wen, “4 Beiheft. \ \ Ar E zum Jahrbuch. der Hirabüreischen Wissenschaflichen Anstalten. u SI \ 2. 380 son .\ 3 Re r DZ vr. N el r - xe + S yr ae AS 2 , ©. Mitteilungen aus dem: * Seminar für Geographie der Hamburgischen Universität. a 332 ANHÄLT Arved Schultz: ‚Kaschgar (Chinesisch Turkestan), Stadt und Landschaft, Mit 2 Dauer und 4 Abbildungen auf 4 Tafeln. gem NETTO, y 3 S EN Zee a ae ee, In Kommission bei ‚Otto Meissners Verlag Bet Fiinbark 1921. Beiheft ' zum Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten. | XXXVI. 1919. Mitteilungen aus dem Seminar für Geographie der Hamburgischen Universität. INHALT: Arved Schultz: Kaschgar (Chinesisch Turkestan), Stadt und Landschaft. Mit 2 Karten und 4 Abbildungen auf 4 Tafeln. In Kommission bei Otto Meissners Verlag Hamburg 1921. IE} Kaschgar. (Chinesisch Turkestan.) Stadt und Landschaft. Von Dr. Arved Schultz. Inhalt. ER N A an küirde Alena lee Melanie ans ea EEE 3 2. Die Nachbarlandschaften der Kaschgarischen Lößlandschaft .......... 7 essschearische Tößlandschaft last. 13 ee 15 4. Die Entstehung des heutigen Landschaftsbildes ...........2..22222.. 30 Be gt Bascheaki. ar San N ale ersnense ae 42 1. Allgemeines. Die Einheitlichkeit der Natur, insbesondere der so auffallend ausge- prägte ursächliche Zusammenhang der einzelnen Naturerscheinungen lassen. ganz Turan, einschließlich das chinesische Turkestan, als einen einzigen großen, geographisch einheitlichen und gut begrenzten Land- schaftstyp erscheinen, der sich gegenüber anderen Landschaftstypen der Erdoberfläche stark absondert. Er bildet einen Teil der Zone der Wüsten- landschaften, die auf die der Waldsteppe folgt. Die Zonenanordnung dieser großen geographischen Einheiten von Nord nach Süd ist in Asien ‘sehr deutlich ausgeprägt und wird nur durch die großen Gebirgszüge modifiziert. Polare und subpolare Landschaften, Wald- und Waldsteppen- landschaften, Wüstenlandschaften, offene aund regenfeuchte Tropen- landschaften schlingen ihre Gürtel um den Kontinent. Sind für die Landschaftszonen in erster Linie durch geographische Lage bedingte Erscheinungen des Klimas und somit der Pflanzendecke maßgebend, so werden für die Ausbildung der großen Landschaftstypen vor allem Orographie und Boden grundlegend. Das Charaktermerkmal des turanischen Landschaftstyps bilden aride 'Gebirgs- und Flachländer, von denen letztere besonders wüstenhaft sind, und Gebirgsfußoasen mit vorwiegend türkischer Bevölkerung, die dem Lande — und der Landschaft — ihren Namen gegeben hat. Die größten beweglichen Sandmeere der Welt, himmelanstrebende Ge- birgsketten, von denen allein einzelne Glieder Ausdehnung der Alpen erreichen, alte Kulturoasen mit zahlreichenDenkmälern islamischer Hoch- kultur gestalten die Landschaft zu einer äußerst eindrucksvollen. Un- verfälschtes orientalisches Städteleben wirkt hier auf den Reisenden ebenso ein, wie die primitive Kultur der Wanderhirten. 1* 4 A. Schultz. In anthropogeographischem Sinne ist Turan eine gewaltige Zugangs- straße aus dem Innern des Kontinents Asien zu seinem westlichen An- hängsel Europa, eine Straße auf der das früher ostwestlich gerichtete Hinüberfluten zentralasiatischer Nomadenvölker in der neuesten Zeit durch die gegenläufige Bewegung europäischer Völker abgelöst worden ist. Das aride Klima ist dem ganzen Landschaftstyp gemein, dem Tiefland wie dem Hochland. Gemildert wird es nur durch die großen zentral- und westasiatischen Ketten, die die letzte von Westen herkommende Feuch- tigkeit auffangen und kondensieren. Hier, auf den Ketten des Kuen-lun, Tien-schan und Hindukusch, entwickeln sich daher, beginnend in 4000 m Höhe, Gletscher, denen reißende Gebirgsbäche, die rasch zu energischen Flüssen werden, abströmen. Die Zertalung der Ketten ist an diesen Stellen eine starke und war in früheren Zeiten eine noch kräftigere. Aber die starken Temperaturschwankungen und die intensive Strahlung der Sonne rufen Gegenwirkungen hervor, die für aride Gebirgsland- schaften das leitende Charaktermerkmal bilden: durch Spaltenfrost ent- standene gewaltige Schuttmassen überziehen die Hänge, gleiten langsam in die Hohlformen und füllen sie oft so stark aus, daß es in den Tälern auch kräftigen Strömen nicht gelingt den Schutt fortzuschaffen. Am Fuße der Ketten reiht sich Oase-an Oase, denn hier haben die Flüsse ein so geringes Gefälle, daß sie für die künstliche Bewässerung der Felder ausgenutzt werden können. Und außerdem zieht sich gerade hier ein. Lößgürtel entlang, dessen Material tonigen und sandigtonigen alten und jungen Ablagerungen der großen Wüstenbecken entstammt. Die künstliche Verästelung der Flüsse schwächt diese aber so sehr, daß sie auf ihrem weiteren Lauf durch die Wüste in ihren eigenen, aus dem Gebirge herausgeschafften Sandmassen bald versiegen. In allen ihren Spielarten tritt im Flachlande die Wüste entgegen: von der Kies-, Sand- und Lehmwüste finden sich alle Übergänge über Wüstensteppe und Wüstenbusch zur echten Steppe vor. Die Grassteppe tritt allerdings nur als schmaler Gürtel der Mattenregion in nördlicheren Hochgebirgsteilen auf. Gebirge, Gebirgsfuß und Flachland bilden somit Landschaftsgruppen, die in die einzelnen natürlichen Landschaften zerfallen, welche bei einer Ausdehnung Turans über 40 Längengrade selbstverständlich beträchtliche Unterschiede aufweisen. Die Einschnürung, die durch die Scharung der Ketten des westlichen Kuen-lun mit denen des Tien-schan entsteht, sondert nicht nur politisch das chinesische Turkestan vom russischen, sondern mildert, in Verbin- dung mit der dem Meere näheren Lage, die extrem ariden Verhältnisse in letzterem so weit, daß eine Trennung in zwei Großlandschaften, West- und Ost-Turkestan, innerhalb der turanischen Landschaft aus natürlichen - Gründen angebracht ist. Innerhalb der beiden Großlandschaften rufen Kaschgar. B) dann jedesmal die physischen und anthropogeographischen Verhältnisse des Gebirges, des Gebirgsfußes und des Flachlandes Landschaftsgruppen ‚hervor, die ihrerseits in zahlreiche natürliche Landschaften zerfallen. ‘Für West-Turkestan sind 14 solcher Landschaften aufzustellen!) und für Ost-Turkestan wird ihre Zahl kaum geringer sein. Die physikalisch- geographischen Verhältnisse spielen hier dabei eine größere Rolle als in West-Turkestan, wo, auch infolge der größeren Nähe zu den vorder- asiatischen und europäischen Kulturländern, den anthropogeographischen Zuständen bei der landschaftlichen Gliederung eine besondere Bedeutung zukommt. Die Geographie einer in Ost-Turkestan gelegenen Stadt wird daher besonders fesselnd, da die ‘natürlichen Verhältnisse weniger durch moderne Kulturen verwischt worden sind und die historischen Ereignisse häufiger als in anderen Landschaften eine Abhängigkeit von der Landes- natur erkennen lassen. Das aride Klima gestattet die Anlage von Städten innerhalb des tura- nischen Landschaftstyps nur an Orten, die durch genügenden Wasser- vorrat gekennzeichnet sind. Daher treten alle Städte am Fuß der Gebirge auf. Nur wenige starke Ströme vermögen Flußoasen in die Wüste hinaus- zuschieben, wie es der Amu-darja mit der Oase von Chiwa vollbringt. Auch dem Murgab und Serawschan gelingt das in kleinerem Maße mit den Oasen von Merw und Buchara. In Ost-Turkestan besitzt dazu kein Strom die Kraft — scheinbar, denn hier sind es historische, politische Er- eignisse in erster Linie, die die vorgeschobenen Flußoasen haben ver- schwinden lassen. Die jungen Kolonialstädte an der ersten Etappenstraße der Russen von Ost-Rußland nach der Kirgisensteppe und den turanischen Kultur- zentren — heute folgt ihr die Eisenbahn Orenburg— Taschkent — sind nur Rastplätze. ohne wirtschaftliche Bedeutung. Bodenschätze haben nirgends die Gründung größerer Siedlungen, wie z. B. im ariden West- Australien, hervorgerufen. Bewässerung und Boden für den Ackerbau sind also in erster, Ver- kehrslage in zweiter Linie die Faktoren dauernder Niederlassung, denen gegenüber das Klima fast bedeutungslos wird. Das zeigt z. B. besonders die heiße, malariaverseuchte Oase von Merw, die schon seit dem Alter- tum eine wichtige politische und wirtschaftliche Rolle innehat. Was dagegen die Stadt Kaschgar besonders bedeutungsvoll macht, sind die ver- schiedenartigen anthropogeographischen Tatsachen, die aus der Lage neben dem West- und Ost-Turkestan scheidenden Riegel entspringen. 1) A. ScHurtz, Die natürlichen Landschaften von Russisch Turkestan, Ham- burg 1920. 6 A. Schultz, Man bedenke nur, daß sich hier beginnend Eben bis zum Atlı t und bis zum Stillen Ozean hinziehen, die dem modernen Verkehr Hindernisse bieten! RE, an dieser Stelle en lassen. Hufeisenförmig von den höchsten G a birgen der Welt SnepRclUe u nach Ba offen, aber durch die Wüste 3 eine von der übrigen Welt recht Schere Stellung hen müssen. Alle Pässe, die nach Süden, Westen und Norden, nach Indien, West- ‚ Asien, Europa und Sibirien führen, stoßen in diesem westlichen Winkel 5 der großen innerasiatischen Flachländer zusammen. Der aus den Sand- und Lehmwüsten vom Winde entführte feinste Staub lagerte sich hier ab, die hohen Gebirgsketten in nächster Nähe speicherten die Feuchtigkeit auf, Flüsse und künstliche Wasseradern führten sie herab und lieferten dem Verkehrsknotenpunkt seine natürliche Unterstützung. So konnte die Oase von Kaschgar entstehen, sich behaupten, emporblühen, ja a zeitweise eine große politische Macht in Ost-Turkestan erlangen. _ h ‚ Und wenn die wichtigste Hilfsquelle, das Wasser, sich auch gelegent- ließ, wohl in den meisten Fällen, weil feindliche Kronen die Wasser- "= adern unterbanden, so behauptete sich doch stets Kaschgar mit einer Zähigkeit, die nur durch seine eigenartige Lage zu erklären ist. Die be- : 3 sondere Stellung der Kaschgarischen Landschaft blieb politisch stets ge- wahrt, denn ihre Natur ließ sich nicht ändern. Nicht umsonst eilt jeder Zentralasienforscher nach Kaschgar, um diesen Ort, der die bedeutendsten Forscher, von Marco Poro bis Sven H&pvın und AUrEL STEIN, beherbergt hat, ebenfalls kennen zu lernen. Näher verständlich wird die Bedeutung von Kaschgar durch eine Betrachtung des Verhältnisses Kaschgariens, oder, da dieser Ausdruck x auf das ganze Tarimbecken ausgedehnt wird, der Kaschgarischen. Lo landschaft, zu denübrigen natürlichen Landschaften Ost-Turkestans und durch die Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen Stadt und Landschaft. Die Landschaftsentwicklung in Verbindung mit dem Werden der Stadt und endlich die heutige Stadt Kaschgar sollen weiter 2 . geschildert werden. Das Ergebnis wird dabei sein, daß sich tolfekane de ein inniger Zusammenhang zwischen Stadt und Landschaft feststellen läßt, wobei die Wüstenrandstadt Kaschgar ihre Kaschgar, i 7 ‘gegen außerordentlich stabil sein. Die Abhängigkeit histo- rischer Ereignisse von der Natur istin Wüstenlandschaften eine starke, in Wüstenrandlandschaften dagegen eine ge- ringe. Aber gerade umgekehrte Verhältnisse treten ein, indem das für die Landschaft und deren Geschichte lebens- wichtigste Element, das Wasser, wesentlich im Machtbe- reich des Menschen ruht und seinem Willen unterworfen ist. Menschliche Willkür kann daher Wüstenlandschaften entstehen und vergehen lassen. In üstenrandlandschaf- ten steckt aber eine so außerordentliche Lebenskraft, daß sie sich immer und immer wieder neubilden. In ihnen wird somit der Mensch von der Natur unabhängiger und sie nähern sich darin den heute durch ihre größte Kultur aus- gezeichneten Waldlandschaften der gemäßigten Zone (des Mittelgürtels). Kein im Laufe der historischen Zeiten vorsichgehendes allmähliches Überwinden der kulturfeindlichen Elemente, wie man ein solches beim Meer, in den Polarwüsten, den Höchgebirgen und besonders in den heute so hoch ent- wickelten Waldlandschaften der gemäßigten Zone fest- stellen kann, findet statt. Die Wüstenlandschaften und ihre Randlandschaften in Zentral-Asien haben sich außer- ordentlich konservativ erhalten: die Wüste hat Reiche und Kulturen in einem, wenn auch unregelmäßigen, Puls- schlage entstehen und vergehen lassen, ihr Niederschlag hat sich in den Wüstenrandlandschaften bis auf den heutigen Tag erhalten. Erst moderne intensive Bodenkultur und der moderne Verkehr können in Zukunft die Natur- und Halbkulturland- schaften in Vollkulturlandschaften verwandeln. 3. Die Nachbarlandschaften. Bei Betrachtung der Nachbarlandschaften lenkt sich der Blick vör allem auf den Kuen-lun, der zusammen mit den Ost-Turkestan im Nor- den besgrenzenden Tien-schan-Ketten die großen Seitenmauern der zentralasiatischen Völkerstraße bildet und dessen steilabfallende Nord- hänge die Nomaden stets in der Richtung auf Kaschgar weiterdrängten und in die Pässe des west-ost-turkestanischen Riegels hineinpreßten. Man könnte sagen: zwei auf 2 bezw. 3000 km parallel verlaufende, dann sich treffende Ketten müssen an ihrem Vereinigungspunkt ein Verkehrs- zentrum aufweisen. Kaschgar konnte eben nur an der Stelle entstehen. 3 A. Schultz. Hier öffnen sich außerdem die Scharten in den Kämmen, durch die, allerdings beschwerliche, Pfade nach Indien, Afganistan, West-Turkestan führen. | Geologisch und orographisch gliedert sich der Kuen-lun in einen west- lichen, mittleren und östlichen Teil!), landschaftlich aber unterscheiden sich Nord- und Südabdachung ebensosehr voneinander. Besonders die Abdachungen des westlichen Kuen-lun bilden charakteristische natür- liche Landschaften. Die Senkung nach Norden zum Flachland des Tarim vollzieht sich rasch, wenn ‘auch nicht soplötzlich, wie der Abfall nach Süden zu den Hochtälern und Becken Tibets. Für das ganze Ost- Turkestan, für die Kaschgarische Lößlandschaft im besonderen, haben die Gebirgslandschaften des Kuen-lun eine wichtige Bedeutung. Hier liest die Quelle der Daseinsmöglichkeiten der Siedlungen, denn hier ent- stehen und wachsen die Flüsse, die im Flachlande die Oasen bilden, und hier finden sich andrerseits die Übergänge zu den südlichen Kultur- zentren Indiens vor. Die Bogenform des Kuen-lun, die, nach einer modernen Ansicht, ihre Ursache im Zusammenschub des Kontinental- sockels findet2), eine Erscheinung. die alle zentralasiatischen Ketten, ganz besonders auch den Himalaya, auszeichnet, wirkt, je mehr sie sich einer meridionalen Richtung nähert, hemmend auf die von Westen herüberdringenden feuchten Luftströmungen. Die bis 7000 m aufragenden Gipfel sind daher immerhin noch recht stark verfirnt und lassen größere Gletscher, die kräftige Flüsse speisen, abfließen. Südliche, vom Indischen Ozean herstammende, feuchte Luftmengen erhält der Kuen-lun leider: nicht mehr, denn die schlagen sich an der den Kuen-lun an Höhe über- treffenden Fortsetzung des Trans-Himalaya, dem gewaltigen Kara- korum, nieder. Wenn auch nur ein Bruchteil der Feuchtigkeitsmengen, die in den größten Talgletschern der Welt im Kara-korum gebannt liegen®), an den Kuen-lun gelangen würde, so wäre das Landschaftsbild Ost-Turkestans, vielleicht auch ganz Zentralasiens, ein anderes. So weist aber der Kuen-lun nur Gletscher von kaum 10 km, der Kara-korum aber solche von 100 und mehr km Länge auf. Steilwandige, enge, oft ungangbare Schluchten kennzeichnen beson- ders die Nordabdachung des Kuen-lun, dessen Vorberge steil und schroff aus dem Flachlande des Tarimbeckens aufragen. Die Breite der Kette ist im Verhältnis zur gewaltigen Ausdehnung gering, immerhin beträgt sie 100-150 km. Die Pässe liegen rund 5000 m hoch, die Firngrenze !) G. LEUCHSs, Zentralasien, Heidelberg 1916; G. WEGENER, Versuch einer Oro- graphie des Kuen-lun, Ztschr. Ges. Erdk. Berlin, 1891. ?, A. Wegener, Die Entstehung der Kontinente und Ozeane, Braunschweig 1920. °») F. B. and W. H. WORKMANN, Two Summers in the Ice Wilds of Eastern Karakoram, London 1917 u. verschied. Aufsätze im Geogr. Journal, London. } / Kaschgar. 