὰ τὸ τῆς φράςεως Becnecıov Θεόφρα- croc ἐκλήθη (quae verba non Straboni XIII, 615, sed Philoni deberi recte monuit Niesius p. 29).

Ἐρυθραί.. πόλις Ἰώνων... ἐχρημάτιζε δὲ καὶ Ναυκράτης Ἐρυθραῖος, “Ὅμηρον ὑπομνηματίςας.

Ἐρχιά, δῆμος τῆς ᾿Αττικῆς (cf. Niesium p. 34), τῆς Aiynidoc φυλῆς... 6 δημότης Ἐρχιεύς. καὶ Ἰεοκράτης Ἐρχιεὺς ἦν. (Cf. Pseud. Plut. Vit. Isocr. ap. Westerm. Βιουρ. p. 246, 1 et Westermanni adnotationem.)

Zeóü vga, πόλις Cupíac.. τὸ éOvikóv.. Ζευγματίτης ὧς "Ackaluvírnc, ὡς καὶ Tipuréac ó γραμματικὸς Ζευγματίτης.

Ἡρακλεούπολις, πόλις Αἰγυπτίας, ἐξ fic Θεοφάνης φυεικός. :

Θέετις, πόλις ᾿Αράβων, καὶ ἄλλη Ac βύης, 6 πολίτης ἑκατέρας Oecrírmc. [ἐκ δὲ τῆς Λιβυκῆς Κορνοῦτος φιλόςοφος Θεςτίτης χρηματίζων], quae verba extrema codice R servata sunt. Adnotat vero Meine- kius: “Res ipsa plus quam dubia, cum reliqui omnes, atque ipse adeo Stephanus s. Γέργις (πόλις ἐν Λιβύῃ... τὸ ἐθνικὸν Γεργίτης, ὡς τῆς Λέπτις Λεπτίτης. [οὕτως καὶ φιλό- copoc Κορνοῦτος ἐχρημάτιζε Λεπτίτης,

Suid.

Ocógpactoc... ἀπ᾽ Ἐρεςοῦ, ἀκουςτὴς ᾿Αριςτοτέλους καὶ διά- δοχος τῆς «χολῆς... οὗτος πρότερον ἐκα- λεῖτο Τύρταμος, διὰ δὲ τὸ θείως φράζειν... ἐκλήθη Εὔφραςτοες..

εἶτα Θεόφραετος (Rohd. 565 n. 1).

446 A. Daub:

Steph. Byz.

quae verba Meinekius seclusit utpote ab hoc loco aliena]) Cornutum Leptitanum per- hibeant. Non dubium igitur quin haec aut ab imperito glossatore illata sint, aut scriptor in vitiosum codicem inciderit, in quo OécTic scriptum erat pro Λέπτις᾽, Quarum vicissi- tudinum altera evenisse mihi videtur.

OícBn, πόλις Βοιωτίας... 'Icunvíac δὲ αὐλητὴς Θιςβεὺς ἐχρημάτιζε xol '€perpiéuv αὐλητὴς Θιεβεύς.

Θυάτειρα, πόλις Λυδίας... τὸ ἐθνικὸν Θυατειρηνός.. ἀφ᾽ οὗ Νίκανδρος γραμ- ματικός.

"lacoc, πόλις Καρίας... πολίτης av- τῆς Ἰαςεύς, ἀφ᾽ οὗ Χοιρίλος ἦν (sic scri- bendum est pro ἐών; an forte ἐπίκλην 3) Ἰαςεύς.

Ἱεράπολιε.. τὸ ἐθνικὸν Ἱεραπολῖται, ἀφ᾽ οὗ Νικάνωρ νέος Ὅμηρος καὶ ἸΤόπλιος καὶ Capaniwv ετωικοὶ καὶ ἄλλοι πλεῖςετοι Ἱεραπολῖται (cf. Nie- sium p. 29, 30; Rohdium 1. 1. p. 562, n. 2).

("1xoc, vficoc τῶν Κυκλάδων, προςεχὴς τῇ Εὐβοίᾳ, νηειώτης "haoc. ἔγραψε δὲ Φανόδημος Ἰκιακά. Cf.etiamgl.Teria.)

"loc, vfjcoc τῶν Κυκλάδων, ὅθεν ἦν Ὁμήρου μήτηρ.

Ἰτύκη, πόλις Λιβύης. . τὸ ἐθνικὸν Ἰτυκαῖος, ἀφ᾽ οὗ Διονύειος Ó Ἰτυκαῖος ῥιζοτομικῶν πρώτῳ (tamen RV exhibent ῥιζοτομικός α΄; hue adnotat Meinekius: „an ῥιζοτομικά [vpäyac]?“, id quod parum duco probabile. Idem Dionysius laudatur ab Athen. XIV, p. 648, Schol. Nicandr. Theriac. 520, Plin. H. N. 20, 3, 9).

Κάλλατις, πολίχνιον ἐν τῇ παραλίᾳ τοῦ Πόντου. . dp’ οὗ "Icrpoc Καλλα- τιανὸς περὶ τραγῳδίας γράψας καλὸν βι- βλίον.

Κάμιροε, πόλις ἐν Ῥόδῳ... TTeicav- dpoc διαεημότατος ποιητὴς Καμι- ρεὺς ἦν.

Καπρίη, νῆςος Ἰταλίας. . λέγονται καὶ Καπριαί.. ἐντεῦθεν ἦν Βλαῖςος croubo- γελοίων ποιητὴς Καπριάτης.

Suid.

Χοιρίλος Cópioc: τινὲς (i. e. Philon) δ᾽ 'lacéa . . icro- poüciv. (Cf. Naekii Choer. p. 40 sq. , Roh- dium 1. 1. 569.)

Ὅμηρος... oi δ᾽ (ἔφαςαν “Ὅμηρον) Ἰή- την (τενέςθαι).

TTeicavdpoc Tlei- cwvoc . . Kaueipaioc ἀπὸ Ῥόδου, Κάμιρος γὰρ ἦν πόλις Ρόδου (Rohd. 565 n. 1).

De Suidae biographicorum origine et fide.

Steph. Byz.

Kapxndwv, μητρόπολις Λιβύης, δια- cnnotarn πόλις... ἔςτι δὲ καὶ "Appe- νίας Καρχηδών, ὡς Εὐτρόπιός φηςειν. πολίτης Καρχηδόνιος ςοφὸς Μάτων᾽. καὶ “Κλειτόμαχος Διογνήτου, ὃς ἐκαλεῖτο ᾿Αςδρούβας, qiAócopoc ἀκαδημαϊκός, διά- δοχος Καρνεάδου τῆς Κυρηναίου εχολῆς, ὃς κη΄ ἐτῶν ἐλθὼν ᾿Αθήναζε ἄμοιρος ἦν τῶν πρώτων ετοιχείων καὶ ταῦτα μανθάνων ἠκροάςατο Kapveädou”.

Καςάνδρεια (“aut haec loco suo mota sunt, aut Kaccávópeia scripsit. Meinekius), πόλις Μακεδονίας... Ποςείδιππος δὲ κωμῳδίας ποιητὴς υἱὸς ἦν Κυνίεκου Κα- ςανδρέως.

Keyxpeai, πόλις Τρῳάδος, Ev f] διέ- τριψεν Ὅμηρος uavddvwv τὰ κατὰ τοὺς Τρῶας.

Κοτιάειον, πόλις τῆς ἐπικτήτου Φρυ- γίας.. ἔνθα ἦν ᾿Αλέξανδρος ᾿Αςκλη- πιάδου γραμματικός, πολυμαθέετατος xpn- ματίζων, ὃς περὶ παντοδαπῆς ὕλης κδ΄ ἔγραψε βίβλους.

Κούριον, πόλις Κύπρου.. καὶ Api- ςτοκλῆς Κουριεὺς ἦν.

Kpactóc, πόλις (ικελίας τῶν ζ(ικα- νῶν.. ἐκ ταύτης ἦν Ἐπίχαρμος κὠωμι- κὸς καὶ Λαῖς fj ἑταίρα, ὧς Νεάνθης ἐν τῷ περὶ ἐνδόξων ἀνδρῶν. ἔχει δὲ πόλις εὐπρεπεςτάτας γυναῖκας, ὡς Φιλήμων (pro quo Niesius p. 31 nomen Φίλων pro- posuit, haud sane probabiliter).

Κυδαθήναιον, δῆμος τῆς TTavbiovi- δος φυλῆς... ἐντεῦθεν ἦν Νικοχάρης 6 κωμικός.

Κύθνος νῆςος.. καὶ Κύθνιος.. Κυδίας (sie conrigas ex Eustathio ad Dion. 525, Κύθιος RV, Κύθνιος A) ζωγράφος.

Κύμη, πόλις Αἰολίδος πρὸ τῆς Λέεβου..

447 Suid.

Toceidiınnoc Koccavdpevc, υἱὸς Ku- VICKOU . . KWUIKÖC.

"Ounpoc.. oi μὲν... ἔφαςαν vevé- εθαι (μυρναῖον, οἱ δὲ Χῖον... οἱ δ᾽ ἐκ Τροίας, ἀπὸ χωρίου Κεγχρεῶν. In sin- gulis Homeri vitis nul- lum huiusce rei vesti- gium indagare potui. Quo certius mihi vide- iur ex Philonis opere illud fluxisse. Ceterum Hesychius Cenchreas lemere vocavit pa- triam Homeri, qua de re cf. Rohdium |. |. p- 569.

Ἐπίχαρμοε.. Cupaxovcıoc f| ἐκ πό- λεως Kpácrou τῶν Ci- κανῶν.

448 A. Daub: Steph. Byz.

ἐντεῦθεν ἦν Ἔφορος ó ἱετορικὸς καὶ Ἡείοδος Κυμαῖοι. Ex Strabone (XIII, 622) potius haec petita esse Niesio (p. 29, not.) videntur.

Κυνὸς κεφαλαΐί, λόφοι (sic Meinek, pro λόφος) τῆς OeccaMac . .. . ἦν δὲ καὶ χωρίον Θηβῶν, ἀφ᾽ οὗ Πίνδαρος Δαῖ- φάντου παῖς, Βοιώτιος ἐκ Κυνὸς κεφα- λῶν, μελῶν ποιητής.

Κυρήνη, πόλις Λιβύης... ἐντεῦθεν fjv '€patocOévnc ᾿Αγακλέους παῖς δίἱςτορικός.

Κύρτος, πόλις Αἰγύπτου .. ἐκ ταύτης Διονύειος ἦν διάεημος ἰατρός, ἀπὸ τῆς πατρίδος, οὐκ ἀπὸ τοῦ εὐματος Κυρτὸς ὀνομαζόμενος, οὗ μέμνηται Ἐρέννιος Φίλων ἐν τῷ περὶ ἰατρῶν.

Κῶς, πόλις καὶ νῆςος τῆς Κέω. τὸ ἐθνικὸν Κέιος καὶ ἐκτάςει Κήιος, ὡς τῆς Τέω Τέιος καὶ Τήιος, καὶ Κεῖος διὰ bi- φθόγγου. τῆς δὲ Κῶ μονοευλλάβου Κῷος καὶ Κώιος, ὧς Μινῷος. οὕτως δὲ ἐχρη- μάτιζεν Ἱπποκράτης καὶ Ἐραςείετρατος ἰατροί. ἦν δὲ Ἱπποκράτης τῶν καλουμέ- vuv Νεβριδῶν: Νέβρος γὰρ ἐγένετο διαςημότατος τῶν ᾿Αςκληπιαδῶν, καὶ fy ΤΤυθία ἐμαρτύρηςεν, οὗ Γνωείδικος, l'vwci- δίκου δὲ Ἱπποκράτης, καὶ Αἴνειος καὶ Πο- δαλείριος, Ἱπποκράτους Ἡρακλείδης, οὗ Ἱπποκράτης 6 ἐπιφανέεςτατος, καὶ θαυ- μαείας ευντάξεις καταλελοιπώς.

Λητή, πόλις Μακεδονίας... τὸ ἐθνικὸν Ληταῖος᾽ οὕτως τὰρ ἱςτορεῖται Νέαρχος Ληταῖος, τῶν ᾿Αλεξάνδρῳ τῷ μεγάλῳευςτρα- τευςκαμένων διαςημότατος, ubi duas

Suid. Ἔφορος (v "Epintoc) Κυμαῖος, et s. EpopocKvnaioc καὶ Θεόπομπος (Bohd. 565 n. 1). 'Hcíoboc Kv- μαῖοε.. Πίνδαρος θη- βαῖος, (κοπελίνου υἱἷ- óc, κατὰ δέ τινας Aoi- φάντου, καὶ μᾶλλον ἀληθές (cf. Vit. Pind. α΄. ap. Westerm. p. 90, 1 8qq., et Vit. Pind. β΄. ap. Westerm. p. 96, 82 sq., et Vit. Pind. γ΄. ap. Westerm. p.98,52). '€parocOÉvnc ᾿Αγλαοῦ, Κυρηναῖος.

Ἱπποκράτης Κῶος, ἰατρός, Ἥρα- κλείδου viöc..

Ἱπποκράτης Γνωςειδίκου υἱός. Κῶ- ος, πατὴρ Ἡρακλείδα τοῦ πατρὸς Ἱπποκρά- τους, ἰατρὸς καὶ αὐ- τός, τοῦ γένους τῶν ᾿Αςκληπιαδῶν. ἰατρι- x (adietiam Hippocra- tis vitam Soraneam).

8. Ἐραείετρατος Ἰουλιήτης, ἀπ᾽ Ἰουλί- δος πόλεως Κέω τῆς vficou, χρηματίζει οὖν Κήιος (Bohd. 666 n. 1).

De Suidae biographicorum origine et fide.

Steph. Byz. glossas in unam coaluisse probabiliter sta- tuit Meinekius.

Λητοῦς, πόλις Αἰγύπτου .. τὸ ἐθνικὸν Λητοπολίτης᾽ οὕτως γὰρ Πολύετρατος καὶ ᾿Απολλώνιος ἀρχοιφέως (sie libri; Holstenius coni. ἀρχιερεύς, quod Rohdio []. 1. p. 566!] merito displicuit) λεγόμενος ἀνα- γράφεται (nec Meinekio adsentior àva- γράφει conrigenti, quod Apollonius fuerit Aphrodisiensis obstat enim vel ipse con- stans Stephani usus, cf. p. 463, 21; 449,18; 450, 6; 52, 9, quod Wachsmuthius rectisei- me monuit neque credo huno Apollonium eundem esse quem Suidas s. "A. ’Appodicieüc conmemorat. Praeterea cf. Gutschmidium ad Sharpii histor. Aegypt. interpr. Germ. I, p. 164 adnot. 1. Ac plane idem nunc censet Rohdius 1. 1.).

[Μαντύη καὶ Μάντυα πόλις Ῥω- natwv . . γράφεται καὶ Μάντουα... ἐξ αὐτῆς ἦν Βεργίλιος ποιητὴς Μαντού- της: χρηματίζων. ᾿

Mártaupoc, πόλις (ικελίας.. (τηςί- χορος, Εὐφήμου παῖς, Ματαυρῖνος γέ- γος, τῶν μελῶν ποιητής.

Μεγάλη πόλις, πόλις "Apxobíac .. ἀφ᾽ ἧς Κερκιδᾶς ἄριετος νομοθέτης, καὶ μελιάμβων ποιητής, καὶ Alvnciac περι- πατητικὸς Θεοφράετου μαθητής, καὶ 'Axe - cróbupoc περὶ πόλεων ευγγεγραφίύς, καὶ ἸΤολύβιος τεςεαράκοντα βιβλία ἱετορίας (quod ipse adieci) γράψας,

Μέταρα, πόλις περὶ τὸν ἾἸεθμόν .. ἀφ᾽ ὧν Θέογνις τὰς παραινέςεις γτρά- ψας.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI.

449 Suid.

(τηείχορος Εὐ- φόρβου εὐφήμου.. πόλεως Ἱμέρας rfc Ci- xeMac. καλεῖται γοῦν Ἱμεραῖος᾽ οἱ δ᾽ ἀπὸ Ματαυρίας τῆς ἐν Ἰταλίᾳ... (Stephanus sit (ικελίας, verum re- cordandum estSiciliam deCampanis et inferio- re parte Italiae aliquo- tiens ab eodem usur- pari, of. Meinekiinotam ad Steph. 2. Cwvóecca.)

ἸΤολύβιος ... ἀπὸ Μεγάλης πόλεως τῆς "Apkabíac . . οὗ- τος ἔγραψε τὴν μα- κρὰν ἱετορίαν Ῥωμαΐ- κὴν ἐν βιβλίοις μ΄. (Rohd. 565 not. 1.)

(Θέογνις Mera- ρεὺς τῶν ἐν (ικελίᾳ

29

450 A. Daub: Steph. Byz.

Μέδμη, πόλις Ἰταλίας... ὅθεν ἦν Φί -

λιππος ἀξιόλογος ἀνὴρ περὶ ἀνέμων

γεγραφώς.

[Mepunccöc, πόλις Τρωική, ἀφ᾽ fic fi Ἐρυθραία CíBuAAa, cf. Niesium p. 30, sed vide nunc Maassium 1. l. 25, n. 63.

Μεταπόντιον, πόλις "IraMac..ó πο- λίτης Μεταποντῖνος, ἀφ᾽ οὗ Φίλων αὐλη- τὴς καὶ ποιητής.

Μήθυμνα, πόλις ἐν Λέεβῳ τῇ νήςτῳ.. πολίτης Μηθυμναῖος. οὕτως γὰρ ἀνα- γράφεται Ἐχεκρατίδης περιπατητικός, ᾿Αριςτοτέλους ευνήθης, καὶ Μυρείλος cuy- γραφεὺς καὶ ᾿Αρίων καὶ ἄλλοι πολλοὶ Μηθυμναῖοι.

Μηκύβερνα, πόλις Ἰ]Παλλήνης τῆς ἐν Θράκῃ Xepovvricou . . 6 πολίτης Μηκυβερ- vaioc: οὕτως yàp ἀναγράφεται Ἡτγήειπ- πος τὰ ΤΠαλληνιακὰ εὐντεταχὼς καὶ Φιλωνίδης καὶ οἱ ἄλλοι.

Μῆλος, νῆςος μία τῶν Κυκλάδων... πολίτης Διαγόρας Μήλιος καὶ [φι- Aöcopoc καὶ dcudtwv, quibus verbis sat probabiliter lacunam obstruxit Meinekius Sui- dam ducem secutus] ποιητής, καὶ Cuxkpá- τῆς κατ᾽ Apicropávnv (sic vere idem emen- davit quod volgo legitur καὶ 'A.).

MieZa, πόλις Μακεδονίας... τὸ ἐθνικὸν Μιεζεὺς καὶ MieZaioc: οὕτως γὰρ χρημα- τίζει Νικάνωρ, καθὰ Λούκιος (cfr. tamen Niesium p. 29).

Μίλητος, πόλις ἐπιφανὴς ἐν Καρίᾳ τῶν Ἰώνων... πολίτης Μιλήειος, οὕτως καὶ Θαλῆς (cf. Niesium p. 80) Ἐξαμύου πατρὸς MiAncioc ἐχρημάτιζε καὶ Φωκυλί- δης καὶ Τιμόθεος κιθαρῳδός, ὃς ἐποίηςε γόμων κιθαρῳδικῶν βίβλους ὀκτωκαίδεκα εἰς ἐπῶν ὀκτακιςχιλίων τὸν ἀριθμόν, καὶ προνόμια ἄλλων xiAıa(?) in libris P'RV est “a”, quod in ‘n’ conrigendum esse

suspicatur Wachsmuthius θνήςκει δ᾽ ἐν Μακεδονίᾳ (quibus adnexum est epi- gramma).

Μόψου écría, [πόλις] Κιλικίας...

Suid. Μεγάρων, cf. Bern hardyum ad Suid. s. h. v., Nietzschium Mus. Rh. n. XXII, 189 $q., Harpocr. s. Θέογνις, Schol Plat. Legg. 1, p. 448.)

᾿Αρίων Mn8v- μναῖος λυρικός (Rohd. 565 not. 1).

Araröpac.. Μή- λιος, φιλόςοφος καὶ ἀεμάτων ποιητής.

Θαλῆς Ἐξαμύου.. Mu fcioc(Rohd.565!). Φωκυλίδης Muf cioc, pi ócogpoc( Rohd. 5651). Tin ó0coc.. Μιλήειος Aupixöc . . ἐτελεύτηςεν ἐτῶν 5", γράψας δι᾽ ἐπῶν νό- μους μουεικοὺς ιθ΄, προοίμια As” (προνό- μια ex Stephani verbis

De Suidae biographicorum origine et fide.

Steph. Byz.

πολίτης Μοψεάτης, .. ἀφ᾽ οὗ γραμμα- τικὸς Ἡρακλείδης ó Μοψεάτης.

[MuAaca, πόλις Καρίας... τὸ ἐθνικὸν MuAaceüc. οὕτως γὰρ ἀναγράφουει πολ- Aoí, ὧς Μένανδρος Καταψευδομένῳ, -“--- quod quidem testimonium huc vix referendum esse videtur, etiamsi Rohdius (1.1. 565, n. 2) ceteris ita inseruit, ut ἀναγράφονται coni- ceret et post vocem πολλοί lacunam sta- tueret. | Μύνδος, πόλις Καρίας... ἧς τὸ ἐθνι- κὸν Μύνδιος καὶ Μυνδία. καὶ Ζήνων Μύνδιοι γραμματικοί.

Μύρλεια, πόλις Βιθυνίας, fj νῦν λεγο- μένη ᾿Απάμεια.. πολίτης Μυρλεανός, wc ᾿Αεκληπιάδης Μυρλεανὸς ἀναγρά- perat.

Νίκαια, πόλις Βιθυνίας... ὀγδόη Θρά- κης, εἰςὶ δὲ καὶ ἄλλαι παρὰ Θερμοπύλας καὶ Θράκην... ἐξ αὐτῆς Ἰείγονος καὶ ᾿Αεκληπιάδης καὶ Πααρθένιος καὶ ᾿Απολλωνίδης καὶ Ἐπιθέρεης γραμμα- τικός, γράψας περὶ λέξεων ἀττικῶν καὶ κωμικῶν καὶ τραγικῶν (cf. Rohdium 1.1. 565 not. 2).

Νικομήδεια, πόλις Βιθυνίας... ἐξ ἧς ᾿Αρριανός (cf. tamen Niesium p. 29).

'Obnccóc, πόλις ἐν τῷ Πόντῳ .. πολίτης Ὀδηςείτης καὶ Ὀδηςςεύς. ἐχρη- μάτιζον δὲ Ἡρακλείδης ἱετοριογράφος καὶ Δημήτριος περὶ τῆς πατρίδος γράψας.

Οἰχαλία.. Aívoc..ó ἱετορικὸς Οἶχα- λιώτης ἦν (adi doctissimam Meinekii ad- notationem).

Ὀλόφνξοε, πόλις ἐν Θράκῃ .. Ó πολί- της “Ἡρόδοτος Ὀλοφύξιος περὶ νυμφῶν καὶ θεῶν γράψας᾽ (cf. Meinekium ad h. gl.).

(τάτειρα, πόλις [Μακεδονίας] . . ᾿Αριετοτέλης (ταγειρίτης.

᾿Απολλώνιος.

451

Suid. 8. Μίλητος parum pro-

| babiliter Reinesius re-

stituit, sed cf. Rohdium l. 1. 572 et not. 2; et supra nos p. 429 et n. 22,b).

᾿Αεκληπιάδης.. Μυρλεανός (πόλις δ᾽ ἐςτὶ Βιθυνίας, fj νῦν ᾿Απάμεια καλουμένη), τὸ δ᾽ ἄνωθεν vévoc ἦν Νικαεύς..

Παρθένιος.. Νι- καεὺς Μυρλεανός. Cf. Meinekium Anal. Alex. 256, Rohdium l.l 569, n. 2.

'Appiavóc Νικο- μηδεύς (Rohd. 565°).

'ApicroTéAnc .. ἐκ (ταγείρων πόλεως τῆς Θράκης, cf. tamen Vit. Arist. Ammon. (Biovp. p. 398): 'A. τῷ μὲν γένει fjv Ma-

29*

452 A. Daub: Steph. Byz.

Τάρας, πόλις Ἰταλίας. . 6 πολίτης Ταραντῖνος... καὶ ἀνεγράφηςαν οὕτω πολλοὶ χρηματίζοντες, μάλιςτα ΤΤυθαγό- ρειοι καὶ ᾿Αριετόξενος μουεικός, "Api- ςτοτέλους γνώριμος. καὶ Ῥίνθων Tapav- τῖνος, φλύαξ, τὰ τραγικὰ μεταρρυθμίζων εἰς τὸ γελοῖον φέρονται δ᾽ αὐτοῦ δρά- ματα An. καὶ Ἴκκος Ταραντῖνος ἰατρὸς ἐπὶ τῆς οζ΄ ὀλυμπιάδος. μέμνηται τούτου καὶ Πλάτων ἐν TIpuravópa (p. 285), cf. Niesium p. 31.

Τάρρα, πόλις Λυδίας [ἀφ᾽ fic ἦν Λεύ- κιος γραμματικός, quae verba seclusit Meinekius]. ἑτέρα Κρήτης.. Λούκιος δ᾽ ἦν ἀπὸ Τάρρας τῆς Κρητικῆς πόλεως. φέρεται δὲ τούτου τὰ περὶ παροιμιῶν τρία βιβλία ἄριετα καὶ περὶ γραμμάτων καὶ τεχνικὰ γλαφυρώτατα --- quam glossam Philoni ad- signare cum Niesio (p. 29) non dubito.

Τέως, πόλις Ἰωνίας... τὸ ἐθνικὸν Τήιος. ἔςτι γὰρ πρῶτον Τέιος καὶ Τεῖος καὶ ἰωνι- κῶς Τήιος. ἀφ᾽ οὗ -Πρωτατόρας Τήιος. xoi ζκυθῖνος ἰάμβων ποιητὴς Τήιος.

Τῆνος, νῆςος Κυκλάς... Ecrı καὶ πόλις Λακωνική, μία τῶν ἑκατὸν Τῆνος Aeyo- μένη. πολίτης Τήνιος, καὶ τὸ θηλυκὸν Τηνία, ἀφ᾽ οὗ καὶ Ἥριννα Τηνία ποιήτρια.

Τιβεριάς, πόλις τῆς Ἰουδαίας... ἐκ ταύτης ἦν ’loücrtoc τὸν Ἰουδαϊκὸν πό- λεμον τὸν κατὰ Οὐεςπαςειανοῦ ἱςτορήςας.

Tpayia, νῆςος πρὸς ταῖς Κυκλάειν, ὅθεν ἦν Θεογείτων ὁὃ περιπατητικός, ᾿Αριςτοτέλους γνώριμος.

Τράτιλος, πόλις μία τῶν ἐπὶ Θρά- κης.. ἐκ ταύτης ἦν ᾿Αςκληπιάδης 6 τὰ τραγῳδούμενα γράψας ἐν ἕξ βιβλίοις.

Tpwäc, fj χώρα τοῦ Ἰλίου .. ἐντεῦθεν ἦν καὶ HyncıavaE γραμματικός, γράψας περὶ τῆς Δημοκρίτου λέξεως βιβλίον ἕν καὶ περὶ ποιητικῶν λέξεων.

Suid. κεδών, πόλεως δὲ Cra- γείρων.

Cf. 5. ’Apıcrtöfe- voc et s. Apxürtac, φιλότοφος Ἰ]υθατγο- ρικός.

᾿Ἀριςτόξενος.. ἀπὸ Τάραντος τῆς Ἰταλίας... ἀκουςτὴς.. τέλος ᾿Αριςτοτέλους (Rohd. 565 not. 1).

Ῥίνθων Topavri- γος, κωμικός, ἀρχηγὸς τῆς καλουμένης ἷἱλα- ροτραγῳδίας, écn φλυακογραφία. δρά- ματα δ᾽ αὐτοῦ κωμικά τραγικά λη΄.

Tpwrayöpac ᾿Αβδηρίτης... τινὲς (i. 6. Philo) δ᾽ αὐτὸν καὶ Tnıov ἀνέγραψαν (cf. Eudoc.).

"Hpıvva Τεῖα (for- tasse Stephano duce Tnvía conrigendum est) Aecgía, ὡς δ᾽

ἄλλοι Τηλία.

(Glossa Suidiana 8. "loócroc Tif. ex So- phronio petita est, cf. Rohdium 1.1.6564, n. 2.)

De Suidae biographicorum origine et fide. 453

Steph. Byz.

"Y 5péa, vficoc πρὸς τῇ Τροιζῆνι... τὸ ἐθνικὸν Ὑδρεάτης᾽ οὕτω γὰρ ἐχρημάτιζεν Εὐάτης Ὑδρεάτης κωμῳδίας ποιητής, ὡς A10vicioc(cf.Niesium p.31, O.Schneiderum Callim. II 31, Meinekium Hist. crit. com. Gr. p. 16, 608) eikocri) τρίτῳ τῆς μονει- κῆς icropíac. ἦν δ᾽ Εὐάγης ποιμήν τις ἀγράμματος δηλαδὴ καὶ τῆς ἄλλης παιδείας ἄπειρος, ποιητὴς δ᾽ ἀγαθὸς κωμῳδιῶν.

Ὑλλάριμα, πολίχνιον Καρίας... ὅθεν ἦν Ἱεροκλῆς 6 ἀπὸ ἀθλήςεων ἐπὶ φιλο- copiav ἀχθείς, quanquam dubium est haeci- ne glossa e Philonis opere profluxerit, cf. Niesium p. 28, 29.

Φάλαννα... ἔςτι καὶ ἑτέρα (πόλις) Κρή- τῆς, ἀφ᾽ fic ἦν Φανιάδης περιπατητικός. ®äcnkıc, πόλις Παμφυλίας... Θεο- δέκτης ἦν γένος Φαεηλίτης, υἱὸς "Api- «τάνδρου, κάλλει διαφέρων, ὃς ἐποίηςε τραγῳδίας ν΄ καὶ ῥητορικὰς τέχνας καὶ λό- γους ῥητορικοὺς ἐπῶν καὶ (in qua vocula eod. R. servata versuum numerum latere (x) Meinekius suspicatur; aliter sensit Ruhn- kenius [Hist. crit. orat. Gr. p. 83] in ἐπῶν orationum numerum inesse existumans. Nuperrime vero Rohdius (1. l. p. 567) in ἱκαί᾽ numerum f, at latere et vocem ἔπη (i.e.críyoi sed hanc significationem propter numeri β, αι΄ naturam huc vix quadrare ex Wachs- muthii disputatione [Mus. Rh. n. XXXIV, 481 sq.] elucet —) Philonea ab Hesychio perperam intellecta in 'uérpov (cf. Suid. ἐν μέτρῳ) mutatam esse coniecit. Quae opinio quamvis subtiliter excogitata displicet; nam verba Suidiana ἐν μέτρῳ sana esse vel oppositio (ἄλλα τινὰ καταλογάδην) planissime ostendit, neque cum Maerckero (de Theodect. 55) in περὶ μέτρων conrigenda sunt. Verum ni fallor Stephani emendatio 8 Suidae verbis repetenda est: removeamus ante omnia ‘xai” uno codice servatum, utpote illud ex prioribus falso repetitum, deinde inseramus δι᾽ ante ἐπῶν (δι᾽ ἐπῶν); iam omnia apte procedunt (cf. e. g. Suid. s. ΤΠαρμενίδης). ἀπέθανε δ᾽ ᾿Αθήνηει, καὶ ém-

Suid.

Θεοδέκτης ’Apı- ς«τάνδρου Φαεηλίτης ἐκ Λυκίας, ῥήτωρ, οὐ δράματα δ᾽ ἐδίδαξε γ΄. τελευτᾷ δ᾽ ἐν ᾿Αθή- vaic . . ἔγραψε δὲ καὶ τέχνην ῥητορικὴν ἐν μέτρῳ καὶ ἄλλα τινὰ καταλογάδην.

454 A. Daub:

Steph. Byz. Suid.

γέγραπται δὲ (add. R) αὐτῷ ἐλεγεῖον (quod iam sequitur).

Φίλιπποι, πόλις Μακεδονίας... ἔνθεν ἦν "Ab pacroc περιπατητικὸς φιλόςοφος, ᾿Αριεςτοτέλους μαθητής.

Φλιοῦς, πόλις Πελοποννήοου . . καὶ Τίμων περὶ εἴλλων γεγραφὼς Φλιάειος Τίμων Φλιάειοςε.. ἐχρημάτιζε. γράψας τοὺς καλου-

Rem in medio relinquo de glossa s. v. | μένους cíAÀouc ἤτοι Χήν, quam ex Platon. Protag. p. 343 Ste- ψόγους τῶν φιλοςό- phanum ipsum delibasse perprobabile est. | quv βιβλία τ΄.

Ex horum testimoniorum numero ea exemi, quse vel propter temporum rationes Philoni vindicari nequeunt (s. Tea, '€veroi, Tapcóc, "Yacic, Φενέβηθις, cf. Niesium 1. 1. p. 28, 29), vel aliunde (s. "Accóc,*5*) Ἰουλίς, Καρύανδα, Bepyn ex Strabone XIII p. 610, X p. 486, XIV p. 658, II p. 102, 104, cf. Niesium p. 29; sive ex Platone (Protag. 343) s. Ἦτις et Xrjv aliter sane Niesius iudicavit) petita, vel fabularum caligine obducta a Philonis opere aliena sunt (cf. Niesium p. 30, s. Ἔφυρα, Kótn, Nápu£).

Cetera vero exempla magnopere adaugerentur, nisi Stephani opus miserum in modum laceratum excerptumque aetatem tulisset. Eiusdemque culpa excerptoris factum est, ut Philonis scriptionis reliquiae tam mutila condicione ad nos pervenerint. At tamen omnia vestigia non prorsus evanuere: quae si sedulo conlegerimus, imaginem quandam operis illius mente informare poterimus. Quan- quam Niesius (p. 30) qualem rationem in hominum inlustrium re- censu Philo ingressus sit sese ignorare confessus est.

Ad litterarum autem ordinem recensentur homines hice plurima exempla iam Niesius (p. 30) conposuit

8. Aßdnpa’ πλεῖςτοι δ᾽ ᾿Αβδηρῖται ὑπὸ τῶν πινακογράφων ἀναγράφονται, Nixaiveroc .. καὶ Πρωταγόρας, ubi illius ordinis pinacographorum auctoritate confirmati (cf. Niesium p. 31 fin. 32) ve- stigia servata sunt; sed noluit ille excerptor omnia nomina describere (ef. 6 Roeperum |. 8. C. p. 5).

᾿Αντιόχεια (““πολλοφάνης - Φαρνοῦχος), s. l'épaca CApicruv, Κήρυκος, Πλάτων, qui omnes ad rhetorum pertinent genus, cf. etiam Rohdium 1. 1. 565°), s. Ἱεράπολις (Νικάνωρ, Πόπλιος, Σαραπίων, quorum primus grammaticus, ceteri philosophi eique stoici sunt), s. Kpactöc (Ἐπίχαρμος, aic, nisi forte casu hic ordo prodiit, vid. Niesium p. 21), 8. Κύμη (Ἔφορος 'Hcíoboc), s. Μη- κύβερνα (Ἡτήειππος καὶ Φιλωνίδης καὶ οἱ ἄλλοι), s. Μύνδος

*53) Quod non adtendit Rohdius (l. 1. 570), qui ne id quidem mihi persusait Hesychium in gl. Κλεάνθης verba μαθητὴς CoAtwc ex Philone Ausiase

De Suidae biographicorum origine et fide. 455

(4πολλώνιος καὶ Ζήνων γραμματικοί), s. Τέως (IIpuravópac Σκυθῖνος, quorum alter ςοφιςτής, alter ἰάμβων ποιητής erat).

Tamen aliis locis hunc ordinem esse relictum Niesius monuit (p. 30), ut illis vix quicquam tribui posset. Sed paululum circum- spiciamus. Sub v. 'AckéA uv primum recensentur φιλόζοφοι (inter quos stoici), dein grammatici, tum historici, e quibus ᾿4πολλώνιος, ᾿Αρτεμίδωρος καὶ ἄλλοι nominantur. lam si quid video hoo exem- plum divisionem ex litterarum generibus ac singulorum historicorum recensionem κατὰ crotxeiov adornatam evidenter prodit. Porro s. Μεγάλη πόλις primum poetam, deinde philosophum peripateticum, tum duos historicos (’Axectödwpoc, Πολύβιος) ex litterarum serie digestos cernimus. Tum s. Μήθυμνα primo loco enumerantur φιλόςοφος περιπατητικός et ευγγραφεύς, secundo poetae (’Apiwv καὶ ἄλλοι πολλοὶ Μηθυμναῖοι, quae verba ordinem indicant alpha- beticum); s. Μίλητος primum Θαλῆς et Φωκυλίδης (quiócogor), dein Τιμόθεος κιθαρῳδός; 84. Τάρας denique primum philosophi Pythagorici et Aristoxenus musicus, post eum Rhinthon φλύαξ. At s. Νίκατα certum disponendi consilium desideravi. 59")

Ex quibus indiciis id saltem effici posse videtur, ut Philo claro- rum hominum nomina in universum secundum genera litterarum recensuerit, singulorum autem generum homines ipsos, ex alphs- betico fere ordine enumeraverit, quamvis non ubique hano con- suetudinem anxie secutus esse nec omnino his in rebus certam sibi legem inposuisse videatur. Porro etiam id cogitare licebit Philonem ordinem in fontibus 5^) suis servatum modo retinuisse modo proprium instaurasse. Sed haec omnia ne penitus cognoscamus lacera “ethni- corum" condicione inpedimur.

Adcurate deinde significatur, generi cui quibusve generibus littera- rum singuli homines dediti fuerint, ac saepius etiam de vita eorum ipsa, de praeceptoribus discipulisque paulo uberius agitur (ef. s. v. l'épaca, Γέργις, Δυρράχιον, "Cpecoc, Καρχηδών, Kacávbpeia, Κοτιάειον, Κυνὸς κεφαλαί͵ (Κυρήνη), Κύρτος, Κῶς, Μήθυμνα, Ὑδρέα, Φάεςηλις (ubi copiosissima de Theodecte memoria profunditur), Φίλιπποι);

*5*) Nec Rohdium disponendi ratio latuit in gl. ᾿Αςκάλων, Ἱεράπολις, Μεγάλη πόλις (1. 1. 565, n. 2); pom iamen credibile intra divisionem ex litterarum generibus insti interdum regnasse ordinem chrono- logicum, velut s. ’AckdAwv in gremmaticorum et philosophorum recensu, quem ad tempora digerere difficillimum est. Ceterum idem recte animad- vertisse videtur epitomatorem aliquotiens unam éantum classem auctorum & Stephano enumeratorum transscripsiese. *°°) De quibus enuoleatius disputare hue non adtinet: quare pauca delibasse sufficiat. Praeter Neanthem (περὶ ἐνδόξων ἀνδρῶν, of. s. Kpacróc), Demetrium Magnetem, Hermippum Callimacheum (in philosophorum vitis paolo largioribus), pinacographorum potissimum opera ad suum usum prorsus adposita Philo diligenter consuluisse videtur, qua re perpensa notationum eius aucto- ritas fidesque haud medioeriter augetur, cf. s. Ἄβδηρα, Μήθυμνα, al. (vid. Niesium p. 31 fin. 82).

«uii

456 A. Daub:

denique id quod non praetereundum est multis hominibus breves plerumque tabulas librorum numero saepius adposito subiunctas videmus *93) (8. ᾿Αλεξάνδρεια, "AváZapBa, ᾿Αντιόχεια, "AckóáAuv, ἌΛχναι, Bat, Δυρράχιον, Κάλλατις, Κοτιάειον, Μεγάλη πόλις, Μέγαρα, Medun, Μηκύβερνα, Μίλητος, Νίκαια, Ὀλόφυξος, Τάρας, Τάρρα, Τιβεριάς, Τράγιλος, Τρῳάς (de scriptis Hegesianactis), ®äcnkıc (de Theodecteis), Φλιοῦο).

Haec de Philonis operis indole ac ratione satis dicte sunto. Illud vero quatenus Hesychius in suum usum converterit, testimonio- rum supra conlectorum docet conspectus, quanquam, ut ingenue fatear, hinc ad rem ipsam confirnandam multum fructus percipi nequit (cf. inprimis Rohdium 1]. 1l, 564 sq.). Sed largiorem doctrinae Philoneae copiam in Suidae biographicis inesse certissimum est. Velut in singulorum hominum clarorum patriae nominibus, de qui- bus iudicium persaepe erat ambiguum, ab Hesychio Philonis libri plerumque adhibiti esse videntur. Qua quidem vig etiam has illas de vita scriptisque auctorum notitias in 'Onomatologum' inmigrasse credere par est (cf. s. 'Pív6uv, Θεοδέκτης, Τίμων). Nec dubito ad eandem Philonis scriptionem referre quae de patria distincte pro- feruntur s. Cıuwvidnc "Apopy., '"Piavóc, Ἐπίκουρος, Tleícavbpoc, ’Epacicrparoc, Ἱπποκράτης Γνωειδίκου, ᾿Αςκληπιάδης; itemque inter diversa de patria testimonia ex Philone utique hauserit Hesychius ea quae Philonea esse ex Stephano Byzantio supra adparuití?*), s. ΤΙρωταγόρας (τινὲς δ᾽ αὐτὸν ἀνέγραψαν . .), Teprravbpoc, *Hcíoboc, ιανός, (ίβυλλα, Χοιρίλος (τινὲ ς δ᾽ Ἰαςέα.. art Ὅμηρος, Ἐπίχαρμος, Πίνδαρος, Crncixopoc (οἱ δ᾽ ἀπὸ Ματαυρίας), Θέογνις, Θαλῆς, TTapdevıoc, "ApıcroteAnc, Ἤριννα. Praeterea autem indidem promanasse notationes geographicas patriae nomini aliquotiens ad- nexas cum veri simillimum sit (cf. Rohdium 1. 1. 571), tum luculenter conprobatur testimonio quod extat s. ᾿Αςκληπιάδης Μυρλεανός, (πόλις δ᾽ écri Βιθυνίας, νῦν ᾿Απάμεια καλουμένη), quae quidem verba mire concinunt cum Stephano s. Μύρλεια, πόλις Βιθυνίας, νῦν λεγομένη ᾿Απάμεια. Etenim illud νῦν 45) ab utroque pariter adhibitum priscum auctorem nempe Philonem manifesto arguit. Exempla autem consignavi haece: s. "Hpivva (Τῆλος δ᾽ écri vncibiov

154) Multa eius generis exempla Rohdius quoque conlegit (1. 1. 572), minime vero omnia. 459) Pleraque, non omnia exempla enumeravit etiam Rohdius (1l. l. 568, 569). 45) Cf. de huius voculae usu Volk- mannum (I, 7; III, p. IV), qui addere debebat gl. s. Opacóuaxoc.. ὃς πρῶτος... τὸν νῦν τῆς ῥητορικῆς τρόπον εἰςηγήςατο, quae verba Aristo- telis vel Theophrasti auctoritatem redolent (cf. Blassium Att. Bereds. I, 246 et n. 4; III, 1. p. 2, not. 1). Nec praetereundum videtur, quod 8. CiBuAka ᾿Απόλλωνος dicitur: . .""€puOpaia παρὰ τὸ τεχθῆναι ἐν χωρίῳ τῶν Ἐρυθρῶν, προςηγορεύετο Βάτοι, νῦν δ᾽ αὐτὸ τὸ χωρίον .. προςαγορεύεται Ἐρυθραί, et: 8. ᾿Αριςτείδης ᾿Αδριανεύς᾽.. ᾿Αδριανοὶ δὲ πόλις Mucíac, τῆς νῦν Βιθυ- νίας, utrumque nescio an a Philone repetendum: qua tamen in re nil adfert auxilii Stephanus.

De Suidae biographicorum origine et fide. 457

ἐγγὺς Κνίδου), Ὀρφεὺς Λειβήθρων τῶν Ev Θράκῃ (πόλις δ᾽ écriv ὑπὸ τῇ Πιερίᾳ), ac similiter s. TTeicavdpoc TTeícuvoc, “Pıavöc, "Apa- τος (ολεύς, Βακχυλίδης (Κεῖος, ἀπὸ Κέω τῆς νήςου, πόλεως δ᾽ Ἰουλίδος᾽ ἔχει γὰρ πόλεις δ΄, Ἰουλίδα, Καρθαίαν, Kopeccíav, Ποιήεςςαν, cf. Steph. s. Ἰουλίς), Θέογνις, Λᾶςος, (ιμωνίδης "Auopy., (ιμωνίδης Ἰουλιήτης, Crncixopoc, Τέρπανδρος; ᾿Αλέξανδρος Altw- λός, Oecmic, Cwcideoc; Μάγνης, Ἐπίχαρμος; ᾿Ακουείλαος, ᾿Αντί- πατρος, Δαμάεςτης, Κρίτων Πιεριώτης, (κύλαξ; ᾿Αντιφῶν, 'Apictei- onc, Ζωίλος (cf. Rohdium 571, 5.23), Opacunaxoc, Κεκίλιος, Πολέμων, TTpödixoc, ᾿Αεκκληπιάδης MupX., Ἡρακλέων, ᾿Αλκιδάμας, Δημήτριος Φαληρεύς, Δικαίαρχος, Ἐξπίκουρος, Εὐκλείδης, Ζήνων . . Κιτιεύς, Κορνοῦτος, Φερεκύδης, '€pacícrparoc. Denique ut unum adiciam in singulis de patria alicuius opinionibus saepe diversissimis ne Philo- neam quidem deesse credo, quam tamen ipsam eruere raro continget, velut s. Φιλιςτίων Προυςαεύς, f) ὧς Φίλων Capbiavóc, ubi Philo ipse laudatur (cf. praeterea Rohdium 1.1. 568, 1; at J. Hilbergii de hac Suidae notatione disputatiunculam in “Epist. crit. ad J. Vahlenum .. de nonnull loc. script. Graec. .. Vindob. 1877 adire mihi non licuit), Νίκανδρος, 'QÀrv (ubi haec Philoni debentur: μᾶλλον δὲ Λύκιος ἀπὸ Ξάνθου, ὡς δηλοῖ Καλλίμαχος καὶ TloAvicrwp ἐν τοῖς περὶ Λυκίας), Αἴεωπος, Μίμνερμος, ᾿Αντιφάνης, ᾿Αριςτοφάνης, Δεινόλοχος, Θεόκριτος, Ἴςτρος, Φύλαρχος, Κάςτωρ, Τιμαγένης, "ABpwv, TToceıdwvioc, Χρύειππος.

Caput VI.

De Asclepiadis Myrleani in vitis grammaticorum auetoritate adiectis quaestiunculis de oratorum et historicorum librorum tabulis.

Primarium igitur ac splendidum Hesychii auctorem in vitis ora- torum sophistarum grammaticorum medicorum nec non historicorum philosophorum, eorum potissimum qui & primo a. Chr. saeculo ex- eunte usque ad imperium Hadriani inclaruerunt ratione et via in- vestigasse nobis videmur. Sed ni fallit opinio, grammaticorum qui ante Augusti aelatem floruere notationes acriter examinanti non minus indagare fontem continget. Sic hasce vitas intentius considerare lubet: s. 'Apicrapyxoc, 'Apicropávnc Βυζάντιος, '€pato- cOévnc, Znvóbotoc '€pécioc, Καλλίμαχος, Πτολεμαῖος Ἐπιθέτης, Πτολεμαῖος Πινδαρίων, Κράτης Μαλλώτης, quibus exemplis adlego haece: 8. ᾿Αλέξανδρος Μιλήειος, Ἂμ- μώνιος, ᾿Απολλόδωρος γραμματικός, ᾿Αεκληπιάδης Μυρ- Acavóc*?) (τέγονε δ᾽ ἐπὶ τοῦ ᾿Αττάλου καὶ Εὐμένους. .), ᾿Αλέ- ξανδρος Αἰτωλός (.. γραμματικός, sed quae insecuntur Οὗτος

*?) Suidae socordia duas glossas in unam temere conflatas esse pridem

458 A. Daub:

καὶ τραγῳδίας ἔγραψεν .. aliunde certe deprompta sunt), Aagí- δας, Δημήτριος Ἰξίων (cf. Rohdium l. 1. 168, n. 6) Δίδυμος XaAXxévtepoc (cf. eundem p. 218, n. 2), Δικαίαρχος Λακεδαι- μόνιος, Διονύειος Θρᾷξ, Ἑκαταῖος ᾿Αβδηρίτης (puiócogoc, ὃς ἐπεκλήθη καὶ κριτικὸς γραμματικός), Εὐφορίων, Ζηνόδοτος ᾿ΑἈλεξανδρεύς, Λυγκεὺς Cänıoc, Μαρεύας (οὗτος δ᾽ ἦν πρό- τερον γραμματοδιδάςκαλος --- ἔγραψε), Möcxoc (γραμματικός, ᾿Αριετάρχου γνώριμος), Νίκανδρος (ἅμα τραμματικός τε καὶ ποιητὴς xai Ἰατρός), Ῥιανός (οὗτος δ᾽ ἦν... δοῦλος, Ücrepov δὲ . . ἐγένετο γραμματικός, εύγχρονος Ἐρατοςθένους), Cwcißioc Λά- κων, Τρύφων 5), Τυραννίων (ὃ πρεεςβύτερος --- ceterum cf. nunc Dielsium Doxogr. Gr. Berol. 1879, p. 216, n. 3), quae quidem notationes (inde ab ᾿Αλέξανδρος 6 Μιλ.) pristinam ubertatem par- tim abmisisse Suidaeque culpa in brevius contractae esse videntur. Tamen in ceteris fere omnibus sedulo denotatur, quem patrem scriptor aliquis habuerit (quin etiam quo munere pater functus sit, vid. s. 'Apicropávnc), ubi natus atque versatus sit, cuius filiam in matri- monium duxerit (vid. s. Καλλίμαχος), quorum discipulus quoque tempore fuerit, quibuscum una floruerit, quo sub rege sive regibus vixerit (qui si Ptolemaei sunt, quotus Ptolemaeorum regum fuerit significatur), saepius etiam quando vixerit, qua olympiade natus sit, qua mortem obierit, quale munus gesserit, quem in hoc munere suc- cessorem habuerit (qua in re inprimis bibliothecae praefectorum

intellectum est, cf. Lehrsium Herodiani scripta tria emend. 429 sq., C. Wachs- muthium de Cratet. Mall. 6, Rohdium Mus. Rh. n. XXXIII, 173, n. 4, qui quidem duos Asclepiadis nomine grammaticos ambo Myrleanos extitisse, secundo alterum, alterum primo a. Chr. saeculo, quamvis sagaciter tamen parum probabiliter coniecit. At nuperrime ipse hac opinione non iam prorsus conprobata (Mus. Rh. n. XXXIV, 571, n. 1) Asclepiadem M yrlea- num ('Acà. MupA. . . καλουμένη, et éraíbeuce . . μεγάλου) et Nicaenum (cf. τὸ δ᾽ ἄνωθεν γένος ἦν NixaeUc, cui ceteras glossae particulas ad- tribuit) ab Hesychio confusos esse statuit. Sed nefas esse videtur a ceteris verbis divellere notitiam τὸ δ᾽ ἄνωθεν γένος ἦν NixaeUc, γραμμ. (μαθ. ᾿Απολλ.), utpote quae cum illis artissime cohaereat (cf. etiam a. TTapdevıoc, Νικαεὺς MupAeavóc, et nos supra p. 451). Duos certe óuw- γύμους Hesychius confudit, quorum alter quis fuerit expiscari vix unquam continget. Myrleano autem haec vindico: ᾿Αςκλ. ᾿Απολλωνίου. ἐπαί- beuce δὲ καὲ (quibus verbis Hes. alterius memoria interposita ad priorem redit, cf. infra p. 478 sq.) μεγάλου. ἔγραψε πολλά; relicua de quibus Rohdius acute disputavit conveniunt alteri Asclepiadi eique ignoto. 15) γεγονὼς κατὰ τοὺς Αὐγούςετου χρόνους καὶ πρότερον. Sed multo ante Augustum floruit Tryphon, vid. A. de Velsen Tryphon. ΑἹ. F . (Ber. 1853), p. 1. 2, Rohdium |. l. 168, n. 6. Ceterum nescio an hoc indicio (cf. etiam s. Ἀμμώνιος... πρὸ τοῦ μοναρχῆςαι τὸν Αὔγουςτον, et 8. Δίδυμος XaAx. . . γεγονὼς ἐπ᾽ ᾿Αντωνίου καὶ Κικέρωνος καὶ ἕως Αὐγούεςτου, cf. Rohdium p. 218, n. 2) evidenter conprobetur in tali auctore nos versari qui opus suum ad Augusti tempora nec ultra perduxerit. Nihil aliud vero de his grammaticis enarrarat nisi sui ipsius esse ae- quales; floruerunt igitur ante Augusti imperium, quo usque illius auctoris opus pertinuit.

De Suidae biographicorum origine et fide. 459

rationem habitam esse patet), qui filii ei fuerint, quae fata singulorum vita perpessa sit, similiave. Nonne igitur horum plerumque ditissi- morum testimoniorum ratio et indoles nec denique id obliviscen- dum est in his omnibus regnare sermonis continuitatem ac genus dicendi mire concinnum imperiose tanquam flagitat, ut conmuni et proprio repetantur auctore? Quis vero hic fuerit si anquirimus, etiamsi non prorsus certo extrave omnem dubitationem evincere poterimus, attamen summa cum probabilitate auctorem indagare, opinor, continget. Scripsit nimirum Asclepiades Myrleanus, quem primo &. Chr. saeculo floruisse et certe ante annum septuagesimum natum esse Lehrsii acumine perspectum est (Herodiani scripta tria em., a. 1848, p. 428 sq.), amplissimum opus περὶ yo«ugetuxo»v, cuius memoriam Suidas ipse servavit his locis: 8. Πολέμων... icro- ρικός.. κατὰ δ᾽ ᾿Αςκληπιάδην τὸν MupAeavóv cuvexpövicev "Api- cTopäveı τῷ γραμματικῷ 45); dein sextus *grammaticorum' liber ipse citatur s. Ὀρφεὺς Κροτωνιάτης... ὃν Tleicicrpáru ευνεῖναι τῷ τυράννῳ ᾿Αεκληπιάδης φηεὶν ἐν τῷ ς΄ βιβλίῳ τῶν γραμμα- τικῶν; videtur enim et illos quorum opera in disponendis Homeri carminibus Pisistratus utebatur inter grammaticos rettulisse (ef. Lehr- gium dissert. de voc. φιλόλογος, γραμματικός, κριτικός, in Herod. scr. tr. p. 398)°°); denique ‘grammaticorum” undecimum librum laudavit - vitae Arateae enarrator (Westerm. Bıoyp. p. 52, 5): ᾿Ασκληπιά- δης δὲ 6 MupAeavóc ἐν τῷ ıa’ περὶ γραμματικῶν Tapcéa φηςὶν αὐτὸν τεγονέναι, ἀλλ᾽ οὐ (ζολέα Καλλιμάχου... (ολέα λέ- γοντος (ceterum Hesychius in patria Arati denotanda alium aucto- rem [Philonem Byblium?] secutus esse videtur).

Iam vero hanc meam de Asclepiade opinionem haud mediocriter fulsit Wachsmuthius his tribus nixus argumentis: primum nimirum apud Suidam Crates “ἐπεκλήθη 'Ounpikóc καὶ Κριτικὸς διὰ τὴν.. περὶ τοὺς γραμματικοὺς. . λόγους αὐτοῦ Ermictacıv’, idemque nuncupatur Κριτικός apud Asclepiadem Myrleanum (Athen. XI, 490e); dein Dionysius Thrax Rhodi artem professus esse narratur apud Suidam s. Aıovücıoc et s. Tupavviwv, pariterque apud Ascle- piadem (Athen. XI, 489 a). Quo accedit tertium, quod praeter Ascle- piadis scriptionem nullam novimus singularem grammaticorum histo- riam: nec minus sententiae nostrae favet quod Asclepiadem in significanda hominis litterati aetate aequalium rationem habuisse

*?) Hoctestimonium ab eodem opere repetere non dubito (cf. Lehrsium 1.1. 436); quaeritur tamen num Asclepiades de Polemone historico illic seorsum egerit (id quod censet Prellerus Polem. Fragm. p. 7. 8). Quod parum veri simile est; opinor potius illum in Aristophanis vita enarranda Polemonis tanquam huius aequalis mentionem fecisse. Sed plane me fugit unde Prellerus noverit Asclepiadis opus grammaticorum et poetarum memoriam esse conplexum? An tale quid effecit ex verbis s. Ὀρφεύς (ap. Suid.)? Qua in re absque dubio erravit. °°) Eodem iure id cogitare licebit, Asclepiadem cum de Pisistrati curis Homericis dissereret Orphei (in trans- cursu) iniecisse memoriam.

460 A. Daub:

cernimus. Ad huius igitur librum περὶ γραμματικῶν notationes supra exhibitas omnes redire haud ita temere statuere nobis videmur; id unum certe non conpertum habemus, ipsene Hesychius opus illud adhibuerit an per alium auctorem singulas narrationes acceperit. Ab eodem porro auctore tabulae librorum repetendae videntur, quippe cui bibliothecarum usum et πίνακας integros vel catalogos operum ab ipsis scriptoribus confectos nam tales extitisse Ori Milesii docet, exemplum, cf. Suid, s. "Qpoc ᾿Αλεξανδρεύς... Éppawe.. πίνακα τῶν ἑαυτοῦ; praeterea vide sis Ritschelium Opusc. phil. I, 592 sq., Usenerum Anal. Theophr. 24 patuisse veri simillimum sit. Quanquam vero Suidas in librorum numero ingenti enotando totiens adquievit, dubitari nequit quin fontes eius plenissimas ex- hibuerint tabulas (cf. s. Apícrapxoc .. λέγεται δὲ γράψαι ὑπὲρ ω΄ βιβλία ὑπομνημάτων μόνων; s. 'Apicropávnc.. ευὐγγράμματα αὐτοῦ πάνυ πολλά; 5. ᾿Αλέξανδρος... βιβλία ἀριθμοῦ κρείττω; 8. Δίδυμος... φαεὶν ᾿αὐτὸν cuyyerpapeva ὑπὲρ τὰ ,γφ΄ βιβλία; cf. etiam s, Καλλίμαχος et s. Διονύειος Θρᾷξ). At tabulae quae servatae sunt quantumvis non plenae (s. Ἐρατοςθένης, Znvóboroc ᾿Αλεξανδρεύς, Δημήτριος Ἰξίων, Καλλίμαχος, Τρύφων, Πτολεμαῖος ΠΙινδαρίων, al.), talem produnt indolem ut ex limpidis fontibus non fluxisse nequeant. Velut Eratosthenis operum tabulam Suidae pigritia magnopere decurtatam ad singula litterarum genera ali- quando fuisse dispositam etiamnum dispicere mihi videor: ἔγραψε δὲ φιλόςοφα καὶ ποιήματα καὶ icropíac (cf. s. "ApicróEevoc), | ἀςτρο- γομίαν καταςτεριςμούς, || περὶ τῶν κατὰ φιλοςοφίαν aipecewv, περὶ ἀλυπίας, διαλόγους πολλούς, | καὶ γραμματικὰ ευχνά: qui index si quid video priores dumtaxat titulos librorum singulorum generum ex litterarum ordine recensitos ita exhibet, ut poetica pri- mum, dein philosopha, tum grammatica scripta enumerentur (quorum de nonnullis mirum ex parte tulit iudicium Bernhardyus in Erato- sthenicis p. 195). Praeterea tabulae ex argumento digestae pro- cedunt s. Ζηνόδοτος ᾿Αλεξανδρεύς et s. Tpüpwv, modo in hac altera sedem mutari iusseris titulorum περὶ ὀνομάτων CUYKPITIKWV α΄, περὶ τῆς ἐν μονοευλλάβοις ἀναλογίας. Pervenimus tandem ad Callimachi operum quae extat apud Suidam tabulam celeberrimam ac fere dignissimam, quae religiose examinetur et adumbretur. Dispu- tavit vero de ea doctissime O. Schneiderus (de Callim. opp. tab. quae extat ap. Suid. Goth. 1862 = Callim. II, 2—33), cuius qui- dem iudicio suffragati sunt Lebrsius (Mus. Rh. XVII, 453) potissi- mum et C. Diltheyus (de Callim. Cydipp. 100, n. 1, Jen. Litt. Diar. a. 1874, p. 576). Sed nihilo setius in hanc rem denuo inquirere necessarium duxi, idque eo magis quod Schneiderus suam de singulis Callimachi operibus sententiam tabulae Suidianae auctoritate totam inniti voluit.

Tabulam nimirum ab homine Suida vetustiore conpositam sed a Suida neglegenter descriptam seu potius excerptam esse contendit

De Suidae biographicorum origine et fide. 461

(Call. II, 3, 7). Quod quidem sine dubio recte Schneiderus perspexit: atque id vel maxime conprobo, quod illam non tam descriptam quam excerptam esse statuit. Hac tamen in re a Schneidero Volkmannus (IT, 725) dissentit, qui illud quod in Suidae indice hymni elegiae Aetia Hecale, celeberrima Callimachi carmina, omissa sint ita explicat, ut Suidae Καλλιμάχου βίον una cum operum tabula praefationis instar codici vel editioni nescio cui olim praefixam fuisse sumat, ubi carmina illa coniunctim fuerint exhibita, ut vere dici potuerit: τῶν δὲ αὐτοῦ βιβλίων écrl xal ταῦτα. Hanc opinionem postmodum Volkmannus (III, p. IV) iteravit, sed ita circumscripsit, ut ad eos tantum scriptores qui 80 Alexandrina inde aetate multum lectitati essent referret. Verum ista Volkmanni observatio quam artissimis finibus coercenda est; ac fortasse iuvabit hoc ipso loco rem ad um- bilicum deducere.

Jam supra aliquotiens vidimus Volkmanni animadversionem si indices s. 'Hcíoboc et s. Νίκανδρος (II, p. 728) exemeris neuti- quam quadrare in tabulas s. Μίμνερμος (p. 727), s. (απφώ, s. Φιλόξενος (p. 728), nec magis valet de titulis qui s. Atovuciábnc et s. Cwcideoc (p. 726) reperiuntur, in quibus omnibus explicatio multo expeditior in promptu est pariter atque in tabula Callimachea. Etenim omnia illius locutionis (τῶν δὲ αὐτοῦ βιβλίων écrl καὶ ταῦτα vel sim.) exempla si conparaveris, nil aliud Suidam indicare voluisse nisi plenam tabulam sese excerpsisse facile perspicies. En igitur amplum horum conspectum:

8. Φιλοκλῆς... ἔγραψε τρατῳδίας ρ΄, ὧν écri καὶ ταῦτα (iam enumerantur septem dramatum tituli, quorum primus ab H littera, extremus a ® incipit, unde cognoscimus Suidam in tabula excerpenda ab H demum littera initium fecisse).

8. X|iwvíbnc .. τῶν δραμάτων αὐτοῦ écri καὶ ταῦτα (tria secuntur).

s. Νικοφῶν.. : τῶν δραμάτων αὐτοῦ écti καὶ ταῦτα (quin- que secuntur).

85. Φιλέταιρος... δράματα αὐτοῦ κα΄, ὧν écri καὶ ταῦτα (adferuntur decem fabulae partim ex peculiari indice partim ex Athenaeo delibatae).

s. Tupavviwv 6 νεώτερος... ἔγραψε βιβλία η΄ πρὸς τοὺς ξ΄, ὧν καὶ ταῦτα; (laudantur opera septem ex plenissima tabula haud dubie descripta).

8. Θεόφραετος.. βιβλία δ᾽ αὐτοῦ πάμπλειςετα, ὧν kal ταῦτα (secuntur novem tituli ex tabula item excerpti; ceterum cf. Use- nerum Anal. Theophr. 16, Schneiderum Cal). II, 11).

8 Ξενοφῶν.. ἔγραψε βιβλία πλείονα τῶν μ΄, ὧν καὶ ταῦτα (enumerantur scripta quattuor, in fine legitur καὶ ἄλλα πολλά).

s. Φαβωρῖνος... γέγραπται οὖν αὐτῷ φιλόςοφά τε καὶ Icro- ρικά, ὧν πολὺς ἀριθμός. ἐςτὶ δὲ καὶ τῶν βιβλίων αὐτοῦ ταῦτα (quattuor libri secuntur).

402 A. Daub:

s. Φίλων Ἰουδαῖος... γέγραπται αὐτῷ βιβλία ἄπειρα, ἐξ ὧν καὶ ταῦτα... (sequitur librorum tabula ex Sophronio deprompta).

8. Ῥοῦφος '€pécioc.. φέρεται αὐτοῦ βιβλία mAeicra, ἐξ ὧν καὶ ταῦτα .. (enumerantur novem scripta ex tabula Philonea petita ).

Quibus accedere arbitror indicem s. Νικόμαχος 'Ale£. .. γράψας τραγῳδίας 14", ὧν καὶ alde (quae iam enumerantur); praeterea confer gl. s. Μάρκελλος... βιβλία ἰατρικά, ἐν οἷς καὶ (i e. praeter alia) περὶ λυκανθρώπου; Laert. V, 58: φέρεται δ᾽ αὐτοῦ (Crpáruvoc) xai βιβλία ταῦτα, denique Vit. Isocr. III (Biovp. p. 256, 77): εκώπτουει δ᾽ αὐτόν . . oi κωμικοί, ὧν eic écn xai (τράττις (i. e. praeter ceteros poetas comicos).

Itaque haec exempla liquido ostendere mihi videntur Suidam locutione xai ταῦτα tum usum esse, cum se indicem non plene de- scripsisse sed temere excerpsisse significare vellet.. Atque idem in Callimachi operum tabulam cadere mihi persuasi, quamvis nobi- lissima poetae scripta omissa sint; quod tamen Suidae neglegentiae sive inprudentiae deberi liquet. Ceterum illorum exemplorum ratio non ea est ut tabulas ex ‘vita’ aliqua petitas esse credideris.

Ergo mittamus Volkmanni istam sententiam et Schneiderianam examinare pergamus. Qui nimirum Suidae indicem Callimacheum excerptum esse opinatur ex integra tabula, quae secundum litterarum ordinem fuerit digesta, “non ita tamen ut omnium subsequentium vocum elementorum, sed unius primae litterae ratio habita sit’ (p. 9). Idem cum in ceteris plurimis tabulis transscribendis Suidam pro- vinciam suam religiose administrasse largiatur (p. 8. 9), in Calli- machen excerpenda summae incurise et pigritiae illum incusat. Nihilo setius in tabula pristini ordinis vestigia conspicere sibi visus est: Ἰοῦς ἄφιξις, "4prouc olkicuoí, Apkxadia, Γλαῦκος, carv- ρικά δράματα, "Bic, Mouceiov, Πίνακες τῶν ἐν πάςῃ παιδείᾳ διαλαμψάντων καὶ ὧν cuverpayav ἐν βιβλίοις κ΄ καὶ ρ΄, πίναξ καὶ ἀναγραφὴ τῶν κατὰ χρόνους καὶ ἀπ᾽ ἀρχῆς γενομένων διδαςκάλων, πίναξ τῶν Δημοκρίτου γλωςςῶὧν καὶ ευνταγμάτων, μηνῶν zpoc- ητορίαι... κτίςεις γήςων καὶ πόλεων καὶ μετονομαείαι, περὶ τῶν ἐν Εὐρώπῃ ποταμῶν, περὶ τῶν ἐν TTeAomovvricu καὶ Ἰταλίᾳ θαυμα- ciwv καὶ παραδόξων. In qua Schneideri ratione aliquid veri inesse infra patebit, tamen rei veritatem ipsam perspexisse eum nego. Nam si quis vel hanc tabulae partem quam modo exhibuimus per- volaverit difficultates haud sane leves existere animadvertet. Etsi non in eo haesito quod initio in”Apyouc οἰκιςμοί ordinem pendere iussit e prima voce, ex altera in Ἰοῦς ἄφιξις, id tamen non satis possum mirari quod de titulis ςατυρικὰ δράματα, μηνῶν προςηγορίαι, περὶ τῶν θαυμαςίων καὶ παραδόξιυν sive adeo de κτίςεις νήσων καὶ πό- λεων xal μετονομαείαι idem statuit. Nec talem ordinem ita tueri debuit, ut veteres pinacographos a tanta subtilitate alienos fuisse diceret. Theophrasti enim indicis (Laert V, 42 sq., Anal

De Suidae biographicorum origine et fide. 463

Theophr. ed. Usener. p. 3 84.) quem citat Schneiderus ea indoles est, ut in illo non arbitrium quae Schneideri fallax opinio est sed rationem invaluisse nemo non facile sentiat (cf. Usenerum p. 14). Id unum monuisse sufficiat nam singula quaeque percensere dis- plicet per totam tabulam Laertianam eam regnare normam, ut auctor eius in digerendis titulis primae vocis constanter rationem habuerit.°!) Nec magis relicua exempla ad insolitum ordinem de-

51) Theophrasteorum operum tabulae naturam et consilium egregie adumbravit H. Usener (Anal. Theophr. Lips. 1858, p. 18 sq.). Cuius disputationi pauca adicere in animo est, Ac primum quidem in tabula ipsa, quam Usenerus Laertii librorum Italicorum (p. 2) scriptura adhibita lectorum oculis subiecit (p. 4—12), haec conrigenda notavi: p. 9, 2 pro mendoso titulo περὶ τῶν ἀδικημάτων, qui probum ordinem conturbat, pro- pono: περὶ τῶν διηγημάτων (conl. p. 10, 9); p. 9, 4 liber περὶ τῶν αὐτομάτων Cüuv à post περὶ εὑρημάτων (9, 6), itemque p. 9, 12 titulus περὶ μέτρων à post περὶ poucikf)c (10, 1) transponendus, et p. 11, 12 pro τὰ ὑπομνήματα (Usenerus cum E. Koepkio de hypomn. gr. p. 11 icto- ρικά ὑ. coniecit) πολιτικὰ προβλήματα redintegrandus esse videtur (conl. 10, 6). Qua in tabula tertia quamvis Usenerus (p. 16) ullum ordi- nem esse negarit, nescio an pristinae dispositionis alphabeticae vestigia etiamnum in aperto sint. Porro 81 totius tabulae auctorem quaerimus, Andronicum eam confecisse U. merito negavit (p. 22, cf. Heitzium, die verlor. Schr. d. Aristot. p. 50), sed notarum illarum ad Theophrasti physicorum librum VII, et δὰ metaphysicorum initium totiusque tabulae indolis ratione habita sat probabiliter coniecit Laertium Hermippi Calli- machei quem de Theophrasto scripsisse Laertius II, 55. V, 41 et Athe- naeus I, 21a testantur indicem e bibliothecae Alexandrinae catalogis oriundum in suum usum convertisse (cf. etiam Wachsmuthium Phil. XVI, 662, Heitzium ]. l. p. 50, quem tamen sollicitare non debuit tabula illa ex litterarum ordine disposita tanquam ceteris philosophorum tabulis remotissima: quippe horum ipsorum scripta varium in modum digesta fuisse ex Laertio Il, 57 [cuveypawe (ὁ Ξενοφῶν) βιβλία πρὸς τὰ τεττα- ράκοντα ἄλλων ἄλλως διαιρούντων] et LII, 61 (ubi de varia Platonis librorum divisione sermo est) elucet) Nec vero cum Usenero consentio quod Hermippum de philosophorum non modo vitis sed etiam libris multis voluminibus exposuisse contendit: itemque Nietzschius (Mus. Rh. n. XX]V, 188sq.) Hermippum ‘vitis’ suis indices inseruisse probare studuit. Quod fecisse eum nego: nam ex Laertio VIII, 85 et 88 (cf. l. l. p. 189) id unum effici potest, ut obiter ille fortuitoque de singulis libris quaedam adnotaverit, minime vero omnibus auctoribus librorum tabulas data opera adnexuerit, quod ne convenit quidem Hermippeae scriptionis vestigiis nec studiis in vita philosophorum enarranda ab eo conlocatis (cf. etiam V. Roseum Aristot. Pseudepigr. p. 9). Nihil deinde probatur Plinii (N. H. XXX, 1, 4: Hermippus qui de ea [magica arte] diligentissime scripsit indicibus quoque voluminum etus positis) testimonio, postquam librum περὶ μάγων ab Hermippo Prellerus (in Jahn. Annal. phil, AVII, 175) rectissime abiudicavit (cf. nunc etiam Dielsium Doxogr. Gr. p. 151). Ergo restant testimonia subscriptionum περὶ φυτῶν icropíac libri VII et fragmenti metaphysici (cf. Usenerum p.23), quae Hermippum una cum Andronico Theo- phrasteorum librorum indicis auctorem nominant: ubi Hermini nomen Roseus (de Arist. libr. ord. et auct. 81 sq.) perperam restituit (cf. Usenerum p. 24, Heitzium l. l. p. 48), nec felicius rem absolvit, cum de libris dubiae auctori- tatis in Theophrasti vita Hermippum egisse inde concluderet (Arist. Pseud. p. 9); immo res ita conparata est ut ἀναγραφὴ τῶν Ocogppácrou βιβλίων

41,4 A. Drau:

fendeudum ull) modo adyosita sunt. Verum enimvero si ceter: quoque tituli in Buidae tabula eodem ordine quo illi procederem. ho ipt: quos eupra enumeravimus quantumvis inconpositos forsiua petereinur. Hinc. vero Schneiderus summis difficultatibus inretiur. « quibus omuibus m&chinis semet expedire conatus est. Ipse ezim uit (p. 10) Buidam ordinem conturbasse 'videri', cum et tituk: (εμέλην, ἐλπίδας, μέλη alieno loco enumeraret et post librum περὶ ων... θαυμαείων xai παραδόξων dum modo hic ipse recto tal; siuret - - aliy uot titulos “extra ordinem vagari vellet’”. Iam i, ir pice ordinem i ipsum: περὶ uerovopaciac ἰχθύων, περὶ ἀνέμων. περὶ ὀρνέων, περὶ τῶν ἐν τῇ οἰκουμένῃ ποταμῶν. ϑαυμάτιων τῶν εἰς ἅπαςαν τὴν γῆν κατὰ τόπους ὄντιυν ευναγζωτγή --- litterarum seri prorsus relieta! Bed Schneiderus (p. 11 sy.) horum titulorum dispo ritiomem ita tueri studuit, ut Suidae in tabulis delibandis talem cor suetudiuem fuisse moneret, ut nonnunq:am indicem denuo percurrere el. extra ordinem quae in nevo trar«-7$z invenisset memoralis priori tabulae adneeteret.. Quem 3zidae morem librorum indicuk ; Θεόφραετος servato eyrreize in-sz7&- ἘΣΊΞΤΟΤΩΔΙ: sed hine nil possumus luerar, eum Suidas eis use £X ΞΌΘΣΦ brius tabulse petit de sua ipsius memeria zezzcL4 acowvc ἐξ ol senercm 1 l 16 £4. Nee non relieueruim quae δὲ iT0ATALLIL Les perünent ru idm ratio ea esf, οἵ et onlnis mind. eine jamuanlme exphemrloc neque ea inea Ad CGueetomem Ua. cm»; ΞΊΦΟΣ ΈΣΕ z Pest Sur rem νυν SQUOOQLANS Val, μι OHLIDDE Ser u idwabimas (us IINE uva ‚im CHMACRADHL: δὲ Er Gne artBeleaniscne relaQec mulTun MD. Inc! SI aw IMEEXDA SI "BA ber menü li gan ὌΡΟΣ ΤΩΣ. Sei NIX-

yuam wei le 1.112 use socpe ole STE IDUUCIBRDL. οἱ quáaeremnizu τοῦ .22 σώπα eoe coL. ἀπ o SLIGULZEY-NCI nem

auetoret x σι ει, ζῸπ ΠΣ τς Nomen XeIICUDI CLBILLES IeeuZUIMCIS ls nino» ceutemml c. SS iJsoDzm ni AT 1 ὙΠ. alio Hesseiiim ups un 3 „ng oc Sebi IDINGD*- τορι vum 23927470 σὲ αν 82702 .7. tz da χε πο: ium apud Suidas vaucos TI... TI. ΤᾺΣ 3272: 3 2I1:4 06:3 αὶ quod sem vIfeDSWA wen Gul τ x09 i trig:.27202 !IU...Tan 22. C. m -- XB SIE Anis sur iiti ὙΌΣ dol απ au ZU Cem GM liree-:tum esse refepemlim. ID. is SD fe SEID Sue llazm ieoec uam DWomyss jun rm LmO ern X Ver us jurem Pilsse Cunmnmesisfus que mer τς. A? ZISAID DTulj4lNLacyl£vU mi ZI nRBAMAEI

TI i I » '

Hermippi 2241..47- .Qu cc οἷ wA ED I o iDIRCOLRiH πρῶ CIE MOOS meint ME TEUER m UTD AD- "oteils lee ἀκταὶ “Rum Te . ως, C CweaRDCM . 1*3, 2. ἢ. nn zn _i τς CM 2 «da WE dosegm Act Daeqd 2.5.2 - OR a Ao 2 Tee ad „Limes.

De Suidae biographicorum origine et fide. 465

1) In tragicorum comieorum epicorum tabulis alphabeticis non scripts nisi eiusdem generis, i e. ποιήματα, nequaquam poemata cum libris sermonis pedestris coniuncta ad litterarum ordinem pro- cedere cernimus. Quod vel maxime cadit in Alexandrinorum poeta- rum indices, quos pedestri quoque oratione opera conposuisse notum est (cf. s. Εὐφορίων, Νίκανδρος, et supra p. 414).

2) Quodsi et Callimachum & Suida γραμματικόν adpellari, non- (ἐπῶν) ποιητήν, et totam notationem vitarum ceterorum qui proprie audiunt γραμματικοί indolem prodere tecum reputaveris, hanc una cum librorum tabula non ex Dionysii musica historia quamvis ile etiam de Callimacho tanquam poeta disputaverit sed ex Asclepiadis opere περὶ γραμματικῶν petitam esse lubenter mihi concedes. Cui plenum Callimachi librorum indicem et prudenter con- positum praesto fuisse credere licebit.

Sed qua ratione illum digestum fuisse censebimus? Certe non ea quam Schneiderus perspexisse sibi visus est, quamvis aliquid veri auguratus sit. Nam illius opinio radicitus evellenda est omnes titulos coniunctim litterarum ordinem servasse adfirmantis, quippe quod rationi pinacographorum adverso fronte repugnet. Id vero recte animadvertisse mihi videor Suidaeque ipsius verba liquido indicant dc γράψαι μὲν ποιήματα... ευντάξαι δὲ καὶ καταλογάδην primum enumerata fuisse poémata, dein opera pedestria. Carmina autem ipsa secundum argumentum vel ad μέτρα διάφορα (cf. Suid. s. h. v. et s. TTapOévioc) disposita (elegiae, dramata), singulorum generum tituli ex litterarum ordine secuti esse videntur: atque huius ordinis aperta vestigia etiam- num deprehenduntur qua in re Schneiderum opinio non fefellit —, 8) quidem recte coniecit Wachsmuthius in prisci catalogi fronte posi- tum fuisse titulum fria (quorum singulae partes singulariter erant enumeratae pariter atque factum esse infra patebit in scriptis pedestribus —: Ἰοῦς ἄφιξις, Σεμέλη, quas unice selegerit Suidas), "ἄρτους οἰκιεμοί, "pxabía, Γλαῦκος, Ἐλπίδες (ceterum adi Bergkium Praef. Anth. II, p. XIII, Rauchium Aet. Fragm. p. 8, Schneiderum Call. II, 17. 112). Dein 'dramats enumerantur eorumque genera, sed singulos titulos Suidas describere noluit; tum secuntur μέλη titulis non additis, denique Ἶβις carmen quod certo generi adsignari nequibat.

Hinc ut ad opera pedestria sermo transeat, pro certo adfirmari nequit utrum a titulo Mouceiov an a πίναξι sumant initium, quo- niam de illius libelli argumento hominum doctorum opiniones in diver- sissimas partes abeunt (cf. Schneiderum l 1. 285 sq.) Sed huius tabulae partis singuli libri neutiquam inconpositi decurrunt. Primum enim πίνακες celeberrimum Callimachi opus recensentur, quibus subiungitur aliqua πινάκων particula ceteras quas Suidas omisit praeter πίνακα τῶν νομογράφων Schneiderus recte supplevisse (p. 20 sq., 297 sq.) videtur —, praeterea peculiaris a ceteris πίναξιγ haud dubie diversus (cf. M. Schmidtium Quaestt. Hesych. p. CLXVII)

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 80

466 A. Daub:

πίναξ τῶν Δημοκρίτου YAwccWv καὶ ευνταγμάτων, quem prorsus infeliciter Schneiderus ut de conaminibus Bernhardyi (ad Suid.), Meinekii (Praef. ad Callim. XV), Heckeri (Conment. Call. I, 3) sileam ita redintegravit: πίναξ [xoi ἀναγραφὴ τῶν qiiocóguv, ἐν oic καὶ περὶ] τῶν Δημοκρίτου γλωςςῶν καὶ ευνταγμάτων. Neque etiam causam idoneam video cur hunc titulum ex duobus conglutinatum esse cum Wachsmuthio (Phil. XVI, 659) ponamus, immo pristinam inscriptio- nem hanc fuisse opinor: πίναξ τῶν A. ευνταγμάτων καὶ YAwccWv.

Dein titulorum qui inde usque ad calcem tabulae enumerantur indolem si intentius considerabimus, eos non temere sed sana ratione dispositos esse patebit. Tamen antea vitium tollendum est??): etenim περὶ μετονομαείας ἰχθύιυν Callimgchum singulares libellos scripsisse prorsus incredibile; scripsit haud dubie περὶ κατονομαείας (quod propter praecedens μετονομαςίας facile depravari potuit). Urbes quidem werovonaciac aliquotiens expertae sunt; venti varias κατο- vouociac apud diversas gentes parilem in modum ac menses varias προςηγορίας. Poteris etiam simpliciter emendare ὀνομαςίας (cf. Athen. VII, p. 329a: ἐν ἐθνικαῖς ὀνομαείαις γράφει, et καταλέγων ἰχ- θύων ὀνομαείας), sed illud veri similius est. Porro non temere agere videbimur si integros titulos fuisse putabimus περὶ xa rovopacíac ix- θύων, περὶ xa rovouacíac ἀνέμων (cf. Schneiderum p. 16), περὶ ka ro- vouacíac ópvéuv. Quibus rebus perpensitatis adparet in catalogo ipso primum ethnicas glossasconmemoratas esse post librum de Democriti scriptis et glossis, illarum vero singulas partes adcuratius significatas, deinde γεωγραφικὰ tria (secundum et tertium uberius enarratum), Suidam vero primum ex his omnibus quae ipsi maxime placuere deli- basse, dein iterum percurrendo alia praecipue generalia subiunxisse (περὶ τῶν ἐν τῇ οἰκουμένῃ ποταμῶν, θαυμάτων τῶν εἰς ἅπαςαν τὴν γῆν κατὰ τόπους ὄντων ευναγωτγήν). Itaque haec fere imago ultimae catalogi partis evadet, quam stemmatis auxilio delineabo:

I. Ἐθνικαὶ dvonaclaı. II. Γεωγραφικά.

(scripta glossematica).

a) Mnvüv προςηγορίαι κατ᾽ 1) Kriceic νῆ- 25) TTepl τῶν 85) TTepl τῶι ἔθνος καὶ πόλεις. cuv καὶ πόλεων ἐν Εὐρώπῃ πο- ἐν TTeAomovvf καὶ μετονομα- ταμῶν. cy καὶ "irai είαι. θαυμαείων κα παραδόξων. b) TTepi xarovopacíac ἰχ- 2) ΤΙερὶ τῶν ἐν 8) Oaupátun θύων, π. κ. ἀνέμων, π. κ. οἰκουμένῃ τῶν elc ἅπαςαι ὀρνέων, quae opera arto ne- ποταμῶν. (Cf. τὴν γῆν κατί cessitudinis vinculo conexa Strab. IX, p. τόπους Óvtun item κατὰ ἔθνος discripta 391.) ευναγωγή.

fuere, cf. Athen. VII, p.329a: .. καταλέγων ἰχθύων ὀνομα- clac φηςίν᾽ Ὄζαινα, ὀςμύλιον᾽" Θούριοι. ἴωπες, ἐρίτιμοι" ᾿Αθηναῖοι.

5) Quae nunc de Callimachese tabulae dispositione enarrantur, omnia

De Suidae biographicorum origine et fide. 461

Huic disputationi nonnulla per saturam addere placet, quae in totius disquisitionis nexu et tenore idoneum locum non invenerunt. Asclepiadem Myrleanum in libris “περὶ γραμματικῶν᾽ πίνακας ad- hibuisse supra demonstravimus. Sed horum ipsorum auctori- iatis haud scio an luculenta vestigia in tabulis historicorum et oratorum qui ante Alexandrinorum aetatem floruere lateant. Quae quidem hoc loco breviter perlustrare lubet: nec enim mihi perspectum est unde Hesychius ipse desumpserit. Id unum teneo e bibliothecarum catalogis illas fluxisse. Porro ne quis miretur de historicorum tabulis generatim hucusque non disputavimus, cum multarum origo omnino explorari nequeat. Qua in re ne id quidem obliviscendum est Hesychium nonnullas vel de sus ipsius notitia vel bibliothecis Byzantinis perquisitis adiecisse videri, quippe qui historicis scriptis sine dubio operam inpenderit (cf. Suid. s. Ἡεύχιος). At pinacographicos fontes redolent tabulae, quae sive litterarum ordinem strictim tenent sive nullo negotio ad talem exigi queunt: &. v. Δαμάετης... γέγραφε περὶ tüv-év ᾿ξλλάδι yevo- μένων ( Mueller. F. Η. 6. I, 64), περὶ γονέων xal προγόνων. βιβλία β΄ (quos duos titulos in unum coagmentare aptius mihi visum est Mus. Rh. n. XXXV, 56 sq.: περὶ τῶν ἐν '€. γενομένων γονέων xal rpoyóvuv . .), ἐθνῶν κατάλογον καὶ πόλεων, περὶ ποιητῶν καὶ σοφιςτῶν καὶ ἄλλα ευχνά; 5. Διονύειος Μιλήειος .. τὰ μετὰ Japeiov ἐν βιβλίοις ε΄, περιήγηςειν οἰκουμένης, Περεικά, ἰάδι διαλέκτῳ, Τρωικῶν βιβλία γ΄, qua in tabula extremi libri μυθικά et κύκλος ἱετορικός gravissimam dubitationem excitant (cf. etiam Bernhardyum de tota re disputantem Dionys. Perieg. p. 490 sq. );

8. "| ππυς. . κτίειν Ἰταλίας, Σικελικῶν βιβλία ε΄, χρονικὰ ἐν βιβλί- οἷς ε΄, “ρτολικά , quem titulum olim in fronte 'conlocatum Suidas cum tabulam iterum pervolaret in fine subiecit; s. Φύλαρχος, cuius in tabula primarium opus initio conparet, cetera κατὰ crotxelov pro- cedunt; denique eiusdem ordinis vestigia non evanuerunt in indice 8. Χάρων Λαμψακηνός quantumvis obturbato. Pariterque peculia- rem &uctorem arguunt tabulae in quibus librorum numerus sedulo notatur, 8. Ἔφορος (displicet autem Marxii [Ephor. Frg. p. 32] opinio, cf. Muellerum Εἰ. H. G. I, p. LXI, et vide nos Mus. Hh. l. s. c. 62 sq.), s. Krnciac, s. Ξάνθος, s. Χάρων Λαμψ., al. Praeterea Ad πίνακας referre non dubito amplissimas tabulas s. Φιλόχορος et s. Πολέμων, quae ex argumento dispositae fuisse videntur (adi 1.1 63). Nee desunt alii indices qui eandem indolem prodant, tamen has singillatim examinare ab hoc loco alienum est.

Denique de oratorum Atticorum tabulis pauca proponam. In quibus Suidas orationum numerum significasse plerumque satis habebat, quanquam ne id quidem ubique curabat Testimonia vero .

fere Wachsmuthii dootissimae liberalitati debentur: cuius quidem ratio adeo mihi adrisit ut meam bac de re opinionem abi

805

468 A. Daub:

de numero orationum, quae a ceteris diversa Suidas Eudociaque unice servarunt (cf. s. Aeivapxoc, Aucíac) ad proprium fontem redire facile pro se quisque concedet (cf. Alfr. Schoenium annal. phil. t CIII (1871), p. 787; Blassium Oratt. Att. Hist. I, 364). Neque alphabeticae quidem dispositionis desideratur exemplum: s. Λυκοῦρ- γος... λόγοι δ᾽ αὐτοῦ eicı γνήςειοι οἱ cwZönevor κατ᾽ Apıctoyeitovoc, Kat’ “ὐτολύκου, κατὰ “εωκράτους, κατὰ “υκόφρονος β΄, κατὰ Avcırk&ouc, κατὰ Mevecaixuou, κατὰ 4“ημάδου, ἀπολογία πρὸς τὸν αὐτὸν, ὑπὲρ τῶν εὐθυνῶν, πρὸς ἸΙεχυρίαν, πρὸς τὰς μαν- τείας, || περὶ τῆς διοικήςεως, περὶ τῆς ἱερείας, περὶ τῆς (epu- cóvnc(?): || πιςτολαὶ καὶ ἄλλα τινά. Atque eundem ordinem animad- vertimus in tabulis horunce scriptorum licet non ad illam ipsam ae- tatem revocandorum: &. Αριςτογείτων Κυδιμάχου, Θεοδέκτης Φαεηλίτης, Εἰρηναῖος γραμματικός, Νικάνωρ, TTaAoí- φατος Αἰγύπτιος, (ῆμος, Ὠρίων ᾿Αλεξανδρεύς.

Caput VII.

De fontibus ex quibus Hesychius in vitis eorum seriptorum qui post Hadriani aetatem fleruerunt hauserit quaestiones selectae.

Sequitur ut illud etiam exploretur, unde narrationes de ora- toribus sophistis grammaticis medicis nec non de histo- ricis philosophis, qui post Hadrianum vixerunt, Hesychius deprompserit. Qua in re consentaneum est eorum hominum memo- riam, qui su& ipsius &etate prope aberant, propria notitia illum de- scripsisse. Quod in grammaticorum vitas inprimis cadere videtur, utpote quibus homines Byzantini operam inpensius navaverint. Verum quae de celeris quorum aetas ab Hesychians paulo longius recedit pro certo explorasse nobis videmur, iam breviter exponamus. Ac primum qui- dem peculiarem sibi vindicant auctorem notationes magna ex parte uberrimae de oratoribus et rhetoribus qui Marci Ántonini tem- poribus floruerunt: s. 'Apicreíbnc 'Abpiavevc, s. 'Abpiavóc (ἀντιςχολαςτὴς 'Apicretbou τοῦ ῥήτορος ἐν ᾿Αθήναις γενόμενος), s. Αςπάειος Βύβλιος (ευγχρονῶν ᾿Αριςτείδῃ καὶ ᾿Αδριανῷ), s. Ἡρώδης (εύγχρονος ἦν ᾿Αριςτείδῃ ςεοφιςετῇ), s. Νικόετρατος (ἐτάχθη δ᾽ ἐν τοῖς κριθεῖειν 9) ἐπιδευτέροις ι΄ ῥήτορει (ef. O. Crusium Leipz. Stud. II, 228), εύγχρονος 'Apicreíbou καὶ Δίωνος τοῦ Χρυ- ςοςτόμου), quibus adnumero glossam s. Πολέμων (διδάςκαλος ᾿Αριετείδου τοῦ ῥήτορος... ἦν δ᾽ ἐπί τε Τραϊανοῦ καὶ μετ᾽ αὐτόν). Has omnes vitas conmuni vinculo contineri inde patet, quod singu-

53) De vocabulis xpivecdar et ἐγκρίνεεθαι of. Ruhnkenium Hist. cr. orat. Graec. p. XCVII.

De Suidae biographieorum origine et fide. 469

lorum hominum aetas ad relicuorum tempora, dirigitur. Accedit quod Nicostratus ἐν toic xpiOeiciv ἐπιδευτέροις v ῥήτορει fuisse dicitur: huc adprime conveniunt quae in Aristidis vita (Bıoyp. 827, 7) de tertia ῥητόρων φορᾷ quae nuncupatur narrantur: τρίτην oücav ἐπι- cmunv, ἧς een Πολέμων, Ἡρώδης, Ἀριετείδης καὶ οὗ κατὰ τούτους τοὺς χρόνους γεγόνασε ῥήτορες. Ηδοδ omnia vestigia non permittunt solum sed cogunt paene, ut oredas vitas illas ditissi- mas ex peculiari opere quod ἐπιδευτέρους ῥήτορας xarà χρόνους conprehenderit promanasse; eidemque fonti librorum tabulae quae s. ᾿Αδριανός, 'Acrtácioc, Nixócrparoc reperiuntur deberi videntur. Dehinc ad paulo recentiora tempora descendere placet, Con- stantini nimirum οἱ Iuliani imperatorum. Huius vero aetatis scripto- rum vitas perquirenti a testimonio proficiscendum est quod extat s. Ὀνάειμος Kürptoc.. icropikóc καὶ cogpicti)c τῶν ἐπὶ Κωνσταν- tivov γενομένων. Ad eadém tempora referuntur Tuuväcıoc, Θέων Cıdwvioc, Ἰάμβλιχος φιλόςοφος, Οὐλπιανός (de duabus Ulpiani notationibus cf. Rohdium Gr. Roman, p. 467, n. 3), ἸΤαῦλος Αἰγύπτιος, Παλλάδιος. Praeterea testimonium satis memorabile invenitur 8. εὐςέβιος 'Apáfioc, cogicrüc, drrı- σοφιστεύσας xal αὐτὸς Οὐλπιανῷ, quae verba nulla Eusebii tan- quam Ulpiani aemuli memoria antea iniecta ad tale opus, quo Con- stantinae aetatis sophistae (ef. 8. Οὐλπιανός, ἸΤροαιρέειος) una serie fuerint conprehensi, necessario relegant (cf. etiam quae supra ex- posuimus p. 407). Ac pariter vites scriptorum qui Iuliano regnante inclaruerunt horunce velim consideres: s. liépioc: coqicr)c τῶν ἐπὶ Ἰουλιανοῦ τοῦ Baciléuc, ἀντιπαιδεύςας Προαιρεείψ ἐν ᾿Αθήναις; s. Προαιρέεισς, s. Λιβάνιος.. ᾿Αντιοχεύς, eig (quod ego addidi) τῶν ἐπὶ (sic dedi libros AVE fortasseque B secutus) '"TovAc««voo τοῦ βασιλέως χρόνων καὶ μέχρι Ocobocíou τοῦ πρεεβυτέρου; s. Θεμίετιος, "Axdxıoc, Χρυςάγθιος, ᾿Ἀπολινάριος.. γε- γονὼς ἐν ἡμέραις Κωνεταντίνου καὶ Ἰουλιανοῦ τοῦ παρα- βάτου x«i fog τῆς ἀρχῆς Θεοδοσίου τοῦ μεγάλου, CUTXPOVOC Βαειλείου xal Γρηγορίου . . ἐγένετο δὲ τνιύριμος ἀμφοτέρων καὶ Λιβανίου τοῦ εοφιετοῦ καὶ ἄλλων τινῶν. Haec indicia nonne tanquam digitum intendunt ad auctorem, qui illius aetatis sophistas ad Constantini Iulianique imperium apte disposuerit? Is vero quis fuerit pro certo enucleari nequit, sed coniectura me quidem iudice haud inprobabilis in promptu est. Heminiscere modo generalia quae- dam enchiridia Hesychio conmodissimum fuisse adminiculum. lam autem cum inter eos sophistas, quos Iuliano imperatore floruisse supra vidimus, Libanius et Apolinarius usque ad Theodosii Magni regnum vitam perduxisse dicantur, nescio an hino consectarium sit Theodosianae &etatis auctorem Hesychio adcuratas illas notationes subministrasse. Qualem librum conposuit Heliconius χρονικὴν ἐπι- τομήν (ἀπὸ τοῦ ᾿Αδὰμι μέχρε Θεοδοσίου τοῦ μεγάλου, of. Suid, 8. Ἑλικώνιος cop.) eum inscriptum, ipse a Suida bis laudatus,

410 A. Daub:

8. ᾿Απίων .. Αἰγύπτιος, κατὰ δ᾽ “Ελικώνιον Κρής (verbs continua num ad eundem pertineant non liquet), et s. ᾿Αρριανὸς Νικομηδεύς... ἦν δ᾽ ἐν Ῥώμῃ ἐπ᾽ ᾿Αδριανοῦ καὶ Μάρκου xai 'Avruvívou9*) τῶν βαειλέων καὶ ἀξιωμάτων μεταλαβιὺν καὶ μέχρις αὐτοῦ τοῦ ὑπα- τεῦςαι, καθά φηςειν Ἑλικώνιος, διὰ τὴν τῆς παιδείας δεξιότητα (cf. etiam Rohditim Mus. Rh. n. XXXIII, 182, n. 1, praeterea Eudoc. p. 63 et 165) 55). Quae testimonia ab Heliconii epitoma repetere non dubito; ex altero vero, si quidem recte Heliconio totum ad- signavimus, id certe efficere licebit, singulorum hominum aetatem singulorum imperatorum regno adfixam fuisse: 86 plane eandem rationem in significanda scriptorum Constantini Iulianique aequalium aetate supra animadvertimus. Quid igitur probabilius statui potest quàm plerasque istas notationes ab Hesychio haustas esse ex eo- dem opere Heliconii? Nec solum in seriptorum illius aetatis vitis, verum etiam per totam litterarum historiam Hesychio illud con- modissimo uspi fuisse coniecerim.

Caput VIII.

De Demetrio Magnete περὶ ὁμωνύμων scriptore.

Quibus rebus investigatis possit quispiam expectare, ut iam dedita opera de philosophorum notationibus Suidianis quaerere instituam, Sed eiusmodi disquisitio, ut ingenue fatear, opus in- numeris difficultatibus inpeditum est: enimvero philosophorum rebus ac scriptis inde a Peripateticorum aetate prae ceteris strenuam operam inpensam es8e vitarumque narrationes, cum per multos rivolos diversissimis saepe cursibus fluxerint, & pristina forma sensim de- generasse constat. Potes profecto hanc quaestionem non minus spinosam nominare quam de Laertii Diogenis fontibus cognatam: cognatam dixi, nam in Laertii opere notissimo pedem figere de- bemus, si quid certi eruere volumus, atque id potissimum quaeritur, qualis ratio inter Suidam Hesychiumve et Laertium intercedat. Quae ut indagetur, Fr. Nietzschius (Mus. Rh. n. XXIV, 211 sqq.) contentis viribus studuit, sed ut verum loquar plane infelici successu. Cuius disputationis vel totum consilium valde displicet; nec enim id egit ut fundamento certis argumentis stabilito suum aedificium super- strueret, sed ex opinionibus parum firmatis sive omnino non probatis conclusiones qualescunque repetiit atque pro exploratis venditavit. 565)

^) Verba xai Μάρκου Bernhardyus inmerito in suspitionem vocavit, quamvis ne ego quidem sana esse concedam. Sed omnia apte procedunt, modo Photio duce qui in Bibl. Cod. 58, 11 de Arriano eadem narravit verba sic transponamus: ἐπ᾿ 'AbpiavoO καὶ 'ÀÁvruvivou καὶ Μάρκου τῶν BaciAéuv, quorum illum Ántoninum Pium, hunc Marcum Aurelium Antoninum esse existumo. ὅδ) Rohdius etiam in verbis glossae Ἐπί- χαρμος.. ὡς δὲ Λύκων.. Heliconii nomen (ὡς δ᾽ Ἑλικιύνιος = AC- ΛΙΚΩΝ) reconditum esse suspicatur (vide Flachium Eudoc. et Suid. p. 58, n. 1), quae coniectura mihi non adrisit. δ68) Pariter nunc iudicat

De Suidae biographicorum origine et fide, 411

Existumat vero Nietzschius Laertium Hesychiumque ex eodem . fonte quem Demetrii Magnetis περὶ ὁμωνύμων ποιητῶν τε καὶ εὐγγραφέων librum esse aii sed “cum discrimine hau- sisse, 96^) :

Hanc Nietzschii opinionem quamvis Hillerus (Mus. Rh. n. XXXIII, 520, n. 1), Wachsmuthius.(l. 1. XXXIV, 41, n. 1), Flachius (1. 1. 50 sq.) addubitaverint, conprobarunt Schneiderus (Call. II, 28, n. 1), Rohdius (Mus. Rh. XXXIII, 203, n. 1), G. Kernius (*Bemerk. zum 10. B. des Laert. D. Progr. Gymn. Prenzlav. 1878, p. 2), denique ambabus manibus adripuit D. Volkmannus, quippe qui illius argu- menta novis fulcire studuerit ac multo latius patere iusserit (con- mentat. “de Suid. biogr. quaestt. nov.' 1873). Sed ne is quidem, licet plane diversa via eundem ad finem tetenderit, veritatem ad- secutus, quin etiam eo audaciae progressus est, ut omnia & semet investigata exempla ad vitas cuiusve generis rettulerit.°°) Quam Volkmanni argumentationem iam paulo adcuratius examinare lubet. Inde scilicet proficiscitur ille, quod in Suidae vitis verba xal αὐτός, καὶ οὗτος similiave aliquotiens ita posite sint, ut in glossa ipsa nil reperiatur quo apte pertineant (p. IV): qua re ni conruptelam statuere praestet quaerendum esae, num forte coniectura pristinus verborum ordo reconcinnari possit. In singulis vero locis explicandis alii aliter elaborarunt, quorum rationes Volkmannus (p. V. VI) prudenter sane examinavit, quantamvis minime omnia probabiliter expedierit. Quae cum ita essent, in hanc rem denuo its inquirebat, ut omnia istius locutionis exempla (p. VI. VII) ceteraque eiusdem cognominum scriptorum coniungendorum rationis indicia conligeret (p. VIII—X), quibus pensitatis glossas illas ex libro περὶ ὁμωνύμων ouius Demetrium Magnetem auctorem fuisse autumat fluxisse contendit. Nec potest negari talia inveniri exempla, quae ad tabulam homony- morum recedere videantur. Sed qui singula intentius consideraverit hine multa non derivata esse mox intelleget. Ac primum quidem propter temporis rationes ex priore indice has glossas Volkmannus ipse exemit: s. Διογενειανός, Διονύειος, Πρόκλος, ex altero autem gl. s. ᾿Απολλώνιος Τυανεύς, Δίδυμος, Cupavóc, Mapcóac; dein parum constat de glossis s. Κάδμος vedrrepoc et 8. ᾿Αντίμαχος ἕτερος . (ef. p. XI. Has tamen posteriori ὁμωνύμων seriptori velut Agre-

sphonti (sive Argesiphonti) vindicandas esse non concedo. Deinde vero alias ob causas haec testimonia removenda videntur:

H. Dielsius (Doxograph. Gr., Ber. 1879, p. 161sq.), qui Nietzschii temerariam de Diocle Magnete opinionem plane labefactavit, *5€**) Nietzschiana

enta uberius llere ab hoo loco alienum est; debebat certe multo adcuratiorem et ei jorem instituere conparationem inter amborum scriptorum vitas a0 . Bed omnino alia fortasse ratione οὐ via totam quaestionem expedire iuvabit, id quod dedita opera alibi periclitabor. 5") Huio Volkmanni sententiae est H. Dielsius (Mus. Rh. n. XXXI, 30, noi), fortasse etiam alii, subscripsit tamen A. Eberhardius (Burs. Diar. anniv. 1878, II, 1836 sq.). '

+

412 A, Daub:

8. Διόδωρος, quam glossam Suidas ex Athenaeo X, 431c conpilavit: Δ. δ᾽ (ζινωπεὺς ἐν AüAntpibi . ., ita ut verba καὶ αὐτὸς κωμικός ad poetas comicos antea conmemoratos respiciant; porro quattuor exempla s. ἱ'πποκράτης ex medicorum indice quem Philonis Byblii esse credo manifesto petita sunt; nec etiam tres de Sibyllis notationes Demetrio tribuerim, sed multo probabilius Dionysii musicae historiae (cf. supr& p. 418); verba denique s. T v- ραννίων vedrepoc.. αἰχμάλωτος δὲ γενόμενος xal αὐτός ab Hermippo Berytio (cf. Wachsmuthium 1. 1. 142) profecta esse liquet. Tum inter relicu& exempla talia gunt in quibus illud καὶ αὐτός intra ipsam glossam suam nanciscitur interpretationem, ut de homonymorum tabula cogitari nequeat, veluti s. ᾿Αςετυδάμας νέος, qui et ipse, scilicet ut pater, tragoedias scripsit; s. Atovuctoc, qui ipse quoque tyrannus nominatur pariter ac pater eius; s. Μελανιππίδης, qui item atque avunculus ἄςματα λυρικά panxisse dicitur (ceterum cf. Rohdium Mus. Rh. n. XXXIII, 213); similiterque res se habet s. Carqu Aecpía.

Tal igitur censura adhibita illorum exemplorum numerus valde inminuitur. Quid? quod in altera quoque tabula permulta testimonia reperiuntur Demetrio Magnete plane aliena. Ea nimi- rum segreganda sunt, quae meris Suidae aliorumve conmentis de- bentur; sed nihilo setius talia Volkmannus (p. IX, n. 9 et X, n. 15) in ordinem recepit; enimvero id minime exploratum habet, quando errores id genus orti sint. Num Demetrium talibus erroribus inpli- catum esse revera existumat? Apage tandem glossas conmenticias 8. ᾿Αλκμάν (cf. Bernbardyum ad Suid.), 8. Ἔφορος νεώτερος (ef. Marxium Ephor. Fragm. p. 7, Meinekium Anal. Alex. 27), 8. Kópivva (cf. Welckerum in Creuzeri Melet. crit. II, 16), Map- cvac (cf. Ritschelium opusc. phil I, 450 sq.), Μένανδρος 'A0n- vaioc, κωμικὸς ἀρχαῖος (cf. Meinekium Hist. erit. com. Gr. I, 270; perperam autem Volkmannus l1. p. X de iuniore M. quaedam ad- notabat); neo secus velim removeantur exempla admodum suspecta haece: 8. Avtipávnc (cf. Bernhardyi adnot. et Rohdium Mus. Rh. n. XXXIV, 620), Καρκῖνος, Λίνος; dein nota s. Εὐριπίδης... τοῦ προτέρου ἀδελφιδοῦς Dionysio?9) peculiari auctori debetur, quamvis hunc ipsum Volkmannus (p. XVI. XVII) Demetrii aucto-

*5) Dici fere nequit quantas turbas verba dc Διονύειος ἐν τοῖς xpo- vikoic hominibus doctis dederint, vid. Muellerum F. H. G. IV, 396 aq. Frgm. Chronogr. 147, Rohdium 1. 1. 194. 195!, Th. Mommsenium Chronol. Rom. (1858), p. 11, Volkmannum III, p. XVII et n. 27, qui scribendum proposuit: ὡς A. ἐν τοῖς κριτικοῖς, ol. Laert. I, 38 οὗ μνημονεύει Διονύειος ἐν κριτικοῖς; tamen haec sic conrigenda sunt: A. κριτικός (cl. Vit. Isaei in Βιογρ. p. 261, 5). Dionysii vero Halicarnassensis rhetoris librum citari nego; versamur nimirum in opere auctoris nobis ignoti, an verba illa forsitan depravata atque in hanc fere speciem redinte- granda sunt: dic Arovücıoc (i. e. musicae historiae auctor) [xal '€pa- τοςθένης] ἐν τοῖς Xpovırolc?

De Suidae biographicorum origine et fide. 413

rum numero adlegarit; notationes porro 8. Θέογνις τραγῳδοποιητής ex scholio ad Aristoph. Acharn. 11, s. Χαιρήμων ex Athen. XIII, 562 f, s. Φερεκύδης ᾿Αθηναῖος, πρεςβύτερος τοῦ Cuplou ex Por- phyrio (cf. Rohdium 1. 1. 171, n. 1 et 203, n. 1) ductae sunt; prae- terea glossa 8. ᾿Αχαιός, τραγικὸς νεώτερος" ἔγραψε τραγῳδίας v' vel propter certam tragoediarum numeri significationem Dionysii musicae historiae adsignanda videtur; denique testimonio s. Ota- γένους χρήματα nil proberi planum est; Demetriumque notae s. καὶ ἕτερος Χαιρήμων auctorem esse veri duco dissimillimum. Quid? quod ne aliud praeteream Suidas (sive Hesychius) ipse duos ὁμω- γύμους scriptores in diversis fontibus inventos vocibus καὶ ἕτερος similibusve conpluries copulavisse videtur (cf. s. ᾿Αλκιμένης, Θέογνις, Θεόκριτος, Χαιρήμων).

Quibus testimoniis remotis non multa restant quae Demetrio possunt adscribi, quamvis ne in his quidem desint quae dubita- tionem inician. At tamen novis argumentis suam Volkmannus opinionem fulcire studuit (p. XIII sq.): prae ceteris enim gravissi- mum Demetrianae auctoritatis argumentum in eo positum esse con- tendit, quod ab ipso Suida Demetrius testis citetur s. 'Icaioc, 'A0n- vaioc τὸ γένος. Δημήτριος δὲ Xa xibéa gnciv αὐτὸν εἶναι, cl. Harpocr. s. Ἰεαῖος, Huic tamen rei multum tribuere ideo nolim, quod Hesychius non ipse quidem, sed auctor qui glossam suppedi- tavit Demetrii in causa ambigua testimonium Hermippi Callimachei (cf. Dionys. H. vit. Is&ei in Βιογρ. 260, 11 sq.) auctoritati opposuit.

Alterum vero documentum in glossa s. Aeivapxoc cum Dio- nysii Halicarnassei (Vit. Dinareh, in Βιογρ. 316, 19 sq.) verbis con- lata cerni adfirmat. Suidae nimirum cum Demetrio id prorsus con- venire ait, quod ipse neo de vita Dinarchi oeterum hoc non verum esse ex verbis extremis intellegitur quicquam proferat et quo patre natus fuerit traditum esse disertim neget, unde ex illius aucto- ritate pendere Suidam adparest. Bed tale argumentum ad persua- dendum neutiquam adpositum est. Nam inde quod duo de orationum numero testimonia a Suid& proferuntur, in rebus cerle pinacogra- phicis alius praeter Demetrium scriptoris conspicitur auctoritas; neo Volkmannum (p. XIII) id ipsum latuit. Sed talem inter illos ratio- nem interesse dispicio, ut alter Demetrii parcas de Dinareho nota- tiones novis quibusdam locupletatas Hesychio suppeditaverit. Ipsum vero Demetrium adisse Hesychium diffido.

Nec magis cetera argumenta ad Volkmanni sententiam sta- biliendam quicquam conferunt. Is nimirum Diogenis et Pseudo- Plutarchi aliquot locis cum Suida conparatis aliae quoque notitias ex ipso Demetrio in *Onomatologum inmigrasse evincere conatus est. Sed spem elusit eventus. Nonne alius scriptor Hegychio Demetrii narrationes tradere potuit? An inde rever& consequitur ut De- metrium ipsum Hesychius inspexerit? Postremo in exemplis Volk- manni cura conlectis nonne sat dilucidum est Suidam s. Δημοςθένης

474 A. Daub:

ipsa Pseudo-Plutarchi verba (cf. Bıoyp. 281. 287) una cum elegia descripsisse atque 8. Διογένης, Κράτης, Ἡρακλείδης Laertium (VI, 79, 88; V, 89) conpilasse?

Itaque non recte Volkmannus omnium fere scriptorum vitas Hesychianas ab eodem Demetrio auctore repetiii neque etiam in fine totius disputationis explanavit, quonam itinere Demetrianae copiae in “Onomatologum’ fluxisse videantur, quamvis merito reie- cerit praeposteram Nietzschii (1l. 1. 227) opinionem Demetrii indices ὁμωνύμων ab Agresphonte (seu rectius Argesiphonte, cf. Volkmannum P. XI, n. 18, vel Agesiphonte, cf. Rohdium Mus. Rh. n. XXXIV, 621, n. 2) continuatos esse ariolantis. Verum tamen cum Hesy- chius in graviores errores incidisset a Demetrio fere alienos, plus semel opus Demetrianum quasi rescriptum esse coniecit, praesertim cum post illius aetatem in eodem scribendi genere multi elaboras- sent. Neutiquam igitur adparet, qualis intersit ratio inter Deme- trium eosque auctores ex quibus hausisse Hesychium exploratum est, Hermippum scilicet Berytium, Dionysium Halicarnassensem, Philonem Byblium, alios. Sed ut tota quaestio ad umbilicum de- ducatur rem ita conparatam esse censeo, ut hi ipsi auctores praeter ceteros primarios fontes Demetrii quoque Magnetis opus adhibuerint. Quod nemo, opinor, diffitebitur; verum Demetrium inter Hesychii auctores principem obtinuisse locum vix ac ne vix quidem credo.

Caput IX. De οὗτος vocabuli similiumque apud Suidam usu et consilio.

Postquam uberrimam de Hesychii Milesii fontibus disputatio- nem absolvimus, aliam viam significare placet eamque plane singu- larem, quae ad Suidae fontes aperiendos non sine fructu quodam iniri posse videtur. Suidae nimirum ipsius sive eliam Hesychii usum dicendi qui acriter consideraverit, is ad subtiliorem investigationem ac planiorem cognitionem rationis qua Suidas (Hesychiusve) diversas diversorum auctorum notationes in unam glossam conglutinaverit multum, opinor, fructus percipiet. Sic ut unum, quod Wachsmuthius primus me docuit, iam paulo enucleatius exponam, in his biogra- phicis saepenumero vocabulum Οὗτος inilio enuntiati ita posi. tum videmus, ut in hanc rem inquirere operae pretium esse duxerim. Neque elusit operam eventus: etenim ut ilico profitear, Suidas (sive eliam Hesychius, id quod conpluries nequit discerni) ists voce ium uti videtur, cum ab uno ad alterum fontem deflectit. Quod si aliquot saltem exemplis iisque gravissimis probatum extraque omnem dubitationem positum erit, in ceteris locis eandem vocem eidem causae significandae inservire haud temere conicere pote- rimus praesertim si alia accesserit suspitionis nota. Sed iam ante omnia ea exempla conquirenda sunt, in quibus vocabulum οὗ- TOC hoc consilio usurpari pro certo exploratum est. Qualia repe-

De Suidae biographicorum origine et fide. 475

riuntur s. Περίανδρος .. ἔγραψεν ὑποθήκας... ἔπη B. οὗτός écri Περίανδρος ... ἀποθανών, quam glossam totam e Laertio con- pilatam esse M. Schmidtius (Didym. p. 393) parum recte iudicavit, immo sic res se habet, ut Suidas a verbis ipsis οὗτός ἐςτι. . Laer- tium (I, 97) descripserit. Ac pariter in gl. Πιττακός altera par- ticula.quae 8 verbis τούτου ἀπόφθεγμα incipit una cum poematum tabula (de qua vide supra p. 430, n. 23) e Laertio (I, 74, 79) ipso petita est. Ceterum hanc notationem duabus partibus contineri vel inde elucet quod νόμοι bis memorantur, nec feliciter Nietzschius (Mus. Rh. n. XXIV, 223) νόμους et ὑπὲρ νόμων scripta diversa fuisse contendit. Porro in glossis s. Ζήνων... Ἐλεάτης et s. Ζή- νων .. Κιτιεύς idem vocabulum occurrit, eo nimirum loco quo ipsa Laertii verba proferuntur (I. τοῦτόν qaciv κτλ. = Laert. IX, 27; II. οὗτος γὰρ κτλ. Laert. VII, 27); in gl. s. Aéuv .. Βυζάντιος (cuius de scriptis vide quae exposuimus Mus. Rh. n. XXXV, 61 sq.) verba οὗτος ἦν cpóbpa παχύς usque ad καιρῷ κτλ. ex Philo- strati Vit. Soph. I, 2 p. 485 desumpta sunt. lam vero satis me- morabile illud est, quod Suidas cum hinc ad priorem vel iterum ad novum fontem transilit eadem voce (οὗτος Λέων. .) denuo utitur, qua re usus ille luculenter firmatur. Quse animadversio etiam in glossam Φίλων Ἰουδαῖος quadrare videtur, ubi Suidas Philonis operibus ex Sophronio enumeratis (cf. Kusterum ad Suid.) ad fontem antea adhibitum recurrit verbis λέγουςι τοῦτον .. κινδυνεῦςαι.

Deinde vero in v. '€pacícrpaToc verba οὗτος (άμου Suidas aliunde ac relicua hausisse videtur, cum eandem historiam prolixius narrent Plutarchus (Demetr. p. 907), Appianus (de bell. Syr. p. 204), Valerius Maximus (V, c. 7), alii. Tum in v. ITpó- κλος Λύκιος scriptis recensitis sic pergit Suidas: οὗτός écri TipóxAoc... quibus verbis Proclum qui adversus christianos scri- pserit acriter invehitur, quae quin unice Suidas adiecerit nemo eius consuetudinis gnarus dubitabit. Denique in v. Φιλήμων comoediis enumeratis quae verba secuntur οὗτος Φιλήμων ἄπηρος ἦν teste Suida ipso ex Aeliani libro περὶ προνοίας derivata sunt. In his igitur glossis similiter ac supra in gl. Περίανδρος et Πιττακός auctorum operibus conmemoratis nonnulla adiecta cerni- mus, quae alii auctori sive Suidae ipsi deberi ut per se ipsum veri simillimum est sic hisce exemplis in clara luce conloca- bitur, quae deinceps proferam haec-illa paucis verbis inlustrans:

s. Βαβρίας (cf. de hae nominis forma O. Crusium Leipz. Stud. II, 189, n. 4) Báfpioc.. οὗτος μετέβαλεν, in quibus vel oratio sat horrida alienum arguit auctorem.

s. Θουκυδίδης .. οὗτος --- Ἡροδότου, quae vert alio ex fonte manasse apertum est (cf. Marcellini Vit. Thuc. 54), non secus atque quae infra secuntur οὗτος Ooux. Marcellino (l. 1. 1) de- bentur. Itaque ex tribus diversis particulis Suidae de Thucydide narratio conposita est.

410 A. Daub:

8. Δείναρχος..ἐτελεύτηςε δ᾽ οὗτος..., quae verba ad alium Di- narchum Westermannus (Biovp. p. 322) iure revocavit, cl. Plut. Phoc. 33.

8. Δημάδης 'Anvaioc.., οὗτος xareAuce.... Haec mani- festo diverso ex fonte fluxerunt. Nec praetereundum in glossa eon- tinua Δημάδης Aax. verbe τοῦτον εἰςεποιήςεν.. aliunde huc in- volasse, quae merito delevit Pluygersius (de Demad. p. 5 sq.).

8. Ἑρμαγόρας Τήμνου... ἐπαίδευςε δ᾽ οὗτος μετὰ Κεκιλίου, ex Philone fortasse deprompta.

8 Ἰάμβλιχος... οὗτος λέγει περὶ Ζωβαρᾶ, cf. Phot. p. 248; 8. Λιβάνιος.. οὗτος καὶ ἐπὶ τῶν χρόνων ἦν Βαειλείου . . καὶ l'onro- ρίου τοῦ θεολόγον, quorum verborum vel indoles Hesychium Suidamve prodit auctorem; s. ITpoaipécioc .. οὗτος ἐθαύμαζεν alienam prae se ferunt personam; s. Δικαίαρχος Φειδίου .. οὗτος ἔγραψε τὴν πολιτείαν Crrapriarüv, quae verba una cum sequentibus & pro- prio auctore profecta sunt, qui legem illam Lacedaemoniis condi- tam enarraverit. Nec potest dubitari, quin Hesychius sive Suidas 81 hunc librum in eodem fonte ao relicuos repperissent in priorem tabulam rettulissent, idemque cadit in verba quae in fine v. Φαβω - pivoc leguntur: οὗτος γνωμολογικά.

8. Διοκλῆς... κωμικός.. τοῦτον δέ gaciv εὑρεῖν, cf. Ca- saubon. ad Athen. V, c. 4, Suid. s. Ὀξύβαφον.

8. Ὑπατία... αὕτη διεςπάςθη . . cf. Socrat. Hist. Eccl. VII, 15, et nune St. Wolfium “Hypatia . .' Progr. Czernow. 1879, p. 40.

Tres glossas nunc proponam, in quibus scripta quae vocabulo οὗτος ceteris adnectuntur propter id ipsum gravissimam habent dubitationis causam: s. 'Apicréac . . ἔγραψε δ᾽ οὗτος καὶ κατα- λογάδην᾽ θεογονίαν eic ἔπη ‚a (cf. Hillerum 1. 1. 522), s. ΠΤαρθέ- vtoc Xioc.. οὗτος ἔγραψε καὶ περὶ μεταμορφώςεων, quae verba iam a Fabricio (Bibl. Gr. III, 309) in suspitionem vocata Bernhardyus uncis saepsit utpote ex v. Nécrup huc invecta (cf. Meinek. Anal. Alex. 270), s. 'lácuv Μενεκράτους. . ἀπὸ δὲ μητρὸς Ῥόδιος... οὗτος ἔγραψε xai περὶ 'Póbov.

Quibus expositis ulterius progredi audeo nec dubito omnes fere notitias quae librorum tabulis adnectuntur, quamvis non ubique vo- cabulum οὗτος adhibitum sit, novo vindicare auctori, quem saepius ipsum eruere possumus. Sed iam omnia exempla conponam: quae si quis cum praecedentibus verbis contenderit, non tam indole et condicione quam argumento ipso a ceteris longe recedere facile per- spieiet: s. Hcíoboc.. ἐτελεύεηςε δ᾽ ἐπιξενωθείς. .; s. Ὀππιανὸς KiME . . ἀναγνωςθέντων δὲ τῶν ποιημάτων. .; s. Ἤριννα᾽ (cf. Supra p. 415), s. Kópivvoc.. ἔγραψε δὲ καὶ τὸν Δαρδάνου .. πόλε- μον, 8. Ἀλκμάν.. πρῶτος δ᾽ eicnyaye.. ceterum de iis testi- moniis, quae vocabulo rrpWToc similibusve subiunguntur, infra seor- sum agetur; ᾿Ανακρέων (ef. p. 430); s. Apiuv.. λέγεται καὶ... εὑρετὴς γενέεθαι; s. "IBukoc . . cuAAnpBeic δ᾽ ὑπὸ λῃςτῶν, cuius narratiunculae vel tota indoles a prioribus satis diversa alienam ar-

De Suidae biographicorum origine et fide. 471

guit originem (cf. etiam Welckerum Mus. Rh. I, 401 βα., a quo dissensit Ritschelius, vid. O. Ribbeckium, Ἕν. W. Bitschl’ I, 310); 8. Ἱππῶναξ (Ἵππνο), cf. p. 409; s. ζαπφώ, cf. p. 428; s. ζόλων.. καὶ φέρεται αὐτοῦ πόφθετμα, quae verba ex Laertio (I, 68) de- libata esse videntur; at totam glossam ex frustulis Laertianis con- flatam esse M. Schmidtü (Didym. 898) opinio est parum probabilia; s. Crncixopoc... pad δ᾽ αὐτὸν τυφλωθῆναι, quam fabellam aliunde promanasse sponte elucet; s. Αἰεχύλος.. οὗτος πρῶτος εὗρε... quae peculiari auctori deberi infra patebit. Bed Aesohyli in tragica arte inventa ubi enarravit Hesychius ad priorem revertit fontem, deinde a verbis φυγὼν δ᾽ εἰς (ικελίαν tertium describere incepit; &. Λυκόφρων .. ἔγραψε xal τὴν .. ᾿Αλεξάνδραν, τὸ «κο- τεινὸν ποίημα, quam notitiam Suidas e sua ipsius memoria sub- iecisse videtur; 8. Θεοδέκτης.. ἔγραψε δὲ καὶ τέχνην ῥητορικήν . . καταλογάδην, quae num recte Theodecti tragico Suidas adscripserit contra Meinekium dubito; s. CopoxAfic ’Apicrwvoc.. ἔγραψε καὶ ἐλεγείας, quarum memoria certe non indidem ac pinacographicis fontibus haustarum Hesyohio innotuit; s. Φιλοκλῆς ς . Αἰεχύλου δὲ ἀδελφιδοῦς, quae verba ad librum revocanda videntur, qui Aeschyli progeniem tragicae arti pariter deditam per- tractaverit; s. Πλάτων κωμικός... écri dE .. χαρακτῆρα; s. Λύ- ciT TOC. “καὶ ἕτερα αὐτοῦ δράματα, Qupcoröuoc (of, Volkmannum I, 37); 8. ᾿Αναξανδρίδης .. καὶ πρῶτος οὗτοε --- eichrarev; Β. Τιμόθεος. . καὶ Κυνάριον Τιμοθέου δρᾶμα, dic φησιν ᾿Αθή- varoc ἐν τοῖς αὑτοῦ; s. Φόρμος.. éypficaro δὲ πρῶτος φοι- γικῶν, quibus fabula ex Athenaeo petita adneotitur; s. ᾿Αντίπα - τρος... καὶ érerpómeuce . .; 6. Δίκτυς.. οὗτος ἔγραψε... (quae verba fortasse ad alium scriptorem referenda sunt; sed de tota glossa mox alio loco adouratius disputabimus); s. Ποςεειδώνιος ᾿Αλεξανδρεύς . . kal οἶμαι ταῦτα --- Ὀλβιοπολίτου, quae verba quin ipse Hesychius scripserit dubitari nequit; s. Avcíac.. τῷ δὲ καθαρῷ --- πρὸς μειράκια; s. Alcumoc, Μιθριδάτου... ἔγραψε καὶ ἐγκώμιον, ubi verba ἔγραψε περὶ Ἑλένης... ex libro Aesopi de He- lena ducta sunt (id quod iam Kusterus perspexit), conl Phot. Cod. CXC fin., cum quae insecuntur (ἔγραψε καί) generslenm redoleant fontem; s. Ἡρώδηε. . φέρονται. δ᾽ αὐτοῦ καὶ --- τελευτᾷ; a. Δη- μήτριος . Φαληρεύς. . οὕτω δ᾽ ἦν cpóbpa εὐπρεπής, ex Laertio (V, 76) fortasse petita; s. Anuóxpiroc.. ἔγραψε δὲ καὶ ἐπιςτο- λάς, quarum fides per se admodum suspecta alienum prodit originem. Dehinc ad usum vocabuli οὗτος latius invostigandum praever- tamur. Áo primum quidem aliquot testimonia profer&m, quae licet non omnis voce-illa distincta sint ad peculiarem tamen auoto- rem redire aliunde eonpertum est, Hermippum dico Berytium (cf. Wachsmuthium 1. 1. 140 sq.): 8. Avtríuaxoc.. τινὲς δὲ καὶ οἰκέτην αὐτὸν ἀνέγραψαν --- (τηςειμβρότου; s. Ῥιανός.. οὗτος δ᾽ ἦν... Ἰξρατοςθένους; s. AT-

478 A. Daub:

CWTOC.. μᾶλλον δέ τινές pact μόνον (hinc enim Hermippum descripsisse videtur Hesychius, Wachsmuthius autem verba οἰκέ- την γεννᾷ illi vindicat) γεννᾷ; s. TTapdevıoc. . οὗτος ἐλήφθη Τιβερίου; 8. Φιλόξενος... οὗτος λυρικοῦ (quae post librorum recensum enarrantur); s. Αριςτοφάνης... τινὲς δ᾽ αὐτὸν καὶ ἀπόδουλον Ictopnkacıy; s. "Ictpoc.. Ἕρμιππος δ᾽ αὐτὸν... δούλων; s. Αἰεχίνης .. τινὲς δὲ καὶ vTeypagrikaciv; 8. (ιβύρτιος... οἰκέτης, ὃς éppnrópeucev οἰκετῶν TPWTOC; s. Φαίδων Ἠλεῖος.. τοῦτον .---- ἐν ᾿Αθήναις; 5. ᾿Αλέξανδρος Μιλή- ειος.. ὃς ἸΠολυΐετωρ --- οὗτος ευνέγραψε : sola enim haec verba Hermippi auctoritate niti videntur, cum Wachsmuthius verba usque ad ἠλευθεριώθη illi adscripserit. Nec non totam fere glossam s. Ἐπα- φρόδιτος ('Apxiou currpáupara) Hermippo tribuerim, cum de Epaphroditi vita uberrime ne minutiis quidem spretis agatur.