9) meistens noch höher. Die Faltenrichtung läuft der Kettenrichtung parallel. Der Wechsel im Landschaftsbild wird vor allem durch die verschiedene Widerstandsfähigkeit der Gesteine gegenüber den abtra- senden Kräften hervorgerufen. Die älteren, vordevonischen Gesteine und die kristallinen Schiefer haben gewöhnlich schroffe, steilabfallende Formen erzeugt, in die die Gletscher häufig steilwandige Tröge eingesenkt haben. Panzereisdecken schützen andrerseits häufig runde Kuppeln oder flache Gewölbe. Die kristallinen Schiefer sind häufig von Graniten durchbrochen, die besonders der ariden Verwitterung unterworfen sind, aus welchem Grunde die Berghänge sanfter geneigt und oft mit feinem Schutt überzogen sind. Auch die Täler werden breiter, und gerade in den Granitgebieten geht eine starke Trübung der Gebirgsflüsse und -bäche vor sich, die nur durch die Sedimentmengen am Fuße der Kette, im Bereich weicher tertiärer Schichten, noch übertroffen wird — eine zweite Quelle der Ansiedlungsmöglichkeiten. Aber die Schwemmstoffe gelangen unvermischt auf das Tiefland hinaus, in die Wüsten. Erst der Wind trägt den feinsten Staub an begsünstigten Orten zusammen und erzeugt guten Ackerboden. Kalksteine des Unterkarbons bilden eine besondere Zone zwischen der Zentralzone der metamorphen Schiefer und Granite einerseits, den tertiären Randschichten andrerseits und nehmen den größten Raum innerhalb des westlichen Kuen-lun ein. Diese Kalksteine rufen den charakteristischsten Teil der Landschaft der nördlichen Kuen-lun- Abdachung hervor. Hier treten oft klammartig enge, von reißenden Gebirgsfluten durchbrochene Schluchten auf, die von alten Moränen und Schutthalden oft ganz eingeengt werden. Schroff, bizarr, grau, düster ıst alles, nur selten gedeiht auf sandigen Anschwemmungen der Talsohle die Pappel und Weide, ganz vereinzelt finden sich kleine, dürftige, im Grau verschwindende Ansiedlungen vor. Bis über 3000 m steigen in den größeren westlichen Tälern kleine Dörfchen, in denen eine arme, aus dem westlichen Pamir herübergewanderte arische Restbevölkerung lebt. Auch Kaschgarier treiben hier gelegentlich Ackerbau und verpflanzen fremde — oft ungesunde — Sitten. Auch manches chinesische Kultur- element dringt in diese kaum zugängliche Hochtäler hinauf. Das Landschaftsbild ist wohl oft wildromantisch, aber doch düster und ermüdend monoton. Nur selten bietet dem Reisenden der Ausblick auf einen kleinen Gletscher oder einen verfirnten Gipfel Abwechslung zwischen den grauen, schuttüberladenen geneigten oder kahlen steil emporstrebenden Hängen. Die Pfade sind für den Saumverkehr gangbar, aber nicht so schlimm, wie es viele Reisende schildern. Im Winter und im Frühjahr ruht allerdings der Verkehr oft gänzlich, so daß Kasch- gar-kaum mit der Außenwelt in Verbindung steht. Steinschläge im Mai ' 10 A, Schultz. bilden ein übles Charakteristikum der Täler der westlichen Kuen-lu E Ges, Kara-tasch, King-kol, Chotan-darja sind die Hauptadern, die die Scharten in die große Mauer reißen. Besonders wichtig wird aber der — östliche — Kisil-su, der im äußersten, meridional streichenden Teil des Kuen-lun entspringt und der einerseits die Oase von Kaschgar speist und. eine der wichtigsten Wasserquellen für die Kaschgarische Lößlandschaft ist, andrerseits aber eine recht brauchbare Verbindung mit den Land- | schaften West-Turkestans schafft. Keine so bedeutende, wie es die großen Völkerpforten des Ili-tales und der Dschungarei sind, aber doch eine wichtige. Es ist ein Eingangstor westlicher Kultur nach Zentral- asien, aber große, kriegerische Völkerscharen haben diese doch noch recht beschwerliche Straße gemieden. Kaschgar hat sich dadurch fern von manchem Sturm halten können. Der Händler zieht diesen Weg seit Urzeiten mit seinen Kamelkarawanen!), der Krieger hat ihn wenig betreten. Heuteziehen hier durch die öde, monotone Bergweltim Sommer eine Handelskarawane nach der anderen mit russischen Manufaktur- und a ; Kolonialwaren nach Kaschgar und umgekehrt — die langen Züge der Br mit großen Baumwollballen beladenen Kamele. 5 Die Ostabdachung des nördlichsten Teils des Kuen-lun, zwischen dn Quertälern des Ges im Süden und Kisil-su im Norden, bildet eine wenig bekannte Landschaft des westlichen Kuen-lun. Auf 120km Erstreckung ragt das geschlossene, firnbedeckte, bis 6500 m hoch werdende Kaschgar- Gebirge, Humboldtsviel umstrittener Bolor-tag, auf, aber die zerstören- den Einflüsse arider Abtragung machen sich hier stärker geltend. Der Pamirtypus der Landschaft wird weniger durch kräftige Erosionsfurchen, wie es die Täler des Ges, King-kol, Kara-tasch, Chotan-darja sind, unter- brochen. Wohl treten auf den lockeren Flußanschwemmungen ge- TR legentlich Pappelhaine und kleine Gebüschdickichte auf, aber nirgends ER findet sich die Möglichkeit Ackerbau zu treiben. Nur Kirgisen nomadi- Ri a sieren in den Schluchten. Eine Reihe von Gebirgsbächen ergießt sich er in die kaschgarische Wasserader, den Kisil-su, für den Verkehr istaber ER diese Landschaft nicht nur ohne Bedeutung, sondern bildet einen fast _ unübersteigbaren Grenzwall gegen den Pamir. Die politische Grenze zwischen China und Rußland liegt aber doch nicht auf dem Kamm des Kaschgar-Gebirges, sondern folgt weiter westlich einem niedrigereren Rücken. So hat diese Landschaft für Kaschgar die allergeringste Bedeutung. Die wichtige Querfurche des Kisil-su trennt die Kuen-lun-Landschaften von denen des Tien-schan, und es ist wohl keine seltene Erscheinung, daß \ die Grenzen zweier natürlicher Landschaften sich durch besondere !) A. HERRMANN, Die alten Seidenstraßen zwischenChina und Syrien, Berlin1910. we = ei Kaschgar. 3} anthropogeographische Erscheinungen auszeichnen. Man denke z. B. nur an die Bedeutung der Küsten. Die Landschaften der Tien-schan-Abdachung zum Flachland Ost-Tur- kestans haben für die Kaschgarische Lößlandschaft und für Kaschgar lange nicht die Bedeutung, wie die genannten südlichen Nachbarland- schaften. Weder liefern sie Wasser, noch weisen sie wichtigerere Verbin- dungswege mit der Außenwelt auf. Gemeinsam ist beiden Landschaften nur die Rolle, die sie als Teile der umschließenden Gebirgsmauern haben. So wichtig auch das Quertal des Kisil-su für das Eindringen europäischer Kultur in der neuesten Zeit ist, so sind in älteren geschichtlichen Perioden größere Völkermassen in ihren Bewegungen doch stets von den weit nördlicher gelegenen bequemen ‚Völkerpforten‘ des Ili-tales und der Dschungarei abgezogen worden. Scharf tritt in der nördlichen Nachbar- landschaft der Kaschgarischen Lößlandschaft die große Rolle, die hier leicht zerstörbare tertiäre Ablagerungen spielen, hervor. Es sind das Lößmergel, weiche bunte Sandsteine und Mergel und vorwiegend rote Konglomerate, die als Han-hai-Schichten oder Gobi-Sedimente zu- sammengefaßt werden!) und die eine 25 km breite Vorgebirgszone von eigenartiger landschaftlicher Ausbildung hervorrufen. Öde, wüstenhaft, kies- und sandbedeckt sind hier die niedrigen Bergzüge. Wenige Sied- lungen finden sich an den Flüssen, die aber den Kisil-su nicht zu er- reichen vermögen, vor. Erst weiter nördlich, im Gebiet devonischer und karbonischer Gesteine, tritt die charakteristische aride Gebirgs- landschaft auf, aber niedriger und noch monotoner, als die der Kuen-lun- Landschaften. Der Anmarsch auf Kaschgar von Süden her ist ungleich reizvoller, als der von Norden durch jene Landschaften. Im allgemeinen verläuft hier der Tien-schan in westöstlicher Richtung und besteht aus einer Reihe im Mittel kaum 5000 m hoher Bogenstücke, die ebenfalls nach Süden konvex sind. In geringer Entfernung eines solchen stark eingeebneten Bogenstückes hat Kaschgar seinen Platz gefunden. Diese, wenn auch nicht direkte, Anlehnung an das Gebirge ist für die Stadt von Bedeutung: sie hat keine reine Wüstenlage sondern ‚eine Wüstenrandlage und ist innerhalb der eigenen Lößlandschaft ganz an den Rand gerückt, genießt also auch Vorteile der benachbarten Ge- birgslandschaft des Tien-schan. Die sind allerdings recht gering. Das arıde Klima wird kaum gemildert, die Bäche erreichen die Landschaft nicht, Bodenschätze fehlen den Bergen in der Nähe und es bleibt also nur die Bedeutung eines Schutzwalles übrig, die aber nicht in der Nach- barlandschaft, sondern naturgemäß in der entfernteren Landschaft des 1) P. GRÖBER, Der Südliche Tien-schan, Penck’s Geogr. Abhdl., er u. Berlin 1914. yet = 2 a len / 19 A. Schultz. EZ Hauptkammes des Tien-schan liegt. - Eine bemerkenswerte Bedeutung hat die Nachbarlandschaft des Tien-schan aber doch. Die Han-hai- R Schichten lieferten zu einem großen Teil das Material der Wüsten Ost- Turkestans, und der Wind entführte ihnen die feinsten Staubmassen, die St sich unter dem Schutz der nördlich vorgelagerten Ketten niederschlugen RS und die Kaschgarische Lößlandschaft entstehen ließen. : Es ist bemerkenswert, daß die tertiären Han-hai-Schichten, aber | ebenso der ganze Schichtenkomplex oberkarbonisch-permisch-mesozoi- © scher Gesteine, die sog. Angara-Nerie, vorwiegend aus Konglomeraten und Sandsteinen kontinentalen Ursprungs besteht und sich in den tieferen Teilen des Gebirges, in Becken und Mulden, vorfindet!). Seit ältesten geologischen Zeiten ist also die Tendenz der Wüstenbildung in der Nachbarlandschaft vorhanden. Die Aridität setzte im Oberkarbon ein und dauerte mit geringen Unterbrechungen bis in die Jetztzeit, und geringe klimatische Schwankungen, wie die Eiszeit, haben keine besonderen Spuren hinterlassen. Die Frage, ob eine Austrocknung Zentralasiens im Allgemeinen, Ost-Turkestans im Speziellen in histo- rischen Zeiten stattgefunden hat, kann aber verneint werden. Darüber wird genaueres bei der Besprechung der Entstehung des heutigen Land- schaftsbildes berichtet werden. Menschenarme und menschenleere. stark zertalte oder schuttverhüllte Gebirgs- und Hochgebirgslandschaften umgeben somit von drei Seiten die Kaschgarische Lößlandschaft. Kleine, armselige Dörfchen sind selten anzutreffen, häufiger begegnet der Reisende nomadisierenden Kirgisen, die mit ihren weißen, runden Filzzelten und Schafherden das monotone Landschaftsbild etwas beleben. Die ganze Majestät dieser ariden Hoch- gebirge tritt aber hervor, wenn man einen höheren Berggipfel erklimmt: die Schuttmassen verschwinden, nackte Grate tauchen auf, Firnfelder und Gletscher zeigen, daß auch hier, auf Tausende Kilometer vom Ozean entfernt, sich Feuchtigkeit vorfindet, und die dunklen Scharten tief unten lassen erkennen, wohin das Wasser seinen Weg nimmt. Gerade in den ariden Gebirgen ist die vertikale Oberflächengestaltung deutlich in drei Zonen geteilt: zu unterst die Erosionszone, dann die Ver- schüttungszone, zu oberst die konservierende Firnzone. Ist letztere schwach entwickelt oder fehlt gar, so ändert sich alles: Verschüttung herrscht vor, die Bäche schaffen den Schutt nicht mehr fort, der ganze Bau sinkt langsam in sich zusammen, Ruinen bleiben übrig, wie in der nördlichen Nachbarlandschaft der Kaschgarischen Lößlandschaft. Im Winter durchtoben eisige Stürme die Täler, im Frühjahr sind diese im !) LeucHs, Zentralasien, 8. 52. Kaschgar. 15 Kuen-lun oft in Wolken gehüllt, trübe, und kräftige Regengüsse lassen die Flüsse anschwellen. Ein heißer Sommer, den Berg- und Talwinde mildern, folgt. Der Herbst ist schön, aber schon früh setzen Nachtfröste ein. Nach Osten hin öffnet sich die Gebirgsumwallung der Kaschgarischen Lößlandschaft, aber nun tritt hier dafür die Wüste in einer so extremen Form auf, wie sie ihresgleichen kaum auf der ganzen Erde findet, und wird ebenfalls zu einem verkehrsfeindlichen Schutzsaum für die Kasch- garische Landschaft. In älteren Zeiten in die Wüste vorgeschobene, jetzt am Fuße der großen Ketten liegende Oasen bilden aber eine lange, aller- dings weitgliedrige, Kette von Stützpunkten, denen die großen Wege durch Zentralasien folgen: am Nord- und Südrande der Wüste, nach den. humiden Gebieten Chinas, zum Ozean hin. Das sind die großen Zug- straßen der Völker, die in das Tarimbecken eingedrungen nach dem Kaschgarischen Lößgebiet weiterzogen und, soweit sie nicht schon zu den großen Völkerpforten der Dschungarei und des Ili abgeschwenkt waren, sich an den Ketten des westlichen Kuen-lun stauten, oder über dessen schwierige Pässe in die westasiatischen Kulturländer eindrangen. Daß sich dabei die Südstraße, am Fuße des Kuen-lun, weniger stabil in ihrem Verlaufe gegenüber der Nordstraße, an den Ausläufern des Tien- schan, erwiesen hat wird weiter unten betrachtet werden. Heute spielt die Südroute eine geringere Rolle gegenüber der Nordroute im Verkehr mit dem Osten. Die Telegraphenlinie von Kaschgar nach Peking folgt letzterer, und auch die chinesischen Regierungsbeamten benutzen ge- wöhnlich diesen Weg. Die Sandwüstenlandschaft Ost-Turkestans beansprucht insofern ein besonderes Interesse, da sich mit ihr gewöhnlich die Vorstellungen der innerasiatischen Wüstenlandschaften verknüpfen. Es ist auch zweifellos eine der bemerkenswertesten Charakterlandschaften Turans, ein eigen- artiges, physisch-geographisch durchaus begründetes Gegenstück zu den Wüsten Kara-kum und Kisil-kum West-Turkestans. Die Beziehungen der Kaschgarischen Lößlandschaft zu der Sandwüstenlandschaft sind engere, als zu den beiden geschilderten Gebirgslandschaften. Auch die Wüstenlandschaft hat isolierend auf Kaschgar gewirkt, aber infolge der doppelten Oasenkette am Fuße der Berge in weit geringerem Maße. Historische Ereignisse haben diese Isolierung bald zu, bald abnehmen lassen. Die Sandwüstenlandschaft ist sozusagen die Mutterlandschaft der Kaschgarischen Lößlandschaft. In physisch- und anthropogeographi- scher Beziehung. Die Tochterlandschaft ist dabei auf Kosten der Mutterlandschaft entstanden und gediehen. Letztere verlor ihre Kräfte: nachdem sie die Nährstoffe, das feinste Staubmaterial aus den Sanden 14 A. Schultz. e und Lehmen, hat abgeben müssen, ist sie unfruchtbar und wüstenhatl Ban geworden. Jetzt verbirgt und schützt ihr gemallızen Körper nur noch die Tochterlandschaft. Die Sandwüstenlandschaft nn das ganze große Flachlandgebieh B% des Tarim und seiner direkten und indirekten Zuflüsse östlich der Kasch- . garischen Landschaft ein. Sie ist, wie gesagt, das Spiegelbild der Wüsten- landschaft West-Turkestans. Aber die größere Kontinentalität und die höhere Lage über dem Meeresspiegel gestaltet das Landschaftsbild hier in Ost-Turkestan zu einem wesentlich arideren. Die unübersehbaren reinen Sandwüsten sind von SvEN HEDINn meisterhaft geschildert!) und eingehend erklärt worden?). Jeder Reisende, auch der eingeborene, unterliegt der imponierenden Macht der gewaltigen, freibeweglichen Sandmassen, die sich meist in Form hoher neben-, hinter- und überein- ander drängender Sicheldünen vorwärtsbewegen und nach jedem Sturm ihre Konturen ändern. In West-Turkestan herrscht dagegen die Busch- wüste, sei es in der Gestalt der Barchan-(Sicheldünen-), der Hügelsand- oder Reihensandwüste vor. : Einen anthropogeographisch wichtigen Landschaftsteil, wenn nicht gar eine besondere Landschaft, innerhalb des Wüstenmeeres bilden die Wüstenflüsse mit ihren aus Pappeln, Weiden, Dorngebüsch, verschiedenem Unterholz, Gras und Schilf zu- sammengesetzten Galleriewäldern. An den Außensäumen derselben wird die sterile Sandwüste häufig von ebener Wüstensteppe abgelöst und hierher dringen einsame Hirten mit ihren Schafherden von den letzten kleinen Dörfern der Gebirgsfußoasen herziehend vor. Die Oberflächengestaltung gliedert die Sandwüstenlandschaft weiter in Barchan-, Reihensand- und die durch ihre regelmäßig verlaufenden Depressionen ausgezeichnete Jardangwüste. Dem Fuß der Gebirge folgt die Kieswüste und das lockere Lößband mit Lößsteppe und Gebirgsfuß- oasen. Eine besondere Landschaftsform bildet die Lehmwüste mit ihren abenteuerlichen Formen, oder mit Salzausblühungen bedecktem ebenem Boden. Charakteristisch sind Landschaftsteile in denen Vegetations- hügel das Landschaftsbild beherrschen. Besondere Teillandschaften bilden die Restberge des Masar-tag im Innern der Sandwüste und das merkwürdige Lop-Gebiet mit seinem in geschichtlicher Zeit pendelnden Endlauf des Tarim, seinen Lehmwüsten, Sumpf- und Schilfseen und verschwundenen Flußendeoasen. Das ganze Flachland zwischen Kuen-lun und Tien-schan, also die ost- turkestanische Sandwüstenlandschaft und deren westliche Fortsetzung, die Kaschgarische Lößlandschaft, bildet, analog den kleineren Tieflands- ‘) Im Herzen von Asien, Leipzig 1903, Durch Asiens Wüsten, Leipzig 1898. *) Scientific Results of a Journey in Central Asia 1899—1902, Bd. I—II, Stock- holm: 1904, 1905. ee ee Kaschgar. 15 gebieten der Dschungarei, Ferganas, ein großes tektonisches Einbruchs- becken!). Im Norden, Süden und Westen sind die Bruchlinien am Fuße der Ketten festgestellt worden. Aber auch quer zu diesen Richtungen verlaufen Bruchlinien und haben innerhalb des Flachlandes als Horste Bergrücken stehen lassen — den erwähnten Landschaftsteil des aus paläozoischen Gesteinen und Eruptivgesteinen bestehenden Tien-schan- Ausläufers Masar-tag. Nach Osten hin wird der Betrag der Absenkung geringer und läuft in dem schmalen Graben zwischen Pe-schan und Nan-schan, der bereits eine neue Landschaft, eine Übergangslandschaft zur Gobi, bildet, aus. Hebungen haben das eozäne Meer des Tarim- beckens in eine Reihe von Binnenseen aufgelöst, trockengelegt und die heutige Beckenform ausgebildet. Der in den Randketten durch konti- nentale Einebnung begonnene Wüstenprozeß hat. sich in dem Einbruchs- becken mit voller Macht fortsetzen können. Heute ist das Tarimbecken noch im Zustande der Aufschüttung, die alten Meeressande verschwinden, die jungen durch die Flüsse aus dem Kuen-lun und Tien-schan heraus- seschafften Sandmassen nehmen zu. | 3. Die Kaschgarische Lößlandschaft. Zwischen den geschilderten Landschaften liest nun die Kasch- garische Lößlandschaft mit der Stadt Kaschgar. Am Fuße der sich rasch verflachenden Berge des Kuen-lun, z. B. am Austritt der Ges-Schlucht, dehnt sich ein breiter, sich allmählich nach dem Innern der Landschaft zu senkender Kies- und Geröllgürtel aus. Die Berge sind niedrig, flach, mit Gesteinstrümmern besät, zwischen denen nur Kraut und wenig Gras gedeiht. Schafherden weiden hier, vereinzelte Kamele, sich selbst überlassen, zieheneinsam umher, und meistens verrät ihr durchgescheuerter Rücken, weswegen sie der Ruhe bedürfen. Auf isolierten, niedrigen Bergen paßt sich die oft unbewegliche Silhouette der Tiere malerisch dem wüstenhaften Landschaftsbild an. Die Flüsse strömen in vielen Armen über unübersehbare Schotterfelder, auf denen gelegentlich ein niedriger Dorn- und Weidenbusch gedeiht. Im Norden dehnt sich bis zum Horizont, in trüben Dunst gehüllt, vollständig eben die rötlich braune oder graue Wüstensteppe aus. Höchstens ein Trupp Reiter, eine lange Staubwolke hinter sich ziehend, belebt das Bild. Schwer lastet die warme Sommerluft auf der Brust des aus kalten, frischen Hochgebirgen kommenden Reisenden, denn der Abstieg aus den 4000 m hohen Hochtälern des Kuen-lun zum 1500 m hohen Rande des Tarimbeckens vollzieht sich rasch, in kaum zwei Tagemärschen. Der !) LeucHs, Zentralasien S. 122 u. a. O. 16 A, Schultz, Kiesboden hört nach einigen Stunden, mit Verlassen der letzten Vorhügel, auf, und die Hufe der Pferde drücken sich nun in den weichen Löß, der wie feiner Staub die ganze Ebene überzieht. Aber grau und eintönig ist noch das Landschaftsbild, nur kreuzt man häufiger Wege, ein breites, ausgetretenes Spurengewirr, öfters überschreitet man über blanke Kiesel rasch hinströmende flache Bäche, und vereinzelt stehen verstaubte Pappeln. Weit am Horizont tauchen bald längere Baumreihen auf. Aber mehrmals reitet man noch über Geröll- und Kiesstrecken, in der Nähe von Flüssen auch über kleine Sanddünen, bis man den ersten, kaum erkennbaren, dürftigen, kleinen Weizen- oder Baumwollfeldern begegnet. Die Zahl der Bäche oder Bewässerungsgräben, die nun in sandigem oder tonigem Bett fließen, nimmt immer mehr zu, die ersten niedrigen Lehmhütten kleiner Dörfer, meist im Grün der Pappeln ver- borgen, tauchen auf. Immer zahlreicher werden die kleinen Ansied- lungen, Feld reiht sich an Feld, die Pappelalleen der Wege verschmelzen mit den Hainen und Gärten der Dörfer. Eine ununterbrochene Reihe von Feldern, Gärten, Dörfern bildet das Herz der Kaschgarischen Löß- landschaft, die eigentliche Oase von Kaschgar, die man nach zwei Tage- märschen vom Fuß des Kuen-lun erreicht. Immer belebter werden die Straßen, und unmerklich dringt man in das große Stadtdorf Kaschgar selbst ein. Erst wenn man vor der gewaltigen aus Lehm errichteten Stadtmauer, von einem malerischen Menschengewirr umgeben, steht, merkt man, daß die Hauptstadt tatsächlich erreicht ist. Lößsteppe und Kulturland, in geringerem Maße Sandsteppe, Kies- steppe und die Geröllfelder der Flüsse nebst ihren Dünen, auch kleinere reine Sandwüstenstücke setzen somit die Kaschgarische Lößlandschaft zusammen. Von welcher Himmelsrichtung man sich auch der Stadt Kaschgar nähert, diese Landschaftsteile erblickt man immer. Eine ge- wisse zonale Anordnung ist erkennbar: Kies- und Sandsteppe, sowie ge- röllfelder liegen dem Gebirgsfuß näher, die Sandwüste dringt stellenweise von Osten her herein, die Lößsteppe füllt das ganze Innere aus. Das Kul- turland ist bewässerte und bebaute Lößsteppe. Die zum größten Teil zusammenhängenden einzelnen Oasen werden von den Gebirgsflüssen, die in ein Netz von Bewässerungsgräben auseinander gezogen sind, be- wässert. Der Verlauf der einzelnen Wasseradern ist dem Gefälle ent- sprechend ein west-östlicher. Da die Mehrzahl der Wege vom Fuß der nördlichen und südlichen Randketten nach dem Zentrum Kaschgar strebt, also sich mehr oder weniger in einer nordsüdlichen Richtung be- west, so ist die Lage der Siedlungen — es sind, bis auf die militärische De- pendence Kaschgars Jangi-schar und Jangi-hisar am Fuß des Kuen-lun, durchweg Dörfer — bestimmt durch die Kreuzungspunkte der Wege mit den Wasseradern. Eine geringe Zahl von Ansiedlungen ist in seiner Kaschgar. RS Lage nur vom Wasser abhängig und liegt außerhalb des allgemeinen Ver- kehrs, hat daher auch eine geringere Bedeutung. Das vorherrschende Landschaftselement der Kaschgarischen Land- schaft ist die Lößsteppe, die an Flüssen, Bächen und Bewässerungs- kanälen fast durchweg in Kulturland umgewandelt ist. Die Lößablage- rungen sind aber nicht mächtig, und die für Teile Ost-Chinas so cha- rakteristische, inWest-Turkestan in kleinerem Maße ebenfalls auftretende, bizarre Lößlandschaft mit ihren Engschluchten, senkrecht abfallenden Wänden, die ott in Grate, Rücken, Bastionen und Pfeiler aufgelöst sind, fehlt hier. Nur die Ufer größerer Flüsse werden gelegentlich von höheren Kies- und Lößwänden gebildet. Z. B. begleitet die linke Seite des Kisil-su bei Kaschgar eine 7—10 m hohe Lehm- und Lößwand, von der sich ein schöner Blick auf die Stadt und die Gärten der Umgegend auf- tut. Nördlich von Kaschgar, zwischen dem Kisil-su und den wüsten- haften, schutt- aber auch oft lößbedeckten Ausläufern des Tien-schan, zieht sich ununterbrochen die trockene, wüstenhafte Lößsteppe hin. Nur die große Nordroute über Utsch-turfan nach Ost-China bildet hier eine wichtige Verkehrslinie, während die große Straße nach West-Turkestan bald hinter Kaschgar die Vorberge erreicht und an deren Fuß weiterzieht. Je mehr man sich hier von der Lößsteppe aus dem Fuß der Berge nähert, desto häufiger heben sich in Schutt und Löß begrabene Bergreste empor. Sven Hepvın!), K. FUTTERER?), G. MERZBACHER?), P. GRÖBER®), G. PRINZ5) haben das Kaschgarische Lößgebiet gekreuzt, aber Näheres über die Verbreitung der Lößsteppe und die Mächtigkeit der Lößbildungen ist nicht bekannt geworden. Am wenigsten weiß man über das Verhältnis der Lößsteppe zum Kaschgar-Gebirge im Westen und seinen Ausläufern, also über den eigentlichen Westsaum der Kaschgarischen Landschaft. In der nördlich von Kaschgar gelegenen Landschaft erreichen die dem Tien-schan abströmenden Bäche ein Ende,ohne daß es zur Bildung größerer Oasen und Ortschaften kommt. Westlich der Kaschgarischen Landschaft sind die wenigen Flüsse in voller Kraft, um in der Lößland- schaft ausgenutzt zu werden. Es scheint, daß dort, in der Tiefland- vorzone des Kaschgar-Gebirges, die Kiessteppe eine besondere Ent- 1) Die geographisch-wissenschaftlichen Ergebnisse meiner Reisen in Zentral- asien 1894—-1897, Peterm. Mittlg. Erg. Heft 131, Gotha 1900. ®2) Durch Asien, 3 Bde. Berlin 1901, 05, 09. 3) Vorläufiger Bericht über eine in den Jahren 1902 und 1903 ausgeführte For- schungsreise in den zentralen Tien-Schan, Peterm. Mittlg. Erg. Heft 149, Gotha 1909. 4) Der südliche Tienschan, Pencks Geogr. Abhdl. X, 1, Leipzig u. Berlin 1914. 5) Kvenlün &s Pamir, Koch-Festschrift, Budapest 1912, S. 101—-09; Peterm. Mittlg. 1910; Mittig. k. k. Geogr. Ges. Wien 1909. 2 Schultz, Kaschgar. 18 A. Schultz. wicklung erlangt und ‘(die Grenze gegen die Lößsteppe keine scharfe ist. Sie scheint ungefähr zwischen dem Fluß Ges und dem Dorf Upalzu verlaufen und würde demnach etwa dem Westrande der Karte (Tafel 1)... entsprechen. Die südliche und östliche Begrenzung der Lößsteppe und somit der Kaschgarischen Landschaft ist besser bekannt, da aus diesen Gegenden Reiseberichte von SvEn HEDIN!), BOoGDANOWITSCH?), F. STOLICZKA?), ÄUREL STEIN?) und aus neuester Zeit von E. und P. Syk&s’) vorliegen, wenn auch allein SvEn HEDIn diesen jungen Ablagerungen eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt hat. Verfasser kreuzte den Südrand der Landschaft auf dem zur Ges-Schlucht führenden Wege. Hier begann beim Dorf Tasch-malyk die mehr oder weniger zusammenhängende Löß- steppe. Zwischen der Schotter- und Kieswüste zog sich noch ein mehrere Kilometer breiter Sandgürtel hin. Alle die zahlreichen kleinen Oasen am Nordfuß des Kuen-lun zwischen Tasch-malyk und Jangi-hisar ge- hören bereits der Kaschgarischen Lößlandschaft an. Aber auch hier ist der Übergang der Lößsteppe zur Kies- und Schotterwüste stets ein all- mählicher, und erst das Auftreten zahlreicherer Siedlungen kennzeichnet das tatsächliche Vorherrschen der Lößsteppe. An der Östgrenze der Landschaft treten gänzlich andere Verhältnisse auf. Hier sind es naturgemäß nicht Kiese und Schotter, die der Lößsteppe ein Ende bereiten, sondern die Sande der Sandwüstenlandschaft, deren westliche Verbreitung Sven HEDIN recht genau festgestellt hat®) und dessen Karte darüber guten Aufschluß gibt. Von besonderem Interesse ist,hier der Einbruch der Lößsteppe in das große Sandgebiet im Bereich des Bewässerungskanals Chan-aryk und seiner Ausläufer, die ihr Wasser ' vom Kara-tasch erhalten. Das Kulturland setzt sich in einem schmalen Streifen sogar bis zum Jarkend-darja hin fort und vereinigt sich hier mit dessen Wüstenflußlandschaft. Räumlich nimmt die Kaschgarische Lößlandschaft rund 2000 qkm ein. Der Anteil des Kulturlandes an der Lößsteppe kann mit etwa 20 °/, be- . rechnet werden. Man erkennt ja auch auf der Karte (Tafel 1), wie Ka lich die einzelnen Siedlungen verteilt sind. Die Frage über die Entstehung und das Alter des Lösses ist natürlich !)" Geographisch-wissenschaftl. Ergebnisse meiner Reisen in Zentralasien 1894— 1897. en *) Geologische Forschungen im östlichen Turkestan, 2. Teil, St. Petersburg 1892 (rus.). ?) Scientifie Results of the Second Yarkand Mission, 1878. *) Sand-buried Ruins of Khotan, London 1903. °) Through deserts and Oases of Central Asia, London 1920. 8.0. Anm, Lu aus, TE Kaschgar. 19 von besonderer Bedeutung, denn allein der Löß und das Wasser haben | die Kaschgarische Landschaft, die Oase und die Stadt Kaschgar ent- stehen lassen. Es war erwähnt, daß in erster Linie der Wind das feine Staubmaterial aus der Wüste herausgebracht hat und wie somit die angrenzende Wüsten- landschaft als Mutterlandschaft aufgefaßt werden kann. RICHTHOFENS Theorie der äolischen Entstehung des Lösses hat seitens der Mehr- zahl der Zentralasienforscher ihre Bestätigung gefunden!). Daß sich zwischen dem reinen äolischen Löß gelegentlich feines oder gröberes verschwemmtes Material (Proluvium) befindet ist begreiflich. Auch daß nicht nur die benachbarte Sand- und Lehm-Wüste, sondern auch die Kieswüste am Fuße der Ketten, die durch Insolation und Spalten- frost gebildeten Schuttdecken der Berge, besonders aber die am Rande derselben auftretenden weichen Han-hai-Schichten das Material für den Löß geliefert haben. In welchem Zustande befand sich aber zu der Zeit die Mutterlandschaft ? Die infolge zunehmender Trockenheit abnehmende Wasserführung der Flüsse in der Zeit der Lößbildung muß gerade in den für die Lößbildung geeigneten lehmigen und tonigen Teilen der Wüste, die zweifellos einen größeren Raum als heute einnahmen, von Bedeutung gewesen sein, da durch das Sinken des Grundwasserspiegels sie trockener und vom Winde leichter angreifbar wurden. Erst eine verstärkte Tätigkeit der Flüsse rief die Bildung der gewaltigen Sandmassen, wie sie heute entgegentreten, hervor. So ist das heutige Antlitz der Sandwüste zu einem großen Teil erst nach der Lößbildung entstanden, somit jünger und durchaus eine Jetztzeitform. Einen heutigen Vorgang der Lößbildung hat jeder Reisende in Zentral- asien, auch in der Kaschgar-Landschaft, Gelegenheit zu beobachten. Doch muß zwischen den ganz lokalen Staubauftreibungen und den aus den Nachbarlandschaften herauskommenden Lößstaubwolken unterschieden werden. Erstere sind ein überwältigendes Naturereignis, letztere rufen nur die oft monatelang andauernde Trübung der Luft hervor. Kleine örtliche Zyklonen bilden sich auf dem sonnendurchglühten Boden im Sommer oft und sind gelegentlich kräftig genug, den ganzen Himmel mit einer undurehsichtigen, schwarzen Wolke zu verhüllen. Das Aufziehen der rasch höher steigenden, drohenden, düsteren Staubwand, die erst niedrig am Horizont steht, im Laufe einer Viertelstunde oft schon über den Zenit dringt. ist stets ein wundervolles Schauspiel, das so recht den die Sandwüste umrahmenden Lößlandschaften angehört. Es ist oft ge- 1) G. MERZBACHER, Die Frage der Entstehung des Lösses, Peterm. Mittlg. 1913, I, S. 69 u. f.; S. PASSARGE, Die Grundlagen der Landschaftskunde, Hamburg 1920, Bd. 111, SESHLTNT. ı* 20 A. Schultz. schildert worden, wie nach solch einem Sturm, die Windstärke braucht übrigens dabei noch gar keine beträchtliche zu sein, der ganze Boden, Bäume und Sträucher, Felder und Gräser, Häuser, Tiere und Menschen von einer mehrere mm starken, feinen, grauen Staubschicht überzogen waren. Man muß aber beachten, daß solche plötzlichen, starken Staubumlage- rungen nur innerhalb des Lößgebiets selbst entstehen. Die staubge- sättigten Luftwirbel entsteigen dem Lößgebiet selbst und sind natur- gemäß dort am stärksten, wo die Lößsteppe gegenüber dem Kulturland | stark vorherrscht, wie das grade in der Kaschgarischen Landschaft der Fall ist. In der reinen Sandwüste bleibt die Luft auch bei den stärksten Stürmen, mit Ausnahme der Bodenschicht, klar, es sei denn, daß Sand- hosen entstehen. Die Staubmassen, die heute aus der Wüste und den Vorgebirgen auf die Lößsteppe geführt werden, sind im Vergleich mit den Mengen die innerhalb der Lößsteppe umgelagert werden klein. Aus der Lößsteppe dringen aber auch Staubmassen hinaus und ziehen über die Gebirge hin. Lufttrübungen, Dunst, ‚„Mgla“ der Russen, treten in 3500-4000 m Höhe häufig in den Hochtälern des Kuen-lun, ja noch im östlichen Pamir auf und rühren von Staubstürmen der Kasch- garischen Landschaft her. Wie die Gebüschvegetation in den Sand- wüsten den Sand auffängt, festlegt und somit zu unregelmäßigen (rt- lichen Erhebungen und Hügeln (Vegetationshügeln, vergl. auch 8. 23) führt, so scheinen auch zweifellos die Oasen im ganzen den Lößstaub zu fesseln, so daß gelegentlich eine flache, tellerförmige Erhebung eintritt. Gerade in der Kaschgarischen Landschaft, in der sich die Oasen der Regel nach nicht an das Grundwasser, somit an Hohlformen, knüpfen, sondern nur von dem oberirdisch fließenden Wasser der Bewässerungs- kanäle gebildet werden, kann die oft flache Erhebung der Oasen über die umgebende ebene Steppe gelegentlich beobachtet werden. Aller- dings tragen dazu auch die Alluvionen der gerade in den Oasen sich fein verästelnden Wasseradern bei. Letzteres wäre also eine mehr flächen- haft wirkende, Wüstenflüsse kennzeichnende Dammflußbildung. Schlüsse aus der Mächtigkeit der Lößablagerungen über das Alter der Entstehung derselben zu ziehen ist nicht möglich. Die Lößbildung ging und geht zu unregelmäßig und sprunghaft vor sich. Die Wechsel- und Überlagerung von Schottern mit Löß erlaubt dagegen eine einiger- maßen sichere Zeitbestimmung der Lößbildung. Die ganze Kaschgarische Lößlandschaft mit ihrer im Maximum aber nur 20 m mächtigen Lößdecke — in Ost-China wird dieselbe bis 400 m mächtig — ist geologisch zweifellos eine junge Landschaft. Die heutige Lößbildung spielt, wie gesagt, keine besondere Rolle und ist in erster Linie nur eine Umlagerung des schon vor- handenen Materials auf kürzere Strecken. Aufschluß über das Alter des Lösses geben dagegen die benachbarten Kies- und Geröllwüsten und Kaschgar. 