Jam igitur cum eae narrationes, quae proprio auctore sine dubio repetendae sunt, eodem vocabulo Οὗτος sive etiam vocibus καί et δὲ καί prioribus soleant adnecti, hac ipsa re usus verborum illorum denuo firmiter munitur. Ac nune credere profecto licebit Suidam Hesychiumve cum illis vocibus utuntur plurima ex parte ab uno ad alterum fontem deflectere. Sed conligam omnia exempla quae aliunde fluxisse videntur: neque adeo raro accidit ut diversa eorum origo argumentis ex aliis rebus petitis pro- bari possit. Praeterea scito me omnia id genus testimonia conquisi- visse seu Οὗτος vocabulo seu alio quod eidem usui inservit distincta. Quae quidem si paulo intentius inspexeris praecedentibus verbis toto habitu et indole satis diversa esse lubenter mihi concedes:

8. Apicréac.. τούτου qací εἰς ἔπη a, quae post librorum recensum posita esse velim consideres, cf. etiam Max. Tyr. XVI (p. 288) et XXXVIII (p. 222); s. Ἐπιμενίδης... οὗ λότος κατάςτικτον (cf. Hesych. Mil. ed. Orelli p. 20), et οὗτος EZncev.. ἀποθέτων; s. Εὔμολπος .. οὗτος ἔγραψε βιβλίον a’, quibus de verbis Bernhardyum (ad Suid.) ausculta disputantem, omnem hanc narrationem ex carmine Eumolpio deflexam videri, quod ad Musaeum & quibusdam esse relatum Pausanias (X, 5) doceat (ceterum cf. supra p. 418); s. Πίγρης... ὃς ἐλεγεῖον .. ἔγραψε καὶ Ba- τραχομυομαχίαν, ubi priora verba aliunde petita esse vel inde elucet, quod vocula καί ad primarium fontem manifesto recurritur; s. TTro- λεμαῖος KuOfpioc . οὗτος ἔγραψε ἔχουςα, quae verba Suidam ex alio fonte hausisse id ipsum docet, quod non ad Ptolemaeum epicum sed ad P. grammaticum unice pertinent (cf. Phot. Bibl. p. 150A ; Meinek, F. C. G. III, 219); s. 'Avrivevíbnc .. obToc .. πρῶτος éxpricaro; s. Aácoc .. πρῶτος δ᾽ οὗτος λόγους; s. Ciuwvi- ónc Λεωπρεπ. .. καὶ τὴν μνημονικὴν δὲ τέχνην εὗρεν οὗτος φθόγγον: s. Cwradnc.. éxpricaro δὲ τῷ εἴδει τούτῳ... Ξέναρ- χος, quae nescio an ex Athenaeo (XIV!, p. 620 6) deprompta sint; 8. AlcxuAoc .. οὗτος χρῆςθαι; s. ζοφοκλῆς... οὗτος πρῶ-

De Suidae biographicorum origine οὐ fide. 419

τος --- ἐδίδαξε: s. ᾿Αλέξανδρος Αἰτωλόε... γραμματικός... οὗ - τος καὶ τραγῳδίας ἔγραψεν fj Πλειάς, cuius notationis partem priorem ad Asclepiadem supra revocavimus (p. 458), altera vero diversam originem prodit; s. Heodextnc.. οὗτος xal τὰ rtpu- τεῖα, quorum verborum condicio ad Hermippum Callimacheum relegat, quem περὶ TÜv 'Icokpárouc μαθητῶν peculiarem scriptionem conposuisse constat (cf. Athen. X, 4516); inspice etiam v. Θεόπομ - πος et praecipue v. lcoxpátnc ᾿Ἂμύκλα (praeterea conferas has glossas: s. ᾿Ανδροτίων, 'Acrubópuac, AnpgocOévnc, Ἔφορος (s. Ἔφιππος), Θεόκριτος Χῖος, Θραεύμαχος, "Icaioc, Kóxxoc, Ὑπερεί- δης, Φιλίςκος Μιλ.); s. Ἴων Χῖος. . οὗτος ἔγραψε φηςί, qui- bus in verbis conscribillandis manifestum Suidae mendacium Bentlei (Epist. ad. Mill. p. 66) acumine pridem deprehensum est (ef. Schol. Arist. Pac. 836); 8. Oécric .. καὶ πρῶτος ἐδίδαξε; s. Πρα- τίνας ἐπιδεικνυμένου δὲ τούτου ᾿Αθηναίοις (of. 5. Αἰεχύ- Aoc); s. Φρύνιχος TloAupp. .. οὗτος δὲ πρῶτος ἐγένετο; s. Εὔπολις ... καὶ ἀπέθανε --- πολέμῳ. καὶ ἐκ τούτου ποιη- τήν; 8. Ἐπίχαρμος.. τινὲς δ᾽ αὐτὸν ἐν (ικελίᾳ: s. Μόεχος

. οὗτος ποιητήν; s. ᾿Αγαθίας οὗτος --- ευνήκμαςε; verba quae antecedunt γράψας --- Βυζαντίῳ ex alio fonte fluxisse planissimum est; s. Ἰώςηπος, nbi verba priora usque ad γράψας ἐν βιβλίοις κ΄ Suidae ipsius esse adparet, deinde verba οὗτος ἠξιώθη nescio unde ducta sint, & verbis denique ἔγραψε δὲ καί Suidas vel rectius Hesychius eum delibare fontem incepit, qui cete- rorum quoque rerum scriptorum memoriam suppeditavit; s. Map- cóac TTepiávópou ---- οὗτος δ᾽ fjv πρότερον τραμματοδιδάςκαλος Bacıkewc, quae ab Asclepiade probabiliter repetiisse nobis vide- mur (cf. p. 458); s. 'Icatioc .. οὗτος ἐπαινεῖται προαγαγών (cf. Plut. Demosth. p. 848); s. Alcy(ívnc .. οὗτος ἐδημοειώθη, - quae diverso auctori deberi inde consectarium est, quod talia ab Aeschine oratore plane abhorrent (cf. Westerm. Bıoyp. p. 270); verba dein extrema πρῶτος δὲ πάντων .. ἐνθουειῶν ex Philostrati Vit. Soph. I, 18, 3 parum venuste conpilata sunt; s. Γοργίας... οὗτος πρῶτος éxpficaro; s. Δημάδης Λακιάδης.. τοῦτον εἰςεποίηςεν τεχθέντα, quae verba aliunde huc pertracta rectissime delevit Pluygersius (de Demad. p. 11); s. Δημάδης Δημέου .. οὗτοε πρὸς αὐτόν; s. Θέων, cogicric λόγων ῥητορικῶν .. ἦν δ᾽ οὗτος --- περιβαλλόμενος (cf. Phot. BibL p. 889b); α. Ἰεοκράτης ᾿Αμύκλα... οὗτος δ᾽ "Ic λόγοι ε΄ (cf. supra); s. Käctwp Ῥόδιος... γήμας δ᾽ οὗτος διέβαλεν (cf. Strab. XII, p. 668); 8. Λουκιανός... fjv δ᾽ οὗτος παμμίαρος, quae Suidae ipsius esse liquet; s. Ποτάμων Muri. .. καί ποτε αὐτοῦ --- πολεμεῖν; 8. Πρωταγόρας... καὶ ἐπεκλήθη πρῶτος οὗτος copıcric. πρῶ- τος δ᾽ οὗτος --- Ἰεοκράτους. διεῖλέ τε πάντα λόγον πρῶτος οὗτος εἰς δ΄. .; s. ζώπατροεςε... τινὲς δὲ καὶ --- φαςίν; s. ᾿Αλέξανδρος Mi... οὗτος εὐυνέγραψε βιβλία ε΄, quibus

480 A. Daub:

verbis Hesychius paucis ex Hermippo Berytio prolatis ad primarium fontem revertitur; . Δαφίδας.. ἦν δ᾽ οὗτος... θεῶν. καί φασιν (quod ipse adieci, cf. Mus. Rh. n. XXXV, 67) Ἄτταλον... (cf. Strab. XIV, p. 647; Val. Max. I, 8, ext. 8); s. ᾿Αλέξανδρος Aly... oó- TOC πεφυρμένον, quae verba in gl. Νέρων iterum leguntur; s. ᾿Αμμώνιος... οὗτος ὥς qna Πορφύριος, quae Hesychius ex Porphyrio ipso delibavit, pariter atque in gl. ᾿Ανδροκλείδης verba οὗτος δ᾽ ἐπὶ TToppupiou . . Edidackev, ἐπειδὴ μέμνηται Texvo- λόγων (ef. Rohdium 1.1. 171, n. 2); s. ᾿Ανάχαρεις.. εὗρε δ᾽ οὗ- τος τρόχον (cf. Laert. II, 105); 8. AvticO0Éévnc .. οὗτος οὖν Διογένους; 8. ᾿Απολινάριος οὗτος οὐ μόνον -“-“-- ἀμφι- δέξιος, quibus enarratis ad priorem deflectit Hesychius fontem ver- bis usus οὗτος ἔγραψε. .; 8. Ἀπολλώνιος Tuaveüuc.. εἰς τοῦτον ἔγραψε Φιλόεςτρατος βίον, verba Suidae ipsius manu adposita; s. Αρχύτας.. οὗτος Πλάτωνα τυράννου, quibus- eum Laertiana VIII, 79 conferas; dein verba quae infra secuntur emendavi Mus. Rh. l. l. 67: τοῦτόν paciv φανερῶς τγενέεθαι: 8. Agppikavóc .. κατὰ τούτου ἔγραψεν ᾿Ωριγένης εἰς τὸν Δανιήλ a Suida ipso adiecta; s. Ἐμπεδοκλῆς... οὗτος Ἐ... γέγονε δὲ τούτου, quae ex Laertio VIII, 69, 73 hausta sunt; s. Ἡράκλειτος. . οὗτος ὑδρωπιάκας... τινὲς δ᾽ αὐτὸν Epacav.. (cf. Laert. IX, 3 5ᾳ.); s. Θεόδωρος .. οὗτος εἶπε φέρουςα (cf. Laert. VII, 98); 86. Θεόφραεςετος... οὗτος πρότερον --- 'Api- «τοκλῆς (cf. Laert. V, 38); s. Κάλλιππος... πονηρὸς οὗτος icró- ρηται --- προδότης, quae Suidae ipsius sunt; s. Κράτης ᾿Αςκώνδου . . 0c éEapyupiícac .. --- οὗτος καταλιπών... ὁχ Laertio VI, 87. 88 conpilata, dein alius auctoris verba proferuntur, tum verbis ὅτι Κρά- τῆς εἶπεν ad Laertium (VI, 86) Suidas recurrit, in fine denique (οὗτος... κατεπόντωςε) exscripsit Philostratum; s. Πυθαγόρας . . ἐτελεύτα δέ... πρὸς τοὺς μ΄ (of. Laert. VIII, 39 8q.); 8. Φερε- κύδης.. Cupioc .. πρῶτον δὲ ευγγραφὴν ἐξενεγκεῖν... τινὲς IcTopoücıv εἰςηγήςαςθαι, quae Rohdius (ef.1.1.171,n.1, οὐ 208, n. 1) ad Porphyrium verissime rettulit; s. Ἱπποκράτης... οὗτος ἔγραψε πολλά αἱ μὲν οὖν γραφεῖςαι, quae verba aliunde certe fluxerunt atque librorum tabula; s. Ἄκρων, qua in glossa tris testimonia discernere licet: 1) usque ad ἔςτι δὲ xai οὗτος. .; 2) usque ad eic τοῦτον...; 3) cetera quae secuntur ex Laertio VIII, 65 descripta sunt.

Denique de peculiari notationum Suidianarum genere breviter exponere placet, quas ut certo auctori vindicemus cum vel verborum suadeat aequabilitas tum requirit ipsa rerum similitudo: testimonia dico quae de diversorum poesis aliarumque artium generum pri- mordiis et incrementis hic illic reperiuntur. Quorum iam supra aliquot exhibui vocabulo οὗτος similibusve adnexa prioribus verbis, unde talia aliis fontibus ac cetera deberi adparuit. Sed nunc omnis quotquot eius generis apud Suidam occurrunt exempla sedulo con- ponam: quorum eum iam Volkmannus (1, 2 sq.) quaecunque ad tra-

De Suidae biographicorum origine et fide. 481

gicae comicae lyricae poesis historiam pertinent reliquias conlegisset easque Aristoteli (περὶ ποιητιῶν) sive discipulis eius tribuisset (p. 20 sq.), vel plurima vocis οὗτος vel similium Suidae usitatarum ratione ha- bita singulari quisquis fuit auctori iure adsignare poterimus. Hune vero primitus fuisse Aristotelem Volkmannus, quamvis non ab omni parte iudicium eius conprobem, non male coniectasse videtur; qua tamen via singula fragmenta tot per saecula propagata in Suidae notitiam pervenerint delineare noluit. Quod rimari ne mihi qui- dem nunc in animo est; id vero suspicari licebit, nec Suidam neque Hesychium ipsos testimonia illa ex peculiari περὶ εὑρημάτων opere delibasse, sed iam Dionysio in musica historia pertexenda nec non Philoni Byblio inter ceteros unum auctorem praesto fuisse, qui omnes de rebus inventis notitias uno volumine conprehenderit. Hic vero quis fuerit difficile enucleatu est; id solum tenemus, has omnes haud volgaris doctrinae narrationes peculiarem sibi et optimum vin- dicare auctorem. Mitto autem, ne huius libelli moles nimis adcrescat, testimonia ipsa exscribere. Age iam consideremus glossas 8. Λίνος, ᾿Αμφίων (οὗτος... εὑρετής), Mapcóac, Ὄλυμπος, (ιμωνίδης Kpivew (ἔγραψε κατά τινας. .), Ἱππῶναξ (οὗτος πρῶτος. .), Τέρπανδρος (δε πρῶτος. .), ᾿Αλκμάν, ᾿Αρίων (post librorum re- censum), Aäcoc (πρῶτος δὲ οὗτος. .), ζαπφώ, (τηείχορος, Ἴβυ- xoc, Μελανιππίδης (ὃς... mAeicra), Φρῦνις (ὃς ἐδόκει), (ιμωνίδης Λεώωπρ. (οὗτος ..), Τιμόθεος (δςε...), (ίβυλλα ᾿Αντιγενίδης (οὗτος πρῶτος), Oécric (ἄλλοι dE..), Φρύνιχος TToAugp. (οὗτος δὲ πρῶ- τος..), Χοιρίλος (οὗτος κατά τινας..), Αἰεχύλος (οὗτος. .), ζοφο- κλῆς (οὗτος. .), TTparívac, ᾿Αρίεταρχος (δε πρῶτος. .), Νεόφρων (δε πρῶτος. .), Ἐπίχαρμος (ὃς εὗρε ...), Φόρμος, Χιωνίδης, 'Api- «τοφάνης, ᾿Αναξανδρίδης, Διοκλῆς (τοῦτον δέ φαειν. .), Ἑκα- ταῖος. Ἵππυς, Κάδμος Πανὸ. (δε πρῶτος κατά τινας), Φίλιετος (6c πρῶτος...), Γοργίας (οὗτος πρῶτος. .), Δημάδης ᾿Αθην. (οὗτος karéAuce . .), Opacópaxoc (ὃς πρῶτος. . .), Κέφαλος, TTpuravópac (πρῶτος δ᾽ οὗτος. .), ᾿Απολλόδωρος, 'Ava£(uavbpoc, ᾿Ανάχαρεις (εὗρε δ᾽ οὗτος ..), ᾿Αρίετιππος, ᾿Αρχέλαος, Εὐκλείδης (ὃς καὶ. .), Θεαίτητος, Θεόδωρος, Ξενοφῶν Γρύλου (δε πρῶτος... .), TTuda- γόρας, Φερεκύδης. In his narrationibus non desunt quae ad singu- larem fontem redire argumentis aliunde petitis conpertum habemus: velut quod aliquotiens vocabula οὗτος vel ὅς adhibita videmus, hoc per se ipsum alienum arguit auctorem, cf. s. ᾿Αμφίων, 'Irmüvo£, Τέρπανδρος, Aácoc, Μελανιππίδης, Φρῦνις, (ιμωνίδης A., Τιμόθεος, ᾿Αντιγενίδης, Φρύνιχος, Χοιρίλος, Αἰεχύλος, ζοφοκλῆς, ᾿Αρίεταρχος, Νεόφρων, Ἐπίχαρμος, Χιωνίδης, ᾿Αναξανδρίδης, Διοκλῆς, Φίλιςετος, Γοργίας, Δημάδης, Θραεύμαχος, Κέφαλος, Πρωταγόρας, ᾿Ανάχαρεις, ᾿Αρχέλαος, Εὐκλείδης, Ξενοφῶν. Porro ab uno ad alterum fontem fieri transitum ipse Suidas indicat in glossis s. (ιμωνίδης Κριν., CiguMAa, Θέεπις, Χοιρίλος, Διοκλῆς, Κάδμος, Φερεκύδης; tum talia etiam post librorum recensum vel in calce glossae addita sunt, cf. Jahrb. f. class. Philol Suppl Bd. XI. 31

482 A. Daub:

s. ᾿Αλκμάν, ᾿Αρίων, Cart, (τηςείχορος, (ζίβυλλα, Φόρμος, "AvaEav- δρίδης, Διοκλῆς, Δημάδης; atque in v. Κάδμος et v. Ξενοφῶν pro- pria verborum origo vel inde cognoscitur quod illic scripta seorsum, non in eadem tabula ac cetera exhibita sunt; denique in v. Ἵππυς verba καὶ πρῶτος non ad eundem auctorem referenda esse hoc abunde conmonstrat, quod opus αἱ (ικελικαὶ πράξεις inscriptum a (ικελικῶν βιβλίοις librorum tabulae insertis non diversum est (cf. un F. H. G. II, 33; Schaeferum Quellenk. z. gr. Gesch. p. 14).

Caput X. Suidas quid in vitis contexendis ipse praestitisse videatur.

Quibus rebus expositis quivis fere opinetur me iam explicatius esse enarraturum, quam in singulis vitis conscribendis rationem Hesychius Milesius ipse ingressus sit, quas glossas de sua notitia conposuerit multas ab hoc ipso confectas iam Schneiderus (Callim. II, 27) congessit —, quae aliorum denique testimoniis subiecerit. Tamen mitto nunc quaestionem, quae est de tota operis Hesychiani conpositione, cum observationes quaslibet selegisse satis habeam, quae ad Suidae ipsius operam adumbrandam haud sane levis sint momenti.

Itaque primo loco examinemus, quem ad modum ille Hesychii copias, in quibus cum maxime quae ad poetarum comicorum notitiam pertinent, ex Athenaei 'deipnosophistis" suppleverit locu- pletaveritque. Harunce nimirum glossarum, in quibus omnibus fere Athenaeus ipse citatur, indoles ea est, ut praeter nomen poetae nil nisi tituli aliquot exhibeantur. Qua in re nullam idoneam causam dispicio, cur eum Bernhardyo (Conment. de Suid. lex. I, 5; II, 9; IIT, 4) hoc totum genus notationum posteriore demum aetate in Suidam transmigrasse credamus: cujus quidem opinio hoc uno nititur fundamento, quod eas Eudocia in suum usum non converterit (vide etiam Volkmannum I, 36).

Suidas vero in comoediarum titulis delibandis haud raro ita versatus est, ut hos eodem ordine enumeraret quo fortuito Athenaeus diversorum comicorum frustulas conmemoravit. Quae quidem exempla a me conlecía nam omnia noluit enumerare Volkmannus ]. 1. in uno conspectu ponam. s. Τηλεκλείδης ᾿Αμφικτύονες IX, 399 a, Tipuráveic XIV, 639a, 648e, Creppoí 6566; 8. Nixócrparoc Πάνδαρος (?)°®), "AvruAAoc III, 108c, 118 e, Ἱεροφάνης III, 110a,

59) Libri praebent TTdvdapoc ὃς καὶ (ὁ xal) "AvtuMoc, in quibus Mei- nekius (F. C. G. I, 348) iure delevit óc καί, sed idem parum probabi- liter redintegravit Πάνδαρος vel TTávópococ (Ath. XIII, 587 d) xal "AvruM Aoc. Sic igitur Suidas solitum excerpendi ordinem dereliqui quod vix est credibile; sed non inepte opinari licebit Athenaeum in libro I eive II titulum Πάνδαρος conmemorasse.

De Suidae biographicorum origine et fide. 483

KAivn III, 111c, XI, 499c, "Afgpa IV, 135c, XIV, 654b, “Hciodoc VII, 301e, Διάβολοϊ XI, 474b, "Avrepóca XI, 487 b, Ἑκάτη XI, 499b, e, Mäyeıpoc XII, 517 a, XIV, 6642, Πατριῶται 53) XV, 700b, Πλοῦτος VI, 247 e, Cópoc XIV, 615 f, ᾿Απελαυνόμενος XIV, 664b, Ψευδοςτιγματίας XV, 685 d, Τοκιςτής XV, 685e. Nicostrati comoe- dias apud Athenaeum conmemoratas non omnes Suidas descripsit (cf. Ath. VI, 230 d; XV, 700b; XIII, 587d); in ceteris vero deli- bandis id quod nemodum animadvertit bis Athenaeum per- volavit, primum scilicet a Πάνδαρος (in libro I vel II) usque ad Πατριῶται (XV, 700b), dein 4 Πλοῦτος (VI, 247 e) usque ad Ψευ- δοςτιγματίας (XV, 685d); s. Φιλέταιρος, ubi tituli praeter unum Κέφαλος omnes apud Athenaeum occurrunt: ᾿Αχιλλεύς XI, 44d (qui deest in indice Athenaei Schweighaeuseriano, sed cf. eun- dem p. 232, Meinekium F. C. G. I, 350), Κορινθιαςτής XIII, 559 a, Kuvnyic XIII, 570 f. (cf. VII, 280 ο, alibi), Φίλαυλος XIV, 633 e, Κέφαλος (in I vel II?), Τηρεύς III, 106 f, X, 4304, Οἰνοπίων IV, 169e, VII, 280, "AvruAXoc III, 108c, 118e, ᾿Αταλάντη X, 416 f, Λαμπαδηφόροι X, 418c. Qua in tabula excerpenda Suidam ita ver- satum esse existumo, ut primum libros XI— XIV, dein 1. III—IV, tum 1. X evolveret, titulum autem ’AckAnmıöc (VII, 342a, XI, 4878) neglegenter omitteret.

s. Ἐπιγένης Ἡρωίνη XI, 4690; Μνημάτιον XI, 472 f, Bax- χεία XI, 498 e (sic recte Meinekius dedit, cum volgo legatur Βάκχαι).

8. Ἔριφος᾽ Αἴολος IV, 134 c, Πελταςτής IV, 137 d, Μελίβοια VII, 302e, XV, 693 c.®)

s Mvncinaxoc’ ἹἹπποτρόφος VII, 301d, 322e, 8294: IX, 402 f, 403d, Βούειρις X, 417e, Φίλιππος X, 418b, 421b,c (et iam antea), omisit tamen Suidas titulum AückoAoc (VIII, 359 c).

8. ΤἸμοκλῆς, euius tabulam expressit Volkmannus (I p. 35 sq.). Sed prave Suidas duos eiusdem nominis poetas distinxit, id quod satis explicabitur si illum Athenaeum bis perlustrasse meminerimus (pri- mum nimirum libros IV et VI, dein iterum |. VI, tum ]. VIII—X et XIII inspexisse videtur, cf. etiam Bergkium Hist. Graec. Litt. I, 294, n. 54).

s. Zévapxoc: BouraMuv (sie dedi e Reinesii coniectura) II, 63 f, TToppupa VI, 225c, (κύθαι IX, 367 b, X, 418d, Δίδυμοι X, 426 b, XV, 693 b, Πένταθλος X, 440e, 444e, XIII, 569a, Πρίαπος XI, 473 f, Ὕπνος XIII, 559a, (τρατιώτης XV, 679e. *

8. Θεόφιλος, cuius indicem Volkmannus (I p. 36) descripsit.

s. Apxébixoc: Oncaupóc VII, 292e, 294b, Διαμαρτάνων XI, 467 e.

5?) Id quod cum Gaisfordio praeter omnem dubitationem restituen- dum est pro conrupto illo "Qrnc vel "Qc (cf. Ath. XV, 700b), cum Mei- nekius mihi non persuaserit scribendo Φιλῶτις. 5?) Legitur volgo apud Suidam ὥς onav ᾿Αθήναιος ἐν τῷ δ΄ τῶν 5., sed libri 0 numerum exhibent. Nonne sic emendandum est: ἐν τῷ εε΄, quo testimonio extremam solam fabulam (XV, 693 c), id quod conpluries fit, respexisse ille censendus est?

815

484 A. Daub:

s. Εὔφρων᾽ Alcxpa VII, 307 e (cf. Meinekium I. 1. 477), Μοῦ- ca VIII, 343b, (ζυνέφηβοι IX, 377 d, Θεωροί IX, 399b; titulum autem Παραδιδομένη (III, 100d) Suidas neglexit.

8. Φοινικίδης᾽ Φύλαρχος X, 415 e, Μιςουμένη XIV, 652 d.

s. Δαμόξενος᾽ Cóvrpogoi III, 101 f, 'Cauróv πενθῶν XI, 4681.

s. (ώπατρος᾽ Ἱπππόλυτος III, 101 a, ®ucioAöyoc ibid., (ίλφαι III, 101b, Κνιδία III, 109e, Νεκυία IV, 160c, Πύλαι IV, 175 b, XIV, 649a, 'Opécmc VI, 230e, Φακῆ IV, 158d, VI, 230e, XV, 702 b (ceterum cf. Mus. Rh. n. XXXV, 64).

8. Τελέετης᾽ 'Apyó XIV, 616 f, ᾿Αςκκληπιός XIV, 617 b.

s. Χαιρήμων, cuius tabulam cum Athenaeo Wachsmuthius (1.1. 150, n. 40) conparavit.

Praeter ea exempla in quibus Áthenaei ordinem se- cutus est ex eodem Suidas titulos petiit s. ᾿Αριςττώνυμος, Ἡτήμων, Λύειππος (sed cf. Volkmannum I, 37), €üvikoc, Ἐπίλυ- «oc, Εὐθυκλῆς (τῶν δραμάτων αὐτοῦ écriv "Acwror Ἐπιςτολή, ubi duas fabulas distinguere malim), Φίλιππος, Ἐπικράτης, Διόδωρος, ") (τράτων, Βάτων, Ἐπίνικος, Ocórvnroc,9) Δεξικράτης, Εὐάτγελος, Ναυςικράτης, Cuógpuv. Denique tabulis aliunde desumptis ex Athenaeo hos titulos Suidas adnexuit: s. Διοκλῆς, Νικοχάρης, Νικο- φῶν (cf. Wachsmuthium 1. 1. 148, n. 36), Cavvupiuv (ibid. 152), ζώφιλος, Τιμόθεος (de euius universa tabula perperam iudicavit Volkmannus I, 37).

Iam vero si anquirimus, quae fides his omnibus ex Athenaeo conpilatis titulis habenda sit, hanc optimam esse libere fatendum est. Etenim omnia congessi exempla in quibus aliquod δρᾶμα ab illo citatur: unde adparuit et duplicis comoediae inscriptionis et sicubi iudicium de auctoritate alicuius ambiguum erat singulorum auctorum habitam esse rationem. Quae quidem res egregiam indicant originem. Sed ipsum Athenaeum ausculta loquentem VIII, 336e: ἐγὼ yàp πλείονα τῆς uécnc καλουμένης κωμῳδίας ἀναγνοὺς δράματα τῶν ὠ΄ 5) καὶ τούτων ἐκλογὰς ποιηςάμενος οὐ περιέτυχον τῷ ᾿Αςωτοδιδα- «κάλῳ ᾿Αλέξιδος, ἀλλ᾽ οὐδ᾽ ἀναγραφῆς ἀξιωθέντι cóvoiba. οὔτε γὰρ Καλλίμαχος οὔτε 'Apicropávnc αὐτὸ ἀνέγραψαν, ἀλλ᾽ οὐδὲ

“1 Ubi legitur volgo ἐν δὲ τῷ εβ΄ φηεὶν ("Adrhvanoc), ὅτι καὶ Ἐπί- κληρος xal TTavnyupıcral, qui numerus perinde non quadrat atque ille quem restituerunt $', Quare nescio an reponi praestet év .. τῷ β΄, quo in libro utrumque titulum laudatum fuisse suspicor. **) Titulum Kév- ταυρος qui saepius usu venit addidisse videtur Suidas; desideratur certe apud Athenaeum. 535) Hic numerus fidem excedit. Nam Anonymus de comoed. p. XXX (Mein. 1. 1.1, 537) fabularum mediae comoediae nu- merum χιζ (617) fuisse prodit, quem Meinekius (p. 271) cum Athenaei verbis sic conciliare studuit, ut unZ (817) conrigeret. Sed numerum illum temptare non ausim, cum reputo mecum illud w maiori numero “rotunde’ significando aliquotiens inservire, velut s. 'Apícrapyoc (λέγε- ται δὲ γράψαι ὑπὲρ w βιβλία), et s. Καλλίμαχος (rà γεγραμμένα βιβλία ὑπὲρ τὰ w).

De Suidae biographicorum origine et fide. 485

oi τὰς ἐν ἸΤεργάμῳ ἀναγραφὰς ποιηςάμενοι. Itaque tres auctores eosque gravissimos consuluit Athenaeus, Callimachi Aristophanis Pergamenorffm grammaticorum πίνακας, Ac multa praeterea exem- pla luculenter evincunt Callimachi dramatum inscriptiones ab illo esse inspectas (cf. XI, 496 f). Pariterque indices scriptorum ἁλιευ- τικῶν (I, 13 b), rei culinariae (XII, 516c), δείπνων ἀναγραφῶν (I, 5a), carminum cinaedicorum (XIV, 6209) quos praeter rei culinariae scriptores Suidas descripsit 8. Κικίλιος, s. Τιμαχίδας, 8. Curóbnc aliorum ex limpidis fontibus πινακογράφων fluxisse Volkmannus (II, 717 sq.) subtiliter exposuit.

His igitur in rebus Suidas provinciam suam haud male administra- vit. Sed in multis alis quam turpiter saepe peccaverit nemini pro- fecto ignotum, atque uberius hic enarrare longum est quam multas notationes sus ipsius culpa ve] perturbaverit vel conglutinaverit vel dissecuerit.

Indices.

I. Disputationis Summarium.

pag.

Prooemii loco quaestionis historia breviter enarratur . . 403 Βα. Caput I. Disputatur de Hesychio Milesio eiusque Onomato-

logi epitoma unico fere Suidae fonte . . . . .. ... 404—410. Cap. Il. De Dionysio Halicarnassensi primario Hesychii in

vitis poetarum et musicorum auctore . . . . . . . .. 410 413. Cap. III. De epicorum carminum tabulis e bibliothecarum

catalogis petitis . . . . ... llle 413—418.

Cap. IV. De lyricorum carminum tabulis Dionysio e Calli-

machi potissimum catalogis Hesychio suppeditatis . . . 418—430. Cap. V. De Philonis Byblii auctoritate . . .. .. .... 431—461. Cap. VI. De Asclepiadis Myrleani in vitis grammaticorum

auctoritate adiectis quaestiunculis de oratorum et histori-

corum librorum tabulis. . . . ............ 457 468. Cap. VII. De fontibus ex quibus Hesychius in vitis eorum

scriptorum qui post Hadriani aetatem floruerunt hauserit

quaestiones selectae . . . .............. 468— 470. Cap. VIII. De Demetrio Magnete περὶ ὁμωνύμων scriptore . 470—474. Cap. IX. De οὗτος vocabuli similiumque apud Suidam usu

et conBilio . . 2 2 en 414—482. Cap. X. Suidas quid in vitis contexendis ipse praestitisse videatur. . . . oo one 482—485.

II. Index glossarum tractatarum.

᾿Αγαθίας 479. ᾿Αμμιύνιος gramm. 467, ᾿Απολλόδωρος trag. 412. ᾿Αδριανός 468. philos. 480. ᾿Απολλιίύνιος AóckoAoc Aicyivnc 478. 479. 'Avaxpéuv 430. 439, Αἰεχύλος 477. 478. ᾿Αναξανδρίδης 477. ἈΤυανεύς 433. 434. Alcwroc 477. 478. "Avdyxapcıc 480. 435. 480. ᾿Ακάκιος 469. ᾿Αντέρως 432. 488. 485. | 'Apicrapxoc gramm. 457. ᾿Ακουείλαος rhet. 433. | ’Avrıyeviönc 478. "Apicréac 417. 418. 476. "Axpuv 480. ᾿Αντίμαχος 418. 477. 478. ᾿Αλέξανδρος Αἰγαῖος 433. | ᾿Αντίπατρος 477. "Apıcrelönc 468.

435. 480. ᾿Αντιφάνης 411 not. 11. | ᾿Αριςτογείτων 468.

-- Αἰτωλός 457. 479. ᾿Απίων 432. 435. 470. | ’Apıcroyevnc 439 n. 39.

Muncıoc 457. 478. | ᾿Απολινάριος 469. 480. | ᾿Αριςτοκλῆς 433. 434. 479. ᾿Απολλόδωρος gramm. | 'ÁpicróEevéc 452.

᾿Αλκμάν 430. 472. 476. 457. ’ApıcrotäAnc 451.

'"Apicropávnc com. 413 n. 12 Ὁ. 478. '

gramm. 410. 457.

᾿Αριςτώνυμος 410.

᾿Αρίων 430 n. 28. 450. 476.

"Appiavóc ep. 416.

phil. 451. 470.

᾿Αρχέδικος 483.

᾿Αρχίβιος 483. 434. 435 et n. 54.

᾿Αρχιγένης 484.

᾿Αρχύτας 480.

᾿Αςκληπιάδης 451. 456. 457 et n. 47.

"Acrrácioc 468.

᾿Αςτυδάμας νέος 472.

᾿Αφρικανός 480.

᾿Αχαιός 473.

Βαβρίας 4765.

Γοργίας 479. Tuuvdcaoc 469.

Δαμάςτης 467.

Δαμόξενος 484.

Δαμόφιλος 409 n.8. 437.

Δαφίδας 458. 480.

Δείναρχος 468. 473. 476.

Δημάδης 416. 479.

Δημήτριος Ἰξίων 458.

Φαληρεύς 477.

Δημόκριτος 444. 477.

Annocdevnc 473 8α.

Διαγόρας 450.

Δίδυμος Χαλκέντερος4δ8.

Μουεικός 433.

Δικαίαρχος Λακεδαιμό- vıoc 458.

Εἰκελιύτης 476.

Δίκτυς 477.

Διογενειανός 434. 435. 439 n. 38.

Διογένης trag. 412.

phil. 474.

Διόδωρος com. 408 n. 7. 472. 480 et n. 61.

hist. 431.

phil. 484.

Διοκλῆς 476. 484.

Aiovuciáónc 461.

Διονύειος ᾿Αλεξανδρεύς 433.

Αλικαρναςςεύς 431.

jun. 434. 486.

Θρᾷξ 458.

Α. Daub: Indices.

Διονύειος Μιλήςσιος 467.

--- Περιηγητής 482.

-- τύραννος phil. 472.

Διοςκορίδης 481. 442.

Δίων Χρυςόςτομος 488. 43b.

Apdxwvgramm.489n.85.

Εἰρηναῖος (TTaxatoc)468. Ἑκαταῖος ᾿Αβδηρίτης 4ὅ8. Ἑλικώνιος soph. 469. Ἐμπεδοκλῆς phil. 407. 480. trag. 407. Ἐπαφρόδιτος 433. 434. 48b. 478. Emyevnc com. 488. Ἐπίκουρος 444.

Ἐπίνικος 408. Ἐπίχαρμος 447. 470n.55. 419.

'€pacícrparoc 448. 476.

"€parocOévnc 448. 457. 460.

Ἔριφος 483 et n. 60.

Ἑρμαγόρας rhet.481.484. 485. 476.

“Ἕρμιππος Βηρύτιος 437.

Εὔδοξος 427 κα.

Εὔμολπος 414. 418. 478.

Εὔπολις 418. 479.

Εὐριπίδης(νεώτερος) 472 et ἢ. 58.

Εὐςέβιος 407. 469.

Eöpopiwvep.414etn.13. 458.

Εὔφρων 487.

Ἔφιππος 409.

Ἔφορος 409.448.467.479.

vedrrepoc 4779.

Znvófioc 434.

Znvóbotoc ᾿Αλεξανδρεύς 458. 460.

Ἐφέειος 457.

Ζήνων Ἐλεάτης 475.

Κιτιεύς phil. 478.

Ἡρακλείδης gramm. 482. 484. 48b.

phil 474. Ἡράκλειτος 480. Ἤριννα 415. 472. Ἡρώδης 468. 477.

481

Ἡρωδιανός 410 n. 10. 48b Βα.

“Hciodoc 414: 448. 448. 476.

Ἡούχιος 404 Βα.

Θαλῆς 460.

Θάμυρις 418.

Θεμίετιος 469.

Θεόγνητος 484 et n. 62.

Θέογνις lyr. 423 8qq. 449.

trag. 418.

Θεοδέκτης trag.453.479.

rhet. 468. 477.

Θεόδωρος Γαδαρεύς 432.

phil. 480.

Θεόκριτος buc. 426 n. 20.

Θεόφιλος 488.

Ocóqpacroc 445.461. 480.

Oécmc 412 et n. 12a. 419.

Θέων ᾿Αλεξανδρεύς 481.

Cibüvioc 469.

cogicthc 479.

Θουκυδίδης 476.

Θραςούμαχος 456 n. 46.

Ἰάμβλιχος phil. 469.

soph. 476.

"lácuv phil. 476.

Ἴβυκος 480. 476.

Ἰδαῖος 418.

Ἱμέριος 469.

Ἱπποκράτης (T) 439 n. 38. 480.

Ἱπποκράτεις 440. 448. 412.

Ἵππυς 409. 467. 482.

Ἱππῶναξ 409.

Ἰεαῖος 478. 479.

"Icoxpátnc 479.

"Icrpoc 486. 478.

Ἴων 479.

Ἰώεηπος 479.

Kábpoc 482.

Καλλίας 418.

Καλλίμαχος 457 sq. 460 8qq.

Καρκῖνος 498 n. 338. 472.

Käctwp 409. 479.

Κεκίλιος 482. 434. -

Κεφαλίων 434.

Κηφιςόδωρος 418.

Κλεόβουλος 406.

Κλεοφῶν 412.

Κόριννα 480. 472.

488

Κόριννος 418. 476. Κορνοῦτος 433. 435. Κράτης com. 413. gramm. 457.

phil. 474. 480. Krnclac 467.

Aäcoc 478.

Λεςχίδης 417. Λεύκων 413.

Λέων Βυζάντιος 475. Λιβάνιος 469.

Λίνος 472. Λολλιανός 434. Λουκιανός 479. Λυγκεύς 458. Λυκοῦργος 468. Λυκόφρων 412. 4771. Auciac 468. 477. Avannoc 471.

Μάρκελλος 462. Mapcoac 458. 472. Μελανιππίδης 472. Μέλητος 409. Μέλιςςος 409. . Mévavópoc com. 472. Mecoundnc 434. Μίμνερμος 427. Mvncíuaxoc 483. Möcyxoc 458. 479.

Movcaioc Ἐλευείνιος 418. Ἐφέειος 406. 416 Βα.

Moucuivioc 433. 435.

Νίκανδρος 414 sq. 458.

Νικάνωρ 434. 435. 439 n. 34, 468.

Νικόλαος Aayacknvöc 432.

rhet. 406. 407.

Νικόμαχος trag. 412.462. Nixócrparoc com. 408 8q. 409 n. 8. 482 et n.

58. 59. rhet. 468. 469.

Νικοφῶν 418. 461. 484.

Nixoxdpnc 413. 484. Νουμήνιος 439.

Ξάνθος 467. zévapyoc 488. Ξενοφῶν 461. 482.

Ὅμηρος 417. 446. 447. 'Ováapoc 469. Ὀππιανός 476.

ἃ. Daub:

Ὀρφεὺς Θρᾷξ 416.

Κικοναῖος 407. 418.

--- Κροτωνιάτης 418.450 et ἢ. 50.

’Odpumc 411 n. 11. 418.

Oónctivoc 439.

Οὐλπιανός 469.

ἸΠάκατος (Εἰρηναῖος) 439 n. 86.

ΤΤαλαίφατος Αἰγύπτιος 468.

ἸΤαλλάδιος 469.

ἸΤαμφίλη 410 n. 10.

ἸΠάμφιλος gramm. 489.

ἸΤανύαεις 416.

ἸΠΤάππος 410 n. 0.

Ἰαρθένιος ep. 476.

lyr. 427. 461. 478.

ἸΤαῦλος Αἰγύπτιος 469.

Τύριος 484. 435.

ἸΤείεκανδρος Καμειραῖος 446.

Λαρανδεύς 406.

ἸΤερίανδρος 406. 430 n.25.

475.

Τίγρης 478.

TTtvdapoc 422 sq. 448.

Tırraxöc 406. 430 n. 23. 475.

Πλάτων com. 413. 477.

ἸΤλούταρχος hist. 433. 435.

TToA&uwv hist. 459 et n.

49. 467.

rhet. 467.

rhet. (νεώτερος) 406.

ἸΤολύαινος 432. 439 n. 32.

TToAbßıoc 449.

ἸΤοςείδιππος 447.

Tloceibuivioc Αλεξανδρεύς 471.

Tloráuwv 432.

Μυτιληναῖος 482. 434 sq. 439 n. 32. 479.

Tiparívac 479.

Tfpoaipécioc 469. 476.

ἹΤρόκλος 407 sq. 476.

Tipuravópac 441. 452. 479.

Ππτολεμαῖος ᾿Αλεξανδρεύς (sicl.c.conrigas) 434. 435.

’Ackalwvirnc 443.

Ἐπιθέτης 457.

᾿Αλεξανδρεύς

Ἰπτολεμαῖος Κυθήριος 478.

Titvbapiuv 457.

TTudayöpac 480.

ἸΤωλίων ᾿Αλεξανδρεύς 434.

Ῥιανός 443. 458. 477.

Ῥίνθων 452.

Ῥοῦφος 4848q.440n.40. 462.

(αλούετιος med. 432. Cavvuplwv 413. 484. Canqu 428 et n. 21. (έλευκος Ἐμιςηνός 4088q. 409 n. 8. (ζῆμος 468. CiBu)iat 417 sq. 444. Cipóprioc 478. Ciupíac 409. . Cıuwviönc ᾿Αμοργῖνος 406. 419. 442. Κεῖος 427. 478. (κοπελιανός 488. 435. Cölwv 406. 477. (οφοκλῆς 477. 478. Crivdapoc 412. Crncixopoc 430. 449. 477. (τράβων 432. 449. Crpdrric com. 413. Cupiavóc 407 sq. Currarpoc com. 479. soph. 484. Cupavóc(T) 484.439 n.37. 440 n. 41. Cucífioc 458. Cwcideoc 461. Cucqgávnc 408. Cwradnc 478. Curnpíbac 410n. 10. 439.

TeAéctnc 484.

Tépravbpoc 443.

Τηλεκλείδης 482.

Τήλεφος 437.

Τιμαγένης 431. 434.

Tıuncldeoc 412.

Τιμόθεος lyr. 428 sq. et n. 228.

com. 477. 484.

Τιμοκλῆς 488.

Τιμοκρέων 408.

Tiuwv 454.

Τρύφων 458 et n. 48.460.

Tupavviuv ᾿Αμιςηνός 458.

Φοίνιξ 481. 484 sq. 461. 472.

Τυρταῖος 480.

Indices. 489

Ὑπατία 476. Φιλοκλῆς 412. 461. 477. Φρύνιχος com. 418.

Ὑπερείδης 406. Φιλόξενος lyr. 428. 478. Φύλαρχος 467. Φιλόχορος 407.

Φαβωρῖνος 461. 476. Φιλύλλιος 418. Χαιρήμων τὴν νὸς 448

Φαίδων 478. Φίλων Βύβλιος 488 et|" Per oue ᾿

Φερεκύδης ᾿Αθηναῖος 478. Ὡ. 38. ᾿

Cüpioc 480. Ἰουδαῖος 462. 475. Χιωνίδης 418. 461.

Φιλέταιρος 461. 488. Φιλωνίδης 418. X cávOto 469 5.

Φιλήμων 408. 475. Φλέγων 481. 486 n. 25; | ^P

Φιλιππίδης 408. Φοινικίδης 484. Ὠλὴν 451.

Φιλίεκος com. 413. Φόρμος 4183. Ὠρίων 468.

Φιλιςτίων 467. Φρύνιχος trag. 412. 479. | "Qpoc 460.

III. Index scriptorum et rerum.

Alexandrini grammatici, vide s. Callimachus.

Asclepiadis Myrleani περὶ γραμματικῶν opus 457 sqq.

Athenaei Deipnos. VI, 252c tractatur 419; VIII, 8866 item 484 sq. in fabulis citandis auctoritas 484 sq.

Callias de Sapphone et Alcaeo egit 428 n. 21. . m

Callimachi curae pinacographicae 420 n. 15 sq. Callimachi πίνακες libro- rum tabulas κατὰ crotyeiov ordinatas condidere 411 sq. 414 sq. 460. 463 sq. 467 sq., iidemque lyrioarum inprimis notationum iecerunt fundamentum 419. Callimachus in catalogis istis de vita quoque scriptorum pauca adnotasse videtur 419 sq. ,

operum tabula 460sqq., ex Asclepiadis opere περὶ γραμματικῶν pelita 465, singuli tituli qua ratione adornatı fuerint 462 sq., opera ipsa enarrata 465 sq.

Chamaeleon περὶ (ζαπφοῦς 428 n. 21.

Comoediae quae nuncupatur mediae fabulae quot fuisse videantur 484 n. 68.

Damophili φιλόβιβλος 437.

Demetrius Magnes περὶ ὁμωνύμων scripsit 470sqq. Volkmanni de huius auctoritate opinio redarguitur 471 sq. . Didymus qui dicitur musicus vix est auctor notationum apud Hesychium

lyricarum 419 et n. 14b. Dionysii Halic. rhetoris de Cadmi Aristegeque scriptis iudicium 417. Dionysius ἐν τοῖς χρονικοῖς 472 n. 58. . Dionysii Halic. iunioris musica historia ab Hesychio adhibita 410 sqq. Quos fontes Dionysius adierit 411 q., is de grammaticis vix egit 410 n. 10. Dionysius Phaselita 411 n. 11.

Ephori aetas 499 n. 92a.

Epigenis studia Orphica 416.

Eudociae Violarii fontes 494 etn. 17.

Eudocia 8. Θέογνις 425, s. Ἐπίχαρμος 425 n. 18. Περὶ εὑρημάτων notationes 480 sq.

Etym. Magm. s. ᾿Απάμεια 436 et n. 27.

Hadriani aevi biographi 485 5q. -

Heliconii xpovuc &mroun 468 sq.

Heraclidis Pontici in Thespidis tragoediis fraus 419 n. 12a.

Hermippi Berytii auctoritas 498. 484. 486 sqq. et n. 395—897. 477 sq. Hermippus Philonis Byblii assecla 436 n. 97. 488 n. 99.

Hermippus Berytius et Callimacheus inter semet distinguendi 486 n. 26. Hermippi Callimachei studia 468 n. 51.

490 A. Daub: Indices.

Herodianus et Philo Byblius 440 n. 42. Hesychii Milesii Onomatologus 404 sq., eius epitoma ab alio confecta 408 84.

Pseudo-Hesychianus libellus 414 n. 92.

Laert. Diog. VIII,8,1 p.419sq. Nietzschii de Laertii fontibus iudicium 470 sq. Lobonis Argivi suspecta fides 430 n. 38.

Luciani “βίων npäcıc’ 486.

Lysimachus Ocobu)petoc 420.

Ordo alphabeticus non servatus nisi in scriptis eiusdem generis recen- sendis 414. Oribasii schol. III 687 Daremb. tractatur 437. '

Pergamenorum hominum docta societas 417.

Peripatetici num Pindaro operam navarint 422 sq.

Philippi imperium ἐποχῆς vicibus fungitur 428 n. 228.

Philonis Byblii auctoritas 431 sqq., qua ratione is singulos scriptores disposuerit 435, eius aetas 437 n. 98, opera 438 et n. 80—31, libri περὶ κτήςεως x. τ. A. 488 8q., in medicorum vitis Hesychio adhibiti 4398q., opus περὶ πόλεων k. τ. λ. 440 sqq., cuius fragmenta in Stephani Byz. Ethnicis extant 441— 454, praeterea in Suidae biographicis 456 sq. Philo num περὶ ἰατρῶν seorsum egerit 488 n. 30, Rohdii de Philone Hesychioque opinio adumbrata 440 n. 48, quem δὰ modum scriptores apud Stephanum Byz. conmemorati ordinati fuisse vide- antur 454 sq., de Philonis fontibus 455 n. 45c.

Photii de Pamphila testimonium 411 n. 10.

Pindarus vide s. Peripatetici.

Procl. in Parmen. Cons. 5 p. 490.

Rufus Dionysii musicae historiae confecit epitomen 411. 418.

Sorani duo 439 et n. 37.

Stephanus Byzantius unde pendeat 440, de Niesii disputatione Stephaniana fertur iudicium 441 n. 44. Steph. Bys. 8. Μίλητος 429 sq. n. 292b, dein nonnullae aliae eiusdem glossae tractantur 454—465.

Apud Suidam qua ratione ὁμώνυμοι scriptores dispositi sint 407 nm. 6. Nonnullarum vocum usus Suidianus in fontibus eruendis nonnun- quam respiciendus (kal αὐτός vel καὶ οὗτος simil. 406 sq. 408. 471 aq., καὶ ταῦτα 461 sq., ἐμπαράθετος 408 8q., ἐπικά 423, sive ἐπικῶς 495 n. 18, seu ἐν μέτρῳ 453, καὶ --- καί 426 n. 19, μνημονεύειν 412, νῦν 456 n. 46, ὅς, δεπερ, ὅςτις 433 et n. 24, οὗτος nec non καί, δὲ καί fontem indicant 474 sqq., πράττειν sim. 418 n. 12b). Glossae ali- quot Suidae culpa confusae 409 sq. Glossae ab ipso Suida ex Athenaeo excerptae enumerantur 482 sqq.

Tabulae librorum alphabeticae e bibliothecarum catalogis petitae 411 sg. 464. 467. 485, eaeque tragoediarum 412, comoediarum 412 8q., epi- corum carminum 414 sqq. (tabula Nicandri 414 sq., Euphorionis 414), in his quae suspectae videntur 418, lyricorum 418 sqq., in quibus ex argumento dispositae 421 sqq. (tabula Pindari 422 sq. Theognidea 423 &qq.), ad litterarum ordinem recensitae 427 sq., alius disponendi rationis exempla 428 sq. 465, historicorum oratorumque librorum indices 467sq., tabulae a Philone Byblio repetendae 439 sq., ab ipsis auctoribus conpositae 460.

Theophrasti operum tabula Laertiana 463 n. 51. 464.

Theognidis carminum conlectionis aetas 426.

Theonis (Pappique) aetas 410 n. 9.

Timothei lyrici aetas 428 n. 22a.

DAS VERHÄLTNISS

DER

GRIECHISCHEN VASENBILDER

ZU DEN

GEDICHTEN DES EPISCHEN KYKLOS

H. LUCKENBACH.

Folgende Arbeit ging aus einer Preisaufgabe der philosophischen Facultäf der Kaiser-Wilhelms-Universität zu Strassburg hervor. Später habe ich dieselbe nach Rücksprache mit meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Adolf Michaelis, einer theilweisen Ueberarbeitung unterzogen; und kann ich nicht unterlassen, demselben.für die stete An- regung und Unterstützung meinen aufrichtigen Dank auszusprechen. Die fragmentarische Form, in der die Arbeit erscheint, liegt theils in der Natur der Aufgabe, theils hat sie ihren Grund in dem Bestreben, kurz zu sein und die Wiederholung von bereits anderweitig Gesagtem zu vermeiden.

Seitdem mit dem Anfange unseres Jahrhunderts und besonders seit den grossen Voloenter Funden das Studium der bemalten grie- chischen Vasen einen neuen Aufschwung nahm, tauchte mit der Deutung der Gemälde und ibrer Erklärung nach poetischen Quellen die Frage auf, ob dieselben uns nicht hie und da Handhaben zur Ergänzung vjeler lückenhafter literarischer Quellen bieten könnten. Besonders waren es die Gedichte des epischen Kyklos, für welche man in den Vasenbildern einen Ersatz zu finden glaubte; und in nicht geringem Masse hat Welcker in seinem Buche über den epi- schen Kyklos und anderweitig mit Hülfe der Vasenbilder die verloren gegangenen Epen zu reconstruiren versucht. Andere Gelehrte sind ihm gefolgt, und bis auf den heutigen Tag werden ähnliche Ver- suche vielfach angestellt; nicht immer mit Glück. Denn die Vor- arbeit, auf die eine solche Benutzung sich gründen sollte, d. h. eine Untersuchung über das Verhiültniss der Vasenbilder zu den Gedichten des epischen Kyklos ist bisher im Zusammenhange noch nicht unter- nommen worden. Und doch kann ein Schluss von Bildern aufs Epos erst dann gemacht werden, wenn dieses Verhältniss ins klare Licht gestellt ist. Daher kommt es denn, dass Welcker und andere zwar oft das Richtige erkennend, aber auch vielfach irrend in der Be- nutzung dieser bildlichen Quellen nur theilweise begründete Ansichten vorbrachten. Der angedeutete Mangel hat die folgende Untersuchung hervorgerufen. Es soll in methodischer Weise untersucht werden, wie weit sich eine Abhängigkeit vom Epos für die Vasenbilder er- weisen lässt, wie weit anderweitige Quellen anzunehmen sind, wie weit endlich selbständige Erfindung oder Willkür der Maler mit- gewirkt haben mag. Von den Gedichten des epischen Kyklos sind uns etwas genauer nur diejenigen bekannt, welche den troischen Sagenkreis behandelten, also ausser den beiden homerischen Ge- dichten die Kyprien, die Aithiopis, die kleine Ilias mit der Iliupersis des Lesches, die Iliupersis des Arktinos, die Nosten und endlich die Telegonie. Aber nicht alle diese Gedichte werden gleichen Raum zu beanspruchen haben. Vor der Ilias und den Kyprien werden die übrigen Epen mehr oder weniger rurückireten; die Nosten und die Telegonie werden vollends gar keine Berücksichtigung finden, da auf diese beiden Epen kein einziges Vasenbild mit Sicherheit zurück- geführt werden kann.

494 H. Luckenbach:

Für eine solche Untersuchung wie die vorliegende kann es aber nur eine richtige Methode geben. Aus denjenigen Vasenbildern, zu denen uns die Quellen noch vorliegen, müssen die Grundsätze für das Verfahren der Maler eruirt werden. Die Gedichte des Homer, die Ilias und Odyssee, und ihre Benutzung seitens der Vasenmaler müssen uus also den Massstab an die Hand geben, nach dem die Vasenbilder mit Scenen der übrigen Epen zu beurtheilen sind, und nach den dort erkannten Grundsätzen wird man mit Sicherheit auch diese, soweit es aus den Vasenbildern möglich ist, ergänzen können.

Zwei Gesichtspunkte sind es nun, die sich oftmals kreuzen werden. Wir fragen erstens, welches die Quellen der Vasenmaler waren und zweitens, wie weit sich dieselben an diese ihre Quellen banden, wie weit sie ihrer eigenen Schaffenslust freien Lauf gestatteten.

Es wird dabei zweckmässig sein, die Perioden der Vasenmalerei zu sondern und für jede die gleichen Fragen zu stellen. Drei Pe- rioden aber können für unseren Zweck nur in Betracht kommen, die archaische, die rothfigurige attische und die unteritalische oder malerische. Die Bildwerke dieser wenn auch noch so verschiedenen Epochen werden im Wesentlichen das gleiche Resultat ergeben. Bei einem Ueberblick nämlich über die gesammten Bildwerke ergibt sich als Beantwortung der Frage nach der Art der Abhängigkeit der Vasenbilder, dass nicht allein Malerei und Poesie sich oft in ihrem innersten Wesen unterscheiden, sondern auch dass die Malerei sich viel freier zu den Epen stellt, als bisher gewöhnlich angenommen wurde, dass die Poesie dem Künstler nur den Stoff bietet, den jener bisweilen in engem Anschluss an die Poesie, meist aber vollständig frei zu seiner Darstellung benutzte. Es lag meistens gar nicht in seiner Absicht, die Poesie möglichst getreu wiederzugeben; er wollte keine Illustrationen zu den Klassikern liefern, und ganz fern lag ihm darum auch jedes darauf gerichtete Studium. Was in seinem "Geiste lebte und webte, was er den Rhapsoden hatte vortragen hören, was er im Theater erblickt hatte, das zeichnete er hin, im Stoffe sich an die Poesie anlehnend, sonst aber nach seinem Belieben die Scene ausstattend. Er wählte den Moment und wählte die Art der Darstellung, hier auslassend, dort hinzufügend, wie es eben die Malerei verlangen mochte. Daneben steht der andere Gesichtspunkt, welches denn die Quellen des Vasenmalers waren, und darauf ergibt sich die kurze Antwort, dass in Bezug auf den troischen Sagenkreis Epos und Tragódie allein auf die Bildwerke der Vasen von Einfluss gewesen sind: das Epos für alle drei Perioden, die Tragódie erst seit dem Beginne der rothfigurigen Technik. Die Lyrik und die alexan- drinische Poesie sind ohne Einfluss auf die Mythengestaltung, soweit sie in den Vasenbildern vorliegt, geblieben; Lokalsagen treten nirgends hervor. Zur Begründung und näheren Fixirung der aufgestellten Behauptungen ist eine Rundschau wenigstens über die wichtigsten der in Frage stehenden Denkmäler unerlässlich.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 495

I. Vasenbilder, deren epische Quellen erhalten sind. A. 81. Archaische Vasen.

Von fundamentaler Bedeutung für die Frage, wie weit die

Vasenmaler sich dem Epos angeschlossen haben, sind die Leichenspiele des Patroklos auf der Francoisvase.!)

Wir schicken den Inhalt derselben nach der Ilias voraus und werden dann den Vergleich zwischen der Vase und Homer ziehen.

Zu Ehren des Patroklos veranstaltet Achilleus ein Wagenrennen (V 258). Von den Schiffen lässt er die Preise holen, die in den verschiedensten Gegenständen bestehen (259 f): νηῶν δ᾽ Expep’ ἄεθλα λέβητάς τε τρίποδάς Te | ἵππους θ᾽ ἡμιόνους TE βοῶν τ᾽ ἴφθιμα κάρηνα | ἠδὲ γυναῖκας ἐϊζώνους πολιόν τε ciönpov. Fünf Preise setzt er aus; worin jeder bestand, wird in den folgenden Versen erwähnt (262 270). Fünf Achäer betheiligen sich am Kampfe. Diomedes erringt den ersten Preis; ihm folgen Antilochus, Menelaos, Meriones und endlich Eumelos (499 ff). Nicht in wenigen Worten wird das Rennen geschildert, sondern ausführlich beschrieben. Wie Meriones stürzt, Antilochos den Menelaos in jugendlichem Ueber- muthe zu überholen weiss, wie der ztürnende Menelaos sich mit ihm aussöhnt, das wird alles lebendig und mit reichen, individuellen Zügen, die sich leicht einprägen, vor Augen geführt.

Gänzlich abweichend ist die Darstellung auf der Vase. Vor dem Pfeiler, der im Wettlaufe umfahren werden musste, sprengt Hippo[med?]on?) als letzter der fünf Helden, die sich am Wett- kampfe betheiligen, auf dem Viergespanne einher neben einem Kessel vorbei, der als Siegespreis am Boden steht. Ihm voraus Damasippus; auch unter seinen Rossen ein Siegespreis, ein Dreifuss. Beide hat Diomedes überholt; diesem voran Automedon, dessen Wagen und Rosse jetzt günzlich zerstórt sind. Ebenso sind von des Odysseus Wagen nur die Pferdeköpfe erhalten. Ob unter den Gespannen der drei vordersten Helden Preise gemalt waren, lässt sich wegen der Zerstórung der Vase zwar nicht mehr erkennen, darf indessen an- genommen werden. Achilleus empfängt den Sieger, einen Stab in der Linken haltend; hinter ihm steht ein Dreifuss.

Wie in der Ilias sind es auch hier fünf Wettfahrer; Dreifüsse und Kessel werden auch dort als, Preise angegeben (V 259. 264. 267); ebenso finden wir den Diomedes im Epos wie im Vasenbilde. Dagegen zeigt sich in den übrigen Namen die grösste Abweichung. Automedon und Odysseus, beide sonst aus dem Epos rühmlichst

ἢ) Zuletzt ausführlich besprochen von Weizsäcker Rhein. Mus. 1877, p. 32—67; 1878. p. 364—399. Abgebildet mon. IV, 64—58. Arch. Zeit. 1850, Taf. 23. 24. Conze, Vorlegebl. II, 1—5. So ergänzt Heyde- mann, Mittheil. aus ital. Antikens. p. 84.

406 H. Luckenbach:

bekannt, nehmen hier theil; Damasippos und Hippomedon sind dem Epos ganz fremde Namen. Woher diese Abweichungen? folgte der Künstler hier einer anderen Quelle oder hat er aus reiner Willkür die Sache absichtlich entstellt? Keins von beiden trifft zu. Einzig und allein ist die Verschiedenheit durch die mangelhafte Erinnerung an die Einzelheiten der Ilias hervorgerufen. Dass Achilleus Leichen- spiele veranstaltete, wusste der Ktinstler sehr wohl; die Namen der einzelnen Personen, die am Wettrennen theilnahmen, waren ihm nicht erinnerlich. Er wählte also beliebig aus unter den Helden der Ilias. Möglich, dass Diomedes im Anschluss an die Poesie hier seinen Platz gefunden, obwohl er ja derselben zufolge an der Spitze fahren. müsste. Ihm gesellte der Maler den Odysseus zu, der so oft in Kunst und Poesie mit ihm zusammengestellt wird, und den Auto- medon, der als Wagenlenker des Achilleus bekannt war. Die Namen Damasippos und Hippomedon nahm er aus der reichen Fülle der Namen, die sich darboten. Recht gut hat er gefühlt, dass sie eigentlich nicht in die Darstellung passen; als vierten und fünften lüsst er sie den homerischen Helden folgen. Ihre mit ἵππος zu- sammengesetzten Namen waren besonders passend für die Rosse- lenker. Es ist eine zu bekannte Thatsache, dass die Maler gern nach einer charakteristischen Function ihre Personen benennen, als dass hier weitläuftig darauf zurückzukommen nóthig wäre.!) Dass aber grade in mythischen Scenen mit besonderer Vorliebe mit ἵππος zusammengesetzte Namen?) gewühlt werden, ist noch nicht gebührend hervorgehoben. So unterstützt im Kampf um Patroklos’ Leiche der Troer Hippasos den Aineias (Overb. XVIII, 3 attisch). In der korinthischen Vase annal. 1862 tav. B hat Hippokles den Aineias in den Kampf begleitet (vgl. unten p. 537). Auf der gleichfalls korinthischen Vase mon. X, 4, 5 heisst ein Stallknecht des Amphia- raos Hippotion?), und in einer anderen Darstellung desselben Ge- füsses ist unter den Helden, welche sich an den Leichenspielen des Pelias betheiligen, auch Hippasos, dem freilich Robert, annal. 1874 p. 96 heroische Bedeutung als dem Vater des Argonauten Aktor beilegen mochte, wie ich nach obigen Analogien glaube mit Unrecht. Denn abgesehen davon, dass dieser Hippasos doch wenig bekannt sein möchte, ist es auffällig, dass er grade als der letzte führt. Der Künstler hat nümlich diese geschaffenen Helden in den Hintergrund gestellt d. h. sie dann angewandt, wenn ihm die bekannteren Namen

!) Vgl. Jahn, Münchener Vasen p. CXVII ff. Heydemann, com- mentat. in hon. Mommseni p. 164. 7") Wie beliebt derartige Namen waren, zeigt Aristophanes in den Wolken v. 63f. (Pheidippides). Nach Fick, griech. Personennamen p. VIII gibt es nicht weniger als 122 Namen, die auf -ἰππος auslauten; in 40 Namen bildet ἵππ- den ersten Bestandtheil der Zusammensetzung p. 179. Dazu kommen noch mehrere Kosenamen p. 116 f. °) Beiläufig bemerkt halte ich auch den Hali- medes nicht für eine in der Sage begründete Person; schon die Zu- sammensetzung des Namens lässt dies vermuthen.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 491

ausgegangen waren. In einer dritten korinthischen Vase (mon. 1855 tav. 20. Conze, Vorlegebl. ΠῚ, 1) befindet sich neben dem Wagen des Hektor ein Hippomachos, wie ich mit Jahn!) fest über- zeugt bin, nicht der Ilias M 189 erwähnte Troer, sondern vielmehr ein vom Maler geschaffener Held. Ohne heroische Bedeutung bleibt auch Echippos auf der chalkidischen Vase Overb. XXIII, 1, den schon Overbeck p. 581, 84 einen Vertreter der troischen Menge nennt. Charakteristisch ist es wieder, dass Echippos hinter Glaukos, Paris, Aineias und Leodokos als letzter den Kampf abschliesst. In korin- thischen, chalkidischen und älteren attischen Vasen finden wir diese besondere Namengebung der Maler. :

In allen Personen auf unserer Vase sind demnach Abweichungen vom Epos, und jeder etwaige Rückschluss wäre verkehrt. Freilich wenn der Vasenmaler keine Namen beigeschrieben hätte, dann würde wohl nie ein Zweifel die Seele des Interpreten beschlichen haben, ob denn auch wirklich die fünf Helden grade die der Ilias seien, und ob der Maler auch ganz genau Bescheid gewusst hätte. Auf diesem Principe beruht auch heute noch die Vorliebe, mit der man Figuren der Vasenbilder zu benennen pflegt. Bei so manchen Personen, für die man Namen aus den Epen gewählt hat, sind dieselben nicht mehr berechtigt, als wenn wir in unserem Bilde trotz der Inschriften die homerischen Helden in den Wagenlenkern sehen würden. Ge- wiss würde dem Maler wenig darauf angekommen sein, etwa statt des Automedon den Aias oder irgend einen andern Helden hinzu- malen; aber grade weil er kein Gewicht auf die Namen der einzelnen legte, zum grossen Theil deshalb, weil er die homerischen Namen nicht im Gedächtnisse hatte, dürfen wir nicht immer mit Namen so freigebig sein. Eine ganz andere Frage ist es, ob wir nicht vielleicht an sich passend und in Uebereinstimmung mit Homer diesem oder jenem Manne einen Namen geben können, und ob der Maler auch selbst diesen hat darstellen wollen. Hier bei diesem Wettrennen kam wenig darauf an, wer denn eigentlich sich betheiligte, und des- halb verfuhr der Maler wie es ihm gut schien, wie es ihm der Augenblick eingab.

Bei diesen Abweichungen wird es fraglich, ob die Ueber- einstimmungen nicht auch nur auf dem Zufall beruhen, und das ist ganz gewiss der Fall. Von Diomedes war schon oben die Rede. Uebereinstimmend ist ferner die Zahl der Wagenlenker: allein wenn der Künstler sich nicht um die Namen ktimmerte oder dieselben nicht kannte, dann war die Zahl ihm erst recht gleichgültig. Hätte es ihm der Raum gestattet, er würde wohl auch 6 oder 7 Gespanne gemalt haben. Wenn endlich Kessel und Dreifüsse als Siegespreise aufgestellt sind, so ist auch hier keine oder nur eine ganz allgemeine

1) A. O. p. CXIX, 871. Namen auf - μαχος gleichfalls sehr beliebt Jahn p. CXIX f, 871. 880. 881.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XL 93

498 H. Luckenbach:

homerische Erinnerung anzunehmen; der Künstler malte Kessel und Dreifüsse und zwar unter den Pferden, weil ihm diese Gegenstände, die übrigens von Homer so häufig genannt werden, passend schienen und er sie aus eigenen Erlebnissen als Siegespreise kannte.!)

Durch diese Vase werden wir zur üussersten Vorsicht bei der Ergänzung der Epen aus den Vasenbildern gemahnt: nur die nackte Thatsache würden wir erschliessen können, dass Achilleus einmal Spiele veranstaltet hat.

Eine letzte Betrachtung erheischen die Viergespanne. Bei Homer findet das Wettfahren auf Zweigespannen statt (V 362. 403), wie denn überhaupt das Viergespann nicht im Gebrauche ist. Selbst Eos erscheint in der Odyssee mit 2 Rossen 246). Nur ein Vers bildet eine Ausnahme 185), der deshalb von Aristarch für un- echt erklärt wurde. Unbekannt freilich sind dem Homer die Vier- gespanne nicht; wie A 699 und v 81 bestätigen, waren dieselben schon sehr frühe bei Kampf- und Leichenspielen üblich.?) Wenn aber trotzdem dass die homerischen Krieger sich immer des Zwei- gespannes bedienen, die Vasenmaler abweichen, 80 liegt hierin wieder der Einfluss der Zeit. In Olympia begann, wie wir aus Pausanias wissen (V, 8, 7. 10), Ol. 25 das Wagenrennen mit vier Pferden; dagegen erst Ol. 93 mit zwei Pferden. Von Korinth, dem Haupt der älteren Vasenmalerei, liegen, so viel ich weiss, ähnliche Ueber- lieferungen nicht vor; aber voraussetzen dürfen wir, dass die isthmi- schen Spiele wesentlich eine Nachahmung der olympischen waren, und dass hier wie dort das Viergespann in der älteren Zeit üblich war. Bestätigt wird dies durch Pindar, der den Herodot wegen seines Sieges mit dem Viergespann in den isthmischen Spielen ver- herrlicht (I. 1, 12). Wie sehr die Vasenmalerei dadurch beeinflusst wurde, zeigt die einfache Thatsache, dass im Kataloge der Peters- burger Sammlung 61 Vasen Viergespanne aufweisen, während diesen nur die geringe Zahl von 8 Zweigespannen gegenübersteht. Dazu bezieht sich keins dieser 8 Vasenbilder auf mythische Gegenstände. Nur wo die Zweizalıl der Rosse charakteristisch ist, wird dieselbe beibehalten, wie bei den Rossen des Rhesos Overb. XVII, 5.°)

Ohne Bedenken haben wir als Quelle des Vasenbildes die Ilias angesehen. Andere haben an den Einfluss jüngerer Poesie gedacht. Overbeck (p. XIII Anm. 4) hält es für wahrscheinlich, dass der Bilderreichthum der Frangoisvase lyrische Grundlage habe, und Bergk*) lässt es unentschieden, ob wir die Abweichungen der freien

!) Vgl. z. B. Pindar I. 1, 16 ff: iv τ᾿ ἀέθλοιει θίγον πλείςτων ἀγιύνων καὶ τριπόδεςςειν ἐκόςμηςαν δόμον καὶ λεβήτεςειν φιάλαιςί TE χρυςοῦ. 2) Vgl. Buchholz hom. Realien I, 2, p. 176 ff. *) Overb. == Over- beck, Bildwerke zum Thebischen und Troischen Heldenkreis. *) Griecb. itg. p. 485.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 499

Erfindung des Zeichners oder der Einwirkung jüngerer Poesie, welche die Homerische Erzählung umgestaltet hätte, zuschreiben sollen. Allein ist es denkbar, dass andere Poesie die Darstellung des Homer ohne jeglichen Grund in dieser Weise umgeändert haben sollte? Hat es auch nur einen Schein von Wahrscheinlichkeit für sich, dass ein anderer Dichter solche blasse Schemen wie den Damasippos und Hippomedon mitfahren liess? Die Annahme einer anderen Quelle gründet sich eben auf die Voraussetzung, dass der Maler sich enge an eine poetische Quelle anschloss. Von diesem Grundsatze aber ausgehend würden wir für die meisten Bildwerke eine uns unbe- kannte Quelle constatiren müssen. Grade bei Personen, deren Function nicht charakteristisch ist, treten oftmals dergleichen Ab- weichungen ein. In einer gleichfalls sehr alten Vase (Gerhard, etr. u. kamp. Vas. Taf. 13) holen ausser Menelaos Odysseus und Mene- stheus den Achilleus aus der Heimath ab. In einem anderen Bilde (Overb. XVIII, 3) kämpfen ausser Aias und Hektor auch Diomedes und Hippasos um den todten Patroklos. Eigenthümlich wäre es, wenn in diesen wie in so manchen anderen Bildern grade jüngere Quellen, nicht aber Homer und Stasinos zu Grunde liegen sollten. Allein es ist unstatthaft, an eine andere Quelle zu denken; nur muss man das Wort Quelle richtig auffassen. Woher der Maler die Sage kannte, kónnen wir gar nicht wissen; im Volksmunde lebten die homerischen Erzühlungen fori; von Jugend auf war jeder in diesen Sagen wohl bewandert. Ob der Maler den Homer einmal selbst ge- lesen, darf billig bezweifelt werden; ob er einen Rhapsoden die Er- zählung hatte vortragen hören, ob er dadurch zur Darstellung an- geregt wurde, oder ob nur die allgemeine Kenntniss der Sage, die er von Jugend auf hatte, ihn zur Darstellung bewog, ist schwer zu sagen und im Grunde auch gleichgültig. Aber die Sage, die im Volke lebte, wurde genährt und gestärkt durch die schriftlichen Aufzeichnungen. Wenn die Árgonautensage so wenig von den älteren Vasenmalern beachtet worden ist, so haben wir den Grund im Fehlen einer schriftlichen Tradition zu suchen. Es gab eben keine poetische Leistung, die die Thaten der Argonauten besang und die im Volke Wurzel geschlagen hätte, und jüngere Dichter, etwa die Lyriker, haben es nicht verstanden, das Volk in gleicher Weise wie die Epiker zu fesseln. Unbedenklich also werden wir als Quelle des Vasenbildes den Homer ansehen dürfen.

Von nicht geringerer Bedeutung für das Verhältniss der archai- schen Vasen zum Epos sind die Darstellungen, welche uns die

Schleifung des Hektor

vorführen. Bei ihnen müssen wir zum Theil deswegen länger ver- weilen, um eine verfehlte Auffassung Overbecks zurückzuweisen und auf die frühere Deutung zurückzugreifen. Auch hier stellen wir die homerische Schilderung voran. Hektor 82*

500 H. Luckenbach:

ist den Waffen seines Gegners erlegen. Dieser nimmt ihm die Rüstung (X 368); durchbohrt an den Füssen die Stelle zwischen Knöchel und Ferse und bindet den Hektor an den Wagensessel. Er besteigt darauf den Wagen, schwingt die Geissel, und rasch fliegen die Rosse von der Stadt zu den Schiffen hin. Eine zweite Schleifung nimmt Overbeck im Anfang des 23. Buches an, obwohl daselbst nur erwähnt wird, dass die Myrmidonen dreimal um den Leichnam des Patroklos ihre Rosse lenkten (Y 13). Es folgt die Bestattung des Patroklos. Am folgenden Morgen, sobald Eos mit ihren röthlichen Strahlen die Erde erleuchtete, springt Achilleus vom Lager, schirrt die Rosse an, befestigt den Hektor an den Wagensessel und zieht ihn dreimal um das Grab des verstorbenen Freundes. Dann geht er ins Zelt, um zu ruhen; den Hektor lässt er liegen, mit dem Antlitz in den Staub gestreckt (Q 12—17). Des Wagenlenkers Automedon wird an keiner StelleErwähnung gethan. X 400 heisst es von Achilleus μάςτιξέν ῥ᾽ ἐλάαν. Im letzten Buche schirrt er selbst die Rosse an.

Folgende archaische Vasenbilder führen uns die Schleifung des Hektor vor!):

A Overb. 456, 110 XIX, 6. Neapel 2746. 114. Br. M. 553.

» 118. Gerhard AV. III, 198, 2. 111. bull. 1841 p. 134.

109 XIX, 7.

108. Rochette, mon. indd. 18, 1. » 112. München 407.

117 XIX, 8.

I Petersburg 165.

Alle diese Vasen zeigen gewisse Aehnlichkeiten, tragen dasselbe typische Gepräge, gehen mithin im Grunde auf ein Original zurück. Denn in fast allen?) ist das weisse ovale Grabmal des Patroklos dargestellt; nur in I fehlt es. An demselben ist meist eine Schlange als Grabessymbol angebracht (so in ABCDH). Auch schwebt meistens das kleine gerüstete εἴδωλον des Patroklos um das Grabmal, geflügelt in ACE, ungeflügelt in FGH, auf letzterer Vase durch Namensbeischrift bezeichnet. Um das Grabmal des Patroklos also wird der Leichnam des Hektor gezogen, mithin kann nur jene letzte Schleifung im 24. Buche gemeint sein. Nur I könnte wegen des Fehlens des Grabmales eine Ausnahme bilden, und für diese Vase muss man denn auch lieber davon absehen, an eine bestimmte Schleifung zn denken. Aber auch betreffs der tibrigen hält Overbeck dafür, dass sie alle drei Schleifungen verbinden und vermengen

Hi c2 "di UOtU

!) Einige weitere Vasenbilder bleiben als zu wenig bekannt hier ausgeschlossen: Overb. 118. u. Overb. 115. *) Auch in A, wie Heyde- mann ausdrücklich versichert.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 501

(p. 454. 459, 118), ohne jedoch stichhaltige Beweise erbracht zu haben. Die einzelnen Punkte werden jeder an seinem Orte zur Sprache kommen.

Die genannten Vasenbilder zerfallen deutlich in zwei Gruppen: in A—F führt das Viergespann des Achilleus rasch um das Grab- mal, in G— I hält das Gespann an. Aus der ersten Gruppe zeigen À E auffallende Uebereinstimmung. Das Gespann lenkt ein Wagen- lenker im langen Gewande, das wenigstens in AB von weisser Farbe ist. Es kann dies nicht, wie Overbeck meint, Achilleus sein, da dieser als Krieger und nicht als Wagenlenker sein Gespann führen würde, sondern nur Automedon.!) Aber Achilleus muss ebenfalls zugegen sein, er darf schlechterdings nicht fehlen. Nun läuft aber in allen diesen Bildern neben dem Gespann ein gerüsteter Krieger eilenden Laufes einher.) Für ihn ergibt sich nothwendig der Name Achilleus, der also vom Wagen gesprungen ist und zu Fuss neben demselben herläuft. Dass derselbe in C nicht nach derselben Richtung eilt, sondern demselben entgegen, darf uns keine Schwierigkeit machen, besonders da in diesem Bilde auch das Eidolon des Patroklos dem Wagen entgegenfliegt, und der Vasenmaler sich auch sonst eine grobe Nachlässigkeit hat zu Schulden kommen lassen, indem er den Leichnam des Hektor zu malen unterlassen hat.

Befremdend ist für uns vor allem, wenn wir die Vasenbilder mit ihrer Quelle vergleichen, der neben dem Wagen laufende Achilleus. Auch Automedon, der Wagenlenker, wird in der Ilias nicht erwähnt. Indess ergab sich letztere Abweichung leicht, da gern zum Wagen der hinzugefügt wird, dessen Amt es ist, denselben zu leiten. Dass Achilleus aber, der schnellfüssige, abgestiegen ist und nebenher läuft, das erhöhte ohne Zweifel die Lebhaftigkeit der Darstellung, ein An- halt aber für diese Abweichung ist im Homer nicht gegeben; sie lässt sich, wie mich Herr Prof. Michaelis erinnert, vielleicht auf eine Sitte der Zeit beziehen, nach der man beim Wettfahren den Wagen eine Zeit lang verliess, neben demselben herlief, um dann wieder hinauf zu springen.°) Zugleich sehen wir, dass es gar nicht in der Absicht des Malers lag, sich enge an den Dichter anzuschliessen; er sah einzig darauf, wie er sein Werk am besten ausstattete.

In E ist unter dem sprengenden Viergespann ein gerüsteter Krieger niedergesunken. Overbeck spricht sich p. 455 mit Hecht gegen die Deutung auf einen der gefangenen und geopferten Troer aus und erklärt ihn vielmehr für einen, der im Kampfe niedergeworfen ist. Dieser Krieger ist für ihn ein Beweis, dass die erste Schleifung von

Wenn auf der Francoisvase sowie bei den Leichenspielen des Pelias (mon. X, 4. 5) die bekannten Helden in langem Gewande sind, so ist dies eben bedingt durch die Leichenspiele. *) Auch in B “Achilles is running by the side of the quadriga? (anders Overbeck). -- Vgl. Pauly Realencycl. s. v. deswitor. Michaelis, Parthenon p. 324.

502 H. Luckenbach:

der Stadt bis zu den Schiffen über das Schlachtfeld hm mit der dritten Schleifung verbunden sei. Allein mag man den Gefallenen immerhin einen gesunkenen Troer nennen, so erscheint doch die An- nahme Overbecks unnöthig. Hier bei der Umfahrt um das Grab diente der Krieger dazu, die Scene noch grausiger zu machen. Er ist lediglich eine von den Figuren, die wir recht gut entbehren können und die oft nur zur Raumausfüllung verwandt werden. Schwerlich hat der Maler selbst mit dieser Figur etwas Bestimmtes ausdrücken wollen.

In F steht Achilleus neben dem Lenker auf dem Wagen und führt um das Grabmal herum. Am Gespanne vorüber neben den Pferden eilt ein gerüsteter Krieger (so wie in C); ein zweiter be- findet sich vor den Rossen und scheint im Begriffe zusammenzusinken. Diese beiden dienen Overbeck wieder als Stütze seiner Hypothese. Er erkennt in ihnen Vertreter der tiber das Schlachtfeld hineilenden Sieger und Besiegten. Wozu aber, könnten wir fragen, brauchten die Sieger so im Sturme dahinzueilen? und die Besiegten, die noch unverwundet waren, eilten zu jener Zeit nicht tiber das Schlachtfeld hin, sondern hatten sich schon vor Hektors Tode in die Stadt ge- flüchtet. Für den einen stelle ich als eigene Vermuthung auf, dass der Maler eine jener früheren Scenen vor Augen hatte, die wir als die älteren Compositionen in Anspruch nehmen dürfen. Den neben dem Wagen einher oder auch demselben entgegenlaufenden Achilleus verstand er nicht und deshalb fügte er, ohne etwas zu ändern, einen zweiten Achill&us zum Automedon. So erklärt sich auch am besten, dass Achilleus und sein Wagenlenker beide auf dem Wagen stehen, obwohl es ohne Zweifel passender gewesen wäre, den Achilleus allein als den Treiber der Rosse darzustellen. Die sinkende Figur aber vor den Rossen werden wir auf gleiche Weise erklären, wie den gefallenen Troer in E. Wie geringes Gewicht auf dieselbe zu legen ist, zeigt auch schon die ganze flüchtige Art des Vasenbildes.

Die folgenden Bilder GHI zeigen den Moment der Ruhe. Die Rosse werden vom Wagenlenker angehalten. Achilleus steht neben dem Leichnam und sieht auf denselben herab. Man kónnte die drei- malige Umfahrt um das Grabmal als vollendet ansehen und an einen folgenden Moment denken, in dem Achilleus den Feind betrachtet, dessen Körper Apollon gegen alle Verletzungen geschützt hat (€2 18 8... Allein dagegen spricht in H bestimmt der vor den Pferden stehende Odysseus, dessen Stellung auf einen bevorstehenden Aufbruch weist: Hektor ist bereits angebunden, Achilleus rüstet sich zum Laufe. Auf dieselbe Auffassung aber führt doch auch wohl die Gegenwart der Iris in G, welche hier wie bei anderen Abfahrtsscenen hinzu- gefügt ist.") In I endlich hebt Achilleus eben mit der Rechten als

Vgl. vor allem Overb. XVIII, 2 (weiter unten p. 547 besprochen). Denkbar wäre es freilich, dass Iris, die in G auf den Wagen zueilt, als

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 503

letztes Stück der Rüstung den Schild empor, ein deutliches Zeichen, dass die Umfahrt um das Grabmal noch nicht begonnen hat.

In H steht neben den Rossen ein geflügelter Kriegsdämon, ge- wiss ganz passend vom Maler hinzugefügt.!) Vor den Pferden steht wie bereits bemerkt Odysseus, den Overbeck einen Vertreter des Heeres nennt. Er ist wohl nur eine Füllfigur, nach Analogie so vieler Abfahrtsscenen hinzugefügt, und statt des Namens Odysseus könnte er ebensowohl einen anderen Namen tragen. Den passend. sten Vergleich bezüglich seiner Gegenwart bietet Overb. 637, 125 XXVI, 16. Aias dringt auf Kassandra ein, zu deren Schutze Athena bereit steht. Hinter Áias steht eine Frau, Polyxena, und ein Knabe, Antilochos; hinter Athena wendet sich ein Troer die Hände vor Schreck auf dem Bauche zusammenballend?) ab; ihm ist der be- zeichnende Name ζκαμανδρόφιλος beigeschrieben. Wenn seine Ge- genwart ganz passend erscheint, so sind um 80 eigenthümlicher Polyxena und der kleine Antilochos. Die Erklärung ist einfach: der Künstler fügte, um den Raum zu füllen, mehrere Personen hinzu, die er zu individualisiren wünschte. Wenn er nun dem Weibe den Namen Polyxena, dem Knaben den Namen Antilochos gab, so hätte er ebensowohl irgend welche andere Benennungen wählen können, diese fielen ihm zuerst ein, und deshalb setzte er sie hinzu. Der- gleichen bedeutungslose Personen finden sich oft, und man sollte nicht immer versuchen, ihnen bestimmte Namen beizulegen. So umgeben Overb. XXVII, 8 zwei Frauen ganz symmetrisch den Aineias, der den Anchises trägt, indess der kleine Sohn vorausläuft. In Stellung und Geberde zeigen sie an, dass sie müssige Zuschauerinnen und nicht handelnde Personen sind, und ich kann mich nicht ent- schliessen, in ihnen Aphrodite und Kreusa (Eurydike) zu erkennen, Wenn Aias den Achilleus davonträgt, so pflegt man die Frauen, welche zugegen sind, Briseis, Thetis oder gar Tekmessa zu benennen, meist wie mir scheint mit Unrecht. Man denke ferner an die sog. Mantelfiguren, welche wie bei Overb. XXVI, 2 die Hauptgruppe ein- rahmen. Ihre Bedeutungslosigkeit wird schlagend erwiesen durch die von Welcker alte Denkm. V p. 235 erwühnte Vase, in welcher

Gótterbotin dem Achilleus den Befehl zur Auslieferung des Leichnams überbringt, während in der Ilias Zeus durch Iris die Thetis zu sich rufen lässt, damit diese dem Sohne den Willen der Götter kund thue. Eine bestimmte Ablehnung einer solchen Deutung wage ich nicht, da die Ab- bildung fehlt. Vgl. den Kriegsdämon in der sfgn. Vase Gerhard, AV. 11, 117. 118, 3. Eine Inschrift ın unserer Vase, die über dem Dämon steht, wurde bisher als Kóvicoc gelesen, was so viel wie Staubaufwirbler heissen sollte. Indessen ist Kóvicoc schwerlich eine griechische Wort- bildung, auch ist das c in der Mitte ganz unsicher, und der Name kann ebensogut der des Wagenlenkers sein. Etwa Kov(Aoc? oder ein Name auf -ınnoc? (vgl. Kpövinmoc). Zu diesem Motiv vgl. Arch. Zeit. 1876 Taf. 15. mon. VIII, 41

δ04 H. Luckenbach:

zwei Mantelfiguren einen Widder umgeben, unter dem ein Genosae des Odysseus angebunden ist.

Den Odysseus in H hat sein Hund begleitet, ein gemüthlicher Zug, der für die ältere Zeit sehr charakteristisch ist. Freilich will man eine solche Zuthat bald auf diese bald auf jene Weise erklären. Bei der Flucht des Troilos soll der Hund ein Zeichen der Schnellig- keit sein, mit der die Flucht vor sich geht; meines Erachtens ist eine solche Annahme unbegründet, und es liegt nur ein genrehaftes Behagen an einem der Wirklichkeit entlehnten belebenden Zuge vor.

In I steht halbverdeckt von den Pferden eine Frau die Rechte erhebend. Für dieselbe schlägt Stephani den Namen Hekabe oder Andromache vor; allein es ist nicht recht einzusehen, wie der Künstler dazu gekommen sein sollte, hier eine von diesen Troerinnen darzu- stellen. Eher könnte man an Thetis denken, oder an Briseis, die nach Homer am heftigsten unter den Frauen den Patroklos beklagt (T 282 ff.). Weitaus das Wahrscheinlichste ist aber, dass der Künstler gar keine bestimmte Person darzustellen beabsichtigte, und deshalb sollen auch wir mit einer Benennung zurückhalten.

Auch ist es nicht zufällig, dass dergleichen entbehrliche Zusätze besonders in der archaischen Malerei der Attiker sich vorfinden. In einem trefflichen Aufsatze hat Löschke Arch. Zeit. 1876 p. 108 ft. dargethan, dass die Malerei der Attiker vor der Annahme der rfgn. Technik eine wesentlich nachahmende war. Peloponnesische Typen lagen zu Grunde, und diesen gegentiber verloren viele attische Maler ihre Selbstündigkeit. Sie copirten, ohne Neues zu schaffen, zeichneten vielfach ohne Verstündniss. In ihren Bildern zeigt sich oftmals der Mangel der Originalität und ein Mangel an Frische; und damit hängt es zusammen, dass sie Figuren zusetzten, die eigentlich nicht in die Darstellung passten. Dahin gehört der Mann, welcher in E unter den Rossen liegt, der niedersinkende Krieger in C, Odysseus mit seinem Hunde in H und wohl auch die Frau in I. Die Beispiele würden sich leicht mehren lassen; aber schon diese werden genügen, um ein so häufiges Verfahren der älteren attischen Vasenmaler hin- länglich zu charakterisiren. Treffend sagt Welcker alte Denkm. III p. 17 mit Bezug hierauf: “Von den Personen, die nach der mythi- schen Tradition oder dem poetischen Zusammenhange und den alten einfachen und treuherzigen Vorbildern aufgefasst sind und der reinen Darstellung angehóren, sind nach und nach andere unbestimmtere, bedeutungslose aus malerischer und decorativer Absicht hervor- gegangen, die nur der Mannichfaltigkeit, den Contrasten, Symmetrien, der blossen Erweiterung dienen, zu unterscheiden'.

Einen kurzen Blick sei es zum Schlusse gestattet auf zwei unteritalische Vasen zu werfen, deren nähere Besprechung ich mir für einen anderen Ort vorbehalte. In der einen!) ist Hektor mit

Neapel 3254. mon. IX, 32. 33, annal. 1871 p. 182.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 505

den Füssen an den Wagen gefesselt, auf dem der Lenker steht, welcher hier schon deswegen unentbehrlich war, weil Achilleus selbst dem Patroklos das Todtenopfer bringt. In der andern Vase!) ist der homerische Hügel (V 255) der neuen Sitte gemäss als Grab- tempel gezeichnet. In einem nackten Jünglinge erkennen wir das Eidolon des Patroklos. Indess Frauen dem Todten spenden, fährt Achilleus mit dem todten Hektor selbst um das Grabmal herum. Den wesentlichen Inhalt des Homer hat also der Künstler wieder- gegeben, aber so, dass er in der Darstellung seinen eigenen Ideen folgte und die Scene nach seinem Geschmacke erweiterte.

Ueberblicken wir noch einmal die Heihe der archaischen Bild- werke, so ergibt sich uns eine durchaus freie Kunstübung auf Grund- lage des Epos. Die Schlange am Grabmale, das Eidolon des Patroklps, die Anwesenheit des Dümons, des Odysseus und des Hundes (H), der Iris (G), des Weibes (I), des sinkenden oder gefallenen Kriegers (EF) und des Wagenlenkers, der mitlaufende Achill: alles dies sind Züge, die dem Epos eigentlich ganz fremd sind, ohne dass es uns jedoch gestattet würe, an eine andere Quelle zu denken. Das Ver- hültniss der archaischen Vasen zu den Gedichten des epischen Kyklos ist durch diese Bilder, wie auch durch die Frangoisvase hinlänglich klargestellt. Die noch folgenden Vasen werden die gewonnenen Resultate nur bestätigen können.

Die Flucht vor Polyphem. Annal. 1876 (av. R, 2 p. 350 ff.

Während in der Odyssee 1 463 ff. nach der glücklich bewerk- stelligten Flucht aus der Höhle Odysseus mit seinen Genossen die Schafe auf die Schiffe treibt und erst nach der Abfahrt dem Kyklopen hóhnend zuruft, der erbittert ihnen noch einmal gefährlich werden sollte, ist im Bilde nur das Allgemeine der Situation festgehalten: der unter dem Widder angebundene Grieche wird von dem Kyklopen verfolgt. Die beiden in der Poesie zeitlich getrennten Momente, die Flucht und die Verfolgung, sind hier in einen zusammengezogen.

In noch naiverer Weise als hier zeigt sich die Verschmelzung mehrerer Momente mehrmals bei der

Blendung des Polyphem.

Overb. 760, 10 XXXI, 4 hat Polyphem in den Hünden die Beine eines seiner Opfer, während ihm schon das Auge ausgebohrt wird. Zugleich hält der erste von denen, die das Rachewerk beginnen, dem Polyphem humoristisch genug den Becher vor. In der Odyssee reicht Odysseus ihm den Becher; Overbeck glaubt, dass dies ebenso im Bilde der Fall sei. Allein von den vier Personen, welche die That verüben, sind drei bartlos, der letzte, bürtige ist auch noch

!) Overb. 457, 116, Neapel 3238.

506 Ἢ. Luckenbach: ᾿ MEE

durch seine Kopfbedeckung vor den übrigen ausgezeichnet; wenn also einer als Odysseus benannt werden soll, dürfte dieser den meisten Anspruch darauf haben.

In einer Vase mit demselben Gegenstande Berlin 1929) halt in beiden Händen der Kyklop Hand und Fuss eines der von ihm Getödteten, um sie zu verzehren, indess die Genossen des Unglück- lichen den Balken schon erhoben haben. Die eigene Erfindung des Künstlers aber zeigt sich auch hier ganz deutlich. Denn hinter dem Kyklopen wird tiber loderndem Feuer der Rumpf des Getödteten gebraten. Entsetzt ob des grausen Menschenfressers flieht eilig eine letzte Person hinweg. Homer begnügte sich mit den Worten ı 291

τοὺς δὲ διὰ μελεϊςτὶ ταμὼν ὡπλίεςατο 'δόρπον oder ı 311 und 344

δεῖπνον δόρπον.

Deutlich tritt also hier der Unterschied zwischen der Malerei und Poesie hervor.

In jeder Periode der Vasenmalerei werden der Darstellung gern Personen hinzugefügt, die in enger Beziehung zu einer der Haupt- figuren stehen. Wenn dies auch allgemein anerkannt ist, so hat man sich doch öfters verleiten lassen, aus diesen Personen einen Schluss aufs Epos zu machen. Beim Ringkampf des Peleus mit der Thetis hat Cheiron, der einige Male gegenwärtig ist, Veranlassung gegeben zu der Annahme, dass auch in den Kyprien unter Begleitung des Cheiron Peleus die Thetis überfällt. Wie ungerechtfertigt ein solcher Rückschluss ist, zeigt schlagend ein Bild, welches

cüv δ᾽ ὅγε δὴ αὖτε δύω μάρψας ὡπλίςςεατο

das Kırkesbenteuer

vorführt. In der Odyssee x 318 ff. bleibt Odysseus trotz des Schlages der Kirke mit dem Zauberstabe und trotz des Trankes unverwandelt, und auf die Aufforderung zu seinen Gefährten in den Schweinekofen zu gehen, stürzt er mit dem Schwerte in der Hand auf Kirke zu ὥςτε κτάμεναι μενεαίνων. Es folgt die Versöhnung; aber Odysseus weigert sich zu essen und zu trinken, bis er seine Gefährten erlöst weiss und sie mit Augen gesehen hat. Jetzt erst holt Kirke die Genossen herbei und macht sie aus Schweinen wieder zu Menschen. Ganz frei verführt wieder die Vasenmalerei.

Overb. 779, 49 = Overb. 780, 51. Jahn, arch. Beitr. 406 ff. Arch. Zeit. 1876 Taf. 15 p. 190 ff.

Vor der Kirke, die mit einem Zweige in der Schale zu rühren scheint, steht Odysseus, bereit den Becher mit dem Zaubertranke zu nehmen. In der zurückgebogenen Rechten hält er das Schwert, mit dem er nach dem Tranke auf Kirke losstürzen wird. Diese Mittel-

!) Vgl. Arch. Zeit. 1853 p. 120.

Verh. d. gr. Vasenbilder s. d. Ged. d. ep. Kyklos. 501

gruppe wird umgeben von vier verwandelten Genossen. Mit den Kópfen eines Esels, Ebers und Schwanes versehen (der Kopf des vierten ist verloren gegangen) sind sie entsetzt, dass auch ihren Herrn gleiches Schicksal treffen wird. Durch ihre bestürzte Haltung, durch das Schreien des Eselmenschen soll Odysseus gewarnt werden. Ja der Mann mit dem Schweinskopfe scheint den Odysseus anzu- fassen, um ihn so zu warnen und dem Unglücke vorzubeugen. Die Mittelgruppe also entspricht der Odyssee. Aber die Mannichfaltig- keit der Thiergestalten, sowie der Umstand, dass die Gefährten zu- gegen und gar bei der Handlung thätig sind, widerspricht ihr.

Noch scheint es geboten, auf eine Abweichung hinzuweisen, die sich für den Maler nothwendig ergab. In der Odyssee heisst es ν 289 ἢ:

οἱ δὲ CUWV μὲν ἔχον κεφαλὰς φωνήν τε τρίχας τε καὶ δέμας᾽ αὐτὰρ νοῦς ἦν ἔμπεδος ὡς τὸ πάρος περ.

Für den Künstler ergab sich eine Schwierigkeit. Stellte er den Menschen als Menschen dar, so war die Verwandlung nicht ersicht- lich; stellte er ihn als Thier dar, so war gleichfalls Undeutlichkeit zu befürchten. Um den Menschen im Thiere darzustellen, half er sich auf verschiedene Weise. Einmal Overb. 779, 50 sehen wir neben dem Manne, der bald zum Schweine werden soll, durch das Thier, das hinter ihm steht, die Verwandlung angedeutet. Die ge- wöhnlichste Art ist die Bildung eines Thiermenschen, bei der die Umgestaltung immer den Kopf, bisweilen die Füsse trifft.?)

$ 2. Archaische und rothfigurige attische Vasen mit gleichen Darstellungen.

Mit der Lösung des Hektor,

die in archaischen und rfgn. attischen Vasen dargestellt ist, leiten wir zur Bebandlung der zweiten grossen Vasengruppe über. Ausser dem Verhältnisse der jüngeren zu den älteren Producten, das einer Erläuterung bedarf, stehen die Bildwerke unseres Gegenstandes fast einzig da, nicht bloss als treffendste Erläuterungen des Verhältnisses der Vasenbilder zu den epischen Gedichten, sondern auch, weil sie einen theilweise so engen Anschluss an Homer zeigen, wie er sonst nicht leicht una entgegentreten wird. Nicht eine genaue Kenntniss der Sage allein muss zu der Darstellung Veranlassung gegeben haben,

—— “«-.-Ἕς..-.---,-.- .

A Overb. 779, 50. B Arch. Zeit. 1865, p. 18 Taf. 194. C Arch. Zeit. 1876, p. 189 Taf. 14. D Arch. Zeit. 1853, p. 122. Auf einem etruskischen Spiegel ein Eber mit menschlichen Hinterfüssen, Fróbner musées de France pl. 24. Vgl. Overb. XXXII, 15.

508 H. Luckenbach:

sondern dem Maler müssen die Worte Homers im Sinne gelegen haben.

Die in Rede stehenden Bildwerke!) sind:

A Overb. 468, 135.

B Arch. Zeit. 1854, Taf. 72, p. 291.

C Overb. 470, 138 XX, 3. München 404.

D Mon. VIII, 27. Conze Vorlegebl I, 3, 1. Arch. Zeit. 1871,

p. 100.

ΑΒ sind sfg., CD rfg.

Schon eine oberflächliche Vergleichung zeigt, dass alle vier Bildwerke in wesentlichen Zügen tibereinstimmen. Priamos nähert sich von der linken Seite her; er findet Achill auf dem Lager aus- gestreckt bei der Mahlzeit. Unter dem Bette oder auch vor dem- selben (B) liegt der Leichnam Hektors. Hinter Priamos in ACD ein oder mehrere Begleiter mit Geschenken. Diese Uebereinstimmung kann nicht Zufall sein; im Grunde beruhen die Bilder auf einem Originale. Der Typus, den der erste Darsteller dieser Scene für dieselbe erfand, wurde massgebend für die archaische Technik und wirkte nach, auch als die rfge. Technik überwog.

A. Achilleus liegt schmausend auf seinem Lager?); die Wein- kanne, welche seine Dienerin, die hinter ihm steht, in Händen halt, spricht deutlich genng. Dieser charakteristische Zug ist aus der Dias entlehnt, wo eg beim Eintreten des Priamos in das Zelt Achills heisst (Q 472):

ἐν δέ μιν αὐτὸν

εὗρ᾽,. .. v. 475: véov δ᾽ ἀπέληγεν ἐδωδῆς ἔεθων καὶ πίνων ἔτι καὶ παρέκειτο τράπεζα.

Damit ist der Ursprung der Situation gegeben. Indem aber der Maler den Achill beim Mahle darstellen wollte, lässt er denselben auf dem Speisesopha liegen und fügt ein Weib mit der Weinkanne in den Händen hinzu. In der Ilias sind bei Achill Automedon und Alkimos: beide waren für den Maler überflüssig. Wie viel aber die Composition durch die Hinzufügung der Sklavin an Leben gewann, wie dankbar eine solche Erweiterung war, leuchtet von selbst ein. Die beiden Schalen in der Hand des Begleiters vertreten die Löse- geschenke, während bei Homer der Wagen mit denselben draussen bleibt. Erst später springt Achilleus und mit ihm seine Genossen Automedon und Alkimos hinaus und hebt die Geschenke vom Wagen. Wiederum stellt die Poesie die verschiedenen Momente nacheinander dar, die Malerei vereinigt sie. Freilich hätte der Maler sich enger an Homer anschliessen können. Er konnte wie der Verfertiger der

ı) Zuletst von Benndorf anmal. 1866, p. 241— 270 behandelt ?) Unrichtig bemerkt Overbeck, dass Achill auf einem Sessel sitze.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 509

fabula Iliaca den Priamos im Innern des Zeltes vor Achill dar- stellen, draussen aber den Wagen entleeren lassen. Allein jeder sieht, wie darunter die Einheit der Handlung hätte leiden müssen. Statt dessen vereinigt der Maler in ausdruckvollster Weise die drei Momente: das Schmausen Achills, das Eintreten und die Bitte des Priamos, dem Achill zum Zeichen des Grusses und der Erfüllung seiner Bitte die Hand entgegenstreckt, und die Darbringung der Geschenke als Gegengabe für die Lösung. Weiter hat der Maler Hektors Leichnam hinzugefügt. In der Ilias ist derselbe draussen; auch vermissen wir ihn nicht, da die Worte des Priamos uns deutlich sagen, weshalb er gekommen ist. Dem Maler aber fehlten die Worte; er musste Ergänzung suchen und darauf bedacht sein, dass auch seine Composition deutlich und klar war. Der richtige Weg war die Hinzufügung des Objects, um das sich die ganze Handlung dreht, Hektors Leichnam. Die Kenntniss eines solchen Verfahrens seitens der Maler mahnt zur äussersten Vorsicht bei einem etwaigen Rück- schlusse. Denn selbst bei sehr vorsichtigem Vorgehen, so dass wir Hektors Leichnam, die Anwesenheit der Sklavin und der geschenk- tragenden Diener als für den Dichter nicht in gleichem Masse noth- wendig ausschieden, würde uns doch zweierlei sicher scheinen müssen, dass Priamos zu Achill geht und dass er denselben beim Mahle findet. Und auch bei diesem Schlusse würden wir noch etwas irren. Denn er findet ihn nicht bei dem Mahle, sondern kurz nach dem Mahle.

B. Priamos bittet mit leidenschaftlicher Ausbreitung beider Arme um den Leichnam seines Sohnes. Achill streckt ihm mit der Rechten den Becher entgegen, weniger wohl weil er den Alten will. kommen heissen will und ihm Gewührung seiner Bitte verspricht, als gewissermassen zum Spott und Hohn. Hinter Priamos befinden sich noch zwei Begleiter, von denen der erste ein Ross am Ztigel führt und zwei Lanzen trägt Offenbar dienen diese im Epos nicht gegebenen Personen bloss im Allgemeinen dazu, das Gefolge des Königs anzudeuten, wenn nicht gar, wie es den Anschein hat, dem Bemaler dieses Gefüsses der mythologische Inhalt der Scene, die er nur halbwegs getreu copirte, unverständlich geblieben ist (vgl. Arch. Zeit. 1854, p. 291).

Diesen sfgn. Vasenbildern schliessen sich die rfgn. CD an. In beiden steht vor dem Lager ein mit Speisen bedeokter Tisch. In C tritt Priamos ein, zum Zeichen, dass er eine Bitte vorzubringen hat, die rechte Hand ausstréckend, Achill hat, wie es scheint, sein Kommen tiberhört; in der Linken den Becher baltend, die Rechte lässig aufs Knie gelegt, wendet er sein Haupt rückwärts einem Weibe zu, das ihm einen Kranz um das Haupt legt. Hinter Priamos entfernt sich Hermes, sein Auftrag ist erfüllt. Es folgt ein Diener, die Lösegeschenke auf dem Rticken und in der rechten Hand tragend. Auf der anderen Seite schliesst hinter der Sklavin ein gertisteter Krieger die Scene ab. Er hat die Eintretenden erblickt; Staunen

510 H. Luckenbach:

ergreift ihn; die rechte Hand legt er wie geblendet an den Helm. In diesem Bilde treten uns eine Reihe neuer Züge, die dem Epos entnommen sind, entgegen. Achill hat sich noch nicht umgewendet und den Kommenden gesehen. Man kann dabei an die Worte Homers erinnern (9 476 £.):

τοὺς δ᾽ ἔλαθ᾽ εἰεελθὼν Πρίαμος μέγας, ἄγχι δ᾽ ἄρα ετὰς χερείν ᾿Αχιλλῆος λάβε γούνατα.

Es wird sodann das Staunen Achills beschrieben in Versen, die ich wiederum wörtlich anführe (477 f.): _

xepciv ᾿Αχιλλῆος λάβε γούνατα καὶ κύςε χεῖρας

δεινὰς ἀνδροφόνους αἷ οἱ πολέας κτάνον υἷας.

ὡς δ᾽ ὅτ᾽ ἂν ἄνδρ᾽ ἄτη πυκινὴ λάβῃ, ὅς τ᾽ ἐνὶ πάτρῃ φῶτα κατακτείνας ἄλλων ἐξίκετο δῆμον

ἀνδρὸς ἐς ἀφνειοῦ, θάμβος δ᾽ ἔχει eicopówvrac

ὧς ᾿Αχιλλεὺς θάμβηςεν ἰδὼν Πρίαμον θεοειδέα θάμβηςαν δὲ καὶ ἄλλοι, ἐς ἀλλήλους δὲ ἴδοντο.

Dieses vom Dichter so stark betonte Staunen hat der Künstler im Gefährten des Achilleus treffend ausgedrückt; Achilleus. selbst aber, möchte man vermuthen, wird sich erst umwenden und erst dann Staunen und Bewunderung zeigen. Die Anwesenheit des Hermes weicht insofern von der homerischen Schilderung ab, als ın dieser der Gott seinen Schutzbefohlenen schon verlässt, ehe dieser noch vom Wagen gestiegen ist. Der Grund dieser Abweichung ist wiederum klar; doch ist alles wesentliche gewahrt, indem Hermes sich ver- abschiedet, ehe Achill den Ankömmling gewahrt. Die Bekränzung Achills ist ein neuer hübscher Zug; eine Sitte, die ich bei Homer nicht finde, hat der Künstler aus seiner Zeit auf die Helden der Ilias übertragen. Die Neigung zum Individualisiren spricht sich in dem Namen des königlichen Begleiters aus: ἠρόδωρος heisst derselbe d. i. Gabenschenker.

Dieser Vase reiht sich D treffend an. Hier zeigt sich das θάμβος in Achill selbst. Priamos ist eingetreten begleitet von vier dienenden Personen, welche die Geschenke tragen. Die Ueberraschung und das Erstaunen Achills über den ganz unerwarteten Besuch, wie es sich in jenen Homerversen ausspricht, äussert sich im Abwenden des Blickes; das Messer, dessen er sich beim Essen bediente, hält er noch in der Rechten und hat es in der Verlegenheit an den Mund gelegt. Hinter ihm steht sein Mundschenk, ein Knabe, mit Löffel und Durchschlag in den Händen; neugierig wendet er seine Blicke zurück auf die eingetretenen Personen. An Stelle der Dienerin ist hier der jugendliche Sklave getreten, beide nicht im Epos erwähnt, aber passende Neuerungen bei dem Mahle Achills. Die dienenden Begleiter des Priamos sind theils männlich theils weiblich; Amphoren und Kisten voll werthvoller Geschenke, einen kostbaren Napf und

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 511

prachtvollen Dreifuss tragen sie herbei. Wiederum also in den Grundlagen enger Anschluss an Homer, in der Einzelgestaltung Freiheit des künstlerischen Schaffens,

Schon oben wurde bemerkt, dass diese vier Vasenbilder den- selben Typus, dieselben Grundzüge enthielten und in letzter Instanz auf ein Original zurückgehen müssen. Die Freiheit der Künstler im Einzelnen war dadurch nicht beschränkt; in der Bedienung Achills, in den Begleitern des Priamos hatte jeder nach seinem Gutdünken gehandelt. Je weniger uns dies Wunder zu nehmen braucht, um 80 bemerkenswerther ist es, dass wir in den rfgn. Vasenbildern neue Züge der Ilias angedeutet finden: die Anwesenheit des Hermes in C, des θάμβος in CD. Wäre es sicher, dass beides nicht in archaischen Vasen vorgebildet war, so hätte den Bemalern von CD einmal das alte Original vorgelegen, dann aber hätten sie selbst eine genügende Kenntniss der Ilias gehabt und aus ihrem Wissen Neues hinzugefügt.

Nahe verwandt mit den bisherigen Darstelluungen ist

E Bull. 1863, p, 52. Arch. Anz. 1864, p. 185*, 60. Connestabile

pitture murali di Orvieto tav. XVI, p. 149.

Achill sitzt auf einem Stuhle uud wendet den Blick zu einer Frau, welche Amphora und Schale in den Händen hält. In ihrer Nähe ist Athena, Achills Schutzgöttin, sichtbar. Vor diesen drei Personen liegt Hektor, zu dessen Loskaufung, von Hermes begleitet, der alte Priamos naht, hier selbst ein werthvolles Gefäss auf der Hand tragend als Andeutung, dass er nicht ohne Lösegeld naht. Im Hinter- grunde ist ohne jeglichen Bezug auf die Hauptdarstellung eine Fensteröffnung angebracht, an der drei Pferde und ein Diener, welcher denselben Futter bringt, sichtbar sind. Die Nachwirkung der anderen Bilder ist in diesem ersichtlich; denn die Ueberein- stimmung dürfen wir nicht dem Zufalle zuschreiben. Der Unterschied von A—D liegt vor allem in der Vertauschung des Lagers mit dem Stuhle Es ist hier eine Milderung der ganzen Scene eingetreten und nicht so hervorgehoben, dass Achill über dem Leichnam des Hektor die Mahlzeit hält.

Das Verhältniss der archaischen zu den rothfigurigen Bildern soll noch an einem anderen Beispiele hervorgehoben werden.

Flucht aus der Höhle des Polyphem.

In der einzigen bis jetzt bekannten rfgn. Vase dieses Gegenstandes (bull. 1866, p. 133) kommen gegen den sitzenden Polyphem drei Widder heran. Unter dem ersten ist der bärtige Odysseus, der sich mit der einen Hand an die Wolle anklammert, während die andere das Schwert zückt. Vor den übrigen Widdern zeichnet sich der des Odysseus durch seine dicke. Wolle aus, wie es auch im Dichter ı 432 heisst: ἀρνειὸς γὰρ ἔην μήλων ὄχ᾽ üpicroc ἁπάντων

und ı 455 λάχνῳ cretvóuevoc.

512 H. Luckenbach:

Die Genossen, beide bartlos, sind unter dem Widder angebunden, wie auch Homer die Gefährten von Odysseus anbinden lässt, während dieser selbst sich an die Wolle des Widders anklammert. Es gibt uns dieses Bild einen sehr engen Anschluss an die Poesie: offenbar kannte der Maler seinen Homer genau und deshalb malte er auch genau nach ihm. Aber auch in diesem Bilde tritt es deutlich her- vor, dass doch wieder sich Abweichungen von der Poesie ergeben mussten. In der Odyssee entflieht Odysseus zuletzt, hier ist er der Führer der Genossen aus leicht verständlichem Grunde; der Dichter erzählt, Odysseus habe die Gefährten unter den je mittelsten dreier Widder angebunden; der Künstler vermied dies aus Gründen der leichteren Darstellung. Endlich ist Polyphem wie immer in der Vasenmalerei mit zwei Augen versehen. Was aber besonders betont werden muss, ist das gezückte Schwert, welches Odysseus in der Hand hält. Er hält sich bereit, um im Nothfalle mit gewaffneter Hand dem Riesen entgegenzutreten, und dieser kleine Zug verdient um so mehr unsere Beachtung, als er aus älteren Vasenbildern ent- nommen ist, im Homer dagegen nicht erwähnt wird. Unter allen archaischen Darstellungen?) ist keine, die sich mit unserer im An- schluss an Homer vergleichen liesse; alle sind weniger ausführlich, alle ungenauer; aber in vier Vasenbildern?) zückt der unter dem Widder Angebundene das Schwert. Das Bedeutsame, was uns also auch hier entgegentritt, ist, dass der attische Maler mit Beibehaltung des alten Typus doch sich enger an Homer anschloss, dass er unter den Flüchtigen den Odysseus von seinen Genossen schied, dass er ihm sogar den Widder reich beladen mit Wolle gab. Mit anderen Worten, indem er nach älterem Typus malte, dachte er doch selbst nach und schuf in Anlehnung an seine Vorgänger das Bild, dem er durch den engeren Anschluss an die Poesie neues Leben verlieh.

$ 3. Rothfigurige attisohe Vasen.

Für die zweite Epoche, welche wir bereits im Vorigen berührt haben, gelten im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie für die ältere. Dies zu erhärten wird auch hier eine Auswahl unter den wichtigeren Vasen genügen.

Die Rückkehr des Odysseus, Mon. IX, 42. Conze, annal. 1872, p. 187 ff. Penelope sitzt tief traurig und in sich versunken auf dem Stuhle;

vor ihr steht Telemachos, der die Mutter anreden zu wollen scheint. Wir sind im Zweifel, ob er eben angekommen ist, oder wegzugehen

) Sie sind zuletzt von Heydemann, annal. 1876, P 850 ff. zusammen- gestellt, bofk bei Heydemaun a. O.

Verh. d. gr. Vasenbilder s. d. Ged. d. ep. Kyklos. 513

im Begriffe ist. Hinter beiden ist der ganze Raum durch einen Web- stuhl ausgefüllt. Eine bestimmte Scene ist es schwer in diesem Bilde zu erkennen. Freilich würde es leicht sein, einen Moment zu er- kennen, etwa den Auszug des Telemachos nach Sparta und den Ab- schied von seiner Mutter, oder seine Rückkehr; aber der Dichter wenigstens erwähnt bei diesen Anlässen keine solche Begegnung zwischen Mutter und Sohn, und unzweifelhaft dürfen wir nicht an ein bestimmtes Ereigniss denken. Ebenso konnte Telemachos vor die Mutter treten, so oft er sich in die Volksversammlung begab, oder so oft er einen einsamen Gang zum alten Laertes oder zum treuen Eumaios antrat. Der ganze grosse Unterschied zwischen der Poesie und Malerei zeigt sich hier in hellem Lichte. Das Bild spricht aus sich selbst; auch ohne dass es einen bestimmten Moment dar- stellt, drängen sich all die Ereignisse, die wir vom traurigen Ge- schicke der Penelope gelesen haben, in unserer Erinnerung zusammen, und mit den zwei schlichten Figuren weiss der Maler uns mehr zu sagep als in einer ganzen Reihe von Einzelscenen. Und wie hier die Trauer der Penelope uns ergreift, so zeigt der Maler uns im zweiten Bilde derselben Vase auch die Hülfe und den Trost. Odysseus ist heimgekehrt, und seine Dienerin wäscht ihm die Füsse; die Er- kennung steht bevor, und bald muss dann auch der Tag erscheinen, an dem das lange Leid der Penelope gestillt wird, und statt der Thrünen, die ibr der langjährige Gram und die nie schlafende Liebe zu ihrem Gatten auspressen, ihren Augen Freudenthränen entlockt werden. Wie in jenem Bilde uns der Künstler entgegentrat, so auch in diesem. Treffend hat Conze a. O. p. 190 darauf aufmerksam ge- macht, dass nicht der Augenblick der Wiedererkennung dargestellt ist; aber eben so wenig können wir sagen, welcher Moment denn sonst dargestellt sei. Der Maler hat der Phantasie des Beschauers nicht alles vorwegnehmen wollen, und die Behauptung Lessings, dass der Abschluss einer Handlung am wenigsten sich für ein Bildwerk eigne, findet in unserem Bilde eine neue Bestätigung. Blicken wir nun auf das Einzelne, so ist Eumaios zugegen. In der Odyssee hat derselbe den Odysseus ins Haus der Penelope begleitet, ist darauf aber heimgegangen (p 604), um erst am folgenden Tage wieder zur Stadt zu geben (u 162). Hier steht Odysseus, in der Dichtung hat er sich niedergesetzt 389). Er hat sich, um nicht zu fallen, auf einen Stab gestützt, während er mit der Linken einen Stock hält, der beladen mit Ranzen, Schlauch und einer Tasche ihm auf der Schulter liegt. Anknüpfend an die Worte des Dichters (p 197 f.)

n pa καὶ ἀμφ᾽ ὦμοιειν ἀεικέα βάλλετο πήρην πυκνὰ ῥωγαλέην᾽ ἐν δὲ crpógoc fiev ἀορτήρ

hat der Maler das Einzelne nach eigenem Gutdtinken gezeichnet.

Ebenso ist es selbstverständlich, dass Odysseus im Hause angelangt

seinen Ranzen ablegte; aber dem Maler war dies das beste Mittel, Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. XI. 33

514 H. Luckenbach:

seinen Odysseus zu charakterisiren. Der Odysseus im Bilde erinnert in nichts sonst an die Dichtung; nicht den jammerhaften, zerlumpten Bettler mit kahlem Kopfe, den wir nicht als verwandelten Odysseus erkennen könnten, sehen wir vor uns, sondern einen stattlichen Mann mit reichem Haupt- und Barthaar. Mit Recht erinnert Conse a. 0. p. 188 daran, dass sich hier Poesie und Malerei trennen. Hier wie bei der Verwandelung der Genossen des Odysseus konnte der Maler nicht mit dem Dichter eins sein, er musste abweichen. Am auf- fallendsten endlich ist der Name der Dienerin; Homer hat sie Eury- kleia, der Künstler Antiphata genannt. Da ihm der homerische Name nicht gegenwärtig war, wusste er sich zu helfen und nannte sie mit einem Namen, der an den Lästrygonenkönig Antiphates an- klingt. Aehnlich heisst der Kentaur, der die Deianeira raubt, ein- mal!) nicht Nessos, sondern Dexamenos, weil der Maler sich im Augenblicke des rechten Namens nicht erinnerte oder ihn mit einem andern Kentaurennamen verwechselte. Wieder in einer anderen Vase?) heisst diejenige, die den Pelias zum Tode führt, Alkapdra, ein Name, der uns von keinem Schriftsteller für eine Peliade über- liefert ist. Obwohl ferner nach aller Poesie und schon bei Stasinos (Paus. III, 16, 1) die Tóchter des Leukippos, welche von den Dios- kuren geraubt werden, Phoibe und Hilaeira heissen, sind sie auf der Meidiasvase?) Eriphyle und Elera genannt. Den Theoklymenos finden wir einmal ΤΠερικλύμενος 5), den Antilochos 'AugíAoxoc5) benannt. In gleicher Weise aber sind die Namen Λύκος (?) und Alveroc auf der Kodrosschale zu erklären (vglunten p. 547). Nur daraus lassen sich diese Abweichungen von der Ueberlieferung erklüren, dass die Künstler sich nicht immer der traditionellen Benennung erinnern konnten. Zugleich ergibt sich die Regel, nie leichthin aus einem beigeschriebenen Namen eine Person in einem der verlorenen Epen erschliessen zu wollen.

Odysseus entflieht den Sirenen. Overb. XXXII, 8.

Wtührend die Sirenen bei Homer das Schiff nach ihrer vergeblichen Lockung ruhig weiter fahren lassen 166 ff.), stürzt sich hier eine derselben, da sie ihren Wunsch nicht erfüllt sieht, in die Fluthen. Dieser letzte Gedanke verdient in der That Beachtung. Im Bilde sind es ferner drei Sirenen; zwei von ihnen sitzen auf steilen Felsen. Der Dichter kennt nur zwei, und diese lässt er auf grüner Wiese am Meeresufer lagern. Nur die Hauptsache ist genau wiedergegeben. Denn auch im Bilde ist Odysseus angebunden, und einen Gegensatz

Neapel 3089. abg. z. B. Millingen peint. div. 88. Annal. 1876, ἑαυ. F, p. 48 f. °) Br. M. 1264. abg. z. B. Gerhard die Vase des Meidias. Conze Vorlegebl. IV, 1. *) Mon. VI, 14. Welcker, alte Denkm. V, Taf. 14. ^) Petersburg 422. abg. mon. V, 11. 12. Overb.

, 4.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 515

zu ihm bilden die Gefährten, denen man leicht anmerkt, dass sie den bezaubernden Gesang nicht vernehmen.

Die gleiche Freiheit werden wir in einer Reihe von charakteri- stisch gestalteten Einzelkämpfen wahrnehmen, deren Beziehung auf die Ilias theilweise bestritten ist. An den Anfang stellen wir den ‘berühmtesten der Einzelkämpfe, den

Zweikampf des Achilleus und Hektor,

Ilias X. Allen Bitten seiner Eltern zum Trotz zieht Hektor aus, dem Achilleus entgegen; aber da er ihn erblickt, überfällt ihn Furcht. Fliehend umläuft er dreimal die Mauern Trojas, bis Athena in Ge- stalt des Deiphobos ihn überredet stehen zu bleiben. Achilleus sendet seine Lanze, Hektor weicht aus, und Athena bringt ihrem Schutz- befohlenen die Waffe zurück. Auch Hektor wirft seine Lanze, wohl trifft er den Schild des Gegners, aber machtlos prallt die Lanze zurück. Dann ergreift er das Schwert und stürmt gegen Achilleus, dieser aber trifft ihn mit seinem Speere dorthin, fj xAnidec ἀπ᾿ ὦμων αὐχέν᾽ Exouciv (V. 324). Der todte Hektor wird geschleift, und jetzt erst geschieht seiner Eltern wieder Erwähnung.

1. Gerhard AV. 201. München 421. Overb. 452, 105.

Athena steht zwischen den Kriegern. Achilleus dringt mit dem zum Todesstosse erhobenen Speer auf Hektor ein, der sich noch kaum mit dem Schwerte des Gegners erwehrt. Hektor ist bis auf eine Chlamys nackt, während in der Ilias nur eine Stelle am Halse Blösse gab; er blutet aus zwei Wunden (im Schenkel und in der Brust), während in der Dichtung die eine Wunde am Halse den Tod bringt.

2. Auffallende Uebereinstimmung zeigen drei Vasen, von denen eine auf beiden Seiten fast die gleiche Darstellung enthält:

aß) Overb. 451, 101 und 102. Gerhard AV. 202, 4. 5. Y) Overb. 451, 403. Gerhard AV. 202, 1. 2. N Overb. 452, 104. XIX, 4. Gerhard AV. 204. Br. M. 786 *.

Die beiden Krieger sind umgeben von Athena und dem ent- weichenden Apollon, der in der erhobenen Rechten dem Achilleus drohend den Pfeil hinhält, durch den er einst fallen soll!) Durch die Inschriften in d sind die Darstellungen für Achilleus und Hektor gesichert.) Beide sind der homerischen Schilderung entgegen bis auf Helm, Schild, Beinschienen, Lanze und Schwert nackt; nur in v ist Hektor bekleidet. In ay stürmt Achilleus mit dem Schwerte an, das er in der Ilias nicht gebraucht, in ßd mit der Lanze. In yd sinkt Hektor zurück, die gesenkte Lanze in der Rechten; in a ist der Schaft des Speeres zweimal im Winkel gebrochen, wodurch der Künstler Hektors vergeblichen Widerstand andeutet; in f

Die richtige Deutung des Apollon gab zuerst Braun, Ruinen, p.814. Vgl. Brunn, Troische Miscell, p. 77. 78. *) Fröhner hat seine frühere Deutung von a— y auf den Kampf des Hektor und Aias (choix de vases, p. 16) in den musées de France stillschweigend aufgegeben.

83*

516 H. Luckenbach:

endlich ist Hektor im Begriffe, das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Zweimal, in fO, blutet Hektor aus einer Wunde im Schenkel. Wir sehen, wie wenig sich die Maler in solchen Einzelheiten an die homerische Schilderung gehalten haben. Die Nacktheit der Körper, die Wunden Hektors, bald diese bald jene Waffen in den Händen der Gegner sind deutliche Zeichen für die Freibeit, die sich die Künstler erlaubten. Wenn in ß grössere Uebereinstimmung mit Homer zu herrschen scheint, indem hier Achilleus mit der Lanze andringt und den Hektor im der Nähe des Halses trifft, Hektor da- gegen sein Schwert noch nicht ganz aus der Scheide gezogen hat, so lehrt der Revers (a), dass diese Uebereinstimmung absichtslos ist, da hier Achill mit dem Schwerte, Hektor mit der Lanze be- waffnet ist. Zur Erklärung des Apollon und des Pfeiles, den der- selbe in der Hand hält, erinnert Brunn (Troische Miscell. p. 77) an die Worte der Dias X 213:

λίπεν δέ é Φοῖβοξ ᾿Απόλλων

und die Worte, die Hektor vor seinem Ende dem Achilleus zuruft V. 358 ff.:

φράζεο νῦν μή τοί τι θεῶν μήνιμα γένωμαι ἤματι τῷ ὅτε κέν ce Πάρις καὶ Φοῖβος ᾿Απόλλων ἐεθχὸν ἐόντ᾽ ὀλέςωςιν Evi (καιῇει πύλῃςειν.

‘Den Inhalt beider Stellen,’ sagt Brunn, “sehen wir zu einer Einheit verbunden in der Composition der Maler. Apollo verlässt Hektor; aber die Drohung, die Homer durch Hektors Mund aussprechen lässt, legt der Künstler in die Hand des Apollo selbst: er zeigt Achilles den Pfeil, der für ihn bestimmt ist und durch Paris’ Hand ihn tödten soll’. Gewiss passen die Verse Homers trefflich zu dem Gedanken, den der Maler im Bilde niederlegte; nur muss man nicht denken, dass der Maler mit sich zu Rathe ging, wie er den Inhalt der home- rischen Stellen am besten wiedergäbe. Den Geist der homerischen Poesie hatte er erfasst, und er wusste auch, dass durch Apollons Pfeil Achilleus später erlag, während hier die Hülfe des Apollon vergeblich war.

3. Gerhard AV. 203. Overb. 449, 100. XIX, 1.

Unter den Mauern Ilions, die den Hintergrund abgeben, ver- folgt Achilleus den Hektor, der auch im Fliehen den Speer gegen jenen zückt. Athena, die zugegen ist, zeigt den Verlauf des Kampfes an. An den Thoren stehen zwei phrygische Bogenschützen, ohne in den Gang der Handlung einzugreifen. Aber Priamos und Hekabe, in Ausdruck und Haltung ihre Angst verrathend, sind aus der Stadt hervorgestürzt, während Homer ihrer nur vor und nach dem Kampfe gedenkt. Die Vertheidigung Hektors während der Flucht war für den Maler nur das Mittel, um Flucht und Vertheidigung zugleich darzustellen.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 517

Einen verhältnissmässig engen Anschluss an die homerische Poesie bietet der

Zweikampf des Diomedes und Aineias

auf einer Vase aus Kameiros, welche im journal of philology 1877 Taf. B abgebildet und von Gardner ebdst. p. 215 ff. besprochen ist.

Nach der homerischen Erzählung 290 entsendet Diomedes, von Pandaros getroffen, auch seinerseits den Speer, βέλος δ᾽ ἴθυνεν ᾿Αθήνη. Aineias vertheidigt den gefallenen Freund; aber von Dio- medes mit gewaltigem Feldsteine getroffen, sinkt er hin, und die Augen umzieht ihm finstere Nacht. Aphrodite eilt ihm zu Hülfe, schlingt um den geliebten Sohn ihre Arme, hält vor ihn zum Schutze ibr Gewand und entträgt ihn der stürmenden Feldschlacht. Aber da Diomedes die Göttin waffenlos sieht, wagt er es sie zu verfolgen und verwundet sie mit der Lanze an der Hand. Von Schmerz über- wältigt lässt sie den Sohn fahren, welchen Apollon in tinsteros Ge- ° wólk einhüllt und vor den Feinden errettet.

Auf dem Bilde sehen wir Diomedes mit dem Schwerte ein- dringen auf den hinsinkenden, aus einer Seitenwunde blutenden Aineias, den Aphrodite mit ihren Armen hält und davonzuführen sucht. Hinter Diomedes die Schutzgöttin Athens!) in ruhiger Haltung. Die Uebereinstimmung mit Homer, so eng sie scheint, ist doch such hier nur in der Hauptsache vorhanden. Viel enger schliesst sich z. B. die tabula lliaca an. Hier führt Diomedes über Pandaros' Leiche hinweg einen mächtigen Stoss gegen das Gewand der Aphro- dite, welches die Gestalt des Aineias umschliesst (Jahn, Bilder- chroniken p. 14).

Von besonderer Wichtigkeit ist eine Schale des Duris, welche auf beiden Seiten mit Kämpfen geschmückt ist. Abgebildet ist die- selbe Fröhner, choiz de vases Taf. 3. 4, musées de France Taf. 11. 12. Conze, Vorlegebl. VI, 7.

1. Kampf des Aias und Hektor.

Homer erzählt H 181 ff., wie das Loos unter neun Achaiern den Aias traf, damit er den Kampf mit Hektor bestünde. Beide werfen zweimal ihre Lanze; Aias durchbohrt den Schild des Gegners, die Lanze führt denselben streifend am Nacken vorbei, und das dunkele Blut rieselt zur Erde. Aber Hektor lässt nicht ab vom Kampfe; mit einem grossen Steine trifft er, wenn auch vergeblich, den Schild des Aias. Dieser greift zur gleichen Waffe und trifft nicht ohne Erfolg den Schild des Hektor. V. 270 ff.

eicw δ᾽ ἀςπίδ᾽ ἔαξε βαλὼν μυλοειδέϊ πέτρῳ

βλάψε δέ οἱ φίλα γούναθ᾽" δ᾽ ὕπτιος ἐξετανύςθη

ἀςπίδ᾽ ἐνιχριμφθείς᾽ τὸν δ᾽ aly’ ὥρθωςεν Ἀπόλλων.

!) Die Inschrift, welche der Góttin beigeschrieben ist, darf natürlich nicht mit Gardner zu ᾿Αθήν[ης] ergänzt werden.

518 : H. Luckenbach:

Und jetzt würden sie sicherlich mit den Schwertern einander ver- verwundet haben, wenn nicht die Herolde sie getrennt hätten. Im Bilde stürmt Aias mit der Lanze gegen den sinkenden Hektor, der mit dem Schwerte sich zu vertheidigen sucht. Apollon eilt mit er- hobener Rechten herbei, um Aias Einhalt zu gebieten. Auch Athena naht, um Aiss zurückzuhalten; denn Hektors Todestag ist noch nicht gekommen. Nur der Inhalt der homerischen Schilderung ist un- geführ wiedergegeben, wiührend im Einzelnen die Darstellung an grossen Abweichungen reich ist. Athena wird in der Ilias gar nicht erwühnt. Die Waffen im Bilde sind Lanze und Schwert; von Feld- steinen sehen wir keine Spur; die Herolde werden vermisst. Aber treffend hat der Maler wiederzugeben verstanden, dass Hektor, der zu unterliegen scheint, doch noch dem Verhüngnisse entrinnen wird.

2. Kampf des Menelaos und Paris.

Während Michaelis, Arch. Zeit. 1873, p. 8 ohne nähere Begründung die Scene in die Ilias verweist, ist Fröhner ') der Ansicht, dass der Künstler dieses Bild so nicht nach der Ilias hätte bilden können, sondern dass ein anderes, heute verlorenes episches Gedicht oder auch Lokalsage die Quelle sei.

Auf der Vase stürmt Menelaos, das Schwert in der Hand, gegen Alexandros, der mit der Lanze bewaffnet sich eiligst davonmacht, im Fliehen sich umwendend. Hinter Paris steht Artemis, die mit der erhobenen Rechten dem Menelaos Einhalt gebietet. Allein auch auf der anderen Seite wird er gehindert. Denn eine Frau, die mit der Linken eine Blume zum Gesichte führt, und die, obwohl nicht inschriftlich bezeichnet, nur Aphrodite sein kann, ist berbeigeeilt und hat mit der Rechten das Schwert des Menelaos am Griffe angefasst, um so den Todesstoss von ihrem Schutzbefohlenen fern zu halten. Allerdings ist keine genaue Uebereinstimmung mit den Worten Homers vorhanden. Denn bei diesem |. 340—382 schleudern beide ihre Lanzen, dann dringt Menelaos mit dem Schwerte auf Paris ein; aber dieses zerschellt auf dem Helme desselben. Er fasst ihn am Helm und schleift ihn hinter sich her: allein Aphrodite lóst den Helmriemen und führt den Paris in dichter Wolke nach Troja. Auch in den übrigen Kämpfen fanden wir bezüglich der Krieger Abweichungen; hier ist freilich die grósste, zugleich aber &uch die einfachste: Paris macht sich in schnellem Laufe davon. Aphrodite hemmt den Andrang des Menelaos, während sie in der Iliss den Paris in einer Wolke entführt. Eine solche Abweichung wurde allein schon durch die Unmöglichkeit der Darstellung nach der Ilias nahe gelegt. Als zweite Schutzgöttin ist hier Artemis dargestellt, die an Stelle ihres Bruders Schutzgöttin der Troer ist. Alle diese Ab- weichungen sind nicht gross genug, um den Gedanken an den Kampf

ἢ) Vases Napoléon p. 19. musées de France p. 41.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 519

der Ilias abzuweisen. Die Hauptsache ist geblieben: Paris durch Aphrodite vor dem tübermüchtigen Andrang des Feinde errettet. Wir fanden schon viel grössere Abweichungen, und auch hier ist vielleicht eine ungenaue Kenntniss oder Erinnerung an die einzelnen Züge der Ilias seitens des Duris in Rücksicht zu bringen. Was aber vor allem in die Augen fällt und gegen Fröhner spricht, das ist der feine Bezug der beiden Kampfbilder der Schale auf einander. In jenem hemmen Athena und Apollon den Siegeslauf des Aias, in diesem Aphrodite und Artemis den des Menelaos. Dort fügte der Künstler die Athena hinzu, hier die Artemis; und wie treffend es war, in dem einen Bilde statt des Apollon seine Schwester zu zeichnen, bloss um dieselbe Person zu vermeiden, das leuchtet von selbst ein. Auch in dem Epos, das Fröhner annimmt, wird er schwerlich die Artemis als Helferin des Paris auftreten lassen.

Nach dem bisher Gesagten dürfte es auch an der Zeit sein, der Ilias ein anderes Vasenbild zurückzugeben, das jetzt ziemlich allgemein!) den Kyprien zugezählt wird, ich meine den

Waffentausch des Hektor und Aias

oder, wie es gewöhnlich heisst, des Hektor und Achilleus.

Es ist die Rede von dem rfgn. Vasenbild, welches bei Overb. XV, 4 publicirt und p. 333 besprochen ist.) Wir sehen einen auf- gehobenen Zweikampf dargestellt, wie schon der Herzog von Luynes erklärte.) Die beiden Kämpfer, in deren Mienen noch die Kampfes- lust sichtbar ist, werden von zwei Greisen aus der Schlacht geführt. Das Schwert, welches der eine mit Scheide und Schwertgurt und der Gürtel, welchen der andere in der Hand hält, zeigen, das der Kampf ein friedliches Ende nimmt durch Austausch von Geschenken. Es könnte soweit recht gut eine Darstellung aus der Ilias sein, in der Aias und Hektor den Zweikampf beendigen H 272 ff. Schon haben sie ihre Lanzen geworfen und schon ziehen sie die Schwerter, um mit diesen aufeinander loszustürzen, als Talthybios von den Achaiern und Idaios der Troer mit ihren Stäben Einhalt gebieten. Idaios fordert sie auf, den Kampf einzustellen, und als Aias verlangt, Hektor, der zum Zweikampf gefordert, möge ihn auch beendigen, da sagt Hektor V. 290 ff.:

γῦν μὲν παυςώμεςθα μάχης καὶ δηιοτῆτος εήμερον᾽ ὕετερον αὖτε μαχήςομεθ᾽, εἰς κε δαίμων ἄμμε διακρίνῃ, δῴη δ᾽ érepoicí γε νίκην᾽

V. 299 δῶρα δ᾽ ἄγ᾽ ἀλλήλοιςι περικλυτὰ δώομεν ἄμφω.

Dass es ihm damit Ernst war, zeigen dann die folgenden Worte V. 303 ff.:

^. Ro z. B. Jahn, Münchener Vasen, p. COXII. *) Daselbst findet sich auch die übrige Literatur. *) annal. 1882, p. 84.

520 H. Luckenbach:

ὧς ἄρα φωνήςεας δῶκε ξίφος ἀργυρόηλον

εὺν κολεῷ τε φέρων καὶ Eütuntw τελαμῶνι Αἴας δὲ Zucrfjpa δίδου φοίνικι φαεινόν.

τὼ δὲ διακρινθέντε μὲν μετὰ λαὸν ᾿Αχαιῶν Ni, ó δ᾽ ἐς Τρώων ὅμαδον κίε.

Die Krieger auf unserem Vasenbilde vertauschen genau nach de Worten Homers das Schwert mit Scheide und Schwertriemen m den Gürtel. Dass aber andere es sind, die den Zweikampf eigentlxl beendigen, und die Worte des Hektor Ücrepov αὖτε naxncöuek, das kónnte kaum passender ausgedrückt werden als dadurch, das die Krieger von den beiden Alten an der Hand gefasst sind wu weggeführt werden, selbst aber sich nur ungern zu trennen scheinz

Man würde die Darstellung ohne Zweifel auf diesen Kampf be ziehen und dies that der Herzog von Luynes —, wäre nicht Inschrift vorhanden, die dies unmöglich zu machen scheint. Während dem einen Kämpfer nämlich der Name Hektor beigeschrieber isi führt der Alte auf der anderen Seite den Namen Phoinix. Luyne nahm im Namen Phoinix ein Versehen des Malers an, anders W elcker. Durch Phoinix, meint er, ist der Krieger, den jener fortführt, al Achilleus gekennzeichnet. Der trompetenblasende Aethiop auf seinen Schilde zeigt ihn als den Besieger Memnons.') Und Herolde, glaub er, könnten die beiden Alten schon deshalb nicht sein, weil sie durch nichts als solche charakterisirt seien und die Stöcke, mit denen sie sich aufsttitzten, gerade das Gegentheil bewiesen. Dem Phoinix, dem väterlichen Pfleger des Achilleus, entsprechend soll der Alte auf der anderen Seite Hektors alter Erzieher sein. Zwar, sagt Welcker, kam ein Phönix des Hektor schwerlich ausserdem vor, aber erlaubt war dem Künstler diesen vorauszusetzen und zur Uebereinstimmung den des Achilleus gegenüberzustellen, da bei einem jeden Helden, sobald es einen Zweck in der Fabel hatte oder in einer Vorstellung sich von selbst erklärte, sein alter Erzieher auftreten konnte. T) go. mit glaubt Welcker einen aufgehobenen Zweikampf zwischen A chilleus und Hektor, der in den Kyprien besungen worden sei, nachgewiesen zu haben.

Ueber eins jedoch schweigt er, darüber nämlich, wie er sich den Kampf in den Kyprien unterbrochen denkt. Wir können doch kaum annehmen, dass die Helden mitten im Kampfe sich anders besonnen und sich statt zu bekriegen Freundschaft geschlossen hätten. Offenbar war, und dies würde ja auch das Vasenbild lehren, eine trennende Gewalt da; der Alte auf Seiten des Hektor ist vom Maler der Composition wegen erfunden; derjenige also, der den Kampf beilegt, muss Phoinix sein; er allein weiss die beiden Gegner zu

So schon Gerhard, annal. 1831, p. 380 ff. Vor dieser Er- klärung scheint die von Overbeck, p. 333, Anm. 3 noch den Vorzug zu verdienen, der in dem Erzieher des Hektor den Priamos selbst er

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 521

trennen. Nun hätte es aber erstens für den Dichter der Kyprieh, wenn er eine Scene der Ilias in die Kyprien übertrug, nahe gelegen, den Kampf durch Herolde beendigen zu lassen, die beim Zweikampf eigentlich erforderlich waren. Sodann erkennt Welcker eine un- genaue Wiedergabe des Vasenbildes an; denn nicht durch des Phoinix Worte allein werden die Gegner zur Versöhnung getrieben. Freilich wäre es dem Maler unmöglich gewesen, den Phoinix zwischen den Kämpfenden darzustellen, da das Bild auf beide Seiten der Am- phora vertheilt ist; aber mehr als auffallend ist es doch, dass im Bilde und in der Ilias zwei Alte genannt werden, während Welcker für die Kyprien nur einen annimmt. Endlich aber bürden wir dem Stasinos die Schuld auf, ganz unselbständig nach der Ilias Scenen erdichtet zu haben, hier wie dort soll der Grieche das Schwert mit Scheide und Schwertriemen, der Troer den Gürtel dem Gegner zum Geschenke gemacht haben. Dies alles ist geeignet, Bedenken gegen Welckers Erklärung aufkommen zu lassen. Was zwingt ung denn &uch, in dem griechischen Krieger den Achilleus zu erkennen? kann allein Phoinix uns auch den Namen des Kriegers sichern? Aller- dings hat ihn Peleus dem unerfahrenen Achilleus mitgegeben als Lehrer des Worts und der That (| 438—443), und er steht in engerer Beziehung zu ihm, als zu einem anderen unter den Griechen. Allein dieses Verhältniss hatte ihn nicht gehindert, während der μῆνις bei Agamemnon zu bleiben; von diesem wird er zu Achilleus gesandt, um denselben zur Rückkehr in die Schlacht zu bewegen; und erst da sein und der anderen Gesandten Bemühen vergeblich ist, bleibt er auf Achilleus’ Aufforderung dauernd bei ihm (l 617). Somit scheint es klar, dass Phoinix auch einem anderen griechischen Helden beigesellt sein kann, besonders zu einer Zeit, wo der grollende Achill sich der Schlacht enthielt. Dass endlich der Aethiop auf dem Schilde des Griechen diesen nicht als Memnonbesieger bezeichnet, sondern Schmuck eines jeden Schildes sein könnte, ist heute kaum nöthig zu erwähnen. Ist so die Erklärung Welckers weder auf schriftliche Quellen begründet, noch auf irgend einen zwingenden Umstand, den das Vasenbild an die Hand gäbe, so kehren wir zu der Erklärung des Herzogs ,von Luynes zurück und erkennen Aius' und Hektors Abschied nach dem Kampfe. Da wir nun einmal keine Berechtigung haben, in den Einzelzügen der Bilder einen möglichst engen Anschluss an die homerische Poesie zu suchen, so müssen wir auch hier sagen, dass der Maler statt der Herolde, die sich bei Homer finden, zwei Alte wählte. Kam denn etwas darauf an, ob grade Idaios und Talthybios die Krieger trennten? ganz gewiss nicht. Und es dürfte doch sehr fraglich sein, ob dieses Vasenbild oder das der Durisschale den Kampf zwischen Aias und Hektor treuer nach der Ilias darstellt. Will man nicht fast alle Kämpfe in die Kyprien versetzen, so möge man auch diesen zu den Darstellungen der Ilias zählen. Phoinix aber ist hier um nichts auffälliger als

522 H. Luckenbach:

Odysseus und Automedon auf der Francoisvase (vgl. p. 495 ff.), und angesichts der vielen Namensverwechselungen, von denen oben (p. 514) die Rede war, kann kein Zweifel herrschen, dass der Künstler, da er sich nicht genau erinnerte, zwei Alte wählte, deren Amt es ja passend sein konnte, die Kämpfenden zu trennen. Ausser Nestor war Phoinix von den Griechen allein geeignet !); interessant wäre es zu wissen, ob und wie der andere benannt war, da die theil- weise zerstörte Vase uns dies nicht erkennen lässt.

8$ 4. Unteritalische Vasen.

In den unteritalischen d. h. den verhältnissmässig späten Vasen- bildern hauptsächlich apulischen und lucanischen Fundortes soll nach Overbeck p. XI meist eine tragische, seltener lyrische und nur aus- nahmsweise epische Quelle vorauszusetzen sein. Diese Behauptungen bedürfen indessen einer Correctur. Heute kennen wir eine ganre Reihe von Vasenbildern dieser Epoche, denen zu deutlich der Stempel des Epos aufgedrückt ist, und es mag fraglich sein, ob in Bezug auf die Sagen, welche innerhalb des Bereiches des epischen Kyklos fallen, die Tragödie oder das Epos vorwiegt. Dagegen ist ein lyrischer Einfluss durchaus nicht nachzuweisen und'auch die alexandrinische Poesie hat auf die Vasenbilder nicht eingewirkt.?) Auch werden wohl nur wenige mehr das Urtheil von Overbeck p. XIII unter. Schreiben wollen, dass, wenn z. B. Overb. X, 5 Eros den Paris vor- führt, eine andere Quelle zu Grunde liegen müsse, weil dies nicht nach dem Epos sei. Es kann das Epos zu Grunde liegen, und doch das Bild in den Einzelheiten vom Epos sehr verschieden sein. Die Unteritaliker haben ihre besodere Árt, die zu bekannt ist, als dass ich allgemeine Züge anzugeben brauchte. Aber eine neue Betrachtung der Vasenbilder von unserem Gesichtspunkte aus wird auch hier einiges Neue für die Beurtheilung bringen.

Dasjenige Vasenbild, welches am meisten geeignet ist als Grund- lage dieser Untersuchung zu dienén, ist leider noch nicht publicirt, und trotz der durchsichtigen Beschreibung, die Jatta gibt, vermisse ich doch sehr die Abbildung, besonders da die richtige Deutung erst später gefunden ist. Die Vase gehört der Sammlung Jatta an, Nr. 1097, beschrieben p. 559—563; von Heydemann, Arch. Zeit. 1872, p. 43 auf das

Gebet des Chryses und das Sühnopfer der Griechen

bei der Rückgabe der Chryseis gedeutet. Nach der homerischen Schilderung schickt Agamemnon den Odysseus mit der Chryseis, 20 Ruderern und einer Hekatombe für

!) Die Popularität des Namens Phoinix zeigt u. a. annal. 18692 tav. B. - Vgl. 8. 10 u. 11.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 523

den Apollon nach Chryse hinüber (A 306— 312). Nach ihrer Landung führt Odysseus die Chryseis am Altare des Gottes dem Vater zu. Die Ruderer stellen die Hekatombe um den Altar, waschen sich die Hände und nehmen Gerstenkörner in dieselben. Dann fleht Chryseis zum Apollon, das Unheil von den Troern abwenden zu wollen. Nach dem Gebet schlachtet man die Opferthiere; einen Theil des Fleisches verbrennt Chryseis und giesst funkelnden Wein hinzu. Knaben aber nehmen fünfzackige Gabeln, um das Opferfleisch zu halten. Nach dem Opfer beginnt das Mahl, des Weines wird nicht geschont und der Gott durch Gesang und Tanz gefeiert (A 430—476). Die Schilderung bei Homer gibt die üblichen Opferceremonien an.

Im Bilde hat Chryses die Hände erhoben und betet zum Apollon, der im Tempel auf einer Basis steht. Chryseis scheint die Bitten des Vaters zu unterstützen. Dagegen vermissen wir den Odysseus, wenigstens möchte ich nach der Beschreibung keinen der vier übrigen Männer so benennen.!) Aus einer Quelle fliesst Wasser in ein Becken, das als Untersatz dient; vor dem Tempel steht ein Altar, : mit loderndem Feuer. Ein Priester nebst einem jüngeren Gehtilfen steht daneben; zwei andere Männer sind damit beschäftigt, einen Stier zu erlegen. Hinter der Chryseis stehen noch zwei weibliche Personen, in der einen können wir vielleicht eine Dienerin der Chryseis erkennen, die andere ist als Opferdienerin durch das Becken mit zwei Oinochoen, das sie auf dem Kopfe und durch die Kanne, die sie in der Rechten trägt, bezeichnet. Schon in allen diesen Per- sonen gibt sich kund, wie wenig der Künstler nach den Worten der Ilias malte, wie er den gegebenen Stoff in seiner Weise ausbildete. Manches, was er uns bietet, finden wir nicht in der Ilias, und anderer- seits gibt diese manches, was er zu bilden verschmüht hat. Wenn er den Brunnen zeichnete, so hat er sicherlich dies nicht gethan, um dem einen Worte der Ilias χερνίψαντο (V. 449) gerecht zu werden, und wenn er die Dienerin mit der Kanne nahen lässt, so haben ihm nicht die Worte ἐπὶ δ᾽ αἴθοπα οἶνον λεῖβε (V. 462) im Sinne ge- legen; sondern zum Opfer gehörte nun einmal das Wasser und die Weinspende. Bei jedem Opfer, das der Künstler ausführlicher dar- stellt, wird uns ähnliches begegnen. Man vgl. z. B. die Vasenbilder Neapel 1988. 2411. 2858 u. a., und die Uebereinstimmuug, die sich nothwendig ergeben muss, bietet sich jedem von selbst dar. Auch Götter wohnen der heiligen Handlung bei. Athena unterhält sich mit Hermes; ein junges Weib hört ihnen zu. Athena lässt sich sehr wohl als Schutzgöttin der Griechen erklären, und Hermes, der Ge- leiter, findet sich überall ein, wo Gótter sind; ungemein oft aber ist er gerade in unteritalischen Vasenbildern mit der Athena verbunden, und es ist nicht gerathen, seine Gegenwart immer durch Schriftstellen erklären zu wollen.

—M

1) Oder ist der bürtige Mann am Altare Odysseus?

524 H. Luckenbach:

Aber noch nicht genug mit diesen Figuren. In der lockeren Manier der späteren Vasenmalerei kommt auch noch Aphrodite hinzu, die in der Hand eine Schale mit Früchten hält, von denen Eros eine wegnimmt. Unter ihnen sitzt eine Frau, die den Blick zu ihnen emporwendet.

Um den Kern der homerischen Sage also, der deutlich zum Vorschein kommt, hat der Maler eine Reihe von Personen und Göttern geschaart, die, wenn überhaupt, doch nur in einem sehr lockeren Verhältnisse zur Haupthandlung stehen. Aphrodite und Eros haben schlechterdings gar keine Beziehung zur Handlung. Ausser der Chryseis und den Göttinnen finden wir noch drei weib- liche Gestalten, für deren Darstellung Homer keinen Anlass gegeben hat. Sie zu benennen geht schon deshalb nicht an, weil der Ort der Handlung die Insel Chryse ist. Freilich, ständen wir auf troischem Boden, dann würde man ganz ohne Zweifel für mehrere der Frauen Namen in Bereitschaft halten. Bei jedem Anlasse miissen "Thetis : und die Nereiden, Iphis und Diomede, Hekabe, Andromache u. ἃ.

herhalten, um ihren Namen den Personen des Vasenbildes zu leihen. Es wird dann mit Sorgfalt genau nach den Versen Homers abge- wogen, welche der Frauen in näherem Verhältnisse zur Haupt- «darstellung steht, und demgemäss erhalten die Personen des Bildes nach Stellung, Würde und Aussehen ihre Namen. Auch für den Jüngling am Altare würde man wahrscheinlich den Namen Antilochos missbrauchen. Dass der Künstler auch Personen gemalt hat in all- gemeiner Bedeutung, ohne an bestimmte Gestalten Homers zu denken, diese Erkenntnies erfordert eine Entsagung von Seiten des Erklärers, welche selten gefunden wird und doch angesichts so vieler sicheren Fälle gefordert werden darf, zumal da uns so oft, wenn einmal der Künstler Namen beigeshrieben hat, solche entgegentreten, die nicht im Epos begründet sind, und die der Künstler sich selbst erdacht hat. Wäre z. B. in dem attischen Vasenbilde Overb. XIII, 2 diejenige "Jungfrau, die dem Tyndareus und Ikarios die Entführung der Helena meldet, nicht Euopis benannt, also mit einem beliebigen schón- klingenden Namen!), dann würde man bei der bisherigen Methode Schon einen Namen für sie gefunden haben, etwa Philonoe, die uns als Schwester der Timandra und Helena genannt wird?), ja man würde sagen, dass gar kein anderer Name für sie da sei und deshalb ohne Bedenken ihr den betreffenden Namen geben.

An diesem Orte mag auch die Iliupersis des Brygos”) berührt werden, die freilich ebenfalls der zweiten Epoche angehürt, &ber doch

Urlichs treilich scheint den Namen Euopis im Epos suchen zn wollen, da er in einer Dienerin der Helena auf einer anderen Vase (annal. 1856, XIV == Conze, Vorlegebl. VIII, 3) Euopis erkennt. Urlichs Vasenmaler Brygos p. 4. ?) Apollod. III, 10, 6 und sonst. Philonoe in der schwarzfig. Vase Br. M. 584*. °) Heydemann, lliupersis, Taf. 1. Conze, Vorlegebl. VIII, 4.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 525

hier des Zusammenhanges wegen besprochen werden darf, da sie vielleicht wie keine andere Vase interessant ist in Bezug auf die Namen, die Künstler ihren Figuren geben.) Während auf der einen Seite Neoptolemos den Ástyanax am Beine gefasst hält und auf den Priamos eindringt und Akamas die Polyxena hinwegführt, sehen wir auf der anderen den Strassenkampf, in dem die letzten Troer nach heldenmtthiger Gegenwehr fallen. Ein Grieche Opsime[don ?]?) stürmt gegen den schon gesunkenen Andromachos; ihm stellt sich ein Weib entgegen, Andromache, muthig in beiden Händen die Keule schwingend; ängstlich sich zurtickwendend flieht Astyanax davon. Die Namen haben Schwierigkeit gemacht: denn eine bestimmte Scene des Epos liegt hier nicht vor, und den Astyanax finden wir nebenan bereits von Neoptolemos getödtet. Der Maler, der eine Scene all- gemeinerer Art entworfen hatte, suchte Namen für seine Personen: das muthige Weib nannte er Andromache, den Gefallenen, den sie vertheidigt, Andromachos, den schüchternen Knaben Ástyanax. Man darf nicht die Frage stellen, ob dies die Andromache und der Astyanax des Epos sind; sie sind es und sind es auch nicht: denn ihre Namen hatte der Künstler im Auge, aber eine sie betreffende Scene des Epos stellte er nicht dar. Die Namen Opsimedon und Andromachos, in dem wir vielleicht den Gatten der Andromache erkennen dürfen, wählte der Maler beliebig, bei dem letzten Namen nur auf die Be- deutung achtend. Hinter Opsimedon entflieht ein Weib, und ein Krieger dringt auf den gesunkenen Gegner ein. Treffend sagt Heyde- mann a. O. p. 23 “sie benennen zu wollen wäre Spielerei und Mangel an Verständniss des Kunstwerks'. Nur den Untergang der Troer, nicht aber bestimmter Troer sehen wir vor unseren Augen, und de der Künstler selbst individualisiren wollte, wühlte er Namen, die ihm beifielen, und darunter auch den der Andromache und des Astyanax, Namen, die hier von ihrer individuellen Bedeutung zu einer allgemeineren verflüchtigt wurden.

Ein weiteres Beispiel für die Richtigkeit der aufgestellten Be- hauptung, dass man mit wemig Hecht möglichst vielen Personen Namen beilegt, liefert die Perservase.") Im Rathe des Königs sind ausser dem Boten und dem Doryphoros noch fünf Personen anwesend. Heydemann*) glaubt, wie andere vor ihm, in allen habe der Maler bestimmte historische Gestalten vorführen wollen, und sucht sie deshalb mit Namen zu benennen. Hippias, Gobryes und Demaratos

') Zur Auffassung vgl. Heydemann a. O. p. 28 ff. Brunn, troische Miscellen, p. 226 ff. Urlichs, der Vasenmaler Brygos, p. 4 5. Conze, Gött. gel. Anz. 1867, p. 59€. Urlichs vertauscht die Namen, nennt den Griechen Andromachos, den Gefallenen Opeimedon. Dies geht wegen der Stellung der Inschriften nicht an. Ueber die Ergänzung des Namens vgl. Heydemann a. O. p. 28. °) Diese Bemerkungen gingen hervor aus einer Besprechung der Perservase im Seminar des Herrn Prof. Michaelis. *) Neapler Katalog 8958. annal. 1878, p. 30 ff.

520 H. Luckenbach:

sind ihm relativ gesichert; in dem vierten erkennt er einen Tyrannen irgend einer kleinen asiatisch-griechischen Stadt, in dem fünften den Artaphrenes oder auch Otanes oder endlich Datis. Allein abgesehen davon, dass wir beim Maler kaum die Kenntniss aller einzelnen Um- stände am Perserhofe, aller Personen, die zu jener Zeit von Griechen und Persern dem Könige nahestanden, voraussetzen dürfen, sehen wir deutlich, dass der Maler uns tiber keine Person im Unklaren lassen wollte, mit der er selbst einen bestimmten Namen verknüpfte. Beginnen wir mit der obersten Reihe, so sind Artemis, Apollon, Nike, Zeus und Athena für jeden sofort kenntlich; die übrigen Ge- stalten, über deren Benennung man sich sonst vielleicht heute noch nicht geeinigt haben würde, bezeichnete er durch Inschriften als Hellas, Apate und Asia. Für die Personen der untersten Reihe be- dürfen wir ebenfalls keiner Namen: wir erkennen den Schatzmeister und die Repräsentanten der tributzahlenden Provinzen.') Läsen wir bei Herodot von einem Schatzmeister des Dareios um diese Zeit, ich zweifle nicht, dass man auch seinen Namen für den Schatzmeister der Vase verwandt hätte. In der mittelsten Reihe ist, damit die Darstellung durchaus klar sei und man nicht zwischen Dareios und Xerxes schwanke, der König Dareios benannt: dürften wir nicht auch erwarten, dass der Künstler ein Gleiches bei den tibrigen Personen gethan haben würde? Wenn er für den Beschauer die Namen Hellas, Apate und Asia beischrieb, warum nicht auch die Namen Gobryes, Demaratos, Hippias u. s. w. Diese waren gewiss nicht leichter zu errathen als die symbolischen Figuren der obersten Reihe. Heyde- mann hat auf die Verschiedenheit des Kostüms aufmerksam gemacht; er will Perser, Griechen und Kleinasiaten erkennen; und wenn dieser Unterschied richtig wäre, so würde man vielleicht doch auf die Be- nennung der einzelnen Männer zurückkommen dürfen. Da jedoch der Zahlmeister nicht als Perser gekleidet ist und doch unzweifelhaft als solcher gedacht werden muss, werden wir auch in der Ver- schiedenheit der Kleidung der Umgebung des Königs nur das Streben nach Abwechselung oder auch den Wunsch, die Mischung griechi- scher und asiatischer Elemente in mannichfacher Abstufung zur Anschauung zu bringen, zu erkennen haben. Wenn endlich der Aeusserste rechts steht und nicht sitzt, so ist dies wohl in erster Lirie dem Raummangel, dann wieder demselben Bedürfniss nach Abwechselung zuzuschreiben. Die Benennung der einzelnen Personen ist also ohne gentigenden Grund vorgenommen. Der Maler hat den König im Rathe seiner Edlen dargestellt; wie diese hiessen, blieb ihm gleichgültig.

Der getadelte Versuch, móglichst viele Personen zu individu- alisiren, soll an einem andern Vasenbilde sofort zur Sprache kom- men, dem

Michaelis ist geneigt, in ihnen Weiber zu erkennen.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. δ21

Todtenopfer des Achilleus zu Ehren des Patroklos. Mon. IX, 32. 33. annal. 1871, p. 166—186. Neapel 3254.

Den wesentlichen Inhalt des Todtenopfers sehen wir auf der Vase; die Inschrift TTatpóxAou τάφος zeigt dies schon an. In der Mitte ist der grosse Scheiterhaufen errichtet; auf demselben liegen zwei Panzer, ein Helm, ferner sind zwei Beinschienen und ein Schild an demselben befestigt. Es liegt nahe, an das Geltibde des Achilleus zu denken:

οὔ ce πρὶν κτεριῶ πρίν τ᾽ "Cxropoc ἐνθάδ᾽ ἐνεῖκαι τεύχεα καὶ κεφαλήν (C 334 f£.)

Nur wird man nicht glauben wollen, dass der Maler durch diesen Vers zu seiner Darstellung bewogen sei. Die Waffen werden nur hier und X 368 ff, wo Achilleus dem Hektor die Rüstung raubt, kurz erwähnt. Ist es doch fraglich, ob der Maler sich selbst klar darüber gewesen ist, ob er Hektors Waffen dargestellt hat oder andere. Gegen das erste sprechen eigentlich schon die beiden Panzer, da Hektor doch nur einen trug. Nicht also die Worte Homers haben den Ansschlag gegeben, sondern die allgemeine Sitte, dem gefallenen Krieger die Waffen mit ins Grab zu geben, übertrug der Maler auf die Heroenzeit.

Links vom Scheiterhaufen befinden sich vier Troer, ein fünfter in der unteren Reihe; einen von ihnen ist Achilleus im Begriffe niederzumachen. Allen sind die Hände auf dem Rücken zusammen- gebunden, wie es uns die Ilias berichtet ® 30:

δῆςε δ᾽ ὀπίεςω χεῖρας Eüruntorcıv ἱμᾶειν.

Indess sei auch hier daran erinnert, dass die Fesselung der Hände auf dem Rücken die gewöhnliche ist. Reiches Haar trägt Achilleus, während er sich nach Homer vor dem Todtenopfer scheert. Auf der anderen Seite steht ein Heerführer (Agamemnon); mit der Rechten giesst er eine Schale rothen Weines auf den Scheiterhaufen. Zu seinen Füssen steht eine Hydria. Zu ihrer Erklärung die Worte Homers:

ἐν δ᾽ ἐτίθει μέλιτος καὶ ἀλείφατος ἀμφιφορῆας πρὸς λέχεα κλίνων (V 170£)

herbeizuziehen, scheint mir durchaus unpassend. Unzweifelhaft ent- hält sie die gespendete Flüssigkeit. Von Achilleus lesen wir V 218 ff.:

δὲ πάννυχος duc ᾿Αχιλλεὺς χρυςέου ἐκ κρητῆρος ἑλὼν δέπας ἀμφικύπελλον οἶνον ἀφυςςάμενος χαμάδις χέε, δεῦε δὲ Yalıv ψυχὴν KırAnckwv ΤΠατροκλῆος δειλοῖο.

Achilleus spendet den Wein; Achilleus hat aber auch das Opfer zu vollziehen: beides im Vasenbilde auszudrücken war nicht möglich,

528 H. Luckenbach:

der Maler half sich und theilte die Spende dem Agamemnon zu, in- dess Achilleus selbst die Troer hinmordet. Dass jedoch dem Maler überhaupt die Verse des Homer in der Erinnerung lagen, scheint mir sehr problematisch. Wie ich glaube, würde unzweifelhaft das Vasenbild dasselhe sein, auch wenn jene Verse nie in der Ilias ge- standen hätten. Beim Opfer ist die Spende angebracht, zur Spende gehört die Schale, der Wein und ebenso das Gefäss, in dem derselbe vorher aufbewahrt war." Dass Agamemnon hier spendet, ist gewiss ein feiner Zug des Künstlers; Agamemnon, der oberste Heerführer der Griechen, der jetzt mit-Achilleus neu versöhnt ist, war hier mehr als jeder andere am Platze. Hinter ihm befinden sich zwei Frauen: die erste, die man wohl mit Recht Thetis genannt hat und deren Anwesenheit sich leicht erklärt, steht verhüllt da; die zweite naht mit einer Schale, einer Binde und einem Fächer in Händen. In der Ilias wird ihre Funktion beim Opfer nicht erwähnt. Zwei weitere Frauen sind in der unteren Reihe dargestellt, eine wiederum ruhig dastehend, indess die andere aus einer Amphora Wasser in einen Dreifuss giesst. Während man in jener, die mit der Schale nahte, sich begnügen musste, eine Zuthat des Künstlers zu erblicken, hat man diese wieder aus Homer zu erklären versucht und an die Verse erinnert:

Uc εἰπὼν ἑπάροιειν ἐκέκλετο δῖος ᾿Αχιλλεὺς ἀμφὶ πυρὶ crfjcat τρίποδα μέγαν ὄφρα Táyicra Πάτροκλον λούςειαν ἄπο βρότον αἱματόεντα.

οἱ δὲ λοετροχόον τρίποδ᾽ ἵεταςαν ἐν πυρὶ κηλέῳ ἐν δ᾽ ἄρ᾽ ὕδωρ ἔχεαν (C 343 f£).

Diese Beziehung liegt zu fern; vor allem fehlt ja der Leichnam des Patroklos, um dessentwillen die Dienerin beschäftigt sein soll. Ferner ist daran gedacht, dass man Ψ 35 den Achilleus zu überredem sucht, sich vom Blute zu reinigen und den Dienern den Befehl gibt, einen grossen Dreifuss ans Feuer zu stellen, Achilleus dagegen sich zu reinigen weigert, ehe das Todtenopfer dem Freunde gebracht ist. Allein nicht jener Worte des Homer wegen hat der Maler die Dienerin gemalt, die Wasser in einen Dreifuss giesst. Wie sich die Darbringung der Waffen, die Dienerin mit den Opfergeräthschaften aus dem Ritus erklärt, so auch der Dreifuss und die Dienerin mit der Amphora. Das Opfer erforderte die Reinigung: dann aber gehört Wasser zu jedem Opfer; bei dem Gebet des Chryses floss aus einer Quelle Wasser in den Untersatz.

Am üussersten rechten Ende steht das Viergespann des Achilleus, an dem der blutige Leichnam des Hektor mit den Füssen befestigt ist.

') Vgl. oben Opfer des Chryses. Hinsichtlich der Spende sei an Kroisos auf dem Scheiterhaufen erinnert, der mit der Rechten aus einer Schale den Wein ausgiesst (mon. I, 64. Welcker, alte Denkm. IIl, 38).

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. :529

Der Wagenlenker hält die Rosse an; er hat sich zurlickgewandt und unterbält sich mit einem Jünglinge, in dem man den Antilochos er- kannt hat. Für des letzteren Anwesenheit hat Michaelis sich darauf berufen, dass C 2. 32 Antilochos dem Achilleus die Trauerbotschaft vom Tode seines Freundes tberbringt und mit ihm den Todten be- klagt. Allein wäre dies die ganze Bedeutung des Antilochos, dann würde der Maler ihn schwerlich hier angebracht haben, er wlirde gar nicht an ihn gedacht haben. Nicht darum war es ihm zu thun, nur aus der Ilias eine Scene herauszuschälen und gewissermassen zu isoliren, sondern er schópfte aus dem ganzen Gewebe der Sagen, das er durchdrungen hatte. Er wusste, dass Antilochos an die Stelle des Patroklos in der Aethiopis trat und dem Achilleus später der liebste Freund wurde, ein Verhältniss, das schon die Ilias andeutet. ἢ)

Diese Art und Weise der Verbindung von Personen, die aus verschiedenen Dichtungen bekannt waren, ist soviel ich sehe noch nicht gebührend hervorgehoben. Besonders lehrreich ist die Art des Polygnot, und so wenig auch dieser hinsichtlich der Composition und Erfindung sich mit den Vasenmalern vergleichen lässt, so passend scheinen mir doch einige Worte über die Art zu sein, mit der er die Personen verschiedener Gedichte verband. In seiner lliupersis hält er sich im Wesentlichen an das Gedicht des Lesches (Paus. X, 25—27). Sofort im Eingange wird uns die Abfahrt der Griechen geschildert; auf dem Schiffe des Menelaos befindet sich der Steuer- mann desselben, Phrontis, dessen Namen Polygnot nach des Pause- nias richtiger Bemerkung aus der Odyssee (Y 276—285) geschöpft hat. Zur Helena fügte er Briseis, Diomede und Iphis, die er ohne Zweifel aus der Dies kannte, Unter den gefangenen Troerinnen malte er die Medusa, Klymene und Aristomache. Bei diesen Frauen lagen ihm HReminiscenzen aus der lliupersis und den Nosten des Stesichoros vor. Auch die Deinome brachte er an, und diese wurde in der kleinen Ilias erwähnt. Von einer Verquickung aller dieser Gedichte kann natürlich nicht die Rede sein; aber dass Polygnot gründlich in der Literatur bewandert war, können wir dem ent- nehmen.

Dasselbe nun haben auch die Vasenmaler gethan. Wie in unserem Bilde wesentlich der in der Aethiopis geschilderte Freund- schaftsbund des Achilleus und Antilochos die Veranlassung für den Maler war letzteren hinzuzufügen, so finden wir auf vielen anderen Personen, die nicht in der betreffenden Stelle der Poesie erwähnt zu werden brauchen. So erblicken wir auf einer anderen unter- italischen Vase?), auf der die Lösung des Hektor durch Priamos nach Aischylos dargestellt ist, auch Thetis, Nestor und Antilochos?), aber

') V 556 ὅτι ol fjev éxatpoc. Overb. 4. Conse, Vor- legebl. I, 3, 2. Peters 492. Arch, Zeit. 1879, p. 15ff. Uebrigens steht auf der Vase ' oc, vgl. p. 514.

Jahrb. f. class. Phil. SuppL Bd. XI, 94

530 H. Luckenbach:

schwerlich spielte eine dieser Personen im Drama eine Rolle. Beim Morde des Aigisthos!) dürfen wir die Gegenwart des Talthybios bei der Frage nach der Quelle nicht in Anschlag bringen. Das Bild würde dem Drama folgen können, obwohl dieses den Talthybios un- erwähnt liess. Wenn in derselben Darstellung Chrysothemis uns an Sophokles erinnern kann, so ist durch ihre Gegenwart allein Sophokles nicht als Quelle erwiesen. Grade bei diesem Bilde dürfen wir von einer eigentlichen Quelle nicht reden. Den Mord des Aigi- sthos, den das Epos und die Tragödien des Aischylos und Sophokles gedichtet hatten”), sehen wir vom Künstler frei gebildet ohne enge Anlehnung an eine bestimmte Quelle.

Uebrigens ist, um nach dieser Abschweifung wieder zu unserer Vase zurückzukehren, die Zurückhaltung, mit der Michaelis den Jüngling Antilochos benennt, nur zu begründet, da vielleicht der Künstler gar nicht an einen bestimmten Griechen gedacht hat. Wenn Heydemann zweifelt, ob er ihn Antilochos oder Alkimos be- nennen soll, für den letzteren Namen sich berufend auf T 392, wo Automedon und Alkimos dem Achilleus die Rosse anspannen, so ist es für mich kaum denkbar, dass der Maler diesen Alkimos dar- gestellt habe. Hatte er eine bestimmte Person im Auge, zu welcher Annahme kein genügender Grund vorliegt, dann kann er wohl nur den Antilochos gemeint haben. Auch den Wagenlenker hat man benannt mit dem Namen Automedon, den die Ilias an die Hand gibt. So passend diese Bezeichnung ist, so bleibt es trotzdem noch immer fraglich, ob der Künstler an den Automedon gedacht hat. Hätte er Namen beigeschrieben, möglich, dass er dann wie jener Maler ver- fahren wäre, der die Dienerin des Odysseus Antiphata nannte.

Die Mitte des obersten Streifens nimmt ein Zelt ein, in dem zwei Greise (wohl Nestor und Phoinix) sich unterhalten. Links von ihnen zwei Myrmidonen im Gesprüche, neben denen eine Frau steht traurig nachdenkend. Zur Rechten endlich Athena, die sich mit Hermes unterredet. Zu diesen beiden Göttern, die uns auch schon vorhin begegneten, gesellt sich Pan, der so häufig auf unteritalischen Vasen sich findet, ohne dass für seine Anwesenheit tiefere Be- ziehungen sich finden liessen.

Fünf weibliche Personen waren ausser Athena auf unserer Vase zugegen. Vier davon hat man mit Namen benannt, die uns die Ilias angibt, Thetis, Briseis, Iphis, Diomede, die fünfte wird einfach als Dienerin bezeichnet. In der einzelnen Benennung gehen die Ar sichten zum Theil auseinander, worauf ich mich hier nicht näher einlassen kann. Auch ich habe mich oben der Benennung der Thetis angeschlossen, und da die in Rede stehende Frau sich vor allen anderen auszeichnet, glaube ich, dass man Unrecht thun würde,

Mon. VIII, 16. Conze, Vorlegebl. I, 1, 2. Vgl. Helbig, annal. 1865, p. 222. ?) Auch Euripides in seiner Elektra.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 531

wenn man behauptete, der Künstler habe gar keine bestimmte Person dargestellt. Nur darüber würde sich streiten lassen, ob wir in ihr auch Thetis und nicht etwa Briseis zu erkennen haben. Unthunlich ist dagegen, auch allen übrigen Frauen Namen zu geben.!) Konnte der Künstler nicht ebensogut nur Frauen, nicht aber bestimmte Frauen malen, wie er ja auch zwei Myrmidonen malte, denen bisher niemand Namen gegeben hat? Die einmalige kurze Erwähnung der Iphis und Diomede in der Ilias (| 664—668) ist gewiss nicht ge- eignet, den Glauben, dass der Künstler an sie nicht gedacht habe, zu unterdrücken. Wenn so manchee Bild Figuren aufweist, die nicht in der Poesie begründet sind, dann ist doch auch da Vorsicht an- zurathen, wo sich dieselben allenfalls benennen liessen. Ganz zu verwerfen aber ist es, wenn man sogar die feste und sichere Ent- scheidung wagt, welche von den Personen Iphis und welche Diomede zu nennen sei.

Ueberblicken wir noch einmal die Darstellung, so bietet sich uns ein wohldurchdachtes Ganze dar, dessen Kern die Rache ist, die Achilleus den Manen des Patroklos versprochen hat. Hektor ist todt und die troischen Jünglinge fallen zum Opfer. Die übrigen Personen stehen meist in lockerer Verbindung mit der Haupthandlung. Vermissen könnten wir nur den Patroklos selbst, der nach der Ilias vor der Hinschlachtung der Troer auf den Scheiterhaufen gelegt wird. Vielleicht wird uns sein Fehlen weniger befremden, wenn wir sehen, wie frei der Künstler verfuhr; die Waffen auf dem Scheiter- haufen, hier Agamemnon spendend, dort die Dienerin Wasser be- reitend, eine andere mit einer Schüssel, einem Fächer und einer Binde herbeieilend; Achilleus mit langem Haare, Phoinix mit Nestor, Athena mit Hermes, ein Myrmidone mit einem anderen, der Wagen- lenker mit Antilochos (?) im Gespräche: dies alles ist mehr oder weniger frei geschaffen, zum Theil nach Personen, die das Epos an die Hand gibt.

Wenn wir vorhin die Anlehnung an Einzelheiten möglichst zu leugnen suchten, einzig von dem Gedariken ausgehend, dass der Künstler nach seinen Kenntnissen der Sage aus sich selbst heraus- producirt, nicht aber nach vorhergegangenem Studium des Homer sich an diesen möglichst treu anschliesst, so hatten wir für unsere Ansicht eine wesentliche Stütze an dem Bilde, welches das Gebet des Chryses uns vorführte. Keine geringe Bestätigung gibt uns die Vase, zu der wir ung jetzt wenden:

die Schleifung des Hektor um das Grabmal des Patroklos. Overb. 457, 116. Neapel 3228.

In einem Grabtempelchen steht ein nackter weissgemalter Jüngling, der Schatten des Patroklos. Daneben ist eine Frau sichtbar mit

1) Vgl. Michaelis p. 181 per atventwura assegnando noms cert$ anche a queste figure secondarte, ascriveremmo al pittore pensieri che certo non ebbe. g4*

532 H. Luckenbach:

aufgelösten Haaren, in der Linken eine Schale haltend, offenbar um am Grabe des Verstorbenen eine Opferspende vorzunehmen. In ähnlicher Absicht, um den Todten zu ehren, naht eine zweite Frau, in den Händen einen Kranz und einen halbgeóffneten Kasten tragend. Bei ihr steht ein Jüngling, der mit beiden vorgestreckten Händen einen Schild hebt; hinter ihm stehen zwei gekreuzte Speere. Unterhalb des Grabtempels sprengt das Viergespann des Achilleus einher, von ihm selbst geleitet. Das Haupt traurig senkend blickt er zu dem geschleiften Hektor herab. Wie so oft in unteritalischen Vasen ist hier ein Todtencult dargestellt, der auf Patroklos tiber- tragen ist. In der Ilias lesen wir nichts von spendenden Frauen. Diejenigen freilich, die die Vasenmaler zu sklavischen Nachbildnern der Dichter machen wollen, könnten erinnern an die Verse des Homer 255 ff., wo es von den Myrmidonen heisst:

τορνώςαντο de cfjua θεμείλιά TE προβάλοντο ἀμφὶ πυρήν᾽ εἶθαρ δὲ χυτὴν ἐπὶ γαῖαν ἔχευαν. χεύαντες δὲ τὸ εῆμα πάλιν κίον.

Sie könnten sagen, was dort der Dichter allgemein sage von den Myrmidonen, schliesse die Frauen keineswegs aus, und diese habe der Maler hier dargestellt. Ich lasse diese und füge nur hinzu, dass die Schleifung um das Grabmal des Patroklos erst im folgenden Buche erwähnt wird (Q 12—17). Wenn Heydemann die zuerst er- wühnte Frau Briseis nennt, so kann ich nur die vorhin ausge- sprochene Warnung wiederholen und darauf hinweisen, wie ungewiss eine solche Benennung sein muss. Man wird mir entgegenhalten, dass der Künstler, wenn er einen Namen beigeschrieben hätte, wahr- scheinlich den der Briseis gewählt hütte. Auch ich glaube dies; aber dadurch ist nichts gewonnen; er hat nun einmal keinen Namen beigeschrieben, und es ist eben sehr fraglich, ob er an eine be- stimmte Person gedacht hat. Eine Scene, die er so oft darstellte ohne bestimmte Deutung, hat er auch hier gemalt, nur in Ver- bindung mit der Schleifung des Hektor.

Haben wir so mehrere Scenen der Ilias in unteritalischen Vasen- bildern wiedergefunden!), so fehlt es auch nicht an solchen, die uns deutlich zeigen, dass auch dann, als die Vasenmalerei sich schon ihrem Ende zuneigte, die übrigen Epen nicht in Vergessenheit ge- rathen waren.

Für die Kyprien kommen hier folgende drei Vasen in Be. tracht:

A Overb. 233, 67. XI, 1. Karlsruhe 36.

B Petersburg 1807. CR. 1861, Taf. III, p. 33. Brunn, Vor- legebl. Nr. 11. Brunn, troische Miscellen p. 52 ff.

-.-----

1) Als viertes Vasenbild nenne ich Overb, 419, 46. XVII, 6. Neapel 2910; andere sind mir nicht bekannt.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 533

C Arch. Zeit. 1858, Taf. 120, 1. Benndorf, griech. und sicil. Vasenb. p. 78. Wien V, 2, 70.

Α und B bringen uns das Parisurtheil, C die Vorbereitungen zu demselben zur Anschauung.

Wichtiger aber als die Personen, die uns gewöhnlich im Paris- urtheil vorgeführt werden, ist in den drei Vasen die Gegenwart an- derer Gótter.

Das Excerpt des Proklos beginnt mit den Worten Ζεὺς Bov- λεύεται μετὰ τῆς Θέμιδος περὶ τοῦ Τρωικοῦ πολέμου. Aus dem Schol. za Homer A 5 lernen wir, dass Zeus deshalb mit der Themis zu Rathe ging, weil die Erde übervölkert war. Und was die beiden Götter beriethen, das sagt uns deutlich eine Stelle des Platon, die, weil meist übersehen!), hier wörtlich niedergeschrie- ben zu werden verdient. Im Staate p. 379 E heisst es: οὐδ᾽ ὡς τα- μίας ἡμῖν Ζεὺς ἀγαθῶν τε κακῶν τε τέτυκται τὴν δὲ τῶν ὅρκων καὶ «πονδῶν cüyxuciv, ἣν TTavdapoc cuvexeev, ἐάν τις φῇ dr ᾿Αθηνᾶς τε καὶ Διὸς γεγονέναι οὐκ ἐπαινεςόμεθα᾽ οὐδὲ θεῶν ἔριν τε καὶ κρίειν διὰ Θέμιδός τε καὶ Διός. Gerade was hier in Abrede gestellt wird, muss eben der gewöhnlichen Sage angeheftet haben. Wie in der Ilias A 70 ff. Zeus die Athene zur Erde schickt, damit sie die Troer zur Verletzung des Bündnisses bringe, und Athena den Pandaros beredet, auf Menelaos einen Pfeil abzuschiessen, so muss e3 nach den Kyprien der Wille des Zeus gewesen sein, den Streit der Göttinnen und das Urtheil herbeizuführen. Wie sie ihren - Beschluss ins Werk setzten, lehrt uns wieder Proklos: Tapayevo- μένη δὲ Ἔρις εὐωχουμένων τῶν θεῶν Ev τοῖς Πηλέως γάμοις vei- «oc περὶ κάλλους ἐνίετηειν ᾿Αθηνᾷ Ἥρᾳ καὶ ᾿Αφροδίτῃ, ol πρὸς ᾿Αλέξανδρον ἐν Ἴδῃ κατὰ Διὸς προςταγὴν ὕφ᾽ Ἑρμοῦ πρὸς τὴν κρίειν ἄγονται.

Erscheinen uns so Zeus, Themis und Eris der schriftlichen Tra- dition nach als die Urheber des Schönheitsstreites, so haben jene drei Vasenbilder diesen Zug des alten Epos uns lebendig vor Augen geführt. In A ist Zeus anwesend und blickt auf die anderen Per- sonen von oben herab; besonders wichtig aber ist es, dass hier auch Eris erscheint. Zu diesen beiden Göttern tritt in B noch Themis hinzu, die sich mit Eris unterhält. Also noch in verhältnissmässig später Zeit folgte der Vasenmaler direct dem Epos.

Eine höchst bedeutsame Umgestaltung hat dann endlich in C stattgefunden, vorausgesetzt, dass Benndorfs Deutung das Richtige gegeben hat. Vor dem mit Binden geschmtickten Omphalos sitzt in lässiger Haltung Apollon, einen Lorbeerzweig in der Rechten. Er "^. merkt auf die Worte des ihm gegenüberstehenden Zeus, der den rechten Arm vorstreckend und den Zeigefinger erhebend dem Sohne Anweisungen zu geben scheint. Von dieser Gruppe, die für sich eine

!) Vgl. jedoch Ahrens, die Göttin Themis I p. 16, 32. Benndorf &. a. O-

534 H. Luckenbach: -

geschlossene Composition bildet, sind die übrigen Personen zu tren- nen, Hermes und die drei Göttinnen, die er im Auftrage des Zeus zum Ida hinführt. Hinter Apollon steht Hermes, die Hera, welche am äussersten linken Ende sich niedergelassen hat, auffordernd ihm zu folgen. Athena und Aphrodite sind schon auf dem Wege; Athena ist dem Hermes vorangeeilt; Aphrodite schwebt auf dem Schwane dahin.

Hier ist es also Apollon selbst, der Vorsteher des pythischen Orakels, mit dem Zeus zu Rathe geht, und durch den sein Wille, die Erde zu erleichtern, in Erfüllung geht. Die nächste Folge, der Streit der Göttinnen, ist zugleich dargestellt; die beiden Momente sind in einen zusammengefasst. Der Erfinder war mit der Zeit fort- geschritten: Themis, die echt epische Göttin, war jetzt veraltet und verdiente wenig Beachtung mehr; den vielgefeierten Apollon an ihre Stelle zu setzen, war ein glücklicher Einfall.

Tritt also einerseits der Anschluss ans Epos deutlich zu Tage, so ist andererseits auch die Abweichung gross. Nicht allein, dass Apollo die Themis vertritt, sondern auch die Durchführung des Ein- zelnen ist ganz dem Künstler zuzuschreiben. In A zwei Eroten, Eu- tychia mit einer Dienerin, Klymene, die Kekulé!) nicht für identisch mit Hebe hätte erklären sollen; in B Hebe und Eros, in C der Schwan, auf dem Aphrodite dahinführt: dies Alles sind Zuthaten, die sich in unteritalischen Vasenbildern wohl erklären, aber keine poetische Quelle verlangen.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass die drei Vasenbilder in allem Einzelnen verschieden sind, so dass an ein gemeinsames bildliches Original nicht zu denken ist. Die Kyprien also lebten damals noch frisch im Volke fort und nach den alten Epen malten die Vasen- maler ihre Bilder. Wenn ich nun auch weiter keine so schlagenden Beweise für andere Bildwerke erbringen kann, so gentigen eben diese, und es würde unbillig sein, für andere Vasenbilder, als deren Quelle man das Epos annehmen kann, dies nicht zu thun. Den Be- weis, den wir jetzt positiv erbracht haben, werden wir später negativ zu erhärten haben, indem wir nachweisen, dass ausser dem Epos und der Tragödie für Vasenbilder unseres Kreises keine anderen Dich- tungen in Betracht kommen.

B.

Bei der kurzen Rundschau tiber Vasenbilder der drei Epochen wurden mehrere Gruppen von: Bildwerken bisher absichtlich aus- geschlossen, nämlich diejenigen, welche Kampfscenen in besonderen Typen, sowie Rüstungs- und Abschiedsscenen vorführen. Es schien wünschenswerth, diese im Zusammenhange zu behandeln. Dabei muss die Kenntniss eines Aufsatzes von Heydemann vorausgesetzt

Hebe p. 39.

Verb. d. gr. Vasenbilder =. ἃ, Ged. d. ep. Kyklos. 535

werden, der unter der Aufschrift: „Heroisirte Genrebilder auf be- malten Vasen“ in den Commentationes in hon. Th. Mommseni p. 163 179 abgedruckt ist. So sehr alle Punkte, die Heydemann be- sprochen hat, unsere Arbeit berühren, so wenig halte ich es für nöthig, das Einzelne hier zu wiederholen. Nur da, wo es mir im Interesse dieser Arbeit zu liegen scheint, werde ich auf manches nochmals zurückkommen, besonders auch, da sich meine Auffassung zum Theil wesentlieh von der Heydemanns unterscheidet. Einen Punkt scheint mir nämlich derselbe nicht gebührend hervorgehoben zu haben, der hier sofort zur Sprache kommen soll. Indem der Künstler Bildern des Álltaglebens, Genrebildern, durch Beischriften höhere Weihe zu geben und sie der Alltäglichkeit zu entrücken ver- suchte, verfuhr er dabei nicht willkürlich, sondern fast beständig wusste er den Personen solche Namen beizuschreiben, die das Bild leicht zu einer wirklich heroischen Scene machten. Bei Abschieds- scenen werden die Jünglinge Aias und Teukros genannt und dem entsprechend der Alte Telamon, oder der Jüngling Hektor, der Alte Priamos und die beistehende Frau Hekabe.

Bei dieser absichtlichen Auswahl von Namen ist es oftmals schwer, die heroisirten Scenen von anderen zu unterscheiden. Auch für die typisch gewordenen Kampfscenen werden meist Namen von Kriegern gewählt, die sich auch der Poesie zufolge feindlich gegen- überstanden. Wenn aber auch einmal Aias und Áineias sich gegen- überstehen, so war dies nicht so weit abliegend; beide waren be- rühmte Helden im trojanischen Kriege, und während der zehnjähri- gen Belagerung mochten sie ja leicht auch einmal eine Lanze gegen einander geworfen haben.

Eine andere schwierige Frage ist es, ob das Genre in der grie- chischen Malerei aus den mythischen Darstellungen sich entwickelte, oder ob „am allgemein Menschlichen die Typen ausgebildet würden, nach denen das Mythische sich dann gestaltete“ (Furtwängler). Beide Ansichten haben ihre Vertreter gefunden, letztere besonders in Furt- wängler (Dornauszieher p. 13—18), dem Löschke (Arch. Zeit. 1876 p. 116) mit richtigen Einzelbeobachtungen entgegengetreten ist. Wenn ich richtig sehe, kann die Lösung dieses Problems nicht so gefunden werden, dass man einfach die Priorität des einen und die Posteriorität des anderen constatirt; die Wahrheit wird vielmehr in der Mitte liegen. Denn so unbestreitbar es ist, dass manche Mythen bei vielfacher Wiederholung oftmals gans und gar zum Genre herab- gezogen wurden, so muss doch andererseits daran festgehalten wer- den, dass eine Reihe von Scenen von vornherein genreartig gebildet wurde, ohne Bezug auf mythische Personen. Nicht nach einander, sondern neben einander Stehen Mythos und Genre; gleichzeitig und in mannichfacher Wechselseitigkeit wurden Mythos und Genre aus- gebildet.

536 H. Luckenbach:

856. Typische Kampfsoenen.

Unter den folgenden Darstellungen von Kümpfen, bei deren Behandlung des Zusammenhanges wegen auch über den Kreis der Ilias hinauszugreifen nóthig ist, lassen sich verschiedene bestimmt ausgeprügte Typen unterscheiden, die deshalb auch gesondert behan- delt zu werden verdienen.

I. Der erste Typus führt uns eine besondere Sitte wenigstens eines Theiles der Griechen vor Augen. An die Stelle der Streit- wagen sind die Rosse allein getreten, an Stelle der Wagenlenker die Diener. Conze hat annal. 1866 p. 275—285 darauf aufmerksam gemacht, dass ohne Zweifel diesen Vasenbildern eine besondere Sitte zu Grunde liegt. Trefflich wird uns diese durch ein korinthisches Vasenbild?) vor Augen geführt, das den Auszug eines Kriegers zum Kampfe darstellt. Vor einem gerüsteten Krieger reitet sein waffen- loser Diener, das Pferd des Herrn am Zügel führend, indess dieser es vorzieht zu Fuss zu marschiren. Ihre Namen sind charakteristisch genug: denn während der Pferdelenker 'Irrocrpóqoc heisst, ist dem Ritter Ἱπποβάτας beigeschrieben. Die typischen Kampfesdarstellun- gen nun zeigen uns die Kümpfenden zu Fuss in der Mitte, mit den Lanzen auf einander eindringend; die beiden Knappen warten mit beiden Rossen hinter ihnen. Nur selten ist, wie es scheint aus Nachlässigkeit, der Diener nur mit einem Rosse gegenwärtig. Von den Bildern dieser Art haben vier unser Interesse in Anspruch zu nehmen:

A Overb. 515, 35. XXI, 1.

Kampf des Achilleus und Memnon; ihre Begleiter führen keine Namen.

B Annal. 1852 tav. B p. 56 ff, Conze, Vorlegebl. III, 1, 3.

Kampf des Achilleus und Hektor; Phoenix und Sarpedon war- ten den Ausgang des Kampfes ab.

C Revers des vorigen. .

Kampf des Aias und Aineias, welche von dem zweiten Aias und Hippokles umgeben sind.

D Annal. 1866 ἑαυ. Q p. 275.

Aineias kämpft gegen einen Griechen, dem kein Name beige- schrieben ist. Die Knappen haben jeder nur ein Ross.

Der Kampf des Achilleus und Memnon in der Aithiopis ist be- kannt. Befremden dagegen erregen BC. Wohl ist der Kampf des Achilleus und Hector in der Ilias hochberühmt und zu jeder Zeit

Grote, history of Greece II, 610 bezweifelt, dass in der Pelopon- ne808 jemals Kriegswagen im Gebrauche waren. Heydemann, gr. Vas. VII, 3. Benndorf, gr. und sic. Vas. XXX, 10. Collignon 182 ἄ: schriften Taf. IV, 2).

Verb. d. gr. Vasenbilder =. d. Ged. d. ep. Kyklos. 531

gefeiert; aber zugegen sind hier Phoinix und Sarpedon. In der Ilias kämpfen die Helden vor den Mauern Trojas fern von Griechen wie Troern. Sarpedon konnte ja schon gar nicht zugegen sein; denn schon TT 481—505 hören wir von seinem Tode. Derselbe Zweifel kehrt wieder in C. Den Namen Hippokles kennt die llias nicht, und von einem hervorragenden Zweikampfe zwischen Aiss und Ai- neias weiss sie gleichfalls nichts zu erzählen. Und so hat sich denn Gerhard, Arch. Anz. 1856 p. 189* dazu entschlossen, diese beiden Darstellungen nicht sowohl in der Ilias zu suchen, als vielmehr sie auf sonstige epische Schilderungen, namentlich die Kyprien, zurück- zuführen. Ihm folgt Michaelis, annal. 1862 p. 566—858, für C haupt- süchlich auf den Namen Hippokles bauend. Diese Erklärung schien sich befestigen zu wollen. Heydemann, gr. Vas. p. 6 führt BC als Vasenbilder, die ihren Stoff aus den Kyprien entlehnt haben, auf; aber derselbe Heydemann hat sich auch zuerst von dieser Auffassung frei gemacht, indem er sie für heroisirte Genrebilder erklärt (com- ment. Momms. p. 177).

Der Name Hippokles kann zunächst nicht ins Gewicht fallen; denn wir wissen bereits, wie die Künstler die mit ἵππος zusammen- gesetzten Namen lieben (vgl. oben p. 496 £.). Wenn Heydemann a. O. p. 177, 55 meint, dieser Name sei vielleicht gar nicht in der epi- schen oder heroischen Literatur vorgekommen, so lässt sich viel be- stimmter sagen, dass der Name lediglich auf Rechnung des Künst- lers zu setzen ist, und dass derselbe, wenn wirklich in den Kyprien oder einem andern Epos ein Hippokles auftrat, gewiss nicht an die- sen gedacht haben kann. Auch die Anwesenheit des Phoinix und Sarpedon beweist nichts; denn die ganze Scene des Bildes lässt sich ebensowenig aus den Kyprien wie aus der Ilias erkl&ren. Offenbar haben sich die troischen Helden in die Kampfessitte, die der Maler kannte, fügen müssen; und wie geläufig diesem derartige Darstel- lungen waren, geht daraus hervor, dass er auch dem Herakles und Kyknos Knappen zutheilt.!) Ja hat er sich doch nicht gescheut, ein- mal den Theseus und Minotauros zwischen zwei Gefährten darzu- stellen, die mit dem Rosse an der Hand dem Kampfe zuschauen.") Ein Typus wurde also auf verschiedene Scenen angewandt; erfunden wurde derselbe, wie ich in diesen F&llen mit Furtwängler (Dornaus- zieher p. 17) zu behaupten nicht anstehe, nicht fürs Epos, sondern für allgemeine Darstellungen und spüter erst auf das Mythische übertragen. Der Vorgang, der bei dieser Uebertragung in diesen und ähnlichen Scenen stattfand, kann im Allgemeinen doppelt ge- dacht werden:

1) der Maler will einen bestimmten Kampf darstellen und be- nutzt dazu das ihm geläufige Schema;

v ') Heydemann, gr. Vas. I, 4. Collignon 198. Bull. Nap. N. 8. ‚18.

538 H. Luckenbach:

2) er malt das Kampfschema und versieht es mit individuali- sirenden Namen; und zwar wählt er in diesem Falle entweder der Poesie nach zusammengehörige Namen aus, oder aber er stellt auch zwei Männer gegenüber, die in der Poesie nicht in besonderer Fehde sich bekämpft haben.

Das Kriterion, welcher Vorgang im bestimmten Falle anzuneh- men sei, bietet der mehr oder minder genaue Anschluss an den Dichter auch in den Besonderheiten der Schilderung; doch wird es schwerlich gelingen, in jedem einzelnen Falle eine Entscheidung zu treffen.

Wenn nun Heydemann behauptet, bei allen diesen Darstellungen sei gar nicht an eine bestimmte heroische Scene zu denken und überhaupt nie gedacht worden, so muss dagegen erwidert werden, dass der Maler, wenn er den Achilleus mit Memnon oder Hektor kämpfend vorführte, gewiss an die hochberühmten Kämpfe der Epen gedacht und nur uns dieselben nach seiner Weise vorgeführt hat. Dass Sarpedon in B zugegen ist, darf nicht auffallen. Denn Hektor hatte einen Begleiter nöthig, und aus dem reichen Schatze troischer Helden wurde einer dem Hektor beigesellt. Daran, dass Sarpedon zur Zeit des Kampfes zwischen Achilleus und Hektor schon gefallen war, hat der Maler gar nicht gedacht und noch viel weniger über- legt, ob er mit Recht den Sarpedon dem Hektor zugesellte. Auch an dem jugendlichen Phoinix ist nach dem Gesagten kein Anstoss zu nehmen; er beweist vielmehr am allerschlagendsten die Richtigkeit unserer Auffassung. Die Genrescene, in welcher der Knappe ein Jüngling war, wurde durch Inschriften zu einer heroischen. Wenn so in AB der Maler unzweifelhaft an jene Kämpfe der Epen dachte, so hat er in C allerdings nur einen Troer und einen Griechen mit berühmten Namen gegenübergestellt; ähnlich ist es mit D, wo nur einem der beiden ein Name beigeschrieben ist.

II. Dieselbe Erscheinung zeigt sich in mehreren Bildern, in welchen um einen Todten gekämpft wird.

Unverkennbar sind zunächst die Anklänge an Homer in einem Bilde, in dem Hektor und Menelaos um den Leichnam des Euphorbos streiten (Verh. der Philologenvers. zu Hannover 1864. Salzmann, fouilles de Kameiros). Denn in der Ilias hat Menelaos den Euphor- bos getödtet P 59 ff. Da er denselben spoliiren will, veranlasst Apollon den Hektor, gegen ihn zu ziehen. Da Hektor anstürmt, weicht Menelaos zurück. Zu Heydemanns Ansicht, der glaubt, dass hier blosscr Zufall herrsche, kann ich mich schlechterdings nicht bekennen. Dass ein dreifacher Zufall gerade die drei Helden zu- sammenbringen soll, die in der Ilias erwühnt werden, ist doch mehr als unwahrscheinlich. Von einem Zweikampfe des Hektor und Me- nelaos ist allerdings dort keine Rede; aber doch ist es Hektor, der den Menelaos vom Leichnam des Euphorbos hinwegireibt. Unser

. Verh. d. gr. Vasenbilder x. d. Ged. d. ep. Kyklos. 589

Euphorbos muss demnach gleich dem homerischem sein, nach beab- sichtigter Wahl und nicht durch Zufall.)

Nicht mit gleicher Sicherheit kann man über einige weitere Vasen urtheilen:

Gerhard AV. III, 192. Overb. p. 407. Hoektor kämpft mit Diomedes; zu ihren Füssen liegt ein gefallener Bogenschütze, den der attische Maler ζκύθης genannt hat, was für ihn soviel als Bogen- schütz hiess. Homer gibt an, dass Diomedes den Agastrophos tödtete und sich dann gegen Hektor wandte. Er trifft denselben mit der Lanze und bringt ihn zu Falle. Hektor entflieht und Diomedes be- raubt den Agastrophos der Rüstung (A 338—368). Möglich, dass dem Künstler der homerische Kampf vorschwebte, möglich aber auch, dass er nur einen Griechen und Troer gegenüberstellte, indem er die Namen beliebig wählte.

In gleichem Zweifel befinden wir uns bei zwei Vasen, die den Kampf des Aias und Hektor vorstellen:

1) München 53.

2) Gerhard AV. II, 190. Overb. 425, 55.7?)

In beiden Bildern liegt zu den Füssen der Kämpfenden ein Todter, den man allgemein Patroklos nennt; mit wie wenig Recht, ist aus dem Bisherigen ersichtlich. Auf beiden Seiten noch andere Kämpfer. Auch in diesen Bildern ist die Annahme keineswegs aus- geschlossen, dass der Künstler die Namen des Áias und Hektor des- halb wählte, weil er sich erinnerte, dass jene wirklich zusammen gekämpft hatten. Wenn aber in der Münchener Vase einem der Troer, wie es scheint, der Name Tydeus beigeschrieben ist, so zeigt dies die leichte Manier der Vasenmaler.?)

Den letzten Bildern reiht sich treffend die von Overbeok p. 516, 36 erwähnte Darstellung eines Kampfes zwischen Hektor und Achil- leus an, zu deren Füssen ein Todter liegt (abg. 2. B. Millingen, anc. uned. mon. I, 4). Da Achilleus und Hektor in der Ilias nie um einen Todten kämpfen, und im Reverse des Bildes der todte Memnon von Eos davongeführt wird, so hat man trotz der Inschriften den Kampf des Achilleus und Memnon um des Antilochos Leiche zu erblicken

ἦν Furtwängler, Dornaussieher p. 17: „Zur Erhöhung des Reizes sind di amen Menelaos, Hektor und Euphorbos beigeschrie die der Künstler in einer, freilich etwas u en, Reminiscens an Homer hin- zugefügt zu haben scheint“. *) Mit dieser Vase ist die von Gerhard II p. 88, 84 f. erwühnte identisch, "dà die Beschreibung des Averses sowie die Inschrift (τροῖβος καλός mit unserer Vase üb mt. Wenn aber als Inhalt des Reversbildes ,, Troer“ angegeben wird, so ist dies ungenau und Undweife falsch. *) Wenn in bei- den Vasen auf Seiten des Aias ein Bogenschütze in „Phrygicher Tracht“ kämpft, so wird bekanntlich mit dieser Tracht in der älteren Vasen- malerei gar nicht der Betreffende als Troer gekennzeichnet, Die An- nahme einer Vertauschung beider Namen, wie sie Overbeck für das zweite Vasenbild will, ist darum unsolüssig.

. 540 H. Luckenbach:

geglaubt, indem man einen Schreibfehler des Malers annahm; eine Ansicht, für die besonders die sorgfältige Zeichnung der Vase spre- chen könnte. Nach allem bisher Ermittelten ist aber ein solcher Schreibfehler weit unwahrscheinlicher als eine beliebige Ausstattung einer allgemeinen Scene mit einzelnen Heroennamen. Die Krieger sollten einen Namen haben; der berühmteste Zweikampf war der des Achilleus mit Hektor; und so wurden diese Namen ruhig bei- geschrieben, ohne weiteres Besinnen: ein neues Beispiel, wie ge- dankenlos man mit den Inschriften wirtbschaftete.

Den bisherigen sfgn. Vasenbildern weiss ich nur ein rfgs. an die Seite zu stellen: Overb. 427, 87. XVIII, 3. Ueber einem Todten, der den Namen Patroklos führt, kämpfen Aias und Aineias; dem Aineias steht helfend zur Seite ein anderer Krieger mit Namen Hippasos; den Aias unterstützt Diomedes. Es ist der in der Ilias beschriebene Kampf um den todten Patroklos dargestellt. Dort wird ein eigentlicher Kampf zwischen Aias und Aineias nicht erwähnt, wohl aber sind grade sie es, die sich nächst Menelaos und Hektor auszeichnen. P 322 treibt Apollon den Aineias in den Kampf, und bald tödtet dieser den Leiokritos, um dessen Leichnam sich ein grosser Streit erhebt. Aias, der Vorkämpfer beim Patroklos, wehrt die Troer ab (vgl. v. 491. 513. 758). Die beiden Aias werden v. 507 erwähnt, und v. 531 ff. müssen vor ihnen Hektor, Aineias und Chro- mios zurückweichen. Sonach würde also der Kampf der beiden Helden auf dem Vasenbilde sich allenfalls mit der Ilias vereinbaren lassen, nicht 80 die Namen der anderen Helden. Diomedes wird in P gar nicht erwähnt, und Hippasos existirt nur als Vatername einiger Helden. Es ist genau der gleiche Vorgang wie bei der Dar- stellung der Leichenspiele des Patroklos. In unserem Bilde hilft Diomedes den Patroklos vertheidigen, dort fuhren Odysseus und Automedon mit. Dort waren ferner der Ilias unbekannte Helden, Damasippos und Hippomedon, hier tritt wieder ein mit ἵππος zu- sammengesetzter Name auf. Wenn wir a&ber dieses Bild zu den heroisirten rechnen, so geschieht dies deswegen, weil wir ohne In- schriften einen der vielen typischen Zweikämpfe um einen Gefallenen hätten, die man nicht alle zu deuten unternehmen soll, weil dieses Bild sich durch keinen charakteristischen Einzelzug unterscheidet, und endlich, weil auf derselben Vase auch ein anderes Bild allge- meiner Árt durch Inschriften individualisirt ist (vgl. unten p. 547).

III. Einen dritten Typus bilden diejenigen Scenen, in denen einem Fliehenden Hülfe gebracht wird. Eine sehr grosse Anzahl solcher Scenen befinden sich wieder auf korinthischen Gefässen; je- doch sind nur selten Namen beigeschrieben. Indem ich einige un- sichere bei Seite lasse’), führe ich hier nur das Mon. II, 38a. Mus.

So die bull. 1866 p. 142 f. erwähnte Vase, auf der der Name des

Verb. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 541

Greg. U, 9, 88 publicirte Bild an, in welchem Aias mit gezückter Lanze auf Hektor eindringt, dem Aineias zu Hülfe eilt. In der Ilias suchen wir vergeblich eine Schilderung, der das Vasenbild ent- spräche. Allerdings verzeichnet sie zwei Kämpfe, von denen wir den in H beschriebenen bereits in zwei Vasenbildern wiederfanden (s. o. p. 517.519); der andere ist = 402 ff. geschildert: Hektor hat fruchtlos seinen Speer entsendet; da er entweichen will, trifft ihn Aias mit einem Feldsteine. Hektor stürzt nieder, und nur durch die vereinte Anstrengung troischer Helden, darunter des Aineias, wird er davon- getragen. Wenn wir so eine genaue Uebereinstimmung vermissen, so fragt es sich nur, ob wir Heydemann folgen dürfen, der grade bei diesem Vasenbilde sagt: „an eine bestimmte heroische Darstel- lung ist dabei nicht zu denken und tiberhaupt nicht gedacht wor- den“. Es soll also vollständige Erfindung des Künstlers da sein und kein Anklang ans Epos sich wiederfinden. Allein ich kann nicht zugeben, dass der Maler so ohne weiteres einer fliehenden Person den Namen Hektor beischrieb. Schon Abeken hat annähernd das Richtige getroffen, indem er annal. 1836 p. 306 meint, dass eben einer jener Kämpfe der Ilias dargestellt sei, ohne dass der Künstler sich an Einzelheiten band. Indem nämlich der Künstler einen jener typischen Kämpfe, in denen einem Fliehenden ein anderer zu Hülfe eilt, malte und ihn mit Inschriften versah, muss er wenigstens das im Gedächtnisse gehabt haben, dass Hektor einmal durch Aias zu Schaden kam. Die Scene des Homer musste seinem Bilde angepasst werden, und mit demselben Rechte, mit dem wir den Kampf des Achilleus und Memnon (oben A) auf die Aithiopis zurückführten, dürfen wir diesen auf die Ilias, am besten auf die Erzühlung, wie sie sich in = findet, zurückführen. Der Unterschied von C, wo der Maler willkürliche Namen gewählt hatte, liegt vor allem darin, dass hier Hektor flieht, während dort einfach zwei Kämpfer gegenüber- gestellt waren. |

$ 6. Rüstung, Abschied, Rückkehr.

Ueberaus häufig sind in der Vasenmalerei Rüstungen von Kriegern, ihr Auszug, Abschied oder auch ihr Empfang bei der Rück- kehr dargestellt. Jede einzelne Scene auf die Heroenwelt zu be- ziehen und auf einzelne Personen zu deuten ist verfehlt, und schon längst hat man davon Abstand genommen. Uns gehen hier natür- lich nur diejenigen an, die in Beziehung zum troischen Sagenkreise stehen oder denen wenigstens Namen von Helden dieses Sagen- kreises beigeschrieben sind. Abweichend von unserer gewöhnlichen Anordnung müssen wir aber nicht bloss Bildwerke, die homerische

Angreifers nicht mit Sicherheit zu lesen ist, sowie Br. M. 882 (attisch) wo über drei Kriegern der Name Meneleos steht.

542 H. Luckenbach:

Scenen darstellen, sondern auch diejenigen, die in den Bereich der übrigen Epen fallen, des Zusammenhanges wegen hier betrachten. In Bezug auf poetische Quellen ist, wie wir sehen werden, nur ein Urtheil möglich, dass nämlich mit geringen Ausnahmen dergleichen Quellen diesen Bildern nicht zu Grunde liegen. Das freie Schaffen der Künstler hat sich hier in hohem Grade geltend gemacht, und zwei Gesichtspunkte, die jedoch im einzelnen Falle nicht scharf zu trennen sind, treten deutlich hervor. Einmal hat der Künstler auch hier bestimmten überlieferten Typen, die, ohne Bezug auf mythische Ereignisse ausgebildet waren, durch Hinzufügung von Namen indi- viduelles Leben verliehen (vgl. oben p. 538). Enge verwachsen da- mit ist der zweite Gesichtspunkt, dass nämlich der Maler für be- liebte Helden eine Situation fingirt und die überlieferten Typen zwar benutzt, aber mit besonderer Berüicksichtigung der individuellen Ver- hältnisse sie für den einzelnen Fall ausbildet. So gut wie griechische Krieger Abschied von ihren Eltern nahmen, ebenso wurden die Hel- den gedacht; der athenische Hoplit rüstete sich zum Kampfe, die Helden mussten desgleichen thun. Freudiger Empfang seitens der Eltern erwartete jeden, der glücklich nach längerer Abwesenheit zurückkehrte: warum sollte man nicht auch einmal dem Kastor und Polydeukes denselben frohen Empfang zu Theil werden lassen?

Von hohem Werthe ist eine sfge. Vase, welche uns die Rüstung des Achilleus

in Gegenwart seiner Eltern und seines Sohnes (alle mit Namensbei- schrift) vorführt. Die Vase befindet sich in Athen, Collignon 231; ist abgebildet Rangabe, aux amis de l'antiquité hommage du comité des antiquaires d’Athenes, Paris 1869, ferner Heydemann, gr. Vas. VI, 4 und Conze, Vorlegebl. II, 6, 1.

Zu dieser Scene irgend einen bestimmten Moment, der in der Poesie gegeben wäre, zu suchen, ist unmöglich, da die Vereinigung dieser vier Personen der Sage gemäss gar nicht denkbar ist. Eine der vielen Scenen, in welchen ein Krieger inmitten seiner Familie sich zum Kampfe rüstet, hat der Maler hier auf den Achilleus tber- tragen, der in gleicher Weise sich rüstet und von den Seinen Ab- schied nimmt. Die besondere Erfindung besteht eben darin, dass gegen den Mythos alle Lieben um den Ausziehenden geschart sind. Dadurch kommt ein gemüthvoller Zug in den äusserlichen Vorgang.

Ebensowenig liegt der

Rüstung Hektors

in dem rfgn. Bilde Overb. 400, 22 ein bestimmtes Ereigniss zu Grunde. Die Vase befindet sich in München, Nr. 378, ist abgebildet von Gerhard, AV. III, 188 und Panofka, Namen der Vasenmaler IV, 1. 2. Der jugendliche, bartlose Hektor, schon gerüstet mit den

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 543

Beinschienen, ist eben damit beschäftigt, den Harnisch vorne auf der Brust zu befestigen. Er hürt, den Kopf etwas senkend, auf die Worte des Vaters, der die rechte Hand belehrend erhebt. Auf der andern Seite steht Hekabe Helm, Lanze und Schild für den Sohn bereit haltend. Die grosse Jugend Hektors, der mehr Knabe als Mann ist, und der Knotenstock, den Priamos führt, während ihm doch das Scepter zukam, machen es unzweifelhaft, dass der Maler einer allgemeinen Scene dadurch heroische Bedeutung verlieh, dass er die Personen mit Namen versah.

In einer chalkidischen und in einer korinthischen Vase wird uns der

Auszug Hektors

und anderer Troer vorgeführt. Eine kurze Beschreibung wird ge- nügen, um zu zeigen, dass ein poetischer Anlass zu der Herstellung dieser Scenen nicht existirt.

1. Diechalkidische Vase ist publicirt Gerhard, AV. IV,322.!)

Rund um den Bauch des Gefiisses läuft die Darstellung, in deren Mitte wir den gerüsteten Hektor von seiner Gattin Andromache Ab- schied nehmen sehen. Hinter ihm wartet Kebriones auf einem Pferde sitzend, ungerlistet, jugendlich, in der Rechten einen Stecken hal- tend; er ist genügend als Bursche des Hektor gekennzeichnet, dessen Pferd er am Zügel hält. Wie Hektor sich von seiner Gattin verab- schiedet, so auch Paris von der Helena, die indess den Kopf rück- würts wendet. Hinter ihr ein bürtiger Mann, der gleichfalls rück- wärts schaut auf die reitenden Jünglinge, die dem Kebriones folgen. Zwischen letzteren und den Beitern ein bärtiger, nackter Mann, dessen vorgestreckte Arme und eingebogene Kniee ihn als eilig davonlau- fend bezeichnen. Von poetischer Quelle ist bier nichts zu verspüren, und nicht einmal das dürfen wir Gerhard zugeben, dass dem Künst- ler vorwiegend das sechste Buch der Ilias vorgeschwebt habe, Für denjenigen, der von Kindesbeinen an in den homerischen Sagen wohl unterrichtet wer, lag es nur zu nahe, einen Ausgug troischer Helden darzustellen.)

2. Das korinthisehe Gefäas ist abgebildet mon. 1855, Taf. XX. Conze, Vorlegebl IIT, 1. Vgl. annal. 1856, p. 67 —74. Brunn, troische Miscellen p. 76.

Hektor nimmt Abschied von seinen Eltern; ihn erwartet auf dem Viergespann sein Wagenlenker Kebricnes. Zur Seite der Rosse

ı) Kurs erwähnt und und kei A Arch. Anz. 1847 p. 24*, 92. Over-

beck 408, 98. Rüstu vga Eriegern Kriegern haben wir auch anf der chalkidischen Vase Eberhard A ‚190, 1 (Overb. » 409 ‚b). Den beigeschriebenen Namen suchte Gerh jeche

verleihen und dadurch das Bild auf den Au des Hektor und

zu deuten. Obwohl auch Brunn, Troische Mis p. 76 die Erklärung Gerbards billigt, kann ich nux eine Soene gans allgemeiner Art erkennen. Vgl. Jahn, Münchener Vasen p. CXIX, 871.

544 H. Luckenbach:

redet Hippomachos mit zwei Jungfrauen, um Abschied von ihnen zu nehmen. Vor den Pferden stehen zwei weitere Jungfrauen Kianis und Aino (Aivw).!) Hinter Kebriones ein Krieger zu Fuss?) und ein Berittener, ein zweites Ross am Zügel führend. Neben dem Rosse Deiphonos?); Polyxena und Kassandra schliessen das Bild ab.

Ein Auszug der Troer aus Dion ist also dargestellt. Die Namen Kianis, Aino, Deiphonos und Hippomachos hat der Künstler, ohne Bezug auf literarische Tradition zu nehmen, selbständig hinzu. gefügt." Im Verhältnisse zu den Epen haben wir also hier voll- ständig freie Phantasieschüpfung.

Auszug des Demophon und Akamas. Gerhard etr. und kamp. Vasen 12. Berlin 651.

Demophon und Akamas halten jeder ein Ross am Zügel.°) Man braucht heute nicht auf die Auseinandersetzung Gerhards zurück- zukommen; auch dürfen wir gar nicht fragen, ob der Auszug der Helden nach Troja gemeint ist. Dem attischen Maler Exekias lag daran, uns seine Helden vorzuführen. Derartige mythische Genre- bilder scheint er überhaupt geliebt zu haben. So stellt er den Aias mit Achilleus würfelnd dar‘); den Dionysos, der sich vom Oinopion bedienen lässt”); den Empfang des Kastor und Polydeukes seitens ihrer Eltern?); móglicher Weise ist auch eine andere Vase von Exekias gemalt, in der Kastor und Polydeukes beide zu Pferde von Tyndaros Ábschied nehmen; hinter ihnen steht ihre Schwester Philonoe.") Auch hier ist es unthunlich zu fragen, zu welchem

So ist doch wohl zu lesen. Vgl. Savelsberg de digammi immu- tationibus I p. 26. *) Der Name Ξάνθος kommt wohl dem einen Hosse zu, wie ein anderes am Viergespanne den Namen Κόραξ trägt. Dafür spricht auch, dass der Name vom Krieger abgewandt geschrieben steht. Im übrigen sind alle Personen benannt, mit Ausnahme der beiden Frauen vor Hippomachos und des berittenen Knappen, denen Namen zu geben schon der Raum verbot. °) Sollte auf der Vase selbst vielleicht statt des vermeintlichen v ein ß stehen? *) Hippomachos in der Ilias M 188 f. erwühnt:

υἱὸν δ᾽ ᾿Αντιμάχοιο Λεοντεὺς, ὄζον "Apnoc Ἱππόμαχον βάλε δουρὶ κατὰ Zucrfjpa τυχήκςας.

Gewiss hat der Maler nicht an diesen Hippomachos gedacht; vgl. über die mit -ἰππος zusammengesetzten Namen oben p. 496. Für den Namen Ξάνθος, wenn es feststände, dass dem Krieger der Name zukäme, könnte man mit Braun an die Verse der Ilias 152—158 erinnern, in denen Xanthos und Thoon, die einzigen Söhne und Erben des alten Phainops, durch Diomedes fallen. Aber gerade die so nebensächliche Bedeutung würde es für den Xanthos wie für den Hippomachos unzweifelhaft machen, dass sie nicht die Troer der Ilias sind. °) Die Rosse heissen Φάλιος und Kakıpöpa; letzteren Namen hat Exekias auch Gerhard, AV. II, 107 gebraucht. ®) Overb. XIV, 4. Gerhard, AV. ΠῚ, 206. ") Revers des Bildes mit den Würfelspielern mon. II, 99 = Conze, Vor- legebl. IV, 9, 1 8. ?) Br. M. 584*. Eine ungenaue Beschreibung und falsche Deutung dieses Bildes gab Panofka, Arch. Anz. 1847 p. 34*, 19a.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 545

Unternehmen die Helden ausziehen wollen, ebensowenig wie wir bei dem Empfang der Dioscuren fragen dürfen, woher die Helden kommen. Reizend ist das letzte Bild in seiner Durchführung: Kastor und sein Bruder sind glücklich heimgekehrt. An Polydeukes springt sein Hund empor, froh seinen Herrn wiederzusehen; Kastor führt sein Ross noch am Zügel, das von Tyndareus gestreichelt wird. Er wendet sich um zu seiner Mutter Leda. Ein Sklave bringt Sessel und Salbfläschchen herbei. Die Helden der Sage wurden also wie gewöhnliche Menschenkinder gedacht und in ähnlicheSituation versetzt.

Auszug des Aias und Teukros. Overb. 276, 1. XIII, 7.

Auf seinen Stab gelehnt steht ein kahlköpfiger Alter tief trauernd vor seinem gewappneten Sohn. Hinter beiden eine Frau, die das Gewand erhebt, um die Thrünen zu trocknen. Leichter ertrügt den Abschied ein zweiter Jüngling, mit Hut und Lanze bewaffnet, den Reisesack auf dem Rücken, im Weggehen sich noch einmal um- blickend. Ueber seinem Haupte steht Τελαμών, über dem Alten Τεῦκρος; offenbar hat eine Vertauschung der beiden Namen statt- gefunden. Neben dem vollgerüsteten Krieger steht richtig Aias. Es ist nicht schwer einzusehen, dass wir auch hier eine heroisirte Scene haben. Hätte der Künstler unabhängig von den alten Typen einen Abschied des Aias und Teukros malen wollen, sicher hätte er dem letzteren den Bogen in die Hand gegeben. Allein jetzt nahm er eine beliebige Scene und setzte den Personen Namen hinzu und machte so daraus den Ábschied des Áias und Teukros, insofern ganz passend, als diese sich von ihren Eltern verabschiedeten, um gen Troja zu ziehen, wo der eine durch Selbstmord unterging. Der ge- wappnete Krieger ist grösser als sein Begleiter. Als Grund hat Welcker angegeben, dass Teukros ein Bastard des Telamon ist; deshalb soll ihm auch der Abschied leichter fallen. Allein hier hilft uns eine andere Beobachtung besser. Denken wir uns das Bild ohne Namen, so würden wir dasselbe auf den Abschied eines Hopliten von seinen Eltern deuten; derjenige aber, der den Reisesack trügt, wäre sein Diener. Wir wissen, dass jeder attische Hoplit im Kriege seinen ckeuogópoc ὑπερέτης (θεράπων bei Homer) hatte, ebenso wie jeden Reiter ein Pferdeknecht^begleitete. Dass nun hier der Krieger eine stattlichere Figur ist als der Diener, wird nicht be- fremden. Zugleich aber wird deutlich, welches der Ausgangspunkt des attischen Malers bei seinem heroisirten Bilde war.

Die gleiche Zusammenstellung des vollgerüsteten Herrn und des Dieners mit wesentlich anderer Tracht kehrt oft wieder. Meist trägt letzterer Hut, Chiton und Lanze; nicht selten sind die beiden

Die Inschrift Ὀνήτωρ καλός weist vielleicht auf den Exekias hin, welcher auf der anderen Vase Overb. XIV, 4 Ὀνητορίδης καλός schrieb.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 96

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 547

sofort die Gestalt des Achilleus erkennen. Die Erscheinung würde gewiss für Achilleus sehr gut passen, aber es würde doch zu weit führen, wollten wir in jedem stattlichen Krieger den Achilleus er- kennen. Ohne eine bessere Deutung geben zu können, muss ich gegen Brunn behaupten, dass hier durch nichts der Abschied des Achilleus aus seiner Heimath bestimmt angedeutet ist.

2. Overb. 428, 58. XVIII, 2. Antilochos besteigt den von Phoinix gelenkten Wagen; vor demselben steht Achilleus, der das Handgelenk des Nestor umfasst hält; neben den Pferden eilt Iris zu Phoinix und Antilochos hin, sich zu Achilleus umwendend, den sie offenbar erwartet, um ihn bei der Wegfahrt zu begleiten. Overbeck hatte die Darstellung auf die Meldung vom Tode des Patroklos an Achilleus bezogen, ohne Zweifel mit Unrecht. Ebensowenig aber scheint mir die Deutung Brunns genügen zu können, nach welcher Achilleus dem Nestor das Versprechen geben soll, ihm in den Krieg zu folgen. Bei einem Abschiede aus seiner Heimath würden wir die Mutter, den Vater oder Grossvater gegenwärtig wünschen. Auth Patroklos fehlt, der doch mit Achilleus auszog. Allein die Deutung beruht auf einer Verkennung der Situation. Wenn nicht alles trügt, haben wir den Abschied des Achilleus und Antilochos von Nestor zu erkennen. Indess Antilochos schon den Wagen besteigt, gibt Achilleus dem Nestor das Versprechen, seinen Sohn zu beschützen und jede Gefahr von ihm fern zu halten. Seiner harrt Iris, und bald wird das Gespann die Helden davonführen. Der greise Nestor allein bleibt zurück. Es kann also nur an einen Auszug der beiden zu irgend einem Kampfe gedacht werden. Poetische Schilderung eines Ereignisses liegt jedoch nicht zu Grunde. Da die beiden Freunde zum Kampfe ausziehen, in dem Memnon fällt, zog Nestor auch in den Kampf, und da er in Gefahr war, rettete ihn der Sohn durch Aufopferung des eigenen Lebens. So wenigstens erzählt Pindar (P. 6, 28), und Welcker hat die Vermuthung aufgestellt, dass dieser Zug von Pindar dem Epos entnommen sei (ep. Cycl. II, 174). Mag sich dies nun so verhalten oder nicht, wir kennen die Art und Weise, in der Künstler Abschiedsscenen zu bilden verstehen. Denn nach meiner Meinung ist auch dieses Bild nicht besonders für unsere Helden gemalt, sondern die allgemeine Scene heroisirt, da sonst immerhin es befremdlich sein würde, Achilleus und Antilochos ohne Nestor zum Kampfe ausziehen zu sehen.

Die Abschiedsdarstellungen der Kodrosschale.

Schon oben wurde die Kodrosschale erwähnt; auch ihre Bilder hat Heydemann zu den heroisirten Genrebildern gerechnet. Die Bilder sollen zwei einfache Abschiedsscenen jugendlicher Sóhne dar- stellen und nur durch heroische Inschriften der Alltüglichheit ent- rückt worden seien. Diese Ansicht indessen wird durch die Dar- stellungen selbst schlagend widerlegt. In der einen steht Theseus

86*

548 H. Luckenbach:

zwischen Medeia und Aigeus und nimmt von letzterem Abschied. Medeia wendet sich zu Phorbas wie um ihn anzutreiben. Hinter diesem steht Aithra verhüllt. Es bietet sich für dies Bild eine treffliche Erklärung. Wir wissen!), dass Theseus auf den Rath der Medeia auf Abenteuer ausgesandt wurde; Phorbas ist sein Begleiter. Aithra steht hier im Hintergrunde; sie ist verhüllt und damit wird ihre Trauer angedeutet; sie ahnt die List des fremden Weibes, das ihrem Sohne Unheil bereiten will. Diese höchst individuellen Ver- hältnisse sind in durchaus charakteristischer Weise ausgedrückt, während die Haltung der einzelnen Figuren bei einer allgemeinen Scene schwer erklärlich sein würde. Das Einzige, was Heydemann einwendet, ist, dass Medeia nach allgemeinem Schema einen Helm bereit balte, wührend doch Theseus schon einen Petasos auf dem Kopfe habe. Freilich für den Theseus ist der Helm nicht bestimmt; dass Medeia ihn aber für den Phorbas, dem sie auch zugekehrt ist, bereit halten muss, ist aus dem, was oben (p. 545 f.) über das Kostüm gesagt worden ist, vollkommen klar. Die Gestalt der Aithra endlich scheint mir entscheidend zu sein. Ich glaube nicht, dass eine verhüllte Frau in &hnlichen Scenen sich wiederfindet, ohne auch direkten Antheil zu nehmen, indess hier Aithra blosse Zu- schauerin ist.

Im anderen Bilde nimmt Aias Abschied von einem Alten; Athena führt den Menestheus zu ihm, diesen durch eine Hand. bewegung zur Eile ermunternd. Er hat von der Melite, der Ver- treterin des Landes, Abschied genommen, und diese blickt ihm weh- müthig nach. Das Charakteristische dieses Bildes liegt in der Athena. Sie hat hier sichtlichen Antheil daran, dass der Jüngling auszieht; bei gewöhnlichen Abschiedsscenen pflegt sie doch nicht gegenwärtig zu sein; hier dagegen ist ihre Anwesenheit irefflich motivirt; sie schickt den Bürger der Stadt, der sie den Namen gegeben hat, aus, damit er sich vor Trojas Mauern Ruhm erwerbe. Sie führt ihn zu Aias, dem salaminischen Helden, der neben Menestheus, Demophon und Akamas das Volk der Athener vor Troja vertrat. So ist die Darstellung in sich abgerundet. Nur der Name Λύκος(Ὁ), der dem Alten gegeben wird, ist auffällig; wir würden etwa den Telamon erwarten. Aber dieselbe Schwierigkeit bleibt, wenn wir annehmen, der Vase seien nachträglich erst die Inschriften hinzugefügt. Nie- mals hat der Künstler ins Blaue gegriffen und ganz beliebige Namen gewühlt; in den noch zu besprechenden Bildern, auf denen die Abschiedsspende dargestellt ist, sehen wir immer zusammengehörige Namen gewählt, und dasselbe war in allen bisherigen der Fall Hat aber der Name Lykos keine besondere Bedeutung, so werden wir sagen müssen, dass der Künstler, der den Auszug des Ajas und

Mythogr. Vat. 48. Vgl. Jahn, Arch. Aufs. p. 185. Michaelis, Arch. Zeit. 1877, p. 76f.

Verh. d. gr. Vasenbilder 2. d. Ged. ἃ. ep. Kyklos. 549

Menestheus in der üblichen Weise darstellen wollte, nicht den passen- den Namen für den Vertreter der Zurückbleibenden fand und des- halb beliebig ihn. benannte, ähnlich den oben p. 514 aufgezählten Fällen. Jedenfalls scheint mir so viel klar zu sein, dass der Ktinstler diese beiden Bilder eigens für die betreffenden Scenen componirte und nicht beliebigen Scenen durch Inschriften höhere Bedeutung verlieh.

Eine andere Form des Abschiedes führen uns diejenigen Scenen vor, in denen einem Jünglinge oder Manne der gefüllte Becher dar- gereicht wird oder der Labetrunk in den vorgehaltenen Becher ein- gegossen wird.

Stephani hat jüngst diese Bildwerke einer genaueren Besprechung unterworfen (CR. 1873 p. 109—244), die manches richtige enthält, ohne dass ich Stephani in allem einzelnen zustimmen könnte. Vor allem betont Stephani als den Grundgedanken des Ganzen immer wieder die crtovön, die religiöse Handlung des Ausgiessens eines Theiles der Flüssigkeit auf den Erdboden, den Heerd oder einen Götteraltar, die der Jüngling oder Mann in der Mitte der Familie beim Abschiede vornimmt, um die Gunst der Götter für das Unternehmen zu gewinnen und um erfolgreiche Rückkehr zu erbitten oder auch in einigen wenigen Füllen für die glückliche Heimkehr zu danken. Wie die crovön der Grundgedanke bei den Scenen, die uns Sterb. liche vorführen, sein soll, so auch bei den Göttern, auf die die Ge- brüuche der Menschen übertragen würden. Ohne Zweifel, meint Stephani, denke auf diese Weise jeder Gott sich gegen die Missgunst der übrigen, namentlich derer, welche ihn noch an Macht über- ragten, zu schützen und um Gewährung freundlicher Gesinnung und Fernhaltung von Missgunst zu bitten (p. 116. 197). Nun ist es allerdings wahr, dass wir in manchen der zahlreichen Darstellungen den heiligen Akf der crovbr| uns vorgeführt finden!), und ebenso- wenig soll geleugnet werden, dass man, um die Gunst der Gótter zu erlangen, ihnen spendete, was besonders passend dann war, wenn der Betreffende zu einem Unternehmen, sei es kriegerischer oder friedlicher Art, sich von den Seinen verabschiedete; andererseits aber steht soviel fest, dass in den meisten der in Rede stehen- den Vasenbilder die σπονδή durchaus zurticktritt. Die Auffassung Stephanis hängt wesentlich zusammen mit dem Momente, den er in den meisten Darstellungen vorgeführt findet. Unzweifelhaft ist es richtig, dass es sich in den meisten um den Abschied von den Angehörigen auf längere oder kürzere Zeit handelt; aber Stephani geht zu weit, er möchte am liebsten diesen Moment in allen finden und den Empfang bei der Rückkehr gar nicht oder doch nur in einigen wenigen Fällen erkennen (p. 252). Von einer Situation, in der weder der Auszug noch auch die Rückkehr nach

!) Die herabfliessende Flüssigkeit selbst ist sichtbar z. B. Neapel 3137. Petersburg 1691. 1718.

550 H. Luckenbach:

glücklich vollbrachter That dargestellt sein kann, spricht er gar nicht, und doch, glaube ich, müssen so eine Reihe der Vasenbilder gedeutet werden, wie z. B. das Innenbild der Brygosschale mit der Iliupersis, welches uns die Briseis vorführt, wie sie einem sitzenden Greise den hingebaltenen Becher füllt. Es ist freilich auch hier nicht schwer, einen Moment zu erfinden, in dem das von Stephani Vorgebrachte passen würde: etwa Phoinix oder Nestor, der noch auf troischem Boden den letzten Trank nimmt, um heim ins viel- geliebte Vaterland zu fahren und die Gótter um glückliche Heim- kehr zu bitten. Allein ich meine, hier ist nichts, was ung auf solche Auffassung führen müsste, und wir werden uns begnügen müssen, einen Augenblick zu erkennen, in dem abgesehen von Auszug oder Rückkehr Briseis dem Alten, den Heydemann Peleus nennt, einen Trank darreicht. Ein gleiches ist besonders bei den Göttern der Fall, denen einzeln oder im grösseren Kreise versammelt der Becher gefüllt wird.

Andere Bildwerke sind unzweifelhaft auf den Moment der Rück- kehr bezüglich, und ich rechne dahin eine grössere Anzahl als Ste- phani genéigt ist. Er weiss freilich manchmal durch seine Inter- pretation eine solche Deutung zu geben, die ich unmöglich aner- kennen kann. Es möge hier ein Beispiel folgen:

Inghirami vas. fit. 364 stellt uns den Theseus dar, der den schon bezwungenen Stier mit sich führt. Ihn umgeben Aigeus und Aithra, welche in ibren Händen die Schale und Kanne hält, wie Stephani urtheilt, ohne Zweifel deshalb, “weil sie ihm nach allge- meiner Familiensitte vor seinem Auszug zu dem gefahrvollen Unter- nehmen in Gegenwart des Vaters diesen frommen Dienst geleistet und ihn dann bei seiner Heldenthat begleitet hat’. Allein es liegt doch nichts näher, als hier den Augenblick zu erkennen, in dem Aithra den siegreichen Sohn empfängt und bewirthöt.

Lassen sich also diese drei Scenen des Abschieds, der Rückkehr und eines man möchte sagen gelegentlichen Trankes unterscheiden, so kommen wir auf die obige Frage über die ςπονδή zurück. Ist der Abschied dargestellt, so mag man die Götter um Segen für das Unternehmen bitten, die Spende bei der Ankunft mag den Göttern Dank bedeuten, aber wie steht es bei der dritten Klasse von Monu- menten, die weder Auszug noch Rückkehr darstellen? Lässt sich auch hier die ςπονδή als Hauptsache erkennen? Ich denke nein. Aber warum wollen wir denn mehr in den Bildwerken lesen als sie uns selbst an die Hand geben? Können wir uns nicht begnügen, einfach die Bewirthung, das Darreichen des Trankes zu sehen, wie ja auch heute nach allgemein verbreiteter Sitte dem Weggehenden ein letztes Glas gefüllt wird, und der Ankommende mit Speise und Trank bewirthet wird? Verstürkt wird diese Auffassung durch die Darstellungen, in denen Göttern der Becher gereicht wird. Wo ist denn der Beweis, dass auch hier die ςπονδή der Grundgedanke ist, eine Bitte an die übrigen Götter, ibnen geneigte Gesinnung zu be-

Verh. d. gr. Vasenbilder x. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 661

wahren? Werden wir nicht vielmehr sagen, dass wir dieselben sich laben sehen an dem Tranke, der nur ihnen bescheert ist? ")

Doch ich fürchte fast zu weit von dem mir vorgesteckten Ziele abgegangen zu sein, die Vasenbilder auf ihre Abhängigkeit von poetischen Quellen hin zu untersuchen. Schon Stephani (p. 118 ff.) hat bemerkt, dass diese Credenzungsscenen, um einen Ausdruck zu gebrauchen, der in neuerer Zeit oftmals angewendet ist, sich kaum in der archaischen Vasenmalerei vorfinden. Nicht hinzuzurechnen sind natürlich Darstellungen, in denen wir den Achilleus (über dem Leichnam des Hektor) oder den Herakles bei der Mahlzeit finden, sowie gewöhnliche Trinkscenen, die sich auch in archaischen Monu- menten?) finden.

Von heroischen Darstellungen, die für uns hier allein in Be- tracht kommen, sind nur zwei Vasenbilder zu erwähnen. Das erste (mon. X, 4, korinthisch) zeigt uns den Amphiaraos im Begriff den Wagen zu besteigen; Leontis reicht ihm den Abschiedstrank; das zweite, welches Gerhard AV. 117 publicirt ist, zeigt uns den Hera- kles, der die Deianeira gegen den Nessos vertheidigt. Gegenwärtig ist ausser einem Manne eine Frau mit einer Weinkanne in der Rechten, um nach glücklichem Verlaufe des Kampfes den Helden zu bewirthen, nicht dagegen, wie Stephani meint, um, uns an die crovdn zu erinnern, die die Familie vor der Abreise des Heros und seiner Gattin den Göttern gemeinsam dargebracht hatte.

Ausser diesen beiden archaisohen Bildwerken zeigen die übrigen, die für uns in Betracht kommen, die neue Technik. Durchgebildet wurden also diese Scenen erst dann, als der attische Geist der Gefässbildnerei neues Leben einhauchte, als er mit der neuen Technik auch neue Gedanken fasste und neue Weisen ausbildete und sie in die Vasenmalerei übertrug. Dem wirklichen Leben entlehnten die Maler die Sitte des Darreichens eines Trunkes, die sie dann auf die Helden übertrugen, ohne dazu der Autorität einer besonderen Dichter- stelle zu bedürfen oder sie überhaupt nur zu begehren. Damit hängt es zusammen, dass wir uns diese Scenen erst genreartig gebildet zu denken haben und dass sie erst später auf die Helden der Sage übertragen wurden. Nach Ausbildung der allgemeinen Darstellungen, die ihren Ursprung im Familienleben hatten, wagte man es erst, auch den Bellerophon mit dem gezähmten Pegasos auf dieselbe Weise Abschied nehmen zu lassen (annal. 1874, tav. A, p. 16, 30).

Von den einzelnen Vasenbildern ist zunächst eins aus unserem Kreise zu scheiden: Gerhard AV. II, 160. Nike schenkt dem

!) Etwas anderes ist natürlich, wenn Apollon als Musiker, als Ver- treter aller derer, die den lieben, den Göttern spendet. *) Z. B. Neapel 2488. SA. 150 B. 154. RC. 486. Gerhard AV. 1, 74. Sehr häufig reicht eine Frau (Ariadne) oder ein Satyr dem Dionysos den Becher (Kantharos) Auch Mus. Greg. II, 68, 2. Creuser, deutsche Sehr. I, 8, 1, Taf. V. Panofka, Eigennamen mit καλός III, 6. ᾿

552 | H. Luckenbach:

Lykaon in Gegenwart des alten Antandros ein. Stephani erklärt p. 170 f. diesen Lykaon für den Sohn des Priamos, Antandros soll der Repräsentant der zurückbleibenden Familie sein. Aber gewiss ist die Uebereinstimmung nur zufällig; der Maler hat gar nicht an den Sohn des Priamos gedacht, daher er denn auch nicht den Priamos, sondern den Antandros dargestellt hat (vgl. Heydemann p. 164, 2).

Nach dem Bisherigen genügt die blosse Erwähnung mehrerer Darstellungen, die als heroisirte zu erkennen nicht schwer fallen kann. Overb. 387, 11, XVI, 2 steht eine Frau mit Schale und Krug dem gewaffneten Achilleus gegentiber. Ob wir die Frau Briseis oder Thetis (so Brunn, troische Misc. p. 63.) nennen wollen, ist ganz gleichgültig. In ähnlicher Weise ist Millingen vas. Coghill 23 dem Menelaos eine Frau gegenübergestellt. Auf dem Innenbilde einer Euphroniosschale steht vor einem Jünglinge (Achilleus) Diomede mit der Weinkanne in Händen (Berlin 1780. Gerhard, Trinksch. u. Gef. 14). Der Jüngling sowie auch die Frau sind beide benannt Gerhard AV. III, 158 (Bologna mus. civ. p. 62, 78) und München 329. Im ersten sehen wir Theseus und Aithra, im zweiten Theseus und Ariadne.

Auf den Abschied Hektors sind zwei Vasenbilder zu beziehen. Overb. 398, 21, XVI, 16?) reicht Hektor der jugendlichen Hekabe den Becher dar. Ihr Gatte steht traurig hinter dem Sohne. Der Knotenstock, den derselbe in der Hand hält, sowie das jugendliche Aussehen der Hekabe zeigen an, dass auch hier dem bereits fertigen Typus eine Gruppe zusammengehöriger Namen beigeschrieben wurden. Aehnlich in allem Wesentlichen ist Dubois-Maisonneuve inirod. 63 Inghirami GO. I, 58, nur dass hier Priamos allein benannt ist und dem Sohne ein weiterer Begleiter zugegeben ist.

Anklänge an Homer sind wahrnehmbar in der Berliner Vase Nr. 1945. Abg. Revue archéol. 1845, Taf. 40; vgl. Arch. Zeit. 1853, p. 106. Nestor unterhält sich mit dem bewaffneten Telemachos; eine Frau trägt eine Schale herbei. Offenbar haben wir eine der gewöhnlichen Darstellungen vor uns, und insofern hat Heydemann durchaus Recht, wenn er die Scene eine heroisirte nennt. Nur glaube ich nicht, dass der Maler blindlings in den Schatz der heroischen Namen hineingriff und die Namen Telemachos und Nestor zufällig zusammenstellte. Vielmehr wählte er sie im Anschluss an die be- kannte Erzählung von Telemachs Besuch bei Nestor im dritten Buche der Odyssee.

Gegen die Beziehung auf die homerische Diehtung liesse sich vielleicht das vielbesprochene Vasenbild Overb. 584, 33. Jahn Vasen- bild. Taf. 3 anführen. Helena mit der oivoxön in der Rechten steht zwischen Diomedes und einem anderen Helden, von dessen Namen

δ Auch Conze, Vorlegebl. V, 5, 2. Panofka, Vasenb. IV, 7. 3) Die Inschriften fehlen bei Overbeck durch Versehen des Zeichners.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 553

nur noch die Buchstaben €lO erhalten sind. Beide Männer sind be- krünzt, mit der Chlamys bekleidet und mit zwei Lanzen bewaffnet. Welcker (Gr. Trag. I, 147 f. III, 1530, 16) brachte diese Scene zuerst in Verbindung mit dem Palladionraube des Diomedes und Odysseus und glaubte, es sei die Verabredung zum Raube dar- gestellt: andere sind ihm darin gefolgt, und noch Stephani p. 168 hült daran fest, dass die Griechen sich durch eine ihnen von Helena ministrirte cmovbr| den Beistand der Götter zu ihrem schwierigen Unternehmen zu gewinnen suchen. Allein die Unmöglichkeit dieser Erklärung ergibt sich leicht, da ja nicht Odysseus dargestellt ist, sondern ein anderer Held, dessen Namen mit Sicherheit zu ergänzen bisher noch nicht gelungen ist. Denn die Buchstaben eto zu Odysseus zu ergänzen, geht doch wohl nicht an; und deshalb hat Jahn, der früher (Philol. I, p. 55) Welckers Erklärung billigte, zuerst dieselbe ganz aufgegeben, da nichts an den Palladionraub erinnern könne (annal. 1858 p. 251). Heydemann nennt mit Recht diese Scene eine heroisirte; eine mythische Begebenheit liegt, wie es scheint, nicht zu Grunde, und lediglich ganz beliebige Heroennamen sind gewählt worden. Jedoch muss zugegeben werden, dass diese Vase ganz einzig in ihrer Art dasteht; Helena und Diomedes haben in der Sage wenig mit einander zu thun, und während wir sonst in diesen Bildern immer zusammengehürige Personen vorgeführt finden, scheint hier in diesem Bilde der Maler sehr willkürlich gehandelt zu haben. Denn schwerlich .wird er mit Bezug darauf, dass Diomedes zu den Freiern der Helena gehórte (Hygin fab. 81), gerade diese Personen zusammengestellt haben.

Auch für die Vase des Epigenes Annal. 1850, (av. H. I, Bull. Nap. V, 2 stimme ich mit Heydemann überein; nur dass auch hier der Künstler mit Bedacht seine Namen wühlte. Auf der einen Seite steht Achilleus, dem Kymothoe den Becher reicht, Abschied nehmend von Agamemnon, indess Ukalegon auf ihn wartet; auf der anderen Patroklos, dem Thetis den Abschiedstrank gereicht hat, indess Anti- lochos von Nestor sich verabschiedet und Verhaltungsmassregeln entgegennimmt. Gegen Brunns Deutung!) auf den Auszug des Achilleus aus seiner Heimath, die auch meiner Ansicht nach auf- gegeben werden muss, spricht Heydemann p. 176. Wir haben also einen Auszug der in der Sage eng verbundenen Helden Achilleus, Patroklos und Antilochos, denen sich als vierter Uke- legon zugesellt. Wenn ich auch der Deutung des Namens Uka- legon von Schmidt?) nicht beistimmen kann, so ist doch auch die Erklärung von Jahn°) nicht ausreichend, dass der Name ganz will- kürlich gewählt sei. Nach nochmaliger Vertheidigung Schmidts) gibt auch Jahn?) halbwegs zu, dass dem Namen Ukalegon eine be-

!) Troische Miscell. p. 68—72. Annal. 1850, 143 ff. °) Arch. Zeit 1853, 128. *) Arch. Zeit 1858, 169. °) Münchener Vasen p. CXIX.

554 H. Luckenbach:

sondere Bedeutung zukomme. Ukalegon ist keineswegs ein häufiger Name. Nach Homer Γ 148 und Vergil Aen. II, 312 war derselbe ein Trojaner; nach dem Schol. zu Eur. Phoin. 26 nannte man den Vater der Sphinx bei diesem Namen. Wenn man bedenkt, wie so häufig die Vasenmaler die Namen mit Bedacht wählen, so liegt es such hier nahe, in dem Namen eine besondere Absicht des Künstlers ausgedrückt zu sehen. Sollte etwa damit gesagt sein, dass wie es ja der Wortlaut gibt hier der Mann steht, der sich um nichts kümmert, den ja auch eigentlich die ganze Abschiedsscene gar nichts angeht? Während im Reverse der Begleiter des Patroklos Weisungen von Nestor erhält, steht Ukalegon, der Begleiter des Achilleus, ganz am Ende des Bildes unbetheiligt an dem Vorgange. Niemand kümmert sich um ihn, und er vergilt Gleiches mit Gleichem. Auf den Abschied des Achilleus

aus seiner Heimath sind zwei Bildwerke zu beziehen.

1. No&l des Vergers Éfrurie pl. 38. Brunn Vorlegebl. Nr. 12. Jede Inschrift fehlt; aber die Anwesenheit des Cheiron macht es wahrscheinlich, dass auch hier Achilleus es ist, der in die Ferne ziehend Abschied nimmt. Freilich nannte das Alterthum noch eine ganze Reihe anderer Helden als Zöglinge des Cheiron; aber zu keiner Familie stand derselbe in so enger Beziehung wie zu der des Peleus, und ich wüsste nicht, auf wen dies Bild sich sonst be- ziehen liesse.

Cheiron steht vor dem Viergespanne des Achilleus; neben ihm Hermes, der den Helden begleiten wird. Der fast knabenhafte Wagenlenker hat Platz im Wagen genommen, der ganz gerüstete Achill ist eben im Begriffe einzusteigen. Ihm den Abschiedstrank zu reichen, steht neben den Pferden eine Frau mit Kanne und Schale (Nereide?). Hinter Achilleus steht ein bürtiger Mann gewaffnet mit Helm, Schild und Lanze, bekleidet mit dem Chiton, und ein kahl- köpfiger Alter. Stephani nennt die beiden Phoinix und Peleus; Brunn!) nennt den Greis Nestor, in einem der beiden Krieger er- kennt er den Achilleus, im anderen den Antilochos oder Patroklos. Bei seiner Deutung stützt er sich auf Overb. XVIII, 2; das er jedoch, wie wir oben sahen, fälschlich auf den Auszug des Achilleus aus seiner Heimath deutete. Auch hier vermisse ich alles; was bei Brunns Deutung auf den Auszug des Achilleus hinweisen könnte. Offenbar bleibt der Alte zurück, die Krieger ziehen aus in den Kampf, und deshalb kann der Alte nur Peleus sein. Was Brunn gegen ihn geltend macht, will nicht viel bedeuten. Dass Peleus nach der ersten Erziehung seines Sohnes ganz zurücktritt in der Sage, ist gleich- gültig, da bei diesem Bilde sich*der Maler überhaupt nicht nach einer bestimmten poetischen Schildernng richtete. Dass aber Peleus

1) Troische Miscellen p. 67. 68.

Verh. d. gr. Vasenbilder s. d. Ged. d. ep. Kyklos. 55b

Greis ist, ist sehr wohl vereinbar mit dem Alter der Krieger. Daher sehe ich kein Hinderniss, den Alten Peleus zu nennen; ob der Be- gleiter des Achilleus Phoinix oder Patroklos ist, wird schwer zu be. stimmen sein; ich entscheide mich für letzteren, da derselbe doch noch weit näher mit Achill verbunden ist ale Phoinix. Den jugend- lichen Wagenlenker möchte ich ale Pferdeknecht (Ἱπποκόμος) deuten ; er erklürt sich am besten, wenn wir annehmen, dass er bloss vor- lüufig die Rosse anhült, bis die Helden eingestiegen sind. Er ist in anderen ühnlichen Scenen ausgebildet und wurde hier beibehalten in einem Bilde, das nur durch Cheiron als heroisches bezeichnet wird. Dass Achilleus von seinem Vater Abschied nahm, mag freilich in den Kyprien erwähnt gewesen sein, aber dies Bild werden wir un- bedenklich der Erfindung des Künstlers beilegen. Da wo er nach dem Epos den Auszug des Achilleus zeichnet, ist die Darstellung eine ganz andere: da sucht Thetis ihren Sohn durch Warnungen zurückzuhalten in Gegenwart der Gesandten, die ihn zu werben ge- kommen sind (vgl. unten $. 18).

2. Neapel 3352. Bull. Nap. N. S. V, 2. Brunn, Vorlegebl. Nr. 12. Hermes führt den Achilleus zu Nereus, der einen Kranz für den Enkel bereit hält. Hinter Nereus drei seiner Töchter, Psemathe mit Kanne und Krug, um dem Neffen zum letzten Male den Becher zu kredenzen, Kymathoe und endlich Thetis, die offenbar den Abschied tief empfindet, und der wie zum Trost Kymathoe die Hand auf die Schulter legt. Wenn Welcker, alte Denkm. III, p. 407 und Overbeck p. 279 aus den Worten der Ilias A 396 ἢ, mit denen Achilleus seine Mutter anredet

πόλλακι γάρ ceo πατρὸς Evi μεγάροιειν dikouca εὐχομένης κτλ.,

den häufigen Verkehr des Achilleus im Hause des Grossvaters er- schliessen wollen, so beruht dies auf einem Missverständnisse, da ceo nicht zu πατρὸς gehört, sondern von ἄκουςα abhängig ist, und unter dem Vater der Vater des Redenden, also Peleus, zu verstehen ist. Schon Aristarch warnte vor der falschen Auffassung und ver- warf den Verkehr des Achilleus mit dem Grossvater als unhomerisch, ohne einer abweichenden Tradition der νεώτεροι Erwähnung zu thun. Daher war denn aueh der Abschied des Achilleus von seinem Gross- vater nicht in den Kyprien geschildert, womit zugleich der Beweis, dessen es kaum noch bedarf, gegeben ist, dass keine poetische Quelle dem Bilde zu Grunde liegt. Als letztes Bild dieser Reihe verzeichnen wir den

Abschied des Neoptolemos annal. 1860, tav. IK.

Neoptolemos nimmt Abschied von seinem Grossvater Lykomedes, die Mutter Deidameia bült die gefüllte Schale für ihn bereit, Roules,

556 H. Luckenbach:

der Herausgeber, will als Grundlage dieser Scene das Epos ansehen, während in der Tragödie die Abfahrt nach Troja wider den Willen des Grossvaters und der Mutter geschah. Es wird überflüssig sein, noch im Einzelnen zu beweisen, dass wir nicht nöthig haben, eine poetische Quelle anzunehmen. Das Epos wusste viel von der Ab- holung des Neoptolemos zu erzählen; allein alle jene besonderen Ereignisse sind hier zurückgetreten, indem der Maler die so übliche Darstellung auf den beliebten Sohn des beliebtesten Helden übertrug.

8.7. Kleidung, Bewaffnung u. dgl.

In Einzelheiten und Nebensachen, in Kleidung und Bewaffnung, im Schmuck von Männern und Weibern, in der Darstellung von Gegenständen, kurz in allen den Dingen, die nicht 818 durchaus wesentlich oder charakteristisch erscheinen, hat der Maler sich nie- mals an die Epiker gehalten. Es fehlt freilich nicht an solchen, die auch in derartigen Kleinigkeiten Nachahmung der schriftlichen Tra- dition seitens der Vasenmaler erblicken wollen. So sagt Schlie (zu den Kyprien p. 44) bei Besprechung des Götterzuges zur Hochzeit des Peleus auf der Frangoisvase: „daraus mag man entnehmen, dass der Dichter auch alles Uebrige, was sich auf die glänzende Ankunft der Götter bezog, dem entsprechend ausgemalt haben wird, die prachtvoll geschirrten Rosse vor den einzelnen Gespannen, die Attribute, den Schmuck und die kunstvoll gewirkten Gewandungen der Gótter, den Gesang der Musen, das Humoristische in der Gestalt des Dionysos, sowie des Hephaistos u. dgl. m.". Allein eine solche Auffassung der Vasenmalerei ist durchaus verkehr, Von dem Hochzeitszug wird später noch die Rede sein; hier aber muss schon bestritten werden, dass die Vase auf irgend etwas von den aufge- zählten Dingen hinführt. Dies im Einzelnen zu widerlegen, wird nicht mehr nöthig sein. Nur das möchte man fragen, wie denn der Maler verfahren sein würde, wenn die Gewandungen und Attribute der Gótter nicht im Epos geschildert waren, wenn ihrer Gespanne keine Erwähnung geschah: sollte er dann die Götter nackt und ohne Attribute, die Rosse möglichst hässlich malen? Man sieht, zu wel- chen Ungereimtheiten dergleichen Erklärungen führen; und wenn nun gar das Humoristische, welches in den Gestalten des Dionysos und Hephaistos hervortreten soll, auf die Kyprien übertragen wird, so verlangen wir doch zunächst den Beweis, dass der Künstler sich in solchen Dingen jemals an die Verse des Dichters gehalten hat, ehe wir uns mit einer derartigen Ergänzung der verlornen Dichtungen einverstanden erklären können.