21 - die Vorgebirgslandschaften des Kuen-lun und Tien-schan. Die großen Schotterterrassen in den Tälern und am Fuße der Berge zeigen deutlich, daß die Ablagerung des Lösses erst nach der Durchschneidung dieser Schotterterrassen durch die Flüsse erfolgt ist. Es fanden somit erst Aufschüttung, dann Zerschneidung durch die Flüsse infolge reichlicherer Niederschläge statt, und dann erst lagerte sich während einer Periode zu- nehmender Aridität des Klimas der Löß ab. Anden Gebirgsrändern wird der Löß häufig von Schotterbänken unter- brochen, im Innern der Gebirge und im ost-turkestanischen Flach- lande dagegen nie. Hier bildet der Löß stets die Decekschicht. So ist er zweifellos wohl eine altquartäre Bildung, vermutlich älter als der nach- eiszeitliche Löß des westlichen Turkestan, aber jünger als die unteren, rot- gefärbten, den Han-hai-Schichten entstammenden Lösse am Hoang-hot). Ist das Charaktermerkmal der Kaschgarischen Landschaft, der Löß, eine \ altquartäre Bildung, so erhebt sich folgegemäß die Frage: hat sich das - Landschaftsbild seit den Zeiten nennenswert verändert oder nicht? D. h. also, ist die heutige Oberflächengestaltung eine Vorzeit- oder eine Jetztzeitform ? Auf die trockene Periode der Lößbildung folgte eine feuchtere mit stärkerer Erosion der Flüsse im Gebirge, mit Akkumulation in der Wüste, ‘d.h. im Unterlaufgebiet der Flüsse. Die Kaschgarische Landschaft blieb davor aber größtenteils bewahrt, begünstigt durch die Nähe zu den Bergen, da sie sich gerade zwischen den Erosions- und Akkumulationsab- schnitten der Flüsse befand. Sie ist eine ältere Landschaft mit vielfach bewahrten Vorzeitformen. Alt natürlich nicht im geologischen, sondern im entwicklungsgeschichtlichen Sinne der heutigen Oberflächen- gestaltung. Die Kaschgarische Landschaft steht somit im vollen Gegen- satz zu der durch Jetztzeitformen gekennzeichneten Sandwüstenland- schaft Ost-Turkestans. Man erkennt also, wie bedeutend sich das West- ‚ende des Tarimbeckens — und der gesamte Nordrand zwischen Tarim und Tien-schan — von den übrigen Teilen unterscheidet, eine Tatsache, die . unseren so häufigen bisherigen Vorstellungen einer einheitlichen Wüsten- landschaft im Innern Asiens durchaus widerspricht. ‚ Die Jetztzeitformen treten in der Kaschgarischen Landschaft stark in den Hintergrund.‘ Es sind das junge Flußtäler und Lößschluchten, Schotter- und Sandfelder und endlich, am Rande der Wüste, als Über- gangsform, die Vegetationshügel. Bis auf die letzteren Formen, die mit der ausblasenden Tätigkeit des Windes zusammenhängen, sind also die Jetztzeitformen auf eine verstärkte Erosion der Flüsse zurückzuführen. !) F. MACHATSCHER, Zur physiogeographischen Entwickelungsgeschichte Zentral- Asiens in der Quartärperiode, Geogr. Ztschr. 1914, S. 368 u. £. 22 A. Schultz. h Daß sich die klimatischen Verhältnisse nach der trockenen Lößperiode im Sinne zunehmender Feuchtigkeit geändert haben, läßt sich in den ver- schiedensten Gegenden Zentralasiens nachweisen!). Kisil-su, Ges und Kara-tasch sind die drei Flüsse, die die Kaschgarische Landschaft durchziehen und zum Tarim hinstreben. Der in ostwest- licher Richtung fließende Kisil-su ist als Abdachungsfluß anı meisten begünstigt und zweifellos folgt sein Lauf einem alten Bett. Für die Oberläufe im Gebirge ist das für alle drei Ströme selbstverständlich, wenn auch die Entstehungsgeschichte dieser tektonischen und anteze- denten Täler im westlichen Kuen-lun eine recht verwickelte ist. Im Mittel- und Unterlauf, also gerade im Gebiet der Kaschgarischen Lößlandschaft, sind die heutigen Flußbetten zweifellos oft unter Einwirkung des Menschen entstanden. Bemerkenswert ist beim Kisil-su die Bifurkation _ und Auflösung in weitere zahlreiche Arme besonders innerhalb der Oase von Kaschgar (s. S. 35). Ges und Kara-tasch strömen ebenfalls direkt auf diese zu, werden aber durch Bewässerungsanlagen nach Osten abgelenkt und passen sich nun dem allgemeinen, östlich gerichteten Gefälle an. In einem weiten Nordostbogen gelingt es ihnen erst wieder als Kara-su und Kowana-jaman-jar am Rande der Wüste den Kisil-su zu erreichen. Es ist ersichtlich, wie sehr. die heutige Hydrographie der Kaschgarischen Landschaft auf künstliche Einflüsse zurückzuführen ist." Es müßte im anderen Falle eine jugendliche tektonische Niveauver- änderung stattgefunden haben, die an den weiter östlich gelegeneiı meri- dional fließenden Strömen Jarkend-darja, Chotan-darja und Kerija-darja sich aber nicht geäußert hat. Nach FUTTERER?) sind quartäre Schotter am Südrande des Tien- schan gestört und eine Absenkung des Tarimbeckens soll noch an- dauern. Der Einfluß auf die Hydrographie im Sinne einer Ablenkung der Flüsse nach Osten ist aber, wie gesagt, nicht zu beobachten. Sollten die Sandablagerungen bei Tasch-malyk, Schur und Japtschak (Karte 1) älterer Entstehung sein, so ist auf ein Vorherrschen der ostwestlichen Richtung der Mittel- bezw. Unterläufe von Ges und Kara-tasch auch in früheren Zeiten zu schließen. Das sind aber unbestätigte Möglichkeiten. Vielmehr scheint sich der Verlauf der heutigen Wasserrinnen, mit Aus- nahme des Kisil-su (s. o.), erst in frühhistorischer und historischer Zeit ausgebilet zu haben. Der auf den weiten Abdachungsebenen unsichere Lauf der Flüsse hat es mit sich gebracht, daß sie — mit oder ohne Ein- wirkung des Menschen — ihre Betten veränderten und am Fuß der Berge Schotter- und Sandfelder, im Innern der Landschaft nur Sandfelder hinter- !) Vergl. MACHATSCHEK, Zur physiogeographischen Entwickelung Zentral- Asiens in der Quartärperiode, 8. 374. ?®) Durch Asien, II. 1, Berlin. 1905, 8.’ 149. Kaschgar. 23 ließen. Die genannten Sandvorkommen scheinen mit solchen in historischen Zeiten stattgefundenen Veränderungen zusammenzuhängen. Für die Kultur sind sie natürlich unbrauchbar. Da sie aber räumlich beschränkt sind und oft unmerklich in die benachbarte Lößsteppe übergehen, werden sie im Gesamtbild der Landschaft bedeutungslos. Auch die Lehm- und Lößschluchten, die in geringem Maße nördlich von Kaschgar auftreten!), sind jugendliche Bildungen, die einer ständigen Umformung unterworfen sind. Wasser, Wind, Tiere, der menschliche Verkehr haben sie erzeugt und zerstören sie wiederum. Auch die An- lage. von stufenförmig übereinanderliegenden Bewässerungsoräben, ‚seltener, was für Ostchina typisch ist, Feldern bewirkt eine Einebnung. Wie in den Wänden und Hängen der ostchinesischen Lößplateaus — oder auch, um ein Beispiel aus Europa anzuführen, in Südpolen — so finden sich auch hier bei Kaschgar Höhlenwohnungen im Löss vor. Ein eigenartiges unruhiges Landschaftsbild rufen endlich die oft ge- waltigen Vegetationshügel am Ostrande der Kaschgarischen Landschaft hervor. Allen Reisenden sind sie aufgefallen. FUTTERER?) hat sie näher beschrieben. Auch in West-Turkestan treten sie gelegentlich am Rande der Wüste aut?). Bemerkenswert ist, daß es immer nur feinstes Material, Lößstaub, ist, das durch die feine Verästelung der Wurzeln von Wüsten- gräsern, -kräutern und -büschen zusammengehalten wird, und daß ein gewisser Grad von Feuchtigkeit notwendig ist, der das Gedeihen der Pflanzen im Kampfe mit dem Winde und somit das Wachstum der Vege- tationshügel ermöglicht. Es ist so recht eine Randerscheinung der Oase gegenüber der Wüste, eine ausgesprochene Teillandschaft, die mit der natürlichen Landschaft eng verknüpft ist. Näher zur Oase stehen die Vegetationshügel, die oft über 5 m Höhe aufragen und beträchtlichen Umfang annehmen, dichter, die ebenen, mit abgeschwemmtem Lehm (Proluvium) bedeckten Flächen zwischen den Erhebungen sind selten. Näher zur Wüste nehmen die Depressionen zu und der bewegliche Sand überzieht siebald. Die einzelnen Vegetationshügel können sich im Zustand der Entstehung, des Stillstandes und der Zerstörung befinden. Begreif- licherweise tritt diese Teillandschaft an den dem Winde entgegen- gesetzten Rändern der Kaschgarischen Landschaft auf, insbesondere also im Osten. Bemerkenswert sind endlich noch die beiden über 10 km langen Seen Baichan-köl im Südosten der Landschaft. Diese flachen Becken ent- 1) Vergl. K. FUTTERER, Durch Asien, I, Berlin 1901, S. 90, insbes. II, 1, S. 62 uf. ; 2) Durch Asien I, S. 108 u. £. 3) G. RADDE, Expedition nach Transkaspien und Nord-Chorassan im Jahre 1886, Peterm. Mittlg. 1887, 8. 271. 34 A. Schultz. halten salziges, klares Wasser, das aus den Kanälen von Jangi-hisar hierherströmt!) und im Winter am reichlichsten ist. Nichts kann besser den Überschuß an Berieselungswasser erklären, als diese Seen, die im Sommer wohl einschrumpfen, aber nicht austrocknen — ein wichtiger Hinweis auf die kulturelle Entwieklungsmöglichkeit der Landschaft! Als weiteres landschaftliches Element spielt, besonders innerhalb der Oasen, die Pilanzendecke eine große Rolle. Die spärlichen Gräser und Kräuter der Lößsteppen und Halbwüsten verschwinden im Sommer unter den fast stets durch einen trüben Dunst dringenden Sonnenstrahlen rasch. Im Frühjahr (Mai) ist das Bild noch etwas belebter, wenn sich auch kaum jemals der Eindruck der echten Steppe einstellt. Steppenbrände, die ein gutes Wahrzeichen dieser Vegetationsformation bilden?), sind nicht möglich, so selten ver- streut stehen die einzelnen Halme.. Das Frühjahr und der Sommer, die Hauptvegetationsperioden, sind eben zu trocken. Der geringe Regen stellt sich erst im Herbst (September) ein. Auch im Winter fällt nur wenig Schnee, bis 20 cm, aus. Dazu kommt noch, daß die Winde vor- wiegend aus Nordwesten blasen, Staub und Sand mit sich führen und weiter trocknend wirken. Im Frühjahr ist der Kuen-lun oft in dichte Regenwolken gehüllt, aber auf die Ebene dringt nur wenig atmo- sphärische Feuchtigkeit heraus. Das sind Verhältnisse, die sich im wesentlichen in den südlichen Teilen der Landschaft vorfinden. HEDIN?) erwähnt sie für die. südöstlich von Kaschgar liegenden Dörfer. Im Norden, besonders in Kaschgar selbst ist dagegen das Frühjahr regen- reicher (s. S. 47) und die Winde blasen mehr aus Osten. Es scheint somit eine klimatische Grenze, an die sich auch Erscheinungen der Pflanzenwelt knüpfen, durch die Landschaft hindurchzuziehen, so daß in Klima und Vegetation die nördlichen Teile den Landschaften des nörd- lichen, die südlichen den Landschaften des südlichen Ost-Turkestan ähnlicher werden. Die Armut der Vegetation auf den Lößsteppen ist schon von der ForsyYr#’schen Mission 1873 und 1874 geschildert worden®). Nur gelegentlich wird Kameldorn dichter, sonst bedecken hauptsächlich Arten von Artemisia, Dacedelion, Calligonum, Lycium und Pega- num, gelegentlich Hololachne, Tribulus terrestris, wilde Lakritze, Ka- !) Hevın, Geographisch-wissenschaftl. Ergebnisse meiner Reisen in Zentral- asien 1894—1897, 8. 232. Lt ?) R. GRADMANN, Wüste und Steppe, Geogr. Ztschr. 1916, S. 504. ®) Geographisch-wissenschaftl. Ergebnisse meiner Reisen in Zentralasien 1894—1897, S. 1 u. £. 4) Ost-Turkestan und das Pamir-Plateau, Peterm. Mittlg., Erg. Heft 59, 1877 S. 66. er > nr AR? = E20 5 aiis: PN sen ee > et; Fir TEN Nor ar ! Im d EFT RES — Raschgar. 25 mille, Gänsefuß, Distel und zahlreiche andere Unkräuter den Boden. Das ist ein öder, trüber Anblick. Wo das Grundwasser höher steht, oder in Bodensenkungen, in denen sich Regen- oder Schneeschmelzwasser länger hält, verbergen Riedgräser, Arundo und Andropason, den schmutzig-braunen Boden. Salzpfannen haben natürlich ihre eigene Halophytenvegetation, vorwiegend Salsola, Halicornia u. a. Ge- schlossene Grasflächen, Wiesen, oft mit Bäumen, also mehr Parkland- schaften, treten erst in der Nähe der Oasen auf und gehören ganz zu diesen. Üppigere Wiesen mit zahlreichen Blumen finden sich z. B. bei Jangi- schar, wo das Netz der Bewässerungsgräben ein dichtes ist und das Grundwasser höher steht, vor. Weidende Tiere, Rinder und Pferde, be- leben hier das Landschaftsbild. ‘Schafe, Ziegen, Kamele bleiben in den Steppen und Halbwüsten. Aber auch diese werden gelegentlich abwechslungsreicher und gehen in Buschwüsten über, wenn der Saksaul-Strauch (Anabasis ammodendron), hier ‚‚sag-sag°' genannt, auftaucht. In den reinen Sandwüsten spielt der Saksaul ja auch eine Rolle und gewährt einen eigenartigen Anblick durch seine stattlichen Stämme, die sich oft dichtgedrängt, oft vereinzelt in dünngesäten Punkten soweit das Auge reicht aus dem sterilen Sand er- heben. Es ist aber keine Erquickung unter einem Saksaul-Strauch Schutz vor der stechenden Sonne zu suchen. Die harten, feingefiederten Blättchen sind mit diehtem Staub überzogen, der bei jeder Berührung auf den schweißbedeckten Nacken und das Gesicht des Wanderers herabrieselt. Am meisten heben sich im Landschaftsbild natürlich die Haine und Wälder hervor, die sich vereinzelt an Flußläufen, häufig in der Nähe von Ansiedlungen, meist künstlich herangezogen, einfinden. Pappel und Weide herrschen vor. Populus balsamifera — „tograk‘ und P. alba — ‚‚tarik““ liefern das einzige Bauholz, dessen der Mensch hier für Häuser, Gerät, Brücken usw. bedarf. Gerade, astfreie Stämme gibt es aber kaum. Die Trauerweide — ‚‚bed‘‘ — und die gewöhnliche Weide — ‚suget” — -beschatten und verbergen oft tiefe, kleine Berieselungskanäle. In den Hainen gedeiht weiter Jujube — ‚tschilan‘ —, die seltene, oft wunder- voll regelmäßige Kugelulme — ‚sadda‘“ —, der eine beliebte säuer- lich-mehlige Frucht liefernde Celeagnus — ‚dschida“ — und endlich der Maulbeerbaum — ‚‚usma‘ —, dessen wässrig-süße Früchte frisch oder getrocknet gern gegessen und aus deren Mehl süße Kuchen hergestellt werden. Der Wallnußbaum ist, wie die Ulme, nur in den südlichen Teilen der Landschaft anzutreffen. So gestaltet der Pflanzenwuchs die Oasen gerade nicht sehr reizvoll, wenn sie auch dem Reisenden, der nach tagelangen Märschen in den Wüsten und Steppen vergeblich nach frischem Grün ausgeschaut hat, 26 A. Schultz. recht üppig erscheinen mögen. Im Vergleich mit Oasen der heißen Zone, in denen Falmen das Wahrzeichen bilden, sind die Oasen Turans dürftig und monoton und erinnern mehr an einen Ausschnitt aus einem humideren Gebiet der gemäßigten Zone. Auch die Gärten und Felder machen meist einen bescheidenen Eindruck und beleben verhältnismäßig nur wenig das Landschaftsbild. Herden oder Rudel größerer wildlebender Säugetiere trifft man nur im Hochgebirge an. Im Flachlande verteilt sich die spärliche Tierwelt über so gewaltige Strecken, daß sie im Bilde der Landschaft nicht hervor- tritt. Und doch fällt mancher kleinere charakteristische Zug, der mit der Landschaft innig verbunden ist, auf. Da die Kaschgarische Land- schaft zum großen Teil eine Kulturlandschaft ist, so geht das Hinaus- drängen der ursprünglichen Fauna, insbesondere der großen Säuger, rasch vor sich. Der Maral ist aus den Walddickichten ganz verschwunden, ebenso der Tiger, teilweise der Irbis. Die Galleriewälder der großen Ströme der Wüstenlandschaft beherbergen sie jetzt. Wolf und Fuchs sind dagegen noch vorhanden und scheinen sich, wie auch der Irbis, oft gerade in der Nähe der Menschen zu vermehren. Wie in Europa, so ent- wickelt sich auch hier der Hase zu einem Kulturtier, während die Anti- lope, im Gegensatz zum Reh in Europa, immer kulturscheu bleibt. Das wilde Kamel und der Wildesel haben sich schon längst in die schwer zugänglichen östlichen Wüsten verzogen. Fasane halten sich im Buschwald, besonders nahe der Wasserläufe, Wachteln, Trappen in den Lößsteppen, Rebhühner auf den Feldern auf. In der Nähe menschlicher Siedlungen stellen sich die üblichen Vögel — Krähen, Dohlen, Elstern, Stare, Sperlinge ein. Drosseln, Amseln, Rot- kehlchen, Zaunkönige sind besonders für den Oasenrand kennzeichnend. Die Seen und Tümpel werden von den verschiedensten Wasser- . vögeln belebt. Die Bedeutung kleiner Nager für die Berta der Pflanzendecke und die Wüstenbildung ist oft betont worden. Besonders werden die Lößhänge durchwühlt. Die Bedeutung des Menschen für das Landschaftsbild der Kasch- garischen Landschaft ist eine ganz außerordentliche. Man erkennt ja auf den ersten Blick, wohin es führen würde, wenn die den Gebirgen abfließenden Flüsse nicht in das Netzwerk hunderter Bewässerungs- adern aufgelöst würden: sterile Sandwüste und unfruchtbare versandende Lößhalbwüste, durchzogen von Flüssen mit Galleriewäldern, wären das Endergebnis. Der Mensch allein ist der Oasenbildnert). Der ganze !) Siehe hierzu auch: J. v. CHOLNOKY, Künstliche Berieselung in Inner-Asien und die Völkerwanderung, Geogr. Ztschr. 1909, S. 241 u. £. Kaschgar. 5 IL {: Nordsaum des östlichen Turkestan mit seiner immerhin wesentlich ge- milderten Aridität spielt hierin eine andere Rolle. Die Kaschgarische Landschaft gehört, wenn sie auch in einzelnen Elementen Unterschiede mit dem Oasengürtel des Südrandes aufweist, z.B. im Klima, (s. S. 47), Pflanzenwuchs (s. S. 25), aber doch durchaus diesen künstlichen Schöp- fungen an. Siedlungen, Pflanzungen, Bewässerungs- und Verkehrs- anlagen bilden die wichtigsten anthropogeographischen Erscheinungen im heutigen Landschaftsbild. Die zum weitaus größten Teil dem türkischen Stamme angehörige Bevölkerung Ost-Turkestans, die Kaschgarlyks, und die wenigen chine- sischen Militärs, Beamte, Kaufleute, sowie eine kleine Zahl fremder Händler aus den Nachbarstaaten, mag 600 000!) Seelen betragen. Das würde für ganz ‚„Kaschgarien“ eine Volksdichte von nur 3 ergeben. Die Kaschgarlyks sind aus der Verschmelzung der indogermanischen - Urbevölkerung mit Türken, die im VI. Jahrhundert nach Chr. Geb. durch die Uiguren, besonders aber im IX. und X. Jahrhundert vor sich ging, entstanden?). Der Islam drang im IX. Jahrhundert ein und verdrängte den Buddhismus. Für die Stadt Kaschgar wird man an der 1880 festgesetzten Zahl von 70 000 Einwohnern?) heute noch festhalten können. Die Angaben älterer Zeit sind recht schwankend. WaricHanow gibt für das Jahr 185% nur 16000 Einwohner an, HaYwArD 1869 60—70 000%), WILLIAMS 80 000, JOHNSON nur 30 0005). Die Bevölkerungszahl der ganzen 2000 qkm großen Kaschgarischen Landschaft mag schätzungsweise 300 000 be- tragen‘), so daß die Volksdichte, die Bevölkerung der Städte Kaschgar, l) Nach WarıcHanow, 1859, 580 000, eine Zahl, die ForsyrH 1870 bestätigt. Siehe Peterm. Mittlg. Erg. Heft 33, 1872, S. 38, Heft 35, 1874 S. V, auch Peterm. Mittlg. 