Zur weiteren Beleuchtung der bisherigen Methode mag’ noch ein ähnliches Beispiel angeführt werden. Heydemann sagt in seiner Iliupersis p. 13 bei Besprechung der Brygosschale (Taf. I): „Neopto- lemos ist gewaffnet mit der hellstrahlenden “goldigen’ Rüstung seines

Verh. d. gr. Vasenbilder =. d. Ged. d. ep. Kyklos. 657

Vaters, der Arbeit des Hephaistos“. Zu diesen Worten werden dann folgende drei Belegstellen angeführt: Homer C 610 τεῦξ᾽ ἄρα οἱ θώρηκα φαεινότερον πυρὸς αὐγῆς. Euripid. Iph. Aul. 1069 ff. περὶ cópati xpucéuv ὅπλων ᾿Ἡφαιςτοπόνων κεκορυθμένος. El. 448 “Ἡφαίετου xpucéuv ἀκμόγων μόχθους ἀςπιςτὰς τευχέων. Mit diesen Citaten, von denen übrigens bloss das erste sich auf die Rüstung bezieht, welche später Odysseus dem Neoptolemos tibergab'), will Heydemann zeigen, dass Brygos die Rüstung des Neoptolemos so malte, wie er sie aus der Poesie kannte. Allein das heisst dem Maler fremde Gedanken unterschieben. Die Rüstung ist hellstrahlend wie jede andere auch und goldig d. h. mit zwei Goldpunkten ge- schmückt, gewiss nicht um an die berühmte Rüstung zu erinnern, sondern weil Brygos eine schöne Vase malen wollte. Hat doch auch der Krieger auf der anderen Seite eine ,goldige" Büstung und der kleine Astyanax goldene Ohrringe.

Jeder Schluss, der aus solchen Dingen auf eine Quelle gemacht ist, und jede Deutung, die nur dadurch hervorgerufen wird, muss verkehrt sein. Auch hierzu ein Beispiel Micali won. ined. 45, 1 == Arch. Zeit. 1852, Taf. 44, 1 ist ein Vasenbild publicirt, auf welchem zwei prächtige Rosse mit merkwürdigem Schmucke sich prüsentiren. Panofks zog Arch, Zeit. 1862, p. 481 ff. die Worte des pseudoeuripideischen Rhesos V. 301—306 herbei, und siehe da, die Beschreibung dort schien ganz genau mit dem Vasenbilde über- einzustimmen; unzweifelhaft war der Auszug des Rhesos dargestellt und nach den Worten des Dichters die Pferde gemalt. Es wäre in der That das einzige Beispiel einer solchen Nachbildung der Maler; und auch hier war die Deutung Panofkas irrig. Eine neue Ab- bildung, die noch einige weitere Fragmente aufweist (Schöne Museo Bocchi Tafel 1) macht es besonders durch den Namen Οἰδιπόδης unzweifelhaft, dass eben nicht die Rosse des Rhesos dargestellt sind.

Die Waffen Memnons haben zu mannichfachen Aeusserungen Anlass gegeben. Ohne Zweifel ist es eine richtige Vermuthung, dass die Rüstung des Memnon einer ausführlichen Schilderung im Epos werth gehalten wurde (Welcker ep. Cycl. II, p. 178, Trilogie p. 433). Denn ausdrücklich erwähnt Proklos, dass Memnon mit einer von Hephaistos verfertigten Hüstung nach Troja gekommen sei: Μέμνων δὲ 6 Ἠοῦς υἱὸς ἔχων ἡφαιςτότευκτον πανοπλίαν παραγίνεται τοῖς Τρωςὶ gonOfjcuv. Auch scheint die Rüstung des Memnon im ganzen Alterthum berühmt gewesen zu sem. Weniger Gewicht möchte ich auf das Beiwort χαλκοκορυςτής, das Hesiod ihm gibt (Theog. 984), legen, da es doch nur ganz allgemeiner Art ist. Mehr zu beachten ist der Vers des Vergil (Aen. I, 751):

Nunc quibus Aurorae venisset Alina armis _

V Die beiden anderem Cilate gehen anf die erste Rüstung. de Achilfeus, mit der er gen Troja.sog.

558 H. Luckenbach:

Oftmals hat man Anlass genommen, die herrliche Rüstung des Memnon in Vasenbildern besonders zu betonen. Nun ist es ja ganz richtig und eigentlich selbstverstündlich, dass man hervorragende Helden wie Hektor, Achilleus, Memnon u. a. vorzüglich bei der Zeichnung bedenkt; wenn man aber öfter bemerkt, dass Memnon sich vor seinem Gegner durch seine herrlichen Waffen &uszeichne mit Bezug auf das Epos, so muss dies in Abrede gestellt werden. Wohl möglich, dass einmal Memnon ein wenig stattlicher aussieht; aber man möchte doch fragen, ob denn nicht des Achilleus Rüstung eben 80 berühmt oder noch berühmter war als die seines Gegners?

Eine beabsichtigte Auszeichnung des Memnon constatirt Schmidt annal. 1857 p. 121 für das mon. VI, 5a publicirte Vasenbild. Diese Auszeichnung dürfte aber doch bloss in dem Schildtuche zu erkennen sein, das indessen Memnon mit vielen anderen Heerführern gemein hat (vgl. Michaelis annal. 1875 p. 76 ff). Auch ist als Quelle dieses Bildes gar nicht das Epos, sondern das Drama anzusehen, wie ich später nachzuweisen gedenke. Aus einem anderen Vasenbilde hat Welcker auf das Epos schliessen zu können geglaubt (Overb. 542, 62, XXII, 8). Des Aithiopenfürsten Beine und Arme sind mit eng- anschliessendem Gewande bedeckt, welches ihn als Orientalen be- zeichnet und wie auch sonst reichlichst geschmückt ist. Sein Panzer zeichnet sich nicht vor dem des Gegners aus; dagegen hat der Helm einen eigenthümlichen Schmuck. Unzerstört ist noch der Helmbusch und unter demselben ein Thierkopf, den man wahrscheinlich richtig zu einem Greifen ergänzt hat. Von diesem Greifadler vermuthet nun Welcker ep. Cycl. II, p. 173 (vgl. Trilogie p. 433), dass der- selbe auch bei Arktinos war. Der Schluss Welckers ist sehr be- denklich, wenn wir oben Recht hatten, dass Vasenmaler in solchen Dingen sich nie an das Epos binden, um so bedenklicher, da gerade in unserem prächtigen Vasenbilde der Künstler sich Mühe gegeben hat, seine Personen trefflichst auszustatten: einem (Genossen des Memnon hat er den Panzer mit Bildwerk geschmückt; an Achills Beinschienen sind Gorgoneia angebracht; Athena trägt zwei Flügel- rosse an der Haarbinde. Dazu wolle man auch beachten, dass bei solchen, die im Begriffe zu fallen sind oder sich aufs Knie nieder- gelassen haben, gern ein höherer Helmbusch gewählt ist‘); hier musste der Greif dazu dienen, den Gefallenen möglichst gross zu machen. Gegen Welcker lässt sich noch daran erinnern, dass auch dieses Bild mit mehr Recht auf die Tragödie als aufs Epos zurück- geführt wird, da der für den epischen Kampf charakteristische Anti- lochos fehlt. Ganz hinfällig aber wird die Schlussfolgerung durch ein sfgs. Vasenbild, auf welchem dem Helme des Memnon ein Hund (Wolf?) aufgesetzt ist, dessen Schwanz den Helmbusch trägt.?)

') Vgl. z. B. Gerhard, AV. 1I, 84. 86. Overb. XXII, 3. 4. XXIII, 1. *) Gerhard, AV. III, 207. Overb. 618, 29.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 559

Aehnlicher Schmuck ist nicht selten. Am meisten zeichnet sich Athena aus. Ihren Helmbusch tragen zwei geflügelte Pferde'), die empor. geschlagenen Flügel einer hockenden Sphinx?) oder eine Schlange.?) Letztere wird gern auch bei Sterblichen als Trägerin des Helmbusches verwandt‘). Neapel 2781 erhebt sich von den Stirnkappen des Achilleus und Memnon ein zischender Schlangenkopf. Der Helm des Peirithoos ist einmal?) mit Seitenflügeln geschmtückt, wührend der Busch vom Rücken einer Schlange getragen wird; auf demselben Bilde ist der Helm einer Amazone mit zwei Hörnern versehen. In anderen Vasen wird der hohe Helmbusch des Achilleus durch einen Vogelkopf (Schwan?)®), der des Diomedes von einem lauernden Fuchs (Hund?)?) getragen. Petersburg 165 ist Achilleus mit einem Helme bedeckt, „der auf der Spitze mit einem Fuchs verziert ist‘“. Arch. Zeit. 1878 Taf. 23 (vgl. p. 163) ist der Helm mit der Dar- stellung eines Adlers geschmückt, der reliefartig aufgesetzt zu denken ist. Den merkwürdigsten der Helme, der aber wohl nicht ohne be- stimmte Bedeutung ist, sehen wir einen Mann einem Epheben auf- setzen (als Kampfpreis?): ein ungewöhnlich langer Hals geht von der Helmkuppel aus, der in einen Adlerkopf mit schrecklich langen Ohren ausläuft®); derselbe lange Hals mit Adlerkopf und langen Ohren bildet die Lehne des Midasthrones.?)

Diese Zusammenstellung wird wohl gentigen, um den Greifadler auf immer vom Epos des Arktinos fern zu halten.

II. Ausserepische Dichtungen und Lokalsage. 8$. 8. Tragödie.

Da die rothfigurige Technik etwa seit den Perserkriegen in Athen ausgebildet wurde, und erst um diese Zeit auch Aischylos seine grossartige Thätigkeit entfaltete, so ist es nicht zu verwundern, dass eine Benutzung der Tragüdie seitens der Vasenmaler fast nur in der rfgn. Malerei wahrnehmbar ist. Soweit ich die Bildwerke, welche von der Tragödie innerhalb des troischen Sagenkreises be- einflusst sind, überblicke die übrigen Bildwerke würden noch auf diesen Gesichtspunkt hin zu prüfen sein —, zeigen nur zwei die alte Technik. Das erste (sog. nasiterno) ist in der Arch. Zeit. 1871 p. 61 abgebildet: Tekmessa findet den Aias, der sich in sein Schwert gestürzt hat. Sicher gehört die Vase, da offenbar Sophokles die Quelle ist, einer Zeit an, in der die rfge. Technik bereits in Uebung

Overb, XI, 1 == Karlsruhe 86. ?) Benndorf, gr. u. sic. Vas. Taf. 31. *) Hirschfeld, Athena und Marsyaa Taf. 1. *) So z. B. Millingen peint. div. Taf. 87. Conze Vorlegebl. III, 4, 1 am Helme des Wagenlenkers. °) Gerhard, AV. IV, 829. 380. °) Collignon 181, abg. Arch. Zeit. 1863 Taf. 175. 7) Overb. XVII, 4. °) Arch. Zeit. 1868 Taf. 52, 3. Mus. Greg. Il, 62, 2b “ὦ Arch. Zeit. 1844. Taf. 24. 3.

560 H. Luckenbach:

war. Da es sich aber nicht um eine attisohe Originalcomposition, sondern um ein Erzeugniss etruskischer Lokaltechnik handelt, so kommt die Vase als nachgeahmt chronologisch nicht in Betracht. Die zweite Vase (Krater) ist leider nur kurz beschrieben bull. 1865 p. 143 f; über den Stil ist daselbst weiter nichts gesagt, als dass die Figuren schwarz seien.!) Sie stellt den Kampf des Achilleus mit Memnon und die Psychostasie, wie später nachgewiesen werden soll, vom Drama beeinflusst dar. Der Fundort Caere lässt daran denken, dass die Vase auch daselbst fabricirt ist; dass aber Cäretaner Vasen länger die alte Technik beibehalten haben, hat schon Helbig?) nachzuweisen gesucht.

Die beiden Vasen sowie alle anderen sfgn., die der Tragödie im Bilderschmuck folgen, werden von nicht geringer Bedeutung sein bei der endgültigen Entscheidung der Frage, wie weit noch nach der Zeit, wo die neue Technik sich Bahn gebrochen hatte, das alte Ver- fahren angewendet wurde. In athenischen Vasen werden wir nach den neuesten Untersuchungen von Klein (Euphronios) den Einfluss der Tragödie zumeist in den spätarchaischen Hydrien aufzufinden gewärtig sein, weniger in Schalen, da diese zuerst das neue Ver- fahren acceptirten, die Hydrien aber den längsten Widerstand dem- selben entgegensetzten. Für uns aber ergibt sich die Regel, nie ohne gewissenhafte Prüfung von rfgn. Vasenbildern aufs Epos zu schliessen, besonders wenn wir von einer Behandlung des Stoffes durch die Tragödie wissen.

8. 9. Hesiod.

Es erübrigt noch, von dem Einflusse Hesiods zu sprechen, der sich nicht sowohl in einer Veränderung der epischen Dichtungen, als in einer Modificirung und Feststellung von Zahl und Namen der Gótter gezeigt hat. Die Vasen geben einen neuen Beweis, dass die Gedichte des Hesiod tief im Volke Wurzel geschlagen hatten. Wenigstens in einigen Punkten ist eine Einwirkung desselben nicht zu verkennen.

In erster Linie steht wiederum die Frangoisvase. Dem Götter- zuge haben sich auch die Musen angeschlossen. Neun Musen kennt der Maler, und diese Zahl, die sich noch nicht im Homer findet, war seit Hesiod trotz mannichfacher Abweichungen die gewöhnliche. Dieselben Namen hat der Maler für sie gewählt, nur dass er zwei derselben nicht Terpsichore und Polymnia, sondern Stesichore und Polymnis nennt; am meisten Beachtung aber verdient, dass in der Reihenfolge der Musen fast vollständige Uebereinstimmung herrscht. Bei Hesiod theog. 77ff. werden die Musen aufgezählt mit den Worten:

1) p. 142 tra i vasi a figure nere, annal. 1868 p. 226 ff.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 561

Κλείω τ᾽ Εὐτέρπη τε, Θάλειά τε Μελπομένη τε Τερψιχόρη T’ Ἐρατώ TE Πολύμνιά τ᾽ Οὐρανίη τε Καλλιόπη θ᾽ fj δὲ προφερεςτάτη ἐςτὶν ἁπαςέων.

Nur Kalliope und Urania sind vom Künstler vorangestellt, sonst findet sich durchgängig dieselbe Anordnung. Für Kalliope ergab sich die Abweichung leicht, denn sie ist nach Hesiod die vornehmste der Musen, und mit ihr rückte zugleich Urania, die gerade vor ihr genannt wird, vorauf; ob mit der letzten Aenderung der Künstler eine besondere Absicht verband, vermag ich nicht zu sagen. In der hesiodeischen Reihenfolge hatte er sich ohne Zweifel die neun Musen eingeprägt. Wie für uns die Reihenfolge der Evangelisten oder der grossen und kleinen Propheten des alten Testamentes eine feste ist, so richtete sich Klitias nach den Memorirverschen, die er sich ein- mal gemerkt hatte. Dass er aber die Kalliope voranstellte, das zeigt denselben reflectirenden Geist, der uns überall in den Bildern der Vase entgegentritt.

Die Namen Stesichore und Polymnis nennt Jahn!) absichtlich veränderte Namensformen; Leopold Schmidt dagegen hat die Form Polymnis in den Text des Hesiod eingesetzt. Allein die Form ἸΠολύμνια ist eine gut verbürgte und findet sich auch auf einer Vase wieder. ) Trotz aller Verse des Homer und Hesiod hat meines Wissens niemals der ältere attische Maler den Namen 'Obucceóc geschrieben, sondern die Form Ὀλυτεύς resp. Ὀλυττεύς oder auch ’OAuceüc gebraucht.?) Bei Hesiod theog. 245, bei Homer C 41 (also auch bei Hygin) und bei Apollodor I, 2, 7 findet sich eine Nereide Κυμοθόη benannt; die Vasenmaler haben niemals diesen Namen, sondern Kupa8éa, Κυμοθέα, Κυματοθέα und endlich Κυματοθόη (vgl. unten p. 562); Namen die zum Theil sprachlich anders zusammen- gesetzt sind (θεός θοός). Wir dürfen deshalb die Form TTo- Auuvic bloss als eine Nebenform bezeichnen, haben aber nicht das Recht, die Frangoisvaso als treueste Handschrift des Hesiod an- zusehen.

Wie sehr Hesiod im Volke Geltung erlangt hatte, zeigt sich ferner deutlich in den Nereidennamen, die den Vasen aufgeschrieben sind.*) In nicht weniger als sechs Vasen finden sich Nereidennamen, die uns aus Hesiod bekannt sind, dagegen von Homer nicht genannt werden. Diesen lässt sich nur eine Vase gegenüberstellen, in welcher Namen dem Homer entlehnt sind, die sich nicht im Hesiod finden.

') Münchener Vasen p. CLVII. *) Panofka musde Blacas 4 == Müller-Wieseler II, 57, 733. Ὀλυτεύς in 5 Vasen: Berlin 1588. Overb. XIX, 8. Francoisvase (sfg). mon. VI, 2 Overb. XVII, 2 (rfg). Ὀλυττεύς in den rfgn. Vasen mon. VI, 19. , 29. Ὀλυςεύς annal. 1865 tav..F (sfg.). vert XXXII, 8 fe). LH Roecher in Curtius Studien IV, p. 200f. *) Vgl. Jahn, Münchener Vasen p. CXVII. Heydemanna, commentat. in hon. Th. Mommsené p. 170—179.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 86

562 H. Luckenbach:

Ich zähle: die rfgn. Vasen, die allein in Betracht kommen, nach- stehend auf:

A München 331. Overb. 185, 31.

B Overb. 196, 44. VIII, 7.

C Journal of philology 1877 Taf. A.

D Overb. 191, 38. VIII, 1.

E Neapel 3352. Bull. Nap. N. S. V, 2. Brunn, Vorlegebl. Nr. 12.

F Vase des Br. M. erwähnt von Heydemann, commentat. in hon. Th. Mommseni p. 171.

G München 415. mon. VI, 27. vgl. Heydemann a. O. p. 171, 23.

H Neapel 2296. Bull. Nap. N. S. II, 1, 2.

Folgende Namen finden sich in den Vasen Α —G, die dem Hesiod entlehnt, dem Homer aber fremd sind:

Γαλήνη CFG.

'€patu) A.

Κυματολήγη B.

Κυμώ C.

Ψαμάθη BDE.

Andererseits gibt H die Namen Κλυμένη und 'AMa, die von Homer, aber nicht von Hesiod gekannt werden.

Um das Nereidenverzeichniss vollständig zu machen, füge ich die übrigen Vasen hinzu, auf denen Namen von Nereiden beige- schrieben sind.

I (sfg.) München 380. Overb. 180, 15. VII, 5. K Overb. 195, 41.

L Bull. Nap. IV, 2. Heydemann, Nereiden V, 2. M Annal. 1850 (av. H.

In den Vasen A— M und zugleich im Homer und Hesiod finden sich folgende Namen:

Γλαύκη BCF.

Δωτώ F.

Κυμοδόκη D (?); F.

Κυμοθόη ACEFM.!)

Θάλεια Homer und F; Θαλίη Hesiod. Μελίτη K.

Nncain H.

Crew B.

ı) D. h. Κυμαθέα C. Κυμοθέα FM (Κυμόδεα F ??). Κυματοθέα A (Kuparobaı). Κυματοθόη B (so nach Urlichs, Würzburger Antiken III Nr. 397. Campanari vasi Feoli Nr. 100 Κυματοη. Die Abbildungen Kunadwn). Zum ersten o in Κυμοθόη vgl. Fick, griech. Personennamen p. XIV.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 563

In den Katalogen sind folgende Namen nicht: Eipecia (Ὁ) Καλύκα Ὁ) Α. Χωρώ

Εὐδία L.

Ναώ B.

Tlovroueda I.

Tlovrouedeıa F.

Obwohl der Gedanke nicht ferne liegt, dass einige von den zu- letzt aufgeführten Namen dem Zeichner aus anderen Dichtungen für Nereiden bekannt sein mochten!), andere hat er unzweifelhaft selbst erfunden. Die grosse Mehrzahl dagegen ist dem Hesiod und Homer entnommen, und zwar überwiegt die Benutzung des ersteren. Demgemäss werden wir auch bei einer etwaigen Ergänzung uns lieber an Hesiod als an Homer halten. In C finden sich nun fünf Nereiden benannt. Die Namen Γλαύκη und Κυμαθέα sind im Homer und Hesiod; Κυμώ und Γαλήνη nur im Hesiod: von dem Namen der fünften ist nur die Endung übrig geblieben -θέα. Hesiod bietet uns die Namen TTacióém V. 246 und Ἱπποθόη V. 251; Homer nennt C 42 ᾿Αμφιθόη. Natürlich ist es ganz unbestimmt, welcher Name auf der Vase gestanden hat; vielleicht war keiner der drei vorhanden, sondern irgend ein anderer vom Künstler frei gewählter. Jedenfalls darf man nicht, wie Heydemann es thut, bestimmt nach Homer er- . gänzen.?)

$. 10. Lyrik.

Als Grundsatz muss man festhalten, dass an und für sich jeg- liche Art der Poesie dem Vasenmaler Anstoss zu künstlerischem Schaffen geben konnte, und es ist schlechterdings nicht einzusehen, warum nicht im einzelnen Falle die Lyrik eingewirkt haben könnte. Besonders grössere Gedichte, wie die Iliupersis des Stesichoros, die entschieden epischen Charakter an sich trug und sich wesentlich von den früheren Dichtungen nur durch das Versmass unterschied, könnte man vermuthen, würden von Einfluss auf die Vasenmalerei gewesen sein. Aber thatsüchlich ist eine Einwirkung der Lyrik(kaum nach- zuweisen. Stesichoros allein scheint hie und da ein dankbares Motiv gegeben zu haben. Als nach dem Epos das Drama neue Bahnen einschlug und man ihre Stoffe durchschlagend veränderte, war es ebensowohl der Vasenmaler, wie der hohe Staatsmann, auf den die

So ist es vielleicht nicht blosser Zufall, dass Tlovrouéba und ἸΤοντομέδεια auf Vasen vorkommen und Apollodor unter den Nereiden die TTovroue&douca anführt, obwohl sich diese Namen für Nereiden gar leicht ergaben. Vgl. Tlovrouébuv = Tloceibüv Euripid. Hippol. 744. ᾿ Pindar O. VI, 176; ferner Kalcapı ἸΤοντομέδοντι CIG. 4923 == Kaibel, epigr. 978. ?) Heydemann ergänzt ’Auddea, wohl nur aus Versehen. Homer C 41 nennt ᾿Αμάθεια unter den Nereiden.

86*

564 H. Luckenbach:

neuen Mythen einwirkten. Man kennt das heftige Verlangen der Athener nach den Schauspielen, und undenkbar wäre es, dass eben das Drama keine sichtbaren Spuren hinterlassen hätte. Fast alle grossen Meisterwerke des Aischylos, Sophokles und Euripides änderten die epischen Stoffe, um sie für ihre Zwecke gebrauchen zu können. Ganz anders steht es mit der Lyrik. Von einer durchschlagenden Aenderung der Sagen, die sie vorgenommen hätte, kann besonders in Bezug auf die Gedichte des epischen Kyklog kaum die Rede sein. Ein weitgreifender Einfluss muss schon deshalb in Abrede gestellt werden; und wir werden nicht zu weit gehen, wenn wir behaupten: ein Einfluss der Lyrik auf die Vasenmalerei ist für die bereits von den Kyklikern vorgebildeten Stoffe nicht oder höchstens in ganz vereinzelten Fällen wahrzunehmen.

Wenn dieses trotzdem angenommen ist, so beruht dies ledig- lich darauf, dass man eben jede einzelne Abweichung einer andern Quelle oder dichterischen Wendung der Sage zuschrieb. Wenn Overb. p. XII. XIII für manche tiefsinnige Combinationen der Avers- und Reversbilder der Sagen lyrischen Einfluss in Anschlag bringen möchte, so beruht eine solche Ansicht auf der Voraussetzung, dass Vasenmaler Illustrationen zu den Gedichten gegeben hätten; eine Ansicht, gegen die wir stets zu kämpfen hatten. Wenn dersalbe p. XIII Anm. 4 den Bilderreichthum der Frangoisvase auf lyrische, nicht epische Quelle zurückführen will, so ist das eine Hypothese, der jeder Halt fehlt, und an der Overbeck ohne Zweifel heute selbst nicht mehr festhalten wird. Abweichungen, wie wir sie auf der Frangoisvase bei den Leichenspielen des Patroklos fanden, erfordern nicht die Annahme einer lyrischen Grundlage, wohl aber erklären sie sich aus der Art und Weise, mit der Künstler die Epen benutzten. Ferner meint Overbeck p. XIII, dass wir in den Dorismen mancher Namensbeischriften vielleicht eine Hindeutung auf nachepische, auf lyrische Quelle erblicken könnten. Den wahren Grund dieser Dorismen hat Jahn eingesehen, indem er sie, soweit sie eben nicht dorischen Malern zuzuschreiben sind, „auf eine beabsichtigte Wahl, vielleicht nur Gelehrtenthuerei^ zurückführt (Münchener Vasen p. CXCVIII und COXXXII).?)

Eine gewisse Rolle hat in der Frage nach lyrischen Quellen gespielt, ja scheint sie noch nicht ausgespielt zu haben?), die In- schrift TTatpoxXia oder TTarpóxA[e]ia, die sich auf einer Vase der Münchener Sammlung, Nr. 380, befindet und zuletzt bei Overbeck abgebildet ist VII, 5. XXIII, 2 (vgl. Overb. 180, 15. 541, 86). Auf der einen Seite der Vase ringt Thetis mit Peleus unterstützt vom Feuer und von zwei Panthern im Beisein des Cheiron, indesg sich ihre Schwester Pontomeda eiligst davonmacht. Unter dem Leibe des

——— —— M o —Ó——À—

. Vgl. z. B. Neapel 2870, wo neben Aphrodite die Form Athenaie sich findet. ?) Schlie, zu den Kyprien p. 49.

Verh. d. gr. Vasenbilder x. d. Ggd. d. ep. Kyklos. 565

Cheiron steht die Inschrift TTatpox\ig, die von Gerhard, AV. III, p. 144 als räthselhaft bezeichnet wird, indem er vermuthet, sie be- zeichne den ganzen Gegenstand als Anfang eines den Patroklos be- treffenden Gedichte, Im Anschluss an diese Aeugserung Gerhards hat Bergk in der Zeitschrift für Alterthumswissenschaft 1850, p. 407 f. die Inschrift vollständig zu erklären versucht. Mit diesem. Zusatze soll der Maler auf ein poetisches Werk als seine Quelle hin- deuten. Dieses Gedicht in stesichorischem Stil mit dem Titel Πα- τροκλία soll den Tod des Patzoklog und die damit enge verknüpften Begebenheiten, Hektors Fall und Achilleus’ Rache geschildert haben. Bei Gelegenheit der ὁπλοποῖΐϊα soll dann Thetis dem Hephaistos ihr Leid geklagt und ausführlicher erzählt haben, wie sie von Peleus mit Gewalt bezwungen sei Aber auch auf den Revers bezieht sich die Inschrift ITarpoxA(a; Hier wird der Kampf um Achilleus' Leiche dargestellt: indess Aias den todten Helden aufgehoben hat und ibn davonzutragen sich anschickt, kämpfen Menelaos gegen Paris und Neoptolemos gegen Ameias. Zu den Füssen der kümpfenden Krieger liegen Gefallene, dort ein Bogenschüiz, hier ein nackter Jüngling, von dessen Namen nooh Buchstaben zu lesen sind. Dass Odysseus hier fehlt und Neoptolemos zugegen ist, der doch nach dem Epos erst bedeutend später von Skyros geholt wurde, hat man als Ab- weichungen angesehen, die das Epos als Quelle anzunehmen verbieten. Solche willkürliche Variationen aber dürfe man einem Künstler nicht zutrauen, der auf der anderen Seite seine Quelle ausdrücklich nenne. Nichts aber sei natürlicher, als dass der Maler auch bier jener Pa- trokleia folgte. Der Verfasser des Gedichtes soll nicht bloss den Tod des Patroklos und die Rache des Achilleusg in demselben be- handelt haben, sondern auch das unmittelbar Folgende, den „Tod des Achilleus durch Paris“. Dass sber ein Gedinbt unter dem Namen Πατρόκλεια auch diese Begebenheiten umfasste, findet Bergk eben- sowenig befremdlich, als dass die Oresteia des Aischylos mit dem Agamemnon beginnt. Ferner vermuthet dann Bergk, dass in dem Gedichte aueh Paris durch Menelaos gefallen sei; aus den Buch- staben, die über dem Leiohnam stehen, macht er unter Annahme mehrerer Lücken Antilochog. Schon Overbeck weist p. 548 diese Lesung mit Recht zurück und schliesst sich Gerhard am, der Nirios liest und diesen Namen für identisch mit Nireus erklärte, Ob da- mit das Richtige getroffen ist, mag sehr fraglich erscheinen, ist aber auch für unseren Zweck gleichgültig; jedenfalls ist der Ausweg von Bergk durchaus verkehrt. Doch dies ist ja nebensächlich; wenig- stens das soll bewiesen sein, dass der Vasenmaler einer Patrokleis folgte. Betrachten wir das Bild mit dem Bingkampf des Peleus und der Thetis, 80 fragen wir, wie kam der Künstler dazu, einem Bilde, das einen ganz bekannten Stoff darstellte, beizuschreiben, dass auch in der Patrokleia diese e behandéjt wurde? Dazu beachte man wohl, an welcher Stelle der Pairokleim die Verse, die als Qualle

566 ' H. Luckenbach:

dienten, stehen sollen: in der Klage, die Thetis dem Hephaistos vorbrachte bei Gelegenheit der ὁπλοποῖῖα. Bedenklicher aber noch wirds mit der Patroklia hinsichtlich der Beziehung auf die Rückseite. In einem Gedichte, das nach Patroklos den Namen führte, wurde der Tod des Achilleus ausführlich besungen? Bergks Vergleich mit der Oresteia passt durchaus nicht. Wie Agamemnons Mord in die Oresteia gehört als Ursache und Einleitung des Muttermordes des Orestes, begreift sich leicht; wie aber Achilleus’ Tod in einer Pa- trokleia besungen wurde, ist schwer einzusehen. Nicht Τατρόκλεια sondern ᾿Αχιλληίς etwa hätte ein solches Gedicht heissen müssen. Dazu hinkt der Vergleich durchaus: dort haben wir den Gesammt- namen einer Tetralogie, einer Vereinigung mehrerer Stücke, hier aber den Titel eines einheitlichen Gedichtes, das nicht in mehrere Stücke zerfällt. Ferner ist es so ganz einzig dastehend, dass der Vasen- maler seine Quelle angeben soll. Ja, wenn es so etwas Gewöhnliches wäre, das Epos oder das Drama zu nennen, aus dem das Vasenbild den Stoff genommen hat, dann wäre die Sache eine ganz andere. Hier dagegen im Vasenbilde sieht es fast so aus, als ob der Künstler ein böses Gewissen gehabt, dass er den Neoptolemos beim Tode seines Vaters zugegen sein lässt und deswegen den Namen TTarpo- κλία hinzugesetzt habe, um sich gegen die Angriffe anderer zu ver- theidigen. Doch genug; alle diese Erwägungen müssen es jedem unzweifelhaft machen, dass TTatpox\ia nicht die Quelle des Vasen- malers angeben kann.

Auch scheint die Hypothese Bergks wenig Anklang gefunden zu haben. Nur Nitzsch folgt blindlings, und während Bergk in der TTarpörkeıa sich nur „ein lyrisches Gedicht in der Weise des Xanthos und Stesichoros“ denkt, weiss er, dass die ΠΠατρόκλεια von Stesi choros gedichtet wurde (Sagenpoesie der Griech. p. 249). Dagegen hält schon Overbeck wenigstens für den Kampf um Achilleus’ Leichnam die Deutung für verfehlt, und Jahn (Münchener Vasen p. CXIV, 835) erklärt die Inschrift trotz Bergks Deutung für räthselhaft.

Neuerdings hat Heydemann einen anderen Versuch gemacht sie zu deuten (annal. 1873 p. 26). Nach ihm soll dieselbe an die falsche Stelle gesetzt sein und sich nur auf den Kampf um Achilleus beziehen, den sie als eine Folge des 16ten Gesanges der Ilias be- zeichnen soll. Allein auch gegen diese Annahme erheben sich solche Bedenken, das sie aufgegeben werden muss. Die Inschrift steht zunächst dem anderen Bilde beigeschrieben, und ich erinnere mich keines Beispieles, dass nur einigermassen mit einer solchen Ver- setzung der Inschriften sich könnte vergleichen lassen.!) Heydemann setzt ferner voraus, dass schon zur Zeit, da das Vasenbild verfertigt

!) Die häufige Annahme vertauschter Inschriften beruht meist auf Irrthum, vgl. p. 539. Das einzige sichere Beispiel, das ich kenne, ist Overb. XIII, 7, wo Teukros und Telamon verwechselt sind.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 567

wurde, das 16. Buch der Ilias den Namen Patrokleia führte. Es ist freilich wohl unzweifelhaft, dass eine Reihe der Ueberschriften der einzelnen Gesänge der Ilias aus sehr früher Zeit herstammt, und Bergk!) hält gerade die Bezeichnung ἸΤατρόκλεια für sehr alt und meint, sie habe ursprünglich einen grösseren Abschnitt umfasst. Allein alle diese Annahmen sind eben nur Annahmen, die bis jetzt unerwiesen sind. Wir finden die Bezeichnung TTatpörkeıa zuerst bei Aelian VH. 13, 14, sodann bei Eustathius im Eingange seiner Erklärungen zur TTarpóxAeta; und wenn wir neben dieser Bezeich- nung auch eine zweite Πατρόκλου ἔξοδος finden, so mag es fraglich sein, welches der ültere Titel ist, und ob nicht der erste Name von den Alexandrinern erfunden ist, auf die man, wie mir scheint mit Recht, viele dieser Ueberschriften zurückgeführt hat.?) Doch dies alles will nichts bedeuten gegenüber der ungeheuerlichen Annahme, dass der Maler einem Vasenbilde TTaroóxAeia beischreibt, um den Kampf um des Achilleus’ Leichnam als eine Folge von des Patroklos Fall darzustellen.

Die Gesammttitel von Vasen?), mit denen Heydemann unsere Inschrift zusammenstellt, sind ganz verschiedener Art.

Die Erklärung der Inschrift ist demnach anderswo zu suchen. Nun ist es bekannt, dass auf manchen, meist ülteren Vasen sich Münnernamen befinden: 80, um nur einige Beispiele anzuführen, die Namen Phorbas*) und Aniades(?)°) Gerhard, AV. II, 90; Dorotheos und Hipparchos neben der Inschrift παῖς καλός Gerhard, AV. IT, 102; Leagros auf der Münchener Vase Nr. 114.

In der TTarpóxAeia nun möchte ich einen Mädchennamen er- kennen. Heydemann?) selbst hat zuletzt durch eine Zusammen- stellung gezeigt, dass Heroennamen gar nicht selten im gewöhnlichen Leben waren; noch weniger kann ein Weibername befremden, der von einem Heroennamen abgeleitet ist. Der Name ἸΤΠατροκλῆς ist sehr gewöhnlich und nach regelrechter Bildung der Feminina ergab sich ΤΤατρόκλεια. Denn mit Bergk und Heidemann möchte auch ich glauben, dass auf der Vase aus Nachlässigkeit ein ausgefallen ist?) und lieber ἸΠΤατρόκλεια als ΤἸΤατροκλία lesen.?) Und so vermuthe ich, dass der Künstler nur den Namen dea Müdchens, dass ihm am Herzen lag, auf die Vase setzte. Dass nicht καλή hinzugefügt ist, wird ebensowenig befremden, wie dass auf den analogen Vasen mit

1) Griech. Literaturgesch. p. 496, 45. Vgl. Pauly, Realencyclo- pädie III, 1424. J Dazu gehórt doch auch die Inschrift Διονυςιαζκ]α auf der Münchener Vase Nr. 1152, in der den Dionysos zwei tanzende Bakchantinnen umgeben. *) Campanari, vasi F'eoli Nr. 8, dem Gerhard folgt, verbindet Φόρβας mit ταῦρος taurus depascens. Das Richti sah Jahn, Münchener Vasen p. CXVI, 489. *) So liest Panofka bull. 1848, p. 159 f. Vgl. Jahn, Entführung der Europa p. 17. Ist etwa Asiades zu lesen? °) Commentationes in hon. Mommseni p. 166 ff. Auf derselben Vase Tlovr[o]uéba. 5) Vgl. jedoch ᾿Αγαθοκλία und 'HpaxMa in den allerdings späten Inschriften CIG. 965. 9563. 9708.

568 H. Luckenbach:

Männernamen καλός fehlt, besonders wenn man sich erinnert, dass καλός und καλή verhältnissmässig selten uns in sfgn. Vasen be- gegnen, und die ganze Sitte jünger zu sein scheint.')

Doch kehren wir jetzt zu dem Vasenbilde, welches den Kampf um Achilleus uns vorführt, zurück, so verwirft, wie schon bemerkt, auch Overbeck die Erklärung Bergks, hält aber daran fest, dass unserem Vasenbilde eine uns unbekannte Quelle zu Grunde liege. Er sagt p. 544: „dass Neoptolemos schon bei seines Vaters Tode vor Troja war, ist uns nirgendwo berichtet, dass das aber irgendwo, in stesichorischer Lyrik oder sonst, vorkam, ist durch unsere Vase bewiesen". Allein ist die Anwesenheit des Neoptolemos so viel- sagend, dass wir eine andere Quelle als das Epos annehmen müssen? Meiner Ansicht nach ganz gewiss nicht. Grade bei den Kampfscenen sahen wir spielte die Willkür der Künstler eine grosse Rolle. Dio- medes und Hippasos kämpften, da Patroklos gefallen war; Sarpedon und Phoinix waren zugegen beim Kampfe des Achilleus und Hektor; aber, wird man einwenden, der Künstler, der jene Scenen malte, erinnerte sich nicht genau, wer beim Kampfe betheiligt gewesen war; dass aber Neoptolemos seinen todten Vater vertheidigt, muss eine Begründung haben, da man dem Künstler wohl die Kenntniss der Sage zutrauen darf, nach welcher Neoptolemos erst später vor Troja eintraf. Auch ich traue dem Künstler wohl zu, dass er dies wusste; allein auch jener Künstler, der den Achilleus im Beisein der Eltern und des Neoptolemos die Rüstung anlegen liess, wusste unzweifel- haft, dass diese Vereinigung von Personen in der Sage niemals statt- gefunden haben kann. Aber dass er trotzdem sich seine Freiheit nicht nehmen liess, das wird eben klar. Auch in unserer Vase haben wir es mit einem Künstler zu thun, der wohl tiberlegte, was er hin- zeichnete. Mit dem Paris, dem Mörder des Achilleus, lässt er den Menelaos kämpfen; mit dem Aineias aber, dem hervorragendsten unter den Troern, den eigenen Sohn des Gefallenen: das Ganze ist eine glückliche Zusammenstellung, die dem Maler Ehre macht, für die man aber nicht gleich eine Quelle suchen soll. Möglich, dass im Vasenbilde auch ausser Paris noch Erinnerungen an die Aithiopis zu Grunde liegen. Auch in dem zweiten Vasenbilde, welches den Kampf um Achilleus darstellt, ist Aineias zugegen (Overb. 540, 84. XXIII, 1), und Quintus Smyrnaeus nennt III, 214 den Aineias nebst Glaukos und Agenor als die Tapfersten beim Kampfe um Achilleus. Möglich auch, dass jener Gefallene, dessen Name nicht mit Sicherheit zu lesen, uns eine Person des Epos vorführt: zu einer Gewissheit ist in diesen Dingen nicht zu gelangen.

Heydemann ergänzt Arch. Zeit. 1866, p. 152 zu dem Namen [(ῷὨἷώμαχος das Wort καλός in der ebdst. Taf. 206 (auch Overb. III, 4) publicirten Vase. Diese Annahme ist nicht ohne Bedenken, da die Vase chalkidisch, die in Rede stehende Sitte aber attisch ist. Sollte das Wort den Verfertiger der Vase nennen?

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 569

Trotzdem nun sich der Einfluss der Lyrik nicht in einem ein- zigen Falle nachweisen lässt, ist man doch weit entfernt, den Ge- danken daran aufzugeben. Ja man ist noch weiter gegangen, man hat, um Vasenbilder zu erklären, sich eigene Versionen gemacht; so Stephani für das Parisurtheil Die Vasenbilder, welche hier in Betracht kommen, sind folgende”):

A Gerhard, AV. III, 172. Overb. 212, 26. Welcker, alte Denkm. V, p. 389, 28.

B München 716.

C Petersburg 2020. CR. 1863, Taf. 1, p. 5 ff.

D Overb. 255, 122. Welcker p. 410, 62, Taf. B 3 (nicht 4). Millingen, uned. monum. I, 17. Passeri, picf. I, 16. d'Han- carville IV, 24. Visconti, mus. Pio Cl. IV, A. Inghirami, vas. fitt. 171.

À und B sind schwarzfigurig, C und D rothfigurig.

Α. Zu Paris tritt Hermes mit zwei Góttinnen, von denen die letzte deutlich als Athena charakterisirt ist; ob wir in der ersten Hera oder Aphrodite zu erkennen haben, wüsste ich auf keine Weise zu entscheiden, wenn man nicht geltend machen will, dass gewöhn- lich Hera vorangeht, Aphrodite aber zuletzt folgt

Ganz ähnlich ist B; jedoch fehlt Paris. Athena geht der an- deren Göttin, die einen Stab in der Hand hält, voran.

C. Vor einem Jüngling steht Eros, demselben vertraulich zu- sprechend. Hinter Eros eine Frau, die in der Rechten einen Kranz hält. Hinter Paris steht Athena, hinter dieser ein mit Chlamys und Petasos versehener Jüngling, den man, obwohl ihm das bezeichnende Attribut, das xnpuxeiov, fehlt, für Hermes erklärt hat. Die Frau, welche vor Paris steht, wird durch den Eros als Aphrodite be- zeichnet.

D. Ein Jüngling sitzt auf einem Steine, durch das Schaf, das ihm zur Seite liegt, als Hirte bezeichnet. Vor ihm steht Hermes zu ihm hinblickend, den rechten Ellenbogen auf eine Säule lehnend. Es folgt eine sitzende Frau; die Schale, welche sie in der Hand hält, macht es sowie ihre ganze Tracht möglich, in ibr Aphrodite zu er- kennen. Hinter dem Jünglinge steht eine zweite Frau, durch das Scepter zur Genüge als Hera bezeichnet.

Während man früher annahm, dass aus Mangel an Raum oder aus Nachlässigkeit eine der Göttinnen fehle, hat Stephani mit Hin- weis auf das Satyrspiel des Sophoklos, welches das Parisurtheil enthielt, eine neue Erklärung aufgestellt (CR. 1868, p. 9. 10). Bei der dramatischen Behandlung, die Sophokles vornahm, ergab sich eine Schwierigkeit, die in den Gesetzen des Dramas begründet lag.

———ÓÀ —À —À ái P

!) Die Spiegel Overb. 252, 107—110 = Gerhard, etr. Sp. II, 192—195 lasse ich ganz bei Seite.

510 H. Luckenbach:

Drei Schauspieler konnte er nur verwenden, und doch waren Paris und die drei Göttinnen nothwendige Personen für die bestehende Sage. Aber Sophokles wandelte die Sage zum Theil um; er stellte nur den Streit zwischen Athena und Aphrodite dar. Bei Athenaios XV p. 687 C lesen wir ζοφοκλῆς δὲ ποιητὴς ἐν κρίςει τῷ δρά- ματι τὴν μὲν ᾿Αφροδίτην ἡδονικήν τινα oUcav δαίμονα μύρῳ τε ἀλειφομένην παράγει καὶ κατοπτριζομένην, τὴν δ᾽ ᾿Αθηνᾶν φρόνη- civ οὖςαν καὶ νοῦν, ἔτι δ᾽ ἀρετὴν ἐλαίῳ χριομένην καὶ γυμναζο- μένην. Wie einst den Herakles die Ἡδονή und die Κακία für sich zu gewinnen suchten, so hier Athena und Aphrodite den Paris. Aehnliche Gegensätze scheinen beliebt gewesen zu sein; da auch Aristophanes den λόγος δίκαιος mit dem λόγος ἄδικος in den Wolken kämpfen lässt. Wie weit Hera bei Sophokles eine Rolle spielte, wissen wir nicht; vielleicht trat sie gar nicht auf, sondern mit einem Witze wurde sie bei Seite geschoben. Waren ihr einige Worte ge- stattet, dann musste sie vor den anderen Göttinnen auftreten, d. h. ehe Aphrodite den Sieg davon gewann. Alles weitere muss leere Vermuthung bleiben, sofern es nicht gelingt, aus anderen Quellen die Lücken der bisherigen Ueberlieferung zu ergänzen. Nur glaube ich nicht, dass Sophokles so weit ging, nur einen Streit zwischen zwei Göttinnen darzustellen und Hera ganz unerwähnt zu lassen. Den Hauptinhalt bildete jedenfalls der Streit zwischen Athena und Aphrodite. Den Wettstreit dieser beiden Göttinnen nun glaubt Stephani in C erkennen zu dürfen und weiter auch in A und B, indem er die zweite Frau, in der wir mit Bestimmtheit weder Hera noch Aphrodite erkennen mochten, nach Analogie von C für Aphro- dite erklärt. Allein nicht auf Sophokles sind die Vasenbilder zurück- zuführen; denn zwei von ihnen sind schwarzfigurig: daher hat auch Sophokles diesen Wettstreit nicht erfunden, sondern von einem an- deren in seine Poesie hinübergenommen. Für D endlich, meint Stephani weiter, falle nun auch der letzte scheinbare Grund weg, überhaupt an Paris und sein Urtheil zu denken, da eben Athena fehle. Auch ich will es nicht auf mich nehmen, D für das Paris- urtheil zu vertheidigen, obwohl sich darüber streiten liesse. Aber gegen die übrige Deutung muss ich mich erklären. Gäben wir zu, dass Ο den Mythus nach dem Parisurtheile des Sophokles darstellt, müsste dann auch A und B auf eine ähnliche Quelle zurückgehen? Dürfen wir uns so ohne weiteres für A und B eine Quelle erfinden? Welcher Art soll sie sein? Etwa ein lyrisches Gedicht? Dann sollte erst in einem einzigen Falle lyrischer Einfluss auf die Vasen- malerei sicher nachgewiesen sein. Methodisch ist ohne Zweifel eine solche Zurückführung auf eine erdachte Quelle zu verwerfen, 80 lange wie sich ein anderer Erklärungsgrund bietet. Diesen aber hat man längst gefunden, indem man eine Nachlässigkeit des Künstlers angenommen hat. Dass Athens in A und B zugegen ist, ist wohl kein Zufall; denn sie pflegt gewöhnlich in der Mitte zwischen beiden

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 571

Göttinnen einherzuschreiten; nur selten geht sie voran (Welcker a. O. Nr. 13. 20. 40. 44 = Overb. Nr. 12. 37. 42. 45); aber nie- mals soviel ich sehe ist sie in den Bildern der alten Periode die letzte.

Auch sind ja derlei Auslassungen und Verkürzungen in der Vasenmalerei nicht selten; viel weniger kann uns das Fehlen einer der Personen wundern, die im Marsche einherziehen, als wenn der Leichnam des Hektor in einem Bilde fehlt, das unzweifelhaft die Schleifung desselben darstellt (Overb. 458, 118). In einer anderen Vase (Overb. 352, 22) fehlt Achilleus, während Troilos zu Pferde und Polyxena ihr Heil in der Flucht suchen. Die unter den Pferden liegende Hydria macht die Deutung sicher. In einer dritten Vase (Arch. Zeit 1856 p. 228) stehen Troilos und Polyxena vor dem Brunnen, der auflauernde Achilleus ist weggelassen. Ein weiteres Beispiel bietet die Berliner Vase, Nr. 1980, welche ganz in Ueber- einstimmung mit sonstigen Darstellungen die Ueberlieferung des Achilleus an Cheiron vorführt; es fehlt nur die wichtigste Person, Achilleus selbst. Waren die bisherigen Beispiele schwarzfigurig, so fehlt es auch nicht an rothfigurigen, die dergleichen Nachlässigkeiten sich zu Schulden haben kommen lassen. Im Bull. Nap. VII, p. 153 ff. wird eine Vase erwühnt, in der Pylades von der Iphigenie den Brief erhält, aber Orestes selbst fehlt.!) Diese Auslassungen, deren Zahl sich wohl vermehren lässt, lassen keinen Zweifel übrig, dass wir auch in A und B nichts anderes erblicken dürfen. Ebender- selbe Grund aber kann auch für C gelten, und D ist keines- wegs mit solcher Gewissheit aus der Reihe der Parisurtheile zu streichen.

Wir bleiben beim Parisurtheil; unter Berufung auf Lucian, der den Paris mit den drei Góttinnen einzeln verhandeln lässt, hat man den Paris mit einer Göttin allein nachweisen zu können geglaubt. Es sei eine leicht zu begreifende Modification der ursprünglichen Erzählung, dass in irgend einer nachepischen Poesie die Göttinnen einzeln mit Paris unterhandelten und ihm ihre Versprechungen machten. Die Erzählung konnte freilich die Göttinnen nach einander auftreten lassen; aber selbst wenn Stasinos schon so gedichtet hätte, die Kunst würde unzweifelhaft den Wettstreit durch Zusammenstellung der Streitenden anschaulich gemacht haben. Um so weniger wird man der Annahme einer Quelle, die nicht epischer oder dramatischer Árt war, rechten Glauben schenken; und es lässt sich denn auch kein Vasen- bild nachweisen, in dem bloss eine Góttin mit Paris zusammen ist.

Overb. 253, 116. Neapel 3161 ist von Heydemann auf Orpheus, vor dem eine Thrakerin steht, gedeutet worden. Wie man jedoch über diese wie über die vielen anderen Erklärungen, welche Heyde-

1 Vgl. Heydemann Arch. Zeit. 1873 p. 18, woselbst zwei der ge- gebenen Beispicle aufgezühlt sind.

512 H. Luckenbach:

mann anführt, denken mag; Athena ist es sicher nicht, die hier vor dem Jünglinge steht, und ans Parisurtheil darf nicht gedacht werden.

In dem zweiten Vasenbilde Overb. 253, 115 redet Hermes eifrig zu einem Jünglinge in phrygischer Tracht, der in der Linken ein Scepter, in der Rechten ein Schwert hält. Hermes weist dabei auf die hinter dem Phryger stehende Frau, die durch hohen Polos, durch Schleier und Scepter ausgezeichnet ist. Man hat sie bald Hera (so Jahn bull. 1842 p. 26) bald Aphrodite (so Stephani a. O. p. 12) ge- nannt; in dem Jünglinge will man den Paris erkennen. Will man bei der Deutung bleiben, 80 braucht man keine verschiedene Version anzunehmen. Ich würde dann hier weniger eine Auslassung con- statiren als vielmehr annehmen, dass gewissermassen der Kern des Ganzen herausgeschält ist: Paris, zu dem Hermes für Aphrodite spricht. An Hera zu denken würde dann nicht möglich sein. Stephani will das Bild auf einen früberen Moment beziehen, in welchem Aphrodite den troischen Königssohn für sich zu gewinnen sucht. Eine solche Annahme scheint mir verfehlt, da dieselbe weder in der Sage einen Anhalt findet, noch auch eine solche Wendung sich leicht für den Maler ergab. Ueberhaupt aber halte ich dafür, dass auch bei diesem Bilde der Gedanke an das Parisurtheil aufgegeben wer- den muss. Wenn man sich auf ein Wandgemälde Overb. 254, 117 beruft, in dem Athena einem Jünglinge eine Tänie hinhält, so bedarf dieses Bild selbst einer sicheren Erklärung, die mir durch das Paris- urtheil nieht gegeben zu sein scheint. Die Spiegel (Overb. 254, 118—120) lasse ich unberücksichtigt, da durch sie die Vasenbilder keine Aufklärung erhalten.

$. 1. Alexandrinische Poesie.

Zuerst darauf aufmerksam gemacht zu haben, welcher grosse Unterschied zwischen den späteren Vasenbildern und der Poesie der Alexandriner besteht, ist das Verdienst von Furtwängler.!) Bis jetzt ist eine Einwirkung der alexandrinischen Poesie noch in keinem sicheren Falle nachgewiesen. Es muss daher auch jede Deutung, die sich auf die Dichtungen dieser Epoche stützt, einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Es ist gewiss nicht zu übersehen, dass eine Anzahl von Scenen, die erst später, wahrscheinlich in der alexan- drinischen Epoche, ausgebildet wurden, sich in der Vasenmalerei nicht finden. Dahin gehört z. B. die Abholung des Achilleus von Skyros (Overb. p. 287), der Schönheitsapfel, den Eris unter die Göttinnen bei der Hochzeit des Peleus warf, wovon später noch die Rede sein wird, Thetis, die den kleinen Achilleus im Styx badet (Overb. p. 282. XIV, 3), und endlich das Liebesverhältniss von Paris zur Oinone. Freilich hat man gerade Oinone in mehreren Vasen-

!) Eros in der Vasenmalerei p. 81 ff.

Verh. d. gr. Vasenbilder =. d. Ged. d. ep. Kyklos. δ18

bildern erkennen wollen, die aber, einer genauen Prüfung unter- worfen, nur das Endurtheil bestätigen, dass die alexandrin. Poesie ohne Einwirkung auf die Vasenmalerei geblieben ist. Besonders wur es Jahn, der (arch. Beitr. p. 336 ff) in mehreren Bildwerken eime weibliche Figur für Oinone erklärte, und Helbig (Arch. Zeit. 1866 Ρ. 181) hält es für eine ausgemaehte Thateache, Die Bildwerke, die in Betracht kommen, sind folgende: -

Overb. 226, 58 == Weloker, alte Denkm. V yp. 366 ff. Nr. 60. Die Mittelgrappe, welche das Parisurtheil vorführt, wird umgeben auf der einen Seite von einem bürtigen Manne in reicher phrygiseher Tracht, in dem man wohl mit Recht den Priamos erkannt hat, auf der anderen von einer Frau, die einen Stab mit der Rechten aufsttitzt. Schon Overbeck hat sich gegen die Deutung auf Oinone erklärt (p. 226 f. vgl. ebdst. Anm. 3); er betrachtet sie als Begleiterin der Aphrodite oder glaubt, sie sei nur zur Haumausfüllang vorhanden. Oinone erkennen zu wollen, fehlt jeder Anhalt; Ν mir scheint dem Priamos entsprechend Hekabe dargestellt zu sein, für die auch das Scepter denn anders soll der Stab nichts vorstellen passend ist.

Overb. 282, 66 == Wieloker Nr. 66. In einer Person hat Gerhard (apul. Vesenb. p. 28) Oinone zn erkennen geglaubt. Bereits Jahn a. O. p. 339 hat sich dagegen ausgesprochen. :. --

Overb. 229, 61 == Welcker Nr..66. Diese Darstellung, in der Jahn a. O. p. 339 Oinon erkennen wollte, ist von Brunn (Troische Misc. p. 49 ff.) endgültig aus der Reihe der Parisurtheile ausge- schieden worden.

Ebenso ist zu streichen Ete. odrain, II, 85, von Jahn p. 939 erwähnt, da die Frau mit der Lanze nicht Athens, der Jüngling mielit Paris sein kann.

Auch kann ich mich nicht entschliessen, in der Neapler Vase Nr. 1770 das Parisurtheil anzuerkennen; jedenfalls ist .der Gedanke an Oinone, an die Heydemann erinnert, zu verworfen.

Passeri I, 16. D’Hancarvelle IV, 34. Millingen, vases diverses 43. Pistolesi, Vatic. II, 990. Zuerst hat Weleker ἃ. O. p. 437 das Bild auf Alexandros gedeutet, den Aphrodite zur Abfahrt treibt; die oben sitzende Figur soll Peitho sein. Eine Deutung, die Weloker verwarf, hat Brunn, Troische. Misc. p. 61 von neuem zur Geltung bringen wollen. Die von Weleker Peitho benannte ist für ihn Aphrodite; diejenige, die sich an den Paris. wendet, soll Oinone sein, und an Paris ihre ernsten Ermahnungen richten. . Diese Deutung entbehrt jeder Stütze und darf deswegen nicht &ügenomimen werden; dagegen steht nichts im Wege, in den beiden Prauen. Aphrodite und Peitho zu erkennen. Ob jedoch ans Parisurtheil gedacht werden darf, er- scheint mir mehr als problematisch.

So lange wie sich nicht mit Sicherheit einmal Oinone nachweisen lässt, darf man eine Person, die mit diesem Namen zu benennen der Darstellung nach möglich wäre, für Oinone nicht in Anspruch mehmen. ᾿

574 H. Luckenbach:

Andererseits lässt ihr Fehlen sich dafür geltend machen, dass Oinone in den Kyprien nicht erwähnt wurde, was Welcker, ep. Cycl. II, p. 92 unentschieden lässt. Jedenfalls muss als Grundsatz festgehalten werden, dass die alexandrinische Poesie keinen Einfluss auf die Mythen in Vasenbildern gehabt hat. Wohl zeigt sich in späterer Zeit manches, was die frühere Kunst nicht dargestellt hätte. Wenn Peleus die Thetis beim Bade überrascht, den Paris Eros, Pothos und Himeros umschweben, überhaupt vieles mehr sinnlich ausgemalt wird, so ist der Einfluss der Zeit wahrzunehmen, die auch die Vasen- malerei umschuf; einen directen Einfluss von fremder Poesie anzu- nehmen, wird man nicht ohne die gewichtigsten Gründe wagen dürfen.

8. 12. Lokalsage.

In den Vasenbildern des troischen Sagenkreises hat man bis jetzt noch kein Vasenbild nachweisen können, das sich auf Lokal- sage gründet. Es scheint doch die Wucht des Epos und sein Ein- fluss so gross gewesen zu sein, dass lokale Mythen verschwanden. Wohl tritt mit dem Beginn der rfgn. Technik die Hervorhebung attischer Sagen ein. Demophon und Athamas finden ihre Mutter Aithra wieder; und oftmals sind es gerade athenische Helden, die uns auf den Vasen entgegentreten; aber hier kann von lokalen Versionen keine Rede sein. Wenn in einer Vase, die den Auszug des Achilleus vorführt!), Menestheus auftritt, so zeigt sich deutlich das Streben der Athener, ihre Helden in den Vordergrund zu drängen. Wenn in Strongylions „hölzernem Pferde" Menestheus, Akamas, Demophon und Teukros (Aias war damals schon todt), also attiache und salaminische Helden, hervorschauten (Paus. I, 23, 8), so liegt hier keine lokale Tradition vor. Dagegen haben wir dieselbe anzuer- kennen z. B. im Raube der Oreithyia durch Boreas, der nach zwei Versionen zur Darstellung gebracht wird. Bald raubt Boreas die Oreithyia, da sie Blumen sammelt, bald da sie zum Brunnen geht, Wasser zu holen. Aber hier war keine Sage, die von einer anderen etwa schon im Epos besungenen abwich; sie stand nicht unter dem Drucke, den eben das Epos ausgeübt zu haben scheint. In Attika gab es bestimmt ausgeprügte Sagen über das Palladion; man wusste zu erzählen, wie in Attika Akamas oder Demophon das Palladion an sich gebracht hatten”); aber in der Vasenmalerei findet sich dies nicht. Freilich will Jahn den Doppelpalladienraub, der mehrfach dargestellt ist, durch Lokalsage erklären, aber, wie mir scheint, kann seine Deutung nicht genügen: vielmehr muss in den betreffenden Bildwerken eine bestimmte Tradition zu Grunde liegen, die zu er-

Gerhard, etr. u. camp. Vas. 13. ?) Vgl. z. B. Paus. I, 28, 8. Pollux VIII, 118. Eustath. Odyssee a 1419. Harpokration und Suidas 8. v. ἐπὶ παλλαδίῳ. Clemens Alexandr., Protr. IV, 47 Sylb.

Verh. d. gr. Vasenbilder s. d. Ged. d. ep. Kyklos. 675

kennen uns freilich wegen der Lückenhafügkeit der literar. Ueber- lieferung nicht möglich ist. Ich zweifle nicht, dass die in Rede stehen- den Bildwerke auf ein Drama zurückgehen, da das Epos eine andere Version hatte. Wir werden später darauf zurückkommen,

Soweit wir den ganzen Stoff mit seinen Quellen tiberblicken können, bietet sich nur das Epos und die Tragödie dar; von einer Einwirkung der lyrischen, der alexandrinischen Poesie, einer Aus- prägung von Lokalsagen kann erst dann die Rede sein, wenn ein- mal ein einziges sicheres Beispiel vorgeführt sein wird: so lange je- doch müssen wir auch darauf Verzicht leisten, ein Vasenbild durch die fraglichen Arten der Poesie und durch Annahme lokaler Tradi- tion zu erklären.

IIl. Vasenbilder, deren epische Quellen nur in Bruch- stücken enthalten sind.

Haben wir, meist auf Vasenbildern, die uns Mythen der Ilias und Odyssee darstellen, fussend, gefunden, dass die Mythengestaltung auf Vasenbildern nur von den Epikern und Dramatikern ausgeht, dass die Anlehnung an die Poesie meist nur in der Haupteache statt- findet, dasg in allem Nebensächlichen die Maler nach Gutdünken handeln, besonders auch, indem sie Sitten ihrer Zeit einmengen und auf die Heroenzeit übertragen, so wollen wir jetzt die Bildwerke zu den tibrigen Epen betrachten und zusehen, wie weit dieselben uns bei der Ergänzung der schriftlichen Quellen dienen können; und ob sie irgendwo den von uns aufgestellten Principien widersprechen. Wenn manchmal entgegenstehende Ansichten kurz zurückgewiesen werden, so geschieht dies von dem Standpunkte aus, auf den die vor- hin betrachteten Vasen jeden Unbefangenen führen müssen.

Es kann auch hier nicht in unserer Absicht liegen, alle Bild- werke zu besprechen, sondern nur diejenigen, die für unsere Frage besonders ins Gewicht fallen. Dabei bin ich mir bewusst, .mit Ab- sicht keine schwierigere Frage bei Seite geschoben zu haben. Die Anordnung der einzelnen Bildwerke wird eine loge sein; wir werden dieselben innerhalb der einzelnen Epen nach der Reihenfolge der That- sachen aufeinander folgen lassen.

$4. 18. Die Kyprien. Peleus und Thetis.

Nicht weniger als 46 Vasenbilder führt Overbeok p. 174—201 Nr. 1—4. 6-——47 zu dem Ringkampf und der Hochzeit des Peleus und der Thetis an.

Zunüchst einige Berichtigungen und Ergünzungen zu den von Overbeok aufgezählten Bildern:

576 A. Luckenbach :

Nr. 3 == München 807

Nr. 14 = n 653!)

Nr. 15 » 380

Nr. 16 » 764 (?)

Nr. 17 » 501

Nr. 18 » 1155

Nr. 20 n 450

Nr. 21 » 1112

Nr. 23 = Roulez, vases de Leyde pl. 12

Nr. 24 == München 538 Nr. 28 == Benndorf, Gr. u. Sic. Vasenb. XXXII, Aa p. 61— 68. Collignon 406

Nr. 31 München 331

Nr. 35 Neapel 2421

Nr. 36 = ,, 2638

Nr. 47 = Conze Vorlegebl. II, 1. 2.

Nr. 4 ist von Jahn Arch. Zeit. 1853 p. 145 ff. auf Telephos und Auge gedeutet; jedenfalls bezieht es sich nicht auf Peleus und Thetis.

Nr. 11 und 19 sollen sich nach Overbeck in München befinden, sind jedoch in Jahns Katalog nicht verzeichnet,

Ob alle die Vasen, in denen die Jungfrau nicht von Thieren oder den Elementen unterstützt wird, oder andere Umstände über die Darstellung keinen Zweifel aufkommen lassen, mit Recht auf Peleus und Thetis bezogen werden, ist nicht leicht zu entscheiden. Manchen mögen andere Mythen zu Grunde liegen; andere sind viel- leicht gar nicht bestimmt zu deuten, sondern ganz allgemeiner Art und zum Genre herabgestimmt. Diese Vasen (Overb. Nr. 16— 22. 39. 40. 43) können daher nicht berticksichtigt werden.?)

Hinzuzufügen sind etwa folgende:

A. Schwarzfigurige Vasen.

München 133. 486.

Varvakeion 584. 1199, von Collignon p. 80 erwähnt. Collignon 328.

Collignon 329 abgeb. Heydemann, Gr. Vas. VI, 1. Heydemann ebdst. VI, 2. 3.

Bull. 1859 p. 133 (big)

Neapel 2535.

- ----

1) Die Beschreibung der Vase ist bei Overbeck sehr ungenau. Die Identität wird jedoch unzweifelhaft durch die gleiche Anzahl der Per- sonen, sowie durch die Anwesenheit des Nereus, der sich nur noch zwei- mal in sfgn. Vasen zeigt. ?) Ebensowenig wie die sfgn. Petersburg 42. 115. Neapel 2449. 2738. RC. 205 und die rfgn. Overb. XXXI, 2 (vgl. Arch. Zeit. 1870 p. 82). Arch. Zeit 1878 Taf. 19 (bis).

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 611

Neapel RC. 207, abgeb. Bull. Nap. N. 8. V, 10, 12. Fiorelli, vasi Cum. IX, 1.

B. Rothfigurige Vasen. Petersburg 1527

München 369. Conze, Vorlegebl. VII, 2

Journal of philology 1877 Taf. A, p. 215 ff, erwähnt auch Arch. Anz. 1866 p. 203* und Commentat. in hon. Th. Mommseni p. 171, 30

Newton the fine arts quarterly review 1864 Taf. IT, p. 1f. Conze,

Vorlegebl. II, 6, 2.

Für Peleus und Thetis liegt eine meines Erachtens nicht eben glückliche Arbeit aus den letzten Jahren von Schlie!) vor, der gerade mit Bezug auf das Epos diese Sage behandelt hat. Auf p. 44 f, stellt er die Züge zusammen, die er den Kyprien entnommen glaubt. Indem wir möglichst von einer Behandlung der Bildwerke im Einzelnen, absehen, wollen wir die einzelnen Punkte der Reihe nach betrachten.

Dass überhaupt der Kampf des Peleus mit der Thetis in den Kyprien beschrieben war, wird uns von Proklos nicht tberliefert, und Welcker glaubte, dass derselbe nicht behandelt worden sei. Overbeck und Schlie sind anderer Meinung, wie ich glaube, mit vollem Rechte. Ein Dichter wie Stasinos, der überall möglichst weit ausholt, der immer die Genesis einer Thatsache beschreibt, konnte unmöglich, wenn er die Hochzeit des Peleus schilderte, die Art über- gehen, in der Peleus sich seine Braut errang. Mag die Schilderung noch so kurz gewesen sein, ganz fehlen durfte sie nicht. Dafür spricht auch die grosse Anzahl der Bildwerke uus der archaischen Periode.

Gehen wir also auf die Voraussetzung Overbecks und Schlies ein und sehen zu, welche Züge schen im Epos vorgebildet zu sein scheinen.

Der Ort des Liebeskampfes.

Ohne jegliche Andeutung auf Vasenbildern, auch ohne schrift- liche Tradition würden wir als den Ort des Liebeskampfes das Ge- stade des Meeres ansehen; für die Meernymphe Thetis ist dieser Ort der weitaus wahrscheinlichste. So wird uns denn auch von Herodot VII, 191 und dem Scholiasten zu Apollonios I, 582 das Sepiasgestade angegeben als der Ort, an dem Peleus sich die Thetis geraubt habe. Indessen zeigt ein Blick auf diese Btellen, dass sie schwerlich etwas anderes als eine Lokalsage wiedergeben, die an ein Heiligthum der Thetis und der Nereiden sich anschloss. Auch die Erwühnung des Scholiasten, dass Thetis sich in eine Sepia ver.

Zu den Kyprien. Programm des Gymnasiams zu Waren 1874.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XL 87

578 H. Luckenbach:

wandelt habe, um dem Peleus zu entgehen, ist so einzig, dass sie nur Lokalsage oder vielleicht sogar Gelehrtenerfindung ist, die den Sepiasstrand in nähere Beziehung zur Göttin bringen wollte. Mehr als gewagt würde es sein, dem Dichter der Kyprien auch den Sepias- strand zuschreiben zu wollen. Nur einmal Conze, Vorlegebl. II, 6, 2 finden wir den Meeresstrand gemalt, in einer späten Vase, die uns den Peleus zeigt, wie er die badende Thetis überrascht hat. Zu dieser Darstellung war natürlich der Meeresstrand oder doch wenig- stens Wasser erforderlich. Ob der Maler an den Sepiasstrand ge- dacht habe, meint Schlie p. 15, lasse sich natürlich nicht sagen; ich glaube, dass dem Maler nichts ferner gelegen hat als ein solcher Gedanke. Auf anderen Vasen sind Korallenstöcke, Delphine und Seethiere hinzugefügt: natürlich, wo eine Meergöttin ringt, wo Nereus und seine Töchter oftmals zugegen sind, da waren auch diese Dinge passend angebracht; jedoch erlauben die Bilder nicht einen Schluss aufs Epos zu machen, obwohl an und für sich ja hohe Wahrschein- lichkeit herrscht, dass Thetis am Gestade des Meeres überfallen wurde.

Die Verwandlungen.

Voran stelle ich auch hier die Zeugnisse der Schriftsteller. Ohne Werth ist für unseren Zweck das schon erwähnte Zeugniss des Scholiasten zu Apollonios I, 582, der eine Metamorphose in eine Sepia kennt. Unser ältester Gewährsmann ist hier wie so oft Pindar: N. 4, 62 nennt er das Feuer und den Löwen als Gegner des Peleus. Von Sophokles führt uns der Scholiast zu Pindar N. 3, 60 die Verse an:

τίς γάρ με μόχθος οὐκ ἐπεετάτει; λέων δράκων τε, πῦρ, ὕδωρ (Soph. fr. 163).

Apollodor III, 13, 5 lässt die Thetis sich in Feuer, Wasser und in ein θηρίον verwandeln. Der Scholiast zu Pindar N. 4, 62 nennt das Feuer, den Lüwen und verschiedene Gestaken (διάφοροι ἰδέαι) und N. 3, 60 das Feuer und Thiere (θηρία). Das Feuer wird also von allen erwähnt; das Wasser von Sophokles und Apollodor; der Löwe von Pindar, Sophokles und dem Scholiasten zu Pindar; den Drachen (die Schlange) nennt nur Sophokles. Die Ausdrücke θηρίον, θηρία, διάφοροι ἰδέαι können natürlich vieles einschliessen. Endlich erwähne ich noch die Verse des Sophokles, die uns der Scholiast zu Pindar N. 3, 60 aufbewahrt hat: καὶ CopoxAfjc qncav ἐν Τρωίλῳ:

ἔγημεν ὡς ἔγημεν ἀφθόγγους γάμους τῇ πανταμόρφῳ Θέτιδι ευμπλακείς ποτε.

Gerhard (AV. II, p. 107, 86) liest hier πεντάμορφος; ohne Grund wie ich glaube. Denn die überlieferte Lesart ist ganz unverdächtig,

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 579

und für eine Verwandlung in fünf verschiedene Gestalten spricht nichts: an einer anderen Stelle nennt Sophokles selbst nur vier Ge- stalten, und diese vier scheinen auch den wesentlichsten Bestand- theil der Sage ausgemacht zu haben.

In den Vasenbildern ist die Verwandlung in Feuer in zwei sfgn. Vasen angedeutet (Overb. Nr. 15 und Neapel RC. 207).

Ob jemals die Verwandlung in Wasser auf Vasenbildern aus- gedrückt ist, erscheint mehr denn zweifelhaft. Die Schwierigkeit, den Peleus mit dem Wasser ringend darzustellen oder das Wasser als Helferin der Thetis zu zeigen, leuchtet von selbst ein.") Ein Delphin, hat man geglaubt, solle in einigen Vasen das Wasser ver- treten: allein dieser Delphin ist nirgends als Angreifer zu erkennen: er bezeichnet, wenn man will, das Lokal oder gehört eben zur Nereide und zeigt uns dieselbe als Meergöttin (Overb. Nr. 29. Collignon 406). In einer anderen, rfgn. Vase (Overb. Nr. 37) soll der Maler das Wasser durch einen Regenbogen angedeutet haben: denn für einen solchen haben die Herausgeber den Gegenstand, der sich über Peleus und Thetis erhebt, gehalten. Allein die Deutung ist nicht ohne Schwierigkeit. Nach der Abbildung scheinen aller- dings eine Nereide den Gegenstand anzustaunen, Eros, der Begleiter der Aphrodite, und auch Thetis selbst ihn mit Verwunderung. zu betrachten. Indess wollte der Künstler das Wasser damit andeuten, wozu dann die Verwunderung? war die Metamorphose in Wasser für Meernymphen wunderbarer, als die in Schlange, Lówe, Feuer? Endlich aber würde wohl der Künstler so einen Regenbogen dar- gestellt haben mit den Farben weiss, schwarz, gelb? Die Sache ist keineswegs sicher. Mir scheint vielmehr der vermeintliche. Begen- bogen ein Theil des Gewandes zu sein, das sich nach beliebter Manier bogenförmig über dem Haupte der Thetis wölbt?), wie denn überhaupt der Maler unnatürliche Falten nicht allein auch sonst im Gewande der Thetis sondern vor allem auch in der Chlamys des zwischen Peleus und Cheiron stehenden Mannes angebracht hat.

Die Schlange findet sich in Vasenbildern aller Stile; statt einer Schlange begegnen uns deren auch zwei und einmal sogar drei.

Auch der Löwe findet sich in Vasenbildern aller Stile. Bis- weilen kann man zweifelhaft sein, ob man einen Löwen oder ein anderes Raubthier, einen Panther oder Tiger, zu erkennen hat; oft- mals dagegen ist es deutlich"), dass der Künstler keinen Löwen darstellen wollte. Zwei Panther sind in Nr. 15.

Ferner wird Thetis unterstützt von einem Seedrachen, jedoch

1) Gerhard, AV. II, 112 ib den Nereus, mit, mit dem Herakles ringt, Wasser, nicht bloss um iin Jm, Eni sondern um ihm beizusteben. Vgl afthrung. à der Europa, Taf, Ia (= Neapel, 8249) Overb. xvii. Durch die Art der Dar- stellung, ob en face oder en profil. Vg. L Conse, Inseln des thrakischen

eeres p. 9.

81:

580 H. Luckenbach:

nur in vier rfgn. Vasenbildern. Auf Nr. 3 findet sich neben dem Seedrachen ein Hund. Endlich sehen wir auf zwei Vasen eigenthüm- liche Ungeheuer. Neapel 2535 zeigt ein Thier mit Löwenkopf und Fischschwanz; auf der anderen Vase, Collignon 329, hilft der Thetis ausser einer Schlange ein Löwe mit sehr zugespitzter Schnauze, aus dessen Kopfe ein Horn hervorspringt.

Beliebig sind die Thiergestalten mit einander in Verbindung gesetzt: Feuer, Löwe und Schlange finden sich vereinigt Neapel RC. 207. Die Verbindungen von Lówe und Schlange, von Schlange und Tiger u. s. w. haben alle ihre Beispiele.) Conze II, 6 sind auf dem- selben Bilde Schlange und Seedrache. Nur eine Ausnahme ist zu machen: auf keiner Vase findet sich ein Löwe neben einem Panther oder Tiger, und darin ist man versucht doch nicht blossen Zufall zu erkennen.

Suchen wir nun aus diesen Thatsachen die Gestalten zu er- mitteln, die sich als Kern der Sage ergeben, so hat Schlie p. 44 folgendes Resultat gezogen: „Ein gewaltiger Ringkampf beginnt zwischen der Göttin und dem sterblichen Manne, dem die Verwand- lungen der ersteren in Feuer und in die Gestalten eines Löwen, Panthers, Drachen und selbst in die eines flüchtigen Vogels nicht zu wehren vermögen“,

Um mit dem flüchtigen Vogel zu beginnen denn von ihm war bisher keine Rede , muss das rfge. Vasenbild Nr. 36 einen

ı) Löwe findet sich allein: sfg. Nr. 6. 7. 8. 14. München 133. rfg. Nr. 26. ?7. 31. 32. 33. München 869. Schlange findet sich allein: sfg. Nr. 9. 10. München 486. Collignon 388. Heydemann, Gr. Vas. VI, 3. rfg. Nr. 28. 35. 37. Lówe und Schlange: sfg. Neapel RC. 207 (dazu noch Feuer) Collignon 329. Var- vakeion 584. 1199. rfg. Nr. 25. 29. 38. (In 25 drei Schlangen.) Panther oder Tiger allein: rfg. Petersburg 1527. Panther und Schlange: sfg. Nr. 11. 12. 13. Heydemann, Gr. Vas. VI, 2 (zwei Schlangen). rfg. Nr. 34 (zwei Schlangen). Zwei Panther und Feuer: βίῳ. 15. Seedrache allein: rfg. Conze II, 6, 2. \ Seedrache und Schlange: rfg. Journal of ph. 1877 Taf. A. Seedrache und Löwe: rfg. Nr. 38. Seedrache, Schlange und Hund: rfg. Nr. 3.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 581

Augenblick unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Peleus ringt mit Thetis; eine Schlange hat sich in seinen Oberschenkel festgebissen; ferner aber sind die bisherigen Herausgeber (Over- beck p. 188f. Schlie p. 21) durch Flügel, die Thetis am Haupte trägt und durch das Blatt einer Wasserpflanze an die Verse des Ovid met. XI, 243 f. erinnert worden:

sed modo tu volucris, volucrem (amen dle tenebat nunc gravis arbor eras: haerebat in arbore Peleus.

Die Kopfftigel der Thetis sollen die Verwandlung in einen Vogel anzeigen. Durch das Blatt wird Overbeck an den Baum erinnert, an den sich Thetis bei Ovid verwandelt, während nach Schlie a. O. Anm. 4 dasselbe „ihre Natur als eine dem Meer ange- hörende Nereide'" bezeichnen soll. Zunächst lehrt nun aber genaues Zusehen, dass das Blatt der Wasserpflanze keine andere Bedeutung hat, als uns anzuzeigen, bei welcher Beschäftigung Peleus die Thetis überraschte Zwei ihrer Schwestern tragen ähnliche Blumenstengel in Händen, eine dritte hat denselben in der Bestürzung fallen lassen. Da sie Blumen sammelten also, hat sie Peleus gestört und zum Zeichen dessen das Blatt neben der Thetis.")

Weiter aber, wie steht es mit der Wandelung in den Vogel? Gäben wir zu, dass diese Bedeutung die Flügel auf dem Haupte der Thetis hätten, wo haben wir die Gewähr, dass dieser Zug im Epos war? [Ich erinnere an die verwandelten Odysseusgefährten, die der Maler als ganz beliebige Thiere darstellte. Und hier würde nur ein einziges rfgs. Vasenbild den Vogel zeigen. Wäre noch eine ältere Ueberlieferung als Ovid vorhanden, die die Behauptung stützen könnte, so wäre sie nicht ohne weiteres zu verwerfen. Damit wird zugleich die Bedeutung der Flügelchen in Frage gestellt: können sie wirklich die Andeutung des Vogels geben? Man wird mich an Io erinnern, die als Kuh nur durch 2 Hörnchen bezeichnet wird (z. B. Neapel 2922. Bull. Nap. III. Taf. 4). Allein Hörner sind kein Weiberschmuck, Flügelchen wohl. Denn zunächst scheinen mir die- selben nicht mit der Thetis verwachsen zu sein, sondern lediglich eine Zierde des Stirnbandes zu bilden. Freilich sagt Heydemann im Kataloge p. 359: ‘sie trügt ... auf dem Kopf eine Stephane, über der auf der Stirn zwei kleine Flügel sichtbar werden'. Die Abbildung lehrt indess, dass die Flügel nicht getrennt sind von der Stephane, und die Frage ist unabweisbar, ob wir nicht vielmehr einen Schmuck derselben zu erkennen haben. Statt der Zacken, die am Stirnbande einiger anderer Nereiden sichtbar sind, trägt Thetis einen vornehmeren Schmuck, der nicht mehr auffallen darf wie 2. B. Seitenflügel am Helme der Athena (Neapel 1924. 19754

Wie das Blatt angebracht war, lässt der Zustand der Vase nicht mehr erkennen.

582 H. Luckenbach:

2133) oder anderer Personen (Neapel 3017. 3242. Conze, Vor- legebl. III, 4, 1). Man vgl. ferner Overb. XXII, 8, wo Athena auf ihrer Stirnbinde 2 Flügelrosse trägt. Will man aber durchaus den Flügelchen Bedeutung zulegen, so mag die Flüchtigkeit und Beweg- lichkeit der Thetis, ihre Fähigkeit, sich zu verwandeln, darin aus gedrückt sein.) Auf jeden Fall gestattet dies Vasenbild keinen Rückschluss aufs Epos.

Ferner war nach Schlie die Wandelung in einen Panther im Epos. Schon oben wurde darauf hingewiesen, dass merkwürdiger Weise niemals Peleus von einem Löwen und Panther zugleich an gefallen wird; dass oftmals eine genügende Scheidung zwischen Lówe und Panther nicht ermüglicht ist: endlich aber haben wir keine schriftliche Ueberlieferung, die den Panther erwähnt. Es ergibt sich hieraus, dass der Panther wohl nur eine Abart des Löwen ist und diesen in manchen Vasenbildern vertritt.

Weiterhin wurde das Feuer von allen obenerwähnten Autoren genannt, und wenigstens zwei Vasenbilder alten Stils stimmten damit überein.

Auch die Gestalt des Drachen oder, was dasselbe sagen will, der Schlange nimmt Thetis nach Sophokles an. Da viele Vasen- bilder uns dies vor Augen führen und schon auf der Kypseloslade von der Hand der Thetis eine Schlange sich dem Peleus entgegen bewegte (Paus. V, 18, 1), so ist das Epos in sicherer Weise zu er- günzen. Dagegen ist der Seedrache, der verhältnissmässig selten und nur in rfgn. Vasenbildern vorkommt, zu einer Zeit also, die diese Ungeheuer sehr liebte, auftaucht, unbedenklich der Erfindung der späteren Vasenmaler zuzuschreiben.

Ueber andere Thiere, wie den Hund und die merkwürdigen Ungethüme, die wenigstens halb aus einem Löwen bestehen, gehe ich hinweg, indem ich kurz auf die Odyssee verweise und das Vasen- bild, welches uns die Gefährten des Odysseus mit den Köpfen von Eseln, Schwänen u. s. w. zeigt.

Als Bestand der alten Sage ergibt sich also das, was wir schon vorher aus den schriftlichen Nachrichten wussten: Thetis sucht sich zu vertheidigen in den Gestalten des Feuers, des Lówen, der Schlange (= des Drachen) und, wie Sophokles und Apollodor lehren, des Wassers.

Nur gering sind die Abweichungen, die sich die Vasenmaler erlaubt haben: und eben dieser Umstand scheint eine feste Normirung der Verwandlungen vorauszusetzen; es ist dies das Gewichtigste, was sich aus den Vasen für eine Schilderung der Begebenheiten im Epos geltend machen lässt.

. ) Thetis geflügelt an den Schultern und inschrifüich bezeugt auf drei etruskischen Spiegeln, Gerhard 386. 387. 396.

Verh. d. gr. Vasenbilder 2. d. Ged. d. ep. Kyklos. 583

Anwesenheit des Cheiron.

Auf mehreren Vasen ist Cheiron gegenwärtig, der treue Freund des Peleus, den die Sage mit dessen Familie enge verknüpft hat. Er erscheint in den sfgn. Vasen Nro. 15. 23. 24. Collignon 328; ferner in den rfg Nro. 3. 34. 35. 36. 37. In Nro. 15, glaubt Schlie, sei derselbe damit beschüftigt, den Peleus von einem Panther zu be- freien. Möglich wäre es, dass er den einen Fuss des Panthers von Peleus loszureissen versucht, wahrscheinlich keineswegs. Hätte der Künstler die Hülfe des Cheiron andeuten wollen, so konnte er das doch gewiss besser thun, als auf eine so zweideutige Weise. Ledig- lich der Raummangel veranlasste den Vasenmaler, ihn so nahe an die Mittelgruppe heranzustellen. Niemanden, der die Bildwerke zur Ilias und Odyssee durchmustert, wird die Anwesenheit des Cheiron befremden. Er weiss, wie gern und wie oft Figuren, die in Beziehung zu den Handelnden stehen, hinzugefügt werden. Ich erwähne nur, dass Eumaios bei der Fusswaschung des Odysseus hinter demselben stand, dass einmal!) beim Versuche des Nessos, die Deianeira zu rauben, ihr Vater Oineus zugegen ist, dass endlich auf der Kypselos- lade, da Hephaistos der Thetis die Waffen überreicht, mehrere Nere- iden auf Zweigespannen und der Kentaur Cheiron zuschauten (Paus. V, 19, 8). Fürs Epos kann die Anwesenheit des Cheiron nichts weiteres lehren, als dass er in Beziehung zu Peleus stand; und dies ist uns auch anderweitig überliefert. Verfehlt ist demnach der Schluss, den Schlie aufs Epos p. 44 macht: „Peleus überfällt in Be- gleitung seines Freundes Cheiron, der ihn mit Rath und vielleicht auch mit der That unterstützt, die Nereide Thetis''.

Ist Zeus gegenwärtig?

Auf einigen Vasenbildern (Nro. 36. 44) ist Schlie (p. 21}. 8391.) sehr geneigt, den Zeus zu erkennen. Die Person, um die es sich handelt, ist beide Male bürtig, mit einem Kranze geschmückt, in der Linken das Scepter. In 36 fliehen zu ihm einige der Nereiden; in ruhiger Würde erhebt er die Rechte, um sie zu beruhigen und ihnen den Willen des Schicksals mitzutheilen. Andere der Nereiden flüchten zu einem ebenfalls bekrünzten bärtigen Manne, dessen Leib in einen langen Fischschwanz endet. Zuerst hat Heydemann (Neapler Katalog) die beiden Männer Zeus und Nereus genannt, und zweifelnd schliesst sich ihm Schlie an. Es lässt sich nicht leugnen, dass Hal- tung und Figur recht wohl dem Zeus zukämen.

Ganz zu verwerfen aber ist dieselbe Vermuthung Schlies für Nro. 44. Hier ist der Mann in der Mitte der Mädchen; er eilt offenbar herbei auf Peleus und Thetis zu, als ob er der Tochter Hülfe bringen wolle. Die erhobene Rechte, die ganze Haltung und

!) Neapel 3089, abg. z. B. Millingen peint. div. 88.

584 H. Luckenbach:

lebhafte Bewegung, die uns deutlich sein Erstaunen kundthun, können nimmermehr dem Zeus zukommen. Schlie freilich legt darauf weni; Gewicht; für mich ist es ein schlagender Beweis gegen Zeus. Vor allem aber würden wir ja den Nereus vermissen, zu dem doct in so vielen Vasenbildern die Tóchter flüchten. Gegen diese schwer- wiegenden Gründe kann weder die volle kräftige Gestalt noch auch das dichte Haupthaar und der schwarze Bart von Bedeutung sein. Auch finden wir den Nereus mit schwarzem Bart- und Haupthaar z. B. Gerhard AV. II, 146. 147.!)

Wie aber, wenn in Nro. 36 jener fischleibige Mann Nereus würe, welcher Name bliebe dann für den andern? Freilich dann nur Zeus. Wenn aber jener nicht Nereus sein kann, so wird die Deutung auf Zeus auch hier immer schwankender. Das im Journal of phil. 1877 Taf. A publicirte Vasenbild bringt uns Gewissheit. Auch hier flieheu die Nereiden zu einem sitzenden Greise und einem fischleibigen Manne, und hier führen die beiden die Namen Nereus und Triton. Also wird auch für den Fischleibigen in Nro. 36 die frühere Deutung von Overbeck und Brunn (Schlie p. 40) auf Triton in Uebereinstimmung mit anderen Darstellungen vollständig ge- sichert. Der weisse Bart des anderen Mannes dagegen ist bei weitem charakteristischer für Nereus als für Zeus, da letzterer doch nur sehr selten mit weissem Barte abgebildet wird (Overbeck, Kunstmythol. II, p. 29). Wenn endlich Nereus als stattlicher kräftiger Mann uns entgegentritt, so stimmt das sehr wohl mit dem würdevollen schönen Stil des Vasenbildes. Eine Anwesenheit des Zeus ist also bis jetzt nicht erwiesen.

Was bedeutet die Anwesenheit des Hermes in Nro. 45 . und 24?

Auch müsste es uns befremden, den Zeus zwischen den Nereiden zu finden. Schlie freilich weiss ihm eine Stelle im Mythus zu geben. Auf Seite 44 heisst es’ bei ihm: “Durch den plötzlichen Angriff in die höchste Angst und Bestürzung versetzt, fliehen die Nereiden in grosser Hast davon, um bei ihrem Vater Nereus eine Zuflucht zu finden. Doch von Zeus abgesandt, tritt Hermes unter die erschreck- ten Mädchen und zum Nereus hin, wohl weniger deshalb, damit er dem die Zukunft wissenden weisen Greise die Nachricht von der grossen Begebenheit bringe, als vielmehr um durch seine Gegen- wart den Willen des Zeus und des Schicksals zu veranschaulichen, sowie eine beruhigende und versóhnende Wirkung auszuüben’.

!) Zwischen der Gruppe des Nereus, der Doris und der Nereide auf diesem Vasenbilde und derselben Gruppe bei Gerhard AV. III, 182 (== Nro. 2) besteht eine solch auffallende Aehnlichkeit, dass, wenn nicht Fälschung oder weitgehende Ergänzung vorliegt, einer der interessantesten Vergleiche gemacht werden kann.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 585

Geben wir zunächst zu, dass die Flucht der Nereiden zu ihrem Vater, die viele Vasenbilder zeigen, im Epos vorgebildet war, wo- her kennt Schlie den Auftrag, mit dem Hermes unter die Nereiden als Bote des Zeus herbeieilt? Zwei Vasenbilder haben es ihn ge- lehrt, Nro. 45 und 24 (vgl, Schlie p. 418.

Nro. 45. Die Darstellung schmückt in zwei Hälften zerlegt die Aussenseiten einer Kylix. Auf der einen Seite sehen wir den Kampf des Peleus und der Thetis; zur Rechten und Linken eilen je zwei Nereiden davon. Die andere Seite zeigt uns in der Mitte den Nereus sitzen; hinter ihm nahen 2 der flüchtigen Töchter, und vor ihm ist Hermes mit eiligen Schritten herbeigeeilt, um ihm irgend eine Botschaft zu überbringen; hinter diesem steht eine Frau, die bisher ebenfalls als Nereide gedeutet ist, wie ich glaube mit Un- recht: ihre ruhige Haltung, ihr Kopfschmuck oder Kranz im Haar, der sie vor den übrigen auszeichnet, machen es mir zur Gewissheit, dass wir in ihr die Mutter der Nereiden, die Doris, zu erkennen haben, die auch sonst (Nro. 2 z. B.)!) nachweisbar ist. Von höchster Wichtigkeit soll die Anwesenheit des Zeusboten, des Hermes, sein. Schon Overbeck äussert p. 197, dass die eilige Botschaft, die Hermes überbringe, gewiss nicht den Raub der Tochter zum Inhalte habe, sondern “das Διὸς δ᾽ ἐτελείετο BovAn’ direct nach dem Epos. Allein der Hermes im Bilde erlaubt uns nicht, eine kleine hübsche Geschichte zu erdenken und als deren Urheber den Stasinos zu bezeichnen. Von einer beruhigenden Wirkung desselben ist nichts zu verspüren; im Gegentheil, eilig nabt er, um als Bote den Raub der Thetis zu mel- den. Darauf weist der eilige Gang, darauf die ausgestreckte Rechte: er meldet Göttern den Raub einer Göttin. Ein poetischer Anlass liegt unbedingt nicht vor.

In der anderen Vase Nro. 24?) ist Hermes zugegen. Er hat den Peleus begleitet und beschützt ihn. Seine Gegenwart ist so gewöhnlich, dass sie weiterer Erklärung nicht bedarf.

Des Nereus und der Nereiden Gegenwart.

Nur selten finden wir Peleus und Thetis allein; meist sind eine oder mehrere ihrer Schwestern zugegen, und oftmals findet sich der Vater Nereus ein. Vorhin geben wir hypothetisch zu, dass Peleus die Thetis aus der Schar der Schwestern sich raubt, und dass diese hastig fliehend bei ihrem Vater Nereus Schutz suchen. Allein auch diese Behauptung bedarf einer näheren Untersuchung, bei der es sich lohnen wird, schwarz- und rothfge. Vasenbilder scharf zu sondern.

In sfgn. Vasenbildern, die mit Sicherheit auf Peleus und Thetis zu beziehen sind, findet sich die Mittelgruppe allein dargestellt

Vgl. jedoch die vorige Anmerkung. *) Schlie verwechselt p. 42 diese Vase (München 538) mit Nro. 87.

586 H. Luckenbach:

Nro. 6. 7. 8.!) Eine Nereide ist zugegen Nro. 15. 23. Neapel RC. 207.?); drei Nereiden Heydemann, Griech. Vas. VI, 3. Varv keion 584; vier Nereiden Nro. 24. Collignon 329. In den übrigen Bildern sind zwei Nereiden: Nro.9—14 München 133. 486. Heyde- mann, Griech. Vas. VI, 2. Bull. 1859 p. 133 (bis).)) Verhültnise müssig ist die Zahl in den archaischen Bildern also sehr klein: nur in je zwei Bildern waren drei und vier Nereiden zugegen. Zur Vor. sicht bei einem Schlusse aufs Epos muss daran erinnert werden, dass nur zu gern interessirte Personen beigefügt werden, und des- halb erlaubt ihre Anwesenheit auf Vasen allein nicht auch auf ihre Anwesenheit im Epos zu schliessen. Wie aber stehts mit Nereus? Nur dreimal ist derselbe in älteren Bildern zugegen. Collignon 328 steht links von der Mittelgruppe Cheiron, rechts sitzt Nereus auf einem Sessel. Nro. 14 umgeben die Ringenden zwei Nereiden mit den Geberden des Erstaunens; hinter einer steht Nereus mit weissem Haupt- und Barthaar, in der Linken einen Stab, die Rechte ausge- streckt. In beiden Vasenbildern ist also von einer Flucht der Tóchter zu ihrem Vater keine Rede; im ersteren war gar keine Nereide (ausser Thetis), wohl aber Nereus vorhanden. Das dritte Bild, welches hier in Betracht kommt, ist auf der Neapler Vase RC. 207. Die Mitte der Darstellung nimmt ein Altar und ein Palmbaum ein; rechts kämpft Peleus mit der Thetis; links spricht eine Jungfrau mit einem Manne, wahrscheinlich doch wohl eine Nereide, die ihrem Vater das Unheil der Schwester meldet.) Auch hier dürfen wir von einer Flucht gar nicht sprechen: dazu ist die Haltung viel zu ruhig. Die sfgn. Vasenbilder sind also die Behauptung Schlies zu stützen nicht sehr geeignet. Dass aber Vasenmaler den Nereus und seine Tóchter, ohne durch die Poesie beinflusst zu sein, hinzufügen konnten, ist nach den zahlreichen Analogien klar: hier sei nur er- wühnt, dass in einigen Bildern Thetis dem Achilleus im Gegensatz zur Ilias in Begleitung ihrer Schwestern oder auch des Vaters die Waffen überbringt.°)

. Hüufiger finden wir den Nereus mit seinen Töchtern oder die Flucht derselben zu ihm auf den späteren Vasen: Nro. 30—36. 42. 44. 45. Journal of philology 1877 Taf. A. In letzterem Vasen- bilde sowie Nro. 36 ist ausserdem noch Triton zugegen. München 369 fliehen die Nereiden zu Poseidon und Amphitrite. Woher diese Erweiterung in rothfigurigen Vasen? Holten sie neue Züge des Epos herbei, die von den älteren vernachlässigt waren? oder folgten sie wohl gar einer anderen Quelle, etwa einem Drama? Ich hoffe, dass hier die Vergleichung anderer Vasen weiter führt. Sobald die

! Ausserdem in den Bildern unsicherer Deutung, Petersburg 42. Neapel RC. 205. -— ?) Ausserdem Nro. 21. Neapel 2449. Arch. Anz. 1866, p. 274*, 16. -- *) Ausserdem Nro. 16—20. 22. Petersburg 115. Neapel 2535. 2738. *) Von Heydemann bezweifelt. ®) Vgl. Heydemann, Nereiden p. 8.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 587

neue Technik auftaucht, finden sich die Liebesverfolgungen mit be- sonderer Vorliebe behandelt. “Bei ausführlichen Darstellungen sind noch andere Mädchen zugegen, Schwestern oder Gespielinnen der Ent- führten, welche ihre Bestürzung und Verwunderung ausdrücken und zu einem Greis flüchten, dem Vater, ihm die Botschaft zu überbringen’ (Jahn, Münchener Vasen p. CCI).

So ist, um einige Beispiele anzuführen, beim Raube der Orei- thyia!) nicht selten eine Gespielin zugegen, die erschreckt davon- eilt; aber auch höher hinauf steigt die Zahl, sogar bis auf neun.?) Am interessantesten für uns ist München 376: vier Gespielinnen sind zugegen, Pandrosos, Herse, Aglauros und eine vierte unbenannte. Letztere flieht zu Kekrops hin; Aglauros berührt den Bart des Erechtheus. Wie hier ist oftmals Kekrops zugegen.?) Nun hören wir allerdings von Platon p. 228 B und anderswo, dass Oreithyia ausgegangen war, um mit ihren Geführtinnen zu spielen: von einer Botschaft an Kekrops und Erechtheus oder von ihrer Gegen- wart beim Raube habe ich keine schriftliche Tradition auffinden kónnen.

Auch die Leukippiden werden aus der Mitte ihrer Freundinnen geholt. Auf der Meidiasvase*) spielten sie auf dem Anger und suchten Blumen. In einer anderen Vase?) eilt, während die Dioskuren bereits mit ihrer Beute hinwegfahren, vor einem der Viergespanne eine Gespielin eilig davon, den Blick angstvoll zurückgewandt, die Hände ausgestreckt gegen Leukippos, den Vater der Geraubten, der vor ihr auf einem Felsen sich nieder- gelassen hat.

Apollo raubt sich die Geliebte, wührend sie mit ihren Freun- dinnen Blumen sammelte mon. IX, 28. Der Vater der Geraubten ist ferner zugegen beim Raube einer Geliebten durch Theseus Br. M. 754 abgeb. Gerhard AV. III, 163; beim Raube der AÁmphitrite durch Poseidon Heydemann, Gr. Vas. I, 2; beim Raube der Aigina& durch Zeus Mus. Greg. II, 20, 1 = Braun, ant. Marmorw. I, 6.

Ja sogar bei der Entführung der Helena durch Paris (Overb. XIII, 3 p. 272, 14) ist ihre Schwester Timandra, eine Gespielin Euopis, sowie Ikarios ihr Oheim und Tyndareus ihr Vater, denen Euopis die Botschaft zutrügt, anwesend. Zu betonen ist, dass diese Vase dem strengen rfgn. Stile angehört; das Alphabet ist das attische.

Die Zahl dieser Analogieen liesse sich wohl noch bedeutend er- hóhen; allein das Angeführte wird genügen, um die weitverbreitete Art der Darstellung, der Flucht der Gespielinnen und der Botschaft

Vgl. annal. 1870, p. 226—227. Neapel 3352, abgeb. bull. Nap. N.$.V,92.—9) Heydemann, Gr. Vae. I, 1. at. Durand 213. München 748; in letzterer Vase neben Kekrops auch Erechtheus Br. Μ. 1264, abgeb. z " B. Conze, Vorlegebl. IV, 1. 9. Abgeb. z. B. Arch. Zeit. 1852, Taf. 41.

588 H. Luckenbach:

an den Vater, Grossvater oder auch Oheim zu zeigen. Hier hilft e: nicht etwa zu sagen, dass jene Darstellungen durch den Raub der Thetis hervorgerufen seien. In sfgn. Vasen findet sich eben dieser Zug bei Peleus und Thetis nicht; in rfgn. sehen wir ihn ebenso früh bei anderen Mythen. Diese weite Ausdehnung der Sage in Bild werken ist auf Rechnung der attischen Maler zu setzen oder doch wenigstens die Flucht zum Vater Nereus. Denn dass Thetis aus der Mitte der Schwestern geraubt wurde, konnte sehr wohl im Epos sein, wie ja dasselbe von der ÖOreithyia erzählt wurde. Nur eine Beobachtung kann ich nicht zurückhalten. Was thaten die Nereiden, als Peleus unter sie sprang? Wenn im Epos die weitläuftige Schil- derung war, so war doch auch wohl das Spiel der Nereiden er- wühnt. Nun ist es aber auffüllig, dass hóchstens in zwei Vasen!) uns ihr Spiel vor Augen geführt wird: Overb. Nro. 36 und Overb. XXXI, 2, von denen die letzte vielleicht nur ganz allgemein den Raub einer Jungfrau und nicht den der Thetis darstellt. Overb. 36 finden wir sie beim Blumensammeln überrascht; in der anderen Vase läuft ein Mädchen mit Früchten im Gewande auf den Vater zu. Wie kommt es, dass nur in diesen wenigen Bildern das Sammeln von Blumen oder Früchten ausgedrückt ist? vielleicht deshalb, weil keine schriftliche Tradition vorlag. Jedenfalls ergibt sich als End- resultat, dass aus den Vasenbildern kein sicherer Schluss auf die Gegenwart der Nereiden gezogen werden darf; womit keineswegs ausgeschlossen bleibt, dass nicht im Epos dieser Zug dennoch war. Dass den Nereiden in manchen Vasen Namen beigeschrieben sind, kaun natürlich nichts fürs Epos beweisen. Aus dem Schatze von Nereidennamen wählte der Künstler solche aus, die ihm einfielen, oder gab ihnen auch solche, die uns nicht in den Nereidenkatalogen überliefert worden. Nach Schlie freilich (p. 38 unten) hätte Stasinos bei der Flucht der Nereiden den Katalog des Homer C 35 ff. ausge- nützt. Nur schade, dass mehrere Namen sich nicht im Homer, da- gegen auf Vasen und im Hesiod befinden.?)

Nur noch die späte Vase, Conze, Vorlegebl. II, 6, 2, in der Peleus die Thetis im Bade überfällt, muss erwähnt werden. Schöpfte der Künstler diesen Zug aus einer poetischen Quelle oder hat er ihn selbst erfunden? Unbedenklich wird man sich für die letzte An- nahme entscheiden: es stimmt zu gut zu der späteren Art der Malerei, als dass man an eine besondere Quello denken müsste, die ja auch schou durch die aufgestellten Principien verboten wird.

!) Arch. Zeit. 1870, p. 82f. wird eine Vase erwähnt, in der Nereiden um ein Gótterbild einen Reigen aufgeführt hätten. Von den zwei Vier- gespannen soll eins dem Peleus, das andere dem Nereus angehören. Viel besser passt die Deutung auf den Raub der Leukippiden: vor allem findet das Gótterbild seine Erklärung. Die zwei Gespanne gehören dann dem Kastor und Polydeukes. *) So Ἐρατώ Nro. 31. Ψαμάθη Nro. 38. 44. Κυμώ und Γαλήνη, Journal of phil. 1877, Taf. A.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 589

Die Hochzeit des Peleus und der Thetis.

Zwei Darstellungen verdienen unsere Aufmerksamkeit in vollem Grade. Die erste stellt uns den Empfang des Brautpaares von Seiten des Cheiron, die zweite den Hochzeitszug der Götter dar.

I. Overb. 197, 46. VIII, 6. Schlie p. 23. rfg.

Peleus hat die Góttin besiegt; 'als schüchterne Braut, mit ver- schümtem Blick, folgt sie dem jugendlichen Brüutigam' (Overbeck) zur Wohnung des Kentauren Cheiron, der sie, noch halb in seiner Höhle stehend, mit wohlwollender Miene und Handbewegung ein- ladet. "Wir wissen, dass in den Kyprien die Hochzeit auf dem Pelion gefeiert wurde!), und nach anderen schriftlichen Quellen, unter denen Pindar den wichtigsten Rang einnimmt, fand das erste Beilager daselbst in der Höhle Cheirons statt.?) Treffend schliesst sich dieses Vasenbild an diese Ueberlieferung an. Die Situation wird nahezu vom Epos gefordert. Damit ist aber noch nicht Schlies Annahme gerechtfertigt, dass Peleus auch im Epos die Thetis in die Wohnung des Kentauren führt, und dass dieser sie in der herz- gewinnendsten Weise willkommen heisst. Die Kenntniss, dass Peleus und Thetis in der Höhle des Cheiron ihr Beilager hielten, konnte dem Maler zu seiner Darstellung genügenden Anhalt geben. Wie wenig man berechtigt ist, ein Vasenbild in Worte zu übersetzen und diese dem epischen Dichter zuzuschreiben, haben bereits mehrere Beispiele im ersten Theile gezeigt.

II. Hochzeitszug der Götter auf der Frangoisvase. Overb. 198, 47.IX, 1. Weizsäcker, Rhein. Mus. 1877, p. 31—49. Abgeb. zuletzt Conze, Vorlegebl. II, 1.

In den Excerpten des Proklos heisst es: παραγενομένη δὲ Ἔρις εὐωχουμένων τῶν θεῶν ἐν τοῖς Πηλέως γάμοις νεῖκος περὶ κάλλους ἐνίετησιν ᾿Αθηνᾷ Ἥρᾳ καὶ ᾿Αφροδίτῃ. Ergänzend über- liefert der Schol. zu Homer TT, 140 als Inhalt der Kyprien κατὰ γὰρ τὸν Πηλέως καὶ Θέτιδος γάμον οἱ θεοὶ cuvaxdevrec εἰς TO Πήλιον ἐπ᾽ εὐωχίᾳ ἐκόμιζον Πηλεῖ δῶρα. Auf dem Pelion also findet die Hochzeit statt"), und die Götter würdigen den sterb- lichen Mann, sich von ihm bewirthen zu lassen. Aber sie nahen nicht ohne Geschenke; reich sind die Gaben, die sie bringen, und schon Homer weiss davon zu erzählen.

. Indem wir das Vasenbild als vollständig bekannt voraussetzen, bleibt uns nur zu bestimmen, wie weit der Maler den Kyprien folgte, und ob wir etwa neue Resultate aus dem Vasenbilde gewinnen. Bei einem Vergleiche des Bildes mit dem Epos fällt sofort auf, dass das Gabenbringen hier durchaus zurücktritt; es ist auf Wild und Wein

Schol. Homer TT, 140. Kinkel, fragm. epic. p. 22, 2. ?) Pind. I. 7, 41. Schol. Pind. P. 3, 90. N. 3, 56. Eurip. Iph. Awl. 104f. 5) Vgl. Weizsücker p. 36—38. Dazu die die hübsche Schilderung des Euripides Iph. Aul. 1040 ff.

590 H. Luckenbach:

beschränkt, worin man aber fast ebenso gut Attribute des Cheiron und des Dionysos erkennen könnte als llochzeitsgeschenke. Weiter- hin fehlt jegliche Andeutung der Eris, durch die ja gerade die Hochzeit des Peleus so verhängnissvoll werden sollte. Ob endlich der Zug der Götter, das Nahen derselben im Epos grade von Ein- zelnen erläutert wurde, ist nicht zu bestimmen. Wir wissen, dass der Künstler sich einen Moment wählt, der ihm passend scheint, und nicht wie er wörtlich im Epos vorgezeichnet war. Die alte Kunst liebte die Processionen, und eben der Zug der Götter ist hier wie im Parisurtheil auf älteren Vasen dargestellt.

Die Hochzeit wird in den Kyprien auf dem Pelion gefeiert, wahrscheinlich in der Höhle des Kentauren Cheiron. Hier sitzt Thetis in einem Hause; man hat dasselbe Thetideion genannt und sich darauf berufen, dass sich dieses im Enipeusthale bei Pharsalos befand!), dagegen nicht auf dem Pelion. Deshalb hat Stephani CR. 1861, p. 92 zuerst die Darstellung auf die ἀνακαλυπτήρια ge- deutet, ein Fest, welches in Attika am dritten Tage nach der Hoch- zeit stattfand. Peleus und Thetis sollen den Pelion verlassen haben und in die Ebene hinabgezogen sein. Wären wirklich die ἀνακαλυ- πτήρια dargestellt, hätten wir dann das Recht, wie Schlie es thut, ohne weiteres auch im Epos dasselbe Fest zu suchen? Wie mir scheint, würde die Frage eine offene sein, ob nicht der Künstler eine Sitte seiner Zeit auf Peleus und Thetis übertragen hätte. Aber glücklicher Weise sind wir dieser Frage enthoben, da nicht die Ana- kalypterien dargestellt sind. Ich verweise hierfür auf Weizsäcker &. O. p. 36—38. Nur eins bedarf einer Berichtigung. Weizsäcker sagt p. 38: “in unserem Bilde ist einfach beides zusammengertickt und die Hochzeit an das Thetideion oder dieses auf den Pelion ver- legt, wenn nicht anı Ende auch dort eines angenommen werden darf, das ja am Pelion in der Nähe des Meeres ganz gut seine Stelle hätte” Aber wer sagt uns denn, dass der Künstler auch nur ans Thetideion gedacht hat? Er wollte den Besuch der Götter bei der Thetis darstellen: was war aber natürlicher, als dass er diese in einem Hause oder Tempel darstellte, der eigentlich allein für sie passend war? Ob er überhaupt mit der bei Euripides aufbewahr- ten Sage vertraut war, das wird schwer zu sagen sein, kann uns aber auch vollständig gleichgültig sein.

In der Anordnung des Zuges zeigt sich eine wohlüberlegte Folge: vielleicht werden wir hier Reminiscenzen des Epos finden. Wir wenden uns zunächst zu den Gottheiten, die sich auf den Ge- spannen befinden. Sieben Paare sind es, während uns die Zusammen- stellung von zwölf Göttern geläufiger ist.?) Der Maler hat Okeanos

') Eurip. Andr. 16—20. Ilias I, 253. Vgl. auch Polyb. XVIII, 20, 6. Liv. XXXIII, 6, 11. Strabo IX, 5, 6. Vgl. übrigens Lehrs, populäre Abhandlungen, zweite Aufl, p. 235 ff.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 591

und Thetis hinzugefügt, die nie zu der später festbegrenzten Gruppe der Zwölfgötter gehörten. Aber auch in den übrigen zwölf Gott- heiten bieten sich einige Abweichungen dar. Vergleichen wir unsere Vase mit der Aufzählung des Scholiasten zu Apoll. Rhod. II, 532 und der Borghesischen Ara!), die in Bezug auf Zahl und Namen der Götter mit dem Scholiasten stimmt, so vermissen wir zunächst Demeter, Hephaistos und Hestia: allein diese drei haben ihre besondere Stelle erhalten. Hestia und Demeter sind mit gutem Bedacht als Góttinnen der Ehe und des Hauses an die Spitze gestellt; den lahmen Hephaistos aber auf dem Esel reitend dar- zustellen konnte sich der Maler nicht versagen, besonders da er eine andere Göttin, die Nike, nur an seiner Stelle unterbringen konnte. An Stelle der Demeter ergab sich als Begleiterin des Poseidon die Amphitrite. Statt der Hestia sehen wir neben Hermes dessen Mutter Maia.

Wichtig für uns ist die Verbindung von Ares und Aphrodite, die nach Homer nicht rechtmässige Ehegatten sind, während diese Zusammenstellung dem Attiker von jeher geläufig war und durch attischen Einfluss später allgemeine Anerkennung fand. Den Hephaistos dagegen, der bei Homer Gemahl der Aphrodite ist, hätte der Maler nach attischer Sage zur Athena stellen müssen. Allein dieser ge- sellte er, wiederum specifisch attischer Tradition folgend, die Nike zu; und darum musste jener seinen Esel besteigen, wodurch zugleich das Bild einen passenden Abschluss erlangte.) Denn Nike muss die Begleiterin der Athena sein und nicht Themis, an die Schlie p. 25 gedacht hat, Dass Nike ganz gewiss nicht im Epos erschien, ist ohne Zweifel, aber gewiss kein Grund für den Maler, sie nicht darzustellen. Wie Themis dagegen hier zur Athena beigefügt sein soll, ist schwer einzusehen, wogegen Nike für den Attiker fast mit der Athena verschmolzen war.

Ueber die Neunzahl und die Reihenfolge der Musen war schon oben die Rede. Wir haben uns dahin entschieden, dass ein Einfluss des Hesiod hier vorliege.

Denken wir nun an die Leichenspiele des Patroklos auf der- selben Vase, erwägen wir die nachweislichen Abweichungen vom Epos sowie die sicheren Atticismen unseres Bildes, so wird es zur Gewissheit, dass der Maler auch den Zug der Götter frei gemalt hat, ohne Anlehnung an die Worte des Epos. Die Vase kann uns demnach auch nichts neues lehren in Bezug auf das Epos; sie be- stätigt nur, was wir auch vorher wussten, dass nämlich die Götter der Hochzeit des Peleus mit der Thetis beiwohnten.

?)) Vgl. übrigens Chr. Felerson, AERO fgotte stem II, p. 22. Jahn Süchs. Ber. 1868, p. 199. ?) Die Auffassung eizsäckers, p. 44, dass Hephaistos zur Zeit des Festzuges ps dem Olymp verstossen und als Gast des Okeanos erscheine, bedarf keiner Widerlegung.

592 H. Luckenbach:

Parisurtheil.

Welcher, alte Denkm. V, p. 366—432. Overbeck, p. 207—255.

Die uns so geläufige Darstellung vom Schönheitsapfel, den Eris bei der Hochzeit des Peleus unter die Góttinnen warf und den Paris der Aphrodite zusprach, ist in Vasenbildern nicht enthalten. Nur eines, welches allerdings aus später Zeit stammt, könnte eine Aus- nahme zu machen scheinen, Neapel S.A. 560. Welcker p. 413, 671: Paris hat die Linke auf den Rücken gelegt und hält in derselben einen Gegenstand. Heydemann zweifelt, ob wir einen Ball oder vielleicht den Apfel darin zu erkennen haben; allein angesichts aller anderen Vasenbilder müssen wir davon abstehen, an den Schönheits- apfel zu denken.!) Hiütte das Epos ihn gekannt, er würde nicht in allen Vassenbildern fehlen; ja wir dürfen sagen, er würde wenn nicht in allen, so doch in den meisten dargestellt sein; umgekehrt beweist sein Fehlen, dass Stasinos die Sage nicht kannte. Die Ver. muthung Welckers (p. 380), dass der berühmte Apfel späterer Zu. satz ist, darf zur definitiven Gewissheit werden, da ja auch in den Vasenbildern, die deutlich den Stempel des Epos tragen (vgl. p. 532f.), gerade das, was für die spätere Erzählung durchaus charakteristisch und unentbehrlich ist, fehlen würde.

Dasselbe lehrt die schriftliche Ueberlieferung. Proklos sagt, dass Eris den Streit erregte, vom Schónheitsapfel schweigt er; es heisst weiter προκρίνει τὴν ᾿Αφροδίτην, nicht etwa er sprach ihr den Schönheitsapfel zu. Euripides, der so oft des Schönheitsgerichtes Erwühnung thut, kennt den Apfel ebensowenig wie Isokrates?), und erst spät sind die Zeugnisse, die desselben Erwähnung thun.?) Ich vermuthe, dass die Erfindung der alexandrinischen Zeit angehört: .ist dieses richtig, so haben wir wiederum einen deutlichen Beweis, dass die Poesie der Alexandriner auf die spätere Vasenmalerei nicht eingewirkt hat.

In den älteren Vasen ist meist der Zug der Göttinnen nach dem Ida unter Leitung des Hermes dargestellt. Welcker (ep. Cycl. IT, p. 88) will daraus schliessen, dass die Poesie gleich diesem ersten Theile einen gewissen Charakter oder (ilanz gegeben hätte. Dieser Schluss aus den Vasenbildern ist falsch; da der Maler bezüglich

1) Sollte vielleicht Interpolation vorliegen? jedenfalls ist eine gründ- liche Untersuchung der Vase erwünscht. Wenn Welcker p. 30 Aussert, nur in einem Vasenbilde scheine Aphrodite den Apfel emp zu haben, so ist dies irrthümlich, da das betreffende Vasenbild (Overb. 66. X, 6) gar nicht das Parisurtheil darstellt. Vgl. Brunn, troische Mis- cellen, p. 46ff. ?) Euripid. Androm. 2148, Tro. 918ff. Iph. Anl. 19841f. Hel. 25 ff., 676 ff. Isokrates Encom. Hel. 41. 49. 3) Die Aufzählung der Stellen bei Frünkel, Arch. Zeit. 1878, p. 87f. Dazu noch Lucian dial. deor. 20, 11f.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 593

des Momentes sich an die Dichtung nicht anzuschliessen pflegt (vgl. p. 590).

In sieben archaischen Vasenbildern!) will sich Paris erschrocken ob der nie gesehenen Pracht der Göttinnen davonmachen. Aber Hermes hält ihn zurück und weiss ihn zu beschwichtigen durch die Mittheilung, dass er hier nach dem Willen des Zeus zu richten habe. Welcker (ep. Cycl. II, p. 90) ist geneigt, den Fluchtversuch in den Kyprien zu suchen. Allein abgesehen davon, dass nur in archaischen Bildwerken dieser Zug uns begegnet, sind wir nicht berechtigt, ihn in den Kyprien vorauszusetzen, da der Maler sich wahrscheinlich da- durch half, um die Bestürzung des Paris auszudrücken.

Proklos berichtet, dass Paris der Aphrodite den Preis der Schön- heit zuerkannt habe, bewogen durch die in Aussicht gestellte Ver- bindung mit der Helena. Demgemäss werden auch die übrigen Gott- heiten ihre Versprechungen gemacht haben. Ein Vasenbild, Overb. 57. X, 3, macht dies unzweifelhaft, da Vasenmaler dergleichen nie zu erdichten pflegen: Aphrodite bietet ihm Liebe, Athena Sieg und Kriegsruhm, Hera aber Macht und Herrschaft. Die schriftlichen Zeugnisse stehen zur Seite und heben jedes Bedenken auf, da Euri- pides und Isokrates ungeführ gleiches berichten, also auch wohl aus derselben Quelle schöpfen, d. h. den Kyprien.?)

Gestüzt auf die vorhin schon erwühnte Stelle des Isokrates?) hat Welcker dann weiter vermuthet, dass Paris auch im Epos ge- blendet durch den Glanz der góttlichen Erscheinungen über die Ge- stalten nicht zu richten vermochte, sondern dass er nach den von den Göttinnen ihm versprochenen Geschenken entschied. Diese An- nahme hat auch für mich hohe Wahrscheinlichkeit; die Vasenbilder können sie weder bestätigen noch auch widerlegen. Wenn aber Welcker dann aus einem Vasenbilde (Overb. 54. X, 1), in dem Paris das Gewand vor Augen hält, schliessen will, dass Paris die Reden der Göttinnen mit verhülltem Antlitze angehört habe, so muss dagegen eingewendet werden, dass der Dichter die Bestürzung des

1) Overb. 86—41. Arch. Anz. 1868, p. 302. Isokr. Encom. Hel. 8 41. 42: διδούςτης Ἥρας μὲν ámácc αὐτῷ τῆς 'Adac βαειλεύειν, ᾿Αθηνᾶς δὲ κρατεῖν ἐν τοῖς πολέμοις, ᾿Αφροδίτης δὲ τὸν γάμον τῆς Ἑλένης. Euripid. Tro. 998 ff.

xai ΤΤαλλάδος μὲν ἦν ᾿Αλεξάνδρῳ döcıc

Φρυξὶ ς«τρατηγοῦνθ᾽ Ἑλλάδ᾽ ἐξανιςτάναι,

Ἥρα δ᾽ ὑπέςχετ᾽ ’Acıdd’ ξὐρώπης θ᾽ ὅρους,

Κύπρις δὲ τοὐμὸν εἶδος ἐκπαγλουμένη

διώςειν ὑπέςχετ᾽, εἰ θεὰς ὑπερδράμοι

κάλλει (Helena spricht). vgl. Eurip. Iph. Aul. 1304ff. Die Erzählung des Isokrates ist meiner Ansicht nach direkt den Kyprien entnommen. ᾽) Es heisst daselbst weiter: τῶν μὲν cwudrwv οὐ δυνηθεὶς λαβεῖν διάγνωςιν ἀλλ᾽ ἡττηθεὶς τῆς τῶν θεῶν ὄψεως, τῶν δὲ δωρεῶν ἀναγκαςθεὶς γενέςθαι κριτὴς εἵλετο τὴν οἰκειότητα τῆς Ἑλένης ἀντὶ τῶν ἄλλων ἁπάντων. Vgl. Arch. Zeit. 1873, p. 37. 38.

Jahrb. f. class. Philol, Suppl Bd. XI. 38

594 H. Luckenbach:

Paris mit beredten Worten schildern konnte, während dem Maler die äusserliche Andeutung näher lag. Wie er manchmal die Ver- wirrung des Hirten durch den Fluchtversuch darstellt, so ist auch hier die Haltung des Paris ganz natürlich, da er noch geblendet ist von der ungewohnten Schönheit der Göttinnen, die eben angekommen sind; andererseits dürfen wir annehmen, dass, wenn Stasinos den Paris verhüllten Hauptes auf die Göttinnen hören liess, wir diesen charakteristischen Zug oftmals finden würden; wogegen in dem einen Bilde nicht einmal von einer Verhüllung die Rede sein kann.

Paris in Griechenland.

In sfgn. Vasenbildern ist, soviel ich sehe, dieser Gegenstand nicht vorgebildet; die meisten gehören der unteritalischen Epoche an, und gerade das Erotische steht sehr im Vordergrunde. Eine Vervollständigung des Epos wird sich nicht aus ihnen ergeben; nur auf einige Einzelheiten in der Deutung mehrerer Bildwerke soll hier aufmerksam gemacht werden.

Overb. 263, 1. XII, 9.

Zwei jugendliche Männer, die eben von der Reise ankommen, werden von einem bärtigen Manne, der das Scepter in der Hand trägt, in das Gemach geführt, in dem Helena mit ihrer Toilette be- schäftigt ist. Eine Dienerin hält ihr den Spiegel, und Eros selbst ist ihr behülflich; die Liebe thut sofort ihr Werk; gleich beim Eintritt des Paris wendet Helena sich verwirrt und erschreckt um. Bisher erkannte man in dem Begleiter des Paris den Aineias, in dem könig- lichen Manne mit dem Scepter den Menelaos, der die Fremdlinge in sein Haus aufnimmt. In den Kyprien war gedichtet, dass Aineias den Paris begleitete, und dass sie von Menelaos in Sparta bewirthet wurden. Somit trifft die Bezeichnung der Männer durchaus zu; nur Stephani!) behauptet, die beiden Männer um Paris seien unmöglich zu bestimmen. Allein wer soll und kann denn der Mann mit dem Scepter anders sein als Menelaos? Auch für den Gefährten des Paris liegt es doch nahe, an den Begleiter desselben im Epos, den Aineias, zu denken. Ich schliesse mich daher unbedenklich der früheren Deutung auf bestimmte Personen an, Eine ähnliche Scene finden wir auf einer Schale des Brygos.*) Auch hier führt Menelao: die beiden Fremdlinge in das Gemach der Helena; zwei Dienerinnen waren bei ihr; aber sie ist den Troern entgegengeeilt, beim Anblick des Paris sofort in Feuer gerathend. Gewinn für das Epos kónnen uns die beiden Vasen nicht bringen; nur die Aufnahme der Griechen durch Menelaos führen sie uns vor Augen, und dies ist uns ja für die Kyprien durch Proklos verbürgt.

') CR. 1861, p. 117. ?) Annal. 1856, tac. XIV == Conze, Vorlegebl. VIII, 3; die richtige Deutung gab Urlichs, der Vasenmaler Brygos p. 4.

Verh. ἃ. gr. Vasenbilder z. d. Ged. ἃ. ep. Kyklos. 595

Overb. 272, 14. XIII, 3.

Paris führt Helena mit sich fort, Aineias ist bemüht eine nach- eilende Frau zurückzudrängen; diese führt den Namen Timandra, die uns als Schwester der Helena genannt wird.!) Eine zweite weib- liche Person, deren Namen Euopis der Künstler ohne Bezug auf eine bestimmte Person gewählt hat, eilt auf Ikarios den Oheim und Tyndareus den Vater der Helena zu, um ihnen die Entführung der- selben mitzutheilen. Die mythische Begebenheit ist also bedeutend erweitert; ich verweise hier auf das, was beim Raube der Thetis p. 585 ff. gesagt worden ist. Es ist weder vorauszusetzen, dass im Epos Timandra ihnen Hindernisse in den Weg legen wollte, noch auch, dass daselbst geschildert war, wie die Botschaft an Ikarios und Tyndareus gelangte. Jahn, dem Overbeck folgt, wollte als Lokal Amyklai ansehen; Stephani meint, ebensogut könne man annehmen, „dass die beiden Verwandten der Helena den Paris nach Lakedaimon begleitet und während der Abwesenheit des Menelaos dort dessen Stelle als Wirth vertreten hätten“. Der Vergleich mit den übrigen Bildern, in welchen eine Jungfrau geraubt wird, muss hier den Aus- schlag geben. Die Nächstbetheiligten sind immer hinzugefügt. Dass die ganze Familie des Tyndareus nach Sparta gewandert sei, hat sicher der Maler nicht gedacht; ebensowenig aber kann ich Jahn zustimmen. Wir haben wieder einen solchen Fall, in dem wir nicht berechtigt sind, ganz genau uns die Situation klar zu machen. Die nächsten Verwandten hat der Künstler hinzugefügt; ob dieselben in Sparta oder wo zu denken sind, dürfen wir gar nicht wissen wollen, wie denn auch Thetis nicht im Beisein des Nereus geraubt wurde.

Auszug des Achilleus.

Gerhard, etr. u. kamp. Vas. XIII, 2. Berlin 1588.

Die Vase ist sfg.; die Inschriften gehören dem attischen Alpha- bete an; das Alter der Vase wird durch das () im Namen Patroklos angezeigt. Wenn Gerhard und Jahn?) die Zeichnung für geflissent- lich roh, den alterthtümlichen Charakter für absichtlich erklären, so kann ich schon der Inschriften wegen nicht beistimmen.

Mit der Linken die Lanze aufstützend, die Rechte erstaunt er- hebend, den Oberkörper etwas vorneigend, wie um besser hören zu künnen, steht Achilleus vor Thetis, welche ihm offenbar eine Mit- theilung macht, die ihn in Aufregung bringt. Hinter Thetis steht Menelaos, hinter Achilleus sein Freund Patroklos, ferner Odysseus und Menestheus. Sie alle nehmen Antheil an dem, was Thetis ihrem Sohne verkündet; in Haltung und Bewegung drückt sich ihr Staunen aus.

1) Z. B. Hesiod bei Schol. Pind. O. X, 79. Münchener Vasen p. CLXVII, 1180.

88*

596 H. Luckenbach:

Es wird überflüssig sein, die Deutung Gerhards auf die Ab- holung des Achilleus aus Skyros, zu der erst eine ganz neue Geschichte erfunden wird, im Einzelnen zu widerlegen, wofern es gelingen wird, eine bessere Deutung an die Stelle zu setzen. Ich erkenne den Ab. schied des Achilleus aus seiner Heimath.") Was seine Mutter ihm etwa sagen mag, können uns die Verse der Ilias lehren, I 410f.

μήτηρ γάρ TE μέ qnc θεά, Θέτις ἀργυρόπεζα, διχθαδίας κῆρας φερέμεν θανάτοιο τέλοςδε.

εἰ μὲν κ᾿ αὖθι μένων Τρώων πόλιν ἀμφιμάχωμαι, ὥλετο μέν μοι νόςετος, ἀτὰρ κλέος ἄφθιτον Ecrar‘ εἰ δέ κεν οἴκαδ᾽ ἵκωμι φίλην ἐς πατρίδα γαῖαν, ὥλετό μοι κλέος ἐεθλόν, ἐπὶ δηρὸν δέ μοι αἰὼν ἔεςεται, οὐδέ κέ μ᾽ ὦκα τέλος θανάτοιο κιχείη.

Aehnlich mögen die drohenden und warnenden Worte der Thetis klingen, welche die geballte Faust erhebt und ihrem Sohne abzu- rathen sucht, da er schon im Begriffe ist, seine Heimath auf immer zu verlassen. Die Gesandten der Griechen sind auch zu ihm hintiber- gekommen und haben den kriegsmuthigen Jüngling zu dem grossen Unternehmen beredet. Wäre uns jede schriftliche Aufzeichnung ver- Joren, so würden wir nach Anleitung der Frangoisvase keinen der Helden mit Sicherheit für die Kyprien voraussetzen können. Ja einen der Helden würden wir wohl mit grosser Bestimmtheit ausscheiden müssen. Menestheus wird, soviel wir wissen, in den Kyprien nicht erwähnt; auch in der Ilias spielt er ja eine ziemlich geringe Rolle. Dazu kommt, dass er der letzte in der Reihe ist, gewiss nicht zu- fällig. Denn der Maler wusste recht wohl, dass er eigentlich nicht am Platze war. Ganz besonders interessant ist es jedoch, dass er dem Menestheus ein óbí hinzufügt, gerade als ob er dem Beschauer erst seine Kühnheit zeigen wollte, mit der er seinen Landsmann be- sonders verherrlicht. In der That, nur Patriotismus ist es, was den Maler bewog, den Menestheus hinzusetzen. Denn nach den Kyprien bereisen Nestor und Menelaos Hellas und bringen die Heerführer zusammen. Die Gegenwart des Odysseus könnte in Anlehnung an die Ilias erklürt werden. Denn A 767 lesen wir, dass Nestor und Odysseus zum Hause des Peleus gekommen sind; daher kennt auch Odysseus die Vorschriften, die Peleus dem abziehenden Sohne gab (| 252 ff.). Allein ebensogut können wir annehmen, dass der Maler nicht an die Verse der Ilias gedacht und demnach auch den Odysseus ohne Bezug auf literarische Tradition hinzugefügt hat; wie er auf der Frangoisvase den Automedon und Odysseus malte, so hier den Odysseus, der als der überredende und kluge hier ganz am Platze war. Als sicher dagegen dürfen wir annehmen, dass Menelaos eben

!) » richti chtige Deutung scheint bereits Jahn erkannt zu haben, da er a. O. VII vom „Auszug des Achilleus“ redet. Nach Klein (Euphronios N 80) wäre Achills Rüstung dargestellt.

Verh. d. gr. Vasenbilder s. d. Ged. d. ep. Kyklos. 597

nicht aus Zufall, sondern in Anlehnung an das Epos hier seinen Platz gefunden hat. Zwischen ihn und Achilleus hat sich Thetis gedrängt, um ihrem Sohne das Verderbliche seines Vorhabens klar zu machen. Und Menelaos müssen wir demnach auch als den be- trachten, der den Jüngling zu überreden wusste.!)

Das Epos können wir demnach durch unsere Vase in folgender Weise ergänzen: Menelaos?) kommt zum Hause des Peleus, um den Achilleus zur Theilnahme am Kriege zu bewegen. Thetis sucht den Sohn durch Warnungen abzuhalten.

Achilleus verbindet den Patroklos.

Im Mittelbilde einer Sosiasschale (Overb. XIII, 8) legt der jugendliche Achilleus dem Patroklos einen Verband um den Arm. Der Pfeil, mit dem Patroklos getroffen war, ist aus der Wunde ent- fernt und liegt zu seinen Füssen. Der Herzog von Luynes?) hat zuerst die Quelle dieses Bildes in den Kyprien zu finden geglaubt, andere sind ihm gefolgt.*) Freilich ist das Vasenbild rfg.; aber an eine dramatische Quelle wird sich bei dieser Scene schwer denken lassen, und somit würden wir auf die Kyprien verwiesen. Denn dass dem Bilde ein bestimmtes Ereigniss zu Grunde liegt, glaube auch ich annehmen zu müssen. Es kann hier weder ein Irrthum des Malers vorliegen?), noch auch wird sich unter den heroisirten Genrebildern ein Analogon finden lassen; besonders da in der ganzen Vasenmalerei nur ein ähnliches Bild existirt.) In der Poesie sind die Verwundungen nicht selten, und oftmals hüren wir, wie einer dem andern die Wunde verbindet. In der Ilias finde ich folgende Stellen, in denen ähnliche Scenen geschildert werden:

A 210 ff. Machaon verbindet den Menelaos.

108 ff. Sthenelos zieht dem Diomedes den Pfeil aus der Wunde.

335 ff. Aphrodite von Diomedes an der Hand verwundet wird

. von ihrer Mutter Dione geheilt.

398 ff. Paieon legt dem Hades schmerzstillende φάρμακα auf, ebenso

900 dem von Diomedes getroffenen Ares.

!) In der Odyssee (u 116) sind Agamemnon und Menelaos auf Werbung nach Ithaka gezogen. Vgl. Welcker, ep. Cycl. II, 99. Wenn Welcker daran denkt, dass auch Agamemnon in den Kyprien zu werben auszog, und dass derselbe vielleicht von Proklos nur nicht genannt worden würe, so liegt kein Grund zu dieser Annahme vor; einen kleinen indirekten Beweis gegen Welcker haben wir in unserem Bilde. Dass Nestor auch bei Peleus war, lehrt Proklos mit nichten; es ist sehr wohl denk- bar, dass Nestor und Menelaos wenigstens theilweise getrennt Hellas bereisten. Annal. 1880, p. 288. *) Welcker, alte Denkm. III, 413ff. Overb. p. 297. °) Etwa wie im Namen Phoinix beim Kampf des Aias und Hektor vgl. p. 521. °) Chalkidische Vase, Overb. XXIII, 1: Sthenelos verbindet dem Diomedes den Finger.

598 H. Luckenbach:

A 843 ff. Patroklos schneidet dem verwundeten Eurypylos den schmerzenden Pfeil aus dem Schenkel und stillt Blut und Schmerz mit bitterer Wurzel.

Ich sehe demnach kein Hinderniss, dass nicht in den Kyprien Achilleus, der nach Ilias A 832 von Cheiron die Heilkunde erlernt hatte, dem Patroklos den Liebesdienst erwiesen haben sollte. Ob Patroklos dagegen mit dem Pfeil verwundet wurde, wissen wir nicht; auch wenn in den Kyprien eine Lanze ihn verwundete, stand es dem Maler frei, die Aenderung vorzunehmen. Auch die Verwundung am Arme ist nichts weniger als sicher!), und endlich kann die Art, wie Achilleus dem Freunde beisteht, gleichfalls nicht erschlossen werden. In der Ilias wird nie das eigentliche Verbinden, sondern immer nur das Auflegen der Heilmittel erwähnt. Wo der Kampf stattfand, wer der Gegner des Patroklos war, lässt sich aus der Vase nicht be- stimmen.

Telephos’ Heilung.

Proklos berichtet: Τήλεφον κατὰ μαντείαν παρατενόμενον εἰς "Ἄργος ἰᾶται ᾿Αχιλλεὺς dic ἡγεμόνα γενηςόμενον τοῦ ἐπ᾽ Ἴλιον πλοῦ (vgl. Welcker, ep. Cycl. II, p. 101. 144).

Aischylos?), Euripides?) und Agathon*) hatten einen Telephos gedichtet; näheres erfahren wir nur von der Tragödie des Euripides. Auf Klytaimnestras Rath nimmt Telephos den kleinen Orestes aus der Wiege und flüchtet sich mit ihm auf den Hausaltar, drohend, jenen zu tödten, wenn ihm nicht Heilung zu Theil werde.

Von den vier rfgn. Vasenbildern hat man allgemein zwei auf Euripides zurückgeführt:

Α. Overb. 299, 3;

B. Arch. Zeit. 1857, 89, Taf. 106; Fiorelli, vasi. Cumani 14;

Bull. Nap. N. S. V, 10, 18; Neapel RC. 141.

In A kniet Telephos auf dem Altar, mit dem Schwerte den Orestes bedrohend. Er sieht zu Agamemnon hinüber, der nur mit Mühe von einer Frau (Klytaimnestra) fortgedrüngt wird und un- willig sich entfernt; von der anderen Seite eilt eine Jungfrau (Elektra?) mit ausgestreckten Armen auf Telephos zu.

Weit erregter noch ist B; die Leidenschaften sind bis zum Aeussersten gesteigert. Telephos hat am linken Fusse den zappeln- den Orestes gefasst und bedroht ihn mit dem Schwerte. Auf ihn

o nn

1) Gesetzt, die Verwundung am Arme wäre nach dem Epos, so würde wenigstens nicht entschieden werden können, ob er am rechten oder linken, am Ober- oder Unterarm verwundet wurde. Auch brauchte dies gar nicht in der poetischen Quelle erwähnt zu sein. In der Odyssee τ 449f. wird Odysseus verwundet, ob am linken oder rechten Beine, wird nicht hinzugesetzt. Telephos trägt den Verband bald um den linken, bald um den rechten Schenkel. Welcker, Trilogie 563. Welcker, Tragödien II, 477, vgl. Bakhuyzen, de parodia in comoediis Ari 1 p. 200. *) Welcker, Tragódien III, 989.

ϑ

Verh. d. gr. Vasenbilder s. d. Ged. d. ep. Kyklos. 599

dringt Agamemnon mit gezücktem Schwerte ein; aber Klytaimnestra hat sich ihm entgegengeworfen, um das drohende Unheil zu ver- hüten. Auf der anderen Seite steht starr vor Entsetzen eine Jung- frau (Elektra?) mit beiden Hünden an ihren Kopf greifend. Das Bedeutsame, was diese beiden Vasenbilder von den anderen unter- scheidet, ist die Intervention der Klytaimnestra, die bei Euripides eine Rolle spielte. Gegen die Annahme, diese Bilder auf Euripides zurückzuführen, wüsste ich nichts zu sagen; wohl aber lässt sich mit Bestimmtheit behaupten, dass sie nicht dem Epos folgen. Denn die übrigen Vasenbilder sind durchaus anders aufgefasst. Klytai- mnestra fehlt, ebenso die Jungfrau; nicht mit dem Schwerte dringt Agamemnon &uf den Fremdling ein, sondern steht ruhig vor ihm, verwundert über den Schutzflehenden, der mit dem Sohne an den Altar geflüchtet ist. Die Verstündigung scheint sich auf durchaus friedlichem Wege zu ergeben. Man kann nun kühn behaupten, dass nach Ausbildung jener tragischeren Gestaltung des Mythus, in dem die Lösung nur durch Klytaimnestra herbeigeführt wird, die andere Version nicht mehr móglich war. Das Ruhige und Gehaltene spricht durchaus für die frühere Entstehung. Hat man nun jene Vasenbilder mit Recht auf Euripides zurückgeführt, so müssen wir für diese eine voreuripideische Quelle annehmen. Jahn dachte an Agathon (Telephos und Troilos und kein Ende, p. 6). Allein wir wissen nicht, ob Agathon seinen Telephos vor dem des Euripides dichtete; dazu ist es doch einigermassen bedenklich, einen Einfluss Agathons auf die bildende Kunst anzunehmen, besonders für die unteritalische Epoche, der eins der Vasenbilder angehört. Es blieben uns also noch das Epos und Aischylos. Overbeck, p. 298, will sie aufs Epos zurückführen; indessen ist wohl zu beachten, dass ein sfgs. Vasen- bild bis jetzt noch nicht gefunden ist, und dass wir nur Muth- massungen über die Gestaltung des Epos aufstellen können. Die Frage muss daher, bis vielleicht neue Denkmäler zu Hülfe kommen, eine offene sein, ob Aischylos oder das Epos als Quelle anzunehmen sind. Die fraglichen Vasenbilder sind:

C Overb. 298, 1. XIII, 9,

D Overb. 299, 2. Neapel 2293. Jahn, Tel. und Troil. und

kein Ende, Taf. L

Verwundet ist Telephos am Oberschenkel in BCD; eine Binde ist um die Wunde gelegt: ohne Bedenken dürfen wir die Verwun- dung am Oberschenkel als stehenden Zug der Sage auffassen; nur darüber kann gestritten werden, ob Telephos am rechten oder linken Beine verwundet war; die Vasenbilder dürfen dabei schwerlich um Rath gefragt werden; auch weichen sie selbst darin ab; in BC ist der linke, in D der rechte Oberschenkel verbunden. In A fehlt aus Nachlässigkeit des Malers jegliche Andeutung der Wunde (?). Hin- zufügen lässt sich, dass auch in etruskischen Aschenkisten bald der rechte, bald der linke Oberschenkel den Verband trägt.

600 Η. Luckenbach:

Troilos.

Overbeck, p. 338—366.

Welcker, alte Denkm. V, p. 439—480.

Jahn, Telephos und Troilos.

Sehreiber, annal. 1875, p. 188—210.

Klein, Euphronios, p. 79 —89.

Bei nochmaliger Besprechung einiger Punkte aus dieser so viel. behandelten Sage wird natürlich für mich der Gesichtspunkt der leitende sein, was die Bildwerke an Ergänzungen der literarischen Quellen bieten können. Denn die letzteren sind sehr dürftig: mit den drei Worten xoi Τρωίλον φονεύει berichtet uns Proklos vom Tode des Troilos dureh Achilleus. Einen weiteren Anhalt geben die Worte des Scholiasten zu Ilias Q 257: oi νεώτεροι ἐφ᾽ ἵππου διωκόμενον αὐτὸν Erroincav. Mit vollem Rechte betrachtet Welcker dies als Inhalt der Kyprien, und der ganze Zusammenhang lehrt, dass nicht allein Sophokles, der nachher besonders erwühnt wird, unter dem Worte νεώτεροι gemeint ist, sondern überhaupt diejenigen, die nach Homer über den Troilos geschrieben haben, an deren Spitze Stasinos steht.!) Diese dürftigen Nachrichten ergänzen die Vasen- bilder in hinreichender Weise. Bezüglich der Anordnung schliessen wir uns Welcker an, der die Darstellungen in 4 Scenen zerlegte.

I. Achilleus im Hinterhalte.

Scharf zu sondern sind hier die sfgn. von den späteren Bildern, da letzteren ein Moment fehlt, das für die älteren Bildwerke durch- aus wesentlich ist.

A. Die schwarzfigurigen Vasen.

Der Mythos tritt in allen leicht zu Tage. Vor einem Brunnen steht Polyxena, um Wasser zu holen, begleitet von dem jugendlichen Sohne des Priamos, der meist auf einem Rosse reitet und ein anderes am Zügel führt. Hinter dem Brunnen lauert Achilleus, um im günstigen Augenblicke hervorzuspringen und grausam den unschul- digen, meist waffenlosen Sohn des Troerkönigs niederzumachen.

Die elf Vasen, die Klein p. 82 &—1 aufführt, denen als zwölfte (m) Campana Il, 22 anzureihen ist"), lassen sich leicht in zwei

Zum Ausdruck vgl. Strabo VIII, 6, 2: παρὰ τοῖς νεωτέροις, d. i Stasinos. VIII, 3, 8: oi νεώτεροι, d. i. Hipponax, Alkman, Aischylos; ähnlich VIII, 3, 7. 3, 31.

*) &. Arch. Zeit. 1863, p. 57— 66, Taf. 175. Collignon 181 (die In-

schriften, pl. Iv. 2). b. Berlin 1713. Overb. 341, 3. c. Overb. 342, 4. XV, 9. d. München 89. e. bull. 1865, p. 146.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos; 601

Gruppen zerlegen, die zwar in Bezug auf den Inhalt keine Ab. weichungen ergeben, aber doch durch einige bemerkenswerthe Einzel- heiten verschieden sind, die einen interessanten Einblick in die Ab- hüngigkeit der Maler von einander gewühren. Zur ersten Gruppe rechne ich c—h, zur zweiten abikl; welcher Gruppe sich m an- schliesst, lässt sich der ungenügenden Beschreibung halber nicht bestimmen.

Erste Gruppe:

α) Der Brunnen ist durch einen Pfeiler dargestellt, der durch eine Róhre das Wasser entsendet.

B) Links für den Beschauer liegt Achilleus im Hinterhalte, wührend Polyxena und Troilos sich von rechts her n&hern (so wenigstens in cfg; die Richtung von deh ist mir unbekannt).

Y) Polyxena hält meist die Hydria noch in den Händen (nur in h hat sie dieselbe niedergesetzt).

Zweite Gruppe:

a) Der Quell läuft in einen Löwenkopf aus, dessen Rachen das Wasser entströmt.

ß) Achilleus liegt rechts für den Beschauer im Hinterhalte; Polyxena und Troilos nähern sich von der anderen Seite (die Rich- tung in 1 ist mir unbekannt).

Y) Polyxena hat die Hydria bereits unter den Wasserstrahl gesetzt (in hat sie den Krug in ein zum Auffangen des Wassers bestimmtes Becken getaucht, damit der Wasserstrahl besser hinein- laufen kann). In m hat Polyxena die Hydria auf dem Kopfe und wendet sich zu Troilos.

Die Verwandtschaft dieser beiden Gruppen zeigt sich an einer Eigenthümlichkeit, die gewiss nicht auf poetischer Quelle beruht. In befgil sitzt nümlich auf dem Brunnen ein Rabe, der meist der Polyxena zugekehrt ist und nur in i der Richtung zuschaut, in welcher Achilleus im Hinterhalte liegt. Welcker hat ihn als apol- linischen Vogel, der den Troern bevorstehendes Unheil andeutet, zu erklären versucht, eine Deutung, deren Richtigkeit schon von Conze, annal. 1866, p. 287, 3, 1n Zweifel gezogen ist. Der Rabe ist wohl nur ornamental verwendet, etwa um die Einsamkeit des Feldes, in dem die Scene vor sich geht, anzudeuten. Andererseits lässt sich für Welcker geltend machen, dass der Vogel wenigstens bisweilen sein Gefieder sträubt und allem Anscheine nach die Troer warnen will.

f. Overb. 341, 1. XV, 2.

g. annal. 1866, p. 285—288, ἑαυ. R., (bull. 1865, p. 147). h. Br. M. 469. Overb. 841, 2.

i. Br. M. 474. Overb. 842, 5.

k. Arch. Zeit. 1856, p. 280, Taf. 91, 1.

l. bull. 1869, p. 125.

m. Campana 11, 22.

602 H. Luckenbach:

Troilos ist meist sehr jugendlich, ein Ephebe, der kaum dem Knabenalter entwachsen ist, ein Zug, der offenbar dem Epos entlehnt ist. Wenn er in ai bärtig ist, so hat der Maler dies ganz nach Art der älteren Malerei gethan, die ja auch einen Apollon?) und Achillens, später fast immer jugendliche Gestalten, bärtig darstellte. Gewöhn- lich ist Troilos waffenlos, in di trägt er zwei Lanzen, in ab] hat er eine Gerte, in m einen Zweig in der Hand.

Auf die drei nothwendigen Figuren beschränken sich cikm. Erweiterungen treten in den übrigen ein. In h steht hinter Troilos ein nackter Genosse mit zwei Speeren, in g ein Krieger mit Namen Φωῶκος, in e zwei, in f drei Krieger; der Revers von b zeigt drei, der von d sieben Krieger, alle diese Münner offenbar Troer, die dem Troilos zu Hülfe eilen. In f steht hinter Achilleus Thetis, in der Rechten den für Achilleus bestimmten Siegeskranz haltend *), Hermes und ein bärtiger Alter mit einer Lanze in den Händen, der gewiss nicht mit Welcker Zeus zu nennen ist, sondern nur Phoinix oder ein anderer Grieche sein kann. In k steht neben Polyxena ein zweites Weib. In g hat ein nackter Mann die Zügel der Rosse er- griffen, die Rechte erhebend. Conze ist geneigt, in ihm Achilleus zu erkennen, der den Troilos bedroht; es würde dann das Vasenbild aus zwei Darstellungen zusammengesetzt sein: einmal Achilleus im Hinterhalte und dann derselbe den Troilos bedrohend. Allein dieser nackte Mann, dem Schild, Panzer, Helm fehlen, der weder Schwert noch Lanze trügt, kann nicht Achill sein. Wir haben hier, wie so häufig, einen ganz überflüssigen Zusatz des Malers, der den Troilos auf die drohende Gefahr aufmerksam machen soll. In a steht neben den Rossen des Troilos, die Xanthos und Asobas?) heissen, ein Weib, welches sich rückwürts wendet; von ihrem Namen sind noch die Buchstaben eo erhalten, die Jahn zu Kreusa ergänzt. Hinter ihr stehen noch zwei bärtige Alte, deren einer Priamos ist, während dem anderen ein Name nicht beigeschrieben ist. Priamos ist also hier mit seiner Familie anwesend. Nur in g hat Troilos ein Ross, sonst immer zwei.

Ganz unbedenklich werden wir die Thatsachen, die sich aus diesen Vasenbildern als Bestand der alten Sage ergeben, in den Kyprien zu suchen haben. 'Polyxena hat, um Wasser zu holen‘), die Stadt verlassen, begleitet von dem jugendlichen reitenden Troilos. Achilleus lauert ihnen auf.” Von der Hülfe, deren Andeutung wir

') 2. B. in der Francoisvase. ?) Siehe jedoch Klein p. 83. °) So und nicht Sobas, wie Jahn will Vgl. Collignon 181, pl. iV, 2. *) Die Königstöchter der Heroenzeit werden gern Wasser holend gedacht. Homer x 106:

κούρῃ δὲ ξύμβληντο πρὸ ἄετεος ὑδρενούεῃ

θυγατέρ᾽ ἰφθίμῃ Λαιςτρύγονος ᾿Αντιφάταο. Homer, Hymnus auf die Demeter, V. 98 ff, 106 ff. Schol. Eurip. Phors., V. 53. Welcker, ep. Cycl. II, p. 357, 84.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. ἃ. ep. Kyklos. 603

in mehreren Bildern fanden, wird später die Rede sein, ebenso soll dann auch die Frage entschieden werden, ob Troilos bewaffnet oder unbewaffnet, mit einem oder zwei Rossen auszog. Noch ist zu be- merken, dass den Namen für Polyxena uns allein die Frangoisvase aufweist, welche die folgende Scene, die Verfolgung des Troilos, darstellt.

B. Die rothfigurigen Vasen.

Durch mehrere charakteristische Merkmale unterscheiden sich die rfgn. von den älteren Vasenbildern. In allen fehlt Polyxena, in allen hat Troilos nur ein Ross. Folgende fünf!) zeigen mit der neuen Technik auch die Aenderung des Gesammtinhalts der älteren Darstellungen.

a Chabouillet, description des antiques du cabinet Fould, pl. XIX. Jahn, Telephos und Troilos und kein Ende IIT, 10. Schreiber, Nro. 10.

B Bull. 1862, p. 127. Arch. Anz. 1863, p. 27*, 72. Schreiber, Nro. 11.

Y Br. M. 1353. Schreiber, Nro. 12.

Bull. 1853, p. 167, im Besitze des Herrn Michele de Feis zu Anzi.

Bull. 1853, p. 167.

An Stelle des einfacheren Brunnenpfeilers, der in ΑὙ bei- behalten (in a Y mit Löwenrachen), ist in f ein Brunnenhaus ge- treten. Troilos ist mit einer Lanze in €, mit zweien in Y bewaff- net. In B trägt er einen Panzer, in a hält ein Diener ihm die Lanze.

Das Fehlen der Polyxena in allen diesen Vasenbildern kann nicht zufällig sein, und mit Hecht hat man an das Drama des Sophokles erinnert, dessen Einfluss hier sichtbar ist. Freilich schrieb auch ein Phrynichos eine Tragödie oder Komödie und Strattis eine Komödie; allein beide stehen hinter Sophokles zurück; für den Tragiker Phrynichos ist ein Einfluss auf die bildende Kunst noch nicht erwiesen, und an eine Komödie kann nichts in diesen Bildern erinnern. Im Epos also begleitet Troilos die Polyxena, bei Sophokles geht er allein, um sein Ross zu tränken.

Weitere Schlüsse auf das Drama des Sophokles scheint a zu gestatten. In der Mitte des Bildes steht Troilos mit seinem Rosse vor dem Brunnen; hinter demselben ist ein Diener, der das Gewand des Troilos trägt und in der Rechten einen Stab hält, der doch wohl eine Lanze vorstellen soll. Auf einem Altare hinter Troilos sitzt Athena, die mit der Rechten auf Troilos hinweist und damit den Achilleus auffordert, denselben zu überfallen. Zwischen ihr und Troilos fliegt ein Vogel, eine Tänie in den Klauen haltend, auf Troilos zu. Hinter dem Diener desselben trägt ein Mann einen ge-

1) Klein erwäbnt p. 82 bloss a y.

604 H. Luckenbach:

fallenen Todten davon; vor ihm ist eine Säule angebracht, die ihn von Achilleus trennt.

Durch die Taube, glaubt Jahn a. O. p. 13. 14, würden wir hin- gewiesen auf die Liebe, die Achilleus zu dem schönen Knaben Troilos empfinden wird, und glaubt dadurch die Vermuthung Welckers stützen zu können, dass dieser Zug sich schon bei Sophokles fand. Allerdings lässt Lykophron 307—313 den Achilleus in Liebe zu Troilos entbrennen; allein wenn man aus den Worten des Phrynichos, die uns Athenaios XIII, p. 564 c. 18 aufbewahrt hat, Φρύνιχός Te ἐπὶ τοῦ Τρωΐλου ἔφη

λάμπειν ἐπὶ πορφυρέαις πάρῃςι φῶς ἔρωτος

geschlossen hat, das diese Wendung weit älter war und dass Phry- nichos disselbe zuerst kannte, so kann ich den Beweis in obigen Worten nicht finden, und mit Klein, p. 87, würde ich am liebsten die Entstehung der Erzählung bei Lykophron in alexandrinische Zeit setzen. Weiter stehe ich nicht an, dem Vogel, der zwischen Athena und Troilos schwebt, die Bedeutung, die Jahn in ihm sucht, abzu- sprechen. Denn zunächst müssten wir doch erwarten, dass der Vogel auf Achilleus und nicht auf Troilos zuflóge. In einem Vasenbilde, das den Achilleus im Kampfe mit Memnon zeigt (Overb. XXII, 8), fliegt ein Vogel mit einer Tänie zu Achilleus hinüber von der Seite des Memnon und der Troer. Soll auch hier Achilleus das Unglück haben, sich in den sterbenden Feind zu verlieben, wie in die Amazone und den Troilos? Wenn ferner zwischen waffentragenden Nereiden, die auf Seethieren reiten, ein Vogel mit langflatternder Tänie in den Klauen einherfliegt!), so kann doch hier der Vogel keinen Be- zug auf Liebe in sich schliessen. Aber diese beiden Bilder geben die richtige Deutung au die Hand. Der Vogel ist nur ein Symbol des Gelingens, er trägt die Siegesbinde: hier deutet er den Sieg des Achilleus über Hektor, dort über Memnon an, und anders ist auch in unserem Bilde der Vogel nicht zu erklären, wenn man ihm nicht auf diesem späten Bilde jede Bedeutung absprechen will. Der Altar, auf dem Athena sitzt, und die Säule hinter Achilleus sollen nach Schreiber a. O. p. 202 das Thymbräische Heiligthum des Apollon bezeichnen. Allein wo Göttinnen sind, pflegt es auch an Altären nicht zu fehlen; oftmals ist beim Ringkampf des Peleus mit der Thelis ein Altar abgebildet, und auch hier ist der Altar nur der Sitz der Athena. Ob die Säule auf ein Heiligthum hindeuten muss, vermag ich nicht zu sagen; jedenfalls würde sie nur lehren, dass auch nach Sophokles Troilos am Altare des Apollon fällt; denn das; dies die alte epische Erzählung war, werden wir später sehen. Un- gewiss bleibt es, ob der Diener, der das Gewand des Troilos trägt, schon bei Sophokles erschien. Denn die Vermuthung Welckers (Gr.

') Jatta 425; abgebildet Heydemann, Nereiden, Taf. IL

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 605

Trag. I, 125ff.), dass bei ihm der Pädagoge des Troilos eine Rolle spielte, ist keineswegs gesichert (vgl. Jahn, p. 14). In dem Krieger, der den Todten davontrügt, móchte Jahn, p. 15, einen Troer erkennen, der mit dem getödteten Troilos davonzieht. Indessen ist auch diese Deutung nicht ohne Schwierigkeit, auf die Jahn selbst aufmerksam macht, da der lebende Troilos nackt ist, der Todte dagegen gerüstet. Daher scheint es mir nöthig, zu der anderen Deutung auf Achilleus und Aias zurückzukehren.

Nähere Betrachtung müssen wir auch dem Vasenbilde ß zu- wenden. Troilos im Harnisch und mit phrygischer Mütze bedeckt steht innerhalb des Brunnenhauses. In der Linken hat er die Ztigel des Rosses, das er mit der Rechten streichelt. Hinter dem auf- lauernden Achilleus Athena. Vor dem Brunnenhause sitzt ein Jüng- ling mit einem Palmzweige auf der einen Seite, auf der anderen eine Frau, die einer zweiten einen Spiegel vorhült. Noch weiter läuft ein Jüngling mit Panzer und phrygischer Mütze davon, indem er den Kopf zu seinem Gefährten umwendet und die linke Hand gegen ihn ausstreckt; er will ihn offenbar warnen, da er den Krieger im Hinterhalte erblickt hat. Das Brunnenhaus wird bull. 1862, p. 127 mit folgenden Worten beschrieben: Nel mezzo scorgesi una edicola con quattro colonne, le cui anteriori porlano sopra capitelli jonici due sfingi le quali sostengono il telto; una idria nel frontone ci fa riconoscere la fontana. Aus diesen Worten geht hervor, wie wenig Gewicht zu legen ist auf die Beschreibung im Arch. Anz. 1863, p. 27*, 72, in der von einer eigenthümlichen Darstellung des innerhalb des Apollotempels sein Pferd liebkosenden, gerlisteten Troilos die Rede ist. Auf der Vase ist ein Brunnenhaus, das an die Stelle der einfacheren Quelle getreten ist. Der davoneilende Troer ist vom Maler hinzugefügt, um die Gefahr, in der Troilos sich befindet, besser zu veranschaulichen. Der Jüngling mit der Palme sowie die beiden Toilette machenden Frauen stehen in keinem Zusammenhange mit der eigentlichen Darstellung.

Die Abweichung, die sich also ergab, war das Fehlen der Poly- xena in rfgn. Vasenbildern, die den Sophokles zur Quelle hatten. Dies zu betonen schien um 80 mehr nothwendig, als bisher nicht erkannt wurde, dass auch bei Sophokles Troilos zum Brunnen ging, freilich nicht um die Wasser holende Schwester zu begleiten, sondern lediglich um sein Ross zu tränken. Dabei ist es sehr wohl denk- bar, dass in beiden Dichtungen Brunnen und Heiligthum eng mit einander verknüpft und beide dem Apollon geweiht waren.

I. Verfolgung des Troilos.

Achilleus ist aus seinem Verstecke aufgesprungen; Polyxena und Troilos suchen ihr Heil in der Flucht, Die Jungfrau hat ihre Hydria vor Schreck fallen lassen; sie liegt unter den Rasen der

600 H. Luckenbach:

Rosse. Sie eilt dem Troilos voran, obwohl dieser beritten ist; “dem nur so konnten die Künstler ausdrücken, dass dem Knaben, nicht der Jungfrau zunächst die Verfolgung gelte’ (Welcker).

Mit Verweisung auf Klein, p. 84!), übergehe ich eine Beschrei- bung der sfgn. Bildwerke. Sie geben in Verbindung mit den oben- erwähnten Worten des Scholiasten, oi νεώτεροι ἐφ᾽ ἵππου διωκό- μενον αὐτὸν ἐποίηςαν, für die Kyprien folgende Ergünzung an die Hand: 'Achilleus springt aus seinem Verstecke hervor; der berittene Troilos und Polyxena suchen ihr Heil in der Flucht; Polyxena ge lingt es zu entfliehen”. Dass Polyxena entflieht, können zwar die Vasenbilder nicht zur Ánschauung bringen; da sie indess aller Poesie zufolge bei der Eroberung Trojas noch lebte, so ist der Schluss von selbst gegeben. Wenn in fast allen Darstellungen die Hydria unter den Rossen liegt, so darf dieser nebensächliche Zug nicht aufs Epos übertragen werden. Einmal vom Maler eingeführt, konnte dies leicht typisch werden und sich durch alle Vasenbilder halten.

Mehrere rfge. Vasenbilder?) behalten im Wesentlichen den alten Typus bei.

Besondere Beachtung verdienen einige Vasen, in denen Poly- xena fehlt.

Klein Nro. 7. Gerhard AV 185. Overb. 353, 24, sfg. Mag die eine Seite gedeutet werden wie sie will, die andere bezieht sich auf Troilos. Polyxena und die Hydria fehlen. Achilleus reisst den Troilos vom Rosse an den Haaren herunter, in der Rechten das Ver- derben bringende Schwert haltend. Hinter ihm ist neben einem Altar die Quelle, die das Wasser durch einen Lówenrachen in ein Becken laufen lässt. Recht gut könnte man hier die Darstellung nach der Tragódie erkennen, Allein dem widerspricht das Alter der Vase?), und so werden wir wohl eine Abkürzung der Darstellung erkennen müssen, die nur das Wesentliche und Nothwendige gab. Gleiche Zweifel erheben sich bei zwei anderen sfgn. Vasen*), in welchen ein Mann einen reitenden Jüngling (Knaben) verfolgt, wenn hier überhaupt an Troilos gedacht werden darf.

Unter den rfgn. Vasen erwühne ich besonders die bull. 1870, p. 185, 18 beschriebene Amphora (Nro. 25): Ein berittener Jüng- ling, der in der Linken zwei Lanzen trägt und mit einer phrygi- schen Mütze bedeckt ist, flieht vor einem gertisteten Krieger, der in der Linken Lanze und Schwert trägt und mit der Rechten bereits die Mütze des Gegners berührt. Die phrygische Kopfbedeckung lässt wohl keinen Zweifel übrig, dass wir diese Darstellung mit Recht

1) In dem Verzeichnisse der Vasen bei Klein liegt bei Nro. 5 „Kleine Amphora in Florenz. Bull. 1870, p. 180“ wohl eine Verwechselung vor mit der a. O. p. 185, 18 angeführten piccola anfora a fiyure rosse. An die Stelle dieser fülschlich eingereihten setze ich als Nro. & München 313. ?) Klein p. 85, Nro. 18. 20. 21. 23. 5 Zu den beiden Rossen vgl. p. 611 f. München 313. Neapel 2619 Klein Nro. 14.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 607

auf unseren Mythus beziehen. Der Annahme einer Einwirkung der Tragödie steht bei dieser Vase nichts im Wege. Ebenso kann man dieselbe annehmen bei drei weiteren rfgn. Vasen!), in denen eben- falls ein Mann einen reitenden Knaben oder Jüngling verfolgt, nur dass Troilos nicht mit gleicher Sicherheit erkannt werden kann. In Nro. 19 (Klein) befindet sich hinter Achilleus Altar und Lorbeer.

III. IV. Tod des Troilos und Kampf um seine Leiche.

Auch die Vasenbilder zu diesen beiden Scenen ermöglichen uns in sicherer Weise, unsere Kenntniss der Kyprien zu erweitern. Es Scheint wünschenswerth, die Resultate hier voranzustellen: die Be- gründung wird nachher in der Betrachtung der Vasen sowie durch die darangeknüpften Bemerkungen gegeben sein. “Troilos wird von Achilleus erreicht und an oder auf dem Altare des Apollon getódtet. Achilleus schlägt ihm das Haupt ab; eben hat er die blutige That vollbracht, als die Troer dem Troilos zu Hülfe eilen (denen Achilleus den Kopf des Gemordeten zuschleudert?).” Beztiglich des Ausgangs ist die Vermuthung Kleins, p. 83. 87, äusserst entsprechend, nach der Achilleus auf Befehl der Götter den Todten seinen Feinden tiber- liess. Die Tragödie stimmt im Allgemeinen mit den Kyprien, nur darüber sind wir im Ungewissen, ob auch in ihr dem Troilos das Haupt abgeschlagen wurde.

Die Vasen, die in Betracht kommen, sind:

Schwarzfigurig: . Overb. 40. XV, 11. Welcker 39. Arch. Zeit. 1868, p. 86. 112. . Overb. 41. Welcker 39. EM 65. Overb. 43. München 124. . Overb. 44. Br. M. 473. Arch. Zeit. 1856, Taf. 91, 2, p. 230 f.

cow >

Rothfigurig:

E. Overb. 38. XV, 6. Conze, Vorlegebl. V, 6, 2.

F. Overb. 39. XV, 5. Conze V, 6, 1.

G. Arch. Zeit 1871, Taf. 48, p. 57. 71.

H. Jahn, Telephos und Troilos und kein Ende, Taf. 2, mon. X,

22, 2. annal. 1875, p. 196. Campana IVc, 607.

[I. Neapel S.A. 703].

A. Achilleus hält in der Linken die Hand eines Knaben, der auf einem Altar steht, und zückt in der Rechten das Schwert, um denselben zu durchbohren. In der Nähe der Stadt, über deren Mauern die Köpfe zweier Troer hervorragen, findet die blutige Scene statt. Aus dem Thore schreitet ein gerüsteter Krieger, während

Klein Nr. 19 = Overb. 353, 23. Klein Nro. 22 Neapel 1806. Klein Nro. 24 = Overb. 867, 26.

608 H. Luckenbach:

ein zweiter neben dem Thore steht. Rechts und links die Vorder- theile von vier Pferden, die ich nur als die Viersgespanne de Achilleus und eines seiner Gegner betrachten kann. Freilich be- hauptet Klein p. 86, dass das Viergespann hinter Achilleus wegen der mythischen Unmöglichkeit diesem nicht gehören kann. ‘“Offen- bar ist es Troilos’ Gespann; er hat es um den Altar des Gottes ge- tummelt, hier, nicht an der Quelle, wie die ältere Wendung erzählte, wird er von Achill überfallen.” Es soll demnach das Bild von der epischen Darstellung abweichen und in demselben “eine gründliche Veränderung des Mythos’ hervortreten. Auf p.87 heisst es dann weiter: “Später erleidet die Sage eine wesentliche Abkfirzung. Troilos hat sich auf eigene Faust vor des Thor gewagt, sein Ge spann oder seine Reitpferde im Haine des Gottes zu tummeln’. Als Quelle des Bildes sieht also Klein die Tragödie des Sophokles an. Allein wenn wir vorhin den Unterschied der Tragödie vom Epos richtig erkannt haben und in beiden Dichtungen Troilos zur Quelle ritt, so muss von neuem die Frage aufgeworfen werden, wem denn das Gespann gehört. Wenn ich richtig urtheile, so dürfen wir nicht zu grosses Gewicht auf derartige Nebensachen legen. Entsprechend dem anderen Gespann ist auch dieses gemalt, das wir getrost für Achill in Anspruch nehmen können.!) Aber selbst wenn es dem Troilos gehören sollte, so wäre damit, wie bemerkt, die Einwirkung der Tragödie nicht erwiesen, die in dieser sfgn. Hydria zu erkennen ich Bedenken trage.

Auch in B finde ich nichts, wodurch wir eine Abhängigkeit vom Epos zu leugnen irgendwie genöthigt würden. Achilleus hält den nackten Knaben am Beine gefasst, um ihn am Altar, auf dem ein mit einer Binde geschmückter Dreifuss steht, zu zerschmettern. Hinter ihm sitzt am Erdboden ein Greis, der die um Troilos Trauern- den vertritt, gewiss aber nicht als Pádagoge des Troilos zu bezeichnen ist, wie Welcker und Jahn wollen. Klein nennt ihn Priamos, eine Benennung, deren Richtigkeit fraglich ist, besonders wenn wir den ganz ühnlich dasitzenden Halimedes bei der Ausfahrt des Amphiarsos mon. X, 4. 5 vergleichen. Athena steht abgewandt vor den Pferden eines Viergespanns, das aus dem Stadtthore fährt. Neben demselben sind zwei Krieger, einer mit phrygischer Mütze, sichtbar.

C. Hektor, Aineias, Deiphobos?) und ein vierter Troer, von dessen Namen nicht mehr lesbare Spuren vorhanden sind, stehen im Kampfe gegen Achilleus, um ihm den Leichnam des Troilos zu ent- reissen, der unten neben dem Altar liegt, indess sein Kopf zwischen den Speeren des Achilleus und Hektor schwebt. Hinter Achilleus Athena und Hermes. Das Alter der Vase gestattet nicht, an den

) Vgl. Neapel RC. 206: ein Mann umfasst eine fliehende Frau. Daneben die Vordertheile von vier Pferden. Vgl. ferner im Folgenden D. Zu diesem Namen vgl. Arch. Zeit. 1876, p. 111.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 609

Einfluss des Sophokles zu denken, den ich auch aus demselben Grunde bei dem folgenden Bilde zu leugnen nicht anstehe.

D. Achilleus steht auf den Stufen des Altars; eben erst hat er die blutige That vollbracht; das Haupt des Troilos hat er noch in der Rechten, um es den Feinden zuzuschleudern, die herbeigeeilt sind, um den Leichnam des Troilos, der auf dem Altare liegt, zu retten. Hinter Achilleus sein Viergespann.

Die rfgn. Vasenbilder führen uns wieder eine frühere Situation als C D vor.

E und F sind Aussen- und Innenbild derselben Schale des Euphronios. Während wir in dem anderen, E gegenüberstehenden Aussenbilde der Schale die Rüstung der Troer vor uns sehen, schleppt Achilleus in E den Troilos zum Altar, auf dem ein Drei- fuss steht. Zwei Palmen umgeben den Altar, über dem ein Lorber- zweig sichtbar ist. Die beiden Rosse des Troilos sprengen davon. In F ist Achill im Begriffe, den Troilos niederzumachen. Ueber dem Altar auch hier ein Lorberzweig. Ob in E F Drama oder Epos Quelle ist, weiss ich nicht zu entscheiden. Für das Epos kónnte, wie wir später sehen werden, ein schwacher Anhalt in den beiden Rossen liegen.

Nur ungenau ist der Mythos in G zum Ausdruck gekommen. Achilleus stösst dem Troilos, der mit dem verwundeten Rosse ge- stürzt ist, das Schwert in die Brust; hinter Achilleus entflieht be- stürzt ein bärtiger Phryger, die Streitaxt in der Hand tragend.

Für H hat Jahn a. O. eine besondere Quelle angenommen, nach der Troilos im Kampfe als Krieger fiel. Denn auf dem Bilde ist Troilos mit Schwert, Helm und Schild bewaffnet. Die Lanze Achills hat ihn zu Fall gebracht; aber noch zuletzt versucht er, sein Schwert zu ziehen. Zu seiner Vertheidigung eilt Aineias herbei. Auf dem Reverse ist ein Viergespann gezeichnet, welches von Autobulos ge- lenkt wird, vielleicht das des Achilleus. Die Inschriften sind im attischen Alphabete verfasst. Auf die besondere Wendung der Sage, die sich bei Vergil, Seneca und Qu. Smyrnaeus befindet, hat Jahn mehrere Reliefs zurückgeführt, und es lässt sich nicht leugnen, dass auch unser Vasenbild sehr gut derselben folgen könnte, wenn nur irgend welcher Anhalt gegeben wäre, dass dieselbe schon im fünften Jahrhundert v. Chr. entstanden wäre. Ganz anders urtheilt Klein p. 85, indem er glaubt, dass die Inschriften aus einer ganz gewöhn- lichen Kampfscene eine Troilosdarstellung machen. Indessen scheint mir dies zu weit gegriffen; das jugendliche Aussehen des Troilos darf doch nicht übersehen werden. Von Wichtigkeit erscheint mir ferner, dass Troilos nicht wie Achilleus und Áineias mit dem Panzer gerüstet ist, da eine theilweise Bewaffnung des Troilos wenigstens in den meisten Vasenbildern, die der Tragódie folgen, vorhanden ist. Indem ich daher weder Jahn noch Klein beipflichten móchte, erkenne ich vielmehr eine ungenaue Wiedergabe des Mythos.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl Bd. XL *3

610 H. Luckenbach:

Mit einem sehr geringen Grade von Wahrscheinlichkeit wird I auf Troilos gedeutet: auf einem Altare sitzt ein Jüngling, flehend die Rechte dem ihm gegenüberstehenden Jünglinge entgegenstreckend. der, lorberbekränzt und mit der Chlamys versehen, ein Schwert schwingt.

Nach Aufzählung der Bildwerke füge ich zur näheren Erläu- terung der obigen Rückschlüsse für die Gestaltung des Epos folgen- des hinzu.

Dass Troilos an oder auf dem Altare fällt, zeigen die sfgn. Vasenbilder A D, ferner die rfgn. E F I. Da ferner in B (sfg. und E (rfg.) ein Dreifuss auf dem Altare steht und in E F (beide rfg.) über demselben ein Lorberzweig sichtbar wird, so fällt Troilos am Altare des Apollon.) Ob dieser Altar mit dem Thymbräischen Heiligthum des Apollon identisch ist, lässt sich aus den Vasen na- türlich nicht bestimmen, und übergehe ich deshalb diese Frage!)

'Achilleus schlägt dem Troilos das Haupt ab. Wir werden nicht irre gehen, wenn wir aus C und D diese Folgerung aufs Epos machen. Zeigten die beiden Bilder denselben Typus, so würde sie gewagt sein, jetzt aber ist sie unbedenklich, da die Bilder bei dem- selben Gesammtinhalte doch in allen Einzelheiten verschieden sind. Denn in C hat Achilleus den Kopf bereits weggeschleudert, in D hält er ihn noch in der Hand, schickt sich aber gerade an, ihn den Gegnern zuzuwerfen. In C kämpft er mit den Feinden, in D halt er noch die Speere in der Linken. Statt der Götter dort, das Vier- gespann in D. Der Altar ist ganz verschieden geformt; in C sieht er einem Omphalos ähnlich, in D ist er mit Stufen versehen; in C liegt Troilos am Boden, in D auf dem Altar: in C ist derselbe weiss gemalt, um die Zartheit des Körpers hervortreten zu lassen, in D ist derselbe nicht besonders durch die Farbe hervorgehoben; kurz die Darstellungen sind in allem so verschieden, wie sie es bei dem- selben Inhalte nur sein können. Gehen sie aber nicht auf einen ein- mal gebildeten Typus zurück, so haben sie jedes für sich beson- deren Werth und für uns doppelte Geltung. Wenn nun endlich auch auf etruskischen Aschenkisten?) ebenfalls Achilleus dem Troilos das Haupt abgeschlagen hat, so geht dies zur Evidenz auf die gleiche Quelle, d. h. auf Stasinos, zurück. Leicht könnte man geneigt sein, noch einen Schritt weiter zu gehen uud vermuthen, dass auch im Epos Achilleus den Kopf des Troilos den Feinden zuschleuderte: denn in einem Bilde hat Achilleus dies bereits gethan, im andern schickt er sich dazu an. So wahrscheinlich indess mir es ist, dass

Auch in Nr. 7 und 19 (Klein) war ein Altar, in 19 auch ein Lorberzweig. Vgl. Welcker, alte Denkm. V, p. 448; Weizsäcker, Rhein. Mus. 1877, p. 66 ff. Die von letzterem vorgebrachten Gründe scheinen mir nicht gleichwerthig, z. Th. sogar falsch zu sein. *) Schlie, etrusk. Aschenurnen, p. 118, führt dieselben aufs Epos zurück, anders Schreiber p. 206.

Verh. ἃ. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 611

auch schon der Dichter diesen Zug kannte, bestimmt möchte ich es nicht behaupten, da es wenigstens denkbar wäre, dass die beiden Maler, unabhängig von der Dichtkunst, jeder für sich zu ihrer Dar- stellung gelangten. Dass in B Achilleus den Knaben am Beine ge- fasst hält, um ihn am Altare zu zerschmettern, kann nichts gegen den fest normirten Satz, dass Achilleus dem Troilos das Haupt ab- schlug, beweisen.

‘Troer eilen dem Troilos zu Hülfe” Schon in Bildern, welche den Achilleus im Hinterhalte zeigten, glaubten wir eine Andeutung der Hülfe zu finden, die dem Troilos zu spät sollte zu Theil werden (bdefgh). Ing war der Vertreter der Troer ®ükoc benannt. Deutlicher rücken dann in der Frangoisvase (Klein Nr. 1) Hektor und Polites aus, um ihrem Bruder Hülfe zu bringen. In A B D eilten unbenannte Troer herbei; in H Aineias; in C kämpften Hektor, Aineias und Deiphobos. Trotz dieser Namen glaube ich nicht, dass wir für einen Helden bestimmt seine Theilnahme am Kampfe er- weisen können. Dass die Frangoisvase zunächst ohne jede Autorität in dieser Beziehung ist, zeigt der Vergleich mit den Namen, die auf derselben Vase den Wettfahrern bei den Leichenspielen des Patro- klos beigeschrieben sind. Dass Hektor, der auch in D wiederkehrt, beim Kampfe betheiligt. war, ist ja an und für sich ganz glaubhaft, nur kann es nicht aus den Vasenbildern gefolgert werden: wenn die Vasenmaler nicht bestimmte Personen des Epos im Kopfe hatten, so lag ihnen keiner näher als gerade Hektor, und wir wissen zur Genüge, wie gerade bei Kampfesscenen mit Namen verfahren wurde. Auch für den Aineias scheint das doppelte Zeugniss in C und H zu sprechen. Allein selbst wenn H dem Epos und nicht der Tragódie oder einer anderen Quelle folgte, könnte auch seine Gegenwart zu- fällig sein. Wir müssen uns damit begnügen, dass Troer dem Troilos zu Hülfe eilen; wer dieselben waren, lässt sich mit Sicher- heit nicht bestimmen.

Alles weitere, was die Vasenbilder an die Hand zu geben scheinen, kann ebensowohl mit dem Dichter stimmen, als auch ihm entgegen sein. Ob z. B., um nur eins anzuführen, Achilleus den Troilos an den Haaren vom Rosse riss, oder ob dieser von dem- selben herunterstürzte, oder ob endlich das Ross mit ihm zusammen- brach, lässt sich aus den Vasen nicht folgerm.

Wir erwähnten schon oben, dass Troilos bald mit einem Rosse, bald mit zweien ausgeritten ist. Ein näheres Zusehen lehrt, dass in fast allen Bildern, die sich mit Sicherheit aufs Epos zurück- führen lassen, mögen sie schwarz- oder rothfg. sein, zwei Rosse ge- malt sind!), dagegen in allen, die mit Sicherheit oder Wahrschein-

!) Ausgenommen sind nur g (cäretanisch). 16. 17. Dem Drama fol- gen vielleicht 5 (= München 313). 14, deren Beziehung auf Troilos jedoch nicht über allen Zweifel erhaben ist. Das Nähere von 6. 18 ist mir un- bekannt.

619 H. Luckenbach:

lichkeit der Tragödie folgen, nur ein Ross.") Schreiber δῦ. hat geschlossen, dass Troilos im Epos die Rosse seines Vam ausführte, in der Tragödie dagegen nur mit einem Rosse Troja Um mit dem letzteren zu beginnen, so kann ich nur mit$ übereinstimmen. Wenn der Schol. Dias 2 257 berichtet (ζοφοκλῆς ἐν Τροίλῳ qncdv αὐτὸν Aoxnonvan?) ὑπὸ ᾿Αχὶ ἵππους γυμνάζοντα παρὰ τὸ Θυμβραῖον καὶ ἀποθανεῖν Eustathius sagt ὅν φαειν ἵππους ἐν τῷ Θυμβραίῳψ - λόγχῃ meceiv ὑπὸ ᾿Αχιλλέως, so haben wir gewiss nicht das den Plural besonders zu pressen und daraus zu entnehmes, nach Sophokles Troilos mit zwei Rossen auszog; die οί ganz allgemein zu nehmen: Troilos war eben der “Rosse In den übrigen Vasen finden wir meist zwei Rosse: ist desheh der Schluss Schreibers gestattet? Ganz gewiss nicht. Wem sehen, wie der Künstler nicht das homerische Zweigespann, das Viergespann malte, dann wird er doch auch wohl nach Belieben dem Troilos ein oder mehrere Rosse gegeben habe wir dürfen sogar sagen, dass, wenn Troilos im Epos mit zwei ausgeritten würe, deshalb der Künstler sich nicht im mi gebunden haben würde, ebensowenig wie er es uns jemals anschaulicht hat, dass die Gefährten des Odysseus jeder unter mittelsten dreier Widder angebunden entrannen. Aber es war einmal korinthische Sitte, zwei Rosse zu malen. In den ἰοῦ thischen Kampfscenen warten die Knappen mit zwei Rossen; * aber ein Cäretanischer Künstler malt, finden wir nur eins; πὰ καὶ in g, einer in Caere gefundenen Vase, ist Troilos mit einem Bw ausgeritten (vgl. annal. 1866 p. 275 —291). Dass aber auct den rfgn. Vasen, die dem Epos folgen (Nr. 18. 20. 21. 23), m Rosse sind, rührt daher, dass eben den Attikern die peloponnesischt Typen vorlagen. Wo dies nicht der Fall war, und sie selbst] nach dem Drama zeichneten, wählten sie nur ein Ross. An und ft sich sollte man doch voraussetzen, dass Stasinos den Troilos m dem Rosse ausziehen liess, auf dem er eben reitend sass, und di ist denn auch meine Ansicht, Die Vasenbilder können jeden&ülh uns nichts lehren. Erwähnt sei noch, dass auch in den etruskische Aschenkisten immer nur ein Ross vorhanden ist, und dass es bem Schol Q 257 hiess οἱ νεώτεροι (d. i. Stasinos) ἐφ᾽ ἵππου due μενον κτλ. Bisher habe ich es vermieden, von der Bewaffnung des Ττοῖα zu sprechen; Schreiber hat es p. 294 zu Resultaten gebracht, di z. Th. Wahres in sich schliessen, in ihrer Uebertreibung jedod falsch sind. Ausgehend von Nr. 23, wo Troilos auf der Flucht sich gegen Achilleus umwendend mit offenbarem Ungeschick in beiden

1) a—e. 19. 22. 24. 25 (= bull. 1870 p. 185, 18). 3 So Cavedoni. ὀχευθῆναι codd. λογχευθῆναι Welcker. λοχευθῆναι (?) Klein p. 79, 2.

Verh. ἃ. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. ἃ. ep. Kyklos. 613

inden zwei Lanzen führt, mit denen er, wie es scheint, einen awachen Versuch zu seiner Vertheidigung macht, erblickt Schreiber drin einen neuen Zug der Tragödie. Auf die gleiche Quelle wer- n h. k. . 2.8 (= Schreiber Nr. 4 und 5). 15. 20. de Laborde, vases amberg 1 95!) zurückgeführt, in denen Troilos eine oder zwei inzen führt, ferner a, wo der Sklave die Lanze des Herrn hält. esen hätte Schreiber noch e, wo der Jüngling mit einer, und d, wie Nr. 25, in denen er mit zwei Lanzen bewaffnet ist, beifügen nnen. Da im Epos nach Schreibers Ansicht, die ich übrigens 8110, Troilos unbewaffnet auszog, so müssen diese Bilder alle we- zstens in Bezug auf die Lanze, aufs Drama zurückgehen. Zwei nsequenzen zu ziehen, scheut sich Schreiber nicht.

1. Da h. k. 2. 8. 15. vases Lamberg I 95 sfg. sind, so müssen sie »haisiren.

2. Dah. k. 2. 8. 15. 20. 23 im übrigen dem Epos folgen denn ‚der Polyxena noch der Krug fehlen?) —, so haben die Bemaler 3ger Vasen zwar den alten Typus beibehalten und sind dem Epos folgt; nur den einen Zug, dass Troilos eine Lanze trägt, über- igen sie aus der Tragódie in die Darstellung hinein.

Eine weitläufige Widerlegung dieser Ansichten halte ich für nóthig. Vergebens bemüht sich Schreiber, zu beweisen, dass die treffenden Vasen bald mit mehr, bald mit weniger Glück archai- t haben. Nicht weniger als 6 Vasen sollen ferner den neuen Zug r Tragódie in die alten Darstellungen übertragen haben, da man 3 Polyxena nicht missen wollte. Und welches ist der neue Zug 8 Dramas? Nun Troilos hält die Lanze in seinen Händen. Man rd glauben, dass er sich muthig vertheidigen wird. Allein dies , keineswegs der Fall. Er hat sie bloss in Händen, um keinen brauch davon zu machen. Weshalb der Künstler dazu des Dra- 18 bedurfte, um dem Troilos eine Lanze in die Hand zu geben, , schwer einzusehen.

Auffallender dagegen ist es, dass in den Vasenbildern, die sicher fs Drama zurückgehen --- Ε), Troilos bewaffnet ist; da er in y t eine oder zwei Lanzen trägt, in α sie vom Diener tragen lässt id in ß mit einem Panzer gerüstet ist. Auch in Nr. 25, das wahr- heinlich dem Drama folgte, trägt Troilos in der Linken zwei Lan- n, und endlich war er in H mit Helm, Schild und Schwert bewaff- t. Diese Thatsache legt allerdings den Schluss nahe, dass bei phokles Troilos bewaffnet war, d. h. dass er auszog, um sich im eerwerfen zu üben; aber den stricten Beweis halte ich durch diese usen noch nicht für erbracht.

1 Achilleus liegt verborgen hinter seinem Schilde. Troilos sitzt waffnet zu Pferde. Der Brunnen und Polyxena fehlen. *) In Nr. 15 3 Missverstündniss statt der Polyxena eine Amasone.

616 H. Luckenbach:

Die Rosse des Memnon.

Wie aus den Fröschen des Aristophanes (v. 963) hervorgalt, hatte Aischylos auch die Rosse des Memnon besungen. Euripide wirft an der betreffenden Stelle seinem grossen Gegner vor, das er Méuvovac κωδωνοφαλαροπώλους geschaffen habe. Memnon Rosse trugen also bei Aischylos als Brustschmuck Schellen. Wen Welcker, ep. Cycl. II, p. 173, von einem Reitpferde des Memna spricht, welches Aischylos und vermuthlich vor diesem Arktinos be sungen hätten, so ist dies eine unbegründete Annahme. Für da Epos bin ich eher geneigt, eine Schilderung des Rossegespanne als des Reitpferdes vorauszusetzen. Wie in der Ilias die herrlichen Rosse des Rhesos besungen werden, so mögen in der Aithiopis die des Memnon als schön gepriesen worden sein. Freilich sehen wir in einem rfgn. Vasenbilde, Overb. XXI, 16, den Memnon in asiati- scher Tracht auf springendem Rosse dahinziehen; ihm voran eilt zu Fuss in gleicher Tracht ein Genosse die Streitaxt schwingend, ein anderer Krieger in gewöhnlicher Tracht folgt ihm. Aus diesem Bilde kann jedoch nichts gefolgert werden, weder für das Drama, noch fürs Epos. Wenn ferner in einem andern Bilde, Overb. 515, 37, zwei Reiter mit eingelegter Lanze auf einander eindringen, sc ist es Willkür, darin den Zweikampf des Achilleus und Memnon zu sehen. Hätte der Künstler einen bestimmten Kampf im Auge ge- habt, so würde er wie auf dem Reverse so auch hier wohl In- schriften verwandt haben.

Die Bitte der beiden Mütter vor Zeus

führen uns mehrere Kunstwerke vor. Da in der Aithiopis Thetis ihren Sohn vor dem Tode des Antilochos von der Zukunft unter- richtet, 80 füllt die Bitte der Thetis für den Arktinos von selbst weg.

Der Kampf des Achilleus und Memnon

ist in einer grossen Anzahl von Vasenbildern dargestellt. Man hai meist jeden Kampf auf diese beiden Helden bezogen, in dem zwei Frauen zugegen sind; mit welchem Rechte will ich hier nicht auf jedes einzelne Bildwerk untersuchen. Um zunächst bloss von den sfgn. Bildwerken zu reden, so liegt oftmals der Leichnam des Anti- lochos zu den Füssen der Kämpfenden, 2. B. Overb. 517, 43 45. 520, 50. 51. 53. München 328. Neapel 2781. bull. 1870 p. 187, 33; in anderen fehlt derselbe, ohne dass dadurch die Deutung zweifel- haft wird. Um den Antilochos müssen also auch im Epos die Helden gekämpft haben.

—— en

') Paus. V, 22, 2. Overb. 526, 66. XXXII, 10. Overb. 529, 69. Gerhard, Spiegel 396.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 617

Oft ahnen wir den Ausgang des Kampfes durch die Bewegung und Haltung der dabeistehenden Mütter. Eos wendet sich ab (Overb. 521, 58), verhüllt sich (Neapel SA. 120), legt bestürzt die Hände aufs Herz (Overb. 520, 49), stürzt sich zwischen die Käm- pfenden (Overb. 519, 48) oder &ussert irgendwie ihren Schmerz. Thetis dagegen treibt oftmals durch ermunternde Bewegungen den Sohn zur Vollendung des Sieges an. Ohne Zweifel waren auch im Epos die beiden Mütter erwähnt, in welcher Weise, ist nicht zu sagen, und die Vasenbilder erlauben uns keinen sicheren Schluss aufs Epos zu machen. Es sei jedoch gestattet, die Verse des Qu. Smyrn. anzuführen:

ἀμφὶ Θέτιν Νηρῆος ὑπερθύμοιο θύγατρες ὀβρίμου ἀμφ᾽ ᾿Αχιλῆος id’ ἄςπετα δειμαίνοντο, δείδιε δ᾽ Ἠριγένεια φίλῳ περὶ παιδὶ καὶ αὐτὴ ἵπποις ἐμβεβαυῖα δι᾽ αἰθέρος (II, 498 ff.).

Im Unterschiede von den sfgn. Vasen finden wir in den späteren Vasen niemals den Antilochos; wohl deshalb, weil in der Psycho- stasie des Aischylos nicht um den Leichnam des Antilochos ge- kämpft wurde Im Memnon des Aischylos wurde der Aethiopen- fürst als Sieger über den Antilochos gepriesen, er selbst unterlag in dem zweiten Drama, der Psychostasie, dem Achilleus. Folgende rfge. Darstellungen sind mir bekannt geworden:

Overb. 523, 60. XIX, 4. Br. M. 786 * 923, 61. Br. M. 836 » 925, 63. Br. M. 811 Arch. Zeit. 1871 p. 11 und 168 Overb. 524, 62. XXII, 8 » 920, 64 | Mon. VI, 5a. annal. 1857 p. 118.

Von diesen weisen uns F und G mit Sicherheit auf das Drama, da in ihnen die Psychostasie mit dem Kampfe verbunden ist. Die Psychostasie geben uns dann noch zwei weitere Vasen:

H Overb. 527, 65. XXII, 9 rfg.

I Bull. 1865 p. 144 sfg.

Auch in der letzteren kümpfen Achilleus und Memnon. Wenn wir vorhin Recht hatten, dass wir die Psychostasie aufs Drama zu- rückführten, so ist I eine der wenigen sfgn. Vasen, die das Drama als Quelle benutzt haben.

Das Innenbild von G zeigt uns neben einem Altare einen Jüngling mit einem Gefässe (Salbgefäss?) in der Hand, der die linke Hand erhoben und in den Nacken gelegt hat und sich mit einer Frau unterredet. Der Herausgeber erinnert an die Worte des Proklos xai Θέτις τῷ παιδὶ τὰ xarà τὸν Μέμνονα προλέγει (L. Schmidt, annal. 1857 p. 121 --- 128). Beztiglich des Altars er- innert er sodann daran, dass kurz vor dem Zweikampf δόλον in

Pu >uwion..E

620 H. Luckenbach:

Sarpedon erkennt, so entbehrt die Deutung jeden Beweises und, wx ich glaube, jeglichen Haltes. Dass Memnon von Schlaf und Tod dave - geführt wird, ist weder durch schriftliche Tradition erzählt noch bs : jetzt in Vasenbildern nachgewiesen. Zu Gunsten von Brunns Er- klürung, glaubt Benndorf!), lasse sich anführen, dass das Schem von Hypnos und Thanatos auch anderweitig verwandt und in gene rell poetischem Sinn auf Bestattungsscenen übertragen worden sei. Allein dies beweist nichts für unser Vasenbild; die Beziehung, die Brunn zum Reverse sucht, ist dazu eine so lockere, dass dadurch die Deutung nicht als erwiesen gelten kann. Erst muss das einzelne Vasenbild aus sich gedeutet werden, und dann erst mag man sehen, ob irgend ein Ideenzusammenhang mit dem Reverse da ist, der in den meisten Bildern fehlen wird. Wahrscheinlich also beziehen sich jene beiden Bilder auf Sarpedon und nicht auf Memnon. Die Jüng- linge nun, die den Sarpedon davontragen, sind nicht bewaffnet und unterscheiden sich dadurch wesentlich von denen in D E. In letzteren hat zuerst Birch?) Windgótter erkennen wollen, Gerhard und Benn- dorf sind ihm gefolgt, wogegen Overbeck p. 534 sich nicht zu ent scheiden wagt. Ist diese Deutung richtig, 80 würden wir also die Version des Qu. Smyrnaeus vor uns haben, der nach alter Poesie gedichtet hätte; ferner aber würde sich dann zur Erklärung der ge- meinsamen Quelle Arktinos bieten, der abweichend von der gewöhr- lichen Annahme nicht durch Eos, sondern durch Windgötter den Memnon davontragen liess. Nur A würde, wie es scheint, wider- sprechen. Denn es ist doch wohl ein früharchaisches Vasenbild, und ohne Noth wird man nicht an den Einfluss des Tragikers denken dürfen; allein ich glaube, dies würde auch nicht nóthig sein. Wenn im Epos Eos um den Memnon Sorge trug und den Winden befahl, ihn davonzutragen, so war es für den Künstler naheliegend, statt dessen Eos selbst darzustellen. Dazu fehlt es an Analogien nicht. So holt sich z. B. mon. VI, 19 Agamemnon selbst die Briseis; Priamos naht dem Achilleus mit einem Geschenke?); umgekehrt wügt statt des Zeus Hermes bei der Psychostasie, und andere Fälle dieser Art werden nicht schwer aufzufinden sein. Ich sehe demnach keine Schwierigkeit darin, auch die Composition in A dem Vasenmaler zuzuschreiben.*) Dass dann einer der Tragiker später den Stoff gerade so behandelte, kann ja weiter auch nicht sonderlich befrem- den. Es ergibt sich also als wahrscheinliches Endresultat, dass, wenn jene Dämonen Windgótter sind, Arktinos den Memnon durch Winde, einer der Tragiker (Aischylos?) durch Eos davontragen liess. Nicht unerwähnt darf eine andere Möglichkeit bleiben, freilich

Griech. u. Sicil. Vasenb., p. 89, Anm. 446. ?) S. Gerhard AV. III, p. 137. S. oben p. 541, Lösung des Hektor E. *) Aehnlich die archaische Vase, in der Athena in beiden Hünden einen Leichnam hält, Arch. Anz. 1866, p. 296*, 4. Die gleiche Darstellung auf einem Spiegel, Gerhard IV, 361.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 621

die einzige, die sich noch bietet, dass nämlich der andere Tragiker (Sophokles?) die Quelle des Qu. Smyrnaeus war. D müsste in diesem Falle zu den letzten Ausläufern der archaischen Epoche zählen, worüber natürlich nur der Augenschein belehren kann; A würde dem Epos, DE dem einen, BC dem anderen Tragiker oder, was in- haltlich dasselbe wäre, dem Epos folgen.

Todtenklage.

Overb. 535, 77, Mus. Greg. II, 47, 2a. Brunn, Vorlegebl. Nro. 19. Sfge. Vase.

Unter Bäumen liegt der Leichnam eines Helden, den eine Frau, schmerzbewegt und sich das Haar raufend, betrauert. Ueber ihr sitzt ein Vogel auf dem Zweige eines der Bäume. Hinter ihr liegen die Waffen des Gestorbenen. Man hat in diesem Bilde Eos erkannt, die den todten Memnon betrauert. Nach Servius zu Vergils Aem. I, 489 beweint sie jeden Morgen ihren Sohn und ihre Thränen sind der Morgenthau. Bei Qu. Smyrnaeus II, 609 klagt Eos:

deo μοι, φίλε τέκνον, EN δ᾽ ἄρα μητέρι πένθος ἀργαλέον περίθηκας.

Nach der Aithiopis gab Eos dem Memnon die Unsterblichkeit, und man würde also in der Vase die Trauer der Eos erkennen müssen, die sie anstellte, bevor sie von Zeus Unsterblichkeit für ihren Sohn erlangt hatte.

In dem Vogel hat man einen Repräsentanten der trauernden Gefährten Memnons erkennen wollen, die nach Servius zu Vergils Aen, I, 751 und Qu. Smyrnaeus II, 642ff. in Vögel verwandelt wurden!) Wie alt diese Sage war, weiss ich nicht zu sagen, möchte ihre Entstehung jedoch nicht vor die alexandrinische Epoche setzen. Dagegen mag dem Arktinos die weitverbreitete Sage von Memnonischen Vögeln, die man erst später aus den trauernden Gefährten Memnons entstehen liess, bekannt gewesen und von ihm besungen worden sein. Schon Polygnot hatte das Gewand des Memnon mit Vögeln geziert, in denen Pausanias (X, 31, 2) die Memnoniden erkennt, indem er ohne Zweifel die Intention des Polygnot uns angibt. Allein auf dem Vasenbilde ist in dem Vogel nur ein Bewohner des Waldes zu er- kennen. Denn derselbe gibt durch nichts seine höhere Bedeutung kund, er wendet sich ab von Memnon, und endlich würde man doch mehrere Memnoniden erwarten. Verhältnissmässig ebenso grosse Vögel finden sich auf Bäumen aller Art Mus. Greg. II, 95 mon. I, 32. In der rfgn. Vase Neapel 3252 sitzen ebenfalls vier Vögel auf einem Baume.

Vgl. auch Cramer, anecdot. Paris. I, p. 25. Gleiches Schicksal erleiden die Gefährten des Diomedes nach Lykophron 592 fi. Ovid met. XIV, 497 ff. Vergil Aen. XI, 272 ff.

622 H. Luckenbach:

Hinter Eos liegen die Waffen des Todten. Ob in der Aithiopi: Achileus den Memnon spoliürte, wissen wir nicht. Bei Qu. Smyr- naeus II, 547 thun dies die Gefährten des Achilleus; IV, 457 heisst es, dass Aias die Waffen des Memnon von Thetis zum Geschenk erhalten hat. Die Erzählung des Qu. Smyrnaeus kann nattilich nichts für Arktinos beweisen, wohl aber dürfte man glauben, das sich die Beraubung des Memnon von selbst ergab. Freilich darf man dafür nicht geltend machen, dass bei der Wegführung de: Memnon derselbe immer waffenlos ist, da auch Achilleus oftmal: ohne Waffen ist, wenn ihn Aias davonträgt, wenigstens in allen Vasenbildern, die unzweifelhaft durch ihre Inschriften sich auf Achilleus und Aias beziehen.") Weitere Schlüsse auf die Aithiopi: gestattet die Vase nicht, besonders da die ganze Deutung nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Jedenfalls könnte sich aus ihr auch nur ergeben, dass Eos den todten Sohn beklagt.

Die beiden Vasenbilder, Heydemann, Gr. Vas, Hülfstafel I und Taf. V, 2 = Benndorf, Gr. Vas. XXIII, 2 = Collignon 380 müssen hier bei Seite bleiben, da sie keineswegs mit Sicherheit die Todten- urne mit der Asche des Memnon zeigen. Auch würde man die Dar- stellungen der Erfindung des Künstlers zuschreiben müssen.

Kampf um des Achilleus Leiche.

Overb. 540, 84. XXIII, 1. Kirchhoff, Alphabet? p. 110, 2.

Die Vase ist chalkidisch, der Zeit nach ins sechste Jahrh. zu setzen.

Am Boden liegt der Leichnam des ganz gerüsteten Achilleus. Ihm hat Glaukos eine Schlinge um das linke Bein geworfen, um ihn zur Troerseite hinüberzuziehen. Aber seinen Versuch muss er mit dem Leben büssen. Denn die Lanze des Aias, hinter dem seine Helferin Athena steht, hat ihn in die Seite tödtlich getroffen. Nicht rettet ihn Paris, der selbst entweichend Pfeil auf Pfeil gegen den tapferen Sohn des Telamon schiesst. Hinter Paris eilen noch zwei Troer zum Kampfe, Aineias und ein anderer unbenannter. Ganz zu verwerfen ist es, wenn man, gestützt auf Qu. Smyrnaeus III, 214, daran denkt, ihn Agenor zu nennen. Hinter diesem sinkt Leodokos, vom Speere des Aias tödtlich getroffen, nieder zu Boden. Endlich eilt noch ein letzter Troer, Echippos, zum Kampfe herbei. Auf der anderen Seite hinter Athena verbindet Sthenelos dem verwundeten Diomedes den Finger.

Die Zeichnung ist mit grosser Sorgfalt angefertigt, überall tritt uns dus Bemühen des Malers, sein Werk möglichst genau und präcise fertig zu stellen, entgegen. Gewiss sind wir berechtigt aus diesem Bilde, wenn aus irgend einem anderen Bilde, Schlüsse aufs Epos zu machen. Nicht als ob Echippos, Leodokos und Aineias wirklich nach

1) Die doppelte Darstellung auf der Frangoisvase. Overb. XXIII, 2. 6.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 623

dem Epos gezeichnet wären; denn der Name Echippos ist gewiss dem Künstler zuzuschreiben; dasselbe vermuthe ich von Laodokos !), und Aineias war als der hervorragendste der Troer ganz an der Stelle. Aber die Mittelgruppe ist so charakteristisch, dass ich nicht zweifle, dass dieselbe dem Epos entnommen ist. Glaukos ist kein unberühmter Held, und er fällt hier durch des Aias Hand beim Kampfe um den Achilleus. Wollten wir hier nicht den Zug des Epos erkennen, so müssten wir absichtlich veränderte Darstellung an- nehmen. Aber wir dürfen vielleicht noch weiter gehen: recht gut könnte der Versuch des Glaukos, den Todten zu sich herüberzu- ziehen, in der Dichtung gesucht werden, besonders da der Maler einen solchen Zug, der dem Epos wohl ansteht, aber seiner Zeit fremd war, nicht leicht erfindet: derselbe gehört nicht zum Genrehaften. Freilich hätte der Maler das Vorbild in der Ilias finden können. Denn auch hier befestigt ein Troer (Hippothoos) einen Strick an des Patroklos Bein, um ihn zu der Troer Reihen hinüberzuziehen; auch hier büsst derselbe seinen kecken Versuch mit dem Tode, und Aias ist es, der ihn mit dem Speere erlegt. Allein dieselbe Scene dem Dichter der Aithigpis, dem Nachahmer Homers, absprechen zu wollen, liegt kein Grund vor; seltsam jedoch wäre es, wenn der Maler diesen charakteristischen Zug aus der Ilias entlehnt und auf den Achilleus übertragen hätte. Dagegen muss vor weiteren Fol- gerungen gewarnt werden. Allerdings war ja die Scene der Aithi- opis dem Maler noch frisch im Gedächtnisse; ob aber im Epos Aias den Glaukos in die Seite traf oder an einer anderen Stelle, können wir aus dem Bilde schlechterdings nicht schliessen. Wir wissen, wie ungenau gerade darin die Maler verfahren sind. Dass nun Glaukos im Kampfe um Achilleus durch Aias’ Hand fiel, erhält einigermassen Bestätigung durch das Zeugniss des Qu. Smyrnaeus III, 278. Eben- derselbe nennt als die wackersten Kämpfer auf Seiten der Troer den Glaukos, Aineias und Agenor III, 214: möglich daher, dass auch der Aineias auf der Vase direkt nach dem Epos gezeichnet wurde. Paris ist im Bilde an seiner Stelle; denn durch ihn ist Achilleus ge- fallen. Gern würden wir beim Kampfe um Achilleus den Odysseus sehen. Sein Fehlen jedoch darf uns nicht befremden, da oftmals Personen fehlen, die im Epos von Bedeutung waren. Ich erinnere an Eris, die beim Götterzuge auf der Frangoisvase fehlt und doch dem Epos zufolge eine der wichtigsten Personen ist bei der Hoch- zeit des Peleus.

Auch die Nebengruppe, in der Sthenelos dem Diomedes den Finger verbindet, muss unbedingt auf eine Quelle, d. h. aufs Epos, zurückgeführt werden. Nur darüber künnte man zweifelhaft sein, ob die uns vorgeführte Scene beim Kampf um Achilleus stattfand oder an einer anderen Stelle, vielleicht sogar in einem anderen Epos.

?) So auch Jahn, Münchener Vasen, p. CXIX, 864.

624 H. Luckenbach:

Dass Scenen ganz verschiedener Art auf einer Vase nebeneinander dargestellt wurden, zeigt mon. VI, 33, eine allerdings in Etrurie verfertigte Vase, in der Herakles bei Iphitos, ein Massenkampf und daneben der Selbstmord des Aias dargestellt wird. Sollten wir hier in der Nebengruppe etwa eine allerdings ungenaue Darstellung nach der Ilias (€ 108 ff) haben, wo Sthenelos dem Diomedes den Pieil aus der Schulter zieht?

8 15. Kleine Ilias.

Palladionraub.

Die Darstellungen des Palladionraubes auf ihre Quellen zurück- zuführen, ist bis jetzt noch nicht gelungen; und bei der mangel- haften Ueberlieferung ist nur zu einer relativ sicheren Entscheidung zu gelangen.

Den Inhalt der kleinen Ilias gibt uns Proklos mit den Worten: "Obucceüc... κατάςκοπος eic Ἴλιον παραγίνεται xal ἀναγνωρι- cOcic ὑφ᾽ Ἑλένης περὶ τῆς ἁλώςεως τῆς πόλεως ευντίθεται κτείνας τέ τινας τῶν Τρώων ἐπὶ τὰς ναῦς ἀφικνεῖται" καὶ μετὰ ταῦτα cüv Διομήδει τὸ TTaAAddıov ἐκκομίζει ἐκ τῆς Ἰλίου. Mit Helena also scheint sich Odysseus ins Einverständniss wegen des Palladionraubes gesetzt zu haben. Was ihn bei seinem ersten Aufent- halte in Troja an der Austibung der That hinderte, ist nicht über- liefert. Jedenfalls stand etwas im Wege, was eine Rückkehr mit Diomedes nöthig machte. Wenn es heisst cüv Διομήδει ἐκκομίζει, so ist damit nicht gesagt, dass dem Odysseus die Hauptrolle zufiel, sondern die Ausdrucksweise ist lediglich dadurch hervorgerufen, dass Odysseus im vorigen Satze Subject war. Meist ist es Diomedes, der den eigentlichen Raub vollführt, und dass so auch Lesches dichtete, zeigt nicht allein die fabula Iliaca, sondern auch die weitere Ueber- lieferung.!) Hesychios berichtet nämlich s. v. Διομήδειος ἀνάγκη᾽ παροιμία... 6 δὲ τὴν μικρὰν Ἰλιάδα ** φηεὶν ἐπὶ τῆς τοῦ Παλ- λαδίου κλοπῆς γενέςθαι. Andere Autoren und ihrer sind viele berichten die näheren Umstände; sie wissen, dass zwischen Odys- seus und Diomedes nach dem Palladionraube ein heftiger Streit ent- stand. Als Ursache desselben berichtet der Mythograph Konon ((. 34), dass Diomedes auf den Schultern des Odysseus die Mauer er- stiegen, dann denselben nicht nachgezogen, sondern das Palladion allein erbeutet habe. Da er jedoch des Odysseus List fürchtet, ver- sucht er denselben zu täuschen und gibt vor, sein Palladium sei nicht das, welches der Seher Helenos gemeint habe, sondern ein anderes. Aber das Bild selbst gibt dem Odysseus, der hinter Dio- medes einhergeht, ein Zeichen und offenbart ihm den Betrug des Diomedes. Odysseus zieht sein Schwert, und da Diomedes sich zu

1) Vgl. Klein, Archäologisch-epigraphische Mittheilungen aus Oester- reich III (1879), p. 36—40.

Verh. ἃ. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 625

vertheidigen sucht, treibt er denselben vor sich her mit der flachen Klinge ihm den Rücken schlagend. Andere Version war, dass Odysseus auf dem Heimwege das Schwert zog; Diomedes aber am Schatten des gezückten Schwertes im Mondenschein das Vorhaben des Odysseus erkennend, kommt ihm zuvor, bindet ihm die Hände zusammen und treibt ihn vor sich her ins griechische Lager. Welches die Version des Lesches war, weiss ich mit Welcker (ep. Cycl. II, p. 241) und Jahn (Bilderchroniken, p. 31, 64) nicht zu sagen. Wie weit ferner Helena bei dem eigentlichen Raube, ob Theano, die Priesterin der Pallas, bei demselben betheiligt war, wird bei dem vorliegenden Material schwer zu bestimmen sein.

Ion hatte dann in den Wächtern, Sophokles in den Lakonerin- nen den Palladionraub behandelt Der Titel des sophokleischen Stückes, der die Dienerinnen der Helena als Chor aufweist, zeigt, dass die That im Einverstündnisse mit der Helena geschah.

Die zuletzt von Jahn amnal. 1858, p. 228—264 zusammen- gestellten Vasenbilder sind sämmtlich rfg., so dass also aus der Technik allein keins dem Epos zugewiesen werden muss.

Vollständig unerklürt sind zunächst zwei Vasenbilder, in denen jeder der Griechen ein Palladion trägt.

A Overb. 586, 35. XXIV, 20. Arch. Zeit. 1858, 399. B Petersburg 830. mon. VI, 22. annal. 1858, p. 256—259. bull. 1858, p. 50.

Das erste Vasenbild scheint uns nach Troja hinzuweisen; denn die beiden Helden sind im Begriffe davonzueilen. Eine reichgekleidete Frau hat man für Helena erklärt. Die Blicke beider Griechen sind auf Athena gerichtet, welche die Rechte gebieterisch ausstreckt. Indess Odysseus ihren Worten aufmerksam zu folgen scheint, ent. fernt sich eiligst Diomedes den Kopf allerdings nach der Góttin umwendend.

Das andere Bild versetzt uns ins Griechenlager. Diomedes und Odysseus, wiederum jeder ein Palladion tragend, sind willens, auf einander loszustürzen; sie werden beschwichtigt und zurückgehalten von Ákamas und Demophon, Agamemnon und Phoinix.

Zwei Palladien zeigen sich dann auch in zwei weiteren Denk- mülern. In einem Terracottarelief des Berliner Museums (Overb. 592, 44. XXV, 2) sehen wir die beiden Griechen mit den Palladien davonziehen. Ein Streit zwischen ihnen ist hier nicht ausgedrückt, ebenso wenig wie in einer etruskischen Urne, deren Beschreibung Arch. Anz. 1861, p. 228* ich wörtlich aufnehme: “Im Centrum An- deutung eines Tempels, zwei männliche Figuren tragen jeder auf dem Arme eine weibliche Figur, in deren Ármen ein Wickelkind ruht, und schleichen vorsichtig über zwei am Boden liegende und schlafende Wächter dem Stadtthore zu. Hier ist einer der Wächter aufmerksam geworden, aber der vorderste der beiden Diebe hat

Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. XI. 40

626 H. Luckenbach:

bereits das Schwert gezückt und ihn zu Boden gestreckt”. Ohne Zweifel werden wir auch hier auf den Palladienraub gewiesen, ob- wohl die Etrusker das ihre dazu gethan haben. Diese vierfache Darstellung eines Doppelpalladienraubes auf griechischen und ausser- griechischen Bildwerken muss einer festbegründeten Sage folgen; dem Epos kann sie schon nach der fabula Iliaca nicht angehören: also werden wir auf die Tragödie hingewiesen; ob auf die Tragödie des Sophokles oder eines andern ist zweifelhaft. Ja wir können nicht einmal sagen, ob diese Kunstwerke derselben Quelle folgen, da B gegenüber den 3 anderen Werken einen Streit im Griechen- lager zum Vorwurfe hat. In einem attischen Drama waren auch die Helden Demophon und Akamas sehr passend angebracht, obwohl diese beide Personen schliesslich auch der attische Maler hinzugefügt haben könnte,

Die übrigen Vasenbilder sind folgende:

C Neapel 179, p. 7.

D Neapel 3235, p. 535. Overb. 583, 32 XXIV, 19.

E Neapel 3231, p. 529. Overb. 585, 34. annal. 1858. ar.

M., p. 247 —249 ==Overb. 585, 34a. Vgl. bull. 1858, 139.

C kenne ich nur aus der Beschreibung von Heydemann: Dio- medes, in der Rechten das Schwert (oder eine Fackel?), in der Linken das Palladion, schleicht behutsam vorwärts; ihm folgt eilig Odysseus, in der Rechten das Schwert. Es steht nichts im Wege, dies Bild aufs Epos zurückzuführen.

D. Diomedes mit dem Palladion wendet, im Begriff sich zu ent- fernen, das Haupt zu Helena um, die mit entschiedener Bewegung der rechten Hand zu ihm redet und ihm einen Befehl zu ertheilen scheint. Hinterihr steht Odysseus Acht gebend auf das was zwischen Helena und Diomedes vorgeht.

Aehnlich in Bezug auf das gegebene Ereigniss ist E. Diomedes entfernt sich eilig aus einem Tempel, in der Rechten das Schwert, in der Linken das geraubte Palladion. Vor ihm steht ruhig eine Frau (Helena), die mit der Rechten den Schleier zurückschiebt und in der Linken eine Schale hült. Auf der anderen Seite des Tempels scheint eben Odysseus im Laufe angekommen zu sein; der Raub ist schon vollführt, und darüber sehr bektimmert wendet er, wenn die Abbildung genau ist, den Blick weg, ins Leere schauend. Hinter ihm enteilt die Priesterin des Tempels (Theano) Im oberen Baume befinden sich Hermes, Nike und Athena, ohne thütigen Antheil zu nehmen. Dass aber ein Streit zwischen den Griechen ausbrach, da Odysseus zu spät kommend den Raub von Diomedes schon vollendet fand, zeigen zur Evidenz ein Marmorrelief im Palast Spada, Overb. 591, 42. XXIV, 23. Jahn a. O. p. 238. Arch. Zeit. 1859, p. 93, ein Stuckrelief bull. 1858, p. 35. amnal. 1858, p. 238, Anm. 2. Arch. Anz. 1859, p. 54* und eine Glaspaste, Braun, 12 Basreliefs, Schlussvignette. In allen drei Kunstwerken hat Diomedes sich des

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 627

Palladions bemächtigt und wird von dem zu spät kommenden Odysseus bedroht; der Ort der Handlung ist in Troja selbst am Tempel der Pallas. Als Grund von Odysseus’ zu später Ankunft könnte die Sage dienen, dass Diomedes auf dem Rücken des Odysseus die Stadtmauern erkletterte, diesen aber nicht nach sich zog. Zwar gelang es, so würde dann weiter zu schliessen sein, dem Odysseus die Mauer zu erklimmen; aber die That, die er mit Helena eingefädelt, war ge- schehen und ihm der Ruhm genommen. Den Streit, der zwischen ihnen ausbrach, muss dann nach D Helena beizulegen versucht haben, woraus sich dann auch ihre Anwesenheit in E erklärt. Ob aber das Epos die Quelle von D und E ist, wage ich nicht zu behaupten.

Es bleibt noch ein Bildwerk übrig, das bisher unerklärt ist; denn die gegebene Erklärung ist keine.

Overb. 580, 31. XXV, 1. Jahn a. O. p. 242.

Auf den Stufen eines Grabdenkmals, welches mit einer Säule geschmückt ist, sitzt eine trauernde Frau über eine grosse Urne ge- beugt. Sie umgeben ein Mann, der einen Pilos auf dem Haupte trägt und in den Händen eine Tänie hält, und eine Frau, die in der Rechten den Tempelschlüssel hält und auf der Linken ein Palladion trägt. Welcker!), dem Jahn a. O. p. 243 folgt, erkennt an der Tänie, dass Odysseus durch Liebesvorspiegelungen die Priesterin Theano zur Auslieferung des Palladion bewege. Overbeck hält dafür, dass die Tänie nur Verlockung, Gewinnung ausdrücke, dass Odys- seus durch Vorspiegelungen, die wir im einzelnen nicht kennen könnten, die Theano beschwatze. Die zwischen ihnen sitzende Frau soll Andromache sein, die den Verlust ihres Gatten be- trauert. Als Gegenbild ibrer ehelichen Treue soll Theanos Verrath hier dargestellt sein und dadurch zugleich an Trojas baldigen Unter- gang erinnern.

Gegen diese Erklärung, die seltsam genug erscheint, muss zu- nächst die Bedeutung, die der Tänie beigelegt wird, bestritten werden. Wenn das Palladion und der Schlüssel fehlten, so würden wir eine der gewöhnlichen Grabdarstellungen haben. Die Hinterbliebenen trauern am Grabe des Todten; der Jüngling schmückt die Stele mit einer Binde.”) Odysseus brauchen wir gar nicht in dem Jünglinge zu erkennen, da in unteritalischen Bildern der Pilos beliebig ver- wandt wird. Hätten wir hier die Uebergabe des Palladion zu er- kennen, so müssten wir annehmen, dass Theano nach Verabredung den Griechen am Grabmale eines berühmten Troers das Palladions über- reichte.?) Allein die ganze Auffassung ist so unwahrscheinlich, die trauernde Frau am Grabe, die auf nichts achtet, wäre so merkwürdig, dass die Deutung aufgegeben werden muss. Ganz in derselben Weise, in

1 Annal. 1832, p. 388 = alte Denkm. III, p. 450. Vgl. x. B. die beiden Tänien, Overb. XXVIII, 5. 3) Also jedenfalls eine dritte Version, da in E die Pxiesterin davonflüchtet.

40*

628 H. Luckenbach:

der hier das Palladion getragen wird, bringen oftmals Jungfrauen zum Grabe kleine Lekythoi; das kurzgeschorene Haar bezeichnet auch hier die Priesterin als Leidtragende. Wenn ich nun auch keine neue Deutung an die Stelle zu seizen weiss, so kann jeden- falls die frühere Erklärung nicht leicht jemanden befriedigen und ist daher aufzugeben.!)

8 10. Iliupersis.

Während nur eine Gestalt der meisten Sagen, die in den Epen niedergelegt waren, sich im Volke herrschend gemacht hatte und wuchtig genug war, um etwaige Abweichungen oder locale Tradı- tionen in Vergessenheit zu bringen, 80 lagen für den Theil der Sage, der die Zerstörung llions enthielt, mehrere Bearbeitungen vor, in Einzelheiten vielfach von einander abweichend. Arktinos und Lesches hatten eine Iliupersis in epischem Versmasse gedichtet, Stesichoros denselben Stoff lyrisch behandelt. Dieses Schwanken der Tradition macht sich auch in den Bildwerken geltend; und manchmal will es scheinen, als ob der Maler hier noch weniger als bei vielen anderen Bildwerken einer bestimmten Version gefolgt sei, sondern vielmehr dem allgemeinen Eindrucke, den er von einer Sage bekommen hatte. Manche Vasenbilder sind nach Lesches, andere nach Arktinos ge fertigt, und wenigstens in einigen ist man versucht, den Einfluss des Stesichoros zu constatiren; wieder andere lassen sich dagegen mit Sicherheit auf keinen dieser drei Dichter zurückführen. Nach dem oben aufgestellten Grundsatze, dass nur Epos und Drama eingewirkt haben, wird man freilich erst dann ein Bildwerk auf den Stesichoros zurückführen, wenn es weder auf einen der beiden Epiker, noch auf eine Tragödie zurückgeführt werden, noch endlich durch die Intentionen des Künstlers hervorgerufen sein kann. Zeigt sich übrigens nach- weislich ein Einfluss des Stesichoros, so würde ich den Satz, dass die Lyrik im allgemeinen nicht auf die Vasenbilder eingewirkt hat, keineswegs als umgestossen betrachten; denn dies Gedicht des Stesichoros unterscheidet sich wesentlich von allen anderen Producten der eigentlichen Lyrik; mehr epischer als lyrischer Natur, lag die grösste Differenz wohl nur im Metrum. Auch ist die hohe Stellung, die es im Alterthum einnahm, wohl zu beachten. Polygnot, der bei der Bemalung der Lesche in Delphi in seiner Diupersis hauptsäch- lich der Dichtung des Lesches folgt, kannte auch die des Stesichoros und entnahm ihr einige Personen, und noch in später Zeit nahm die tabula Iliaca die Iliupersis des Stesichoros in ihren Cyclus auf.

Versucht man die Bildwerke auf ihre Quellen zurückzuführen, so macht sich hier der Mangel der schriftlichen Ueberlieferung mehr

!) Eine Vermuthung von mir, dass gründliche In lation vor- liege, wurde bei der Untersuchung der Vase nicht i

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 629

als anderswo fühlbar. Den Inhalt der Iliupersis des Arktinos gibt uns Proklos an. In der Handschrift folgen hinter den Worten: καὶ φθορὰν αὐτοῖς ᾿Αθηνᾶ κατὰ τὸ πέλαγος μηχανᾶται, mit denen der Schluss gegeben zu sein scheint, noch einige Sätze, die ebenfalls einer lliupersis angehören. Tychsen, dem Michaelis folgt, vermuthete, dass sie den Schluss der Dichtung des Stesichoros gäben. Da indess diese Annahme trotz hoher Wahrscheinlichkeit?) nicht als unbedingt gesichert gelten darf, so mtissen die fraglichen Worte bei unserer Untersuchung aus dem Spiele bleiben. Die Darstellung des Stesichoros ist, wie schon bemerkt, auf der tabula Iliaca wieder- gegeben. Aber auch hier ist wohl zu beachten, dass wir keinen ge- nauen Anschluss an Stesichoros zu erwarten haben, da nicht nach den Dichtungen selbst, sondern nach Excerpten aus denselben die tabula Iliaca angefertigt wurde, wodurch hie und da einzelne Ab- weichungen von der Poesie veranlasst sind.

Flucht des Aineias.

Nach Lesches erhielt Neoptolemos den Aineias als Kriegs- gefangenen und führte ihn mit in seine Heimath.?) Arktinos lässt den Aineias frühzeitig vor der Zerstórung Trojas ausziehen. Nach- dem Proklos das Unglück des Laokoon erzählt hat, führt er fort: ἐπὶ δὲ τῷ τέρατι bucgopricavrec οἱ περὶ τὸν Αἰνείαν ὑπεξῆλθον εἰς τὴν Ἴδην. Aus den Worten des Dionysios v. Hal*) hat man geschlossen, dass bei Arktinos Aineias mit dem Palladion davonzog. Ist diese Folgerung richtig, so haben sich die Vasenbilder in diesem Punkte nicht an den Arktinos gehalten. Auf der tabula Iliaca, die sich an die Erzählung des Stesichoros anschliesst, trägt Aineias den Vater auf der Schulter davon, den Sohn an der Hand führend; ihnen folgt Kreusa. Unter dem Geleite des Hermes ziehen sie davon, um im Abendlande eine neue Heimath zu gründen. Anchises hält, so scheint es, in beiden Händen ein Kästchen mit den sacra arcana. Nur noch einmal finden wir dieses Kästchen, und zwar auf einem Broncehelm, der zuletzt in Heydemanns Iliupersis, Taf. III, 1a, ab- gebildet ist. Indess Aineias den Vater davonträgt, eilt einer seiner Genossen’) mit der Cista voraus. Die gewöhnliche Darstellung auf

!) Jahn, Bilderchroniken, p. 112. Kinkel, epic. gr. fr. p. 49. °) Vgl. Michaelis, Hermes XIV, 481 ff. *) Tzetzes zu Lykophron v. 1268. Kinkel, p. 46, 18. *)I, 69. Vgl. Welcker, ep. Cycl. II, p. 188. °) Heyde- mann p.33 will auch in diesem Manne den Aineias erkennen; allein dass zweimal dicht nebeneinander derselbe Mann dargestellt werden soll und zwar das eine Mal bürtig, das andere Mal unbärtig, will nicht recht glaubhaft erscheinen. Nehmen wir den Bürtigen für einen Diener oder Freund des Aineias, so erklürt sich auch sehr wohl der Umstand, dass Kreusa ihn verhindern will, den Askanios mitzunehmen. Sie will warten, bis ihr Gatte kommt, sich aber nicht dem Fremden anvertrauen.

650 H. Luckenbach:

den Vasenbildern!) zeigt den Anchises auf dem Rücken des Sohnes hockend; nur einmal?) sitzt derselbe auf der Schulter des Sohnes; oftmals begleitet sie das Weib?) und ein Sohn‘) des Aineias. Wenn Lesches ganz ausgeschlossen ist, so fragt es sich, ob nach Arktinos oder Stesichoros gemalt wurde. Wir wissen nun aus der íabula Iliaca, dass Anchises von seinem Sohne nach der Dichtung des Ste- sichoros davongetragen wurde, wie es uns auch die Vasenbilder zei- gen. Leider ist uns nicht bekannt, ob dieser Zug nicht von Arkti- nos vorgebildet war, aber um so mehr möchte man ihn der Er- findung des Stesichoros zuschreiben, als die Heldenthat des Sohnes doch gerade darin bestand, mitten im heissen Kampfgewühl den Vater aus der brennenden Stadt zu tragen. Indessen lässt sich hier über Vermuthungen nicht hinauskommen. Von Gewicht scheinen ferner die Scenen, in denen bei der Iliupersis die Flucht stattfindet, wührend nach Arktinos schon vor dem Falle Trojas Aineias sich mit den Seinen rettet.)) Hier ist es misslich zu sagen, es habe für den Maler zu nahe gelegen, die Einzelnen, die von den Troja- nern übrig blieben, gerade mit Trojas Fall zu verbinden, sondern bei der Uebereinstimmung scheint die Einwirkung der Dichtung auí den Maler unverkennbar. Aber freilich könnte, da beide Vasenbilder rfg. sind, die Einwirkung eine indirecte sein. So geneigt ich also auch bin, den directen Zusammenhang zwischen den Bildern und Stesichoros anzunehmen, den strieten Beweis vermag ich nicht zu bringen.

Tod des Priamos und Astyanar

In dem einen Punkte stimmen die drei Dichter überein, dass Neoptolemos den Priamos tódtet. Von Arktinos erzählt Proklos: καὶ Νεοπτόλεμος μὲν ἀποκτείνει Πρίαμον ἐπὶ τὸν τοῦ Διὸς τοῦ Ἑρκείου βωμὸν καταφυγόντα. Was Arktinos tiber den Astyanax berichtete, darüber sind wir im Unklaren. Die Version des Lesches gibt uns Pausanias an X, 27, 2: Πρίαμον δὲ οὐκ ἀποθανεῖν ἔφη Λέεχεως ἐπὶ τῇ ἐςχάρᾳ τοῦ '€pkeíou, ἀλλὰ ἀποςπαςθέντα ἀπὸ τοῦ βωμοῦ πάρεργον τῷ Νεοπτολέμῳ πρὸς ταῖς τῆς οἰκίας γενέεθαι θύραις. Etwas früher, X, 25, 9, heisst es dann bei Pau- sanias: τούτῳ (sc. ᾿Αετυάνακτι) Λέεχεως ῥιφέντι ἀπὸ τοῦ πύργου ευμβῆναι λέγει τὴν τελευτήν, οὐ μὴν ὑπὸ δόγματός γε Ἑλλήνων, ἀλλ᾽ ἰδίᾳ Νεοπτόλεμον αὐτόχειρα ἐθελῆςαι γενέεθαι. Auch die Verse, in denen Lesches den Tod des Astyanax schilderte, sind uns erhalten, Tzetzes zu Lykophron v. 1263:

1) Dieselben sind zuletzt zusammengestellt Heydemann, Iliupersis p. 31, 1. Hinzuzufügen sind: Neapel SA. 181. Gerhard AV. III, p. 129, 15g, bei Overbeck unter Nr. 153 erwähnt. Overb. XXVII, 12. München 903. -- ?) Eurydike. *) Askanios? Vgl. Arch. Zeit. 1879, . p. 23—26. °) Heydemann, lliupersis, Taf. II, 1a; vielleicht auch Overb. XXVI, 17.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 631

παῖδα δ᾽ ἑλὼν ἐκ κόλπου ἐϊπλοκάμοιο τιθήνης ῥῖψε ποδὸς τεταγὼν ἀπὸ πύργου᾽ τὸν δὲ mecóvra ἔλλαβε πορφύρεος θάνατος καὶ μοῖρα κραταιή. !)

Die Worte des Pausanias, dass Neoptolemos nicht auf den Volksbeschluss der Hellenen, sondern aus eigenem Antriebe den Astyanax getödtet habe, geben einen deutlichen Fingerzeig für die Darstellung eines anderen Dichters. Denn wenn bei dem allgemei- nen Getümmel Neoptolemos den Mord beging, was war Wunder- bares daran, dass er es that ohne den Beschluss des Heeres? Wenn dagegen ein anderer gerade den Beschluss des Heeres, auch den letzten der Priamiden zu tödten, erwähnte, dann findet die Gegen- überstellung bei Pausanias ihre volle Erklärung. Schwieriger da- gegen und nicht zu entscheiden ist die Frage, bei wem wir die von Lesches abweichende Version suchen sollen, bei Arktinos oder Ste- sichoros oder bei beiden. Für den Stesichoros scheint zu sprechen, dass Pausanias die Iliupersis desselben im folgenden mehrfach er- wähnt und der des Lesches gegenüberstellt, während er das Gedicht des Arktinos mit Stillschweigen übergeht.

Auf der íabula Iliaca hat Neoptolemos gegen Priamos das Schwert gezückt, indem er ihn zugleich mit der Linken vom Altare wegzureissen sucht. Unten am Grabmale des Hektor sitzt Andro- mache; man hat geglaubt, dass sie auf ihren Armen den Astyanax halte; ob mit Recht, lässt sich nach der Abbildung nicht entscheiden. Proklos überliefert uns die Worte: καὶ 'Obuccéuc ᾿Αςτυάνακτα ἀνελόντος Νεοπτόλεμος ᾿Ανδρομάχην γέρας λαμβάνει. Diese ge- ben wahrscheinlich den Inhalt des Stesichoros.?)

Zwei Gruppen von Vasenbildern lassen sich unterscheiden: die erste enthält den Tod des Priamos allein, die zweite verbindet da- mit den des Astyanax.

Zur ersten Gruppe gehören folgende Bildwerke:?)

Schwarzfigurig. . Overb. 625, 107. XXV, 22. Gerhard AV. III, 213. . Overb. 625, 108. Br. M. 522. c. Arch. Anz. 1853, p. 401, 1 (sfg.?).

Rothfigurig. d. Bull. 1845, p. 35.

o"9

Diese Version des Lesches war die gewöhnliche. Schon Ilias Q, 735 ahnt Andromache das Geschick des Sohnes: ...RA τις ᾿Αχαιῶν ῥίψει χειρὸς &ubv. ἀπὸ πύργον. Eurip. Androm. 10:

ῥιφέντα πύργων ᾿Αςτυάνακτ᾽ ἀπ᾽ ὀρθίων (sc. écelbov) vgl. Heydemann, lliupersis p. 7, 1. So Michaelis ἃ. O.; nach ande- ren bilden sie den Inhalt des Arktinos. *) Bei Seite lasse ich die Ko- mödienscene Arch. Zeit. 1849, Taf. 5, 2.

632 H. Luckenbach:

e. Petersburg 2226. f. Bull. Nap. arch. VI, 9. Heydemann, Tliupersis, Taf. II, 2h

Zur zweiten Gruppe gehören:

Schwarzfigurig.

A Overb. 622, 108. XXV, 23. Gerhard AV. III, 214. Arch. Anz. 1853, p. 401, 1.

B Overb. 623, 104. XXVI, 1. Gerhard, etr. und kamp Vas, Taf. 21. Br. M. 1642.

C Bull. 1840, p. 125.

D Cat. étr. 149, p. 95.

E Br. M. 607.

Rothfigwrig. F Berlin 1748.

G Heydemann, Iliupersis, Taf. I. H Overb. 617, 100. XXV, 24. Heydemann, Taf. II, 18. Neapel 2422.

In den zuerst aufgeführten Vasenbildern dringt Neoptolemos auf den Priamos ein, der am Altare des Zeus Schutz gesucht hat, oder ersticht denselben. In der zweiten Gruppe naht Neoptolemos dem Priamos, der auf dem Altar sitzt, indem er den Astyanax am Beine oder Fusse ergriffen bat, und stürmt gegen Priamos, um die- sen mit dem Leichname des Enkels zu vernichten; nur H macht eine Ausnahme, insofern Neoptolemos auf den Priamos eindringt, auf dessen Schoss er den Astyanax geworfen hat.

Um mit den letzteren zu beginnen, so vermuthet Heydemann p. 15, dass ein grósseres Gemälde die Quelle für diese Darstellungen gewesen sei, ich schreibe dieselben dem Unvermögen der Vasen- maler zu, die sich bemühten, mehrere Momente in einen zusammen- zuziehen, und dadurch dieses seltsame Bild schufen. Man denke an den Besuch des Priamos bei Hektor, an die Blendung des Polyphem: ganz dasselbe tritt uns hier vor Augen. Den Lesches werden wir als die indirecte Quelle dieser Vasenbilder ansehen müssen. Denn er erzählte, dass Neoptolemos den Astyanax am Fusse ergriff und vom Thurme schleuderte; den Priamos riss er vom Altare und tödtete ihn dann an der Schwelle des Hauses.

Die erste Gruppe der Vasenbilder hat nur den Tod des Pria- mos an oder auf dem Altare zum Inhalt. Will man in diesen Dar-. stellungen eine Abweichung von Lesches finden, so steht nichts im Wege, den Arktinos als Quelle anzunehmen. An Stesichoros braucht man nicht zu denken, besonders da es den-Anschein hat, als ob auf der tabula lliaca Neoptolemos den Priamos vom Altare reisst.')

In B und H liegt zu den Füssen des Priamos ein gefallener

1) Heydemann will p. 35 die Bildwerke alle mit einer Ausnahme auf Arktinos zurückführen.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 633

Krieger. Die bisherigen Herausgeber, z. B. Overbeck und Heyde- mann (p. 34), nennen ihn Polites.') Ich glaube nicht, dass derselbe zu benennen ist; wil man dies aber doch thun, so liegt es viel näher, in ihm den Agenor zu erkennen, der nach Lesches und Ark- tinos?) von des Neoptolemos Hand fiel.

Begegnung des Menelaos und der Helena.

Die Version, die am meisten unter den Athenern verbreitet war, findet sich bei Euripides Andr. 629: ἀλλ᾽ ὡς éceibec uacróv, ἐκβαλὼν ξίφος φίλημ᾽ ἐδέξω wird daselbst vom Menelaos gesagt. Ganz ühnlich Aristoph. Lysistr. 155:

γῶν Μενέλαος tác '€Aévac τὰ μᾶλά πα γυμνᾶς παρενιδὼν ἐξέβαλ᾽ οἰῶ τὸ ξίφος.

Beide betonen, dass Menelaos, die (entblösste) Brust der Helena er- blickend, das Schwert wegwarf, und dieser Zug muss auf einer ge- meinsamen Tradition beruhen; der Scholiast zu den Worten des Euripides gibt sie uns an: ἄμεινον ᾧκονόμηται τὰ παρὰ Ἰβύκῳ᾽ εἰς γὰρ ᾿Αφροδίτης ναὸν καταφεύγει fj EAEvn κἀκεῖθεν διαλέγεται τῷ Μενελάῳ, δ᾽ ὑπ᾽ ἔρωτος dpincı τὸ ξίφος. Die gleiche Quelle gibt uns der Scholiast zu Aristophanes an: fj ἱςτορία παρὰ Ἰβύκῳ (τὰ δὲ αὐτὰ καὶ Aécync Πυρραῖος ἐν τῆ μικρᾷ Ἰλιάδῳ καὶ Εὐρι- πίδης ἀλλ᾽ ὡς Eceidec μαςτὸν ἐκβαλὼν ξίφος φίλημ᾽ ἐδέξω. Die in Klammern eingeschlossenen Worte fehlen im Ravennas; es liegt jedoch kein Grund vor, ihnen deshalb den Glauben zu versagen. Ob bei Lesches Helena zu einem Götterbilde ihre Zuflucht nahm, wird nicht überliefert; Ibykos liess sie in den Aphrodite- tempel flüchten, wie es nach der íabula Iliaca scheint, folgend dem Beispiel des Stesichoros: Menelaos hat die Helena, die zum Tempel der Aphrodite geflüchtet, an den Haaren ergriffen, in der Rechten zückt er das Schwert. Ihr Gewand ist während der Flucht herunter- geglitten und bedeckt nur noch einen Theil der Beine; ihre Linke streckt sie abwehrend gegen ihn aus, und es ist der Zeitpunkt ge- kommen, in dem Menelaos von ihrer Schönheit ergriffen auf die Rache verzichten muss. Wie weit in Einzelheiten das Bild sich an Stesichoros anschliesst, ist schwer zu sagen; nur möchte man ver- muthen, dass nach ihm Menelaos das Schwert nicht fallen liess. Noch weniger erfahren wir von Arktinos. Proklos sagt bloss: Μενέλαος δὲ ἀνευρὼν '€XAévnv ἐπὶ τὰς ναῦς κατάγει. Weitere Fol- gerungen für Arktinos hat Overbeck"), gestützt auf die Worte des

') Mit Berufung auf Vergil Aen. Pi 636, Qu. Smyrnaeus XIII, 214, Apollodor 1 III, 12, 5. susanias X, 27, 8. Jahn, Bilderchroniken III, D 1 δ) Arch. Zeit. 1851, p. 357f. Troischer Sagenkreis, p. 626f. An Overb. , schliessen sich Heydemann, Iliupersis p. 6 und Brunn, troische Miscellen p. 228f. an.

634 H. Luckenbach:

Proklos und auf Vasenbilder, gezogen. Er meint, bei Arktinos sei die Versöhnung nicht so schnell erfolgt, sondern Helena zunächst als Gefangene nach dem Lager der Griechen geführt worden. In den Vasenbildern soll diese Version sowie auch die des Lesches sich finden. Andere!) haben die Unterscheidung zweier Versionen in Vasenbildern geleugnet.

Es sind nun eine Anzahl von Vasenbildern mit Recht auf Mene laos und Helena bezogen worden, in denen eine verschleierte Frau von Menelaos am Kredemnon angefasst und davongeführt wird. Menelaos hat das Schwert gezogen, welches bisweilen auch mit dem Speere vertauscht ist. In anderen ist ein früherer Augenblick ge- wählt: Menelaos tritt mit gezücktem Schwerte auf Helena zu, die ihn ruhig erwartet (so Overb. 628, 113. 114). Hier ist es nicht die Helena, die auf der Flucht von dem früheren Gemahl ergriffen wird. dann aber noch im letzten Momente durch ihre Schönheit den Zornigen entwaffnet. Wir wissen freilich, dass wir gerade bei manchen älteren Typen wenig Abhängigkeit vom Epos zu erwarten haben, und Klein hat nachdrücklich hervorgehoben, dass in einer Vase die Schönheit der Helena durch das überaus prächtige Gewand wiedergegeben ist, und dass also auch in diesen älteren Bildern Helena durch ihre Schönheit den Menelaos versöhnte; aber so viel scheint doch mit Wahrscheinlichkeit gesagt werden zu können, dass eben nicht die Erzählungedes Lesches zu diesen Bildern den Anstoss gab. Dem- nach entschliesse auch ich mich, mit Overbeck eine doppelte Version in den Bildern anzuerkennen.

Die Vasenbilder, in denen ein Krieger eine Frau wegführt, ihr mit dem Schwerte vorangehend und nach ihr, die mit der Linken den Schleier vom Gesichte hebt, zurückschauend?), möchte ich eben. falls auf Arktinos zurückführen. Den gleichen Ursprung vermuthe ich für Overb. XXVI, 17: Helena sitzt auf dem Altare der Athena; sie wendet sich um zu Menelaos, der vor Staunen den Schild auf die Erde setzt und dadurch sich versóhnt zeigt. Dass Helena zur Athens sich geflüchtet hat, ist Erfindung der Malers, der diese Scene mit der Verfolgung der Kassandra verband.?)

Am meisten schliessen sich an die bisher aufgezählten Bilder eine Gruppe anderer, in denen Menelaos mit geztücktem Schwerte die Helena verfolgt, welche sich zurückwendet und um Gnade fleht.*) In einem derselben (d) flüchtet sie zur Aphrodite. Auf wen diese

?) Dilthey, Arch. Zeit. 1873, p. 77, Anm. 1. Klein, ammal. 1876, p. 262. So die rfge. Vase Heydemann, Griech. Vas., p. 7, Anm. 7. 9) Der abgewandte Blick der Athena zeigt an, dass der Greis und der Knabe, die rechts aus dem brennenden Troja ziehen, unter ihrem Schutze davongehen. *) a. Arch. Anz. 1859, 141*, 186. b. Overb. 926, 116. c. Overb. 930, 117. d. Bull. Nap. VI, 9. Heydemann, lliupersis II, 2.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. ἃ. Ged. d. ep. Kyklos. 635

Bilder zurückgehen, vermag ich nicht zu sagen; um 80 sicherer sind die folgenden auf Lesches zurückzuführen, in denen Menelaos schon das Schwert hat fallen lassen.!) In B flieht Helena zu Apollon, dem Schutzgott Trojas, in C zu Aphrodite, in D zu Athena. Wie weit indess hierin und in welchem dieser Vasenbilder die Tradition des Lesches am genauesten vorliegt, ist schwer zu entscheiden. Apollon ergab sicht leicht, Aphrodite, die in C nicht als Standbild sondern als Göttin zugegen ist, musste ja die Besünftigung des Menelaos herbeiführen. Wenn endlich in D Helena zum Palladion flieht, so liegt auch hier kein Grund vor, für Lesches die Flucht zum Palladion vor&uszusetzen, besonders da für den Athener dies nahe lag, und dazu noch ein grösseres Werk diesem als Vorlage gedient hat.*) Es ist schwer, jedem dieser vielen Vasenbilder eine bestimmte Quelle zuzuschreiben, und bei manchen wird es ganz unthunlich sein. Der Künstler brauchte sich ja selbst nicht so recht klar zu sein über die betreffende Stelle des Epos oder der Epen. Die allgemeine That- sache schwebte ihm vor, und er entwarf dann nach seinem Gut- dünken. |

Einen Einfluss des Lesches sehen wir bestimmt in einigen Bild- werken, in anderen waren wir geneigi, den des Árktinos anzunehmen. Eine Einwirkung des Stesichoros dagegen lässt sich nicht erweisen, so viel Aehnlichkeit auch manche Bildwerke (z. B. d) mit der Dar- stellung auf der tabula Iliaca haben.

Wir stehen am Schlusse unserer Arbeit, das Verhältniss der Vasenbilder zu den Gedichten des epischen Kyklos zu prüfen. Denn alle Bilder in den Bereich dieser Arbeit zu ziehen erscheint un- nöthig, da sie nur die gewonnenen Resultate bestätigen, nicht aber wesentlich neue Gesichtspunkte ergeben können. Die gegebene Aus- wahl mag genügen, da sie die wichtigsten Bildwerke umschliesst und besonders diejenigen berücksichtigt hat, welche anderen zu falschen Ergänzungen der Epen Anlass gegeben hatten.

Unsere Voraussetzung, dass die Vasenmaler die verloren ge- gangenen Epen zu ihren Darstellungen ebenso benutzt haben, wie

1) A Overb. 630, 118.

B annal. 1849, tav. D.

C Arch. Anz. 1869, 148*, 151.

D Overb. 631, 120. (Overb. 631, 119. XXVI, 11 ist nach B gefälscht, vgl. Rochette mon. ined., p. 338, not. 2.) Vgl. Michaelis, Parthenon, p. 189. Wenn Klein annal. 1877, p. 264 den Phidias deswegen nicht für den Erfinder der Composition halten will, weil sie auf 2 Metopen vertheilt ist und daraus schliesst, dass ein schon fertiger Typus den Bedürfnissen des Raumes angepasst werden musste, so ist das irrthümlich, da oftmale mehrere Metopen inhaltlich zusammengehören.

636 . H. Luckenbach:

diejenigen, welche uns noch erhalten sind, hat ihre Bestätigung über. | all gefunden, soweit die fragmentarischen Nachrichten über dieselben uns den Vergleich ermöglichten. Dieselben Principien gelten dem- nach für alle Epen beztiglich der Abhängigkeit der Vasenmalerei von denselben. Eine Zusammenstellung dieser Principien oder Gesetze, die sich aus den gesammten Bildwerken eruiren lassen, soweit sie Stoffe, die bereits in den Epen behandelt waren, darstellen, ergibt etws Folgendes:

1. Das Epos ist die hauptstichliche Quelle der Vasenbilder von den ältesten Zeiten bis zu denen des Verfalles, diese mit ein- gerechnet.

2. Neben dem Epos steht die Tragódie; ihre Einwirkungen sind in der echtarchaischen Periode kaum wahrzunehmen. Die afgn. Vasen, welche Stoffe aus der Tragödie entnommen haben, scheinen zu einer Zeit verfertigt zu sein, da schon die neue Technik die alte in den Hintergrund gedrängt hatte. Jedoch kann hier nur eine Untersuchung aller übrigen Bildwerke auf diesen Gesichtspunkt hin abschliessende Resultate bringen.

3. Einfluss anderer Poesie auf die Mythengestaltung in Vasen- bildern hat nicht stattgefunden.!) Lokalmythen sind nirgends auf. zufinden.

4. Die Vasenbilder sind nie Illustrationen zu den Gedichten der Epiker wie der Dramatiker; auch lag eine möglichst genaue Wiedergabe der Poesie nicht in der Absicht der Maler.

5. Daher allenthalben grosse Abweichungen von der Poesie, nur selten enger Anschluss an dieselbe bis in die Einzelheiten.

6. Meist sind nur die wesentlichen und charakteristischen Züge der Poesie beibehalten.

7. Häufig finden sich Abweichungen von der Poesie, besonders in der Benennung von Personen, die theils aus ungenauer Kenntniss der Dichtung, theils aus Willkür entstanden sind.

8. Erweiterungen der Scene sind sehr häufig. Vor allem werden gern Personen, die im Zusammenhange mit der betreffenden Scene stehen, beigefügt.

9. In der archaischen Periode werden manchmal Personen ohne jegliche Bedeutung hinzugefügt.

10. Die Sitten der Zeit werden oftmals auf die Heroen über- tragen.

11. Die Rüstungs- und Abschiedsscenen sind immer vom Maler frei erfunden.

12. Allgemeine Bilder werden oftmals durch Beifügung von Heroennamen individualisirt und zur heroischen Scene verwandelt.

13. Die Neigung neuerer Erklürer, alle oder wenigstens mög-

Für Namen und Zahl der Gottheiten ist Hesiod nicht ohne Ein- fluss geblieben.

Verh. d. gr. Vasenbilder z. d. Ged. d. ep. Kyklos. 631

lichst viele Personen zu benennen, ist sehr oft unberechtigt, da die Malerei oft Personen zeichnet, ohne individuelle Gestalten im Sinne zu haben.

14. Die Verschmelzung von Zeitmomenten findet sich sehr häufig (in der archaischen Periode oft sehr naiv).

15. Der Unterschied der Poesie von der Malerei zeigt sich am deutlichsten in Scenen, die nicht auf einen bestimmten Moment zu deuten sind.

16. Oftmals bietet ein Vasenbild nur den allgemeinen Inhalt der Poesie, so dass von der Zurückführung auf eine bestimmte Quelle Abstand genommen werden muss.

17. Züge der einen Dichtung werden oft in die Bilder zu Scenen einer anderen Dichtung übertragen.

Nachtrag zu 8. 619 ff.

Zu spät, um bei der Arbeit selbst berücksichtigt werden zu können, geht mir Roberts Arbeit über Tbanatos (Winckelmannsprogramm der archäol. Gesellschaft zu Berlin, 1879) zu. Derselbe erklärt die Dämonen auf DE als Ὕπνος und Θάνατος. Somit würden sämmtliche Schwierig- keiten fortfallen, und Welckers Ansicht, dass Arktinos des Dramatikers Vorbild gewesen, wäre richtig.

Inhalt.

Beite

Einleitung . . . . . . nenne 498-.-.9. I. Vasenbilder, deren epische Quellen erhalten sind . . . 495—559 A. 8 1. Archaische Vasen . . . 495—501

8 2. Archaische und rothfigurige attische Vasen mit gleichen Darstellungen . . . . . 8507-512 8 3. Rothfgurige attische Vasen . . . . . 512—522 8 4. Unteritalische Vasen . . . . . . . . 599—698 B. 8 5. Typische Kampfscenen . . 0. . . δ84--ι: $ 6. Rüstung, Abschied, Rückkehr . 0. . δ41--δδ0 8 7. Kleidung, Bewaffnung u. dg . . . . . 556—559

II. Ausserepische Dichtungen und Lokalsge 0... . . D59—515 8 8. Tragödie . . . . 0. .5 2.52. . D59—50 $9. Hesiod . . . . . . . . . . . . . 660—56$ 810. Lyrik . . . . 2... .. 568-502 8 11. Alexandrinische Poesie 2.5.5... . 57267 812. Lokalsage . . . . . . . . . 574-555

III. Vasenbilder, deren epische Quellen nur in Bruchstücken

erhalten sind. . . . . . . . . . . 575-635 8 13. Kyprien. . . . . . . . . . . . . 575-613 $ 14. Aithiopie . . 2 2 . . . . . . . . 614—639 $ 15. Kleine Dias . . . . . . . . . . . 624—638 816. liuperaiss . . . . . . . . . .. . 698—635

Resultate. . . . . . . . . . . . .. .. . . 635—681

———

ARES UND APHRODITE.

EINE UNTERSUCHUNG UEBER URSPRUNG UND BEDEUTUNG IHRER VERBINDUNG.

VON

KARL TÜMPEL.

„Combinationen über Entstehung und Uebernahme von Mythen werden auf wissenschaftliche Bedeutung und dauernde Geltung nur dann An- spruch haben, wenn sie nicht zufrieden, einzelne hervorragende Punkte scharf zu beleuchten, wo dann das Uebrige um so dunkler zu werden pflegt, oder eine ausgesuchte Reihe von übereinstimmenden That- sachen zu vereinigen, was in der Regel von den verschiedensten Stand- punkten aus möglich ist, die in Frage kommenden Momente voll- ständig zusammenfassen und als zu einem Resultat übereinstimmend nachweisen, oder da dies in Fragen der Alterthumswissenschaft selten gelingen wird, klar darlegen, wesshalb die widersprechenden Ueber- lieferungen das gefundene Resultat nicht zu beeinträchtigen vermögen.“

O. Jahn. (V. d. k. S&chs. 6. d. W. z. Lpzg. 1865, H.-Ph. Cl. VII 219.)

Einleitung.

Geschichte der Frage.

8 1. Die naturphilosophisch-symbolische Richtung. Der alte Irr- thum des römischen Volkes, dass seine Götter einzeln den griechischen entsprächen, hat bekanntlich bis in unser Jahrhundert unter den Mythologen fortgelebt und manche schädlichen Vorurtheile erzeugt, die erst mühsam ausgerottet werden mussten. Unter diese gehört auch die Ansicht von der Wichtigkeit der Rolle, welche Mars und Venus auch in der Religion der alten Griechen gespielt haben sollten. Sie beruht auf einer stillschweigenden Identificirung dieser beiden Götter mit den griechischen Ares und Aphrodite, in Folge deren man die Gründe für die hohe staatliche Bedeutung des römischen Paares, als der Stammgötter des cäsarischen Roms, auf griechischem Boden finden zu wollen versucht war. Von dort her sollte sich die fortwirkende Bedeutsamkeit nach Rom übertragen haben. Die Spuren, welche die Ueberlieferung an die Hand gab, schienen zum Theil nach Samothrake hinzuweisen und so war es natürlich, dass man in den dunklen, die Phantasie reizehden Geheimnissen der dortigen Mysterien und ihrem weithin sich verzweigendem Einfluss den Schlüssel für die Bedeutung unseres Paares in der Hand zu haben vermeinte. Es konnte dabei nicht fehlen, dass man auf diesem Resultat fussend im Anschluss an die Ansichten antiker Philosophen in der Verbindung von Ares und Aphrodite eine mythisehe Manifestation tiefer natur- philosophischer Gedanken erkannte, mit denen die Weisheit der alten Pelasger den Abstractionen der späteren Philosophen vorausgegangen sei. Eine solche alte religiöse kosmogonische Allegorie von der Ver- einigung streitender Elemente (Liebe und Hass, Streit und Einigung) zur Bildung der Weltordnung (der Tochter Harmonia) sahen in der Paarung von Ares und Aphrodite z. B.

Ch. G. Heyne (Antiquar. Aufs. I 160 ff. 1778) und

Mart. G. Hermann (Myth. d. Griechen, p. 452—1801), dem ,die Ordnung, in welcher die Kinder aus der Ehe entspringen, Deimos und Phobos (Furcht und Schrecken) und dann Harmonia (Vereinigung), ein Symbol der empörten und zuletzt beruhigten Elemente“ ist, Am nachhaltigsten wirkte |

Fr. Creuzer. Seine mit den vorigen identischen Ansichten (Symbolik II 294— 1810) fanden einen Widerhall bei

Jahrb. f. class. Philol Suppl. Bd. XI. 41

,

642 K. Tümpel:

O. Müller, der ebenfalls noch die Mysterien für den “Mittel- punkt der griechischen Urreligion’ hält, und Ares und Aphrodite sowohl, wie Hephaistos und Aphrodite für die Principien derselben, Kersos und Kersa, “an welche sich Harmonia in symbolischer Lehre anschliesst” (Orchomenos u. d. Minyer II? 443. 447. 445. 212 1820 u. 1844). So ist also diesem Götterpaar seine Betonung der Stammculte nicht zu Statten gekommen. Ein weiterer Nachfolger von Creuzer war*) |

W. H. Engel, welcher in seiner noch immer unentbehrlichen Monographie über den Cult der Aphrodite, ziemlich den ganzen zweiten Theil seines Buches über.'Kypros' (—1841) ausfüllend, jene An- sicht bis zur äussersten Consequenz führte. Auch ihm sind Ares und Aphrodite grosse pelasgische Potenzen, deren Sitze besonders die Kabirenmysterien zu Theben und Samothrake seien. Unter dem Eindruck dieser bedeutungsvollen Stellung wittert er auch da Be- ziehungen der Aphrodite zu Ares, wo sich in der That feste Anhalts- punkte nicht finden, z. B. in Tbrakien, so bereitwillig er auch sonst allen Verhältnissen dieser Göttin Rechnung trägt. Diese pelasgische Götterehe von weiter Verbreitung und tiefgreifender Bedeutung zieht sich nach ihm in gleichmässiger Entwickelung und ohne Abschwächung von den ältesten Zeiten durch alle Perioden der griechischen Ge- schichte bis in die römische Epoche der antiken Cultur hinein. Der Umstand aber, welcher trotz all seiner Gründlichkeit diese Ueber- schätzung verursachte, war ein nothgedrungener Verzicht auf die Benutzung der Kunstdenkmäler, den er selbst beklagt (Kypros II, p. IX). So konnte denn ein Rückschlag von dieser Seite her nicht ausbleiben, und er erfolgte aus dem La&er der Creuzerianer selbst.