1871, 8. 261. 2) F. GRENARD, Le Turkestan et le Tibet, in J. L. DUTREUIL DE Ruıns, Mission scientifique dans le Haute Asie 1890—95, Paris 1896, II, Kapitel II und III. 3) Peterm. Mittlg. Erg. Heft 62, 1880, S. 120. N. RöNNnHoLM, Ekonomisk GeografiÄ, Stockholm 1919, führt für Kaschgar 80 000, für das ganze Öst- Turkestan 1 800 000 Einwohner an. *) Peterm. Mittlg. Erg. Heft 35, 1874, 8. 37. 5) Geogr. Jahrb. III, 1870, S. 132. 6) Sykes, Through Deserts and Oases of Central Asia, S. 240, gibt folgende Zahlen: ” Gebiet Kaschgar 300 000 IR Jangi-schar 200 000 Bi Jarkend 200 000 if Ak-su 190 000 RR Chotan 190 000 Von den 500 000 Personen in den Gebieten Kaschgar und Jangi-schar sind für die Kaschgarische Landschaft rund 100 000 Nomaden der Gebirge und 100 000 An- sässige die außerhalb der Landschaft leben abzuziehen. 28 A. Schultz. Jangi-hisar und Jangi-schar, insgesamt 100 000 Personen, abgerechnet, 100 sein würde. Rechnet man das tatsächlich besiedelte und kultivierte Land mit 20 % der ganzen Landschaft (s. S. 18), so steigt in den einzelnen Oasen, wiederum abzüglich der Städte, die Dichte auf 500 — eine Zahl, die hoch zu sein scheint, die den tatsächlichen Verhältnissen aber nahe kommt. Diese durch die Natur bedingte Anhäufung der Bevölkerung auf kleine Oasenstücke, die durch sterile Lößsteppen und Wüsten vonein- ander getrennt sind, beeinflußt das Landschaftsbild in besonderer Art. Die kleinen Lehmhütten mit ihren zur Straße gerichteten schmucklosen Fronten stehen, lange Straßendörfer bildend oder zu unregelmäßigen Haufendörfern zusammengewürfelt, oft eng aneinandergedrängt, aber auch häufig durch Gärten, die von hohen Lehmmauern eingefaßt sind, voneinander getrennt. Dichtes Laubwerk der Bäume verhüllt meist das Dorf, wenn man es aus der Entfernung betrachtet. Nur manche ärmere kleine Dörfchen entbehren dieses so notwendigen Schmuckes und machen dann einen trostlosen, verstaubten Eindruck, heben sich überhaupt nur wenig vom Graugelb der sie umgebenden Lößsteppe ab. Innerhalb der großen Oase von Kaschgar sind die Landstraßen mit Bäumen bepflanzt, auch die großen und kleineren Kanäle werden oft zum Schutz gegen allzustarke Ausdunstung des Wassers von Baumreihen begleitet, so daß aus der Vogelperspektive gesehen die großen grünen Flecke der einzelnen Oasen durch ein Netzwerk schmaler grüner Bänder verbunden sind. Es entsteht ein sehr charakteristisches Landschaftsbild: freundlich und wohltuend im Verhältnis zu den staubigen Pfaden, unscheinbaren Dörf- chen, kümmerlichen Feldstücken derjenigen Teile der Lößsteppe, die reichlicherer Wasserzufuhr entbehren. Im Winter, wenn das Laub gefallen ist, gleichen sich die Eindrücke etwas aus. Vielfach werden gerade jetzt die Felder bewässert, um eine gefrorene Eisschicht auf ihnen entstehen zu lassen, was sparsamer als direkte Berieselung im Sommer ist. Die Städte — außer Kaschgar und seiner Dependence Jangi-schar, der Neuen Stadt, kann nur noch Jangi-hisar, die Neue Festung, im äußersten Süden der Landschaft als Stadt bezeichnet werden — sind große Dörfer, die sich, außer Größe und Bevölkerungszahl, nur durch die chinesischen Staatsbauten, bes. Jamens, Festungen, Mauern, Tempel und, wieKaschgar, durch einige halbeuropäische Handels- oder Amtshäuser von den übrigen Dörfern unterscheiden. Von diesen sind natürlich alle Größen vertreten, Einzelhöfe fehlen dagegen gänzlich. Eins der größten Dörfer ist Chan-aryk, das Hepın, allerdings ein- schließlich der anschließenden und auch etwas entfernter gelegenen Nach- bardörfer, auf 1000 Häuser schätzt. Die Schilderung so eines sekundären wirtschaftlichen Zentrums der Landschaft gibt ein gutes Bild der Verhält- IE EI A Kaschgar. 29 nisse. HEDIN schreibtt): „Khanarik ist das größte Dorf dieser Gegend mit lebhaftem Lokalverkehr und sehr fleißig besuchtem Basar, wo be- ‚sonders Getreide und Vieh verkauft wird. Die Kaufleute kommen meistens von Atjik, Jangi-hissar, Jangi-schar, Faisabad und Jarkent. Baumwolle wird in großem Maßstab angebaut und verschiedene Waren davon verfertigt. Weizen, Mais und Gerste sind die Hauptgetreidearten. Reis gedeiht hier nicht wegen der mangelhaften Wasserzufuhr. In den meisten Jahren genügt die Ernte nur für sich selbst. Nur wenn das Ge- treide in der Jarkent-Gegend billiger ist, wird es von dort aufgekauft. Der Fleischmarkt ist sehr wichtig und im Basar gibt es eine große Menge Fleischer (‚‚kassap‘‘), die während eines Basartages etwa 3 Schafe und 1 oder 2 Kühe schlachten. Eine Kuh kostet hier 200 kaschgarische „tenge‘ (1 tenge — 22 Pf.), ein Schaf 30 ‚‚tenge‘‘. Khanarik hat seinen Bek und 80 ‚‚jus-baschis‘ (d. h. eigentlich Häuptling für 100 Mann); es gibt ferner einen chinesischen Zolleinnehmer; der Zoll wird pro .‚batschi“ (pro Kopf) für jedes Stück verkauftes Vieh aufgenommen und beträgt 1/ig des Wertes. Im Basar gibt es endlich ein Dutzend chinesischer Kauf- leute, die, wie die zwei dortigen Hindu, auch Wucherer sind; sie nehmen nämlich 1 „‚da-tien‘‘ pro „‚tenge‘ in der Woche (1 tenge = 25 da-tiens)oder 200 %, pro Jahr.“ Das ist eine äußerst charakteristische Schilderung, die die allgemeinen wirtschaftlichen Zustände gut erkennen läßt. In der Art sind alle kleineren Dörfer der Landschaft. Auch E. u. P. SyxEs?) geben anspruchs- lose aber lebenswahre Bilder. Die Zahl der Siedlungen erreicht wohl 200, was aber im Durchschnitt nur ein Dorf auf 10 qkm ergibt. Die Verteilung der Dörfer ist natürlich äußerst ungleich und knüpft sich in erster Linie an die Punkte, wo Be- wässerungsgräben von Verkehrslinien geschnitten werden (s. S. 16). Das Landschaftsbild beherrschen nur die Siedlungen an den Bewässerungs- kanälen, wo sich bis zu einem Dutzend Dörfer zu Oasen zusammen- schließen. Die Oasen bilden wieder Oasengruppen, z. B. die von Kaschgar, Chan-aryk, Tasch-malyk, Atschyk. Sonst trennen Felder, Wiesen und besonders die trockene Steppe die einzelnen Dörfer voneinander. Nirgends erblickt man eine bis an den Horizont mit Dörfern, Gärten, Feldern bestandene Fläche, denn immer wieder, auch innerhalb der großen Oasengruppen, tritt der nackte, gelbe Lößboden dazwischen auf. Die größeren Siedlungen sind Basar-(Markt-)Dörfer, zu denen meist einmal in der Woche die Bevölkerung der benachbarten kleineren Dörfer 1) Geographisch-wissenschaftliche Ergebnisse meiner Reisen in Zentralasien 1894—1897, 8. 2.. 2) Through Deserts and Oases of Central Asia. 30 A. Schultz. \ hinzieht. Tot und verlassen liegen diese dann da, während man indem Menschengedränge des Basardorfs kaum durchdringen kann. Endlich ° finden sich noch kleine Einzelsiedlungen, Stützpunkte für den Verkehr * oder Niederlassungen einzelner armer Familien ausnahmsweise vor. | PN 4, Die Entstehung des heutigen Landschaftsbildes, Die geologischen und morphologischen Vorgänge in der Ausbildung des heutigen Landschaftsbildes waren bei der Schilderung der Kasch- garischen Lößlandschaft und ihrer Nachbarlandschaften in ihren Grund- 5 = 'zügen erwähnt worden. Ebenso die große Bedeutung des Menschen für s die Entstehung der Oasen, somit das Vorherrschen eines anthropogeo- graphischen Elements im Landschaftsbilde. Ein näheres Eingehen hierauf ist-von Bedeutung, da es.die Reihe der physikalischen und anthropogeographischen Erscheinungen in der Land- schaft nicht nur verbindet, sondern den ursächlichen Zusammenhang erst tatsächlich erklärt. Die Bedeutung der Stadt Kaschgar als wichtiger Verkehrsstützpunkt zwischen Ost- und Westasien, die Abhängigkeit der Siedlung vom Wasser, das Endergebnis der Umgestaltung des Landschaftsbildes durch den Menschen waren endlich ebenfalls vielfach betont worden. Wichtig ist nun noch die Schilderung erstens des Landschaftsbildes vor der menschlichen Besiedlung, der Urlandschaft, und zweitens des Ganges der Besiedlung, also der Entstehung des heutigen Landschafts- bildes, soweit sich beides aus geschichtlichen Überlieferungen feststellen läßt. Es ist ersichtlich, daß man hierbei vor allem auf das viel erörterte Problem eines kontinuierlichen oder periodischen Trockenerwerdens Innerasiens stößt — ein Problem, das alle bedeutenderen neueren Zentralasienforscher, insbesondere HEDın, FUTTERER, HUNTINGTON, ALMASY, ZıcHY, STEIN, BERG, aber auch Historiker und Ethnologen, wie SZECHENYI, VÄMBERY, KLEMENTZ, GRENARD, GRÜNWEDEL, LE CogQ beschäftigt hat. Den Anstoß dazu gab vor allem das Auffinden alter zerstörter Kulturstätten in den Wüstensanden Ost-Turkestans durch Hepım!). Die bedeutendste, wenn auch jetzt teilweise veraltete Darstellung der Geschichte Innerasiens in Abhängigkeit von der Natur des Landes bietet !) Vergl. insbesondere A. v. LE (0, Reise und Ergebnisse der Zweiten Deutschen Turfan Expedition, Mittlg. Geogr. Ges. München, 1910/11, 8.175 u.f. Die drei deutschen Turfan-Expeditionen fanden in den Jahren 1902—03, 1904—06 und 1906—07 statt. Kaschgar. 31 | Rıchtnoress China-Werkt). Die ältere Geschichte von Kaschgar be- handelt StEIN?). Ausführliches enthält CarL Rırrers Erdkunde von Asien?). Wichtig sind A. HERRManNns Forschungen?) und selbst- . verständlich eine große Zahl von Einzelarbeiten von Sinologen und Orientalisten. Kürzere historische Überblicke oder Auszüge lhsken, die Reisewerke von E. und P. Sykes?) — eine sehr gute, durchaus moderne historische Darstellung des berühmten Persienforschers — ebenso von FUTTERER®), R. Smaw?), H. Lawsperts), H. W. BELLEW°®). Auch die beiden russischen Spezialwerke über Ost-Turkestan von A. W. KwroPparkın!) und KorntLow!!) gehen kurz auf die Geschichte des Landes ein. Speziell mit der Frage der Austrocknung Zentralasiens befassen sich E. Huntin@Tton’?), der eine Pulsation — also säkulare Klimaschwan- kungen — in historischer Zeit annimmt, eine Ansicht, die schon Fürst KRAPOTKIN‘®) und L. BERG!) vertreten hatten. letzerer mit dem Nachweis, daß kein kontinuierliches Austrocknen Zentralasiens stattgefunden hat und somit im Gegensatz zu HUNTINGToN steht. Ansichten, die durch die Ausgrabungen der alten Ruinenstätten im Tarimbecken durchaus bestätigt . worden sind. Auch J.W. ‚GREGORY!?) kommt zu diesen Anschauungen. !) China, Bd. I, Berlin 1877, insbesondere Kap. I, S. 43 u. f.: Die Völkerströ- mungen Central Asiens in ihrer Beziehung zur en ne Kap. III, S. 124 u. f.: Umgestaltung durch Menschenhand, sowie der gesamte zweite Abschnitt, Kap. VIII—X: Die Entwicklung der Kenntnis von China. *) Ancient Khotan, Oxford 1907, Bd. I, Kap. III: Historical Notices of Kaschgar und Kap. IV: The ancient remains of Kaschgar and the Oases of Jarkand and Karghalik. 3) Berlin 1837, Drittes Buch: West-Asien, Kap. 3, S. 320 u. f., wobei S. 409 u. f. Kaschgar eingehend behandelt wird. 4) Die alten Seidenstraßen zwischen China und Syrien. °) Through Deserts and Oases of Central Asia, Kap. XIII—XV. $) Durch Asien, 1, $. 98 u. f. ”) Reise nach der Hohen Tatarei, Yarkand und Kashghar, Jena 1872. °) Chinese Central Asia, Lendon 1893. *») Kashmir und Kashgar, London 1895. 10) Kaschgaria. Engl. Übers. Caleutta 1882, Französ. Übers. Paris 1881. 11) Kaschgaria, Taschkent 1903. 12) Exploration in Turkestan, Washington 1905, S. 302 u. f.; insbesondere: The Pulse of Asia, Boston 1907; The Rivers of Chinese Turkestan and the Dessication of Asia, Geogr. Journ. XXVIII, 1906, S. 355 u. f.; Problems in Exploration — Cen- ‘ tral Asia, Geogr. Journ. XXXV, 1910, S. 395 a. a. O. daselbst. 13) The Dessication of Eur. Asia, Geogr. Journ. XXIII, 1904, S. 722 u. £. 14) Das Problem der Klimaänderung in geschichtlicher Zeit, Pencks Geogr. Ab- "handle. Leipzig, Berlin 1914, inbesondere S. 47 u. f., mit ausführlicher Literatur- angabe; Der Aral-See, St. Petersburg 1908 (rus.); Ist Zentral-Asien im Austrocknen begriffen ? Geogr. Ztschr. 1907, S. 568 u. f. 15) Is the earth dyring up? Geogr. Journ. XLIII, 1914, S. 148 u. £. 2 A. Schultz. Eine ausgezeichnete kritische Betrachtung der Frage veröffentlicht F. MACHATSCHER!). Sehr zurückhaltend äußert sich F. HERBETTE?), Die Literatur über das Klimaproblem im Allgemeinen ist natürlich eine sroße?). Die Kaschgarische Urlandschaft ist die Landschaft, in welche der Mensch noch keine Bewässerungsgräben hineingebracht hatte. Eine Be- hauptung, die für Teile West- und Ost-Turkestans, Tibets. der Mongolei und Irans ebenso Geltung hat. Die physiogeographische Entwicklung Ost-Turkestans während der Quartärzeit war bei der Betrachtung der einzelnen Landschaften, insbesondere bei der Trennung der Vorzeit- und Jetztzeitformen in der Kaschgarischen Landschaft, mehrfach ge- schildert worden. Aus dem Überlagern der großen Schottermassen am Fuße der Gebirge mit Löß war auf dessen altquartäres Alter geschlossen worden, so daß die Lößsteppe insgesamt eine ältere, altquartäre Bildung ist. Ihr gegenüber traten die reinen Sandwüsten als jiingere Bildungen der Flüsse entgegen, mit der Einschränkung, daß noch die alten Meeres- sande sich ebenfalls in größerem Maße an der Wüstenbildung beteiligt haben. Einen auch nur ungefähren Zeitpunkt für die erste Besiedlung der Kaschgarischen Landschaft aufzustellen ist nicht möglich. Die erwähnten Ausgrabungen im Sande verschütteter Kulturzentren haben stets nur Material geliefert, das die frühgeschichtliche Zeit Zentralasiens beleuchtet. Die kurzen Angaben der Annalen der Han-Dynastie werfen das einzige Licht auf die ersten Anfänge der Geschichte, gehen wohl bis in das dritte Jahrtausend vor Chr. Geb. zurück, enthalten aber über diese weitent- fernten Gebiete nur Nachrichten der letzten vorchristlichen frühhisto- rischen Jahrhunderte. Nachdem RıcHTHOFENS Theorie über die Ursitze der Chinesen am Fuß des Kuen-lun durch die Forschungen von A. Cox- RADY*) aufgegeben worden ist, hat man jeden Anhalt, Schlüsse auf die alte Besiedlung Ost-Turkestans zu ziehen, verloren. Der Urstamm der Chinesen ist nach unserer jetzigen Kenntnis ein handeltreibendes Bauern-: volk gewesen, das in der Mitte des dritten Jahrtausend vor Chr. Geb. am mittleren Huang-ho und Wei saß?). Die ältesten Ansiedlungen und !) Zur physiogeographischen EntwickelungZentral-Asiens in der Quartärperiode. ?) Le probleme du dessöchement de l’Asie Interieure, Annales de Geographie, XXIII, 1914, S. 1 u. f., mit Literaturverzeichnis. ®) W. EcKARDT, Das Klimaproblem der geologischen Vergangenheit und histo- rischen Gegenwart, Braunschweig 1909, mit ausführlichem Literaturverzeichnis. *) China, PFLUGK-HARrRTUNG, Weltgeschichte, Berlin 1910; E. ERKES, China, Gotha 1919. 5) O. FrANnkE, Grundzüge chinesischer Kolonialpolitik, Hamburgisches Kolo- nialinstitut, Bericht über das vierte Studienjahr, Hamburg 1912. Kaschgar. 188 Kulturstätten im Tarimbecken, schreibt mit Recht R. STÜBEIN), sind: wahrscheinlich nicht von den einheimischen Bevölkerungen, den Türken, geschaffen, vielmehr deuten alle Funde darauf hin, daß sie aus den Handelsbeziehungen zu Indien und China entstanden sind. Alle größeren Orte liegen an den alten Handelsstraßen. Das betont so recht, was über die Bedeutung der Lage von Kaschgar gesagt worden ist (s. S. 7). Die älteste, halbmythische Überlieferung der Chinesen berichtet aus der Mitte des dritten Jahrtausend vor Chr. Geb. von wilden viehzüchtenden Nomadenstämmen im Westen und Norden der eigenen Sitze in den heutigen Provinzen Shensi und Shansi?). Die Stämme wurden Jung — die Wilden, Kriegerischen genannt, ein Name, der sich in den Hunnen er- halten hat, ohne daß dabei immer ein und dasselbe Volk bezeichnet worden ist. Früh scheint auch schon eine Vermischung der ursprünglich wohl reineren türkischen Jung mit tungusischen und anderen Rassen stattgefunden zu haben. Über die Hauptfrage, die zur Beurteilung des Landschaftsbildes aber notwendig ist, ob in den ersten ‚Jahrtausenden vor Chr. Geb. in Ost-Turkestan bereits Ackerbau getrieben wurde und ob künstliche Bewässerung, die die erste Veränderung des Landschaits- bildes hervorrufen mußte, angewandt wurde, ist aus diesen ältesten Überlieferungen nichts zu ersehen. Erst einige Jahrhunderte vor Chr. Geb. steht man auf festerem Boden bezüglich der Verhältnisse in Ost- Turkestan, begegnet dann aber bereits einem ausgedehnten Handels- verkehr von Oase zu Oase, der von Ost-China nach den vorderasiatischen Kulturzentren hinüberführte und der auf eine alte Be der Be- völkerung schließen läßt. Man kann selbstverständlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aus den heutigen Zuständen Schlüsse ziehen, wie das Landschaftsbild der Kaschgarischen Landschaft ohne den Einfluß des Menschen sich ge- staltet haben müßte. Wenn das Bild dabei auch ein theoretisches wird, so hat es doch den Wert, daß zum Mindesten die starken Umänderungen, die der Mensch und seine Kultur hervorgerufen haben, erkennbar werden. Wichtig ist, daß sich keine Oasen feststellen lassen, die sich nur an den Grundwasserspiegel knüpfen. Stets ist es das oberflächlich fließende Wasser, das Baumvegetation und Kultur ermöglicht. Es war erwähnt worden, daß ohne das Zutun des Menschen die dem Kuen-lun abströmen- den Flüsse einheitlich im Flachlande weiterfließen müßten, wie es heute noch, abgesehen von den Verzweigungen in den Gebirgsfußoasen, Jar- kend-, Chotan- und Kerija-darja tun. Die altquartäre Lößperiode, eine Zeit der Trockenheit, ließ die Flüsse wohl ihre Wassermengen verringern, !) PFLUGK-HArTUnNG, Weltgeschichte, S. 430. ®) O. FRANKE, Zur Kenntnis der Türkvölker und Skythen Zentralasiens, Abhdlg. Preuß. Akad. Wissensch. Anhang, Berlin 1904, S. 4 u. f. 3 Schultz, Kaschgar. 