E. Gerhard warnte in seinem berühmten “Rapporto intorno i vasi Volcenti! (No. 234) in den Annali dell’ instituto arch. (III. 141 u. 38 1831) **) davor, Ares und Aphrodite allzuvoreilig auf Vasenbildern erkennen zu wollen, da ihr Vorkommen äusserst sel- ten sei; und wenn auch Welcker noch 1860 in seiner 'Griechi- schen Götterlehre’ (II 708) sagt, “in Bildwerken sei nichts häufiger als unser Paar’, so war man doch darauf aufmerksam geworden, dass die Rolle, welche Ares und Aphrodite in der Kunstdarstellung spielen, bei weitem nicht entspreche der phantastischen Würde, welche man dieser Götterverbindung im Bereich des griechischen Religionsglaubens zuertheilt hatte. Ein anderer Grundirrthum der Creuzerischen Richtung, deren mythologische Anschauungen eher den letzten Abschluss der antiken philosophirenden Mythologie, als die ersten Anfänge der neueren bilden, war, dass die naturphilo- sophische Allegorie den Inhalt des Mythos ausmache, also eine nach

*) F.Lajardsim gleichen Sinne geschriebenes Werk: '*Recherches sur le culte, les symboles, les attributs et les monuments figures de Venus en Orient et en Occident 1887—1848' war mir nicht zugünglich.

**) Hinck (A. d. I. 1866, p. 100°) citirt falsch.

Ares und Aphrodite. - 643

dieser Richtung mögliche Deutung das Kriterium für die Echtheit eines Mythos sei. Mit dem durch J. H. Voss (z. B. Antisymbolik I 168, 1824—1826) jedoch gemachten Einwand, dass ein solches Verfahren eine an&chronistische Anwendung neuplatonischer Ideen auf eine ganz vorphilosophische Epoche sei, war auch nach dieser Seite hin der Verbindung von Ares und Aphrodite die bisherige Stütze der Echtheit entzogen; und seitdem ist keine neue Richtung des mythologischen Forschens aufgekommen, in deren Systemen nicht letzthin dieses Paar immer als eine von aller Naturreligion seitab liegende Combination der dichterischen Phantasie hingestellt wäre. Den Anfang mit dieser Auffassung hat selbstverständlich, da sie in seinem ganzen System herrschend war, Voss selbst gemacht, wenn auch keine Aeusserung sich speciell auf die Paarung von Ares und Aphrodite bezieht. Die erste solche finden wir im Bereich dieser Richtung, welche keinen natursymbolischen, sondern nur einen ethischen Inhalt den Mythen zuerkennen will, bei Göttling.

8 2. Die ethische und natursymbolische Richtung. K. W. Gött- ling behauptet in seinem System d. alten Mythologie d. Griechen’ 1827 (= Gesammelte Abhandlungen, p. 197 1851), ‘der Aphro- dile sei Ares deswegen zugesellt, weil, nach Platons Bemerkung, sinnliche Weiber martialische Männer am liebsten haben’. Neuer- dings hat auf diesen Standpunkt

K. Lehrs zurückgegriffen. Er sagt in dem Aufsatz tiber “Gott, Götter und Dämonen’ (in der zweiten Auflage seiner “Populären Aufsätze aus dem Altertbum’, p. 151. 155 ff. 1875) ‘der Grieche konnte einen Gott wohl begreifen; aber seine geistige Organi- sation und Bedürfniss verabscheute es, ihn zu ergreifen. Selbst den allgenügsamen Zeus mochte er nicht allein denken’, und so “treten ihm zunächst bei Apollon und Artemis, beide erfasst als herrlichster Typus eben gereifter männlicher und weiblicher Jugendlichkeit', ... ferner 'rückstrahlend seine ruhige Weisheit auch eine Tochter Pallas- Athene'. Allein 'diese Zahl der drei Kinder muss der Phantasie der Griechen noch nicht voll genug erschienen sein: noch einen Sohn und eine Tochter sich entsprechend ordnete man bei, Ares und Aphro- dite, diesmal sich entsprechend im Gegensatz als des Krieges Wildig- keit und der Liebe Holdigkeit',... worauf als ein weiteres “merk- würdiges Beispiel solcher im Gegensatz zu einander fortwachsenden Gestalten und Gestaltungen noch Herakles und Dionysos’ sich an- schliessen; . .. eine sonderbare Verkennung der Aufgaben historischer Forschung, der mit Recht R. Förster (in Fleckeisens Jahrb. 113, p. 806) entgegengetreten ist.

Eine dritte Richtung, welche durch Festhaltung der symbolischen Deutung sich mehr an die Creuzerische anschliesst, aber sich von dieser doch darin unterscheidet, dass sie in der Mythologie nicht kosmogonische Allegorien, sondern solche des Naturlebens, in den * Göttern Personificationen von Naturerscheinungen erblickt, glaubt 41*

644 K. Tümpel:

in Ares und Aphrodite die beiden himmlischen Lichter, Sonne und Mond, personifieirt; so

J. A. Kanne schon 1808 in der “Allgemeinen Mythologie’ (I 249). Seinen etwas confusen Vergleichen des Paares mit Delila und Simson, Omphale und Herakles liegt der Gedanke zu Grunde, dass die Mondgóttin dem Sonnengott das Licht raubt, und nach seiner Bezwingung wührend der Nacht die Erde beherrscht. Als Sonne und Mond erklärt das Paar auch

K. Schwenck in den “Etymologisch-Mythologischen Andeu- tungen' (p. 243 1823), wobei er hinter der Aphrodite eine ur- sprüngliche thrakische Bendis vermuthet als oberste Göttin neben dem obersten Gott der Thraker, Ares. Später änderte er seine An- sicht, die sich noch vertreten findet von

J. N. Uschold: 'Vorhalle der griechischen Geschichte und Mythologie’ (IT 202. 301). Auch Hephaistos und Aphrodite sind ihm “Sonne und Mond’, wie tiberhaupt fast alle Gottheiten des griechischen Götterhimmels. Eine ganz verschiedene Auffassung bietet

J. F. Lauer (System der griechischen Mythologie, p. 242 1853). Nach ihm “buhlt Ares als Herr der Wolken mit Aphrodite, der Göttin des sprossenden Erdenlebens, das von der thauigen Wolke befruchtet wird’.

Die beiden getrennten Methoden der naturaymbolischen und der ethischen Deutung vereinigte zu höherer Einheit

L. Preller, indem er der ersteren die Nothwendigkeit zuge- stand, hinter den anthropomorphischen Göttern des Epos, Potenzen des Naturlebens zu suchen, die später nur ethisch umgedeutet wurden, und von der zweiten das Hilfsmittel der litterarischen Kritik mit Homer als unbedingtem Ausgangspunkt der Forschung acceptirte. In der ersten Auflage seiner “Griechischen Mythologie’ denkt er sich (p. 206 f. 1854) den Bund von Ares und Aphrodite "eigentlich gewiss kosmogonisch gemeint" und sieht darin eine Ver- einigung des 'streitbaren Sonnengottes’ mit der schlechthin "himm- lischen’ Aphrodite. Da diese Erklärung ihn offenbar selbst nicht befriedigte, so lesen wir in der zweiten Auflage (I 267): “Als eine Göttin des Gewitters und Blitzes wurde Aphrodite Urania ge- wöhnlich bewehrt und kriegerisch gedacht, wodurch sich zugleich der alte Bund zwischen Ares und Aphrodite zu Theben und in anderen örtlichen Culten und Sagen erklärt, daher sie hin und wieder auch den Beinamen Areia führt’. Eine schwer zu beweisende Behauptung, welche nur

W. Schwartz in seinem Buche “Ursprung der Mythologie! von neuem zu vertreten gewagt hat (p. 116. 152. 173. 212. 215 1878). Dagegen hat

F. G. Welcker, der mit Ausnahme seiner sonst nicht stören- den Ansicht vom urgriechischen Zeusmonotheismus mit den vorher- gehenden Gelehrten auf gleichem Boden steht, wie wir weiter sehen :

*

Ares und Aphrodite. 645

werden, aus den bisherigen Erklärungsversuchen das negative Besul- tat gezogen, dass von einer religiösen Bedeutung der Combination von Ares und Aphrodite keine Rede sein könne. Während

P. F. Stuhr ('Religionssysteme der Hellenen' etc. = der ‘Allg. Gesch. der Religionsformen der heidnischen Vólker' zweiter Theil, 384f. 1838) wenigstens nur 'die homerische Sage von dem Ehebruch des Ares und der Aphrodite’ im Gesang des Demodokos (Od. 0. 267—366) als dichterische Erfindung hinstellte (von der *Vermühlung der Schönheit und der Kraft” und der Bändigung der letzteren durch die erstere), die 'thebische Sage aber, derzufolge Ares als Gemahl der Aphrodite genannt wird’ (Hesiod Theog. 937), doch auf ‘alte Vorstellungen von Natursymbolik’ zurückgeführt wissen möchte, nimmt Welcker auch für den thebischen Cult, und nicht nur für diesen, sondern auch für die Paarung im Zwölfgötter- system dichterische Willkür und Zufall an, ganz im Gegensatz zu den sonst tiberall gegebenen natursymbolischen Deutungen. Seine diesbezüglichen Aeusserungen werden wir seines Orts zusammen- stellen. Vorläufig genügt es zu constatiren, dass diese Richtung mit einem negativen Resultat geendet hat und in dem einen Falle an- nimmt, was die Voss’sche in allen: eine Dichtererfindung.

Um die Stellung der Frage noch eigenthümlicher zu machen, muss auch von der Methode des Verfassers der 'Stammmythologie',

H. D. Müllers, welche mit den anderen im nämlichen Gegen- satz sich befindet, wie diese untereinander, das Gleiche gemeldet werden. Das Bedürfniss, ein bestimmtes Lokal nachzuweisen, in welchem der Doppelcult sich urächt befände, und ihm durch An- knüpfung an einen bestimmten Volksstamm Leben einzuflössen, hatte schon früher

K. Schwenck (a. a. O.) an Thrakien denken lassen, wo die Bendis ‘= Venus’ mit Ares verbunden sein sollte. Auch

M. W. Heffter (Religion der Griechen und Römer; p. 189 f. 1845), bei dem rein ethische und natursymbolische Deutungen neben einander hergehen, suchte, freilich unbestimmt genug, den Ur- sprung dieser von ihm nach Voss'scher Weise aufgefassten theo- gonischen Dichtung oder vielmehr 'Fabelei' “in irgend einem Theile von Griechenland, dessen Bewohner kriegerischer Natur waren’. Als aber durch

F. C. Movers (Phoenisier 1841) das Studium des Oriente und seines Einflusses auf Griechenland neue Anregung erhielt, glaubte auch Schwenck in der 'Mythologie' (I 244 1843) sein conjecturales thrakisches Ehepaar besser stützen zu können durch einen Verweis auf den Orient. Der Patäke Melkarth mit der Aphrodite der Semiten sollte auf Lemnos mit Hephaistos, in Thrakien mit Ares zusammengeflossen sein, welche nun im Streit um die Aphrodite der eine zum Gemahl, der andere zum Buhlen derselben gemacht worden würen (IV 217 1846). Aber zu begründen ist diese Hypothese

646 K. Tümpel:

nicht; und es spricht aus ihr nur die Verzweiflung, auf griechischem Boden die Wurzeln der Verbindung zu erweisen.

H. D. Müller hielt an dieser Hoffnung noch fest, als er in seinem 'Ares' (p. 34 1848) von dem Mythos des Demodokos- gesanges sagte, “er sei keineswegs eine mtissige Erfindung des Homer oder eines älteren Dichters, der seine Zuschauer habe belustigen wollen; er habe vielmehr seinen letzten Grund in derselben chthonischen Auf- fassung des Ares, welche sich in seiner Fesselung ausspricht'. Aber nichtsdestoweniger haben er wie |

H. W. Stoll (Ueber d. ursprüngliche Bedeutung d. Ares. 1853), also gerade die beiden einzigen Verfasser von Monographien über diesen Gott, ganz auf die Behandlung seiner Beziehungen zu Aphro- dite verzichtet. Diese rechnet H. D. Müller (p. 91) ‘zu dem geringen Reste des Materials, das er zurücklässt, weil es nach dem dermaligen Standpunkt der Wissenschaft sich der mythologischen Forschung noch nicht fügen zu wollen scheine’. Bei seiner Beschränkung auf rein griechische Religionskreise fand sich aber die erwartete Auf- klärung nicht in dem Bereich der Studien dieses Gelehrten; und so lesen wir in seiner “Mythologie der griechischen Stämme’ (II 369)

‘Homer scheut sich bisweilen nicht, z. B. in der Erzählung von der Fesselung des Ares und der Aphrodite, Scherzhaftes von den Göttern zu berichten; allein niemand, der tiefer einzudringen ver- mag, wird verkennen, dass der Dichter in solchen Fällen nicht alte Ueberlieferung verfolgt, sondern sich der freien Erfindung überlässt”.

Und betreffs des thebischen Cultes heisst es (II 319):

‘Aphrodite wird nur als Mutter der Harmonia genannt, wie es scheint, aus keinem anderen Grunde, als weil man schon den Gott Ares als ihren Vater angegeben fand, und für diesen keine andere Gemahlin ausfindig zu machen wusste, als die schon in der Odyssee mit ihm buhlende Göttin’. Dieser Cult und das war er, wie wir sehen werden, verdankt also nach ihm seinen Ursprung einer jener ‘Erzählungen, die eher den Namen einer Romandichtung ver- dienen, und in der Zeit entstanden sind, als die epische Poesie Griechenlands in der Blüthe stand’ (II 2), was sich bedenklich zu seiner Warnung verhält, nicht “zu der Krücke zu greifen, dass man eine Dichterfiction annimmt” (Ares 119). Man wird vielmehr ge- stehen müssen, dass mit einem so gewaltsamen, wenn auch noch so allseitigen Abbruch der Forschung eine Befriedigung nicht erreicht ist, und dass, trotzdem von dreifacher Seite die Acten in der Frage nach der mythischen Echtheit oder Unechtheit der: Beziehungen von Ares und Aphrodite geschlossen sind, die Frage selbst doch noch immer zu den ‘Problemen’ gehört, die ‘als Gegenstand der Forschung immer aufs neue wieder hingestellt werden müssen, und nicht, weil sie bisher ungelöst sind, durch eine negative Kritik unbequemer Weise bei Seite geschoben werden dürfen’. Es wird erlaubt sein, diese Worte

Ares und Aphrodite, 647

J. Overbecks (Griech. Plastik I? 65.) mit seiner Stellung zu unserer Frage in Zusammenhang zu bringen, da er allein den Glau- ben an eine gute religiöse Bedeutung der Paarung aufrecht gehalten hat in einer gelegentlichen Bemerkung bei Anlass der Besprechung des Ergänzungsproblems der Aphrodite von Melos (a. a. O. II? 326). In seinen Worten: “man habe sich das Götterpaar in seiner heiligen, ehelichen Verbindung als Tempelgruppe aufge- stellt zu denken’, ist mittels Betonung des Cultes und der religiösen Echtheit eines Hieros-Gamos jene 'piu antica idea’ präcisirt, welche

A. Hinck (‘due pitture pompejane riferibili al mito di Marte e Venere’, Ann. d. Inst. 1866, p. 98. 100) nur unbestimmt vor- ausseizte. Obgleich nun erst kürzlich Goeler v. Ravensburg (die Venus von Milo p. 73 1879) wieder bezweifelt, ob bei Ares und Aphrodite überhaupt von einer "heiligen! Verbindung die Rede sein könne, ‘da eine solche Auffassung bei den Griechen im Cult und in der Kunst nur in schwachen Spuren hervortrete’ (wört- lich wie Bernoulli: Aphrodite p. 145 1878), so ist damit doch von Overbeck ein heilsamer Hinweis auf erneute Untersuchung des Gegenstandes und eine Aufmunterung gegeben, die bei dem grossen Einfluss der Welcker'schen “Götterlehre’ um so weniger zu unter- schützen ist. Da die Ansicht dieses grossen Gelehrten, die im System- zusammenhang noch in der Gótterlehre festgehalten, als letztes ehr- würdiges Vermüchtniss in den Wissensschatz der Alterthumskunde übergegangen ist, die am ausführlichsten begründete von allen ist, so erscheint es rathsam, sie zu Grunde zulegen. Denn wie wir sahen, kann sie zugleich als Ausdruck der jetzt herrschenden Ansicht dienen.

8. 3. Welcker's Ansicht. Die am weitesten gehende Aeusserung Welckers findet sich in den

Alten Denkmälern (I 439 1849): ‘Die Gruppirung des Ares mit der Aphrodite scheint römischen Ursprungs zu sein, da von einer solchen Gruppe aus der guten Zeit (welcher die Aphro- dite von Melos angehört) nirgends Erwähnung gethan wird, während Mars und Venus, frühzeitig schon von den Dichtern gepaart, für die Römer eine besondere Bedeutung erhielten durch die zufällige Be- gegnung in der Stammsage'. Dieser Passus darf nicht, wie Ber- noulli (Aphrodite p. 144) thut, von der “Verbindung” der beiden Götter überhaupt, was allerdings verwunderlich wäre, sondern nur von statuarischen “Gruppen” verstanden werden, wobei symbomische Vereinigung von Einzelstatuen also durchaus nicht als der Ueberlieferung entgegen geleugnet ist. Dies geht aus der Natur des behandelten Gegenstandes (Aphrodite von Melos), wie aus

Götterlehre II 371 1860 klar hervor; dort heisst es: 'Für die Rómer hatte die Verbindung ihres Mars mit der Ahn- mutter der Aeneaden, Aphrodite, besonderen Reiz, und durch sie ist wahrscheinlich der gemeinsame Cult in Griechenland gehoben worden’.

648 K. Tümpel:

In diesen Worten zeigt sich zugleich seine Geringschätzung des griechischen Paares, die noch deutlicher zu Tage tritt in seiner Ab- handlung

‘Ueber eine kretische Colonie in Theben? (p. 40 1824): “Die Göttin von Askalon und Kittion, in eine Allegorie der Schónheit und Liebe verwandelt, war von den thrakischen Musen, welche für immer den Gótterverein des Olymp geordnet haben, dem Ares zugeführt. Haben doch die Dichter auch allein, wie es scheint, die Veranlassung gegeben, dass in Theben Harmonias Mutter Aphro- dite Verehrung geweiht ward’. Hieran ändert wenig, dass er

Götterlehre I 285 diese Verbindung unter die 'Producte systematisirender Theogonie' und

ebenda II 707 unter “die Combinationen der ältesten Mytho- logen’ rechnet, ‘die nicht selten volksmässig geworden sind, ohne Rücksicht auf die Motive, aus denen sie hervorgegangen waren’. Denn gleich der weitere Verlauf dieser Stelle charakterisirt diese Motive als sehr äusserlich von Natur, weil angeblich in einer miss- verständlichen Auffassung der bewaffneten Aphrodite als einer Areia (Ares-Gattin) beruhend. Ferner heisst es in der

Gótterlehre (I 669 1857): 'Die von aussen eingedrungene Göttin Aphrodite wird mit dem ebenfalls auf einen allegorischen Dämon heruntergebrachten, auf seinem eigenen Boden sehr umfas- senden Gott (Ares) vermühlt. Dass hierbei nur an das Verhältniss zu der Schönheit, des Helden zu der Schönen, gedacht worden sei, wird niemand leicht glauben. Vielleicht lag der Anlass darin, dass Aphrodite, wie Astarte, bewaffnet war. Wenn nun Aphrodite mit Ares zusammentraf, wie in Theben, so konnte der Schein, dass sie eine Áreia sei, da die Symbole auf viele Ideen zufällig geleitet haben, zu einer wirklichen Verbindung zwischen ihr und Ares führen”.

Gerade die hier ausgeschlossene Möglichkeit eines rein ethischen Grundgedankens nimmt aber Welcker für einen anderen Fall in An- spruch, wo Ares und Aphrodite mythisch verkntipft erscheinen, näm- lich für den: Gesang des Demodokós im VIII. Buch der Odyssee. Hat er schon in der

Götterlehre (I 86) Ares und Aphrodite unter Homers alle- gorischen Personen zusammen aufgeführt, “letztere namentlich in ihrem Verhältniss zu Ares (und Helena)’, so ist

ebenda II 731 in dem scherzhaft ausgesponnenen Mythos bei Demodokos ‘das einzig schaffende Subject die Schalkheit des Homeri- den, der den Ares zum Buhlen der Aphrodite macht’. Dies erscheint ihm natürlich selbst “unerwartet: bei der ernsthaften Zusammen- stellung’, die er bei der Besprechung der Aphrodite bemerkt habe. Allein er hilft sich durch eben jenes Mittel, das er oben bei der thebischen Verbindung verschmähte; er sagt

(II 707): “Die Beziehung der Aphrodite zu Hephaistos und die zu

Ares und Aphrodite. 649

Ares scheint bei Homer gleich zufällig und äusserlich, nur ein poe- tischer Gedanke zu sein’; gleich der weitere Verlauf erklärt, wie er dies meint, und gibt zugleich die Erläuterung zu seiner Bezeichnung ‘allegorisch”. Er sagt:

“Mit Hephaistos scheint Aphrodite nicht bloss durch den Reiz der Goldschmiedearbeit, wie auch Charis, verbunden, sondern auch als der am wenigsten Schöne mit der Schönsten, um neckisch den Handarbeiter zum Hahnrei zu machen.

Wenn also das Verhältniss des Ares zur Aphrodite ein ‘gleich üusserliches' ist, wie das des Hephaistos zu dieser Göttin, so kann man hier nicht umhin, an eben jenes “Verhältniss der Kraft zur Schönheit, des Helden zur Schönen’ zu denken, das er für die Er- klärung der thebischen Paarung nicht gelten lassen wollte: Also soll die poetische Verbindung bei Homer andere Ursachen haben, als die religiös-dogmatische zu Theben: eine sehr missliche Annahme. Doppelt bedenklich wird sie durch ihre starke Inanspruchnahme des Zufalls und der äusserlichen Analogie zur Erklärung eines Cultes, der unbedingt echte Wurzeln im Glauben des Volkes verlangt und nicht, selbst in homerischer Zeit, erst durch die Dichter veranlasst sein kann. Unerträglich aber wird diese Auffassung, wenn wir sehen, dass zur Erklärung der Combination unseres Paares im XII- Götter-System eine dritte, gleich äusserliche Veranlassung suppo- nirt wird. Jene ist ihm

(Götterlehre II 70) “weiter nichts als eine Verbindung zweier Götter, für welche beide unter den echt griechischen (Göttern) keine (andere Verbindung) zu finden war’. Den Gegensatz dieser dritten angenommenen Ursache zu derjenigen, die er für die homerische in Anspruch nimmt, drückt möglichst scharf eine Stelle seiner

*Aischyleischen Trilogie Prometheus’ (p. 96 1824) aus: ‘Die Vereinigung des von anderen Stämmen unter den Hel- lenen zurückgebliebenen Ares mit der phönikischen Aphrodite hat- ten sie (die beiden Gottheiten) nicht etwa dichterischer Weise, inso- fern Schönheit dem Helden zu Theil wird, sondern darum geschlossen, weil für Beide in echt griechischen Religionssystemen keine Unter- kunft war’; ‘zur nothdürftigen Ausfüllung’, sagt Gerhard (Grie- chische Myth. 8 853, 2) diesen Satz zusammenfassend.

Drängt sich nicht unwillkürlich, wenn man die Dreiheit von verschiedenen Motiven vernimmt, welche denselben Effect gehabt haben sollen in Cult, Poesie und nationalem System, das Bedürfniss nach einer gemeinsamen Ableitung verschiedener Phasen derselben Erscheinung aus einer Quelle auf? Und wenn wir bedenken, dass diese drei Zeugnisse für die Verbindung der beiden Götter (thebischer Cult, Odysseegesang und Zwölfgöttersystem) gerade alt sind, der Mangel an solchen aber nur für eine jüngere Epoche Geltung hat: müssen wir da nicht annehmen, je weiter rtickwärts wir unser Paar in die dämmernde Vorzeit zu verfolgen im Stande wären, desto

650 | K. Tümpel:

lebendiger müsste es werden? Freilich früher schloss man hieraus: desto verschwommener müsste es vielleicht erscheinen, aber auch um so grösser über sich hinauswachsen; und so kam man auf die pelasgischen Kabirenmysterien. Das war falsch; aber nicht minder der Schluss der späteren: was in historischer Zeit kein rechtes Leben mehr gehabt, kann es tiberhaupt nicht, oder doch nur in einer Dichter- phantasie oder im Reich des Zufalls gehabt haben.

Suchen wir aber nach dem Grunde, der Welcker verhinderte, die dritte Möglichkeit: nämlich ein lokales Stammpaar, dem unter der üppig wuchernden Fülle der Nationalmythologie Licht und Luft zur Entwickelung fehlte, zu berücksichtigen, so ergibt sich uns derselbe in seiner Verkennung der einheimischen griechischen Elemente, die in der Aphrodite untergingen. Was an derselben griechisch ist, bewundert er als Meisterstück der aneignenden und gräcisirenden Dichterphantasie des griechischen Volkes: im Grunde ist es immer bloss die semitische Göttin, um die es sich bei ihm handelt, mag er nun von ihrer Bewaffnung reden, wie in Theben, oder ihrem Barbarenthum, das ihr im Zwölfgöttersystem zur Verbindung mit Ares verhilft, oder ihrer allegorischen Natur, die sich bei ihr, wie bei Ares, als fremden Göttern rascher ausbilden musste, als bei den . echt griechischen, und somit bei Homer zur Verbindung der Kraft mit der Schönheit etc. führte.

Aber, könnte man einwenden, er hat ja in seinem Artikel “Dione’ in der Gr. Gótterlehre eine einheimische Tochter der dodon&ischen Dione in der fremden Aphrodite untergehen lassen, und somit dem einheimischen Elemente die Mitwirkung zugestanden, die sich in der Homerischen Scene 371) zwischen Aphrodite und ihrer Mutter Dione ausspricht; allein wie er davon denkt, zeigt II 707 der Götter- lehre: “die Genealogie und alle mythischen Verhältnisse der Aphrp- dite sind so schwankend, dass man auch darin eine Bestätigung ihrer ausländischen Herkunft, vermöge deren darin nichts Feststehendes und Uraltes sein konnte, erblicken darf”.

8. 4. Principien. Haben wir nun hiermit, wie wir glauben dürfen, den springenden Punkt in Welckers Ansicht gefunden, so empfiehlt es sich, gerade von ihm aus eine neue Analyse der Frage zu unternehmen: und 80 würden wir uns (im Wesentlichen über- einstimmend) mit

R. Förster*) (in Fleckeisens Jahrb. 118, 806 f.) als Aufgabe hinstellen müssen, zu untersuchen, ob.

1. Der Mythos von der Verbindung des Ares und der Aphro-

dite ein specifisch griechischer ist,oder ob orientalischer Einfluss zu erkennen sei; d. h. wenn wir unsern obigen Vorsatz ausführen wollen, zu fragen: Ist die mit Ares ver-

*) Er hofft, abweichend von uns, Alles von der vergleichenden Mythologie, wie seine übrigen, hier unterdrückten, Fragen zeigen.

Ares und Aphrodite. 651

bundene Aphrodite nothwendig eine fremde? Die folgenden Fragen würden mit demselben Gelehrten so zu formuliren sein:

2. Lässt sich vielleicht sogar die Heimath des Mythos in einem bestimmten Stamm und seine allmähliche Verbreitung nachweisen? und

3. Was ist seine Bedeutung und Inhalt? welchen Fragen die drei Theile unserer Untersuchung entsprechen sollen.

Damit haben wir das Gebiet der Principien gestreift, das nur

betreffs der dritten Frage ein streitiges sein kann. Denn durch die zweite haben wir uns zu O. Müllers Methode der Zurückführung der Mythenmasse auf Landschaften und Stämme bekannt, womit wir uns nur einem heutigen Tags, abgesehen von der reactionären Richtung der Lehrs'schen Schule, allgemein anerkannten Axiom unterwerfen. Sollte aber hierbei eine cultmässige Echtheit und gemeinsame Ver- ehrung des Paares in einem bestimmten Stamm sich ergeben, so werden wir nicht umhin können, des weiteren uns an

H. D. Müllers Methode anzuschliessen, dessen vielfach bewähr-

ter, und durch praktische Untersuchungen gewonnener Grundsatz, dass der griechische Polytheismus ein durch die Mischung separat einwandernder, aus einer Ureinheit sich herleitender Stämme erst auf griechischem Boden erwachsener sei, sich hier von neuem be- stätigt haben würde. Der Werth seiner Methode, die in seinem ‘Ares’ (1848) und in der “Mythologie der griechischen Stämme’ (I, 1857, II, 1, 1861, II, 2, 1869) niedergelegt ist, liegt in der logischen Consequenz der Grundsätze, in ihrer mit Nothwendig- keit sich vollziehenden Entwickelung aus den Methoden der Vor- gänger, und in der schliesslichen Gewähr einer organischen, weil historischen Anknüpfung der griechischen Mythologie an diejenige der arischen Urzeit, wie sie aus den in Asien fortlebenden Tradi- tionen der in der Heimath zurückgebliebenen verwandten indischen Stämme gewonnen wird, also in der naturgemässen Ausfüllung einer Kluft, welche die Vergleichende Mythologie in voreiliger Ge- waltsamkeit überspringen will. Indem wir uns der praktischen Winke dieses Gelehrten, die übrigens viel mehr Allgemeingut geworden sind, als meist anerkannt wird*), seines Ortes unter gewissenhafter Be-

*) Freilich unter Ablehnung der destructiven Consequenzen seiner Methode. Doch auch diese werden Eingang finden, wenn es sich einmal herausgestellt haben wird, dass nicht die abstrusen indischen Mythen, sondern die germanische Mythologie mit ihrer leicht controllirbaren Mythenverschmelzung und symbolischen Durchsichtigkeit die einzig rich- tige Vorschule zur Erkenntniss des mythischen Denkens ist. Hier trägt noch jeder Gott und Held die Spuren seiner ursprünglichen mythischen Universalität an sich: von ziemlich jedem wird derselbe Jahresmythos erzählt; jeder hat seine ergänzende Erdgöttin; und doch hat jeder wohl oder übel sein beschränktes Ressort in der Natur zugewiesen bekommen, an das er von Anfang an nicht gebunden gewesen sein kann. Und sind

652 K. Tümpel:

rufung auf den Wortlaut seines Textes dankbar bedienen werden, hoffen wir, dass auch da, wo die Spitze sich gegen ihn selbst kehren muss, uns seine schliessliche Anerkennung nicht fehlen wird; denn der scheinbar zerstórende Eingriff wird nur zu einer Erweiterung und Abrundung seines Gebäudes führen.

Wenn wir uns jetzt zur Beantwortung unserer ersten Frage nach dem National der mit Ares verbundenen Aphrodite wenden, würde von geringem Nutzen sein eine nur unsichere Ergebnisse liefernde Analyse der Dichter, welche vielmehr, sowie die Schöpfun- gen der bildenden Kunst, nachträglich als Controlle für das dienen mögen, was sich aus einer Musterung der Culte ergab, zu der wir jetzt schreiten.

auch die Namen verschieden, so sind deren Träger doch allesammt Doppelgünger: Zersplitterungen desselben Wesens, das nur in verschie- denen Religionsgemeinden sich verschieden entwickelte. Mit der Zu- sammenschmelzung der Stämme zu einem Gesammtvolke vereinigt ein nationales System alle die gebrochenen Strahlen des einfachen Urlichts zu einem buntfarbigen Gewimmel. Diese Ansicht als festen Grundsatz für die deutsche Mythologie zuerst und allein hingestell zu haben, ist das unvergüngliche, aber nicht gewürdigte Verdienst K. Simrocks (Hand- buch d. deutschen Mythologie, p. 188f. 1855). Eine ethnographische Repartition freilich wird im Germanenthum durch den Mangel an historischen Nachrichten verhindert. Ein solcher stört uns zwar nicht bei der griechischen Mythologie, wohl aber die Mannigfaltigkeit und starke Ueberarbeitung. Ein Culturvolk lebt eben intensiver, als eine ge- bundene Volkskraft, und je geistvoller es ist, desto rascher wird es seine Lebens- und Anschauungsformen abnutzen. Was dabei an Durchsichtigkeit der Urverbültnisse verloren geht, muss eine günstige Wahl der aufhellenden Gesichtspunkte ausgleichen. Diese würde aber am ungezwungensten eben die durch Ineinanderarbei weniger getrübte germanische Mythologie bieten. Und wirklich spiegeln sich in dieser die von H. D. Müller auf griechischem Gebiete mühsam errungenen religiösen Urformen so har- monisch und klar wieder, dass man vermuthen könnte, dieselbe sei seine Lehrmeisterin gewesen: verböte dies nicht sein durchgängiger Verzicht auf diese Erkenntnissquelle, die auch seine Entwickelungen auf gegnerischer Seite wohl nur noch mehr discreditirt haben würde. Aus

erselben Rücksicht wird auch die folgende Untersuchung sich auf das griechische Gebiet beschränken, zumal durch ihn ein fester Grund in soweit gelegt ist, um ohne die fremde Stütze einer vergleichenden Mytho- logie Fuss fassen zu können.

Erster Theil.

Aphrodite Areia (Urania) und Ares, das epigrammatische Paar des Hellenismus.

Abschnitt I. Die Culte.

8 5. Theben und Megalepolis. Am wichtigsten muss uns der Cult von Theben sein, weil derselbe zugleich eine mythische Be- gründung hat. Er geht hervor aus den Versen, welche wir in den Septem adv. Thebas (v. 125—129 Ritschl) des mit thebischem Cult wohlbekannten Aischylos lesen:

“οὐ τ᾽, "Apnc, φεῦ, φεῦ, Κάδμου ἐπιύνυμον

πόλιν φύλαξον κήδεςαι τ᾽ ἐναργῶς,

καὶ Κύπρις, ἅτε γένους προμάτωρ,

ἄλευςον. céOev γὰρ ἐξ αἵματος

γεγόναμεν κτλ. | Mit diesen Worten wendet sich der Jungfrauenchor zu zwei zusammenstehenden Bildsäulen von Ares und Aphrodite, unter einem örtlichen Göttercomplex von 7 (8) Gottheiten, Zeus (Hera?), Apol- lon und Artemis, Poseidon und Athene. Während Ares als altein- heimisch bekannt ist (cf. v. 105: ‘ri ῥέξεις, παλαίχθων "Ἄρης, τὴν τεὰν yAv;’), findet die ᾿ Κύπρις γένους προμάτωρ᾽ ihre Erklärung in Hesiods Theogonie v. 933 ff. (Köchly-Kinkel):

t... αὐτὰρ "Apni

ῥινοτόρῳ Κυθέρεια [Φόβον καὶ Δεῖμον] ἔτικτε

*Appovíinv θ᾽, ἣν Κάδμος ὑπέρθυμος θέτ᾽ ἄκοιτιν᾽. Weitergehend sofort eine Bewaffnung anzunehmen, ist misslich; aus dem Vorhandensein phönikischer Elemente in Theben eine solche zu schliessen, nicht erlaubt, da die Bewaffnung durchaus kein noth- wendiges Kriterium der semitischen Aphrodite ist. Die einzige Klarheit ist zu gewinnen durch einen Analogieschluss von der Ge- sammtheit der anderen Culte auf Theben; ein kurzer Ueberblick aber soll uns Gewissheit geben, ob die bewaffnete Aphrodite wirk- lich irgendwo mit Ares cultmässig verbunden erscheint, und ob andererseits in denjenigen Culten, die sicheren Anschluss der Aphro- dite an Ares aufweisen, eine Bewaffnung derselben zu erweisen ist.

Was den ersteren Fall betrifft, so sind die Culte, wo Aphrodite in Waffen nachweislich verehrt wurde, vollständig die folgenden:

Kythera (Paus. III 23, 1: * Οὐρανίας ξόανον ὡπλιςμένον᾽

Sparta (P. III 15, 8: ""Agpobítnc ξόανον ὡπλιίμένης

654 K. Tümpel:

Korinth (P. II 5, 1: “ἄγαλμα "Appoditnc ὡπλιςμένης ἢ) ferner, wieder in Sparta, eine inschriftlich bezeugte (C. I. Gr. I 3, p. 683, Nr. 1444) “᾿Αφροδίτη évórioc mit Moiren, und auf Melos die bewaffnete Aphrodite Doritis [der Münzen] (Mionnet III 231—233). Nirgends eine Spur von einer Cultverbindung mit Ares; ebenso wenig aber in den Culten der Urania, die wir hier s&mmtlich aufzählen, ohne eine umständliche Scheidung der Liebesgóttin ethi- scher Bedeutung von der kosmischen Waffentrügerin zu versuchen. Es finden sich in der langen Liste bei Pausanias in Athen (I 14, 7) und ebenda (I 19, 2), Argos (II 23, 8), Olympia (VI 20,3), Korkyra (VI 25, 2), Aigina (VII 26, 3), in Pantikapaion (C. L Gr. 2120) und Uranopolis (Engel, Kypros II 470) eher alle anderen Combinationen, als eine solche mit Áres; eine Aus- nahme macht nur Megalepolis, wo nach Paus. (VIII 32, 2) zwei Tempel von Ares und Aphrodite neben einander standen, er selbst sah von dem Heiligthum des Ares nur noch einen Altar übrig. In dem Aphroditetempel aber stand die Urania nicht allein, sondern mit einer Áphrodite Pandemos und einer anderen unbenannten Aphrodite zu einer Dreiheit verbunden, Ebenso ist es in Theben (Paus. IX 16, 4), wo dieselben drei Aphroditebilder, angeblich von Harmonia gestiftet, zusammenstanden, zweifelhaft, ob wirklich die Urania alleinige Ansprüche an Combination mit Ares hat, und nicht ebenso gut die Pandemos oder die dritte, hier deutlich Apostrophia benannte, Aphrodite, welche beide mit jener vollständig gleichberech- tigt erscheinen. Vielmehr wird sich die Wagschale eher zu Gunsten der letzteren Beiden senken, nach den geringen Chancen, die sich oben (aus der Betrachtung ihrer Culte) für die bewaffnete Urania ergaben. Doch suchen wir hierfür weitere Anhaltspunkte!

8 6. Argos und Athen. Es begegnet uns zuerst der Doppel- tempel von Ares und Aphrodite zwischen Argos und Mantineia, dessen einzige Erwähnung sich wieder bei Pausanias findet (II 25, 1). In seiner östlichen Hälfte stand ein ξόανον der Aphrodite, das nicht nüher beschrieben wird, in der westlichen ein solches des Ares. Statt von hier aus Belehrung über die Natur der thebischen Ares- galtin zu erlangen, dürfen wir vielmehr umgekehrt erst von Theben aus Licht über diesen argivischen Cult zu erlangen hotfen. Die Be- gründung hierfür liegt in der ausdrücklichen Zurückführung dieses Heiligthums auf Polyneikes als Stifter desselben, einer Legende, die zugleich das hohe Alter dieses Cultes und dessen Herkunft von Theben sehr wahrscheinlich macht. Ein wirkliches Beweismittel aber scheint in Welckers Hand auf den ersten Blick sein zu sollen der Cult zu Athen. Daselbst befanden sich in dem Tempel des Ares, welchen Ross (Theseion p. 52) fülschlich in dem jetzt erhaltenen sogenannten Theseion wiederfinden wollte (cf. Bursian, Geographie von Griechenland I 285)'): “ἀγάλματα δύο μὲν ᾿Αφροδίτης, τὸ δὲ τοῦ "Apeuc émoíncev ᾿Αλκαμένης, τὴν δὲ ᾿Αθηνᾶν ἀνὴρ Πάριος,

Ares und Aphrodite. 655

ὄνομα δὲ αὐτῷ Λόκρος᾽ (Paus. I 8, 5). Da ausserdem noch eine Enyo in dieser Gesellschaft erwähnt wird, so scheint aus dem Zu- sammentreffen der vielen kriegerischen Gottheiten auch für die beiden Aphroditen eine Bewaffnung mit Nothwendigkeit gefolgert werden zu müssen. Aber vorerst ist die Enyo, als nicht direct mit den übrigen Göttinnen verbunden, sondern lediglich auf den Be- -Sitzer des Tempels, Ares, sich beziehend, abzutrennen, da sie nach dem Wortlaut des Pausanias einen abgesonderten Standort gehabt haben muss; denn er knüpft nach obiger Aufzählung wieder an: “ἐνταῦθα καὶ Ἐνυοῦς ἄγαλμά Ecrı’ κτλ. Und so bleibt als wahr- scheinlich zusammengruppirt übrig eine Athene mit zwei Aphroditen. Die letzteren scheinen alte ξόανα gewesen zu sein, denn für sie allein hat Pausanias keinen Künstlernamen in Bereitschaft, offenbar weil ihm keiner gemeldet werden konnte. Auch nennt der Perieget sie an erster Stelle, was bei dem religiösen Sinn desselben entweder auf ein hohes Alter oder auf eine Bevorzugung im Cult schliessen lässt. Es liegt nahe, hier eine Corruption jener Aphroditendreizahl zu vermuthen, die uns zu Theben und Megalepolis begegnete. Auch Engel (Kypros II 209) hat diese Bemerkung ausgesprochen, aber hinzugefügt: „nur fehlt die dritte". Nun, ich glaube, wir dürfen sie hinter der Athene vermuthen. Auf diese Vermuthung führt uns noch eine andere Beobachtung, nämlich die ganz ausserordentliche Seltenheit von Beziehungen zwischen Aphrodite und Athene in grie- chischen Culten*), die uns auch in diesem Falle ganz ausser-

*) Es liesse sich nur vorbringen eine von L. Ross im Rhein. Mus. (N. F. VII 621—626) mitgetheilte Anschrift aus Neo-Paphos (cf. auch Kaibel, Epigrammata graeca ex lapid. collecta p. 323, No. 794). Sie lautet mit den wahrscheinlichen Ergünzungen:

“ἀςπῆδα kal νείκην TfdM ac χερὶ e[eica .. .. .. ὅπ]λων οὐ χρήζω πρὸς Κύπριν ἐρχομένη᾽.

Κεκρο]πίδης μ᾽ ἀνέθηκε πατρὸς ἀπὸ πατρίδ᾽ ἐς ἄλλην Θε]ιόδοτος TTagíoic Φειδιάκην χάριτα.

Welcker erblickt hier das Cultbild einer bewaffneten Aphrodite, der eine waffenlose Athene (vielleicht xAndo0xoc) geweiht war, indem er statt des πάρειμι, mit welchem Ross die Lücke des ersten Hexameters aus- füllen will, liest: "θεῖς᾽ ἐνὶ ἄλληι᾽ (in den begleitenden Worten zu Ross’ Brief a. a. O.). Allein die Voraussetzung ist, wenn auch nicht sprach- lich, so doch sachlich unzulüssig, da wir uns wohl Speer, Helm oder Schild in der Hand der Kypris zur Noth denken können, nicht aber eine Νίκη, wenn man nicht die ᾿ Νικηφόρος᾽ zu Argos und Pergamos (Polybios XVII 2) wörtlich verstehen will. Die argivische aber wenigstens war ein Xoanon! (Paus. lI 19, 6). Mit der Möglichkeit, in der χεὶρ ἄλλη diejenige der Áphrodite zu sehen, verschwindet aber auch die Anwend- barkeit dieses Falls ale belehrender Analogie für den unsrigen. Auch kommt, um die Beweisfähigkeit gänzlich zu entkrüften, noch hinzu, dass nach Ross das Alphabet der Inschrift dieselbe einer „späten Zeit, we- nigetens der Ptolemüischen" zuschreibt; abgesehen davon, dass aus dem zweiten Distichon der ganz subjective Charakter der Stiftung erhellt,

656 K. Tümpel:

ordentliche, vorliegende Verhältnisse vermuthen lässt. Wir schliessen daraus, dass die Athene in Gesellschaft dieser beiden Aphroditen unorganisch und zu emendiren ist. Fragen wir uns aber, welche der drei Aphroditen ihre Stelle ursprünglich eingenommen haben kann so ist, da in den beiden offenbar friedlichen Aphroditen nur Pan- demos und Apostrophia stecken kann, die einzige Antwort: die Urania. Und wirklich hat die Athene alle Anlagen, um an Stelle eines bewaffneten Aphroditeidols zu treten, oder sich selbst von einer solchen vertreten zu lassen. Bleiben wir zunächst bei der ersten, näherliegenden Möglichkeit stehen, so hat der Gedanke, dass nach dem Verlust eines Uraniaidols von vielleicht starker Verwitterung und dadurch unkenntlich gewordener Gestalt, dasselbe bei Gelegen- heit der starken Verheerungen, die namentlich Athen beim dritten Persereinfall trafen, durch eine Athene ersetzt worden sei, nichte Be- denkliches, namentlich für Athen, wo man gern überall die Stadt- göttin erkennen mochte.*) Eine indirecte Bestätigung liegt eben noch darin, dass nach dem Bericht des Pausanias eine Urania unter den beiden von ihm als Aphroditen bestimmt bezeichneten Holzbildern nicht gewesen sein kann. Denn sonst würde er dies entweder durch einen Beinamen oder durch ein beschreibendes Attribut, wie „be- waffnet‘‘ u. dgl. zu vermelden nicht verfehlt haben. Also ein Hinder- niss liegt für unsere Hypothese nicht vor, ob aber eine directe Ver- anlassung? Diese fehlt nicht. Hatten wir nämlich in Megalepolis

die uns nicht hindern kann, bei der athenischen Combination von Aphro- dite und Athene eine tiefer liegende Begründung zu erforschen. Ein anderer noch zweifelhafterer Fall ist ein erst durch Conjectur geschaf- fener. Gerhard (Gr. Myth. 8 264, 8) hat aus Paus. (I 27, 4) eine Cult- verbindung zwischen der Athene Polias und der Garten-Aphrodite zu Athen vermuthen zu dürfen geglaubt. Aber C. A. Böttiger selbst, auf dessen Autorität er sich beruft, drückt sich in der Tektonik (II 1, 214, Anm. 392) sehr vorsichtig aus: „Schliesslich möchte noch die Bemer- kung, dass man auch der Aphrodite ein Sühnschweinchen opferte, eine Andeutung sein, die vielleicht mit bei der Erklärung der Gegenstände zu nutzen wäre, welche die ᾿Αρρηφόροι nach dem unterirdischen Gange der (sic) Aphrodite in den Gärten trugen“. In Wirklichkeit sagt Paus. (a. &. O.) weiter nichts, als dass die Mündung jenes unterirdischen Gangs, durch welchen die Arrhephoren zu bestimmten Culthandlungen sich von der Burg hinab in die Stadt begaben, mündete '5ià rmepifóAov?, welcher sich findet “οὐ πόρρω τῆς καλουμένης ἐν κηποῖς ᾿Αφροδίτης᾽΄. Aus dieser Ortsangabe mehr schliessen zu wollen ist mindestens kühn. Gleichwohl haben wieder A. Mommsen (Heortologie 447) und mit ihm C. Wachsmuth (Stadt Athen im Alterthum I 413) diesen περίβολος für den umhegten Bezirk der Aphrodite “ἐν xmmoic? gehalten und dar- auf weitere Combinationen aufgebaut. Jedenfalls kann ein so unsicherer Fall an unserer Behauptung nicht rütteln.

*) Wie leicht derartige Verwechselungen vor sich gehen konnten, zeigt die troische Burggöttin, die, obgleich eigentlich eine Anaitis (Maury, Historie des réligions d. 1. Gréce III 168) und ausser dem Speer mit dem Attribut der Spindel versehen (Apollodor. Bibl. III 12, 3), doch auf Grund ihres Erscheinens als Palladions, in Athen für eine Pallas- Athene erklärt wurde.

Ares und Aphrodite. 657

unbedingte Abhängigkeit von Theben anzuerkennen, dessen starke beeinflussende Mitwirkung bei der Gründung dieser ktinstlichen Stadt sich auch auf die Culte erstreckte (cf. den aegidisch-gephyräischen Zeus Ammon daselbst, Paus. VIII 32, 1), so sind auch bei dem athenischen Heiligthum des Ares mit den „drei Aphroditen“ the- bische Reminiscenzen nachweisbar. Denn vor dem Tempel stand eine Statue des thebischen Dichters Pindaros ᾿ἄλλα TE εὑρόμενος παρὰ ᾿Αθηναίων καὶ τὴν εἰκόνα, ὅτι cpäc ἐπήνεςεν ἄςμα ποιήςας᾽ (Paus. I 8, 5), und die Aufstellung derselben gerade an dieser Stelle er- klärt sich bequem durch unsere Annahme. Und als weiteres Moment kommt hinzu die von Pausanias in gleichem Zusammenhang er- wähnte und jedenfalls nicht weit entfernte*) statuarische Gruppe des Harmodios und Aristogeiton, jener beiden Jünglinge, welche aus- drücklich als Abkömmlinge des alten tanagräisch -eretrisch -thebi- schen Geschlechts der Gephyrüer bezeichnet wurden (Herodot. V 55), welches mit dem Geschlechte Pindars zusammen, den Aigiden (Pyth. V 71), thebische Culte und Anschauungen nach Attika und dem Peloponnes verbreitete. Wir constatiren also also hier auf Grund der beiden aegidisch-gephyräischen Denkmäler im Umkreis des Aresheiligthums, das ja selbst schwerlich autochthon ist, ein Stückchen Böotien, und speciell Theben, wofür wir im Laufe der Untersuchung an dem damit verbundenen Heiligthum der Erinyen einen weiteren Anhaltspunkt gewinnen werden. In demselben Masse aber, in welchem die Wahrscheinlichkeit wächst, dass sich an diesen Ares wieder die thebische Aphrodite-Dreizahl anschloss („Urania, Pandemos, Ápostrophia"), schwindet die Aussicht, eine bewaffnete Aphrodite im Cult neben Ares zu erweisen, auch auf diesem Punkte,

8 7. Pairae und Akakesion. Schliesslich bleiben noch zwei zweifelhafte Fälle zu besprechen, die Gerhard in seiner Aufzählung der Cultverbindungen von Ares und Aphrodite nicht aufgenommen hat. Der eine ist Patrae, die uralte Phönikerfaktorei, wo Pau- sanias (VII 21, 4) zwei am Hafen liegende Aphroditetempel er- wähnt, die wir wohl unbedingt als phönikische anerkennen müssen. Zwischen deren Erwähnung schiebt er zwei Erzstatuen des Ares und des Apollon ein, welch letzterer am gleichen Orte ein gemeinsames ἄλεος ebenfalls mit Aphrodite zusammen bewohnte. Eine Beziehung zwischen der Aresstatue und dem Aphroditetempel ist hier von Pau- sanias gar nicht angedeutet. Nun haben wir freilich in gnderen Fällen, z. B. Megalepolis, auch ohne dies aus einer blossen Nachbar- lichkeit der Heiligthümer auf eine Cultverbindung der betreffenden Gottheiten zu schliessen uns nicht gescheut; aber hier liegt der Fall anders, da hier nicht, wie dort ein unzweifelhaft thebischer Pflanz-

*) Auf eine Beziehung der beiden Gephyräer zum Arestempel weist auch der Umstand hin, dass der Opferpriester des Ares derselbe Archon- Polemarchos war, der auch den neugestifteten Cult von Harmodios und Aristogeiton besorgte (Pollux, VIII 91, Bekker).

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 49

658 K. Tümpel:

cult vorliegt. Ausserdem haben wir es nicht mit zwei wirklichen Cultstätten zu thun, wie in Argos bei dem Doppeltempel, oder zu Megalepolis, wo wenigstens vor Pausanias’ Zeit zwei Tempel neben einander standen, deren einer auch nach seinem Verschwinden in einem Altar fortlebte, oder zu Athen, wo die Bilder der einen Gottheit ausdrüicklich in den ναός der anderen gestiftet sind, nein, hier wird nur eine Statue, nicht Tempel oder Altar, des Ares, und nur in der Nähe des Aphroditetempels erwähnt. Wie wenig Gewicht hierauf von dem religiös-dogmatischen Standpunkt aus zu legen ist, ruft uns noch eindringlich in das Gedächtniss das Lokal, ein Hafen; es leuchtet ein, dass an einer solchen Hauptcentralstelle des Verkehrs tausend zufällige Umstände der verschiedensten Art die Stiftung eines Votivbildes veranlassen konnten, die gleichwohl zu der Frage nach den mythologischen Beziehungen der betreffenden Gottheit ganz ausser Beziehung stehen. Dazu kommt noch, dass das Erzmaterial unserer Statue dieselbe einer Zeit zuweist, in welcher von einer strengen Unterscheidung verschiedener Aphroditen ohne- hin nicht wohl mehr die Rede war. Wollte man 18 ein solches Bewusstsein voraussetzen, so wäre es eher denkbar, dass der Apollon zu dem einen, der Áres zu dem anderen Aphroditetempel gehürt habe, und wir hätten dann wohl gar den Gegensatz zwischen einer mit Apollon ja öfters verbundenen Urania (z. B. in Korinth), und einer anderen dem Ares zugehörigen, natürlich unbewaffneten Aphrodite. Allein es würde eine solche Unterscheidung nach dem oben Gesagten dem Vorwurf der Spitzfindigkeit nicht ausweichen können. Soviel ist klar, dass aus dem Fall Patrae kein Beweis für die Verbindung des Ares mit einer bewaffneten Urania abgeleitet werden kann, da auch bloss schlechthin von einer Aphrodite die Rede ist; und so bleibt noch als letzter Punkt zu betrachten übrig: Akakesion, in demselben Arkadien, wo schon Megalepolis die the- bische Dreizahl bot. Pausanias sagt (VIII 37, 9): “ἐνταῦθα (auf dem Hügel, den das ἱερὸν TTävoc krönt) écri μὲν βωμὸς "Apeuc, ἐςτὶ δὲ ἀγάλματα ᾿Αφροδίτης ἐν ναῷ, λίθου τὸ ἕτερον λευκοῦ, τὸ δὲ ἀρχαιότερον ξύλου᾽ ὡςεαύτως δὲ καὶ ᾿Απόλλωνός τε καὶ ᾿Αθηνᾶς ξόανά écrv τῇ δὲ ᾿Αθηνᾷ καὶ ναός πεποίηται᾽. Die Stelle ist sehr unklar, da die Beziehung der Statuen zu den Tempeln nicht recht zu Tage tritt. Am wahrscheinlichsten ist noch die Annahme von E. Curtius (Peloponnes. I 279), dass „sie auf derselben Fläche lagen, und dass das neben dem Apollonxoanon erwähnte Holzbild der Athene in dem Tempel dieser Göttin aufgestellt war". Dann gehört Apollon deutlich zur Athena, und seine Anwesenheit auf demselben Plateau mit den beiden Aphroditen kann uns nicht veranlassen, in den letzteren zwei Uranien zu sehen. Damit ist aber auch der Ver- muthung, Ares sei hier mit einer bewaffneten Urania verbunden, der Boden entzogen, denn nun kann auch aus demselben Grunde die Athene nicht mit in die Gruppe der beiden Aphroditen neben Ares

Ares und Aphrodite. 659

hineinsprechen. Eine andere Frage ist es, ob in der letzteren eine Corruption der thebischen Dreiheit unter Führung des Ares zu er- keunen sei. Wirklich scheinen gut böotische Vorstellungen hier herrschend gewesen zu sein: denn gerade die Verbindung zwischen Athene und Apollon erinnert stark an die ziemlich singuläre, aber alte Verknüpfung der Athene als Pronaia mit dem apollinischen Ismenion zu Theben, und mit Apollon zu Delphi. Auch der “Bwuöc ᾿Αθηνᾶς xai ᾿Απόλλωνος xai "Apréuiboc xal Λητοῦς᾽ im atti- schen Demos Zoster stammt wohl von Delphi ab. (Man vergleiche die auch nach Böotien zurückweisende Verbindung von Apollon Onkaios und Athene Onka am Onkeion zu Thelpusa in Arkadien.) Wir werden also gleichwohl gut thun, uns die Constellation von Akakesion wenigstens zu notiren, wenn auch die beiden Aphrodite- bilder mehr im Verhültniss eines neugestifteten Cultbildes zu einem alten zu stehen scheinen: vielleicht dass gerade die Anwesenheit der Athene, die wir schon in Áthen bemerkten, einiges Licht in den Ur- sprung der Aphroditetrias bringt. Als sicheres Resultat dürfen wir unbedingt mitnehmen das Fehlen von Anhaltspunkten für die be- waffnete Natur der Ares-Aphrodite auch zu Akakesion.

8 8. Sparta. Durch eine Zusammenstellung mit den früher gegebenen Nachweisen eines vólligen Mangels an Beziehungen zu Ares bei der bewaffneten Urania erhalten wir 80 eine Bestütigung unserer obigen Behauptung, dass auch die thebische Aresgattin keine bewaffnete Urania gewesen sein kónne. Doch bleibt noch ein Posten zu erledigen, an welchem unsere Beweisführung scheitern zu sollen scheint; die Aphrodite Areia zu Sparta, bei deren Tempel Pau- sanias erwähnt: ‘ta δὲ ξόανα ἀρχαῖα, εἴπερ τι ἄλλο ἐν "€)Ànci (III 17, 5). Dies liesse sich bequem als von zwei Xoana des Ares und der Aphrodite verstehen, wie wir sie in Argos auf zwei Cellen vertheili sahen; aber ehe wir hier wirklich eine Ausnahme von un- serer sich ergebenden Regel anerkennen können, müsste erst erwie- sen werden, dass die Argumentation, welche diese Ausnahme sta- tuiren möchte, eine zwingende ist. Jene würde sich stützen müssen auf die Analogie der bewaffneten Aphrodite von Stadt Argos, deren Stiftung durch eine ganz ähnliche Legende erklärt wurde, wie die- jenige zu Sparta, und zeitlich mit der Errichtung einer Aresstatue bei derselben Gelegenheit zusammengehangen haben soll. Während man die Gründung des lakedämonischen Areiaheiligthums auf eine Heldenthat der spartanischen Frauen in den Kämpfen gegen die Messenier zurückführte (Lactant. de falsa religione I 20), so knüpfte man in Árgos das [nicht mit dem des Polyneikes zu verwechselnde] Heiligthum an einen Sieg der einheimischen Frauen unter der Füh- rung der hochberühmten Dichterin Telesilla tiber die Lakedämonier an. Ein Bild dieser Heldin glaubte man zu haben in einer vor dem Tempel der [bewaffneten] Aphrodite stehenden Statue einer gertisteten Frau, die einen in der Hand gehaltenen Helm aufzusetzen

42*

660 K. Tümpel:

im Begriff stand (Paus. II 20, 7). Also hier wie dort die auffallende Erscheinung der bewaffneten, kriegerischen Weiblichkeit, die man sich erklären wollte, wobei es gleichgiltig ist, ob zu Sparta mythische Verhältnisse, zu Argos vielleicht ein historisches Ereigniss zu Grunde liegt (cf. Neue, Telesillae reliquiae, Dorpat 1843, Progr.) Von Ares ist in beiden Legenden keine Rede, seine Anwesenheit auch gar nicht nóthig, und ersetzt durch die bewaffnete Aphrodite, die man als kriegerisch auffasste. Nichtsdestoweniger führt Plutarch (mulierum virtutes V) eine Bildsäule des Ares zu Argos auf das nümliche Ereigniss zurück. Allein wer verbürgt denn, dass diese Verknüpfung nicht eine erst später gemachte ist. Bei der grossen Berühmtheit, welcher sich der Sieg der Telesilla im Alterthum er- freute (cf. Engel, Kypros II 212)°°), liegt nichts näher, als eine solche Vermuthung. Ausserdem folgt aus Plutarch noch keines- wegs, dass diese Aresstatue wirklich mit dem Tempel der bewaff- neten Aphrodite in Zusammenhang stand. Ein Rückschluss auf Sparta aber ist um so misslicher, als in demselben Argos (Paus. II 19, 6) eine ganz nahe verwandte Aphrodite Nikephoros mit Hermes verbunden war, und nicht mit Ares. Diese Nikephoros- und Hermes-Xoana aber waren mindestens so alt, wie die im Areiatempel stehenden, denn sie wurden auf Hypermnestra als Stifterin zurück- geführt. Wir leugnen also bestimmt die Nothwendigkeit, sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nach der argivischen Analogie, der einzigen erreichbaren, auch in Sparta ein Ares neben der Áreia anzunehmen sei, und fassen demnach letzteren Namen in seiner allegorischen Be- deutung, wie sich diese schon bei Homer (äpnc = πόλεμος) findet. Der Plural ‘ta δὲ Eóava' bedeutet also dann zwei hölzerne Aphro- diten. Als einen positiven Umstand aber, der ausdrücklich gegen eine Cultzusammenstellung mit Ares spricht, führen wir, vorläufig nur kurz, an, dass da wo Ares zur Erklärung der Bewaffnung und des Namens der spartanischen Aphrodite beigezogen wird, in den 8 13 aufzuführenden Epigrammen, gerade die Art seiner Verwen- dung die Möglichkeit ausschliesst, dass er wirklich neben dieser ge- standen haben könne. Denn entweder heisst es, Aphrodite habe die Waffen des Ares angethan, so dass also ein Ares, wenn er daneben gestanden hätte, nur γυμνός, ohne diese Waffen, hätte erscheinen müssen was gar nicht möglich ist —; oder: sie trage sie als Gattin des Ares; und dann soll die Herbeiziehung des Ares als geist- reicher Einfall erscheinen und die Pointe des Epigramms bilden. Diese Wirkung wäre ganz unmöglich, wenn man wirklich selbst- verständlicher Weise mit der Aphrodite Areis immer zugleich den Ares zu sehen und zu denken gewohnt gewesen wäre, Dazu kommt, dass die Berufung auf Ares nicht das einzige Mittel war, mit dem man die Bewaffnung der spartanischen Aphrodite Areia zu erklären liebte, sondern ebenso oft zog man den kriegerischen Sinn der Lakedämonier als angebliche Veranlassung herbei (Plutarch, de Romanorum For-

Ares und Aphrodite. 661

tuna IV. id., Instituta Laconica XXVII. Antipater Sidon., Epigr. in Anth. Palat. XVI 176 ed. Dübner), woraus zur Genüge hervorgeht, dass es sich bloss um Erklürung einer &lleinstehenden Aphro- dite handelte. Gleichwohl sagt Engel (Kypros II 211): „Aphro- dite habe, namentlich in Sparta, nach dem Vorgang des Ares Waffen angelegt", und denkt sich die Bewaffnung der Kythereia „als muth- masslich durch Einwirkungen von Sparta her auf diesen Cult ent- standen“ (II 214). Erst Movers hat diese Attribute als phönikisch erkannt (im gleichen Jahre 1841), und Welcker sagt darum mit Recht: „Nicht jede Aphrodite Areia ist als verbunden mit Ares zu denken, sondern Áreia kann auch bloss eine Bewaffnete bedeuten, nach phönikischem Ursprung“ (Gr. Götterlehre II 708). Freilich seiner Beurtheilung des spartanischen Cults ist diese Erkenntniss nicht zu statten gekommen. Da somit auch der spartanische Cult die von uns zerrissenen Beziehungen der Urania zu Ares nicht anzu- knüpfen vermag, so wird die echte Gattin des Ares in der Pan- demos oder der Apostrophia vermuthet werden müssen. Was aber die Frage nach dem Local des Muttercults betrifft, so nehmen wir als positives Resultat aus der Betrachtung der Culte mit hinweg die Bestütigung der Engel'schen Vermuthung (II 209): ,,Es ist gar nicht unmöglich, dass überall, wo Ares und Aphrodite vereint vor- kommen, nach einer uralten thebischen Quelle gesucht werden muss“. Denn in Athen wie in Argos und Arkadien scheinen deutliche Spuren auf Theben als Sitz des Muttercults hinzuweisen.

Abschnitt II. Poesie und Kunst vor Alexander.

8 9. Das Epos. Da, wie aus dem Gesagten hervorgeht, die Vertreter einer bewaffneten Aresgattin sich auf gewisse Zeug- nisse der Alten berufen, so ist es nöthig die Entwickelung der Auf- fassung, für die sich aus undatirten Cultverhültnissen nichts gewin- nen liess, an der Hand der Dichtung chronologisch zu fixiren. Es sei dabei gestattet, für die älteren Zeiten die Kunstdenkmäler als ergünzendes Material beizuziehen, wührend umgekehrt die Epoche der Kunst, welche nach langer Pause sich wieder mit unserem Paar beschäftigt, zur Erläuterung der Epigrammenpoesie bedarf.

Was zuerst Homer anlangt, so ist in dem Gesang des Demo- dokos in der Odyssee (0 266—366), der einzig und allein eine erotische Beziehung zwischen Áres und Aphrodite überliefert, keine Spur von kriegerisch-gewappneter Natur der Góttin zu erkennen, geschweige denn, dass eine solche die Liebesbeziehung zu Ares ver- anlasst hütte. Gleichwohl würe dae die nothwendige Voraussetzung, wenn wir mit Welcker das „Demodokos-Märchen“ als die letzte Blüthe einer Entwickelung betrachten würden, deren Anfünge in den gemeinschaftlichen Kriegsabenteuern beider Gottheiten in der Ilias vorlägen. Allerdings werden in demselben Buch (€ 428—430

662 K. Tümpel:

und 888—898) Beide als unterliegend dargestellt, Beide beklagen sie sich im Olymp, Aphrodite bei ihrer Mutter Dione, Ares bei seinem Vater Zeus, und Beide werden sie dann sarkastisch ab- gefertigt. Wirklich gemeinsam ist aber ihr Schicksal bloss ® 416, wo Aphrodite

“ἦλθεν "Apeı ἐπίκουρος. . Beide werden dann arg zugerichtet, und zuletzt heisst es (426): “τὼ μὲν ἄρ᾽ ἄμφω xeivro ἐπὶ χθονὶ πουλυβοτείρῃ.

Allein in allen diesen Scenen zeigt sich von erotischen Beziehungen zwischen beiden Göttern keine Spur. Ihr gemeinsames Unglück ist, wie Welcker selbst richtig bemerkt, die Folge ihrer fremdländischen Abkunft, gegen welche sich der Nationalstolz der ihrer Zusammen- gehörigkeit sich bewusst werdenden Hellenen zu wahren beginnt. Denn in den Homerischen Gedichten gilt Ares als Thraker, so wie Aphrodite als kyprische Göttin. Fehlt demnach in der Ilias jede Andeutung des Liebesverhältnisses im Demodokosgesang, so wird der Zusammenhang zwischen beiden Gedichten noch vollends zer- rissen dadurch, dass in der Ilias Aphrodite sogar ausdrücklich die Schwester des Ares heisst. Sie nennt ihn ᾿ φιλὲ xaciyvnte” mit einem Ausdruck, der sogar an dieser Stelle noch einmal wiederholt wird (€ 359). Ihr Gemahl aber ist nicht Hephaistos, dessen Gattin Charis heisst (C 382), sondern Anchises, mit dem sie den Aineias zeugt, wie sie selbst Tochter des Zeus (Διὸς θυγατήρ sehr häufig) und der Dione heisst (€ 370 ff). Dürfen wir bei diesen bedeutenden Verschiedenheiten also in der Aresgeliebten des Demodokos nicht die Waffentrügerin der Ilias vermuthen, der doch nur von der spielenden Phantasie eines Rhapsoden ein kriegerisches Abenteuer angedichtet ist, so doch noch viel weniger in der thebischen Aphrodite. Welcker selbst hat aus den Iliasscenen kein Argument für die Bewaffnung der letzteren herzuleiten gewagt. Sie sind auch der Erinnerung der Späteren ganz entschwunden, denn so viel bei unserer mangelhaften Kenntniss der älteren nachhomerischen Poesie zu entscheiden mög- lich ist, findet sich, sowie in der Kunst, kein Nachhall an jene kriegerischen Erlebnisse der Ilias-Aphrodite mit ihrem Bruder Ares.

Was ferner Hesiod betrifft, so ergibt sich aus den oben ange- führten Versen, welche die Genealogie der Harmonia geben, nichts was für die kriegerische Natur der Aphrodite spräche. Höchstens aus dem Umstand, dass Deimos und Phobos, die schrecklichen Be- gleiter des Ares in der Ilias, nach derselben Stelle (Theogon. 934 ff) Kinder der 'Ku0épeia? (ὡπλιςμένη Paus. III 23, 1) seien, liesse sich eine kriegerische Aphrodite schliessen, wobei es eine will- kommene Bestätigung sein würde, dass dieselbe ᾿ Κυθέρεια᾽ auch Mutter der Harmonia von Ares heisst (v. 937). Allein ein Ver- gleich mit der berühmten Schaumgeburt der Aphrodite (Theog. 191 ff) zeigt, dass der Dichter von der bewaffneten Natur der

Ares und Aphrodite. 663

Kythereis keine Kunde hatte: Kythereia ist ihm bloss ein episches Beiwort, und zwar ein von ihm mit besonderer Vorliebe gebrauchtes. Denn ‘Kypris’ kommt bei Hesiod gar nicht, 'Kyprogeneia" bloss in einem unechten Vers (199) und Kypros nur einmal (a. a. 0.193) vor, und hier gerade in einer derartigen Verschmelzung mit der Kythereia, dass man deutlich sieht: Hesiod war der starke Unter- schied, welcher Beide trennt, und den wir im 16 auseinander- setzen werden, gänzlich unbekannt.

Den gleichen tendenzlosen Gebrauch des Wortes “Kußepera’ werden wir also auch gelegentlich der Genealogie von Deimos und und Phobos anzunehmen haben.

8 10. Lyrik und Drama. “Nel ciclo epico, per quanto ne cognosciamo l'argomento, non si fa parola di un’ amore tra Marte e Venere sagt Hinck, der sich eine Musterung des dichterischen Materials hat angelegen sein lassen (Ann. d. J. 1866, p. 98), und 80 kónnen wir uns direct zur Lyrik wenden. Bei Pindaros kommt die Stelle Pythia IV 155 in Betracht, weil sie uns durch die Be- nennung des Ares als ᾿ χαλκάρματος πόεις ᾿Αφροδίτης᾽ die gut ehe- liche Echtheit der Liebesverbindung beider Gottheiten im Cult ver- bürgt. Für kriegerische Natur dieser Aphrodite findet sich bei ihm ebensowenig eine Andeutung, wie in dem Fragment des Alkaios (Nr. 11, Bergk, Poet. lyr. graec. III? 934): “ὥςτε μηδέν᾽ Ὀλυμ- πίων λῦςαι ἄτερ FéOev?, oder in jener Genealogie des Simonides vom Eros, welche uns der Schol. Apoll. Rh. ΠῚ 26 bewahrt: ζιμω- γίδης δὲ [τὸν Ἔρωτα τενεαλοτεῖ] ᾿Αφροδίτης καὶ "Apeuc: “cxetkıe παῖ, δολόμητις ᾿Αφροδίτα τὸν "Ape: δολομηχάνῳ τέκεν᾽“ (frg. 48, Bergk, Poet. lyr. gr. III? 1134). Das Drama liefert ausser der oben (8 5) eitirten Stelle des Aischylos (VII a. Th. 125 ff.) nur die Verse in den Supplices desselben Dichters (637 ff.):

“ἥβας δ᾽ ἄνθος ἄτρεπτον Ectw, μηδ᾽ ᾿Αφροδίτας εὐνάτωρ βροτολοιγὸς "A- pnc κέρεειεν ἄωτον᾽.

Man könnte hier zweifeln, ob der Wortlaut ᾿εὐνάτωρ᾽ den allge- meineren Sinn des Epos, der auch das eheliche Verhältniss nicht ausschliesst, babe, oder nicht vielmehr den aus der Odyssee be- kannten Beigeschmack des Buhlerischen. Aber da es sich um the- bische Verhältnisse handelt, so empfiehlt sich unstreitig die Ueber- setzung mit „Gatte“. Da hier die Ausbeute so gering war, so sind wir von selbst auf das Gebiet hingewiesen, das auch in unserem Falle die Lücke unserer litterarischen Ueberlieferung auszufüllen im Stande ist, die Kunst.

8 11. Die Kunstdenkmäler. Die erhaltenen Monumente finden sich zusammengestellt bei Raoul-Rochette, Choix de Peintures 1867 (p. 225. 237); bei Hinck (a. & O.); cf. W. Helbig, Rb. Mus.

664 K. Tümpel:

N. F. XXIV 520 ff. und neuerdings bei Bernoulli, Aphrodite. (1879, p. 394. 162 ff). Echt archaisch findet sich unser Paar xur auf einigen Vasenbildern, vorerst auf der

1. Frangoisvase (Mon. d. Inst. IV, 56/57), zu Wagen, neben- einanderstehend, im Zuge der Gótter, welche zur Hochzeit von Pe- leus und Thetis fahren. Sie sind zwar beide nur in den unteren, langbekleideten Schenkelpartieen erhalten und attributlos, aber in- schriftlich verbürgt als 'APCC' und 'AcPOAITC'. An dieses schwarzfigurige Gefäss reihen sich mehrere rothfigurige des strengen Stils, zunächst zwei Darstellungen der Athenegeburt, die G. Löschke in der Arch. Ztg. (1876, p. 110) bespricht. Die eine

2. in Paris, Mon. d. Inst. VI 56, 3, zeigt wieder den bär- tigen *ap€c' mit Schild und Speer bei einer attributlosen * ADPO- AITE’. Die andere, auf einer

3. Blacas’schen Schale (Lénormant-de Witte: Elite céramogr. I 63), lässt Zweifel über die Benennung der Figuren zu, da die bei- geschriebenen Buchstaben unleserlich sind, und von dem („etruski- schen“) Copisten nicht einmal der Zahl nach so allgemein richtig wiedergegeben sind, dass man, wie die Herausgeber thun, hierauf Vermuthungen gründen könnte. Während Ares nämlich durch den Helm hinreichend charakterisirt ist, scheint die angebliche Aphro- dite-beischrift eher zu der hinter dieser Göttin stehenden 'Peitho' zu gehören, die ihrerseits wohl eher eine Leto ist (wie M. d. I. VI 56, 3). Aber vorausgesetzt, dass diese „späte Nachahmung“ (Löschke a. a. O. 117) von der suppositiven Aphrodite neben Ares wirklich echte Züge bewahrt habe, so fehlt bei ihr jede Andeutung einer kriegerischen Natur. Bei Hinck und Bernoulli noch nicht auf- geführt ist die

4. Vase des Euxitheos und Oltos (M. d. I. XI 23/24) mit einer Darstellung, welche Heydemann (A. d. I. 1875, p. 257) auf einen Auszug des Dionysos vom Olymp zur Einholung des He- phaistos gedeutet hat. In der Götterversammlung, welche die eine Seite einnimmt, erscheinen auch ' APE€C? und *'AOPOAITE" hinter einander sitzend, ersterer bärtig und bekränzt, mit Helm und Schild in der Hand, letztere wieder friedlich in Haube, mit Lilie und Taube, und zum Zeichen ihrer weichlichen Natur mit Bundschuhen beklei- det, während alle übrigen zwölf Personen (selbstverständlich Her- mes ausgenommen) keine Fussbekleidung haben. Dass beide als zu- sammengehörig gedacht sind, zeigen die auf dem anderen Flügel entsprechenden Hermes und Hebe, die Ephebengötter. Durch gleich friedselige Charakterisirung ausgezeichnet ist die neben ‘Apec’ sitzende * ΑΦροδιτε᾽

5. der Sosiasschale; denn sie hält ebenfalls eine Blume in der Hand. Die sichere Benennung im Gegensatz zu der bis jetzt immer noch mannigfach schwankenden ist gewonnen durch eine erneute Vergleichung des Originals, deren Ergebniss im Schluss-

Ares und Aphrodite. 665

Excurs ausführlicher mitgetheilt ist. Die jüngste Darstellung des Paares innerhalb der guten Zeit findet sich unter der Götterver- sammlung einer

6. Volcenter Vase des Brittischen Museums (Gerhard, Trinkschalen und Gefässe T. H), welche auf der Grenze des strengen Stils steht. “APPOAITE? reicht stehend dem vor ihr sitzenden b&r- tigen 'APCC" ein tassenartiges Trinkgefäss, in ihrer äusseren Er- scheinung kaum unterschieden von den tibrigen ganz friedlich sitzen- den Göttinen Hera, Persephone, Ariadne und Amphitrite. Ueber- gehen wir schliesslich .

7. noch ein, nach dem Citat “El. Cer. T. II’ (bei Welcker, Gr. Gótterl III.708) unauffindbares Vasenbild mit 'APAC, Aphrodite und drei Musen', so scheiden wir von der Vasenkunst der guten Zeit mit dem negativen Ergebniss, dass eine Bewaffnung der Aphrodite *) neben Ares sich hier nicht nachweisen liess. Ebenfalls auf archaische Vorbilder lassen schliessen die erhaltenen Reliefs, welche unser Paar in nachgeahmt alterthümlichem Stil unter den Zwölfgöttern auf dem Borghesischen Altar und in einer freieren Versammlung auf dem Capitolinischen Puteal bringen (Müller-Wieseler, D. d. a. K. II 197). Aphrodite ist mit Ares gruppirt und hält das eine Mal eine Blume, das andre Mal eine Taube. Von Bewaffnung keine Spur! Ebensowenig bei den beiden von Bernoulli (Aphrodite p. 47) auf-

*) Trotzdem hat Panofka (A. d. I. IV p. 367) ein Hapax Eiremenon conjiciren wollen auf einem ihm selbst nicht zu Augen gekommenen schwarzfigurigen Vasenbild einer korinthischen Hydria, die von Brönd- sted in der “Description des XXXII vases découverte à Canino dans lancienne Vulcia et appartenant à Monsieur Campanari’ (mir leider nicht zugänglich) ungenügend beschrieben war. Das eine Bild zeigt 7 sitzende Gottheiten: “Ares, Artemis ou Bellone (!), Dionysos, Athene, Zeus, Hera, Hephaistos. Parmi ces divinités (fährt Panofka fort) je m'étonne de voir „une déesse avec une lance à cóté d'Arés'* appelée par M. Bröndsted Diane ou Bellone. Comment pouvait-il oublier la véritable épouse d'Arés, l'Aphrodite armée!? Dieser Ausruf ist ganz ungerecht- fertigt, da offenbar Bröndsted seine Gründe haben musste, wenn er hißr nicht Aphrodite erkannte. Vielleicht ist auch in der „Lanze“ nur ein Scepter zu vermuthen, um so eher, als über echten oder nachgeahmten Archaismus bei diesem merkwürdigen Vasenbild keine Notiz vorliegt. deswegen ist es rathsam, bis zu einer Ermöglichung erneuter Unter- suchung mit weiteren Vermuthungen zurückzuhalten. Leider ist der Ver-

bleib der 32 Vasen nicht bekannt; einen Wink gibt nur eine Bemerkung auf dem anderen mir ebenfalls unerreichbaren, raisonnirenden Katalog der- selben Sammlung, welche Panofka bei seiner vollständig sein sollenden Titelangabe der Brochüre gerade übersieht: “A brief description of thirty- two ancient greek painted vases lately found in exoavations made ad Vulci in the Roman territory by M. Campanari. London. Printed by A. J. Valpy M. A. 1882', Die fehlende Notiz aber findet sich bei Welcker (Kleine Schriften V 145): “and now exhibited by him in London’. Also ist England als itiger Aufentbaltsort zu vermuthen. Gerhard (Rapp. Volc. No. 10) kennt die Sammlung noch nicht, die im Britt. Mus. sich jedenfalle nicht befindet (cf. den Katalog von Hawkins und Newton!).

666 K. Tümpel:

geführten kleinen Bronzegruppen, die ihrem Stil zufolge auf griechisch -archaische Vorbilder zurückgehen müssen. Da hiermit unser Denkmälervorrath aus guter Zeit erschöpft ist, und das Prob- lem der Aphrodite von Melos besser auf einen Punkt verspart wird, von dem aus ein Ueberblick über die gesammte Kunstentwicklung möglich ist, so wenden wir uns jetzt zu den uns nur aus den Schrift- quellen bekannten Kunstwerken.

.8 12. Nicht erhaltene Kunstwerke. Was zuerst den Amyklaei- schen Thron des Bathykles betrifft, so steht durch die Analogie der Frangoisvase so gut wie fest, dass seine Darstellung der Hoch- zeit des Kadmos mit der Harmonia*) auch die Eltern der letzteren, Ares und Aphrodite enthalten habe, wenn uns auch das 'Wie?" frei- lich ganz verhüllt ist. Etwas besser sind wir unterrichtet von dem

Kasten des Kypselos zu Olympia, dessen Beschreibung sıch bei Pausanias (V 18, 1) findet**). Der uns angehende Passus der Beschreibung lautet: 'écri δὲ καὶ Ἄρης ὅπλα ἐνδεδυκὼς ᾿Αφροδίτην ἄγων ἐπίγραμμα δὲ Ἐνυάλιός écriv αὐτῷ᾽. Dass eine Beischrift “᾿Αφροδίτη᾽ hier nicht ausdrücklich aufgeführt wird, darf uns nicht verleiten zu glauben, sie sei an sich schon deutlich charakterisirt gewesen was eine Bewaffnung selbstverstündlich äusschliessen würde. Vielmehr dürfen wir nach Analogie der übrigen Felder der “δευτέρα χώρα᾽ auch für die Aphrodite eine Namensbeischrift vor- aussetzen. Aber gleichwohl kann sie nicht bewaffnet gewesen sein, weil bei der Natur der dargestellten Handlung das Missverständniss zum Beispiel einer Kriegsgefangenschaft nicht ausser Sicht gelegen hätte. Diese Führung, jedenfalls unter schwachem Widerstande er- folgend, sollte aber einen Theil der Vermählungsceremonien, die Entführung versinnbildlichen (cf. O. Jahn, Arch. Aufsätze $ 10, 20; Welcker, Kretische Colonie Theben, p. 69)!**), und bildet also eine

ι ᾿ Paus. III 18, 12: “ἐς τὸν γάμον τὸν 'Appovíac δῶρα xopíiZovav οἱ θεοί.

**) Ch. Petersen (Zwölfgöttersystem II 10) scheint ihn für jünger da- Wren zu wollen, als die Francoievase; er sagt: „Zu der Aehnlichkeit [der letzteren] mit dem Kasten des Kypselos kömmt noch als Zeichen hó- heren Alters, dass Dionysos nocht nicht im Zuge der Olympischen Götter erscheint“. Das thut er aber hier auch nicht, und so bleibt, nach die- sem Gesichtspunkt, wie auch nach allen übrigen Anzeichen, der Kypselos- kasten älter als die Frangoisvase (cf. Overbeck, Plastik 1? 64).

***) Da die Führung nach zahlreichen Analogien schwarzfiguriger Vasenbilder in einer Umfassung des Handgelenks (dem sogenannten “χεῖρ᾽ ἐπὶ καρπῷ ᾽) bestanden haben muss, wie es nach Jahn (a. a. O.), Overbeck in seinem bildlichen Reconstructionsversuch (Abh. d. k. Sächs. G. d. W. IV, 1865. Ph.-Hist. Cl) auch wiedergegeben hat, und da ferner R. Förster in seinem Breslauer Winckelmannprogramm 1867 („Die Hochzeit des Zeus und der Hera“ p. 15) auf Grund einer erneuten Re- vision des Materials dieses Motiv als eine Formel des ehelichen Ver- mählungsactes, wie die blosse Handreichung (cf. Steghani, C. R. 1861, p. 70 ff.) uls Symbol der Verlobung erwiesen hat, so nehmen wir keinen Anstand, auch hier einen Hieros-Gamos, wie Förster auf den Darstel-

Ares und Aphrodite. 667

Liebesscene, wie auch die Darstellungen der Nachbarfelder: Peleus und Thetis, Apollon und Marpessa, Zeus und Alkmene, Menelaos und Helena, Jason und Medeia. Daraus erfolgt, dass Aphrodite ganz deutlich die Rolle des schwachen, unter sanftem Widerstreben nach- Jebenden Weibes spielen muss, also den reinen Gegensatz zu ihrer späteren, als Siegerin über Ares. Hierin liegt ein principieller Gegen- satz der Auffassung, der auch nach den Zeitepochen näher bestimmt zu werden verdient. Sollte es uns gelingen, die pikantere Zusammen- stellung des Ares mit der Aphrodite in Waffen ausschliesslich dem hellenistischen Zeitalter zuzuweisen, so würde die Verwendung, die Welcker von derselben Behufs der alterthümlichen Cultpaarung in Theben machte, als ein Anachronismus dastehen, und wir hätten die Vermuthung dieses Gelehrten, dass schon in ältester Zeit die miss- verständliche Auffassung der Areia als Aresgattin zur thebischen Ehe geführt habe, nicht bloss aus formellen Gründen angefochten durch den Nachweis völligen Mangels an stichhaltigen massgebenden Parallelen, sondern auch mit sachlichen Gründen widerlegt. Wir versuchen den Nachweis durch Betrachtung des Hellenismus, da auch die kunstmässige Malerei unseres eben besprochenen Zeitraums von dessen Charakter nicht abgewichen sein wird. Wenigstens fin- det sich die einzige uns sicher überlieferte Gruppirung von Ares und Aphrodite auf einem Bild der Zwölfgötter von Euphranor (Overbeck, 8. Q. 1790. 1792 f£.) und kann nach den obigen Analo- gien nur eine friedliche Aphrodite geboten haben. Auf dem Bild des Zeuxis: 'lupiter adstantibus Diis' (Plin. XXXV 63) ist das Paar unsicher.*)

Abschnitt III. Uranis neben Ares seit Alexander.

8 13. Die Dichtung. Wie fern der obige Gedanke einer Ver- werthung der sieghaften, kriegerisch überlegenen Natur der Aphro- dite Urania für das Verhältniss zu Ares noch der Zeit des freien Griechenthums lag, zeigt besonders deutlich eine Stelle des Sopho- kles in den Trachinierinnen (v. 497). Dort singt der Chor:

langen von Zeus und Hera, Hephaistos und Aphrodite, Menelaos und Helene, Peleus und Thetis, zu erblicken. Wir schliessen daraus aus- drücklich auf eine dichterieche, wohl epische, Tradition von der ehe- lichen Verbindung beider Gottheiten, wie sie in beiden Stellen bei Pindar und Aischylos, sowie im thebischen Cult sich erhielt und im Demodokos- gesang wohl nur in entstellter Form vorliegen mag. Wie wäre es auch sonst möglich, dass in der conservativen Vasenmalerei bei freien Götter- versammlungen Aphrodite wohl mit Ares, nie aber mit Hephaistos vereint sich zeigt! Von der Unrechtmässigkeit ihrer Beziehungen zu Ersterem haben sich die Vasenmaler, wie es scheint, nicht überzeugen können.

*) Die Pliniusconjectur, durch welche Stark eine Ares- und Aphro- ditegruppe von Skopas gewinnen wollte (Nat. Hist. XXVI 426), ist von ihm selbst wieder zurückgesogen worden (Philol. XXI 436).

668 K. Tümpel:

“μέτα τι cGévoc Κύπρις ἐκφέρεται νίκας dei’. Aber so nahe der Gedanke an Ares dem Dichter liegen müsste, so ist er doch weit davon entfernt, ihn zu nutzen, wie dies der weitere Verlauf zeigt: “καὶ τὰ μὲν θεῶν παρέβαν, καὶ ὅπως Kpovidav ἀπάταςεν, οὐ λέτυν» οὐδὲ τὸν ἐννύχιον “Αιδαν Ποςειδάωνα τινάκτορα yalac..” Man sieht, das Wirken der Aphrodite, die bei Sophokles ausdrück- lich “äuaxoc’ heisst (Antig. 800), bezieht sich hier, wie im home- rischen Hymnos auf Aphrodite, bloss auf ihre Einwirkung als Princip auf fremder Leute Angelegenheiten; zu eigenen Gunsten macht sie keinen Gebrauch von ihrer Liebesgewalt. An Ares denkt auch Euripides wohl noch nicht im Hippolytos (1268): “εὺ τῶν θεῶν ἄκαμπτον φρένα καὶ. βροτῶν ἄτεις Κύπρι. ^

Auch einige Epigramme haben von einem solchen Einfluss noch nichts; z. B. Anth. Palat. IX 39 (Dübner) mit der Ueberschrift “Μουεικίου᾽, sagen die *Moücaı ποτὶ Κύπριν

“ων Ἄρει τὰ «τώμυλα ταῦτα᾽

ἧμιν δ᾽ οὐ πέτεται τοῦτο τὸ παιδάριον᾽

oder Anth. Planud. (ibid. XVI 160): “ἸΤραξιτέλης οὐκ εἶδεν, μὴ θέμις" ἀλλ᾽ 6 cíbnpoc ἔξες᾽ "Apnc οἵαν ἤθελε τὴν TTapinv’

von „Platon“ (junior?) Ein Bewusstsein von der eigenthümlichen Ueberlegenheit jener zarten Göttin, die den wildesten der Götter in ihren Banden zu fesseln wusste, dämmert auf in den Versen des Makedon (Anth. V 238 Düb.), der sein Schwert mit Ares ver- gleicht: |

5... τὸν "Apn kai ἀζαλέον περ ἐόντα

δείξω τῇ μαλακῇ Κυπρίδι πειθόμενον᾽

Aber das Uebergewicht zeigt sich nur in holder Ueberredung des Spröden und geht nicht über Homers Charakteristik hinaus. Frucht- bar wird der Gedanke erst durch das Hineinziehen der kytherischen Urania, aber nicht rticksichtlich ihrer hesiodischen Wassergeburt, die 2. B. Demokritos (Dübner XVI 180) für die Beziehung zu Ares, freilich ohne weitere Consequenzen verwerthet hatte, sondern wegen ihrer Bewaffnung, von welcher noch Hesiod bei seinem Ver- such Kypris und Kythereia zu verschmelzen, geschwiegen hatte. Die Aresliebschaft der ersteren und die Bewaffnung der letzteren finden wir in den folgenden Distichen zuerst in Beziehung gesetzt: ‘Tinte, μόθων ἄτλητος, Ἐενυαλίοιο λέλογχας Κύπρι: τίς ψεύετας ςτυγνὰ καθᾶψε μάτην. ἔντεα; col γὰρ Ἔρωτες ἐφίμεροι ἅτε KAT’ εὐνὰν τέρψις Kai κροτάλων θηλυμανεῖς ὅτοβοι.

Ares und Aphrodite. 669

δούρατα δ᾽ αἱματόεντα καθὲς Τριτωνίδι δίᾳ ταῦτα᾽ cu δ᾽ εὐχαίταν εἰς ὑμέναιον ἴθι᾽, (Düb. IX 321).

Die Pointe liegt hier in der Gegenüberstellung der zarten Liebes- göttin, wie sie die Poesie schildert, und der Bewaffnung des Cult- bildes (denn dieses wie die folgenden Epigramme beziehen sich, zum Theil ausdrücklich, auf die Οὐρανία ὡπλιςμένη Lakoniens) Und dieser Gegensatz spricht sich aus in der ᾿μόθων ἄτλητος᾽ (der Poesie), die trotzdem Ἐνυαλίοιο λέλογχε᾽ (im Cult), woraus her- vorgeht, dass Ἐνυάλιος nur ein anderer Ausdruck für die μόθοι ist und darum füglich ebenso wohl wie äpnc „der Krieg“, klein ge- schrieben sein könnte. Diese unpersönliche Bedeutung geht auch aus dem Gebrauch von λαγχάνω hervor; mit ganz besonderer Deut- lichkeit aus der Frage: “τίς καθᾶψε krÀ/, die ganz störend und überflüssig würe, wenn mit dem Worte ἐνυάλιος des vorhergehenden Verses wirklich der Kriegsgott in Person gemeint wäre. Bald gentigte die Pointe, welche die Seele dieser drei Distichen ist, nicht mehr, denn sie war im Grunde bloss eine ziemlich getreue Umge- staltung eines schon bei Homer (€ 428 ff.) angedeuteten Gedankens; und so geht schon einen Schritt weiter das Epigramm des Philip- pos (Dübner, XVI 177), das mit der gleichen Frage beginnt, die oben vorkam: “Κύπρι φιλομμείδης, θαλαμήπολε, τίς ce, μελιχρὴν δαίμονα, τοῖς πολέμων ἐετεφάνωςεν ὅπλοις; coi παιὰν φίλος ἦν καὶ xpucokóunc ὑμέναιος καὶ λιγυρῶν αὐλῶν ἡδυμελεῖς XApırec' ἐς τί δὲ ταῦτ᾽ ἐνέδυς ἀνδροκτόνα; μὴ θραεὺν "Apn ευλήςας᾽ αὐχεῖς, Κύπρις ὅςεον δύναται; Hier ist ausgesprochen, was Sophokles und dem vorigen Epigram- matiker auf der Zunge lag und liegen blieb. Es sind die Waffen des Ares, des durch Liebe besiegten, mit denen sich die zarte Sie- gerin geschmückt hat, sagt witzig der Dichter. Deutlich wird die Aresgattin aus der ἔνοπλος erst gefolgert in dem schon oben citir- ten Epigramme des Antipater “eic τὴν ἐν (πάρτῃ ἔνοπλον 'Agpo- δίτην᾽ (a. a. O. 176)

“καὶ Κύπρις (πάρτας οὐκ Acrecıv οἷά τ᾽ ἐν ἄλλοις ἵδρυται μαλακὰς Eccaueva croMbac,

ἀλλὰ κατὰ κρατὸς μὲν ἔχει κόρυν ἀντὶ καλύπτρας ἀντὶ δὲ χρυςείων ἀκρεμόνων κάμακα΄

οὐ γὰρ χρὴ τευχέων εἶναι δίχα τὰν παράκοιτιν Θρᾳκὸς ᾿ἐνυαλίου xai Λακεδαιμονίαν᾽.

Was hier noch als Pointe überraschend wirken will, gilt in einem anderen Epigramm schon als tiberwundener Standpunkt und wird als selbstverständlich vorausgesetzt, um einem neuen Witzspiel zur Grundlage zu dienen.

Leonidas dichtet (a. a. O. XVI 171):

610 K. Tümpel:

“Ἄρεος ἔντεα ταῦτα τίνος χάριν, Κυθέρεια, ἐνδέδυςαι, κενεὸν τοῦτο φέρουςα βάρος:

αὐτὸν "Apn γυμνὴ γὰρ ἀφώπλιςας᾽ εἰ δὲ λέλειπται καὶ θεός, ἀνθρώποις ὅπλα μάτην erräyeıc’.

Wir haben in der Vorführung dieser Gedichte eine gewisse Anord- nung nach der Entwickelung des Gedankens zu geben versucht, die sich durch die Beobachtung rechtfertigt, dass immer der Folgende den Vorgänger durch eine neue Pointe zu tiberbieten sucht und doch gewissermassen auf seinen Schultern steht. Eins ist aber klar, dass sie alle von der widerspruchsvollen Sonderbarkeit der „Liebesgöttin in Waffen" ausgehen und mittels dieser Eigenthümlichkeit eine An. knüpfung an die landläufigen Vorstellungen versuchen, bei denen sich die alte Zusammenstellung mit Ares als bequeme Handhabe bot. Die Zeit aber, in welcher, und die Dichtgattung, durch welche dies geschieht, zeigt, dass damit eine Neuerung geschaffen ward, die nur darin liegen kann, dass früher eine friedfertige Aphro- dite an der Seite des Ares stand und nun auch eine bewaffnete in den Bereich dieses Vorstellungskreises gezogen wurde. Dass diese letztere die spartanische (also kytherische) war, geht aus einigen ausdrücklich dies sagenden Ueberschriften hervor; und dass damit der Doppelsinn des Namens Areia zusammenhängen möge, liegt nahe zu vermuthen. Jenes ältere Paar aber, dessen Aphrodite un- bewaffnet gewesen sein muss, kann nur eben das thebische des Aischylos in den Septem" gewesen sein, das sich angeblich durch Polyneikes nach Árgos und zu einer Dreiheit erweitert nach Attika und Arkadien verbreitete.

8 14. Die hellenistische Kunst. Es wird jetzt Zeit, dass wir uns die gleichzeitige Kunst vor Augen rufen. Wir fanden oben, dass die Darstellung unseres Paares durch die Kunst sich auf die Periode des Archaismus und dessen Uebergangszeit beschränkte, während die Hauptblüthezeit wenigstens nach unseren knapp bemessenen Hilfsmitteln zu urtheilen, kaum von ihm Notiz genommen zu haben scheint, ausser einer mehr oder weniger. schematischen Vorführung der Zwölfgötter. In dieser Periode ändert sich das; die Darstellun- gen werden häufiger, wenn auch zumeist noch die Entwickelung nur den schon von Homer gewiesenen Pfaden folgt. Um ein Bild des Atheners Asklepiodoros: die Zwölfgötter, nur zu erwähnen (Plin. XXXV 107) und bei einem merkwürdigen, durch Stilsynkretismus ausgezeichneten Vasenbild (Monuments grecs Nr. 4, 1875), wel- ches Ares und Aphrodite, letztere die Rosse lenkend, zu Wagen auf einer Gigantomachie zeigt, bloss an ein spätes Gedicht des älteren Claudian (bei Claudian, ed. Jeep, p. LXXIX) zu erinnern, das auf- fallenderweise mit jenem Bild allein die Aphrodite bei dieser Ge- legenheit aufweist*), so zeigt die Hauptmasse des aus dieser Zeit

*) “ὡς Ἄρεως αἰχμῇ τῇ Κύπριδος ὄλλυτο μόρφῃ᾽.

Ares und Aphrodite. 671

Bekannten doch das Liebespaar. Vermuthlich hat eine selbständige dichterische Behandlung durch einen alexandrinischen Poeten vor- gelegen, wenn auf einem Terracottarelief (Stephani C. R. 1870/1, Vignette, p. 194)? vgl. Preuner in Bursians Jahresb. VII 1876, p. 49) und einem Spiegelrelief*), publicirt von Förster (Die Hochzeit des Zeus und der Hera 1867, Winckelm. Progr. Breslau. p. 14) als ‘Zeus und Hera’, sich Ares und Aphrodite gegenübersitzen (nach Furtwängler: Fleckeisen, Jahrb. ΠῚ 1875, p. 592 ff). Da Ares hier die Aphrodite, falls die Deutung der attributlosen Figuren richtig ist, am Handgelenk fasst (χεῖρ᾽ ἐπὶ καρπῷ), so kann hier sehr wohl ein Ausläufer jener schon am Kypseloskasten bemerkten Vorstellung von der ehelichen Beziehung zwischen beiden Göttern vorliegen (trotz Furtwänglers Verdächtigung, als sei die Fórster'sche Zeichnung der allerdings fragmentirten Berührungsstelle beider Hände durch die Deutung beeinflusst) Auch das Ltüpfen des Schleiers, vielleicht des bräutlichen, durch Aphrodite erinnert hinreichend an die Darstellung des Hieros-Gamos von Zeus und Hera, z. B. auf der bekannten Selinuntischen Metope. Eine speciell dem Hellenismus angehörende Weiterentwicklung ist die in den zahlreichen Producten der Pornographie (Raoul-Rochette, Choix de Peintures p. 225 ff.) vorliegende, während das Terracottarelief Campana (Opere in plastica II 104) und die Wandgemälde (bei Helbig Nr. 314—328) eine decente Auffassung reprüsentiren. Ebenfalls nachalexandrisch ist die von Hinck (A. d. 1. 1866, p. 98) aus einigen dieser Bilder gewonnene Tradition eines Liebeszwistes zwischen beiden Göttern.

Wichtiger als diese Weiterbildungen sind uns die Spuren eines Einwirkens der epigrammatischen Poesie auf die gleichzeitige Kunst, dessen Vorboten schon die Eroten sind, welche auf den meisten der Wandgemälde (Nr. 316. 318. 319. 320. 324) sich mit den Waffen des Ares beschäftigen, den Helm aufsetzen und sich das Schwert umhängen. Der Grundgedanke ist, dass diese Trabanten der Aphro- dite mit den Waffen des Kriegsgottes spielend, ganz wie mit denen Alexanders auf Adtions bekannter Darstellung von dessen Hochzeit mit Roxane, ibm, zum Zeichen seiner sanften Ueberwindung, die letzten Symbole seiner kriegerischen Mannheit entfremden, wie dem Herakles des Lysippos (Overbeck, Plast. II* 93). Diese Eroten mit den Waffen des Ares sind ein Beweis dafür, dass man auch bei einem Helm oder einem Schild in der Hand der Aphrodite Urania an eine Trophäe ihres Triumphes über den Kriegsgott gedacht haben wird. Der ersten hierauf basirenden Kunstdarstellung begegnen wir wie- der in der Schilderung eines Alexandriners, des Apollonios Rhodios. Während dieser an einer Stelle (Arg. III 558)**) noch ganz mit

*) Die bisher angeführten vier Monumente fehlen bei Bernoulli, **) πόποι, ῥα γυναιξὶν ὁμόςτολοι ἔνθαδ᾽ ἔβημεν οἱ Κύπριν xadkovav ἐπίρροθον ἄμμι πέλεεςθαι,

612 | K. Tümpel:

den homerischen Anschauungen sich begnügt, hat er an einer andern (I 743) zuerst die pikante Umdrehung des natürlichen Verhältnisses von Stärke und Schwäche. Er schildert das Gewand des Jason, auf welchem gestickt zu schauen war Aphrodite, die sich im Schild des Ares spiegelt:

*é£einc δ᾽ ἤεκητο βαθυπλόκαμος Kudepein

Ἄρεος ὀχμάζουςα θοὸν cáxoc κτλ.

... τὸ δ᾽ ἀντίον ἀτρεκὲς αὕτως

χαλκείῃ δείκελον ἐν ἀςπίδι φαίνετ᾽ ἰδέςθαι᾽.

Bemerkenswerth ist, dass wie hier die neue Idee sich nur an einer Einzelfigur zeigt, so es auch immer geblieben ist: kein Wunder, da jene Idee auch von einer Einzelfigur, der bewaffneten Urania, ausgegangen war. Die einzige Ausnahme macht ein von den Heraus- gebern, wie auch von Helbig (Untersuchungen über Camp. Wand- malerei p. 236) auf Ares und Aphrodite gedeutetes Vasenbild schlechter Arbeit in Léónormant- de Wittes Elite Céramogr. IV, T. 95. Hier ist ein völliger Attributtausch eingetreten, indem die Göttin, den Speer des Ares in der Linken, sich in dessen Helm spiegelt, und Ares mit dem Schild am linken Arm sich im Spiegel der Aphrodite betrachtet. Von Einzelstatuen des Ares dagegen sind, um der weiteren plastischen Verkörperungen dieses Gedankens in Aphrodite zu geschweigen, besonders hierher gehörig der Ares Ludovisi. Dieser zeigt nicht mehr die Frische und das Selbst- bewusstsein, wie der ebenfalls dem jüngeren unbärtigen Ideal an- gehörige Ares des Parthenonfrieses, der nur mühsam durch die um das Knie geschlungenen Hände seine Ungeduld und seinen Kraft- äusserungstrieb in der ceremoniell thronenden Götterversammlung zu bezähmen scheint; sondern die Ueberlegenheit ist an Aphrodite übergegangen, die auch in der Abwesenheit seine sehnsüchtigen Ge- danken gefangen hält: ein doppelt pikanter Gedanke bei dem rauhen und etwas ungeschlachten Kriegsgott. Geistreiche Antithesen sind aber so recht das Element des hellenistischen Zeitalters, in welches auch nach Aller Uebereinstimmung das Werk gesetzt werden muss, selbst wenn nicht der, oder (nach Overbeck) die Eroten als Ver- treter der Aphrodite functionirten, wie auf dem Gemälde Adtions und bei dem Herakles des Lysippos. Noch stärker ist jener Ge- danke ausgedrückt bei dem Ares Borghese, jener früher wegen seines Fussrings fälschlich für Achill gehaltenen römischen Copie eines griechischen Originals. Die Fessel, welcher wir cultmässig beim spartanischen Ares Enyalios begegnen (Paus. III 15, 5), ist hier erotisch verstanden, und der Gesichtsausdruck des geneigten Hauptes geradezu melancholisch und traurig geworden, so dass

οὐκ Er’ Ἐνυαλίοιο μέγα cOévoc ...

Éppere: μήτ᾽ ὕμμιν πολεμήϊα ἔργα μέλοιτο,

παρθενικὰς δὲ λίτῃςιν ἀνάλκιδας ἠπεροπευέιν᾽.᾿

Ares und Aphrodite. 673

Friederichs (Bausteine 721) und Dilthey (Rhein. Jahrb. 53—54, 1873, p. 35) mit Recht hier einen 'trionfo d’amore’ über den von Eroten gefesselten Kriegsgott sehen. Schliesslich sei noch zur Prüfung unserer These von der Alexanderepoche als dem Wende- punkt in dem Bedeutungswechsel der Beziehung von Aphrodite zu Ares ein Blick auf die Melische Aphrodite geworfen, deren Da- tirung noch streitig ist. Als überwunden kann der von Ὁ. Müller- Wieseler gemachte Vorschlag einer Ergünzung mit Lanze oder Helm gelten, welche ohnehin den Gedanken an Trophäen des Ares nicht nothwendig einschliessen würde. Wäre ein Schild zu suppli- ren, so könnte sie, um von einigen wenig gentigenden Hypothesen*) zu Schweigen, entweder als sich in demselben spiegelnd gedacht sein, wie auf der Stickerei bei Apollonios (Braun) Der Schild würde dann sicher dem Ares gehören, da uns im Cult einer Urania kein ühnliches Schema bekannt ist. Aber die Physiognomie der Göttin schliesst das Motiv des Spiegelns aus. Die andre Möglichkeit, dass Aphrodite den Schild des Ares als Trophäe bloss in der Hand hält (Millingen, Jahn, Welcker, Preller), würde eine Ansetzung des Werkes nach Alexander voraussetzen, mit der sie steht und fällt. Eine Unterstützung für diese Datirung würda nach dem von uns ge- wonnenen Gesichtspunkt sein, wenn unter dem linken Fuss ein Helm zu suppliren würe, wie bei der capuanischen Replik (Over- beck, Gr. Plastik ΠΣ 23) und dem Smyrnenser Torso (Bernoulli, 162. Nr. 4); doch ist hierzu der Raum zu klein. Es bleibt also diese Zeitansetzung auf die bisherigen Argumente angewiesen. Um die von Clarac, Fróhner, Tarral und Goeler v. Ravensburg verlangte Ergünzung mit dem Apfel des Paris oder der Insel Melos, deren Grundlagen noch immer eine Nachprüfung nicht entbehren können, als für unseren Gesichtspunkt irrelevant zu übergehen, so wird ein Ergänzungsversuch, der nicht bloss eine schon antike Re- stauration der Statue reconstruiren will, wie es vielleicht die Apfel- hypothese schliesslich thun wird, von der Datirung des Torso rück- sichtlich seines Stils abhängig sein. Sollte sich nun aber, wie es den Anschein hat, die von Waagen, Welcker, Jahn, Schnaase, Kugler, Wieseler befürwortete Ansetzung in das Zeitalter des Skopas bewähren, so wird man der Aphrodite von Melos nicht etwa die Trophäen des Ares in die Hand geben können, sondern nur den Ares selbst, und zwar nicht so, dass die Göttin seinen Zorn beschwich- tigen will, wie Quatremóre de Quincy vorschlug, denn dazu stimmt wieder weder Gesichtsausdruck noch Haltung; auch nicht, indem die Göttin einen Angriff aufihre Keuschheit abweist (V. Valentin), da die angebliche dramatische Aufregung ih Zug und Bewegung der unteren

*) Reber, Keller: Venus victrix auf den Schild schreibend; Rydberg: Schild mit Inschrift über den Persersieg der Griechen zeigend.

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. XI. 43

674 K. Tümpel:

Gliedmassen und ihrer Gewandung eine Täuschung ist. Möglich scheint, wenn man ja eine „dramatische Gruppe" annehmen will, der Gedanke an eine herrschende Ueberlegenheit der Aphrodite über Ares nur rücksichtlich ihres königlichen Stolzes in Blick und Hal- tung, etwa so, dass wie Bernoulli will (p. 163) „Aphrodite nicht mehr die Waffen des Kriegsgottes, sondern diesen selbst (als über- wunden) in den Armen hält“. Aber dieser Stolz brauchte darum noch nicht gerade jenem vorauszusetzenden Ares gegenüber zur Gel- tung gebracht worden zu sein: ja die umfassende Bewegung des linken Armes würde sogar vielmehr als ein Sttitzen des schwächeren Weibes auf die Kraft des etwas höher gewachsenen Mannes ver- standen werden müssen. Dies würde aber der naturgemässen ehe- lichen Beziehung zwischen dem Götterpaar entsprechen, wie wir sie auf dem Kypseloskasten im Archaismus und auf einigen Darstellungen der Nachblüthe, nicht aber bis dahin in der zwischen beiden Perio- den liegenden Hauptblüthe der Kunst nachzuweisen vermochten. Diese Kluft füllt die Hypothese Overbecks (Pl. II? 326) aus, welche die melische Statue zu einer Tempelgruppe beider Götter in ihrer heiligen ehelichen Verbindung ergänzt, zur vollen Wahrscheinlichkeit aber dennoch eine Datirung in voralexandrische Zeit erheischen würde. Mag sich nun die Entscheidung neigen, auf welche Seite sie will, 80 werden wir doch von unserem gefundenen Anfangstermin dee dra- matischen Unterliegens des Ares unter die Aphrodite, der Alexander- epoche nicht abzugehen haben; wir formuliren also den Unterschied zwischen der früheren und der späteren Auffassung des Paares so, dass wir jenes als echtes Cultpaar bezeichnen, bei dem das Weib sich gebührend der Ueberlegenheit des Mhnnes unterordnet; dieses ein epigrammatisches, bei dem die Umkehrung der natürlichen Ver- hältnisse die Grundlage bildet: der Mann bezwungen vom Weibe, der stürmisch-gewaltthätige Kriegsgott von der zarten Göttin der Liebe; die Trophäe des Starken in der Hand der Schwachen: ein Oxymoron, das den Stempel seiner jüngeren Entstehung an der Stirne trägt.

8 15. Die Philosophie. Noch ein ganz heterogener Factor hat ausser der bildenden und Dichtkunst an der Umbildung unseres Paares Antheil gehabt: die Philosophie, welche sich nicht mit der Antithese der anthropomorphischen Eigenschaften der beiden Gott- heiten, Stärke und Schwäche, begnügt, sondern direct an die schon bei Homer mit beiden Namen verbundenen allegorischen Begriffe von Krieg und Liebe anknüpft. Durch eine leichte Verschiebung wird daraus der durch ein Btindniss aufgehobene Gegensatz von Streit und Einigung. Auf diese Principien war Herakleitos ohne mythologisches Güngelband gekommen; und Empedokles hatte dessen πόλεμος und φιλία als νεῖκος und φιλία in sein System her- über genommen, zugleich aber auch zu einer mythologischen Paral- lelisirung den ersten Anstoss dadurch gegeben, dass er für den

Ares und Aphrodite. 675

Ausdruck φιλία auch ’Appoditn (und 'Apuovía) gebrauchte. Dass er für νεῖκος auch "Apnc gebraucht habe, lässt sich nicht erweisen und wird ihm nur fülschlich von Eustathios ad Od. VIII (p. 1597. 53) und dem Autor der vita Homeri untergeschoben. Denn erst Herakleides von Pontos verknüpft offenbar auf eigne Faust die Empedoklischen Prineipien mit dem homerischen Paar (Allegoriae homer. LXIX): *rà γὰρ (ικελικὰ δόγματα καὶ τὴν Ἐμπεδόκλειαν γνώμην ἔοικεν “Ὅμηρος ἀπὸ τούτων βεβαιοῦν, Ἄρην μὲν ὀνομάςας τὸ νεῖκος, τὴν δ᾽ ᾿Αφροδίτην φιλίαν (sie). τούτους οὖν, ὃι- εςτηκότας ἐν ἀρχῇ, παρειεήγαγεν “Ὅμηρος ἐκ τῆς πάλαι φιλονει- κίας εἰς μίαν ὁμόνοιαν κιρναμένους᾽ ὅθεν εὔλογος ἐξ ἀμφοῖν “Ap- μονία γεγένηται τοῦ παντὸς ἀςαλεύτως καὶ κατ᾽ ἐμμέλειαν ἁρμο- ςθέντος᾽ und schafft so jene Grundanschauung, die wir noch bei den älteren Mythologen unseres Jahrhunderts herrschend fin- den. Also in die frühe Zeit des Empedokles kann diese Auffassung unseres Paares nicht zurückdatiren; sie musste auch gerade dem Empedokles ferner liegen wegen des neutralen Geschlechts von νεῖκος. (Freilich Engel (Kypros II 395) sagt: „Empedokles stellte der φιλία den (sie) νεῖκος gegenüber“, während doch von einer an sich auch unwahrscheinlichen Personification “Neixoc’ uns keine Kunde er- balten ist.) Den gleichen Gedanken gibt wieder wenigstens an- nähernd

Plutarch (Pelopidas XIX). Er sagt ᾿ Ὀρθῶς δὲ πρὸς τοῦτο [οἱ Θηβαῖοι] καὶ τὴν ἐξ Ἄρεως καὶ ᾿Αφροδίτης γεγονέναι λεγο- μένην θεὸν ['Appovíav] τῇ πόλει ευνῳκείωςαν, ὡς, ὅπου τὸ μαχη- τικὸν καὶ πολεμικὸν μάλιςτα τῷ μετέχοντι πειθοῦς καὶ χαρίτων ὁμιλεῖ καὶ cóvectiv, εἰς τὴν ἐμμελεετάτην καὶ κοςμιωτάτην πολι- τείαν bv Αρμονίας καθιεταμένων ἁπάντων᾽. Wenn also hier auch von einem Uebergewicht der Aphrodite über den Ares keine Rede ist, sondern die Gleichberechtigung beider Elemente als Harmonie ausgegeben wird, so ist doch deutlich zu erkennen die philosophische Auffassung, die eine Anwendung des mythologischen Paares auf die politischen Verhältnisse erhielt zunächst nur in Rom und dann eben auch durch Uebertragung auf Theben. Es wäre natürlich gleich spitzfindig, aus dieser späten Nachricht für Theben eine „kosmische“ Urania mit Bewaffnung oder eine friedliche Pandemos schliessen zu wollen. In der Anwendung des mythischen Paares auf die Politik war Plutarchs Vorgänger

Aristoteles (Politika II 6, 6). An der Stelle, wo er die spar- tanische Verfassung bespricht, tadelt er die Theilnahme der Frauen an der Regierung, die er Lykurgos zur Last legt, und begründet diesen behaupteten Einfluss durch den Hinweis auf die Herrschaft der lake- dümonischen Frauen in der Familie.*) Er nennt darum die Lake-

*) καίτοι τί διαφέρει γυναῖκας ἄρχειν τοὺς ἄρχοντας ὑπὸ τῶν Yu- γαικῶν ἄρχεςθαι: ταὐτὸ γὰρ cupfaívet.

488

676 K. Tümpel:

dämonier ᾿γυναικοκρατούμενοι᾽, und erklärt seine Beobachtung durch einen allgemein giltigen Satz, dass nämlich gerade die streitliebend- sten und kriegstüchtigsten (areischen) Völkerschaften einer aphro- disischen Pantoffelherrschaft unterlägen. Hierzu folgt nun eine my- thologische Parallele von Ares und Aphrodite; dieser hat er schon den Boden bereitet, wenn er den Begriff der häuslichen und staat- lichen Weiberherrschaft (᾿ γυναικοκρατούμενοι᾽) verschiebt in den verwandten, jenen erst erklärenden, des Unterliegens unter die sinn- ‚liche Liebe ( κατακώχιμος πρὸς ὁμιλίαν ^) die dann unorganisch specificirt wird in Weiber- und Knaben(!)liebe (nämlich der Kelten, die er schon vorher wegen dieser Verirrung von den frauenbe- herrschten Kriegsvölkern ausgenommen hatte). Die Stelle lautet: “Ἔοικε γὰρ Ó μυθολογήςας πρῶτος οὐκ ἀλόγως ευζεῦξαι τὸν Ἄρη πρὸς τὴν ᾿Αφροδίτην᾽ γὰρ πρὸς τὴν τῶν ἀρρένων ὁμιλίαν, πρὸς τὴν τῶν γυναικῶν φαίνονται κατακιίύχιμοι πάντες οἱ τοιοῦτοι [sc. τὰ ςτρατιωτικὰ γένη]. Διὸ παρὰ τοῖς Λάκωςε τοῦτ᾽ ὑπῆρχε᾽ κτλ. Die Art, wie dieses Beispiel von Aristoteles angeführt wird (Ares erscheint auch als an die Aphrodite gefesselt, nicht umgekehrt), lässt erkennen, was auch aus den Λάκωνες γυναικοκρα- τούμενοι folgte, dass Aristoteles, der Hauptvertreter der Wissen- schaft in der Alexanderepoche, schon von dem Unterliegen des Ares unter die sieghafte Aphrodite überzeugt war. Eine Verlegung des Mythos nach Sparta lag, wenn er vielleicht auch gerade an die dor- tige Urania gedacht haben mochte, doch nicht in seiner Absicht, so dass an eine örtliche Vereinigung der, so viel uns bekannt, ge- trennten Culte des Enyalios oder des Thereitas und der Urania Kythereia zu Sparta nicht gedacht werden darf. Durch jenen datirten Originalgedanken hat sich unsere obige Zeitansetzung wieder be- stätigt.

"Von weitestgreifender Bedeutung aber wurde diese politisch- philosophische Idee, die man in dem Paar Ares und Aphrodite ver- körpert fand, für Rom, wo Ares in Mars und die hellenistische Herr- scherin Aphrodite in der aeneadisch-julischen Venus Victrix auf- ging. Schon vorher waren zwei griechische Meisterwerke, der Ares und die Aphrodite des Skopas im Marstempel des Brutus Gallaecus zusammengestellt worden (Overbeck, Plastik II? 288). Später erhielt die Paarung der Beiden durch das Hervortreten des julischen Ge- schlechts noch ein kräftigeres Relief in dem Venus-Sprössling Caesar als Vertreter der Mavortia proles, des römischen Volks. Aber noch weit früher hatte unser Paar eine staatliche Sanction erfahren: durch das Lectisternium der Zwölfgötter und die Einführung der Venus Erycina in Rom nach dem trasimenischen Unglück 217 a. Ch. Wir können uns im Wesentlichen an die Ansicht von Klausen (Aeneas und die Penaten 282 [und 746]) anschliessen: „Im Lecti- sternium wird Mars mit Venus verbunden, offenbar in dem Sinne, wie Lucrez (I 31 40) sie schildert,“ (der bei diesem Ereigniss

Ares und Aphrodite. 677

22 Jahre zählte), „wenn sie den Gott in ihren Umarmungen einkost, um den Römern Frieden auszuwirken.*) Denn die Xviri leiteten nach Einsicht der (Sibyllinischen) Bücher das Unglück von einem unrichtig vollzogenen Gelübde her, welches Mars für diesen Krieg ge- leistet worden war (Livius XXII 9. Gegen seinen Zorn bedurfte es also der Vermittlung, und diese ward in der Venus gewährt.“ Von einem wirklichen Uebergewicht der Venus über Mars im Sinne der helle- nistischen Kunst und Dichtung kann freilich hierbei keine Rede sein; doch ist eine Beeinflussung durch Venus sichtbar und wird später verstärkt durch die Gewalt, welche die Caesaren- Venus tiber die römischen Marskinder ausübte.**) Wir glauben den principiellen Gegensatz zwischen dem voralexandrischen und dem späteren Paar scharf genug fixirt zu haben, um eine Verwechselung und Verquickung als unberechtigt zurückweisen zu können: correcturbedürftig erscheint vor Allem die Ansicht Welckers, welcher wie Herakleides und Plu- tarch auch thaten, ganz späte Verhältnisse in eine sehr frtihe Zeit fülschlich hinübertrügt. Zugleich erledigt sich, nachdem wir das ganze Gebiet unserer lückenhaften und zerstreuten Ueberlieferung durehmessen haben, die Frage nach der Bewaffnung der thebischen Aresgattin. Wir kónnen als bestimmt hinstellen, dass eine solche zu den Unmöglichkeiten gehört. Irrthümlich sind also Ansichten, wie die von Engel (Kypros II 211) ausgesprochene, dass „man für die Bewaffnung der spartanischen Aphrodite sonst keinen gentigen- den Grund ausfindig machen könne, wenn man sie nicht auf ihre pelasgisch-kabirische Verbindung mit Ares zurückführe“ (nämlich die thebische meint er, wo er sich die Aphrodite als waffentragend vorstellt). Bewaffnung nehmen für diese noch an Gerhard (Gr. Myth. 8 360)? Text) und Bernoulli (Aphrodite p. 424); den sonderbarsten Irrthum macht Duncker in der ersten (bis jetzt einzigen) Auflage seiner Geschichte der Hellenen (III. Band der Geschichte des Alterthums, 1856). Er beruft sich auf eine ganz unfindbare Pausaniasstelle und sagt (p. 305 und 106): , Pausanias braucht [von der kytherischen Aphrodite] denselben Namen [Urania], setzt aber hinzu, dass sie in Kythera, wie auf der Kadmea zu Theben mit der Lanze in

*) *Nam tu sola potes tranquilla pace iuvare mortaleis, quoniam belli fera moenera Mavors armipotens regit, in gremium qui saepe tuum se reiicit aeterno devictus volnere amoris’. Cf. Hinck, A. d. I. 1866, p. 101 ff.

**) Die julische Venus victrix des Caesar auf Silbermünzen des Augustus (Müller-Wieseler, D. d. a. K. 11 272) blickt auf den Helm in der Hand, wie die analoge der Gemmen (ebenda 272*. 2125), wie die vor dem argivischen Aphroditetempel stehende Telesilla, wahrscheinlich nur eine umgetaufte Statue dieser Göttin, und die nackte Schildträgerin auf der späten Vase Elite Céramogr. IV, pl. XXXI. Das Schema ist von Bernoulli nicht berücksichtigt.

678 K. Tümpel:

der Hand dargestellt sei als kriegerische Aphrodite, d. h. als Astarte der Phünicier", Aber auch der Preller-Schwartz’schen Erklärung der Bedeutung unseres Paares, welche sich auf die Bewaffnung beider Götter stützt, ist somit der Boden entzogen, so dass wir künftig bei Aufstellung einer neuen Ansicht uns wirklich nur mit der H.D. Müller, Lehrs, Welcker gemeinsamen Annahme einer rein poetischen Fiction auseinanderzusetzen haben werden.

8 16. Aphrodite Kypris und Urania Kythereia. Wir sehen uns jetzt auf den Punkt hingedrängt, wo es sich nicht mehr fragt, ob ein so äusserlicher Umstand wie die Bewaffnung der Aphrodite die Veranlassung hergegeben habe zu der Paarung mit Ares, sondern ob überhaupt die Verbindung selbst einen orientalischen Ursprung hat. Dabei ist es zuerst nothwendig, dass wir uns die Einführungswege der Semitin vergegenwärtigen: über Kypros und Kythera. Wir werden sehen, dass die Göttinnen dieser beiden Inseln zu principiell verschieden sind, als dass sie im Ernst als gleichbedeutend confun- dirt werden dürften; da dies aber der Dichter des Demodokosgesangs zu thun sich nicht scheut, so werden wir mit vollem Recht seine nichtgriechische Nationalisirung der Aphrodite in ihrer Verbindung mit Ares als für uns irrelevant bezeichnen müssen. Er nennt sie Ky- thereia (0 288) und lässt sie v. 361—362 nach Kypros gehen. Die Unterscheidung beider Culte, welche bei weitem nicht nach Gebühr gewürdigt und ausgebeutet ist, verdanken wir Stark, Gaza und die Philistäische Küste, 1852. Er hat (p. 290) zuerst Gewicht auf die Tradition des Herodot (I 165) und Pausanias (I 14, 6) gelegt, welche beide trotz eines ‘für uns gleichgiltigen Widerspruchs über die Priorität des assyrischen (Baaltis-) und des phónikischen (aska- lonischen) Astartedienstes übereinstimmend betonen, dass die Ky- therher den Uraniacult direct aus Askalon von den Phönikern übernommen haben und nicht über Kypros.*) Die Kythereia geht direct auf Askalon zurück, während „in der Kypris das Zusammen- ireffen des syrischen, zunüchst aus Byblos kommenden Baaltiscultes mit dem der kriegerischen, strengen Urania ausgesprochen ist“. Daher „erlaubt der Dienst der paphischen Aphrodite keinen Rück- schluss auf den der Urania zu Askalon“ (313) oder den der Kythereia. Ebensowenig darf man natürlich umgekehrt von der Urania ohne Weiteres auf eine Bewaffnung auch der Kypris schliessen, wenngleich diese bei einer Mischgöttin in dem einen oder dem andern Cult nicht

*) Herodot: “ἔςτι δὲ τοῦτο τὸ [τῆς odpavinc ᾿Αφροδίτης ἐν ᾿Αςκά- Awvı] ἱρὸν πάντων ἀρχαιότατον ἱρῶν, ὅςα ταύτης τῆς θεοῦ. καὶ γὰρ τὸ ἐν Κύπρῳ ἱρὸν ἐνθεῦτεν ἐγένετο ὡς αὐτοὶ λέγουςιν Κύπριοι, καὶ τὸ ἐν Κυθήροιςι Φοίνικές elav οἱ ἱδρυςάμενοι ἐκ ταύτης τῆς ζυρίης ἐόν- τες΄. Pausanias: ᾿πρώτοις δὲ ἀνθρώπων ᾿Αςευρίοις xarécrm ςέβεςθαι τὴν Οὐρανίαν, μετὰ δὲ "Accuplouc Κυπρίων ἸΠαφίοις καὶ Φοινίκων τοῖς ᾿Αςκκάλωνα Exovcav ἐν τῇ ἸΠαλαιςτίνῃ. παρὰ δὲ Φοινίκων Κυθήριοι μαθόντες cépouciv.

Ares und Aphrodite. 679

ausgeschlossen ist. Die Glosse des Hesychios '""C[xetoc* ᾿Αφροδίτη᾽ Κύπριοι᾽ steht gleichwohl vereinzelt, da der zweifelhafte Fall der Ross'schen Inschrift nichts beweist und Aldenhoven (A. d. J. 1869, p. 109) der paphischen Aphrodite ohne Grund ein bewaffnetes Idol vindicirt. Ein nothwendiges Ingredienz der kyprischen Góttin ist die Bewaffnung, wie aus vielen Nachrichten hervorgeht, jedenfalls nicht. Schliesst sie sich somit enger an die assyrische als an die philistäische Göttin an, so ist es von Wichtigkeit, die Stark'sche Unterscheidung beider Dienste zu hören. „Die Urania scheidet sich scharf von der Áschera, Baaltis oder der babylonischen Mylitta, die zum Theil von einer anderen Naturauffassung von der empfangenden, gebärenden Erde oder dem feuchten Element ausgegangen, . . . einen so sittenlosen und entsittlichenden Cult so frühzeitig erhielten“ (312 f). Dagegen „widerspricht der ganze Charakter der von Askalon direct nach Kythera und Lakonika gebrachten bewaffneten Aphrodite Urania durchaus einem entsittlichenden, verweichlichen- den Cult, obgleich auch hier diese Urania, ebenfalls zu Askalon, nicht als Jungfrau, sondern als herrschendes Weib erscheint“ (313). „Sie tritt bald ganz jungfräulich auf, wie zu Sidon, oder als der Liebe unterworfen und Liebe gebend, wie zu Askalon, aber auch hier nicht in weichlicher, ausschweifender Weise, sondern als mächtige bezwingende Leidenschaft“ (259). Denn „sie hatte in Philistäa, wahrscheinlich durch den philistäischen Stamm selbst, eine eigen- thümliche Ausbildung erhalten, nämlich jene Vereinigung des Astra- len mit einer heroischen kriegerischen, aber nicht jungfräulichen Weiblichkeit“ (265). Wir haben somit die Erklärung zu jenem ' merkwürdigen Umschwung in den Händen, der sich vor unseren Augen im alexandrischen Zeitalter vollzog und können den Uuter- schied zwischen dem alten und neuen Paar auf die Verschiedenheit der betheiligten Aphroditen zurückführen.*) Die Veranlassung aber liegt in dem Hereintreten der kytherischen Urania in ein Verhält- niss, das von Natur nur einer über Kypros überlieferten Göttin zu- kam, einerlei, ob dieser selbst wieder die Verbindung angeboren war oder nur übertragen. Die Herrschernatur und das etwas spröde,

*) Bestechend sagt in den Sitzungsber. d. süchs. G. d. W. (Ph.-H.

Cl. p. 19) Stark und mit ihm C. Dilthey (Rhein. Jahrb. 1872. Nr. 53, 54; p. 42 f) dass die „bewölkte Physiognomie und das melancholische Wesen des Ares aus dem Grund seiner mythologischen Naturbedeutung hervorgeht und erst in jüngerer Vorstellung und Kunst auf das Liebes- schmachten des Gottes und die Wechselfülle seines Verkehrs mit Aphro- dite bezogen wird‘; wenn wir uns auch nicht seine Auffassung des Ares als eines Gewittergottes zu eigen machen können. Freilich die buschi- en Wimpern des Ares der Sosiasschale (cf. die Mittheilungen Prof. Roberts im Excurs!), die einen düsteren Gesichtsausdruck hervorbringen zu wollen scheinen, würden dieses jüngere Kunstideal einigermassen an den unwirschen, widerspänstig unzufriedenen Charakter dieses Gottes in der älteren Poesie anknüpfen. Doch fehlt nur leider mit dem Ares des

680 K. Tümpel:

stolze Wesen der Kythereia erklärt die tiefere Stellung, die Ares einnehmen muss als der Unterliegende. Unter dem erotischen Ge- sichtspunkt des Hellenismus wird die Niederlage eine moralische, und die Energie das von dem stolzen Weibe Geknechtete, so dass wir ıdas Schauspiel erleben: Ares wird wie Herakles zu einem schmachtenden Liebhaber zu den Füssen seiner Omphale Aphrodite, die einen Adonis aus ihm machen will.

Wir hatten bei unserer Hypothese vorausgesetzt ein langes separates Fortleben der Urania, getrennt von der Kypris-Dionaia, und dieses ist auch unschwer nachzuweisen. Denn wenn auch früher schon in einem dunklen Bewusststein von der ursprünglich beiden Göttinnen gemeinsamen semitischen Abstammung Urania mit unter dem Namen Aphrodite begriffen wurde, so geschah dies doch nur in einer oberflächlichen Weise und ohne dass man sogleich auch die Liebesverbindung mit Ares organisch auf die Urania übertragen hätte. Nur die Namen gebrauchte man wechselnd und als gleich- bedeutend, was gerade die Unkenntniss der charakteristischen Ab- weichungen im Wesen der Kythereia beweist. Den Anfang machte hiermit Hesiod, der auf Grund der Namen und der angeblichen Wassergeburt der Kythereia eine Verkntipfung versuchte. Dem Homer war die Kythereia mit Ausnahme des späteren Demodokosgesanges unbekannt, denn den Ausdruck 'Ku6rjpoic ζαθέοιςι᾽ (O 432) kann man nicht rechnen.*) Der Name 'Ovupavía" kommt überhaupt nicht vor. Dagegen hat Homer ausser dem geographischen Beiwort Kypris (Paphos kommt ebenfalls nur in dem Demodokosgesang vor) die Benennung 'Agpobítn, ein Wort, dessen semitischen Ursprung schon Völcker (Rhein. Mus. 1833, Ausländische Gótterculte bei Homer), Scheiffele (Pauly R.-E. Venus) und Schwenck (Myth. IV 211, 1846) vertheidigt haben unter Zurückführung auf die Wurzel 71% mit der Bedeutung der Fruchtbarkeit,**) und mit Recht. Denn der Einwand der Gegner, dass ein solcher Name in semitischen Reli- gionen sich nicht nachweisen lasse, wird erledigt durch die Bemer- kung, dass eben eine Kypris in ihrer eigenthümlichen Mischform Baaltis-Astarte auf dem asiatischen Continent gar nicht vorauszu-

Skopas eine ganze wichtige vermittelnde Zwischenperiode. Eine inter- essante Parallele zu dieser typischen Stimmung, falls die gewünschte Continuität der Entwicklung aufrecht erhalten wird, ist die Umwand- lung, welche das ursprünglich ebenfalls mythische Symbol der Fesselung nach der erotischen Seite beim Ares Borghese erfahren zu haben scheint.

*) Schon Geppert (Ueber den Ursprung der bomerischen Gesänge I 124) sagt, in der [1188 sei Kypros das Land der Aphrodite, in der Odyssee Kythera (freilich etwas ungenau).

**) Sowie Róth (Geschichte der Philosophie I 252, Note) und Prel- ler (Gr. Myth. 15 268) unter Berufung auf das assyrische rr^ (phöni- kisch mit Artikel n*"pw) , die Taube", was vielleicht vorzuziehen wäre, wenn nicht eine Einführung der zahmen weissen Taube der Semiramis in den vorderasiatischen Culten der Naturgóttin vor 600 a. Chr. selbst un- wahrscheinlich wäre (Hehn, Culturpfl.? 296 f.).

Ares und Aphrodite. 681

setzen ist. Wenn aber die verschiedenen semitischen Volkselemente, die auf Kypros zusammentreffen, sich tiber einen gemeinsamen Na- men ihrer höchsten Göttin einigen wollten, so liegt es nahe, dass hierbei ein neuer Name ohne specielle Reminiscenzen an das Mutter- land den Vorzug erhielt. Dieser lebte aber natürlich lediglich in der griechischen volksetymologisch zugestutzten Form fort, da das grie- chische Element schon in vorgeschichtlicher Zeit die vorhandenen phönikischen völlig absorbirte, worüber zusammenfassend Engel (Kypros II 6). Dass aber die “᾿Αφρο-δίτη᾽ als „Schaumgeborne“ nur einer Volksetymologie ihren Ursprung verdankt, geht aus dem unverhohlen tendenziösen Explicativ-Mythos Hesiods hervor, der die griechisch-kyprische Aphrodite mit der Urania von Kythera in Ein- klang zu bringen sucht. Die dppo-yeveıa passt zu der wasser- geborenen (weil astralen) Urania; und in letzterem, wohl alten Bei- namen liegt eine Handhabe zur genealogischen Anknüpfung des ge- wonnenen Doppelwesens Kypris-Kythereia an das ältere Geschlecht der griechischen Götterwelt. Dass Hesiod dadurch mit der homeri- schen Genealogie von Zeus-Dione in Widerspruch geräth, hat nichts Auffälliges, wenn wir an die Athene denken, die zugleich Tritogeneia und Hauptentsprossene ist. Der Hesiodische Versuch konnte nicht hindern, dass durch die Zähigkeit der Culte die Trennung der Urania und der Kypris (Pandemos) bestehen blieb, trotz des ganz homeri- schen Charakters, den er” der Urania aufzuprägen versucht hatte. Nur auf das ethische Gebiet übertrug man, wie wir sehen werden, den einmal vorhandenen Gegensatz als „himmlische und irdische Liebe“; im Uebrigen aber dachte man sich Beide doch als gleich- artige Wesen, wie z. B. die “εὔκαρπος Κυθέρεια᾽ des Sophokles (frg. 879 Dindorf) zeigt. Es wird wohl kaum nöthig sein, ausdrück- lich hervorzuheben, dass Welcker ganz vom Wege irrt, wenn' er (Götterl. I 667) „die Hesiodische Erklärung des Namens Kythereia falsch nennt, weil Sappho und Pindar, Solon und Theognis die Göttin Kyprogeneia nennen“. Dieser Umstand beweist höchstens, dass Dichter und Künstler des Hellenismus wirklich eine Lücke aus- füllten, wenn sie auf dem von Hesiod eingeschlagenen Wege fort- fuhren und die Urania, diesmal mit ausdrücklicher Berüicksichtigung ihres Wesens, dem griechischen Vorstellungskreise näher zu bringen versuchten, ausgehend von der Bewaffnung einerseits und der Ehe mit Ares andererseits. Ganz verkehrt sind selbstverständlich die Versuche der Alten, κυθέρεια von κύηεις (Engel, Kypros II 29)®) oder von κεύθομαι abzuleiten (a. ἃ. O. II 40), und erst recht die Etymologie Leo Meyers, der in den „Bemerkungen zur ältesten Geschichte der griechischen Mythologie“ (p. 37) den Namen aus dem Sanskrit als ein Epitheton der Aphrodite „die Leuchtende" ab- leitet (!).

Aus dieser Betrachtung ergibt sich mit Nothwendigkeit, dass ein Dichter, der so unbedenklich die kyprische und kytherische

682 K. Tümpel:

Göttin zusammenwirft, wie der mythische Demodokos [und Hesiod (Theog. 934)], sich auch nicht gescheut haben wird, einen griechi- schen Mythos von der Semitin zu erzühlen.*) Es handelt sich jetzt nur darum, ob aus einer Paarung der letzteren mit einem phöni- kischen Gott etwa die Ehe Ares und Aphrodite entstanden sein kann.

8 17. Baal und Ares. Sollte dies nachzuweisen nicht möglich sein, so wird ohne Widerrede auf griechischem Boden die Wurzel gesucht werden müssen. Und dann erst, wenn auch diere Hoffnung fehlschlagen sollte, wären wir berechtigt mit Lehrs, Welcker und H. D. Müller die Dichtkunst als Stifterin dieses Liebesbundes für überführt zu halten. Auf dem Einführungsweg über Kythera, der eigentlich nach unseren obigen chronologischen Ansetzungen für das alte echte Paar gar nicht in Betracht kommen kann, fehlt natürlich ein männlicher Gott neben der phönikischen Göttin; was nicht Wun- der nehmen kann, seitdem wir wissen, dass die phönikischen Götter- dienste einzeln, meist mit Bezug auf die zugehörigen Metalle über den Occident verbreitet wurden (Brandis, VII Thore Thebens; Her- mes II 273). Ein Heros Kytheros, Sohn des Phoinix (Steph. Byz. 8. v. Κυθέρεια) ist das einzige göttliche männliche Wesen, das auf der Insel erwähnt wird. Was dagegen Kypros betrifft, so lässt sich erwarten, dass Aphrodite von ihrer Abstammung aus Byblos her mit Baal verbunden gewesen sei, als Baaltis. Aber Engel (Kypros II 67), der hierin gewiss competente Kenner kyprischer Culte, sagt: „Ueber das Vorhandensein des männlichen Gottes der Phöniker, des Baal, Gemahls der Astarte auf Kypros, gibt es zwar nur wenige Anzeichen, doch kann er nicht gefehlt haben“. Ersterer Satz ist für uns wichtiger, als der zweite. Diese „wenigen Zeichen“ aber an- langend, so belehrt uns über deren Natur die folgende Stelle: „Das scheint wenigstens sicher zu sein, dass unter phönikischen Kypriern Baal unter dem Namen Adonis bekannt gewesen ist, welchen die Griechen aufnahmen und für ihren griechischen Mythos des Adonis benutzten. Das ist aber auch fast Alles, was sich mit einiger Sicher- heit über den Baal vorbringen lässt“. Es müsste also aus Adon Ares geworden sein: eine sehr bedenkliche Annahme, die auf ihre Haltbarkeit geprüft werden muss. Späte Schriftsteller, wie Proklos (paraph. *eic τὴν τοῦ Πτολεμαίου τετράβιβλον᾽ [1654] B, III p.98), vermengen zwar, wie es scheint auf Grund nordkleinasiatischer Religionsvorstellungen, beide Götter: 'cégouc μὲν [οἱ Βιθύνιοι) τῆν ᾿Αφροδίτην .... καὶ τὸν τοῦ "Ἄρεως (sc. ἀςτῆρα πλανήτην] καλοῦντες αὐτὸν "Abuviv'. Aber sonst waren sie im ganzen Alter-

——

*) Die eigenthümliche Stellung, welche überhaupt der Demodokos- gesang durch seine Kenntniss der Kythereia dem übrigen Homer gegen- über einnimmt, und die ihn eher an Hesiod annähert, bestätigt von Neuem die seit Nitzsch allgemeine Annahme, dass er zu den jüngsten und interpolirten Theilen der Odyssee gehört. Man bemerke auch die merkwürdige runde Zahl von 100 Versen, aus denen der Gesang besteht!

Ares und Aphrodite. 683

ım bekanntlich grundverschieden. Die einzige Möglichkeit, sie an- ander anzuknüpfen, wäre, dass man annähme, ihre Wesensver- iedenheit sei nur die Folge einer zeitlichen Differenz zwischen der ıführung des kyprischen Baal als Ares (neben Aphrodite) und als onis. Denn der letztere hat erst gegen das Jahr 600 v. Chr. in iechenland Eingang gefunden (Maury, hist. des religions de la àce III 220, 1859). Aber wir haben zum Glück ein mit Ares ichzeitiges Beispiel von der ethnographischen Treue, mit der mer seine nichigriechischen Göttergestalten zeichnet, in Paris, n adonisartigen Aphroditeliebling, der eigentlich nur eine Art von inasiatischem Attys ist. Wir werden also Hartung unsere Zu- mmung versagen müssen, wenn er (Religion u. Myth. der Griechen

102) sagt: „Ares, dieser Schlächter und Mörder, scheint wenig t dem Zärtling Adonis gemein zu haben, und dennoch ist er mit eins: denn auch Adonis ist ein Jäger und Krieger". Der augen- ieinlichste Beweis gegen die Berechtigung zu einer solchen Ver- ickung ist die Rolle, die Áres auf Kypros gewiss schon ziemlich h, als Rivale des Adonis um die Gunst der Aphrodite spielt. erin mag zum Theil ein Cultgegensatz ausgedrückt sein zwischen em griechischen Cult der mit Ares verbundenen Aphrodite und n kyprischen Adonis-Aphroditedienste. Bei der Collision über- hm Ares die Rolle des den buhlerischen Adonis tödtenden Ehe- nns. Seine Ebergestalt (Preller, Gr. M. I? 272 f.) hängt offenbar t den ganz unsemitischen Schweineopfern zusammen, welche gerade . Todestag des Adonis (2. April) zur Sühne geleistet wurden ngel, Kypros II 156), und findet ihre Erklärung in der Ansiede- ıg argivischer Chronisten. „Der Ursprung der Sauopfer der Aphro- e muss Argos gewesen sein, denn überall, wo sich solche befinden, d argivische Colonien vorhanden“ (ebenda, p. 157). Das Aphro- efest der ,Hysterien" (von ὗς) erwähnt Zenodot bei Athenaios I 96) in demselben Argos, wo wir auch das polyneikische Heilig- im der mit Ares verbundenen Göttin hatten.

So bliebe nur noch die eine Möglichkeit, dass unser Paar nicht er Kypros, sondern direct eingeführt sei, und von Melkarth und d Astarte stammt; aber Melkarth ist im thebischen Herakles er- lten, so dass er nicht im Ares stecken kann, und Astarte ist, wenn ht Alles trügt, in die ogygische Athene übergegangen, worauf r zurückkommen werden.*) Die Vermittlung Thrakiens aber, die awenck (Myth. IV 217) in Vorschlag brachte, ist zurückzuweisen,

*) Brandis a. a. O., Hermes II 280. Es erklärt sich hieraus die auf- lende Intimitát von Herakles und Athena auf Kunstwerken. Welcker te Denkmäler III 38 ff.) nennt die „nicht immer ehelichen Beziehun- ı des einen Gottes zum andern“, wie sie in der [albanischen] Pallas der Löwenhaut [des Herakles], der Aphrodite Areia u. a. aus- rückt ‚sind, ein „noch nicht geschriebenes Capitel der griechischen

ologıe“.

684 K. Tümpel:

so lange nicht erwiesen wird, dass die thrakische Bendis in Theben verehrt und mit Aphrodite verschmolzen worden ist, Das ist unmög- lich, und die Abenteuerlichkeit der Hypothese lässt die ganze Me- thode semitischer Ableitung für unser Paar in möglichst schlechtem Licht erscheinen. Schliesslich wird der Gedanke an eine Einführung auf dem von Welcker (Kret. Col in Theben) hervorgehobenen Ver- bindungsweg über Kreta ausgeschlossen durch die Thatsache, dass der dortige Gott den Griechen als Kronos zukam.

Wir künnen also die Frage nach den nationalen Wurzeln der Verbindung von Ares und Aphrodite jetzt schon wenigstens negativ dahin beantworten, dass sie im semitischen Element wie noch Schwenck wollte, nicht zu suchen sind.

Wir stehen somit vor der Aufgabe, in den griechischen Religionen zu suchen, was wir in der semitischen ausfindig zu machen nicht im Stande waren, und fragen uns nach Anleitung unseres Programms weiter: L&sst sich unser Paar vielleicht in einem bestimm- ten griechischen Stammeult nachweisen?

Während wir also bisher von Homer aus vorwärts gehend Ares und Aphrodite bis an die Schwelle des römischen Alterthums ver- folgten, wollen wir jetzt in umgekehrter Richtung von Homer aus rückwärts einen Blick hinter den Ausgangspunkt unserer vorigen Betrachtung zu werfen suchen in die vorhistorische Zeit. Dabei wird uns ein fester Anhaltspunkt die mythische Geschichte Thebens und die Verbreitung seiner ältesten Gottheiten sein; denn nicht allein, dass die combinirten Culte von Ares und Aphrodite auf diese Stadt deuteten schon Ares, der alteinheimische Stadtgott, weist uns darauf hin, die Urgestalt seiner Gefährtin unter den alten Göttinnen Thebens zu suchen, welches die πάτρα Ἄρεως heisst (Soph. OR. 192). Vielleicht, dass eine derselben in der Kypris untergegangen und die Zusammenstellung dieser mit Ares veranlasst hat. Dabei kommt uns gut zu Statten der Kadmosmythos, der &lteste thebische. Ausser dem uns hier besonders wichtigen Ares spielen hier eine Rolle (abgesehen vom Titelhelden Kadmos selbst und Harmonia, seiner Gattin) nur

Demeter Thesmophoros als Beschützerin des neugebildeten Gemeindewesens,

Athene mit einer mehr neutralen Rolle, und

Erinys Tilphossa; letztere allerdings ausdrücklich nur in einer Nachricht; doch ist ihr alter Cult in Böotien zu gut bezeugt, als dass das Alleinstehen dieses Zeugnisses einen Zweifel an seiner Authenticität motiviren könnte. Das Verdienst, das Zusammengehen dieser Culte der drei böotisch-thebischen Göttinnen, in Abhängigkeit von Böotien, nach- gewiesen zu haben, gebührt O. Müller in seiner Zusammenstellung des Tilphossischen Mythencomplexes in dem Commentar zu den Eume- niden des Aischylos, p. 168ff. Eine übersichtliche Zusammen-

Ares und Aphrodite. 685

stellung unter verändertem Gesichtspunkt gibt W. Stoll in seiner Abhandlung: Ueber die ursprüngliche Bedeutung des Ares 1855, zu der wir uns jetzt wenden.

II Theil.

a Á—

Aphrodite-Erinys (Apostrophia) und Ares, das religiöse Paar des thebischen Localeults.

Abschnitt I: Tritonia, Thesmophoros, Erinys.

8 18. Ausserthebische Culte. Wir beschrünken uns darauf, kurz die Hauptmomente nach der dortigen Zusammenstellung und unter Verzicht auf den gegebenen Erklärungsversuch wiederzugeben und nur zu motiviren, weswegen wir, abweichend von ihm, nicht überall eine enge Beziehung der Dreiheit zu Ares anzuerkennen vermögen. Um eine feste Grundlage zu gewinnen, beginnen wir mit den Wieder- holungen des Cultcomplexes ausserhalb Thebens, in zwangloser Ord- nung. Zu

Pheneos in Arkadien befand sich ein Heiligthum der Athene Tritonia (Paus. VIII 14. 4), von dem Pausanias nur noch Trüm- mer vorfand; ferner ein Tempel der Demeter Thesmia und ein Heiligthum der Demeter Eleusinia mit einem ᾿πέτρωμα᾽, bei dem die Pheneaten ὑπὲρ μεγίςτων᾽ schwuren (a. a. O. 16. 1). Dahinter ist, wie Stoll, Preller (Demeter und Persephone, p. 147) und H. D. Müller (Myth. d. griech. Stämme II 147) erkannt haben, wie hinter den meisten Eleusinischen Culten, wofür wir noch Argu- mente beibringen werden, ein älterer Cult, und zwar der Erinys zu vermuthen. Denn nach Photios (bibl. 148 ed. Bekker) lebten noch die Vorstellungen von Erinys und Lusia (— Thesmia) am Orte (cf. Preller a. a. O. 170°). Derselbe Cultkreis findet sich zu

Kolonos Hippios, jenem durch die Oidipussage deutlich mit Böotien verknüpften Gau. Die Athene Hippia, die hier erscheint (Paus, I 30, 4) ist durch das Rosssymbol als die Wasser-Athene be- zeichnet, die auch im Namen Tritogeneia ausgedrückt ist (wie z. B. Amphitrite, Triton, cf. O. Müller, Pallas- Athene in der Hallischen Allg. Encykl. 8 40). Verbunden ist sie mit Poseidon Hip- pios*), der auch zu Pheneos neben der Tritonia alt erschien; denn sein Standbild galt als von Odysseus gestiftet. Ferner zieht Stoll in diesen Bereich die Demeter Euchloos oder Chloé, deren πάτος vom κολωνὸς ἵππιος sichtbar war (Soph. OC. 1600). Sie steht in der Oidipussage als freundliche versöhnte Erdgöttin zu der

*) Paus. a. a. O. cf. Soph. OC. 889, wo er 'émcrárnc Κολωνοῦ᾽ heisst; cf. v. δά, 1494 etc.

686 K. Tümpel:

im attischen Cult vervielfachten Erinys in demselben Verhältnis, wie zu Pheneos die Thesmia-Lusia zur Erinys. Die Verschieden- heit in der mythologischen Rechtfertigung der Namen ist gleich- giltig. In einem anderen attischen Demos

Phlya findetsich Tithrone Athene im Anschluss an die Sem- nai (Paus. I 31, 2). Der Eleusinische Cult hat sich ebenfalls festge- setzt: Demeter-Anesidora und Kora Protogeneia entsprechen den erechtheischen Jungfrauen Protogeneia und Pandora, die zu Athen mit Athene verbunden sind. Als männliche Gottheit erscheint hier nicht, wie zu Athen, Poseidon, dessen früher eheliches Verhält- niss zu Athene bei der strengen Durchführung von deren Jung- fräulichkeit zur Rivalität umgebildet ward, sondern ein Zeus Ktr|cioc, ein chthonisches Wesen. .

Am Tilphossion in Böotien heisst Poseidon der Gatte der Til- phossa Erinys (Hesych. s. v. Areion; Schol. Il. V 346), mit der er das Ross Areion erzeugt haben soll, wie auch zu Thelpusa in Arka- dien; ein Mythos, dessen Unechtheit Rosenberg (Erinyen) dar- gethan hat. In dem naheliegenden Haliartos finden wir einen hochheiligen Tempel der Praxidikai, von dem Paus. (IX 33. 2) bemerkt: “ἐνταῦθα ὀμνύουει μὲν, ποιοῦνται δ᾽ οὐκ ἐπίδρομον τὸν Ópkov'. Ihre Namen nennt Suidas (s. v. Praxidikai): Alalko- menia, Thelxinoia, Aulis. Die erstere Göttin ist unstreitig eine Erscheinungsform der wassergeborenen Athene, die in der Ilias (A 8, 908) “᾿Αλαλκομενηΐς᾽ heisst; denn sie ist Hauptgöttin zu Alalkomenai (Paus. IX 33, 4), wo sie Tochter des Ogyges heisst: wieder nur eine Genealogie, welche den Beinamen Ogygia erklären soll, der gleichbedeutend ist mit “Tritgnia’ (aus der man in gleicher Weise einen Vater Triton construirte). Vielmehr scheint Ogyges eher ein Cultusname des Poseidon zu sein, der mit dieser Athene uralt verbunden ist. Die Thelxinoia ist eine bloss ethisch tiber- tragene Euchloos, eine menschenfreundliche Demeter Thesmia; und in dem Namen Aulis, der vielleicht corrumpirt ist, muss eine Art Erinys gesteckt haben. Zu

Thelpusa in Arkadien (auch Telphusa, Steph. Byz. s. v. Der Name entspricht nach dem übereinstimmenden Urtheil Aller mit ver- tauschter Aspiration genau der Tilphossa) ist die Erinys durch einen widerwärtigen Mythos an die Eleusinische Demeter roh angeknüpft. Ihr steht wieder eine Demeter Lusia- Themis gegenüber, während die Anwesenheit des Athenecultes durch das Onkeion verbürgt ist, welches an die Athene Onka zu Theben erinnert (Paus. VIII 25, 4). Preller will hier die Erinys Thelpusa eliminiren, indem er sich auf die Hesychische Glosse stützt, dass “μία τῶν Ἐρινύων᾽ von Poseidon hier Mutter des Areion geworden sei (Demeter und Persephone, p. 153). Stoll nennt die Glosse mit Recht schlecht (Ares 6) '°); die Fassung dieser Notiz fällt allein dem Berichterstatter zur Last, welcher die Mehrzahl der Erinyen seiner Zeit im Ge-

,

Ares und Aphrodite. 687

düchtniss hatte. Noch Kalamis stellte nur eine Erinys dar (Over- beck SQ. 115, 5. 6) und erst Skopas fetzte noch zwei andere da- neben, nachdem wohl Euripides zur Befestigung der Dreizahl als Dogma beigetragen hatte (cf. Urlichs, Skopas 48 und Rosenberg, Erinyen p. 36! und 88).

8 19. Ares und Poseidon. In den letzten beiden Fällen will Stoll den Poseidon als unorganisch an die Stelle des Ares gertickt zurück- weisen und diesen dafür 818 echt ursprünglich substituiren. Dabei hat er allerdings die Wahrheit gerathen, aber auf einem, wie uns scheint, falschen Wege. Er stützt sich auf den Namen des Rosses Areion, den er von Ares ableitet, und sieht darin einen Nachhall eines früheren Hereinspielens von Ares. Aber dieser Gleichklang ist zufällig*): ᾿Αρείων durch sein kurzes a von "Apnc unterschieden ist ein comparativisch gebildetes Adjektiv, das mit dpicroc und dem bei Homer erhaltenen Vocativ ἀρές zusammenhängt (Ἄρες ἀρές, βροτολοιγέ᾽ κτλ. Ilias 31) cf. G. Curtius, Grundzüge? p. 340. In demselben Maasse, wie so der Zusammenhang mit Ares sich lockert, schliesst sich dieses Ross schon durch seine Symbolik, die von den mythologischen Verhältnissen des Ares ganz abweicht, an Poseidon an durch das Beiden gemeinsame alte Beiwort 'xvavoyaira', das Poseidon bei Homer, und Areion in der kyklischen Thebais (bei Paus. VIII 25, 5) und bei Hesiod (Scut. Herc. 120) führt. Ist doch der Reiter dieses Rosses, Adrastos, Dank seinem Beinamen “κυάνιππος᾽, den er auch selbst oder sein Sohn als Appellativ trug, nur eben wieder derselbe Poseidon (O. Müller, Eum. p. 174) und das Rosssymbol überhaupt rein poseidonisch; vgl. den "Apcnv ποταμός bei Thelpusa (Paus. VIII 25, 1) und den Fluss Areion nördlich des Keraunischen Gebirgs (O. Müller, Orchomenos? p. 227). Bei mit ἵππος zusammengesetzten mythischen Namen wird man des- wegen immer an Poseidon und nicht an Ares zu denken haben. Um an letzterem festhalten zu können, hätte sich also Stoll nicht darauf berufen sollen, dass in Athen Alkippe eine Tochter des Ares (von der Aglauros) heisst. Statt an eine Art ‘weiblichen ’Apeiwv’ (!) zu denken, muss man hierin vielmehr eine heroische Metamorphose der Athene Alalkomenets- Hippia erkennen, [wenn wir nicht ganz oberflächlich mit Welcker (Gótterlehre I 418) wohl in Er- innerung an Aristophanes (Nubes 64) glauben wollen, “dass dieser Name bloss etwas Vornehmes bedeuten solle']. Diese Ansicht erhält ihre Bestätigung durch den Mythos selbst, der uns von Apollo- doros (III 14, 2 ed. Heyne) aufbewahrt ist: Alkippe sei den Ge- lüsten des Halirrhothios (Meeresrauscher), eines Poseidonsprösslings, hinter dem offenbar Poseidon selbst steckt, zum Opfer gefallen; und

*) So auch schon H. D. Müller, Ares 81!!, freilich im Widerspruch mit seiner eigenen bedenklichen Ansicht, dass Areion doch zu Ares und nicht zu Poseidon gehöre (ἃ. a. O. p. 24).

688 | K. Tümpel:

Ares, der seine Tochter gerächt, sei wegen dieser Blutschuld von dem Zwölfgöttergericht am Hügel des Arestempels zur Verantwortung gezogen, schliesslich aber freigesprochen worden; und nach diesem ersten Criminalfal sei der Name Areiospagos gegeben (Paus. I 21, 7; 28, 5; Apollodor V 14, 1). Die Erklärung des letzteren Namens ist der Zweck dieses Mythologems, das an die Handhabung der Blutgerichtsbarkeit an diesem Hügel anknüpft, und eben dadurch seinen späten Ursprung verrüth, da in heroischer Zeit jene durch Blutrache vertreten ward. Ares sei hier verurtheilt worden: daher rühre der Name. Um verurtheilt werden zu können, muss er jemand getödtet haben; dazu werden vorhandene Thatsachen be- nutzt: der Streit mit Poseidon-Halirrhothios um die Athene, die Schutz- göttin derselben Stadt, um welche nach dem Schol. Aristides Panathen. p. 183, 19 (Dindorf) sich einst Ares und Poseidon stritten (τὸ &picaı ἸΠοςειδῶ καὶ "Apn ὑπὲρ τῆς πόλεως); und ferner die Beziehungen des Ares zur Aglauros, die sich auch in ihrem gemeinsamen Vorkommen im attischen Ephebeneid zeigt. Natürlich muss das echte Verhültniss zwischen Poseidon und Alkippe-Athene als Gewaltthat hingestellt werden, um als strafwürdig zu erscheinen; und das rüchende Ein- greifen des Ares wird durch die Blutsverwandtschaft mit der Athene motivirt, eine künstliche Genealogie die durch die nahen Beziehungen derselben zu der Gattin des Ares, Aglauros, noch ausdrücklich befür- wortet wurde (O. Müller, Pallas Athene a.a. O. 9). Ebenso wie Halirrhothios heroisirt und von Poseidon im Mythos losgetrennt er- scheint, da dieser als Gottheit doch nicht getödtet werden kann, so die Alkippe von der Pallas, um die Keuschheit der obersten attischen Landesgöttin unverletzt zu bewahren. Basirt nun die Herbeiziehung des Ares zur Erklärung des Namens “Ἄρειος πάγος᾽ auf thatsäch- lichen Verhältnissen oder ist sie eine etymologische Spielerei? Köhler (Hermes VI 104) und C. Wachsmuth (Stadt Athen I 428) behaup- ten das letztere. Areiopag bedeute Fluchhügel (von ἀρά!), der Ares- tempel an seinem Fusse sei ‘relativ jungen Datums’, und der Name des Hügels stamme vielmehr von der Athene “᾿Αρεία᾽, die auf dem- selben einen Altar hatte (Paus. I 28, 5). Allein es ist unmöglich “ἄρειος᾽ von *ápá abzuleiten (zu ἀρά gehört ἀραῖος, wie zu "Apnc ἄρειος und zu ἀρής ---ἀρείων). Düntzer (Fleckeisens Jahrb. 56, p. 64) vermeidet diese Schwierigkeit durch Ableitung vom Stamm ἀρε-ω, -cku, -«τήρ, -cróc und gewinnt die Bedeutung 'Sühnhügel. Aber ein Adjectivum ᾿ἄρειος᾽ dieses Stamms und Sinns ist sonst nirgends verbürgt. Ueberhaupt führt diese, wie die vorige Auffas- sung zu der móglichst unwahrscheinlichen Consequenz, dass der Ares- tempel an diesem “Sühn’- oder *Fluch-! Hügel auf Grund eines (an sich schon precären) Missverstündnisses desselben als eines 'Hügels des Ares’ gegründet sein müsste; ganz im Widerspruch mit unserem obigen Nach- weis einer 80 uralten Beziehung dieses Orts zu der Aresstadt Theben, die sich hier noch speciell bewährt durch den berühmten, ebenfalls an

Ares und Aphrodite. 689

den Areiopag örtlich und religiös angekntipften, aus Theben stammen- den 'Semnen- oder Erinyendienst. Der fernere Einwand, dass Athene in historischer Zeit als Oberrichterin galt, Dank ihrer Stel- lung als oberster Stadtgöttin, beweist nichts gegen den 'Ares-'Hügel dessen Name sehr wohl hinter die Stiftung des Blutgerichts zurück- reichen kann. Für uns ist jedenfalls am wichtigsten das Factum einer alten Cultvereinigung von Ares und Erinys (resp. ‘der Erinyen’) am Areiopag, die in den Traditionen des Blutsgerichts noch mehr oder weniger klar zu Tage tritt. Wir notiren uns diese Thatsache zur Verwendung, wie zur Erklärung an anderem Orte. An der Be- deutung des Areiopags als Ares-Hügels halten auch fest O. Müller (Eumen. p. 154) und H. D. Müller (Ares p. 83), der sich freilich mit Unrecht auf die einmalige Benennung des vor dem Areiopag abzuurtheilenden Verbrechens bei Aischylos (Eum. 851 f.) als “Ἄρης ἐμφύλιος᾽ stützt. Doch hat er sich wohl nur durch O. Müller (a. a. Ὁ.) täuschen lassen, wenn er diesem dichterischen Ausdruck den Werth eines terminus technicus an diesem Gerichts- hofe vindicirt.

Aehnlich treffen Poseidon und Ares zusammen in einer Stadt- gründungslegende der ursprünglich arkadischen Stadt Tritaia, ohne dass man auch hier wieder behaupten kónnte, die Ehe des Áres mit Tritaia, einer Tochter Tritons und Priesterin der Athene, sei wirk- lich ächt. Denn der Sohn dieses Paares ist Melanippos, der angeb- liche Gründer der Stadt (Paus. VII 22, 5). Stoll sieht hier freilich wieder mit O. Müller (Eum. 173) den ‘Sohn des Ares, Areion’; näher liegt es offenbar, direct an die Quelle zu gehen und den “κυανοχαίτης inmoc’ Poseidon selbst in heroischer Metamorphose als Melanippos zu erkennen, wie 18 auch eine Melanippe als Ge- mahlin des Poseidon in Boiotien genannt wird (Diodoros, Bibl. XIX 53, 6). Der Umstand aber, dass hier ein Poseidon an Ares ange- kindet wird, beweist genugsam die gedankenlose und künstliche Mache dieser Genealogie, so dass dieses auffällige Hapax-Eiremenon einer Verbindung des Ares mit der Wasser-Athene als beseitigt an- gesehen werden kann. Diese gehórt vielmehr ebenso constant zu Poseidon, wie Ares zu Enyo und ähnlichen Gottheiten, wie wir zeigen werden.

Um unseren Faden wieder aufzunehmen: so fehlen zu Tritaia auch nicht die μέγιςται θεαΐ, ähnlich den μεγαλαὶ θεαί Demeter und Persephone (Stoll p. 11), die an die höchsten Schwurgottheiten der Haliartier, die Praxidiken, an die Katharoi der Pallantier er- innern, bei denen sie ihre heiligsten Schwüre schwuren (Paus. VIII 44, 1), sowie an die Semnai. Wir brechen hier ab, indem wir einige unsichere Punkte, die Stoll noch anführt, bei Seite lassen, und constatiren ein Vorkommen jener drei böotischen Göttinnen in Attika, Argos und Arkadien: denselben Landschaften, in denen wir auch Ares und Aphrodite, resp. den drei Aphroditen 'be-

Jahrb. f. class. Philol. Suppl. Bd. X1. A.

090 K. Tümpel:

gegneten. Jene Dreiheit aber trafen wir unter wechselnder Führung des Poseidon, des Ares und eines “Unterwelts-Zeus’, der vielleicht nicht ursprünglich ist. Wenden wir uns jetzt zu dem Orte, der für uns central ist, nach Theben.

8 20. Die thebische Kadmossage. Hier finden wir die Bestand. theile des Dreigóttinnencultes am unverfülschtesten, und zwar zuerst die tritonische Athene in der

Athene Onka. Wir wollen den alten Streit um den phóni. kischen oder griechischen Ursprung dieses Namens nicht wieder auf- rühren. Es genügt, dass der ursprüngliche Dienst als nichtphönikisch sich erweist, so kann, selbst wenn die phönikische Etymologie von “Onka’, wie sie Valckenaer (bei Dindorf Schol. Eur. III 282) und mit ihm Movers (p. 642) versucht hat, sich bestätigen sollte, doch das phönikische Element sich erst nachträglich an eine einheimische Athene Ogygia angeschlossen haben, denn die Sage, “welche sehr genau den Bau der Burg durch Kadmos von der späteren Errich- tung der Mauern durch Amphion und Zethog unterscheidet” (Bran- dis, VII Thore Thebens: Hermes II 282)*), gibt unverwerfliche Beweise für sogar vorkadmisches Autochthonenthum des Athene- dienstes in der thebischen Landschaft. Das ist freilich auch Brandis entgangen, der für den rein phönikischen Ursprung der Onka, sowie auch des Kadmos und der Europa mit E. Curtius plaidirt gegen Welcker, Preller und H. D. Müller. Dass die Athene Onka auch Ogygia geheissen haben muss, ist nicht zu bezweifeln, denn das Thor, vor dem ihr Heiligthum lag, führte beide Namen gleichmässig. Die Athene Alalkomenia zu Alalkomenai aber hiess Tochter des Ogyges (Paus. IX 33, 4) und Ogygia hiess wieder die Athene, welche nach Schol. Pindar. Ol. IT 39 und Tzetzes (zu Lykophron 1225) in dem vor dem onküischen Thor gelegenen Flecken Onkai verehrt worden sein soll; und diese ist wahrscheinlich wieder identisch mit - jenem Holzbild der Athene Alalkomenets, das Ailianos (Tact. XII 57) zu Theben erw&ühnt. Vielleicht ist also wirklich der Preller'sche Vorschlag (Griech. Myth. I? 148 f), Onka und Ogygia auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen, nicht abzuweisen. Jedenfalls muss Stolls Anknüpfung an ὄγκος in der Bedeutung: “Berg? (p. 15) mit Misstrauen aufgenommen werden. Fragen wir nun nach dem Stamm, an den der Dienst dieser Athene sich knüpfte, so ist uns von grossem Werth die Angabe des Pausanias (IX 5, 1) über die vorkadmische Bevólkerung der thebischen Landschaft und deren Schicksale. Er berichtet: ‘Tv δὲ τὴν Θηβαῖδα οἰκῆςαι πρῶτα λέγουειν Ἔκτηνας᾽ βαειλέα δὲ εἶναι τῶν Ἐκτήνων ἄνδρα αὐτόχθο- γα τυγον, καὶ ἀπὸ τούτου τοῖς πολλοῖς τῶν ποιητῶν ἐπίκληεις ἐς τὰς Θήβας ἐςτὶν ᾿Ωγυγίαι. καὶ τοὺς μὲν ἀπολέεθαι λοιμώδει

*) Wenn auch gerade die Fusion beider Gründungen das Phöniker- thum des Kadmos mit veranlasst zu haben scheint.

f, ei

Ares und Aphrodite. 691

vócu @aciv’. Eine Nachricht, die eben so wichtig als zuverlässig scheint. Wir lernen aus ihr, dass die Ektenen, oder wie Bursian (Geogr. I 202) nach dem Etymologicum Magnum zu schreiben vorschlägt, die Enktenen (ἔγκτηνες: Ansässige) den später zum Stammheros degradirten Gott Ogyges verehrten, und neben ihm, wie wir bestimmt hinzusetzen dürfen, die Ogygia oder Onka, ein Paar, das dem andern, Poseidon und Tritonia oder Alalkomeneis, ziemlich genau zu entsprechen scheint.*) Die Rolle der Athene in dem Kadmosmythos, dem ehrwürdigen Repositorium für älteste thebische Geschichte, ist eine nahezu neutrale; ihre Anwesenheit wird so ver- Schieden motivirt, dass man sieht, eine einmal vorhandene Persón- lichkeit sollte mit in die Handlung gezogen werden.**) In gleicher Weise wird die Haltung der Ektenen gewesen sein, die sich in dem Benehmen ihrer Góttin spiegelt: und in der That werden sie nicht von den argivischen Kadmeionen besiegt, wie die Aonen (Paus. a. a. _ O.), oder vernichtet, wie die Hyanten, sondern sie sterben an einer Hungerseuche, ohne wie es scheint mit den Einwanderern in starken Gegensatz gekommen zu sein. Wir treten durch diese Auffassung in bewussten Widerspruch zu H. D. Müller, weleher (Myth. II,

*) Sollle man einen mehr historischen Namen hinter dem etwas conjectural klingenden der 'Ansüssigen' suchen wollen, so müssen die Tremiler oder Termerer es nach einigen von Unger (Theb. Parad. p. 257ff.) gegebenen Genealogien gewesen sein, welche einen Ogyges (— Poseidon) und eine Alistra-Praxidike (= Athene) verehrten und mit Lykien in Verknüpfung gestanden haben. Als Bestätigung dient der Parallelismus von 'Tépuepa κακά᾽ und ' Ὠγύγια κακά᾽΄. Wenn andererseits bei Pausanias als Ureinwohner Böotiens ausser Aonen und Hyanten die Ektenen genannt werden (“ἐςοικίςαςθαι δὲ μετὰ τοὺς "Extr vac ἐς τὴν χώραν “Yavrac καὶ "Aovac!: IX 5, 1), so erscheinen bei Strabon in dem gleichen Bericht statt der Ektenen die "Temmiker’: “αὐτὴν δὲ τὴν Βοιωτίαν [ἔςχον] "Aovec καὶ Τέμμικες καὶ "Yavrec (VII, p. 321). Für die Identität dieser Temmiker mit den Tremilern oder Termerern, welche ja ebenfalls den Ektenen gleichgesetzt werden, spricht ausser der Namensähnlichkeit noch die von Strabon überlieferte Einwanderung der Ersteren über Sunion (Τεμμίκων ἐκ Covviou πεπλανημένων᾽, XI 401), also vielleicht eben aus Lykien. Der Widerspruch mit der Wortbedeutung von Ektenes als 'An- sässige’ entscheidet sich zu Ungunsten letzterer Uebersetzung durch Ver- gleichung einer Nachricht bei Theognost (p. 27, 12): '"€[pxtnvec δὲ ἐλέγοντο [ol] μετὰ τοὺς Ὕαντας τὴν Βοιωτίαν oikfjicavrec), die also eine Zuwanderung der Ektenen voraussetzt. Die Benennungen Thebens als ogygisch und als “Τέμμικον ἄςτυ᾽ bei Steph. Byz. (p. 410, 20) würden also zusammenfallen und der ‘Kadmeia’ zeitlich vorausgehen.

**) 1. Stesichoros bei Schol Eur. Phoen. 670: “τὴν ᾿Αθηνᾶν ἐςπαρκέναι τοὺς ὀδόντας [τοῦ δράκοντος} (Dindorf III 188, 3).

2. Demagoras (ibid. v. 7): τὸν Κάδμον προνοίᾳ ᾿Αθηνᾶς áp- πάςαι αὐτὴν τὴν ᾿Αρμονίαν᾽ (a. ἃ. Ο. III 36, δ).

8. Eur. Phoen. v.667: “Παλλάδος ppabaicti γαπετεῖς δικῶν ὄδοντας [Kaduoc)’. .

4. ibid. 1062: “Πάλλας, δράκοντος αἷμα λιθόβολον κατειργάςω᾽.

Am merkwürdigsten ist die Abweichung von Nr. 8 zu den Uebrigen, und dann der Gegensatz zwischen (1) 3 und 4.

443

692 . K. Tümpel:

319) behauptet, Athene sei bloss allgemein “als Beschützerin der Helden’ in die Kadmossage eingetreten. Dass eine engere Beziehung vorgewaltet haben muss, zeigt der Titel, welcher ihr von dem Jung- frauenchor in den Septem des Aischylos gegeben wird (v. 121) “ῥυείπολις γενοῦ, Παλλάς᾽, [womit zu vergleichen ist v. 149 f. ‘cu TE, μάκαιρ᾽ ἄναςς᾽ "Oyxa, ὑπὲρ πόλεως ἑπτάπυλον ἕδος ἐπιρρύου᾽ὕ, ferner jene Genealogie, welche den Kadmos gar dem Ogyges zum Sohn gibt (Suidas: s. v. ᾿ Ὠγύγια κακά, und die Notiz des Pausanias von der angeblichen Stiftung des Onkaions durch Kadmos, auf dessen Namen man spüter alle Erinnerungen zu häufen liebte, namentlich die Reminiscenzen der fremden Coloni- sation. Wir wenden uns nun zu der zweiten Göttin des Kadmos- mythos, zu

Demeter Thesmophoros. Sie ist die Göttin des argivischen Stamms der Kadmeionen, und die alte Gemahlin des zu einem Stamm- " heros degradirten Kadmos-Hermes, wie H. D. Müller in dem II. Buch des 11. Theils seiner Myth. d. griech. Stämme (Hermes und Demeter, 1869) überzeugend dargethan hat. Sie ist mit der Europa-Jo identisch, der später an die egyptische Isis angeschlossenen Naturgóttin, die im Frühjahr gesucht wird. Sie allein ist also in dem Kadmosmythos echt, während Athene und Erinys, zu der wir ung jetzt wenden, nur durch historische Verhültnisse hineingekommen sein können. Wie dies bei der letzteren geschehen sei, ist erst zu ermitteln, wenn wir über ihren Charakter zu urtheilen im Stande sind.

8 21. Fortsetzung: Erinys TWphossa. Ihre Bedeutung steht nicht fest, wie die der beiden anderen Göttinnen, und muss gegen die allgemeine Ansicht von ihrer lediglich ethischen Bedeutung als Personification des schuldbeladenen strafenden Gewissens durch Unter- suchung gewonnen werden. Wir benutzen hierzu zunächst den Namen Tilphossa, der von ihr in ihrer echten Phase untrennbar ist.

Welcker (Kret. Col Theben p. 41) hat ihn mit Telephas, Telepha&ssa identisch erklärt, die bei Apollodoros (III 1, 1, cf. 4, 1) Gattin des Kadmos heisst, und kommt somit zu einer Bedeu- tung “die Fernleuchtende’, also einer Mondgöttin. Dabei scheint ihm der Gedanke an Elektra als Gattin des Kadmos vorgeschwebt zu haben (Schol. Eur. Phoen. 5, Dindf. III 34, 18), die er als “Nachts-nichtschlafende’ (Mondgöttin) ebenfalls erklärt. Aber ein- mal kann letztere Etymologie als durch G. Curtius (Grundzüge? 137) gründlich beseitigt gelten*), und dann kann die Analogie einer Gattin des Kadmos (Telephat) nicht massgebend sein für ein Wesen, das gerade als dessen bitterste Feindin gilt. Dazu kommt, dass Preller (Dem. u. Pers. 166) erkannt hat, ‘dass die Verbindung der Tilphossa in den verschiedensten Gegenden von Griechenland mit einer Stadt uud Quelle oder einem Berg und Quelle auf eine Be-

*) Es würe wegen ἠλέκτωρ eher an die Sonne zu denken.

Ares und Aphrodite. 693

zeichnung der Oertlichkeit dieses Namens schliessen lasse, wie Ida, Parnass, Samos’. Wir schliessen uns dem an mit der Modification, dass nicht die Quelle selbst, sondern die besonderen Umstände, unter denen diese erscheint, das Massgebende gewesen sein müssen: näm- lich eine Erdöffnung, eine Schlucht, aus der die Quelle hervorbricht, wie Stoll (a. a. O. p. 16) mit Glück nachgewiesen hat; so in Kolonos der “xaAxoüc ὀδός᾽, durch welchen Oidipus in die Unter- welt hinabstieg (Soph. Oed. Col. 1590: *róv καταρράκτην óbóv χαλκοῖς βάθροιει γῆθεν EppıZwuevov’), ferner am Areiopag in dem Heiligthum der Semnai (Eurip. Elektra 1272, E. Curtius, . VII Karten zur Topographie von Athen, Text p. 26: “tiefer Wasserspalt mit daraus hervordringendem Wasser’, der nach Euri- pides [a. ἃ. O.] als Eingang in die Unterwelt galt) Am Til- phossion war ebenfalls ein xdcua, in das die Quelle sich ver- lor (Hom. hym. Apollon. Pyth. 234 ff, 377 ff), angeblich, indem Apollon einen Felsblock darüber gedeckt hatte, unter dem sie also auch wohl wieder hervorsprang; ähnlich war die Localität der Δέλ- qouca zu Delphoi, die nach Bursian (Geogr. II 259!) unter einem Fels hervorsprudelte. Dass Delphusa &ber nur eine andere Form von Tilphossa etc. ist, hat O. Müller (Orchom.* 1425) und Eume- niden 175)!°) unter Verweis auf die delphischen Formen βικρός und Bücioc für πικρός und Πύθιος mit Recht hervorgehoben; auch W elcker (Kr. Col. Theb. 45), wenn auch zu anderem Gebrauche. *) Zu Telphusa in Arkadien vermuthete Stoll (p. 16) eine Quell- schlucht auf Grund der Cultverbindung mit Phigaleia, wo Demeter Melaina eine Hóhle mit kaltem Quell hatte (Paus. VIII 42, 6) und mit dem an die Delphusa erinnernden Delphinsymbol ausgerlistet war. Wirklich findet sich angeknüpft an den Rossmythos von Demeter und Poseidon ein ‘Ev ᾿Αρκαδίᾳ (τυγὸς ὕδωρ᾽ bei Ptolemaios (Hephaistions Sohn, Nov. Hist. lib IIT, in Westermanns “Μυθογάφοι᾽ 186, 7). Wir behaupten nun, dass für diese Erschei- nung eben der Beiname Telphusa bezeichnend sei, und gehen bei der Etymologie von der Form AéAqouca aus, dem Namen der delphi- schen Quelle; sie ist leicht zurückzuführen auf die Wurzel, welche G. Curtius (GZ*. p. 479) als dem Worte Δελφός, δελφίς (Bauch- fisch), δέλφος uterus, ἄδελφος zu Grunde liegend erkannt hat, mit der Bedeutung *hohP.**) Für Delphi erklärt er den Namen als “wohl

Freilich Bursian (a. a. O.) wil den Zusammenhang zerreissen.

Ihm ist Δέλφουςα bloss 'der Stadtbrunnen der Delphier’, während er

Θέλπουςεα in Arkadien (OCA der Münzen), Telphusa (Paus., Diodor, Lyko-

hron, Steph. Byz) und Tilphossa gemeinschaftlich auf θάλπω zurück-

führt, obgleich nur eine Form dieses Wortes Θάλπουςα (einmal bei

Stephan. Byz.) an die Etymologie erinnert. Diese Erklärung kann nicht genügen; wir fassen die analogen Erscheinungen zusammen.

**) Unabhängig von Bernhardy (in Dionys. Perieget. 442; p. 637),

der im Anschluss an eine frühere Bemerkung des Salmasius (Plinian.

Exercitat. p. 238 E.) auf Grund der 'sicula glossa '5eApUa? == uterus!

694 K. Tümpel:

wegen seiner Lage in einer tiefen Schlucht' gegeben. Der wichtigste aber unter jenen Erdrissen, die schon in der “Πυθὼ πετρήεςςα᾽ der llias (B 519) anklingen (der ἱγύαλα Φοίβου᾽ des Euripides, Phoen. 23) ist jenes χάςμα, welches schon den vorapollinischen Cultmittel- punkt ausmachte. Hier war es, wo der Drache der Themis, Del. phine (cf..die Themis neben der Erinys in Thelpusa) wohnte, den Apollon vernichten musste, um sich als Δελφίνιος an der Stätte festzusetzen. Aber auch den Namen Tilphossios führte er, angeblich wegen der Ueberwindung der Tilphossa (Hom. Hym. Apoll. Pyth. 387), wodurch die Identität der Themis Delphusa und der Erinys Tilphossa wahrscheinlich genug wird. Auch den anderen Namen des Delphys (Delphine) oder des Themisdrachens: Python wird man nicht mit G. Curtius (GZ*. 286) nach dem so absichtlich etymologi- sirenden homerischen Hymnos (Apollon. Pyth.) auf ᾿πύθειν᾽ = “faulen machen’ zurückführen, sondern am besten mit Pape-Benseler (Eigen- namen II? 1284), neben πυθ-μήν; βύθος (cf. den delphischen Monat Bücioc!) stellen und auf den nämlichen Erdschlund deuten. Bevor Apollon “ὃ Λοξίας, TTapvacıoc μέγαν ἔχων μύχον χθονός

ward (Aisch. Choeph. 947 f.), und bevor Kadmos in Theben seine Residenz aufschlug, muss in Boiotien, wie an den attischen und arka- dischen Cultstellen, die wir oben besprachen, der Cult einer Erd- göttin geherrscht haben, der local an eine als Unterweltseingang gefasste Schlucht oder Höhle mit einer damit verbundenen Quelle sich anschloss.*) Auf das Symbol des Drachens werden wir noch zurückkommen. Für jetzt ist es nur nöthig, darauf hinzuweisen, dass in diesen örtlichen Verhältnissen die Erklärung des so häufigen Uebergangs des Erinyscults in den der Persephone liegt. Auch diese Göttin hatte zu Eleusis ihren Unterweltseingang, durch den sie von Hades entführt sein sollte (Erineos, Paus. I 38, 15), und liebte besonders “Gegenden, in deren Nähe sie Gewässer mit bodenlosem Abgrunde oder zerklüftetes Gebirge mit scheinbaren Eingängen in die dunkle Tiefe der Erde fand’ (Preller, Griech. Myth. I? 624). Der Uebergang in den eleusinischen Cult wurde noch be- sonders erleichtert durch das schon beobachtete Zusammengehen

die Δελφύνη mit dem “sanctus terrarum hiatus, cui Pythone deiecto penetralia templi superstructa sunt?, in Verbindung gebracht hatte, wegen der “natura γυάλων᾽. Siehe Unger (Theb. Paradoxa I 116), der, wie ich erst nach Fertigstellung der Untersuchung sah, schon früher diese Etymologie für die Aufhellung des Namens Tilphossa benutzt hatte.

*) Wir treten also in Widerspruch zu O. Müller, welcher im Ge- danken an die spütere Bedeutung von δέλφος und ἀδελφός den Namen Δελφύς oder -óvn auf die ‘prolifike’ Naturkraft im Drachensymbol deutet (Dorer I? 319), die sachlich unerweisbar und auch schon von Bern- hardy zu Dionys. Perieg. 442 (p. 637) zurückgewiesen ist.

Ares und Aphrodite. 695

der Erinys mit der Demeter Thesmophoros, welches sogar zu der Ent- stehung einer Demeter-Erinys führte H. D. Müller (Ares 23. 26) und Kuhn (2.-S. I 461) haben in gleicher Weise vermuthet, auf Grund des Namens Erineos, dass hier ‘zuerst eine Erinys geraubt wurde, und nicht die Persephone'. Noch ein Haupteinwand muss be- seitigt werden, der sich uns von Welckers Seite betreffs unserer Etymologie der Tilphossa (denn diejenige der Erinys versparen wir uns für einen gelegeneren Ort) entgegenstellt. In dem Verse nüm- lich des Hom. Hym. auf Apollon Pythios (p. 496), wo der Altar des delphischen Gottes genannt wird: t... βωμὸς

αὐτὸς δέλφειος καὶ ἐπόψιος ἔεςεςεται αἰεί᾽,

fasst Welcker (Kr. Col Theb. 45?) das zweite Epitheton als Epexegese zum veralteten ersten Ausdruck und erhält somit δέλ- φεῖος τήλεφος im Einklang mit seiner obigen Ableitung; aber die Stelle ist nach Baumeister corrupt, und bei Welcker bleibt das αὐτὸς unerklärt, das vielmehr einen Gegensatz zwischen den beiden mit kai verbundenen Attributen einzuleiten scheint. Wollte man ja eine Erklärung auf Grund des schlechten Textes versuchen, so hätte man an ein Oxymoron zu denken von dem ‘in der Schlucht gelegenen und doch weitberühmten (“weithin sichtbaren’) Altar des Apollon; auf diese Weise würde eine immerhin ziemlich augenfällige Tauto- logie vermieden und die Schwierigkeit umgangen, zu erklären, wie δέλ-φειτ-ος aus der Wurzel ®A- hervorgegangen sei. An den Om- phalos zu denken, der ja auch zur Noth 'bauchig! genannt werden könnte, verbietet der Mangel an Nachweisen, dass dieses Cultobjekt als “Altar” bezeichnet worden ist.

Was nun die Anwesenheit der Erinys in Theben betrifft, so wird sich uns dieselbe aus örtlichen Verhältnissen als unzweifelhaft ergeben. Vorläufig sei bemerkt, dass sie in dem grossen thebischen Mythen- kreise von Oidipus, den Belagerungssagen, eine viel zu grosse Rolle spielt, als dass sie gefehlt haben kónnte, und auch in dem Kadmos- mythos ist sie verbürgt durch ein Scholion zu Soph. Ant. 126 (Elmsl), welches sie als Mutter des Aresdrachens und Gattin des Ares nennt: “ἐγεγόνει δράκων ἐξ Ἄρεως καὶ Τιλφώεεης Ἐρινύος Ueberraschend wäre aber eine Erscheinung, wenn sie sich bestätigen sollte: dass nämlich die drei grossen böotischen Göttinnen wohl in und um Theben zerstreut sitzen, aber nicht den Trieb zu einer symbomischen Vereinigung geäussert haben sollten, der sich ın den Praxidiken zu Haliartos ausspricht und vielleicht in den Tpeic πάρθενοι zu Eleon, einem Flecken bei Tanagra (wenn diese nicht, wie Bursian (Geogr. I 223) möchte, die orchomenischen Chariten sind, bei denen freilich die Dreizahl nicht feststeht). Und zwar würden wir an ihrer Spitze nicht den Poseidon (oder einen Zeus κτήςιος) zu erwarten haben, sondern Ares, den alteinheimischen Gott, mit dem sie auch im Kadmosmythos erscheinen. Aus diesem Grunde können

696 K. Tümpel:

wir uns nicht mit den Homoloischen Göttinnen zufrieden geben, Athene, Demeter und Enyo, da sie unter der Aigide des Zeus Homo- lofos erscheinen. Zeus aber ist in Theben und Umgegend erst spät eingeführt (H. D. Müller I 234).*) Auch lässt sich eine Enyo in Theben nicht nachweisen. Wir wagen darum die Vermuthung aus- zusprechen, dass die dreifache Aphrodite der Harmonia mit ihrer Beziehung zu Ares uns in bloss veränderter Gestalt die drei alten Göt- tinnen erhalten hat. Hierauf bringt uns die auffällige Thatsache, dass die drei Aphroditen in denselben Landschaften: Theben, Argos, Attika und Arkadien erscheinen, wo auch die drei alten Göttinnen sich fanden, was auf eine Gleichartigkeit der Bevölkerung hinweist: denn beide Dreiheiten hatten ihre letzte Wurzel in Boiotien oder speciell Theben. Um einen Beweis für diese Hypothese anzutreten, müssen wir aus inneren Gründen durch den Nachweis der Gleichartigkeit der sich entsprechenden Göttinnen, paarweis genommen, die Möglich- keit eines Uebergangs der Tritonia in die Urania, der Thesmophoros in die Pandemos und der Erinys in die Apostrophia darthun.

II. Abschnitt: Die drei Aphroditen.

8 22. Urania. Hierbei ist selbstverstündlich abzusehen von der erotischen Beziehung, welche man später jenen drei ξόανα ge- geben hat; nämlich: Οὐρανίαν ἐπὶ ἔρωτι καθαρῷ xai ἀπηλλαγ- μένῳ πόθου εωμάτων, Πάνδημον δὲ ἐπὶ μίξεςει, τρίτα δὲ 'Amoc- τροφίαν, ἵνα ἐπιθυμίας τε ἀνόμου καὶ ἔργων dvociuv ATTOCTPEPN τὸ τένος τῶν ἀνθρώπων’ (Paus. IX 16, 2). Denn einmal wird die Unterscheidung zwischen himmlischer und irdischer Liebe erst den Philosophen des V. Jahrhunderts verdankt, und dann waren die Holzbilder der Urania bewaffnet, was mit der Liebe nichts zu thun hat. Die einzige Ausnahme würde die Aphrodite von Sikyon sein, die Gerhard (Abh. der Berl. Akad. der W. 1843. Gesammelte Akad. Abh. I 262) und Preller (Gr. Myth. I? 268) Urania be- nannt haben. Aber sie hat Mohn, Polos und Apfel statt der Waffen, . und Aldenhoven (A. d. Inst. 1869, p. 110!) hat deshalb die Be- rechtigung zu dieser Benennung Gerhard mit gutem Grund bestrit- ten.**) Auch die “Οὐρανία Μοιρῶν πρεςβυτάτη᾽ zu Athen (Paus. I 19, 2) wird nach Analogie der mit den Moiren verbundenen ’Appodirn ἐνόπλιος zu Sparta (C. I. Gr. 1444) bewaffnet gewesen sein. Vor Pheidias ist überhaupt kein Beispiel einer Urania mit erotischer Bedeutung nachweisbar, und selbst bei seinem Werke, der elischen Urania (Paus. VI 25, 2), ist noch der Zweifel sehr

“Es findet sich daselbst kein Cult, der mit Sicherheit als alt bezeichnet werden könnte; doch ist der Eintritt des Zeus in alte Stamm- sagen desto deutlicher wahrzunehmen !’

**) Ein neues Argument wird der $ 33 bringen.

Ares und Aphrodite. |, 697

setzt, wirklich mit Plutarch (Graec. coniug. XXXII) ethisch auf die 'oixoupía" ztichtiger Ehefrauen gedeutet werden müsse, oder ob nicht vielmehr an die Himmelsgöttin zu denken sei, welche sich über das Himmelsgewölbe erhebt. Letzteres ist die weit ansprechen- dere Ansicht Overbecks (Plastik I? 233). Jedenfalls wird statua- risch eine Pandemos mit hetärischer Bedeutung der elischen Urania des Pheidias erst im IV. Jahrhundert durch Skopas zur Seite gesetzt. In der Zwischenzeit wird der ethische Gegensatz geschaffen worden sein, zuerst durch Platon (Xenoph. Sympos. VII 9; Plato. Symp. 180, D ff. Gleichwohl gibt sich Welcker bei den thebischen Holz- bildern mit der Pausanias'schen Erklärung zufrieden (Götterlehre I 672) obgleich er für den Namen Pandemos auch erst eine Ent- stehung unter Solon annimmt: Die Holzbilder, die man auf Harmonia zurückführte, müssen aber ülter sein als Solon.

& 23. Pandemos. Mit dem Namen dieses Mannes ist der der Pandemos verbunden, da von ihm aus socialen Gründen im An- schluss an diese Aphrodite ein staatlich concessionirtes Hetärenthum geschaffen ward. Trotzdem wird von diesem Cultnamen eine frühere politische Bedeutung behauptet (Pr eller, Gr.M.I? 265). Denn Theseus soll nach Paus. (I 22, 3) den Pandemostempel gestiftet haben als Symbol des Synoikismos der sämmtlichen Demen; Apollodoros scheint diese Behauptung zu unterstützen, wenn er bei Harpokration (s. v. Pandemos Aphrodite) den Namen auf die Nachbarschaft der Ekklesia zurückführt, des Versammlungsplatzes von πᾶς δῆμος. Aber gerade die Verschiedenheit in der Begründung durch die beiden Schriftsteller hebt die Wahrscheinlichkeit ihres Grundgedankens auf, wie Hug (zu Plato. Symp. a. a. 0.) gut bemerkt; und wir halten deshalb mit Welcker (G. GL. 1672) und C. Wachsmuth (Athen I 485 f.) die theseische Pandemos für eine haltlose Gelehrtencom- bination. Aber gleichwohl kann die Hetären- Aphrodite von Solon nicht aus der Luft gegriffen worden sein, sondern seine Institution ist jedenfalls an ein vorhandenes Heiligthum bloss angeknüpft worden. Es fragt sich nur, welcher Gestalt die Aphrodite gewesen sei, die es inne hatte; Hug antwortet: eine Urania, von der die Pandemos nur eine Abzweigung sei. Wir glauben mit grösster Bestimmtheit sagen zu dürfen: nicht eine Urania von Askalon-Sidon-Kythera, sondern eine kyprische 'Aphrodite' (εξ Astarte-Baaltis). Nur daraus erklärt sich, dass “die Pandemos mit der durch Homer und andere, mehr profane, Schriftsteller bekannten Aphrodite, Tochter des Zeus und der Dione identificirt, und mit dieser dem jüngeren Géótter- geschlecht zugewiesen wurde? (Hug a. ἃ. O.). Denn die achäische Dionaia stammt, wie der Beiname Kypris und das Fehlen der Ky- thereia bei Homer beweist, in ihren semitischen Bestandtheilen eben- falls aus Kypros und ist mythologisch 818 Zeustochter an das jüngere Göttergeschlecht angeknüpft, während die kytherische Urania im theogonischen System durch Uranos, und als “älteste der Maixen?” ın

698 K. Tümpel:

dem älteren Göttergeschlecht gehört. Nur in dem fortwirkenden Gegensatz von Kypris und Kythereia liegt die Erklärung für die Scheidung der Philosophen, welche sich auf die Beobachtung gründet, dass ᾿ ναοὶ καὶ θυείαι eiciv τῇ μὲν TTavdnuw ῥαδιουργότεραι, τῇ δὲ Οὐρανίᾳ ἁγνότεραι᾽ (Xenophon. Symposion VIII 9).*) Denn nach der bisher beliebten Scheidung einer orientalischen unzüchtigen Aphro- dite-Urania und einer griechischen mütterlich-ehrwürdigen Gemeinde- göttin Aphrodite-Pandemos musste die vollständige Umdrehung des Verhältnisses durch die Philosophen ein Räthsel bleiben und zu den künstlichsten Erklärungsversuchen (bei Gerhard, Preller) führen. Zu diesen gehört Welckers von Wachsmuth (Athen I 412) acceptirte Annahme einer griechisch-eingeborenen Aphrodite-Urania, welche mit dem sittlich intacten Theil der Semitin zusammengeflossen sein und den Uebergang zu der Ansicht der Philosophen in der nämlichen Weise gebildet haben sollte, wie Solons Name die umgekehrte Meta- morphose der alten politischen Pandemos in die ethische unsittliche bezeichne (Gr. Götterl. I 673). Dagegen hat Hug (a. a. 0.) schon gut den Einwurf gemacht, dass wir von einer autochthonen Aphro- dite-Urania keine Meldung hätten. Wenn also der Name Pandemos von Natur nur die Bedeutung “näyxoıvoc‘ (Hug) hatte, so ist damit nicht ausgeschlossen, dass trotzdem die Kypris bei den Ionern nicht bloss eine Göttin des Familienlebens, sondern auch der Geschlechts- und Gemeindeverbindung gewesen Sein könne, wie. Wachsmuth (AthenI 413) nach Preller (Gr. M. I? 286 ff.) vermuthete. Daraus würde sich die Entstehung der Legende von Theseus erklären. Dass umgekehrt zu Phanagoria (C. I. Gr. II 2109) eine Widmung an “det ᾿Αφροδίτῃ Οὐρανίᾳ ᾿Απατούρῃ᾽ vorkommt, würde uns darin nicht irre machen künnen. Denn sie liegt an den &ussersten örtlichen und zeitlichen Grenzen des Griechenthums (* ζαλᾶ τοῦ πρίγ- κιπος᾽). Zweifelhafter ist das Alter des Namens der dritten Aphrodite:

8 24. Aposirophia. Jedenfalls ist die erotische Bedeutung, die er haben soll, eine sehr künstliche; denn der Gegensatz, wel- cher die Anreihung neben die beiden anderen Aphroditen moti- viren soll, ist ein so pretiöser, dass er nur als eine Abfindung mit einer einmal vorhandenen Thatsache gelten kann; oder ist die Thätigkeit einer Göttin, welche das Gute schafft (“die reine himm. lische Liebe’) und einer anderen, welche das Schlimme fern hält (‘die Blutschande’) so natürlich und nothwendig, dass man diese Thätig- keiten auf zwei verschiedene Gottheiten, Urania und Apostrophia,

u.

*) Die korinthische Urania ist erst durch eine Verschmelzung mit kyprischen Gebräuchen zum Hierodulenthum gekommen. Denn mit Aus- nahme einer einzigen Stelle (Lukianos, Hetürengesprüche p. 7) findet sich kein Beispiel, dass eine Hetäre der Urania geopfert hätte; und ge- rade hier geschieht es durch ein junges unerfahrnes Mädchen, (Engel, Kypros II 371).

Ares und Aphrodite. 699

vertheilen mtisste? Sie fallen Beide unter den gemeinsamen Gesichts- punkt eines guten Princips, zu welchem die Pandemos als Vertreterin der gemeinsinnlichen Liebe den Gegensatz bilden würde. Sinn hätte die Apostrophia nur, wenn sie eine göttliche Vertreterin jener ἀνόςεια ἔργα wäre; aber das steht mit der Ueberlieferung im Wider- spruch. Wir schliessen hieraus, dass die drei Aphroditen einmal da waren, und dass erst später in nothdürftiger Uebereinstimmung mit der echten Grundbedeutung eine Beziehung zu dem schon bei Homer in solcher Plasticität hervortretenden Princip der Liebe in ihren ver- schiedenen Erscheinungsformen gesucht wurde.

Was war aber die eigentliche Bedeutung jenes Namens? Er ist nicht wie derjenige der Pandemos und Urania auch ausser Theben bezeugt, sondern hat sich nur hier erhalten. Aufschluss kann uns nur geben die Aphrodite Epistrophia zu Megara, deren Heilig- thum Pausanias (I 40, 5) zusammen mit einem Tempel des Dionysos Nyktelios, einer Orakelstätte der Nyx und einem unbedachten*) Tempel des Zeus Κόνιος nennt. Das Nächstliegende wäre, hier eine Art Pan- demos zu vermuthen, etwa in der Bedeutung, wie sie z. B. Aisch. Suppl. 972 (Overdick) in der Bezeichnung der κοῦραι als “ὥρα ἐπί- ctpentoc Bpotoic’ (zur Liebe anlockend) anklingt. Dann würde die Nachbarschaft des nächtlichen Dionysos einen Zusammenhang mit den nächtlichen Orgien des triöterischen Zagreus Bromios vermuthen lassen und der Zeus κόνιος einen sonderbaren Anklang an xoviZeıv. Aber mehr empfiehlt es sich unstreitig, den Zusammenhang dieses Cult- complexes ernst zu nehmen, wegen des Nyx-orakels, und wir haben dann in der Epistrophia einen Euphemismus für Apostrophia, also ein sich abwendendes, unfreundliches, zürnendes, der Versöhnung bedürftiges, mit einem Wort: chthonisches Wesen, wozu der “Aschen- Zeus’ (Engel: Kypros II 363) und der chthonische Dionysos gut stimmen, letzterer als “der in die Unterwelt gebannte, gequälte Gott, eine Allegorie der Wandelbarkeit des irdischen Naturlebens’ (Preller, Gr. M. I? 537). Wir kommen so zu einer gleichen Bedeutung, wie sie Gerhard (Venusidole: Abh.d. Berl. Akad. d. Wissensch. 1843 p. 312. Gesammelte Ak. Abhandl I 264) für die Apostrophia in Anspruch genommen hat: als einer stihnbedürftigen Todesgöttin. Zur Erklärung lässt sich passend das Beiwort beiziehen, welches Sophokles einmal (Aias, 608 Chor) dem Hades gibt, wenn er ihn nennt τὸν ἀπότροπον ἀΐδηλον “Αἰδην. Denn Anötponoc und ἀποςτρόφιος sind ausser völliger Bedeutungsgleichheit auch nahezu stammverwandt. Gerade in Boiotien aber war eine solche Erdgöttin Aphrodite häufiger: so hiess sie zu Thespiai, wo der alteinheimische Eros sich an sie angeschlossen zu haben scheint, Melainis, mit einem allen Unterweltswesen gemeinsamen Beiwort. Aehnlich ist die Aphrodite Epitymbia zu Delphoi (Plut. Quaest. Rom. XX)

*) Aehnlich P. IX 38, 2.

100 K. Tümpel:

und die Höhlen-Aphrodite zu Naupaktos (Engel, Kypros II 473), um von anderen nordgriechischen Culten zu schweigen. Doch alls diese Beispiele aus der Umgegend würden für Theben nichts be- weisen, wenn wir nicht auch bei der dortigen Aphrodite zwingende Argumente für eine chthonische Natur ins Feld zu führen vermöchten. Und diese Lticke wird glücklich ausgefüllt durch eine Notiz, die uns von den Berichterstattern über die Ueberrumpelung der Kadmeia und die Vertreibung der Spartaner 379 a. Chr. vermittelt wird: dass näm- lich die Einnahme der Kadmeia durch die Sorglosigkeit und Festlaune der Befehlshaber begünstigt worden sei, welche an dem Aphrodisien- feste sich betheiligt hätten (Polyainos, Strategemata II 4, 3: “ἦν ᾿Αφροδίτης &opm’).*) Dieses fiel mit dem Amtswechsel der the- bischen Polemarchen zusammen (Xenophon tiber das nämliche Ereig- niss: Hellenika V 4, 4: πολέμαρχοι ἄγοντες ᾿Αφροδίεια ἐπ᾽ ἐξ- ὀδῳ τῆς Apxfic’). Der Amtswechsel wird aber auf den Jahresanfang festgesetzt gewesen sein, der in Boiotien auf die Wintersonnenwende fiel (Böckh. C. I. Gr. p. 732: *Boeotici civilis anni cardo est novilunium solstitio hiberno proximo succedens"). Wenigstens wurden auch die Boiotarchen an diesem Tag von ihren Nachfolgern abgelóst (Plu- tarch, Pelopidas XXIV: χειμῶνος μὲν ἧςαν αἱ περὶ τροπὰς dxpai, μηνὸς δὲ τοῦ τελευταίου φθίνοντος ὀλίγαι περιῆςαν ἡμέραι καὶ τὴν ἀρχὴν ἔδει παραλαμβάνειν ἑτέρους εὐθὺς icrauévou τοῦ πρώτου μηνός᾽ xré.). Damit stimmt auch der zweite Umstand wohl zu- sammen, welcher den Verschworenen Vorschub leistete, nämlich ein starker Schneefall, der in dieselbe Jahreszeit weist (Plut.a.a.0.X).

Eine Gottheit, der winterliche Feste gefeiert werden, muss mit dem Tod in Natur- und Menschenleben in engster Beziehung stehen, eine chthonische sein; was zu der oben eruirten Bedeutung der Apo- strophia stimmt. Unbestreitbar ist die Allgemeinheit dieser Benen- nung, welche durch die Eustomie einer weniger schneidigen Be- zeichnung einen älteren, kräftigeren Cultnamen verbergen zu wollen scheint, wie man anderweit sogar in dem Bestreben, die düsteren Züge ganz zu verwischen, eine Epistrophia schuf. Und diesen ur- sprünglichen Namen glauben wir in einer wichtigen Glosse des He- sych erhalten, die uns jetzt beschäftigen soll.

8 25. Vergleichung beider Gruppen. Diese Glosse heisst: ᾿ Ἐρι- vUc δαίμων καταχθόνιος" ᾿Αφροδίτη eldwAov’, (M. Schmidt; “ἢ delevit Musurus) und erhält durch den von uns gegebenen Zu- sammenhang erst ihren Werth und ihre Erklärung. Denn: bisher

*) Die Aphrodisia mit Schneider und Breitenbach (zu Xenophon l. c.) *metaphorice? als comisatio, epulae zu nehmen analog den ''Agopobíaa! der 'nautae ex longo itinere reduces? auf dem Festland, verbietet ausser der Parallelstelle des Polyainos der genügend verbürgte Cult der Aphro- dite zu Theben neben Ares (8 5), sowie Plutarch (Quaest. Rom. 112): “οὔτε ἐν Ἥρας [ἱεροῖς] 'Aefvnav οὔτε Θήβηςειν ἐν ᾿Αφροδίτης ἴδοι τις ἂν κιττόν᾽.

Ares und Aphrodite. 701

haben so ziemlich sämmtliche uns angehenden Worte derselben wegen ihrer Räthselhaftigkeit Anstoss gegeben, hauptsächlich wegen des jeden möglichen Sinn zerreissenden zweiten “ἢ ᾽, dem zu Liebe Triller (Observ. eritic. 345) statt “ἢ 'A-nc? ἠεροφοῖτις lesen wollte, viel zu willkürlich und kühn. Nicht besser ist die Conjectur Küsters, der *'€piévroc (cognomen) ’Appoditnc” lesen will So behält denn neuerdings À. Rosenberg (Erinyen p. 20)5) das f) wieder bei und erinnert an Nonnos (Dionys. XVI 294): *eici xai ἱμείροντος Ἐρινύες... ^ Doch abgesehen davon, dass wir damit die glossirte Stelle doch nicht in Händen haben, ist der Gedanke so gesucht, dass wir ihn kaum ausserhalb Nonnos vermuthen können. Wir erblicken deshalb hier, mag nun “ἢ ᾿Αφροδίτης (sc. cognomen) εἴδωλον᾽ oder besser “ἢ ᾿Αφροδίτης εἴδωλον᾽ zu lesen sein, einen Beleg für die Aphrodite- Erinys, wie sie in Theben aus dem Uebergang der Tilphossa in die Kypris entstanden sein muss und später rein erotisch in der Apo- strophia fortlebte. εἴδωλον ist kaum anders möglich, denn als = ἄγαλμα zu fassen; dieser etwas späte Sprachgebrauch kann für die Zeit des Commentators, aber nicht für die commentirte Stelle etwas beweisen. Doch noch für eine weitere Glosse müssen wir Hesych dankbar sein, in welcher Εὐμενής᾽ als ein Beiname der "Aqpo? (-δίτη Musurus) erwähnt wird. Die Analogie der Eumeniden legt eine Aphrodite-Erinys nahe genug und auch der Euphemismus in der Epistrophia erhält eine dankenswerthe Parallele. Dieser umkleidet überhaupt nur das Streben, die bei der chthonischen Prücisirung ver- loren gegangene naturmythische Universalität ins ethische Gebiet zu retten. Auf eine Aphrodite-Erinys hat schon Engel (Kypros II 254) Gewicht gelegt, aber ohne einen richtigen Gebrauch von ihr zu machen; er bringt sie als “thrakische Hekate' über Areion und Demeter-Erinys mit Áres zusammen, und dabei entgeht ihm das Wichtigste, jenes winterliche Aphroditefest. Er wundert sich zwar, dass “während der Aphrodite, der Göttin alles blühenden Lebens, der Frühling und vorzugsweise der April geweiht zu sein pflege, als diejenige Jahreszeit, in welcher das Leben der Natur neu erregt wird, und die ganze Schöpfung von Zeugungslust und dem Triebe, Leben zu schaffen erfüllt ist, hiervon nur das Fest der thebischen Aphrodite eine Ausnahme zu machen scheine’. Aber eine Verknüpfung mit der Erinys-Tilphossa über die Aphrodite-Erinys- Apostrophia liegt ihm fern. Er denkt nicht daran, dass, wie dieses Fest, auch der Name Apostrophia nur in Theben erscheint, sondern hilft sich, indem er sagt: “Diese Einrichtung muss aus Begriffen hervorgegangen sein, welche dem alten thebanischen Kabirencult zu Grunde lagen' 160).

u » auffällige Singularität des winterlichen Aphroditefestes zu Theben weist uns noch mit besonderem Nachdruck auf die nicht- semitischen Wurzeln dieses Cultes hin, da wirklich mit dieser ein-

102 K. Tümpel:

zigen Ausnahme in der ganzen antiken Welt die Aphrodisien zu An- fang April begangen wurden und nach altphönikischer Sitte das Jahr begannen. Die thebische Aphrodite aber feiert ihr Fest an der Wintersonnenwende, die überall in Boiotien den Jahresanfang bildet, und beweist dadurch hinlünglich, dass sie ihren Namen an eine auto- chthone Göttin verloren hat, nämlich die Erinys-Tilphossa, wie wir jetzt schon vermuthen dürfen in Erwartung weiterer Bestätigungen.

Wir schreiten nun zur Vergleichung des anderen Paares: der Demeter Thesmophoros und der Aphrodite Pandemos, bei der wir aus den Namen der ersteren schon zur Noth eine Brücke zur Aphro- dite bilden können: Euchloos und Thelxinoia, um von anderen in unseren Zusammenhang nicht hineinspielenden zu schweigen. Beide haben eine enge Beziehung zum Naturleben in seiner heiteren Seite allmählich herausgebildet, freilich unter ganz verschiedenen Ein- flüssen: Demeter unter dem Druck der Zusammenstellung mit Perse- phone und Erinys, welche die unterweltliche Seite ihres Wesens an sich zogen ,*) die Aphrodite Pandemos durch äusserliche Trennung von der Apostrophis, während sie früher als Kypris beide Seiten, Lust und Trauer, des Naturlebens gleichmässig in sich vereinigte. Die nächtlich-winterliche Phase der Kypris als Göttin des ersterben- den Naturlebens, wie es sich in ihrem Grab auf Kypros z. B.**) zeigt, steckt in der Apostrophia; in der etwas zu specialisirten Benennung Pandemos ihre Beziehung zu sommerlicher Fruchtbarkeit, Heiterkeit und Frieden im Naturleben. Die Peitho, die von Theseus mit der Pandemos zugleich eingeführt worden sein sollte zu Athen (Paus. I 22, 3), ist im Grunde selbst nur eine Pandemos, denn zu Megara nahm ein Standbild des Peitho, wie Paus. (I 43, 6) sagt, den Ehren- platz im Tempel der Aphrodite ein. Sie entspricht fast wörtlich, wie schon Welcker sah (Aisch. Tril. Prom. 189), der Thelxinoia, die zu Athen als *Here' und nicht als Demeter verehrt wurde (Hesych s. v.). Nebenbei ist es sehr gut denkbar, dass jene Meinung: die athenische Pandemos habe wirklich die politische Beziehung zu Theseus, still- schweigend mitgewirkt hat bei der Uebertragung des athenischen Aphrodite-Namens auf die thebanische “Aphrodite-Thesmophoros’, wie wir als ursprünglichen Namen des mittleren Aphroditebildes voraus- setzen dürfen, analog der Aphrodite-Erinys. Der Vergleich zwischen Kadmos, der unter den Auspicien der Demeter die Kadmeia gründete, mit Theseus lag nahe genug. Wir haben jetzt noch einem Einwand zu begegnen, dass nämlich nicht in der Aphrodite Apostrophia die Erinys stecken könne, sondern eben in der Persephone, welche später

. Reste noch in ihrer Entfernung vom Olymp, während welcher sie schwach, nicht sprechend, nicht lachend, nicht essend noch trinkend war, gleich den Schatten, ins Todtenreich hinabfahrend; ferner in der Benennung der Todten als "Anuntpeior’.

**) Clemens Alex. Recognitt. XIII 24: ᾿Αφροδίτης τάφος δείκνυται ev Tlágy.

Ares und Aphrodite. 103

an die Seite der Burggöttin Demeter trat bei Einführung des eleu- sinischen Cultes. Denn wirklich nennt Euripides (Phoen. 684 Nauck) Demeter und Persephone als ülteste Gótter Thebens, die es sogar gegründet hätten. Aber bedenklich muss uns zweierlei machen: erstens, dass als dritte im Bunde die Gaia genannt wird:

*coí νιν ἔκγονοι xrícav,

ἂν διώνυμοι θεαὶ

ἸΤερεέφαςςα καὶ φιλὰ

Δαμάτηρ θεὰ

πάντων ἄναςςα, πάντων δὲ Γᾶ τρόφος ἐκτήςαντο.ἢ

Denn es ist klar, dass in der Quelle, der hier Euripides folgte, mit der Gaia die Erinys gemeint war, die ja auch als Mutter des thebi- schen Drachens, wie des Areionrosses in dieser kosmogonischen Potenz aufging. Dann wäre Erinys in der Persephassa noch einmal, also doppelt da. Die letztere hat aber selbständig und an der Hand des Zeus, also spät (cf. oben p. 696*)) ihren Einzug in Theben gehalten. Denn es heisst im Schol. zu Eur. Phoen. 687 (Dind. III, 195, 11 ff.) “κατῴκουν δὲ Ev Θήβαις Δημήτηρ καὶ TTepcepövn ὡς μέν τινές φαειν, διὰ τὸ δωρήςαςθαι Θήβας TTepcepövn τὸν Δία χάριτος τινὸς ἕνεκα προὐπαρξάςης αὐτῷ παρὰ Tficde‘” (ebenso Schol. v. 682, p. 190, 18 ff. 8. 8. O.). Zum Ueberfluss muss die Beobachtung, dass vielmehr eine Demeter-Erinys sich bildete, die Möglichkeit einer Persephone-Erinys ausschliessen.

Wir denken also den Uebergang der Erinys in die Apostrophia und der Thesmophoros in die Pandemos als möglich erwiesen zu haben, und auch bei der Tritonia und Urania kann es nicht schwer halten. Beide haben sich zu Göttinnen des Himmels entwickelt oder werden wenigstens als solche verstanden, wobei wir uns nicht einmal darauf zu berufen brauchen, dass Athene häufig Sterne am Helm oder an der Aigis trägt, und die Volksetymologie aus Astarte andererseits Asteria machte. Beide haben einen strengen, etwas kalten Charakter, wenn derselbe auch bei der Urania nicht, wie bei der Athene, in seinem weiteren Verlauf zur strengen Durchführung der Jungfrüulich- keit führte. Bei Beiden hat ihre Natur die gleiche Symbolik der Bewaffnung ergeben, mit Schild, Speer und Helm, so dass ein Ueber- gang der einen Göttin in die andere durchaus nicht ausser dem Be- reich der Möglichkeit liegt.

Wenn wir nun aber nach der Veranlassung zu dem Uebergang der drei verschiedenen Göttinnen in die eine Aphrodite forschen, so muss ein bedeutendes Mittel gewesen sein der enge Zusammenhang, in welchen die drei boiotisch -thebischen Góttinnen zu einander traten. Es fragt sich nur, welchergestalt das verbindende Band gewesen sein möge. Etwa ein physischer Gedanke? wie Engel (V 3S xex-

104 K. Tümpel:

muthen möchte.*) Wirklich denkt auch Gerhard an eine pan- theistische Aphrodite mit Herrschaft im Himmel (Urania), Erde (Pande- mos) und Unterwelt (Apostrophia). Aber diese für 3 Holzbilder ohnehin etwas precäre Auffassung ist ganz undenkbar für die Dreiheit Athene, Thesmophoros, Erinys, die durch eine äusserliche, historisch -poli- tische Veranlassung zusammengekommen sein muss. Und diese finden wirin der Gründung der Kadmeia durch die argivischen Kadmos- diener, welche die Göttinnen zweier absorbirter Autochthonenstämme an dieihre anschlossen. Eine völlige Zusammenschliessung an einander geschah aber erst mit dem Aufgehen in der phönikischen Göttin, das durch das enge Zusammengehen dieses Cultes mit dem Bilderdienst den Uebergang noch mehr erleichtern musste. Der Nachweis eines Verkehrsweges zwischen Theben und Kypros, auf dem der Ueber- gang der Erinys und Thesmophoros ermittelt worden wäre, scheint schwer; wenigstens ist das Vorhandensein eines Halsbandes der Har- monia, das doch zu Thebep gezeigt ward, auch zu Amathus (Paus. IX 41, 2) kein rechter Anhaltspunkt. Dagegen scheint ein solcher für die Urania vorhanden zu sein. Die athenische Urania “ἐν κηποῖς nämlich, dieselbe welche ᾿πρεςβυτάτη Μοιρῶν᾽ heisst, ist die angeb- lich von Aigeus gestiftete, dessen Wohnhaus in der Nühe gezeigt ward (nicht die rein phönikische im Gau Melite, von welcher Pau- sanias (I 14, 7) irrthümlich diese Nachricht erz&hlt: Wachsmuth, Stadt Athen I 411). Aigeus aber ist ein Beiname des Poseidon (O. Müller, Orch. p. 272. Dorer I 238 und H. D. Müller I 146), der als soleher der Heros Eponymos der Aigiden ist (H. D. Müller a. ἃ. O.). Diese aber sind bei ihrer Umsiedelung nach Lakonika und Thera jedenfalls mit der kytherischen Urania in Berührung gekom- men und haben auf diese Weise die Verschmelzung veranlasst. So findet sich zu ,, Áigion" am Hafen ein Tempel des Poseidon und der Urania statt der Tritonia-Hippia (Paus. VII 24, 1). Insofern haben also Welcker (G. GL. I 671) und Wachsmuth (Athen I 412) einen richtigen Grundgedanken gehabt, wenn sie auf einer echt hellenischen Aphrodite Urania bestanden; nur ist diese eben nicht eine Aphrodite, sondern eine Pallas Tritogeneia der Aigiden, eine alte Gattin des Aigeus, die für gewöhnlich sich an die attische Athene anschloss.**) Zu einer besonderen Genugtbuung muss es uns gereichen, von einer ganz verschiedenen Seite her mit Brandis

*) Freilich p. 56 denkt er anders; hier rückt er die Holzbilder mit- sammt ihrer ethischen Bedeutung „in das höchste Alterthum“ und wundert sich dann über die Consequenzen seiner Ansetzung. „In der Bedeutung, welche diese drei Holzbilder der Aphrodite Oópavía, der himmlischen, TTávónpoc, der irdischen, und ᾿Αποςτροφία, der die Blut- schande abwehrenden, beigelegt war, müssen wir ein bedeutendes Merk- mal der Geistesbildung erkennen, weil eie schon den Gegensatz der reinen und unreinen oder erlaubten und nicht erlaubten Liebe ausdrücken".

** Hüngt das redende Symbol der ‘Aigis’ mit dieser Stammver- ehrung zusammen?

Ares und Aphrodite. 105

zusammenzustimmen, der in seinem mehrfach citirten Aufsatz “Ueber die Bedeutung der 7 Thore zu Theben? im Hermes II 280 schon 1867 es ausgesprochen hat, dass “unter den drei uralten Schnitz- bildern der Aphrodite zu Theben das Bild der Urania diejenige Göttin darstellt, der das ongkäische Thor geweiht war. Wir beriefen uns, um das Aufgehen der drei verschiedenen Göttinnen in Aphrodite zu erklären, auf die ursprüngliche Zusammengehörigkeit der Kypris und Kythereia, sowie auf die politische Thätigkeit der Kadmeionen, die auch eine Art cuvoıkıcuöc in ihrer Weise war. Aber ein paar wich- tige Parallelen werden die Thatsache noch erklärlicher erscheinen lassen.

IIL Abschnitt: Aphrodite und Ares als Metamorphose des aonischen Götterpaers Erinys und Ares.

8 26. Enyo und die Homoloioi. Wir wollen nicht näher ein- gehen auf die Praxidiken, die ᾿ τρεῖς πάρθενοι᾽, die wir schon er- wähnten, und die καθαροί zu Pallantion, sondern an eine gut boio- tische Vereinigung, die schon oben erwähnten Homoloischen Götter, anknüpfen. Von den weiblichen Gottheiten sind sicher wieder eine Athene Homolois und eine Demeter Homolota. Die dritte, Enyo Homolots hat O. Müller (Orchom.? p. 229 und mit ihm Gerhard, Gr. Myth. 8 604) erst aus der Legende (Suidas 5. v. ομολώϊος Ζεύς und Schol Theokr. VII 103) herausgeschält: Homolois, eine Prieste- rin der Enyo, habe den Dienst des Zeus Homolotos gestiftet. Hier- dureh soll nur die Homoloische Cultvariante des Zeus, der dieser Góttinnendreiheit prüsidirte, und das Unicum einer daraus resulti- renden Cultverbindung mit Enyo erklärt werden. Die Enyo Homo- lois darf man durch ein solches Mythologem sich nicht zerstören lassen, wie es bei Welcker geschieht. Dieser denkt durch die Be- zeichnung: “etymologische Fiction’ den allerdings entstellten Kern des Mythos, und somit das 'Versehen' O. Müllers abthun zu künnen (Gr. G. L. I 706; II 208). Ja, man hätte ein erinysartiges Wesen nach unseren obigen Analogien vermuthen dürfen als dritte im Bunde der Athene und Demeter, auch wenn jene Legende von der Homolot- schen Enyo uns verloren gegangen wäre. Der Anschluss an Zeus kann uns bei der offenbar jüngeren nachepischen Stiftung des Homolot- schen Dienstes nicht gross Wunder nehmen. Fanden wir doch eine ganz analoge Gesellschaft unter Poseidon vereinigt. Es sprechen alle Anzeichen dafür, dass die Erinys, welche hier den Platz mit Enyo wechselt, mit dieser ursprünglich identisch sei.*) Einen ge- wissen Parallelismus der Entwickelung weisen sie Beide auf, indem sie sich zu Mehrheiten von furchterregendem, hässlichem und ält- lichem Aussehen entwickelten, den Graien und Erinyen. Vielleicht

*, Dass Enyo nicht mit der kleinasiatischen Anaitis identisch ist, wie Schwenck (Myth. 1 226)*) wollte, ist klar.

Jahrb. f. class. Philol, Suppl. Bd. XI. 45

106 K. Tümpel:

liegt auch schon im Namen eine Gleichheit*) ausgedrückt. Am wich. tigsten für unsere Frage aber ist, dass Beide in einer engen Be. ziehung zu Ares stehen, der nach der einen von ihnen sogar Enya- lios heisst. Es befestigt sich hierdurch unser Vertrauen in die An- gabe des Sophoklesscholions (Ant. 126), welches von einer ehe- lichen Verbindung derselben beiden Gottheiten berichtet, die wir auch zu Athen am Areiopag in uralter Cultvereinigung getroffen hatten, von Ares und Erinys. Freilich darf die Analogie der Enyo nicht dazu verleiten, etwa die Erinys für eine bewaffnete Göttin zu halten, wofür sich nur mit grösster Bedingtheit der Beiname ᾿πτολίπορθος᾽ἢ der Ersteren in der Ilias 333) geltend machen liesse. Es war also etwas unbedacht von Hartung, dass er (Religion und Myth. d. Griechen III 102) sagte: “Aphrodite bei aller ihrer Weichlichkeit verleugnet doch ihre Amazonennatur nicht, wenn sie mit einem Har- nisch angethan in Gesellschaft des Ares, als En yo mit Enyalios, auf- tritt", Schliesslich sei noch als überraschende Thatsache hervorgehoben, dass in Athen sich fast alle oben vergleichsweise zusammengestellten Dreizahlen wenigstens in einzelnen Fragmenten zusammengefunden haben. Dass jene 2 Aphroditen ein Rest der thebischen Aphrodite- dreizahl sei, vermutheten wir aus der dabeistehenden Athene, die wir nun, sei es als Ueberlebsel oder als Rückfall in das System der drei älteren boiotischen Gottheiten bezeichnen dürfen. Drittens fehlen aber auch die Homoloioi nicht; denn sie sind vertreten durch Enyo; so dass sich die von uns oben (p. 657) aus anderen Gründen vermuthete boiotische Cultstätte in und um jenen Arestempel, in dem diese Statuen sich befinden, in umfassender Weise bestätigt. Die Erscheinung aber, dass um Ares sich diese verschiedenartigen Er- innerungen schaaren, mahnt uns an die Verbindung dieses Gottes mit der uns vor Allen wichtigen Erinys zu denken.

8 27. Erinys Tilphossa und Ares. Die Analogie der Cultver- bindung des Ares mit der Erinys am Areiopag, sowie die Beziehungen zur identischen Enyo genügen eigentlich schon, um das Scholion zuSoph. Antig. 126 von der ehemaligen Verbindung des Ares mit der

m en ...

*) Etwa ’Epivuc aus '€pi-évü-c von Ἐνῦ-ὦ (= lat. ínu-8 = γραῦς; cf. H. D. Müller, Ares p. 76). Γραῖαι (die Dreiheit der Enyo) = ‚Die Alten, Ehrwürdigen“ Semnai (Mehrheit der Erinys) Eine bestimmte Vermuthung soll nicht ausgesprochen sein, wenngleich wir die Etymo- logie von Erinys, auch nach der von Kuhn (Zsch. I 439 ff.) versuchten Deutung, der Natur seiner mythologischen Combination halber, noch für ein Problem halten müssen. Doch schon durch ihren Beinamen Til- phossa stellt sich Erinys mit der Enyo auf gleiche Linie. Denn wenn in diesem Wort die Beziehung zu einer Quellschlucht angedeutet lag, so hat, was Enyo betrifft, schon länger von ganz selbständigem Gesichts- punkt aus Bergk es ausgesprochen, dass diese weiblichen Appellative auf -ὦ, Quellnamen sind, und Enyo sich also, wie Trito u. A. auf eine klaf- fende Quellschlucht bezieht; wie ich erst nachträglich ersehe aus Fleck- eisen, Jahrb. 81 (1860) p. 806 37 pass. (‘Geburt der Athene’).

Ares und Aphrodite. 101

Erinys Tilphossa von aussen her zu bestätigen. Allein es ist noth- wendig, dass sich auch aus inneren Gründen seine Echtheit erweise. Der scheinbare Mangel an solchen verführte H. D. Müller (Myth. II 325) zu sagen: ‘Der Ares der Thraker wird Vater des Drachen, weil Beide Unterweltswesen sind; Erinys Tilphossa die Mutter, weil sie auf die für die Lösung des Drachens nöthige Mordstihne hinweisen soll; der Name Tilphossa, an sich die Benennung einer Quelle, ist nur eine Variation der Areia (πηγή), welche der Drache angeblich bewacht haben soll’. Doch dies kann uns von einer erneuten Unter- suchung nicht zurückschrecken, zumal er selber früher an dem my- thologischen Werth jenes Scholions festhielt (Ares p. 22ff.) und erst im Philologus (XIV 127) im Gegensatz zu Stoll dieses Urtheil zurück- zog. Mit seinen neuerdings in der Stammmythologie ausgesproche- nen Ansichten scheint aber dieser Widerruf in Gegensatz zu stehen, wie wir nachzuweisen gedenken.*)

Insoweit befinden wir uns mit H. D. Müller im Einverständniss, dass das Symbol der Schlange die Macht bezeichnet, welche den universalen Naturgott im Winter bannt, oder ihm beim Eintritt des

*) Vorauszuschicken ist, dass wir betreffs der Wesensbedeutung des Ares uns an H. D. Müllers Entwickelung anschliessen, zumal sie allein die scheinbaren Widersprüche seines mythologischen Charakters zu er- klären vermag, welche die neueren Mythologen zu ganz divergirenden Auffassungen veranlasst haben (cf. Preuner in Bursians Jahresber. 1876 VII 108). Wenngleich wir uns des Rechtes der Nachprüufng nicht begeben werden, so müssen wir doch bekennen, dass die mannigfach verdammenden Recensionen des Ares’ trotz einzelner berechtigter Aus- stellungen die Richtigkeit des Grundgedankens in unserem Bewusstsein nicht zu erschüttern vermocht haben. An H. D. Müllers Hauptgegner Welcker selbst hat sich sein Strüuben gegen die neue Auffassung ge- rächt. Während er in der Gr. Götterlehre (1 422) jenen Gelehrten wegen seines chthonischen resp. universalen Naturgottes Ares herb abgefertigt zu haben meint, kommt er ein paar Seiten weiter selbst darauf, für Ares eine ursprüngliche universale Bedeutung anzunehmen, in die er sich mit einer anderen Phase seines eignen Wesens theilt. Der thrakisch- griechische Doppelcult eines dualistischen Sonnen- (oder Natur-)Gottes Ares-Dionysos sei früh in zwei sich feindlich gegenüberstehende Personen zerfallen, welche die Nacht- und Lichtseite des Naturlebens vertrüten; bald sei er durch eine Person mit Doppelgesicht und Wechsel des Schlafs und der Blindheit, der Verwundung u. s. w. wie des Todes und des Lebens ausgedrückt worden. Er vergisst nur zu erwähnen: ‘der Freiheit’, die er doch in der asiatischen Parallele der Anmerkung sich selbst nahe legte: so stimmt er im Wesentlichen mit H. D. Müllers Principien über- ein; nicht aber im Uebrigen. Denn Welcker, wie er den thrakischen Dionysos als einen ausschliesslich *leidenden? hinstellen will, übersieht in demselben Masse die chthonischen Charakterzüge im Ares, die gerade H. D. Müller hervorhebt und an die Spitze stellt. Zudem können Ares und Dionysos überhaupt niemals eins gewesen sein, da sie in Theben, wo Beide ziemlich alt sind, sich sogar gegenseitig ausweichen, niemals &ber in Griechenland wirklich dergestalt in gegensützlicher Einheit stehen, dass der eine Wasser und Leben’, der andre 'Erstarrung und Winter? würe (G. GL. II 588).

46 5

108 K. Tümpel:

Frühlings unterliegt; und dass bei einer Zweitheilung dieses Gottes die Schlange zum Thiersymbol seiner chthonischen Phase wird, wie auch der Wolf, der Hund u. s. w. Diese Thatsache ist von H.D. Müller selbst theoretisch begründet und praktisch gehandhabt wor- den (Myth.IT 321). Es fragt sich nur, zu welchem Gott das Drachen- symbol zu Theben in jenem Verhältniss gegensätzlicher Einheit steht. Müller antwortet: “zu Kadmos', also der Argiverreligion; und gründet darauf eine rein mythisch-symbolische Deutung der gesammten an Kadmos angeknüpften Drachensage, welche ihn zu den gewagtesten Voraussetzungen von Cultgebräuchen nöthigt, und doch selbst nicht recht befriedigt. Oder sollte, da er den Stier (und die Kuh) als das durchgehende Thiersymbol der argivischen Kadmos- (Hermes- Argos-) und Demeter- (Europa- Io- Pasipha&-)Religion nachgewiesen hat (Myth. II, Band 2), nicht der Drache daneben sehr auffällig erscheinen?*) Zumal dieser nur in den beiden Mythen von Kadmos und lason vorkommt, die gerade starke Elemente des fremden Ares- dienstes aufgenommen haben nach seinem eigenen Gestündniss? Ja, im Iason-Hermesmythos ist er sogar ganz deutlich stórend und überflüssig: denn hier kreuzt sich das chthonische Thiersymbol des Ares, der Drache, mit demjenigen der lason-Hermesreligion, den “ταῦροι xaAkómobec*) cóv πολλῷ πυρὶ ὁρμήςαντες᾽ (Apollodoros I 9, 23), “οἱ φλόγ᾽ ἀπὸ ξανθᾶν τενύων πνέον καιομένοιο rtupóc? κτλ. (Pindar Pyth. 225 (Christ); cf. Apollonios Rh. Arg. III 420), welche zugleich mit jenem das goldene Vliess bewachen und vertheidigen. Und in diesem Falle erblickt H. D. Müller selbst eine Verschmelzung der argivischen Unterwelt Aia (Myth. II 342ff.) mit dem chtho- nischen Jenseits der A resreligion, der 'vfjcoc ᾿Αρητιάς᾽, welche mit dem πεδίον ᾿Αρήϊον᾽ und ‘veiov’ oder ᾿ἄλεος "Apnoc’ identisch ist, nur dass sie nicht, wie die Letzteren, spielend auf Grund der gleichen Bedeutung mit Aia zusammengeworfen ist (Ares 114). Dass auf der Insel Áretias, die im Mythos noch deutlich von Aia local ge- trennt erscheint, kein Drache erwähnt wird, will nichts bedeuten. Er ist hier vertreten durch den die Insel nach aussen abschliessen- den Wasserring, der, wie die stygische Flut den Tartaros umschlingt, 80 hier das Todesreich als Eiland vom Erdenleben trennt (H. D. Müller, Myth. II 49), Ein- und Ausgang vertheidigend; die Insel vom Wasserarm umflossen entspricht allein schon dem Hain oder Gefilde mit Schlange. Eine mythische Bestätigung der Identität von sich schlängelndem Wasserarm und Schlange (Ladon) wird uns noch begegnen. Wie nun aber im Argonautenmythos Aresinsel und : Land Aia als zwei verschiedene Lokalitäten erscheinen, so sind auch

d M) pon Schlangenstab hat Hermes erst spüt in der Kunst (Preller, . M. 1" 319). '

**) Cf. den “δράκων κατάχαλκος᾽ (Eurip. Iph. Taur. 1210) und die ehernen “θάλαμοι᾽ unten p. 111*). T

Y

Ares und Aphrodite. 109

Ares und Aietes, der Drache des Ares und die Stiere, welche aus- drücklich als Besitzthum des Aietes gelten, sich parallel laufende Elemente zweier verschiedenen Religionen. Ebenso verhält es sich mit dem Drachen der Kadmossage, der nach H. D. Müller eben- falls nicht der Aresreligion, sondern der argivischen des Kadmos- Hermes angehören soll Hierüber urtheilt er selbst: „Auffallen kann es hierbei nur, dass Kadmos in dem Mythos in gar keine nühere Beziehung zum Drachen gesetzt wird ... Aber (führt er fort) es hat sich doch eine Spur erhalten, aus welcher hervorgeht, dass der Drache den Personen des Mythos näher steht, als die gewöhnliche Erzählung vermuthen lässt‘ (II 322). Er meint die Angabe des Derkylos beim Scholiast zu Eurip. Phoen. 7 (Ddf. III 35, 18 ff.): 'AépxuAoc Θηβαίου τινὸς Δράκοντος τοὔνομα, βαειλέως δὲ Θηβαίων, φηεὶν εἶναι τὴν Αρμονίαν θυγατέρα, ὃν φονεύεας Κάδμος ἔγημεν “Ἁρμονίαν. Aber dieser euhemeristische Bericht zerreisst gerade den Zusammenhang zwischen Kadmos und dem vermenschlichten dpüxwv, der hier als Vater der Harmonia deutlich genug den Ares vertritt, nicht aber den Kadmos; denn dieser heisst nie Vater, son- dern stets Gatte der Harmonia. Werden hier Ares und der Drache in unbewusst richtiger Erkenntniss identificirt, so tritt die urechte Zu- sammengehörigkeit Beider in einem anderen euhemeristischen Bericht von Palaiphatos (c. VI. Westermann, Mythographi p. 276, 4), wo ein Δράκων "Apeuc παῖς von Kadmos getödtet wird, nicht minder deutlich zu Tage. Denn genealogische Verknüpfung in directer Linie ist ja nach H. D. Müller (Myth. II 95) eine beliebte mythische Um- schreibung der Identität zweier Wesen. Schliesst sich somit der Drache eng &n Ares an, so kann auch der Drachenkampf, als ein unstreitig natursymbolischer Mythos, nicht zum Kadmos gehören. Erst durch den Hinzutritt eines historischen Ereignisses, die Occupi- rung der Arescultstätten durch siegreich eindringende Kadmeionen, deren Gott in die sommerlich-herrliche Phase der alten eingeborenen Gottheit einrtickt, erleidet der Mythos eine Umdeutung im historischen Sinne Ein alljährlich sich wiederholendes Naturereigniss verdichtet sich zu einem einmaligen historischen, dessen Gedächtnissfeier zu begehen man sich einbildet, wie aus dem Deukalionmythos von dem allwinterlich hereinbrechenden ‘xeıuwv’*) die Sage von einer grossen historischen Sinflut wurde: und so wird aus dem Sommergott, der den Wintergott zu Frühlingsanfang besiegt, ein Culturheros als Reprüsentant des einen Stammes, der in dem anderen die Schrecken der Wildniss und eines rauhen Zeitalters vernichtet. Der Gott der Besiegten aber lebt nur als böses Prineip fort und wird zur Erinne- rung an das denkwürdige Ereigniss alljährlich in seinem Thiersymbol vernichtet, nachdem seine sommerlichen Functionen an den sieg- reichen Eindringling übergegangen sind. Bevor wir uns zum

*) H. D. Müller, Myth. I 192; Preller, Dem. u. Pera. Ὁ. 239.

110 K. Tümpel:

Kadmosmythos zurtickwenden, ist es nöthig, dass wir das areische Drachensymbol weiter verfolgen.

Wir haben oben gesehen, wie die Erinys durch ihren Namen Tilphossa sich an Erdschluchten, Höhlen und Klüfte anschliesst, die mit einer Quelle in Verbindung zu stehen pflegen. Die letztere wird zuweilen mit dem Namen der Göttin benannt, also: Delphusa oder Tilphossa; ebenso häufig aber führt das Wasser, an dem sich ihre Verehrung festgesetzt hat, einen anderen Namen, den Bursian, bei seiner Aufzählung der in Boiotien und Arkadien gleichmässig vorkommenden Localnamen übersehen hat (Gr. Geogr. II 259°), nämlich.Ladon, wie Stoll (Ares p. 5) gezeigt hat. Denn zu Thel- pusa in Arkadien sprang unweit des Onkeions, auf dem das Heilig- thum der “Demeter-Erinys’ lag, der Ladon wieder hervor, der sich an einer anderen Stelle in der Erde verloren hatte (Paus. VIII 20, 1), und als Vater der Telphusa (= Thelpusa) galt, nach Stephanus Byz. (s. v. Τέλφουςα); und zu Theben soll nach Pausanias (IX 10, 5) derselbe Ismenosfluss früher Ladon geheissen haben, der nach derselben Stelle an seinem Quellenursprung auch 'Apnriác Schol. zu Aisch. Septem adv. Theb. 106. Apoll Rhod. III 1179). oder 'Apeía πηγή (Sehol. Eur. Phoen. 660. Ddf. III 185, 13) ge . heissen haben muss.*) Wie wir nun hiernach in Theben eine An- wesenheit der Tilphossa-Erinys vermuthen müssen, so dürfen wir doch den Ladon nicht mit ihr allein in Verbindung bringen; viel- mehr muss, wie schon H. D. Müller (Ares p. 25) erkannt hat, nach Analogie des Drachen Ladon, der die goldenen Hesperidenüpfel be- wachte (wie der Aresdrache das goldene Vliess), auch in unserem Ladon ein Drache stecken, und zwar der des Ares, mit dessen

*) Ismenos ist ein erst aus der semitischen Colonisation stammen- der Name, wie seine genealogische Verknüpfung mit Amphion und Niobe (Unger, Parad. 1827) und das durch astronomische Symbolik orientalische Daphnephorienfest des Apollon Ismenios zeigt (O. Müller, Orch.? 215). So ist auch in Arkadien jene die semitische Colonisation voraussetzende (Hehn) Daphne (Unger 135 a. &. O.) an die alteinheimi- schen Ladon und Gaia (= Erinys?) angekindet, aleo das Spätere. Mit der Angabe des Pausanias, welche Areia und Ladon deutlich als Quellen desselben Flusses bezeichnet, stimmt nicht überein Euripides. Doch sucht Unger auf Grund und nach Art der einseitig hermeneutisch verfahren- den Scholiasten (zu Eurip.) die widersprechenden Angaben zu vereinigen (p. 103 ff. 138f.), indem er sich eine Topographie construirt, die in Wirk- lichkeit nach dem Terrain unmöglich ist (Ismenos und Dirke aus einer Quelle Dirke entspringend) Auf eine Vereinigung von Pausanias und Euripides muss verzichtet werden. Ulrichs (Heise 1840, mir nicht zugünglich) verwirft darum lieber Pausanias, wie es scheint, resp. inter- pretirt ihn künstlich, indem er die Arei& in die Dirke münden lässt, statt in den Ismenos (cf. Plan in Hermes Il). Bursian dagegen (Geogr. v. Griech. I 225* cf. Taf. IV) lässt zwar die Controverse unentschieden, gibt aber zu verstehen, dass er sich lieber an die von Pausanias gegebene Ueberlieferung halte, was auch wir thun müssen, wenn uns nicht Bran- dis' Vorwurf treffen soll, dass wir 'den Dichter (Euripides) als Perie- geten, den Periegeten aber als Dichter behandeln’.

Ares und Aphrodite. 111

Quelle er identisch war. Wir würden also hier das oben gewünschte Zusammentreffen von Fluss (Ladon = Areia) und Drache (Ladon = "Apeuc bpüxuv) haben, vorausgesetzt, dass sich eine gemeinsame Beziehung Beider zu einer Unterwelt nachweisen liesse, die hier, etwa wie in Thelpusa an einer Erdschlucht localisirt sein müsste, Und hierfür fehft der Nachweis nicht. Denn dass man sich die Ares- quelle als mit einem χάςμα in Verbindung stehend dachte, wie wir es als Lieblingsstätte der Erinys kennen lernten, zeigt die Beschreibung des Teiresias bei Euripides (Phoen. 930), wo sie genannt wird:

“θάλαμαι, οὗ δράκων τηγενὴς

ἐγένετο Δίρκης ναμάτων ἐπίεκοποςἾ.

Denn θαλάμη bezeichnet wie θάλαμος eine dunkle, licht- leere Kammer, ein Verliess*), und gilt in mythischer Symbolik als beliebter Ausdruck für die Unterwelt. Auch in den Kunstdar- stellungen mit dem Drachenkampf des Kadmos ist die Grotte stets stark hervorgehoben (Welcker, Alte Denkmäler III 388), die doch unbedingt als Unterweltseingang gedacht ist. Als selbstverständlich erscheint nun eine Genealogie, wie die des Hesiod (Theog. 333), welche den Ladon mit lauter chthonischen Wesen: Gorgonen, Graien (Enyo?), nach Euphorion (Frg. 52) auch Erinyen von Phorkys abstam- men lässt, dem ctuyvöv ὕδωρ der Unterwelt (Joh. Stobaios 62 p. 399. ef. O. Müller, Orchom.? 149)°). Fragen wir aber nun, zu welchem Gott dieses Drachensymbol des Ladon gehört habe, das sich bei der Erinys - Thelpus& Arkadiens und der Drachenschlucht in Theben findet denn zu einer männlichen Gottheit muss auch das münn- liche Thiersymbol gehórt haben**) ,— 80 braucht der Name kaum mehr genannt zu werden: es ist Ares: und die chthonische Natur seines Cultortes wird wohl in dem bis jetzt (wie derjenige Letos und Lethes) unerklürlichen Namen seines Drachens einen Ausdruck erhalten haben. In dieser thebischen Localisirung der Unterwelt Aretias mit Schlange und Quelle liegt also die Bürgschaft für eine höhere Einheit der beiden in der Argonautik erhaltenen Phasen der ideellen Unterwelt des Mythos, der wasserumflossenen Insel Aretias und des schlangenbewachten Areshaines.

Was nun aber das Wichtigste ist: es hat sich auf diesem Um- wege die Echtheit des Sophoklesscholions, welches Ares und Erinys

*) 2. B. aus Soph. (Antig. 946) geht die unterirdische Natur dieses Locals schon hervor: ᾿χαλκοδετοῖς αὐλαῖς κρυπτομένα δ᾽ ἐν τυμβή- ρει θαλάμῳ κατεζεύχθη᾽ [cf. “θάλαμον ποιεῖ χαλκοῦν κατὰ yiic’: Phere- kydes. ὑπὸ γῆν θάλαμον karackevdcar yaAkoOv? : Apollodoros Aisch. Pers. 916: θαλάμους ὑπὸ τῆς". Verg. Aen. VI 280: 'ferreique Eumenidum tha- lami’]. So hat auch H. D. Müller, dem wir diesen Hinweis verdanken, schon im Ares (45) den θάλαμος, in dem Danaé gefangen gesetzt und vergraben wird, als einen chthonischen Aufentbaltsort erkannt, der die Unterwelt selbst bezeichnet.

**) Aus demselben Grunde gehört Areion echt nur zu Poseidon, nicht zu Erinys.

112 K. Tümpel:

als Gótlerpaar und den Drachen als ihren Sprössling hinstellt, von neuem bewährt. Diese Genealogie verknüpft nur durch Blutsbande, was mythologisch echt zusammengehört, und ist noch einmal er- halten in dem Scholion: 'émeibrmep ἐκ Γῆς καὶ Ἄρεως δράκων ?jv' (Dindorf III 255, 14), mit welchem sonderbarer Weise das rein poetische Beiwort “ynrevnc’ des Aresdrachens bei Euripides (Phoen. 937) erklärt wird. Vielleicht ist auch nur die begriffliche Potenz der Gaia an Stelle der Erinys getreten, wie bei Antimachos (Paus. VIH 25, 9), der auch als Mutter der Poseidonischen Areion statt der Erinys (Schol. Il. V 346) die Ge nennt. Aus der nun erwie- senen Zusammengehörigkeit des Ares- und des Erinyscultes er- klärt sich nun auch, wie der Granatapfelbaum, welcher nach Pauss- nias (IX 251) auf dem Grabmal des dem Ares geopferten Menoikeus*) stand, nach Philostratos (Imagines p. 432) Angabe für von den Eriny en gepflanzt gelten konnte. Der thebische Muttercult des athenischen am Areiopag bestehenden hat sich somit, wie erwartet, gefunden. Freilich fehlte dort der Drache; doch lebte er fort in den *bpaxovr- ώδεις κόραι᾽ (Erinyen) 2. B. des Euripides, die man seit Aischylos mit Schlangenhaar zu denken gewohnt war (Paus. I 29, 6).

S 28. Die aonische Cultgemeinde. Es ist jetzt an der Zeit, zu fragen, welchem Stamme der Aresdienst angehört habe. Kadmisch ist er nicht (wie nur Stoll annimmt). Dagegen muss er einem Volks- element angehören, mit dem die Kadmeionen in Gegensatz treten, und das doch in das neue Gemeindewesen mit hinüberging: denn sonst wäre der Arescult zu Theben nicht chthonisirt und doch bis in so späte Zeit erhalten worden. Hier thut uns gute Dienste ein Bericht des Pausanias. Er führt an der schon oben zum Theil citirten Stelle fort (IX 5, 1): “ἐςοικίςαςθαι δὲ μετὰ τοὺς "€xrnvac ἐς τὴν χώραν "Yavrac xai "Aovac, Βοιώτια ἐμοὶ δοκεῖν τένη, xoi οὐκ ἐπηλύδων ἀνθρώπων. Κάδμου δὲ καὶ τῆς Φοινίκων ςτρατιᾶς ἐπελθούςης μάχῃ μὲν νικηθέντες οἱ μὲν Ὕαντες ἐς τὴν νύκτα τὴν ἐπερχομένην éxbibpückouci, τοὺς δὲ Aovac Κάδμος γενομένους ἱκέτας καταμεῖναι καὶ ἀναμιχθῆναι᾽. Es ist klar, dass das “νικηθέντες᾽ sich auf die Aonen mitbezieht, da ja auch die ixecía sich sonst nicht recht begreifen liesse. Wenn wir das Phönikerthum des Kadmos und das nicht massgebliche “ἐμοὶ doxeiv’ mit Gefolge abrechnen, haben wir hier eine vortreffliche historische Notiz. Die Aonen und Hyanten sitzen im Land, als Kadmos ankommt; die letz- teren werden besiegt und verschwinden, offenbar ohne einen Einfluss auf die Kadmeionen und ihre Religion ausüben zu können; die Aonen aber, die ebenfalls unterliegen, werden in ihren übriggebliebenen Resten auf ihre Bitte verschont**) und in das neue Gemeindewesen

*) Philostrat a. a. O. nennt, wohl nur aus Versehen, den Eteokles. **) Uebereinstimmend damit sagt der sonst mit Misstrauen aufzu- nehmende Nonnos (Dionys. V 48): "καὶ crpatóc ἀντιβίων ἱκέτης éxM- vero Kábuwy', nämlich der Aonen: “Κάδμος "Aovi μάρνατο λαῷ

Ares und Aphrodite. 113

herübergenommen, womit eine nur einschränkende. Anerkennung ihrer Gottheiten bei dem toleranten und pietittvollen Sinn der Hellenen selbstverständlich verbunden ist. Die beiden Religionssysteme wer- den in Einklang gebracht und zwär mythologisch.

Diesen Vorgang nun können wir deutlich verfolgen am Kadmos- mythos, der uns hier besonders interessant wird, da er eine voll- ständige mythologische Parallele zu dem eben besprochenen hi- storischen Zeugniss bildet, und die gleiche Thatsache, die dort nackt thatsächlich erzählt wurde, durch eine in mythologische Bilder- sprache gehüillte Wiedergabe bestätigt: Kadmos, als heroischer oder göttlicher Vertreter der Kadmeionen, vernichtet die Selbständigkeit des einheimisch vorgefundenen Stammes der Aresverehrer, indem er deren sterbliches religiöses Symbol, den Aresdrachen, überwindet. Soweit ist der Mythos noch Dogma, freilich ein geschichtlich ver- wandeltes. Historischer Mythos aber ist, dass die Söhne dieses Drachens in Folge jenes Ereignisses aufgerieben werden, dass 5 von ihnen Uebriggebliebene sich unterwerfen und in die neue Gemeinde mit aufgenommen werden, ganz wie die Aonen (γενομένους ἱκέτας καταμεῖναι --- ἀναμιχθῆναι᾽ἢ.

Als Name dieser Drachensöhne erscheint “Crtaproi’ (die Leute “von Geburt’; ςπείρειν = γεννᾶν); er wird durch einen ety- mologischen Mythos, unter Anknüpfung an den Drachen, erklärt: als ob sie aus den gesäeten Zähnen des Drachens als wehrhafte Mannen entsproesen seien, und dieses selbständige Element mit in die Kadmossage hineingearbeitet, so dass Kadmos derjenige ist, der die Zähne sät. Man könnte (wie H. D. Müller gethan hat) aus dem Umstand, dass dieses ganze Ereigniss sich bei Iason wiederholt, den Schluss machen: es müssten hier mythisch-symbolische An- schauungen und nicht historische zu Grunde liegen. Aber dort er- scheint dieser Theil als ein fremdes Flickstück: durch Auslassung des Namens der Sparten für die aus den Zähnen aufspriessenden Männer ist die im Kadmosmythos so klar liegende etymologische Grundtendenz in der Árgonautik verwischt. Auch rühren die Zähne nicht, wie es natürlich wäre, von dem kolchischen Drachen her, mit dem sie auffallend genug ganz ausser Beziehung stehen; selbst von Herodoros, der den kolchischen Drachen von lason getódtet werden lässt (Schol. Apoll. Rh. IV 87) wird nicht gesagt, dass er die Zühne von diesem hergeleitet habe, dies wäre auch aus dem Grunde äusserst unwahrscheinlich, weil die Ueberwindung des das Vliess bewachenden Drachens immer als letzte Arbeit dem Einackern der Drachensaat folgt. Vielmehr sagen Apollodoros sowohl (I 9, 23), wie.Apollonios Rhod. (III 1177 ff.), die beiden ältesten Quellen hier-

Bópfapov ἀμώων cráxuv "Apeoc..". Er hat offenbar, wie sich des weiteren zeigen wird, hier nach seiner sonstigen Gewohnheit alerandri- nische Muster benutst.

114 Κ. Tümpel:

für, ausdrücklich, dass diese Zähne von dem thebischen Drachen des Ares stammen (was schon Pherekydes so ausgleicht, dass er sagt, sie seien Kadmos und Aietes zu gleichen Theilen von Ares ge- schenkt worden). Es gab eben Sparten nur zu Theben, wo sie histo- risch sind, vielleicht das Bild des Drachen tätowirt auf der Brust trugen (nach Euripides [Antig.] bei Hygin) und noch in späterer Zeit dem Ares Menschenopfer bringen. Wenigstens wird Menoi- keus*), der sich beim Zug der Sieben gegen Theben als Opfer des Ares in dessen Drachenschlucht stürzt, ausdrücklich aus dem Ge schlecht der Sparten ausgewählt. Sein Vater oder (nach Paus. IX 5, 6) Sohn Kreon (Philostr. Imag. p. 383) erscheint bei Hygin (Fab. VI) sogar als sechster Sparte**) neben den Udaios, Pelor, Hyperainor, Chthonios und Echion; und mit Kreons Sohn Haimon soll der letzte (mit Kadmeionenblut) unvermischte Spross des Spar- tengeschlechtes ausgestorben sein, woraus sich ihr Nichtvorkommen in historischer Zeit erklärt. So werden sie deutlich von den Kad- meionen geschieden, mit denen sie erst Euripides confundirt hat, Diodor gibt noch richtig, wenn auch unter Schwanken über die An- sässigkeit der in Frage kommenden Stämme den historischen Gehalt des Kadmosmythos wieder, wenn er (Bibl XIX 53, 4) sagt: “cuv- ῆλθεν ἐπ᾿ αὐτὴν (Καδμείαν) Adoc, ὃν τινὲς μὲν Crrapróv προς- ηγόρευςαν διὰ τὸ πανταχόθεν ςυναχθῆναι, τινὲς δὲ Θηβατενῆ διὰ τὸ τὴν ἀρχὴν ἐκ τῆς προειρημένης πόλεως ὄντα ... ἐκπεςεῖν κτλ.᾽, Hier steht Crraproi gradezu an Statt der "Aovec, so dass wir beide Namen als Bezeichnungen desselben Stammes in Anspruch nehmen, der nach der historischer Ueberlieferung als Aonen, nach mythischer als Spartenvolk mit den Kadmeionen in einen unglück- lichen Kampf verwickelt wird. Vielleicht ist eine Spur von der Identität der Aonen und Sparten noch erhalten in dem Bericht des Pausanias "roic μὲν "Aoci κατὰ κώμας ἔτι ficav αἱ oikriceic (a. a. O.), wozu man vergleiche Herakleitos (de incredibilibus XIX p. 75) “Κάδμος τοὺς ς«ποράδην οἰκοῦντας eic Ev ευνήγαγεν᾽, was ganz den Eindruck einer versuchten Etymologie von 'Crraproí macht, aber doch auch auf thatsächliche Verbältnisse zurückgehen kann (Thukyd. I 5). Wäre noch eine Bestätigung dafür nöthig, dass der Ares- und somit auch der Erinyscult den Aonen angehörte, so würde diese in der häufigen und, wie es scheint, typischen Bezeichnung des Aresdrachens als “aonisch’ liegen. Apollonios Rh. nennt an der oben eitirten Stelle (Arg. III 1178) die ὀδόντας

""Aovíoto δράκοντος, ὃν ᾿Ωτυγίῃ ἐνὶ Θήβῃ

᾿ Κάδμος, ὅτ᾽ Εὐρώπην διζήμενος εἰςαφίκανε,

Πέφνεν ᾿Αρητιάδι κρήνῃ ἐπίουρον ἐόντα.᾽

*) Ein mythisches Prototyp jener Opfer, wie O. Müller (Eume- niden p.174*) gezeigt hat; und vielleicht eine Heroisirung der sommer- lichen Phase des sonst winterlich-chthonischen Ares. **) cf. Timagoras bei Schol. Eur. Phoen. 670 (942).