34 A, Schultz, h, aber die Hauptsammelader, den Tarim. werden wohl alle erreicht haben. In den Randketten sind durchweg mit Sicherheit zwei Vorstöße der Gletscher festgestellt worden, allerdings ist die Frage nicht entschieden, ob die beiden feuchteren Perioden durch eine Zeit anhaltender Trocken- heit, in der der ost-turkestanische Löß abgelagert wurde, getrennt waren oder ob die Lößablagerung erst nach dem zweiten Vorrücken der ‚Glet- scher stattgefunden hat. Als sicher kann es dagegen gelten, daß sich nach dieser extrem ariden Periode das Klima im Sinne etwas zunehmender Feuchtigkeit geändert hatte, dann aber im Laufe der vor- und früh- historischen und der folgenden gesamten historischen Zeit sich mehr oder weniger stabil erwiesen hat!). Haben nun in der problematischen Zeit der Jung in den ersten Jahr- tausenden vor Chr. Geb. sich in Ost-Turkestan nur Nomadenvölker auf- gehalten, undnimmt man an, daß zu den Zeiten noch kein Ackerbau statt- fand, so mußten selbstverständlich die Flüsse in ihren natürlichen Betten die Lößsteppen durchfließen. Für die Rastplätze, als Schutz gegen den - Wind bildeten die Galleriewälder ja günstige Standpunkte durch das Vorhandensein von Wasser und Brennmaterial, die Steppen waren für weniger anspruchsvolle Haustiere mit genügend Gras versehen. Solche Verhältnisse traten in dem ganzen nördlichen Tarimbecken entgegen und wenn auch nach den chinesischen Überlieferungen die ältesten Jung in der Mongolei zu suchen sind, so ist doch das Hinüberschweiten der Horden nach dem östlichen Turkestan annehmbar. Erst die Bedeutung der Kaschgarischen Landschaft als Etappenstation für die Beziehungen zwischen Ost-Asien, Vorder-Asien und Indien schuf feste Standquartiere. Vielleicht folgte erst dem Händler der Ackerbauer, und da die viehzüch- tenden Nomaden, zum mindesten in einem vorgeschritteneren Entwick- lungsstadium, doch auf die Erzeugnisse des Ackerbaues angewiesen sind, so mag die Seßhaftmachung eines ackerbautreibenden Volkes von den Nomaden geradezu begünstigt worden sein. In ihren Hauptzügen gestaltete sich die Kaschgarische Urlandschaft etwa folgendermaßen. Kisil-su, Ges und Kara-tasch flossen in ge- schlossenen Flußbetten, gradlinig, wenn vielleicht auch nicht immer ‚konstant, durch die Lößsteppe, von dichten Galleriewäldern begleitet. Ges und Kara-tasch mündeten vermutlich in der Gegend der heutigen ‘Oase von Kaschgar in den Kisil-su und haben schon dadurch vielleicht diesem späteren kulturellen Mittelpunkt vorgearbeitet. Möglicherweise entstand hier bereits ein Knotenpunkt für die Wanderzüge der No- maden, die sich von hier aus den Flüssen entlang nach Osten, Westen und Süden weiterbewegen konnten. Von Norden her scheint dagegen, !) Vergl. hierzu die S. 31—32 erwähnte Literatur. Kaschgar. 35 nach den heutigen topographischen Verhältnissen zu schließen, kein Fluß den Kisil-su, zum mindesten nicht im Bereich der kaschgarischen . Flußknotenpunkte, erreicht zu haben. Die ganze östliche Hälfte der Landschaft nahmen dürre Steppen ein, die allmählich in die Sandwüsten übergingen. Vielleicht bildeten hier alte Brunnen, die die Nomaden an- gelegt hatten, spätere Stützpunkte, zu denen dann, als der ansässige Ackerbauer einzog, Wasseradern von den Flüssen hergeleitet wurden. Durch die nomadische Urbevölkerung wurde das Landschaftsbild aber nicht verändert. Wenn die Hauptadern der drei Flüsse sich vermutlich auch seit alters her an die alten Betten hielten, so ist es doch schwer die Zeit der Entstehung der einzelnen Arme festzustellen. Die allein auf mensehlichen Einfluß zurückzuführen geht wohl nicht recht an, wenn auch zweifellos erst das Auseinanderziehen von Unterläufen die Flüsse stromaufwärts oft abgelenkt haben mag. Bei der Bifurkation des Kisil- su im Bereich der Oase von Kaschgar geht aus der Betrachtung der hy- drographischen und morphologischen Verhältnisse der Einfluß mensch- licher Tätigkeit nicht ohne weiteres hervor, und dennoch liegt die Ver- mutung nahe, daß der Südarm erst durch einen künstlichen, südöstlich verlaufenden Bewässerungskanal in der Gegend von Muschi gebildet worden ist. Die nordöstlich gerichtete Anzapfung spielt gerade westlich der Oase von Kaschgar eine besondere Rolle. Es scheint somit der Nord- arm der ältere zu sein und in ihn mündete vermutlich auch der Ges ein (s. S. 46). Beim Ges und ebenso beim Kara-tasch ist das Abschwenken von der nördlichen Richtung in die nordöstliche eine sehr charakte- ristische, wobei sich jedesmal die alten, zum Kisil-su in der Gegend von Kaschgar hinweisenden, jetzt ganz verkümmerten Unterläufe erhalten haben. - Hier gewinnt man ebenfalls den Eindruck, daß eine künstliche Rege- lung der Abflußverhältnisse eingegriffen hat, wenn auch die heutigen Betten des unteren Ges — Kara-su und des unteren Kara-tasch — Kowana- jaman-jar durchaus den Eindruck echter Flußtäler hervorrufen und heute von den Eingeborenen auch stets als Arme der betr. Flüsse erklärt werden. „Kowana(Kovna)-jaman-jar‘ heißt die ‚alte schlechte Terrasse‘. Die russische Generalstabskarte 1 :420000nennt diesen Arm „Chan-aryk-sai'. „Aryk‘ heißt Bewässerungsgraben, „sai‘‘ — steiniges, trockenes Flußbett. Hier steckt also schon im Namen der Begriff menschlicher Tätigkeit. Der Eindruck, daß eine künstliche Regelung der Wasserläufe stattge- funden hat, wird besonders in den südöstlichen Teilen der Landschaft sich geltendmachen, wo ja z. B. die beiden einzigen Seen durch Menschen- hand entstanden sind (s. S.23— 24). Im ganzen scheint somit die Hydro- graphie westlich des Kara-tasch einfacher und älter zu sein als die öst- lich dieses Flusses. Alle die kurzen, nicht mehr als 20 km Länge erreichen_ 4 Schultz, Kaschgar. 36 A. Schultz. den Wasserläufe fehlten der Urlandschaft zweifellos. Die Bewässe- rung der einförmigen, nur durch die Galleriewälder der Flüsse unter- brochenen Steppen, war somit wohl eine dürftige aber keine ungenügende.. _ Über die Anfänge der Umgestaltung der Urlandschaft ist man gänzlich im Ungewissen, wenn auch Hinweise auf die Zustände einige Jahrhunderte vor Chr. Geb. manchen Schluß zulassen. In den west- lichen Teilen Ost-Turkestans war im letzten Jahrtausend vor Chr. Geb. ein Völkergemisch türkischer, arischer und mongolischer Rassen ent- standen, das gerade auch die Kaschgarische Landschaft so recht als gemein- sames Defilee vor den großen Randmauern. hinter denen die einzelnen Rassen und Kulturen wurzelten, erklären läßt. Wie weit die Chinesen auf ihren Kriegszügen gegen die Jung-Stämme nach Westen an den Fuß des Kuen-lun vorgedrungen waren, ist unbekannt. Kämpfe mit be- nachbarten Stämmen setzten wohl gleich ein, wie die Chinesen ihre ersten Sitze im heutigen China einnahmen!). Im Jahre 178 vor Chr. Geb. entsandte ein Kaiser der Han-Dynastie den später berühmt ge- wordenen Staatsmann Tschang-k’ien nach dem Nordwesten Kan-su’s. Eine Reihe von unvorhergesehenen Zufälliskeiten führte ihn weiter nach Westen, er durchzog nicht nur ganz Mittelasien bis an die Grenzen Indiens, sondern gelangte auch nach West-Turkestan (Fergana). Die Schilderungen Tschang-k’iens über die von ihm gesehenen Kulturen, die Entdeckung der zahlreichen Handelsstraßen machte zum erstenmal die Chinesen mit den Vorgängen in den westlichen Ländern bekannt. Die Chinesen begannen jetzt die große Nord- und Südroute um das Tarimbecken auszubauen und durch militärische Stützpunkte zu sichern. Im Laufe der Zeiten entwickelte sich daraus ein politisches Protektorat, chinesisches Reichsgebiet?). Im zweiten Jahrhundert vor Chr. Geb. waren die Verhältnisse in der Kaschgarischen Landschaft bereits im wesentlichen den heutigen gleich. Der Handelsverkehr erforderte Stützpunkte, die überall dort, wo Wasser vorhanden war, entstehen konnten. Früh müssen die Händler Ackerbauer nach sich gezogen haben. Vielleicht gehörten zu den ältesten Ackerbauern in der Kaschgarischen Landschaft die im zweiten Jahrhundert vor Chr. Geb. im Ili-tal und am Nordfuß des Tien-schan lebenden arischen Sö (Sak), die vermutlich aus dem westlichen Pamir, wo noch heute primitive, urwüchsige arische Kultur herrscht?), herübergewandert waren. Im zweiten Jahrhundert vor Chr. Geb. begannen die türkisch-mongolischen Wanderungen. Die Hiung- 21 SB .U,K0, Eve 5 Kaschgar. 37 nu drängten aus dem Quellgebiet des Hoang-ho nach Westen und unter- warfen die westlich von Sa-tschou sitzenden Yüe-tschi, einen Zweig der Skythen. Diese verdrängten die Saken aus dem Ili-tal, wurden aber ihrer- seits selbst durch Anhänger der Hiung-nu aus dem Ili-tal hinausgedrängt. Ein Teil der Yüe-tschi unterwarf sich den Hiung-nu und kehrte nach Turkestan zurück, während die Hauptmasse nach Baktrien in West- Turkestan eindrang und sich mit den hier sitzenden Saken verschmolz. Jetzt kam es zur Gründung des indo-skythischen Reiches, das Teile von Nord- indien, ganz Afganistan und Teile von Turkestan umfaßte. Der Buddhis- mus und griechische Einflüsse kennzeichnen die eigenartige Kultur dieses Reiches. Das ‚Scythia ulterior‘‘ in Ost-Turkestan war schon Ptolemäus bekannt!). LE Cog betont, daß die Sprache der Skythen dem indo- germanischen, nicht dem indo-iranischen Sprachstamme, also dem euro- päischen Zweige angehörte. Die ältere Geschichte Zentralasiens läßt somit schon das Gewoge verschiedener Völker und Rassen erkennen, das über die Kaschgarische Landschaft hinwegflutete, sich an den Gebirgsrändern staute, zurück- flutete, vereinzelt hinübergesprengt wurde. Meisterhaft hat RıcHT- HOFEN diese Abhängigkeit der historischen Begebenheiten von den natürlichen Verhältnissen erkannt und geschildert?). Die Staatswesen der ost-turkestanischen Landschaften waren leicht verwundbar, be- sonders wenn es sich um die Zerstörung fester Siedlungen und des Acker- baues handelte. Eine Vernichtung oder Ablenkung der wichtigen Wasseradern war rasch ausgeführt und das Volk dem Tode preis- gegeben. Für die Mongolenzüge unter Dschingis-chan ist diese Kampf- methode nachgewiesen. Sie ist so naheliegend, daß sich wohl auch in früheren Zeiten einfallende Feinde ihrer oft mit Erfolg bedient haben werden. Aber ebenso rasch wie zerstört sind die Kanäle, wenn sich nur genügend Menschen vorfinden, wieder hergestellt. Und gerade die Kaschgarische Landschaft hat sich in der Beziehung stabil erwiesen. Hier sind keine Oasen verschwunden, wie in den östlichen Teilen des Tarimbeckens. Waren die Oasen von der Wasserzufuhr abgeschnitten, so verkümmerten sie wohl, unterlagen aber nicht der raschen Verwehung durch den Sand. Die Felder überzog urwüchsige Steppe, die Haine wurden von Gebüsch- wald verdrängt, bis der Mensch wieder mit seiner Hacke einzog, rodete, neue Gräben anlegte und die alten Kulturlandschaften wieder herstellte. Und noch eins stärkte die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung der Kaschgarischen Landschaft. Der Handelsverkehr, der Ackerbau und — 1) Le Cog, Mittlg. Geogr. Ges. München 1910/11, S. 175 u. f. 2) China, T; 8:48 uw f£. 4* 38 A. Schultz. die Viehzucht bildeten — und bilden heute noch — die wirtschaftlichen | Grundlagen. Gerade die Viehzucht wurde in Zeiten des Rückgangs der Feldwirtschaft wertvoll, boten doch die Lößsteppen in der Nähe der Flüsse stets reichliches Futter.. In der Verbindung von Steppe und . Oase lag also die Kraft der Landschaft. | Zeiten der Geschichte, die sich durch ruhige Verhältnisse, friedlichen Verkehr mit den Nachbarn, zunehmende Bevölkerungszahl auszeichneten haben stets die Kulturländereien anwachsen lassen. Vielleicht ist gerade die älteste historische Periode solch eines Aufblühens des Landes. die Herrschaft der Uiguren, besonders im Laufe des XI. Jahrhunderts nach. Chr. Geb., für die Ausbildung des heutigen Landschaftsbildes, also ins- besondere für die Verteilung der Oasen, maßgebend gewesen. Das bis zum Jahr 850 in Ost-Turkestan zurückdatierende Viguren- reich war der Zweig eines älteren Staates, den die türkischen Völker im Gebiet der später so bekannt gewordenen Hauptstadt der Mongolen, Kara-korum, gegründet hatten!). Und gerade für die landschaftliche Ausgestaltung ist es besonders wichtig, wie sehr die Kultur der Uiguren in den natürlichen Bedingungen des Landes wurzelte. Gerade der Cha- rakter des Landes als-Durchgangsgebiet war maßgebend —es entwickelte sich keine nationale, sondern eine natürliche Kultur, die für das ethnische Völkergemisch, überhaupt unter den gegebenen Verhältnissen das Beste für das Land war. Politisch war das Uigurenreich nicht stark, aber in seinem friedlichen Charakter, in seiner Toleranz fremden Glau- bensformen gegenüber steckte eine Kraft. Nach arabischen Schrift- stellern war der Buddhismus ebenso stark vertreten wie das Christentum. Auch nach der Eroberung und Zerstörung des Uigurenreichs durch Dschingis-chan im XIII. Jahrhundert behauptete die uigurische Kultur im Staatswesen der Mongolen eine führende Stellung — bot doch das Tigurische den Mongolen die erste Schriftsprache, derer sie für einen so gewaltigen neuerrichteten Staat dringend bedurften. Das alte arische Element der Saken lebte aber fort und ihm ist es wohl zu verdanken, daß das Bewässerungssystem in der Kaschgarischen Land- , schaft und. somit das Landschaftsbild seine Gestalt bewahren konnte. Die ungeheuere Wichtigkeit der Bewässerungsgräben ist nicht nur natürlich bedingt, sondern auch für frühere Zeiten historisch nach- gewiesen — Berichte über Streitigkeiten in der Wasserversorgung z. B. sind in den alten verschütteten Ruinenstätten aufgefunden worden?). Die Zeit Dschingis-chans im XIll. Jahrhundert war ebenfalls eine S 1) STÜBE in PFLUGK-HArTung’s Weltgeschichte, S. 429. ?2) STEIN, Sand-buried Ruins of Khotan, S. 402. 3 4 nr u u en Zieh ir ze 7° ie TEE TR N en 7 Kaschgar. fr 39 Periode der Blüte für die Kaschgarische Landschaft. Die schweren Schaden der Eroberung heilten rasch aus, und die Kulturländereien mögen zu der Zeit ihre größte Ausdehnung erlangt haben. Auch die Bevölkerung muß zahlreich gewesen sein, denn erst ihre Abnahme führte zum Niedergang einzelner in der neuen Zeit wieder aufgefundener Kultur- oasen, allerdings nicht in der Kaschgarischen Landschaft, sondern weiter östlich in der Nähe der Sandwüsten, bei Chotan, am Kerija-darja, am Lop-nor. Das feine Geäst der Bewässerungsgräben reagierte stets sehr empfindlich auf die kulturellen Zustände. Die künstlichen Wasseradern sind kompliziertere Gebilde als sie auf den ersten Blick scheinen. Sie erfordern eine sorgfältige Pflege, da die abschüssigen Lehm-, Löß- und Sandlößwände besonders nach Hochfluten in den Oberlaufgebieten der Flüsse leicht einstürzen und die Kanäle verstopfen. Auch die Flüsse schwanken gelegentlich und ziehen dadurch die Bewässerungsgräben in Mitleidenschaft. Anschließend an die Wasseradern ändert sich das Kulturland, die Oasen und somit das Landschaftsbild. Nach dem Tode Dschingis-chans begannen unruhige Zeiten und damit setzte ein Verfall der Landschaft ein. Durch Raub und Mord wurde die Bevölkerung verringert, die Kanäle versandeten, das Kulturland schrumpfte ein, die Lößsteppe mit reichlichem Unkraut dehnte sich weiter aus. Die Eroberung Kaschgars durch Timur im Jahre 1389, die Unterwerfung der ganzen Landschaft vernichtete alle Früchte der früheren ruhigen Perioden. Vom XV. bis XVIII. Jahrhundert dauerten nun fast ununterbrochen die Kämpfe an, gefiihrt von Chinesen oder aus dem Tien-schan hereindringenden Völkern mit den Kaschgariern. Auch innere Glaubensstreitigkeiten veranlassten blutige Fehde. 