Ares und Aphrodite. 115

Da Apollonios dieses Ethnikon sonst nirgends in Gebrauch hat, so muss es an dieser Stelle seine gute Begründung haben und auf ge- lehrter Quellenkenntniss basiren. Das möglicherweise sehr späte Scholion zu dieser Stelle: “᾿Αόνιον δέ qna δράκοντα τὸν βοιωτικόν᾽ rechnet mit Anschauungen, wie sie erst bei römischen Dichtern auf- treten; oder aber was wahrscheinlicher ist es will bei seiner Erklärung gar nicht einmal Identität des Inhalts beider Begriffe be- haupten. Denn die aonische Ebene ('dóviov mebíov') lag zwar spe- ciell bei Theben (Strabon IX p. 412), aber doch immerhin in Boi- otien. Offenbar im Anschluss an Apollonios nennt ferner Nonnos (Dionys. II 673) den Kadmos: *’Aovioıo δράκοντος ἐναντίον ὄμμα τιτήνας᾽. Ebenfalls hierher gehörig ist das Fragment des Kallimachos 436: 'áporàc κύματος doviou’, das man mit “Durch- furcher der aonischen Woge’ zu übersetzen liebt. Was soll das für ein Gewässer sein, auch wenn man gar-wieder 'Boiotien' zu Hilfe nehmen wollte? Und dies wird nicht erlaubt sein, da die einzige sonstige Spur dieses Wortes bei Kallimachos ganz speciell thebische Gesichtskreise angeht. Denn die im Hymnos auf Delos (25 ff.) er- wähnte Quelle 'Aonie' erscheint in engstem Zusammenhang mit den ganz thebischen Bächen Dirke, Ismenos und Strophie. Davon ist aber keiner achiffbar. Wir verstehen also ᾿ ἀροτήρ᾽ eigentlich und denken an Iason, der den Namen ‘Pflüger? sehr wohl tragen konnte, vorausgesetzt, dass man ᾿κῦμα᾽ nicht mit “Woge’ übersetzt, sondern mit “Brut” (wie *cráyuc Ἄρεως). Dann ist die “aonische Brut', welche Iason ackernd erzeugt, das erzgepanzerte Geschlecht des 'áóvioc δράκων᾽, die Sparten. **)

8 29. Harmonia. Wir machten oben Aussicht, dass die Ver- schmelzung des aonischen und kadmischen Religionssystems sich noch verfolgen lassen werde. Suchen wir den springenden Punkt. H. D. Müller hat uns gelehrt (St.-Myth. I 145), dass “in solchen Fällen (wo eine Berührung zweier verschiedener Stämme eintritt) gewöhnlich weibliche Mittelglieder einzutreten pflegen’, natürlich um die Stammgottheiten genealogisch zu verknüpfen. “Soll z.B. gesagt werden, dass ein Volk mit einem andern zu einem Ganzen ver- schmilzt, so fasst der Mythos dies symbolisch als Verheirathung eines männlichen und eines weiblichen Individuums’ (II 11 vgl. I 221. So fragen wir auch hier nach dem weiblichen Mittelglied in der Genealogie, welche Ares- und Kadmosreligion verknüpft. Dies ist Harmonia, welche als Gattin des siegreich eindringenden kad- mischen Stammheros Kadmos doch zugleich rückwärts als Tochter an den Gott der unterliegenden Aonen angeknüpft ist, den Ares.

So liest mit Recht Valckenaer (zu Eur. Phoen. 645; p. 247) statt der ganz widersinnigen Vulgata Οὐρανίοιο᾽ (* ὀνιοιο᾽ missverständ- lich als Compendium gefasst, cf. Unger, Th. Parad. p. 419).

E **) Im übrigen vergleiche über die Aonen in Theben den zweiten xcurs!

116 Κ. Tümpel:

Aber auch eine Mutter muss sie gehabt haben, natürlich die Gattin des Ares; aber hier erscheint statt der Erinys plötzlich unerwartet die Aphrodite und bestätigt so ausdrücklich, dass diese nur eine Metamorphose der Erinys ist: eine Aphrodite-Erinys, die dem letzteren Theil ihres Namens ihre eheliche Verbindung mit Ares verdankt. Die Aphrodite-Erinys selbst konnte nicht mit Kadmos verhei- rathet werden, da sie dem Ares verbleiben musste, und so schuf der Mythos an ihrer Statt die heirathsfähige Harmonia ihr zum Bilde (cf. die Aphrodite Harma in Delphi; Plut. Amator. XXIII). Die Freude aber, welche sogar die Götter über das gelungene Einigungswerk em- pfinden, spricht sich aus in ihrem Besuch auf der Hochzeit der Harmonia mit Kadmos, welche als die Friedensfeier nach dem historisch verwen- deten blutigen Drachenkampf dargestellt wird, und die Versöhnung mit den Drachensöhnen symbolisirt. Dieses selbe Verhältniss scheint auch ihr versöhnlich klingender Name auszudrücken, mögen wir nun an die eheliche Vereinigung, welche das Mittel zu jenem Zweck war, oder an die politische Uebereinkunft denken, oder daran, dass ihr Wesen mit Demeter Thesmophoros und Aphrodite gleichmässig An- knüpfungspunkte darbietet. Somit hat sich bestätigt, was Engel ahnte, dass “die beiden göttlichen Herrscherpaare in Theben ver- schiedenen Volksstämmen angehörten und die Sage Beide wieder auf die Weise verbunden habe, dass die Gemahlin des Kadmos eine Tochter des älteren Paares, des Ares und der Aphrodite, wird’ (Kypros II 54).*) Und wie vor Kadmos Ares, so muss vor Demeter sich Erinys auf die chthonische Seite beschränken, welche dann in der kyprischen Aphrodite wiedergefunden wird. Denn auch diese wird ja im Pygmalionmythos in ganz chthonischer Weise gebannt (Ovid. Met.X 243 ff.) und verfällt einer richtigen winterlichen Erstar- rung. Und erst im Frühling erwärmt Baal-Pygmalion (als Bild- bauer) die versteinerte Aphrodite (als Natur) zum Hieros Gamos (Preller, Gr. Myth. I* 275). Wegen unserer Deutung vergleiche man die Erstarrung des Daphnis zu Stein, die bei ihm mit unbedingt chthonischer Blendung wechselt (Schol. Theokr. VIII 93. Servius und Philargyrus zu Verg. Ecl V 20). Wir glauben nun auch bei der Aphrodite die tieferen Beziehungen aufgefunden zu haben, die sie mit der Kadmossage verbinden, und die H. D. Müller (II 319), wie für die Athene, leugnete. Sind aber auch topische Anknüpfungen der Aphrodite-Erinys in Theben nachweisbar? Schwerlich; wenigstens scheinen sie bei dem sich vervielfachenden Namen der Erinys verblie- ben zu sein. Das Scholion bei Hesych: “Λαδωτγενὴς fj 'Appobítn, ὅτι ἐπὶ τῷ ἐν ᾿Αρκαδίᾳ ποταμῷ Λάδωνι ἐγεννήθη᾽ (M. Schmidt mit

*) An bestimmte vorkadmische Stammnamen knüpfte auch versuchs- weise Stoll (Ares p. 28) 119) die Aresreligion an; doch warf er die Aonen mit Hektenen, Hyanten u. s. w. zusammen und hielt die Sparten gar für einen dem Ares feindlichen, 'verhassten' (p. 21), mit den eionen einwandernden (p. 28), also jüngeren Stamm.

Ares und Aphrodite. 717

Musurus statt &y&vvncev) bezieht sich wirklich auf den arkadischen Ladon Paus. VIII 25, 1). Auch die Quelle Strophie, welche Kalli- machos (hym. in Delum 76) mit Dirke, Ismenos, Asopos und Aonie, also thebischen Flüssen, erwähnt, wird mit Apostrophia keinen Zu- sammenhang haben. Machen wir nun kurz die Probe auf unser Exempel, so müssten sich, wenn Ares- und Erinysdienst an den aonischen Stamm angeknüpft ist, in Attika Spuren dieses Stam- mes nachweisen lassen, und wirklich sind nach Philochoros (bei Strabon IX 397) Aonen aus Böotien in Attika eingefallen (*rtopGov- “μένης τῆς χώρας ἐκ γῆς ὑπὸ Βοιωτῶν, obc ἐκάλουν "Aovac’); angeblich unter Kekrops, also in vorhistorischer Zeit. Wir können also getrost voraussetzen, dass solcher Zug in der Wanderzeit der Stämme, wo es sich um Landbesitz handelte, nicht vorübergegangen ist, ohne in-Ansiedelungen Spuren zu hinterlassen, namentlich wenn er so siegreich verläuft, wie allem Anschein nach dieser aonische. Suchen wir unsere Kenntniss von den Aonen durch weitere Notizen noch etwas zu vervollständigen, so finden wir eine solche in dem Bericht des Antoninus Liberalis (Transformationes XXV) nach Nikan- dros (*€repoioupévuv 5?) und Korinna ('érepoiuv a’) (Wester- mann, Mythographi p. 224 ff). Lassen wir die Ausschmückungen der Legende beiseite, so erscheinen als Stifter eines Cults der beiden *Eriounioi'*) die Aonen. Mit jenen Gottheiten fallen offenbar so oder so zusammen die 'Koronides', welche anlässlich dieses Er- eignisses, der Cultstiftung zur Rettung aus Pestnoth, göttlich ver- ehrt sein sollen, weil sie sich freiwillig zum Opfer geboten. Als in- tellectueller Urheber fungirt ein Apollon Gortynios, offenbar, wie auch O. Müller zu diesem Mythos bemerkt (Orchom.? p. 195), ein Asklepios, wie der Gortynios zu Titane bei Sikyon (Paus. II 11, 8), der sich zu der gedoppelten Koronis in bekannter Weise als Par- hedros stellt. Asklepios aber, wie Koronis haben Schlangen- symbol und wohnen in *uévapa* und '8ó0pov, unterirdischen Höhlen mit kalten Quellen, genau wie Ares und Tilphossa-Erinys in den Quellschluchten. Asklepios war selbstverständlich nicht immer Heilgott, wie Ares auch nicht Kriegsgott; nur die Cultstätten bleiben unverändert und bezeugen Stammverwandtschaft. Nach O. Müller ist Asklepios Stammgott der Phlegyer (Orchom.? p. 194), als deren Stammvater aber auch Ares erscheint (mit Chryse Paus. IX 36, 1). Des weiteren schliesst sich dieser Gruppe an das Paar Trophonios und Herkyna. An ersteren sind die ᾿ἕρμαι᾽ als Opferknaben erst durch die Verschmelzung mit argivischem Hermesdienst gekommen: denn mit Hermes hat das Schlangensymbol nichts zu thun: sogar der Schlangenstab ist erst eine spütere Modification der ursprüng- lichen Wtünschelruthe “τριπέτηλος᾽ (Preller Gr. Myth. I? 319). Die

*) Schneide win in der zweiten Auflage von Ὁ. Müllers Orcho- menos p. 195 (cf. 1. Aufl. p. 200) schreibt fülschlich „Erinyen“.

118 K. Tümpel:

Herkyna aber, deren Name von “Epxoc’ (= Gefüngniss == θάλαμος etc.) herkommt, mit Pöpkoc, dem styxartigen Unterweltsgewässer identisch ist und ausserdem einen Fluss bei Lebadeia bezeichnet, entspricht fast genau der Tilphossa (= Delphusa). Drachensymbol und Quellschlucht fehlen nicht. Sogar demselben historischen Er- eigniss sind Ares-Erinyscult und Trophonios-Herkynadienst zum Opfer gefallen; denn wie Ares von Kadmos-Hermes ins Chthonische herabgedrückt ward und Erinys an Demeter angeschlossen als De- meter-Erinys, so heisst später Trophonios der unterirdische Her- mes (Cic. d. Nat. Deor. III 22, cf. O. Müller, Orch.? 149f.) und Her- kyna hiess die erste Priesterim der Demeter zu Lebadeia, der Demeter-Herkyna (Tzetzes zu Lykophr. 153 p. 414).*)

Die Vermuthung liegt somit nahe, dass die Wichtigkeit, welche in späteren gelehrten Zeitaltern dem aonischen Namen beigemessen wird, und sogar zur Gleichsetzung mit dem Namen Boiotien führte, auf der Thatsache eines weit verzweigten Schlangen- und Quellgrotten- dienstes mit wechselndem Namen der leitenden Gottheiten beruhte, welcher jenen alten unterdrückten Landesbewohnern angehörte.

Noch harrt eine Frage der Erledigung: wie kam Ares zu seinem bis heute noch unbezweifelten Thrakerthum? Die eine Stütze desselben ist Homer. Dieser aber trennt, wie A. Riese (Fleckeisen Jb. 115, 225 ff.) überzeugend dargethan hat, ausdrücklich das östlich vom Strymon, nordwestlich von Ilion gelegene Land Thrake von Pierien am Olympos erst spät, welches höchst wahrscheinlich durch eine uns berichtete Auswanderung der Pierer nach Thrakien um und vor 500, mit diesem in Verbindung gesetzt wurde, während ‘pierische Thraker’ in Böotien bei Daulis auf einer noch erkenn- baren Combination des Thukydides beruhen. Die Verknüpfung des Ares mit dem kriegerischen Barbarenvolk des Nordens, den Thra- kern, auf deren Rechnung später mancher nach Süden gerichtete Einfall nördlicher Stämme gesetzt ist, kann also nur eine dichterische sein. Südliche Thraker gibt es erst besonders seit Euripides und Strabon. Was das andere Argument, nämlich die angebliche thra- kische Herkunft der mit Ares mythologisch verbundenen Aloiden betrifft, so liegt Aloion, das H. D. Müller (Ares p. 87) sonst mit Recht beizieht, nicht etwa in Thrake, sondern hóchstens in Pierien, eigentlich freilich nur in Thessalien. Wir müssen also annehmen, dass bloss unorganisch durch historische Verhältnisse die Aloiden eine ihnen angemessene Function in der Aresreligion übernommen haben, wofür auch ihre Doppelung spricht, sowie das Fehlen von Arescult in dem durch die Aloiden gestifteten Askra (Paus. IX 29, 1), sowie zu Anthedon, wo ihre Gräber gezeigt wurden (IX 22, 5).

eigne Untersuchung, und nach den oben gewonnenen Anhaltspunkten vielleicht nicht unschwer, festgestellt werden können.

Ares und Aphrodite. 719

Fragen wir aber, welche Beziehungen bei Homer den Ares zum Schutzgott der Thraker gemacht haben mögen, so ist offenbar der oft hervorgehobene kriegerisch rauhe Sinn der Letzteren, welcher sich auch in ihrem Namen ausspricht, die Veranlassung gewesen (cf. V. Hehn, Culturpflanzen ete? p. 56: Θρᾷξ von τραχύς mit vertauschter Aspirata’). Von ihnen geht der Krieg, “äpnc’, aus und der Schrecken ‘pößoc’ (Il N 301); als Thraker erscheint der Kriegsgott (€ 462), und so kehrt er dann auch in der Odyssee (0 301) nach seinem Abenteuer mit der Aphrodite dahin zurück, von wannen man ihn kommen zu sehen gewohnt war. Ebenso wer- den auch später Rhesos, Diomedes, Lykurgos gern als Söhne des Ares nach Thrakien versetzt (A. Riese a. a. O. p. 231).

8 30. Chronologie. Wir glauben die Echtheit der Verbindung von Ares und Aphrodite so gut wie bewiesen zu haben, womit, wie wir hoffen, für einen unbefangenen Beurtheiler sich das Axiom H. D. Müllers von der nothwendigen Zurtickführung der einzelnen Mit- glieder der griechischen Götterfamilie auf bestimmte Stämme von neuem bewährt haben wird. Bevor wir jedoch den Aufbau unserer Argumentation abschliessen, wozu wir uns des öfter erwähnten De- modokosgesanges bedienen werden, sind die chronologischen Daten wenigstens versuchsweise zurecht zu rücken. Für den Uebergang der Erinys in die Aphrodite haben wir als Kusserstes Datum rtickwärts die Stiftung der Kadmeia. Sogar der Mythos hat die Weihung der Aphroditebilder nicht über Harmonia hinaus zurückdatiren mögen und können, aus begreiflichen Gründen. Ein terminus ad quem feblt leider, wenn wir uns nicht auf das Epos berufen wollen. Wir müssen also fragen nach den Beeinflussungen, die Theben vom Orient aus erfahren hat. Der nächste Gedanke ist hier an jenes semitische Volkselement, dem durch Brandis (Hermes II 259 ff.) die Ummauerung zugeschrieben wird wegen des Bezugs der sieben Thore zu den Ka- biren. Aber hier ist noch Alles dunkel; nur dass die Astarte, welche diese Colonisten mitbrachten, nicht unsere Aphrodite sein kann, steht fest; denn jene ging in der Onka auf. So bleibt eine andre Mög- lichkeit. Jene Kabirenverehrer nämlich, welche nach O. Müller (Prolegomena p. 155) von Boiotien nach Samothrake auswanderten und, wie H. D. Müller (St.-Myth. I 295) vermuthet, die Harmonia und den Kadmos von den Kadmeionen annahmen und ebenfalls mit verpflanzten, die auch den πέπλος und das Halsband der Harmonia aus Phónikien importirten, haben auch die Aphrodite einführen und gewissermassen als Gegenleistung in Theben zurücklassen können, denn sie waren naturgemüss Semiten. Dass Müller sie vor die Kadmeionen ansetzt und sie von diesen erst vertrieben werden lässt, scheint ohnehin nicht plausibel, da die Harmonia sich doch erst in Theben abgesondert haben muss. Vielmehr scheint gerade einer der späteren Kämpfe die Vertreibung derselben veranlasst zu haben, wenn wir auf Pausanias’ Bericht etwas Werth legen wollen (IX 25, 7:

120 K. Tümpel:

‘xara δὲ τὴν Ἐπιγόνων crpatelav καὶ ἅλωειν τῶν Θηβῶν ἀν- ἐετηςαν μὲν ὑπὸ τῶν ᾿Αργείων οἱ Kaßeipoı’. Wären wirklich die frisch von Norden einwandernden Kadmeionen die Veranlassung ge- wesen, so würden nicht die argivischen Epigonen genannt sein. Auch die Thatsache, dass die Erinys trotz der Aphrodite, z. B. in der Oidi- pussage, noch kräftig fortlebte, würde nichts für ein viel späteres Datum des Uebergangs beweisen. Denn da ja auch in spätester Zeit das Tilphossion noch fortbestand , so konnten sich an dem dortigen Cultusort parallel der thebischen Aphrodite noch alle die älteren Vorstellungen erhalten haben, und so in unsere Quellen übergehen. Aber zur Evidenz lässt sich mit unseren Mitteln diese Vermuthung nicht bringen. Die Aufgabe, Mythologie, soweit sie historische Ele- mente in sich aufgenommen hat, in Geschichte umzusetzen, ist so schwer, dass noch der grosse Grote sich derselben tiberhaupt be- schied, indem er die mythologische Urgeschichte von Hellas mit dem gemalten Vorbang des Parrhasios verglich. “Der Vorhang ist das Gemälde selbst, er verdeckt nichts, und es kann durch keinen Scharf- sinn weggezogen werden’ Gesch. Griech. I p. VIII (übs. v. Meissner).

Wir fragen uns weiter: welcher Zeit die Aphrodite-Dreiheit zuzuschreiben sei. Wenn unsere Vermuthung, dass die Aigiden erst die Verschmelzung deg Athene mit Urania veranlasst haben, richtig ist, was wir bis auf weiteres annehmen, so können die drei Xoana frühestens nach der Vollendung der dorischen Wanderung sich con- stituirt haben, da eine Rückwanderung von Aigiden nothwendige Voraussetzung wäre. Viel jünger herab müsste unser Datum für dieselben fallen, wenn O. Müllers Aeusserung (Orch. 114) von ‘dem Holzbild der Aphrodite zu Theben' begründet wäre. An das Agalma neben Ares, das Aischylos in den 'Septem' erwähnt, hat er nicht gedacht, denn er spricht von “dem Bild, das Harmonia aus phönikischen Schiffsschnübeln habe schnitzen lassen’. Er stellte sich also wahrscheinlich jene drei Aphroditen als mit dem Rücken an- einanderstehend vor, und aus einem Holzstamm geschnitzt, wie z. B. die Hekatebilder. Doch verbietet der siebenmalige Plural der betreffen- den Stelle des Augenzeugen Pausanias solche Annahme.*) Etwas Positives lässt sich aber nicht beibringen; auch mit den Zahlen, welche die Einführung des Aphroditedienstes in Griechenland zeit- lich umschränken wollen, 1200 (Duncker, Gesch. d. Alterth. II* 42) und 1600—1100 (E. Curtius, Gr. Gesch. I5 51) ist nichts ge-

*) Noch eine andre Vermuthung, die wenn sie richtig würe, einen gleich späten Ursprung involviren würde, braucht nur erwähnt zu werden, um abgethan zu sein. Lónormant-de Witte (Él. Cér. IV 28) schreiben über die 3 Xoana: “Une Venus Apostrophia, unie à deux autres Vénus, nous rappelle la disposition ordinaire du groupe des trois Gräces et se réduit tout simplement à une Vénus callipyge'(!).. Drei hocharchaische Bilder, die man auf Harmonia zurückführte! und die aussahen, als würen sie phönikische Akrostolia!

Ares und Aphrodite. 121

wonnen. Nur soviel lässt sich festhalten, dass Harmonia bloss my- thisch als Stifterin der drei Aphroditebilder gelten kann; vielleicht ist sie es geworden in Erinnerung an die Vereinigung der drei ver- schiedenen Götterculte der Athene, Demeter und Erinys, die sich gewissermassen unter ihren Auspicien vollzog.

Was ferner die Verbreitung des Aphroditedienstes betrifft, so fällt sie natürlich weit später als die Zeit, in welche wir die Verbreitung der Erinys-Tilphossa und ihrer Begleitung ansetzen können. Die letztere fällt in eine uns ganz unerreichbare Zeit, die erstere in eine jüngere, wie die späte Treibhausstadt Megalepolis vermuthen lässt; zwischen beiden Gruppen liegt jene wichtige Epoche des Uebergangs vom anikonischen in den ikonischen Dienst, dessen Chronologie, so wichtig sie für uns wäre, doch nicht durchaus klar ist. An eins der berühmten Wandergeschlechter von Theben, die Aigiden oder Gephyrüer, können wir die Verbreitung der Aphrodite- Dreiheit mit Ares nicht anknüpfen, da die Oertlichkeiten des Vor- kommens nicht übereinstimmen (vgl. Preller, Dem. u. Pers. 392 ff. O. Müller, Orch. 1124. Overbeck, Kunstmyth. II 273). Wenn sie wirklich bei der Verbreitung jener Trias von Göttinnen bethei- ligt gewesen sind, so kann es nur bei der älteren Phase derselben der Fall gewesen sein, in welcher sie ja, wie wir vermutheten, die Verschmelzung der Tritonia mit der Urania veranlassten. In diese Richtung weist uns auch eine merkwürdige, aber ziemlich r&äthsel- hafte Inschrift unbekannten Fundortes, über deren Verbleib nichts bekannt ist. Sie wird von Welcker (G. GL. I1 156) angeführt und lautet: “ἀρηι untpacı καὶ dıiockopoıc”. Der Dual, welcher sich hinter der Pluralform diocköpoıc versteckt, kann uns nicht veran- lassen, an der Dreizahl der “Mütter” zu zweifeln, die auch Welcker wahrscheinlich ist; und es wäre also denkbar, dass mit den μητέρες die drei boiotischen Göttinnen, hier unter der Führung des Ares, steckten. An die Aigiden als Stifter der Urkunde zu denken, liegt nahe, weil diese mit ihren einheimischen Culten leicht die berühmten Götter ihrer langjährigen Durchgangsstation nach Thera, die amy- kläischen Dioskuren, vereinigen konnten.*) Der Name Thera der Insel aber, welcher übereinstimmend auf diese boiotischen Wanderer zurückgeführt wird, hat eine sonst alleinstehende Parallele in der später unverständlich gewordenen Localbenennung der “sogenannten Thera' bei Lebadeia in Boiotien (Paus. IX 39, 4). Ebendaher muss der Ares Thereitas stammen, der in Sparta (Paus. III 19, 8) nicht alteinheimisch sein kann. Sehr wahrscheinlich verhält eich dann Thereitas zu Thera wie Enyalios zu Enyo, und Thera gehört zur Áresreligion. (So auch H. D. Müller, Ares 89 und Dilthey, Rhein.

*) Doch wäre auch nicht unmöglich, dass die Mütter einem ganz verschiedenartigen Cult zu Kreta und Engyon auf Sikelien angehörten, was die Ansicht Welckers ist.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Dd. XI. 46

122 K. Tümpel:

JB. 53/4 [1873] p. 42). Dazu stimmt, dass an dem boiotischen Thera ein Persephonedienst localisirt war, wie sonst an den Stätten der alten Erinys (cf. oben p. 685, 694), und dass vermuthlich wie bei den im gleichen Capitel von Pausanias beschriebenen Trophonios- Herkyna-Heiligthümern, ein χάςμα mit Zubehör im Spiele war. Die Uebermittler nach Lakonika aber würden nur die Aigiden sein können, die dann die Tritonia und Demeter mit der Aresgefährtin zusammen als “untepec’ einführten. Sollten jedoch unter den 'ótocxópov hier, wie bei Eur. (Phoen. 609) die thebischen Brüder Amphion und Zethos zu verstehen sein, so würde man erst recht an die Aigiden zu denken haben.

Schliesslich darf ein eigenthümliches Moment wenigstens nicht übersehen werden, nämlich die Einzahl der Aphrodite neben Ares in dem polyneikischen Heiligthum zwischen Argos und Mantineis. Vielleicht irren wir nicht, wenn wir wegen des ganz singulären Holz- materials der Aresstatue dasselbe für früher halten als die anderen Ares- und Aphroditetempel, in denen uns die Dreizahl der Aphro- dite entgegentrat. Man wende nicht ein, die von Aischylos. erwähnte spätere Ares- und Aphrodite-Gruppe zu Theben zeige auch nur eine Aphrodite: denn diese steht in einer Achtzahl der grossen thebischen Götter, welche den Anstrich eines einheimischen Systems hat, und jene ganze Zeit, in welcher sich die Völkerschichtungen in jener Stadt häuften, als vergangen voraussetzt, Auch bürgt die Notiz von der Stiftung der Bilder durch Polyneikes und vielleicht auch die eigen- thümliche Doppelanlage des Heiligthums für ein hohes Alter, und wir 8cheuen uns deshalb nicht, die Vermuthung auszusprechen, dieser Tempel stamme aus einer früheren Zeit, in welcher deutlich noch eine, specialisirte Aphrodite, die aus der Erinys hervorgegangene, später zur Unterscheidung von den anderen Apostrophia” genannt, mit Ares zusammen als ältestes Götterpaar zu Theben residirte.

Dritter Theil.

Aphrodite-Dionaia (Pandemos) und Ares, das po&tische Paar der hellenischen Nationalmythologie.

I. Der Gesang des Demodokos.

8 31. Kritik des Mythos. Wir haben im Vorstehenden den lo- calen Cult des Paares Ares und Aphrodite aufzuhellen gesucht durch Zurückführung auf ein metamorphosirtes Gótterpaar eines einzelnen Stammes, und hoffen somit einen Verweis auf die Dichter als allei- nige Erfinder dieser Buhlschaft überflüssig gemacht zu haben. Da- mit ist im Wesentlichen unsere Aufgabe erfüllt. Doch kapn verlangt

Ares und Aphrodite. 123

werden, dass das, was die epische Po&sie aus unserem Paar gemacht hat, als wenigstens nicht mit unserer Darstellung collidirend sich erweise. Erst durch die Betrachtung dieser mehr continuirlichen Ueberlieferung kann die dritte und schwierigste Frage unseres Pro- gramms: nach der Bedeutung des Paares, für welche uns bis- her nur das lückenhafteste Material zu Gebote stand, einigermassen erschöpfend beantwortet werden. Wenn wir demnach wieder vor- wärts schreitend unser Paar aus der Beschränkung des Cantonlebens in die freiere Atmosphäre des nationalen Götterhimmels verfolgen, so ist die nächstliegende Frage, wie sich die localen Charakterzüge im Spiegel der weiten hellenischen Dichtkunst reflectiren, was neu hinzugekommen, und was das Ursprüngliche ist. Dies führt uns zu einer langgescheuten Crux gewissenhafter Mythologen, dem Gesang des Demodokos in dem VIII. Buch der Odyssee.

Die einzige Deutung, um von den blossen Andeutungen H. D. Müllers hier abzusehen, hat W. Schwartz gegeben an den 5 oben (p.644) citirten Stellen seines Buches (Ursprung der Mythologie). Die Buhlschaft des Ares mit der Aphrodite in den Banden des hinter- gangenen Gatten Hephaistos ist ihm ein Bild des Gewitters: der *Gewittergott Ares buhlt mit der Gattin des Gewitterschmiedes: Aphrodite’, die selber als Uranostochter eine 'Gewittergeburt' ist. Ihr Gürtel, wie der des Ares ist ein Gewittersymbol, nämlich der *Regenbogen', der wie ein “goldenes Geschmeide’ aussieht (noch heute heisse derselbe in Griechenland 'fj ζωνὴ τῆς ἸΤαναγίας ἢ); “die böse Fessel ist der Blitzesfaden’, das “unendliche Gelächter der Götter - der Donner”. Der Hahn, den wir auf einigen Sarkophagen bei dieser Scene finden, ist als “der ursprüngliche Lanzenträger des Got- tes’ und als ‘der Gewittervogel anwesend (cf. die Hähne der Thurm- spitzen)’; und ‘Eros, der Sprössling dieser Gewitterbuhlschaft, ist in Beziehung auf diese mit dem Pfeil ausgestattet”. Man ist enttäuscht, nicht auch den tiefsinnigen Dialog zwischen Hermes und Poseidon meteorologisch gedeutet zu finden,

Wir unterscheiden zuerst zwischen echtem Kern und Agglo- meraten. Zu den letzteren gehört vor allen Dingen das zuschauende olympische Publicum. Das muss selbst derjenige zugeben, der nicht, wie wir thun, in der olympischen Götterfamilie und überhaupt dem griechischen Polytheismus ein erst historisch Gewordenes sieht. Aus- zuscheiden ist ferner die Schmückung der Aphrodite durch die Cha- riten am Schluss des Gesangs; denn die Chariten waren ursprünglich der Mittelpunkt eines selbständigen grossen Dienstes zu Orchomenos, der die Aphrodite nichts angeht. Das damit verbundene Bad ist im besten Fall ein prototypischer Mythos, denn die ᾿πάρθενος ἱεροςύ- vnv ἐπέτειον ἔχουςα᾽ der sikyonischen Aphrodite wurde Aoutpo- φόρος genannt (Paus. II 10, 4) und in Rom wurde noch zu Ovids Zeiten das Bild der Venus (Verticordia) am 1. April gebadet: of. Fasti LV 135 ff.:

46*

124 K. Tümpel:

*Aurea marmoreo redimicula solvite collo, Demite divitias. tota lavanda dea est. Aurea siccato redimicula reddite collo" etc. etc. Wir hütten ein hochzeitliches Bad zu erkennen, wie bei der Pallas, der Hera Lygodesma, der Demeter Lusia, Europa (Ant. Karyst. 179) und Leto (Zoster bei Steph. Byz. p. 196, 2).

Auszuscheiden ist ferner, wie schon Welcker (G. GL. I 1085) erkannt hat, das Gesprüch zwischen Hermes und Poseidon, als unter den Gesichtspunkt des Märchens fallend; wir dürfen hinzusetzen: &uch das Hereinspielen des Helios, als Personification der Sonne, die Alles sieht. Wir kommen jetzt zu Hephaistos. Dass er als Gatte, Ares nur als Buhle der Aphrodite erscheint, kann uns nicht veran. lassen, aus der socialen Rechtmässigkeit seiner dichterischen Be- ziehungen zu Aphrodite auch auf eine mythologische Echtheit dieses Verhältnisses zu schliessen und einem echten πάρεδρος Hephaistos zu Liebe etwa den Ares als po&tischen Eindringling zu behandeln, wie Raoul-Rochette thut. Er will (Peint. ined. Artikel “Venus et Mars’) alles Ernstes beweisen, dass die Bande, welche Aphrodite an Ares knüpfen, nie andere, als die des Ehebruchs gewesen seien. Jedenfalls weiss weder die griechische Cult-, noch Kunstgeschichte von einem Paar Aphrodite und Hephaistos, wenn auch die Möglich- keit nicht ausgschlossen scheint, dass, nach der beliebten Annahme, auf der Hephaistos-Insel Lemnos die Anwesenheit eines Aphrodite- cultes zu einer mythischen Verknüpfung beider Gótter geführt habe. Wenigstens wird das dortige, zur Erinnerung an die berühmte “duc- οςμία γυναικῶν᾽ gefeierte Fest von den Dichtern ziemlich allge- mein mit der Aphrodite in Verbindung gebracht, so dass die Annahme, es sei ein Aphroditefestcult gewesen, nicht allzufern liegt. Freilich dem Hephaistos begegnen wir in diesem Zusammenhang erst bei Valerius Flaccus (II 315) und dem Scholiasten zu Apollon. Rh. (I 850), der auch offenbar nur an Homer denkt. Doch selbst angenommen, es habe zu Lemnos oder auch zu Athen, wo im Gau Melite zwei Tempel des Hephaistos und der Urania benachbart standen (Paus. I 14,.7), ein mythisches Gattenverhältniss zwischen beiden existirt, so kann darum immer noch keine reale Cultrivalität zwischen Ares und Hephaistos um Aphrodite die Gegenüberstellung beider Neben- buhler bei Demodokos veranlasst haben. Denn auf Lemnos gab es, wenn nicht Alles trügt, einen mit Ares combinirten Aphroditecult ebensowenig, wie zu Theben einen solchen von Aphrodite und Ηρ- phaistos. In Beziehung zu einander könnten also beide Paare nur durch die Dichtkunst gesetzt sein. Diese Sachlage würde auch durch eine Berufung auf Athen nicht geändert werden, wo in zwei verschiede- nen Regionen sich beide Cultpaare finden. Denn Athene gewinnt auch erst in nachepischer Zeit Bedeutung, wo von Cultstreiten innerhalb der Stadt, ähnlich solchen, die auf Kypros den cultmässigen Gegen- satz zwischen Ares und Adonis veranlassten (cf. oben p. 688), nicht

Ares und Aphrodite. 125

wohl mehr die Rede sein kann. Sind wir demnach auf die Dichter als Schöpfer des Gegensatzes zwischen Ares und Hephaistos an- gewiesen, so fällt dieses ganze Verhältniss unter den Gesichtspunkt der spielenden Motivirung, welche nach H. D. Müller (St.-Myth. II 91) “in einem religiös-symbolischen Mythos in der Regel späteren Ursprungs zu sein pflegt’, also vom eigentlichen Kern (hier Ares und Aphrodite) zu trennen ist. Hephaistos ist also hochwahrschein- lich (cf. unten p. 731*)) bloss unorganisch als der Verfertiger der mancherlei Fesseln, Schmuck- und anderer Geräthe, deren sich die griechische Mythologie bedient, in den vorliegenden Mythos hineingezogen worden, wie ja auch sein Fehlen im Aloidenmythos beweist. War er nun einmal der Künstler dieses Fangnetzes, so konnte der Dichter leicht in Erinnerung, sei es nun an Lemnos oder vielleicht auch nur an die Ehe des Hephaistos mit Charis in der Ilias, wie Maury (Histoire etc. III 296) will, demselben die Aphrodite zum Gatten geben. Indem nun Hephaistos als be- leidigter Ehemann sich rächen musste, gewann der Dichter einer- seits eine vollkommene Motivirung für die Fesselung des glücklichen erhörten Liebhabers Ares, die ursprünglich naturmythische Gründe gebabt haben muss, andererseits einen hübschen Gegensatz zwischen dem hinkenden, schmutzigen Handwerks- und dem strahlenden, ju- gendlichen Kriegsgott, der seinen Nebenbuhler aussticht und hinter- geht. Dieser Gegensatz zwischen den rein anthropomorphischen Cha- rakteren ist zu vorzüglich, als dass man die Ehre, ihn geschaffen zu haben, dem feinsinnigen Dichter absprechen könnte zu Gunsten einer unbewusst bildenden, rein religiös-symbolischen Mythenepoche.

8 32. Deutung des Mythos. Nachdem wir somit auch Hephaistos ausgeschieden haben, bleibt nur der “iepöc γάμος᾽ (so auch H. D. Müller, Ares p. 61° “mit Anderen’) in Fesseln als religiós-symbo- lischer Kern des Märchens übrig, und wir haben, um zur Deutung des religiösen Gehalts schreiten zu könne, nur noch das Symbol der Fessel zu erklären. An ein Bild des Blitzes zu denken, fehlt die nothwendigste Voraussetzung, das Epitheton ‘golden’. Wir suchen deshalb nach Anhaltspunkten in der tibrigen Mythologie beider Götter. Zunächst kommt uns dabei die Erinnerung an die gefesselten Sta- tuen des Ares Enyalios und der Aphrodite Morpho zu Sparta (Paus. III 15, 11), bei denen gleiche Grundanschauungen vorliegen können. Aber hier herrscht grosse Unklarheit. Welcker, um bei der Letzteren zu beginnen, sieht in der gefesselten Aphrodite Morpho eine Góttin der himmlischen Liebe, stützt sich aber auf eine falsche Voraussetzung. Er confundirt missverstündlich die beiden in diesem Heiligthum in getrennten Zellen hausenden Cultbilder 1) die "'Aqpo- δίτη ὡπλιςμένη᾽ im unteren und 2) die Aphrodite in dem “Mop- φοῦς iepóv? im oberen Stockwerk, eine ᾿κάλυπτράν τε Exouca xai πέδας περὶ τοῖς ποςί᾽, und erhält so eine bewaffnete Urania, die zugleich durch die Feeselung als 'oikoupóc" (an das Haus gebunden

120 K. Tümpel:

bezeichnet wird, und “als Göttin züchtiger Gattenliebe mit dem un- gefälligen Zeichen der häuslichen Kalyptra” ausgestattet ist (vergl. bierzu oben p. 698). Die Beiden sind unbedingt auseinander zu hal- ten, wenn auch nicht in der Weise, wie Lenormant und de Witte (Él. Cér. IV 27) thun, welche die bewaffnete Urania, weil sie im Unterstock sitzt, für eine ' Vénus infernale’, die Morpho der oberen Cella aber für eine ' Vénus céleste' halten; letztere soll gar nackt sein, wohl weil Pausanias nur Schleier und Fesseln erwähnt (IV 63 a. & O.). Was bedeuten hier die Fesseln? E. Curtius (in den *Nuove memorie dell’ instituto' I (1865) p. 374 ff.), und mit ihm Ber. noulli (Aphrodite p. 37), hält sie für missverstandenen phöniki- schen Beinschmuck (Jesaias IIT) und zieht zur Unterstützung die . Bemerkung des Plutarchos (Quaest. Rom. 61) bei: dass das Anschliessen der Gótterbilder phönikische Sitte sei. Aber wenn man nicht um ein Missverständniss (des Pausanias) zu erklären, ein anderes (des Plutarchos) annehmen will, das doch erst erwiesen werden mtisste, werden beide Zeugnisse als sich gegenseitig ausschliessend gelten müssen, da nach dem einen (Jesaias) die Fesseln ideal, zum Bilde gehürig sein müssten, im andern (Plutarch) real. Zudem müsste dann vor allen Dingen wenigstens der Name deutlich semitisch sein; aber die Versuche in dieser Richtung zu etymologisiren (Movers, Phoenizier I 586) müssen als fehlgeschlagen gelten. So werden wir denn im Bereich des Griechenthums den Schlüssel für die Erklürung suchen müssen. Wichtig ist, dass Hera in der bekannten Erzählung von Hephaistos gleichfalls gefesselt wird (Preller, G. M. I? 139) und zwar auch in einem Sessel. Heras Bedeutung als einer Erd- oder besser Natur- und Fruchtbarkeitsgóttin kann durch die neusten Ver- suche, sie zu einer Mondgöttin zu machen, nicht als widerlegt gelten. Dann bedeutet die Fesselung derselben aber offenbar die winter- liche Bannung, wie wir sie bei fast allen Wesen dieser Art als gleichbedeutend mit dem Aufenthalt im Todesreich finden. Wenden wir diese Erklärung auf die Aphrodite Morpho an, so stimmt damit vortrefflich der Schleier, den sie mit Kronos (= dem chthonischen Zeus nach H. D. Müller) und den Eidola, den Schatten der Verstorbenen theilt, sowie der Name. Dieser geht nicht auf die Schönheit, etwa wegen der Nacktheit, oder gar ironisch auf die Hüsslichkeit des alten Holzbildes, sondern hängt zusammen mit μορφνός (dunkel) und Mop- φεύς, ist also ein treuer Ausdruck des Schleier- und Fesselsymbols. Die gleiche mythische Deutung hat für Ares, der zu Sparta in seinem Tempel ebenfalls gefesselt dargestellt ist (Paus. III 15, 5), H. D. Müller aus dem Parallelmythos von der Fesselung des Ares durch die Aloiden gegeben (Ares 33 ff.), die wir nun nicht nur kunst- mythologisch auf den Ares Borghese anwenden können, bei dem der Fussring offenbar nur ein ethisch umgedeutetes, ursprünglich mythi- sches Symbol ist, sondern. auch auf den Demodokosgesang.

Der Naturgott, der im Sommer Segen und Fruchtbarkeit spen-

Ares und Aphrodite. 127

det, gilt im Winter als von einer bösen Macht gebannt; der Eintritt der bösen Jahreszeit ist seine Niederfahrt zur Unterwelt, wo er in Fesseln und Banden ausharren muss, bis zum Frühjahrsanfang seine Erlösungsstunde schlägt, und mit ihm neues Leben und Freudigkeit in die Natur einzieht. Durch einen weiteren Schritt wird wohl auch die chthonische Phase des Naturgottes abgetrennt von der oberwelt- lichen, sommerlichen, und in persönlichen Gegensatz zu dieser ge- setzt, wie wir schon an anderer Stelle zu erwähnen Gelegenheit hatten. Diese Weiterentwickelung durch Scheidung lässt sich dagegen nicht nachweisen bei der Naturgöttin, bei welcher der Jahreswechsel nur in einem Umschwung des Schicksals, des Zustandes derselben Göttin zu Tage tritt. Scheinbare Ausnahmen, wie Demeter und Persephone, sind erst Aphrodite jedenfalls als eine rein passivisch von aussen her ge- fesselte durch historische Verhältnisse geschaffen. So muss in unserem Fall erscheinen, während dies bei Ares nicht so durchaus feststebt. Er könnte, wie in fast allen seinen mythischen Verhältnissen, prägnant chthonisch sein und hätte die Aphrodite in seinen Todesfesseln gefangen; und hiergegen würde nichts bedeuten, dass er im Demo- dokosgesang der vorzugsweise und allein Gestrafte zu sein scheint. Denn wir haben gelernt, dass “der Sinn, der sich gleich auf den ersten Blick darbietet, sich mit einer gewissen Absichtlichkeit auf- drängt, nicht als schöpferische Idee des Mythos gelten darf’ (H.D. Müller, St.-Myth. II 24, cf. 22). Gleichwohl kann hier nicht ohne Bedeutung sein, dass beide Götter gleichmässig und gemeinschaft- lich in dem Fesselnetz gebannt sind. Wir müssen darum dieses, zumal és fast eine Räumlichkeit bildet, auf seine allgemeine topische Bedeutung zurückzuführen. Diese wird uns zur Evidenz klar durch das Epitheton der “Unsichtbarkeit’, dessen dichterisehe Motivi- rung uns aber nicht irre machen darf. Denn nicht darum, weil es “wie Spinnefäden fein’ ist, bleibt das Netz für Jedermann un- sichtbar, sondern weil es in dem für alles Lebendige unerreichbaren Jenseits liegt ja es selber vorstellt, “das Land, von dess Bezirk kein Wandrer wiederkehrt' (daher *becuoi ἄρρηκτοι ἄλυτοι xpa- tepoi’. Wird doch der Unterweltsgott des polythejstischen Systems als "Aibnc der Unsichtbare verstanden. Deshalb heissen die Banden: "AT" ἀράχνια λεπτά, τάτ᾽ οὔ κέ τις οὐδὲ ἴδοιτο, οὔτε θεῶν μακάρων’ (nämlich der olympischen), also ganz wie die ᾿ àpaveic δεςμοί᾽ der Hera. Die Eigenschaft der Unsichtbarkeit ist nur eine Consequenz jener Vorstellungen, nach denen das Todesreich fern von Göttern und Menschen, unnahbar, verborgen und versteckt im nächtlichen Dunkel gedacht wird; der Herrscher desselben, welcher durch den Tod das Leben aus Natur und Menschheit entführt, und darum ‘di- δηλος᾽ heisst [so nicht nur Hades (Soph. Aias 608), sondern auch Ares gerade an unserer Stelle (0 309)], ist doch selbst als Bewohner dieses Orts der Oberwelt entrückt und unsichtbar, und zwar uregrüng;-

128 K. Tümpel:

lich in seiner Urexistenz als einiger Jahresgott, durch Zwang, indem er während der Winterszeit dem Erdenleben entzogen wird. Als er aber bei der Dualisirung aus einem Gefangenen zum Herrscher jener Regionen wurde, musste durch andre Motivirung das, was er in Wirklich- keit widerwillig erleidet, zu einer freiwillig gehandhabten Fähigkeit umgestempelt werden; und es heisst nun, Hades kann sich mittels seiner ᾿κυνέη᾽ unsichtbar machen, wenn er will; als wenn diese Haube nicht gerade 80 wie der Schleier des Kronos ein Symbol geiner unver- meidlichen chthonischen Winterphase wäre. Bei Ares ist der alte Zug nicht verwischt: der Zwang tritt deutlich zu Tage. Wider seinen Willen wird er als ein passivischer (später medialer, jedenfalls aber zugleich sich auch activisch bethätigender) ᾿ἀπότρο πο ς᾽ mitsammt seiner ᾿ἀποςτρόφια᾽ Aphrodite in das ferne unsichtbare Todes- gebiet entrtickt, dem er noch in späterer Zeit, freilich missverständ- licher Weise als Kriegsgott, neue Bewohner zuführt.*) Als eine äussere Bestätigung für das Attribut der Unsichtbarkeit als chtho- nisches Symbol (es ist H. D. Müller (Ares 33) trotz seiner bedeu- tenden Spürkraft entgangen) sei noch Folgendes angeführt: auch die Gorgonischen Gefilde, welche derselbe Gelehrte (Ares p. 69) als unterweltliche Parallele zum Tartaros, Hades, Aia, Aretias, etc. nachgewiesen hat, werden von Aischylos (Prometh. 795) beschrieben als Gebiete, ἃς οὔθ᾽ ἥλιος προςδέρκεται ἀκτῖειν οὔθ᾽ f νύκτερος μήνη tote”

ganz wie das Fesselnetz. Da es somit bis zur Gewissheit erhoben ist, dass dieses in seiner Unsichtbarkeit und Unentfliehbarkeit weiter nichts ist, als eine Bezeichnung für die Unterwelt, wie θάλαμος, κέραμος, der Styxumflossene Tartaros, der von Drachen bewachte Areshain, die Aóvoc-Bande der Hera etc. etc., so haben wir nun auch das Mittel in der Hand, die übrigen Symbole der Aresreligion in Einklang zu bringen. Das Fesselsystem soll dieselbe Anschauung des Todes- reiches als eines Gefängnisses ausdrücken, wie das ferne Eiland Aretias, welches der in sich zurückfliessende Meeresarm von der irdischen Welt trennt. Ist doch in gleicher Weise Odysseus auf der

*) Diese objective Unsichtbarkeit trifft von anderer Seite her zufällig zusammen mit der subjectiven Eigenschaft der Blindheit, oder richtiger der Blendung des chthonischen Herrschers (des ursprüng- lich winterlichen J ahreagottee) in germanischen, kleinasiatischen, grie- chischen Religionen (Lykurgos, Oidipus) Sie fällt zugleich mit der ebenfalls allgemein indogermanischen Frohne (Ennaeteris z. B.), der Fesselung und Verstümmelung, namentlich Sehnendurchschneidung (Oidi- pus, Zeus: Apollodoros I 6, 3), unter den gemeinsamen Grundbegriff der Gefangenschaft bei Besiegung, unter deren Symbolik sich die alte Natur- religion di: Unthätigkeit des Gottes im Winter vergegenwärtigte. Ver- stümmelung, Sehnendurchschneidung war auch in späterer Zeit noch das Schicksal der Gefangenen bei den Skythen und anderen auf niedrigerer Culturstufe zurückgebliebenen indoeuropäischen Mitbrüdern der Griechen.

Ares und Aphrodite. 129

Insel Aiaje, die mit Aia identisch ist, der Gefangene der Höhlen- bewohnerin Kirke, einer chthonischen Göttin! (H. D. Müller, Ares 102 ff). Die Schlange, welche sich um den Areshain schlingt, ver- hält sich als Beschützerin des Vliesses, der Hesperischen Aepfel (Ladon), der Grotte, in welche sich Menoikeus stürzt, wie das stygische Gewässer, das den Eintritt in die Unterwelt und den Aus- tritt aus ihr verwehrt; und der κέραμος der Aloiden functionirt, wie der Kerberos, der Alles hinein, Nichts wieder herauslässt. Der Sinn des Urmythos aber, den wir aus den zersprengten Trümmern und Repliken von Drachen-, Aloiden- und Demodokossage zu reconstruiren haben, ist der, dass der Sommergott bei Eintritt der schönen Jahres- zeit durch den Bruch der winterlichen Fesseln (den Drachenmord) entweder die Erdgóttin allein, oder besser sich und die Erdgóttin zum neuen Hieros-Gamos des Naturlebens aus der Gewalt des Win- ters befreit, in welche Beide beim Eintritt der schlimmen Jahreszeit mitten im Hóhepunkt ihres fruchtbaren Wirkens gefallen waren. Gegen unsere Herbeiziehung des Demodokosgesangs zur Aufhellung der Áresreligion aber wird man nicht den Einwand erheben können, dass das areische Drachensymbol fehle; denn es fehlt auch im Aloi- denmythos und würde im Demodokosmythos neben dem Netz eine Tautologie sein, wie dort neben dem Keramos. Der Wechsel des symbolischen Ausdrucks beweist nichts gegen die Einheitlichkeit des wiedergegebenen Grundgedankens.

8 33. Fest. Es muss von vornherein angenommen werden, wie H. D. Müller häufig betont hat, dass jeder echt religiös-symbolische Mythos, da er einen bestimmten Wendepunkt im jährlich wieder- kehrenden Wechsel des Naturlebens bildlich festhält, auch in einem Festcult seinen Ausdruck gefunden haben muss. Wir werden also untersuchen müssen, welche wichtige Jahresepoche der Symbolik unseres Mythos entspricht. Vor allen Dingen ist kein Zweifel, dass der Jahresumlauf auch als die Lebensdauer der lebenden und sterbenden, und wieder auferstehenden, der freien und gebundenen Naturgottheit galt, welche nach der naiven Auffassung des Natur- menschen die Ereignisse des Jahreswechsels an sich erlebt. So war in ursprünglicher Einfachheit des Gedankens das Jahresleben ein einziges grosses mythisches Drama, dessen einzelne Phasen nur durch den, Bezug auf einander Bedeutung haben, und in welchem die Fesselung mit der Befreiung, die Hochzeit mit der Verwittwung, die Geburt mit dem Tod, und dieser mit der Wiederauferstehung, der Neuvermählung u. s. w. correspondirt. Die entsprechenden Wende- punkte des Jahres sind nicht die Aequinoctien, die nichts Charakte- ristisches haben, sondern die Sonnen wenden, nach denen (abgesehen von den Zugvögeln) noch Hesiod ('€. x. 'H. 477, 562, 661) allein den Jahreslauf astronomisch bestimmt. Am Wintersolstitium begeg- net sich die höchste Macht des Winters mit der sich vorbereitenden neuen Herrschaft des Sommers: die Tage sind die kürzesten im

180 K. Tümpel:

ganzen Jahre geworden und die Sonne scheint ihre Geltung verloren zu haben. Da tritt die Wendung ein; die Nacht muss allmählich weichen, und der Anbruch des Frühlings bereitet sich vor. Die Macht des Winters ist gebrochen, die Gottheit lebt neu auf und gewinnt ihre Selbständigkeit, ihre segensvolle Wirkungskraft wieder. Das Gegenstück hierzu ist die Sommersonnenwende. Hier ist die Herr. Schaft zu ihrer Vollreife gediehen, und wird zugleich in der Ernte- zeit gebrochen. Denn mit dem Hochsommer beginnt sowohl in den sumpfreichen Urwüldern des pr&historischen, als auf den urbaren Fruchtgeländen des historischen Südens die pest- und fieberreiche Zeit, welche die zerstörende Herrschaft des chthonischen Princips ankündigt und in die Schrecken der neuen Jahreszeit hintberleitet, bis zum Anbruch neuen Lebens am winterlichen Sonnenwendepunkt (cf. Ares den Pestgott, Soph. O. R. 290).

Der Einwand, dass der astronomische Moment des Solstitiums der am schwersten aufzufindende sei, kann hiergegen nichts bedeuten: je älter die Zeit, je länger die Feste (cf. die ‘30-Nächte’). Nun müssen wir aber annehmen, dass auf dem Lande sich gerade die ältesten Cult. gebrüuche am längsten erhalten haben, welche das neuerungsstchtige Stadtleben perhorrescirte, wie ja auch bei den conservativen Italikern die ältesten Feste agrarische waren (Bernhardy, Römische Litt.-Gesch. p. 393). Von diesen aber sagt A. Mommsen (Delphika p. 26) gut: ‘In der Winterszeit, der genialis hiems, die in der ganzen Welt am reichsten ist an geselligen Freuden, blieben die Bauern zu Haus, feierten und schmausten bei dem, was die Vorräthe des Gehöftes vermochten’, worin ohne Zweifel auch der Vorzug der winter- lichen vor der sommerlichen Sonnenwende begründet liegt, welcher im Jahresanfang seinen Ausdruck erhält.*) Da die erstere als Be- willkommnungsfest der schönen Jahreszeit zugleich eine echte Freuden- feier ist, so erklärt sich uns schon hieraus die Lage des boiotischen Neujahrs, das ja wie das alte attische (Boeckh. a. a. O) an den ersten Neumond nach dem Wintersolstitium fällt (cf. oben p. 700). An letzteres würde denn auch die Erlösung von Ares und Aphro- dite aus den Winterfesseln sich anschliessen**), während die von

*) In der achüischen Zeusreligion, z. B. wie im neuattischen und olympischen Jahr (Boeckh, C. I. Gr. I p. 732 A, cf. 784 A) freilich die sonrmer- liche (H. D. Müller, St.-Myth. II 192), aber in der dionysischen vor dem Einfluss der Weincultur, welche aus dem sternekundigen Orient die stüdti- schen grossen Dionysien des Frühlingsaequinoctiums (des semitischen Jahresanfangs) einführte, offenbar das Wintersolstitium mit seinen später freilich auch in diesem Sinne umgestalteten ländlichen Festen. Aequinoctien zum Jahresanfang haben nur das dorische, phokische und makedonische Jahr (Boeckh, ri I. Gr. a. a. O.), also die jüngeren Aeren.

**) Auch der Saturnus der Italiker, dessen Bild sonst mit wollenen Binden um die Füsse gefesselt zu sein pflegte, wie Ares und Morpho, wurde an seinem Fest, das vom 17. December an in der um die Winter- sonnenwende gelegenen Woche gefeiert wurde, entfesselt zum Zeichen

Ares und Aphrodite. 191

Demodokos in den Vordergrund gerückte Fesselung eigentlich an das Sommersolstitium gehört.*) Da aber der Mythos uns in seiner das ganze Jahr umfassenden Gesammtheit erhalten ist, so steht zu erwarten, dass ihm ein einziges, den Jahresanfang bildendes Fest entsprochen habe, das wir auf die Wintersonnenwende vermuthungs- weise festsetzen könnten, auch wenn es sich nicht um einen boioti- schen Cultmythos handelte. Dass dies aber wirklich der Fall ist, dafür spricht das die Handlung zunächst erweiternde Personal, Po- seidon und Hermes. Denn um von Poseidon zu schweigen, dem Hauptgott des östlichen Boiotiens, so sind “sagenhafte Spuren älterer Verehrung des Hermes, und Culte desselben, welche wirklich auf höheres Alter Anspruch machen dürfen, grade in Boiotien, Attika, Argolis und Arkadien zu finden’ H. D. Müller, St.-Myth. II 402), also genau in den Landschaften, in welchen wir die ältesten Be- standtheile und die spätere Phase des combinirten Ares- Aphrodite- cults antrafen. Mit der Berechtigung, den Odysseegesang mit Theben zu verknüpfen, ist aber zugleich die Möglichkeit gegeben, die Brücke vom Mythos zu dem dazu gehörigen Cult zu schlagen. Denn die Aphrodisia fielen zu Theben an das Wintersolstitium und bildeten daselbst den Jahresanfang, an dem die Beamten wechsel- ten (cf. oben p. 700): also eine genaue Bestätigung der Consequenzen, die sich aus unserer Deutung des Demodokosgesanges ergaben. Und auch Ares kann dabei nicht gefehlt haben. Es ist keine allzukühne Vermuthung, dass die Polemarchen zu Theben, die ein mit den spartanischen Polemarchen nicht zu verwechselnder echt thebischer Magistrat sind (Grote, Gesch. v. Griechenland V 858 135) (Meissner); Boeckh, C. I. Gr. I p. 730 AB), auch während der Be- setzung der Kadmeia durch die Spartaner, ihre Amtsniederlegung und ibren Amtsantritt nicht ohne Opfer und feierliche Handlungen für Ares**) begangen haben werden, der sehr wahrscheinlich bei der Stiftung dieses nicht allzualten Magistrats schon seine jüngere Bedeutung als Kriegsgott angenommen hatte. Denn auch zu Athen waren die πολέμαρχοι Opferpriester des Enyalios (Bchoemann, Gr. Staatsalterth. 11 395). Das Fest auf der Burg war also wahrschein-

der Wiederkehr des ‘goldenen Zeitalters’ im Jahrescyclus, der sommer- lichen Fruchtbarkeit (cf. Preller, Röm. Myth.? 412 ff.).

*) Möglicherweise ist der Feuergott Hephaistos grade mit Bezug auf die den Winter einleitende Hochsommerhitze ausgewählt, um das Paar mitten in eeinem Segenswirken zu bannen.

**) O. Müller (Orch.? 2947) möchte dieses Amt freilich, wohl wegen der Dreizahl, an Amphion und Zethos anknüpfen; allein die Zwei- zahl dieser Beamten, die auch ausser Theben vorkommen, ist im übrigen Boiotien nicht constant; dass der Oheim Lykos der Brüder einmal (Apollod. III 5, 5, 4) Polemarch genannt wird, kann für die Neffen nichts beweisen, und der von ihm bei dem lydischen Brüderpaar vorausgesetzte kriegerische Charakter im Gegensatz zu den rein priesterlichen Kad- meionen beruht auf einer Täuschung; (cf. Excure li.

132 K. Tümpel:

lich nur der Abschluss der Aresfeier, die in den Händen der Pole- marchen lag. Am gleichen Tage feierten (unten in der Stadt) die Frauen das Fest der Aphrodite (Polyainos “ἦν ᾿Αφροδίτης &opm ai μὲν yuvaixec ἔπαιζον τῇ θεῷ᾽). Und so wird auch das Gastmahl, bei dem die lakonisirenden Polemarchen ermordet werden, einen off ciellen Charakter gehabt haben*), da auch der Grammateus der beiden Polemarchen zugegen war und das Local das ταμιεῖον τοῦ πολεμαρχείου᾽ war (Xenophon, Hell. V 4. 6). Unter der Voraus- setzung eines amtlich religiösen Festmahls würde sich auch erklären lassen, dass die Polemarchen bei Xenophon (cf. oben p. 700) geradezu als (Aphrodite-)festfeiernd bezeichnet werden, was selbst in der schlechten Ueberlieferung bei Polyainos (φρουράρχῳ [sc. ppoupác Λακωνικῆς statt ToAeuápxoic] ἔδοξε τιμῆςαι τὴν θεόν) noch durchblickt. Ueber die Constatirung eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen Aphrodite. fest und Aresfestmahl dürfen wir bei der Verworrenheit der Ueber. lieferung eigentlich kaum hinausgehen. Und doch drängt Alles zu der Vermuthung, dass wirklich eine gemeinsame Culthandlung, und sei es auch nur ein Festmahl, die Opferpriester des Ares und die Festdamen der Aphroditeam Abend zu vereinigen pflegte. Wie würde sonst so lange vorher Phyllidas, der Schreiber der Polemarchen und heimliche Mitverschworene der verbannten Patrioten, den Vater- landsverräthern haben Aussicht auf diesen schönen und vornehmen Besuch machen (πάλαι ὑπιςχνούμενος᾽ Xenophon; ‘Ex παλαιοῦ κατηγ- γελκώς᾽ Plutarchos) und den Plan vorbereiten können, unter deren Verkleidung die Rücher des Vaterlandes einzuführen? "Wie würe es denkbar, dass gerade die Vornehmsten der Thebanerinnen, von denen doch Plutarchos insgemein (de G. Socr. 598 C) sagt, dass sie selbst am Tage und verschleiert so selten das Haus zu verlassen pflegten, sich zur Nachtzeit zu einem Gelage solcher Willkürherrscher begeben hätten? Freilich Plutarchos hat statt der ᾽γυναῖκες κάλλιςται καὶ ςεμνόταται᾽ des Zeitgenossen Xenophon nur 'yuvara τῶν ὑπάνδρων᾽ (Pelop. IX). Aber kann man glauben, dass die sich so misstrauisch geberdenden Polemarchen sich so grob durch *róroc' und gemeine ᾿ςυνουςία᾽ würden haben übertölpeln lassen? Das überreiche, wohl aus localer Tradi- tion geschöpfte Detail, mit dem der 558 Jahre später lebende Boioter Plutarchos seine Erzühlung ausschmückt, kann uns um so weniger

-——

*) Für einen privaten Charakter desselben dürfte nicht die Abwesen- heit des Leontidas geltend gemacht werden; denn dieser war wohl frei- lich mit Archias der bedeutendste Mann der spartafreundlichen Partei (Plut. d. G. Socr. p. 577) und vielleicht auch gewesener Polemarch, ge- hórte aber nicht zu den Beamten des Jahres 379. Zu diesen rechnet ihn nur Plutarchos einmal (Agesil. XXIV), wo er im Widerspruch mit seinen sonstigen Angaben (Pelop. VII, IX, X; d. G. Socr. 598, 677, 694, 596, 597) “Archias und Leontidas’ als Polemarchen bezeichnet, aber bloss in einer gelegcntlichen Bemerkung und offenbar nur einem hübschen Gegen- satz zu Liebe: “ἔργῳ μὲν τυράννους, λόγῳ δὲ πολεμάρχους᾽ nennt er die Beiden. Dic historische Wahrheit ist hier Nebensache.

Ares und Aphrodite. 133

Vertrauen einflössen, als er in seinem anderen Bericht von der Be- freiung der Kadmeia (de G. Socr. 577) vielmehr von τῶν ἐν ἀξιώ- ματι γυναικῶν᾽ redet und somit in die Xenophontisch-Polyainische Tradition einlenkt. Wenn wir somit die Vermuthung wagen, dass jene einmalig bezeugte gemeinsame Mahlzeit von Polemarchen und Patricierinnen am Aphroditefest, der wir einen Bezug zum Arescult vindicirten, ein jährlich wiederkehrender Gebrauch war, so ist damit noch keineswegs gefolgert, was Engel (Kypr. II 149) schloss: dass auch die sinnlich üppige Ausartung des Weibergelages, wie sie in dem einen Falle wirklich beabsichtigt war, ein bleibender Cultbrauch sei. Freilich verlockend genug würe eine solche Hypothese, die zum Hieros-Gamos von Ares und Aphrodite im Mythos die genau ent- sprechende Passion in der symbolisch-dramatischen Culthandlung der beiderseitigen Priester liefern würde. Aber eine solche Ausartung würde immer nur dem importirten Aphroditecult, nicht aber dem ursprünglichen Ares-Erinysdienst angehören können, auch wenn die tibermtithigen Polemarchen nur einen symbolischen Act durch wört- liche Auffassung zu travestiren beabsichtigt hütten.

Prüfen wir nun noch unser Resultat auf seine Haltbarkeit, so ist das vollständige Fehlen jeder Nachricht von einem dem Ares geheiligten Festtag zu Theben unserer Annahme, dass er mit demjenigen seiner Gattin zusammenfalle, nur günstig. Was sollte auch anders die Aphrodite veranlassen, ihr Fest, das sie sonst ausnahmslos am 1. April begeht, hier merkwürdigerweise am Wintersolstitium zu feiern? Wie gerade Ares seinen Namensantheil am gemeinsamen Fest verlieren konnte auf Kosten der Aphrodite, erklärt die einfache Ueberlegung, dass in demselben Maasse, wie Ares durch seine Wesensbeschränkung seitens des Kadmos in den Hintergrund gedrängt ward, der Dienst seiner Genossin Erinys durch Verschmelzung mit dem wirkungs- vollen fremden Bilderdienst der Aphrodite sich wieder hob und frisches Leben bekam. Und während Ares durch den Anschluss an einen bestimmten Magistrat seinen Wirkungskreis verengert sehen musste, so erhielt sich Aphrodite-Erinys ihre vollständige Popularität*); das Aresopfer trat in den Hintergrund, diejenigen der Aphrodite erhiel- ten sich lebendig und blieben als Bezeichnung des ursprünglich ge-

*) Nicht unmöglich, dass der fremde jüngere Name sein schliesslich

iches Uebergewicht der kyklischen Thebais verdankt, welche en Querschnitt eines relativ späten Zustands gebend und festhaltend, unter dem Einfluss des Homer und im Bestreben, die Fühlung mit diesem zu wahren, manchen älter zurückführenden Zug verwischte, manchen weniger charakteristischen Zug für immer in den Vordergrund rückte und so die Auffassung des Demodokos schuf, der jedenfalls jünger ist, als jenes von manchen Alten noch dem Homer selbst zugeschriebenen Epos. Der Demodokosgesang fällt durch seinen frivolen Ton aus dem Gesammtcharakter der Odyssee, die sonst im Gegensatz zur Ilias eine durchaus würdige Vorstellung von den Göttern gibt, vollständig eraus.

134 K. Tümpel:

meinsamen Festtages bestehen, der doch als Neujahrstag der Ares stadt und als Antritts- und Abscheidetermin der obersten Kriegs- beamten die Kehrseite seiner Bedeutung nicht verleugnen kann. So hat sich uns auf dem Umwege einer Betrachtung der Beziehungen des Ares zur Aphrodite bewährt, was H. D. Müller bloss von Ares allein aus in seiner Monographie bemerkt (p. 77): dass jeden- falls Theben ein Hauptpunkt für den Cult des chthonischen Ares vor Alters gewesen sein müsse, und man es deshalb nur natürlich finden könne, dass in einer thebischen Sage die alte Bedeutung des Ares noch so stark durchschimmere.

8 34. Opfer. Was nun das Opferwesen betrifft, so kann der Umstand, dass die Polemarchen bei der oben beigezogenen Gelegen- heit, nach Plutarch Wein trinken, ebensowenig gegen, als für einen bestimmten Cultgebrauch beweisen, zumal jedes anderweitige Zeug- niss fehlt, und Engel, Kypros II 269 mit Recht vielmehr nepha- lische Opfer für Ares in Anspruch genommen hat, also weinlose. Denn Polemon stellt (beim Schol. zu Sophokles OC. v. 100) die 'vn- φάλια ἱερά᾽ den “oivöcnovda’ scharf gegenüber. Dasselbe ἐμαὶ Por- phyrion (Ant. nymph. XIX), der sie als ἱμελίκρητα᾽ erklärt*), weil Honig der integrirende Bestandtheil derselben war. Honig ist aber nicht nur die typische Opferkost der Schlangen (O. Jahn, Archäol. Beiträge 223!9), z.B. der Trophoniosschlange, sondern auch speciell des Aresdrachens, dessen Cult doch mit dem des Ares selbst zu- sammenfällt. So heisst es mit Bezug auf den später zum Wüchter der goldenen Hesperidenäpfel gemachten Ladondrachen, dass die

‘sacerdos Hesperidum templi custos epulasque draconi quae dabat et sacros servabat in arbore ramos",

dies besorgte 'spargens humida mella soporiferumque papaver. Der schon dem Servius (zu dieser Stelle) auffällige Widerspruch zwischen der bezweckten W achsamkeit des Drachen und der schlaf- bringenden Kraft des angeblich als Mittel zu diesem Zweck ver- wandten Mohns zeigt deutlich, dass nur ein bestehender Opferbrauch mit in die Erzühlung schlecht und recht verflochten ist. Besser in den Zusammenhang verarbeitet ist der Mohntrank bei Apollonios Rhodios, wo der Áresdrache (hier als Wüchter des goldenen Vliesses) einge- schläfert wird durch die 'páppuaxa' (Argon. 157) der Medeia (φαρ- μάκῳ ἔψηχε θηρὸς κάρη᾽ 164, Apollodoros: “δράκοντα κατακοιμάςας τοῖς φαρμάκοις᾽ (Bibl. I 9, 23, 11). Denn dass es sich hierbei wieder um Mohn gehandelt haben wird, lehrt das genau entsprechende “somniferum venenum’ als Schlangenspeise bei Ovid (Metam. IX 693). Das ᾿φαρμάςςειν᾽ betrifft eben die nothwendige Würze, die beim Honigtrank nicht fehlen kann (cf. Plutarch. Symp. IV 6, 2 Reiske VIII 672, 3), ἱμελίτειον πίνουειν ὑποφαρμάεςεον-

*) “νηφάλιοι cmovbal al διὰ μέλιτος.᾽

Ares und Aphrodite. 135

τες τὴν τλυκύτητα oivwdecı “ῥίζαις καὶ αὐςτηραῖς. "EAAnvec δὲ νηφάλια ταῦτα καὶ μελίεπονδα θύουειν᾽).

Diesen 'nephalischen' Honig-Mohn-Trank bekam aber nicht nur Ares und sein Drache, sondern auch Erinys, wenn wir vom athe- nischen Semnendienst auf den thebischen Muttercult schliessen dürfen. Bei Sophokles (O. C. 461) soll Ismene den Erinyen opfern “ὕδατι μελίεςης᾽ μηδὲ προςφέρειν μέθυ᾽ (Wein) und v. 100 heisst der ihnen Opfernde “νήφων &oívoic', was Polemon (beim Scho- liast zu dieser Stelle) erklärt: “οὐ γὰρ crévoerat οἶνος αὐταῖς (Ἐρι- γύςι), ἀλλ᾽ ὕδωρ, καὶ νηφάλιαι καλοῦνται αἱ ς«πονδαὶ αὐτῶν᾽. In den Eumeniden des Aischylos (108) erhalten sie ᾿ χοὰς τ᾽ ἀοίνους, vnpäkıa μειλίγματα᾽, womit zu vergleichen ist Apollonios Rh. (Argon. IV 712), wo Kirke den Erinyen darbringt: ᾿πελάνους μείλικτρά T€ vnpakincıv... ἐπ᾽ εὐχωλῇςειν (Preller, Polemon frg. p. 74).

Ueberall wird hier der Gegensatz zu den weinigen Opfern als charakteristisch für die Nephalia hervorgehoben und Plutarch sagt an der vorigen Stelle, wo von dem nephalischen Honigtrank die Rede ist, ausdrücklich: “καὶ τοῦτο ἦν ςπονδὴ καὶ μέθυ πρὶν ἄμπελον qavívar. Damit hat der Gegensatz zwischen nephalischen. und weinigen Opfern die Bedeutung als Charakteristikon zweier ver- schiedenen Zeitepochen erhalten, das noch eine genauere Bestim- mung erhält durch Philochoros (bei Hesych. und Photius (lex.) s. v. “γηφάλια ξύλα᾽, cf. Schol. Soph. O. C. 100). Dieser nennt als von den Nephalia principiell verschieden noch Feige und Myrthe unter den *oivócrovba? (νηφάλια ξύλα᾽ τὰ μὴ ἀμπέλινα, μήτε εύκινα, μήτε μύρινα᾽ ἐκεῖνα γὰρ οἰνόςπονδα λέγεται). Nun hat aber Hehn (Culturpflanzen und Hausthiere etc.? p. 83 ff., 191 ff.) nachgewiesen, dass Feige und Myrthe erst von den semitischen Colonisten aus dem Orient nach Griechenland herübergebracht worden sind, und hat das- selbe auch für den Wein hochwahrscheinlich gemacht, unter zwar heftigem, aber durchaus nicht entscheidendem Widerspruch A.Müller’s vom rein sprachlichen Standpunkte (Bezzenberger, Beiträge p. 294). Somit reducirt sich der zeitliche Gegensatz beider Opfer auf einen Gegensatz zweier Culturen, der orientalischen semitischer Colo- nisten, welche Wein, Feigen und Myrthen brachten, und einer ur- griechischen, also indoeuropäischen, welcher die Nephalien.eigen- thümlich gewesen sein müssen. Und wirklich wurde der Honig schon lange, bevor man von den Semiten Bienenkörbe anlegen lernte, in den Wäldern Europas von wilden Bienen gesammelt (Hehn a. a. O. 117, 134 ff.) und der Mohn ist, wie sein griechischer Wortlaut μήκων (cf. G. Curtius, GZ* 162) gegenüber der semitischen, von der Kopfform übertragenen Benennung (hebr. 9*4) zeigt, wenig- stens nicht über Phönikien eingeführt, sondern “wahrscheinlich ein uraltes, mit dem Getreide als Unkraut aus Asien gekommenes Ge- wüchs' Hehn a. a. 0, 270). Sikyon, die semitische “Gurkenstadt’, existirte schon längst vorher als griechische “Mohnstadt” Mekone

%

186 K. Tümpel:

(Hesiod. Theog. 536) und zur Erinnerung an jene vorsemitische Epoche, in welcher es noch keine “Aphrodite” in Griechenland gab, trägt die grosse sikyonische Göttin noch im Bilde des Kanachos ausser dem orientalischen Granatapfel den Mohn (Paus. II 10, 4).*) Was endlich die Milch betrifft, mit welcher bei Euripides (Orest. 115) und nach Porphyrion (Ant. Nymph. XXVIII), vielleicht auch bei Homer (x 519; X 27) namentlich das den Todten gespendete *ueXikpntov’, offenbar nach uraltem Brauch, gemischt war, so ist ihre Verwendung bei den Nephalien von einem viehzüchtenden Volk auch in vorsemitischer Epoche begreiflich. **) Sie wird übrigens auch bei den Kuchen, welche die Drachen (Paus. IX 39,5) und die Erinyen erhielten (Apollon. Rh. Arg. IV 712) nicht wohl gefehlt haben. Auch die Pappelblätter und der Fenchel, welche bei Bekker (Anekdota p. 279, cf. Gerhard, Akad. Abh. II 44), als Schlangen- kost vorkommen, sind indoeuropäisches Ureigenthum (H ehn 270*).

Ein weiteres Licht fällt auf diese Verhältnisse durch die Eück- schlüsse, welche die Berichte späterer Hellenen über das gleichzeitige Barbarenthum ihrer von orientalischem Einfluss unberührt gebliebe- nen nordischen Stammverwandten gestatten. Denn solche sind be- stimmt zu verstehen unter den ‘un πίνοντες οἶνον βάρβαροι᾽, welche zur Zeit Plutarchs noch ( καὶ μέχρι vüv', Sympos. IV 6, 2) μελί- τειον rívouciv ὑποφαρμάςοοντεε xré. (siehe p.735 oben). Er combinirt richtig: Ἕλληνες νηφάλια ταῦτα καὶ μελίεπονδα θύουειν, ὡς ἀντίθετον φύειν μάλιςτα τοῦ μέλιτος πρὸς τὸν οἶνον Exovroc. Diese Barbaren hielten eben den Griechen nur die Verhältnisse ihrer eigenen Vorzeit als eine Art ,antiquité contemporaine" vor, um einen treffenden Ausdruck Max Müller's zu gebrauchen. Als drittes Argu- ment für den vorsemitischen, autochthon griechischen Charakter der Nephalien vermögen wir den Umstand anzuführen, dass die übrigen Gottheiten, ausser Ares und Erinys, welche nach Polemon (a. a. O.). zu Athen Nephalia erhalten, durchgehends rein griechische sind: “Πολέμων δὲ ἐν τῷ πρὸς Τίμαιον καὶ ἄλλοις τιςὶ θεοῖς νηφαλίους qaci θυείας τενέεθαι γράφων οὕτως" ᾿Αθηναῖοι τε YÜp .... νη- φάλια μὲν ἱερὰ θύουει Mvnuocuvn Μούςῃ (Preller), 'Hoi, ᾿ἩΗλίῳ, Ce- λένῃ, Νύμφαις, ᾿Αφροδίτῃ Οὐρανίᾳ᾽. Denn die Letztere haben wir schon oben (p. 704) als eine nur semitisirte griechische Göttin erkannt,

*) Cf. p. 696**); so war auch Dionysos nicht von Anfang an speciell der W eingott, sondern erhielt Nephalia, wie alle anderen Griechengötter vor Einführung der semitischen Cultur (cf. Preller, Polemon a. a. O.).

**) Milch und Honig als Hauptingredientien der Phantasievorstellung von einem seligen Jenseits oder Schlauraffenland (cf. Poeschel bei Paul und Braune, Beiträge V 397 und überhaupt 391 ff.) harren noch einer Specialuntersuchung. Material aus dem Griechenthum (Nektar = Am- brosia) hat, wie ich erst nachträglich ersehe, Bergk (Athenegeburt: Fleckeisens Jahrb. 81 (1860) 877—384), der in erfreulicher Weise mit dem oben Gegebenen übereinstimmt, auf die ethnologische Bedeutung des Honigtranks aber nicht aufmerksam geworden ist.

Ares und Aphrodite. 137

was sich hier durch die Nachbarschaft, in der sie erscheint, bestätigt. Eben so wird aber jede andere Aphrodite, bei der sich Nephalia nach- weisen lassen, als nicht genuin phönikisch gelten müssen.

Dies ist der Fall bei einer Venus in Rom, derselben, deren Bild, wie wir oben zu erwähnen Gelegenheit hatten, genau wie die Aphrodite des Demodokosgesangs ein hochzeitliches Bad erhielt, näm- lich die Venus Verticordia. Von ihrem Opfercult heisst es bei dem durchaus authentischen Ovid in den Fasti (IV 151):

"Nec pigeat tritum niveo cum lacte papaver Sumere et expressis mella liquata favis. * x * Supplicibus verbis eam placate; sub illa Et forma et mores et bona fama manet. Roma pudicitia proavorum tempore lapsa est: Cymaeam veteres consuluistis anum. Templa iubet fieri Veneri, quibus ordine factis Inde Venus verso nomina corde tenet".

Der Name Verticordia ist, wie auch aus ihrer auf gleich ethischem Grundgedanken basirenden Stiftungssage (Valerius Max. Memorab. VIII 15, 12) hervorgeht, eine genaue Uebersetzung der ethischen Apostrophia. Und da wir die Wurzeln ihres Dienstes, der erst 114 a. Ch. (Preller, Róm. Myth. I? 393) auf Geheiss der sibyllini- schen Bücher eingeführt wurde, mit Allem, was damit zusammen- hüngt, auf griechischem Boden suchen müssen (Klausen, Aeneas etc. p. 285, Anm. 411 p.), so sind wir somit berechtigt, wirklich bei der thebischen Aphrodite den Ursprung jener nephalischen Opfer zu suchen. Barg diese doch thatsüchlich, wie uns aus allen anderen Symptomen feststand, einen alten griechischen Cult hinter ihrer semitischen Aussen- seite. Wir haben also jetzt nicht nur Aufschluss über den Opfer. dienst der Letzteren erhalten, wie schon vorher über die Festzeit*), sondern finden auch das Hervorgehen der thebischen Aphrodite aus der Erinys bestütigt, da diese von den bei Polemon als nepha- lische Opfer erhaltend aufgezählten Göttinnen einzig und allein in Betracht kommen kann.

Aber noch nach einer anderen Seite hin müssen wir Ovid für seine Nachricht dankbar sein, nämlich dass er uns noch einmal unwider- stehlich den Ares als Gatten der Apostrophia und also auch der Erinys erweist. Denn sogar bei der ganz ethisch modificirten Verti- cordia haben sich, und darum um so auffälliger, Erinnerungen an diesen Gott erhalten, die der Art ihrer Erwähnung nach nicht der neuen Heimath angehören, sondern bestimmt in Verknüpfung mit den Nephalien aus Griechenland herübergekommen sind. In der oben

*) Dass Ovid das römische Fest der Verticordia am 1. April erwähnt, dem allgemeinen Festtag der reinen semitischen Culte, ist für das thebi- sche Winterfest irrelevant.

Jahrb. f. class. Phil. Suppl. Bd. XI. 41

138 K. Tümpel:

frei gelassenen Lücke unseres Citats aus Ovid steht nämlich noch das Distichon: ‘Cum primum cupido Venus est deducta marito, Hoc bibit: ex illo tempore nupta fuit”.

Hierin liegt der ausdrücklichste Hinweis, dass nicht jede beliebige Aphrodite, sondern eben nur die Verticordia-Apostrophia, welche aus der Erinys zu Theben hervorging, diese aber eben darum be- stimmt, eheliche Ansprüche auf Ares besitzt.

Der Schlussstein unserer Argumentation ist somit eingesetzt, und unsere Beweiskette geschlossen; um jedoch die Bedeutungsfrage unseres Programms erschöpfend beantworten zu können, bleibt noch die Frage zu erledigen, ob nicht aus Winterfest und nephalischen Opfern eine unbedingt chthonische Bedeutung von Ares, Aphrodite und Erinys zu folgern sei. Aber, was die Letzteren betrifft, so wurde ja Musen, Chariten und Nymphen, dem Mond, der Sonne und der Morgenróthe mit denselben Stoffen gespendet (offenbar ursprünglich nur im Winter zum Empfang der Sommergótter, zu deren Abschied im Sommer man Feldfrüchte hatte) Und auch das Winterfest hat erst später sein ergänzendes sommerliches Gegenstück verloren, als die beiden Gótter in Folge von historischen Ereignissen in ihrer Machtvollkommenheit auf die chthonische Sphäre beschränkt wurden.*)

Dies ist aber, wie wir schon oben erkannten, unter dem Ein- fluss der eindringenden Kadmos-Demeter-Religion geschehen, welche das ültere Gótterpaar zu einem unterweltlichen, wenn nicht gehass- ien, so doch gefürchteten stempelte, zugleich aber durch die Macht und das Ansehen des kadmischen Stamms bewirkte, dass trotz dieser Degradation Ares als Kriegsgott in den olympischen Himmel des polytheistischen Systems einging. Eine Spur der früheren Universa- lität scheint sich noch erhalten zu haben in dem athenischen Ares- hügel, aus dem sich ungezwungen ein Bergcult des Ares ergibt; dadurch käme die Preller'sche Beobachtung zur Geltung, dass die Erinys, neben der wir einen alten Aresdienst immer vorauszusetzen haben, sich überall an Berg und Quellschlucht anschliesse. Ist nun letztere weiter nichts, als eine Localisirung des rein mythisch- ideellen Gebiets des chthonischen Jenseits, 80 wird die dem Himmel benachbarte Bergspitze ungezwungen als Wohnung des Himmels- gottes, also als Localisirung eines ober weltlichen Diesseits gelten, ähnlich wie ausser anderen Bergen namentlich der Olympos. Berg und Quellschlucht entsprechen also in ihrer sich ergänzenden Gegensätzlichkeit von Seiten des Cultes der mythischen Doppelphase des Gottes im Sommer und Winter. Mit der Unterdrückung der sommerlichen Lichtseite des Ares verschwinden auch seine Höhen- culte, von denen sich nur zu Theben in der Wintersonnwend-Berg-

(* Wenigstens scheint der Rest eines Mythos und Festcultes am Sommersolstitium in dem Opfer des Menoikeus erhalten zu sein, dessen treffende Besprechung durch O. Müller wir p. 714 citirten.

Ares und Aphrodite. 139

feier auf der Akropolis ein Ueberbleibsel erhalten haben mag.*) Wurde also schon in der Ilias Aphrodite als Ausländerin von den hellenischen Vollblutgöttern gehöhnt und gescholten, so haben diese als Olympier in der Odyssee bei der chthonisch auftretenden Kypris doppelten Grund. Das Hohngelächter und die Schadenfreude der- selben empfängt die ungewohnte Verfassung, in welcher die längst gekannte Aphrodite Kypris der llias in dem Odysseegesang über Theben her einen neuen Einzug in die griechische Götterwelt hält. Hinter der Motivirung des ionischen Rhapsoden lag vielleicht eine aiolische Tradition, welche an die chthonische Bedeutung des Mythos noch bewusste oder unbewusste Reminiscenzen bewahrte. Wenig- stens bleibt die Erweiterung, welche Demodokos seinem Stoff durch das Gótterpublicum angedeihen liess, dem alten echten Charakter treu. Denn der Hass der Uranionen, welcher so überraschend gegen die *évéprepoi zum Durchbruch kommt, ist der beste Commentar zu den Epitheten ‘ctuyepöc’ und 'éyOicroc βροτῶν᾽, welche Ares (Il. B 479, C 209; 890, 897 ff.) mit vielen anderen chthonischen Wesen theilt (H. D. Müller, Ares p. 60)*). Diese Vermuthung wird genährt durch die Genealogie des mit boiotischen Culten wohl vertrauten Hesiodos, welcher den beiden fürchterlichen Gesellen Deimos und Phobos, die doch eigentlich nur den Áres angehen, die Aphrodite zur Mutter zu geben wagt, worüber sich schon Welcker (G. GL. I 420) und Schwenck (I 244) gewundert haben. Die Sonderbarkeit schwindet, wenn man annimmt, dass noch eine Erinnerung sich erhalten hatte an die chthonische Natur der Aphrodite-Erinys im Localcult, an welche sich solche ungeschlachte Wesen gern anschliessen mochten.

*) Wie ich nachträglich sehe, stimmt diese Beobachtung überein mit den Nachweisen, welche Bergk in seiner vortrefflichen Abhandlung „Geburt der Athene“ (in Fleckeisens Jahrb. 81 (1861) p. 282—319; 871—424) für eine urgriechische Vorstellupg vom Himmelsberg mit daselbst aus Felsspalte hervordringendem Götterquell (Ladon, Styx, Acheron, Lethe, Acheloos, Okeanos) gegeben hat. Wenngleich bei gänz- lich abweichendem Ausgangspunct jegliche Berührung mit H. D. Müllers Forschungen fehlt, so arbeiten sich doch beide Gelehrte entgegen und treffen zusammen: nur dass, was letzterem als ausschliesslich chthonisches Jenseits erscheint, von Bergk als ein olympisches gefasst wird. Da aber bei dem ursprünglichen geocentrischen Standpuncte jenes Gewässer auch nach Bergk nur das Erdenrund vom äusseren Jenseits trennen sollte, alg dessen Localisirung der Felsspalt feststeht, so kann die Bergspitze bloss als irdischer Cultmittelpunct verstanden werden: als Aufenthaltsort der Gottheit während ihres irdisch- prásenten Segenswirkens im Sommer, also ihrer olympischen Diesseitigkeit. Das Jenseits bleibt folglich mit H. D. Müller prägnant chthonisch (Die Vorstellung vom reinen Zenith (unserem “Himmel’) als ursprünglicher Wohnung des Naturgottes setzt ohnehin eine für die älteste Zeit undenkbare Abstraction voraus). Da übrigens Bergk in den verschiedensten Ausdrucksformen immer den gleichen Urtypus nachweist (so p. 393), so bedürfte es nur einer Vertheilung dieser

arallelen Vorstellungscomplexe vom Götterheim an die entsprechenden Stammmythologien, um beide heterogenen Forschungen wechselseitig zu befruchten und nach gemeinsamem Ziel zu richten.

47*

140 K. Tümpel:

Wir haben uns schon länger um die Schwelle bewegt, tiber welche hinweg der Weg aus dem localen in den nationalen Reli- gionskreis führt; bevor wir aber betrachten, was aus dem Mythen- stoff in der Behandlung durch die Panhellenen geworden ist, sei noch der Müglichkeit gedacht, dass in einer heroischen Metamorphose Sich unser Paar anderweit erhalten habe. Ohne andere Móglichkeiten ausschliessen zu wollen, sei kurz bemerkt, dass Preller (G. M. I’ 384 ff.) in Oinomaos und Hippodameia unser Paar wiederzuerkennen glaubt: Oinomaos heisst Sohn des Ares und der ἽἌρπινα, was an Harpye erinnert; Hippodameia geniesst die Gunst der Aphrodite, trügt sogar ein Epitheton derselben als Namen; sie wird von den Eleiern als Stifterin eines Wettlaufs der Mädchen zu Ehren der Ehe- göttin Hera erwähnt. Daraus würde immer nur folgen, dass sie Tochter des “Oinomaos-Ares’ wäre. Eine Zurückweisung hat schon gegeben H. D. Müller (Myth. I 108)!), auf die wir verweisen.

Abschnitt II. Die Träger der Verbindung.

8 35. Die Dionaia der Achaier. Wir haben im Vorstehenden zu beobachten Gelegenheit gehabt, wie sich im Epos der locale Charakter des thebischen Paares veränderte. Aber wir haben uns nicht gefragt, aus welcher Quelle dieser veränderte Charakter fliesst. Die Antwort ist leicht. Die Aphrodite Homers, die uns in der Ilias begegnet, zeigt ein ganz entgegengesetztes Wesen, und dieses ist auch bei der Wiedergabe eines heterogenen Mythos das Ausschlag- gebende gewesen. Die ins System aufgenommene “Διὸς θυγατήρ᾽ ist theils dardanischen Ursprungs: Gattin des Anchises und Mutter des Aineias, theils achäischen, als Tochter der Dione von Zeus. Es ist ziemlich gleichgiltig, ob die Aphrodite mit der Dione selbst zusammengeflossen ist*), wie Gerhard, oder bloss mit einer Toch- ter, wie Welcker will. Zurückzuweisen ist nur, was E. Curtius (Gr. Gesch. 15 94) sagt: “Der pelasgische Zeus blieb auch in Dodona nicht allein, sondern ihm wurde die aus fernem Morgenland herüberverpflanzte Göttin der schaffenden Naturkraft unter dem Namen Dione verbunden’.**) Das Richtige hat wahrscheinlicher Weise

*) Wofür man nicht die heiligen Tauben der Dione anführen darf; denn diese gehören zu der dunklen autochthonen Wildlingsart, welche mit den erst: Anfang des 5. Jahrh. nach Griechenland kommenden weissen zabmen, ursprünglich centralasiatischen, dann palüstinensischen Cult- tauben der Semiramis (Astarte, Baaltis) nichts zu thun hat (Hehn, Cul- turpflanzen etc. 298? ff).

**) Mit Berufung auf Welcker, der ja aber Aphrodite mit einer Tochter der Dione zusammengeflossen denkt (I 352). Seine Ansicht entspricht eher dem Gedanken Schwencks (Myth. IV 213), „die Himmels- königin sei aus dem semitischen Lande zu dem griechischen Himmels- - kónig nach Dodona gebracht worden, von wo sich der Cult aber nicht unter dem Namen der Dione verbreitete, sondern unter dem der Aphro-

Ares und Aphrodite. 141

H.D. Müller getroffen (Myth. II 208), welcher annimmt, die Ver- schmelzung sei auf Kypros vor sich gegangen durch Vermittlung der schäischen Colonie von Zeus-Dionedienern unter Teukros Tela- monios zu Salamis.

Aus diesen Elementen setzt sich die dichterische Aphrodite des achäisch-aiolisch-ionischen Epos zusammen; und es erklärt sich, wie gerade bei den leichtlebigen Ionern Aphrodite jenen bestrickenden, liebreizenden, aber auch moralisch unbedenklichen Charakter ent- wickeln konnte, den sie auch bei ihrem Verhältniss zu Ares zeigt; denn die Kleinasiaten hatten nichts von dem schwerblütigen Wesen der Thebaier, von denen sie die Verbindung einer düsteren Aphro- dite mit Ares überkamen, um sie auf ihre heitere Olympierin zu übertragen. Verlor jene dadurch ihren eigenthümlichen Charakter, so tauschte sie dagegen die Unsterblichkeit ein; büsste das Paar auch seine Würde ein, so empfing es doch als Ersatz eine Verbrei- tung durch Dichtermund über ganz Hellas und über dessen Grenzen hinaus. Ist es doch ebenso gegangen mit Eros’ Verhültniss zu Aphro- dite, einer Verbindung, die eigentlich nur die Aphrodite Melainis (eine chthonische) zu Thespiai angegangen zu haben scheint, wüh- rend später davon nichts zu bemerken ist.

Hatte schon der Dichter des Demodokosgesangs den düsteren Grundton des chthonischen Mythos unter den heiteren Farben der homerischen Liebesgöttin verdeckt, wie viel mehr der Nachdichter, und gar der Künstler, der sich an religióse Dogmatik ohnehin nicht kehrt, und im Sinne des poötischen Nationalschatzes operirt. So er- scheint auf dem archaistischen borghesischen Zwölfgötteraltar, der doch auf ein altes Original zurückgehen wird, Aphrodite schon mit der Taube in der Hand, dem Lieblingsthier der Kypris-Dionaia. Ja sogar im Cult gerieth, wie es scheint, der ältere chthonische Cha- rakter der Aphrodite in Vergessenheit; wenigstens ist in Megale- polis zu Pausanias' Zeit gerade der Name der 'Apostrophia' in Ver- gessenheit gerathen, trotzdem ihr Xoanon so gut erhalten war, wie zu Theben. Vermuthlich hielt man die Pandemos für die Gattin des Ares, welcher seinen Tempel gleich daneben hatte, oder gar die Ura- nia, was zu dem Zeitpunct der Gründung von Megalepolis (370 a. Ch.) freilich noch nicht der Fall gewesen sein kann, in der späteren Zeit aber bei solch künstlich geschaffenem Cult nicht zu den Unmöglichkeiten gehört. Ein religióses gemeinsames Fortleben von A. u. A. in der orphischen Mystik hat willkürlich Creuzer (Symb. II 297) angenom- men, und Engel (Kypr. II 208) hat es ihm nachgesprochen; allein ohne Grund, wie ein Blick in Lobecks Aglaophamus lehrt: die Be- hauptung schwebt vóllig in der Luft. In einer anderen Form da- gegen hat sich die Nationalreligion des Paares bemüchtigt, um es

dite von Kythere und Kypris". [Eine Abfertigung dieser Meinung bei Müllenhoíf, deutsche Alterthumskunde (p. 71) ohne Namennennung.]

142 K. Tümpel:

der Gefahr des Vergessenwerdens zu entreissen, nämlich im Zwölf- göttersystem.

S 35. Das Zwölfgöttersystem. Dieses hat an der Gruppirung von Ares und Aphrodite auch in solchen Zeiten festgehalten, wo die Erinnerung an dasselbe fast aus dem Gedächtniss der Zeitgenossen geschwunden zu sein schien. Zugleich reicht es in eine wenig be- kannte Zeit zurück, so dass man es geradezu als Beweis für die alte Bedeutung und Würde unseres Paares beiziehen kann. Denn seine erste Erwähnung findet sich im Anfang des 8. Jahrhunderts, wie Ch. Petersen (Zwölfgöttersystem II, 1868, Hamburg. Progr.) nach- gewiesen hat, nicht Ende des sechsten, wie noch 1876 Flasch (Par- thenonfries p. 25) schreibt. Die Paarung von Ares und Aphrodite unter den Zwölfgöttern ist aber zu allen Zeiten so constant, dass wir sie auch für jene frühe Zeit annehmen müssen, gegen Gerhard, welcher (G. M. $ 353, 2) es für möglich hält, “dass Ares mit der Aphrodite zugleich erst spät in die hellenische Zwölfgötterzahl auf- genommen sei, und dass sie daselbst möglicherweise wegen des haupt- sächlich aus italischem Brauch bekannten Alters dieser Paarung ver- bunden worden seien’. Denn die Königszeit Roms hatte noch keine Venus, und der späteren Paarung derselben mit Mars ist erst nach- träglich rückwirkende Kraft gegeben.

Zugleich muss gegen die Auffassung Welckers, der Ares und Aphrodite im Zwölfgöttersystem nur zur nothdürftigen Raumaus- füllung ein- und nebeneinander treten lässt, Verwahrung eingelegt werden, da gerade das System durch die Constanz seiner Paarung merkwürdig abweicht von der Freiheit, mit der sonstin Culten und unter den freien Götterversammlungen der Kunstwerke sich Aphrodite an alle möglichen anderen Götter anschliesst. War es z. B. nicht möglich, dass Poseidon, der seinen Platz neben Demeter und Athene wechselt, einmal neben Aphrodite, und Ares neben Athene trat? Und doch kommt dies nie vor!*) Wenn man bedenkt, welch’ weite Verbrei- tung die Zwölfgötter hatten, so begreift man, was für eine kräftige

*) Die einzige Ausnahme bildet die Anordnung der Zwölfgötter, welchen der Argonautenaltar am Pontos gestiftet sein sollte. Sie heissen in der von H. Keil verglichenen Mediceischen Handschrift der Scholien zu Apollonios Rhodios (Argon. II 532), anders als in den gedruckten Texten, folgendermassen (cf. Gerhard, Ges. Ak. Abh. 1209)79): *Zeus, Poseidon, Hades Hermes, Hephaistos, Apollon Demeter, Hestia, Ares(!), Aphro- dite, Athene’. Ahrens bat (Phil.-Vers., Hannover 1864, p. 3—24) statt *"Apnc? gesetzt “Ἥρα, Ἄρτεμις᾽, und so zwei regelmässige Gruppen zu sechs Góttern und Góttinnen hergestellt, die unter sich wieder nach der Anciennetät getheilt sind. Hier erscheint also Aphrodite nicht neben Ares; aber dieser fehlt dafür auch gänzlich. An seiner Statt erscheint Hades, ob in einem dunklen Bewusstsein ihrer gleichen Bedeutung ? Zum mindesten ein sehr merkwürdiger „Zufall“ gerade bei dem Argo- nautenmythos, in welchem sich die Erinnerungen an die chthonische Natur des Áres und seiner Unterwelt Aretias im Gedüchtniss der Argeier so krüftig erhalten hatten!

Ares und Aphrodite. 143

Stütze unser Paar an ihnen hatte. Ist es doch den Römern erst offi- ciell bekannt geworden durch jenes Lectisternium der Zwölfgötter, welches die sibyllinischen Bücher aus dem aiolischen Kymai an- empfehlen.

Ein dritter berufener Träger aber sollte Athen werden; und was diese Stütze für unser Paar leistete, war nicht eine formelhaft starre Conservirung, wie sie dem Zwölfgöttersystem verdankt wird, noch eine sinnlich würdelose Weiterbildung der epischen Leicht- fertigkeiten, sondern eine.lebendige Fortführung durch die Kunst, welche die divergirenden Fäden des polytheistischen Systems und der epischen Poesie mit einander verknüpfte.

8 37. Die attische Kunst. Auch in diesem Fali bewährt sich die gertihmte Theoxenie Athens, wie eine kurze Musterung der Monu- mente guter Zeit beweist. So treten uns gleich die Merkmale atti- scher Werkstatt entgegen an der Francois-Vase ($ 11 Nr. 1), wo die Aspiration von 'HAOPOAITE€" (auf einem anderen Felde, als dem oben $ 11 berührten) den Athener verräth (cf. Kühner, Gramm. d. griech. Sprache p. 101 ff. 8 22, 10). Die volcenter Schale des

Brittischen Museums (Nr. 6) hat einen deutlichen Atticis- mus in der Legende "EPPE®A’, die nur zu Φερρέφαττα ergänzt werden kann, einer Namensform, die durch Demosthenes (Konon 8, p. 470; cf. 1259, 5) und Platon (Kratylos 404) als eine speciell im attischen Munde beliebte Eustomie verbürgt ist. Ebenfalls als attisch gibt

die Euxytheos-Oltos-Vase (Nr. 4) sich zu erkennen durch die Legende: *'AOCNAIA', welche die stehende Namensform dieser Göttin auf attischen Inschriften vor Eukleides gibt. Für die beiden

Athenegeburten (Nr. 2, 3) hat Lóschke peloponnesischen Ursprung der Erfindung des Sujets nachgewiesen (A.Z.1876, p. 108 ff.). Seine Argumente sind sprachliche Missverstündnisse des archailsti- schen Copisten, der also jedenfalls einem anderen Dialekt angehört, am wahrscheinlichsten, wie Löschke sagt (p. 110), dem attischen. Auf gleiche Vermuthung führt auch die auf anderen rothfigurigen Vasen (C. I. Gr. IV 7402, 7403) wiederkehrende Beischrift der

Pariser Vase (Nr. 5): HIACIOYIA (statt '€IACIOYIA"), die am besten sich durch den Hinweis auf die schon bei der Lesung 'HAOPO- AITC bemerkte Neigung der Athener, vocalischen Anlaut zu aspi- riren, erklärt. Henzen (A. d. I. XIV p. 94 f.) will zwar behaupten, dass diese aspirirte Form einen selbstündigen Ursprung vom Stamm ἼΛΑ-Ω᾿, attisch ἱλέομαι, ἵλεως etc. habe, mit der Bedeutung “die Huld- reiche’. Allein diese Ableitung würde, da eine von Henzen noch nicht gekannte Vase (M. d. I. IX, T. 55) auch 'HCACIOY A' als lebende Form bezeugt, immer nur den Werth einer Volksetymologie besitzen, durch welche das Idiom seine Abweichung zu rechtfertigen sucht. Dieses selbe eigenmächtige Verfahren nun, das der Copist bei der Uebertragung der Inschriften, wohl mehr unwillkürlich, einschlug, sind wir auch da voraus- zusetzen berechtigt, wo sich Abweichungen vom Personal des qexosin-

144 K. Tümpel:

samen peloponnesischen Typus zeigen. Dieser Fall tritt ein bei unserem Paar. Während die auf attischen Darstellungen (nach Löschke) nie vorkommende Aphrodite auf den Copien des abweichenden pelopon- nesischen Schemas beide Male vorhanden ist, erscheint auf der einen dieser Nachbildungen, dem Pariser Bild, auch Ares, der sonst nur auf attischen rothfigurigen Athenegeburten zugegen zu sein pflegt. Und er erscheint offenbar in Erinnerung an die alte Verbindung beider Götter: denn sie stehen neben einander. Für die

Blacas’sche (Nr. 3) und die Sosias-Schale (Nr. 5)*) ist attischer Ursprung wieder nahegelegt durch die Verbindung von Herakles mit Athene, und aus dem gleichen Grunde für das archai- sche Original des capitolinischen Puteals.

Wenn wir von der aus korinthischer Kunstübung hervorgehenden Kypseloslade und den Darstellungen des Zwölfgöttersystems absehen, sind also in gut griechischer Zeit Ares und Aphrodite nur von der atti- schen Kunst, und zwar immer in ehrbarer Weise, sehr wahrscheinlich als Ehegatten, wiedergegeben worden (auf dem Bild des Herakleioten Zeuxis sind sie zum mindesten sehr zweifelhaft); und wollen wir die Zwölfgötterdarstellungen mit einrechnen, so sind wieder die beiden einzigen Kunstmaler, die in Betracht kommen, Euphranor und Asklepiodoros, nach Plutarch (de gloria Athenienium II = Over- beck, S. Q. 1109) Athener. Die monumentale Kunst freilich verhält sich sonst zurückhaltend. Was den plastischen Fries des Athene- Niketempels betrifft, so braucht wohl kaum erwühnt zu werden, dass der Gerhard'sche Reconstructionsversuch , auf welchem A. u. A. auch vorhanden sind, auf zu schwachen Füssen steht, um auf mehr als das Prüdicat der Möglichkeit Anspruch machen zu könneu (Abh. d. Berl. A. d. W. 1840: T. IV 2 Ak. Abh. T. XVIII 2). In der Gótterversammlung bei der Aphroditegeburt, welche das Bathron des Olympischen Zeus von Pheidias zierte, fehlt Ares (Paus. V 11, 3). War hier vielleicht Hephaistos der Bevorzugte? Gerhard behauptet es (Ak. Abh. I 199)?5), indem er meint, die Absicht des Künstlers war, die Aphrodite als zwölfte Gottheit in den Kreis der Olympier aufzunehmen, was er erreiche nicht durch ihre Verbindung

*) Gerhard sieht hier eine Einmischung desselben unter die Zwölf- götter, die ihm selbst 'befremdlich? erscheint (Ak. Abh. I 198 ff). Das Auffülige schwindet, wenn man, wie billig, auf eine Annahme dee Zwülfgóttersystems bier verzichtet. In Wahrheit ist Herakles hier der elfte oder der siebzehnte, nicht aber der zwülfte. Denn Athene rangirt vollständig mit Artemis (oder “Apollon’ Robert) und Hermes. Und Hephaistos sollte ganz unter der 'athenischen' Zwölfgötterzahl fehlen? Nimmermehr! Die Zusammenstellung ist eben zwanglos, von jenem System unabhängig: ein Canon nicht beabsichtigt. Um so lebendiger tritt uns somit Ares und Aphrodite hier entgegen. Zugleich ein Beweis gegen Welckers Ansicht vom attischen Ursprung des Zwölfgöttersystems: hätte er Recht, so dürfte darunter das Paar Herakles- Athene unter keinen Umständen fehlen.

Ares und Aphrodite. ᾿ 145

mit Eros, sondern durch ihre Paarung mit Hephaistos. Dieser ist in den Text sehr gut hinein conjicirt von Brunn (K. 6.1 175) auf Grund der symmetrischen Entsprechung der beiden Flügel der Dar- stellung:

Helios Eros Peitho Selene Zeus [Hephaistos] Hermes Aphrodite Apollon Herakles Poseidon Hera Obharis Hestia Arte Athene Amphitrite.

Dann ist aber auch Charis die Genossin des Hephaistos, wie auf dem anderen Flügel Athene die des Herakles, und an einen Bezug des Hephaistos auf Aphrodite kann gerade nicht gedacht werden, da Charis die Gattin desselben in der Ilias ist (C 382). Vielmehr war es gerade die Absicht des Künstlers, die erotischen Beziehungen der Aphrodite bei ihrer Geburt fern zu halten. Sonst würde er einen 80 seltenen und offenbar wenig anerkannten Mythos (wenn man es wirklich Mythos nennen darf), wie der von Charis als Gattin des Hephaistos, nicht hervorgezogen haben, um diesen Gott ander- weit zu binden. Gleiche Mittel standen ihm für Ares nicht zu Ge- bote , und deshalb liess er ihn weg: Beweis genug, dass im Volks- bewusstsein seine eigentliche echte Geführtin Aphrodite war, und dass dieses Bewusstsein lebhaft genug war, um 'mit ihm rechnen zu müssen. Besser konnte Ares seine alten Ansprüche auf Aphrodite gar nicht behaupten, als dadurch, dass er bei ihrer Geburt fehlt.*)

Nicht unwahrscheinlich ist eine Anwesenheit von Ares und Aphrodite unter den zwölf Göttern der Pandorageburt am Sockel der Athene Parthenos von Pheidias, obgleich gerade dieser grosse Künstler die combinirte Darstellung unseres Paars absichtlich ver- mieden zu haben scheint, wohl aus dem Grunde, den Flasch (Par- thenonfries p. 33) geltend macht: “Ares muss von seiner Geliebten getrennt werden. Ihr buhlerisches Wesen soll nicht durch diesen Zug hervortreten'. Und wirklich ist es ansprechend zu vermuthen, dass in Athen wenigstens das Bewusstsein von der religiösen, ernsten Bedeutung dieser Paarung, wie sie noch den archaischen Vasen- malern vorschwebte, schon damals im Schwinden war**), und die Er-

*) Doch vielleicht hatte Gerhard Recht, wenn er trotzdem wegen der 3 flankirenden Götterpaare ein Zwölfgöttersystem individuell atti- scher Modification erkannte? Denn wirklich sind Peitho und Eros, so- wie Helios und Selene secundär; auch Amphitrite ist wieder da, und Aphrodite ist ja factisch die dreizehnte. Aber Demeter fehlt, und da Charis rein episch ist, und die Veränderungen im Personal lediglich der Aphrodite zu Liebe vorgenommen sein kónnen, so lüsst sich bestimmt vermuthen, dass die Zwölfzahl hier nur als eine aus der symmetrischen Composition heraus sich empfehlende gewühlt war, vielleicht in Erinne- rung an das ältere System, dessen Integrität aber durch solch’ freie Copie nicht alterirt wird.

**) Damit ist selbstverständlich die Möglichkeit, dass zu Cultzwecken eine ernstreligiöse Gruppirung beider Gótter beliebt sein kónne, ganz nach Weise der archaischen Darstellungen, durchaus, nicht τον τόσας.

146 K. Tümpel:

innerung an dieselbe nur mehr in der Skandalscene des Odyssee- gesangs wurzelte. Aus solchem tiefem Verfall musste Hellenismus und Rom unser Paar retten und emporziehen!

--- ——

Schlusswort.

Recapitulation der Resultate.

8 38. Historischer Ueberblick. Blicken wir jetzt auf die Er- gebnisse unserer Untersuchung, 80 drängt sich uns die grosse Be- deutung auf, welche die verschiedenen Entwickelungsphasen der Aphro- dite für den Charakter ihres Verhältnisses zu Ares gehabt haben, während an Ares mit Ausnahme seiner nicht mehr verfolgbaren Er- hebung zum Kriegsgott die Zeiten ziemlich spurlos vorübergegangen sind. Wir sahen aber auch die Uebergünge, welche die Gattin des Ares erlebt, ziemlich eng mit den grossen Periodenwendepuncten der griechischen Geschichte verknüpft. Nur in unbestimmten Umrissen schauten wir in dem Dunkel vorhistorischer Zeit in dem späteren “Boio- tien’ einen Stamm, den der Aonen, mit Schlangensymbol und Höhlen- cult ihres Götterpaares, in dem Augenblicke auftauchend, wo er seine Selbständigkeit an einen von Norden her schiebenden und gescho- benen mächtigeren Stamm, die kadmischen Argiver, verliert, und in seinen überbleibenden Resten ein neues Gemeindewesen mit gründen hilft. Die beiden obersten Gottheiten, die er verehrte, Ares und Erinys, werden unter dem Druck der Kadmos (Hermes) - Demeter- Religion in eine chthonische, niedrigere Werthstufe hinabgedrückt, ireten aber durch eine genealogische Verknüpfung in die neue He ligion mit hinüber. Durch eine Wandlung, die sich unseren Blicken entzieht, aber überall ihre Spuren hinterlässt, geht an einem uns nicht erkennbaren Zeitpunct, wohl durch eine Berührung mit semitischen Einwanderern, welche den Bilderdienst brachten, aus der Erinys eine Aphrodite-Erinys an der Seite des Ares hervor und tritt mit diesem an die Spitze des zu einer Stadt sich verdichtenden Ge- meindelebens Theben. Etwas mehr lichtet sich das Dunkel, das über diesen Anfängen ruht, in jener glücklichen Epoche, welche nach dem unstäten Wanderleben voll Kampf und Blut den segensreichen Frieden des homerischen Zeitalters brachte. Die olympische Gótter- familie tibt ihre ausgleichende und verschmelzende Kraft, der auch das alte thebische Paar auf die Dauer sich nicht entziehen kann. Der Gott des Krieges und die Góttin der Liebe, die in der llias noch unverbunden neben einander hergingen, bloss durch ein geschwister- liches Verhültniss und als Fremdlinge vom frei werdenden National- stolz der Panhellenen verbunden, die sich ihrer uralten Volkszusam- mengehörigkeit hewusst werden und auf die fremden Eindringlinge

Ares und Aphrodite. 147

mit Verachtung und Hass herabsehen: sie erscheinen in der jün- geren Odyssee, in einem ihrer spätesten Theile, in Liebe verbun- den. Dieselbe Zeit also, welche den ersten Versuch machte, die kriegerische Urania von Kythera mit der weichlichen Aphrodite von Kypros zu verschmelzen, die Zeit Hesiods und des homerischen Rhapsoden des Demodokosliedes, zieht die beiden thebischen, als Gatten vereinten Götter aus ihrer localen Verborgenheit ans Licht: der eine durch einen trockenen Bericht, der durch genealogische Verknüpfungen (Harmonia, Deimos und Phobos) noch dankenswerthen Localton trug, der andere mit der ganzen naiven Heiterkeit und Phan- tasiefülle des ionischen Epikers. Angesichts des parteiisch gefärbten Vorurtheils der übermüthigen Olympier verwandelt sich der ehr- würdige, aber verlegene Localmythos auf Grund der fremden (se- mitischen) Maske, welche die echtgriechische Gattin des Ares vor- genommen hatte, in eine ehebrecherische Skandalscene zweier Barbarengötter voll Spott und Demüthigung, nach welcher sie Beide zur Genugthuung der seligen Griechengötter beschämt in ihre Hei- mathen, nach Norden und Süden, abziehen.

Aber Grosses wird damit erreicht: ganz Hellas nimmt nun Antheil an unserem Paar, nicht bloss einige wenige Töchterculte von Theben. Bildende Kunst und Handelsverkehr (im Zwölfgöttersystem) vereinigen sich mit der Poesie, um dem Paar seinen Platz in dem Anschauungsbereich von Hellas zu sichern. Aber bald erlahmt das Interesse, und erst die erneute Belebung der antiken Welt durch die Aufschliessung des Orients erweckt auch hier neue Lebenskraft. Das kosmopolitische Streben jener erweiterten Weltanschauung zieht , jetzt die orientalisch conservirten Culte der bewaffneten Kythereia in den Kreis seiner Betrachtung. Bei seiner Rührigkeit und Gewandt- heit war es dem Alles nivellirenden und namentlich Fremdartiges mit Leidenschaft aufgreifenden Hellenismus ein Leichtes, die pi- kanten Beziehungen, welche die Bewaffnung dieser Aphrodite zu jener Verbindung mit Ares darbot, ausfindig zu machen und zu ver- werthen. Auf der breiten Basis der über das Griechenthum hinaus- wachsenden Cultur der antiken Welt fällt nun das mehr und mehr‘ orientalisirte Paar nach dieser dritten Metamorphose, getragen von den Fittichen eines philosophischen Gedankens und verherrlicht von der Kunst, seinen Einzug in das jung aufstrebende Rom, das ihm eine zweite Nachblüthe bereitet. Der jugendfrische neue Trüger der antiken Cultur empfängt die Ankömmlinge mit immer wachsender Begeisterung. Wird es doch auch wie eine Prophezeiung für die Republik, die sich auf das Caesarenreich vorbereitet, wenn Mars- Ares, der Stammgott des römischen Volkes mit der Venus Victrix des julischen Geschlechts nun als schon seit uralter Zeit eng ver- bunden gelten kann!

Als Elternpaar des kaiserlichen Roms erlebt in seiner letzten Umwandlung unser Paar eine politische Bedeutung, die το ws

148 K. Tümpel:

griechischem Boden nicht beschieden war. Denn wenn auch in der späten Zeit seiner Hegemonie Theben den Versuch machte, seine Culte seinen Schützlingen (2. B. in Megalepolis) aufzudringen, so hat doch die Entwickelung der Stam mgótter zu Gemeinde- und Stadt- gottheiten nicht durch eine letzte Steigerung die nationale Weihe in einem griechischen Einheitsstaat unter thebischer Aegide ge funden.

Der Wendepunct aber, an welchem das Schicksal unseres Paares zum Besseren umschlug, ist das alexandrische Zeitalter; das Geheimniss, aus dem es sich erklärt, wie an die Stelle einer schiefen Ebene eine Klimax treten, wie eine consequent fortschreitende Ver- kümmerung in einen Aufschwung umschlagen konnte, der in seinem Zielpunct den ursprünglichen Ausgangspunct überragt: dieses Ge- heimniss liegt in der Stellvertretung, welche die sinnlich verweich- lichte kyprische Bastardgöttin sich gefallen lassen muss seitens der rein erhaltenen, stolzernsten Göttin von Askalon. Sie fesselt nach gut orientalischer Weise herrschsüchtig den Ares in ihren weichen Ban- den. Was der Kypris nicht gelungen war, den Ares zu einem Adonis zu machen, das vollbringt jetzt die Kythereia. Sie zwingt ihn zu ihren Füssen als schmachtenden Liebhaber, und das Wunderbare begiebt sich: Ares, der mit Ausnahme seines Uebergangs in den Kriegsgott unveründert geblieben war an der Seite der proteusartigen Aphrodite, er veründert jetzt sein Wesen von innen heraus, und trügt in seinen Zügen jene Melancholie und Sentimentalität, die weiter nichts ist, als das Stempelzeichen seines Verhültnisses zu der orien- talischen Góttin.

Wir haben den Kreis durchlaufen und schliessen mit den letzten Worten jener vorirefflichen Stelle aus dem Jahn'schen Aufsatz, die wir an die Spitze dieser Arbeit setzten: „Jedenfalls nimmt die Unter- suchung kein geringeres Interesse in Anspruch: auf welche Weise die gegebenen Züge eines Mythos im Wechsel der geistigen Auf. fassung unter verschiedenen Zeitverhültnissen im Detail durchgebildet worden sind, worin der eigenthümliche hellenische Charakter des. selben begründet ist: eine Richtung der Forschung, welche gegen- würtig auf mythologischem Gebiete der über den Ursprung des Mythos sowohl dem Sinn, als dem Local nach hüufig allzusehr nach- geselzt wird."

Excurs I (zu p. 664).

Ueber „Ares und Aphrodite“ auf der Sosiasschale.

Die beiden von Gerhard 1831 (A. d. I. III 426?) für 1832 ver- sprochenen Fragmente der Schale, welche bekanntlich eine Versamm- lung von 4 sitzenden und 13 stehenden Göttern darstellt, wurden mit dem gesammten Gefäss und einem Restaurationsversuch des Ver-

Ares und Aphrodite. 149

lorenen in den “Trinkschalen und Gefässen des Κρ]. Museums zu Berlin’, T. VI. VII, gegeben. Die von Gerhard letzthin im Text hierzu p. 537) vorgeschlagene Lesung A(P€C) und Ab(POAITE) [linkslänfig] wurde von den Nachfolgenden: Welcker (Alte Denkm. I 412), Hinck (A. d. I. 1866, p. 100), Aldenhoven (A. d. I. 1869, p. 118), Bernoulli (Aphrodite) angenommen, ohne dass nach der allen übrigen zu Grunde liegenden Gerhard'schen Publication selbst diese Lesung berechtigt gewesen wäre. Die Namensangabe aber bildeten 3 Buchstaben: eine Art flaches TT, ein P oder A und ein 6, derartig gesperrt über den leeren Raum vertheilt, dass über die Art ihrer Zusammengehörigkeit, und namentlich über die Möglich- keit einer Continuität der Legende die stärksten Zweifel blieben. Denn zwischen ‘TI’ und A(P) hatten ein, und zwischen A und ® zwei Buchstaben bequem Platz, deren Ausfall schwer erklärbar schien. Nur eine erneute Revision konnte dieses Missverhältniss entscheiden, und entweder der Abbildung Recht geben so war obige Lesung so gut wie unmöglich —, oder die Letztere bestätigen: dann ward die Zeichnung correcturbedürfüg. Letzteres ist das Re- sultat der neusten sorgfültigen Collation, welche Herr Prof. Dr. C. Robert zu Berlin, der schon 1877 gelegentlich seiner Abhand- lung: de Gratiis atticis (in den Commentationes philol in hono- rem Th. Mommsenii p. 143 ff.) dieses Monument behandelt hatte, an Ort und Stelle behufs einer neuen, besseren Publication des Bildes vornahm, und von der er, so weit sie unser Paar betrifft, auf eine diesbeztigliche Anfrage durch gtüitige Vermittlung des Herrn Prof. Dr. Overbeck die folgenden Daten mitzutheilen mit ausserordentlicher Freundlichkeit bereit war. Indem ich beiden Herren für ihre Unter- stützung Dank sage, lasse ich die Angaben des Ersteren hier folgen:

(DA Aphrodite

Ares

A

‘Den Buchstaben, den Gerhard in der Mitte gibt, habe ich nicht entdecken können. Weitere Buchstaben haben nie dagestanden’. Somit ist die eine Möglichkeit, Hephaistos und Aphrodite zu lesen, welche nach Gerhards früherer Ansicht (Trinkschalen des kgl. Mu- seums T. IV, VII) Brunn (Gesch. d. gr. K. II 733/4), Welcker (Ann. d. I. III 425) und Boeckh (C. I. Gr. IV 8291) und Preuner (Hestia- Vesta p. 172) als die einzige gelten lassen wollen, aus- geschlossen; denn es müssten 1) 6—7 Buchstaben von der erhalte- nen Fläche abgsprungen sein; 2) würde rechtsläufige Lesung im

150 K. Tümpel:

Widerspruch zu den übrigen Beischriften stehen, die sämmtlich links- läufig sind; 3) ist die Lage des Querstrichs beim A die auf Vasen- inschriften bei Linksläufigkeit bei Weitem bevorzugte; 4) würden auch die Namen zu den falschen Personen beigeschrieben sein, denn: ‘die obere Beischrift bezieht sich auf die hinten sitzende weibliche, die untere auf die vorn sitzende männliche Gottheit”? (Robert). Gegen Hephaistos und für Ares spricht ferner der Mangel an Ans- logien, welche Hephaistos und Aphrodite verbunden zeigen; und die rothfigurige Volcenter Vase des Britt. Mus., die wir oben $ 11 Nr. 6 und $ 35 aufführten. (Cf. Gerhard, Trinkschalen und Gefässe p. 53°) zu Taf. H: ‘Die Erklärung des berühmten Kunstwerks des Sosias gewinnt durch Vergleichung des gegenwürtigen Bildes an Wahr- scheinlichkeit für die bisher zweifelhafte(!) Gruppe von Ares und Aphro- dite’.) Hören wir noch Prof. Robert! “Zu Gunsten der letzteren Benen. nung’ (Ares und Aphrodite) “muss ich mich darauf berufen, dass dieser Gott (Ares) allein den ärmellosen Chiton trägt, während die übrigen Götter sämmtlich mit dem ionischen Chiton bekleidet sind. Ent- scheidend aber und sehr charakteristisch ist die Bildung des Auges; eg allein, von allen Augen der Aussenseite, steht im Profil, und ist von buschigen Wimpern umgeben. Kein grösserer Gegensatz, als zwischen diesem Auge und dem des Dionysos! Die durchweg schlech- ten Pub]ieationen geben davon auch keine entfernte Vorstellung”. Durch dieselbe freundliche Mittheilung erhalten wir auch Kunde von der Existenz eines dritten 'kleinen Fragments', das bei Gerhard weder erwähnt, noch abgebildet ist: “Es enthält den rechten Ell- bogen des Ares und die Brust der Aphrodite. Unter ersterem ist die linke Hand der Aphrodite theilweise erhalten: sie hält einen Gegenstand, dessen Bestimmung mir noch nicht gelungen ist, keines- falls eine Schale!” Das ist des Neuen so viel, dass man einer exacten Reproduction des Ganzen mit Spannung entgegen sehen muss.

Excurs II (zu p. 715).

Die Aonen in Theben.

Es ist unsere Pflicht, das mythologische Material nicht bloss einseitig auf religionssystematischen Gewinn auszubeuten, sondern auch den bei der Ausscheidung des echt Mythischen sich ergebenden Rückstand an historischen Elementen, mit denen jenes eine Ver- schmelzung eingegangen war, möglichst zu verwerthen. So muss Einspruch erhoben werden gegen O. Müllers Behauptung (Orch.? 231), dass “Theben aus den Heiligthümern des Kadmos und der Demeter entstanden und früh ein Sitz alter Priesterschaften, anfüng- lich ohne alle politische Bedeutung gewesen sei, und erst dadurch, dass es kriegerischen Stämmen unterworfen wurde, Macht und An-

Ares und Aphrodite. 151

sehen erlangt habe’. Er bedenkt nicht, dass solche (häufig nach ihrer Gottheit benannte) Geschlechter, wie die Asklepiaden, Tropho- niaden und eben auch Kadmeionen, erst in Folge der mannigfachen Kriegsschicksale, welche ein griechisches Gemeindewesen dürch Syn- oikismos aus der Mischung der verschiedensten Elemente hervor- gehen zu lassen pflegen, zu blossen religiósen Opfergenossenschaften erst herabsinken unter Verlust ihrer ursprünglichen politischen Bedeutung, welche sie in heroischer Zeit unter autonomen gottent- sprossenen Königen besassen. Die 'priesterlichen Adelsgeschlechter”, welche in historischer Zeit ihren Partikularismus nur auf religiösem Gebiet noch fristen, sind blosse Trümmer alter selbstherrlicher Stämme mit separatem Cult, an den sie sich nur um zäher hängen, je mehr sie von ihrer politischen Bedeutung einbüssen. Die Kadmeionen waren also ebensowenig bloss eine Priesterkaste, wie die Lydier des Amphion und Zethos blosse “kriegerische Stämme” κατ᾽ ἐξοχήν. Wie O. Müller zuerst diese Erbauer der Stadt Theben von den ältesten Gründern der Burg Kadmeia scharf trennte (a. a. O.), so versuchten wir eine Scheidung der letzteren von den noch älteren Aonen, deren Einfluss wir hier noch etwas nachgehen wollen. Die auffallende Erscheinung, dass die einwandernden Sieger die vorgefundene staatsrechtliche Ordnung annehmen, wiederholt sich auch ausser Theben, wo ja die vornehmen Kadmeionen sich, wie es scheint, den Namen Sparten (von crreipeiv = γεννᾶν, wie in Rom ingenuus, patricius, und das nie von der Plebs gebrauchte gens), gern gefallen liessen.*) Auch zu Athen wird der Eupatridenname als Ehrenname der einsässigen Geschlechter durch die einwandernden Neliden übernommen, die doch als Kodriden und Medontiden, später Alkmaioniden fast 5 Jahrhunderte lang die oberste Herrschaft des Königthums und Archontats allein in den Händen hielten. Wenn Ares der oberste Stadtgott, sein Drache das Stadtwappen, die Pole- marchen als seine wahrscheinlichen Opferpriester der zweithöchste Magistrat zu Theben auch in historischer Zeit blieben, abgesehen von der grossen Bedeutung der Erinys, so müssen in der That die aonischen Sparten auch in der Kadmeionenstadt eine grosse Bedeu- tung gehabt haben; ja es ist nicht unmöglich, dass sie sogar die Könige aus ihrer Mitte stellten, in ähnlicher Weise, wie in Lakedai- mon die achäischen Ureinwohner den dorischen Eroberern die Königs- dynastien der Agiden und Eurypontiden lieferten. Denn wenn Pau- sanias berichtet: ἐπὶ μὲν δὴ Κάδμου (sc. Bacıkevovroc) μέγιετον,

*) Gelehrte Spielerei ist es freilich wohl nur, wenn Hadrian, der Stifter des Epameinondasdenkmals auf dem Schlachtfeld von Mantineia, dieses Erinnerungszeichen schmückt mit einer ᾿ἀςπὶς.. δράκοντα ἔχουςα éneipracuévov?, welcher "dpdxwv ἐθέλει ςημαίνειν, γένους τῶν (παρτῶν καλουμένων εἶναι τὸν Ἐπαμεινώνδαν᾽ (Paus. VIII 11, 5). Glaubwürdiger ist der Drache als Stadtwappen und Schiffszeichen der Thebaier bei Euripides Iph. Aul. 255.