1678 er- oberten die mongolischen Dschungaren Kaschgar, bis es 1758 an China fiel. Erst den Chinesen gelang es, das Land durch geschickte Maßnahmen ‘wieder zur Blüte zu bringen, erneut hob sich die Be- völkerungszahl und Oasen und Kulturland dehnten sich über die Löß- steppe aus. Das XIX. Jahrhundert stürzte aber wieder alles durcheinander. Viel- leieht als Vorbote der ruhigen Jetztzeit tobte sich noch einmal der Sturm aus. Ein langwieriger, fanatischer Kampf gegen die chinesische Ober- herrschaft setzte von Kaschgar geführt ein. Aufstände und Nieder- metzelungen chinesischer Garnisonen wurden immer wieder von der Staatsregierung blutig gerächt und immer wieder wurde die Ordnung hergestellt. Nie dauerte die Ruhe lang an — kaum erholte sich das Land ein wenig, so brachen von neuem Unruhen aus. Die Chinesen scheinen gerade in dieser Zeit den vollen Wert, den für sie die Kaschgarische Landschaft hatte, erkannt zu haben. Noch war es vorwiegend die Be- deutung eines Verkehrsstützpunktes, aber auch schon eines strate- 40 A. Schultz. gischen Stützpunktes für Ausfälle nach Westen, zum Schutz des Ostens. Das Unternehmen der Chinesen West-Turkestan zu erobern schlug fehl und der Krieg wurde in die Kaschgarische Landschaft übertragen. Eine kurze Spanne Zeit behielt der Chan von Kokand die Herrschaft in Kaschgar in den Händen, und rege Handelsbeziehungen entspannen sich zwischen diesen beiden türkischen Hauptstädten. Wiederum gelang es den Chinesen ihre alte Herrschaft über Kaschgar herzustellen ; aber nicht für lange, denn der Aufstand der Dunganen rief auch in Kaschgar Um- wälzungen hervor, die dem Lande aber für kurze Zeit Ruhe und Erholung bringen sollten. Im Jahre 1867 wurde nach mancherlei Intrigen Jakub- bek, ‚der Glücklichste‘‘, in Kaschgar als Herrscher anerkannt. Ein Jahrzehnt währte die friedliche Zeit, während welcher die verfallene Wirtschaft wieder gründlich gebessert wurde. Die lockeren Gebilde zentralasiatischer Staaten zerfielen aber gewöhnlich nach dem Tode ihrer Machthaber. So auch jetzt. Endgültig drangen die Chinesen in ihre alte Kolonie ein, wohlbewußt der Bedeutung dieses Vorpostens ihrer Macht am äußersten Ende der großen natürlichen Schutzmauern, dies- mal dagegen in weiser Art nicht blutige Rache nehmend, sondern mit dem Bestreben, durch kluge, friedliebende Politik die islamischen Kasch- garier an sich zu fesseln. Die alten Verhältnisse stellten sich wiederum rasch ein. Der Ackerbau erholte sich, immer weiter dehnten sich die Felder über die Steppe aus, besonders nachdem die Russen in West- Turkestan Ruhe geschaffen hatten und sich ein nahes Absatzgebiet für Baumwolle herausbildete. Die alten Methoden des Ackerbaues werden noch heute angewandt. Heute noch herrscht die Hacke, die ebenso zum Ausheben von Bewässe- rungskanälen, wie zum Umwenden des Ackers gebraucht wird. So kann man annehmen, daß sich das Landschaftsbild im Laufe der historischen Zeiten nur im Anschluß an die oben kurz skizzierten Aufschwünge und Niedergänge der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse geändert hat. Auch der für die Bedeutung Kaschgars und der Kaschgarischen Land- schaft so wichtige Verkehr, oder die strategische Bedeutung dieses west- lichsten Vorpostens des chinesischen Riesenreiches brachten keine nennenswerten Änderungen in das Landschaftsbild. Der alte Kara- wanen- und Saumverkehr besteht heute noch, wie in den frühesten Zeiten der Geschichte, denn der Boden der Lößsteppe bedarf keiner Ausbesse- rung — einen ausgetretenen Pfad läßt man bei Seite und zieht einen neuen daneben. Ob in früheren Zeiten der Transitverkehr gegenüber dem Lokalverkehr vorherrschte, ist nicht festzustellen, heute sind beide wichtig. Modernere Bauten sieht man nur in Kaschgar in geringer Zahl, auch die Festungen und Forts der Chinesen sind ebenso altertümlich. DR EEE TE TE Kaschgar. 41 wie die kleinen Lehmhütten der Kaschgarlyks. Manch westeuropäisches Kulturelement hat sich mittlerweile eingeschlichen, aber im Landschafts- bilde fällt nur der Telegraph nach Ost-China auf. Der Unterschied zwischen der Urlandschaft und der historischen, der heutigen Landschaft ist dagegen, wie aus den verschiedenen Dar- stellungen hervorging, ein großer. Wenn auch weniger, wie in den westeuropäischen Waldgebieten, so hat sich doch auch hier das Landschaftsbild unter dem Einfluß des Menschen stark verändert. Und die ruhigen politischen Zustände lassen es möglich erscheinen, daß die heute noch überwiegenden brachliegenden Lößsteppen unter Kultur genommen, vor allem mit Baumwolle be- pflanzt werden. Die mit den großen Baumwollballen beladenen Kamel- karawanen gehören ja schon heute zum sommerlichen Landschaftsbild im Bereiche der nach West-Turkestan führenden Straße. Ihre Zahl kann gewaltig gesteigert werden, wenn eine großzügige, systematische Bewässerung der Landschaft durch die chinesische Regierung vorge- nommen wird. Die verhältnismäßig leichte Zugänglichkeit zum russi- schen Absatzgebiet macht solche Unternehmen durchaus aussichtsreich. Dann mag aber auch der letzte Rest der Urlandschaft rasch verschwinden, eine Urlandschaft, in die arısche Kultur im Herzen Asiens den Keim einer Kulturlandschaft legte. Der Geograph erkennt aber, wie wenig er allein mit physisch-geogra- phischem Rüstzeug an das Problem der Landschaftsentstehung heran- gehen kann, wie sehr er dagegen auf die geschichtlichen Vorgänge an- gewiesen ist. In Kulturländern finden sich ja auch diese Hilfsmittel gut vorbereitet vor, in Halbkultur- und kulturarmen Ländern stellen sich fürs erste noch unüberwindliche Schwierigkeiten ein. Für die Er- fassung der Kaschgarischen Landschaft müßte vor allem erst eine Ce- schichte der lokalen Wasserwirtschaft geschrieben werden. Aus dem Mangel historischer Kenntnisse heraus konnten auch nur die Ansichten von Geographenüber eine kontinuierliche Austrocknung Zentral- asiens entstehen, Ansichten, die, wie erwähnt (s. S. 31), jetzt widerlegt sind. Geringe klimatische Schwankungen, etwa denen der BRÜCKNER- schen Perioden gleiche, haben selbstverständlich auch in Zentralasien stattgefunden. Unter Umständen werden sie sich auch in dem feinen Aufbau der natürlichen und künstlichen Bewässerung eines ariden Ge- bietes geäußert haben, wird doch gelegentlich ein starker Regenguß in den letzten Adern eines Berieselungssystems spürbar, zu. solchen, das ganze Landschaftsbild umwälzenden Ereignissen. wie es das Verschwinden der Kulturstätten im Tarimbecken war, konnten aber nur die kriege- rischen Maßnahmen von Froberern, sei es durch eine direkte Zerstörung der Wasseradern oder durch eine Verminderung der Bevölkerung. führen. 49 A. Schultz. 5. Die Stadt Kaschgar. Alle für die Bedeutung der Landschaft geschilderten Erscheinungen spiegeln sich nun auf dem engen Raum der Stadt Kaschgar wider. Der Wert der Lage an einem natürlichen Verkehrsknotenpunkt zwischen Ost- und Westasien in erster, Nord- und Südasien in zweiter Linie, die Be- deutung der Wüstenrandlage für die Dauerhaftigkeit der Siedlung waren erörtert worden. Endlich war erwähnt worden, daß auch Kaschgar, das schon in den Annalen der älteren und jüngeren Han-Dynastie als Su-lo erwähnt wird, mit zum Sammelgebiet der von Ost, West und Süd hereindringenden mongolischen, arischen und türkischen Kulturen ge- hörte, dann für den transkontinentalen Verkehr und schließlich als äußerste politische und strategische Feste des Chinesischen Reiches wichtig wurde. Vom frühen Altertum bis in die heutige Zeit bleibt somit die in der Lage ruhende Bedeutung der Stadt Kaschgar gewahrt. Marco Poro, der im Jahre 1280 aus Wachan über den Wach-dschir-Paß und durch die Ges-Schlucht nach Kaschgar kam, brachte nicht nur die erste Kenntnis dieser Gebiete nach Europa herüber, sondern schilderte Kasch- gar durchaus zutreffend und den heutigen Verhältnissen recht ent- sprechend): ‚Vorher war Kaschgar ein selbständiges Königreich, jetzt ist es dem großen Chan (Kublai chan) unterworfen. Die Bevölkerung bilden vorwiegend Mohammedaner. Hier gibt es eine stattliche Anzahl von Städten und Dörfern, von denen die größte und beste Kaschgar ist. Die Bevölkerung lebt von Handel und Gewerbe. Sie haben schöne Gärten, Obstplantagen und Weinpflanzungen. Viele Händler ziehen von hier in die ganze Welt hiraus. Die Eingeborenen sind aber ein hab- süchtiges und filziges Volk und essen und trinken schlechtes Zeug. Im Lande gibt es zahlreiche Nestorianer, die ihre eigenen Kirchen ‚haben. Das Volk spricht einen besonderen Dialekt, und das Land dehnt sich 5 Tagereisen aus.‘ Den großen innerasiatischen Gebirgszügen folgend, hat sich das Chinesische Reich nach Westen, das Russische nach Osten, das Britische nach Norden vorgeschoben. Die gewaltigsten Ketten der Erde bilden die Grenzen, und hier im äußersten Westen, ungefähr auf der Länge von Omsk oder Bombay gelegen, ist Kaschgar, sich auf seine Gebirgsfuß- und Wüstenrandlage stützend, der Angelpunkt chinesischer Macht. Wie sehr mit den politischen Grenzen auch die westeuropäische Kultur der !) H. Yure, The Book of Ser Marco Polo, I, London 1903, S. 178 (Karte), 180 u.f. C. RıttEr bringt in seiner Erdkunde von Asien die Berichte älterer Reisender über Kaschgar, die mit denen Marco Poros gut übereinstimmen. Es sind das Aufzeichnungen arabischer Autoren, des Kadschi-Khalfa in der Dschikan- numa (Weltschau) um 1640 n. Chr. Geb., desMir Jasset Ullah (1813),der turkesta- nischen Mekkapilger in Bombay (1813) und des Si yu wen kian lo (1778.) Kaschgar, 45 ' Briten und Russen auf Kaschgar eindringt, zeigt die Tatsache, daß die Entfernung von Kaschgar bis zum russischen Eisenbahnnetz nur noch 350 km (Andischan), bis zum indischen 700 km. (Peschawar) beträgt. * Ein hochentwickelter Mittelpunkt ist Kaschgar im Laufe seiner Ge- schichte nicht gewesen, oder hat diese Bedeutung nur örtlich besessen. So sucht man heute in der Stadt auch vergeblich nach Zeugen einstiger Blüte, wie man solche so. reichlich z. B. in Samarkand findet. Die Festung und der Basar mit seinen Karawansereien kennzeichnen das Stadtbild, das im übrigen sich von dem eines großen orientalischen Dorfes kaum wesentlich unterscheidet (Abbild. 1, Tafel 3). In diesem nüchternen Äußeren spiegelt sich Natur und Geschichte des Ortes wider. Neuzeitliche chinesische Politik äußert sich darin, daß die Militär- und Regierungsbehörden in Jangi-schar, der 10 km südöstlich entfernt gelegenen Neustadt, ihren Sitz haben. Die Zitadelle in Kaschgar 1 ist gegen äußere, nicht gegen innere Feinde errichtet, nicht umsonst ee steht sie mit der Front gegen Westen (Tafel 2). Die Bevölkerungszahl E war auf 70000 geschätzt worden (s. S. 27). In den Annalen der _ jüngeren Han-Dynastie werden für Kaschgar bereits 1510 Familien oder N ‚18647 Köpfe angegeben und die Annalen der älteren Han-Dynastie | berichten von 2 000 Soldaten. Der allgemeine Eindruck, den die Stadt auf den Europäer macht, ist somit kein überwältigender. Die hohen, mehrere Meter starken Festungs- und Stadtmauern sind aus Lehm errichtet und können natürlich mo- dernen Geschützen keinen Widerstand bieten. Eigenartiger sind schon die mächtigen Stadttore mit ihren chinesischen Wachen daneben. Das Gewirr kleiner Gassen, nüchterner gelbbrauner Hausfronten findet man überall im Orient in gleicher Art vor. Den Marktplatz verunstalten einige halbeuropäische, mehrstöckige Bauwerke, die Moscheen sind ein- . fach, nüchtern erbaut. Nur ein chinesischer Tempel und ein paar Re- - gierungsbauten heben sich hervor, nicht durch Größe und Pracht, son- . dern durch abweichende Anlage und Bauart. Fremdartig wirkt natür- lieh der Anblick einer kolossalen Geistermauer vor einem Jamen zwischen den kleinen Teestuben und Verkaufsläden der Kaschgarlyks (Abbild. 3, Tafel 4). Die Basarstraßen, an denen die Händler und Handwerker nach ihren Waren und Gewerben gesondert sitzen, sind lebhaft, wie überall im Orient. Vor den zahlreichen Teehäusern (,‚tschai-chanes‘‘) und Gastwirtschaften, in den Handelsniederlagen und Karawansereien geht es bunt her. Im übrigen sind aber die Straßen staubig, leer, öde, ; nur gelegentlich dringt ein Ruf hinter den fensterlosen Hausmauern her- i vor, oder eine Gestalt huscht in eine kleine, kaum mannshohe Tür hinein. Br An Markttagen kommt man auf den Basarstraßen oder den Wegen, > die zu den Stadttoren führen, kaum durch. Die eigenartige, durch ihre 44 A. Schultz. runde pelzverbrämte Mütze gekennzeichnete Tracht der Kaschgarlyks beherrscht das Bild, nur gelegentlich sieht man chinesische Kittel oder die langen Chalate der oft unverschleiert gehenden Frauen. Die Straßenjugend ist ununterbrochen auf der Jagd nach dem reichlich niederfallenden Dung der Pferde, Kamele, Esel. Auf flachen Körben wird er mit einer Bürste oder den Fingern zusammengefest, um bei der nächsten Gelegenheit als Einsatz beim Hasardspiel zu dienen. Grammophon und Nähmaschine erinnern, daß auch hier im Herzen " Asiens europäische Kultur Eingang gefunden hat. Leere Farbdosen deutscher Anilinwerke liegen an den Ständen der Färber umher. Russische Teekannen und Teemaschinen stehen auf den Filzmatten der Tschaichanes. Der fette Geruch verschiedener Nationalgerichte zieht sich durch die Basarstraßen. Im Frühjahr 1912, während der chinesischen Revolution, hingen je nach dem Stande der Dinge bald die alten Reichsfahnen, bald die neuen fünffarbigen republikanischen an den Häusern und wechselten alle paar Tage. Das Innere der Stadt, der von der Stadtmauer und einem breiten wasserlosen Graben umgebene Teil, nimmt etwa 34 qkm ein, während sich die ganze Stadt mit den sie umgebenden Mauer- und Straßensied- lungen, einschließlich der Gärten und Kirchhöfe, auf fast 1% qkm aus- dehnt. Kaschgar liegt am Rande einer Hochterrasse des Kisil-su und folgt in den nördlichen und östlichen Umrissen dem Laufe desselben. Der ostwestlich gerichtete, nach Osten hin an Breite zunehmende längs- ovale Grundriß wird im Westen durch die chinesische Festung Könä- gulbag unterbrochen. Die Festung steht also, wieerwähnt, mitihrer Front gegen den Übergang nach Westen, also gegen West-Turkestan, gerichtet. Den eigentlichen Sitz des chinesischen Militärs und der Verwaltung bildet das 10 km südöstlich gelegene Jangi-schar. Das ist die im Jahre 1832 gegründete „Neu-Stadt‘“ mit Zitadelle, Regierungsgebäuden und fast ausschließlich chinesischer Bevölkerung. Kaschgar ist stets der alte historische Mittelpunkt der Landschaft mit weit überwiegender türkischer Bevölkerung geblieben. Der Stadtplan ist für orientalische Städte kennzeichnend (Tafel 2). Den Mittelpunkt bildet der Marktplatz, Haitkar-Platz (Abbild. 2, Tafel 3), in den von allen Seiten herziehend die Straßen, einmünden. Vorherrschende Durchgangsstraßen fehlen, Wie in anderen Städten des Orients fällt die große Zahl blind mündender Gassen in dem Straßengewirr auf!). Um den Marktplatz ordnen sich die Handelsstraßen, Kaufhäuser und Karawansereien an, südlich von denen das Chinesische Viertel gelegen ist. 1) Vergl. z. B. den Plan von Bagdad 1: 10000 der Kartogr. Abt. d. Stellv. Generalstabs, Juni 1917. Kaschgar. 45 Den Eingang zur Stadt ermöglichen vier nach den Himmelsrichtungen gelegene Stadttore: im Norden das Tor ‚‚Jarbag-darwasä‘. das ‚Ter- rassengarten-Tor“, im Osten das Tor ‚Teschik-d.‘‘, das ‚„Steinerne-T.‘“, im Süden das Tor ‚‚Kun-d.‘, das,,Sonnen-T.‘‘, im Westen, in der Festung, das Tor „Jangi-d.‘‘, das „Neue T.“ Alles mächtige, 4 m breite Tore mit schweren, bohlenen Doppeltüren, die für die Nacht geschlossen werden. Während der Unruhen im Jahre 1912 blieben die Tore oft auch tags- über zu. Das allerdings nur geringe Wachstum der Stadt ist nach Süden und Osten hin erfolgt. Hier lehnen sich schon an die Außenwände der Mauern Häuser und Kautläden an, die Straßenzüge werden von Häusern begleitet und führen zu den benachbarten Dörfern der Oase hinüber. Gärten, Haine, Felder überziehen die zwischen den Straßen gelegene Lößsteppe. Vor der Festung sind die Gemüsegärten der chinesischen Soldaten an- gelest (Abbild. 4, Tafel 4). Im Norden befinden sich zwischen Reis- feldern, Gemüsegärten oder nackter, trockener Steppe die Kirchhöfe. Nördlich des Tors Jarbag-darwasä führen Häuser der Eingeborenen und Karawansereien zu dem in dichtem Hain belegenen russischen Konsulat und zur russischen Zollstation. Die Straße, die zur weiter westlich ge- legenen britischen politischen Agentur führt, weist einige europäische Gebäude, das der Russisch-Asiatischen Bank und desrussischen Lazaretts, auf. Gärten und Wiesen kennzeichnen diesen malerisch am hohen Steil- abfall zum Kisil-su gelegenen Stadtteil, der sich langsam zum Europäer- viertel entwickelt. Nur die schwedische Mission liegt allein abseits im Süden der Stadt. Die Bauten der Europäer sind infolge der Erdbebengefahr niedrig, a einstöckig, die russischen mit den üblichen Eisenblechdächern, wie man > sie im ganzen West-Turkestan sieht, errichtet. Die Gebäude der Ein- | geborenen sind ebenfalls klein und niedrig, mit Lehmdächern gedeckt. Nur einige z. T. halbeuropäische Handelshäuser weisen mehrere Stock- werke auf. Die Steilabstürze, an die sich der nördliche Stadtrand heranschiebt, und das Tal des Kisil-su geben einige wichtige Aufschlüsse über die Entstehungsgeschichte der Landschaft. Die insgesamt 75 m Mächtigkeit erlangenden Lehmwände sind keine reinen Lößbildungen sondern werden von Sanden und Kiesen unter- brochen!). Der ganze Untergrund der Stadt und insbesondere die Gegend nördlich von ihr zeigt diesen Aufbau. Und weiterhin sind zwei Terrassen in 75 und 30 m Höhe über dem heutigen Niveau des Flusses erkennbar. » | Auf der obersten, die die Fläche der Oase bildet, liegt die Stadt. Die 1) Vergl. hierzu FUTTERER, Durch Asien, II, 1, S. 63 u. f£. 46 A. Schultz. gegenüberliegenden rechts und linksseitigen, Steilabstürze sind heute etwa 150 m voneinander entfernt. In die mittlere Terrasse hat der Kisil-su stellenweise eine nur 20 m breite, 30 m tiefe Schlucht einge- rissen. Es ergibt sich also erstens, daß die Stadt Kaschgar nicht auf reinem Löß, sondern auf Ablagerungen des Kisil-su steht. zweitens, daß die Periode stärkerer Aktivität des Flusses, die das heutige Tal schuf, eine in der mittleren Terrasse erkennbare Unterbrechung er- litten hat. Die Verhältnisse an den Gebirgsrändern ließen erkennen, daß die Lößperiode auf eine Zeit stärkerer Erosion der Flüsse folgte, daß aber nach der trockenen Lößzeit die Kraft der Flüsse wieder zunahm. Für das Kisil-su-Tal bei Kaschgar ergibt sich die Frage, ob die oberste oder die mittlere Terrasse der Lößzeit entspricht? Im ersteren Falle muß nach der Lößzeit die Periode zunehmender Feuchtigkeiterneut durch eine Stillstandsphase in der Erosion unterbrochen worden sein, in letzterem Falle wäre die erste Einschneidung in die Hochfläche wohl gleichzeitig mit der Erosion der Schotter am Ausgang der Gebirgstäler vor sich gegangen. Bei einer so leichten Zerstörbarkeit des Materials der Steilabstürze und Schluchten, der Lehme, Lößlehme und Sande, die schon nach jeder Hoch- wasserperiode beträchtliche Änderungen aufweisen, spricht alles dafür, daß die erste Einschneidung erst nach der Ablagerung des Lösses er- folgte, daß sich somit die stärkere Erosion in den Gebirgsrändern nur dort, aber nicht oder nur unbedeutend in der Ebene äußerte, wie es für die übrigen Teile der Landschaft ja auch erwähnt worden war. Die nach der Lößperiode einsetzende Periode reichlicherer Niederschläge rief das erste Einschneiden in die kaschgarische Ebene hervor und wurde tat- sächlich in der Zeit der Mittelterrassenbildung unterbrochen. Es mag, wie FUTTERER das annimmt, eine geringe klimatische Schwankung ein- getreten sein, die den Fluß lahmlegte und zur Aufschüttung zwang, aber ebensogut können rein örtliche Ursachen maßgebend gewesen sein. Es können Veränderungen im Quellgebiet des Kisil-su stattgefunden haben, z. B. Berg- oder Gletscherstürze, die die Zuflüsse abdämmten, wie es sich z. B. im Jahre 1911 am Hauptquellfluß des Amu-darja im Pamir ereignete, oder die Bifurkation der Kisil-su oberhalb der Oase von Kasch- gar wirkte ein, indem der Abfluss der Hauptwassermengen in den südlichen Arm für eine Zeit die Erosionstätigkeit des nördlichen ruhen ließ. Vielleicht war hieran tatsächlich schon der Mensch beteiligt und die heute 30 m hohe Mittelterrasse bei Kaschgar ist indirekt ein Erzeugnis von Menschenhand. Der Untergrund Kaschgars — FUTTERER!) spricht vom Diluvialplateau — ist aber nicht allein vom Kisil-su gebildet, 1) Durch Asien II, 1, S. 62. % Pi u ER En ee 177 " Kaschgar. 47 RR | sondern stellt möglicherweise ein altes Deltagebiet von Ges und Kara- An Asch dar (s. 8. 34). Sl Die Möglichkeit tektonischer Bewegungen endlich, insbesondere im ; Emdgebiet des Tarim, deren Einfluß sich selbstverständlich bis zu den _ Oberläufen der Flüsse fortsetzen mußte, soll nicht geleugnet werden, j edöch liegen für das Flachland keine ausschlaegebenden Anhaltspunkte vor (8 EN 22). Die Wüstenrandlage von Kaschgar äußert sich erkennbar in den kli- _ matischen Verhältnissen. Das Klima ist doch nicht so extrem arid wie ‚in den reinen Sandwüstenlandschaften oder auch in den übrigen Teilen der Kaschgarischen Landschaft. Insbesondere ist entsprechend der mehr nördlichen Lage die Sommertemperatur im Vergleich mit südlichen Teilen der Landschaft etwas gemildert. Die im Süden srößtenteils im Herbst ausfallenden Niederschläge verteilen sich hier mehr auf das Re Frühjahr. Bi: Neben dem russischen Konsulat in Kaschgar ist eine meteorologische we: Station eröffnet worden, deren Ergebnisse in den russischen Veröffent- PARK lichungen des Physikalischen Zentralobservatoriums erschienen sind. Im Jahre 1912 wurden die Beobachtungen abgebrochen. Nach den meteorologischen Beobachtungen von Hevın gibt Hann!) folgende Über- sicht über die klimatischen Elemente der Stadt Kaschgar: ya Temperatur: wi Januar — 5g° Juli 27,0 E.\ Februar — 0, August 25, Bi‘ März s,° Septbr. 19,° ee April 17,0 | Oktbr. 12,0 4 du‘ * Mai 19,0 Novbr. 30 BT... Juni 24,0 Dezbr. —2, a Jahr 12,°, Schwankung 333°. DB Rt Die Niederschläge erreichen 460 mm und ertlen sich folgender- Br. maßen: Al =. Winter 70 mm E“ Frühjahr DS0* ,,, M x Sommer AUR, FE, Herbst 70 Die Niederschlagsmenge läßt besonders a Unterschied gegenüber den Wüstenlandschaften, in denen noch keine 200 mm ausfallen, er- ‘kennen. Ob aber tatsächlich eine solche Bevorzugung des Frühjahrs stattfindet, ist nicht ganz sicher. Das Frühjahr 1912 war trocken und 1) Handbuch der Klimatologie, Bd. II, S. 308. 48 - A. Schultz. Sykes!) nimmt eine ungleichmäßige Verteilung der Niederschläge über das ganze Jahr als Normales an. Der Sommer hält mit hohen Temperaturen 7 Monate an, der Winter dauert vom Dezember bis zum Februar einschließlich. Das Frühjahr ist kurz, dem März mit nur 8,° folgt der sommerliche April mit 17,0. Die Temperaturabnahme im Herbst geht ebenfalls rasch vor sich: dem Oktober mit 12,° folgt der November mit 3,0. Der Januar weist die tiefsten Temperaturen auf, und gelegentlich hüllt der Schnee die Landschaft ein. Gerade die tiefe Januar-Temperatur drückt das Jahresmittel stark herab und läßt zusammen mit den hohen Sommertemperaturen und der beträchtlichen mittleren jährlichen Schwankung die Aridität dieses kontinentalen Klimas hervortreten. Daß im Winter fast jeder Verkehr mit der Außenwelt, insbesondere über die schneegesperrten Pässe nach Süden und Westen, aufhört, ist selbstverständlich. Nur nach Osten ziehen die Kamelkarawanen un- gehindert durch das Flachland und leiden nun zwar nicht Mangel an Wasser, wohl aber an Futter, da die letzten im Sommer verdorrten Halme der Gräser längst vom Winde verweht sind und in den Oasen die Heu- und Strohvorräte kaum für das eigene Vieh den Winter über genügen. Im Winter blasen in Kaschgar starke Winde aus West und Ost, die gewaltige Staubmengen auftreiben. Auch der Sommer zeigt häufig bewegte Luft, so daß kaum 100 Tage im Jahr klar sind. Wie die größeren Dörfer innerhalb der Landschaft zu wirtschaftlichen Mittelpunkten der einzelnen Oasen oder Oasengruppen werden, so wird Kaschgar der zentrale Sammelpunkt für die Landeserzeugnisse die aus jenen kleineren Zentren hier zusammenfließen und für die Versorgung _ der städtischen Bevölkerung, für eine industrielle Verarbeitung oder endlich für den Export dienen. Produziert werden in erster Linie Ge- treide, Mais, Früchte, Wein, Gemüse, Baumwolle, Seide und Vieh. Aus- geführt werden Baumwolle, Seide und Viehprodukte, die auch aus den anderen Landschaften Ost-Turkestans nach Kaschgar gebracht werden?). Die Ausfuhr chinesischer Erzeugnisse über diese westlichste Landesgrenze ist ganz unbedeutend, und ein Reisender durchquert nur zu wissenschaftlichen oder sportlichen Zwecken den Kontinent auf der innerasiatischen Route. Genauere Angaben über den Handelsumsatz Kaschgars fehlen, sie beziehen sich meist auf das gesamte Ost-Turkestan, doch ergibt die Lage der Stadt Kaschgar, daß sie den Hauptsammelpunkt für die nach West- 1) Through Deserts and Oases of Central Asia, S. 239. 2) Über diewirtschaftlichen Verhältnisse geben kurze Übersichten Sykzs, Through Deserts and Oases of Central Asia; M. HARTMANN, Chinesisch Turkestan, Halle a. S. 1908; KuRrorAatkın, Kaschgaria; W. DayA, Der Aufmarsch im Osten, München o. J.; Financial and commercial statisties of Br. India, Calcutta. Kaschgar, 49 Turkestan, Indien und Afganistan ausgeführten Waren bildet. West- Turkestan, Rußland ist der Hauptabnehmer. Die Baumwolle wird meist roh ausgeführt, oder auch in Form eines groben weißen Gewebes — „mata.‘ Felle und Wolle, Teppiche und Filze gelangen ebenfalls in sroßen Mengen nach West-Turkestan. Einen wichtigen Ausfuhrartikel bildetdasausHanfgewonnene Rauschmittel Haschisch — ‚‚nuscha‘“, dessen Wirkung eine noch viel stärkere als die des Opiums ist, und das eben- falls nach Russisch-Turkestan, Indien und Afganistan, trotz hoher Zölle, ausgeführt wird. Nach West-Turkestan ist die Einfuhr von Haschisch durch die russische Regierung verboten, es bildet daher ein beliebtes Kontrebandeobjekt, gegen welches die Zollstationen in Irkeschtam und Narynskoje, ebenso die russischen Militärstationen auf dem Pamir, Kisil-rabat und Pamirski-Post, energisch ankämpfen. Von den 400 000 kg, die Kaschgar jährlich ausführt, geht die Hälfte nach West- Turkestan, wo nicht nur die Eingeborenen, sondern auch die ange- siedelten russischen Bauern dem Laster des Haschischgenusses fröhnen!). Die Gesamtausfuhr von Kaschgar nach Rußland erreichte im Jahre 1914 einen Wert von über 6 Millionen Mark, nach Indien einen solchen von 1 % Millionen Mark. Nach Indien werden, außer Haschisch, Seiden- und Baumwollstoffe, sowie in kleiner Menge verschiedene andere Er- zeugnisse ausgeführt. Nach Afganistan bringen Badakschaner Händler über den nur im Sommer offenen Paß Wach-dschir Teppiche, Matten und gelegentlich russische Industrieerzeugnisse, insbesondere Eisenwaren. Eingeführt werden aus Rußland vor allem die einfachen, buntbe- druckten Kattune, die mit 4 Millionen Mark, die Hälfte der gesamten Einfuhr ausmachen. Weiter werden Silberbarren für die chinesische Regierung importiert, und zwar im Jahre 1906 für über 1 Million Mark. Endlich gelangen noch verschiedene russische und westeuropäische Industrieerzeugnisse nach Kaschgar im Werte von 1— 1 % Millionen Mark. Indien liefert Baumwoll- und Seidenstoffe, im Jahre 1906 für 1 % Millionen Mark, und Tee. Aus Afsanistan kommen besonders vollblütige Pferde (Badakschaner). Aus Ost-China werden herangeführt Porzellanwaren, schlechter und teuerer Ziegeltee, japanische Zigaretten u. a., aber nicht in nennenswerten Mengen. Von deutschen Industrieerzeugnissen kom- men Farbstoffe und einige Tucharten auf den kaschgarischen Markt. Für das Jahr 1913 wurde der gesamte Handel Kaschgars mit Rußland auf nur 5 Millionen Mark, mit Indien auf 4 Millionen Mark geschätzt?). Es stehen dem im Jahre 1904 bezw. 1906 für den russischen Handel 12%, für den indischen 31, Millionen Mark gegenüber. Vielleicht liegt 1) J. J. Lewrrow, Die Busa-Haschisch-Frage in unseren Grenzmarken, Iswestija Kais. Russ. Geogr. Ges., St. Petersburg 1909, (rus.), S. 303 u. £. ?2) Syk&s, Through Deserts and Oases of Central Asia, S. 246. 50 : A. Schultz. 1 und überhaupt Ost- Turkäsen dem südlichen Nachbarreich wenig zu- sagen. Der russische Handel kümmert sieh, nach englischer Angabe, wenig um die chinesischen Handelsgesetzet). inüschaft und der Stadt Kaschgar. Die Landschaft hatte zuerst durch den Menschen eine Umgestaltung erfahren, die den ältesten ge- schichtlichen Ansprüchen gerecht wurde, d. h. sie mußte die Bevölke- rung ernähren. Dann trat, erst im Verkehr mit den Nomaden, dann in den Beziehungen mit den Eroberern, endlich im friedlichen Austausch mit dem herrschenden Volke und mit den großen Nachbarn Rußland und Indien eine gesteigerte Nachfrage nach Bodenerzeugnissen — für Handel und Abgaben — ein, die die Oasen und bebauten Flächen sichh y wenn auch den politischen Ereignissen folgend, schwankend aber rasch. a vermehren ließ. In diesem Zustand ist die Landschaft dann geblieben. Eineintensivere Ausnutzung des Bodens, besonderseine Vermehrungder Oasen und Anbauflächen auf Kosten der Lößsteppe istaber noch durchaus möglich. Der Getreide- und Reisbau kann zweifellos ohne irgendwelche Schädigung der Eingeborenen eingeschränkt werden, besonders wenn sich der westsibirische Markt für Kaschgar öffnet. Dafür muß mehr Baum- wolle angebaut werden, denn Boden und Klima gestalten die Landschaft zu einer idealen für diese Kultur. Wasser ist in genügenden Mengen vor- handen, um die noch wüst und öde darliegenden Steppen zu bewässern und um neue Oasen zu schaffen. Eine zielbewußte Regierung kann hier — und ebenso in den übrigen Gebirgsfußlandschaften Ost- Turkestans — Werte schaffen, die denjenigen in West-Turkestan nicht nachzustehen brauchen. | Eine vollständige Umwandlung der heute räumlich noch vorherrschen- den Naturlandschaft in eine eigenartige, sich natürlichen Bedingungen ganz anpassende Kulturlandschaft ist durchaus möglich. Das heutige, vom Menschen bereits stark beeinflußte Landschaftsbild der Kaschgarischen Lößlandschaft hat, einem gewissen Trägheitsmoment in der Kultur seiner Bevölkerung folgend, seine Züge im wesentlichen von den frühhistorischen Zeiten an bewahrt. Vielleicht bringt die nächste Zeit, trotz der allge- meinen Verarmung der Welt, infolge der stärkeren Nachfrage nach Baumwolle auch hier eine Änderung, die die Kultur Ost- und West- Turkestans mehr ausgleicht, dem Landschaftsbild zu den Zügen der BE. Halbkultur aber solche der Hochkultur einverleibt. Die Bedeutung der 1) A. J. SARGENT, Anglo-Chinese Commerce and Diplomaey, Oxford 1907, S. 156. e \ Yilandschaften o Ber Oma in derZone der Walser | Kuen-Iun und Tien-schan bilden einen zu schwierigen und wie die alten Nomadenvölker auf ihrem Drängen nach en breiten, bequemen Ausgängen der dschungarischen Völker- wenkten, so würde sich auch ein transkontinentaler Verkehr NV 4® h Vest-$ Rn! inne haben. Dann a an das grandiose, east Kaschgar aber ins Hintertreffen: die Babidk ce und nicht Kaschgar sondern. die Stadt Kuldscha Ba - Ken Jahrbuch der Hamburg. wisse q /, | 1 ni! (> ) f; Zu & < 7 NN AN | ‚Jahrbuch der Hamburg. wissenschaft, Anstalten XXXVII Tafel 1. Karte der Kaschgarischen Lösslandschaft. 1: 500 000 Grundlagen: Russ. Karte 1:420000, Sven Hedin 1: 1000 000, A.Stein 1:1500 000 u. Aufnahmen von A.Schultz. Bash -tegermon, RN N See. E3Oasen u.Kulturländereien. D[JLössteppen. E9Sandwüsten. Köntschi unts nn EEE eFIII=> gs & =YUrumbas ö Tarım® , Made EFT us KT. 2 SE Aramıdan EXT ac E Jangi-usrang@uhty, untak war Er Kar {Ordan /Padacha - "\ .', 7" Druck von Carl Griese, Hamburg. A. Schultz: Kaschgar. Tafel 2. Jahrbuch der Hamburg. wissenschaft. Anstalten XXXVII. "sJeuoissipy U@yDSIPBMY9G Jap Smey'jL yeinsuoy Geyasıseny’OLl unzuaßy zeyssı41lod Byasıylag'6 HOueze]n yueg oyasısaulyn - Yosissny'g uoıfe4suoude.ßaje, z “aayaso'g edws, Jeyssiıseuiyn’g wdwej “ayasıseuiyy Jogouy suuewjdneysiasy sep vewerg 'Ie+-O02() sep uewerz zeig - Jeujley \ / - uny-3 ( Juyosa,-q esemuep - Deguef -e :3J0]| -}Pe45 “ e c‘ - yoyppıgtl & ) 5 ve 83,8 N IERE > AAt325 3) SIN2 3; Se ARE ENDE > 233 I ER zunyag 'y 'n (8061 *IIeH "iseyun, - uyn) uuewiuey "w won ueßunzueßsz zw (E06) 4ummyase, wiueßyssey) majımıy 47 A Buny 000SLF :! ueByssey Druck von Carl Griese, Hamburg. : Kaschgar. A. Schultz } Jahrbuch der Hamburg. wissenschaftl. Anstalten XXXVII. Tafel 3. Phot. Schultz. Abb. 1. Blick von der linken Hochterraße des Kisil-su auf die Stadt Kaschgar. Phot. Schultz, Abb. 2. Der Mittelpunkt der Stadt Kaschgar: der Haitkar-Platz mit Moschee und Händlerständen, A. Schultz: Kaschgar. Abb. 3. Abb. 4. Handelsstraße In Kaschgar mit Teehäusern und Eingang zu einem Yamen, daneben die Geistermauer. Garten- und Feldbau mit künstlicher Bewässerung In dar Oase von Kaschgar. A. Schultz: Kaschgar. Phot. Schultz. Phot. Schultz, III | | 0 193 ON LIBRARIES l 3 9088 015. ii I I z < zZ ° [2] z E = on — — ——— Te a — —— —— ee m ZZ —— |